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German Pages 830 [840] Year 1960
G r o ß k o m m e n t a r e der P r a x i s
Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes
Kommentar herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern Elfte Auflage n. Band, 2. Teil Einzelne Scliuldverhältnisse, §§ 705—853 bearbeitet von
Dr. Robert Fischer
Dr. Karl Haager
Bundesrichter
Bundesrichter
Dr. Friedrich Kreit Bundesrichter
Dr. Georg Kuhn
Georg Scheffler
Bundesrichter
Bundesrichter (Zitierweise: BGB-RGRK)
Berlin 1960
WALTER DE GRUYTER
& CO.
vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
Àrehiv-Nr. 22 0159 Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH.« Berlin SW 61 Alle Rechte» einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten
Inhaltsverzeichnis z u m II. Band, 2. T e i l Seite
Noch Siebenter Abschnitt. Einzelne Schuldverhältnisse
§§ 705—853
747—1577
Vierzehnter Titel Gesellschaft
§§ 705—740
747—852
Fünfzehnter Titel. Gemeinschaft
§§ 741—758
853—880
Sechzehnter Titel. Leibrente
§§ 759—761
880—887
Siebzehnter Titel. Spiel. Wette
§§ 762—764
887—905
Achtzehnter Titel. Bürgschaft
§§ 765—778
905—967
Neunzehnter Titel. Vergleich
§ 779
968—985
Zwanzigster Titel. Schuldversprechen. Schuldanerkenntnis
§§ 780—782
986—1000
Einundzwanzigster Titel. Anweisung
§§ 783—792
1000—1021
Zweiundzwanzigster Titel. Schuldverschreibung auf den Inhaber
§§ 793—808a 1021—1047
Dreiundzwanzigster Titel. Vorlegung von Sachen . . . .
§§ 809—811
1047—1054
Vierundzwanzigster Titel. Ungerechtfertigte Bereicherung
§§ 812—822
1054—1150
Fünfundzwanzigster Titel. Unerlaubte Handlungen . . .
§§ 823—853
1151—1577
Es haben b e a r b e i t e t : §§ 7°5—779 : §§ 780—811: §§ 812—82a: §§ 823—831: §§ 832—839: § 840: . §§ 841—853:
Bundesrichter Dr. R o b e r t Bundesrichter Dr. G e o r g
Fischer Kuhn
Bundesrichter G e o r g S c h e f f l e r Bundesrichter Dr. K a r l Bundesrichter Dr. F r i e d r i c h Bundesrichter Dr. K a r l Bundesrichter Dr. F r i e d r i c h
Haager Kreft Haager Kreft
Vierzehnter T i t e l Gesellschaft Ubersicht Anm.
I. Der rechtliche Charakter der Gesellschaft 1. Die Gesellschaft als Zweckgemeinschaft 2. Die Gesellschaft als Gesamthandsgemeinschaft II. Die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Gesellschaft I I I . Die Anwendungstatbestände für die Gesellschaft I V . Der weitere Anwendungsbereich der §§ 705 fr 1. Bei den Personalhandelsgesellschaften und der stillen Gesellschaft . . . a. Bei dem nicht rechtsfähigen Verein 3. Bei der Reederei 4. Bei gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen 5. Bei ausländischen Vereinen
i—4 1—3 4 5 6 7—13 7 8 9 10—ia 13
I. Der rechtliche Charakter der Gesellschaft Anm. 1 1. Die Gesellschaft als Zweckgemeinschaft. Für jede Gesellschaft ist ein gemeinsamer Zweck begriffsnotwendig. Dieser gemeinsame Zweck muß Inhalt des Gesellschaftsvertrages sein (§ 705 Anm. 6). Die Gesellschaft ist also eine Zweckgemeinschaft auf vertraglicher Grundlage (§ 705 Anm. 1). Als gemeinsamer Zweck kommt nicht nur ein vermögenswerter Zweck, sondern auch jeder andere, ein idealer, wissenschaftlicher, sozialer, geselliger, religiöser oder künstlerischer Zweck in Betracht. Der gemeinsame Zweck schließt nicht aus, daß die Gesellschafter mit der Gesellschaft gleichzeitig auch persönliche (eigennützige) Absichten verfolgen (BGH NJW 1951, 308). Das wird bei Gesellschaften mit einer wirtschaftlichen Zielrichtung regelmäßig der Fall sein. Der Zweck muß ein gemeinsamer, nicht nur ein gleichartiger sein. Bei einem A u s t a u s c h v e r t r a g liegt ein solcher gemeinsamer Zweck nicht vor; denn hier verpflichten sich die Vertragspartner lediglich zu einer jeweils nur für den anderen Partner bestimmten Leistung (BGH 17. 10. 1955 II Z R 269/53). Im einzelnen kann die Frage, ob Gegenstand eines Vertrages die Verpflichtung zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks ist, Schwierigkeiten bereiten. Es ist insoweit eine Würdigung der gesamten Umstände nach Sinn und Zweck des Vertrages notwendig. So sind Lieferungsverträge mit Ausschließlichkeitsklauseln Austauschverträge, keine Gesellschaftsverträge (RG 74, 33; H R R 1940 Nr. 1059). Das gilt grundsätzlich auch für die sog. A l l e i n v e r k a u f s u n d G e n e r a l v e r t r e t u n g s v e r t r ä g e , wenngleich in diesen Fällen das Interesse beider Parteien naturgemäß dahin geht, möglichst viel Waren abzusetzen; aber ein solches gleichgerichtetes Interesse ist kein gemeinsamer Zweck (RG WarnRspr. 1929 Nr. 52). Im Einzelfall kann jedoch die Ausgestaltung eines solchen Vertrages so sein, daß er gesellschaftsähnlichen Charakter annimmt; ein örtlich unbeschränktes Alleinvertriebsrecht bei Gewährung eines hohen Rabatts, andererseits die Verpflichtung, nur die Produktion seines Vertragspartners zu verkaufen, sowie Vertragsbestimmungen über eine gegenseitige Hilfeleistung können zu einer Verknüpfung der beiderseitigen Belange im Sinne einer Zweckgemeinschaft führen (RG WarnRspr. 1942 Nr. 93). W e t t b e w e r b s r e g e l u n g e n zwischen zwei Kaufleuten über die beiderseitigen Absatzgebiete oder über die Art der von ihnen zu vertreibenden Waren dienen im Regelfall einem gleichartigen, nicht aber einem gemeinsamen Zweck; sie können sich aber durch 49
Komm. z. BGB. u . Aufl. II. Bd. (Fischer)
747
V o r § 705
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 2, 3 weitere Abmachungen zu einer Interessenverflechtung verdichten, wie das bei Kartellen, aber auch bei anderen Interessengemeinschaften (vgl. R G SeuffArch. 94 Nr. 3) der Fall ist. Eine Verabredung zwischen zwei Inhabern gleichartiger Geschäfte, d a ß jeder a m Gewinn des anderen teilnehmen solle, dient der Risikoverteilung, aber nicht einem gemeinsamen Zweck, den zu fördern die Vertragsparteien sich verpflichten; anders ist es jedoch, wenn außerdem die beiderseitige Verpflichtung übernommen wird, auf die Erzielung von Gewinn hinzuwirken (RG 73, 287). Dem Wesen der Zweckgemeinschaft entspricht es, d a ß die Vertragsparteien als gleichberechtigte Vertragsgegner einander gegenübertreten u n d in einem gleichberechtigten Zusammenwirken zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beitragen (RG D R 1942, 1161). Darüber hinaus bedarf es bei jeder Gesellschaft einer, wenn auch nur losen Gemeinschaftsorganisation zwischen den Beteiligten, die den Gesellschaftswillen verkörpert u n d jedem Beteiligten gewisse Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten gibt (RG WarnRspr. 1933 Nr. 78; B G H N J W 1951, 3°8)Eine E i n m a n n g e s e l l s c h a f t ist hier nicht denkbar; denn bei ihr kann von einer gemeinsamen Zweckförderung nicht gesprochen werden (vgl. auch R G 163, 149).
Anm. 2 Die A b g r e n z u n g z u d e n p a r t i a r i s c h e n R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n bereitet im Einzelfall besondere Schwierigkeiten. Bei diesen partiarischen Rechtsverhältnissen handelt es sich u m Verträge, durch die j e m a n d einem anderen für eine Gegenleistung eine Gewinnbeteiligung einräumt; sie sind reine Austauschverträge, die Verpflichtung zur Förderung eines g e m e i n s a m e n Zwecks ist ihnen nicht eigen. Typische Anwendungsfälle dieser Rechtsverhältnisse sind das partiarische Darlehn, der partiarische Pachtvertrag, der Dienstvertrag mit Gewinnbeteiligung; außerdem sind hier noch die verschiedenen Formen urheberrechtlicher Nutzungsverträge zu erwähnen (darüber vgl. Anm. 12). Zur Abgrenzung zwischen einer Gesellschaft (stiller Gesellschaft) u n d einem p a r t i a r i s c h e n D a r l e h n liegt eine umfangreiche Judikatur vor. Diese Abgrenzung ist beim Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung , z. B. f ü r die Verlustbeteiligung (dazu R G WarnRspr. 1913 Nr. 211; L Z 1917, 133) u n d f ü r die Zulässigkeit einer Abtretung (§717), aber auch sonst, etwa für die Anwendbarkeit der §§ 320fr (für die Gesellschaft gilt insoweit besonders, vgl. § 705 Anm. 8, 9) von Bedeutung. Die Rechtsprechung hat eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt, die für die Abgrenzung von Bedeutung sein k ö n n e n , wobei jedoch keinem dieser Gesichtspunkte für sich allein ein entscheidendes Gewicht zukommt. Daher kann die Abgrenzung im Einzelfall n u r unter Berücksichtigung der Interessenlage beider Parteien, wie sie für Abschluß u n d Inhalt des Vertrages maßgebend sind, vorgenommen werden, u n d zwar dahin, ob es den Vertragspartnern auf die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks durch gemeinsame Beteiligung a m Erfolg des Unternehmens oder nur auf die Verfolgung eigener Zwecke ankommt u n d ob die Zubilligung eines Uberwachungsrechts als Ausdruck einer Zweckgemeinschaft u n d einer Zusammenarbeit mit dem Unternehmer oder als eine betont einseitige Berechtigung zur Sicherstellung des Rückforderungsanspruchs zu betrachten ist (RG WarnRspr. 1940 Nr. 151; B G H L M Nr. 1 zu § 335 H G B m. w. N. aus der Rechtsprechung; vgl. auch B G H W M 1958, 293). Gegenüber einem D i e n s t v e r t r a g m i t G e w i n n b e t e i l i g u n g ist es für die Gesellschaft typisch, d a ß bei ihr eine persönliche Unterordnung (Weisungsgebundenheit) nicht in Betracht kommt; die Dienste, die ein Gesellschafter zur Förderung des gemeinsamen Zwecks erbringt, haben ihre Grundlage nicht in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis (RG 142, 18; D R 1942, 1161). Ubergänge sind freilich denkbar (vgl. R G I0 5> 317)- Eine gewisse Selbständigkeit des Angestellten in einer bestimmten Betriebsabteilung allerdings spricht noch nicht f ü r eine Gesellschaft (RG WarnRspr. 1914 Nr. 37), sie enthält nicht einmal ein gesellschaftsartiges Merkmal. Zur Abgrenzung zwischen Gesellschaft u n d P a c h t v e r t r a g vgl. ebenfalls R G D R 1942, 1161; ferner Anm. 11 vor § 535.
Anm. 3 Die A b g r e n z u n g z u r G e m e i n s c h a f t . Darin, d a ß die Gesellschaft eine Zweckgemeinschaft auf vertraglicher Grundlage ist, liegt der entscheidende Unterschied 748
Gesellschaft
V o r § 705 Anm. 4
zwischen ihr und der Gemeinschaft nach Bruchteilen. In der Gesellschaft verpflichten sich die Gesellschafter, einen gemeinsamen Zweck zu fördern; durch diese Verpflichtung sind sie aneinander gebunden, durch sie erhält das Gesellschaftsverhältnis seinen Sinn und seinen rechtlichen Gehalt. Die Gemeinschaft erschöpft sich dagegen in einer gleichartigen Mitberechtigung mehrerer Personen an einem bestimmten Gegenstand; nur durch diese gemeinschaftliche Berechtigung, nicht durch einen weiteren Zweck, sind sie miteinander verbunden. Deshalb wird auch die Aufrechterhaltung der Gemeinschaft nicht durch irgendein gemeinsames Interesse der Teilhaber gefordert. Eine vertragliche Grundlage hat die Gemeinschaft nicht; sie ist vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen vielfach ungewollt oder zufällig (vgl. dazu auch § 741 Anm. 5, 6). Dadurch, daß die Teilhaber einer Bruchteilsgemeinschaft eine Verwaltungsregelung nach § 745 treffen, wird die Gemeinschaft noch nicht zu einer Zweckgemeinschaft im Sinne des Gesellschaftsrechts ( B G H 17. 10. 1955 I I Z R 269/53). Uber gesellschaftsähnliche Rechtsverhältnisse vgl. Anm. ioff.
Anm. 4 2. Die G e s e l l s c h a f t a l s G e s a m t h a n d s g e m e i n s c h a f t . Die Gesellschaft ist eine Gemeinschaft zur gesamten Hand, nicht eine j u r i s t i s c h e P e r s o n . Bei ihr besteht kein von den Gesellschaftern verschiedenes Rechtssubjekt. Ist von der Gesellschaft die Rede, so sind doch die Gesellschafter, wenn auch in ihrer Gesamtheit, gemeint. Die Gesellschafter selbst sind die Träger des Gesellschaftsvermögens. Sie können sich eines gemeinsamen Namens bedienen. Aber das ist rechtlich im Unterschied zu der offenen Handelsgesellschaft ohne Bedeutung. Denn sie tritt nicht wie diese im Rechtsverkehr und im Prozeß nach außen als geschlossene Einheit auf; bei ihr findet sich in der rechtlichen Gestaltung nicht wie bei dieser eine Annäherung an die juristische Person. Sie genießt keinen Firmen-(Namens-) schütz, sie ist nicht grundbuchfahig, nicht prozeßfähig, nicht konkursfähig; zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen bedarf es lediglich eines vollstreckbaren Titels gegen die (alle) Gesellschafter (§736 ZPO). Bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft kann man nicht — wie bei der offenen Handelsgesellschaft — zwischen dem Anspruch gegen die Gesellschaft und dem Anspruch gegen die einzelnen Gesellschafter (§ ia8 H G B ; vgl. dazu B G H 23, 302) unterscheiden. Auch im Prozeßrecht tritt dieser Unterschied zutage; die Klage der offenen Handelsgesellschaft ist — jedenfalls für die Zeit ihres Bestehens — nicht die Klage der sämtlichen Gesellschafter, so daß die Fortführung eines von ihr eingeleiteten Rechtsstreits durch die einzelnen oder alle Gesellschafter einen echten Parteiwechsel darstellt; bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft ist „ihre" Klage die Klage sämtlicher Gesellschafter, so daß hier beim Ausscheiden eines Gesellschafters aus dem Rechtsstreit ein Parteiwechsel nicht eintreten kann ( B G H 17, 342). Andererseits darf d i e B i n d u n g b e i d e r G e s e l l s c h a f t nicht übersehen werden. Sie ist keine individualistische Gemeinschaft wie die Bruchteilsgemeinschaft, bei der eine persönliche Bindung der Teilhaber grundsätzlich nicht besteht. Bei der Gesellschaft wird durch das Gesamthandsprinzip das dem Gesellschaftszweck dienende Gesellschaftsvermögen aus dem Individualbereich der einzelnen Gesellschafter herausgehoben und zu einem dinglich gebundenen Sondervermögen zusammengeschlossen. Die Ubertragung von Individualvermögen in das Sondervermögen ist Eigentumsübertragung, und zwar auch dann, wenn die Sache bisher schon im Miteigentum der Gesellschafter gestanden hat (Einzelheiten bei §925 Anm. 6). Die rechtliche Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens geht so weit, daß selbst die Übertragung von einem Gesamthandsvermögen der Gesellschafter auf ein anderes Gesamthandsvermögen (Erbengemeinschaft, eine andere Gesellschaft) eine Ubereignung darstellt ( R G 136, 405; K G D R 1940, 977). Dem einzelnen Gesellschafter steht kein eigenes Recht an den einzelnen Gegenständen des Gesellschaftsvermögens zu; er kann daher über sie kraft eigenen Rechts aus zwingenden Rechtsgründen auch nicht verfügen. Er hat nur einen Anteil an dem Sonder-(Gesellschafts-)vermögen. In den Bestimmungen der §§ 736, 725, 728, 859 ZPO, § 16 K O wird dieser Gestaltung ebenfalls Rechnung getragen.
749
V o r § 705 Anm. 5, 6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 5 II. Die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten für die Gesellschaft Die Möglichkeiten für die rechtliche Ausgestaltung der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft sind außerordentlich groß. Die Gesellschafter haben in dieser Hinsicht im weitgehenden Umfang Freiheit. Die auf dem Gebiet des Handelsrechts gesondert geregelten Typen der offenen Handelsgesellschaft (Außengesellschaft) und der stillen Gesellschaft (Innengesellschaft) sind nur Abwandlungsformen der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft. Diese kann Außengesellschaft, aber auch Innengesellschaft sein. Die Außengesellschaft kann als die typische Form der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft bezeichnet werden. Das bedeutet aber nicht, daß im Zweifel eine Vermutung für das Bestehen einer Außengesellschaft spricht (RG J W 1905, 719; BGH 12, 315). Die Außengesellschaft tritt nach außen im Rechtsverkehr in die Erscheinung; bei ihr werden die Geschäfte von vertretungsberechtigten Gesellschaftern abgeschlossen, so daß dadurch alle Gesellschafter in ihrer Gesamtheit berechtigt und verpflichtet werden. Hat sie Gesellschaftsvermögen, so ist dieses gesamthänderisch gebunden. Bei der Innengesellschaft (dazu § 718 Anm. 9) hingegen tritt die Gesellschaft nach außen nicht hervor, die Geschäfte werden nicht im Namen der Gesellschafter, sondern nur für ihre Rechnung abgeschlossen (RG 166, 163; BGH 12, 314). Dabei sind bei der Innengesellschaft wie bei der stillen Gesellschaft des Handelsrechts die verschiedensten Gestaltungsformen denkbar, wie sie bei der stillen Gesellschaft als typische und atypische bezeichnet zu werden pflegen (vgl. dazu RG 126, 390; BGH 7, 177; vgl. auch BGH 8, 160; 249). Wie schon der Tatbestand der Innengesellschaft zeigt, ist es nicht notwendig, daß die Gesellschaft auch ein Gesellschaftsvermögen hat (RG 77, 226/27; 80, 2 7 1 ; 92, 342; 142, 20; vgl. auch § 718 Anm. 9); auch ist es nicht notwendig, daß den Gesellschaftern besondere Beitragsverpflichtungen auferlegt werden, es genügt die Verpflichtung zur Förderung des gemeinsamen Zwecks (RG 80, 271; J W 1905, 719). Im Unterschied zu der offenen Handelsgesellschaft braucht die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft nicht auf eine gewisse Dauer angelegt zu sein. Gegenstand einer bürgerlichrechtlichen Gesellschaft kann auch die gemeinsame Durchführung nur eines Geschäfts oder einzelner Geschäfte sein (sog. Gelegenheitsgesellschaft; vgl. S t a u d i n g e r - K e s s l e r Anm. 63 b vor § 705). Nicht erforderlich ist ferner, daß die Gesellschafter einen bestimmten Anteil a m Gewinn oder Verlust haben. Es kann bedungen sein, daß ein Gesellschafter nur am Gewinn, nicht am Verlust teilnimmt (RG L Z 1919, 863), allerdings nur im Verhältnis unter den Gesellschaftern, also unbeschadet seiner Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß ein Gesellschafter statt eines Gewinnanteils ein festes Entgelt erhält, und zwar auch dann nicht, wenn er am Verlust nicht teilnimmt (RG 90, 16; J W 1915, 1428). Darüber hinaus wird man wohl überhaupt den Ausschluß der Gewinnbeteiligung für zulässig halten müssen (str.; für die GmbH bejaht in B G H 14, 271). Anm. 6 III. Die Anwendungstatbestände für die Gesellschaft Die wirtschaftliche Bedeutung der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft ist eine außerordentlich große; sie kann gar nicht überschätzt werden. Ihre Eignung für alle möglichen Zwecke beruht auf der weitgehenden Gestaltungsfreiheit, die diese Rechtsform ihren Teilhabern beläßt, da sie lediglich die vertragliche Verpflichtung zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks verlangt. Im gewerblichen Sektor spielt die bürgerlichrechtliche Gesellschaft heute eine erhebliche Rolle. Als Organisationsform der modernen Wirtschaft ist sie heute überhaupt nicht mehr fortzudenken. Damit ist sie weit über die Vorstellungen des Gesetzgebers von 1896 hinausgewachsen. Es können hier nur einige wenige Hinweise für die vielfältige Verwendung der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft gegeben werden. Im Konzernaufbau der modernen Wirtschaft spielt die Gesellschaft bei den I n t e r e s s e n g e m e i n s c h a f t e n eine große Rolle. Hierbei handelt es sich um vertragliche Zusammenschlüsse rechtlich selbständig bleibender Unternehmen; die Interessengemeinschaften können reine Gewinngemeinschaften sein, sie können aber auch die 750
Gesellschaft
Vor § 705 Anm. 7
gemeinsame Verwaltung der Unternehmen (in bestimmten Punkten) erfassen; in dieser Gestaltung fuhren sie zu einer bestimmten Form des Konzerns, wenn die gesamte Geschäftsführung in der Interessengemeinschaft einem beteiligten Unternehmen übertragen wird. Als K a r t e l l findet die Gesellschaft ebenfalls vielfach Verwendung; hierbei müssen sich aber wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen als Verpflichtung zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks darstellen, der von den Vertragspartnern verfolgte Zweck also nicht nur ein gleichartiger, sondern ein gemeinsamer sein. Das ist z. B. der Fall, wenn sich die Beteiligten zur Regelung des gemeinschaftlichen Absatzes ihrer Erzeugnisse zusammengeschlossen haben. Weiterhin sind zu erwähnen die S t i m m r e c h t s b i n d u n g s v e r t r ä g e zwischen mehreren Aktionären einer A G , wenn die Vertragschließenden durch die Vereinbarung einer einheitlichen Stimmabgabe und eines gemeinsamen Vorgehens in Fragen der Geschäftsführung und Stellenbesetzung eine gemeinschaftliche Beherrschung der Gesellschaft anstreben (RG J W 1938, ¡3633; vgl. auch R G 133, 90; 1 6 1 , 2g8; 165, 78). Besondere gesellschaftliche Zusammenschlüsse einzelner Gesellschafter einer anderen Gesellschaft finden sich namentlich auch bei der kapitalistischen Kommanditgesellschaft, wenn sich die Kommanditisten zur gemeinschaftlichen Wahrnehmung ihrer Rechte — häufig auch in der Form einer Innengesellschaft — in der Kommanditgesellschaft zusammenschließen. — Auch U n t e r b e t e i l i g u n g e n an einem anderen Gesellschaftsanteil, etwa an einem Kommanditanteil, stellen Gesellschaften bürgerlichen Rechts dar, und zwar in der Form einer Innengesellschaft (vgl. dazu R G 67, 395; WarnRspr. 1 9 1 1 Nr. 3 7 1 ; L Z 1915, 1 0 1 1 ) . Die G e l e g e n h e i t s g e s e l l s c h a f t findet zu den verschiedenartigsten Zwecken Verwendung, so als G r ü n d u n g s k o n s o r t i u m , wenn sich verschiedene Personen, z. B. zur Gründung einer Aktiengesellschaft, zusammentun. Von einem solchen Gründungskonsortium (Gründungsgesellschaft) ist jedoch die Vorgesellschaft zu unterscheiden, die bei der Gründung einer A G (GmbH) kraft Gesetzes in dem Stadium zwischen der Errichtung der Gesellschaft (§ 22 AktG) und der Entstehung der Gesellschaft (§ 34 AktG, § 1 1 GmbHG) besteht. Diese ist entgegen der früher herrschenden Auffassung keine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft (BGH 20, 281; 2 1 , 242), sie untersteht vielmehr dem für ihre Organisationsform geltenden Sonderrecht mit Ausnahme der Vorschriften, die das Bestehen einer besonderen juristischen Person voraussetzen. Eine Gelegenheitsgesellschaft ist auch das Begebungs-(Emissions-)konsortium, bei der sich mehrere Banken zur Begebung von Wertpapieren (Aktien, Obligationen) zusammentun (RG 56, 206; 297). Ferner sind hier K r e d i t k o n s o r t i e n zu erwähnen, bei denen sich mehrere Geldgeber (Banken) zur Finanzierung bestimmter Vorhaben zusammenschließen. Eine Gesellschaft ist auch die M e t a g e s c h ä f t s v e r b i n d u n g . Bei ihr verbinden sich zwei oder mehrere Personen auf gewisse Zeit zur Ausführung einer unbestimmten Anzahl von Umsatzgeschäften auf gemeinschaftliche Rechnung in der Weise, daß die Geschäfte nach außen von jedem Teilhaber im eigenen Namen geschlossen werden (im einzelnen vgl. hierzu S t a u d i n g e r - G e i l e r 10. Aufl. Anhang zu §§ 705fr Anm. 70 m. w. N.).
IV. Der weitere Anwendungsbereich des §§ 705 ff Die Vorschriften der §§ 705 fr finden nicht nur auf die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft Anwendung, sondern sie sind auch noch für eine Reihe weiterer Rechtsverhältnisse von unmittelbarer Bedeutung.
Anm. 7 1. Bei den Personalhandelsgesellschaften und der stillen Gesellschaft: Nach § 105 Abs. 2 H G B finden die Vorschriften der §§ 705 fr auf die offene Handelsgesellschaft ergänzend, also insoweit unmittelbar Anwendung (ebenso auf die Kommanditgesellschaft, vgl. § 161 Abs. 2 HGB). Das ist für eine Reihe von Vorschriften von Bedeutung, da die Regelung der §§ 105 fr H G B nur lückenhaft ist. Die ergänzende Anwendung der §§ 705 ff auf die offene Handelsgesellschaft schließt aber nicht aus, daß mit Rücksicht auf ihr Auftreten im Rechtsverkehr als geschlossene Einheit (vgl. dazu auch Anm. 4) einige Vorschriften des Rechts der juristischen Person (z.B. § 31) bei ihr
751
V o r § 705 A n m . 8—11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
entsprechend angewendet werden müssen. Die ergänzende Anwendung der §§ 705 fr auf die Personalhandelsgesellschaften ist für eine Reihe von Vorschriften von unmittelbarer Bedeutung, so für die §§ 706, 708 (vgl. dazu § 708 Anm. 1, 2, 5), 723 Abs. 3 ( B G H L M Nr. 2 zu § 132 HGB), 738. Auch auf die stille Gesellschaft müssen die Vorschriften der §§ 705 ff ergänzende Anwendving finden, obwohl sich in den § § 3 3 5 ff H G B nicht eine solche umfassende Verweisungsvorschrift wie in § 105 Abs. 2 H G B befindet (vgl. dazu auch B G H 23, 10). Immer muß aber dabei auf den besonderen Charakter der stillen Gesellschaft, die eine Innengesellschaft ist, Rücksicht genommen werden. Anm. 8 2. B e i d e m nicht rechtsfähigen V e r e i n : Nach § 54 Satz 1 finden auf die nicht rechtsfähigen Vereine die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung. Das kann aber bei dem heutigen Stand der Meinungen in Rechtsprechung und Schrifttum nur mit erheblichen Einschränkungen geschehen. Denn es kann insoweit nicht übersehen werden, daß der nicht rechtsfähige Verein wie der rechtsfähige Verein eine körperschaftliche Verfassung hat und deshalb nicht eine gesellschaftsrechtlich zusammengefaßte Personenverbindung ist. Uber die Folgerungen, die sich hieraus für die Möglichkeit einer Anwendung der Vorschriften der §§ 705 ff auf den nicht rechtsfähigen Verein ergeben, vgl. § 54 Anm. x, 4, 6, 9, 17; § 708 Anm. 3; § 737 Anm. 8. Anm. 9 3. B e i d e r Reederei. Bei ihr handelt es sich um eine vertragliche Vereinigung mehrerer Personen, die, ohne eine Handelsgesellschaft zu bilden, ein ihnen gemeinsam nach Bruchteilen gehöriges Schiff zum Erwerb durch Seefahrt für gemeinschaftliche Rechnung verwenden (§ 489 HGB). Bei ihr handelt es sich um ein Rechtsinstitut eigener Art, das in mancher Hinsicht Elemente einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft in sich trägt. A n m . 10 4. B e i gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen. Es gibt eine große Anzahl von Rechtsverhältnissen, die zwar nicht sämtliche Merkmale einer bürgerlichrechtlichen Gesellschaft aufweisen, bei denen jedoch die Vertragspartner, vom persönlichen Vertrauen zueinander getragen, ihre Belange in bestimmter Weise und zu bestimmten Zwecken miteinander verknüpfen, oder die neben den gesellschaftsrechtlichen Merkmalen typische Merkmale eines anderen Vertrages aufweisen. Diese Rechtsverhältnisse nennt man gesellschaftsähnliche Rechtsverhältnisse ( R G SeuffArch. 94 Nr. 3). Auch auf sie finden die Vorschriften der §§ 705 ff (entsprechende) Anwendung, soweit sich das mit dem besonderen Charakter dieser Rechtsverhältnisse verträgt. Das ist namentlich für die Kündigungsbestimmungen des § 723 von Bedeutung (§ 723 Anm. 7). Dagegen werden gegen eine entsprechende Anwendung des § 708 auf gesellschaftsähnliche Rechtsverhältnisse im allgemeinen Bedenken bestehen (dazu § 708 Anm. 4). Auch für eine Anwendung der §§ 728, 730fr ist bei gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen im allgemeinen kein Raum (dazu § 728 Anm. 1, § 730 Anm. 4). A n m . 11 Als gesellschaftsähnliche Verträge können im allgemeinen L i e f e r u n g s - u n d B e z u g s v e r t r ä g e (Bierlieferungsverträge) nicht angesprochen werden, auch wenn in ihnen nähere Absprachen über Lieferungspflicht und Abnahmepflicht getroffen und bestimmte Wettbewerbsregelungen vereinbart sind (RG WarnRspr. 1929 Nr. 52; H R R 1940 Nr. 1059; vgl. aber auch R G WarnRspr. 1942 Nr. 93 und oben Anm. 1). So liegt Kauf und kein gesellschaftsähnliches Verhältnis vor, wenn ein Abfuhrunternehmer sich einem anderen gegenüber verpflichtet, aus dem Müll einer Stadt die Konservenbüchsen auszusuchen und sie diesem zu einem bestimmten Preis zur Verwertung zu überlassen (RG LZ 1912, 658). K r e d i t v e r t r ä g e können gesellschaftsrechtliche Merkmale aufweisen und deshalb gesellschaftsähnliche Rechtsverhältnisse sein; das ist z.B. der Fall, wenn ein Großaktionär seiner Gesellschaft zur Steigerung ihrer Rentabilität ein Dar752
Gesellschaft
V o r § 705 A n m . 12, 13
§705
lehn für ein bestimmtes Produktionsprogramm gibt und die Gesellschaft eine Verpflichtung zur Steigerung ihrer Produktion und Rentabilität übernimmt (RG SeuffArch. 8i Nr. 161), oder wenn eine Bank neben der Kredithingabe die Verpflichtung übernimmt, den gesamten Verkehr zwischen den Lieferern und den Abnehmern ihres Kunden zu vermitteln und der Kunde seine notwendige Mitwirkung hierbei zusagt (RG SeuffArch. 84 Nr. 61). A n m . 12 Einen besonderen Raum unter den gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen nehmen die urheberrechtlichen Nutzungsverträge ein. Sie sind V e r t r ä g e e i g e n e r A r t , die je nach ihrer Ausgestaltung im Einzelfall Elemente aus verschiedenen Vertragstypen, wie dem Pacht-, dem Gesellschafts- oder dem Werkvertragsrecht enthalten können (RG 142, 213; 158, 324; BGH 2, 335; 13, 119). Bei einem Vertrag, der die Überlassung der Benutzungsrechte an einem Verfahren ( L i z e n z v e r t r a g ) zum Gegenstand hat, reicht es für die Annahme eines gesellschaftsähnlichen Charakters noch nicht aus, daß das Entgelt des einen von den Geschäftsergebnissen des anderen Teils abhängt (RG 126, 65; 142, 212). Er nimmt aber gesellschaftsähnlichen Charakter an, wenn der Lizenzgeber zur tätigen Mitarbeit bei der Ausübung des Verfahrens verpflichtet ist und er das Recht zur Nachprüfung der Geschäftsbücher des anderen erhält (RG SeuffArch. 89 Nr. 81). Bei einem Filmherstellungs- und Verwertungsvertrag können werkvertragliche oder gesellschaftsrechtliche Elemente überwiegen. Besteht bei dem Herstellungsvorgang ein starkes Übergewicht des Verleihers über den Hersteller, indem der Verleiher den Inhalt des herzustellenden Films vorschreibt und seine Auswertung des Films diesen wirtschaftlich in der Hauptsache erschöpft, er wirtschaftlich im wesentlichen die Herstellungskosten trägt, so trägt der Vertrag wesentlich werkvertraglichen Charakter; der Verleiher bestellt ein Werk beim Hersteller gegen Vergütung. Anders ist es dagegen, wenn sich die Vertragschließenden zur gemeinsamen Herstellung u n d Auswertung des Films verbinden und hierbei mehr nach Art von Gesellschaftern zusammenwirken (vgl. RG 161, 322/23; ferner RG 158, 324; BGH 2, 335). Auch für einen Vertrag, der die Überlassung eines Bühnenwerks zur Aufführung zum Gegenstand hat, gilt das gleiche (BGH 13, 119). — Auf die gesellschaftsähnlichen urheberrechtlichen Nutzungsverträge findet grundsätzlich das unabdingbare Kündigungsrecht des § 723 Anwendung; bei den anderen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen bedarf es jeweils im Einzelfall einer Prüfung, ob sie sich nach Vertragszweck und Parteiwillen zur entsprechenden Anwendung eignen (RG J W 1937, 2970). A n m . 13 5. Bei ausländischen Vereinen: Nach Art. 10 EG finden auf die nicht anerkannten ausländischen Vereine die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung, soweit für sie inländisches Recht in Betracht kommt. § 7 0 5 Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, die Erreichung eines g e m e i n s a m e n Zweckes in der durch den Vertrag b e s t i m m t e n Weise zu fördern, insbesondere die vereinbarten Beiträge zu leisten. E I 629 II 645; M 2 593—595; P 2 415—417.
Übersicht Anm.
I. Der Gesellschaftsvertrag 1. Der Abschluß des Gesellschaftsvertrages 2. Der Inhalt des Gesellschaftsvertrages a) Allgemeines b) Die Förderung des gemeinsamen Zwecks c) Die Angabe der Gesellschaftsbeiträge
1—16 2—4 5—7 5 6 7 753
§ 705
Anm. 1,2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm.
3. Der rechtliche Charakter des Gesellschaftsvertrages 4. Die Parteien des Gesellschaftsvertrages 5. Die Abänderung des Gesellschaftsvertrages 6. Der Vorvertrag 7. Die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft kraft Umwandlung II. Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter 1. Allgemeines 2. Die Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter (sog. Sozialansprüche) 3. Die Ansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft a) aus dem Gesellschaftsverhältnis (sog. Sozialverpflichtungen) . . . b) aus einem sonstigen Rechtsgrund 4. Die Mitgliedschafts-(Verwaltungs-) rechte in der Gesellschaft . . . . 5. Die Ansprüche eines Gesellschafters gegen andere Gesellschafter . . a) Die actio pro socio b) Der Anspruch auf Vermögenswerte Leistungen c) Sonstige Ansprüche III. Die faktische Gesellschaft 1. Allgemeines 2. Die Voraussetzungen für die faktische Gesellschaft a) Die Gesellschaft muß in Vollzug gesetzt sein b) Der mangelhafte Gesellschaftsvertrag c) Die mangelhafte Abänderung des Gesellschaftsvertrages . . . . 3. Die Wirkungen der faktischen Gesellschaft a) Allgemeines b) Die Auflösung der faktischen Gesellschaft c) Die Auseinandersetzung 4. Die Beteiligung Minderjähriger 5. Die Grenzen für die Anerkennung der faktischen Gesellschaft . . .
8—10 11—13 14 15 16 17—27 17, 18 19 20, 21 20 21 22 23, 27 23 24—26 27 28—41 28, 29 30—34 30 31—33 34 35—38 35, 36 37 38 39 40, 41
I. Der Gesellschaftsvertrag Anm. 1 Der Abschluß eines Gesellschaftsvertrages ist die notwendige Grundlage einer jeden Gesellschaft. Ohne Vorliegen eines solchen Vertrages ist die Annahme einer Gesellschaft nicht möglich. Dabei genügt unter Umständen auch ein rechtlich mangelhafter Vertrag; dann handelt es sich um eine sog. f a k t i s c h e G e s e l l s c h a f t , die ebenfalls ein schuldrechtliches Verpflichtungsverhältnis gesellschaftsrechtlicher Art darstellt (dazu im einzelnen Anm. 28 ff). Die gesellschaftsvertragliche Grundlage bedingt den entscheidenden Unterschied zwischen der Gesellschaft und der Gemeinschaft (§§ 741 ff); diese kann als communio incidens vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen auch ungewollt und zufällig zur Entstehung gelangen. Ein Rechtsverhältnis vertragloser Art kann demgemäß niemals eine Gesellschaft, kann jedoch eine Gemeinschaft sein ( B G H II, 191/92). Bedenklich daher B G H 17, 300; hier hätte es zur Anwendung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften der klaren Feststellung bedurft, daß die Beteiligten das ererbte Unternehmen (stillschweigend) auf vertraglicher Grundlage weitergeführt haben (vgl. dazu auch L e h m a n n NJW 1958, 3). Eine Gesellschaft auf rein objektiver Grundlage, losgelöst von dem Willen der Beteiligten und damit gegebenenfalls auch gegen den Willen der Parteien, gibt es nicht.
Anm. 2 1. D e r A b s c h l u ß d e s G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e s . Für den Abschluß des Gesellschaftsvertrages, insbesondere für die Form des Gesellschaftsvertrages, gelten keine besonderen Vorschriften. Es finden daher die allgemeinen Bestimmungen über das Zustandekommen eines Vertrages Anwendung (vgl. auch Anm. 8). Die Vertragserklärung eines jeden Beteiligten muß gegenüber den anderen Beteiligten abgegeben werden; dabei ist es allerdings nicht notwendig, daß das gleichzeitig geschieht ( R G 163, 392).
754
Gesellschaft
§705 Anm. 3
Der Gesellschaftsvertrag kann auch stillschweigend abgeschlossen werden. Ein solcher stillschweigender Vertragsabschluß kann darin liegen, daß die Erben das Geschäftsunternehmen ihres Erblassers einverständlich gemeinsam fortfuhren (BGH NJW 1951, 311; bedenklich BGH 17, 300, vgl. dazu Anm. 1). Des weiteren kann die gemeinsame Führimg eines Geschäfts durch Ehegatten auf der Grundlage eines stillschweigenden Gesellschaftsvertrages beruhen (BGH 8, 249; LM Nr. 5 zu § 705). Auch ist es denkbar, daß die Parteien, ehe sie zum Abschluß des von ihnen vorgesehenen (schriftlichen) Gesellschaftsvertrages gelangen, im allseitigen Einverständnis schon mit ihrer gemeinsamen Tätigkeit beginnen; dann liegt darin der stillschweigende Abschluß eines Gesellschaftsvertrages mit einer entsprechenden zeitlichen Befristung (RG 103, 73; WarnRspr. 1935 Nr. 95; BGH 11, 191/92). Für das Zustandekommen des Gesellschaftsvertrages ist es nicht notwendig, daß sich die Parteien über die rechtliche Qualifizierung ihres Vertrages im Klaren sind. Enthält der von ihnen abgeschlossene Vertrag den für einen Gesellschaftsvertrag notwendigen Inhalt, dann ist der Vertrag ein Gesellschaftsvertrag mit allen sich daraus ergebenden rechtlichen Folgerungen. Das ist insbesondere bedeutsam beim Abschluß eines Gesellschaftsvertrages, dessen Gegenstand die Führung eines Handelsgewerbes unter gemeinsamer Firma ist. Eine so errichtete Gesellschaft ist eine offene Handelsgesellschaft ohne Rücksicht darauf, ob die Beteiligten die Rechtsform einer offenen Handelsgesellschaft gewollt haben oder nicht (BGH 10, 97; 22, 245). Für den umgekehrten Fall vgl. RG 95, 149 und Anm. 5. Der Abschluß eines Vertrages zur Errichtimg einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann sich auch auf dem Weg der Umdeutung ergeben. Haben die Vertragschließenden nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Vertrages eine offene Handelsgesellschaft zum Zweck der gemeinschaftlichen Nutzung und eines weiteren Ausbaus eines Geschäftshauses errichtet, so ist dieser Vertrag in einen Gesellschaftsvertrag im Sinn des § 705 umzudeuten (BGH 19, 269). Anm. 3 Wenn auch für den Abschluß eines Gesellschaftsvertrages eine Form nicht vorgeschrieben ist, so kann er gleichwohl zu seiner Wirksamkeit einer F o r m bedürfen. Das ist der Fall, wenn nach dem besonderen Inhalt des Gesellschaftsvertrages andere Formvorschriften eingreifen. Diese sind dann zu beachten. Nach § 34 GWB sind Kartellverträge schriftlich abzuschließen; das gilt natürlich auch dann, wenn es sich bei dem Kartellvertrag um einen Gesellschaftsvertrag handelt. Eine besondere Bedeutung spielt beim Gesellschaftsvertrag die Formvorschrift des §313. Diese Formvorschrift ist einzuhalten, wenn nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages von einem Gesellschafter ein Grundstück in die Gesellschaft derart einzubringen ist, daß es Gesamthandseigentum der Gesellschafter werden soll (RG 68, 260; LZ 1916, 1173). Denn in diesem Fall wird für den einen Gesellschafter durch den Abschluß des Gesellschaftsvertrages die Verpflichtung begründet, das in seinem Eigentum stehende Grundstück in das Gesamthandseigentum der Gesellschafter zu überführen. Das gleiche gilt, wenn sich ein Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag zur Ubereignung seines Grundstücks an einen Dritten im Interesse der Gesellschaft verpflichtet (RG J W I9°5> 73)- Anders ist es dagegen, wenn sich in dem Gesellschaftsvertrag der Grundstückseigentümer als Gesellschafter verpflichtet, sein Grundstück der Gesellschaft in der Weise zur Verfugimg zu stellen, daß es nur so behandelt werde, als ob es Gesellschaftsvermögen sei. Denn durch einen solchen Vertrag soll die dingliche Stellung des Grundstückseigentümers nach außen nicht berührt werden (RG 109, 380; J W 1927, 1688). Eine derartige Regelung hat zur Folge, daß alle Gesellschafter an den Erträgnissen des Grundstücks und an den Wersteigerungen, etwa durch Ausbau des Grundstücks, teilnehmen. Bei der Auflösung der Gesellschaft können die anderen Gesellschafter aber nicht gemäß § 733 Abs. 3 die Versilberung des Grundstücks, sondern nur eine entsprechende Berücksichtigung des Werts des Grundstücks bei der Berechnung ihres Abfindungsanspruchs verlangen; denn die Anwendung des § 733 Abs. 3 würde wenigstens für den Fall der Auflösung der Gesellschaft dem Grundstückseigentümer die Verpflichtung zur Eigentumsübertragung auferlegen und deshalb die Beachtung der Formvorschrift des § 313 erforderlich machen (RG 166, 160; BGH BB 1955, 203).
755
§ 705 Anm. 4, 5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Ferner bedarf der Gesellschaftsvertrag nicht der Form des § 313, wenn der Zweck der Gesellschaft darauf gerichtet ist, Grundstücke zum Zweck der Veräußerung für gemeinschaftliche Rechnung zu erwerben; hier ist die Verpflichtung zur späteren Veräußerung noch zu erwerbender Grundstücke lediglich die gesetzliche Folge des dem Gesellschaftsvertrages entsprechenden Eigentumserwerbs (RG L Z 1916, 1173). Das gleiche gilt, wenn sich ein Gesellschafter in dem Gesellschaftsvertrag verpflichtet, die von ihm bereits auf seinem Namen, aber für Rechnimg der Gesellschafter gekauften Grundstücke auf diese zu übertragen; in diesem Fall ist die Ubertragungspflicht nur das notwendige Ergebnis der für die Gesellschaft ausgeführten Geschäftsbesorgung gemäß §§713, 667 (RG J W 1935, 3529; vgl. auch RG J W 1927, 2117). Ein Gesellschaftsvertrag, wonach der eine Gesellschafter ein Grundstück im Zwangsversteigerungsverfahren für Rechnung der Gesellschafter erwerben soll, ist ebenfalls formlos gültig und begründet für diesen Gesellschafter nach dem Erwerb des Grundstücks die Verpflichtung, dieses auf die Gesellschafter zur gesamten Hand zu übertragen (RG 97, 329; J W 1927, 1409). Für alle diese Fälle gilt der Satz, daß Verträge nicht unter die Formvorschrift des § 313 fallen, wenn sie eine Verpflichtung zur Grundstücksübereignimg lediglich zur Folge, nicht aber zum Inhalt haben. — Der Eintritt oder das Ausscheiden eines Gesellschafters bedarf deshalb nicht der Form des § 313, weil zu dem Gesellschaftsvermögen ein Grundstück gehört (RG 82, 160; BGH 28. 1 1 . 1955 II Z R 203/54). Anm. 4 Die Aufnahme eines Gesellschafters ohne eigene Beitragsverpflichtung bedarf nicht der Form des §518, selbst wenn darin in einem besonderen Einzelfall nach dem Willen der Parteien eine unentgeltliche Zuwendung liegen sollte. Denn durch die Aufnahme des Gesellschafters und seine Beteiligung an dem Gesamthandsvermögen würde eine etwaige Schenkung jedenfalls vollzogen sein. Anders ist es dagegen in einer I n n e n gesellschaft. Hier stellen der Vollzug des Gesellschaftsvertrages und die entsprechende Gutschrift in den Büchern der Gesellschaft noch keine Vollziehung der Schenkung (Bewirkung der versprochenen Leistung, § 518 Abs. 2) dar, weil ein solcher Buchungsvorgang nur die eine formlose Verpflichtung durch eine solche gleicher Art ersetzt. Denn das Wesen der Innengesellschaft besteht darin, daß der an ihr beteiligte Gesellschafter nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den anderen hat und nicht dinglich (gesamthänderisch) an einem Gesellschaftsvermögen beteiligt ist (BGH 7, 179; 380; aM Hueck NJW 1953, 138; W ü r d i n g e r J Z 1953, 226; B u c h w a l d GmbHRdsch 1953, 81; vgl. aber auch Anm. bei L M Nr. 1 zu § 705). 2. Der Inhalt des Gesellschaftsvertrages Anm. 5 a) Allgemeines. Notwendig für den Inhalt des Gesellschaftsvertrages ist die Aufnahme all der Elemente, die für den Begriff der Gesellschaft unumgänglich sind (dazu Anm. 1 vor § 705). Aus dem Gesellschaftsvertrag muß daher hervorgehen, daß sich die Vertragschließenden gegenseitig verpflichten, einen gemeinsamen Zweck zu fördern (dazu Anm. 6). Sollen die Gesellschafter besondere Beiträge zur Förderung des gemeinsamen Zwecks aufbringen, so muß das ebenfalls aus dem Gesellschaftsvertrag hervorgehen (dazu Anm. 7). Weiterhin können die Gesellschafter zur Regelung ihrer gegenseitigen Beziehungen alle möglichen Bestimmungen aufnehmen, da sie insoweit frei in der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen sind. So können sie die gesetzlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung und Vertretung, über die Bildung des Gesellschaftswillens, über die Gewinnbeteiligung sowie über die Auseinandersetzung in weitem Umfang durch andere Bestimmungen abändern; auch ist es nicht notwendig, daß ein Gesellschaftsvermögen gebildet wird (Anm. 5 vor §705). Der Inhalt des Gesellschaftsvertrages muß aber in jedem Fall b e s t i m m b a r sein. Daher ist im Streitfall stets die Feststellung eines konkreten Vertragsinhalts notwendig, um die Annahme eines Gesellschaftsvertrages zu belegen. Das Vorliegen eines Gesellschaftsvertrages entsprechend dem übereinstimmenden Parteivortrag anzunehmen, jedoch den Inhalt des Vertrages dahingestellt zu lassen, ist aus Rechtsgründen nicht möglich (RG 95, 149). Bestimmbar muß auch die Gewinnbeteiligung sein. Ist aus dem 756
Gesellschaft
§705 A n m . 6—8
I n h a l t des Vertrages zu entnehmen, d a ß die Regelung des § 722 nicht gelten soll, so können die U m s t ä n d e des Einzelfalls die A n n a h m e rechtfertigen, d a ß die anderweite Gewinnbeteiligung n a c h billigem Ermessen, d. h. im Zweifel d u r c h den Richter, bestimmt werden soll ( R G W a r n R s p r . 1935 N r . 95). Anm. 6 b ) D i e V e r p f l i c h t u n g z u r F ö r d e r u n g d e s g e m e i n s a m e n Z w e c k s . Die gegenseitige Verpflichtung der Gesellschafter, die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zu fördern, ist f ü r den I n h a l t des Gesellschaftsvertrages wesentlich ( R G 73, 287; 77, 2 2 7 ; J W 1938, 1025). Der gemeinsame Zweck (darüber A n m . 1 vor § 705) m u ß i m m e r aus d e m Gesellschaftsvertrag hervorgehen. Dagegen ist es nicht in j e d e m Fall notwendig, d a ß die Gesellschafter auch besondere Bestimmungen d a r ü b e r treffen, in welcher Weise sie die Erreichung des gemeinsamen Zwecks fördern sollen; das k a n n sich i m Einzelfall n a c h Lage der Sache aus d e m Gesellschaftszweck ergeben oder auch u n t e r U m s t ä n d e n der A u s f ü h r u n g des Gesellschaftsvertrages überlassen werden (RG Gruchot 72, 57). Notfalls m u ß d a n n der Richter ü b e r den U m f a n g dieser Verpflichtungen g e m ä ß § 157 oder n a c h billigem Ermessen befinden ( R G W a r n R s p r . 1935 N r . 95). Anm. 7 c ) D i e A n g a b e d e r G e s e l l s c h a f t s b e i t r ä g e . Sollen besondere Beiträge (Einlagen, § 706) zur F ö r d e r u n g des gemeinsamen Zwecks geleistet werden, so m u ß sich das aus d e m Gesellschaftsvertrag ergeben. Hierfür gilt der allgemeine Grundsatz, d a ß die H ö h e der Leistungen jedenfalls bestimmbar sein m u ß . D a h e r ist eine zahlenmäßige Festsetzung der Beiträge nicht unbedingt notwendig. Es genügt, wenn diese n a c h d e m Willen d e r Parteien d u r c h eine der Vertragsparteien bestimmt werden sollen ( R G J W 1921, 1239). A u c h k a n n sich die H ö h e der Beiträge in einem besonderen Fall bei einem sachlich u n d wirtschaftlich begrenzten Gesellschaftszweck allein aus diesem ergeben u n d deshalb a u c h ohne weitere A n g a b e bestimmbar sein (RG H R R 1928 N r . 1409, in der Formulierung freilich etwas weitgehend; richtig auch in dieser Hinsicht R G G r u c h o t 72> 57). Anm. 8 3. D e r r e c h t l i c h e C h a r a k t e r d e s G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e s . U b e r den rechtlichen Charakter des Gesellschaftsvertrages bestehen Meinungsverschiedenheiten. Zweifelsfrei ist insoweit n u r , d a ß es sich bei i h m u m einen e c h t e n V e r t r a g handelt, auf den die Vorschriften der §§ 145 f r A n w e n d u n g finden. Aber auch gegen d e n s c h u l d r e c h t l i c h e n C h a r a k t e r des Vertrages können ernstliche Bedenken nicht geltend gem a c h t w e r d e n ; der insoweit zuweilen gebrauchte Begriff eines personenrechtlichen Vertrages ist unklar u n d letzten Endes nichtssagend. Der Gesellschaftsvertrag b e g r ü n det schuldrechtliche Verpflichtungen zwischen den Beteiligten u n d ist deshalb ein schuldrechtliches Rechtsverhältnis. D a ß dabei das Verpflichtungsverhältnis in einem besonderen M a ß e d u r c h die Grundsätze von T r e u u n d G l a u b e n (Treuepflicht der Gesellschafter, dazu A n m . 17) gestaltet wird, ändert a n diesem Charakter des Gesellschaftsvertrages nichts. Ernstlichen Zweifeln begegnet dagegen die Frage, ob es sich bei d e m Gesellschaftsvertrag u m einen g e g e n s e i t i g e n V e r t r a g i m S i n n d e r § § 3 2 0 ff h a n d e l t , eine Frage, die das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung bejaht h a t ( R G 76, 279; 78, 305; 100, 3 ; 147, 342; 163, 388; J W 1938, 527; ebenso a u c h B G H (IV. Z.S.) N J W 1 9 5 I ) 3°8). Ganz gewiß ist der Gesellschaftsvertrag n i c h t ein r e i n e r A u s t a u s c h v e r t r a g ( R G 100, 3; B G H N J W 1951, 308), bei d e m sich die Vertragspartner — i m Austausch — zu einer jeweils f ü r den anderen P a r t n e r oder einen Dritten bestimmten Leistung verpflichten. Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied zu den gewöhnlichen gegenseitigen Verträgen, die solche Austauschverträge sind. Andererseits ist nicht zu verkennen, d a ß a u c h beim Gesellschaftsvertrag die einzelnen Verpflichtungserklärungen in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, i n d e m der eine Gesellschafter seine Erklärung n u r abgibt, weil a u c h die anderen entsprechende Verpflichtungen ü b e r n e h m e n . Indessen kann f ü r die praktische R e c h t s a n w e n d u n g der Streit ü b e r die Frage, ob der Gesellschaftsvertrag ein gegenseitiger V e r t r a g i m Sinn der 757
§ 705 Anm. 9
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§§ 320ff ist oder nicht, offen bleiben; denn darüber besteht Einmütigkeit, daß jedenfalls eine unbeschränkte Anwendung der §§ 320 fr auf den Gesellschaftsvertrag nicht möglich ist, und daß in jedem Fall bei jeder einzelnen Bestimmung zu entscheiden ist, ob ihre Anwendung mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Gesellschaftsvertrages verneint werden muß. Das ist auch von jeher die Ansicht des Reichsgerichts gewesen (dazu R G 76, 279; 81, 304; J W 1938, 527; über Einzelheiten s. Anm. 9, 10). Der gesellschaftsrechtliche (II.) Senat des Bundesgerichtshof hat aus diesem Grunde zu der Frage, ob der Gesellschaftsvertrag ein gegenseitiger Vertrag ist, nicht mehr Stellung genommen; er prüft nur, ob im jeweiligen Einzelfall die Anwendung einer einzelnen Bestimmung der §§ 320ff möglich ist oder nicht (vgl. BGH L M Nr. n zu § 105 HGB; BGH WM 1959.54)Anm. 9 Einzelheiten zur Anwendung der §§ 32011. Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320) ist nur in einem sehr eingeschränkten Umfang zulässig (unklar insoweit RG 145, 283). Gegenüber dem Verlangen des geschäftsführenden Gesellschafters, die versprochene Einlage zu leisten, kann sich ein Gesellschafter nicht darauf berufen, daß ein anderer Gesellschafter seine Leistung auch noch nicht erbracht hat. Dasselbe gilt gegenüber dem Verlangen eines einzelnen Gesellschafters (actio pro socio, Anm. 23), sofern dieser seiner Einlageverpflichtung nachgekommen ist. Von praktischer Bedeutung wird die Einrede hinsichtlich der Einlageverpflichtung nur bei Zweimanngesellschaften sein. Gegenüber der Verletzung anderer Gesellschafterpflichten kommt die Einrede des nicht erfüllten Vertrages im allgemeinen überhaupt nicht zum Zuge. „Denn die Zubilligung eines solchen Rechts würde ganz allgemein mit dem Sinn und dem Zweck des Gesellschaftsvertrages in Widerspruch stehen und das Ergebnis zur Folge haben, daß jeder Gesellschafter angesichts der Verletzung einer Verpflichtung durch einen anderen Gesellschafter den gemeinsamen Betrieb des Geschäftsunternehmens unter Berufung auf sein Leistungsverweigerungsrecht praktisch lahm legen könnte." (BGH L M Nr. 11 zu § 105 HGB.) Nur in ganz besonderen Ausnahmefallen kann bei einer solchen Verletzung die Einrede aus § 320 begründet sein, z. B. dann, wenn gegenüber dem Verlangen des geschäftsführenden Gesellschafters auf Zahlung der ihm zugesagten Geschäftsführervergütung eingewendet wird, daß er seiner Geschäftsfuhrerpflicht überhaupt nicht nachgekommen sei (BGH aaO.). Für die Frage der Anwendung oder Nichtanwendung des § 320 ist es in jedem Fall bedeutungslos, ob die Gesellschaft bereits nach außen hervorgetreten ist oder nicht (bedenklich insoweit RG 112, 283). — Gegen eine Anwendung des § 321 ist im allgemeinen nichts einzuwenden, wenn es sich um eine Zweimanngesellschaft handelt oder wenn sich bei einer mehrgliedrigen Gesellschaft die Vermögensverhältnisse bei allen übrigen Gesellschaftern wesentlich verschlechtert haben. — Gegen die uneingeschränkte Anwendung des § 323 bestehen Bedenken (a.M. Vorauf!. Anm.4; vgl. auch RG 158,326). Wird ein Gesellschafter gemäß § 323 von seiner Beitragspflicht frei, so fragt es sich zunächst, ob er nach dem Sinn und Zweck des Gesellschaftsvertrages dann eine entsprechende Leistung in Geld zu erbringen hat. Ist das zu verneinen, dann liegt unter Umständen der Tatbestand des § 726 vor, so daß die Gesellschaft endigt, weil die Erreichung des Gesellschaftszwecks unmöglich geworden ist. Kommt auch eine Anwendung des § 726 nicht in Betracht, so kann die unverschuldete Unmöglichkeit der Beitragsleistung für die übrigen Gesellschafter einen wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung der Gesellschaft (gegebenenfalls auch zur Ausschließung, § 737) darstellen. In jedem Fall muß sich in entsprechender Anwendung des § 323 Abs. 1 Satz 1 der Anspruch des betreffenden Gesellschafters auf Gewinnbeteiligung entsprechend mindern. — Die Anwendung des § 324 hingegen erweckt keine Bedenken. Der schuldige Mitgesellschafter macht sich durch sein Verhalten gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig, so daß dieser der Gesellschaft einen Wertersatz in Höhe der unmöglich gewordenen Einlage schuldet. Unter Umständen kann die Unmöglichkeit trotz der Schadensersatzpflicht des schuldigen Mitgesellschafters auch das Ende der Gesellschaft gemäß § 726 herbeiführen oder für die nicht beteiligten Mitgesellschafter einen wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung darstellen.
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Gesellschaft
§705
A n m . 10—12
In der Rechtsprechung des Reichsgerichts nimmt die Frage einer Anwendung der § § 325/26 einen besonders weiten Raum ein. Die Ergebnisse dieser Rechtsprechung sind jetzt gefestigtes Rechtsgut. Es genügt hier daher lediglich der Hinweis, daß bei einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft der Rücktritt vom Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen ist; die rückwirkende Kraft des Rücktritts verträgt sich mit den Verhältnissen bei einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft nicht (für die ähnlich liegende Frage bei der Anfechtung usw. vgl. Anm. 28ff). An die Stelle des Rücktritts tritt bei der in Vollzug gesetzten Gesellschaft die Kündigung aus wichtigem Grund (RG 78, 303; 81, 305; 145, 283 u. a.). Dem entspricht es, daß auch beim Fortfall der Geschäftsgrundlage nur die Kündigung, nicht auch der Rücktritt in Betracht kommen kann (RG 165, i9gf). — Das Recht, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen, besteht auch bei der Gesellschaft. Da der Anspruch auf Leistung der Beiträge bereits zum Gesellschaftsvermögen gehört (Anm. 19), steht der Schadensersatzanspruch auch grundsätzlich allein der Gesellschaft (den Gesellschaftern zur gesamten Hand) zu. Anm. 10 Anwendung der § 17 KO, §§ 36 Abs. 1, 50 VerglO. Bei der Frage nach einer Anwendung dieser Vorschriften kommt es ebenfalls nicht auf die Einordnung des Gesellschaftsvertrages als gegenseitiger Vertrag an. So verneint das Reichsgericht (JW 1938, 527) ein GegenseitigkeitsVerhältnis im Sinn von § 36 Abs. 1 VerglO zwischen dem Anspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters auf Auszahlung seines Geschäftsguthabens und den gegen ihn gerichteten Anspruch der Gesellschaft auf Leistung seiner Einlage. Andererseits kann der einzelne Gesellschafter, über dessen Vermögen ein besonderes Vergleichsverfahren eröffnet ist, die Erfüllung der ihm obliegenden gesellschaftlichen Verpflichtungen gemäß § 50 VerglO ablehnen (RG 147, 340). Anm. 11 4. Die Partelen des Gesellschaftsvertrages. Mitglied einer Gesellschaft kann jede natürliche und jede juristische Person sein. Geschäftsfähigkeit ist bei natürlichen Personen nicht notwendig; nur ist es dann erforderlich, daß die nicht geschäftsfähigen Personen durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten werden und daß die nicht voll geschäftsfähigen Personen entweder mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters handeln oder ebenfalls durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten werden. Dabei ist zu beachten, daß in den Fällen des § 1822 Nr. 3 für den Abschluß des Gesellschaftsvertrages die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erfoderlich ist; § 1822 Nr. 3 umfaßt auch den Fall des Beitritts eines nicht voll Geschäftsfähigen als Kommanditist (BGH 17, 162; über den Beitritt eines Minderjährigen als stiller Gesellschafter vgl. BGH L M Nr. 2 zu § 1643). Ferner ist § 181 zu beachten, wenn ein Vater mit seinen minderjährigen Kindern einen Gesellschaftsvertrag abschließt; in diesem Fall ist für jedes Kind ein Pfleger zu bestellen (RG L Z 1922, 685). Über die Rechtsfolgen eines unwirksamen Beitritts Minderjähriger usw. zu einer Gesellschaft vgl. Anm. 39. Anm. 12 Auch einePersonalhandelsgesellschaft kann Mitglied einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft sein (RG 142,21 ;BGH WM 1959,288). Das ist deshalb gerechtfertigt, weil die Personalhandelsgesellschaft nach § 124 HGB im Verkehr selbständig auftreten und selbständig Verbindlichkeiten eingehen kann. In diesem Fall ist die Personalhandelsgesellschaft als solche, nicht etwa ihre einzelnen Mitglieder, Mitglied der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft. Wenn das Reichsgericht darüber hinaus auch die rechtliche Möglichkeit bejaht, daß eine b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e G e s e l l s c h a f t einer anderen als Mitglied beitritt (RG 136, 240/41; 142, 21), so kann dem nicht gefolgt werden. Es können vielmehr nur die Mitglieder der einen Gesellschaft zugleich auch Mitglieder einer anderen Gesellschaft sein. Nur eine solche Gestaltung ist rechtlich vertretbar und bringt die erforderliche Klarheit, z. B. bei der Frage nach der persönlichen Haftung, der Kündigungsbefugnis, der Möglichkeit des Ausscheidens oder der Ausschließung einzelner Mitglieder. Aus den gleichen Gründen kann auch eine Erbengemeinschaft nicht Mitglied einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft sein (vgl. dazu § 727 Anm. 9).
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§ 705 A n m . 13—15
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 13 Der Abschluß des Gesellschaftsvertrages durch Bevollmächtigte ist zulässig; nur ist hier stets § 181 zu beachten. Über die Rechtsfolgen beim Vollniachtsmißbrauch vgl. Anm. 32. Anm. 14 5. Die Abänderung des Gesellschaftsvertrages. Zur Abänderung des Gesellschaftsvertrages ist Einstimmigkeit erforderlich, es sei denn, daß ein anderes im Vertrage bestimmt ist. Auch wenn durch die Abänderung ein Gesellschafter nicht unmittelbar betroffen wird, die Änderung vielmehr nur für die Beziehungen der übrigen Gesellschafter von Bedeutung ist, kann dessen Zustimmung nicht entbehrt werden, da an der Regelung der Rechte und Pflichten der verschiedenen Gesellschafter sämtliche Gesellschafter als Vertragschließende beteiligt sind. Änderungen des Gesellschaftsvertrags — wobei jedoch die Grenzen der Änderung näher angegeben sein müssen — kann sich der Gesellschafter schon im voraus unterwerfen (dazu vgl. § 709 Anm. 15). In besonders gelagerten Ausnahmefällen kann sich die Pflicht eines Gesellschafters, einer notwendig gewordenen Abänderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen, auch aus seiner Treuepflicht ergeben (BGH L M Nr. 8 zu § 105 HGB; W M 1956, 352). So kann er in dem mit den anderen Gesellschaftern geschlossenen Vertrage im voraus sein Einverständnis dazu erklären, daß später eine bestimmte Person als Gesellschafter in die Gesellschaft aufgenommen wird. Eine Änderung des Gesellschaftsvertrags ist zulässig, selbst hinsichtlich des Gesellschaftszwecks, ohne daß die Gesellschaft aufhört fortzubestehen. Zulässig ist auch unbeschadet des Fortbestandes der Gesellschaft die Aufnahme eines weiteren Gesellschafters und die demgemäße andere Verteilung der Gesellschaftsbeiträge. Soll mit der Änderung des Gesellschaftsvertrags eine Neugründung der Gesellschaft verbunden werden, so sind Bestimmungen über die Auseinandersetzung hinsichtlich des bisherigen Gesellschaftsvermögens nötig (vgl. R F H J W 1922, 630). Wie Beginn und Ende des Gesellschaftsverhältnisses kann auch der Beitritt zur Gesellschaft von einem zukünftigen Ereignis abhängig gemacht werden (RG J W 1936, 2065). Anm. 15 6. Der Vorvertrag. Vom Gesellschaftsvertrag ist der Vorvertrag zum Abschluß eines Gesellschaftsvertrages zu unterscheiden. Er muß, um eine Verpflichtung zum Abschluß eines Gesellschaftsvertrages begründen zu können, wie jeder Vorvertrag so bestimmte Vereinbarungen enthalten, daß in ihm der wesentliche Inhalt des Gesellschaftsvertrages enthalten ist, oder daß das Fehlende etwa im Streitfall, z. B. durch ergänzende Vertragsauslegung vom Gericht, festgestellt werden kann (RG 66, 1 2 1 ; 156, 138; L Z 1908, 866; J W 1938, 2740; BGH L M Nr. 3 zu § 705). Es ist also keineswegs notwendig, daß der Vorvertrag schon die gleiche Vollständigkeit aufweist, die für den späteren Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist. Es genügt, wenn der Vorvertrag und die gesamten Umstände des Einzelfalls einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür bieten, um etwa noch fehlende Bestimmungen unter Berücksichtigung des vermutlichen Parteiwillens nach § 287 ZPO zu ergänzen (RG J W 1938, 2740; BGH aaO). Über die Gesellschaftsform muß Einmütigkeit unter den Vertragschließenden bestehen (RG 106, 174); das schließt aber nicht aus, daß eine solche Einigung auch aus den gesamten Umständen des Einzelfalls entnommen werden kann (RG Gruchot 72, 57; vgl. auch RG J W 1917, 291, wo das Reichsgericht einen Vorvertrag wegen nicht ausreichender Bestimmtheit für verbindlich erklärt hat). Der Vorvertrag ist ebenfalls f o r m b e d ü r f t i g , wenn die Einhaltung einer Form für den Gesellschaftsvertrag notwendig ist (dazu Anm. 3). Eine Befugnis zur K ü n d i g u n g des Vorvertrages aus w i c h t i g e m G r u n d wird man bejahen müssen (BGH Betrieb 1958, 955), eine sonstige Kündigungsbefugnis aber nicht (vgl. dazu auch RG L Z 1916, 740). Um k e i n e n V o r v e r t r a g , sondern um einen richtigen Gesellschaftsvertrag handelt es sich, wenn die Parteien schon im gegenseitigen Einvernehmen mit ihrer gemeinsamen Tätigkeit beginnen, ehe sie den von ihnen vorgesehenen schriftlichen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen haben (dazu Anm. 2). Der in diesen Fällen vielfach gebrauchte Ausdruck „vorläufiges Gesellschaftsverhältnis" kann irreführend sein. 760
Gesellschaft
§705 Anm. 16, 17
Anm. 16 7. Die bürgerlich-rechtliche G e s e l l s c h a f t k r a f t U m w a n d l u n g . Eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft kann auch dadurch entstehen, daß eine zwischen den Gesellschaftern bestehende Personalhandelsgesellschaft sich in eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft umwandelt. Das ist z. B. der Fall, wenn eine offene Handelsgesellschaft durch Schrumpfung ihres Geschäftsbetriebes (Kleinhandelsgewerbe) zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts herabsinkt, oder wenn die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft ihr Geschäft mit der Befugnis zur Fortführung der Firma verpachten, die Gesellschaft aber selbst nicht auflösen (KG H R R 1937 Nr. 12), oder wenn sie ihr Geschäft in eine von ihnen errichtete G m b H einbringen, jedoch einige Grundstücke dabei ausnehmen (KG H R R 1935 Nr. 1133), oder wenn sie schließlich die Auseinandersetzung über ein verbliebenes Restvermögen (Grundstücke) ihrer aufgelösten offenen Handelsgesellschaft nicht durchführen und die gesamthänderische Bindung dieser Vermögensgegenstände aufrecht erhalten (KG H R R 1940 Nr. 745). In allen diesen Fällen handelt es sich u m eine identitätswahrende Umwandlung. Die Gesellschaft bleibt bestehen, sie ändert nur ihre Rechtsform. Daher bedarf es, wenn Grundstücke vorhanden sind, auch keiner Eigentumsübertragung durch Auflassung und Eintragung, sondern nur einer Berichtigung des Grundbuchs, indem nunmehr statt der offenen Handelsgesellschaft die einzelnen Gesellschafter nach Maßgabe des § 47 GBO eingetragen werden (KG aaO). — Über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften in eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft vgl. §§21/22 des Umwandlungsgesetzes v. 12. 11. 1956 (BGBl I 844).
II. Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter Anm. 17 1. A l l g e m e i n e s . Das Gesellschaftsverhältnis unterliegt in einem besonderen Umfang den Grundsätzen von Treu und Glauben. Das bezieht sich sowohl auf die Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Gesellschaftern und der Gesellschaft wie auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander. Im besonderen Maße zeigt sich das aber im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter. M a n spricht hier von einer Treupflicht der einzelnen Gesellschafter (RG 128, 16; 142, 216), ohne daß es freilich möglich ist, sie im einzelnen nach objektierbaren Gesichtspunkten zu konkretisieren. Der Gesellschafter ist gehalten, die Interessen der Gesellschaft wahrzunehmen und alles zu unterlassen, was der Erreichung des Gesellschaftszwecks abträglich ist (RG J W 1935 1773; OGH 4, 73). Diese allgemeine Umschreibung der Treupflicht bedarf für den einzelnen Fall einer näheren Bestimmung. Die vertraglichen Pflichten der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft werden in einem besonderen Maße von der Treupflicht bestimmt. Das gilt namentlich für die G e s c h ä f t s f ü h r u n g s p f l i c h t , aber im gleichen Maße auch für das Widerspruchsrecht, das dem geschäftsführenden Gesellschafter nach §711 zusteht, sowie für das Zustimmungsrecht gemäß § 70g. Diese Befugnisse dürfen nur im Gesellschaftsinteresse ausgeübt werden; sie erhalten daher erst unter diesem Gesichtspunkt ihren eigentlichen Sinn und Inhalt. Aber auch die Befugnisse, die dem einzelnen Gesellschafter in seinem eigenen Interesse zustehen, wie das I n f o r m a t i o n s - u n d K o n t r o l l r e c h t (§716; vgl. dazu auch R G 148, 280; D R 1944, 245), der Anspruch auf Gewinnbeteiligung (§§ 721/22; vgl. dazu B G H W M 1958, 1196), die Kündigungsbefugnis (vgl. auch § 723 Abs. 2) werden von der Treupflicht des Gesellschafters inhaltlich beschränkt. Bei diesen Rechten ist aber zugleich auch das eigene Interesse des Gesellschafters zu berücksichtigen, das für die Zubilligung dieser Rechte bestimmend ist. Insoweit kann namentlich nicht davon gesprochen werden, daß das Individualinteresse des einzelnen Gesellschafters grundsätzlich hinter das Interesse der Gesellschaft (d. h. der übrigen Gesellschafter) zurücktreten müsse; denn das Interesse der Gesellschaft ist nicht höherwertig als das Individualinteresse des Gesellschafters (verfehlt daher die Formulierung in R G 146, 395! 1 58) 254). Die immanenten Grenzen für die Ausübung dieser Rechte ergeben sich aus § 705, aus der Verpflichtung jedes Gesellschafters, die Erreichung des gemeinsamen Zwecks zu fördern. Das kann auch für die jedem einzelnen Gesellschafter zustehende
761
§ 705 A n m . 1 8 , 19
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
actio pro socio (Anm. 23) von Bedeutung sein, wenn die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ersichtlich den Interessen der Gesellschaft zuwiderläuft (BGH 25, 50; zu weitgehend R G 1 7 1 , 51). Unter diesem Gesichtspunkt kann der einzelne Gesellschafter ausnahmsweise auch verpflichtet sein, einer A b ä n d e r u n g des G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e s zuzustimmen, wenn das von den Interessen der Gesellschaft dringend erfordert wird und wenn durch diese irgendwelche schutzwerten Interessen des betroffenen Gesellschafters nicht berührt werden (BGH L M Nr. 8 zu § 105 H G B ; W M 1956, 352). Schließlich können Ansprüche eines Gesellschafters selbst aus einem Drittgläubigerverhältnis (Anm. 21) unter dem Gesichtspunkt der Treupflicht gewissen Einschränkungen unterliegen, und zwar dahin, daß der Gesellschafter bei der Geltendmachung seiner Forderung auch die Interessen seiner Gesellschaft in gebührendem Umfang wahren muß (RG J W 1937, 1986). — Die Treupflicht besteht auch g e g e n ü b e r d e n e i n z e l n e n G e s e l l s c h a f t e r n . Hierbei ist aber zu beachten, daß der einzelne Gesellschafter sich im Gesellschaftsvertrag nicht etwa verpflichtet hat, auch die Interessen seiner Mitgesellschafter zu wahren und ihre persönlichen Ziele zu unterstützen (vgl. O G H 4, 73). Eine Treuepflicht gegenüber einem anderen Gesellschafter besteht daher nur insoweit, als das aus dem Gesellschaftszweck und der Zusammenarbeit der Gesellschafter zu folgern ist. Anwendungstatbestände für eine solche Treupflicht gegenüber den anderen Gesellschaftern in R G 162, 394; B G H W M 1958, 777; L M Nr. 10 zu § 142 HGB.
Anm. 18 Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter werden des weiteren durch den G r u n d s a t z d e r G l e i c h b e h a n d l u n g wesentlich bestimmt (dazu eingehend G. Hueck Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht 1958). Er ist namentlich für den Umfang der Mitgliedschafts-(Verwaltungs-)rechte (Anm. 22) von Bedeutung. Dieser Grundsatz führt freilich nicht zur Gleichberechtigung aller Gesellschafter; gesellschaftsvertraglich festgelegte Unterschiede, etwa bei der Geschäftsfuhrungsbefugnis, dem Stimmrecht, der Gewinnbeteiligung, sind natürlich zu beachten. Dagegen ist eine gesellschaftsvertraglich nicht begründete und daher willkürliche oder sachfremde Schlechterstellung einzelner Gesellschafter nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung ausgeschlossen. Das ist besonders von Bedeutung, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag Mehrheitsbeschlüsse zugelassen sind; sie müssen den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten und sind anderenfalls unwirksam (RG 1 5 1 , 326; B G H 16, 70; für die gleichliegende Frage im Vereinsrecht R G J W 1938, 1329; B G H L M Nr. 2 zu § 39). Anders ist es dagegen, wenn der berechtigte Gesellschafter selbst zustimmt. — Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist auch als Auslegungsregel von Bedeutung; jede Bestimmung des Gesellschaftsvertrages ist im Zweifel im Sinne einer Gleichbehandlung auszulegen (vgl. auch § 706).
Anm. 19
2. Die Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter (sog. Sozial-
a n s p r ü c h e ) . Zu diesen Ansprüchen gehört in erster Linie der Anspruch auf Leistimg der Beiträge. Bereits der Anspruch auf die Beiträge gehört zum Gesellschaftsvermögen (RG 54, 300; 76, 278; i n , 83), er ist also gesamthänderisch gebunden. Der einzelne Gesellschafter wird durch Leistung an die Gemeinschaft, aber auch nur durch Leistung an die Gemeinschaft befreit. Zur Geltendmachung dieses Anspruchs sind die geschäftsführenden und vertretungsberechtigten Gesellschafter (einzeln oder zusammen, §§ 709, 714) befugt und verpflichtet. Dem verpflichteten Gesellschafter steht gegen diesen Anspruch grundsätzlich nicht das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 zu (vgl. Anm. 9). Weitere Ansprüche dieser Art sind der Anspruch auf Erfüllung der Geschäftsführerpflichten und auf Erfüllung von gesellschaftlichen Treuepflichten (Anm. 17), namentlich Unterlassungspflichten sowie die Ansprüche auf Schadensersatz wegen Verletzung dieser Pflichten. Allen diesen Ansprüchen ist gemeinsam, daß sie den Gesellschaftern in ihrer gesamthänderischen Gebundenheit zustehen, daher von den geschäftsfiihrenden und vertretungsberechtigten Gesellschaftern geltend zu machen sind und n u r durch Leistung an die Gemeinschaft erfüllt werden können. Inwieweit die Geltendmachung dieser Ansprüche auch dem einzelnen Gesellschafter als solchem zusteht, darüber Anm. 23.
762
Gesellschaft
§705
A n m . 20—23
3. Die Ansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft A n m . 20 a) Aus dem GesellschaftsVerhältnis (sog. Sozialverpflichtungen). Es handelt sich um Ansprüche des einzelnen Gesellschafters gegen die Gemeinschaft, die auf dem Gesellschaftsvertrag beruhen. Hierher gehört der Anspruch auf den Gewinnanteil, auf eine etwa zugesagte Geschäftsführervergütung, auf Aufwendungsersatz (auch für die Bezahlung von Gesellschaftsschulden auf Grund persönlicher Inanspruchnahme). Dem Gesellschafter steht die freie Verfügung über diese Ansprüche zu (§717). Sie richten sich gegen die übrigen Gesellschafter insgesamt und sind aus dem Gesellschaftsvermögen zu befriedigen. Ein Urteil gegen die übrigen Gesellschafter genügt, § 736 ZPO ist entsprechend anzuwenden (RG 170, 395; D R 1944, 245). A n m . 21 b) Aus einem sonstigen Rechtsgrund. Hier handelt es sich um Ansprüche eines Gesellschafters gegen die Gemeinschaft, die sich nicht auf den Gesellschaftsvertrag, sondern auf ein anderes Rechtsverhältnis stützen, etwa wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft ein Darlehn gegeben, mit ihr einen Kauf- oder Mietvertrag abgeschlossen hat usw. Diese Ansprüche beruhen also auf Vereinbarungen, die rechtlich unabhängig von dem Gesellschaftsverhältnis sind und an Stelle des Gesellschafters auch von einem Dritten mit der Gesellschaft hätten getroffen werden können. Der GesellschafterGläubiger steht hier einem Drittgläubiger gleich, so daß seine Forderung auch als D r i t t g l ä u b i g e r f o r d e r u n g bezeichnet wird (vgl. dazu RG 153, 305). Für die Geltendmachung dieser Ansprüche gegen die Gemeinschaft gilt das gleiche wir für die Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis (Anm. 20); die Unterscheidung zwischen diesen beiden Anspruchsarten ist von Bedeutung nur für ihre Geltendmachung gegen die übrigen Gesellschafter (vgl. Anm. 26). Uber die Bedeutung der Treuepflicht auch bei diesen Ansprüchen vgl. Anm. 17. A n m . 22 4. Die Mitgliedschafts-(Verwaltungs-)rechte in der Gesellschaft. Neben den Vermögenswerten Ansprüchen gegen die Gesellschaft (Anm. 20) stehen den Gesellschaftern eine Reihe von Verwaltungsrechten in der Gesellschaft zu, die echte Mitgliedschaftsrechte sind. Es handelt sich hierbei um die Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung, das Widerspruchsrecht, das Informationsrecht, das Stimmrecht und wohl auch das Kündigungsrecht. Diese Rechte sind mit der Mitgliedschaft untrennbar verbunden, sie können nicht gesondert übertragen werden (§717 Anm. 2, 10). Sie sind auch höchstpersönlich in dem Sinn, daß sie im allgemeinen nicht durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werden können (§717 Anm. 2, 1 1 ) . 5. Die Ansprüche eines Gesellschafters gegen andere Gesellschafter A n m . 23 a) Die actio pro socio. Als Partner des Gesellschaftsvertrages steht jedem Gesellschafter persönlich grundsätzlich das Recht zu, von seinen Mitgesellschaftern die Erfüllung der von diesen gesellschaftsvertraglich zugesagten Leistungen zu verlangen. Er kann daher namentlich die Leistung der Beiträge fordern, aber natürlich nicht an sich selbst (denn eine solche Leistung hat der Mitgesellschafter nicht versprochen), sondern nur an die Gesellschaft (RG 70, 32; 90, 300; 158, 3 1 4 ; SeuffArch. 81 Nr. 27; BGH 25, 49). Dieses Recht steht selbständig neben dem Recht der Gemeinschaft, diese Leistung selbst zu fordern (Anm. 19); dieses Recht wird auch nicht durch eine besondere Regelung der Geschäftsführung berührt. Das Forderungsrecht des einzelnen Gesellschafters kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der Treupflicht eine Einschränkung erfahren (Anm. 17). Der einzelne Gesellschafter kann des weiteren auch Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Verletzung der den anderen Gesellschaftern obliegenden Gesellschafterpflichten (z. B. Verletzung der Beitragspflicht, Verletzung der Geschäftsführerpflicht) im eigenen Namen geltend machen; aber auch hier kann er grundsätzlich nur Leistung an die Gesellschaft verlangen (RG L Z 1913, 67; BGH 25, 49; a M RG 1 7 1 , 5 1 ) . 50
Komm. 2. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Fischer)
763
§ 705 A n m . 24—26
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Dagegen k a n n der einzelne Gesellschafter nicht irgendwelche Gestaltungsrechte ausüben, die der Gemeinschaft im Z u s a m m e n h a n g mit d e m ihr zustehenden Sozialanspruch zustehen; diese Rechte kann allein n u r die Gemeinschaft ausüben. Des weiteren ist der einzelne Gesellschafter bei der G e l t e n d m a c h u n g des i h m zustehenden Einzelanspruchs a n eine S t u n d u n g gebunden, die der vertretungsberechtigte Gesellschafter i m Einklang mit d e m Gesellschaftsvertrag d e m verpflichteten Gesellschafter gewährt h a t . Die actio p r o socio richtet sich immer n u r gegen die Mitgesellschafter, nicht gegen Dritte, weil Grundlage des Anspruchs der Gesellschaftsvertrag ist. D a h e r k a n n ein solcher A n s p r u c h auch nicht gegen einen Liquidator geltend g e m a c h t werden, der selbst nicht Gesellschafter ist (RG 91, 34). A n m . 24 b ) D e r A n s p r u c h a u f V e r m ö g e n s w e r t e L e i s t u n g e n . Trotz der unbeschränkten persönlichen H a f t u n g eines j e d e n Gesellschafters füJtjdie Schulden der Gesellschaft k a n n ein einzelner Gesellschafter w ä h r e n d bestehender Gesellschaft A n s p r ü c h e a u f Verm ö g e n s w e r t e L e i s t u n g e n , die i h m a u s d e m G e s e l l s c h a f t s v e r h ä l t n i s gegen die Gemeinschaft zustehen (Anm. 20), n i c h t a u c h g e g e n d i e e i n z e l n e n M i t g e s e l l s c h a f t e r p e r s ö n l i c h geltend m a c h e n . Das w ü r d e d e m Grundsatz des § 707 widersprechen, w o n a c h kein Gesellschafter w ä h r e n d bestehender Gesellschaft zur Leistung weiterer Beiträge verpflichtet ist. Das gilt nicht n u r f ü r d e n Anspruch auf d e n Gewinnanteil ( R G 120, 1 3 5 ; 153, 3 1 0 ; 163, 388; 170, 395), sondern auch f ü r den A n s p r u c h auf eine zugesagte Geschäftsführervergütung u n d f ü r A u f w e n d u n g e n , die ein Gesellschafter im Interesse der Gesellschaft g e m a c h t h a t ( R G 59, 144; 80, 272; 153, 306ff; J W 1 9 1 2 , 240). F ü r diese A n s p r ü c h e haftet d e m Gesellschafter w ä h r e n d bestehender Gesellschaft n u r das Gesellschaftsvermögen. Gegen die Mitgesellschafter kann der berechtigte Gesellschafter insoweit Ausgleichsansprüche erst i m Auseinandersetzungsverfahren geltend m a c h e n ; in diesem S t a d i u m sind die einzelnen Gesellschafter a u c h nachschußpflichtig (§ 735)- Das alles gilt aber n u r , w e n n der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt; die Zulässigkeit eines sofortigen Rückgriffs k a n n sich auch aus d e m Sinn u n d Zweck der Gesellschaft ergeben (vgl. d a z u R G 151, 328). A n m . 25 Eine A u s n a h m e von diesem Grundsatz gilt, w e n n ein einzelner Gesellschafter von einem Gesellschaftsgläubiger auf G r u n d seiner persönlichen H a f t u n g in A n s p r u c h gen o m m e n ist u n d G e s e l l s c h a f t s s c h u l d e n b e z a h l t h a t . Wenngleich es sich hierbei a u c h u m einen Anspruch auf Aufwendungsersatz handelt, der sich auf das Gesellschaftsverhältnis gründet, so wäre es selbst i m Hinblick auf § 707 ungerechtfertigt, d e m in Anspruch g e n o m m e n e n Gesellschafter nicht sofort einen entsprechenden Ausgleichsanspruch gegen seine Mitgesellschafter zu geben (heute herrschende Ansicht i m Schriftt u m ; nicht unbedenklich insoweit R G J W 1934, 1851). Die persönliche H a f t u n g f ü r die Gesellschaftsschulden tritt insoweit als eine weitere (gesetzliche) V e r p f l i c h t u n g neben die Beitragspflicht, mit der j e d e r Gesellschafter von vornherein zu r e c h n e n h a t . Der Rückgriffsanspruch des in Anspruch g e n o m m e n e n Gesellschafters ist a b e r insoweit beschränkt, d a ß er in erster Linie Befriedigung aus d e m Gesellschaftsvermögen suchen m u ß u n d d a ß er sodann von j e d e m Mitgesellschafter a u c h n u r eine anteilsmäßige Befriedigung (pro rata) verlangen kann. A n m . 26 Besonderes gilt f ü r Ansprüche eines Gesellschafters gegen die Gesellschaft, die n i c h t auf d e m Gesellschaftsverhältnis beruhen, f ü r die sog. D r i t t g l ä u b i g e r f o r d e r u n g e n (Anm. 21). Bei diesen F o r d e r u n g e n steht der Gesellschafter-Gläubiger i m allgemeinen einem Drittgläubiger gleich. D a h e r ist es zulässig, d a ß er seinen Anspruch a u c h wie ein solcher Gläubiger gegen die a n d e r e n Gesellschafter u n m i t t e l b a r w ä h r e n d bestehender Gesellschaft geltend m a c h t ( R G 85, 1 5 7 ; 120, 1 3 7 / 3 8 ; 153, 305; J W 1937, 1986). D a b e i gilt j e d o c h eine Einschränkung gegenüber der Rechtsstellung eines gewöhnlichen Drittgläubigers. D e n Anspruch gegen die übrigen Gesellschafter k a n n der GesellschafterGläubiger n u r u n t e r A b z u g des auf ihn entfallenden Verlustanteils geltend m a c h e n ,
764
Gesellschaft
§705
A n m . 27—29
aber dann im Unterschied zu den in Anm.25 erörterten Ansprüchen nicht nur anteilsmäßig (RG 85, 157; 120, 137/38); die anderen Gesellschafter haften ihm vielmehr wie jedem Drittgläubiger als Gesamtschuldner. A n m . 27 c ) Sonstige Ansprüche. Andere Ansprüche, die nicht auf Vermögenswerte Leistungen gerichtet sind und die einem Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag zustehen, kann er auch unmittelbar gegen einen Mitgesellschafter derart verfolgen, daß er Leistung an sich fordert. Insoweit besteht das bei Ansprüchen auf Vermögenswerte Leistungen vorliegende Bedenken aus § 707 (Anm. 34) nicht. So ist es möglich, daß ein Gesellschafter seinen Gewinnanspruch in der Weise gegen den einzigen geschäftsführenden Gesellschafter, der ihm die Auszahlung weigert, geltend macht, daß er seine Verurteilung zur Zahlung aus der Gesellschaftskasse verlangt (RG 170, 396; bedenklich insoweit R G 120, 140). Ein solches Vorgehen ist auch insofern ganz praktisch, als im Fall des Obsiegens nicht die Gesellschaft, sondern der den Rechtsstreit veranlassende Mitgesellschafter mit den Prozeßkosten belastet wird. Auch ist es zulässig, daß der Gesellschafter sein Recht auf Einsicht in die Geschäftsbücher und Papiere der Gesellschaft (§716) unmittelbar gegen den geschäftsführenden Gesellschafter geltend macht (RG D R 1944, 246; B G H 29. 9. 1954 I I Z R 66/54). III. Die faktische Gesellschaft A n m . 28 1. Allgemeines. Im Recht der Personalhandelsgesellschaften ist schon sehr früh das Bedürfnis aufgetaucht, die schutzwerten Belange von Dritten zu wahren, wenn diese mit einer Personalhandelsgesellschaft in Geschäftsverbindung getreten waren und wenn sich nachher herausstellte, daß der Gesellschaftsvertrag nichtig war oder wirksam angefochten worden ist. Dieser notwendige Schutz dritter Personen wurde durch den gewohnheitsrechtlich geltenden Satz sichergestellt, wonach sich jeder von gutgläubigen Dritten an Erklärungen festhalten muß, die er im Handelsverkehr öffentlich abgegeben hat (RG 76, 439; 89, 98; 142, 98; 145, 1 5 5 ; 164, 121). Als sog. Scheinhandelsgesellschaft wurde eine solche Gesellschaft den Vorschriften der §§ 105 fr, 161 ff H G B unterworfen, soweit es sich um die Vertretungsmacht der Gesellschafter und ihre persönliche Haftimg gemäß § 128 H G B handelte. Das hatte in seiner praktischen Auswirkung zur Folge, daß die Gesellschafter, die zunächst nach außen den Anschein einer wirksamen Handelsgesellschaft gegeben haben, sich nicht nachher g e g e n ü b e r D r i t t e n auf den Nichtigkeits- oder Anfechtungstatbestand berufen können. Das Reichsgericht hat diese Grundsätze später auch auf die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft angewendet und diese Anwendung damit begründet, daß bei ihr in gleicher Weise wie bei den anderen Gesellschaften das rechtspolitische Bedürfnis nach einem durchgreifenden Gläubigerschutz Beachtung verdiene (RG WarnRspr. 1932 Nr. 1 1 6 ; 1934 Nr. 173). Für das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern (Innenverhältnis) Heß jedoch das Reichsgericht die Berufung auf den Nichtigkeits- oder Anfechtungstatbestand in unbeschränktem Umfang zu (RG 127 191). In dieser Hinsicht trat ein grundlegender Wandel durch die Entscheidung R G 165, 193 ein (vgl. freilich auch schon R G J W 1935, 2617); nunmehr wurde bei einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft auch für das Innenverhältnis der Gesellschafter untereinander die Berufung auf den Nichtigkeits- und Anfechtungstatbestand versagt und die Gesellschaft auch insoweit für die zurückliegende Zeit wie eine voll wirksame Gesellschaft behandelt. Dem einzelnen Gesellschafter wurde nur noch das Recht zugebilligt, die Auflösung einer solchen Gesellschaft für die Zukunft herbeizuführen oder zu verlangen. Diese Auffassung hat das Reichsgericht noch wiederholt bestätigt (DR 1941, 1943; 1942, 275; 1943, 1221) und sie auch für die bürgerlichrechtliche Gesellschaft als verbindlich erklärt (DR 1943, 801; vgl. auch R G 166, 59). Der Bundesgerichtshof ist dieser Auffassung grundsätzlich gefolgt ( B G H 3, 285). A n m . 29 D i e t h e o r e t i s c h e G r u n d l e g u n g f ü r diese A u f f a s s u n g bereitet Schwierigkeiten und sie ist trotz vielfacher Versuche im Schrifttum (vgl. die Nachweise bei Rob. F i s c h e r N J W 1955, 849fr; 1958, 969fr) wohl noch nicht gelungen. Für den Bundes50*
765
§ 705 Anm. 30—32
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gerichtshof ist bei der Anerkennung der faktischen Gesellschaft zunächst der Gesichtspunkt entscheidend, daß die Rechtsordnung im allgemeinen nicht an der Tatsache vorbeigehen kann, daß in Fällen dieser Axt die Gesellschafter jahrelang in einem Geschäftsbetrieb gemeinsam tätig gewesen sind, durch eigene Arbeit für gemeinsame Rechnung Werte geschaffen und erworben und damit gemeinsame Leistungen vollbracht haben (BGH 8, 167). Dabei ist die rechtliche Anerkennimg eines so geschaffenen tatsächlichen Zustandes nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen erforderlich, aber auch nur dann gerechtfertigt, wenn die Beteiligten ihre Leistungen auf Grund einer tatsächlichen Willensübereinstimmung (in Form einer Zweckgemeinschaft) erbracht haben (BGH 11, 191; vgl. dazu Anm. 31). 2. Die Voraussetzungen für die faktische Gesellschaft Anm. 30 a) Die Gesellschaft muß in Vollzug gesetzt sein. Der Abschluß eines (mangelhaften) Gesellschaftsvertrages selbst ist nicht ausreichend. Was im einzelnen dazu gehört, um die Gesellschaft als in Vollzug gesetzt anzusehen, ist bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts schwerer zu beantworten als bei den Personalhandelsgesellschaften, weil bei diesen im allgemeinen die gemeinsame Aufnahme des Geschäftsbetriebes insoweit einen greifbaren Anhaltspunkt bieten wird. Bei Gesellschaften bürgerlichen Rechts, namentlich bei den Gelegenheitsgesellschaften und solchen unbedeutenden Umfangs wird in dieser Hinsicht eine gewisse Zurückhaltung zuweilen angebracht sein, weil hier ein gemeinschaftlich geschaffener tatsächlicher Zustand, der zwingend eine rechtliche Anerkennung nach gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten erfordert, nicht immer vorliegen wird. Diese Frage ist noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen. Anm. 31 b) Der mangelhafte Gesellschaftsvertrag. Der Bundesgerichtshof sieht eine wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung der faktischen Gesellschaft darin, daß die Beteiligten einen — freilich fehlerhaften — Gesellschaftsvertrag abgeschlossen haben (BGH 11, 191; vgl. dazu auch die Anm. bei L M Nr. 5 zu § 105 HGB). Ohne eine solche Grundlage ist für die Anerkennung der faktischen Gesellschaft kein Raum. Diese Meinung ist im Schrifttum z. T. angegriffen worden (vgl. etwa Simitis Die faktischen Vertragsverhältnisse 1957 S. 234fr; zuletzt R u s s BB 1958, 645), allein zu Unrecht. Die faktische Gesellschaft ist eine Gesamthandsgemeinschaft und als solche wie die rechtsgeschäftlich wirksame Gesellschaft Zweckgemeinschaft, die von dem Willen der Parteien geschaffen und getragen wird. Sie kann von diesem Willen nicht losgelöst werden (BGH 23. 2. 1956 II Z R 207/54). Sie ist keine communio incidens und sie unterscheidet sich dadurch von der Bruchteilsgemeinschaft, die vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen ungewollt oder zufällig zur Entstehung gelangen kann (§ 741 Anm. 3). Ohne eine tatsächliche Willensgrundlage (tatsächliche Willensübereinstimmung) ist es nicht gerechtfertigt, gesellschaftsrechtliche Grundsätze anzuwenden und damit zwischen den Beteiligten eine Bindung zu bejahen, deren Ausgestaltung — wie gerade die Unterschiede zur Bruchteilsgemeinschaft zeigen — auf der von den Beteiligten gewollten Zweckgemeinschaft beruht. Bei der faktischen Gesellschaft „wird die bloße Betätigung als selbständiger Entstehungsgrund abgelehnt und nur als Einschränkungsgrund hinsichtlich der Geltendmachung der Unwirksamkeitsfolgen und als ein Heilungsgrund hinsichtlich der bereits verwirklichten Folgen des fehlerhaften Vertrages anerkannt" (Lehmann NJW 1958, 3). Diese Beurteilung zeigt zugleich, daß sich die Lehre von der faktischen Gesellschaft schon in ihrem Ausgangspunkt ganz wesentlich von der L e h r e vom s o z i a l t y p i s c h e n V e r h a l t e n unterscheidet, nach der schon ein solches Verhalten allein Vertragswirkungen begründen kann (so BGH 21, 333; dazu meines Erachtens mit Recht kritisch L e h m a n n NJW 1958, i f f ) . Anm. 32 Als Anwendungstatbestände eines mangelhaften Gesellschaftsvertrages kommem zunächst die Anfechtungstatbestände der §§119, 123 in Betracht (RG 165, 766
Gesellschaft
§705
Anm. 33—35
193; D R 1943, 801; B G H 13, 323; 26, 335). Die Anfechtung eines Gesellschaftsvertrages führt damit grundsätzlich nicht die rückwirkende Vernichtung des Vertrages herbei. Die Anfechtung wird also nicht anders wie der Rücktritt behandelt, dessen Zulässigkeit bei der Gesellschaft wegen der rückwirkenden Kraft verneint wird und an dessen Stelle bei der Gesellschaft die Kündigung tritt (Anm. 9). Weiterhin kommen in diesem Zusammenhang die rechtsgeschäftlichen N i c h t i g k e i t s t a t b e s t ä n d e , namentlich die des § 138 in Betracht, soweit sie den Schutz eines der Vertragschließenden bezwecken (RG D R 1943, 1222; vgl. dazu auch R o b . F i s c h e r N J W 1958, 971). Besonderes gilt für die Nichtigkeitsvorschrift des § 134 (Anm. 40), sowie dann, wenn ein nicht voll Geschäftsfähiger einen Gesellschaftsvertrag abschließt (Anm. 39). Dagegen steht die Verletzung einer Formvorschrift der Anerkennung eines gesellschaftlichen Zusammenschlusses als faktische Gesellschaft grundsätzlich nicht entgegen (BGH 8, 166). Auch die Nichtigkeit eines Gesellschaftsvertrages wegen versteckten Dissens (§ 154) schließt die Annahme einer faktischen Gesellschaft im allgemeinen nicht aus (BGH 3, 288); bei einem offenen Dissens kann insoweit unter besonderen Umständen etwas anderes geboten sein ( R o b . F i s c h e r N J W 1955, 849). Des weiteren vermag das Fehlen der Geschäftsgrundlage nicht die Annahme eines von vornherein nichtigen Gesellschaftsvertrages zu rechtfertigen (BGH 10, 51). Schließlich kann beim Abschluß des Gesellschaftsvertrages durch einen Vertreter die Berufung auf einen Vollmachtsmißbrauch ( § 1 6 6 Anm. 27) nicht zur rückwirkenden Nichtigkeit eines in Vollzug gesetzten Gesellschaftsvertrages führen (BGH 26, 336).
Anm. 33 Kein Anwendungstatbestand einer faktischen Gesellschaft liegt vor, wenn
die Beteiligten eine G e s e l l s c h a f t n u r z u m S c h e i n abgeschlossen haben (BGH L M Nr. 4 zu § 105 H G B ) ; denn in einem solchen Falle haben die Beteiligten einen gesellschaftlichen Zusammenschluß in Wirklichkeit nicht gewollt, so daß deshalb für die Anerkennung einer faktischen Gesellschaft auch kein Raum ist (Anm. 31). Beabsichtigen die Parteien die Errichtung einer offenen Handelsgesellschaft und sehen hierfür den Abschluß eines schriftlichen Gesellschaftsvertrages vor, beginnen sie aber gleichwohl ohne Rücksicht darauf schon mit ihrem gemeinsamen Geschäftsbetrieb, so liegt darin der stillschweigende Abschluß eines vorläufigen Gesellschaftsvertrages (dazu Anm. 2); daher kann in einem solchen Fall von einer faktischen Gesellschaft nicht gesprochen werden ( B G H 11, 190). Bringt ein Gesellschafter ein Unternehmen, für dessen alleinigen Inhaber er sich zu Unrecht hält und dessen Rechtsträger in Wirklichkeit eine Kommanditgesellschaft ist, in eine neu gegründete Gesellschaft ein, so kann der gemeinsame Betrieb des Unternehmens durch die neuen Gesellschafter nicht als faktische Gesellschaft anerkannt werden; denn durch eine solche Handhabung kann den Gesellschaftern der Kommanditgesellschaft nicht ohne ihren Willen ihr Geschäftsbetrieb entzogen werden (BGH W M 1958, 1008).
Anm. 34 c) Die mangelhafte Abänderung des Gesellschaftsvertrages. Sie kann unter
dem Gesichtspunkt der Lehre von der faktischen Gesellschaft ebenfalls rechtlich anerkannt werden. Das gilt namentlich von der rechtlich mangelhaften Aufnahme eines Gesellschafters in eine bereits bestehende Gesellschaft (OGH 4, 245; B G H 26, 335). Darüber hinaus gilt das auch für jede andere grundlegende Änderung im Status der Gesellschaft (BGH Betrieb 1956, 65), wobei jedoch zu betonen ist, daß ein solcher Tatbestand im allgemeinen meist nur bei Personalhandelsgesellschaften in Betracht kommen wird.
3. Die Wirkungen der faktischen Gesellschaft Anm. 35 a) Allgemeines. Die rechtliche Anerkennung eines gesellschaftlichen Zusammenschlusses als faktische Gesellschaft hat zur Folge, daß für die zurückliegende Zeit die Gesellschaft wie eine voll wirksame Gesellschaft behandelt wird. Das ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Auch bei der fehlerhaften Gesellschaft ist das G e s e l l s c h a f t s -
767
§ 705 Anm. 36—39
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
vermögen gesamthänderisch gebunden und demgemäß bei Auflösung der Gesellschaft auseinanderzusetzen (BGH 3, 289; dazu Anm. 38). Des weiteren ist das faktische Gesellschaftsverhältnis ein echtes V e r p f l i c h t u n g s v e r h ä l t n i s , ein Rechtsverhältnis auf tatsächlicher, aber insoweit auch gewollter Grundlage von einer unmittelbaren schuldrechtlichen Wirksamkeit für alle Beteiligten; das gilt nicht nur für die übernommene Einlageverpflichtung, sondern auch für alle anderen gesellschaftsvertraglichen Verpflichtungen, insbesondere für die gesellschaftliche Treuepflicht (BGH 17, 167). Schließlich erweist sich die Wirksamkeit der faktischen Gesellschaft auch darin, daß auf ihre Auflösung die für eine rechtsgeschäftlich wirksame Gesellschaft geltenden Auflösungsgründe entsprechend anzuwenden sind (Anm. 37). Anm. 36 Bezieht sich der in Betracht kommende Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrund auf eine einzelne Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, so ist diese auch für die zurückliegende Zeit nicht wirksam. Das ist namentlich für die Anfechtungstatbestände des § 123 und für die Nichtigkeitstatbestände des § 138 von Bedeutung. An Stelle der nichtigen Bestimmung muß dann eine den jeweiligen Verhältnissen angemessene Regelung treten, wobei naturgemäß auch auf die insoweit gesetzlich vorgesehene Regelung zurückgegriffen werden kann. Eine formnichtige Bestimmung des Vertrages, z. B. die Übernahme der Verpflichtung zur Einbringung eines Grundstücks ohne Beachtung der Formvorschrift des § 313, kann nicht durch die Anerkennung der faktischen Gesellschaft wirksam werden. Die Nichterfüllung einer solchen Verpflichtung kann vielmehr für die anderen Gesellschafter nur einen Grund zur sofortigen Auflösung der Gesellschaft bilden. Anm. 37 b) Die Auflösung der faktischen Gesellschaft. Die faktische Gesellschaft muß wie die rechtsgeschäftlich wirksame Gesellschaft aufgelöst werden. Auch bei ihr ist daher eine rückwirkende Auflösung nicht möglich. Für die Form der Auflösung gelten die Vorschriften der §§ 723 fr, so daß im allgemeinen eine rechtsgestaltende Erklärung erforderlich ist, die gegenüber allen Gesellschaftern abgegeben werden muß (§ 723 Anm. g). Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit dieser Erklärung, die man ebenfalls Kündigung nennen kann, richten sich freilich nicht nach § 723, so daß bei einer auf bestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaft es zur sofortigen Auflösung nicht eines wichtigen Grundes im Sinn des § 723 Abs. 3 bedarf. Vielmehr genügt hierzu schon die Berufung auf den Nichtigkeits- oder Anfechtungstatbestand (BGH 3, 291). Dabei ist — mit Rücksicht auf die verschiedenen Einwendungen im Schrifttum — hervorzuheben, daß auf eine solche Auflösungserklärung die Grundsätze über die rechtsmißbräuchliche Kündigungserklärung ebenfalls angewendet werden können (dazu § 723 Anm. 25). Anm. 38 c) Die Auseinandersetzung. Eine der wesentlichsten Wirkungen der faktischen Gesellschaft besteht darin, daß die aufgelöste faktische Gesellschaft nach den für die rechtswirksam errichteten Gesellschaft geltenden Grundsätze (§ 730) auseinanderzusetzen ist (BGH 3, 289). Das ist die zwangsläufige Folge davon, daß der Bestand der faktischen Gesellschaft für die zurückliegende Zeit rechtliche Anerkennung findet und demgemäß das Gesellschaftsvermögen als gesamthänderisch gebundenes Vermögen behandelt wird. Die früher für richtig gehaltene Abwicklung der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung, die zu unauflösbaren Schwierigkeiten und zu sachlich nicht tragbaren Ergebnissen führen kann, finder also nicht mehr statt. Enthält der Gesellschaftsvertrag der faktischen Gesellschaft Bestimmungen, die in zulässiger Weise von den Vorschriften des § 730 abweichen, so sind diese für die Auseinandersetzung maßgeblich; dabei ist jedoch die in Anm. 36 erläuterte Einschränkung zu beachten. Anm. 39 4. Die Beteiligung von Minderjährigen. Dem Gesellschaftsvertrag kann ein Nichtigkeitsgrund deshalb anhaften, weil an dem Vertrag ein Minderjähriger (oder 768
Gesellschaft
§705 Anm. 40, 41
sonstwie nicht voll Geschäftsfähiger) beteiligt und die von ihm oder für ihn abgegebene Vertragserklärung unwirksam ist. Solche Fälle werden bei einer Personalhandelsgesellschaft mit Rücksicht auf § 1822 Nr. 3 häufiger vorkommen; sie sind aber auch bei einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft von praktischer Bedeutung, weil erfahrungsgemäß die in A n m . 1 1 erwähnte Notwendigkeit der Bestellung von Pflegern zuweilen nicht beachtet wird. Es entspricht der allgemeinen gesetzlichen Regelung, daß dem Schutz der nicht voll geschäftsfähigen Personen, wie er in der Unwirksamkeit der von ihnen oder für sie abgegebenen Erklärungen zum Ausdruck kommt, der Vorrang vor den Interessen der mit ihnen in Vertragsbeziehungen tretenden Dritten gebührt. Demgemäß hat das Reichsgericht bei der rechtsgeschäftlich unwirksamen Beteiligung von nicht voll geschäftsfähigen Personen an einer Gesellschaft die Haftung dieser Personen gegenüber Dritten abgelehnt ( R G 145, 159). Das gleiche muß für die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander gelten; auch insoweit können schuldrechtliche Verbindlichkeiten zu Lasten dieser Personen durch ihre Beteiligung an einer Gesellschaft nicht entstehen. Das bedeutet, daß die Anerkennung der faktischen Gesellschaft eine Einschränkung zum Schutz der an ihr beteiligten Minderjährigen erfahren muß; der Minderjährige kann nicht in das schuldrechtliche Verpflichtungsverhältnis gesellschaftlicher Art einbezogen werden, wie es in dem Rechtsverhältnis der faktischen Gesellschaft zum Ausdruck kommt ( B G H 17, 166). Dagegen bestehen unter dem Gesichtspunkt des Minderjährigenschutzes keine Bedenken, bei einer mehr als zweigliedrigen Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern ein faktisches Gesellschaftsverhältnis anzunehmen. Insoweit kommen die für die A n erkennung der faktischen Gesellschaft geltenden rechtlichen Gesichtspunkte voll zum Zuge. Dabei kann mit Rücksicht auf § 139 im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß für die übrigen Gesellschafter die Beteiligung des Minderjährigen von wesentlicher Bedeutung gewesen ist.
Anm. 40 5. Die Grenzen für die Anerkennung der faktischen Gesellschaft. Wie
schon aus Anm. 39 ersichtlich ist, erleidet die rechtliche Anerkennung der faktischen Gesellschaft Einschränkungen. Diese sind dann geboten, wenn die rechtliche Anerkennung des tatsächlichen Zustandes mit gewichtigen Interessen der Allgemeinheit oder einzelner schutzwürdiger Personen in Widerspruch treten würde ( B G H 3, 288). Das kommt namentlich in Betracht, wenn ein Gesellschaftsvertrag wegen Gesetzesverstoßes nichtig ist (BGH 11. 4. 1951 I I Z R 9/50). Tritt der Gegenstand oder der Zweck des gesellschaftlichen Zusammenschlusses mit allgemeinen Geboten der Rechtsordnung in Widerspruch und ist der Gesellschaftsvertrag deshalb nichtig, so kann dieser Zusammenschluß auch nicht unter dem Gesichtspunkt der faktischen Gesellschaft rechtliche Anerkennung finden. Denn die faktische Gesellschaft ist ebenfalls ein Rechtsverhältnis, das sich deshalb auch im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung halten muß. Etwas anderes gilt nur, wenn angesichts besonderer tatsächlicher Umstände die rechtliche Anerkennung des gesellschaftlichen Zusammenschlusses für die zurückliegende Zeit dem Sinn und dem Zweck des betreffenden Verbotsgesetzes nicht widerspricht ( B G H L M Nr. 8 zu § 105 H G B ) . Unbewußte und ungewollte Verstöße gegen ein Verbotsgesetz können solche Ausnahmetatbestände sein, müssen es aber nicht (dazu R o b . F i s c h e r N J W 1958, 970).
Anm. 41 Schwieriger ist die Frage, wann — abgesehen vom Minderjährigen schütz — d i e A n e r k e n n u n g der faktischen Gesellschaft mit g e w i c h t i g e n Interessen einz e l n e r s c h u t z w ü r d i g e r P e r s o n e n i n W i d e r s p r u c h tritt und deshalb abzulehnen ist. Der Bundesgerichtshof hat einen Fall dieser Art bisher noch nicht als gegeben anerkannt (vgl. dazu lediglich B G H 1 3 , 3 2 3 ; 26, 335). In dieser Hinsicht können unter Umständen Tatbestände einer besonders groben arglistigen Täuschung oder eines besonders häßlichen Sittenverstoßes in Betracht kommen. Denn die Anerkennung der faktischen Gesellschaft darf nicht zu einem Ergebnis führen, das für die betroffene Partei
769
§ 706 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
schlechthin unerträglich ist und dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl grob widerspricht. Das ist ein allgemeiner Rechtsgedanke, der wie sonst auch hier Beachtung verlangt. Nach den bisherigen Erfahrungen werden freilich solche Fälle wohl sehr selten sein, weil im allgemeinen auch in den Fällen der arglistigen Täuschung und des Sittenverstoßes die Grundsätze der faktischen Gesellschaft zu sachgerechten Ergebnissen führen (vgl. dazu im einzelnen Rob. Fischer NJW 1958, 971 ff).
§ 706 Die Gesellschafter haben in Ermangelung einer anderen Vereinbarling gleiche Beiträge zu leisten. Sind vertretbare oder verbrauchbare Sachen beizutragen, so ist im Zweifel anzunehmen, daß sie gemeinschaftliches Eigentum der Gesellschafter werden sollen. Das gleiche gilt von nicht vertretbaren und nicht verbrauchbaren Sachen, wenn sie nach einer Schätzung beizutragen sind, die nicht bloß für die Gewinnverteilung bestimmt ist. Der Beitrag eines Gesellschafters kann auch in der Leistung von Diensten bestehen. E I 630 Abs. 1, 2, 631 II 646; M 2 596; P 2 417.
Übersicht Anm.
1. Die Beitragspflicht 1 a) Der Gegenstand der Beitragspflicht 2 b) Der Inhalt der Beitragspflicht 3 c) Der Umfang der Beitragspflicht 4 2. Die Verpflichtungen aus der Beitragspflicht 5 a) bei der Pflicht zur Ubereignung (Übertragung) von Gegenständen . . . . 6 b) bei der Pflicht zur Gebrauchsüberlassung 7 c) bei der Pflicht zu Dienstleistungen 8 3. Die Erfüllung der Beitragspflicht 9 4. Die Verpflichtungen kraft besonderen Vertrages 10 Anm. I 1. Die Beitragspflicht. § 706 befaßt sich mit der Verpflichtung der Gesellschafter zur Leistung von Beiträgen und gibt hierfür einige Auslegungsregeln. Eine solche Verpflichtung ist für die Gesellschaft nicht begriffsnotwendig, es genügt die allgemeine Pflicht aller Gesellschafter, den gemeinsamen Zweck der Gesellschaft zu fördern (RG JW 1909, 656; § 705 Anm. 5). Es ist auch eine Regelung in der Weise zulässig, daß nur ein Gesellschafter Beiträge zu leisten hat und daß die anderen lediglich die Verpflichtung zur Förderung des gemeinsamen Zwecks übernehmen (RG 80, 271; vgl. auch RG JW 1937, 2970). Nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes sind Beiträge die zu bewirkenden Leistungen (§§705, 706, 707, 735 Satz 2). Sie stehen im Gegensatz zu den Einlagen; damit werden die bereits bewirkten Leistungen bezeichnet (§§ 707, 733 Abs. 2, 3, 734, 735 Satz 1, 739; vgl. auch RG 76, 278; DR 1942, 140). Durch die Beitragspflicht wird ein sog. Sozialanspruch der Gesellschaft (der Gesellschafter insgesamt) begründet, dessen Geltendmachung dem vertretungsberechtigten und geschäftsführenden Gesellschafter obliegt (§ 705 Anm. 19). Daneben kann auch jeder einzelne Gesellschafter diesen Anspruch zugunsten der Gesellschaft geltend machen (§ 705 Anm. 23). Von der Beitragspflicht zu unterscheiden ist die Deckungspflicht der Gesellschafter im A u s e i n a n d e r s e t z u n g s v e r f a h r e n , d. h. ihre Verpflichtung, die erforderlichen Mittel zur Tilgung der Gesellschaftsverbindlichkeit aufzubringen, soweit das Gesellschaftsvermögen nicht ausreicht (§§ 733, 735). Für diese Deckungspflicht ist das Verhältnis maßgebend, das für die Verteilung des Verlustes vorgeschrieben ist (vgl. dazu § 735 Anm. 1). 770
Gesellschaft
§706
Anm. 2—5
Anm. 2 a) Der Gegenstand der Beitragspflicht. Als Gegenstand der Beitragspflicht
kommen grundsätzlich alle Vermögenswerten Leistungen in Betracht, die Gegenstand eines Schuldverhältnisses sein können. Hierher gehört zunächst die Einbringung von Geld oder geldwerten Sachen oder Gegenständen, wie z. B. von einem Patent oder einem anderen Urheberrecht, sodann auch die Leistung von Diensten (Abs. 3) oder die Beibringung anderer Vorteile, z. B. der Hergabe eines kreditwürdigen Namens (RG 37, 61). Des weiteren kommt als Gegenstand der Beitragspflicht auch die Überlassung einer Forderung gegen eine dritte Person, nicht jedoch gegen einen Mitgesellschafter in Betracht. Ferner kann der Beitrag auch in einem Unterlassen bestehen (wichtig für Kartellverträge), so namentlich bei einem Konkurrenzverbot, das im Unterschied zur offenen Handelsgesellschaft bei einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft ausdrücklich oder stillschweigend (nach Sinn und Zweck des Gesellschaftsvertrages) vereinbart sein muß. Schließlich kann auch die Bekanntgabe einer Bezugsquelle Gegenstand einer Beitragspflicht sein (RG 95, 150). Keine Beitragspflicht ist es, wenn ein Gesellschafter die Deckung des Verlustes übernimmt; denn diese Verpflichtung ergibt sich bereits ohnehin aus § 722 Abs. 1 (RG WarnRspr. 1909 Nr. 403).
Anm. 3 b) Der Inhalt der Beitragspflicht. Bei der Einbringung von Sachen kann die
Beitragspflicht einen verschiedenen Inhalt haben. Der Gesellschafter kann verpflichtet sein, die Sache an die Gemeinschaft zu übereignen (quoad dominium) oder die Sache der Gemeinschaft so zu übertragen, daß sie im Innenverhältnis unter den Gesellschaftern wie Gesellschaftseigentum behandelt werden, aber nach außen im Alleineigentum des verpflichteten Gesellschafters verbleiben soll (quoad sortem; Begründung eines sog. wirtschaftlichen Gesellschaftseigentums; praktisch von Bedeutung bei Grundstücken, vgl. dazu R G 54, 280; 109, 382; § 705 Anm. 3) oder schließlich die Sache der Gemeinschaft zum Gebrauch zu überlassen (quoad usum). Eine entsprechende Gestaltung für den Inhalt der Beitragspflicht ist auch bei Urheberrechten möglich. Für den Inhalt der Beitragspflicht gibt Abs. 2 unter Berücksichtigung dieser verschiedenartigen Möglichkeiten eine A u s l e g u n g s r e g e l . Danach sind vertretbare oder verbrauchbare Sachen im Zweifel der Gemeinschaft zu übereignen. Dasselbe gilt für nicht vertretbare und nicht verbrauchbare Sachen (namentlich Grundstücke), wenn sie nach einer Schätzung beizutragen sind, die nicht bloß für die Gewinnverteilung bestimmt ist. Ehe es jedoch zur Anwendung dieser Auslegungsregel kommen kann, ist auch beim Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung im Gesellschaftsvertrag zu ermitteln, ob sich aus diesem nach seinem Sinn und Zweck der Inhalt der Beitragsverpflichtung ergibt. Für einen einzubringenden Gegenstand gilt diese Auslegungsregel nicht. Das ist namentlich für Urheberrechte von Bedeutung; hier ist im Zweifel eine Verpflichtung zur Überlassung der Benutzung, nicht zur Übertragung des Rechts anzunehmen (RG WarnRspr. 1936 Nr. 142).
Anm. 4 c) Der Umfang der Beitragspflicht. Für den Umfang der Beitragspflicht gibt
Abs. 1 eine Auslegungsregel. Danach haben die Gesellschafter in Ermangelung einer anderen Vereinbarung gleiche Beiträge zu leisten. Diese Auslegungsregel kommt nur zum Zuge, wenn sich nicht im Wege der Auslegung des Gesellschaftsvertrages (nach seinem Sinn und Zweck) etwas anderes ergibt. Im Streitfall ist daher derjenige b e w e i s p f l i c h t i g , der die Vereinbarung einer unterschiedlichen Beitragshöhe behauptet. Die Auslegungsregel kann nur zur Anwendung gelangen, wenn es sich um Beiträge in vertretbaren Sachen, in Geld oder nach Geld schätzbaren Leistungen handelt. Die Festsetzung verschieden hoher Beiträge verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung (§ 705 Anm. 18).
Anm. 5 2. Die Verpflichtungen aus der Beitragspflicht. J e nach dem Inhalt der Beitragspflicht (Anm. 3) sind die Verpflichtungen der beitragspflichtigen Gesellschafter verschieden.
771
§ 706 Anm. 6—8
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 6 a) bei der Pflicht zur Übereignung (Übertragung) von Gegenständen. Hier sind, soweit es sich um die Verpflichtungen des Gesellschafters handelt, im allgemeinen die Vorschriften des Kaufrechts anzuwenden (§§445, 493)- Dabei ist jedoch ein wichtiger Unterschied gegenüber den Kauf- und kaufähnlichen Verträgen zu beachten. Die Beitragspflicht des Gesellschafters ist nicht Bestandteil eines Austauschvertrages (§ 705 Anm. 8); daher ist bei der entsprechenden Anwendung der Vorschriften, die auf dem Austauschcharakter des Kaufvertrages beruhen, Zurückhaltung geboten. Das ist namentlich für das Recht auf Wandlung und Minderung von Bedeutung. Die W a n d l u n g führt hier nicht zur Aufhebung des Vertrages — so wie der Rücktritt bei einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft ausgeschlossen ist, (§ 705 Anm. 9), so kann auch die Wandlung diese Wirkung nicht haben —, sondern sie hat zur Folge, daß die beanstandete Sache zurückzunehmen und an ihre Stelle die zu veranschlagende Gegenleistung in Geld zu vergüten ist. Bei der M i n d e r u n g ist ein entsprechendes Aufgeld auf die im Gesellschaftsvermögen verbleibende Sache in die Gesellschaftskasse zu zahlen. Bei R e c h t s m ä n g e l n bestehen gegen die entsprechende Anwendung der §§ 434fr keine Bedenken, mit der Ausnahme, daß ein Recht zum Rücktritt nicht gegeben ist und daß im Fall des § 437 wohl auch eine Haftung des Gesellschafters für die Einbringlichkeit der Forderung anzunehmen ist. Bei Sach- und Rechtsmängeln kann für den einzelnen Gesellschafter unter Umständen auch ein wichtiger Grund zur sofortigen Kündigung gegeben sein. Mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Gesellschaftsverhältnisses kann für den Regelfall § 447 nicht angewendet werden; hier bleibt die Gefahr für den zufälligen Untergang der Sache beim Gesellschafter, bis die Gesellschaft die Sache erhalten hat. Anm. 7 b) bei der Pflicht zur Gebrauchsüberlassung. Hier können im allgemeinen die Bestimmungen über die Miete oder Pacht entsprechend herangezogen werden. Danach bestimmt sich auch das Recht der Gesellschaft auf Überlassung der Sache; ein solcher Anspruch ist gegeben, soweit das zum Gebrauch notwendig ist. Bei Sachmängeln sind die entsprechenden Abänderungen geboten, wie sie bei der Pflicht zur Übereignung für den Fall der Wandlung und Minderung gelten (vgl. Anm. 8). Erhält jedoch der Gesellschafter für die Gebrauchsüberlassung eine Vergütung, so sind diese Einschränkungen nicht notwendig; in diesem Fall finden die §§ 537 ff entsprechende Anwendung. Eine Anwendung des § 536 scheidet für den Regelfall aus, weil es im allgemeinen den Verhältnissen bei der Gesellschaft entspricht, daß diese die Pflicht zur Erhaltung der überlassenen Sache übernimmt. Die Gefahr für die Substanz der Sache hat jedoch der Gesellschafter zu tragen (vgl. § 73a). Für die Anwendung der Formvorschrift des § 566 ist hier kein Raum. Anm. 8 c) bei der Pflicht zu Dienstleistungen. Die Vorschriften über den Dienstvertrag können nur in sehr eingeschränktem Maß zur Anwendung herangezogen werden. Denn die Stellung des zu Dienstleistungen verpflichteten Gesellschafters ist eine grundlegend andere wie bei einem abhängigen Dienstvertrag, aber auch eine andere wie bei einem selbständigen Dienstvertrag. Für die Tätigkeit als Geschäftsführer der Gesellschaft verweist § 713 daher ergänzend auf die Vorschriften des Auftragsrechts. — Im Zweifel sind die zugesagten Dienste in Person zu leisten (vgl. auch § 664); Abweichendes kann sich bereits aus der Art der zu leistenden Dienste ergeben. Ist dem Gesellschafter für seine Dienstleistungen (Geschäftsführungsaufgabe) im Gesellschaftsvertrag eine besondere Vergütung zugesagt, so ist mangels besonderer Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag die Frage, ob und wann der Anspruch bei zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit entfällt, nach den Besonderheiten der jeweiligen Gesellschaft zu beantworten; dienstvertragliche Gesichtspunkte können insoweit nicht verwertet werden. Erfindungen, die ein Gesellschafter in Ausführung der ihm obliegenden Dienstleistungen macht, entstehen in seiner Person; nach Sinn und Zweck des Gesellschaftsvertrages kann aber die Annahme einer Vorausverfügung zugunsten der Gesellschaft oder die Annahme einer schuldrechtlichen 772
Gesellschaft
§ 706 A n m . 9 , 1 0
§ 707 Anm. 1 Verpflichtung zur Übertragung der Erfindung auf die Gesellschaft gerechtfertigt sein (BGH L M Nr. i zu § 3 PatG).
Anm. 9
3 . Die E r f ü l l u n g d e r B e i t r a g s p f l i c h t . Die Übereignung und Übertragung von Gegenständen vollzieht sich nach den jeweils hierfür geltenden Vorschriften. Immer handelt es sich um eine Übereignung (Übertragung) im Rechtssinn, wenn der Gegenstand in das Gesellschaftsvermögen überführt werden soll (vgl. dazu Anm. 4 vor § 705). Ist bei der Übereignung einer beweglichen Sache auch nur einer der Gesellschafter nicht im guten Glauben, so ist ein Gutglaubenserwerb durch die Gesellschaft nicht möglich; das gilt auch, wenn der Veräußerer nicht gutgläubig ist, da er als Mitgesellschafter ebenfalls Erwerber ist ( B G H W M 1959, 348).
Anm. 10 4. Die V e r p f l i c h t u n g e n k r a f t b e s o n d e r e n V e r t r a g e s . Ein Gesellschafter kann die Verpflichtung zu Leistungen, die Gegenstand einer Beitragspflicht sein können, auch — mit Ausnahme der Geschäftsführungsaufgabe — auf Grund eines besonderen Vertrages mit der Gesellschaft übernehmen. Für diesen gelten dann nicht die in Anm. 5 ff dargelegten Grundsätze, da sie keine gesellschaftsvertraglichen Verpflichtungen sind. Grundlage solcher Verpflichtungen sind dann gewöhnliche Verträge, wie Kauf, Schenkung, Miete, Darlehn usw.; auf diese Verpflichtungen finden dann auch die Bestimmungen dieser Verträge unmittelbare und uneingeschränkte Anwendung. Uber den Umfang der Ansprüche, die einem Gesellschafter aus einem solchen Drittgläubigerverhältnis zustehen, vgl. auch § 705 Anm. 26.
§ 707 Zur Erhöhung des vereinbarten Beitrags oder zur Ergänzung der durch Verlust verminderten Einlage ist ein Gesellschafter nicht verpflichtet. E I 630 Abs. 3 II 647; M 2 597; P 1 417.
Anm. 1
1. K e i n e V e r p f l i c h t i m g zu e r h ö h t e n L e i s t u n g e n . §707 enthält eine Hauptregel des Gesellschaftsrechts (RG 68, 96), die namentlich auch für die Personalhandelsgesellschaften von Bedeutung ist. Kein Gesellschafter kann gegen seinen Willen zu weiteren Beitragsleistungen irgendwelcher Art verpflichtet werden, mögen solche Leistungen als Beiträge, Zubußen (RG 77, 227) oder sonstwie bezeichnet werden. Dieser Grundsatz gilt selbst dann, wenn ohne weitere Beiträge die Erreichung des Gesellschaftszwecks nicht mehr möglich ist (§ 726). Es hängt also grundsätzlich von dem freien Willen der Gesellschafter ab, ob sie über die Begrenzung ihrer Verpflichtung durch § 707 hinaus Einlagen machen und so die Weiterverfolgung des Gesellschaftszwecks ermöglichen wollen ( R G J W 1938, 1522; B G H 26. 2. 1959 I I Z R 61/58). Eine weitere Beitragspflicht würde es auch darstellen, wenn ein Gesellschafter von einem anderen Gesellschafter auf Erfüllung gesellschaftsvertraglicher Ansprüche, die diesem gegen die Ge meinschaft zustehen (Gewinnanspruch, Aufwendungsersatz usw.), persönlich in An Spruch genommen werden könnte; daher wird eine solche Inanspruchnahme von dem Verbot des § 707 ebenfalls erfaßt (dazu im einzelnen § 705 Anm. 24; vgl. aber auch unten Anm. 2). Schließlich liegt eine Erhöhung der Beitragspflicht auch dann vor, wenn ein Gesellschafter eine Sache, die er der Gesellschaft bisher mietweise überlassen hatte, nunmehr unentgeltlich zur Verfügung stellen soll ( B G H aaO). Des weiteren ist ein einzelner Gesellschafter nicht berechtigt, seinen Beitrag oder seine Einlage einseitig zu erhöhen. Denn damit ist für die übrigen Gesellschafter eine Erhöhung ihres Risikos verbunden, das sich für sie bei der Auseinandersetzung nachteilig auswirken kann. Um eine Erhöhung der Beiträge handelt es sich nicht, wenn der Gesellschaftsvertrag eine zahlenmäßige Festsetzung der Beitragshöhe nicht enthält, die Höhe sich jedoch aus dem sachlich und wirtschaftlich begrenzten Gesellschaftszweck ergibt (§ 705 Anm. 7), und wenn nunmehr die Beiträge ein- und nachgefordert werden. Denn in einem solchen Fall entspricht auch eine Nachforderung der ursprünglich festgesetzten Höhe der von den Gesellschaftern zu leistenden Beiträge.
773
§ 707 A n m . 2—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
2. Ausnahmen Anm. 2 a) Keine Anwendung gegenüber Gesellschaftsgläubigern. Der Grundsatz des § 707 gilt nur für das Verhältnis unter den Gesellschaftern. Die persönliche und unbeschränkte Haftung der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern wird dadurch nicht berührt. Die Gesellschafter können also über ihre Beitragspflicht hinaus zur Begleichung von Gesellschaftsschulden in Anspruch genommen werden. Das gilt auch dann, wenn es sich bei dem Gesellschaftsgläubiger um einen Gesellschafter handelt, der auf Grund eines Rechtsverhältnisses außerhalb des Gesellschaftsvertrages Ansprüche gegen die Gesellschaft hat (sog. Drittgläubigerforderungen; im einzelnen dazu § 705 Anm. 26). Derselbe Gesichtspunkt ist des weiteren von Bedeutung, wenn ein Gesellschafter von einem Gesellschaftsgläubiger auf Zahlung in Anspruch genommen ist, und wenn er nunmehr gegen seine Mitgesellschafter Ausgleichsansprüche geltend macht; eine solche Geltendmachung wird durch § 707 nicht ausgeschlossen (§ 705 Anm. 25). Anm. 3 b) Keine Anwendung im Auseinandersetzungsverfahren. Nach § 735 haben die Gesellschafter im Auseinandersetzungsverfahren für den Fehlbetrag nach dem Verhältnis ihrer Verlustbeteiligung aufzukommen, wenn das Gesellschaftsvermögen zur Berichtigung der gemeinsamen Schulden und zur Rückerstattung der Einlagen nicht ausreicht. Im Auseinandersetzungsverfahren gilt also § 707 nicht (vgl. auch BGH 23, 30). Dem entspricht es, daß in diesem Stadium des Verfahrens nun auch gesellschaftsvertragliche Ansprüche eines Gesellschafters gegen die Gesellschaft (auf Gewinn, Ersatz von Aufwendungen usw.) anteilig den einzelnen Gesellschaftern persönlich in Rechnung gestellt werden, wenn eine Erfüllung aus der Gesellschaftskasse nicht möglich ist (§ 735 Anm. 1). Anm. 4 c) Keine Anwendung bei abweichender Abmachung. § 707 enthält nachgiebiges Recht, das durch den ursprünglichen Gesellschaftsvertrag oder durch eine spätere Vereinbarung — mag diese nun allgemein oder für einen bestimmten Fall getroffen sein — abgeändert werden kann (RG 163, 391). Insbesondere ist es nicht ausgeschlossen, die Höhe des Beitrags insoweit zunächst unbestimmt zu lassen und ihre Höhe (sog. Zubußen) von Mehrheitsbeschlüssen der Gesellschaftsversammlung abhängig zu machen (Kalibohrgesellschaften). Auch sonst kann der Beschluß über die Erhöhung der Beiträge durch M e h r h e i t s b e s c h l u ß gefaßt werden, wenn der Gesellschaftsvertrag das vorsieht. Hierbei genügt es allerdings nicht, daß der Gesellschaftsvertrag allgemein Abänderungen des Vertrages durch eine Mehrheit oder durch eine qualifizierte Mehrheit vorsieht, es muß vielmehr der Gesellschaftsvertrag darüber hinaus auch zum Ausdruck bringen, daß gerade für die Beitragspflicht die Regelung des § 707 nicht gelten soll (RG 91, 168; 151, 327; 163, 3 9 1 ; B G H 8, 41). Außerdem müssen gewisse Grenzen festgesetzt sein, die durch den Erhöhungsbeschluß nicht überschritten werden dürfen, da eine schrankenlose Unterwerfung der Minderheit unter den Willen der Mehrheit gegen die guten Sitten verstoßen würde (RG aaO). Eine Abweichung von der Regel des § 707 braucht aber nicht ausdrücklich vereinbart zu werden; die Vereinbarung kann auch auf mündlicher Verabredung oder auf schlüssigen Handlungen, wie mehrjähriger Übung, beruhen (RG 151, 326f; 163, 391; B G H 8, 42). Einen gewissen Schutz gegen ungerechtfertigte Erhöhung der Beiträge gewährt es übrigens, daß der Gesellschafter nach § 723 ein Recht zur Kündigung hat (RG 151, 329). Für den Fall der Nichtzahlung der eingeforderten Beiträge kann im Gesellschaftsvertrag festgesetzt sein, daß der Gesellschaftsanteil des säumigen Gesellschafters verfallen ist, gleichwohl aber die Gesellschaft noch die Einzahlung von ihm fordern kann. Eine solche Vereinbarung verstößt nicht gegen die guten Sitten, auch nicht gegen die Vorschrift des § 707 (RG J W 1907, 718; vgl. auch § 58 AktG, § 21 GmbHG). 774
Gesellschaft
§708
Anm. 1—3
§ 708 Ein Gesellschafter hat bei der Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. E I 633 n 648; M 2 601; F 2 418.
Ü b ersieht 1. Der Maßstab für die Haftung der Gesellschafter 2. Der Anwendungsbereich des § 708 a) bei den Personalgesellschaften b) beim nichtrechtsfähigen Verein c) bei gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen 3. Die Beweislast 4. Die Schadensersatzpflicht bei Verletzung der Sorgfalt
Anm.
1 2—4 2 3 4 5 6
Anm. 1 1. Der Maßstab für die Haftung der Gesellschafter. Die Gesellschafter haften im Verhältnis zueinander nur für die Sorgfalt, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen, also immer für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, aber gegebenenfalls nicht für leichte Fahrlässigkeit (vgl. dazu § 277). Diese Beschränkung der Haftung ist rechtspolitisch nicht unbedenklich, namentlich bei Gesellschaften, deren Zweck von einer besonderen wirtschaftlichen Bedeutung ist; sie beruht auf der Annahme, daß sich Gesellschafter gegenseitig so nehmen sollen, wie sie einmal sind, und daß jeder Teil von vornherein die Individualität des anderen ins Auge faßt und daher nur verlangt, daß er in den gemeinschaftlichen Angelegenheiten dieselbe Sorgfalt wie in seinen eigenen übt (vgl. dazu RG 143, 215 m. w. N.). Unerwünschte Ausuferungen bei der Anwendung dieses Haftungsmaßstabs lassen sich durch die Regelung der Beweislast verhindern (dazu Anm. 5). 2. Der Anwendungsbereich des § 708 Anm. 2 a) bei den Personalgesellschaften: § 708 gilt nicht nur für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft, sondern gemäß § 105 Abs. 2 H G B auch für die Personalhandelsgesellschaften. § 708 ist nachgiebiges Recht (RG 143, 215); im Gesellschaftsvertrag kann ein strengerer, aber auch ein milderer Haftungsmaßstab vorgesehen werden. § 708 findet nur Anwendung auf die den Gesellschaftern nach dem Gesellschaftsvertrag obliegenden Verpflichtungen. Uberschreitet ein Gesellschafter den Rahmen der ihm obliegenden Geschäftsführung, so handelt es sich insoweit nicht mehr um die Erfüllung einer gesellschaftlichen Verpflichtung, so daß sich seine Haftung nicht nach § 708, sondern nach § 276 bestimmt (RG 158, 3 1 2 ; ebenso RG L Z 1914, 580). Für die Anwendung des § 708 ist es ohne Belang, ob die geschäftsführenden Gesellschafter für ihre Tätigkeit eine besondere Vergütung erhalten. § 708 gilt auch für die nicht geschäftsführenden Gesellschafter, so für die Erfüllung der Beitragspflichten durch diese. Treten aber die Gesellschafter nicht in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter in Rechtsbeziehungen zu der Gesellschaft, schließen sie z.B. als sog. Drittgläubiger (§ 705 Anm. 21) Verträge mit der Gesellschaft ab, so ist für eine Anwendung des § 708 kein Raum. — § 708 bezieht sich nur auf das Verhältnis der Gesellschafter zueinander, nicht auch auf das Verhältnis nach außen, zu den Gläubigern der Gesellschaft; insoweit verbleibt es bei dem allgemeinen Haftungsmaßstab des § 276. Anm. 3 b) beim nicht rechtsfähigen Verein: Wenn auch nach § 54 Satz 1 auf den nicht rechtsfähigen Verein die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung finden (vgl. dazu aber auch Anm. 8 vor § 705), so paßt die Vorschrift des § 708 nach ihren Grundgedanken nicht für den nicht rechtsfähigen Verein. Dieser ist auf einen wechselnden
775
§ 708 A n m . 4—6 §709
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Mitgliederbestand angelegt und beruht nicht wie die Gesellschaft auf einem besonderen persönlichen Vertrauensverhältnis der Mitglieder zueinander. § 708 ist deshalb auf den nicht rechtsfähigen Verein nicht anzuwenden (RG 143, 215). Anm. 4 c) bei gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen: Schon mit Rücksicht auf den rechtspolitisch etwas zweifelhaften Charakter des § 708 (Anm. 1) ist Zurückhaltung bei der Anwendung des § 708 auf gesellschaftsähnliche Rechtsverhältnisse geboten. Hinzu kommt, daß bei diesen Rechtsverhältnissen im allgemeinen auch nicht das gleiche persönliche Vertrauensverhältnis besteht, wie es für die Gesellschaft kennzeichnend ist. Es erscheint daher nur in besonderen Ausnahmefällen angebracht, bei gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen § 708 entsprechend anzuwenden, nämlich nur dann, wenn diese im Einzelfall durch ein besonderes Vertrauens- und Treueverhältnis gekennzeichnet sind. Anm. 5 3. Die Beweislast. Dem in Anspruch genommenen Gesellschafter obliegt die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß er in eigenen Angelegenheiten eine geringere als die im Verkehr übliche Sorgfalt anzuwenden pflegt (RG Recht 1907 Nr. 1432). Ohne einen dahingehenden Vortrag kann der Richter also davon ausgehen, daß der in Anspruch genommene Gesellschafter in eigenen Angelegenheiten auch die übliche Sorgfalt anwendet. Namentlich bei Kaufleuten und im Wirtschaftsleben tätigen Personen muß man einen recht konkreten Vortrag darüber verlangen, daß die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nicht die verkehrsübliche Sorgfalt ist; allgemeine Redensarten sind unbeachtlich. Anm. 6 4. Die Schadensersatzpflicht bei Verletzung der Sorgfalt. Aus der Verletzimg der Sorgfaltspflicht entspringt regelmäßig die Verpflichtung zum Schadensersatz. Dieser Schadensersatzanspruch steht im allgemeinen der Gesellschaft zu (§ 718 Anm. 5), so daß er von den Geschäftsführern geltend zu machen ist. Da es sich in diesen Fällen aber stets um die Verletzung einer gesellschaftsvertraglich übernommenen Verpflichtung handelt, kann auch jeder einzelne Gesellschafter persönlich mit der actio pro socio gegen den verpflichteten Mitgesellschafter vorgehen und von ihm Leistung an die Gesellschaft verlangen (im einzelnen vgl. § 705 Anm. 23). Eine Schadensersatzpflicht kann namentlich bei Verletzung der Geschäftsführerpflichten, aber auch bei allen anderen Gesellschafterpflichten (Verletzung der Beitragspflicht, Verletzung der Treuepflicht usw.) in Betracht kommen. Uber die Beweislast vgl. § 713 Anm. 5. A u s n a h m s w e i s e kann auch einmal ein Schadensersatzanspruch eines Mitgesellschafters allein in Betracht kommen, wenn nämlich durch die Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht der Gesellschaft, sondern nur diesem Mitgesellschafter persönlich ein Schaden erwachsen ist (vgl. R G J W 1935, 1086; B G H 26. 2. 1959 I I Z R 61/58).
§ 709 Die Führung der Geschäfte der Gesellschaft steht den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu; für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich. Hat nach dem Gesellschaftsvertrage die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, so ist die Mehrheit im Zweifel nach der Zahl der Gesellschafter zu berechnen. E I 634 n 649; M 2 6oi; F 2 420.
Übersicht Anm
I. Allgemeines II. Die Geschäftsführung in der Gesellschaft 1. Der Gegenstand der Geschäftsführung 776
1 2—8 2
Gesellschaft
§ 709
Anm. 1, 2 Anm.
2. 3. 4. 5.
Der rechtliche Charakter der Geschäftsführung 3—5 Die einstimmige Gesamtgeschäftsführung 6 Die Gesamtgeschäftsführung nach Mehrheitsprinzip 7 Die Geltendmachung von Gesellschafterforderungen durch einen Gesellschafter 8 I I I . Der Gesellschafterbeschluß 9—15 1. Allgemeines 9 2. Die Form des Gesellschafterbeschlusses 10 3. Die Ausübung des Stimmrechts 11 4. Der Ausschluß vom Stimmrecht 12, 13 5. Der Mehrheitsbeschluß 14, 15
I. Allgemeines Anm. 1 Die §§ 709—713 regeln die Geschäftsführung in der Gesellschaft, die §§ 714/15 die Vertretung in der Gesellschaft; die §§ 709—713 befassen sich also mit dem Innenverhältnis, die §§ 714/15 mit dem Außenverhältnis. Dabei ist die Vertretung in Anlehnung an die Geschäftsführung derart geregelt, daß diese im Zweifel den gleichen Umfang wie die Geschäftsführung hat. Die §§ 709/u sehen vier verschiedene Gestaltungsformen der Geschäftsführung vor, und zwar die einstimmige Gesamtgeschäftsführung (§ 709 Abs. 1), die Gesamtgeschäftsführung nach Mehrheitsprinzip (§ 709 Abs. 2), die Geschäftsführung unter Ausschluß einzelner Gesellschafter (§710) und die Einzelgeschäftsführung ( § 7 1 1 ) . Diese Regelung ist nicht erschöpfend. Die Gesellschafter können auch noch andere Gestaltungen der Geschäftsführung vorsehen. So ist es bei Gesellschaften mit wirtschaftlicher Bedeutung vielfach üblich, die Geschäftsführung (und Vertretung) den Gesellschaftern in der Weise zu übertragen, daß immer zwei Gesellschafter zusammen handeln müssen. Auch kommt nicht selten eine sachliche Aufteilung der Geschäftsführung vor (z. B. Einzelgeschäftsführung für den kaufmännischen Teil und Einzelgeschäftsführung für den technischen Teil des Gesellschaftsunternehmens) oder auch eine Kombination von Einzel- und Gesamtgeschäftsführung derart, daß jeder Gesellschafter Einzelgeschäftsführung erhält, daß aber bei bestimmten, namentlich benannten Geschäften Gesamtgeschäftsführung bestehen soll. Im Zusammenhang mit der Gesamtgeschäftsführung nach Mehrheitsprinzip enthält § 709 Abs. 2 — über den Rahmen einer Regelung der Geschäftsführung hinaus —• die einzige B e s t i m m u n g ü b e r den G e s e l l s c h a f t e r b e s c h l u ß . Hierbei befaßt sich Abs. 2 nur mit dem Mehrheitsbeschluß; weitere Bestimmungen, etwa über die Einberufung der Gesellschafterversammlung, die Form des Gesellschaftsbeschlusses, über Stimmrecht und Stimmpflicht, über den Ausschluß des Stimmrechts kennt das BGB nicht. Die Beantwortung dieser Fragen richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen des Gesellschaftsrechts.
II. Die Geschäftsführung in der Gesellschaft Anm. 2 1. D e r G e g e n s t a n d d e r G e s c h ä f t s f ü h r u n g . Den Gegenstand der Geschäftsführung bilden alle Geschäfte und Handlungen, die zur Erreichung des Gesellschaftszwecks in der jeweiligen Gesellschaft notwendig und möglich sind. Dieser Begriff ist weit zu fassen. Er umfaßt nicht nur den Abschluß von Rechtsgeschäften zur Erreichung des Gesellschaftszwecks, sondern auch tatsächliche Verrichtungen, wie die organisatorische Leitung des Betriebs, die Buchführung, die Besorgung des Schriftwechsels, gegebenenfalls auch prozessuale Handlungen wie die Einziehung und Beitreibung der Gesellschafterbeiträge und die Einklagung von Gesellschaftsforderungen gegen Dritte. Die Geschäftsführung umfaßt auch ungewöhnliche Geschäfte, wenn sie nur in den Aufgabenbereich der betreffenden Gesellschaft fallen. Die Sonderregelung für ungewöhnliche Geschäfte bei den Personalhandelsgesellschaften (vgl. § 1 1 6 HGB) findet sich bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft nicht. Bei ihr werden alle Maßnahmen, die zur
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§ 709 A n m . 3—5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Geschäftsführung gehören, gleich behandelt. Es ist aber bei der insoweit bestehenden Gestaltungsfreiheit möglich, daß durch den Gesellschaftsvertrag eine dem § 1 1 6 H G B entsprechende Regelung auch für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft eingeführt wird. Uber die Abgrenzung zwischen den gewöhnlichen und den ungewöhnlichen Geschäften vgl. B G H L M Nr. i zu § 1 1 6 HGB. D e r B e r e i c h d e r G e s c h ä f t s f ü h r u n g wird in s e i n e n ä u ß e r e n G r e n z e n bestimmt durch die Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft und die Gestaltung ihrer Organisation betreffen (RG 162, 374), und weiterhin durch die Maßnahmen, die die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter zueinander zum Gegenstand haben. Danach fällt all das aus dem Bereich der Geschäftsführung heraus, was sich seinem sachlichen Inhalt nach als eine Änderung des Gesellschaftsvertrages darstellt. Dazu gehören namentlich auch Handlungen, die nicht mehr vom Gesellschaftszweck gedeckt werden; da solche Handlungen über den konkreten Gesellschaftszweck hinausgehen, würden sie nur bei einer Änderung (Erweiterimg) des Gesellschaftszwecks gerechtfertigt sein. Eine solche Änderung des Gesellschaftszwecks ist aber eine Änderung des Gesellschaftsvertrages. Weiterhin gehört hierher eine Änderung im Mitgliederbestand der Gesellschaft, namentlich die Aufnahme eines neuen Gesellschafters (RG 91, 4 1 5 ; 106, 67; 128, 176), nicht aber der Abschluß eines Gesellschaftsvertrages nach § 3 3 5 H G B (RG 153, 373). Organisatorische Maßnahmen, wie eine andere Gestaltung der Geschäftsführungs- und (oder) Vertretungsbefugnis, eine Erhöhung oder Verringerung der Gesellschaftsbeiträge gehören ebenfalls nicht in den Bereich der Geschäftsführung.
Anm. 3 2. Der rechtliche Charakter der Geschäfsführung. Die Geschäftsführung ist
immer Bestandteil des Gesellschaftsverhältnisses, sie bildet nicht ein besonderes Rechtsverhältnis neben der Gesellschaft. Das gilt auch dann, wenn den Geschäftsführern für ihre Tätigkeit eine besondere Vergütung gewährt wird. Auch in diesem Fall können daher die Vorschriften über den Dienstvertrag nicht zur (entsprechenden) Anwendung kommen (vgl. auch § 706 Anm. 8). Für den Haftungsmaßstab gilt § 708. Im allgemeinen bedeutet das Recht zur Geschäftsführung auch eine P f l i c h t z u r G e s c h ä f t s f ü h r u n g (vgl. auch Anm. 6). Abweichendes kann jedoch im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, wenn nach der besonderen Gestaltung der Geschäftsführung die Mitwirkung eines Geschäftsführers zu den Geschäftsführungsmaßnahmen nicht unbedingt erforderlich ist (z.B. bei Einzelgeschäftsführung).
Anm. 4 G e s c h ä f t s f ü h r e r in der Gesellschaft kann n u r ein G e s e l l s c h a f t e r , nicht auch ein Dritter sein; denn die Geschäftsführung ist Ausfluß der Mitgliedschaft und kann von ihr nicht getrennt werden (vgl. dazu auch § 710 Anm. 5). Wird ein Dritter mit Geschäftsführungsaufgaben betraut, so handelt es sich dabei nicht um eine Geschäftsführung im Sinn der §§ 709 fr, sondern um ein besonderes Rechtsverhältnis (Auftrag, Geschäftsbesorgung; vgl. dazu auch § 713 Anm. 9). Das ist für die Frage der Kündigung von Bedeutung; die Vorschrift des § 712 über die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis findet auf ein solches Rechtsverhältnis keine Anwendung. Sind juristische Personen (Personalhandelsgesellschaften) oder nicht (beschränkt) geschäftsfähige Personen Mitglieder einer Gesellschaft, so werden die Aufgaben der Geschäftsführung von ihren gesetzlichen Vertretern ausgeübt; dagegen ist eine rechtsgeschäftliche Vertretung eines Gesellschafters in der Geschäftsführung nicht möglich.
Anm. 5 Zu unterscheiden von der Geschäftsführung ist die Beauftragung eines Ge-
s e l l s c h a f t e r s m i t e i n z e l n e n G e s c h ä f t s f ü h r u n g s a u f g a b e n . Sie ist niemals Geschäftsführung und immer sachlich beschränkt. Im Rechtssinn ist eine solche Beauftragung Auftrag oder Geschäftsbesorgung. Im Regelfall steht sie jedoch in einem inneren Zusammenhang mit dem Gesellschaftsverhältnis, so daß es gerechtfertigt ist, auf dieses Rechtsverhältnis den Haftungsmaßstab des § 708 anzuwenden sowie etwaige Erstattungsansprüche nicht als Ansprüche aus einem Drittgläubigerverhältnis anzu-
778
Gesellschaft
§709
A n m . 6—8 sehen; demgemäß kann der beauftragte Gesellschafter während bestehender Gesellschaft einen Ausgleichsanspruch gegen die übrigen Gesellschafter nicht geltend machen (vgl. dazu § 705 Anm. 24, 26).
Anm- 6 3 . D i e e i n s t i m m i g e G e s c h ä f t s f ü h r u n g . Sie ist nach Abs. 1 der gesetzliche Regelfall. Sie gilt also nicht nur, wenn sie in dem Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist, sondern auch dann, wenn in dem Gesellschaftsvertrag keine besondere Regelung für die Geschäftsführung getroffen ist. Damit unterscheidet sich die gesetzlich vorgesehene Gestaltung der Geschäftsführung in der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft von der der Personalhandelsgesellschaften, bei denen nach §§ 114/15 H G B mangels abweichender Bestimmungen die Einzelgeschäftsführung gilt. Die einstimmige Gesamtgeschäftsführung gilt hier •— und auch das im Unterschied zu den Personalhandelsgesellschaften (vgl. § 115 Abs. 2 HGB) — auch dann, wenn Gefahr in Verzug ist. Nur muß man dem einzelnen Gesellschafter das Recht zubilligen, in entsprechender Anwendung des § 744 Abs. 2 die zur Erhaltung eines gemeinschaftlichen Gegenstandes notwendigen Maßnahmen auch ohne Zustimmung der anderen zu treffen (offen gelassen in R G 158, 311), und ihm insoweit auch einen Ausgleichsanspruch gewähren (§ 748). Bei der einstimmigen Gesamtgeschäftsführung ist jeder Gesellschafter verpflichtet, seine Zustimmung zu notwendigen Maßnahmen zu erteilen. Hierin erweist sich, daß das Recht zur Geschäftsführung zugleich auch eine Pflicht zur Geschäftsführung ist. Grundlose Versagung der Zustimmung kann einen Grund zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 712) und gegebenenfalls auch einen Grund zur Kündigung aus wichtigem Grund bilden sowie bei schuldhaftem Verhalten (§ 708) eine Schadensersatzpflicht begründen (§ 708 Anm. 6). Wird die Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert, so kann die Z u s t i m m u n g i m K l a g w e g e r z w u n g e n werden, wenn der gemeinsame Zweck und das Interesse der Gesellschaft die Zustimmung erfordern ( R G 97, 331; 162, 83); die V e r s a g u n g muß aber p f l i c h t w i d r i g , nicht nur sachwidrig sein; bloße Zweckmäßigkeitsfragen der Geschäftsführung können auf diesem Wege nicht der richterlichen Entscheidung zugeführt werden ( R G 97, 331). Die Zustimmung eines einzelnen Gesellschafters ist nicht erforderlich, wenn gegen ihn ein Anspruch (z.B. auf Leistung rückständiger Beiträge) geltend gemacht werden soll; denn bei einem solchen Vorgehen ist der betreffende Gesellschafter zur Stimmabgabe nicht befugt (im einzelnen vgl. dazu Anm. 13).
Anm. 7 4. Die Gesamtgeschäftsführung nach Mehrheitsprinzip. Sie gilt nur, wenn der Gesellschaftsvertrag diese anordnet. Eine solche Anordnung kann auch stillschweigend geschehen oder sich aus den Umständen, insbesondere aus einer längeren Übung ergeben. M a n wird an ihre Form um so geringere Anforderungen zu stellen brauchen, j e formloser der Gesellschaftsvertrag selbst geschlossen ist ( B G H 16, 396). Des weiteren kommt es auch auf die Regelung im Gesellschaftsvertrag an, ob eine einfache oder eine qualifizierte Mehrheit entscheidend sein soll. Bei einer solchen Gestaltung der Geschäftsführung trifft jeden Gesellschafter eine Pflicht zur Stimmabgabe; jeder Gesellschafter muß seine Stellungnahme zum Ausdruck bringen, weil anderenfalls nicht festgestellt werden kann, ob die erforderliche Mehrheit für die vorgesehene Geschäftsführungsmaßnahme vorhanden ist. Kommt ein Mehrheitsbeschluß zustande, so ist die Minderheit an den Beschluß gebunden. Sie hat daher auch die Pflicht, an beschlossenen Geschäftsführungsmaßnahmen mitzuwirken, wenn eine solche Mitwirkung angesichts der Vertretungsverhältnisse in der Gesellschaft (Gesamtvertretung aller Gesellschafter) erforderlich ist. Ihre Mitwirkung kann notfalls im Klagweg erzwungen werden. Uber das Zustandekommen des Mehrheitsbeschlusses vgl. Anm. 15.
Anm. 8 5. Die Geltendmachung von Gesellschaftsforderungen durch einen Ges e l l s c h a f t e r . Sie gehört in jedem Fall zu den Aufgaben der Geschäftsführung (Anm. 2). Es kann sich daher nur fragen, ob neben den Geschäftsführern auch der einzelne Ge51
Komm. z. BGB, Ii. Aufl. II. Bd. (Fischet)
779
§ 709
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 9, 10 sellschafter Gesellschaftsforderungen im eigenen Namen zugunsten der Gesellschaft geltend machen kann. Für Gesellschaftsforderungen gegen Mitgesellschafter, die sich auf den Gesellschaftsvertrag gründen, ist das zu bejahen (sog. actio pro socio; vgl. dazu § 705 Anm. 23). Darüber hinaus hat das Reichsgericht im Hinblick auf § 432 auch die Befugnis des einzelnen Gesellschafters zur Geltendmachung von Gesellschaftsforderungen gegen Dritte neben den Geschäftsführern uneingeschränkt bejaht (RG 70, 32; 76, 280), sie sodann später dahin eingeschränkt, daß der einzelne Gesellschafter von der Geltendmachung der Gesellschaftsforderungen ausgeschlossen ist, wenn die Geschäftsführung durch den Gesellschaftsvertrag abweichend von § 709 Abs. 1 geregelt ist ( R G 86, 68); dagegen hat es in der Folgeteit die weiteren in der Entscheidung R G 86, 68 geäußerten Bedenken gegen eine persönliche Geltendmachung von Gesellschaftsforderungen durch einen einzelnen Gesellschafter in ständiger Rechtsprechung als unbegründet erachtet (RG J W 1916, 837; R G 100, 165; J W 1935, 3296; D R 1939, 930). Der Bundesgerichtshofist dieser Rechtsprechung nicht gefolgt; er hält die im Schrifttum geäußerten Bedenken gegen die Auffassung des Reichsgerichts für berechtigt, weil die persönliche Geltendmachung von Gesellschaftsforderungen durch einen Gesellschafter sich grundsätzlich nicht mit der Organisation der Gesellschaft und den besonderen Aufgaben der Geschäftsführung vereinbaren läßt (BGH 12, 3 1 1 ; 17, 346). Nur in besonderen Ausnahmefällen kann eine solche Befugnis des einzelnen Gesellschafters bejaht werden, etwa dann, wenn sich der zweite Geschäftsführer weigert, an der Geltendmachung einer Gesellschaftsforderung mitzuwirken, um die Durchsetzung der Forderung im bewußten Zusammenwirken mit dem Schuldner zu vereiteln. Bei der Zubilligung einer persönlichen Einziehungsbefugnis sind aber stets auch die schutzwerten Belange des Gesellschaftsschuldners zu berücksichtigen (vgl. dazu Anm. bei L M Nr. 2 zu § 432).
III. Der Gesellschafterbeschluß Anm. 9 1. A l l g e m e i n e s . Bei den Gesellschafterbeschlüssen ist zu unterscheiden zwischen solchen, die sich auf die Geschäftsführung beziehen, und solchen, die die Grundlagen, der Gesellschaft oder ihrer Organisation zum Gegenstand haben. Gesellschafterbeschlüsse im Rahmen der Geschäftsführung kommen nur in Betracht, wenn diese als einstimmige Gesamtgeschäftsführung oder als Gesamtgeschäftsführung nach dem Mehrheitsprinzipgestaltet ist. Jeder Geschäftsführer muß an solchen Beschlüssen mitwirken, er hat nicht nur das Recht, sondern auch die P f l i c h t , s e i n e S t i m m e a b z u g e b e n . Das ergibt sich daraus, daß in solchen Fällen das Recht zur Geschäftsführung auch die Pflicht zur Geschäftsführung in sich schließt. Anders ist es bei Beschlüssen, die sich mit einem Gegenstand außerhalb der Geschäftsführung befassen; hier steht es dem einzelnen Gesellschafter grundsätzlich frei, ob er sich an der Abstimmung beteiligen will oder nicht-
Anm. 10 2. Die F o r m des G e s e l l s c h a f t e r b e s c h l u s s e s . Uber die Form des Gesellschafterbeschlusses schreibt das BGB nichts vor. Die für den Verein geltenden Bestimmungen über die Einberufung der Versammlung unter Angabe der Tagesordnung sowie über die Leitung der Versammlung (§ 32) sind auf Gesellschafterbeschlüsse nicht anzuwenden, da diese von Förmlichkeiten möglichst befreit bleiben sollen. Nur ist zu verlangen, daß sämtlichen Mitgliedern vorher die Einberufung einer Gesellschafterversammlung bekannt gegeben wird. Schreibt aber der Gesellschaftsvertrag für die Einberufung der Gesellschaftsversammlung eine besondere Form, z. B. eingeschriebenen Brief vor, dann hat die Nichteinhaltung der Form die Unwirksamkeit der von der Versammlung gefaßten Beschlüsse zur Folge (RG H R R 1937 Nr. 1220). Vor der Beschlußfassung ist grundsätzlich jedem Gesellschafter rechtliches Gehör zu gewähren. In schwerwiegenden Fällen kann die Versagung des rechtlichen Gehörs einen wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung (§723) bilden (vgl. auch §§744/46 Anm. 9). Die Beschlußfassung kann, wenn der Gesellschaftsvertrag nicht die Abhaltung einer Mitgliederversammlung vorschreibt. auch außerhalb einer Mitgliederversammlung stattfinden, sei es im Wege der Einzelbesprechung oder im Wege schriftlicher Verständigung (RG 101, 78). Der Beschluß kann selbst stillschweigend gefaßt werden (RG 163, 392), was bei einstimmiger-
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Gesellschaft
§709 Anm. 11—13
Gesamtgeschäftsführung öfters in Betracht kommt. Sein Einverständnis muß jeder Gesellschafter allen gegenüber erklären. Daß dies gleichzeitig durch alle Gesellschafter geschieht, ist nicht erforderlich; eine nachträgliche Stimmabgabe ist daher möglich ( R G J63, 392)-
Anm. 11 3. Die Ausübung des Stimmrechts. Die Stimmabgabe durch einen Bevoll-
m ä c h t i g t e n ist grundsätzlich nicht zulässig; das Stimmrecht ist ein Ausfluß der Mitgliedschaft und muß daher persönlich von jedem Gesellschafter ausgeübt werden ( R G H R R 1929 Nr. 1 2 4 5 ; vgl. auch R G 1 2 3 , 300). Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch die Stimmabgabe durch Bevollmächtigte zulassen; das kann im Einzelfall auch stillschweigend durch die übrigen Gesellschafter geschehen, indem sie der Abstimmung durch einen Bevollmächtigten nicht widersprechen. Eine A b t r e t u n g d e s S t i m m r e c h t s (Abspaltung des Stimmrechts von der Mitgliedschaft) ist dagegen in jedem Fall unzulässig, kann also auch nicht mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter wirksam vorgenommen werden ( B G H 3, 3 5 4 ; 20, 3 6 3 ; L M Nr. 6 zu § 105 H G B ) . Auch die im Aktienrecht ausdrücklich zugelassene L e g i t i m a t i o n s ü b e r t r a g u n g bei Ausübung des Stimmrechts (§ 1 1 4 Abs. 4 AktG) ist bei der Personalgesellschaft nicht möglich ( B G H 20, 364)* Schließlich ist auch die E r t e i l u n g e i n e r u n w i d e r r u f l i c h e n S t i m m r e c h t s v o l l m a c h t u n t e r g l e i c h z e i t i g e m S t i m m r e c h t s v e r z i c h t seitens des Gesellschafters ausgeschlossen, da eine solche Vereinbarung nach ihrem Zweck und ihrer praktischen Wirkung einer Stimmrechtsabtretung gleichgestellt werden muß (BGH 3, 359).
Anm. 12 4. D e r A u s s c h l u ß v o m S t i m m r e c h t . Die Möglichkeit eines Stimmrechtsausschlusses in einer Personalgesellschaft wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (vgl. die Nachweise in B G H 20, 367); höchstrichterlich ist diese Frage für die bürgerlichrechtliche Gesellschaft noch nicht entschieden (in B G H 20, 367 ist diese Frage für das Stimmrecht eines Kommanditisten bejaht). M a n wird aber den Stimmrechtsausschluß auch für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft f ü r zulässig ansehen, dabei aber auch zugleich beachten müssen, daß ein solcher Stimmrechtsausschluß in seiner sachlichen Wirkung nicht zu einer völligen Einschränkung der wirtschaftlichen und damit auch der persönlichen Freiheit des betreffenden Gesellschafters führen darf (§ 1 3 8 ; vgl. auch B G H 20, 369). Die nach § 138 gebotenen Grenzen in der Wirkung des Stimmrechtsausschlusses sind stets einzuhalten.
Anm. 13 Eine andere Frage ist es, ob ein Gesellschafter kraft Gesetzes bei b e s t i m m t e n B e -
schlußgegenständen vom Stimmrecht ausgeschlossen ist. Das hat das Reichs-
gericht in Anlehnung an die Vorschriften in § 34, § 252 Abs. 3 H G B , § 47 Abs. 4 G m b H G , § 43 Abs. 3 G e n G im Fall eines Interessenwiderstreits auch für die Personalgesellschaften bejaht, indem es in den angezogenen Vorschriften einen allgemeinen Rechtsgrundsatz erblickte, der auch bei den Personalgesellschaften angewendet werden muß ( R G L Z 1907, 738; R G 136, 245). Nachdem im Aktiengesetz das Stimmrechtsverbot bei Abschluß von Rechtsgeschäften mit einem Gesellschafter nicht übernommen worden ist (vgl. § 1 1 4 Abs. 5 A k t G ) , hat das Reichsgericht eine sachliche Nachprüfung der in R G 136, 245 vertretenen Auffassung für notwendig erachtet (RG 162, 273), aber keine Gelegenheit mehr gefunden, zu dieser Frage erneut Stellung zu nehmen. Die Fragwürdigkeit eines Stimmrechtsverbots für den Fall, daß derAbschluß eines Rechtsgeschäfts mit einem Gesellschafter zur Beschlußfassung steht, sollte Anlaß geben, dieses Verbot nicht auch für die Personalgesellschaften zu übernehmen. Von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz kann insoweit jedenfalls jetzt nicht mehr gesprochen werden. Stellt sich in einem Einzelfall die Abgabe der Stimme durch den beteiligten Gesellschafter als ein schwerer Verstoß gegen seine Treuepflicht dar (vgl. dazu § 705 A n m . 17), so ist sie ohne Wirkung und daher unbeachtlich. Dadurch werden unerfreuliche Auswirkungen bei einem möglichen Interessenwiderstreit in ausreichendem Umfang aus-
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§ 709 Anm. 14, 15 §710
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
geschlossen. Dagegen ist ein Gesellschafter an der Ausübung seines Stimmrechts gehindert, wenn es sich darum handelt, daß die Gesellschaft (Gesamtheit der Gesellschafter) Maßnahmen g e g e n ihn ergreift (RG 8 i , 94; 162, 373), z.B. wenn über die Geltendmachung einer Gesellschaftsforderung gegen ihn, über die Entziehung seiner Geschäftsführerbefugnis oder über seinen Ausschluß Beschluß gefaßt werden soll. Anm. 14 5. Der Mehrheitsbeschluß. Wenn auch für alle Gesellschafterbeschlüsse entsprechend dem personalistischen Charakter der Gesellschaft im Regelfall der Grundsatz der Einstimmigkeit gilt, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß in dem Gesellschaftsvertrag die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses vorgesehen werden kann. Das ist für Maßnahmen der Geschäftsführung ganz offensichtlich, da Abs. 2 diesen Fall ausdrücklich vorsieht; es gilt aber das gleiche auch für Gesellschafterbeschlüsse, die eine Änderung in den Grundlagen der Gesellschaft oder in ihrer organisatorischen Gestaltung zum Gegenstand haben (RG 136, 243; 1 5 1 , 3 2 1 ; 163, 385; B G H 8, 39). Für einen solchen Mehrheitsbeschluß gibt Abs. 2 entsprechend dem personalistischen ChaTakter der Gesellschaft eine Auslegungsregel; die Mehrheit ist im Zweifel nach der Zahl der Gesellschafter zu berechnen. Eine abweichende Vereinbarung, wonach die Einlagewerte für die Berechnung der Mehrheit zugrunde zu legen sind, ist zulässig. Anm. 15 Die im Gesellschaftsvertrag getroffene Regelung, daß im Fall von Meinungsverschiedenheiten über geschäftliche Fragen die Mehrheit entscheiden solle, gilt im Zweifel nicht für solche Beschlüsse, die die Grundlagen der Gesellschaft selbst, also eine Änderung des Gesellschaftsvermögens betreffen (RG 1 1 4 , 395; vgl. auch RG 136, 243). Die Befugnis, eine Änderung des Gesellschaftsvertrages durch Mehrheitsbeschluß herbeizuführen, muß sich aus dem Vertrag besonders ergeben. Dabei berechtigt eine allgemeine Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, daß Änderungen des Gesellschaftsvertrages durch Mehrheitsbeschluß herbeigeführt werden können, noch nicht, alle beliebigen Änderungen des Gesellschaftsvertrages durch die vorgesehene Mehrheit zu beschließen. Denn eine unbeschränkte Unterwerfung der Minderheit unter den Willen der Mehrheit bedarf auch im Rahmen des rechtlich Erlaubten (§ 138) einer sorgfältigen Prüfung in der Richtung, ob auch wirklich der erklärte Wille der Gesellschafter bei der Vielgestaltigkeit und der weittragenden Bedeutung der in Betracht kommenden Beschlußgegenstände jeden dieser Gegenstände erfaßt hat. Dabei bezieht sich die im Gesellschaftsvertrag allgemein zugelassene Änderung des Vertrages durch Mehrheitsbeschluß nicht ohne weiteres auch auf solche Vertragsänderungen, deren Vornahme durch Mehrheitsbeschluß ganz ungewöhnlich ist, oder für die eine besondere gesetzliche Vorschrift ausdrücklich Einstimmigkeit vorschreibt (BGH 8, 41 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts; vgl. auch Anm. bei L M Nr. 1 zu § 1 1 9 HGB). Für solche Beschlußgegenstände muß sich dann aus dem Gesellschaftsvertrag die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses zwar nicht ausdrücklich, aber doch besonders ergeben (vgl. für den praktisch wichtigen Fall einer Erhöhung von Beiträgen durch Mehrheitsbeschluß auch § 707 Anm. 4 m. w. N.).
§710 Ist in dem Gesellschaftsvertrage die Führung der Geschäfte einem Gesellschafter oder mehreren Gesellschaftern übertragen, so sind die übrigen Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Ist die Geschäftsführung mehreren Gesellschaftern übertragen, so finden die Vorschriften des § 709 entsprechende Anwendung. E I 636 II 650; M a 603; P 1 420.
Üb ersieht
1. Allgemeines 2. Die Rechtsstellung des ausgeschlossenen Gesellschafters 782
Anm.
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Gesellschaft
§ 710 A n m . 1—4 Anm
3. Verschiedene Gestaltungsformen 3—7 a) Ein oder mehrere Geschäftsführer 4» 5 b) Erweiterung der Befugnisse des Geschäftsführers 6 c) Sachlich beschränkter Ausschluß einzelner Gesellschafter von der Geschäftsführung 7 Anm. 1 1. Allgemeines. Die in § 709 geregelte Gesamtgeschäftsführung aller Gesellschafter wird sich oft als eine wenig befriedigende Regelung herausstellen. Daher sieht § 710 ergänzend eine G e s c h ä f t s f ü h r u n g unter Ausschluß einzelner Gesellschafter vor. Diese kann in den verschiedensten Gestaltungen vorkommen (dazu Anm. 3ff). Besonders geeignet ist diese Regelung einmal dort, wo einzelne Gesellschafter nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Aufgabe der Geschäftsführung zu übernehmen. Sodann kommt diese Regelung namentlich dann in Betracht, wenn es sich um Gesellschaften mit einem großen Mitgliederbestand handelt und wenn die Stellung der Geschäftsführer der eines Vorstandes angeglichen werden soll. Diese Gestaltung der Geschäftsführimg kann ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag vorgesehen, aber auch stillschweigend vereinbart werden (vgl. dazu auch § 709 Anm. 7). Anm. 2 2. Die Rechtsstellung des ausgeschlossenen Gesellschafters. Bei einer Geschäftsführung unter Ausschluß einzelner Gesellschafter ist die Stellung der ausgeschlossenen Gesellschafter verhältnismäßig schwach. Sie haben nicht die Möglichkeit, auf die Geschäftsführung irgendwelchen Einfluß zu nehmen, namentlich haben sie nicht das Recht, einer Geschäftsführungsmaßnahme seitens der geschäftsiuhrenden Gesellschafter zu widersprechen (RG 102, 412). Sie haben lediglich die Befugnis zur Nachprüfung der Geschäftsführung gemäß § 716 und die Möglichkeit, bei einem wichtigen Grund einem Geschäftsführer die Geschäftsführungsbefugnis zu entziehen (§712 Abs. 1). Die von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter sind aber nicht ihrer Pflicht enthoben, bei der Förderung des gemeinsamen Zwecks mitzuwirken; sie dürfen sich daher auch nicht ihrer Pflicht entziehen, der Geschäftsführung rechtzeitig Mitteilung von solchen Umständen zu machen, die der Gesellschaft erhebliche Nachteile bringen können. Den von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern verbleibt aber das ihnen persönlich zustehende Recht, in entsprechender Anwendung des § 744 Abs. 2 die zur Erhaltung eines gemeinsamen Gegenstandes notwendigen Maßnahmen zu treffen (§ 709 Anm. 6) und von ihrer Kündigungsbefugnis Gebrauch zu machen. Anm. 3 3. Verschiedene G e s t a l t u n g s f o r m e n . Die Geschäftsführung unter Ausschluß einzelner Gesellschafter kann in den verschiedensten Ausgestaltungen vorkommen. Neben den in §710 bereits vorgesehenen Möglichkeiten kommen noch eine Reihe weiterer in Betracht. Anm. 4 a) Ein oder m e h r e r e G e s c h ä f t s f ü h r e r . Im Einzelfall kann die Regelung so getroffen sein, daß alle Gesellschafter bis auf einen von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind; dann ist dieser der einzige und alleinige Geschäftsführer der Gesellschaft. Es können aber auch nur einzelne (auch nur einer) Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen sein, so daß für diese Aufgabe mehrere Gesellschafter zur Verfügung stehen. In einem solchen Fall findet § 709 entsprechende Anwendung, d. h. die als Geschäftsführer in Betracht kommenden Gesellschafter sind im Zweifel (vgl. auch §711) Gesamtgeschäftsführer, wobei sie in erster Linie einstimmig (§ 709 Anm. 6), in zweiter Linie nach dem Mehrheitsprinzip (§ 709 Anm. 7) zu handeln haben. Im Unterschied zu der Gesamtgeschäftsführung durch alle Gesellschafter führt hier der Ausfall eines Gesellschafters im Regelfall zu dem Ergebnis, daß damit auch die übrigen 783
§710
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 5—7 Gesellschafter nicht mehr gemeinsam handeln können (vgl. zu der gleichliegenden Frage der Gesamtvertretung R G 103, 417, aber auch R G 116, 116). In diesem Fall muß notfalls eine neue Regelung der Geschäftsführung getroffen werden.
Anm. 5 Dagegen ist es nicht m ö g l i c h , allen Gesellschaftern die G e s c h ä f t s f ü h r u n g s -
befugnis zu entziehen und diese einem Dritten zu übertragen. Denn Geschäfts-
führer in der Gesellschaft muß immer ein Gesellschafter sein (§ 709 Anm. 4; vgl. aber auch § 713 Anm. 9). Eine gleichwohl in diesem Sinne getroffene Regelung wird man im Zweifel dahin umdeuten können, daß dabei die Geschäftsführungsbefugnis allen Gesellschaftern erhalten bleibt, sie die Aufsicht über den beauftragten Dritten zu führen und ihn mit den notwendigen Anweisungen zu versehen haben. Die Stellung des Dritten beruht dann nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis, sondern auf einem Auftragsoder Dienstvertragsverhältnis.
Anm. 6 b) Erweiterung der Befugnisse der Geschäftsführer. Der Umfang der Ge-
schäftsführungsbefugnisse richtet sich mangels abweichender Bestimmungen danach, was zum Inhalt der Geschäftsführung gehört (dazu § 709 Anm. 2). Die Geschäftsführer sind daher im Regelfall nicht befugt, Maßnahmen zu treffen, die sich auf die Grundlagen der Gesellschaft und auf die Gestaltung ihrer Organisation beziehen ( R G 162, 374). Z u solchen Maßnahmen müssen vielmehr auch die von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter hinzugezogen werden. Es ist aber zulässig, die Geschäftsführer über die Aufgaben der Geschäftsführung hinaus auch noch mit solchen Entscheidungen zu betrauen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen ( R G 136, 243). So kann ihnen in Anlehnung an die Rechtsstellung eines Vorstands die Entscheidung über die Aufnahme neuer Mitglieder und über die Ausschließung eines Mitglieds übertragen werden. Auch kann ihnen im Rahmen festbestimmter Grenzen (§ 138!) die Befugnis zur Abänderung des Gesellschaftsvertrages übertragen werden. In allen diesen Fällen einer Erweiterung der Befugnisse der Geschäftsführer ist aber zu beachten, daß die bestimmten Beschlußgegenstände besonders zum Ausdruck gebracht werden; allgemein gefaßte Bestimmungen sind hierfür nicht ausreichend. Die insoweit für die Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen geltenden Grundsätze (§ 709 Anm. 16) verdienen hier zumindestens in gleicher Weise Beachtung.
Anm. 7 c) Sachlich beschränkter Ausschluß einzelner Gesellschafter von der Ge-
s c h ä f t s f ü h r u n g . Die Gesellschafter können auch eine Regelung dahin treffen, daß einzelne Gesellschafter von der Geschäftsführung nicht völlig, sondern nur in einem gewissen, sachlich beschränkten Umfang ausgeschlossen werden. So kann namentlich für bestimmte Geschäfte (z. B. für die gewöhnlichen Geschäfte, vgl. dazu B G H L M Nr. 1 zu § 1 1 6 HGB) die Geschäftsführung einzelner Gesellschafter ausgeschlossen werden, aber für die übrigen Geschäfte, für außergewöhnliche Geschäfte oder namentlich benannte Geschäfte die Geschäftsführung dieser Gesellschafter bestehen bleiben. Diese Regelung hat den Vorteil, daß die verhältnismäßig schwache Stellung der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter für den Bereich wichtiger Geschäfte nicht gilt, sie also hier ein gleichberechtigtes Mitspracherecht haben. O b eine solche Regelung im Einzelfall getroffen ist, ist Tatfrage. Die Übertragung der Kassenführung an einen Gesellschafter hat noch nicht die Wirkung, daß damit den übrigen Gesellschaftern für diesen Bereich die Geschäftsführung genommen ist ( R G J W 1912, 193); eine solche Regelung ist nur eine interne Arbeitsteilung und stellt keinen teilweisen Ausschluß von der Geschäftsführung dar.
784
Gesellschaft
§711
Anm. 1—3
§711 Steht nach dem Gesellschaftsvertrage die Führung der Geschäfte allen oder mehreren Gesellschaftern in der Art zu, daß jeder allein zu handeln berechtigt ist, so kann jeder der Vornahme eines Geschäfts durch den anderen widersprechen. Im Falle des Widerspruchs muß das Geschäft unterbleiben. E I 637 II 651; M 2 604; P 2 420.
Anm. 1 1. D i e E i n z e l g e s c h ä f t s f ü h r u n g . § 7 1 1 regelt die Einzelgeschäftsführung, bei der jeder geschäftsführende Gesellschafter die zur Geschäftsführung gehörenden Maßnahmen (§ 709 Anm. 2) a l l e i n vornehmen kann. Dabei ist es für den Inhalt der Einzelgeschäftsführung ohne Belang, ob sie allen Gesellschaftern, einigen Gesellschaftern oder nur einem Gesellschafter zusteht. Diese Regelung der Geschäftsführung gilt nur, wenn die in §§ 709/10 erwähnten Formen der Geschäftsführung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen sind, oder wenn die Einzelgeschäftsführung im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist. Sie kann aber auch stillschweigend vereinbart sein oder sich aus den U m ständen des Einzelfalls ergeben. Bei kleinen Gesellschaften (insbesondere solchen mit zwei Gesellschaftern) gilt insoweit in einem besonderen Maße der in B G H 16, 396 aufgestellte Satz, daß man an die Form einer solchen Vereinbarung um so geringere Anforderungen zu stellen braucht, j e formloser der Gesellschaftsvertrag selbst geschlossen ist.
Anm. 2 2. D a s W i d e r s p r u c h s r e c h t . Bei der Einzelgeschäftsführung hat jeder geschäftsführende Gesellschafter, aber auch nur ein solcher, also nicht ein von der Geschäftsführung ausgeschlossener Gesellschafter, das Recht, der Vornahme einer Geschäftsführungsmaßnahme durch einen anderen geschäftsführenden Gesellschafter zu widersprechen. Das Widerspruchsrecht ist Ausfluß des Geschäftsführungsrechts des widersprechenden Gesellschafters. Es untersteht daher in einem besonderen M a ß e den verpflichtenden Grundsätzen der Treupflicht, wie sie für alle Geschäftsführungsmaßnahmen gilt (vgl. § 705 Anm. 17). Eine pflichtwidrige, nicht schon eine sachwidrige Ausübung des Widerspruchsrechts ist daher unbeachtlich, weil sie unzulässig ist ( R G 109, 59; 158, 3 1 0 ) . Der Widerspruch darf sich immer nur gegen die Vornahme eines bestimmten Geschäfts oder bestimmter Geschäfte richten. E r ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem gegenüber abgegeben werden muß, der das Geschäft vornehmen will. Der Widerspruch muß vor oder bei Vornahme des Geschäfts ausgesprochen werden. Ein nachträglicher Widerspruch ist wirkungslos.
Anm. 3 Uber die W i r k u n g d e s W i d e r s p r u c h s herrscht im Schrifttum noch Streit. Es ist die Frage, ob der Widerspruch nur Wirkungen im Verhältnis unter den Gesellschaftern äußert (so die Regelung bei der offenen Handelsgesellschaft, § 1 1 5 H G B ) oder ob er auch die Vertretungsbefugnis gegenüber Dritten aufhebt (vgl. dazu B G H 16, 398). M a n muß diese Streitfrage im Sinne der ersten Alternative entscheiden. Der Widerspruch führt nicht zu einer teilweisen Aufhebung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des handelnden Gesellschafters. Die von dem handelnden Gesellschafter gleichwohl abgeschlossenen Geschäfte haben Wirkung für und gegen die Gesellschaft (vgl. dazu auch B G H aaO). Der Widerspruch hat nur zur Folge, daß der handelnde Gesellschafter das Geschäft insofern auf seine Gefahr übernimmt, als er sich schadensersatzpflichtig macht, wenn die Gesellschaft dadurch einen Schaden erleidet. Auch für den Fall, daß der Widerspruch in Anwesenheit des Dritten erklärt wird, mit dem der handelnde Geschäftsführer das Geschäft abschließt, kann nichts anderes gelten ( a M R G 81, 94 für die o H G ; offen gelassen in B G H 16, 399), es sei denn, daß dabei ein Kollisionsfall (§ 826) vorliegt.
785
§712 A n m . 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§713 Die e i n e m G e s e l l s c h a f t e r d u r c h d e n G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g ü b e r t r a g e n e B e fugnis zur Geschäftsführung kann ihm durch einstimmigen Beschluß oder, f a l l s n a c h d e m G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e die M e h r h e i t d e r S t i m m e n e n t s c h e i d e t , d u r c h M e h r h e i t s b e s c h l u ß d e r ü b r i g e n G e s e l l s c h a f t e r entzogen w e r d e n , w e n n ein w i c h t i g e r G r u n d v o r l i e g t ; ein s o l c h e r G r u n d i s t i n s b e s o n d e r e g r o b e P f l i c h t verletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung. D e r G e s e l l s c h a f t e r k a n n a u c h s e i n e r s e i t s die G e s c h ä f t s f ü h r u n g k ü n d i g e n , w e n n ein w i c h t i g e r G r u n d v o r l i e g t ; die f ü r d e n A u f t r a g geltenden V o r s c h r i f t e n des § 6 7 1 A b s . 2, 3 f i n d e n e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g . E I 638 II 6j2; M 2 605; P 2 421.
Übersicht Anm.
1. Die Entziehung der Geschäftsführung (Abs. 1) a) Voraussetzung für die Entziehung b) Form der Entziehung c) Wirkung der Entziehung 2. Die Kündigung der Geschäftsführung (Abs. 2)
1—4 2 3 4 5
Anm. 1 1. Die Entziehung d e r G e s c h ä f t s f ü h r u n g ( A b s . 1). Die Geschäftsführungsbefugnis ist ein Bestandteil des Gesellschaftsverhältnisses (§ 70g Anm. 3), ein Element der organisatorischen Gestaltung der Gesellschaft. Als solche könnte sie einem Gesellschafter mangels abweichender Bestimmungen nur mit dessen Zustimmung entzogen werden. Diese Folgerung erweist sich aus praktischen Gründen als unannehmbar, wenn ein wichtiger Grund für die Entziehung der Geschäftsführung vorliegt. Deshalb gibt § 712 den übrigen Gesellschaftern das Recht zur Entziehung der Geschäftsführung, aber nur dann, wenn es sich nicht um eine Gesamtgeschäftsführung aller Gesellschafter nach § 709 Abs. 1 oder Abs. 2 handelt. Das kommt in § 712 deutlich zum Ausdruck, da danach nur die d u r c h den G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g übertragene Befugnis zur Geschäftsführung entzogen werden kann. Der Anteil an der Gesamtgeschäftsführung im Sinne des § 709 kann auch beim Vorliegen eines wichtigen Grundes einem Gesellschafter mangels abweichender Bestimmungen nur mit dessen Zustimmung entzogen werden; insoweit greift § 712 nie ein. Ein v o r h e r i g e r V e r z i c h t auf das Entziehungsrecht ist u n z u l ä s s i g (RG LZ 1 9 3 1 , 1252; J W 1935, 696). Dagegen ist es möglich, im Gesellschaftsvertrag nähere Bestimmungen darüber zu treffen, wann ein wichtiger Grund für die Entziehung der Geschäftsführung gegeben ist. Jedoch dürfen solche Bestimmungen nicht zu einer untragbaren Einengung des Entziehungsrechts führen (vgl. auch § 723 Anm. 22 für die ähnlich liegende Frage bei der Kündigung aus wichtigem Grund). Ein arglistiges oder sittenwidriges Verhalten eines Geschäftsführers ist immer ein wichtiger Grund (RG J W 1935, 696). Anm. 2 a) V o r a u s s e t z u n g f ü r die Entziehung. Die Entziehung der Geschäftsführung ist nur zulässig, b e i m V o r l i e g e n eines w i c h t i g e n G r u n d e s . Als Beispielsfälle für einen solchen Grund führt Abs. 1 eine grobe Pflichtverletzung und Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung an. Eine grobe Pflichtverletzung bestimmt sich nach sachlichen (objektiven) und nach persönlichen (subjektiven) Merkmalen. Im einzelnen liegt hierbei wie auch bei anderen Tatbeständen eines wichtigen Grundes das Hauptgewicht bei den Umständen des Einzelfalls. Die Rechtsprechung zu § 1 1 7 H G B (§ 127 HGB) — Entziehung der Geschäftsführung in einer oHG — kann nur unter wesentlichen Einschränkungen verwertet werden. § 712 enthält wie § 723 eine Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, daß bei veränderten Umständen ein auf gegenseitigem Vertrauen beruhendes Verpflichtungsverhältnis aufgehoben werden kann, 786
Gesellschaft
§712 Anm. 3, 4
wenn sein Fortbestehen dem Gedanken von Treu und Glauben widersprechen würde. Es ist durchaus denkbar, daß das, was bei der einen Gesellschaft zur Entziehung der Geschäftsführung noch nicht ausreicht, bei einer anderen Gesellschaft einen wichtigen Grund für die Entziehung darstellt. Verschulden ist für die Entziehung nicht erforderlich, wie der Tatbestand der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung zeigt.
Anm. 3 b) F o r m d e r Entziehung. Die Entziehung der Geschäftsführung erfolgt durch B e s c h l u ß d e r ü b r i g e n G e s e l l s c h a f t e r , also nicht wie bei der oHG durch gerichtliche Entscheidung ( § 1 1 7 HGB). Im Zweifel muß der Beschluß einstimmig gefaßt werden (§ 70g Abs.2). Der Gesellschaftsvertrag kann aber für die Beschlußfassung (qualifizierte) Stimmenmehrheit vorschreiben. Der geschäftsfuhrende Gesellschafter, gegen den sich der Beschluß richtet, nimmt an der Beschlußfassung nicht teil (§ 709 Anm. 13). Daher wird bei einer Zweimanngesellschaft die Entziehung durch den anderen Gesellschafter ausgesprochen. Der Beschluß muß dem geschäftsführenden Gesellschafter bekannt gegeben werden; er wird dadurch wirksam (§ 130). Im Streitfall ist durch Feststellungsurteil über die Berechtigung der Entziehung zu entscheiden; die Beweislast obliegt für das Vorliegen eines wichtigen Grundes den übrigen Gesellschaftern. Zweifelhaft ist, ob statt der Entziehung der Geschäftsführung auch eine B e -
schränkung der Geschäftsführung (z. B. Gesamtgeschäftsführung mit einem
anderen Gesellschafter statt der bisherigen Einzelgeschäftsführung) ausgesprochen werden kann (verneinend R G WarnRspr. 1913 Nr. 51). Mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters ist eine solche Beschränkung unbedenklich zulässig; dabei kann die Sachlage im Einzelfall so sein, daß bei Abwägung aller Umstände eine Entziehung der Geschäftsführung nicht gerechtfertigt ist, wenn die Möglichkeit einer Beschränkung mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters gegeben ist, weil eine solche Lösung zur Ausräumung der aufgetretenen Schwierigkeiten ausreichend ist.
Weigern sich einzelne Gesellschafter, bei der notwendig gewordenen Ent-
ziehung der Geschäftsführung m i t z u w i r k e n , so können sie sich dadurch schadensersatzpflichtig machen (vgl. dazu R G 162, 396); auch eine Klage auf Zustimmung ist in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen (str.; vgl. dazu § 737 Anm. 4).
Anm. 4 c) Die W i r k u n g d e r Entziehung. Im Unterschied zum Recht der offenen Handelsgesellschaft führt hier die Entziehung der Geschäftsführung nicht dazu, daß der betroffene Gesellschafter nunmehr von der Geschäftsführung völlig ausgeschlossen wird und es im übrigen bei der Regelung der Geschäftsführung durch den Gesellschaftsvertrag verbleibt. So wie einem Gesellschafter durch eine Entziehungsmaßnahme nach § 712 niemals die mit seinem Gesellschaftsanteil unmittelbar verbundene Beteiligung an der Gesamtgeschäftsführung gemäß § 709 gegen seinen Willen entzogen werden kann (Anm. 1), so kann auch die Entziehung der ihm nach §§ 710/11 erteilten Geschäftsführungsbefugnis grundsätzlich nicht diese Wirkung haben. Das bedeutet, daß die Entziehung der Geschäftsführung in jedem Fall nur dazu führt, daß nunmehr statt der bisherigen Regelung der Geschäftsführung die gesetzliche Regelung gemäß § 709 tritt, der abgesetzte Geschäftsführer also insoweit an der Geschäftsführung weiter beteiligt bleibt. Das gilt nicht nur, wenn dem abgesetzten Geschäftsführer die alleinige Einzelgeschäftsführung zustand oder er mit einem anderen zusammen die alleinige Geschäftsführung hatte, sondern auch in anderen Fällen, z. B. auch dann, wenn noch anderen Gesellschaftern eine Einzelgeschäftsführung übertragen war. Diese zwingende Folge der Entziehung der Geschäftsführung kann in einzelnen Fällen, insbesondere bei wirtschaftlich bedeutenden Unternehmungen mit einer größeren Mitgliederzahl unbefriedigend sein. Den Gesellschaftern steht es daher frei, eine andere Regelung in ihrem Gesellschaftsvertrag zu treffen, insbesondere eine Regelung, wie sie für die Personalhandelsgesellschaften gilt. Eine solche abweichende Vereinbarung kann gegebenenfalls auch aus den Umständen, insbesondere aus den besonderen Verhältnissen der betroffenen Gesellschaft entnommen werden.
787
§ 7 1 2 Anm. 5 Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse §713Anm. 1,2 Anm. 5 2. Die Kündigung der Geschäftsführung (Abs. 2). Jeder geschäftsführende Gesellschafter hat bei Vorliegen eines wichtigen Grundes das Recht, die ihm übertragene Geschäftsführung aufzukündigen. Wie bei der Entziehung der Geschäftsführung steht einem geschäftsfiiihrenden Gesellschafter dieses Recht jedoch nur zu, wenn es sich nicht um eine Gesamtgeschäftsführung nach § 70g, sondern um eine gesellschaftsvertraglich anderweit geregelte Geschäftsführung handelt. Auch die Wirkung der Kündigung ist die gleiche wie bei der Entziehung (vgl. dazu Anm. 4); sie hat zur Folge, daß nunmehr die gesetzliche Regelung der Geschäftsführung nach § 709 eintritt. Die Kündigung der Geschäftsführung darf nicht zur Unzeit erfolgen (§ 671 Abs. 2; vgl. aber auch Abs. 3). Ein vorheriger Verzicht auf das Kündigungsrecht ist ebenso unwirksam wie der vorherige Verzicht auf das Recht, die Geschäftsführung beim Vorliegen eines wichtigen Grundes zu entziehen (Anm. 1).
§713 Die Rechte und Verpflichtungen der geschäftsführenden Gesellschafter bestimmen sich nach den für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 664 bis 670, soweit sich nicht aus dem Gesellschaftsverhältnis ein anderes ergibt. E I 939 II 653; M a 606—609; P a 422—424.
Übersicht I. Die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers 1. Die Verpflichtungen des Geschäftsführers a) Allgemeines b) Rechnungslegung c) Die Herausgabe des Erlangten d) Die Ansprüche gegen den Geschäftsführer 2. Die Ansprüche des Geschäftsführers II. Die Tätigkeit außerhalb der Geschäftsführungsbefugnis III. Die geschäftsführende Tätigkeit durch einen Dritten
Anm.
1—6 2—5 2 3 4 5 6 7, 8 9
Anm. 1 I. Die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers Für das Rechtsverhältnis zwischen dem geschäftsführenden Gesellschafter und der Gesellschaft sind in erster Linie g e s e l l s c h a f t s r e c h t l i c h e G r u n d s ä t z e maßgebend. Diese bestimmen namentlich Inhalt und Umfang der Geschäftsführungsaufgabe (vgl. dazu § 709 Anm. 2); auch der Haftungsmaßstab richtet sich nach Gesellschaftsrecht (vgl. § 708). Ferner sind für die Bestellung und für die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis allein die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften der §§ 709/12 entscheidend. Schließlich können auch noch besondere gesellschaftsvertragliche Bestimmungen für die Rechte und Pflichten der Geschäftsführer von Bedeutung sein. Nur soweit diese gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen und gesellschaftsvertraglichen Vorschriften nichts ergeben, bestimmen sich die Rechte und Pflichten der geschäftsführenden Gesellschafter nach den für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 664—670. Diese Vorschriften des Auftragsrechts finden also nur ergänzende A n w e n d u n g ; auch ist gegebenenfalls bei ihrer Anwendung das besondere Treueverhältnis (Treuepflicht der Gesellschafter, § 705 Anm. 17) zu berücksichtigen. 1. Die Verpflichtungen des Geschäftsführers Anm. 2 a) Allgemeines. Der geschäftsführende Gesellschafter hat seine Geschäftsführungsaufgaben im Zweifel selbst (persönlich) zu erfüllen (§ 664). Das schließt natürlich nicht aus, daß er für die Erledigung untergeordneter Tätigkeiten Hilfskräfte heranzieht. 788
Gesellschaft
§713
A n m . 3—5 Im übrigen hängt es von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, wieweit er sich auf eine Beaufsichtigung von Angestellten beschränken darf und wieweit er selbst unmittelbar tätig werden muß (vgl. dazu auch § 710 Anm. 5). W e i s u n g e n (§ 665) braucht der geschäftsführende Gesellschafter von den übrigen Gesellschaftern nicht entgegenzunehmen, da ihm die Geschäftsführungsbefugnis zu eigener Verantwortung übertragen ist und ihm dieses Recht durch Weisungen nicht verkürzt werden kann. Anders ist es dagegen, wenn bereits der Gesellschaftsvertrag solche Weisungen enthält oder sie dem geschäftsführenden Gesellschafter bei der Übertragung der Geschäftsführung gegeben worden sind. Dann ist seine Geschäftsführung von vornherein in dieser Weise beschränkt.
Anm. 3 b) R e c h n u n g s l e g u n g . Der geschäftsführende Gesellschafter ist zur Rechnungslegung verpflichtet. Diese Pflicht ist nicht von der vorherigen Feststellung abhängig, daß Einnahmen oder Ausgaben vorgekommen sind (RG J W 1912, 193). Nach §§ 713, 666 hat der geschäftsführende Gesellschafter diese Pflicht gegenüber der Gesamtheit der übrigen Gesellschafter. Davon zu unterscheiden ist das Recht des einzelnen Gesellschafters gegen die Gesamtheit auf eigene Unterrichtung nach § 7 1 6 und auf Rechenschaftsablegung nach § 721 (vgl. dazu R G 148, 279). Bei einer Zweimanngesellschaft fällt die Rechnungslegungspflicht nach § 713, 666 mit der nach § 721 zusammen ( R G 73,288). Mit Rücksicht auf den verschiedenen Charakter des Rechts jedes Gesellschafters auf eigene Unterrichtung nach § 7 1 6 und des Rechts der Gesamtheit der übrigen Gesellschafter auf Rechnungslegung nach §§ 713, 666 schließt der Verzicht auf das Recht aus § 716 nicht den Anspruch auf Rechnungslegung aus. Mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Gesellschaftsverhältnisses genügt der Geschäftsführer im allgemeinen seiner Rechnungslegungspflicht durch Vorlage der Bücher (§716); im Einzelfall kann ihm jedoch nach Treu und Glauben auch die strengere Rechnungslegungspflicht nach § 259 treffen (RG J W 1927, 368; WarnRspr. 1931 Nr. 202). Der Pflicht zur Rechnungslegung entspricht das Recht auf E n t l a s t u n g . Gegenüber einer ordnungsgemäß gelegten und mit Belegen versehenen Rechnung ist die allgemeine Behauptung der Unrichtigkeit ohne genauere Begründung der Beanstandungen nicht zu beachten.
Anm. 4 c) Die H e r a u s g a b e des E r l a n g t e n . Die §§ 667/68 finden Anwendung. Der geschäftsführende Gesellschafter hat die eingenommenen Gelder an die Gesellschaftskasse abzuführen und die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft erworbenen Gegenstände der Gesellschaft zu übereignen (RG 54, 106; WarnRspr. 1908 Nr. 23). Diese Pflicht entsteht kraft Gesetzes, so daß für diese Ubereignungspflicht bei Grundstücken nicht noch eine besondere formbedürftige ( § 3 1 3 ) Vereinbarung notwendig ist (RG J W 1927, 1409). Die Herausgabepflicht erstreckt sich auch auf alle Vorteile, die der Gesellschafter infolge der Geschäftsführung erlangt hat; diese Verpflichtung ist weit auszulegen (RG 82, 10; 96, 55; 99, 32; 146, 205; 164, 103; vgl. aber auch RG 154, 314).
Anm. 5 d) Die Ansprüche gegen den Geschäftsführer. Die aus den vorstehenden Ver-
pflichtungen des Geschäftsführers erwachsenen Ansprüche stehen der Gesamtheit der Gesellschafter zu. Sie sind daher auch von dieser gegen den Geschäftsführer geltend zu machen. Daneben kann aber auch jeder Gesellschafter persönlich von dem verpflichteten Geschäftsführer Leistung an die Gesellschaft verlangen (actio pro socio; vgl. §705 Anm. 23). Das gilt auch für etwaige S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e gegen den Geschäftsführer (§ 708 Anm. 6). Was die B e w e i s l a s t anlangt, so ist es Aufgabe des Geschäftsführers, darzutun und zu beweisen, daß er als Geschäftsführer seine Pflicht getan hat, oder daß der Schaden auch bei Anwendung der ihm obliegenden Sorgfalt entstanden wäre ( R G D R 1944, 452; B G H L M Nr. 1 zu § 1 1 6 H G B ) ; auch hat er den Nachweis über den Verbleib der eingenommenen Gelder zu führen (RG 90, 134; WarnRspr. 1915 Nr. 169; L Z 1929, 470).
789
§ 713
Anm. 6—9
SchuldVerhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm, 6 2. Die A n s p r ü c h e des G e s c h ä f t s f ü h r e r s . Nach § 670 hat der geschäftsfuhrende Gesellschafter einen Anspruch auf E r s a t z v o n A u f w e n d u n g e n und nach § 669 einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses zur Deckung der Aufwendungen. Ersatz von Aufwendungen kann auch in der Form verlangt werden, daß Befreiung von den hierfür eingegangenen Verpflichtungen gefordert wird (§ 257). Im Streitfall ist der Anspruch durch Rechnungslegung über Einnahmen und Ausgaben klarzustellen. Ein Anspruch auf Ersatz des Schadens, den der Geschäftsführer bei der Führung der Geschäfte erleidet, wird vom Gesetz nicht ausdrücklich gewährt (Mot. 2, 609, 5 4 1 ; Prot. 2, 423, 367); er kann aber nach § 670 begründet sein (vgl. dazu R G g4, 171/72; 98, 199; 122, 298; 167, 89; D R 1944, 287; B G H 16, 270). Für die Gesellschaft gilt in dieser Hinsicht nichts besonderes. — Auf eine V e r g ü t u n g hat der Geschäftsführer nur Anspruch, wenn ihm eine solche von den anderen Gesellschaftern zugebilligt ist. Er ist nicht befugt, einseitig ein Gehalt für sich zu bestimmen (RG 170,396). Die Zusicherung kann aber, namentlich bei außergewöhnlichen Leistungen, auch stillschweigend erfolgen (RG 170, 396; B G H 17, 302; BB 1951, 654; vgl. dazu auch L ö f f l e r / G l a s e r Betrieb 1958, 759). Die Form der Vergütung kann in einem festen Gehalt, aber auch in einer erhöhten Gewinnquote bestehen. Diese Ansprüche des Geschäftsführers richten sich gegen die Gesamtheit der Gesellschafter; sie sind daher aus der Gesellschaftskasse zu erfüllen. Während bestehender Gesellschaft kann der Geschäftsführer mangels abweichender Bestimmungen insoweit nicht Erfüllung von den einzelnen Gesellschaftern verlangen (im einzelnen vgl. dazu § 705 Anm. 24).
Anm. 7
II. Die Tätigkeit außerhalb der Geschäftsführungsbefugnis Hat ein Gesellschafter die Geschäfte der Gesellschaft besorgt, ohne hierzu berufen zu sein, so bestimmen sich seine Rechte und Pflichten im allgemeinen nach den Grundsätzen über die Geschäftsführung ohne Auftrag. Der fiir das Gesellschaftsrecht geltende besondere Haftungsmaßstab (§ 708) findet hier keine Anwendung (§ 708 Anm. 2). Dabei ist es ohne Belang, ob der für die Gesellschaft tätige Gesellschafter überhaupt keine Geschäftsführungsbefugnis hat oder ob er den Rahmen der ihm obliegenden Geschäftsführung überschreitet.
Anm. 8
B e s o n d e r e s gilt, wenn ein Gesellschafter auch ohne Geschäftsführungsbefugnis d i e z u r E r h a l t u n g eines g e m e i n s c h a f t l i c h e n G e g e n s t a n d e s n o t w e n d i g e n M a ß n a h m e n trifft und hierbei Aufwendungen macht. Zu einem solchen Vorgehen ist jeder Gesellschafter in entsprechender Anwendung des § 744 Abs. 2 berechtigt; ihm steht danach auch ein Ausgleichsanspruch nach § 748 zu (vgl. § 709 Anm. 6). Des weiteren steht jedem Gesellschafter ohne Rücksicht auf eine etwaige Geschäftsführungsbefugnis ein A u s g l e i c h s a n s p r u c h zu, w e n n er auf Grund seiner persönlichen Haftung aus eigenen Mitteln e i n e n G e s e l l s c h a f t s g l ä u b i g e r b e f r i e d i g t (vgl. dazu § 705 Anm. 25).
Anm. 9 III. Die geschäftsführende Tätigkeit durch einen Dritten
Wenn auch Geschäftsführer einer Gesellschaft nur ein Gesellschafter, nicht auch ein Dritter sein kann (§ 709 Anm. 4), so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß ein Dritter mit Geschäftsführungsaufgaben in der Gesellschaft betraut werden kann (§ 710 Anm. 5). In einem solchen Fall beruht das Rechtsverhältnis zu dem Dritten aber nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis, sondern auf einem besonderen Rechtsverhältnis, das je nach der Sachlage im einzelnen Fall Auftrag, Geschäftsbesorgung oder Dienstvertrag sein kann. Daher bestimmen sich dann die Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und dem Dritten nach diesem besonderen Rechtsverhältnis; für eine Anwendung des § 713 ist kein Raum. Der Dritte ist auch nicht wie der Geschäftsführer (vgl. Anm. 6 a. E.) gehindert, seinen etwaigen Anspruch auf Vergütung und Aufwendungsersatz unmittelbar gegen die einzelnen Gesellschafter geltend zu machen.
790
Gesellschaft
§714 Anm. 1, 2
§714 Soweit einem Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrage die Befugnis zur Geschäftsführung zusteht, ist er i m Zweifel auch ermächtigt, die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten. E 1 640 Abs. x II 654; M 2 609; P 2 424.
Ubersicht Anm.
I. Die Vertretung in der Gesellschaft 1. Allgemeines 2. Die Auslegungsregel des § 7 1 4 3. Der Umfang der Vertretungsmacht 4. Das Handeln im Namen der Gesellschafter II. Die Haftung der Gesellschafter I I I . Die Stellung der Gesellschafter im Prozeß
1—8 1 2—5 6, 7 8 9 10
I. Die Vertretung in der Gesellschaft Anm. 1 1. Allgemeines. Bei der Vertretungsmacht handelt es sich um die Befugnis, Rechtsgeschäfte mit unmittelbarer Wirkung für die Gesellschafter abzuschließen. Während die Geschäftsführungsbefugnis sich auf das rechtliche Dürfen im Verhältnis zu den anderen Gesellschaftlern bezieht, also das Innenverhältnis zum Gegenstand hat, bezieht sich die Vertretungsmacht auf das rechtliche Können im Verhältnis zu Dritten, erstreckt sich also auf das Außenverhältnis. Da die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft eine reine Gesamthandsgemeinschaft ist (Anm. 4 vor § 705), ist bei ihr eine Vertretung der Gesellschaft als solcher ausgeschlossen; bei ihr kommt immer nur eine Vertretung der Gesellschafter in Betracht. Die Vertretung der Gesellschafter ist eine rechtsgeschäftliche, nicht eine gesetzliche oder organschaftliche. Auf die Vertretung der Gesellschafter finden daher im allgemeinen auch die Vorschriften des Vollmachtsrechts, insbesondere auch die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur D u l d u n g s - und A n s c h e i n s v o l l m a c h t (§ 167 Anm. 4 f f ) und zum V o l l m a c h t s m i ß b r a u c h (§ 166 Anm. 27) Anwendung (so schon R G 58, 356). Von der Vertretung der Gesellschafter im Sinne des § 714 ist die von Fall zu Fall erteilte Vollmacht zu unterscheiden (BGH 16, 398). Dieser Unterschied ist für die Frage des Widerrufs bedeutsam; nur für die Entziehung der Vertretungsmacht im Sinne des § 714 gilt die Sonderregelung des § 7 1 5 ; die von Fall zu Fall erteilte Vollmacht hingegen kann von dem jeweiligen Vollmachtgeber nach Maßgabe des § 168 widerrufen werden. Die Vorschrift des § 181 (Verbot des Selbstkontrahierens) gilt auch für die Vertretung der Gesellschafter. In diesem Fall müssen dann die übrigen Gesellschafter zusammen den Vertrag mit dem persönlich beteiligten Gesellschafter abschließen; ein neben diesem beteiligten Gesellschafter bestellter gesamtvertretungsberechtigter Gesellschafter ist dazu im allgemeinen allein nicht befugt. Abweichendes kann sich insoweit in einem besonderen Ausnahmefall ergeben (vgl. dazu RG SeuffArch. 82 Nr. 205). 2. Die Auslegungsregel des § 714. Bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft bestimmt sich die Befugnis zur Vertretung der Gesellschafter im Zweifel danach, wie im Gesellschaftsvertrag die Befugnis zur Geschäftsführung geregelt ist. Die Übertragung der Geschäftsführung ist damit in der Regel zugleich eine entsprechende Vollmachtserteilung. Dabei ist für die Vertretungsbefugnis nicht nur die Person der geschäftsführenden Gesellschafter, sondern auch die Form ihrer Geschäftsführungsbefugnis (Einzel- oder Gesamtgeschäftsführung) maßgeblich. Bei Anwendung dieser Auslegungsregel deckt sich also immer die Geschäftsführungsbefugnis mit der Vertretungsbefugnis (RG WarnRspr. 1908 Nr. 148). Die Auslegungsregel des § 714 unterscheidet sich von der gesetzlichen Regelung der Vertretungsbefugnis bei den Personalhandelsgesellschaften, bei denen im gesetzlichen Regelfall jeder Gesellschafter Einzelvertretungsmacht hat (§ 125 Abs. 1 HGB).
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§ 714
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 3—6 Nach der Auslegungsregel des § 714 kann eine Einzelvertretungsbefugnis oder eine Gesamtvertretungsbefugnis in Betracht kommen. Die Form der Gesamtvertretungsbefugnis kann wie bei der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis die verschiedensten Formen annehmen (vgl. dazu § 709 Anm. 6, 7; § 710 Anm. 3 f f ) . Gilt bei einer Geschäftsführungsbefugnis das Mehrheitsprinzip (§ 709 Anm. 7), so gilt das gleiche auch für die Vertretungsbefugnis; in diesem Falle wird dann die Minderheit nach außen von der jeweiligen Mehrheit vertreten. Die Auslegungsregel des § 714 gilt nicht auch umgekehrt. Die Regelung der Vertretungsbefugnis im Gesellschaftsvertrag hat daher für die Art der Geschäftsführungsbefugnis keine Bedeutung.
Anm. 3 Bei einer G e s a m t v e r t r e t u n g s b e f u g n i s aller oder einzelner Gesellschafter kommen die für die Gesamtvertretung maßgeblichen Grundsätze zur Anwendung (vgl. dazu Anm. 9 vor § 164). Das bedeutet, daß eine empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber einem e i n z e l n e n gesamtvertretungsberechtigten Gesellschafter wirksam abgegeben werden kann (RG L Z 1909, 230; 1924, 547; in diesem Punkt unrichtig R G J W 1931, 522). Ferner hat die Kenntnis rechtserheblicher Tatsachen bei einem gesamtvertretungsberechtigten Gesellschafter zur Folge, daß diese Kenntnis allen Gesellschaftern zuzurechnen ist (vgl. dazu R G 53, 2 3 1 ; 78, 354, 134, 36). Diese besondere Wirkung der Gesamtvertretungsbefugnis, die auf die Person eines einzelnen der gesamtvertretungsberechtigten Gesellschafter abstellt, rechtfertigt auch die Verbindung einer Einzel- und Gesamtvertretung in der Art, daß von zwei Gesellschaftern der erste für sich allein vertretungsberechtigt ist und der zweite nur mit dem ersten zusammen die Gesellschaft vertreten kann (RG 90, 22). In dieser Regelung liegt nicht etwa ein verdeckter Ausschluß der Vertretungsmacht des zweiten Gesellschafters, weil nämlich für die passive Vertretungsbefugnis und für die Kenntnis rechtserheblicher Tatsachen die Stellung des zweiten Gesellschafters als gesamtvertretungsberechtigter Gesellschafter von einer selbständigen Bedeutung ist.
Anm. 4 Eine Umwandlung der Gesamtvertretungsbefugnis in eine Einzelvertre-
t u n g s b e f u g n i s ist denkbar, sie kann auch stillschweigend vorgenommen werden. Für eine solche Annahme müssen aber besondere Umstände vorliegen. Da eine solche Umwandlung eine Änderung des Gesellschaftsvertrages darstellt, ist aus der Duldung einzelner Vertretungshandlungen im allgemeinen nicht schon eine so weitgehende Vertragsänderung zu entnehmen; vielmehr liegt in einem solchen Fall die Annahme einer Sondervollmacht näher (RG J W 1918, 504).
Anm. 5 A b w e i c h u n g e n v o n d e r A u s l e g u n g s r e g e l des § 7 1 4 sind jederzeit zulässig. Namentlich ist es möglich, den Umfang der Vertretungsmacht weiter zu fassen als die der Geschäftsführungsbefugnis, wie das bei den Personalhandelsgesellschaften die Regel bildet.
Anm. 6 3. D e r U m f a n g d e r V e r t r e t u n g s m a c h t . Im Unterschied zu § 126 H G B ist hier der Umfang der Vertretungsmacht gesetzlich nicht festgelegt; namentlich gilt bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft nicht ein gesetzlich zwingender Umfang der Vertretungsmacht. Den Gesellschaftern ist hier vielmehr eine weitgehende Freiheit der Gestaltung eingeräumt. Ist über den Umfang der Vertretungsmacht im Gesellschaftsvertrag nichts bestimmt,, so werden von ihr alle Handlungen gedeckt, die sich im Rahmen des Gesellschaftszwecks halten und die nicht die Grundlagen der Gesellschaft und ihrer Organisation berühren. Zur Abänderung des Gesellschaftsvertrages ist der vertretungsberechtigte Gesellschafter nicht befugt, so namentlich nicht zur Aufnahme eines neuen Gesellschafters, zur Ausschließung eines Gesellschafters usw. Unter diesem Gesichtspunkt hat das Reichsgericht
792
Gesellschaft
§714 Anm. 7—9
auch die Befugnis eines vertretungsberechtigten Gesellschafters zur Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf einen Dritten verneint, weil das einen Eingriff in die den anderen Gesellschaftern zustehenden Mitbestimmungs- und Mitverwaltungsrechte bei der Abwicklung darstellt ( R G 162, 374).
Anm. 7 Eine B e s c h r ä n k u n g d e r V e r t r e t u n g s m a c h t ist in verschiedener Weise zulässig, auch in der Weise, daß die Gesellschafter nur mit dem Gesellschaftsvermögen haftbar gemacht werden können ( R G 63, 65; 90, 176; 155, 87). Dadurch wird eine Annäherung an die GmbH bewirkt. Gegen die Wirksamkeit einer solchen Haftungsbeschränkung läßt sich nicht einwenden, daß dadurch dem Dritten, der sich mit dem Geschäftsführer einlassen will, eine zu weitgehende Prüfung zugemutet werde. Der Dritte ist ohnedies darauf angewiesen, sich die über die Bevollmächtigung ausgestellte Urkunde vorlegen zu lassen, um sich über die Vollmachtserteilung und über den Umfang der Vollmacht zu vergewissern. Ist in der Urkunde über eine Beschränkung nichts gesagt,, so kann allerdings dem gutgläubigen Dritten die Beschränkung nicht entgegengehalten werden (§ 172). Auch die Vorschrift des § 171 findet zum Schutz Dritter hier Anwendung. Des weiteren gilt zugunsten von Dritten auch die Auslegungsregel des § 7 1 4 ; ein Dritter kann sich also zunächst einmal darauf verlassen, daß mit der Übertragung der Geschäftsführung dem geschäftsführenden Gesellschafter auch eine entsprechende Vertretungsbefugnis erteilt ist. Die Vertretungsbefugnis entfällt nicht dadurch, daß ein anderer geschäftsführender Gesellschafter dem Abschluß eines Geschäfts nach § 7 1 1 widerspricht ( B G H 16, 398). Ein solcher Widerspruch hat nur für das Innenverhältnis Bedeutung und führt insoweit auch nicht einmal zur Aufhebung der Geschäftsführungsbefugnis ( § 7 1 1 Anm. 3).
Anm. 8 4. D a s H a n d e l n i m N a m e n d e r G e s e l l s c h a f t e r . Der Wille des vertretungsberechtigten Gesellschafters, für die Gesellschafter zu handeln, muß erkennbar hervortreten; ist das nicht der Fall, so kommt das Geschäft zwischen dem handelnden Gesellschafter und dem anderen Vertragspartner zustande (§ 164 Abs. 2; R G J W 1901, 163; 1 9 1 1 , 540). Aus dem Gesellschaftsverhältnis wird sich aber dann meist für den handelnden Gesellschafter die Pflicht ergeben, die Vorteile aus diesem Geschäft den Gesellschaftern zugute kommen zu lassen, wenn das Geschäft in den Rahmen der Gesellschaft fällt. Bei der I n n e n g e s e l l s c h a f t (Anm. 5 vor § 705) kommt ein Handeln im Namen der Gesellschafter nicht in Betracht; denn es gehört gerade zum Wesen der Innengesellschaft, daß bei ihr die Geschäfte nicht im Namen der Gesellschafter, sondern nur für ihre Rechnung abgeschlossen werden ( R G 166, 163; B G H 12, 314). Für eine Vertretungsbefugnis im Sinn des § 714 ist daher bei einer Innengesellschaft kein Raum.
Anm. 9 II. Die Haftung der Gesellschafter Aus den im Namen der Gesellschaft abgeschlossenen Verträgen werden diese unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Sie sind selbst die Vertragspartner dieser Geschäfte. Für ihre Haftung bedarf es keiner besonderen Bestimmung wie bei der offenen Handelsgesellschaft der des § 128 HGB, da die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft im Rechtsverkehr nicht als geschlossene Einheit auftritt (Anm. 4 vor § 705). Die Haftung der Gesellschafter ist nach §§427, 431 eine gesamtschuldnerische. Eine Haftung aus unerlaubter Handlung trifft grundsätzlich immer nur den handelnden Gesellschafter. Im Unterschied zur offenen Handelsgesellschaft ist hier für eine entsprechende Anwendung des § 31 kein Raum. Eine Haftung der übrigen Gesellschafter kommt nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des §831 gegeben sind. Des weiteren können hier aber auch die Haftungstatbestände der §§ 833, 836 von Bedeutung sein.
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§ 7 1 4 A n m . 10 § 715 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
III. Die Stellung der Gesellschafter i m Prozeß Anm. 10 Im Prozeß sind die Gesellschafter selbst Partei. Sie sind daher gegebenenfalls ab Partei zu vernehmen und zu beeidigen (§§ 445fr ZPO); sie können nicht Zeugen oder Nebenintervenienten sein. Ob die G e s c h ä f t s f ü h r e r zur Führung des Rechtsstreits ermächtigt sind, muß aus dem ihnen erteilten Auftrage entnommen werden; regelmäßig wird es der Fall sein. Klagen die Gesellschafter als solche und stellt sich heraus, daß der Anspruch einem Gesellschafter persönlich zusteht, oder macht umgekehrt ein Gesellschafter für seine Person einen der Gesellschaft zustehenden Anspruch geltend, so ist die Klage wegen mangelnder Sachlegitimation abzuweisen (RG J W 1912, 748 12 ). Die Klage gegen die Gesellschafter muß durch Zustellung an diese erhoben werden, soweit nicht die Geschäftsführer bevollmächtigt sind ( § 1 7 3 ZPO). Die Vertreter führen den Rechtsstreit immer im Namen der Gesellschafter, die als Kläger oder Beklagte benannt werden müssen, sie sind nicht gesetzliche Vertreter, sondern Prozeßbevollmächtigte (vgl. RG 57, 92). Verfolgen die Gesellschafter als Kläger einen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Anspruch, so sind sie n o t w e n d i g e S t r e i t g e n o s s e n (§ 62 ZPO). Der aus der Gesellschaft ausscheidende Gesellschafter bleibt auf Grund des § 265 Abs. 2 ZPO Partei im Prozesse, wenngleich gemäß § 738 sein Anteil am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zuwächst (RG 78, 105). In notwendiger Streitgenossenschaft stehen auch die Gesellschafter, welche als zur gesamten Hand verbundene Personen nur auf das Gesellschaftsvermögen (Anm. 7) in Anspruch genommen werden. Auch in diesem Falle bewirkt das Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft nicht sein Ausscheiden aus dem Rechtsstreite. Materiell ist freilich did Klage gegen ihn nicht mehr begründet. Ein neu in die Gesellschaft Eintretender muß mitbelangt werden (§ 736 ZPO). Soweit die Gesellschafter zugleich je für sich verklagt werden, besteht g e w ö h n l i c h e S t r e i t g e n o s s e n s c h a f t . Zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvernögen bedarf es nach § 736 ZPO eines Urteils gegen alle Gesellschafter. Dabei ist es freilich nicht notwendig, daß das Urteil einheitlich, d. h. gleichzeitig gegen alle Gesellschafter ergangen ist. Das Urteil kann je nach der Sachlage gegen die Gesellschafter mit der Maßgabe ergehen, daß die Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g nur in das Gesellschaftsvermögen zulässig ist, es kann aber auch gegen die einzelnen zugleich mit ihrem Privatvermögen haftenden Gesellschafter erlassen werden und ist in diesem Falle sowohl gegen das Gesellschaftsvermögen als das Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter vollstreckbar. Auf Grund des § 736 ZPO kann übrigens das die Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ermöglichende Urteil auch wegen Schulden der sämtlichen Gesellschafter, die mit den Gesellschaftszwecken in keinem Zusammenhang stehen, erlangt werden.
§715 Ist i m Gesellschaftsvertrag ein Gesellschafter ermächtigt, die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten, so kann die Vertretungsmacht nur nach Maßgabe des § 712 Abs. 1 und, wenn sie in Verbindung m i t der Befugnis zur Geschäftsführung erteilt worden ist, nur m i t dieser entzogen werden. E I 640 Abs. 2 n 655; M 2 609; F 1 424.
Anm. 1 1. Die Entziehung der Vertretungsmacht. Wie die Geschäftsführungsbefugnis bildet auch die auf G r u n d des G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e s dem Gesellschafter eingeräumte Vertretungsmacht ein S o n d e r r e c h t , das dem Gesellschafter nicht ohne Grund einseitig entzogen werden kann. § 715 dehnt daher die die Geschäftsführung betreffende Vorschrift des § 712 Abs. 1 auf die Vertretungsmacht aus. Im übrigen beruht § 715, soweit er die E n t z i e h u n g der Vertretungsmacht nicht ohne die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis zuläßt, auf der Einheitlichkeit des durch beide Befugnisse 794
Gesellschaft
§ 7 1 5 A n m . 2, 3 § 716 A n m . 1 , 2
dem Gesellschafter gewährten Sonderrechts. A m diesem Grunde wird, wenn solche Einheitlichkeit besteht, auch die alleinige Entziehung der Befugnis zur Geschäftsführung unter Belassung der Vertretungsmacht als ausgeschlossen gelten müssen. Anm. 2 2. Die K ü n d i g u n g der V e r t r e t u n g s m a c h t . Kündigung der Geschäftsführung nach § 712 Abs. 2 zieht den Verlust der Vertretungsmacht nach M a ß g a b e der §§ 168 Satz i, 714 nach sich. Die Kündigung der Vertretungsmacht allein ist, d a das Gesetz eine dem §712 Abs. 2 entsprechende Vorschrift nicht gibt, nicht als statthaft anzusehen. Anm. 3 3. D e r W i d e r r u f e i n e r V o l l m a c h t . Für die nicht einem Gesellschafter, sondern einem Dritten e r t e i l t e V e r t r e t u n g s m a c h t , sowie f ü r den Widerruf einer nicht im Gesellschaftsvertrag als Sonderrecht e r t e i l t e n V o l l m a c h t gelten die Vorschriften über die Vollmacht (§ 168).
§716 E i n G e s e l l s c h a f t e r k a n n , a u c h w e n n er v o n d e r G e s c h ä f t s f ü h r u n g a u s g e s c h l o s s e n i s t , s i c h v o n d e n A n g e l e g e n h e i t e n der G e s e l l s c h a f t p e r s ö n l i c h u n t e r r i c h t e n , die G e s c h ä f t s b ü c h e r u n d die P a p i e r e d e r G e s e l l s c h a f t e i n s e h e n u n d sich aus ihnen eine Übersicht über den Stand des Gesellschaftsvermögens anfertigen. Eine dieses Recht ausschließende oder beschränkende Vereinbarimg steht d e r G e l t e n d m a c h u n g d e s R e c h t e s n i c h t e n t g e g e n , w e n n G r u n d z u der A n n a h m e unredlicher Geschäftsführung besteht. E I 643 H 656; M a 613; P a 425.
Ü b ersieht Anm.
I. Das Recht auf Einsicht in die Geschäftsbücher 1. Der höchstpersönliche Charakter des Rechts 2. Der Inhalt des Rechts II. Der Ausschluß des Rechts
1—4 1, 2 3, 4 5
I. D a s R e c h t auf E i n s i c h t i n die G e s c h ä f t s b ü c h e r Anm. 1 1. D e r h ö c h s t p e r s ö n l i c h e C h a r a k t e r d e s R e c h t s . J e d e r Gesellschafter hat das Recht, Einsicht in die Geschäftsbücher u n d Papiere der Gesellschaft zu nehmen. Dieses Recht steht jedem einzelnen Gesellschafter p e r s ö n l i c h gegen die Gesamtheit der Gesellschafter zu. Es darf nicht verwechselt werden mit dem Recht auf Rechnungslegung, das die Gesamtheit der Gesellschafter gegen den geschäftsführenden Gesellschafter nach § 713 hat (RG 148, 279; vgl. auch § 713 Anm. 3). Das Recht auf Einsicht in die Geschäftsbücher ist also auch nicht dadurch ausgeschlossen, d a ß die geschäftsführenden Gesellschafter ihrer Rechnungslegungspflicht nachgekommen sind u n d die Gesamtheit der Gesellschafter die Bilanzen genehmigt oder die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung anerkannt hat. Anm. 2 Das Recht steht dem einzelnen Gesellschafter p e r s ö n l i c h zu. Es ist nicht übertragbar. H a t der Gesellschafter einen gesetzlichen Vertreter, so übt dieser die Einsicht aus. Die Ausübung des Rechts durch einen B e v o l l m ä c h t i g t e n ist grundsätzlich nicht gestattet (RG D R 1944, 245; B G H 25, 122/23). Etwas anderes gilt nur, wenn der Gesellschafter durch besondere Umstände (z. B. längere Krankheit, längere Abwesenheit) gehindert ist, sein Prüfungsrecht in sachgerechter Weise auszuüben, u n d wenn es bei objektiver Würdigung für die Gesellschaft zumutbar ist, einem vertrauenswürdi52
Komm. 2. BGB I i . Aufl. II. Bd. (Fischer)
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§ 716 A n m . 3—5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gen Dritten die Einsicht im Auftrag des verhinderten Gesellschafters zu gewähren ( B G H aaO). Der Gesellschafter ist im allgemeinen befugt, bei der Einsicht einen Sachverständigen (Wirtschaftsprüfer) zuzuziehen, jedenfalls stets dann, wenn er ohne einen solchen Sachverständigen von seinem Einsichtsrecht keinen sachgerechten Gebrauch machen kann (RG 170, 395; DR 1942, 279; B G H aaO). Anm. 3 2. Der Inhalt des Rechts. Jeder Gesellschafter hat das Recht auf Einsicht in die Bücher, nicht auf Aushändigung der Bücher. Das Recht muß daher grundsätzlich in den Geschäftsräumen der Gesellschaft ausgeübt werden. Das hat auch seinen guten Sinn, da die Bücher von der Gesellschaft an Ort und Stelle benötigt werden (vgl. auch §§118, 166 HGB). Die Gesellschaft ihrerseits ist verpflichtet, dem einzelnen Gesellschafter die Einsicht in den Geschäftsräumen zu ermöglichen. Tut sie das nicht oder erschwert sie ihm die Einsicht in unzumutbarer Weise, so kann sich das Recht auf Einsicht in ein Recht auf Aushändigung umwandeln (BGH 10.3. 1954 II Z R 32/53). Eine Pflicht zur Auskunftserteilung besteht nicht, noch weniger zur Rechnungslegung. Das Recht auf Einsicht erstreckt sich grundsätzlich auf alle Geschäftsbücher und Papiere der Gesellschaft. Die Geschäftsführung kann aber im Einzelfall dartun, daß bestimmte Unterlagen für eine sachgerechte Ausübung des Kontrollrechts nicht erforderlich sind (vgl. dazu auch B G H 25, 120). Anm. 4 Das Recht auf Einsicht setzt das Vorhandensein von Geschäftsbüchern und Papieren der Gesellschaft voraus. Durch diese Vorschrift ist aber nicht etwa dem geschäftsfiihrenden Gesellschafter beim Fehlen einer andern Vereinbarung allgemein die Verpflichtung zur Buchführung auferlegt. Eine solche Verpflichtung ist im Verhältnis zu den Gesellschaftern nur anzunehmen, wenn die Buchführung, wie bei größeren Unternehmungen von längerer Dauer, üblich ist (RG 103, 72). Hat der geschäftsführende Gesellschafter Buchungen über die Gesellschaftsgeschäfte vorgenommen, so darf er ihre Einsicht nicht deshalb verweigern, weil in den Büchern zugleich andere Eintragungen sich befinden. Zur Sicherung gegen Mißbrauch kann solchenfalls die Beschränkung geboten sein, daß das Recht der Einsicht nur durch einen vereideten Bücherrevisor ausgeübt werden darf (RG 103, 73). Die nach handelsrechtlichen, gewerberechtlichen oder steuerrechtlichen Vorschriften (vgl. §§ 38 fr HGB, §§ 162 fr AbgO)der Gesellschaft obliegende Buchführung bildet selbstverständlich eine besondere Verpflichtung des geschäftsführenden Gesellschafters. II. Der Ausschluß des Rechts Anm. 5 Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag Bestimmungen treffen, durch die das Recht auf Einsicht in die Geschäftsbücher ausgeschlossen, eingeschränkt oder anderweit geregelt wird. Solche Bestimmungen sind grundsätzlich wirksam. Eine Ausnahme gilt jedoch für den Fall, daß Grund zur Annahme einer unredlichen Geschäftsführung besteht; für diesen Fall kann das Recht auf Einsicht nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Der Gesellschafter hat dann aber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, daß Grund zur Annahme unredlicher Geschäftsführung besteht. Hierfür genügt aber schon der Nachweis eines Verdachts für einen objektiven Beurteiler, eine unredliche Geschäftsführung selbst braucht also nicht nachgewiesen zu werden. Ein Ausschluß des Rechts auf Einsicht in die Geschäftsbücher kann sich auch aus Treu und Glauben (§ 242) ergeben. Unter diesem Gesichtspunkt hat das Reichsgericht die Einsicht versagt, wenn der Gesellschafter diese dazu benutzen will, Ansprüche unter Verletzung seiner Treuepflicht gegen den anderen Gesellschafter vorzubereiten (RG 148, 281; vgl. aber auch Anm. J W 1935, 3152). 796
Gesellschaft
§717 Anm. 1, 2
§ 717 Die Ansprüche, die den Gesellschaftern aus dem Gesellschaftsverhältnisse gegeneinander zustehen, sind nicht übertragbar. Ausgenommen sind die einem Gesellschafter aus seiner Geschäftsführung zustehenden Ansprüche, soweit deren Befriedigung vor der Auseinandersetzimg verlangt werden kann, sowie die Ansprüche auf einen Gewinnanteil oder auf dasjenige, was dem Gesellschafter bei der Auseinandersetzung zukommt. E I 644 II 657; M 2 613—615; P 2 415. Ubersicht 1. Allgemeines 2. Die unübertragbaren Gesellschaftsrechte 3. Die übertragbaren Gesellschaftsrechte a) Ansprüche des Gesellschafters aus seiner Geschäftsführung b) Ansprüche des Gesellschafters auf seinen Gewinnanteil c) Ansprüche auf das Auseinandersetzungsguthaben 4. Abweichende Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag a) Einschränkung der Ubertragbarkeit von Gesellschafterrechten . . . . b) Erweiterung der Ubertragbarkeit von Gesellschafterrechten 5. Die Verpfändung, die Pfändung und der Nießbrauch
Ailm. 1 2, 3 4—8 5 6, 7 8 9—12 9 10—13 13
Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . Die §§ 7 1 7 , 7 1 9 Abs. 1 regeln die Übertragung von Rechten, die den Gesellschaftern in ihrer Eigenschaft als solchen zustehen. Dabei sind die T a t bestände der beiden Bestimmungen verschieden. § 7 1 7 befaßt sich mit den Rechten, die der einzelne Gesellschafter als Ausfluß seiner Mitgliedschaft gegenüber der Gesellschaft hat (dazu § 705 A n m . 20, 22), während die Regelung des § 7 1 9 Abs. I das Mitgliedschaftsrecht als ganzes (den Gesellschaftsanteil) zum Gegenstand hat und dabei zugleich zum Ausdruck bringt, daß der einzelne Gesellschafter auf Grund dieses Rechts nicht zur Verfügimg über einzelne zum Gesellschaftsvermögen gehörende Gegenstände befugt ist. Beide Bestimmungen gehen von dem Grundsatz der Unübertragbarkeit der Gesellschaftsrechte aus. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Die Regelung für diese Ausnahmen ist verschieden. Für den Bereich des § 7 1 7 gibt es gesetzlich vorgesehene Ausnahmen von dem Grundsatz der Unübertragbarkeit, aber auch nur diese (dazu A n m 10), während die für den Gesellschaftsanteil in § 7 1 9 bestimmte Unübertragbarkeit durch Gesellschaftsvertrag oder Vereinbarung unter den Gesellschaftern jederzeit abgeändert werden kann (dazu § 7 1 9 Anm. 2). Dieser Unterschied zwischen den beiden Bestimmungen wird nicht immer hinreichend beachtet, namentlich das Reichsgericht hat diese Bestimmungen meist gleichwertig nebeneinander gestellt (vgl. etwa R G J W 1919, 9 3 3 ; SeufFArch. 91 Nr. 4 1 ) .
Anm. 2 Die u n ü b e r t r a g b a r e n G e s e l l s c h a f t e r r e c h t e . Alle Rechte, die dem einzelnen Gesellschafter als Ausfluß seiner Mitgliedschaft gegenüber der Gesellschaft (Gesamtheit der Gesellschafter) zustehen, sind grundsätzlich nicht übertragbar. Hierher gehören jedoch nicht die Rechte, die ein Gesellschafter aus einem anderen Rechtsgrund (Drittgläubigerverhältnis) gegen die Gesamtheit der Gesellschafter hat (§ 705 A n m . 2 1 ) ; für ihre Ubertragbarkeit gelten die allgemeinen Vorschriften. Ferner fallen unter die Regelung des § 7 1 7 nicht die Ansprüche, die der Gesellschaft (Gesamtheit der Gesellschafter) gegen Dritte zustehen. Bei ihnen handelt es sich um Vermögensgegenstände, die zum Gesellschaftsvermögen gehören und über die zu verfügen dem einzelnen Gesellschafter nach § 7 1 9 verwehrt ist. Das gilt namentlich für den Anspruch der Gesellschaft gegen den einzelnen Gesellschafter auf Leistung der zugesagten Beiträge ( R G 76, 436; nicht ganz zutreffend in der Formulierung R G WarnRspr. 1 9 1 0 Nr. 55). 51*
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§ 717
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 3—6 Zu den unübertragbaren Gesellschaften-echten gehören die Verwaltungsrechte in der Gesellschaft. Sie sind mit der Mitgliedschaft untrennbar verbunden. Unübertragbar sind somit das Recht des Gesellschafters auf Teilnahme an der Geschäftsführung (§§ 709fr), auf Mitwirkung bei dem Recht, den Geschäftsführer mit Anweisungen zu versehen (§ 713 Anm. 2) und ihm Entlastung zu erteilen, auf Mitwirkung bei der Gewinnverteilung oder Auseinandersetzung, ferner das Recht der Nachprüfung sowie das Recht auf Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Gesellschaft (§ 716) und auf Rechnungslegung, des weiteren auch das Stimmrecht und das Recht zur Kündigung des Gesellschaftsvertrages. Diese Rechte sind aber zugleich auch höchstpersönlich in der Weise, daß sie grundsätzlich durch den Gesellschafter selbst ausgeübt werden müssen, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten also nicht gestattet ist (vgl. auch § 716 Anm. 2). Die Gesellschafter brauchen sich die Einmischung eines Dritten in ihre Rechtsverhältnisse nicht gefallen zu lassen.
Anm. 3 Für die Unübertragbarkeit der Gesellschafterrechte einerseits und für ihren höchstpersönlichen Charakter andererseits sind zwei verschiedene rechtliche Gesichtspunkte maßgebend. Das wirkt sich bei der Frage aus, ob es sich insoweit um Bestimmungen zwingenden Rechts handelt (dazu Anm. 1 0 / n ) .
Anm. 4 3. Die ü b e r t r a g b a r e n G e s e l l s c h a f t e r r e c h t e . Von dem Grundsatz der Unübertragbarkeit gelten nach Satz 2 Ausnahmen für drei Arten von Ansprüchen. Diesen Ansprüchen ist gemeinsam, daß es sich bei ihnen um Vermögenswerte Ansprüche handelt, die auf Leistung von Geld gerichtet sind. Diese Ansprüche sind ihrer Natur nach von der Mitgliedschaft lösbar. Für die Abtretbarkeit ist es nicht erforderlich, daß der einzelne Anspruch bereits voll entstanden ist; auch zukünftige und bedingte Ansprüche der in Satz 2 genannten Art sind abtretbar (RG 60, 130; 67, 1 3 ; 90, 20; SeuffArch. 75 Nr. 1 5 ; J W 1919, 933). Eine ausdehnende Anwendung von Satz 2 auf andere Arten von Ansprüchen ist nicht gerechtfertigt (vgl. auch R G 67, 17/18; WarnRspr. 1910 Nr. 55). Ubertragbar sind nach Satz 2 folgende Ansprüche:
Anm. 5 a) Ansprüche des Gesellschafters aus seiner Geschäftsführung. Hierher
gehören namentlich der Anspruch des Geschäftsführers auf Ersatz seiner Aufwendungen und auf Zahlung einer ihm zugesagten Vergütung (§ 713 Anm. 6). Durch die Abtretung ändert sich der Inhalt dieser Ansprüche nicht. Das ist insoweit wichtig, als die Ansprüche des Geschäftsführers während bestehender Gesellschaft nur gegen die Gesamtheit der Gesellschafter, nicht auch gegen die einzelnen Gesellschafter geltend gemacht werden können (§ 705 Anm. 24). Daher kann auch der Abtretungsempfänger während bestehender Gesellschaft nur Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen verlangen.
Anm. 6 b) Ansprüche des Gesellschafters auf seinen Gewinnanteil. Zweifelhaft ist,
ob hierher auch Ansprüche aus bestimmten Entnahmen aus der Gesellschaftskasse (feste Zinsen, Monatsbezüge) gehören. Das Reichsgericht hat das verneint, wenn diese Entnahmen vom Gewinn und Verlust unabhängig sind und im Einzelfall von einem entsprechenden Gewinn nicht gedeckt sind (RG 67, 18). Dabei begründet das Reichsgericht seine Auffassung damit, daß solche Bezüge den laufenden Lebensunterhalt des berechtigten Gesellschafters decken sollen. Diese (zutreffende) Begründung zeigt, daß insoweit nicht das für § 717 maßgebliche Gebot der Unübertragbarkeit der Gesellschafterrechte (Anm. 10), sondern ein Gesichtspunkt maßgeblich ist, der dem § 399 entnommen ist. Das bedeutet aber, daß ein Anspruch auf feste Entnahmen nur dann als unübertragbar angesehen werden kann, wenn die Entnahmen im Einzelfall auch tatsächlich für die Bestreitung des laufenden Lebensunterhalts bestimmt sind, was bei einer offenen Handelsgesellschaft in der Regel zutreffen wird, bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft aber keineswegs immer der Fall zu sein braucht.
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Gesellschaft
§717
Anm. 7—10
Anm. 7 Der Abtretungsempfänger erhält nur das Recht auf Auszahlung des festgestellten Gewinns; Irgendwelche Mitbestimmungsrechte bei der Gewinnfeststellung oder Kontrollrechte erhält er durch die Abtretung nicht (RG 90, 20). Er ist also nicht befugt, sich in die Verhandlungen über die Gewinnfeststellung einzumischen; er kann weder Rechnungslegung verlangen noch die gelegte Rechnung beanstanden oder die von den Gesellschaftern gefaßten Beschlüsse anfechten. Der Abtretungsempfänger kann die Forderung nur so geltend machen, wie sie durch den Beschluß der Gesellschafter oder bei Anfechtung des Beschlusses infolge dieser Anfechtung sich gestaltet hat (RG 98, 330). Die Abtretung äußert jedoch von der Zeit der Abtretung an darin ihre Wirkung, daß ein Verzicht auf die Forderung oder gleichstehende Verfügungshandlungen des abtretenden Gesellschafters unwirksam sind, und daß dieser, wenn aus seinem Verschulden der neue Gläubiger durch verzögerte oder ungehörige Feststellung Schaden erleidet, ihm ersatzpflichtig ist (RG 90, 20; etwas abweichend RG 98, 322). Auch die Mitgesellschafter können wegen schädigender Maßnahmen nach § 826 ersatzpflichtig werden. Sobald ihnen die Abtretung bekannt gemacht worden ist, können sie zum Nachteil des neuen Gläubigers auch nicht mehr die gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen über die Gewinnverteilung ändern (RG 90, 20; 91, 431). Anm. 8 c) Ansprüche auf das Auseinandersetzungsguthaben. Der Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben kann dem Betrag nach erst geltend gemacht werden, wenn dieses im Auseinandersetzungsverfahren zwischen dem abtretenden Gesellschafter und den übrigen Gesellschaftern festgestellt ist (RG go, 20). Dabei ist auch die dem Abtretenden zurückzugewährende Einlage als Guthaben in Ansatz zu bringen, soweit diese nicht durch den Verlustanteil gemindert ist (RG 90, 21). An dem Auseinandersetzungsverfahren ist der Abtretungsempfänger selbst nicht beteiligt, namentlich hat er keinen Anspruch auf Rechnungslegung (RG 52, 37; 90, 20); seine Rechtsposition ist insofern verhältnismäßig schwach. Die in Anm. 7 dargelegten Grundsätze gelten auch hier im vollen Umfang. Mit der Haftung für die Gesellschaftsschulden wird der Abtretungsempfänger nicht belastet, da er durch die Abtretung nicht selbst Gesellschafter wird (RG 60, 1 3 1 ) . 4. Abweichende Bestimmungen i m Gesellschaftsvertrag Anm. 9 a) Einschränkung der Übertragbarkeit von Gesellschafterrechten. Die Vorschrift des Satzes 2 ist nicht zwingend. Die gesetzlich vorgesehene Ubertragbarkeit der in Satz 2 genannten Ansprüche kann durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. In dieser Hinsicht haben die Gesellschafter freie Hand. Für die Pfändbarkeit hat jedoch ein solcher Ausschluß der Ubertragbarkeit keine Wirkung (§ 851 Abs. 2 ZPO). A n m . 10 b) Erweiterung der Übertragbarkeit von Gesellschafter rechten. Die Vorschrift des Satzes 1 ist zwingenden Rechts. Der Gesellschaftsvertrag kann daher nicht wirksam bestimmen, daß über den Rahmen des Satzes 2 hinaus auch andere Gesellschafterrechte (Verwaltungsrechte) an Dritte abgetreten werden dürfen. Die insoweit abweichende Meinung des Reichsgerichts (RG J W 1919, 933; L Z 1921, 617; ebenso Vorauf!. Anm. 4) wird der Sachlage nicht gerecht. Es ist nicht richtig, daß die Vorschrift des § 717 nur den Schutz bestimmter Personen (Gesellschafter) bezweckt, sie ist vielmehr Ausdruck eines dem Gesellschaftsrecht eigenen Grundgedankens, wonach die Verwaltungsrechte nicht von der Mitgliedschaft gelöst werden können. Das hat der Bundesgerichtshof für die Unzulässigkeit einer Abspaltung des Stimmrechts von der Mitgliedschaft eingehend dargelegt (BGH 3, 357; 20, 364; L M Nr. 6 zu § 105 HGB), gilt aber darüber hinaus auch für die anderen Verwaltungsrechte. Gewiß kann einem Dritten, dem ein Gesellschafter etwa seinen Anspruch auf den Gewinnanteil oder auf
799
§ 7 1 7 A n m . 11—13 §718
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
das Auseinandersetzungsguthaben abgetreten hat, mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter ein Anspruch auf Auskunftserteilung oder auf Rechnungslegung oder auf Einsicht in die Geschäftsbücher der Gesellschaft eingeräumt werden; in dieser Hinsicht steht es den Gesellschaftern frei, wie sie ihre Rechtsbeziehungen zu dem Abtretungsempfänger regeln. Auch kann so etwas schon von vornherein im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden. Damit wird aber nicht eine Abtretung der den einzelnen Gesellschaftern zustehenden Kontrollrechte ermöglicht. Denn bei einer solchen Regelung behält der „abtretende" Gesellschafter das ihm gesellschaftsrechtlich zustehende Kontrollrecht und der Dritte erhält ein eigenes (neues) Recht auf Auskunft, Rechnungslegung usw. A n m . 11 Anders steht es in dieser Hinsicht mit dem höchstpersönlichen Charakter dieser Ansprüche. Diese rechtliche Ausgestaltung der Verwaltungsrechte dient ausschließlich dem Schutz der übrigen Gesellschafter. Die A u s ü b u n g dieser Rechte d u r c h einen B e v o l l m ä c h t i g t e n kann daher im Gesellschaftsvertrag zugelassen werden. Das gilt selbst für die Ausübung des Stimmrechts ( B G H 3, 357). Nur darf auf dem Weg über die Vollmacht (unwiderrufliche Vollmacht) nicht eine Abspaltung des betreffenden Verwaltungsrechts von dem Mitgliedschaftsrechtherbeigeführt werden ( B G H 3,359; 20,365). A n m . 12 Von der unzulässigen Übertragung von Verwaltungsrechten zu unterscheiden sind Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag, wonach einzelnen Gesellschaftern solche Ver-waltungsrechte nicht zustehen oder wonach einzelne Gesellschafter an Stelle der vom Stimmrecht ausgeschlossenen Gesellschafter ein erhöhtes Stimmrecht erhalten (vgl. dazu B G H 20, 367). Solche Bestimmungen sind zulässig, soweit sie nicht mit anderweitigen zwingenden Vorschriften des Gesellschaftsrechts in Widerspruch stehen (vgl. z.B. § 716 Abs. 2). Namentlich wird man auch einen Ausschluß des Stimmrechts bei einzelnen Gesellschaftern für zulässig zu halten haben (dazu § 709 Anm. 12). A n m . 13 5. Die Verpfändung, die P f ä n d u n g u n d der Nießbrauch. Soweit einzelne Gesellschafterrechte übertragbar sind (Anm. 4 ff), können sie auch verpfändet, gepfändet oder mit einem Nießbrauch belastet werden. Darüber hinaus sind die gesetzlich übertragbaren Rechte selbst dann pfändbar, wenn im Gesellschaftsvertrag ihre Ubertragbarkeit ausgeschlossen oder eingeschränkt ist (§ 851 Abs. 2 ZPO). — Das an dem Gesellschaftsanteil eingeräumte Pfandrecht (über das Pfändungspfandrecht vgl. § 725) ergreift den Anspruch auf den Gewinnanteil und auf das Auseinandersetzungsguthaben (§§ 1274 Abs. 2, 717). Daraus folgt, daß ein späteres, unmittelbar an einem dieser Ansprüche erworbenes Pfandrecht dem älteren Pfandrecht am Gesellschaftsanteil nachsteht, mag auch der bezeichnete Anspruch entsprechend einem inzwischen gefaßten Gesellschafterbeschluß nur noch auf Herausgabe bestimmter Gegenstände gerichtet sein (RG 67, 331). Da der Pfandgläubiger nicht die Stellung eines Gesellschafters erhält, kann er nicht mit der Haftung für die Gesellschaftsschulden belastet werden (RG 60,131). Im übrigen gelten für die Stellung des Pfandgläubigers, Pfändungsgläubigers usw. die für die Stellung des Abtretungsempfängers maßgeblichen Grundsätze entsprechend (vgl. namentlich Anm. 7).
§718 Die Beiträge der Gesellschafter u n d die d u r c h die G e s c h ä f t s f ü h r u n g für die G e s e l l s c h a f t e r w o r b e n e n Gegenstände w e r d e n g e m e i n s c h a f t l i c h e s V e r m ö g e n der Gesellschafter ( G e s e l l s c h a f t s v e r m ö g e n ) . Zu d e m G e s e l l s c h a f t s v e r m ö g e n g e h ö r t a u c h , w a s auf Grund e i n e s z u d e m G e s e l l s c h a f t s v e r m ö g e n g e h ö r e n d e n R e c h t e s oder a l s Ersatz für die Z e r s t ö r u n g , B e s c h ä d i g u n g oder E n t z i e h u n g e i n e s zu d e m G e s e l l s c h a f t s v e r m ö g e n gehörenden Gegenstandes erworben wird. E
800
I 631 Abs. 4 II 658; M
2 J99; P 2
425—434.
Gesellschaft
§ 718 A n m . 1, 2
Ubersicht Anm.
I. Das Gesellschaftsvermögen i. Der rechtliche Charakter des Gesellschaftsvermögens 3. Die Bestandteile des Gesellschaftsvermögens a) Die Beiträge b) Der Erwerb durch Rechtsgeschäft c) Der Erwerb durch Surrogation usw d) Der Erwerb durch letztwillige Verfügung 3. Die Gesellschaftsschulden II. Die Gesellschaft ohne Gesellschaftsvermögen
i—io i, a 3—7 4 5 6 7 8—10 11
I. Das Gesellschaftsvermögen Anm. 1 1. Der rechtliche Charakter des Gesellschafts Vermögens. Das Gesellschaftsvermögen ist ein dinglich gebundenes Sondervermögen, das auch im Rechtssinn von dem Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter unterschieden ist. In dieser Hinsicht reicht die Wirkung des Gesellschaftsverhältnisses über die rein schuldrechtliche Sphäre hinaus. Die Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens — über den Unterschied, der insoweit gegenüber der Bruchteilsgemeinschaft obwaltet, vgl. Anm. 4 vor § 705 — erweist sich darin, daß die Übertragung von Privatvermögen in das Gesellschaftsvermögen und umgekehrt Eigentumsübertragung ist (vgl. dazu ebenfalls Anm. 4 vor § 705), und daß persönliche und dingliche Rechtsverhältnisse zwischen den Gesellschaftern insgesamt und einzelnen von ihnen bestehen können. Durch die Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens soll die Verwendung der dem Gesellschaftszweck gewidmeten Vermögensgegenstände für diesen Zweck rechtlich gesichert werden (RG 56, ao8). Dem entspricht es, daß der einzelne Gesellschafter gemäß § 719 kein unmittelbares Verfugungsrecht an einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen hat und auch nicht —• wie der Teilhaber einer Bruchteilsgemeinschaft (vgl. § 747) — über einen Anteil an einem solchen einzelnen Gegenstand verfügen kann, ferner daß der Gläubiger eines Gesellschafters kein unmittelbares Zugriffsrecht auf einzelne zum Gesellschaftsvermögen gehörende Gegenstände hat (vgl. § 725), und daß schließlich beim Ausscheiden eines Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern der Anteil des Ausscheidenden ohne weiteres zuwächst (vgl. § 738). Die Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens ist aber im Unterschied zu dem Vermögen einer juristischen Person nicht auch in der Weise durchgeführt, daß das Gesellschaftsvermögen einer von den einzelnen Gesellschaftern verschiedenen Rechtsperson zusteht. Rechtsträger des Gesellschaftsvermögens sind vielmehr die Gesellschafter selbst, allerdings in ihrer Verbundenheit als Gesellschafter; das Vermögen steht ihnen zur gesamten Hand zu. Das Gesamthandsprinzip ist die rechtliche Konstruktion, in der einerseits die Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens als einer von dem freien Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter gesonderten rechtlichen Einheit ihren Ausdruck findet, und in der andererseits in subjektiver Hinsicht die Rechtszuständigkeit der Gesellschafter erhalten bleibt (vgl. dazu auch Anm. 4 vor § 705). Das Gesellschaftsvermögen gehört nicht nur allen Gesellschaftern zur gesamten Hand, sondern der einzelne Gesellschafter hat auch einen Anteil an dem ungeteilten Gesellschaftsvermögen als Ausfluß seiner Mitgliedschaft (vgl. § 719 Abs. 1). Anm. 2 Besonderer Hervorhebung bedarf es, daß die Übertragung des Gesellschaftsvermögens grundsätzlich keine Vermögensübertragung i m Sinne des § 419 ist (RG JW 1910, 24a; 1918, 35; BGH Betrieb 1958, 1127). Hierin erweist sich der Unterschied zwischen dem Vermögen einer Personalgesellschaft und dem Vermögen einer juristischen Person. Das Vermögen einer Personalgesellschaft ist lediglich ein dinglich gebundenes Sondervermögen der Gesellschafter, auf das deshalb § 419 keine Anwendung
801
§ 718 A n m . 3—6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
finden kann, weil § 419 die Übertragung des g e s a m t e n Vermögens einer Person voraussetzt. Anders ist es, wenn in einem Einzelfall das Gesellschaftsvermögen praktisch das ganze Vermögen der Gesellschafter darstellt; in diesem Fall ist dann die Ubertragung des Gesellschaftsvermögens zugleich eine Übertragung des Vermögens der Gesellschafter, so daß dann ein Anwendungsfall des § 419 gegeben ist (BGH W M 1958, 937)Anm. 3 2. Die Bestandteile d e s G e s e l l s c h a f t s v e r m ö g e n s . Zum Gesellschaftsvermögen können nicht nur dingliche Rechte jeder Art (über Gesamthandseigentum an Grundstücken vgl. auch §47 GBO), sondern auch schuldrechtliche Ansprüche, auch solche gegen einzelne Gesellschafter, gehören. Des weiteren kommen als Bestandteile des Gesellschaftsvermögens Urheber- und Erfinderrechte in Betracht, dagegen nicht personenbezogene Rechte wie das Namens- oder Firmenrecht. Ob im einzelnen Fall bestimmte Gegenstände zum Gesellschaftsvermögen gehören, kann zweifelhaft sein. Im einzelnen gelten hierfür nachstehende rechtliche Gesichtspunkte. Anm. 4 a) Die Beiträge. Die entrichteten Beiträge (Einlagen, vgl. dazu § 706 Anm. 1) gehören zum Gesellschaftsvermögen. Dabei hängt es von dem Inhalt der Beitragspflicht ab, was im einzelnen durch die Leistung der Beiträge Gesellschaftsvermögen wird (vgl. dazu § 706 Anm. 3). Des weiteren gehören aber auch die Ansprüche auf die Beiträge bereits zum Gesellschaftsvermögen; frühere Zweifel in dieser Hinsicht sind heute als überholt anzusehen (RG 54, 300; 76, 278; m , 83). Daraus folgt, daß die Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen auch auf die Beitragsforderungen erstreckt werden kann. Anm. 5 b) Der E r w e r b durch R e c h t s g e s c h ä f t . Zum Gesellschaftsvermögen gehören alle Gegenstände, die von den geschäftsführenden und vertretungsberechtigten Gesellschaftern namens der Gesellschafter erworben worden sind. Hat der Geschäftsführer in» eigenen Namen gehandelt, so fällt der erworbene Gegenstand nicht in das Gesellschaftsvermögen (RG 54, 106). In diesem Falle haben aber die Gesellschafter insgesamt einen Anspruch darauf, daß die für Rechnung der Gesellschaft erworbenen Gegenstände auf die Gesellschaft übertragen werden ( § 7 1 3 Anm. 4); dieser Anspruch gehört zum Gesellschaftsvermögen. Anm. 6 c) Der E r w e r b durch Surrogation u s w . Nach Abs. 2 gehört zum Gesellschaftsvermögen auch, was auf Grund eines zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Rechts, oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstandes erworben wird. Hierher gehören Früchte einer Sache oder eines Rechts, nicht nur die natürlichen Früchte, daher z. B. auch Zinsen, ferner sonstige Erweiterungen eines Rechts, dagegen nicht ohne weiteres Gegenleistungen aus einem Veräußerungsgeschäft (so R G 67, 331). Bei einem solchen Veräußerungsgeschäft handelt es sich um einen Erwerb durch Rechtsgeschäft, so daß die in Anm. 5 dargelegten Gesichtspunkte zur Anwendung gelangen. In diesen Zusammenhang gehören namentlich auch S c h a d e n s e r s a t z - und sonstige Entschädigungsa n s p r ü c h e (z. B. Enteignungsentschädigung). Das gilt namentlich auch für Schadensersatzansprüche gegen einzelne Gesellschafter wegen Verletzung ihrer Gesellschafterpflichten (Verletzung der Beitragspflicht, Verletzung der Geschäftsführerpflicht; vgl. dazu auch § 708 Anm. 6). Ferner gehören Versicherungsansprüche und Bereicherungsansprüche zum Gesellschaftsvermögen. Das bedingte Anrecht des Erwerbers eines Lotterieloses zur ersten Klasse auf dieselben Losnummern der folgenden Klassen ist bei einer Lotteriegesellschaft Bestandteil des Gesellschaftsvermögens. Wird auf Grund dieses Anrechts das neue Los erworben, so trifft Abs. 2 zu (RG J W 1904, 360; vgl. auch. R G S t 43, 56).
802
Gesellschaft
§718 Anm. 7—10
Anm. 7 d) Der Erwerb durch letztwillige Verfügung. Nicht geregelt ist die Frage, ob
die Gesellschaft auch durch letztwillige Verfügung unmittelbar Rechte erwerben kann. Diese Frage wird man bei einem V e r m ä c h t n i s bejahen müssen (ebenso S t a u d i n g e r K e s s l e r Anm. 6). Das bedeutet, daß die Vermächtnisforderung beim Tod des Erblassers unmittelbar Bestandteil des Gesellschaftsvermögens wird. Dagegen ist ein Erwerb durch E r b e i n s e t z u n g aus Rechtsgründen nicht möglich. In einem solchen Fall wird man aber im allgemeinen die Erbeinsetzimg in eine solche der einzelnen Gesellschafter umdeuten können mit der Auflage, die Nachlaßgegenstände in das Gesellschaftsvermögen zu überfuhren. Dann wird die Forderung auf Übertragung der Nachlaßgegenstände von der Erbengemeinschaft auf die Gesellschaft (dazu Anm. 4 vor § 705) Bestandteil des Gesellschaftsvermögens.
Anm. 8 3 . Die G e s e l l s c h a f t s s c h u l d e n . Belastet wird das Gesellschaftsvermögen durch die Gesellschaftsschulden. Sie unterscheiden sich von den Schulden der einzelnen (auch aller) Gesellschafter. Das ist in verschiedener Hinsicht von Bedeutung, so für das Aufrechnungsverbot des §719 Abs. 2, für die Haftung eines neu eintretenden Gesellschafters, für die Gesellschaftsschulden sowie für eine etwaige rechtsgeschäftliche Beschränkung der Haftung der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen (vgl. ferner auch § 733). In der rechtlichen Anerkennung des Begriffs der Gesellschaftsschulden kommt die rechtliche Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens (Anm. 1) ebenfalls zum Ausdruck.
Anm. 9 G e s e l l s c h a f t s s c h u l d e n e n t s t e h e n in der Regel aus V e r t r ä g e n d e r G e s c h ä f t s f ü h r e r (§ 714). Eine Gesellschaftsschuld kann aber auch dadurch entstehen, daß die Gesellschafter für das rechtswidrige Tun des Geschäftsführers einstehen müssen (§ 831, vgl. § 714 Anm. 9) oder wenn ihnen selbst eine unerlaubte Handlung zur Last fällt (§§ 830, 833, 836). Im allgemeinen haften die Gesellschafter für die Gesellschaftsschulden mit dem Gesellschaftsvermögen und zugleich mit ihrem Privatvermögen als Gesamtschuldner (§ 427); das gilt im Zweifel auch dann, wenn Gegenstand der Verpflichtung eine teilbare Leistung ist. Bei vertraglich begründeten Gesellschaftsschulden kann aber eine beschränkte Haftung nur mit dem Gesellschaftsvermögen vereinbart werden. Auch kann sich eine solche beschränkte Haftung daraus ergeben, daß dem Geschäftsführer der Gesellschaft nur eine beschränkte Vertretungsmacht eingeräumt worden ist, durch die er die Gesellschafter nur in Höhe des Gesellschaftsvermögens verpflichten kann (dazu § 714 Anm. 7). Ist Gegenstand der Gesellschaftsschuld ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung, so haftet hierfür nur das Gesellschaftsvermögen, nicht auch das Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter; das folgt aus der rechtlichen Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens.
Anm. 10 Die in Anm. 4 vor § 705 dargelegten Unterschiede zwischen der offenen Handelsgesellschaft und der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft in dem Ausmaße der rechtlichen Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens ergeben auch in diesem Zusammenhang Unterschiede. Bei der offenen Handelsgesellschaft haftet das Gesellschaftsvermögen nur für die Gesellschaftsschulden, bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft können auch P r i v a t g l ä u b i g e r Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen nehmen, wenn es sich um eine Privatschuld sämtlicher Gesellschafter handelt. Das hängt mit der unterschiedlichen Regelung in § 736 Z P O und in § 124 Abs. 2 H G B zusammen, die Ausdruck der in ihrem Ausmaß verschiedenartigen Verselbständigung beider Gesellschaftsarten ist. Dagegen können Privatgläubiger einzelner Gesellschafter nicht Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen verlangen; das ergibt sich aus der rechtlichen Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens; ein solcher Gläubiger hat nur die Möglichkeiten des § 725.
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§ 7 1 8 A n m . 11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 719 Anm. 1 Anm. 11 II. Die Gesellschaft ohne Gesellschaftsvermögen Wie bereits in Anm. 5 vor § 705 dargelegt ist, ist es für eine Gesellschaft nicht notwendig, daß sie ein Gesellschaftsvermögen hat ( R G 77 226/27; 80, 342; 142, 20). Es gibt auch Gesellschaften ohne Gesellschaftsvermögen. Hierzu gehören namentlich die I n n e n g e s e l l s c h a f t e n , bei denen eine gemeinsame Vertretung fehlt, und deren Geschäfte nach außen im Namen eines Gesellschafters geschlossen werden, nach innen aber für Rechnimg der Gesellschaft gehen ( R G 166, 163; B G H 12, 315). Die vereinbarten Beiträge können in das Privatvermögen des einen Gesellschafters fließen, mit dessen Mitteln das Unternehmen für Rechnung sämtlicher im Innenverhältnis beteiligter Gesellschafter betrieben wird. Dieser Gesellschafter erscheint nach außen hin als der allein Berechtigte und Verpflichtete ( R G 77, 226/27; L Z 1924, 817). Bei einer solchen Gestaltung der Verhältnisse ist es nicht ausgeschlossen, daß bei der Auflösimg der Gesellschaft das Betriebsvermögen nach Maßgabe des § 733 Abs. 3 auseinanderzusetzen, also zu versilbern ist ( R G J W 1934, 3268), notwendig ist das aber nicht ( R G 166, 164; vgl. dazu auch § 733 Anm. 2).
§719 Ein Gesellschafter kann nicht über seinen Anteil an dem Gesellschaftsvermögen und an den einzelnen dazu gehörenden Gegenständen verfügen; er ist nicht berechtigt, Teilung zu verlangen. Gegen eine Forderung, die zum Gesellschaftsvermögen gehört, kann der Schuldner nicht eine ihm gegen einen einzelnen Gesellschafter zustehende Forderung aufrechnen. E I 645 n 658; M 1 615; P a 415—437.
Ü b ersieht Aom.
I. Die Verfügung über den Anteil am Gesellschaftsvermögen 1. Die gesetzliche Regelung 2. Abweichende Vereinbarungen 3. Das Zustimmungserfordernis 4. Dingliche Belastungen des Gesellschaftsanteils 5. Auslegungsfragen II. Die Verfügung über den Anteil an einzelnen Vermögensgegenständen 1. Die gesetzliche Regelung 2. Die Verfügung über einzelne Vermögensgegenstände I I I . Der Ausschluß des Teilungsanspruchs
.
1—5 1 2 3 4 5 6, 7 6 7 8
I V . Die Aufrechnung bei Gesellschaftsforderungen 9—11 1. Die Aufrechnungsbefugnis der Gesellschaft 9 2. Die Aufrechnungsbefugnis eines Gesellschafters 10 3. Die Aufrechnungsbefugnis des Gesellschafts- und des Gesellschaftergläubigers Ii
I. Die Verfügung über den Anteil am Gesellschafts vermögen Anm. 1 1 . D i e g e s e t z l i c h e R e g e l u n g . Der einzelne Gesellschafter kann über seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen und damit über seine Beteiligung an der Gesellschaft grundsätzlich nicht verfügen. Er kann namentlich diese nicht an einen Dritten übertragen. Diese gesetzliche Regelung ist nicht durch die Besonderheiten der Gesellschaft als einer Gesamthandsgemeinschaft bedingt, wie ein Hinweis auf § 2033 lehrt. Vielmehr hat diese Regelung ihren Grund darin, daß die Gesellschaft auf einer vertraglichen Grundlage beruht und es sich kein Gesellschafter gegen seinen Willen gefallen z u lassen braucht, daß er durch die Übertragung der Mitgliedschaft auf einen Dritten einen
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Gesellschaft
§719
Anm. 2, 3
anderen als Vertragspartner erhält. Damit wird zugleich die Tragweite dieser gesetzlichen Regelung deutlich. Sie dient nicht dem Schutz der Allgemeinheit und enthält daher nicht ein Verbot im Sinne des § 134 (RG 92, 398; 93, 294; J W 1919, 933; BGH 13, 182). Die gesetzliche Regelung enthält aber auch nicht, wie das Reichsgericht angenommen hatte (RG aaO; anders freilich R G WarnRspr. 1914 Nr. 179), einen Anwendungsfall des § 135, so daß die Übertragung der Mitgliedschaft lediglich relativ unwirksam wäre. Eine solche Annahme läßt sich, wie der Bundesgerichtshof im einzelnen dargelegt hat (vgl. BGH 13, 183/84; zustimmend jetzt auch das Schrifttum, vgl. S t a u d i n g e r - K e s s l e r Anm. 4, 5 m.w.N.), nicht halten. Sie führt zu unauflöslichen Schwierigkeiten, weil die Abtretung nicht gegenüber den Gesellschaftern als unwirksam, im übrigen aber als wirksam betrachtet werden kann. Bei der Vorschrift des § 7 1 9 handelt es sich nicht um ein Veräußerungsverbot, das den Schutz bestimmter Personen bezweckt, sondern lediglich um eine Klarstellung dahin, daß ein Gesellschafter nicht ohne Zustimmung der anderen einen neuen Gesellschafter in das Gesellschaftsverhältnis einfuhren kann. Daraus wird zugleich deutlich, daß diese gesetzliche Regelung nicht zwingend ist, sondern daß abweichende Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden können. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Abtretungsverbot des § 719 also wesentlich von den Abtretungsverboten des §717 (vgl. dazu §717 Anm. I o). Anm. 2 2. Abweichende Vereinbarungen. Der Gesellschaftsvertrag kann vorsehen, daß die Abtretung des Gesellschaftsanteils auf einen Dritten zulässig ist. Eine solche Gestattung kann im Gesellschaftsvertrag auch mit Einschränkungen erteilt werden, etwa dahin, daß die Abtretung nur an bestimmte Personen (Gesellschafter, Familienangehörige, Kinder) erfolgen darf. Die Abtretung kann auch von der Zustimmung eines bestimmten Gesellschafters oder der Mehrheit der Gesellschafter abhängig gemacht werden, wobei wiederum eine Regelung dahin denkbar ist, daß die Zustimmung nur aus bestimmten Gründen oder nur aus einem wichtigen Grunde versagt werden darf. Im letzteren Fall hat der übertragende Gesellschafter einen (klagbaren) Anspruch auf Erteilung der Zustimmung, es sei denn, daß die übrigen Gesellschafter das Vorliegen eines Versagungsgrundes nachweisen. Der Gesellschaftsvertrag kann auch eine teilweise Abtretung des Gesellschaftsanteils vorsehen. Eine nach dem Gesellschaftsvertrag zulässige Abtretung des Gesellschaftsanteils ist ohne weiteres wirksam; mit der Abtretung wird der Abtretungsempfänger an Stelle des ausscheidenden Gesellschafters Mitglied der Gesellschaft. Ist im Gesellschaftsvertrag eine Abtretung des Gesellschaftsanteils nicht vorgesehen, so können die übrigen Gesellschafter in jedem einzelnen Fall die Zustimmung zu einer Abtretung erteilen und damit die Abtretung wirksam machen. Für jede Art der Abtretung ist eine besondere Gestattung — entweder im Gesellschaftsvertrag oder durch Zustimmung der übrigen Gesellschafter — erforderlich, auch für die nur t r e u h ä n d e r i s c h e Ü b e r t r a g u n g oder für die Rückübertragung vom Treuhänder auf den Treugeber (BGH 24, 1 1 4 ; vgl. auch R G 159, 282); bei der Rückübertragung kann jedoch im einzelnen Fall eine Verpflichtung der übrigen Gesellschafter zur Erteilung der Zustimmung angenommen werden (vgl. dazu R o b . F i s c h e r Anm. bei L M Nr. 1 zu § 2218). Die Begründung einer Verpflichtung zur Abtretung eines Gesellschaftsanteils ist ohne Rücksicht auf die erforderliche Zustimmung der übrigen Gesellschafter wirksam, da das Zustimmungserfordernis nur für die Abtretung gilt (BGH BB 1958, 57). Anm. 3 3. Das Zustimmungserfordernis. Ist für die Abtretung des Gesellschaftsanteils die Zustimmung der übrigen Gesellschafter, der Mehrheit der Gesellschafter oder eines bestimmten Gesellschafters erforderlich, so finden auf die Erteilung der Zustimmung die Vorschriften der §§ 182fr Anwendung (BGH 13, 185; a M RG 128, 177). Das hat zur Folge, daß die Abtretung bis zur Erteilung der Genehmigung schwebend unwirksam ist und mit der Erteilung rückwirkend wirksam wird (so schon RG WarnRspr. 1914 Nr. 179). Diese Meinung ist freilich nicht unbestritten (vgl. die Nachweise bei S t a u d i n g e r - K e s s l e r § 719 Anm. 5, § 736 Anm. 15). Die Gegenmeinung stützt sich auf die
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§ 719 A n m . 4—6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Erwägung, daß der Wechsel im Mitgliederbestand eine Änderung des Gesellschaftsvertrages darstellt, und daß sich der Eintritt des neuen Gesellschafters nur in der Weise vollziehen kann, daß die übrigen Gesellschafter mit ihm einen Aufnahmevertrag abschließen. Demzufolge wird die Zustimmung als eine Genehmigung im Sinne des § 177 angesehen, damit also angenommen, daß der ausscheidende Gesellschafter den Aufnahmevertrag namens der übrigen Gesellschafter abschließt. Diese Meinung erscheint gekünstelt, verlagert den Vorgang einer Abtretung des Gesellschaftsanteils allein auf das Gebiet des Schuldrechts —• von einer Verfügung kann insoweit nur noch schwerlich gesprochen werden — und wird dem Umstand nicht gerecht, daß der Erwerber des Gesellschaftsanteils Rechtsnachfolger des ausscheidenden Gesellschafters ist (vgl. dazu ferner auch § 736 Anm. 5). Die Versagung der Zustimmung ist u n w i d e r r u f l i c h ( R G 139, 123; B G H 13, 187). Die bis dahin schwebend unwirksame Abtretung wird damit endgültig unwirksam. Diese Wirkung kann nicht durch eine einseitige Erklärung des Zustimmungsberechtigten wieder beseitigt werden. Anm. 4 4. Dingliche B e l a s t u n g e n d e s G e s e l l s c h a f t s a n t e i l s . Unter den gleichen Voraussetzungen wie die Abtretung eines Gesellschaftsanteils ist auch die Belastung eines Gesellschaftsanteils mit einem P f a n d r e c h t oder einem N i e ß b r a u c h möglich. Für die Bestellung eines Pfandrechts oder eines Nießbrauchs ist also entweder eine entsprechende Bestimmung im Gesellschaftsvertrag oder die Zustimmung der übrigen Gesellschafter erforderlich. Bei einer Verpfandung des Gesellschaftsanteils ist die Vorschrift des § 1274, nicht aber die des § 1280 anwendbar; demzufolge ist für die Wirksamkeit der Verpfändung eine Anzeige an die Gesellschaft nicht erforderlich ( R G 57, 414). Das Pfandrecht ergreift nicht etwa die einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstände, so daß die Gesellschaft durch die Verpfändung des Gesellschaftsanteils nicht gehindert ist, Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen zu treffen; Änderungen in der Substanz des Gesellschaftsvermögens mögen Einfluß auf die Höhe der dem Pfandgläubiger zustehenden Ansprüche haben, aber sein Pfandrecht berühren sie nicht ( R G 67, 332). Für die P f ä n d u n g des Gesellschaftsanteils besteht eine abweichende Regelung; hier ist der Gläubiger zu einem einseitigen Vorgehen berechtigt und nicht an die Zustimmung der übrigen Gesellschafter gebunden (vgl. dazu § 725). Anm. 5 5. A u s l e g u n g s f r a g e n . Ist die Abtretung eines Gesellschaftsanteils wegen Versagung der notwendigen Zustimmung unwirksam, so muß im Einzelfall gefragt werden, ob im Wege der Auslegung oder der Umdeutung der geschlossene Vertrag als eine Übertragung der abtretbaren Ansprüche auf Auszahlung des Gewinnanteils und des Auseinandersetzungsguthabens angesehen werden kann (vgl. dazu R G 92, 399). Dabei wird man nicht ohne weiteres von einem Regelfall ausgehen können, und zwar derart, daß eine solche Auslegung oder Umdeutung im Zweifel nicht in Betracht kommt (so OGH M D R 1948, 394). I I . Die V e r f ü g u n g ü b e r den Anteil a n einzelnen V e r m ö g e n s g e g e n s t ä n d e n Anm. 6 1. Die gesetzliche R e g e l u n g . Abs. 1 geht davon aus, daß dem einzelnen Gesellschafter auch ein Anteil an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen zusteht. Was dieser Anteil im einzelnen rechtlich darstellt, sagt das. Gesetz freilich nicht. Er unterscheidet sich jedenfalls grundlegend von dem Anteil, den der Teilhaber einer Bruchteilsgemeinschaft hat (dazu § 741 Anm. 2). Denn der Anteil an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen steht nicht zur freien Verfügung des Gesellschafters. Das ist zwingend und folgt mit rechtlicher Notwendigkeit aus dem Wesen einer Gesamthandsgemeinschaft auf vertraglicher Grundlage, gilt aber aus praktischen Gründen nach § 2033 Abs. 2 auch für die Erbengemeinschaft (vgl. dazu R o b . F i s c h e r NJW 1957, 1179). Abweichende Vereinbarungen unter
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Gesellschaft
§719 2 Anm. 7—9
den Gesellschaftern sind insoweit nicht möglich. Daher ist die Eintragung einer Hypothek auf dem Grundstücksanteil eines Gesellschafters auch mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter nach § 1 1 1 4 unzulässig ( K G R J A 3, 43); auch ist der Anteil eines Gesellschafters an den Mieten eines Gesellschaftsgrundstücks nicht pfändbar ( K G SeufFArch. 68 Nr. 8). Auch die B e g r ü n d u n g e i n e r V e r p f l i c h t u n g zur Verfügung über den Anteil an einem einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstand ist unwirksam, weil eine solche Verpflichtung auf eine rechtlich unmögliche Leistung gerichtet ist (§ 306). Anm. 7 2. Die Verfügung über einzelne Vermögensgegenstände. Von der Verfügung über den Anteil an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen ist die Verfügung über einzelne zum Gesellschaftsvermögen gehörende Gegenstände streng zu unterscheiden. Was für jene gilt, gilt nicht auch für diese. Wenn der einzelne Gesellschafter im Regelfall gleichwohl über einen einzelnen gemeinschaftlichen Gegenstand nicht verfügen kann, so hat das einen anderen Grund. Ihm fehlt das Recht zu einer solchen Verfügung, weil nur alle Gesellschafter zur gesamten Hand die Rechtsträger eines jeden zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstandes sind. Er verfügt also als Nichtberechtigter, so daß insoweit der Tatbestand des § 185 gegeben ist. Das bedeutet, daß die Verfügung eines Gesellschafters über einen gemeinschaftlichen Gegenstand wirksam wird, wenn die anderen Gesellschafter die Verfügung genehmigen. Auch kann der Gesellschafter auch schon vorher zu einer solchen Verfügung ermächtigt werden. Die gegenteilige, in RG 93, 294 vertretene Auffassung, wonach eine solche Verfügung gänzlich unwirksam sei, läßt sich nicht begründen; sie beruht auf der unzutreffenden Gleichstellung dieses Tatbestandes mit einer Verfügung über den Anteil an einem einzelnen Gegenstand des Gesellschaftsvermögens. Anm. 8 III. Der Ausschluß des Teilungsanspruchs Der einzelne Gesellschafter ist nicht berechtigt, Teilung einzelner zum Gesellschaftsvermögen gehöriger Gegenstände zu verlangen. Dieser Ausschluß des Teilungsanspruchs gehört zum Wesen der gesamthänderischen Berechtigung, im Unterschied zu der Rechtslage beim Miteigentum (RG 65, 23a). Eine gegenteilige Vereinbarung ist ungültig. Der Gesellschafter kann nur verlangen, daß nach Auflösung der Gesellschaft eine Auseinandersetzung stattfindet, die sich grundsätzlich auf das ganze Gesellschaftsvermögen erstreckt. Während bestehender Gesellschaft hat er nur einen Anspruch auf Teilung des G e w i n n s nach näherer Bestimmung des Gesellschaftsvertrages. In dem Vertrage kann bestimmt sein, daß gewisse Einnahmen ohne Aufstellung einer Gesamtrechnung über die Einnahmen und Ausgaben sogleich nach ihrem Eingang besonders zur Teilung zu bringen sind. Der Anspruch auf Teilung kann nur gegen die sämtlichen übrigen Gesellschafter erhoben werden. Sind durch schuldhaftes Verhalten eines Gesellschafters die Einnahmen verkürzt worden, so kann ein Mitgesellschafter aller Regel nach nur auf Leistung von Ersatz an die Gesellschaft, nicht auf Auskehrung seines Anteils an dem Schadensersatzbetrage klagen. Desgleichen kann der einzelne Gesellschafter, wenn abredemäßig die Einnahmen aus dem von einem Gesellschafter für Rechnung der Gesellschaft auf eigenen Namen geschlossenen Geschäft sogleich geteilt werden sollen, beim Fehlen einer unzweideutigen anderen Vereinbarung nur die Abführung der Einnahmen an die Gesellschaftskasse, nicht unmittelbar die Auszahlung seines Anteils verlangen (RG Recht 1908 Nr. 498). IV. Die Aufrechnung bei Gesellschaftsforderungen Anm. 9 1. Die Aufrechnungsbefugnis der Gesellschaft. Die Gesellschaft kann stets mit einer Forderung, die ihr (der Gesamtheit der Gesellschafter) zusteht, die also zum Ge807
§ 719 A n m . 10, 1 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
sellschaftsvermögen gehört (§ 718 Anm. 2 ff), gegen eine Forderung aufrechnen, die eine Gesellschaftsschuld ist (§718 Anm. 7ff). Dabei ist es gleichgültig, ob der Aufrechnungsgegner ein Gesellschafter oder ein Dritter ist. Die Aufrechnung ist durch den (die) vertretungsberechtigten Gesellschafter zu erklären. Dagegen ist eine Aufrechnungsbefugnis der Gesellschaft nicht gegeben, wenn die Forderung nicht zum Gesellschaftsvermögen gehört, sondern den Gesellschaftern unabhängig von ihrem Gesellschaftsverhältnis (z. B. als Miterben) zusteht; denn in diesem Fall wird eine etwaige Aufrechnungserklärung des vertretungsberechtigten Gesellschafters von seiner Vertretungsmacht nicht gedeckt; es ist vielmehr notwendig, daß in einem solchen Falle alle Gesellschafter die Aufrechnung erklären. Auch kann die Gesellschaft natürlich nicht mit einer Forderung aufrechnen, die einem Gesellschafter persönlich zusteht. Anm. 10 2. Die Aufrechnungsbefugnis eines Gesellschafters. Ein Gesellschafter kann eine Gesellschaftsforderung nicht zur Aufrechnung verwenden, um damit eine gegen ihn allein gerichtete Forderimg zu tilgen (vgl. dazu RG J W 1931, 3101). Er kann das auch nicht teilweise tun, da er einen bestimmten Anteil an der Gesellschaftsforderung nicht hat (Anm. 6). Auch als vertretungsberechtigter Gesellschafter kann er in einem solchen Falle nicht aufrechnen; denn ihm steht zwar die Befugnis zur Verfügung über die Gesellschaftsforderung zu, aber es fehlt an dem für die Aufrechnung notwendigen Gegenseitigkeitsverhältnis (§387). Selbst die Zustimmung aller Mitgesellschafter zu einer solchen Aufrechnung kann dieser nicht zur Wirksamkeit verhelfen (RG L Z 1907, 427; vgl. auch RG 78, 383); vielmehr müssen die übrigen Gesellschafter die Gesellschaftsforderung an den aufrechnenden Gesellschafter abtreten. Eine solche Abtretung kann unter Umständen in der Zustimmung zur Aufrechnung erblickt werden. Dagegen kann ein Gesellschafter, dem eine persönliche Forderung gegen einen Dritten zusteht, diese im Wege der Aufrechnung zur Tilgung einer dem Dritten gegen die Gesellschaft zustehenden Forderung verwenden. Gegen eine solche Aufrechnung bestehen mit Rücksicht auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit keine Bedenken, da der aufrechnende Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeit auch persönlich haftet (BGH L M Nr. 11 zu § 264 ZPO). Wird ein Gesellschafter wegen einer Gesellschaftsverbindlichkeit persönlich in Anspruch genommen, so kann er mit einer der Gesellschaft zustehenden Forderung aufrechnen, wenn er allein vertretungsberechtigt ist. Ist das jedoch nicht der Fall, so liegt es nahe, § 129 HGB entsprechend anzuwenden (vgl. auch § 770) und ihm eine aufschiebende Einrede zu gewähren. A n m . 11 3. Die Aufrechnungsbefugnis des Gesellschafts- oder des Gesellschaftergläubigers. Nach Abs. 2 kann der Schuldner nicht gegen eine Forderung, die zum Gesellschaftsvermögen gehört, mit einer ihm gegen einen einzelnen Gesellschafter zustehenden Forderung aufrechnen. Es fehlt in diesem Fall an dem für die Aufrechnung notwendigen Gegenseitigkeitsverhältnis (§ 387). Eine solche Aufrechnung ist auch nicht zum Teil möglich, da der einzelne Gesellschafter nicht einen bestimmten Anteil an der Gesellschaftsforderung hat. Dagegen kann ein Gesellschaftsgläubiger •— so wie umgekehrt die Gesellschaft (Anm. 9) — natürlich mit einer Forderung aufrechnen, die die Gesellschaft gegen ihn hat. Darüber hinaus muß aber einem Gläubiger, der eine Forderung gegen a l l e Gesellschafter hat, die Befugnis zur Aufrechnung mit einer Forderung der Gesellschaft gegen ihn zuerkannt werden. Das ergibt sich im Unterschied zu der Regelung bei der offenen Handelsgesellschaft aus der Vorschrift des § 736 ZPO (vgl. dazu § 718 Anm. 9), wonach einem solchen Gläubiger der Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen offen steht. Des weiteren kann ein Gesellschaftsgläubiger, der von einem einzelnen Gesellschafter wegen einer Privatforderung in Anspruch genommen wird, mit seinem Anspruch aus der persönlichen Haftung des Gesellschafters für die Gesellschaftsverbindlichkeit aufrechnen (BGH 26, 243).
808
Gesellschaft
§ 720 Anm. 1,2 § 721 Anm. 1
§ 720 Die Zugehörigkeit einer nach § 718 Abs. 1 erworbenen Forderung zum Gesellschaftsvermögen hat derSchuldner erst dann gegen sich gelten zulassen, wenn er von der Zugehörigkeit Kenntnis erlangt; die Vorschriften der §§ 406 bis 408 finden entsprechende Anwendung. E H 658 Abs. ¡ ¡ P l 434.
Anm. 1 1. Allgemeines. Die Bedeutung dieser Vorschrift, die eine Ausdehnung der für einen gutgläubigen Schuldner geltenden Schutzbestimmungen der §§ 406/08 enthält, ist gering. Denn der wichtigste hier in Betracht kommende Fall wird durch die Bestimmungen der §§ 406/08 unmittelbar erfaßt. Erwirbt ein geschäftsführender Gesellschafter im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft eine Forderung, so kann es durchaus vorkommen, daß dem Schuldner der Erwerb für Rechnung der Gesellschaft unbekannt bleibt. Da aber in diesem Fall die Gesellschaft (Gesamtheit der Gesellschafter) diese Forderung nicht unmittelbar erwirbt, sondern gegen den geschäftsfuhrenden Gesellschafter nur einen Anspruch auf Übertragung hat (§718 Anm. 4), wird diese Forderung erst durch eine besondere Abtretung Gesellschaftsforderung. Damit ist dann zugleich der Tatbestand für eine unmittelbare Anwendung der §§ 406/08 gegeben. Auch der weitere, als Anwendungsfall für § 720 vielfach angezogene Tatbestand, daß nämlich ein Gesellschafter eine ihm zustehende Forderung gegen einen Dritten als Einlage in die Gesellschaft einbringt, gehört nicht hierher. Denn eine solche Einlage wird durch Abtretung erbracht (§ 706 Anm. 9), so daß damit ebenfalls ein unmittelbarer Anwendungsfall für die §§ 406/08 gegeben ist. Anm. 2 2. Der Anwendungstatbestand des § 720. Für eine Anwendung des § 720 ist Raum, wenn der Schuldner bei Begründung einer Gesellschaftsforderung zwar weiß, daß die Forderung mehreren Gläubigern zusteht, ihm aber unbekannt ist, daß diese Gläubiger zu einer Gesamthandsgemeinschaft verbunden sind, und daß demzufolge bei einer teilbaren Forderung die einzelnen Gläubiger nicht einen bestimmten Anteil an der Forderung haben. In diesem Fall müssen demzufolge die Gesellschafter die Teilleistung des gutgläubigen Schuldners an einen Gesellschafter gegen sich gelten lassen. Das gleiche gilt für eine Aufrechnungserklärung, soweit diese bei einer Teilgläubigerschaft gegen einen einzelnen Gläubiger wirksam sein würde. Wenden die Gesellschafter demgegenüber ein, daß dem Schuldner die Zugehörigkeit der Forderung zum Gesellschaftsvermögen bekannt war, so haben die Gesellschafter die Kenntnis des Schuldners zu beweisen.
§
731
Ein Gesellschafter kann den Rechnungsabschluß und die Verteilung des Gewinns und Verlustes erst nach der Auflösung der Gesellschaft verlangen. Ist die Gesellschaft von längerer Dauer, so hat der Rechnungsabschluß und die Gewinnverteilung im Zweifel am Schlüsse jedes Geschäftsjahres zu erfolgen. E i 646 n 6)9; M 1 616; P 2 437.
Anm. 1 1. Allgemeines. Uber die Art der Rechnungslegung und der sich anschließenden Gewinnverteilung sind für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft keine Vorschriften gegeben. Es ist insbesondere nicht wie in § 121 HGB vorgeschrieben, daß vor der Gewinnverteilung die Einlagen (Kapitalanteile) der Gesellschafter zu verzinsen sind. Auch für die Zeit der Rechnungslegung und der Gewinnverteilung gibt das Gesetz keine 809
§ 721 A n m . 2, 3
§ 722 A n m . 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
näheren Bestimmungen; es begnügt sich mit den beiden Auslegungsregeln, daß Rechnungslegung und Gewinnverteilung im allgemeinen erst nach der Auflösung der Gesellschaft verlangt werden können und bei Gesellschaften von längerer Dauer im Zweifel am Schluß jedes Geschäftsjahres zu erfolgen haben. Anm. 2 2. D e r R e c h n u n g s a b s c h l u ß . Dieser bildet — und das ist der gesetzliche Regelfall des Abs. i — im allgemeinen einen Teil der Auseinandersetzung. Der Anspruch richtet sich gegen die geschäftsführenden Gesellschafter; wenn alle Gesellschafter zur Geschäftsführung berufen sind, gegebenenfalls gegen die übrigen auf Mitwirkung beim Rechnungsabschluß. Wann eine Gesellschaft „von längerer Dauer" vorliegt, bei der im Zweifel am Schluß des Geschäftsjahres der Rechnungsabschluß vorgenommen werden muß, richtet sich nach den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen. So wird man das bei Erwerbsgesellschaften (Handwerkergesellschaften) im allgemeinen bejahen, bei Gelegenheitsgesellschaften im allgemeinen verneinen müssen (Ausnahmefall: R G J R 1927 Nr. 1388). Auch bei Gesellschaften, die länger als ein Jahr dauern, wird man am Ende des zweiten Geschäftsjahres die Pflicht zur Aufstellung eines Rechnungsabschlusses anzunehmen haben. Bei Gesellschaften von längerer Dauer bildet der Rechnungsabschluß natürlich nicht mehr einen Teil der Auseinandersetzung. Anm. 3 3. D e r A n s p r u c h auf Gewinnverteilung. Nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags — wobei es namentlich darauf ankommt, ob die Gesellschaft den Zwecken des Erwerbs oder vorwiegend idealen Bestrebungen dient — ist zu bestimmen, ob und inwieweit der Gesellschafter ein Recht auf Auszahlung des bei richtiger Rechnungsaufstellung sich ergebenden Gewinnanteils hat. Auf dieser Grundlage ist weiter zu prüfen, ob er etwa nach der geschäftlichen Lage die Zurückbehaltung des Gewinns zur Verstärkung des Betriebskapitals oder als Rücklage für besondere Bedarfsfälle sich gefallen lassen muß. Sofortige Auszahlung des Gewinnanteils je nach Erledigung der einzelnen Geschäfte kann vereinbart werden (RG 95, 147 a. E.). Der Anspruch des Gesellschafters kann während der Dauer der Gesellschaft grundsätzlich nur dieser, nicht den Mitgesellschaftern gegenüber verfolgt werden (RG 170, 395; vgl. auch §705 Anm. 27). Auszahlungen, die keinen Gewinn darstellen, dürfen nur mit Zustimmung aller Gesellschafter erfolgen. Ist eine Gesellschaft nur zur Verwertung eines Warenlagers gegründet, so können bei längerer Dauer der Abwicklung die mit Kapitaleinlagen Beteiligten von dem geschäftsführenden Gesellschafter dem Fortschreiten der Verwertung entsprechend Teilausschüttungen verlangen (RG JR 1927 Nr. 1388).
§ 1%% Sind die Anteile der Gesellschafter a m G e w i n n u n d Verluste nicht bes t i m m t , s o h a t jeder Gesellschafter ohne R ü c k s i c h t auf die A r t u n d die Größe s e i n e s B e i t r a g s einen gleichen Anteil a m G e w i n n u n d Verluste. Ist n u r der Anteil a m G e w i n n oder a m Verluste b e s t i m m t , s o gilt die B e s t i m m u n g i m Zweifel für G e w i n n und Verlust. m 647 u 660; m » 616; p 2 457. Übersicht Aam. . I 1. Allgemeines 2. Die Gewinn- und Verlustbeteiligung nach Abs. 1 . 2 3. Abweichende Vereinbarungen • 3 4. Die Vorschrift des Abs. 2 • 4 Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . § 722 stellt — abgesehen von der Auslegungsregel des Abs. 2 — eine Vermutung darüber auf, in welcher Weise die Gesellschafter am Gewinn und Ver-
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Gesellschaft
§722
Anm. 2—4 lust beteiligt sind. Es handelt sich hierbei nicht um eine Auslegungsregel, sondern u m eine ergänzende Vorschrift. Die B e w e i s l a s t für eine abweichende Vereinbarung fällt der Partei zu, die dies behauptet. § 722 gilt nur fiir die periodische Gewinn- und Verlustbeteiligung. Bei einem einmaligen Rechnungsabschluß nach Auflösung der Gesellschaft, die einen Teil der Auseinandersetzung bildet ( § 7 2 1 A n m . 2), geben die Vorschriften der §§ 734/35 gleichlautende Bestimmungen. § 722 findet auf alle Personalgesellschaften Anwendung, soweit nicht für bestimmte Gesellschaftsformen Sondervorschriften bestehen (vgl. §§ 1 2 1 , 168 H G B ) ; namentlich gilt § 722 auch für I n n e n g e s e l l s c h a f t e n ( R G 147, 1 1 3 ) und § 722 Abs. 2 trotz § 168 H G B auch für die K o m manditgesellschaft ( R G WarnRspr 1934 Nr. 1 4 1 ) und trotz § 336 H G B auch für die stille Gesellschaft ( R G L Z 1 9 1 1 , 58).
Anm. 2 2. Die Gewinn- und Verlustbeteiligung n a c h A b s . 1. Mangels besonderer Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag hat jeder Gesellschafter einen gleichen Anteil a m Gewinn und Verlust. Diese Vorschrift entspricht dem personalistischen Charakter der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft und steht in Übereinstimmung mit der Vorschrift des § 706, wonach die Gesellschafter im Zweifel zur Entrichtung gleicher Beiträge verpflichtet sind. Für die oifene Handelsgesellschaft als einer typischen Erwerbsgesellschaft ist es kennzeichnend, daß bei ihr dieser der Personalgesellschaft entsprechende Grundsatz der Gleichbehandlung in § 1 2 1 H G B in gewisser Hinsicht aufgegeben ist und bei ihr eine — den Kapitalgesellschaften entsprechende — gewisse Berücksichtigung der Einlagen bei der Gewinn- und Verlustbeteiligung stattfindet. Auf die gesetzliche Regelung des § 722 ist es ohne Einfluß, daß die Beiträge der Gesellschafter eine verschiedene Höhe haben; das findet dann nur bei der Auseinandersetzung Berücksichtigung, weil dort den Gesellschaftern nach § 733 Abs. 2 zunächst ihre Einlagen zurückzuerstatten sind. Für die Regel des § 722 ist es grundsätzlich auch ohne Einfluß, ob der Gewinn vornehmlich auf der Tätigkeit eines einzigen geschäftsführenden Gesellschafters beruht. Der Anspruch auf den Gewinnanteil unterliegt der allgemeinen V e r j ä h r u n g von 30 J a h r e n , nicht der kürzeren Verjährung des § 197, da die Entstehung des Gewinnanspruchs von ungewissen Voraussetzungen abhängig ist und deshalb nicht unter den Begriff der regelmäßig wiederkehrenden Leistungen fällt ( R G 88, 46).
Anm. 3 3 . A b w e i c h e n d e V e r e i n b a r u n g e n . Die Gesellschafter können die Gewinn- und Verlustbeteiligung abweichend von Abs. 1 regeln. Sie sind im Rahmen des rechtlich Erlaubten (§ 138) hierbei völlig frei. Dabei kommen die verschiedensten Möglichkeiten einer abweichenden Regelung in Betracht, z. B. eine Gewinn- und Verlustbeteiligung nach festen Prozentsätzen, nach der Höhe der Anteile am Gesellschaftsvermögen, Zahlung eines Voraus (Tätigkeitsvergütung) an die geschäftsführenden Gesellschafter, Garantie eines Mindestgewinns zugunsten einzelner Gesellschafter. Auch ist es zulässig, die Gewinn- und Verlustbeteiligung für die Gesellschafter verschieden zu regeln, einzelne Gesellschafter von der Verlustbeteiligung zu befreien oder von der Gewinnbeteiligung auszuschließen (letzteres streitig; vgl. dazu auch Anm. 5 a. E. vor § 705).
Anm. 4 4. Die V o r s c h r i f t des A b s . 2. Sie ist eine Auslegungsregel und entspricht dem regelmäßigen Parteiwillen. Was für den Anteil am Gewinn bestimmt ist, soll, wenn nicht ein anderer Wille erhellt, auch für den Anteil am Verlust gelten und umgekehrt. Abs. 2 gilt ohne Unterschied, ob die Beiträge der Gesellschafter gleichartig sind oder z.B. der eine Geld, der andere nur seine Arbeitskraft einlegt (RG WarnRspr. 1934 Nr. 1 4 1 ) ; er gilt aber nur, soweit nicht ausdrücklich oder den Umständen nach ein anderer Vertragswille der Parteien erhellt. Zur Anwendung von Abs. 2 auf die K o m manditgesellschaft und die stille Gesellschaft vgl. Anm. 1. 53
Komm. 2. B G B , n . Aufl. II. Bd. (Fischer
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§ 723 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 733 Ist die Gesellschaft nicht für eine bestimmte Zeit eingegangen, so kann jeder Gesellschafter sie jederzeit kündigen. Ist eine Zeitdauer bestimmt, so ist die Kündigung vor dem Ablaufe der Zeit zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; ein solcher Grund ist insbesondere vorhanden, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit verletzt oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. Unter der gleichen Voraussetzung ist, wenn eine Kündigungsfrist bestimmt ist, die Kündigung ohne Einhaltung der Frist zulässig. Die Kündigung darf nicht zur Unzeit geschehen, es sei denn, daß ein wichtiger Grund für die unzeitige Kündigung vorliegt. Kündigt ein Gesellschafter ohne solchen Grund zur Unzeit, so hat er den übrigen Gesellschaftern den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Eine Vereinbarung, durch welche das Kündigungsrecht ausgeschlossen oder diesen Vorschriften zuwider beschränkt wird, ist nichtig. E I 648, 649 II 661; M 2 617—621; P 2 437.
Ubersicht Anm.
I. Die Gründe für die Auflösung der Gesellschaft i-—7 1. Allgemeines 1 2. Die gesetzlichen Auflösungsgründe 2 3. Die sonstigen Auflösungsgründe 3—6 4. Der Anwendungsbereich des §723 7 II. Die ordentliche Kündigung 8—15 1. Allgemeines 8—11 2. Gestaltungsformen der ordentlichen Kündigung 12 3. Die nicht für eine bestimmte Zeit eingegangene Gesellschaft . . . 13. 4. Kein Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts 14, 15 III. Die Kündigung aus wichtigem Grund 16—23; 1. Allgemeines 16 2. Der wichtige Grund 17—21 a) Allgemeines 17 b) Rechtliche Gesichtspunkte für die richterliche Beurteilung . . . 18 c) Der wichtige Grund als Grundlage von Schadensersatzansprüchen 19. d) Das Nachschieben von Kündigungsgründen 20 e) Der wichtige Grund in der Revisionsinstanz 21 3. Kein Ausschluß der Kündigung aus wichtigem Grund 22, 23. IV. Die Kündigung zur Unzeit 24—25. 1. Allgemeines 24 2. Abgrenzung zum Rechtsmißbrauch 25. . Die Gründe für die Auflösung der Gesellschaft Anm. 1 1. Allgemeines. Die §§ 723—728 enthalten die gesetzlichen Gründe für die Gesellschaftsauflösung. Im Unterschied zu der Regelung des HGB (vgl. § 131 HGB) ist diese Aufzählung nicht erschöpfend. Zu den gesetzlichen Auflösungsgründen treten noch weitere Gründe (vgl. Anm. 3). Sämtliche Auflösungsgründe führen zur Auflösung der Gesellschaft, nicht aber ohne weiteres zur Beendigung der Gesellschaft. Mit der Auflösung tritt die Gesellschaft in das Stadium der Auseinandersetzung. Die Gesellschaft bleibt als Auseinandersetzungsgesellschaft bestehen. Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter richten sich nunmehr nach dem Auflösungszweck, sie werden dadurch im allgemeinen geringer als vor der Auflösung der Gesellschaft. Über Einzelheiten vgl. § 730 Anm. 5. 812
Gesellschaft
§723 Anm. 2—5
Anm. 2 2. D i e g e s e t z l i c h e n A u f l ö s u n g s g r ü n d e . A n erster Stelle steht die Kündigung der Gesellschaft durch einen der Gesellschafter (§§ 723/24). Daneben treten als weitere Auflösungsgründe der T o d eines Gesellschafters (§ 727), der Konkurs eines Gesellschafters (§ 728) sowie die Kündigung der Gesellschaft durch den Pfändungsgläubiger eines Gesellschafters (§ 725). Diese Auflösungsgründe stellen auf die besonderen (persönlichen) Verhältnisse des einzelnen Gesellschafters a b ; sie brauchen die Beziehungen der übrigen Gesellschafter zueinander nicht notwendig zu berühren. Daher kann f ü r diese Auflösungsgründe im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, daß sie nicht die Auflösung der Gesellschaft, sondern nur das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters zur Folge haben (vgl. § 736); in diesem Fall bleibt die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern bestehen. Als weiteren gesetzlichen Auflösungsgrund nennt § 726 die Erreichung oder das Unmöglichwerden des Gesellschaftszwecks. Dieser Auflösungsgrund führt im Unterschied zu den anderen gesetzlichen Auflösungsgrün den immer zur Auflösung der Gesellschaft. Vereinbaren die Gesellschafter nach Eintritt dieses Auflösungsgrundes die Fortsetzung der Gesellschaft (mit einem anderen Zweck), so handelt es sich um die Umwandlung der aufgelösten Gesellschaft in eine voll wirksame Gesellschaft; hierfür ist grundsätzlich Einstimmigkeit notwendig (§ 726 Anm. 4).
Anm. 3 3 . D i e s o n s t i g e n A u f l ö s u n g s g r ü n d e . Neben die gesetzlichen Auflösungsgründe treten noch andere Gründe für die Auflösung der Gesellschaft, die in den §§ 723 ff nicht erwähnt sind. Als solche sonstige Auflösungsgrün de kommen in Betracht: Ablauf der vereinbarten Zeitdauer (vgl. § 1 3 1 Nr. 1 H G B ) , Eintritt einer auflösenden Bedingung (Mot. 2, 6 1 7 ) , gegenseitiges Ubereinkommen (Gesellschafterbeschluß, vgl. § 1 3 1 Nr. 2 H G B ) . Dazu tritt als weiterer Auflösungsgrund die Vereinigung aller Anteile in der Hand eines Gesellschafters durch Erbfolge oder durch Fusion zweier Kapitalgesellschaften, die eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gebildet hatten ( R G 163, 149). Dieser Auflösungsgrund ist von dem Willen der Parteien unabhängig, er ergibt sich aus zwingenden rechtlichen Organisationsgrundsätzen, da es bei den Personalgesellschaften eine Einmanngesellschaft nicht gibt (vgl. A n m . 1 a. E . vor § 705).
Anm. 4 Auflösung durch Zeitablauf. Abs. 1 Satz 2 kennt die für eine bestimmte Zeit
e i n g e g a n g e n e G e s e l l s c h a f t ; sie wird mit Ablauf der bestimmten Zeit ohne weiteres aufgelöst. Die Zeitbestimmung kann im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich getroffen sein oder sich aus den Umständen, insbesondere aus dem Zweck und dem Ziel der Gesellschaft ergeben ( R G WarnRspr. 1938 Nr. 75). Die Dauer der Gesellschaft kann durch einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum, insbesondere eine Kalenderzeit (deren Festlegung aber nicht unbedingt erforderlich ist, R G SeuffArch. 79 Nr. 74) beschränkt sein. Aber auch ein sonstiges Ereignis, dessen Eintritt zwar sicher, dessen T a g aber unbekannt ist, kann für die Bestimmung einer festen Zeitdauer verwertet werden, so wenn die Fortsetzung der Gesellschaft für die Dauer der Einziehung des einen Gesellschafters zum Heeresdienst vereinbart ist ( R G 95, 150), wenn die Gesellschaft zum Zweck des Erwerbs von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren oder zur Auswertung bestimmter Patente geschlossen ist ( R G J W 1906, 7 4 1 ; 1 9 1 1 , 323), wenn Gegenstand des Gesellschaftszwecks der Abschluß ganz bestimmter Geschäfte ist ( R G WarnRspr. i g n Nr. 470; 1938 Nr. 75; SeuffArch. 85 Nr. 190; 87 Nr. 40). A u c h eine Gesellschaft zur Errichtung einer A G (Gründungskonsortium, Anm. 6 vor § 705) ist nach Sinn und Zweck des Vertrages eine Gesellschaft für eine bestimmte Zeit. — Durch Kündigung kann eine solche Gesellschaft nur aufgelöst werden, wenn ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegt (Anm. 1 7 f f ) .
Anm. 5 Auflösung durch auflösende Bedingung. Diesen Auflösungsgrund erwähnen die Motive ausdrücklich (2, 6 1 7 ) . Der Eintritt der Bedingung führt zur Auflösung der Gesellschaft. § 158 Abs. 2 findet keine Anwendung, da sich das mit den gesellschafts53
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§ 723 A n m . 6—9
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
rechtlichen Grundsätzen nicht vereinbaren läßt; der Bestand der Gesellschaft für die Dauer bis zum Eintritt der Bedingung wird also nicht in Frage gestellt. Anm. 6 Auflösung durch Gesellschafterbeschluß. Die Gesellschafter können jederzeit die Auflösung der Gesellschaft beschließen. Hierfür ist grundsätzlich Einverständnis erforderlich. Ein Mehrheitsbeschluß ist insoweit nur möglich, wenn sich das aus dem Gesellschaftsvertrag klar ergibt (RG J W 1900, 566; vgl. dazu §709 Anm. 15). Einer bestimmten Form bedarf der Auflösungsbeschluß nicht; er kann stillschweigend gefaßt werden (RG SeuffArch. 85 Nr. 4). In dem Beschluß, das Geschäft zu veräußern, wird regelmäßig ein Auflösungsbeschluß zu erblicken sein (RG J W 1906, 477; BGH 26, 130 mit Anm. H u e c k J Z 1958, 403; BGH WM 1958, 1106; bedenklich insoweit RG 67, 331). Anm. 7 4. Der Anwendungsbereich des § 723. Die Vorschrift des § 723 findet nicht nur auf die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft Anwendung. Sie ist auch für die Personalhandelsgesellschaften von Bedeutung. Das gilt namentlich für die Vorschrift des Abs. 3, wonach bei Gesellschaften auf unbestimmte Zeit das ordentliche Kündigungsrecht und bei allen Gesellschaften das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nicht ausgeschlossen werden darf (BGH L M Nr. 2 zu § 132 HGB). Nur für die Kündigungsfristen gibt § 132 HGB eine den kaufmännischen Verhältnissen angepaßte Sonderregelung. Auf die stille Gesellschaft findet § 723 ebenfalls Anwendung (BGH 23, 10; vgl. dazu auch Anm. bei L M Nr. 1 zu § 339 HGB). E n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g findet § 723 auf gesellschaftsähnliche Vertragsverhältnisse (RG 142, 215; 160, 269; SeuffArch. 81 Nr. 161). Das gilt zunächst für die Kündigung aus wichtigem Grund, die bei solchen Vertragsverhältnissen — wie überhaupt bei allen langfristigen Verträgen (BGH L M Nr. 2 zu § 242 Ba) — immer zulässig ist. Sodann können auch gesellschaftsähnliche Verträge, die für unbestimmte Zeit geschlossen sind, in entsprechender Anwendung des § 723 jederzeit gekündigt werden, soweit nicht ein zeitweiliger Ausschluß des Kündigungsrechts als vereinbart anzusehen ist (RG H R R 1939 Nr. 1300; 1940 Nr. 1059; WarnRspr. 1942 Nr. 93; vgl. auch BGH 30. 6. 1955 II Z R 347/53). Auf nicht r e c h t s f ä h i g e V e r e i n e findet § 723 keine (entsprechende) Anwendung; bei ihnen ist vielmehr § 39 entsprechend anzuwenden. Das einzelne Mitglied hat das Recht zum Austritt aus dem Verein, nicht aber das Recht zur Kündigung des Vereins (anders noch RG 78, 134). II. Die ordentliche Kündigung Anm. 8 1. Allgemeines. § 723 gibt zwei Kündigungsmöglichkeiten, einmal die ordentliche Kündigung, die grundsätzlich an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft ist, und die außerordentliche Kündigung, die nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, aber stets mit sofortiger Wirkung ausgesprochen werden kann. Das Recht zur ordentlichen Kündigung ist nur bei Gesellschaften, die auf unbestimmte Dauer eingegangen sind, gegeben; sie kommt in den verschiedensten Gestaltungen vor (dazu Anm. 12). Anm. 9 Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, sie muß grundsätzlich allen übrigen Gesellschaftern gegenüber abgegeben werden (BGH L M Nr. 7 zu § 142 HGB); eine Abgabe gegenüber dem Geschäftsführer genügt nur, wenn dieser — etwa im Gesellschaftsvertrag — zur Entgegennahme der Kündigung für die übrigen Gesellschafter ermächtigt worden ist. Die Kündigung führt die Auflösung der Gesellschaft herbei; daher kann eine einmal erklärte Kündigung nicht ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter zurückgenommen werden. Ist für die Kündigung eine bestimmte Frist einzuhalten, so wird die Kündigung erst mit dem Ablauf der Frist wirksam. Sie kann nicht zur Wirksamkeit gelangen, wenn die Gesellschaft vor Fristablauf aus einem anderen Grund, etwa durch Tod eines Gesellschafters, aufgelöst wird.
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Gesellschaft
§723 Anm. 10—13
Anm. 10 Die Kündigung ist grundsätzlich b e d i n g u n g s f e i n d l i c h . Abweichende Vereinbarungen unter den Gesellschaftern sind freilich nicht ausgeschlossen (RG 91, 309). Auch sind solche Bedingungen für zulässig zu halten, die für den Erklärungsgegner keine Unsicherheit über die Wirksamkeit der bedingten Kündigungserklärung begründen. Das ist z. B. der Fall, wenn bei einer Zweimanngesellschaft der eine Gesellschafter von dem anderen eine Abänderung des Gesellschaftsvertrages in einem bestimmten Punkt verlangt und für den Fall der Ablehnung dieses Antrags das Gesellschaftsverhältnis kündigt.
Anm. 11 Die Kündigung bedarf grundsätzlich k e i n e r F o r m . Jedoch kann im Gesellschaftsvertrag insoweit etwas anderes bestimmt werden. Die Kündigung braucht auch nicht ausdrücklich erklärt zu werden. So ist in einer — bei Gesellschaften nicht zulässigen (§ 705 Anm. 9) — Rücktrittserklärung regelmäßig eine Kündigung zu erblicken (RG 81, 3 0 5J 89, 398; 165, 199). Ferner liegt in der Erhebung einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, daß die Gesellschaft durch einstimmigen Beschluß der Gesellschafter aufgelöst sei, eine Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses, wenn die Wirkungen des Auflösungsbeschlusses und die der Kündigung die gleichen sind (BGH W M 1958, 1335). Dasselbe kann für eine Widerklage gelten, mit der die Verurteilung des Klägers zur Anerkennung, daß ihm aus dem Gesellschaftsvertrag keine Rechte mehr zuständen, gefordert wird. Auch kann die für einen Termin verspätete Kündigung als rechtzeitige Kündigung für den nächsten Termin oder eine unbegründete fristlose Kündigung als ordentliche Kündigung gelten (vgl. B G H 20, 249); in einem solchen Fall müssen aber die Rechtsfolgen der so umgedeuteten Kündigung die gleichen wie die der ausgesprochenen Kündigung sein (RG WarnRspr. 1908 Nr. 616). Das ist nicht der Fall, wenn die ordentliche Kündigung, nicht aber die Kündigung aus wichtigem Grund zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters führt (vgl. dazu B G H L M Nr. 1 zu § 1 3 1 HGB).
Anm. 12 2. Die Gestaltungsformen der ordentlichen Kündigung. Nach Abs. 1 Satz 1
kann eine Gesellschaft, die auf eine unbestimmte Zeit eingegangen ist, jederzeit und ohne Kündigungsfrist gekündigt werden (anders bei den Personalhandelsgesellschaften, vgl. § 132 HGB). Diese Regelung ist in zahlreichen Fällen unangemessen. Deshalb wird häufig im Gesellschaftsvertrag bestimmt, daß die ordentliche Kündigung nur unter Einhaltung einer bestimmten Kündigungsfrist oder nur zu bestimmten Zeitpunkten (Ende des Geschäfts- oder des Kalenderjahres) ausgesprochen werden darf. Meist ist sogar eine Kombination dieser beiden Einschränkungen — wie in § 132 H G B —• vorgesehen. Diese Einschränkungen der ordentlichen Kündigungsbefugnis sind trotz Abs. 3 zulässig. Die Kündigungsfrist darf freilich nicht übermäßig lang sein; in diesem Fall kann ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegen und diese Bestimmung des Gesellschaftsvertrages nichtig sein. Ist dagegen bestimmt, daß die Gesellschaft zunächst für eine längere Zeit nicht gekündigt werden darf, so liegt darin eine Festlegung der Dauer der Gesellschaft zunächst auf eine bestimmte Zeit; eine solche Bestimmung ist zulässig (BGH 10, 98).
Anm. 13 3. Die nicht für eine bestimmte Zeit eingegangene Gesellschaft. Für un-
bestimmte Zeit ist eine Gesellschaft eingegangen, wenn die Dauer des Bestehens nicht durch den Gesellschaftsvertrag zeitlich bestimmt ist. Die zeitliche Begrenzung braucht nicht ausdrücklich ausgesprochen zu sein, sie braucht auch nicht kalendermäßig bestimmt zu sein, sie kann sich vielmehr auch aus den Umständen, insbesondere aus dem Zweck und dem Ziel der Gesellschaft ergeben (Anm. 4). Nur bei einer Gesellschaft, die nicht auf eine bestimmte Zeit eingegangen ist, ist das ordentliche Kündigungsrecht gegeben. Aber auch bei einer solchen Gesellschaft kann die Ausübung des ordentlichen
815
§ 723 Anm. 14, 15
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Kündigungsrechts einer Einschränkung in der Weise unterliegen, daß das ordentliche Kündigungsrecht für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen wird. In diesem Fall handelt es sich um eine M i s c h u n g der G e s e l l s c h a f t s d a u e r zunächst auf bestimmte und später auf unbestimmte Zeit (RG 156, 134; vgl. auch RG SeuffArch. 94 Nr. 3; WarnRspr. 1942 Nr. 93). Dabei ist es nicht notwendig, daß der fragliche Zeitraum oder Zeitpunkt kalendermäßig bestimmt ist; es genügt auch jede andere Festlegung dieses Zeitraums oder Zeitpunktes, wenn sie im einzelnen Fall nur genügend bestimmbar ist (RG 95, 1 5 1 ; 156, 134; DR 1939, i 5 2 i ; B G H 10, 98). Namentlich kann eine solche Festlegung auch nach § 157 unter Berücksichtigung von Treu und Glauben gefunden werden (RG 95, 1 5 1 ; DR 1939, 1521). Deutet der Gesamtinhalt des Vertrages deutlich auf ein für längere Zeit berechnetes Zusammenwirken der Parteien hin und würde der Ausschluß jeder zeitlichen Bindung nach dem ganzen Zweck des beabsichtigten Geschäftsbetriebes etwas Sinnwidriges darstellen, so ergibt sich aus diesen Umständen, daß die Kündigung für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen sein soll (RG SeuffArch. 85 Nr. 190). Die Dauer des Zeitraums ist dann ebenfalls unter Berücksichtigung dieser Umstände zu bestimmen (insoweit zu eng RG J W 1911, 322). Dagegen ist es bedenklich, nach Zweck und Ziel des Gesellschaftsvertrages einen Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts für die ganze Dauer einer auf unbestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaft für möglich zu halten (so RG WarnRspr. 1938 Nr. 75). Das würde mit dem zwingenden Charakter des ordentlichen Kündigungsrechts (dazu Anm. 14, 15) im Widerspruch stehen (vgl. dazu auch Anm. bei L M Nr. 1 zu § 132 HGB). Eine Gesellschaft, die auf Lebenszeit eines G e s e l l s c h a f t e r s eingegangen ist, kann ebenso wie eine auf unbestimmte Zeit eingegangene Gesellschaft gekündigt werden (§ 724). Ist die Dauer einer auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Gesellschaft übermäßig lang (z. B. über 30 Jahre), so kann diese zeitliche Bindung gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein. Anm. 14 4. Kein Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts. Bei einer auf unbestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaft darf das ordentliche Kündigungsrecht nicht ausgeschlossen und —• abgesehen von zeitlichen Einschränkungen (Anm. 12) — auch nicht beschränkt werden (Abs. 3). Dem liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, daß es in jedem Fall mit der persönlichen Freiheit der Gesellschafter unvereinbar ist, für sie eine Bindung ohne zeitliche Begrenzung und ohne Kündigungsmöglichkeit vorzusehen (BGH L M Nr. 2 zu § 132 HGB), sie also für unabsehbare Zeit an die Gesellschaft zu fesseln (RG 136, 241). Unzuträglichkeiten, die sich aus dieser Bestimmung im Einzelfall ergeben können, lassen sich wohl immer dadurch beheben, daß man nach Ziel und Zweck der Gesellschaft einen Ausschluß des Kündigungsrechts für eine bestimmte Zeit annimmt (dazu Anm. 13). Des weiteren gewährt auch die Vorschrift des Abs. 2 einen gewissen Schutz, wonach die Kündigung zur Unzeit eine Schadensersatzpflicht begründet (Anm. 24). Anm. 15 Eine unzulässige Beschränkung des Kündigungsrechts liegt namentlich dann vor, wenn der Kündigende bei der Auseinandersetzung oder bei der Berechnung seines Abfindungsguthabens in unbilliger Weise belastet wird. Eine solche unbillige Belastung ist es nicht schon, wenn als Folge der Kündigung nicht die Auflösung der Gesellschaft, sondern das Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters aus der Gesellschaft und die Fortsetzung der Gesellschaft zwischen den übrigen Gesellschaftern vorgesehen ist (RG 162, 393). Auch ist eine Bestimmung im Gesellschaftsvertrag zulässig, wonach bei Kündigung der Gesellschaft durch den einen Gesellschafter der andere die Wahl hat, welche von beiden Geschäftsabteilungen er übernehmen und fortführen will; freilich muß in einem solchen Fall ein etwa notwendiger Wertausgleich vorgesehen sein (RG 106, 128). Unzulässig ist es dagegen, wenn an die Ausübung der Kündigung die Zahlung einer Abfindungssumme (Vertragsstrafe) geknüpft ist (RG 61, 329). Auch darf die Abfindung des Ausscheidenden nicht so geregelt sein, daß darin für ihn ein e r h e b l i c h e r Nachteil wirtschaftlicher Art liegt gegenüber dem, was ihm die Auflösung bringen würde 816
Gesellschaft
§723
A n m . 16—18 (RG 162, 393). Unverträglich mit Abs. 3 ist ferner eine Beschränkung des Kündigungsrechts dahin, daß die Gesellschaft trotz der Kündigung für eine längere Zeit das Recht behalten soll, über das von dem Kündigenden eingebrachte Urheberrecht zu verfügen (RG 87, 220; WarnRspr. 1920 Nr. 157). Eine unzulässige Beschränkung des Kündigungsrechts liegt auch darin, daß die Wirksamkeit der Kündigung davon abhängig gemacht wird, daß sie von mindestens drei Mitgliedern ausgesprochen wird (RG L Z 1 9 1 1 , 455). Denn das Recht eines jeden e i n z e l n e n Gesellschafters zur Kündigung darf nicht beeinträchtigt werden. Daher ist es auch nicht zulässig, die Wirksamkeit der Kündigung von einem Mehrheitsbeschluß abhängig zu machen (RG 136, 241). III. Die Kündigung aus wichtigem Grund A n m . 16 1. Allgemeines. Es entspricht einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß jedes Dauerrechtsverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes mit sofortiger Wirkung zur Auflösung gebracht werden kann. Die Vorschrift des Abs. 1 Satz 2, die das für die Gesellschaft ausdrücklich bestimmt, ist nur ein Ausfluß dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes (vgl. auch §§ 542, 553, 626; §§ 70, 89a, 133 HGB; § 75 Abs. 3 AktG; § 38 GmbHG). Im Unterschied zu der Regelung bei den Personalhandelsgesellschaften (§ 133 HGB: vgl. dazu BGH 3, 289/90) führt hier die Kündigung aus wichtigem Grund die Auflösung der Gesellschaft selbst herbei; eines rechtsgestaltenden Auflösungsurteils bedarf es bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft nicht. Daher ist bei einem Streit über die Wirksamkeit einer Kündigung das Urteil, das die Wirksamkeit der Kündigung ausspricht, ein Feststellungsurteil. Die Kündigung aus wichtigem Grund ist bei allen Gesellschaften gegeben; für dieses Recht ist es gleichgültig, ob die Gesellschaft für eine bestimmte oder für eine unbestimmte Zeit eingegangen ist. Denn für beide Gesellschaftsformen gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, der für die Kündigung aus wichtigem Grund maßgeblich ist. Anm. 17 2. Der wichtige Grund a) Allgemeines. Ein wichtiger Grund für eine sofortige Kündigung liegt dann vor, wenn nach der besonderen Lage, den gesamten Umständen des Falls dem Gesellschafter das Verbleiben in der Gesellschaft billigerweise nicht zugemutet werden kann (vgl. etwa RG 142, 2 1 5 ; J W 1938, 1393). Eine nähere Umschreibung des Rechtsbegriffs „wichtiger Grund" ist nicht möglich, weil immer nur eine umfassende Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine abschließende Beurteilung in diesem Zusammenhang ermöglicht. Was in dem einen Fall noch tragbar erscheinen mag, ist es in einem anderen Fall nicht. Präjudizien können daher hier auch nur Beispiele für die insoweit gebotenen Beurteilungsmaßstäbe bieten und nur ein Bild davon vermitteln, welche Umstände des einzelnen Falls bei der hier notwendigen umfassenden Beurteilung aller Umstände von Bedeutung sein können. Für eine schematisierende Übertragung sind solche Präjudizien nicht geeignet. Anm. 18 b) Rechtliche Gesichtspunkte für die richterliche Beurteilung. Für die Annahme eines wichtigen Grundes kommen nicht nur Gründe in der Person eines anderen Gesellschafters, sondern auch objektive Umstände in Betracht. Namentlich ist es nicht notwendig, daß einem der anderen Gesellschafter ein Verschulden zur Last zu legen ist. Maßgebend ist die wirtschaftliche Bedeutung des in Betracht kommenden gesellschaftlichen Zusammenschlusses; je gewichtiger dieser ist, um so größer werden die Anforderungen sein, die für die Annahme eines wichtigen Grundes notwendig sind. Dabei sind namentlich auch die w i r t s c h a f t l i c h e n A u s w i r k u n g e n einer Auflösung der Gesellschaft für alle Beteiligten, ihre Rückwirkung auf die künftige Rechtsstellung der Beteiligten zu berücksichtigen (RG J W 1938, 1602). Von besonderer Bedeutimg ist es, wenn nach Lage der Dinge ein g e d e i h l i c h e s Z u s a m m e n w i r k e n der Gesellschafter nicht mehr möglich ist; denn das gegenseitige Vertrauen ist eine der entschei817
§ 723 A n m . 19, 20
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
denden Grundlagen eines jeden gesellschaftlichen Zusammenschlusses (RG J W 1930, 1727; B G H 4, 112/13). Auch auf die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten ist abzustellen. So können bei einer Anwaltssozietät Mißgriffe, Taktlosigkeiten und Rücksichtslosigkeiten des einen Gesellschafters für den anderen Gesellschafter einen wichtigen Grund zur sofortigen Lösung des Gesellschaftsverhältnisses darstellen, sofern dadurch auch das Ansehen und die Würde des anderen Gesellschafters gefährdet werden. (RG WarnRspr. ig 16 Nr. 49). Eine gewisse Zurückhaltung ist bei der Berücksichtigung solcher Umstände geboten, die sich auf das persönliche Verhalten eines Gesellschafters außerhalb der Gesellschaftssphäre beziehen (vgl. dazu B G H 4, 114). Die m a n g e l n d e R e n t a b i l i t ä t des Gesellschaftsunternehmens kann einen wichtigen Grund bilden, wenn es sich als ein unbilliges Verlangen darstellt, daß der einzelne Gesellschafter noch weitere Verluste in Kauf nehmen soll (RG J W 1913, 265; WarnRspr. 1917 Nr. 289); immer ist hier aber auch die Frage aufzuwerfen, ob es sich nur um vorübergehende Verluste handelt, die z. B. mit Rücksicht auf die Bedeutung des Unternehmens jeder Gesellschafter in Kauf nehmen muß. Auch die völlige wirtschaftliche Umgestaltung eines für das Gesellschaftsverhältnis wesentlichen anderen Unternehmens kann einen wichtigen Grund für die fristlose Kündigung bilden (RG 142, 216). Eine besondere Bedeutung spielen in der Rechtsprechung die Tatbestände schuldhafter Vertragsverletzungen ( g e s e l l s c h a f t s w i d r i g e s V e r h a l t e n ) , die Abs. 1 Satz 2 besonders erwähnt. Dazu ist zu sagen, daß nicht schon jede schuldhafte Vertragsverletzung einen wichtigen Grund für eine sofortige Kündigung darstellt. Es muß sich um die Verletzung einer w e s e n t l i c h e n Verpflichtung handeln; das wiederum kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände abschließend beurteilt werden. Ein eigenes schuldhaftes Verhalten des kündigenden Gesellschafters schließt das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht aus, wenngleich es auch nicht unberücksichtigt bleiben kann (RG 122, 3 1 3 ; J W 1938, 1393; 1602; B G H 20. 6. 1958 I Z R 132/57; § 254 findet insoweit keine Anwendung). Namentlich kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, daß der erste Grund zu den Zerwürfnissen von dem Kläger gelegt sei, wenn er seinerseits die Zerwürfnisse geflissentlich gesteigert oder das Verhalten des Klägers herausgefordert hat (RG J W 1937, 3155). In einem Sonderfall hat das Reichsgericht bei einer Zweimanngesellschaft einen wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung sogar bejaht, obwohl der kündigende Gesellschafter die Zerwürfnisse allein oder überwiegend verschuldet hatte (RG J W 1930, 1727). Schließlich ist auch zu erwägen, ob nach den gegebenen Verhältnissen eine sofortige Lösung des Gesellschaftsverhältnisses unumgänglich erscheint oder ob der kündigende Gesellschafter nicht auf das ihm etwa zustehende ordentliche oder vertragliche Kündigungsrecht verwiesen werden kann (RG J W 1938, 2833; O G H NJW 1949, 823). A n m . 19 c) Der wichtige Grund a l s Grundlage v o n S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e n . Handelt es sich bei dem wichtigen Grund um eine schuldhafte Verletzung von Vertragspflichten durch einen Gesellschafter, so kann diese auch die Grundlage eines Schadensersatzanspruchs bilden. Dabei ist ein solcher Schadensersatzanspruch auch dann gegeben, wenn der betroffene Gesellschafter diese Vertragsverletzung zum Anlaß einer sofortigen Kündigung genommen hat. In diesem Fall umfaßt der Schaden des betroffenen Gesellschafters auch die wirtschaftlichen Nachteile, die ihm durch die vorzeitige Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses erwachsen sind (RG 89, 398; 162, 396; WarnRspr. 1917 Nr. 289). Dem steht nicht der Umstand entgegen, daß dieser Folgeschaden erst durch den Ausspruch der Kündigung ausgelöst worden ist. A n m . 20 d) D a s N a c h s c h i e b e n von Kündigungsgründen. Zur Rechtfertigung einer Kündigung aus wichtigem Grund können Gründe nachgeschoben werden, die mit dem zunächst angegebenen wichtigen Grund in einem inneren Zusammenhang stehen und die bereits im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorhanden waren (RG JW 1938, 1393; B G H NJW 1958, 1130). Sind die nachgeschobenen wichtigen Gründe erst nach der Kündigungserklärung eingetreten, so führen sie die Auflösung der Gesellschaft mit dem Zeit-
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Gesellschaft
§723
Anm. 21—23
punkt ihres Eintritts herbei (BGH L M Nr. i zu § 89 a HGB). Einer erneuten Kündigungserklärung bedarf es in diesen beiden Fällen nicht. Anders kann es sein, wenn die nachgeschobenen Gründe mit dem zunächst angegebenen wichtigen Grund nicht in einem inneren Zusammenhang stehen. Ist die Sachlage so, daß die anderen Gesellschafter nach Treu und Glauben annehmen durften, der Kündigende werde sich auf dem angegebenen Kündigungsgrund beschränken, so bedarf es einer erneuten Kündigungserklärung auch dann, wenn der nachgeschobene Kündigungsgrund schon im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorlag (BGH NJW 1958, 1 1 3 6 ; vgl. auch RG L Z 1927, 6 2 5 ; B A G 3 , 15; bedenklich insoweit RG I 4 2 , 2 7 2 ; J W 1938, 1897). In dem Nachschieben eines neuen Kündigungsgrundes ist der Ausspruch einer erneuten Kündigung zu erblicken. A n m . 21 e) Der wichtige Grund in der Revisionsinstanz. Die Behandlung des wichtigen Grundes in der Revisionsinstanz ist nicht einfach; denn Rechtsfrage und Tatfrage sind hier eng miteinander verknüpft. Das Reichsgericht ist in diesem Zusammenhang stets davon ausgegangen, daß die Frage nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes im wesentlichen Tatfrage sei und daß in der Revisionsinstanz nur nachgeprüft werden dürfe, ob in abstracto ein bestimmtes Handeln, eine bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmtes Ereignis einen wichtigen Grund zur Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses bilden können (RG 78, 22; J W 1919, 309; 504; 1925, 945; 1938, 2833; dazu kritisch T i t z e Anm. J W 1919, 504; 1925, 945). Dem ist das Bundesarbeitsgericht für die gleichliegende Frage bei § 626 im wesentlichen gefolgt. Danach bleibt in der Revisionsinstanz nachprüfbar, ob das Berufungsgericht den Begriff des wichtigen Grundes an sich verkannt hat und ob der Sachverhalt allgemein gesehen, also ohne die Besonderheiten des Einzelfalls, geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben (BAG 2, 2 1 1 ; A P Nr. 7 zu § 626). Der Bundesgerichtshof verwendet eine solche allgemeine Formel für die Frage der Nachprüfung in der Revisionsinstanz im allgemeinen nicht. Seine Handhabung geht dahin, daß er nachprüft, ob die gebotene umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen ist und ob die sich danach ergebenden Gesichtspunkte für die rechtliche Beurteilung auch entsprechend beachtet sind (vgl. dazu etwa BGH 4, 109; 15, 76; L M Nr. 1 zu § 1 1 7 HGB; Nr. 2 zu § 140 H G B ; dagegen noch die Formulierung des Reichsgerichts übernehmend: BGH L M Nr. 4 zu § 9 PatG). Anm. 22 3. Kein Ausschluß der Kündigung aus wichtigem Grund. Das Recht zur sofortigen Kündigung aus wichtigem Grund darf nicht ausgeschlossen und auch nicht beschränkt werden (Abs. 3). Es gelten insoweit die in Anm. 15 dargelegten Grundsätze auch hier in vollem Umfang. Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, wonach bestimmte Tatsachen keinen wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung bilden sollen, können eine unzulässige Einschränkung des Kündigungsrechts darstellen. Im Einzelfall kommt es darauf an, welche Bedeutung und Tragweite derartige Bestimmungen haben und ob sie mit dem Rechtsgedanken des sofortigen Kündigungsrechts in Widerspruch stehen (RG J W 1938, 522; zu weitgehend in der Formulierung R G WarnRspr. 1914 Nr. 248). Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, wonach bestimmte Tatsachen einen wichtigen Grund darstellen sollen, sind rechtlich unbedenklich und daher für die Gesellschafter bindend ( R G J W 1938, 522). Eine unzulässige Einschränkung der Kündigung aus wichtigem Grund liegt auch in der Bestimmung, daß der Kündigende erst nach Ablauf eines Jahres oder nur zum Schluß des laufenden Geschäftsjahres ausscheide (RG 162, 393); denn im Unterschied zur ordentlichen Kündigung (dazu Anm. 12) sind bei der außerordentlichen Kündigung auch zeitliche Einschränkungen unzulässig. Bei Z w a n g s k a r t e l l e n (G. v. 15. 7. 1939) war das Recht der Kündigung aus wichtigem Grund ausgeschlossen (BGH 16, 65). Anm. 23 Mit dem zwingenden Charakter des außerordentlichen Kündigungsrechts steht es nicht in Widerspruch, wenn ein Gesellschafter nachträglich in einem Einzelfall auf
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§ 723 A n m . 24, 25 Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse § 724 A n m . 1 ein ihm zustehendes Recht zur sofortigen Kündigung verzichtet. Ein derartiger Verzicht ist wirksam. Auch kann ein Gesellschafter ein ihm zustehendes Kündigungsrecht wegen bestimmter Vorfälle durch V e r w i r k u n g verlieren (RG J W 1936, 2547). IV. Die Kündigung zur Unzeit A n m . 24 1. A l l g e m e i n e s . Eine Kündigung zur Unzeit liegt vor, wenn der Kündigende zwar zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt eine wirksame Kündigung aussprechen kann, dazu aber ohne wichtigen Grund einen Zeitpunkt wählt, der die gemeinschaftlichen Interessen der Gesellschafter verletzt (RG SeufFArch. 85 Nr. 1; 94 Nr. 56). Eine solche Kündigung ist zwar rechtswirksam, verpflichtet aber zum Schadensersatz. Anders jedoch, wenn der Kündigende einen wichtigen Grund für die Kündigung gerade zu diesem Zeitpunkt hat. Dieser wichtige Grund ist nicht mit dem wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung (Anm. 17 ff) gleichzusetzen. Er ist gegeben, wenn ein Interesse des Kündigenden an einer Lösung des Gesellschaftsverhältnisses zum Kündigungstermin trotz entgegenstehender Interessen der anderen Gesellschafter zu bejahen ist (RG WarnRspr. 1933 Nr. 116). Von einer Kündigung zur Unzeit kann nicht gesprochen werden, wenn die entgegenstehenden Interessen der übrigen Gesellschafter sich nicht etwa nur gegen die Kündigung zu dem gewählten Zeitpunkt, sondern nach Lage der Dinge gegen die Kündigung überhaupt, also auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenden (BGH J Z 1954, 195)- Denn sonst würde das ordentliche Kündigungsrecht im Ergebnis für jeden Fall mit einem Nachteil (nach Art einer Vertragsstrafe) belastet werden, was unzulässig ist (Anm. 15). A n m . 25 2. Abgrenzung z u m Rechtsmißbrauch. Schwierigkeiten kann die Abgrenzung zwischen der unzeitgemäßen, aber wirksamen, und der rechtsmißbräuchlichen und deshalb unwirksamen Kündigung bereiten. Ja, es kann die Frage auftauchen, ob angesichts der Vorschrift des Abs. 2 überhaupt für die Annahme einer rechtsmißbräuchlichen Kündigung Raum ist, ob nicht vielmehr die Vorschrift des Abs. 2 die abschließende Regelung für eine die Grundsätze von Treu und Glauben verletzenden Kündigung darstellt (vgl. dazu BGH J Z 1954, 195). Man wird diese Frage verneinen müssen. Das Rechtsinstitut des Rechtsmißbrauchs war bei Erlaß des BGB in der zwischenzeitlich in der Rechtsprechung entwickelten Form noch nicht bekannt, so daß die Bestimmung des Abs. 2 insoweit nicht vorgreiflich sein kann. Es sind auch durchaus Fälle denkbar, in denen die einfache Schadensersatzpflicht gemäß Abs. 2 nicht den gerechten Ausgleich für eine die Grundsätze von Treu und Glauben schwer verletzenden Kündigung zu bieten vermag. Es ist daher richtig, wenn die Rechtsprechung in Fällen eines Rechtsmißbrauchs die ausgesprochene Kündigung für nichtig erklärt hat (RG DR 1943, 1220; OGH NJW 1950, 503). Immer muß es sich aber bei den Fällen des Rechtsmißbrauchs darum handeln, daß die Kündigung lediglich zu dem gewählten Zeitpunkt gegen Treu und Glauben verstößt; niemals darf auf diesem Wege das ordentliche Kündigungsrecht eines Gesellschafters überhaupt ausgeschlossen werden (BGH J Z 1954» 195)§ 7 3 4 Ist eine Gesellschaft für die Lebenszeit eines Gesellschafters eingegangen, s o kann sie in gleicher Weise gekündigt werden wie eine für u n b e s t i m m t e Zeit eingegangene Gesellschaft. Dasselbe gilt, wenn eine Gesellschaft nach d e m Ablaufe der b e s t i m m t e n Zeit stillschweigend fortgesetzt wird. E I 650 II 662; M 2 621; P 2 438.
I. Die Gesellschaft auf Lebenszeit Anm. 1 Eine gesellschaftsrechtliche Bindung auf Lebenszeit eines Gesellschafters ist nicht möglich. Jeder Gesellschafter kann eine solche Gesellschaft wie eine für unbestimmte 820
Gesellschaft
§ 724 Anm. 2—4
§725
Zeit eingegangene Gesellschaft kündigen (vgl. dazu § 723 Anm. 8ff). Zur Anwendung des § 724 ist es nicht notwendig, daß eine Bindung aller Gesellschafter auf Lebenszeit eines Gesellschafters vorgesehen ist. Auch wenn den übrigen Gesellschaftern ein vorzeitiges Kündigungsrecht eingeräumt ist und nur ein Gesellschafter während der Dauer seines Lebens nicht kündigen darf, findet § 724 Anwendung (RG 156, 136). Das hat zur Folge, daß nicht nur dieser Gesellschafter, sondern auch alle übrigen Gesellschafter ein jederzeitiges Kündigungsrecht haben. Ist eine Gesellschaft für eine bestimmte Zeit und längstens bis zum Tode eines Gesellschafters eingegangen, so liegt eine Gesellschaft auf Lebenszeit nicht vor. Vielmehr handelt es sich hier um eine Gesellschaft für eine bestimmte Zeit, bei der lediglich der gesetzlich vorgesehene Auflösungsgrund des § 727 Abs. 1 noch ausdrücklich erwähnt ist. Des weiteren findet § 724 auch dann keine Anwendung, wenn die festgelegte Dauer für die Gesellschaft die mutmaßliche Lebensdauer eines Gesellschafters übersteigt. In diesem Fall ist allein die festgelegte Dauer für die Gesellschaft bindend, es sei denn, daß sie übermäßig lang und deshalb nicht verbindlich ist (§ 723 Anm. 13 a.E.). Anm. 2 Ist ein Gesellschafter eine j u r i s t i s c h e Person und wird die Gesellschaft für die Dauer des Bestandes dieser juristischen Person eingegangen, so findet § 724 keine Anwendung. Ist die Dauer der juristischen Person in ihren Statuten zeitlich beschränkt, so ist die Gesellschaft für eine bestimmte Zeit eingegangen. Ist dagegen die Dauer der juristischen Person zeitlich nicht beschränkt, so handelt es sich bei der Gesellschaft um eine solche auf unbestimmte Zeit; in diesem Fall hat jeder Gesellschafter schon nach § 723 Abs. i Satz 1 ein jederzeitiges Kündigungsrecht. II. Die stillschweigende Fortsetzung der Gesellschaft Anm. 3 Wird eine Gesellschaft nach Ablauf der für sie bestimmten Zeit stillschweigend fortgesetzt, so ist sie nunmehr wie eine für unbestimmte Zeit eingegangene Gesellschaft zu behandeln. Diese Vorschrift enthält jedoch lediglich eine Auslegungsvorschrift, die deshalb auch nur im Zweifel gilt. Kann aus der stillschweigenden Fortsetzung der Gesellschaft der Wille der Gesellschafter entnommen werden, daß sie die Gesellschaft für eine bestimmte Zeit fortsetzen oder das jederzeitige Kündigungsrecht aller Gesellschafter für eine bestimmte Zeit nach der Fortsetzung ausschließen wollten (vgl. dazu § 723 Anm. 13), so ist dieser Wille maßgeblich. Nicht notwendig für die Anwendung des § 724 Satz 2 ist es, daß die Gesellschafter die Gesellschaft alsbald nach ihrer Auflösung fortsetzen. Denkbar ist es auch, daß die Gesellschafter schon mit der Auseinandersetzung begonnen hatten und nunmehr die Gesellschaft stillschweigend fortsetzten. Anm. 4 E n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g findet § 724 Satz 2, wenn die Gesellschafter die Gesellschaft durch einen ausdrücklichen Beschluß fortsetzen, in dem Beschluß aber nichts über die Dauer der Gesellschaft bestimmen. Ferner ist § 724 Satz 2 entsprechend anzuwenden, wenn eine durch Kündigung oder sonstwie aufgelöste Gesellschaft durch Beschluß der Gesellschafter stillschweigend fortgesetzt wird; etwas anderes gilt nur, wenn der Wille der Gesellschafter feststellbar ist, daß etwaige in dem Gesellschaftsvertrag enthaltene zeitliche Bestimmungen auch für die fortgesetzte Gesellschaft weiter gelten sollen.
§735 Hat der Gläubiger eines Gesellschafters die Pfändung des Anteils des Gesellschafters an dem Gesellschaftsvermögen erwirkt, so kann er die Gesellschaft ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, sofern der Schuldtitel nicht bloß vorläufig vollstreckbar ist. 821
§ 725 A n m . 1—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Solange die Gesellschaft besteht, kann der Gläubiger die s i c h a u s d e m Gesellschaftsverhältnis e r g e b e n d e n Rechte des G e s e l l s c h a f t e r s , m i t A u s n a h m e des A n s p r u c h s auf einen Gewinnanteil, nicht geltend m a c h e n . E n 663; P 2 43«.
Ubersicht Aam.
I. Die Pfändung des Gesellschaftsanteils 1. Allgemeines 2. Die Durchführung der Pfändung II. Die Kündigung durch den Pfändungsgläubiger 1. Die Voraussetzungen der Kündigung 2. Die Kündigungserklärung 3. Die Wirkung der Kündigung 4. Die Rechtsstellung des Pfändungsgläubigers
1, 2 1 2 3—9 3, 4 5 6, 7 8, 9
I. Die P f ä n d u n g des Gesellschaftsanteils Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . Im Gegensatz zu dem allgemeinen Grundsatz des § 719, wonach ein Gesellschafter über seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen nicht frei verfügen kann, läßt § 859 ZPO die Pfändung des Anteils am Gesellschaftsvermögen durch den Gläubiger eines Gesellschafters zu. Das ist im Interesse des Gläubigers geboten, dem der Zugriff auch auf diesen Vermögensgegenstand seines Schuldners offen stehen muß. Dabei ist die Realisierung einer solchen Pfändung nach § 725 so geregelt, daß dem Gläubiger ein sofortiges Kündigungsrecht gewährt und ihm dadurch der Zugriff auf das Auseinandersetzungsguthaben seines Schuldners ermöglicht wird; die schutzwerten Interessen der übrigen Gesellschafter werden dadurch gewahrt, daß der Gläubiger mit der Pfändung nicht etwa an die Stelle des Gesellschafter-Schuldners tritt und daher auch nicht dessen Mitgliedschafts-(Verwaltungs-)rechte wahrnehmen kann (dazu Anm. 8). Anm. 2 2. Die Durchführung der P f ä n d u n g . Die Pfändung des Gesellschaftsanteils richtet sich nach den Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts; darüber besagt § 725 nichts. Hervorzuheben ist aber, daß die Pfändung des Anspruchs eines Gesellschafters auf Gewinn und auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens (vgl. § 717 Anm. 13) nicht eine Pfändung des Gesellschaftsanteils ist. Zur Wirksamkeit der Pfändung des Gesellschaftsanteils gehört es, daß der Pfändungsbeschluß a l l e n Gesellschaftern, nicht etwa nur den geschäftsführenden Gesellschaftern zugestellt wird, da die Pfändung die Grundlage der Gesellschaft berührt und damit außerhalb der Geschäftsführung liegt. II. Die Kündigung durch den Pfändungsgläubiger Anm. 3 1. Die Voraussetzungen der Kündigung. Der Pfändungsgläubiger kann die Gesellschaft ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß die Pfändung wirksam ist. Ist das nicht der Fall, so ist die ausgesprochene Kündigung ebenfalls unwirksam. Weiterhin ist für die Kündigung erforderlich, daß die Pfändung auf einem Schuldtitel beruht, der nicht nur vorläufig vollstreckbar ist. Ein rechtskräftiges Vorbehaltsurteil ist ausreichend. Im Unterschied zur offenen Handelsgesellschaft (§ 135 HGB) genügt bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft ein Pfändungsbeschluß; ein Überweisungsbeschluß ist nicht auch noch erforderlich. Anm. 4 Nur der Gläubiger eines Gesellschafters (sog. Privatgläubiger, vgl. § 135 HGB) hat das Recht zur Kündigung, nicht ein Gesellschaftsgläubiger. Das Kündigungsrecht des § 725 ist ein außerordentlicher Notbehelf, um dem Gläubiger den Zugriff auf den
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Gesellschaft
§725
A n m , 5—8 Gesellschaftsanteil seines Schuldners zu ermöglichen. Der Gesellschaftsgläubiger bedarf dieses Notbehelfs nicht, da ihm der Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen nach § 736 Z P O ohnehin offen steht. Aus diesem Grunde benötigt der Gläubiger, dem alle Gesellschafter als Schuldner außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses verhaftet sind, ebenfalls nicht das Kündigungsrecht des § 725, da auch er nach § 736 Z P O unmittelbar in das Gesellschaftsvermögen vollstrecken kann (§ 7 1 8 Anm. 10). Auch ein Gesellschafter kann Privatgläubiger eines anderen Gesellschafters sein; ihm steht dann das Kündigungsrecht des § 725 ebenfalls zu. Nur muß es sich hierbei um eine Forderung handeln, die sich nicht auf das Gesellschaftsverhältnis gründet, sondern seinen Rechtsgrund außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses hat. Auch ist in diesem Fall zu beachten, daß der Gesellschafter-Gläubiger die gesellschaftliche Treuepflicht zu wahren hat und daß deshalb unter Umständen seine Kündigung unwirksam sein kann (vgl. dazu W e i p e r t R G R K H G B § 1 3 5 Anm. 2).
Anm. 5 2. Die Kündigungser klär ung.
Der Pfandgläubiger muß die Kündigung gegenüber allen Gesellschaftern, nicht nur gegenüber den geschäftsführenden Gesellschaftern aussprechen, auch dem Gesellschafter-Schuldner gegenüber, da der Pfändungsgläubiger ein eigenes Kündigungsrecht und nicht etwa das Kündigungsrecht seines Schuldners ausübt. Nach der Pfändung des Gesellschaftsanteils ist nur noch der Pfändungsgläubiger, nicht auch der Gesellschafter-Schuldner zur Kündigung berechtigt. Hat der Gesellschafter-Schuldner gleichwohl gekündigt, so kann diese Kündigung unter Umständen durch Zustimmung des Gläubigers rückwirkend wirksam werden ( R G L Z 1 9 1 6 , 592).
Anm. 6 3. Die Wirkung der Kündigung.
Wie die Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses durch einen Gesellschafter, so führt auch die Kündigung durch den Pfändungsgläubiger nach § 725 im Regelfall die Auflösung der Gesellschaft herbei. Die Gesellschaft ist sodann auseinanderzusetzen (vgl. dazu auch Anm. 8). Eine Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, wonach im Fall einer Kündigung durch einen Pfändungsgläubiger die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird (vgl. auch §§ 736) 728)> ist wirksam; durch eine solche Bestimmung wird die Rechtsstellung des Pfändungsgläubigers nicht in unvertretbarer Weise verkürzt, seine Interessen sind im ausreichenden Maße gewahrt, wenn er sich an dem Abfindungsguthaben seines Schuldners befriedigen kann. Demzufolge ist bei einer Zweimanngesellschaft auch eine Bestimmung wirksam, wonach bei Pfändung eines Gesellschaftsanteils dem anderen Gesellschafter ein Ubernahmerecht zusteht (vgl. auch § 142 Abs. 2 H G B ; dazu im einzelnen § 730 Anm. 1 4 ; § 736 Anm. 6).
Anm. 7 Die Wirkung der einmal ausgesprochenen Kündigung ist nicht an den Fort169, 1 5 5 ) ; sie fällt daher nicht fort, wenn der Gläubiger nach Ausspruch der Kündigung anderweit befriedigt wird. I n diesem Fall bedarf es daher zur Fortsetzung der Gesellschaft der Zustimmung aller Gesellschafter. Haben in der Zwischenzeit die übrigen Gesellschafter von ihrem Recht zur alleinigen Fortsetzung der Gesellschaft (ohne den Pfändungsschuldner) Gebrauch gemacht oder hat bei einer Zweimanngesellschaft der andere Gesellschafter das ihm zustehende Ubernahmerecht ausgeübt, so bleibt der so geschaffene Rechtszustand grundsätzlich bestehen. In allen diesen Fällen können jedoch die übrigen Gesellschafter nach den Grundsätzen der Gesellschaftstreue verpflichtet sein, den vor der Kündigung bestandenen Zustand wieder herzustellen, sei es, daß sie der Fortsetzung der Gesellschaft zustimmen, sei es, daß sie den inzwischen ausgeschiedenen Gesellschafter wieder als Gesellschafter aufnehmen ( R G 1 6 9 , 1 5 5 / 5 6 ; vgl. a u c h B G H L M Nr. 7 zu § 142 H G B ) .
bestand des Pfändungsbeschlusses gebunden (RG
Anm. 8 4. Die Rechtsstellung des Pfändungsgläubigers.
Der Pfändungsgläubiger tritt nicht in die Stellung des Gesellschafter-Schuldners ein, namentlich erhält er nicht die
823
§ 725 A n m . 9
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 726 Anm. 1 Verwaltungsrechte, die diesem als Gesellschafter zustehen (Abs. 2). Dieser Regelung liegt der allgemeine Gesichtspunkt zugrunde, d a ß es sich die übrigen Gesellschafter nicht ohne ihren Willen gefallen zu lassen brauchen, d a ß sich ein Dritter in ihre Gesellschaft eindrängt. Der Pfändungsgläubiger h a t daher kein Stimmrecht, aber auch keine Kontrollrechte, andererseits treffen ihn auch nicht die Pflichten eines Gesellschafters, u n d zwar weder im Innenverhältnis noch im Außenverhältnis. Das alles gilt auch f ü r die Zeit nach Ausspruch der Kündigung u n d f ü r das daran anschließende Auseinandersetzungsverfahren. Das ist zwar nach d e m Wortlaut des Abs. 2 nicht ganz eindeutig, m u ß aber nach d e m Grundgedanken des Abs. 2 angenommen werden (vgl. dazu eingehend RG 95, 231). Hierin kann f ü r den Pfändungsgläubiger eine H ä r t e liegen, wenn der Gesellschafter-Schuldner wegen seiner Verschuldung kein sonderliches Interesse an der Auseinandersetzung zeigt. D e m Pfändungsgläubiger wird m a n jedoch einen Anspruch gegen die übrigen Gesellschafter auf Vornahme der Auseinandersetzung zubilligen müssen; durch Verletzung dieser Verpflichtung machen sich die Gesellschafter gegenüber dem Pfändungsgläubiger schadensersatzpflichtig.
Anm. 9 Der Gesellschafter-Schuldner h a t nicht die Macht, im Auseinandersetzungsprozess oder außerhalb des Prozesses ohne Zustimmung des Pfandungsgläubigers irgendwelche diesem nachteilige Verfügungen zu treffen. Wird der Auseinandersetzungsprozeß von ihm selbst geführt, so m u ß er d e n Pfändungsgläubiger zu d e m Rechtsstreit zuziehen. Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags, die vor der Pfändung getroffen sind (vgl. § 73l)> verlieren auch dem Gläubiger gegenüber nicht ihre K r a f t ; nur insoweit sind sie als d e m Zwecke des § 725 widerstreitend u n d daher unwirksam anzusehen, als sie darauf gerichtet sind, f ü r den Fall der Anteilspfandung die Rechte des Gesellschafters, u n d dadurch zugleich die Rechte des Gläubigers zu beeinträchtigen.
§
7 3 6
Die Gesellschaft endigt, wenn der vereinbarte Zweck erreicht oder dessen Erreichung unmöglich geworden ist. E
n 6ji n 664;
M % 622; P
2 439. Übersicht
1. 2. 3. 4.
Allgemeines Die Erreichung des Gesellschaftszwecks Die Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks Abweichende Vereinbarungen
Anm.
1 2 3. 4
Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . § 726 enthält zwei Auflösungsgründe, die selbständig nebeneinander stehen. W e n n dabei § 726 im Unterschiede zu den vorausgehenden u n d den nachfolgenden Bestimmungen nicht von Auflösung, sondern von Endigung spricht, so bedeutet das keinen sachlichen Unterschied. Auch die nach § 726 endende Gesellschaft tritt in d e n Zustand der Auflösung u n d m u ß auseinandergesetzt werden, ehe sie vollbeendet ist. N u r bringen es die Auflösungsgründe des § 726 mit sich, d a ß bei ihnen mitunter eine Auseinandersetzung nicht mehr notwendig ist, so d a ß d a n n die Auflösung mit der Vollbeendigung zusammentrifft. Herrscht zwischen den Parteien Streit darüber, ob ein Auflösungsgrund nach § 726 vorliegt, so ist darüber durch Feststellungsurteil zu entscheiden. Die Partei, die sich auf die Auflösung beruft, m u ß diese beweisen (RG 164, 142). § 726 findet auch auf einen nicht rechtsfähigen Verein Anwendung (RG J W 1928,. 3111). Bei der offenen Handelsgesellschaft gelten die Auflösungsgründe des § 726 nicht;, bei ihr tritt im Regelfall an die Stelle der Auflösungsgründe des § 726 eine gerichtliche: Entscheidung nach § 133 H G B .
824
Gesellschaft
§72* A n m . 2—4
Anm. 2 2. Die E r r e i c h u n g d e s G e s e l l s c h a f t s z w e c k s . Dieser Auflösungsgrund kommt nur bei solchen Gesellschaften in Betracht, denen ein fest bestimmter und sachlich eng begrenzter Zweck eigen ist. Hierher gehören namentlich die Gelegenheitsgesellschaften. Bei Gesellschaften, die auf Dauer angelegt sind, besonders bei den Erwerbsgesellschaften» kommt dieser Auflösungsgrund nicht in Betracht, da ihr Zweck fortdauert.
Anm. 3 3. Die Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks. Ist die
Erreichung des Gesellschaftszwecks von vornherein —• aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen — unmöglich, so ist die Gesellschaft nichtig (§ 306). Diesen Fall regelt § 726 nicht, sondern lediglich den, daß der Gesellschaftszweck s p ä t e r , während bestehender Gesellschaft, unmöglich w i r d . Bei der Annahme einer Unmöglichkeit im Sinne des § 726 ist Zurückhaltung geboten. A n eine solche Annahme ist ein strengerer Maßstab als an die Annahme einer Unmöglichkeit bei der Ausführung eines Kaufvertrages anzulegen ( R G 164, 143). D i e Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks muß eine offenbare, ausgemachte sein ( R G 164, 1 4 2 ; B G H 24, 293). Es muß sich unter Berücksichtigung der j e weiligen Verhältnisse u m eine d a u e r n d e Unmöglichkeit handeln; eine zeitliche U n möglichkeit, die auf staatlichen Wirtschaftslenkungsmaßnahmen anläßlich eines Krieges beruht, genügt hierfür im allgemeinen nicht ( R G a a O ; vgl. aber auch R G Recht 1 9 1 9 , 1 0 3 ; J W 1928, 3 1 1 1 ) . Auch kann nicht schon deshalb eine Unmöglichkeit der Zweckerreichung angenommen werden, weil sich der Gesellschaftszweck mit den im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Beiträgen nicht erreichen läßt; hier muß noch eine Entschließung aller Gesellschafter hinzutreten, daß sie nicht bereit sind, die notwendigen Nachzahlungen zu leisten ( R G J W 1938, 1522). A u c h kann der Umstand, daß sich der mit der Gesellschaft verfolgte wirtschaftliche Gewinn bei der Ausbeute eines Patents nicht wird erreichen lassen, nicht die Annahme der Unmöglichkeit der Erreichung des. Gesellschaftszwecks rechtfertigen; denn in einem solchen Fall richtet sich der Zweck des Vertrages nicht auf den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auf die Ausbeute des Patents( R G D J 1937, 1008). Die mangelnde wirtschaftliche Ertragsfähigkeit kann in einem solchen Fall lediglich einen wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung darstellen (vgl. dazu § 723 Anm. 18). Dagegen wird bei einer Patentverwertungsgesellschaft die E r reichung des Gesellschaftszwecks unmöglich, wenn das Patent verkauft wird ( R G J W 1930, 1 7 3 0 ; vgl. des weiteren auch R G L Z 1930, 1 4 5 1 ) . Unter Umständen kann auch eine grobe Verletzung der einem Gesellschafter obliegenden Verpflichtungen die E r reichung des Gesellschaftszwecks unmöglich machen (vgl. dazu R G 1 2 3 , 25).
Anm. 4 4. A b w e i c h e n d e V e r e i n b a r u n g e n . Die Auflösungsgründe des § 726 sind z w i n g e n d e r A r t ; es kann nicht bestimmt werden, daß bei der Erreichung oder dem U n möglichwerden des Gesellschaftszwecks die Gesellschaft fortbestehen soll. Denn das wäre ein Widerspruch in sich selbst, weil für jede Gesellschaft ein Gesellschaftszweck notwendige Voraussetzung ist. Dagegen ist eine Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, wonach beim Erreichen oder dem Unmöglichwerden des Gesellschaftszwecks ein bestimmter anderer Zweck treten soll, zulässig, weil eine solche Bestimmung die V o r schrift des § 726 unberührt läßt. In diesem Falle wird der in zweiter Linie vorgesehene Gesellschaftszweck der Zweck dieser Gesellschaft, so daß dann für die Anwendung des § 726 kein R a u m ist. — Des weiteren ist es möglich, daß die Gesellschafter nach Eintritt eines der Auflösungsgründe des § 726 einstimmig beschließen, daß sie die Gesellschaft mit einem anderen Gesellschaftszweck fortsetzen wollen; in einem solchen Beschluß liegt die Umwandlung der Abwicklungsgesellschaft in eine werbende Gesellschaft. Die Vorschrift des § 726 steht dem nicht entgegen, weil die Gesellschaft wieder einen Gesellschaftszweck hat.
825
§ 727 A n m . 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 737 Die Gesellschaft w i r d durch den Tod eines der Gesellschafter aufgelöst, sofern nicht aus dem Gesellschaftsvertrage sich ein anderes ergibt. I m Falle der Auflösung hat der Erbe des verstorbenen Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern den Tod unverzüglich anzuzeigen und, wenn mit dem Aufschübe Gefahr verbunden ist, die seinem Erblasser durch den Gesellschaftsvertrag übertragenen Geschäfte fortzuführen, bis die übrigen Gesellschafter in Gemeinschaft mit ihm anderweit Fürsorge treffen können. Die übrigen Gesellschafter sind in gleicher Weise zur einstweiligen Fortführung der ihnen übertragenen Geschäfte verpflichtet. Die Gesellschaft gilt insoweit als fortbestehend. E I 652 n 665; M 8 622; P x 439.
Ü b ersieht I. Die gesetzliche Regelung beim T o d eines Gesellschafters 1. Die Auflösung der Gesellschaft 2. Die Pflichten der Erben 3. Die Pflichten der übrigen Gesellschafter 4. Die Rechte der Erben I I . Abweichende Regelung 1. Die Fortsetzung der 2. Die Fortsetzung der 3. Die Fortsetzung der
Ajom.
1—5 2 3 4 5
im Gesellschaftsvertrag 6—10 Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern . . 7 Gesellschaft mit den Erben 8, 9 Gesellschaft mit einem der Erben 10
Anm. 1 I. Die gesetzliche Regelung beim Tod eines Gesellschafters Mit Rücksicht auf das persönliche Vertrauen der Gesellschafter zueinander, die die Grundlage eines jeden Gesellschaftsverhältnisses bildet ( B G H 4, 1 1 3 ) , wird nach der gesetzlichen Regel des § 727 die Gesellschaft durch den T o d eines Gesellschafters aufgelöst. Die übrigen Gesellschafter sollen nicht gegen ihren Willen gezwungen werden, das Gesellschaftsverhältnis mit Personen fortzusetzen, auf deren Auswahl sie keinen Einfluß haben. Dieser an sich vernünftige Gedanke des § 727 wird der Lebenswirklichkeit nicht immer gerecht. Namentlich bei Dauergesellschaften (Erwerbsgesellschaften) ist die Auflösung der Gesellschaft beim T o d eines Gesellschafters meist nicht die sachgerechte Lösung, weil sie zur Vernichtung von Vermögenswerten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung und der Versilberung des Gesellschaftsvermögens führt. Deshalb haben abweichende Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag f ü r den Fall des Todes eines Gesellschafters besondere praktische Bedeutung; das gilt namentlich f ü r die Personalhandelsgesellschaften. Ist eine j u r i s t i s c h e P e r s o n M i t g l i e d e i n e r bürgerlich-rechtlichen G e s e l l s c h a f t , so ist bei ihr dem T o d einer natürlichen Person nicht die Auflösung, sondern die Vollbeendigung gleichzuachten (RG 1 2 3 , 294; vgl. auch R G 122, 257). Anm. 2 1. Die Auflösung der Gesellschaft. Mit dem Tode eines Gesellschafters tritt die Auflösung der Gesellschaft unmittelbar ein. Die werbende Gesellschaft wird zur Abwicklungsgesellschaft. Dabei werden die Erben des verstorbenen Gesellschafters Mitglieder dieser Abwicklungsgesellschaft (RG 106, 65; B G H 1, 3 2 7 ; im einzelnen vgl. dazu A n m . 5). Die Gesellschaft ist nunmehr nach Maßgabe der gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen auseinanderzusetzen; an dieser Auseinandersetzung nehmen die Erben teil. Anm. 3 2. Die Pflichten der Erben. Abs. 2 legt den Erben des verstorbenen Gesellschafters Pflichten auf, die sich aus der Gesellschafterstellung ihres Erblassers ergeben und für
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Gesellschaft
§727 Anm. 4—6
deren Erfüllung der Haftungsmaßstab des § 708 gilt. Die Entstehung dieser Pflichten ist nicht von der Annahme der Erbschaft abhängig; diese Pflichten entstehen vielmehr bereits mit dem Erbfall. Wenn der Erbe allerdings nachher rechtzeitig die Erbschaft ausschlägt, so sind diese Pflichten in seiner Person nicht entstanden. Im einzelnen handelt es sich dabei einmal um d i e P f l i c h t , den übrigen Erben d e n T o d u n v e r z ü g l i c h (§ 1 2 1 ) a n z u z e i g e n . Die Verletzung dieser Pflicht macht den Erben schadensersatzpflichtig. Allerdings sollte hierbei die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden, z. B. wenn die Erben von dem Bestehen der Gesellschaft keine Kenntnis haben oder wenn sie sich nach ihren persönlichen Fähigkeiten (vgl. insoweit auch § 708) ihrer Anzeigepflicht nicht bewußt sind. Die Anzeigepflicht entfällt, wenn den übrigen Gesellschaftern der Tod anderweit bekannt wird. Auch ist insoweit § 254 anwendbar; das kommt namentlich bei Todesanzeigen in der Zeitung in Betracht. Ferner haben die Erben d i e P f l i c h t z u r F o r t f ü h r u n g d e r d e m E r b l a s s e r gesellschaftsvertraglich ü b e r t r a g e n e n G e s c h ä f t e , wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Bei der Annahme einer dahingehenden Pflicht ist Zurückhaltung geboten, sie ist auf die dringendsten Fälle zu beschränken. Wie S t a u d i n g e r - K e s s l e r Anm. 7 mit Recht bemerken, sind in den Gesellschaftsangelegenheiten die Erben im allgemeinen Neulinge und sie sollten, ehe sie selbständig handeln, stets bedenken, daß die übrigen Gesellschafter insofern erfahrener sind. Die Pflicht zur Fortführung von Geschäften trifft die Erben nicht, wenn ihr Erblasser im Rahmen einer gemeinschaftlichen Geschäftsführung (§ 709) tätig gewesen war. — Gegebenenfalls kann sich für die Erben eine entsprechende Verpflichtung auch aus § 673 ergeben, wenn ihr Erblasser im Rahmen eines besonderen Auftrags tätig gewesen war.
Anm. 4 3. Die Pflichten der übrigen Gesellschafter. Abs. 2 Satz 2 hebt besonders
hervor, daß auch die übrigen Gesellschafter beim Tode eines Gesellschafters die Pflicht zur einstweiligen Fortführung der ihnen übertragenen Geschäfte haben. Diese Pflicht ist dadurch besonders gekennzeichnet, daß die Gesellschaft insoweit als fortbestehend gilt. Es sind also insoweit an Inhalt und Umfang dieser Pflicht die Maßstäbe anzulegen, die für die bestehende Gesellschaft gelten. Ferner ist zu beachten, daß für diese notwendigen Fürsorgemaßnahmen die Vertretungsbefugnis der geschäftsführenden Gesell' schafter fortbesteht; § 730 Abs. 2 Satz 2 gilt insoweit nicht. Vgl. im übrigen auch §729.
Anm. 5 4. Die Rechte d e r E r b e n . Die Erben des verstorbenen Gesellschafters werden Mitglieder der Abwicklungsgesellschaft (RG 106, 65; B G H 1, 327), und zwar jeder Erbe einzeln, da die Erbengemeinschaft als solche nicht Mitglied der Gesellschaft werden kann (vgl. dazu im einzelnen B G H 22, 192 m. w. N.). Die Erben haben damit auch alle Rechte und Pflichten, die den Gesellschaftern bei der Auseinandersetzung zustehen und obliegen. Die Erben stehen sich also in dieser Hinsicht besser als der Pfändungsgläubiger eines Gesellschafters, der nicht unmittelbar an der Auseinandersetzung der Gesellschaft teilnehmen kann (§ 725 Anm. 8). Das bedeutet, daß es die übrigen Gesellschafter hinnehmen müssen, daß für das Stadium der Abwicklung der Gesellschaft auch solche Personen zu ihrer Gesamthandsgemeinschaft gehören, auf dessen Auswahl sie keinen unmittelbaren Einfluß haben. Den Mitgliedern der in der Abwicklung befindlichen Gesellschaft steht es frei, die aufgelöste Gesellschaft wieder in eine werbende Gesellschaft umzuwandeln. In diesem Fall bleibt die Identität der Gesellschaft bestehen (BGH 1, 327). Für einen solchen Umwandlungsbeschluß ist grundsätzlich Einstimmigkeit aller Gesellschafter, d. h. unter Einschluß auch aller Erben erforderlich (BGH 8, 43).
Anm. 6 II. Abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag bestimmen, daß die Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters nicht aufgelöst wird. Eine solche Bestimmung braucht nicht ausdrücklich getroffen zu werden, sie kann sich auch aus dem Zusammenhang 54
Komm. 2. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Fischer
827
§ 727 A n m . 7—9
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
des Gesellschaftsvertrages ergeben; das gilt namentlich für Dauergesellschaften. Immerhin ist es im Interesse der Rechtssicherheit auf diesem für die Gesellschafter besonders wichtigen Gebiet dringend zu empfehlen, daß eine solche Bestimmung klar und eindeutig getroffen wird. Bezieht sich die Gesellschaft auf ein einzelnes Geschäft, das beim Tode eines Gesellschafters noch nicht abgeschlossen ist, so beendet der Tod des Gesellschafters die Gesellschaft noch nicht; das Geschäft ist für die Gesellschaft durchzuführen (RG DJZ 1906, 878). Anm. 7 1. Die Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter. Eine solche Bestimmung hat zur Folge, daß beim Tod eines Gesellschafters dieser aus der Gesellschaft ausscheidet, sein Anteil am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zuwächst und die Erben des Verstorbenen lediglich einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch haben. In der Vorschrift des § 736 ist dieser Fall ausdrücklich vorgesehen. Eine solche Bestimmung hat für die überlebenden Gesellschafter den Vorteil, daß sie nicht das Risiko einer Fortsetzung der Gesellschaft mit ihnen zunächst unbekannten Personen (Erben des verstorbenen Gesellschafters) zu übernehmen brauchen; für die Erben hingegen kann eine solche Bestimmung, namentlich bei Erwerbsgesellschaften, eine Härte darstellen. Einzelheiten vgl. bei § 736. Anm. 8 2. Die Fortsetzung der Gesellschaft m i t denErben. Eine solche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag bereitet keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten, wenn der Verstorbene nur einen Erben hat. Sie ist im Regelfall dahin auszulegen, daß der Erbe unmittelbar mit dem Erbfall Gesellschafter wird. Durch eine solche Bestimmung wird der Gesellschaftsanteil vererblich und geht demzufolge nach§ 1922 unmittelbar auf den Erben über (BGH 22, 191; vgl. auch schon Anm. bei L M Nr. 1 zu § 719). Des Abschlusses eines besonderen Aufnahmevertrages zwischen dem Erben und den übrigen Gesellschaftern bedarf es nicht. In der Gesellschaft erhält der Erbe die Rechte und Pflichten, die mit seinem Gesellschaftsanteil verbunden sind, und die ihm danach gesellschaftsvertraglich zustehen und obliegen. Das kann für das Recht zur Geschäftsführung und Vertretimg zu Zweifeln führen, wenn die Geschäftsführung in der Gesellschaft abweichend von § 709 geregelt ist. Man muß sich dabei an den Grundsatz halten, daß eine solche Regelung im allgemeinen auch für und gegen den Erben gilt, es sei denn, daß diese Regelung auf die besonderen persönlichen Fähigkeiten oder Eigenschaften des Verstorbenen abgestellt war; dann gilt sie nicht auch für und gegen den Erben (vgl. dazu R G DR 1942, 1057; B G H Betrieb 1958, 1417). — Zu den Fragen, die sich in einem solchen Fall aus einer angeordneten Testamentsvollstreckung ergeben können, vgl. R G 170, 392; 172, 199; BGH 24, 113. Anm. 9 Hinterläßt der Verstorbene m e h r e r e Erben, so ist die Rechtslage grundsätzlich nicht anders. Auch in diesem Fall ist der Gesellschaftsanteil des Verstorbenen vererblich, so daß er mit dem Erbfall unmittelbar auf die Erben übergeht. Nur ist hierbei eine Besonderheit zu beachten, die sich aus einer Divergenz zwischen Erbrecht und Gesellschaftsrecht ergibt. Nach rein erbrechtlichen Gesichtspunkten würde in einem solchen Fall die Erbengemeinschaft als solche (zur gesamten Hand) Gesellschafterin werden, nicht aber der einzelne Erbe zu einem bestimmten Anteil. Diese aus dem Erbrecht sich ergebende Folgerung ist aber aus gesellschaftsrechtlichen Gründen nicht möglich, da die Erbengemeinschaft nicht Mitglied einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft sein kann (§ 705 Anm. 12). Daher muß hier zugunsten der zugelassenen Vererblichkeit des Gesellschaftsanteils die allgemeine erbrechtliche Regelung einer Gesamtnachfolge in Form der Erbengemeinschaft zurücktreten. Das bedeutet, daß bei mehreren Miterben, die nach den gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen als Nachfolger ihres Erblassers nebeneinander Gesellschafter werden sollen, hinsichtlich des Gesellschaftsanteils des Verstorbenen von vornherein eine Sonderrechtsnachfolge eintritt, daß also die Miterben diesen Gesellschaftsanteil entsprechend ihrer Beteiligung 828
Gesellschaft
§ 727 Anm. 10 § 728 Anm. 1, 2
am Nachlaß unmittelbar geteilt erwerben und demgemäß mit dem Tod des Erblassers automatisch Gesellschafter nach Maßgabe ihres so erworbenen Gesellschaftsanteils werden (RG D R 1943, 1224; B G H 22, 192/93). Anm. 10 Die Fortsetzung der Gesellschaft mit einem der Erben. U m einer unübersehbaren Erhöhung des Mitgliederbestandes vorzubeugen, ist es namentlich bei offenen Handelsgesellschaften, aber auch bei bürgerlich-rechtlichen Erwerbsgesellschaften (z. B. Handwerkergesellschaften) vielfach üblich, die Fortsetzung der Gesellschaft nur mit einem Erben vorzusehen. Dabei kann die Person des Nachfolgers schon im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden (z. B. der älteste Sohn) oder auch der eingeschränkten oder der uneingeschränkten Bestimmung des Erblassers überlassen werden. Eine solche Bestimmung hat zur Folge, daß auch in diesem Fall der Nachfolger-Erbe mit dem Erbfall grundsätzlich unmittelbar Gesellschafter wird. Dabei sind allerdings verschiedene Gestaltungen denkbar. Der Gesellschaftsvertrag kann vorsehen, daß der NachfolgerErbe Gesellschafter wird, und daß den übrigen Gesellschaftern die auf sie entfallende Abfindung auszuzahlen ist, aber auch vorsehen, daß eine solche Auszahlung nicht erfolgen soll; in diesem Fall hat dann der Nachfolger-Erbe seinerseits seine Miterben abzufinden (vgl. dazu B G H 22, 193 ff; im einzelnen ist hier im Schrifttum manches streitig, vgl. dazu Siebert Gesellschaftsvertrag und Erbrecht bei der offenen Handelsgesellschaft 3. Aufl. 1958).
§ 738 Die Gesellschaft wird durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst. Die Vorschriften des § 727 Abs. 2 Satz 2, 3 finden Anwendung. E I 653; R V 715; M % 622 P % 437.
Anm. 1 1. Die Konkurseröffnung als Auflösungsgrund. Dieser Auflösungsgrund ist nicht zwingend. Wie sich aus § 736 ausdrücklich ergibt, können die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag auch bestimmen, daß im Fall der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Gesellschafters die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird. In diesem Fall scheidet der betreffende Gesellschafter mit der Konkurseröffnung aus der Gesellschaft aus, sein Anteil wächst den übrigen Gesellschaftern zu und ihm verbleibt nur ein schuldrechtlicher Abfindungsanspruch, der zur Konkursmasse gehört. Dagegen haben die Gesellschafter nicht die Möglichkeit zu bestimmen, daß durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Gesellschafters der Bestand der Gesellschaft unberührt, die Gesellschaft also unter Einschluß des Gemeinschuldners bestehen bleiben soll. Denn im Fall eines Konkurses ist es notwendig, die Vermögenswerte des Gemeinschuldners, soweit sie in dem Gesellschaftsvermögen gebunden sind, für die Befriedigung der Konkursgläubiger frei zu machen; denn der Anteil des Gemeinschuldners am Gesellschaftsvermögen gehört zur Konkursmasse (§859 Abs. 1 Z P O ; § 1 K O ) . Das können die Gesellschafter nicht verhindern. Auf g e s e l l s c h a f t s ä h n l i c h e R e c h t s v e r h ä l t n i s s e ist § 728 grundsätzlich nicht anzuwenden (RG J W 1938, 1025). Hier ist die Sonderregelung des § 728 nicht notwendig, da die Abwicklung solcher Rechtsverhältnisse nicht außerhalb des Konkursverfahrens stattfinden muß, hier also für die Anwendung des § 16 K O und die Einleitung eines besonderen Auseinandersetzungsverfahrens kein Raum ist. Anm. 2 2. Die Auseinandersetzung außerhalb des Konkursverfahrens. Wird die Gesellschaft infolge der Konkurseröffnimg aufgelöst, so ist die Auseinandersetzung der Gesellschaft durchzuführen. Diese Auseinandersetzung findet nicht im Rahmen des Konkursverfahrens statt, da nicht das Gesellschaftsvermögen, sondern nur der Anteil >4*
829
§ 728 Anm. 3, 4 § 729 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
des Gemeinschuldners am Gesellschaftsvermögen zur Konkursmasse gehört. Deshalb findet die Auseinandersetzung außerhalb des Konkursverfahrens statt (§ 16 Abs. i K O ) . Mit der Konkurseröffnung verliert der Gemeinschuldner das Recht zur Verfügung über seinen Anteil. Er verliert aber auch das Recht, Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen zu treffen, das ihm als geschäftsführungs- und vertretungsberechtigter Gesellschafter zugestanden haben mag. Auch an der Auseinandersetzung der Gesellschaft nimmt er nicht teil. An seine Stelle tritt im Auseinandersetzungsverfahren der Konkursverwalter; dieser übt die Rechte des Gemeinschuldners bei der Auseinandersetzung allein aus (RG Gruchot 45, 622; SeuffArch. 89 Nr. 82). Demzufolge hat der Konkursverwalter gemeinsam mit den übrigen Gesellschaftern die notwendigen Abwicklungsgeschäfte durchzuführen. Dieses Recht des Konkursverwalters ist zugleich seine Pflicht (RG SeuffArch. 89 Nr. 82). Dem Konkursverwalter steht es frei, mit den übrigen Gesellschaftern eine andere als die gesetzliche Form der Auseinandersetzung zu vereinbaren. So kann er sich damit einverstanden erklären, daß die übrigen Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzen und der Gemeinschuldner mit einem Abfindungsanspruch abgefunden wird. Die übrigen Gesellschafter können aber einen solchen Beschluß allein nicht fassen. Anm. 3 3. Das Recht der übrigen Gesellschafter auf Vorausbefriedigung. Nach § 733 sind bei der Auseinandersetzung die gemeinschaftlichen Schulden aus dem Gesellschaftsvermögen vorweg zu berichtigen. Hierauf haben die übrigen Gesellschafter gegenüber dem Konkursverwalter einen Anspruch. Das ist für sie wichtig, weil sie auf Grund ihrer persönlichen Haftung auch noch nach Durchführung der Auseinandersetzung von den Gesellschaftsgläubigern in Anspruch genommen werden können und ihr Ausgleichsanspruch gegenüber dem Gemeinschuldner-Gesellschafter gefährdet ist. Die Konkursgläubiger haben mit anderen Worten nur einen Anspruch auf das Guthaben des Gemeinschuldners, das nach Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger auf diesen entfällt, also nur einen Anspruch auf den N e t t o e r l ö s (RG 42, 105). Anm. 4 Aus der Regelung des § 733 kann hingegen nicht entnommen werden, daß auch die Gesellschaftsgläubiger ihrerseits ein Recht auf Vorausbefriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen haben. § 733 regelt lediglich die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander, gibt also nur diesen, nicht aber auch den Gesellschaftsgläubigern einen Anspruch (RG 42, 106). Das ist von einer praktisch unmittelbaren Bedeutung, wenn über das Vermögen a l l e r Gesellschafter das Konkursverfahren eröffnet ist. In diesem Fall können die Gesellschaftsgläubiger nicht etwa verlangen, daß sie aus dem Gesellschaftsvermögen voraus zu befriedigen sind (BGH 23, 314).
§ 739 Wird die Gesellschaft in anderer Weise als durch Kündigung aufgelöst, so gilt die einem Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag übertragene Befugnis zur Geschäftsführung zu seinen Gunsten gleichwohl als fortbestehend, bis er von der Auflösung Kenntnis erlangt oder die Auflösung kennen muß. E I 654 II 666; M % 624; P % 429.
Anm. 1 1. Allgemeines. Mit der Auflösung der Gesellschaft enden nach § 730 Abs. 2 Satz 2 die gesellschaftsvertraglich begründete Geschäftsführungsbefugnis und die sich daran anschließende Vertretungsbefugnis. Diese Rechtsfolge kann Härten für die geschäftsführenden Gesellschafter in sich schließen, nämlich dann, wenn sie von dem Auflösungsgrund nicht sofort Kenntnis erhalten und deshalb im guten Glauben an die ihnen übertragene Geschäftsführungsbefugnis weitere Geschäfte für die Gesell-
830
Gesellschaft
§ 729 A n m . 2, 3
§730
schafter abschließen. Aus diesem Grund enthält § 729 im Anschluß an die entsprechende Regelung in § 674 eine Schutzbestimmung für die gutgläubigen Geschäftsführer. § 729 findet nur Anwendung bei einer gesellschaftsvertraglichen Regelung der Geschäftsführungsbefugnis in Abweichung von § 709. Gilt für die einzelne Gesellschaft die Regelung des § 709, so bedarf es eines besonderen Schutzes für die Geschäftsführer nicht, weil sich in diesem Fall durch die Auflösung der Gesellschaft an der Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschafter nichts ändert. § 729 gilt nicht nur für die gesetzlich geregelten Auflösungstatbestände, sondern auch dann, wenn aus einem anderen Grund (vgl. dazu § 723 Anm. 3ff) die Auflösung der Gesellschaft eintritt. Ausgenommen ist die Anwendung des § 729, wenn die Auflösung durch Kündigung eintritt. Das hat darin seinen Grund, daß die Kündigung eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, also den übrigen Gesellschaftern zugehen muß, um wirksam zu sein. Eine gleichwohl bestehende Unkenntnis eines geschäftsführenden Gesellschafters von der Kündigung geht nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzes zu seinen Lasten. Anm. 2 2. Die Schutzwirkung zugunsten des Gesellschafters. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem der geschäftsführende Gesellschafter von der Auflösung Kenntnis erlangt oder die Auflösung kennen muß, gilt die gesellschaftsvertraglich übertragene Befugnis zur Geschäftsführung als fortbestehend, aber nur zu seinen Gunsten, nicht auch zu seinen Lasten, wenn er z. B. subjektiv pflichtwidrig untätig ist. Für die geführten Geschäfte gilt § 708 weiter. § 729 wirkt nicht zugunsten von Dritten, die mit einem gutgläubigen Geschäftsführer und Vertreter Geschäfte abschließen. Für sie greift lediglich die Schutzbestimmung des § 169 ein. Das bedeutet, daß sich ein Dritter nicht auf die fortbestehende Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines gutgläubigen Gesellschafters berufen kann, wenn er selbst die Auflösung der Gesellschaft kennt oder kennen muß (RG LZ 1909, 310). Anm. 3 3. Die Beweislast. Wer sich darauf beruft, daß der geschäftsführende Gesellschafter die Auflösung der Gesellschaft kannte oder kennen mußte, muß das dartun und gegebenenfalls beweisen. Dem geschäftsführenden Gesellschafter wird also nicht der schwer zu führende Beweis aufgebürdet, daß er nicht bösgläubig gewesen ist.
§ 730 Nach der Auflösung der Gesellschaft findet in Ansehung des Gesellschaftsvermögens die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern statt. Für die Beendigung der schwebenden Geschäfte, für die dazu erforderliche Eingehung neuer Geschäfte sowie für die Erhaltung und Verwaltung des Gesellschaftsvermögens gilt die Gesellschaft als fortbestehend, soweit der Zweck der Auseinandersetzung es erfordert. Die einem Gesellschafter nach d e m Gesellschaftsvertrage zustehende Befugnis zur Geschäftsführung erlischt jedoch, wenn nicht aus dem Vertrage sich ein anderes ergibt, m i t der Auflösung der Gesellschaft; die Geschäftsführung steht von der Auflösung an allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. E i 655 n 667; m 2 62;; p % 440. Üb ersieht Anm.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Allgemeines Der Anwendungsbereich der §§ 730ff Die Auseinandersetzungsgesellschaft Die Geschäftsführung und Vertretung Die Ansprüche der Gesellschafter Prozessuale Fragen Der Ausschluß der Auseinandersetzung
i> 2 3i 4 5 6—8 9—11 12 i3>14
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§ 730 A n m . 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 1 1. Allgemeines. Die §§ 730—735 enthalten die Vorschriften über die Auseinandersetzung der aufgelösten Gesellschaft. Diese Vorschriften sind nicht zwingend. Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag oder durch spätere Vereinbarung eine anderweitige Regelung für die Auseinandersetzung treffen (vgl. § 731 Satz 1; R G 166, 164; H R R 1930 Nr. 608; J W 1938, 667); sie können darüber hinaus die Auseinandersetzung überhaupt ausschließen (dazu Anm. 13). Eine solche anderweitige Regelung kann auch stillschweigend getroffen, insbesondere aus dem Verhalten der Gesellschafter nach Auflösung der Gesellschaft entnommen werden (RG H R R 1930 Nr. 1606; J W 1938, 667). Im Einzelfall ist es Frage der Auslegung, ob die vorgesehene anderweitige Regelung der Auseinandersetzung nur für einen bestimmten Fall der Auflösung oder für alle in Betracht kommenden Auflösungstatbestände gelten soll; so wird die für den Todesfall eines Gesellschafters getroffene Auseinandersetzungsvereinbarung im Zweifel nicht auch für eine durch Kündigung herbeigeführte Auflösung gelten (RG Recht 1919 Nr. 246). Es ist auch zulässig, daß die Gesellschafter die Auseinandersetzung der aufgelösten Gesellschaft für eine gewisse Zeit a u f s c h i e b e n , wenn hierfür ein wichtiger Grund gegeben ist, z. B. wenn im Augenblick eine sinnvolle Verwertung des Gesellschaftsvermögens nicht möglich ist oder wenn bei einer Zweimanngesellschaft ein Rechtsstreit über die gegenseitige Geltendmachung des Ubernahmerechts nach § 142 HGB abgewartet werden soll (RG WarnRspr. 1915 Nr. 80; B G H 1, 329). Anm. 2 Die Vorschriften der §§ 730—735 enthalten keine Gläubigerschutzbestimmungen. Diese sind hier nicht notwendig, weil die Gesellschafter auch nach Auflösung und nach Beendigung der Gesellschaft im Regelfall weiter den Gläubigern persönlich und unbeschränkt haften, diese also nicht auf eine vorzugsweise Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen angewiesen sind. Anders liegt freilich die Sachlage, wenn ausnahmsweise — durch eine entsprechende Beschränkung der Vertretungsmacht (§714 Anm. 7) — die Gesellschafter nur in Höhe des Gesellschaftsvermögens haften. Hier besteht im Interesse der Gläubiger an sich ein Bedürfnis, zunächst ihre Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen sicherzustellen, ehe dieses versilbert und an die Gesellschafter verteilt wird. Da für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft eine entsprechende Schutzbestimmung wie bei der Kommanditgesellschaft (§ 172 Abs. 4 HGB) fehlt, kann man hier den notwendigen Schutz der Gesellschaftsgläubiger nur dadurch erreichen, daß nach Auflösung der Gesellschaft der einzelne Gesellschafter dem Gläubiger insoweit unmittelbar verhaftet bleibt, als er bei der Verteilung des Gesellschaftsvermögens Vermögenswerte erhalten hat. Anm. 3 2. Der Anwendungsbereich der §§ 730ff. Die Vorschriften der §§ 730 fr finden grundsätzlich auf alle Arten der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft und bei allen Auflösungstatbeständen, also nicht nur bei den gesetzlich geregelten, sondern auch bei den weiteren in Betracht kommenden Auflösungstatbeständen (dazu § 723 Anm. 3 ff) Anwendung. Im Einzelfall kann sich jedoch ergeben, daß eine Auseinandersetzung nicht in Betracht kommt, so wenn eine Zweimanngesellschaft dadurch ihr Ende findet, daß der eine Gesellschafter stirbt und von dem anderen allein beerbt wird. Auch bei I n n e n g e s e l l s c h a f t e n muß eine Auseinandersetzung stattfinden, obwohl hier ein Gesellschaftsvermögen (Gesamthandsvermögen) nicht vorhanden ist. Dabei ist es freilich eine Frage des Einzelfalles, in welcher Form die Auseinandersetzung der Innengesellschaft stattzufinden hat. Es kann nach Lage der Dinge insoweit auch eine Anwendung des § 733 Abs. 3 in Betracht kommen (RG J W 1934, 3268), muß es aber nicht (RG 166, 164). Für eine Anwendung des § 730 Abs. 2 Satz 2 ist bei der Auseinandersetzung einer Innengesellschaft im Regelfal allerdings kein Raum (dazu Anm. 8). Ferner finden die Vorschriften der §§ 730 ff auch auf die Auseinandersetzung der f a k t i s c h e n G e s e l l s c h a f t Anwendung; in der Notwendigkeit einer Anwendung dieser Vorschriften liegt überhaupt die entscheidende Bedeutung für die rechtliche Anerkennung der faktischen Gesellschaft (vgl. im einzelnen dazu § 705 Anm. 38). 832
Gesellschaft
§730
Anm. 4—7
Anm. 4 F ü r eine Anwendung der § 730 ff auf g e s e l l s c h a f t s ä h n l i c h e R e c h t s v e r h ä l t n i s s e ist im allgemeinen kein R a u m ( R G J W 1937, 2970). Denn bei ihnen ist einmal ein auseinanderzusetzendes gemeinsames Vermögen überhaupt nicht vorhanden und sodann wird bei einem gesellschaftsähnlichen Rechtsverhältnis nicht für gemeinsame Rechnung gehandelt. Daher ist hier f ü r eine Auseinandersetzung im Sinn der §§ 730 f r keine Möglichkeit gegeben.
Anm. 5 3 . Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g s g e s e l l s c h a f t . Mit der Auflösung der Gesellschaft ist diese nicht beendet, sie lebt als Auseinandersetzungsgesellschaft weiter, und sie findet ihr Ende erst, wenn die Auseinandersetzung beendet ist. Das ist keine Fiktion, wie aus dem Wortlaut des Abs. 2 Satz 1 („gilt . . . als fortbestehend") entnommen werden könnte; denn die Gesellschaft ist mit der Auflösung auch in Wirklichkeit noch nicht erloschen. Sie besteht nunmehr mit einem neuen Zweck fort; die werbende Tätigkeit ist beendet, an ihre Stelle tritt die Abwicklung des gesamten Rechtsverhältnisses. Dabei bleibt das Gesellschaftsvermögen in seiner gesamthänderischen Gebundenheit bestehen, es verwandelt sich nicht etwa in Bruchteilseigentum. Die Pflichten der Gesellschafter hingegen ändern sich; an die Stelle der Verpflichtung, den gemeinsamen Zweck zu fördern, tritt nunmehr die Pflicht, die Auseinandersetzung sachgemäß durchzuführen ( R G 100, 166; B G H 1, 332). Der Maßstab für die von den Gesellschaftern aufzubringende Sorgfalt richtet sich weiterhin nach § 708 ( R G H R R 1930 Nr. 1606).
Anm. 6 4. Die G e s c h ä f t s f ü h r u n g und V e r t r e t u n g . M i t der Auflösung der Gesellschaft erlischt die gesellschaftsvertraglich begründete Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung (Ausnahme: § 729). Die Geschäftsführung und Vertretung steht nunmehr allen Gesellschaftern gemeinsam zu (Abs. 2 Satz 2). Diese Regelung hat darin ihren Grund, daß die Interessen der Gesellschafter nun nicht mehr wie vor der Auflösung auf den Gesellschaftszweck ausgerichtet sind und damit parallel laufen ( R G 100, 166); mit der Auflösung ist die Grundlage für die gesellschaftsvertragliche Regelung der Geschäftsführung und Vertretung entfallen. Beim T o d eines Gesellschafters treten die Erben, beim Konkurs der Konkursverwalter neben die übrigen Gesellschafter als Mitgeschäftsfuhrer (§ 727 Anm. 5 ; § 728 Anm. 2); dagegen nicht auch der Pfändungsgläubiger, er kann die Verwaltungsrechte des Gesellschafter-Schuldners nicht ausüben (§ 725 A n m . 8). Abs. 2 Satz 2 erfaßt nicht die Beauftragung eines Gesellschafters mit der Ausführung eines bestimmten Geschäfts (§ 709 Anm. 5 ) ; die sich aus einem solchen Auftrag ergebende Befugnis erlischt nicht mit der Auflösung der Gesellschaft ( B G H 28. 1 1 . 1953 I I Z R 188/52). I m Gesellschaftsvertrag kann eine von Abs. 2 Satz 2 abweichende Regelung, namentlich die Bestellung von Liquidatoren, angeordnet und ihnen die Befugnis des Liquidators einer offenen Handelsgesellschaft gegeben werden (§§ 145 ff, 150 H G B ) . Eine abweichende Regelung kann sich auch stillschweigend aus dem Verhalten der Gesellschafter nach Auflösung der Gesellschaft ergeben ( R G H R R 1930 Nr. 1606). Die Bestellung eines Gesellschafters zum Liquidator kann nur aus wichtigem Grund von den übrigen Gesellschaftern widerrufen werden (entsprechend § 7 1 2 ) . A n den Befugnissen der Gesellschafterversammlung und an den Kontrollbefugnissen eines etwa bestellten Aufsichtsrats wird durch die Auflösung der Gesellschaft nichts geändert ( R G WarnRspr. 1920 Nr. 199).
Anm. 7 Die Geschäftsführer der Auseinandersetzungsgesellschaft haben die schwebenden Geschäfte zu beenden, die dabei erforderlichen neuen Geschäfte abzuschließen sowie die für die Erhaltung und Verwaltung des Gesellschaftsvermögens geeigneten Maßnahmen zu treffen. I m Rahmen dieses A u f g a b e n b e r e i c h s haben sie zugleich auch Vertretungsmacht. S c h w e b e n d e G e s c h ä f t e sind solche, die bei der Auflösung der Gesellschaft schon eingegangen, aber noch nicht bis zur vollständigen Erledigung gediehen sind ( R G 1 7 1 , 133). Z u m Abschluß n e u e r G e s c h ä f t e sind die Geschäftsführer
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§ 730 A n m . 8—10
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
insoweit befugt, als diese für die Versilberung des Gesellschaftsvermögens notwendig sind (RG J W 1938, 3184). Auch die E i n z i e h u n g r ü c k s t ä n d i g e r B e i t r ä g e gehört zu den Aufgaben der Geschäftsführer, soweit die Beiträge zur ordnungsgemäßen Auseinandersetzung notwendig sind (RG J W 1 9 1 1 , 809; RG 100, 167). Anm. 8 Für die Anwendung von Abs. 2 Satz 2 ist bei der I n n e n g e s e l l s c h a f t in aller Regel kein Raum. Bei der Innengesellschaft hat vielmehr ihrer Natur nach der geschäftsfuhrende, nach außen hervortretende Gesellschafter auch nach Auflösung der Gesellschaft bis zur Beendigung der Auseinandersetzung die Geschäfte allein zu führen, sofern die Gesellschafter nicht etwas anderes vereinbart haben. Eine solche anderweitige Vereinbarung wird im allgemeinen um so weniger zu vermuten sein, als dadurch die Gesellschaft für die Auseinandersetzung den Charakter einer Innengesellschaft verlieren würde, was regelmäßig nicht in der Absicht der Gesellschafter liegen wird (RG J W 1934, 3268). Anm. 9 5. Die A n s p r ü c h e der Gesellschafter. Alle gesellschaftsvertraglich begründeten Ansprüche, die einem Gesellschafter gegen die Gesellschaft oder gegen einen der Gesellschafter zustehen und die auf Zahlung an den anspruchsberechtigten Gesellschafter gerichtet sind, können nach Auflösung der Gesellschaft grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden. Diese Ansprüche werden mit der Auflösung u n s e l b s t ä n d i g e R e c h n u n g s p o s t e n der Auseinandersetzungsrechnung und sind hierbei zu berücksichtigen. Denn es ist gerade Aufgabe der Auseinandersetzung, daß diese Ansprüche in einem einheitlichen Verfahren Berücksichtigung finden (RG 123, 23; J W 1938, 1728; BGH LM Nr. 2, 4 zu § 730; W M 1957, 1029). Der berechtigte Gesellschafter ist in einem solchen Fall darauf angewiesen, die Auseinandersetzung herbeizuführen. Nur ausnahmsweise kann von der Auseinandersetzung Abstand genommen werden, nämlich dann, wenn die Verhältnisse so einfach liegen, daß sich das, was ein jeder zu beanspruchen hat, ohne besonderes Abrechnungsverfahren ermitteln läßt (RG WarnRspr. 1912 Nr. 105; 1917 Nr. 139; SeuffArch. 87. Nr. 40; B G H aaO.). Kommt nur ein Anspruch des einen Gesellschafters gegen den anderen in Frage, ohne daß in Ansehung des Gesellschaftsvermögens noch etwas zu teilen oder zu regeln ist, so kann dieser Anspruch ohne weiteres geltend gemacht werden (RG WarnRspr. 1916 Nr. 73). Auch hat das Reichsgericht in einem Fall besonderer Dringlichkeit (zweifelhafte Vermögenslage des Beklagten) die Verfolgung eines Anspruchs schon vor Durchführung der Auseinandersetzung in einem besonderen Prozeß zugelassen (RG 98, 301). Im übrigen kann Zahlung einer bestimmten Geldsumme nur verlangt werden, wenn das Gesellschaftsvermögen in Geld umgesetzt ist und nach Berichtigung der Schulden ein Rest des Geldes in Händen eines Gesellschafters zurückgeblieben ist (RG WarnRspr. 1918 Nr. 139). — Für den Rückgabeanspruch nach § 732 Satz 1 gelten diese Einschränkungen nicht. A n m . 10 Auch die Ansprüche, die einem Gesellschafter als actio pro socio gegen einen anderen Gesellschafter zustehen (vgl. § 705 Anm. 23), können im allgemeinen nach Auflösung der Gesellschaft nicht mehr geltend gemacht werden. Das gilt namentlich für den Anspruch auf L e i s t u n g r ü c k s t ä n d i g e r B e i t r ä g e . Diese werden nach Auflösung der Gesellschaft nur noch geschuldet, soweit sie zur ordnungsgemäßen Abwicklung gebraucht werden (Anm. 7). Diese Frage zu entscheiden, ist bei einer Auseinandersetzungsgesellschaft Aufgabe der zur Durchführung der Liquidation berufenen Personen (RG 100, 167). Bei einer Zweimanngesellschaft kann das anders sein, wenn bei ihr den beiden Gesellschaftern nach Abs. 2 Satz 2 die Geschäftsführung in der Auseinandersetzungsgesellschaft zusteht; dann kann der eine Gesellschafter •— aber als Geschäftsführer — von dem anderen Gesellschafter die Leistung der rückständigen Beiträge an die Gesellschaftskasse verlangen. Das gleiche gilt in einem solchen Fall für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen den anderen Gesellschafter (RG J W 1938, 3 1 8 1 ; vgl. auch RG 158, 314).
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Gesellschaft
§730
Anm. 11—14
A n m . 11 Ausnahmsweise kann bei einer Zweimanngesellschaft ein Gesellschafter einen der Gesellschaft zustehenden Anspruch i m eigenen Namen unmittelbar geltend machen, wenn es sich bei diesem Anspruch um den letzten Vermögenswert der Gesellschaft handelt und der Vermögenswert nach dem Auseinandersetzungsverfahren diesem Gesellschafter allein zukommt (RG 158, 314; BGH 10, 102; BGH ig. 5. 1958 I I Z R 53/57). Denn es würde jeden vernünftigen Sinns entbehren, wenn in einem Fall dieser Art der berechtigte Gesellschafter zunächst Leistung an die Gesellschaft verlangen müßte und dann erst im Wege der Auseinandersetzung die Auskehrung dieser erbrachten Leistimg an sich verlangen könnte. Anm. 12 6. Prozessuale Fragen. Durch die Klage auf Auseinandersetzung kann nicht mehr erreicht werden als die Mitwirkung der anderen Gesellschafter bei der Auseinandersetzung, also ihre Mitwirkung zur Feststellung des Reinvermögens der aufgelösten Gesellschaft (RG J W 1938, 667). Nicht möglich ist es dagegen, durch eine Klage die Aufstellung einer Auseinandersetzungsbilanz durch das Gericht zu verlangen (BGH 26, 25); das ist allein Sache der Gesellschafter, soweit das bei der Auseinandersetzung einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft überhaupt notwendig ist. Unbeschadet der Tatsache, daß ein einzelner Gesellschafter einen ihm zustehenden Anspruch gegen die Gesellschaft oder einen einzelnen Gesellschafter nicht mehr im Auseinandersetzungsverfahren verfolgen kann (Anm. 8), ist es nicht ausgeschlossen, daß er das Bestehen eines solchen Anspruchs durch eine entsprechende Feststellungsklage geltend macht. Denn es ist ganz allgemein zulässig, während des Auseinandersetzungsverfahrens eine Klarstellung einzelner Streitfragen durch eine Feststellungsklage herbeizuführen (RG J W 1938, 1729; BGH 1, 74; NJW 1951, 360). Denn hierdurch wird der Zweck der Auseinandersetzung, der die selbständige Geltendmachung eines einzelnen Anspruchs im Wege der Leistungsklage ausschließt, nicht gefährdet, sondern im Gegenteil gefördert, weil die Durchführung eines solchen Feststellungsprozesses die notwendige Klärung der Grundlagen fiir die Auseinandersetzung herbeiführt und der endgültigen Abrechnung in keiner Weise vorgreift. A n m . 13 7. Der Ausschluß der Auseinandersetzung. Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag oder durch eine spätere Vereinbarung (im Fall des § 727 unter Hinzuziehung der Erben, im Fall des § 728 unter Hinzuziehung des Konkursverwalters) anstatt des Auseinandersetzungsverfahrens eine andere Regelung treffen. So können sie bestimmen, daß beim Tod eines Gesellschafters die Gesellschaft von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird und die Erben abgefunden werden. Auch kann bestimmt werden, daß einer der Gesellschafter das Unternehmen fortführt und die übrigen Gesellschafter abzufinden hat. Ferner kann die Ubertragimg des Gesellschaftsunternehmens mit Aktiven und Passiven an einen Dritten vorgesehen werden. Bringen die Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen in eine neu gegründete GmbH ein und erhält jeder von ihnen einen nach dem Wert seiner Einlage festgesetzten Gesellschaftsanteil an der GmbH, so ist damit die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft nicht nur aufgelöst, sondern auch beendet (RG 91, 431). Die Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf einen Gesellschafter oder einen Dritten führt nicht zur Anwendung des §419 (vgl. dazu § 718 Anm. 2). A n m . 14 Bei der Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf einen Dritten ist es zu Vollziehung der Übertragung notwendig, daß die einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstände besonders übereignet, abgetreten oder übertragen werden j bei Grundstücken ist demzufolge Auflassung und Eintragung notwendig. Im Schrifttum wird überwiegend gelehrt, daß das gleiche zu gelten habe, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag bei der Auflösung der Gesellschaft ein Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen m i t Aktiven und Passiven übernimmt und die anderen Ge-
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§ 731 A n m . 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
seilschafter nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages abfindet. Dabei wird darauf hingewiesen, daß es bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft an einer Vorschrift fehle, die — wie bei der offenen Handelsgesellschaft der § 14a HGB •— eine solche Übernahme im Wege der Anwachsung zulasse. Das erscheint jedoch nicht zwingend. Das Anwachsungsprinzip ist auch der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft eigen (vgl. § 738). Für die Anwendung dieses Prinzips kann es keinen Unterschied machen, ob im Einzelfall alle Gesellschafter bis auf zwei oder alle Gesellschafter bis auf einen ausscheiden. Dieses Rechtsprinzip ist allgemeiner Art und bedarf deshalb keiner besonderen Zulassung bei einer Zweimanngesellschaft (vgl. dazu § 736 Anm. 6).
§731 Die Auseinandersetzung erfolgt in E r m a n g e l u n g einer anderen Vereinb a r u n g in Gemäßheit der §§ 732 bis 735. I m übrigen gelten f ü r die Teilung die Vorschriften über die Gemeinschaft. E I 636 Abs. j n 667 Abs. 3; M 9 626 ff; P % 440 ff.
Anm. 1 1. Die Vertragsfreiheit für die Auseinandersetzung. Satz i bringt (überflüssigerweise) noch besonders zum Ausdruck, daß die gesetzlichen Vorschriften über die Auseinandersetzung nicht zwingenden Rechts sind. Die Gesellschafter können sie beliebig abändern; das kann im Gesellschaftsvertrag oder nach Auflösung der Gesellschaft durch allseitige Vereinbarung geschehen (vgl. dazu § 730 Anm. 1). Nur in einer Hinsicht sind die Gesellschafter gebunden: sie müssen für den Fall der Auflösung der Gesellschaft irgendeine Regelung treffen, weil die Gesellschaft nicht d a u e r n d im Zustand der Auflösung bleiben und die gesamthänderische Bindung des Gesellschaftsvermögens nicht unlöslich werden kann (BGH 1, 329). Anm. 2 2. Allgemeine Grundsätze f ü r die Auseinandersetzung. Maßgebend für die Auseinandersetzung ist (anders § 140 Abs. 2 HGB) die Vermögenslage zu der Zeit, in der die Auseinandersetzung tatsächlich stattfindet, unbeschadet der durch Verzug oder Verschulden entstandenen weitergehenden Ansprüche. Liegt eine Regelung vor, wonach ein Gesellschafter bestimmte Vermögensgegenstände oder das ganze Gesellschaftsvermögen übernehmen soll oder ist ein ausscheidender Gesellschafter in Geld abzufinden, so sind mangels abweichender Bestimmungen die einzelnen Vermögensgegenstände oder das Gesellschaftsvermögen nach ihrem wahren Wert, nicht etwa nur nach den Buchwerten anzusetzen. So ist z. B. ein in der Hand eines Gesellschafters verbleibendes Patent nach seinem wirtschaftlichen Wert zu berücksichtigen (RG J W 1938, 667; vgl. auch R G 171, 134). Ferner kann es gerechtfertigt sein, für den Geschäfts- oder Firmenwert einen besonderen Betrag in Ansatz zu bringen (RG 94, 108; vgl. dazu § 738 Anm. 4). Anm. 3 3. Anwendung der Teilungsvorschriften der §§ 752—755. Die Vorschriften der §§ 752—755 finden nur dann Anwendung, wenn die Gesellschafter nicht etwas anderes bestimmt haben. So können die Gesellschafter vereinbaren, daß statt der Teilung in Natur, die nach § 752 bei teilbaren Gegenständen eintritt, ein Verkauf oder eine sonstige Verwertung der Vermögensgegenstände stattfindet, oder daß sie zu bestimmten Preisen von den Gesellschaftern zu übernehmen sind. Für die Anwendung der Vorschriften der §§ 752/53 ist kein Raum, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, bei der ein Miteigentum nach Bruchteilen oder zur gesamten Hand nicht besteht (RG 91, 431). Ist vereinbart, daß der im Alleineigentum eines Gesellschafters befindliche Gegenstand des Unternehmens nach Beendigung der Gesellschaft gemeinsam verwertet werden soll, so kann darin unter Umständen eine Einigung dahin erblickt werden, daß nach den Grundsätzen der §§ 731 Satz 2, 753 zu verfahren ist; anderenfalls ist die verkehrsübliche Verwertungsart zu wählen (RG LZ 1924, 6g8).
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Gegenstände, die ein Gesellschafter der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, sind ihm zurückzugeben. F ü r einen durch Zufall in Abgang gekommenen oder verschlechterten Gegenstand kann er nicht E r s a t z verlangen. E I 6)6 Abs. i II 668; M % 626—628; P 8 440.
Anm. 1 1. Der Anspruch auf Rückgabe bei Gebrauchsüberlassung. Nur solche Gegenstände sind den Gesellschaftern nach Auflösung der Gesellschaft sofort zurückzugeben, die diese in E r f ü l l u n g e i n e r g e s e l l s c h a f t s v e r t r a g l i c h e n B e i t r a g s p f l i c h t der Gesellschaft zum Gebrauch überlassen haben (vgl. dazu § 706 Anm. 3, 7). Dagegen fallen nicht unter die Regelung des Satzes 1 solche Gegenstände, die ein Gesellschafter durch einen selbständigen Miet- oder Pachtvertrag der Gesellschaft zum Gebrauch überlassen hat; hier regelt sich die Rückgabepflicht nach Maßgabe dieses Vertrages und der für ihn geltenden Kündigungsbestimmungen. Die sofortige Rückgabepflicht gilt nur für den Regelfall. Wird der zum Gebrauch überlassene Gegenstand für die Auflösungs-(Abwicklungs-)zeit noch benötigt (etwa eine Schreibmaschine oder der Geschäftsraum der Gesellschaft), so kann die sofortige Rückgabe nicht verlangt werden (RG J W 1938, 457). Anm. 2 Bei der Bestellung eines dinglichen Rechts kann die Anwendung des § 732 in Betracht kommen (vgl. dazu im einzelnen § 733 Anm. 9). Anm. 3 Hat ein Gesellschafter einen Anspruch auf Rückgabe gemäß Satz 1, so kann dieser A n s p r u c h s o f o r t vor Durchführung der Auseinandersetzung g e l t e n d g e m a c h t w e r d e n (RG J W 1937, 3156). Für diesen Anspruch gelten also nicht die Einschränkungen, die sich bei den anderen Leistungsansprüchen eines Gesellschafters nach Auflösung der Gesellschaft aus dem Zweck der Auseinandersetzung ergeben (vgl. dazu § 730 Anm. 8). Jedoch kann die Gesellschaft unter Umständen gegenüber dem Anspruch auf Rückgabe ein Z u r ü c k b e h a l t u n g s r e c h t geltend machen; ein solches Recht ist der Gesellschaft zuzubilligen, wenn die Möglichkeit für eine Nachschußpflicht des berechtigten Gesellschafters gemäß § 735 besteht. Anm. 4 Bei Sachen ist die Rückgabe im allgemeinen durch Einräumung des unmittelbaren Besitzes vorzunehmen. Unkörperliche Gegenstände hingegen, bei denen ein besonderer Ubertragungsakt nicht in Frage kommt (z. B. ein Patent), stehen mit Auflösung der Gesellschaft dem Berechtigten regelmäßig ohne weiteres wieder zur freien Verfügung (RG J W 1938, 457). Anm. 5 Satz 1 findet keine Anwendung auf solche Gegenstände, die ein Gesellschafter in Erfüllung einer gesellschaftlichen Beitragspflicht der Gesellschaft zu Eigentum oder der Substanz nach übertragen hat. Für diese Gegenstände gilt § 733 Abs. 2. Es kann jedoch bestimmt sein, daß auch auf diese Gegenstände § 732 Satz 1 Anwendung finden soll. In diesem Falle gelten auch für diese Gegenstände die in Anm. 1—3 dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte. Anm. 6 2. Der Ersatzanspruch des Gesellschafters. Dem Gesellschafter steht nach der Auslegungsregel des Satzes 2 gegen die Gesellschaft ein Ersatzanspruch nicht zu, wenn der zum Gebrauch überlassene Gegenstand durch Zufall untergegangen oder verschlechtert ist. Insofern trägt er die Gefahr für die Substanz des Gegenstandes. Anders 837
§ 733 Anm. 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
ist es aber, wenn der Untergang oder die Verschlechterung auf einem Verschulden der Gesellschaft oder richtiger ihrer geschäftsfuhrenden Gesellschafter oder ihrer Angestellten (§ 708) beruht. Dann steht dem betroffenen Gesellschafter nicht nur ein Anspruch gegen den Schuldigen, sondern auch gegen die Gesellschaft zu, weil insoweit §278 Anwendung findet.
§ 733 Aus dem Gesellschaftsvermögen sind zunächst die gemeinschaftlichen. Schulden mit Einschluß derjenigen zu berichtigen, welche den Gläubigern gegenüber unter den Gesellschaftern geteilt sind oder für welche einem Gesellschafter die übrigen Gesellschafter als Schuldner haften. Ist eine Schuld noch nicht fällig oder ist sie streitig, so ist das zur Berichtigung Erforderliche zurückzubehalten. Aus dem nach der Berichtigung der Schulden übrigbleibenden Gesellschaftsvermögen sind die Einlagen zurückzuerstatten. Für Einlagen, die nicht in Geld bestanden haben, ist der Wert zu ersetzen, den sie zur Zeit der Einbringung gehabt haben. Für Einlagen, die in der Leistung von Diensten oder in der Überlassung der Benutzung eines Gegenstandes bestanden haben, kann nicht Ersatz verlangt werden. Zur Berichtigung der Schulden und zur Rückerstattung der Einlagen ist das Gesellschaftsvermögen, soweit erforderlich, in Geld umzusetzen. E I 6j6 Abs. z—4 n 669; M t 628; P 2 441—443.
Übersicht Anm.
1. Allgemeines 2. Die Berichtigung der gemeinschaftlichen Schulden a) Die Gesellschaftsschulden gegenüber einem Dritten b) Die Gesellschaftsschulden gegenüber einem Gesellschafter c) Die nicht fälligen Gesellschaftsschulden 3. Die Zurückerstattung der Einlagen a) Die Zurückerstattung b) Der Wertersatz c) Die Geltendmachung des Zurückerstattungsanspruchs d) Die Sonderregelung für Dienstleistungen 4. Die Umsetzung des Gesellschaftsvermögens in Geld
1, 2 3—6. 4. 5. & 7—n 7 8, 9. 10. 11 12
Anm. 1 1. Allgemeines. Nach der Rückgabe der der Gesellschaft zum Gebrauch überlassenen Gegenstände (§ 732) beginnt mit den in § 733 vorgesehenen Maßnahmen der zweite Akt der gesetzlich geregelten Auseinandersetzung. Es handelt sich hierbei um die Berichtigung der Gesellschaftsschulden und die Zurückerstattung der Einlagen. Diese Regelung gilt natürlich nur insoweit, als nicht der Gesellschaftsvertrag andere Bestimmungen getroffen hat oder die Gesellschafter nach der Auflösung eine andere Regelung vorsehen. Wenn allerdings von § 733 nichts Abweichendes gilt, dann hat jeder Gesellschafter gegen die übrigen einen Anspruch darauf, daß nach dieser Bestimmung verfahren wird. Anm. 2 § 733 Abs. 3 findet grundsätzlich auch auf eine Innengesellschaft Anwendung (RG J W 1934, 3268). Danach ist auch bei ihr das der Gesellschaft dienende, im Alleineigentum eines Gesellschafters stehende Vermögen in Geld umzusetzen, um dem anderen Gesellschafter seine Einlage zurückzuerstatten. Bei einer Innengesellschaft" können aber die Verhältnisse auch so liegen, daß es nach der Interessenlage genügt, wenn der abzufindende Gesellschafter lediglich den ihm zukommenden Wertersatz 838
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§733
A n m . 3—7
erhält; in diesem Fall kann der verpflichtete Gesellschafter das auch ohne Versilberung des dem Gesellschaftszweck dienenden Vermögens tun (RG 166, 164; vgl. auch BGH BB 1955, 203; § 705 Anm. 3). Anm. 3 2. Die Berichtigung der gemeinschaftlichen Schulden. Nach § 733 sind zunächst die gemeinschaftlichen Schulden zu berichtigen. Auf diese Berichtigung haben nur die Gesellschafter untereinander, nicht aber auch die Gläubiger gegenüber den Gesellschaftern einen Anspruch. Diese Vorschrift dient also nicht dem Schutz der Gläubiger (vgl. § 730 Anm. 2), sondern hat nur den Zweck, eine geordnete Abwicklung im Interesse der Gesellschafter sicherzustellen. Das ist namentlich bei einer Auflösung der Gesellschaft wegen Konkurses eines Gesellschafters von Bedeutung (vgl. dazu § 728 Anm. 3). Anm. 4 a) Die Gesellschaftsschulden gegenüber einem Dritten. Zu den gemeinschaftlichen Schulden gehören die durch den gesellschaftlichen Betrieb zu Lasten aller Gesellschafter entstandenen Lasten, die eigentlichen Gesellschaftsschulden, die das Gesellschaftsvermögen belasten (vgl. dazu § 718 Anm. 8ff). Dagegen sind nicht zu den gemeinschaftlichen Schulden diejenigen Schulden zu zählen, für die die sämtlichen Gesellschafter aus einem nicht dem Gesellschaftsverhältnis zugehörigen Grund verhaftet sind. Für sie gilt daher § 733 nicht, obwohl der Gläubiger einer solchen Forderung auch auf das Gesellschaftsvermögen Zugriff nehmen könnte (§718 Anm. 10). Anm. 5 b) Die Gesellschaftsschulden gegenüber einem Gesellschafter. Auch ein Gesellschafter kann Gläubiger einer Gesellschaftsschuld sein. Das ist bei den sog. Drittgläubigerforderungen (§ 705 Anm. 21) ganz offensichtlich. Für sie gilt § 733 ebenfalls. Des weiteren gilt § 733 aber auch für solche Forderungen, die einem Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis gegen die Gesamtheit der Gesellschafter zustehen, wie z. B. für die Ansprüche aus der Geschäftsführung (§713 Anm. 6) und auf einen rückständigen Gewinnanteil sowie für persönliche Ersatzforderungen eines Gesellschafters (§ 708 Anm. 6 a. E.). Die Berücksichtigung auch dieser Schulden im Rahmen des § 733 stellt keine Besonderheit dar, weil der anspruchsberechtigte Gesellschafter auch schon vor der Auflösung einen Anspruch auf Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen hatte (§ 705 Anm. 20). Dagegen können Vorschüsse, die ein Gesellschafter für einen anderen auf dessen Einlage geleistet hatte, nicht als Gesellschaftsschulden behandelt werden; Ansprüche aus solchen Vorschüssen richten sich allein gegen den Gesellschafter, für den sie geleistet sind, sie haben mit der Auseinandersetzung selbst nichts zu tun (RG J W 1928, 2368). Anm. 6 c) Die nicht fälligen Gesellschaftsschulden. Für sie gibt Abs. 1 Satz 2 eine Sonderregelung. Für diese ist der zur Berichtigung erforderliche Betrag zurückzubehalten; hinsichtlich dieses Betrages bleibt dann die Auseinandersetzungsgesellschaft zunächst weiter bestehen. Für s t r e i t i g e F o r d e r u n g e n gilt das gleiche. Jedoch wird man eine Pflicht zur Zurückbehaltung nicht anerkennen können, wenn die streitige Forderung offensichtlich unbegründet und nur mißbräuchlich geltend gemacht wird. 3. Die Zurückerstattung der Einlagen Anm. 7 a) Die Zurückerstattung. Nur in Geld erbrachte Einlagen sind unmittelbar zurückzuerstatten. Für andere Einlagen gelten Sonderbestimmungen, und zwar bei Gebrauchsüberlassung die Rückgewährspflicht nach § 732, bei sonstigen Einlagen, die nicht in Geld bestanden haben, die Pflicht zum Wertersatz (Anm. 8) mit Ausnahme der Dienstleistungen (dazu Anm. 9). Die Erstattungspflicht besteht aber nur bei den
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§ 733 Anm. 8—12
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Geldleistungen, die als Einlage erbracht wurden, nicht auch bei den Geldleistungen, die auf einem anderen Rechtsgrund beruhen, etwa wenn ein Gesellschafter eine Sache von der Gesellschaft gekauft hatte (§ 706 Anm. 10). Anm. 8 b) Der Wertersatz. Für Einlagen, die nicht in Geld bestanden haben, ist Wertersatz zu leisten (Ausnahme bei Gebrauchsüberlassung — dazu § 732 — und bei Dienstleistungen •—• dazu Anm. 9). Der Gesellschafter hat also insoweit keinen Anspruch auf Rückgabe in Natur, andererseits ist er aber auch nicht zur Zurücknahme verpflichtet. Diese Regelung hat darin ihren Grund, daß eine etwaige Wertsteigerung der erbrachten Sacheinlage der Gesellschaft zugute kommt, wie sie umgekehrt auch die Gefahr für den Untergang oder eine Verschlechterung der Sacheinlage zu tragen hat (anders bei der Gebrauchsüberlassung, vgl. § 732 Anm. 5). Dem entspricht es, daß der objektive Wert der Sacheinlage im Zeitpunkt der Einbringung zu erstatten ist. Für die Wertberechnung kann eine Schätzung maßgeblich sein, die bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages vorgenommen wurde. Im Einzelfall kann die Wertberechnung Schwierigkeiten bereiten (vgl. z. B. RG J W 1939, 483 für die Bewertung eines beigesteuerten Brennrechtsanteils; vgl. des weiteren auch RG 171, 134). Bei einer Innengesellschaft kann für den Wertersatz auch eine Ratenzahlung in Betracht kommen wenn das bei den gegebenen Verhältnissen Treu und Glauben entspricht (RG 171, 134). Anm. 9 Ist als Einlage ein dingliches Recht bestellt worden, so ist es Auslegungsfrage, ob insoweit § 733 oder § 732 Anwendung findet. Meist wird sich hier die entsprechende Anwendung des § 732 anbieten, so daß dieses Recht nach Auflösung der Gesellschaft lediglich zurückzugewähren und kein Ersatz zu leisten ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn dieses Recht nur für die Dauer der Gesellschaft bestellt sein sollte. Es kann aber auch anders sein, z. B. wenn ein Wegerecht nach § 1018 zugunsten der Gesellschafter bestellt war; in diesem Fall kann dann die Gesellschaft das Grundstück mit dem Wegerecht veräußern. Der betreffende Gesellschafter hat dann insoweit einen Anspruch auf Wertersatz ( S t a u d i n g e r - K e s s l e r Anm. 18). Anm. 10 c) Die Geltendmachung des Zurückerstattungsanspruchs. Sobald die Schulden der Gesellschaft berichtigt sind, kann jeder Gesellschafter seinen Zurückerstattungsanspruch gegen die übrigen Gesellschafter geltend machen, sofern flüssige Gesellschaftsmittel vorhanden sind. Anderenfalls ist in weiterer Ausführung der Auseinandersetzung das Gesellschaftsvermögen gemäß Abs. 3 in Geld umzusetzen (Anm. 12). Bevor dieses nicht geschehen ist, kann daher dieser Anspruch nicht geltend gemacht werden (BGH LM Nr. 5 zu § 730). In dieser Hinsicht gilt der allgemeine Grundsatz, daß nach Auflösung der Gesellschaft nicht einzelne Ansprüche getrennt und unabhängig von dem Fortgang der Auseinandersetzung geltend gemacht werden können (dazu im einzelnen § 730 Anm. 8). Anm. 11 d) Die Sonderregelung für Dienstleistungen. Für Einlagen, die in der Leistung von Diensten bestehen, kann nach Abs. 2 Satz 3 ein Ersatz nicht verlangt werden. Das gilt nicht etwa nur für den Fall, daß der geschäftsführende Gesellschafter für seine Tätigkeit eine Vergütung erhalten hat (§713 Anm. 6). Ein anderes kann im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, wird aber im Einzelfall nur bei einer insoweit klaren Bestimmung im Gesellschaftsvertrag angenommen werden können. Anm. 12 4. Die Umsetzung des Gesellschaftsvermögens in Geld. Zur Berichtigung der gemeinschaftlichen Schulden und zur Rückerstattung der Einlagen ist das Gesellschaftsvermögen in Geld umzusetzen (Abs. 3). Darin liegt zunächst eine Einschränkimg; das Gesellschaftsvermögen ist nur insoweit zu versilbern, soweit das für die Berich840
Gesellschaft
§734
Anm. 1—3 tigung der Schulden und fiir die Rückerstattung der Einlagen notwendig ist. Wie das Gesellschaftsvermögen zu versilbern ist, sagt § 733 nicht. § 753 ist insoweit nicht anwendbar; vielmehr ist in dieser Hinsicht die Verkehrssitte maßgeblich. Demzufolge ist auf dem üblichen Wege in angemessener Zeit und zu angemessenem Preis ein Käufer zu suchen (RG J W 1934, 3268). Dabei kann ein Zuwarten für eine gewisse Zeit durchaus in Betracht kommen (vgl. auch § 730 Anm. 1). Ist eine sinnvolle Verwertung durch freihändigen Verkauf nicht möglich, so muß dann das Gesellschaftsvermögen in dem erforderlichen Umfang durch öffentliche Versteigerung versilbert werden (RG J W 1934, 3268). Falls der Erlös aus der Versilberung des Gesellschaftsvermögens nicht ausreicht, um die gemeinschaftlichen Schulden zu berichtigen und die Einlagen zurückzugewähren, greift § 735 ein.
§734 Verbleibt nach der Berichtigung der gemeinschaftlichen Schulden und der Rückerstattung der Einlagen ein Überschuß, so gebührt er den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Anteile a m Gewinne. E I 656 Abs. 3 II «70 Abs. i ; M 2 629; P ¡8 441—443.
Anm. 1 1. Die Übernahme. Ist nach den §§ 732/33 verfahren, sind also die gemeinschaftlichen Schulden berichtigt und sind die Einlagen zurückgewährt bzw. zurückerstattet, so muß ein etwa verbleibender Uberschuß von dem Gesellschaftsvermögen nunmehr an die Gesellschafter verteilt werden. Solange diese Verteilung noch nicht vorgenommen ist, bleibt die Auseinandersetzungsgesellschaft noch bestehen; der verbliebene Uberschuß ist also noch gesamthänderisch gebunden, allerdings mit der einen Besonderheit, daß § 719 Abs. 1 Halbs. 2 seine Kraft verloren hat. Nunmehr hat jeder Gesellschafter einen Anspruch auf Teilung. Anm. 2 2. Der Verteilungsmaßstab. Der Überschuß ist nach dem Gewinnverteilungsschlüssel auf die Gesellschafter aufzuteilen. Das hat zur Folge, daß die Gesellschafter an den stillen Reserven, die nun offen gelegt werden, nach dem Gewinnverteilungsschlüssel partizipieren. In dieser Hinsicht ist die Rechtslage wie bei der offenen Handelsgesellschaft (vgl. dazu BGH 19, 48); im übrigen ist aber die Regelung bei der offenen Handelsgesellschaft insoweit eine andere (§ 155 HGB). Auch an den Wertsteigerungen, die die Einlagen der Gesellschafter während des Bestehens der Gesellschaft gehabt haben mögen, nehmen die Gesellschafter nach dem Gewinn Verteilungsschlüssel teil. Anm. 3 3. Die Durchführung der Verteilung. Auf die Verteilung finden grundsätzlich die Vorschriften der §§ 752/53 Anwendung. Das bedeutet, daß für die Durchführung der Verteilung Ubereignung oder Übertragung der zu verteilenden Gegenstände notwendig ist (§ 752 Anm. 5). Jeder Gesellschafter hat des weiteren gegen die übrigen Gesellschafter die Gewährleistungsansprüche nach § 757. Richtiger Ansicht nach ist ferner hier auch § 756 anzuwenden, da der Grundgedanke dieser Vorschrift bei der Auseinandersetzung einer Gesellschaft in gleichem Maße eingreift. Für die Durchführung der Verteilung kann aber auch etwas anderes vereinbart sein; Abweichendes kann sich insofern auch schon aus den Umständen ergeben (vgl. dazu § 731 Anm. 3). Namentlich können hier auch die für die Versilberung des Gesellschaftsvermögens nach § 733 Abs. 3 maßgeblichen Grundsätze eingreifen (vgl. § 733 Anm. 12).
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§ 735 A n m . 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§735 Reicht das Gesellschaftsvermögen zur Berichtigung der gemeinschaftlichen Schulden und zur Rückerstattung der Einlagen nicht aus, so haben die Gesellschafter für den Fehlbetrag nach d e m Verhältnis a u f z u k o m m e n , nach welchem sie den Verlust zu tragen haben. Kann von einem Gesellschafter der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden, so haben die übrigen Gesellschafter den Ausfall nach d e m gleichen Verhältnis zu tragen. E I 6 j 6 Abs. 3 II 670 Abs. 2; M £ 629; P t 441—443.
Anm. 1 1. Die Deckungspflicht. Während bestehender Gesellschaft sind die Gesellschafter untereinander grundsätzlich nur verpflichtet, die zugesagten Einlagen zu erbringen. Weitere Leistungen brauchen sie nicht zu machen, auch nicht, wenn der Gesellschaftszweck dies erfordern sollte (§ 707 Anm. 1). Von diesem Grundsatz besteht nach § 735 eine Ausnahme, aber erst nach Auflösung der Gesellschaft (RG 166, 68). Danach haben die Gesellschafter den zur Berichtigving der gemeinschaftlichen Schulden und zur Rückerstattung der Einlagen noch etwa fehlenden Betrag aufzubringen. Diese Deckungspflicht ist eine gesellschaftliche Pflicht der Gesellschafter untereinander. Für den U m f a n g d e r D e c k u n g s p f l i c h t ist nicht das Verhältnis der Einlagen, sondern der Verlustbeteiligungsschlüssel maßgeblich (vgl. auch RG Recht 1927 Nr. 896). Dabei gibt Satz 2 im Anschluß an § 426 Abs. 1 Satz 2 noch eine ergänzende Vorschrift für den Fall, daß von einem Gesellschafter der auf ihn entfallende Betrag nicht erlangt werden kann. § 735 begründet nur eine Verpflichtung im Verhältnis unter den Gesellschaftern, diese Bestimmung ist k e i n e S c h u t z v o r s c h r i f t z u g u n s t e n d e r G l ä u b i g e r . Demzufolge haben auch nur die Gesellschafter im Verhältnis untereinander, nicht auch die Gesellschaftsgläubiger einen Anspruch auf Erfüllung der sich aus § 735 ergebenden Verpflichtung. In dieser Hinsicht gilt das gleiche wie für die Vorschrift des § 733 (vgl. dazu § 733 Anm. 3; § 728 Anm. 3). Anm. 2 2. Die Durchsetzung des Anspruchs aus der Deckungspflicht. Die Verpflichtung eines jeden Gesellschafters aus § 735 ist eine gesellschaftliche Verpflichtung im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Sie begründet somit Ansprüche, die den anderen Gesellschaftern als actio pro socio zustehen. Für ihre Geltendmachung gelten die Grundsätze, wie sie bei einer Auseinandersetzungsgesellschaft allgemein für solche Ansprüche gelten (vgl. dazu § 730 Anm. 10). Die Verpflichtung ist wie die Beitragspflicht auf Leistung an die Gesamtheit gerichtet. Im allgemeinen setzt die Geltendmachung des Anspruchs aus der Deckungspflicht eine abschließende Rechnungslegung voraus, die den Umfang der Verpflichtung im einzelnen erkennen läßt. Insoweit gilt das zu § 730 Anm. 9 Gesagte. Nur dann, wenn sich eine entsprechende Verpflichtung nach Lage der Dinge auch schon ohne förmliche Rechnungslegung ohne weiteres ergibt, kann von einer abschließenden Rechnungslegung abgesehen werden (etwas zu weitgehend RG Recht 1916 Nr. 435). Anm. 3 3. Die beschränkte Haftung eines Gesellschafters. In Ausnahmefällen kann die Haftung der Gesellschafter oder eines Gesellschafters für Schulden der Gesellschaft auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt sein (vgl. § 714 Anm. 7, § 718 Anm. 9, § 736 Anm. 4). In diesem Fall besteht eine Deckungspflicht für den nur beschränkt haftenden Gesellschafter nicht. —• Für die Gesellschaftsgläubiger können sich bei einer solchen beschränkten Haftung der Gesellschafter Nachteile ergeben, wenn das Gesellschaftsvermögen vor ihrer Befriedigung an die Gesellschafter verteilt worden ist. Über den Schutz, der dann den Gläubigern zuteil werden muß, vgl. § 730 Anm. 2. Mit der Deckungspflicht, die lediglich das Innenverhältnis der Gesellschafter untereinander betrifft, hat das aber nichts zu tun. 842
Gesellschaft
§ 736
Anm. 1, 2
§736 Ist im Gesellschaftsvertrage bestimmt, daß, wenn ein Gesellschafter kündigt oder stirbt oder wenn der Konkurs über sein Vermögen eröffnet wird, die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortbestehen soll, so scheidet bei dem Eintritt eines solchen Ereignisses der Gesellschafter, in dessen Person es eintritt, aus der Gesellschaft aus. E I 657
n
671; M % 630;
p%
443.
Üb ersieht ANM.
1. 2. 3. 4.
Allgemeines 1 Die Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern . . . . 2, 3 Der Eintritt eines neuen Gesellschafters 4, 5 Die Zweimanngesellschaft 6
Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . Die gesetzlichen Auflösungsgründe der §§ 723, 725, 727/28 gehen von dem Grundsatz aus, daß für den Bestand einer Personalgesellschaft die Mitgliedschaft der einzelnen Gesellschafter eine der wesentlichen Grundlagen ist und daß eine Änderung grundsätzlich nicht eintreten soll. Dem entspricht es, daß die genannten Bestimmungen an den Tod, den Konkurs eines Gesellschafters usw. die Auflösung der Gesellschaft als Rechtsfolge knüpfen. Diese gesetzliche Regelung wird aber keineswegs immer der Lebenswirklichkeit gerecht. Häufig ist die Sachlage so, daß trotz des Ausscheidens eines Gesellschafters ein schutzwertes Interesse der übrigen Gesellschafter an der Erhaltung der Gesellschaft besteht. Diesem Bedürfnis kommt die Vorschrift des § 736 entgegen. Sie läßt die Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern zu, wenn ein Gesellschafter kündigt oder stirbt oder wenn der Konkurs über sein Vermögen eröffnet wird. Voraussetzung ist lediglich, daß im Gesellschaftsvertrag die Fortsetzung der Gesellschaft für diesen Fall vorgesehen ist. Dem § 736 liegt ein allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde, nämlich der, daß der Wechsel im Mitgliederbestand dem Fortbestand der Gesellschaft nicht entgegensteht ( R G 106, 67). Das gilt nicht nur für den in § 736 geregelten Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters, sondern auch für den umgekehrten Fall des Eintritts eines neuen Gesellschafters, sei es daß dieser an die Stelle eines atisscheidenden Gesellschafters tritt, sei es, daß er neben die bisherigen Gesellschafter als weiterer Gesellschafter hinzutritt. In allen diesen Fällen bleibt die Identität der Gesellschaft gewahrt (vgl. auch R G 82, 161).
Anm. 2 2. Die Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern.
§ 736 nennt drei Fälle — Kündigung, Tod und Konkurseröffnung —, in denen die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird, wenn der Gesellschaftsvertrag das vorsieht. Diese Aufzählung ist nicht erschöpfend. Nach allgemeiner Ansicht findet § 736 auch im Falle des § 725 (Kündigung der Gesellschaft durch einen Pfändungsgläubiger) Anwendung (§725 Anm. 6). Enthält der Gesellschaftsvertrag noch besondere Tatbestände für das Ausscheiden eines Gesellschafters (z. B. Erreichung eines bestimmten Alters, Eintritt der Invalidität usw.), so kann der Gesellschaftsvertrag auch für diese Fälle die Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter vorsehen. § 736 findet auch Anwendung, wenn die Gesellschaft aus wichtigem Grund gekündigt wird (RG 162, 393). In diesem Fall ist aber besonders zu prüfen, ob die Fortsetzungsklausel eine unzulässige Einschränkung des Kündigungsrechts darstellt; das kann in Betracht kommen, wenn die Regelung über die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters ihm wesentliche wirtschaftliche Nachteile bringt (vgl. dazu § 723 Anm. 22, 15). Auch kann die Berufung auf die Fortsetzungsklausel in einem solchen Falle eine unzulässige Rechtsausübung darstellen (RG 162, 394). 55
Komm. 2. BGB, u . Aufl. n . Bd. (Fischer)
843
§ 736 Anm. 3—5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Für die Fortsetzung der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern ist i m m e r eine entsprechende Bestimmung im Gesellschaftsvertrag notwendig. Das gilt i m Unterschied z u den Personalhandelsgesellschaften (§ 141 H G B ) auch für den Fall des K o n kurses und der K ü n d i g u n g durch einen Pfändungsgläubiger. Enthält der Gesellschaftsvertrag keine solche Bestimmung, so ist eine Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter nur möglich, wenn der kündigende Gesellschafter, die Erben des verstorbenen Gesellschafters, der Konkursverwalter usw. dem zustimmen (vgl. auch § 728 A n m . 2).
Anm. 3 Die Bestimmung des Gesellschaftsvertrages über die Fortsetzung der Gesellschaft hat d i e W i r k u n g , d a ß mit dem Eintritt des jeweils in Betracht kommenden Ereignisses der betroffene Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet. Demzufolge verliert er mit dem Eintritt dieses Ereignisses seine Beteiligung an dem Gesamthandsvermögen der Gesellschaft; diese wächst den übrigen Gesellschaftern zu, und er selbst hat nur noch einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch (dazu im einzelnen § 738).
Anm. 4 3. Der Eintritt eines neuen Gesellschafters. So wie das Ausscheiden eines Gesellschafters unter W a h r u n g der Identität der Gesellschaft möglich ist, ist auch der Eintritt eines neuen Gesellschafters unter Wahrung der Identität der Gesellschaft möglich. Das ist seit R G 82, 161 allgemein anerkannt. Der Neueintretende unterliegt ebenfalls den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages (insoweit in der Formulierung nicht unbedenklich R G WarnRspr. 1912 Nr. 424). Er erwirbt ohne weiteres einen entsprechenden Anteil am Gesellschaftsvermögen; die Rechtsänderung in der Berechtigung des eintretenden Gesellschafters vollzieht sich ipso iure nach dem Abwachsungsgrundsatz ( B G H 28. 11. 1955 II Z R 203/54). Einer besonderen Eigentumsübertragung bedarf es nicht, j a sie ist aus Rechtsgründen nicht einmal möglich. Der Neueintretende ist daher im W e g e der Grundbuchberichtigung als Mitberechtigter nach § 47 G B O ins Grundbuch einzutragen. Ferner unterliegt der Vertrag, durch den j e m a n d in eine bereits bestehende Gesellschaft eintritt, nicht dem Formzwang nach § 313, mögen auch Grundstücke z u m Gesellschaftsvermögen gehören ( B G H a a O ) . Der neu eintretende Gesellschafter haftet im Unterschied zu § 130 H G B nicht unbeschränkt für die Gesellschaftsschulden, die bereits vor seinem Eintritt begründet waren; seine H a f t u n g ist insoweit beschränkt auf das Gesellschaftsvermögen.
Anm. 5 Der Eintritt eines G e s e l l s c h a f t e r s in eine bereits bestehende Gesellschaft k a n n
sich in verschiedener Weise vollziehen. Der einfachste Fall ist der, daß jemand als weiterer Gesellschafter in eine Gesellschaft eintritt. Hier bedarf es eines A u f n a h m e v e r t r a g e s der zwischen dem Neueintretenden und den übrigen Gesellschaftern a b geschlossen werden muß. Dabei ist es denkbar, d a ß auf Seiten der bereits vorhandenen Gesellschafter ein Gesellschafter den Aufnahmevertrag mit dem Neueintretenden i m eigenen Namen sowie im N a m e n seiner Mitgesellschafter abschließt. Der Eintritt eines neuen Gesellschafters kann sich aber auch im Zusammenhang mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters vollziehen. Das kann einmal durch Ü b e r t r a g u n g d e r M i t g l i e d s c h a f t oder in der Weise geschehen, d a ß der eine Gesellschafter durch Vereinbarung mit den übrigen Gesellschaftern ausscheidet und der andere durch Abschluß eines Aufnahmevertrages mit den übrigen Gesellschaftern in die Gesellschaft eintritt. Beide Fälle sind rechtlich streng auseinanderzuhalten. I m ersten Fall wird der Neueintretende Rechtsnachfolger des Ausscheidenden; hier vollzieht sich das Ausscheiden und der Eintritt durch e i n e n Rechtsakt, und zwar durch einen Vertrag zwischen dem ausscheidenden und dem eintretenden Gesellschafter, wobei dieser Vertrag z u seiner W i r k samkeit mit Rücksicht auf § 719 freilich der Zustimmung der übrigen Gesellschafter oder einer entsprechenden Gestattung im Gesellschaftsvertrag bedarf (vgl. dazu auch § 7 1 9 A n m . 3). Etwaige Ansprüche, auch Schadensersatzansprüche, bestehen nur zwischen den beiden Vertragspartnern. G a n z anders im zweiten Fall; hier vollzieht sich
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Gesellschaft
§ 736 Anm. 6
§737
das Ausscheiden und der Eintritt durch zwei Verträge, an denen jeweils auf der anderen Seite die übrigen Gesellschafter beteiligt sind. Der Neueintretende ist nicht Rechtsnachfolger des ausscheidenden Gesellschafters, er erwirbt vielmehr einen „neuen" Gesellschaftsanteil. Ansprüche zwischen dem neu eintretenden und dem ausscheidenden Gesellschafter bestehen nicht. Für die Zahlung des Abfindungsanspruchs des ausscheidenden Gesellschafters haften die übrigen Gesellschafter. Ist der neu Eintretende beim Abschluß des Aufnahmevertrages über die Geschäftslage der Gesellschaft getäuscht worden, so sind dafür ebenfalls nur die übrigen Gesellschafter verantwortlich. Bedeutsam ist dieser Unterschied auch bei einer Zweimanngesellschaft. Bei ihr ist die Übertragung des Gesellschaftsanteils eines Gesellschafters auf einen Dritten ohne weiteres möglich, wenn die Zustimmung des anderen Gesellschafters oder eine entsprechende Gestattung im Gesellschaftsvertrag vorliegt. Grundlegend anders ist die Rechtslage dagegen, wenn der eine Gesellschafter durch Vereinbarung mit seinem Mitgesellschafter ausscheidet und sodann ein Dritter ,,an seine Stelle" in das Unternehmen eintritt. Hier führt die Vereinbarung über das Ausscheiden des einen Gesellschafters zur Beendigung der Gesellschaft; es ist nunmehr die Errichtung einer neuen Gesellschaft notwendig, um den Dritten in das Unternehmen aufzunehmen. Dabei bleibt die Identität der bisherigen Gesellschaft nicht gewahrt; das bisherige Gesellschaftsvermögen muß durch besondere Übertragungsakte in die neue Gesellschaft eingebracht werden. Anm. 6 4. Die Zweimanngesellschaft. Zweifelhaft ist es, wie sich das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Zweimanngesellschaft vollzieht. Für die offene Handelsgesellschaft ist die Rechtslage insoweit klar, weil hier § 142 HGB den unmittelbaren Ubergang des Gesellschaftsvermögens mit Aktiven und Passiven auf einen Gesellschafter gestattet. Die herrschende Lehre im Schrifttum lehnt eine entsprechende Anwendung des dem § 142 HGB zugrunde liegenden Rechtsgedankens auf die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft ab (vgl. S t a u d i n g e r - K e s s l e r Anm. 6 m. w. N.). Allein zu Unrecht (vgl. auch § 730 Anm. 14; im Ergebnis offenbar ebenso RG DR 1944, 187). Von den Argumenten der herrschenden Lehre hat nur der Hinweis darauf, daß bei der Personalhandelsgesellschaft das Geschäftsvermögen in einer stärkeren Weise •— durch den Betrieb eines Handelsgeschäfts — zweckgebunden ist und diese Zweckbestimmung durch Fortführung des Geschäfts erhalten bleibt, einiges Gewicht. Denn insoweit ist in der Tat ein Unterschied zwischen der Personalhandelsgesellschaft und der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zu erkennen, weil bei dieser im allgemeinen eine losere Bindung gegeben ist. Jedoch trägt dieser Unterschied die Ablehnung des Rechtsgedankens des § 142 HGB in Bereich der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft nicht, weil sich dieser Rechtsgedanke schon aus dem Gesamthandsprinzip ergibt. Dem entspricht es, daß bei einer Erbengemeinschaft die Abtretung des Erbanteils durch den einen Miterben auf den anderen Miterben gemäß § 2033 Abs. 2 allgemein zugelassen wird (vgl. auch RG 68, 414; 88, 118). Es ist nicht einzusehen, warum das gleiche nicht auch bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft möglich sein sollte, bei der die Zweckgebundenheit des Gesellschaftsvermögens gewiß eine größere als bei der Erbengemeinschaft ist. Auch ist nicht zu verstehen, warum der Übergang des Gesellschaftsvermögens ohne besonderen Übertragungsakt auf den verbleibenden Gesellschafter möglich sein soll, wenn dieser den anderen Gesellschafter beerbt. Denn für die Zulassung des Anwachsungsgrundsatzes kann es keinen Unterschied machen, ob sich der Ubergang durch Erbfolge oder durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vollzieht.
§ 737 Ist im Gesellschaftsvertrage bestimmt, daß, wenn ein Gesellschafter kündigt, die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortbestehen soll, so kann ein Gesellschafter, in dessen Person ein die übrigen Gesellschafter nach § 723 Abs. 1 Satz 2 zur Kündigung berechtigender Umstand eintritt, aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Das Ausschließungsrecht steht JJ*
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§ 737 A n m . 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
den übrigen Gesellschaftern g e m e i n s c h a f t l i c h zu. Die A u s s c h l i e ß u n g e r f o l g t d u r c h Erklärung gegenüber d e m auszuschließenden Gesellschafter. E
n 672; p 2 444. Ubersicht Anm.
1. 2. 3. 4. 5.
Allgemeines Die Voraussetzungen für die Ausschließung eines Gesellschafters Die Ausschließung selbst Abweichende Bestimmungen Der Anwendungsbereich des § 737
1 2 3, 4 5 6—8
Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . § 737 läßt die Ausschließung eines Gesellschafters aus der Gesellschaft zu. Das gilt, abgesehen von den in Anm. 5, 6 dargelegten Einschränkungen, für alle bürgerlich-rechtlichen Gesellschaften. Auch bei einer Zweimanngesellschaft ist die Ausschließung eines Gesellschafters nicht ausgeschlossen (vgl. dazu § 736 Anm. 6). Ferner ist die Ausschließung eines Gesellschafters auch noch in einer aufgelösten, im Abwicklungszustand befindlichen Gesellschaft grundsätzlich möglich; nur sind in diesem Falle die besonderen Verhältnisse der aufgelösten Gesellschaft zu beachten (BGH 1, 331). Dagegen setzt die Ausschließung eines Gesellschafters stets voraus, daß dieser im Zeitpunkt der Ausschließung noch Gesellschafter ist (RG JW 1905, 315). Anm. 2 2. Die Voraussetzungen für die A u s s c h l i e ß u n g eines G e s e l l s c h a f t e r s . § 737 läßt die Ausschließung eines Gesellschafters aus der Gesellschaft zu. Sofern der Gesellschaftsvertrag die Ausschließung eines Gesellschafters nicht besonders regelt, steht den übrigen Gesellschaftern das Recht zur Ausschließung immer dann zu, wenn im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist, daß im Falle der Kündigung die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortbestehen soll und wenn in der Person eines Gesellschafters ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt. Es muß sich also aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, daß die Gesellschaft entgegen der gesetzlichen Regel durch die Kündigung eines Gesellschafters in ihrem Fortbestand nicht berührt werden soll (vgl. § 736), und daß ein Gesellschafter einen Grund zur sofortigen Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses gesetzt hat. Der wichtige Grund zur Ausschließung eines Gesellschafters ist nicht gleichbedeutend mit dem wichtigen Grund zur sofortigen Kündigung. Nur ein wichtiger Grund in der Person des auszuschließenden Gesellschafters rechtfertigt seine Ausschließung, nicht auch ein sonstiger wichtiger Grund, der in objektiven Umständen oder auch in der Person des kündigenden Gesellschafters liegen mag; für die Annahme eines wichtigen Grundes in der Person des auszuschließenden Gesellschafters ist es freilich nicht notwendig, daß auch ein Verschulden des betreffenden Gesellschafters gegeben ist. Außerdem ist auch bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zu beachten, daß im allgemeinen die Ausschließung eines Gesellschafters eine härtere Maßnahme als die Auflösung der Gesellschaft ist und daß es deshalb gerechtfertigt ist, an das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 737 schärfere Anforderungen zu stellen als an einen wichtigen Grund, der bei einer sofortigen Kündigung die Auflösung der Gesellschaft herbeiführen soll (RG 146, 179; LZ 1932, 1144; ZAkDR 1938, 638; bedenklich insoweit RG WarnRspr. 1937 Nr. 48). Die Ausschließung muß gewissermaßen das letzte Mittel sein, um eine zumutbare Lösung der Verwicklungen herbeizuführen, die durch den wichtigen Grund in der Person des auszuschließenden Gesellschafters entstanden sind. Sind in dieser Hinsicht bei der gegebenen Sachlage andere Möglichkeiten gegeben, so scheidet die Ausschließung aus. — Im übrigen gelten für die Annahme eines wichtigen Grundes hier die gleichen allgemeinen Gesichtspunkte wie zu § 723 (keine Schematisierung, Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls, Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen für alle Beteiligten, namentlich für den Auszuschließenden; vgl. dazu § 723 Anm. 18 sowie B G H Betrieb 1959, 110).
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Gesellschaft
§737 Anm. 3—5
Anm. 3 3. Die Ausschließung selbst.
Die Ausschließung ist durch die übrigen Gesellschafter auszusprechen. I m Regelfall ist dazu ein einstimmiger Gesellschafterbeschluß notwendig. Die Geschäftsführer der Gesellschaft sind als solche zur Ausschließung nicht befugt, weil diese nicht in den Rahmen der Geschäftsführung fällt, sondern die personellen Grundlagen der Gesellschaft berührt (§ 709 Anm. 2). Die Ausschließung wird durch Erklärung gegenüber dem auszuschließenden Gesellschafter wirksam. Sie führt unmittelbar das Ausscheiden des ausgeschlossenen Gesellschafters mit der Rechtsfolge des § 738 herbei. I m Streitfall ist daher — anders bei der offenen Handelsgesellschaft ( § 1 4 0 H G B ) — durch Feststellungsurteil zu entscheiden. Dabei ist vom Gericht die Frage unbeschränkt nachzuprüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausschließung vorliegen, namentlich auch, ob ein wichtiger Grund für die Ausschließung gegeben ist ( R G WarnRspr. 1937, Nr. 48; B G H 13, 107). Entgegen einer im Schrifttum meist geäußerten Ansicht erscheint es nicht notwendig, dem auszuschließenden Gesellschafter vor der Ausschließung rechtliches Gehör zu gewähren; denn der ausgeschlossene Gesellschafter hat stets die Möglichkeit, die Unwirksamkeit der gegen ihn ausgesprochenen Ausschließung durch das ordentliche Gericht nachprüfen zu lassen; hier hat er dann die Möglichkeit, alle Gesichtspunkte vorzubringen, aus denen sich ergibt, daß die Voraussetzungen für seine Ausschließung (wichtiger Grund) nicht vorgelegen haben. In dieser Hinsicht ist die Rechtslage grundsätzlich anders, wie bei der Ausschließung aus einem Verein, weil bei einer solchen Ausschließung eine uneingeschränkte sachliche Nachprüfung mit Rücksicht auf die Vereinsautonomie nicht möglich ist (vgl. dazu R G 140, 2 3 ; 147, 1 1 ; H R R 1942 Nr. 779; BGH 13, 10).
Anm. 4 Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob die einzelnen Gesellschafter die Pflicht zur haben. Diese Frage ist deshalb von großer praktischer Bedeutung, weil die übrigen Gesellschafter die Ausschließung im allgemeinen einstimmig aussprechen müssen und schon die Weigerung eines einzigen Gesellschafters die Ausschließung unmöglich macht. Entgegen einer im Schrifttum vielfach vertretenen Ansicht (vgl. S t a u d i n g e r - K e s s l e r Anm. 16 m. w. N.) wird man diese Frage nicht allgemein verneinen können. Allerdings sind besondere Umstände für die Annahme einer solchen Pflicht notwendig. Denn es ist hierbei stets zu berücksichtigen, daß durch die Ausschließung eines Gesellschafters der Gesellschaftsvertrag auf eine andere (personelle) Grundlage gestellt wird und daß das Interesse eines jeden Gesellschafters an der Erhaltung der bisherigen Grundlage des Gesellschaftsvertrages schutzwürdig ist. Immerhin können für die Weigerung eines Gesellschafters, an der Ausschließung eines Gesellschafters mitzuwirken, in einem Einzelfall auch keine schutzwerten Gründe gegeben sein; in einem solchen Fall wird man die Pflicht zur Mitwirkung bei der Ausschließung bejahen müssen und gegebenenfalls in der Weigerung sogar einen Ausschließungsgrund auch gegen diesen Gesellschafter erblicken können. In einem solchen Ausnahmefall kann auch eine Schadensersatzpflicht des sich weigernden Gesellschafters in Betracht kommen (vgl. dazu R G 162, 396; im übrigen vgl. zu aliem auch R o b . F i s c h e r N J W 1954, 780).
Mitwirkung bei der Ausschließung
Anm. 5 4. Abweichende Bestimmungen.
Die Vorschriften des § 737 sind nicht zwingenden Rechts. Der Gesellschaftsvertrag kann für die Ausschließung eines Gesellschafters auch andere Bestimmungen treffen. Das Ausschließungsrecht kann gegenüber der Vorschrift des § 737 eingeengt oder erweitert werden; ferner kann auch ein Ausschließungsrecht durch die übrigen Gesellschafter ausgeschlossen werden. Abweichende Bestimmungen sind zunächst f ü r d i e V o r a u s s e t z u n g e n d e r A u s s c h l i e ß u n g möglich. So kann bestimmt werden, daß eine Ausschließung nur beim Vorliegen besonderer, namentlich genannter wichtiger Gründe statthaft oder bei bestimmten Gründen ausgeschlossen ist. Es kann aber auch bestimmt werden, daß für eine Ausschließung ein wichtiger Grund nicht notwendig ist; in einem solchen Fall ist es aber angebracht, den
847
§ 737 A n m . 6—8 §738
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Ausspruch einer Ausschließung jeweils unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung zu prüfen. Des weiteren kann auch für die D u r c h f ü h r u n g d e r A u s s c h l i e ß u n g im Gesellschaftsvertrag eine andersartige Regelung vorgesehen werden. Zulässig ist eine Bestimmung, wonach die Ausschließung nicht einstimmig, sondern d u r c h M e h r h e i t s b e s c h l u ß ausgesprochen werden kann. In einem solchen Fall wird sich freilich die Frage nach der Pflicht zur Mitwirkung an der Ausschließung seitens der widerstrebenden Gesellschafter grundsätzlich nicht stellen; insoweit ist hier die Sachlage anders wie bei einem einstimmigen Beschluß (vgl. dazu Anm. 4). Anm. 6 5. Der Anwendungsbereich des § 737. Die Ausschließung eines Gesellschafters kommt bei Innengesellschaften ohne Gesamthandsvermögen nicht in Betracht. Für den nach außen in die Erscheinung tretenden Gesellschafter, dem das Vermögen gehört, das dem Gesellschaftszweck gewidmet ist, genügt es bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, von seinem Kündigungsrecht gemäß § 723 Abs. 1 Satz 2 Gebrauch zu machen. Damit wird für ihn im praktischen Ergebnis die Wirkung erreicht, die bei einer Außengesellschaft durch die Ausschließung eines Gesellschafters herbeigeführt werden soll. Andererseits ist es für den nach außen nicht in die Erscheinung getretenen Gesellschafter nicht möglich, durch eine Ausschließung des geschäftsführenden Gesellschafters den Zustand herbeizuführen, den bei einer Außengesellschaft die Ausschließung eines Gesellschafters gemäß § 738 hat. Ihm kann das Gesellschaftsvermögen nicht zuwachsen, weil er an diesem bis dahin nicht gesamthänderisch beteiligt war. Anm. 7 Die Vorschrift des § 737 kann unbeschadet der abweichenden Regelung in § 140 HGB auch bei einer offenen Handelsgesellschaft zur Anwendung gelangen, wenn das im Gesellschaftsvertrag der betreffenden offenen Handelsgesellschaft vorgesehen ist. Denn § 140 HGB ist keine Vorschrift zwingenden Rechts. Insoweit genügt es, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Klageerhebung für die Ausschließung eines Gesellschafters ausgeschlossen ist (RG ZAkDR 1938, 818). Anm. 8 Eine Anwendung des § 737 auf den nicht rechtsfähigen Verein ist ausgeschlossen. Das hängt damit zusammen, daß auch dem nicht rechtsfähigen Verein eine selbständige Vereinsautonomie zukommt. Die Voraussetzungen und Wirkungen eines Ausschlusses richten sich daher bei diesem allein nach den Grundsätzen, die insoweit für den rechtsfähigen Verein gelten (RG WarnRspr. 1937 Nr. 48; BGH 13, 11).
§ 738 Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so wächst sein Anteil a m Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zu. Diese sind verpflichtet, dem Ausscheidenden die Gegenstände, die er der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, nach Maßgabe des § 732 zurückzugeben, ihn von den gemeinschaftlichen Schulden zu befreien und ihm dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre. Sind gemeinschaftliche Schulden noch nicht fällig, so können die übrigen Gesellschafter dem Ausscheidenden, statt ihn zu befreien, Sicherheit leisten. Der Wert des Gesellschaftsvermögens ist, soweit erforderlich, i m Wege der Schätzung zu ermitteln. E I 6j8 Abs. I , 45 II 673 A b s . 1 ; M % 631; P g 4+4—447.
Ubersicht Anm.
1. Die Auseinandersetzung mit dem ausscheidenden Gesellschafter 2. Die Anwachsung des Anteils des Ausscheidenden 848
i 2
Gesellschaft
§ 738 A n m . 1—3
3. Der Abfindungsanspruch des Ausscheidenden a) Allgemeines b) Die Berechnung des Abfindungsanspruchs c) Abweichende Vereinbarungen 4. Der Anspruch auf Schuldbefreiung 5. Das Recht auf Sicherheitsleistung 6. Der weitere Anwendungsbereich
3—6 3 4, 5 6 7 8 9
Anm.
Anm. 1 1. Die Auseinandersetzung mit dem ausscheidenden Gesellschafter. Die §§ 138—140 regeln die Auseinandersetzung mit dem ausscheidenden Gesellschafter, wobei § 738 hierfür die grundlegende Vorschrift gibt und die §§ 739/40 nur noch einige Sonderfälle (Beteiligung am Verlust, Beteiligung an den schwebenden Geschäften) regeln. Die Vorschriften der §§ 738—740 sind i m allgemeinen nicht zwingend (RG 145, 293; JW 1935, 417). Etwas anderes gilt nur für die Vorschrift des Abs. 1 Satz 1, -weil der Grundsatz der Anwachsung aus dem Gesamthandsprinzip folgt und die Gestaltung der Gesamthand nicht der freien Disposition der Beteiligten unterliegt (RG 56, 208). Ein Fortbestehen der gesamthänderischen Beteiligung des ausgeschiedenen Gesellschafters kann also nicht vereinbart werden. Soweit zulässige abweichende Vereinbarungen behauptet werden, trifft die B e w e i s l a s t denjenigen, der sich auf solche Vereinbarungen beruft (RG DR 1942, 275). Die Tragweite einer abweichenden Vereinbarung ist durch Auslegung zu ermitteln; so kann die für den Fall des Ausscheidens durch Kündigung vorgesehene Regelung nicht ohne weiteres auch auf den Fall des Ausscheidens durch Ausschließung zur Anwendung gelangen (RG H R R 1939 Nr.937). Die Anwendung des § 738 ist nicht auf den Fall zu beschränken, daß die Gesellschaft unter den verbleibenden Gesellschaftern fortbesteht. Auch für eine Zweimanngesellschaft gilt § 738, wenn der eine Gesellschafter gegen Zahlung seines Abfindungsguthabens ausscheidet und der andere das Unternehmen mit Aktiven und Passiven unter Ausschluß der Liquidation übernimmt (str., dazu im einzelnen § 736 Anm. 6). Anm. 2 2. Die Anwachsung des Anteils des Ausscheidenden. Mit dem Ausscheiden wächst der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters ohne weiteres (ipso iure) den übrigen Gesellschaftern zu (RG 136, 99). Mit diesem Zeitpunkt entfällt sein dingliches Recht als Gesamthandseigentümer des Gesellschaftsvermögens. Diese Rechtsfolge ist zwingend (Anm. 1). Irgendwelcher Übertragungsakte bedarf es für den Vollzug der Anwachsung nicht. Für die Anwendung der Vorschriften der §§313, 1821 Nr. 1 ist kein Raum (BGH 28. 11. 1955 II ZR 203/54; vgl. auch BGH 18, 382). Der ausgeschiedene Gesellschafter hat nach § 894 seine Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs zu geben (RG 65, 236; 68, 416). 3. Der Abfindungsanspruch des Ausscheidenden Anm. 3 a) Allgemeines. An Stelle seiner dinglichen Berechtigung als Gesamthandseigentümer des Gesellschaftsvermögens erhält der ausscheidende Gesellschafter einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch. Dieser richtet sich gegen die übrigen (verbleibenden) Gesellschafter. Diese haften aus dem Gesellschaftsverhältnis als Gesamtschuldner. Dieser Anspruch ist frei abtretbar. Im allgemeinen kann er nicht sofort geltend gemacht werden. Hierfür ist vielmehr eine abschließende Ermittlung des Abfindungsguthabens erforderlich (RG 118, 299; HRR 1939 Nr. 937). Die zu § 730 Anm. 9 dargelegten Grundsätze gelten hier entsprechend. Daher kann der ausgeschiedene Gesellschafter vor Feststellung seines Abfindungsanspruchs diesen auch nicht zur Aufrechnung verwenden (RG 118, 295). Unbeschadet dieser Grundsätze muß es dem ausgeschiedenen Gesellschafter unbenommen sein, seinen Abfindungsanspruch schon teilweise geltend zu machen, wenn bereits feststeht, daß ihm jedenfalls ein Guthaben in bestimmter Höhe zusteht, und es sich nur noch darum handelt, ob ein bestimmter weiterer Aktivposten bei der Abrechnung mitzuberücksichtigen ist oder nicht (RG HRR 1939 Nr. 937).
849
§ 738 Anm. 4—7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Für die Fälligkeit des Abfindungsanspruchs können sich aus § 242 Einschränkungen ergeben. Würde die sofortige Auszahlung des Gesamtguthabens unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände den Fortbestand der Gesellschaft gefährden, so kann es gerechtfertigt sein, für die Auszahlung Zahlungsfristen (gegebenenfalls gegen Sicherheitsleistung) oder Ratenzahlungen zu bestimmen (RG H R R 1939 Nr. 937). Anm. 4 b) Die Berechnung des Abfindungsanspruchs. Die Berechnung des Abfindungsanspruchs eines ausscheidenden Gesellschafters stößt in der Praxis immer wieder auf große Schwierigkeiten (vgl. dazu Rob. F i s c h e r Anm. bei L M Nr. 1 zu § 138 HGB). Das gilt namentlich für die Personalhandelsgesellschaften, auf die § 738 ebenfalls Anwendung findet (Anm. 9). Auszugehen ist von dem Wert des Gesellschaftsvermögens, der nach Abs. 2 im Wege der Schätzung zu ermitteln ist. Hierzu ist im allgemeinen die Aufstellung einer besonderen Auseinandersetzungsbilanz erforderlich, in der die wahren Werte des lebenden Unternehmens aufzunehmen sind. Die Buchwerte der gewöhnlichen Jahresbilanzen sind für die Auseinandersetzungsbilanz nicht geeignet, stille Reserven sind also aufzulösen (RG 106, 131/32; D R 1942, 140;BGH 17, 133). Trotz des insoweit etwas mißverständlichen Wortlauts des Abs. 1 Satz 2 ist in der Auseinandersetzungsbilanz auch nicht von dem Wert auszugehen, der sich bei einer Versilberung der einzelnen Vermögenswerte ergibt, sondern von dem Wert, der sich bei einer möglichst vorteilhaften Verwertung des Gesellschaftsvermögens im g a n z e n ergeben würde (RG D R 1941, 1301). Daher ist es notwendig, bei der Auseinandersetzungsbilanz auch den Geschäftswert (good will) mitzuberücksichtigen (RG 94, 108; 106, 132; H R R 1939 Nr. 937; D R 1942, 140; vgl. auch RG 167, 260). Die schwebenden Geschäfte bleiben bei der Auseinandersetzungsbilanz außer Betracht; für sie gilt § 740. Anm. 5 Bei der Aufstellung der Auseinandersetzungsbilanz ist der ausgeschiedene Gesellschafter mitheranzuziehen. Er hat dabei das Recht auf Einsicht in die Papiere und Unterlagen der Gesellschaft, zwar nicht auf Grund des § 716, da er nicht mehr Gesellschafter ist, aber doch auf Grund des § 810 (RG 117, 333). Auch ist dem Ausgeschiedenen gegebenenfalls zu gestatten, sich der Unterstützung eines Sachverständigen zu bedienen. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie für die Ausübung des Kontrollrechts nach § 716 (vgl. dazu § 716 Anm. 1). Die Aufstellung der Auseinandersetzungsbilanz ist grundsätzlich Sache der Beteiligten; im Prozeßweg können sie nicht die Aufstellung der Bilanz durch das Gericht herbeiführen (BGH 26, 28). Anm. 6 c) Abweichende Vereinbarungen. Besondere Bestimmungen über die Berechnung des Abfindungsanspruchs sind zulässig und in der Praxis außerordentlich verbreitet. So findet sich häufig die Bestimmung, daß bei der Berechnung des Abfindungsanspruchs die Buchwerte der Jahresbilanz zugrunde zu legen und daß ein besonderer Geschäftswert nicht in Ansatz zu bringen ist; auch ist es bei größeren Gesellschaften üblich, für die Auszahlung des Abfindungsguthabens Zahlungsfristen und Ratenzahlungen festzulegen. Ferner wird vielfach die Aufstellung der Abfindungsbilanz einem Sachverständigen übertragen, der darüber abschließend befinden soll. Eine solche Regelung ist meist sachgerecht, weil sie zeitraubende und kostspielige Prozesse erspart (vgl. dazu Rob. F i s c h e r L M Nr. 7 zu § 319). In einem solchen Fall wird der Sachverständige als Schiedsgutachter, nicht als Schiedsrichter tätig, so daß eine sachliche Nachprüfung des Schiedsgutachtens durch das ordentliche Gericht im Rahmen des § 3 1 9 möglich ist (BGH 6, 339). Bei dieser richterlichen Nachprüfung ist zu beachten, daß die offenbare Unrichtigkeit eines einzelnen Wertansatzes in der vom Schiedsgutachter aufgestellten Bilanz im allgemeinen nicht die Folge hat, daß damit die gesamte Auseinandersetzungsbilanz des Schiedsgutachters für die Beteiligten unverbindlich ist (BGH NJW 1957, 1834). Anm. 7 4. Der Anspruch auf Schuldbefreiung. Der ausgeschiedene Gesellschafter haftet für die bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens begründeten Gesellschaftsverbind850
Gesellschaft
§ 738 A n m . 8, 9 § 739 A n m . 1
lichkeiten weiter. Er hat aber gegen die übrigen Gesellschafter einen Anspruch auf Befreiung von diesen Schulden. Wie diese Befreiung vorzunehmen ist, sagt das Gesetz nicht. Sie kann in der Beschaffung einer Schuldentlassungserklärung des Gläubigers, aber auch darin bestehen, daß die übrigen Gesellschafter den Gesellschaftsgläubiger befriedigen (RG 132, 31). Dieser Anspruch auf Schuldbefreiung umfaßt auch den Anspruch auf Freistellung von Sicherheiten, die der ausgeschiedene Gesellschafter für bestimmte Gesellschaftsverbindlichkeiten bestellt hatte (RG 132, 32). Der Schuldbefreiungsanspruch setzt aber stets voraus, daß die übrigen Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten unbeschränkt haften. Daher entfällt er, wenn eine offene Handelsgesellschaft im Vergleichsverfahren einen Vergleich abschließt; die Beschränkung ihrer persönlichen Haftung gemäß § 109 Nr. 3 VerglO können die Gesellschafter sodann auch gegenüber dem Schuldbefreiungsanspruch geltend machen (RG 142, 209). Anm. 8 5. D a s R e c h t auf Sicherheitsleistung. Sind die gemeinschaftlichen Schulden noch nicht fallig, so können die übrigen Gesellschafter dem Ausgeschiedenen an Stelle der Schuldbefreiung Sicherheit leisten. Die umstrittene Frage, ob auch bei s t r e i t i g e n G e s e l l s c h a f t s v e r b i n d l i c h k e i t e n Sicherheit zu leisten ist, wird man mit R G 60, 155 verneinen müssen. Denn Abs. 1 Satz 2 erwähnt im Unterschied zu § 733 Abs. 1 Satz 2 die streitigen Forderungen nicht. Daher liegt es nahe, hier von dem allgemeinen Grundsatz auszugehen, wonach der Berechtigte die Voraussetzungen für den von ihm geltend gemachten Anspruch b e w e i s e n muß. Dem Ausgeschiedenen obliegt also die Beweislast dafür, daß eine Gesellschaftsverbindlichkeit besteht, wenn er Schuldbefreiung verlangt. Anm. 9 6. Der weitere A n w e n d u n g s b e r e i c h . § 738 findet auch auf Personalhandelsgesellschaften Anwendung. Dagegen ist seine Anwendung auf den nicht rechtsfähigen Verein ausgeschlossen; beim Austritt aus dem Verein erhält der Ausscheidende ein Abfindungsguthaben nicht ausbezahlt.
§ 739 Reicht der Wert des G e s e l l s c h a f t s v e r m ö g e n s zur Deckung der g e m e i n schaftlichen Schulden u n d der Einlagen nicht aus, s o h a t der A u s s c h e i d e n d e den übrigen Gesellschaftern für den Fehlbetrag nach d e m Verhältnisse s e i n e s Anteils a m Verlust a u f z u k o m m e n . E I 6;8 Abs. 6 II 673 Abs. 2; M 2 632; F 2 444—447.
Anm. 1 Die Beteiligung a m Verlust. Die Vorschrift des § 739 entspricht der Vorschrift des § 735. Auch der ausscheidende Gesellschafter hat den auf ihn entfallenden Anteil am Verlust zu tragen. Für die Berechnung des Verlustanteils ist die Vorschrift des § 722 maßgeblich. Der sich danach ergebende Betrag ist an die Gesellschaftskasse zu zahlen; hierbei handelt es sich um eine gesellschaftliche Verpflichtung, so daß jeder der verbleibenden Gesellschafter einen selbständigen Anspruch gegen den ausscheidenden Gesellschafter hat (actio pro socio; § 705 Anm. 23). Die Gesellschafter haben gegenüber dem Ausscheidenden an den von ihm zur Benutzung überlassenen Gegenständen (§§ 732, 738 Abs. 1 Satz 1) gemäß § 273 ein Zurückbehaltungsrecht. Andererseits ist dem Ausscheidenden Zug um Zug Befreiung von den Schulden zu gewähren oder Sicherheit zu leisten (§ 738 Abs. 1 Satz 2, 3).
851
§ 740 A n m . 1—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§740 Der Ausgeschiedene n i m m t an d e m Gewinn und d e m Verluste teil, welcher sich a u s den zur Zeit seines Ausscheidens schwebenden Geschäften ergibt. Die übrigen Gesellschafter sind berechtigt, diese Geschäfte so zu beendigen, wie es ihnen a m vorteilhaftesten erscheint. Der Ausgeschiedene kann a m S c h l ü s s e jedes G e s c h ä f t s j a h r s Rechenschaft über die inzwischen beendigten Geschäfte, Auszahlung des i h m gebührenden B e t r a g s und Auskunft über den S t a n d der noch schwebenden Geschäfte verlangen. E I 658 Abs. 2,3 H 674; M 2 631; P 8 444—447-
Ubersicht 1. 2. 3. 4.
Die Die Der Die
Behandlung der schwebenden Geschäfte Beendigung der schwebenden Geschäfte Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft Zweimanngesellschaft
Anm.
1 2 3 4
Anm. 1 1. Die Behandlung der schwebenden Geschäfte. Die schwebenden Geschäfte werden in die Auseinandersetzung (§§738/39) nicht einbezogen. Sie werden also beider Aufstellung der Auseinandersetzungsbilanz und der Berechnung des Abfindungsanspruchs (§ 738) nicht mitberücksichtigt. Gleichwohl nimmt der ausgeschiedene Gesellschafter an dem wirtschaftlichen Erfolg oder Mißerfolg dieser Geschäfte noch teil. Nur werden sie selbständig und gesondert abgerechnet, damit die Berechnung des Guthabens (§ 738) oder des Verlustanteils (§ 739) nicht durch die Berücksichtigung der schwebenden Geschäfte verzögert wird. Die Beteiligung des ausgeschiedenen Gesellschafters wirkt nur nach innen; Dritten gegenüber wird er aus der Abwicklung dieser Geschäfte weder berechtigt noch verpflichtet (RG J W 1902, 445). Die Beteiligung des ausgeschiedenen Gesellschafters an den schwebenden Geschäften ändert also nichts daran, daß er mit dem Zeitpunkt seines Ausscheidens nicht mehr Gesellschafter ist. — Uber den Begriff der schwebenden Geschäfte vgl. § 730 Anm. 7. Anm. 2 2. Die Beendigung der schwebenden Geschäfte. Der ausgeschiedene Gesellschafter nimmt an dem wirtschaftlichen Erfolg oder Mißerfolg der schwebenden Geschäfte teil; an der Beendigung selbst nimmt er nicht teil. Das ist allein Aufgabe der verbleibenden Gesellschafter; die Art der Beendigung ist ihrem Ermessen überlassen (RG 56, 19), nur müssen sie hierbei die Sorgfalt des § 708 walten lassen. Anm. 3 3. Der Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft. Der Umfang der Rechnungslegungspflicht richtet sich nach § 259; dem ausgeschiedenen Gesellschafter ist also Rechnung durch eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben zu legen. Außerdem hat der ausgeschiedene Gesellschafter am Ende eines jeden Geschäftsjahrs einen Anspruch auf Auskunft über den Stand der noch nicht abgewickelten schwebenden Geschäfte. Dagegen hat der ausgeschiedene Gesellschafter nicht mehr das Kontrollrecht gemäß § 716, da er nicht mehr Gesellschafter ist. Anm. 4 4. Die Zweimanngesellschaft. § 740 findet auch (entsprechende) Anwendung, wenn bei einer Zweimanngesellschaft der eine Gesellschafter ausscheidet und der andere das Gesellschaftsunternehmen mit Aktiven und Passiven übernimmt. Der ausgeschiedene Gesellschafter nimmt also auch in diesem Fall noch am Erfolg und Mißerfolg der schwebenden Geschäfte teil, sofern nicht etwas anderes vereinbart ist (RG 56, 19). 852
Gemeinschaft
§741 A n m . 1, 2
Fünfzehnter
Titel
Gemeinschaft
§ 741 Steht ein Recht mehreren gemeinschaftlich zu, so finden, sofern sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt, die Vorschriften der §§ 742 bis 758 Anwendung (Gemeinschaft nach Bruchteilen). E I
762
II
677;
M 2
873;
P 2
74j.
Übersicht Anm.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Allgemeines D a s Wesen der Bruchteilsgemeinschaft Die Tatbestände der Bruchteilsgemeinschaft D i e A b g r e n z u n g zur Gesellschaft D e r Gegenstand des gemeinschaftlichen Rechts Z w i n g e n d e r Charakter der Vorschriften der §§ 7 4 1 f r ? D e r Anwendungsbereich der §§ 741 ff D a s Schuldverhältnis zwischen den Teilhabern
1 2 3, 4 5, 6 7—9 10 11 12
Anm. 1 1. Allgemeines.
Die Vorschriften der §§ 741 ff regeln die Gemeinschaft n a c h Bruchteilen. D a b e i gibt das Gesetz keine abschließende Begriffsbestimmung der Bruchteilsgemeinschaft, sondern setzt sie als Rechtsinstitut im wesentlichen voraus. N u r aus den einzelnen Vorschriften der §§ 741 ff können gewisse Rückschlüsse auf die Rechtsnatur der Bruchteilsgemeinschaft gezogen werden. Die Bruchteilsgemeinschaft ist eine Rechtsgemeinschaft, bei der mehreren Personen eine gleichartige Mitberechtigung an einem bestimmten Gegenstand zusteht. Ihre Bedeutung als Gemeinschaft erschöpft sich allein in der gemeinschaftlichen Berechtigung; darüber hinaus dient diese gemeinschaftliche Berechtigung nicht einem weiteren gemeinsamen Z w e c k der Teilhaber. Diese können vielmehr mit ihrer Mitberechtigung sehr verschiedenartige Ziele verfolgen und sind in dieser Hinsicht nicht aneinander gebunden. Namentlich ist die Erhaltung der Gemeinschaft nicht ihr gemeinsames A n liegen. Hieraus ergibt sich für die gesetzliche R e g e l u n g der Bruchteilsgemeinschaft das Bedürfnis, einerseits die Rechtsstellung der Teilhaber möglichst selbständig z u gestalten und ihnen die A u f l ö s u n g dieser Gemeinschaft z u erleichtern, andererseits aber für die D a u e r der Gemeinschaft V o r k e h r u n g e n dagegen z u treffen, d a ß nicht durch Rechtshandlungen des einen die Mitberechtigung des anderen in Mitleidenschaft gezogen wird, und des weiteren sicherzustellen, d a ß durch eine sinnvolle V e r w a l t u n g der gemeinsame Gegenstand in seinem wirtschaftlichen W e r t erhalten bleibt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, einerseits die Rechtsstellung des Teilhabers selbst, sein R e c h t an d e m gemeinschaftlichen Gegenstand, und andererseits seine R e c h t e und Pflichten bei der gemeinsamen V e r w a l t u n g und bei der A u f l ö s u n g der Gemeinschaft z u regeln. Das ist der Grund, weshalb für die Bruchteilsgemeinschaft Rechtssätze dinglicher u n d solche schuldrechtlicher A r t bestehen.
Anm. 2 2. Das Wesen der Bruchteilsgemeinschaft.
Die Bruchteilsgemeinschaft ist zunächst dadurch gekennzeichnet, d a ß bei ihr die Mitberechtigung der Teilhaber an d e m gemeinsamen Gegenstand nicht a u c h die T e i l u n g des Rechts an diesem Gegenstand zur Folge hat. Das R e c h t eines j e d e n Teilhabers bezieht sich auf den ganzen Gegenstand, nicht nur auf einen T e i l dieses Gegenstands. In dieser Hinsicht besteht ein entscheidender Unterschied zwischen der Bruchteilsgemeinschaft u n d d e m W o h n u n g s eigentum, das ein R e c h t an einem realen Sachteil ist (vgl. a u c h die R e g e l u n g in § 420). Die Gemeinschaftlichkeit des Rechts ist die G r u n d l a g e der Bruchteilsgemeinschaft (vgl. d a z u a u c h § 747 A n m . 5 a. E.). Andererseits hat aber a u c h jeder Teilhaber ein un-
853
§ 741 Anm. 3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
mittelbar eigenes Recht an dem gemeinschaftlichen Gegenstand, das zu seiner freien Verfügung steht (§ 747 Anm. 1, 2). Daher benötigt der einzelne Teilhaber zur Verfügung über dieses Recht nicht die Zustimmung der übrigen Teilhaber. Das Recht gehört zu seinem Vermögen und ist nicht in einem Sondervermögen gebunden. Dieses Recht ist sein Anteil. Der Anteil ist ein rein individuelles Recht eines jeden Teilhabers. Keiner der Teilhaber hat ein Einwirkungsrecht auf den Anteil des anderen. In rechtlicher Hinsicht, namentlich bei der Verfügung wird dieser Anteil dem Gegenstand gleichgestellt, an dem die gemeinschaftliche Berechtigung besteht (dazu § 747 Anm. 2). Daher ist das Pfandrecht an dem Anteil eines Miteigentümers nicht Pfandrecht an einem Recht, sondern Pfandrecht an einer Sache (§ 1258; vgl. dazu R G 146, 335). Von der Verfügung über den einzelnen Anteil ist die Verfügung über den gemeinsamen Gegenstand zu unterscheiden; diese steht dem einzelnen Teilhaber nicht zu. Denn eine solche Verfügung greift über die individuelle Sphäre des einzelnen Teilhabers hinaus und berührt die Rechtsstellung der übrigen Teilhaber. Daher kann bei einer gemeinschaftlichen Hypothek der einzelne Teilhaber nicht über einen ziffernmäßigen Teil der Hypothek allein verfügen, mag auch dieser ziffernmäßige Teil seinem Anteil an der Hypothek entsprechen ( R G H R R 1935 Nr. 663). Aus dieser besonderen Art der dinglichen Mitberechtigung, in der sich das Gemeinschaftselement erschöpft, ergeben sich besondere s c h u l d r e c h t l i c h e B e z i e h u n g e n zwischen den Teilhabern, die ihre Rechtsgrundlage im Gesetz finden und die durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Teilhabern eine nähere Ausgestaltung oder auch eine Abänderung erfahren können. Diese schuldrechtlichen Beziehungen sind durch den G r u n d s a t z d e r g l e i c h m ä ß i g e n B e h a n d l u n g bestimmt und regeln die gemeinsame Verwaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes und die Art der Auflösung der Bruchteilsgemeinschaft, die jeder Teilhaber jederzeit verlangen kann. Anm. 3 3. Die T a t b e s t ä n d e d e r B r u c h t e i l s g e m e i n s c h a f t . Die Bruchteilsgemeinschaft kann aus verschiedenen Gründen entstehen. Im Vordergrund stehen die g e s e t z l i c h e n E n t s t e h u n g s t a t b e s t ä n d e , wie die Verbindung und Vermischung (§§ 947, 948), der Erwerb von Früchten aus einer gemeinschaftlichen Sache (§§953ff), der Schatzfund (§984), letztwillige Verfügungen (§§ 2087 fr, 2157), dazu kommen weitere V o r f ä l l e t a t s ä c h l i c h e r A r t , wie etwa die gemeinsame Erfindung ( R G 118, 46), die gemeinsame Herstellung eines urheberrechtlich geschützten Werkes, das Sammellager (§419 HGB), die Sammelverwahrung (§ 5 DepG), die Sammelladung beim Schiffstransport ( R G SeuffArch. 62 Nr. 66). Auch kann es zu einer Bruchteilsgemeinschaft kommen, wenn gleichartige Ladungsteile nachträglich zu einer ununterscheidbaren Menge vermischt werden (OLG Hamburg SeuffArch. 70 Nr. 130). Allen diesen Entstehungstatbeständen ist es gemeinsam, daß hierbei die Bruchteilsgemeinschaft ohne, j a womöglich gegen den Willen der Beteiligten entsteht. Ihre Entstehung ist lediglich die Folge eines tatsächlichen Vorfalls. Diese im Vordergrund stehenden Entstehungstatbestände einer Bruchteilsgemeinschaft lassen erkennen, daß die Teilhaber der Gemeinschaft durch keine weiteren Interessen als die Gemeinschaftlichkeit des Rechts aneinander gebunden sind und daß namentlich die Aufrechterhaltung der Gemeinschaft nicht durch ein gemeinschaftliches Interesse der Beteiligten gefordert wird. Die Tatbestände der — vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen •— ungewollt oder zufällig entstandenen Bruchteilsgemeinschaft (communio incidens) sind für die rechtliche Beurteilung dieser Gemeinschaft typisch. Sie machen auch deutlich, warum im Schrifttum die Gemeinschaftlichkeit des Rechts „eher als ein notwendiges Übel, denn als ein erwünschter Zustand" bezeichnet wird ( H a u p t / R e i n h a r d t Gesellschaftsrecht 4. Aufl. 1952 S. 8). Früher wurden zu den tatsächlichen Entstehungsgründen für die Bruchteilsgemeinschaft auch noch die Fälle gerechnet, in denen es infolge der Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages nicht zu dem beabsichtigten, rechtlich voll wirksamen Gesellschaftsverhältnis gekommen war, obwohl in der Zwischenzeit die Gesellschaft ihre Geschäfte aufgenommen hatte (vgl. die Nachweise bei H u e c k Das Recht der offenen Handelsgesellschaft 2. Aufl. S. 50). Diese Auffassung ist jetzt nach Anerkennung der faktischen Gesellschaft (vgl. dazu § 705 Anm. 28 ff) überholt. 854
Gemeinschaft
§741 A n m . 4—6
Anm. 4 Neben den Entstehungstatbeständen tatsächlicher Art kommen auch noch einige wenige E n t s t e h u n g s t a t b e s t ä n d e r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e r A r t in Betracht. Das ist z. B. der Fall, wenn ein Gegenstand von mehreren Personen gemeinschaftlich zu Bruchteilen erworben wird. Bei einem solchen Erwerb kann jedoch im Einzelfall die Abgrenzung zur Gesellschaft (dazu Anm. 5, 6) Schwierigkeiten bereiten. Erfolgt nämlich der gemeinschaftliche Erwerb zu einem gemeinschaftlichen Zweck, der über den Erwerbsakt hinausreicht, dann handelt es sich nicht um eine Bruchteilsgemeinschaft, sondern insoweit um eine Zweckgemeinschaft, die als Gesellschaft anzusehen ist. Beim gemeinschaftlichen Erwerb von Grundstücken können in dieser Hinsicht jedoch keine Zweifel auftauchen. Sind die Teilhaber nach § 47 G B O als Miteigentümer zu ideellen Anteilen eingetragen, dann ist diese Eintragung maßgeblich; denn auch bei einer bestehenden Gesellschaft können die dem Gesellschaftszweck dienenden Grundstücke i m Bruchteilseigentum der Gesellschafter stehen (Anm. 6; für den umgekehrten Fall vgl. R G SeuffArch. 88 Nr. 8).
Anm. 5 4. D i e A b g r e n z u n g z u r G e s e l l s c h a f t . Die Gesellschaft (Gesamthandsgemeinschaft) ist eine Zweckgemeinschaft auf vertraglicher Grundlage, bei der sich mehrere Personen zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks verpflichten. Das Gemeinschaftselement besteht also hier in einem Zusammenwirken der Gesellschafter zur Erreichung dieses Zwecks. Dabei ist es nicht notwendig, daß den Gesellschaftern ein gemeinschaftliches Recht zusteht, da es auch Gesellschaften ohne Gesellschaftsvermögen gibt (Anm. 5 vor § 705). Ist jedoch bei einer Gesellschaft ein gemeinsames Vermögen vorhanden, so ist es gesamthänderisch als Sondervermögen gebunden und dient ebenfalls zur Förderung des gemeinsamen Zwecks. Dem einzelnen Gesellschafter steht kein eigenes Recht an den einzelnen Gegenständen des Gesellschaftsvermögens zu; er hat lediglich einen Anteil am Gesellschaftsvermögen, über den er grundsätzlich nicht frei verfügen kann. Der Unterschied zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft besteht darin, daß jene eine Zweckgemeinschaft, diese dagegen eine Gemeinschaft ohne einen gemeinsamen Zweck ist. Die Bruchteilsgemeinschaft ist eine tote Gemeinschaft, die sich in der Gemeinschaftlichkeit des Rechts erschöpft, die Gesellschaft eine lebendige Gemeinschaft, die durch das Zusammenwirken der Gesellschafter zur Förderung des gemeinsamen Zwecks gekennzeichnet ist. In diesem Sinn ist die Bruchteilsgemeinschaft statisch, die Gesellschaft dynamisch. Bei der Gemeinschaft ist es freilich nicht ausgeschlossen, daß die Teilhaber zur Regelung der gemeinsamen Verwaltung vertragliche Vereinbarungen treffen (Anm. 2). Solche Vereinbarungen allein begründen noch keine Zweckgemeinschaft, sind nicht Inhalt eines gesellschaftlichen Zusammenschlusses ( B G H 17. 10. 1955 I I Z R 269/53). Für eine Gesellschaft muß immer die Verpflichtung zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks hinzukommen. Daher führt auch der rechtsgeschäftliche Erwerb einer Sache durch mehrere Personen allein noch nicht zur Begründung einer Gesellschaft; es müssen besondere Vereinbarungen getroffen werden, aus denen sich die Verpflichtung zur Förderung des gemeinsamen Zwecks ergibt. So handelt es sich in der Regel um eine reine Bruchteilsgemeinschaft, wenn Eheleute einzelne Vermögensgegenstände gemeinsam erwerben ( R G Gruchot 63, 6 1 4 ; vgl. auch R G 67, 396; 124, 3 2 7 ) ; das gilt selbst dann, wenn in einem solchen Fall die Eheleute nach § 47 G B O als Gesamthandseigentümer ins Grundbuch eingetragen werden ( R G SeuffArch. 88 Nr. 8).
Anm. 6 Die Gemeinschaftsformen der Gesellschaft und der Bruchteilsgemeinschaft
können auch so m i t e i n a n d e r v e r q u i c k t sein, daß den Gesellschaftern bestimmte Vermögensgegenstände zu Bruchteilseigentum zustehen. Das kommt in der Praxis bei Grundstücken vor, wenn diese etwa zur Ersparung der Grunderwerbssteuer nicht in das Gesamthandseigentum der Gesellschafter überführt werden. Das ist bei Gesellschaften, deren Bestand auf eine längere Zeit vorgesehen ist (Personalhandelsgesellschaften), mitunter gefährlich, weil die dinglichen Vorschriften über die Bruchteilsgemeinschaft nicht durch Vertragsvereinbarungen abgeändert werden können, jedem
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§ 741
Anm. 7, 8
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Teilhaber das Recht zur freien Verfügung über seinen Anteil trotz schuldrechtlicher Bindungen verbleibt (§ 747 Anm. 1). Auch können die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze über die Anwachsung und Abwachsung bei einem Wechsel im Mitgliederbestand (§ 736 Anm. 4; § 738 Anm. 2) nicht zur Anwendung kommen (vgl. dazu Rob. F i s c h e r N J W 1957, 894). Die Bruchteilsgemeinschaft an einem Grundstück wird nicht dadurch beseitigt oder aufgehoben, daß das gemeinschaftliche Grundstück einer zwischen den Teilhabern bestehenden Gesellschaft dienstbar gemacht wird; denn das gemeinschaftliche Grundstück wird dadurch nicht Gesamthandsvermögen, hierzu ist vielmehr Auflassung und eine entsprechende Eintragung (§ 47 GBO) notwendig.
Anm. 7 5. D e r G e g e n s t a n d d e s g e m e i n s c h a f t l i c h e n R e c h t s . Das wichtigste Recht, an dem eine Bruchteilsgemeinschaft bestehen kann, ist das Eigentum. Dabei gibt das BGB für das Miteigentum an Grundstücken in den §§ 1008—1011 noch besondere Bestimmungen über die dingliche Rechtsstellung des Miteigentümers. Neben dem Eigentum kommen die weiteren dinglichen Rechte des BGB, namentlich der Nießbrauch (RG J W 1936, 2747; SeufTArch. 91 Nr. 148) und das Pfandrecht, etwa die gemeinschaftliche Eigentümergrundschuld der Miteigentümer eines Grundstücks (RG J W 1938, 3236), die Eigentümergesamthypothek im Fall des § 1 1 7 2 (RG WarnRspr. 1939 Nr. 75) in Betracht. Auch am Besitz kann eine Bruchteilsgemeinschaft bestehen (§866; Hamburg O L G 43, 208). Ferner ist an den Urheber- und Erfinderrechten eine Bruchteilsgemeinschaft denkbar; für das Urheberrecht vgl. § 6 LitUrhG; R G S t 48, 330; § 8 KunstUrhG; für das Patentrecht vgl. § 3 PatG; R G 118, 46; G R U R 1938, 256; 1940, 340; für das Gebrauchsmusterrecht vgl. R G 1 1 7 , 49. Bei der gemeinschaftlichen Herstellung und Verwertung von Urheber- und Erfinderrechten kommen vielfach auch gesellschaftliche Zusammenschlüsse in Betracht; entscheidend ist insoweit, ob vertragliche Verpflichtungen zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks vorliegen (vgl. R G G R U R 1940, 340). U m eine Erfindergemeinschaft kann es sich auch dann handeln, wenn mehrere Erfinder die Erfindung unabhängig voneinander gemacht haben und ihre Erfinderleistungen in gemeinsamer Uberprüfung und gegenseitiger Billigung zu einer einheitlich geformten, in einer Patentanmeldung niedergelegten Fassung verschmelzen (RG J W 1939, 239). Bruchteilsgemeinschaft an einem Z e i t u n g s u n t e r n e h m e n bejaht R G Gruchot 53, 982; aber das wird praktisch kaum in Betracht kommen, weil die Führung eines gemeinsamen Zeitungsunternehmens zumeist mit der Verpflichtung zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks verbunden ist. Ein Zeitungsunternehmen ist wie auch sonstige gewerbliche Unternehmen kein toter Gegenstand; er erfordert eine entsprechende Tätigkeit, so daß die Träger eines solchen Unternehmens in der Regel zu einer Zweckgemeinschaft verbunden sind.
Anm. 8 Zweifelhaft ist es, ob und inwieweit eine B r u c h t e i l s g e m e i n s c h a f t a n s c h u l d r e c h t l i c h e n A n s p r ü c h e n bestehen kann. Angesichts der Vorschrift des § 420 wird das im allgemeinen nicht in Betracht kommen, wenn Gegenstand der Forderung eine teilbare Leistung ist. In diesem Fall wird nach der Auslegungsvorschrift des § 420 das gemeinsame Recht geteilt, so daß von einer Rechtsgemeinschaft im Sinne der §§ 741 ff. nicht gesprochen werden kann (dazu Anm. 2). Das schließt aber nicht aus, daß im Einzelfall auch an einer solchen Forderung eine Bruchteilsgemeinschaft bestehen kann (vgl. auch § 754). Das ist namentlich bei Mietforderungen für ein von den Miteigentümer vermietetes Haus zu bejahen, weil hier der Grundsatz der gemeinsamen Verwaltung (§§744/45) die Auslegungsvorschrift des §420 ausschließt (RG 89, 177; D R 1940, 2169; B G H NJW 1958, 1723; § 743 Anm. 2). Das gleiche wird für eine Schadensersatzforderung anzunehmen sein, die mehreren Miteigentümern wegen Beschädigung ihrer Sache zusteht (RG L Z 1916, 326). Anders dagegen bei einem Schadensersatzanspruch wegen Zerstörung der gemeinsamen Sache, weil dieser tatsächliche Vorgang das Ende der Bruchteilsgemeinschaft herbeiführt und damit der entscheidende Grundgedanke für den Ausschluß des § 420 entfällt. In R G 143, 382 wird eine Gemeinschaft zwischen Bauwerft und auftraggebender Reederei an der Durchführung einer Schlepp-
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Gemeinschaft
§ 74t
Anm. 9—12 hilfe bejaht, wenn während der Probefahrt des neugebauten Schiffes eine solche notwendig wird; das ist nicht unbedenklich, zumal es in dieser Entscheidung einer solchen Annahme überhaupt nicht bedurfte. — Eine Sonderregelung gibt § 43 a, wenn Gegenstand der Forderung eine unteilbare Leistung ist.
Anm. 9 Eine Bruchteilsgemeinschaft an einer gesellschaftlichen Beteiligung ist
grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Für das Aktienrecht gibt § 63 AktG eine Sonderregelung (Haftung der Teilhaber als Gesamtschuldner!), ebenso für das GmbH-Recht § 18 G m b H G (RG 135, 74). Anders ist es aber bei Personalgesellschaften. Eine Beteiligung an einer offenen Handelsgesellschaft kann nicht mehreren Personen in Form einer Bruchteilsgemeinschaft zustehen. Es kann nur jeder Teilhaber selbst unmittelbar Gesellschafter sein; das gilt auch für die Kommanditgesellschaft. Nicht klar in dieser Hinsicht R G 169, 235, das eine Bruchteilsgemeinschaft an einer Kartellquote bejaht, sich aber nicht mit der Frage befaßt, in welcher rechtlichen Beziehung die Kartellquote zu der gesellschaftlichen Beteiligung steht (bei dem Kartell handelte es sich u m eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft). Keine G e m e i n s c h a f t , also kein Miteigentum besteht an einem Gebäude, das von einer das Grundeigentum teilenden Grenzlinie durchschnitten wird; hier besteht Alleineigentum an dem jeweiligen Gebäudeteil (RG 70, 201; J W 1911, 211).
Anm. 10 6. Z w i n g e n d e r Charakter der V o r s c h r i f t e n der § § 741 ff? Die Vorschriften der §§ 741frsind einerseits dinglicher, andererseits schuldrechtlicher Art (Anm. 1 a.E.). Die Vorschriften schuldrechtlicher Art, die namentlich die gemeinsame Verwaltung und die Durchführung der Auseinandersetzung regeln, können grundsätzlich durch vertragliche Vereinbarungen ergänzt und geändert werden. In dieser Hinsicht sind nur die allgemeinen Vorschriften der §§ 134, 138 zu beachten; deshalb kann der Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft nicht ausgeschlossen werden, wenn es sich u m die Aufhebung aus wichtigem Grund handelt (§ 749 Abs. 2, 3). Die Vorschriften dinglicher Art sind dagegen nicht abänderbar. Das gilt namentlich für das Recht eines jeden Teilhabers, über seinen Anteil frei zu verfügen. In dieser Hinsicht gilt § 137 (vgl. dazu § 747 Anm. 1). Namentlich kann nicht über die Tatbestände der gesetzlich geregelten Gesamthandsgemeinschaft hinaus durch Vereinbarung zwischen den Teilhabern festgelegt werden, d a ß das gemeinschaftliche Recht ihnen zur gesamten H a n d zustehen soll (RG SeuffArch. 88 Nr. 8). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Sondervorschriften der §§921 ff, 1008—1011 und die Erläuterungen dazu.
Anm. 11 7. D e r A n w e n d u n g s b e r e i c h der § § 741 ff. Die Bedeutung dieser Vorschriften erschöpft sich nicht nur auf die Anwendung bei der Bruchteilsgemeinschaft. Noch bedeutungsvoller ist es, d a ß auf diese Vorschriften für eine große Anzahl weiterer Gemeinschaftsverhältnisse ergänzend verwiesen wird. Für das Gemeinschaftsverhältnis, an Grenzeinrichtungen usw. enthalten die §§ 921 ff eine Sonderregelung, die im übrigen durch die Vorschriften über die Gemeinschaft ergänzt wird. Das Miteigentum hat in den §§ 1008—1011 eine besondere Regelung erfahren, ohne daß damit im übrigen die Anwendung der §§ 741 ff ausgeschlossen ist. Weitere Verweisungen auf das Recht der Gemeinschaft enthalten die §§ 731 Satz 2, 1477 Abs. 1, 1498, 1546 Abs. 2, 2038 Abs. 2,
2044 Abs. 1.
Nicht geregelt ist der Fall, in dem wegen des gemeinschaftlichen Gegenstandes verschiedener Rechte eine tatsächliche Gemeinschaft besteht (z. B. Eigentum an dem ganzen Grundstück, Nießbrauch eines anderen an einem Bruchteil des Grundstücks; vgl. dazu R G J W 1936, 2747; vgl. auch Prot. 2, 744; §§ 1066, 1024, 1060).
Anm. 12 8. D a s Schuldverhältnis z w i s c h e n den Teilhabern. Allein die Tatsache der Gemeinschaft begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Teilhabern.
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§ 742
§ 743 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Ihr Inhalt unterliegt den Grundsätzen von Treu und Glauben. Die aus diesem"Schuldverhältnis entspringenden Forderungen können vor, bei oder auch nach der Teilung geltend gemacht werden. Für den Umfang der Sorgfaltspflicht gilt § 276, nicht § 708. Ein Vorkaufsrecht ist den Teilhabern nicht eingeräumt worden. Damit ist jedoch ein rechtsgeschäftliches Vorkaufsrecht nicht ausgeschlossen, wie überhaupt die schuldrechtlichen Verpflichtungen grundsätzlich durch Vertrag ergänzt und abgeändert werden können (Anm. 10). § 7 4 3 I m Zweifel ist anzunehmen, daß den Teilhabern gleiche Anteile zustehen. E I 764 H 678; M 8 87j; P 8 746.
Anm. 1 Die Gleichheit der Anteile gilt nur als Auslegungsregel bei Unklarheit des Parteiwillens oder — für die communio incidens (§741 Anm. 3 — als widerlegbare gesetzliche Vermutung (RG 169, 239). Das Anteilsverhältnis ist nach Billigkeit zu schätzen, wenn infolge besonderer Umstände die Vorschrift des § 742 der Sachlage nicht gerecht wird (RG aaO). Bei der Eintragung einer Bruchteilsgemeinschaft im Grundbuch sind die Bruchteile nach § 47 GBO ziffernmäßig anzugeben. Der Grundbuchrichter darf die Vorschrift des § 742 nicht zur Grundlage seiner Eintragung machen (RG SeuffArch. 57 Nr. 149); ihm muß der notwendige urkundliche Nachweis oder die Einwilligung der Teilhaber über das Anteilsverhältnis beigebracht werden (RG 54, 86). Der Nachweis einer ungleichmäßigen Verteilung der Nutzungen und Lasten enthält noch nicht ohne weiteres den Nachweis ungleicher Anteile und die Widerlegung der Regel des § 742; denn eine von den Vorschriften der §§ 743, 748 abweichende Regelung der Nutzungs- und Lastenverteilung durch Verträge ist nach dem Gesetz nicht ausgeschlossen (RG 11. 12. 1907 V 199/07). Anm. 2 In einzelnen Fällen findet die Auslegungsregel des § 742 keine Anwendung. So bestimmen sich im Falle der Vermischung oder Vermengung die Anteile allein nach §948 (RG 112, 103; BGH L M Nr. 1 zu § 82 KO; Str.; vgl. W o l f f - R a i s e r , Sachenrecht § 72 Anm. 13). Bei der Eigentümergesamthypothek gilt für das Anteilverhältnis § 1 1 7 2 Abs. 2. Beim Miteigentum an den zum Sammelbestand gehörenden Wertpapiere ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 DepG für die Bestimmung des Bruchteils der Wertpapiernennbetrag oder die Stückzahl maßgebend. Für die Reallastenberechtigung vgl. §1109. § 7 4 3 Jedem Teilhaber gebührt ein seinem Anteil entsprechender Bruchteil der Früchte. Jeder Teilhaber ist z u m Gebrauche des gemeinschaftlichen Gegenstandes insoweit befugt, als nicht der Mitgebrauch der übrigen Teilhaber beeinträchtigt wird. E I 765 Abs. 2 n 679; M 8 877; P 8 743—747-
Anm. 1 1. Der Anspruch auf die natürlichen Früchte. Jedem Teilhaber steht ein Anspruch auf einen seinem Anteil entsprechenden Bruchteil der natürlichen Früchte gegen die übrigen Teilhaber zu. Das bedeutet jedoch nicht, daß jeder Teilhaber das Recht habe, den auf ihn entfallenden Teil der natürlichen Früchte selbst zu ernten. Die Ernte ist Verwaltung des gemeinsamen Gegenstandes (§§ 744/45), die Teilung der geernteten Früchte erfolgt gemäß §§ 752 ff, wobei jeder auch einen Anteil an den Fruchtziehungskosten zu tragen hat (§§ 748, 756). Der Erwerb der natürlichen Früchte
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Gemeinschaft
§743 A n m . 2, 3
vollzieht sich nach §§ 953 wobei alle Teilhaber zunächst Miteigentum erwerben. Über die Früchte eines Grenzbaums vgl. § 923 Abs. 1. Der Anspruch auf die natürlichen Früchte ist ein selbständiges, individuelles Recht eines jeden Teilhabers. Es kann ohne seine Zustimmung nicht beeinträchtigt werden (§ 745 Abs. 3 Satz 2; vgl. dazu §§ 744—746 Anm. 8; RG WarnRspr. 1927 Nr. 114). Anm. 2 2. Der A n s p r u c h auf die bürgerlichen Früchte. Für ihn gilt zunächst das gleiche wie für den Anspruch auf die natürlichen Früchte. Wie es sich mit der E i n z i e h u n g d e r b ü r g e r l i c h e n F r ü c h t e verhält, bestimmt sich nach dem maßgebenden Rechtsverhältnisse. Bei der V e r m i e t u n g e i n e s g e m e i n s c h a f t l i c h e n G e g e n s t a n d e s ist zu unterscheiden. Vermietet ein Teilhaber, die Zustimmung der anderen vorausgesetzt, den Gegenstand der Gemeinschaft im eigenen Namen, dann ist er auch zur Einziehung des Mietzinses berechtigt und hat nur nach der Einhebung mit den anderen Teilung zu halten. Vermieten die Teilhaber gemeinschaftlich, so ist regelmäßig anzunehmen, daß der Mietzins ihnen gemeinsam zusteht und auch nur von ihnen gemeinsam eingezogen werden kann. Die Einziehung des Mietzinses und seine Verwendung zur Deckung von Lasten und Kosten bilden, namentlich bei Mietgrundstücken, den Gegenstand der gemeinschaftlichen Verwaltung (§ 744 Abs. 1), und nur auf das Ergebnis dieser Verwaltung, nicht auf die einzelnen Einnahmen, hat jeder Teilhaber anteilsmäßigen Anspruch. Für eine Teilung der Mietzinsforderungen im Sinne des §420 ist hier kein R a u m (§ 741 Anm. 8). § 743 Abs. 1 steht nicht entgegen. Als Früchte, von denen dem Teilhaber ein seinem Anteil entsprechender Bruchteil gebührt, sind in solchem Falle die Mietzinsen nur in ihrem Reinertrag nach Deckung der Lasten und Kosten zu verstehen. Daraus folgt ferner, daß der einzelne Teilhaber nicht berechtigt ist, über die Mietzinsforderungen, insbesondere durch Abtretung, zu verfügen, und daß auch seine Gläubiger sie nicht (auch nicht anteilig) pfänden können. Der Gläubiger eines Teilhabers kann lediglich auf dessen Anspruch gegen die übrigen Teilhaber auf anteilsmäßige Beteiligung am Reinertrag Zugriff nehmen (RG 89, 176; D R 1940, 2169). Der Reinertrag muß in jedem Falle an den Teilhaber anteilsmäßig ausgekehrt werden. Zur Bildung eines Reservefonds darf er grundsätzlich nicht zurückgehalten werden; darin würde eine unzulässige Beeinträchtigung des Rechts des einzelnen Teilhabers liegen (RG WarnRspr. i927Nr. 114). Zu den Früchten eines gemeinsamen Patentrechts gehören auch die Lizenzgebühren (RG J W 1937, 285). — Der R e c h t s e r w e r b an Früchten bestimmt sich nach allgemeinen Grundsätzen; maßgeblich ist insoweit das zugrundeliegende Rechtsverhältnis. Anm. 3 3. Der A n s p r u c h auf eigenen Gebrauch. Abs. 2 gibt jedem Teilhaber ein Recht zum Gebrauch des gemeinsamen Gegenstandes. Für die Art des Gebrauchs kommt es auf die Vereinbarung, auf eine Regelung durch Mehrheitsbeschluß (§ 745 Abs. 1) oder durch gerichtliche Entscheidung (§ 745 Abs. 2) an. Abs. 2 regelt nur das Maß, nicht aber die Art der Benutzung (Hamburg SeuffArch. 57 Nr. 34). Durch Abs. 2 wird nicht eine Verwaltungsregelung ausgeschlossen, durch die einem Teilhaber die Benutzung des ganzen Gegenstandes überlassen und er zu einer entsprechenden Abfindung an die anderen Teilhaber verpflichtet wird (§§ 744/46 Anm. 8). Der einzelne Teilhaber kann in einem solchen Fall als Mieter die gemeinschaftliche Sache (Hausgrundstück) benutzen (vgl. B G H 17. 10. 1955 II ZR 269/53). Der Gebrauch des gemeinschaftlichen Rechts durch den einen Teilhaber darf nicht das gleichartige Recht der anderen Teilhaber beeinträchtigen. Hierbei sind die Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten. Eine jeweils nur kurze, vorübergehende Hinderung der übrigen Teilhaber stellt noch keine unzulässige Beschränkung ihres Mitgebrauchs dar (Celle SeuffArch. 62 Nr. 207). In keinem Fall ist der eine Teilhaber an der Ausübung seines Gebrauchsrechts gehindert, wenn der andere das ihm ebenfalls zustehende Gebrauchsrecht nicht ausübt; daher ist in einem solchen Fall der eine Teilhaber durch seinen Gebrauch auch nicht grundlos bereichert (Karlsruhe O L G 34, 71). Früher beobachtete Einschränkungen der Benutzung stehen der Befriedigung neuer Bedürfnisse nicht entgegen, sofern diese innerhalb 56
Komm. 2. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Fischer)
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§§ 744—746
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
des Nutzungskreises n u n m e h r auftreten (Celle SeufFArch. 62 N r . 207). W e n n ein T e i l h a b e r den M i t g e b r a u c h eines anderen hindert oder beeinträchtigt, so kann für die übrigen ein A n s p r u c h a u f Schadensersatz oder Unterlassung entstehen.
§ 7 4 4
Die Verwaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes steht den Teilhabern gemeinschaftlich zu. Jeder Teilhaber ist berechtigt, die zur Erhaltung des Gegenstandes notwendigen Maßregeln ohne Zustimmung der anderen Teilhaber zu treffen; er kann verlangen, daß diese ihre Einwilligung zu einer solchen Maßregel i m voraus erteilen. E I 765 Abs. 1, 766 Satz 3 II 680; M 2 875; P 2 7468.
§ 7 4 5
Durch Stimmenmehrheit kann eine der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Gegenstandes entsprechende ordnungsmäßige Verwaltung und B e nutzung beschlossen werden. Die Stimmenmehrheit ist nach der Größe der Anteile zu berechnen. J e d e r Teilhaber kann, sofern nicht die Verwaltung und Benutzung durch Vereinbarung oder durch Mehrheitsbeschluß geregelt ist, eine dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und B e nutzung verlangen. Eine wesentliche Veränderung des Gegenstandes kann nicht beschlossen oder verlangt werden. Das Recht des einzelnen Teilhabers auf einen seinem Anteil entsprechenden Bruchteil der Nutzungen kann nicht ohne seine Zustimmimg beeinträchtigt werden. E I 765 Abs. 3, 772 Abs. 1 II 681; M 2 876; P 2 743. 747.
§ 7 4 6
Haben die Teilhaber die Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Gegenstandes geregelt, so wirkt die getroffene Bestimmung auch für und gegen die Sondernachfolger. E n 682; p » 752—755.
Ubersicht Anm.
1. Uberblick über die Regelung der §§ 744/46 2. Die gemeinschaftliche V e r w a l t u n g d u r c h alle Teilhaber 3. Die Verwaltungsregelung d u r c h Mehrheitsbeschluß a) Die o r d n u n g s g e m ä ß e V e r w a l t u n g und Benutzung b) K e i n e Beeinträchtigung des Nutzungsrechts der Teilhaber c) D e r Mehrheitsbeschluß d) Die W i r k u n g des Mehrheitsbeschlusses e) Z u r entsprechenden A n w e n d u n g des § 745 Abs. 1 4. Die Verwaltungsregelung d u r c h Herbeiführung einer gerichtlichen E n t scheidung 5. Das R e c h t a u f V o r n a h m e von E r h a l t u n g s m a ß n a h m e n 6. Die Wirkung einer Verwaltungsregelung gegen Sondernachfolger . . . .
860
1 2, 3 4—11 5— 7 8 9 10 11 12 13—15 16
Gemeinschaft
§746
Anm. 1—3
Anm. 1 1. Ü b e r b l i c k ü b e r die R e g e l u n g d e r § § 7 4 4 / 4 6 . Die §§ 744/46 enthalten die gesetzliche Verwaltungsordnung für gemeinschaftliche Gegenstände. Diese Regelung versucht der besonderen Interessenlage in der Gemeinschaft, bei der eine besondere Zweckgemeinschaft zwischen den einzelnen Teilhabern nicht vorliegt (§ 741 Anm. 5), in der Weise gerecht zu werden, daß sie eine sinnvolle Verwaltung gewährleistet und die erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes ermöglicht. Die Regelung bezieht sich auf das Verhältnis zwischen den Teilhabern. I m einzelnen ist die Regelung nicht ganz übersichtlich, zumal sie in den einzelnen Bestimmungen verschiedene Begriffe von Verwaltungsmaßnahmen enthält. V o n dem Grundsatz des § 744 Abs. 1, wonach die Verwaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes den Teilhabern gemeinschaftlich zusteht, enthält § 745 praktisch wesentliche Ausnahmen. Danach kann im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung die Mehrheit über die Verwaltung und Benutzung beschließen (§745 Abs. 1 ) ; diese Befugnis erleidet eine Einschränkung dahin, daß durch Mehrheitsbeschluß nicht eine wesentliche Veränderung des Gegenstandes beschlossen und des weiteren auch nicht das Recht des einzelnen Teilhabers auf die Nutzungen beeinträchtigt werden kann (§ 745 Abs. 3). Daneben besteht für jeden Teilhaber die weitere Möglichkeit, durch eine gerichtliche Entscheidung eine Bestimmung über die Verwaltung und Benutzung herbeizuführen, allerdings nur dann, wenn keine Vereinbarung und kein Mehrheitsbeschluß über die Verwaltung und Benutzung vorliegt (§ 745 Abs. 2). Für besondere Maßnahmen der Verwaltung, die nach den §§ 744 Abs. 1 , 745 Abs. 1 im allgemeinen der Gemeinschaftssphäre zugewiesen werden, gibt § 744 Abs. 2 jedem Teilhaber ein individuelles Recht. E r kann allein die zur Erhaltung des Gegenstandes notwendigen Maßnahmen treffen. Neben diesen Bestimmungen, die die eigentliche Verwaltungsordnung enthalten, tritt § 746. Hier wird bestimmt, daß eine Regelung über die Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Gegenstandes auch gegenüber Sondernachfolgern wirkt.
Anm.f2j 2. Die gemeinschaftliche Verwaltung durch alle Teilhaber (§ 744 Abs. 1).
Die Teilhaber können durch einstimmigen Beschluß eine Vereinbarung über die Verwaltung und die Benutzung treffen. Dabei fällt unter die Verwaltung alles, was zu einer Geschäftsführung im Interesse der Teilhaber gehört, auch z. B. eine wesentliche Veränderung des gemeinschaftlichen Gegenstandes. D a bei einem solchen einstimmigen Beschluß Interessen widerstreitender Teilhaber nicht berührt werden können, ist hier der Begriff der Verwaltungsmaßnahmen weit zu fassen. Namentlich gehören hierher Vereinbarungen, durch die einem Teilhaber die alleinige Verwaltung zum gemeinschaftlichen Besten übertragen wird ( B G H 17. 10. 1955 I I Z R 269/53). Eine solche Vereinbarung hat im Regelfall auch Wirkung nach außen, weil in ihr zugleich die Erteilung einer Vollmacht zum Handeln im Namen der übrigen Teilhaber zu erblicken ist. Der so bestellte Verwalter-Teilhaber kann daher im eigenen Namen und im Namen der übrigen Teilhaber Verträge über den gemeinschaftlichen Gegenstand abschließen, wie etwa Miet-, Pacht-, Dienst- oder Werkverträge. Der Begriff der Verwaltung schließt des weiteren auch Verfügungen nicht schlechthin aus ( R G D R 1944, 5 7 2 ) ; insoweit kommt es auf die jeweilige Beurteilung des Einzelfalls an. Durch einstimmigen Beschluß können auch Verwaltungsmaßnahmen getroffen werden, die in individuelle Rechte einzelner Teilhaber, wie etwa in ihr Recht auf Teilhabe an den Nutzungen eingreifen. Die Verwaltungsregelung kann organisatorisch korporationsähnlichen Charakter annehmen, so daß dann die Anwendung vereinsrechtlicher Grundsätze gerechtfertigt ist (vgl. BGH 25, 3 1 1 ) .
Anm. 3 Ein einstimmiger Beschluß über die Verwaltung des Gegenstandes bindet im Regelfall die Teilhaber in der Weise, daß sie ihn nicht später durch Mehrheitsbeschluß (§ 745 Abs. 1) umstoßen können. Dagegen wird man b e i v e r ä n d e r t e r S a c h l a g e jedem Teilhaber nicht das Recht versagen können, eine a n d e r w e i t e R e g e l u n g der V e r 56*
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§ 746 Anm. 4—7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
waltung durch eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen (Anm. 12). Hierzu gehört auch das Recht, bei wichtigem Grund den Widerruf der gemeinsamen Bestellung eines Verwalters durch gerichtliche Entscheidung zu erwirken (offen gelassen in BGH 17. 10. 1955 II Z R 269/53). Die entgegengesetzte, wohl in RG 160, 128 vertretene Meinung, daß in einem solchen Falle der einzelne Teilhaber nur das Recht der Aufhebung der Gemeinschaft (§ 749) habe, wird der Sachlage nicht immer gerecht. Anm. 4 3. Die Verwaltungsregelung durch Mehrheitsbeschluß (§ 745 Abs. 1). Sie ist nur möglich, soweit nicht vorher ein einstimmiger Beschluß der Teilhaber gefaßt ist (Anm. 3). Darüber hinaus unterliegt sie im Vergleich zu der Verwaltungsregelung durch einstimmigen Beschluß wesentlichen sachlichen Einschränkungen. Anm. 5 a) Die ordnungsgemäße Verwaltung und Benutzung. Durch Mehrheitsbeschluß kann nur eine ordnungsgemäße Verwaltung und Benutzung beschlossen werden Dazu gehört alles, was bei objektiver Beurteilung unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse jemanden, dem ein solcher Gegenstand allein zusteht, zu Maßnahmen veranlassen würde (KG O L G 30, 184). Daher beschränkt sich eine ordnungsgemäße Verwaltung nicht auf notwendige Verwaltungsmaßnahmen; der Begriff der ordnungsgemäßen Verwaltung darf namentlich nicht mit den zur Erhaltung des Gegenstandes notwendigen Maßregeln (§ 744 Abs. 2) gleichgesetzt werden ( K G aaO). Als solche Verwaltungsmaßnahmen kommen in Betracht Vermietung, Verpachtung, Überlassung der Verwaltung an einen Teilhaber, Einsetzung eines Dritten als Verwalter mit bestimmten Befugnissen, Veränderung der Bewirtschaftungsart eines landwirtschaftlichen Grundstücks, ohne daß die wirtschaftliche Zweckbestimmung geändert wird; des weiteren auch die Kündigung eines Pachtvertrages über eine landwirtschaftliche Besitzung (BGH L M Nr. 1 zu § 2038). Anm. 6 Der Sache nach erfährt der Begriff der ordnungsgemäßen Verwaltung durch § 745 Abs. 3 ein Einschränkung. Danach darf eine wesentliche Veränderung des Gegenstandes durch Mehrheitsbeschluß nicht beschlossen werden. Eine solche wesentliche Veränderung des Gegenstandes liegt vor, wenn die Zweckbestimmung oder die Gestalt des gemeinschaftlichen Gegenstandes in einschneidender Weise verändert wird, worunter auch verhältnismäßig kostspielige Anlagen zu rechnen sind (BGH L M Nr. 2 zu ( 745), z. B. die Selbständigmachung eines Teils des gemeinschaftlichen Grundstücks (RG SeuffArch. 81 Nr. 145), der Umbau eines gemeinschaftlichen Fabrikgebäudes in ein Wohnhaus und umgekehrt, nicht schon der erweiternde Umbau des Daches ( K G O L G 30, 184), im Regelfall auch der Wiederaufbau eines kriegszerstörten Grundstücks (BGH BB 1954, 913), weil durch ihn ein neuer wirtschaftlicher Wert geschaffen wird, anders bei der Errichtung eines Behelfsheims mit kurzer Lebensdauer (BGH L M Nr. 2 zu § 745) oder beim Wiederaufbau eines abgebrannten Gebäudes mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Brandversicherungssumme (Stuttgart O L G 8, 82). Die Verwaltungsregelung durch Mehrheitsbeschluß muß den Grundsätzen von Treu und Glauben entsprechen. Sie darf namentlich nicht die berechtigten Interessen der Minderheit verletzen (RG J W 1912, 193). Bloße Unzweckmäßigkeit braucht jedoch ihrer Wirksamkeit noch nicht entgegenzustehen. Anm. 7 Zu den Maßnahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung können im Einzelfall auch Verfügungen gehören. Denn die Begriffe der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verfügung schließen einander nicht aus (RG D R 1944, 572). Auch aus § 747 Satz 2 kann nichts Gegenteiliges hergeleitet werden. Denn die Verwaltungsregelung durch Mehrheitsbeschluß hat es nur mit dem Verhältnis der Teilhaber untereinander zu tun (Anm. 10), läßt also die Vorschrift des § 747 Satz 2 unberührt. Welche Verfügungen unter dem Begriff der ordnungsgemäßen Verwaltung fallen, bestimmt sich im Einzelfall 862
Gemeinschaft
§746 Anm. 8—10
nach den in Anm. 5, 6 dargelegten Grundsätzen. Auch die Bestellung eines V e r t r e t e r s , z. B. zur Verwaltung des gemeinschaftlichen Grundstücks, kann in den Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung fallen (offen gelassen von Dresden SeuffArch. 65 Nr. 164-). Nur ist auch hier zu beachten, daß nicht schon der ^lehrheitsbeschluß selbst die Bevollmächtigung des Vertreters durch a l l e Teilhaber enthält (Anm. 10).
Anm. 8 b) Keine Beeinträchtigung des Nutzungsrechts der Teilhaber (§ 745 Abs. 3
S a t z 2). Der dem einzelnen Teilhaber zukommende Bruchteil der Nutzungen (Früchte und Gebrauchsrechte, §§ 100, 743) darf nicht durch Mehrheitsbeschluß entzogen werden. Das Individualrecht des Teilhabers (§ 743 Anm. 1) setzt sich auch da durch, wo seine Beeinträchtigung mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung im Einklang stehen würde ( R G J W 1 9 3 1 , 2722). A u f w e i c h e Weise aber die Nutzung erfolgen soll, ob durch Selbstbewirtschaftung oder durch Fremdbewirtschaftung, unterliegt der zulässigen Beschlußfassung. Die Nutzungsart kann auch durch Mehrheitsbeschluß geändert werden, und wenn das noch im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung liegt, selbst dann, wenn dadurch die Höhe der Nutzungen gemindert wird. Auch kann es zulässig sein, etwa bei einem Hausgrundstück, die Art der Benutzung so zu regeln, daß dem einen Teilhaber die Nutzung der gemeinsamen Sache gegen eine entsprechende Abfindung der anderen überlassen wird. Denn aus § 745 Abs. 3 Satz 2 kann nicht geschlossen werden, daß in einem solchen Falle nur die Wahl zwischen einer Vermietung an Dritte mit Auskehr der Miete an die Teilhaber oder dem eigenen Gebrauch durch die Teilhaber bestände ( B G H L M Nr. 2 zu § 745).
Anm. 9 c ) D e r M e h r h e i t s b e s c h l u ß . Es sind keine Vorschriften darüber gegeben, in welcher Weise der Mehrheitsbeschluß zu fassen ist (anders § 32). E r ist daher — ähnlich wie bei den Personalgesellschaften (dazu R G 163, 392; § 709 Anm. 10) — f o r m l o s gültig. E r kann auch auf schriftlichem Wege gefaßt werden. Die Stimmenmehrheit ist nicht nach der Kopfzahl, sondern nach der Größe der Anteile zu berechnen (§ 745 Abs. 1 Satz 2). Z u fordern ist, daß der Minderheit grundsätzlich das Gehör nicht versagt wird. Die Versagung des Gehörs kann eine Schadensersatzpflicht begründen und auch einen wichtigen Grund im Sinne des § 749 Abs. 2 darstellen (Kiel SeuffArch. 61 Nr. 1 3 1 ; K G O L G 20, 186). Bei zwei Teilhabern mit gleichen Anteilen ist ein Mehrheitsbeschluß nicht möglich ( R G 160, 128); bei zwei Teilhabern mit verschiedenen Anteilen verfügt der eine Teilhaber von vornherein über die Stimmenmehrheit. Der Mehrheitsbeschluß unterliegt der Anfechtung wegen Willensmängel.
Anm. 10 d) Die W i r k u n g des M e h r h e i t s b e s c h l u s s e s . Die Befugnis der Mehrheit, Verwaltungsmaßnahmen durch Mehrheitsbeschluß zu beschließen, äußert nur Wirkung im Verhältnis unter den Gesellschaftern; die Befugnis zum Abschluß von Rechtsgeschäften mit Wirkung gegenüber Dritten wird dadurch nicht begründet (RG D R 1944, 572). Der gesetzmäßig gefaßte Mehrheitsbeschluß hat lediglich zur Folge, daß alle Teilhaber verpflichtet sind, bei den entsprechenden Verwaltungsmaßnahmen mitzuwirken, soweit das gesetzlich erforderlich ist (z. B. im Fall des § 747 Satz 2). Das bedeutet, daß also nach außen alle Teilhaber, auch die überstimmten, handeln müssen (Königsberg SeuffArch. 63 Nr. 89; a M Vorauf!. §745 Anm. 1 ; Kiel SeuffArch. 61 Nr. 1 3 1 ) . I m Weigerungsfalle muß ihre Willenserklärung durch Urteil (§ 894 Z P O ) ersetzt werden. Die gegenteilige Auffassung führt zu einer unannehmbaren Beeinträchtigung der Interessen der Minderheit; denn danach könnte die Mehrheit bei Streit über das Vorliegen eines gesetzmäßig gefaßten Mehrheitsbeschlusses vollendete Tatsachen schaffen (vgl. für den ähnlich liegenden Fall des § 744 Abs. 2 B G H 17, 184 und unten Anm. 1 3 ; bedenklich insoweit B G H L M Nr. 1 zu § 2038, dazu § 747 Anm. 5). Bei unberechtigter Weigerung zur Mitwirkung kann sich der einzelne Teilhaber schadensersatzpflichtig machen.
863
§ 746 A n m . 11—13
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 11 e) Zur entsprechenden Anwendung des § 745 Abs. 1. Die Bestimmung über die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses gilt nach § 2038 Abs. 2 Satz 1 auch für die Verwaltung innerhalb einer Erbengemeinschaft. Dagegen kommt sie bei der Gütergemeinschaft (§ 1472) nicht zum Zuge, weil die Ehegatten bei der Verwaltung des Gesamtgutes gleichberechtigt sind (RG 136, 22). A n m . 12 4. Die Verwaltungsregelung durch Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung (§ 745 Abs. 2). Liegt eine wirksame Verwaltungsregelung durch einstimmigen Beschluß (Anm. 2) oder durch Mehrheitsbeschluß (Anm. 4fr) nicht vor, so kann jeder Teilhaber eine den Interessen aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und Benutzung verlangen (RG J W 1906, 112). Diesen Anspruch kann der einzelne Teilhaber im Wege der Klage durchsetzen. In diesem Fall muß der Antrag der Klage auf eine bestimmte Art der Verwaltung und Benutzung gerichtet werden. Es genügt nicht, anstatt die begehrte Maßregel deutlich zu bezeichnen, im allgemeinen um eine angemessene richterliche Anordnung zu bitten (RG Gruchot 49) 837). Es gelten in dieser Hinsicht die zur Aufstellung einer Abschichtungsbilanz in BGH 26, 28 entwickelten Rechtsgrundsätze entsprechend. Die (Leistungs-)Klage ist gegen jeden widerstreitenden Teilhaber zu richten. Die Möglichkeit einer Widerklage mit einem entsprechenden Gegenvorschlag ist gegeben. Das Urteil ist ein gewöhnliches Leistungsurteil. Mit der Leistungsklage kann eine Feststellungsklage verbunden werden, und zwar dahin, daß ein ergangener Mehrheitsbeschluß mangels der gesetzlichen Voraussetzungen unwirksam sei. — Auch die Verwaltungsregelung nach § 745 Abs. 2 darf nicht zu einer Beeinträchtigung des Nutzungsrechts der einzelnen Teilhaber führen (BGH LM Nr. 2 zu § 745; Anm. 8). Des weiteren kann die Berücksichtigung der Interessen aller Teilhaber eine Regelung ausschließen, die mit einer übermäßigen finanziellen Belastung der Teilhaber verknüpft ist (BGH LM Nr. 2 z u § 745).
i Über den Wortlaut des § 745 Abs. 2 hinaus steht dem Anspruch eines jeden Teilhabers auf eine den Interessen aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und Benutzung auch eine frühere Vereinbarung oder ein wirksamer Mehrheitsbeschluß nicht entgegen, wenn sich inzwischen die Sachlage geändert hat (RG H R R 1928 Nr. 607). Das gilt selbst dann, wenn bereits vorher ein Urteil nach § 745 Abs. 2 ergangen war. A n m . 13 5. Das Recht auf Vornahme von Erhaltungsmaßnahmen (§ 744 Abs. 2). Jeder Teilhaber hat das individuelle, durch Mehrheitsbeschluß nicht entziehbare Recht, die zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes notwendigen Maßregeln auch ohne Zustimmung der anderen Teilhaber zu treffen. Der Begriff der Erhaltungsmaßnahmen ist enger als der Begriff der zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung gehörenden Maßnahmen. Niemals werden durch § 744 Abs. 2 Maßnahmen gedeckt, die zwar zur Erhaltung des Gegenstandes notwendig sind, aber nicht mehr in den Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung fallen, weil die zur Verwaltung notwendigen Maßnahmen den Wert des Gegenstandes übersteigen (BGH 6, 81). Zu den notwendigen Erhaltungsmaßnahmen gehören auch die, die zur Erhaltung des Wertes des Gegenstandes notwendig sind. Als Erhaltungsmaßnahmen kommt ferner die Verwertung der dem Verderben ausgesetzten Sachen (z. B. der natürlichen Früchte einer gemeinsamen Sache) in Betracht. Es können daher selbst Verfügungen darunter fallen. Das bedeutet freilich nicht, daß den einzelnen Teilhabern insoweit die Befugnis zur Vertretung der übrigen Teilhaber eingeräumt ist (BGH 17, 184; vgl. auch RG DR 1944, 572 und Anm. 10). Die Vorschrift befaßt sich nur mit dem Verhältnis der Teilhaber untereinander. Für alle Teilhaber kann der einzelner nur 'handeln, wenn er ihre Zustimmung hat. Zu diesem Zweck wird ihm ein k l a g b a r e r A n s p r u c h a u f v o r h e r i g e Z u s t i m m u n g zu der zu treffenden notwendigen Maßnahme eingeräumt (BGH aaO). Dieser Anspruch dient zugleich dazu, den etwaigen Streit zwischen den Teilhabern über die 864
Gemeinschaft
§ 746 Anm. 14—16
§747
Notwendigkeit einer Erhaltungsmaßnahme vorher, vor Aufwendung der entsprechenden Mittel zu klären. Als notwendige Erhaltungsmaßnahmen kommen weiter in Betracht dringende Ausbesserungen (vgl. auch §§ 547, 994, 2381) und die Beschaffung von Mitteln zur Abwendung der Zwangsversteigerung. Ist eine Hypothek den mehreren Eigentümern des belasteten Grundstücks als Eigentümergrundschuld angefallen, so können sie darüber nur gemeinschaftlich verfügen (§ 747 Satz 2), gemäß §§ 744 Abs. 2, 1 0 1 1 kann aber jeder Teilhaber für sich die Klage auf Löschungsbewilligung erheben (RG 60, 270). Uberhaupt muß anerkannt werden, daß jeder Teilhaber zum Zweck der Erhaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes für sich allein als Prozeßpartei auftreten kann; er ist insoweit sachlich legitimiert (RG 76, 299; vgl. auch RG 1 1 2 , 367; BGH 17, 185). Notwendige Auslagen müssen die anderen Teilhaber anteilsmäßig erstatten. Nach Lage der Sache kann auch ein Anspruch auf Vorschuß begründet sein (§ 748 Anm. 1). Anm. 14 Trifft ein Teilhaber Maßnahmen, die durch Abs. 2 nicht gedeckt sind, so macht er sich gegenüber den anderen schadensersatzpflichtig; §276, nicht §708, findet Anwendung. In zumutbarem Umfang trifft auch jeden Teilhaber die Pflicht, die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen zu treffen. Die Verletzung dieser Pflicht kann ebenfalls Schadensersatzansprüche begründen. Anm. 15 Ergänzend kommen neben Abs. 2, der den Teilhaber auch dann schützt, wenn der wirkliche oder der mutmaßliche Wille der anderen Teilhaber entgegensteht (§ 683), die allgemeinen Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag zur Anwendung. Dadurch, daß ein Teilhaber insoweit das Geschäft der anderen Teilhaber zugleich als sein eigenes Geschäft besorgt, wird diese Anwendung nicht ausgeschlossen (RG 126, 293; BGH L M Nr. 3 zu § 683). Anm. 16 6. Die Wirkung einer Verwaltungsregelung gegen Sondernachfolger (§ 746). Jede getroffene Verwaltungsregelung, mag sie nun auf einstimmigen Beschluß, auf Mehrheitsbeschluß oder auf einer gerichtlichen Entscheidung beruhen, wirkt auch für und gegen einen Sondernachfolger. Dabei ist es gleichgültig, ob dieser die Regelung kannte oder kennen mußte (RG 78, 275). Sondernachfolger ist auch der Gläubiger, der die Pfändung des Anteils eines Teilhabers erwirkt hat (Ausnahme §751 Satz 2). Daß die getroffene Verwaltungsregelung auch gegen den Gesamtnachfolger wirkt, ist selbstverständlich. Für Miteigentum an Grundstücken enthält § 1010 Abs. 1 eine Sondervorschrift. Hier wirkt die Verwaltungsregelung gegen den Sondernachfolger eines Miteigentümers nur, wenn sie als Belastung des Anteils im Grundbuch eingetragen ist.
§ 747 J e d e r Teilhaber kann über seinen Anteil verfügen. Über den gemeinschaftlichen Gegenstand i m ganzen können die Teilhaber nur gemeinschaftlich verfügen. E I 763 Satz 1, 2 II 683; M 1 874, P 2 745.
Ü b ersieht 1. Die Verfügung über den Anteil a) Allgemeines b) Die Verfügung c) Die Rechte des Gläubigers d) Die Rechte der übrigen Teilhaber 2. Die Verfügung über den gemeinschaftlichen Gegenstand
Anm.
1—4 1 2 3 4 5—7 865
§ 747 A n m . 1—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
1. Die Verfügung über den Anteil Anm. 1 a) Allgemeines. Jeder Teilhaber kann über seinen Anteil an dem gemeinschaftlichen Gegenstand frei verfügen. Das bedeutet einen wesentlichen Unterschied zur Gesellschaft, die Zweckgemeinschaft ist, und bei der das gemeinschaftliche Vermögen als Sondervermögen für die Förderung des Gesellschaftszwecks gesamthänderisch gebunden ist (vgl. dazu § 741 Anm. 5). Das Recht zur freien Verfügung ist für die Bruch teilsgemeinschaft typisch, es kann nicht mit dinglicher Wirkung gegenüber jedermann ausgeschlossen werden (§ 137)- In dieser Hinsicht kann sich der einzelne Teilhaber gegenüber den anderen nur schuldrechtlich binden. Ferner ist es möglich, daß sich die Teilhaber durch Einräumung eines gegenseitigen Vorkaufsrechts sichern. Dabei bietet bei gemeinschaftlichen Grundstücken das dingliche Vorkaufsrecht eine besondere Sicherung dagegen, daß ein unerwünschter Dritter Teilhaber der Gemeinschaft wird. — Eine Sondervorschrift für das Miteigentum an einem Grundstück enthält § 1010. Anm. 2 b) Die Verfügung. Die Verfügung ist ein Rechtsgeschäft, das unmittelbar auf das bestehende Recht, hier das Bruchteilsrecht, einwirkt, es überträgt, verändert, beendigt. Rechtsformen der Verfügung sind Veräußerung im ganzen, Teilveräußerung, Belastung, Abtretung, Erlaß, Stundung, Kündigung. Zu den Verfügungen gehört also die Verpfändung oder Belastung mit einem Nießbrauch oder einer Reallast, dagegen nicht die Verpachtung oder Vermietung. Daher entsteht auch ein gesetzliches Pfandrecht des Vermieters am Miteigentumsanteil des Mieters an den von ihm eingebrachten Sachen (RG 146, 334). Des weiteren ist auch die Änderung der Anteile unter den Teilhabern (QuotenVeränderung) eine Verfügung (RG 76, 413) und daher ohne Zustimmung der nicht beteiligten Teilhaber unzulässig. Bei der Veräußerung des Anteils unter den Teilhabern wird der gute Glaube des Erwerbers nicht geschützt (RG J W 1927» 2521). Die Verfügung über das Anteilsrecht richtet sich nach den Vorschriften über die Verfügung des Vollrechts; das gilt auch für das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft. Daher ist der Verkauf des Miteigentums an einem Grundstück Verkauf einer Sache, nicht eines Rechts (RG WarnRspr. 1925 Nr. 19). Der Verkäufer haftet demgemäß, wenn nichts anderes vereinbart ist, nach §§ 459 fr für Sachmängel zu seinem rechnungsmäßigen Anteil (RG SeuffArch. 82 Nr. 174). Das Verpflichtungsgeschäft zur Übertragung des Miteigentums an einem Grundstück unterliegt der Formvorschrift des § 313. Anm. 3 c) Die Rechte des Gläubigers. Der Gläubiger eines Teilhabers ist berechtigt, auf den Anteil seines Schuldners zwangsweise Zugriff zu nehmen, und zwar im allgemeinen durch Pfändung und Uberweisung nach §§ 857, 828 fr ZPO, bei Miteigentum an einer beweglichen Sache nicht nach §808 ZPO (RG SeuffArch. 61 Nr. 264; vglauch Anm. 4). Für die Zwangsvollstreckung in den Anteil eines Miteigentümers an einem Grundstück gilt § 864 Abs. 2 ZPO (vgl. dazu RG WarnRspr. 1925 Nr. 19). Der Gläubiger eines Teilhabers kann auch einzelne schuldrechtliche Ansprüche seines Schuldners (§§ 743 Abs. 1, 748) pfänden. Uber die Rechtsstellung des Pfändungsgläubigers vgl. des weiteren § 751 Anm. 2. Der Anteil eines Teilhabers gehört zu seiner Konkursmasse (§§ 1, 16, 51 KO). Anm. 4 d) Die Rechte der übrigen Teilhaber. Sie haben kein Einwirkungsrecht auf den Anteil eines einzelnen Teilhabers. Sie können auch die Verfügung des einzelnen Teilhabers über seinen Anteil oder den zwangsweisen Zugriff eines Gläubigers nicht verhindern. Nur dann, wenn die Verfügung des einzelnen Teilhabers über seinen Anteil hinausgreift und damit auch ihre Rechte an dem gemeinschaftlichen Gegenstand berührt, können sie solche Maßnahmen verbieten. Das gleiche gilt für entsprechende Zwangsmaßnahmen des Gläubigers eines Teilhabers. Hier liegt der Grund, weshalb 866
Gemeinschaft
§747
Anm. 5—7
die Zwangsvollstreckung in den Miteigentumsanteil an einer beweglichen Sache nicht nach § 808 Z P O erfolgen darf; denn die Wegnahme der Sache durch den Gerichtsvollzieher würde einen Eingriff auch in die Rechtstellung der übrigen Teilnehmer darstellen.
Anm. 5 2. Die Verfügung über den gemeinschaftlichen Gegenstand. Zur Verfügung
über den gemeinschaftlichen Gegenstand im ganzen müssen sämtliche Teilhaber unmittelbar oder durch einen Bevollmächtigten zusammenwirken. Mehrheitsbeschlüsse geben dazu keine Befugnis, weil ihre Wirkung sich auf das Innenverhältnis zwischen den Teilhabern beschränkt (dazu §§ 744/46 A n m . 10). Auch das Recht des einzelnen Teilhabers, die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen vorzunehmen (§ 744 Abs. 2), ändert nichts daran, daß auch in diesem Fall für etwaige Verfügungen die Mitwirkung, aller Teilhaber erforderlich ist (§§744/46 Anm. 13). Z u den Verfügungen über den gemeinschaftlichen Gegenstand rechnen auch Anfechtung, Rücktritt und Kündigung (Frankfurt SeuffArch. 74 Nr. 1 3 2 ) ; die insoweit abweichende Auffassung in B G H L M Nr. i zu § 2038 läßt sich mit den zu §§ 744/46 Anm. 10, 13 dargelegten Grundsätzen nicht vereinbaren. Etwas anderes ist es, wenn in einem Grundstückskaufvertrag die Bestimmung getroffen wird, daß jeder der verkaufenden Miteigentümer des Grundstücks durch einseitige Erklärung den ganzen Kaufvertrag aufheben darf, wenn der Kaufpreis nicht bis zu einem bestimmten Termin bezahlt wird ( R G H R R 1925 Nr. 1746) Bestellen sämtliche Teilnehmer auf dem gemeinschaftlichen Grundstück eine Hypothek, so entsteht nach R G 146, 363 nicht eine Einzelhypothek an dem Grundstück (so R G J W 1 9 1 0 , 473), sondern eine Gesamthypothek an den einzelnen Grundstücksbruchteilen, auf die § 1 1 7 3 anzuwenden sei (bedenklich; vgl. dazu W ü r d i n g e r Recht der Personalgesellschaften S. 17). Ist in einem solchen Fall die Willenserklärung eines von zwei Teilhabern nach §§ 104 Nr. 2, 105 nichtig, so ist nach § 139 zu prüfen, ob die a u f eine Hypothek am gemeinschaftlichen Grundstück gerichtete Verfügung nicht als Hypothekenbestellung an dem Anteil des nicht von dem Nichtigkeitsgrund betroffenen Miteigentümers aufrecht erhalten werden kann ( R G J W 1 9 1 0 , 473). Die Abtretung einesbezifferten Teilbetrages einer gemeinsamen Hypothek ist Verfügung über den gemeinschaftlichen Gegenstand und daher nur mit Zustimmung aller Anteilsberechtigten zulässig; das gilt auch dann, wenn der bezifferte Teilbetrag dem Bruchteil eines der Teilhaber entspricht ( K G H R R 1935 Nr. 663). Auch kann ein Teilhaber einer solchen gemeinsamen Hypothek nicht für seinen Anteil allein einer anderen Post den Vorrang einräumen (Darmstadt H R R 1934 Nr. 1603). Daher ist es falsch, wenn K G H R R 1928. Nr. 5 1 8 es für zulässig hält, daß ein Teilhaber ohne Zustimmung der anderen die Löschung eines seinem Bruchteil entsprechenden Anteils der gemeinschaftlichen Hypothek herbeiführt. In all diesen Fällen kommt zum Ausdruck, daß dem einzelnen Teilhaber nicht ein realer Teil der gemeinschaftlichen Hypothek, sondern nur ein ideeller Anteil an der gemeinschaftlichen Hypothek zusteht (§ 741 Anm. 2).
Anm. 6 Auch die g e r i c h t l i c h e G e l t e n d m a c h u n g des ganzen Rechts steht grundsätzlich nur allen Teilhabern gemeinsam zu. Bei notwendigen Erhaltungsmaßnahmen ist allerdings jeder Teilhaber allein kraft eigenen Rechts zur Klage legitimiert (§§ 744/46 Anm. 13). Für das Miteigentum gibt § 1 0 1 1 eine Sondervorschrift. Danach kann der Miteigentümer einer Sache die Ansprüche aus dem Eigentum Dritten gegenüber in Ansehung der ganzen Sache geltend machen, den Anspruch auf Herausgabe jedoch nur gemäß § 432 (Herausgabe an alle Miteigentümer, Hinterlegung für alle oder, wenn sich die Sache nicht zur Hinterlegung eignet, Ablieferung an einen gerichtlich zu bestellenden Verwahrer).
Anm. 7 Z u r Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g in den g e m e i n s a m e n Gegenstand im ganzen ist entsprechend § 736 Z P O ein Schuldtitel gegen alle Teilhaber erforderlich. Daher braucht es sich kein Miteigentümer einer Sache gefallen zu lassen, daß der Gläubiger eines ande-
867
§ 748 Anm. 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
ren Miteigentümers die ganze Sache pfändet und zum Zwangsverkauf bringt (RG J W 1934; 2540). Auch kann bei einem Mietgrundstück der Gläubiger des einen Miteigentümers nicht ohne weiteres auf einen dem Bruchteil seines Schuldners entsprechenden Anteil der Miete Zugriff nehmen (RG 89, 180). Dem Gläubiger eines einzelnen Teilhabers stehen nur die Zugriffmöglichkeiten auf den ideellen Anteil seines Schuldners zu (dazu Anm. 3).
§748 Jeder Teilhaber ist den anderen Teilhabern gegenüber verpflichtet, die Lasten des gemeinschaftlichen Gegenstandes sowie die Kosten der Erhaltung, der Verwaltung und einer gemeinschaftlichen Benutzung nach d e m Verhältnisse seines Anteils zu tragen. E
I
766
Satz 1, 2 H 684; M 2 877; P 2 748.
Anm. 1 1. Die Erstattungspflicht der Teilhaber. Sie besteht d e n a n d e r e n T e i l h a b e r n g e g e n ü b e r . Kein Teilhaber kann sich der bereits entstandenen Verpflichtung durch späteren Verzicht auf seinen Anteil entziehen (Prot. 2, 749). Es handelt sich dabei nicht um ein g e g e n s e i t i g e s Schuldverhältnis, so daß die §§ 323frkeine Anwendung finden; besondere gegenseitige Verträge können selbstverständlich vorkommen (vgl. auch § 757). Die Verpflichtung, die Lasten und Kosten zu „tragen", schließt nach Lage des Einzelfalls die Pflicht in sich, die erforderlichen Beiträge im voraus zu entrichten. Nichterfüllung der Verpflichtung des § 748 kann Schadensersatzpflicht nach sich ziehen, im Falle des § 749 Abs. 2 auch einen wichtigen Grund für das Verlangen einer (sonst ausgeschlossenen) Aufhebung der Gemeinschaft bilden. Aus § 748 folgt auch, daß ein Teilhaber, der Aufwendungen in bezug auf Lasten oder Kosten der hier bezeichneten Art gemacht hat, von den anderen Teilhabern anteilsmäßigen Ersatz verlangen kann. Auf die für ihn minder günstigen Grundsätze über Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherung braucht dabei nicht zurückgegriffen zu werden. Der Ersatzanspruch gemäß § 748 steht dem Teilhaber unbeschadet der aus §§ 756, 755 Abs. 3 sich ergebenden Rechte zu (RG 109, 167). Anm. 2 2. Der Inhalt der Erstattungspflicht. Die Teilhaber haben die Lasten des gemeinschaftlichen Gegenstandes sowie der Kosten der Erhaltung, der Verwaltung und einer gemeinschaftlichen Benutzung anteilsmäßig zu tragen. Die Lasten (§ 103) sind Leistungen, die aus dem Grundstück zu entrichten sind und insoweit im Gegensatz zu den Nutzungen stehen, als der Nutzungswert des Grundstücks durch sie gemindert wird (RG 66, 318), z.B. Hypothekenzinsen, Renten, Steuern, nicht dagegen die Rücklagen zum Zwecke der Rückzahlung einer noch nicht fälligen Aufwertungshypothek (RG J W 1931, 2722). Der Miteigentümer eines Grundstücks ist nicht verpflichtet, aus den ihm gebührenden Erträgen Mittel für die während seiner Besitzzeit zwar nötig gewordenen, aber nicht ausgeführten Ausbesserungsarbeiten für den Teilhaber zur Verfügung zu halten, der bei der Zwangsversteigerung (§ 753) das Grundstück ersteht. Die Kosten müssen durch berechtigte, zugunsten der Gemeinschaft (nicht etwa eines Teilhabers persönlich) vorgenommene Maßregeln entstehen. Hierher rechnen namentlich auch die Aufwendungen, die ein Teilhaber nach § 744 Abs. 2 zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Gegenstandes erbringt (§§ 744/46 Anm. 13 a. E.). Die Berichtigung anderer auf die Gemeinschaft sich gründender Forderungen kann erst bei Aufhebung der Gemeinschaft verlangt werden (s. §756; KG J R 1951, 439)- — Eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 748 enthält § 753 Abs. 2. Anm. 3 3. Rechtsverhältnis zu Dritten. Wer nach außen dem Berechtigten gegenüber Lastenträger ist, ergibt sich nicht aus § 748, sondern hängt von der Natur der einzelnen Last ab. Wer nach außen für die Kosten haftet, bestimmt sich nach den Umständen (Haftung des Handelnden allein, Haftung nach Bruchteilen, Haftung als Gesamtschuldner gemäß § 427).
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Gemeinschaft
§749 Arum. 1—3
§749 Jeder Teilhaber kann jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft verlangen. Wird das Recht, die Aufhebung zu verlangen, durch Vereinbarung für immer oder auf Zeit ausgeschlossen, so kann die Aufhebung gleichwohl verlangt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Unter der gleichen Voraussetzung kann, wenn eine Kündigungsfrist bestimmt wird, die Aufhebung ohne Einhaltung der Frist verlangt werden. Eine Vereinbarung, durch welche das Recht, die Aufhebung zu verlangen, diesen Vorschriften zuwider ausgeschlossen oder beschränkt wird, ist nichtig. E I 767 II 685; M 2 879; P 2 750—756.
Ubersicht 1. Das Aufhebungsrecht des Teilhabers a) Der rechtliche Charakter des Aufhebungsrechts b) Der Inhalt des Anspruchs c) Die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs 2. Der Ausschluß des Aufhebungsrechts a) Die Vereinbarung des Ausschlusses b) Grenzen für die Ausschlußvereinbarung c) Konkursrechtliche Fragen 3. Sonderbestimmungen
Anm.
1—4 a 3 4 5-—8 5 6, 7 8 9
Anm. 1 1. D a s A u f h e b u n g s r e c h t d e s T e i l h a b e r s . I m Gegensatz zur Gesellschaft kann bei der Bruchteilsgemeinschaft grundsätzlich jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft, Teilung im Sinn der §§ 75a ff, verlangt werden. Die Geltendmachung des Aufhebungsrechts ist unabhängig von der Entschließung eines Mitteilhabers ( R G 67, 398).
Anm. 2 a) Der rechtliche Charakter des Aufhebungsrechts. Das Recht jedes Teil-
habers, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, ist ein schuldrechtlicher A n spruch, der sich gegen die übrigen Teilhaber richtet. Seinem Inhalt nach ist er ein Anspruch auf Einwilligung seitens der übrigen Teilhaber ( R G 108, 434/25). E r unterscheidet sich von der Kündigung, etwa der Kündigung eines Gesellschaftsverhältnisses, die ein Gestaltungsrecht ist und ihrerseits bereits die Auflösung der Gesellschaft herbeiführt. Zur Herbeiführung der Aufhebung braucht der Anspruch nur gegen die widerstrebenden Teilhaber geltend gemacht zu werden. Der Antrag auf Aufhebung der Gemeinschaft durch Pfandverkauf oder Zwangsversteigerung (§ 753) ist keine Verfügung über den Anteil des Mitteilhabers ( R G 67, 398). Einer Verjährung unterliegt der Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft nicht (§ 758).
Anm. 3 b ) D e r I n h a l t d e s A n s p r u c h s . J e d e r Teilhaber kann nur die Aufhebung der ganzen Gemeinschaft verlangen, die übrigen Teilhaber brauchen sich auf eine nur teilweise Aufhebung der Gemeinschaft nicht einzulassen ( R G 91, 418). Die Beschränkung der Aufhebung auf einzelne von mehreren gemeinsamen Gegenständen ist daher nur möglich, wenn alle Teilhaber damit einverstanden sind ( R G a a O ) . Solange nicht alles geteilt ist, bleibt der Teilungsanspruch bestehen. Ist eine Teilung unmöglich (z. B. ein Teilhaber hatte die gemeinschatlich ersteigerte Ware anderweit verkauft), so kann nur auf Schadensersatz oder auf ungerechtfertigte Bereicherung, nicht auf Aufhebung der Gemeinschaft geklagt werden ( R G 10. 7. 1923 I I 185/23). Wer Teilung begehrt, kann dann, wenn die übrigen Teilhaber in der Gemeinschaft bleiben wollen, unter Umständen nur Abteilung von den übrigen verlangen (Colmar O L G 12, 92). Der Miterbe eines Miteigentümers kann zur Aufhebung der Gemeinschaft die Versteigerung des ganzen Grundstücks, nicht nur des zum Nachlaß gehörigen Anteils verlangen ( R G 108, 424).
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§ 749 A n m . 4—7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 4 c) Die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs. Der Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft kann gegen die widerstrebenden Teilhaber gerichtlich geltend gemacht werden. Die Klage ist eine Leistungsklage und ist auf Zustimmung gerichtet. Dabei kann entweder allgemein auf Zustimmung zur Teilung oder, was meist praktischer sein wird, auf Zustimmung zu einer bestimmten Art der Teilungsdurchführung (§§ 752, 753) geklagt werden. Im letzteren Fall muß die Klage einen bestimmten Antrag enthalten; die Art der Teilungsdurchführung kann nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt werden. Insoweit gelten die in BGH 26, 28 dargelegten Rechtsgrundsätze entsprechend. Der Kläger muß die Gesetzmäßigkeit der von ihm verlangten Maßnahmen, z. B. die Voraussetzungen der Teilung in Natur (§ 752), dartun. Das Urteil ist ein Leistungsurteil, kein Gestaltungsurteil. Es spricht die Verpflichtung des Beklagten aus, die beantragte Zustimmung zu erklären (§ 894 ZPO). 2. Der Ausschluß des Aufhebungsrechts Anm. 5 a) Die Vereinbarung des Ausschlusses. Die Teilhaber können durch Vereinbarung, allerdings nicht durch Mehrheitsbeschluß, das Aufhebungsrecht für eine bestimmte Zeit oder für immer ausschließen. Die Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden. Sie kann sich auf alle gemeinschaftliche Gegenstände oder nur auf einzelne beziehen, sie kann alle Teilhaber oder nur einzelne binden; schließlich kann sie sich auch auf eine bestimmte Art der Auseinandersetzung beschränken (RG WarnRspr. 1930 Nr. 70). So kann für die Aufhebung der Gemeinschaft an Grundstücken der nach § 753 vorgesehene Verkauf im Wege der Zwangsversteigerung ausgeschlossen werden. Eine solche Vereinbarung kann der FormVorschrift des § 3 1 3 unterliegen (OGH 1, 206). — Uber die Wirkung einer solchen Ausschließungsvereinbarung gegenüber Sondernachfolger eines Teilhabers vgl. § 751 Anm. 1. Anm. 6 b) Grenzen für die Ausschluß Vereinbarung. Das Recht eines jeden Teilhabers, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, kann durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen werden, wenn der Teilhaber einen wichtigen Grund für dieses Verlangen hat. Das ist zwingend; entgegenstehende Abmachungen sind nichtig. Dieser Rechtssatz entspricht einem allgemeinen Grundgedanken, der für alle Gemein schaftsverhältnisse im weitesten Sinn gilt (vgl. dazu BGH 9, 161/62). Bei der Frage nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes ist zu beachten, daß hier die zu § 723 entwickelten Grundsätze (vgl. § 723 Anm. 18) nicht ohne weiteres übertragen werden können. Denn insoweit ist die Rechtslage bei der Gesellschaft (einem vertragsmäßigen Zusammenschluß zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks) und bei der Gemeinschaft keineswegs gleich. Der wichtige Grund kann sich aus einer wesentlichen Veränderung der Umstände ergeben, (z. B. ein gemeinschaftlicher Weg wird seinem Zweck durch Anlegung eines öffentlichen Weges entfremdet; ein im Miteigentum stehendes Grundstück dient den Zwecken einer zwischen den Teilhabern gebildeten Gesellschaft, aus der ein Teilhaber nunmehr ausscheidet, vgl. dazu Rob. F i s c h e r NJW 1957, 894). Weitere wichtige Gründe können darstellen der Tod eines Teilhabers (§ 750 Anm. 1), Versagung des rechtlichen Gehörs bei einem Mehrheitsbeschluß (§§ 744/46 Anm. 9) oder die Weigerung der anderen Teilhaber zur Vornahme zweckentsprechender Verwaltungsmaßnahmen. Ein Verschulden der anderen Teilhaber ist nicht erforderlich. Bei der Annahme eines wichtigen Grundes ist zu berücksichtigen, daß das Aufhebungsverlangen nicht zur Unzeit, also nicht zu einem Zeitpunkt gestellt wird, der sich für die anderen Beteiligten ungünstig oder nachteilig auswirkt (RG WarnRspr. 1930 Nr. 70). Anm. 7 Nichtig sind Vereinbarungen, die das Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, über die Grenzen des Abs. 2 hinaus beschränken, so der Verzicht auf das Recht, die Aufhebung aus einem wichtigen Grunde zu verlangen, oder die Festsetzung 870
Gemeinschaft
§ 7 4 9 A n m . 8, 9 § § 750, 751
einer Vertragsstrafe für den Fall der Geltendmachung dieses Rechtes, nicht z. B. eine vertragsmäßige Beschränkung dahin, daß zwei von mehreren Teilhabern der Aufhebung zustimmen müssen, vorausgesetzt nur, daß die Befugnis, aus wichtigem Grunde die Aufhebung zu verlangen, für alle Fälle unberührt bleibt ( K G O L G 39, 207). Soweit Vereinbarungen nur die D u r c h f ü h r u n g der Teilung regeln, werden sie vom Abs. 3 nicht getroffen, es sei denn, daß dadurch die Rechte des Teilung Begehrenden bei der Teilung und so mittelbar sein Recht, Teilung zu verlangen, beeinträchtigt würden (vgl. § 723 Anm. 15). Anm. 8 c) K o n k u r s r e c h t l i c h e F r a g e n . Im Konkurs eines Teilhabers wirken Vereinbarungen über den Ausschluß des Aufhebungsrechts nicht gegen die Konkursmasse ( § 1 6 Abs. 2 Satz 1 K O ) ; dasselbe gilt für gleichartige Anordnungen, die ein Erblasser für die Gemeinschaft seiner Erben getroffen hat ( § 1 6 Abs. 2 Satz 2 K O ) . Ist das Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, letztwillig nicht für die Erbengemeinschaft, sondern nur für einen einzelnen Nachlaßgegenstand ausgeschlossen worden, so ist jedenfalls eine der beiden Bestimmungen des § 16 Abs. 2 K O entsprechend anzuwenden. Beim Wohnungseigentum findet dagegen § 16 Abs. 2 K O keine Anwendung ( § 1 1 Abs. 2 WohnEigG); hier kann also der Konkursverwalter die Aufhebung der Gemeinschaft nicht verlangen. Anm. 9 3. S o n d e r b e s t i m m u n g e n . Für eine Anzahl von Sonderfällen enthalten besondere gesetzliche Bestimmungen abweichende Regelungen über die Aufhebung der insoweit in Betracht kommenden Gemeinschaften. Solche Sonderbestimmungen finden sich in §§ 92off (Grenzen), 1066 Abs. 2 (Nießbrauch), 1258 Abs. 2 (Pfandrecht), 2042—2045, 2047 Abs. 2 (Miterben; dazu R G 110, 273; WarnRspr. 1938 Nr. 70); Art. 1 1 9 Nr. 2, 1 3 1 , 182 E G ; § 1 1 WohnEigG; § 419 H G B ; § 8 Abs. 4 AktG; Einzelheiten hierzu vgl. bei den Erläuterungen zu diesen Bestimmungen.
§ 7 5 0 Haben die T e i l h a b e r d a s R e c h t , die A u f h e b u n g d e r G e m e i n s c h a f t zu v e r l a n g e n , auf Zeit a u s g e s c h l o s s e n , so t r i t t die V e r e i n b a r u n g i m Z w e i f e l m i t d e m T o d e eines T e i l h a b e r s a u ß e r K r a f t . E I 767 Abs. 2 Satz 2 II 686; M 2 880; OP 2 756.
A n m . 1. Die A u s l e g u n g s r e g e l ist aufgestellt worden, weil „erfahrungsgemäß bei solcher Veränderung der Umstände der Ausschluß der Teilung besonders drückend wirkt", das Außerkrafttreten der Vereinbarung daher regelmäßig der Parteiabsicht entsprechen wird (Mot. 2, 880). Ist die Vereinbarung nicht in diesem Sinne zu verstehen, so kann dennoch unter Umständen der Tod des Teilhabers einen wichtigen Grund für das Verlangen einer Aufhebung der Gemeinschaft nach § 749 Abs. 2 bilden (§ 749 Anm. 6).
§ 7 5 1 H a b e n die T e i l h a b e r d a s R e c h t , die A u f h e b u n g d e r G e m e i n s c h a f t z u v e r l a n g e n , f ü r i m m e r o d e r auf Zeit a u s g e s c h l o s s e n o d e r eine K ü n d i g u n g s f r i s t b e s t i m m t , so w i r k t die V e r e i n b a r u n g a u c h f ü r u n d gegen die S o n d e r n a c h f o l g e r . H a t ein G l ä u b i g e r die P f ä n d u n g des A n t e i l s eines T e i l h a b e r s e r w i r k t , s o k a n n e r ohne R ü c k s i c h t auf die V e r e i n b a r u n g die A u f h e b u n g d e r G e m e i n schaft verlangen, sofern der Schuldtitel nicht bloß vorläufig vollstreckbar ist. E H 687; P 2 7 5 2ff.
871
§ 7 5 1 A n m . 1—4 §752
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Ü b ersieht Anm.
1. Die Wirkung einer Ausschlußvereinbarung gegenüber Sondernachfolger . . 2. Ausnahmen a) Der Pfandungsgläubiger b) Der Konkursverwalter c) Das Miteigentum an Grundstücken
i —4 2 3 4
Anm. 1 1. Die W i r k u n g e i n e r A u s s c h l u ß v e r e i n b a r u n g g e g e n ü b e r S o n d e r n a c h f o l g e r . Eine Vereinbarung, durch die die Teilhaber das Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, für immer oder für Zeit ausgeschlossen oder nur unter bestimmten Einschränkungen zugelassen haben (§ 749 Anm. 5, 6), wirkt grundsätzlich auch für und gegen den Sondernachfolger eines Teilhabers. Diese Bestimmung steht in einem engen Zusammenhang zu § 746. Für die Wirkung gegenüber dem Sondernachfolger ist es ohne Bedeutung, ob dieser die Ausschlußvereinbarung kannte oder kennen mußte (RG 78, 275); der gute Glaube des Erwerbers wird insoweit nicht geschützt, da man von ihm erwarten kann, daß er sich vor dem Erwerb über die Vereinbarungen hinsichtlich des gemeinsamen Gegenstandes erkundigt (vgl. auch §§ 744/46 Anm. 16). Die Wirkung gegenüber einem Gesamtnachfolger ist selbstverständlich und daher nicht besonders ausgesprochen. 2 . A u s n a h m e n . In einzelnen Fällen wirkt die Ausschlußvereinbarung nicht gegenüber dem Sondernachfolger. Anm. 2 a) D e r P f ä n d u n g s g l ä u b i g e r . Nach Satz 2 ist die Ausschlußvereinbarung gegenüber einem Pfändungsgläubiger ohne Wirkung, wenn sein Schuldtitel nicht bloß vorläufig vollstreckbar ist. Diese Vorschrift entspricht dem § 725, geht aber in ihrer Wirkung weiter, weil hier die Einschränkungen des § 725 Abs. 2 nicht gelten (vgl. § 804 Z P O in Verbindung mit §§ 1258 Abs. 1, 1273 Abs. 2). Der Pfändungsgläubiger kann danach auch die Verwaltungs- und Nutzungsrechte der Teilhaber ausüben. Uber die Durchführung der Pfändung vgl. § 747 Anm. 3. Der Gläubiger eines Teilhabers kann auch nur den Anspruch des Teilhabers auf Aufhebung der Gemeinschaft pfänden; in diesem Fall gilt ebenfalls Satz 2. — Was für den Pfändungsgläubiger gilt, gilt auch für den Pfandgläubiger (§§ 1258 Abs. 1, 1273 Abs. 2). Anm. 3 b) D e r K o n k u r s v e r w a l t e r . Für den Konkurs eines Teilhabers enthält § 16 Abs. 2 K O eine Sonderregelung. Danach hat die Vereinbarung über den Ausschluß des Aufhebungsrechts gegenüber dem Konkursverwalter keine Wirkung (dazu § 749 Anm. 8). Anm. 4 c) D a s M i t e i g e n t u m a n G r u n d s t ü c k e n . Die Vereinbarung über den Ausschluß des Aufhebungsrechts wirkt bei der Bruchteilsgemeinschaft an einem Grundstück gegenüber einem Sondernachfolger nur, wenn sie als Belastung des Anteils im Grundbuch eingetragen ist (§ 1010; vgl. die Erläuterungen dazu).
§ 7 5 2 Die A u f h e b u n g d e r G e m e i n s c h a f t e r f o l g t d u r c h T e i l u n g in N a t u r , w e n n der gemeinschaftliche Gegenstand oder, falls m e h r e r e Gegenstände gemeins c h a f t l i c h sind, diese sich ohne V e r m i n d e r u n g des W e r t e s i n g l e i c h a r t i g e , den A n t e i l e n d e r T e i l h a b e r e n t s p r e c h e n d e Teile z e r l e g e n l a s s e n . Die V e r t e i l u n g gleicher Teile u n t e r die T e i l h a b e r g e s c h i e h t d u r c h d a s L o s . E I 769 A b s . 1 I I 688; M 2 8 8 1 — S S ; ; P 2 7 5 7 — 7 J 9 .
872
Gemeinschaft
§ 752 Anm. 1—3
Übersicht A n m
1. 2. 3. 4. 5.
Die Teilungsvereinbarung Die Voraussetzung für die Teilung in Natur Anwendungsfälle Die Durchführung der Teilung Die Verteilung durch Los
i 2 3, 4 5 6
Anm. 1 1. Die Teilungsvereinbarung. Die §§ 752/54 regeln die Durchführung der Teilung. Diese Vorschriften sind nicht zwingend. Die Teilhaber können über die Teilung abweichende Vereinbarungen treffen (RG 62, 60; 108, 290). Dabei können sie auch eine nur teilweise Aufteilung des gemeinschaftlichen Gegenstandes vereinbaren (RG 91, 416). Alle Teilungsvereinbarungen bedürfen der Zustimmung aller Teilhaber. Sie fallen nicht unter die Bestimmungen der §§ 746, 751 Satz 1, so daß sie nicht für und gegen den Sondernachfolger eines Teilhabers wirken. Auf solche Vereinbarungen finden die allgemeinen Formvorschriften Anwendung, z. B. die Vorschrift des §313, wenn die Aufteilungsvereinbarung eine von den §§ 752 fr abweichende Regelung enthält (OGH 1, 208). Für die Anfechtung von Teilungsverträgen und für Willensmängel gelten die allgemeinen Vorschriften. Der oft vorkommende Vertrag, in dem die Miteigentümer von Grundstücken durch Teilung in Natur die Gemeinschaft in der Weise aufheben, daß sie sich wechselseitig Miteigentumsbruchteile an bestimmten Teilstücken überlassen, also die Bruchteile austauschen, stellt sich seinem Wesen nach als eine einheitliche Zusammenfassung mehrerer, sich gegenseitig bedingender Tauschgeschäfte über Eigentumsbruchteile dar (RG 12. 7. 1904. — V I I 73/04). Wegen der Gewährleistungsansprüche ist auch bei einer Teilungsvereinbarung § 757 maßgeblich. Die Vorschriften der §§ 752/54 können auch in der Weise durch Vereinbarung ausgeschlossen werden, daß z. B. die Unteilbarkeit eines an sich teilbaren Gegenstandes bestimmt wird. Anm. 2 2. Die Voraussetzung für die Teilung in Natur. Haben die Teilhaber keine Vereinbarung über die Teilung getroffen, so gelten die §§752/54. Danach kommt eine Teilung in Natur nur in Betracht, wenn sich gleichartige, den Anteilen der Teilhaber entsprechende Teile bilden lassen, und wenn durch die Teilung in Natur keine Wertminderung eintritt. Diese Anforderungen für die Teilung in Natur sind streng, so daß diese nur als Ausnahme in Betracht kommt; regelmäßig erfolgt die Aufhebung der Gemeinschaft durch Verkauf und Teilung des Erlöses gemäß § 753. G l e i c h a r t i g k e i t bedeutet nicht eine absolute Gleichartigkeit; es genügt Gleichartigkeit vom Standpunkt des Verkehrs aus (Colmar OLG 12, 92). Immer müssen die Teile den Anteilen entsprechen; es dürfen nicht ungleiche Teile durch Geldzulagen und Geldauflagen, mögen diese auch gering sein, ausgeglichen werden (Prot. 2, 757). Die Wertsumme der einzelnen Teile muß, damit keine Wertminderung vorliegt, den Wert des Ganzen übersteigen oder doch erreichen. Dabei sind die einzelnen Teile für sich zu bewerten, die Teilwerte zusammenzuziehen und in Vergleich zum Wert des ungeteilten Ganzen zu setzen (RG WarnRspr. 1910 Nr. 1 1 3 ; JW 1935, 781). Die Höhe der Teilungskosten ist für die Frage der Teilbarkeit an sich ohne Belang, es sei denn, daß bei Berücksichtigung dieser Kosten eine Wertminderung durch die Teilung eintritt (RG Recht 1901 Nr. 22). Anm. 3 3. Anwendungsfälle. Die Teilung in Natur ist bei Geld immer, bei Wertpapieren meistens möglich, wenn nämlich den Teilhabern ganze Stücke zugeteilt werden können (RG gi 416), mögen die einzelnen Stücke auch einen verschiedenen Nennwert haben. Bei einem Hypothekenbrief vollzieht sich die natürliche Teilung durch Herstellung und Aushändigung von Teilhypothekenbriefen (RG 59, 318; 69, 42; vgl. auch RG 65, 7). Bei landwirtschaftlichen Grundstücken verschiedener Größe, Lage, Betriebsart, kommt 873
§ 7 5 2 A n m . 4—6 § 753 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
es fiir die Frage der Teilbarkeit auf die Verhältnisse des Einzelfalls an (Colmar O L G 12, 92). Bei Bauplätzen ist es entscheidend, ob auch die Teile eine Bebauung ermöglichen; hier kann die natürliche Teilung unter Umständen den Wert der Baufläche auch dadurch vermindern, daß nur die ganze, nicht aber die einzelnen Teile der Fläche R a u m für die Errichtung eines größeren Bauwerks bieten und gerade diese Möglichkeit den besonderen Wert der Baufläche begründet ( R G WarnRspr. ig 10 Nr. 1 1 3 ) . Anm. 4 N i c h t t e i l b a r ist ein Landgut mit den Wirtschaftsgebäuden. Auch mit Gebäuden bebaute Grundstücke sind im allgemeinen nicht teilbar. Daran ändert auch die Möglichkeit einer Begründung von Wohnungseigentum nichts, da die einzelnen Wohnungen nicht gleichartig sind (verschiedene Stockwerke), und weil vor allem keinem Teilhaber die nach § 1 1 WohnEigG unauflösliche Gemeinschaft der Wohnungseigentümer aufgedrängt werden kann ( B G H Betrieb 1952, 968). Auch die Teilung einer Fährgerechtigkeit in Natur ist ausgeschlossen ( R G J W 1910, 616). Anm. 5 4 . Die D u r c h f ü h r u n g d e r T e i l u n g . Bei der eigentlichen Teilung des gemeinschaftlichen Gegenstandes sind die für die jeweilige Rechtsübertragung vorgeschriebenen Formen (Übergabe, Auflassung und Eintragung) zu beachten, und zwar gleichgültig, ob die Teilung auf Grund einer besonderen Teilungsvereinbarung (Anm. 1) oder auf Grund des § 752 vorgenommen wird. Gutglaubenserwerb ist insoweit nicht möglich ( R G J W 1 9 2 7 , 2521). Die Abtretung wird man regelmäßig schon in einer Teilungsvereinbarung finden können. — Befindet sich ein Teilhaber in Konkurs, so geschieht die Teilung außerhalb des Konkursverfahrens (§ 16 Abs. 1 K O ) . Anm. 6 5 . D i e V e r t e i l u n g d u r c h L o s . Nur wenn es sich um die Verteilung gleicher Teile handelt, entscheidet das Los. Handelt es sich dagegen nicht um gleiche Teile, sondern um verschiedenen Bruchteilen entsprechende, verschieden große Teile, so ist die Entscheidung durch Los unangebracht; die Verteilung ergibt sich von selbst. Sind nur zwei Teile gleich, so muß über diese gelost werden, z. B. bei Bruchteilen von Vu V4> V2 unter den Viertelteilhabern über die zwei kleineren Teile. An die Verlosung schließt sich bei Grundstücken die Auflassung (Anm. 5). Weigert sich ein Teilhaber, die Verlosung mitvorzunehmen, so kann darauf geklagt werden (§ 749 Anm. 4). Die Vollstreckung des Urteils erfolgt gemäß § 887 Z P O .
§753 Ist die Teilung in N a t u r ausgeschlossen, so e r f o l g t die A u f h e b u n g d e r G e meinschaft durch Verkauf des gemeinschaftlichen Gegenstandes nach den V o r s c h r i f t e n ü b e r den P f a n d v e r k a u f , bei G r u n d s t ü c k e n d u r c h Z w a n g s v e r steigerung, u n d d u r c h Teilung des Erlöses. Ist die V e r ä u ß e r u n g a n einen Dritten unstatthaft, so ist der Gegenstand unter den Teilhabern zu v e r steigern. Hat der Versuch, den Gegenstand zu v e r k a u f e n , keinen Erfolg, so k a n n j e d e r T e i l h a b e r die W i e d e r h o l u n g v e r l a n g e n ; e r h a t jedoch die K o s t e n zu tragen, wenn der wiederholte Versuch mißlingt. E I 769, 772 II 689; M 2 885; P 2 759, 767.
Anm. 1 1 . A l l g e m e i n e s . Sind die Voraussetzungen für die Teilung in Natur (§ 752) nicht gegeben, so kommen die Vorschriften der §§ 180—184 Z V G zur Anwendung. § 753 enthält jedoch n a c h g i e b i g e s R e c h t ; von den Teilhabern kann auch die Anwendung einzelner Vorschriften über den Pfandverkauf ausgeschlossen oder geändert werden
874
Gemeinschaft
§753 Anm. 2—4
(vgl. R G io8, 289: Anwendung des § 753 durch den Testamentsvollstrecker). Die Aufhebung der Gemeinschaft durch Verkauf und Teilung des Erlöses ist der Regelfall (vgl. § 752 Anm. 2). Für den Verkauf einer gemeinschaftlichen Forderung gibt § 754 eine Sonderregelung.
Anm. 2 2. Die Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Gemein-
s c h a f t . Für sie ist im Unterschied zu dem Verkauf sonstiger gemeinschaftlicher Gegenstände ein vollstreckbarer Titel nicht erforderlich. Der Antragsteller muß aber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sein ( Z V G § 181). Den Grundstücken stehen die im Schiffsregister eingetragenen Schiffe sowie solche Berechtigungen gleich, für welche die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten (§ 864 Z P O ) . Die auf Grund eines noch nicht fälligen Anspruchs auf Teilung eingeleitete Zwangsversteigerung kann nach dem Eintritt der Fälligkeit (z. B. nach Ablauf der für den Teilungsausschluß vereinbarten Frist) fortgesetzt werden; das Verfahren braucht nicht von neuem begonnen zu werden ( R G 47, 363). — Die Teilung des Erlöses unter die Teilhaber geschieht an sich nicht innerhalb, sondern außerhalb des Versteigerungsverfahrens, so z. B. bei der Versteigerung eines Nachlaßgrundstücks teilungshalber im Erbauseinandersetzungsverfahren. Das Versteigerungsverfahren beschränkt sich in diesem Falle bei der Kaufgeldverteilung auf die Ermittlung des für die Erbengemeinschaft bleibenden Erlösüberschusses ( R G J W 1919, 42). Im Einverständnis der Beteiligten darf sich indessen der Versteigerungsrichter bei einer Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung einer Gemeinschaft auch mit der Verteilung des Erlöses unter die Miteigentümer befassen ( R G 119, 321).
Anm. 3 3 . Die V e r s t e i g e r u n g u n t e r den T e i l h a b e r n . Ist die Veräußerung an einen Dritten unstatthaft, so ist der Gegenstand unter den Teilhabern zu versteigern. D a ß die Veräußerung an einen Dritten unstatthaft ist. kann auf den verschiedensten Gründen beruhen, z. B. auf Vereinbarung der Teilhaber (§ 749 Abs. 2, § 751) oder auf letztwilliger Anordnung ( R G 52, 174). Beweispflichtig für die UnStatthaftigkeit der Veräußerung an einen Dritten ist, wer die Versteigerung unter den Teilhabern verlangt. Ist wenigstens die Ausübung eines Rechtes übertragbar (§ 1059), so kann der Verkauf stattfinden. Hat der Erblasser bestimmt, daß ein mehreren Personen nach Bruchteilen zugewendetes Landgut dem Meistbietenden unter den Teilhabern zugeschlagen werden soll — womit sowohl die Teilung des Gutes in Natur (§ 752) wie die Übertragung an einen Fremden ausgeschlossen ist — , so hat die Aufhebung der Gemeinschaft durch Zwangsversteigerung u n t e r d e n T e i l h a b e r n zu erfolgen. Der Eigentumserwerb wird durch den Zuschlag ( Z V G §§ 90, 180) bewirkt. Wurde von den Teilhabern der Meistbietende sonst, z. B. auf dem Wege der freiwilligen Gerichtsbarkeit ( F G G § § 8 6 f f ) , ermittelt und diesem das Grundstück durch vertragsmäßige Vereinbarung überwiesen, so bedarf es der Auflassung ( R G 52, 174).
Anm. 4 4. Wiederholung des Verkaufsversuchs und Kostentragung. Von der Regel,
daß die Teilungskosten von den Teilhabern gemeinschaftlich zu tragen sind (nach dem Verhältnisse ihrer Anteile, vgl. auch § 748), macht Abs. 2 eine Ausnahme. Der Ausdruck „verkaufen" umfaßt auch die Zwangsversteigerung. Vorhergegangene a u ß e r h a l b des § 753 l i e g e n d e V e r w e r t u n g s v e r s u c h e r e c h t f e r t i g e n die A n w e n d u n g d e s A b s . 2 m i t d e r K o s t e n f o l g e n i c h t . Dies gilt insbesondere von einem Verkaufsversuche unter Beobachtung der Vereinbarung, daß unter einem bestimmten Preise der Zuschlag nicht erfolgen solle. Abs. 2 kommt auch dann nicht zur Anwendung, so daß §§ 749 Abs. 1, 735 Abs. 1 ohne Einschränkung wirksam bleiben, wenn der Verkauf aus einem anderen Grunde als wegen Mangel eines Gebots unterblieben war. Ist der Verkauf nicht ausführbar, so kommen weitere Verwaltungsmaßregeln in Betracht (§§ 744» 745)57
Komm. z. BGB, II. Aufl. II. Bd. (Fischer
875
§ 7 5 4 A n m . 1—3 § 755 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 754 Der Verkauf einer gemeinschaftlichen Forderung ist nur zulässig, wenn sie noch nicht eingezogen werden kann. Ist die Einziehung möglich, so kann jeder Teilhaber gemeinschaftliche Einziehung verlangen. E I 769 Abs. 3 II 690; M 1 68j; P 2 759.
Anm. 1 1. Der Anwendungsbereich des § 754. Die praktische Bedeutung des § 754 liegt nicht bei der Bruchteilsgemeinschaft, sondern bei den Gesamthandsgemeinschaften. Z w a r ist eine Bruchteilsgemeinschaft an einer Forderung nicht ausgeschlossen ( § 7 4 1 Anm. 8), kommt aber nicht häufig vor. Für Forderungen, deren Gegenstand eine unteilbare Leistung bildet, gibt § 432 eine abschließende Regelung. Bei den Gesamthandsgemeinschaften gelangt § 754 durch die Verweisungsvorschriften der §§ 731 Satz 2, 1477 Abs. 1, 2042 Abs. 2 zur Anwendung. Anm. 2 2. Die Sonderregelung des § 754. Für die Aufhebung der Gemeinschaft an einer Forderung gelten nicht die §§ 752/53. Hier geht die Teilung in Natur der Einziehung und dem Verkauf, die Einziehung dem Verkauf vor (RG 65, 7). Das bedeutet gegenüber den nach § 753 maßgeblichen Verwertungsmöglichkeiten, die sich nach den Vorschriften über den Pfandverkauf richten, eine Einschränkung (vgl. z. B. § 1295). Dabei kommt freilich § 754 — ebenso wie die §§ 752/53 — nur zum Zuge, wenn die Teilhaber nicht eine abweichende Vereinbarung getroffen haben. — Das durch die Einziehung Erlangte, Geld oder andere Gegenstände, unterliegt der Teilung gemäß §§ 752/53. Anm. 3 3. Die Tragung der Kosten. Aus der Verpflichtung zur gemeinschaftlichen Einziehung ergibt sich die Pflicht, die dabei entstehenden Kosten anteilsmäßig zu tragen (§ 753 Anm. 4, § 748 Anm. 1).
§ 755 Haften die Teilhaber als Gesamtschuldner für eine Verbindlichkeit, die sie in Gemäßheit des § 748 nach dem Verhältnis ihrer Anteile zu erfüllen haben oder die sie zum Zwecke der Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit eingegangen sind, so kann jeder Teilhaber bei der Aufhebung der Gemeinschaft verlangen, daß die Schuld aus dem gemeinschaftlichen Gegenstande berichtigt wird. Der Anspruch kann auch gegen die Sondernachfolger geltend gemacht werden. Soweit zur Berichtigung der Schuld der Verkauf des gemeinschaftlichen Gegenstandes erforderlich ist, hat der Verkauf nach § 753 zu erfolgen. E II 691; P 2 759—762, 764fr.
Ubersicht 1. 2. 3. 4. 5.
Allgemeines Die Regelung des Absatz 1 Die Wirkung gegenüber dem Sondernachfolger Die Berichtigung der gemeinschaftlichen Schuld Die konkursrechtliche Regelung
1 2 3 4 5
Anm. 1 1. Allgemeines. Die §§ 755/56 regeln die Berichtigung von Gemeinschaftsschulden bei der Teilung. I m Unterschied zu den Auseinandersetzungsvorschriften bei der Gesellschaft (§§ 730 f f ) handelt es sich hierbei jedoch um eine unvollständige Regelung. Die§§ 755/56 befassen sich lediglich mit dem Verhältnis unter den Teilhabern, nicht gegen876
Gemeinschaft
§ 755 A n m . 2—4
über den Gläubigern; auch regeln sie dieses Verhältnis nur in einzelnen Punkten. § 755 gewährt allen Teilhabern einen Berichtigungsanspruch, wenn sie f ü r bestimmte Gemeinschaftsverbindlichkeiten als Gesamtschuldner haften, während § 756 jedem Teilhaber einen Ausgleichsanspruch gibt, wenn er gegen die anderen Teilhaber eine sog. Gemeinschaftsforderung hat.
Anm. 2 2. D i e R e g e l u n g d e s A b s . 1. Die Haftung der Teilhaber für die Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Gegenstandes kann nach außen eine verschiedene sein. Haftet jeder Teilhaber auch gegenüber dem Gläubiger nach dem Verhältnis seines Anteils und deckt sich damit seine Haftung nach außen mit seiner Haftung nach innen, dann besteht kein Bedürfnis für die Regelung dieser Gemeinschaftsschulden bei der Teilung. Anders dagegen, wenn alle Teilhaber dem Gläubiger für eine solche Verbindlichkeit als Gesamtschuldner haften. I n diesem Fall gewährt Abs. 1 jedem Teilhaber bei der Aufhebung der Gemeinschaft einen Anspruch darauf, daß diese Schuld aus dem gemeinschaftlichen Gegenstand berichtigt wird. Dieser Berichtigungsanspruch bezieht sich aber n u r auf Verbindlichkeiten aus der Bestreitung von Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Gegenstandes sowie auf solche, die zum Zweck der Erfüllung einer derartigen Verbindlichkeit eingegangen sind, wie z. B. auf ein Darlehn, das zur Bestreitung von Verwaltungskosten gemeinschaftlich aufgenommen war. Einerlei ist es, ob das Gesamtschuldverhältnis ursprünglich vorhanden war oder etwa später durch Schuldübernahme entstand. Das Gesetz muß auch dann Anwendung finden, wenn nicht alle, sondern nur einzelne Teilhaber als Gesamtschuldner oder auch nur als Bürgen haften. V o n „noch nicht fälligen" oder „streitigen" Schulden ist hier nicht die Rede. Eine entsprechende Anwendung von § 733 Abs. 1 Satz 2 (vgl. § 738 Abs. 1 Satz 3), § 755 Abs. 3 — die meistens vertreten wird — ist nicht ohne Bedenken. Es wird aber jeder Teilhaber in Ansehung des Teilse der Gesamtschuld, der die Anteilspflicht (§ 748) überschreitet, auf Grund des § 257 von den übrigen Teilhabern verlangen können, daß er entweder von diesem Teile der n o c h n i c h t f ä l l i g e n Schuld befreit oder daß ihm insoweit Sicherheit geleistet wird. Dieser Anspruch, von den Teilhabern gegenseitig ausgeübt, führt entweder zu einer gegenseitigen Teilbefreiung oder zur Sicherheitsleistung in Höhe der Gesamtschuld (§§ 232 fr).
Anm. 3 3. W i r k u n g g e g e n ü b e r d e m S o n d e r n a c h f o l g e r . Wie in den Fällen der §§ 746, 751 wirkt auch die Regelung des Abs. 1 für und gegen den Sondernachfolger eines Teilhabers (Einzelheiten dazu bei §§744/46 Anm. 1 6 ; § 7 5 1 Anm. 1 ; vgl. auch § 1 0 1 0 Abs. 2).
Anm. 4 4. D i e B e r i c h t i g u n g d e r g e m e i n s c h a f t l i c h e n S c h u l d . Wenn zur Berichtigung der in Abs. 1 genannten Verbindlichkeiten der Verkauf des gemeinschaftlichen Gegenstandes erforderlich ist, so muß deren Verkauf vorgenommen werden, und zwar unter Einhaltung der in § 753 vorgeschriebenen Formen. Der Verkauf nach § 753 hat aber nur zu erfolgen, soweit das zur Berichtigung der Verbindlichkeiten erforderlich ist; im übrigen Teilung in Natur, wenn die Voraussetzungen des § 752 vorliegen. Soweit der gemeinschaftliche Gegenstand zur Deckung der Gesamtschulden nicht hinreichen sollte, verbleibt es bei der persönlichen Forderung gegen die Teilhaber (hier nicht gegen die Sondernachfolger) gemäß § 748. — Aus Abs. 3 ist nicht zu folgern, daß, wenn der gemeinschaftliche Gegenstand, aus dem die Schuld berichtigt werden soll, z. B. eine Hypothekenforderung, in Natur teilbar ist (§ 752 Anm. 2), Berichtigung durch Zuweisung eines Naturalteils verlangt werden kann. Die Vorschrift ist vielmehr dahin zu verstehen, daß zur Beschaffung der zur Befriedigung des Gläubigers nötigen Barmittel der dazu erforderliche Teil des gemeinschaftlichen Gegenstandes verkauft und nur der Rest (gegebenenfalls) in Natur geteilt werden solle, und die Fassung der Vorschrift („Soweit . . . erforderlich") erklärt sich dadurch, daß man von der Notwendigkeit eines >7*
877
§ 755 Anm. 5 § 756 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
teilweisen Verkaufs ausging und nur eine Bestimmung darüber für angezeigt hielt, daß dieser Verkauf nur soweit zu erstrecken sei, bis ein zur Tilgung ausreichender Erlös erzielt werde (RG SeuffArch. 74 Nr. 173). Anm. 5 5. Konkursrechtliche Regelung. Im Konkurs eines Teilhabers haben die anderen Teilhaber bei der Teilung oder sonstiger Auseinandersetzung wegen ihres Anspruchs aus § 755 ein Recht auf abgesonderte Befriedigung (§ 51 KO). Ihnen steht damit gegenüber den anderen Gläubigern insoweit ein praktisch dinglich wirkendes Vorrecht wegen ihres Berichtigungsanspruchs zu. Ein anderer Gläubiger hat ein solches Recht nicht. Im Sinne des § 51 K O hat auch der Verkauf des Miteigentumsanteils durch den Konkursverwalter als sonstige „Auseinandersetzung" zu gelten (RG 67, 156).
§756 Hat ein Teilhaber gegen einen anderen Teilhaber eine Forderung, die sich auf die Gemeinschaft gründet, so kann er bei der Aufhebung der Gemeinschaft die Berichtigung seiner Forderung aus dem auf den Schuldner entfallenden Teile des gemeinschaftlichen Gegenstandes verlangen. Die Vorschriften des § 755 Abs. 2, 3 finden Anwendung. E I 770 II 692; M 2 885—887; P 2 759—766.
Anm. 1 1. Der Ausgleichsanspruch wegen einer Gemeinschaftsforderung. § 756 gewährt jedem Teilhaber bei der Aufhebung der Gemeinschaft gegen den anderen Teilhaber einen Anspruch auf Berichtigung einer Forderung, die sich auf die Gemeinschaft gründet. Eine Gemeinschaftsforderung im Sinne des § 756 kann aus der Bestreitung von Lasten und Kosten (§ 748), aber auch aus sonstigen schuldrechtlichen Beziehungen herrühren, die in der bestehenden Gemeinschaft ihre Grundlage haben. In dieser Hinsicht geht also der sachliche Anwendungsbereich des § 756 über den des § 755 hinaus. Eine Forderung gründet sich auf die Gemeinschaft im Sinne des § 756, wenn sie einem oder mehreren Teilhabern in ihrer Eigenschaft als Teilhaber, also vermöge ihrer Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, zustehen, nicht dagegen eine Forderung, die ihnen unabhängig von der Gemeinschaft zusteht (RG 78, 274). Dabei braucht die Gemeinschaft nicht die alleinige und ausschließliche Grundlage der Forderung zu bilden. Dies ist namentlich wichtig für die Erbengemeinschaft, auf deren Auseinandersetzung gemäß § 2042 Abs. 2 die Vorschriften des § 749 Abs. 2, 3 und der §§ 750—758 Anwendung finden. Auf die Erbengemeinschaft gründen sich danach auch solche Forderungen, die ihren Entstehungsgrund zwar nicht in der Gemeinschaft selbst, sondern in einem schon bei Lebzeiten des Erblassers zwischen ihm und dem Miterben errichteten Schuldverhältnisse haben, dann aber infolge des Erbgangs gemeinschaftliche Forderungen der Erben geworden sind. Ohne das Bindeglied der Gemeinschaft würden solche Forderungen den Gemeinschaftern (Miterben) nicht zustehen (RG 78, 274). Zu dem Fall, daß ein Miterbe dem andern anteilig gebührende, an sich in die Erbmasse fallende Erbschaftsnutzungen verbraucht, s. RG DR 1941, 999®. — Die Forderung braucht nicht unmittelbar auf Geld gerichtet zu sein. Verstellte z. B. der Miteigentümer seinen Anteil im Interesse eines Teilhabers für dessen alleinige persönliche Schuld mit zur Hypothek, so entspringt daraus für jenen Miteigentümer gegen den Teilhaber der Gemeinschaftsanspruch, daß dieser ihn bei der Aufhebung der Gemeinschaft so behandle, als wenn nur sein Bruchteil des Grundstücks verpfändet gewesen sei (RG 10. 10. 1906 I 136/06). § 756 bezieht sich aber nicht auf Forderungen, die •— abgesehen von den hierher gehörigen Teilungskosten — durch Vereinbarung der Teilhaber zum Zwecke der Auseinandersetzung der Gemeinschaft hervorgerufen sind, und die allerdings mit der Gemeinschaft zusammenhängen, aber ihren selbständigen Rechtsgrund in besonderen, für die 878
Gemeinschaft
§ 756 A n m . 2, 3 § 757 A n m . 1 Zukunft berechneten Abmachungen des Teilungsvertrags haben. Für derartige neue Forderungen muß sich der Teilhaber bei dem Vertragsschlusse besonders sichern (Stuttgart OLG i, 2 5 1 ) . Wegen noch nicht fälliger Ersatzforderungen gilt das gleiche wie bei § 7 5 5 (vgl. dort Anm. 4). Anm. 2 2. Der Inhalt des Ausgleichsanspruchs. Der Teilhaber kann die Befriedigung aus dem Teil des anderen Teilhabers verlangen. Insofern hat er praktisch ein dingliches Vorrecht auf Befriedigung gegenüber den Gläubigern dieses Teilhabers; dieses Vorrecht bewährt sich auch im Konkurs des verpflichteten Teilhabers (§51 KO; vgl. dazu § 7 5 5 Anm. 5 ) . Uber die Art, wie die Befriedigung des berechtigten Teilhabers zu geschehen hat, bestimmt § 7 5 6 Satz 1 nichts. Insbesondere ist aus dieser Bestimmung nicht zu entnehmen, daß dem Teilhaber ein Anspruch auf Zuteilung eines Naturalanteils zusteht, wenn der gemeinschaftliche Gegenstand in Natur teilbar ist. Vielmehr muß aus Satz 2 in Verbindung mit der Verweisung auf § 7 5 5 Abs. 3 gefolgert werden, daß auch der Ausgleichsanspruch aus § 7 5 6 nur dahin geht, daß durch einen anteiligen Verkauf die zur Befriedigung des Teilhabers erforderlichen Barmittel beschafft werden (RG SeuffArch. 7 4 Nr. 173; vgl. auch § 7 5 5 Anm. 4). Neben diesem Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös bei Aufhebung der Gemeinschaft stehen dem Teilhaber auch die sonstigen auf dem Gemeinschaftsverhältnis beruhenden Ansprüche zu. Daher kann er gegenüber Forderungen aus §§ 7 4 4 Abs. 2, 7 4 8 auch die Einrede des Zurückbehaltungsrechts geltend machen (RG 1 0 9 , 1 6 7 ) . Anm. 3 3. Die Verweisung auf § 755. Was die Vorschrift des § 7 5 5 Abs. 3 anlangt, so „genügt es (hier) soweit zu verkaufen, daß der g a n z e Erlös zur Berichtigung der Schuld hinreicht, und den verkauften Teil bei der Teilung in Natur dem Schuldner auf seinen Teil anzurechnen. Wenn z. B. einer von den drei Teilhabern einen Betrag schuldig ist, der einem Drittel des Wertes seines Anteils, einem Neuntel des Wertes der gemeinschaftlichen Sache gleichkommt, ist nicht der dritte, sondern nur der neunte Teil der Sache zu verkaufen" (Prot. 2, 7 6 1 ) . Aus dem Erlöse ist die Schuld des einen Teilhabers an den anderen zu bezahlen; bei der Teilung in Natur erhält dann der Schuldner statt 1/3 nur 2/9 der gemeinschaftlichen Sache. — Im übrigen vgl. wegen der Verweisung auf § 755 die dortigen Anm. 3 , 4 .
§ 757 Wird bei der Aufhebung der Gemeinschaft ein gemeinschaftlicher Gegenstand einem der Teilhaber zugeteilt, so hat wegen eines Mangels im Rechte oder wegen eines Mangels der Sache jeder der übrigen Teilhaber zu seinem Anteil in gleicher Weise wie ein Verkäufer Gewähr zu leisten. E I 771 II 693; M 2 887, P 2 767.
Anm. 1 1. Die Gewährleistungsansprüche. Die in § 7 5 7 angeordnete Pflicht zur Gewährleistung kommt nur zur Anwendung bei der Aufhebung der Gemeinschaft, nicht etwa dann, wenn ein Teilhaber seinen Anteil an einem anderen (z. B. schenkungsweise) veräußert; ein solches Geschäft wäre nach eigener Regel zu beurteilen. Die Z u t e i l u n g umfaßt aber nicht nur den Fall des § 7 5 2 , sondern auch den Erwerb auf dem Wege des § 7 5 3 . Mit der gemeinen Meinung ist anzunehmen, daß für die •— ausgleichende — Gewährleistung kein Raum ist, wenn alle zugewiesenen Teile in gleicher Art mangelhaft sind. Uber die Gewährleistung s. §§ 4 3 4 f r , 4 5 9 f r . Hat bei einer Erbauseinandersetzung ein Miterbe Grundstücke, ein anderer Wertpapiere erhalten, die nachträglich in der Hand des Testamentsvollstreckers entwertet sind, so läßt sich ein Anspruch des zweiten Miterben auf Herauszahlung durch den ersten weder aus § 2 4 2 noch aus § 2 0 4 2 Abs. 2, 7 5 7 herleiten (RG J R 1 9 2 7 Nr. 1 6 3 7 ) . 879
§ 758 § 759 A n m . 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§758 Der Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft unterliegt nicht der Verjährung. E I 768 I I 694; M 2 881; P 2 756.
Anm. 1 Die Verjährung. Der Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft (§ 749 Anm. 1 ff) umfaßt auch den Anspruch auf Teilung der Früchte (§ 743 Anm. 1, 2). Ansprüche, die zwar aus der Gemeinschaft hervorgehen, aber ihre A u f h e b u n g nicht zum Gegenstande haben (vgl. z.B. §748), unterliegen der gewöhnlichen Verjährung (§§ I94ff)- § 758 findet auch auf die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft Anwendung (§ 2042 Abs. 2). Sechzehnter
Titel
Leibrente
§ 759 Wer zur Gewährung einer Leibrente verpflichtet ist, hat die Rente im Zweifel für die Lebensdauer des Gläubigers zu entrichten. Der für die Rente bestimmte Betrag ist im Zweifel der Jahresbetrag der Rente. E I 660, 662, 663 II 701, 703; M 2 6 3 ; f f ; P 2 486ff.
Ubersicht Anm.
I. Der Begriff der Leibrente 1. Der Inhalt der wiederkehrenden Leistungen 2. Die Dauer der Leistungen 3. Die Leibrente als einheitliches Recht 4. Die Bedeutung der Verkehrsauffassung 5. Der Vergleich als Grundlage der Leibrente II. Der Leibrentenvertrag 1. Allgemeines 2. Die Nichtigkeit des Vertrages 3. Weitere Einzelheiten III. Die Auslegungsregeln des § 759 1. Die Dauer der Rente 2. Der Betrag der Rente
1—7 2, 3 4 5 6 7 8—10 8 9 10 11, 12 11 12
Anm. 1 I. Der Begriff der Leibrente Das BGB hat davon abgesehen, den Begriff der Leibrente gesetzlich näher zu bestimmen. Es hat diese Bestimmung vielmehr Wissenschaft und Praxis überlassen (Mot. 2, 637 fr) und sich auf eine ganz knappe Regelung beschränkt. Das Reichsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung R G 67, 207 fr den Begriff der Leibrente im einzelnen umschrieben und daran sodann in ständiger Rechtsprechung festgehalten (vgl. etwa R G 80, 209; 89, 261; 94, 158; 104, 273; 137, 261; 150, 391). Das Reichsgericht versteht unter einer Leibrente ein einheitliches nutzbares Recht, das dem Berechtigten für die Lebenszeit eines Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge aus wiederkehrenden gleichmäßigen Leistungen in Geld oder anderen vertretbaren Sachen bestehen und in gleichmäßigen Zeitabständen gewährt werden (RG 67, 212). Die Bedeutung dieser Begriffsbestimmung liegt namentlich darin, einer Verallgemeinerung 880
Leibrente
§75» Anm. 2—4
des Begriffs der Leibrente entgegenzutreten und damit den Anwendungsbereich der Formvorschrift des §761 möglichst einzuengen (RG 67, 208; 91, 8; 106, 95); dabei wird in der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch wiederholt auf die Bedeutung der Verkehrsauffassung für die Begrenzung des Begriffs der Leibrente hingewiesen (RG 80, 210; 94, 159; 104, 273; D R 1939, 769; R A G 1 1 , 334; vgl. dazu auch Anm. 6). Im einzelnen gilt für diese Begriffsbestimmung des Reichsgerichts folgendes: Anm. 2 1. Der Inhalt der wiederkehrenden Leistungen. Bei einer Leibrente müssen die wiederkehrenden Leistungen in Geld oder anderen vertretbaren Sachen bestehen. Daher kann nach herkömmlicher Rechtsauffassung die Gewährung anderer schuldrechtlicher Leistungen, namentlich von Diensten, nicht Inhalt einer Leibrente sein. Hierin liegt eines der Unterscheidungsmerkmale zwischen der Leibrente und dem Altenteil (RG 104, 273); denn Beköstigung und Wohnungsrecht fallen nicht unter den Begriff der vertretbaren Sachen (vgl. auch RG WarnRspr. 1922 Nr. 65). Die Unterscheidung zwischen Leibrente und Altenteil wird zudem durch die besondere Vorschrift des Art. 96 E G nahegelegt. Auf einen Altenteil (dazu vgl. im einzelnen eingehend RG 162, 52 ff) finden die Vorschriften über die Leibrente keine, auch keine entsprechende Anwendung (RG 104, 274; vgl. dazu auch Anm. 6 a. E.). Anm. 3 Die wiederkehrenden Leistungen müssen nach Inhalt und Höhe bestimmt sein. Sie dürfen insoweit nicht von irgendwelchen inneren Bedingungen abhängig gemacht werden. Namentlich dürfen die Leistungen in ihrem Umfang nicht von wirtschaftlichen Umständen, etwa der Leistungsfähigkeit des Rentenschuldners oder der Bedürftigkeit des Rentengläubigers abhängig sein (RG 67, a n ; 150, 391; WarnRspr. 1922 Nr. 243). Hierin liegt das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zwischen einem Leibrentenvertrag und einem Unterhaltsvertrag; letzterer unterliegt nicht der Formvorschrift des § 761 (RG WarnRspr. 1911 Nr. 266). Daher liegt eine Leibrente auch nicht vor, wenn die Verpflichtung des Rentenschuldners nur solange bestehen soll, als er eine Stellung bei der Bank innehat (RG 91, 8) oder wenn die Höhe der Leistungen von der Ergiebigkeit eines Landguts abhängig sein sollen (RG 137, 262). Das alles gilt, selbst wenn die Leistungen im übrigen auf die Lebensdauer des Berechtigten gestellt werden. Anders ist es dagegen, wenn die Leistung ohne Rücksicht auf die Fortdauer der Unterhaltsbedürftigkeit festgelegt ist, so wenn sich der Ehemann verpflichtet, der Ehefrau nach der Scheidung feste Unterhaltsbeträge zu zahlen und zugleich auf Einwände wegen veränderter Umstände, insbesondere auf die Rechte aus § 323 ZPO, verzichtet (RG 150, 391). — Uber die Anwendbarkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen grundlegender Veränderung wirtschaftlicher Verhältnisse auf die Leibrente vgl. Anm. 9. Anm. 4 2. Die Dauer der Leistungen. Die wiederkehrenden Leistungen müssen auf die Lebensdauer eines Menschen zugesagt werden (RG 67, 208ff). Dieses Erfordernis entspricht dem Sprachgebrauch und der Rechtsentwicklung, aber auch der Verkehrsauffassung. Dabei ist es freilich nicht notwendig, daß die Leibrente auf die Lebensdauer des Berechtigten gestellt ist, sie kann auch auf das Leben des Schuldners oder eines Dritten gestellt sein (über die Bedeutung der Auslegungsregel des Abs. 1 für die Dauer der Rentenverpflichtung vgl. Anm. n ) . Nebenher können auch noch andere Bestimmungen über den Endtermin getroffen sein; so kann die auf das Leben des Berechtigten gestellte Rente von einem beliebigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht werden, z.B. bei einer unverheirateten Frau von ihrer Verheiratung, bei einer Witwe von ihrer Wiederverheiratung (vgl. RG 67, 210). Diese Nebenbestimmungen dürfen nur nicht im Einzelfall dem auf das Leben eines Menschen gestellten Endtermin seine Bedeutung nehmen, was z. B. dann der Fall wäre, wenn einem Kind eine Lebensrente versprochen würde, die aber später nach 10 Jahren enden soll, anders dagegen, wenn eine solche Rente einem 90jährigen Mann versprochen wird.
881
§ 759 Anm. 5—7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 5 3. Die Leibrente als einheitliches Recht. Eine weitere notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Leibrente besteht darin, daß sie ein in sich geschlossenes einheitliches Recht ist, dem die Eigenschaft der Nutzbarkeit im Sinn der §§ gg Abs. 2, ioo innewohnt (RG 8o, 20g; 8g, 261; g4, 158; 104, 273). Dieses Erfordernis stellt eine wesentliche E i n s c h r ä n k u n g des B e g r i f f s der L e i b r e n t e dar und unterscheidet sich von sonstigen Verpflichtungen zur Erbringung wiederkehrender Leistungen. Danach liegt nämlich eine Leibrente nur vor, wenn sich der Schuldner mit einer einheitlichen Kapitalschuld in der Weise belasten will, daß diese sich in einer fortlaufenden Reihe von Einzelleistungen ausgibt (RG 67, 213). Die Leibrente ist also entsprechend ihrer systematischen Stellung im Gesetz ein besonderes S c h u l d v e r h ä l t n i s eigener Art. „Die Renten sind nicht Einzelschulden, sondern Ausläufer eines rentenerzeugenden Gesamtverhältnisses, welches als eine nicht künftige, sondern eine sofort bestehende juristische Einheit zu betrachten ist" (Kohler). Dem entspricht es, daß bei der Leibrente zwischen dem Stammrecht, dem Gesamtanspruch auf die Rente, und den Einzelansprüchen, die sich aus dem Stammrecht (Leibrente) ergeben, streng zu unterscheiden ist. Diese Unterscheidung zwischen dem Stammrecht und den Einzelansprüchen, wie sie der Rechtsprechung des Reichsgerichts zugrundeliegt, ist im Schrifttum z. T. angegriffen worden (vgl. L a r e n z Schuldrecht II 2. Aufl. S. 268 m. w. N.). An ihr ist jedoch festzuhalten, weil sonst der Charakter eines besonderen Schuldverhältnisses bei der Leibrente nicht mehr aufrechterhalten werden kann (vgl. dazu schon R G 67, 207/08). Eine andere Frage ist es, ob man deshalb auch in jedem Einzelpunkt den Grundsätzen folgen muß, die das Reichsgericht aus dieser Unterscheidung zwischen dem Stammrecht und den Einzelansprüchen entwickelt hat (vgl. dazu Anm. 8). Anm. 6 4. Die Bedeutung der Verkehrsauffassung. Für den Begriff der Leibrente, insbesondere für die Beschränkung dieses Begriffes, ist die Verkehrsauffassung von einer besonderen Bedeutung (vgl. dazu Anm. 1 a. E.). Die Berücksichtigung der Verkehrsauffassung ist in diesem Zusammenhang gerechtfertigt und geboten, weil das BGB von einer Begriffsbestimmung der Leibrente Abstand genommen hat (Anm. 1) und dieser Begriff nunmehr nicht nur aus der Rechtsentwicklung und dem Sprachgebrauch, sondern auch unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung abgeleitet werden muß. Das bedeutet, daß alle Ruhegehaltszusagen nicht als eine Leibrente anzusehen sind und deshalb auch nicht der Formvorschrift des § 761 unterliegen. Das ist für das Ruhegehaltsversprechen zugunsten einer Haushälterin bereits in der Entscheidung RG 80, 210 ausgesprochen und sodann in feststehender Rechtsprechung festgehalten worden. Für diese Beurteilung ist es nicht so wichtig, daß das Ruhegehaltsversprechen als Gegenleistung für die Dienste des Arbeitnehmers gegeben wird (RG 94, 15g), entscheidend ist vielmehr der enge Zusammenhang zwischen dem Ruhegehaltsversprechen und dem Dienstvertrag, um dessentwillen die allgemeine Verkehrsauffassung einem solchen Versprechen den Charakter einer Leibrente abspricht (RG 94, 15g; J W ig36, 3453; ig38, 370; SeuffA.rch.g3 Nr. 96; RAG 1 1 , 334). Die Bedeutung der Verkehrsauffassung für den Begriff der Leibrente ist vom Reichsgericht mit Recht auch betont worden, um die erforderliche Unterscheidung zwischen der Leibrente und dem A l t e n t e i l herbeizuführen (vgl. dazu eingehend RG 104, 273). Diese Unterscheidung ist namentlich insoweit von Bedeutung, als nach § 9 E G z. Z V G in Verbindung mit Art. 9 pr. AG z. Z V G als Reallasten im Grundbuch eingetragene Altenteilsrechte von der Zwangsversteigerung auch dann unberührt bleiben, wenn sie bei der Feststellung des geringsten Gebots keine Berücksichtigung gefunden haben. Dieses Privileg gilt für im Grundbuch eingetragene Leibrenten nicht. Anm. 7 5. Der Vergleich als Grundlage der Leibrente. Auch in einem Vergleich kann eine Leibrente bestellt werden (RG SeuffArch. 75 Nr. 73; vgl. auch RG 91, 7). Im Regelfall ist jedoch anzunehmen, daß eine vergleichsweise Regelung über irgendwelche 882
Leibrente
§759 Amn. 8, 9
Ersatzansprüche nicht zu einer Umschaffung des ursprünglichen Schuldgrundes führen, also nicht das besondere Schuldverhältnis der Leibrente begründen soll (vgl. dazu § 779 Anm. 16). Das gilt namentlich, wenn bei Schadensersatzansprüchen vergleichsweise die Zahlung einer Schadensrente für die Lebenszeit des Verletzten vereinbart wird ( R G 89, 262; Hamburg O L G 34, 140), aber auch in sonstigen Fällen ( R G 91, 8; Gruchot 7 1 , 6 1 4 ) . Das bedeutet, daß im Regelfall die vergleichsweise Abänderung des Anspruchsinhalts auch nicht der Formvorschrift des § 761 unterliegt.
II. Der Leibrentenvertrag Anm. 8 1. A l l g e m e i n e s . Das BGB enthält keine besonderen Vorschriften über den Inhalt der LeibrentenVerpflichtung; es beschränkt sich auf einige Auslegungs Vorschriften über die Dauer der Verpflichtung (§ 759) und über die Fälligkeit der einzelnen Ansprüche (§ 760) und auf die Formvorschrift des § 761 für die Erteilung des Leibrentenversprechens. Die Verpflichtung zur Gewährung der Leibrente kann durch Vertrag, aber auch durch einseitiges Rechtsgeschäft (Auslobung) und durch letztwillige Verfügung ( R G SeuffArch. 75 Nr. 73) begründet werden. Der Leibrentenvertrag kann entgeltlich oder unentgeltlich sein ( R G J R 1926 Nr. 2 2 2 1 ; zur Leibrentenschenkung vgl. § 761 Anm. 5). Im ersteren (gewöhnlichen) Fall handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag im Sinn der §§ 320 ff, bei dem der eine Teil das Leibrentenstammrecht zu bestellen, der andere das Entgelt dafür zu entrichten hat. Ist das Stammrecht bestellt, so ist der Vertrag von Seiten des Rentenschuldners an sich erfüllt. Der Anspruch des Rentengläubigers auf die einzelnen Renten gründet sich dann unmittelbar auf das Stammrecht, nur mittelbar auf den Vertrag. Leistet der Schuldner nach Bestellung des Stammrechts von vornherein nicht die einzelnen Rentenleistungen, so steht dem Gläubiger entgegen R G 106, 95 das Recht zum Rücktritt zu; insoweit kann der enge Zusammenhang zwischen dem Stammrecht und den einzelnen Rentenleistungen nicht übersehen werden (vgl. dazu auch S t a u d i n g e r - B r ä n d l Vorbem. 15). Der Leibrentenvertrag ist ein V e r t r a g e i g e n e r A r t (Anm. 5). also nicht K a u f , Tausch oder Darlehn. Das schließt freilich nicht aus, daß in gewisser Hinsicht, etwa für die Verpflichtung des Rentengläubigers zur Zahlung eines Entgelts, Vorschriften des Kaufrechts entsprechend angewendet werden können. Der Leibrentenvertrag kann in die Form eines Vertrages zugunsten eines Dritten gekleidet sein ( R G 150, 133); er bedarf nach § 1822 Nr. 5 der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (vgl. dazu RAG 11, 334).
Anm. 9 2. Die N i c h t i g k e i t d e s V e r t r a g e s . Auf den Leibrentenvertrag finden die allgemeinen Vorschriften über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit eines Vertrages Anwendung. So kommt Nichtigkeit des Leibrentenvertrages nach § 138 in Betracht, wenn die Zuwendung die Fortsetzung eines ehebrecherischen Verhältnisses ermöglichen soll ( R G D R 1940, 2167). Der Leibrentenvertrag beruht in einem besonderen Maß auf dem persönlichen Vertrauen der beiden Vertragsteile ( R G H R R 1933 Nr. 1177). Daher sind bei ihm die Grundsätze von Treu und Glauben besonders zu beachten. Er ist daher auch dem E i n w a n d d e r v e r ä n d e r t e n G e s c h ä f t s g r u n d l a g e zugänglich. Der Umstand, daß bei einem Leibrentenvertrag die wiederkehrenden Leistungen fest bestimmt sein müssen und nicht von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Rentenschuldners abhängig gemacht werden dürfen (Anm. 3), steht diesem Einwand nicht entgegen ( R G J W 1935, 2619; 1938, 2 1 3 5 ; 1939. 345; D R 1940. 2167; vgl. auch B G H W M 1957 709). Immerhin dürfte insoweit eine gewisse Zurückhaltung bei der Anwendung dieser Grundsätze geboten sein (zu weitgehend R G D R 1940 2167; vgl. auch O G H D R Z 1950 327); auch sind bei einem entgeltlichen Leibrentenvertrag strengere Anforderungen an die Begründung des Einwands zu stellen. Aus dem gleichen Grund hat das Reichsgericht nach der Inflation bei einem Leibrentenvertrag die eingetretene Geldentwertung berücksichtigt und eine entsprechende Aufwertung vorgenommen ( R G WarnRspr. 1923/ 1924 Nr. 1 1 5 1 1 7 ) . 883
§ 759 A n m . 10—12
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§760 Die Grundsätze von Treu und Glauben erfordern auch eine Anwendung des Grundgedankens des § 162, wenn die Leibrente bis zum Tod des Gläubigers zu zahlen ist und der Rentenschuldner den Tod des Gläubigers schuldhaft herbeiführt. A n m . 10 3. Weitere Einzelhelten. Im Zweifel ist das Stammrecht nicht übertragbar (§ 399) > dagegen bestehen gegen die Annahme daß die einzelnen Ansprüche abgetreten werden können, keine entscheidenden Bedenken. Die Belastung der Leibrente mit einem Nießbrauch läßt § 1073 zu. Da es sich bei den Einzelansprüchen nicht um aufschiebend bedingte Forderungen handelt (Anm. 2), finden die §§ 258/59 Z P O Anwendung (vgl. auch §§ 324 708 Nr. 6 ZPO). Im Prozeß hat der Leibrentengläubiger nur die Entstehung des Leibrentenstammrechts z u b e w e i s e n , während dem Rentenschuldner der Nachweis des Erlöschensgrundes, insbesondere des Todes der Person, auf deren Leben die Rente gestellt ist, obliegt. Im Konkurs des Rentenschuldners wird die ganze Rente als eine Einheit angemeldet. Sie kann in ihrem kapitalisierten Betrag wie ein einheitliches betagtes, auf die fortlaufenden Renten gerichtetes Forderungsrecht oder als ein auflösend bedingtes Forderungsrecht gegen eine vom Konkursverwalter geltend gemachte Forderung aufgerechnet werden (vgl. §§ 54 65 Abs. 1, 66, 69, 70 K O ; R G 68, 342). Das ergibt sich daraus, daß die Leibrente ein einheitliches, nutzbares Recht ist (Anm. 5). I m übrigen s- §§ 1> 3» 134 Nr. 1, 135 fr K O . III. Die A u s l e g u n g s r e g e l n des § 759 A n m . 11 1. Die Dauer der Rente. Wird die Leibrente auf das Leben des Rentenschuldners oder eines Dritten gestellt, so erlischt die Leibrente selbstverständlich mit dem Tode des Schuldners oder des Dritten. Stirbt in einem solchen Fall der Rentengläubiger vorher, so soll die Rente nach Abs. 1 im Zweifel (da sie mutmaßlich seinem Unterhalt dienen sollte) schon durch diesen Tod erlöschen. Es kann aber auch ein Vertragsinhalt des Inhalts ermittelt werden, daß die Leibrentenverpflichtung auf die Erben des Gläubigers übergehen soll (RG 67, 209/10). Die Auslegungsregel des Abs. 1 greift auch dann ein, wenn über die Dauer der Rente keine ausdrückliche Bestimmung getroffen ist. Steht die Leibrente m e h r e r e n P e r s o n e n , z. B. Eheleuten, bis zum Tode des Längstlebenden von ihnen zu, so ist gemäß § 420 anzunehmen, daß jeder zu einem gleichen Teil berechtigt ist. Mit dem Tode des Erstversterbenden würde also die Rente teilweise erlöschen und nicht dem Überlebenden ganz zuwachsen. Mehrere vertragsmäßige Rentenschuldner haften im Zweifel nach §427 als Gesamtschuldner; die auf den Tod der Rentenschuldner gestellte Rente würde danach durch den Tod eines von ihnen — von anderweitem Vertragswillen abgesehen —- nicht geschmälert. A n m . 12 2. Der B e t r a g der Rente. Abs. 2 gibt eine Auslegungsregel über den Betrag der Rente. Die Regel gilt auch dann, wenn nicht bloß der Betrag, sondern auch der für die Entrichtung der Rente bestimmte Zeitabschnitt bezeichnet ist. „Betrag der Rente 4000 D M , Rente zahlbar vierteljährlich" bedeutet also im Zweifel, daß vierteljährlich 1 000 D M zu zahlen sind.
§ 760 Die Leibrente i s t i m v o r a u s zu entrichten Eine Geldrente i s t für drei Monate v o r a u s z u z a h l e n ; b e i einer anderen Rente b e s t i m m t sich der Zeitabschnitt, für den s i e i m v o r a u s zu entrichten i s t , nach der Beschaffenheit u n d d e m Zwecke der Rente. Hat der Gläubiger den B e g i n n des Zeitabschnitts erlebt, für den die Rente i m v o r a u s zu entrichten i s t , so gebührt i h m der volle auf den Zeitabschnitt entfallende B e t r a g . E I 661 II 702; M 2 639; P 2 486.
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Leibrente
§ 760 A n m . 1, 2 § 761 A n m . 1
Anm. 1 1. Die V o r a u s e n t r i c h t u n g der R e n t e . Die Vorschriften des § 760 ergänzen den Geschäftswillen, sie enthalten n a c h g i e b i g e s R e c h t . Die Vorausentrichtung entspricht dem der Leibrente regelmäßig beiwohnenden Unterhaltszwecke. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, die einmal im J a h r e geerntet werden, pflegen nach der Ernte f ü r ein J a h r im voraus entrichtet zu werden. Uberall ist die Verkehrssitte zu beachten. — Wegen e n t s p r e c h e n d e r A n w e n d u n g des § 760 u n d wegen ähnlicher Vorschriften vgl. §§ 528, 843—845, 1351, 1361, 1580, §§ 62 ff EheG, ferner §§ 1612, 1710, § 7 HaftpflG (Art. 42 EG), § 13 StVG, § 24 LuftVerkG. Unfall-, Invaliden- u n d Altersrenten sind in den besonderen Gesetzen, namentlich in der R V O , geregelt. — Wenn die Vorschriften des § 760 auch vor der Parteivereinbarung zurückweichen, so darf doch das G e r i c h t bei der entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften, beispielsweise bei Rentenansprüchen aus § 843, keine von Abs. 1, 2 abweichende u n d den Schuldner beschwerende Zahlungsweise (z.B. nicht Zahlung im voraus für ein v o l l e s J a h r ) festsetzen. Eine solche Abweichung wäre namentlich im Hinblick auf Abs. 3 von Erheblichkeit (RG 69, 296). Dagegen ist es nicht ausgeschlossen, auf Antrag die Rente f ü r kürzere als dreimonatige Zeitabschnitte zuzusprechen, soweit nicht der Gläubiger dadurch unbillig beschwert werden sollte. Anm. 2 2. D i e V e r j ä h r u n g . Der dem Leibrentenstammrecht entsprechende Gesamtanspruch auf die Rente verjährt gemäß §§ ig5, 198 in 30 J a h r e n , beginnend mit der Fälligkeit der ersten Rentenleistung. Die Ansprüche auf die einzelnen Rentenleistungen verjähren gemäß §§ 197, 201 in 4 J a h r e n , beginnend mit dem Schlüsse des Jahres, in d e m die einzelne Leistung fällig wird. Ist der Gesamtanspruch verjährt, d a n n steht, entsprechend dem Grundsatze des § 224, die Einrede der Verjährung allen Einzelansprüchen, auch den bei Verjährung des Gesamtanspruchs noch nicht fällig gewesenen, entgegen (vgl. auch R G 136, 430, 432).
§761 Zur G ü l t i g k e i t e i n e s V e r t r a g s , d u r c h d e n eine Leibrente v e r s p r o c h e n w i r d , i s t , s o w e i t n i c h t eine a n d e r e F o r m v o r g e s c h r i e b e n i s t , s c h r i f t l i c h e E r t e i l u n g des Versprechens erforderlich. RTKomm i 54.
Ubersicht Anm.
1. 2. 3. 4. 5.
Der Die Die Der Die
Anwendungsbereich der Formvorschrift Wirkung anderer Formvorschriften schriftliche Erteilung des Rentenversprechens Verstoß gegen die Formvorschrift Leibrentenschenkung
l 2 3 4 5
Anm. 1 1. D e r A n w e n d u n g s b e r e i c h der F o r m v o r s c h r i t t . Die von der Reichstagskommission eingefügte Vorschrift trifft zunächst den Vertrag, durch den die Leibrente selbst versprochen, das Stammrecht zugunsten des Leibrentenempfängers begründet wird. Die Formvorschrift m u ß aber auch für den vorausgehenden Grundvertrag gelten, durch den sich der Leibrentengeber zur Bestellung des Leibrentenrechts verpflichtet, u n d der d a n n später durch diese Bestellung (nicht durch die Entrichtung der einzelnen Renten) erfüllt werden soll (RG 67 211). Die Formvorschrift des § 761 gilt nur für eigentliche Leibrentenversprechen. Eine entsprechende Anwendung auf andere, wenngleich ähnliche Verträge, namentlich auf Unterhaltsverträge, bei denen die Leistungen von der Bedürftigkeit des Rentenberechtigten abhängig sind, läßt sich nicht begründen (RG 150 391; WarnRspr. 1911 Nr. 266; 1914 Nr. 243). Vereinbart der Darlehnsgeber
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§ 761 Anm. 2—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
mit dem Darlehnsnehmer die Rückzahlung des Darlehns in Gestalt von Renten, so handelt es sich nicht um die Begründung eines selbständigen Rentenrechts, sondern um eine bloße Nebenbestimmung zu einer bestehenden Schuld, und die Vereinbarung bedarf nicht der Form des § 761 (RG DR 1942, 174). Anm. 2 2. Die Wirkung anderer FormVorschriften. Soweit der Vertrag nach anderen Formvorschriften einer anderen Form bedarf, sind diese anzuwenden. Dabei kommt eine andere Form bei der Leibrente nur für den der Bestellung des Stammrechts vorausgehenden Grundvertrag in Betracht (§§ 311, 312 Abs. 2, 313, 518 Abs. 1, 2371, 2385). Ist z. B. der Grundvertrag über die Gewährung einer Leibrente eine Schenkung (Anm. 5), so ist hierfür nach § 518 Abs. 1 in Ansehung des Schenkungsversprechens gerichtliche oder notarielle Beurkundung vorgeschrieben, wogegen im übrigen die Schenkung keiner Formvorschrift unterstellt ist. Vgl. im übrigen auch Anm. 4. Anm. 3 3. Die schriftliche Erteilung des Rentenversprechens. Zur Wahrung der Form ist schriftliche Erteilung des Leibrentenversprechens erforderlich (vgl. dazu §§ 780, 781, 766 Anm. 9). Die schriftliche Niederlegung für sich allein, etwa zu den Akten des Versprechenden, genügt nicht, das Versprechen muß dem Empfänger „erteilt" werden; die Erteilung kann aber, wie beim Bürgschaftsversprechen (RG 126, 121; § 766 Anm. 9) auch in der Hingabe einer Abschrift der Verpflichtungserklärung an den Berechtigten mit Wissen und Willen des Verpflichteten liegen (RAG 11, 334). Die von dem Leibrentengeber unterzeichnete Urkunde (§ 126) — auch ein Brief (RG 67, 213; RG WarnRspr. 1914 Nr. 166) — muß den wesentlichen rechtlichen Inhalt des Leibrentenversprechens unmittelbar enthalten. Immerhin darf die Urkunde, wenn sie nur nicht in einem wesentlichen Punkte ergänzt wird, unter Berücksichtigung der obwaltenden Umstände erläuternd ausgelegt werden (RG 67, 213/4; vgl. RG 57, 258). Der beurkundete Prozeßvergleich ersetzt die Schriftform (RG WarnRspr. 1917 Nr. 7; vgl. auch RG 129, 43! J W 1937, 1701). S p ä t e r e Ä n d e r u n g e n des Leibrentenvertrags bedürfen der Schriftform dann nicht, wenn der Gläubiger von seinen Rechten etwas preisgibt (Verzicht), oder wenn das Leibrenten versprechen nur verdeutlicht wird. — Die A n n a h m e des V e r s p r e c h e n s durch den Leibrentenempfänger ist an k e i n e F o r m gebunden, auch dann nicht, wenn seine Erklärung den Vertragsantrag bildet. Die Annahme kann auch stillschweigend geschehen. Für das die Leibrente begründende einseitige Rechtsgeschäft (Auslobung) enthält § 761 keine Vorschrift. Daß die Urkunde über das „Leibrentenversprechen" keine rechtsgeschäftliche Bedeutung hat, sondern nur eine persönliche Angelegenheit des Urkundenausstellers bildet, b e v o r dieser das Versprechen gegenüber dem Leibrentenempfänger abgibt, z. B. die Urkunde aushändigt, erhellt aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (vgl. RG 68, 409). Die mündliche Vereinbarung eines Leibrentenvertrags bindet auch den Leibrentenempfänger nicht eher, als das Leibrentenversprechen schriftlich abgegeben ist. Die spätere Abgabe des schriftlichen Versprechens bringt den bindenden Vertrag hervor, vorausgesetzt, daß sie den Vertragswillen des anderen Teiles noch als vorhandenen trifft (§§ 130, 145fr). Anm. 4 4. Der Verstoß gegen die Formvorschrift. Wird das Versprechen n i c h t s c h r i f t l i c h erteilt, so ist der g a n z e V e r t r a g n i c h t i g (§ 125). Das Versprechen ist nicht als ein von seinem Grunde losgelöstes, sondern als Bestandteil eines einheitlichen Vertrags gedacht; dem Versprechen der Leibrente steht (von der Schenkung abgesehen, Anm. 5) das — an sich an keine Formen gebundene —• Versprechen einer Gegenleistung gegenüber. Ist aber für die Verpflichtung zu der Gegenleistung nach §§311,312 Abs. 2, 313, 2371, 2385 gerichtliche oder notarielle Beurkundung vorgeschrieben, so bedarf der g a n z e Leibrentenvertrag d i e s e r Form. Das Leibrentenversprechen ist dann Bestandteil des der Beurkundung bedürfenden Vertrags (vgl. RG 65, 39). Auflassung und Eintragung in das Grundbuch (§313 Satz 2) machen aber in diesem Falle auch den ganzen Vertrag (einschließlich des Leibrentenversprechens) gültig. Entbehrte der Grundvertrag der Form des § 761, wird aber die Formvorschrift beim Abschlüsse des Erfüllungsver886
Spiel. Wette
§ 761 A n m . 5 §762
trags (Anm. i) gewahrt, so verliert damit der erste Formmangel seine Erheblichkeit. Wird aber die Form überhaupt nicht beobachtet, so bleibt der Leibrentenvertrag nichtig trotz beiderseitiger Erfüllung. Mildernde Vorschriften, wie sie in den § § 3 1 3 Satz 2, 766 Satz 2 enthalten sind, fehlen für den Leibrentenvertrag und sind daher nicht, auch nicht entsprechend, anzuwenden (RG 67, 208; vgl. auch München SeuffArch. 67 Nr. 34; Str.). Die Folge ist, daß die beiderseitigen Leistungen nach den Grundsätzen über die Bereicherung, und zwar während der Dauer der dreißigjährigen Verjährungsfrist, zurückgefordert werden können (RG 67, 208).
Anm. 5
5. Die L e i b r e n t e n s c h e n k u n g . Dieser Vertrag, bei dem der Leibrentengeber nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat (§521), bedarf nach §§ 518, 761 der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung, aber nur in Ansehung des Schenkungsversprechens. Die Schenkung wird nicht durch die Einräumung des Leibrentenstammrechts in der einfachen Schriftform des § 761 vollzogen, vielmehr wird die Leistung des Schenkers im Sinne des § 518 Abs. 2 nur insoweit bewirkt, als die einzelnen Ren tengefälle geleistet werden. Die zehnjährige Frist des § 2325 muß in diesem Falle von der Leistung der einzelnen Gefälle an berechnet werden. Bildet die geschenkte Rente —• was regelmäßig zutrifft — eine „Unterstützung" des Rentenempfängers, so gilt § 520; daneben greift § 759 Abs. 1 Platz. Im Zweifel ist also die Unterstützungsrente weder auf Seiten des Rentenschuldners noch auf Seiten des Rentengläubigers vererblich. — Eine den Umständen angemessene A u s s t a t t u n g gilt gemäß § 1624 nicht als Schenkung; ein dem Ausstattungszwecke dienendes Versprechen regelmäßiger Zuschüsse unterliegt daher nicht der Formvorschrift des § 5 1 8 . Eine Anwendung des §761 ist damit nicht ausgeschlossen (RG 63, 323), setzt aber voraus, daß nach den besonders zu prüfenden Umständen des einzelnen Falles wirklich ein Leibrentenversprechen vorliegt (RG 67, 2 1 3 ; 72, 200; R G L Z 1921, 567 2 ). Diese Voraussetzung wird sich aber, wenn die Zuschüsse nicht ausdrücklich als Leibrente versprochen sind, nur selten feststellen lassen; in der Regel werden Ausstattungsrentenversprechen unter dem stillschweigenden Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse erteilt und fallen schon deshalb nicht unter den Begriff der Leibrente (vgl. § 759 Anm. 3 ; R G 1 1 1 , 286). Kein Leibrentenversprechen ist daher auch das Versprechen eines Elternteils, der Tochter einen bestimmten jährlichen Zuschuß als Ausstattung zu zahlen, wenn die Leistungspflicht vom Unterhaltsbedarf der Tochter oder ihres Mannes oder von der Leistungsfähigkeit des Versprechenden abhängen soll (RG Recht 1921 Nr. 1353).
Siebzehnter Titel
Spiel. Wette
§ 76a Durch Spiel oder durch Wette wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat. Diese Vorschriften gelten auch für eine Vereinbarung, durch die der verlierende Teil zum Zwecke der Erfüllung einer Spiel- oder einer Wettschuld dem gewinnenden Teile gegenüber eine Verbindlichkeit eingeht, insbesondere für ein Schuldanerkenntnis. E I «64 II 704; M 2 64; ff; P 2 794?.
U b ersieht
I. Allgemeines I I . Begriffsbestimmung von Spiel und Wette 1. Der Begriff des Spiels 2. Der Begriff der Wette 3. Abgrenzung gegenüber sonstigen Schuldverträgen
Anm.
1 2—6 3 4, 5 6 887
§ 762 A n m . 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm.
I I I . Die rechtliche Behandlung von Spiel und Wette 7—21 1. Die natürliche oder unvollkommene Verbindlichkeit 7— 9 2. Die Erfüllung der Verbindlichkeit 10—16 a) Allgemeines 10 b) Die Erfüllung 11-—13 c) Die Eingehung einer neuen Verbindlichkeit zum Zweck der Erfüllung 14—16 3. Die Nebenverträge bei Spiel und Wette 17—21 a) Auftrag und Geschäftsbesorgung 18 b) Gesellschaftsvertrag ig c) Darlehn 20 I V . Die gesetzlich verbotenen Spiele 21 Anm. 1 I. Allgemeines Die Vorschriften der §§ 762/64 befassen sich mit der Regelung von Spiel und Wette. Dabei gibt § 762 die allgemeine Vorschrift für alle Formen von Spiel und Wette. Die Vorschriften der §§ 763/64 geben Sondervorschriften für die dort behandelten besonderen Formen des Spiels, für die Lotterie und Ausspielung in § 763 und für das Differenzgeschäft in § 764. Dabei stellt § 763 eine wichtige Einschränkung des § 762 insofern dar, als danach die Spielverträge einer staatlich genehmigten Lotterie oder Ausspielung voll wirksam (verbindlich) sind. Das ist praktisch sehr bedeutungsvoll, weil der Umfang der staatlich genehmigten Lotterien und Ausspielungen heute außerordentlich groß geworden ist (vgl. § 763 Anm. 6ff). Damit ist die Vorschrift des § 762 für einen großen Bereich von Spielen heute ohne Bedeutung. Der Staat hat sich der Spielleidenschaft angenommen und zieht daraus seine finanziellen Vorteile. Ob sich das bei dem großen Umfang der staatlich genehmigten Lotterien und Ausspielungen mit dem Grundgedanken des § 762 noch vereinbaren läßt, mag fraglich erscheinen. Die Bedeutung des § 764 besteht darin, daß sie für das Differenzgeschäft eine gewisse Erweiterung des § 762 enthält. Nach Satz 2 liegt ein Differenzgeschäft auch dann schon vor, wenn nur einer der Vertragschließenden die Spielabsicht hat und der andere diese kennt oder kennen muß (dazu § 764 Anm. 7, 8). Anm. 2 II. Begriffsbestimmung von Spiel und Wette Die Unterscheidung von Spiel und Wette hat für das Privatrecht im wesentlichen ihre praktische Bedeutung verloren, seitdem für beide die gleiche rechtliche Regelung gilt. Immerhin kommt dieser Unterscheidung noch insofern für das Privatrecht eine gewisse Bedeutung zu, als das öffentliche und gewerbliche Glückspiel verboten (§§284/85 StGB) und deshalb nichtig ist (§ 134; vgl. dazu Anm. 22), während das für die Wette nicht gilt. Anm. 3 1. Der Begriff des Spiels. Spiel im allgemeinsten Sinne ist eine Tätigkeit, die man nicht um eines Ergebnisses oder eines praktischen Zwecks willen, sondern zum Zeitvertreib, zur Unterhaltung oder zum Vergnügen betreibt, und die namentlich weder ethische noch wirtschaftliche Zwecke verfolgt (RGSt 40, 32/33). Für die Regelung des § 762 kommen nur die G e w i n n - o d e r G e l d s p i e l e in Betracht, bei denen der Reiz des Gewinns die Freude an der Spieltätigkeit erhöht oder auch überwiegt. Dabei ist es für den Begriff des Spiels gleichgültig, wie hoch die Gewinn- und Verlustchancen sind; auch sog. U n t e r h a l t u n g s s p i e l e , bei denen diese Chancen nur gering sind (vgl. dazu RGSt 6, 74; 19, 253), sind Spiel im Sinne des § 762. Nicht notwendig ist es, daß für jeden Spieler die Gefahr eines Vermögensverlustes besteht (vgl. dazu RGSt 45, 426). Bedeutsam ist die Abgrenzung zwischen Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel, weil nur das Glückspiel unter Umständen strafrechtlich verboten ist und dann keinerlei Rechtswirkungen erzeugt (Anm. 22). Beim Glückspiel hängt die Entscheidung über Ge-
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Spiel. Wette
§762
A n m . 4—6 winn und Verlust nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kenntnissen sowie vom Grade der Aufmerksamkeit der Spieler, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall, d. h. vom Wirken unberechenbarer, dem Einfluß der Beteiligten entzogener Ursachen ab ( R G S t 4 1 , 338; 62, i 6 3 ; B G H S t 2, 276). Maßgeblich ist insoweit der Durchschnitt der am Spiel beteiligten Spieler. Beim G e s c h i c k l i c h k e i t s s p i e l hingegen hängt der Erfolg wesentlich (nicht ausschließlich) von der körperlichen oder geistigen Gewandtheit der Spieler ab, z. B. Kegeln ( R G S t 40, 30; R F H 1 1 , 55), Schach, Billard. Nicht unter den Begriff des Spiels im Sinne des § 762 fallen nach der heutigen Auffassung s p o r t l i c h e K a m p f s p i e l e , auch wenn hierbei Gewinne ausgesetzt werden. Das beruht auf dem Wandel in der Auffassung von der Bedeutung der körperlichen Ertüchtigung durch den Sport. Danach unterscheidet sich der Sport von dem Spiel (vgl. dazu auch S t a u d i n g e r - B r ä n d l Vorbem. 5).
Anm. 4 2. D e r B e g r i f f d e r W e t t e . Die Wette ist ein Vertrag, bei dem sich die Parteien zur Bekräftigung einander widerstreitender, auf Uberzeugung gegründeter Behauptungen gegenseitig verpflichten, daß dem, dessen Behauptung sich als richtig erweist, von dem Verlierer eine bestimmte Leistung gemacht werden soll (RG 6 1 , 155/56). Die Wettbehauptung betrifft regelmäßig Vergangenes oder Gegenwärtiges; doch ist dies nicht begriffsnotwendig, sie kann sich vielmehr auch auf die zukünftige Gestaltung der Dinge beziehen. Worin der Nachteil und der ihm entsprechende Vorteil besteht, ist für den Begriff der Wette unerheblich. Der Nachteil, den der Verlierende auf sich nimmt, muß nicht für beide Teile gleich sein. Die Wette wird selbst dadurch nicht ausgeschlossen; daß nur der eine Teil etwas verspricht, also gegen nichts wettet ( e i n s e i t i g e W e t t e ; R G 6 1 , 156). Der Nachteil kann auch darin bestehen, daß sich der Verlierende verpflichtet, im Falle seines Unterliegens mit dem anderen ein für ihn ungünstiges Geschäft (Kaufvertrag) abzuschließen (RG aaO).
Anm. 5 Als Spiel, nicht als Wette, ist die sog. S p i e l w e t t e anzusehen ( R G S t 47, 363). Hier werden von den Beteiligten zwar auch, wie bei der Wette, widerstreitende Behauptungen aufgestellt; aber hierbei handelt es sich nicht um einen echten, auf Überzeugung gegründeten Meinungsstreit. Die Aufstellung der widerstreitenden Behauptungen ist hier nur das Mittel, um Gewinn und Verlust von einer Zufallsentscheidung abhängig zu machen. Die Spielwette kommt häufig beim Wetten über den Ausgang von Sportkämpfen vor (z. B. das Wetten bei öffentlichen Pferderennen, aber auch Fußballtoto)
Anm. 6 3. A b g r e n z u n g g e g e n ü b e r s o n s t i g e n S c h u l d v e r t r ä g e n . Der spekulative oder aleatorische Charakter eines Rechtsgeschäfts macht dieses noch nicht zum Spiel oder zur Wette. Maßgeblich für die Abgrenzung gegenüber den sonstigen Schuldverträgen ist es, ob die Vertragschließenden über den spekulativen Charakter ihrer Vereinbarung hinaus mit dieser noch eigene wirtschaftliche oder sonstige Zwecke verfolgen. Auf die äußere Einkleidung der Vereinbarung kommt es dabei nicht an. So sind Börsentermingeschäfte wirkliche Kaufgeschäfte, wenn die Vertragschließenden die Waren oder Wertpapiere auch kaufen oder verkaufen wollen; sie werden aber zu reinen Spielgeschäften, wenn die Vertragschließenden nur die Zahlung des sich später ergebenden Preisunterschieds zum eigentlichen Gegenstand ihres Vertrages machen (RG 147, 1 1 4 ; WarnRspr. 1933 Nr. 98; vgl. auch R G 138, 1 2 3 ; Näheres bei § 764 Anm. 4). Versicherungsverträge, Leibrentenverträge (auch der sog. Tontinenvertrag, vgl. R G 129, 142) sind nicht Spielverträge, weil ihnen über den aleatorischen Charakter hinaus ein eigener wirtschaftlicher Zweck zukommt. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Tatbestände in R G 66, 222; SeuffArch. 86 Nr. 165 einerseits und in R G SeuffArch. 85 Nr. 5 andererseits. Die einseitige Wette hat äußere Ähnlichkeit mit der A u s l o b u n g (§§ 657fr), unterscheidet sich aber von ihr — abgesehen von der Einseitigkeit der Auslobung ( R G S t 40, 32) — dadurch, daß der Wettende nur seine Behauptung bekräftigen, der Auslobende zu einer bestimmten Tätigkeit anspornen will (vgl. auch § 657 Anm. 3 ; 763
889
§ 762 A n m . 7—10
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 5). Diese Abgrenzung ist wichtig, weil nur Spiel und Wette der Sonderregelung des § 762 unterliegen, die anderen Schuldverträge dagegen voll wirksame Verbindlichkeiten begründen. Anm. 7 III Die rechtliche Behandlung von Spiel und Wette 1. Die natürliche oder unvollkommene Verbindlichkeit. Der Spiel- und Wettvertrag ist grundsätzlich nicht verboten (Ausnahmen Anm. 22), auch verstößt er nicht gegen die guten Sitten; er ist daher nicht ungültig. Er begründet aber nur eine natürliche oder unvollkommene Verbindlichkeit. Die Wirksamkeit dieser Verbindlichkeit erschöpft sich im wesentlichen darin, daß der Schuldner nicht die Leistung zurückverlangen kann, die er zur Erfüllung seiner Spiel- oder Wettschuld erbracht hat. Auf Spiel und Wette finden darüber hinaus die allgemeinen Vorschriften über Rechtsgeschäfte Anwendung (RG SeuffArch. 94 Nr. 34). Namentlich gelten auch hier die Grundsätze von Treu und Glauben (RG 7z, 84); das ist wichtig, weil unter Umständen die Berufung auf die Unklagbarkeit einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen kann (Anm. 8 a. E.). Anm. 8 Dem Gläubiger steht kein Anspruch auf Erfüllung zu. Ihm sind Klage, Einrede und Zurückbehaltungsrecht versagt; auch kann er eine Forderung aus Spiel oder Wette nicht gegen eine andere Forderung aufrechnen. Ferner sind S i c h e r h e i t s b e s t e l l u n g e n , wie Bürgschaft (RG 52, 40), Pfandrecht (RG 52, 364) und Sicherungsübereignung, unverbindlich; die für eine Spiel- oder Wettschuld bestellte Hypothek steht dem Eigentümer zu (RG 68, 103). Das alles folgt schon aus dem akzessorischen Charakter dieser Sicherungsrechte. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Sicherungsrechte von dem Spieloder Wettschuldner oder von einem Dritten bestellt werden. Auch die Übernahme einer Spiel- oder Wettschuld durch einen Dritten (Schuldübernahme) begründet keine wirksame Verbindlichkeit gegenüber dem Spiel gläubiger (bestr.); dagegen kann in einem solchen Fall der Dritte, wenn er die Spielschuld beglichen hat, einen durchsetzbaren Erstattungsanspruch gegen den ursprünglichen Spielschuldner haben (RG WarnRspr. 1916 Nr. 68). Unverbindlich sind auch sonstige Vereinbarungen in dem Spiel- oder Wettvertrag, z. B. die Vereinbarung einer Vertragsstrafe, eines besonderen Gerichtsstandes (RG J W 1915, 791) oder einer Schiedsgerichtsklausel (RG 56, 20; 58, 155); bei letzterer liegt die Sache jedoch anders, wenn dem Schiedsgericht die Entscheidung darüber, ob ein Spiel- oder Wettvertrag vorliegt, übertragen worden ist (RG WarnRspr. 1926 Nr. 141). Die Berufung auf die Unklagbarkeit kann in einem besonderen Fall einen V e r s t o ß g e g e n T r e u u n d G l a u b e n darstellen und deshalb unbeachtlich sein (RG 144, 242); es sind aber insoweit strenge Anforderungen zu stellen (vgl. auch RG SeuffArch. 85 Nr. 5; J W 1935, 927; § 764 Anm. 10). Anm. 9 Die Unklagbarkeit von Spiel- und Wettschulden ist im Prozeß von Amts wegen zu berücksichtigen (RG H R R 1929 Nr. 1 3 1 1 ) . Das kann aber nur in Betracht kommen, wenn sich der Charakter des Geschäfts als Spiel oder Wette aus dem Vortrag des Klägers ergibt. Ist das nicht der Fall, so trifft den Schuldner die B e h a u p t u n g s - und B e w e i s last dafür, daß es sich bei dem anscheinend wirtschaftlich berechtigten Geschäft um einen Spiel- oder Wettvertrag handelt (RG WarnRspr. 1933 Nr. 98). 2. Die Erfüllung der Verbindlichkeit Anm. 10 a) Allgemeines. Erfüllt der Schuldner seine Spielschuld, so kann er später seine Leistung nicht zurückverlangen. Er kann es auch nicht mit der Begründung, er habe die Unverbindlichkeit eines solchen Vertrages nicht gekannt oder er habe den Charakter 809
Spiel. Wette
§762 Anm. 11—13 des Vertrages als eines Spiels oder Wette verkannt (RG 147, 153). Selbst dem Erben ist die Rückforderung versagt, wenn er in Unkenntnis von dem wirklichen Entstehungsgrund die Schuld erfüllt hat (Mot. 2, 644). Der Ausschluß der Rückforderung gilt aber nur gegenüber dem Mangel der Unverbindlichkeit als Spiel- oder Wettschuld. Andere Mängel werden durch die Erfüllung nicht geheilt (RG J W 1919, 568). Ist der Spieloder Wettvertrag aus besonderen Gründen, z. B. wegen Geschäftsunfähigkeit, infolge Anfechtung wegen Irrtums oder Betrugs nichtig, so kann die Leistung nach den allgemeinen Grundsätzen über die ungerechtfertigte Bereicherung zurückgefordert werden (§§ 812, 817). Auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen unerlaubter Handlung kann ein Rückforderungsanspruch in Betracht kommen (RG 70, 5; 90, 254/55). z - B- wenn bei einer Wette der eine Teil über die behauptete Tatsache besondere, dem Gegner verschwiegene Nachricht besaß (Wette ä coup sur). Anm. 11 b) Die Erfüllung. Die Leistung oder die Teilleistung muß in ihrem Umfang die Schuld völlig tilgen, so daß keine Verbindlichkeit zurückbleibt. Auf Grund des Spiels geleistet ist nicht nur der n a c h der Entscheidung gezahlte Gewinn, sondern auch der beim Spielbeginn als u n b e d i n g t e V o r l e i s t u n g gezahlte Einsatz, wie es bei der Lotterie und Ausspielung sowie bei verschiedenen Gesellschaftsspielen vorkommt (RG 79, 408). Dieser Einsatz kann daher nicht zurückverlangt werden. Anders ist es, wenn der eine Teil dem anderen vor der Entscheidung den Betrag seines etwaigen Wettoder Spielverlustes übergibt und sich dabei die Rückforderung für den Fall vorbehält, daß das Spiel oder die Wette für ihn günstig ausgeht. Denn dann ist seine Leistung nur eine Sicherung des bedingten Wett- oder Spielanspruchs, nicht aber Erfüllung im Sinne des § 762. So handelt es sich bei den Einschüssen, die bei Börsentermingeschäften vielfach von dem Verkäufer zur Deckung eines etwaigen Verlustes durch Kursrückgänge eingefordert werden, um eine Sicherung, nicht um eine Erfüllung; die eingeschossenen Beträge unterliegen daher der Rückforderung, wenn der Einwand aus den §§ 762, 764 zulässig und begründet ist (OLG Hamburg SeufTArch. 73 Nr. 29). Anm. 12 Als Erfüllung kommt auch eine Ersatzerfüllung durch Leistung an Erfüllungsstatt in Betracht. In diesem Fall muß es sich in dem vereinbarten Umfang der Erfüllung um eine unbedingte und endgültige Lösung des Schuldverhältnisses handeln. Es darf keine weitere persönliche Verbindlichkeit des Schuldners zurückbleiben (RG WarnRspr. 1915 Nr. 177). Daher ist die Bestellung einer Sicherheit niemals Ersatzerfüllung. Auch ist es keine Ersatzerfüllung, wenn der Schuldner seine Lebensversicherungspolice mit der Verpflichtung zur weiteren Prämienzahlung abtritt, wogegen der Gläubiger den Schuldner, solange er die Prämie zahlt, nicht in Anspruch nehmen und sich erst nach dem Tode des Schuldners aus der Versicherung befriedigen soll (RG J W 1902 Beil. 254). Dagegen ist die Abtretung einer Hypothek, die an einem dem Spielschuldner nicht gehörigen Grundstück bestellt wird, Ersatzerfüllung, wenn damit die Spielschuld endgültig getilgt sein soll (RG 68, 103); dasselbe gilt für die Bestellung einer Grundschuld, hinter der keine persönliche Verpflichtung mehr besteht (RG 147, 153). Mit Rücksicht auf Abs. 2 ist auch die Ersetzung der Spielforderung durch eine andere Forderung gegen den Schuldner niemals Ersatzerfüllung (dazu im einzelnen Anm. 14fr). Anm. 13 Als Ersatzerfüllung kann auch die Hinterlegung in Betracht kommen. Aber bei einer Hinterlegung vor der Entscheidung wird es sich meist wie bei der Vorauszahlung (Anm. 11) um die Bestellung einer Sicherheit, nicht um eine Erfüllung handeln. Der Schuldner kann seine Spielschuld auch dadurch erfüllen, daß er mit einer gewöhnlichen Forderung gegen den Gläubiger aufrechnet. Auch die vertragsmäßige Aufrechnung kann als Erfüllungsbestand in Betracht kommen; im voraus ist diese freilich nicht verbindlich. Als vertragsmäßige Aufrechnung ist es anzusehen, wenn nach der Entscheidung vereinbart wird, daß der Empfänger eine als Sicherheit anzusehende Vorauszahlung behalten soll (RG LZ 1914, 1920). Uber die Besonderheiten einer vertragsmäßigen Aufrechnung durch Saldoanerkenntnis beim Kontokorrent vgl. § 764 Anm. 9. 58
Komm. z. B G B , n . Aufl. II. Bd. (Fischcr)
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§ 762 Anm. 14—16
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 14 c) Die Eingehung einer neuen Verbindlichkeit zum Zwecke der Erfüllung. Zur Erreichung des vom Gesetze verfolgten Zweckes mußten die Vorschriften des Abs. i auf die im Abs. 2 bezeichneten Verbindlichkeiten erstreckt werden, die keine selbständige Rechtsgrundlage haben, sondern auf dem Boden des vom Gesetze mißbilligten Geschäfts stehen (vgl. auch BörsG § 59). Dem als Beispiel hervorgehobenen Schuldanerkenntnisse (§ 781) steht das S c h u l d v e r s p r e c h e n (§ 780) gleich. Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis können nach §§ 812ff zurückgefordert werden; die aus ihnen hervorgehenden unvollkommenen Verbindlichkeiten (Anm. 3) können aber gemäß Abs. 1 Satz 2 erfüllt werden. Weiter kommt das V e r e i n b a r u n g s d a r l e h n nach § 607 Abs. 2 sowie die U m s c h a f f u n g (Novation) des Schuldverhältnisses in Betracht, z. B. die Umwandlung einer unwirksamen Spielforderung in ein Darlehn gegen Hypothekbestellung (RG WarnRspr. 1915 Nr. 177). Anm. 15 Von besonderer Wichtigkeit ist die Hingabe eines Wechsels. Sie steht auch dann der Erfüllung nicht gleich, wenn der Wechsel nicht zahlungshalber, sondern an Zahlungs Statt von dem Spiel- oder Wettschuldner dem Gläubiger begeben wird. Der Schuldner kann den Wechsel von dem Gläubiger nach §812 Abs. 1 Satz 2 zurückfordern. Löst der Schuldner am Verfalltag den Wechsel, auch wenn er sich in der Hand eines Dritten befindet, f r e i w i l l i g ein, so ist die Rückforderung ausgeschlossen; Abs. 1 Satz 2 findet Anwendung. Dagegen ist die Diskontierung des Wechsels mit Zustimmung des Spielschuldners und die Gutschrift des Erlöses an den Spiel gläubiger noch keine Erfüllung der Spielschuld (RG WarnRspr. 1935 Nr. 116); die Rückforderung ist daher nicht ausgeschlossen. Löst der Spielschuldner am Verfalltag den Wechsel einem Dritten, der Wechselgläubiger geworden ist und dem der Spieleinwand nach Art. 17 WG nicht entgegengehalten werden kann, unfreiwillig ein, so kann er von dem Spielgläubiger den an den Wechselgläubiger gezahlten Betrag zurückverlangen. Die Behauptungs- und B e w e i s l a s t dafür, daß der Spielschuldner freiwillig oder unfreiwillig (unter Vorbehalt) gezahlt hat, trifft nicht den Gläubiger, sondern den Schuldner (RG 138, 124). Der Spielschuldner kann dem Dritterwerber den Spieleinwand nur entgegenhalten, wenn dieser den Wechsel in der Absicht erworben hat, jenem diesen Einwand abzuschneiden; die Kenntnis des Dritterwerbers davon, daß der Wechsel zur Deckung einer Spielschuld gegeben worden war, genügt hierfür noch nicht (RG WarnRspr. 1921 Nr. 13). Andererseits kann aber die unbefugte Weiterbegebung des Wechsels durch den Spielgläubiger an einen Dritten den Gläubiger nach §826 schadensersatzpflichtig machen (RG 51, 360; 56, 3 2 1 ; J W 1929, 40). Wird dem Schuldner ein Wechsel, der zugleich fremde Unterschriften trägt, an den Spielgläubiger indossiert, so erlangt dieser aus dem Indossament zwar keinen Wechselanspruch gegen seinen Spielschuldner, er kann sich aber Befriedigung von den übrigen Wechselschuldnern verschaffen; insofern stellt dann die Weitergabe eines solchen Wechsels an Zahlungs Statt eine Erfüllung im Sinne des Abs. 1 Satz 2 dar. Anm. 16 Ein Schuldanerkenntnis kann auch in die äußere Form eines Vergleichs gekleidet sein. In diesem Fall erzeugt auch ein Vergleich keine Verbindlichkeit. Besteht aber im Ernste eine Ungewißheit der Vertragschließenden darüber, ob im gegebenen Falle eine gültige Verbindlichkeit entstanden ist, insbesondere ob der vorliegende Vertrag den Charakter des Spieles oder der Wette im Sinne des Gesetzes hat, z. B. ob er ein gültiges Kauf- oder Kommissionsgeschäft, ein gültiges Börsentermingeschäft oder ein klagloses Differenzgeschäft (§ 764) ist, so ist der zur Beseitigung dieser Ungewißheit geschlossene Vergleich wirksam, mochte der Vertrag auch in Wahrheit Wette oder Spiel sein und deswegen eine Verbindlichkeit nicht bestehen (RG Gruchot 47, 933; WarnRspr. 1914 Nr. 309; SeufFArch. 83 Nr. 186). Dieser Vergleich findet seine Rechtsgrundlage in dem gesetzlich gebilligten Zwecke der Streitbeilegung und kann wegen eines innerhalb des Streitgebiets liegenden Irrtums nicht mit dem Einwände aus § 779 Abs. 1 oder mit der Anfechtung aus § 119 bekämpft werden (vgl. RG J W 1905, 689). Wird durch einen 892
Spiel. Wette
§762
Anm. 17—20 Vergleich nicht die Ungewißheit darüber, ob im Hinblick auf die Vorschriften über Spiel und Wette eine Verbindlichkeit besteht, sondern über andere Fragen beseitigt, z. B. in betreff des Zustandekommens des Vertrags überhaupt ( R G J W 1 9 0 1 , 6 2 1 1 3 ) oder über die Art und Weise der Erfüllung ( R G J W 1897, 608 26 ), so entsteht keine Verbindlichkeit von größerer K r a f t , als sie § 762 Abs. 1 verleiht ( R G SeuffArch. 83 Nr. 186).
Anm 17 3. Die Nebenverträge bei Spiel und Wette. Die Bestimmungen des § 762 be-
ruhen nicht nur auf dem Gedanken, daß Spiel- und Wettverträge des Rechtsschutzes nicht würdig sind, sondern auch auf der Vorstellung, daß namentlich das Spielen und Wetten auf Borg erhebliche sittliche und wirtschaftliche Gefahren mit sich bringt. Aus diesen Gründen wird jeder Z w a n g zur Berichtigung einer Spiel- oder Wettschuld ausgeschlossen. Dieser Grundgedanke nötigt dazu, die Bestimmungen dieser Vorschrift auch auf solche Verträge anzuwenden, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Spiel- oder Wettvertrag stehen und das Spielen und Wetten auf Borg ermöglichen oder erleichern sollen. Als solche Nebenverträge kommen in Betracht:
Anm. 18 a ) A u f t r a g und G e s c h ä f t s b e s o r g u n g . Der Zweck des Gesetzes würde vereitelt, wenn jemand, der einen anderen für sich spielen oder wetten und die Spielverluste und -einsätze oder die Wettbeträge für sich auslegen läßt, also seinerseits auf Borg spielt oder wettet, von seinem B e a u f t r a g t e n oder Geschäftsbesorger zur Zahlung der entstandenen Schuld (Auslagen, Vergütung) gezwungen werden könnte. Solche Ansprüche müssen daher den eigentlichen Spiel- und Wettschulden gleichgeachtet werden ( R G 5 1 , 1 5 6 ; Gruchot 47, 932; J W 1906, 228). Auch der A u f t r a g g e b e r hat gegen den Beauftragten keinen Anspruch auf Ausführung des Auftrags oder auf Schadensersatz wegen Nichtausführung (Hamburg O L G 14, 30). Der Beauftragte ist jedoch, da das Geschäft nicht unsittlich ist, gemäß § 667 zur Herausgabe des Erhaltenen und Erlangten verpflichtet, wogegen er seine Aufwendungen abrechnen kann (§670); dadurch wird nicht das Spiel gefördert, sondern nur der Gewinn an den befördert, dem er gebührt (vgl. R G 5 1 , 1 5 6 ; auch R G 58, 280). M a n kann also nicht sagen, daß das Gesetz unter Vereitelung seines Zweckes umgangen werde. Auch dann, wenn der Spieler, d e r b e r e i t s v e r l o r e n h a t , einen anderen beauftragt, für ihn die Spielschuld zu zahlen, erhält der Beauftragte durch die Zahlung einen klagbaren Ersatzanspruch gegen den Auftraggeber (vgl. auch R G 45, 160). — Die gleichen Grundsätze wie f ü r den Auftrag gelten auch für das K o m m i s s i o n s g e s c h ä f t ( R G 138, 124).
Anm. 19 b ) G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g . A u c h aus einem Gesellschaftsvertrage können Ansprüche auf Mitwirkung bei Spiel oder Wette oder auf Zahlung von Beiträgen zu Spiel- oder Wettzwecken nicht entstehen. Ist ein Gewinn bereits gemacht worden, so kann dessen Verteilung verlangt werden. Ob ein Anspruch auf Mittragung eingetretenen Verlustes anzuerkennen sei, ist streitig; die Frage wird meist bejaht, dürfte aber, da das Gesetz eine Förderung des Spiels durch Gewährung gerichtlicher Hilfe vermeiden will, eher zu verneinen sein; doch können Verluste ebenso wie andere Auslagen von dem zu verteilenden Gewinn abgezogen werden (vgl. dazu auch R G 147, 1 1 2 mit A n m . von H . L e h m a n n J W 1 9 3 5 , 1548).
Anm. 20 c ) D a r l e h n . Die gleichen Grundsätze gelten, wenn der Gewinner dem Verlierer ein Darlehn gibt, damit er aus diesem die Spiel- oder Wettschuld bezahlt. Denn in diesem Falle verhält es sich praktisch nicht anders, als wenn nach eingetretenem Verlust die Spiel- od er Wettschuld in ein Vereinbarungsdarlehn umgeschaffen wird (ebenso R G J W 1902, 369; vgl. auch A n m . 14). Anders beurteilt das Reichsgericht die Rechtslage , wenn ein Dritter einem anderen für Spiel oder Wette ein Darlehn gibt, obwohl man auch hier daran denken könnte, nach dem Grundgedanken des § 762 diese Vorschrift entsprechend anzuwenden, u m das Spielen und Wetten auf Borg mit seinen js*
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§ 762 Anm. 21, 22 §763
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
sittlichen und wirtschaftlichen Gefahren einzudämmen. Nach Auffassung des Reichsgerichts findet hier § 762 keine Anwendung (RG 67, 355; 70, 1 ; J W 1914, 296). In allen Fällen ist das Reichsgericht gleichwohl dabei zu befriedigenden Ergebnissen gelangt, weil es hier stets die Frae der Sittenwidrigkeit (§ 138) geprüft und dabei einen verhältnismäßig scharfen Maßstab angelegt hat. So hat das Reichsgericht die Sittenwidrigkeit und damit die Unwirksamkeit eines solchen Darlehns stets bejaht, wenn der Darlehnsgeber von eigennützigen Motiven bestimmt war. So wird es als ein Verstoß gegen die guten Sitten bezeichnet, wenn ein Klub, der hauptsächlich zu dem Zwecke gegründet ist, seinen Mitgliedern ein Glücksspiel mit hohen Einsätzen zu ermöglichen, diesen während des Spielse Darlehn aus der Klubkasse (oder Spielmarken, Schips) gibt, um ihre Spiellust anzuregen oder sie bei Verlust zur Fortsetzung des Spieles in den Stand zu setzen und dadurch den eigenen Gewinn zu vergrößern; und die gleiche Beurteilung wird in der Regel auch dann Platz greifen müssen, wenn das Darlehn von dem Kassierer des Klubs oder von einer anderen an dem Klub und dessen Einnahmen, z. B. durch den Bezug eines hohen Kartengeldes, beteiligten Person zu dem gleichen Zwecke gegeben wird (RG J W 1914, 296®; WarnRspr. 1921 Nr. 1 1 , 12). Unsittlich ist auch die eigennützige Gewährung von Darlehn zur Gründung, Einrichtung und Ausstattung eines Spielklubs (RG WarnRspr. 1922 Nr. 63; RG SeufTArch. 76 Nr. 204; RG Gruchot 65, 213). Anm. 21 Die vorstehenden Bemerkungen (Anm. 17 ff) gelten nicht für das staatlich genehmigte Spiel. Bei einem solchen Spiel sind Nebenverträge der vorstehenden Art verbindlich (§ 763 Anm. 18), es sei denn, daß in einem Einzelfall der Tatbestand des § 138 gegeben ist. Anm. 22 IV. Die gesetzlich verbotenen Spiele Nach den §§ 284 fr StGB sind die Veranstaltung und die Beteiligung am öffentlichen Glücksspiel, das gewerbsmäßige Glücksspiel sowie die Veranstaltung einer öffentlichen Lotterie oder einer öffentlichen Ausspielung von Sachen ohne obrigkeitliche Erlaubnis strafrechtlich verboten. Spielverträge dieser Art sind daher nach § 134 nichtig; eine Anwendung des § 762 kommt insoweit nicht in Betracht. Leistungen, die auf Grund solcher Verträge erbracht sind, können nach Maßgabe der §§ 812 ff, 817 zurückverlangt werden. Nebenverträge (Anm. 17 ff), die sich auf ein verbotenes Spiel beziehen, sind ebenfalls nichtig.
§ 763 Ein Lotterievertrag oder ein Ausspielvertrag ist verbindlich, wenn die Lotterie oder die Ausspielung staatlich genehmigt ist. Anderenfalls finden die Vorschriften des § 762 Anwendung. E I 665 II 703; M 2 648; P 2 804.
Übersicht Anm.
1. Allgemeines 2. Begriffsbestimmung von Lotterie und Ausspielung a) Der Begriff der Lotterie b) Der Begriff der Ausspielung c) Abgrenzung gegenüber Auslobung 3. Arten von Lotterie und Ausspielung a) Die Klassenlotterie b) Die Rennwette c) Die Zinsenlotterie d) Die Zahlenlotterie e) Der Fußballtoto f) Preisrätsel und Preisausschreiben 894
1 2—5 3 4 5 6—14 7—9 10 11 12 13 14
Spiel. Wette
§ 763 Anm. 1—3 Anm.
4. Die staatlich genehmigte Lotterie und Ausspielung a) Die staatliche Genehmigung b) Die Verbindlichkeit des Vertrages c) Die Nebenverträge 5. Die staatlich genehmigte Lotterie und Ausspielung 6. Die verbotene Lotterie und Ausspielung
15—18 16 17 18 19, 20 21
Anm. 1 1. Allgemeines. §763 gibt gegenüber §762 eine Sondervorschrift für Lotterie und Ausspielung. Ohne diese Vorschrift würde auch für Lotterie und Ausspielung § 762 gelten, da beide nur besondere Formen des Spiels sind. Die Bedeutung des § 763 besteht darin, daß bei staatlich genehmigter Lotterie und Ausspielung § 762 nicht gilt, diese also voll wirksame Verbindlichkeiten begründen. Damit wird — namentlich bei dem heute in großem Umfang staatlich genehmigten Lotterien und Ausspielungen — der Anwendungsbereich des § 762 recht wesentlich eingeschränkt (dazu § 762 Anm. 1). Anm. 2 2. Begriffsbestimmung von Lotterie und Ausspielung. Auch für Lotterie und Ausspielung gibt das Gesetz keine Begriffsbestimmung. Dabei ist für das Privatrecht —für das Strafrecht vgl. § 286 StGB — die Abgrenzung zwischen Lotterie und Ausspielung ohne Bedeutung, weil für beide die gleichen Grundsätze gelten; dagegen ist die Abgrenzung gegenüber anderen Spielen von Bedeutung, weil nur für die Lotterie und Ausspielung § 763 gilt. Anm. 3 a) Der Begriff der Lotterie. Eine Lotterie ist eine Unternehmung, die auf den Abschluß und die Ausführung von zusammenhängenden Lotterieverträgen gerichtet ist. Ein Lotterievertrag ist vorhanden, wenn jemand für eigene Rechnung sich gegenüber einem anderen schuldrechtlich verpflichtet, nach einem festgesetzten Plan beim Eintritt eines ungewissen, wesentlich vom Zufall abhängigen Ereignisses dem anderen einen bestimmten Geldbetrag zu gewähren, während der andere unbedingt einen bestimmten Geldbetrag, den Einsatz, zu zahlen hat (RG 60, 381; 77, 344; WarnRspr 1915 Nr. 216). Der Einsatz wird häufig in der Form eines Loskaufs geleistet; er kann aber auch versteckt, mit einem Warenkaufspreis (RG 115, 326; J W 1931, 1926; BGHSt 2, 83), mit einem Eintrittsgeld (RG WarnRspr igi5 Nr. 216), mit einem Vereinsbeitrag oder einem Inseratenpreis (RG H R R 1935 Nr. 474) verbunden sein. Dabei ist es nicht notwendig, daß bei einer solchen Verbindung beide Leistungen (Kaufpreis und Einsatz) besonders hervortreten; der Betrag des Einsatzes braucht nicht einmal im Wege der Schätzung feststellbar zu sein (RG WarnRspr 1915 Nr. 216). Immer muß aber auch der versteckte Einsatz auf dem Spielplan beruhen (BGHSt 3, 104). Der Spielteilnehmer muß sich auch bewußt sein, daß er mit dem Vertragsschluß einen Vermögenswert für die Beteiligung an den Gewinnaussichten opfert (RGSt 65, 195; insofern nicht unbedenklich RGSt 60, 127; R F H 21, 267). Beteiligung an einer Auslosung ohne Einsatz ist keine Lotterie (vgl. auch R F H 17, 33; 30, 139). — Mit dem Begriff der Lotterie ist es vereinbar, daß von vornherein nicht feststeht, wieviele Lose ausgegeben und wieviele Gewinne von jeder der bezeichneten Gewinnsorten neben dem Hauptgewinn gezogen werden sollen (RG H R R 1935 Nr. 474). Die Gewinnaussichten müssen im wesentlichen vom Zufall abhängen (dazu BGHSt 2, 140); das braucht aber für die Teilnehmer nicht erkennbar zu sein (aM RGSt 60, 385). Ist dagegen die Gewinnaussicht im wesentlichen von der Geschicklichkeit abhängig (vgl. dazu R F H 17, 33; 36), so liegt keine Lotterie vor. Die Losziehung kann auch von dem Ausgang einer anderen Losziehung (RG J W 1931, 1926) oder von dem Ausgang eines Sportkampfes (Flugsport: RG WarnRspr 1915 Nr. 216; Fußball: OLG Koblenz NJW 1950, 703) abhängig gemacht werden. — Preisrätsel als Lotterie dazu Anm. 14.
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§ 763 Anm. 4—8
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 4 b) Der Begriff der Ausspielung. Die Ausspielung ist Sach- oder Warenlotterie. Der Gewinn ist hier nicht Geld, sondern andere Gegenstände. Im übrigen gilt für die Ausspielung das gleiche wie für die Lotterie. So ist es auch für die Ausspielung notwendig. daß die Gewinnaussichten im wesentlichen vom Zufall abhängen (RG 6o, 381; 115, 326; RGSt 34, 143; RFH 17, 33; 36; 20, 205; aM Vorauf!. Anm. 1). In der Rechtsprechung werden als Warenausspielung auch die sog. G e s c h ä f t e mit p r o g r e s s i v e r K u n d e n w e r b u n g (Gellaverfahren, Hydrageschäfte, Schneeballsystem, Rabattsystem Multiplex) angesehen (RG 60, 379; 115, 319; RGSt 34, 140; BGHSt 2, 79; 139). Das erscheint bei den neueren Ausgestaltungen dieser Geschäfte nicht ganz unbedenklich, weil es sich bei ihnen um Waren des täglichen, immer wieder neuen Bedarfs handelt und hier von Zufallsergebnissen nicht ohne weiteres mehr gesprochen werden kann (offen gelassen in BGH 15, 372; hier sind aber solche Geschäfte als Verstoß gegen § 1 UWG bewertet worden). Anm. 5 c) Abgrenzung gegenüber der Auslobung. Die Abgrenzung zwischen Lotterie und Ausspielung einerseits und der Auslobung andererseits bereitet Schwierigkeiten. Sie ist wegen der verschiedenen rechtlichen Regelung wichtig und bei den Preisausschreibungen mit Werbungscharakter auch praktisch bedeutungsvoll. Die Auslobung bezweckt die Erbringung einer Leistung, die für den Auslobenden im allgemeinen von Bedeutung ist und deshalb mit einem Preis belohnt wird. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, daß die Entscheidung durch Los getroffen wird; aber diese Losentscheidung ist dann immer nur „eine Verlegenheitshilfe, weil zufällig die Leistung mehrfach erbracht wurde" (Elster J R 1933, 214). Bei der Lotterie dagegen ist die Mitwirkung des Loses bei der Entscheidung von vornherein ein primärer Bestandteil, weil nach Lage der Dinge mit einer vielfachen Erbringung der Leistung gerechnet wird, diese zudem für den Unternehmer ohne eigene Bedeutung ist; hier bildet damit der Charakter des Spiels den eigentlichen Inhalt des Rechtsgeschäfts (vgl. dazu auch RFH 17, 33; 36 sowie Anm. 14). Anm. 6 3. Arten von Lotterie und Ausspielung. Sie sind so mannigfaltig, daß sie nicht erschöpfend aufgezählt werden können. Es ist daher hier nur möglich, einen Hinweis auf die praktisch wichtigsten Arten der Lotterie und Ausspielung zu geben; dabei sind die staatlich genehmigten Lotterien und Ausspielungen von besonderer Bedeutung. Anm. 7 a) Die Klassenlotterie. Sie ist Lotterie und nur als Staatslotterie zulässig. Für sie war zunächst die Zuständigkeit der Länder gegeben. Durch das Gesetz über die Deutsche Reichslotterie vom 21. Dezember 1938 wurde sodann für die Staatslotterien die Zuständigkeit des Reichs begründet. Heute fallt das Staatslotteriewesen wieder in die Zuständigkeit der Länder, die ihrerseits wieder durch vertragliche Vereinbarungen das staatliche Lotteriewesen geregelt haben (vgl. die Süddeutsche Klassenlotterie für Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz; die Nordwestdeutsche Klassenlotterie für die übrigen Länder). — Bei der Klassenlotterie hat sich die Rechtsprechung namentlich mit der Frage nach dem Zeitpunkt für den Abschluß des Lotterievertrages und mit der Stellung der Hilfspersonen zu beschäftigen gehabt. Anm. 8 Für den Abschluß des Lotterievertrages ist im allgemeinen davon auszugehen, daß das Angebot hinfällig werden soll, wenn das Los g e z o g e n wird, bevor das Angebot angenommen ist; denn nach der Ziehung kommt nicht mehr ein Hoffnungskauf (§ 433 Anm. 106), sondern der Kaufeiner entstandenen, unbedingten Gewinnforderung in Betracht (RG 50, 193; 59, 298). Auch die Zusendung eines Erneuerungsloses für die höhere Klasse an einen Spieler, der schon in den niederen Klassen gespielt hat, führt in der Regel zur Übertragung des Loses nur dann, wenn der Spieler das Los vor der
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Spiel. Wette
§763 Anm. 9—11
Ziehung bezahlt. Stets bleibt aber im Einzelfall zu prüfen, ob das Angebot einen anderen Willen des Anbietenden erkennen läßt, wie das z. B. in den Entscheidungen R G 50, 193; 59, 298 der Fall war. Auch kann der Abschluß eines Lotterievertrages in Betracht kommen, wenn der Käufer das ihm übersandte Los erst nach Ablauf des festgesetzten letzten Erneuerungstages bezahlt und der Lotterieunternehmer der Zahlung vor der Ziehung nicht widersprochen hat (RG J W 1929, 362). Bei einer längeren Geschäftsverbindung kann unter besonderen Umständen ein vorbehaltloses Losangebot auch dadurch angenommen werden, daß das zugesandte Los vor der Ziehung nicht zurückgeschickt wird (dazu B G H N J W 1957, 1105). Der Losverkäufer ist regelmäßig nicht verpflichtet, dem Käufer rechtzeitig ein Erneuerungslos zu übersenden ( R G J W 1927 2411).
Anm. 9
Beim Vertrieb des Loses werden Hilfspersonen tätig, als Losverkäufer namentlich die sog. L o t t e r i e e i n n e h m e r . Sie sind nicht selbständige Kaufleute, sondern abhängige Bedienstete. Denn die Geschäftsanweisungen der Staatslotterien engen ihre Befugnisse im Rahmen ihres Aufgabenbereichs so ein, daß ihnen das für den selbständigen Kaufmann erforderliche Maß von geschäftlicher Betätigungsfreiheit nicht mehr verbleibt (RVersG Z A k D R 1938, 674). Sie sind Angestellte kraft bürgerlich-rechtlichen Dienstvertrages. Das jederzeitige Kündigungsrecht, das sich die Staatslotterien in diesen Verträgen vorbehalten, unterliegt den Grundsätzen von Treu und Glauben; die Kündigungserklärung kann aus diesem Grund in einem Einzelfall unwirksam sein ( R G WarnRspr 1938 Nr. 71). Die Lotterieeinnehmer sind Vermittler für den Abschluß von Verträgen zwischen dem Lotterieunternehmer und dem Loskäufer. Die Verträge sind für den Unternehmer nur verbindlich, soweit sie sich im Rahmen der Planbestimmungen halten. Weichen die Verträge von den Planbestimmungen ab, so sind sie nicht etwa unverbindlich; sie gelten dann als Verträge des Lotterieeinnehmers mit dem jeweiligen Loskäufer ( R G J W 1929, 362).
Anm. 10 b) Die Rennwette. Das Wettunternehmen für öffentlich veranstaltete Pferde-
rennen (Totalisator) ist seinem Wesen nach eine Lotterie; der Wettvertrag ist also nach § 763 verbindlich, wenn das Unternehmen staatlich genehmigt ist. Für die Rennwette gelten die Sondervorschriften des Rennwett- und Lotteriegesetzes vom 8. April 1922 { R G B l I 393) mit Änderungen durch Gesetze vom 10. 4. 1933 (RGBl I 191) und vom 23. 3. 1934 (RGBl I 213). Danach ist das Unternehmen des Totalisators von einer Erlaubnis der Landeszentralbehörde abhängig. Der B u c h m a c h e r , der gewerbsmäßig Wetten bei öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde abschließt oder vermittelt, bedarf zudem der behördlichen Erlaubnis. Uber die Wette ist ein Wettschein auszustellen; bei Buchmachern genügt auch die Eintragung in ein amtlich geliefertes Wettbuch. Ist der Wettschein ausgehändigt oder die Wette in das Wettbuch eingetragen, so ist die Wette für den Unternehmer des Totalisators oder den Buchmacher verbindlich, es sei denn, daß Abweichendes besonders vereinbart ist (RGJW 1926, 2283). Ein von dem Wettenden gezahlter Einsatz kann nicht zurückverlangt werden. Soweit der Einsatz nicht gezahlt ist, kann er vom Gewinn (für das Pferd, für das der Einsatz gestundet ist, R G J W 1926, 2283) abgezogen werden. Rennwette ist auch die sog. A b l e g e w e t t e , bei der ein Buchmacher die bei ihm gemachten Wetteinsätze zur Einschränkung der von ihm übernommenen Gefahr an einen anderen Buchmacher weitergibt ( R G WarnRspr 1926 Nr. 157; 1928 Nr. 168).
Anm. 11 c) Die Zinsenlotterie. Hierzu gehören die Prämienanleihen, wie sie die Bundes-
republik 1951 mit den sog. Baby-Bonds ausgegeben hatte (vgl. dazu Anleihegesetz vom 29. 3. 1951 — BGBl I 218). Bei diesen Anleihen werden keine oder geringere Zinsen gezahlt und die einbehaltenen Zinsbeträge jeweils zur Auslosung nach einem bestimmten Gewinnplan verwendet. Auch das Prämiensparen ist eine solche Zinsenlotterie (BVerwG M D R 1957, 314).
897
§ 763 Anm. 12—15
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 12 d) Die Zahlenlotterie. Sie gewinnt seit einiger Zeit eine große praktische Bedeutung. Sie ist landesgesetzlich geregelt und jetzt in allen Ländern der Bundesrepublik zugelassen (vgl. etwa Nds. Gesetz über das Zahlenlotto vom 27. 2. 1956 — GVOB1 9 —: und das Gesetz über das Zahlenlotto in Baden-Württemberg vom 10. 3. 1958 — GBl 87). Die landesgesetzlichen Bestimmungen weichen im einzelnen voneinander ab. Eine große Rolle spielen bei der Zahlenlotterie (meist Zahlenlotto genannt) die Gewinngemeinschaften, bei der sich mehrere Personen gemeinsam am Zahlenlotto beteiligen. Diese Gewinngemeinschaften sind im allgemeinen Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die unter den Beteiligten entsprechende gesellschaftliche Rechte und Pflichten hervorrufen (vgl. dazu BGHSt Betrieb 1955, 47). Anm. 13 e) Der Fußballtoto. Für den Fußballtoto sind die jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften (vgl. etwa NRW.Sportwettengesetz vom 3.5.1955 — GBl. 84 — und Nds. Sportwettengesetz vom 25.2.1949 — GVOB1. 48 — sowie VO über Wettbestimmungen für den Abschluß von Fußballwetten vom 24.10.1956 — GVOB1. 215) und die darauf beruhenden Bestimmungen der einzelnen Totogesellschaften maßgeblich. Diese Wettbestimmungen sind nicht Rechtssätze, sondern Geschäftsbedingungen privatrechtlichen Inhalts (BVerwG 1956, 341). Der Fußballtoto, eine Art der Sportwette, ist Lotterie im Sinn des § 763 (OLG Koblenz NJW 1950, 703). Nach den Vertragsbestimmungen der einzelnen Totogesellschaften ist es für den Gewinnanspruch des Spielers entscheidend, daß der Wettschein C in den Besitz der Zentrale der Totogesellschaft gelangt. Das kann im Einzelfall eine Härte für den Spieler bedeuten, wenn die unterbliebene Ubersendung an die Zentrale auf ein Verschulden der Annahmestelle beruht; man wird aber diese Härte wohl hinnehmen müssen, weil andernpfalls betrügerischen Manipulationen nicht wirksam begegnet werden kann (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei K o h l h a a s J Z 1951, 135). Ergibt sich freilich der Ausschluß einer Haftung für das Verschulden der Erfüllungsgehilfen (Annahmestellen) nicht zweifelsfrei aus den Wettbestimmungen, so geht das zu Lasten der Totogesellschaft (BGH 5, 1 1 1 ) . Wie beim Zahlenlotto sind auch hier die häufig vorkommenden Gewinngemeinschaften im Regelfall Gesellschaften bürgerlichen Rechts (OLG Braunschweig MDR 1954, 354). — In den landesrechtlichen Sportwettengesetzen ist die gewerbsmäßige Vermittlung von Sportwetten meist unter Strafe gestellt. Das hat zur Folge, daß die mit einer solchen Vermittlung im Zusammenhang stehenden Rechtsgeschäfte nichtig sind (KG NJW 1955. 345)Anm. 14 f) Preisrätsel und Preisausschreiben. Sie werden häufig zu Werbezwecken veranstaltet und können im Einzelfall Lotterie oder Ausspielung sein. Das ist der Fall, wenn für die Teilnahme ein Einsatz, auch ein versteckter (dazu Anm. 3) geleistet wird und das Rätsel so leicht ist, daß über die Gewinnbeteiligung das Los entscheiden muß (sog. Scheinrätsel). Hier ist das Rätsel und seine Lösung nur die äußere Einkleidung für die Teilnahme an der Lotterie oder Ausspielung. Um eine Lotterie (oder Ausspielung) dieser Art handelt es sich bei den heute verbreiteten R u n d f u n k l o t t e r i e n mit einfachen Rätselfragen. Im einzelnen kann bei solchen Preisrätseln die Abgrenzung zur Auslobung Schwierigkeiten bereiten (dazu Anm. 5). Als Lotterie oder Ausspielung kommen auch solche Preisrätsel in Betracht, die mehrdeutig sind (sog. delphische Preisrätsel; bedenklich RGSt 60, 385); denn bei solchen Rätseln ist die Entscheidung darüber, welche der mehreren Lösungen vom Veranstalter als richtig angesehen wird, vom Standpunkt des Teilnehmers aus gesehen zufallbedingt. Immer ist es aber in diesen Fällen notwendig, daß von den Teilnehmern ein Einsatz gefordert wird (vgl. dazu auch R F H 17, 33; 36; 30, 139). Anm. 15 4. Die staatlich genehmigte Lotterie oder Ausspielung. Die Sonderregelung des § 763 gilt nur für diese. Obwohl auch sie Spiel im Sinn des § 762 ist, ist der einzelne Lotterie- oder Ausspielvertrag voll wirksam. Für sie gilt daher § 762 nicht. 898
Spiel. Wette
§ 76J Anm. 16—20
Anm. 16 a ) D i e s t a a t l i c h e G e n e h m i g u n g . Sie wurde ursprünglich nach Maßgabe der Landesgesetze von den danach zuständigen Landesbehörden erteilt. Dann war die V O über die Genehmigung öffentlicher Lotterien und Ausspielungen (Lotterieverordnung) vom 6. 3. 1937 (RGBl I 283) maßgebend, wonach das den Landesbehörden übertragene Recht, öffentliche Lotterien und Ausspielungen zu genehmigen, unter bestimmten Voraussetzungen auf den Reichsminister des Inneren überging. Nunmehr sind die Landesbehörden für die Erteilung der Genehmigung wieder zuständig. Die Einzelheiten hierfür richten sich nach den jeweiligen Landesgesetzen (vgl. z. B. RdErl. d. NW. Innenministers zur Lotterieverordnung vom 12. 3. 1957 — MB1. 698). Staatliche Lotterien bedürfen keiner besonderen Genehmigung; sie sind als solche im Sinne des § 763 ohne weiteres genehmigt.
Anm. 17 b ) Die V e r b i n d l i c h k e i t d e s V e r t r a g e s . Bei staatlicher Genehmigung ist der einzelne Vertrag voll wirksam. Der Unternehmer hat einen Anspruch auf den noch nicht entrichteten Einsatz, der Spieler einen klagbaren Anspruch auf die vertragsmäßige (planmäßige) Vornahme der Ziehung und gegebenenfalls auf den Gewinn. Der Anspruch des Losvertreibers verjährt nach § 196 Abs. 1 Nr. 5. Nicht abgesetzte Lose darf der Unternehmer auf eigene Rechnung spielen. In der Regel sind die Lose Schuldverschreibungen auf den Inhaber (§§ 793 ff; R G S t 67, 67); auch im Fall des § 794 ist § 763 Satz 1 entsprechend anzuwenden, obgleich in diesem Fall ein Vertrag nicht geschlossen ist. § 795 dagegen ist unanwendbar. Im übrigen finden auf den Lotterievertrag die allgemeinen Vorschriften über Rechtsgeschäfte, insbesondere auch die Grundsätze von Treu und Glauben Anwendung ( R G SeuffArch 94 Nr. 34; vgl. auch N J W 1952, 80).
Anm. 18 c) Die N e b e n v e r t r ä g e . Auch alle Nebenverträge, die mit einem wirksamen Lotterie- oder Ausspielvertrag im Zusammenhang stehen, sind voll wirksam ( R G 93, 349; O L G Hamburg SeuffArch 76 Nr. 83). Die bei § 762 Anm. 17 fr dargelegten Grundsätze gelten dann nicht. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang namentlich Gesellschaftsverträge, wenn sich mehrere Personen zur gemeinsamen Beteiligung an einer Lotterie zusammentun (vgl. dazu R G J W 1908, 324; Anm. 12). Voll wirksam sind auch die Geschäfte, die auf der Grundlage eines Lotterievertrages abgeschlossen werden,, wie z.B. der Verkauf, die Schenkung und Verpfändung eines Loses.
Anm. 19 5. Die staatlich nicht genehmigte Lotterie und Ausspielung. Auf die nicht
genehmigten Lotterien und Ausspielungen findet § 762 Anwendung. Sie begründen also nur eine unvollkommene Verbindlichkeit. Das gilt auch dann, wenn sie im Einzelfall keiner Genehmigung bedürfen und deshalb auch nicht genehmigt werden. Die Zahlung des Kaufpreises für das Los einer nicht genehmigten Lotterie ist Erfüllung (dazu § 762 Anm. 10). Eine nicht genehmigte Lotterie oder Ausspielung kann auch einen Verstoß gegen § 1 U W G darstellen, wenn sie zum Zweck des Wettbewerbs veranstaltet wird ( R G 115,. 330; vgl. auch B G H 15, 356).
Anm. 20 A u ß e r d e u t s c h e L o t t e r i e n sind niemals staatlich genehmigt im Sinn des § 763Daraus folgt jedoch nicht, daß dem Spielenden keine Rechte gegen den ausländischen Unternehmer zustehen; denn insoweit ist das ausländische Recht maßgeblich ( R G Gruchot 46, n 79). Dagegen kann von dem einzelnen Teilnehmer niemals eine Leistung erzwungen werden, die nach deutschem Recht eine streifbare Hgndlung darstellen würde (Art. 30 EG). Ausgeschlossen sind daher bei Spielgemeinschaften klagbare Ansprüche auf Erwerb des Loses, auf Bezahlung des versprochenen Anteilspreises, auf Fortsetzung
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§ 763 A n m . 21
§ 764 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
des begonnenen Spiels oder auf Schadensersatz wegen Nichtausführung des Spiels; dagegen ist ein Anspruch auf Auszahlung des Gewinnanteils oder auf Abtretung des Gewinnanspruchs gegeben (RG 58, 277). A n m . 21 6. Die verbotene Lotterie und Ausspielung. Verstößt die Lotterie oder Ausspielung gegen § 286 StGB, so sind die einzelnen Verträge nichtig (RG 115, 325); das ist freilich nicht ganz unzweifelhaft, weil § 286 StGB nur das Verhalten des Unternehmers unter Strafe stellt, die Handlung also nicht für beide Vertragsteile verboten ist. Demnach ist auf die nach § 286 StGB verbotene Lotterie und Ausspielung § 762 nicht anwendbar. Weitere Strafbestimmungen enthält auch das Rennwett- und Lotteriegesetz vom 8. 4. 1922. Daher sind die an einem im Inland nicht erlaubten Totalisatorunternehmen oder bei einem im Inland nicht zugelassenen Buchmacher abgeschlossenen Wettverträge nichtig.
§ 764 Wird ein auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren lautender Vertrag in der Absicht geschlossen, daß der Unterschied zwischen d e m vereinbarten Preise und d e m Börsen- oder Marktpreise der Lieferungszeit von d e m verlierenden Teile an den gewinnenden gezahlt werden soll, so ist der Vertrag als Spiel anzusehen. Dies gilt auch dann, w e n n nur die Absicht des einen Teiles auf die Zahlung des Unterschieds gerichtet ist, der andere Teil aber diese Absicht kennt oder kennen m u ß . M 3 647; P 2 804; R T K o m m
Übersicht Anm.
1. Das Differenzgeschäft a) Der Begriff des Differenzgeschäfts b) Die Beweisanzeichen für das Differenzgeschäft c) Das Kassageschäft d) Das wirtschaftlich berechtigte Differenzgeschäft 2. Die rechtliche Beurteilung des Differenzgeschäfts a) Die Auslegungsvorschrift des Satzes 2 b) Das Differenzgeschäft als Spiel 3. Der Differenzeinwand 4. Die Beweislast 5. Das Börsentermingeschäft
1—6 1, 2 3 4, 5 6 7—9 7» 8 9 10 11, ia 13
Anm. 1 1. Das Differenzgeschäft a) Der Begriff des Differenzgeschäfts. Das Differenzgeschäft ist ein Terminoder Zeitgeschäft, das zwar auf die Lieferung von Waren oder Wertpapieren l a u t e t , jedoch in der Absicht geschlossen ist, daß entgegen dem Wortlaut des Vertrages zu der vorgesehenen Lieferungszeit die bezeichneten Waren oder Wertpapiere nicht geliefert werden sollen; vielmehr soll zu diesem Zeitpunkt lediglich der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsen- oder Marktpreis der Lieferungszeit von dem verlierenden Teil gezahlt werden. Das bedeutet, daß das Differenzgeschäft im Rechtssinn ein Scheingeschäft (§ 117) ist, weil es sich bei ihm entgegen dem Wortlaut des Vertrages nach dem Willen der Parteien nicht um ein Lieferungsgeschäft handelt; immer soll nach dem Willen der Parteien nur eine Preisdifferenz gezahlt werden. Differenzgeschäfte sind mithin solche Geschäfte, die keine Beziehung zum Güterumsatz des Wirtschaftslebens und der mit ihm verbundenen wirtschaftlichen Tätigkeit haben, sondern die aus den (nicht voraussehbaren) Schwankungen des Marktes Gewinn zu erzielen suchen (RG 117, 269). Dabei ist es in der Praxis nicht üblich, die wirkliche Absicht der
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Spiel. Wette
§764
Anm. 2—4 Parteien besonders zum Ausdruck zu bringen (so beim sog. o f f e n e n D i f f e r e n z g e s c h ä f t ) . Die wirkliche Absicht muß vielmehr aus den Begleitumständen und besonderen Beweisanzeichen geschlossen werden (sog. v e r d e c k t e s D i f f e r e n z g e s c h ä f t ) . Dabei gewährt die Bestimmung des Satzes 2 eine wesentliche Erleichterung (dazu Anm. 7). Immerhin bereitet die Feststellung, daß es sich im Einzelfall um ein Differenzgeschätz handelt, Schwierigkeiten. In der Rechtsprechung sind daher feste Grundsätze darüber entwickelt worden, welche Umstände für das Vorliegen eines DifTerenzgeschäfts sprechen (dazu Anm. 3). Anm. 2 Wesentlich ist stets die Vereinbarung einer späteren Lieferzeit; denn sie ist die Grundlage für die Ermittlung einer Preisdifferenz zwischen dem vereinbarten Preis und dem Preis eines späteren Zeitpunkts. Dabei ist es allerdings möglich, daß die Bestimmung des maßgeblichen Stichtages in das Belieben eines der Vertragschließenden gestellt wird (RG WarnRspr 1917 Nr. 54; 1933 Nr. 98); notwendig ist nur, daß sich der Stichtag genau bestimmen läßt (RG 79, 238). In diesem Erfordernis liegt ein Unterschied zu dem K a s s a g e s c h ä f t (Anm. 4, 5), bei dem dieser Stichtag fehlt; denn dieses ist ein echtes Lieferungsgeschäft und beschränkt sich seinem Inhalt nach auf die Lieferungs- und Abnahmevereinbarung. Der Charakter des Differenzgeschäfts geht nicht dadurch verloren, daß der eine Vertragschließende ein entsprechendes Gegengeschäft ( D e c k u n g s g e s c h ä f t ) abschließt (RG 34, 89; 79, 240; 1 1 7 , 268). Anm. 3 b) Die Beweisanzeichen für ein Differenzgeschäft. Nach der Lebenserfahrung sprechen eine Reihe von Umständen dafür, daß in einem Einzelfall die Vertragschließenden entgegen dem Wortlaut des Vertrages nicht die Absicht haben, zu dem vereinbarten Lieferungszeitpunkt die bezeichneten Waren oder Wertpapiere zu liefern und entgegenzunehmen, sondern daß ihr wirklicher Vertragswille lediglich auf die Zahlung einer Preisdifferenz gerichtet ist. Solche besonderen Umstände sind in erster Linie ein fehlendes berufliches Interesse an den „zu liefernden" Waren (RG 34, 85; 1 1 7 , 270), ein auffälliges Mißverhältnis zwischen dem Vermögen des Kunden und dem Umfang seines Geschäfts (RG 34, 86; WarnRspr 1914 Nr. 157) oder auch die Geringfügigkeit einer gegebenen Deckung (RG 34, 268). Ferner läßt die Form der bisherigen Geschäftsverbindimg zwischen den Vertragschließenden Schlüsse auf ein Differenzgeschäft zu, so das fortgesetzte Unterbleiben einer effektiven Erfüllung (RG WarnRspr 1929 Nr. 82), mögen auch einmal einzelne Geschäfte effektiv abgewickelt worden sein (RG 79, 387), oder die regelmäßige Vornahme von Prolongationen (RG J W 1900, 297). Weiterhin ist der Charakter der gehandelten Waren oder Wertpapiere als beliebter Spielobjekte von Bedeutung (RG 79, 387; WarnRspr 1917 Nr. 207). Schließlich können Bemerkungen der Parteien vor oder bei Vertragsabschluß für die Beurteilung wichtig sein (vgl. R G 1 1 7 , 270; auch R G 79, 239; 387). Zur Frage der B e w e i s l a s t vgl. Anm. 1 1 . Anm. 4 c) Das Kassageschäft. Vom Differenzgeschäft zu unterscheiden ist das Kassageschäft (sofortige Lieferung gegen sofortige Zahlung, Tageskauf zum Tageskurs, Tagesgeschäft). Es ist ein echtes L i e f e r u n g s g e s c h ä f t , das auf wirkliche Lieferung und wirklichen Empfang der Waren und Wertpapiere abzielt, und bei dem die Zahlung des Preisunterschieds nur unter besonderen Umständen, z. B. als Ersatz des abstrakten Schadens oder gemäß einer nachträglich getroffenen Vereinbarung, für die Vertragschließenden in Betracht kommt. Dem Kassageschäft fehlt die Vereinbarung einer späteren Lieferzeit. Das Kassageschäft kann durchaus in Spekulationsabsicht geschlossen werden. Auch wenn der Käufer die gekauften Papiere nicht als dauernde Vermögensanlage behalten, sondern sie alsbald wieder verkaufen will, fehlt doch das wesentliche Merkmal des Differenzgeschäfts, daß nämlich durch ein e i n h e i t l i c h e s Zeitgeschäft lediglich um den Unterschied des vereinbarten Preises und des ungewissen Börsen- oder
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§ 764 Anm. 5, 6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Marktpreises am späteren Stichtag gespielt wird. Wenn auf den Kassakauf später ein Verkauf folgt, so kann zwar zwischen dem Kauf- und Verkaufspreis zugunsten oder zum Nachteil des Spekulanten ein Unterschied bestehen, aber hier bildet das erste mit dem zweiten Geschäft keine Einheit (RG 52, 250). S o l c h e S p e k u l a t i o n s g e s c h ä f t e sind k e i n e S p i e l v e r t r ä g e (RG WarnRspr 1915 Nr. 207; J W 1928, 1399; SeuffArch 87 Nr. 89). Anm. 5 Es ist jedoch möglich, daß sich unter dem Deckmantel von Kassageschäften Spielverträge verbergen (RG 147, 1 1 5 m. w. N.). Das ist z.B. der Fall, wenn einem Kassageschäft die Vereinbarung hinzugefügt wird, daß die Ware unter Kreditierung des Kaufpreises an einem bestimmten Tag für Rechnung des Käufers wieder verkauft werden soll (RG 52, 252) oder wenn beide Parteien übereinstimmend den Willen haben, daß weder der eine Teil die Abnahme noch der andere die Lieferung der angeblich gekauften Papiere solle verlangen können, sondern daß lediglich die Kursdifferenz zwischen dem Ankaufstag und einem Stichtag dem einen oder dem anderen Teil gutgeschrieben werden solle (RG SeuffArch 83 Nr. 186). Es handelt sich in einem solchen Fall in Wirklichkeit nur um ein Scheinkassageschäft, das ein Zeitgeschäft verdecken soll (RG H R R 1937 Nr. 855). Ein Fall dieser Art liegt vor, wenn der „ K ä u f e r " mit dem Ankaufspreis am 3. April und im voraus mit den Zinsen bis Ultimo April in laufender Rechnung belastet, ein formeller Verkauf Ultimo April verbucht und der Käufer sodann mit dem Verkaufspreis erkannt wird (RG 59, 321). Die Beweisanzeichen für das Vorliegen eines Differenzgeschäfts (Anm. 3) genügen für die Annahme eines Scheinkassageschäfts im allgemeinen nicht (RG 52, 252; WarnRspr 1919 Nr. 35). So kann aus dem Umstand, daß ein Kassageschäft sich zwischen vielen zweifelsfreien Differenzgeschäften befindet, allein noch nicht der Schluß gezogen werden, daß das Kassageschäft nur ein verschleiertes Spielgeschäft sei (RG J W 1902, 445). Auch wird die Natur des Kassageschäfts regelmäßig nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Ware oder das Papier nicht in den Besitz des Käufers gelangt, sondern alsbald weiter verkauft wird, oder daß die wirkliche Lieferung hinausgeschoben wird oder daß der eine Teil den Kaufpreis dem anderen gegen Zurückbehaltung der gekauften Papiere einstweilen stundet (RG 59, 323; SeuffArch 87 Nr. 89; H R R 1937 Nr. 855). Es spricht eine t a t s ä c h l i c h e V e r m u t u n g dafür, daß Geschäfte, die sich in dem äußerlichen Rahmen von Kassageschäften abspielen, auch wirtschaftlich als Kassageschäfte anzusehen sind (RG SeuffArch 87 Nr. 89; vgl. auch RG 147, 115). Andererseits kann man die für ein Differenzgeschäft sprechenden Beweisanzeichen auch in diesem Zusammenhang nicht als völlig bedeutungslos bezeichnen; sie sind bei der Würdigung der gesamten Umstände mit zu berücksichtigen (RG 91, 45; 147, 1 1 5 ; WarnRspr 1919 Nr. 35; 1933 Nr. 98). Ein Geschäft, bei dem die Bank gegen sofortige Zahlung eines Preises in inländischer Währung einen erst nach drei Monaten fälligen Wechsel über einen Betrag in ausländischer Währung kauft, ist nicht ein Scheinkassageschäft, auch dann nicht, wenn es während einer Inflation geschieht (RG J W 1928, 1399); es ist vielmehr ein effektiver Kauf mit stark (oder rein) spekulativem Einschlag (vgl. des weiteren den Tatbestand in R G H R R 1937 Nr. 855). Zur Frage der B e w e i s l a s t vgl. Anm. 12. Anm. 6 d) Das wirtschaftlich berechtigte Differenzgeschäft. § 764 will wirtschaftlich berechtigte Geschäfte nicht erfassen. Deshalb hat das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung Differenzgeschäfte als voll wirksam angesehen, wenn sie den Bedürfnissen eines gesunden Geschäftsverkehrs dienen. So hat das Reichsgericht namentlich d a s sog. H e d g e g e s c h ä f t im B a u m w o l l h a n d e l als wirtschaftlich berechtigt und damit als voll wirksam anerkannt (RG 107, 24; 1 1 7 , 267; 146, i g o ; J W 1936, 2067; 1938, 946). Das Charakteristische dieser Geschäftsmethode besteht darin, daß neben einem auf tatsächliche Lieferung in Ware gerichteten Hauptgeschäft ein besonderes Termingeschäft zu dem Zweck abgeschlossen wird, um die im Hauptgeschäft liegende, durch plötzliche und unvorhergesehene Kursschwankungen bedingte Gefahr in geeigneter 902
Spiel. Wette
§764 Anm. 7—9
Weise auszuschalten (RG 146, 192; WarnRspr 1929 Nr. 82). Das Termingeschäft muß stets in einer Beziehung zu einem anderen, auf tatsächliche Lieferung gerichteten Hauptgeschäft im Betrieb des einzelnen stehen und der Ausschaltung des in diesem Hauptgeschäft liegenden Kursrisikos dienen. Eine solche Beziehung besteht nicht, wenn der Fabrikant zur maßgeblichen Zeit einen Vorrat an Rohbaumwolle hatte, der zur Herstellung der verkauften Garnmenge mehr als ausreichte (RG WarnRspr 1929 Nr. 82). Ein Spinner, der lediglich zum Zweck der Preisspekulation Baumwolltermingeschäfte abschließt, ist also grundsätzlich nicht anders zu behandeln wie ein Spinner, der Kupfertermingeschäfte abschließt (RG 146, 193).
Anm. 7 2. Die rechtliche Behandlung des Differenzgeschäfts a) Die A u s l e g u n g s v o r s c h r i f t d e s S a t z e s 2. Durch Satz 2 wird die Feststellung erleichtert, daß die Vertragschließenden bei Vertragsabschluß die Absicht hatten, daß nur ein Preisunterschied gezahlt werde. Danach ist es ausreichend, wenn eine solche Absicht nur bei dem einen Teil festgestellt wird und der andere diese Absicht kennt oder nach den Umständen kennen muß. Es genügt also, die auf Zahlung des Preisunterschieds gerichtete Absicht auf der einen und die schuldhafte Nichtkenntnis dieser Absicht auf der anderen Seite nachzuweisen. Damit erübrigt sich die Feststellung einer stillschweigenden Einigung über den Ausschluß der wirklichen Lieferung und die Zahlung des Preisunterschieds (RG J W 1907, 744). Diese Vorschrift findet auch Anwendung, wenn sich der eine Vertragsteil beim Abschluß von Termingeschäften eines A g e n t e n bedient. Er muß dann die Kenntnis oder die schuldhafte Nichtkenntnis dieses Agenten von der Spielabsicht des anderen Vertragsteils gegen sich gelten lassen, und zwar auch dann, wenn zwischen den Vertragsteilen unterschriftlich vollzogene Schlußscheine gewechselt sind und diese auf wirkliche Lieferung lauten (RG 5 1 , 1 5 1 ; J W 1910, 234; WarnRspr 1929 Nr. 82; SeuffArch 85 Nr. 5). Es müssen aber insoweit auch die Grundsätze über den Vollmachtsmißbrauch zur Anwendung kommen, so daß der Vollmachtgeber dann die Kenntnis seines Agenten nicht gegen sich gelten lassen muß (RG 134, 72).
Anm. 8 B e i d e m S c h e i n k a s s a g e s c h ä f t findet Satz 2 k e i n e A n w e n d u n g . Denn die Annahme eines Scheinkassageschäfts ist nur gerechtfertigt, wenn sich beide Vertragsteile mindestens stillschweigend darüber einig sind, daß ihr Geschäft ein Zeitgeschäft verdecken soll (Anm. 5).
Anm. 9 b) D a s D i f f e r e n z g e s c h ä f t a l s S p i e l . Nach Satz 1 ist das Differenzgeschäft als Spiel anzusehen. Das bedeutet, daß auch hier die Vorschriften des § 762 über das Spiel zur Anwendung kommen (vgl. dazu §762 Anm. 7 f f ) . Von besonderer Bedeutung ist für das Differenzgeschäft die Frage einer Erfüllung der Differenzschuld durch vertragsmäßige Aufrechnung. Die vertragsmäßige Aufrechnung stellt an sich eine Leistung im Sinn des §762 Abs. 1 Satz 2 dar (§ 762 Anm. 13). Besonderes gilt aber für die A n e r k e n n u n g e i n e s S a l d o s im Kontokorrentverhältnis. Die Anerkennung eines Schuldsaldos stellt keine wirksame Erfüllung dar. Beruft sich der Saldoschuldner auf die Klaglosigkeit gewisser mitverrechneter Geschäfte, so ist die ganze Verrechnung als nicht erfolgt anzusehen. Das ganze Rechnungsverhältnis bedarf dann einer erneuten Würdigung auf Grund des Kontokorrentvertrages, wobei die Posten aus klaglosen Geschäften als fortgefallen zu behandeln sind (RG 132, 218; 144, 3 1 1 ; J W 1936, 2072; 1937, 1245; anders noch R G 56, 24, 59, 193). Wird jedoch auf eine bestimmte Terminschuld eine Barzahlung geleistet, so liegt trotz Verbuchung im Kontokorrent eine Erfüllungsleistung vor (RG J W 1936, 2072). Die auf das Differenzgeschäft vorgenommene Zahlung von Einschüssen und Nachschüssen ist entsprechend der allgemeinen Verkehrsanschauung regelmäßig Hingabe zur Sicherung einer künftigen Differenzschuld, nicht Leistung im Sinn des § 762 Abs. 1 Satz 2.
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§ 764 A n m . 10—12
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 10 3. Der Differenzeinwand. Liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines Differenzgeschäfts vor, so ist § 764 auch dann anzuwenden, wenn der Differenzschuldner schon beim Abschluß des Geschäfts die Absicht hatte, den Differenzeinwand zu erheben. Die Geltendmachung des Differenzeinwands ist ein gesetzliches Recht des Differenzschuldners, das daher auch grundsätzlich zu beachten ist (RG 146, 194). Das Gericht ist darüber hinaus von Amts wegen verpflichtet, die Klaglosigkeit des Anspruchs aus einem festgestellten Differenzgeschäft zu berücksichtigen (Anm. 11; § 762 Anm. 9). Im Einzelfall kann aber die Geltendmachung des Differenzeinwands gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb unbeachtlich sein. Das ist mit Rücksicht auf seine Stellung und das sich darauf gründende Vertrauen bei einem Rechtsanwalt (RG 144, 242), bei einem Oberbürgermeister (RG H R R 1938 Nr. 211), aber auch bei einem Aufsichtsratsmitglied einer Genossenschaft (RG 148, 357) bejaht worden, kann aber darüber hinaus auch dann in Betracht kommen, wenn mit Rücksicht auf das vorausgegangene Verhalten die Geltendmachung des Differenzeinwands einen groben Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde (vgl. dazu RG BankA 1934/35, 378; J W r 937) 2455). Die Erhebung des Differenzeinwands kann einen wichtigen Grund für die Entlassung des Geschäftsführers einer GmbH bilden (RG 53, 266). Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, seine Partei auf die Möglichkeit der Erhebung des Differenzeinwands hinzuweisen (RG 139, 358; vgl. auch WarnRspr 1935 Nr. 135). A n m . 11 4. Die Beweislast. Der Charakter eines Differenzgeschäfts und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen sind vom Prozeßgericht von Amts wegen zu beachten. Einer besonderen Geltendmachung des Differenzeinwands durch den Differenzschuldner bedarf es nicht. Das bedeutet jedoch nicht, daß der Gläubiger zur Begründung seines Anspruchs dartun und beweisen muß, daß die Voraussetzungen eines Differenzgeschäfts nicht vorliegen, sein Anspruch also voll wirksam ist. Vielmehr ist es zunächst Aufgabe des Schuldners, den Scheincharakter des abgeschlossenen Lieferungsgeschäfts (Anm. 1) und die in Betracht kommenden Beweisanzeichen für das Vorliegen des Differenzgeschäfts (Anm. 3) darzutun und zu beweisen (RG WarnRspr 1914 Nr. 157). Ergeben sich hieraus sodann begründete Zweifel an dem Vorliegen eines voll wirksamen Geschäfts, so ist es Sache des Gläubigers, diese Zweifel auszuräumen. Macht ein Gläubiger aus einem Termingeschäft Ansprüche geltend und trägt er vor, daß es sich um ein wirtschaftlich berechtigtes Termingeschäft (Anm. 7) handele, so besteht eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit dieses Vortrags, wenn das Termingeschäft in einer unmittelbaren Beziehung zum Berufskreis der Vertragschließenden steht (z. B. Baumwolltermingeschäfte eines Baumwollspinners; vgl. dazu RG 146, 193). A n m . 12 Besonderes gilt für Kassageschäfte, wenn bei ihnen der Einwand des Scheinkassageschäfts erhoben wird. Ausgangspunkt für die Frage der Beweislast ist hier der Umstand, daß eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, daß Geschäfte, die sich in dem äußerlichen Rahmen von Kassageschäften abspielen, auch wirtschaftlich als Kassageschäfte anzusehen sind (vgl. RG SeuffArch 87 Nr. 89). Daher ist es Sache des Schuldners, darzutun und zu beweisen, daß sich unter dem anscheinend wirtschaftlich berechtigten Geschäft ein Vertrag verbirgt, der lediglich die Zahlung eines Differenzbetrages zum Gegenstand hat (RG WarnRspr 1933 Nr. 98). Dabei ist es wichtig, daß die für ein Differenzgeschäft sprechenden Beweisanzeichen für die Annahme eines Scheinkassageschäfts im allgemeinen nicht ausreichen (Anm. 5), und daß demgemäß der Schuldner den vollen Beweis für das Vorliegen eines Scheinkassageschäfts zu führen hat. Für den Gläubiger genügt es schon, wenn er darzutun vermag, daß sich das Geschäft seinem Anschein nach als Kassageschäft darstellt; bereits in diesem Fall trifft den Schuldner die volle Beweislast dafür, daß es sich hierbei um ein Scheinkassageschäft handelt (RG WarnRspr 1933 Nr. 98).
904
Bürgschaft
§ 7 6 4 A n m . 13
Vor § 765 A n m . 1 A n m . 13 5. D a s B ö r s e n t e r m i n g e s c h ä f t . Der Anwendungsbereich des § 764 hat eine wesentliche Einschränkung durch das Börsengesetz gefunden. Der Börsenterminhandel spielt jedoch seit der Bankenkrise 1931 keine Rolle mehr. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß seit 1950 in beschränktem Umfange der Devisenhandel und seit 1952 Termingeschäfte in Waren wieder zugelassen sind (vgl. dazu S c h l e g e l b e r g e r - H e f e r m e h l HGB § 355 Anm. 46). Es ist daher nicht notwendig, hier einen Uberblick über die gesetzliche Regelung des Börsenterminhandels zu geben. Es kann insoweit auf die Erläuterungen in der Vorauflage (Anm. 4) und auf die Ausführungen in den Kommentaren zum Börsengesetz verwiesen werden. Achtzehnter Titel Bürgschaft Üb ersieht
Anm.
1. Allgemeines 1 2. Der Bürgschaftsvertrag 2—6 a) Die Bürgschaft als einseitig verpflichtender Vertrag 2—4 b) Der akzessorische Charakter der Bürgschaftsverpflichtung 5 c) Der Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung 6 3. Die Rechtsbeziehungen zwischen Bürgen und Hauptschuldner 7 4. Besondere Erscheinungsformen der Bürgschaft 8—15 a) Die selbstschuldnerische Bürgschaft 8 b) Die Ausfall- oder Schadlosbürgschaft 9 c) Die Nach- oder Afterbürgschaft 10 d) Die Rückbürgschaft 11 e) Die Kreditbürgschaft 12 f) Die Kontokorrentbürgschaft 13 g) Die Bürgschaft auf Zeit und die auf einen bestimmten Betrag beschränkte Bürgschaft 14 h) Die Prozeßbürgschaft 15 5. Dem Bürgschaftsvertrag verwandte Verträge 16—25 a) Der Delkrederevertrag 16 b) Der Gewähr- oder Garantievertrag 17—20 c) Die Schuldmitübernahme 21 d) Der Kreditauftrag 22 e) Die Wechselbürgschaft 23 f) Die Verpflichtung zur Bestellung eines Pfandes 24 g) Bürgschaftsähnliche Verpflichtungen 25 Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . Die Bürgschaft ist ein besonderer Tatbestand der unmittelbaren Übernahme fremder Verbindlichkeiten durch Rechtsgeschäft, der sog. Interzession. Das BGB gibt im Unterschied zu dem gemeinen Recht für eine solche Übernahme fremder Verbindlichkeiten nicht mehr allgemeine Rechtssätze, sondern regelt mit gutem Grund jeden Tatbestand einer solchen Übernahme getrennt für sich. Nur in § 1822 Nr. 10 erwähnt es noch die Interzession im Sinne der gemeinrechtlichen Theorie (vgl. dazu RG 158, 210; BayObLG SeuffArch 63, Nr. 137). Zu den Tatbeständen der Interzession gehören einerseits die privative Schuldübernahme (§ 414), die kumulative Sschuldübernahme sowie das Garantieversprechen und andererseits die Pfandbestellung (auch die Sicherungsübereignung) sowie die Bürgschaft. Trotz der vom gemeinen Recht abweichenden systematischen Behandlung der einzelnen Interzessionstatbestände kann auch heute ihr innerer Zusammenhang nicht völlig geleugnet werden. In einzelnen Fällen kann sich die Frage erheben, ob eine Bestimmving des einen Interzessionstatbestandes einer analogen Anwendung auf einen
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V o r § 765 Anm. 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
anderen Interzessionstatbestand zugänglich ist oder nicht. Des weiteren wird es bei gleichen oder ähnlichen Vorschriften für die einzelnen Interzessionstatbestände unter Umständen möglich sein, die in der Rechtsprechung für den einen Tatbestand entwickelten Rechtsgrundsätze auch auf den anderen Tatbestand zu übertragen. Immerhin ist insoweit doch eine gewisse Zurückhaltung geboten. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Interzessionstatbeständen kann sich zunächst äußerlich darin zeigen, daß der Bestand der Bürgschaft von einer anderen (gewährten oder in Aussicht genommenen) Sicherheit, etwa einer Mitbürgschaft oder einem Pfand abhängig gemacht werden kann (dazu § 765 Anm. 9; § 769 Anm. 3). Dort, wo die Interzessionstatbestände durch das Prinzip der Akzessorität gekennzeichnet sind (für die Bürgschaft vgl. § 765 Anm. iof; §767 Anm. i f f ) , ergibt sich in mancher Hinsicht die Möglichkeit einer gleichen Beurteilung. So kehrt die Vorschrift des § 770 in den Vorschriften der §§ 1137 Abs. 1 Satz 1 ; 1211 Abs. 1 Satz 1 wieder; das gleiche gilt für die Vorschrift des § 774 (vgl. §§ 1164, 1176, 1225), die jedoch darüber hinaus auch noch bei den anderen Interzessionstatbeständen Anwendung findet (vgl. §§ 268, 426, 1607, 1709). Im Hinblick auf die Akzessorität der Bürgschaft werden gegen eine entsprechende Anwendung des § 1250 Abs. 2 keine Bedenken bestehen (RG 85, 364; § 767 Anm. 5), wie umgekehrt auch die Vorschrift des § 777 auf ein zeitlich begrenztes Mobiliarpfandrecht entsprechend angewendet werden kann (vgl. dazu RG 68, 1 4 1 ; § 777 Anm. 2). Anders ist es dagegen mit der Vorschrift des § 776; für das Hypothekenrecht besteht insoweit zwar die inhaltsgleiche Vorschrift des § 1165, aber auf das Mobiliarpfandrecht kann sie keine Anwendung finden (RG DR 1941, 2195; § 776 Anm. 6). Die Vorschrift des §1166 ist eine Sondervorschrift des Hypothekenrechts; bei der Bürgschaft findet sie keine Anwendung (RG 65. 137; § 776 Anm. 1). 2. Der Bürgschaftsvertrag Anm. 2 a) Die Bürgschaft als einseitig verpflichtender Vertrag. Der Bürgschaftsvertrag ist ein Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger eines Dritten, nicht aber zwischen dem Bürgen und dem Schuldner dieses Gläubigers. Es ist ein einseitig verpflichtender Vertrag. Nur der Bürge übernimmt Verpflichtungen; dem Gläubiger entstehen aus diesem Vertrag an sich nur Rechte, ihn treffen keine Verbindlichkeiten (RG 87, 328; H R R 1930 Nr. 212; vgl. dazu auch § 765 Anm. 19, § 776 Anm. 1). Dem steht nicht entgegen, daß der Gläubiger in bestimmten Fällen auch gewisse Sorgfaltspflichten hat; das sind aber nur Obliegenheiten, nicht Verbindlichkeiten des Gläubigers, auf deren Erfüllung also nicht geklagt werden kann. Demgemäß führt die Verletzung solcher Sorgfaltspflichten auch nur zu einer Befreiung des Bürgen von seiner Bürgschaftsverpflichtung, nicht aber zu einer selbständigen Schadensersatzpflicht des Gläubigers (RG 145, 169; H R R 1938 Nr. 510). So hat der Gläubiger schon bei den Vertragsverhandlungen gewisse Pflichten. Er braucht zwar hierbei dem in Aussicht genommenen Bürgen nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners von selbst aufzudecken; er muß aber wahrheitsgemäße Angaben machen, wenn er schon solche macht, und er darf das, wonach er gefragt wird, im allgemeinen nicht verschweigen (RG 91, 80; L Z 1930, 180; H R R 1936 Nr. 396; BGH WM 1956, 888). Wenn RG H R R 1931 Nr. 213 (ebenso RG J W 1933, 2828) hierbei von einer culpa in contrahendo spricht, so ist das nicht ganz korrekt; denn ein solches Verschulden (Verletzung einer Obliegenheitspflicht) kann niemals zu einer selbständigen Schadensersatzpflicht des Gläubigers führen. In diesem Zusammenhang kann auch ein mitwirkendes Verschulden des Bürgen in Betracht kommen (RG H R R 1930 Nr. 213); diese Annahme bedeutet eine gewisse Ausweitung des § 254, der für das Schadensersatzrecht gilt. Auch im Bürgschaftsvertrag darf der Gläubiger nicht gegen Treu und Glauben verstoßen (RG 87, 328; H R R 1930 Nr. 212; J W 1937, 3104); das gilt unter Umständen auch für die Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner (RG WarnRspr 1930 Nr. 136; dazu auch § 776 Anm. 2). Bei der Durchsetzung seiner Ansprüche braucht der Gläubiger zwar seine Belange nicht hinter die des Bürgen zurückzustellen, er muß aber nach Treu und Glauben berechtigte Belange doch auch beachten, soweit ihm daraus kein Nachteil erwächst (RG J W 1937, 3104; H R R 1938 Nr. 1459). 906
Bürgschaft
Vor § 765
Anm. 3—5 Anm. 3 Die Übernahme einer Bürgschaft kann gegenüber dem Gläubiger eine S c h e n k u n g sein, aber nur dann, wenn der Gläubiger dadurch bereichert wird und beide Parteien über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig sind ( R G 9 1 , 81). In jedem Falle kommt es dabei auch auf die Verhältnisse zwischen Bürgen und Hauptschuldner (entgeltliches oder unentgeltliches Rechtsverhältnis) an (dazu Anm. 7); denn für die Annahme einer Entreicherung auf Seiten des Zuwendenden kommt es auch auf dessen Rechtsbeziehungen zu einem Dritten an ( R G 88, 1 3 7 ; B G H L M Nr. 14 zu § 138 [C d]; vgl. auch § 5 1 6 Anm. 10). Der Form des § 5 1 8 bedarf die Bürgschaft niemals, da sie kein Schenkungsversprechen, sondern eine vollzogene Schenkung ist. Praktisch bedeutsam ist die Frage nach der Unentgeltlichkeit einer Bürgschaft neben der Anwendung der §§ 5 2 8 f r namentlich im Anwendungsbereich des § 32 Nr. 1 K O und des § 3 A n f G (dazu R G J W 1 9 1 3 , 608; Braunschweig O L G 27, 258; vgl. auch B G H 12, 236).
Anm. 4 Trotz des einseitig verpflichtenden Charakters kann die Bürgschaftsverpflichtung
Bestandteil eines zweiseitig verpflichtenden Vertrags sein, auf den dann auch
die Vorschriften der §§ 320 ff Anwendung finden. Das ist dann der Fall, wenn der Gläubiger in dem Vertrag gegenüber dem Bürgen eine Verpflichtung übernimmt, die eine echte Gegenleistung für die Verpflichtung des Bürgen ist ( R G 66, 425; WarnRspr 1934 Nr. 47). Die Übernahme einer Nebenverpflichtung, wie etwa eine Verpflichtung des Gläubigers, den dem Hauptschuldner zu zahlenden Darlehnsbetrag an andere Personen (Bauhandwerker, Lieferanten) zu zahlen, genügt insoweit nicht. Die Verpflichtung des Gläubigers kann hierbei auf Leistung an den Bürgen ( R G 66, 425) oder auf Leistung an einen Dritten, insbesondere den Hauptschuldner ( R G BankA 1937, 556) gerichtet sein. Letzters kommt namentlich in Betracht, wenn die Bürgschaft g e g e n die Zusage des Kredits oder weiteren Kredits an den Hauptschuldner übernommen wird. Wichtig ist in diesen Fällen namentlich die Anwendung des § 326, wonach der Bürge das Recht zum Rücktritt hat ( R G BankA 1937, 556).
In diesen Fällen kann die Gegenleistung des Gläubigers auch die (aufschiebende oder auflösende) Bedingung für die Verpflichtung des Bürgen sein. Das ist im einzelnen Frage der Ausgestaltung des jeweiligen Einzelvertrages ( R G J W 1918, 367). Die Verpflichtung des Bürgen kann aber auch von anderen Umständen abhängig gemacht werden, insbesondere davon, daß noch weitere Sicherheiten (Mitbürgschaft, Pfandrecht) gestellt werden. In diesen Fällen ist das Reichsgericht bei einer Mitbürgschaft sehr zurückhaltend mit der Annahme, daß die eine Bürgschaft von der Wirksamkeit einer Mitbürgschaft abhängig ist ( v g l . R G 88, 4 1 2 ; 138, 272; H R R 1931 Nr.826; im einzelnen vgl. dazu § 769 Anm. 3). Ferner kann der mit der Bürgschaft bezweckte wirtschaftliche Erfolg Inhalt des zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger geschlossenen Vertrages sein. Dann steht dem Bürgen bei Nichteintritt dieses Erfolgs ein B e r e i c h e r u n g s a n s p r u c h gegen den Gläubiger auf Herausgabe des durch die Bürgschaft erlangten Vorteils zu ( R G J W 1 9 1 1 , 540; vgl. auch R G J W 1 9 1 2 , 464).
Anm. 5 b) Der akzessorische Charakter der Bürgschaftsverpflichtung. Die Bürg-
schaftsverpflichtung ist eine Nebenverpflichtung und notwendig bedingt durch den Bestand einer Hauptschuld. Dies ist wesentlich und kann durch Vereinbarung nicht geändert werden, während die übrigen Vorschriften dispositiver Natur sind. Es besteht keine Koordination, sondern S u b s i d i a r i t ä t und A k z e s s o r i e t ä t . Das rechtliche Schicksal der Hauptverbindlichkeit wirkt bestimmend auf den Umfang der Bürgschaftsverpflichtung ein (§767; R G 1 3 4 , 1 2 8 ) . Diese Abhängigkeit besteht auch, wenn sich der Bürge als S e l b s t s c h u l d n e r verbürgt ( R G 65, 139; 148,66). Die Bürgschaft kann auch vor Entstehung der Hauptschuld begründet werden, und zwar in dem Sinne, daß sie für eine künftig erst erwartete Schuld übernommen wird (§ 765 Abs. 2; s. § 765 Anm. 1 2 ) ; die übernommene Bürgschaftsverpflichtung beginnt erst immer mit der Hauptschuld, deren jeweiliger Bestand für sie maßgebend ist (§ 767), deren Veränderung auch sie verändert, und deren Erlöschen auch sie zum Erlöschen bringt ( R G 71, 56; 59
Komm. z. BGB. 1 1 . Aufl. II. Bd. (Fischer)
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
J W 1916, 905). Allerdings ist diese Abhängigkeit nicht unabdingbar durchgeführt; sie ist durchbrochen, soweit es der wirtschaftliche Zweck des Bürgschaftsvertrags erfordert. Die Sicherung des Gläubigers für den Fall, daß der Schuldner nicht mehr zahlungsfähig ist oder in Vermögensverfall gerät, zwingt zu der Folgerung, daß der Bürge die Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Schuldners auch dann auf sich nehmen muß, wenn im Zusammenhang damit aus Gründen der persönlichen Notlage des Schuldners eine Beschränkung oder ein Fortfall der Hauptschuld eingetreten ist. Dies ist der Grundgedanke für die Vorschriften des § 193 Satz 2 KO, § 82 Abs. 2 VglO, die im Fall des Zwangsvergleichs die Rechte des Gläubigers gegen den Bürgen unberührt lassen. Aus dem gleichen Grunde kann sich der Bürge auch nicht ohne weiteres auf das Erlöschen der Hauptschuld infolge Wegfalls der Geschäftsgrundlage berufen (RG 163, 98/99). Ferner steht dem Bürgen die Bedürftigkeitseinrede des inzwischen verarmten Hauptschuldners aus § 528 nicht zu, weil er gerade für die Sicherheit des Anspruchs einzustehen verspricht (vgl. auch RG WarnRspr 1927 Nr. 106 für die Pflicht des wohlhabenden Bürgen zu einer höheren Aufwertung, als sie der verarmte Hauptschuldner zu gewähren verpflichtet ist). Die akzessorische N a t u r der B ü r g s c h a f t tritt hier aus inneren Gründen hinter dem S i c h e r u n g s z w e c k zurück (Näheres bei § 767 Anm. 12ff). Wurde dagegen die Befriedigung des Gläubigers eines anderen von vornherein gerade für den Fall übernommen sein, daß jenes Schuldverhältnis nichtig sein oder in Wegfall kommen würde, so liegt nicht ein Bürgschafts-, sondern ein G e w ä h r v e r t r a g (Garantievertrag) vor (s. Vorbem. 17fr). Ähnliches gilt, wenn der Bürge von vornherein auf die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden aus dem gesicherten Schuldverhältnis verzichtet hat (RG 153, 345; Dresden Bank A 1939, 397; vgl. Näheres bei § 768 Anm. 6). Anm. 6 c) Der Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung. Durch den Bürgschaftsvertrag übernimmt der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten die Verpflichtung, für die Erfüllung der Schuld dieses Dritten persönlich mit seinem Vermögen einzustehen. Die Bürgschaft begründet keine bloße Haftungsübernahme, sondern eine echte Schuldnerstellung. Der wirtschaftliche Zweck des Bürgschaftsvertrages ist die Sicherung des Gläubigers für den Fall, daß der Schuldner nicht erfüllen wird. Die Bürgschaft begründet jedoch keine Gesamtschuld mit der Verbindlichkeit des Hauptschuldners, der Bürge wird vielmehr F r e m d s c h u l d n e r , nicht M i t s c h u l d n e r neben dem Hauptschuldner (RG 53, 404; 65, 13g; 148, 66; BGH J Z 1956, 99). Das gilt auch für den Fall, daß sich der Bürge selbstschuldnerisch verbürgt. Der Bürge wird Schuldner eines eigenen Schuldverhältnisses, dessen Gegenstand nicht die Hauptschuld selbst, sondern nur die Sicherung ihrer Erfüllung ist. Das ist praktisch bedeutsam, wenn die Bürgschaft, was zulässig ist, f ü r höchstpersönliche L e i s t u n g e n bestellt wird; hier geht die Bürgschaftsverpflichtung von vornherein nur auf das Interesse in Geld, nicht auf die Erfüllung der höchstpersönlichen Leistung (vgl. §765 Anm. 15). Hieraus folgt des weiteren, daß der Bürge nicht der besonderen Fähigkeit des Hauptschuldners zur Eingehung einer Verbindlichkeit bedarf. So ist es nicht notwendig, daß der Bürge, der sich für eine Verbindlichkeit aus einem wirksam abgeschlossenen Börsentermingeschäft verbürgt, selbst börsenterminsgeschäftsfahig ist (unrichtig insoweit RG 140, 132; vgl. auch G ö p p e r t Anm. J W 1933, 1317). Auch kann die Übernahme einer Bürgschaft ein Handelsgeschäft sein, die Begründung der gesicherten Forderung dagegen nicht, und umgekehrt. Anm. 7 3. Die Rechtsbeziehungen zwischen Bürgen und Hauptschuldner. Wenn auch die Bürgschaft ein Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger des Hauptschuldners ist, so bestehen doch regelmäßig auch Rechtsbeziehungen zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner. Diese sind jedoch nicht Bestandteil des Bürgschaftsvertrages, sondern sie bilden den Inhalt eines besonderen Rechtsverhältnisses. Dieses Rechtsverhältnis bildet die Grundlage für die Bürgschaftsübernahme, und zwar derart, daß hier der Anlaß und der Grund für die Bürgschaft zu finden ist. Für den Bestand der
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Bürgschaft
V o r § 765 A n m . 8, 9
Bürgschaft ist jedoch dieses Rechtsverhältnis im Regelfall ohne Bedeutung; in diesem Sinne ist also die Bürgschaft von ihrer wirtschaftlichen causa gelöst, somit abstrakt. Es ist aber auch möglich, daß der Bestand des Bürgschaftsvertrages von den Rechtsbeziehungen des Bürgen zum Hauptschuldner abhängig gemacht wird. Das Rechtsverhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner kann entgeltlich oder unentgeltlich sein. In Betracht kommen insoweit namentlich Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag, Geschäftsbesorgung (z. B. bei der Bankbürgschaft), auch Schenkung (vgl. dazu B G H L M Nr. a zu § 516 BGB). Demzufolge kann der Bürge die Bürgschaft auf Grund einer dahingehenden Verpflichtung gegenüber dem Hauptschuldner, aber auch ohne eine solche rechtliche Verpflichtung, wie bei der Geschäftsführung ohne Auftrag, übernehmen. Rechtsbeziehungen zwischen Bürgen und Hauptschuldner werden aber auch durch den Bürgschaftsvertrag selbst begründet, und zwar dann, wenn der Bürge den Gläubiger befriedigt. In diesem Fall geht nach § 774 die Forderung gegen den Hauptschuldner auf den Bürgen über (dazu RG 59, 10). Darüber hinaus besteht nach § 775 unter Umständen auch schon vorher ein Befreiungsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner, ferner ein Anspruch des Bürgen auf Auskunft gegen den Hauptschuldner über eine nachträgliche Gefahrenverschiebung ( § 7 7 5 Anm. 7) und des weiteren über das Vorliegen von Einreden und eines Anfechtungs- und Aufrechnungsrechts (§ 768 Anm. 6). Das zwischen Bürgen und Hauptschuldner bestehende Rechtsverhältnis kann auch für den Hauptschuldner die Befugnis enthalten, den Bürgschaftsvertrag namens des Bürgen mit dem Gläubiger selbst abzuschließen. In einem solchen Fall kann bei Vollmachtsmißbrauch die Unwirksamkeit der Bürgschaft in Betracht kommen (RG 71, 219; 140, 218). 4. B e s o n d e r e E r s c h e i n u n g s f o r m e n der B ü r g s c h a f t Anm. 8 a) Die selbstschuldnerische B ü r g s c h a f t . Sie unterscheidet sich von der gewöhnlichen Bürgschaft nur durch den W e g f a l l d e r E i n r e d e d e r V o r a u s k l a g e (§§ 772, 773). Die Bürgschaft des V o l l k a u f m a n n s ist selbstschuldnerische Bürgschaft (§§349, 351 HGB), ebenso die Bürgschaft aus einem Zwangsvergleich (§ 194 K O ) und gerichtlichem Vergleich zur Abwendung des Konkurses, die die Bürgschaft unberührt lassen (RG 134, 129; 148, 67). Die selbstschuldnerische Bürgschaft ist sachlich gesehen eine Bürgschaft mit abgeschwächter Subsidiarität. Anm. 9 b) Die Ausfall- oder S c h a d l o s b ü r g s c h a f t . Bei ihr tritt die Verpflichtung des Bürgen erst ein, wenn f e s t s t e h t , daß der Gläubiger bei Anwendung gehöriger Sorgfalt durch die Zahlungsunfähigkeit und das Versagen der sonst etwa bestellten Sicherheiten einen Verlust an seiner Forderung erleidet; dieser Nachweis gehört zur Klagbegründung (RG 75, 186; 145, 169). Das gilt auch für den Fall der Vermögensunzulänglichkeit (§ 773 I Nr. 3, 4), in dem die Einrede der Vorausklage nicht etwa entfällt, sondern gleichfalls noch Teil des Klagegrundes ist. Daher haftet der Bürge im Konkursfall grundsätzlich erst nach Beendigung des Konkurses (RG J W 1929, 1386), früher ausnahmsweise nur insoweit, als der Gläubiger schon vor Konkursbeendigung einen Mindestausfall nachweisen kann (RG 75, 187). Das BGB enthält keine besonderen Vorschriften für die Ausfallbürgschaft. Es finden daher auch nur die allgemeinen Vorschriften des Bürgschaftsrechts Anwendung (z. B. § 766), soweit sich nicht aus der gesteigerten Subsidiarität etwas anderes ergibt. So kann etwa der Gläubiger auf Grund einer Ausfallbürgschaft nicht solche Beträge fordern, deren Ausfall er selbst durch nachlässige Beitreibung gegen den Hauptschuldner verschuldet hat (RG 87, 328; 145, 169; WarnRspr. 1932 Nr. 60; B G H L M 1958, 218); insoweit ist die Sorgfaltspflicht (Obliegenheit) des Gläubigers bei der Ausfallbürgschaft eine größere als bei der gewöhnlichen Bürgschaft (vgl. auch § 776 Anm. 1). Auch kann der Bürge die Ausfallbürgschaft wegen Irrtums über die Höhe des Ausfalls anfechten, wenn dessen Berechnung Gegenstand der Verhandlungen war und auch Ausdruck in der Bürgschaftsurkunde gefunden ,9*
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hat (RG 85, 326). Im Regelfall kann ein gewöhnlicher Bürge, der den Gläubiger befriedigt hat, bei dem Ausfallbürgen nicht Rückgriff nach § 774 Abs. 2 nehmen (Janssen BB 1953, 1039; Schuler NJW 1953, 1691). Der Hinweis auf die eigene Zahlungspflicht des Schuldners und deren Nichterfüllung macht eine Bürgschaft nicht zur Ausfallbürgschaft, da diese Beziehung jeder Bürgschaft eigen ist. Im Regelfall schließen sich Ausfallbürgschaft und selbstschuldnerische Bürgschaft aus. Bei der Ausfallbürgschaft wird die nach § 771 gegebene Einrede der Vorausklage verstärkt, indem der Nachweis eines Ausfalls zur Voraussetzung für einen Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen erhoben wird, während bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft die Einrede der Vorausklage entfällt. Gleichwohl sind Abweichungen in der Ausgestaltung der Ausfallbürgschaft denkbar, bei der eine Ausfallbürgschaft gleichzeitig auch eine selbstschuldnerische Bürgschaft sein kann, z. B. dann, wenn für den Nachweis eines Ausfalls schon der Umstand genügt, daß der Gläubiger im Liquidationsverfahren über das Vermögen der Hauptschuldnerin einen Ausfall erleidet. Eine solche Ausfallbürgschaft kann zugleich selbstschuldnerische Bürgschaft sein, weil sich der Gläubiger in diesem Fall sofort an den Bürgen halten kann, soweit sich im Liquidationsverfahren ein Ausfall für den Gläubiger ergeben hat (RG WarnRspr 1919 Nr. 166; vgl. auch RG WarnRspr 1916 Nr. 50). Denkbar ist auch, daß ein Ausfall schon dann angenommen werden soll, wenn sich der Gläubiger nicht aus einem bestimmten Pfand (RG 145, 169; J W 1905, 720) oder nicht aus den Außenständen des Hauptschuldners (RG LZ 1932, 749) befriedigen kann. Anm. 10 c) Die Nach- oder Afterbürgschaft. Sie wird dem Gläubiger gegenüber dafür übernommen, daß der Bürge seine Verpflichtungen erfüllt. Schuldner bei dieser Bürgschaft ist in erster Linie der Bürge und erst in zweiter Linie der Hauptschuldner. Demgemäß erhält der Nachbürge bei Befriedigung des Gläubigers dessen Rechte sowohl gegen den Hauptbürgen wie auch gegen den Hauptschuldner (v. Godin R G R K HGB § 349 Anm. 47; S t a u d i n g e r - B r ä n d l Vorbem. 29; abw. RG 83, 342, das dem Nachbürgen nur die Rechte des Gläubigers gegen den Hauptschuldner gibt). Zur Begründung der Nachbürgschaft ist eine Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Nachbürgen notwendig; eine Vereinbarung zwischen mehreren Mitbürgen, wonach den einen eine Ausgleichspflicht gegenüber dem anderen nach §§ 774 Abs. 2, 426 nicht treffen soll, ist für die Begründung einer Nachbürgschaft weder erforderlich noch ausreichend. Der Nachbürge soll dem Gläubiger erst dann haften, wenn er von dem Bürgen keine Befriedigung zu erlangen vermag (RG J W 1912, 746). Der Nachbürge wird wie jeder Bürge frei, wenn der Gläubiger Rechte freigibt, aus denen sich der Nachbürge befriedigen könnte; dazu gehört auch die Entlassung des Hauptbürgen aus der Haftung. Dagegen berührt die Entlassung des Nachbürgen aus der Haftung die Verpflichtung des Hauptbürgen nicht; denn der Hauptbürge hat nur einen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner, nicht auch gegen den Nachbürgen, wenn er den Gläubiger befriedigt. A n m . 11 d) Die Rückbürgschaft. Sie ist eine Bürgschaft gegenüber dem Hauptbürgen, nicht gegenüber dem Gläubiger. Durch sie wird lediglich der Rückgriffsanspruch des Hauptbürgen gegen den Hauptschuldner gesichert (RG 146, 67), nicht auch ein etwaiger weiterer Anspruch, der dem Bürgen gegen den Hauptschuldner aus dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis (Anm. 7 vor § 765) zustehen kann. Daher kann der Bürge den Rückbürgen erst in Anspruch nehmen, wenn er selbst auf Grund seiner Bürgschaft den Gläubiger befriedigt hat und ihm damit der Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner zusteht. Die Rückbürgschaft ist somit eine Bürgschaft für eine künftige Forderung (dazu § 765 Anm. 12). Befriedigt der Rückbürge den Bürgen, so geht der Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner gemäß § 774 auf ihn über, ohne daß es hierzu einer Abtretung bedarf (v. Godin R G R K HGB § 349 Anm. 48; aM RG 146, 70; S c h l e g e l b e r g e r - G e s s l e r § 349 Anm. 4). Das folgt schon ohne weiteres daraus, daß bei der Rückbürgschaft die Rückgriffsforderung des Bürgen gegen den Hauptschuldner
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Bürgschaft
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die gesicherte Forderung ist. Hat der Bürge die Mittel zur Befriedigung des Gläubigers erst von diesem erlangt, um dadurch die Rückbürgschaft fällig zu machen, so liegt keine ernstliche Zahlung, sondern ein Scheingeschäft vor; der Rückbürge wird in diesem Fall dem Hauptbürgen gegenüber nicht verpflichtet (RG L Z 1915, 222). Auf die Rückbürgschaft findet auch die Formvorschrift des § 766 Anwendung. Es kann insoweit jedoch auch eine formlos begründete Verpflichtung des Rückbürgen in Betracht kommen, nämlich dann, wenn der Rückbürge im eigenen Interesse den Auftrag zur Verbürgung gibt und der Bürge diesen Auftrag auch ausführt; in diesem Fall haftet der Rückbürge als Auftraggeber ohne Rücksicht auf die Einhaltung der Formvorschrift nach § 662, 670 (RG Recht 1909 Nr. 3341).
Anm. 12 e) Die Kreditbürgschaft. Sie hat den Zweck, dem Schuldner beim Gläubiger einen laufenden Kredit zu verschaffen und ist im Regelfall eine Bürgschaft für künftige Verbindlichkeiten. Ihre Ausgestaltung unterliegt im einzelnen mannigfachen Abweichungen. Über sie vgl. § 765 Anm. 12, § 777 Anm. 1.
Anm. 13 f) Die Kontokorrentbürgschaft. Ihre Besonderheit besteht darin, daß bei ihr der Bürge erst für den Schlußsaldo nach Beendigung des Kontokorrents einzustehen hat (RG 136, 178; H R R 1934 Nr. 1446). Im einzelnen vgl. über die Kontokorrentbürgschaft § 765 Anm. 16.
Anm. 14 g) Weitere besondere Bürgschaftsformen sind die Bürgschaft auf Zeit (§ 777) und
die auf einen bestimmten Betrag beschränkte Bürgschaft (über sie § 765 Anm. 16).
Anm. 15 h) Die Prozeßbürgschaft. Nach § 108 ZPO kann das Gericht in allen Fällen der Bestellung einer prozessualen Sicherheit nach freiem Ermessen auch die Stellung eines tauglichen Bürgen (etwa Sparkassen, Großbanken) uneingeschränkt zulassen (§ 232 II). Die gerichtliche Zulassung ersetzt nicht den Bürgschaftsvertrag, führt aber für den Sicherungsberechtigten zum Verlust der prozessualen Rechte, wenn er die angebotene Bürgschaftserklärung nicht annimmt. Die bloße Hinterlegung der Bürgschaftsurkunde bei Gericht genügt noch nicht, sie muß dem Leistungsberechtigten zugehen ( W u n d e r l i c h J W 1926, 2558). Ist die Bürgschaft als Sicherheit zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbaren Urteil erteilt, so erstreckt sich die Sicherung im allgemeinen auf die gesamte zugesprochene Klagforderung und nicht etwa nur auf die Forderung aus einem etwaigen Verzögerungsschaden, der dem Gläubiger aus der Einstellung der Zwangsvollstreckung erwächst (RG 141, 194).
5. Dem Bürgschaftsvertrag verwandte Verträge Anm. 16 a) Der Delkrederevertrag. Nach § 394 H G B haftet der Kommissionär dem Kommitenten unter bestimmten Voraussetzungen für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten, mit dem er das Geschäft für Rechnung des Kommitenten abschließt. Auf diese Haftung finden die Vorschriften über die Bürgschaft keine Anwendung (str.). Das ist bedeutsam für die Frage nach der Notwendigkeit einer Schriftform gemäß § 766, nach dem gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 774 und nach dem Befreiungsanspruch gemäß § 775. Des weiteren enthält jetzt auch § 86 b H G B eine besondere Vorschrift für die Delkrederehaftung des Handelsvertreters. Diese Haftung ist je nach der Gestaltung des Einzelfalls Bürgschaft, Garantievertrag oder Schuldübernahme, im Zweifel aber wohl Bürgschaft (RG 107, 194; H R R 1935 Nr. 1054). Durch § 86b H G B wird die Vertragsfreiheit für den Abschluß solcher Sicherungsverträge zwingend eingeschränkt. Der Abschluß eines Bürgschaftsvertrages, Garantievertrages usw. ist nur
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V o r § 765 Anm. 17, 18
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
in dem durch § 86 b HGB sachlich gezogenen Rahmen zulässig. Zur Wirksamkeit der Delkrederehaftung von Handelsvertretern ist in allen Fällen Schriftform geboten, also unbeschadet des § 350 HGB auch dann, wenn der Handelsvertreter Vollkaufmann ist (dazu im einzelnen C a r s t e n BB 1957, 1124). Anm. 17 b) Der Gewähr- oder Garantievertrag. Er ist im BGB nicht geregelt, jedoch als solcher allgemein anerkannt (vgl. etwa RG 61, 157; 90, 415; 146, 123; 165, 52; BGH LM Nr. 1 zu § 765 BGB). Er ist gerichtet auf die Begründung einer selbständigen Verpflichtung, die von dem Bestand einer etwaigen anderen Verpflichtung unabhängig sein soll. Als Inhalt eines Garantievertrages kommt in Betracht das Einstehen für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs oder die Übernahme der Gefahr eines künftigen, noch nicht entstandenen Schadens. Ist der Schaden bereits eingetreten, so kann von der Übernahme einer Gefahr, dem Kennzeichen des Garantievertrages dieser Art, nicht mehr gesprochen werden (RG 90, 418). Der Garantievertrag dient der Unterstützung oder Förderung eines geschäftlichen Unternehmens durch Übernahme der Gefahr, die sich aus dem Unternehmen ergibt, oder durch Zusicherung eines bestimmten Ertrages oder Erfolgs. Als Beispiele eines solchen Garantie Vertrages kommen in Betracht: die einem Aktionär oder einer Aktionärgruppe gewährte Dividendengarantie, die Kursgarantie (RG J W 1921, 229), die Ausbietungsgarantie (dazu Anm. 20), die Übernahme für das Risiko einer Ausstellung (Dresden DJZ 1916, 448), das Einstehen eines Dritten für die Mangelfreiheit einer verkauften Sache (RG 103, 157). Der Garantievertrag kann sich auch auf das eigene Verhalten beziehen, nur muß in diesem Fall der garantierte Erfolg ein anderer und weiterer sein als die bloße Vertragsmäßigkeit der geschuldeten Leistung (RG 71, 179; 146, 124; BGH WM 1958, 995), so z. B. bei einer besonderen Garantie in Verbindung mit einem Kaufvertrag oder Werklieferungsvertrag, wenn die Fortdauer vorhandener Eigenschaften (RG WarnRspr 1909 Nr. 201) oder der Eintritt eines bestimmten Leistungserfolges bei einer Maschinenanlage über die Vertragsmäßigkeit hinaus (RG 165, 48; J W 1919, 241 ; 1939, 38) zugesagt wird. Das Einstehen f ü r die Güte einer Hypothek oder Grundschuld zur Zeit des Vertrages oder bis zur Rückzahlung des zu sichernden Darlehns oder bis zur Inanspruchnahme des Pfandgrundstücks ist im allgemeinen Gewährvertrag (RG J W 1916, 905). Eine Bürgschaft kommt insoweit nicht in Betracht, weil hierbei nicht eine schuldrechtliche Forderung gesichert werden soll (dazu § 765 Anm. 10). Wesentlich für den Garantievertrag ist die Selbständigkeit der Verpflichtung, die nicht von einer fremden Verpflichtung abhängig ist; inhaltlich ist die Garantieverpflichtung, wenn nicht etwas anderes vereinbart ist (RG 165, 52), auf eine Haftung für Schadloshaltung gerichtet, falls der garantierte Erfolg nicht eintritt oder falls sich die übernommene Gefahr verwirklicht (RG 137, 85). Auf den Umfang der Haftung sind die Grundsätze des Schadensersatzrechts anzuwenden (RG 51, 277; WarnRspr 1914 Nr. 47; 1925 Nr. 21; J W 1939, 38), so daß dem Verpflichteten die Einwendung des mitwirkenden Verschuldens zusteht (RG Gruchot 51, 596; J W 1910, 231; 1937, 749) und er sich auch auf eine etwaige Vorteilsausgleichung berufen kann (vgl. dazu RG J W 1912, 238). Zur Abgrenzung des Garantievertrages von der Vertragsstrafe vgl. BGH L M 1958, 995Anm. 18 Auf den Garantievertrag finden die Vorschriften des Bürgschaftsvertrages keine unmittelbare und im allgemeinen auch keine sinngemäße Anwendung (RG 72, 140; J W 1931, 520). Deshalb bedarf der Garantievertrag nicht der Schriftform des § 766. Eine Formbedürftigkeit des Garantievertrages kann sich vielmehr nur aus seinem besonderen Inhalt ergeben. Verspricht z. B. ein Grundstücksveräußerer für den Schaden aufzukommen, der dem Käufer dadurch entsteht, daß der vorgesehene Abschluß eines formgerechten Kaufvertrages nicht zustande kommt, so bedarf ein solcher Garantievertrag der Form des § 313, weil anderenfalls auf diese Weise die Vorschrift des § 313 umgangen werden könnte (RG J W 1925, 1110). Im Unterschied zur Bürgschaft geht die Berechtigung aus dem Garantievertrag bei einer Einzelrechtsnachfolge nicht ohne
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Bürgschaft
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weiteres auf den neuen Gläubiger über. § 401 findet keine Anwendung. Doch kann ein solcher Übergang rechtsgeschäftlich vereinbart werden oder sich im Wege der Auslegung aus dem Inhalt des Garantievertrages ergeben (RG WarnRspr 1916 Nr. 130). Auch eine Anwendung des § 776 Satz 2 scheidet beim Garantievertrag aus, doch wird man nach Treu und Glauben eine entsprechende Anwendung des § 776 Satz 1 bejahen müssen.
Anm. 19 D i e A b g r e n z u n g z w i s c h e n G a r a n t i e v e r t r a g u n d B ü r g s c h a f t bereitet keine Schwierigkeiten, wenn sich die Zusage nicht auf die Erfüllung einer Verbindlichkeit durch einen Dritten bezieht, wie das etwa bei einer Kursgarantie, einer Dividendengarantie oder einer Ausbietungsgarantie der Fall ist. Die Schwierigkeiten einer solchen Abgrenzung ergeben sich lediglich bei der Forderungsgarantie. Für sie kann die Bezeichnung des Vertrages nicht maßgebend sein (RG 90, 4 1 5 ; J W 1923, 368®; L Z 1932, 1042); im Zweifel ist zum Schutz des Verpflichteten Bürgschaft anzunehmen (RG 90, 4 1 5 ; H R R 1933 Nr. 1003; B G H 6, 397; L M Nr. 1 zu § 765 BGB). Der sachliche Unterschied erweist sich darin, daß nicht das akzessorische Einstehen für eine fremde Schuld, sondern die B e g r ü n d u n g e i n e r e i g e n e n R i s i k o v e r p f l i c h t u n g , u n a b h ä n g i g v o n d e r H a u p t s c h u l d , also nicht nur für den Fall der Zahlungsunwilligkeit des Hauptschuldners, sondern auch für alle nicht typischen Zufälle, gleichgültig ob die Hauptforderung nicht zur Entstehung gelangt, später wieder fortfällt oder aus einem sonstigen Grund nicht erfüllt wird, Inhalt des Vertrages ist (RG 90, 415). Der Bürge sieht auf die Person des Hauptschuldners, für den er eintreten will, wenn dieser seine Verpflichtungen nicht erfüllt; dagegen hat das Garantieversprechen mehr den Erfolg im Auge, der durch die Leistung des Hauptschuldners herbeigeführt werden soll (RG J W 1923, 368 2 ). Für das Vorliegen eines Garantievertrages kann der Umstand sprechen, daß den Verpflichteten eigene sachliche Interessen zu der Übernahme der Haftung veranlaßt haben (RG L Z 1932, 1042); aber nicht immer gibt die Zweckbestimmung des Vertrages ein geeignetes Unterscheidungsmerkmal (RG WarnRspr 1932 Nr. 198; B G H L M Nr. 1 zu § 765 BGB; BB 1956, 941). Ist die Haftung für den Fall übernommen, daß die Hauptschuld nichtig ist oder in Wegfall kommt, so liegt Garantievertrag vor (s. Anm. 5); das gleiche gilt, wenn die Haftung unter Verzicht auf die Einreden aus dem Hauptschuldverhältnis übernommen wird, weil durch eine solche Abrede die Unabhängigkeit der Haftungsübernahme von der Hauptschuld zum Ausdruck gebracht wird (vgl. § 768 Anm. 6).
Anm. 20 Die A u s b i e t u n g s g a r a n t i e . Sie ist ein besonderer Fall des Garantievertrages und daher als solche niemals eine Bürgschaft (RG J W 1931, 521). Sie bedeutet im allgemeinen ein Einstehen dafür, daß der Gläubiger aus einer Zwangsversteigerung ohne Verluste hervorgeht (RG 91, 2 1 3 ; J W 1934, 2761). Sie ist denkbar als reine Ausfallgarantie, aber auch verbunden mit einer Ausbietungspflicht, bei der der Verpflichtete durch Abgabe eines Gebots in der Zwangsversteigerung tätig werden muß, und zwar unter Umständen selbst dann, wenn ein Ausfall nicht zu befürchten ist (RG J W 1934, 2761; 1935, 3033). Welche dieser beiden Arten im Einzelfall gegeben ist, ist eine Auslegungsfrage, ohne daß für die eine oder die andere eine tatsächliche Vermutung besteht. Immerhin scheint das Reichsgericht bei dem meist üblichen Gebrauch der Worte „verpflichtet sich auszubieten" eine Ausbietungsverpflichtung anzunehmen (JW 1935, 3033). Eine Ausbietungsgarantie bedarf wie jeder Garantievertrag nicht der Schriftform des § 766.
Anm. 21 c) D i e S c h u l d m i t ü b e r n a h m e (kumulative Schuldübernahme, Schuldbeitritt). Sie ist im BGB nicht geregelt, jedoch seit langem allgemein anerkannt (vgl. etwa R G 59, 232; 64, 3 1 8 ; 71, 1 1 3 ; 90, 4 1 5 ; 148, 66; J W 1930, 3478). Bei ihr tritt ein Dritter in eine bestehende Schuldverbindlichkeit als Gesamtschuldner neben den ursprünglichen
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V o r § 765 A n m . 21
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Schuldner. Bei der Schuldübernahme bleibt die Schuld dieselbe, es tritt nur neben den Erstschuldner ein weiterer Schuldner als Gesamtschuldner hinzu. Die zur Sicherung der Schuld bestellten Bürgschaften bleiben bestehen, ohne daß der Bürge der Schuldübernahme zustimmen muß; denn durch die Schuldmitübernahme wird die Rechtsstellung des Bürgen nicht verschlechtert (anders bei der privativen Schuldübernahme des § 414: RG H R R 1935 Nr. 1298). Die Schuldmitübernahme setzt zunächst das Bestehen einer Schuld voraus, ist aber sodann in ihrem Fortbestand und Umfang von dieser unabhängig und insofern selbständig. Die Schuldmitübernahme ist gekennzeichnet durch das eigene Interesse des Schuldmitübernehmers an der Verbindlichkeit des Erstschuldners, etwa weil ihm die Vorteile aus dem Vertragsverhältnis, auf dem diese Verbindlichkeit beruht, ganz oder zum Teil wirtschaftlich zugute kommen, oder weil er sich das sachliche Interesse des Erstschuldners selbst zu eigen macht (RG 71, 1 1 7 / 1 8 ; J W 1930, 3478; L Z 1932, 1042; SeuffArch 85 Nr. 175). Das ist z.B. der Fall, wenn der Eintretende an dem Zustandekommen eines Kaufvertrages zwischen zwei anderen deshalb ein eigenes Interesse hat, weil er aus dem Kaufpreis Befriedigimg für seine Forderung erhalten soll; in einem solchen Fall ist daher in den Worten, er komme für alles auf, eine Schuldmitübernahme zu erblicken (RG 103, 156). Die Schuldmitübernahme als selbständige Schuldverpflichtung unterscheidet sich dadurch von der akzessorischen Bürgschaft. Auf sie sind im allgemeinen die Vorschriften der §§ 414fr über die befreiende Schuldmitübernahme, nicht die Vorschriften über den Bürgschaftsvertrag anzuwenden. Die Schuldmitübernahme bedarf daher namentlich nicht der Schriftform des § 766 (allg. Ansicht). Die A b g r e n z u n g zur B ü r g s c h a f t ist im Einzelfall schwierig. Für die Annahme einer Schuldmitübernahme ist stets ein eigenes unmittelbares sachliches Interesse an der Verbindlichkeit des Erstschuldners zu verlangen (RG 90, 418; J W 1 9 1 1 , 581; 1930, 3478; SeuffArch 85 Nr. 175); dagegen genügt nicht schon ein Interesse, das nur deshalb ein eigenes ist, weil der Interzedent am Hauptschuldner selbst — z. B. als Hauptaktionär der schuldenden A G (RG L Z 1932, 1042) — ein Interesse hat. Das eigene sachliche Interesse des Eintretenden muß mit anderen Worten dergestalt sein, daß er den Vertrag selbst abgeschlossen haben würde, wenn eine Verpflichtung zu dieser Leistung nicht oder nicht mehr bestehen sollte (RG J W 1909, 459). Auch nur persönliche (ehelicher oder verwandtschaftlicher Art), ideale oder moralische Interessen genügen für die Annahme einer Schuldmitübernahme nicht (RG J W 1 9 1 1 , 581; WarnRspr 1911 Nr. 171). Uberhaupt bedarf es stets deutlicher Anzeichen, um das Vorliegen einer Schuldmitübernahme zu bejahen (RG H R R 1933 Nr. 1003); auf den Wortlaut der im Einzelfall gebrauchten Worte kommt es dabei nicht an (RG 90, 417; H R R 1936 Nr. 790). Im Zweifel ist stets Bürgschaft anzunehmen (RG 71, 1 1 8 ; 78, 40; 90, 417; SeuffArch 85 Nr. 175; H R R 1933 Nr. 1003; B G H 6, 397). Daher ist es richtig, wenn das Reichsgericht betont, daß nur u n t e r b e s o n d e r e n U m s t ä n d e n die Annahme gerechtfertigt ist, daß der Dritte eine von der Verbindlichkeit des ursprünglichen Schuldners unabhängige Gesamtverpflichtung mit diesem im Sinn des § 421 begründen wollte (RG SeuffArch 85 Nr. 175). Die Entscheidungen RG 68, 126; J W 1908, 676; WarnRspr 1911 Nr. 471 — vgl. dazu ferner RG 56, 130 — behandeln das im Bauverkehr häufige Eingreifen eines Dritten in das zwischen dem Bauherrn und seinen Handwerkern und Lieferanten bestehende Schuldverhältnis durch das Versprechen, ihnen aus eigenem Vermögen für die Bezahlung ihrer Leistungen aufzukommen. Hat den Dritten lediglich ein persönliches Interesse für den Bauherrn oder für die Handwerker zum Eintritt für die Bezahlung bestimmt, so ist jenes Versprechen als Bürgschaft anzusehen. Hat er aber ein eigenes sachliches, sei es rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an den Leistungen der Handwerker, an dem Fortgang der Arbeiten, die eingestellt sind oder ohne sein Eingreifen ins Stocken geraten werden, dann stehen der Annahme einer selbständigen Schuldmitübernahme rechtliche Bedenken nicht entgegen (RG J W 1908, 676). Ein solches Interesse hat vor allem der Hypothekengläubiger des Grundstücks, dem von der Einstellung des Baues die Entwertung seiner Hypothek droht. Die Unterscheidung ist auch hir wesentlich wegen der für den Bürgschaftsvertrag in § 766 vorgesehenen Form, die für die Schuldmitübernahme nicht Platz greift. Nach der Art des Eingreifens des Dritten kann übrigens auch ein Kreditauftrag auf weiteren dem Bauherrn zu gewährenden Kredit (§ 778),
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Bürgschaft
V o r § 7 6 5 A n m . 22—25
§765
unter Umständen aber auch nur eine Zusicherung vorliegen, für die vertragsmäßige Zahlung durch den Schuldner seine Bemühungen aufzuwenden (RG 56, 130). A n m . 22 d) Der K r e d i t a u f t r a g . Er ist in § 778 besonders geregelt (vgl. dazu die Erläuterungen bei § 778). A n m . 23 e) Die W e c h s e l b ü r g s c h a f t . Sie ist in den Artt 30 ff W G geregelt. Sie ist keine Bürgschaft im Sinn des BGB; der Wechselbürge übernimmt vielmehr eine selbständige, eigene, gesamtschuldnerische Wechselverpflichtung (RG g4, 85). Das gleiche gilt für die S c h e c k b ü r g s c h a f t (Art. 25fr ScheckG). A n m . 24 f ) Die V e r p f l i c h t u n g z u r B e s t e l l u n g eines P f a n d e s . Verpflichtet sich jemand zur Sicherung einer künftigen Forderung eine Barkaution zu stellen, so kommt eine solche Verpflichtung ihrem wirtschaftlichen Zweck nach einer Bürgschaft zwar sehr nahe, sie ist jedoch keine Bürgschaft, sondern eine Verpflichtung zur Bestellung eines Pfandes. Ein solches Versprechen bedarf daher auch nicht der Schriftform des § 766 (RG WarnRspr 1909 Nr. 207). A n m . 25 g) B ü r g s c h a f t s ä h n l i c h e V e r p f l i c h t u n g e n . Einige Vorschriften enthalten die Begründung gesetzlicher Verpflichtungen, für deren Inhalt und Umfang (nicht für deren Begründung) die Vorschriften des Bürgschaftsrechts Anwendung finden; vgl. etwa § 571 Abs. 2 (Haftung des Vermieters für den infolge einer Veräußerung des Mietgrundstücks in die Verpflichtungen des Vermieters eingetretenen Erwerbers), § 1 2 5 1 Abs. 2 (Haftung des bisherigen Pfandgläubigers, der die durch Pfand gesicherte Forderung an einen Dritten abgetreten hat, für die Erfüllung der mit dem Pfandrecht verbundenen Verpflichtungen), § 36 Abs. 2 VerlG (Haftung der Konkursmasse eines in Konkurs gefallenen Verlegers, wenn der Konkursverwalter die Rechte des Verlegers auf einen anderen übertragen hat, für den Schaden, den der Erwerber dem Urheber zu ersetzen hat).
§765 D u r c h d e n B ü r g s c h a f t s v e r t r a g v e r p f l i c h t e t sich d e r B ü r g e g e g e n ü b e r d e m G l ä u b i g e r eines D r i t t e n , f ü r die E r f ü l l u n g d e r V e r b i n d l i c h k e i t d e s D r i t t e n einzustehen. Die B ü r g s c h a f t k a n n a u c h f ü r eine k ü n f t i g e o d e r eine bedingte V e r b i n d lichkeit ü b e r n o m m e n w e r d e n . E I 668, 669 II 706; M 1 657—660; P 2 46»—464.
Ubersicht I. Der Bürgschaftsvertrag 1. Die Auslegung des Bürgschaftsvertrages 2. Die Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages 3. Die Anfechtung des Bürgschaftsvertrages 4. Die Kündigung des Bürgschaftsvertrages 5. Der Rücktritt vom Bürgschaftsvertrag 6. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage 7. Der bedingte Bürgschaftsvertrag II. Die Erfordernisse des Bürgschaftsvertrages 1. Die Verbindlichkeit des Hauptschuldners 2. Die Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger
Anm.
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§ 765
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 1, 2 Anm.
III. Der Inhalt des Bürgschaftsvertrages 1. Der Gegenstand der Bürgschaftsverpflichtung 2. Der Umfang der Bürgschaftsverpflichtung 3. Der selbständige Charakter der Bürgschaftsverpflichtung 4. Weitere Verpflichtungen des Bürgen 5. Die Obliegenheiten des Gläubigers
15—19 15 16 17 18 ig
I. Der Bürgschaftsvertrag Uber die Merkmale des Bürgschaftsvertrags und seine Unterschiede von verwandten Verträgen s. die Vorbem. Uber Form und Abschluß des Vertrags s. § 766. Eine Mitwirkung des Hauptschuldners ist nicht erforderlich. Die Bürgschaft kann ohne Wissen und gegen den Willen des Hauptschuldners eingegangen werden ( R G 71, 220). Bürge kann jede natürliche oder juristische Person sein.
Anm. 1 1 . D i e A u s l e g u n g d e s B ü r g s c h a f t s v e r t r a g e s . Für die Auslegung eines Bürgschaftsvertrages gelten die allgemeinen Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157. Bedeutsam ist danach vor allem der Vertragszweck; dagegen kommt es auf den Wortlaut der Bürgschaftserklärung nicht entscheidend an ( R G 62, 174; 64, 84). Auch die Worte Garantie, Schuldübernahme schließen die Annahme einer Bürgschaft nicht aus (Anm. 19, 21 vor §765). Dabei ist es wichtig, daß gegenüber der Garantie und der Schuldübernahme im Zweifel Bürgschaft angenommen werden muß (Anm. 19, 21 vor § 765). Entscheidend ist stets, daß der Verpflichtungswille des Bürgen zur Zahlung, falls der Schuldner nicht oder nicht ordnungsgemäß zahlen werde, aus der Erklärung hervorgeht ( R G WarnRspr 1909 Nr. 87). In den Worten: „ W e n n B (der Schuldner) nicht zahlt, zahle i c h " , kann eine Bürgschaft gefunden werden ( R G J W 1909, 459). Die Erklärung des Bevollmächtigten, neben dem Vollmachtgeber für dessen Schuld haften zu wollen, kann Bürgschaft sein ( R G J W 1904, 407), desgleichen die Erklärung, hinter einer Vertragspartei zu stehen und mit seinem Vermögen zu haften ( R G 140, 218). Z u beachten ist die A b grenzung zwischen allgemeinen Redensarten und einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtungserklärung. In den Worten: „Niemand von den Lieferanten soll etwas einbüßen, dafür werde ich sorgen," ist eine Bürgschaftserklärung gesehen worden ( R G WarnRspr 1911 Nr. 471). Eine Wechselbegebung zur Sicherung der Forderung eines anderen ist keine Bürgschaft, sondern selbständige Wechselverpflichtung ( R G J W 1928, 2126). Im Hinblick auf die Formvorschrift des § 766 kommt bei der Auslegung vor allem der Bürgschaftsurkunde entscheidende Bedeutung zu; über den hiernach notwendigen Inhalt der Urkunde vgl. § 766 Anm. 5 ff.
Anm. 2 Auch der Umfang einer wirksamen Bürgschaftsverpflichtung ist im Wege
der Auslegung zu ermitteln. Dabei besteht kein Anlaß, die Verpflichtung im Zweifel zugunsten des Bürgen eng auszulegen ( R G J W 1933, 1251). Das ist wichtig fiir die Frage, ob die Bürgschaft für eine Forderung auch die sog. N e b e n a n s p r ü c h e umfaßt. Ist dem Bürgen die Verzinslichkeit der Hauptforderung bekannt und macht er in seiner Erklärung keinen Vorbehalt, so ist in der Regel Verbürgung auch für die Zinsen anzunehmen, bei Kaufleuten auch für die üblichen Bankprovisionen ( R G J W 1912, 343). Bei sog. Zinsbürgschaften besteht keine Vermutung dafür, daß sie Verzugszinsen umfaßt ( R G J W 1933, 1251). Das gleiche gilt für Vertragsstrafen; insoweit ist freilich bei einfachen Bürgschaften eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Annahme angebracht, daß die Bürgschaft auch für die Vertragsstrafen gilt ( R G WarnRspr 1909 Nr. 140). Für die Kosten der Kündigung und der Rechtsverfolgung gibt § 767 Abs. 2 eine Sondervorschrift; sie werden von der Bürgschaft miterfaßt (§ 767 Anm. 11). Der Wunsch, eine Erweiterung der Bürgschaftsverpflichtung zu erhalten, braucht nicht notwendig die Ablehnung der angebotenen Bürgschaft zu bedeuten, sondern ist auch vereinbar mit der Annahme zunächst der weniger befriedigenden Erklärung, so daß der Bürgschaftsvertrag mit diesem Inhalt zustande gekommen ist ( R G J W 1931, 1181). Ist die Haupt-
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Bürgschaft
§ 765 A n m . 3—5
forderung, für die die Bürgschaft übernommen ist, nichtig (z. B. wegen Verstoß gegen die guten Sitten oder nach erfolgter Anfechtung), so kann die Bürgschaft unter Umständen dahin ausgelegt werden, daß sie sich auch auf den Anspruch des Gläubigers wegen ungerechtfertigter Bereicherung des Hauptschuldners bezieht (RG WarnRspr 1930 Nr. 1 5 1 ; H R R 1930 Nr. 2 1 1 ; vgl. aber auch RG 95, 125), bei einem nichtigen Miet- oder Pachtverhältnis, bei dem die Bürgschaft für die Verpflichtungen des Mieters oder Pächters übernommen worden ist, auch auf die Ansprüche des Vermieters oder Verpächters für die tatsächliche Gebrauchsüberlassung, wenn sich die Nichtigkeit erst nach einiger Zeit herausstellt (BGH L M Nr. 1 zu § 765 BGB). Ist die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme unmöglich, so kann die Bürgschaft auch zur Sicherung eines etwaigen Schadensersatzanspruchs gegen den Hauptschuldner übernommen worden sein (RG go, 415). Wird dagegen die Hauptverbindlichkeit erst nach der Übernahme der Bürgschaft unmöglich, so greift § 767 ein (vgl. dazu § 767 Anm. 2). Anm. 3 2. Die Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages. Der Bürgschaftsvertrag kann nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, etwa wegen Verstoßes gegen die §§ 134, 138 nichtig sein. Als Verstoß gegen § 134 kommt die Verletzung einschlägiger Devisenvorschriften in Betracht, die freilich zur Zeit für Bürgschaften durch allgemeine Genehmigungen ziemlich freizügig gestaltet sind (vgl. dazu BB 1955, 651, 848, 943). Für die Annahme eines Verstoßes gegen § 138 Abs. 2 ist bei Bürgschaften Zurückhaltung geboten, da bei der nur eine einseitige Verpflichtung begründenden Bürgschaft ein grobes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht in Betracht kommt (RG H R R 1932 Nr. 1430). Anders dagegen, wenn die Bürgschaft im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages (dazu Anm. 4 vor § 765) übernommen worden ist. Anm. 4 3. Die Anfechtung des Bürgschaftsvertrages. Sie ist nach allgemeinen Grundsätzen ohne Einschränkung zulässig. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kommt namentlich in Betracht, wenn der Gläubiger bei Eingehung der Bürgschaft bewußt falsche Angaben über die Verhältnisse des Schuldners macht (RG 91, 82). Denn wenn ihn insoweit auch eine allgemeine Aufklärungspflicht nicht trifft, so darf er doch keine falschen Angaben machen oder Dinge, nach denen er gefragt ist, verschweigen (RG HHR 1935 Nr. 926; vgl. auch Anm. 2 vor § 765). Zweifelhaft kann es im Einzelfall sein, inwieweit sich der Gläubiger bewußt falsche Angaben des Hauptschuldners, die dieser dem Bürgen gegenüber gemacht hat, zurechnen lassen muß. Da der Hauptschuldner nicht Vertragspartner des Bürgschaftsvertrages ist, ist er im Zweifel als Dritter im Sinn des § 123 Abs. 2 anzusehen (RG HHR 1936 Nr. 396). Er kann aber auch, namentlich wenn er das Zustandekommen der Bürgschaft zwischen Gläubiger und Bürgen vermittelt, Empfangsbote oder Vertreter des Gläubigers sein, so daß dem Gläubiger die Erklärungen des Hauptschuldners ohne Einschränkung zuzurechnen sind (RG J W 1934, 219). Anm. 5 Eine Anfechtung der Bürgschaft wegen Irrtums kann unter verschiedenen Gesichtspunkten in Betracht kommen. Die einfachsten Fälle sind es, wenn der Bürge eine Bürgschaftserklärung nicht abgegeben (RG 88, 411), wenn er die Bürgschaft zur Sicherung einer anderen Forderung übernehmen (BGH WM 1957, 737) oder wenn er statt einer gewöhnlichen Bürgschaftsverpflichtung nur eine Nachbürgschaftsverpflichtung übernehmen wollte (BGH WM 1957, 67). Das gilt namentlich, wenn eine Blankobürgschaft vom Hauptschuldner oder einem Dritten vertragswidrig ausgefüllt und die Urkunde dem Gläubiger überreicht wird (RG J W 1916, 1270). Ein Irrtum des Bürgen über andere Sicherungen der Hauptschuld, bei einer Ausfallbürgschaft über die Höhe des Ausfalls ist im allgemeinen ein unbeachtlicher Motivirrtum. Er kann eine Anfechtung wegen Irrtums nur begründen, wenn die dahingehenden Vorstellungen des Bürgen zum Inhalt seiner eigenen Erklärung gemacht worden sind, wenn der Bürge also die
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§ 765 Anm. 6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Bürgschaft erkennbar nur mit Rücksicht auf eine anderweite Sicherung der Forderung (Pfandrecht, Hypothek) übernommen hat ( R G 75, 271; WarnRspr 1936 Nr. 57) oder wenn bei einer Ausfallbürgschaft die Berechnung des Ausfalls Gegenstand der Verhandlungen gewesen ist und das in der Bürgschaftsurkunde Ausdruck gefunden hat ( R G 85, 326). Dagegen berechtigt ein Irrtum für die Güte einer für die Hauptschuld bestellten Hypothek im allgemeinen nicht zur Anfechtung. Die Anfechtung wegen Irrtums über wesentliche Eigenschaften des Hauptschuldners ist grundsätzlich zulässig, da die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 nicht auf Fälle des Eigenschaftsirrtums hinsichtlich der anderen Vertragspartei beschränkt ist ( R G 98, 207/08; 158, 170). Freilich wird eine A n f e c h t u n g w e g e n I r r t u m s ü b e r die K r e d i t w ü r d i g k e i t d e s H a u p t s c h u l d n e r s nicht zugelassen werden können; sie würde sich mit dem Inhalt der Bürgschaftserklärung selbst in Widerspruch setzen, da der Zweck der Bürgschaft gerade in dem Schutz des Gläubigers gegen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners besteht ( B G H W M 1956, 885). Es gehört zum Wesen einer jeden Bürgschaft, daß der Bürge die Folgen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf sich nehmen muß, auch wenn er nicht damit gerechnet hat ( R G 134, 129). Eine Sicherung des Bürgen, der bei der Übernahme der Bürgschaft von bestimmten tatsächlichen Vorstellungen über die Vermögenslage des Schuldners, etwa an Hand vorgelegter Bilanzen, ausgeht, kann nur dadurch herbeigeführt werden, daß die Bürgschaftserklärung die Richtigkeit dieser Vorstellungen in ihrem Inhalt selbst aufnimmt ( R G 158, 170). — Dem Gläubiger steht gegebenenfalls auch ein Anfechtungsrecht zu; das ist praktisch bedeutsam, wenn die Bürgschaft im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages übernommen worden war (Anm. 4 vor § 765), z.B. Anfechtung wegen Irrtums über die Vermögenslosigkeit des Bürgen ( R G WarnRspr 1915, 198). Anm. 6 4. Die K ü n d i g u n g d e s B ü r g s c h a f t s v e r t r a g e s . Im allgemeinen ist eine Kündigung des Bürgschaftsvertrages nicht möglich; denn die Bürgschaft selbst ist grundsätzlich unwiderruflich. Bei Kreditbürgschaften von unbestimmter Dauer ist das jedoch anders. Hier kommt der das ganze Rechtsleben beherrschende Grundsatz, daß Dauerrechtsverhältnisse bei Vorliegen eines wichtigen Grundes aufgelöst werden können, zur Anwendung. Das bedeutet, daß Kreditbürgschaften von imbestimmter Dauer nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums oder bei Eintritt besonderer (wichtiger) Umstände vom Bürgen gekündigt werden können, wobei im einzelnen Fall dabei auch der Zweck der Bürgschaft zu berücksichtigen ist ( R G J W 1 9 1 1 , 447; WarnRspr 1913 Nr. 289; L Z 1932, 604; vgl. auch B G H WM 1957, 518). Die Kündigung muß in jedem Fall auch unter billiger Rücksichtnahme auf die zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner bestehende Geschäftsverbindung ausgesprochen werden, so daß unter Umständen eine angemessene Kündigungsfrist eingehalten werden muß ( R G WarnRspr 1913 Nr. 289). Die Kündigung führt zur Beendigung der Bürgschaft; die Bürgschaft selbst ist dann zum Kündigungstermin wie eine Bürgschaft auf Zeit zu behandeln, so daß insoweit § 777 Anwendung findet. Unter Umständen ist bei Kreditbürgschaften, die eine ausdrückliche Zeitbegrenzung nicht enthalten, eine Kündigung nicht einmal erforderlich, nämlich dann, wenn sich aus den Begleitumständen im Wege der Auslegung schon eine solche Zeitbegrenzung für die Bürgschaft ergibt. Das ist in einem Fall, in dem der Gesellschafter einer GmbH die Bürgschaft für den laufenden Bankkredit seiner Gesellschaft überübernommen hatte, mit der Maßgabe bejaht worden, daß die Bürgschaft nur so lange gelte, als der Bürge Gesellschafter war ( R G H H R 1935 Nr. 581). In einem anderen Fall ist die Notwendigkeit einer Kündigung verneint worden, weil hier für die Bürgen (Erben des ursprünglichen Bürgen) nicht nur ein Kündigungsgrund gegeben war, sondern weil angesichts der besonders gelagerten Umstände auch eine Pflicht des Gläubigers bestand, den Bürgen von einer weiteren Kreditgewährung Mitteilung zu machen; diese Umstände rechtfertigen die Annahme, daß die Berufung des Gläubigers auf die nicht gekündigte Bürgschaft einen Rechtsmißbrauch darstellt ( R G J W 1932, 1655; vgl. dazu auch B G H WM 1957, 518). In der Vereinbarung zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger, daß dieser dem Hauptschuldner keinen Kredit mehr gewähren dürfe, kann bei einer Kreditbürgschaft auf unbestimmte Zeit zugleich auch eine zulässige Kündigung der Kreditbürgschaft liegen ( R G L Z 1917, 592). Die Verschlechterung der
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Bürgschaft
§765
Anm. 7—9
Vermögenslage des Hauptschuldners gibt dem Bürgen nur den Befreiungsanspruch gegen diesen nach § 775, nicht aber ein Kündigungsrecht gegenüber dem Gläubiger ( R G J W 1932, 584); denn es ist gerade der Zweck des Bürgschaftsvertrages, den Gläubiger gegen die Gefahren aus der Vermögensunzulänglichkeit des Schuldners zu schützen. Auch die Bürgschaft für eine zukünftige Verbindlichkeit (Anm. 12) kann in angemessener Frist gekündigt werden ( R G J W 1 9 1 1 , 447).
Anm. 7 5 . D e r R ü c k t r i t t v o m B ü r g s c h a f t s v e r t r a g . Ist die Bürgschaft im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages übernommen worden (vgl. dazu Anm. 4 vor § 765), so steht dem Bürgen das Rücktrittsrecht gemäß §§ 325, 326 zu ( R G BankA 1937, 556). Für die Ausübung des Rücktrittsrechts seitens des Bürgen kommt es also dann darauf an, ob der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung erbringt oder erbracht hat.
Anm. 8 6 . D e r W e g f a l l d e r G e s c h ä f t s g r u n d l a g e . Der Wegfall der Geschäftsgrundlage bildet dann keinen Grund zur Aufhebung des Bürgschaftsvertrages, wenn das mit dem Zweck der Bürgschaft, der bewußten Risikoübernahme seitens des Bürgen zum Schutze des Gläubigers gegen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, in Widerspruch steht. Daher können in diesem Zusammenhang all die Umstände keine Berücksichtigung finden, die sich aus einer umstürzenden Veränderung der Vermögenslage des Hauptschuldners ergeben und gegen die der Gläubiger durch die Bürgschaft gerade gesichert werden soll ( R G 163, 99; O G H 1, 66; vgl. auch § 767 Anm. 4). Anders kann es dagegen sein mit Umständen, die sich aus den Verhältnissen der Vertragsparteien ergeben; aber auch hier ist eine gewisse Zurückhaltung geboten, da der Gläubiger durch die Verpflichtung des Bürgen nur ein Recht erwerben soll und es daher im allgemeinen näher liegen wird, jenen Vorstellungen nur dann Bedeutung beizumessen, wenn sie in eine Beziehung zum Inhalt des Vertrages in der Form der Bedingung gesetzt werden ( R G 146, 379; 158, 1 7 2 ; H R R 1938 Nr. 1459).
Anm. 9 7. D e r b e d i n g t e B ü r g s c h a f t s v e r t r a g . Die Bürgschaft kann unter einer Bedingung aufschiebender oder auflösender Art übernommen werden; etwa unter der auflösenden Bedingung, daß der Gläubiger gegen den Hauptschuldner keine Strafanzeige erstatte ( R G WarnRspr 1908 Nr. 149), oder unter der aufschiebenden Bedingung, daß zur Sicherung der Hauptschuld noch ein Pfandrecht oder eine Mitbürgschaft bestellt werde (vgl. dazu auch § 769 Anm. 3). Auf die bedingte Bürgschaft findet § 162 ohne Einschränkung Anwendung; der Beweis dafür, daß der Bürge den Eintritt der Bedingung verhindert hat, obliegt dem Gläubiger ( B G H W M 1957, 1 3 1 2 ) . Die bedingte Bürgschaft ist von der Bürgschaft für eine bedingte Hauptschuld (vgl. A n m . 12) zu unterscheiden. Für Beifügung von Bedingungen besteht das F o r m e r f o r d e r n i s des § 766 nicht, weil sie die Verpflichtung des Bürgen einschränken ( R G WarnRspr. 1908 Nr. 149; vgl. des Näheren § 766 Anm. 1). Auch dann, wenn der Bürgschaftserklärung eine ausdrückliche Bedingung nicht hinzugefügt ist, kann eine entsprechende Erwartung (z. B. das Unterbleiben einer Strafanzeige) unter dem Gesichtspunkt der §§ 8 1 2 ff von Bedeutung sein und einen Anspruch auf Freistellung von der Bürgschaft deshalb rechtfertigen, weil der nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eingetreten ist ( R G 1 1 8 , 3587; vgl. auch Anm. 47 vor § 765). Die Bürgschaft kann auch a u f b e s t i m m t e Z e i t beschränkt werden, und zwar sowohl in dem Sinn, daß nur die Verbindlichkeiten, die der Hauptschuldner während dieser Zeit eingeht, Gegenstand der Bürgschaft sein sollen, als auch in dem Sinne, daß die Bürgschaftsverpflichtung mit Ablauf dieser Zeit erlöschen soll (dazu § 777 Anm. 1).
II. Die Erfordernisse des Bürgschaftsvertrages Der Bürgschaftsvertrag setzt zu seiner Wirksamkeit voraus, daß sich in ihm der Bürge gegenüber dem Gläubiger für die Verbindlichkeit eines Dritten, des sog. Haupt-
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§ 765 A n m . 10, 11
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Schuldners, verbürgt. Das bedeutet, daß einerseits eine Verbindlichkeit des Hauptschuldners bestehen, und daß andererseits der Bürgschaftsvertrag mit dem Gläubiger abgeschlossen sein muß. A n m . 10 1. Die Verbindlichkeit d e s H a u p t s c h u l d n e r s . Erforderlich ist zunächst eine gültige Verbindlichkeit des Hauptschuldners. Dabei ist der Inhalt dieser Verbindlichkeit für den Bestand der Bürgschaft gleichgültig; der Inhalt der Verbindlichkeit des Hauptschuldners kann vielmehr nur für den Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung von Bedeutung sein (dazu Anm. 13). Daher ist die Bürgschaft nichtig, wenn eine Hauptschuld nicht besteht, diese etwa wegen Verstoßes gegen die guten Sitten selbst nichtig ist ( R G 134, 246; L Z 1921, 450; H R R 1930 Nr. 498). Doch macht die Nichtigkeit des Hauptvertrages nicht auch die auf seiner Grundlage geschlossenen selbständigen Geschäfte und die hieraus erwachsenen Verbindlichkeiten nichtig, und deshalb bleiben auch die hierfür eingegangenen Bürgschaften gültig (z. B. Darlehn und Bierlieferungen aus einem wegen Umgehung der §§ 33, 147 GewO nichtigen Vertrag, R G 63, 143). Bei der Nichtigkeit der Hauptverbindlichkeit muß es sich um eine endgültige Nichtigkeit der Hauptverbindlichkeit handeln, damit eine für sie übernommene Bürgschaft als unwirksam angesehen werden kann. Wird die wegen Formmangels zunächst noch nicht wirksame Hauptverbindlichkeit durch nachträgliche Heilung (z. B. im Fall des § 3 1 3 Satz 2) voll wirksam, so wird die für sie übernommene Bürgschaft im Zeitpunkt der Heilung ebenfalls voll wirksam ( R G 134, 246). Das gleiche gilt für die Fälle einer schwebenden Unwirksamkeit der Hauptverbindlichkeit (vgl. etwa §§ 177, 185), nicht jedoch für den Fall einer Bestätigung der Hauptverbindlichkeit gemäß § 141 (Neuvornahme!, vgl. R G L Z 1930, 438). Ist die Hauptverbindlichkeit von Anfang an nichtig, so kann allerdings die Auslegung des Bürgschaftsvertrages ergeben, daß diese auch der Sicherung eines etwaigen Ersatzanspruchs des Gläubigers (z. B. wegen ungerechtfertigter Bereicherung des Hauptschuldners) dient (dazu Anm. 2 a. E.). — Für eine erloschene Verbindlichkeit kann eine Bürgschaft nicht mehr übernommen werden. Wird nach Erlöschen der Hauptverbindlichkeit die Fortdauer der Verbürgung vereinbart, so ist das keine Bürgschaft mehr ( R G WarnRspr 1919 Nr. 166); in einer solchen Vereinbarung kann jedoch ein selbständiges Schuldversprechen nach § 780 oder ein Garantieversprechen ( R G 90, 4 1 5 ; WarnRspr 1916 Nr. 130) erblickt werden. Uber die Bedeutung einer Novation der Hauptverbindlichkeit für den Fortbestand einer Bürgschaft vgl. §767 Anm. 2. Für eine v e r j ä h r t e V e r b i n d l i c h k e i t kann eine Bürgschaft übernommen werden; denn die Verjährung bringt die Verbindlichkeit noch nicht zum Erlöschen. Da der Bürge die Haftung für die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit übernimmt, kann eine Bürgschaft nicht mehr übernommen werden, wenn im Zeitpunkt der Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung feststeht, daß die E r f ü l l u n g der Hauptverbindlichkeit u n m ö g l i c h ist. Eine andere Frage ist es, ob die Bürgschaft in einem solchen Fall dann, wenn der Hauptschuldner wegen der Unmöglichkeit zum Schadensersatz verpflichtet ist, als eine Bürgschaft wegen dieser Schadensersatzforderung anzusehen ist (dazu Anm. 1). Die Verbindlichkeit des Hauptschuldners muß eine persönliche Verbindlichkeit sein. Für die Verbindlichkeit des nur dinglich, nicht auch zugleich persönlich haftenden Grundstückseigentümers kann eine Bürgschaft nicht übernommen werden. In diesem Fall kommt nur der Abschluß eines Garantievertrages in Betracht ( R G 93, 236; WarnRspr 1916 Nr. 130). Dagegen ist eine Bürgschaft für eine Hypothekenschuld in der Weise denkbar, daß der Bürge für die mit der Hypothek verbundene Schuld einzustehen verspricht; dann tritt zu der Hypothek als dinglicher Sicherung die Bürgschaft als persönliche Sicherung der Hauptschuld hinzu. A n m . 11 Immer muß Identität zwischen der H a u p t v e r b i n d l i c h k e i t und der v e r b ü r g t e n Verbindlichkeit bestehen. Anderenfalls ist die Bürgschaft unwirksam, mögen auch beide Forderungen denselben wirtschaftlichen Zwecken dienen ( R G L Z 1919, 123 J ; WarnRspr 1922 Nr. 97 sehr instruktiv; J W 1933, 2826). Das kann bedeutsam sein,
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Bürgschaft
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wenn vor Übernahme der Bürgschaft durch Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner der Inhalt der Hauptverbindlichkeit eine Änderung erfahren, diese Änderung bei der Bürgschaftserklärung aber keine Berücksichtigung gefunden hat. Immerhin kann in solchen Fällen eine entsprechende Anwendung des in § 767 Abs. 1 Satz 3 — im Gegensatz zum Satz 2 (RG L Z 1917, 802) — ausgesprochenen Rechtsgedankens in Betracht kommen und damit die Wirksamkeit der Bürgschaft bejaht werden (RG J W 1933, 2826). Eine solche entsprechende Anwendung muß aber ausscheiden, wenn der Bürge bei Kenntnis dieser Änderungen die Bürgschaft nicht übernommen haben würde (vgl. R G aaO). Anm. 12 Die Bürgschaft kann nach Abs. 2 auch für künftige oder erst im Werden begriffene oder bedingte Verbindlichkeiten übernommen werden (RG 134, 246). Eine Verpflichtung des Bürgen wird mit der Annahmeerklärung des künftig Berechtigten sofort begründet; sie braucht im Vergleichstermin eines Konkursverfallenen nicht wiederholt zu werden (RG 143, 104). Für k ü n f t i g e , also sowohl für die Erfüllung der in ihrer Höhe noch unbestimmten Verbindlichkeiten, die aus einem schon bestehenden Rechtsverhältnisse einem Gläubiger gegenüber entstehen werden, als auch für die Verpflichtungen des Hauptschuldners aus künftig erst abzuschließenden und nur der Art nach im voraus bestimmten Geschäften oder zu begründenden Rechtsverhältnissen (RG 57, 66; 62, 382; R G J W 1911, 940; 1913, 642). Ihre Begründung hängt vom freien Willen des Gläubigers ab. So ist auch eine Bürgschaft für alle Ansprüche einer Bank gegen den Hauptschuldner, „sie mögen bereits entstanden sein oder erst entstehen, Haupt- oder Nebensachen betreffen und herrühren aus welchem Rechtsgrunde immer", zulässig; die Bestimmtheit der Art ist hier durch den bankmäßigen Geschäftsverkehr gegeben (RG J W 1912, 35, 465; L Z 1932, 1424). Freilich muß das in der Bürgschaftsurkunde mit der notwendigen Deutlichkeit zum Ausdruck kommen. Dagegen ist eine Bürgschaft ohne jede sachliche Begrenzung der Hauptverbindlichkeit, etwa für alle nur irgendwie denkbaren Verbindlichkeiten des Hauptschuldners unzulässig und daher insoweit unwirksam (BGH WM 1957, 1430). Eine allgemeine Bürgschaft für alle zukünftigen Ansprüche einer Bank gegen den Hauptschuldner aus der zwischen ihnen bestehenden Geschäftsverbindung begreift auch Bürgschaftsschulden des Hauptschuldners, so daß dadurch eine Nachbürgschaft entsteht. Der wesentliche Fall der Bürgschaft für künftige Verbindlichkeiten ist die sog. Kreditbürgschaft, die dem Schuldner beim Gläubiger einen laufenden Kredit verschaffen soll und in der Regel in der Beschränkung auf eine gewisse Höhe entweder für alle während der Dauer der Geschäftsverbindung des Gläubigers mit dem Schuldner entstehenden Forderungen (RG WarnRspr 1910 Nr. 1 1 5 ; 1915 Nr. 170), oder für die während eines bestimmten Z e i t r a u m s erwachsenden übernommen wird (RG 82, 382). Eine Verpflichtung aus einer Kreditbürgschaft für künftig noch entstehende Forderungen geht auf die Erben des Bürgen über (§ 1967 Anm. 2; R G J W 1911, 447; 1932, 1655). Der Gläubiger ist aber nach Treu und Glauben verpflichtet, die Erben auf das Bestehen einer Bürgschaft aufmerksam zu machen und ihnen etwaige weitere Kreditgewährung mitzuteilen, besonders wenn Umstände eingetreten sind, die den Bürgen zu einer Kündigung veranlassen könnten (RG J W 1932, 1655). Die Bürgschaft für eine künftige Verbindlichkeit kann unter Umständen in angemessener Frist gekündigt werden (dazu im einzelnen Anm. 4). Die Leistungsverpflichtung aus der Bürgschaft entsteht in allen diesen Fällen erst mit der Begründung der Forderungen des Gläubigers (RG J W 1911, 447). Dasselbe gilt bei der Bürgschaft für eine a u f s c h i e b e n d bedingte F o r d e r u n g , die wohl zu unterscheiden ist von der in Anm. 9 behandelten bedingten Bürgschaft. Diese kann auch für eine unbedingte Hauptschuld übernommen werden, wie umgekehrt für eine bedingte Hauptschuld eine unbedingte Bürgschaft. Damit wird aber an der Natur der Abhängigkeit nichts geändert. Hat bei einer Bürgschaft für eine aufschiebend bedingte Forderung der Bürge den Eintritt der Bedingung verhindert, so ist diese nicht eingetreten; § 162 findet — im Unterschied zu der bedingten Bürgschaft (vgl. Anm. g) — keine Anwendung, der Bürge haftet unter Umständen lediglich nach §§ 823 fr. 921
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 13 Die Bürgschaft kann nur für die Verbindlichkeit eines Dritten, nicht für eigene Verbindlichkeiten übernommen werden. Dem steht freilich nicht entgegen, daß der Gesellschafter einer Personalhandelsgesellschaft, auch wenn er unbeschränkt haftet, die Bürgschaft für Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft übernimmt (RG 139, 252; H R R 1935 Nr. 1298). Eine solche Bürgschaft ist im Hinblick auf § 193 Satz 2 KO, §82 Abs. 2 VerglO auch praktisch bedeutsam, weil die persönliche Haftung des Gesellschafters bei einem Zwangsvergleich bzw. einem gerichtlich bestätigten Vergleich beschränkt wird (§ 211 Abs. 2 KO, § 109 Nr. 3 VerglO). Anm. 14 2. Die Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger. Ein Versprechen gegenüber dem Schuldner, daß man für seine Schuld aufkommen wolle, ist keine Bürgschaft, da diese einen Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger voraussetzt (RG 57, 66; 59, 11). Das bedeutet aber auch, daß im Zeitpunkt des Bürgschaftsvertrages der Gläubiger noch Gläubiger der durch die Bürgschaft gesicherten Forderung sein muß. Ein früherer Gläubiger, der die Hauptforderung rechtsgültig einem Dritten übertragen hat, kann für die Forderung einen Bürgschaftsanspruch nicht mehr erwerben (RG 52, 184). Das gilt auch dann, wenn eine Bürgschaft für künftige, noch nicht entstandene Forderungen, etwa eine Kreditbürgschaft, gegenüber einer Firma übernommen worden war und das Handelsgeschäft sodann veräußert wird. In diesem Fall erfaßt die Bürgschaft nicht ohne weiteres auch das zwischen dem Erwerber der Firma und dem Hauptschuldner fortgesetzte Kreditverhältnis, da es sich hierbei um eine neue Kreditverbindung zwischen zwei anderen Personen handelt. Jedoch kann eine solche Erstreckung der Bürgschaft auf den neuen Firmeninhaber von vornherein vereinbart werden; dieses muß jedoch wegen der Formvorschrift des § 766 in der Bürgschaftsurkunde mindestens angedeutet sein (RG WarnRspr 1914 Nr. 184; BGH 26, 149). Ist der Gläubiger eine Kapitalgesellschaft und wird diese nach dem Umwandlungsgesetz in eine andere Gesellschaftsform umgewandelt, so ist das auf den Fortbestand der Bürgschaft ohne Einfluß, weil eine solche Umwandlung die Identität des Gläubigers unberührt läßt. Auch die Abtretung der gesicherten Forderung (Gläubigerwechsel) wirkt nicht auf den Bestand der Bürgschaft; diese geht vielmehr mit der Abtretung auf den Zessionar über (§§ 401, 412). Die Bürgschaft für eine Wechselschuld verpflichtet auch den späteren Indossataren gegenüber; denn die Bürgschaft kann mehreren, auch noch unbestimmten Personen gegenüber erklärt werden, die nacheinander die Wechselforderung erwerben (RG WarnRspr 1915 Nr. 9). III. Der Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung Anm. 15 1. Der Gegenstand der Bürgschaftsverpflichtung. Der Bürge verpflichtet sich für die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit einzustehen. Das bedeutet weder die unmittelbare Verpflichtung zur Erfüllung der Hauptverbindlichkeit (der Bürge ist nicht Mitschuldner neben dem Hauptschuldner, vgl. Anm. 1 vor § 765) noch eine reine Haftung, sondern die selbständige Verpflichtung, die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit im Rahmen des Möglichen herbeizuführen. Der Bürge e r f ü l l t nicht die V e r p f l i c h t u n g des H a u p t s c h u l d n e r s , die durch seine Leistung überhaupt nicht erlischt, da der Anspruch auf die Leistimg des Schuldners vielmehr nach § 774 auf den leistenden Bürgen übergeht; seine Leistung ersetzt dem Gläubiger die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit. Ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Hauptschuldner und dem Bürgen entsteht also nicht. Dieser Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung gibt bei der Verbürgung für Geldschulden zu keinem Zweifel Anlaß; der Bürge hat in diesem Fall auf Grund eigener Verbindlichkeit i n h a l t l i c h die gleiche L e i s t u n g wie der H a u p t s c h u l d n e r zu erbringen. Gleiches hat aber auch bei der Verbürgung für die Lieferung vertretbarer Sachen zu gelten; auch hier ist die Verbindlichkeit des Bürgen inhaltlich die gleiche wie die Verpflichtung des Hauptschuldners, sie geht also nicht etwa nur auf Schadensersatz in Geld (bedeutsam in Zeiten der Warenverknappung und 922
Bürgschaft
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Anm. 16
einschneidender Höchstpreisbestimmungen). Etwas anderes gilt lediglich, wenn im Wege der Auslegung die Bürgschaftserklärung ausnahmsweise dahin zu verstehen ist, daß sich die Bürgschaft nicht auf den Erfüllungsanspruch, sondern nur auf den etwaigen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung beziehen sollte. Die gleichen Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn die Hauptschuld auf Lieferung unvertretbarer Sachen gerichtet ist; der gleiche Leistungsinhalt wird freilich in einem solchen Falle für die Bürgenverbindlichkeit nur dann von Bedeutung sein, wenn nicht dem Hauptschuldner, aber dem Bürgen die Leistung möglich ist (vgl. für den Fall der Bürgschaft zugunsten eines Grundstückskäufers R G 140, 216; SeuffArch 87 Nr. 185; vgl. auch R G 103, 154). Dagegen ist bei der V e r b ü r g u n g f ü r h ö c h s t p e r s ö n l i c h e L e i s t u n g e n des Hauptschuldners (Dienst- und Werkvertrag sowie Unterlassungsschulden) von vornherein davon auszugehen, daß sich die Bürgschaftsverpflichtung allein auf den etwaigen Schadensersatzanspruch des Gläubigers gegen den Hauptschuldner in Geld erstreckt; denn angesichts des höchst persönlichen Charakters der Hauptschuld scheidet nach den Vorstellungen der Parteien eine Verpflichtung des Bürgen mit dem gleichen Leistungsinhalt regelmäßig aus. Zur Frage, ob sich die Bürgschaft, die für eine nichtige oder unmögliche Hauptverbindlichkeit übernommen worden ist, auch auf den etwaigen Ersatzanspruch des Gläubigers erstrecken kann, vgl. Anm. 2 a. E.
Anm 16 2. Der Umfang der Bürgschaftsverpflichtung.
Grundsätzlich erstreckt sich d i e V e r p f l i c h t u n g des B ü r g e n a u c h in der g l e i c h e n H ö h e w i e die V e r p f l i c h t u n g d e s H a u p t s c h u l d n e r s . Abweichendes kann jedoch durch Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien bestimmt werden. So kann durch eine ausdrückliche Vereinbarung die Bürgschaft nur für einen T e i l d e r H a u p t s c h u l d übernommen werden. Häufig ist die Beschränkung der Bürgschaft auf eine bestimmte Summe, bei künftigen Verbindlichkeiten auf einen Höchstbetrag. Die Bürgschaft bezieht sich dann zwar auf die ganze Hauptforderung, aber so, daß der Bürge dafür nur mit einem Teilwert einzustehen hat. Er haftet also für die ganze Schuld, aber nur bis zu dem bestimmten Betrag. Er wird von seiner Bürgschaftsschuld befreit, soweit er diesen Betrag zahlt ( R G WarnRspr 1914 Nr. 15), aber nicht dadurch, daß der Schuldner ihn zahlt; in diesem Fall haftet der Bürge noch für den unbezahlten Rest der Hauptschuld ( R G SeuffArch 85 Nr. 64). Bei einer Kontokorrentbürgschaft kann die Beschränkung der Bürgschaft in zweierlei Form erfolgen; entweder so, daß die Bürgschaftsverpflichtung, nicht aber der einzuräumende Kredit bis zu einem Höchstbetrag beschränkt ist, oder so, daß der Kredit und die Bürgschaft den vereinbarten Höchstbetrag nicht übersteigen dürfen ( R G 76, 195; H R R 1934 Nr. 1446). Im Zweifel wird die erste Form der Bürgschaft anzunehmen sein ( R G 136, 181). Das bedeutet, daß die Gesamtheit der dem Gläubiger aus dem Kontokorrentverhältnis zustehenden Forderungen die Hauptschuld bildet, daß die Bürgschaft also nicht erlischt, wenn die Hauptschuld zeitweilig getilgt sein sollte, und daß stets der jeweilige Schlußsaldo bis zum vereinbarten Höchstbetrage die verbürgte Schuld ist ( R G WarnRspr 1910 Nr. 115; J W 1911, 447). Im zweiten Fall handelt es sich um eine Teil-, nicht um eine Höchstbürgschaft. Ist der Kredit in der vereinbarten Höhe gewährt, so ist damit die verbürgte Forderung bestimmt. Sinkt der Kredit in der Folgezeit herab, so erlischt insoweit die Bürgschaft, so daß in diesem Fall stets der niedrigste, im Wege der Abrechnung festgestellte Zwischensaldo für die Höhe der Bürgschaft maßgebend ist ( R G 76, 195; 136, 181 mit Anm. J W 1932, 2605; WarnRspr 1910 Nr. 115; L Z 1921, 141). Dagegen ist auch in diesem Fall nach dem Wesen des Kontokorrents und nach § 356 H G B der Kontostand zwischen zwei Saldofeststellungen grundsätzlich gleichgültig, es müßte denn Abweichendes vereinbart sein ( R G H R R 1934 Nr. 1446). Gegenstand, Inhalt und Umfang der schuldigen Leistung des Bürgen bestimmen sich nach dem für die Bürgschaft maßgeblichen Recht (RG 54, 315). Das ist bedeutsam für die U m s t e l l u n g n a c h d e n W ä h r u n g s g e s e t z e n . Entscheidend für die Verpflichtung des Bürgen ist stets, in welcher Weise die Verbindlichkeit des Hauptschuldners umgestellt worden ist. Das gilt nicht nur für die Umstellung der Hauptschuld nach den westdeutschen Währungsgesetzen, sondern auch für das Verhältnis zu dem Währungsgesetz der Sowjetzone. Ist danach die Hauptschuld im Verio
Komm. 2. BGB, II. Aufl. II. Bd. (Fischer)
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§ 765 A n m . 17—19
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
hältnis i : i in DM Ost umgestellt, so ist diese Umstellung für die Bürgschaftsverbindlichkeit selbst dann maßgeblich, wenn der Bürge und der Gläubiger ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik haben (BGH W M 1955, 974). Zum Einfluß sowjetzonaler Enteignungsmaßnahmen auf die Verbindlichkeit des Bürgen vgl. § 767 Anm. 3. A n m . 17 3. Der selbständige Charakter der Bürgschaftsverpflichtung. Trotz der Abhängigkeit der Bürgschaftsverpflichtung von dem Bestehen einer Hauptverbindlichkeit ist der Bürgschaftsvertrag ein selbständiger Vertrag mit selbständigen Rechten und Pflichten. Das äußert sich in verschiedenerlei Hinsicht. So hat die Bürgschaft einen eigenen, nach § 269 zu bestimmenden Leistungsort, nach dem sich alsdann auch der Gerichtsstand des Erfüllungsorts für den Bürgen gemäß § 29 ZPO richtet (RG 71, 59; 73, 262; 137, 11). Nur wo die Natur des Hauptgeschäfts und seiner Leistung auf einen besonderen Leistungsort hinweist, so daß auch der Zweck der Bürgschaft die Leistung an diesem bestimmten Erfüllungsort fordert, ist der Erfüllungsort der Hauptschuld maßgebend. Bei Geldschulden, die den Regelfall für eine Bürgschaft bilden, ist das nicht anzunehmen. Die Vereinbarung eines Erfüllungsorts im Hauptvertrag ist allein noch nicht ausreichend, diesen auch für die Leistung des Bürgen als maßgeblich anzusehen. Auch ist es in dieser Hinsicht ohne Belang, ob es sich um eine gewöhnliche oder um eine selbstschuldnerische Bürgschaft handelt (RG J W 1902, 219). Somit hat der Bürge in der Regel seine Leistung da zu erbringen, wo er zur Zeit der Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung seinen Wohnsitz hat (§ 269). Für den Rückgriff des zahlenden Bürgen gegen den Hauptschuldner bleibt der Ort Erfüllungsort, der für die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner maßgeblich war, weil der Bürge insoweit in die Rechte des Gläubigers eingetreten ist (RG 61, 344). Klagt der Bürge auf Befreiung (§ 775)) s o ist für ihn Gerichtsstand des Erfüllungsorts der Wohnort des Hauptschuldners zur Zeit der Entstehung des Befreiungsanspruchs. Die Selbständigkeit des Bürgschaftsvertrages äußert sich ferner darin, daß der Anspruch einer selbständigen Verjährung unterliegt, die durch die Klage gegen den Hauptschuldner nicht unterbrochen wird und umgekehrt. Die Verjährung ist die dreißigjährige (§ 195) mag auch für die Hauptverbindlichkeit eine kürzere Verjährung gelten. Immerhin kann aber der Bürge nach § 768 auch die Verjährungseinrede des Hauptschuldners geltend machen (§ 768 Anm. 1). Ist für die Hauptschuld der Rechtsweg vor dem Arbeitsgericht gegeben, so ist dieser nicht auch schon deshalb für den Anspruch gegen den Bürgen maßgeblich (RG 71, 56; vgl. aber auch § 3 ArbGG). Die Vereinbarung eines Schiedsvertrages für die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner wirkt nicht ohne weiteres auf den Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen (Breslau OLG 27, 81). A n m . 18 4. Weitere Verpflichtungen des Bürgen. Die Erfüllung des Bürgschaftsvertrags steht unter der Regel von Treu und Glauben nach §§ 157, 242 BGB. Der Bürge, dessen Verpflichtung dem Gläubiger die Befriedigung wegen seiner Forderung sichern soll, handelt vertragswidrig, wenn er selbst durch seine Handlungsweise die Vereitlung dieser Befriedigung herbeiführt. Das gleiche gilt aber nicht, wenn er nur für einen Teil der Hauptschuld sich verbürgt hatte und durch Verfolgung seines Rechtes auf Sicherstellung gegen den Hauptschuldner nach § 775 wegen dieses Teiles dem Gläubiger die Befriedigung wegen des durch die Bürgschaft nicht gedeckten Teiles der Forderung entzieht, sofern nicht aus dem Vertrage und den ihn begleitenden Umständen ein anderes erhellt. A n m . 19 5. Die Obliegenheiten des Gläubigers. Da der Bürgschaftsvertrag ein einseitig verpflichtender Vertrag ist, wird der Gläubiger grundsätzlich nur berechtigt, nicht aber verpflichtet (Anm. 2 vor § 765). Auch die in der Rechtsprechung wiederholt behandelten Sorgfaltspflichten des Gläubigers sind keine echten Verbindlichkeiten, auf deren Erfüllung geklagt werden könnte. Sie sind Obliegenheiten des Gläubigers, deren 924
Bürgschaft
§ 766 Anm. 1
Verletzung zur Befreiung des Bürgen, aber niemals zu einer Schadensersatzpflicht des Gläubigers führen kann. Uber den Umfang dieser Obliegenheiten vgl. im einzelnen Anm. 2 vor § 765. Der Bürge, der sich einem Geschäftsherrn gegenüber für die Ansprüche verbürgt hat, die diesem aus dem Dienstverhältnis mit einem Angestellten entstehen, haftet nicht für die Schadensersatzforderungen aus Unterschleifen des Angestellten, die durch die eigene grobe Nachlässigkeit des Geschäftsherrn in der Aufsicht über seine Angestellten erst möglich geworden sind (RG WarnRspr 1908 Nr. 494).
§ 766 Zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrags ist schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung erforderlich. Soweit der Bürge die Hauptverbindlichkeit erfüllt, wird der Mangel der Form geheilt. P 2 462, 463.
Ubersicht Anm.
1. Der Anwendungsbereich der Formvorschrift 2. Die Schriftform 3. Der Inhalt der Bürgschaftsurkunde a) Das Einstehen für die fremde Schuld b) Die Bezeichnung der Schuld, des Gläubigers und des Schuldners . . . c) Weitere Angaben 4. Die Beweislast 5. Die Erteilung der Bürgschaftserklärung 6. Die Annahme durch den Gläubiger 7. Der Verstoß gegen die Formvorschrift 8. Die Heilung des Formverstoßes
2 3, 4 5-—7 5 6 7 8 9 10 11 12
Anm. 1 1 . Der Anwendungsbereich der Formvorschritt. Die Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages ist davon abhängig, daß die Verpflichtungserklärung des Bürgen in schriftlicher Form erklärt wird, aber nur diese, nicht auch die Annahmeerklärung des Gläubigers, so daß der Bürgschaftsvertrag nur zu einem Teil dem Formzwang unterliegt. Das ist durch den Zweck dieser Formvorschrift bedingt. Die Schriftform für die Verpflichtungserklärung des Bürgen soll nicht eine gesicherte Beweisgrundlage für den Abschluß des Bürgschaftsvertrages schaffen, sondern sie hat lediglich die Aufgabe, dem Bürgen die besondere Gefährlichkeit seiner Verpflichtungserklärung vor Augen zu führen. Dieser Zweck der Formvorschrift ist auch für ihren sachlichen Anwendungsbereich maßgeblich. Alle Abreden, die zu einer Einschränkung der Verpflichtung des Bürgen führen, mögen sie bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages oder später getroffen werden, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit nicht der Schriftform (RG 65, 46; 71, 415; J W 1934, 219: H R R 1935 Nr. 580; B G H BB 1955, 298). Das sind namentlich alle Bedingungen und Befristungen, die der Bürgschaftsverpflichtung beigefügt werden (RG WarnRspr 1915 Nr. 49; 1917 Nr. 288), aber auch sonstige Einschränkungen, wie etwa die Vereinbarung einer Ausfallbürgschaft oder die Aufhebung des Verzichts auf die Vorausklage (RG Recht 1911 Nr. 2135). Ferner können Abreden über den Erfüllungsort den Bürgen ausschließlich begünstigen und deshalb formlos gültig sein. In einzelnen Fällen hängt die Frage, ob es sich um eine dem Bürgen günstige Nebenabrede handelt, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, z. B. wenn einem Zeitbürgen (§ 777) vom Gläubiger eine Stundung gewährt wird (vgl. dazu R G 96, 133). Andererseits bedürfen alle Erschwerungen der Bürgschaftsverpflichtung, wie z. B. der Verzicht auf die Vorausklage, der Schriftform, und auch hier ohne Unterschied, ob sie bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages oder später vereinbart werden. Für die Anwendung des § 766 ist es ohne Bedeutung, ob die Bürgschaft im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages übernommen worden ist (dazu Anm. 4 vor § 765); auch in diesem Fall bedarf 60:
925
§ 766 Anm. 2, 3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
sie der Schriftform (str.). Der Zweck der Formvorschrift erfordert ferner auch den Formzwang für den Vorvertrag (RG 76, 304). Auf die Bezeichnung des Vertrages kommt es für die Anwendung des § 766 nicht an. Jede Verpflichtungserklärung, die sich ihrem sachlichen Gehalt nach als Bürgschaft darstellt, mag sie auch als Garantie oder Schuldmitübernahme bezeichnet sein, unterliegt dem Formzwang (RG 59, 232; 64, 318). Verträge, die eine Bürgschaft nicht neu begründen, sondern nur eine bestehende aufrechterhalten, die anderenfalls erlöschen würde (z. B. infolge einer Schuldübernahme, § 418 Abs. 2, oder infolge einer echten Novation der Hauptschuld) bedürfen nicht der Form des § 766 (RG 70, 411). War dagegen die Bürgschaft zur Zeit des neuen Vertrages bereits erloschen, so bedeutet „die Aufrechterhaltung" der Bürgschaft eine neue Bürgschaft, so daß für sie § 766 gilt (RG 59, 42; WarnRspr 1910 Nr. 114). Die Anwendung weiterer Formvorschriften kommt für die Bürgschaftsverpflichtung i m allgemeinen nicht in Betracht. So gilt für den Bürgen des Grundstücksverkäufers und den Bürgen des Grundstückskäufers nicht die Formvorschrift des §313 (RG 134, 245; 140, 216); das ist freilich anders, wenn der Bürgschaftserteilung nach dem Willen aller Beteiligten wesentlicher Inhalt des Kaufvertrages sein sollte (BGH L M 1957, 131)- Auch der Formvorschrift des § 518 bedarf die Bürgschaft nicht; denn selbst wenn sie Schenkung ist, ist sie nicht Schenkungsversprechen, sondern vollzogene Schenkung. Auch die Einhaltung der Formvorschrift des § 15 GmbHG ist für die Bürgschaft nicht erforderlich, wenn dem Gläubiger zur Sicherung seiner Forderung noch ein GmbH-Geschäftsanteil sicherheitshalber übereignet ist, obwohl der Bürge in einem solchen Fall bei Befriedigung des Gläubigers nach § 774 einen Anspruch auf Übertragung dieses Anteils erhält (RG 89, 195). Die Bürgschaft ist f o r m f r e i , wenn sie auf Seiten des Bürgen ein Handelsgeschäft eines Vollkaufmanns ist (§§ 350, 351 HGB). Anm. 2 Von der Formvorschrift des § 766 werden nicht erfaßt alle Vereinbarungen zwischen dem Bürgen und d e m Hauptschuldner. § 766 bezieht sich nur auf die Verpflichtungserklärung des Bürgen gegenüber dem Gläubiger. Daher ist auch der Verzicht des Bürgen auf den Befreiungsanspruch des § 775 formlos gültig (RG 59, 13/14), ja selbst die dem Hauptschuldner gegenüber erklärte Verpflichtung, für ihn eine Bürgschaft zu übernehmen (str.). Für die Übernahme einer solchen Verpflichtung gelten die Grundsätze, die für das jeweils in Frage stehende Rechtsverhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner (dazu Anm. 7 vor § 765) in Betracht kommen; handelt es sich hierbei um einen Auftrag, so ist dieser jederzeit kündbar (§671). Auch Vereinbarungen zwischen mehreren Mitbürgen bedürfen nicht der Form des § 766 (vgl. R G J W 1906, 305). Anm. 3 2. Die S c h r i f t f o r m . Die gesetzlich vorgeschriebene Form für die Verpflichtungserklärung des Bürgen ist die Schriftform. Für sie gilt daher die Vorschrift des § 126. Das bedeutet, daß die Urkunde mit der Verpflichtungserklärung des Bürgen von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sein muß. Telegrafische Übermittlung entspricht dieser Form nicht (BGH 24, 297). Auch durch Briefwechsel kann die vorgeschriebene Schriftform nicht ersetzt werden; § 127 findet hier keine Anwendung. Enthält jedoch ein Brief des Bürgen die nach § 126 notwendigen Voraussetzungen, so ist damit der Form des § 766 genügt (RG WarnRspr 1915 Nr. 114). Die Unterschrift des Ausstellers muß unter der Urkunde stehen, ihren Inhalt der äußeren Erscheinung nach decken. Dagegen ist nicht erfordert, daß die Unterschrift erst unter den fertigen Text gesetzt werden müßte. Wird der Text in die unterschriebene Urkunde entsprechend dem Willen des Ausstellers nachträglich eingerückt, so ist damit eine gültige Urkunde nach § 126 hergestellt (RG 57, 66). Wird die Bürgschaft in einem prozessualen Verfahren übernommen, so wird die schriftliche Form in allen Fällen durch die prozeßmäßige Beurkundung (z.B. eines gerichtlichen Vergleichs) ersetzt (§ 126 Abs. 3). Insbesondere kommt hier die im Termin 926
Bürgschaft
§766 Anm. 4—6
zum Zwangsvergleich über den Konkurs des Hauptschuldners von einem Dritten übernommene und im Protokoll des Konkursrichters beurkundete sog. Akkordbürgschaft in Betracht ( R G 56, 70; 64, 82), ferner die Verbürgung für ein Gebot im Zwangsversteigerungsverfahren ( R G WarnRspr 1908 Nr. 369).
Anm. 4 Die Bürgschaftsurkunde kann durch einen Vertreter des Bürgen ausgestellt werden. Die Erteilung einer Vollmacht bedarf dabei nach § 167 Abs. 2 nicht der Form des § 766 ( R G WarnRspr 1927 Nr. 4 2 ; SeufFArch 86 Nr. 197). J e d o c h muß die Vollmacht auf die Abgabe einer schriftlichen Bürgschaftserklärung gerichtet sein; das ist bei den Worten: „ S a g e n Sie den Leuten, daß sie ihr Geld bekommen!" nicht der Fall ( R G J W 1903 Beil. Nr. 184). Die schriftliche Bürgschaftserklärung eines Vertreters ohne Vertretungsmacht wird wirksam, wenn der Vertretene der Erklärung später formlos zustimmt (RG H R R 1934 Nr. 1 0 1 5 ) . Auch der Hauptschuldner kann zur Abgabe der schriftlichen Bürgschaftserklärung bevollmächtigt werden. § 1 8 1 findet insoweit keine Anwendung, weil an dem Bürgschaftsvertrag der Hauptschuldner selbst nicht beteiligt ist und die Gefahr eines Interessenwiderstreits allein die Anwendung des § 1 8 1 noch nicht begründet ( R G 143, 354; 157, 3 1 ; B G H 2 1 , 2 3 1 ) . Der Hauptschuldner kann bei Bevollmächtigung durch den Bürgen die Ausstellung seiner Schuldurkunde mit der Ausstellung der Bürgschaftsurkunde verbinden; dabei ist es möglich, daß er durch eine einmalige Unterschrift sowohl seine Erklärung als Hauptschuldner wie die Erklärung als Vertreter des Bürgen unterzeichnet ( R G WarnRspr 1927 Nr. 4 2 ; SeufFArch 89 Nr. 46). Das gleiche gilt, wenn der Gesellschafter einer G m b H die Bürgschaft für die Verbindlichkeit der G m b H in der Weise übernimmt, daß er als Geschäftsführer der G m b H die Schuldurkunde unterzeichnet, sofern aus seiner Erklärung hervorgeht, daß er damit zugleich persönlich eine Bürgschaftserklärung abgibt ( R G 75, 1).
Anm. 5 3. Der Inhalt der Bürgschaftsur künde a) Das Einstehen für eine fremde Schuld.
Der notwendige Inhalt der Bürgschaftsurkunde ergibt sich aus dem Zweck, den die Formvorschrift des § 766 verfolgt (dazu Anm. 1). Es muß demgemäß der rechtsgeschäftliche Wille des Erklärenden, f ü r eine fremde Schuld einzustehen, unmittelbar aus der Urkunde hervorgehen ( R G 57, 260; 94, 8 5 ; WarnRspr 1908 Nr. 506; 1 9 1 0 Nr. 4 1 0 ; J W 1 9 1 7 , 1 5 4 ; B G H 26, 146). Dabei ist freilich der solenne Ausdruck „Bürgschaftsübernahme" nicht erforderlich ( R G 62, 174), da es insoweit auf die gewählte Bezeichnung nicht ankommt (§ 765 Anm. 1). Die bloße Mitunterzeichnung der über die Hauptschuld ausgestellten Urkunde ist nicht ausreichend ( R G 77, 3 7 8 ; 78, 39), auch nicht, wenn ihm der Zusatz „ i n H a f t u n g " beigefügt wird ( R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 410). Denn hierdurch wird der Wille, für eine fremde Schuld einzustehen, nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Anders dagegen, wenn einer solchen Unterzeichnung die Worte „als B ü r g e " hinzugefügt werden ( R G 71, 1 1 5 ) . Die Bezugnahme auf eine andere Urkunde ist nicht ausreichend, wenn sich aus der eigenen schriftlichen Erklärung nicht das Einstehen für eine fremde Schuld ergibt ( R G 76, 203; B G H 26, 146). Auch erfüllt eine frühere Urkunde, die zum Zweck einer anderen und bereits erledigten Bürgschaft ausgestellt und erteilt war, für eine neue Bürgschaft nicht die Form des § 766 ( R G 59, 4 2 ; WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 1 1 4 ; H R R 1934 Nr. 1 0 1 5 ) .
Anm. 6 b) Die Bezeichnung der Schuld, des Gläubigers und des Schuldners. Da die Formvorschrift des § 766 keinen eigentlichen Beurkundungszweck (Schaffung einer sicheren Beweisgrundlage) verfolgt, sollten die Anforderungen an den weiteren Inhalt der Bürgschaftsurkunde nicht überspannt werden, weil das von der Warnungsfunktion der Formvorschrift nicht verlangt wird. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts ist in dieser Hinsicht schwankend und läßt keine klare Linie erkennen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts muß aus der Urkunde die Schuld, f ü r die gehaftet werden soll ( R G 95, 125) und deshalb auch die Person des Hauptschuldners ( R G 82, 71) her-
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§ 766 A n m . 7, 8
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
vorgehen, und sie muß ferner die Person des Gläubigers erkennen lassen (RG 63, 383), wenn auch weder die Schuld ihrem Betrag nach noch die Person des Gläubigers und des Schuldners mit Namen bezeichnet sein müssen (RG 76, 200; 80, 405). Dabei ist es nicht nötig, daß die Schuld, der Gläubiger und der Schuldner unter allen Umständen nebeneinander angegeben werden; es genügt schon, wenn sich die Bezeichnung des Gläubigers aus der Bezeichnung der Schuld und umgekehrt ergibt (RG 76,200; 145,232). Immer aber müssen sich für diese wesentlichen Merkmale der Bürgschaft Anhaltspunkte aus der Bürgschaftsurkunde ergeben, so daß es nicht ausreicht, wenn sich diese Merkmale nur aus Umständen außerhalb der Urkunde ermitteln lassen (RG 145, 232; B G H WM 1957, 1222). Bei der praktischen Anwendung dieser Grundsätze haben sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts Abweichungen ergeben. So ist in RG 82, 70 die Bürgschaft wegen der Benennung einer falschen Person als Hauptschuldner in der Urkunde für unwirksam erklärt worden, während R G H R R 1930 Nr. 971 den gleichen Mangel für unschädlich erklärt hat. Vollends unklar wird diese Rechtsprechung, wenn man den weiteren Grundsatz berücksichtigt, daß es ausreichend sei, wenn die Parteien nach den ihnen bekannten Beziehungen der Schuld die Person des Gläubigers und des Schuldners entnehmen können, und daß es nicht schade, wenn ein Dritter ohne diese Kenntnis die Person des Gläubigers und des Schuldners aus der Urkunde nicht zu entnehmen vermag (RG 80, 405; H R R 1930 Nr. 971). Geht man davon aus, daß zur Auslegung einer Bürgschaftsurkunde auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände sowie in anderen Urkunden enthaltende Erklärungen herangezogen werden köönen, soweit sich das mit dem Inhalt der Urkunde vereinbaren läßt (RG 59, 2 1 7 ; 76, 303; 78, 39; 82, 70; 94, 89; 145, 232; J W 1931, 1 1 8 1 ) , dann braucht man mit Rücksicht auf den Zweck der Formvorschrift nicht eine nähere Konkretisierung der Hauptverbindlichkeit in der Urkunde zu verlangen (vgl. T i t z e Anm. J W 1935, 274). Eine irrtümlich falsche Bezeichnung des Gläubigers oder des Hauptschuldners in der Urkunde kann danach nicht schaden, wenn unter den Parteien Einigkeit über die Person des Gläubigers oder des Hauptschuldners besteht. Die Erwägung des Reichsgerichts, daß die Schutz- und Warnungsfunktion der Formvorschrift auch die Bezeichnung des Gläubigers erfordere (RG 145, 233; im Ergebnis ebenso B G H 26, 146), ist nicht richtig. Denn einerseits hält es das Reichsgericht mit der Formvorschrift des § 766 für vereinbar, daß der Name des erst aufzusuchenden Gläubigers vom Schuldner oder einem Dritten kraft Ermächtigung des Bürgen in die bereits unterschriebene Urkunde nachträglich eingefügt wird (RG 57, 67; 76, 200; H R R 1934 Nr. 1015), andererseits kann der Bürge einen Gläubigerwechsel durch Abtretung der gesicherten Forderung niemals verhindern. In dieser Hinsicht kommt also die Schutzfunktion der Formvorschrift nicht zum Zuge. Anm. 7 c) Weitere A n g a b e n . Jede Abrede, die eine Verstärkung der Stellung des Gläubigers mit sich bringt, bedarf der Aufnahme in die Bürgschaftsurkunde (RG H R R 1935 Nr. 580). Das erfordert die Schutzfunktion der Formvorschrift. In dieser Hinsicht gilt das gleiche wie für die Angabe, daß der Erklärende für eine fremde Schuld einstehen werde (Anm. 5). Die Angabe, in welcher Höhe der Bürge die Haftung für die fremde Verbindlichkeit übernimmt, braucht in der Urkunde nicht enthalten zu sein. Fehlt eine solche Angabe, so richtet sich der Umfang der Haftung nach der Höhe der gesicherten Hauptverbindlichkeit (§ 765 Anm. 14). Eine Beschränkung der Haftung des Bürgen auf einen Höchstbetrag erfordert für ihre Wirksamkeit ebenfalls nicht die Aufnahme in der Urkunde, da es sich insoweit um eine dem Bürgen günstige Nebenabrede handelt (Anm. 1). Immerhin ist die Aufnahme einer solchen Nebenabrede in die Urkunde mit Rücksicht auf die Beweislast (dazu Anm. 8) zweckmäßig. Das gleiche gilt sinngemäß für eine zeitliche Beschränkung der Haftung des Bürgen. Anm. 8 4. Die B e w e i s l a s t . Die Bürgschaftsurkunde hat nach allgemeiner Regel die Vermutung der Vollständigkeit für sich. Das gilt aber nur für die Verpflichtungen des
928
Bürgschaft
§766
Anm. 9, 10 Bürgen (BGH L M Nr. i zu § 765), da nur dessen Verpflichtungserklärung der Schriftform bedarf (Anm. 1). Die Vermutung erstreckt sich daher nicht auf den sonstigen Inhalt des Vertrages (RG 95, 125; J W 1936, 988); das gilt namentlich für Verpflichtungen des Gläubigers, die dieser im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages als Gegenleistung für die Bürgschaft übernommen hat. Die Vermutung der Vollständigkeit bezieht sich auf alle Abmachungen, die die Verpflichtung des Bürgen zum Gegenstand haben, nicht nur auf die Abreden, die zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfen. Auch die dem Bürgen günstigen Abreden werden von dieser Vermutung erfaßt. Daher trifft den Bürgen die Beweislast, wenn er sich auf ihn günstige Nebenabreden b eruf (RG H R R 1933 Nr. 1006; J W 1936, 988). Er braucht hierbei jedoch nicht darzutun, warum die Nebenabrede nicht in die Urkunde aufgenommen ist (RG H R R 1935 Nr. 580). Wenn sich die Vermutung der Vollständigkeit auch nicht auf etwaige Verpflichtungen des Gläubigers erstreckt, so ändert das doch nichts daran, daß den Bürgen auch insoweit in der Regel die Beweislast trifft. Das folgt aus allgemeinen Beweislastgrundsätzen, weil es sich hierbei für den Bürgen um anspruchsbegründende Tatsachen handelt. Macht der Gläubiger bei einer bedingten Bürgschaft geltend, daß der Bürge den Eintritt der Bedingung verhindert hat (§ 162), so muß der Gläubiger dieses beweisen (BGH W M 1957, 1312). Anm. 9 5. Die Erteilung der Bürgschaftserklärung. § 766 verlangt die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung oder richtiger die Erteilung einer in schriftlicher Form ausgestellten Bürgschaftserklärung an den Gläubiger. Erteilt ist die Erklärung noch nicht durch die Unterzeichnung der Urkunde, sondern erst durch die Ubergabe an den anwesenden oder durch die Zusendung an den abwesenden Gläubiger. Unter Erteilung ist aber nicht nur die Aushändigung der Bürgschaftsurkunde, sondern jede Handlung zu verstehen, durch die sich der Bürge der Urkunde in einer Weise entäußert, daß der Gläubiger darüber verfugen kann (RG 126, 122; H R R 1932 Nr. 1917). Wirksam ist die Bürgschaftserklärung noch nicht mit der Erteilung, sondern erst mit der Annahme durch den Gläubiger (Anm. 10). Der Bürge ist jedoch gebunden, sobald die Bürgschaftserklärung dem Gläubiger zugeht (§ 130). Bis dahin kann der Bürge seine Erklärung unter Anwesenden zurückziehen (RG 61, 414) und unter Abwesenden widerrufen (RG WarnRspr 1909 Nr. 353; J W 1927, 38). Die Erteilung einer Abschrift der Bürgschaftserklärung genügt dem Erfordernis des § 766 (RG 126, 122; BGH L M Nr. 1 zu § 766 BGB). Händigt der Bürge die Urkunde dem Hauptschuldner zur Weitergabe an den Gläubiger aus, so ist die Bürgschaft dem Gläubiger erst dann erteilt, wenn der Schuldner sie an den Gläubiger ausgehändigt hat (RG 57, 66). Händigt der Schuldner die Urkunde an den Gläubiger aus, ohne dabei die von dem Bürgen gestellten Bedingungen zu beachten, so ist die Erklärung nicht erteilt (RG H R R 1933 Nr. 1006). Zum Schutz des gutgläubigen Gläubigers ist in diesem Fall jedoch § 172 Abs. 2 entsprechend anzuwenden (RG J W 1927, 38; WarnRspr 1930 Nr. 52). Anm. 10 6. Die Annahme durch den G l ä u b i g e r . Die schriftlich erteilte Bürgschaftserklärung bedarf der Annahme durch den Gläubiger, wenn ein Bürgschaftsvertrag zustande kommen soll (§ 151). Für diese ist eine Form nicht vorgeschrieben; sie ist mündlich gültig und kann auch s t i l l s c h w e i g e n d durch Entgegennahme der Urkunde über die Bürgschaftserklärung erfolgen (RG 57, 66; 62, 379; 97, 163; J W 1931, 1 1 8 1 ) . Auch im Urkundenprozeß bedarf sie nicht eines besonderen Nachweises durch eine Urkunde, wenn der Gläubiger die Urkunde selbst vorlegt (RG 97, 163). Wird die Bürgschaftserklärung in der Weise erteilt, daß der Bürge dem Schuldner eine von ihm unterzeichnete Blanketturkunde ohne den Namen eines Gläubigers übergibt, damit der Schuldner sich einen Gläubiger suche und diesem die von ihm ausgefüllte Urkunde überantwortet, so stellt die Empfangnahme der daraufhin mit dem Willen des Bürgen durch den Schuldner dem Gläubiger ausgehändigten Bürgschaftsurkunde den Vertragsschluß zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger dar (RG 57, 66; J W 1916, 1270 2 ). 929
§ 766 A n m . 1 1 , 1 2 §767
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 11 7. Der Verstoß gegen die Formvorschrift. Wird die Formvorschrift des § 766 nicht eingehalten, so ist der Bürgschaftsvertrag nichtig (§ 125 Satz 1). Die Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages hat auch die Nichtigkeit von Nach- und Rückbürgschaften (Anm. 10, 1 1 vor § 765) zur Folge, mögen auch diese in gehöriger Schriftform übernommen worden sein. Die Nichtigkeit erfaßt aber immer nur die bürgschaftliche Verpflichtung. Ist ein zum Zweck der Bürgschaft gegebenes Wechselversprechen nach dem W G gültig, so kann ihm der Mangel der Form für die Bürgschaft nicht entgegengehalten werden (RG 5 1 , 1 1 3 ; 61, 6; 94, 89). Andererseits kann zwar eine nach § 766 gültige Bürgschaftsverpflichtung, nicht aber eine der Form entbehrende in ein Darlehn nach § 607 Abs. 2 umgewandelt und damit die Formvorschrift umgangen werden (RG WarnRspr 1908 Nr. 506). Die B e s t ä t i g u n g eines nichtigen Bürgschaftsvertrages bedarf als Übernahme einer neuen Bürgschaftsverpflichtung stets der Form des § 766. Die B e r u f u n g a u f d i e F o r m n i c h t i g k e i t des Bürgschaftsvertrages kann unter Umständen als V e r s t o ß g e g e n T r e u u n d G l a u b e n betrachtet werden und deshalb unzulässig sein (RG Z A k D R 1938, 853; B G H 26, 151). Anm. 12 8. Die Heilung des Formverstoßes. Durch die E r f ü l l u n g d e r B ü r g s c h a f t s v e r p f l i c h t u n g wird der Mangel der Form geheilt. Der Bürge, der den Gläubiger befriedigt hat, kann mithin von ihm nicht Rückzahlung des Geleisteten wegen ungerechtfertigter Bereicherung verlangen; die Zahlung des Bürgen aus dem formell ungültigen Geschäftes erzeugt dieselben Wirkungen, wie wenn ein gültiger Bürgschaftsvertrag von Anfang an vorgelegen hätte. Der Bürgschaftsvertrag wird aber durch die Erfüllung natürlich nur soweit gültig, wie die Erfüllung reicht (RG 76, 198). Der Erfüllung stehen die sie vertretenden Rechtshandlungen: Leistung an Erfüllungsstatt §§ 364, 365, Hinterlegung §§ 372 ff, Aufrechnung §§ 387 ff (vgl. zu §768) gleich. Ein bloßes Zahlungsversprechen und selbst ein Schuldanerkenntnis schaffen zwar nach §§ 780 ff eine neue Verbindlichkeit neben der alten, lassen diese aber bestehen, bilden sonach keine Erfüllung (RG H R R 1933 Nr. 1003).
§ 767 Für die Verpflichtung des Bürgen ist der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit maßgebend. Dies gilt insbesondere auch, wenn die Hauptverbindlichkeit durch Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners geändert wird. Durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft vornimmt, wird die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert. Der Bürge haftet für die dem Gläubiger von dem Hauptschuldner zu ersetzenden Kosten der Kündigung und der Rechtsverfolgung. E I 672 II 708; M 2 663—S66; P a 46S, 467.
Übersicht Anm.
I. Die Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit . . 1. Die Abhängigkeit von dem Fortbestand der Hauptverbindlichkeit 2. Die Abhängigkeit von dem Umfang der Hauptverbindlichkeit . . II. Die Ausnahmen von dem Grundsatz der Abhängigkeit 1. Allgemeines 2. Die gesetzlich geregelten Ausnahmefälle 3. Die weiteren Ausnahmen von dem Grundsatz der Abhängigkeit . III. Abweichende Vereinbarungen
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. . .
1 —11 2—• 6 7—-n 12—16 12 13 . 14—16 17
Bürgschaft
§ 767 Anm. 1—3
Anm. 1 I. Die Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit So wie die Bürgschaft für ihre Entstehung eine Verbindlichkeit des Hauptschuldners voraussetzt (§ 765 Anm. iof), so ist auch für ihren weiteren Bestand grundsätzlich das Fortbestehen dieser Verbindlichkeit eine notwendige Voraussetzung. Deshalb ist die Bürgschaft nicht nur bei ihrer Entstehung, sondern auch bei ihrem Fortbestehen von der Verbindlichkeit des Hauptschuldners abhängig. Diese Abhängigkeit der Bürgschaft besteht des weiteren für den Umfang der Bürgschaftsverpflichtung. Auch in ihrem Umfang richtet sich die Bürgschaft grundsätzlich nach dem Umfang der Hauptverbindlichkeit. In dieser Abhängigkeit liegt das besondere Merkmal der Bürgschaft; denn mit der Bürgschaft verpflichtet sich der Bürge, lediglich für die Erfüllung einer fremden Verbindlichkeit einzustehen. Diese Abhängigkeit der Bürgschaft ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal gegenüber einer Schuldmitübernahme, einem Schuldversprechen und einem Garantievertrag. Anm. 2 1. Die Abhängigkeit von dem Fortbestand der Hauptverbindlichkeit. Das Erlöschen der Hauptverbindlichkeit bringt auch die Bürgschaft zum Erlöschen. Daher erlischt die Bürgschaft dadurch, daß die Hauptverbindlichkeit erfüllt oder durch ein Erfüllungssurrogat getilgt wird. Vorausgesetzt ist dabei eine r e c h t s w i r k s a m e Erfüllung oder Tilgung der Hauptverbindlichkeit. Ist die Erfüllung nichtig, so bleibt die Bürgschaft bestehen. Dem Gläubiger ist jedoch verwehrt, vom Bürgen Zahlung zu verlangen, solange er noch im Genuß der nichtigen Leistung zur Erfüllung der Hauptverbindlichkeit ist (RG 78, 354). Ferner erlischt die Bürgschaft auch dadurch, daß die Hauptverbindlichkeit aus einem Grunde unmöglich wird, den der Hauptschuldner nicht zu vertreten hat; denn in diesem Fall wird der Hauptschuldner von seiner Leistungspflicht frei, so daß auch für den Fortbestand der Bürgschaft kein Raum mehr ist (RG 134, 128). Anders ist es dagegen, wenn der Hauptschuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat und deshalb dem Gläubiger zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet ist (dazu Anm. 7). Wenn die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit schon im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft unmöglich war, so gelten die zu § 765 Anm. 2 a. E. dargelegten Grundsätze. Vereinbaren Gläubiger und Schuldner die Aufhebung des Hauptschuldverhältnisses, so erlischt damit auch grundsätzlich die Bürgschaft (RG J W 1903 Beil. 235). Ergeben sich aus der Aufhebung des Hauptschuldverhältnisses Rückforderungsansprüche, so ist es — ähnlich wie bei der Anfechtung oder dem Rücktritt — eine Frage der Auslegung des Bürgschaftsvertrages, ob sich die Bürgschaftsverpflichtung auch auf die Sicherung eines solchen Rückforderungsanspruchs erstreckt (vgl. dazu § 765 Anm. 2 a. E.). Das gleiche gilt, wenn die Hauptverbindlichkeit durch Novation derart geändert wird, daß sie nach dem Willen der Parteien von ihrem ursprünglichen Schuldgrund vollständig gelöst und ihr eine völlig neue rechtliche Grundlage gegeben wird. Bei einer dahingehenden Annahme ist allerdings Zurückhaltung geboten, wie das in der Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Aufwertung (RG 120, 340; 126, 289; J W 1927, 2502; 1928, 166; H R R 1928 Nr. 1970) und in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Umstellung nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 UmstG (BGH 2, 237; L M Nr. 2 zu § 18 Abs. 1 Nr. 3 UmstG; vgl. auch BGH 3, 135; 352) zum Ausdruck gekommen ist. Das gilt namentlich auch für eine Vereinbarung gemäß § 607 Abs. 2 (RG L Z 1911, 217). Im Zweifel wird man in einem solchen Fall nicht von der Vereinbarung einer so weit greifenden Novation (Neuschaffung der bisherigen Hauptverbindlichkeit) ausgehen können. — Für das K o n t o k o r r e n t gibt § 356 HGB eine Sondervorschrift; hiernach erlischt die Bürgschaft nicht, wenn die gesicherte Forderung in eine laufende Rechnung eingestellt und diese dadurch als Einzelforderung untergeht (vgl. dazu RG H R R 1937 Nr. 463). Anm. 3 Auch der gänzliche Wegfall der Schuldnerpersönlichkeit, etwa die liquidationslose Auflösung einer juristischen Person, bringt die Bürgschaft grundsätzlich zum Erlöschen. Denn mit dem Wegfall der Schuldnerpersönlichkeit entfällt grundsätzlich auch 931
•§ 7 6 7
A n m . 4, 5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
die Hauptverbindlichkeit, weil dem Recht der Schuldverhältnisse der Begriff einer „Schuld ohne Schuldner" fremd ist (RG 153, 343). Das ist für die zwangsweise Auflösung kommunistischer Vereine durch die Gesetze vom 26. 5. 1933 und vom 14. 7. 1933 anerkannt worden (RG 148, 65; 153, 338; vgl. aber auch das Entschädigungsgesetz vom g. 12. 1937 — R G B l I 1333); das gleiche gilt mangels abweichender gesetzlicher Vorschriften auch für das Verbot staatsfeindlicher Parteien durch das Bundesverfassungsgericht. Es gilt ferner für die Fälle, in denen durch entschädigungslose Enteignungen in der Sowjetzone oder in den polnisch besetzten Gebieten Ostdeutschlands juristische Personen aufgelöst worden sind und ihr Fortbestand mangels vorhandener Vermögenswerte auch in der Bundesrepublik nicht angenommen werden kann ( V e i t h M D R 1 9 5 1 , 258; B e i t z k e N J W 1952, 841). Der Grundsatz vom Erlöschen der Bürgschaft bei gänzlichem Wegfall der Schuldnerpersönlichkeit gilt allerdings nicht ausnahmslos; über die insoweit notwendigen Ausnahmen vgl. Anm. 16. Dagegen wird eine Bürgschaft für die Schuld einer P e r s o n a l h a n d e l s g e s e l l s c h a f t nicht dadurch berührt, daß die Gesellschaft aufgelöst und das Unternehmen von einem Gesellschafter gemäß § 142 H G B übernommen wird. Hier haftet der Ubernehmer als Gesamtrechtsnachfolger der Gesellschaft für die Hauptverbindlichkeit weiter, so daß auch gegen den Fortbestand der Bürgschaft keine Bedenken bestehen können (BGH W M 1955, 973). Entsprechendes gilt, wenn Schuldner der Hauptverbindlichkeit eine K a p i t a l g e s e l l s c h a f t ist und diese nach dem Umwandlungsgesetz vom 12. 1 1 . 1956 in eine andere Gesellschaft umgewandelt wird. Hier bleibt die Hauptverbindlichkeit und damit auch die Bürgschaft bestehen, weil bei einer solchen Umwandlung nur die Rechtsform der Gesellschaft geändert, nicht aber die Identität des Hauptschuldners berührt wird.
Anm. 4 V e r w i r k u n g u n d u n z u l ä s s i g e R e c h t s a u s ü b u n g sind rechtsvernichtende Einwendungen. Sie führen daher, wenn sie dem Hauptschuldner gegen den Gläubiger zustehen, zum Erlöschen seiner Verbindlichkeit. Das bedeutet, daß diese Erlöschensgründe grundsätzlich auch dem Bürgen zugute kommen und damit auch das Erlöschen seiner Verpflichtung herbeiführen. Anders steht es dagegen, wenn der Gläubiger wegen einer umstürzenden Veränderung in den Vermögensverhältnissen des Hauptschuldners ( W e g f a l l d e r G e s c h ä f t s g r u n d l a g e ) seine Forderung gegen diesen nicht mehr verfolgen kann. Auf diesen Umstand kann sich der Bürge nach dem Zweck des Bürgschaftsvertrages grundsätzlich nicht berufen (dazu Anm. 14).
Anm. 5 Die Bürgschaft erlischt ferner nach § 4 1 8 Abs. 1 Satz 1 durch eine b e f r e i e n d e S c h u l d ü b e r n a h m e . Das folgt allerdings nicht aus dem Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit, sondern aus einer besonderen Schutzerwägung gegenüber dem Bürgen, ohne dessen Zustimmung der Schuldner der Hauptverbindlichkeit nicht ausgewechselt werden darf. Das gleiche gilt jedoch im Regelfall nicht, wenn die Bürgschaft für eine G e s a m t s c h u l d übernommen ist und ein Schuldner aus dem Gesamtschuldverhältnis ausscheidet; in diesem Fall erlischt die Bürgschaft im Zweifel nicht (RG WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 286). Die für § 4 1 8 Abs. 1 Satz 1 maßgebliche Schutzerwägung greift im Fall des Gläubigerwechsels nicht ein; daher bleibt bei einer A b t r e t u n g d e r g e s i c h e r t e n F o r d e r u n g die Bürgschaft bestehen, sie geht ohne weiteres auf den neuen Gläubiger über (§401). Im Fall der Abtretung erweist sich die Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptschuld darin, daß sie nicht von der Hauptverbindlichkeit getrennt werden kann. Wird die Hauptforderung ohne die Bürgschaftsforderung abgetreten, so ist diese Abtretung zwar gültig, führt aber zum Erlöschen der Bürgschaft (RG 85, 364). Das gilt auch dann, wenn die Abtretung der Hauptforderung nur sicherheitshalber erfolgt ist (RG aaO). Dagegen ist die Abtretung der Forderung aus dem Bürgschaftsvertrag ohne die Hauptforderung ebenso wie ihre alleinige Pfändung und Verpfändung unmöglich (RG J W 1909, 685).
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Bürgschaft
§ 767 A n m . 6—8
Anm. 6 Eine Vereinigung von Schuld und Bürgschaft in einer Person führt nicht zum Erlöschen der Bürgschaft, wenn der Bürge den Hauptschuldner beerbt (RG 76, 57). Das ist bedeutsam, weil die ererbte Hauptschuld eine Nachlaßschuld, die Bürgschaftsschuld hingegen eine persönliche Schuld des Bürgen ist, so daß er sich nicht auf die beschränkte Erbenhaftung berufen kann, wenn er aus der Bürgschaft in Anspruch genommen wird. Auch bleibt der Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen bestehen, wenn der Gläubiger und Bürge den Hauptschuldner gemeinsam beerben und der Nachlaß überschuldet ist (RG aaO). Anm. 7 2. Die Abhängigkeit von d e m U m f a n g der Hauptverbindlichkeit. Nicht nur in ihrer Entstehung (dazu § 765 Anm. 16), sondern auch in ihrem weiteren Fortbestehen ist die Bürgschaft grundsätzlich von dem Umfang der Hauptverbindlichkeit abhängig. Sie folgt daher insoweit den Veränderungen, die der Umfang der Hauptschuld nach Eingehung der Bürgschaftsschuld erleidet (RG LZ 1917, 803). Das gilt zunächst ohne Einschränkungen für die Veränderungen, die die Hauptverbindlichkeit durch Verzug •oder ein sonstiges vertragswidriges Verhalten des Hauptschuldners erfährt (RG H R R 1931 Nr. 8). Wandelt sich der Erfüllungsanspruch des Gläubigers auf diese Weise in «inen Schadensersatzanspruch, so haftet der Bürge nunmehr für diesen. Das gilt nicht nur für den Schadensersatzanspruch wegen Unmöglichkeit, der an die Stelle des Erfüllungsanspruchs getreten ist (§§ 325/26), sondern auch für den Schadensersatzanspruch wegen Verzugs (Verzugszinsen) oder wegen positiver Vertragsverletzung, der neben den Erfüllungsanspruch tritt (vgl. RG Recht 1913 Nr. 43). Hierzu gehört ferner der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, der dem Gläubiger zusteht, nachdem der Konkursverwalter im Konkurs des Hauptschuldners die Erfüllung eines noch nicht ausgeführten Vertrages nach § 17 K O abgelehnt hat (RG KonkTreuh 1936, 7). Schließlich ist auch die vorzeitige Fälligkeit der Hauptverbindlichkeit, die wegen Zahlungsverzugs des Hauptschuldners mit einer einzelnen Rate auf Grund einer V e r f a l l k l a u s e l eingetreten ist, dem Bürgen gegenüber wirksam (RG WarnRspr 1914 Nr. 328; vgl. auch RG H R R 1931 Nr. 8). Dagegen erstreckt sich die Bürgschaft nicht ohne weiteres auch auf den Anspruch des Gläubigers auf Ersatz seines Vertrauensschadens (§ 122), nachdem der Hauptschuldner zuvor den zwischen ihm und den Gläubiger bestehenden Vertrag wegen Irrtums angefochten hat. Wegen der rückwirkenden Kraft der Anfechtung hat hier eine Hauptverbindlichkeit von Anfang an überhaupt nicht bestanden, und es kann sich nur fragen, ob statt dieser nunmehr der Ersatzanspruch des Gläubigers als der durch die Bürgschaft gesicherte Anspruch anzusehen ist. Das aber ist allein eine Frage der Auslegung der Bürgschaftserklärung (vgl. dazu § 765 Anm. 2 a. E.). — Inwieweit die Bürgschaft auch Nebenansprüche der Hauptverbindlichkeit umfaßt, darüber vgl. Anm. 11. Anm. 8 Auch sonstige Veränderungen der Hauptverbindlichkeit sind für den Umfang der Bürgschaftsverpflichtung maßgeblich, grundsätzlich auch solche rechtsgeschäftlicher Art. Bei letzteren gilt jedoch die Einschränkung, daß sie nicht zu einer Erweiterung der Bürgschaftsverpflichtung führen dürfen (dazu Anm. 10). So führt der Abschluß eines Vergleichs zwischen Gläubiger und Schuldner, durch den der Gläubiger dem Schuldner die Hauptverbindlichkeit teilweise erläßt, notwendigerweise auch zu einer entsprechenden Verringerung der Bürgschaftsverpflichtung (RG 92, 123; I 53> 345); für eine entsprechende Anwendung des § 82 Abs. 2 VerglO (dazu Anm. 13) ist selbst dann kein Raum, wenn ein solcher Vergleich außergerichtlich ebenfalls nur zur Abwendung des Konkurses geschlossen worden ist. Uber die rechtliche Bedeutung abweichender Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner vgl. Anm. 17. Auch der Abschluß eines anderweitigen Vergleichs zwischen Gläubiger und Schuldner wirkt für und gegen den Bürgen, wenn der Vergleich vom Standpunkt des Hauptschuldners und des Bürgen angemessen ist. Denn unter dieser Voraussetzung kann ein solcher Vergleich nicht eine rechtsgeschäftliche Erweiterung der Bürgenverpflichtung zur Folge 933
§ 767 Anm. 9, 10
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
haben. Wenn sich der Bürge im übrigen auf eine zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner getroffene Abmachung beruft, soweit sie seine Haftung mindert, so muß er auch die darin enthaltenen nachteiligen Bestimmungen gegen sich gelten lassen. Wird der Inhalt der Hauptverbindlichkeit in der Weise geändert, daß etwa der Gläubiger (Verkäufer) an Stelle der ursprünglich zugesagten Sache eine andere gleichwertige zu liefern hat, so wird dadurch der Bestand der Bürgschaft nicht berührt (RG 53, 356; 59, 229; vgl. auch R G 126, 289; WarnRspr 1922 Nr. 97). Auch Veränderungen der Hauptverbindlichkeit durch gesetzliche Maßnahmen wirken sich grundsätzlich auf die Bürgenverpflichtung aus, so etwa das Bankenprivileg nach § 66 AufwG (RG 134, 130), die während des 1. Weltkrieges und während der Wirtschaftskrise 1932/35 dem Hauptschuldner gewährten Zwangsstundungen (RG 93, 9 1 ; 153, 125), aber auch der Eingriff durch die Devisengesetzgebung, wenn der Hauptschuldner nur noch Zahlung auf Sperrkonto zahlen darf (vgl. dazu G a d o w DGemWR 1936, 465), sowie der Eingriff durch die gesetzliche Regelung der deutschen Auslandsschulden im Londoner Schuldenabkommen (vgl. dazu V e i t h BB 1954, 792). — Der Konkurs des Hauptschuldners führt die Fälligkeit einer betagten Forderung dem Bürgen gegenüber nicht herbei, da § 65 K O die Schuld überhaupt nicht fällig macht. Vielmehr wird sie nur für Zwecke des Konkurses wie eine fällige behandelt. Anm. 9 Grundsätzlich wirkt auch eine zwischen Gläubiger und Hauptschuldner vereinbarte Stundung zugunsten des Bürgen (RG 56, 310). Das gilt auch für eine Stundung, die dem Schuldner von Teilschuldverschreibungen durch Beschluß der Gläubigerversammlung bewilligt worden ist (RG 1 1 3 , 318). Wird die Wirkung zugunsten des Bürgen in der Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner ausdrücklich ausgeschlossen, so soll die Stundungsvereinbarung nach RG 56, 3 1 3 wirkungslos sein, weil sie einen rechtlich unmöglichen Inhalt habe. Richtiger dürfte es indessen sein, auch in diesem Fall die Wirkung der Stundung auf den Bürgen zu erstrecken (vgl. dazu E n n e c c e r u s - L e h m a n n §192 Anm. 8), es sei denn, daß der Ausschluß der Stundung zugunsten des Bürgen als eine Bedingung der Stundungsvereinbarung anzusehen ist. In einem Ausnahmefall kann sich eine solche Stundung auch als eine Belastung des Bürgen darstellen; in diesem Fall ist sie ihm gegenüber ohne Wirkung (RG 59, 229; WarnRspr 1914 Nr. 155). — Kündigt der Gläubiger gegenüber dem Hauptschuldner die Hauptverbindlichkeit, so wird dadurch auch die Bürgschaftsschuld fällig. Hingegen ist eine Kündigung gegenüber dem Bürgen für die Hauptschuld und damit auch für die Bürgschaftsschuld wirkungslos (RG L Z 1918, 909). Anm. 10 Rechtsgeschäftliche Erweiterungen der Hauptschuld sind nach Abs. 1 Satz 3 gegenüber dem Bürgen ohne Wirkung. Das folgt ohne weiteres aus dem allgemeinen Grundsatz, daß Gläubiger und Hauptschuldner die Verpflichtung des Bürgen nicht ohne seine Zustimmung erweitern können. Der Bürge muß sich zwar die Erweiterungen gefallen lassen, die aus dem Hauptschuldverhältnis von innen heraus erwachsen (vgl. Anm. 7 ff), nicht aber solche Erweiterungen, die die Hauptverbindlichkeit erst durch neue Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Hauptschuldner von außen her erfährt. Hierzu gehören eine Verkürzung der Fälligkeit, unter Umständen auch eine Stundung (Anm. 9), neue Vereinbarungen von Zinsen und Vertragsstrafen, Verzicht des Hauptschuldners auf Einreden, Anerkenntnisse und unter Umständen auch Vergleiche (dazu Anm. 8). Daher kann auch die eine Papiermarkschuld sichernde Bürgschaft nicht ohne weiteres in eine solche umgewandelt werden, die eine Goldmarkschuld decken soll (RG H R R 1930 Nr. 215). Dagegen ist es nicht als eine rechtsgeschäftliche Erweiterung der Hauptschuld im Sinn des Abs. 1 Satz 3 anzusehen, wenn der Hauptschuldner auf ein Gestaltungsrecht — Anfechtung, Wandlung, Aufrechnung — verzichtet, dessen Geltendmachung allein seiner persönlichen Entschließung unterliegt. Mag auch der Bürge hierdurch die verzögernde Einrede aus § 770 verlieren, so wird doch dadurch die Bürgschaftsverpflichtung im Verhältnis zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger nicht erweitert (RG 62, 54). Des weiteren hält es das Reichsgericht für zulässig, eine Verbesse934
Bürgschaft
§ 767 Anm. 11, 12
rung der Lage des Hauptschuldners, die zwischenzeitlich ohne Hinzuziehung des Bürgen vorgenommen worden war, später auch mit Wirkung gegenüber dem Bürgen durch Vereinbarung zwischen Gläubiger und Hauptschuldner wieder rückgängig zu machen (RG H R R 1930 Nr. 971; nicht unbedenklich). Eine rechtsgeschäftliche Erweiterung der Hauptschuld gemäß Abs. 1 Satz 3 führt grundsätzlich nicht zum Erlöschen der Bürgschaft; nach Abs. 1 Satz 3 kann die Erweiterung nur gegenüber dem Bürgen nicht geltend gemacht werden, es sei denn, daß die Nichterweiterung der Hauptschuld ausnahmsweise zur Bedingung für den Fortbestand der Bürgschaft gemacht worden ist (RG WarnRspr 1913 Nr. 52). Die rechtsgeschäftliche Erweiterung wirkt auch gegenüber dem Bürgen, wenn er ihr zugestimmt hat; die Zustimmung unterliegt dem Formzwang des § 766 (RG 96, 133; im einzelnen § 766 Anm. 1). Anm. 11 Ob sich die Bürgschaft auch auf Nebenansprüche der Hauptverbindlichkeit erstreckt, ist im allgemeinen eine Frage der Auslegung des Bürgschaftsvertrages. Das gilt namentlich für die Zinsen der Hauptverbindlichkeit, für Bankprovisionen und für vorgesehene Vertragsstrafen (dazu § 765 Anm. 2). Für die Kosten der Kündigung und der Kosten der Rechtsverfolgung gibt Abs. 2 eine Sondervorschrift. Für sie hat der Bürge zu haften, diese Kosten gelten somit als natürliche Erweiterungen der Hauptschuld, und zwar ohne Rücksicht auf Verzug oder Verschulden des Hauptschuldners. Für Kosten dieser Art, die schon zur Zeit der Bürgschaftsübernahme entstanden waren, hat dagegen der Bürge im Zweifel nicht einzustehen. II. Die Ausnahmen von dem Grundsatz der Abhängigkeit Anm. 12 1. Allgemeines. Der Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von dem Bestand und dem Umfang der Hauptverbindlichkeit läßt sich nicht ausnahmslos durchführen. Das ist zugunsten des Bürgen bereits im Abs. 1 Satz 3 zum Ausdruck gebracht, wonach rechtsgeschäftliche Erweiterungen der Hauptverbindlichkeit ohne die Zustimmung des Bürgen nicht auch ihm gegenüber wirken. Ausnahmen von dem Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit sind aber auch zu Lasten des Bürgen geboten, weil in zahlreichen Fällen der akzessorische Charakter der Bürgschaft aus inneren Gründen hinter dem Sicherungszweck der Bürgschaft zurücktreten muß (RG 134, 129; WarnRspr 1927 Nr. 106; BGH L M Nr. 2 zu § 767 BGB). Das ist in einigen Fällen auch gesetzlich festgelegt (vgl. dazu Anm. 13), muß aber darüber hinaus auch in weiteren Fällen gelten, in denen unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Zwecks der Bürgschaft nicht anders zum richtigen Recht zu gelangen ist (RG 163, 99). Solche Ausnahmen von dem Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft müssen stets dann anerkannt werden, wenn die Hauptverbindlichkeit in ihrem Bestand oder in ihrem Umfang deshalb Beeinträchtigungen erfährt, weil das aus allgemeinen Erwägungen nach Treu und Glauben zur Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Hauptschuldners geboten ist. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Beeinträchtigungen auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmungen oder nach Maßgabe allgemeiner, von der Rechtsprechung entwickelter Rechtsgrundsätze vorgenommen werden, wenn das nur im Hinblick auf die besonderen persönlichen Umstände des Hauptschuldners geschieht. Infolge der umstürzenden wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seit der Zeit des 1. Weltkrieges hat sich die Notwendigkeit zum Erlaß solcher gesetzlicher Bestimmungen und zur Ausbildung derartiger Rechtsgrundsätze in einem hohen Maße ergeben. Hiervon konnte das Recht der Bürgschaft nicht unberührt bleiben, falls nicht der wirtschaftliche Zweck der Bürgschaft selbst in Frage gestellt werden soll. Die Sicherung des Gläubigers durch die Verpflichtung des Bürgen für den Fall, daß der Hauptschuldner seine Verpflichtung selbst nicht zu erfüllen vermag, verlangt grundsätzlich den Fortbestand der Bürgschaftsverpflichtung, wenn nur mit Rücksicht auf die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse des einzelnen Hauptschuldners seine Schuld aufgehoben oder in ihrem Umfang unmittelbar herabgesetzt wird. Denn der Gläubiger soll durch die
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§ 767 A s m . 13, 14
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Bürgschaft typischerweise gerade vor solchen Ausfällen bei seiner Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner geschützt werden, die auf der persönlichen Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners beruhen. Anders ist es hingegen, wenn der Bestand oder der Umfang der Hauptverbindlichkeit aus anderen Gründen Beeinträchtigungen erfahren, aus Gründen, die nicht auf einer Berücksichtigung der besonderen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Hauptschuldners beruhen, sondern sich aus allgemeinen, insbesondere aus wirtschaftspolitischen Gründen ergeben. In solchen Fällen erfordert im Regelfall der Grundgedanke, der für einen solchen Eingriff in Bestand oder Umfang der Hauptverbindlichkeit maßgeblich ist, auch eine entsprechende Berücksichtigung für die Verbindlichkeit des Bürgen. Uber die Folgerungen, die sich aus dieser Beurteilung für etwaige Ausnahmen von dem Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus in weiteren Einzelfällen ergeben, vgl. Anm. 14. Anm. 13 2. Die gesetzlich geregelten Ausnahmefälle. Im Rahmen des Konkursverfahrens und des gerichtlichen Vergleichsverfahrens gelten nach § 193 K O und § 82 Abs. 2 VerglO zwei wichtige Ausnahmen von dem Grundsatz der Akzessorietät, die zugleich typische Bedeutung für die Beurteilung weiterer Ausnahmefälle haben. Beeinträchtigungen, die die Hauptverbindlichkeit im Konkursverfahren oder in einem gerichtlichen Vergleichsverfahren erfährt, gelten nicht auch zugunsten des Bürgen. Das ist bei sachgerechter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Zwecks der Bürgschaft zwangsläufig. Denn der Gläubiger soll durch die Bürgschaft gerade gegen die Ausfälle gesichert werden, die er im Hinblick auf die persönliche Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners sonst erleiden würde. Dasselbe gilt für die Ausnahmevorschrift des § 768 Abs. 1 Satz 2, wonach sich der Bürge nicht auf die Einrede der beschränkten Erbenhaftung berufen kann, wenn der Hauptschuldner gestorben ist. Denn auch hie$ würde die strenge Durchführung des Grundsatzes der Abhängigkeit den wirtschaftlichen Zweck der Bürgschaft in Frage stellen und dem Gläubiger gerade die Sicherung nehmen, die ihm durch die Bürgschaft zuteil werden soll. In den Sondergesetzen zum l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n E n t s c h u l d u n g s v e r f a h r e n ist der Grundgedanke des § 193 K O und des § 82 Abs. 2 VerglO nicht folgerichtig durchgeführt worden, obwohl es sich hierbei im Grunde nur um ein den besonderen landwirtschaftlichen Verhältnissen angepaßtes Vergleichsverfahren, um „eine Ersatzeinrichtung zur Sicherung notleidender Betriebe der Landwirtschaft" ( J a e g e r , Komm K O § 193 Anm. 21) gehandelt hatte. Immerhin ist auch in diesen Gesetzen der Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit nicht ausnahmslos anerkannt worden. Während nach § 35 des Gesetzes zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse v. 1.6. 1933 (RGBl I 331) die Herabsetzung von Forderungen im landwirtschaftlichen Entschuldungsverfahren auch zugunsten des Bürgen wirkte, soweit diese ein Rückgriffsrecht hatten (RG J W 1939, 699), wurde diese Abhängigkeit in § 8 des Gesetzes über eine Bereinigung alter Schulden v. 3. 9. 1940 (RGBl I 1209) aufgehoben und nur noch dem Richter das Recht vorbehalten, die Wirkung seiner Maßnahmen ausnahmsweise auch auf den Bürgen zu erstrecken. In Art. 2 der VO über die Behandlung der Mitschuldner und Bürgen im Schuldenregelungsverfahren v. 16. 2. 1937 (RGBl I 238) wurde eine Zwischenlösung gewählt; eine Herabsetzung der Hauptschuld äußerte nur dann Wirkung auch auf die Bürgenverpflichtung, wenn die Entschuldungsstelle eine solche Abhängigkeit nach Abwägung der gesamten Umstände aussprach. Anm. 14 3. Die weiteren Ausnahmen von dem Grundsatz der Abhängigkeit. In einer Reihe von Fällen ist der weitere Bestand oder der Umfang einer Verbindlichkeit von den persönlichen, insbesondere den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners abhängig, und zwar derart, daß bei einer grundlegenden oder wesentlichen Veränderung dieser Verhältnisse die Verbindlichkeit entweder entfällt oder in ihrer Höhe herabgesetzt wird. Nach dem wirtschaftlichen Zweck der Bürgschaft, den Gläubiger gerade vor 936
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§ 767 Anm. 15
solchen Ausfällen zu schützen, die sich aus einer persönlichen Zahlungsunfähigkeit des. Schuldners ergeben, müssen derartige Veränderungen der Hauptverbindlichkeit ohne Einfluß auf den Bestand und den Umfang der Bürgschaftsverpflichtung sein. Dem entspricht es, daß nach der neueren Rechtsprechung dem Bürgen eine Herabsetzung oder ein Erlöschen der Hauptverbindlichkeit wegen umstürzender wirtschaftlicher Verhältnisse in der Person des Hauptschuldners (Wegfall der Geschäftsgrundlage) nicht zugute kommt, er also in diesem Fall ohne Rücksicht auf den Fortbestand oder den Umfang der Hauptverbindlichkeit weiter zu haften hat (RG 163, 99; OGH 1, 66). Der Umstand, daß dem Bürgen in einem solchen Fall ein Rückgriffsanspruch nach § 774 gegen den Hauptschuldner nicht zusteht, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern; denn der Inhalt und der Umfang der Bürgenhaftung kann nicht davon abhängig sein, ob ihm im Einzelfall ein solcher Rückgriffsanspruch zusteht oder ob er einen solchen Anspruch gegen einen verarmten Hauptschuldner realisieren kann. Aus den gleichen Erwägungen kann dem Bürgen nach dem Zweck des Bürgschaftsvertrages auch nicht die Bedürftigkeitseinrede aus § 519 zugebilligt werden. Denn auch bei einer solchen Bürgschaft soll der Gläubiger durch die Verpflichtungserklärung des Bürgen gegen die Folgen eines Vermögensverfalls des Hauptschuldners geschützt werden, und es wäre daher ein sachwidriges Ergebnis, wenn der Bürge seine Leistung unter Berufung auf diesen Vermögensverfall verweigern könnte. Ist die Bürgschaft zur Sicherung einer Unterhaltspflicht des Hauptschuldners übernommen worden, so kann sich der Bürge nicht darauf berufen, daß die Unterhaltsverpflichtung des Hauptschuldners wegen einer Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse gemindert oder entfallen ist (vgl. R G 163, 99; BGH L M Nr. 2 zu § 767 BGB). Auch insoweit gilt der Grundsatz, daß Verpflichtungs- und Haftungserleichterungen, die dem Hauptschuldner wegen persönlichen Notbedarfs gewährt werden, nicht auch für den Bürgen eine gleiche Erleichterung herbeiführen. Dieser Grundsatz ist auch in der Aufwertungsrechtsprechung des Reichsgerichts zum Ausdruck gekommen, durch die dem wohlhabenden Bürgen eine höhere Aufwertung als dem verarmten Hauptschuldner auferlegt wurde, weil die Herabsetzung der Hauptschuld nur durch die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Hauptschuldners bedingt ist und dieser Gesichtspunkt bei dem Bürgen nicht zutrifft (RG WarnRspr 1927 Nr. 106; H R R 1928 Nr. 1571). Andererseits ist dem Bürgen einer Bank die Berufung auf das Bankenprivileg nach § 66 AufwG zugesprochen worden,weil für die Vorschrift des § 66 AufwG nicht die persönliche Zahlungsfähigkeit des Schuldners, sondern allgemeine wirtschaftspolitische Erwägungen maßgebend sind, die auch für die Bürgschaftsverpflichtung gelten (RG 134, 130). Anm. 15 Die gleichen Grundsätze gelten für die Frage, ob sich der Bürge auf eine Herabsetzung der Hauptschuld im Vertragshilfeverfahren berufen kann. Da für eine solche Herabsetzung ebenfalls nur die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Hauptschuldners maßgebend sind, kann sich der Bürge auf sie nicht berufen (Stuttgart H E Z 1, 96; unrichtig BGH 6, 385; vgl. zur Kritik an dieser Entscheidung J a u e r n i g N J W 1953, 1207 m. w. N.). Für den Bürgen kommt eine Berufung auf die Vertragshilfe vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen hierfür in seiner Person gegeben sind. Anders dagegen ist es mit dem Leistungsverweigerungsrecht des §21 Abs. 4 UmstG. Denn der Vorschrift des §21 Abs. 4 UmstG liegt der Gedanke einer allgemeinen Schadensverteilung ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner zugrunde (BGH 2, 147). Das Risiko, das danach der Gläubiger zu tragen hat, kann er nicht auf den Bürgen abwälzen, weil er nach dem Zweck der Bürgschaft nicht gegen die Nachteile einer solchen allgemeinen Schadensverteilung, sondern nur gegen die Gefahren einer p e r s ö n l i c h e n Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gesichert ist (Going NJW 1951, 384). Umstritten ist die Frage, welches Schicksal die Bürgschaft hat, wenn der Hauptschuldner als Vertriebener vom Gläubiger nach §§ 82 ff B V F G nicht in Anspruch genommen werden kann. Da dem Hauptschuldner dieses Privileg mit Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse zugebilligt ist (vgl. auch § BVFG), wird man dem Bürgen ähnlich wie bei der Vertragshilfe im Regelfall die Berufung auf das dem Haupt93?
§ 767 Anm. 16,17 Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 768 Anm. 1
Schuldner zustehende Privileg versagen müssen. Dabei kann allerdings in einem Einzelfall der Gesichtspunkt, daß die Bürgschaftsverpflichtung nicht auch den unvorsehbaren Vertreibungsschaden des Hauptschuldners decken sollte, zu einer Freistellung des Bürgen führen. Hierbei handelt es sich aber nicht darum, daß insoweit der Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit zur Anwendung kommen muß, sondern darum, daß die Bürgschaft nach ihrem Inhalt nicht auch das Risiko des Vertreibungsschadens umfaßt. Anm. 16 Das Erlöschen der Hauptverbindlichkeit wegen Fortfall des Schuldners befreit nicht in jedem Fall den Bürgen von seiner Verbindlichkeit (vgl. dazu Anm. 3). Beruht der Fortfall des Schuldners auf Gründen, die von dem typischen Sicherungszweck der Bürgschaft gedeckt werden, dann wird der Bürge nicht frei. Das ist der Fall, wenn eine juristische Person wegen Konkurses oder wegen fehlenden Vermögens gemäß dem Gesetz über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften v. 9. 10. 1934 (RGBl I 914) aufgelöst und beendet wird (RG 153, 343; HRR 1937 Nr. 435; BGH BB 1956, 830). Denn es ist gerade der Zweck der Bürgschaft, den Gläubiger vor einem Vermögensverfall des Hauptschuldners zu schützen, wie er in diesen Fällen zugleich als Auflösungs- und Beendigungstatbestand für die juristische Person in Betracht kommt. Anm. 17 III. Abweichende Vereinbarungen Soweit der Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit eingreift, handelt es sich um zwingendes Bürgschaftsrecht. Das schließt allerdings nicht aus, daß die Parteien gleichwohl abweichende Vereinbarungen wirksam treffen können. Nur handelt es sich insoweit dann nicht mehr um Verpflichtungen aus einem Bürgschaftsvertrag, sondern um zusätzliche Verpflichtungen, die ihren Rechtsgrund in einem zusäztlichen Schuldversprechen oder Garantievertrag haben (RG 153, 345; J W 1913, 597; 1916, 398; WarnRspr 1919 Nr. 166). Das ist insoweit von praktischer Bedeutung, weil in diesem Umfang § 774 nicht zur Anwendung gelangt (RG J W 1916, 398).
§ 768 Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der Hauptscbuldner, so kann sich der Bürge nicht darauf berufen, daß der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet. Der Bürge verliert eine Einrede nicht dadurch, daß der Hauptschuldner auf sie verzichtet. E I 671, 672 Abs. 2 Satz 2 II 707; M 2 66i, 662; P 2 464—466.
Üb ersieht 1. 2. 3. 4. 5.
Die Die Der Der Die
Einreden des Hauptschuldners Gestaltungsrechte des Hauptschuldners Verzicht des Hauptschuldners auf seine Einreden Verzicht des Bürgen auf die Einreden des Hauptschuldners persönlichen Einreden des Bürgen
Anm.
i—3 4 5 6 7
Anm. 1 1. Die Einreden des Hauptschuldners. Aus dem Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit folgt, daß der Bürge dem Gläubiger gegenüber grundsätzlich alle Einreden geltend machen kann, die dem Hauptschuldner aus allgemeinen Gründen oder nach dem besonderen Inhalt des Hauptschuldverhältnisses zur Verweigerung der Leistung berechtigen (RG 56, 109; 84, 230). Denn der
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Bürgschaft
§768 A n m . 2—4
Bürge soll nur für die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit einstehen und braucht daher grundsätzlich nicht zu leisten, wenn und soweit dem Erfiillungsanspruch des Gläubigers Gegenrechte entgegenstehen. Dabei sind unter Einreden nicht nur solche im technischen Sinn zu verstehen, sondern sämtliche Einwendungen, die den Bestand oder den Umfang der Hauptverbindlichkeit berühren. Daher hat der Bürge zunächst die a l l g e m e i n e n E i n r e d e n des H a u p t s c h u l d n e r s , so die Einrede der gegen den Hauptschuldner vollendeten Verjährung, mag sie auch gegen den Bürgen unterbrochen sein (den gegen den Hauptschuldner begründeten Gegeneinwand des Gläubigers, die Einrede der Verjährung stelle mit Rücksicht auf das Verhalten des Hauptschuldners einen Rechtsmißbrauch dar, muß sich auch der Bürge gefallen lassen), die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (RG 62, 54; 137, 34), die Einrede der gesetzlichen Stundung (RG 93, 91; 1 53) 1 2 5) > das Recht auf richterliche Herabsetzung einer vom Hauptschuldner verwirkten unverhältnismäßig hohen Vertragsstrafe (§ 343). Ferner kann der Bürge die aus dem H a u p t s c h u l d v e r h ä l t n i s sich e r g e b e n d e n E i n r e d e n des H a u p t s c h u l d n e r s geltend machen, so die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, die zur Verurteilung des Bürgen Zug um Zug gegen Leistung des Gläubigers an den Hauptschuldner führt (RG 84, 230), die Einrede der Stundung (RG 153, 345), z. B. bei der Vereinbarung laufender Rechnung (RG H R R 1937 Nr. 463), auch bei Stundung von Teilschuldverschreibungen durch Beschluß der Gläubigerversammlung (RG 113, 318), der Einwand mitwirkenden Verschuldens des Gläubigers, sofern die gesicherte Forderung eine Schadensersatzforderung ist (RG J W 1937, 3104), den Einwand des (Teil-)Erlasses (RG WarnRspr. 1916 Nr. 50). Anm. 2 Eine Ausnahme besteht nach Abs. 1 Satz 2 für die Einrede der beschränkten Erbenhaftung. Diese Einrede kann der Bürge seinerseits gegenüber dem Gläubiger nicht geltend machen. Das folgt ohne weiteres aus dem wirtschaftlichen Zweck der Bürgschaft (§ 767 Anm. 13). Der Grundgedanke dieser Ausnahmevorschrift findet auch Anwendung, wenn sich der Bürge für eine Schuld verbürgt hat, für die der Hauptschuldner nur gegenständlich beschränkt mit einer bestimmten Vermögensmasse haftet (§ 419 Abs. 2; § 486 HGB u. a.). Denn eine solche Bürgschaftsverpflichtung kann nicht anders ausgelegt werden, als daß dem Bürgen die Einrede der nur beschränkten Haftung nicht zustehen soll, weil die Bürgschaft sonst keinen wirtschaftlichen vernünftigen Sinn haben würde. Anm. 3 Ist die Klage des Gläubigers gegen den Hauptschuldner rechtskräftig abgewiesen worden, so kann auch der Bürge die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache gegen den Gläubiger geltend machen. Das folgt ebenfalls aus dem Grundsatz der Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptverbindlichkeit, nicht dagegen aus dem Grundsatz einer Erstreckung der Rechtskraft auch auf den Bürgen. Denn das gegen den Hauptschuldner ergangene Urteil hat nach § 325 ZPO keine Rechtskraftwirkung gegenüber dem Bürgen (RG 56, 109; WarnRspr 1909 Nr. 448; B G H 3, 390). Daraus ergibt sich, daß es dem Bürgen unbenommen ist, gegenüber dem Gläubiger auch noch Einreden des Hauptschuldners geltend zu machen, nachdem der Gläubiger gegen den Hauptschuldner ein obsiegendes Urteil erlangt hat, und zwar auch solche, die in dem Prozeß zwischen dem Gläubiger und Schuldner als unbegründet erachtet worden sind, wie z. B. der Einwand der Zahlung. Auch kann sich der Bürge auf eine vom Hauptschuldner ausgesprochene Aufrechnung selbst dann noch berufen, nachdem diese Aufrechnung in einem vorausgegangenen rechtskräftigen Urteil zwischen Gläubiger und Hauptschuldner für unbegründet erklärt worden war (RG 122, 146). Anm. 4 2. Die Gestaltungsrechte des Hauptschuldners. Die dem Hauptschuldner zustehenden Gestaltungsrechte können den Einreden und Einwänden des Hauptschuldners nicht gleichgestellt werden, soweit es sich um die selbständige Geltendmachung seitens des Bürgen gegenüber dem Gläubiger handelt. Dem Bürgen steht 61
Komm. 2. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Fischer)
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§ 768 ABID. 5, 6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
keine selbständige Verfügungsbefugnis über diese Gestaltungsrechte zu, er kann sie daher nicht selbständig ausüben, vielmehr liegt insoweit die Entschließungsfreiheit allein bei dem Hauptschuldner. Aus diesem Grunde hat § 770 für die Anfechtung und für die Aufrechnung eine Sonderregelung gegenüber der Vorschrift des § 768 getroffen, die jedoch über diese Tatbestände hinaus auch für andere Gestaltungsrechte des Hauptschuldners gilt (vgl. dazu § 770 Anm. 8). Bei Gestaltungsrechten des Hauptschuldners, die auf Inhalt oder Umfang der Hauptverbindlichkeit von Einfluß sind, steht dem Bürgen lediglich die verzögerliche Einrede des § 770 zu. Hat der Hauptschuldner von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht (durch Anfechtung, Aufrechnung, Wandlung, Minderung, Ausübung seines Wahlrechts), so kann sich der Bürge nunmehr gegenüber dem Gläubiger ebenfalls auf die sich daraus ergebende Einwendung berufen. Ebenso steht dem Bürgen das Bestimmungsrecht des Hauptschuldners gemäß § 366 nicht zu (RG 136, 184); er kann also seinerseits selbst dann keine Bestimmung treffen, wenn der Hauptschuldner bei der Zahlung von einer solchen Bestimmung abgesehen hat. — Das Recht des Hauptschuldners auf eine Vertragsstrafe gegen den Gläubiger begründet für den Hauptschuldner keine Einrede, sondern gegebenenfalls die Befugnis zur Aufrechnung; der Bürge kann daher dieses Recht nicht selbständig geltend machen, sondern sich nur auf seine Einrede gemäß § 770 Abs. 2 berufen (str.; aM RG 53, 357). Anm. 5 3. Der Verzicht des Hauptschuldners auf seine Einreden. Der Hauptschuldner kann auf die ihm zustehenden Einreden und Einwendungen (Anm. 1) nicht mit Wirkung gegenüber dem Bürgen verzichten. In einem solchen Verzicht würde eine unzulässige rechtsgeschäftliche Erweiterung der Bürgenverpflichtung liegen (§ 767 Anm. 10). Um einen solchen — unzulässigen — Verzicht handelt es sich jedoch nicht, wenn die Verjährung der Hauptschuld durch Anerkenntnis des Hauptschuldners unterbrochen wird (OLG Kiel J W 1933, 2343), wenn die Einrede kraft Gesetzes durch Versäumung einer Ausschlußfrist entfällt oder wenn im Fall des § 341 der Hauptschuldner bei der Annahme der Leistung keinen Vorbehalt macht (RG 53, 358). Anders steht es auch hier mit den G e s t a l t u n g s r e c h t e n , die dem Hauptschuldner zustehen. Ihre Ausübung unterliegt allein der Entschließungsfreiheit des Hauptschuldners; der Bürge muß sich daher den Verzicht auf ein solches Gestaltungsrecht gefallen lassen. Anm. 6 4. Der Verzicht des Bürgen auf die Einreden des Hauptschuldners. Ein Verzicht des Bürgen auf die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden und Einwendungen verträgt sich grundsätzlich nicht mit dem Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung, weil danach der Bürge lediglich für die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit einzustehen hat, und ein solcher Verzicht eine weitergehende Verpflichtung zur Folge hat. Gleichwohl wird in der Rechtsprechung ein Verzicht des Bürgen auf einzelne Einreden oder auf solche allgemeiner Natur mit der Bürgschaft für vereinbar gehalten, jedoch mit dem Zusatz, daß im Umfang des Verzichts ein selbständiges Schuldversprechen oder ein Garantievertrag vorliegt (RG 153, 345; J W 1916, 398; WarnRspr 1919 Nr. 166; vgl. auch BGH L M Nr. 2 zu § 767). Das gilt z. B. für einen Verzicht des Bürgen auf die Einrede der Verjährung, die unbeschadet des § 225 allgemein für zulässig angesehen wird (vgl. etwa RG 153, 345). Dagegen ist der Verzicht auf Einreden, die dem gesicherten Schuldverhältnis selbst entspringen, insbesondere der Verzicht auf Entstehungsmängel der Hauptverbindlichkeit (wie z. B. aus der Minderjährigkeit des Hauptschuldners) mit der Annahme einer Bürgschaft in keinem Fall zu vereinbaren. Bei einem solchen Verzicht liegt überhaupt kein Bürgschaftsversprechen, sondern ein selbständiges Schuldversprechen oder ein Garantievertrag vor. Bei Bürgschaften gegenüber Behörden und bei Bankbürgschaften findet sich vielfach die Klausel, daß der Bürge gegenüber dem Gläubiger verpflichtet und gegenüber dem Hauptschuldner berechtigt ist, auf erstes A n f o r d e r n des Gläubigers Z a h l u n g zu leisten (vgl. dazu Schütz ZAkDR 1938, 157). Eine solche Klausel ist wirksam, aber mit der Annahme einer Bürgschaft nicht mehr zu vereinbaren. Eine solche Zusage ist im Regelfall ein 940
Bürgschaft
§ 768 A n m . 7
§ 769 Anm. 1
selbständiges Schuldversprechen. Für den Hauptschuldner birgt eine derartige Vereinbarung eine große Gefahr in sich, sofern ihm eine rechtsvernichtende Einwendung gegen den Gläubiger zusteht. Ob der „Bürge" trotz seiner Verpflichtung, auf erstes Anfordern des Gläubigers Zahlung zu leisten, sich auf eine dem Hauptschuldner zustehende rechtsvernichtende Einwendung berufen kann, ist im Einzelfall Frage der Auslegung. M a n wird ein solches Recht nach Treu und Glauben wohl bejahen müssen, wenn dem Hauptschuldner in einem solchen Fall ein Rückforderungsanspruch gegen den Gläubiger zustehen und die Durchsetzung dieses Anspruchs angesichts der persönlichen Verhältnisse des Gläubigers gefährdet sein würde. Inwiefern der Bürge dem Hauptschuldner gegenüber zu einem Verzicht auf Einreden berechtigt oder zu einer Geltendmachung von Einreden verpflichtet ist, bestimmt sich nach dem zwischen beiden bestehenden Rechtsverhältnis (RG 59, 209). Der Hauptschuldner hat gegenüber dem Bürgen eine Auskunftspflicht über das Bestehen von Einreden ( R i e z l e r BankA 1941, 107). Anm. 7 5. Die persönlichen Einreden des B ü r g e n . Einreden des Bürgen aus eigenem Recht sind natürlich unbeschränkt zulässig (RG 53, 403). Als solche kommen zunächst die besonderen Bürgschaftseinreden, die Einrede der Vorausklage (§§ 771/72), die Einrede aus § 776 sowie die verzögerliche Einrede gemäß § 770 in Betracht. Der Bürge ist auch berechtigt, gegenüber der Bürgschaftsforderung mit einer ihm selbst zustehenden Forderung a u f z u r e c h n e n , und zwar auch schon, bevor der Gläubiger ihn auf Zahlung in Anspruch genommen hat (RG 53, 403; Recht 1919 Nr. 1408). Eine solche Aufrechnungsbefugnis bejaht R G 53, 403 auch für den Fall, d a ß der Gläubiger in Konkurs gerät. Das erscheint im Ergebnis jedoch nicht unbedenklich, da sich in diesem Fall die Bürgschaft, obwohl sie eine zusätzliche Sicherung sein soll, dann gerade zum Schaden der Konkursmasse auswirkt (vgl. dazu auch S t a u d i n g e r B r ä n d l § 770 Anm. 3 m.w.N.). — Ist die Tilgung der gesicherten Darlehnsforderung in einer bestimmten Art vorgesehen, so kann sich der Bürge darauf berufen, daß sich der Gläubiger an diesen Tilgungsplan nicht gehalten hat (RG J W 1936, 2393). H a t der Gläubiger das Vermögen des Schuldners übernommen, so steht dem Bürgen ein rechtsvernichtender Einwand zu, da der Gläubiger dem Bürgen gemäß § 419 für seinen Rückgriffsanspruch (§ 774) haften würde (RG 82, 276). Neben der Einrede der Verjährung der Hauptschuld kann der Bürge auch die E i n r e d e d e r V e r j ä h r u n g der Bürgschaftsforderung geltend machen, die selbständig neben der Einrede der Verjährung der Hauptschuld besteht (§ 765 Anm. 17).
§ 769 Verbürgen s i c h m e h r e r e für dieselbe Verbindlichkeit, s o h a f t e n sie a l s G e s a m t s c h u l d n e r , auch w e n n sie die B ü r g s c h a f t nicht g e m e i n s c h a f t l i c h übernehmen. E I 673 II 709; M 2 666, 667; P 2 467, 468.
Ubersicht 1. 2. 3. 4.
Die Die Die Die
Mitbürgschaft Haftung als Gesamtschuldner Abhängigkeit der Bürgschaften voneinander Ausgleichspflicht unter den Mitbürgen
Anm.
1 2 3 4
Anm. 1 1. Die M i t b ü r g s c h a f t . Sie wird allein durch die Einheit der Verbindlichkeit bestimmt, für deren Erfüllung die mehreren Bürgen einzustehen sich verpflichten. Dabei ist es gleichgültig, ob die Bürgen in einer oder in mehreren Rechtshandlungen, gleichzeitig oder nacheinander, die Bürgschaftsverpflichtung übernehmen (RG 77, 55; 8l,
941
§ 769 Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse A n m . 2—4 419; J W 1912, 746). Gleichgültig ist es auch, ob der eine Bürge von der Bürgschaftsverpflichtung des anderen weiß. Sind mehrere Bürgschaften für dieselbe Schuld ihrer Höhe nach verschieden begrenzt, so besteht eine Gesamtschuld (Mitbürgschaft) nur bis zu der gemeinsamen Grenze (RG 81, 414). Haben mehrere Bürgen jeweils für einen anderen besonderen Teil der Hauptschuld, in summenmäßig bestimmten Teilen oder nach Bruchteilen, die Haftung übernommen, so ist eine Einheit des Gegenstandes der Bürgschaftsverpflichtung nicht gegeben (RG H R R 1933 Nr. 1841); in diesem Fall liegt keine Mitbürgschaft, sondern eine T e i l b ü r g s c h a f t vor; jeder Bürge haftet allein in Höhe des von ihm übernommenen Teils für die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit. Anm. 2 2. Die H a f t u n g a l s G e s a m t s c h u l d n e r . Die Mitbürgen haften dem Gläubiger als Gesamtschuldner; der Gläubiger kann also nach seinem Belieben jeden Mitbürgen ganz oder nur zu einem Teil in Anspruch nehmen. An eine Reihenfolge ist der Gläubiger bei der Inanspruchnahme der Bürgen nicht gebunden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Mitbürgschaft von der A u s f a l l b ü r g s c h a f t , bei der der Gläubiger den Ausfallbürgen erst in Anspruch nehmen kann, wenn er von dem Hauptbürgen keine Befriedigung zu erlangen vermag (dazu Anm. 9 vor §765). Auch die Nachbürgschaft (Anm. 10 vor § 765) ist von der Mitbürgschaft zu unterscheiden. Die Kündigung der Bürgschaft durch einen Mitbürgen wirkt nicht auch zugunsten des anderen Bürgen; § 425 findet insoweit Anwendung (RG WarnRspr 1912 Nr. 335). Anm. 3 3. Die Abhängigkeit der B ü r g s c h a f t e n voneinander. Da bei einer Mitbürgschaft jede einzelne Bürgschaft im Rechtssinn durch einen besonderen Vertrag zwischen dem Gläubiger und dem einzelnen Bürgen begründet wird, so ist danach jede einzelne Bürgschaft in ihrem Bestand und Fortbestand auch von den Bürgschaften der anderen Mitbürgen unabhängig. Daher ist bei dieser Betrachtung auch für die Anwendung des § 139 kein Raum, wenn eine der Bürgschaften aus irgendeinem Grunde unwirksam ist. Es liegt kein einheitliches Rechtsgeschäft vor, sondern es liegen verschiedene Rechtsgeschäfte (Verträge) vor, die jeweils zwischen dem Gläubiger und dem einzelnen Bürgen geschlossen werden. Diese abstrakt rechtliche Betrachtung, die ersichtlich der Auffassung des Reichsgerichts zugrunde liegt (vgl. R G 88, 414; 138, 272; H R R 1931 Nr. 826), wird jedoch den Lebensverhältnissen keineswegs immer gerecht. Danach kann es sich bei der Begründung der mehreren Bürgschaften nach dem Willen der Beteiligten durchaus um ein einheitliches Rechtsgeschäft im Sinn des § 139 handeln, so daß es bei einer wirtschaftlichen Betrachtung auch nicht angebracht erscheint, in einem solchen Fall mit dem Reichsgericht im Zweifel von einer Anwendung des § 139 abzusehen. Ein Regel- und ein Ausnahmesatz läßt sich in dieser Hinsicht nicht aufstellen, vielmehr ist es eine Frage der Auslegung im einzelnen Fall, wie die Beteiligten ihr Rechtsverhältnis gestaltet haben. Bei einer Anwendung des § 139 darf entgegen R G 88, 414; 136, 272 auch nicht einseitig nur das Sicherungsinteresse des Gläubigers berücksichtigt, sondern es müssen insoweit auch die Belange der Bürgen, insbesondere ihr Interesse an einen Ausgleichsanspruch gegen den anderen Mitbürgen (§ 774 Abs. 2), beachtet werden (richtig R G J W 1927, 38). Ist der Bestand einer übernommenen Bürgschaft davon abhängig gemacht, daß auch noch ein Dritter die Bürgschaft für dieselbe Schuld übernimmt, so findet insoweit § 162 Anwendung. Anm. 4 4. Die Ausgleichspflicht unter den Mitbürgen. Zwischen den Mitbürgen besteht im Zweifel eine Ausgleichspflicht gemäß § 774 Abs. 2. Danach findet im Verhältnis unter den Miterben die Vorschrift des § 426 Anwendung. Im einzelnen vgl. zu dieser Ausgleichungspflicht § 774 Anm. 11 ff. 942
Bürgschaft
§770 Anm. 1, 2
§ 770 Der Bürge kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange dem Hauptschuldner das Recht zusteht, das seiner Verbindlichkeit zugrundeliegende Rechtsgeschäft anzufechten. Die gleiche Befugnis hat der Bürge, solange sich der Gläubiger durch A u f rechnung gegen eine fällige Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann. E II 710; P 2 465, 466, 469—471.
Ubersicht 1. 2. 3. 4.
Die Das Die Die
Anm.
verzögerliche Einrede des § 770 1, 2 Anfechtungsrecht des Hauptschuldners 3, 4 Aufrechnungsbefugnis des Hauptschuldners 5—7 entsprechende Anwendung des § 770 auf andere Gestaltungsrechte . . 8, 9
Anm. 1 1. Die verzögerliche Einrede des § 770. Mit Rücksicht auf die Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptschuld steht dem Bürgen das Recht zu, alle Einwendungen und Einreden des Hauptschuldners auch selbst gegenüber dem Gläubiger geltend zu machen (§ 768 Anm. 1). Anders ist es dagegen bei den Gestaltungsrechten, die dem Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger zustehen; diese darf der Bürge nicht selbst ausüben. Denn eine solche Ausübung ist eine Verfügung über Rechte des Hauptschuldners, die dem Bürgen verwehrt bleiben muß; sie unterliegt allein der freien Entschließung des Hauptschuldners. Daher hat der Bürge gegen den Hauptschuldner auch keinen Anspruch darauf, daß dieser von einem ihm zustehenden Gestaltungsrecht Gebrauch macht, es sei denn, daß der Hauptschuldner eine dahingehende Verpflichtung besonders übernommen hat. Auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger ist eine solche Verpflichtung des Hauptschuldners ohne Einfluß. Verzichtet der Hauptschuldner trotz einer solchen Verpflichtung auf ein ihm zustehendes Gestaltungsrecht, so verliert der Bürge dadurch die ihm nach § 770 zustehende Einrede. Insoweit besteht also ein grundlegender Unterschied zu dem Verzicht des Hauptschuldners auf ihm zustehende Einwendungen und Einreden (vgl. dazu § 768 Anm. 5). Für zwei der wichtigsten Gestaltungsrechte des Hauptschuldners, dem Anfechtungsrecht und der Aufrechnungsbefugnis, gibt § 770 eine Sonderregelung, die allerdings auch auf andere Gestaltungsrechte des Hauptschuldners entsprechende Anwendung findet (vgl. Anm. 8). Danach hat der Bürge, das Recht, die Befriedigung des Gläubigers zu verweigern, solange der Hauptschuldner von einem ihm zustehenden Gestaltungsrecht, das zur Zerstörung des Gläubigerrechts führt, noch keinenGebrauch gemacht hat. Dieses Verweigerungsrecht steht dem Bürgen ohne Rücksicht darauf zu, ob er die Einrede der Vorausklage hat oder nicht. Es ist seiner Natur nach zeitlich beschränkt. Es verliert seine Wirkung, sobald sich der Hauptschuldner zur Aufgabe seines Gestaltungsrechts entschließt oder sobald er sein Recht aus sonstigen Gründen kraft Gesetzes verliert. Es wird aber auch gegenstandslos, wenn der Hauptschuldner sein Gestaltungsrecht ausübt. In diesem Fall hat dann der Bürge gegen den Gläubiger eine zerstörende Einrede, weil durch die Ausübung des Gestaltungsrechts (z. B. Anfechtungsrecht, Aufrechnungsbefugnis) die gesicherte Forderung des Gläubigers entfällt. Anm. 2 Ein Verzicht des Bürgen auf das Leistungsverweigerungsrecht ist möglich und unter Umständen dann anzunehmen, wenn der Bürge bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages die Anfechtbarkeit der Hauptverbindlichkeit gekannt hat ( R i e z l e r BankA 1941, 107). Ob der Bürge gegenüber dem Hauptschuldner zur Geltendmachung seines Leistungsverweigerungsrechts verpflichtet ist, und ob die Verletzung einer solchen Verpflichtung zum Verlust des Rückgriffsrechts des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner führt, bestimmt sich nach dem Rechtsverhältnis zwischen dem Bürgen und dem Haupt-
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§ 770
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 3—5 Schuldner. I m allgemeinen wird man eine solche Verpflichtung des Bürgen bejahen müssen, wenn es der Hauptschuldner verlangt und dem Hauptschuldner sonst seine Einwendungen gegen den Gläubiger entzogen werden würden ( R G 59, 2 1 0 ) . Den Hauptschuldner trifft gegebenenfalls eine Auskunftspflicht über das Bestehen eines A n fechtungs- oder Aufrechnungsrechts ( R i e z l e r aaO).
Anm, 3 2 . D a s A n f e c h t u n g s r e c h t d e s H a u p t s c h u l d n e r s . Steht dem Hauptschuldner das Recht zur Anfechtung wegen Irrtums zu, so bleibt für die aufschiebende Einrede des Bürgen nach § 770 im allgemeinen nur wenig R a u m , da diese Anfechtung unverzüglich nach Kenntnis des wahren Sachverhalts ausgesprochen werden muß. Ist die Frist zur Geltendmachung der Anfechtung abgelaufen — bei der Anfechtungsbefugnis wegen arglistiger Täuschung oder wegen widerrechtlicher Drohung die einjährige Frist des § 124 •—, so ist damit auch jede Einrede des Bürgen wegen der Anfechtbarkeit des Geschäfts beseitigt ( R G 66, 333). Ebenso verliert er diese Einrede durch eine Bestätigung des anfechtbaren Geschäfts seitens des Hauptschuldners (§ 144). Dagegen ist die Einrede des Bürgen wegen des Anfechtungsrechts des Hauptschuldners nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Bürge dem Gläubiger für die Bürgschaft einen Wechsel ausgestellt hat (RG 103, 4 1 3 ) .
Anm. 4 Hat der Hauptschuldner von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht, so ist damit das die Schuld begründende Rechtsverhältnis rückwirkend nichtig und damit auch die Bürgschaft im allgemeinen hinfällig, weil es dann von vornherein an einer wirksamen Hauptverbindlichkeit fehlt (§ 765 Anm. 10). Ob in einem solchen Fall dann die Bürgschaft zur Sicherung etwaiger Rückgewähransprüche dient, ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall (dazu § 765 Anm. 2 a. E.). Hat der Bürge den Gläubiger befriedigt, bevor der Hauptschuldner von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht hat, so kann der Bürge das Geleistete wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückfordern, aber nur dann, wenn die Anfechtung vom Hauptschuldner erklärt ist. Die Befriedigung des Gläubigers in Unkenntnis des dem Bürgen zustehenden Leistungsverweigerungsrecht begründet nach § 8 1 3 allein noch nicht einen solchen Bereicherungsanspruch, weil die Einrede des § 770 nur zeitlich beschränkt ist. Erfüllt der die Anfechtung begründende Tatbestand zugleich die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung (§§ 823 Abs. 2, 826), so steht dem Hauptschuldner gemäß § 853 ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Diese Einrede kann auch der Bürge selbständig geltend machen. Auf sie findet § 770 keine Anwendung, für sie gilt § 768 (dazu § 768 Anm. 1). Steht dem Bürgen das Recht zur Anfechtung des Bürgschaftsvertrages zu, so hat das mit der vorstehenden Vorschrift nichts zu tun. F ü r die Ausübung dieses Rechts gelten die allgemeinen Grundsätze (§ 765 Anm. 4, 5).
Anm. 5 3. D i e A u f r e c h n u n g s b e f u g n i s d e s H a u p t s c h u l d n e r s . Der Bürge kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange sich dieser durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann. Danach ist wörtlich gesehen für das Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen nicht die Befreiungsbefugnis des Schuldners, sondern die Befriedigungsbefugnis des Gläubigers maßgeblich. Das würde bedeuten, daß dem Bürgen die aufschiebende Einrede des § 770 versagt ist, wenn nur dem Hauptschuldner die Aufrechnungsbefugnis zusteht, so wenn die Gegenforderung aus einer unerlaubten Handlung des Gläubigers herrührt (§ 393). Dieses Ergebnis ist unbillig. Der Ausweg, dem Bürgen selbst an Stelle des Hauptschuldners die Aufrechnung erklären zu lassen, ist nicht gangbar ( R G 59, 207; 122, 146; WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 3 0 3 ; B G H W M 1957, 737). Nach dem Grundgedanken der Bestimmung des § 770 Abs. 2 wird man diese vielmehr im Fall der alleinigen Aufrechnungsbefugnis des Schuldners entsprechend anwenden müssen. Denn für den Grundgedanken dieser Bestimmung ist wie bei § 770 Abs. 1 nicht die Befriedigungsmöglichkeit für den Gläubiger, sondern
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Bürgschaft
§770 Anm. 6, 7
die Befreiungsbefugnis des Schuldners maßgeblich. Nur so läßt sich § 770 auch mit dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 768 vereinbaren, der dem Bürgen die gleichen Einwendungen wie dem Hauptschuldner zubilligt und in § 770 für die Gestaltungsrechte des Hauptschuldners lediglich eine durch die Natur der Sache bedingte Abwandlung des dem Bürgen zustehenden Verweigerungsrechts enthält. Damit stimmt auch die allgemein anerkannte Ausdehnung des § 770 auf weitere Gestaltungsrechte des Hauptschuldners (Anm. 8) überein; denn auch diese beruht auf dem Gesichtspunkt, daß die Befreiungsmöglichkeit des Hauptschuldners und nicht die Befriedigungsmöglichkeit für den Gläubiger maßgeblich für die Zubilligung eines zeitlich beschränkten Verweigerungsrechts für den Bürgen ist (herrsch. Ansicht im Schrifttum; abw. RG 137, 36). Andererseits steht dem Bürgen die aufschiebende Einrede des Abs. 2 nicht zu, wenn der Hauptschuldner nicht aufrechnen kann, etwa weil seine Forderung mit einer Einrede behaftet ist (§ 390); der Umstand, daß in diesem Fall der Gläubiger aufrechnen könnte, reicht für die Zubilligung des Verweigerungsrechts nicht aus (ebenfalls str.; vgl. dazu BGH W M 1957, 737). Auch kann sich der Bürge auf die Einrede des Abs. 2 nicht berufen, wenn er dem Gläubiger Sicherheitsleistung zugesagt hat und er von diesem auf die Sicherheit in Anspruch genommen wird (RG LZ 1917, 675). Anm. 6 Verzichtet der Hauptschuldner auf die Geltendmachung der Aufrechnung, so geht dem Bürgen die Einrede aus § 770 verloren (RG 62, 54; J W 1909, 460). Dasselbe gilt, wenn der Hauptschuldner die Gegenforderung auf einen anderen überträgt oder damit gegen eine andere Forderung des Gläubigers aufrechnet, oder wenn der Gläubiger, ohne von seiner Aufrechnungsbefugnis Gebrauch zu machen, den Hauptschuldner wegen der Gegenforderung befriedigt (RG WarnRspr 1912 Nr. 303). Anm. 6a Macht der Hauptschuldner von seiner Aufrechnungsbefugnis Gebrauch, so wird dadurch die durch die Bürgschaft gesicherte Forderung getilgt und der Bürge von seiner Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger frei. Das kann er dem Gläubiger gegenüber stets geltend machen, und zwar selbst dann, wenn in einem Vorprozeß zwischen Gläubiger und Hauptschuldner diesem die Gegenforderung rechtskräftig aberkannt worden war, weil die Rechtskraft dieses Urteils nicht auch gegenüber dem Bürgen wirkt (RG 122, 146; vgl. auch § 768 Anm. 3). Anders ist es dagegen, wenn der Hauptschuldner die Aufrechnung erst nach seiner rechtskräftigen Verurteilung mit einer solchen Gegenforderung erklärt hat, die bereits vor dem Schluß der mündlichen Verhandlung fällig war; eine solche Aufrechnung ist im Hinblick auf § 767 Abs. 2 ZPO wirkungslos (RG HRR 1935 Nr. 691), so daß sie auch dem Bürgen nicht mehr zugute kommen kann (BGH W M 1957, 737). Anm. 6b Hat der Bürge vor der Aufrechnungserklärung des Hauptschuldners gezahlt, so hat er damit den Gläubiger wegen seiner an sich rechtmäßigen Forderung befriedigt; die Forderung des Gläubigers ist damit auf den Bürgen übergegangen (§ 774). Die nunmehr erklärte Aufrechnung des Hauptschuldners kann zur Tilgung der RückgrifFsforderung des Bürgen führen (§ 406); ob der Hauptschuldner gegenüber dem Bürgen zu einer solchen Aufrechnung berechtigt ist, bestimmt sich nach dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis. Einen Bereicherungsanspruch gegen den Gläubiger hat der Bürge in einem solchen Fall nicht (§ 813). Anders ist es dagegen, wenn der Bürge nach der Aufrechnungserklärung, ohne von ihr zu wissen, die Zahlung geleistet hat; denn nunmehr war nicht nur die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner erloschen, sondern auch der Bürge von seiner Haftung gegenüber dem Gläubiger frei. Anm. 7 Neben der aufschiebenden Einrede des § 770 kann dem Bürgen auch ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273) auf Grund des § 768 zustehen, wenn nämlich die fällige Gegenforderung des Hauptschuldners auf demselben rechtlichen Verhältnis wie die
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§ 770 A n m . 8, 9 § 77t A n m . 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gesicherte Forderung des Gläubigers beruht (RG 62, 53; 137, 35; B G H W M 1957, 737; vgl. auch B G H W M 1956, 1 2 1 1 ) . Die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts hat zur Folge, daß der Gläubiger von dem Bürgen Leistung nur verlangen kann, wenn er Zug um Zug seine Gegenleistung dem Hauptschuldner erbringt (RG 84, 236). Die Befugnis des Bürgen, mit einer eigenen Forderung gegenüber dem Gläubiger aufzurechnen, wird durch Abs. 2 nicht berührt. Diese Befugnis richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen (§ 768 Anm. 6). Anm. 8 4. Die entsprechende A n w e n d u n g d e s § 770 auf andere Gestaltungsrechte. Der Anfechtung und der Aufrechnung sind einige andere Gestaltungsrechte gleichzustellen, weil auch bei ihnen eine Willensentschließung des Hauptschuldners in Frage kommt, zu der der Bürge an Stelle des Hauptschuldners nicht befugt ist. Hierzu gehört das Recht des Hauptschuldners auf W a n d l u n g , aber auch schon das Wahlrecht des Hauptschuldners zwischen Wandlung und Minderung, so daß der Bürge auch nicht durch die selbständige Geltendmachung der Minderung dem Hauptschuldner die Möglichkeit zur Wandlung nehmen kann. Dagegen steht dem Bürgen das Leistungsverweigerungsrecht nach § 478 zu, solange der Hauptschuldner zwischen Wandlung und Minderung noch nicht gewählt hat. Hat der Hauptschuldner das Recht auf Wandlung verloren, so kann der Bürge das Recht zur Minderung selbständig geltend machen und in dem danach gegebenen Umfang die darüber hinausgehende Leistung endgültig verweigern (RG 66, 335). Ferner ist § 770 auf das W a h l r e c h t des Hauptschuldners bei alternativen Verpflichtungen nach §§ 262/63 entsprechend anzuwenden, jedoch nur, wenn auf eine der mehreren Leistungen geklagt wird. Die wahlweise Klage muß sich der Bürge gefallen lassen und kann ihr nicht die aufschiebende Einrede des § 770 entgegensetzen. Ihm steht jedoch, wenn der Gläubiger gemäß § 264 gewählt hat, wie dem Hauptschuldner das Recht zu, sich und damit auch den Hauptschuldner durch eine der übrigen Leistungen von seiner Verpflichtung zu befreien. Schließlich findet § 770 auch entsprechende Anwendung auf das R ü c k t r i t t s r e c h t des Hauptschuldners. Übt der Hauptschuldner das Rücktrittsrecht aus, so wird der Bürge von seiner Verbindlichkeit frei, es sei denn, daß sich die Bürgschaft auch auf etwaige Rückgewährsansprüche des Hauptschuldners bezieht (dazu § 767 Anm. 2; § 765 Anm. 2). Anm. 9 Zweifelhaft ist die entsprechende Anwendung des § 770 auf eine Vertragsstrafe, soweit es sich um das Recht des Hauptschuldners handelt, eine richterliche Herabsetzung der Vertragsstrafe nach § 343 zu verlangen. Die selbständige Geltendmachung dieses Rechts durch den Bürgen wird man nach dem Grundgedanken des § 770 verneinen, ihm aber dafür eine aufschiebende Einrede zubilligen müssen, sofern und solange mit der Geltendmachung des Rechts auf richterliche Herabsetzung der Vertragsstrafe durch den Hauptschuldner zu rechnen ist (str.). Hiervon zu unterscheiden ist der andere Fall, daß dem Schuldner gegen den Gläubiger ein Anspruch auf eine Vertragsstrafe zusteht (dazu § 768 Anm. 4).
§ 771 Der B ü r g e kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, s o l a n g e nicht der Gläubiger eine Zwangsvollstreckung g e g e n den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat (Einrede der Vorausklage). E I 674 Abs. i . z Satz i I I 7 1 1 Abs. 1 ; M a 667—669; P 2 468—470.
Anm. 1 1. Die Einrede der Vorausklage. Die aufschiebende Einrede der Vorausklage gibt dem Bürgen das Recht, die Befriedigung des Gläubigers zu verweigern, solange nicht der Gläubiger eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat. Dieser Einrede liegt der Gesichtspunkt der Subsidiarität der Bürgschaft zugrunde; mit der Akzessorietät der Bürgschaft hat sie nichts zu tun. Diese Einrede
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Bürgschaft
§ 771 Amin. 2, 3
§772
steht dem Bürgen regelmäßig zu; in bestimmten Fällen ist sie aber kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 7 7 3 ) ; auch kann sie durch Vereinbarung wegbedungen werden (sog. selbstschuldnerische Bürgschaft). Der Name dieser Einrede ist irreführend. Eine Klageerhebung gegen den Hauptschuldner und dessen Verurteilung ist weder notwendig noch ausreichend. Vielmehr ist stets ein Zwangsvollstreckungsversuch gegen den Hauptschuldner erforderlich; hierfür kann auch eine vollstreckbare Urkunde oder ein Zwangsvergleich eine ausreichende Grundlage sein. Es wäre daher richtiger, von einer Einrede des Vorausvollstreckung zu reden. Die Zwangsvollstreckung muß wegen der verbürgten Schuld, nicht wegen einer anderen Schuld erfolgen ( R G Recht 1 9 1 0 Nr. 1558). Eine Zwangsvollstreckung, die nicht gegen den Hauptschuldner, sondern gegen einen hinzugetretenen Schuldmitübernehmer versucht worden ist, genügt der Vorschrift nicht ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 75). Bei der Bürgschaft für die Schuld einer O H G kann die Vorausbelangung nicht nur der Gesellschaft, sondern auch aller Gesellschafter verlangt werden ( R e i c h e l HansR Z 1922, 401). Es genügt der einmalige Versuch einer Beitreibung, für die bei Geldforderungen § 772 Abs. 1 noch eine nähere Bestimmung trifft (dazu R G 92, 220). D e r Umstand, daß der Hauptschuldner inzwischen wieder zu Kräften gekomment ist, ist dabei ohne Bedeutung.
Anm. 2 2. P r o z e s s u a l e F r a g e n . Die Einrede der Vorausklage ist insoweit eine echte Einrede, als der Bürge sich auf sie im Prozeß berufen muß. In diesem Fall trifft dann den Gläubiger die B e w e i s l a s t dafür, daß der Vorausklage genügt ist oder ein Fall vorliegt, in dem es eines vorherigen Zwangsvollstreckungsversuchs nicht bedarf. Beruft sich der Gläubiger auf einen der Ausschließungsgründe des § 773 Nr. 3 und 4, so kann der Bürge demgegenüber dartun, daß der Ausschließungsgrund nicht mehr besteht, insbesondere daß der Konkurs über das Vermögen des Hauptschuldners aufgehoben und dieser wieder zu Vermögen gelangt ist ( R G Recht 1907 Nr. 3493). Die Beweislast hierfür trifft dann den Bürgen. Der Gläubiger kann nicht mit der Leistungsklage gegen den Hauptschuldner eine Klage gegen den Bürgen auf Feststellung verbinden, daß dieser evtl. ebenfalls hafte ( R G Recht 1905 Nr. 988). Dagegen hält es das Reichsgericht für zulässig, mit der Leistungsklage gegen den Hauptschuldner zugleich eine Leistungsklage gegen den Bürgen zu erheben, mit dem Antrag, daß er den Gläubiger zu befriedigen habe, wenn der Gläubiger vom Hauptschuldner keine Befriedigung erhält ( R G L Z 1908, 942 ; das ist aus prozessualen Gründen freilich nicht zweifelsfrei).
Anm. 3 3. E i n z e l h e i t e n . Bei der A u s f a l l b ü r g s c h a f t ist für den Regelfall die Vorausklage nicht Einrede; bei ihr gehört sie im allgemeinen zur Begründung der K l a g e des Gläubigers ( R G 75, 186; 145, 169; Einzelheiten hierzu Anm. 9 vor § 7 6 5 ) . Der N a c h b ü r g e hat die Einrede der Vorausklage so, wie sie dem ersten Bürgen zusteht. Für ihn kommt aber auch der erste Bürge als Hauptschuldner in Betracht, da er für die Erfüllung von dessen Bürgschaftsverpflichtung einsteht. Daraus ergibt sich, daß der Nachbürge, wenn überhaupt, auch die Vorausklage gegen den Vorbürgen verlangen kann. Bei g e s e t z l i c h e r B ü r g e n h a f t u n g ist die Einrede ausgeschlossen (§§571 Abs. 2, 1 2 5 1 Abs. 2 ; § 36 V e r l a g s G ; vgl. auch § 239 Abs. 2). Auch bei einer vom Vollkaufmann übernommenen Bürgschaft ist die Einrede ausgeschlossen, wenn die Bürgschaft für diesen ein Handelsgeschäft ist (§ 349 H G B ) .
§ 772 Besteht die Bürgschaft für eine Geldforderung, so m u ß die Zwangsvollstreckung in die beweglichen Sachen des Hauptschuldners an seinem Wohnsitz und, wenn der Hauptschuldner an einem anderen Orte eine gewerbliche Niederlassung hat, auch an diesem Orte, in Ermangelung eines Wohnsitzes
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§ 772 A n m . 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
und einer gewerblichen Niederlassung an seinem Aufenthaltsorte versucht werden. Steht d e m Gläubiger ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht an einer beweglichen Sache des Hauptschuldners zu, so m u ß er auch aus dieser Sache Befriedigung suchen. Steht d e m Gläubiger ein solches Recht an der Sache auch für eine andere Forderung zu, so gilt dies nur, wenn beide Forderungen durch den Wert der Sache gedeckt werden. E I 674 Abs. 2 Satz 2, 3 II 711 Abs. 2; M 2 669—671; P 2 469, 470; 6 197.
Anm. 1 1. Der Zwangsvollstreckungsversuch bei Bürgschaften für Geldforderungen. Abs. 1 trifft eine nähere Bestimmung darüber, in welcher Form die Zwangsvollstreckung bei Bürgschaften für Geldforderungen versucht sein muß, wie sie nach § 771 einer Inanspruchnahme des Bürgen vorauszugehen hat. Dabei bringt diese Vorschrift eine Verbesserung der Stellung des Gläubigers mit sich (RG 92, 220). Es wird von dem sonstigen Vermögen des Hauptschuldners abgesehen und nur ein Versuch der Beitreibung der Hauptforderung aus den beweglichen Sachen des Hauptschuldners verlangt; und auch von diesen hat der Gläubiger nur diejenigen zu berücksichtigen, die sich am Wohnsitz des Schuldners oder an seinen mehreren Wohnsitzen (§ 7 Abs. 2), am Ort seiner gewerblichen Niederlassung oder, wenn Wohnsitz und Niederlassung fehlen, an seinem Aufenthaltsort befinden (vgl. dazu RG 92, 220). Der Gläubiger braucht den HauptschuJdner nicht auch noch zum OfFenbarungseid zu laden. Zwischen einem inländischen und einem ausländischen Wohnsitz, Niederlassungs- und Aufenthaltsort macht das Gesetz keinen Unterschied. Nur eine die Rechtsverfolgung erschwerende Veränderung dieser Orte nach der Bürgschaftsübernahme schließt unter Umständen die Einrede der Vorausklage aus (dazu § 773 Nr. 3). Anm. 2 2. Die Einrede der sachlichen Vorausklage. Steht dem Gläubiger an einer beweglichen Sache des Hauptschuldners ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht zu, so muß er auch aus dieser Sache seine Befriedigung suchen, ehe er den Bürgen in Anspruch nehmen kann (Abs. 2). Das entspricht dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß das Pfand vor dem Bürgen, die Sache vor der Person in Anspruch zu nehmen ist (ebenso § 777 ZPO). Auf ein Pfandrecht an Forderungen findet Abs. 2 keine Anwendung, daher auch nicht bei einer Verpfändung von Wechseln oder anderen indossablen Papieren (Dresden LZ 1926, 953; Hamburg SeufTArch 74 Nr. 209). Auch muß es sich um ein Pfandrecht an beweglichen Sachen des Hauptschuldners handeln, auf ein Pfandrecht an Sachen eines Dritten erstreckt sich die Einrede der sachlichen Vorausklage nicht. Dagegen kommt in diesem Zusammenhang auch das Pfändungsrecht und die Sicherungsübereignung in Betracht, unter Umständen auch ein Eigentumsvorbehalt. Das gilt jedoch nicht für den Abzahl ungsverkäufer, weil beim Abzahlungskauf die Rücknahme der verkauften Sache zum Rücktritt vom Verkauf führt (§ 5 AbzG) und dem Verkäufer damit die Inanspruchnahme des Kaufpreisbürgen für seinen Erfüllungsanspruch unmöglich wäre. Wird dem Gläubiger das Pfandrecht durch Pfandbruch entzogen, so kann der in Anspruch genommene Bürge den Gläubiger nicht auf die diesem etwa aus dem Pfandrecht entstandenen Ansprüche verweisen (RG H R R 1930 Nr. 610). Die Bestimmung des Abs. 2 beschränkt sich nicht auf Bürgschaften für Geldforderungen (str.). Die abweichende Ansicht läßt sich mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbaren, auch ist sie nach dem Rechtsgedanken des Abs. 2 nicht gerechtfertigt. Das Verweisungsrecht bleibt auch bestehen, wenn eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner aus den Gründen des § 773 Nr. 2—4 im übrigen nicht verlangt werden kann (§ 773 Abs. 2). Anm. 3 Dient das Sicherungsrecht des Gläubigers auch noch für andere Forderungen des Gläubigers, so steht dem Bürgen die Einrede der sachlichen Vorausklage nur zu, wenn beide Forderungen durch den Wert der Sache gedeckt werden (Abs. 2 Satz 2).
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§ 772 Anm. 4 § 773 Anm. 1
Die Tragweite dieser Vorschrift ist nicht ganz klar. Man wird sie mit B l e y (JW 1932, 2286) in ihrer praktischen Bedeutung auf den Fall zu beschränken haben, wenn die Pfandsache für die Bürgschaftsforderung und die andere Forderung g l e i c h m ä ß i g haftet. Hat dagegen die verbürgte Forderung den besseren Pfandrang, so muß der Gläubiger wegen dieser Forderung zunächst Befriedigung aus der Pfandsache suchen, auch wenn die andere Forderung nicht mehr voll gedeckt sein sollte.
Anm. 4 3. D i e B e w e i s l a s t . Die Beweislast für einen Zwangsvollstreckungsversuch nach Abs. i trifft den Gläubiger, wenn sich der Bürge auf die Einrede der Vorausklage beruft. Dagegen trifft die Beweislast dafür, daß dem Gläubiger nach Abs. 2 ein Sicherungsrecht zur Verfügung steht, und daß im Fall des Satzes 2 die mehreren Forderungen durch den Wert der Sache gedeckt werden, den Bürgen. Im Fall des Satzes 1 kann der Gläubiger die Einrede der sachlichen Vorausklage durch den Nachweis ausräumen, daß er aus seinem Sicherungsrecht vergeblich Befriedigung gesucht habe.
§773 Die Einrede der Vorausklage ist ausgeschlossen: 1. wenn der Bürge auf die Einrede verzichtet, insbesondere wenn er sich als Selbstschuldner verbürgt hat; 2. wenn die Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner infolge einer nach der Übernahme der Bürgschaft eingetretenen Änderung des Wohnsitzes, der gewerblichen Niederlassung oder des Aufenthaltsorts des Hauptschuldners wesentlich erschwert ist; 3. wenn über das Vermögen des Hauptschuldners der Konkurs eröffnet ist; 4. wenn anzunehmen ist, daß die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Hauptschuldners nicht zur Befriedigung des Gläubigers führen wird. In den Fällen der Nr. 3, 4 ist die Einrede insoweit zulässig, als sich der Gläubiger aus einer beweglichen Sache des Hauptschuldners befriedigen kann, an der er ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht hat; die Vorschrift des § 772 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. E 1 675 N 762; M 2 670—672; p 2 476, 477.
Ü b ersieht Anm
1. Allgemeines 1 2. Die einzelnen Ausschlußgründe des § 773 2—5 2 a) Der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (Nr. 1) b) Die Erschwerung der Rechtsverfolgung durch Verlegung des Wohnsitzes (Nr. 2) 3 c) Die Konkurseröffnung über das Vermögen des Hauptschuldners (Nr. 3) 4 d) Die erkennbare Unzulänglichkeit des Vermögens des Hauptschuldners . (Nr. 4) 5 3. Die Beweislast 6
Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s . § 773 führt eine Reihe von Fällen auf, in denen die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen ist. Diese Ausschlußgründe sind jedoch nicht vollständig. Daneben gibt es noch weitere Ausschlußgründe. Zunächst der Ausschluß der Einrede der Vorausklage, wenn der Bürge Vollkaufmann ist und die Übernahme der Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft ist (§ 349 HGB), sodann in den Fällen, in denen das Gesetz eine Haftung wie ein Bürge vorschreibt (§§571 Abs. 2, 1251 Abs. 2; § 3 6 VerlagsG). Weiterhin ist die Einrede der Vorausklage in den Fällen der §§ 194 K O , 75 V e r g l O regelmäßig ausgeschlossen. Wird eine Bürgschaft gemäß § 239 Abs. 2 zum Zweck der Sicherheitsleistung übernommen, so muß sie den Verzicht auf die Einrede der Vorausklage enthalten.
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§ 773 A n m . 2—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 2 2. Die einzelnen Ausschlußgründe des § 773 a ) Der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (Nr. 1). Der Bürge kann jederzeit auf die Einrede der Vorausklage verzichten, und zwar sowohl bei der Übernahme der Bürgschaft wie auch erst nachträglich. Der Verzicht ist Bestandteil des Bürgschaftsvertrages. Er bedarf, da er die Verpflichtung des Bürgen erschwert, der Schriftf o r m (§ 766 Anm. 1), muß also, wenn er bei der Übernahme der Bürgschaft ausgesprochen wird, aus der Bürgschaftsurkunde hervorgehen und muß als nachträglicher Verzicht schriftlich besonders erklärt werden. Wie der Verzicht im einzelnen ausgedrückt wird, ist gleichgültig (RG Recht 1911 Nr. 2135). Die Übernahme der Bürgschaft als „Selbstschuldner" enthält den Verzicht auf die Einrede der Vorausklage. Ein solcher Verzicht kann auch darin gefunden werden, daß der Bürge sofortige Erfüllung zu einem bestimmten Zeitpunkt verspricht (RG J W 1921, 335), sowie regelmäßig darin, daß sich der Bürge in einer Urkunde nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 Z P O der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft (KG J W 1934, 1292). Die Bürgschaft unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage ist selbstschuldnerische Bürgschaft. Bei ihr tritt der Gesichtspunkt der Subsidiarität der Bürgschaftsverpflichtung zurück, nicht dagegen der Grundsatz der Akzessorietät. Der selbstschuldnerische Bürge ist nicht Gesamtschuldner neben dem Hauptschuldner, wie das bei der Schuldübernahme der Fall ist (Anm. 6, 21 vor § 765), und seine Bürgschaftsverpflichtung ist wie bei jeder anderen Bürgschaft in Bestand und Umfang von der Hauptverbindlichkeit abhängig (RG 134, 128; 148, 66; B G H JZ 1956, 99). Anm. 3 b) Die Erschwerung der Rechtsverfolgung durch Verlegung des Wohnsitzes (Nr. 2). Der Hauptschuldner muß seinen Wohnsitz, seine gewerbliche Niederlassung oder seinen Aufenthaltsort n a c h Übernahme der Bürgschaft geändert haben, und es muß dadurch die Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner erschwert worden sein. Aus der Tatsache, daß der Hauptschuldner von vornherein seinen Wohnsitz usw. im Ausland hatte, kann der Ausschluß der Einrede der Vorausklage noch nicht hergeleitet werden. Dagegen wird man nach dem Grundgedanken der Nr. 2 diese Bestimmung wohl entsprechend anwenden müssen, wenn die Rechtsverfolgung gegen den in der Sowjetzone wohnhaften Hauptschuldner aus politischen Gründen praktisch nicht mehr möglich ist, obwohl in einem solchen Fall der Hauptschuldner seinen Wohnsitz nicht geändert hat. Der Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Anwendung besteht darin, daß hier eine Erschwerung der Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner durch eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wohnsitz des Hauptschuldners steht. Dagegegen ist eine Erschwerung der Rechts Verfolgung gegen den Hauptschuldner, die auf einem anderen Grunde beruht (z. B. Tod des Hauptschuldners, der mehrere Erben hinterläßt), nicht ausreichend, um daraus den Ausschluß der Einrede der Vorausklage herzuleiten. Das gleiche gilt, wenn die Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner dadurch erschwert wird, daß er im Krieg zum Wehrdienst eingezogen wird (Karlsruhe O L G 32, 272; B e n d i x J W 1914, 1113). Eine Verlegung des Wohnsitzes innerhalb der Bundesrepublik genügt im allgemeinen nicht (vgl. dazu R G 6, 156), dagegen im Regelfall die Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland. Der Verlegung des Wohnsitzes entspricht bei juristischen Personen die Verlegung des Sitzes der Verwaltung (RG 137, 13). — Immer muß die Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner in dem Zeitpunkt, in dem der Bürge in Anspruch genommen wird, noch durch die Änderung des Wohnsitzes erschwert sein. Hat der Hauptschuldner die Verlegung seines Wohnsitzes zwischenzeitlich wieder rückgängig gemacht, so steht dem Bürgen die Einrede der Vorausklage wieder zu. Anm. 4 c) Die Konkurseröffnung über das Vermögen des Hauptschuldners (Nr. 3). Durch die Konkurseröffnung wird die Einrede der persönlichen Vorausklage ausgeschlossen, nicht dagegen auch die besondere Einrede der sachlichen Vorausklage (§ 772
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§ 7 7 3 A n m . 5, 6
§774
Anm. 2), wenn sich der Gläubiger aus dem Pfandrecht an einer beweglichen Sache des Hauptschuldners befriedigen kann (Abs. 2). Wird der Konkurs gemäß § 1 1 6 K O wieder aufgehoben, so lebt die Einrede der persönlichen Vorausklage wieder auf. Wird das Konkursverfahren nach der Schluß Verteilung ( § 1 6 3 K O ) oder auf Grund eines Zwangsvergleichs (§ 190 K O ) aufgehoben oder gemäß § 202 K O eingestellt, so steht dem Bürgen die Einrede der persönlichen Vorausklage wieder zu, sobald der Hauptschuldner wieder zu Vermögen gekommen ist (RG Recht 1907 Nr. 3493). Bei einer Schadlosbürgschaft muß der Gläubiger im allgemeinen das Ende und das Ergebnis des Konkurses abwarten, ehe er vom Bürgen Befriedigung verlangen kann (vgl. dazu Anm. 9 vor § 765). Anm. 5 d) Die e r k e n n b a r e Unzulänglichkeit des V e r m ö g e n s des Hauptschuldners ( N r . 4). Es ist gleichgültig, welche Gründe der Annahme zugrunde liegen, daß die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Hauptschuldners nicht zur Befriedigung des Gläubigers führen wird. So kann sich eine solche Annahme daraus ergeben, daß bereits eine Zwangsvollstoeckung gegen den Hauptschuldner wegen einer anderen Forderung des Gläubigers ergebnislos war (RG Recht 1910 Nr. 1558). Auch ist sie gerechtfertigt, wenn das Konkursgericht mangels genügender Masse die Konkurseröffnung von der Erlegung eines bedeutenden Vorschusses abhängig gemacht hat ( R G Recht 1920 Nr. 387), oder wenn über das Vermögen des Hauptschuldners das Vergleichsverfahren eröffnet ist (Karlsruhe D J Z 1916, 1002). Handelt es sich um eine Geldforderung, so erfordert Nr. 4 nur, daß die in § 772 vorgesehene Zwangsvollstreckung in die beweglichen Sachen des Hauptschuldners voraussichtlich ergebnislos sein würde, nicht aber den Nachweis, daß dessen Vermögen überhaupt keine zur Befriedigung des Gläubigers dienlichen Gegenstände biete (RG 92, 220). Der Ausschließungsgrund der Nr. 4 bezieht sich auf die Gegenwart, wie sich aus dem Wortlaut ergibt. Anm. 6 3. Die B e w e i s l a s t . Das Vorliegen eines der Ausschließungsgründe des § 773 muß stets der Gläubiger beweisen, wenn der Bürge die Einrede der Vorausklage geltend macht. Hat jedoch der Gläubiger einen der Ausschlußgründe nachgewiesen, so trifft den Bürgen die Darlegungs- und Beweispflicht dafür, daß der nachgewiesene Ausschlußgrund doch nicht durchgreift, etwa weil der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage nachträglich wieder aufgehoben worden ist oder weil der Schuldner die Verlegung seines Wohnsitzes wieder rückgängig gemacht hat oder weil er in den Fällen der Nr. 3 und 4 später wieder zu Vermögen gekommen ist (RG Recht 1907 Nr. 3493).
§ 774 Soweit der B ü r g e den Gläubiger befriedigt, geht die F o r d e r u n g des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf ihn ü b e r . Der Ü b e r g a n g kann nicht z u m Nachteile des Gläubigers geltend g e m a c h t werden. Einwendungen des H a u p t schuldners aus einem zwischen i h m und d e m B ü r g e n bestehenden R e c h t s verhältnisse bleiben u n b e r ü h r t . Mitbürgen haften einander n u r n a c h § 4 2 6 . E I 676 II 715; M 2 672—676; P 2 477—479.
Üb ersieht I. Der Ubergang der Forderung auf den Bürgen 1. Die Befriedigung des Gläubigers als Voraussetzung für den Forderungsübergang 2. Der gesetzliche Forderungsübergang selbst 3. Der Übergang der Nebenrechte der Forderung
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§ 774 Anm. 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Ann}.
4. Keine Benachteiligung des Gläubigers durch den Forderungsübergang 7, 8 5. Die Einwendungen des Hauptschuldners 9 6. Die Beweislast 10 II. Die Haftung der Mitbürgen untereinander 11—13 III. Zur entsprechenden Anwendung des § 774 Abs. 1 14 Anm. 1 I. Der Übergang der Forderung auf den Bürgen 1. Die Befriedigung des Gläubigers als Voraussetzung für den Forderungsübergang. Die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner geht auf den Bürgen über, wenn und soweit er den Gläubiger befriedigt. Die Hauptverbindlichkeit erlischt mithin nicht durch Zahlung des Bürgen, sondern sie wechselt nur die Person des Gläubigers. Der Bürge tilgt nicht die Hauptschuld, sondern seine Bürgschaftsschuld. In welcher Weise die Befriedigung des Gläubigers erfolgt, ist gleichgültig. Sie kann unter den gesetzlichen Voraussetzungen auch durch Hinterlegung, durch Hingabe an Erfüllungs Statt und namentlich auch durch A u f r e c h n u n g (RG 53, 403; vgl. dazu § 768 Anm. 7) erfolgen. Als Befriedigung des Gläubigers im Sinn des § 774 ist es auch anzusehen, wenn dieser dem Bürgen die Bürgschaftsschuld erläßt (RG 103, 52; über den Erlaß der Hauptschuld vgl. § 767 Anm. 2). V e r g l e i c h t sich der G l ä u b i g e r mit dem Bürgen auf die Zahlung eines geringeren Betrages, so wird der Gläubiger durch Zahlung der Vergleichssumme ebenfalls im vollen Umfang befriedigt. Auch in diesem Fall ist daher die Voraussetzung für den Ubergang der ganzen Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner gegeben, sofern der Vergleich nicht auch die Forderung gegen den Hauptschuldner erfaßt und sie ebenfalls entsprechend ermäßigt hat; letzterenfalls würde die Forderung des Gläubigers nur in Höhe der Vergleichssumme auf den Bürgen übergehen können (RG 103, 52). Erforderlich ist stets eine endgültige Befriedigung des Gläubigers. Hinterlegung zur Sicherheit ist daher nicht ausreichend (RG 106, 3 1 1 ) , auch nicht eine Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem nur vorläufig vollstreckbaren Urteil (RG 98, 329). Ohne Belang ist es, mit welchen Mitteln der Bürge den Gläubiger befriedigt; auch eine Befriedigung mit Mitteln des Hauptschuldners ist eine solche im Sinn des § 774, sofern der Bürge dabei seine Bürgschaftsschuld und nicht etwa im Auftrag des Hauptschuldners dessen Schuld tilgen will. Immer ist es notwendig, daß der Bürge in seiner E i g e n s c h a f t als Bürge den Gläubiger befriedigt. Hat sich der Bürge etwa nur für einen Teil der Schuld verbürgt und zahlt er die ganze Schuld, so ist seine Zahlung hinsichtlich des nicht verbürgten Teils der Hauptschuld die Zahlung eines Dritten im Sinn des § 267 (RG L Z 1918, 909); zu diesem Teilbetrag kann daher die Forderung des Gläubigers nicht auf ihn übergehen (RG 96, 139). Anm. 2 2. Der gesetzliche Forderungsübergang selbst. Die Forderung des Gläubigers geht bei seiner Befriedigung durch den Bürgen auf diesen über. Eine teilweise Befriedigung des Gläubigers bewirkt auch nur einen teilweisen Übergang der verbürgten Forderung. Einer rechtsgeschäftlichen Abtretung bedarf es nicht. Die Forderung des Gläubigers geht so auf den Bürgen über, wie sie zur Zeit der Befriedigung des Gläubigers bestand; das gilt sowohl für den Bestand wie für den Gegenstand und die Höhe der Forderung (RG 113, 320); namentlich bleiben dem Hauptschuldner alle Einwendungen und Einreden erhalten, die ihm gegen die Forderung des Gläubigers zustanden (dazu Anm. 9). Ferner werden Erfüllungsort und Verjährungsfrist der Hauptforderung durch den Forderungsübergang nicht berührt. Das gilt auch für den rechtsgeschäftlich bedungenen Zinssatz der übergegangenen Forderung (Kiel OLG 33, 255); die insoweit gegenteilige Auffassung in RG 61, 347 (so z.T. auch das Schrifttum), wonach der Bürge für die Zukunft nur gesetzliche Zinsen verlangen könne, läßt sich mit der Annahme eines gesetzlichen Forderungsübergangs nicht vereinbaren (vgl. dazu Flessa NJW 1958, 859). •—• Auf den Forderungsübergang gemäß § 774 finden auch die Vorschriften der §§ 265, 727 ZPO Anwendung (RG 85, 430). 952
Bürgschaft
§774
A n m . 3, 4
Unpfändbare und rechtsgeschäftlich nicht abtretbare Forderungen sind nicht grundsätzlich vom Forderungsübergang gemäß § 774 ausgeschlossen; nach § 4 1 2 findet §400 nur e n t s p r e c h e n d e Anwendung (RG 135, 3 1 ; WarnRspr 1930 Nr. 5). Ist der Gläubiger durch den Bürgen befriedigt, so wird für den weiteren Fortbestand des Privilegs der Unpfändbarkeit im allgemeinen kein Grund bestehen, weil dieses lediglich die Befriedigung des Gläubigers sicher stellen soll und eine Schutzfunktion gegenüber dem Schuldner nicht hat. Anders kann es bei einem rechtsgeschäftlichen Abtretungsverbot liegen; hier kommt es häufig sehr wesentlich auf die Schutzfunktion des Abtretungsverbots zugunsten des Schuldners an. In einem solchen Fall darf das Abtretungsverbot nicht durch die Einschaltung eines Bürgen umgangen werden. Hat sich der Bürge f ü r eine ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e F o r d e r u n g des Staates verbürgt (z.B. Zollbürgschaft), so steht der öffentlich-rechtliche Charakter dieser Forderung nicht dem Ubergang der Forderung entgegen; sie ist in der Hand des Bürgen dann ausschließlich nach bürgerlichem Recht zu beurteilen (RG 135, 25; H R R 1935 Nr. 1069); das ist zugleich auch für die Frage des Rechtswegs vor den ordentlichen Gerichten von Bedeutung. Anm. 3 Auf den gesetzlichen Forderungsübergang finden auch die Vorschriften der §§ 402/03 Anwendung. Das bedeutet, daß dem Bürgen gegen den Gläubiger ein Recht auf Auskunft und auf Überlassung der in seinem Besitz befindlichen Beweis- und Legitimationsurkunden zusteht. Dieses Recht kann er auch schon gegenüber dem Zahlungsanspruch des Gläubigers geltend machen, so daß dann seine Verurteilung nur Zug um Zug gegen die vom Gläubiger geschuldeten Leistungen erfolgen kann (RG 82, 27; H R R 1930 Nr. 216; 1932 Nr. 2141). Die Ansprüche des Bürgen nach §§402/03 erstrecken sich auch auf etwaige Nebenrechte, die gemäß §401 auf den Bürgen übergehen (dazu Anm. 5), dagegen nach R G H R R 1932 Nr. 2141 nicht auch darauf, daß der Gläubiger den Übergang seiner Rechte urkundlich anerkenne (vgl. dazu auch RG 82, 25). Dagegen ist die Sicherung des Bürgen durch den Rückgriff nicht Voraussetzung für die Verpflichtung des Bürgen, den Gläubiger zu befriedigen. Der Bürge kann daher die Befriedigung des Gläubigers auch nicht deshalb verweigern, weil sein Rückgriff gegen den Hauptschuldner aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erschwert oder unmöglich ist (RG L Z 1931, 909), wie das z. B. der Fall ist, wenn am Wohnort des Schuldners ein Wechsel der staatlichen Gebietshoheit eingetreten und dadurch die Aussicht auf die Durchsetzung eines Rückgriffs gegen den Hauptschuldner fragwürdig geworden ist (RG 137, 12). Anm. 4 Die Vorschrift über den gesetzlichen Forderungsübergang bei Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen ist nicht zwingenden Rechts (RG 148, 66; SeuffArch 91 Nr. 100). Sie kann durch Vereinbarung zwischen Gläubiger und Bürgen ausgeschlossen, eingeschränkt oder auch erweitert werden. So kann bedungen werden, daß der Übergang der Forderung erst stattfinden soll, nachdem der Gläubiger vollständig befriedigt ist (RG L Z 1918, 206), oder daß dem Gläubiger wegen der Sicherungsrechte auch ein Vorrang für andere als die verbürgte Forderung zustehen soll (RG 136, 42). Andererseits kann auch vereinbart werden, daß die Forderung schon bei Bezahlung des verbürgten Höchstbetrages ohne Rücksicht auf eine etwa bestehende Restforderung des Gläubigers auf den Bürgen übergehen soll (RG L Z 1921, 141). Wird durch eine solche Vereinbarung die Rechtsstellung des Bürgen gegenüber der Regelung des § 774 verkürzt, so bedarf diese Vereinbarung nach §766 der Schriftform (§766 Anm. 1, 7). Vereinbarungen zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner sind auf den Forderungsübergang ohne Einfluß. Auch dann, wenn der Bürge nach seinem Innenverhältnis zum Hauptschuldner keinen Rückgriff gegen diesen nehmen kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf ihn über; der Hauptschuldner kann jedoch dann die Einwendungen aus seinem Rechtsverhältnis zum Bürgen geltend machen (Anm. 9).
953
§ 774 Anm. 5—7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 5 3. Der Übergang der Nebenrechte der Forderung. Auf den Forderungsübergang findet § 401 Anwendung. Danach gehen mit der Forderung des Gläubigers auch die Hypotheken und Pfandrechte, die zur Sicherung dieser Forderung bestellt sind, auf den Bürgen über. Der Anwendungsbereich des § 401 ist jedoch nicht auf die in § 401 namentlich genannten Sicherungsrechte beschränkt; er erstreckt sich auch auf andere Nebenrechte und solche Ansprüche, die wirtschaftlich die Stelle eines Pfandrechts vertreten (RG H R R 1936 Nr. 216). Dabei ist es für § 774 ohne Bedeutung, ob diese Rechte und Ansprüche bereits zur Zeit der Bürgschaftsübernahme begründet waren oder ob sie erst später begründet worden sind (§776 Satz 3), ob sie vom Hauptschuldner oder einem Dritten bestellt worden sind. Als Nebenrechte im Sinne des §401 kommen hier in Betracht die gesetzlichen (RG 67, 220) und die vertraglichen (RG 93, 94) Pfandrechte, z. B. bei Sicherstellung der Forderung durch eine abgeschlossene Lebensversicherung (RG H R R 1936 Nr. 216), das Konkursvorrecht des Zoll- und Steuerfiskus (RG 135, 27; 136, 41), Ansprüche auf Sicherung durch Hypothek oder Pfand (z. B. der Anspruch des Bauunternehmers auf Einräumung einer Sicherungshypothek, RG H R R 1930 Nr. 3), der Anspruch aus einer Vormerkung im Grundbuch (RG Recht 1914 Nr. 487), der Anspruch des Gläubigers aus einem Erfüllungsübernahmevertrag (RG J W 1907, 170), die Ansprüche gegen Gesamtschuldner und sonstige Mitverpflichtete (RG 65, 170). Ferner gehen auch Rechte aus einem Wechsel, der dem Gläubiger zu seiner Befriedigung gegeben ist, als Nebenrechte auf den zahlenden Bürgen über (RG 60, 191; J W 1907, 745; 1937, 2972). Diese Nebenrechte gehen bei dem gesetzlichen Forderungsübergang ohne weiteres auf den Bürgen über; einer rechtsgeschäftlichen Übertragung oder Abtretung bedarf es insoweit nicht. Daher ist hier bei dem Übergang der Rechte aus dem Wechsel eine Indossierung oder eine Ubergabe des Wechsels nicht erforderlich (RG 60, 191; J W 1907, 745). Der Bürge kann auf Grund des Rechtsübergangs vom Gläubiger unittelbar die Herausgabe des Wechsels verlangen, wie er auch sonst (vgl. § 402) die Herausgabe aller Urkunden verlangen kann, deren er zu seiner Legitimierung gegenüber dem Verpflichteten bedarf. In dieser Hinsicht gilt das gleiche wie bereits in Anm. 3 dargelegt. Anm. 6 Die Sicherungsübereignung begründet im Rechtssinn kein Pfandrecht; daher ist eine unmittelbare Anwendung des § 401 nicht möglich, so daß das Sicherungseigentum auch nicht ohne weiteres auf den zahlenden Bürgen übergeht. Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Zweck einer jeden Sicherungsübereignung ist jedoch der Wille der Beteiligten, auch des Hauptschuldners zu unterstellen, daß der Gläubiger und Sicherungseigentümer das Recht auf den Bürgen, der ihn befriedigt hat, weiter übertragen muß (RG 89, 193; 91, 279; WarnRspr 1935 Nr. 177). Auch für den Eigentumsvorbehalt wird man die gleichen Grundsätze anwenden müssen. Das ergibt sich daraus, daß der Eigentumsvorbehalt dem gleichen wirtschaftlichen Zweck wie das Sicherungseigentum und das Pfandrecht dient und daß der formalrechtliche Unterschied gegenüber den übrigen Sicherungsrechten bei dem Eigentumsvorbehalt ebenso wie bei dem Sicherungseigentum keine entscheidende Bedeutung für die Anwendung des § 774 haben kann. Anm. 7 4. Keine Benachteiligung des Gläubigers durch den Forderungsübergang. Der Ubergang der Forderung kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden (Abs. 1 Satz 2). Das bedeutet, daß der Bürge die auf ihn übergegangene Forderung nicht zum Nachteil der dem Gläubiger noch zustehenden Rechte geltend machen darf (RG 53, 403). Daher muß der Bürge mit dem auf ihn übergegangenen Recht auf Befriedigung aus einem Pfand oder aus anderen Sicherungsrechten hinter dem ursprünglichen Gläubiger zurücktreten, soweit das zur vollen Befriedigung des Gläubigers notwendig ist. Das gilt ohne Frage, wenn der Bürge nur einen Teilbetrag 954
Bürgschaft
§774 Anm. 8, 9
der Hauptschuld bezahlt hat, wobei es gleichgültig ist, ob er sich für die ganze Schuld verbürgt oder mit der Zahlung des Teilbetrages auch seine Bürgschaftsschuld nur zum Teil erfüllt, oder ob er sich nur bis zur Höhe seiner Zahlung für die Hauptschuld verbürgt und mit seiner Zahlung daher die Bürgschaftsschuld voll erfüllt hat ( R G 76, 195; 8a, 135; 131, 325; 136, 40; J W 1914, 916; 1917, 811). Zweifelhaft dagegen ist es, ob der Gläubiger den Vortritt nach § 774 Abs. 1 Satz 2 auch genießt, soweit es sich um eine andere Forderung und um eine andere Rechtsstellung handelt als die durch die Bürgschaft geschützten. Diese Frage ist mit der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zu verneinen, weil durch dieses Vorrecht nur die Rechtsstellung des Gläubigers, zu dessen Verstärkung die Bürgschaft dient, vor Beeinträchtigungen geschützt werden soll. Gelegentlichen Ausuferungen bei der Anwendung dieser Grundsätze in R G 82, 135; 131, 325 darf kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden (dazu eingehend R G 136, 40). Einen weiteren Anwendungsfall für Abs. 1 Satz 2 behandelt R G J W 1935, 2559; danach darf der Zinsbürge die auf ihn übergegangene Zinsforderung in der Zwangsversteigerung nicht mit dem nach § 12 Z V G bestehenden Vorrecht zum Nachteil des Gläubigers vor der Hauptforderung geltend machen. Dagegen ist der Bürge nicht gehindert, im Konkurs des Gläubigers seine Bürgschaftsschuld durch Aufrechnung zu tilgen ( R G 53, 403; vgl. dazu aber auch § 768 Anm. 7).
Anm. 8 Im Konkurs des Hauptschuldners
werden die vorstehenden Grundsätze durch die Besonderheiten des Konkursverfahrens beeinflußt. Der Gläubiger, dem der Bürge v o r der Konkurseröffnung eine Teilzahlung gemacht hat, kann den entsprechenden Teil seiner Forderung wegen des Teilübergangs seinerseits nicht mehr zum Konkurse anmelden; vielmehr ist der Bürge insoweit forderungs- und zur Teilnahme an dem Konkurse berechtigt. Würde dieser durch § 774 Abs. 1 Satz 2 gehindert sein, die Forderung auf Grund des Übergangs zum Konkurse anzumelden, würden also weder der Gläubiger noch der Bürge die Teilforderung im Konkurse geltend machen dürfen, so würde dies wesentlich eine grundlose Begünstigung der übrigen Konkursgläubiger bedeuten. Der Gläubiger mag deshalb von dem Bürgen außerhalb des Konkursverfahrens denjenigen Teil der Dividende herausverlangen, um den er durch die Teilnahme des Bürgen an dem Konkurse verkürzt worden ist ( R G 83, 406; anders noch RG 76, 198).
Anm. 9 5. Die Einwendungen des Hauptschuldners.
Auch der Hauptschuldner darf durch den gesetzlichen Ubergang der Forderung in seinen Rechten gegen den Bürgen nicht benachteiligt werden. Eine solche Benachteiligung ist gegenüber der auf den Bürgen übergegangenen Forderung dadurch ausgeschlossen, daß dem Hauptschuldner alle Einwendungen und Einreden erhalten bleiben, die ihm schon zuvor gegen diese Forderung zustanden (Anm. 2). Darüber hinaus werden nach Abs. 1 Satz 3 aber auch die Einwendungen, die dem Hauptschuldner aus einem zwischen ihm und dem Bürgen bestehenden Rechtsverhältnis zustehen, durch den Forderungsübergang nicht berührt. Demzufolge wird die Rechtsstellung des Hauptschuldners gegenüber dem Bürgen nach dem Forderungsübergang einmal durch den Inhalt dieser Forderung, sodann aber auch durch den Inhalt des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses bestimmt. Dabei ist es bedeutsam, daß dem Bürgen danach zwei verschiedene Forderungen gegen den Hauptschuldner zustehen können, und zwar die auf ihn übergegangene Forderung des Gläubigers und des weiteren eine Forderung auf Grund des zwischen ihm und dem Hauptschuldner bestehenden Rechtsverhältnisses. B e i d e F o r d e r u n g e n k ö n n e n i m e i n z e l n e n e i n e n v e r s c h i e d e n e n I n h a l t h a b e n . Der Bürge hat die Wahl, welche dieser beiden Forderungen er für seinen Rückgriff gegen den Hauptschuldner verwenden will ( R G 59, 209; 146, 69; Recht 1929 Nr. 2364). Er ist auch nicht gehindert, beide Rechtsgründe nebeneinander zu verwenden, um vollen Ersatz zu verlangen ( R G aaO). Soweit der Bürge seinen Erstattungsanspruch auf das zwischen ihm und dem Hauptschuldner bestehende Rechtsverhältnis stützt, wird dieser Anspruch allein durch den 62
Komm. z. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Fischer)
955
§ 774 Anm. 10, 11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
rechtlichen Charakter dieses Rechtsverhältnisses (Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag, Dienstvertrag usw.; vgl. dazu Anm. 7 vor § 765) bestimmt. Gegenüber diesem Anspruch stehen dem Hauptschuldner alle Einwendungen aus diesem Rechtsverhältnis zu, aber auch nur diese (RG 59, 209; 102, 53). Er kann demzufolge gegen diesen Anspruch des Bürgen nicht mit einer Forderung aufrechnen, die ihm gegen den befriedigten Gläubiger zusteht. Wohl aber darf er dem Bürgen, der zu ihm in einem Auftragsverhältnis steht, entgegenhalten, daß dieser gemäß § 770 die Befriedigung des Gläubigers mit Rücksicht auf die Gegenforderung hätte verweigern müssen, sofern er von dieser Kenntnis hatte; denn der Bürge hat bei der Befriedigung des Gläubigers nicht nur sein Interesse, sondern auch das seines Auftraggebers oder Geschäftsherrn zu wahren (RG 59, 209). Auch kann der Hauptschuldner gegenüber diesem Anspruch des Bürgen nicht etwa eine frühere Verjährung der auf den Bürgen übergegangenen Hauptforderung einredeweise geltend machen, wie überhaupt dieser Anspruch durch etwaige Einwendungen und Einreden, die dem Hauptschuldner gegen die übergegangene Forderung zustehen, in keiner Weise berührt wird. Auch ist es denkbar, daß dieser Anspruch seinem Umfang nach weitergeht, da er gegebenenfalls auch den Ersatz und die Verzinsung von Aufwendungen (z. B. aufgewendete Prozeßkosten) mitumfaßt. Die Bedeutung des Abs. 1 Satz 3 besteht darin, daß der Hauptschuldner der auf den Bürgen übergegangenen Forderung des befriedigten Gläubigers die Einwendungen und Einreden entgegenhalten kann, die ihm aus dem zwischen ihm und dem Bürgen bestehenden Rechtsverhältnis zustehen, nicht aber umgekehrt. Kann der Bürge nach diesem Rechtsverhältnis gegen den Hauptschuldner keinen Rückgriff nehmen, so kann der Bürge auch mit der auf ihn übergegangenen Forderung des bisherigen Gläubigers nicht durchdringen. Daher kann ein Bürge, der sich für die Verbindlichkeit einer oHG verbürgt, um damit die Einlageverpflichtung eines Gesellschafters zu erfüllen, gegen die Gesellschaft keinen Rückgriff nehmen, nachdem er den Gesellschaftsgläubiger befriedigt hat; seinem Anspruch aus § 774 steht die Einwendung der Gesellschaft aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis entgegen, wonach die Bürgschaftsübernahme und eine etwaige Zahlung des Bürgen der Erfüllung einer gesellschaftlichen Einlageverpflichtung gedient haben (RG 85, 74). Ist somit der Rückgriffsanspruch des Bürgen nach § 774 im allgemeinen schwächer als ein etwaiger Anspruch des Bürgen aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, weil ihm auch die Einwendungen und Einreden aus diesem Rechtsverhältnis entgegenstehen, so kann andererseits der Bürge die auf ihn übergegangenen Sicherungs-(Neben-)rechte (Anm. 5, 6) nur geltend machen, wenn er sich dabei auf seine Forderung aus § 774 stützt. Auch für die Beweislastregelung können sich Unterschiede ergeben, je nachdem ob sich der Bürge bei dem Rückgriff auf die Forderung aus § 774 oder auf seinen Anspruch aus dem zwischen ihm und dem Hauptschuldner bestehenden Rechtsverhältnis stützt (dazu Anm. 10). Anm. 10 6. Die Beweislast. Ist zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger streitig, ob die Geltendmachung der auf den Bürgen übergegangenen Forderung eine nach Abs. 1 Satz 2 unzulässige Benachteiligung des Gläubigers bedeutet, so trifft dafür den Gläubiger die Beweislast. Nimmt der Bürge nach § 774 Rückgriff gegen den Hauptschuldner, so braucht er lediglich zu beweisen, daß er den Gläubiger in seiner Eigenschaft als Bürgen befriedigt hat (RG 102, 53), während er bei einem Rückgriff, den er auf das zwischen ihm und dem Hauptschuldner bestehenden Rechtsverhältnis stützt, sämtliche anspruchsbegründenden Voraussetzungen nach Maßgabe dieses Rechtsverhältnisses beweisen muß. Seine Stellung ist also in diesem Fall in beweisrechtlicher Hinsicht schlechter. Für Einwendungen, die der Hauptschuldner gegen den Anspruch des Bürgen aus § 774 auf das zwischen ihm und dem Bürgen bestehenden Rechtsverhältnis stützt, trifft den Hauptschuldner die Beweislast. Anm. 11 II. Die Haftung der Mitbürgen untereinander Nach Abs. 2 haften Mitbürgen untereinander nur nach §426. Das ist eine Abweichung von Abs. 1, da danach auf dem Bürgen, der den Gläubiger befriedigt, die
956
Bürgschaft
§774
Anm. 12—14
Hauptforderung mit allen Sicherungsrechten, also auch mit den für die Forderung bestellten weiteren Bürgschaften (§§412, 401) übergeht. Dieser Übergang der Rechte gegen die anderen Bürgen wird durch Abs. 2 beschränkt. Die Ausgleichung unter den Bürgen findet im Zweifel nach Kopfteilen statt. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß mehrere Mitbürgen dem Gläubiger als Gesamtschuldner haften und grundsätzlich keiner von ihnen mehr Rechte gegen die anderen hat. Der Ausgleichsanspruch besteht bei jeder Zahlung, die ein Mitbürge zur Befriedigung des Gläubigers leistet, also auch schon bei einer Teilzahlung, mag diese auch den Betrag nicht erreichen, der auf den zahlenden Mitbürgen im Verhältnis der Mitbürgen untereinander bei voller Inanspruchnahme der Bürgschaft entfallen würde (BGH 23, 362; a M RG 1 1 7 , 1 ; A. B l o m e y e r J Z 1957, 443). Der Ausgleichsanspruch wird durch die Verjährung der Hauptforderung nicht berührt; er unterliegt vielmehr einer selbständigen Verjährung, und zwar von 30 Jahren (RG 69, 427; 77, 322). Die Regelung des Abs. 2 gilt auch dann, wenn der Gläubiger dem zahlenden Bürgen die Hauptforderung ausdrücklich übertragen hat (RG 117, 1 ; WarnRspr 1913 Nr. 361). Anm. 12 Die Vorschrift über den Ausgleich der Mitbürgen nach Kopfteilen ist nicht zwingend. Eine abweichende Vereinbarung kann durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung getroffen sein (RG 61, 56; 81, 414; 91, 278; WarnRspr 1929 Nr. 138). Eine abweichende Vereinbarung kann sich auch aus den Verhältnissen selbst ergeben. Haben z. B. die Gesellschafter einer GmbH sich für Schulden der Gesellschaft gemeinschaftlich verbürgt, so ist das Beteiligungsverhältnis an der Gesellschaft als die natürliche Grundlage auch für die Ausgleichung unter den Gesellschaftern anzunehmen; der Vertragswille des Gesellschaftsvertrages überträgt sich von selbst auf das Ausgleichsverhältnis (RG 88, 125; WarnRspr 1914 Nr. 247). Das gilt auch für eine Personalhandelsgesellschaft; hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß dann, wenn neben den persönlich haftenden Gesellschaftern auch noch ein Dritter die Mitbürgschaft für die Verbindlichkeit einer solchen Gesellschaft übernommen hat, der aus der Bürgschaft in Anspruch genommene Gesellschafter im Regelfall keinen Rückgriffsanspruch gegen den Dritten aus der Mitbürgschaft hat (BGH Betrieb 1959,231). Wenn sich die Mitbürgen auch noch wechselmäßig gegenüber dem Gläubiger verpflichtet haben, so läßt sich aus der Reihenfolge ihrer Indossamente kein Schluß auf das Ausgleichsverhältnis unter ihnen ziehen (RG 142, 267). A n m . 13 Der Nachbürge (Anm. 10 vor § 765) ist nicht Mitbürge im Sinne der §§ 769, 774 Abs. 2. Denn der Nachbürge steht nicht für die Erfüllung der Verbindlichkeit durch den Hauptschuldner ein, sondern dafür, daß der Bürge seine Verpflichtungen erfüllt. Daher haftet der Vorbürge vor ihm, nicht neben ihm, so daß der Vorbürge auch keinen Ausgleichsanspruch gegen den Nachbürgen hat (RG J W 1912, 746). Umgekehrt hat der Nachbürge einen vollen Ersatzanspruch gegen den Vorbürgen, für den er die Bürgschaft übernommen hat (RG 8.5. 1914 V I 173/14). Der Rückbiirge (Anm. 11 vor § 765), der die Rückbürgschaft zur Sicherung des Bürgen für seinen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner übernommen hat, muß den Bürgen, der sein Bürgschaftsgläubiger ist, auch für den Verlust schadlos halten, den dieser infolge der Ausgleichspflicht anderen Mitbürgen gegenüber in seinem Rückgriff erleidet. Anm. 14 III. Zur entsprechenden Anwendung des § 774 Abs. 1 Die Vorschrift des § 774 Abs. 1 ist eine dem Bürgschaftsrecht eigentümliche Vorschrift, die daher nicht ohne weiteres auch auf andere Interzessionstatbestände übertragen werden kann (RG 94, 90; 96, 139). Das gilt namentlich für die Schuldmitübernahme und den Garantievertrag. Hier kann ein Rückgriff des Interzedenten nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsverhältnis zwischen dem Interzedenten und dem Schuldner dafür eine ausreichende Grundlage bietet oder wenn sich eine stillschweigende Forderungsabtretung bei Befriedigung des Gläubigers aus dem Rechtsverhältnis zwischen diesem und dem Interzedenten ergibt (RG SeuffArch 79 Nr. 2 1 ) ; bei der 1534; ! 9 5 9 . 165; vgl. R e u s s Ö V 1957, 653 und S c h a c k J Z 1958, 208). Keine Enteignung liegt vor, wenn allgemein der Inhalt und die Schranken von Rechten bestimmt, dabei in bestehende Berechtigungen eingegriffen, zugleich aber das betreffende Rechtsgebiet als Ganzes für die Zukunft geregelt wird, z.B. auch durch M a ß n a h m e n staatlicher Wirtschaftslenkung (RG 127, 280; 129, 146, 149; 133, 124; B G H 26, 42, 50; B V e r w G 2, 122). Keine Enteignung, wenn die Pflichtigkeit, mit der das Eigentum an sich „belastet" ist, sich zu einer Pflicht verdichtet, wenn z. B. eine bisher noch nicht verwirklichte Verwendung eines Grundstücks untersagt wird ( B G H 23, 30; N J W 1958, 380; Ö V 1957,669). Keine Enteignung, wenn der Betroffene Störer im polizeilichen Sinne ist (RG 103, 423, 426; B G H 5, 144, 151; LM S t V Z O § 41 Nr. 1; vgl. M e n g e r VerwArch 1959, 85), wohl aber, wenn ein Eingriff nur wegen einer befürchteten, in Wahrheit nicht bestehenden Gefahr erfolgt ( B G H VersR 1957, 641; N J W 1954, 1160). Keine entschädigungslose Einziehung gegenüber einem an einer Straftat unbeteiligten Dritten ( B G H 27, 69 m. krit. Stellungnahme R ü m e l i n N J W 1958, 1440; vgl. zur Einziehung G i l s d o r f J Z 1958, 641, 681; A r n d t N J W 1957, 856; K r ö n e r N J W 1959, 8 1 ; H a m b u r g N J W 1957, 856), aber Einziehung ohne Entschädigung als Sühne oder Strafe gegenüber dem schuldigen Täter oder gegenüber dem Eigentümer, der sich zwar nicht strafbar, aber verwerfbar an einer T a t beteiligt hat oder Einziehung von Eigentum, u m dessen gemeinschädlichen Mißbrauch zu verhindern ( B G H 27, 382: Verstoß gegen Branntweinmonopolgesetz m. Bespr. Seibert N J W 1959, 973); vgl. Köln VersR 1958, 458: Verlust von Lohnansprüchen eines KPD-Angestellten durch Auflösung der K P D . Das M a ß der Sozialgebundenheit bestimmt sich nach der geschichtlichen Lage (Notzeiten, Krieg; B G H 15, 268, 279; L M G G Art. 14 Nr. 49). Die allgemeine inhaltliche Begrenzung darf nur soweit gehen, wie der sachliche Grund verlangt. Es m u ß sich bei einer Enteignung u m einen u n m i t t e l b a r e n Eingriff in ein Recht oder in seine Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeit handeln ( B G H 17, 96, 101; 23, 235). Die Wirksamkeit einer vor Erlaß des G G a b g e s c h l o s s e n e n Enteignung kann nicht mehr durch Art. 14 G G i n Frage gestellt werden ( B V e r w G N J W 1956, 1369, 1810; B V e r w G 2» 355 Ö V 1957, 320; s. a. B G H 6, 274). E i n z e l f ä l l e . E n t e i g n u n g o d e r e n t e i g n u n g s g l e i c h e E i n g r i f f e (s. Anm. 15) b e j a h t : B G H 9, 390, 400: Verpflichtung, Leitungsmast eines E-Werks zu dulden; 10, 255: E n t n a h m e von Baumaterialien aus beschädigten H ä u s e r n ; 15, 268: Bausperre mit Bespr. D i t t u s DVB1 1957, 2 4 1 ; vgl. aber B G H N J W 1958, 380; ferner H a m b u r g M D R 1958, 36; 19, 1, 4: Versagung der Bauerlaubnis wegen beabsichtigter Neufestsetzung der Fluchtlinien (s. auch R G 126,356,360 und B V e r w G DVB11956,241 m. Anm. D i t t u s ) ; 23, 157: Eingriffe in Gewerbebetrieb (vgl. auch B G H 23, 235); B G H N J W 1956, 1 1 0 9 : Bestellung eines zweiten Bezirksschornsteinfegermeisters in einem Kehrbezirk; B G H 25, 266: Rechtsposition eines technischen Uberwachungsvereins; B G H N J W 1958, 380: Umklassifizierung von Bauland; B G H 26, 12: unzulässiger Widerruf einer Baugenehmigung; 27, 382: Einziehung von Branntwein unbekannter H e r k u n f t ; vgl. aber 27, 69; L M ErgG KleingartenO § 2 Nr. 2: Festsetzung eines zu geringen Entgeltes für wohnungsmäßig genutzte Kleingärten; B G H 28, 310: Beschädigungen anläßlich der Erfüllung einer offentl.-rechtl. Naturalleistungspflicht; B V e r w G 2, 172: Verbot der Aufstellung von Werbevorrichtungen; B V e r w G DVB1 1958, 168: A n b a u regelung für Weinberge. E n t e i g n u n g v e r n e i n t : B G H 6, 270, 280 und 15, 268, 279: Wohnungsnotrecht, Mieterschutz (anders bei unrechtmäßiger Einweisung von Mietern, B G H 12, 273; vgl. L M ErgG KleingartenO § 2 Nr. 2: Kündigungsschutz); 12, 52, 56: Keine Enteignung durch Unterlassen; 13, 378, 385; 19, 139; B G H I I I Z R 10/57 v - 4 - I 2 - ! 9 5 8 = Folgen preisregelnder M a ß n a h m e n ; 1 5 , 1 1 3 , 1 1 7 : Verbot der Erhebung von Konzessionsabgaben durch eine Gemeinde; 16, 366: Wenn die öffentliche H a n d tut, was ein Privateigentümer ohne Entschädigungspflicht machen darf (vgl. R G 134,254); 1 7 , 9 6 : Aufstellung von vorbereitenden Bauplänen; ferner dagegen 19, 1: allgemeine Baubeschränkung; vgl. auch B G H N J W 1958, 380; L M GG Art. 14 Nr. 70; vgl. H a m a n n DVB11957,
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Unerlaubte Handlungen
V o r § 823 Arum. 15
513; vgl. P i e t z o n k a , Art. 14 GG in bau- und planungsrechtlicher Sicht DRiZ 1958, 306; D i t t u s DVB1 1957, 329; BGH WM 1958, 847, zur Abgrenzung zwischen Eigentumsbeschränkung und entschädigungspflichtiger Enteignung durch Aufstellung eines Bauplans; 20, 85: Kein Enteignungsanspruch neben Ansprüchen aus SHpflG; 22, 1: Benutzung der Sortennamen des Originalsaatguts beim Nachbau ist keine Enteignung des Warenzeichenrechts; 23, 30: Aufnahme eines Grundstücks in Grünflächenverzeichnis eines Siedlungsverbandes mit dadurch eintretendem Bauverbot m. Bespr. D i t t u s DVB1 1957, 329; vgl. auch BVerwG ÖV 1957, 666 mit Anm. S c h a c k J Z 1958, 208; BVerwG 3, 28, 335; 4, 60; BVerwG NJW 1956, 1369, 1810: Naturschutz; anders, wenn bereits vorhandenem Bauland die Bauqualität entzogen wird (BVerwG NJW 1957, 1534; BGH NJW 1 9 5 8 , 3 8 0 ) ; BGH ÖV 1957, 6 6 9 ; LM GG Art. 1 4 Nr. 7 0 : Naturschutz; vgl. auch W e b e r DVB1 1955, 40; K r a s s n i g ÖV 1957, 284; BGH NJW 1952, 1093: Zuweisung einer einer Miterbengemeinschaft gehörenden landwirtschaftlichen Besitzung an einen Miterben; BGH 26, 42, 50: Maßnahmen staatlicher Wirtschaftslenkung (BGH LM RLG § 3 b Nr. 2; GG Art. 14 Nr. 49; BVerwG 3, 254); BGH 26, 42, 50: Änderung des Begriffs des Linienverkehrs durch Personenbeförderungsgesetz; LM GG Art. 14 Nr. 49: Anbaubeschränkung für s ä m t l i c h e Baumschulen, soweit nicht die organisatorische Einheit des Betriebes betroffen wird; BGH J Z 1953, 642: Allgemeines Ausfuhrverbot; BVerwG 1, 225 = NJW 1955, 1001 und 1809: Umlegung in der Regel keine Enteignung; ebenso BGH 27, 15, es sei denn, der Betroffene wird gegen seinen Willen mit Geld abgefunden; BGH I I I ZR132/57 v. 8 . 1 . 1 9 5 8 ; BVerwG NJW 1956, 643; vgl. B e r t r a m ÖV 1958, 736; C i a s e n NJW 1958, 1169; BayVerfG ÖV 1957, 185: Abtretung einer Teilfläche für Straßenherstellung vor Baugenehmigung; BVerwG ÖV 1957, 183: Abgabe einer Teilfläche nach Wohnsiedlungsgesetz § 7 Abs. 1 S. 2; ÖV 1955, 214; BVerwG 3, 28: Einweisung eines Grundstücks in bestimmte Bauklasse; BVerwG 2, 122: Schaffung von Einstellraum nach Reichsgaragenordnung; BVerwG 3, 254; ÖV 1957, 320: Altersgrenze für Hebammen; BVerwG ÖV 1957, 153: Belastung mit Straßenbaukosten; BGH 27, 69: Einziehung von Gegenständen nach § § 4 0 1 , 4 1 4 AbgO gegenüber unbeteiligten Dritten; vgl. aber 2 7 , 3 8 2 m. Bespr. Seibert NJW 1959, 973; BHG 11, 43; 12, 52; 13, 145, 150: Requisition durch Besatzungsmacht; aA BVerwG (Aufopferungsanspruch besonderer Art): 4, 6 = NJW 1957, 234; DVB1 1957, 31; BB 1956, 1169; jetzt aufgehoben durch BVerwG DVB1 v 2I 1 9 5 8 , 8 7 2 m. Bespr. S c h a c k NJW 1 9 5 9 , 3 0 6 ; vgl. auch BVerfG 1 BvR 6 5 / 5 4 - - 31957; vgl. D a n c k e l m a n n NJW 1957, 234; S c h a c k NJW 1957, 652; DVB1 1957, 740; K ü h n e NJW 1957, 609; K l e i n DVB1 1957, 375; S c h e u n e r ÖV 1957, 681; E h l e r s NJW 1958, 161; N a u m a n n BB 1958, 433; BVerwG NJW 1959, 165: Baupflicht auf Grund eines gesetzlichen Aufbaugebots; BVerwG NJW 1959, 786: viehseuchenrechtliche Tötung; vgl. BGH NJW 1955, 990. A n m . 15 c) Enteignungsgleiche Eingriffe. Vgl. K l e i n h o f f DRiZ 1958, 167. Die Rechtsprechung hat das Institut der Enteignung durch den Begriff des — zunächst rechtswidrig-schuldlosen — enteignungsgleichen Eingriffs durch entsprechende Anwendung des in § 75 EinlALR zum Ausdruck gekommenen Grundsatzes erweitert (BGH 6, 270 grundsätzlich; 9, 209, 213, 219; 12, 248). Es handelt sich dabei um die Eingriffe, auch tatsächlicher Art (BGH 17, 96, JOI; NJW 1958, 380), die von hoher Hand ohne den Willen zur Enteignung vorgenommen werden und die für den Fall der Zulässigkeit des Eingriffs nach Inhalt und Wirkung eine Enteignung darstellen würden, also dem betroffenen Berechtigten ein ihn ungleich treffendes besonderes Opfer zum Wohle der Allgemeinheit auferlegen (RG 140, 276, 283; BGH 6, 270, 290; 13, 90). Der Eingriff muß gegenüber einer der Staatsgewalt gegenüberstehenden Person erfolgen (BGH 24, 3 0 2 ; vgl. auch III ZR 4 0 / 5 6 v. 11. 7 . 1 9 5 7 : Eingriff gegenüber einer Reichsgesellschaft). Es muß von hoher Hand rechtswidrig eingegriffen sein. Der Eingriff muß durch positives Handeln (nicht Unterlassung: BGH 1 2 , 5 2 , 5 6 ; I I I ZR 7 8 / 5 5 v. 2 1 . 11. 1 9 5 5 S. 7 ; vgl. ferner I I I ZR 1 1 0 / 5 6 v. 1 8 . 11. 1 9 5 7 ; LM GG Art. 1 4 Nr. 4 6 : Nichterfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht genügt nicht; V ZR 2 2 0 / 5 5 v. 2 5 . 9 . 1 9 5 7 : Hinausschieben einer gesetzlichen Regelung, in NJW 1 9 5 7 , 1 7 6 1 nicht mitabgedruckt) unmittelbar in die 75
K o m m . z. B G B , n . Aufl. II . B d . (Haager)
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V o r § 823 A n m . 16, 17
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Rechtsposition einer Person erfolgen, gegen die sich der Eingriff" richtet (BGH 17, 96, 1 0 1 ; 23, 235; vgl. auch 23, 157); es muß sich um ein erzwungenes Sonderopfer handeln (BGH L M Lebensmittelgesetz § 13 Nr. 1) oder mindestens um ein Opfer unter einem Gewissenszwang, der keine andere Wahl läßt (BGH 24, 45 mit Anm. S c h m i d t NJW 1957, 1585; 25. 238, 242). O b j e k t d e s E i n g r i f f s ist wie bei der Enteignung jedes Vermögenswerte Recht, so daß die oben (Anm. 13, 14) zum Umfang der Eigentumsgarantie gemachten Ausführungen ebenso gelten. Ebenso bestehen dieselben Schwierigkeiten in der Abgrenzung von Enteignung und Eigentumsbeschränkung. Allerdings ist mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs der Charakter als Sonderopfer festgestellt (vgl. K l e i n h o f f DRiZ 1958, 167; M e n g e r VerwArch 1959, 84). Es gelten ferner dieselben Grundsätze für die Bemessung der Entschädigung (s. Anm. ig, 20). Sie sind grundsätzlich wie eine echte Enteignung im oben dargelegten Sinn zu behandeln (BGH 6, 270, 296 und 299). Hierher gehören insbesondere die Fälle eines Eingriffs auf Grund eines nichtigen Gesetzes (BVerfGE 4, 219: Junktim-Klausel, Art. 14 Abs. 3 Satz 2 u. 3 GG) oder des rechtswidrigen Vollzugs wegen Überschreitung des durch das Gesetz gezogenen Rahmens (BGH 13, 3 7 1 : Unterbringung von Flüchtlingen im Hotel; B G H BB 1954, 643: nichtige Erfassung nach RLG). Vgl. im übrigen die zur Enteignung angeführten Entscheidungen, die auch enteignungsgleiche Eingriffe behandeln. A n m . 16 Nach der jüngsten Rechtsprechung entstehen Ansprüche auf Entschädigung wegen enteignungsgleicher rechtswidriger Eingriffe „erst recht", wenn solche Eingriffe schuldhaft vorgenommen werden. Der Enteignungs- und Aufopferungsanspruch ist kein Hilfsanspruch neben dem Amtshaftungsanspruch, auch wenn er nicht in Sondergesetzen ausdrücklich geregelt ist, sondern aus dem Grundgedanken des Art. 14 GG und § 75 EinlALR abgeleitet wird (BGH 7, 296; 8, 256; 9, 209; 1 1 , 248; 13, 88; 15, 268, 293; vgl. K r e f t Ö V 1955, 517). Dieser Grundsatz ist wichtig, soweit auf Grund der nebeneinander bestehenden Ansprüche wegen enteignungsgleicher Eingriffe und wegen Amtspflichtverletzung verschiedene Verpflichtete in Anspruch genommen werden (BGH 13, 88), ferner für § 839 BGB im Hinblick auf die 30jährige Verjährungszeit bei enteignungsgleichen Eingriffen (BGH 9, 209; 13, 88; s. Anm. 20) und im Hinblick auf den Wegfall des Einwands der unterlassenen Einlegung eines Rechtsmittels. Soweit dieselbe Körperschaft unter beiden Gesichtspunkten in Anspruch genommen wird, besteht die Möglichkeit der wahlweisen Feststellung des Haftungsgrunds (BGH 10, 237; 14, 363). Die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB ist soweit gemildert, als eine aus Amtshaftung in Anspruch genommene Körperschaft nicht auf die anderweitige Ersatzmöglichkeit wegen eines zugleich gegebenen enteignungsgleichen Eingriffs verweisen kann (BGH 10, 137; 13, 88, 1 0 1 ; Betrieb 1958, 1360; vgl. B G H 4, 10, 44» 45; P a g e n d a r m Ö V 1955, 520). A n m . 17 5. Aufopferung i m engeren Sinne (vgl. K l e i n h o f f DRiZ 1957, 225). Die Enteignung insbesondere in dem Umfang, den sie durch die die Eigentumsgarantie die erweiternde Rechtsprechung des RG und des B G H erfahren hat, und die enteignungsgleichen — rechtswidrig-schuldlosen und rechtswidrig-schuldhaften — Eingriffe erfassen alle Vermögenswerten Rechte im weitesten Sinn. Durch diesen Sonderfall aus dem Oberbegriff der Aufopferung wird der allgemeine Aufopferungsgrundsatz insoweit verdrängt (BGH 13, 88, 9 1 ; 15, 268, 295; 23, 157; V G H Stuttgart Ö V 1957, 217, 220). Soweit in früheren Entscheidungen von Aufopferung im Hinblick auf Vermögenswerte Rechte gesprochen wird (z. B. J Z 1953, 642) ist die Grenzziehung jetzt durch die neuere Rechtsprechung des BGH (BGH 23, 157) klargestellt. Zur Abgrenzung vgl. auch S c h a c k J Z 1956, 425. Aufopferungsansprüche im engeren Sinne können daher nur bei Verletzung der Rechtsgüter des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, Freiheit und Ehre durch r e c h t m ä ß i g e oder n i c h t r e c h t m ä ß i g e Eingriffe in Frage kommen (BGH 9, 83: Impfschäden; 20, 81: Verletzung unbeteiligter Dritter durch Polizei; 22,43; 24, 455 25» 238, 240; NJW 57, 1148; VersR 1957, 451 m. Anm. J a n s s e n NJW 1957,
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Unerlaubte Handlungen
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«595; NJW 1958, 709; VersR 1959, 70; Karlsruhe N J W 1959, 48 m. Bespr. L a r e n z ) . Es muß sich um zwangsweise oder mindestens zwangsweise „freiwillige" Maßnahmen handeln (BGH 24, 45; 25, 238, 242; vgl. München VersR 1959, 209). Allerdings dürfte es sich um eine mehr terminologische Unterscheidung ohne materiellen Gehalt handeln, da sowohl in bezug auf die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen keine sachlichen Verschiedenheiten festzustellen sind (BGH 13, 88, 91), so daß die dort entwickelten Grundsätze auch für die Aufopferung im eigentlichen Sinn unter Berücksichtigung des anders gelagerten Sachverhalts Anwendung zu finden haben. Es handelt sich dabei ebenfalls um Eingriffe durch Gesetz oder Verwaltungsakt, auch tatsächlicher Art (BGH 17, 96, 101; NJW 1958, 380), die dem Einzelnen oder einem begrenzten Kreis ein Sonderopfer zwangsweise (vgl. auch B G H 24, 45 m. Anm. S c h m i d t N J W 1957, 1585) im mindestens überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auferlegen. Es m u ß die Opfergrenze überschritten werden. Auch die Aufopferung im engeren Sinne steht unter der Herrschaft des Gleichheitsgrundsatzes (BGH 9, 83, 90). Opfer, die das Gesetz allen vergleichbaren Personen auferlegt, lösen keinen Entschädigungsanspruch aus. Soweit das Maß an Opfern, das der einzelne entschädigungslos hinzunehmen hat, dem Gesetz nicht eindeutig zu entnehmen ist, muß ermittelt werden, wie der Gesetzgeber die Grenze vernünftigerweise gezogen hätte. A n m . 18 Ebenso wie bei der Enteignung mit der Unterscheidung zur Geltendmachung der Sozialgebundenheit des Eigentums tritt hier insbesondere die Schwierigkeit der Ermittlung der „Opfergrenze", nämlich der Abgrenzung zwischen dem zur Entschädigung verpflichtenden Sonderopfer und den Einbußen auf, die der Einzelne zum Wohle der Allgemeinheit zu erbringen genötigt ist. Bei Eingriffen auf Grund eines Gesetzes liegt nur in seltenen Fällen ein Sonderopfer vor. Kein Sonderopfer wird z. B. verlangt, wenn das Gesetz bewußt eine entsprechende Pflichterfüllung verlangt und fordert, daß die Betroffenen die nachteiligen Folgen der gesetzlich angeordneten Maßnahmen für a l l e oder für einen u n b e g r e n z t e n P e r s o n e n k r e i s hinnehmen, z. B. die Wehrdienstgesetze mit Freiheitsbeschränkung und Gesundheitsschädigung (vgl. auch B G H 9, 83; 17, 172, 175: Wehrdienst; 20, 61, 64). Dagegen ist die Opfergrenze überschritten, wenn über die vom Gesetz gewollte allgemeine Beeinträchtigung hinaus eine neue, selbständige Opferlage für den Einzelnen geschaffen wird (BGH 20, 61, 65). Ein Sonderopfer liegt nicht vor bei Ansteckung in Schulen, bei Gesundheitsschäden anläßlich der Zwangsbehandlung nach dem Geschlechtskrankheitengesetz v. 18. 2. 1927 (RGBl I, 61), jetzt v. 23. 7. 1953 (BGBl I 700), wohl aber bei besonders schweren Gesundheitsschäden (BGH 25, 238, 242), bei Untersuchung nach § 372a ZPO, bei Schäden, die im ordnungsgemäßen Vollzug der Gemeinschaftshaft auftreten (BGH 9, 83, 92; 17, 172, 175). Kein Aufopferungsanspruch wird gewährt, soweit die Sozialversicherung eingreift (BGH 20, 8 1 ; 28, 297; VersR 1958, 394). A n m . 19 5. Entschädigung a) Inhalt und U m f a n g der E n t s c h ä d i g u n g : vgl. S c h a c k M D R 1953, 195; K l e i n h o f f DRiZ 1958, 167; P a g e n d a r m W M 1958, 1350. Inhalt und Umfang des Entschädigungsanspruchs für Enteignung, enteignungsgleiche Eingriffe und für Aufopferung im engeren Sinne sind gleich (BGH 9, 83, 93; 10, 255, 263; I I I Z R 89/53 v. 10. 6. 1954 S. 16/17 in B G H 13, 395 nicht abgedruckt), soweit nicht durch Gesetz eine besondere Regelung getroffen ist, wie z. B. in den Enteignungsgesetzen der Länder und in Bundesgesetzen (BLG, Baulandbeschaffungsgesetz u. a.). Allerdings ist der durch einen rechtswidrigen, enteignungsgleichen Eingriff Betroffene weder hinsichtlich der Person des Entschädigungspflichtigen noch hinsichtlich der Art und des Umfangs der Entschädigung auf die Geltendmachung der Ansprüche beschränkt, die ihm bei rechtmäßigen Vorgehen ein Sondergesetz einräumt (BGH 13, 395, 397; 23, 157, 1 7 1 ; Betrieb 1955, 1138). Der Anspruch ist nicht auf Schadensersatz, nicht auf volle Wiedergutmachung, sondern auf angemessenen Ausgleich gerichtet, der vom Einzelinteresse ausgeht, allerdings das Interesse der Allgemeinheit zu berücksichtigen hat (BGH 22,43). 75*
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V o r § 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 19 Die E n t s c h ä d i g u n g stellt einen materiellen Ausgleich f ü r das den einzelnen t r e f f e n d e Sonderopfer d a r . Sie soll den Betroffenen in d e r Regel in d e n S t a n d versetzen, sich m i t Hilfe der E n t s c h ä d i g u n g ein gleichwertiges O b j e k t zu verschaffen ( B G H n , 1 5 6 ; 14, 106, 1 0 7 ; 26, 373, 374). Die angemessene E n t s c h ä d i g u n g ist a n sich keine Schadensersatzleistung, die sämtliche V e r m ö g e n s e i n b u ß e n des Betroffenen u m f a ß t ( B G H 6, 270, 295; B G H I I I Z R 1 5 3 / 5 5 v - 4- 2. 1 9 5 7 ; I I I Z R 162/56 v. 24. 6. 1958), so d a ß d e r Betroffene n u r den Ersatz des Substanzverlustes erhält ( B G H I I I Z R 109/55 v - ' S . 3- 1 9 5 7 ; I I I Z R 152/56 v. 24. 2. 1958 S. 14; I I I Z R 1 5 3 / 5 5 v - 4- 2. 1957 S. 14/15). I n besonderen Fällen k a n n die E n t s c h ä d i g u n g den U m f a n g des Schadensersatzes a n n e h m e n , wie ü b e r h a u p t d e r A n s p r u c h seinem rechtlichen u n d wirtschaftlichen Gehalt n a c h d e m b ü r g e r lich-rechtlichen Schadensersatzanspruch nahesteht ( B G H 11, 156; Betrieb 1955, 1 1 3 8 ; S c h a c k DVB1 1957, 740). Die u n t e r e G r e n z e ist, abgesehen von besonderen Fällen, der gemeine W e r t ( B G H 13, 395, 397; I I I Z R 89/53 v. 10. 6. 1954, in B G H 13, 395 nicht voll a b g e d r u c k t ; 19, 139, 147), d. h. d e r Verkaufs- o d e r objektive T a u s c h w e r t ( B G H I I I Z R 1 8 1 / 5 6 v. 24. 2. 1958 in B G H 26, 373 insoweit nicht a b g e d r u c k t ; B G H 14, 106, 1 1 0 ) . I n Ausnahmefällen k a n n die E n t s c h ä d i g u n g niedriger festgesetzt w e r d e n als d e r gemeine W e r t ( B G H 6, 270, 293, 295; 13, 395, 398; 14, 106, 108/9; 19, 139, 151» 152). Ü b e r einen derartigen Ausnahmefall vgl. B G H L M E r g G Reichssiedlgsg. § 7 N r . 2. Die E n t s c h ä d i g u n g ist nicht n a c h billigem Ermessen festzusetzen, sondern u n t e r Berücksichtigung d e r A r t u n d des Ausmaßes des Eingriffs, a u c h der nicht gewollten Folgen ( B G H I I I Z R 259/54 v - 2 4- 4- r 95Ö S. 9). I n d e r Regel ( A u s n a h m e : eingerichteter Betrieb) besteht kein A n s p r u c h auf Ersatz des e n t g a n g e n e n Gewinns ( R G 102, 390: Sonderfall, vgl. d a z u 140, 276; 288; 126, 356, 3 6 1 ; 140, 276, 287; B G H 6, 270, 293; 7, 3 3 i , 334; 9) 93 u n d 209, 2 1 8 ; 12, 52, 60; 15, 2 3 ; 22, 43, 46; N J W 1958, 380; M D R 1956, 544). Bei rechtswidrigen Eingriffen in einen bestehenden — nicht n u r g e p l a n t e n — G e w e r b e b e t r i e b erfaßt d e r E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h d e n e n t g a n g e n e n Gewinn ( B G H 23, 157, 1 7 2 ; 25, 266, 270; N J W 1956, 1 1 0 9 ; 1958, 380; L M ErgGes R S i e d l G § 7 N r . 2 ; Betrieb 1954, 674; 1955, 1 1 3 8 ; I I I Z R 89/53 v. 10. 6. 1954 S. 16 in B G H 13, 395 nicht mit a b g e d r u c k t ; I I I Z R 162/56 v. 24. 6. 1958 S. 1 9 ; I I I Z R 109/55 v. 18. 3. 1957 S. 1 0 ; vgl. ferner B G H I I I Z R 5/54 v. 1. 6. 1954 S. 5/6: l a u f e n d e V e r g ü t u n g bei Eingriff in gewerblich n u t z b a r e s G r u n d s t ü c k ) . Gewinn, der i m Gegensatz z u m geltenden R e c h t steht, wird nicht ersetzt ( B G H N J W 1957, 633, 634; vgl. a u c h B G H L M § 252 N r . 3). Vermögensvorteile, die in V e r b i n d u n g m i t einen Eingriff stehen, k ö n n e n berücksichtigt werden ( B G H W M 1957, 1 0 3 1 ; vgl. 6, 270, 295). Es m u ß sich u m d e n Verlust von Erträgnissen h a n d e l n , die in d e r Rechtsposition des Betroffenen ihre G r u n d l a g e h a b e n , also i m E i g e n t u m oder in einer gesetzlich oder vertraglich gesicherten Nutzungsmöglichkeit. D a h e r wird keine E n t s c h ä d i g u n g d a f ü r g e w ä h r t , d a ß ein auslaufender V e r t r a g wegen d e r E n t e i g n u n g nicht m e h r v e r l ä n g e r t w e r d e n k o n n t e ( B G H I I I Z R 249/55 v. 15. 4. 1957 in L M E i g t R S i e d l G § 7 N r . 2 n i c h t mit abgedruckt). M a ß g e b l i c h e r Z e i t p u n k t f ü r die Bemessung der E n t s c h ä d i g u n g ist der, d e r der Auszahlung d e r E n t s c h ä d i g u n g a m nächsten liegt ( B G H W M 1957, 692; 1958, 494), d a m i t sich d e r Betroffene einen gleichwertigen Ersatz verschaffen k a n n . W e n n keine Festsetzung d e r E n t s c h ä d i g u n g d u r c h die V e r w a l t u n g erfolgt, gilt bei gleichbleibender W ä h r u n g u n d gleichbleibendem Preisgefüge d e r Z e i t p u n k t des Eingriffs ( B G H 11, 156, 166; 14, 106, 109). U m s t ä n d e , die a u c h o h n e den Eingriff eine V e r schlechterung h e r b e i g e f ü h r t h ä t t e n , sind zu berücksichtigen ( B G H 14, 106, 1 1 0 ; I I I 82/56 v. 18. 1 1 . 1957 S. 14). Bei Festsetzung einer E n t s c h ä d i g u n g d u r c h die V e r w a l t u n g ist grundsätzlich der Z e i t p u n k t der Zustellung dieses Festsetzungsbeschlusses entscheidend ( B G H 12, 357, 374; 13, 378, 387; 25, 225, 230; W M 1955, 1 7 0 7 ; 1957, 692; Betrieb 1957, 479; b e a c h t e a u c h W M 1958, 1 3 7 1 ) . Bei E n t e i g n u n g e n , deren D u r c h f ü h r u n g sich ü b e r einen längeren Z e i t r a u m erstreckt, ist f ü r d e n Grundstückswert von d e m Z e i t p u n k t auszugehen, in d e m die G r u n d s t ü c k e v o n j e d e r konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen w a r e n ( B G H 28, 160; vgl. W M 1959, 239). Bei s c h w a n k e n d e n Preisen ist d e r Z e i t p u n k t d e r letzten m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g m a ß g e b e n d , d a sonst d e r Betroffene sich bei Preissteigerungen keinen gleichwertigen Ersatz verschaffen k a n n ( B G H 7, 96, 1 0 3 ; 14, 106, 109; 26, 373). Dasselbe gilt d a n n ,
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Unerlaubte Handlungen
Vor § 823 A n m . 20, 21
w e n n eine zu n i e d r i g e Entschädigungsfestsetzung angefochten wird ( B G H 25, 225, 230; W M 1959, 239). U m g e k e h r t m u ß Entsprechendes f ü r einen Preissturz gelten. Wegen A n r e c h n u n g von Teilzahlungen vgl. B G H 26, 273, 377. Wegen des Einflusses von — nach d e m Grundgesetz — zulässigen P r e i s b e s t i m m u n g e n vgl. B G H 6 , 9 1 , 9 9 ; 12, 357, 376; 1 3 , 4 5 , 378» 384; 19» i39> H ^ s ö , 373, 376; W M 1959, 239 ( A u f h e b u n g der Preisstopbestimmungen bis zur letzten mündlichen V e r h a n d l u n g ) ; B G H I I I Z R 181/56 v. 24. 2. 1958 S. 4 insoweit in B G H 26, 373 nicht mit abgedruckt (Ermittlung des gemeinen Werts ist abhängig von rechtsgültigen Preisbestimmungen); N J W 1958, 749; W M 1958, 496, 499; G r o e b e N J W 1957, 1457. Ü b e r die M e t h o d e zur Ermittlung von Bodenwerten a. Vergleichspreis oder b. Ertragswertberechnung vgl. a. I I I Z R 227/56 v. 2 4 . 4 . 1958 S. 6; I I I Z R 32/57 v. 19. 6. 1958 S. 4 ; I I I Z R 39/57 v. 10. 7. 1958; b . B G H W M 1958, 499 = BB 1958, 357 ( T r ü m m e r g r u n d s t ü c k ) ; ferner B G H W M 1958, 78. A n m . 20 D a es sich u m keinen Schadensersatzanspruch handelt, sind die Vorschriften über unerlaubte H a n d l u n g e n nicht unmittelbar a n w e n d b a r , es sei denn, d a ß in einzelnen Bestimmungen ein nicht auf unerlaubte H a n d l u n g e n beschränkter Grundsatz z u m Ausdruck kommt, wie z. B. beim Anspruch der mittelbar Geschädigten nach § 844 ( B G H 18, 286 m . Bespr. S i e g J Z 1956, 1 7 7 ; VersR 1958, 245; M ü n c h e n VersR 1957, 116). Der Entschädigungsanspruch ist ein W e r t a n s p r u c h u n d ist d a h e r n a c h der W ä h rungsreform in D M festzusetzen ( B G H 7, 96; 11, 156; 12, 357; 14, 106; Betrieb 1955, 1 1 3 8 ) ; spätere Nachforderung wegen Irrtums über Umstellung B G H 25, 390; Verj ä h r u n g 30 J a h r e ( R G 167, 1 2 7 ; B G H 9, 209), a u c h f ü r Rückstände von R e n t e n ( B G H 28, 144, 149; W M 1957, 853 u. 855; VersR 1957, 450); in Bayern V e r j ä h r u n g n a c h drei J a h r e n ( B G H N J W 1958, 2 0 1 5 ; vgl. L M BayAGBGB Art. 125 N r . 1). F ü r Ansprüche wegen Immissionen gilt die kurze V e r j ä h r u n g nach § 852 ( R G 70, 154). V o r t e i l s a u s g l e i c h u n g : B G H 6, 295; 15, 268, 292; V e r s R 1957, 738. O b w o h l § 2 5 4 nach seiner systematischen Stellung im Gesetz Schadensersatzansprüche voraussetzt, so wird mindestens, soweit es sich u m die Pflicht zur M i n d e r u n g des Schadens handelt, die A n w e n d u n g schon i m Hinblick darauf geboten sein, d a ß d e m Betroffenen eine angemessene Entschädigung unter gerechter A b w ä g u n g der Interessen der Beteiligten u n d der Allgemeinheit zusteht. A u ß e r d e m ist in verschiedenen Fällen d e r positiven Regelung des Entschädigungsanspruchs die A n w e n d u n g des § 254 vorgesehen (§ 5 Ges. über die d u r c h innere U n r u h e n verursachten Schäden v. 12. 5. i g 2 o ; vgl. a u c h R G D J Z 1920 Sp. 850; § 6 K r S a c h V O v. 30. 11. 1940; § 26 Abs. 3 R L G ; § 1 Abs. 4 Ges. betr. Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen; § 33 Abs. 2 BLG v. 19. 1 1 . 1956 (BGBl I, 815). A u s d e r R e c h t s p r e c h u n g : a b l e h n e n d : Reichsgericht vgl. R G 126, 3 6 1 ; 140, 288: f ü r Mitverschulden bei Entstehung; 149, 3 7 ; 167, 26; b e j a h e n d : Celle N J W 1954, 599; vgl. B G H 15, 268, 290 ohne Begründung; 23, ' 5 7 . I7°Kein S c h m e r z e n s g e l d ( B G H 20, 6 1 ; 22, 44, 47; 24, 4 5 ; 28, 297); aber Berücksichtigung von Geldaufwendungen, die in die Lage versetzen können, die noch vorh a n d e n e n immateriellen Schäden auszugleichen oder zu mindern. In A n l e h n u n g a n § 839 Abs. 1 S. 2 ist ein Aufopferungsanspruch zu verneinen, w e n n der Betroffene zugleich vertragliche Schadensersatzansprüche h a t (vgl. B G H 28, 297; vgl. L G Kiel N J W 1957, 994 mit Bespr. V o s s VersR 1959, 1. — Die E r m i t t l u n g der H ö h e des Anspruchs erfolgt nach § 287 Z P O ( B G H VersR 1959, 196). A n m . 21 b ) E n t s c h ä d i g u n g s p f l i c h t i g . Verpflichtet ist der Begünstigte, dessen Besten die Aufopferung dient. Es ist dabei auch darauf abzustellen, welche Stelle sich einer Aufgabe erledigt h a t ( B G H VersR 1957, 450, 451 u. 738). Die Person des Verpflichteten deckt sich nicht notwendig mit der Stelle, die den schädigenden Eingriff vorgenommen h a t . Deshalb b r a u c h t nicht unbedingt der Staat verpflichtet zu sein. Der Anspruch richtet sich gegen den unmittelbar Begünstigten, meistens gegen den Staat ( R G 144, 334» 339; ' 4 9 . 34. 38; 167, 14, 28; B G H 6, 270, 299; 7, 296, 299; 9, 83, 93; 10, 255,
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V o r § 823 Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm. 22 263; 11, 248; 12, 248, 2 5 1 ; 13, 81 und 3 7 1 und 398; 16, 81 u. 366, 3 7 5 ; 20, 6 1 ; LM RLG § 26 Nr. 24: Entnahme von Baumaterialien durch Gemeinde; LM SchornsteinfegerVO N r . 1; N J W 1956, 1 1 0 9 ; B G H I I I Z R 159/54 v . 30. 1. 1956 S. 11 u . I I I Z R
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v. 3. 12. 1956 S. 8: bei Baustoffgewinnung aus Enttrümmerung Haftung der Gemeinde; VersR 1959, 70; vgl. OLG Celle NJW 1957, 634; ferner die Zusammenstellung der Rechtsprechung von J a n s s e n NJW 1956, 1821). Es ist nicht entscheidend, welche Behörde den Eingriff vorgenommen hat. Deshalb kann sich der Entschädigungsanspruch gegen eine andere Körperschaft richten als ein Amtshaftungsanspruch. Der Anspruch wegen eines enteignungsgleichen Eingriffs oder der Aufopferungsanspruch im e. S. richtet sich nur gegen die öffentliche Hand, auch wenn Privatpersonen Vorteile gezogen haben (BGH 23, 157, 169). Unmittelbar begünstigt ist regelmäßig nur der Staat oder die Gemeinde (BGH 11, 248, 257; 26, 10, 12), nicht der zwischen ihnen stehende öffentlich-rechtliche Verband, ausgenommen Rechtsträger mit einem durch eine spezielle Funktion begrenzten Aufgabenkreis (RG 118, 22, 26: Kirchengemeinde; BGH 11, 248, 259; 12, 260; 26, 10, 13). In der Regel haftet der Staat, die Gemeinde dann, wenn der Eingriff zwecks Erfüllung einer Gemeindeaufgabe erfolgte (vgl. BGH 13, 395, 399, 400: Haftung von Staat u n d Gemeinde; BGH 7, 296, 299 und NJW 1953, 1745: Wohnraumbewirtschaftung; vgl. aber III ZR 157/55 v. 4. 2. 1957 und BGH 13, 371 u - 395> 4°° : Flüchtlingsunterbringung; 26, 10, 12; VersR 1957, 738; BGH VersR 1959, 196: für Impfschäden das Land; Impfschädenansprüche gegen das Land Preußen unterliegen dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz, BGH VersR 1958, 764; für Impfschäden aus einer Impfung im Gebiet der früheren Pfalz haftet nicht Bayern, sondern das Land Rheinland-Pfalz, BGH NJW 1959, 336 [L] = VersR 1959, 70. A n m . 22 c) Zuständigkeit. Zur Entscheidung über die Höhe der Entschädigung sind die Zivilgerichte zuständig. Wegen der Zuständigkeit der Landgerichte s. § 71 GVG (III Z R 368/51 S. 12 v . 25. 6. 1 9 5 3 ; I I I Z R 3 1 0 / 5 1 v. 8. 10. 1 9 5 3 ; I I I Z R 1 1 0 / 5 5 v - !3- 12-
1956; III ZR 212/55 v. 18. 3. 1957). Die Zivilgerichte sind auch zuständig für positiv geregelte Entschädigungsansprüche, wenn die ihnen vorausgehenden Eingriffe im Gesetz wie Enteignungen behandelt werden, z. B. für Ansprüche nach Reichsseuchengesetz (BGH 20, 112). Die Zivilgerichte entscheiden auch über die Vorfrage, ob ein derartiger Eingriff vorliegt, auch soweit die Eingriffe vor Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgten (BGH 4, 10, 50 und 68, 75 und 266; 7, 270, 296; 8, 83; 9, 242, 250 Entschädigung in Land; 12, 52, 57; 13, 378; 15, 268; 19, 139: Preisstop; LM GG Art. 14 Nr. 70: Naturschutz; RG 111, 224; 127, 280; 133, 124). Ein Verwaltungsakt kann als rechtswidrig beurteilt werden, selbst wenn er verwaltungsrechtlich nicht mehr anfechtbar ist (BGH III ZR 180/50 v. 16. 10. 1952 S. 14). Ermessensentscheidungen einer Verwaltungsbehörde können auf Willkür nachgeprüft werden (BGH g, 329; LM § 8 39 [B] Nr. 1; § 839 [C] Nr. 5). Art. 14 Abs. 3 S. 2 gilt nicht für vorkonstitutionelles Recht, wenn die Enteignung vor Inkrafttreten des GG vorgenommen wurde. Die Enteignung ist gültig. Fortdauernde Beeinträchtigungen können eine Entschädigungspflicht begründen (BVerwG 2, 35; 3, 254, 325; MDR 1957, 506; ÖV 1957, 320; BGH 19, 209, 224; vgl. BGH 6, 274; LM GG Art. 14 Nr. 61; vgl. W e b e r DVB1 1955, 40). Wegen des Rechtswegs für Requisitionsentschädigungen s. Anm. 14, Einzelfälle Requisition. Der Rechtsweg 26, 315, 718; 1958, 309, 851; Betrieb 1957, 1048; N J W 1958, 905; Hamburg VersR 1957, 344). Die etwas abweichende Auffassung in R G 128, 229, 232 ist durch die spätere Entwicklung überholt ( B G H 21, 102, 111; NJW 1956, 1106: Einwilligung in Elektroschockbehandlung setzt Kenntnis des Wesens, der Bedeutung und der Tragweite dieses Eingriffs voraus). Kenntnis vom Alkoholgenuß eines Fahrers genügt nicht, erforderlich ist die Kenntnis der hierdurch bedingten Fahruntüchtigkeit ( B G H 2, 159, 163; NJW 1958, 905; VersR 1953, 85; 1955, 309; 1957, 26 in B G H 22, 136 nicht mitabgedruckt; Hamburg VersR 1957, 344; Düsseldorf VersR I 957> 343! Karlsruhe VersR 1957, 240; Köln VersR 1957, 724). Bei „Weinreise" genügt Vorhandensein der Kenntnis bei Beginn der Fahrt ( B G H L M § 823 [Ha] Nr. 3). Bei s c h u l d h a f t e m N i c h t e r k e n n e n der Gefährdungsmöglichkeit ist § 254 BGB anwendbar (RG J W 1 9 3 8 , 2 2 7 8 1 2 ; B G H VersR 1 9 5 3 , 8 5 ; 1 9 5 7 , 2 6 ; V R S 4 , 8 8 , 9 0 ; 5 , 8 1 ) . In der Frage, ob der Haftungsausschluß wegen Verschuldens nur auf Folgen des erkannten gefährlichen Umstands zurückzuführen ist, ist die Rechtsprechung nicht ganz einhellig. R G J W 1934, 346: Verzicht erstreckt sich nur auf Folgen des bekannten Mangels, nicht auf falsche Fahrweise. B G H L M §823 [Ha] Nr. 3: unerheblich, ob die für den Unfall ursächliche leichte Fahrlässigkeit auf den erkannten Gefährlichkeitszustand — Alkoholgenuß bei Weinreise — zurückzuführen ist. B G H VersR 1952, 350: bei Mitnahme in mangelhaftem Wagen Ausschluß wegen aller aus diesem Zustand hervorgehenden Schäden ohne Hinweis auf alle einzelnen Fehler. B G H VersR 1955, 309: Mitfahrt trotz fehlenden Soziussitzes kein Haftungsausschluß für Schäden aus zu hoher Geschwindigkeit. O G H N J W 1950, 143: keine Einwilligung in unsichere Fahrweise bei verbotener Beförderung von Personen auf Lastwagen. B G H VRS 8, 97 = VersR I 955» I 2 0 : Umfang der Übernahme der Gefahr bei Pferderennen durch Jockei. B G H VersR 1955, 355: Schadhaftigkeit einer Bremse. Der Ausschluß unter dem Gesichts-
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Unerlaubte Handlungen
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punkt des Handelns auf eigene Gefahr bezieht sich nur auf erkannte b e s o n d e r e , im allgemeinen nicht gegebene Gefahren, nicht z. B. auf Gefahren, die bei jeder Fahrt zu erwarten sind ( B G H VersR 1959, 386). Verzicht auf Schadensersatzansprüche ist auch bei fahrlässiger Tötung möglich (§ 226a StGB!): B G H LM § 823 [Ha] Nr. 3; VersR 1955, 55; Freiburg VersR 1951, 206; Oldenburg DAR 1956, 296 nimmt wegen dogmatischer Bedenken gegen den Haftungsausschluß unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr Haftungsausschluß deshalb an, weil es gegen Treu und Glauben verstößt, in einem solchen Falle einen anderen verantwortlich zu machen. Der Haftungsausschluß umfaßt auch die Ansprüche der nach §§ 844, 845 Berechtigten (Koblenz VersR 1953, 403). Der Ausschluß oder die Beschränkung der gesetzlichen Ersatzansprüche wirkt sich auf den Ubergang nach 1542 R V O aus (RG 161, 76; 167, 207, 213; Dresden D R 1939, 20091). A n m . 34 f ) Z u s t a n d e k o m m e n des H a f t u n g s a u s s c h l u s s e s . Für die Ermittlung des mutmaßlichen Parteiwillens kommt der Unentgeltlichkeit, insbesondere bei Gefälligkeitsfahrten, besondere Bedeutung zu (RG 129, 229, 232). Bei unentgeltlicher Beförderung kommt in der Regel keine vertragliche Haftung in Frage, weil dadurch keine vertraglichen Beziehungen begründet werden (RG 141, 263; B G H 21, 102, 107; NJW 1958, 905). Es kommt für die Frage, ob z.B. das Verhalten eines Fahrgastes als Einwilligung in eine als möglich erkannte Schädigung zu verstehen ist, auf die gesamten Umstände an; daher keine Einwilligung, wenn ein Fahrgast aus einer Zwangslage heraus an einer Autofahrt teilnimmt (BGH V R S 16, 81). Der Haftungsverzicht oder Handeln auf eigene Gefahr — unter Umständen auch nur auf Haftung für Fährlässigkeit wie in eigenen Angelegenheiten (BGH VRS 7, 6) — ist auch noch nicht mit dem Umstand allein gegeben, daß der Fahrgast aus Gefälligkeit unentgeltlich mitgenommen wird; das ist an sich ein bloß tatsächlicher Vorgang ohne rechtliche Bedeutung (RG 65, 17; 67, 431; 68, 429; 145, 390; 167, 207, 2 1 3 ; J W 1910, 234 1 2 ; 1911, 28 5 ; 1912, 857 10 ; i932> 2025 1 2 ; 1934, 2033; 1936, 1890; 1939, 482; WarnRspr. 1908 Nr. 477; 1909 Nr. 22, 100; 1914 Nr. 259; 1932 Nr. 72, 73, 1 1 7 ; 1933 Nr. 148; 1935 Nr. 130; SeufTArch. 87 Nr. 36; 92 Nr. 140; H R R 1934 Nr. 1020 u. 1938 Nr. 97; B G H NJW 1956, 1514; 1958, 905; VersR 1955, 309; 1956, 388, 589, 799; 1957, 299, 315, 589, 718, 733 > V R S 13, 401; BB 1957, 1054). Er ist auch nicht schon daraus abzuleiten, d a ß der Verletzte an einen rechtlich verfolgbaren Ersatzanspruch nicht gedacht hat (RG J W 1936, 3382). Der Mitfahrer bei einer Dauerprüfungsfahrt für Kraftwagen verzichtet nicht ohne weiteres auf Schadensersatzansprüche aus einem Verschulden des Wagenlenkers (RG J W 1926, 2523°). Freundschaftsverhältnis bedeutet noch keinen Verzicht ( B G H V R S 7, 6), auch nicht der gesellschaftliche Verkehr ( B G H VersR 1959, 386). Der von seinem Arbeits vorgesetzten auf der Fahrt von und zur Arbeitsstätte mitgenommene Arbeitsuntergebene schließt die Haftung für Fahrlässigkeit nicht aus ( B G H VersR 1956 3 589)* -Es ist auch zu berücksichtigen, ob der Fahrer selbst Interesse an der Fahrt hatte ( B G H VersR 1957, 733). Noch weniger ist ein stillschweigender Ausschluß der Haftung anzunehmen, wenn es sich nicht um eine Gefälligkeitsleistung des sonst Schadensersatzpflichtigen, sondern um eine solche des Beschädigten handelt oder die Übernahme einer durch Verschulden des Schädigers erst begründeten Gefahr in Frage kommt (RG J W 1911, 714 14 ). Auch aus der Teilnahme an einer Vergnügungsfahrt ist nicht ohne weiteres ein Verzicht auf jede Haftung des Fahrers zu entnehmen (RG J W 1937, 149 9 ; B G H V R S 9, 94). Die Rechtsprechung hat die Möglichkeit eines stillschweigenden Haftungsausschlusses sehr eingeengt. Immerhin kann der Gesichtspunkt der U n e n t g e l t l i c h k e i t als ein für den Ausschluß der Haftung auch für Fahrlässigkeitsschäden sprechender Umstand, wenigstens beim Hinzutreten weiterer Umstände, gewertet werden (RG J W 1934, 2033 1 ; 1936, i8go 4 ;BGH 2, 159, 160; 21, 102, 110; NJW 1958,905; VRS 14, 406). Wegen der dogmatischen Bedenken gegen die Annahme eines Enthaftungsvertrages bei Gefalligkeitsfahrten vgl. E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 2 3 1 II. Uber stillschweigende Beschränkung
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der Haftung auf diejenige Sorgfalt, die der Halter und Fahrer eines Kraftwagens in seinen eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt vgl. R G H R R 1936 N. 1 2 3 3 ; B G H V R S 7, 6; B G H N J W 1958, 905; über die Anwendung des § 599 B G B auf Gefälligkeitsfahrten und andere Gefälligkeitsverhältnisse vgl. § 599 Anm. 2; ferner R G J W 1934, 2033. Wenn sich gemeinsame Fahrten als Gesellschaftsvertrag darstellen, dann kann die Haftungsbeschränkung nach § 708 eintreten ( B G H V R S 7, 6; VersR 1959, 386). Es besteht kein allgemeiner Grundsatz, daß derjenige, der unentgeltlich eine Verpflichtung übernimmt, nur für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit oder Fahrlässigkeit wie in eigenen Angelegenheiten haftet ( R G J W 1 9 3 1 , 3446). Haftungsausschluß unter beiden Gesichtspunkten ist auch möglich bei e n t g e l t l i c h e m Vertrag, wobei jedoch strenge Anforderungen zu stellen sind (RG 128, 229, 232; J W 1934, 2033 1 ; V A E 1936, 339 Nr. 306; O G H N J W 1950, 143 (vgl. auch § 8 a Abs. 2 S t V G ) ; B G H 2, 159, 160; V R S 7, 6). Haftung aus Dienstvertrag und aus u. H., wenn der Gutsbesitzer die bei ihm angestellte Erzieherin durch seinen Gutsverwalter zum Besuch der Kirche und des Arztes durch seinen Kraftwagen zur nächsten Bahnstation mitnehmen läßt: R G J W 1935, 1 1 5 4 . Das Bestehen einer H a f t p f l i c h t v e r s i c h e r u n g kann als mögliches Auslegungsnrttel gegen den stillschweigenden Abschluß eines Enthaftungsvertrages oder des Handelns auf eigene Gefahr sprechen; allerdings entspricht das Unterlassen eines Haftungsausschlusses im Hinblick auf die Versicherung j e nach der Gestaltung des Einzelfalles nicht dem Rechtsempfinden billig und gerecht Denkender ( R G J W 1934, 2033, 2034; 1939, 482; D R 1941, 1067; WarnRspr 1937 Nr. 9; Z A k D R 1939, 3 5 1 ; B G H VersR 1958, 851). Uber den Einfluß einer Kaskoversicherung des Halters auf die Haftung des Fahrers für Beschädigung des Wagens vgl. B G H VersR 1959, 500. Anm. 35 g ) U m f a n g des Haftungsausschlusses. Der Haftungsausschluß bewirkt in der Regel den Ausschluß der Gefährdungshaftung. Möglicherweise soll er sich auch auf die Haftung für F a h r l ä s s i g k e i t s s c h ä d e n — grundsätzlich nicht auf grobe Fahrlässigkeit — erstrecken ( B G H VersR 1957, 299; L M § 254[C] Zr. 2; V R S 14, 406). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist Tatfrage und als solche in der ReWsionsinstanz nicht nachprüfbar ( B G H VersR 1959, 370). Für den Ausschluß kann die Unentgeltlichkeit sprechen, soweit weitere Umstände dazukommen ( R G 128, 39: Annahme der Einladung zur Treibjagd bewirkt Haftungsausschluß für geringfügiges Versehen; 128, 229: Gefälligkeitsfahrt nach Pfälzer Weinorten schließt Haftung für gewöhnliche Fahrlässigkeit aus; R G 145, 394; H R R 1934, 1 3 5 2 ; B G H 2, 159; L M § 8 2 3 [Ha] Nr. 3 ; V R S 8, 324: Besuch von Faschingsveranstaltungen mit Kraftfahrzeug allein genügt nicht; V R S 14, 406; VersR 1955, 309; 1956, 388, 508, 589; 1957, 3 1 5 , 718, 733; 1958, 309). Bei Hinzutreten ganz besonderer Umstände kann ausnahmsweise Haftung für g r o b e Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein ( R G 1 1 7 , 1 0 3 ; 128, 229, 2 3 1 ; J W 1934, 346 und 2033; 1937, 1633; B G H VersR 1952, 350: Mitnahme eines Anhalters trotz Hinweises auf den offensichtlich zutage tretenden schlechten Zustand des Kraftfahrzeuges; V R S 10, 403; Freiburg VersR 1954, 228). J e d e Vereinbarung eines Haftungsausschlusses mit einem Schädiger, auch ohne sittenwidrige Zielsetzung, ist ohne Einfluß auf den Ausgleichsanspruch des anderen Gesamtschuldners gegenüber diesem Schädiger (BGH 12, 2, 14 m. Nachw.; VersR 1955, 56). A n m . 36 h ) Einzelfälle. Fälle vertragsmäßigen Ausschlusses der Haftung aus u. H. bilden die Verträge, in denen dem Tierhalter gegenüber ein anderer sich zu gewissen mit besonderen Gefahren vom Tiere her verbundenen Arbeitsleistungen verpflichtet; hier liegt die Übernahme der Gefahr im Inhalte des Vertrages, in der Natur der Vertragsleistung; es bedarf keiner weiteren Vereinbarung darüber (so für den Trainer und Zureiter R G 58, 4 1 0 ; J W 1905, 143 2 2 ). B G H VersR 1955, 120: keine Übernahme der Gefahr durch Jockei, die aus der bösartigen Veranlagung eines am Rennen teilnehmenden Pferdes entsteht. Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen lediglich Dienstleistungen hinsichtlich des Tieres übernommen werden, mit denen die allgemeine Tier-
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Unerlaubte Handlungen
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gefahr verknüpft ist (Leistungen des Tierarztes und des Hufschmieds); damit wird die Haftung des Tierhalters nicht ausgeschlossen; doch hat der durch das Tier verletzte Dienstverpflichtete aus dem Vertrage den Nachweis zu führen, daß ihn bei der Ausführung der übernommenen Leistung kein Verschulden trifft (RG 61, 54; J W 1905, 39210 u. 528'; 1906, 55322; 1907, 710"; WarnRspr 1908 Nr. 495; 1909 Nr. 212; 1911 Nr. 29). Vgl. darüber §833 Anm. 11; ferner Weimar DRiZ 1956, 198 über den Ausschluß der Tierhalterhaftung). BGH VRS 8, 171: Haftungsverzicht bei weiterer Benutzung einer im Umbau befindlichen Anlage; RG Recht ig 12 Nr. 1605: Benutzung eines schadhaften Souffleurkastens; Celle VersR 1955, 190: Betreten einer Weide als Handeln auf eigene Gefahr; Neustadt MDR 1956, 548: Einwilligung in Verletzung bei Fußballspiel; BGH 16, i n , 116: Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmer führt im Einzelfall zu Haftungsausschluß schuldhaft verursachter Schäden, die der besonderen Gefahr der übertragenen Arbeiten entspringen; s. auch RAG ArbRSlg 30, 1; 41, 259; BAG J Z 1958, 254; s. Anm. 27,37. B G H VersR 1959, 206: Teilnehmer an Jagd verzichtet nicht auf Haftung für fahrlässige Körperverletzung; B G H 22, 109: Zahlung der Prämien für Kaskoversicherung durch Mieter eines Kraftfahrzeugs an Vermieter bedeutet Haftungsausschluß für fahrlässige, aber nicht für grobfahrlässige u. H. A n m . 37 2. Gesetzlicher Haftungsausschluß a) Ausschluß von Schadensersatzansprüchen gegen Unternehmer oder deren Bevollmächtigte. Vgl. D e r s c h BB 1958, 488; ferner §618 Anm. 13. Nach •§§ 898, 899, 1042, 1219 RVO haben Versicherte, die auf Grund eines Arbeitsvertrages beschäftigt sind oder auch nur vorübergehend eine der in § 537 R V O aufgezählten Tätigkeiten ausüben (BGH LM RVO § 899 Nr. 4; § 254 [Ba] Nr. 5; RVO 899 Nr. 2: Beschäftigung auf Grund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung; VersR 1958, 371: Haftung eines Reeders; Voraussetzung für §537 Z. 10 R V O : BSG VersR 1958, 337 = NJW 1958, 158 und VersR 1959, 109; BGH 26, 16; VersR 1958, 128; Stuttgart VersR 1958, 34; LSG Stuttgart NJW 1957, 1575; LSG Celle VersR 1958, 136; vgl. auch BGH 24, 247 = VersR 1957, 517) oder unter den in §§ 538 bis 540 RVO aufgezählten Personenkreis fallen, und ihre Hinterbliebenen außer den Ansprüchen nach der R V O gegen Unternehmer oder deren „Bevollmächtigte" im Sinne des § 899 R V O grundsätzlich keinen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch einen Arbeitsunfall im Sinne der §§542 bis 544 RVO (OGH 1, 245: Wegeunfall; BSG BB 1957, 752) oder durch eine Berufskrankheit (§ 545 RVO) verursacht wird. Auch selbständige Unternehmer können nach Art eines Arbeitnehmers in einen fremden Betrieb eingegliedert sein (BGH VersR 1958, 376; 1959, 109; vgl. VersR 1959, 275). Ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis ist nicht erforderlich. Es muß sich um eine ernsthafte Tätigkeit hanein, die nach ihrer Art sonst von Personen verrichtet wird, die von dem Unternehmer persönlich und wirtschafdich abhängig sind (BGH VersR 1959, 109: BSG NJW 1958, 158). Dies trifft für einen beratenden Lotsen nicht zu, der im Rahmen seines eigenen Unternehmens (Lotsengewerbe) auf einem Schiff tätig wird (BGH VersR 1958, 395 in B G H 27, 79 nicht mitabgedruckt). Ein selbständiger Unternehmer ist dann nicht eingegliedert, wenn er im Aufgabenkreis seines eigenen Unternehmens tätig wird, auch wenn er Ausführungsangaben des fremden Unternehmers befolgt (BGH Betrieb 1959, 659; ferner VersR 1959, 429). Arbeitsunfall ist jedes plötzliche, unvorhergesehene Ereignis, das ursächlich mit der Betriebsarbeit zusammenhängt und die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt (RVA EuM 16, 83). Der Schadensersatzanspruch entfällt selbst dann, wenn ihnen von der Sozialversicherung keine Rente gewährt wird (RG DR 1944, 783). Nach dem Gesetz ist lediglich der Ausschluß des Anspruchs gegen Unternehmer oder Gleichgestellte, nicht gegen Mitarbeiter vorgesehen (vgl. dazu O e h m a n n BB 1956, 726). Jedoch haftet ein Arbeitnehmer, der fahrlässig einen Arbeitsunfall eines anderen Arbeitnehmers desselben Betriebes oder Unternehmens verursacht hat, dem Geschädigten nicht, wenn und soweit ihm eine Belastung mit solchen Schadensersatzansprüchen nicht zugemutet werden kann, weil seine Schuld im Hinblick auf die besondere Gefahr der ihm übertragenen Arbeit nach den besonderen Umständen des 76
Komm. 2. B G B , n . Aufl. II. Bd. (Haager)
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Anm. 38, 39 Falles nicht schwer ist ( B A G N J W 1958, 235 = J Z 1958, 254 m. Anm. H e r r s c h e l ; ferner krit. Besprechung von K l e i n J Z 1958, 585; K n o l l J Z 1959, 137). Zur Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers vgl. S t e i n d o r f f J Z 1959, I. Gegenüber einem Dritten, der nur vorübergehend wie ein Arbeitnehmer in demselben Betrieb tätig ist, ist die Haftung nicht ausgeschlossen ( B G H VersR 1959, 109). Die Haftung ist ihm zumutbar, wenn er z. B. seinerseits einen Deckungsanspruch aus einer Haftpflichtversicherung hat, z.B. Kraftfahrzeugpflichtversicherung, oder sein Arbeitgeber eine öffentlich-rechtliche Körperschaftist, die Ersatz leisten muß ( B A G BB 1958, 520 = J Z 1958,41 i ; B G H 27, 62; VersR 1959, 109). Mit dieser Entscheidung des BGH dürfte die Einheit der Rechtsprechung zwischen BGH und BAG wiederhergestellt sein, die zuletzt durch die Entscheidung des B G H v . 14. 1. 1958 (BB 1958, 269) unterbrochen war (vgl. B G H VersR 1957, 336; 1958, 182). Soweit eine öffentlich-rechtliche Körperschaft einzustehen hat (Art. 8 Ges. über Maßnahmen auf dem Gebiet des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts v. 16.7. 1957 (BGB I 710), steht dem § 898 R V O nicht entgegen, da sie nicht als Arbeitgeber, sondern als Quasiversicherer haftet. Wegen des Ausschlusses von Ansprüchen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer aus unerlaubter Handlung und wegen des Anspruchs des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, ihn von Schadensersatzansprüchen Dritter freizustellen s. Anm. 27. Die Haftung des Unternehmers ist auch bei verbotswidriger Beschäftigung ausgeschlossen (BGH 3, 298, 301). Wegen des Begriffs der Hinterbliebenen vgl. §§ 588—593 R V O .
Anm. 38
U n t e r n e h m e r ist derjenige, auf dessen Rechnung ein oder mehrere Betriebe oder Tätigkeiten gehen (§ 633 R V O ; vgl. hierzu L a u t e r b a c h R V O §§ 537, 898). Kapitalmäßige Beteiligung genügt nicht (BGH Betrieb 1957, 235). Der Begriff ist erweitert durch das 6. Änderungsgesetz zur R V O v. 9. 3. 1942 (RGBl I, 107; amtliche Begründung s. E c k e r t - S a u e r b o r n „Die Sozialversicherungsgesetze" § 537 Anm. 2). Unternehmer für die Tätigkeit deutscher Arbeitskräfte bei der Besatzungsmacht war das Deutsche Reich und die Bundesrepublik (BGH 20, 3 0 1 ; NJW 1958, 182; ebenso für Beschäftigungen bei der Deutschen Reichsbahn; vgl. B V e r w G J R 1954, 3 1 3 ; N J W 1958, 762). Zur Frage, ob ein Versicherter gleichzeitig für mehrere Unternehmer tätig sein kann: R G m , 160; B G H 24, 247; L M R V O § 899 Nr. 4; W u s s o w „Das Unfallhaftpflichtrecht" 6. Aufl. 6. Teil B 4 S. 6 3 1 ; vgl. Anm. 44.
Anm. 39 B e v o l l m ä c h t i g t e oder R e p r ä s e n t a n t e n müssen eine mit einem gewissen Pflichtenkreis verbundene, zu Weisungen und zur Beaufsichtigung berechtigende, selbständige .Stellung im Betrieb, mindestens für gewisse Gattungen von Geschäften oder für räumlich abgetrennte Teile, nicht notwendig rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis haben (RG 136, 345, 350; B G H VersR 1957, 4 3 1 ; 1958, 195; L M R V O §899 Nr. 2; B V e r w G NJW 1958, 762). Der Geschäftsführer einer GmbH verliert die Repräsentantenstellung mit Konkurseröffnung (BGH VersR 1958, 195). B e t r i e b s und A r b e i t s a u f s e h e r n muß eine Aufsichtstätigkeit über Betriebsangehörige oder wenigstens über einen Teil der Betriebseinrichtung obliegen (RG 167, 385; 170, 159, 1 6 1 ; 172, i o 2 ; B G H ig, 114, 1 1 6 ; VersR 1958, 182; 1959, 109). Zur Frage der Haftung eines Unternehmers oder eines Gleichgestellten als Kraftwagenfahrer gegenüber einem Arbeitsunfallgeschädigten vgl. M ö r i n g VersR 1956, 608; B ö h m e VersR 1956, 745; J a c o b i VersR 1957, 143; A s a n g e r VersR 1958, 362; S a i g e r VersR 1957, 701. Die Entscheidung hängt davon ab, ob der Schutz der R V O davon abhängt, daß der Schädiger als Unternehmer oder als Aufseher tätig war (s. u.). Bej a h t wurde § 899 R V O : Bäuerin in Abwesenheit ihres Ehemannes: R G D R 1944, 780; Lokomotivführer: R G D R 1944, 4 9 1 ; B G H VersR 1957, 818; Stauervizen eines Stauereiunternehmers: B G H 26, 152 = VersRig 58, 1 7 ; vgl. Hamburg VersR 1958, 383 und 701; Straßenbahnwagenführer: Stuttgart VersR ig57, 467; Rangierer: B G H VersR 1957, 818. V e r n e i n t : Kraftwagenfahrer: R G D R 1943, 4g4; B G H 19, 114, 1 1 6 m. Anm. G e i g e l J Z 1956, 704; VersR 1959, 109; B A G N J W 1958, 235; Einfahrmeister einer Fabrik: R G D R 1943, 648; Uberwachungskommando von Strafgefangenen, die in
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Unerlaubte Handlungen
V o r § 823
Anm. 40, 41
einer Fabrik arbeiten: B G H L M § 157 (D) Nr. 5 ; Mitangestellter mit einer gewissen örtlichen Leitung: B G H V e r s R 1958, 182. Der Aufseher muß zur Zeit des Unfalls eine Aufsehertätigkeit ausüben ( R G 167, 385, 3 8 7 ; R G D R 1943, 648; Tübingen D A R 1952, 6; Bamberg D A R 1958, 104; a A W u s s o w „Unfallhaftpflichtrecht" 6. Aufl. 6. Teil C 9 S. 646). E r muß bei Verursachung des Schadens im Rahmen des Betriebes handeln (kein derartiges Handeln bei Mitnahme eines Arbeiters zur Heimfahrt in einem Privatfahrzeug des Aufsehers: B G H N J W 1956, 1 5 1 4 ) . Die Gleichgestellten müssen ihre Stellung in demselben Betrieb — nicht Unternehmen — haben, dem der Versicherte zur Zeit des Unfalls angehört ( B G H N J W 1958, 182 m. krit. Bespr. K l e i n BB 1958, 744).
Anm. 40 b) L e i h a r b e i t s v e r h ä l t n i s . Bevollmächtigte usw. müssen in der Regel Betriebsangehörige des versicherungspflicht ; gen Betriebes sein ( R G 136, 345, 3 5 0 ; 172, 1 0 1 , 1 0 5 ; R V A E u M 46, 250; B G H 2 1 , 207; L M R V O § 898 Nr. 5). Keine Betriebszugehörigkeit ist erforderlich bei sogenannten „Leiharbeitsverhältnissen" und ähnlichen Fällen (über die Rechtsprechung zum „Leiharbeitsverhältnis" vgl. B a c h V e r s R 1956 Nr. 3 3 7 ; ferner T r i e s c h m a n n Betrieb 1956 Heft 39 Beilage 1 6 ; B G H N J W 1957, 465). Wird ein Arbeiter von seinem Arbeitgeber (Stammbetrieb) einem anderen Unternehmer zur Verfügung gestellt (Leiharbeitsverhältnis), oder kommt ein ähnliches Verhältnis — auch nur vorübergehend — zustande, und bleibt daher der entleihende Unternehmer nicht außerhalb der arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Stammunternehmer, so ist er, wenn sich bei ihm ein Arbeitsunfall ereignet, einem Bevollmächtigten nach §899 R V O gleichzustellen ( R G 1 7 1 , 3 9 3 ; 172, 102, 106; B G H 8, 330, 3 3 4 ; 2 1 , 207; L M R V O § 898 Nr. 5 ; B G B § 254 [Ba] Nr. 5 ; R V O § 899 Nr. 2 : Bauunternehmer führt Schuttaufräumung für Stadtverwaltung mit deren Arbeitskräften aus; L M R V O § 899 Nr. 4 : Kraftfahrer eines Transportunternehmens wird zur Mithilfe beim Aufladen zur Verfügung gestellt). Gleiches gilt, wenn ein (Neben)-Unternehmer mit eigenen Leuten in einem anderen (Haupt)-Betrieb Arbeiten ausführen läßt. In diesem Fall können sich der Nebenunternehmer und der Hauptunternehmer auf die Haftungsbefreiung berufen ( B G H 2 1 , 207, 209). Nachdem die Rechtsprechung anerkannt hat, daß eine Beschäftigung für mehrere Betriebe erfolgen kann (vgl. Anm. 44) und daher mehrere Betriebe nach § 898 R V O freigestellt sein können, ist der U m w e g über das Leiharbeitsverhältnis praktisch überflüssig. Der Arbeitnehmer muß der Arbeitsleitung des fremden Betriebs wie ein eigener Arbeiter unterstellt sein ( § 5 3 7 Ziff. 10 R V O ) .
Anm. 41 b ) Diese Grundsätze, insbesondere über das Leiharbeitsverhältnis finden keine Anwendung, wenn der Betroffene nicht durch betriebliche Einordnung dem Unternehmen, in dem er tätig wird, verbunden ist ( B G H 2 1 , 207; V e r s R 1956, 660; 1957, 245, 338, 4 1 4 ; 1958, 128, 184, 305, 363, 376, 8 1 8 ; 1959, 109). Die Anwendung der Grundsätze ist b e j a h t . Bei gemeinschaftlichen Arbeiten von Arbeitern mehrerer Unternehmer an einem Arbeitsgegenstand zur Erbringung eines g e m e i n s a m e n Arbeitsergebnisses: B G H L M R V O § 898 Nr. 5 (zweifelhaft; vgl. B G H N J W 1959, 1 4 9 1 ) ; bei gemeinschaftlicher Arbeitsverrichtung durch Angehörige mehrerer Betriebe: München N J W 1955, 1686; wegen Mitarbeit an einer Dreschmaschine vgl. B G H N J W 1957, 465; Bamberg V e r s R 1957, 1 1 4 ; Bauunternehmer überläßt Baugerüst einem anderen Unternehmer: München V e r s R 1958, 406; vgl. B G H 2 1 , 207; N J W 1959, 1491. Die Anwendung der obigen Grundsätze wurde v e r n e i n t : Ein fremder Betriebsvorgang vollzieht sich im eigenen Betrieb, ein fremder Betriebsvorgang schließt sich zeitlich oder räumlich einem eigenen an, Vorrichtungen und Gerätschaften werden einem fremden Betrieb zur Verfügung gestellt: B G H 2 1 , 207, 2 1 1 ; K ä u f e r stellt M a schinenlieferanten Hilfskräfte zur Aufstellung der gekauften Maschine: R G Recht 1 9 1 5 , 2393; Arbeiter eines Unternehmers helfen Frachtführer beim Abholen von Waren: B G H V e r s R 1956, 252; Wachmann bewacht im Auftrage seines Arbeitgebers einen 76*
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V o r § 823 A n m . 42—44
Schuld Verhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Vorgang im fremden Betrieb: B G H 21, 207; Nebenunternehmer verletzt bei Arbeiten im fremden Betrieb Arbeiter dieses Betriebs, die ihm zur Verfügung gestellt sind: R G 170, 216, 219; 172, 101, 105 m. Nachw.;BGH 21, 207; zur Frage, ob Eigentümer eines zu transportierenden Gegenstandes Bevollmächtigter des den Transport durchführenden Unternehmers gegenüber dessen Arbeitern ist: B G H 20, 385, 395; zwei Arbeiter verschiedener Unternehmen sind bei einer gesonderten, aber räumlich nahen Arbeit einer gemeinsam von einem Dritten gestellten Aufsicht unterworfen: B G H N J W 1956, 12365 VersR 1958, 363; vgl. VersR 1958, 184; wenn selbständige Unternehmer bei Erfüllung einer ihnen Dritten gegenüber obliegenden Vertragspflicht miteinander in Berührung kommen und die Arbeiter des einen nicht in den Betrieb des anderen eingegliedert werden: B G H VersR 1956, 553; 1957, 245, 6 1 5 ; 1957, 305; Kraftwagenfahrer beim Entladen von Eisenbahnwaggons: B G H VersR 1957, 818; vgl. B G H VersR 1957, 1 0 1 ; 1958, 376; BB 1957, 114. A n m . 42 c) U m f a n g d e s A u s s c h l u s s e s s. auch Vorbem. § 6 1 1 Anm. 20. Ausgeschlossen sind sämtliche Schadensersatzansprüche aus Verträgen (RG 84, 415, 426; 157, 282; B G H VersR 1952, 343; 1958, 339: Ansprüche aus § 618) und sonstigen Rechtsgründen z. B. u. H. einschließlich der Gefährdungshaftung, auch Ausgleichsansprüche gegen den Unternehmer (BGH BB 1956, 80). Ausgeschlossen sind nur Ansprüche aus Personenschäden einschließlich Schmerzensgeld (RG D R 1944, 783; B G H 3, 298, 302; 26, 152; B A G N J W 1956, 1 7 7 1 ; vgl. ferner R i e t s c h e l und K n o l l J Z 1955, 35, 318), nicht aus Sachschäden (BGH 28, 3 1 0 ; Oldenburg VersR 1957, 545; München N J W 1955, 1686; Düsseldorf M D R 1957, 745; D e r s c h BB 1958, 488; aA Köln ZVerswes 1954, 482; Koblenz VersR 1955, 425), mit Ausnahme von Schäden an Körperersatzstücken (vgl. §§ 555, 558 Abs. 2, 558 b Nr. 2 R V O ) . Zur Frage, ob die Schadensersatzansprüche nach § 845, die der Dienstberechtigte eines nur verletzten Versicherten erhebt, beschränkt sind, vgl. L G Münster BG 1954, 444 und B ö h m e VersR 1956, 334; ferner Celle NJW 1959, 990 m. Bespr. Schmalzl. Ausgeschlossen sind auch Ansprüche aus Amtspflichtverletzungen, wenn der Dienstherr zugleich Unternehmer ist (RG 67, 385: B V e r w G 1958, 762), nicht jedoch Ansprüche gegen den öffentlichrechtlichen Arbeitgeber auf Freistellung von Schadensersatzansprüchen Dritter gegen den Arbeitnehmer (vgl. Anm. 27, 37). A n m . 43 d) H a f t u n g d e s U n t e r n e h m e r s bei V o r s a t z . Der Unternehmer oder die nach § 899 R V O „Gleichgestellten" haben den die Entschädigung aus der Unfallversicherung übersteigenden Schaden zu ersetzen, wenn der Unfall vorsätzlich herbeigeführt wurde, und wenn außerdem die vorsätzliche Herbeiführung strafgerichtlich festgestellt ist oder wegen des Todes, der Abwesenheit oder eines anderen, in der Person des Verpflichteten liegenden Grundes (vgl. § 205 StPO) kein strafgerichtliches Urteil ergeht (Unzulässigkeit der Verurteilung eines Besatzungsangehörigen: B V e r w G N J W 1958, 762). Wegen der Unmöglichkeit der Verurteilung einer J P keine Haftung (RG 71, 3, 5; 167, 385; B V e r w G N J W 1958, 762; B G H 25, 231, 236; vgl. § 6 1 8 Anm. 13). Straffreiheitsgesetze bilden keinen in der Person liegenden Grund (RAG D R 1942, 686; S c h w e i g h ä u s e r J R P V 1938, 146). Nach der früheren Rechtsprechung bilden Strafbefehle keine strafrichterliche Feststellung (RG E u M 14, 401). A n m . 44 Die ordentlichen Gerichte — auch Arbeitsgerichte ( D e r s c h BB 1958, 488, 491) — sind nach § 901 R V O an den — evtl. nach Aussetzung des Verfahrens — ergangenen Bescheid der Versicherungsträger und die Entscheidung der Sozialgerichte gebunden, ob ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliegt (über den Umfang der Bindung an die Verneinung eines Betriebsunfalls vgl. R A G E u M 40, 23; R G 102, 1 3 1 ; 136, 345, 349; R A G J W 1957, 2670) einschließlich der Feststellung des u r s ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h a n g s (RG Recht 1913, 2787), ob der Verletzte zu den versicherten Personen gehört (RG 92, 296), w i e w e i t der Versicherungsträger Entschädigung gewährt (BGH
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Unerlaubte Handlungen
V o r § 823 Anm. 45, 46
24, 247; V e r s R 1958, 288). Bei dem Begriff der „Entscheidung" i. S. des § 9 0 1 R V O muß es sich u m einen ausdrücklichen rechtsmittelfähigen Ausspruch handeln, den der Betroffene erkennen und gegen den er sich zur Wehr setzen kann ( B G H V e r s R 1957, 320). Liegt keine Entscheidung darüber vor, welcher Betrieb Unfallbetrieb ist, so hat das Zivilgericht darüber frei zu befinden ( B G H V e r s R 1957, 320). Nach der früheren Rechtsprechung band eine nach § 9 0 1 R V O erlassene Entscheidung die Zivilgerichte auch insoweit, als darüber erkannt war, in welchem Betrieb der Unfall sich ereignete, mit der Folge, daß keine andere Person Unternehmer im Sinne des § 898 sein konnte ( R G 1 7 1 , 393, 397; 172, 1 0 1 , 104; vgl. 172, 85, 87; B G H 8, 330, 3 3 2 ; N J W 1 9 5 7 . 4 6 5 ; L M R V O § 899 Nr. 2). Trotz dieser Bindung konnten die Zivilgerichte einem weiteren Unternehmer die Haftungsfreistellung gewähren, wenn er z. B. beim Leiharbeitsverhältnis als Bevollmächtigter des anderen Unternehmers nach § 899 R V O angesehen werden konnte ( R G 136, 348; 170, 2 1 6 ; D R 1943, 196; B G H 8, 3 3 0 ; L M R V O § 898 Nr. 5 ; V e r s R 1958, 288). Eine Beschäftigung kann jedoch für mehrere Betriebe erfolgen und ein Unfall kann daher mehreren Betrieben zugerechnet werden ( B G H 24, 247), wenn z. B. die Voraussetzungen des § 537 Nr. 1 und des § 537 Nr. 10 R V O vorliegen. Aus der Erweiterung des Unfallschutzes durch § 537 Nr. 10 R V O folgt daher, daß gleichzeitig mehrere Betriebe schon nach § 898 von der Haftung fre'gestellt werden können. Wenn daher eine Berufsgenossenschaft den Unfall als Arbeitsunfall für ihren Bereich anerkannt hat, ist das Zivilgericht nicht gehindert zu prüfen, ob der Unfall auch einem anderen Betrieb als Betriebsunfall zuzurechnen ist, so daß auch noch ein weiterer U n t e r n e h m e r sich auf den Ausschluß seiner zivilrechtlichen Haftung berufen kann ( B G H 24, 247 m. Anm. H a u e i s e n J Z 1958, 1 2 7 ; N J W 1957, 465; V e r s R 1958, 128, 196; 1959, 109; Nürnberg V e r s R 1958, 464; vgl. B S G V e r s R 1958, 337). Es kann die Berufsgenossenschaft n u r eines Betriebes (des Stammunternehmens) die Versicherungsleistung nach außen übernehmen ( B S G N J W 1958, 158 = V e r s R 1958, 337). Für das zivilrechtliche Haftungsprivileg ist es aber möglich, daß mehreren Unternehmern der Schutz des § 898 R V O zugute kommt.
Anm. 45 e) Gesetzlicher Haftungsausschluß nach anderen Bestimmungen.
Ähnliche Haftungsbeschränkungen mit verschiedenem U m f a n g greifen Platz nach § 124 D B G ( B G H 6, 3), § 51 B G B , nach Versorgungsgesetzen z. B. § 81 BVersG v. 7. 8. 1953, § 52 Soldatenversorgungsgesetz v. 26. 7. 1957 (BGBl I 785).
Anm. 46 f) Einschränkung des Haftungsausschlusses bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr. Der Haftungsausschluß ist beschränkt durch das Gesetz über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen v. 7. 1 2 . 1943 ( R G B l I 674; amtliche Begründung D J 1944, 2 1 ) . Vgl. auch § 1 5 1 Abs. 2, Satz 2 B B G und § 86 BVersG. Danach können Schadensersatzansprüche aus Dienstunfällen oder Arbeitsunfällen geltend gemacht werden, wenn sie bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eintreten. Teilnahme am allgemeinen Verkehr liegt vor, wenn eine Fahrt nicht durch innerbetriebliche Verhältnisse veranlaßt ist, der Betroffene den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer und nicht gerade als Betriebsangehöriger erleidet, also zwischen Unfall und Berufstätigkeit nur ein so loser Zusammenhang besteht, daß auch eine betriebsfremde Person sich in der gleichen Verkehrslage befindet
(BGH 8, 330, 337; 19, 114, 119; VersR 1958, 182; B V e r w G NJW 1956, 762; vgl. F r i e s e N J W 1950, 416).
T e i l n a h m e a m a l l g e m e i n e n V e r k e h r b e j a h t : Fahrt eines Angestellten im eigenen Wagen, Mitnahme eines Arbeiters durch Bevollmächtigten oder Betriebsaufseher in dessen eigenen Wagen ( B G H N J W 1956, 1 5 1 4 ; R G J W 1939, 763; zweifelhaft O G H 1 , 245); Betriebsangehöriger wird auf dem Wege zur Arbeitsstätte als Fußgänger von einem Betriebsfahrzeug angefahren ( B G H 8, 330, 3 3 7 ) ; Mitnahme im Wagen eines Unternehmers (München V e r s R 1954, 1 4 5 ) ; zu Privatzwecken gefälligkeitshalber von Betriebsunternehmer mitgenommener Arbeitnehmer erklärt sich unterwegs bereit, am Bestimmungsort notfalls geschäftliche Besorgungen zu erledigen ( B G H V e r s R 1956,
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V o r § 823 A n m . 47—49
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
388); Unfall beim Verlassen des Eisenbahnzugs auf dem Weg zur Arbeit (BGH 2 0 , 301, 302); Zusammenstoß eines Betriebsangehörigen im betriebseigenen Fahrzeug mit einem anderen Kraftwagen dieses Betriebs bei Fahrt im Interesse des Betriebs (Nürnberg VersR 1958, 253). T e i l n a h m e am a l l g e m e i n e n V e r k e h r v e r n e i n t : Unternehmer läßt Arbeiter mit werkeigenen Wagen laufend zur Betriebsstätte bringen (BGH 8, 330, 338 m. Nachw.); Betriebsangehöriger wird nach Betriebsveranstaltung auf Anordnung des Unternehmers im betriebseigenen Wagen heimgebracht (BGH 19, 114, 118; vgl. Karlsruhe VersR 1958, 100); Straßenbahnschaffner während des Dienstes (BGH VersR 1953, 256); Mitnahme auf Geschäftsfahrt zu Handreichungen (BGH 3, 298, 304); Fürsorgerin während des Dienstes innerhalb des Krankenhausgeländes (BAG NJW 1956, 1771); Teilnahme an Geschäftsfahrt zu privaten Vergnügungszwecken (Schlesw.-Holstein SchlHA 1955, 297; zweifelhaft!); Mithilfe beim Abschleppen eines Kraftwagens (Stuttgart VersR 1957. 674). A n m . 47 V. Ursachenzusammenhang 1. Allgemeines. Vgl. § 249 Anm. 13fr; E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 15; L a n g e AcP 156, 114: Herrschaft und Verfall der Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang; v. C a e m m e r e r , Das Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht 1956; NJW 1956, 569; C a n t z l e r AcP 156, 43fT; L i n d e n m a i e r ZHR 113, 207; L a r e n z NJW 1955, 1009; 1958, 627. Der Schädiger ist zum Ersatz des durch sein Verhalten v e r u r s a c h t e n S c h a d e n s verpflichtet. Ursache ist die Summe der Bedingungen, von denen der Eintritt eines Erfolges abhängt. Es ist der menschlichen Erkenntnis nur selten möglich, das Zusammenwirken aller Glieder einer Ursachenkette zu überschauen. Noch weniger ist der menschliche Wille imstande, alle Bedingungen eines Geschehens maßgebend zu bestimmen. Deshalb ist dieser Ursachenbegriff für die Frage unbrauchbar, ob ein menschliches Tun oder ein Geschehen für ein eingetretenes Ereignis mit der Folge ursächlich geworden ist, daß daran die Verantwortung für den schadenbringenden Erfolg geknüpft werden kann. Bei der grundsätzlichen G l e i c h w e r t i g k e i t aller Bedingungen muß es für die rechtliche Beurteilung z u n ä c h s t genügen, daß durch ein Tun oder Geschehen eine Bedingung gesetzt worden ist, ohne die das Ereignis nicht eingetreten wäre, conditio sine qua non, Bedingungstheorie (RG 155, 37; BGH 2, 138). Dieser Kreis aller natürlichen Ursachen ist zu groß, um für jede ihrer Folgen den Verursachenden verantwortlich zu machen (BGH 3, 261, 265). Während im Strafrecht das notwendige Korrektiv in der Schuld gefunden wird, fehlt es im Zivilrecht an dieser Einschränkung, weil das Zivilrecht eine Haftung für die aus einem rechtswidrigen Erfolg entstehenden Schäden ohne ein sich hierauf erstreckendes Verschulden anordnet. A n m . 48 2. Adäquater Ursachenzusammenhang a) Adäquanz als Voraussetzung der Zurechenbarkeit. Das Zivilrecht hat daher die Grenze zu ermitteln, bis zu der im Rahmen des an sich gegebenen natürlichen Ursachenzusammenhangs dem Urheber einer B e d i n g u n g eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann (RG H R R 1933 Nr. 498; BGH 3, 261, 265, 267; NJW 1952, 1010; JZ 1956, 177). A n m . 49 b) Begriff des adäquaten Ursachenzusammenhangs. Hierfür hat die Rechtslehre den Begriff der adäquaten Verursachung geschaffen. Voraussetzung ist somit zunächst, daß der schadenbringende Erfolg ohne die Handlung des Schädigers oder das ihm zuzurechnende Geschehnis nicht eingetreten wäre. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob das in Rede stehende Ereignis eine conditio sine qua non darstellt, ob also das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der sich dann ergebende Zustand überhaupt nicht mehr in die für die rechtliche Wertung in Betracht kommende Erfolgskategorie fällt, oder ohne daß zumindest der konkrete Erfolg innerhalb dieser Kategorie in einer Weise verändert wird, die für die rechtliche Würdigung erheblich 1184
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Vor § 823 A n m . 49
ist (RG 148, 154, 166; BGH 2, 138; 25, 86, 88; LM BGB § 281 Nr. 1, § 839 [C] Nr. 2; NJW 1957, 97; VersR 1956, 571; 1957, 529; 1958, 384; W M 1958, 697). Hierfür genügt nicht die Annahme, daß der Schaden durch eine Handlung „möglicherweise" oder „vielleicht" verursacht worden ist (BGH 2, 138). Erst wenn diese Voraussetzung festgestellt ist, ist der weiteren Frage nachzugehen, ob die Handlung oder das Geschehnis adäquat und somit haftungsauslösend ist. Wie die Rechtsprechung formuliert hat, darf hierfür die Möglichkeit eines Schadenseintritts als Folge dieser Handlung oder dieses Geschehens von vornherein nicht außer aller Wahrscheinlichkeit liegen (RG 133, 126; 148, 154, 165; 152, 397, 401; 155, 37, 41; 168, 86, 88; 169, 9 1 ; BGH NJW 1951, 596; 1952, 1009; W M 1956, 1229), sie darf nicht jeder Erfahrung widersprechen (RG 168, 235), die Möglichkeit des Eintritts darf nicht so entfernt sein, daß sie nach der Auffassung des Lebens vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden kann (RG HRR 1931 Nr. 1638; BGH LM § 249 [Ba] Nr. 8; [Bb] Nr. 3), sie darf nicht ungewöhnlich sein (BGH LM §281 Nr. 1; VersR 1958, 413) oder positiv formuliert (vgl. E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 15, 2a), die Handlung oder das Geschehen müssen „generell" oder „erfahrungsgemäß" und nicht nur unter ganz besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und deshalb nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein, zu einem derartigen Erfolg zu führen (RG 104, 143; 133, 126; 135, 149, 154; 141, 169, 172; 148, 154, 165; 152, 49; 158, 34. 38; 168, 86, 88; 169, 1, 18; J W 1931, 1692 4 ; 1936, 1434 5 ; D R 1943. i 9 4 1 0 ;
WarnRspr 1931 Nr. 85; BGH 17, 214, 219). Die Begebenheit muß die objektive Möglichkeit eines Erfolgs von der Art des eingetretenen generell in nicht unerheblicher Weise erhöht haben (BGH 3, 261 m. Anm. L i n d e n m a i e r LM §823 [G] Nr. 1; 25, 86, 88; 26, 69, 77; LM § 249 [Ba] Nr. 8; [Bb] Nr. 2; 828 Nr. 1; HGB § 126 Nr. 1; BEG § 1 Nr. 7; NJW 1938, 341; VersR 1956, 571; 1957, 529). Diese rechtliche Beurteilung kann nicht rückschauend von der Wirkung aus die Ursache bestimmen, sie muß von den Ursachen aus die mögliche Wirkung ins Auge fassen. Die Prüfung der Adäquanz einer Bedingung muß unter Heranziehung des gesamten im Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehenden Erfahrungswissens berücksichtigen a. alle zur Zeit des Eintritts der Handlung oder Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren Umstände, b. die dem Setzer der Bedingung noch darüber hinaus bekannten Umstände (BGH 3, 261; LM BEG § 1 Nr. 15; VersR 1958, 185). Es handelt sich bei der Ermittlung der Adäquanz um eine wertende Beurteilung, mit der aus der Vielzahl der Bedingungen im naturwissenschaftlichen und philosophischen Sinn diejenigen ausgeschieden werden, die bei vernünftiger Beurteilung der Dinge nicht mehr als haftungsbegründend angesehen werden können (BGH 18, 286, 288; VersR 1959, 31; vgl. L a r e n z , Schuldrecht, §14, 3b Fußn. 2). Die Haftungsgrenze ist weit zu ziehen, wenn der Urheber einer Bedingung die mehr oder weniger entfernt liegende Möglichkeit des Eintritts eines schädigenden Erfolgs bewußt in Kauf genommen hat (BGH 18, 286, 288 m. Anm. S i e g ; J Z 1956, 177). Der BGH hat mehr oder weniger deutlich Billigkeitsgesichtspunkte (§ 242 BGB) herangezogen (BGH 20 137, 142, 143; NJW 1952, 1010 m. Bespr. K i r c h b e r g e r NJW 1952, 1000; VersR 1959, 31; vgl. L a n g e AcP 1956, 115; s. auch Düsseldorf NJW 1957, 1153). Die bisherige Betrachtungsweise, die die Haftungsbegrenzung nur unter dem Gesichtspunkt des adäquaten Kausalzusammenhangs sieht, löst die Frage der Haftungsbegrenzung nicht immer in geeigneter Weise. Es muß geprüft werden, ob die Tatfolge, für die Ersatz begehrt wird, innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm liegt (BGH 27, 137; NJW 1938, 1044; vgl. § 823 Anm. 96, 97, 112). Im S o z i a l v e r s i c h e r u n g s r e c h t findet die Lehre von der adäquaten Verursachung keine Anwendung. Es gilt der VerursachungsbegrifF der wesentlich mitwirkenden Teilursachen ( B S G 1, 151, 157 u. 254; MDR 1958, 281; NJW 1958, 1206; vgl. Pesch NJW 1958, 1074). Da es auf die generelle, also objektive Geeignetheit zur Herbeiführung des eingetretenen Erfolgs ankommt, ist die subjektive Voraussehbarkeit nicht erforderlich (RG 81, 359, 3 6 1 ; 148, 154, 165; 168, 86, 88; DR 1942, 574; BGH LM 249 [Ba] Nr. 8; NJW 1951, 596; vgl. BGH VersR 1956, 625). Dieser kommt Bedeutung für die Beurteilung des Verschuldens zu. Es muß bei der Haftung aus Verschulden der erste rechtswidrige
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Erfolg voraussehbar gewesen sein (§ 823 Anm. 3, 7), während die Haftung für den weiter daraus entstehenden Schaden sich nach dem Ursachenzusammenhang richtet (RG 148, 154, 165). A n m . 50 Der Kausalzusammenhang ist zunächst erheblich für den haftungsbegründenden Tatbestand selbst, wenn die Schadensersatzpflicht an die Herbeiführung eines rechtswidrigen Erfolges geknüpft ist. Es muß in diesem Falle die Kausalität bei der Feststellung des haftungsbegründenden Tatbestandes vorliegen (haftungsbegründende K a u salität; vgl. E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 15 I). Außerdem gibt der Ursachenzusammenhang die Begrenzung der Haftung für den daraus entstandenen Schaden (haftungsausfüllende Kausalität). Diese Unterscheidung hat Bedeutung für den Beweis des Ursachenzusammenhangs. Für die Feststellung des Tatbestandes der schädigenden Handlung selbst, der haftungsbegründenden Kausalität gilt § 286 ZPO, während die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität nach § 287 Z P O unter Würdigung aller Umstände nach freiem Ermessen erfolgt (BGH 2, 138, 140; 7, 198, 203; L M BGB § 249 [Bb] Nr. 2; VersR 1957, 286, 529; vgl. Anm. 100). A n m . 51 c) Mittelbare und unmittelbare Verursachung. Es ist, wie bereits ausgeführt, grundsätzlich unerheblich, ob außer der vom Täter gesetzten Ursache noch andere Ursachen mitgewirkt haben. Es ist gleichgültig, ob die für den Erfolg maßgebende Bedingung diesen unmittelbar oder mittelbar, allein oder in Verbindung mit anderen Umständen, eine Gefahr schaffend oder nur steigernd herbeigeführt hat (RG 73, 289; 81, 359! 129, 128; J W 1903 Beil. 32; 1905, 486 4 ; 1909, 13610 und 312 9 ; 1911, 319 4 , 3996 und 754°; 1912, 581 1 ; 1914, 980 5 ; 1916, 11152; 1936, 13562; WarnRspr 1911 Nr. 363; SeuffArch 81 Nr. 23; LZ 1921, 2673; B G H L M BGB § 249 [Bb] Nr. 3; H G B § 735 Nr. 5; VersR 1957, 167). Infolgedessen kann ein sich über längere Zeit erstreckendes, aus einer Reihe von Einzelhandlungen bestehendes Gesamtverhalten als einheitliche Ursache eines Schadens angesehen werden, wenn eine Handlung allein nicht geeignet gewesen wäre (RG 140, 392, 396). Andererseits kann die adäquate Verursachung dann ausgeschlossen sein, wenn mehrere, einzeln betrachtet, an sich zurechenbare Folgen, die erst in ihrer Gesamtwirkung den schädlichen Erfolg herbeigeführt oder erhöht haben, in einer ungewöhnlichen, außerhalb des normalen Gefahrenkreises liegenden Weise zusammentreffen (BGH 3, 261, 270). Das Dazwischenliegen eines längeren Zeitraumes zwischen der schädigenden Handlung und dem Eintritt des Schadens schließt den Zusammenhang nicht aus, wenn die Wirkungsmöglichkeit der ersten Handlung solange fortdauert (RG 90, 76). Allerdings kann bei Handlungen, bei denen wie z. B. nach § 826 Vorsatz hinsichtlich des Schadens Voraussetzung der Schadensersatzpflicht ist, ein mittelbarer Schaden nur dann dem Täter angerechnet werden, wenn er diesen wenigstens als möglich vorausgesehen hat; es genügt nicht, daß er ihn hätte voraussehen können (RG 79, 55). A n m . 52 Es wird für jeden Eingriff Dritter gehaftet, wenn das erste Ereignis eine gefährliche Lage geschaffen hat, bei der fehlerhaftes Handeln eines anderen erfahrungsgemäß in Rechnung zu stellen ist (BGH L M HGB § 735 Nr. 5; VersR 1958,858; Betrieb 1959,168). Da nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden muß, daß nicht jede Behandlung nach einem Unfall unbedingt sachgemäß erfolgt, besteht daher die Verantwortlichkeit auch für Folgen, die sich nach dem Unfall durch eine durch den Unfall unvermeidlich gewordene Behandlung oder durch einen dabei unterlaufenen Kunstfehler ergeben (RG 66, 408: Tod in Narkose bei Unfallbehandlung; 102, 230; 105, 264: Ansteckung durch Grippeepidemie im Krankenhaus; 119, 204; H R R 1928 Nr. 831; J W 1911, 754 9 ; !9'3> 3227; 1936, 13562; 1937, 990; SeuffArch 67 Nr. 57). Kein adäquater Zusammenhang besteht jedoch zu den Folgen, die aus einer bei Gelegenheit einer Unfalloperation vorgenommenen weiteren Operation entstehen, wenn die weitere Operation zur Beseitigung eines nicht auf den Unfall zurückzuführenden Leidens
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erfolgt und mit der Heilung der Unfallfolgen nicht zusammenhängt (BGH 25, 86 m. Anm. L a r e n z NJW 1958, 627). Die Haftung für mittelbar verursachte Folgen gilt nicht ausnahmslos. So besteht keine Verantwortlichkeit des für einen Unfall Verantwortlichen für alle Folgen, die ohne sein Zutun von dritten, zu einem Eingriff nicht befugten Personen in völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise herbeigeführt werden, wenn z. B. ein hinzugezogener Arzt gegen alle ärztliche Regeln und Erfahrung verstößt (RG 102, 230; 140, 1, 9; J W 1911, 755; 1937, 990 3 ; BGH 3, 261, 268). Dies gilt auch für das Eingreifen anderer Sachkundiger (RG 140, 1, 9). A n m . 53 Bei einem Unfall können neben dem Betroffenen auch Dritte durch seelische Einwirkung, die die Körperverletzung oder der Tod des zunächst von der u. H. Betroffenen verursacht, geschädigt werden. Diese Schädigung steht im adäquaten Zusammenhang zu der u. H. (Fernwirkung). Es handelt sich nicht um einen Schadensersatzanspruch des mittelbar Geschädigten wie in §§844, 845 (RG 133, 270; 157, 11, 13; 163, 321; J W 1934, 2973; Freiburg J Z 1953, 704; vgl. § 823 Anm. 82). A n m . 54 d) Unterbrechung des Kausalzusammenhanges. Wenn dagegen ohne adäquaten Zusammenhang zwischen der ersten Bedingung und der nachfolgenden der schadenbringende Enderfolg durch die nachfolgende Bedingung allein herbeigeführt wird, dann haftet der für die erste Bedingung Verantwortliche nicht, selbst wenn mit dem Eintritt dieses Enderfolges schon nach der ersten Bedingung zu rechnen war, die erste Bedingung aber nicht zur Auswirkung kommen konnte, weil die zweite Bedingung die Verursachung durch die erste Bedingung gehindert hat (Eintritt des Todes eines bereits Schwerverletzten infolge eines späteren Ereignisses, das mit der ohnehin zum Tode führenden Verletzung in keinem Zusammenhang steht). In diesem Falle der sogenannten Unterbrechung des Kausalzusammenhanges fehlt der ursächliche Zusammenhang zwischen der ersten Bedingung und dem Enderfolg (Stuttgart VRS 13, 227). A n m . 55 Dagegen wird der adäquate Ursachenzusammenhang zwischen einem ersten Ereignis und dem Schaden nicht „unterbrochen" durch das auf freiem Entschluß beruhende, selbständige, vorsätzliche Handeln (auch Unterlassen) eines Dritten, das den Schadenserfolg unmittelbar herbeiführt (BGH 17, 153, 15g; vgl. L a r e n z NJW I 955> 100g). Das Eingreifen Dritter darf allerdings nicht durch ein völlig verschiedenes Ereignis ausgelöst sein (BGH 17, 153, 159; 25, 86, 91). Es muß vielmehr gerechtfertigt sein, etwa dadurch, daß die u. H. eine Gefahrenquelle geschaffen hat, bei der Fehler eines anderen erfahrungsgemäß vorkommen. In diesem Falle ist das Eingreifen durch das erste Ereignis adäquat verursacht (RG 50, 223; 114, 292; J W 1921, 7413; 1938, 2702 10 ; LZ 1921, 267"; DR 1943, 61, 67; München H R R 1941 Nr. 897; BGH 24, 263, 266; LM BGB § 249 [Bb] Nr. 7; HGB § 735 Nr. 5; NJW 1951, 797; VersR 1956, 616, 618; 1958, 858). Das Eingreifen darf auf keinem ungewöhnlichen Entschluß beruhen (BGH 24, 263; VersR 1956, 616). Es darf kein ungerechtfertigtes willkürliches Handeln darstellen. Deshalb wurde z. B. der Ursachenzusammenhang zwischen einer ungerechtfertigten Verhaftung und Erschießung des Verhafteten auf dem Transport durch den begleitenden Polizeibeamten verneint (RG 106, 14). Einen typischen Fall der mittelbaren Verursachung stellt die Anstiftung dar (RG 166, 61). Es liegt auch keine „Unterbrechung" vor bei f a h r l ä s s i g e m V e r h a l t e n eines Dritten (RG DR 1943, 6167). Sachwidriges Verhalten des G e s c h ä d i g t e n , insbesondere auch sein m i t w i r k e n d e s e i g e n e s V e r s c h u l d e n beseitigt den kausalen Zusammenhang nicht, z. B. dann nicht, wenn die vom Schädiger herbeigeführte Gefahr bei dem Beschädigten den Mangel an besonnener Überlegung hervorgerufen und ihn auf diese Weise zu sachwidrigem Verhalten veranlaßt hat, es sei denn, das eigene vorsätzliche Verhalten des Geschädigten liege außerhalb jeden Erfahrungsbereiches (RG 81, 359;
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129, 128; 168, 86 u. 304; JW 1938, 272736; DR 1942, 574; BGH 24, 263, 266: Entschluß des Geschädigten zur Erhebung der Nebenklage ist adäquat, aber aus anderen Gründen kein Ersatz der Kosten; vgl. § 823 Anm. 97). Nach dem Tumultschadengesetz ist kein mittelbarer Schaden zu ersetzen (RG 105, 147, 151). A n m . 56 e) Verschlimmerung einer vorhandenen Anlage, Unfallneurose. Der adäquate Ursachenzusammenhang wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Verletzte eine zu körperlicher (RG H R R 1934 Nr. 1512) oder geistiger Schädigung neigende Konstitution hat, daß z. B. eine latente Disposition zu einer Erkrankung besteht (RG 151, 283; 155, 37; 169, 119; 158, 34, 38; 159, 257, 260; JW 1905, 69012; 1906, 20426; 1908, 41 18 ; 1924, 464"; 1931, 333318; 1932, 33345 1933, 2643*; 1936, 1356, 2793»; 1938, 105; WarnRspr 1911 Nr. 363; H R R 1930 Nr. 2142; BGH 20, 137, 139; V R S 5, 484). In dem Falle, in dem eine Veranlagung mitgewirkt hat, ist der volle Schaden von dem Schädiger zu tragen. Eine Teilung dahin, daß auf die Veranlagung, ohne die der Erfolg nicht eingetreten wäre, ein Teil des Schadens entfällt, findet nicht statt (RG WarnRspr 1911 Nr. 363; s. aber R G H R R 1931 Nr. 824; Nürnberg VersR 1958, 463). Hätte die Veranlagung auch ohne die Verletzung mit Sicherheit die Krankheit selbst ausgelöst, dann fallt mit dem von der Anlage aus von vornherein zu erwartenden Eintritt der Krankheit die Ursächlichkeit der schädigenden Handlung hinweg (wegen des Beweises hierfür vgl. Anm. 60). Das erste Ereignis ist nur insoweit ursächlich, als es zu einem früheren oder schwereren Ausbruch der Krankheit geführt hat (RG J W 1911, 3194, 65021; 1934, 15652; L Z 1917, 861 6 ; H R R 1930 Nr. 2142; 1934 Nr. 1512; WarnRspr 1911 Nr. 363; 1934 Nr. 31; K G VersR 1958, 342). Daher besteht ein adäquater Ursachenzusammenhang zwischen einer rechtswidrigen Behandlung durch die Polizei bei Festnahme und einem durch die seelische Erregung herbeigeführten Herzstillstand, auch wenn der Anfang einer Herzerkrankung vorhanden war, die nach 10 Jahren zum Tode geführt hätte (RG 91, 348; vgl. aber R G 106, 14). Dagegen ist im Sozialversicherungsrecht im Gegensatzzum Zivilrecht von dem Begriff der wesentlich mitwirkenden Tatsache auszugehen (BSG 1, 151, 157 u. 254; M D R 1958, 281), ebenso bei der Beurteilung, ob die Dienstunfähigkeit eines Beamten auf einen Dienstunfall zurückzuführen ist (BVerwG Ö V 1958, 906; vgl. O V G Münster Ö V 1958, 907). Es sind auch Krankheiten als Wirkung einer Körperverletzung anzusehen, zu denen diese nur den Keim legte und die sich dann aus dieser heraus infolge hinzutretender anderer Ursachen entwickelt haben. Es ist nicht entscheidend, ob der Unfall eine äußere oder innere Verletzung oder wenigstens eine organische Veränderung hervorgerufen hat, oder ob die Folgen, insbesondere die nervösen Erscheinungen die Folgen des beim Unfall erlittenen psychischen Schocks sind, gleichgültig ob eine Anlage vorhanden war (RG J W 1931, 170011, 3333 1 8 ; ¡932, 3334'> I933> 2643*; 1934, 1562"; 1936, 13562, 2130; WarnRspr 1937 Nr. 50, 128). Es gehören auch solche nervösen Krankheitserscheinungen hierher, die u n m i t t e l b a r in den A u f r e g u n g e n des Prozesses zur Erkämpfung des Schadensersatzes ihre Ursache haben (RG 55, 19). A n m . 57 Besondere Schwierigkeiten macht die Beurteilung der Kausalität in den Fällen, in denen ein Unfall Begehrensvorstellungen auslöst und der Betroffene infolge seiner neurotisch-labilen Veranlagung oder infolge der durch den Unfall hervorgerufenen nervösen Störung nicht die Willenskraft hat, ihnen den erforderlichen Widerstand entgegenzubringen, oder infolge dieser körperlich-seelischen Verfassung nicht die Vorstellung hat, daß er diese Begehrensvorstellung bekämpfen kann und muß, und in denen auch dadurch die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt wird; vgl. V e n z l a f f , Die Psychoreaktiven Störungen nach entschädigungspflichtigen Ereignissen. Entgegen der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (EuM 1927, 99) und entgegen der neueren ärztlichen Auffassung hat das Reichsgericht und grundsätzlich auch der Bundesgerichtshof den adäquaten Ursachenzusammenhang mit der auch durch diese Begehrensvorstellung hervorgerufenen Schädigung (Erwerbsminderung) bejaht, da es für die rechtliche Beurteilung keinen Unterschied mache, ob eine bereits vorhandene gesundheit-
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liehe Beeinträchtigung auf einem körperlichen Mangel oder einer in der Persönlichkeitsstruktur liegenden seelischen Anfälligkeit beruhe (RG 151, 279; 155, 38, 41; 159, 257; 169, 117, 120; J W 1929, 2251 1 ; 1931, 1700, 3333 18 ; 1932, 3334®; »933, 2623«; 1934, 15622; 1936, 1356, 2130, 2793a; 1938, 1054; SeufFArch 95 Nr. 9; WarnRspr 1931 Nr. 102; 1937 Nr. 50; H R R 1931 Nr. 824; 1932 Nr. 1124; BGH LM BGB § 249 [Bb] Nr. 2; BGH 20, 137; NJW 1958, 1579). Nach der Rechtsprechung des RG war der Zusammenhang jedoch dann zu verneinen, wenn zwischen dem Unfall und dem neurotischen Zustand ein nur „äußerer Zusammenhang" bestand, wobei die Frage des Zusammenhangs nach rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist (RG 159, 257, 259; H R R 1942 Nr. 480; DR 1942, 799; s. auch BGH 20, 137; LM BGB § 249 [Bb] Nr. 2; VRS 5, 484; vgl. aber BGH 4, 403). Es mußte vielmehr ein innerer Zusammenhang zwischen Unfall und seinen Folgen vorliegen. Überall, wo nicht die Körperverletzung, in der Regel der Unfall, selbst eine nervöse Erkrankung hervorgerufen hat, aus welcher dann in weiterer Folge die Begehrensvorstellungen nach der Rente, verbunden mit der Einbildung, ganz erwerbsunfähig geworden zu sein, in dem Verletzten sich entwickelt haben, sondern wo nur ein äußerer Zusammenhang durch das Erleben des Unfalls und die Erinnerung an ihn besteht und das Rentenbegehren nachträglich durch einen Mangel an Widerstandskraft gegen die auftretenden Begehrensvorstellungen zur Entfaltung gekommen ist, ist nach dieser Rechtsprechung des RG ein ursächlicher Zusammenhang nicht mehr gegeben; ob dies oder jenes anzunehmen ist, ist Sache der F e s t s t e l l u n g im E i n z e l f a l l e (RG 75, 19; 81, 359; J W 1906, 231 16 ; 1908, 405°, 526 11 ; 1910, 100311; 1915, 143610; 1924, 4648; 1929, 93Ö25, 2251 1 ; 1930, I5792; I93I» 170011, 3333 18 ; 1932, 33 303, 33 34 e ; 1933» 264s 4 ; 1936, 2130; DR 1942, 799; WarnRspr i g i 4 N r . 51 u. 104; i g i s N r . 12; 1916 Nr. 199; 1931 Nr. 64, 102; 1937 Nr. 128; Gruchot 71, 392). Das Verhalten des Betroffenen ist in diesen Fällen auch wegen mitwirkenden Verschuldens nach § 254 zu beurteilen, weil der Verletzte die Begehrensvorstellung bekämpfen muß (RG 155, 41; 159, 257, 261; DR 1942, 799; H R R 1942 Nr. 480; vgl. auch RG 75, 19, 22). Es ist nicht zu verkennen, daß die Bejahung des Ursachenzusammenhangs den Heilungswillen abschwächen kann. Die Versuche des RG, die Haftung für derartige Neuroseschäden unter dem Gesichtspunkt des „äußeren Zusammenhangs" einzuschränken, bringen keine sachgemäße Abgrenzung (BGH 20, 137, 141; s. aber B G H LM 249 [Bb] Nr. 2 u. B G H VRS 4, 403). Nach dem BGH ist die Haftung aus Billigk e i t s g r ü n d e n dann zu verneinen, wenn der Unfall von dem Betroffenen zum Anlaß genommen wird, den Schwierigkeiten des Arbeitslebens auszuweichen. In diesem Falle ist trotz des an sich gegebenen adäquaten Ursachenzusammenhangs dem Schädiger eine Haftung nicht mehr zuzumuten, denn die Haftung würde zu der Verfestigung des Zustandes beitragen und damit der körperlichen und seelischen Gesundung des Geschädigten entgegenstehen (BGH 20, 137 m. Bespr. S c h u l t z MDR 1956, 587; VersR 1959, 132). Dieser aus dem Sinn des Schadensausgleiches und dem Gedanken der Billigkeit abgeleiteten Beschränkung ist mindestens im Ergebnis zuzustimmen. Kein adäquater Ursachenzusammenhang liegt vor, wenn nach der vom Gericht unter Beachtung der dafür in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte und nicht allein nach der Auffassung des ärztlichen Sachverständigen zu prüfenden Frage des Ursachenzusammenhanges (RG 159, 257, 259; BGH LM BGB § 249 [Bb] Nr. 2; vgl. V e n z l a f f aaO S. 16) nicht der Unfall durch äußere oder innere Verletzungen die neurotischen Erscheinungen herbeigeführt hat, diese Erscheinungen sich vielmehr auf Grund einer vom Unfall völlig unabhängigen Veranlagung entwickelt haben (BGH LM BGB § 823 [C] Nr. 4). Anm. 58 f) Zusammenwirken mehrerer Ursachen. Wenn ein Verhalten mehrerer Personen oder mehrere Ereignisse den Schaden nur in ihrem Zusammenwirken herbeiführen, ohne daß ihn ein Verhallen oder ein Ereignis herbeigeführt hätte, so ist das Verhalten jeder Person kausal (RG 73, 290; 93, 1; 130, 161; 142, 383; J W 1911, 399'; BGH VersR 1958, 185). Laufen mehrere Tatsachen oder Tatsachenreihen nebeneinander her, die nach menschlicher Erfahrung jede für sich als auch beim Zusammen-
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wirken miteinander den Erfolg herbeigeführt haben können, so ist im Zweifel, wenn nicht zu ermitteln ist, welche dieser Ursachenverknüpfung in Wirklichkeit stattgefunden hat, das Zusammenwirken aller anzunehmen (RG J W 1908, 29g 5 ; 1909, 361 7 ; 1912, 581). Wenn aber mehrere Ursachen nur eine jede für sich, die eine oder die andere den Erfolg herbeigeführt haben können, ohne daß eine von ihnen als die tätige Ursache mit größerer Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, und wenn nur eine bestimmte von ihnen der haftbar gemachten Person zugerechnet werden kann, dann kann diese letztere als Urheber des schädlichen Erfolgs nicht angesehen werden (RG 29. I i . 1909 V I 553/08); anders, wenn diese Person die mehreren Möglichkeiten hätte in Rechnung ziehen können oder müssen und deshalb für sie verantwortlich gemacht werden kann (RG J W 1904, 4869). Wird dagegen ein Schaden teilweise durch eine, teilweise durch eine andere selbständige Ursache herbeigeführt, so daß es sich um zwei getrennte Ursachenreihen handelt, so kann das Gericht eine Zerlegung des Gesamtschadens entsprechend diesen Ursachen nach § 287 ZPO vornehmen (RG H R R 1931 Nr. 824; B G H VersR 1959, 70; L M §823 [G] Nr. 4; Nürnberg VersR 1958, 463). Wenn eine u. H. die Begünstigung oder Hehlerei zu der u. H. eines andern zum Gegenstande hat, die einen Schaden bereits abgeschlossen bewirkt halte, so ist die Begünstigung oder Hehlerei zum Schadensersatze nur verpflichtend, wenn sie einen neuen besonderen Schaden verursacht hat (RG 15. 2. 1912 V I 273/11). Das Zusammenwirken mehrerer Ursachen zu demselben schädlichen Erfolg hat seine besondere Wichtigkeit für das Gebiet der u. H., wenn die eine Ursache von dem in Anspruch genommenen Schädiger, die andere vom Beschädigten selbst gesetzt wird (§ 254). A n m . 59 g) U n t e r l a s s u n g . Auch das Unterlassen einer erwarteten Handlung wird als Ursache gewertet. Voraussetzung ist allerdings, daß eine Pflicht zur Vornahme der Handlung bestanden hat (RG 147, 129; B G H II Z R 40/53 v. 30. 5. 1953; B G H 17, 214, 219; L M §249 [Bb] Nr. 7; §823 [Ec] Nr. 8; VersR 1958, 185; vgl. L a r e n z NJW 1953, 686; ferner § 823 Anm. 33). Es ist zu prüfen, ob die Vornahme der Handlung den Schadenseintritt verhindert hätte (RG 147, 129; B G H VersR 1954, 118 = L M § 832 Nr. 3; B G H I I I Z R 302/54 v. 28. 6. 1956 in L M BVerwG § 81 Nr. 8 nicht mit abgedruckt; V R S 16, 3 3 1 ; Karlsruhe VersR 1957, 662). Die Frage der adäquaten Verursachung ist dahin zu stellen, ob die Unterlassung im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz ungewöhnlichen und deshalb nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Erfolgs geeignet war. Der adäquate Zusammenhang kann nicht deshalb verneint werden, weil andere nicht fernliegende Umstände den Erfolg ebenfalls hätten herbeirufen können (BGH 7, 198, 203 m. Bespr. L a r e n z NJW 1953, 686; L M §823 [Ec] Nr. 8). A n m . 60 h) B e w e i s l a s t . Der Geschädigte hat zu beweisen, daß ohne das zum Schaden verpflichtende Verhalten oder Geschehen der Erfolg nicht eingetreten wäre. Dagegen hat der Schädiger zu beweisen, daß diese Tatsachen nur infolge ganz außergewöhnlicher Umstände zur Entstehung des Schadens beigetragen haben ( E n n e c c e r u s L e h m a n n § 15 I I I 2 c). Bei Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften ist in der Regel anzunehmen, daß der Unfall bei Beachtung der Sicherheitsvorschriften vermeiden worden wäre (BGH VersR 1955, 105, 760; 1956, 435, 492; 1957, 429, 800). Der Schädiger hat Umstände darzutun, die geeignet sind, den sich zunächst ergebenden Schluß auf einen ursächlichen Zusammenhang zur Uberzeugung des Richters zu entkräften (BGH L M §823 [E] Nr. 5; vgl. §823 Anm. 9). Bei Inanspruchnahme, weil eine Partei arglistig in einem früheren Rechtsstreit ein Urteil erschlichen hat, hat der Geschädigte nicht nachzuweisen, wie das Gericht des früheren Rechtsstreits ohne das arglistige Verhalten entschieden hätte, sondern wie es bei richtiger Beurteilung nach Ansicht des über den Schadensersatzanspruch erkennenden Gerichts hätte entscheiden müssen (BGH L M § 826 [Fa] Nr. 6; § 21 RNotO Nr. 5). Wegen des Beweises für das Verschulden s. § 823 Anm. 9, wegen des Anscheinsbeweises Anm. 95 ff, wegen § 287 ZPO
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Anm. 99. Ob und wann ein anlagemäßiges Leiden auch ohne einen Unfall einmal zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätte, ist nach § 287 Z P O zu beurteilen (BGH VersR 1958, 788). A n m . 61 i) Einzelfälle. A d ä q u a t e r K a u s a l z u s a m m e n h a n g v e r n e i n t : Für Einwirkungen aus einmaligem Überfliegen einer Silberfuchsfarm für die an normalen Verkehr nicht gewohnten Tiere: R G 158, 34; für Mitfahren in einem verkehrssicheren Fahrzeug im Hinblick auf einen Unfall: R G 170, 3 1 1 , 3 1 4 ; zwischen einer durch Unfall verursachten Beinamputation und einer späteren Verwundung durch Artilleriebeschuß einer Ortschaft, selbst wenn der Verletzte seinen Weg wegen der Gehbehinderung nur langsam fortsetzen konnte: B G H N J W 1952, 1 0 1 0 ; vgl. auch R G 1 1 9 , 204; ein wegen Verfolgungsmaßnahmen aus Deutschland ausgewanderter J u d e wird nach Ausbruch des Krieges in Jugoslawien von italienischen Truppen verhaftet: B G H L M B E G § 1 Nr. 1 5 ; zwischen ungerechtfertigter Anordnung einer Verhaftung und Erschießung des Verhafteten auf dem Transport durch den transportierenden Polizeibeamten: R G 106, 1 4 ; vgl. auch R G 91, 348; zwischen Untersuchungshaft und einem dabei erlittenen Armbruch des Häftlings: R G D R 1940, 4235; zwischen vorschriftsmäßigem Überschreiten der Fahrbahn durch Fußgänger und einer Beschädigung durch herabfallende oder umfallende Gegenstände: R G D R 1942, 178 3 3 ; zwischen Unfall und den Folgen, die aus einer bei Gelegenheit der Unfalloperation vorgenommenen weiteren Operation entstehen, wenn die weitere Operation zur Beseitigung eines nicht auf den Unfall zurückzuführenden Leidens erfolgt: B G H 25, 86. A d ä q u a t e r Z u s a m m e n h a n g b e j a h t : Zwischen Neigung zu Schwindelanfällen als Folge eines Unfalles und einem weiteren Unfall: R G H R R 1933 Nr. 498; zwischen Abtreibungseingriff und Tod: B G H 7, 198; zwischen fehlerhafter Behandlung durch einen Arzt und dadurch veranlaßter Heranziehung eines zweiten Arztes, dem ebenfalls ein einen Vermögensschaden auslösender Fehler unterläuft: R G 102, 230; zwischen Unfall, im Anschluß daran auf Grund fehlerhafter Erziehungsmethoden entstehende seelische Störung und damit verbundenem Enthemmungsanfall, in dem Einrichtungsgegenstände zerstört werden: B G H VersR 1956, 616; Tod in Narkose, die zur Unfallbehandlung erforderlich war: R G 66, 408; zwischen Verbringung in Krankenhaus wegen Verletzung und Ansteckung mit Grippe: R G 105, 264; zwischen Luesinfektion einer Frau im Krankenhaus und angeborener Lues ihres Kindes: B G H 8, 243, 249; zwischen Zwangsimpfung und Tod: B G H 18, 286; zwischen Verlust eines Beines durch Unfall und 22 J a h r e später erfolgtem Sturz in einem Zimmer: R G 1 1 g , 204; vgl. auch B G H N J W 1952, 1 0 1 0 ; zwischen Unfall und Erwerbsunfähigkeit, obwohl Unfallverletzter freiwillig eine Stelle aufgibt und infolge der auf den Unfall zurückzuführenden Gesundheitsschädigung eine neue Stelle nicht erhalten kann: B G H N J W 1 9 5 1 , 797; R A G 17, 146; vgl. auch R G J W 1914, 980 5 ; zwischen rechtswidriger Behandlung anläßlich einer Verhaftung und Herzschlag aus Erregung darüber: R G 91, 348; s. auch 106, 14; zwischen einer auf Grund einer Anzeige erfolgten Verhaftung durch Gestapo und Verlust der Habe durch Bombentreffer: B G H N J W 1 9 5 1 , 596; zwischen Brandstiftung und Unfällen, die sich bei Löscharbeiten ereignen: R G Gruchot 70, 551; zwischen Werfen einer Tomate und Verlust eines Auges: B G H L M § 828 Nr. 1; zwischen Durchgehenlassen von Pferden und Schaden, der durch Anhalten der Pferde einem Dritten entsteht: R G 50, 223; zwischen Inbetriebnahme eines technisch nicht einwandfreien Karussells, Nichteinholung der Polizeierlaubnis und einem Unfall: B G H VersR 1956, 625; zwischen mangelnder Überwachung einer bei einer Gefahrenlage vorläufig angebrachten Sicherung, deren Beseitigung durch Dritte und einem daraus entstehenden Unfall: B G H VersR 1956, 489; zwischen Anstiftung zu unerlaubtem Schießen und tödlicher Verletzung durch einen wider Willen des Schießenden sich auslösenden Schuß: R G 166, 61; zwischen schuldhaftem Verhalten der Führung eines Schiffes und einem der Führung des entgegenkommenden Schiffes nicht als Verschulden anzurechnenden Ausweichmanöver: B G H L M H G B § 735 Nr. 5 ; zwischen Streik von Eisenbahnangestellten und Verlust von Beförderungsgut: R G 1 1 0 , 209; zwischen Anstellung eines unzuverlässigen Fahrers und Unfall bei Schwarzfahrt: R G 8 1 , 3 6 1 ; 133, 1 2 7 ;
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136, 15; zwischen ungesichertem Stehenlassen eines Pkw. und einem durch Autodieb verursachten Unfall: BGH MDR 1958, 419; VersR 1958, 413; zwischen unbefugter Benutzung eines Fahrzeuges durch Fahrer ohne Führerschein und daraus entstehendem Unfallschaden: BGH L M § 823 [Ec] Nr. 8; zwischen Ausbrechen von Kühen aus einer Weide, dadurch veranlaßtem Bremsen eines Fahrzeuges, das von einem ihm folgenden Fahrzeug angefahren wird: BGH VersR 1957, 167; zwischen Tötung des Vaters und Anfall der Erbschaft nach gesetzlichem Erbrecht: BGH 8, 325, 329; zwischen Unfall und Kosten für die Anschließung als Nebenkläger im Strafverfahren: BGH 24, 263, 266; zwischen Unfall und Kosten eines Strafverfahrens: BGH 26, 69, 76, 77; vgl. aber BGH 27, 137 und § 823 Anm. 97; zwischen Beschlagnahme eines Personenkraftwagens, nicht pflichtgemäßer Rückgabe und Kosten einer vernünftigerweise erhobenen Klage zur Wiedererlangung des Fahrzeugs: BGH NJW 1956, 57. Zwischen schlechtem Zustand einer Straße, der Fußgänger zur Benutzung der falschen Straßenseite zwingt, und einem dadurch veranlaßten Unfall: RG D R 1941, 587; zwischen Zulassung von Gegenverkehr auf einem schmalen Radweg und Unfall durch Dazwischenfahren eines dritten Radfahrers: BGH VersR 1958, 185; zwischen Verstoß eines Kraftfahrers gegen Verkehrsregeln und dem Unfall eines die Straße überquerenden Fußgängers: BGH VersR 1956, 571; zwischen fehlender Vorderbeleuchtung eines Fuhrwerks und Auffahren durch Kraftfahrzeug: BGH VersR 1959, 46; zwischen dem Unfall, der auf Nichtstreuen auf einer Straße zurückzuführen ist und dem weiteren Schaden, der dadurch entsteht, daß der Verunglückte, dessen Fahrzeug auf der Straße liegen bleibt, den nachfolgenden Fahrzeugen zwecks Warnung entgegenläuft: BGH VersR 1957, 375, 377; zwischen Einfahren in eine Straßenkreuzung, obwohl Polizeibeamter den Arm bereits erhoben hatte, und dem Einfahren eines Kraftfahrers aus der bisher gesperrten, noch nicht freigegebenen Kreuzungsrichtung: BGH L M § 249 [Bb] Nr. 3; zwischen Aufstellen eines Lastwagens mit zu großem Abstand vom Straßenrand und dadurch bedingter Verengung des Raumes zwischen Lastwagen und einem Straßenbahnzug, der zur Verletzung einer Person in dem Engpaß führt: BGH L M § 249 (Ba) Nr. 8; zwischen Verzögerung in der Eintragung einer GmbH und der Wiedereinführung der Kapitalverkehrssteuer nach der Währungsreform: BGH WM 1957, 166; zwischen unrichtigem Prüfungsbericht eines Wirtschaftsprüfers und dadurch verursachter ungünstiger Beurteilung durch Kreditgeber: BGH WM 1956, 1229; zwischen Einlegung einer unzulässigen Rechtsbeschwerde durch Finanzamt und daraufhin erfolgte Beauftragung eines Steuerberaters durch Steuerpflichtigen: BGH NJW 1957, 97; zwischen Vertreibung aus Ostgebieten und geringerem Verdienst auf Grund eines Unfalles: BGH VersR 1955, 210; vgl. auch RG 98, 52; 105, 118; BGH L M BEG § 1 Nr. 15; zwischen Veröffentlichung von Falschmeldungen über einen Wirtschaftsführer, dadurch entstandener Aufregung und Tod des Betroffenen: RG 148, 154, 165. Anm. 62 3. Überholende Kausalität. § 249 erfordert nicht die Herstellung des Zustandes, wie er ohne das schädigende Ereignis bestanden hat, sondern wie er ohne jenes Ereignis bestehen würde. Es ist demnach der durch das Schadensereignis geschaffene wirkliche Zustand mit dem gedachten Zustand zu vergleichen, der ohne das schädigende Ereignis eingetreten wäre. Der Schaden kann daher bis zu dem für die Schadensfeststellung maßgeblichen Zeitpunkt, grundsätzlich dem Zeitpunkt der Urteilsfällung, durch spätere Veränderung wachsen oder sinken (RG 142, 8). Von diesem Grundsatz ausgehend erhebt sich die Frage, ob nicht spätere Ereignisse, die ohne Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis eingetreten wären und denselben Erfolg wie das schädigende Ereignis herbeigeführt hätten (beachte §§ 287, 848), aber infolge jenes schädigenden Ereignisses nicht mehr zur Wirkung kommen konnten, zugunsten des Schädigers in dem Sinne zu berücksichtigen sind, daß sie seine Schadensersatzpflicht insoweit aufheben, als der Schaden auch durch das spätere Ereignis eingetreten wäre. Die Berücksichtigung dieser hypothetischen S c h a d e n s u r s a c h e ist als das Problem der ü b e r h o l e n d e n K a u s a l i t ä t in Rechtsprechung und Rechtslehre umstritten (vgl. Heck Schuldrecht § 14 Ziff. 5—7; L a r e n z Schuldrecht 2. Auflage 1. Band § 14c; Neuner AcP 133, 286). Es handelt sich dabei nicht so sehr um eine
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Unerlaubte Handlungen
V o r § 823
Anm. 63, 64
Frage der Kausalität, sondern vielmehr der Schadensermittlung, da die Kausalität auf Grund des einmal eingetretenen schadenstiftenden Ereignisses nicht wieder aus der Welt geschafft werden kann (vgl. L a r e n z aaO). Eine gesetzliche Regelung für ein Sondergebiet enthält § 9 Abs. 5 Bundesentschädigungsgesetz.
A n m . 63 Das Reichsgericht, das das Problem unter dem Gesichtspunkt der Kausalität gesehen hat, lehnte grundsätzlich die Berücksichtigung der „überholenden Kausalität" ab, da das erste den Schaden wirklich verursachende Ereignis das zweite — hypothetische — gehindert habe, für den Schaden ursächlich zu werden (RG 1 4 1 , 365; 144, 80, 348; 148, 48, 54; 156, 187, 1 9 1 ; 169, 1 1 7 ; H R R 1934 Nr. 1 0 1 9 ; 1935 Nr. 106, 1008; D R 1939, 1007; 1940, 1629; D J 1940, 1 0 1 4 ; über die Rechtsprechung des R G vgl. L a r e n z N J W 1950, 487; ferner B G H 10, 6 m. Nachw.). Das R G machte hiervon zwei Ausnahmen. Wenn zur Zeit des schadenstiftenden Ereignisses die betroffene Person oder Sache sich in einem Zustand befand, der auch ohne dieses Ereignis den Schaden ganz oder teilweise m i t S i c h e r h e i t herbeigeführt hätte, z. B. krankhafte Veranlagung einer Person oder Baufälligkeit eines Anwesens, dann ist das schadenstiftende Ereignis nur insoweit ursächlich, als es den Schaden früher oder in größerem Umfange herbeigeführt hat (s. Anm. 56). Darüber hinaus haftet demnach der Schädiger nicht (RG 148, 48, 56: Kündigung auf Grund Einwirkung eines Dritten, wenn die Kündigung nach der zur Zeit der Einwirkung des Dritten bestehenden Lage auch ausgesprochen worden wäre; 169, 1 1 7 , 1 1 9 ; J W 1934, 1562). Dagegen haftet der ursprüngliche Schädiger, wenn z. B. das Leiden ohne entsprechende Veranlagung erst später auftritt ( R G 169, 1 1 7 ; 1 4 1 , 365). Ferner hat das Reichsgericht in nicht ganz einheitlicher Rechtsprechung (RG 1, 66; 68, 352; J W 1912, 594; vgl. aber WarnRspr 1920 Nr. 108) bei Rentenansprüchen die Berücksichtigung der überholenden Kausalität zugelassen.
Anm. 64 Aus der Rechtsprechung des O G H (OGH x, 308; M D R 1949, 602; N J W 1950, 225) kann eine allgemeine Berücksichtigung der überholenden Kausalität nicht entnommen werden, da es sich um den Sonderfall handelt, daß die rech ge schädigende Handlung auch rechtmäßig hätte vorgenommen werden können (vgl. D e l b r ü c k L M § 843 Nr. 2 Anm.). Der BGH hat sich bisher — in manchmal weitgehender Angleichung — im Rahmen der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bewegt, indem er, mindestens im Ergebnis, eine hypothetische Schadensursache berücksichtigt hat, wenn die betroffenen Personen oder Sachen im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses für die Verletzung anfällig waren ( B G H 10, 6; 14, 106; 20, 275, 279; I I I Z R 148/57 v. 22. 1. 1959, L S in BB 1959, 4 7 1 ; vgl. dazu L a r e n z N J W 1950, 487 und Schuldrecht aaO; ferner P a g e n d a r m L M § 249 [Bb] Nr. 8 Anm.; B G H M D R 1952, 214). In anderen Fällen brauchte er zu dem Problem keine Stellung zu nehmen, da der Eintritt der hypothetischen Ursache nicht mit Sicherheit bewiesen war, wobei strenge Anforderungen an den Beweis zu stellen sind ( B G H 8, 288, 296; VersR 1959, 3 1 2 ; J R 1952, 70; N J W / R z W 1958, 365; W M 1956, 1279, 1 2 8 1 ; VersR 1957, 62; 1958, 858; B G H I I I Z R 139/55 v. 5. 1 1 . 1956, nicht mitabgedruckt in B G H L M 839 [Fi] Nr. 4; vgl. N e u m a n n D u e s b e r g J R 1952, 72; zur Beweislast s. auch B G H M D R 1958, 333). Eine hypothetische Schadensursache kann zugunsten des Schädigers auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn sie in der schädigenden Handlung eines Dritten besteht und der Geschädigte bei Wirksamwerden dieser Ursache von dem Dritten Schadensersatz beanspruchen könnte ( B G H VersR 1958, 266). Eine Schadensersatzpflicht entfällt auch nicht deshalb, weil der Täter statt der unerlaubten schadensbegründenden Handlung auch eine andere objektiv rechtswidrige Handlung hätte begehen können, auch wenn diese mögliche (Reserve) Handlung mangels Vorsatz nicht zu Schadensersatzansprüchen geführt hätte (BGH L M § 826 [Gb] Nr. 3; ebenso B A G Betrieb 1959, 143, 146 für Vertragsverletzungen).
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Schuld Verhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 65, 66 Eine befriedigende Lösung ist nicht gefunden. Es wird bei der Haftung für das zunächst verursachende schädigende Ereignis bleiben müssen. Dabei ergeben sich Einschränkungen oder sogar ein Wegfall der Haftung, wenn wegen des Zustandes des verletzten Rechtsguts kein Schaden entsteht ( B G H 20, 379), wie z.B. auch in den Fällen, in denen eine rechtswidrig beschlagnahmte Sache rechtmäßig hätte beschlagnahmt werden müssen. Dagegen wird für den Folgeschaden (vgl. N e u n e r aaO) im Einzelfalle im gewissen U m f a n g der hypothetische Verlauf zu berücksichtigen sein (vgl. B G H 10, 6, 1 0 ; Stuttgart V e r s R 1958, 475). Für Berücksichtigung der hypothetischen Schadensursache: Celle N J W 1949, 585; Stuttgart N J W 1949, 585. Aus dem Schrifttum: R ü h l N J W 1949, 568; C o i n g S J Z 1950, 865; N e u m a n n - D u e s b e r g J R 1952, 2 2 5 ; J Z 1953, 1 7 1 ; H u e c k J R 1953, 404; N i e s e J Z 1956, 463; K u r t z e J R 1956, 201, 244; S c h m i d t A c P 152, m ; L a n g e A c P 152, 1 5 3 und N i e d e r l ä n d e r A c P 153. 4 1 ; K n a p p e , Das Problem der überholenden Kausalität 1954; Z e u n e r A c P 1 5 7 , 4 4 1 ; L a r e n z N J W 1959, 865.
Anm. 65 VI. Vorteilsausgleichung 1 . A l l g e m e i n e s . Vgl. C a n t z l e r A c P 156, 28. Nach §249 soll durch S c h a d e n ersatzleistung der Zustand hergestellt werden, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. D a danach der Geschädigte •durch die Schadensersatzleistung nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden soll, als er ohne das schadenbringende Ereignis stehen würde, sind bei der Ausgleichung •der Vermögensminderung zugleich mit den Vermögensabgängen alle aus derselben Wurzel entsprungenen Vermögenszugänge in Betracht zu ziehen. Der Schaden besteht nur in dem Betrag, der sich bei der Ausgleichung dieser Vermögenseinbuße und des Vermögensgewinns ergibt. Es handelt sich bei der Berücksichtigung von Verlust und Gewinn um Rechnungsposten für die Berechnung der Schadenshöhe. Deshalb ist bei der Leistung von Geldersatz nur der Uberschuß zu ersetzen ( R G 80, 1 5 5 ; 100, 257; 103, 406; 146, 275, 278; WarnRspr 1933 Nr. 95). Besteht der Vorteil des Geschädigten im Erwerb eines Anspruchs, so ist dieser Anspruch — auch ohne besonderen Antrag — a n den Schädiger abzutreten ( B G H Betrieb 1958, 710). Der Gedanke der Vorteilsausgleichung findet auch Anwendung bei der Enteignungsentschädigung. E r ist in neueren Gesetzen verankert: § 15 Abs. 4 Flüchtlingsnotleistungsgesetz v. 9. 3. 1953, B G B l I, 45, in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des FlNotlG v. 6. 6. 1955, BGBl 1 , 265 und des 2. Änderungsgesetzes v. 14. 5. 1957, BGBl I, 469; § 33 B L G v. 14. 10. 1956, BGBl I, 9 1 5 ; § 1 3 SchutzBerG v. 7. 12. 1956, R G B l I, 899; § 17 Abs. 2 Satz 2 LBeschG v. 2 3 . 2 . 1957, BGBl I, 134. Die Vorteilsausgleichung erfolgt nur gegenüber einem Schadensersatzanspruch, nicht gegenüber anderen Ansprüchen ( B G H 4, 123, 125). Daher hat das R G eine Anrechnung von ersparten Aufwendungen gegenüber einem Anspruch aus § 845 B G B verneint ( R G 152, 208, 2 1 2 ; J W 1938, 1724). Nach der Rechtsprechung des B G B ( B G H 4, 1 2 3 m. Nachw.) wird dieser Anspruch als ein Schadensersatzanspruch besonderer Art mit eingeschränkter Anrechnung von Vorteilen betrachtet ( B G H 9, 17g, 190).
Anm. 66 2. Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung a) Identität und Adäquanz des vorteilbringenden Ereignisses. Das ur-
sprüngliche Erfordernis einer eng begrenzten Einheit des zugleich schadenstiftenden und vorteilbringenden Ereignisses ist in der Rechtsprechung mehr und mehr einer freieren Auffassung gewichen ( R G 146, 275, 279; B G H 8, 325, 329; s. auch R G 65, 60 und vgl. dazu 80, 1 5 5 ; 84, 389). Die Anrechnung lediglich bei Identität des schädigenden und des den Vorteil herbeiführenden Ereignisses führt zu einer unerwünschten Einschränkung. Vorteil und Schaden brauchen deshalb nicht aus demselben Ereignis hervorgegangen sein. Sie können aus mehreren der äußeren Erscheinung nach selbständigen Ereignisses fließen. Es ist nur erforderlich und genügend, daß Vorteil und Nachteil in demselben Zusammenschluß der Tatsachen ihren Grund haben, daß also
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der Tatbestand, der den Schaden verursacht hat, einmal d e n V o r t e i l b e d i n g t hat, und daß er nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge auch zu einem Vorteil für den Beschädigten führt (adäquater Zusammenhang). Es sind dabei die Gesamtumstände des Falles und das wirtschaftliche Ergebnis ins Auge zu fassen ( R G 8o, 155; 84, 380; 100, 90; 103, 406; 133, 223; 146, 275, 278; WarnRspr 1933 Nr. 95; H R R 1931 Nr. 1301; 1934 Nr.805; SeuffArch 87 Nr. 138; B G H 4, 123, 130; 8,325, 328; VersR 1959, 399). Zeitlicher und räumlicher Zusammenhang allein genügt nicht. Bei der Prüfung des Vorteils muß von der schädigenden Handlung ausgegangen werden ( R G J W 1934, 896: keine Anrechnung des Vorteils einer das Leben rettenden Operation gegenüber dem Schaden durch Zurücklassen eines ärztlichen Instrumentes in der Bauchhöhle, da nicht das Versehen den Vorteil bedingt hat). Daher kein Ausgleich, wenn Schäden z. B. durch Rissebildung an einem Haus durch Bergbau eintreten und diesen konkreten Schäden die a l l g e m e i n e Wertsteigerung der Grundstücke durch wirtschaftliche Belebung der Gegend gegenübergestellt wird, wohl aber wenn durch Bergbau einer Sumpfwiese das Wasser entzogen wird ( R G 146, 275, 279). Der erforderliche Zusammenhang ist auch dann gegeben, wenn die schädigende Handlung nur mittelbar und im Zusammenwirken mit anderen, für sich allein betrachtet, der äußeren Erscheinung nach selbständigen Ereignissen dazu beigetragen hat, dem Geschädigten einen Nutzen zu verschaffen, sofern nach der natürlichen Entwicklung der Dinge mit der Entstehung eines solchen Vorteils zu rechnen ist (RG 93, 145; 130, 261; 146, 275, 278; 148, 154, 164; B G H 8, 325, 329). Der Zusammenhang darf jedoch nicht so lose sein, daß er nach vernünftiger Lebensauffassung keine Berücksichtigung mehr verdient ( R G 133, 22i; 146, 275, 278). A n m . 67 b) Zumutbarkeit der Anrechnung. Die Adäquanztheorie allein kann zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Die Rechtsprechung hat solche Ergebnisse mit verschiedenen im Rahmen der Adäquanz angestellten Erwägungen vermieden, z.B. mit der Begründung, der Vorteil beruhe auf einem eigenen Rechtsgeschäft, auf einer eigenen Tätigkeit, oder es fehle an der Gleichheit des Ereignisses ( R G 130, 258, 261; 148, 154, 164). Dabei wurde hervorgehoben, daß die Billigkeit besondere Berücksichtigung verlange ( R G J W 1916, 577). Darüber hinaus hat die Rechtsprechung noch einen weiteren Gesichtspunkt herausgearbeitet, u m eine unbefriedigende Vorteilsausgleichung im Einzelfall zu verhindern. Danach wird es ferner darauf ankommen, welches der Sinn und Zweck einer Zuwendung ist (RG 92, 57: freiwillige Zuwendung; 146, 287, 289; 151. 330, 3345 152, 273; J W 1916, 577). Nach der Rechtsprechung des BGH ist mit der Bejahung des oben dargelegten adäquaten Zusammenhangs die A n r e c h n u n g s m ö g l i c h k e i t gegeben. Es ist außerdem in jedem einzelnen Falle zu prüfen, ob eine Anrechnung dem Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht. Der BGH hat das weitere Merkmal aufgenommen, eine Anrechnung dürfe nur im Rahmen der Z u m u t b a r k e i t erfolgen. Die Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind zu berücksichtigen. Der Ersatzpflichtige darf nicht unbillig begünstigt werden ( B G H 8, 325, 329; 10, 107, 108; 22, 72, 75; L M § 249 [Cb] Nr. 3; VersR 1959, 36; vgl. E s s e r M D R 1957, 522). Nicht anzurechnen sind wegen des Charakters der Freiwilligkeit auf den Schadensersatzanspruch der Hinterbliebenen eines Verunglückten die aus einer öffentlichen Sammlung zugeflossenen Vorteile und sonstigen freiwilligen Zuwendungen ( R G J W 1935, 3369; s. auch R G 92, 57; 141, 173; 152, 273, 280; D R 1941, 1457). Es soll überhaupt allgemein der Schädiger nicht dadurch entlastet werden, daß von anderer Seite, sei es freiwillig, sei es kraft Gesetzes, für die Sicherung der Bedürfnisse des Betroffenen vorgesorgt wird ( B G H 21, 112, 116; 22, 73, 755 V R S 14, 243; VersR 1957, 394). A n m . 68 Einzelfälle. Gegenüber einem früher nach § 826 zuerkannten Schadensersatzanspruch gegen Ehebrecher wegen des Unterhalts eines in Ehebruch erzeugten Kindes (vgl. jetzt §823 Anm. 25), dessen Ehelichkeit nicht angefochten wird, erfolgte die Anrechnung der beweisbaren Vorteile wegen Unterhaltsberechtigung und Erbrecht: R G 77
Komm. z. BGB, I i . Aufl. II. Bd. (Hiager)
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152, 397; auf Schadensersatzanspruch wegen pflichtwidriger Kreditgewährung muß sich die Gemeinde die durch Hinausschiebung des Zusammenbruchs des Unternehmens ersparte Arbeitslosenunterstützung anrechnen lassen: R G J W 1937, 740; Anrechnung der Vorteile, die eine Witwe nach dem früheren Güterstand der Nutznießung und Verwaltung durch die Erlangung der Verfügungsfreiheit über die Einkünfte aus dem eingebrachten Gut erlangt: R G 91, 398; DJ 1940, 1396; 1941, 275; Anfall einer Erbschaft: Karlsruhe VersR 1957, 271; Umfang der Anrechnung des Unterhalts, der dem Getöteten zu leisten war: BGH 4, 121; gegenüber Ansprüchen nach §844 Abs. 2 keine Anrechnung des Stammwertes der durch den Tod angefallenen Erbschaft, aber der Einkünfte aus der Erbschaft: BGH 8, 325; diese Einkünfte sind auch dann anrechenbar, wenn das Vermögen nicht unmittelbar, sondern über ein gleichfalls bei dem Unfall verletztes, aber nach dem Unterhaltspflichtigen verstorbenes Kind anfallt: BGH NJW '957» 9°5) gegenüber Gebäudeschaden Anrechnung des Vorteils, der dadurch erlangt wurde, daß die Polizei im Hinblick auf den Schaden eine frühere Bewohnung des Grundstücks zuließ und dadurch früher Miete zufloß: R G J W 1916, 577. K e i n e V o r t e i l s a u s g l e i c h u n g , wenn Arzt durch erfolgreiche Operation dem Kranken das Leben rettet, ihn aber durch Zurücklassen eines Instrumentes in der Bauchhöhle schädigt: R G J W 1934, 896; gegenüber Umschulungskosten keine Anrechnung, daß auf Grund der Umschulung einmal eine besser bezahlte Stellung erlangt werden kann: R G J W 1938, 2203; keine Anrechnung des Erwerbs, den eine Witwe infolge des Wegfalls der Pflichten gegenüber dem Mann durch eigene Arbeit erzielt: R G 154, 236, 241; WarnRspr 1933 Nr. 149; keine Vorteilsausgleichung, wenn nicht die Entschädigung selbst den Vorteil bewirkt, sondern ein nach der Entschädigung eingetretenes, von ihr unabhängiges Ereignis: BVerwG NJW 1957, 1291; Anspruch des Mündels gegen Vormund auf Schadensersatz wegen Abschluß eines ungünstigen Abfindungsvertrages wird nicht dadurch berührt, daß das Mündel Unterhaltsforderungen gegen seine Verwandten hat: BGH 22, 72 m. Anm. Esser MDR 1957, 522; keine Anrechnung von Steuervergünstigungen, die wegen einer Körperbeschädigung bewilligt werden, zugunsten des Schädigers: BGH VRS 14, 243. Der ausgefallene Hypothekengläubiger, der durch eine u. H. geschädigt ist, muß sich, wenn er das Pfandgrundstück selbst erstanden hat, der Regel nach auf den Ausfallschaden den Mehrwert des Grundstücks, den es über den Erstehungspreis hinaus hat, als Vorteil anrechnen lassen: R G 73, 333; 84, 386; 133, 223; J W 1916, 5776, 10163; !937> I547> WarnRspr 1910 Nr. 403; 1911 Nr. 168. Das gilt aber nicht unbedingt und nicht einem jeden gegenüber in gleichem Maße; vgl. den Fall R G 80, 155; es gilt auch nur, wenn das Grundstück zur Zeit des Hypothekenausfalles und der Erstehung an Wert den Erstehungspreis überstieg; ist erst später eine Werterhöhung eingetreten, so kann nicht von einem gleichzeitig erlangten Vorteile gesprochen werden. Das steht nicht im Widerspruch zu dem Grundsatze, daß der Schadensersatzanspruch nach dem Zeitpunkte der letzten mündlichen Verhandlung vor der Urteilsfällung sich richtet; denn hier handelt es sich um den Zeitpunkt, in welchem der Vorteil dem Schaden gegenübertreten muß, um diesen aufzuheben oder zu mindern (RG 100, 225). Keine Anrechnung, wenn der durch Amtspflichtverletzung des Notars infolge Hingabe von Geld entstandene Schaden später durch Abschluß eines günstigen Vergleichs im Konkurs des Schuldners ausgeglichen wird: R G SeufTArch 87 Nr. 138. A n m . 69 d) Anrechnung von gesetzlichen Versorgungsbezügen und Leistungen aus Verträgen, insbesondere Versicherungsverträgen. Die Rechtsentwicklung ist allgemein dahin gegangen, daß dem Schädiger mehr und mehr die Berufung darauf versagt wird, ein Dritter habe für den Ersatz des Schadens einzutreten oder trete freiwillig ein (BGH 9, 179, 13, 360; 21, 112, 116; 22, 73; VersR 1958, 528; vgl. § 843 Anm. 11). Auch aus § 843 Abs. 4 ist dieser allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen (BGH VersR 1957, 394). Nach der früheren Rechtsprechung waren bei Schadensersatzansprüchen aus Unfällen von Beamten, die zu ihrer Versetzung in den Ruhestand führten, die Ruhegehaltsbezüge, im Todesfall die Witwen- und Waisengelder, anzurechnen, weil insoweit kein Schaden entstanden sei. In Wahrheit
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Unerlaubte Handlungen
Vor § 823
A n m . 70, 71
wird ein Teil des Schadens auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstherrn getragen und es erscheint unbillig, den Schädiger insoweit von seiner Ersatzpflicht zu befreien. Nach der neuen gesetzlichen Regelung gehen die erwachsenden Schadensersatzansprüche im Umfang der Versorgungsbezüge, ähnlich der Regelung im Verhältnis zu Sozialversicherungsträgern, auf den öffentlich-rechtlichen Dienstherrn über, so daß die Vorteilsausgleichung entfällt (DBG § 1 3 9 ; BBG § 168; vgl. § 823 Anm. 90). Wegen der Art des Übergangs, kein Quotenvorrecht im Gegensatz zu § 1542 R V O vgl. R G 160, 253; 163, 396; D R 1941, 666, 669; B G H 9) 179» 191; !3> 360, 363; 22, 1 3 6 ; VersR 1957, 1 6 7 ; vgl. § 8 2 3 Anm. 90. Keine Anrechnung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung auf den zu ersetzenden Schaden ( B G H L M § 2 4 9 [Cb] Nr. 3). Der Schädiger wurde soweit nicht zum Schadensersatz herangezogen, als der Beamte keine spezifischen Versorgungsleistungen erhielt, sondern sein Gehalt weiter bezog ( B G H 21, 112, 1 1 7 ) . Dieser Rechtszustand ist jetzt geändert durch das Beamtenrechtsrahmengesetz ( B R R G § 1 9 3 Abs. 1 Nr. 23, 142; BBG § 8 7 a ; vgl. B G H VersR 1957, 522; § 823 Anm. 90). A n m . 70 Ansprüche eines Geschädigten aus einem p r i v a t - r e c h t l i c h e n V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g (Lebens-, Unfallversicherung, anders bei Haftpflichtversicherung) werden nicht angerechnet, gleichgültig ob der Versicherte die Versicherungsbeiträge selbst bezahlt oder ein anderer zu seinen Gunsten, ob der andere aus Freigebigkeit zahlt oder auf Grund eines Dienstvertrages, aus einer vom Arbeitgeber für den Versicherten abgeschlossenen Versicherung (RG 146, 287; 148, 154, 164; 1 5 1 , 330; 152, 199, 200; 153, 1 6 5 ; D R 1940, 1 1 9 2 ; B G H 9, 179; 19, 94, 99; 25, 322, 328; N J W 1957, 905; VersR 1957, 265). Es findet natürlich auch keine Anrechnung statt, soweit der Ersatzanspruch auf den Versicherer übergeht, vgl. § 67 V V G . Dagegen erfolgt Anrechnung bei Ansprüchen aus Amtspflichtverletzungen im Hinblick auf § 839 Abs. 1 Satz 2, ausgenommen aber Ansprüche aus Lebensversicherungsverträgen (RG 155, 186, 1 9 1 ; 158, 1 7 6 ; 167, 207; 1 7 1 , 1 7 4 ; B G H VersR 1958, 886). Zahlungen aus einer vom Schädiger abgeschlossenen Insassenunfallversicherung hindern zwar nicht die Entstehung des Schadens durch Vorteilsausgleichung, beseitigen jedoch den bereits entstandenen Schaden durch Tilgung, wenn der Fahrzughalter die Anrechnung verlangt (RG 152, 199; D R r 944> 2 9; 30; B G H 19, 94 = J Z 1956, 368 m. Anm. S i e g ) . Nach § 843 Abs. 4 BGB erfolgt keine Minderung des Schadensersatzanspruchs, wenn ein Dritter dem Verletzten Unterhalt gewährt. A n m . 71 Die bei privat-rechtlichen Versicherungsverträgen in der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochene Ablehnung der Anrechnung der Versicherungsleistungen gilt entsprechend für Leistungen aus a n d e r e n V e r t r a g s v e r h ä l t n i s s e n , weil es widersinnig ist, diese Leistungen dem Schädiger zukommen zu lassen ( B G H 10, 107, 110). Die nach § 6 1 6 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133 c Abs. 2 GewO vom Arbeitgeber geleisteten Arbeitsvergütungen sind nicht anzurechnen ( B G H 7, 30 unter Aufgabe von R G 165, 236, 239; 2 1 , 1 1 2 ; München VersR 1957, 1 3 5 ; S i e b e r t Festschrift Lehmann Band I I , 670). Ebensowenig werden sonstige freiwillige o d e r a r b e i t s v e r t r a g l i c h o d e r t a r i f v e r t r a g l i c h b e d u n g e n e Z a h l u n g e n eines Arbeitgebers an einen arbeitsunfähig gewordenen Verletzten angerechnet ( B G H 10, 1 0 7 ; 13, 360, 363; 2 1 , 1 1 2 , 1 1 6 ; VersR 1958, 454; vgl. R G J W 1937, 1 1 5 5 : keine Anrechnung von Leistungen der Arbeiterpensionskasse der Deutschen Reichsbahn). Damit ist die frühere Unterscheidung danach, ob es sich um freiwillige Leistungen oder Leistungen aus privat-rechtlichen oder öffentlichrechtlichen Verpflichtungen handelt, überholt ( B G H 2 1 , 1 1 2 , 1 1 7 ) . Der Dienstberechtigte kann allerdings auf Grund des Arbeitsvertrags oder auf Grund der Bestimmungen über ungerechtfertigte Bereicherung oder aus dem Rechtsgedanken des § 255 Abtretung dessen fordern, was der Geschädigte auf seinen Schadensersatzanspruch von dem Schädiger erhält ( B G H 13, 360, 365; 2 1 , 1 1 2 , 1 1 9 ; VersR 1958, 454). Solange keine Abtretung erfolgt, ist der Verletzte Gläubiger des Schadensersatzanspruchs ( B G H 7, 30; L M R V O § 1542 Nr. 20).
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V o r § 823 A n m . 72—74
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 72 Es findet ferner keine Vorteilsausgleichung statt, soweit der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen A n s p r ü c h e g e g e n S o z i a l v e r s i c h e r u n g s t r ä g e r haben. Die Ansprüche des Geschädigten gehen auf den Sozialversicherungsträger über. Darüber und über weitere Forderungsübergänge vgl. § 823 Anm. 85—gi; ferner BGH 7, 50. Arbeitslosenfürsorgeunterstützung kann einem Unfallgeschädigten auf den zu ersetzenden Schaden nicht im Wege der Vorteilsausgleichung angerechnet werden (BGH L M §249 [Cb] Nr. 3 = VersR 1956, 118). A n m . 73 VII. Klage auf Unterlassung und Beseitigung 1. Abwehrende Eigentumsklage, Klage zum Schutz absoluter Rechte. Vgl. den Uberblick über Unterlassungspflichten, insbesondere auch auf vertraglicher Grundlage, § 241. Das BGB nennt als Rechtswirkung der u. H. ausdrücklich nur einen Schadensersatzanspruch des Verletzten. Ein Anspruch auf Unterlassung künftiger widerrechtlicher Störungen und Eingriffe ist im BGB und anderen zivilrechtlichen Gesetzen nur anerkannt zum Schutze des Eigentums und anderer dinglicher Rechte (§§ 1004, 1017, jetzt § 11 Abs. 1 der Verordnung über das Erbbaurecht v. 15. 1. 1919, RGBl I 72; §§ 1027, 1065, 1090, 1227), des Besitzes (§§862, 1029), des Namens- und Firmenrechts und der besonderen Bezeichnung eines Erwerbsgeschäfts (§ 12, § 37 HGB, § 16 UWG) und der gewerblichen Schutzrechte (§ 47 PatG, § 15 GebrMG, § 24 W Z G ) ; vgl. ferner §§ 1, 3, 14 UWG. Daß die angezogenen Bestimmungen eine entsprechende Anwendung bei allen ausschließlichen (sog. absoluten) Rechten gestatten, insbesondere bei den Urheber- und gewerblichen Schutzrechten, soweit die diese regelnden Sondergesetze nicht eine Unterlassungsklage ausdrücklich gewähren, also bei allen Rechten, die unter den Begriff des „sonstigen Rechtes" aus § 823 Abs. 1 fallen (vgl. § 823 Anm. 20), ist außer Zweifel. Diese Klage auf Unterlassung weiterer ernstlich zu befürchtender Störungen ist die ausgestaltete Eigentumsfreiheitsklage (actio negatoria). Sie setzt einen bereits erfolgten g e g e n s t ä n d l i c h (objektiv) w i d e r r e c h t l i c h e n E i n g r i f f in das ausschließliche Recht voraus und eine ernstliche Wiederholungsgefahr (RG 60, 6; 6 1 , 366; 95, 339; 109, 2 7 6 ; 116, 1 5 3 ; 141, 336; 148, 114, 123; J W 1937, 8j63).
Sie w i r d
auch dann zuzugestehen sein, wenn eine Rechtsverletzung noch nicht stattgefunden hat, aber erkennbar ernstlich vorbereitet ist; zur Wiederholungsgefahr vgl. Anm. 75. Aus diesem Gesichtspunkte sind, da der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb zu den „sonstigen Rechten" des § 823 Abs. 1 gezählt wird (vgl. § 823 Anm. 27), die Entscheidungen R G 65, 210; JW 1905, 174 15 ; 1908, 133 1 ; 1911, 5722; 1913, 3423; WarnRspr 1915 Nr. 82 begründet. Vgl. ferner BGH 3, 270, 279 m. Nachw., auch wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen; ferner BGH 8, 142, 145; L M §823 (Dd) Nr. 1. Hierher gehört auch die Verletzung des allgemeinen P e r s ö n l i c h k e i t s r e c h t s (vgl. §823 Anm. 11; BGH 27, 284).
A n m . 74 2. Vorbeugende Unterlassungsklage a) Voraussetzung. Infolge des Bedürfnisses des Rechtsverkehrs hat die Rechtsprechung in erweiterter Übertragung der Grundsätze der abwehrenden Eigentumsklage über den Kreis der zweifelsfrei anerkannten absoluten Rechte hinaus zur Abwehr k ü n f t i g e r r e c h t s w i d r i g e r Einkünfte in alle vom Recht geschützten Lebensgüter und Interessen grundsätzlich die sogenante vorbeugende Unterlassungsklage anerkannt, wie sie für das besondere Gebiet des Wettbewerbs in verschiedenen Bestimmungen des U W G geschaffen worden ist. Da weder ein Rechtsverhältnis vorliegt, aus dem ein Unterlassungsanspruch entspringt, und da kein absolutes Recht betroffen ist, dessen Verletzung einen Unterlassungsanspruch auslöst (s. Anm. 73), leitet die Rechtsprechung einen Unterlassungsanspruch aus dem durch die u. H. im e. S. (nicht Gefährdungshaftung) gegründeten deliktischen Schuld Verhältnis mit der Begründung ab, daß in den Fällen, in denen eine Ersatzpflicht nach dem Gesetz vorgesehen sei, auch der vorbeugende Schutz durch den sogenannten deliktischen Unterlassungsanspruch gegeben
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Unerlaubte Handlungen
Vor § 823 A n m . 75
sein müsse (RG 48, 1 1 4 , 118). Nach Analogie zu § 1004 B G B und anderen Bestimmungen über den Schutz absoluter Rechte ging das R G in R G 60, 6 (vgl. auch 6 1 , 366, 369) zu der seither herrschenden Auffassung über, daß auch ohne Verschulden jeder objektiv rechtswidrige Eingriff in ein vom Gesetz geschütztes Rechtsgut zu einer Unterlassungsklage berechtigt, wenn weitere Eingriffe zu befürchten sind. Diese Unterlassungsklage setzt demnach wie die abwehrende Eigentumsklage nicht den erfüllten Tatbestand einer u. H., sondern nur einen g e g e n s t ä n d l i c h - w i d e r r e c h t l i c h e n Eingriff in das geschützte Recht oder Rechtsgut u n d für die Zukunft den Nachweis einer ernstlichen, durch Tatsachen begründeten B e s o r g n i s w e i t e r e r E i n g r i f f e , W i e d e r h o l u n g s g e f a h r , voraus (RG 1 1 5 , 8 3 u. 4 1 6 ; 123, 2 7 1 ; 124, 260; 138, 219, 276; 140, 392, 402; 148, 1 1 4 , 1 2 3 ; 156, 372, 374; 166, 150, 156; J W 1925, 1393 2 3 ; 1929, 1 2 2 3 3 1 ; 1933, 1400 1 6 ; D R 1939, 2009 2 ; WarnRspr 1942 Nr. 38; B G H L M W Z G § 24 Nr. 22; V R S 14, 280; Kiel S c h l H A 4 7 , 27; Braunschweig N d R p f l 48, 34). Bei beleidigenden Äußerungen ist nicht erforderlich, daß das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit und des beleidigenden Charakters der Äußerung vorhanden ist ( R G 166, 150, 156). In R G 77, 2 1 7 erscheinen die Unterlassungsklage auf Wiederherstellung (s. Anm. 83) und die hier besprochene vorbeugende Unterlassungsklage nicht vollständig scharf geschieden; es ist darin, wie aus S. 219 hervorgeht, eine Unterlassungsklage auf Wiederherstellung im Sinne des § 249 B G B angenommen und für diese der volle gegenständliche wie persönliche Tatbestand der u. H. in der Vergangenheit gefordert; der entschiedene Fall selbst scheint jedoch auf die vorbeugende Unterlassungsklage hinzuweisen. Die Entscheidung stellt jedenfalls nicht, wie vielfach angenommen wurde, eine Aufgabe der in den vorbezeichneten Urteilen aufgestellten Grundsätze dar (vgl. R G SeuffArch 69 Nr. 105 sowie WarnRspr 1916 Nr. 105), die in einer Reihe späterer Entscheidungen in dem gleichen Sinne weiter ausgestaltet worden sind (RG 78, 2 1 0 u. 256; 82, 59; 88, 1 3 0 ; 9 1 , 265 u. 350; 95, 339, 3 4 1 ; 1 0 1 , 3 3 5 ; J W 1 9 1 1 , 572 3 u. 760 1 9 ; 1 9 1 2 , 587'; 1 9 1 3 , 34 2 3 ; 1 9 1 5 , 2 g 1 3 ; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1 7 ; 1 9 1 5 ^ . 2 0 ; 1916 Nr. 105; 1918 Nr. 95; SeuffArch 69 Nr. 105; L Z 1919, 1015 4 ). Diese Klage ist zwar der abwehrenden Eigentumsklage nachgebildet; da sie aber auf rein persönliche Rechtsgüter oder Interessen sich bezieht, einen Eingriff in ein durch die Vorschriften des 25. Titels geschütztes Rechtsgut oder Interesse zur Grundlage hat und eine Ergänzung der Schadensersatzklage bildet, ist sie ebenfalls als Klage aus u. H. oder wegen u. H. anzusprechen. Der dingliche Charakter der abwehrenden Eigentumsklage geht ihr ab; der Unterlassungsanspruch entspringt hier nicht, wie bei der Eigentumsfreiheitsklage dem verletzten ausschließlichen Recht, sondern der widerrechtlichen Störung des allgemeinen Rechtskreises des Beschädigten (vgl. R G 88, 130). Zur dogmatischen Einordnung vgl. L a r e n z , Schuldrecht § 7 0 Abs. 2. Der Klageantrag muß eine bestimmte Verletzung oder verbotene Übertretung angeben (RG H R R 1929 Nr. 1090), das zu erlassende Verbot darf nicht abstrakt gefaßt sein (BGH L M ArzneimittelVO Nr. 3). Eine derartige Klage ist nicht gegeben, wenn es sich um einen in § 1004 B G B geregelten Tatbestand handelt, bei dem die Schranken des § 906 zu beachten sind (OGH 2, 1 8 1 , 186). A n m . 75 b) Wiederholungsgefahr. Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für die vorbeugende Unterlassungsklage, für die den Kläger die Beweislast trifft, sofern sie nicht offen zutage liegt (RG 78, 2 1 0 ; 96, 244; WarnRspr 1 9 1 3 , 320), ist gegeben, wenn eine ernstliche, durch Tatsachen begründete Besorgnis weiterer Eingriffe besteht (RG 1 1 5 , 416). Die Feststellung der Wiederholungsgefahr ist in erster Linie Sache des Tatrichters. Sie kann nur dann Gegenstand eines Revisionsangriffs sein, wenn der Tatrichter von unrichtigen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist, wichtige Tatumstände nicht beachtet, oder sich in Widerspruch mit der allgemeinen Lebenserfahrung oder Denkgesetzen gesetzt hat (RG 148, 1 1 4 , 1 1 9 ; 170, 3 1 7 , 3 1 9 ; 1 7 1 , 380; WarnRspr 1943 Nr. 1 4 ; D R 1944, 3 5 ; B G H 14, 163, 167; L M §823 [Ag] Nr. 1). Die Wiederholungsgefahr muß noch zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung bestehen (RG J W 1 9 1 1 , 586; 1 9 1 3 , 34, 543; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1 2 2 ; 1 9 1 5 Nr. 20). Es ist das gesamte Verhalten bei der Bewertung der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten rechtlichen Gesichtspunkte für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen.
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Dabei ist immer zu beachten, daß es sich um eine auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles in erster Linie vom Tatrichter zu entscheidende Frage handelt. An die Beseitigung der Wiederholungsgefahr sind strenge Anforderungen zu stellen ( R G J W 1935) 2723; G R U R 1939, 494, 499). Aus der Rechtsprechung: Es ist das gesamte Verhalten, nicht nur das in der letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen ( B G H G R U R 1955, 390). Ein wichtiges Indiz ist der Beweggrund. Bei Versprechen oder Zugeständnissen ist es wesentlich, ob der Gegner aus besserer Einsicht oder unter dem Druck eines bevorstehenden Prozesses unter Aufrechterhaltung seines Rechtsstandpunktes handelt. Es liegt regelmäßig keine Wiederholungsgefahr mehr vor, wenn der Gegner den Anspruch bedingungslos anerkennt, eine klare unzweideutige Verpflichtung abgibt, und seine Verteidigung auf das Leugnen der Wiederholungsgefahr beschränkt (vgl. auch R G 148, 1 1 4 , 120). Die Wiederholungsgefahr wird nicht ausgeräumt, wenn der Antrag auf Klageabweisung mit der Begründung aufrecht erhalten wird, die als Verletzung beanstandete Handlung sei berechtigt, selbst wenn das Versprechen abgegeben wird, sich in Zukunft der beanstandeten Handlung zu enthalten ( R G G R U R 1938, 64; B G H 1, 241, 248; 14, 163, 167; I Z R 24/54 v. 20. 12. 1955, in B G H 19, 299 nicht mit abgedruckt; L M U W G § 1 Nr. 1 1 ) . Die Wiederholungsgefahr wird nicht beseitigt mit der Erklärung, es habe sich um ein Versehen gehandelt ( B G H J Z 1958, 314). Allerdings besteht (Einschränkung zu früheren Entscheidungen!) kein Rechtssatz des Inhalts, daß die Wiederholungsgefahr nur entfällt, wenn eine klare unzweideutige Erklärung aus besserer Einsicht abgegeben wird ( B G H L M § 823 [Ag] Nr. 1 = J Z 1955, 245). Soweit ein bei einer Störung Beteiligter (vgl. Anm. 78) das Vorliegen einer Verletzung nicht zuverlässig nachprüfen kann, genügt es, eine Unterlassungsverpflichtung an die auflösende Bedingung zu knüpfen, daß die Auffassung des Klägers sich als rechtlich zulässig erweist ( B G H L M W Z G §24'Nr. 22). Wiederholungsgefahr bei besonders aufdringlichem Verhalten, R G 166, 150, 156. Keine Wiederholungsgefahr bei Zeugenaussagen, R G 142, 116. Die Wiederholungsgefahr bei Patentstörungen entfällt nicht schon mit der Einstellung des Geschäftsbetriebs und der Löschung der Firma ( R G 104, 376, 382), auch nicht beim Eintritt einer GmbH in das Liquidationsstadium ( B G H 14, 163, 168). Eine Verwarnung wegen angeblicher Verletzung des Firmenrechts begründet nach der Lebenserfahrung die Vermutung, daß der Verwarnende seine Auffassung auch Dritten gegenüber vertritt. Für die Wiederholungsgefahr ist es genügend, wenn die Warnung nicht gegenüber Dritten, sondern gegenüber dem angeblichen Verletzer ausgesprochen und der die Verwarnung begründende Vorwurf im Rechtsstreit aufrechterhalten wird ( R G G R U R 1940, 54; B G H 14, 286, 290). Bestand in Ansehung beleidigender Äußerungen durch längere Zeit und auch noch während des Rechtsstreits die Wiederholungsgefahr, dann müssen Umstände von entscheidender Bedeutung hinzukommen, um diese Gefahr als beseitigt (und die Klage als nunmehr unbegründet R G 156, 372, 375) ansehen zu können ( R G J W 1933, 1658 1 1 ; vgl. ferner B G H L M § 12 Nr. 15). B e i m H a n d e l n in W e t t b e w e r b s a b s i c h t spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Wiederholungsgefahr ( B G H Betrieb 1958, 980). A n m . 76 Unter besonderen Umständen bedarf es für die vorbeugende Unterlassungsklage nicht des Nachweises der Gefahr der Wiederholung einer bereits erfolgten Verletzung oder des Nachweises, daß ein bereits vorgekommener Eingriff widerrechtlich war. Es genügt eine sonstige ernsthafte Bedrohung mit dem Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut oder Recht, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Vorbereitung und die Absicht eines Eingriffs mit Sicherheit erkennen lassen, so daß eine Schädigung durch eine objektiv rechtswidrige Handlung als bevorstehend anzunehmen ist ( R G 101, 135, 138 u. 335, 340; 1 5 1 , 239, 246; J W 1930, 1702 24 ; B G H 2, 394; L M § 1004 Nr. 27; L M U W G § 1 Nr. 22; BB 1957, 414). A n m . 77 G e s c h ü t z t e R e c h t s g ü t e r . Vgl. § 823 Anm. 1 1 ; vgl. allgemeine Ubersicht über die Rechtsprechung zum Zivilrechtschutz S c h l o t t m a n n D G W R 1941, 255; W e n d t D R Z
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1950, 554. Rechtsgüter, denen die vorbeugende Unterlassungsklage dienen soll, sind einmal die in § 823 Abs. 1 genannten: Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit; ferner die Interessenkreise des § 824: Kredit, Erwerb und Fortkommen, weiter auch die mittelbar durch Schutzgesetze im Sinne des §823 Abs. 2 geschützten Rechtsgüter in den Grenzen dieses Schutzes (vgl. bes. R G 82, 59). Auch d i e E h r e gehört mit Rücksicht auf die Schutzgesetze der §§ 1 8 5 — 1 8 7 a S t G B zu den geschützten Rechtsgütern, auch einer J P ( R G J W 1937, 2 3 5 2 ; s. § 824 Anm. 4), deren Verletzung die Grundlage eines Unterlassungsanspruchs bilden kann. Deshalb ist das Vermögen ein geschütztes Rechtsgut, soweit es durch § 263 S t G B oder andere Strafgesetze besonderen rechtlichen Schutz genießt, sowie auch als Gegenstand einer Schädigung wider die guten Sitten nach § 826; insoweit kann also auch die vorbeugende Unterlassungsklage auf Vermögensbeschädigungen gegründet sein und deren Wiederholung abwehren (vgl. R G 9 1 , 3 5 0 ; WarnR s p r 1 9 1 8 Nr. 95). I m Falle des § 826 ist jedoch der gegenständliche Tatbestand vom persönlichen nicht zu lösen, so daß eine abwehrende Unterlassungsklage nicht wohl anders als auf Grund des erfüllten Tatbestandes der u. H. in der Vergangenheit denkbar ist. Z u den grundsätzlich geschützten Rechtsgütern gehört auch das den Ehegatten aus der ehelichen Lebensgemeinschaft zustehende Recht. V o n der allgemeinen Zulässigkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage wird jedoch eine Ausnahme gemacht, soweit die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs der sittlichen Natur des ehelichen Verhältnisses widerspricht. Zugelassen sind von der Rechtsprechung K l a g e des Ehemannes auf Unterlassung von gegen seine Frau gerichteten Vorwürfen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seiner eigenen Ehre, R G 156, 3 7 2 ; München H R R 1942 Nr. 200. Unterlassungsklage des Ehemannes gegenüber Mißhandlungen und Beschimpfungen, die der Frau drohen, mit Rücksicht auf den Vermögens- und Verwaltungsbereich des Mannes Kiel H R R 1936 Nr. 1 2 1 4 . Anspruch der Ehefrau gegen ihren Mann, daß er unterlasse, eine andere weibliche Person, mit der er ein Liebesverhältnis unterhält, als seine Frau auszugeben, s. R G WarnRspr 1927 Nr. 138. Unterlassungsanspruch der Frau, deren mit ihr im Ehestreit lebender M a n n bei Hausbewohnern Nachforschungen über ihren Lebenswandel anstellen läßt, Dresden H R R 1939 Nr. 5. Wegen der besonderen Natur des ehelichen Verhältnisses keine K l a g e eines Ehegatten auf Unterlassung ehebrecherischen Verkehrs gegen den schuldigen anderen Teil und dessen Mitschuldigen ( R G 7 1 , 8 5 ; 1 5 1 , 1 5 9 ; J W 1905, 4 3 1 ; B G H N J W 1956, 1 1 4 9 ; s. aber auch Celle NdsRpfl 1949,60; vgl. B o e h m e r A c P 1 5 5 , 1 8 1 ; vgl. § 8 2 3 Anm. 25). Wohl aber Anspruch einer Ehefrau gegen das Eindringen oder die Aufnahme der Geliebten des Ehemannes in die Ehe- und Familienwohnung mit K l a g e gegen den Ehemann oder die Ehebrecherin auf Beseitigung der dadurch bewirkten Störung und auf Unterlassung künftiger Störungen ( B G H 6, 360 = L M § 8 2 3 [ A f ] Nr. i a ; ferner i b ; s. auch K G J R 49, 5 1 ; K ö l n S J Z 49, 623; Schleswig J R 5 1 , 629), da dadurch der geschützte räumliche und gegenständliche Bereich der Ehe, insbesondere die eheliche Wohnung, gestört wird. Ebenso steht der Ehefrau ein Unterlassungsanspruch gegen die im Geschäft tätige Geliebte ihres Mannes zu, wenn das Geschäft durch ihre Mitarbeit ähnlich wie sonst die eheliche Wohnung Teil des ä u ß e r e n gegenständlichen Bereichs der Ehe geworden ist. O b dieser gegenständliche Bereich ein absolutes Recht nach § 823 darstellt oder durch Art. 6 G G geschützt ist, bleibt dahingestellt ( B G H L M § 823 [Af] Nr. 2 = N J W 1952, 1 1 8 6 ) . Unterlassungsklage der Ehefrau auf Entfernung einer Wirtschafterin, die ohne Vorliegen ehewidriger Beziehungen ihre Frauenwürde verletzt (BGH L M G G Art. 6 Nr. 3).
Anm. 78 d ) P a s s i v l e g i t i m a t i o n . Passivlegitimiert für den Unterlassungsanspruch ist der Störer, also derjenige, auf dessen Willen die Störungshandlung beruht. Das ist auch derjenige, der nur mittelbar an der rechtsverletzenden Handlung eines aus eigenem Antrieb Handelnden mitwirkt, sofern er rechtlich verpflichtet und in der L a g e ist, den Dritten an der Störungshandlung zu hindern ( R G 1 5 5 , 3 1 6 , 3 1 9 ; B G H 14, 163, 1 7 4 ; L M § 12 Nr. 1 5 ; s. Anm. 80]. Auch der Angestiftete und der Gehilfe sind Störer ( R G H R R 1940 Nr. 214), wie jeder, der eine adäquate Ursache für die Störung setzt oder setzen will. V o n ihnen kann allerdings nur Unterlassung ihres Tätigkeitsanteils ge-
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V o r § 823 A n m . 79, 80
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
fordert werden ( B G H L M WZG § 24 Nr. 22). Zur Unterlassungsklage gegen einen Abgeordneten im Hinblick auf Art. 46 GG vgl. Karlsruhe NJW 1956, 1840 u. P a g e l ÖV 1957, 287. A n m . 79 e) B e w e i s l a s t , W a h r n e h m u n g berechtigter I n t e r e s s e n . Bei einer Klage auf Grund der §§ 823 Abs. 2 BGB, 186 StGB hat der Beklagte den Wahrheitsbeweis für die behaupteten oder verbreiteten Tatsachen zu erbringen, während bei einer Klage aus § 824 BGB der Kläger die Unrichtigkeit der Tatsachen zu beweisen hat ( R G 115, 74; J W 1937, 2352). Bei einer Klage auf Grund §§ 823 Abs. 2 BGB, 185 StGB kommt es bei Beleidigungen in besonders kränkender Form nicht auf die Wahrheit der Behauptung an (Beleidigungsabsicht nach § 192 StGB: R G WarnRspr 1942 Nr. 38. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen nimmt nach § 193 StGB wie nach § 824 Abs. 2 BGB der Behauptung oder Verbreitung nicht erweislich wahrer Tatsachen den Charakter der objektiven Widerrechtlichkeit ( R G 142, 120). § 193 StGB entfällt, wenn sich aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen die Beleidigungsabsicht ergibt ( R G H R R 1940 Nr. 1180). Keine Anwendung des § 193 StGB auf Beleidigungen ( B G H M D R 1953, 401). Ist die Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsachen festgestellt, dann ergibt sich daraus ohne weiteres ihre Widerrechtlichkeit. Deshalb ist, das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr vorausgesetzt, auch eine Klage auf Unterlassung der weiteren Behauptung oder Verbreitung ehr- oder kreditverletzenden Tatsachen zulässig, wenn der Kläger den Nachweis der Unwahrheit der behaupteten Tatsachen erbringt, denn an der Weiterverbreitung einer unwahren Tatsache kann grundsätzlich niemand ein berechtigtes Interesse haben, selbst wenn der Verletzer zunächst in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hat ( R G 78, 256; 82, 59; 88, 130; 91, 265 u. 350; 95, 339; 124, 260; 140, 392; 163, 215; J W 1913, 3423; 1915, 2913; 1919, 993 3 ; ^ ö » I393 23 ; 1933» 1400 16 ; D R 1939, 20092; 1940, 7810; WarnRspr 1 9 1 4 ^ . 17; 1915 Nr. 20; 1918 Nr. 95; 1927 Nr. 129; 1937 Nr. 129; H R R 1936 Nr. 1161, 1494; 1940 Nr. 603; 1941 Nr. 1004; SeuffArch 69 Nr. 105; Gruchot 72, 319; B G H JZ1958, 438; O L G 45, 173). Dies gilt jedoch dann nicht, und der Unterlassungsanspruch entfällt in der Regel mithin, wenn es sich um die Ausübung im öffentlichen Recht begründeter Rechte (Strafanzeige des Verletzten, Beschwerde über einen Beamten bei der zuständigen Dienststelle) oder um die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten (Zeugnispflicht, Beamtenpflicht) handelt ( R G 78, 210; 124, 253, 262; NJW 1929, 2339 m. Anm.; 142, n6;JWigi2, 29011 u. 587'; D R 1940, 7810; SeuffArch. 69 Nr. 105; H R R 1929 Nr. 1726; s. auch Dresden D J 1936, 691). Zum Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte (Petitionsrecht) vgl. B G H NJW 1951, 352; § 823 Anm. 42; zur Zulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage gegen eine Petition vgl. München NJW 1957, 793 u. 795 mit Anm. H a m a n n und A r n d t NJW 1957, 1072. Eine Unterlassungsklage ist gegeben, wenn w i d e r b e s s e r e n W i s s e n s ehrverletzende Behauptungen aufgestellt werden. Ein V e r l e u m d e r verdient keinen Schutz ( R G D R 1940, 78; H R R 1940 Nr. 1180; D J 1936, 5, 517; vgl. auch R G S t 58, 39; 59, 414, 417; 63, 92, 94). Wegen der Einzelheiten zum Begriff der Wahrnehmung berechtigter Interessen, über das b e r e c h t i g t e Interesse, die Angemessenheit der Ehrverletzung zur Erreichung des erstrebten Zweckes, die vorherige Prüfungspflicht, die Wahrnehmung fremder Interessen, auch Interessen der Allgemeinheit, insbes. durch die Presse vgl. § 824 Anm. 14fr; R G H R R 1939 Nr. 1345; 1940 Nr. 603; D R 1939, 2009; ferner S c h ö n k e - S c h r o e d e r StGB § 193 Anm. 3. Der Grundgedanke des § 193 als Ausdruck eines allgemeinen Prinzips der Rechtsgüterabwägung findet auch Anwendung bei Prüfung der Widerrechtlichkeit von Eingriffen in einen Gewerbebetrieb z. B. durch gewerbestörende Werturteile ( B G H L M § 823 [Dd] Nr. 1; vgl. § 823 Anm. 28). A n m . 80 Die Presse darf nicht ohne ausreichende, die Interessen des Berechtigten und des Betroffenen abwägende Interessenabwägung, Vorwürfe ehrenrühriger Art erheben. Unsachliche Kritik ist widerrechtlich, es sei denn, sie ist nach Inhalt, Form und Be1202
Unerlaubte Handlungen
V o r § 823 Anm. 81, 82
gleitumständen zur Wahrnehmung rechtlich gebilligter Interessen objektiv erforderlich. Wenn eine solche Kritik sich nach Abwägung als erforderlich erweist, muß sie in der den Betroffenen schonendsten Weise erfolgen (vgl. § 824 Anm. 15 ff; R G 1 1 5 , 80; 148, 159; '55> 316, 3 1 9 ; B G H 3, 270, 280; L M § 823 [Bd] Nr. 2; § 826 [Gb] Nr. 3 ; s. ferner B G H 8, 142, 145: Mitteilung von Listen langsamer Zahler an Mitglieder eines Kreditschutzvereins). Uber die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs gegen Presseveröffentlichungen vgl. Stuttgart N J W 1950, 703; Freiburg J Z 1951, 753; N e u m a n n D u e s b e r g , Presseberichterstattung, Presseurheberrecht und Nachrichtenschutz 1949, 24 fr. Uber das Recht der politischen Parteien zur öffentlichen Kritik in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses vgl. Frankfurt N J W 1947/48, 226; ferner N e u m a n n D u e s b e r g aaO S. 37 und D R Z 1949, 106. Den Haftungsvorschriften des Pressegesetzes kommt nur strafrechtliche, nicht zivilrechtliche Bedeutung zu. Zur Möglichkeit der Geltendmachung einer Gegendarstellung im Zivilrechtsweg vgl. L G Mannheim N J W 1956, 384! (württ.-bad. Pressegesetz) mit Anm. G r e i f f N J W 1956, 384 und N e u m a n n - D u e s b e r g N J W 1956, 832. Die zivilrechtliche Haftung eines Verlags für Zuwiderhandlungen durch Druckschriften bestimmt sich nach allgemeinen Grundsätzen. Der Verleger ist passivlegitimiert für einen Abwehranspruch wegen Ehrverletzung durch Druckschriften seines Verlages oder für Druckschriften, die dessen Verlagsobjekten beigefügt werden, wenn die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf seinen Willen zurückzuführen ist, weil er die Möglichkeit hat, auf den Inhalt Einfluß auszuüben ( R G 155, 316, 3 1 9 ; B G H 3, 270, 276; s. Anm. 78; vgl. § 824 Anm. 20, 21).
Anm. 81 Bei V e r ö f f e n t l i c h u n g e n ö f f e n t l i c h e r K ö r p e r s c h a f t e n , z. B. einer Handwerkskammer in Vertretung der Interessen des Handwerks, ist der Rechtsweg für das Verlangen auf Widerruf (s. Anm. 88) und künftige Unterlassung ausgeschlossen ( R G WarnRspr 1929 Nr. 143), ebenso bei dienstlichen Erklärungen des Präsidenten einer Industrie- und Handelskammer ( R G WarnRspr 1941 Nr. 13) für das Verlangen, daß ein Reichsinnungsverband nur in sein Aufgabengebiet fallende Maßnahmen widerrufe ( R G 162, 181). Anders bei sittenwidrigem Handeln des Mitgliedes eines Innungsvorstandes im Zusammenhang mit einem Konkurrenzkampf ( R G SeuffArch. 93 Nr. 80). Auch sonst ist bei Kundgebungen von Personen und Stellen, die mit der Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben betraut sind, der Rechtsweg für eine Unterlassungsklage unzulässig ( R G 140, 392, 402; 150, 143; 156, 40; 158, 257; 162, 1 9 1 ; J W 1938, 1 1 3 9 ; H e l l e N J W 1958, 1524). Das gleiche gilt für Äußerungen im innerkirchlichen Bereich, die der Ausübung der Kirchenhoheit dienen ( R G 143, 106; vgl. H e l l e N J W 1958, 1524).
Anm. 82 £) Verhältnis zum strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Schutz
Die erweiterte vorbeugende Unterlassungsklage soll ein dringendes Rechtsschutzbedürfnis befriedigen. Daraus hatte die Rechtsprechung des Reichsgerichts, im besonderen des 6. ZS, gefolgert, die Unterlassungsklage sei nur zuzulassen, wenn im Einzelfalle der Schadensersatz für die begangene u. H. nicht ausreiche, das angegriffene Rechtsgut für die Zukunft gegen Beeinträchtigungen gleicher Art zu schützen und ein anderer gesetzlicher Schutz nicht gegeben sei, und hat angenommen, daß ein solcher die Unterlassungsklage ausschließender Schutz regelmäßig dann bestehe, wenn die u. H., deren Tatbestand in Frage stand, durch ein Strafgesetz unter öffentliche Strafe gestellt sei. Gleichviel, ob die Strafverfolgung im Wege der öffentlichen Klage oder durch Privatklage zu geschehen habe, sei der Regel nach kein Rechtsschutzbedürfnis anzuerkennen, durch Urteil auf die Unterlassungsklage eine bereits durch ein Strafgesetz verbotene Handlung nochmals zu verbieten und der Androhung der öffentlichen Strafe im Strafgesetz eine zivilrechtliche Strafandrohung hinzuzufügen. Aus dem Gesichtspunkt, daß letzten Endes das Rechtsschutzbedürfnis im einzelnen Fall für die Zulassung der vorbeugenden Unterlassungsklage maßgebend sein müsse, bleibe es dem Kläger unbenommen, darzutun, daß die Androhung der öffentlichen Strafe ihm einen genügenden Rechtsschutz nicht gewähre, sei es, daß der Strafverfolgung Hindernisse
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V o r § 823 Anra. 83, 84
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
entgegenstehen (Ausland) oder daß bei der Privatklage die jedesmalige Strafverfolgung ihm die Abwehr ungebührlich erschwere oder einen ausreichenden Schutz gegen die zu erwartende hartnäckige Wiederholung der Angriffe nicht bieten würde. Auch die kurze Verjährungszeit namentlich nach § 22 PresseG und die Antragsfrist des § 6i StGB für die Verfolgung von Beleidigungen könne für die Zulassung der Unterlassungsklage ins Gewicht fallen. Vgl. hierzu aus der Rechtsprechung R G 71, 85; 77, 2 1 7 ; 82, 59; 88, 130; 91, 265 u. 350; 95, 268 u. 339; J W 1912, 587'; 1913, 34 23 ; 1919, 993=" u. 594 6 ; WarnRspr 1918 Nr. 95; über die Privatklage besonders R G 77, 2 1 7 ; J W 1913, 34 2 3 ; RG 82, 59; 88, 130; 91, 265 u. 350 (Bedeutung der Verjährung der Strafklage und des Ablaufs der Antragsfrist); 95, 273 u. 339; 98, 36 (Privatklage). Diese weitgehende Einschränkung der Unterlassungsklage hat jedoch im Schrifttum überwiegend Widerspruch gefunden und war gegenüber den fortschreitenden Forderungen des Verkehrslebens nicht aufrechtzuerhalten, da sie der Verschiedenartigkeit des zivilrechtlichen und des strafrechtlichen Rechtsschutzes nicht genügend Rechnung trug. Der strafrechtliche Schutz bewegt sich nicht nur in anderen Formen, er dient auch anderen Bedürfnissen und Zwecken als der zivilrechtliche, und es läßt sich deshalb die Notwendigkeit eines privatrechtlichen Rechtsschutzes nicht damit verneinen, daß für den Schutz des bedrohten Privatrechts auch der Weg der Strafklage offenstehe. Vielmehr ist für die Regel davon auszugehen, daß beide Wege selbständig nebeneinander laufen, und daß es dem Berechtigten überlassen bleiben muß zu bestimmen, ob er zum Schutze seines Rechts den einen oder den anderen Weg beschreiten oder auch von beiden gleichzeitig Gebrauch machen will. Es wird also für die Unterlassungsklage nichts weiter zu fordern sein, als ein objektiv rechtswidriger Eingriff in ein vom Gesetz geschütztes Rechtsgut und die durch Tatsachen begründete ernstliche Gefahr der Wiederholung. In diesem Sinne hat sich die spätere Rechtsprechung ausgesprochen (RG 116, 1 5 1 , grundsätzlich; 138, 219; 155, 92; 156, 372, 377; J W 1931, 1470; 1933, 1400 16 ; vgl. auch 124, 253; 128, 298; 1 5 1 , 159; J W 1927, 2422 12 ; 1932, 27065, 3609; H R R 1934 Nr. 322; 1936 Nr. 1 1 6 1 ; BGH NJW 1957, 1319; BGH 22, 167; V R S 14, 280; BGH I Z R 19/56 v. 21. 5. 1957 S. 13, Leitsatz in NJW 1957, 1319). Gleiche Erwägungen gelten über das Verhältnis zum v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e n S c h u t z (BGH 22, 167; I Z R 147/53 v. 30. 1 1 . 1954, insoweit in BGH 15, 3 1 5 nicht abgedruckt; V R S 14, 280). Anm. 83 3 . Die Unterlassungsklage auf Wiederherstellung a) Gegenstand der Klage. Die vorbeugende Unterlassungsklage unterbindet zukünftige rechtswidrige Eingriffe. Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen der widerrechtliche Eingriff ohne erneutes positives Handeln noch andauert, z. B. bei Anbringung noch vorhandener beleidigender Plakate, oder in denen die rechtswidrige Handlung zwar vollendet und beendet ist, aber damit ein Zustand geschaffen wurde, der sich für den Verletzten als eine stetig neu fließende Quelle der Schädigung darstellt, z. B. bei Verbreitung von unwahren ehrverletzenden Behauptungen oder bei Erteilung einer falschen Auskunft (RG 163, 210, 215) oder bei Aufnahme eines Gesprächs auf Tonband (BGH 27, 284, 291), und der die Tendenz der Erweiterung ohne erneutes Zutun des Verletzers in sich trägt (BGH L M BliWVG Nr. 1: Blindenreise). Eine weitere Schädigung kann hier nur durch positive Maßnahmen verhütet werden. Es handelt sich hier in Wahrheit um einen Beseitigungsanspruch, um eine Wiederherstellung des früheren Zustandes (RG 60, 13, 19; 77, 218; 80, 130; 82, 59; 91, 265; 148, 114, 122; J W 1937, 876). Soweit es sich um die Verletzung absoluter Rechte handelt (s. Anm. 73), ist im BGB ein Anspruch auf derartige positive Maßnahmen, nämlich auf Beseitigung dieser Beeinträchtigung anerkannt (vgl. § 1004). Die Analogie auf andere absolute Rechte ist unbedenklich. Anm. 84 b) Unterlassungsanspruch als Schadensersatzanspruch. Dem Bedürfnis neben der vorbeugenden Unterlassungsklage einen Beseitigungsanspruch bei Beeinträchtigung von Rechtsgütern zu gewähren, hat die Rechtsprechung zunächst damit abgeholfen, daß der Beseitigungsanspruch aus dem deliktischen, auf Naturalersatz 1204
Unerlaubte Handlungen
Vor § 823
A n m . 85, 86
gehenden Schadensersatzanspruch abgeleitet wurde. Daher muß der volle Tatbestand einer u. H. im engeren Sinne erfüllt sein (RG 77, 219; 97, 343; 142, 1 1 6 ; J W 1934, 408). Diese Klage kann a l l e T a t b e s t ä n d e der u. H. betreffen, insbesondere auch die Verletzungen der Persönlichkeit (vgl. § 823 Anm. 11); sie findet namentlich auf diejenigen der §§ 824, 826 Anwendung (vgl. zu § 823 Abs. 2 mit StGB § 185 R G H R R 1934 Nr. 3 1 3 ; zu § 824 R G WarnRspr 1937 Nr. 129; zu § 8 2 6 R G 1 0 5 , 4 ; I I 3»33)> ferner z . B . bei Eingriffen in die durch §§ 240 StGB, 823 BGB geschützte Freiheit der Willensentschließung ( B G H L M 812 Nr. 6 = N J W 1952 Nr. 417, 418). Die Klage ist gegeben bei Sperrmaßregeln gegen Gewerbetreibende ( R G 48, 1 1 4 ; 56, 2 7 1 ; 82, 59; 88, 130; 91, 265; J W 1905, 7 1 5 2 ; WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 416), Beseitigungen von Druckschriften, die unwahre Mitteilungen über Geschäftsverhältnisse enthalten ( R G 57, 1 5 7 ; 60, 1 2 ; J W 1908, 333 1 6 ; vgl. B G H J Z 1954, 288; L M U W G § 1 Nr. 19), Unterlassung der öffentlichen Ausstellung von Waren zu illoyalen Zwecken (RG J W 1903 Beil. 23), Aufhebung eines schädigenden Verbots (RG 72, 251), Zurücknahme öffentlicher Angriffe auf die Ehre oder den Kredit des Klägers ( R G 88, 129; WarnRspr 1913 Nr. 449), Veröffentlichung des auf Unterlassung lautenden Urteilssatzes und darüber hinausgehende Verurteilung zum Widerruf (RG H R R 1931 Nr. 1307; 1932 Nr. 1128). Der Verleger einer Zeitung kann seine Schriftleiter nicht zur Veröffentlichung eines Widerrufs ehrenkränkender Ausführungen und zur Unterlassung künftiger Beleidigungen anweisen, auch nicht seinem Willen durch Zwang Geltung verschaffen; doch kann das Nichteingreifen des Verlegers sittenwidrig mit der Folge einer Schadensersatzpflicht nach § 826 sein, wenn der Schriftleiter zu einer Berichtigung bereit gewesen wäre, falls der Verleger darauf bestanden hätte, der Verleger aber gleichwohl nicht darauf bestanden hat (RG 162, 7; 170, 45). Anspruch des Unternehmers, dem ein anderer Angestellte in sittenwidriger Weise abspenstig gemacht hat, auf Nichtbeschäftigung dieser Angestellten im bisherigen Geschäftsbereich des Geschädigten und in ihrem bisherigen Geschäftsbereich bei dem Schuldner s. R G J W 1934, 2137®. A n m . 85 c ) Unterlassungsklage auf Wiederherstellung bei rechtswidrigen E i n griffen. Wie bei der weiteren Entwicklung der vorbeugenden Unterlassungsklage bezeichnet es das R G auch bei dieser Klage auf Wiederherstellung als ein Gebot der Gerechtigkeit, daß die f o r t d a u e r n d e widerrechtliche Beeinträchtigung ohne Rücksicht auf die Schuldfrage in Anlehnung an § 1004 beseitigt werden muß (RG 148, 114). Die weitere Rechtsprechung ist dem einhellig gefolgt ( R G WarnRspr Nr. 129 zweifelnd; R G 163, 2 1 0 ; J W 1937, 876; H R R 1939, 1345; R A G 19, 260, 267; OGH 1, 182, 1 9 1 ; B G H 14, 163, 1 7 3 ; 27, 284, 2 9 1 ; L M 812 Nr. 6 = N J W 1952, 417, 4 1 8 ; J Z 1958, 438). Neben dem oben erörterten deliktischen Anspruch auf Beseitigung nach § 249 ist somit bei nur objektiver Rechtsverletzung ein selbständiger Beseitigungsanspruch auf der Grundlage des § 1004 anerkannt (BGH 14, 163, 173). A n m . 86 Die Abgrenzung des auf Beseitigung einer fortdauernden Beeinträchtigung gerichteten Beseitigungsanspruchs vom Schadensersatz als der Wiederherstellung des ohne die Verleztung bestehenden Zustandes macht Schwierigkeiten, zumal auch in der Rechtsprechung Unklarheiten zu beobachten sind, die teilweise dadurch hervorgerufen sind, daß beide rechtlichen Gesichtspunkte zusammen angewendet werden und teilweise auf ältere Entscheidungen Bezug genommen wird, die unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes ergangen sind. Der Beseitigungsanspruch richtet sich nur auf Beseitigung der Beeinträchtigung. Soweit Ersatz des durch die Einwirkung entstandenen Schadens begehrt wird, muß Verschulden zur Widerrechtlichkeit hinzukommen (nicht scharf getrennt in R G 127, 35). Der auf der Grundlage des § 1004 anerkannte Beseitigungsanspruch darf nicht dazu führen, in Wirklichkeit unter dem Deckmantel dieses Be•seitigungsanspruchs einen Schadensersatzanspruch zu gewähren. Es handelt sich bei den an § 1004 angelehnten Anspruch um die Verhütung der Entstehung eines weiteren Schadens durch positive Maßnahmen des Störers (vgl. zur Abgrenzung L a r e n z , Schuldrecht, § 70 I ; ferner U l m er ZAkDR 1936, 535). Die im Gedächtnis des Mit-
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V o r § 823 Anm. 87, 88
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
teilungsempfängers allein fortlebende unwahre Behauptung ist keine Beeinträchtigung im Sinne dieser Beseitigungsklage. Soweit das durch ehrverletzende Kränkungen geschmälerte Ansehen des Betroffenen wieder hergestellt werden soll, handelt es sich um den sich aus § 249 BGB ergebenden Anspruch. Soweit verhindert werden soll, daß weitere Beeinträchtigungen der Ehre und des Rufs des Betroffenen durch die in ihrer Wirkung fortlebende Kundgebung erfolgt, genügt die Geltendmachung des nach § 1004 Anerkannten Anspruchs (BGH 10, 104). A n m . 87 d) Voraussetzungen des Anspruchs. Zur tatbestandsmäßigen Voraussetzung für die Klage auf Wiederherstellung (nach § 249 oder auch § 1004 BGB), die in der Regel auf Zurücknahme oder Widerruf geht, gehört es, daß der beanstandete Eingriff einen fortdauernden Zustand geschaffen hat, der eine stetig sich erneuernde Quelle der Rechtsverletzung bildet (RG 148, 114, 122; 163, 209, 2 1 5 ; 170, 317, 320: Schadensersatzklage; RAG 19, 260, 267; BGH NJW 1952, 4 1 7 ; 1957, 827). Ein solcher Zustand andauernder Rechtsgutsverletzung liegt nicht vor, wenn es sich um eine durch die Ereignisse überholte, ihres Sinnes beraubte Äußerung handelt (RG 170, 317, 320) oder wenn während eines Rechtsstreits in einem Schriftsatz Behauptungen aufgestellt werden, die nur zur Kenntnis der Prozeßbeteiligten gelangen (RG WarnRspr 1943 Nr. 14) oder wenn Beleidigungen nur gegenüber dem Verletzten geäußert wurden (BGH 10, 104). Wegen der Passivlegitimation vgl. Anm. 78, ferner BGH 14, 163, 174; L G Gießen NJW 1957, 1804: Verletzung der Ehre eines Bürgers durch Presseveröffentlichungen seitens einer Stadtverordnetenfraktion. W i e d e r h o l u n g s g e f a h r ist im Gegensatz zur vorbeugenden Unterlassungsklage n i c h t e r f o r d e r l i c h (OGH 1, 182, 1 9 1 ; BGH L M §812 Nr. 6). Die Rechtsgutverletzung muß widerrechtlich, beim deliktischen Anspruch außerdem schuldhaft sein. Wenn berechtigte Interessenwahrnehmung vorliegt, muß der Betroffene die Unrichtigkeit der Behauptung beweisen (RG 140, 392; J W 1933, 1401; D R 1939, 2009; BGH NJW 1952, 418; Freiburg J Z 1951, 751). Wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen vgl. Anm. 79 u. § 824 Anm. 14fr. Anm. 88 e) Inhalt des Anspruchs, insbesondere Widerruf. Die geforderten Abhilfemaßnahmen, insbesondere der Widerruf, müssen zur Beseitigung der fortdauernden Beeinträchtigung geeignet und erforderlich sein. Der fortdauernde Schädigungsstand muß durch den Widerruf beseitigt werden. Die Maßnahmen müssen dem Schuldner zugemutet werden können (RG 163, 210, 216; D R 1939, 2009; G R U R 1941, 53, 55; BGH NJW 1957, 827; wegen Aufklärung der Öffentlichkeit vgl. R G 88, 129). Der Widerruf darf nach I n h a l t u n d F o r m nicht über das zur Beseitigung der Beeinträchtigung Erforderliche hinausgehen, insbesondere nicht im wesentlichen darauf hinauskommen, dem Verletzten Genugtuung zu verschaffen und eine Demütigung des Verletzers zu erreichen (RG 148, 114, 124; BGH 8, 142, 145; 10, 104, 106; 14, 163, 176; L M 812 Nr. 6; NJW 1957, 827). Er .darf nicht mit einer Abbitte verbunden sein (RG 88, 129; OGH 1, 182). Daß mit dem Widerruf unvermeidbar eine Demütigung verbunden ist, schließt den Widerrufsanspruch nicht aus (OGH 1, 182; BGH L M §812 Nr. 6). Rein formale Beleidigungen sind ihrer Natur nach nicht zum Widerruf geeignet. Die Rückgängigmachung einer Beleidigung unter vier Augen ist keine Schadenswiedergutmachung (§ 249) noch Beseitigung eines rechtswidrigen, drohenden Zustandes, sondern eine dem Strafrecht vorzubehaltende Genugtuung und Sühne (BGH 10, 104). Es besteht kein Rechtsschutzinteresse für einen Widerruf, wenn es sich um wechselseitige Beleidigungen handelt (RG 156, 372, 378). Es besteht ferner kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Beseitigungsklage auf Abgabe einer Rücknahmeerklärung, wenn sich die Klage sachlich mit dem Unterlassungsbegehren deckt (Veröffentlichung des verfügenden Teils des auf Unterlassung ergangenen Urteils nach § 23 Abs. 4 U W G : BGH 14, 163, 176). Der Widerruf ist keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung und daher nicht anfechtbar (BGH L M 8153 Nr. 6). Wegen Veröffentlichung des auf Unterlassung lautenden Urteilssatzes und darüber hinausgehende Verurteilung 1206
Unerlaubte Handlungen
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zum Widerruf vgl. R G H R R 1931 Nr. 1307; 1932 Nr. 1128; wegen des Anspruchs auf öffentlichen Widerruf vgl. Freiburg J Z 1951, 751; ferner Wen dt D R Z 1950, 554; wegen des Klageantrages und der Vollstreckung vgl. O G H 1, 182, 193. Der Berichtigungsanspruch nach dem Pressegesetz ist nur im Strafverfahren gegeben ( B G H 3, 270; Freiburg J Z 1951, 751). Nach § 10 Abs. 4 des hessischen Pressegesetzes v. 22. 6. 1949 und § 10 Abs. 3 des bayer. Pressegesetzes v. 3. 10. 1949 ist der Zivilrechtsweg für den Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung zugelassen. Zur Gegendarstellung vgl. Frankfurt NJW 1950, 270; ferner H e l d NJW 1950, 241 und 733. Zur Ermittlung des Personenkreises, an den der Widerruf zu richten ist, ist der Verletzer zur Auskunft verpflichtet (RG 140, 403; 158, 377; vgl. § 823 Anm. 102). A n m . 89 VIII. Internationales, interlokales und B e s a t z u n g s r e c h t 1. Internationales und interlokales Recht, über das auf u. H. zur Anwendung kommende örtliche Recht enthält das E G die Bestimmung des Art. 12, wonach aus einer im Ausland begangenen u. H. gegen einen Deutschen bei den deutschen Gerichten nicht weitergehende Ansprüche erhoben werden können, als nach den deutschen Gesetzen begründet sind ( R G 118, 141). Art. 12 ist nicht zu verallgemeinern ( O G H 4, ig4, 198). Diese Bestimmung schließt im übrigen die Anerkennung des Grundsatzes ein, daß u. H. nach dem Gesetz des Ortes zu beurteilen sind, wo sie begangen wurden ( R G 140, 12g; 150, 268; B G H 14, 286, 291; 23, 65; VersR 1956, 504,506; vgl. M D R 1952, 415). Wegen Zusammenstoß von Schiffen in deutschen Hoheitsgewässern vgl. O G H 4, 194, 197; B G H 3, 321, 324; VersR 1957, 5 1 5 ; wegen Zusammenstoß auf hoher See vgl. R G 138, 243; zum Zusammenstoß mit ausländischem Schiff in ausländ. Hoheitsgewässer vgl.BGH VersR 1959, 267 (Recht des Ortes des Zusammenstoßes vorbehaltlich Art. 12 EGBGB); zum Zusammenstoß auf hoher See und in ausländischen Hoheitsgewässern vgl. H i m m e l m a n n , Hansa 1958, 631; ferner Köln BB 1958, 353; Hamburg VersR 1958, 841 m. weit. Nachw. Nach dem R e c h t des T a t o r t s richtet sich sowohl die Frage, ob eine Handlung als u. H. anzusehen ist (vgl. B G H 14, 286, 291), die Frage der Widerrechtlichkeit, der Deliktsfähigkeit, des Verschuldens, des mitwirkenden Verschuldens ( K G J W 1938, 1715), wie auch die, welche Rechtsfolgen sie nach sich zieht ( R G 96, 96; J W 1906, 297 1 ; R G 118, 1 4 1 ; 129, 385, 387; K G J W 1938, 1 7 1 5 : Verjährung). Diese Kollisionsnorm, derzufolge sich das anzuwendende Recht nach dem Begehungsort richtet, gilt nicht nur für s c h u l d h a f t begangene Handlungen, sondern auch für die Fälle der Haftung für vermutetes Verschulden und der Gefährdungshaftung ( R G 57, 142, 145; L Z 1915, 1443; B G H 23, 65 mit Bespr. B e i t z k e M D R 1957, 278). In B G H 14, 289, 291, wo von dem Erfordernis einer „vollständigen u. H . " gesprochen wird, also eine schuldhafte Rechtsverletzung gefordert wird, war der Anspruch auf § 823 Abs. 1 gestützt (vgl. B G H 23, 65). Die aus u. H. entstehenden Verpflichtungen sind, wenn die u. H. im Inland begangen wurde, in deutscher Währung zu erfüllen, auch wenn sich die Höhe des Schadens nur über die Verrechnung ausländischer Währung ermitteln läßt ( B G H VersR 1954, 36; 1956, 504, 506). Vgl. ferner B G H 14, 212, 217 wegen in der SBZ entstandener Schäden; ferner B G H 5, 138, 143 = M D R 1952, 415 m. weit. Nachw. über den Einfluß der Währungsreform auf Schadensersatzansprüche wegen u. H., die in der SBZ begangen wurden. Der Tatbestand der u. H. begreift die Tätigkeit des Handelnden und dei Verletzung, die Willenshandlung und das durch sie vollbrachte Geschehnis (wegen der Bedeutung der Schadensfolgen vgl. Kiel SchlHAnz 1946, 501; Hamm NJW 1958, 1 8 3 1 ; R e i f f NJW 1958, 1173). Tatort ist demnach jeder Ort, an dem sich auch nur ein Teil des Tatbestands der u. H. verwirklicht hat. Das trifft namentlich zu bei u. H., die durch Versendung von Briefen oder durch Fernsprecher aus einem Rechtsgebiet in das andere begangen werden, sogenannte Distanzdelikte. Eine u. H. wird auch begangen durch eine Mitwirkung an der u. H., die mehr als eine Vorbereitungshandlung darstellt ( R G I29> 385» 388; 138, 243, 246; 140, 29; 150, 265, 268; 157, 136; J W 1936, 1291; Recht 1925 Nr. 1274; SeuffArch 62 Nr. 257; Freiburg J Z 1951, 223; B G H 14, 286, 291; 21, 266, 270; L M UWG § 1 Nr. 22). Sind demnach Tatort für die verschiedenen
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Teile des Tatbestandes verschiedene Orte, so wird die u. H. von einem jeden der in Betracht kommenden örtlichen Rechte beherrscht, so daß das eine oder das andere Recht — das dem Beschädigten günstigere (RG Recht 1925 Nr. 1274; Hamburg M D R 1955, 615; Freiburg J Z 1951, 223) — zur Anwendung zu bringen ist (BGH 14, 286; Saarbrücken NJW 1958, 752; Boehmer AcP 155, 181). Soweit es sich bei der u. H. um die Verletzung des Eigentums oder eines nach § 823 Abs. 1 geschützten sonstigen Rechts handelt, erstreckt sich dieser Schutz auch auf die nach ausländischem Recht begründeten Rechte, soweit der deutsche Richter für das Bestehen des Rechts die Maßgeblichkeit der ausländischen Gesetze anzuerkennen hat (RG J W 1913, 20214). Wegen des bei unerlaubten Handlungen Deutscher im Ausland anzuwendenden Rechts s. aber auch München DR 1943, 24618 und VO über die Rechtsanwendung bei Schädigungen deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebietes v. 7.12.1942 (RGBl 1, 706); amtliche Begründung DJ 1943, 20; dazu D ä u b l e r ebenda. Allgemein s. R u d o l f S c h m i d t , Der Ort der u. H. im internationalen Privatrecht, in der Festschrift für Heinrich Lehmann 1937 S. 175fr. Darüber, daß bei Verschiedenheit innerdeutscher Rechte für das deutsche interlokale Privatrecht im allgemeinen auch die Grundsätze des internationalen Privatrechts entsprechend angewendet werden können, vgl. Erläuterungen zu EGBGB. A n m . 90 2. Besatzungsrecht. Uber das Verfahren bei Schäden, die durch Angehörige und Angestellte der Besatzungsmacht verursacht wurden, siehe für die westlichen Zonen Gesetz A H K Nr. 47 (ABl S. 767) mit den Verordnungen 228, 238 für die britische Zone und 258, 261 und den Anordnungen 162—165, 168 für die französische Zone (ABl S. 847, 1377; 823, 828, 831, gog, 910, 991); dazu D a n c k e l m a n n NJW 1951, 430. Das Gesetz ist aufgehoben durch § 61 des Gesetzes über die Abgeltung von Besatzungsschäden v. 1. 12. 1955 (BGBl I S. 734; vgl. auch die übrigen in § 61 aufgezählten, aufgehobenen besatzungsrechtlichen Bestimmungen). Dieses Gesetz regelt den Ausgleich von Besatzungsschäden, die bis 5. 5. 1955 mittags 12 Uhr — dem Inkrafttreten der Pariser Verträge — entstanden sind (vgl. T i t t e l , Betrieb 1958, 731). Die Entschädigung für Verluste und Schäden, die durch die im Bundesgebiet stationierten ausländischen Streitkräfte verursacht werden, ist für Schäden, die nach diesem Zeitpunkt entstehen, in § 9 des Finanzvertrages (BGBl II, 381; Ges. v. 24. 3. 1955, BGBl II, 213) geregelt (vgl. T o b l e r in BB 1955, 818; Frankfurt NJW 1958, 1305). Wegen Geltendmachung des Stationierungsschadens, der durch unzulässiges Uberholen durch ein ausländisches Kriegsschiff auf dem Rhein verursacht wurde vgl. Köln VersR 1957, 716. Umstellung von Verdienstausfall vor der Währungsreform im Verhältnis 10:1 (BVerwG BB 1957, 166). A n m . 91 IX. Währungsrecht Schadensersatzforderungen sind grundsätzlich Wertforderungen. Die Höhe des Geldbetrages, den der durch eine u. H. Geschädigte fordern kann, richtet sich nach den zur Zeit der Zahlung vorliegenden Umständen. Wenn dieser Zeitpunkt nach der Währungsreform liegt, ist der Betrag in DM festzusetzen, auch wenn das schadenstiftende Ereignis und der Eintritt des Schadens vor der Währungsreform liegt (OGH 2, 65, 72 und 312; 3, 131, 135 und 287; B G H 1, 34, 39; 3, 162, 178 und 321, 328); wegen Schadensersatzansprüchen aus der SBZ vgl. B G H 5, 138; 14, 212, 217. Hai der Geschädigte dagegen vor der Währungsreform Aufwendungen zur Beseitigung der Schäden in R M gemacht, dann hat er nur einen der Umstellung unterliegenden R M Anspruch (OGH 2, 1 3 1 ; 4, 109; vgl. 4, 263). Keine Verfestigung der Schadensersatzforderung in eine RM-Forderung, wenn der Geschädigte zur Behebung des Schadens vor dem Währungsstichtag schwedische Kronen aufgewendet hat (BGH 3, 321, 327). Das gleiche gilt für Ansprüche auf Entschädigungen nach § 26 R L G und für Enteignungsentschädigungen (BGH 11, 156, 161; 12, 357). Der Entschädigungsanspruch nach BEG ist kein Schadensersatzanspruch im eigentlichen Sinne des bürgerlichen Rechts, sondern ein im öffentlichen Recht wurzelnder
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Unerlaubte Handlungen
Vor § 823
Anm. 92, 93
Ausgleich f ü r die durch Verfolgungsmaßnahmen des N S bewirkten Eingriffe in die Rechtsgüter der Verfolgten. Deshalb kennt das B E G nicht den Unterschied zwischen Geldsummen und Geldwertansprüchen, deshalb keine Umstellung wie bei Schadensersatzansprüchen ( B G H W M 1957, 904).
Anm. 92 X . Übergangsrecht Das auf u. H., die vor dem Inkrafttreten des B G B begangen sind, anzuwendende Recht, bestimmt Art. 170 E G B G B . Für ein Schuldverhältnis, daß vor diesem Zeitpunkt entstanden ist, bleiben die bisherigen Gesetze maßgebend. Z u r Frage, wann eine u. H . vollendet und dadurch ein Schuldverhältnis entstanden ist, welches Recht auf eine fortgesetzte, in das neue Recht hinüberlaufende Tätigkeit oder Unterlassung anzuwenden ist und nach welchem Recht sich das Vorliegen einer u. H . insbesondere im Hinblick auf das persönliche Schuldmoment richtet vgl. R G 48, 1 1 4 ; 52, 1 1 9 ; 56, 2 7 1 ; 99, 2 2 1 ; J W 1907, 495; 1910, 109.
Anm. 93 X I . Prozessuale Fragen 1. G e r i c h t s s t a n d d e r u . H . Für Klagen aus u. H. ist nach § 32 Z P O , jedoch nicht ausschließlich, das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde. Der Begriff der u. H. ist ein Rechtsbegriff des materiellen Rechts und bestimmt sich auch für die Auslegung des § 32 Z P O jetzt nach dem B G B . Als u. H . des § 32 Z P O ist mithin jeder Tatbestand anzusehen, der die in Anm. 2 entwickelten Merkmale aufweist ( R G 7 2 , 4 1 ) , so der Tatbestand nicht nur des § 2, sondern auch des § 1 R H a f t p f l G ( R G 60, 300); nicht dagegen die Tatbestände der Gläubigeranfechtung ( R G J W 1 9 1 5 , 2 5 1 1 3 ; vgl. Anm. 7). Die K l a g e muß sich auf eine begangene u. H. stützen, d. h. die zur Begründung behaupteten Tatsachen müssen einen Tatbestand der u. H . ergeben; die bloße Rechtsbehauptung, daß ein Tatbestand als u. H. anzusehen sei, genügt nicht ( R G 95, 268; J W 1912, 643 1 5 ; WarnRspr 1920 Nr. 60). Die abwehrende Eigentumsklage wegen Störung eines ausschließlichen Rechts (Anm. 73) ist keine K l a g e aus u. H . ; sie entspricht nicht der Rechtsverletzung, sondern dem angegriffenen Rechte selbst (s. S t e i n - J o n a s Z P O , 15. Aufl., § 32 A I I I ) ; wohl aber gehören die Unterlassungsklagen nach Anm. 74, 85 hierher (Unterlassungsklage aus Patentverletzung, R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 246). Der Anspruch auf Aufnahme einer Gegendarstellung nach Landespresserecht (§ 1 BayPresseG) ist kein Anspruch aus u. H . ( B a y O b L G N J W 1958, 1825). Uber den Tatort der u. H . ist in Anm. 89 gehandelt. Durchfuhr von Erzeugnissen durch die Bundesrepublik, deren Vertrieb im Ausland ausländische Zeichenrechte eines inländischen Unternehmers verletzt und damit eine u. H . darstellt, begründet deutschen Gerichtsstand ( B G H J Z 1958, 2 4 1 ; L M W Z G § 24 Nr. 22; vgl. R G 72, 4 1 , 44). Ein Inländer, der im Ausland ein dort geschütztes Warenzeichen verletzt, kann vor einem deutschen Gericht wegen Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden ( B G H N J W 1957, 140). Der Gerichtsstand der u. H. ist mithin in jedem Gerichtsbezirk begründet, in welchem ein wesentlicher Vorgang aus dem Gesamtbestand der u. H. — nicht nur Vorbereitungshandlung — sich abgespielt hat ( R G Gruchot 45, 1045), bei Presseerzeugnissen, wo dieses hergestellt, von wo aus es verbreitet worden ist, und wo die Verbreitung selbst stattgefunden hat; § 7 Abs. 2 S t P O läßt sich nicht auf die Z P O übertragen ( R G 60, 363; 78, 256). Die Einheitlichkeit des Handlungstatbestandes hat zur Folge, daß bei dem Gericht eines jeden dieser Bezirke der ganze aus der u. H . entstandene Schaden geltend gemacht werden kann ( R G V Z S 72, 41 gegen R G 60, 363). Der Eintritt der Schadensfolge allein begründet die Zuständigkeit nicht (Kiel SchlHA 1946, 501). Der erhobene Anspruch muß nach Maßgabe des deutschen Rechts den Tatbestand einer u. H . erfüllen, mag der Anspruch selbst auch von einem Ausländer erhoben werden ( R G J W 1913, 202 14 ). Daß der Gerichtsstand der u. H . nicht zugleich die Zuständigkeit des Gerichts der letzteren f ü r einen anderen Klagegrund (Vertrag, Bereicherung) begründet, ist in R G 27, 385 und J W 1910, 23 39 ausgesprochen. Das nach § 32 Z P O
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V o r § 823 A n m . 94, 95
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuld Verhältnisse
zuständige Gericht wird durch § 24 U W G , von Ausnahmefällen abgesehen ( R G G R U R 193g, 930, 933), nicht gehindert, den Sachverhalt auch nach den Vorschriften des U W G zu prüfen ( B G H 15, 338, 356; L M Z P O § 32 Nr. 1). Vgl. H a b s c h e i d , Der Streitgegenstand 1956 S. 154 fr. A n m . 94 Nach § 2 A r b G G sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen u n d Dritten aus u. H., soweit es sich u m M a ß n a h m e n zum Zwecke des Arbeitskampfes oder u m Fragen der Vereinigungsfreiheit handelt (Ziff. 1); ferner für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen (Ziff. 2) ; ferner für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern aus u. H . soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen (Ziff. 3). Der Zusammenhang darf nicht nur ein äußerer oder nur zufälliger sein ( B G H M D R 1958, 331). Nach B G H 14, 347 sind die ordentlichen Gerichte zuständig zur Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch eines einzelnen bestreikten Arbeitgebers gegen eine Gewerkschaft aus einem Streik. Zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, nicht Arbeitsgerichte ( B G H S t 3, 210) gehörende vermögensrechtliche Ansprüche, insbesondere Schadensersatzansprüche, die aus einer Straftat hervorgehen, können im Strafverfahren geltend gemacht werden (Adhäsionsprozeß ; vgl. §§ 402 fr StPO). Dabei handelt es sich nicht nur u m Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens, soweit dieser gefordert werden kann, sondern auch u m die Wiederherstellung eines Zustandes, die Herausgabe einer Sache, die Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen u n d den Widerruf einer Behauptung. Entsprechend werden B u ß a n s p r ü c h e geltend gemacht (§4o6d StPO), die jedoch die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches ausschließen (§ 188 Abs. 2, 231 StGB; § 823 Anm. 100). A n m . 95 2. B e w e i s f r a g e n f a ) B e w e i s d e s e r s t e n A n s c h e i n s . Die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs, den objektiven Tatbestand und das Verschulden — wegen Widerrechtlichkeit vgl. § 823 Anm. 30 —, hat grundsätzlich der Verletzte zu beweisen, abgesehen von den Fällen der Umkehrung der Beweislast in §§ 830 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 831 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 832 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 833 Satz 2, 834 Satz 2, 836 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 837, 838. Wegen des Beweises für Verschulden bei Verletzung eines Schutzgesetzes vgl. §823 Anm. 1 1 3 . Soweit aus demselben Sachverhalt ein vertraglicher Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird, ist der Geschädigte beweismäßig günstiger gestellt (vgl. Vorb. §823 Anm. 25, 97). Außer der Beweiserleichterung nach § 287 Z P O (Anm. 99, 100) greifen auf dem Gebiet der u. H. die allgemein anwendbaren Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins ein, und zwar f ü r den Beweis des K a u s a l z u s a m m e n h a n g s u n d d e s V e r s c h u l d e n s . Z u m B. d. e. A. vgl. W a s s e r m e y e r , Der Prima-facie-Beweis, 1954; W e y r e u t h e r D R i Z 1957, 55; zur Rechtsprechung des BGH F l e c k VersR 1956, 329. Die Grundsätze des B. d. e. A. gelten bei sogenannten typischen Geschehensabläufen, bei denen ein bestimmter Erfolg schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung —- nicht zwangsläufig ( B G H I I Z R 99/55 v. 16. 2. 1956) — ohne Rücksicht auf etwaige Besonderheiten des Falles auf eine bestimmte Ursache hinweist, bei denen die besonderen Umstände des Falles hinter dem typischen Erscheinungsbild zurücktreten und f ü r die tatsächliche Beurteilung belanglos sind. Es m u ß aus Erfahrungssätzen folgen, d a ß eine bestimmte Beweiswürdigung geboten ist ( B G H VersR 1958, 186). Nach der ganzen Sachlage m u ß eine so hohe Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Geschehensablauf bestehen, d a ß sie der tatrichterlichen Uberzeugung gleichkommt ( B G H VersR 1957, 234). Mit der Feststellung eines derartig typischen Geschehensablaufes — sei es auf Grund allgemeiner Erfahrungssätze, sei es auf Grund der Erfahrungssätze eines bestimmten Kreises, z. B. Ärzte, Kraftfahrer usw., oder z. B. bei Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften ( B G H VersR 1957, 800) — hat der Kläger seiner Beweispflicht
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genügt, denn die Regeln des Lebens sowie die Erfahrungen des Üblichen oder Gewöhnlichen ermöglichen im Einzelfalle eine entsprechende Feststellung für eine Verursachung oder für ein Verschulden eines Beteiligten, daß die gegenteilige Annahme völlig zurücktritt. Es ist das Wesen des B. d. e. A., daß bei Gesamtbetrachtung eines Falles die nur ihm eigenen, besonderen Umstände hinter das in ihm liegende typische Erscheinungsbild zurücktreten, das er mit vergleichbaren anderen Fällen gemeinsam hat, und daß die weiteren Schlüsse zunächst an das typische Erscheinungsbild anknüpfen (RG 1 1 2 , 2 2 9 ; 120, 259; 1 2 1 , 160; 130, 357; 134, 241; 135, 136; 138, 201; 153» 135; 159, 235» 239; 163, 21, 27; 165, 336; J W 1936, 3234 1 ; 1937» 2665"; 1938, 2278 12 ; H R R 1935 Nr. 170; WarnRspr. 1929 Nr. 100; s. auch H R R 1934 Nr. 255; B G H 2, 1, 5; 7, 198, 200; N J W 1951, 360 1 1 ; VersR 1957, 194; V R S 14, 92; L M ZPO § 286' [C] Nr. 1, 2, 7, 12, 20a). Der B. d. e. A. ermöglicht nicht nur den Schluß von einem feststehenden Ereignis auf den Zusammenhang mit einem eingetretenen Erfolg, sondern auch umgekehrt von einem eingetretenen Erfolg auf ein bestimmtes Ereignis (BGH NJW 1956, 1638; VersR 1956, 577; 1957, 446; 1958, 545; vgl. R G 163, 21). Wenn ein festgestelltes Krankheitsbild, die Folge verschiedener Ursachen sein kann, nur für eine dieser Ursachen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dann spricht der B. d. e. A. für diese Ursache, selbst wenn sie im Verhältnis zu den anderen möglichen Ursachen relativ selten ist und das festgestellte Krankheitsbild nur eine zwar mögliche, aber keine typische Folge dieser Ursache ist (BGH 11, 227; vgl. VersR 1957, 446; Oldenburg VersR 1957, 683; anders dagegen, wenn zwei gleichwertige Ursachenreihen nebeneinander stehen, B G H VersR 1959, 365). Wenn ein Unfall durch verschiedene Ursachen zu erklären ist, dem Geschädigten aber nur für einen der möglichen Fälle ein mitwirkendes Verschulden zugerechnet werden kann, so muß der Schädiger beweisen, daß gerade dieser Umstand ursächlich gewesen ist. Dabei kann weder der B. d. e. A. noch § 287 ZPO angewendet werden ( B G H VersR 1954, 224; 1957, 445). Eine W a h r s c h e i n l i c h k e i t irgendwelcher Art und Höhe oder Größe genügt nicht (RG 134, 237, 242; 163, 21, 27; B G H N J W 1951, 195), sondern nur jene gerade dem typischen Geschehen innewohnende, durch vielfache Beobachtung und ständige Erfahrung des täglichen Lebens immer wieder bestätigte und darum besonders überzeugungskräftige Wahrscheinlichkeit, die im praktischen Leben als Wahrheit genommen wird. Der B. d. e. A. ist kein bloßer Wahrscheinlichkeitsbeweis, vielmehr muß der Sachverhalt dem Richter unter Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze die Überzeugung in vollem Umfang begründen. Eine Verallgemeinerung der Regel derart, daß jeder Kläger schließlich nur einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit darzutun und der Gegner die Wahrscheinlichkeit zu entkräften habe, ist abzulehnen (RG 1 1 2 , 229; 126, 7°; I3°> 357; '38, 201; 153» '375 163, 21, 27; RG DJ 1940, 373; J W 1936, 19682«; D R 1940, 2105 1 ; SeufFArch. 80 Nr. 120; WarnRspr. 1940 Nr. 95; L M Z P O §286 [C] Nr. 1). Die Wahrscheinlichkeit kann die richterliche Feststellung des Ursachenzusammenhangs nicht selbst darstellen; sie ist nur Hilfsmittel für die Gewinnung der richterlichen Uberzeugung von diesem, die niemals entbehrt werden kann und in der Entscheidung ihren Ausdruck finden muß (RG 95, 249; 98, 58, 102, 3 2 1 ; 130, 357; 132, 388; 134, 237; 136, 359; 138, 201; 153, 137; 163, 21, 27; DJ 1940, 373; J W 1936, 1444 1 1 , ig68 2S ; WarnRspr 1935 Nr. 60; H R R 1934 Nr. 786, 798; RAG WarnRspr 1932 Nr. 8; B G H N J W 1951, 360; L M Z P O § 286 [C] Nr. 7, 12; VersR 1955, 251). Beim A n z e i c h e n b e w e i s (Indizienbeweis) geht es dagegen darum, durch eine lückenlose Kette von Beweisanzeichen den vollen Beweis für die Wahrheit einer Behauptung zu führen (BGH VersR 1956, 276). Aus dem Wesen des Anscheinsbeweises folgt seine Unanwendbarkeit bei besonderen e i n m a l i g e n Vorgängen, deshalb in der Regel nicht bei individuellen Willensentschlüssen (BGH N J W 1951, 360; VersR 1957, 585, 641; 1958, 3 6 1 ; L M Z P O § 286 [C] Nr. 11; L M Art. 53 H L K O Nr. 4; vgl. aber BB 1956, 110). Allerdings ist bei besonderer Sachlage auch ein Schluß vom äußeren Handlungsablauf auf einen inneren Vorgang möglich (BGH VersR 1955, 95: Selbstmordabsicht; vgl. aber VersR 1955, 265). Kein Anscheinsbeweis ist möglich, wenn mehrere Unfallursachen in Frage kommen, der Beklagte aber nur eine zu vertreten hat (BGH L M Z P O § 286 [G] Nr. 18). 78
Komm. x. BGB, lt. Aufl. II Bd. (Haager)
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Wenn der Anscheinsbeweis ausscheidet, dann erfolgt die freie Beweiswürdigung. Diese verschafft dem Richter im Wege des Anzeichenbeweises auf Grund der Beweisumstände die Überzeugung von der Wahrheit der behaupteten Tatsachen. Bei der Unzulänglichkeit der wirklichen und vollständigen Ursachenverknüpfung für das menschliche Erkennen kann ein zwingender Beweis der Ursächlichkeit einer Handlung oder Unterlassung für ein eingetretenes Ereignis nicht verlangt werden. Ein hoher Grad von W a h r s c h e i n l i c h k e i t muß sowohl für die Feststellung der Verursachung der Verletzung durch das Tun wie für die Feststellung der Verursachung des Schadens durch die Verletzung ausreichen ( R G 155, 37; 159, 257; 168, 47; J W 1908, 196 1 0 ; 1 9 1 1 , 276'; D R 1941, 58 1 4 ; WarnRspr 1910 Nr. 5; 1942 Nr. 95). Es muß genügen, wenn für eine Tatsache oder Tatsachenkette ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit erbracht wird, daß er nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewißheit gleichkommt, so daß daneben die anderen Möglichkeiten, wie der feststehende Erfolg eingetreten sein könnte, verschwinden ( R G 1 1 4 , 7 3 ; 1 0 2 , 3 1 0 , 3 2 1 ; WarnRspr 1909 Nr. 158; 1929 Nr. 99; B G H L M ZPO § 286 [C] Nr. 1 ; VersR 1956, 696). Dabei können Erfahrungssätze im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung verwertet werden, denen nicht die Stärke des Beweises des ersten Anscheins innewohnt (BGH 2, 82, 85). Die hohe Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Handlung oder Unterlassung und einem eingetretenen Erfolg, die an sich nicht genügt, kann die Grundlage der richterlichen Uberzeugung abgeben (BGH VersR 1957, 248). Zur Definition des Anscheinsbeweises und des Anzeichenbeweises vgl. R G 163, 21, 27; B G H VersR 1956, 84, 147, 276. A n m . 96 Die Anwendung des Anscheinsbeweises als Frage der Beweisführung und Beweiswürdigung ist in erster Linie Sache des Tatrichters (RG 134, 237, 242; 159, 283, 290; B G H L M Z P O §286 [C] Nr. 17 mit krit. Anm. W a s s e r m e y e r N J W 1954, 1 1 1 9 ) . Die Entscheidung ist mit der Revision anfechtbar, wenn der Tatrichter den Begriff des B. d. e. A., insbesondere das Wesen eines typischen Geschehensablaufs verkennt, oder den Anscheinsbeweis auf einen einmaligen ungewöhnlichen oder verwickelten Sachverhalt anwendet (BGH 7, 198, 200; VersR 1956, 793). Die Tatsachen, die der auf Grund des B. d. e. A. gezogenen Schlußfolgerung zugrunde liegen, können in der Rev : sion nicht nachgeprüft werden (BGH 7, ig8, 201). Der Anscheinsbeweis gilt nicht für die Ermittlung der einzelnen Tatsachen, die auf den typischen Geschehensablauf hindeuten könnten. Die hierfür in Frage kommenden Tatsachen bedürfen des vollen Beweises ( B G H 7, 198, 200; 8, 239, 240; L M Z P O § 286 [C] Nr. 15). Der Anscheinsbeweis begründet keine Vermutung im Sinne des § 292 ZPO ( B G H N J W 1951, 360; V R S 5, 517). Die Entscheidungen B G H 2, 1, 5 und 82, 85 meinen keine Vermutung in diesem Sinne. Es ist daher gegen den Anscheinsbeweis kein Gegenbeweis erforderlich. Der B. d. e. A. gehört nicht dem Gebiet der Beweislast, sondern der Beweiswürdigung an. Er kehrt die Beweislast nicht um. Er wird entkräftet durch den v o l l e n B e w e i s anderer konkreter Tatsachen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Verlaufs ergibt. Es genügt nicht der Hinweis auf theoretisch abstrakte, vernünftigerweise nicht in Betracht zu ziehende Möglichkeiten eines atypischen Verlaufs. Die Tatsachen, die einen atypischen Verlauf ernsthaft als möglich erscheinen lassen, müssen vom Gegner bewiesen werden. Dann trifft den Kläger die volle Beweislast (RG 120, 258, 264; 134, 237, 242; 143, 2 3 1 ; 159, 235, 239 u. 283, 289; 165, 336, 340; R G D J 1940, 373; J W 1928, 1732; 1935, 2 6 3 4 " ; 1936, 1968", 1937, 2665"; WarnRspr. 1935 Nr. 130; 1939 Nr. 93; R A G 27, 1, 7; B G H 2, 1, 5 u. 82; 6, 169, 1 7 1 ; 8, 239, 240; 1 1 , 227, 230; 14, 92; 17, 191, 196; V R S 4, 260; 5, 5 1 7 ; L M Z P O §286 [C] Nr. 5, 6, 10, 12, 15, 17, 20a; VersR 1956, 799; 1957, 194, 234, 252, 286, 509, 5 1 3 , 800; 1958, 107, 228). Der B. d. e. A. bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz kapn nicht schon durch den Nachweis von Umständen entkräftet werden, die nur aufzeigen, daß jene typische Gefahrensituation vorgelegen hat, deren schädigende Auswirkung die vom Gesetzgeber verlangten Schutzmaßnahmen vermeiden wollen (BGH VersR 1957, 429). Der Anscheinsbeweis für Verschulden wird nicht entkräftet
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Unerlaubte Handlungen
Vor § 823
A n m . 97, 98
durch die Feststellung des Mitverschuldens des Geschädigten (BGH VersR 1957, 529). Wenn der Anscheinsbeweis mehrere Ursachen umfaßt, ist er erst widerlegt, wenn alle unterstellten Ursachen widerlegt sind (BGH L M Z P O § 286 [G] Nr. 20). A n m . 97 Auch bei Entkräftung des Anscheinsbeweises haftet der Unternehmer z. B. aus einem Beförderungsvertrag dem verletzten Fahrgast zwar nicht aus u. H., aber wegen positiver Vertragsverletzung, falls er nicht beweist, daß er den Unfall nicht zu vertreten hat (BGH 8, 239). In gleicherweise haftet der in Anspruch Genommene bei Gastaufnahme-, Werk-, Dienst- und ähnlichen Verträgen, z. B. Schleppverträgen. Wenn sich aus der Sachlage der Schluß rechtfertigt, daß er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat, und wenn die Ursache aus dem Gefahren kreis hervorgegangen ist, für den im Zweifel der Unternehmer verantwortlich ist, hat er die volle Beweislast — also Umkehrung der Beweislast — , daß er einen Erfolg nicht zu vertreten habe, oder daß eine Einrichtung, die er in Erfüllung des Vertrages zur Verfügung gestellt hat und mit der der Schaden im ursächlichen Zusammenhang steht, tauglich war, oder daß ihn an der Fehlerhaftigkeit kein Verschulden trifft (RG 148, 148, 150; 150, 134, 139; 160, 153, 155; 169, 84, 97; 171, 168, 171; JW 1937, 2190, 2192; DR 1944, 182, 185; BGH 8, 239, 241; 23, 288, 290; 27, 79, 84 u. 236; 28, 251; VersR 1957, 251, 286, 582; 1958, 61, 441: Entlastungsbeweis bei Verletzung von Pflichten aus sich überschneidenden Verantwortungsbereichen; JZ 1958, 736; NJW 1957, 746; Celle VersR 1957, 607; 1958, 418, 567, 642; vgl. § 631 Anm. 6; 635 Anm. 4). Diese Regeln über die Beweislast sind nicht anwendbar auf Behandlungsfehler des Arztes (RG 128, 123; BGH L M ZPO § 286 [C] Nr. 25). A n m . 98 Einzelfälle. Schiffszusammenstoß: BGH 6, 169; L M Z P O § 286 (C) Nr. 4; V e r k e h r s r e c h t : Anscheinsbeweis für V e r u r s a c h u n g eines U n f a l l e s : durch Trunkenheit: BGH 18, 311; durch zu hohe Geschwindigkeit: V R S 4, 260; durch Verletzung des Vorfahrtsrechts: L M Z P O §286 (C) Nr. 9; durch nichtvorschriftsmäßige Beleuchtung beim Auffahren auf Fahrzeug: VersR 1955, 760; 1957, 429; 1958, 532; D A R 1956, 300; durch unzureichende Sicherung eines haltenden Fahrzeuges: V R S 11, 1; Auffahren auf anderen Kraftwagen: VersR 1958, 260; Köln DAR 57, 293; Zusammenstoß mit einem zur Straßenbahn eilenden Fußgänger durch Vorbeifahren eines fahruntüchtigen Kraftfahrzeugführers mit zu hoher Geschwindigkeit an der Straßenbahn: B G H VersR 1957, 529. K e i n A n s c h e i n s b e w e i s , daß in Schleudern geratenes Fahrzeug bei nicht abgefahrenen Profilen sich hätte abfangen lassen: BGH VersR 1958, 186. Anscheinsbeweis für V e r s c h u l d e n eines Kraftfahrers: bei Anfahren eines Baumes: BGH 8, 239; L M ZPO § 286 (C) Nr. 7; bei Uberfahren des Bürgersteiges: VersR 1958, 260; bei Zusammenstoß auf linker Straßenseite: VersR 1955, 189; 1956, 733; bei Streifen eines anderen Fahrzeuges: L M Z P O §286 (C) Nr. 10; bei Überfahren eines Verkehrszeichens: VersR 1955, 183; wenn Kraftfahrer auf offener übersichtlicher Straße beim Schneiden einer Linkskurve in Straßengraben gerät: VersR 1956, 799; vgl. V R S 13, 401 (Rechtskurve); bei Überfahren des Grünstreifens der Autobahn: VersR 1956, 589; V R S 14, 92; DAR 1958, 67; für Verletzung der Vorfahrt bei Zusammenstoß auf Bundesstraße mit einem aus der Nebenstraße kommenden Fahrzeug: VersR 1958, 217; oder bei Zusammenstoß an Straßenkreuzung: VersR 1958, 781; für übermäßige Geschwindigkeit und mangelnde Übung bei Berührung des Fußbodens mit Bein durch Motorradfahrer in einer Rechtskurve: NJW 1958, 905; bei Schleudern eines Fahrzeuges auf regennasser Straße mit Geschwindigkeitsbegrenzung: VersR 1958, 94; bei Auffahren auf den Bürgersteig: VersR 1958, 566; k e i n A n s c h e i n s b e w e i s für schuldhafte Vernachlässigung eines Fahrzeuges bei Versagen von Einrichtungen außer Bremsen: VersR 1956, 161; 696; bei Versagen der Lenkeinrichtung: L M § 286 Z P O (C) 20 a; kein Anscheinsbeweis für Verschulden auf Grund nachträglicher Fahrerflucht: VersR 1956, 572; keine Entkräftung des Anscheinsbeweises durch Mitverschulden des Geschädigten: VersR 1957, 529. 78*
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V o r § 823 Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse A n m . 99 Anscheinsbeweis für V e r s c h u l d e n des F u ß g ä n g e r s bei Angefahrenwerden auf der rechten Fahrbahnseite: L M ZPO § 286 (C) Nr. 1 3 ; vgl. aber VersR 1957, 529; MünchenVersR 1958, 238; f ü r V e r u r s a c h u n g eines Unfalls durch Trunkenheit, wenn Fußgänger auf übersichtlicher Straße von beleuchtetem Fahrzeug angefahren wird: VersR 1956, 195; Anscheinsbeweis für V e r s c h u l d e n des Verunglückten bei Erfassen durch Zug trotz geschlossener Schranke: VersR 1955, 757; kein A n s c h e i n s b e w e i s f ü r V e r s c h u l d e n bei Sturz aus fahrendem Zug: VersR 1954, 495; bei Sturz beim Aussteigen: NJW 1956, 709; beim Einsteigen: VersR 1956, 710; vgl. auch B ö h m e r NJW 1956, 1908. A n s c h e i n s b e w e i s f ü r V e r s c h u l d e n des Verkehrssicherungspflichtigen bei nicht genügender Kennzeichnung eines Pfeilers in einer Bahnunterführung: L M ZPO § 286 (C) Nr. 2 1 ; für mangelnde Betriebsorganisation, wenn vergiftete Produkte in Verkehr gebracht werden: L M aaO Nr. 12; Nichtschwimmer versinkt an tiefer Stelle eines Bades: L M aaO Nr. 17; Gasthausbesucher stürzt im Hof: VersR 1954, 401; Brandentstehung durch Nichtbeachtung von Feuerverhütungsvorschriften: VersR 1956, 84; Unfall durch Zuwiderhandlung gegen Unfallverhütungsvorschriften oder ähnliche Bestimmungen: L M aaO Nr. 14; VersR 1953, 335; 1955, 105, 760; 1956, 435, 492; 1957, 429, 800; Offenlassen einer Baugrube auf einem Kinderspielplatz: VersR 1956, 617; Verunreinigung eines Brunnens durch Versenkung von Abraum in der Nachbarschaft: VersR 1956, 793; Mängel eines Schleppstranges beim Bruch des Schleppstrangs zwischen Schlepper und geschlepptem Boot: VersR 1957, 286; Anfahren eines überholten Schiffes durch das Uberholende: VersR 1957, 194; vgl. auch 1957, 148; Sinken eines Schiffes in einer Schleuse bei anomaler Senkung des Wasserspiegels: VersR 1957, 5 1 3 ; Einsturz einer Decke in einem Neubau wegen fehlerhafter Bauarbeit: VersR 1958, 107. K e i n A n s c h e i n s b e w e i s f ü r V e r s c h u l d e n der Geschäftsleitung bei mangelhaftem Stück aus einer Massenfabrikation: L M aaO Nr. 24; kein Anscheinsbeweis beim Sturz bei Verlassen einer Badekabine: VersR 1955, 2 5 1 ; für Vorhandensein schadhafter Stellen in einer Straße beim häufigen Auftreten von Straßenunfällen: VersR 1957, 108. Bei ä r z t l i c h e r B e h a n d l u n g kommt der B.d.e.A. sowohl für Verschulden als auch für die Ursächlichkeit dieses Verschuldens in Frage. Ungeklärter Ursachenverlauf einer Erkrankung bei Eingriffen des Arztes geht nicht zu Lasten des Arztes: R G 165, 336, 338; 171, 168; H R R 1937 Nr. 1 3 0 1 ; B G H 4, 138; L M ZPO §286 (C) Nr. 25; VersR 1952, 180; 1956, 499; Anscheinsbeweis, wenn Behandlung einen Schaden zur Folge hat, der nach medizinischer Erfahrung typischerweise auf einen schuldhaften Behandlungsfehler zurückzuführen ist oder bei Feststehen des schuldhaften Behandlungsfehlers für die Verursachung durch diesen Fehler: VersR 1956, 499; 1958, 545; Anscheinsbeweis bei Zurückbleiben eines g r o ß e n Fremdkörpers in Operationswunde: VersR 1953, 338; 1956, 499, 577; 1957, 786; vgl. auch B G H 4, 138, 144; Anscheinsbeweis bei Krankheitsbefund nach Blutübertragung von einem Luetiker: B G H 1 1 , 227; Anscheinsbeweis bei Infektion bei Bluttransfusion: VersR 1957, 252; bei Ansteckungskrankheiten im Krankenhaus: R G 165, 336, 339; bei Einspritzung und Blutvergiftung: VersR 1957, 446; Anscheinsbeweis für Einwilligung des Patienten: VersR 1957, 408. Darüber hinaus findet eine echte U m k e h r der B e w e i s l a s t statt, wenn g r o b l e i c h t f e r t i g eine Gefahr für einen Patienten herbeigeführt wurde, die den Umständen nach geeignet ist, den aufgetretenen Schaden herbeizuführen: R G 1 7 1 , 168; WarnRspr 1941 Nr. 14; D R 1944, 182, 184; B G H VersR 1956, 499. Pflichtwidrige Unterlassung ärztlicher Feststellungen, z. B. durch Röntgenaufnahmen oder bakteriologische Untersuchung führt zur Beweislast des Arztes hinsichtlich der dadurch begründeten Unaufklärbarkeit eines Krankheitsverlaufs (RG H R R 1935 Nr. 1009; B G H VersR 1955, 344; 1958, 849); vgl. auch § 823 Anm. 10 Arzt-Heilbehandlung. A n m . 99 b) § 287 ZPO. Nach § 287 ZPO entscheidet über die E n t s t e h u n g und ü b e r die H ö h e eines S c h a d e n s das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach f r e i e m E r m e s s e n ; es ist hierbei unabhängiger vom vorgetragenen Prozeßstoff gestellt, als nach der allgemeinen Bestimmung des § 286 ZPO, indem es alle ihm zu Ge-
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böte stehenden Erkenntnismittel benutzen, angebotene Beweise — j e d o c h nicht willkürlich ( R G 83, 65; J W 1 9 1 2 , 6g4 2 2 ; 1914, 757 3 ; 1916, 4 2 3 " ; W a r n R s p r 1 9 1 5 Nr. 275; 1 9 1 7 N r . 9) — ablehnen u n d ohne Beweisaufnahme entscheiden kann, dergestalt, d a ß der Revision, soweit sie ü b e r h a u p t auf eine Verletzung der bezeichneten Vorschriften gestützt werden kann, n u r die N a c h p r ü f u n g überlassen bleibt, o b das Gericht einerseits der Freiheit seiner Stellung, andererseits der Schranken des freien Ermessens sich b e w u ß t war, u n d ob nicht etwa irrige Rechtssätze der Schätzung z u g r u n d e gelegt w u r d e n ( R G 5 1 , 248; 76, 174). Das Gericht m u ß die von den Parteien vorgetragene schätzungsbegründenden Tatsachen würdigen ( O G H 1, 3 1 7 , 322; B G H N J W 1952, 2 3 ; V e r s R 1957, 18, 750). Der Richter k a n n auf G r u n d dieser freieren Beurteilung einen Schaden auch d a n n f ü r gegeben erachten, w e n n der Verletzte keinen vollen Beweis f ü r dessen Vorliegen erbracht h a t . Diese seine freie Stellung bringt es mit sich, d a ß das Gericht, w e n n es n u r i m allgemeinen zu der U b e r z e u g u n g gelangt ist, d a ß ein Schaden entstanden sei, nicht wegen mangelnder tatsächlicher Begründung eines bestimmten Schadensbetrages die Klage abweisen darf, es sei denn, d a ß a l l e U n t e r lagen f ü r eine Schätzung fehlen ( R G 76, 204, 2 1 1 ; 77, 2 0 1 ; 79, 55; 148, 68; 155, 3 7 ; J W 1919, 382 1 0 ; 1938, 2 7 6 7 " ; W a r n R s p r 1909 N r . 534). D a n n ist die Entscheidung von der Beweislast abhängig (VersR 1957, 665). Wegen der N a c h p r ü f u n g in der Revision vgl. B G H VersR 1958, 530; L M Z P O § 287 N r . 4. A n m . 100 N a c h feststehender Rechtsprechung erstreckt sich das freie Ermessen des § 287 a u c h a u f d e n u r s ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h a n g eines Schadens mit der die G r u n d lage des Anspruchs bildenden schädigenden Tatsache oder H a n d l u n g ( R G 95, 1 0 3 ; 155, 37, 395 i59> 257, 259; 168, 47, 48; J W 1909, 4 6 3 " , 670 26 , 6g 2 2 4 ; 1 9 1 2 , 694^, 800 18 ; 1 9 1 5 , 1 1 9 9 9 ; W a r n R s p r 1 9 1 2 N r . 7 3 ; 1 9 1 5 N r . 50; 1916 N r . 226; G r u c h o t 54, 1 1 4 3 ; 60, 697; B G H 2, 138, 140; 4, 192, 196; 6, 62; 7, 198, 203 u. 287, 295; L M Z P O §287 N r . 3 = N J W 1 9 5 1 , 405; L M Z P O § 286 [B] N r . 4; L M § 249 [Bb] N r . 2; V e r s R 1956, 493, 495, 7935 >957, 23 6 , 286; 1958, 186, 5 7 1 , 665, 752). Eine Beweislast des Geschädigten k o m m t dabei nicht in Betracht ( R G 1 5 1 , 284; 155, 3 7 ; 158, 33, 37). F ü r die Feststellung des T a t b e s t a n d e s d e r s c h ä d i g e n d e n H a n d l u n g s e l b s t , des Vorgangs oder der Vorgänge, die d e m Schadensersatzanspruch z u g r u n d e liegen, des konkreten Haftungsgrundes (Anm. 50) gilt dagegen §286 Z P O ( R G g8, 58; J W 1 9 1 2 , 800 18 ; W a r n R s p r i g i 2 Nr. 73; Gruchot 6o, 697; B G H V e r s R 1957, 236, 286, 373, 446, 529, 5 7 1 ; 1958, 186; Betrieb 1959, 170), wobei, wie die angezogenen Entscheidungen ergeben, die Grenze dessen, was z u m T a t b e s t a n d e der u. H . gehört u n d was ihre Schadensfolgen darstellt, nicht i m m e r in gleicher Weise gezogen worden ist. Es gilt z. B. bei einer Körperverletzung f ü r die Ermittlung des körperlichen Zustands des Verletzten, der Wirkungen der T a t f ü r den K ö r p e r oder die Gesundheit § 286 Z P O , d a ohne solche Körperfolgen eine u. H . ü b e r h a u p t nicht vorliegt, sie also einen Bestandteil des Tatbestandes bilden, w ä h r e n d f ü r die Feststellung der sich aus diesem Zustand ergebenden wirtschaftlichen Folgen in Ansehung der Erwerbsfähigkeit oder der V e r m e h r u n g der Bedürfnisse, die im Sinne der §§ 823, 842, 843, d e n Schaden ausmachen, § 287 zur A n w e n d u n g kommt ( R G W a r n R s p r 1 9 1 2 N r . 73; vgl. auch B G H V e r s R 1957, 198). Es ist zu unterscheiden zwischen d e m K a u s a l z u s a m m e n h a n g innerh a l b eines sich aus einer m e h r oder weniger großen Zahl von Entschlüssen, H a n d l u n g e n u n d Ereignissen zusammensetzenden historischen Geschehens, d e m konkreten Haftungsgrund. Dieser die einzelnen Elemente tatsächlicher A r t verbindende Kausalzusammenh a n g m u ß ebenso wie die einzelnen Tatsachen, die d e n H a f t u n g s g r u n d bilden, n a c h §286 Z P O bewiesen werden ( B G H 4, 192, 196; VersR 1957, 186; vgl. A n m . 50). Dagegen ist der K a u s a l z u s a m m e n h a n g zwischen diesem historischen Geschehen,^dem konkreten H a f t u n g s g r u n d u n d d e m Schaden n a c h § 287 Z P O festzustellen ( B G H 7, 198, 203; VersR 1956, 493, 793; 1957, 286, 445, 783; 1958, 547: Z u s a m m e n h a n g zwischen Unfall u n d Selbstmord). Dies gilt auch bei Verstößen gegen ein Schutzgesetz n a c h §823 Abs. 2 ( B G H VersR 1953, 82, 83; 1956, 493, 495 u. 793; 1957, 529). Bei der Klage z. B. wegen Eigentumsverletzung oder Körperverletzung n a c h § 823 Abs. x oder Abs. 2 ist n a c h § 286 Z P O zu beweisen, d a ß die zur Eigentumsverletzung geeignete
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V o r § 823 A n m . 1 0 1 , 102
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Handlung oder der Verstoß gegen das Schutzgesetz ursächlich gewesen ist für die eingetretene Beeinträchtigung des Eigentums, während für den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der eingetretenen Eigentumsverletzung und dem daraus entstandenen Schaden § 287 ZPO anwendbar ist (BGH VersR 1956, 793; 1957, 539). Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist nach § 287 ZPO zu entscheiden, ob Kapital* oder Rentenentschädigung erfolgt (BGH NJW 1957, 383; VersR 1958, 530). Ob und wann ein anlagemäßiges Leiden auch ohne einen Unfalll einmal zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätte, ist nach § 287 ZPO zu beurteilen (BGH VersR 1958, 788; vgl. Anm. 56, 60). Wenn ein Geschädigter von zwei Ereignissen, die als Schadensursache in Betracht kommen, betroffen worden ist, dann hat das Gericht nach § 287 ZPO zu entscheiden, ob der Schaden auf das eine oder das andere Ereignis zurückzuführen ist, wenn beide Ereignisse den Schaden verursacht haben können (BGH VersR 1959, 70). Dagegen ist nach § 286 ZPO zu entscheiden, wenn es fraglich ist, von welchen von mehreren Ereignissen der Geschädigte betroffen worden ist (BGH Betrieb 1959, 170). Die Höhe eines Aufopferungsanspruchs kann nach § 287 ZPO ermittelt werden (BGH VersR 1959, 196). Anm. 101 3. Klageantrag, Grundurteil, Feststellungsurteil. Wenn der Gesamtschaden sich aus Vermögensnachteilen verschiedener Art zusammensetzt, die selbständige Ansprüche und keine unselbständigen Rechnungsposten bilden (z. B. Sachschaden an Fahrzeugen, Verdienstausfall usw.), oder wenn eine Schadensersatzklage auf verschiedene Vorgänge gestützt wird, muß bei E i n k l a g u n g eines T e i l b e t r a g e s die Verteilung des eingeklagten Betrages auf die verschiedenen Schäden klar sein (RG 158, 34, 36; BGH 1 1 , 192; L M ZPO §253 Nr. 7, 9, 1 1 ; M D R 1953, 164; NJW 1955, 1030; 1958, 1590; VersR 1955, 403; 1956, 408; 1957, 98, 641; V R S 9, 2 1 ; 10, 427; 14, 92; vgl. K r e f t DRiZ 1954, 186). Der von Amts wegen in der Revision zu beachtende Mangel kann dort noch beseitigt werden (vgl. aber BGH V R S 9, 2 1 : keine Nachholung, wenn die Teilklage in der Vorinstanz nur zum Teil dem Grunde nach gerechtfertigt war; ferner VersR 1958, 564). Der Grundsatz der Verteilung des eingeklagten Betrages auf die mehreren selbständigen Ansprüche gilt auch für den Fall der auf einen Teilbetrag beschränkten negativen Feststellungsklage (BGH NJW 1958, 343). Die verschiedenen Folgen eines Aufopferungseingriffs sind nur unselbständige Rechnungsposten für einen einheitlichen Ausgleich (BGH 22, 43; VersR 1957, 749; Vorbem. § 823 Anm. 22). Zur Fassung des S c h m e r z e n s g e l d a n t r a g s vgl. D o n a u NJW 1957, 130. Keine Zusammenfassung mehrerer Rentenansprüche in einem Anspruch (BGH 1 1 , 1 8 1 ; L M StVG § 10 Nr. 1). Vor Aufteilung ist der Erlaß eines Grundurteils unzulässig. (Düsseldorf NJW 1957, 1483). Vgl. § 843 Anm. 17. Anm. 102 In Prozessen über Schadensersatzansprüche aus u. H. wird häufig über den Grund des Anspruchs nach § 304 ZPO vorweg entschieden. Im G r u n d v e r f a h r e n erfolgt nur eine summarische Entscheidung, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist. Ein Grundurteil ist zulässig, wenn nach den festgestellten Tatsachen nach den Erfahrungen des Lebens ein Vermögensschaden entstanden ist, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß die späteren Ermittlungen im Betragsverfahren einen zahlenmäßig feststellbaren Schadensbetrag ergeben (RG 103, 220; 1 3 1 , 347; 132, 16, 19 und 103; 1 5 1 , 8; BGH NJW 1951, 195; VersR 1956, 493, 495; 1957, 167; V R S 4, 88). Ein Zwischenurteil kann auch unter Vorbehalt der Aufrechnung mit einer Gegenforderung ergeben, wenn die summarische Prüfung eine überschießende Forderung des Klägers ergibt (BGH 1 1 , 63; VersR 1954, 304; 1958, 297, 320). Stellt sich im Betragsverfahren heraus, daß kein Schaden entstanden ist, dann ist die Klage abzuweisen (RG 132, 19). Die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Grundurteils, die hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadens, gilt auch, soweit es sich um einzelne R e c h n u n g s p o s t e n eines einheitlichen Anspruchs handelt, z. B. Einzelposten der Erwerbsnachteile nach § 842 (vgl. §842 Anm. 5). Wenn es sich dagegen um s e l b s t ä n d i g e Teilansprüche, auch aus mehreren Ereignissen handelt, müssen hinsichtlich jedes Teilanspruchs gesondert die 1216
Unerlaubte Handlungen
Vor § 823 Anm. 103
Voraussetzungen für ein Grundurteil vorliegen ( R G 158, 34, 36; B G H V R S 4, 88; 9, 109; VersR 1956, 387; Düsseldorf N J W 1957, 1483). Es muß in einem Urteil nach § 304 Z P O dargelegt werden, auf welche Einzelansprüche sich die Klagesumme verteilt ( R G 158, 34, 36; München VersR 1958, 423). Es muß auch klar ausgesprochen werden, ob mehrere unerlaubte Einzelhandlungen vorliegen, von denen die eine z. B. einen Vermögensschaden, die andere Gesundheitsschäden verursacht haben, oder ob ein einheitliches unerlaubtes Verhalten vorliegt, das sowohl Gesundheits- als auch Vermögensschaden verursacht hat ( R G 140, 392, 394). Der Tenor des Grundurteils (oder eines Feststellungsurteils) soll erkennen lassen, ob der Kläger vollen Schadensersatz nach dem Recht der u. H. oder einen angemessenen Ausgleich nach Aufopferungsrecht verlangen kann (III Z R 41/53 v. 8. 4. 1954 S. 13, in B G H 13, 81 nicht mit abgedruckt). Die Dauer einer R e n t e gehört zum Grund des Anspruchs. Die Entscheidung über die Dauer kann jedoch im Grundurteil dem Verfahren über die Höhe des Anspruchs vorbehalten bleiben ( B G H 1 1 , 181, 183; VersR 1957, 3 2 1 ; 1958, 454; R G D R 1943, 997). Raten einer Unfallrente sind jeweils selbständige Ansprüche; deshalb ist ein Grundurteil nur für solche Zeitabschnitte zulässig, in denen eine Rente mit gewisser Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann ( B G H VersR 1956, 387). Wenn ein umfassendes Schadensersatzbegehren wahlweise auf verschiedene Gründe gestützt wird, darf sich das Grundurteil nicht auf die Ansprüche aus einem Klagegrund beschränken, sondern muß die weiteren Klagegründe prüfen ( B G H L M Z P O § 304 Nr. 5; VersR 1955, 693: Haftung aus StVG und u. H.; VersR 1957, 18), es sei denn, der aus den anderen Klagegründen hergeleitete Anspruch kann in keinem Falle weitergehen als der für gerechtfertigt erklärte ( O G H 4, 264, 2 7 1 ; B G H 14, 363, 364). Ein Zwischenurteil, das nur über Ansprüche aus StVG entscheidet, steht der Nachprüfung von Ansprüchen aus u. H. nicht entgegen ( B G H VersR 1957, 18). Kein Zwischenurteil und kein Grundurteil über die Sachbefugnis ( B G H 8, 383). Ist im Grundurteil fehlerhafterweise über ein den Grund betreffendes Parteivorbringen nicht entschieden, dann muß die Frage im Betragsverfahren behandelt werden ( R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 36; B G H VersR 1957, 4 5 1 : Nachholung des Zinsanspruchs). Im Nachverfahren kann ein dem Grund nach zuerkannter Anspruch über den bisher geforderten Betrag hinaus erweitert werden, so daß nochmals über den Grrund entschieden werden muß ( B G H VersR 1957, 451). In das Grundverfahren gehört die Frage des Ubergangs nach § 1542 R V O , aber keine Feststellung der Höhe des Forderungsübergangs ( R G 83, 3 1 6 ; 123, 40; B G H VersR 1952, 2 1 1 ; 1956, 420). Ein Grundurteil ergeht, wenn die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, daß Schadensersatzansprüche —- auch trotz mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten — die Sozialversicherungsbezüge überschreiten ( B G H N J W 1951, 195; 1956, 1236; VersR 1956, 768; 1957, 814). Wenn feststeht, daß nach Berücksichtigung des Forderungsübergangs kein Anspruch mehr übrigbleibt, muß die Klage abgewiesen werden ( B G H V R S 1 1 , 27). Keine Vorabentscheidung über den Grund bei der Klage eines Versicherers nach § 67 V V G , solange ein Ubergang eines Ersatzanspruchs nicht feststeht ( B G H VersR 1956, 661; vgl. §823 Anm. 91). Wegen der Fassung des Tenors des Grundurteils bei Mitverschulden des Geschädigten vgl. B e l e m a n n M D R 1950, 601; B o d e D R i Z 1956, 57; S t e f f e n N J W 1956, 859. Die Entscheidung über mitwirkendes Verschulden kann dem Betragsverfahren überlassen werden, wenn das etwaige Mitverschulden nur zur Minderung, nicht aber zum Wegfall der Haftung führen kann ( R G WarnRspr 1918 Nr. 187; 1933 Nr. 148; J W 1931, 3553; 1936, 2 3 1 3 ; B G H 1, 34; VersR 1957, 454; vgl. auch VersR 1957, 264). Vgl. ferner § 843 Anm. 20.
Anm. 103 F e s t s t e l l u n g s i n t e r e s s e ist nur dann gegeben, wenn der entstandene oder entstehende Schaden nicht bereits in vollem Umfang durch Klage auf Zahlung erfaßt werden kann ( B G H 5, 314). Bei Verurteilung zu künftiger Rentenzahlung ist nur dann keine Feststellungsklage zulässig, wenn die für die Höhe maßgeblichen Umstände mit ausreichender Sicherheit festzustellen sind und wenn wesentliche Änderungen nicht zu erwarten sind. Bei nicht vorauszuschauender Änderung ist die Abänderungsklage nach
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§823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 323 Z P O gegeben. Anders, wenn die Unsicherheit der Entwicklung klar voraussehbar ist (BGH VersR 1956, 174). Feststellungsklage zulässig bei Rentenanspruch eines Kindes, nicht jedoch einer Witwe (BGH 5, 314, 317), bei K l a g e der Hinterbliebenen eines Beamten (BGH L M Z P O § 256 Nr. 36); vgl. ferner B G H NJW 1957, 1595. Die Möglichkeit der Leistungsklage schließt grundsätzlich die Feststellungsklage aus. Eine Aufspaltung in Feststellungs- und Leistungsklage ist nicht erforderlich, wenn der schädigende Zustand noch andauert und die Entstehung weiterer Schäden erwarten läßt (BAG A P § 256 Z P O Nr. 5). Der Unterhaltspflichtige, der einen durch Unfall Geschäd. gten unterhält, kann die erst in Zukunft durch seine Leistung entstehenden Regreßa'nsprüche neben dem unmittelbar Geschädigten nicht durch eine Feststellungsklage geltend machen ( B G H VersR 1957, 377). Der Aufopferungsanspruch ist kein einheitlicher Anspruch. Deshalb kann die Verpflichtung zum Ersatz bestimmter E i n z e l s c h ä d e n nicht durch Feststellungsurteil ausgesprochen werden (BGH 22, 43, 49). Wegen einer Vorabentscheidung über den Grund bei Feststellungsklage vgl. R G 116, 60, 61; B G H 7, 331; VersR 1958, 320: nicht bei unbeziffertem Feststellungsanspruch. Wegen der Fassung des Urteilsspruchs bei Verbindung von Leistungs- und Feststellungsklage, insbesondere auch bei mitwirkendem Verschulden des Geschädigten und bei Haftung aus nur einem Klagegrund vgl. B o d e D R i Z 1956, 57; B G H 7, 331. Einer Vorabentscheidung über die Feststellungsklage durch Teilurteil steht es nicht entgegen, daß die Aktivlegitimation der klagenden Partei zur Hauptklage noch nicht feststeht (BGH VersR 1956, 661). V g l . ferner § 843 Anm. 18, 19.
§833 Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalte des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein. E I 704 II 746; M 2 724—730; P 2 566—-574; 6 200—201.
Übersicht Anm.
I. Allgemeines II. Verschulden 1. Vorsatz a) Tatsachenkenntnis b) Kenntnis der Rechtswidrigkeit c) Bedingter Vorsatz 2. Fahrlässigkeit a) Allgemeiner Sorgfaltsmaßstab b) Voraussehbarkeit des Erfolgs c) Tatsachenirrtum, Rechtsirrtum d) Beweislast e) Einzelfalle III. Geschützte Rechte und Rechtsgüter 1. Allgemeines, Persönlichkeitsrecht 2. Verletzung des Lebens 3. Verletzung des Körpers 4. Verletzung der Freiheit 5. Verletzung des Eigentums 6. Verletzung eines sonstigen Rechts
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I 2—10 3—5 3 4 5 6—10 6 7 8 9 10 11—31 11 12 13 14 15—19 20—31
Unerlaubte Handlungen
IV.
V.
VI.
VII. VIII.
a) Dingliche Rechte b) Aneignungsrecht c) Namensrecht, Firmenrecht, Urheberrecht, gewerbliche Schutzrechte d) Besitz e) Verletzung der aus dem Familienrecht entspringenden ausschließlichen Rechte f) Verletzung der Ehre g) Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes Widerrechtlichkeit 1. Allgemeines 2. Rechtswidrigkeit der Unterlassung 3. Rechtfertigungsgründe a) Allgemeines b) öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Rechtfertigungsgründe c) Notwehr, Notstand, Selbsthilfe d) Einwilligung e) Züchtigungsrecht f) Wahrnehmung berechtigter Interessen g) Güter- und Pflichtenabwägung h) Verkehrsrichtiges Verhalten i) Beweislast Verkehrspflichten 1. Führung eines Gewerbebetriebes; Innehabung gefahrlicher Gegenstände 2. Ausübung bestimmter Berufe 3. Verkehrssicherungspflichten a) Verkehrseröffnung b) Verkehrssicherung auf öffentlichen Straßen, Plätzen usw. . . c) Verkehrssicherung als privatrechtliche Pflicht d) Träger der Verkehrssicherungspflicht e) Allgemeiner Umfang der Verkehrssicherungspflicht f) Einzelne Erfordernisse der Verkehrssicherung aa) Instandhaltung, Anbringung von Sicherungen bb) Beleuchtung cc) Reinigung dd) Streupflicht ee) Sicherungsmaßregeln bei Vornahme öffentlicher Arbeiten ff) Bankett g) Verkehrssicherung auf Wasserstraßen h) Verkehrssicherung durch Eisenbahnen und Straßenbahnen . i) Verkehrssicherung bei privaten und öffentlichen Gebäuden 4. Verkehrspflichten als Vorsteher einer selbständigen Wirtschaft usw. 5. Allgemeine Aufsichtspflicht 6. Verkehrspflichten durch Teilnahme am öffentlichen Verkehr . . Ersatzberechtigte 1. Unmittelbar Verletzter 2. Ubergang auf Sozialversicherungsträger 3. Forderungsübergang nach ähnlichen Bestimmungen 4. Forderungsübergang nach § 67 V V G 5. Haftung der Unternehmer nach § 903 R V O Ersatzverpflichteter Schadensersatz 1. Einleitung
§823 Anm« 21 22 23 24 25 26 27—31 32—44 32 33, 34 35—44 35 36 37 38, 39 40 41 42 43 44 45—80 46 47 48—68 49—51 52, 53 54, 55 56 57 58 58 59 60 61 62 63 64 65 66—68 69—72 73—78 79, 80 81—92 81—84 85—89 go 91 92 93 94—102 94
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§ 823 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm.
2. Schadensersatz durch Wiederherstellung 95 3. Umfang des Schadensersatzes 96 4. Schadensersatz in Geld 97 5. Zeitpunkt für Bemessung des Schadensersatzes 98 6. Schadensersatz bei Verträgen 99 7. Besondere Schadensersatzformen 100—10a I X . Schutzgesetz 103—115 1. Begriff 103, 104 2. Schutzgesetze im einzelnen 105—108 a) aus dem BGB 105 b) aus dem StGB 106 c) aus anderen Reichsgesetzen 107 d) aus Landesgesetzen 108 3. Verneinung des Schutzgesetzcharakters 109, 110 a) aus dem BGB, H G B und StGB 109 b) aus anderen Gesetzen 110 4. Verletzung des durch das Schutzgesetz geschützten Rechtsguts . 111 5. Weitere Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs 112—115 Anm. 1 I . A l l g e m e i n e s . Das BGB kennt keinen allgemeinen deliktischen Tatbestand, wonach jede Schädigung eines Dritten zum Schadensersatz verpflichtet. Es hat vielmehr einzelne, allerdings zum Teil sehr allgemein gehaltene Deliktstatbestände geschaffen. Abs. 1 des § 823 zählt als Gegenstände allgemeinen Rechtsschutzes zunächst mehrere Lebensgüter auf: das Leben selbst, die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit und die Freiheit des Menschen, die durch diesen Rechtsschutz als Rechtsgüter anerkannt werden. Wirkliche Rechte sind sie nicht, als Beispiele von solchen auch vom Gesetze nicht gedacht. Eine allgemeine Ausdehnung des Schutzes auf andere Lebensgüter ist nicht statthaft; die Aufzählung in § 823 Abs. 1 ist erschöpfend ( R G 51, 369; 95, 173). Diesen Lebensgütern wird ein ausschließliches Recht, das Eigentum (§§ 903ff), und weiter „ein sonstiges Recht" angeschlossen, so daß durch Abs. 1 vor Eingreifen Dritter alle dinglichen oder sonst ausschließlichen Rechte (vgl. Anm. 15fr) und außerdem jene vier Lebensgüter geschützt sind. Abs. 2 ergänzt und erweitert diesen Rechtsschutz dahin, daß zu den gegen Eingriffe gesicherten Gegenständen des Abs. 1 alle menschlichen Lebensinteressen hinzutreten, denen ein besonderes strafrechtliches oder zivilrechtliches Gebot oder Verbot schützend zur Seite steht. Da viele derartige gesetzliche Gebote und Verbote die Lebensgüter und Rechte des Abs. 1 zum Gegenstande haben (so im StGB die §§ 211 ff das Leben, §§ 223 ff Körper und Gesundheit, §§ 234 fr die Freiheit, §§ 242 ff das Eigentum), kann ein Schadensersatzanspruch nach Maßgabe beider Absätze des § 823 begründet sein, sowohl in der Art, daß ein Zusammentreffen der Gesetze, wenn die Tatbestandsmerkmale sich vollständig decken, als in der Art, daß ein Zusammentreffen des Anspruchs, wenn die Tatbestände teilweise auseinanderfallen, vorliegt. Neben dem weiteren allgemeinen Deliktstatbestand der vorsätzlichen Schadenszufügung durch Verstoß gegen die guten Sitten nach §826 kennt das BGB noch eine Reihe besonderer Deliktstatbestände. Grundsätzlich schließen sich — mit Ausnahme des Tatbestandes des § 839 BGB ( B G H 3, 94, 102; 13, 25; vgl. § 831 Anm. 8 u. § 839 Anm. 1, 2; Celle N J W 1957, 1637) — die einzelnen Deliktstatbestände nicht aus. Durch § 839, Art. 34 G G wird auch die Haftung des Kraftfahrzeugführers nach § 18 S t V G ausgeschlossen ( B G H N J W 1958, 868), nicht jedoch die reine Gefährdungshaftung wie die Halterhaftung nach § 7 S t V G ( B G H VersR 1959, 147; vf>l- §839 Anm. 1, 2). Eine B e s c h ä d i g u n g d e s V e r m ö g e n s einer Person im allgemeinen als u. H. kennt das BGB n i c h t . Der Vermögensschaden muß nach § 823 Abs. 1 die Folge einer widerrechtlichen Verletzung der bestimmten Rechtsgüter und Rechte oder nach § 823 Abs. 2 die Folge einer Zuwiderhandlung gegen Schutzgesetze sein oder es muß einer der sonstigen besonderen Tatbestände einer u. H .
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Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 2, 3
(§§ 824, 826, 839) gegeben sein, wenn ein Anspruch auf Ersatz des Schadens bestehen soll ( R G 5 1 , 92; 56, 2 7 1 ; 57, 353; 58 S. 24 u. 296; 62, 3 1 5 ; 63, 54; 65 S. 210 u. 292; 72, 6 1 ; 95, 173; 97, 89; J W 1913, 34 23 ; 1927, 2 6 2 " ; WarnRspr 1920 Nr. 200; H R R 1934 Nr. 1448 u. a.; anders nur R G 50, 191 und J W 1903 Beil. 115 2 6 3 ). Weil danach eine Haftung für fahrlässige Vermögensbeschädigung nicht anzuerkennen ist, kann es auch aus dem Gesichtspunkte der u. H. weder einen Anspruch aus einem f a h r l ä s s i g f a l s c h e r t e i l t e n R a t o d e r e i n e r s o l c h e n A u s k u n f t ( R G 67, 394; 68, 278) noch einen Anspruch aus fahrlässiger Schädigung bei Verhandlungen zum Zwecke eines Vertragsschlusses (culpa in contrahendo) geben ( R G 62, 3 1 5 ; 76, 35; J W 1919, 3Ö2; vgl. § 676 Anm. 5).
Anm. 2 II. V e r s c h u l d e n . Das BGB stellt im Abs. 1 des § 823 den V e r s c h u l d u n g s g r u n d s a t z an die Spitze der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen und Rechtswirkungen der u. H. und hält an diesem Erfordernis auch für die u. H. des Abs. 2 fest. Die Prüfung des Verschuldens ist von der Frage der Zurechnungsfähigkeit, der Einsichtsfähigkeit zu trennen ( R G 146, 213, 216; 156, 193, 202; B G H VersR 1953, 28). Vorsatz und Fahrlässigkeit begreifen nach § 276 die beiden Erscheinungsarten des Verschuldens, während eine Abstufung des Verschuldens nach Graden, wie sie die früheren Rechte aufwiesen, von wenigen Bestimmungen abgesehen (vgl. über deren Bedeutung für das Rechtsgebiet der u. H. Vorbem. Anm. 27), dem BGB unbekannt ist.
Anm. 3 1. Vorsatz a) T a t s a c h e n k e n n t n i s . Vorsatz bedeutet den Willen, eine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, mit dem Bewußtsein, daß die Handlung oder Unterlassung einen für einen andern schädlichen Erfolg haben werde. Eine A b s i c h t (Bew e g g r u n d einem andern Schaden zuzufügen, verlangt der Rechtsbegriff des Vorsatzes nicht ( R G 58, 214; J W 1905, 369®; 1907, 201 5 ; 1937, 95 5 ). Da Vorsatz somit die bewußte und gewollte Verwirklichung eines Deliktstatbestandes durch ein Tun oder Unterlassen bedeutet, also die Vorstellung vom Gegebensein aller gegenwärtigen Vorgänge, sowie vom Eintritt aller zukünftigen Tatbestandsmerkmale und dazu den Verwirklichungswillen, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, daß der Handelnde den schädlichen Erfolg im Sinne des Deliktstatbestandes, also die Körperverletzung, die Eigentumsverletzung usw. nicht schlechthin den S c h a d e n s e r f o l g voraussieht ( R G 57, 239; 58, 214; 142, 116, 122; B G H VersR 1955, 306; N J W 1951, 596; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 49 a. E.). Wo die u. H. selbst in der Z u f ü g u n g eines V e r m ö g e n s s c h a d e n s besteht (§§826, 839), muß zwar das Bewußtsein und die Voraussicht des Handelnden sich hierauf beziehen ( R G J W 1905, 36g 8 ; 17, 201 6 ); wo aber der Schaden, wie in § 823 Abs. 1 nur die Folge der untersagten Verletzung eines Lebensguts oder Rechts ist, hat der Vorsatz nur die Wirkung der Handlung auf das getroffene Lebensgut oder Recht zu begreifen; an einen daraus entspringenden Vermögensschaden braucht der Handelnde nicht gedacht zu haben; für ihn wird gehaftet, auch wenn er ganz außerhalb des Vorstellungskreises des Täters lag. Voraussetzung ist natürlich, daß ein adäquater Zusammenhang zwischen diesem ersten Erfolg und dem späteren Schaden besteht ( R G Z 148, 154, 165; vgl. Vorbem. §823 Anm. 49). Beim Verlangen von Schmerzensgeld muß der Schädiger allerdings den Vorsatz auf Körperoder Gesundheitsverletzung oder Freiheitsentziehung oder auf Verletzung der Persönlichkeit (vgl. Anm. 1 1 ) gehabt haben; der Vorsatz auf Ehrverletzung z. B. allein genügt nicht ( R G 142, 116, 122). Zum Vorsatze des Brandstifters gehört nur das Bewußtsein, daß seine Handlung das Eigentum des andern zerstören werde, nicht die Voraussicht und das Bewußtsein der Vermögensminderung. Auch wenn er glaubte, der Betroffene werde vollauf versichert sein und aus dem Brande eher Vorteil als Nachteil haben, und selbst wenn er ihm diesen Vorteil durch seine Handlung zu verschaffen beabsichtigte, wird dadurch die Vorsätzlichkeit der Handlung nicht berührt. Der Arzt, der eine Operation vornimmt, obwohl er weiß, daß eine gültige Einwilligung (vgl. Anm. 10, 38) des Kranken oder seines gesetzlichen Vertreters ( R G J W 1 9 1 1 , 748')
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§ 823 Anm. 4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
fehlt, begeht eine vorsätzliche Körperverletzung, auch wenn er des Glaubens ist, er erweise dem Kranken eine Wohltat (RG 68, 431 und R G J W 1 9 1 1 , 7482). Die Frage, wieweit die in der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ausgiebig erörterten Irrtumsfalle der Objektsverwechslung und des Fehlgehens der Tat, der Fall des dolus generalis und des Irrtums über den Kausalverlauf den Vorsatz berühren (vgl. M a u r a c h Allgemeiner Teil des Strafrechts 2. Aufl. §23 I I I S. 225; D r e h e r - M a a s s e n StGB § 59 Anm. 2), ist in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur von untergeordneter Bedeutung. Die zivilrechtliche Haftung, die auf die Erfolgsverursachung und den Erfolgsunwert abstellt, greift in der Regel auch in den Fällen ein, in denen die strafrechtliche Rechtsprechung und das Schrifttum in den erwähnten Irrtumsfällen nur Fahrlässigkeit annehmen. Von Bedeutung ist die Frage, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln vorliegt, im Zivilrecht allerdings auch in den Fällen, in denen kraft ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung nur für Vorsatz gehaftet wird (vgl. §823 Vorbem. Anm. 27, 29ff) oder in denen der deliktische Tatbestand Vorsatz voraussetzt wie in § 826 oder in besonderen Fällen nach §823 Abs. 2 (vgl. Anm. 114). Auch im Zivilrecht ist, was den schädlichen Ersterfolg anlangt, nicht erforderlich, daß der Handelnde den Unfall in allen Einzelheiten voraussieht. Es genügt das Bewußtsein der — beim gewöhnlichen Lauf der Dinge wenigstens möglichen — schadenstiftenden Wirkung der widerrechtlichen Handlung, ohne daß Art und Umfang des eingetretenen Schadensereignisses vorausgesehen werden müssen (RG J W 1938, 684; R G 148, 154, 165; B G H VersR 1954, 591). Vorsatz verlangt auch nicht die Richtung gegen die bestimmte Person, deren Rechtsgut verletzt oder der ein Schaden zugefügt wird, sofern nur überhaupt die Verletzung des Rechtsguts oder der Schaden eines anderen gewollt war (RG J W 1906, 78048; 1937, 955). Klarheit über die Person des Geschädigten ist nicht erforderlich (RG J W 1937, 95). Anm. 4 b) Kenntnis der Rechtswidrigkeit. Der Vorsatz erfordert nach der bisherigen Rechtsprechung die Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Handelns. Dabei genügt allerdings eine dem bedingten Vorsatz (vgl. Anm. 5) entsprechende Einstellung (RG 72, 4; 84, 188, 194; 119, 265, 267; J W 1 9 1 1 , 748). Der Vorsatz entfällt daher bei —auch unentschuldbarer — Unkenntnis des Verbotenseins, sei es infolge Rechtsunkenntnis z.B. eines noch wenig bekannten Gesetzes (RG 72, 4; 84, 188, 194), sei es, daß der Schädiger in der Uberzeugung handelt, ein Recht auszuüben (RG 68, 431). Diese Uberzeugung kann er einmal infolge Annahme eines nicht gegebenen Rechtfertigungsgrundes haben oder infolge Irrtums über die Grenzen eines vorhandenen Rechtfertigungsgrundes, zum anderen infolge irriger Annahme von Tatumständen, die einen Rechtfertigungsgrund abgeben (RG 68, 431, 437: Vornahme einer Operation ohne Einwilligung; vgl. auchJW 191 x, 748; R G 88, 118, 120: Annahme einer Notwehrlage; 159, 2 1 1 , 227; B G H VersR 1958, 361). Damit ist die Zivilrechtsprechung bisher der sogenannten Vorsatztheorie gefolgt, die bei jedem, auch dem verschuldeten Verbotsirrtum den Vorsatz verneint. Über V o r s a t z und S c h u l d t h e o r i e vgl. B G H S t 2, 194; D r e h e r - M a s s e n StGB § 59 Anm. 5 und 6; M a u r a c h StGB 2. Aufl. Allg. Teil § 37 I. Da — wie oben dargelegt (Anm. 3) — bei der u. H. in der Regel Fahrlässigkeit zur H a f t u n g genügt, spielt der Unterschied zwischen Vorsatz- und Schuldtheorie kaum eine Rolle, weil in den Fällen, bei denen nach der Vorsatztheorie entgegen der Schuldtheorie Vorsatz entfällt, auf jeden Fall Fahrlässigkeit gegeben ist. Erheblich wird der Theorienstreit bei § 826, teilweise bei § 823 Abs. 2, möglicherweise bei § 254 und beim Ausschluß der Haftung (Anm. 27). In der Regel wird Verschulden vorliegen, wenn ein Schädiger die Tatumstände kennt, die sein Verhalten sittenwidrig machen; es kann jedoch bei neuen Tatbeständen fehlen, für deren Beurteilung noch keine festen Grundsätze bestehen ( B G H 27, 264, 273). Besondere Wirkungen der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind ferner der Ausschluß des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 Abs. 2 und § 1000 sowie der Verlust der Aufrechnungsbefugnis (§ 393). Zu der Anwendbarkeit der strafrechtlichen Theorie im Zivilrecht, insbesondere im Hinblick 1222
Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 5, 6
auf §826 vgl. N i e s e J Z 1956, 457, 465, ferner E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y § 208, a n , 213 S. 914, 924, 931; ferner B a u m a n n AcP 155, 495; S c h m i d t , NJW 1958, 488; ferner B A G 1, 70, 79 und 2, 88. Anm. 5 c) Bedingter Vorsatz. Ein zur Verantwortung ausreichender Vorsatz ist der bedingte Vorsatz (dolus eventualis), bei welchem der Täter in dem Bewußtsein handelt, daß seine Handlung den anderen verletzen k ö n n e , diesen möglichen, wenngleich von ihm nicht gewünschten Erfolg aber für den Fall seines Eintritts um des von ihm verfolgten Zweckes willen in seinen Willen aufnimmt und billigt, indem er die vorausgesehenen Folgen vorsätzlich unbeachtet läßt, wenn er sich zwar der Möglichkeit eines Schadens bewußt ist, aber doch darauf vertraut, es werde ohne schädliche Folgen abgehen (BGH 7, 3 1 1 , 3 1 3 ; BGH VersR 1952, 223; 1954, 591); doch darf es sich hierbei nicht um die Vorstellung einer entfernten Möglichkeit handeln, die der Täter ernstlich nicht erwartet (RG 56, 73; 68, 4 3 1 ; 75, 225; 76, 3 1 3 ; 79, 55; 143, 48, 5 1 ; J W 1906, 7 8 0 " ; 1911 S. 30 8 , 2 1 3 ' , 324 18 , 650 22 ; 1912, 3Ö26; WarnRspr 1911 Nr. 159; 1912 Nr. 166; Gruchot 52 Nr. 1040; H R R 1938 Nr. 376; vgl. §826 Anm. 15). Die Untergrenze des bedingten Vorsatzes bildet die Obergrenze der Fahrlässigkeit. Wird der Eintritt des möglich erkannten Erfolgs nicht gebilligt, sondern darauf vertraut, daß der Erfolg nicht eintreten werde, so ist nur bewußte Fahrlässigkeit gegeben (Welzel, Das Deutsche Strafrecht § 22 I). Im Zivilrecht ist der Begriff der bewußten Fahrlässigkeit durch das Haager Protokoll zur Änderung des Warschauer Luftfahrtabkommens eingeführt (BGBl I I 1958, 291; Protokoll Art. X I I I ) . Ein Erkennenmüssen ohne wirkliche Erkenntnis des schädlichen Erfolgs ist immer nur Fahrlässigkeit und vermag den Vorsatz nicht zu ersetzen (RG 57, 238; 76, 3 1 3 ; J W 1911, 213'). Anm. 6 2. Fahrlässigkeit a ) Sorgfaltsmaßstab. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche, d. h. die gewissen allgemeinen Anforderungen entsprechende und deshalb von allen gewissenhaften und besonnenen Menschen ohne Rücksicht auf persönliche Verhältnisse in der gegebenen Lage anzuwendende Sorgfalt bei seinem Tun und Lassen außer acht läßt. Mit der Bejahung der Rechtswidrigkeit, z. B. bei Nichterfüllung einer Verkehrssicherungspflicht (vgl. Anm. 45 ff) oder bei Übertretung der Straßenverkehrsordnung ist die Fahrlässigkeit in der Regel gegeben, da der Fahrlässigkeitsbegriff des BGB ein objektiver ist (BGH 24, 21, 27; VersR 1958, 803). Der Fahrlässigkeitsvorwurf erschöpft sich nicht in dem Erkennen oder Erkennenmüssen der Gefährlichkeit, sondern setzt weiter voraus, daß der Täter sich gemäß diesem Erkennenmüssen hätte verhalten können und müssen, daß ihm insbesondere das gefahrvermeidende Verhalten im gegebenen Falle zuzumuten war. Keine Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines rechtswidrigen Erfolgs so gering war, daß sie auch einen pflichtgemäß Handelnden nicht abgehalten hätte (BGH L M § 828 Nr. 1). Der Maßstab für die anzuwendende Sorgfalt ist ein allgemeiner, gegenständlicher, derjenige des gesunden, ordnungsmäßigen Verkehrs, oder doch desjenigen Verkehrs, der in den Kreisen der Beteiligten für tüchtige und gewissenhafte Leute in Betracht kommt (RG 109, 324; 160, 1; 163, 208). Die übliche Sorgfalt allein genügt nicht (BGH 5, 3 1 8 ; 8, 138, 140: Arzt). Eine Übung oder örtliche Gewohnheiten können nur Berücksichtigung finden, wenn sie sich diesem Maßstab einfügen, wenn sie mit den Erfordernissen der Verkehrssicherheit in Einklang stehen, sich insbesondere nicht als eine in den Verkehr eingedrungen Unsitte darstellen (RG 102, 47, 49; 128, 39, 44; 138, 320, 325; 148, 154, 162; J W 1930, 1965 23 ; B G H 5, 3 1 8 ; VersR 1953, 83; 1954, 5 3 1 ; 1955, 82; I Z R 51/56 v. 14. 2. 1958, in B G H 26, 349 nicht mit abgedruckt; L M § 831 [Fe] Nr. 5). Im Gegensatz zum Strafrecht kommt es auf die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden grundsätzlich nicht an ( B G H VersR 1953, 338). Der Versuch, den strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff in das Zivilrecht zu übernehmen, ist abzulehnen
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§ 823 Anm. 7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
(BGH 24, 21; vgl. Niese J Z 1956, 457, 465, auch zu der im Schrifttum vertretenen Auffassung, daß die objektive Fahrlässigkeit zur Widerrechtlichkeit gehöre, daß die Außerachtlassung der allgemeinen verkehrserforderlichen Sorgfaltspflicht gemäß den im Sozialleben an eine Person des gleichen Pflichtenkreises in gleicher Lage zu stellenden Anforderungen die Rechtswidrigkeit einer Verhaltensweise begründet, während der Schuldvorwurf ausschließlich die Zurechnung des mißbilligten Verhaltens an einen bestimmten Täter betrifft; ferner H e n k e l , Festschrift für Mezger S. 249; ferner M a u r a c h , Deutsches Strafrecht 2. Aufl., Allgemeiner Teil §43 II S. 431; §44 II S. 438; N i p p e r d e y NJW 1957, 1777). Das Gesetz (§276) erfordert die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (RG 11g, 397; 152, 140; B G H LM § 276 [Be] Nr. 2). Auf persönliche Verhältnisse des Einzelnen ist wegen des anzulegenden allgemeinen Maßstabs demnach keine Rücksicht zu nehmen, wohl aber auf die Anschauungen der Gruppen und Kreise von Menschen, die sich zu einem festen Typus entwickelt haben (Berufsgruppen, Altergruppen, Bildungsgruppen), sofern diese Anschauungen sich in den Grenzen des gesunden Verkehrs bewegen. Deshalb kann die Sorgfalt nicht für alle Fälle gleichmäßig bestimmt werden, das Maß der Umsicht muß sich vielmehr nach den Lebensverhältnissen der Beteiligten richten, wobei auf die t y p i s c h e n V e r s c h i e d e n h e i t e n g a n z e r G r u p p e n von Menschen Rücksicht zu nehmen ist. Dadurch erleidet der allgemeine Maßstab eine gewisse Einschränkung in subjektiver Hinsicht (RG 95, 16; 126, 32g, 331; 152, 140; B G H 5, 318: Rennfahrer; LM § 276 [Cd] Nr. 1; VersR 1957, 63, 373; 1959, 206: Jäger). So ist unter diesen Voraussetzungen ein besonderer Maßstab bei Jugendlichen anzulegen; die in der Natur des Jugendlichen liegende Neigung zur triebmäßigen Abwehr von Angriffen und sein gesteigerter Spieltrieb sind zu beachten (RG Gruchot 65,76; WarnRspr 1911 Nr. 269; B G H LM § 828 Nr. 1; VersR ^53» 28; >954) " 8 ; 1957, 131, 415; 1959, 387). Wer sich so verhält, wie es ein bewährter Sachverständiger als landesüblich und der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprechend ansieht, handelt nur dann fahrlässig, wenn es ihm trotz der Landesüblichkeit möglich war, zu erkennen, daß ein anderes Verhalten notwendig war (BGH VersR 1954, 531). Besondere persönliche Fähigkeiten können aber eine das durchschnittliche Maß übersteigende Sorgfaltspflicht verlangen. Auch befreien Anordnungen der Aufsichtsbehörde nicht immer von der eigenen Verantwortung, insbesonders, wenn erkannt wird, daß die Prüfung durch die übergeordnete Stelle nicht erschöpfend war (BGH VersR 1957, 588). Wem andererseits in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage, die rasche Entschlußkraft und tatkräftiges Handeln erfordert, keine Zeit zu ruhiger Überlegung bleibt und infolgedessen nicht die richtigen Maßnahmen trifft, den trifft allein aus diesem Grund noch nicht der Vorwurf einer Fahrlässigkeit, es sei denn, er ist ohne jede Vorsicht und Überlegung verfahren. Diese Umstände wirken auf jeden normalen Menschen ein und können daher auch bei einem objektiven Maßstab berücksichtigt werden (RG 86, 149; 92, 38; J W 1904, 287'; 1905, 528»; H R R 1940 Nr. 38; B G H LM ZPO § 286 [A] Nr. 2; VersR 1 955» 3 6 u n d 5 8 ; 1957» 3 1 3 > 1959» 291; Hamm VersR 1959, 93, 96). Trotz des objektiven Maßstabes kommt ein relatives Moment insofern zur Geltung, als der normale und gesunde Verkehr je nach den begleitenden Umständen größere oder geringere Anforderungen stellt, örtliche Verhältnisse (Großstadt, Orte mit starkem Fremdenverkehr) sind zu berücksichtigen (RG 113, 425; DR 1941, 439; H R R 1930 Nr. 1725; B G H VersR 1955, 82). Wenn mit einer an sich erlaubten Tätigkeit Gefahren für die Allgemeinheit verbunden sind, sind besonders strenge Anforderungen zu stellen (RG J W 1906, 681 2 ; 1908, 1063, 4057; WarnRspr 1908 Nr. 310), z. B. im Luftverkehr, im Kraftfahrverkehr (RG 140, 386) oder z. B. beim Betrieb einer Tankstelle, R G J W 1939, 560). Ob die Sorgfaltspflicht auf einem allgemeinen Verkehrsbedürfnis beruht oder durch eine besondere vertragliche Vereinbarung begründet ist, macht für die Bewertung des fahrlässigen Verhaltens keinen Unterschied (RG LZ 1917, 106913; vgl. Anm. 34). Anm. 7 b) Voraussehbarkeit des Erfolgs. In der Anwendung auf die u. H. nach § 823 besteht die Fahrlässigkeit des Täters darin, daß er eine Handlung vornimmt oder unterläßt, obwohl er bei gehöriger S o r g f a l t die G e w i ß h e i t o d e r a u c h n u r die M ö g -
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Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 7
I i c h k e i t des s c h ä d i g e n d e n E r f o l g e s seiner H a n d l u n g s w e i s e im H i n b l i c k auf die V e r l e t z u n g des b e t r o f f e n e n R e c h t s g u t s , n i c h t i h r e w e i t e r e n S c h a d e n s f o l g e n (vgl. Anm. 3) h ä t t e e r k e n n e n k ö n n e n u n d e r k e n n e n müssen. Wie der Schadenshergang im einzelnen sich abspielen wird und welcher Schaden eintreten wird, braucht nicht voraussehbar zu sein. Nach den Regeln über den ursächlichen Zusammenhang (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 4 7 ff) kommt nur der natürliche Verlauf der Dinge in Betracht; wenn nach diesem ein schädigender Erfolg nicht erwartet werden konnte, liegt auch ein Verschulden nicht vor. Entfernte Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, verlangt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht ( R G J W 1904, 357®; 1905, 16 8 ; 1907, 505 2 ; 1 9 1 1 , 9 5 " ; 1914, 470 1 1 ; WarnRspr 1910 Nr. 1 3 ; 1912 Nr. 74; B G H 5, 318; L M § 276 [Cd] Nr. 1 ; VersR 1951, 263). Aber auch Folgen, die nur selten und ausnahmsweise eintreten, können von Bedeutung sein, wenn sie als solche erkennbar sind ( R G 81, 361). Von einem Arzt ist größere Vorsicht zu erwarten, er muß auch entfernte Möglichkeiten in den Kreis seiner Erwägungen ziehen ( B G H 8, 138; R G J W 1923, 603 16 ). Die Voraussehbarkeit braucht sich jedoch n i c h t auf die b e s o n d e r e G e s t a l t u n g des s c h ä d l i c h e n E r f o l g s zu erstrecken, der nachher eingetreten ist; es genügt die Erkennbarkeit einer Gefahr aus der Handlung in der Richtung auf diesen Erfolg überhaupt ( R G 66, 2 5 1 ; 69,344; 136, 4, 9 und 15, 17; 141, 169; 145, 107, 1 1 6 ; 148, 154, 165; 1 7 1 , 1 ; Gruchot 67, 567; J W 1903 Beil. Nr. 280; 1906,740»; 1909,35s 3 ; 1910, 747 4 ; 1912, 865 M ; 1913, 917 2 ; 1915, 577»; 1932, 934; 1934, 1647; 1938, 6842«; WarnRspr 1912 Nr. 429; SeuffArch 81 Nr. 23; L Z 1922, 617 2 ; B G H VersR 1953, 83: Waldbrand durch Anzünden eines Feuers; VersR 1954, 591; 1955, 184: Überlassung eines Motorrades zur unbefugten Benutzung; VersR 1957, 4 1 5 ; NJW 1951, 596). Die Frage der Voraussehbarkeit ist nur insofern von Bedeutung, als der Schädiger für Umstände, die nur unter einem ganz besonderen, eigenartigen, höchst unwahrscheinlichen Geschehensablauf eintraten, also nicht adäquat sind, nicht einzustehen braucht ( R G 148, i54> 165; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 49). Bei einem Verstoß gegen ein S c h u t z g e s e t z genügt die Voraussehbarkeit, daß ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz eintreten könnte (vgl. Anm. 114). Die Voraussehbarkeit des Erfolges selbst ist nicht erforderlich ( R G 145, 107, 1 1 5 ; B G H 7, 198, 207; L M § 823 [Be] Nr. 3; NJW 1954, 147, 148 a.E.; 1955, 306; VersR 1953, 83; 1954, 102; 1956» «58)Fahrlässigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die schädigende Handlung von der Polizei nicht verboten oder daß sie gestattet oder doch geduldet war ( R G J W 1931, 3444 12 ). Andererseits wird man sich im allgemeinen darauf verlassen können, daß die Regelung in einer Polizeiverordnung oder polizeiliche Uberprüfung genügt ( R G 145, 3 8 1 ; H R R 1934 Nr. 800), soweit nicht der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit auftaucht. Von dem Einzelnen kann regelmäßig nicht gefordert werden, daß seine Erkenntnis weitergehe, als die durchschnittliche der Fachleute und der z. B. zur Uberwachung der Verkehrseinrichtung bestellten Personen ( R G J W 1905, 20 20 ; 1910, 753 1 3 ; WarnRspr 1911 Nr. 374), doch kann andererseits niemand, wenn die Gefährlichkeit seines Handelns erkennbar war, sich damit decken, daß die polizeilichen Überwachungsorgane gegen sein Verhalten nicht eingeschritten sind ( R G J W 1909, 432 40 ); noch weniger kann er sich auf eine Übung der beteiligten Kreise berufen, vermöge deren eine behördliche Sicherheitseinrichtung unbeachtet geblieben ist ( B G H VersR 1953, 83: Verschulden trotz Einhaltung der durch Polizeiverordnung vorgeschriebenen Entfernung vom Wald bei Anzünden eines Feuers). Ein gelegentliches, formell zwar erlassenes, aber tatsächlich nicht beachtetes Verbot mißbräuchlicher Übungen befreit nicht von der Verantwortung dafür ( R G WarnRspr 1917 Nr. 240; L Z 1918, 378 10 ). Verschulden entfallt noch nicht ohne weiteres, weil die Aufsichtsbehörde dieselbe falsche Auffassung vertreten hat ( B G H V R S 10, 413) oder eine Anlage genehmigt hat ( B G H 1 1 , 175: unbeschrankter Bahnübergang), wenn die Verhältnisse sich ändern ( R G 169,- 376, 380; J W 1931, 870; D R 1944, 36 16 ) oder wenn der Verantwortliche die wahre Rechtslage erkennen mußte oder ihm zumindest die angenommene Rechtslage erkennbar zweifelhaft war ( B G H VersR 1956, 303). Eine baupolizeiliche Genehmigung befreit nicht unter allen Umständen von eigener Prüfungspflicht bei allgemeiner Verkehrseröffnung ( R G Recht 1914, 2242, 2428; B G H L M 823 [De] Nr. 12).
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§ 823 A n m . 8, 9
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 8 c) T a t s a c h e n i r r t u m — R e c h t s i r r t u m . Ein e n t s c h u l d b a r e r , nicht selbst durch Fahrlässigkeit verschuldeter Irrtum, sei er Rechtsirrtum, sei er tatsächlichen Inhalts, schließt jede Fahrlässigkeit aus ( R G 68, 431, 437; 72, 337; J W 1906, 711'; 1907, 251 1 2 ; B G H NJW 1953, 1426). Doch wird ein Rechtsirrtum nur unter besonderen Umständen als entschuldbar anzuerkennen sein ( R G 73, 333; 84, 194; 119, 265; 13°) 28; J W 1907, 251 1 2 ; 1912, 26®; 1913, 3 75 5 ; 1915, 511 1 0 ; SeuffArch 90 Nr. 72; WarnRspr 1911 Nr. 68; Gruchot 55, 357; B G H NJW 51, 398; 1953, 1426; fahrlässige Unkenntnis einer neuen Polizeiverordnung: R G 113, 293; J W 1931, 1689; B G H 24, 200, a n ; NJW 1951, 398; 1953, 1426; V R S 12, 251). An öffentlich-rechtliche Pflichtenträger sind für die Annahme eines Irrtums über Bestehen, Inhalt und Umfang einer gesetzlichen Pflicht besonders strenge Anforderungen zu stellen ( B G H VersR 1956, 158; 1957, 785). Uber die Bedeutung der Tatsache, daß ein oder mehrere Kollegialgerichte eine Handlung für nicht rechtswidrig erklärt haben vgl. R G 164, 41; über die verschiedenartigen Beurteilungen eines unklaren Gesetzes vgl. B G H V R S 10, 176. Nichtbeachtung von Unfallverhütungsvorschriften begründet Fahrlässigkeit (vgl. Anm. 10 Gewerbebetrieb). Bei Irrtum eines Teilnehmers am Kraftverkehr über die Verkehrsvorschriften fehlt im allgemeinen die verkehrserforderliche Sorgfalt ( B G H NJW 1958, 2066). Bei irrtümlicher Annahme einer die Widerrechtlichkeit an sich ausschließenden Einwilligung entfallt Verschulden nur, wenn der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht ( R G 68, 431; B G H 3, 270, 281; NJW 1956, 1106: Einwilligung in Elektroschockbehandlung; L M § 8 2 3 [Aa] Nr. 11; [Hb] Nr. 2). Nicht entschuldbar ist die Berufung auf einen Rechtfertigungsgrund (Befehl), der im Widerspruch zur menschlichen Moral und dem Recht aller Kulturvölker steht ( B G H 3, 94, 108). Anm. 9 d) B e w e i s l a s t : Die Beweislast, daß die auf Ersatz eines Schadens in Anspruch genommene Person durch ihr Verschulden den Schaden verursacht habe, trifft den Kläger. Hat dieser aber einen ordnungswidrigen Zustand — von gewisser Dauer oder Wiederholung ( B G H VersR 1958, 609) — nachgewiesen, der erfahrungsgemäß die tatsächliche Folgerung rechtfertigt, daß nur eine Versäumung der Verkehrssorgfalt ihn herbeigeführt haben kann, so muß der Sorgfaltspflichtige seinerseits den Beweis übernehmen, daß der Schaden, entgegen der regelmäßigen und natürlichen Entwicklung der Dinge, nicht auf einen von ihm zu vertretenden Umstand zurückzuführen sei, oder daß er seiner Verkehrspflicht voll und ganz genügt habe ( R G 53, 276; 89, 136; 95» 68; 97, 116; 114, 75; 115, 435; 119, 62, 353; 127, 28; 130, 359; J W 1904,486»; 1908, 543 1 ; 1912, 3 4 8 " ; 1913, 923 1 0 ; 1919, 505 1 2 ; 1921, 748 1 2 ; 1932, 2025 12 , 3704 3 ; '933> 838 1 1 ; WarnRspr 1908 Nr. 183; 1910 Nr. 278; 1915 Nr. 18; 1916 Nr. 125; 1917 Nr. 242; 1920 Nr. 12 u. 76; LZ 1918, 378 1 0 ; 1919, 245 u. 531®; 1922, 615 1 ; H R R 1929 Nr. 1995; 1935 Nr. 341; B G H VersR 1958, 609; vgl. Vorbem. § 8 2 3 Anm. 60). Wer ein S c h u t z g e s e t z verletzt, muß sich in der Regel entlasten, um darzutun, •daß aus besonderen Gründen ein S c h u l d Vorwurf entfallt. Dagegen braucht er nicht zu beweisen, daß die Verletzung für den Schaden nicht u r s ä c h l i c h war. Bei der Fülle •der möglichen Ausgestaltungen des Einzelfalls tritt hinsichtlich der Ursächlichkeit keine Umkehr der Beweislast ein ( B G H V e r s R 1956,190; 1957, 429; 1959,277; Anm. 113,115). Zum Verschuldensnachweis bei Vernichtung von Bienenvölkern durch Hüttenrauch 3. R G 159, 68, 75. Zur Beweislast beim Schadensersatz der Insassen eines verunglückten Kraftfahrzeuges vgl. München H R R 1941 Nr. 813. Uber den Beweis des ersten Anscheins beim Zusammenstoß eines fahrenden Schiffes mit einem im Wasser verankerten Gegenstand s. R G 120, 258, 363; SeuffArch 91 Nr. 70. Die juristische Person hat in solchem Falle darzutun, daß keinen ihrer Vertreter ein Verschulden trifft, daß insbesondere auch sachgemäße Vorschriften und die gehörige Aufsicht ihrer Erfüllung nicht vernachlässigt worden sind ( R G J W 1913, 923 1 0 ; WarnRspr 1916 Nr. 125; 1919 Nr. 89 v . 187).
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 10
A n m . 10 e) Einzelfälle: Arzt- und Heilbehandlung. Vgl. P e r r e t Arzthaftpflicht 1956; H ü b n e r - D r o s t , Arzthaftpflicht 1952; E b e r m e y e r , Der Arzt im Recht 1930; über Körperverletzung vgl. Anm. 13. Wegen des Beweises des ersten Anscheines für Verschulden und auch für Ursächlichkeit des Verschuldens im allgemeinen vgl. Vorbem. § 823 Anm. 95 ff. Der Beweis des ersten Anscheins greift in der Regel nicht Platz f ü r Verschulden beim Mißerfolg einer Behandlung (s. u.), z. B. auch nicht ohne weiteres beim Zurückbleiben von Wattetupfern (RG 97, 4; 165, 336; J W 1933, 13894, 2701; 1936, Ö443; B G H 4, 138; L M Z P O § 282 Nr. 2; L M § 276 [Ca] Nr. 7: Tupfer; wohl bei größeren Gegenständen [ B G H VersR 1957, 786]). Wenn allerdings nach medizinischer Erfahrung eine Folge auf eine unsachgemäße, also schuldhafte Behandlung schließen läßt, greift der Anscheinsbeweis Platz ( B G H VersR 1956, 499; 1957, 336: Injektion; B G H 4, 138, 146; VersR 1952, 180: Zurücklassen eines Bauchtuches; VersR I 953> 338: Zurücklassen einer g r o ß e n Arterienklemme; VersR 1956, 499; 1957, 786; 1958, 545; 1959, 365). Kein Beweis des e. A., daß Arzt, der vor oder nach der Operation nicht sorgfältig ist, den b e i der Operation eingetretenen Mißerfolg verschuldet hat ( B G H 7, 198, 201). Soweit schuldhafter Behandlungsfehler feststeht, greift Beweis des ersten Anscheins für Ursächlichkeit ein ( B G H VersR 1956, 499); vgl. K G VersR 1955, 141: Fehler bei aseptischer Behandlung. Bei grob leichtfertigem Behandlungsfehler verbleibt es nicht bei dem Beweis des ersten Anscheins, es tritt eine Umkehrung der Beweislast ein (RG 171, 168; WarnRspr 1941 Nr. 14; D R 1944, 182, 184;BGH VersR 1956, 499; N J W 1956, 1835 [L]). Die pflichtwidrige Unterlassung ärztlicher Feststellungen, z. B. Aufzeichnung eines Krankheitsbildes führt zur Beweislast des Arztes hinsichtlich der dadurch begründeten Unaufklärbarkeit (RG H R R 1935, Nr. 1009; B G H VersR 1955, 344; 1958, 849).
Es ist der Maßstab eines ordentlichen, gewissenhaften Durchschnittsarztes anzulegen ( B G H 1, 386). Für die Frage, ob ein Vorgehen sachgemäß war, kann die Ublichkeit einen Anhaltspunkt geben (RG 163, 129, 134). Die Vornahme eines Eingriffs setzt voraus, daß sich die Notwendigkeit hierzu nach gewissenhafter Prüfung und Ausschöpfung der nach dem Erkenntnisstand möglichen Hilfsmittel ergibt (RG 163, 129, 131). Wegen Berücksichtigung seelischer Belastung des Arztes vgl. B G H L M Z P O § 286 (C) Nr. 15. Der von der Schulmedizin abweichende Arzt, der erkennt oder erkennen muß, daß seine Behandlungsweise nicht ausreicht, muß — namentlich bei gefährlichen Krankheiten — das zu ihrer Bekämpfung übliche und erprobte Verfahren anwenden. Er muß den Kranken eindringlich auf die Notwendigkeit eines Eingriffs hinweisen ( B G H L M StGB § 230 Nr. 6). Ein uneingeschränktes Behandlungsrecht des Arztes und eine entsprechende Duldungspflicht des Kranken gibt es nicht, auch nicht bei lebensgefährlichen Leiden ( B G H St 11, i n , 114). Liegt also eine Einwilligung des Kranken, die an sich möglich gewesen wäre, nicht vor, so ist der Arzt auch zum Ersatz eines durch einen kunstgerecht durchgeführten körperlichen Eingriff entstandenen Schadens verpflichtet ( B G H VersR 1957, 408 = L M §823 [Aa] Nr. 11). Dasselbe gilt, wenn die Einwilligung zwar vorliegt, aber durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung oder auch durch Unterlassung einer notwendigen und ausreichenden Belehrung erlangt worden ist (RG 151, 349; 163, 129, 136; 168, 206; B G H N J W 1956, 1106 m. w. Nachw.; Hamburg VersR 1957, 255). Anders, wenn Einwilligung wegen Bewußtlosigkeit nicht zu erlangen war, aber Gefahr in Verzug war und die Einwilligung bei Möglichkeit der Anhörung zu vermuten war (RG 151, 349, 354; 163, 129, 136; B G H VersR 1959, 312). Ein ärztlicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist nur insoweit vertragsmäßig und nicht rechtswidrig, als die Einwilligung des Patienten reicht (RG 88, 433, 436; B G H St 11, 111; B G H VersR 1959, 312). Fehlt dem Patienten die Willensfähigkeit, so ist die Einwilligung — wenn keine Gefahrenlage besteht — gegebenenfalls durch einen Pfleger zu erteilen ( B G H VersR 1959, 153). Der Arzt darf die Einwilligung des Kranken mit allem, was dem mit der Operation verfolgten Ziel entspricht, annehmen, wenn er den Eingriff vor der Operation in großen Zügen besprochen hat (RG D R 1940, 684). Die Einwilli79
Komm. 2. BGB, Ii. Aufl. II. Bd. (Haager)
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 10 gung muß einer klaren, auf zutreffenden Vorstellungen über Art und Erfolg des Eingriffs beruhenden Erkenntnis entspringen, sie braucht allerdings nicht alle Einzelheiten zu umfassen ( R G 163, 129, 1 3 8 ; 168, 206, 2 1 0 , 2 1 3 ; B G H 7, 198, 206; V e r s R 1959, 1 5 3 , 3 1 2 ; N J W 1956, 1 1 0 6 : Elektroschock; V e r s R 1959, 308: Kropfoperation; V e r s R 1959, 3 1 2 : Krebsbehandlung; B G H St V e r s R 1959, 3 1 9 ) . Einwilligung an Chefarzt rechtfertigt noch nicht Behandlung durch Oberarzt ( B G H V e r s R 1957, 408 = L M 823 [ A c ] Nr. 1 1 ) . D e r Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, bevor er einen Kranken um die Einwilligung zu einer Behandlungsart ersucht, die mit besonders typischen Gefahren verbunden ist, diesen darüber zu unterrichten. Bei der Bestimmung dieser A u f k l ä r u n g s p f l i c h t ist m i t z u b e r ü c k s i c h t i g e n , ob eine zu eingehende Belehrung den Heilerfolg beeinträchtigen kann ( R G 78, 4 3 2 ; 168, 206, 2 1 3 ; WarnRspr 1920 Nr. 109; B G H N J W 1956, 1 1 0 6 ; V e r s R 1959, 1 5 3 ; J R 1956, 340; H a m m M D R 1958, 1 6 1 ; Stuttgart N J W 1958, 262; vgl. Hamburg V e r s R 1958, 388). Soweit die danach erforderliche Aufklärung eine Herabdrückung des allgemeinen Befindens zur Folge hat, muß dieser unvermeidliche Nachteil in K a u f genommen werden ( R G 1 5 1 , 349, 354; B G H N J W 1956, 1 1 0 6 ) , allerdings dann nicht, wenn die mit der Aufklärung verbundene Eröffnung der Natur des Leidens zu einer ernsten und nicht behebbaren Gesundheitsschädigung führt ( B G H V e r s R 1959, 3 1 2 ) . Die Aufklärungspflicht wird wesentlich mitbestimmt durch die Art und Gefährlichkeit des Eingriffs (Stuttgart N J W 1958, 262; Neustadt M D R 1958, 33). Der Arzt hat keine Verpflichtung auf alle möglichen Folgen einer Operation hinzuweisen, insbesondere nicht bei geringfügigen Eingriffen auf die Möglichkeit schädlicher Folgen unter nicht voraussehbaren ungünstigen Umständen ( B G H V e r s R 1959, 3 1 2 ; J R 1956, 340; V e r s R 1956, 499; N J W 1956, 1 1 0 6 m. Besprechung N e i d h a r d t N J W 1956, 1097 und M ü l l e r N J W 1956, 1099; vgl. O h m V e r s R 1959, 1). K e i n Verschulden ist gegeben, wenn der behandelnde Arzt das Gesamtverhalten des Patienten unter den besonderen Umständen des Falles und unter besonderer Berücksichtigung der Anschauungen, die im Verkehr zwischen billig denkenden Menschen herrschen, so auffassen und auslegen konnte, daß er sich der Gefahren einer Behandlung bewußt war und sie auf sich genommen hat ( B G H N J W 1956, 1 1 0 6 ; Stuttgart N J W 1958, 262). Verschulden entfallt nicht dadurch, daß der Arzt vom beruflichen Standpunkt aus glaubt, eine Einwilligung sei nicht erforderlich ( R G J W 1936, 3 1 1 2 ) , aber bei entschuldbarer Annahme der Einwilligung ( B G H V e r s R 1957, 408 = L M 823 [Ac] Nr. 1 1 ; vgl. Anm. 39). Die Einwilligung eines Minderjährigen ist wirksam, wenn er nach seiner Reife die Bedeutung und Tragweite eines Eingriffs ermessen kann ( B G H V e r s R 1959, 308; B G H St V e r s R 1959, 3 1 9 ; vgl. B G H N J W 1958, 905; H a m m N J W 1958, 633). Z u r Aufklärungspflicht und zur Einwilligung vgl. Vorbem. § 6 1 1 Anm. 53. Der Begriff des Verschuldens und des K u n s t f e h l e r s deckt sich nicht ( R G H R R 1 9 3 1 Nr. 1748; B G H 8, 138, 140). Ein Kunstfehler liegt vor, wenn von den anerkannten Regeln der Wissenschaft abgewichen wird ( R G 85, 1 8 3 ; 152, 3 2 5 ; J W 1 9 2 1 , 7 4 1 3 ; 1935, 1 1 5 3 ; WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 79 und 226; D R 1940, 1949 1 6 ; B G H 8, 138, 140). Regelmäßig liegt schuldhaftes Handeln vor bei Kunstfehlern ( R G H R R 1932, 1828). I m Einzelfalle ist auch Fahrlässigkeit trotz NichtVorliegens eines ärztlichen Kunstfehlers gegeben ( R G H R R 1 9 3 1 , 1748; J W 1935, 1 1 5 3 ) , denn der Arzt muß, insbesondere wenn die Ansichten der Fachkreise auseinandergehen, die größere Vorsicht beobachten ( R G 1 6 3 , 1 2 9 , 1 3 4 ; H R R 1932 Nr. 1828; J W 1 9 2 3 , 6 0 3 « ; 1 9 3 8 , 1 2 4 6 1 2 ; B G H 8, 138, 140; N J W 1956, 1 8 3 4 ; V e r s R 1957, 336). Andererseits kann trotz Vorliegens eines Kunstfehlers das Verschulden entfallen ( R G H R R 1 9 3 1 Nr. 1748). U b e r ärztliche Kunstfehler und Haftung f ü r fehlerhafte Behandlung im städtischen Krankenhaus vgl. B G H 5, 3 2 1 ; 9, 1 4 5 ; zum Verschulden des Arztes vgl. Vorbem. § 6 1 1 A n m . 55. Auch der geschickteste und erfahrenste Arzt kann nicht mit Sicherheit und Exaktheit einer Maschine arbeiten. Daher zwingt nicht jedes Mißlingen einer Operation zur Annahme eines Verschuldens des Arztes ( R G 78, 432, 435). Der Ablauf biologischer und physiologischer Vorgänge im menschlichen Körper ist kaum mit Sicherheit festzustellen. Deshalb besteht im Gegensatz zu anderen Gebieten keine Aufklärungspflicht für Vorgänge, die sich im ärztlichen Bereich abgespielt haben ( R G 165, 336, 3 3 8 ; 1 7 1 , 1 6 8 ;
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 10
HRR 1937 Nr. 1301; B G H 4, 138; L M ZPO § 286 [C] Nr. 15 und 25; VersR 1956, 499). Mit dem Hinzutreten unerwarteter Umstände muß gerechnet werden. Wegen der Berücksichtigung besonderer Umstände bei Patienten oder beim Arzt vgl. B G H 4, 138, 146. Fälle ärztlicher Behandlung, in der die Ursache einer Schädigung des Kranken nicht aufgeklärt werden kann, sind im übrigen nicht selten und die Unmöglichkeit, die Ursache einer Verletzung festzustellen, kann nicht zu Lasten des Arztes gehen (RG 78, 432; 128, 121, 123; J W 1933, 1389; DR 1941, 93 1 ; H R R 1932, 96 u. 1643; WarnRspr 1922 Nr. 7; B G H 7, 198; VersR 1957, 786; 1956, 499; Hamburg VersR 1957, 103). Uber die Haftung des Arztes, dessen schuldhaftes Versehen die Zuziehung des zweiten Arztes veranlaßte, für Fehler dieses Arztes vgl. R G 102, 230. Haftung des Arztes und Apothekeninhabers, wenn das vom Arzt verordnete Mittel aus der Apotheke in einer Beschaffenheit an den Arzt gelangt, daß seine Anwendung den Tod des Kranken herbeiführt vgl. R G SeuffArch 90 Nr. 50. Das Zurücklassen eines Fremdkörpers in einer Operationswunde kann, muß aber nicht ein schuldhafter Kunstfehler sein. Es kommt auf die Umstände des Falles, wie Art und Größe des zurückgelassenen Fremdkörpers und den Verlauf der Operation an (RG J W 1933, 1389; B G H 4, 138: Arterienklemme; VersR 1952, 180: Bauchtuch; VersR 1953, 338: Arterienklemme; N J W 1956, 1834: Armierung von Mullkompressen bei Bauchoperationen; L M ZPO § 282 Nr. 2; VersR 1957, 786: Wattetupfer bei Bandscheibenoperation; vgl. ferner R G DJZ 1931, 87; Düsseldorf M D R 1958, 34). Es muß aber alle Sorgfalt angewendet werden, um durch geeignete Maßnahmen das Zurücklassen eines Fremdkörpers zu vermeiden. ( B G H VersR 1959, 365). Daher Nachweis des Verschuldens, wenn aus den besonderen Umständen des Einzelfalles sich genügend positive Anhaltspunkte ergeben (RG J W 1929, 2287; B G H 4, 138, 145; VersR 1953, 338), z. B. Unterlassung von Sicherungsmaßnahmen ( B G H VersR 1957, 786). Uber Belehrungspflicht eines Facharztes für Naturheilkunde, der von Methoden der Schulmedizin abweichen will vgl. R G D R Z 1929, 247. W e i t e r e E i n z e l f ä l l e : Verschulden bei Rezeptur: R G 125, 375; JW 1930, 580; Benutzung eines Röntgenapparates: R G 118, 4 1 ; 139, 255; D R Z 1929, 720; DJ 1935, 1885; JW 1935, 3460; 1937, 927; Diathermiebehandlung: R G J W 1930, 1597; Pflicht zur Verhütung von Ansteckungen: R G 165, 341; Injektion: B G H VersR 57, 336; Hamburg VersR 1957, 1115; wiederholte Tetanusinjektion: B G H VersR 1959, 314; Kurpfuscher muß bei Erkenntnis, daß er der Schwierigkeit des Falles nicht gewachsen ist, Arzt heranziehen: R G J W 1931, 1483; Untersuchung des Spenderblutes: Saarbrücken SaarlRuStZ 1957, 43; vgl. zur Haftung des Arztes auch Vorb. §611 Anm. 55, 56. A p o t h e k e r : Abgabe von Giftstoffen oder Sprengstoffen an Kinder, R G 152, 325; JW 1937, 748; B G H VersR 1955, 140; Abgabe von ungeeigneter Medizin, R G SeuffArch 90 Nr. 50; Sorgfaltspflicht, B G H VersR 1955, 140; D r o g i s t : Verpflichtung zur Sicherstellung, daß Waren untersucht und richtig ausgezeichnet sind, R G DJZ 1912, 1297; Gewerbebetrieb, allgemeine Verkehrseröffnung: Jeder Gewerbetreibende hat dafür einzustehen, daß er die erforderliche Sachkunde besitzt (RG DJ 1939, 105; B G H L M BGB § 633 Nr. 1; Betrieb 1957, 504) und die für den Betrieb seines Gewerbes einschlägigen Gesetzesvorschriften kennt (B GH VersR 1958,803). Nichteinhaltung der Unfallverhütungsvorschriften begründet Fahrlässigkeit (RG 95, 180 u. 238; J W 1911, 335 41 ; 1913» 197'; 1929, 14615; 1932, 943 3 ; B G H VersR 1953, 196, 335; 1956, 3 1 ; 1957, 614; 1958, 415 = NJW 1958, 1088; L M § 823 [E] Nr. 4). Unfallverhütungsvorschriften können nur geändert werden, wenn Gewißheit besteht, daß die neuen Vorschriften dasselbe M a ß an Sicherheit bieten (BGH VersR 1957, 590). Ein Unternehmer, der in einem fremden Betrieb in eigener Regie Arbeiten ausführen läßt, muß dort die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften selbst überprüfen ( B S G AP §611 [Fürsorgepflicht] Nr. 5). Haftung des Betriebsinhabers für die Betriebssicherheit seiner Maschine selbst bei Materialknappheit, Braunschweig M D R 1948, 302. Ein Betrieb muß nach den Erfahrungen der Technik so eingerichtet sein, daß Schädigungen Dritter nach Möglichkeit vermieden werden (RG 105, 213, 218). Sorgfaltspflicht eines Tiefbauunternehmers, B G H VRS 11, 9 1 ; Sorgfaltspflicht bei Neubau, B G H VersR 1958, 446. Bloße Warnung eines Kindes vor den Gefahren eines Betriebes genügt nicht ( B G H VersR 1953, 196). Ein Kraftfahrzeughändler braucht fabrikneue, von einem zuver79*
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 10 lässigen Hersteller bezogene Fahrzeuge nur durch oberflächliche Besichtigung und o befahrt zu prüfen ( B G H V e r s R 1956, 259). Haftung des Herstellers f ü r mangela f t e Herstellung einer Maschine, B G H V e r s R 1956, 625; vgl. auch R G 163, 2 1 ; Stichproben beim Verkauf von Fleischkonserven, R G Recht 1 9 1 8 , 1 3 6 3 ; Aufklärung beim Vertrieb giftiger Insektenvertilgungsmittel, B G H V e r s R 1955, 765. Besonders strenge Anforderungen sind wegen der großen Gefährlichkeit einer jeden Hantierung mit Sprengstoffen an den Leiter von Steinsprengungen zu stellen ( R G V I 606/22 v. 17. 5. 1953). Das Bestehenlassen eines an sich unbedeutenden Mangels einer Einrichtung, der sich bisher als verkehrsgefährlich nicht erwiesen hat, die Anordnung einer alltäglichen, an sich ungefährlichen Verrichtung ohne besondere Weisung und Warnung stellen kein Fahrlässigkeitsverschulden dar ( R G J W 1 9 1 4 , 678®; WarnRspr 1908 Nr. 2 1 3 ; 1909 Nr. 209); doch kann die fortdauernde Verwendung alter Verkehrsgegenstände mit fehlerhaften überholten Einrichtungen dann als schuldhaft angesehen werden, wenn die Beseitigung der Mängel ohne erhebliche Kosten und Schwierigkeiten erreicht werden konnte ( R G J W 1916, 586 1 2 ). Kein Fahrlässigkeitsverschulden ist ferner das Nichterkennen dem A u g e sich verbergender und bei gewöhnlichen Aufsichtshandlungen nicht wahrnehmbarer Mängel ( R G J W 1906, 546 1 2 ). V e r k e h r , K r a f t f a h r t , L u f t f a h r t , S t r a ß e n b a h n , S c h i f f s v e r k e h r : Besonders verkehrsgefährdende Handlungen verlangen eine erhöhte Sorgfalt. Hierher gehören die Gefahren der L u f t f a h r t . Soweit hier nicht eine Haftung ohne Rücksicht auf Verschulden eintritt (s. Luftverkehrsgesetz und Vorbem. Anm. 3 vor § 823), ist wegen der großen Gefahren, die sie für Dritte mit sich bringt, eine besonders große Vorsicht und Sorgfalt zu verlangen; diese ist gewahrt, wenn alle bisherigen Erfahrungen achtsam benutzt sind ( R G 78, 1 7 1 ; 100, 70; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 142). Eine besonders erhöhte Sorgfalt, eine überlegene gesammelte Aufmerksamkeit fordert f ü r den Entlastungsbeweis des K r a f t f a h r z e u g h a l t e r s als „ j e d e nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt" aus diesem Gesichtspunkte § 7 Abs. 2 S t V G , vgl. dazu R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 294 und die dort angezogenen weiteren Entscheidungen, sowie ferner R G 86, 149; 92, 38; WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 2 1 5 ; 1 9 1 9 Nr. 1 5 ; B G H 5, 3 1 8 , 3 2 1 . Ist der Eigentümer eines Kraftwagens auf den schlechten Zustand des Wagens hingewiesen, so muß er f ü r Abhilfe sorgen; Unterlassung begründet Haftung aus § 8 2 3 . Schuldhaft handelt der Besitzer eines Kraftwagens namentlich auch dann, wenn er diesen einer Person zugänglich macht, von der er weiß oder wissen muß, daß ihr die zur Führung eines Kraftwagens erforderliche R u h e fehlt ( R G J W 1932, 3709 6 ). Die Sorgfaltspflicht des K r a f t wagenhalters unterliegt bezüglich der Erfüllung der allgemeinen Aufsichtspflicht gegenüber dem Wagenführer strengen Anforderungen ( R G 120, 1 5 4 ; J W 1932, 3706 4 ). Die von dem K r a f t w a g e n f ü h r e r zu verlangende größte Aufmerksamkeit geht über die gewöhnliche Sorgfaltspflicht hinaus und erfordert auch in der Not des Augenblicks die Ergreifung des zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Mittels (s. auch R G 96, 1 3 1 ; 1 3 1 , 1 1 9 ; 140, 386, 38g). A n die verkehrserforderliche Sorgfalt muß ein strenger Maßstab angelegt werden ( B G H V e r s R 1958, 803). Die Sicherheit des Straßenverkehrs hat den unbedingten Vorrang vor dem Streben nach Flüssigkeit des Verkehrs ( B G H V R S 1 1 , 436). Der Kraftfahrer muß die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung kennen ( B G H V e r s R 1953, 83; 1957, 820; 1958, 803; V R S 5, 82; N J W 1958, 2066; L M S t V O § 1 3 Nr. 4). E r muß sich der Straßenbeschaffenheit (Glätte) anpassen, seine Geschwindigkeit so einrichten, daß er jederzeit seinen Verpflichtungen im Verkehr gerecht werden kann, insbesondere beim Fahren in der Dunkelheit sein Fahrzeug in der im Scheinwerferlicht überschaubaren Strecke zum Halten bringen kann, wenn durch unabwendbaren Zufall oder durch fremde Schuld Hindernisse auftauchen ( B G H 20, 290; B G H S t 2, 188; V e r s R 1956, 796; 1958, 108, 607, 644, 702; V R S 6, 87, 296; 7, 59; 1 1 , 109; D A R 1957, 1 5 8 ; L M § 831 [Fe] Nr. 5 ; vgl. aber B G H N J W 1957, 682: Hindernisse auf Autobahn infolge Pflichtverletzung des Straßenpersonals mit abl. Besprechung S a i g e r s ) . E r muß sich eine ihn überkommende Müdigkeit zum Bewußtsein bringen ( B G H Betrieb 1959, 487). Eine unerläßliche Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf des stetig anwachsenden Straßenverkehrs ist der von der Rechtsprechung anerkannte Schutz d e s V e r t r a u e n s — nicht nur für Kraftfahrer, sondern auch für andere Verkehrsteilnehmer —
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Unerlaubte Handlungen
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auf das verkehrsgerechte Verhalten der übrigen Straßenbenutzer (vgl. M a r t i n D A R 1953, 164; B G H S t 12, 8 1 ; V e r s R 1958, 139). Eine Ausnahme gilt für den Fall, daß eine bestimmte Verkehrslage Anlaß dazu bietet, oder bei genügender Aufmerksamkeit hätte bieten müssen, mit dem verkehrswidrigen Verhalten anderer zu rechnen. Der Kraftfahrer muß sich auf erkannte oder zumindest erkennbare Verkehrswidrigkeiten einstellen ( B G H N J W 1956, 1030; V e r s R 1956, 409; 1957, 520; 1958, 484, 6 1 1 ) . Eine weitere Ausnahme gilt für solche Verkehrswidrigkeiten, die so häufig begangen werden, daß ein gewissenhafter Fahrer mit ihnen rechnen muß; insbesondere z.B. mit dem verkehrswidrigen Verhalten von Kleinkindern oder z.B. mit dem verkehrswidrigen Verhalten, wenn entgegen einer bisherigen gesetzlichen Regelung eine grundlegende Abweichung vielleicht mit entgegengesetztem Inhalt Platz greift ( B G H N J W 1956, 1030; V R S 1 1 , 109: verkehrswidriges Verhalten von Kleinkindern; V e r s R 1957, 240; 1958, 108: unbeleuchtetes Hindernis auf Fahrbahn; D A R 1957, 268: aus Straßenbahn aussteigende Fahrgäste; Betrieb 1957, 427: Verletzung des Vorfahrtsrechts an einer bestimmten Straßenstelle). Nach dem Vertrauensgrundsatz braucht ein Kraftfahrer an sich nicht damit zu rechnen, daß ein mit Abblendlicht entgegenkommender Fahrzeugführer kurz vor der Begegnung das Fernlicht einschaltet ( B G H St 12, 81 = Betrieb 1958, 1 4 6 1 ) . E r kann sich verlassen z.B. auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeiten ( B G H 4 S T R 349/57 v. 2 6 . 9 . 1 9 5 7 ) , ferner auf die Beachtung seines Vorfahrtsrechts ( B G H 14, 2 3 2 ; Betrieb 1957, 4 2 7 ; V e r s R 1958, 612), ferner darauf, daß auf einer Ausfallstraße ein Radfahrer nicht kurz vor ihm die Fahrbahn überquert ( B G H V e r s R 1958, 643), ferner darauf, daß entgegenkommende Fahrzeuge rechtzeitig auf die rechte Seite ausweichen ( B G H V R S 1 1 , 107). Voraussetzung des Vertrauensschutzes ist eigenes verkehrsrichtiges Verhalten. Ein Kraftfahrer, der selbst eine die Sicherheit des Verkehrs gefährdende Regelwidrigkeit begangen hat, kann, wenn es infolgedessen zu einem Zusammenstoß gekommen ist, sich nicht darauf berufen, er habe mit einem verkehrswidrigen Verhalten dieser Verkehrsteilnehmer, die in geringerem oder größerem Maße zu dem Unfall beigetragen haben, nicht rechnen brauchen ( B G H V R S 13, 2 2 5 ; 14, 30; V e r s R 1958, 543). Uber die Pflicht des Kraftfahrzeugführers bei Annäherung an Bahnübergänge vgl. R G 142, 356, 363; J W 1937, 1776. Die Sorgfaltspflicht ist begrenzt durch die Übersichtlichkeit. Bei beschranktem Übergang sind geringere Anforderungen zu stellen ( R G 157) 195; J W 1938, 2336; B G H N J W 1 9 5 1 , 479; Frankfurt V R S 12, 1 2 ; Schleswig V R S 12, 15). Der Kraftfahrer muß sich eine ihn überkommende Müdigkeit zu Bewußtsein bringen ( B G H V e r s R 1955, 3 4 2 ; V R S 5, 2 1 0 ) . Über die Sorgfaltspflicht eines F l u g z e u g f ü h r e r s beim Uberfliegen einer Ortschaft vgl. R G H R R 1939 Nr. 693. U b e r Sorgfaltspflicht eines S t r a ß e n b a h n f ü h r e r s auf abschüssiger Strecke vgl. B G H V R S 1 1 , 9 1 . Verschulden bei Anfahren eines stilliegenden S c h i f f e s durch ein fahrendes Schiff, B G H V e r s R 1957, 3 1 3 ; verstößt die Anordnung eines Schleppzugführers gegen eine gesetzliche Gebots- und Verbotsvorschrift oder derart gegen den Schiffahrtsbrauch, daß die Sicherheit der Schiffahrt gefährdet wird, so muß der Anhangschiffer die Ausführung der Anordnung verweigern ( B G H 28, 84, 89; V e r s R 1958, 392; vgl. V R S 15, 40 = V e r s R 1958, 760: Vorspannboot). Uber Vertrauensgrundsatz im Schiffsverkehr s. B G H V e r s R 1957, 127. Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der B a h n bei unbeschranktem Bahnübergang, B G H 1 1 , 175. J ä g e r : R G g8, 58; J W 1 9 1 1 , 3 1 9 6 ; Abprallen von Schrotkörnern, R G H R R 1934 Nr. 802; WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 207; L Z 1 9 1 9 , 43®; Haftung eines Jagdgastes bei Treibjagd gegenüber einem anderen Jagdgast, R G SeuffArch 87 Nr. 9 1 ; B G H V e r s R 1959, 206; Nürnberg V e r s R 1957, 682; Anforderungen an die Sorgfalt des an einer Treibjagd teilnehmenden Schützen im Hinblick auf Fehler seines Gewehrs, R G 156, 140; Pflicht zur Entladung der Waffe nach der J a g d , B G H V e r s R 1958, 851. J a g d v e r a n s t a l t e r : R G 128, 39; Erschießung eines Hundes im Wald durch Forstbeamte, B G H V e r s R 1957, 63. K ö r p e r v e r l e t z u n g : Strenge Anforderungen zur Vermeidung einer Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit bei Geschlechtsverkehr, R G 135, 9. L e h r e r , Aufsichtspflichtige: Aufsichtsverschulden von E l t e r n , Lehrern und anderen Personen gegenüber Kindern, R G J W 1 9 1 1 , 758 1 6 ; 1 9 1 2 , 36 2 1 u. 190 7 ; 1 9 1 4 , 4 7 0 1 1 ; 1 9 1 6 , 1 2 7 2 4 ; Anforderungen an die Sorgfalt eines Aufsichtspflichti-
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gen, wenn dieser die Aufsichtspflicht aus Gefälligkeit übernommen hat, Hamburg DR 1940, iiio 1 6 ; fahrlässige Überschreitung des Züchtigungsrechts des L e h r e r s , R G J W 1916, 189 7 ; WarnRspr 1912 Nr. 163. Veranstaltungen: Sportveranstaltungen, R G J W 1938, 2737. Bei Rennfahrern ist die Fahrlässigkeit nicht auf die Fälle „frivoler Leichtfertigkeit" zu beschränken (RG 127, 3 1 5 : Umschauen eines Motorradfahrers nach Uberholen eines anderen; 130, 163: Geschwindigkeit in Kurve bei Rennen auf öffentlichen Straßen; vgl. ferner R G 150, 74; J W 1932, 2823; B G H 5, 318). Der Unternehmer einer Einrichtung, mit deren in jedermanns Belieben gestellter Benutzung gewisse Gefahren notwendig verbunden sind, j a im Sportinteresse geradezu geschaffen werden (Sportplätze, Rennbahn, Reitbahn), kann in den Grenzen dieser von allen Benutzern erkannten und gewollten Gefahr nicht für einen eingetretenen Schaden verantwortlich gemacht werden (RG J W 1905 S. 46 13 und 528 8 ). Auch der Teilnehmer an einer s p o r t l i c h e n V e r a n s t a l t u n g kann wegen einer im Verlauf derselben erhaltenen Verletzung einen Anspruch aus § 823 nur erheben, wenn der Verletzer gegen die Kampfregeln verstoßen hat; die Gefahren eines regelrechten Kampfes muß jeder Teilnehmer selbst auf sich nehmen. Vorführungen von Raubtierdressuren, R G Recht ig 14, 1665; vgl. ferner R G J W 1933, 2763: Zirkusvorstellung. Unvorsichtiges Abwerfen von Reklamegegenständen bei Werbeumzügen, B G H VersR 1955, 762; Feuerwerk, R G 82, 206, 220; Fußballspiel, Verletzung des Torwarts durch Feldspieler, B G H VersR 1957, 290. Waffen: Aufstellung eines geladenen Gewehrs an Örtlichkeiten, zu denen Menschen Zutritt haben, R G J W 1937, 1490 10 . Zur Überwachung der sachgemäßen Aufbewahrung einer Schußwaffe, R G WarnRspr 1938 Nr. 55; München H R R 1940 Nr. 897. Zahnarzt: Unterlassen der Sicherung einer Nervnadel, B G H 8, 138; Hamburg H G Z 1926 Beibl. 128 Nr. 67. Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g : R G 124, 105; SeuffArch 70 Nr. 206; WarnRspr 1911 Nr. 268 und 1912 Nr. 72: Verschulden des Gläubigers bei Zwangsvollstreckung gegenüber dritten Eigentümern des Pfändungsgegenstandes. A n m . 11 III. Geschützte Rechte und Rechtsgüter 1. A l l g e m e i n e s , Persönlichkeitsrecht. Durch die Vorschriften über u. H. werden bestimmte subjektive Rechte (Eigentum usw.) und nur v i e r besonders genannte Rechtsgüter (Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit) geschützt. Ein allgemeines Persönlichkeitsrecht wurde von der Rechtsprechung früher nicht anerkannt (RG 107, 277, 281; 1 1 3 , 414; 123, 312, 320; H R R 1933 Nr. 1319). Außer dem Schutz der genannten Rechtsgüter war das Persönlichkeitsrecht im BGB — abgesehen von § 12 BGB — nur im Rahmen des § 826 BGB (RG 115, 416; 162, 7; vgl. § 826 Anm. 51) oder nach § 823 Abs. 2 BGB geschützt. Für das Recht am eigenen Bild gilt § 22 KunstUrhGes. (vgl. Düsseldorf H R R 1936, 416; N e u m a n n - D u e s b e r g S J Z 1950, 483; NJW 1950, 15). Briefveröffentlichungen waren nur im Rahmen des LitUrhGes. geschützt, soweit der Festlegungsform Urheberschutzfähigkeit zukam (RG 69, 401, 403; vgl. N e u m a n n - D u e s b e r g , Das gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeitsrecht 1949, I58ff). Uber die Zulässigkeit von Sektionen ohne Erlaubnis vgl. B e c k e r J R 1951, 328; ferner T r o c k e l , Die Rechtswidrigkeit klinischer Sektionen, 1957. Durch das Grundgesetz ist das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit anerkannt (Art. 1, 2). In die gleiche Richtung (vgl. H e r z o g , ÖV 1959, 44) weisen Art. 8 der Konvention des Europarats zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. 1 1 . 1950 und die Zusatzprotokolle v. 20. 3. 1952 (BGBl 1952, I I 685, 953; 1954, I I 14; 1956, I I 1879; 1957, II 226). Uber den Einfluß der Grundrechte auf das Zivilrecht s. B V e r f G 7, 198 = J Z 1958,119 = NJW1958, 257; B G H St NJW1959, 636; B A G 1, 185; ÖV 1958, 780. Eine Reihe von Grundrechten haben unmittelbare Bedeutung für den privaten Rechtsverkehr (Art. 1, 2 GG). Damit ist die Persönlichkeit auch für die privatrechtlichen Beziehungen mit der Folge des Rechtsschutzes nach § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Der BGH hat daher — im Gegensatz zum R G (RG 51, 369, 373) —• ein allgemeines P e r s ö n l i c h k e i t s r e c h t nach § 823 Abs. 1 anerkannt, soweit dieses Recht nicht die
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Unerlaubte Handlungen
§823 Anra, 11
Rechte anderer verletzt und gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt ( B G H 13, 334 = J Z 1954, 698 m. Anm. C o i n g : Veröffentlichung eines Leserbriefs mit Änderungen; 15, 249: Tagebücher von Cosima Wagner; 20, 345, 3 5 1 : Recht am eigenen Bild; beachte hierzu B G H 26, 349, soweit immaterieller Schaden verneint wird; 24, 72 mit Anm. N e u m a n n - D u e s b e r g N J W 1957, 1276: Preisgabe von Krankenpapieren; 24, 200, 209 mit Anm. H u b m a n n J Z 1957, 7 5 1 : unerlaubte Anfertigung eines Bildes zwecks Veröffentlichung; 26, 349 mit Anm. L a r e n z N J W 1958, 827: Herrenreiter; 27, 284: Aufnahme eines Gesprächs ohne Zustimmung des Partners auf Tonband; B G H N J W 1959, 525; Bestimmung über die Art der Ehrung eines Gefallenen durch Angehörige; B G H Betrieb 1959, 649: Erwähnung eines bekannten Künstlers in einer Werbeanzeige). Vgl. fernerBGHSt 5, 352; 10, 202; K G N J W 1956, 26; L S G Bremen N J W 1958, 278; B V e r f G 4, 7; N J W 1957, 297; München N J W 1959, 388: Nachsynchronisation der Stimme eines Filmschauspielers. Als Verletzung der einzelnen, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringenden besonderen Persönlichkeitsrechte kommen in Betracht u. a. das E i n d r i n g e n in die Privatsphäre, wie z. B. die unerlaubte Aufnahme der Stimme eines anderen, das heimliche Mithören, die unerlaubte Anfertigung eines Bildes, Begutachtung der Handschrift, Verschaffung von vertraulichen Aufzeichnungen und die Preisgabe von dem, was lediglich den Menschen allein angeht durch Presse- oder Rundfunkberichte, Zeitschriften, Wochenschauen, Veröffentlichungen von vertraulichen Aufzeichnungen. Wie weit die Persönlichkeit allgemein geschützt ist, läßt sich nicht abschließend festlegen. Bei dem allgemeinen Schutz der Persönlichkeit handelt es sich um eine Generalklausel, die noch unbestimmt ist einmal hinsichtlich der Art der geschützten Interessen als auch hinsichtlich der Begrenzung durch das Gegeninteresse. Die Persönlichkeit ist auch nach dem Tode ihres Trägers geschützt ( B G H 15, 249, 259; vgl. K o e b e l N J W 1958, 936; M a y N J W 1958, 2101). Die Ehre als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist demnach auch nach § 823 Abs. 1 geschützt, während bisher, abgesehen von dem Schutz des w i r t s c h a f t l i c h e n Rufes durch § 824, ein zivilrechtlicher Schutz nur über § 823 Abs. 2, §§ 185 fr StGB oder nach §826 gegeben war. Aus dem Schrifttum: H u b m a n n , Das Persönlichkeitsrecht, 1953, 2 1 6 ; derselbe J Z 1957, 5 2 1 ; S i e g e r t , Der Mißbrauch von Schallaufnahmegeräten im geltenden Recht, 1953; derselbe N J W 1957, 689; Betrieb 1958, 419; Gutachten B u s s m a n n und H e n k e l zum 42. Deutschen Juristentag; Referate von N i p p e r d e y und L a r e n z auf dem 42. Deutschen Juristentag; E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y 14. Aufl. § 78 I I 1 ; N e u m a n n - D u e s b e r g N J W 1957, 1 3 4 1 ; BB 1957, 865; Betrieb 1957, 861; J R 1957, 324; S i e b e r t N J W 1958, 1369; C o i n g S J Z 1958, 558; L a r e n z N J W 1955, 5 2 1 ; L ö f f l e r N J W 1959, 1 ; R e i n h a r d t J Z 1959, 41. Die Anerkennung einer allgemeinen Beeinträchtigung der Persönlichkeit kann zu einer Beeinträchtigung des Rechts eines anderen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit führen. Es kommt deshalb darauf an, den Persönlichkeitsschutz genau festzulegen und abzugrenzen und die Rechtfertigungsgründe herauszuarbeiten (vgl. R G H R R 1933 Nr. 1319). Nicht jede Beeinträchtigung der Persönlichkeit stellt schon eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar, da es nicht die Möglichkeit zur schrankenlosen Durchsetzung eigener Interessen ohne Rücksicht auf die Rechte anderer garantiert. So liegt z.B. schon t a t b e s t a n d s m ä ß i g keine Verletzung der Persönlichkeit durch Festhalten der Worte durch Tonabnehmer vor, wenn das Moment der Feststellung derartig im Vordergrund steht, das der Zusammenhang mit der Person des Sprechers weitgehend gelöst ist ( B G H 27, 284). Dieser Fall ist z.B. dann gegeben, wenn sich im geschäftlichen Verkehr die Übung angebahnt hat Durchsagen, Bestellungen usw. durch Tonabnehmer festzuhalten. Eine weitere notwendige Einschränkung des Schutzes der Persönlichkeit ergibt sich daraus, daß n u r w i d e r r e c h t l i c h e Eingriffe eine u. H. darstellen. Bei der Prüfung der Widerrechtlichkeit wird, abgesehen von der Berücksichtigung sonstiger Rechtfertigungsgründe wie z.B. Notwehr ( B G H 27, 284, 290), eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten stattzufinden haben ( B G H 24, 72, 80; vgl. B G H 3, 270; 13, 334, 338; 20, 200, 208; 27, 284, 290; NJW 1959, 525; § 823 Anm. 4 1 ; § 824 Anm. 15). Das private Interesse allein, sich über den Inhalt eines
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Gesprächs eine Gedächtnisstütze oder ein Beweismittel zu verschaffen, ergibt in der Regel keinen Rechtfertigungsgrund ( B G H 27, 284, 290). Bei der Verletzung des von der Rechtsprechung anerkannten Persönlichkeitsrechts treten die gewöhnlichen Rechtsfolgen ein, so z. B. bei einer Tonbandaufnahme der Anspruch auf Löschung ( B G H 27, 284), der, soweit kein Verschulden vorliegt, mit der Beeinträchtigungsklage geltend gemacht werden kann (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 85 fr). Für die Ermittlung des Schadens kann eine Berechnung nach der entgangenen Vergütung in Frage kommen ( B G H 20, 345; vgl. B G H 26, 349, 352; vgl. Anm. 101). Ausgehend von der Erwägung, d a ß mit der unzulässigen Veröffentlichung eines Bildes dem Abgebildeten die F r e i h e i t entzogen wird, auf Grund eigener Entschließung über das Rechtsgut seiner individuellen Sphäre zu verfügen, hat der BGH hinsichtlich des Ersatzes eines daraus entstandenen immateriellen Schadens an die Regelung der „Freiheitsentziehungi' in § 847 BGB angeknüpft und dem Betroffenen wegen einer Freiheitsberaubung im Bereich der eigenen verantwortlichen Willensentschließung auch wegen des nicht vermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung zugesprochen ( B G H 26, 349 m. Anm. L a r e n z N J W 1958, 827). Nach dieser weitgehenden Analogie dürfte es möglich sein, für jeden Fall einer Persönlichkeitsverletzung ein Schmerzensgeld zuzubilligen. A n m . 12 2. Verletzung des Lebens. Das Rechtsgut des Lebens kann nur durch seine Zerstörung, durch Tötung, verletzt werden. Tötung ist hier jede Handlung, durch die der Tod eines Menschen unmittelbar oder mittelbar herbeigeführt wird, auch wenn er nur die tatsächliche, von dem Handelnden nicht voraussehbare und nicht verschuldete Folge einer schuldhaften Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist (RG 66, 2 5 1 ; 69, 340; J W 1907, 514 1 4 ). Die Voraussehbarkeit, die zur schuldhaften Handlung gehört, muß sich dementsprechend nicht auf die vernichtende Folge für das Leben, sondern nur auf die verletzende Folge für Körper oder Gesundheit des andern erstrecken (RG ebenda). Die Einwilligung in die Tötung schließt die Widerrechtlichkeit der Tötungshandlung nicht aus; eine solche Einwilligung in die eigene Tötung verstößt gegen die guten Sitten (RG 66, 306). Wegen des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der u. H . und dem Tode des Verletzten vgl. Vorbem. vor § 823 Anm. 4 7 ff. A n m . 13 3. Verletzung d e s Körpers. Verletzung des Körpers ist jeder äußere Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, Verletzung der Gesundheit, die Verursachung einer Störung der inneren Lebensvorgänge. Sie ist auch gegeben, wenn der Verletzte erst n a c h einer Gesundheitsschädigung erzeugt wurde ( B G H Z 8, 243: Luesinfektion der Mutter durch Blutübertragung im Krankenhaus; vgl. R . S c h m i d t J Z 1952, 16 und 1953, 307; vorgeburtliche Ansteckung eines Kindes durch den Vater mit Syphilis vgl. Schleswig N J W 1950, 388). Verletzung der körperlichen oder seelischen Gesundheit durch s e e l i s c h e Einwirkung genügt z.B. durch Erregung von Angst und Schrecken, durch Aufregungen z.B. durch Presseangriffe oder durch ehewidriges Verhalten (RG 85, 3355 !33> 270; !48> '545 WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 259; 1915 Nr. 12; Recht 1913, 1 1 3 3 : Nervenleiden als Folge ehrenkränkender Behandlung durch Vorgesetzte; Recht 1918, 518: seelische Schädigung durch wahrheitswidrige Behauptungen des Prozeßgegners). Endlich treten gesundheitliche Beschädigungen als mittelbare Wirkungen von Körperverletzungen (traumatische Neurose) auf. Es wird im allgemeinen auch für Unfallneurosen gehaftet (vgl. hierzu Vorbem. 823 Anm. 56, 57). Auch Krankheitserscheinungen, die durch den Unfall nur ausgelöst werden, deren Anlage aber bereits beim Verletzten vorhanden war, können Folge des Unfalles sein ( B G H VersR 1953, 401; s. Vorbem. 823 Anm. 56, 57). Wegen gesundheitlicher Folgen, die durch Prozeßaufregungen hervorgerufen werden vgl. ebenso Vorbem. § 823 Anm. 56). E i n z e l f ä l l e . Ä r z t l i c h e B e h a n d l u n g . Es gibt keine allgemeine Rechtspflicht, gegen die Gefährdung fremder Gesundheit tätig zu sein. Die Berufstätigkeit des Arztes oder des Tierarztes verpflichtet diese Personen aber, bei ihrer Berufsausübung geeignete Vorkehrungen gegen die Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch Ansteckung 1234
Unerlaubte Handlungen
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zu treffen ( R G 102, 372; vgl. Anm. 10 und R G 102, 42). Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch den Arzt, der eine Operation vornimmt ( R G 68, 4 3 1 ; 163, 1 2 9 ; J W 1907, 505 2 ), ist eine Körperverletzung ( B G H N J W 1956, 1 1 0 6 ; 1958, 267; vgl. dazu B a u m a n n N J W 1958, 2092). Verletzungen der Gesundheit kommen vor als Folgen schuldhaft falscher ärztlicher Behandlung ( R G 85, 1 8 3 ; J W 1 9 1 1 , 449 1 7 ; 1 9 1 3 , 32 2 0 ; WarnRspr 1920 Nr. 109: Haftung des Arztes für Behandlung mit Salvarsan) oder der Behandlung durch Kurpfuscher ( R G WarnRspr ig 10 Nr. 4 1 1 ) . Die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Eingriffs entfallt durch rechtswirksame Einwilligung des Kranken ( B G H S t 1 1 , m ) . Ohne Einwilligung besteht daher eine Schadensersatzpflicht trotz kunstgerecht vorgenommener Operation ( R G 168, 206, 2 1 0 ; vgl. Anm. 10, 3 8 ; ; Röntgenaufnahme: R G D J 1935, 1885; D R Z 1929, 720; Diathermiebehandlung: R G J W 1930, 1597; falsche Rezeptur: R G 125, 3 7 5 ; ferner persönliche Haftung des Chefarztes eines Berliner städtischen Krankenhauses aus unerlaubter Handlung für einen Kunstfehler K G J R 5 1 , 25; B G H 1, 383; 4, 1 3 8 : fehlerhafte Behandlung im Krankenhaus ; 5 , 3 2 1 : schuldhaftes Verhalten des Arztes als des gesetzlichen Vertreters des Krankenhauses; 9, 145: fehlerhafte Behandlung in einer Universitätsklinik mit Anm. W o l f f J Z 1953, 5 5 1 ; allgemein über die Haftung der Ärzte vgl. Vorbem. § 6 1 1 Anm. 5 5 f f ) . Ein nichtärztlicher Heilkundiger muß bei Meidung eigener Haftung die Zuziehung eines Arztes anraten und die eigene Behandlung ablehnen, wenn er weiß oder bei pflichtmäßiger Sorgfalt erkennen muß, daß seine Fähigkeiten und Kenntnisse für die Behandlung nicht ausreichen ( R G J W 1 9 3 1 , 1483; München H R R 1940 Nr. 740). Zahnarzt bei Benutzung einer Nervnadel, B G H 8, 138. Zur Beweislast bei ärztlichen Behandlungsfehlern vgl. Anm. 10. Verabfolgung g e s u n d h e i t s s c h ä d l i c h e r S t o f f e anstatt eines Genußmittels, R G 97, 1 1 6 ; durch Verabfolgung einer Knochenstücke enthaltenden Speise in einer Gastwirtschaft, R G J W 1936, 2394 1 0 ; Nadel im Essen in einer Gastwirtschaft, R G WarnRspr 1929, 295. Haftung einer Gemeinde für G e s u n d h e i t s s c h ä d i g u n g e n durch eine von ihr betriebene W a s s e r l e i t u n g , R G 99, g6; 152, 1 2 9 ; J W 1937, 737; B G H 17, 1 9 1 ; Haftung für Verunreinigung eines Brunnens durch Versenkung von Abraum in der Nachbarschaft, B G H VersR 1956, 793. Haftung einer Gemeinde f ü r die gefahrfreie Verwaltung und Verwahrung ihr gehöriger Gegenstände, München H R R 1940 Nr. 720 (betreffend schadhafte, zu einer Böllerkanone gehörige Hülsen). Verpflichtung eines städtischen Fernheizwerkes zur Vornahme von die Sicherheit der Heißwasserdampfzuführung gewährleistenden Vorkehrungen, wie Anbringung schriftlicher Belehrung und Plombierung des Hauptabsperrschiebers im Zuleitungsgrundstück, R G H R R 1936 Nr. 190; Gesundheitsschädigung durch Genuß von vergiftetem ö l aus einer Fabrik, B G H VersR 1953, 242. Ansteckung durch lungenkranke Arbeitskollegen kann zur Haftung des Arbeitgebers führen, R A G 26, 13. Uneheliche Beiwohnung als solche ist keine Körperverletzung ( R G 96, 224), anders bei unbescholtenem I4jährigem Mädchen (München L Z 1928, 1 1 1 0 ) ; wohl aber Ansteckung mit Geschlechtskrankheit ( R G 1 3 5 , 9; WarnRspr 1923/24 Nr. 1 1 4 ; 1926 Nr. 90). Verletzung durch Friseur beim Legen von Wasserwellen, R G 148, 149. Wegen des Ausschlusses der Haftung für fahrlässige Körperverletzung durch Vereinbarung oder unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr s. Vorb. § 823 Anm. 29 ff. Die Z ü c h t i g u n g eines Kindes durch Erziehungsberechtigte oder L e h r e r ist nach der bisherigen Auffassung Körperverletzung ( R G S t 73, 257; B G H S t 6, 263; N J W 1953, 1440; 1958, 799); wegen des Ausschlusses der Widerrechtlichkeit vgl. Anm. 40. Für S p o r t v e r l e t z u n g e n wird gehaftet, soweit gegen anerkannte Kampfregeln verstoßen wird. Die bei der studentischen Bestimmungsmensur auftretenden Verletzungen sind nach derzeitiger Auffassung durch Einwilligung gedeckt ( B G H St 4, 24, 3 1 mit ablehnender Kritik Eb. S c h m i d t J Z 1954, 369, 5 3 7 ; S c h ö n k e - S c h r ö d e r S t G B 7. A u f l a g e § 226a Anm. V ) . Keine wirksame Einwilligung in Z w e i k a m p f , s. J e s c h e c k J Z 1957, 108, 1 1 3 .
Anm. 14 4. V e r l e t z u n g d e r F r e i h e i t . Unter Verletzung der Freiheit sind im Sinne des § 823 Abs. 1 nicht alle Beeinflussungen der freien Selbstbestimmung eines Menschen
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 15, 16 zu verstehen, zu denen der Handelnde kein besonderes Recht hat, insbesondere nicht die Verfolgung der eigenen Interessen im Widerstreit mit dem Willen des andern und mit dem vorausgesehenen Erfolge, daß dadurch das Gebiet der freien wirtschaftlichen Betätigung des anderen eingeschränkt wird. Der Begriff muß vielmehr, f ü r die Regel wenigstens, auf Aufhebung der Freiheit durch körperlichen oder geistigen Z w a n g , Anwendung von G e w a l t oder den Willen beugender D r o h u n g eingeschränkt werden. Es fällt darunter die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit sowie die Nötigung zu einer Handlung durch Gewalt oder Bedrohung ( R G 48, 1 1 4 u. 1 2 3 ; 58, 24; J W 1908, 6 7 9 1 1 ; B G H 26, 349); ferner die Unterbringung einer Person in einer Irrenanstalt gegen ihren und ihren gesetzlichen Vertreter Willen ( R G J W 1 9 1 0 , 763 1 3 ). Freiheitsentziehung als Folge einer falschen Anzeige mit Strafverfahren, in dessen Verlauf ein Dritter unschuldig in Haft genommen wird, R G D R 1940, 3 9 3 1 ; Inhaftierung auf Grund einer Anzeige bei der Gestapo, Celle M D R 1948, 1 7 4 ; Antrag auf Schutzhaft, B G H S t 2, 20; 3, 4; Erstattung einer inhaltlich wahren Anzeige bei Rechtswidrigkeit des ergangenen Urteils, das außer jedem Verhältnis zwischen Schuld und Unrechtsgehalt der T a t steht, B G H S t 3, 1 1 0 ; Mitwirkung bei Judendeportationen, B G H S t 3, 3 5 7 ; Freiheitsberaubung durch Beschränkung der den Kriegsgefangenen verbleibenden Bewegungsfreiheit, B G H L M S t G B § 239 Nr. 7 ; vgl. auch § 826 Anm. 53 insbesondere wegen der Haftung f ü r der Wahrheit entsprechende Anzeigen. Auch die G e f ä h r d u n g der körperlichen Freiheit kann eine Verletzung dieses Rechtsgutes enthalten. Allgemein überweist R G 97, 343 die Frage, ob eine unkörperliche Einwirkung auf die freie Willensbetätigung unter den Begriff der Freiheitsverletzung fällt, der Würdigung des Einzelfalles. Im allgemeinen wird durch § 823 Abs. 1 die Entschlußfreiheit als solche wie die Freiheit der gewerblichen oder wirtschaftlichen Betätigung nicht geschützt. K r a f t entsprechender Anwendung kann Eingriff in Persönlichkeitsrechte als Freiheitsverletzung gewertet werden und daher einen Schmerzensgeldanspruch erzeugen ( B G H 26, 349 mit Anm. L a r e n z N J W 1958, 827). Als rechtswidriger Eingriff in die persönliche Freiheit können sich unter Umständen auch Maßnahmen darstellen, die jemand hindern sollen, sich Lichtbildaufnahmen zu entziehen ( H R R 1936 Nr. 416). Gegen vorsätzliche Handlungen ist ein Schutz der Person bereits durch die §§ 234—241 S t G B in Verbindung mit § 823 Abs. 2 gegeben; Abs. 1 erweitert diesen Schutz auf fahrlässig verursachte Entziehungen der Freiheit (Einschließung von Bergarbeitern durch Einsturz eines kunstwidrig angelegten Schachtes oder Stollen).
A n m . 15 5 . V e r l e t z u n g d e s E i g e n t u m s . Das Eigentum wird verletzt durch Z e r s t ö r u n g •oder B e s c h ä d i g u n g , aber auch durch dauernde oder vorübergehende E n t z i e h u n g der Sache, die der Gegenstand des Eigentumsrechts ist. Die Verletzung kann durch tatsächliche Einwirkung auf die fremde Sache oder durch rechtliche Verfügung darüber, auch unter Zuhilfenahme behördlichen Zwanges (Pfändung und Zwangsvollstreckungsverkauf) erfolgen. Immer aber muß es sich, wenn § 823 Abs. 1 anwendbar sein soll, um eine E i n w i r k u n g a u f d i e S a c h e handeln, die Gegenstand des Eigentums ist ( R G H R R 1934 Nr. 803). Wertminderung ohne Einwirkung auf die Sache genügt nicht ( R G 57, 239).
A n m . 16 N i c h t unter § 823 fallen V e r l e t z u n g e n des E i g e n t u m s a n s p r u c h s auf Herausgabe der Sache gegen den Besitzer. Die Beziehungen zwischen Eigentümer und Besitzer sind in den §§ 98g—993 besonders geordnet. Nur verbotene Eigenmacht oder strafbare Handlung (§ 992) machen den Besitzer dem Eigentümer gegenüber aus u. H. nach § 8 2 3 Abs. 1 haftbar ( R G 65, 3 1 3 ; 72, 1 9 2 ; 163, 3 5 2 ; J W 1 9 1 0 , 1 1 0 1 0 ; WarnRspr 1920 Nr. 200; L Z 1922, 288 1 ; 1926, 1 0 7 1 ® ; vgl. L Z 1 9 2 1 , 3 3 8 ' ; B G H N J W 1952, 257). Der Fremdbesitzer ist aber für Eigentumsverletzungen aus § 823 verantwortlich, wenn er die Grenze des Besitzrechts überschreitet, das er zu haben glaubt, wie etwa der Mieter, wenn er die ihm zum Gebrauch überlassenen Mietsachen veräußert, oder derjenige, •der in der Fruchtziehung die Grenzen seines vermeintlichen Besitzrechts überschreitet ( R G 1 0 1 , 309; 106, 1 5 2 ; 157, 1 3 2 ; 163, 348, 3 5 3 ; H R R 1933 Nr. 1652; Hamburg M D R
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Unerlaubte Handlungen
§ 823
Anm. 17, 18
1948, 244; vgl. auch O G H 1, 308, 3 1 0 ; B G H N J W 1 9 5 1 , 643; J Z 1 9 5 1 , 7 1 6 ; Betrieb 1952, 367). Ist aber der Fremdbesitzer gutgläubiger Besitzmittler eines Dritten, so ist er im Hinblick auf § 991 Abs. 2 auch nach § 823 dem Eigentümer nicht haftbar, wenn ihm der Dritte die das Eigentum verletzende Verfügung in rechtlich einwandfreier Weise erlaubt hatte ( R G 157, 132). Die §§ 9 1 2 f r schließen als Sonderregelung eine Schadensersatzhaftung des überbauenden Eigentümers nach allgemeinen Grundsätzen aus ( B G H V e r s R 1958, 525), nicht jedoch die Haftung Dritter, z.B. des Bauausführenden.
Anm. 17 Eigentumsverletzungen durch B e s c h ä d i g u n g sind die Beeinträchtigungen nach §§906, 1004 ( R G 60, 1 3 0 ; J W 1904, 360 1 6 ), deren Abwehr nach Maßgabe der angezogenen Bestimmungen durch die Eigentumsfreiheitsklage erfolgt, während ein Schadensersatzanspruch daraus nur nach Maßgabe des § 823 gegeben ist ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 405). Immission von L ä r m über das nach § 906 zulässige Maß, R G J W 1 9 3 1 , 1189. Wenn dem Eigentümer die Befugnis fehlt, den widerrechtlichen Eingriff selbst abzuwehren (§ 26 GewO), steht ihm ein Schadensersatzanspruch daraus jedoch a u c h o h n e V e r s c h u l d e n des Störers zu ( R G 58, 1 3 0 ; 63, 374; 79, 1 5 0 ; 8 1 , 2 1 6 ; 86, 2 3 2 ; 93, 100; 1 0 1 , 84; J W 1904, 3 6 0 « ; 1905, 503 3 6 ; 1906, 554 2 4 ; 1907, 299 1 ; 1 9 1 0 , 580 1 5 ; Warn Rspr 1 9 1 1 Nr. 3 3 1 , 404 und 405; 1 9 1 2 Nr. 342; 1 9 1 4 Nr. 89; 1 9 1 5 Nr. 81 u. 1 4 1 ; 1 9 1 8 Nr. 5 5 ; vgl. Vorb. § 8 2 3 Anm. 10). Das Gesetz über die Beschränkung der Nachbarrechte v. 18. 10. 1935 ( R G B l I 1247) schließt Ansprüche aus u. H. nicht aus ( R G WarnRspr 1936 Nr. 123). Vernichtung von Bienenvölkern durch Hüttenrauch, R G 15g, 68, durch Giftstreuen auf eigenem Grundstück, B G H N J W 1955, 747. Eine Beschädigung der Eigentumssache durch Verunstaltung behandelt R G J W 1909, 275®, durch Seuchenansteckung von Pferden infolge vernachlässigter Absperrung R G J W 1908, 543 1 , die Beschädigung eines Gebäudes durch ungenügende Sicherheitsvorkehrungen bei Kanalisationsbauten und Vertiefungsarbeiten auf dem Nachbargrundstück R G J W 1908, 269 1 ; 1 9 1 0 , 330 3 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 405; Verunreinigung eines Brunnens durch Abwässer, R G H R R 1933 Nr. 528; Einschleppen von Hausschwamm durch Bauschutt, R G SeuffArch 85 Nr. 1 5 9 ; durch vorsätzliche Wegnahme eingebauter und dadurch zum Bestandteil des Gebäudes gewordener Baustoffe, R G 73, 3 3 3 ; WarnRspr ig 10 Nr. 403; Beschädigung von Dampfkesseln und in einer Fabrik zu verarbeitenden Stoffen durch Zuführung verunreinigten Wassers, R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 420; Beschädigung von Grundstücken durch Vernachlässigung der Pflicht zur Unterhaltung der Vorflut, R G 157, 2 7 2 ; fehlerhafte Schleusenanlage, R G 106, 283. Überläßt der Eigentümer sein Grundstück einem Pächter zur Bebauung, ohne sich zu vergewissern, daß der Bauplan nicht das Nachbareigentum gefährdet, so haftet auch er für beeinträchtigende Folgen des Baues ( R G SeuffArch 85 Nr. 159). Keine Eigentumsverletzung als Beschädigung eines Grundstücks bildet die Errichtung eines mangelhaften Gebäudes (Karlsruhe N J W 1956, 913). Widmungswidrige Benutzung eines Wegs, B G H V e r s R 1958, 285. Eine G e f ä h r d u n g (feuergefährlicher Gewerbebetrieb auf dem Nachbargrundstück) ist noch keine Beschädigung ( R G 50, 225). Keine Beschädigung des Eigentums, vielmehr bloßes Vertragsunrecht, ist die Lieferung schlechter Baustoffe für das im Bau begriffene Haus des Eigentümers ( R G J W 1905, 367®).
Anm. 18 Verletzungen des Eigentums durch E n t z i e h u n g der Sache sind Diebstahl und Unterschlagung, die zugleich u. H. nach Maßgabe des Abs. 2 darstellen, sowie jede rechtswidrige Wegnahme ( R G 57, 1 3 8 ) ; Gasdiebstahl, H R R 1935 Nr. 3 4 3 ; Wegnahme von Sachen unter dem Titel eines in Wahrheit nicht begründeten Pfandrechts sowie die gesetzwidrig vorgenommene Veräußerung von Pfandstücken, R G 77, 2 0 1 ; Pfandverkauf ohne Einhaltung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, ohne Pfandrecht, R G 100, 274; 156, 395, 400; J W 1926, 2847; Verletzung des Eigentumsvorbehalts, R G H R R 1935 Nr. 1587. Wegnahme entbehrlicher Hausbestandteile durch die Gemeinde bei Herrichtung beschlagnahmter R ä u m e zu Wohnzwecken, R G 106, 150. Die wider
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§ 823 Anm. 19, 20
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
den Willen des Verkäufers erfolgte Inbesitznahme verkaufter Ware durch den Käufer kann eine Verletzung des Eigentums des ersteren darstellen (RG L Z 1918, 258®); ferner die unberechtigte Wegnahme von Ware durch den Käufer über die vertragliche Menge hinaus (RG J W 1925, 476 20 ); ebenso die unbefugte Verfügung des Empfängers über eine ihm irrtümlich übermittelte Ware (RG Gruchot 68, 521). Die im guten Glauben an die Richtigkeit des Grundbuchs (§ 892) erfolgte Belastung eines Grundstücks mit Hypotheken und anderen Rechten ist mit Rücksicht auf den Schutz des Grundbuchs keine widerrechtliche Verletzung des Eigentums des wahren, nicht eingetragenen Eigentümers (RG 85, 61; 90, 395; BGH L M 823 [Ac] Nr. 3). Der fahrlässig gutgläubige Erwerb einer Sache von Nichtberechtigten enthält keinen rechtswidrigen Eingriff in das Eigentum des Berechtigten (BGH L M §932 Nr. 9). Unter die Eigentumsverletzungen durch Entziehung der Sache fallen rechtswidrige Zwangsvollstreckungen in fremdes Eigentum, sofern dem Gläubiger das Nichteigentum des Schuldners bekannt war oder bekannt sein mußte (RG 61, 430). Der Gläubiger ist aber noch nicht im Verschulden, wenn ihm mitgeteilt wird, daß die Pfandstücke einem Dritten gehören; er darf erwarten, daß der Eigentümer die erforderlichen gesetzlichen Schritte nach §§ 769, 771 ZPO ergreift; erst eine Glaubhaftmachung, die dem § 769 ZPO genügt, setzt auch den Gläubiger in Verschulden (RG J W 1911, 97810). Eine schuldhaft unrichtige Auskunft über einen Handlungsgehilfen verursacht die Eigentumsverletzung nicht, die der letztere nachher durch Unterschlagung dem Anfragenden gegenüber begeht (RG J W 1905, 369® dahingestellt gelassen); der ursächliche Zusammenhang reicht hier nur für eine Vermögensbeschädigung im allgemeinen aus, für die bei wissentlich falsch erteilter Auskunft wiederum § 826 Schutz bietet (vgl. § 826 Anm. 55). Anm. 19 Eine allgemeine R e c h t s p f l i c h t , fremdes E i g e n t u m gegen G e f a h r e n zu schützen und es vor Beschädigung und Zerstörung zu bewahren, besteht nicht; die Unterlassung eines solchen Schutzes ist daher nicht ohne weiteres eine u. H. Die Verpflichtung zu solchem Schutze kann nur durch ein besonderes Rechtsverhältnis begründet werden und ist nach diesem zu beurteilen (RG 97, 12; 102, 82; J W 1939, 487 12 ). Eine S o r g f a l t s p f l i c h t hinsichtlich der Obhut und Ü b e r w a c h u n g fremden Eigentums kann aber durch einen G e w e r b e b e t r i e b begründet sein: Wer es sich zur Aufgabe macht, zum Zwecke des eigenen Erwerbs fremdes Eigentum zu verwahren (Lagerhalter) oder von einem Ort zum andern zu befördern (Spediteur, Rollfuhrmann u. a.), überkommt vermöge dieses Gewerbebetriebes, auch abgesehen von den einzelnen geschlossenen Verträgen, eine Obhutsverpflichtung an allen in seinen Gewerbebetrieb an ihn gelangenden, in fremdem Eigentum stehenden Sachen, deren Verletzung sich als u. H. nach § 823 Abs. 1 darstellt (RG 102, 38, 42; 105, 302, 304; 120, 1 2 1 ; H R R 1928 Nr. 1802; BGH 9, 301, 307; vgl. Anm. 46). Auf eine Verletzung der Pflichten aus dem von dem Spediteur usw. mit einem Dritten abgeschlossenen Vertrag kann sich der Eigentümer zur Begründung einer Haftung aus § 823 natürlich nicht berufen (RG 105, 302). Obhutspflicht des Schleppschiffahrtsunternehmers in bezug auf den geschleppten Kahn mit der Folge einer Haftung gegenüber dem mit jenem Unternehmer nicht in vertraglichen Beziehungen stehenden Kahneigner, RG 120, 121. Sorgfaltspflicht des Rollfuhrunternehmers, der bei der Beförderung eines Gutes keinen Begleitmann hat, Hamburg H R R 1932 Nr. n 8 . Haftung eines Abbruchunternehmers beim Einsturz von Ruinen aus § 823 mit § 831, nicht aus § 904, K G J R 1950, 345. Anm. 20 6. Verletzung eines sonstigen Rechts. Was unter dem sonstigen Recht des § 823 Abs. 1 zu verstehen ist, kann zweifelhaft sein. Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit sind Lebensgüter, aber keine Rechte, und es spricht nichts dafür, daß das BGB sie als solche aufgefaßt habe. Sie sind Lebensgüter, die mit der Persönlichkeit v e r b u n d e n sind und den allgemeinen Rechtskreis der Person umschreiben, der von jedermann geachtet werden muß. Erst das hinter ihnen in § 823 Abs. 1 genannte Eigentum ist ein wirkliches, andere ausschließendes Recht, das einer Person zusteht. Da das „sonstige Recht" im Anschluß an das Eigentum genannt wird, ist es begrifflich als ein Recht zu 1238
Unerlaubte Handlungen
§823
A n m . 21, 22
fassen, das mit dem Eigentum den rechtlichen Charakter, mit dem Eigentum u n d den vorher aufgeführten Rechtsgütern das gemeinsam hat, daß es von jedermann beachtet werden muß. Es sind dies die von der Rechtsordnung besonders ausgestatteten und umschriebenen a u s s c h l i e ß l i c h e n Rechte (RG 59,49; 82, 206; 95, 283), die alle Personen binden und deshalb auch von allen verletzt werden können. Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht vgl. Anm. 1 1 . N i c h t unter den Begriff des sonstigen Rechts fallen die F o r d e r u n g s r e c h t e , die im Gegensatz zu den ausschließlichen Rechten nur die bestimmten Personen binden, die sich selbst gebunden haben, und die von dritten Personen nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, verletzt werden können (M 2, 727; R G 57, 138 u. 353; 82, 189; 95, 283; i n , 3 ° 2 ; J W 1905, 367«; 1912, 129 2 u. 135 7 ; 1925, 2245 1 6 ; WarnRspr 1908 Nr. 46). Auch die der Unfallversicherungsgesetzgebung entspringenden Rechte des Verletzten auf Leistungen dieser Versicherung sind nur persönliche Forderungsrechte ( R G 95, 283). Das M i e t r e c h t und ebenso das P a c h t r e c h t sind zwar Forderungsrechte im letzteren Sinne; durch die Übertragung des Besitzes an der Miet- oder Pachtsache erlangen sie aber Dritten gegenüber einen ausschließlichen Charakter (RG 59, 326; 105, 218; WarnRspr 1915 Nr. 299). Auch das Vermögen als solches ist kein sonstiges Recht (RG 95, 173; J W 1915, 913 3 ). Es ist aber über §§823 Abs. 2, 824, 826, 839 geschützt. Zur Verletzung von Forderungsrechten durch eine vorsätzliche sittenwidrige Handlung vgl. § 826 Anm. 26 ff. A n m . 21 a) Dingliche Rechte. Zu den sonstigen Rechten gehören einmal alle dinglichen Rechte, Erbbaurecht, Grundgerechtigkeiten ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 331) und persönliche Gerechtigkeiten an Grundstücken, Hypotheken- und andere Pfandrechte (Schadensersatzanspruch der Hypothekengläubiger wegen Verschleuderung oder Entfernung von Zubehör des Pfandgrundstücks, R G 69, 85; J W 1907, 332 1 0 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 268; 1915 Nr. 52 u. Nr. 1 1 8 ; 1917 Nr. 1 7 ; SeuffArch 88 Nr. 55; durch Pfändung von Grundstückszubehör, R G SeuffArch 60 Nr. 249, ebenso wegen Wegnahme von zum Bestandteil des Grundstücks gewordenen Baustoffen, R G 73, 333; WarnRspr 1910 Nr. 403); Verletzung des Pfandrechts des Verpächters durch Fortschaffung von Inventarstücken vom Landgut, R G 98, 345. Ferner gehört hierher das durch Pfändung und Überweisung von Forderungen begründete Einziehungsrecht ( R G 85, 89), das Pfandrecht des Vermieters (RG n g , 265). Verletzung des durch Pfändung eines Anspruchs auf Herausgabe von Wertpapieren begründeten Pfandrechts durch Veräußerung der Wertpapiere, R G 108, 318. Immer aber muß, wenn ein Schadensersatzanspruch nach § 823 gegebn sein soll, ein erfolgreicher Eingriff in das Pfandrecht vorliegen; ein etwa nach §§ 135, 136 unwirksamer Versuch eines Eingriffs durch Zahlung oder Aufrechnung einer gepfändeten Forderung genügt nicht (RG 138, 252). Recht des Grundeigentümers auf Unterlassung schädigender Anlagen nach § 907 BGB ( R G r45> 115)Ein sonstiges Recht ist auch der Geschäftsanteil einer Gesellschaft m. b. H. ( R G ioo, 278), ebenso die Aktie (RG 158, 248). A n m . 22 b) Aneignungsrechte. Weiter gehören hierher die ausschließlichen Aneignungsrechte, das Bergwerkseigentum (RG 72, 303; 110, 1; 161, 203, 208), Jagd- und Fischereirecht (RG J W 1939, 429; WarnRspr 1915 Nr. 299; H R R 1935 Nr. 1 7 1 ; B G H VersR 1958, 233; Stuttgart VersR 1957, 34), sowie Wassergebrauchsrechte (Recht 1906, 933), nicht aber das Recht auf den Gemeingebrauch an öffentlichen Sachen oder Gewässern, auch wenn er, wie z. B. die Benutzung von Schiffahrtskanälen, polizeilich geregelt ist ( R G Gruchot 68, 75; Recht 1921, 1362; 1924, 1678). Abdeckereiprivileg, R G H R R 1925, 1047; ferner die Anwartschaftsrechte z. B. aufschiebend bedingtes Eigentum des Käufers ( R G 170, 1, 6; B G H L M § 823 [Ad] Nr. 1), ferner Eigentumsanwartschaft dessen, dem der Vorbehaltskäufer sein durch Zahlung des Kaufpreises bedingtes Eigentum überträgt (BGH VersR 1957, 297).
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§ 823 Anm. 23—25
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 23 c) Namensrechte, Firmenrechte, Urheberrechte, gewerbliche Schutzrechte. Weiter das Namensrecht (§ 12; dazu R G 63, 253ff; J W 1929, 1203 14 ; 1930, 169922; WarnRspr 1930 Nr. 2: Unterlassungsklage der Ehefrau gegen Geliebte des Mannes wegen Benutzung des Familiennamens; WarnRspr 1927 Nr. 138: Klage der Ehefrau gegen Ehemann auf Unterlassung, Geliebte als Ehefrau auszugeben und einzutragen; WarnRspr 1939 Nr. 27); Pseudonym, R G 101, 226, 230; Telegrammadresse, 102, 89; das Firmenrecht (§§ 17fr, insbes. § 37 HGB; R G 115, 401, 406; J W 1910, 120 31 ). Auch Auszeichnungen (Medaillen, Diplome, Preise), die für ausgestellte Waren verliehen werden, gewähren ein höchstpersönliches Recht, das den Schutz des § 823 Abs. 1 genießt ( R G 108, 50; 109, 51); Wappenrechte, R G 71, 265. Die U r h e b e r rechte (RG 102, 134; Gruchot 69, 249) und die g e w e r b l i c h e n E r f i n d e r r e c h t e ( R G 57, 38) — insoweit auch vor Erteilung des gesetzlichen Erfinderschutzes, darüber vgl. R G 77, 81; 140, 56; J W 1931, 4056; s. auch B G H 3, 365, 368 (patentlose Zeit) und Hamburg MDR 50, 49 — sowie die übrigen gewerblichen S c h u t z r e c h t e (Musterschutz und Warenzeichen, R G J W 1905, 174 1 5 ; vgl. R G J W 1926, 561 5 ). Warnung vor Patentverletzung ist widerrechtlich, wenn der Patentinhaber darin seinem Patent einen Schutzumfang beilegt, der ihm tatsächlich nicht zukommt; für die Unterlassungsklage des durch die Warnung Beeinträchtigten kommt es auf guten oder bösen Glauben des Patentinhabers nicht an ( R G 141, 336). Schadensersatzpflicht eines Patentinhabers, der bei einer als zweifelhaft erkennbaren Rechtslage Dritte unter Hinweis auf einen angeblichen Patentschutz davon abzuhalten versucht, bestimmte Ware zu beziehen und zu benutzen, gegenüber dem Lieferanten als Eingriff in den Bestand von dessen Gewerbebetrieb s. B G H 2, 387. Schadensersatzpflicht wegen Warnungen vor Verletzungen eines Gebrauchsmusters s. München H R R 1940 Nr. 896; L G Berlin ZAk DR 1939, 462; auch E l s t e r DGWR 1940, 248. Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse sind nicht durch § 823 Abs. 1, sondern durch §§ 18, 19 UnlWG in Verbindung mit den §§ 823 Abs. 2, 826 geschützt ( R G ZAk DR 1938, 144). Anm. 24 d) Besitz. Der Besitz ist zwar kein Recht, wird aber von der Rechtsordnung gleich einem ausschließlichen Recht gegen jedermann geschützt und ist deshalb auch im Sinne des §823 Abs. 1 den Rechten anzuschließen (RG 59, 326; 91, 60, 65; 102, 347; 105, 218; J W 1931, 29045: mittelbarer Besitzer; WarnRspr 1915 Nr. 299; 1922 Nr. 4 1 ; SeuffArch 86 Nr. 9; Recht 1911 Nr. 2879: Fischereipächter). Widmungswidrige Benutzung eines Wegs ist Besitzverletzung (BGH VersR 1958, 285). Auch die Rechtsstellung dessen, der eine Sache bei Eigentumsvorbehalt gekauft und zu Gebrauch und Nutzung im Besitz hat, ist nach § 823 Abs. 1 als „sonstiges Recht" geschützt (RG 170, 1, 6; München H R R 1942 Nr. 275; vgl. Anm. 22). Verletzung des den nächsten Familienangehörigen zustehenden Verfügungs- und Bewahrungsrechtes an dem Leichnam des Verstorbenen durch Vornahme einer Leichenöffnung s. Breslau H R R 1941 Nr. 478; wegen unerlaubter Sektion vgl. Becker J R 1951, 328. Anm. 25 e) Verletzung der aus dem Familienrecht entspringenden Ausschließlichkeitsrechte. Zu den sonstigen Rechten gehören ferner die aus dem Familienrecht entspringenden Ausschließlichkeitsrechte, wie elterliche Gewalt, Personensorge ( R G H R R 1928 Nr. 1413; J W 1913, 202: Vorenthaltung eines Kindes; J W 1925, 377; Koblenz NJW 1958, 951: Anspruch gegen Dritte auf Unterlassung des Verkehrs mit einem Kinde), nach dem früheren Güterrecht das ehemännliche Verwaltungs- und Nutznießungsrecht ( R G WarnRspr 1922 Nr. 4 1 ; SeuffArch 77 Nr. 73), das aussschließliche Recht der Ehefrau auf Bezeichnung als solche gemäß § 1355 (RG WarnRspr 1927 Nr. 138; 1928 Nr. 132; 1930 Nr. 2). Das Recht des Ehegatten auf Fortbestand der ehelichen Gemeinschaft gibt keinen Anspruch auf Unterlassung des ehebrecherischen Verkehrs ( R G 71, 85; 151, 159, 162), dagegen gegen Aufnahme der Geliebten in die eheliche Wohnung und in das eheliche Geschäft ( B G H 6, 360; L M §823 [Af] i b ; 1240
Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 26, 27
N J W 1952, 1 1 8 6 ; L M G G Art. 6 Nr. 3 : Unterlassungsklage der Ehefrau auf Entfernung einer Wirtschafterin, die auch ohne Vorliegen ehewidriger Beziehungen ihre Frauenwürde verletzt; vgl. Vorbem. 823 Anm. 77). Das Recht auf eheliche Gemeinschaft gibt ferner keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen den ehebrecherischen Ehegatten oder den Dritten, z. B. hinsichtlich der Scheidungskosten — auch nicht nach § 823 Abs.2, § 172 StGB — ( R G 72, 128; B G H N J W 1956, 1149 mit ablehnender A n m . S c h w a b ; vgl. B o e h m e r A c P 155, 1 8 1 ; Fam. R Z 1955, 7; 1957, 196; J R 1953, 746; B G H 23, 2 1 5 ; 23, 279 m. Anm. S c h w a b N J W 1957,869; 26, 217, 222: Kosten der Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes), auch nicht nach § 826 ( B G H 23, 215, 2 2 1 ; Abweichung von R G SeuffArch 61 Nr. 38 und R G 152, 397). Ausgeschlossen sind nur Ansprüche aus der „Zerstörung der E h e " ( B G H 23, 279, 288; 26, 217, 222). Ferner besteht kein Anspruch des Ehemannes gegen Ehefrau oder einen Ehebrecher als Erzeuger eines während der Ehe geborenen Kindes, dessen Unehelichkeit nicht rechtskräftig festgestellt ist, auf Ersatz der dem Kinde gewährten Unterhaltsleistung weder nach § 823 noch nach § 826, weil darin die dem § 1593 B G B widersprechende Geltendmachung der Unehelichkeit des Kindes liegt ( B G H 14, 359; vgl. R G 152, 397, 399), dagegen gehen die Ansprüche des Kindes nach Anfechtung analog § 1709 Abs. 2 auf d en Ehemann über ( R G D R 1944, 334; B G H 24, 10; 26, 217, 218). Auch kein Ersatzanspruch wegen der Anfechtungskosten ( B G H 23, 2 1 5 ; 26, 217, 221), auch nicht nach §826 (BGH 23, 2 1 5 ; 26, 217).
Anm. 26 f ) V e r l e t z u n g d e r E h r e . Die Ehre ist kein Recht, sondern ein Lebensgut gleich Gesundheit und Freiheit; sie wird durch § 823 Abs. 2 in Verbindung mit §§ 185fr StGB und teilweise durch § 824, gegebenenfalls auch nach § 826, nicht als sonstiges Recht nach §823 Abs. 1 geschützt ( R G 5 1 , 369; 58, 28; 60, 1 ; 73, 107; J W 1913, 34 2 3 ; H R R 1933 Nr. 1319). Allerdings erscheint es möglich, Ehrverletzungen als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu erfassen (vgl. Anm. 1 1 ; v g l . N e u m a n n - D u e s b e r g Betrieb 1957, 861). Der Unterlassungsanspruch zum Schutze der Ehre einer Person ist nicht übertragbar ( R G 12. 10. 1932 I X 145/32).
Anm. 27 g) Verletzung des Rechts auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbe-
b e t r i e b . Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb wird von der Rechtsprechung als sonstiges Recht anerkannt (vgl. S c h i p p e l , Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 1956; G i e s e c k e , Recht am Unternehmen und Schutz des Unternehmers, G R U R 1950, 298). Obwohl das Reichsgericht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als Gegenstand des Rechtsschutzes nicht anerkannt hatte ( R G 73, 107; 113, 4 1 4 ; J W 1915, 9 1 3 ; WarnRspr 1909 Nr. 505; H R R 1933 Nr. 1 3 1 9 ; vgl. Anm. 1 1 ) , hat es den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als verkörperten Willen im Gegensatz zu der bloßen Freiheit der wirtschaftlichen und gewerblichen Betätigung zu den sonstigen Rechten gezählt ( R G 48, 1 1 4 ; 56, 2 7 1 ; 58, 24; 64, 52; 65, 210; 92, 1 3 2 ; 94, 248; 100, 2 1 4 ; 101, 3 3 7 ; 102, 225; 109, 276; 117, 4 1 2 ; 119, 438; 126, 93; 135, 40; Gruchot 68, 75; J W 1905, 430 9 ; 1907, 505 1 ; 1908, 1 3 3 1 u. 482 1 6 ; 1909, 493 1 6 ; 1915, 9 1 3 3 ; 1917, 7 1 2 1 ; WarnRspr 1915 Nr. 82; 1927 Nr. 55; SeuffArch 84 Nr. 15; L Z 1927, 905 3 ; Recht 1924, 5 3 7 : Verbot des Betretens des Friedhofs und der Abfertigung eines Leichenbestattungsunternehmens durch Standesämter). Die Rechtsprechnung des R G hat allmählich zu einer Ausdehnung dieses Schutzes geführt (zu der Entwicklung vgl. N i p p e r d e y , Arbeitskampf als unerlaubte Handlung, in Festschrift Sitzler S. 85, go; von G a e m m e r e r , Bereicherung und unerlaubte Handlung, in Festschrift für Rabel Bd. 1 S. 399). Eine Verletzung dieses eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes als eines Rechtes konnte nach der ä l t e r e n Rechtsprechung des R G n u r d a n n angenommen werden, w e n n d e r E i n g r i f f s i c h u n m i t t e l b a r g e g e n d e n B e s t a n d des G e w e r b e b e t r i e b e s r i c h t e t e , sei es, daß die Betriebshandlungen tatsächlich gehindert wurden, wie durch Bedrohung oder gewaltsame Abhaltung von Kunden vom Besuch eines boykottierten Geschäfts, Aufstellen von Streik- oder Boykottposten, oder
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§ 823 A n m . 27
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
daß seine rechtliche Zulässigkeit verneint und seine Schließung oder Einschränkung verlangt wurde oder daß auf Grund angeblicher, in Wahrheit nicht bestehender gewerblicher Schutzrechte die Fabrikation gewisser Waren oder gewisse Warenzeichen verboten wurden (RG 58, 24; 64, 52; 65, 210; 73, 107 u. 253; 76, 35; 77, 217; 79, 224; 92, 132; 94, 248; 101, 337; 102, 225; 119, 438; 126, 93; 135, 242; 141, 337; M u W 1939, 255; D R 1940, 72®; Hamburg D R 1940, 1106). Der wirtschaftliche Wettkampf war, soweit er mit erlaubten Mitteln geführt wurde, kein widerrechtlicher Eingriff in den fremden Gewerbebetrieb; die Aussicht auf Erwerb und auf Gewinnung von Kundschaft fiel nicht zusammen mit dem Gewerbebetrieb selbst und war nicht geschützt (RG 58, 24; 64, 52; 65, 210; 77, 217; 92, 132; 102, 223; 126, 93; 135, 242; J W 1909, 1096, 493 16 ; 1911, 712 1 2 ; 1912, 290 11 ; 1915, 913 3 ). Widerrechtlicher Eingriff in den Geschäftsbetrieb des Inhabers einer Musikschule durch plötzlichen Widerruf eines auf lange Dauer berechneten Subventionsvertrages s. R G SeuffArch 93 Nr. 1; Ablehnung der Erstattung von Arzneien mit einem bestimmten Warenzeichen, R G J W 1930, 1583. Es genügte nicht, daß der Gewerbebetrieb nur mittelbar geschädigt wurde, insbesondere der Ertrag oder die Aussicht auf Erwerb und Gewinn von Kundschaft, z. B. durch Einwirkung auf den Kundenkreis beeinträchtigt wurde (RG 79, 226), oder durch Einwirkung auf die Lieferanten (RG 76, 271). Nach s p ä t e r e r Rechtsprechung des Reichsgerichts war nicht mehr unbedingt erforderlich, daß sich der Eingriff gegen den Bes t a n d des Betriebes richtete, es genügte, zumindest auf dem Gebiete des Wettbewerbsund Warenzeichenrechts, j e d e s c h u l d h a f t e w i d e r r e c h t l i c h e B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r g e w e r b l i c h e n B e t ä t i g u n g eines anderen; immer aber muß es sich u m einen u n m i t t e l b a r e n E i n g r i f f i n d e n B e r e i c h d e s G e w e r b e b e t r i e b s handeln (RG 158* 3775 163, 21, 32; WarnRspr 1942 Nr. 5; H R R 1939 Nr. 938; J W 1939, 484 1 1 ; B G H 2, 387, 393: widerrechtliche Verwarnung eines Patentinhabers; B G H 14, 286, 292: Verwarnung wegen angeblicher Verletzung des Firmenrechts). Der Bundesgerichtshof ( B G H 3, 270: Constanzeurteil) hat die Beschränkung des Schutzes der gewerblichen Betätigung auf das Gebiet des Wettbewerbs und der gewerblichen Schutzrechte fallen lassen. Nach der Rechtsprechung des BGH wird das Recht a m eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegen alle u n m i t t e l b a r e n E i n g r i f f e nicht nur in seinen eigentlichen Bestand, sondern auch in seinen einzelnen Erscheinungsformen ohne Beschränkung auf den Wettbewerbskampf geschützt, auch wenn der Bestand des Gewerbebetriebs unberührt bleibt ( B G H 3, 270, 279 m. Anm.. K l e i n e J Z 1952, 227; N J W 1959, 479 mit eingehender Darstellung der Entwicklung), z.B. durch geschäftsschädigende Werturteile, die nicht zu Wettbewerbszwecken erfolgten. Z u m eingerichteten Gewerbebetrieb gehört alles, was in seiner Gesamtheit den Gewerbebetrieb zur Entfaltung und Betätigung in der Wirtschaft befähigt, also Betriebsgrundstücke, Maschinen, Gerätschaften, Geschäftsverbindungen, Kundenkreis und Außenstände. Unmittelbare Eingriffe müssen sich auf solche Gegenstände richten, also betriebsbezogen sein; es genügt nicht, daß Rechte oder Rechtsgüter betroffen werden, die vom Betrieb ohne weiteres abgelöst werden können ( B G H 8, 142: Verbreitung schwarzer Listen durch Kreditschutzverein; 13, 210: Verwarnung eines Mitbewerbers wegen Bestehens unveröffentlichter Patentanmeldungen; 14, 286, 292: Verwarnung wegen Verletzung des Firmenrechts; 14, 294, 304: Verbot der Vornahme von Bestattungen für Bestattungsunternehmen; vgl. Stuttgart N J W 1959, 246; 16, 172 und 17, 41, 5 1 : Schutz eines Geheimverfahrens; 23, 157: Beeinträchtigung des an einem Geschäft vorübergehenden Personenverkehrs; 24, 200, 205: Aufforderung zum Geschäftsboykott; 25, 369, 375: planmäßige Entwicklung eines W Z zur berühmten Marke und daraus folgende Beeinträchtigung anderer Zeichenrechte; Betrieb 1958, 980: Verdächtigung einer Firma wegen unzulässiger Zusammenarbeit mit dem Angestellten eines K u n d e n ; 28, 320: Verwässerung einer Kennzeichnung mit überragender Verkehrsgeltung „ Q u i c k " ; L M BliWVG Nr. 1: gesetzwidrige Werbung („Blindenseife") als Angriff gegen Blindenhandwerksbetriebe. Düsseldorf G R U R 1957, 139; LArb Hannover BB 1957, 677: Streik; B G H BB 1959, 354: Störung eines Verlagsbetriebs durch Abschluß eines Verlagsvertrags über dasselbe Werk mit einem anderen Verleger. Das Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb kann nicht als Recht auf freie Betätigung des Unternehmers überhaupt aufgefaßt werden, sondern nur als Recht auf
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Unerlaubte Handlungen
§823
A n m . 28, 29 Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit auf Grund der schon getroffenen Betriebsveranstaltungen ( B G H L M § 839 [C] Nr. 5). Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wurde in folgenden Fällen verneint: B G H L M 823 (Da) Nr. 4 : Angriff gegen den Inhaber eines Betriebs durch Stellung eines unbegründeten Rückerstattungsantrags, der die treuhänderische Verwaltung zur Folge hat; 7, 30, 36: Verletzung eines Angestellten, dessen Gehalt weiter bezahlt werden muß; 8, 387, 394: Schutz der gewerblichen Betätigung nach § 823 Abs. 1 nur, soweit nicht ein besonderer Schutz begründet ist oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen begründet werden kann, daher nicht, wenn ein Arbeitsmittel beeinträchtigt wird, das nach § 16 Abs. 3 T J W G geschützt ist (ebenso B G H 28, 320); N J W 1959, 479: Produktionsausfall durch Beschädigung einer Stromleitung; ebenso München N J W 1956, 1 7 1 9 mit Anm. L a r e n z ; Bamberg N J W 1956, 1 6 0 1 : ungenehmigter Betrieb von Personenverkehr; a A Hamburg N J W 1956, 7 1 6 ; jetzt überholt durch B G H 26, 4 2 ; V R S 14, 280; D A R 1958, 135). Durch diese Ausweitung der Rechtsprechung wird für einen weiten Bereich der menschlichen Betätigung an Stelle der spezialisierten Haftungstatbestände ein Generaldelikt geschaffen. Störungen, die früher — abgesehen von § 823 Abs. 2 — nur unter den Voraussetzungen des § 826 oder nach § 1 U W G erfaßt werden konnten, begründen jetzt eine Verpflichtung zum Schadensersatz und geben ohne Verschulden eine Unterlassungsklage (vgl. L e h m a n n M D R 1952, 297 in Anm. zu Hamburg a a O 295; ferner R e u ß A c P 156, 89 zum Käuferstreik). So stellt die Aufforderung zum politischen Boykott ohne Verfolgung wirtschaftlicher Ziele einen Eingriff in den Gewerbebetrieb dar ( B G H 24, 200, 205). Zur Frage, ob das Recht auf ungestörte Ausübung eines freien Berufs ein sonstiges Recht darstellt, vgl. W e r n e r N J W 1957, 618.
A n m . 28 Es bedarf daher einer besonders eingehenden Prüfung, ob ein Eingriff in den Gewerbebetrieb, der an sich nach dem grundsätzlichen A u f b a u des Systems der u. H . widerrechtlich ist, durch einen besonderen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist. E i n solcher Rechtfertigungsgrund kann sich insbesondere aus dem in § 193 S t G B für den Fall des Ehrenschutzes geregelten, allgemein anwendbaren Gedanken der Wahrnehmung berechtigter Interessen ergeben ( B G H 3, 270, 2 8 1 ; 8, 142, 1 4 5 ; 13, 2 1 0 ; 24, 200, 206; vgl. H u b m a n n A c P 155, 85), wobei die Notwendigkeit des Eingriffs und der Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung des Betroffenen abzuwägen sind ( B G H BB 1959, 282: „Versandbuchhandlung"). I m Schrifttum und auch zum Teil in der Rechtsprechung, insbesondere der arbeitsrechtlichen, wird eine Begrenzung dahin versucht, daß alle sozialadäquaten Handlungen von vornherein aus dem Tatbestand der Rechtsverletzung ausscheiden. Sozialadäquat sind alle Handlungen, die sich völlig innerhalb des Rahmens der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen und von ihr gestattet werden. Zumindest soll die Sozialadäquanz einen Rechtfertigungsgrund bilden (so die neueste Fassung von W e l z e l , Das Deutsche Strafrecht, 5. Aufl. 68ff, i o 6 f f ; ZStrW 58, 5 1 5 ; N i p p e r d e y in Festschrift Sitzler S. 95 Fußn. 50; vgl. B A G 1, 2 9 1 , 300; s. Anm. 29). Kein widerrechtlicher Eingriff liegt vor, wenn z. B. ein Verbot eines Gewerbetriebs auf Grund des Eigentums des Verbietenden ergeht, wie das Verbot einer Kirchenstiftung an gewerbliche Bestattungsunternehmer, Bestattungshandlungen vorzunehmen ( B G H 14, 294,
304)-
A n m . 29 Der Arbeitskampf (Streik, Aussperrung, auch Boykott) kann u. H . nach § 823 Abs. I sein, soweit die dort geschützten Rechtsgüter insbesondere durch einzelne K a m p f handlungen verletzt werden, auch nach § 823 Abs. 2 (vgl. N i e s e , Streik- und Strafrecht 1954) oder nach §826 (vgl. §826 Anm. 48—50). Soweit die von der Rechtsprechung verlangten Voraussetzungen gegeben waren (unmittelbarer Eingriff in den Bestand eines Gewerbebetriebes, z. B. durch tatsächliche Hinderung von Betriebshandlungen), konnte schon nach der bisherigen Rechtsprechung darin eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegen. Die oben dar80
Komm. 2. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Haager)
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§ 823 A n m . 30—33
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gestellte Erweiterung der Rechtsprechung (Anm. 27), führt dazu, daß ein Streik in der Regel eine Verletzung des Gewerbebetriebes bilden kann, wenn der Betrieb auch nicht in seinem Bestand, sondern in seinen Ausstrahlungen berührt wird, da die Beschränkung auf Wettbewerbshandlungen weggefallen ist (BAG 2, 75; O L G Düsseldorf RdA 1953, 393: Zeitungsstreik; LArbG Frkft RdA 1953, 354; LAG Düsseldorf RdA 1954, 1 1 7 ; LArbG Hannover BB 1957, 677; vgl. die zusammenfassende Darstellung bei N i p p e r d e y , Arbeitskampfund unerlaubte Handlung, Festschrift für Sitzler S. 84 fr; ferner B ö t t i c h e r BB 1957, 621). A n m . 30 Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entfällt die Rechtswidrigkeit bei Sozialadäquanz des Streiks ( B A G 1, 291, 300; NJW 1959, 356; insbes. N i p p e r d e y aaO S. 94ff; vgl. B G H 14, 347). In der Rechtsprechung des BGH ist der Gedanke der Sozialadäquanz noch nicht ausdrücklich anerkannt. Allerdings läßt die Bejahung des Rechtfertigungsgrundes des verkehrsrichtigen (ordnungsgemäßen) Verhaltens eines Teilnehmers am Straßenverkehr oder am Eisenbahnverkehr eine dahingehende Tendenz erkennen ( B G H 24, 2 1 ; vgl. Anm. 43). Im Hinblick auf diese Änderung der Rechtsprechung bedarf auch die Rechtsprechung zum Boykott, der nach der früheren Regel nur gegen § 826 verstieß, einer Nachprüfung (vgl. R e d e k e r NJW 1956, 1073 in Anm. zu LG Stuttgart: Aufforderung zum Käuferstreik; s. B e n i s c h NJW 1956, 1185). A n m . 31 Die A u s ü b u n g d e s ä r z t l i c h e n Berufs ist dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebe nicht gleichzustellen, soweit nicht damit das Unternehmen einer Privatkrankenanstalt zum Zwecke der Gewinnerzielung verbunden ist, das sie zum Gewerbebetrieb macht (RG 64, 155; 94, 109; 155, 239; J W 1902 Beil. Nr. 88; 1907, 491 34 ; igo8, 24g 23 ; WarnRspr ig 12 Nr. 108). Das gleiche gilt für die Ausübung des tierärztlichen und des Anwaltsberufs (RG 153, 280, 285). In R G 155, 239 bleibt allerdings dahingestellt, ob die Grundsätze über den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Anwendung finden (vgl. G i e s e k e G R U R 1950, 298, 299). A n m . 32 IV. Widerrechtlichkeit 1. A l l g e m e i n e s . Das Merkmal der Widerrechtlichkeit der Verletzung bedeutet, wie die Hinzufügung der persönlichen Schuldmerkmale „vorsätzlich oder fahrlässig" deutlich ergibt, die s a c h l i c h e ( o b j e k t i v e ) Widerrechtlichkeit (RG 50, 60; 103, 187). Der Eingriff in einen fremden Rechtskreis ist immer widerrechtlich, wenn ihm nicht eine besondere Befugnis zur Seite steht oder wenn die Handlung die Grenzen einer vorhandenen Befugnis überschreitet (RG J W 1926, 364 2 ). Der Gesetzgeber hat dadurch, daß er den Unrechtsbestand in den §§ 823 fr gesetzlich umschreibt, zum Ausdruck gebracht, daß er die Verletzung der dort genannten Rechtsgüter in der Regel als widerrechtlich ansieht. Durch den Zusatz „widerrechtlich" weist er jedoch darauf hin, daß nicht notwendig mit der Verletzung schon die Rechtswidrigkeit gegeben ist, sondern daß diese aus besonderen Gründen entfallen kann. A n m . 33 2. Rechtswidrigkeit der U n t e r l a s s u n g . Eine Rechtsverletzung kann auch durch eine Unterlassung begangen werden. Eine Unterlassung kann aber nur widerrechtlich sein, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand (RG 52, 373; 54, 53; 97, 1 1 ; 134, 23 1 . 235; I71» 58, 61; J W 1903 Beil. 39 8 1 ; 1905, 370 10 ; 1939, 487 12 ; WarnRspr 1908 Nr. 374). Eine Rechtspflicht kann begründet werden durch Gesetz, z. B. die familienrechtlichen Fürsorgepflichten (RG 70, 48; B G H VersR 1954, 118), ferner durch Vertrag
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Unerlaubte Handlungen
§823
A n m . 34
oder durch vorangegangenes, eine Gefahr schaffendes oder verstärkendes Tun, das an sich durchaus rechtmäßig sein kann ( R G 102, 4 3 ; SeufFArch 85 Nr. 6 ; WarnRspr 1916 Nr. 226; B G H 1, 383, 386: Übernahme der ärztlichen Behandlung; vgl. VersR 1957, 480; VersR 1954, 1 1 8 : aus der Teilnahme an Schießübungen eines 11jährigen Sohnes ergibt sich die Verpflichtung, unbeaufsichtigtes Schießen zu verhindern; VersR 1953, 150: Aufnahme in Haushalt; B G H St 11, 353, 356: Überlassung eines zur Tötung benutzten Messers; VersR 1956, 794). Eine Pflicht zum Handeln besteht im allgemeinen nicht, wenn dadurch für einen nahen Angehörigen die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung begründet würde ( B G H VersR 1958, 399). Die Verpflichtung zu einem Tun auf Grund eines vorangegangenen — rechtmäßigen — Handelns gilt insbesondere für die Verkehrssicherungspflichten (vgl. Anm. 45 fr). Die Kenntnis von dem Aufbewahrungsort eines abhanden gekommenen Gegenstandes verpflichtet nicht zur Offenbarung ( B G H N J W 1957, 669). A n m . 34 Wer es einem andern gegenüber v e r t r a g l i c h übernimmt, an dessen Stelle Obliegenheiten zu erfüllen, deren Vernachlässigung geeignet ist, das Leben, den Körper oder die Gesundheit dritter Personen zu verletzen, macht sich diesen dritten Personen gegenüber einer u. H. im Sinne des § 823 schuldig, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig unterläßt, für die Erfüllung jener Obliegenheiten zu sorgen ( R G 63, 308; 127, 14, 18; 156, 193; 198; i 6 5> 168; J W 1938, 176 46 , 952; WarnRspr 1912 Nr. 3 8 3 ; 1929 Nr. 47; L Z 1917, 1069 1 3 ; 1918, 6 2 3 1 ' ; Gruchot 55, 970; 70, 6 1 2 ; SeuffArch 93 Nr. 4 1 ; ferner Kiel H R R 1939 Nr. 690 betr. Haftung des Begleiters eines Dreschzuges bei Unfall im Straßenverkehr; B G H Betrieb 1954, 326: Aufbau eines teilzerstörten Hauses im Auftrage der Mieter verpflichtet auch gegenüber Hauseigentümer, die Sicherheit der Mauern zu prüfen; VersR 1956, 622); vgl. auch R G S t 10, 100 und für Ansprüche gegen den Hausverwalter: B a n d m a n n J W 1939,604. Die Verkehrssicherungspflicht als privatrechtliche Pflicht (Anm. 54) kann von einer ursprünglich nicht Pflichtigen Person mit der Folge übernommen oder mitübernommen werden, daß Verkehrsteilnehmer unmittelbar Ansprüche gegen den Übernehmer stellen können ( B G H VersR 1958, 833). Der Schuldige kann sich nicht darauf berufen, daß er die Verpflichtung nicht der Allgemeinheit, sondern nur dem Vertragsgegner gegenüber übernommen habe; er hat vielmehr dem anderen Vertragsteil gegenüber eine Pflicht gegen die Allgemeinheit übernommen ( R G 127, 14, 18; 156, 193, 198; 165, 198; vgl. auch R G 105, 302: Vertragl. Pflicht nur gegen Spediteur und u. H. gegenüber Eigentümer der Sache; B G H L M § 8 2 3 [H] Nr. 2; Bamberg VersR 1957, 133, 134). Das ist auch der Rechtsstandpunkt der Bestimmungen der §§ 831 Abs. 2, 832 Abs. 2, 834, 838. Der Umfang der übernommenen Pflichten und das M a ß der von dem verpflichteten Vertragsteil zu beobachtenden Sorgfalt kann aber nicht über den Umfang der Obliegenheiten hinausgehen, die der Vertragsgegner der Allgemeinheit gegenüber zu erfüllen hat und deren Erfüllung er an Stelle des andern übernommen hat. Soweit darüber hinaus etwa von ihm vertragliche Verpflichtungen übernommen sind, kann auf deren Verletzung ein Schadensersatzanspruch eines Dritten aus § 8 2 3 nicht gestützt werden ( R G Gruchot 70, 6 1 2 ; B G H Betrieb 1954, 273; 1954, 231 = R d A 1954, 195 m. Anm. H u e c k = L M § 823 [H] Nr. 2; VersR 1957, 235). Die a u s d e r b e r u f l i c h e n o d e r g e w e r b l i c h e n T ä t i g k e i t e n t s p r i n g e n d e V e r k e h r s p f l i c h t (Obhuts- und Überwachungspflicht), die zum positiven Handeln zwingt, gilt nur für Personen, die eine gewisse selbständige Stellung einnehmen, nicht aber dann, wenn weisungsgebundene Arbeitnehmer ihrem Dienstherrn gegenüber Aufsichtspflichten zu erfüllen haben ( B G H Betrieb 1954, 2 3 1 ) . F ü r d i e g e s e t z l i c h e Ü b e r n a h m e einer Rechtspflicht gilt grundsätzlich dasselbe wie für vertragliche Übernahme ( B G H VersR 1957, 307: Testamentsvollstrecker; wegen Verwalter fremden Vermögens, Custodian vgl. B G H 21, 285, 293; wegen Zwangsverwalter R G 97, 11; wegen Konkursverwalter R G WarnRspr 1934 Nr. 149). Wie die Verletzung von Vertragsrechten kann auch die Verletzung familienrechtlicher — gesetzlicher — Fürsorge- und Aufsichtspflichten sich als unerlaubte Handlung nach § 823 darstellen, wenn sie gleichzeitig eine Verletzung der allgemeinen Rechtspflichten enthält, die jedermann gegen jeden obliegen ( R G 75, 251). 80»
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 35—38 A n m . 35 3. Rechtfertigungsgrund a ) A l l g e m e i n e s . Das bei der Erfüllung des Tatbestandes nahegelegte Urteil der Rechtswidrigkeit muß aus besonderen Gründen zurückgenommen werden, wenn ein R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d gegeben ist ( B G H G r Z S 24, 2 1 ) . Das B G B enthält keine erschöpfende Regelung über Rechtfertigungsgründe, z. B. Notwehr, Notstand, Selbsthilfe. Das Unrecht ist ein einheitlicher Begriff. Es kann nicht die gleiche Handlung von dem einen Sachgebiet, z. B. dem bürgerlichen Recht, als verboten, von dem anderen als erlaubt betrachtet werden. Daher sind die Rechtfertigungsgründe der gesamten Rechtsordnung zu entnehmen, wie z.B. die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB. Rechtswissenschaft und Rechtsprechung haben nach und nach einzelne Rechtfertigungsgründe entwickelt, z. B. die Güterabwägung. Es gibt keinen abgeschlossenen Katalog von Rechtfertigungsgründen. V o m Schrifttum und teilweise von der Rechtsprechung wurde die Lehre von der sozialen Adäquanz entwickelt (vgl. Anm. 29) und neuerdings von der Rechtsprechung der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen, ordnungsgemäßen Verhaltens im Straßen- oder Eisenbahnverkehr (BGH 24, 2 1 ) . Der Eingriff in einen fremden Rechtskreis ist berechtigt, wenn dem Handelnden eine Befugnis zur Seite steht. Sie kann bestehen auf Grund öffentlich-rechtlicher (z. B. Gerichtsvollzieher, Waffengebrauch der Polizei) oder privatrechtlicher Regelung (z. B. aus dinglichem Recht, R G 159, 68, 74, oder aus familienrechtlichem Grund). Daß der Verletzte in einem unerlaubten Handeln begriffen ist, berührt die Widerrechtlichkeit der Schädigung nicht ( R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 420).
A n m . 36 b) öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Rechtfertigungsgründe. Be-
rechtigter Waffengebrauch, R G J W 1906, 745; vorläufige Festnahme nach § 127 StPO, R G 64, 385: jagdpolizeiliche Vorschriften, R G SeuffArch 81 Nr. 70; Beschlagnahme auf Grund behördlicher Anordnung, R G 103, 1 8 7 ; vgl. ferner R G 8 1 , 2 1 6 ; 1 0 1 , 222: Schutzhaft; militärische Hoheitsrechte, WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 255; 1 9 1 9 Nr. 1. Die Berechtigung, der Strafverfolgungsbehörde den Verdacht der Begehung einer Straftat mitzuteilen, gibt kein Recht, zugleich eine Bedingung für einen rechtswidrigen Erfolg zu setzen ( B G H L M § 823 [Da] Nr. 2); Rechtswidrigkeit der Maßnahmen zur Ausschaltung der J u d e n aus dem Wirtschaftsleben ( B G H L M §675 Nr. 6). P r i v a t r e c h t l i c h e R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e : §§859, 903; Verfügung über ein Grundstück auf Grund §§ 892, 893 ( R G 90, 395); Ausnutzung des Bergwerkeigentums im Rahmen bergpolizeilicher Vorschriften ( R G 72, 3 0 3 ; 1 6 1 , 203).
A n m . 37 c) Notwehr, Notstand, Selbsthilfe. §227 BGB; R G J W 1905, 14; 1907, 138;
1909, 664; L Z 1 9 2 1 , 218. Überschreitung der Notwehr aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken (vgl. § 53 Abs. 3 StGB) bleibt widerrechtlich, aber meist schuldlos oder Mitverschulden ( R G J W 1 9 1 1 , 5 7 8 1 2 u - 1 6 ; L Z 1 9 2 1 , 218). P u t a t i v n o t w e h r . Bei Entschuldbarkeit des Irrtums ist Verschulden ausgeschlossen ( R G 88, 1 1 8 ; J W 1906, 297; 1926, 1 1 4 5 ) . Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der in einem Raufhandel Angegriffene dem Dritten, der dabei verletzt wird, schadensersatzpflichtig ist, s. R A G 27, 1 1 2 . N o t s t a n d : §§228, 904; Putativnotstand, R G J W 1926, 1 1 4 5 . S e l b s t h i l f e : §§229, 230; Überschreitung der Grenze ist widerrechtlich ( R G J W 1 9 3 1 , 2782).
A n m . 38 d ) E i n w i l l i g u n g . Die Einwilligung des Verletzten macht die Handlung zu einer befugten, wenn dem Einwilligenden über das verletzte Rechtsgut nach sittlicher Anschauung die Verfügungsmacht zustand, z. B. Freiheit, Ehre, körperliche Unversehrtheit (§ 226a S t G B ! ) , Vermögen in verschiedenen Formen. Wo dies nicht der Fall ist, verstößt die Einwilligung gegen die guten Sitten und hebt die Widerrechtlichkeit der
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Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 39, 40
Handlung nicht auf, ebenso nicht, wenn die Einwilligung gegen ein gesetzliches Verbot verstößt ( R G 66, 306; 159, 99; B G H 7, 198: Schwangerschaftsunterbrechung; L M § 823 [Hb] Nr. 2; B a y . O b L G N J W 1957, 1245). Die Einwilligung ist auch unbeachtlich, wenn sie durch Willensmängel beeinflußt ist ( B G H 7, 198, 207; N J W 1956, 1 1 0 6 ; R G 168, 206, 210). Wegen der Einwilligung eines Minderjährigen vgl. Anm. 1 0 ; München N J W 1958, 633). Unsittlich ist die Einwilligung in die eigene Tötung, Verstümmelung, Gesundheitsbeschädigung, Freiheitsberaubung; unbedenklich, aber nötig, um der Handlung die Widerrechtlichkeit zu nehmen, die Einwilligung in eine ärztliche Operation oder sonstige ärztliche Behandlung ( R G 68, 4 3 1 ; 88, 4 2 3 ; J W 1907, 505 2 ; 1 9 1 1 , 74Ö2; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 4 3 1 ; B G H V e r s R 1959, 308 u. 3 1 9 ; N J W 1958, 267; vgl. ferner Anm. 10, auch zum U m f a n g der erforderlichen Aufklärung; Vorbem. § 6 1 1 Anm. 53). Wenn zur Beseitigung der gesundheitsschädlichen Folgen die Einnahme eines Gegenmittels erforderlich ist, entfällt widerrechtliches Handeln des das Mittel nicht verabreichenden Arztes nur bei ernstlicher, nach eindringlicher Belehrung nicht aufgegebener Weigerung des Patienten. Bei bewußtlosen oder willensunfähigen Patienten muß ein derartiges Mittel notfalls mit Gewalt verabfolgtwerden ( B G H V e r s R 1954, 98 mit Bespr. 329). Einwilligung in eine Handlung, gelegentlich deren die Verletzung erfolgt, beseitigt die Widerrechtlichkeit nicht, z.B. Ansteckung bei Geschlechtsverkehr. Unbedenklich sind auch Abmachungen über die Übernahme der Gefahren für Körper, Gesundheit, Eigentum, die aus einer eigenen oder der Tätigkeit eines anderen hervorgehen können und die nicht eine Einwilligung in die Verletzung, sondern nur einen Verzicht auf Schadensersatzansprüche daraus darstellen (vgl. darüber Vorbem. § 823 Anm. 32). Die Einwilligung in Verletzungen des Eigentums wird in der Regel nicht sittenwidrig sein (vgl. R G J W 1905, 4 9 3 1 8 ; B G H L M § 823 [Hb] Nr. 2). Bei einer sportlichen Veranstaltung begründet ein Verstoß gegen die objektiven Sportregeln die Rechtswidrigkeit ( B G H V e r s R 1957, 290: Fußballspiel).
Anm. 39 Vermutete Einwilligung.
Bei vermuteter Einwilligung glaubt der Handelnde, der Verletzte habe wirksam eingewilligt. Bei dieser irrtümlichen Annahme entfällt Verschulden nur, wenn der Irrtum selbst nicht auf Fahrlässigkeit beruht ( R G 68, 4 3 1 ; B G H 3, 270, 2 8 1 ; N J W 1956, 1 1 0 6 ; L M § 8 2 3 [Hb] Nr. 2; vgl. Anm. 9). Nimmt der Handelnde eine solche Einwilligung an, so muß er zureichende tatsächliche Anhaltspunkte haben, die den Rückschluß auf eine wirklich gegebene Einwilligung rechtfertigen.
Bei m u t m a ß l i c h e r Einwilligung weiß der Handelnde, daß der Verletzte mit
der Handlung nicht einverstanden ist, ihr nicht widersprochen hat, sich nicht äußern kann, aber nach der Sachlage, insbesondere nach seinem sonstigen Verhalten einwilligen würde, wenn er gefragt würde. Die Rechtsprechung hat die mutmaßliche Einwilligung wiederholt der positiven Einwilligung gleichgestellt ( R G 68, 4 3 1 ; 1 5 1 , 349: keine Einwilligung erforderlich, wenn Gefahr in Verzug und Anhörung des Kranken nicht möglich ist oder wenn sich im Verlauf einer Operation die ursprüngliche Diagnose als Irrtum herausstellt und ein weiterer Eingriff erforderlich ist; 163, 129, 1 3 8 ; vgl. auch B G H S t n , 1 1 1 , 1 1 4 ; Stuttgart V e r s R 1957, 469). Geschäftsführung ohne Auftrag. Z u r Frage des Ausschlusses der Rechtswidrigkeit bei Geschäftsführung ohne Auftrag, Handeln im Interesse des Verletzten vgl. R G 149, 205.
Anm. 40 e) Züchtigungsrecht.
Die Züchtigung von Kindern und Schülern erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung ( R G S t 73, 257; B G H S t 6, 263, 264; N J W 1953, 1440). Nach Reichsrecht steht ein Züchtigungsrecht den E l t e r n (§§ 1 6 3 1 , 1684—1686; vgl. R G S t 49, 388) und dem Vormunde (§ 1800), der unehelichen Mutter (§ 1707) zu, nicht mehr dem gewerblichen Lehrmeister (Gesetz zur Änderung der G e w O v. 27. 12. 1951 BGBl I 1007). Art und M a ß der Züchtigung müssen sich nach der körperlichen Beschaffenheit des Kindes, seinem Alter, der Größe der Verfehlung und nach seiner etwaigen sittlichen Verdorbenheit richten ( B G H N J W 1953, 1440). Das Züchti-
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§ 823 Antn. 41, 42
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuld Verhältnisse
gungsrecht besteht nur in den Grenzen einer angemessenen Züchtigung. Eine Übertragung des elterlichen Züchtigungsrechts ohne gleichzeitige Übertragung der elterlichen Erziehungsgewalt, wie z. B. an den Lehrer eines Internats, ist nicht möglich ( B G H St 1 2 , 6 2 ) . Ob ein Züchtigungsrecht des Lehrers begründet ist, richtet sich nach Landesrecht (aus der Rechtsprechung: R G 105, 226; R G S t 2, 10; 5, 193; 9, 302; 15, 376; 16, 34; 19, 2 6 5 ; 20, 9 3 ; 2 2 , 2 6 4 ; 2 3 , 1 6 1 ; 26, 1 4 2 ; 28, 8 5 ; 30, 1 2 6 ; 3 1 , 2 6 7 ; 33, 7 2 ; 34, 95, 1 1 8 ;
35> 182; 4 0 , 1 3 2 ; 4 1 , 9 8 ; 4 2 , 1 4 2 , 2 2 1 ; 4 3 , 2 7 7 ; 4 5 , 1; 7 3 , 2 5 7 ; J W 1 9 0 6 , 85 4 ; 1 9 1 6 , 1 8 9 ^ ; WarnRspr 1912 Nr. 163; 1939 Nr. 60; Recht 1912, 868: Überschreitung des Züchtigungsrechts aus Arger oder Erregung; für Lehrer an preußischen Fortbildungsschulen s. R G DJ 1941, 291; für den Konfirmandenunterricht s. R G S t 76, 3; für Zwangserziehungsanstalten vgl. Art. 135 EG mit R G S t 40, 9 1 ; 42, 347). Der BGH hat das Fortbestehen des Gewohnheitsrechts zur Züchtigung bejaht (Hessen). Dieses Züchtigungsrecht kann nicht durch bloße Verwaltungsanordnung aufgehoben werden ( B G H St 11, 241). Kein gesetzliches Züchtigungsrecht für Lehrer an Fachschulen, B G H S t 12, 62. Das Züchtigungsrecht ist nur dann gerechtfertigt, wenn im Einzelfall ein hinreichender Anlaß zur Züchtigung bestand und wenn der Lehrer in der Absicht richtig verstandener Erziehung handelt und wenn er die Grenze einer angemessenen Züchtigung eingehalten hat. Diese Voraussetzungen sind vom Richter nachzuprüfen ( B G H NJW 1958, 799; B G H S t 6, 263; R G DR 1943, 580; H a m m NJW 1956, 1690; J Z 1957, 452; Schleswig NJW 1956, 1002; J Z 1957, 450; Köln NJW 1952, 479; vgl. ferner Zeitschrift für Beamtenrecht 1956 Nr. 12 S. 388; R e d e l b e r g e r NJW 1952, 1158; 1955, 1305; M a y e r DVB1 1956, 469; B r u n s J Z 1957, 410; F r i e b e , Haftpflicht des Lehrers und Schulträgers 1957, S. 114, 142, 147). Uber Züchtigungsrecht gegenüber f r e m d e n K i n d e r n vgl. R G J W 1927, 2038; R G S t 76, 6; Kiel J W 1925, 2159; Hamburg LZ 1927, 1362; Breslau J W 1923, 310). A n m . 41 W a h r n e h m u n g berechtigter Interessen. Vgl. § 824, Anm. 14 — Vorbem. § 823 Anm. 79ff; vgl. ferner R G 142, 116: Zeugenaussagen; K G DRZ 1950, 418; R G WarnRspr 1913 Nr. 12; J W 1912, 1105; R G S t 62, 83, 93; 63, 202: Beleidigung durch Presse; zur Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse vgl. § 824 Anm. 20, 21, ferner N e u m a n n - D u e s b e r g J R 1957, 85; ferner Freiburg J Z 1951, 751; B G H 24, 200, 2 0 6 ; L M
UWG
§ 14 N r . 4 ; V e r s R 1956, 493; L M
§826 [Gb] Nr. 3;
§823
[Ai] Nr. 11; Köln GoltdArch 1957, 61. Der in § 193 StGB bei Ehrverletzungen gewährte Rechtfertigungsgrund regelt für einen Sonderfall die Interessenkollision, die auf dem Gebiet des Ehrenschutzes auftritt, nach einem übergeordneten Rechtsgedanken, der in allen Fällen Bedeutung gewinnt, wo im Widerstreit verschiedener Belange die Verletzung eines Rechtsguts in Kauf genommen wird. Eine Rechtfertigung anderer Eingriffe als Ehrverletzungen bildet daher der Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung (s. u.). Der Bundesgerichtshof hat die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte (Art. 17 GG, Petitionsrecht) nur soweit als Rechtfertigungsgrund anerkannt, als die in einer Eingabe aufgestellten Behauptungen nicht unwahr sind ( B G H NJW 1951, 352; vgl. dazu A r n d t NJW 1957, 1072; ferner München NJW 1957, 793 u. 795 m. Anm. H a mann). A n m . 42 g) Güter- und Pflichtenabwägung. Der Widerstreit zwischen dem verfolgten Interesse und dem Rechtsgut, das diesem Interesse aufgeopfert werden soll, ist unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung zum übergesetzlichen Notstand aufgestellten Grundsätze auszugleichen. Dieser ist gegeben, wenn die Verletzung eines Rechtsguts das einzige Mittel ist, um ein höherwertiges Rechtsgut auf Kosten eines minder hohen zu schützen (RGSt 61, 242; 62, 137; B G H S t 2, i n , 242; 3, 7). Es muß das kleinere Übel gewählt werden, wenn berechtigte Interessen nicht anders als durch Eingriffe in ein fremdes Rechtsgut wahrgenommen werden können. Rechtsverletzende Äußerungen müssen nach Inhalt, Form und Begleitumständen das gebotene und not-
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 43—45
wendige Mittel zur Erreichung des rechtlich gebilligten Zweckes bilden. Der Schutzwert des angegriffenen Rechtsguts und das Verhalten des angegriffenen Rechtsträgers sind zu berücksichtigen ( B G H 3, 270, 2 8 1 ; 13, 2 1 0 , 2 1 7 ; 24, 200, 206; L M U W G § 14 Nr. 4 ; § 823 [Ai] Nr. 1 1 ) . Irrtum über die Notwendigkeit der Schwere und des Ausmaßes des Eingriffs schließen Widerrechtlichkeit nicht aus, bei Entschuldbarkeit die Schuld. Vgl. ferner R G S t 6 4 , 10, 1 3 ; 65, 422, 4 2 7 ; 66,1; B G H 3, 270, 2 8 1 ; 8, 142, 1 4 5 ; München M D R 1956, 565 m. Anm. M i t t e l b a c h : Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht; W o e s n e r N J W 1957, 6g2.
A n m . 43 h ) V e r k e h r s r i c h t i g e s V e r h a l t e n . Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens im Straßen- und Eisenbahnverkehr: Ein Verhalten im Verkehr, das zu einer Schädigung eines Verkehrsteilnehmers führt, hält sich im Rahmen des Rechts, wenn es die für die Regelung des Verkehrs erlassenen Vorschriften beachtet ( B G H 24, 2 1 ; V e r s R 1957, 656; 1958, 320; V R S 14, 3 1 ; vgl. N i p p e r d e y N J W 1957, 1 7 7 7 ; S t o l l J Z 1958, 1 3 7 ; B o d e D A R 1957, 173). Der B G H hat in der erwähnten Entscheidung dahingestellt gelassen, ob es sich hierbei um einen Sonderfall der Anwendung des Rechtsgedankens der s o z i a l e n A d ä q u a n z handelt. Nach dieser in der Rechtslehre und teilweise in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung vertretenen Lehre scheiden alle sozialadäquaten Handlungen entweder von vornherein aus dem Tatbestand einer Rechtsverletzung aus, oder die Sozialadäquanz bildet zumindest einen Rechtfertigungsgrund. Sozialadäquat sind alle Handlungen, die sich völlig innerhalb des Rahmens der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen und von ihr gestattet werden (vgl. § 823 Anm. 28). So soll z.B. das Fahren mit einem Linienomnibus keine Freiheitsberaubung darstellen, ebenso sollen keine u. H . die unvermeidbaren Rechtsgutverletzungen im Rahmen der Sozialordnung des Gemeinschaftslebens wie z.B. im wirtschaftlichen Wettbewerb oder im Arbeitskampf sein ( B A G 1, 291, 300; Betrieb 1959, 1 4 3 ; vgl. hierzu und auch zu der Auswirkung auf die Lehre von der Fahrlässigkeit N i p p e r d e y N J W 1957, 1 7 7 7 ; B a u m a n n M D R 1957, 646; W u s s o w N J W 1958, 8 9 1 ; s. a. Anm. 6). Den Beweis f ü r das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes des verkehrsrichtigen Verhaltens hat der Verletzer zu führen.
A n m . 44 D i e B e w e i s l a s t . Die Beweislast für die Widerrechtlichkeit der Handlung trifft ebenso wie für das Verschulden des Täters an und f ü r sich den Geschädigten. Doch ist die Rechtsverletzung durch positives T u n selbst von vornherein widerrechtlich, und deshalb sind die Umstände, die sie nach der besonderen Sachlage berechtigt erscheinen lassen, besonderes Recht, Notwehr, Notstand, erlaubte Selbsthilfe, Einwilligung, von dem Täter nachzuweisen; für Notwehr, Notstand und Selbsthilfe ist dies im Gesetz selbst ausgesprochen. Dasselbe muß aber auch bei einer in Ausübung eines Amtes vorgenommenen Handlung (des Lehrers, des Polizeibeamten) gelten. Die in R G J W 1906, 745 1 5 vertretene Auffassung, die Widerrechtlichkeit müsse in solchen Fällen besonders nachgewiesen werden, sofern nicht die Art der Rechtsverletzung eine Überschreitung der amtlichen Befugnisse von vornherein außer Zweifel stelle, ist schon in R G J W 1907, 138 2 0 wieder aufgegeben, und an dem im letzteren Urteil vertretenen Standpunkt ist auch später festgehalten worden ( R G SeuffArch 81 Nr. 50; vgl. auch R G WarnRspr 1926 Nr. 1 1 2 ) . Die Beweislast für Überschreitung des Notwehrrechts hat der Geschädigte ( R G L Z 1 9 2 1 , 218). Wer sich auf Putativnotwehr beruft, muß Entschuldbarkeit des Irrtums beweisen ( R G 88, 1 1 8 ) . Über den Beweis der Widerrechtlichkeit bei § 831 vgl. BGH 24, 2 1 ; § 831 Anm. 19.
A n m . 45 V. Verkehrspflichten Unabhängig von den durch Gesetz oder durch Vertrag oder aus sonstigen Rechtsgründen auferlegten Verpflichtungen (z.B. durch eine Polizeiverordnung auferlegte Streu- oder Beleuchtungspflicht R G 124, 404; 165, 1 5 5 , 159), besteht eine nach der
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Verkehrsansicht anzunehmende a l l g e m e i n e P f l i c h t , gewisse Tätigkeiten so zu regeln, daß Schädigungen Dritter vermieden werden. Die Unterlassung dieser Vorsorge ist rechtswidrig. Wer eine für den allgemeinen Verkehr bestimmte Tätigkeit ausübt, die besondere Sachkunde oder Fürsorge erfordert, haftet für den Schaden, der aus der Unterlassung der von ihm mit der Ausübung der Tätigkeit versprochenen Fürsorgepflicht entsteht. Hinzukommen muß natürlich als weitere Voraussetzung das Verschulden des Schädigers. Da es sich um die Verletzung von Vorschriften handelt, die der Sicherung des Verkehrs dienen, der Umfang dieser Pflichten sich u. a. nach dem jeweiligen Zustand der Erfahrung und Technik richtet, wird mit der Bejahung der Verletzung einer Fürsorgepflicht meist zugleich der Vorwurf der Fahrlässigkeit begründet sein. Daß dieselbe Frage nämlich das verkehrsrichtige Verhalten auf dem Gebiet der Rechtswidrigkeit und zugleich der Schuld Bedeutung gewinnt, ist bedingt durch die Fassung und rechtliche Einordnung des Fahrlässigkeitsbegriffs im BGB (vgl. B G H 24, 21). Diese Pflichten entspringen letztlich der Tatsache, daß durch das vorausgegangene Tun, z. B. Eröffnung eines Verkehrs oder des Betriebs einer gefährlichen Maschine, eine Gefahrenquelle geschaffen wurde, so daß Maßnahmen ergriffen werden müssen zur Abwehr der Schädigung Dritter, die sich aus der gefahrdrohenden Tätigkeit oder aus der Schaffung eines gefahrdrohenden Zustandes ergeben ( R G 121, 404; Hamburg NJW 1956, 1922). Diese Pflicht greift insbesondere dann ein, wenn der für die Schaffung der Gefahrenquelle Verantwortliche wegen Fehlens der sonstigen Voraussetzungen einer u. H., insbesondere wegen Fehlens eines V e r s c h u l d e n s , nicht schon wegen positiven H a n d e l n s in Anspruch genommen werden kann ( R G 163, 26). A n m . 46 1. Führung eines Gewerbebetriebes, Innehabung gefährlicher Gegenstände. Besondere, über die allgemeine Pflicht eines jeden hinausgehende Fürsorgepflichten ergeben sich aus der Führung eines Gewerbebetriebes gegenüber den Personen, mit denen der Gewerbetreibende auch ohne vertragliche Beziehungen vermöge seines Gewerbes in Berührung kommt ( B G H VersR 1954, ioo), ferner — unabhängig von dem Bestehen eines Gewerbebetriebes — aus der I n n e h a b u n g von G e g e n s t ä n d e n , die ihrer Natur nach Gefahren mit sich bringen können. Dadurch wird eine Verantwortlichkeit für Unterlassungen begründet. Der G e w e r b e t r e i b e n d e übernimmt eine allgemeine Verantwortung dafür, daß für seine Berufsausübung ein geordneter Verlauf gewährleistet ist (BGH L M § 823 [H] Nr. 2). Die Sorgfaltspflicht trifft ihn für alle Handlungen, die in den Kreis seiner gewerblichen Betätigung fallen (BGH L M § 823 [Eh] Nr. 3). Seine Sorgfaltspflicht geht über die allgemeine Pflicht eines jeden (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 1) hinaus. Der Unternehmer ist auch bei einem Großbetrieb nicht völlig von der Pflicht zur eigenen Aufsicht befreit, wenn er die Beaufsichtigung einem Angestellten übertragen hat. Er kann sich aber für Routinearbeiten durch einen tüchtigen Vertreter vertreten lassen (RG J W 1913, 33; vgl. § 831 Anm. 29). Diese Pflicht besteht unabhängig von Schutzmaßnahmen der Polizei (BGH L M § 276 [Cd] Nr. 5). Eine allgemeine Rechtspflicht trifft jedoch nur solche Personen, die im Berufs- oder gewerblichen Leben eine gewisse selbständige Stellung erlangt haben, nicht weisungsgebundene Arbeiter oder Angestellte (BGH Betrieb 1954, 231). Wer gewerbsmäßig die Lagerung oder Beförderung von Sachen betreibt (Lagerhalter oder Spediteur), ist auch ohne Vertrag verpflichtet, in seine Obhut gelangte fremde Sachen vor Verlust, Zerstörung oder Beschädigung zu schützen, obwohl sonst eine allgemeine Rechtspflicht zum Schutze des fremden Eigentums nicht besteht (RG 102, 38, 42; 105, 302, 304; 120, 1 2 1 ; H R R 1928 Nr. 1802; B G H 9, 301, 307; VersR 1954, 100). Die Eisenbahn darf keine Wagen in Umlaufsetzen, die mangels Reinigung von Giftrückständen Menschen oder Tiere gefährden können (BGH 17, 214,219). Wegen der Haftung der Eisenbahnund Straßenbahnunternehmen aus ihrer Teilnahme am öffentlichen Verkehr vgl. Anm. 79, 80). Eine Molkerei darf keine Milch ohne Pasteurisierung abgeben, wenn Verdacht auf Tuberkulose besteht (BGH L M § 823 [Eh] Nr. 3 = VersR 1954, 100). Hersteller von Maschinen haften bei einer die Betriebssicherheit mindernden Bauweise (RG DR
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 46
1940, 1293; B G H VersR 1952, 357; 1956, 625; BB 1956, 575). Haftung des Herstellers eines Kraftfahrzeugs, R G 163, 21, 26; D R 1940, 1293; B G H VersR 1954, 100. Solche Sorgfaltspflichten treffen die U n t e r n e h m e r v o n g e w e r b l i c h e n B e t r i e b e n u n d A n l a g e n , d i e m i t b e s o n d e r e n G e f a h r e n v e r k n ü p f t s i n d , namentlich wenn die gefährlichen Teile K i n d e r n zugänglich sind (RG J W 1906, 547 1 3 ; 1908, 745"; 75 8 5 u. 1037 2 ; WarnRspr 1908 Nr. 469 u. 5 1 5 ; 1909 Nr. 92 u. 205; 1914 Nr. 13; L Z 1922, 617 2 ; Grenzen R G J W 190g, 461 1 9 und WarnRspr 1909 Nr. 205; B G H VersR 1957, 805). Besonders geeignete Schutzmaßnahmen sind zu treffen für Zeiten der Arbeitsruhe oder wenn Kinder z. B. auf einer Baustelle zu Arbeiten herangezogen werden (Oldenburg M D R 1956, 738). In der Regel besteht eine Verkehrssicherungspflicht nur für die eigentliche Arbeitszeit, z.B. in einem Neubau (BB 1956, 771). Der Inhaber einer Anlage, aus der große Gefahren für die Umwohner entstehen können, hat die allgemeine Pflicht, gegen Gefahren zu schützen (RG DJ 1939, 270). Warnung vor Blindgängern auf Kohlenhalden, B G H L M § 823 [Ea] Nr. 3; Haftung des Inhabers eines Holzlagers für Unfälle bei Benutzung einer Vorrichtung, die er f ü r die Besichtigung der Hölzer zur Verfügung gestellt hat, Gruchot 71, 257; M a ß n a h m e n bei Sprengarbeiten, B G H Betrieb 1958, 1358; Vorsichtsmaßregeln zur Sicherung von in einem Fabrikbetrieb vorübergehend beschäftigten Arbeitern eines anderen Unternehmers, R G H R R 1929 Nr. 1092. Der Landwirt, der eine landwirtschaftliche M a schine arbeiten läßt, m u ß dafür sorgen, d a ß (auch in seiner Abwesenheit) Kinder in der Nähe der Maschine nicht geduldet werden ( B G H VersR 1953, 150; O G H 2, 65, 7 1 ) ; die Maschine so einzurichten und aufzustellen, daß kein Unbefugter an sie herankommen und in das Getriebe eingreifen kann, kann ihm nicht zugemutet werden ( R G J W 1931, 2562 2 ). Beschädigung eines Kindes durch eine Mähmaschine, R G H R R 1930 Nr. 1319. Entfernung eines Kindes aus dem Gefahrenbereich einer Maschine, R G J W 1931, 2562; Sicherheitsvorkehrungen bei einer Kreissäge, B G H VersR 1953, 196; Verkehrssicherungspflicht für Verladekran, B G H BB 1957, 165; Uberprüfung der Betriebssicherheit eines Fahrstuhls, B G H BB 1957, 166; Ingangsetzung einer Maschine, mit deren Betrieb Gefahren verbunden sind, B G H L M § 276 [Cd] Nr. 1; VersR 1955, 380. Bei mehreren an einem Neubau beteiligten Firmen hat jede die für ihren Bereich erforderlichen Sicherheitsmaßregeln zu treffen ( B G H N J W 1957, 499)- An B a u s t e l l e n wird der Verkehrssicherungspflicht im allgemeinen durch Anbringung von Betretungsverboten genügt ( B G H N J W 1957, 499), auch bei Maschinenräumen (Schleswig SchlHA 1957, 232). Nicht feststehende Sachen sind gegen Umfallen zu sichern ( R G H R R 1933 Nr. 1 1 8 1 ) . W i d e r r e c h t l i c h zum Zwecke von Diebstählen und ähnlichen Handlungen eingedrungenen Personen haftet auch der Unternehmer gefährlicher Anlagen nicht wegen Vernachlässigung von Sicherungsmaßregeln (RG LZ 1918, 1577), aber bei Eindringen von Kindern ( B G H VersR 1957, 805). Pflichten des Eigentümers einer von ihm als gebraucht erworbenen, gewerblich benutzten D a m p f l o k o m o b i l e in bezug auf die Prüfung der Bauart der Maschine, insbesondere des Funkenfängers, R G 145, 374. Mit der Größe der Gefahr wächst auch das M a ß der im Verkehr zu erfordernden Sorgfalt. Der Inhaber einer Anlage, z.B. einer B e n z i n t a n k s t e l l e , aus der große Gefahren für die Umwohner entstehen können, hat die allgemeine Pflicht, die Nachbarschaft nach Möglichkeit zu schützen; es m u ß von ihm als erfahrenem F a c h m a n n ein höherer Grad von Vorsicht und Voraussicht verlangt werden als von Laien (RG DJ 1939, 270). Ein erhöhtes M a ß von Sorgfalt ist auch in bezug auf die Gefährdung durch e l e k t r i s c h e L e i t u n g e n zu verlangen. Bei der Anlage und dem Betrieb einer elektrischen Leitung m u ß die im Verkehr erforderliche Sorgfalt angewendet werden, um andere gegen die von der Leitung ausgehenden besonderen Gefahren zu schützen (RG SeuffArch 79 Nr. 168). Eine ganz besondere Sorgfalt in bezug auf Einrichtung und Betrieb m u ß der Unternehmer einer Starkstromanlage dort anwenden, wo die elektrische Leitung einen öffentlichen Weg kreuzt; hierüber u n d über die rechtliche Bedeutung der Vorschriften für die Errichtung und den Betrieb elektrischer Stromanlagen s. R G 147, 353; J W 1938, 1254 2 . Kletterabwehrschutz an Starkstromleitungsmasten, R G J W 1935, 2628®; Sicherung einer die Ortsstraße berührenden Starkstromleitung, R G H R R 1932 Nr. 444; Haftung einer Elektrizitätsgesellschaft für Viehschäden
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§ 823 A n m . 46
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
durch ihre Hochspannungsleitung, Königsberg H R R 1939 Nr. 1022. Betriebe mit elektrischen Hochspannungsanlagen bedürfen einer dauernden Aufsicht durch Fachleute, wenn dort Arbeiten von Laien ausgeführt werden, die in die Gefahr einer Berührung mit der elektrischen Leitung kommen können (RG 147, 353; J W 1936, 2861 8 ; 1938, 1254). Der Unternehmer der einen Kanal überquerenden Hochspannungsleitung kann sich nicht damit entlasten, daß die Anlage von der zuständigen Behörde genehmigt und von der Wasserpolizei nicht beanstandet worden ist (RG J W 1936, 2911 3 ). Über das Maß der bei Gefahr umfangreicher Leistungsstörungen durch eine Naturkatastrophe gebotenen Sorgfalt s. Düsseldorf J W 1939, 287 16 . Über Haftung des Unternehmers bei Hochspannungsleitungen s. auch W e r n e b u r g D G W K 1940, 87. — Der Unternehmer eines G a s w e r k s ist verpflichtet, seine verlegten Leitungen dauernd zu überwachen, insbesondere wenn jemand in der Nähe Arbeiten ausführt, dafür zu sorgen, daß die Leitung unbeschädigt bleibt und kein gefahrdrohender Zustand entsteht (RG 63, 375; J W 1938, 525 28 ). Zur Haftung von Personen- und Sachschäden durch E l e k t r i z i t ä t s und G a s a n l a g e n s. auch § i a HpflG, eingefügt durch G v. 1 5 . 8 . 1943 R G B l I, 489, amtliche Begründung D J 1943, 430, auch D ä u b l e r ebenda 414. Unternehmer gewerblicher Anlagen müssen Maßnahmen zum Schutze gegen A b g a s e , A b w ä s s e r usw. treffen (RG H R R 1935 Nr. 1 7 1 : Fischsterben durch Abwässer; R G 159, 68: Vernichtung von Bienenvölkern durch Hüttenrauch; Köln VersR 1956, 733: Abwehr von Gefährdungen der Autobahn durch Eigentümer einer die Autobahn gefährdenden Anlage). Den Hauseigentümern und den Bau- und sonstigen Unternehmern, die a n d e r ö f f e n t l i c h e n S t r a ß e B a u a r b e i t e n o d e r a n d e r e den V e r k e h r b e e i n t r ä c h t i g e n d e A r b e i t e n ausführen lassen, obliegt die Pflicht, Vorkehrungen zur Sicherung des Verkehrs zu treffen (Hamm VersR 1957, 400: Bauarbeiten auf Autobahn), für gefahrlose Beschaffenheit der Baugerüste und des Bauzauns (RG J W 1907, i o 1 1 ; L Z 1918, 624 1 8 ; 1921, 2684), für Schutzmaßregeln bei Dachausbesserungen (RG J W 1905, 20 2 0 ; 1907, 673'; 1910, 747 4 ; WarnRspr 1919 Nr. 169), für Vermeidung von Verkehrsstörungen durch Verkehrshindernisse (RG L Z 1922, 159 2 ; Gruchot 70, 612) Sorge zu tragen. Absperrung und Kennzeichnung von Arbeitsstellen bei Dunkelheit, R G H R R 1942 Nr. 147, dort auch über den Begriff Dunkelheit; ungesicherte Pfanne mit ungelöschtem Kalk, Köln VersR 1958, 422; Teerkessel, B G H VersR 1957, 805. Sicherung des Publikums gegen Herabfallen des Schuttes von Baugerüsten, R G H R R 1931 Nr. 1843; Kanalisationsarbeiten, B G H VersR 1957, 393. Über die Verpflichtung der Post zur Verkehrssicherung beim Telegrafenbau, R G H R R 1934 Nr. 801; zur Unterhaltung der Telegrafenstangen, B G H 12, 94; Haftung für Kabelstein im Bürgersteig, B G H VersR 1959, 68. Der große Umfang eines Baubetriebs befreit den Unternehmer auch dann nicht von der Pflicht zu eigener Aufsicht, wenn er die Bauaufsicht einem zuverlässigen Angestellten übertragen hat; die Aufsicht muß sich auch auf die zur Sicherung des Verkehrs erforderlichen Maßnahmen erstrecken (RG H R R 1931 Nr. 1217). Der Hausbesitzer ist aber regelmäßig gedeckt, wenn er die Arbeit einem als zuverlässig geltenden Handwerksmeister übertragen hatte (RG J W 1910, 747 4 ; B G H N J W 1958, 627). Ebenso haften Grundstückseigentümer für Schäden, wenn sie Gegenstände an der Straße aufstellen, die durch Umfallen gefährlich werden können (RG 59, 203; WarnRspr 1910 Nr. 330), oder Wagen zur Nachtzeit unbeleuchtet auf der Straße stehen lassen (RG J W 1909, 1348). Auch der Eigentümer, der sein Grundstück andern zur Ausnützung überläßt, wird dadurch seiner Verpflichtungen, für die Verkehrssicherheit zu sorgen, nicht schlechthin enthoben (RG L Z 1921, s8 2 ). Bei der Vornahme baulicher Änderungen trägt der Hauseigentümer die Verantwortung für das Vorhandensein von Einrichtungen, die zur Sicherung des Verkehrs erforderlich sind; die Auffassung der Polizeibehörde über Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit eines Bauwerks ist dabei nicht unbedingt entscheidend, aber in Zweifelsfällen für die Frage des Verschuldens beachtlich (RG J W 1936, 2652 1 1 ). Wer Vorrichtungen, z.B. eine Markise, über die Straße anbringt oder für seine Zwecke benutzt, muß ihrer Herstellung und Erhaltung besondere Sorgfalt zuwenden, insbesondere auch für ihre regelmäßige Untersuchung auf Unversehrtheit und auf Ungefährlichkeit für das Publikum sorgen (RG J W 1930, 194 2 ). Haftung des Hausbesitzers für Schädigung anderer durch in die Straße
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Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 47, 48
vorspringende Vorgärten, R G 89, 120; für dörfliche Verhältnisse aber auch R G H R R 1941 Nr. 72. Aus der Tatsache der I n n e h a b u n g g e f ä h r l i c h e r G e g e n s t ä n d e folgt, daß der Eigentümer und neben ihm jeder Verfügungsberechtigte dafür zu sorgen haben, daß die Gegenstände in sachgemäße Obhut genommen werden. Geladene Waffen und Munition dürfen an Dritten zugänglichen Orten nicht abgelegt werden ( R G J W 1937, 1490; 1927, 8 9 1 : unvorsichtiges Hantieren mit Gewehr; R G 156, 140: Sorgfaltspflicht bei Fehlern am Gewehr; R G 82, 206 und J W 1 9 1 5 , 27: Unfall bei Böllerschießen; B G H 12, 94: verkehrssichere Unterhaltung der Telegrafenstangen; B G H V e r s R 1959, 68: Haftung der Post für Kabelstein auf Bürgersteig). Halter und Fahrer von K r a f t v e r k e h r s m i t t e l n müssen eine Benutzung durch Unbefugte, insbesondere ihre Benutzung zu Schwarzfahrten, verhindern ( R G 135, 149, 1 5 5 ; 136, 4, 1 1 ; 138, 320; J W 1 9 3 1 , 1468, 3 3 2 2 ; 1932, 3709, 3 7 1 2 ; 1934, 1647; 1936 444; H R R 1932 Nr. 1872; B G H V e r s R 1955, 184, 1957, 24; 1958, 328, 4 1 3 ; 1959, 1 7 9 : Leichtmotorrad; Betrieb 1958, 4 1 3 ; M D R 1958, 4 1 9 ; L M § 823 [De] Nr. 2 = N J W 1952, 1091). Wegen des Verhältnisses der Haftung aus § 823 zu der Haftung aus § 7 Abs. 3 S t V G vgl. R G 136, 15, 1 7 ; 138, 320, 3 2 3 ; J W 1938, 952; SeufTArch 88 Nr. 1 0 5 ; vgl. § 831 Anm. 17. Die Ermöglichung der Finanzierung des Kaufs eines Motorrades durch Minderjährige verpflichtet zur Verhinderung des Fahrens ohne Führerschein (Frankfurt N J W 1956, 1 1 5 5 ) . Gebrauchte Kraftwagen müssen beim K a u f auf ihre Fahrsicherheit geprüft werden ( R G J W 1933, 2393). Daß durch an sich ungefährliche Gegenstände Dritte — auch Kinder — bei besonders unvorsichtigem und unvernünftigem Handeln sich verletzen können, begründet für deren Eigentümer noch keine Schadensersatzpflicht ( R G J W 1909, 4 6 1 ; WarnRspr 1909 Nr. 205). Welche Vorkehrungen zu treffen sind, richtet sich nach den Maßstäben eines gesunden und ordnungsmäßigen Verkehrs, wobei auf die Verhältnisse und Anschauungen des in Betracht kommenden Verkehrskreises Rücksicht zu nehmen ist, soweit diese dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger dieser Kreise entsprechen ( R G 95, 1 6 ; 126, 329, 3 3 1 ; O G H 2, 65, 7 1 ; B G H V e r s R 1953, 150). Die Anforderungen bemessen sich nach dem derzeitigen Stand der technischen Entwicklung ( B G H V e r s R 1954, 100 = L M § 823 [Eh] Nr. 3). Vgl. Anm. 5 1 . Auch wenn die Polizei aus eigenem Befinden Sicherungsmaßnahmen gegen die Gefahren trifft, z. B. Absperrungen bei gefährlichen Arbeiten, muß der Unternehmer selbständig dafür sorgen, daß durch die von ihm verursachten Gefahren kein anderer zu Schaden kommt ( B G H Betrieb 1958, 1358).
Anm. 47 2. Ausübung bestimmter Berufe. Eine Fürsorgepflicht ist ferner bei der Ausübung bestimmter Berufe gegeben. So bei der Ausübung der ä r z t l i c h e n Tätigkeit ohne vertragliche Grundlage, z. B. der Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Fürsorgepflicht in einem Krankenhaus ( R G 1 1 2 , 294; 1 1 8 , 4 1 ; 126, 2 5 3 ; B G H 4, 138). Ein Arzt ist in der Regel einem Kranken gegenüber nicht zur Behandlung verpflichtet. Bei Übernahme der Behandlung haftet er für die Unterlassung von Maßnahmen, die die ärztliche Wissenschaft erfordert ( R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 226; B G H 1, 3 8 3 , 3 8 6 ) . Ähnliche Regeln gelten für die tierärztliche Tätigkeit ( R G 102, 3 7 2 ; B G H V e r s R 1954, 100 = L M § 823 [Eh] Nr. 3).
Anm. 48 3 . V e r k e h r s s i c h e r u n g s p f l i c h t e n . Der Grundsatz, daß aus einem vorangegangenen gefahrschaffenden T u n sich die Pflicht zu Maßnahmen zwecks Gefahrenabwehr ergibt, hat somit zur Aufstellung einer der Sicherheit des Zusammenlebens im weitgehenden Maße dienenden Zahl von V e r k e h r s p f l i c h t e n geführt. Wenn danach nach der konkreten Sachlage eine Gefahr für Dritte besteht, hat derjenige hierfür einzustehen, der die Gefahrenlage schafft, indem er den gefährlichen Zustand herbeigeführt hat oder andauern läßt ( B G H V e r s R 1955, 380 = L M § 8 2 3 [De] Nr. 19). Einen Unterfall dieser Verkehrspflichten bildet die V e r k e h r s s i c h e r u n g s p f l l c h t .
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§ 823 A n m . 49
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 49 a) Verkehrseröffnung. W e r a u f d e m i h m g e h ö r i g e n o d e r s e i n e r V e r f ü g u n g u n t e r s t e h e n d e n G r u n d u n d B o d e n ( R G 54, 5 3 ; J W 1907, 3 3 2 ' ; W a r n R s p r 1 9 1 0 Nr. 438) e i n e n V e r k e h r f ü r M e n s c h e n e r ö f f n e t , sei es auch nur einen beschränkten Verkehr, m u ß auch f ü r die Verkehrssicherheit Sorge t r a g e n ; die Zweckbestimmung erzeugt die Verantwortlichkeit ( R G 54, 53; 68, 358; 106, 340; 118, 9 1 ; J W 1911, 42 2 8 u n d 759 1 7 ; 1913, 736*; J W 1916, 2Ö3 9 ; W a r n R s p r 1912 N r . 383; 1 9 1 7 Nr. 240). D e r Satz gilt f ü r O r t s - u n d L a n d s t r a ß e n , f ü r P l ä t z e u n d B r ü c k e n , aber auch f ü r d a s I n n e r e v o n G e b ä u d e n , z. B. Dienstgebäude, T h e a t e r , Eisenbahn u n d Gastwirtschaften, die ihrer Bestimmung nach d e m Verkehr von Menschen geöffnet sind. E i n P r i v a t p l a t z oder P r i v a t w e g , der d e m Privatverkehr dient, m u ß gegenüber den befugten Benutzern in verkehrssicherem Zustand gehalten werden (vgl. H a m b u r g M D R 1957, 423: Benutzung eines Privatkais ohne Erlaubnis; O l d e n b u r g BB 1 9 5 7 , 562). Die E r ö f f n u n g d e s V e r k e h r s setzt einen Willensakt des Verfügungsberechtigten voraus, vermöge dessen der G r u n d u n d Boden d e m Verkehrszwecke gewidmet u n d bestimmt wird, der aber auch d u r c h stillschweigende Willenserklärung, die in d e r tatsächlichen W i d m u n g liegt, erfolgen k a n n ( R G 54, 53). Der W i d m u n g steht eine bloße freundnachbarliche oder unverbindliche u n d widerrufliche D u l d u n g nicht gleich; doch kann beim Obwalten eines anerkannten Verkehrsbedürfnisses in der f o r t g e s e t z t e n D u l d u n g die stillschweigende Willenserklärung einer W i d m u n g gefunden werden ( R G 54, 5 3 ; J W 1907, 364 1 2 ; 1908, 744 1 3 ; W a r n R s p r 1908 Nr. 373; 1 9 1 1 Nr. 1 1 7 ) . Stillschweigendes Dulden des Parkens fremder Kraftfahrzeuge im Hof, R G J W 1 9 3 1 , 3446; d a u e r n d e Benutzung eines Privatwegs, B G H 25, 271. D a ß der Verkehr ein allgemeiner sei, wird nicht erfordert, auch die E r ö f f n u n g eines nur b e s c h r ä n k t e n V e r k e h r s verpflichtet in d e m Umfange, in d e m das Grundstück d e m Verkehr bestimmt w u r d e ( R G 88, 433; J W 1916, 263»; 29, 739; 3 1 , 3325; L Z 1918, 44»). W e r auf einem n u r einem beschränkten Verkehr gewidmeten öffentlichen Weg einen weitergehenden Verkehr eröffnet, z. B. d u r c h Tanzveranstaltungen abseits der öffentlichen Straße, ist verkehrssicherungspflichtig ( B G H VersR 1953, 336). Die von T r ü m m e r s c h u t t befreiten Baugrundstücke sind in der Regel nicht d e m Verkehr gewidmet ( M ü n c h e n N J W 1951, 123). Bei einem Mietshaus in einer geplanten Straße haftet die Stadtgemeinde u n d der Vermieter f ü r einen vorläufig gefahrlosen Z u g a n g ( R G 165, 1 5 5 ; D R 1941, 204). Die Vermietung oder V e r p a c h t u n g von R ä u m e n z u m Zwecke der Benutzung erzeugt d e m Mieter oder Pächter u n d seinen Angehörigen sowie Haus- u n d Gewerbegehilfen gegenüber ohne weiteres die Rechtspflicht, auch f ü r eine sichere Benutzung Sorge zu tragen (vgl. V o r b e m . § 823 A n m . 23; R G W a r n R s p r 1 9 1 5 N r . 233 u n d die vorangeführten Entsch.). Diese V e r p f l i c h t u n g t r i f f t , abgesehen von Eigentümern ( R G 95, 61), j e d e n , d e r tatsächlich u n d rechtlich die Möglichkeit besitzt, selbständig die f ü r die V e r k e h r s s i c h e r h e i t e r f o r d e r l i c h e n M a ß n a h m e n z u t r e f f e n , z. B. Gastwirte f ü r Zugänge zu Gastwirtschaften ( R G 92, 359; B G H 9, 373, 383). D a n e b e n haftet der Hauseigentümer ( R G J W 1919, 106). Die Verkehrssicherungspflicht f ü r ein z u m eingebrachten G u t gehörendes Mietshaus traf in der Regel n u r den E h e m a n n , nicht auch die Ehefrau ( B G H 5, 378); bei Zwangsverwaltung haftet der Zwangsverwalter ( R G 93, 1; B G H 5, 378, 382; vgl. L M 823 [H] Nr. 2). Der M i e t e r (Pächter) haftet gegebenenfalls denen, die in den i h m überlassenen R ä u m e n verkehren. A n die Verkehrssicherheit der inneren R ä u m e einer Privatwohnung sind allerdings geringere Anforderungen zu stellen, als etwa an T r e p p e n u n d Flure in öffentlichen G e b ä u d e n ( R G J W I 935> 2 73 2 )- Bei ö f f e n t l i c h e n G e b ä u d e n müssen hinter die Erfordernisse der Verkehrssicherheit, zu denen eine geregelte Ü b e r p r ü f u n g d u r c h leitende Beamte gehört, auch die Gebote der Sparsamkeit zurücktreten ( R G J W 1938, 2813 9 ). Ein S p o r t v e r e i n , der in Erfüllung des Vereinszwecks einen Spielplatz eingerichtet hat, m u ß nicht nur f ü r die Sicherheit der auf d e m Platz verkehrenden Personen sorgen, sondern auch die aus d e m G e b r a u c h des Spielplatzes entstehenden Gefahren von der N a c h b a r schaft fernhalten, z. B. d u r c h hinausfliegende Fußbälle, er haftet dabei unter U m s t ä n d e n auch f ü r Personen, die den Platz unbefugt benutzen ( R G 138, 21). H a f t u n g des Schiffers f ü r Schäden d u r c h eine a m Landungssteg ordnungswidrig angebrachte Anzeigetafel s. K G J W 1938, 23 58 40 . Die Verkehrssicherungspflicht des Eigentümers eines F r i e d h o f s
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erstreckt sich nicht nur auf die Hauptwege, sondern auch auf Nebenwege und Steige und besteht gegenüber allen Besuchern des Friedhofs; sie erfordert namentlich auch, daß die Sicherheit der Grabdenkmäler vor Umsturz von Zeit zu Zeit überprüft wird (Kiel H R R 1940 Nr. 1387). Für Gemeindefriedhöfe s. R G J W 1 9 1 1 , 981 1 4 . Zur Haftung eines Grabstätteninhabers und des Steinsetzmeisters für Kippen eines Grabmals Bamberg VersR 1957, 523. Wegen der Verkehrssicherungspflicht für Badeanstalten, Sportplätze vgl. Anm. 72. A n m . 50 Die Haftung besteht nur gegenüber den Personen, die sich so am Verkehr beteiligen, wie es im normalen Verkehr vorgesehen ist, also gegenüber a l l e n P e r s o n e n , d i e a u s e r l a u b t e m , e i g e n e m I n t e r e s s e das G r u n d s t ü c k b e t r e t e n , n i c h t g e g e n ü b e r U n b e f u g t e n und nicht bei mißbräuchlicher Benutzung der geschaffenen Einrichtungen, z. B. bei unbefugtem Klettern an Baugerüsten ( R G J W 190g, 4 6 1 ; O G H 2, 65, 7 1 ; B G H N J W 1957, 499: Sicherung einer Baustelle; VersR 1957, 268; BB 1956, 7 7 1 : Keine Sicherungspflicht eines Bauunternehmers außerhalb der Arbeitszeit; K G VersR 1957, 722: keine Haftung für Unfälle auf ordnungsgemäß abgesperrtem Gelände innerhalb einer öffentlichen Badeanstalt), jedoch ist bei Duldung eines an sich nicht gestatteten Verkehrs vor Gefahren zu warnen ( B G H L M § 823 [Ea] Nr. 3). Wenn ein Weg trotz Verbotsschilder benutzt wird, müssen Maßnahmen zum Schutze der Besucher ergriffen werden, wenn auf dem Wege eine besondere Gefahrenquelle geschaffen wurde ( B G H VersR 1956, 794). Wenn Kinder unbefugt eine örtlichkeit immer wieder betreten, müssen geeignete Abwehrmaßnahmen ergriffen werden ( B G H VersR 1957, 518. 79°) • A n m . 51 Das M a ß der anzuwendenden Sorgfalt, also Inhalt und Umfang der durchzuführenden Maßnahmen, richten sich nach der Lebhaftigkeit des Verkehrs, nach Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges (Durchgangsstraße!) und nach den örtlichen Verkehrsverhältnissen, auch den Zeitverhältnissen, z. B. Krieg ( B G H 1, 99; VersR 1956, 158; vgl. D a n c k e l m a n n N J W 1956, 905). Es muß das getan werden, was zur Sicherung desjenigen Verkehrs erforderlich ist, der nach den konkrteen Verhältnissen zu erwarten ist, dem Verkehr, dem z. B. eine Wegefläche gewidmet ist ( B G H L M § 823 [De] Nr. 18; VersR 1956, 158, 7 1 1 ) . Der gesteigerte Kraftfahrzeugverkehr erhöht auf den Durchgangsstraßen einer Gemeinde und auf den Hauptverkehrsstraßen die Anforderungen an die Sicherheit des Fahrwegs, z. B. wird eine Streupflicht an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen der Fahrbahn begründet ( B G H VersR 1956, 158). Es ist auf die Verhältnisse und Anschauungen der in Betracht kommenden Verkehrskreise Rücksicht zu nehmen, soweit diese dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger dieser Kreise entsprechen ( R G 95, 16; 126, 329; B G H VersR 1953, 150; 1954, 5 3 1 ; 1955, 82: Anbringen eines Schneegitters auf dem Dach). Dieselben Grundsätze gelten ganz allgemein auch für den Umfang der sonstigen Verkehrspflichten, z. B. aus Gewerbebetrieb oder aus einer gewerblichen Stellung (vgl. Anm. 46, 47), wie überhaupt, soweit nicht gesetzliche oder vertragliche Einzelheiten bestimmt sind, für die gesamten Handlungspflichten, z. B. auch aus vorausgegangenem Tun ( B G H VersR 1954, 1 1 8 = L M § 832 [Eh] Nr. 4: Mahnung zur Unterlassung von unbeaufsichtigtem Schießen an Kinder ist ungenügend). An Landwirte und bäuerliche Gastwirte sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an größere Stadtgemeinden und städtische Hausbesitzer ( R G J W 1933, 836 1 0 ; D R 1941, 1049). Deshalb darf, wer sich auf dem Lande aufhält, nicht überall mit einer für großstädtische Verhältnisse zu fordernden Verkehrssicherheit rechnen. Eine vollkommene Verkehrssicherheit, die jeden Unfall ausschließt, ist nicht zu erreichen ( B G H VersR 1954, 224; 1956, 7 1 1 ) . Der Verkehrssicherungspflicht wird genügt, wenn die nach dem j e w e i l i g e n S t a n d e d e r E r f a h r u n g e n und T e c h n i k als geeignet und genügend erscheinenden Sicherungseinrichtungen getroffen werden, wobei auch eine vernünftige Übung zu berücksichtigen ist. Der Verkehrssicherungspflichtige darf sich auf ein b e s o n d e r e s verkehrssicheres Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer nicht verlassen ( B G H VersR 1956, 7 1 1 ) . Das Maß dessen, was für die Ver-
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kehrssicherheit zu geschehen hat, hängt von den Umständen, gegebenenfalls auch von der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen ab (RG 54, 59; R G J W 1900, 164 38 ; H R R 1934 Nr. 798). Sparsamkeit befreit-nicht (RG J W 1938, 2813). Für die Verkehrssicherungspflicht öffentlich-rechtlicher Körperschaften ist anerkannt, daß die Anforderungen nicht zu überspannen sind und zeitbedingte Schwierigkeiten auch finanzieller Art zu berücksichtigen sind (Hamburg NJW 1956, 1922). Es dürfen deshalb aber nicht sämtliche Sicherungsvorkehrungen generell unterlassen werden. Geringere Anforderungen an Straßen kleinerer Landgemeinden, z. B. beim Hineinragen von Treppen, R G DR 1941, 439. Nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist z. B. auch zu unterscheiden, ob in Straße und Haus die Ersetzung älterer, unvollkommener Einrichtungen durch bessere neuere gefordert werden kann (RG J W 1916, 58612). Für die Haftung der Mängel des Fußbodens in einem städtischen Schlachthaus s. R G H R R 1934 Nr. 789. Über die Verpflichtung des Schiffahrtsunternehmers, für die Sicherheit des Verkehrs auf dem Schiffe zu sorgen s. R G 124, 49; 126, 329. A n m . 52 b) Verkehrssicherung auf öffentlichen Straßen, Plätzen usw. Besondere Bedeutung kommt der Pflicht zur Aufrechterhaltung des verkehrssicheren Zustandes auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Wasserstraßen einschließlich Brücken durch die Gemeinden und sonstige öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften zu. Diese Verkehrssicherungspflicht entspringt der Tatsache, daß durch die Eröffnung des Verkehrs Gefahren für Dritte geschaffen werden (BGH 14, 83, 87; 16, 95; 24, 124, 130; 27, 278, 281; VersR 1956, 65; 1957, 382; vgl. Borchert NJW 1952, 612; GanschezianFink NJW 1955, 87; Schmalzl VersR 1955, 261; NJW 1956, 205; Arndt DAR 1956, 285). Die Haftung besteht für Mängel bei der Anlage, dem Ausbau oder der Unterhaltung. Die öffentliche Straße ist für jede erlaubte Verkehrshandlung frei; auf ihre Verkehrssicherheit darf gerechnet werden (RG 89, 136; 95, 154; J W 1903 Beil. Nr. 137 u. 241; 1904, 232 2 ; 1905, 1996; 1906, 378s 5391 und 74617; 1908, 715 1 1 ; 1909, 161 8 ; 1910, 618 10 ; 1911, 75916; 1915, 395'; 1936, 2981 5 ; WarnRspr 1908 Nr. 630; 1909 Nr. 264; 1910 Nr. 438). Dabei ist grundsätzlich zu fordern, daß der Verkehrssicherungspflichtige die geeigneten Anordnungen trifft, um die regelmäßige Unterhaltung und Beaufsichtigung des Straßenwesens zu gewährleisten, und daß er weiter den Vollzug, die Angemessenheit und das Zureichen jener Anordnungen erprobt und sicherstellt, indem er die Organisation und Tätigkeit der dafür bestellten Beamten und Bediensteten, wenigstens im allgemeinen, beaufsichtigt (RG 89, 136; 153, 356). Er muß verkehrsgefährdende Ordnungswidrigkeiten ohne Rücksicht darauf abhelfen, ob sie in der baulichen Anlage, dem Ausbau, der laufenden Unterhaltung, der Beleuchtung bei Ortsstraße oder dem witterungsbedingtem Zustand der Straße wurzeln. Er muß die gefahrlose Benutzung der Straße ermöglichen (RG 147, 275; 154, 16, 25; DR 1944, m ) . Soweit eine Gefahr nicht sofort beseitigt werden kann, müssen Warnschilder aufgestellt werden (BGH VRS 12, 408). Diese Obliegenheiten wahrzunehmen, ist Sache der verfassungsmäßigen Vertreter, für deren Verhalten die juristische Person schlechtweg, d. h. ohne die in §831 vorgesehene Entlassungsmöglichkeit, haftet; nötigenfalls ist hierfür ein besonderer Vertreter nach § 30 zu bestellen (RG J W 1938, 3162 1 ). A n m . 53 Maßgebend für die Bestimmung, wann eine Straße dem öffentlichen Verkehr übergeben ist, ist bei Ortsstraßen vor allem der Zusammenhang ihrer Anbauten (RG 48, 297; J W 1909, 161 8 ). Eine völlige Bebauung ist bei Ortsstraßen nicht erforderlich. Der Einzelfall entscheidet, ob eine Widmung für den öffentlichen Verkehr stattgefunden hat. Jeder Fürsorge kann sich aber auch bei einer noch unfertigen Straße der Verkehrssicherungspflichtige, z. B. eine Gemeinde, nicht enthalten, nachdem sie die Errichtung von Wohnhäusern an ihr genehmigt und die Ingebrauchnahme der fertiggestellten zugelassen hat. Auch nicht angebaute Wege sind je nach den Umständen verkehrssicher zu erhalten, wenn sie eine notwendige oder vom Verkehr regelmäßig benutzte Verbindung zwischen mehreren Ortsteilen oder Straßen darstellen (RG J W 1910, 618 10 ; WarnRspr 1908 Nr. 373), auch wenn der Verkehr sich entgegen dem Willen
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einer Gemeinde entwickelt hat ( R G WarnRspr 1911, 1 1 7 ) , nicht jedoch, wenn es sich um eine nur bequemere Verbindung handelt. Beim Fehlen einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Straße muß die Gemeinde einen vorläufigen Zugang und eine behelfsmäßige Beleuchtung veranlassen, wenn sie wegen Wohnungsnot die Baugenehmigung erteilt hat ( R G 165, 158). Bei einem schmalen, kaum befestigten Weg ergibt sich unter Umständen eine beschränkte Benutzbarkeit der Straße aus einer eingeschränkten Widmung des Wegs, die aus seiner äußeren Beschaffenheit erkennbar ist ( B G H VersR 1957, 8 1 7 ; 1958, 380; 1959, 275). A n m . 54 c ) Verkehrssicherungspflicht als privatrechtliche Pflicht. Es handelt sich um eine privatrechtliche Pflicht, deren Verletzung, auch wenn die Verantwortung eine öffentlich-rechtliche Körperschaft trifft, regelmäßig nicht nach § 839 BGB, sondern nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (§ 823) zu beurteilen ist ( R G 68, 358; 106, 340, 342; 1 2 1 , 404, 407; 128, 149, 1 5 7 ; 147, 275, 278; 154, 16, 25; 155, 1, 9 ; B G H 9, 373, grundsätzlich, m. Anm. F r i s i u s N J W 1953, 1625; vgl. derselbe N J W 1953, 886; B G H 14, 83; 16, 95; 20, 57; 27, 2 7 8 , 2 8 1 ; L M §823 [De] Nr. 3, 1 5 ; N J W 1953, 1865; vgl. zur abweichenden Auffassung H a u e i s e n N J W 1953, 1 6 1 3 ; F o r s t h o f f DVB1 1952, 164; ferner die Kritik zur Rechtsprechung von Heyen N J W 1955, 326; vgl. § 839 Anm. 19). Die Befreiung des Trägers der Verkehrssicherung tritt selbst dann nicht ein, wenn auch die Verkehrspolizei geeignete Schutzmaßnahmen treffen muß ( B G H V R S 4, 405; L M § 823 [De] Nr. 30; N J W 1955, 298; VersR 1956, 778; 1957, 109, 375, 776; 1958, 833; V R S 12, 408; vgl. B G H Betrieb 1958, 1358). Dasselbe gilt, wenn für die Beseitigung von Hindernissen oder gefährlichen Gegenständen sonstige Stellen, insbesondere die Störer in erster Linie verpflichtet sind ( B G H VersR 1957, 109), ebenso, wenn z.B. neben einer Gemeinde, die wegen Eröffnung eines Hafenbetriebes auf dem Stadtarm eines Flusses verkehrssicherungspflichtig ist, der Staat für die Fahrrinne eine öffentlich-rechtliche Unterhaltspflicht hat ( B G H VersR 1956, 65). Eine öffentlich-rechtliche Pflicht mit der Folge der Haftung nach § 839 (beachte insbesondere § 839 Abs. 1 S. 2) ist dann gegeben, wenn die Pflicht zur Verkehrssicherung durch einen ausdrücklich bekanntgegebenen Organisationserlaß in Form der hoheitlichen Verwaltung durchgeführt wird ( R G 105, 9g: Nordostseekanal; dagegen privatrechtliche Verkehrssicherung für Schleusenbetrieb auf Neckar: B G H 20, 5 7 ; ferner B G H 9, 373, 387; VersR 1955, 119 = L M § 823 [De] Nr. 15). Eine öffentlichrechtliche Körperschaft hat die Wahl, ob sie ihrer Verkehrssicherungspflicht als Fiskus oder Träger öffentlicher Gewalt, also hoheitsrechtlich genügen will ( B G H 27, 278, 283). So ist die Wegereinigungspflicht nach dem Preuß. Wegereinigungsgesetz v. 1. 7. 1 9 1 2 den Gemeinden als öffentliche Last auferlegt und gehört in den Bereich der hoheitlichen Betätigung ( B G H 27, 278, 283). Soweit es sich um die allgemeine Tätigkeit der Straßenbaubehörde handelt und der Geschädigte nicht infolge des verkehrsunsicheren Zustandes der Verkehrseinrichtung zu Schaden gekommen ist, liegt eine hoheitliche Betätigung vor; daher Haftung aus § 839 für den bei der Dienstreise eines Straßenbaubeamten eingetretenen schädlichen Erfolg ( B G H 2 1 , 48 = N J W 1956, 1835 m. Anm. N e d d e n ; V R S 1 1 , 166); ebenso wenn die zur Durchführung der polizeilichen Wegereinigungspflicht eingeteilten Beamten ihre Amtspflicht schuldhaft verletzen ( B G H 27, 278; VersR 1959, 389; vgl. §839 Anm. 19). A n m . 55 Die Verantwortung für das Anbringen vorschriftsmäßiger W a r n - u n d V e r b o t s s c h i l d e r trägt nicht der Verkehrssicherungspflichtige, sondern die zuständige Polizeibehörde, Straßen Verkehrsbehörde; daher Amtspflichtverletzung (vgl. § 3 Abs. 4 S t V O ; aA R G 154, 16, 26 überholt durch R G 162, 273: Gefahr durch die Art der Aufstellung der Verkehrszeichen; V A E 1944, 11; B G H N J W 1952, 1 2 1 4 ; 1953, 1865; VersR 1956, 320; 1957, 776; 1958, 262; 1959, 3 3 ; V R S 12, 408; Hamburg VersR 1954, 20; Hamm VersR 1954, 28; Stuttgart VersR 1958, 865; vgl. auch Düsseldorf VersR 1956, 699; vgl. § 3 Abs. 3, Abs. 4 und 5 StVO). Die U n t e r h a l t u n g der Verkehrsschilder (z. B. Wiederherstellung eines verlorenen Dreieckschildes) gehört dagegen zur Straßenver-
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kehrssicherungspflicht (§3 Abs. 3 StVO; B G H VersR 1955, 307). Daneben ist die Verkehrspolizei gehalten, geeignete Vorkehrungen gegen Verkehrsgefahren zu treffen. Es kann daher in ein und demselben Sachverhalt eine Amtspflichtverletzung und eine u. H. im Bereich der bürgerlich-rechtlichen Aufgaben liegen ( B G H VersR 1956, 320). Die Pflicht zur A u f s t e l l u n g v o n V e r k e h r s z e i c h e n , die wegen des v e r k e h r s u n s i c h e r e n Z u s t a n d e s e i n e r S t r a ß e , z. B. Schlaglöcher, Frostaufbrüche, erforderlich sind, trifft die Straßenbaubehörde (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BundesFernStrGes. v. 6. 8. 1953, BGBl I, 903; vgl. S c h m a l z l NJW 1956, 205 und VersR 1955, 261; B G H VersR 1955. I o 8 ; !957, 109, 776; 1958, 262; 1959, 228; V R S 12, 408; Bremen VersR 1953, 321). Schild zur Umleitung des Verkehrs ist nicht Warnzeichen, sondern polizeiliches Gebot, die Haftungsfrage gegebenenfalls nach §839 und WeimVerf Art. 131 (für die Bundesrepublik GG Art. 34) zu behandeln (RG H R R 1939 Nr. 4). Über den Schutz des Kraftwagenverkehrs durch Warnungstafeln s. auch R G 154, 16, 2 1 ; J W 1933, 2829*; 1936, 2981 5 ; WarnRspr 1936 Nr. 72; H R R 1934 Nr. 627; SeuffArch 86 Nr. 124. A n m . 56 d) Träger der Verkehrssicherungspflicht. Nach dem Grundgedanken, daß die Verkehrssicherungspflicht sich aus der Schaffung einer Gefahrenlage durch Zulassung des öffentlichen Verkehrs ergibt, ist Träger der Verkehrssicherungspflicht diejenige Stelle, die den gefährlichen Zustand geschaffen hat, indem sie den Verkehr zuließ und andauern läßt und die in der Lage ist, der Gefahr abzuhelfen (vgl. S c h m a l z l N J W 1956, 205). Die Verkehrssicherungspflicht folgt nicht aus dem Privateigentum am Wegkörper, noch aus dem öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnis am Wegkörper, sondern aus der objektiven Gefahrenlage, die mit der Benutzung des öffentlichen Wegs entsteht. Durch die Zulassung des öffentlichen Verkehrs wird ein tatsächlicher Zustand geschaffen, durch den für Dritte in gleicher Weise eine Gefahr entstehen kann, wie von dem Zustand oder der konkreten Lage irgend einer anderen Sache (BGH 9, 373; 14, 83; 16, 95. 96; 21, 48, 50; 24, 124, 130; NJW 1953, 1865; III Z R 78 und 79/51 v. 24. 4. 1952 in NJW 1952, 1087 nicht völlig abgedruckt; VersR 1956, 767; 1957, 109, 238; 1958, 380; 1959, 68, 228). Die privatrechtliche Verkehrssicherungspflicht deckt sich nicht mit der öffentlichrechtlichen Baulast (BGH 24, 124, 130; VersR 1957, 200, 382; 1959, 228; vgl. M a r s c h a l l , Das Straßenbaurecht, S.82; ferner N e d d e n NJW 1956, 1014; 1952, 287; Karlsruhe VersR 1958, 235). Diese regelt in erster Linie die Kostentragungspflicht. Die Bestimmung über die Straßenbaulast gibt allerdings wichtige Anhaltspunkte für die Verkehrssicherungspflicht ( B G H 14, 83; VersR 1957, 238; vgl. R G SeuffArch 93 Nr. 4 1 ; B G H 6, 195; 9, 373, 385; L M §823 [De] Nr. 18; VersR 1959, 68). Die Straßenbaulast fordert z.B. die Verbreiterung einer zu eng gewordenen Bundesstraße. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt in der Unterlassung nicht (vgl. B G H III Z R 273/53 v. 11. 1. 1954; VersR 1957, 378). Wegen der Möglichkeit einer beseitigenden Unterlassungsklage bei Nichterfüllung einer Verkehrssicherungspflicht vgl. LG Bückeburg NJW 1956, 1363. Für die Verkehrssicherungspflicht ist es e n t s c h e i d e n d , wer die Verwaltung der Straße hat und damit rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, auf den Straßenzustand einzuwirken und einem gefährlichen, ordnungswidrigen Zustand zu begegnen ( B G H 6, 195; 9, 373; 14, 83; 16, 95; 24, 124; L M §823 [De] Nr. 7; VersR 1957, 238). Nach diesem Grundsatz trifft die Verkehrssicherungspflicht: Für B u n d e s s t r a ß e n (Autobahn, Bundesstraßen; vgl. BundesFernStrG v. 6. 8. 1953, BGBl I, 903) die L ä n d e r , denen die Verwaltung als Auftragsangelegenheit übertragen ist (Art. 90 Abs. 2 GG; § 20 Abs. 1 BFernStrG; B G H 9, 373; 14, 83; 16, 95; N J W 1953, 1865; VersR 1956, 67; 1957, 776). Für Ortsdurchfahrten der Bundesstraße in Gemeinden mit mehr als 9000 Einwohnern trifft die Gemeinde die Verkehrssicherungspflicht (vgl. B G H VersR 1959, 228). Wegen der Übernahme der „Unterhaltung" des Mittelstreifens durch den Bund vgl. B G H VersR 1957, 382. Der Bund haftet nur im Einzelfalle bei Erteilung unsachlicher Weisungen (BGH 16, 95, 98; VersR 1956, 67), ferner bei Verletzung der Aufsichtspflicht im Einzelfalle ( B G H NJW
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1956, 1028). Für Reichsstraßen haftete das Land oder die Preuß. Provinz ( B G H VersR 1955, Für Landstraßen I. Ordnung die Länder, denen nach § 6 des Gesetzes über die einstweilige Neuregelung des Straßenwesens und die Straßenverwaltung v. 26. 3. 1934 (RGBl I 243) die Verwaltung und Unterhaltung obliegt. Wegen der Ortsdurchfahrten solcher Landstraßen bei Gemeinden mit mehr als 6000 Einwohnern vgl. § 2 Abs. 2 des Gesetzes. Bei Gemeinden bis zu 6000 Einwohnern ist die oben genannte Stelle für die ganze Breite verantwortlich ( B G H 24, 124; vgl. B a y O b L G VersR 1957, 604). Für Landstraßen II. Ordnung die Länder oder Provinzialverwaltungen, denen die Verwaltung übertragen ist (vgl. § 2 Neuregelungsgesetz und § 8 D V O v. 7. 12. 1934 R G B l I 1237). Die Kreise und Gemeinden haben nur ein Bestimmungsrecht über die von ihnen zu tragenden Kosten ( B G H 6, 195; 14, 83; 24, 124, 130; für Bayern Bamberg VersR 1957, 133; vgl. Nürnberg VersR 1958, 863; abweichend R G D R 1940, 2105; 1944, i n ) . Soweit die Straßenverwaltung anderen Selbstverwaltungskörpern übertragen ist, haften diese z. B. die früheren Provinzen ( B G H V R S 8, 256), in Nordrhein-Westfalen die Landschaftsverbände, die die Bundesstraßen, Landstraßen I. und II. Ordnung verwalten ( § 5 der Landschaftsverbandsordnung v. 12. 5. 1953 GVB1 1953, 271). Wegen der Beschränkung der Verkehrssicherungspflicht des Landes bei Ortsdurchfahrten auf den 6 m breiten Teil der Straße vgl. Hamm V R S 5, 561 und Celle V R S 4, 1. Nach der Sonderregelung des Preuß. Wegereinigungsgesetzes trifft die Gemeinde die Streupflicht innerhalb geschlossener Ortschaften (vgl. B G H VersR 1956, 158). Für Gemeindestraßen, Gemeindewege einschließlich der Bürgersteige trifft die Verkehrssicherungspflicht die Gemeinde ( B G H VersR 1952, 287; 1957, 109). Neben der Gemeinde haftet der Hauseigentümer für die Verkehrssicherheit des Bürgersteigs, wenn die b e s o n d e r e Gefährlichkeit von seinem anliegenden Grundstück ausgeht, z. B. bei Entstehung von Rillen, in denen das vom Grundstück abfließende Wasser gefriert (Celle VersR 1957, 182). Keine Haftung des Hauseigentümers für Gefahren, die von einer Anlage der Bundespost auf dem Bürgersteig ausgehen ( B G H VersR 1959, 68). Wegen Abwälzung der Verkehrssicherungspflicht, und zwar der Reinigungs- und Streupflicht auf die Hauseigentümer vgl. Anm. 61. Die öffentlichen Rechtsträger können eine privatrechtliche Vereinbarung über die Übernahme der Verkehrssicherungspflicht durch einen an sich nicht Pflichtigen Rechtsträger mit der Folge treffen, daß der Ubernehmende vom Verkehrsteilnehmer unmittelbar in Anspruch genommen werden kann ( B G H VersR 1958, 833; vgl. Anm. 34). Der Verkehrssicherungspflichtige wird nicht dadurch befreit, daß ein anderer in erster Linie oder neben ihm zur Beseitigung einer von der Straße drohenden Gefahr verpflichtet ist ( B G H VersR 1957, 776 m. w. N a c h w ; 1958, 330, 531; vgl. Anm. 54). Neben dem Verkehrssicherungspflichtigen, der den ö f f e n t l i c h e n W e g dem Verkehr gewidmet hat, kann für dieselbe Wegefläche noch ein anderer verpflichtet sein, ohne Rücksicht darauf, ob die Wegefläche in seinem Eigentum steht, weil er ebenfalls darauf einen Verkehr eröffnet hat; so die Kirchengemeinde für den Vorplatz ( R G H R R 1931 Nr. 1842), ein Gastwirt für einen Vorplatz ( R G L Z 1916, 1371), der Unternehmer einer Fähre für die Zufahrtsrampe ( R G Recht 1914 Nr. 1982), die Dampfschiffahrtsgesellschaft für den Anlegeplatz ( R G 118, 91). Der Anspruch auf Instandsetzung einer öffentlichen Straße kann nicht gegen die Verkehrssicherungspflichtige Gemeinde in der Form einer „beseitigenden Unterlassungsklage" (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 83 ff) vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden (Ger.-hof f. Kompetenzkonfl. b. B a y O b L G N J W 1959, 1195).
Anm. 57 e) Allgemeiner Umfang der Verkehrssicherungspflicht.
Der Träger der Verkehrssicherungspflicht ist verantwortlich dafür, daß die Straßen in einem dem regelmäßigen Verkehr genügenden Zustand erhalten werden (vgl. Anm. 58 fr). Soweit dies nicht möglich ist, sind Warnschilder aufzustellen (§ 3 Abs. 1 S. 3 BFernStrGes; R G H R R 1936, 1565; B G H VersR 1957, 10g; 1958, 262). Für die Zeit nach 1945 ist zu berücksichtigen, daß der Ausbau des Straßennetzes mit den Anforderungen des Verkehrs 81
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 57 infolge fehlender Geldmittel nicht Schritt halten konnte (Koblenz V e r s R 1 9 5 3 , 1 6 5 ; Karlsruhe V e r s R 1957, 664; Stuttgart V e r s R 1954, 437). Auch braucht eine dauernd z. B. durch Panzerfahrzeuge der Besatzungsmacht zerstörte Straße nicht immer wieder hergestellt zu werden, wenn hierzu keine Geldmittel vorhanden sind ( B G H V e r s R 1958, 604). Die Instandsetzungs- und Unterhaltungspflicht wird durch den Gedanken der Zumutbarkeit begrenzt ( B G H V e r s R 1958, 640). Schadensersatzpflicht einer Gemeinde wegen ungenügender Wegsicherung nach der schon viele Monate zurückliegenden Sperrung einer Brücke, O G H N J W 1950, 693. Das M a ß der Sorgfalt hängt von der Art und Häufigkeit der Benutzung einer Straße und ihrer Verkehrsbedeutung (Durchgangsstraße!) ab. Eine völlige Gefahrenfreiheit kann nicht verlangt werden ( B G H V e r s R 1957, 3 7 0 - Grundsätzlich ist der U m f a n g der Verkehrssicherung nach dem zu bemessen, was zur Sicherung desjenigen Verkehrs erforderlich ist, dem die Wegefläche gewidmet ist ( R G J W 1 9 3 1 , 3 3 2 5 ; B G H L M § 823 [De] Nr. 1 8 ; [Eb] Nr. 7 = V e r s R 1956, 158). Außergewöhnliche Verhältnisse erfordern außergewöhnliche Maßnahmen ( R G J W 1930, 1963; 1 9 3 1 , 3 3 2 5 ; H R R 1936 Nr. 1 1 1 0 ) . Haftung einer Landgemeinde für die Verkehrssicherheit von Verbindungswegen, auch mit Rücksicht auf ihre Benutzung durch Radfahrer, R G SeuffArch 82 Nr. 66. Über die Haftung einer vorwiegend ländlichen Gemeinde für die Instandhaltung einer Straße kraft Wegeunterhaltungspflicht s. Karlsruhe H R R 1939 Nr. 1024. Haftung für den verkehrssicheren Zustand des sogenannten Sommerwegs, R G J W 1934, 1645 4 ; Königsberg H R R 1940 Nr. 357. Uber die Grundlagen und den U m f a n g der Verkehrssicherungspflicht einer Stadtgemeinde s. R G D J 1937, 1 1 2 4 , über die Sorgfaltspflicht im dörflichen R a u m s. Satz D R 1 9 4 1 , 1049, 1051 f. Die Verkehrssicherung erfordert eine den technischen Erfahrungen entsprechende Anlage, Ausbau und laufende Unterhaltung ( B G H 14, 83, 87). Die Änderung der Straße nach den Erfordernissen des Verkehrs kann nur im Rahmen des für die öffentlichen Haushalte Zumutbaren erfolgen ( R G J W 1935, 3369). Als Maßnahmen sind insbesondere erforderlich die Instandhaltung des Straßenkörpers, Beleuchtung, Streuen, Aufstellen von Warnzeichen. Die Auswahl unter verschiedenen Maßnahmen, die in gleicher Weise zur Abwendung von Gefahren geeignet sind, steht im Ermessen des Verkehrssicherungspflichtigen ( B G H V e r s R 1957, 378; 1958, 262, 3 3 0 ) ; dagegen unterliegt das Eingreifen selbst nicht dem Ermessen, wenn eine Gefahr für die Straßenbenutzer besteht ( B G H V e r s R 1958, 380). Die Verkehrssicherungspflicht bezieht sich insoweit vor allem auf die Beschaffung einer gefahrlosen Sachunterlage f ü r den Straßenverkehr, umfaßt aber auch seine Regelung, z. B. durch Anbringung und Unterhaltung von Warnungstafeln; vgl. Anm. 55. An gefährlichen K u r v e n und sonstigen gefährlichen Wegstellen ist unter Umständen auch ein Verkehrsposten aufzustellen ( R G H R R 1936 Nr. 1 5 6 5 ; 1937, 1438). Es besteht keine unbedingte Haftung für Rutschbasalt (Düsseldorf V R S 8, 107), Warnschilder genügen, wenn nicht eine besondere Gefährlichkeit zu sofortigen Baumaßnahmen zwingt ( B G H V e r s R 1957, 238, 378; 1958, 262). Grundsätze für die Schadensersatzpflicht des Wegunterhaltungspflichtigen in Fällen, in denen die Straße den Anforderungen des modernen Kraftwagenverkehrs nicht entspricht, s. R G J W 1935, 3369 1 . Über die Pflicht der Gemeinde, auf die Gefährlichkeit einer Anlage auch dann aufmerksam zu machen, wenn diese von staatlichen Organen angebracht wurde, s. Karlsruhe D J 1939, 1534. Haftung des Reiches für mangelhafte Unterhaltung einer Reichsstraße s. Celle H R R 1941 Nr. 8 8 1 ; Sperrung einer Reichsstraße nach Brückeneinsturz s. R G D R 1942, 5 7 7 1 4 ; B G H 6, 195. Kenntlichmachung, daß Straße ohne jedes Anzeichen in freies Feld übergeht, B G H V e r s R 1958, 5 3 1 ; vgl. B G H V R S 16, 1 6 5 ; Nürnberg V e r s R 1 9 5 8 , 6 3 2 ; Stuttgart V e r s R 1958, 865. Die Sorge für die Beleuchtung eines liegengebliebenen und verlassenen Kraftfahrzeuges ist Sache der Wegesicherung ( R G D R 1944, 7 9 1 8 : Autobahn). Eine Streupflicht des Wegunterhaltungspflichtigen oder eine Pflicht zur Anbringung von Warnzeichen oder Aufstellung von Sicherungsposten bei glatter, vereister Strecke ist f ü r offene Landstraßen nur unter besonderen Umständen anzuerkennen ( R G J W 1935, 2 7 3 1 ; vgl. Anm. 6 1 ) . Soweit von der Sache selbst eine G e f a h r ausgeht, muß der V e r k e h r s s i c h e r u n g s p f l i c h t i g e d a f ü r e i n s t e h e n . D i e H a f t u n g b e t r i f f t also den Zustand
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 58
der öffentlichen Straßen, Plätze u n d Brücken, n i c h t a b e r d a s T u n u n d T r e i b e n d e r M e n s c h e n i m S t r a ß e n v e r k e h r . Z u r Verkehrssicherungspflicht gehört deshalb nicht die A b w e h r von Gefahren d u r c h andere Straßenbenutzer ( R G i a i , 404, 407; J W 1911, 759; B G H N J W 1953, 1865; VersR 1957, 109; 1959, 228; V R S 4, 173). Soweit das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer d u r c h Beschaffenheit u n d Eigenart des öffentlichen Wegs beeinflußt wird, geht die Gefahr von der Straße aus ( B G H V R S 4, 173), z.B. bei Zulassung des Gegenverkehrs auf einem zu schmalen R a d f a h r weg ( B G H N J W 1958, 545) oder bei plötzlicher Verengung einer Straße ( B G H VersR 1958, 531). Der Verkehrssicherungspflichtige haftet ferner nicht f ü r die Gefahren, die Straßenbenutzern aus d e m Einsturz von angrenzenden Ruinengrundstücken entstehen, denn diese Gefahr geht von der Hausruine aus ( B G H N J W 1953, 1865), aber f ü r die Gefahren aus ungesicherten Kelleröffnungen eines T r ü m m e r g r u n d s t ü c k s ( B G H BB 1959, 394 = V R S 16, 329). Die Verkehrsauffassung entscheidet im Einzelfall, o b eine Gefahr auf die Straße zurückzuführen ist ( B G H N J W 1953, 1865; VersR 1959, 228). D a z u gehört z.B. die Gefahr auf einer gegen Steinschlag ungesicherten Straße ( R G D R 1944, 111; B G H N J W 1953, 1865; V e r s R 1956, 67), aus d e m H i n e i n r a g e n von Ästen aus Nachbargrundstücken ( R G SeuffArch 90 Nr. 6; V A E 1941, 1 3 5 ; B G H VersR 1959, 275; O l d e n b u r g VersR 1958, 634), aus Ölspuren auf der Straße ( B G H VersR 1956, 778; 1958, 330), aus d e m Höhenunterschied zwischen Straße u n d einem Grundstück ( B G H 24, 129), aus d e m unübersichtlichen Verlauf einer K u r v e ( B G H V e r s R 1959, 228). Vgl. Köln VersR 1958, 1 1 4 : Beschädigung eines Pkw. d u r c h v o m D a c h herabstürzende Schneemassen; M ü n c h e n VersR 1959, 2 1 2 : U m s t ü r z e n eines Baumes. Längerer verkehrswidriger Zustand einer Straße spricht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins (vgl. V o r b e m . § 823 A n m . 95 ff) f ü r ein Verschulden des Verkehrssicherungspflichtigen ( B G H V e r s R 1958, 609). A n m . 58 f) Einzelerfordernisse der Verkehrs Sicherung aa) Instandhaltung des Straßenkörpers, Anbringung von Sicherungen. Die Verkehrssicherungspflicht begreift die I n s t a n d h a l t u n g des P f l a s t e r s oder sonstigen Belags ( R G J W 1903 Beil. Nr. 2 4 1 ; 1904, 232"; 1906, 378 4 ; 1910, 6 1 8 1 0 ; 1911, 7 5 9 " ) , I n s t a n d h a l t u n g des Straßenkörpers, so d a ß keine gefährlichen U n e b e n h e i t e n entstehen, jedoch m u ß mit gewissen Unebenheiten gerechnet werden ( R G J W 1932, 3702; 1933, 836; W a r n R s p r 1936, 39; B G H VersR 1958, 609; O l d e n b u r g V R S 6, 48; K ö l n VersR 1957, 401). Lose Auffüllung der Böschung, B G H VersR 1956, 226; Hineinragen eines Kanaldeckels in F a h r b a h n , B G H V R S 7, 4 1 2 ; VersR 1957, 3 7 1 ; s. R G J W 1932, 103g; Kabelstein der Bundespost auf d e m Bürgersteig, B G H V e r s R 1959, 68; Löcher in der Straße, B G H VersR 1958, 44, 380; N ü r n b e r g VersR 1958, 171; Blaubasalt, vgl. A n m . 57; H o h l r a u m b i l d u n g d u r c h Wasserrohrbruch, B G H VersR 1956, 1 1 5 . Der Eigentümer eines an der Straße liegenden Grundstücks haftet n u r f ü r schädliche Einwirkungen, die von seinem Grundstück ausgehen, aber nicht f ü r Gefahren, die sich aus d e m Höhenunterschied ergeben ( B G H 24, 124). Keine H ö h e n unterschiede bei K r e u z u n g mit Eisenbahn, R G SeuffArch 86, 124; vgl. auch Gesetz über K r e u z u n g e n von Eisenbahn u n d Straße v. 4 . 7 . 1939, RGBl I, 1 2 1 1 mit D V O v - 5- 7- '939) RGBl I, 1 2 1 7 u n d 3 0 . 8 . 1941, RGBl I, 546. Breite Schienenrillen sind bei ordnungsmäßiger Verlegung nicht verkehrswidrig ( B G H V R S 7, 20); gefährliche Vertiefungen infolge K r e u z u n g der Straße d u r c h Schienen sind sofort zu beseitigen, nicht erst im Zuge der planmäßigen Ausbesserung der Straße ( B G H V R S 1957, 235). Anfeuchten von Schienen d u r c h Reinigungswagen bedeutet eine so geringe Gefahr, d a ß ein K r a f t f a h r e r damit rechnen m u ß ( B G H VersR 1958, 609). H a f t u n g der Stadtgemeinde, nicht des Anliegers, f ü r die Verkehrssicherheit von Lichtschächten auf Bürgersteigen, auch wenn die Schächte einem Betriebe des Anliegers dienen, R G H R R 1933 Nr. 1919. Doch dürfen a n den verkehrssicheren Zustand einer Ortsstraße keine zu weigehenden Anforderungen gestellt werden, kleine Unebenheiten sind nicht zu vermeiden, geringfügige Senkungen nicht immer sofort zu beseitigen, begründen d a h e r noch kein Verschulden ( R G J W 1904, 232 2 ; 1906, 378 4 ). Geringere Anforderungen
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sind an Straßen kleinerer Landgemeinden zu stellen (RG DR 1941, 439: Hineinragen von Treppen). Pflicht der Stadtgemeinde und des Vermieters für einen vorläufigen, ungefährdeten Zugang zum Miethaus zu sorgen, wenn dieses an einer erst geplanten Straße errichtet und zum Gebrauch freigegeben wird, RG 165, 155; wegen der Instandhaltungspflicht von Bürgersteigen vgl. RG L Z 1919, 245, von Sommerwegen R G J W 1934, 1645. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich ferner auf die A n b r i n g u n g von G e l ä n d e r n oder sonstigen V e r w a h r u n g e n an Brücken, Böschungen und Abhängen (RG 55, 24; J W 1911 S. 446*, 759 17 ; 1912, 86423; WarnRspr 1910 Nr. 5 und 438; BGH 24, 124; NJW 1953, 1865; VersR 1959, 228). Sie entfällt, soweit der Zweck einer Anlage (Hafenkai) eine Sicherung nicht gesattet (RG J W 1905, 340 1 0 ; DR 1944, 1 1 1 : Sperrung oder Warnung bei einer durch Hochwasser gefährdeten Brücke). Für die Anbringung eines Schutzgitters an einer längs eines Wasserlaufs führenden Straße hat die Stelle zu sorgen, die für die Straße verkehrssicherungspflichtig ist (BGH 24, 124; L M § 823 [De] Nr. 3). Anm. 59 bb) Beleuchtung. Weiter gehört hierher die Beleuchtung der Ortsstraßen vom Eintritt der Dunkelheit bis zum Aufhören des regelmäßigen Verkehrs (RG 54, 53; 55, 24; J W 1905, 199 1 ; 1911, 759"; BGH NJW 1953, 1865). auch in einer Kleinstadt (RG SeuffArch 88 Nr. 86); über die Beleuchtung wenig begangener Wege s. J W RG 1908, 74413. Wer allerdings bei Winterglätte in der Dunkelheit statt der beleuchteten Ortsstraße einen immer unbeleuchteten Abkürzungsweg benützt, tut das auf eigene Gefahr (RG J W 1935, 34*). Haftung einer Stadtgemeinde für einen Unfall, der infolge Hervorstehens eines Rinnkastens auf dem Bürgersteig und infolge mangelhafter Straßenbeleuchtung entstanden ist, RG WarnRspr 1936 Nr. 39. Die Beleuchtungspflicht ist ohne Rücksicht auf die Beleuchtungseinrichtungen und Gepflogenheiten der Anlieger zu erfüllen; das Maß der Beleuchtung hängt von den örtlichen Verhältnissen ab (München H R R 1940 Nr. 608). Anm. 60 cc) Reinigung. Zur Verkehrssicherungspflicht gehört die Reinigung der Straße (RG H R R 1933 Nr. 1317), wobei die Anforderungen auf ein den Verhältnissen entsprechendes vernünftiges Maß zu beschränken sind. Erforderlich sind u. a. Maßnahmen gegen Verschmutzung durch Ackerfahrzeuge (BGH 16, 95; NJW 1953, 1865; München H R R 1940 Nr. 609). Keine Unfallhaftung des Landwirtes, durch dessen Fuhrwerke anläßlich der Herbstbestellung Erde von den Äckern auf die Straße geschleppt wird, Breslau H R R 1940 Nr. 611. Wohl aber haftet, wer einen mit Beschmutzung einer öffentlichen Straße verbundenen Verkehr eröffnet, ohne Rücksicht auf Wegunterhaltungspflicht für Reinigung der Straße (Düsseldorf DR 1939, 1892 8 ). Warnung vor Schlammbildung, Celle V R S 3, 321; Beseitigung von Schlamm auf Asphaltstraßen, Dresden H R R 1940 Nr. 3; besondere Anforderungen nach schwerem Unwetter, RG 155, 161; J W 1937, 2351; Beseitigung der durch Kraftfahrzeuge hervorgerufenen ölglätte, BGH VersR 1958, 330; Kiel OLG 34, 114; zum Eingreifen der Polizei vgl. BGH VersR 1956, 778; Entfernung einer Eisscholle aus der Fahrbahn, BGH 27, 278. Anm. 61 dd) Streupflicht. Vgl. K e t t e r e r - F r i e d r i c h , Die Streupflicht in Gesetzgebung und Rechtsprechung 1957; ferner W i e t h a u p t BB 1958, 66; Weigelt DAR 1959,43. Eine sehr wichtige Verkehrspflicht ist auch das Bestreuen der B ü r g e r s t e i g e und der notwendigen S t r a ß e n ü b e r g ä n g e . Außer aus der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich die Streupflicht auch aus Landesgesetzen als öffentlich-rechtliche Pflicht (Preußen: Ges. über die Reinigung öffentl. Wege usw.; vgl. Ketterer-Friedrich aaO S. 26; Württemberg: Ges. v. 6. 2. 1923; vgl. Stuttgart V R S 1 1 , 17). Die landesrechtl. Vorschriften sind Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 (zum Verschulden u. zur Beweislast vgl. §823 Anm. 114, 1 1 5 ; vgl. auch B G H 27, 278). Streupflicht als Verkehrssicherungspflicht in Württemberg vgl. Stuttgart V R S 1 1 , 17. Die Streupflicht erstreckt sich zunächst nicht auf den Fahrdamm ( R G J W 1913, 91 und 859; 1932, 393; 1935, 273). 1262
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Der Grundsatz, daß die Streupflicht der Gemeinden bei Glatteis sich im allgemeinen auf Bürgersteige und Straßenübergänge beschränkt und für Fahrdämme nur unter besonderen Umständen gegeben ist, greift aber nur Platz, wo die Ortspolizeibehörde nicht, z.B. auf Grund der §§ i, 2 des preuß. Ges. v. 1. 7. 1912, die Bestreuung des Fahrdammes verlangt (RG 7. 2. 1929 V I 461/28). Eine Streupflicht hinsichtlich des Fahrdamms besteht außerdem bei besonderem Bedürfnis (RG H R R 1929 Nr. 1091), z.B. mit abstumpfenden Stoffen bei Glatteis oder Schneeglätte (RG 54, 53: J W 1910, 618 10 ; 1911 S. 58325, 759 1 '; 1912, 194"; 1928, 104612; WarnRspr 1908 Nr. 47; 1909 Nr. 264; 1913 Nr. 318; H R R 1933 Nr. 1317). Die Fahrbahn ist jedoch in der Regel nur an verkehrswichtigen Punkten oder Gefahrenstellen zu streuen, z. B. wichtige Straßenkreuzungen, Einmündungen, abschüssige Stellen, stark gewölbte Fahrbahnstellen (RG J W 1913, 859; WarnRspr 1928, 147; B G H NJW 52, 1087: zum Hafenbecken abfallende Straßen; VersR 1956, 68, 158; 1957, 785: Umfang der Streupflicht bei einem Rondell; L M §823 [De] Nr. 18; Düsseldorf VersR 1956, 699; München VersR 1957, 117; Hamm VersR 1956, 132: Omnibushaltestelle; Breslau NJW 1937, 1260; Dresden H R R 1936, 1328; Celle R d K 1940, 155; Düsseldorf R d K 1942, 127; Schleswig VersR 1957, 742; K G VersR 1958, 98; vgl. Gutachten der Verkehrswacht N R W D A R 1951, 154). Dies gilt bei der Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs auch für kleinere Gemeinden (BGH VersR i 956, 158). A u ß e r h a l b g e s c h l o s s e n e r O r t s c h a f t e n wird die Streupflicht grundsätzlich verneint, weil sie wirtschaftlich unzumutbar und tatsächlich undurchführbar ist. Ausnahmen bestehen nur bei besonderen Umständen (RG J W 1935, 273; SeuffArch 88 Nr. 70; Stuttgart V R S 13, 332; vgl. BFernStraßG § 3 Abs. 3). Die Verkehrssicherungspflicht kann jedoch im Einzelfall weitergehen, als die Straßenbaulast nach § 3 Abs. 3 BFernStrG und wenigstens stellenweise eine Abstumpfung der Fahrbahn gegen Winterglätte auch außerhalb geschlossener Ortschaften erfordern, sofern dies wirtschaftlich zumutbar ist (BGH V R S 12, 408: Glatteiswarnung auf Autobahn; L M § 823 [De] Nr. 18; Köln VersR 1958, 7 1 1 ; Nürnberg VersR 1958, 616). Uber die Verpflichtung der Gemeinde zur Bestreuung der Bundesstraße innerhalb des Ortsetters in Württemberg s. Stuttgart VersR 1956, 643. Die Streupflicht kann rechtsgültig durch Observanzen Ortsstatut oder Polizeiverordnungen den Anliegern auferlegt sein (RG 52, 423; 102, 269; 113, 293; J W 1904, 470 8 ; 1907, 251 12 ; 1910, 152 1 '; WarnRspr 1909 Nr. 264 und 476; D R 1944, 288; B G H VersR 1959, 96; VersR 1959, 357; Hamburger WegereinigungsVO; Bremen NJW 1956, 28: Streupflicht eines Ruinengrundstückseigentümers, keine Beseitigung durch Observanz). Über Observanzbildung in Preußen, R G 52, 423; 76, 113; J W 1910 S. 66230 u. 94425; 1911, i23 l s ; 1912, 86422; 1914, 244°; WarnRspr 1912 Nr. 23; 1918 Nr. 106; Gruchot 55, 97; D R 1944, 28811. Abwälzung der Streupflicht durch Ortsstatut und Beschränkung auf bestimmte Haupttageszeiten, Oldenburg Ö V 1956, 1540. Wenn die an sich streupflichtige Gemeinde ihre Pflicht zulässigerweise auf die Anlieger abwälzt, so wird deren Pflicht nicht dadurch wieder aufgehoben, daß die Gemeinde streut; der Anlieger muß prüfen, ob außerdem Anlaß zum Streuen für ihn gegeben ist (Karlsruhe H R R 1939 Nr. 1023). Zur Frage der Streupflicht, wenn Anliegergrundstück von der Besatzungsmachtb schelagnahmt wird, vgl. B G H L M G G Art.3 Nr.31; K G NJW 1957, 1114. Übertragung der Streupflicht seitens der Stadtgemeinde auf eine Fuhrgesellschaft s. R G WarnRspr 1940 Nr. 81 (dort auch über Organisation der Kontrollmaßnahmen). D a s M a ß u n d d i e W i e d e r h o l u n g des Streuens richten sich nach dem Bedürfnis des Verkehrs; ein erhöhtes Maß gilt bei besonders regem Verkehr wie an Markttagen, ein vermindertes M a ß für Streuen wie für Beleuchtung in ländlichen Gemeinden (RG J W 1913, 85g 6 ; 1933, 836 10 ; WarnRspr 1915 Nr. 18; SeuffArch 87 Nr. 41; München H R R 1937 Nr. 1221). Streu- und Reinigungspflicht einer Stadtgemeinde bezüglich der besonders von Fußgängerverkehr benutzten Wegteile s. R G H R R 1933 Nr. 1317. Beginn und Ende richten sich nach den Bedürfnissen des Verkehrs ( K G J W 1937, 2828: Theater und Lichtspielhäuser; K G O L G 28, 262). Eine nur beschränkte Verkehrssicherungspflicht für Beleuchtung wie für Streuen besteht bei lediglich den Spaziergängern dienenden Lustwegen sowie bei nur den Verkehr erleichternden Verbindungswegen; sie brauchen nicht bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit geschützt zu
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werden (RG J W 1900, 164 38 ; 1910, 618 10 ). Glatteis auf Gemeindewegen, auf denen Vieh getrieben wird, Nürnberg VersR 1958, 202. Da die Gemeinden mit ihrem Personal nicht gleichzeitig in allen Teilen des Ortes zum Streuen im Bedarfsfalle zur Stelle sein können, ist ihnen für die Ausführung nach Eintritt des Glatteises oder nach Aufhören des Schneefalles ein angemessener Zeitraum offenzulassen (BGH VersR 1959, 96; Düsseldorf VersR 56, 699), der bei der den Anliegern obliegenden Streupflicht geringer zu bemessen ist (RG J W 1911, 583 25 ; 1912, 194 15 ). Eine Streupflicht besteht erst bei einer konkreten Glatteisgefahr, nicht im Sinn einer nur vorbeugenden Sicherungsmaßnahme (BGH V R S 12, 408). Zur Frage, in welcher Weise für rechtzeitiges Streuen bei Glatteis vorzusorgen und Kontrolle auszuüben ist, s. auch R G WarnRspr 1939 Nr. 72; BGH VersR 1958, 289; 1957, 756; Stuttgart VersR 1958, 132. Darüber, daß anhaltender oder drohender Schneefall nicht unter allen Umständen von der Pflicht zum Streuen befreit, es vielmehr wesentlich auf die Stärke des Schneefalls und auf die Beschaffenheit des Schnees und des Bodens ankommt, s. R G 133, 226; Recht 1917 Nr. 1260; Karlsruhe H R R 1939 Nr. 1023; Celle VersR 1958, 387; Karlsruhe VersR 1956, 70. Keine Streupflicht, wenn wegen nachhaltigen Schneefalls keine Sicherungswirkung erzielt wird (BGH VersR 1959, 96; anders bei geringem Schneefall, VersR !959> I 34)- Uber das M a ß des Streuens auf Gehwegen städtischer Straßen s. Karlsruhe H R R 1942 Nr. 785. Außergewöhnliche Glätteverhältnisse erfordern außergewöhnliche Sicherungsvorkehrungen (RG J W 1930, 1963 21 ). Glatteisbildung an einem öffentlichen Brunnen, R G J W 1932, 393 3 . Über die Verpflichtung, die durch Glatteis oder Schneefall hervorgerufene Glätte zu beseitigen, hinaus auch dafür zu sorgen, daß der Boden nicht durch Regen, Nebel oder sonstige Luftfeuchtigkeit schlüpfrig sei, kann von dem für die Verkehrssicherheit Verantwortlichen nicht verlangt werden (RG WarnRspr 1931 Nr. 123). Uber die fahrlässige Unkenntnis von mit sofortiger Wirkung erlassenen Polizeiverordnungen über die Reinigung der Bürgersteige von Schnee und Eis s. R G J W 1931, 16891. \ - Die Ü b e r t r a g u n g d e r S t r e u p f l i c h t a u f p r i v a t e R e i n i g u n g s i n s t i t u t e befreit nicht von eigener Sorgfalt (RG WarnRspr 1918 Nr. 106; Gruchot 54, 977); auch durch Polizeiverordnung kann die Verantwortung nicht dem Streupflichtigen genommen und auf die Reinigungsinstitute übertragen werden (RG 102, 269). Vertragliche Übernahme der Streupflicht durch die Gemeinde als Mieterin eines Hauses s. R G WarnRspr 1929 Nr. 47. D i e S t r e u p f l i c h t d e s H a u s e i g e n t ü m e r s , an die strenge Anforderungen zu stellen sind, kann nicht durch vertragliche Abwälzung auf die Mieter beseitigt werden. Eine solche Übertragung wirkt nur zwischen Vermieter und Mieter (BGH L M § 823 [Eb] Nr. 2). Der Hauseigentümer muß eingreifen, wenn der Pächter nicht rechtzeitig streut (RG WarnRspr 1918 Nr. 106; Gruchot 54, 977). Der Hauseigentümer haftet für die Mieter nach § 831 (RG J W 1930, 3213 5 ; BGH N J W 1952, 61). Ein Großunternehmer kann die Streupflicht ohne Verschulden den Mietern übertragen, wenn diese dazu imstande sind. Bei nur formularmäßiger Übertragung ohne Rücksicht auf Eignung und Zuverlässigkeit trifft ihn eine erhöhte Uberwachungspflicht (BGH BB 1957, 15). Verpflichtung des Hauseigentümers zur Überwachung und Belehrung der von ihm mit der Ausführung des Streuens betrauten Personen, R G J W 1931, 1690 2 ; 1937, 1917; H R R 1931 Nr. 110; WarnRspr 1931 Nr. 196). Der Hausbesitzer, der sich selbst nicht um das Streuen bekümmern kann, muß seinem Hausverwalter besonders strenge Anweisungen für die Überwachung des Streuens durch den damit betrauten Hauswart erteilen (RG WarnRspr 1937 Nr. 118; SeuffArch 88 Nr. 106). Doch dürfen die Anordnungen nicht dahin überspannt werden, daß unausgesetzte Überwachung verlangt wird (BGH N J W 1952, 61). A n m . 62 ee) Sicherungsmaßregeln bei V o r n a h m e öffentlicher Arbeiten. Die Verkehrssicherungspflicht der für die öffentliche Straße Verantwortlichen begreift weiter die Anordnung von Sicherungsmaßregeln bei der Vornahme öffentlicher Arbeiten (Neupflasterung, Anlage von Kanälen und Leitungen), die die Verkehrssicherungspflichtigen nicht auf die Unternehmer der Arbeiten abwälzen können; selbst wenn diese 1264
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die Ausführung der Sicherungsvorkehrungen vertragsgemäß übernommen haben, müssen die Verkehrssicherungspflichtigen sich selbst darum kümmern ( R G J W 1905, 2Ö45, 486«; 1906, 539 4 ; 1 9 1 3 , 6 4 2 ' ; 1 9 1 5 , 3 9 5 ' ; 1932, 3702 2 ; WarnRspr 1908 Nr. 630; 1 9 1 1 Nr. 180; L Z 1 9 1 7 , 1 0 6 7 1 0 ; 1 9 1 9 , 245 9 ; H R R 1932 Nr. 1442; 1933 Nr. 13). Dazu gehört die wiederholte Kontrolle von Warnlampen bei Straßenaufbruchsstellen ( B G H V e r s R 1957, 202). Bei sachkundigen Unternehmern besteht eine Aufsichtspflicht nur, wenn mit den Arbeiten besondere Gefahren verknüpft sind, die auch Nichtfachleute erkennen, oder wenn Unternehmer notwendige Sicherungsmaßregeln vernachlässigen ( R G 90, 409; L Z 1 9 3 1 , 1458; B G H V e r s R 1953, 3 5 8 ; 1954, 364: Fällen zweier Bäume am R a n d e der Straße). Z u den Sicherungsmaßregeln gehört die Durchführung einer Absperrung, Anbringung von Warnlaternen, Aufstellung von Verkehrsposten oder Verkehrssignalanlagen ( R G J W 1932, 3702; D J 1937, 1 1 2 4 ) , Schutz gegen Sprengstücke bei Straßenbauarbeiten, gegen Wegspritzen von Steinsplittern bei Pflasterarbeiten ( R G J W 1 9 1 3 , 642). Zur Sicherung von Gefahrenstellen und von Baustellen s. Gutachten der Verkehrswacht N R W D A R 1 9 5 1 , 74. Dabei muß auch mit ungewöhnlicher und unvorsichtiger Wegebenutzung gerechnet werden. Die Gemeinde handelt fahrlässig, wenn sie einen Weg, auf dem sie durch einen Unternehmer Kabelarbeiten hat ausführen lassen, für den Verkehr wieder freigibt, ohne sich vorher von der Verkehrssicherheit des Zustandes zu überzeugen ( R G J W 1931, 1693 5 ). Sie muß auch dafür sorgen, daß von andern veranlaßte Anlagen, z.B. ein von der Reichspost angelegter Kabelschacht, nicht verkehrsgefährdend wirken ( R G J W 1932, 1039 1 ). Außergewöhnliche Verhältnisse, wie sie z. B. durch Ausbesserungsarbeiten, Umstellung des Verkehrs usw. namentlich auch bei starkem Kraftwagenverkehr, zumal an Sonntagen, hervorgerufen werden können, verlangen auch hier außergewöhnliche Sicherungsmaßregeln ( R G J W 1931, 3 3 2 5 1 5 ; H R R 1936 Nr. 1110, s. auch H R R 1930 Nr. 109). Auch auf die Verkehrssicherheit der Notbürgersteige von Neubauten hat die Stadtgemeinde ihr Augenmerk zu richten.
Anm. 63 f f ) B a n k e t t e . Vgl. G u e l d e R D K 1954, 70. Das Bankett gehört zur Straße, für die es jedoch keinen Teil der Fahrbahn bildet (§ 27 Abs. 2 S t V O ) , sondern nur ihre volle Ausnutzung ermöglichen soll. Es braucht daher nicht in derselben Weise unterhalten zu werden wie die Fahrbahn. Wenn es aber so beschaffen ist, daß es auch in Notfällen nicht befahren werden kann, so ist eine entsprechende Warnung anzubringen ( B G H V R S 4, 1 7 8 ; V e r s R r 9 5 6 , 220; 1957, 382, 603, 666; N J W 1957, 1396). Bei schlechter Erkennbarkeit der Grenze zwischen Fahrbahn und Bankett muß die Fahrbahngrenze gekennzeichnet werden ( B G H V e r s R 1958, 13). Soweit ein Teil des Banketts innerhalb der Fluchtlinie der Straßenbäume verläuft und sich in seiner äußeren Beschaffenheit von der Fahrbahn nur wenig unterscheidet, ist es frei von Verkehrshindernissen zu halten. Der Ubergang zum Bankett darf keine gefährlichen Höhenunterschiede aufweisen ( B G H V e r s R 1956, 220).
Anm. 64 g ) V e r k e h r s s i c h e r u n g a u f W a s s e r s t r a ß e n . Die Verkehrssicherung erstreckt sich ferner auf die Wasserstraßen und die damit zusammenhängenden Anlagen. F ü r die Verletzung wird nach § 8 2 3 gehaftet ( R G 147, 275, 278; B G H L M § 8 2 3 [De] Nr. 1 5 ; BB 1958, 355). Anders nur dann, wenn der Träger der Verkehrssicherungspflicht dieser im Rahmen der öffentlichen Verwaltung hoheitsrechtlich genügen will, wenn kraft ausdrücklicher Anordnung eine hoheitliche Verwaltung vorliegt ( R G 105, 99, Nordostseekanal; B G H 20, 57). Die Sicherungspflicht erstreckt sich bei kanalisierten Flußläufen auch auf die technische Einrichtung, Unterhaltung, richtige Besetzung und Bedienung einer Schleuse ( B G H 20, 5 7 ; V e r s R 1957, 5 1 3 ) ; dagegen nicht auf die Anbringung von Geländern an einer längs des Wasselaufs führenden Straße; hierfür ist die f ü r die Straße Verkehrssicherungspflichtige Stelle verantwortlich ( B G H 24, 1 2 9 ; L M § 823 [De] Nr. 3). E i n z e l f ä l l e . Haftung der Bundesrepublik nach privatrechtlichen Grundsätzen, wenn auf dem Rhein keine eindeutigen und unmißverständlichen Zeichen zur K l a r -
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Stellung einer Gefahrenquelle gewählt werden, B G H VersR 1956, 504; Warnung vor Brückendurchfahrt bei Hochwasser, VersR 1955, 435; Hindernisse im Kanalbett oder in der Fahrrinne, R G 106, 340; H R R 1933 Nr. 1844; B G H 9, 373; VersR 1956, 65, 504; verkehrsgefährdende Anlagen eines Hafens, R G 120, 258; Nichtanbringung von Seezeichen, R G 128, 353, aber keine Verpflichtung des Bundes zur Setzung von Seezeichen bei Hindernissen außerhalb des eigentlichen Fahrwassers auf dem Wattenmeer, Schleswig-Holstein SchlHA 1956, 237; mangelhafte Beschaffenheit einer Schiffsanlegestelle, R G 118, 1 9 1 ; 147, 275; Fehlen der erforderlichen Schiffszeichen auf Wasserstraßen, R G 155, 1; J W 1937, 1543; Unterhaltung des Fahrwassers, R G H R R 1938 Nr. 754; Kanalunterhaltungspflicht des Staates als Eisenbahnunternehmer, wenn er für seine Zwecke den den öffentlichen Weg kreuzenden und bei mangelhafter Unterhaltung dessen Verkehrssicherheit gefährdenden Kanal angelegt hatte, R G L Z 1920, 233*; Haftung der Bundesrepublik bei schuldhafter Verletzung ihrer wasserbaulichen Unterhaltungspflichten, Köln NJW 1951, 845; die Wasserstraßenverwaltung muß der Abladetiefe der Fahrzeuge Rechnung tragen, Karlsruhe VersR 1957, 662; regelmäßige Peilung der Wassertiefe und Ausbaggerung, Köln BB 1958, 355. A n m . 65 h) Verkehrssicherung durch Eisen- und Straßenbahn. Wegen Haftung für Personenschäden im Bereich der Eisenbahn vgl. § 1 HpflG, für Sachschäden § 1 SHpflG, wegen der Haftung von Gegenständen, die in die Obhut der Bahn gelangt sind, vgl. Anm. 46. Wegen der Aufstellung von Warnkreuzen an Bahnübergängen vgl. § 3 Abs. 5 StVO; ferner G o l t e r m a n n , Zivilrechtliche Ansprüche bei Unfällen von Kraftfahrzeugen an Eisenbahnübergängen, D A R 1953, 201. Die Bahn hat die Sicherungspflicht für Bahnübergänge (RG 162, 364, 367; B G H 1 1 , 175). Die Tatsache, daß auch der für die Straße Verkehrssicherungspflichtige eine derartige Pflicht hat, hebt die Verantwortung der Bahn nicht auf (Hamburg NJW 1956, ig22). Wegen der Beschrankung der Bahnübergänge vgl. § 18 Eisenbahnbau- und Betriebsordnung v. 17. 7. 1928 (RGBl II 542); ferner vereinfachte EBBO v. 10.2.1943 (RGBl I I 31) in d. F. des allgem. Eisenbahngesetzes v. 29.3.1951 (BGBl I 225); ferner Eisenbahnbau- und Betriebsordnung für Schmalspurbahnen v. 25.6.1943 (RGBl II 285; BOS § 18) u. vereinfachte BOS v. 25.6. 1943 (RGBl II 321), beide in d. F. des allg. Eisenbahngesetzes; ferner R G 148, 303, 309; 169, 376, 380; D R 1944, 36; Karlsruhe V R S 10, 181 (verkehrsreicher Bahnübergang) ; wegen Sicherungsmaßnahme bei unbeschranktem Bahnübergang vgl. R G J W 1931, 3 3 2 1 ; D R 1944, 36; B G H VersR 1956, 99 (verkehrsreicher Ubergang); VersR 1957, 800. Sicherungsmaßnahmen (Anordnung langsamen Fahrens, Beleuchtung) bezüglich eines nicht mit einer Schranke versehenen Übergangs bei einer Kleinbahn, R G 20. 6. 1927 I V 834/26; Sicherungspflicht der Reichsbahn bei nicht mit Schranken versehenen oder besonders gefahrlichen Wegübergängen auf Nebenbahnen, R G 144, 67; vgl. auch R G J W 1937, 1776 7 . Vgl. Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßenbahnen v. 4. 7. 1939 (RGBl I, 1 2 1 1 ) und D V O v. 5. 7. 1939 (RGBl I, 1215). Der Unternehmer der Eisenbahn hat in eigener Verantwortung zu prüfen, ob die Maßnahmen der Aufsichtsbehörde zur Sicherung eines Bahnübergangs genügen ( B G H V R S 13, 244). Die Sicherungspflicht erfaßt auch die übrigen Bahnanlagen, Gebäude, Zugänge usw. Sicherungspflicht der E i s e n b a h n v e r w a l t u n g e n bei Zugängen zum Bahnhof, R G 53, 53 u. 276; 55, 335; J W 1908, 7 1 5 1 1 ; WarnRspr 1917 Nr. 242; 1919 Nr. 187; H R R 1937 Nr. 637; Gruchot 46, 1002; zum Zuge J W 1915, 703 8 ; in bezug auf die Säuberung der Bahnhofsräume R G J W 1933, 1390 7 ; Treppen zum Bahnhofstunnel, R G 121, 382.*Mangelhafte Beleuchtung eines Bahnhofs ist aber kein Verschulden, wenn sie durch die Knappheit der Beleuchtungsmittel bedingt ist (RG J W 1920, 491 3 ). Sorgfaltspflicht der Reichsbahn bei Beseitigung von Schnee auf Bahnhofstreppen, R G SeuffArch 93 Nr. 72; bei Verdunkelung der Vorräume in den Bahnhöfen, Celle H R R 1941 Nr. 73; Verpflichtung der Eisenbahn, bei außergewöhnlichen Vorgängen, die zum Uberschreiten der Gleise durch größere Menschenmengen fuhren können, besondere Unfallverhütungsmaßnahmen zu treffen, R G SeuffArch 93 Nr. 29; Verpflichtung der verfassungsmäßigen Vertreter der Reichsbahn, besonders in die Augen fallenden Gefahren, die sich für die Reisenden aus der Gestaltung der Gleisanlage eines 1266
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Anm. 66 Bahnhofs ergeben, durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken; sie dürfen nicht alles der Aufmerksamkeit des Dienststellenleiters überlassen, R G H R R 1941 Nr. 598; Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bei unbeschranktem Bahnübergang trotz zurückliegender Billigung der Aufsichtsbehörde bei Zunahme des Verkehrs, B G H 11, 175; Pflicht der Eisgnbahn, bei unbeschrankten Übergängen Warnungszeichen nicht nur für das Auge, sondern auch für das Ohr der Verkehrsteilnehmer (Kraftfahrer) zu verwenden, R G SeuffArch 92 Nr. 141; zur Sorgfaltspflicht der Eisenbahn bei kreuzenden Landstraßen vgl. R G DR 1944, 3618; Haftung des Eisenbahnunternehmers für das Versagen einer Schrankenbeleuchtung, R G SeuffArch 89 Nr. 98; für das Fehlen von Schranken bei einem Bahnübergang, R G 144, 67; 148, 303; J W 1931, 870", 3321 12 ; 1932, 20653; WarnRspr 1910 Nr. 57; H R R 1931 Nr. 1448; 1935 Nr. 583; 1938 Nr. 675; Verkehrssicherungspflicht der Bahn, wenn Pfeiler einer Eisenbahnbrücke in eine dem allgemeinen Verkehr dienende Straße hineinragen, Hamburg NJW 1956, 1922; wegen der Entlastung im Hinblick auf fehlende finanzielle Mittel s. Hamburg NJW 1956, 1922. Für einen dauernden verkehrsgefahrdenden Zustand bei einer Privatanschlußbahn muß ein verfassungsmäßig berufener Vertreter die Verantwortung tragen; bei Fehlen eines solchen liegt Organisationsverschulden des Unternehmers vor (RG J W 1933. 20768). Haftung der S t r a ß e n b a h n nach §823, wenn Kraftfahrer an schadhaftem Gleise hängenbleibt, Kiel H R R 1939, 692. Bei Kreuzung einer Straße durch Schienen müssen die durch die Vertiefung entstehenden Gefahren sofort beseitigt werden (BGH VersR 1957, 235). Vgl. Bau- und Betriebsordnung der Straßenbahnen (BOStrab) v. 13. 11. 1937 (RGBl I 1247). Anm. 66 i) Verkehrssicherung bei privaten und öffentlichen Gebäuden. Auch der P r i v a t m a n n , der d u r c h V e r m i e t u n g seines H a u s e s einen größeren oder, wenn er es allein bewohnt, damit einen kleineren Verkehr für andere zu dem Hause und in ihm eröffnet, übernimmt dadurch Verkehrspflichten. Er muß, mag er selbst im Haus wohnen oder nicht, die Flure und Treppen wie die Z u g ä n g e zu dem Hause (RG J W 1911, 446°; WarnRspr 1910 Nr. 438) in verkehrssicherem Zustand erhalten (RG 74, 124; 90, 408; J W 1905, 8o 20 ; 1912, 142"; 1913, 917 2 ; 1914, 677«, 678«; 1932, 3618 13 ; WarnRspr 1919 Nr. 33; LZ 1922, 7134; OLG 43, 94; vgl. R G H R R 1935 Nr. 333; 1938 Nr. 377), sie in den Verkehrsstunden des Abends beleuchten (RG J W 1906, n o 8 ; 1909» 4 I 5 1 1 ; W*, 14219; 1914. 677", 678"; WarnRspr 1935 Nr. 5, 55). Die V e r k e h r s s i c h e r u n g s p f l i c h t des Vermieters ist in der Regel auf d a s M i e t g r u n d s t ü c k beschränkt. Bei außergewöhnlichen Verhältnissen, wie z. B. bei Vermietung eines außerhalb des ausgebauten Straßennetzes liegenden Wohnhauses erstreckt sich die Sicherungspflicht auch auf den Verkehr zum Grundstück (RG 165, 159). Der Verkehrssicherungspflichtige muß Kellereingänge, die gefährlich werden können, verwahren und Kellertüren, die mit Wohnungseingängen verwechselt werden können, verschlossen halten oder wenigstens deutlich kenntlich machen (RG J W 1906, 7105 u. 738®; WarnRspr 1908 Nr. 309; 1910 Nr. 329; LZ 1920, 566*; B G H VersR 1957, m ) , eine vor Schaufenstern der Hausfront befindliche Kellertreppe gegen Sturzgefahr sichern (RG J W 1936, 265211), die äußeren Zugänge zu den Räumen, wie Vorgartenwege, Vortreppenwege über den Hof beim Vermieten von Hintergebäuden, unter Umständen auch Teile des Hausflures, bei Winterglätte bestreuen (RG J W 1912, 19415; 1934, 3126 4 ; WarnRspr 1931 Nr. 196; 1935 Nr. 5), Vorkehrungen zum Schutz gegen einen Sturz in den beim Ablesen der Wasseruhr offenen Schacht treffen (KG H R R 1936 Nr. 797), für einen verkehrssicheren Zugang zu dem Hinterhaus sorgen, wenn der Weg an dem zerstörten Vorderhaus entlangführt (BGH VersR 1957, 268), für ordnungsgemäße Befestigung des Treppenläufers sorgen (RG SeuffArch 88 Nr. 54), den Hauswart anweisen, täglich nachzuprüfen, ob sämtliche Lampen der elektrischen Treppenbeleuchtuni brennen (RG WarnRspr 1935 Nr. 55). Keine Verpflichtung des Vermieters, eine in der Erde liegende Wasserleitung auf ihre Betriebssicherheit nachzuprüfen, B G H VersR 1957, 373. Uber die Verkehrssicherungspflicht bei Zugang über Trümmergrundstück vgl. B G H VersR 1957, 268; Hamburg MDR 1958, 34. An die Verkehrssicherungs1267
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pflicht in einer P r i v a t w o h n u n g sind geringere Anforderungen zu stellen als an Räume, die der Öffentlichkeit zugänglich sind ( R G J W 1935, 273: unbefestigte Brücken in Privatwohnungen; Bamberg VersR 1957, 621). Über Verkehrssicherungspflicht während der Nacht auf bebautem Gelände, das mehrere Zugänge hat, B G H V R S 10, 412. Haftung des Hauseigentümers, des Bauunternehmers und des Bauführers, für einen Unfall bei Ausführung von Bauarbeiten, München H R R 1941 5ir. 479 (mangelhafte Abdeckung von Treppenstufen). Strenge Anforderungen sind an die Überprüfung der Betriebssicherheit eines Fahrstuhles zu stellen ( B G H BB 1957, 166; vgl. Celle VersR 1959, m ) . Polizeiliche Abnahme und Duldung eines verkehrsgefährdenden Ausgangs aus dem Hause befreit den Verpflichteten nicht von den Folgen eines durch die Verkehrsgefährlichkeit verursachten Unfalles ( R G 8. 12. 1927 V I 204/27). Pflicht des Vermieters (und der Stadtgemeinde), für einen vorläufigen ungefährdeten Zugang zu sorgen, wenn ein Mietshaus an einer erst geplanten Straße errichtet und zum Gebrauche freigegeben ist, R G 165, 155. Die Mieträume selbst sind dem Mieter nicht nur für seine Person zur Benutzung eingeräumt, sondern auch allen Angehörigen seines Hauswesens; ganz abgesehen vom Vertrage (vgl. § 538 Anm. 8), kraft allgemeiner Verpflichtung hat daher der Vermieter a u c h den M i t g l i e d e r n des H a u s s t a n d e s des M i e t e r s für den verkehrssicheren Zustand der dem Verkehr übergebenen Räume einzustehen ( R G J W 1910, 282°, 1003 1 3 ). Die Verkehrssicherungspflicht besteht auch gegenüber Dritten, die in befugtem, eigenem Interesse das Haus betreten, nicht aber gegenüber Personen, die sich widerrechtlich (Diebe) im Hause aufhalten. Für die Eigentümerin, die mit ihrem Ehemann in gesetzlichem Güterstande lebte, hatte diese Verkehrspflichten nach § 1363 der Ehemann zu erfüllen ( R G J W 1909, 4 1 5 1 1 ) ; dasselbe gilt bei gütergemeinschaftlicher Ehe für den Verwalter des Gesamtguts (§ 1421). Die Verkehrssicherungspflicht des Hauseigentümers erstreckt sich auf den Ab- und Zugang zum Haus, den Verkehr innerhalb des Hauses, aber auch auf den sich vorbeibewegenden Verkehr, der gegen Herabfallen von Mauerteilen geschützt sein muß (vgl. § 836; B G H 24, 124). Wegen Haftung bei Schneerutsch und bei Herabfallen von Eiszapfen s. München H R R 1941 Nr. 481. Wenn Sicherungsmaßregeln gegen herabfallenden Schnee nicht üblich sind, dann werden sie nur unter ganz besonderen Umständen erforderlich ( B G H VersR 1955, 82 = L M [Eb] Nr. 4; Köln VersR 1958, 114). Eine an einer Straße liegende Bauruine muß bei Verdacht der Baufälligkeit fachmännisch geprüft werden ( B G H VersR 1954, 432). Die Erben eines Gebäudes, auch die Miterben, müssen zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen ( B G H J Z 1953, 706; VersR 1957, 30). Der Hauseigentümer muß auch bei der Durchführung von Arbeiten, die den öffentlichen Verkehr beeinträchtigen, Vorkehrungen zur Sicherung des Verkehrs treffen (vgl. Anm. 46). Die Verpflichtungen des Hauseigentümers gehen auf den M i e t e r über, wenn das Haus nicht in einzelnen Teilen oder Stockwerken, sondern im g a n z e n v e r m i e t e t ist; denn dann ist es der Mieter, der den Verkehr für sich und seine Familie oder für sein Geschäft eröffnet ( R G 68, 1 6 1 ; J W 1905, 80 20 ; WarnRspr 1929 Nr. 47). Dem letzteren Falle steht es gleich, wenn bestimmte Teile eines Hauses, von dessen allgemeinem Verkehr abgesondert, ausschließlich einzelnen Mietern überlassen sind ( R G J W 1906, 738®). Während danach der Kaufmann und der Gastwirt, die derart gesonderte Mietoder Pachträume innehaben, der Regel nach Dritten allein haften, wenn es sich um den besonderen durch ihren Gewerbebetrieb bedingten Verkehr handelt ( R G J W 1912, 142 1 9 ; L Z 1917, 1068 1 1 ; Karlsruhe VersR 1957, 539), kann auch neben ihnen der Eigentümer verantwortlich sein, wenn mangelhafte bauliche Einrichtungen oder sonst ein verkehrsgefährlicher Zustand des Grundstücks zu Beschädigung oder Verletzung geführt haben ( R G 92, 359; 95, 6 1 ; 156, 193; B G H 5, 378, 382). Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Grundstückseigentümers dürfen aber in solchem Falle nicht überspannt werden ( R G H R R 1936 Nr. 1493; 1938 Nr. 201). A n m . 67 Was als Pflicht des bürgerlichen Hausbesitzers anzunehmen ist, gilt in noch höherem Grade für öffentliche B e h ö r d e n in Ansehung ihrer Dienstgebäude und Diensträume, die einem Verkehr nicht nur geöffnet, sondern dafür geradezu bestimmt sind, wie 1268
Unerlaubte Handlungen
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Anm. 68 Bahnhofsräume, Postgebäude (RG J W 1912, 792: geringe Anforderung bei Postämtern in kleineren Landstädten), Gerichtsgebäude (RG J W 1916, 750), Schulräume (RG 102, 6; J W 1903 Beil. Nr. 294; 1910, 468®; 1911, 450 18 ; 1912, 792'; Gruchot 49, 635; 50, 361). Sorge für gefahrlosen Verkehr in Amtsräumen s. Frankfurt H R R 1936 Nr. 1213 (Bodenglätte); B G H VersR 1958, 379 (Bauarbeiter in einem Gebäude); Verkehr in kleinstädtischem Gebäude, in dem Landespolizei ihren Sitz hat, B G H VersR 1957, 1 1 1 ; vgl. VersR 1956, 102; gebohnerter Belag in Schalterhalle einer Sparkasse, B G H VersR 1956, 35. Dahin gehören auch Kirchenräume, R G J W 1911, 1828. Sicherungspflicht der K i r c h e n g e m e i n d e n auf Kirchenvorplätzen, R G J W 1909, 218 5 ; 1910, 94423; H R R 1931 Nr. 1842. Öffentliche Schlachthäuser, R G J W 1911, 95836; SeuffArch 89 Nr. 7; 90 Nr. 167. Streupflicht eines öffentlichen Betriebes vor Dienstwohnungen seiner Gefolgschaftsmitglieder, R A G 23, 331. Über T h e a t e r s. RG WarnRspr 1917 Nr. 240; 1918 Nr. 52; 1931 Nr. 181; H R R 1928 Nr. 422; Erholungsgesellschaftsräume, R G J W 1915, 578 12 ; Ausstellungsräume (Grenzen der zu erfordernden Sorgfalt), R G 96, 96; Eisbahnen, R G J W 1914, 926 12 ; Haftung der Gemeinde für die Verkehrssicherheit der Schulgebäude und der Geräte und Einrichtungen, für deren Unterhaltung sie zu sorgen hat, R G 102, 6; 135, 12; Recht 1934, 16; über die öffentlichrechtliche Verbindlichkeit der Gemeinden bei Unterhaltung der Schulräume, die über die allgemeine Verkehrssicherungspflicht hinausgeht vgl. R G 102, 6. Anm. 68 Besondere Sorgfaltspflichten treffen, auch abgesehen von dem bereits behandelten Falle der abgesonderten Mieträume (Anm. 66) neben dem Eigentümer den Gewerbetreibenden, insbesondere den Kaufmann und Gastwirt, die einen allgemeinen Verkehr für ihre besonderen Geschäftszwecke eröffnet haben und deshalb auch als Mieter für die Verkehrssicherheit der Zugänge und der der Allgemeinheit zugänglichen Räumlichkeiten und für die Aufrechterhaltung eines gefahrlosen Zustandes der Betriebseinrichtung und des Inventars zu sorgen haben ( K a u f l e u t e : R G 95, 61; J W 1909, 493 15 ; 1912, 586«; 1913, 23 10 ; 1931, 2235'; WarnRspr 1931 Nr. 104; 1934 Nr. 151, G a s t w i r t e neben ihren Pflichten aus Beherbergungsvertrag [RG 169, 84] und auch Nichtgästen gegenüber: R G 58, 333; 65, 11; 85, 185; 87, 128; 95, 61, 359: Eisenroste vor Eingängen; 169, 84; J W 1905, 44', 45» u. 48 16 ; 1907, 332»; 1908, 451 1 6 ; 1909. 357; 1910, 65", 112 und 281 7 ; 1911, 4025 u. 182'; 1912, 30", 5307, 792' u. 793»; 1919, 241 7 ; 1923, 7 6 2 ; ^928, 2210; 1931, 1961 7 ; 1936, 2662; WarnRspr 1908 Nr. 630; 1909 Nr. 393; 1911 Nr. 27 u. 118; i g i 6 Nr. 106 u. 245; 1928 Nr. 105, 174; 1930 Nr. 12; 1931, 104; SeuffArch 82 Nr. 156; 88 Nr. 52: loser Treppenläufer; H R R 1929 Nr. 298; 1930 Nr. 1725; L Z 1917, 10657 u. 1068 11 ; 1919, 532 7 ; Nürnberg VersR 1958, 463; B G H VersR 1958, 245: Sturz auf Treppe). Sorgfaltspflicht des Warenhausbesitzers bezüglich der Betriebssicherheit eines Fahrstuhls, R G SeuffArch 88 Nr. 52, in bezug auf eine die Besucher gefährdende größere Ausbesserungsarbeit, R G J W 1931, 22357. Haftung einer ein großes Warenhaus unterhaltenden Handelsgesellschaft, weil in einer ihrer Zweigstellen ein Käufer infolge einer gelockerten Messingklappe an einer Treppenstufe zu Fall gekommen ist, R G J W 1936, 915 1 . Die Besucher eines Geschäftsraumes können allerdings nicht erwarten, daß sie gegen jeden Zufall gesichert sind (RG H R R 1931 Nr. 1841: Kokosläufer als Fußbodenbelag). Uber das Zusammentreffen mit der Vertragshaftung in solchen Fällen s. R G 54, 53; 58, 333; 65, 11; 74, 124; 85, 185; 90, 408; 103, 263; J W 1904, 383*; 1911, 4025 u. 182 7 ; 1912, 142 19 ; WarnRspr 1908 Nr. 640; 1911 Nr. 27; 1914 Nr. 13; 1916 Nr. 245; 1918 Nr. 52; 1919 Nr. 33, sowie Vorb. § 823 Anm. 23 ff. Daß die Baupolizei vor der Eröffnung eine Verbesserung nicht vorgeschrieben hat, entschuldigt nicht; es muß die Verkehrssicherheit der Zu- und Abgänge einschließlich der Treppen, z. B. der Pendeltüren in einem Warenhaus, selbst sorgfältig geprüft werden (BGH L M 823 [De] Nr. 12; R G Recht 1914, 2242 u. 2428; R G 7. 3. 1935 V I 454/34: Barbetrieb; J W 1936, 2652; Nürnberg VersR 1958, 463). Uber Benutzung eines nicht dazu bestimmten Gartenausgangs vgl. R G 160, 153. Der Wirt eines Nachtlokals, in dem sich häufig stark angetrunkene Leute befinden, ist zu erhöhter Sorgfalt in bezug auf die Sicherheit seiner Gäste verpflichtet (RG 6. 7. 1933 V I I I 110/33). Uberhaupt muß ein Gastwirt mit dem unverständigen Verhalten von betrunkenen
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 69 oder angetrunkenen Gästen rechnen ( R G 160, 153, 157). Ein ländlicher Gastwirt verstößt nicht schon dadurch gegen die ihm obliegende Sorgfalt, daß er geringe Unebenheiten des von den Gästen zu benutzenden Flures bestehen läßt ( R G D R 1940, 35 1 0 ). Der Gastwirt auf dem Lande muß Bäume auf seinem Parkplatz nicht auf verborgene Fehler untersuchen lassen (BGH V R S 12, i). Verkehrssicherungspflicht besteht auch nach Übertretung der Polizeistunde (Braunschweig Nds Rpfl 1956, 221). Auch in ländlichen Gemeinden muß Gastwirt in Winternächten prüfen, ob wegen Glatteis Maßnahmen erforderlich sind (BGH V R S io, 322). Uber die Grenzen der Sorgfaltspflicht im dörflichen Raum s. auch Setz D R 1941, 1049, 1051. Hinsichtlich der Zugangstreppen und des Weges zur Toilette vgl. R G H R R 1930 Nr. 1725; D R 1940, 35. Der Gastwirt haftet auch dafür, daß sich aus dem Nebeneinander von Gästen in seinen Räumen keine Gefahren ergeben, daß z. B. kein anderer Gast verletzt wird, wie etwa der Zuschauer eines Billardspiels ( R G 85, 185). In einer vor den Toren einer Großstadt liegenden, von Großstädtern stark besuchten Wirtschaft müssen die Anforderungen an die Verkehrssicherheit dem lebhaften Verkehr entsprechend erhöht werden ( R G WarnRspr 1939 Nr. 3 1 ; SeuffArch 96 Nr. 14). Weitere Einzelfalle für Gastwirtschaften, R G WarnRspr 1915 Nr. 233: Herabfallen eines Beleuchtungskörpers; 1927 Nr. 80: Beleuchtung des Weges zur Toilette, vgl. auch R G 87, 128; B G H VersR 1956, 102; 1957, 102; 1958, 308: ungesicherte Kellertreppe; Recht 1922, 202: Zustand der Stühle. Ob und inwieweit bei einer Begehung von nur gelegentlich betretenen Räumen wie Transformatorenzellen, Unfallverhütungsmaßnahmen getroffen werden müssen, hängt von den Umständen des Falles ab (RG D R 1941, 1294 17 ). Veranlaßt ein Geschäftsinhaber einen mit ihm in rechtsgeschäftlichen Beziehungen Stehenden im Rahmen der Verhandlungen zum Einschlagen eines bestimmten Weges auf dem Grundstück des Geschäftsinhabers, so gehört es zum Inhalt der rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen des letzteren, dafür zu sorgen, daß der andere diesen Weg ohne Gefahrdung durch Glatteis einschlagen kann (RG J W 1937, 265i 1 3 ). Ein Gastwirt, der anderen seine Räume zu einer Veranstaltung (Vogelschießen) überläßt, haftet aber nicht für alle dabei erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen (RG J W 1927, 1994 5 ). Entstehen bei einem zu Restaurationszwecken verpachteten Grundstück Schädigungen anderer durch bauliche Mängel, so haften Eigentümer und Pächter dem Geschädigten ( R G J W 1929, 739 1 1 ). Pflicht einer B a n k , für einen gefahrlosen Zugang der Kunden zu den Schaltern zu sorgen, R G L Z 1926, 921 8 . Haftung eines T h e a t e r u n t e r n e h m e r s für die Verkehrssicherheit der Ausgänge, R G H R R 1928 Nr. 422, für die Folgen eines heftigen Gedränges beim Einlaß in das Theater, R G WarnRspr 1931 Nr. 1 8 1 ; vgl. Anm. 72. Verpflichtung des Besitzers eines L i c h t s p i e l t h e a t e r s , in angemessenen Zeiträumen den Zustand der Treppen, Läufer usw. entweder selbst nachzuprüfen oder durch einen Fachmann nachprüfen zu lassen, R G J W 1938, 808 34 ; Einlaß in verdunkelten Vorführraum, Nürnberg VersR 1958, 633.
A n m . 69 4. Verkehrspflichten als Vorsteher einer selbständigen Wirtschaft usw.
Nach heutiger Rechtsanschauung muß jeder, der einer selbständigen Wirtschaft — auch einem Haushalt — oder einem Gewerbebetrieb vorsteht oder V e r a n s t a l t u n g e n m u s i s c h e r o d e r s p o r t l i c h e r A r t durchführt, bei der Regelung der auf die Außenwelt wirkenden Angelegenheiten des täglichen Lebens oder des Betriebs auf fremde Rechtsgüter Rücksicht zu nehmen und sein Verhalten so einzurichten, daß dabei Verletzungen anderer möglichst vermieden werden; vgl. E r m a n n - D r e e s § 823 d bb und 9 b. Der H a u s h a l t u n g s v o r s t a n d ist verpflichtet, bei der Einrichtung seines Hausstandes, der Wohnungsverhältnisse und der Regelung sonstiger auf die Außenwelt wirkenden Angelegenheiten Rücksicht zu nehmen, insbesondere zum Schutze der mit den Familienangehörigen zusammenkommenden Dienstboten und Mitbewohner, da jeder bei Beteiligung am Verkehr Benachteiligungen anderer möglichst vermeiden muß. Dies gilt nicht nur für den Gebrauch von Sachen. Er muß Sorgfalt darauf verwenden, daß die P e r s o n e n seines H a u s s t a n d e s , auch soweit eine Aufsichtspflicht nach § 823 nicht begründet ist, aber eine Verfügungsmacht über sie ihm zukommt, nicht Dritte
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 70—72
verletzen können (Ansteckung durch kranke Hausgenossen; Schaden, den geisteskranke Angehörige anrichten, Verletzung durch Kinder, denen Schießgegenstände in die Hand geraten, R G 70, 48; 9a, 125; 152, 222, 226; WarnRspr 1934 Nr. 53 u. 155; B G H VersR 1954, 1 1 8 = L M § 823 [Eh] Nr. 4). Haftung für einen Angestellten, der infolge von Geisteskrankheit einen anderen getötet hat, R G J W 1910, 652 10 . Der Haushaltungsvorstand hat auch dafür zu sorgen, daß seine Eigentumsgegenstände nicht anderen ge fährlich werden (RG 52, 373; 54, 53; 89, 120; J W 1905, 370 1 0 ; 1914, 577 1 ; WarnRspr 1908 Nr. 374; 1918 Nr. 1 1 7 u. 168; R G 152, 222: Verpflichtung eines Ehemannes, dafür zu sorgen, daß durch den Gebrauch einer von ihm seiner Frau zur Verfügung gestellten Sense im öffentlichen Verkehr kein Schaden angerichtet werde). Die Sicherungspflicht für den Haushaltungsvorstand kommt nur dort in Betracht, wo Gefahren für andere wirksam werden können, die im Hauswesen mit dem von ihm umfaßten Lebenskreis der zugehörigen Personen selbst begründet sind und von hier aus andere bedrohen. Mit derartigen Gefahren hat es daher nichts zu tun, wenn ein erwachsener Haussohn in einem Beschäftigungsverhältnis, das zu der häuslichen Wirtschaft keine Beziehung hat, Unterschlagungen begeht ( B G H VersR 1958, 399). Pflicht des Artisten, der eine für die Zuschauer gefahrliche Einrichtung benutzt, die der Zirkusunternehmer anzubringen hat, auch selbst für die Beseitigung von Fehlern der Anbringung zu sorgen, besonders wenn er Eigentümer der Einrichtung ist, R G J W 1933, 2763*. A n m . 70 Aus dem Gedanken heraus, daß jeder, der eine Gefahrenlage schafft, für die daraus entstehenden Schäden einzutreten hat, trifft — abgesehen von der Verpflichtung zur Erhaltung eines ordnungsmäßigen Zustandes der Zugänge und Anlagen — eine gleiche Verpflichtung die U n t e r n e h m e r von g e w e r b l i c h e n B e t r i e b e n hinsichtlich ihrer Dienstverpflichteten, soweit es sich um Vorgänge handelt, die mit ihrer dienstlichen Tätigkeit unmittelbar zusammenhängen (RG SeuffArch 90 Nr. 49; B G H VersR 1954, 100 = L M §823 [Eh] Nr. 3: Haftung für Schädigung durch Geisteskranke oder ansteckend erkrankte Betriebsangehörige; B G H VersR 1953, 358: Keine Überwachungspflicht eines Bauherrn gegenüber einem selbständigen Unternehmer nach der Richtung, daß die Arbeiter des Unternehmers Schaden erleiden; R G J W 1930, 2930*; 1933, 826®; H R R 1938 Nr. 677: Verletzung Dritter bei Fahrt eines Gehilfen mit einem zur Reparatur übergebenen Wagen; Pflicht des Zeitungsverlegers, die Verbreitung unrichtiger Meldungen zu verhindern: R G 148, 154, 162; 162, 7, 14; B G H 14, 163, 178; vgl. 3, 270, 275; Betrug eines Angestellten durch Verwendung eines Firmenstempels: R G J W 1927, 262). Die Verantwortlichkeit eines G a s t w i r t s erstreckt sich auf Gefahren, die von anderen Gästen drohen, z. B. Verletzung eines Gastes durch Billardspiel anderer Gäste. A n m . 71 Haftung in K r a n k e n h ä u s e r n bei Übertragung ansteckender Krankheiten, ferner für Beschädigungen bei Benutzung der Einrichtungen des Krankenhauses, z. B. bei Benutzung des von der Stadt zur Verfügung gestellten Röntgenapparates, R G 118, 4 1 ; Überwachung der Röntgenschwester, R G 139, 255; Diathermiebehandlung, R G J W 1930, 1597. Eine öffentlich-rechtliche Körperschaft als Trägerin einer Universitätsklinik kann nicht nach freiem Belieben entscheiden, ob sie sich durch eine vertretungsberechtigte Person oder durch einen Verrichtungsgehilfen vertreten lassen will, R G D R 1944, 287 Nr. 9. A n m . 72 Die Unternehmer von Theater- und Lichtspielunternehmungen und die für die Durchführung von sonstigen musischen und auch sportlichen Veranstaltungen Verantwortlichen haften ebenfalls, abgesehen von der Verkehrssicherung von Grundstücken und Gebäuden (vgl. Anm. 67), für die aus der Veranstaltung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch entsprechenden Gefahren. Haftung für Schaden durch Gedränge beim Einlaß, R G WarnRspr 193 t Nr. 1 8 1 ; Sicherungspflicht bei Rennveranstaltungen, Radrennen, R G J W 1938, 2737; DJ 1938, 1646; Pferderennen, München O L G 28, 296; Motorrad-
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§ 823 Anm. 73
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
rennen, München VersR 1951, 2 1 ; Autorennen, Stuttgart J W 1932, 2823; Haftung des Veranstalters für die Sicherheit der Zuschauer bis zur Beendigung einer Vorführung, R G J W 1938, 2737 1 4 ; Verpflichtung eines S p o r t v e r e i n s , Maßnahmen zu treffen, die aus einem bestimmungsgemäßen Gebrauch entstehen, z. B. Vorkehrungen gegenüber Überfliegen von Bällen, R G 138, 2 1 ; J W 1932, 2527; Haftung eines Turnierreiters gegenüber Zuschauern, Schleswig SchlHA 1958, 261; Verhinderung des Betretens eines Platzes durch aufsichtsbedürftige Kinder, R G SeuffArch 88 Nr. 144; H R R 1934 Nr. 797; Pflicht eines Artisten, der für die Zuschauer gefährliche Einrichtungen in einem Zirkus anbringt, für die Beseitigung von Fehlern der Anlagen zu sorgen, R G J W 1933, 2763*; Unternehmer e i n e r E i s e n b a h n , R G J W 1914, 926; einer R o d e l b a h n , R G Gruchot 57, 691; Verkehrssicherungspflicht bei einer Badeanstalt oder Badeanlage, insbesondere Pflicht zur Verhinderung von Verletzungen der an Sportübungen nicht beteiligten Personen, R G J W 1 9 1 1 , 42; 1936, 2214 3 ; WarnRspr 1913 Nr. 133; SeuffArch 86, 1 2 5 ; 90, m ; Haftung für Unfälle an der Schwimmlehrvorrichtung einer Badeanstalt, R G WarnRspr 1940 Nr. 39; Fürsorgepflicht bei Badeeinrichtungen an der See, R G 136, 228; J W 1938, 2542; aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für ordnungsgemäßen Zugang ergibt sich die Haftung für den sicheren Zugang zu einem Badehaus, R G H R R 1937 Nr. 1 3 1 2 . Eine Gemeinde, die einen P f e r d e m a r k t veranstaltet, haftet für die Verletzung, die ein Marktbesucher durch das Ausschlagen eines zum Verkauf gestellten Tieres erleidet, B G H VersR 1955, 380 = L M §823 [De] Nr. 19; Haftung des Veranstalters einer T r e i b j a g d , R G 128, 39; 156, 140; Haftung eines Jagdgastes, R G g8, 58; SeuffArch 87, 9 1 ; H R R 1934 Nr. 802; Verkehrssicherungspflicht auf Friedhöfen erfordert Überprüfung der Grabdenkmäler gegen Einstürzen, R G J W 1 9 1 1 , 981 1 4 ; Kiel H R R 1940 Nr. 1387. A n m . 73 5. Allgemeine Aufsichtspflicht. Die geschilderten Verkehrspflichten werden ergänzt durch eine allgemeine Pflicht der Aufsicht, die die für die Erfüllung verantwortliche Person aufzuwenden hat, wenn sie d i e A u s f ü h r u n g d e r S c h u t z m a ß n a h m e n z u r S i c h e r u n g des V e r k e h r s D r i t t e n ü b e r l ä ß t . Sie besteht allerdings, im Gegensatz zu § 8 3 1 , nur bei Erfüllung der allgemeinen Verkehrspflichten. Diese allgemeine Aufsichtspflicht entspricht den menschlichen Verhältnissen; im Staats- und Gemeindeleben wie in Privatbetrieben und im kleinen in der häuslichen Wirtschaft wird das ordnungsmäßige Ineinandergreifen aller Glieder, die pflichtmäßige Erledigung der den einzelnen übertragenen Geschäfte nur durch eine regelmäßige Aufsichtstätigkeit gewährleistet. Aufsichtsanweisungen bleiben immer eigene Pflicht des Aufsichtspflichtigen (RG 1 1 2 , 290; 1 1 3 , 293; B G H 24, 200, 2 1 3 ; N J W 1952, 6 1 ; V R S 10, 252; L M § 823 [Bf] Nr. 22). Diese Aufsicht f ä l l t n i c h t z u s a m m e n mit d e r in § 831 als Pflicht des Geschäftsherrn e r w ä h n t e n L e i t u n g e i n e r V e r r i c h t u n g , also der einzelnen Arbeitsleistung eines Angestellten, und ist keineswegs nur bei außergewöhnlichen Tätigkeiten in Handwerk und Gewerbe anzunehmen (vgl. über den Unterschied beider Begriffe R G 53, 53, 125 u. 276; J W 1902 Beil. Nr. 75; 1903 Beil. Nr. 2 1 ; 1906, 547 21 u. 745 1 6 ; I9°7> 674»; 1910, n 1 4 ; 1 9 1 1 , 95 20 , 218 2 2 , 403 16 , 487 a ; 1913, 203 1 5 ; 1930, 3 2 1 3 5 ; WarnRspr 1908 Nr. 184; 1910 Nr. 19; 1915 Nr. 124; ferner E r m a n n - D r e e s §823 8 e dd). Unter besonderen Umständen kann allerdings eine allgemeine Pflicht der Aufsicht für den Geschäftsherrn auch aus § 831 abzuleiten sein (vgl. dazu § 831 Anm. 26, 27 sowie R G 120, 1 6 1 ; 128, 149; 142, 361). Die allgemeine Aufsichtspflicht reicht weiter als die in §831 BGB erwähnte Leitungspflicht. Sie ist eine a l l g e m e i n e , f o r t l a u f e n d e U b e r w a c h u n g s t ä t i g k e i t , deren Maß und Umfang sich nach den Umständen zu richten hat, und die bald eine regelmäßige Kontrolle, bald nur ein gelegentliches Nach-dem-Rechten-Sehen erheischt (RG 95, 180; 102, 327; 128, 328; J W 1903 Beil. Nr. 294; 1905, 144 24 ; 1906, 1 1 3 1 2 u. 427 1 3 ; 1908, 673 1 ; 1910, 17 2 5 ; 1 9 1 1 , 95 20 ; 1914, 678«; 1915, 2 7 1 1 ; 1920, 775 3 ; 1928, 1046 1 2 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 260; 1 9 1 4 ^ . 35; 1916 Nr. 125; 1918 Nr. 168; 1919 Nr. 13 u. 36; 1931 Nr. 196; L Z 1918, 369 1 u. 625 1 9 ). Bei Betrieben, die mit erheblichen Gefahren verbunden sind, sind an diese Aufsichtspflicht strenge Anforderungen zu stellen (BGH VersR 1955, 746; V R S 4, 268; 10, 225: Halter eines Kraftfahrzeugs). Sie kann niemals ganz entbehrt werden; ihre Versäumung 1272
Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 74
macht den Aufsichtspflichtigen für den einzelnen Fall eines durch seine Leute angerichteten Schadens mittelbar — ohne die Entlastungsmöglichkeit des § 831 BGB — verantwortlich, wenn anzunehmen ist, daß der Schaden bei ordnungsmäßiger Aufsicht vermieden worden wäre (RG J W 1906, 547 13 ; 1910, 17 25 ; 1911, 487®). Die in regelmäßiger Wiederkehr vorzunehmenden Verrichtungen mechanischer Art, die keine Leitung im Sinne des § 831 BGB erfordern, bedürfen einer gelegentlich auszuübenden, aber stetigen Aufsicht (RG J W 1911, 487' u. 54a 17 ; 1912, 194 25 ), von der auch die Übertragung der Aufsichtstätigkeit auf andere Personen den Geschäftsherrn nicht gänzlich befreit (RG 95, 180; WarnRspr 1912 Nr. 164; 1920 Nr. 30; J W 1938, 1651; BGH 4, 1). Der Natur dieser Aufsichtspflicht entspricht es, daß sie nicht erst eintritt, wenn sich Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angestellten regen (RG J W 1909, 659 1 0 ; 1920, 775 3 ! r 9 3 r Nr. 196), wohl aber müssen solche Zweifel die Aufsichtstätigkeit verschärfen (RG 53, 53; J W 1920, 775 3 ). Eine besondere Überwachung ist erforderlich, wenn es sich um Arbeiten Jugendlicher handelt (BGH VersR 1956, 617). J e nach den Umständen begreift die Aufsichtspflicht auch eine Pflicht der Unterweisung für die vorzunehmende Tätigkeit (RG J W 1904, 165 3 ; 1906, 339 20 ; 1914, 678®; WarnRspr 1909 Nr. 356; 1910 Nr. 204; 1919 Nr. 13; 1931 Nr. 196; BGH VersR 1956, 115: Weisung über Bekämpfung von Wasserrohrbrüchen; V R S 10, '252: Unternehmer eines für den Straßenverkehr besonders gefährlichen Transports; VersR 1958, 644: Benutzung eines die Straße kreuzenden Anschlußgleises). Grundsätzlich wird der Aufsichtspflichtige von dieser Pflicht nicht dadurch völlig befreit, daß er sie auf einen zuverlässigen Angestellten oder Arbeiter überträgt. Er hat daneben allgemeine Aufsichtsanweisungen zu erteilen (BGH 4, 1; Nürnberg VersR 1956, 557: keine einseitige Übertragung der Aufsichtspflicht). Bei Großbetrieben muß die Erfüllung der Aufsichtspflicht durch ausreichende Organisation gewährleistet sein. Bei J P des Privatrechts und des öffentlichen Rechts liegt ein Organisationsmangel vor, für den nach § 823 gehaftet wird, wenn nicht ein verfassungsmäßig berufener Vertreter zur Ausübung dieser allgemeinen Aufsicht verpflichtet ist (RG 155, J6I, 166; 163, 356; J W 1928, 1046; vgl. B G H VersR 1956, 617; Stuttgart VersR 1956, 641; vgl. §831 Anm. 7). Es genügt nicht, wenn lediglich Personen bestellt sind, für die nach § 831 BGB der Entlastungsbeweis erbracht werden kann (RG 126, 129). Bei Arbeiten auf einem fremden Grundstück liegt ein Organisationsfehler vor, wenn der Unternehmer nicht für eine den Umständen und dem Umfang der vorzunehmenden Arbeiten entsprechende Aufsicht (gestaffelte Aufsicht) sorgt, um Diebstähle durch seine Arbeiter zu vermeiden (BGH 11, 151). Die B e w e i s p f l i c h t , daß der Beklagte seine Aufsichtspflichten verletzt habe, trifft an sich den Beschädigten; ist aber ein ordnungswidriger Zustand von längerer Dauer nachgewiesen, der zunächst erst in der Versäumung der allgemeinen Aufsicht seine Erklärung findet, und bei gehöriger Überwachung der Wahrnehmung des Aufsichtspflichtigen nicht hätte entgehen können, so ist es Sache des Beklagten, darzutun, daß die Verletzung ohne sein Verschulden erfolgte und er seiner Aufsichtspflicht genügt habe (RG 53, 276; J W 1906, 378 4 ; 1910, 37 60 u. 333®; 1911, 95 2 0 ; 1928, 1046; WarnRspr 1908 Nr. 183; 1912 Nr. 383; Nr. 125; LZ 1918, 369 1 ; BGH L M § 823 [Bf] Nr. 22). A n m . 74 Unter diesem Gesichtspunkt ist eine allgemeine Uberwachungs- und Unterweisungspflicht einer Stadtgemeinde anzunehmen, die in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben auf dem Gebiet der Armenfürsorge unbemittelten Kranken in ihren Krankenhäusern unentgeltlich ärztliche Behandlung, sei es allein, sei es neben freier Kost und Wohnung, gewährt (RG 112, 290). Aufsichtspflicht einer Stadtgemeinde in bezug auf das Verschlossenhalten eines auf freiem Platze stehenden Transformatorenhäuschens ihres Elektrizitätswerkes, R G SeuffArch 79 Nr. 93. Die Organe einer Gemeinde müssen den Betriebsleiter ihres Elektrizitätswerkes überwachen, insbesondere dahin, daß die Angestellten der Straßenbahn ihre Dienstvorschriften so beherrschen, daß sie sie im Ernstfalle zur Verhütung von Gefahren auch anwenden, R G H R R 1932 Nr. 1574. Aufsichtspflicht einer Stadtgemeinde in bezug auf das ihr obliegende Bestreuen der Straßen bei Glatteis, R G J W 1928, 1056 12 ; H R R 1933 Nr. 1317. Eine Stadtgemeinde
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§ 823 A n m . 75—77
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
kann ihre Obsorge für den Verkehr nicht schlechthin auf den Unternehmer übertragen, den sie mit Straßenbauarbeiten betraut hat (vgl. Anm. 62; RG J W 1905, 486 1 ; 1906, 539*; WarnRspr 1908 Nr. 471, 630; 1911 Nr. 180); im übrigen besteht einem sachkundigen Unternehmer gegenüber eine weitere Aufsichtspflicht nur unter besonderen Umständen, wenn mit den ihm übertragenen Arbeiten besondere Verkehrsgefahren verknüpft sind, die auch von dem Nichtfachmann erkannt und abgestellt werden können (RG 76, 260; 90, 408; J W 1908, 269 1 ; WarnRspr 1908 Nr. 471 u. 630; 1909 Nr. 407; 1919 Nr. 169; L Z 1931, 1458; B G H VersR 1953, 358; 1954, 364: Fällen zweier Bäume an einer Landstraße), oder wenn erkannt wird, daß der Unternehmer die Sicherheitsmaßregeln vernachlässigt (vgl. Anm. 62). Ein Bauherr hat, vorbehaltlich der örtlichen Bauleitung, eine Aufsichtspflicht, daß dem Publikum oder anderen an dem Bau beteiligten Arbeitern keine Gefahren drohen, nicht aber dahin, daß die Arbeiter des von ihm beauftragten selbständigen Unternehmers selbst keinen Schaden erleiden (BGH VersR 1953, 358). Zur Frage des rechtmäßigen Streuens und der Kontrolle bei Glatteis, R G WarnRspr 1939 Nr. 72. A n m . 75 Ein Bauunternehmer kann wiederum, ohne eine weitere besondere Aufsicht betätigen zu müssen, alltägliche, regelmäßig vorkommende Arbeiten einschließlich der zum Schutze des Verkehrs erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen einem tüchtigen Polier überlassen; nur bei außergewöhnlichen und besondere Vorsicht heischenden Umständen muß er ihm Anweisung erteilen und nach dem Rechten sehen (RG 59, 203; J W 1906, 1 1 3 " ; 1910, i n 1 2 ; 1913, 3 3 22 ; WarnRspr 1908 Nr. 212; L Z 1922, X592); es kommt hierbei alles auf die Umstände, auf die größere oder geringere Gefahrdung an. Uber die allgemeine Aufsichtspflicht eines Unternehmers von Tiefbau- und Straßenbauarbeiten in der Großstadt, RG J W 1931, 2236®. Ähnliches gilt gegenüber den Angestellten von Zweigniederlassungen eines größeren Geschäfts, R G J W 1913, 23 10 . Werden in einem W a r e n h a u s Arbeiten vorgenommen, die die dort verkehrenden Personen gefährden, dann muß sich der Geschäftsinhaber oder sein Vertreter selbst davon überzeugen, daß alles zum Schutze des Verkehrs Erforderliche geschehen ist; er kann sich nicht darauf verlassen, daß ein zuverlässiger Fachmann mit der Ausführung der Arbeit betraut ist (RG J W 1931, 2235'). A n m . 76 Uber die Aufsichtspflicht der Eisenbahn als Unternehmen von Güterbeförderungen, R G 102, 38; SeuffArch 80 Nr. 174; strenge Anforderungen an Überwachungspflicht bei einem Betrieb, der wie die Eisenbahn erhebliche Gefahren mit sich bringt, B G H VersR 1955, 746 = L M § 823 (De) Nr. 23. Unterweisungspflicht der Reichsbahn bei Verwendung alter Schrankenbäume, Düsseldorf H R R 1940 Nr. 8. Uber die Verpflichtung der Vertreter eines S t r a ß e n b a h n u n t e r n e h m e n s , den Angestellten allgemeine Anweisungen zur strengen Befolgung der polizeilichen Verkehrsregelung zu geben vgl. R G SeuffArch 82 Nr. 48; über ihre Verpflichtung, die Ausbildung der Fahranwärter auf der Strecke sachgemäß zu regeln, vgl. R G SeuffArch 82 Nr. 157; Organisationsverschulden des Straßenbahnunternehmers bei Verkehrsunfall durch schadhafte Stellen des Geleises, Kiel H R R 1939 Nr. 692; über die Aufsichtspflicht der Eisenbahn in bezug auf die Treppe eines Bahnhofstunnels bei Winterglätte s. R G 121, 382. Treten im täglichen Betrieb Neuerungen hervor, die erkennbar besondere Gefahren mit sich bringen, so müssen die Aufsichtsbeamten der Eisenbahn den ausführenden Beamten genaue Anweisungen zur Herabsetzung der Gefahren auf ein Mindestmaß erteilen, R G J W 1936, 444*. Verpflichtung einer Kleinbahngesellschaft, die Anordnungen eines Angestellten, dem sie die R e g e l u n g des technischen Betriebes überlassen hat, laufend zu überwachen, R G J W 1938, 1651 1 2 . A n m . 77 Uber die Aufsichtspflicht der Post in bezug auf die Tätigkeit ihrer mit der Führung von Postkarren auf den Bahnsteigen betrauten Beamten s. R G 126, 137; J W 1931, 3542 2 ; über die Aufsichtspflicht des Kraftwagenhalters in bezug auf den Führer des Wagens
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Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 78, 79
s. RG iao, 154; 142, 356; §831 Anm. 26fF; des Halters und Führers eines Kraftlastzuges in bezug auf den Bremser eines Anhängers s. RG 156, 193; des Inhabers einer Autoreparaturwerkstätte zur Beaufsichtigung und Anweisung seiner Angestellten in bezug auf die Fortbewegung der zur Reparatur gegebenen Kraftwagen s. RG J W 1930, 29306. § 278 ist in Fällen einer solchen Haftung aus § 823 nicht anwendbar (RG J W 1923, 10265). Aufsichtspflicht des Gutsherrn, der einen Gutsverwalter angestellt hat, BGH 4, 1. Anm. 78 Über die Aufsichtspflicht des kraft öffentlichen Rechts streupflichtigen Grundstückseigentümers s. RG 113, 293; Aufsichtspflicht des streupflichtigen H a u s e i g e n t ü m e r s in bezug auf die Angestellten, die er mit den erforderlichen Anordnungen beauftragt hat, s. RG HRR 1931 Nr. 110, in bezug auf die Mieter, auf die er das Bestreuen vertraglich abgewälzt hat, s. RG J W 1930, 32135. Ein Großunternehmer, der die Streupflicht erlaubterweise formularmäßig ohne Rücksicht auf Eignung und Zuverlässigkeit auf seine Mieter übertragen hat, hat eine erhöhte Oberwachungspflicht (BGH BB 1957, 15). Überwachung und Unterweisung einer mit dem Streuen bei Glätte beauftragten jugendlichen Person durch den Hauseigentümer, RG WarnRspr 1931 Nr. 196. Der Wohnungsinhaber haftet für das Herabfallen eines Blumentopfes auf die Straße schon dann, wenn er die Aufsichtspflicht in bezug auf seine Wohnung und die sie versorgenden Hilfspersonen fahrlässig nicht erfüllt hat (RG 5. 10. 1925 IV 47/25). Anm. 79 6. Verkehrspflichten durch Teilnahme am öffentlichen Verkehr Den Verkehrspflichten, die durch eine Verkehrseröffnung geschaffen werden, treten diejenigen zur Seite, die die Teilnahme am öffentlichen Verkehr oder dessen Nachbarschaft erzeugt. Zum Begriff des öffentlichen Verkehrs bei umfangreichen industriellen Betrieben und dem Verkehr der Betriebsangehörigen von und nach ihrer Arbeitsstätte s. BGH 1, 99. Die öffentlichen Verkehrswege sind für die Allgemeinheit da; wer darauf sich bewegt oder sie für seine Zwecke in Benutzung nimmt, muß auf die Allgemeinheit Rücksicht nehmen und Sorge tragen, daß er nicht den Verkehr stört und nicht Gefahren für andere schafft (RG 48, 297; 76, 257; J W 1921, 8g55). Dem entspricht auch die S t r a ß e n v e r k e h r s - O r d n u n g v. 13. 11. 1937 idF v. 29. 3. 1956 u. 25. 7. 1957, die von dem Gedanken einer G e m e i n s c h a f t a l l e r V e r k e h r s t e i l n e h m e r einschließlich der Fußgänger ausgeht und demgemäß in ihrem § 1 als G r u n d r e g e l für das Verhalten im Straßenverkehr aufstellt, daß jeder Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr sich so zu verhalten hat, daß der Verkehr nicht gefährdet werden kann und kein anderer geschädigt oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Dafür wird aber jeder Verkehrsteilnehmer, wenigstens im allgemeinen, darauf vertrauen dürfen, daß die anderen ebenfalls ihre Pflicht erfüllen, wenn er auch nicht mit allen denkbaren Unvorsichtigkeiten zu rechnen braucht. Bemerkt aber einer, z. B. ein Kraftfahrer, Verstöße gegen die Regeln des Straßenverkehrs bei anderen, dann muß er sich darauf einstellen und darf nicht unbekümmert darum seine Fahrt fortsetzen (RG DR 1939 25930). Der Fuhrherr muß die Fuhrwerke, die er in den öffentlichen Straßen laufen läßt, in ordnungsmäßigem Stande erhalten und den Betrieb dauernd überwachen (RG J W 1906, 74015; 1908, 524°; WarnRspr i g i 7 Nr. 87; LZ 1918, 62619). Sicherung der Verkehrsteilnehmer gegen das Herabfallen von Fässern bei einem durch die Umstände notwendig werdenden schnellen Anhalten des zu ihrer Beförderung dienenden Wagens, RG J W 1930, 196523. Der Wagenlenker hat die Pflicht, auf den Verkehr der Straße und seine Wirrungen und Hindernisse sorgsam zu achten und danach seine Fahrbahn und die Geschwindigkeit seiner Fahrt einzurichten (RG J W 1905, 492 17 ; 1906, 465"; 1911, 1528; 1912, 385®; WarnRspr 1909 Nr. 280; 1910 Nr. 328). Zur Sorgfaltspflicht des Führers eines Wagens mit Hinterradbremse s. RG 162, 308. Die gleiche Verpflichtung trifft natürlich auch den Reiter, RG WarnRspr 1909 Nr. 94. Wer nichtverkehrssichere junge Pferde auf die Straße schickt, muß alle Mittel ergreifen, die mit einiger Aussicht auf Erfolg Gefahren für 8i
Komm. 2. BGB. n . Aufl. II. Bd. (Haager)
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 80 Dritte abzuwehren geeignet sind; er darf sie auch nur Leuten anvertrauen, die nicht nur mit Pferden umzugehen verstehen, sondern auch für die Anlernung junger Tiere Verständnis haben ( R G J W 1934, 4 1 a 5 ) . Führen von Vieh auf öffentlichen Straßen, Celle H R R 1939 Nr. 836; Halten von Pferdefuhrwerken auf der falschen Seite der Fahrbahn und Nichteinhalten der Beleuchtungsvorschriften, München H R R 1938, 95. Schneepflug als Fahrzeug im Sinne des Verkehrsrechts, Hamburg D R 1939, 445 9 . Aber auch der F u ß g ä n g e r muß achtgeben, daß er nicht durch unvernünftiges Laufen andere Fußgänger anrenne, umstoße oder verletze, R G J W 1 9 1 2 , 908 3 . Sorgfaltspflicht der S k i l ä u f e r s. München H R R 1942 Nr. 572. Erhöhte Sorgfalt haben bei den gesteigerten Geschwindigkeitsleistungen ihrer Fahrzeuge und der dadurch bedingten besonderen Gefahr von Zusammenstößen die R a d f a h r e r (Sorgfaltspflicht beim Einbiegen nach links, R G J W 1938, 3 0 5 3 3 1 ; 1939, 43 2 4 ; Sorgfaltsverletzung durch Freilaufenlassen bergabwärts, München H R R 1940 Nr. 1009) und namentlich die K r a f t r a d f a h r e r zu beachten ( R G J W 1932, 790 1 2 ), vor allem aber die L e n k e r v o n K r a f t w a g e n , neben denen auch die E i g e n t ü m e r d e r K r a f t w a g e n als die Geschäftsherren der Wagenführer verantwortlich sein können, wenn sie i m W a g e n sitzen, die Gefahr erkannt haben oder schlechthin hätten erkennen müssen, ohne besondere Aufmerksamkeit anzuwenden und fortdauernd auf den Führer zu achten, und wenn sie in der L a g e waren, sie abzuwenden ( R G J W 1905, 2 8 7 1 1 ; 1908, 405 7 ; 1909, 2 7 6 1 1 ; 1 9 1 0 , 105 3 , 1 4 8 1 2 ; 1 9 1 1 , 40 26 , 2 1 8 2 2 ; 1 9 1 5 , 89; 1 9 2 1 , 627®; 1928, 1 7 2 3 3 ; 1932, 781 5 , 782®, 2 0 2 4 1 1 ; WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 209; 1 9 1 5 Nr. 19 u. 1 5 1 ; 1 9 1 7 Nr. 28; SeuffArch 86 Nr. 8 3 ; s. auch H R R 1937 Nr. 1 6 2 2 ; B G H L M § 8 3 1 [Fe] Nr. 5). Nicht mithaftbar sind dagegen, unbeschadet eines besonderen selbständigen Haftungsgrundes, a n d e r e m i t f a h r e n d e P e r s o n e n ( R G H R R 1938 Nr. 3 1 1 ) ; ihr Nichteingreifen ist ihnen daher in der Regel auch nicht als mitwirkendes Verschulden (§ 254) anzurechnen ( R G WarnRspr 1935 Nr. 130). So können auch die Teilnehmer an einer Schwarzfahrt für einen dabei eintretenden Schaden nur dann haftbar gemacht werden, wenn besondere Umstände in ihrem Verhalten, z. B. Trinken mit dem Wagenführer, für den Schaden ursächlich waren ( R G SeuffArch 82 Nr. 49). Der Teilnehmer an einem Kraftwagenausflug, der sich unterwegs sinnlos betrinkt und dadurch außerstand setzt, die Trunkenheit des Wagenführers zu erkennen, handelt schuldhaft und verursacht die Folgen mit, die ihm aus einem Unfall erwachsen, der durch Fahrlässigkeit des Wagenführers entstanden ist ( R G 20. 4. 36 V I 461/35). Einzelheiten über das Verhalten der Verkehrsteilnehmer ergeben sich aus den Spezialgesetzen. Den Verkehr mit Kraftfahrzeugen regelte das RGes. über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen v. 3. 5. 1909 ( R G B l S . 4 3 7 ) , mit späteren Änderungen, jetzt das Straßenverkehrsgesetz v. 19. 12. 1952 (BGBl I, 837) mit Änderung durch das Gesetz v. 16. 7. 1957 (BGBl I, 709/710) in Verbindung mit der Straßenverkehrsordnung v. 13. 1 1 . 1937 ( R G B l I, 1 1 7 9 ) , jetzt in der Fassung der Bekanntmachung v. 29. 3. 1956 (BGBl I , 2 7 1 , 327) und der V O v. 25. 7. 1957 (BGBl I, 780) u. der Straßenverkehrszulassungsordnung v. 13. 1 1 . 1937 ( R G B l I, 1 2 1 5 ) in der Fassung v. 29. 3. 1956 (I 2 7 1 , 510) u. der V O v. 16. 10. 1956 (BGBl I, 814), v. 2 1 . 2. 1957 (BGBl I, 35) und v. 25. 7. 1957 (BGBl I, 780). Vgl. Anm. 55, Verkehr. Für die S c h i f f a h r t vgl. Seestraßenordnung v. 22. 12. 1953 (BGBl I I 603, 760) u. Seeschiffahrtsstraßenordnung v. 6 . 5 . 1952 ( B G B I I I 5 5 3 ) ; für die B i n n e n s c h i f f a h r t s. Binnenschiffahrtsgesetz v. 15. 6. 1895 u. BinnenschiffahrtsPVO v. 1 2 . 4 . 1939 ( R G B l I I 655) u. RheinschiffahrtsPVO v. 24. 12. 1954, B G B I I I 1 4 1 1 ; über Gehorsamspflicht gegen den Kapitän eines Schleppers und die Pflicht des Anhangschiffers zum Abweichen hiervon s. B G H 28, 84; V e r s R 1958, 392), über die Pflichten eines Schleppzugführers s. B G H V e r s R 1958, 759.
A n m . 80 Die E i s e n b a h n - u n d S t r a ß e n b a h n u n t e r n e h m e r haften nach B G B , wenn sie in ihren Vertretern ein wirkliches oder vermutetes ( § 8 3 1 ) Verschulden trifft (vgl. R G J W 1 9 1 1 , 3 2 4 1 7 ; WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 199: Mangel an Aufsichtspersonal, zu ausgedehnter Verkauf von Bahnsteigkarten; 1920, 1 1 : kein Verschulden, daß die Straßenbahn keine Maßregel gegen Uberfüllung der vorderen Plattform des Anhängewagens trifft). Keine Haftung begründet das Unterlassen der Betriebsstillegung bei besonders
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Unerlaubte Handlungen
§ 823
Anm. 81, 82 starkem Andrang zu einem Straßenbahnwagen (OGH NJW 49, 669). Über die Verpflichtung des Unternehmens eines Omnibusbetriebes, dafür zu sorgen, daß bei fahrplanmäßiger Abfahrt nicht ein Körper und Leben gefährdender Andrang entsteht, s. Braunschweig J R 1949, 347; über Fahrgeschwindigkeit der Straßenbahnen s. R G S t 67, 71. Eine Straßenbahngesellschaft, die Fahranwärter für ihren Betrieb ausbilden läßt, muß den Lehrgang regeln und dafür sorgen, daß sie nicht zu bald, ohne genügende Vorbereitung und Bewährung, auf belebten Straßen, wenn auch unter Aufsicht des Führers, einen Motorwagen leiten (RG H R R 1928 Nr. 1801). Keine Entschuldigung für Straßenbahngesellschaften, wenn sie hinsichtlich Vorfahrt dem Personal falsche Weisungen gegeben hat, die sich mit der Auffassung der Aufsichtsbehörde decken ( B G H V R S 10, 413). Zum Einfluß von Verdunkelungsmaßnahmen auf die Unfallhaftung der Straßenbahn und die Sorgfaltspflicht des Fahrgastes s. R G 167, 325; 168, 304; R G D R 1942, 578 1 6 ; Hamburg D J 1941, 292; zur Verantwortung von Straßenbahn und Fußgänger s. R G D R 1944, 197, 17. Über die Verpflichtung des Straßenbahnschaffners, Gefahren von den Fahrgästen abzuwenden, s. R G SeufFArch 93 Nr. 7 1 ; über die Pflicht der Eisenbahnverwaltungen, an Wegeübergängen, wo es der Verkehr erfordert, Schranken anzubringen, s. Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung v. 17. 7. 1928 (RGBl II, 542) als Schutzgesetz i. S. von §823 Abs. 2 (RG 148, 303, 309; 169, 376, 380; WarnRspr 1910 Nr. 57; R G D R 44, 36); vgl. Anm. 65. Das Reichshaftpflichtgesetz (§9) und Gesetz über die Haftpflicht der Eisenbahnen und Straßenbahnen für Sachschäden (§ 7) lassen ebenso wie das StVG (s. oben) die weitergehende Haftung nach §§ 823, 831 unberührt.
Anm. 81 VI. Ersatzberechtigte 1. U n m i t t e l b a r V e r l e t z t e r . Ersatzberechtigt ist nur d e r u n m i t t e l b a r V e r l e t z t e (RG 57, 353; 61, 293; 80, 48, 150; 82, 189; 92, 401, 404; 97, 89; 126, 253; B G H 7, 30, 33). Das gilt auch im Falle des § 823 Abs. 2 (RG 126, 253; 163, 21, 3 3 f ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 372), in dem derjenige ersatzberechtigt ist, dessen Schutz das verletzte Gesetz dient. Diese Begrenzung ergibt sich aus dem Prinzip der spezialisierten Haftungstatbestände und der Ablehnung einer allgemeinen Vermögensschädigung. Schadensersatzansprüche d r i t t e r Personen aus einer gegen einen andern begangenen u. H. sind n u r in den Fällen der §§ 844, 845 (auch § 10 StVG) gegeben, von denen § 844 nicht eigentlich eine Ausnahme von der Regel, sondern eine Ordnung innerhalb der Regel bildet, denn der Schaden der Tötung eines Menschen trifft unmittelbar die Hinterbliebenen (RG 55, 24 u. 30; 82, 189; 92, 404; 97, 89). So kann nicht der Theaterdirektor, dessen Unternehmen durch die Körperverletzung eines Künstlers benachteiligt worden ist, und nicht die Versicherungsgesellschaft wegen Tötung des Versicherten gegen den Täter Schadensersatzansprüche erheben (beachte jedoch §67 V V G ; Anm. 91), auch nicht eine Witwe den Schaden ersetzt verlangen, der ihr durch den Übergang der Unterhaltspflichten auf sie infolge der Tötung ihres Ehemannes entstanden ist ( R G 64, 144), nicht der Vater eines Verletzten wegen Vermehrung der Unterhaltskosten (RG J W 1906, 810), nicht der Dienstherr, der gegen einen durch die u. H. eines Dritten Verletzten die Ansprüche auf die Dienste verloren hat und diesem noch Ruhegehalt zahlen muß ( R G 82, 189; g2, 401; beachte jedoch § 139 D B G ; 87a BBG; vgl. Anm. 90; Vorbem. § 823 Anm. 71), nicht der Bauherr, dem die Fertigstellung seines Baues durch den von einem Dritten verschuldeten Unfall eines Bauhandwerkers verzögert worden ist, den ihm erwachsenen Vermögensschaden gegen den Dritten einklagen (RG 97, 89), ebensowenig kann der kirchenbaupflichtige Fiskus Schadensersatz von dem Brandstifter verlangen ( R G 82, 206). Zur Frage, ob der Verletzte den einem Dritten entstandenen Schaden auf Grund rechtlicher Interessenverknüpfung mit dem Dritten verlangen kann, vgl. R G H R R 1927 Nr. 345; zweifelnd H R R 1934 Nr. 1277; B G H N J W 1959, 479.
Anm. 82 Die in § 823 Abs. 1 genannten Rechtsgüter und Rechte brauchen nicht unmittelbar verletzt zu sein. Es genügt ihre mittelbare Verletzung, die wohl zu unterscheiden ist von 8z
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§ 823 Anm. 83—85
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
der mittelbaren Rückwirkung einer Verletzung auf das Vermögen einer anderen als der verletzten Person, wie z.B. bei Schadensersatz wegen des Entgangs von Arbeitsleistungen. Bei mittelbaren Verletzungen muß allerdings zwischen Handlung und Verletzung ein adäquater Zusammenhang bestehen und es muß zur Bejahung des Verschuldens dieser Erfolg mindestens voraussehbar gewesen sein ( D e u b n e r NJW 1957, 1269). Daher ist derjenige, der ein Kind tödlich überfährt, auch für den Schaden ersatzpflichtig, der daraus entsteht, daß die Mutter durch die seelische Erregung über den Tod ihres Kindes einen Nervenzusammenbruch erleidet und so in ihrer Gesundheit geschädigt wird (RG 133, 270; München VersR 1959, 59). Es handelt sich somit nur um eine scheinbare Abweichung von dem Grundsatz, daß nur der unmittelbar Verletzte schadensersatzberechtigt ist (BGH 7, 30, 33). Wird eine Ehefrau im Krankenhaus mit Lues angesteckt und kommt ein Kind infolgedessen mit angeborener Lues zur Welt, so stehen dem Kind Schadensersatzansprüche zu (BGH 8, 243). Keine Schadensersatzberechtigung eines Kindes, wenn Vater oder Mutter bei Zeugung und Empfängnis des Kindes mit einer Krankheit behaftet waren (BGH J Z 1952, 167; vgl. BGH 8, 234, 249; ferner R u d . S c h m i d t J Z 1952, 167). Nervenzerrüttung als Schreck über eine Explosion als durch diese verursachter nach § 823 zu ersetzender Schaden, R G J W 1931, 1468 11 . Mittelbare Schädigung einer Frau, weil ihre Unterhaltsansprüche von den Vermögens- und Erwerbsverhältnissen des Ehemannes abhängen, die durch die Verminderung der Arbeitsfähigkeit der Frau verschlechtert werden (RG J W 1913, 99, 100). Vgl. ferner R G 157, 11; D R 1940, 163; H R R 1940 Nr. 158; BGH VersR 1956, 572 u. 616, 618; Freiburg J Z 1953, 704; München NJW 1959, 819, auch zum mitwirkenden Verschulden des „unmittelbar" Verletzten. Angriffe gegen eine OHG sind Angriffe gegen die Gesellschafter (RG 95, 339, 341). Anm. 83 Über den abschließend in §§ 844, 845 BGB genannten Personenkreis der mittelbar Geschädigten hinaus besteht kein Anspruch aus u. H. Der Arbeitgeber hat deshalb aus eigenem Recht keinen Anspruch gegen den Schädiger, wenn er den Lohn an einen unfallgeschädigten, dienstunfähigen Angestellten fortzahlen muß, dagegen aus der der Interessenlage des § 255 BGB Anspruch aus abgetretenem Recht (BGH 7, 30; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 71), auch aus der Abtretung unpfändbarer und daher an sich unübertragbarer Ansprüche, wenn der Abtretende den vollen Gegenwert erhält (BGH 7, 30, 52; 4, 153 teilweise geändert durch 13, 360, 367; 21, 112). Die Schadensersatzpflicht wird nicht dadurch berührt, daß dem Geschädigten gegen seinen Arbeitgeber Ansprüche auf Fortzahlung der Arbeitsvergütung zustehen (BGH 7, 30, 50; 10, 107; 13, 360, 363; 21, 112). Eine allgemeine Übertragung der Bestimmungen über den gesetzlichen Forderungsübergang (vgl. Anm. 85 fr) auf andere Rechtsgebiete ist abzulehnen (RG 92, 401, 406; BGH 13, 360, 366). Zu der Frage, ob ein unmittelbar Gechädigter Drittschaden des mittelbar Geschädigten geltend machen kann, vgl. BGH 7, 30, 51. Anm. 84 Von m e h r e r e n durch eine u. H. innerhalb eines Personenkreises verletzten Personen kann eine j e d e nur i h r e n e i g e n e n S c h a d e n geltend machen (RG 56, 271). Wenn durch dieselbe Eigentumsverletzung mehrere Personen unmittelbar beschädigt werden, dergestalt, daß eine Ersatzleistung den allen entstandenen Schaden ausgleicht, kann die gutgläubige Leistung des Schadensersatzes an einen Beschädigten, den Besitzer, den Schädiger von weiteren Schadensersatzansprüchen befreien (§851). Über familienrechtliche Prozeßstandschaften in Unfallprozessen s. Wussow J W 1938, 1305. — Mit Ausnahme des Anspruchs auf Ersatz des nicht vermögensrechtlichen Schadens (§847) sind die Schadensersatzansprüche v e r e r b l i c h und mit der durch §§ 843, 844 im Zusammenhange mit § 850 b ZPO und § 400 BGB gegebenen Beschränkung ü b e r t r a g b a r . Anm. 85 2. Übergang auf Sozialversicherungsträger. Vgl. S e i t z , Die Ersatzansprüche der S V T , 1954. Die Ansprüche der S o z i a l v e r s i c h e r t e n — mit Ausnahme der An1278
Unerlaubte Handlungen
§823 A m n . 85
Sprüche gegen den Unternehmer (§ 1542 R V O Abs. 1 Satz 3 ; vgl. hierzu R G 102, 1 3 1 ; B G H 20, 3 0 1 , 303) — gehen nach § 1542 R V O (ebenso § 49 A V G , § 105 R K n a p p s c h Ges; § 2 1 8 A V A V G ) a u f d i e T r ä g e r d e r V e r s i c h e r u n g ( S V T ) über, s o w e i t diese nach den genannten Gesetzen Leistungen zu e r b r i n g e n haben ( R G 123, 40; 134, 293; 148, 1 9 ; 172, 1 0 1 ; J W 1932, 2 5 3 7 1 9 ; 1934, 1 1 1 2 ; 1936, 444 4 ; 1937, 2 3 6 0 " , 2 3 6 6 " ; 1938, 4 6 " ; WarnRspr 1930 Nr. 5, 1 7 2 ; 1931 Nr. 8 1 ; SeufTArch 86 Nr. 82, 83; 88 Nr. 20589 Nr. 1 1 3 ; die zu § 618 Anm. 1 5 angeführten Entscheidungen; § 843 Anm. 10). Es handelt sich um einen von Amts wegen zu berücksichtigenden Ubergang ( R G SeufFArch 88 Nr. 150) i m A u g e n b l i c k d e r E n t s t e h u n g d e r A n s p r ü c h e , auch wenn die Leistungen erst später erbracht werden ( R G 156, 3 5 1 ; 1 7 1 , 1 7 4 ; B G H 19, 177, 1 7 8 ; 27, 1 0 7 ; L M R V O § 1542 Nr. 5, 9; V e r s R 1957, 803; 1958, 454; 1959, 34). Beachte §§ 4 1 2 , 399 bis 404, 406 bis 4 1 0 und die weitgehende Rechtsprechung zur Kenntnis im Sinne des §407 ( B G H 19, 1 8 1 ; V R S 1, 3 5 ; R G 60, 207). Aus der Tatsache, daß z.B. die Leistungen in der Unfallversicherung von Amts wegen, in der Invalidenversicherung erst auf Antrag festgesetzt werden, kann nicht entnommen werden, daß für den Forderungsübergang auf die S V T etwa der Zeitpunkt der Antragstellung oder der Zeitpunkt der Rentenfestsetzung maßgebend wäre ( B G H V e r s R 1958, 5 3 3 ; 1959, 34; a A Braunschweig V R S 13, 345). Tritt ein versicherter Arbeitnehmer nach dem Unfall zu einem anderen S V T über, so erwirbt dieser die nach § 1542 R V O übergehenden Schadensersatzansprüche des Verletzten als Rechtsnachfolger des ursprünglichen S V T ( B G H V e r s R 1958, 153). Uber die Möglichkeit eines Verzichts des Geschädigten auf Inanspruchnahme des S V T und unmittelbare Inanspruchnahme des Schädigers vgl. Schleswig N J W 1955, 1 2 3 4 ; ferner Düsseldorf J W 1937, 2827; Stuttgart M D R 1957, 480; Neustadt M D R 1954, 545. Die V e r j ä h r u n g beginnt mit dem Augenblick, in dem die nach § 852 erforderliche Kenntnis bei dem Geschädigten, seinen Hinterbliebenen oder dem S V T vorhanden ist. Kenntnis des Geschädigten wirkt gegen den S V T ( B G H V e r s R 1959, 35). Unerheblich ist es, wann der Bescheid über die Anerkennung einer Leistungspflicht durch den S V T ergeht ( R G 152, 1 1 5 , 1 1 7 ; B G H V e r s R 1957, 803; 1959, 3 5 ; Celle V e r s R 1957, 398; Düsseldorf V e r s R 1958, 86). Da der Ubergang der Schadensersatzansprüche sofort mit ihrer Entstehung erfolgt, stehen der kraft Gesetzes übergegangene und der beim Geschädigten verbliebene Anspruchsteil als zwei selbständige Forderungen nebeneinander, die durch die Person des Gläubigers geschieden sind. Für jeden Anspruchsteil gilt daher eine selbständige Verjährungsfrist. Eine vom Geschädigten erhobene K l a g e unterbricht daher die Verjährung des auf den S V T übergegangenen Anspruchsteils nicht ( B G H V e r s R 1957, 2 3 1 ) . Der gegenüber dem S V T abgegebene Verzicht auf die Einrede der Verjährung kann daher nicht ohne weiteres auf den beim Verletzten verbliebenen Anspruchsteil bezogen werden ( B G H V e r s R 1957, 452). Der Forderungsübergang gilt im Verhältnis zum Geschädigten auch, wenn der Geschädigte nur Ansprüche kraft Besatzungsrecht hat und die Besatzungsmacht den Ubergang nicht anerkennt; bei Auszahlung an den Geschädigten daher Bereicherungsanspruch des S V T ( B G H 1 2 , 220, 2 3 1 ; vgl. B G H V e r s R 1956, 85; Stuttgart V e r s R 1957, 672). Wegen Rückübergangs des Anspruchs bei Nichtleistung durch den S V T s. R G 72, 430; J W 1908, 2 1 ; 1 9 1 0 , 1 5 ; 1937, 2366. Es handelt sich bei dem Übergang nach § 1542 R V O nicht um die Geltendmachung eines dem S V T erwachsenen Drittschadens, sondern um den Schadensersatzanspruch des Geschädigten ( B G H 9, 17g, 189). Der Einwand, es sei infolge der Gewährung einer öffentlich-rechtlichen Versicherungsleistung ein Schaden nicht eingetreten, versagt ( B G H 9, 179, 186; 22, 72, 75). Der Anspruch gegen den Schädiger geht auch dann auf den S V T über, wenn der Verletzte auf Grund tariflicher Lohnsicherung von dem Unternehmer einen Schadensausgleich erhält und der Unternehmer die Abtretung des Schadensersatzanspruchs an sich nicht verlangt (BGH M D R 1958, 597). Der Übergang erfaßt die Ansprüche des Geschädigten auch in dem U m f a n g , in dem die S o z i a l v e r s i c h e r u n g s l e i s t u n g e n e r h ö h t werden, selbst wenn der Geschädigte mit dem Schädiger einen Abfindungsvergleich geschlossen hat ( R G D R 1943, 1 2 3 7 ; B G H 19, 1 7 7 ; V e r s R 1953, 209 m. Anm. K ö h l e r S. 286); anders bei Gewährung ganz neuer Ansprüche auf Grund von Systemänderungen ( B G H V e r s R
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 86
i954> 537! '955. 3935 !957> 8 o 3)- Für die Anwendung des § 1542 RVO ist es nicht entscheidend, ob eine neu begründete Leistungspflicht des SVT in der RVO oder in einem besonderen Gesetz niedergelegt ist (BGH VersR 1959, 51). Zur Auslegung eines Vergleichs s. BGH VersR 1955, 393. Auch Ansprüche aus Verträgen gehen über (BGH 26, 365, allerdings zweifelhaft für Versicherungsverträge; VersR 1959, 275; vgl. RG 161, 76; Wussow DR 1944, 564); ferner Ansprüche aus §§ 670, 683 (RG 167, 85: Anspruch aus Lebensrettung), Ansprüche aus §§ 843, 844 (BGH 9, 179). Soweit Nachteile eines von einem hoheitlichen Eingriff Betroffenen durch Leistungen der SVT ausgeglichen werden, entsteht kein Aufopferungsanspruch, der übergehen könnte (BGH VersR 1956, 277). Leistungen der SVT sind anderweitige Ersatzansprüche nach §839 Abs. 1 Satz 2, so daß in diesen Fällen kein auf die SVT übergehender Schadensersatzanspruch entsteht (RG 171, 173, 181). Wenn ein Haftpflichtversicherer nach § 158 c VVG in Ansehung eines Drittgeschädigten haftet, so entfällt diese Haftung, soweit der Geschädigte von einem SVT schadlos gestellt wird. Deshalb kann der SVT ebenfalls nicht auf Grund des § 1542 RVO einen Übergang von Ansprüchen gegen den Versicherer geltend machen (BGH 7,244; 20,371; 25,322 mit Stellungnahme S c h m i d t DAR 1958,125). Da ein Aufopferungsanspruch nicht entsteht, soweit die Nachteile des Betroffenen durch einen SVT ausgeglichen werden, kann insoweit ebenfalls kein Ubergang nach § 1542 RVO, § 49 RVG stattfinden (BGH 20, 81). Da Ansprüche eines Arbeitnehmers gegen einen anderen Arbeitnehmer desselben Betriebes wegen eines von diesem aus Fahrlässigkeit verursachten Arbeitsunfalls ausgeschlossen sein können, kommt auch insoweit ein Ubergang solcher Ansprüche nach § 1542 RVO nicht in Frage (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 38). Da Ansprüche gegen Unternehmer und ihnen Gleichgestellte nach §§ 898, 899 RVO ausgeschlossen sind (vgl. Vorb. § 823 Anm. 37), findet insoweit kein Forderungsübergang statt (BGH 20, 301, 303). Wegen der Wirksamkeit eines vorherigen Verzichts vgl. RG 161, 76, 80; Dresden HRR 1939 Nr. 1458. Uber die Unwirksamkeit der vorherigen Vereinbarung eines Haftungsausschlusses gegenüber einem nach § 426 Ausgleichungspflichtigen s. BGH 12, 213. Der Ersatzanspruch des SVT ist nach § 4 Abs. 2 Arbeitsunfallgesetz (Gesetz über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen v. 7. 12. 1943, RGBl I, 674) ausgeschlossen, wenn es sich um einen Unfall im Dienste (nicht in demselben Betrieb) des Unternehmers handelt, dessen Haftung ohne das Arbeitsunfallgesetz nach § 898 RVO ausgeschlossen wäre, zu dem der Verletzte also in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Unternehmer der bei der Besatzungsmacht beschäftigten deutschen Arbeitskräfte war im Jahre 1948 das Deutsche Reich, später die Bundesrepublik (BGH 20, 301). A n m . 86
Der Übergang erfolgt nur im Umfang der vom SVT zu g e w ä h r e n d e n Leistungen, nicht für freiwillige Leistungen (RG J W 1936, 2936). Der Schädiger muß dem Versicherungsträger dessen Leistungen erstatten, soweit sie durch das schadenstiftende Ereignis ausgelöst sind und sich im Rahmen des Schadensersatzanspruchs halten (RG 102, 131, 133; BGH 9, 179, 186). Es gehen nur g l e i c h a r t i g e Ansprüche über, die den vom SVT gewährten Leistungen entsprechen (RG 167, 207; J W 1934, 885; 1936, 2560 u. 3290; 1937, 2370, 3 1 1 6 ; O G H 4 , 16; B G H 9, 179, 189; N J W 1956, 219; V e r s R
1958, 454; 1959, 231: Sterbegeld und Anspruch aus § 844 Abs. 1). Es muß der Schadensersatzanspruch des Verletzten nach der Art der ihm erwachsenen Schäden unterschieden und es muß untersucht werden, ob die Leistungen, die ihm der Versicherungsträger gewährt, nach ihrem Zweck der Deckung dieser Schäden dienen. Daher findet z.B. bei Zahlung einer Versicherungsrente wegen a b s t r a k t e r Minderung der Berufsfähigkeit kein Übergang des Anspruchs auf Ersatz der t a t s ä c h l i c h eingetretenen Vermehrung der Bedürfnisse statt (BGH NJW 1956, 219; VersR 1958, 454). Der Träger der Rentenversicherung hat auch Erstattungsansprüche wegen der Beitragsleistungen, die er auf Grund des Gesetzes über die Verbesserungen der Leistungen in der Rentenversicherung v. 24. 7. 1941 (RGBl 443) und des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung der Rentner v. 12. 6. 1956 (BGBl I, 500) machen muß (BGH NJW 1959, 338; vgl. H ü s k e VersR 1957, 698; T ü m m l e r VersR 1958, 143). Die nach §§ 843, 844 zustehenden Ansprüche gehen auch dann über, wenn der Ver1280
Unerlaubte Handlungen
§823 Arnn. 87—89
sicherungsträger vorher bereits Invaliden- oder Knappschaftsrenten an den Getöteten zahlen mußte ( B G H 9, 179). Bei Tötung eines Arbeitnehmers tritt keine Beschränkung des Forderungsübergangs auf den Zeitpunkt des ohne diesen Fall eintretenden Bezugs einer Altersrente ein ( B G H 9, 179, 190). A n m . 87 Wenn der Gesamtschaden größer ist als der dem Geschädigten zustehende Ersatzanspruch, z. B. bei mitwirkendem Verschulden des Verletzten oder bei der aus sonstigen Gründen eintretenden Begrenzung der Schadensersatzpflicht, z. B. wegen der Haftungsgrenze des S t V G , ergreift der Forderungsübergang den dem Verletzten zustehenden Teilanspruch mit Vorrang vor dem ihm etwa verbleibenden Restanspruch, Quotenv o r r e c h t des S V T ; dies gilt auch für den Fall, daß die Ersatzforderung des Geschädigten nicht realisiert werden kann ( R G 148, 2 1 ; H R R 1933 Nr. 1508; J W 1934, 899; O G H 4, 20; B G H 13, 28, 3 2 ; VersR 1954, 176; 1956, 85; 1957, 8 1 4 ; vgl. R e i n i c k e N J W 1954, 1 1 0 3 ; S c h m i d t VersR 1958, 278). Wegen der prozessualen Behandlung des Forderungsübergangs vgl. Vorbem. § 823 Anm. 102. Verlangt ein Sozialversicherter als Ersatz für Körperverletzungsschaden auf Grund des S t V G einen Kapitalbetrag, so ist bei der Berechnung, ob der Höchstbetrag des § 1 2 S T V G überschritten ist, die wegen des Quotenvorrechts vorgehende, vom S V T gezahlte Rente zu kapitalisieren ( B G H VersR 1958, 324; vgl. VersR 1959, 352). Wenn zwei S V T , z.B. Unfall- und Rentenversicherung, verpflichtet werden und der auf sie nach § 1542 R V O übergehende Anspruch nicht zur vollen Ersatzleistung ausreicht, so sind beide Gesamtgläubiger. Sie sind im Innenverhältnis nach dem Verhältnis ihrer beiderseitigen Rentenverpflichtungen zur Ausgleichung verpflichtet ( B G H 28, 68; Celle VersR 1957, 466). K a n n ein S V T , der auf Grund eines Unfalles geleistet hat, im Innenverhältnis von einem anderen S V T Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, so kommt es für den Forderungsübergang nach § 1542 R V O nur darauf an, welcher S V T im Außen Verhältnis zum Versicherten unmittelbar und in erster Linie zur Leistung verpflichtet ist ( B G H 27, 107; vgl. V o l l m a r VersR 1956, 335). Dem Rückgriffsanspruch einer Berufsgenossenschaft kann ein Mitverschulden des ihr angehörenden Betriebsunternehmers nicht entgegengehalten werden ( R G I53> 38). A n m . 88 Der Ersatz des Wertes der vom S V T erbrachten Leistung erfolgt (in der Regel) nach Pauschalsätzen (§§ 1524, 1542 Abs. 2 R V O in der Fassung durch das 5. Gesetz zur Änderung der Unfallversicherung v. 1 7 . 2 . 1 9 3 9 R G B l I, 267; vgl. K i r s t e i n VersR 1957, 4 2 1 ; 1958, 822). Die Geltendmachung der Pauschalsätze ist m i ß b r ä u c h l i c h , wenn w e s e n t l i c h mehr Beträge als tatsächlich entstandene Aufwendungen gefordert werden ( R G D R 1944, 406; B G H 12, 154; VersR 1954, 166: Berechnung bei Mithaftung des Geschädigten; 1956, 178; Frankfurt VersR 1953, 246; vgl. K i r s t e i n M D R 1958, 1 3 7 ; L i n d e m a n n VersR 1957, 766; H ö r i n g VersR 1958, 212). Eine Pauschalberechnung der von dem Schädiger zu ersetzenden Krankheitskosten ist auch bei Gewährung von Familienhilfe durch den S V T zulässig ( B G H N J W 1958, 462; VersR 1958, 1 5 3 ; vgl. V i e w e g N J W 1957, 1882). Wegen der Geltendmachung teilweise von Pauschalsätzen, teilweise von tatsächlichen Aufwendungen vgl. Stettin D R 1 9 4 1 , 1964; M ö r i n g VersR 1958, 78. Kein Rückgriffsanspruch nach ArbUnfGes. v. 7. 12. 1943, § 4 Abs. 2 ( B G H 20, 3 0 1 ; s. Anm. 85). Zur Auslegung von Schadensteilungsabkommen zwischen S V T und Haftpflichtversicherer s. B G H L M R V O § 1542 Nr. 2 = VersR 1 9 5 1 , 65; VersR 1956, 403. A n m . 89 Der Forderungsübergang ist grundsätzlich im Verfahren über den Grund des Anspruchs zu prüfen. Ein Zwischenurteil nach § 304 Z P O ist nur zulässig, wenn trotz Berücksichtigung des Ubergangs noch eine Forderung zugunsten des Geschädigten verbleibt ( R G J W 1937, 1 1 5 5 ; B G H L M 1542 R V O Nr. 14; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 102). Wegen des Tenors des Grundurteils vgl. B e l e m a n n M D R 1950, 601. Soweit die Versicherungspflicht des S V T noch nicht festgelegt ist, kann der S V T zur Unterbrechung 1281
§ 823 A n m . 90
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
der Verjährung des nach § 1542 auf ihn übergegangenen Anspruchs eine Feststellungsklage erheben (BGH VersR 1957, 803). Ansprüche zweier Sozialversicherungsträger wegen der internen Ausgleichung in den Fällen, in denen ein Ersatzanspruch nach § 1542 RVO auf beide Versicherungsträger übergegangen ist, gehören vor die Zivilgerichte (BGH NJW 1958, 1588 = VersR 1958, 533; Celle VersR 1957, 466). Wegen der Bindung der ordentlichen Gerichte an die Feststellungen der Sozialgerichte vgl. §§ 1543. 9°i RVO (RG 88, 142; 92, 296; 93, 321; 102, 1 3 1 ; i n , 160; J W 1937, 1204; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 44). Die Ansprüche aus §§ 1542 und 903 RVO stehen nebeneinander (RG DR 1940, 1179; B G H VersR 1952, 229). Der nach § 1542 R V O der Berufsgenossenschaft verpflichtete Schädiger und der nach § 903 RVO regreßpflichtige Unternehmer sind keine echten Gesamtschuldner. Deshalb besteht keine Ausgleichungspflicht eines nach § 898 R V O Begünstigten im Innenverhältnis zu einem unbeschränkt haftenden Mitschädiger (RG DR 1940, 1179 m. Anm. H e r s c h e l ; B G H 6, 3, 22; 19, 114, 123; LM § 426 Nr. 8; VersR 1957, 465). A n m . 90 3. Forderungsübergang nach ähnlichen Bestimmungen. Ähnliche Regelungen über einen Forderungsübergang enthalten § 139 DBG, § 168 jetzt § 87 a BBG (vgl. Vorbem. §823 Anm. 69), §86 Abs. 2RVersG, § 134 Wehrmachtsfürsorge-und VersorgungsGes. v. 26. 8. 1938, § 81 BVersG v. 20. 12. 1950, § 51 SoldatenVersG v. 26. 7. 1957 (BGBl I, 785), § 14 Ges. über die Sicherung des Unterhalts für Angehörige der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen (UnterhaltssicherungsGes.) v. 26. 7. 1957 (BGBl I 1046). Nach § 139 DBG, § 168 BBG gingen die Schadensersatzansprüche auf den Dienstherrn über, wenn er V e r s o r g u n g s b e z ü g e zu leisten hatte (BGH VersR 1957, 522; vgl. VersR 1958, 528). Nach dem BeamtenrechtsrahmenGes. (BRRG) v. 1. 7. 1957 (BGBl I, 667) tritt ein gesetzlicher Forderungsübergang jetzt ein, wenn der Dienstherr während der auf einer Körperverletzung beruhenden Aufhebung der Dienstfähigkeit seines Beamten zur Gewährung der Dienstbezüge verpflichtet ist und insoweit, als der Dienstherr infolge Körperverletzung oder Tötung eine Versorgung oder eine andere Leistung zu gewähren hat, §§52, 139 Abs. 1 Nr. 23, 142 BRRG, §87a BBG in Kraft seit 1.9 1957, BGBl I 1337 (BGH NJW 1957, 1476 = VersR 1957, 522; 1959, 290; vgl. H i t z e i b e r g e r NJW 1958, 86; P e n t z NJW 1958, iqög). Die gleiche Regelung gilt auch in den Fällen, in denen eine Versorgungskasse zur Gewährung von Versorgungsbezügen verpflichtet ist (§52 BRRG; aA R G 162, 93). Die Forderung gegen den Schädiger geht nur dann über, wenn der Dienstherr zur Gewährung oder Erhöhung von Versorgungsbezügen verpflichtet ist oder wenn er auf Grund einer „Kann"Bestimmung Leistungen bewilligt und an diese Bewilligung gebunden ist (BGH 10, 295, 300; LM UmzugsKostGes. § 11 Nr. 1; LM BayBeamtenGes. Art. 154 Nr. 1; VersR 1957, 803). Der öffentlich-rechtliche Dienstherr, auf den Ersatzansprüche nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen übergegangen sind, kann als Dritter auch den Anspruch gegen einen Haftpflichtversicherer nach § 158c VVG geltend machen (BGH 25, 330). Der Schadensersatzanspruch des Verletzten geht mit der Entstehung auf den Dienstherrn über (RG 160, 253; 163, 396, 398). Bei dem Forderungsübergang nach § 168 BBG — früher § 139 DBG — § 87a BBG besteht im Gegensatz zu § 1542 R V O k e i n Q u o t e n v o r r e c h t des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn. Hat der Schädiger nur einen Teil des einem Beamten oder Hinterbliebenen entstandenen Schadens zu ersetzen, so darf sich der Ubergang des Schadensersatzanspruchs auf den öffentlichen Versorgungsträger nicht zum Nachteil des Beamten oder der Hinterbliebenen auswirken. Nur der Teil des Schadensersatzanspruchs, der nach Deckung des Schadens des Beamten oder Hinterbliebenen verbleibt, geht auf den Versorgungsträger über (RG 160, 253; B G H 22, 136 m. w. Nachw.; NJW 1957, 182; VersR 1957, 167; 1958, 528; vgl. § 87a BBG v. 14. 7. 1953 idF v. 18. 9. 1957, BGBl I, 1937; § 52 BRRG). Der Forderungsübergang bei Zahlung von Versorgungsbezügen endigt nicht mit dem Zeitpunkt, in dem der Getötete wegen Erreichung der Altersgrenze Versorgungsbezüge erhalten hätte (BGH 9, 179; s. LM § 1542 Nr. 4 Anm. D e l b r ü c k , abweichend von der insoweit nicht mehr zu beachtenden Entscheidung BGH 1, 45; vgl. R G 171, 1282
Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 91, 92
193, 197). Die Beschränkung der Geltendmachung von Ansprüchen eines Unfallverletzten Beamten gegen eine öffentliche Verwaltung nach § 1 2 4 D B G nimmt der eigenen Verwaltung, die Unfallfürsorge erbringt, und auf die Ansprüche nach § 139 D B G übergingen, nicht die Möglichkeit des Rückgriffs gegen eine andere öffentliche Verwaltung (BGH 6, 3). Der Forderungsübergang nach § 21 a F ü r s o r g e p f l i c h t V O , der sich auf Ansprüche auf Leistung des Lebensbedarfs, also nicht nur auf Schadensersatzansprüche erstreckt, ist von einer Überleitungsanzeige abhängig ( B G H L M FürsorgepflichtVO § 21 a Nr. 2 ; V e r s R 1959, 398).
Anm. 91 4 . F o r d e r u n g s ü b e r g a n g n a c h § § 6 7 , 158 f V V G . Nach § 6 7 V V G geht ein Ersatzanspruch, der dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zusteht, nur insoweit auf den Versicherer über, als dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Dieser Forderungsübergang tritt erst in dem Zeitpunkt ein, in dem der Versicherer leistet. Wenn der Schaden durch den Versicherer nur teilweise gedeckt wird, so verbleibt dem Versicherungsnehmer seine Ersatzforderung bis zur völligen Deckung seines Schadens und es geht nur die Restforderung über. Es besteht demnach k e i n Q u o t e n v o r r e c h t des Versicherers ( B G H 13, 28; V e r s R 1956, 6 6 1 ; die Entscheidung selbst ist aufgegeben in B G H 25, 340, 346; vgl. B G H 22, 1 3 6 ; V e r s R 1958, 767, 768 a . E . ; Stuttgart H R R 1932 Nr. 2296; H a m m D R 1939, 1 6 3 6 ; Freiburg V e r s R 1935, 1 7 8 ; Braunschweig V e r s R 1953, 2 0 1 ; vgl. R e i n i c k e N J W 1954, 1 1 0 3 . Es gilt die D i f f e r e n z t h e o r i e , also nicht die absolute und nicht die relative Theorie (vgl. B a c h V e r s R 1958, 657). Diese D i f f e r e n z t h e o r i e i s t d a h i n e i n g e s c h r ä n k t , daß die Forderung erst dann, aber auch schon dann übergeht, wenn der Gesamtschaden des Versicherungsnehmers in der v o m V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g e r f a ß t e n S c h a d e n s a r t durch die Versicherungsleistung zusammen mit dem dem Versicherungsnehmer verbleibenden Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger gedeckt ist. Es bleibt daher außer Betracht, ob ein Schaden, dessen Deckung die abgeschlossene Versicherung nicht dient, nicht voll gedeckt ist ( B G H 25, 340; V e r s R 1958, 1 5 m. Anm. P r ö l ß V e r s R 1958, 5 3 ; V e r s R 1958, 1 6 1 ) . Bei einer Fahrzeugkaskoversicherung gehören in diesem Sinne zu dem versicherten Schaden die Reparaturkosten, die Abschleppkosten, der Totalschaden, auch der technische und merkantile Minderwert ( B G H V e r s R 1958, 1 6 1 ; vgl. Anm. 97; vgl. M ö r i n g V e r s R 1959, 12 z. Zeitpunkt des Ubergangs nach § 67 V V G bei Vorhandensein eines merkantilen Minderwerts), nicht dagegen die Sachfolgeschäden, insbesondere Nutzungsausfall und die Kosten eines Ersatzwagens ( B G H V e r s R 1958, 15, 1 6 1 ) . Ähnlich der Rechtsprechung zu § 1542 R V O wird demnach eine gewisse Gleichartigkeit zwischen der Leistung des Versicherers und der Schadensersatzforderung des Versicherungsnehmers gefordert. Z u r Frage des Übergangs des Aufopferungsanspruchs vgl. V o s s V e r s R 1959, 1. In den Fällen des § 249 S. 2 geht der Ersatzanspruch auf den Versicherer in vollem U m f a n g über, wenn er Ersatz geleistet hat. Es findet keine Aufspaltung in einen dem Geschädigten verbleibenden Anspruch auf Wiederherstellung und einen Geldanspruch statt ( B G H 5, 105). § 67 V V G ist entsprechend anzuwenden, wenn die Gesellschafter einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft für ein gemeinschaftlich gehaltenes Kraftfahrzeug eine Haftpflichtversicherung genommen haben, und einer der mehreren Versicherungsnehmer seinen selbständigen Anspruch gegen den Versicherer verwirkt hat, obwohl dieser Versicherungsnehmer kein Dritter ist ( B G H 24, 378). Nach § I58f V V G geht die Forderung des Geschädigten gegen den Schädiger kraft Gesetzes auf den Versicherer über, wenn er ohne vertragliche Verpflichtung die Schuld des Versicherungsnehmers bezahlt ( B G H 26, 1 3 3 ; vgl. B G H 7, 244; 20, 3 7 1 ; V e r s R 1956, 364; BB 1959, 434; München V e r s R 1957, 94).
Anm. 92 5. H a f t u n g d e r U n t e r n e h m e r n a c h § 9 0 3 R V O . Bei Ausschluß der Haftung der Unternehmer oder der ihnen Gleichgestellten nach §§ 898, 899 R V O gegenüber den Verletzten (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 37 ff) besteht die Haftung der ersteren für die infolge
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 93 des Betriebsunfalles oder der Berufskrankheit gemachten Aufwendungen gegenüber den in § 903 Abs. 1 — 3 R V O bezeichneten Versicherungsträgern und den dort weiter benannten Stellen — nicht gegenüber der Reichsknappschaft ( B G H 26, 16) — , wenn eigener Vorsatz oder eigene strafrechtliche (vgl. R G J W 1920, 290) B e r u f s f a h r l ä s s i g k e i t oder Verstöße gegen Regeln der Baukunst strafrechtlich festgestellt werden, gegenüber Berufsgenossenschaften ohne strafrechtliche Feststellung (vgl. L a u t e r b a u c h UnfallVers § 903 R V O ) . Ansprüche sind auch bei Freisprechung des Unternehmers möglich ( R G 172, 1 0 1 , 1 0 3 ; D R 1944, 78; B G H L M § 8 2 3 [E] Nr. 5). Schuldhafte Außerachtlassung der Unfallverhütungsvorschriften begründet in der Regel den Tatbestand des § 903 (Celle V e r s R 1958, 65). Der Vorstand der Berufsgenossenschaft muß das in § 906 R V O geregelte Verfahren einhalten, wenn er Rückgriff nimmt. Es handelt sich dabei um eine von Ants wegen zu prüfende Frage für die Zulässigkeit der Regreßklage aus § 903 ( R G 144, 3 1 , 3 2 ; B G H V e r s R 1953, 3 3 5 ; 1956, 435, 436; 1957, 180; 1958, 4 1 5 ) . Die Anwendung des § 903 R V O ist, auch soweit Berufsfahrlässigkeit gefordert wird, nicht dadurch entfallen, daß die früheren Vorschriften des S t G B (§§ 222 Abs. 2, 230 Abs. 2), in denen für Berufsfahrlässigkeit eine erhöhte Strafe vorgesehen war, durch das Strafrechtsänderungsgesetz v. 2. 4. 1940 ( R G B l I, 606) aufgehoben sind. Es kommt nicht auf die strafgerichtliche Feststellung der Berufsfahrlässigkeit an, sondern darauf, ob die sachlichen Feststellungen des Strafurteils eine Berufsfahrlässigkeit ergeben ( B G H N J W 1958, 1088; Nürnberg N J W 1958, 270; Karlsruhe V e r s R 1958, 4 2 1 ) . Die Landesversicherungsanstalten der Invalidenversicherung sind in § 903 R V O nicht aufgezählt; es steht ihnen kein Rückgriffsrecht zu ( B G H 26, 16). Zur Bindung der Gerichte, ob ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliegt, ob und in welchem Umfange Entschädigung von dem Versicherungsträger zu leisten ist und in welchem Betrieb der Verletzte tätig war vgl. Vorbem. § 823 Anm. 44. Die §§899 und 903 R V O stehen im engen Zusammenhang ( R G 136, 345, 3 5 1 ; 158, 3 4 1 , 3 4 3 ; V e r s R 1956, 589). Die Regelung des Rückgriffsrechts geht davon aus, daß der Unternehmer und sein Vertreter im Sinne des § 899 R V O dem Betrieb zugeordnet sind, aus dem der Versicherungsaufwand der Berufsgenossenschaft erwächst. Deshalb sind die nach § 899 gleichgestellten Personen nur dann ersatzpflichtig, wenn sie in demselben Betrieb angestellt sind, aus dem sich die Versicherungsleistung der Berufsgenossenschaft ergibt ( R G D R 1942, 687; B G H N J W 1958, 182; vgl. Vorbem. § 8 2 3 Anm. 39 a. E.). Es handelt sich um einen Anspruch aus eigenem Recht; daher kein Einwand des mitwirkenden Verschuldens des Verletzten, das nur dann bedeutsam werden kann, wenn dadurch der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und Verschulden des Unternehmers oder der Gleichgestellten entfiele ( R G 96, 1 3 5 ; 144, 3 1 , 3 5 ; B G H 19, 1 1 4 , 1 2 3 ; 26, 1 6 ; L M §426 Nr. 8; V e r s R 1956, 4 3 5 ; 1957, 180; Celle V e r s R 1958, 65; Köln V e r s R 1958, 7 1 3 ) . Keine Gesamtschuldnerschaft zwischen dem nach § 1542 R V O verpflichteten Mitschädiger und dem nach § 903 R V O regreßpflichtigen Unternehmer (vgl. Anm. 89; München V e r s R 1958, 1 1 5 ) , deshalb keine Ausgleichspflicht eines durch § 898 R V O Begünstigten im Verhältnis zu einem unbeschränkt haftenden Mitschädiger ( R G D R 1940, 1779 m. Anm. H e r s c h e l ; B G H L M § 426 Nr. 8). Nach §903 R V O können Unternehmer u n d ihnen Gleichgestellte gemeinsam in Anspruch genommen werden ( B G H V e r s R 1957, 180). Zur Entscheidung über den Ersatzanspruch einer Berufsgenossenschaft gegenüber Unternehmern oder Gleichgestellten sind die Zivilgerichte zuständig ( B G H V e r s R 1957, 180 = J Z 1957, 3 1 3 = L M R V O § 903 Nr. 3). Verjährungsbeginn nach § 907 R V O auch durch einen vorläufigen Rentenbescheid, BGH 17, 296; vgl. R G 135, 298.
A n m . 93 V I I . E r s a t z v e r p f l i c h t e t e r . Ersatzverpflichtet für die u. H. ist nur d e r , d e r s i e b e g a n g e n h a t oder zu ihr angestiftet oder Beihilfe geleistet hat (§ 830 Abs. 2). Die Haftung nach § § 8 3 1 , 832 ist Haftung für e i g e n e s c h u l d h a f t e Verursachung. Der V o l l m a c h t g e b e r haftet nicht für u. H. des Bevollmächtigten ( R G J W 1908, 678 1 0 ), der Vertretene nicht für die u. H. seines gesetzlichen Vertreters ( M 4, 1 0 8 3 ; R G 6 1 , 207; 79, 3 1 9 ; 1 2 1 , 1 1 8 ; 1 3 2 , 80; J W 1 9 1 0 , 280 5 ; WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 278). Eine Aus-
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 94
nähme macht die in §§ 30, 31, 89 bestimmte Haftung der Körperschaften des privaten und öffentlichen Rechtes für die von ihren verfassungsmäßig berufenen Vertretern in Ausübung der ihnen zustehenden Verrichtungen begangen u. H. (§§31, 89). Hier haftet die J P aus der schadenzufügenden Handlung ihrer Vertreter, weil sie als ihre Handlung erscheint (BGHNJW 1959, 379: Genossenschaft). Die J P haftet auch für die einen Organisationsmangel begründende Nichtbestellung eines notwendigen besonderen Vertreters nach § 30 (RG 157, 228, 235 und 162, 129, 166; J W 1938, 3162; DR 1944, 287), wenn nach Art des Geschäftskreises die Bestellung eines Vertreters für den der Entlastungsbeweis nach § 831 BGB angetreten werden kann, nicht genügt (vgl. § 831 Anm. 7). Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich diese Haftung derJP auch auf die offenen Handelsgesellschaften für u. H. ihrer vertretungsberechtigten Gesellschafter, wenn die Handlungen mit dem Geschäftsbetrieb im inneren Zusammenhang stehen (RG 76, 35; 148, 154, 160; J W 1932, 7234; B G H NJW 1952, 538); nach neuerer Rechtsprechung auch auf die Haftung des nicht rechtsfähigen Vereins (Düsseldorf OLG 22, 115; Hamburg J W 1924, 1882; LAG Frankfurt BB 1950, 702 mit Anm. S i e b e r t BB 1950, 846; aM R G 91, 72; 135, 242; J W 1933, 423; vgl. §831 Anm. 5, §54 Anm. 15; ferner S c h u m a n n „Zur Haftung der nicht rechtsfähigen Vereine" 1956 S. 43fr). Über die Haftung einer Gesellschaft m. b. H. aus u. H. (unlauterer Wettbewerb) ihrer Gründer und späteren Geschäftsführer in der Zeit vor ihrer Eintragung ins Handelsregister s. R G 151, 86; keine Haftung der AG für die u. H. ihrer Organe vor Eintragung, R G DNotZ 1937, 419. Neben der J P haften selbstverständlich die Vertreter aus der von ihnen verübten u. H. selbst (RG 91, 75; J W 1911, 9392). Ob die Vertreter bei der von ihnen verübten u. H. in den Grenzen ihrer Vertretungsmacht handelten oder ihre Befugnisse überschritten und im inneren Verhältnis zur juristischen Person zu der Handlung nicht berechtigt waren, kommt für die Haftung der J P nicht in Betracht (RG J W 1919, 5931 u. 5942; WarnRspr 1916 Nr. 125; s. auch J W 1938, 1253 19 : katholische Kirchengemeinde). Die Haftung d e r J P setzt eine von ihren Vertretern begangene u. H. in ihrem vollen gegenständlichen und persönlichen Tatbestande voraus; die §§ 3°> 3 1 und 89 begründen einen selbständigen Tatbestand u. H. nicht (RG LZ 1918, 3691). Wegen der Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft für Beamte vgl. § 839 und § 831 Anm. 8. Zum Ausschluß der Haftung der Betriebsunternehmer, ihrer Bevollmächtigten oder Repräsentanten, Betriebs- oder Arbeiteraufseher bei Betriebsunfällen vgl. Vorbem. § 823 Anm. 37 ff und § 618 Anm. 8. Der Verwalter fremden Vermögens (custodian) haftet persönlich (BGH 21, 285, 293), ebenso der Konkursverwalter (BGH aaO), ebenso der Testamentsvollstrecker (BGH VersR 1957, 297). Wegen des Zwangsverwalters vgl. R G 97, 11; B G H 21, 285, 293; LM § 823 (H) Nr. 2. Anm. 94 VIII. Schadensersatz 1. Einleitung. Das BGB enthält für die Fälle der gegen die Person gerichteten u. H., insbesondere Körperverletzung, Gesundheitsbeschädigung und Tötung in den §§ 842 bis 847 sowie hinsichtlich der Entziehung und Beschädigung von Sachen in den §§ 848 bis 851 besondere Bestimmungen. Im übrigen gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 249—253 (s. dort), für den Einfluß mitwirkenden Verschuldens § 254 (s. dort); wegen des adäquaten Zusammenhangs vgl. Vorbem. § 823 Anm. 47. Uber die Berücksichtigung von „ S p ä t f o l g e n " eines Unfalles, die über den Rahmen eines abgeschlossenen V e r g l e i c h s hinausgehen, s. R G 131, 278; 159, 264; J W 1934, 3266; 1936, 2787; 1937, 1235 4 ; H R R 1939 Nr. 299; B G H VersR 1954, 405; 1955, 404; NJW 1955, 1025; VI ZR 74/57 v. 22. 4. 1958 in NJW 1958, 1590 nicht mit abgedruckt; J Z 1958, 363. Keine Nachforderungen wegen Spätschäden, wenn bei vergleichsweiser Abfindung auf alle weiter etwa entstehenden Ansprüche verzichtet ist (RG WarnRspr 1936 Nr. 37). Eine vermögensrechtliche Schädigung setzt §823 nicht voraus, wie sich aus § 847 ergibt; der Schaden kann a u c h auf r e i n i d e e l l e m Geb i e t e liegen (RG 94, 1; WarnRspr 1913 Nr. 53), wobei Schadensersatz in Natur zu leisten ist, in Geld nur nach § 847 BGB. Der Schadensersatz ist in erster Linie durch Wiederherstellung zu leisten (§ 249), z. B. Schadensersatz durch Veröffentlichung der Feststellung der Unwirksamkeit eines Vereinsbeschlusses, durch den ein Vereinsmitglied 1285
§ 823 Anm. 95—97
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
in seiner Ehre gekränkt wurde (RG 143, 1, 5; H R R 1934 Nr. 313). Die unangemessene Beeinträchtigung eines bereits bezahlten Erholungsurlaubs stellt die Beeinträchtigung eines Vermögenswertes dar (BGH NJW 1956, 1237). A n m . 95 2. Schadensersatz durch Wiederherstellung, insbesondere durch Widerruf. Der Schadensersatz ist auch in den Fällen, in denen die durch die u. H. bewirkte Rechtsverletzung und der hieraus entspringende Schaden nicht durch eine einmalige Handlung abgeschlossen ist, vielmehr ein den anderen dauernd schädigender Zustand geschaffen wurde, durch Wiederherstellung, also hier durch Beseitigung der Beeinträchtigung zu leisten (s.Vorbem. § 823 Anm. 83 ff). Die Zurücknahme von beleidigenden Äußerungen durch Widerruf, z. B. nach §§ 823 Abs. 2 oder 824 kann, wenn ein Vermögensschaden nicht entstanden und die Wiederholung der ehrverletzenden Äußerungen nicht zu besorgen und daher kein Unterlassungsanspruch gegeben ist, sogar der einzige Anspruch sein, der erhoben werden kann (RG J W 1919, 993 3 ; WarnRspr 1913 Nr. 449). Anspruch des Beleidigten auf nachträglichen Widerruf einer öffentlichen Beleidigung bei Wegfall des ursprünglich vorhandenen berechtigten Interesses s. R A G 19, 260 (dort auch gegen abweichende Ausführungen in R G 97, 343 als dem heutigen, den Ehrenschutz betonenden Rechtsempfinden nicht gerecht werdend). Kein Anspruch auf Unterlassung oder Widerruf beleidigender Behauptungen, wenn diese inzwischen durch die Ereignisse überholt sind und daher ihre schädigende Wirkung verloren haben (RG 170, 317). Zuerkennung der Befugnis zur Bekanntmachung des auf Unterlassung gerichteten Urteils als ein in der Regel milderes Mittel der Wiederherstellung des verletzten Rechtszustandes auf dem Gebiete der Ehre anstatt einer Verurteilung auf Widerrufs. R G H R R 1931 Nr. 1307. Ebenso ist bei Boykott- und Sperrmaßregeln die Aufhebung der verletzenden Maßregel das geeignete Mittel der Wiederherstellung des früheren Zustandes nach §249 (RG J W 1915, 1424 1 ; WarnRspr 1914 Nr. 160; 1916 Nr. 193); wo die verletzende Kundgebung veröffentlicht worden war, ist auch die Veröffentlichung der Wiederaufhebung oder Zurücknahme am Platze (RG J W 1915, 1424 1 ). Uber einen Schadensersatz durch Herausgabe der genommenen Abschriften und Vervielfältigungen eines widerrechtlich erbrochenen Briefes oder einer entzogenen Urkunde vgl. R G 94, 1. Anm. 96 3. Umfang des Schadensersatzes. Der Schadensersatz erfaßt den unmittelbaren und mittelbaren Schaden, allerdings nur soweit er aus der Verletzung des Rechts oder Rechtsguts entstanden ist, das durch §§ 823 fr geschützt ist (RG H R R 1929 Nr. 299; D R 1940, 1779 m. Anm. H e r s c h e l ; BGH 12, 213, 217; 19, 1 1 4 ; VersR 1957, 465; vgl. Anm. m ) . Dies gilt auch, soweit Ansprüche aus §823 Abs. 1 hergeleitet werden (BGH 27, 137 m. w. Nachw. und mit Bespr. B o e h m e r J Z 1958, 743; NJW 1959, 479: Schutzbereich eines eingerichteten Gewerbebetriebs). Es muß der geltendgemachte Schaden demnach innerhalb des Schutzzwecks der Vorschrift liegen, es muß sich um Folgen handeln, die in den Bereich der Gefahren fallen, um deretwillen die Vorschrift erlassen wurde. So liegen bei der Körperverletzung durch einen Kraftfahrzeugunfall die Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit und zur Instandsetzung des Fahrzeugs innerhalb des Schutzzweckes des § 823 Abs. 1, ebenso der Verdienstausfall, nicht aber die durch ein Strafverfahren für den Verletzten entstandenen Kosten. Die gleiche Beschränkung gilt für Ansprüche aus Gefährdungshaftung z. B. nach § 7 StVG (BGH NJW 1958, 1044). Nach dem Tumultschadensgesetz wird kein Ersatz des mittelbaren Schadens geleistet (RG 105, 147). Anm. 97 d) Schadensersatz in Geld. Ist die Herstellung des Zustandes, wie er vor der u. H. bestand (§ 249), nicht möglich, so ist der Schadensersatz nach § 251 in Geld zu leisten. Während des Währungsverfalles hat sich die Grenze des Naturalersatzes auf das Gebiet des Geldersatzes verschoben (vgl. Hamm M D R 1947, 100; OGH NJW 1949, 66). Über den Ersatz bei Gebäudezerstörung und Gebäudeschäden, Naturalherstellung oder 1286
Unerlaubte Handlungen
§823
A n m . 97 Geldersatz vgl. W e s t e r m a n n A c P 1956, 137fr. Der Schadensersatz in Geld hat die Ausgleichung der Vermögensminderung zum Gegenstande, die das Vermögen des Beschädigten unmittelbar oder mittelbar durch die Verletzung im Verhältnis zu dem Bestände, wie er vor der Verletzung war, erlitten hat; auch entgangener Gewinn ist vom Schadensersatz aus u. H. nicht ausgeschlossen ( R G 76, 147; 77, 1 0 1 ; 9 1 , 60; 103, 4 1 9 ; 105, 1 1 5 , 1 1 7 ; J W 1 9 1 2 , 1 3 7 1 0 , 863 2 1 ; 1 9 1 7 , 104 6 ; WarnRspr 1908 Nr. 577; 1 9 1 5 Nr. 7 u. 1 4 1 ; 1920 Nr. 23; L Z 1919, 1015 7 ). Rentenzahlungen als Schadensersatz außer den Tatbeständen der §§ 843—845 dann, wenn die Folgen der schädigenden Handlung fortdauernd und fortlaufend sind, R G J W 1 9 1 7 , 7 1 3 , 7 1 5 . Bei der Schätzung eines wegen Wertminderung eines Grundstücks geltend gemachten Schadens darf dem Schadensersatzberechtigten durch die Zuerkennung des Schadensersatzes nicht ein Gewinn erwachsen, der den Preisbestimmungen widerspricht; bei einem vor dem 18. 10. 1936 (Stichtag für Preisstop) erzielten Grundstückspreis ist auch zu berücksichtigen, ob der Preis als volkswirtschaftlich gerechtfertigt angesehen werden darf oder nicht ( R G D J 1938, 1563). Verluste durch Notverkäufe zur Aufbringung des Aufwandes für die Führung eines Rechtsstreits als durch Klage verfolgbarer Schaden s. R G 150 ,37. Die V e r t e i d i g u n g s k o s t e n , die einem bei einem Verkehrsunfall Verletzten durch ein S t r a f v e r f a h r e n entstehen, in dem er freigesprochen wurde, liegen nicht innerhalb des Schutzzweckes des § 823 Abs. 1, nämlich des Schutzes der Unversehrtheit der Gesundheit und des Eigentums und können daher nicht als Schadensersatz verlangt werden ( B G H 27, 1 3 7 ; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 49; § 823 Anm. 96, m ) . Anders jedoch bei Haftung unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung nach § 839, Art. 34 G G , bei der nicht nur bestimmte Rechte oder Rechtsgüter geschützt sind, sondern jeder Schaden zu ersetzen ist ( B G H 27, 1 3 7 ; V R S 16, 167; vgl. B G H 26, 69, 76). Unter diesem Gesichtspunkt sind auch als Schadensersatz die Kosten eines Prozesses zu ersetzen, der zur Rückgabe eines beschlagnahmten Personenwagens geführt wird ( B G H N J W 1956, 57). Bei einem Freispruch des Schädigers im Strafverfahren haftet er schon deshalb nicht für die Kosten des von ihm geschädigten Nebenklägers, weil der Kostenregelung im Strafprozeß abschließende Bedeutung zukommt ( B G H 24, 263; VersR 1957, 599), ebenso nicht, wenn das Verfahren auf Grund eines Straffreiheitsgesetzes eingestellt wird ( B G H N J W 1957, 1878). Bei einer Verurteilung des Schädigers besteht neben dem kostenrechtlichen Erstattungsanspruch nach der StPO kein sachlichrechtlicher Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine Nebenklage ( B G H N J W 1958, 1044). Auch keine Haftung des Kraftfahrzeughalters gegenüber dem Unfallgeschädigten für die Kosten der Nebenklage in einem Strafverfahren gegen den schuldigen Fahrer ( B G H N J W 1958, 1044; vgl. N J W 1957, 1878). Die Kraftfahrhaftpflichtversicherung umfaßt grundsätzlich nicht die Kosten der Nebenklage des Geschädigten, deren Erstattung dem Haftpflichtversicherten im Strafverfahren auferlegt worden ist ( B G H N J W 1958, 420 m. Anm. V o g e l N J W '958, 790; aA Stuttgart V R S 13, 415). Zu der früheren Rechtsprechung über Ersatz der Kosten des Strafverfahrens vgl. R G J W 1934, 1280; Karlsruhe N J W 1957, 874; Stuttgart J W 1937, 2 3 5 3 ; VersR 1955, 377; D A R 1957, 1 2 7 ; Düsseldorf VersR 1952, 2 1 2 ; Hamburg J W 1937, 1 6 3 5 ; Kiel J W 1937, 2354; Darmstadt J W 1938, 2205. Zu den Schäden, die dem Inhaber eines beschädigten Kraftfahrzeuges nach § 249, 271 zu ersetzen sind, gehört an sich auch der sogenannte m e r k a n t i l e M i n d e r w e r t , d. h. die Minderung des Verkaufswertes, die trotz völliger und ordnungsmäßiger Instandsetzung des Fahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil bei einem Teil des Publikums vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden eine den Preis des Fahrzeugs beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb eines derartigen unfallgeschädigten Fahrzeuges besteht ( W u s s o w - A l l o f s „Merkantiler Minderwert bei Kraftfahrzeugen"). Dagegen handelt es sich beim realen oder technischen Minderwert um Mängel, welche die Betriebssicherheit, die Lebensdauer oder das äußere Aussehen des Wagens und damit seinen Gebrauchswert beeinträchtigen. Dagegen setzt der merkantile Minderwert ein völlig und ordnungsgemäß instandgesetztes Fahrzeug voraus (vgl. B G H VersR 1958, 1 6 1 ) . Der merkantile Minderwert stellt unmittelbar einen gegenwärtigen Schaden im Vermögen des Betroffenen dar (vgl. R G 85, 252; 102, 383; 148, 1287
§ 823 Anm. 98, 99
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
154, 164; J W 1909, 2759). Da der merkantile Minderwert im Verlauf der Zeit absinkt und ganz verschwinden kann, kann eine Ersatzpflicht in einer bestimmten Höhe nur dann festgelegt werden, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß der Minderwert sich mindestens in dieser Höhe als ein bleibender Vermögensschaden auswirken wird, was z. B. dann dei' Fall sein kann, wenn ein Fahrzeug verkauft wird (BGH VersR 1958, 161). Beim Fehlen solcher Anhaltspunkte besteht zunächst nur ein Anspruch auf Feststellung der Verpflichtung des Schädigers zum Ersatz des Minderwerts (BGH 27, 181 m. w. Nachw.; mit ablehnender Stellungsnahme Dunz NJW 1958, 1613; ferner Esser MDR 1958, 726; vgl. RG J W 1937, 3308; Augsburg J W 1931, 3386; Zweibrücken J W 1934, 923; Köln Betrieb 1957, 795; VersR 1958, 405; Braunschweig MDR 1956, 547; München NJW 1956, 1032; Düsseldorf V R S 13, 1; Nürnberg NJW 1954, 601; Stuttgart VersR 1957, 546). Bei Ersatzleistung für Beschädigung eines Kraftfahrzeuges müssen die Aufwendungen ersetzt werden, die durch die Benutzung eines zu geschäftlichen Zwecken erforderlichen Ersatzwagens entstehen (RG 150, 37, 4°) • Die Belastung mit Schulden bildet keinen Schaden, wenn der Verletzte die Schulden nicht abdecken will und dazu nicht gezwungen werden kann. Beim Nebeneinander von Vertrag und u. H. kann bei einem wegen u. H. erfolgten Rücktritt vom Vertrag als Deliktschaden nicht der aus dem Vertrag entgangene Gewinn beansprucht werden (BGH NJW 1954, 145). Anm. 98 e) Zeitpunkt der Bemessung des Schadensersatzes. Als Zeitpunkt für die Bemessung des Schadensersatzes ist nicht schlechthin derjenige der Schadenszufügung maßgebend; der Schaden zu diesem Zeitpunkt bildet nur das Mindestmaß des zuzusprechenden Schadensersatzes. Auch der Zeitpunkt der Klageerhebung ist nicht zugrunde zu legen. Der Beschädigte soll durch den Schadensersatz so gestellt werden, daß er mit dem ihm zuerkannten Schadensbetrage die wirtschaftliche Lage wiederherstellen kann, wie sie vor der Verletzung bestand; es ist daher die gesamte S a c h l a g e zu berücksichtigen, wie sie sich zur Zeit des U r t e i l s , d. h. zur Zeit der letzten mündlichen V e r h a n d l u n g vor dessen Fällung darstellt; der ursächliche Zusammenhang zwischen Verletzung und Schaden wird durch eine wesentliche Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen der Handlung und der Urteilsfällung nicht unterbrochen, die auf den Verletzten nicht einwirken würden, wenn die u. H. nicht erfolgt wäre oder er seinen Schadensersatz im Zeitpunkte des Schadenseintritts erlangt hätte (RG 98, 56; 100, 257; 101, 418; 102, 143 u. 383; 105, 1 1 7 ; 142, 8; 149, 137; J W 1923, 1742 u. 45 7 3 ; DR 1940, 16297; OGH 1, 308, 311). Zur Frage, welcher Zeitpunkt für die Bemessung des Schadensersatzes maßgebend ist, s. auch Lent DJ 1941, 770; L a r e n z NJW 1950, 487. Auch wenn durch u. H. eine Wertminderung von Aktien herbeigeführt worden ist, so ist für die Berechnung des Schadens grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend; einer in einem früheren Zeitpunkt verursachten größeren Wertminderung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als der Schaden gerade auf ihr beruht (RG DJ 1940, 1015). Nach dem gleichen Zeitpunkt war auch ein Geldschaden in voller Höhe in DM nach der Währungsreform von 1948 zu bemessen (BGH 3, 162, 178; OGH 3, 131 u. 287; NJW 1950, 261). Hat der Ersatzpflichtige z. B. dafür einzustehen, daß er den käuflichen Erwerb eines Gegenstandes vereitelt hat, so ist bei der Bemessung des Schadens von dem gegenwärtigen Wert auszugehen, von einem höheren früheren Wert nur dann, wenn anzunehmen ist, daß der Erwerber den Gegenstand zu einem entsprechenden Preise wieder veräußert hätte; eine Annahme, die bei Gegenständen des Handelsverkehrs näher liegt, als etwa bei einem zusammenhängenden landwirtschaftlichen Grundbesitz (RG 142, 8). Anm. 99 f) Schadensersatz bei Verträgen. Der Schadensersatz aus u. H. geht, wo u. H. den Bestand und die Wirksamkeit eines Vertrages beeinflußt, immer nur auf sog. n e g a t i v e V e r t r a g s i n t e r e s s e , niemals auf das Erfüllungsinteresse; auch durch betrügliche Täuschung beim Vertragsschluß geschädigte Vertragsteil kann 1288
die das der aus
Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 100—103
dem Gesichtspunkte der u. H . das Erfüllungsinteresse nicht beanspruchen. Der Vertrag mit seinen Rechten und Pflichten ist bei einer als u. H . anzusehenden Täuschung gerade die im Wege des Schadensersatzes zu beseitigende Folge der u. H.; er kann deshalb nicht die Grundlage für den Schadensersatz aus der u. H. bilden (s. § 123 Anm. 37 ff; aus der Rechtsprechung R G 83, 245; 103, 159 u. 419; 132, 76; J W 1916, 1533 8 ; WarnRspr 1915 Nr. 7; 1917 Nr. 100; 1920 Nr. 149; 1933 Nr. 128; LZ 1921, 373 1 ; im Gesellschaftsverhältnis R G 99, 103). Dieses negative Vertragsinteresse kann, wenn der Getäuschte bei dem Vertrage stehen bleiben will, in dem Unterschiede zwischen der ververeinbarten Vertragsleistung und derjenigen, zu der er sich ohne die Täuschung nur verstanden haben würde, nur dann gefunden werden, wenn er nachweist, daß der Vertrag auch unter den ihm günstigeren Bedingungen geschlossen worden wäre (RG 83, 245; 103, 154, 159; WarnRspr 1910 Nr. 383; 1915 Nr. 230; Gruchot 55, 350; LZ 1921, 3731)- Ausnahmsweise kann das Erfüllungsinteresse gefordert werden in entsprechender Anwendung des § 162, wenn eine Vertragsbedingung von vornherein nicht eintreten konnte und der Vertragsgegner den Beschädigten darüber arglistig täuschte (RG WarnRspr 1915 Nr. 200); über die Ausdehnung der Vertragsklage in entsprechender Anwendung des § 463 Satz 2 auf betrüglich vorgespiegelte Eigenschaften der Kaufsache s. R G 66, 335; 82, 242; 92, 295 und die Vorbem. § 823 Anm. 28. In diesen Fällen kann auch mit einem auf u. H. und nicht auf Vertrag gestützten Anspruch das Erfüllungsinteresse verlangt werden (RG 103, 154, 160). A n m . 100 g) B e s o n d e r e S c h a d e n s e r s a t z f o r m e n . Eine Schadensersatzleistung ist auch in der im Strafprozeß festzusetzenden Buße enthalten (§§188, 231 StGB; §26 U W G ; §50 PatG; §40 LitUrhG; §35 KunstUrhG; § 17 GebrMG; § 14 GeschmMG; § 2 9 WZG). Durch die Zuerkennung einer Buße wird die Geltendmachung eines weiteren Schadensersatzanspruchs gegenüber dem im Strafverfahren Verurteilten ausgeschlossen (RG 79, 148; a M BayObLG in SeuffArch 57 Nr. 215). Wegen der Haftung von Gesamtschuldnern bei Zuerkennung einer Buße gegen einen Gesamtschuldner vgl. § 840 Anm. 7. Umgekehrt schließt die Zuerkennung eines Schadensersatzes im Zivilprozeß das Verlangen einer Buße im Strafverfahren nicht aus; nur ist bei Zuerkennung der Buße auf eine sonst geleistete oder zuerkannte Entschädigung Rücksicht zu nehmen (RG St 9, 223). A n m . 101 Bei unerlaubten Eingriffen in Ausschließlichkeitsrechte ist die Schadensberechnung n a c h d e r e n t g a n g e n e n V e r g ü t u n g dann zulässig, wenn die Erlaubnis des Rechtsinhabers von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht wird (RG 130, 108; G R U R 1938, 4495 H R R 1934 Nr. 1305; B G H 20, 345; 26, 349, 352; NJW 1956, 1554)- Der Verletzte kann an Stelle dieser Vergütung auch Ersatz des ihm entgangenen Gewinns oder Herausgabe des dem Schädiger zugeflossenen Gewinns fordern. A n m . 102 Zur Vorbereitung des Schadensersatzanspruchs kann Auskunft verlangt werden, wenn der Umfang des Schadens im einzelnen erst auf Grund näherer Auskunft des Schädigers ermittelt werden kann (RG 108, 1; 127, 243; J W 1932, 3054: Verbreitung einer Beleidigung; B G H V I Z R 314/55 v. 12. 11. 1957, in B G H 26, 42 nicht mit abgedruckt). Wer weiß, wo sich eine einem anderen abhanden gekommene Sache befindet, begeht keine u. H., wenn er seine Kenntnis nicht offenbart ( B G H Betrieb 1957, 306). Zum Auskunftsanspruch bei Wettbewerbsverstößen, B G H I Z R 56/57 v. 29. 4. 1958 in L M UWGSt Nr. 65 nicht mitabgedruckt. A n m . 103 I X . Schutzgesetz 1. Begriff. Was ist ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz? Alle Gesetze, die die Gesamtheit schützen, kommen auch dem einzelnen zugute, und alle Gesetze, die dem einzelnen einen Schutz gewähren, nützen auch der Gesamtheit. Deshalb
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
können aber doch nicht alle zum Schutze der Gesamtheit erlassenen Gesetze als den Schutz eines anderen bezweckend angesehen werden, umgekehrt aber auch nicht n u r die Gesetze, die lediglich auf den Schutz des einzelnen abzielen. Allerdings m u ß ein Gesetz, das den Anforderungen des § 823 Abs. 2 entsprechen soll, dem Schutze des einzelnen im Gegensatz zur Gesamtheit d i e n e n u n d d i e n e n s o l l e n (RG 100, 146; J W 1905, 142 21 ; 1916, 38 4 ); es darf ihm n i c h t n u r d i e W i r k u n g ( B G H 22, 293, 297; 12, 146, 148) zukommen, dem einzelnen zu nützen, s o n d e r n nach dem im Gesetz z u m Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers a u c h d i e B e s t i m m u n g und der Zweck, gerade dem einzelnen einen Rechtsschutz zu verleihen; es m u ß also zum mindesten n e b e n dem Schutze der Gesamtheit u n m i t t e l b a r a u c h d e n S c h u t z d e s e i n z e l n e n o d e r e i n e s P e r s o n e n k r e i s e s im Auge haben, worüber der Inhalt des Gesetzes meist Auskunft gibt. Es genügt, d a ß eine Vorschrift in der Hauptsache andere Zwecke verfolgt, nebenher aber zum Schutz bestimmter einzelner Interessen bestimmt ist (vgl. R G 100, 142, 146; 102,224; U9> 435.437; 135.245; J3 8 . '65, 168 u. 219, 229; J W 1931, 1473 14 ; R A G 13, 192; s. auch H R R 1935 Nr. 429; B G H 12, 146, 148; 21, 148, 153; 22, 293, 297; 26, 42, 43; J Z 1951, 46; M D R 51, 97; VersR 1954, 102 = L M [Bf] Nr. 5; VersR 1956, 190). Unter diesem Gesichtspunkt ist z. B. das in Bewirtschaftungsvorschriften enthaltene Verbot, Bezugsberechtigte nicht zu beliefern oder eine Bezugsberechtigung mißbräuchlich zu verwenden, ein Schutzgesetz, da es nicht nur allgemeinen volkswirtschaftlichen Belangen dient, sondern auch den Zweck verfolgt, den einzelnen Inhaber einer Bezugsberechtigung davor zu schützen, d a ß sein anerkannter Bedarf infolge verbotswidrigen Verhaltens des Lieferanten unbefriedigt bleibt ( B G H N J W 1951, 109). Es ist auch nicht nötig, daß das Gesetz den Schutz einer Mehrheit von einzelnen Personen im Auge h a t ; es kann den Schutz einer individuell bestimmten Person bezwecken (RG 100, 146; J W 1916, 38*). Nur Gesetze, die ausschließlich die O r d n u n g der Gesamtheit, das Staatsganze als solches, seine äußere Unversehrtheit, seine innere Verfassung und Verwaltung, zu schützen bestimmt sind, wie die Strafgesetze über Hoch- und Landesverrat, über Widerstand gegen die Staatsgewalt, über Verfassungsbruch und andere, fallen vollständig außerhalb des Rahmens eines solchen Schutzgesetzes, auch wenn sie gewissen Personen nützen (RG 100, 142, 147). Wegen der Entnazifiizierungsgesetzgebung vgl. B ö s e b e c k N J W 1947/48, 13. Ein Gegensatz besteht nur zwischen der zur Staatsordnung zusammengeschlossenen Gesamtheit und dem einzelnen, während die Gesamtheit der Staatsbürger schlechthin (das Publikum) keinen Gegensatz zu dem einzelnen, sondern vielmehr deren Zusammenfassung bildet. Gesetze, die die Gesamtheit in letzterem Sinne schützen, wie z. B. die Gesetze zum Schutze der Verkehrssicherheit, der öffentlichen Ruhe, über den Verkehr mit Nahrungsmitteln oder den Verkehr mit Sprengstoffen, sind also stets auch zum Schutze des einzelnen bestimmt. Gegenstand dieses besonderen Schutzes können (vgl. Anm. 1) alle Rechte der Person und alle menschlichen Lebensgüter und Interessen sein, die Lebensgüter und Rechte des Abs. 1, die Ehre, die freie wirtschaftliche und gewerbliche Betätigung, auch das Vermögen schlechthin. A n m . 104 G e s e t z im Sinne des Abs. 2 ist, wie in Art. 2 E G bestimmt ist, jede Rechtsnorm. Dazu gehören Normen des Privatrechts, auch des BGB selbst (RG 51, 177; 53, 312; 63, 324; 79, 85), die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des StGB und anderer Einzelgesetze, Reichsgesetze und ebenso — innerhalb der diesen vorbehaltenen Rechtsgebiete — Landesgesetze einschließlich der örtlichen Polizeiverordnungen (RG 55; 316; J W 1902 Beil. 221 75 ). In R G J W 1916, 384 werden dazu auch die Genehmigungen gerechnet, die auf Grund der §§ 16 ff GewO für gewerbliche Anlagen und Betriebe von den Verwaltungsbehörden erteilt werden, da sie als Rechtsverordnungen mit rechtserzeugender Kraft erscheinen (s. auch R G 135, 245). Nicht Rechtsnorm, sondern rechtsgeschäftlicher Art sind die Satzungen von nicht rechtsfähigen Vereinen (RG 135, 242). Inhaltlich können als Schutzgesetze nur solche gesetzlichen Bestimmungen angesprochen werden, die ein bestimmtes Gebot oder Verbot aussprechen, nicht allgemeine Grundsätze, die nur die Unterlage eines Schutzgesetzes abgeben können (RG J W 1906, 780 48 ). Deshalb konnte z.B. auch Art. 157 WeimVerf. nicht als Schutz-
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Unerlaubte Handlungen
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gesetz angesprochen werden; nur das dort in Aussicht gestellte einheitliche Arbeitsrecht vermochte Schutzgesetze zu schaffen. Die Form eines Gebots oder Verbots ist freilich gleichgültig, wesentlich ist nur der Inhalt ( R G 79, 85). Zur Frage des Schutzgesetzcharakters von öffentlich-rechtlichen Arbeitsnormen (Mutterschutzgesetz, Schwerbeschädigtengesetz, Arbeitszeitordnung, Betriebsverfassungsgesetz, speziellen Arbeitsschutzvorschriften, Vorschriften der Sozialversicherung und des Lohnsteuerrechts) vgl. F r e y BB 1959, 199. A n m . 105 2. Schutzgesetze i m einzelnen In der R e c h t s p r e c h u n g sind im einzelnen als Schutzgesetze erklärt worden: a ) A u s d e m B G B : § 42, B G H V I I A R Z 227/58 v. 18. 9. 1958; — § 226, Schutz gegen Schikane R G 58, 214; — § 394, Schutz der Diensteinkommensberechtigten gegen Aufrechnung R G 85, 118; •— §618, Schutz des Dienstverpflichteten im Verhältnis zum Dienstberechtigten R A G 16, 1; ArbRSlg 25, 115 m. Anm. H u e c k ; R G J W 1907, 829; — § 858, Besitzschutz R G 59, 326; 170, 1, 6f; J W 1931, 2904 5 ; Gruchot 51, 985; SeuffArch 77 Nr. 73; B G H 20, 170, 171; VersR 1957, 297; — §§ 906, 907, 909, 1004, Schutz gegen Eigentumsbeeinträchtigungen R G 51, 177; 121, 185; 132, 515144, 170; 145» !°7> I I 6 ; i 6 7> 14. 25; J W 1904, 36 1 6 ; 1921, 1362 5 ; J W 1921, 1362 5 ; WarnRspr 1910 Nr. 18; 1912 Nr. 385; H R R 1934 Nr. 803; SeuffArch 90 Nr. 175; B G H 12, 75; VersR 1956, 793; — § 1027, Schutz der Grundgerechtigkeiten R G WarnRspr 1911 Nr. 331; — §§ 1134, 1135, Schutz der Hypothekengläubiger R G J W 1909, 416 5 ; 1936, 3234®; WarnRspr 1910 Nr. 281; 1914 Nr. 287; SeuffArch 88 Nr. 55. A n m . 106 b) A u s d e m S t G B : § 137, Arrestbruch R G WarnRspr 1908 Nr. 4 6 ; — § 139a (alt, jetzt § 142) Fahrerflucht R G 172, 11; •— § 153, Meineid R G WarnRspr 1908 Nr. 211; auch § 153, uneidliche vorsätzlicheAussage von Zeugen und Sachverständigen; — § 156, Abgabe einer falschen Versicherung an Eidesstatt B G H Betrieb 1959, 111; — § 163, fahrlässiger Falscheid R G 59, 236; — § 164, falsche Anschuldigung B G H J R 1953, 181 = L M § 823 (Be) Nr. 3; — § 170b, auch zugunsten der Körperschaft, die öffentl. Hilfe gewährt, B G H 28, 359; — § 172, Ehebruch; aber nur zum Schutze der ehelichen Lebensgemeinschaft, nicht wirtschaftlicher Interessen R G 72, 128; vgl. Anm. 25; — § 182, Verführung zum Beischlaf R G WarnRspr 1921 Nr. 14; — §§ 185 bis 187, Ehrverletzung mit der Beschränkung des § 193 und mit der Erweiterung des § 192; R G 51, 369; 56, 271; 57, 157; 60, 1 u. 12; 82, 59; 91, 350; 95, 339; 98, 38; 101, 338; 115, 74; 156, 372, 374; Gruchot 67, 567; J W 1912, 290 1 1 u. 1105 6 ; 1915, 1424 1 ; I927> I994 7 ; 1932, 2706 5 ; 1933, 1400 16 ; D R 1939, 2009 2 ; 1940, 1629 8 ; 1941, 2125«; H R R 1940 Nr. 603; WarnRspr 1910 Nr. 280; B G H VersR 1956, 493; — § 189, Beschimpfung des Andenkens Verstorbener R G 91, 350; — § 218, auch zum Schutze der Schwangeren B G H 7, 198, 207; — §§ 223, 223 a, Körperverletzung R G 66, 251; — §239, Freiheitsberaubung R G WarnRspr 1917 Nr. 118; — § 2 4 1 , Bedrohung R G Gruchot 67, 567; — § 2 4 8 b , unbefugter Gebrauch von Kraftfahrzeugen, nur zum Schutze der Gebrauchsberechtigten, nicht der Verkehrsteilnehmer, B G H 22, 293, 296; — § 253, Erpressung R G 48, 114; J W 1938, 755 1 7 ; — §§ 257, 258, Begünstigung, aber nicht soweit die Begünstigung den Täter nur der Bestrafung entziehen will, R G 94, 191; J W 1909, 161 9 ; 1914, 192 9 ; WarnRspr 1914 Nr. 52; B G H VersR 1958, 399; — § 259, Hehlerei R G 94, 191; — § 263, Betrug R G 62, 315; 63, 110; 67, 146; 71, 184; 82, 293; J W 1903 Beil. Nr. 70; WarnRspr 1913 Nr. 50; wegen Betrugs bei Schwarzmarktgeschäften s. O G H S t 2, 259; O G H 4 , 5 7 , 6 4 ; — § 266, Untreue R G 118,312; B G H 8 , 2 7 6 ; — § 267, Urkundenfälschung R G Gruchot 56,593; — § 286, verbotene Lotterie, als Gesetz zum Schutze des Publikums, nicht der Konkurrenten R G WarnRspr 1928 Nr. 63; — §288,VollstreckungsvereitelungRG74,224; 143,267; J W 1936,578; B G H W M 1 9 5 9 , 547; — § 292, Wilderei B G H VersR 1958, 233; — § 299, Verletzung des Briefgeheimnisses R G 94, 1; — § 302 a, Kreditwucher R G 159, 99, 101; — §§ 306—309, Brandstiftung, zum Schutze der Eigentümer und der dinglich Berechtigten R G 82, 206, 213; B G H VersR 1953, 82; — §§315, 316, Transportgefährdung, aber nicht zum Schutze 83
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 107 der allgemeinen V e r m ö g e n s l a g e , sondern nur der Gesundheit u n d des Eigentums, R G 142, 356, 367; B G H 19, 114, 125; V e r s R 1957, 465; — § 3 4 0 , K ö r p e r v e r l e t z u n g i m A m t R G J W 1906, 7 4 5 1 3 ; — § 3Ö62, U b e r m ä ß i g schnelles F a h r e n usw. R G J W 1905, 242 2 1 ; 1 9 1 1 , 7 5 9 1 7 ; — § 3Ö65, Stehenlassen usw. v o n T i e r e n R G 20. 9. 1902 V I 399/01; — § 366', W e r f e n mit Steinen usw. auf M e n s c h e n usw. R G 30. 6. 1904 V I 483/03; —• § 366®, Fahrlässiges Aufstellen oder A u f h ä n g e n v o n Sachen ohne Befestigung R G W a r n Rspr 1909 N r . 1 0 1 ; — § 366®, Verkehrshinderung d u r c h Aufstellung usw. v o n S a c h e n R G R e c h t 1913 N r . 4 9 7 ; — § 366 1 0 , Ü b e r t r e t u n g v o n Verkehrsverordnungen R G J W 1931, 85g 4 ; L Z 1921, 303 4 ; -— § 367', Feilhalten v o n Giften und nicht freigegebenen A r z n e i e n , aber nicht z u m Schutze der A p o t h e k e r R G 77, 2 1 7 ; — § 367®, G e f ä h r l i c h e A u f b e w a h r u n g entzündlicher Gegenstände R G 21. 12. 1902 V I 281/02; — § 3 6 7 ' , Feilhalten verdorbener oder verfälschter G e n u ß w a r e n R G W a r n R s p r 1918 N r . 1 1 5 ; s. j e t z t Lebensmittelgesetz v. 5. 7. 1927 ( R G B l I, 134) §§ 12, 1 3 ; — § 367®, A b b r e n n e n v o n Feuerwerkskörpern usw. R G J W 1908, 5 2 5 1 0 ; verbotswidriges Schießen an bewohnten oder v o n Menschen besuchten O r t e n R G 166, 6 1 ; — § 367 1 1 , H a l t e n wilder oder Umherlaufenlassen bösartiger T i e r e R G W a r n R s p r 1918 N r . 168; B G H V e r s R 1956, 6 1 7 ; — § 367 1 2 , U n v e r d e c k t - oder Unverwahrtlassen v o n Ö f f n u n g e n , G r u b e n usw. R G 54, 5 3 ; 87, 334; J W 1901, 127 2 3 ; 1904, 165 3 ; 1905, 340 1 0 , 388 5 ; 1906, 5 9 1 1 , 137 9 , 7 1 0 5 ; 1908, 744 1 3 ; 1910, 286 1 8 ; 1 9 1 1 , 7 1 3 1 3 ; 1912, 30 14 , 86 37 u. 348 1 4 ; 1913, 33 2 1 , 3 3 22 , 864 1 0 ; 1915, 3 9 5 ' ; 1920, 775 3 ; 1935, 3093 5 ; W a r n R s p r 1908 N r . 3 1 1 ; 1910 N r . 329; 1911 N r . 239; 1916 N r . 16, 163; — § 367 1 4 , V o r n a h m e v o n Bauten ohne die erforderlichen Sicherungsmaßregeln R G 5 1 , 1 7 7 ; 54, 53; 70, 200; J W 1910, 1 1 1 4 ; 1913, 3 3 2 2 ; W a r n R s p r 1912 N r . 383; B G H N J W 1958, 6 2 7 ; V e r s R 1953, 475 = L M (Bb) N r . 2 ; K a r l s r u h e N J W 1956, 9 1 3 ; — § 367 1 5 , A u s f ü h r u n g v o n Bauten ohne polizeiliche G e n e h m i g u n g B G H V e r s R 1953, 339, a u c h z u m Schutze der Bauarbeiter u n d z u m Schutze der Mieter B G H V e r s R 1956, 190; w e g e n Grundstücksnachbarn s. Celle N J W 1953, 388, M D R 1954, 2 4 1 ; — § 368 N r . 3, Errichtung einer Feuerstätte in W o h nungen B G H V e r s R 1956, 190; — § 368 4 , Unterlassung der R e i n i g u n g v o n Feuerstätten R G 2 1 . 3 . 1901 V I 12/01; — §368®, A n z ü n d e n v o n Feuer an gefährlichen O r t e n R G W a r n R s p r 1909 N r . 96; — § 368', Schießen oder A b b r e n n e n v o n Feuerw e r k an gefährlichen O r t e n R G J W 1908, 525 1 0 .
A n m . 107 c ) A u s a n d e r e n R e i c h s g e s e t z e n : A k t G (früher H G B §§ 178fr), § 8 3 A b s . 2, R G 159, 233; § 99, R G S e u f f A r c h 90 N r . 4 7 ; § 294fr, R G 129, 272; 142, 223; 157, 2 1 3 ; § 2 9 5 Abs. 1 N r . 3, R G 159, a n ; 224, 233; J W 1935, 2427, 3 6 1 5 ; 1938, 3296; SeufTA r c h 93 N r . 1 1 8 ; §§ 295, 296, R G H R R 1933 N r . 1 3 1 8 ; — A m n e s t i e , die i m L o n d o n e r A b k o m m e n v. 16. 8. 1924 (Gesetz v . 30. 8. 1924 R G B l I I 289) enthaltene Amnestiev e r e i n b a r u n g R G 155, 257, 276; — A r z n e i m i t t e l v e r o r d n u n g , V e r o r d n u n g betreffend den V e r k e h r mit Arzneimitteln v. 22. 10. 1901, R G 128, 298; J W 1927, 2422; 1931, 1473; S e u f f A r c h 84 N r . 164; B G H 23, 184, 186; N J W 1957, 949; L M A r z n e i m i t t e l V O N r . 3; — A V G s. R V O ; — B a u f o r d e r u n g e n , Gesetz über die S i c h e r u n g v o n Bauforderungen v . 1 . 6 . 1909, R G 91, 76; 138, 156; 167, 92; W a r n R s p r 1915 N r . 106; B G H W M 1957, 926, 927; — B e r u f s o r d n u n g für P r ü f u n g s - u n d T r e u h a n d wesen ( H a m b u r g ) B G H W M 1958, 135; — B e a m t e , V e r o r d n u n g des Reichspräsidenten betr. V e r b o t der Arbeitsniederlegung d u r c h Beamte der Reichsbahn v. 12. 2. 1922 ( R G B l I 187), R G S e u f f A r c h 79 N r . 208; J W 1927, 1548; — B e w i r t s c h a f t u n g s bestimmungen, B G H J Z 1951, 4 5 ; L M U m s t G § 18 Abs. 1 Z . 2 N r . 1 ; — B ö r s e n g e s e t z , §94, R G W a r n R s p r 1918 N r . 208; — D e k a r t e l l i e r u n g S.Wettbewerb; — E i s e n b a h n b a u - u n d B e t r i e b s o r d n u n g v. 1 7 . 7 . 1 9 2 8 ( R G B l I I 542), §§ 18,46, R G 1 6 9 , 3 7 7 , 3 8 0 ; — E i s e n b a h n b e t r i e b s o r d n u n g § 8 i , R G R e c h t 1913 N r . 2723; — E B B O v. 17. 7 . 1 9 2 8 u. vereinfachte E B B O v. 1 0 . 2 . 1 9 4 3 ( R G B l I I 3 1 ) , B G H V e r s R 1956, 99; — F l e i s c h e i n f u h r V O v. 1 8 . 3 . 1 9 1 6 , R G 1 0 6 , 1 4 2 ; — G e n o s s e n s c h a f t s g e s . §§8 Abs. 4, 152, R G 1 1 6 , 1 5 1 ; J W 1927, i 4 7 i u ; § 6 g , R G 5 9 , 4 9 ; § § i 4 6 , 1 4 7 , R G 8 1 , 2 6 9 5 8 7 , 3 0 6 J W 1 9 1 0 , 1 0 9 ; W a r n R s p r 1 9 1 4 N r . 130; § 148, R G L Z 1914, 864; — G m b H - G e s . , § 6 4 A b s . 1 zugunsten der G l ä u b i g e r der Gesellschaft, B G H N J W 1959, 623; § 8 i a , zugunsten G e sellschaft u n d Gesellschafter, R G D R 1940, 1 0 1 6 ; — G e w e r b e o r d n u n g §§ 16, 147
1292
Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 107
S. 2, R G J W 1909, 493; §§ 41 a, 154 Z. 1, R G 138, 2 1 9 ; § 1 0 5 b , Beschränkung der Sonntagsarbeit zum Schutze der übrigen Geschäftsinhaber R G SeuffArch 86 Nr. 79; § i a o a , R A G 16, 1 ; R G 105, 336; §§ 135, 154, R G 64, 5 2 ; 105, 3 3 6 ; §§ 147 Nr. 1, 3 3 a , B G H V e r s R 1957, 669; §§ 147 Nr. 1, 32, Schutzgesetz für Theaterpersonal, R A G 14, 1 1 9 ; R G J W 1934, 2507; § 1 5 3 , R G 64, 5 7 ; § 154, R G Recht 12, 3467; — K i n d e r s c h u t z g e s e t z §§ 5 — 7 , R G 105, 336; J W 1 9 1 4 , 644; — K o n k u r s o r d n u n g §§ 2 4 1 , 243 f ü r Konkursgläubiger, R G J W 1935, 5 1 6 ; — K r a f t v e r k e h r s o r d n u n g (alt) s. Straßenverkehr; — K u n s t u r h e b e r g e s e t z § 2 2 , R G J W 1929, 2 2 5 7 ; B G H 20, 345, 3 4 7 ; 26, 349, 3 5 1 ; — L e b e n s m i t t e l g e s e t z , N a h r u n g s m i t t e l g e s e t z v. 17. 1. 1936 ( R G B l I 17), R G Recht 1924, 24; §§ 14, 12 Nr. 1 N M G , R G L Z 1924, 84; § 10 Nr. 2 N M G , R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 1 1 5 ; § 4 Nr. 2 L M G , R G 170, 1 5 5 ; — L i t e r a t u r u r h e b e r g e s e t z § 25, R G 8 1 , 1 2 0 ; — M i e t e r s c h u t z g e s e t z , § 4 9 a , WarnRspr 1934 Nr. 49; — L u f t v e r k e h r s v e r o r d n u n g v. 2 1 . 8 . 1936, § 7 0 , R G D R 1939, 867; — M a r g a r i n e g e s e t z , B G H N J W 1957, 1 7 6 2 ; — M i l c h - u n d F e t t g e s e t z e v. 28. 2. 1951 ( R G B l I, 135) und 10. 1 2 . 1952 (I, 8 1 1 ) § 1, B G H Betrieb 1956, 547 = L M § 823 (Bf) Nr. 1 5 ; vgl. B G H 26, 42, 49; L M Milch- u. FettG Nr. 1 ; — M i l i t ä r r e g i e r u n g s g e s e t z § 5 2 Art. I Abs. 2, B G H 2 1 , 148, 1 5 3 ; — P e r s o n e n b e f ö r d e r u n g s g e s e t z , zugunsten der Bundesbahn, B G H 26, 42; V R S 14, 280; zugunsten anderer Verkehrsunternehmer, Bamberg N J W 1956, 1 6 0 1 ; a A Hamburg N J W 1956, 7 1 6 ; vgl. R G 1 1 9 , 4 3 5 ; — P r e i s g e s e t z e , Preisstoppverordnung vom 26. 1 1 . 1936, Preisfreigabeverordnung v. 25. 6. 1948, verneint durch B G H 12; 146; N J W 1 9 5 1 , 109. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Frage, ob Preisvorschriften Schutzgesetze zugunsten des Einzelnen sind, nicht einheitlich für alle Preisvorschriften entschieden werden; j a : Mietpreisvorschriften, B V e r w G 1, 104, 1 0 5 ; N J W 1956, 3 1 7 ; O V G Hamburg V e r w R s p r 2 Nr. I i i ; Württbg/Bad V G H V e r w R s p r 3 Nr. 4 1 ; Preistreibereiverordnung v. 13. 7. 1923, R G 159, 99; — P f l a n z e n s c h u t z m i t t e l , Verordnung über bienenschädliche Pflanzenschutzmittel v. 25. 5. 1950 (BAnz 1950 Nr. 1 3 1 ) , B G H V e r s R 1958, 2 5 1 ; — R e c h t s b e r a t u n g s g e s e t z , zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung v. 13. 12. 1935, B G H 15, 3 1 5 ; — R A O , § 4 Abs. 3, R G J W 1 9 3 1 , 1069; aber § 28, R G H R R 1933, 8 1 2 ; — R e i c h s v e r s i c h e r u n g s o r d n u n g , §§400, 532, 536, zum Schutze der Versicherungsträger, R G J W 1928, 2 9 1 5 ; H R R 1932, 1 4 4 3 ; R A G J W 1934, 6 3 2 ; Karlsruhe V e r s R 1955, 647; §§ 1492—1494, nicht 1488, zum Schutze der Versicherungsträger, R G 138, 1 6 5 ; § 233 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz in Verbindung mit §§ 5 3 3 — 5 3 6 und §§ 1 4 9 2 — 1 4 9 4 R V O , als Schutzgesetz zugunsten der Reichsknappschaft, R G H R R 1932 Nr. 1 4 4 3 ; § 49 K r a n k V G (alt) gegen Inanspruchnahme der Kasse durch Unberechtigte, R G 73, 2 1 1 ; vgl. auch Abschnitt über Verneinung des Schutzgesetzcharakters; — S c h e c k g e s e t z §§ 10, 14, R G SeuffArch 77 Nr. 72; 78 Nr. 1 8 5 ; — S c h r i f t l e i t e r g e s e t z § 14 v. 14. 10. 1933, ( R G B l I 7 1 3 ) , R G H R R 1936 Nr. 679; — S c h u ß w a f f e n g e s e t z v. 12. 4. 1928 ( R G B l I 143), R G SeuffArch 88 Nr. 39; — S e e s t r a ß e n o r d n u n g v. 5. 2. 1906 (alt), R G 7 3 , 8; 86,424; H R R 1 9 3 9 N r . 1 5 0 9 , 1 5 1 0 ; — S p r e n g s t o f f g e s e t z , Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen v. 9. 6. 1884, B G H V e r s R 1954, 1 0 2 ; — S t i l l e g u n g s v e r o r d n u n g , Kündigungsschutzbestimmungen, R A G 1 1 , 1 1 7 ; — S t r a ß e n b a h n e n , Bau- und Betriebsordnung, B G H V e r s R 1953, 2 5 5 ; — S t r a ß e n v e r k e h r , §§ 1, 23 des Ges. über den Verkehr mit K r a f t fahrzeugen v. 3. 5. 1909, R G 5. 2. 1925 I V 421/24; § 24, R G J W 1926, 2 5 3 3 " ; WarnRspr 1927 Nr. 17 (Schutzgesetz auch zugunsten der im Kraftwagen beförderten Personen); V O über den Kraftfahrzeugverkehr, R G 84, 4 1 5 ; 120, 1 5 6 ; 130, 1 6 2 ; 1 3 3 , 308; 147, 402; 156, 1 9 3 ; 163, 2 1 , 3 3 ; R G J W 1928, 7 9 7 1 1 ; 1929, 9 1 2 5 ; 1 9 3 1 , 854 2 ; 3 3 1 9 1 1 , 3 3 2 7 1 6 ; 1932, 778 3 , 7 9 1 1 3 ; 1933, 8 3 5 ; 1934, 2460 3 ; WarnRspr 1 9 1 4 ^ . 3 1 8 ; 1927 Nr. 1 7 ; 1 9 3 1 Nr. 8 1 . — S. jetzt für die Bundesrepublik das Straßenverkehrsgesetz v. 19. 1 2 . 1952 (BGBl I 937); s. Anm. 79; wegen des Umfangs der geschützten Interessen und des demnach möglichen Schadensersatzes vgl. B G H 12, 2 1 3 , 2 1 7 ; 20, 3 7 1 , 379 und A n m . i n . Bestimmungen über verkehrssicheren Bau, Einrichtung und Ausrüstung von Kraftfahrzeugen nur zugunsten der Personen, die vom Verkehr unmittelbar berührt werden, R G 120, 1 5 4 ; 163, 2 1 , 3 3 ; — S t V G , § 24, B G H V e r s R 1955, 186 = L M (Bf) 9; V e r s R 1959, 2 7 7 ; Beihilfe zu § 24, Frankfurt N J W 1956, 1 1 5 5 ; — S t V O , 83*
1298
§ 823 Anm. 108—110
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§§ i, 8 Abs. i, BGH 23, 90, 97; VersR 1957, 616; § 10 Abs. 1 S. 3, BGH VersR 1955, 504 = LM (Bf) 10; §§ 20, 35, Köln NJW 1957, 346; ferner BGH VersR 1957, 26; § 3 7 I S. 3, BGH NJW 1957, 1526; §24, Karlsruhe VersR 1956, 556; §34, OGH NJW 1950, 143; — S t V Z O , § 29c, nicht zum Schutze der Versicherungsnehmer, BGH VersR 56, 706; wegen des Schutzes der Verkehrsopfer vgl. Celle VersR 1954, 427; Frankfurt JZ 1954, 669; Hamburg VersR 1954, 427; § 248 b StGB, nicht zugunsten der Verkehrsteilnehmer, BGH 22, 293, 296; — U W G , RG J W 1905, 174; BGH 15, 338. 355; NJW 1954, 147; — VersAufsG § 140 (früher § 108), RG 95, 156; SeuffArch87 Nr. 75; — VO zum S c h u t z e der W ä l d e r , Moore und Heiden gegen Brände v. 25. 6. 1938 (RGBl I 700), BGH VersR 1953, 82; — W e t t b e w e r b , Dekartellierung, Brit.Mil.Reg.VO Nr. 78, BGH 13, 33, 41; NJW 1954, 147; OLG Düsseldorf GRUR 1950, 380; s. auch M ö h r i n g MDR 1949, 411; GRUR 1949, 271, 273; F i k e n t s c h e r BB 1956, 793; B a l l e r s t e d t JZ 1956, 267, 271; KartellVO, §9, RG 119, 366; 125, 166; Verordnung des Zentralamts der Britischen Zone über W i r t s c h a f t s v e r b ä n d e v. 28. 11. 1946 (GVBNRW 47, 2; inzwischen aufgehoben BB 1956, 699), BGH 21, 1; GWB, § 27, BGH NJW 1958, 880; — Z a h n h e i l k u n d e , Ges. v. 31. 3. 1952, Oldenburg NdsRpfl. 1955, 133; — ZPO §§ 138, 391, 392, LG Köln J W 1939, 40"; vgl. RG SeuffArch 84 Nr. 143; § 410, Hamm MDR 1950, 221; § 803 Abs. 1 S. 3, RG 143, 118, 123; BGH BB 1956, 254; § 829 gegen den Schuldner, nicht gegen andere Gläubiger, RG 12.7. 1911, V 23/11; §840, RG 149, 251; RAG ArbRSlg 41, 405; — Z u g a b e V O , BGH NJW 1956, 9 1 1 . Anm. 108 d) Aus Landesgesetzen: § 1 des preuß. Deichgesetzes v. 28. 1. 1848, RG J W
1 9 1 2 , 3 9 1 1 2 ; — Eisenbahnbetriebsvorschriften, R G J W 1904, 407 1 6 ; — § 4 3 A b s . 1 des
pr. Fischereigesetzes v. 30. 5. 1874, RG WarnRspr 1915 Nr. 299; LZ 1920, 159; — die gemeinrechtlichen Flußinterdikte, RG 64, 249; J W 1915, 10220; 1933, 5082; —Feuervorschriften in Polizeiverordnungen, RG J W 1913, 863®; — § 270 Pr. StGB, RG WarnRspr 1911 Nr. 181; — Preuß. Ges. über die Reinigung öffentlicher Wege v. 1. 7. 1912, RG 113, 293; J W 1928, 104612; BGH 27, 278, 283; VersR 1956, 158; NJW 1952, 1087; Köln VRS 13, 321; — Bad. Ortsstraßengesetz in der Fassung v. 30. 10. 1936, LG Heidelberg VersR 1958, 34; — Pol.VO über Streupflicht, BGH VersR 1957, 446; — Vorschriften des sächs. Landesrechts über Abgabe von Giften oder Sprengstoffen, RG 152, 325; — § 197 Pr. WasserGes., RG 145, 107, 116; — Art. 23 des Württ. Wassergesetzes v. 1. 12. 1900, RG HRR 1925 Nr. 171; — Vorschriften über den Waffengebrauch der Polizeibeamten, RG J W 1906, 74515; — Landesrechtliche Vorschriften über die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen gegen den Staat, öffentlich-rechtliche Körperschaften usw., RG 124, 104; — HessAG ZPO Art. 2, RG 124, 105; — Württ.-Bad. Bienenverordnung, BGH RdL 1953, 210; — NRW Pol.VO zur Verhütung von Schäden durch Munition im Schrott usw., BGH VersR 1958, 316; — öffentlich-rechtliche Bestimmungen des Baurechts, RG 87, 371; vgl. Celle NJW 1953, 388 u. MDR 1954, 241; München NJW 1959, 341. Anm. 109 3. Verneinung des Schutzgesetzcharakters Verneint wurde die Eigenschaft von Schutzgesetzen a) aus dem BGB, HGB und StGB: BGB: § 313, RG 24. 10. 1918 VI 199/18; § 544, RG 5. 1. 1933 VIII 368/32; § 733 KG J R 1 9 5 1 , 2 2 ; § 832, 1627, RG 53, 3 1 2 ; § 839, RG 1 3 1 , 239, 250. HGB: §§ 29, 3 1 , 58, 106, RG 72, 408; §§ 241, 249 aF, RG 63, 3 1 4 ; 73, 30, 3 9 2 ; 81, 271; 115, 296; 159, 211, 223; §§ 240 Abs. 2 i. Vbdg. mit § 315 Abs. 1 Nr. 2 aF, RG J W 1935, 330. StGB: § 180, 361 Z. 6, nicht zum Schutze fremden Eigentums, RG 57, 23g, 241; 77, 217; § 367 Ziff. 15, Celle NJW 1953, 388; § 248b, nicht zugunsten der Verkehrsteilnehmer, BGH 22, 293, 296; vgl. Anm. 107 u. m . Anm. 110 b) Aus anderen Gesetzen :Anf. Ges., § 3 Nr. i , R G 7 4 , 224; — A V A V G , § 142fr, München NJW 1956, 1324; RAG HRR 1933 Nr. 930: Aufbringung und Abführung 1294
Unerlaubte Handlungen
§823 Anm. 111
der Beiträge; — D a r l e h e n s k a s s e n g e s e t z , Gesetz betreffend die Wiedereinziehung der Darlehenskassenscheine v. 4. 8. 1 9 1 4 , R G 129, 1 1 5 ; — D e v i s e n g e s e t z s. Mil.R e g . G ; — G m b H G , §§ 7, 9, R G Recht 1933, 2639; § § 4 1 — 4 3 , 64, 83, 84, R G 73, 30; § 52, R G 73, 392; — G e n o s s e n s c h a f t s g e s e t z , § 34, R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1 3 0 ; D N o t Z 33, 382; — G e w O , §§ 1 2 0 a — c , R G 48, 1 2 7 ; §§ 33, 147 Nr. 1 , R G 1 3 5 , 242 J a g d G e s . , der Vorspruch zum Reichsjagdgesetz über das, was im Gebiet der Weidgerechtigkeit üblich ist, R G 156, 140; — L a s t e n a u s g l e i c h s g e s e t z , § 253 Abs. 2, bei Abschluß eines Vertrags durch den Empfänger eines Eingliederungsdarlehens entgegen den auferlegten Bedingungen, B G H W M 1957, 847; — M i l . R e g . G e s . Nr. 52, 53, B G H BB 1956, 2 5 2 ; B G H V I Z R 1 5 1 / 5 2 v. 10. 3. 1954; L M Art. I I Ges. 52 Nr. 2 ; aber Art. 1 Abs. 1, B G H 2 1 , 148, 1 5 3 ; —• Montanunionvertrag, Art. 4 b , 60, B G H N J W 1959, 1 1 7 6 ; — p o l i z e i l i c h e Anordnungen zur Verhütung des Einführens und Verbreitens von Viehseuchen, R G WarnRspr 1929 Nr. 99; Ablieferung von verendetem Vieh an Abdeckerei R G 102, 2 2 3 ; — P e r s o n e n b e f ö r d e r u n g s g e s e t z : s. A n m . 1 0 7 ; vgl. R G 1 1 9 , 4 3 5 ; — P r e i s g e s e t z e : s. Anm. 1 0 7 ; — P r e s s e g e s e t z , § 1 1 , Freiburg J Z 1 9 5 1 , 7 5 1 ; — R A O (alt), § 28, R G H R R 1933 Nr. 8 1 2 ; — R e i c h s v e r s i c h e r u n g s o r d n u n g , Angestelltenversicherungs-Ges., Reichsknappschaftsgesetz: Die Vorschriften der R V O , die dem Arbeitgeber die Verpflichtung zur Mitwirkung beim Abführen der Versicherungsbeiträge oder zur Anzeige eines Unfalls, zur Angabe des f ü r die Unfallrente maßgebenden Jahresverdienstes auferlegen, sowie entsprechende Bestimmungen des A V G und des R K n a p p s c h G sind nicht Schutzgesetze zum Schutze der Arbeitnehmer im Sinne von § 823 Abs. 2 ( R G 138, 1 6 5 ; R A G 8, 1 6 1 ; 1 3 , 1 9 2 ; 15, 80; R A G WarnRspr 1932 Nr. 36; R A G H R R 1931 Nr. 762; 1932 Nr. 1928; R A G J W 1 9 3 1 , 1286; 1933, 1 5 5 0 ; R G H R R 1934 Nr. 1 9 1 ; München N J W 1956, 1 3 2 4 ; dagegen u. a. D e r s c h Z A k D R 1936, 1039 u. C l a s e n D J 1943, 180; ebenso für ReichsknappschG R A G J W 1934, 6 3 2 : Abführung von Beiträgen). Inwieweit sonstige Bestimmungen den Schutz der Versicherungsträger bezwecken, darüber oben Anm. 107. K e i n Schutzgesetz im Sinne des § 8 2 3 Abs. 2 ist insbesondere auch § 1 5 5 2 R V O betreffend die Pflicht des Unternehmers zur Anzeige eines Betriebsunfalles ( R G J W 1937, 2852 3 5 ). — S t r a ß e n v e r k e h r , vgl. Anm. 1 0 7 ; S t V Z O , § 29c nicht zum Schutze der Versicherungsnehmer, B G H V e r s R 1956, 706 = N J W 1956, 1 7 1 5 ; wegen des Schutzes der Verkehrsopfer vgl. Celle V e r s R 1954, 427; Frankfurt J Z 1954, 669; Hamburg V e r s R 1954, 4 2 7 ; — U n f a l l v e r h ü t u n g s v o r s c h r i f t e n der Berufsgenossenschaften, die im Interesse der Berufsgenossenschaften selbst, um Vermögensopfer von ihnen abzuwenden, erlassen sind, R G 48, 3 2 7 ; 95, 180 u. 2 3 5 ; J W 1902 Beil. 1 7 2 ; 1 9 1 1 , 3 3 5 4 1 ; 1929, 1 4 6 1 8 ; WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 13, 384; B G H V e r s R 1957, 165, 584; Neustadt M D R 1955, 4 1 6 (ihre Außerachtlassung kommt für das persönliche Schuldmoment einer sonst gegebenen u. H . in Betracht, vgl. § 823 Anm. 8); — V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g s g e s e t z , §§ 7 1 , 1 5 8 h , B G H N J W 1953, 1 1 8 2 = V e r s R 1953, 283; — P r W a s s e r s t r a ß e n g e s . : § 1 1 — 1 3 , R G Gruchot 68, 76; — P r W a s s e r g e s e t z , § § 1 1 3 — 1 1 5 , R G H R R 1935 Nr. 1068; — Bekanntmachung betreffend Bezeichnung der Fahrwasser und Untiefen v. 13. 5. 1 9 1 2 , R G 128, 3 5 3 ; — Zulassungsordnung für Z a h n ä r z t e und Dentisten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen v. g. 5. 1935 ( R G B l I 594), § 31 und Vertragsordnung für Kassenärzte und Dentisten v. 27. 8. 1935 ( R G B l I 1 1 1 2 ) , §§ 2 3 f f , R G 1 5 5 , 234.
Anm. 111 4. Verletzung des durch das Schutzgesetz geschützten Rechtsguts. Der
Verstoß gegen das Schutzgesetz verpflichtet den Handelnden zum Schadensersatz, wenn dadurch die Gefahr verwirklicht worden ist, die die Schutzvorschrift verhüten wollte, wenn das Rechtsgut oder Interesse verletzt ist, zu dessen Schutze sie erlassen wurde u n d wenn die Person durch den Verstoß geschädigt worden ist, die sie schützen wollte, nicht ein dritter mittelbar Geschädigter ( R G 63, 324; 73, 30; 82, 206, 2 1 3 ; 138, 276; vgl. Anm. 96). N u r d e r u n m i t t e l b a r d u r c h d a s S c h u t z g e s e t z g e s c h ü t z t e „ a n d e r e " , d. h. derjenige, dessen Interessen das Gesetz schützen will, hat den Schadensersatzanspruch nach § 8 2 3 Abs. 2 ( R G 73, 30; 82, 189, 2 1 3 ; 97, 87; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 3 7 2 ; 1929 Nr. 7). Wer geschützt werden soll, ist aus dem Inhalt des Schutzgesetzes, den Verhält-
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§ 823
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 112, 113 nissen, die es regeln soll, und den Zielen, denen es dient, zu entnehmen ( R G 82, 206, 2 1 3 ; D R 1940, 1779 m. Anm. H e r s c h e l ; B G H 19, 1 1 4 ; 22, 293, 296). So ist § 248b S t G B kein Schutzgesetz zugunsten der Verkehrsteilnehmer ( B G H 22, 293, 295), Mil.Reg.Ges. Art. I Abs. 2 kein Schutzgesetz zugunsten des derzeitigen Besitzers eines entzogenen Gegenstandes ( B G H 2 1 , 148, 1 5 4 ) ; §367 Abs. 1 Nr. 15 schützt z.B. auch die Bauarbeiter ( B G H V e r s R 1953, 338 = L M [Bb] Nr. 1). Der hiernach Geschützte kann auch den Schaden geltend machen, der ihn nur mittelbar betroffen hat ( R G W a r n R s p r 1930 Nr. 108); aber vorausgesetzt ist, daß der Schaden unmittelbar oder mittelbar aus der Verletzung eines Rechtsguts entstanden ist, zu dessen Schutz die Rechtsnorm erlassen ist. Die Schutzgrenze des Gesetzes deckt sich nicht wesensmäßig mit dem Unterschied von mittelbarem und unmittelbarem Schaden (vgl. H e r s c h e l D R 1940, 1779). Der Ersatz eines solchen Schadens kann aber immer nur dann in Frage kommen, wenn er i m R a h m e n d e r d u r c h d a s S c h u t z g e s e t z g e s c h ü t z t e n I n t e r e s s e n liegt ( R G D R 1940, 1779 1 0 ), wenn der Gesetzgeber daher bei der Erlassung des Gesetzes gerade einen solchen Rechtsschutz, wie er in Anspruch genommen wird, gewollt oder doch mitgewollt hat ( R G 138, 165, 2 1 9 ; B G H N J W 1957, 1 7 6 2 ; V e r s R 1956, 706; 1958, 4 1 7 , 481). So fällt beim Verstoß gegen die den Straßenverkehr regelnden Schutzbestimmungen durch einen Schädiger der Schaden, den ein Mitschädiger durch die Inanspruchnahme durch den Verletzten erleidet, nicht unter die Schäden, deren Ersatz der Mitschädiger vom Schädiger nach § 823 Abs. 2 verlangen kann ( B G H 20, 3 7 1 , 379). Bestimmungen über verkehrssicheren Bau, Einrichtung und Ausrüstung von Kraftwagen sind Schutzgesetze nur zum Schutze der Personen und Sachen, die von dem Verkehr unmittelbar berührt werden ( R G 163, 2 1 , 33). Die Vorfahrtsregelung in § 13 S t V O schützt, abgesehen von der Aufrechterhaltung der Ordnung nur die Gesundheit und das Eigentum der Verkehrsteilnehmer, nicht aber ihre allgemeinen Vermögensbelange ( B G H 27, 137). Vgl. ferner R G H R R 1929 Nr. 299; D R 1940, 1 7 7 9 ; B G H 12, 146, 148 u. 2 1 3 , 2 1 7 ; 19, 1 1 4 , 1 2 6 ; 28, 359; N J W 1959, 6 2 3 ; Düsseldorf N J W 1958, 1920.
Anm. 112 5. Weitere Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs. Der Tatbestand
der Verletzung des Schutzgesetzes muß nach seinen gegenständlichen (objektiven) und persönlichen (subjektiven) Merkmalen vollständig erfüllt sein ( R G 5 1 , 369). Das Erfordernis der W i d e r r e c h t l i c h k e i t des Handelns, ohne das eine u. H . nicht denkbar ist, besteht auch für die u. H. nach Abs. 2 ( R G 155, 234, 237; L Z 1 9 1 9 , 2 0 5 1 3 ) ; deshalb kann es z. B. keinen Verstoß gegen §§ 1 8 5 — 1 8 7 StGB, § 823 Abs. 2 darstellen, wenn ein berechtigtes Interesse nach § 193 der Ehrverletzung den Charakter der Widerrechtlichkeit nimmt ( R G 5 1 , 3 1 9 ; 56, 2 7 1 ; 57, 1 5 7 ; 60, 1, 1 2 ; 143, 6; H R R 1934 Nr. 3 1 3 ; D R 1939, 2009). Keine Vorwürfe in Tagespresse mit wirtschaftlichen Folgen ohne ausreichende Interessenabwägung, B G H V e r s R 1956, 493.
Anm. 113 Der u r s ä c h l i c h e Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e m V e r s t o ß g e g e n d a s S c h u t z g e s e t z u n d d e r E n t s t e h u n g d e s S c h a d e n s muß von dem Beschädigten nachgewiesen werden; eine Vermutung zu seinen Gunsten, wie nach § 26 Teil I Tit. 6 A L R , besteht nicht ( R G 52, 1 1 9 ; J W 1902 Beil. 2 1 2 5 4 ; 1903 Beil. 1 2 6 2 8 1 ; 1904, 4 0 7 1 5 ; 1926, 2 5 3 3 8 ; vgl. A n m . 9). Der Beweis, daß zwischen dem Verstoß gegen ein Schutzgesetz und dem eingetretenen Ersterfolg (ursächlicher Zusammenhang des konkreten Haftungsgrundes) Ursachenzusammenhang besteht, ist nach § 286 Z P O zu führen, dagegen der Zusammenhang zwischen konkretem Haftungsgrund und Schaden nach § 287 Z P O ( B G H V e r s R 1956, 793; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 99). Wer z. B. behauptet, daß unter Verstoß gegen Schutzgesetze Chemikalien weggeworfen worden seien und dadurch seine Brunnenanlage verunreinigt worden sei, muß den Zusammenhang zwischen dieser Handlung und der Verunreinigung nach § 286 Z P O — auch durch Beweis des ersten Anscheins — beweisen, dagegen ist § 287 Z P O anwendbar für den Zusammenhang zwischen der Verunreinigung und dem daraus entstandenen konkreten Schaden. Der ursächliche Zusammenhang wird nicht dadurch ausgeschlossen,
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Unerlaubte Handlungen
§823 A n m . 114
daß der schädliche Erfolg möglicherweise auch bei Befolgung des Schutzgesetzes eingetreten wäre, wenn nur die letztere dem Zwecke des Schutzgesetzes gemäß eine erhöhte Sicherheit gegen den Schaden geboten hätte (RG J W 1909, 135 9 ; LZ 1921, 303 4 ; Neustadt VersR 1957, 418). Ursächlicher Zusammenhang zwischen der Anstiftung zu verbotswidrigem Schießen und der tödlichen Verletzung durch einen wider den Willen des Schießenden sich lösenden Schuß s. R G 166, 64. Beim Verstoß gegen die Vorschriften über die Beleuchtung von Fahrzeugen spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß ein derartiger Verstoß zu dem Unfall geführt hat (BGH VersR 1957, 108; vgl. 1957, 429); Beweis des ersten Anscheins bei Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften ( B G H VersR 1957, 800). Der Beweis des ersten Anscheins greift aber nicht bei Verstößen gegen alle Schutzvorschriften Platz (BGH VersR 1959, 277). A n m . 114 Auch die u. H. nach § 823 Abs. 2 setzt ein Verschulden des Täters voraus, selbst dann, wenn das Schutzgesetz von einem solchen Tatbestandsmerkmal absieht. Ein Zuwiderhandeln gegen das Schutzgesetz liegt nur vor, wenn dessen sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Gehört also zum Tatbestand des Schutzgesetzes, wie z. B. bei Untreue nach § 266 StGB, der Vorsatz, so kann auch eine Haftung aus § 823 Abs. 2 nur in Frage kommen, wenn dieser Vorsatz vorliegt (RG 118, 312, 315; 148, 154, 159; 166, 46; D R 1940, 1016 10 ; über die Bedeutung der strafrechtlichen Schuldtheorie bei der Prüfung des Vorsatzes vgl. B a u m a n n AcP 155, 495). Das Verschulden gestaltet sich nach Abs. 2 anders als für die u. H . des Abs. 1. Da der Tatbestand der u. H. nach Abs. 2 in dem Verstoße g e g e n d a s S c h u t z g e s e t z erschöpft ist, kann das Verschulden des Täters — also das Wissen oder die Voraussehbarkeit — sich auch n u r a u f d i e s e n V e r s t o ß s e l b s t beziehen; und die Voraussicht oder Voraussehbarkeit des rechtsverletzenden Erfolgs, wie der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit nach Abs. 1 sie erfordern (vgl. Anm. 3, 7), scheidet für Abs. 2 aus. Der Täter braucht im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB nicht zu wissen oder wissen müssen, daß durch denVerstoß gegen ein Schutzgesetz jemand in seinen Rechten oder Rechtsgütern verletzt wird. Natürlich muß dieses Wissen oder Wissenmüssen vorliegen, wenn die Verletzung zu dem Tatbestand des Schutzgesetzes gehört. Ebenso wenig braucht sich das Voraussehen oder die Voraussehbarkeit auf den Schaden zu erstrecken, es sei denn das Schutzgesetz, wie z. B. § 263 StGB, erfordert dieses subjektive Element (RG 145, 107, 115; B G H 7, 198, 207; J R ! 953) 1 8 1 = L M §823 [Be] Nr. 3; NJW 1954, 147, 148 a.E.; 1955, 306, 307; VersR 1954, 102 = L M §823 [Bf] Nr. 5; VersR 1958,481). Nur d a r a u f k o m m t es an, ob der Täter schuldhafterweise gesetzwidrig gehandelt hat (RG 66, 251; 69, 344; 145, 107, i i 5 f ; H R R 1935 Nr. 171; Gruchot 67, 567; J W 1902 Beil. 172; 1904, 407 15 ; 1905, 14221; 1909, 1348 u. 313 10 ; 1910, 100312; 1916, 38*; WarnRspr 1909 Nr. 86). Die Übertretung ist schuldhaft, wenn der Übertreter bewußtermaßen die gebotene Handlung unterließ oder die verbotene ausführte, sowie wenn er aus schuldhafter Vergeßlichkeit gegen die ihm bekannte Vorschrift handelte ( B G H VersR 1956, 158). Ein e n t s c h u l d b a r e r R e c h t s i r r t u m (vgl. Anm. 8) über das Bestehen oder die Rechtsgültigkeit des Schutzgesetzes vermag ihn dagegen zu entlasten (RG J W 1907, 251 12 ; 1910, 100312). Unkenntnis des Schutzgesetzes allein entschuldigt noch nicht (RG SeuffArch 79 Nr. 208; B G H VersR 1956, 158). Auch sind bloße Zweifel in dieser Beziehung noch kein Entschuldigungsgrund (vgl. R G SeuffArch 79 Nr. 208). Die Unkenntnis ist auch schuldhaft, wenn er sich unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt über das Bestehen des Schutzgesetzes zu unterrichten unterließ (RG WarnRspr 1909 Nr. 297; LZ 1916, 1240; J W 1931, 1689; B G H L M §823 [Bc] Nr. 1; VersR 1956, 190, 191). Bei einem öffentlich-rechtlichen Pflichtenträger sind strenge Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu stellen, wenn es sich um den Irrtum über Bestehen, Inhalt und Umfang einer gesetzlichen Bestimmung handelt (BGH VersR 1958, 158). Bei im Erfolge ungenügender Ausführung der durch das Schutzgesetz gebotenen Handlung ist ein schuldhafter Verstoß vorhanden, wenn der Handelnde sich sagen mußte, daß seine Art und Weise der Befolgung des Gesetzes die Gefahr nicht beseitigen würde, der vorzubeugen das Gesetz bestimmt war (RGJW 1905, 142 21 ); ein Verschulden ist nicht vorhanden, wenn die Art und Weise der Ausführung 1297
§ 823 A n m . 115 §824
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
bei vernünftiger und umsichtiger Würdigung der Verhältnisse eine Gefahr nicht befürchten ließ ( R G J W 1904, 165 3 ). Ein Verschulden kann z. B. fehlen, wenn ein Angestellter auf Anweisung des Dienstherrn handelte und voraussetzen durfte, daß dieser bei der Anordnung die gebührende Rücksicht auf bestehende Vorschriften nehmen würde ( R G WarnRspr 1909 Nr. 96); es kann bei dem Dienstherrn fehlen, wenn er einem tüchtigen Angestellten die gebotene Verrichtung übertragen, diesen gehörig unterwiesen und es an gehöriger Aufsicht über ihn nicht hatte fehlen lassen ( R G J W 1 9 1 1 , 487®; 1 9 1 2 , 390 1 0 , 536 1 4 ). Über die Sorgfaltspflicht des Geschäftsinhabers bezüglich der Verhütung des verbotenen Verkaufs von Gift und Sprengstoffen an Kinder s. R G 152, 3 2 5 ; ebenda auch über die Einrede der Arglist aus dem Verhalten der Kinder. Anm. 115 Die B e w e i s l a s t für das Verschulden des Übertreters trifft zwar, wie nach Abs. 1, den Beschädigten. Doch schafft die Herstellung eines objektiv widerrechtlichen, den Tatbestand der Verletzung eines Schutzgesetzes begründenden Zustandes ein Beweisanzeichen dafür, daß die Verletzung auch schuldhaft erfolgt sei und der Schädiger muß demgegenüber beweisen, daß er nicht schuldhaft gehandelt hat ( R G 1 1 3 , 293, 294; 145, 107, 1 1 6 ; J W 1928, 1046; B G H V e r s R 1956, 158, 190, 1 9 1 ; 1957, 429; 1959, 69; Schleswig V e r s R 1957, 742), also z. B. nachweisen, daß seine Unkenntnis von einem Schutzgesetz nicht auf Fahrlässigkeit beruht (vgl. Anm. 9). Die Unterlassung einer durch Polizeigesetz gebotenen Tätigkeit begründet regelmäßig die tatsächliche Folgerung, daß sie auf einem Verschulden beruhe; dem Beklagten liegt dann der Widerlegungsbeweis ob, daß er dasjenige getan habe, was geeignet war, die Ausführung des Gesetzes zu sichern ( R G 9 1 , 76; 1 1 3 , 293, 294; 145, 107, 116; J W 1909 134 8 , 687 1 2 ; 1 9 1 1 , 542 1 7 , 980 1 3 ; 1 9 1 2 , 348 1 4 , 390 1 0 , 5 3 6 " ; 1 9 1 3 , 864 1 0 ; 1 9 1 5 , 395', 1 1 1 9 4 : Beweis der Unkenntnis des Polizeigesetzes zur Ausräumung des Verschuldens 1 9 1 6 , 38 4 ; 1928, 1046 1 2 ; WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 329; 1911 Nr. 474; 1 9 1 2 Nr. 2 1 ; B G H BB 1957, 241).
§ 834 W e r der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden, oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, hat dem anderen den daraus entstehenden Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kennt, aber kennen muß. Durch eine Mitteilung, deren Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt ist, w i r d dieser nicht zum Schadensersatze verpflichtet, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. E II 748; P 2 637—638.
Ubersicht Anm.
1. Anwendungsbereich, Abgrenzung zu ähnlichen Bestimmungen 1—4 2. a) Behaüptung oder Verbreitung 5, 6 b) Tatsachen, Werturteile 7—9 3. Unwahrheit 10 4. Geeignetheit zur Kreditgefährdung 11 5. Verschulden 12 6. Schadensersatz 13 7. Wahrnehmung berechtigter Interessen 14—23 a) Wirkung der Wahrnehmung 14 b) Interessenabwägung 15 c) Berechtigung zur Wahrnehmung eigener, fremder und allgemeiner Interessen 16—19
1298
Unerlaubte Handlungen
§824 Anm. 1 Anm.
d) Tagespresse e) Wegfall bei Beleidigungsabsicht f ) Kenntnis der Unwahrheit . . . 8. Beweislast
20, 21 22
23 24
Anm. 1 1. Anwendungsbereich, Abgrenzung zu ähnlichen Bestimmungen. V g l . H e l l e , Der Schutz der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufs im Privatrecht, insbes. 49 ff. In den Grenzen der §§ 185—-187 StGB wird die Ehre einschließlich des eine Seite der Geschäftsehre darstellenden Kredits sowie als weiterer Folgezustand der Unversehrtheit des Rufes der Erwerb und das Fortkommen einer Person durch § 823 Abs. 2 geschützt. Allein die genannten strafrechtlichen Bestimmungen setzen für die Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen über einen anderen entweder ein Handeln wider besseres Wissen (§ 187) oder zum mindesten das Bewußtsein von dem ehrenkränkenden Charakter der aufgestellten Behauptung voraus (§ 186) neben der eine Bedingung der Strafbarkeit bildenden Nichterweisleichkeit der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache. Auch durch eine Beleidigung nach § 185 StGB wird über § 823 Abs. 2 eine Schadensersatzpflicht begründet. Mit dieser Regelung kann sich das Strafrecht, nicht aber das bürgerliche Recht begnügen. § 824 füllt diese L ü c k e aus, indem er auch die f a h r l ä s s i g e Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen, wenn sie geeignet sind, den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen des Betroffenen zu gefährden, als Unterlage eines Schadensersatzanspruchs anerkennt (RG 115, 74, 79), während Abs. 2 die Haftungsbefreiung des § 193 StGB, jedoch unter Erweiterung dieser Bestimmung auch auf das Interesse des Empfängers der Mitteilung, für den neugeschaffenen Tatbestand des Abs. 1 in das BGB aufnimmt, weil ein berechtigtes Interesse das für die u. H. wesentliche Merkmal der Widerrechtlichkeit des Verhaltens aufhebt (RG 60, 1, 12; 115, 74, 79; 140, 392, 395; 148, 154). Die Bestimmung des Abs. 1 macht nicht eigentlich die Ehre im engeren Sinne, d. h. die soziale Wertschätzung z u m Gegenstand ihres Schutzes und zu einem Rechtsgut im Sinne der im § 823 Abs. i besonders aufgeführten Rechtsgüter. Sie bezieht sich vielmehr auf Angriffe gegen die wirtschaftliche Wertschätzung, wobei freilich bei ein und derselben Handlung unter Umständen rechtlich beide Gesichtspunkte nebeneinander zutreffen könnten (RG 140, 392, 396). Kredit- und erwerbsgefährdende Behauptungen stellen in der Regel wohl eine Ehrverletzung dar, jedoch braucht die Mitteilung keine Ehrenrührigkeit zu enthalten, wie z. B. die die Haftung nach § 824 begründende Äußerung, daß jemand unverschuldet sein gesamtes Vermögen verloren habe oder daß jemand krank und arbeitsunfähig sei, daß in einer Heilanstalt eine ansteckende Krankheit ausgebrochen sei, daß jemand einer bestimmten Religion oder Partei angehöre oder daß ein Arzt (lediglich!) Arzt für Naturheilverfahren sei (RG 57, 157; 140, 392, 396). Die Bestimmung des § 824 stellt als geschützte Rechtsgüter den in § 823 Abs. 1 besonders aufgeführten Rechtsgütern den K r e d i t , den E r w e r b und das F o r t k o m m e n des Benachteiligten an die Seite (RG 61, 366; 140, 392; 148, 154, 159). Sie stellt daher eine Erweiterung dar. Sie verlangt daher auch nicht wie §§ 186, 187 StGB, daß der Verletzte in der öffent liehen Meinung verächtlich gemacht oder herabgewürdigt werden kann, sondern die Gefährdung des Kredits. Die Verletzung der Ehre kommt nur als Mittel zur Verletzung dieser Güter in Betracht. Zum Tatbestand des § 824 gehört jedoch nicht wie nach § 823 Abs. 1 die Verletzung der Rechtsgüter, sondern nur deren Gefährdung. Ersetzt wird der aus dieser Gefährdung erwachsende Schaden. § 824 ergänzt die allgemeinen Bestimmungen über die u. H., bildet somit keine lex specialis mit der Folge des Ausschlusses der allgemeinen Deliktsbestimmungen. Andererseits ist § 824 gegenüber § 823 Abs. 2, § 186 StGB dadurch eingeschränkt, daß der vom Verletzten zu erbringende Nachweis der Unrichtigkeit der Tatsache gefordert wird, während bei § 186 StGB die Nichterweislichkeit der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache genügt (RG H R R 1933 Nr. 1319). Mit der Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. §823 Anm. 11) ist auch die Ehre, nicht nur der wirtschaftliche R u f nach § 823 Abs. 1 geschützt.
1299
§ 824 A n m . 2—5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 2 Wenn die weitere, in § 824 nicht geforderte Voraussetzung vorliegt, daß Tatsachen zum Zwecke des Wettbewerbs behauptet oder verbreitet werden, tritt die Schadensersatzpflicht nach § 14 UWG schon dann ein, wenn diese Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Es bedarf — insoweit ist der Schutz des § 14 U W G gegenüber § 824 erleichtert — keines vom Verletzten nachzuweisenden Verschuldens, wenn dem Schädiger der Wahrheitsbeweis nicht gelingt ( R G 118, 133). Zum Zwecke des Wettbewerbs erfolgt eine Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen, wenn der Schädiger Vorteile für seinen eigenen Geschäftsbetrieb oder den Betrieb eines Dritten unter Benachteiligung des Geschäftsbetriebes des Betroffenen erstrebt und Vorteile und Nachteile in Wechselbeziehung zueinander stehen ( R G 118, 133, 136; B G H NJW 1951, 352). Wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen vgl. Anm. 14, §823 Anm. 4 1 ; Vorbem. § 823 Anm. 79ff. Anm. 3 Wenn § 824 wegen Wahrheit der behaupteten Tatsache entfällt, kann § 826 gegeben sein, wenn die wahren Tatsachen in bösartiger Weise verbreitet werden (vgl. § 826 Anm. 54). Ferner kann ein Eingriff in einen eingerichteten Gewerbebetrieb vorliegen ( B G H 8, 142, 144; vgl. § 823 Anm. 27). Das ist wichtig, wenn es sich um keine tatsächlichen Behauptungen, sondern um Werturteile handelt und deshalb § 824 nicht zur Anwendung kommt. Soweit keine tatsächlichen Behauptungen aufgestellt werden und deshalb § 824 entfällt, kann § 826 oder § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 185 StGB zur Anwendung kommen (vgl. Anm. 8). Anm. 4 Durch § 824 waren nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen und auch Personengesamtheiten geschützt ( R G 91, 350, 354; WarnRspr 1918 Nr. 95; J W 1937, 2352; H R R 1941 Nr. 1005; B G H NJW 1954, 72). Wenn durch Angriffe gegen eine juristische Person zugleich das durch § 824 geschützte Interesse eines Anteilinhabers verletzt wird (bei der Allgemeinheit bekannten wirtschaftlicher Beherrschung der J P durch den Anteilinhaber), so ist dieser ebenfalls klageberechtigt ( B G H NJW 1954, 72). In der Rechtsprechung zum Strafrecht waren früher nur einzelne Personen als beleidigungsfähig anerkannt. Später (RGSt 70, 1 4 1 ; J W 1937, 2352) wurden Personenmehrheiten als beleidigungsfähig anerkannt, die vom Recht anerkannt und dazu bestimmt waren, mit staatlicher Billigung öffentlichen Aufgaben zu dienen (vgl. R G S t 70, 140; 74, 268). Mit der Rechtsprechung des BGH ist diese Unterscheidung des strafrechtlichen Schutzes vom zivilrechtlichen weitgehend beseitigt, da danach Personengesamtheiten strafrechtlichen Schutz genießen, gleichgültig in welcher Rechtsform sie organisiert sind, wenn sie rechtlich anerkannte — wirtschaftliche — Aufgaben erfüllen (soziale Funktionen) und einen einheitlichen Willen bilden (z. B. GmbH: B G H S t 6, 188 m. Nachw.). Von der Beleidigung einer Personengesamtheit ist zu unterscheiden die Beleidigung einer Mehrheit von Personen, also jeweils einzelner Personen unter einer K o l l e k t i v b e z e i c h n u n g , wenn sich aus einer Gesamtbezeichnung trotz ihrer allgemeinen Fassung erkennen läßt, auf welche einzelnen Personen sie sich bezieht ( B G H S t 1 1 , 207 m. Nachw.; vgl. dazu S c h r ö d e r - S c h ö n k e StGB Vorbem. § 185 IV). Anm. 5 2. Behauptung oder Verbreitung einer T a t s a c h e a) Behaupten, Verbreiten. B e h a u p t e t wird eine Tatsache, wenn ihre Wahrheit als eigene Uberzeugung hingestellt wird, selbst wenn man sie von Dritten erfahren und nicht selbst wahrgenommen hat. Die Zufügung von einschränkenden Zusätzen („so viel ich weiß", „meines Erachtens", „offenbar") steht der Annahme einer Behauptung nicht entgegen. Es kann auch ohne Mitteilung einer konkreten Tatsache durch Aussprechen eines Verdachts, durch Hinweis auf eine Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, unter Umständen sogar eine Unwahrscheinlichkeit eine Behauptung aufgestellt werden (RGSt 38, 368; 60, 373; 67, 268; R G WarnRspr 1915 Nr. 24; R G 60, 190;
1300
Unerlaubte Handlungen
§824 Anm. 6—8
95) 339: 3435 B G H N J W 1951, 352; W M 1956, 1094). D e r Begriff der Behauptung ist weit zu fassen. Er darf nicht daran scheitern, d a ß Äußerungen in versteckter Form gemacht u n d in ausgeklügelten Worten vorgetragen werden. Es ist der Inhalt der Mitteilung zu ermitteln, der sich dem unbefangenen Empfänger der Mitteilung als nächstliegend aufdrängt. V e r b r e i t e n bedeutet die Weitergabe einer von einer anderen Person gemachten Aufstellung der Wahrheit einer Tatsache als Gegenstand fremden Wissens, nicht als Gegenstand der eigenen Überzeugung ( R G 101, 335, 338; B G H J Z 1958, 438). Verbreitung kann auch durch Weitergabe eines Gerüchts erfolgen ( R G S t 38, 368).
Anm. 6 Die Behauptung oder Verbreitung der Tatsache m u ß e i n e m D r i t t e n gegenüber erfolgt sein. Wenn eine Behauptung nur dem Betroffenen gegenüber aufgestellt ist und nur er davon Kenntnis erlangt hat, so liegt der Tatbestand des § 824 nicht vor. Dies folgt für das Merkmal des Verbreitens schon aus dem Wortlaut. Auch bei Behauptungen, die nur dem A n d e r e n gegenüber abgegeben werden, ist für den Regelfall nicht abzusehen, wie dadurch der Kredit oder Erwerb gefährdet werden kann ( R G 101, 335, 338). Das Behaupten oder Verbreiten braucht nicht öffentlich zu geschehen. Vertrauliche Weitergabe an Dritte genügt.
Anm. 7 b) T a t s a c h e n , W e r t u r t e i l e . Tatsachen sind alle äußeren oder inneren Begebenheiten, die sich in der Vergangenheit oder Gegenwart zugetragen haben, also nur vergangene oder gegenwärtige Vorgänge, nicht zukünftige Erwartungen. Allerdings kann mit einer Aussage über zukünftige Ereignisse eine Tatsachenbehauptung über gegenwärtige Vorgänge verbunden sein, aus denen die zukünftigen Ereignisse gefolgert werden (vgl. R G S t 67, 2). Zu den Tatsachen gehören auch innere Vorgänge, wie z. B. Irrtum, Beweggründe usw. ( R G S t 55, 130).
Anm. 8 Im Gegensatz zu den Tatsachen stehen die W e r t u r t e i l e , die eine bloße Meinung ausdrücken und nicht durch Tatsachen belegt sind ( R G 51, 369; 60, 1; 84, 294; 88, 437! 94. 271; 98, 36; 101, 335, 338; R G S t 55, 129, 1 3 1 ; 64, 10, 12; 68, 120; R G J W 1911, 780; 1919, 453 1 6 ; 1928, 1745; 1929, 1224 32 ; WarnRspr 1909, Nr. 296; i g ^ N r . 17; O G H S t 2, 291, 310; B G H , 3, 270, 274). Es ist schwierig, eine scharfe Grenze zwischen Tatsachenbehauptungen, insbesondere bei inneren Tatsachen, und der Abgabe eines Werturteils zu ziehen. Einen wertvollen Maßstab für die Abgrenzung bildet die Erwägung, ob es sich u m ein nachprüfbares, dem Beweis zugängliches Geschehnis handelt oder um ein allgemein gehaltenes, abfälliges Werturteil, eine dem Wahrheitsbeweis nicht zugängliche Bewertung, die nicht auf bestimmte nachprüfbare Handlungen Bezug nimmt ( R G 94, 271; 101, 335, 337; 115, 74, 77; 154, 117, 125; R G S t 55, 130; R G J W 1911, 780; B G H 3, 270, 274). Es kommt somit wesentlich darauf an, ob eine Bezeichnung zu bestimmten einzelnen Vorgängen in Beziehung gesetzt wird. Es können auch T a t sachen in die Form eines Werturteils gekleidet sein, z. B. die Bezeichnung als Dieb usw. Unter der F o r m eines Urteils kann sich insbesondere dann die Behauptung einer T a t sache verstecken, wenn damit zugleich über eine bestimmte Person oder eine bestimmte Leistung eines anderen etwas als geschehen oder vorhanden ausgesagt wird, so d a ß erst nach M a ß g a b e dieser tatsächlichen Aussagen das Urteil aufgestellt wird, u n d das scheinbare Urteil so als abfällige Äußerung über ein bestimmtes Verhalten einer Person, nicht als Ausdruck persönlicher Anschauung erscheint ( R G 58, 207, 101, 335, 338; J W 1909, 6 7 0 " ; 1921, 1530 7 ; 1934, 692; WarnRspr 1909 Nr. 296; H R R 1933 Nr. 1681; R G S t 56, 227, 231; 64, 10, 12; 68, 120, 122). Die Tatsachen können auch in verschleierter Form behauptet werden ( B G H N J W 1951, 352). Darüber und über die Einkleidung einer Behauptung in Form eines Verdachts vgl. R G 95, 339, 343; R G S t 41, 277, 286; 6o, 373 und Anm. 5. Bei Vermengung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen entscheidet der überwiegende Teil. Maßgebend für die Unterscheidung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist die objektive Beurteilung, nicht der vom Täter ihr beigelegte Sinn ( R G J W 1926, 1184; B G H N J W 51, 352; vgl. auch BayObLG
1301
§ 824 A n m . 9—11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
N J W 1957, 1607). Der Zweck des Gesetzes z u m Ehrenschutz gebietet es, die fließende Grenze zwischen T a t s a c h e n b e h a u p t u n g e n u n d Werturteilen zugunsten der Tatsachenb e h a u p t u n g e n weit zu ziehen ( R G S t 67, 268, 270; B G H N J W 1951, 352). Ergibt eine Gesamtwürdigung, d a ß es i m wesentlichen d a r a u f a n k o m m t , ein Werturteil auszusprechen, w ä h r e n d das tatsächliche Vorbringen in den H i n t e r g r u n d tritt, so liegt keine T a t s a c h e n b e h a u p t u n g vor ( B G H N J W 1955, 3 1 1 ) . Bei reinen Werturteilen kann die Schadensersatzpflicht nach § 826 begründet sein (vgl. A n m . 3 ; R G SeuffArch 59 Nr. 103: anonymer Brief mit Anfrage „sind seine Verhältnisse I h n e n b e k a n n t ? " ) , ebenso nach § 185 StGB, § 823 Abs. 2 ( R G 98, 36, 38; 1 0 1 , 335) 337)- Ferner k o m m t Schadensersatz bei geschäftsschädigenden Werturteilen wegen Eingriffs in das R e c h t a n der ungestörten A u s ü b u n g eines eingerichteten Gewerbebetriebes in Frage ( B G H 3, 270, 274, 278). Anm. 9 E i n z e l f ä l l e . K e i n e T a t s a c h e n b e h a u p t u n g e n sind: Bezeichnung als Schwindelfirma v e r b u n d e n mit d e m Rat, bei einer Geschäftsverbindung vorsichtig zu sein: R G 100, 335; 154, 1 1 7 , 1 2 5 ; Urteil über Befähigung zu einer Tätigkeit: R G S t 56, 227, 231; Bezeichnung als M ö r d e r oder Schuft, wenn es sich u m keine, einem vernünftigen Menschen verständliche A n k n ü p f u n g a n äußere Tatsachen h a n d e l t : R G 98, 36, 38; Bezeichnung als Kurpfuscherei f ü r Anleitung zur Selbstbehandlung unter U m g e h u n g ärztlicher U n t e r s u c h u n g : R G 154, 1 1 7 , 125; J W 1933, 2045; Äußerung, eine Person k o m m e als Gutachter nicht in Betracht: R G J W 1921, 1530 7 . Bei der Veröffentlichung w i s s e n s c h a f t l i c h e r U n t e r s u c h u n g e n u n d der Darstellung ihrer Ergebnisse einschließlich der aus ihnen gezogenen Schlußfolgerungen handelt es sich in der Regel u m ein Urteil, da j e d e wissenschaftliche U n t e r s u c h u n g n u r zu relativen W a h r h e i t e n f ü h r e n k a n n ; ebenso bei der Kritik wissenschaftlicher oder gewerblicher Leistungen. Allerdings k a n n i m Einzelfall die Grenze der wissenschaftlichen Beurteilung ü b e r schritten werden, so d a ß d a n n § 824 gegeben ist ( R G 84, 294, 296, 297; J W 1928, 2090). Behauptung einer P a t e n t v e r l e t z u n g stellt in der Regel ein Werturteil dar ( R G J W 1929, 1224 m. N a c h w . ; R G 94, 271). A n m . 10 3. U n w a h r h e i t . Die Tatsache m u ß der W a h r h e i t zuwider behauptet oder verbreitet sein. W a h r ist eine Tatsache, wenn sie im wesentlichen w a h r ist. Es m u ß aus der Tatsache, wie sie sich ereignet hat, der nachteilige Schluß gezogen werden können, wobei es nicht mehr entscheidend ist, ob alle b e h a u p t e t e n Einzelheiten zutreffen oder nicht. Die W a h r h e i t wird d u r c h den I n h a l t der Äußerung, wie er sich bei natürlicher Auffassung d e m E m p f ä n g e r der Mitteilung darbietet, bestimmt, nicht d a n a c h , was j e m a n d vielleicht herauslesen könnte ( R G W a r n R s p r 1 9 1 5 N r . 20; B G H Betrieb 1957, 402; N J W 1957, 1 1 4 9 ; R A G 19, 260, 264). Eine ü b e r t r e i b e n d e Schilderung oder eine Schilderung w a h r e r Tatsachen, die d u r c h U m k l e i d u n g mit nicht unwesentlichen, u n w a h r e n N e b e n u m s t ä n d e n oder d u r c h Weglassen von solchen U m s t ä n d e n e n t s t e l l t wird, kann sachlich u n w a h r sein ( B G H W M 1958, 325 = Betrieb 1958, 276), wie z. B. die Mitteilung, eine F i r m a zahle Gelder a n eine Parteikasse u n t e r Verschweigung, d a ß es sich u m V e r g ü t u n g f ü r Zeitungsanzeigen handelt ( R G 75, 6 1 ; D J Z 1913, 1267; J W 1932, 3060; B G H N J W 1951, 352). Einzelne übertreibende W e n dungen, die den Tatsachen kein anderes Gewicht geben, bedingen noch keine w a h r heitswidrige Entstellung ( R G J W 1912, 290 1 1 ; 1932, 3060). M a ß g e b e n d e r Z e i t p u n k t f ü r die U n w a h r h e i t ist die Zeit der Darstellung d u r c h d e n Schädiger. Bei wahrheitsgemäßer A n g a b e k a n n § 826 gegeben sein, ebenso § 823 Abs. 2, § 185 StGB, w e n n in der Form der Ä u ß e r u n g eine Beleidigung liegt (s. Anm. 3). A n m . 11 4. G e e i g n e t h e i t z u r K r e d i t g e f ä h r d u n g . Die Behauptung oder Verbreitung der Tatsache m u ß g e e i g n e t s e i n , d e n K r e d i t e i n e s a n d e r e n M e n s c h e n z u g e f ä h r d e n oder sonstige Nachteile für dessen E r w e r b oder F o r t k o m m e n h e r b e i z u f ü h r e n . Wie oben ausgeführt (Anm. 1), dient § 824 d e m Schutz wirtschaftlicher Belange, so d a ß die mitgeteilte Tatsache nicht ehrenrührig zu sein b r a u c h t (vgl.
1302
Unerlaubte Handlungen
§824 Anm. 12
Beispiele Anm. i). Es muß sich um die Gefahr einer Schädigung wirtschaftlicher Art handeln, eine Beeinträchtigung anderer, nicht wirtschaftlicher Lebensinteressen genügt nicht ( R G J W 1933, 1 2 5 4 1 4 ; SeufTArch 87 Nr. 2 5 ; D R 1939, 438 3 ). Allerdings genügt eine Gefährdung, die m i t t e l b a r e wirtschaftliche Nachteile nach sich ziehen kann, z. B. Eintritt des Mitgliederschwundes bei einem Verein, der von seinen Mitgliedern nicht unerhebliche Geldbeträge erhebt ( R G SeufTArch 87 Nr. 25; J W 1933, 1254 1 4 ). D a es auf die G e e i g n e t h e i t z u r G e f ä h r d u n g wirtschaftlicher Rechtsgüter ankommt, braucht der Nachteil für die bedrohten Rechtsgüter, f ü r das allgemeine Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit (Kredit) oder die wirtschaftliche Stellung (Erwerb) oder die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten (Fortkommen) noch nicht eingetreten zu sein. Die Tatsache muß lediglich nach der allgemeinen Erfahrung von der öffentlichen Meinung oder zumindest von den Personen, deren Auffassung für den Kredit usw. des Betroffenen von Bedeutung ist, als von Einfluß über den Betroffenen aufgefaßt werden können ( R G 56, 2 7 1 , 284). Sie muß ferner den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen i m G a n z e n gefährden, es genügt nicht, daß nur der Absatz einer seiner Waren beeinträchtigt wird ( R G J W 1930, 1732). Beispiele: Behauptung eines Vertragsbruchs als kreditgefährdende Tatsache: R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 4 1 6 ; Bekanntmachung der Gründe einer fristlosen Entlassung in der Presse: R A G 19, 260; Verfolgung eines grundlosen Argwohns gegen eine Person von untadelhafter Lebensführung durch Überwachung durch Detektive: R G J W 1 9 1 2 , 1 1 0 5 ; Behauptung über Ausbruch einer ansteckenden Krankheit beim Personal eines Lebensmittelgeschäfts: B G H L M §826 (Gb) Nr. 3 ; Behauptung über starke Differenzen innerhalb der Verwaltung einer A G : R G 83, 362.
Anm. 12 5. V e r s c h u l d e n . Die Verpflichtung zum Schadensersatz setzt ein Verschulden des Täters voraus. Es wird Fahrlässigkeit gefordert. Sie ist gegeben, wenn der Täter zwar die Unwahrheit der mitgeteilten Tatsache nicht kennt, sie aber kennen müßte, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt angewendet hätte, sich über die Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache vor ihrer Weitergabe zu vergewissern ( R G 83, 362, 366; WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 20; 1 9 1 8 Nr. 95). Während bei § 187 S t G B Kenntnis der Unwahrheit und Kenntnis von dem ehrenkränkenden Charakter der Mitteilung, bei § 186 S t G B Kenntnis wenigstens des ehrenkränkenden Charakters erforderlich sind, braucht sich die fahrlässige Unkenntnis nach § 824 nach dem Wortlaut nur auf die Unwahrheit der Tatsachen zu beziehen. Voraussehbarkeit der Kreditgefährdung ist nicht erforderlich (vgl. R G Gruchot 6 1 , 799). Diese Frage, ob sich dieses Verschulden auch auf die Nichterkenntnis der den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen des anderen gefährdenden Eigenschaft der behaupteten oder verbreiteten Tatsache zu erstrecken habe, ist nicht von Bedeutung. Denn wenn die Feststellung dieser gefährdenden Eigenschaft der Behauptung davon abhängt, ob auf Grund allgemeiner Erfahrung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Behauptung und jenem benachteiligenden Erfolge gedacht werden kann, dann ist die Nichterkenntnis dieser erfahrungsgemäß möglichen Wirkung der Behauptung oder Verbreitung nach dem Regelmaßstabe des § 276 für den Begriff der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine Fahrlässigkeit. Einer ausdrücklichen Feststellung bedarf diese Fahrlässigkeit danach keinesfalls. Daß die Fahrlässigkeit sich nicht weiter auf die möglichen Schadensfolgen der Gefährdung oder Benachteiligung der Rechtsgüter des § 824 zu erstrecken hat, ergibt sich aus dem in § 823 unter Anm. 7 Gesagten. Mitteilungen über Kredit- und Vermögensverhältnisse müssen mit besonderer Gewissenhaftigkeit geprüft werden ( R G J W 1927, 1994). Warnungen vor Patent- und Gebrauchsmusterverletzungen sind zulässig, wenn sich der warnende Berechtigte seine Ansicht über den Schutzumfang auf Grund sorgfältiger Prüfung gebildet hat ( R G H R R 1931 Nr. 1839). Z u der Sorgfaltspflicht des Verlegers einer Tageszeitung vgl. R G 148, 154, 1 6 1 ; zur Sorgfaltspflicht eines Schriftleiters vgl. R G J W 1935, 28, 92. § 1 3 Abs. 2 Nr. 1 U W G läßt Pressebeteiligte für Veröffentlichungen, die den Tatbestand der irreführenden Werbung nach § 3 U W G erfüllen, nur bei positiver Kenntnis der Unrichtigkeit auf Schadensersatz haften.
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§ 824 A n m . 13
Schuld Verhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Wenn eine unrichtige Behauptung, die in fahrlässiger Unkenntnis der Unwahrheit aufgestellt wird, zum Schadensersatz verpflichtet, muß dies auch für eine vorsätzliche unwahre Behauptung gelten ( E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 237 Fußnote 3). Meist ergibt sich in diesem Fall die Schadensersatzpflicht über § 823 Abs. 2, § 187 StGB, ebenso nach § 826 BGB. Wider besseres Wissen handelt auch, wer etwas bestimmt behauptet, obwohl er keine bestimmte Kenntnis hat und sich der Unsicherheit seines Wissens, bewußt ist (RG 76, 3 1 3 ; J W 1 9 1 1 , 2 1 3 ' ; 1912, 1105 6 ; 1932, 3060; B G H W M 1958, 325 = Betrieb 1958, 276). Ebenso ist es wissentlich falsch, wenn durch geflissentliches Verschweigen wesentlicher Umstände oder durch übertreibende Ausmalung begleitender Umstände der Sachverhalt in seinem Zusammenhang vorsätzlich entstellt wird (RG 75, 61; 76, 3 1 3 ; J W 1912, 290; 1932, 30608; B G H W M 1958, 325). Dem Falle, daß die Unwahrheit der behaupteten Tatsache dem Mitteilenden bekannt war, steht aber auch der Fall gleich, daß jemand eine ihm bekannte wahre Tatsache der Wahrheit gemäß mitteilen wollte, aus Fahrlässigkeit aber der Mitteilung eine der Wahrheit widersprechende Fassung gab, so daß die mitgeteilte Tatsache von der Allgemeinheit und von dem Empfänger in einem anderen Sinne aufgefaßt werden mußte, als sie gemeint war (RG 14. 3. 1927 IV 631/26). Auch hier kannte der Mitteilende die Unwahrheit der Tatsache, die er in Wirklichkeit mitgeteilt hat, und ein berechtigtes Interesse für die Verbreitung dieser Mitteilung ist nicht denkbar (RG 57, 157). Bei nicht verschuldeter Gutgläubigkeit des Mitteilenden ist die Unterlassungsklage gegeben (RG 140, 392, 402), die, soweit sie auf § 824 gestützt wird, den Nachweis der Unwahrheit erfordert. Die Unterlassungsklage ist als vorbeugende Unterlassungsklage (vgl. Vorbein. § 823 Anm. 74fr) und als Klage auf Wiederherstellung (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 83 ff) gegeben. A n m . 13 6. Schadensersatz. Uber die Verpflichtung zum Schadensersatz vgl. § 823 Anm. 95. Schadensersatz in Geld kann nur verlangt werden, wenn ein Vermögensschaden entstanden ist, was § 824 nicht notwendig voraussetzt. Aufwendungen, die der Betroffene nach Lage der Sache verständigerweise für zweckmäßig halten durfte, um sich vor Einbußen zu bewahren, die aus der unwahren Behauptung drohten, sind, auch wenn es zu keinem anderen Schaden kommt, als durch die Tat verursacht zu ersetzen (RG H R R 1929 Nr. 1093). Bei Verstößen gegen § 824 überwiegt sehr häufig der ideelle Schaden. Hier kommt der Naturalrestitution erhöhte Bedeutung zu, weil dadurch die Zurücknahme der aufgestellten Behauptung, auch durch öffentlichen W i d e r r u f oder ähnliche im Einzelfalle erforderliche Maßnahmen erreicht werden kann (vgl. § 823 Anm. 95 und Vorbem. § 823 Anm. 88; R G L Z 1919 Sp. 1017; Recht 1923 Nr. 1236). Über die vorbeugende Unterlassungsklage auf Unterlassung der Wiederholung der Behauptung oder der weiteren Verbreitung und die wiederherstellende Unterlassungsklage vgl. Vorbem. § 823 Anm. 74fr, 83 fr, in der besonderen Anwendung auf § 824: RG 91, 350; J W 1915, 29; 1932, 3060 8 ; D R 1939, 438; WarnRspr 1914 Nr. 17; 1915 Nr. 20; 1918 Nr. 95; 1937 Nr. 129. Wegen der Unzulässigkeit einer Unterlassungsklage bei Eingaben an Behörden, bei Ausübung des Petitionsrechts, gegen Veröffentlichung einer öffentlichrechtlichen Körperschaft, z.B. einer Handwerkskammer, vgl. RG WarnRspr 1929 Nr. 143; RG H R R 1932 Nr. 146), bei Ausübung eines im öffentlichen Recht begründeten Rechts wie der Strafanzeige, und bei Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten, z.B. Zeugnispflicht, vgl. Vorbem. §823 Anm. 79, 81. Der Verletzte hat einen A u s k u n f t sanspruch darüber, an welche Personen die schädigenden Behauptungen gerichtet wurden (RG 140, 403; §823 Anm. 102). Im Strafverfahren kann, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt, neben der Strafe auf eine an den Betreffenden zu erlegende Buße erkannt werden mit der Folge, daß ein weiterer Entschädigungsanspruch ausgeschlossen ist (§188 StGB; vgl. § 823 Anm. 100). Uber die Veröffentlichungsbefugnis des Verletzten vgl. § 200 StGB, ferner § 23 UWG.
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Unerlaubte Handlungen
§824 Anm. 14, 15
Anm. 14 7. Wahrnehmung berechtigter Interessen a) Wirkung der Wahrnehmung. § 8 2 4 behandelt
wie § 193 S t G B den Fall der Interessenkollision zwischen dem vom Schädiger verfolgten Interesse und dem von ihm zu verletzenden Rechtsgut. Ebenso wie nach § 193 S t G B entfällt die W i d e r r e c h t l i c h k e i t und damit die u. H. § 834 entspricht im allgemeinen dem § 193 StGB. Eine Abweichung besteht insofern, als § 824 unter allen Umständen ein in sich (objektiv) berechtigtes Interesse verlangt ( R G 56, 2 7 1 ; 85, 440; J W 1925, 1393), während bei § 193 S t G B die Strafbarkeit und damit, soweit über § 823 Abs. 2 Ansprüche gestellt werden, die Schadensersatzpflicht entfällt, wenn ein Irrtum des Täters vorliegt. Dabei ist allerdings im Strafrecht zu unterscheiden, ob sich der Täter hinsichtlich einer Tatsache irrt, bei deren Vorliegen er zur Wahrnehmung berechtigter Interessen berechtigt ist, oder ob er sich über den Begriff des berechtigten Interesses, insbesondere die Notwendigkeit der Schwere und des Ausmaßes des Eingriffes irrt (vgl. B G H 3, 270, 2 8 1 ) . J e d o c h bleibt dann auf jeden Fall die gegenständliche Widerrechtlichkeit mit der daraus entspringenden Möglichkeit einer Unterlassungsklage. § 824 Abs. 2 fügt dem Schutz des berechtigten Interesses desjenigen, der eine Tatsache behauptet oder verbreitet, den Schutz des berechtigten Interesses des Empfängers der Mitteilung hinzu ( B G H L M B G B § 826 [Gb] Nr. 3 ; Köln N J W 1958, 802: Informationen an Bund der Steuerzahler). Wird das berechtigte Interesse des Mitteilenden oder des Empfängers bejaht, so entfällt trotz der Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unwahrheit der Tatsache, auch grober Fahrlässigkeit, eine Schadensersatzpflicht ( B G H L M §826 [Gb] Nr. 3). Z u r Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte (Petitionsrecht) vgl. Vorbem. § 823 Anm. 79; § 823 Anm. 42.
Anm. 15 b) Interessenabwägung.
Ein berechtigtes Interesse liegt vor, wenn für denjenigen, der eine Tatsache behauptet oder verbreitet, oder für den Empfänger der Mitteilung bei Abwägung ihrer und des Verletzten Interesses, ein ü b e r w i e g e n d e s Interesse an der Behauptung oder Verbreitung einer kreditgefährdenden Tatsache besteht. I m einzelnen ist erforderlich, daß die Wahrnehmung des überwiegenden Interesses rechtlich erlaubt ist und nicht den guten Sitten zuwiderläuft ( R A G 19, 260, 268; R G S t 38, 2 5 1 ) , z.B. daß der Gegner nicht durch Aufdeckung seines Privatlebens unmöglich gemacht wird. So widerspricht es z. B. den guten Sitten, im sachlichen Streit über politische Dinge Schilderungen von Verfehlungen eines Einzelnen, die auf einem ganz anderen Gebiet als dem politischen liegen, als Kampfmittel zu benutzen ( R G S t 40, 1 0 1 ) . Dagegen können Tatsachen erörtert werden, die das frühere politische Verhalten betreffen ( B G H N J W 1959, 636). Das Interesse des Schädigers muß gegenüber dem Interesse des Verletzten bei der Abwägung überwiegen, es muß wesentlich sein ( R A G 19, 260, 268). Nach dem für alle Fälle des Interessenwiderstreits geltenden Grundsatz der Güterund Pflichtenabwägung m u ß d i e R e c h t s v e r l e t z u n g o b j e k t i v n a c h I n h a l t , F o r m u n d B e g l e i t u m s t ä n d e n d a s g e b o t e n e u n d n o t w e n d i g e M i t t e l sein. Es muß demnach bei Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles der E i n g r i f f n o t w e n d i g sein. Wenn diese Frage bejaht ist, muß ferner das s c h o n e n d s t e M i t t e l gewählt und geprüft werden, ob nicht andere, weniger eingreifende Mittel zu Gebote stehen ( R G S t 6 1 , 242, 254; B G H 3 , 2 7 0 , 2 8 2 ; 8 , 1 4 2 , 1 4 5 ; 24, 200; L M § 823 [Bd] Nr. 2 ; § 826 [Gb] Nr. 3 = V e r s R 1954, 236; BB 1957, 4 5 1 ; 1959, 282; W M 1958, 325 = Betrieb 1958, 276). So ist es z.B. nicht notwendig, unterschiedslos allen Geschäftsleuten mitzuteilen, daß bestimmte Geschäfte, mit denen nicht alle Empfänger der Mitteilung in Verbindung treten, langsame Zahler sind ( B G H 8, 142, 145). Es ist zu prüfen, ob die Verbreitung an einen so großen Personenkreis unbedingt notwendig ist ( B G H L M 826 [Gb] Nr. 3 ; W M 1956, 1094), ob die Namensnennung erforderlich ist ( B G H 24, 200). Derjenige, der in einen fremden Rechtskreis eingreift, hat eine Prüfungs- und Informationspflicht hinsichtlich dieser Voraussetzungen und der Richtigkeit seiner
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§ 824 A n m . 16—18
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Behauptung (RGSt 63, 92; 66, 1). Bei öffentlichen Beleidigungen sind an diese Pflicht zur Nachprüfung besonders strenge Anforderungen zu stellen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht steht der Anwendung des § 193 StGB regelmäßig entgegen (RGSt 62, 83, 92; 63, 92; B G H 24, 200, 2 1 1 ; NJW 1952, 194; 1953, 1722; WM 1958, 325 = Betrieb 1958, 276). Die Interessenwahrung kann dann nicht als berechtigt anerkannt werden, wenn jemand zur Wahrung der eigenen Interessen den Anforderungen von Recht und Sittlichkeit zuwider leichtfertig nur auf haltlose Vermutung hin durch die Behauptung unwahrer Tatsachen die Ehre eines anderen gröblich antastet (RGSt 61, 1 ; 63, 94 und 204; 64, 10, 13; 71, 174, 175; R G DR 1939, 2009). Die P r ü f u n g s p f l i c h t , ob die ehrenrührige Behauptung der Wahrheit entspricht, besteht insbesondere dann, wenn er Zweifel an der Wahrheit hegt (RG J W 1932, 1743; 1933, 961). Die gleiche Prüf u n g s p f l i c h t obliegt ihm auch dahin, ob sein Interesse höher zu bewerten ist, als das des Verletzten an der Erhaltung se nes Rufes, ob die ehrenkränkende Äußerung geeignet ist zur Wahrung berechtigter Interessen, ob sie erforderlich ist und ob er zur Wahrung der berechtigten Interessen befugt ist (BGH 3, 270, 2818; vgl. Anm. 16). Bei der Prüfung ist insbesondere auch der Schutzwert des angegriffenen Rechtsguts zu berücksichtigen (BGH 3, 270, 281; Betrieb 1957, 402). Keine Namensnennung in einem Gerichtsbericht, die nicht erforderlich ist (RG H R R 1933 Nr. 1319). Hält der Beleidiger eine ehrenrührige Tatsache selbst nicht für unbedingt wahr, dann hat bei der Abwägung der Interessen der Schutz der Ehre der Behauptung von Tatsachen, an deren Richtigkeit der Behauptende selbst Zweifel hegt, vorzugehen (RGSt 63, 202, 204; R G 115, 74, 79; R A G 19, 260, 268; B G H WM 1958, 325). Anders ist die Interessenabwägung zu beurteilen bei Vorbringen in Prozessen und bei Eingaben an Behörden. Der Verfasser braucht keine vorherige eingehende Prüfung anzustellen, es darf nur die Unhaltbarkeit der Behauptung oder ihre besondere Bedenklichkeit nicht von vornherein auf der Hand liegen (RGSt 66, 1, 3; R G 140, 392, 397). Der Eingriff muß der Wahrung der berechtigten Interessen dienen, allerdings können auch andere Motive, z. B. Rachsucht hinzukommen. Jedoch darf eine Mitteilung nicht nur aus solchen sachfremden Beweggründen erfolgen (RGSt 34, 217; 61, 400; 66, 1, 3; R G J W 1919, 9933; LZ 1919 Sp. 1015; H R R 1941 Nr. 1004). Den Rechtsschutz des § 193 StGB genießt nicht, wer Beleidigungen deshalb äußert, weil er ein Strafverfahren gegen sich selbst herbeiführen will (RGSt 74, 257; J W 1934, 1418 1 0 ; 1937, 1160 2 1 ; GA47, 432; LZ 1914 Sp. 871 Nr. 17; Recht 1927 Nr. 738; B G H 1 StR 143/55 v. 1.9. 1955)A n m . 16 c) Berechtigung zur Wahrnehmung. Es genügt jedoch nicht, daß diese Voraussetzungen, die schon einer uferlosen Annahme der Wahrnehmung berechtigter Interessen entgegenstehen, vorliegen. Es muß außerdem die Wahrnehmung durch den Schädiger berechtigt sein. A n m . 17 Berechtigt ist in erster Linie die Wahrnehmung eigener Interessen des Schädigers und nach § 824 des Empfängers einer Mitteilung, so z. B. die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Prozeß ohne Rücksicht darauf, ob das Vorbringen im Einzelfall für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblich ist (RG 85, 440, 443) oder Äußerungen zwecks Vorbereitung eines Vorgehens wegen unlauteren Wettbewerbs ( R G WarnRspr 1939 Nr. 58), oder die Erfüllung eigener Pflichten, z.B. der Zeugnispflicht (RG J W 1912, 587', vgl. Hamburg MDR 1947, 266; der BGH spricht in L M § 826 [Gb] Nr. 3 am Rande von einer Informationspflicht der Presse). Eigene Interessen sind auch mittelbar eigene Interessen, z. B. die Wahrnehmung der Interessen eines Vereins durch dessen Mitglieder. A n m . 18 Für den Mitteilenden oder den Empfänger fremde Interessen können dann wahrgenommen werden, wenn sie den Schädiger nahe angehen, wofür allerdings sittliche Gründe nicht ausreichen (RGSt 36, 422; 56, 380, 383; 63, 229, 231 mit Nachw.;
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Unerlaubte Handlungen
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R G 1 1 5 , 74, 80; J R 1927, 3 6 1 ; H R R 1933 Nr. 1 3 1 9 ) . Dies ist dann der Fall, wenn der Mitteilende kraft A m t e s , B e r u f e s oder A u f t r a g e s zur Interessenwahrung bestellt ist, wie z. B. der Rechtsanwalt, der Vormund oder der Geschäftsführer. Der Verleger eines Kirchenblattes kann die Belange der Kirche im K a m p f gegen Illustriertenunwesen wahrnehmen ( B G H 3, 270, 282; R G S t 30, 4 1 ) . Ein Redakteur kann im Einzelfall einen konkret erteilten Auftrag haben ( R G S t 39, 399). Nach der Rechtsprechung konnte ein Redakteur einer Arbeiterzeitung ohne einen solchen besonderen Auftrag die Interessen der seiner Zeitung nahestehenden Arbeiterkreise nicht vertreten ( B a y O b L G J R 1926, 866). Berechtigt ist auch ein Schutzverband nach § 1 3 U W G . Nähere Beziehungen, die zur Wahrnehmung der Interessen berechtigen, werden ferner durch V e r w a n d t s c h a f t begründet. Für Mitteilungen über „langsame Z a h l e r " besteht im Wirtschaftsleben kein Interesse solcher Empfänger, die weder in Geschäftsverbindung mit ihnen stehen, noch eine Geschäftsverbindung beabsichtigen, so daß die unterschiedslose Übersendung einer Liste über solche langsamen Zahler an alle Geschäftsleute nicht berechtigt ist ( B G H 8, 142, 145). Berechtigtes Interesse besteht an einer Mitteilung an eine Auskunftei über geschäftliche Verhältnisse eines Kaufmannes (München N J W 1955, 145). Keine nahe zur Wahrnehmung der Interessen einer Partei berechtigende Beziehung wird durch die Zugehörigkeit zu einer Partei begründet ( R G S t 40, 1 0 1 ; 65, 359). Z u der Frage, ob im Wahlkampf ein berechtigtes Interesse bei Angriffen gegen einen Wahlkandidaten der Gegenpartei vorliegt, vgl. R G S t 39, 399; 40, 1 0 1 ; vgl. B G H N J W 1959, 636. Uber die Befugnisse von Funktionären einer politischen Partei zur öffentlichen Kritik vgl. Frankfurt N J W 47/48, 226 m. Anm. N e u m a n n D u e s b e r g D R Z 1949, 109. Keine Befugnis eines Vereins für Naturheilkunde zur Überwachung der Berufsausübung der Ärzte ( R G S t 63, 229, 2 3 1 ) .
Anm. 19 Nach der bisherigen Rechtsprechung war die Wahrnehmung a l l g e m e i n e r I n t e r e s s e n , die jeden Staatsbürger allgemein berührten, nicht ausreichend ( R G S t 40, 1 0 1 , 104; 62, 83, 93). Sie mußten vielmehr den Schädiger oder den Empfänger der Mitteilung durch eine besondere Beziehung zu dem besprochenen Vorgang besonders angehen ( R G S t 4 1 , 277, 285; 63, 229, 2 3 1 ) , etwa dadurch, daß der Einzelne durch Mißstände in den öffentlichen Angelegenheiten in seinen Interessen unmittelbar betroffen wurde. Die nicht ganz einheitliche Rechtsprechung hat z. B. anerkannt, daß das Interesse des Staates und der Allgemeinheit an der Verwirklichung der Rechts- und Wirtschaftsordnung und an der Verfolgung strafbarer oder wirtschaftsschädigender Handlungen durch den Einzelnen wahrgenommen wird ( R G S t 34, 2 1 6 ; 6 1 , 400; 62, 83, g 3 ; 66, 1 ; R G D R 1940, 863). Der Gemeindeangehörige hat ein berechtigtes Interesse am einwandfreien Verhalten der städtischen Polizei ( R G S t 59, 172), ein Einwohner einer Stadt hat ein berechtigtes Interesse bei Äußerungen über die von der Stadt betriebene Straßenbahn ( R G S t 64, 10, 13). Ein Verleger ist nicht berechtigt, es sei denn, es besteht nach der Art des Schriftwerks oder nach dem besonderen Arbeitsgebiet des Verlages eine besondere Beziehung zu den wahrgenommenen allgemeinen öffentlichen Interessen ( R G 1 1 5 , 74, 8 1 ) .
Anm. 20 d ) T a g e s p r e s s e . Besonders berührt von dieser Rechtsprechung ist die Tagespresse. Vgl. hierzu L ö f f l e r , Presserecht S. 549; H e l l e S. 1 1 9 . Ein Recht der Tagespresse, die allgemeinen Rechte und die Interessen dritter Personen zu wahren und insoweit vermeintliche Mißstände in der Öffentlichkeit zu rügen, hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht anerkannt. Es handelt sich darum, daß selbst dann, wenn die Voraussetzungen unter Anm. 1 5 erfüllt sind, die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen durch die Tagespresse nicht für zulässig gehalten wurde ( R G S t 25, 363; 30, 4 1 , 42; 40, 1 0 1 ; 4 1 , 277, 285; 56, 380, 3 8 3 ; 65, 360; R G 83, 362, 364; 1 1 5 , 8 1 ; L Z 1 9 1 4 , 1 6 2 3 ; J R 1927, 3 6 1 ; J W 1933, 1400, 1402). Allerdings wurde ihr z.B. das Recht zugesprochen, z u r F ö r d e r u n g d e s g e m e i n e n N u t z e n s vor schwindelhafter Anpreisung unerprobter Heilmittel zu warnen ( R G H R R 1934 Nr. 1589; vgl. auch H R R 1933 Nr. 1923). Bejaht wurde das Recht der Presse zur Berichterstattung über einen 84
Komm. 2. BGB, u . Aufl. II. Bd. (Haager)
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§ 824 Anm. 21—23
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Zivilprozeß über einen ungewöhnlichen und auffallenden Sachverhalt (Hamburg H R R 1 9 3 3 Nr. 1 9 2 3 ) . Nähere Beziehungen, die zur Wahrnehmung der Interessen berechtigen, bestehen für Fachzeitschriften, wenn das besondere Fach berührende Vorgänge zum Gegenstand der Erörterung gemacht werden (RG 8 3 , 3 6 2 ; 1 4 8 , 1 5 4 ; LZ 1 9 1 4 , 1 6 2 3 ; 1 9 1 9 , 1 0 1 5 7 ) . Der Handelsteil einer politischen Tageszeitung gilt jedoch nicht als Fachblatt in diesem Sinne (RG 8 3 , 3 6 2 ; 1 4 8 , 1 5 4 , 1 5 9 ) . Dagegen kann ein Kirchenblatt die Interessen der Kirche im Kampf gegen Illustriertenunwesen wahrnehmen ( B G H 3 , 2 7 0 , 2 8 2 ) . Nach dem Krieg hat die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine derartige Berechtigung der Presse bejaht (Tübingen DRZ 1 9 4 8 , 4 9 5 ; Stuttgart NJW 1950, 703; Freiburg J Z 1951, 7 5 1 ; Hamm MDR 1 9 5 3 , 3 1 0 ; Celle NJW 1 9 5 3 , 1 7 6 4 ) . Der Bundesgerichtshof hat bisher zu der Frage noch keine Stellung genommen (vgl. 2 4 , 2 0 0 ) , da es in den entschiedenen Fällen an den weiteren Voraussetzungen (vgl. Anm. 1 5 ) , nämlich der Notwendigkeit dieses Eingriffs und der Ausübung der größtmöglichsten Schonung fehlte ( B G H aaO; LM § 8 2 3 [Bd] Nr. 2 ; § 8 2 6 [Gb] Nr. 3 ) ; vgl. BGHSt 1 2 , 2 8 7 . Es wird der Presse, deren Wirken im demokratischen Staat eine besondere Bedeutung zukommt, ein Recht zur Wahrnehmung auch allgemeiner Interessen zuzubilligen sein (vgl. N i p p e r d e y MDR 1 9 5 6 , 7 3 4 Anm.; vgl. Bay. Pressegesetz v. 3 . 1 0 . 1 9 4 9 , § 3 ; BGHSt 1 2 , 2 8 7 ) . Zur Vermeidung uferloser Ausdehnung werden die sonstigen Voraussetzungen für die Wahrung berechtigter Interessen (vgl. Anm. 1 5 ) , die sich aus der Güter- und Pflichtenabwägung ergeben, und die daher immer gegeben sein müssen, besonders streng zu fassen sein, da Eingriffe in ein fremdes Rechtsgut durch die Presse im Hinblick auf die Mitteilung an eine breite Öffentlichkeit besonders schwer wiegen. Daher muß bei der Bejahung der Frage, ob z.B. eine Mitteilung von kreditgefährdenden Tatsachen unbedingt erforderlich ist, besonders geprüft werden, ob die Verbreitung an den mehr oder weniger großen Personenkreis erforderlich war und ob die Mitteilung in der Art ihrer Fassung mit der größtmöglichsten Schonung der Betroffenen erfolgte ( B G H § 8 2 6 LM [Gb] Nr. 3 ) ; insbesondere werden an die Pflicht zur vorherigen Prüfung einer Nachricht strenge Anforderungen zu stellen sein. A n m . 21 Die Verantwortlichkeit bei S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e n richtet sich bei der Tagespresse nicht nach dem Pressegesetz, sondern nach den allgemeinen Vorschriften (RG Gruchot 6 1 , 7 9 9 ) . In der Regel ist der Schriftleiter verantwortlich, der Verleger haftet nach § 8 3 1 (RG 1 1 5 , 7 4 f r , 3 5 8 ; 1 4 8 , 1 5 4 ; J W 1 9 1 7 , 7 1 3 ; J W 1 9 3 5 , 24283; B G H 3 , 2 7 0 , 2 7 5 ; 1 4 , 1 6 3 , 1 7 7 ; 2 4 , 2 0 0 ; Betrieb 1 9 5 7 , 4 0 2 ) . Der Verleger eines Buches ist in der Regel verantwortlich (RG 1 1 5 , 7 4 ; H R R 1 9 3 4 Nr. 1 3 1 9 ) . Für U n t e r l a s s u n g s a n s p r ü c h e ist der Verleger passiv legitimiert, wenn die Beeinträchtigung durch eine Zeitschrift auf seinen Willen zurückzuführen ist, weil er die Möglichkeit hat, auf ihren Inhalt Einfluß zu nehmen (RG 1 5 5 , 3 1 6 , 3 1 9 ; B G H 1 4 , 1 6 3 ; vgl. Vorbem. §823Anm. 7 8 ) . Zur Gegendarstellung, auch zur Möglichkeit der Durchsetzung im Zivilrechtsweg vgl. Vorbem. § 8 2 3 Anm. 8 0 . A n m . 22 e) Wegfall bei Beleidigungsabsicht. § 8 2 4 Abs. 2 hat nicht den Satz des § 1 9 3 StGB aufgenommen, daß der an sich gegebene Schutz des berechtigten Interesses entfällt, wenn das Vorhandensein (die Absicht) der Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den begleitenden Umständen hervorgeht. Der Satz gilt gleichwohl auch hier, und selbst dann, wenn das berechtigte Interesse nicht bei dem Urheber oder Verbreiter der Mitteilung, sondern bei dem Empfänger vorliegt, denn eine in beleidigender Absicht verbreitete oder in der Form gehässige, den Betroffenen persönlich herabwürdigende Darstellung der Tatsachen verstößt gegen die guten Sitten ( § 8 2 6 ; R G ?.4°> 3 9 2 , 4°a; J W 1 9 0 7 , 3 3 3 1 1 ; 1 9 1 9 , 993 3 ; LZ 1919 Sp. 1 0 1 5 ) . Daß die beleidigende Äußerung „durchaus unnötig", „höchst überflüssig" gewesen sei, genügt übrigens nicht zur Annahme der beleidigenden Absicht. A n m . 23 f) Kenntnis der Unwahrheit. Für die Berücksichtigung eines berechtigten Interesses ist nur Raum, wenn die U n w a h r h e i t der behaupteten oder verbreiteten Tat1308
Unerlaubte Handlungen
§ 824 A n m . 24 §825
sache dem Mitteilenden unbekannt ist (RG 124, 253, 260; SeuffArch 87 Nr. 25; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 79), auch wenn die Unkenntnis auf Fahrlässigkeit beruht (RG J W 1932, 3060). Die Ersatzpflicht tritt nur ein, wenn die Unrichtigkeit positiv bekannt war (RG H R R 1940 Nr. 180). Darüber, daß die Behauptung bei Unsicherheit des Wissens positiv falsch sein kann, vgl. Anm. 12. Der Zweck der Wahrnehmung berechtigter Interessen schließt die Zulässigkeit einer U n t e r l a s s u n g s k l a g e wegen u n w a h r e r kreditgefährdender Behauptungen nicht aus, da er seine Grenze an der Aufstellung unwahrer Behauptungen findet (RG 95» 339> 343; 124, 253, 260; 140, 392, 402; J W 1925, 1393; 1933, 1400; SeuffArch 87 Nr. 25 S. 45; WarnRspr 1914 Nr. 17; 1918 Nr. 95; 1937 Nr. 129; LZ 1919 Sp. 1015; BGH NJW 1951, 352; Stuttgart NJW 1950, 703; München NJW 1955, 145; 1957, 793; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 79). Dasselbe muß von der Klage auf Widerruf einer beleidigenden oder kreditgefährdenden Behauptung oder Verbreitung gelten, soweit es sich um die Beseitigung einer fortwirkenden Quelle der Ehrverletzung handelt (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 85ff). Daher besteht auch ein Anspruch auf nachträglichen Widerruf einer öffentlichen Beleidigung bei Wegfall des ursprünglich vorhandenen berechtigten Interesses, z.B. durch Aufklärung des Sachverhalts (RG 140, 392, 402; 163, 2 1 5 ; J W 1919, 993 3 ; 1933, 1400; L Z 1 9 1 9 S p . 1 0 1 5 ; R e c h t 1923 Nr. 1 2 3 6 ;
H R R 1941 Nr. 1004; R A G 19, 260, 268; BGH NJW 1952, 417; J Z 1958, 438). Anders, soweit es sich um den d e l i k t i s c h e n A n s p r u c h auf Zurücknahme vergangener Behauptungen handelt (RG SeuffArch 74 Nr. 221; vgl. H e l l e S. 19). Trotz Vorliegens eines berechtigten Interesses kann eine Schadensersatzoflicht nach § 826 begründet sein (RG Recht 1913 Nr. 3243).
A n m . 24 8. Beweislast. Die Haftung aus § 824 beruht auf Fahrlässigkeit, also auf einem Verschulden des Mitteilenden. Eine Vermutung für ein Verschulden beim Behaupten oder Verbreiten einer unwahren Tatsache ist nicht aufgestellt. Der Kläger muß somit das Verschulden des Beklagten beweisen; er muß dartun, daß der Beklagte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Unwahrheit der Tatsache hätte erkennen müssen. Dieser Beweis schließt aber notwendig den andern ein, daß die Tatsache selbst unwahr sei, so daß sich auch hierauf die Beweislast des Klägers erstreckt ( R G 5 1 , 369; 56, 2 7 1 ; 1 1 5 , 74, 79; J W 1932, 3960 8 ; D R 1939, 2009 2 ; R A G 19, 260,
266). Wenn sich die Haftung aus § 186 StGB in Verbindung mit § 823 Abs. 2 ergibt, genügt es, daß der strafrechtliche Tatbestand voll gegeben ist. Er setzt, was die Wahrheit der Tatsachen anlangt, voraus, daß die Tatsachen nicht erweislich wahr sind, so daß in diesem Fall gegenüber der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche der Schädiger die Wahrheit der Tatsache beweisen muß, während bei der Klage aus § 824 der Kläger die Unrichtigkeit der Tatsachen zu beweisen hat. Anders bei der in den Tatbestandsmerkmalen ähnlichen, mit der u. H. aus § 824 vielfach zusammentreffenden Zuwiderhandlung des § 14 UWG. Diese Bestimmung ist für den Kläger insofern günstiger, als er neben dem Nachweise des Handelns zum Zwecke des Wettbewerbs nur die kreditgefährdende Eigenschaft der Tatsache nachzuweisen hat, wogegen dem Beklagten der Nachweis der Wahrheit seiner Behauptung obliegt. § 14 UWG verbietet die Mitteilung kreditschädigender Tatsachen schon bei Nichterweislichkeit. Das Vorhandensein eines b e r e c h t i g t e n I n t e r e s s e s für sich oder den Mitteilungsempfänger hat der Beklagte zu beweisen. In diesem Falle hat der Kläger den Beweis der Unwahrheit zu führen (RG 95, 339).
§835 W e r eine Frauensperson durch Hinterlist, durch Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt, ist ihr zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. «4*
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§ 825
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 1—7 Anm. 1 1 . E r w e i t e r t e r G e s c h l e c h t s s c h u t z . Der erst durch den Reichstag in das BGB eingefügte § 825 setzt gleich dem § 824 einen S o n d e r t a t b e s t a n d e i n e r u n e r l a u b t e n H a n d l u n g , der nicht durch den § 823 gedeckt wird. § 823 Abs. 1 ist nur anwendbar, wenn durch die gestattete geschlechtliche Beiwohnung die Frau widerrechtlich körperlich verletzt worden ist (Übertragung einer Geschlechtskrankheit). § 8 2 3 Abs. 2 trifft die Fälle der §§ 174, 176, 177, 179, 182 StGB. § 825 erweitert den durch diese Bestimmungen den Frauen gebotenen Geschlechtsschutz. Daneben gibt § 1300 der unbescholtenen Verlobten, die ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet hat, einen Anspruch auf billigen Ersatz des Nichtvermögensschadens. Das Gleichberechtigungsgebot steht nicht entgegen (Karlsruhe M D R 1955, 609).
Anm. 2 2 . Darauf, ob die „ F r a u e n s p e r s o n " unbescholten ist (§ 1300 B G B , § 182 S t G B ) , kommt es nicht a n ; auch das Alter ist gleichgültig.
Anm. 3 3 . H i n t e r l i s t ist ein vorbedachtes, die wahre Absicht verdeckendes Handeln zu dem Zwecke, den unvorbereiteten Zustand eines anderen zur Verwirklichung eines Vorhabens zu benutzen ( R G J W 1906, 352 1 2 ). Die Anwendung von Kunstgriffen ( § 1 8 1 Nr. 1 StGB) wird in § 8 2 5 nicht erfordert ( R G ebenda). Beispiele einer Hinterlist sind die Versetzung einer Frau in trunkenen Zustand, um sie in diesem gefügig zu machen ( R G S t 22, 3 1 1 ) , sowie die Verschweigung des ehelichen Standes des Mannes, wenn dabei eine Täuschungsabsicht erkennbar, insbesondere, wenn das Verschweigen mit einem Eheversprechen verbunden ist ( R G J W igo6, 3 5 2 1 2 ; 1909, 4 1 5 1 2 ) . Das bloße Verschweigen des verheirateten Standes ist dagegen noch keine Hinterlist ( R G a a O ) ; auch nicht das bloße nicht ernstlich gemeinte Eheversprechen, dieses aber dann, wenn es nur vorgespiegelt war, um die Duldung der Beiwohnung herbeizuführen ( R G 149, 143, 148); so etwa auch im Falle der Verschweigung einer noch bestehenden früheren Verlobung mit der Absicht, an diesem Verlöbnis festzuhalten ( R G 105, 245).
Anm. 4 4. Unter D r o h u n g (vgl. § 123) ist jede In-Aussicht-Stellung eines Übels, das den Willen der Frau zu bestimmen geeignet ist, zu verstehen.
Anm. 5 5 . Der M i ß b r a u c h e i n e s A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e s (vgl. auch S t G B § 174 Ziff. 1 u. 2 ) : eine, wenn auch nur tatsächliche Überlegenheit der Stellung muß zu dem Zwecke ausgenutzt werden, eben dadurch einen maßgebenden Einfluß auf die Entschließung der Frau auszuüben. Nicht erforderlich ist, daß ihr für den Fall der Weigerung Nachteile in Aussicht gestellt werden. Solche Abhängigkeitsverhältnisse sind dasjenige der Hausgehilfin zum Dienstherrn, der Schülerin zum Lehrer, des Mündels zum Vormund, auch der Kranken zum Arzt. Eine bloße wirtschaftliche Überlegenheit genügt nicht. Das Abhängigkeitsverhältnis kann auch ein mittelbares sein: so, wenn der Täter der Arbeitgeber des Vaters der Frau ist.
Anm. 6 6. Die a u ß e r e h e l i c h e B e i w o h n u n g (geschlechtliche Vereinigung) muß stattgefunden haben, und die Frau muß zu ihrer Gestattung durch die vorangeführten Mittel bestimmt worden sein; diese müssen also angewendet sein mit dem Vorsatze, dadurch auf die Willensentschließung der Frau einzuwirken, und sie müssen diesen beabsichtigten Erfolg auch herbeigeführt haben dergestalt, daß die Frau ohne die Anwendung jener Mittel die Beiwohnung zu gestatten sich nicht entschlossen haben würde ( R G WarnRspr Nr. 236).
Anm. 7 7 . Der S c h a d e n ist vorwiegend Nichtvermögensschaden ( § 8 4 7 ) ; im Falle der Schwangerschaft auch der hierdurch der Frau erwachsende Vermögensschaden (Er-
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Unerlaubte Handlungen
§826
werbsverlust u. a.). Für den Schadensersatzanspruch aus § 825 kommt, wenn der Geschlechtsverkehr zur Geburt eines Kindes geführt hat, die Vermutung des § 1717 nicht zur Anwendung (RG J W 1909, 415 1 2 ). — P r o z e ß r e c h t l i c h ist zu bemerken, daß für Ansprüche aus § 825 die Bestimmung des § 23 Nr. 2 G V G , wonach ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes das Amtsgericht zuständig ist, nicht Anwendung finden kann, da es sich nicht um einen Anspruch aus außerehelichem Beischlaf handelt.
§ 836 Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersätze des Schadens verpflichtet. E I 70J II 7 4 g ; M
2 726, 7 2 7 ; P 2 J 7 5 — 5 7 8 ; 6,
202.
Ubersicht
Anm.
I. Allgemeines 1 II. Verhältnis zu anderen Bestimmungen 2—6 1. Sonstige Bestimmungen im BGB 2 a) Unerlaubte Handlungen 2 b) Sonstige Bestimmungen 3 2. Bestimmungen außerhalb des BGB 4 a) Allgemeines 4 b) Einzelfälle 6 3. Öffentliches Recht 5 III. Sittenwidrigkeit 7—14 1. Beurteilungsmaßstab 7 2. Sittenwidrigkeit durch Unterlassen 8 3. Merkmale der Sittenwidrigkeit 9—14 a) Verwerflichkeit des Mittels oder Zwecks 9 b) Verfolgung eines eigenen Rechts oder Interesses 10 c) Bewußtsein der Sittenwidrigkeit 11 d) Bedeutung der inneren Einstellung, leichtfertiges Verhalten . . 12—14 I V . Vorsatz 15, 16 V . Rechtswidrigkeit 17 V I . Schaden, Ersatzberechtigter 18 V I I . Einzelfälle 19 r. Allgemeines 19 2. Erwerb von Rechten durch unlautere Mittel oder zu verwerflichem Zweck 20 a) Arglistige Täuschung eines Vertragspartners 20 aa) Allgemeines 20 bb) Vorspiegelung 21 cc) Stillschweigen 22 dd) Ausnutzung eines Irrtums 23 ee) Täuschung einer Behörde 24 b) Mitwirkung bei arglistiger Täuschung 25 c) Verletzung von Vertragspflichten 26, 27 d) Verletzung von Ansprüchen Dritter 28 e) Verleitung zum Vertragsbruch und Ausnutzung des Vertragsbruchs 29 f ) Erwerb zwecks Schädigung eines Dritten 30 g) Mißbrauch der Vertretungsmacht 31 h) Urteilsmißbrauch 32 aa) Urteilserschleichung 32 bb) Ausnutzung eines unrichtigen Urteils 33
1311
§ 826 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm.
3.
4.
5.
6.
i) Gläubigerbenachteiligung aa) Durch Schuldner bb) Durch andere Gläubiger cc) Verhältnis zu § 138 Mißbräuchliche Berufung auf ein Recht a) Allgemeines b) Treuwidriger Erwerb oder treuwidrige Geltendmachung . . . . c) Ausnutzung einer formalen Rechtslage d) Mißbrauch des Eigentums und anderer ausschließlicher Rechte. e) Ausnutzung eines unrichtigen Urteils Betätigung eigener Interessen mit unerlaubten Mitteln oder zu verwerflichem Zweck a) Allgemeines b) Planmäßige unlautere Machenschaften c) Zwangsversteigerung d) Mißbrauch von Machtstellungen e) Arbeitskämpfe aa) Allgemeines bb) Sittenwidrigkeit von Arbeitskämpfen cc) Boykott im Arbeitskampf Mißachtung sittlicher Güter a) Mißachtung der menschlichen Würde b) Denunziation c) Auskunft, Rat und Empfehlung Wettbewerb a) Allgemeines b) Behinderung aa) Begriff bb) Boykott cc) Abkehr dd) Irreführung und Herabsetzung des Mitbewerbers ee) Preisbildung, Preisbindung und sonstige Bindungen . . . . c) Kundenfang aa) Allgemeines bb) Vergleichende Werbung cc) Nötigung, Anreißen und sonstige Mittel d) Ausbeutung aa) Allgemeines bb) Unlautere Ausnutzung der Leistung eines Mitbewerbers . . cc) Einzelfälle dd) Ausspannen e) Vertragsbruch und Gesetzesverstoß
34 34 35 36 37 37 38 39 40, 41 42 43 43 44 45 46, 47 48 48 49 50 51, 52 52 53 54, 55 56 56 57 57 58, 59 60 61, 62 63—66 67 67 68, 69 70—73 74 74 75 76 77, 78 79, 80
Anm. 1 I. Allgemeines. Den gegenständlich engbegrenzten Tatbeständen der §§ 823—825 fügt § 826 eine Bestimmung weiten Umfangs und allgemeiner Natur hinzu, die allerdings durch das Erfordernis des auf die Schadenszufügung gerichteten Vorsatzes beschränkt ist. Wie die §§ 157, 242 den Vertragsverkehr unter den beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben stellen, so soll durch § 826 der allgemeine Rechtsverkehr der Personen zueinander (vgl. Vorb. § 823 Anm. 1) unter den die Verfolgung der gegensätzlichen Interessen begrenzenden, die Freiheit des einen durch die Rücksicht auf die gleichen Rechte des anderen beschränkende Gesichtspunkt der guten Sitten gebracht werden. Der allgemeine Grundsatz des § 826 ist besonders geeignet, Recht und Rechtsprechung
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Unerlaubte Handlungen
§826
Anm. 2, 3
im Einklang mit dem Rechts- und Sittlichkeitsbewußtsein des gesamten Volkes zu halten und dadurch Begriffe der Moral zum Bestandteil des positiven Rechts zu machen. Maßgebend für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist die Erkenntnis, daß das Handeln des Einzelnen beherrscht sein muß von der Rücksicht auf die Belange des anderen und damit der Allgemeinheit. Ohne Beschränkung auf bestimmte Tatbestände der Verletzung von Rechten oder Lebensgütern wird ein Ersatzanspruch bei sittenwidriger Verletzung materieller oder ideeller Interessen, insbesondere bei Vermögensbeschädigung, gewährt. Es wird daher die Verletzung der in § 823 Abs. 1 nicht genannten Güter erfaßt (RG m , 151, 156: Beeinträchtigung einer Erwerbsaussicht). Anm. 2 II. Verhältnis zu anderen Bestimmungen 1. Sonstige Bestimmungen im BGB a) Unerlaubte Handlungen. § 826 ist grundsätzlich neben anderen Tatbeständen der u. H. anwendbar. So fallen insbesondere unter § 826 viele Handlungen, die bereits durch § 823 Abs. 2 erfaßt sind, wie z. B. Betrügereien oder diebische Schädigungen. Jedoch ist § 826 nicht anwendbar auf vorsätzliche Amtspflichtverletzungen, denn § 839 ist die spezielle Vorschrift (BGH 3, 94, 102; vgl. § 839 Anm. 2). Dies steht natürlich nicht der Annahme im Wege, daß ein Beamter eine ihm gegenüber Dritten obliegende Amtspflicht gerade dadurch verletzt, daß er in einer den Tatbestand des § 826 erfüllenden Weise Dritte schädigt. Ein sittenwidriges Verhalten ist eine Amtspflichtverletzung (RG 140, 423, 430; BGH 8, 83, 87; 14, 319, 324; LM § 839 [Fm] Nr. 1). Uber den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung bei Berufung auf § 839, Art. 131 Weim. Verf. durch einen Beamten s. BGH 3, 94, 102. Anm. 3 b) Sonstige Bestimmungen. § 123: Schadensersatzansprüche aus § 826 sind auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist gegeben (RG 84, 133; 103, 154, 159). Der Schadensersatzanspruch soll den Bedrohten oder Getäuschten so stellen, als hätte er eine Erklärung nicht abgegeben. Er geht also auf das negative Interesse ohne Begrenzung auf die Höhe des Erfüllungsinteresses. Ein Anspruch auf Erfüllungsinteresse ist dann gegeben, wenn der Geschädigte — ohne Erklärung der Anfechtung — nachweist, daß der Vertrag auch ohne die u. H., aber unter günstigeren Bedingungen abgeschlossen worden wäre (RG 103, 47, 49; 154, 159; vgl. RG WarnRspr 1915, Nr. 275), sowie bei arglistigem Verschweigen eines Fehlers beim Kauf nach § 463, ferner bei arglistiger Vorspiegelung einer Eigenschaft (RG 103, 154, 160). Der Schadensersatzanspruch ist hierbei auch gegen Dritte gegeben, die mitgewirkt haben (RG 103, 154, 161). § 138: § 138 verlangt im allgemeinen sittenwidriges Verhalten b e i d e r Vertragspartner, es sei denn, die Sittenwidrigkeit richtet sich gerade gegen den anderen Vertragsteil oder das Geschäft verstößt seinem Inhalt nach gegen die guten Sitten. § 826 setzt sittenwidriges Verhalten des Schädigers voraus, verlangt außerdem den auf den Schadenseintritt gerichteten Vorsatz. § 138 verlangt Abschluß eines Rechtsgeschäfts, nach § 826 genügt ein Verhalten des Schädigers (RG 143, 48, 71). § 254: Das BGB kennt zwar keinen Satz, daß der vorsätzlichen Schadenszufügung gegenüber die Einrede des mitwirkenden eigenen Verschuldens des Beschädigten gemäß § 254 nicht erhoben werden könne. Unbedenklich wird die Einrede insoweit zugelassen sein, als die Abwendung oder Minderung des Schadens n a c h Begehung der u. H. in Frage kommt (vgl. RG 148, 48, 58: die u. H. erzeugt ein Schuldverhältnis zwischen dem Schädiger und dem Beschädigten und damit in gewissem Umfange auch Sorgfaltspflichten des letzteren, die ihm in ausdrücklicher Bestimmung Abs. 2 des § 254 auferlegt); soweit es sich aber um ein mitwirkendes Verschulden bei der Verursachung des Schadens überhaupt (§ 254 Abs. 1) handelt, schließt der Vorsatz des Schädigers die
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§ 826 Anm. 3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Berücksichtigung eines mitwirkenden Verschuldens des Beschädigten, wenn es nicht ebenfalls auf Vorsatz beruht, regelmäßig aus (RG 143, 48, 5Öf; J W 1919, 305 6 ; WarnRspr 1914 Nr. 49 u. 1 1 9 ; 1915 Nr. 275), es sei denn, daß ganz besondere Umstände die Schadensteilung rechtfertigen (RG 143, 48, 57; J W 1919, 3056). Andererseits hebt der Vorsatz des Beschädigten den Anspruch aus fahrlässiger Schadenszufügung gegen den Schädiger auf (RG J W 1905, 716 6 ; vgl. § 254 Anm. 87). § 2 4 2 : § 826 macht die Rechtsausübung unzulässig, wenn sie gegen die guten Sitten verstößt. In diesem Fall wird der Verstoß gegen die guten Sitten im Wege der Einrede geltend gemacht. Damit ist die im bürgerlichen Recht nicht ausdrücklich anerkannte Einrede der Arglist gegeben. Wenn besondere Umstände die Geltendmachung eines Rechts als Verstoß gegen die guten Sitten erscheinen lassen, dann liegt eine unzulässige Rechtsausübung vor, denn jedes Recht geht nur soweit, wie es die guten Sitten (Treu und Glauben) gestatten. Unzulässige Rechtsausübung stellt ein Handeln ohne Recht oder wider das Recht dar ( B G H 3, 94, 103). Die Einrede dient nicht dazu, Unbilligkeiten in der Rechtsausübung auszugleichen; sie setzt einen den anderen Teil schädigenden Mißbrauch der Rechtsausübung voraus (RG 102, 87; WarnRspr 1915 Nr. 208). Die Einrede und die ihr entsprechende Gegeneinrede der Arglist sind in der Rechtsprechung des Reichsgerichts in zahlreichen Entscheidungen anerkannt; die nach § 249 zu leistende Wiederherstellung besteht darin, daß der arglistige Teil von seinem Ansprüche nicht Gebrauch machen darf, oder der arglistig erschlichene Vorteil rückgängig gemacht wird (RG 63, 179; 64, 220; 68, 97; 7°» 193; 7i» 432; 75» 338; 76, 3545 78) 3475 84> 131; 86, 1 9 1 ; 100, 158; 102, 87; 145, 3 11 » 3 ! 5 ; J W 1918, 42 1 9 ; 1919, 102 2 u. 304 4 ; 1921, 1232 8 ; 1938, 862 16 ; WarnRspr 1914 Nr. 273 u. 326; 1915 Nr. 208 u. 277; 1917 Nr. 16 u. 130). Die Einrede kann bei gegenseitigen Verträgen nicht schon darauf gestützt werden, daß der andere Teil selbst den Vertrag verletzt habe (vgl. insb. R G J W 1921, 1232 9 ). Den Grundsatz, daß arglistig handelt, wer fordert, was er wieder herausgeben muß, spricht R G WarnRspr 1917 Nr. 130 aus; s. auch R G 85, 108 und R G J W 1912, 459 12 - Eine die Erfordernisse des §826 erfüllende Arglist kann eine G e g e n e i n r e d e g e g e n d i e E i n r e d e d e r V e r j ä h r u n g begründen, wenn der auf die Verjährung sich berufende Schuldner den Gläubiger durch Versprechungen oder durch in die Länge gezogene Vergleichshandlungen oder durch wahrheitswidrige Darstellung des Sachverhalts vorsätzlich abgehalten hat, rechtzeitig seine Ansprüche geltend zu machen (RG 57, 372; 64, 220; WarnRspr 1908 Nr. 53), aber auch schon dann, wenn der Schuldner durch sein Verhalten überhaupt den Gläubiger veranlaßt hat, von einer Unterbrechungshandlung Abstand zu nehmen, ohne daß er bei diesem Verhalten schon an die Verjährungseinrede oder deren Verhinderung gedacht hätte (RG 84, 1 3 1 ; 87, 281; J W 1919 S. 102 2 u. 3044). Vg.l hierzu §222 Anm. 12—19 mit Rechtsprechung. Einwand aus §826 gegenüber der Berufung auf den guten Glauben des Grundbuchs s. R G 117, 180. Einrede der allgemeinen Arglist gegenüber Eigentumsklage auf Räumung eines Grundstücks s. R G SeuffArch 88 Nr. 73. Unzulässig ist z. B. die Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift außerhalb ihres ursprünglichen Zusammenhangs in einer zweckentfremdenden Weise mit zweckfremdem Ziel. So kann ein Beamter, der einen Dritten vorsätzlich in objektiv sittenwidriger Weise geschädigt hat, Dritte nicht auf die Haftung seines Dienstherrn verweisen, wenn Ansprüche gegen diesen auf Grund der staatsrechtlichen oder politischen Entwicklung nicht zu verwirklichen sind (BGH 3, 94, 105). Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wird ferner auf § 242 gestützt (RG 156, 70, 77). § 826 verlangt im Vergleich zu § 242 BGB einen g r o b e n V e r s t o ß gegen Treu und Glauben, so daß der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung heute in der Regel auf § 242 gestützt werden kann ( S o e r g e l - S i e b e r t BGB § 226 II 3; § 242 A IV 2, C I 2; S i e b e r t , Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung; 1934 S. 128). Es bedarf daher nicht der vorsätzlichen Schädigung, um eine Rechtsausübung als unzulässig erscheinen zu lassen, während der Schadensersatzanspruch Vorsatz nach § 826 verlangt. Allerdings setzt der auf § 242 gestützte Einwand voraus, daß irgendwelche rechtliche Beziehungen zwischen den Parteien bestehen (RG 160, 349» 357)-
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Unerlaubte Handlungen
§826
A n m . 4—6
Anm. 4 2. B e s t i m m u n g e n außerhalb des B G B , insbesondere U W G , gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht a) Allgemein. Durch Sondergesetze wird § 826 nicht ausgeschlossen ( R G 1939 Nr. 596). Wenn ein Sondergesetz für einen gewissen Tatbestand rechtswidrigen Handelns ausdrücklich und absichtlich einen weitergehenden Schutz ausschließt, wenn es selbst erschöpfend regeln will, kann ein solcher Schutz nicht aus dem BGB abgeleitet werden ( R G 101, 1; m , 256; 1 1 5 , 180, 184; 120, 94, 97; J W 1934, 2136 7 ; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 6). Anm. 5 b) Einzelfälle. § 826 greift ein neben U W G (Verjährung nach § 852, nicht nach § 21 UWG), ferner neben W Z G , so daß eine Warenbezeichnung noch nach Ablauf der Zeitdauer des formalen Zeichenschutzes oder schon vor ihrer Eintragung nach § 826 — auch nach U W G — Schutz gegen Nachahmung genießen kann. Über das Verhältnis von § 826 zu beiden Gesetzen vgl. R G 74, 435; 78, 78; 92, 1 3 3 ; 120, 94, 97; J W 1928, 1 2 1 0 ; 1932, 1883 42 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 79, 119, 401, 432; Recht 1914, 2930; B G H L M U W G § 1 Nr. 36, Nr. 56; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 6. § 826 ist neben der Zugabeverordnung anwendbar ( B G H 1 1 , 260, 269, 272; N J W 1956, 1559; L M ZugabeVO § 1 Nr. 6). Dasselbe gilt für das G e s c h m M G ( R G 1 1 5 , 180, 184; 120, 94, 98; B G H L M U W G § 1 Nr. 57). Wegen L i t U G vgl. R G 73 294; 107, 277; 1 2 1 , 65, 73; B G H 26, 52, 58; wegen K u n s t U r h G vgl. B G H 26, 52. Zur Abwehr unbefugter Ausnutzung schöpferischer Leistungen treten neben den Urheberrechtsschutz ergänzend die Vorschriften des BGB und des UWG. Sie dürfen aber nicht zur Schaffung eines nicht bestehenden Urheberschutzes führen ( B G H 26, 52, 59 m. Nachw.). B e i m P a t G und beim G e b r M G schließt das Uberwiegen des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses über das privatwirtschaftliche Interesse eine Ausdehnung des in den Sondergesetzen geregelten Schutzes auf den Umweg über § 826 (oder UWG) aus ( R G 120, 94, 97; J W 1934, 2136 7 ). Allerdings ist bei sittenwidriger Erschleichung des Patents oder der Patentruhe oder der Wiedereinsetzung gegen Versäumung der Frist zur Gebührenzahlung § 826 anwendbar ( R G 76, 67; 140, 184; 157, 1; B G H L M PatG § 12 Nr. 1), ebenso bei Verwertung der Leistungen eines Erfinders in der patentamtslosen Zeit ( B G H 3, 365), ferner bei Benutzung des durch Versäumung der Frist zur Gebührenzahlung erloschenen Patents, wenn der Benutzer weiß, daß der Patentinhaber berechtigt ist, die Wiedereinsetzung zu betreiben und die Betreibung beabsichtigt ( B G H J Z 1956, 659; vgl. Vorbem. § 823 Anm. 6). Über das Verhältnis zu §296 AktG vgl. R G WarnRspr 1908 Nr. 2 3 1 ; über das Verhältnis zum A n f G und zur K O vgl. Vorbem. § 823 Anm. 7. Anm. 6 3. öffentliches R e c h t . Das Rechtsverbot eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§§ '38, 826) gilt, ebenso wie das Rechtsgebot der Beobachtung von Treu und Glauben (§ 157 Anm. 5), auch f ü r das ö f f e n t l i c h e R e c h t . Das kann aber nicht dazu führen, Ansprüche, die sich auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts bewegen und deshalb der Verfolgung im Rechtsweg entzogen sind, im Gewände einer Schadensersatzforderung aus § 826 zum Gegenstand eines bürgerlichen Rechtsstreits im Sinne des § 13 G V G zu machen ( R G 87 S. 1 1 4 , 1 1 9 : Anspruch gegen eine öffentliche Körperschaft wegen unsittlichen Handelns des sie verfassungsmäßig vertretenden Beamten; R G 118, 325: Anspruch gegen das Reich als Träger der gesetzgebenden Gewalt wegen Erlassung sittenwidriger Gesetze). Anders, wenn die staatlichen Behörden nicht in der ihnen übertragenen öffentlich-rechtlichen Funktion gehandelt haben, diese vielmehr nur als Deckmantel für die Verfolgung widerrechtlicher Interessen benutzt haben, oder wenn die behaupteten unerlaubten Handlungen überhaupt ohne inneren Zusammenhang mit öffentlich-rechtlicher Ausübung der staatlichen Gewalt nur bei Gelegenheit der Ausübung dieser Gewalt vorgenommen wurden ( R G 103, 1 3 1 , 134).
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§ 826
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 7, 8 Anm. 7 III. Sittenwidrigkeit 1 . A l l g e m e i n e r B e u r t e i l u n g s m a ß s t a b f ü r d i e S i t t e n w i d r i g k e i t . Das gegenständliche (objektive) Merkmal der u. H . des § 826 ist der V e r s t o ß g e g e n d i e g u t e n S i t t e n . Der M a ß s t a b für die Beurteilung, was die guten Sitten erlauben oder verbieten, ist ein a l l g e m e i n e r und d u r c h s c h n i t t l i c h e r , der aus dem h e r r s c h e n d e n V o l k s b e w u ß t s e i n o d e r , sofern die Handlung nur in einem bestimmten Volkskreise vorzukommen pflegt, a u s d e r s i t t l i c h e n A n s c h a u u n g d i e s e s b e s t i m m t e n V o l k s k r e i s e s entnommen wird ( R G 48, 1 1 4 ; 145, 39g; J W 1906, 16 1 5 ). Das ist, wie die erstangezogene Entscheidung im Anschluß an M II 727 sich ausdrückt, „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden". V o n der Anschauungsweise über dem Durchschnitt sittlicher Bildung stehender Personen von besonders vornehmer Denkart und verfeinertem Anstandsgefühl ist hierbei ebenso abzusehen, wie andererseits offenbare Unsitten im Geschäftsleben (Bräuche, die von der allgemeinen Volksauffassung als sittenwidrig empfunden werden, vgl. R G 145, 396, 400) keine Rücksicht beanspruchen können ( R G 55, 367; 58, 2 1 4 ; 73, 1 0 7 ; J W 1933, 425 4 ). Eine bloße Unbilligkeit des Handelns genügt nicht, um einen Verstoß wider die guten Sitten annehmen zu können ( R G 86 S. 1 9 1 , 195). Wie in § 276 die Besonnenheit und Überlegung des v e r s t ä n d i g e n Durchschnittsmenschen als M a ß für die im Verkehr erforderliche Sorgfalt genommen ist, so in § 826 die Ehrbarkeit und Gewissenhaftigkeit des a n s t ä n d i g e n Durchschnittsmenschen. Der Maßstab ist wie in § 276 ein allgemeiner und unpersönlicher ( R G 48, 1 1 4 ; 58, 2 1 4 u. 2 1 9 ; 65, 4 2 3 ; 74, 224; 76, 3 1 3 ; 79, 1 7 ; J W 1 9 1 1 , 7 6 1 1 9 ; 1 9 1 2 , 290 1 1 ). Dabei ist die Anschauung der u n m i t t e l b a r b e t e i l i g t e n Kreise zu berücksichtigen, sie darf sich aber mit der Anschauung der Allgemeinheit nicht in Widerspruch setzen ( R G 1 3 5 , 3 9 5 ; 145, 399; J W 1938, 2 3 0 9 « ; B G H 10, 228, 2 3 2 ; N J W 1955, 1 2 7 2 ; 1956, 4 1 7 ; R A G WarnRspr 1932 Nr. 6 1 ) . Die bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles gebotene Berücksichtigung von S t a n d und B e r u f der Beteiligten bedeutet noch nicht, daß ein Verstoß gegen die Standesehre allein schon die Sittenwidrigkeit begründet ( R G 8g, 109, 1 1 4 ) . Steht ein in den beteiligten Geschäftskreisen verbreiteter Gebrauch in Frage, so bedarf es immer der Prüfung, ob er als maßgeblich zu behandeln oder als Mißbrauch abzulehnen ist ( R G 1 3 5 , 395). Der Beurteilungsmaßstab kann sich mit dem Wandel der Auffassung ändern ( R G 134, 342, 355). Nicht maßgebend waren die in der Kriegs- und Nachkriegszeit gesunkenen Begriffe mancher Bevölkerungskreise von Anstand, Billigkeit und Vertragstreue ( R G 104, 3 3 0 ; 120, 148; 129, 357, 381). Bei Anwendung der Generalklausel des § 826 ist die Bedeutung und die Reichweite der Grundrechtswerte zu berücksichtigen ( B V e r f G 7, 198 m. Bespr. D ü r i g Ö V 1958, 194). Der Maßstab ist zwar ein objektiver, doch wird die objektive Beurteilung des Verhaltens des Schädigers durch seine innere Einstellung beeinflußt (vgl. Anm. 12). Bei der Prüfung von Vorgängen, die weiter zurückliegen, sind wie andere Tatsachen, auch die Anschauungen der damaligen Zeit zu beachten ( R G 1 5 5 , 257, 282). Allerdings kann sich die Durchsetzung eines bei solcher Beurteilung sich ergebenden Anspruchs wegen der in der Zwischenzeit eingetretenen Änderung in den sittlichen Anschauungen als unsittlich erweisen. O b eine Handlung einen Verstoß gegen die guten Sitten enthält, ist Rechtsfrage und daher auf Grund der feststehenden oder zu unterstellenden Tatsachen vom Revisionsgericht frei nachzuprüfen ( R G 145, 4 0 1 ; 155, 277).
Anm. 8 2 . S i t t e n w i d r i g k e i t d u r c h U n t e r l a s s e n . Die gegen die guten Sitten verstoßende Handlung kann, wie bei den Tatbeständen des § 823, ebenso in einer T ä t i g k e i t bestehen, wie in der U n t e r l a s s u n g einer solchen ( R G 1 5 5 , 257, 285), letzteres dann, wenn die unterlassene Handlung einem sittlichen Gebote entsprach. Die Nichterfüllung einer jemanden gesetzlich oder vertraglich obliegenden Verpflichtung verstößt an sich nicht wider die guten Sitten ( R G 100, 158). Beispiele einer sittlich verwerflichen Unterlassung mögen sein die vorsätzliche Unterlassung der Warnung eines anderen vor einem
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Unerlaubte Handlungen
§826 Anm. 9
gegen ihn seitens eines Dritten geplanten Verbrechen; die Unterlassung der Rettung eines anderen aus Lebensgefahr oder der Bewahrung eines anderen vor einem Verkehrsunfall, wenn Rettung und Bewahrung ohne besondere Schwierigkeit und ohne Gefährdung beachtlicher eigener Interessen möglich sind (vgl. die als Schutzgesetz im Sinne des § 8 2 3 Abs. 2 zu erachtende Strafvorschrift in § 3 3 0 c StGB, dazu W e i m a r D R 1 9 3 7 , 7 7 ) ; über die Haftung eines Kraftfahrers, der einen Betrunkenen in seinen Wagen nimmt, ihn dann aber in fremder Gegend und zur Nachtzeit wieder aussetzt, gegenüber Dritten, denen der Betrunkene Schaden zufügt, s. Marienwerder H R R 1938 Nr. 67; das arglistige Verschweigen wesentlicher Umstände bei einem Vertragsschlusse (vgl. Anm. 2 2 ) ; das Verschweigen einer Fälschung, die dem dadurch Getäuschten Schaden bringt, auf dessen Anfrage, wenn eine sittliche Pflicht zur Aufklärung anzuerkennen ist ( R G J W 1 9 1 0 , 470 7 ); j e nach den Umständen des Falles auch schon das bloße Nichtergreifen von Maßnahmen, wenn man von der Fälschung eigener Unterschriften erfährt ( R G J W 1935, 34 5 ); anders, wenn erlaubte Rücksichten das Verschweigen rechtfertigen ( R G J W 1 9 1 1 , 7 6 1 1 9 ) . Sittenwidrig handelt der Hersteller oder Verkäufer eines Kraftwagens, wenn er das Fahrzeug in den Verkehr gibt, obwohl ihm ein seine Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigender Fehler und zugleich die darauf beruhende Gefahr für die Allgemeinheit bekannt ist; aber auch dann, wenn er von einem solchen Fehler erst nachträglich erfährt, aber nichts tut, um der von ihm gesetzten Gefahr zu steuern ( R G 163, 2 1 , 26). Liegt nicht Erkennen, sondern nur E r k e n n e n m ü s s e n bezüglich des Fehlers und seiner Gefährlichkeit vor, so ist § 823 Abs. 1 anzuwenden ( R G D R 1940, 1 2 9 3 1 1 ) . Anspruch des unehelichen Kindes aus § 826, wenn die Einrede des Mehrverkehrs begründet ist, die mehreren Männer aber gerade zu dem Zweck zusammengewirkt haben, um sich diese Einrede gegenüber einem Unterhaltsanspruch zu verschaffen ( K G D R 1944, 189 8 ). Sittenwidrige Schädigung gutgläubiger Erwerber von Lagerscheinen durch Aushändigung des Lagergutes an den Einlagerer ohne die Rückgabe der Scheine zu fordern s. R G SeuffArch 82 Nr. 13. Gegen die guten Sitten verstößt es nicht, wenn jemand seine eigene Beteiligung an strafbaren Handlungen verschweigt; denn niemand ist verpflichtet, sich selbst bloßzustellen ( R G L Z 1 9 2 1 , 453 4 ). A u c h die Nichteingehung von Verträgen kann eine sittenwidrige, zu Schadensersatz verpflichtende Handlung darstellen (Kontrahierungszwang, vgl. Anm. 60).
Anm. 9 3. Merkmale der Sittenwidrigkeit a ) V e r w e r f l i c h k e i t d e s M i t t e l s o d e r Z w e c k s . Das Urteil der Sittenwidrigkeit erfordert eine Würdigung des G e s a m t b i l d e s des Verhaltens, wobei u. a. Zweck einer Handlung, angewendete Mittel, die dabei zutage getretene innere Einstellung (Gesinnung, Beweggrund) zu berücksichtigen sind ( R G 74, 224, 230; 143, 48, 5 2 ; 1 5 5 , 257, 276). Für die Prüfung der Gesamtsituation ist es wesentlich, ob der Handelnde sich selbst einem unberechtigten sittenwidrigen Eingriff ausgesetzt sah ( B G H L M § 8 2 6 [Gi] Nr. 2). S i t t l i c h v e r w e r f l i c h kann demnach eine Handlung erscheinen ihrem Z i e l nach oder in Ansehung der M i t t e l , mit denen die an sich sittlich erlaubten, selbst die an sich billigenswerten Ziele verfolgt werden ( R G 130, 89, 9 1 ; J W 1 9 1 4 , 460 2 ; WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 250; B G H N J W 1957, 587). Eine sittenwidrige Handlung liegt z. B. vor, wenn ohne eigenes Interesse Mitteilungen über einen Dritten nur deshalb gegeben werden, um dessen Existenz zu vernichten ( B G H L M § 8 2 6 [ G c ] Nr. 2). Möglich ist es auch, daß Einzelhandlungen, von denen jede, wenn sie allein stände, nicht zu beanstanden wäre, wegen ihrer Häufung gegen die guten Sitten verstoßen, zumal wenn sie von einer einheitlichen Schädigungsabsicht getragen sind ( R G 58, 2 1 9 , 2 2 3 ; 98, 70, 7 3 ; 140, 392, 397; B G H N J W 1954, 1033). Die Wahrnehmung berechtigter Interessen nimmt formalen Beleidigungen nicht nur die Rechtswidrigkeit, sondern auch die Sittenwidrigkeit ( R G H R R 1933 Nr. 296). Ein u n e r l a u b t e s M i t t e l gebraucht, wer Forderungen, die er nicht begründen kann und selbst für unbegründet hält, auf dem Wege durchsetzt, daß er eine auf besonderen Umständen beruhende Willensschwäche des in Anspruch Genommenen mit Mitteln ausnutzt, die nicht beweiskräftig
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§ 826 A n m . 10
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
sind, an deren Beweiskraft er selbst nicht glaubt,, die er deshalb dem anderen nur andeutet, aber vorenthält (RG DJ 1938, 1957), oder wer ungedeckte Schecks zu Täuschungszwecken aus Gefälligkeit für andere ausstellt (RG SeuffArch 88 Nr. 145). Sittenwidrigkeit im Hinblick auf das angewendete Mittel liegt ferner vor, wenn sich eine Behörde als agent provocateur betätigt ( B G H 8,83). D e m Z i e l e nach sittlich verwerflich ist die absichtliche, planmäßige Schadenszufügung innerhalb wie außerhalb von Vertragsverhältnissen (RG J W 1914, 460 2 ; WarnRspr 1916 Nr. 250), z. B. Erwerb von Eigentum im Zusammenwirken mit einem anderen zur Schädigung eines Dritten (RG J W 1922, 1390; vgl. Anm. 28, 29). Uber Einzelfälle der Sittenwidrigkeit wegen rein feindseliger Gesinnung und wegen Absicht der Schädigung vgl. Anm. 30, 43, 44. Unter dem Gesichtspunkt, daß die reine Schädigungsabsicht unerlaubt ist, ist es z. B. sittenwidrig, wenn ein Hypothekengläubiger in der Zwangsversteigerung eine von ihm abhängige Person veranlaßt, Scheingebote abzugeben, um dadurch andere Bieter zur Abgabe von den Grundstückswert weit übersteigenden Geboten verlocken (RG H R R 1935 Nr. 664; vgl. Anm. 45), Sittenwidrig ist ferner das Verhalten des Ehemannes, der seiner Ehefrau eine Aussöhnung vortäuscht, um sie zur Übertragung ihres Vermögens auf das gemeinschaftliche minderjährige Kind zu bestimmen und sich damit den Nießbrauch für den Fall einer Scheidung zu sichern, während er die Absicht hat, dann die Scheidungsklage durchzuführen (RG SeuffArch 91, Nr. 132); ferner die sittenwidrige Vermögensveräußerung durch geschiedenen Ehemann zwecks Schädigung seiner unterhaltsberechtigten Ehefrau (RG SeuffArch 77 Nr. 6; H R R 1931 Nr. 9; WarnRspr 1932 Nr. 93), vgl. ferner Anm. 29 (Erwerb zwecks Schädigung eines Dritten), Anm. 44 (planmäßige unerlaubte Machenschaften). A n m . 10 b) Verfolgung eines eigenen Rechts oder I n t e r e s s e s . Die Verfolgung des eigenen Rechts oder Interesses verstößt aber nicht allein schon deshalb gegen die guten Sitten, weil sie einem anderen Schaden zufügt; denn niemand hat, soweit nicht die Interessen der Allgemeinheit etwas anderes erfordern, die Pflicht, sein eigenes erlaubtes Interesse dem eines anderen nachzusetzen oder die Ausübung eines Rechts zu unterlassen, weil dadurch das Interesse eines anderen geschädigt wird (RG 58, 214; 92, 133, 139 und 143, 149; 98, 15 u. 70, 73; ioo, 79 u. 2 1 5 ; 101, 55, 63; 129, 357; 138, 373, 376; 140, 423, 4 3 1 ; J W 1922, 1390; WarnRspr 1919 Nr. 63; 1920 Nr. 147; B G H 13, 7 1 ; 19, 72, 75; NJW 1955, 586; 1957, 587; L M § 826 [Gc] Nr. 2 [Gi] Nr. 2). Deshalb verstößt auch die Ausnützung einer durch die Verhältnisse gebotenen Sachlage zum eigenen Vorteil nicht gegen die guten Sitten (RG 1913, 489 1 1 ; WarnRspr 1919 Nr. 63; J W 1922, 1390). Ein Gläubiger kann daher nicht verlangen, daß der Vertragspartner seines Schuldners gegen seine Interessen an einem auflösbaren Vertrag festhält, nur damit der Gläubiger keinen Schaden erleidet ( B G H W M 1957, 784). Wer einwandfrei eine Rechtsposition verlangt hat, darf die Rechte daraus auch geltend machen, wenn er erfährt, daß sein Vertragsgegner durch die Einräumung der Rechtsposition einem anderen gegenüber vertragsbrüchig geworden ist und dieser durch die Geltendmachung Schaden erleidet ( B G H 14, 3 1 3 ; I Z R 236/52 v. 22. 1. 1954). Anders verhält es sich, wenn das Recht, das ausgeübt wird, von vornherein nur zu dem Zweck erworben wurde, um dem Gegner einen rechtswidrigen Nachteil zuzufügen (RG 74, 230; 98, 73; vgl. Anm. 30), oder wenn der Erwerb eines Rechts treuwidrig erfolgt (vgl. Anm. 38), oder wenn kaltblütig die wirtschaftliche Existenz eines anderen vernichtet wird, um auf bequeme Weise eine Auskunft zu erlangen, die sich unschwer auf andere Weise verschaffen läßt ( B G H L M § 826 [Gc] Nr. 2). Eine billige Rücksichtnahme auf die Interessen anderer darf bei Verfolgung eigener Interessen nicht außer acht gelassen werden. Es muß eine gewisse Verhältnismäßigkeit zwischen dem vom Schädiger erstrebten Nutzen und dem den Dritten zugefügten Schaden bestehen. § 826 verhindert e i n e m i ß b r ä u c h l i c h e A u s n u t z u n g e i n e r f o r m a l e n R e c h t s s t e l l u n g , wenn dadurch an einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt wird. § 826 trifft jeden gegen die Grundsätze der Sittlichkeit
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Unerlaubte Handlungen
§826 Anm. 11—13
verstoßenden Gebrauch, sei es eines gegebenen Rechts, sei es der allgemeinen menschlichen Betätigungsfreiheit zum Schaden eines anderen (vgl. Anm. 9; R G 58, 2 1 4 ; 1 0 1 , 322, 3 2 5 : Schutzhaft auf Grund eigennütziger Anzeige; 1 5 5 , 55, 58: Ausnutzung der Rechtskraft eines Urteils; vgl. Anm. 32, 3 3 ; 157, 136, 1 3 8 ; D R 1938, 1950; J W 1938, 1264; SeuffArch 87 Nr. 26: Mißbrauch des vertraglichen Rechts zur Kündigung eines Dienstverhältnisses; B G H 1, 1 8 1 , 1 8 7 ; 3, 94, 1 0 3 ; 1 3 , 7 1 ) . Allerdings kann bei der nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilenden Frage der Sittenwidrigkeit nicht unbeachtet bleiben, ob die schädigende Handlung nur vermöge der allgemeinen Freiheit oder in Ausübung eines Rechts vorgenommen wurde ( R G 58, 214, 2 1 7 ; 98, 7 1 ; 1 0 1 , 325)-
Anm. 11 c) Bewußtsein der Sittenwidrigkeit.
Daß der Handelnde sich bewußt sei, er verstoße mit seiner Handlung gegen die guten Sitten, gehört nicht zum Tatbestand des § 826. Es kommt nur darauf an, ob er gegenständlich gegen die guten Sitten verstößt. E r muß nur die Tatumstände gekannt haben, die sein Verhalten sittlich verwerflich machen ( R G 1 2 3 , 2 7 1 , 278; 136, 293, 298; 140, 184, 189; 1 5 5 , 234, 238 u. 327, 3 3 3 ; 1 6 1 , 229, 2 3 3 ; J W 1932, 938; 1934, 2 1 3 6 7 ; H R R 1936 Nr. 1 9 1 ; SeuffArch 84 Nr. 1 0 ; B G H 8, 8 3 ; L M § 826 [Gc] Nr. 2; N J W 1 9 5 1 , 596; 1954, 1 4 7 ; I I Z R 332/56 v. 18. 9. 1958 in N J W 1958, 1867 nicht mit abgedruckt). Ein Verschulden in diesem Sinne kann fehlen, wenn es sich um neue Tatbestände handelt, für deren Beurteilung noch keine festen Rechtsgrundsätze bestehen ( B G H 27, 264, 2 7 3 ; vgl. B o c k BB 1958, 957).
Anm. 12 d) Bedeutung der inneren Einstellung, leichtfertiges Verhalten.
Der inneren Einstellung des Schädigers kommt Bedeutung für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit zu. Das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit betrifft einmal das persönliche Merkmal in § 8 2 6 und ist dort (vgl. Anm. n ) — neben dem Vorsatz zur Schadenszufügung — nicht erforderlich. J e d o c h ist für die g e g e n s t ä n d l i c h e S e i t e des § 826 die innere Gesinnung des Handelnden von Bedeutung. Allerdings braucht der Beweggrund des Handelnden nicht sittenwidrig zu sein. Es kommt, wenn die Handlung selbst nach dem allgemeinen Sittenmaßstab als unerlaubt nicht angesehen werden kann, ein sittenwidriger Beweggrund des Handelnden, wie etwa die R a c h e für erlittene Unbill, nicht in Betracht (vgl. Anm. 14). So verstößt eine objektiv begründete Anzeige an die zuständige Behörde nicht schon deshalb gegen die guten Sitten, weil ihr Beweggrund Selbstsucht oder Schadenfreude ist ( R G 1 0 1 , 3 2 5 ) . Uber Denunziation in der NS-Zeit vgl. Anm. 53. D a aber die Einstellung des Täters für den Tatbestand des §826 nicht gleichgültig ist, kann von der sittlichen Verwerflichkeit einer Handlung regelmäßig nicht mehr die R e d e sein, wenn der Handelnde sie in der dem Bewußtsein der Unsittlichkeit gegensätzlichen redlichen Uberzeugung vornimmt, er handle rechtmäßig in Verfolgung seines erlaubten Interesses oder sogar eines Rechts oder einer sittlichen Pflicht ( R G 1 2 3 , 2 7 1 , 278; 140, 184, 190; 1 5 5 , 234, 238; 159, 2 H , 2 2 7 ; H R R 1936 Nr. 1 9 1 ; J W 1932, 938°). Nicht jeder Irrtum über die Unerlaubtheit des Vorgehens begründet die SittenWidrigkeit ( R G 1 2 3 , 2 7 1 , 278; vgl. 7 1 , 1 1 2 ; 79, 2 3 ; 9 1 , 3 5 9 ; B G H 8, 83). Ein gewissenlos verschuldeter (tatsächlicher) Irrtum über die Erlaubtheit der Handlungsweise begründet die Sittenwidrigkeit ( R G J W 1934, 2 1 3 6 ' ) . I m Ergebnis entschuldigt also das grobschuldhafte Nichterkennen der Sittenwidrigkeit nicht, worin man eine Anwendung der im Strafrecht herrschenden Schuldtheorie sehen kann (vgl. N i e s e J Z 1956, 457, 465)-
Anm. 13 Das gegenständliche Merkmal der Sittenwidrigkeit kann in einem b e s o n d e r s l e i c h t f e r t i g e n , g r o b f a h r l ä s s i g e n o d e r g e w i s s e n l o s e n Verhalten liegen, neben dem das subjektive Erfordernis des Vorsatzes der Schadenszufügung gegeben sein muß (Anm. 15). Derartige Leichtfertigkeit, die eine Sittenwidrigkeit darstellen kann, liegt z. B. in der bewußt leichtfertigen Behauptung oder Verbreitung einer unwahren T a t sache, insbesondere im wirtschaftlichen K a m p f ( R G J W 1 9 3 1 , 1886 9 ), z. B. durch Erteilung falscher Auskünfte über einen Arbeitnehmer ( R G J W 1937, 3 1 0 5 ; H R R 1932
1319
§ 826 Anm. 14, 15
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Nr. 612). An Prozeßschriftsätze, die Angriffe auf die Ehre eines anderen enthalten, ist grundsätzlich ein anderer Maßstab anzulegen, als an Schriftsätze anderer Art, da sie bestimmungsgemäß der einseitigen Interessenwahrung dienen. Deshalb bedarf es nicht notwendigerweise einer vorherigen Prüfung der Richtigkeit der aufzustellenden Behauptungen, sofern deren Unhaltbarkeit oder besondere Bedenklichkeit nicht von vornherein auf der Hand liegt (RG 140, 392). Sittenwidrigkeit bei leichtfertigem Verhalten liegt insbesondere vor, wenn der Schädiger mit Rücksicht auf sein Ansehen oder seinen Beruf eine Vertrauensstellung einnimmt (RG 72, 175: Arzt verbreitet ohne Tatsachenunterlagen die Behauptung über die Geisteskrankheit einer Person; 123, 271, 278; 140, 396; 143, 48, 51; WarnRspr 1935 Nr. 115; J W 1929, 3149 1 ; J932, 9376 = gerichtlicher Sachverständiger gibt den Wert grobfahrlässig zu hoch an; SeuffArch 93 Nr. 91; J W 1935, 2427 2 : Aufsichtsratsmitglied unterschreibt kritiklos alle Vorlagen des Vorstandes; HRR 1936 Nr. 191; R A G 19, 260, 266; BGH LM § 826 [Gc] Nr. 2; MDR 1957, 29: Wirtschaftsprüfer; MDR 1957, 29; vgl. Anm. 54). Anm. 14 Wenn eine Handlung nach dem allgemeinen sittlichen Maßstab nicht als unerlaubt angesehen werden kann, kommt ein s i t t e n w i d r i g e r B e w e g g r u n d des Handelnden, z. B. die Rache für erlittene Unbill nichr in Betracht, nur die rein feindselige Gesinnung, neben der die Wahrnehmung berechtigter Interessen keinen Raum mehr findet, die Absicht der Schädigung begründet die gegenständliche Sittenwidrigkeit (RG 71, 170; 74, 224, 230; 79, 415, 418; 101, 325; 155, 327, 333; J W 1912, 290 11 ; LZ 1919, 10157; BGH NJW 1951, 596). Anm. 15 IV. Vorsatz. Die Schadensersatzpflicht setzt ferner voraus, daß der Schädiger „einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt", d. h. der Vorsatz muß auf die Schadenszufügung gerichtet sein. Auf die Sittenwidrigkeit der Handlung braucht sich das Bewußtsein des Schädigers nicht zu erstrecken (vgl. Anm. 11). Eine A b s i c h t der Schädigung in der Bedeutung eines Beweggrundes ist nicht gefordert (BGH 8, 387, 393; J Z 1958, 314). Allerdings kann durch die Absicht der Schadenszufügung die gegenständliche Widerrechtlichkeit begründet werden (Anm. 14). Der Schädiger muß sich nur bewußt sein, daß die Handlung den schädigenden Erfolg haben wird und er muß sie dennoch wollen (RG 58, 214; 91, 350; J W 1933, 425*). Das Merkmal der Vorsätzlichkeit der Schadenszufügung wird schon durch den b e d i n g t e n V o r s a t z (dolus eventualis) erfüllt. Der Schädiger hat den bedingten Vorsatz, wenn er das Bewußtsein hat, daß infolge seiner Handlungsweise, sei es für sich allein oder zusammen mit anderen Tatsachen der andere Schaden erleiden könne, und wenn er diesen möglichen Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt (RG 90, 106; 123, 271, 278; 124, 104; 143, 48, 52; SeuffArch 84 Nr. 10; J W 1927, 8g2 3 ; 1929, 14627, 3149 1 ; HRR 1929 Nr. 185; 1930 Nr. 1726; 1931 Nr. 1847; 1933 Nr. 1320; 1936 Nr. 191; BGH 8, 387, 393; NJW 1951, 596; J Z 1958, 314). Bedingter Vorsatz ist nicht mehr anzunehmen, wenn sich der mögliche Erfolg dem Täter als eine so entfernte Möglichkeit darstellt, daß er rechtlich nicht damit rechnen zu müssen glaubt (RG J W 1929, 3149 1 ; HRR 1932 Nr. 1576; BGH NJW 1951, 596). Eine begründete Uberzeugung, daß kein Schaden entstehen könne, schließt ebenfalls den bedingten Vorsatz aus ( J W 1929, 3149; BGH NJW 1951, 596). F a h r l ä s s i g k e i t , auch grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Schadenszufügung genügt nicht (RG 143, 48, 51; NJW 1951, 596). Allerdings kann das Merkmal der Sittenwidrigkeit in einem grobfahrlässigen Verhalten zu sehen sein (vgl. Anm. 13), sie kann aber den Vorsatz nicht ersetzen. Uber die Grenze des bedingten Vorsatzes und der Fahrläsisgkeit insbesondere bei der Erteilung unwahrer Auskünfte und der Aufstellung ehrverletzender Behauptungen und mit Bewußtsein ohne Uberzeugung abgegebener Urteile einerseits, leichtfertig gewonnener und ausgesprochener andererseits vgl. R G 76, 313; 90, 106; J W 1911, 3127 1917, 34 1 ; WarnRspr 1914 Nr. 109, 122. Uber den Ausschluß des Vorsatzes bei etwaigem Rechtsirrtum über tatsächliche Voraussetzungen vgl. R G 15g, 211, 227. 1320
Unerlaubte Handlungen
§826 Anm. 16—18
Anm. 16 I m Gegensatz zu § 8 2 3 Abs. i , wo sich der Vorsatz nur auf die Verletzung der einzelnen angeführten Rechtsgüter zu erstrecken braucht, muß der Vorsatz des § 826 die gesamten Schadensfolgen umfassen (vgl. § 823 Anm. 3 ; B G H N J W 1 9 5 1 , 596 m. Anm. C o i n g ) . Darauf, ob der Täter den U m f a n g und die H ö h e des Schadens vorausgesehen hat, kommt es nicht an. E r muß einen Schaden dieser Art voraussehen. Die allgemeine Voraussicht einer möglichen Schädigung allerdings allein genügt nicht. Eine Vorstellung über den Kausalverlauf im einzelnen ist andererseits nicht erforderlich ( R G H R R 1933 Nr. 1 3 2 0 ; B G H N J W 1 9 5 1 , 596). Der Vorsatz kann sich auch gegen eine andere Person richten als gegen diejenige, welche den Schaden erleidet, wenn der Schaden nur in Richtung des Vorsatzes liegt. Es steht daher einer vorsätzlichen Schadenszufügung nicht im Wege, daß der Handelnde nicht weiß, wer durch seine Handlung geschädigt sein wird ( R G 157, 2 1 3 , 220; Gruchot 54, 972; 67, 180; J W 1936, 3 m 1 ; SeufFArch 93 Nr. 1 1 8 ; B G H N J W 1956, 1595). Ist durch dieselbe Handlung mehreren Personen ein Schaden erwachsen, so ist dieser Schaden dem Täter als vorsätzlich zugefügt insoweit zuzurechnen, als ihm zum Bewußtsein gekommen ist, daß der Schaden sich weiter fortpflanzen oder weiter getragen werde ( R G J W 1903 Beil. 142). Dem Vorsatz steht es nicht entgegen, daß der Schädiger in erster Linie seinen eigenen Vorteil sucht ( R G J W 1933, 425 4 ). Erkenntnis der Sittenwidrigkeit des Handelns wird nicht gefordert (vgl. Anm. 1 1 ) .
Anm. 17 V. Rechtswidrigkeit Die Frage, ob die nach § 826 zum Schadensersatz verpflichtende Handlung dadurch zugleich zu einer rechtswidrigen wird, ist in bejahendem Sinne zu beantworten ( R G 58, 2 1 4 u. 219). Recht und Sitte sind nicht zu trennen. Wie § 138 ein gegen die guten Sitten verstoßendes Rechtsgeschäft ebenso für nichtig, also rechtlich unwirksam erklärt, wie ein gegen ein gesetzliches Verbot verstoßendes (§ 134), so ist auch eine gegen die guten Sitten verstoßende Handlung in gleicher Weise rechtswidrig, wie die gegen ein bestimmtes Rechtsgut des anderen oder gegen bestimmte Gesetze gerichtete. Die Rechtsordnung schützt den Gebrauch der Rechte, aber nicht ihren Mißbrauch. Dieser ist widerrechtlich, sei es, daß eine Handlung kraft der allgemeinen Freiheit vorgenommen wird, sei es auf Grund eines besonderen Rechts ( R G 1 5 5 , 55, 5 g ; vgl. E n n e c c e r u s N i p p e r d e y § 226 I I ; N i e s e J Z 1956, 457, 465). Deshalb ist auch Notwehr möglich.
Anm. 18 VI. Schaden, Ersatzberechtigter § 826 spricht von der Zufügung eines Schadens schlechthin, mag die Beschädigung unmittelbar das Vermögen betreffen oder ein Recht oder ein Rechtsgut, oder ein in § 823 nicht erfaßtes Lebensgut einer Person, durch dessen Verletzung mittelbar der Vermögensschaden entsteht. Durch § 826 ist das Vermögen geschützt. Auch ein nicht vermögensrechtlicher Schaden ist möglich; für seinen Ersatz gilt § 253. Es kann Wiederherstellung, aber — abgesehen von §§ 847 — nicht Entschädigung in Geld verlangt werden ( R G 94, 1 ; WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 53). Davon abgesehen ist Schaden jede Vermögensminderung, auch die Beeinträchtigung einer bloßen tatsächlichen Erwerbsaussicht, wenn der Erwerb im regelmäßigen Verlauf der Dinge ohne die schädigende Handlung mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre, z. B. durch künftige Beerbung eines anderen, oder als die Folge eines Kundschaftsverhältnisses, oder als Vorteil aus Bezugsquellen für eine Ware ( R G 48, 1 1 4 ; 58, 2 1 9 ; 75, 6 1 , 6 3 ; 79, 5 5 ; 1 1 1 , 1 5 1 , 1 5 6 ; J W 1906, 1 9 8 1 5 ; 1 9 1 1 , I i i 5 0 ; 1930, 410 2 ). Eine wirkliche Schädigung ist erforderlich. Es genügt nicht, daß der Schädiger einen Schaden erleiden kann ( R G WarnRspr 1908 Nr. 6 3 2 ; 1939 Nr. 29; H R R 1937 Nr. 1 3 1 6 ) . Eine freiwillige Aufwendung ist kein Schaden. Wurde der Wille aber durch arglistige Täuschung bestimmt, so war er nicht frei und die Aufwendung erscheint als Schaden ( R G 88, 406). Zugefügt ist auch die nur mittelbare Beschädigung einer Person, gegen die sich die schädigende Handlung nicht unmittelbar gerichtet hat ( R G 79, 5 5 ; 84, 3 3 2 ; 142, 223, 228; WarnRspr ig20 Nr. 4 1 ) . Wegen des hierzu erforderlichen Vorsatzes vgl. Anm. 16.
1321
§ 826 Anm. 19, 20
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Für die Schadensersatzpflicht gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 249 fr; vgl. § 823 Anm. 94; wegen der arglistigen Täuschung bei Vertragsschluß vgl. § 123 Anm. 36ff; Vorbem. §823 Anm. 28; §823 Anm. 99; wegen der auch hier in Frage kommenden Klage auf Unterlassung vgl. Vorbem. § 823 Anm. 73 ff. Für die Unterlassungsklage bei Wettbewerbsverstößen wird ein Verschulden im Sinne des Bewußtseins der Sittenwidrigkeit des Handelns nicht vorausgesetzt. Es wird jedoch in subjektiver Hinsicht gefordert, daß der Täter -— jedenfalls in der Regel — die Tatumstände kennt, die seine Handlungsweise als unlauter erscheinen lassen, oder daß er zumindest mit der Möglichkeit rechnet, daß solche Umstände vorliegen könnten (vgl. Bock BB 1958, 957 m. Nachw.; R e i m e r , Wettbewerbs- u. Warenzeichenrecht 3. Aufl. 74. Kap. Anm. 8). Für den Schadensersatzanspruch wird im allgemeinen kein, über die Kenntnis der die Unlauterkeit begründenden Tatsachen hinausgehendes besonderes Verschulden verlangt (BGH 27, 264, 273). Wird Unterhalt als Schadensersatz aus u. H. geltend gemacht, so findet die Regelung des § 1613, wonach Unterhalt für die Vergangenheit, bei Verzug oder Rechtsgängigkeit verlangt werden kann, keine Anwendung (RG 164, 65). Anm. 19 VII. Einzelfälle 1. Allgemeines. Ob in einer Handlung eine vorsätzliche Schädigung eines anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zu erblicken ist, kann nur aus der Sachlage des Einzelfalles, der Betrachtung der Ziele der Handlung und des Verhältnisses zu den Mitteln, mit denen der Handelnde diese verfolgt, und der Gesinnung des Handelnden beurteilt werden. Die Rechtsprechung hat für gewisse häufig wiederkehrende Sachverhalte Grundsätze entwickelt, die bei der Anwendung des § 826 auf ähnliche Tatbestände zu beachten sind. Bei der Verwertung dieser Rechtsprechung muß immer beachtet werden, daß diese im Einzelfall aufgestellten Grundsätze die Anwendung des § 826 nicht erschöpfen, andererseits auch nicht notwendige Voraussetzung sind. Sie verdeutlichen die allgemein gehaltene Bestimmung des § 826. Sie sollen nur Wegweiser für die grundsätzliche Auslegung des Gesetzes sein (RG 155, 257, 276). Unter diesem Gesichtspunkt ist die nachfolgende Darstellung der hauptsächlichsten Entscheidungen der oberen Gerichte zu würdigen. Die Billigung bestimmter Tatbestandsgruppen dient andererseits der Rechtssicherheit, da dadurch der zu weitgehenden Heranziehung des Gefühls, wie sie bei so allgemein gehaltenen Rechtsbegriffen naheliegt, entgegengewirkt wird. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich einzelne konkrete Sachverhalte unter verschiedene Gruppen einordnen lassen. Die einzelnen Tatbestandsgruppen überschneiden sich. Mit dieser Einschränkung läßt sich von der im Schrifttum aufgestellten Einteilung Gebrauch machen (vgl. Coing NJW 1947/48, 213; E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 236 III; E r m a n n - D r e e s § 826 Anm. 6). Danach liegt Unsittlichkeit in folgenden Fällen vor. Anm. 20 2. Erwerb von Rechten durch unlautere Mittel oder zu verwerflichem Zweck a) Arglistige Täuschung der Vertragspartner aa) Allgemeines. Uber die arglistige Täuschung bei Vertragsschlusse und deren Rechtsfolgen ist § 123 Anm. sowie Vorbem. § 823 Anm. 28 u. § 823 Anm. 99 gehandelt. Sie erfüllt nicht notwendig den Tatbestand einer u. H. Derjenige des § 826 setzt zumindest einen Schaden des Getäuschten und das Bewußtsein der Schädigung bei dem Täuschenden voraus. Erstere fehlt z. B., wenn jemand einen Geldmann bestimmt, einem Dritten Kredit zu geben unter der falschen Angabe, dieser habe eine große Erbschaft gemacht, sofern der Dritte auch ohne dieser Erbschaft kreditwürdig und zahlungsfähig ist. Eine Schädigung des anderen Teils liegt auch nicht notwendig in der Begebung eines noch nicht gedeckten Schecks (RG J W 1927, 892®; WarnRspr 1927 Nr. 30). Das Bewußtsein der Schädigung fehlt, wenn der Täuschende seine ins Blaue hinein abgegebene Versicherung unwahrer Tatsachen (so des Feuerkassenwertes eines Grundstücks) nur in der Absicht abgibt, dadurch den Vertrag zustande zu bringen, 1322
Unerlaubte Handlungen
§826
A n m . 21, 22 ohne dabei an eine mögliche Schädigung des Getäuschten zu denken ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 42).
A n m . 21 b b ) V o r s p i e g e l u n g . Die arglistige Täuschung wider die guten Sitten kann begangen werden durch Erregung eines Irrtums oder durch Ausnutzung oder Unterhaltung eines solchen. Die Täuschung erfolgt durch die Vorspiegelung unwahrer Tatsachen, die Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen, sowie durch Unterlassen, nämlich die Verschweigung wahrer Tatsachen; so durch die bewußt falsche Zusicherung der Beschlagnahmefreiheit von Waren ( R G WarnRspr 1920 Nr. 4 1 ) , deren Beschlagnahme, wie dem Verkäufer bekannt war, bevorstand. Fälle der E r r e g u n g e i n e s I r r t u m s durch arglistige V o r s p i e g e l u n g u n w a h r e r T a t s a c h e n : bei Grundstücks- und Hypothekenverkäufen ( R G 103, 1 5 4 ; J W 1 9 1 2 , 5 3 6 1 5 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 3 1 ; 1 9 1 4 Nr. 4g; 1 9 1 8 Nr. 1 8 1 ) ; beim Warenkauf WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 7 7 ; Vortäuschung von Börsen termingeschäftsfähigkeit bei Eingehung von Börsentermingeschäften WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 207; Ersatzpflicht des Vorstandsmitglieds eines Vereins, der einen Dritten durch V e r s c h w e i g e n der schlechten Vermögenslage des Vereins zum Eintritt veranlaßt, um von ihm ein Darlehen zu erhalten ( R G H R R 1936 Nr. 524). Verschweigen kürzlich erfolgter Schwammarbeiten durch den sachverständigen Berater des Hausverkäufers als Sittenwidrigkeit gegenüber dem nach dem Vorhandensein von Schwamm fragenden K ä u f e r auch dann, wenn der Befragte meint, der Schwamm sei beseitigt, s. R G J W 1936, 33 io 5 . Wer als Strohmann für einen Dritten ein Grundstück kauft, handelt sittenwidrig, wenn er auf ausdrückliche Frage im Einverständnis mit dem Dritten, von dem der Verkäufer einen höheren Preis verlangt hätte, den Sachverhalt verleugnet ( R G 29. 9. 1924 I V 996/23). Mitwirkung bei arglistiger Täuschung durch einen Dritten durch Ausstellung einer von diesem benutzten Bescheinigung ( R G 1 1 4 , 289, 291). Sittenwidriges Versprechen eines Darlehens gegen Hypothekenbestellung zur Abwendung einer Zwangsversteigerung, wenn der Versprechende in Wahrheit beabsichtigt, sich so auf einem Umwege selbst in den Besitz des Grundstücks zu setzen ( R G SeufTArch go Nr. 5 1 ) . Durch Kreditzusage an Schuldner wird Gläubiger zum Vergleichsabschluß veranlaßt, wobei Auszahlung des versprochenen Betrages nicht beabsichtigt ist ( R G D J Z 1933, 499). Bewußt falsche Auskunft über Grundlagen für die Sicherung eines nachgesuchten Kredits, B G H BB 1959, 60. Arglistige Täuschung eines Wechselgläubigers über die Rechtsunwirksamkeit des von dem Bürgermeister einer Gemeinde in deren Namen eigenmächtig abgegebenen Akzepts s. R G J W 1928, 2433 1 . Allgemein ist jedoch zu beachten, daß übertreibende, beschönigende, verschleiernde Redensarten im kaufmännischen Verkehr gang und gäbe sind und noch nicht wider die guten Sitten verstoßen, wenn nicht damit eine Täuschung über wesentliche Bedingungen des abzuschließenden Vertrags bezweckt wird ( R G J W 1906, 60 1 2 ). Der andere muß aber wirklich getäuscht und in seiner Entschließung beeinflußt worden sein ( R G H R R 1935 Nr. 418). Bewußt wahrheitswidrige oder leichtfertige unrichtige Angaben des Bürgen über die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners s. R G WarnRspr 192g Nr. 10. U n t e r d r ü c k e n einer wahren Tatsache bedeutet ein Handeln, durch das eine Tatsache der Kenntnis anderer Personen entzogen wird. Dies kann auch dadurch geschehen, daß aus einem Tatsachenkomplex nur ein Teil mitgeteilt wird ( R G 9 1 , 80).
A n m . 22 c c ) S t i l l s c h w e i g e n . Arglistige T ä u s c h u n g d u r c h S t i l l s c h w e i g e n wird begangen, wenn nach der besonderen L a g e der Umstände nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung der Erfordernisse von Treu und Glauben Reden erforderlich war ( R G 69, 1 3 ; 77, 309, 3 1 4 ; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 38 u. 1 8 5 ; 1 9 1 g Nr. 168; L Z 1 9 1 7 , 1071 15 ; R G J W 192g, 3 1 4 9 1 ) . Freilich besteht keine allgemeine Offenbarungspflicht über alle Verhältnisse, die für einen Vertragsschluß von Bedeutung sein können, so ist z. B. kein K a u f m a n n verpflichtet, einem Dritten, der als Bürge für einen Schuldner des Kaufmanns einzutreten bereit ist, seine Geschäftsbeziehungen zu diesem aufzudecken ( R G 9 1 , 80; L Z 1 9 1 7 , 1 0 7 1 1 5 ) ; es liegt keine Sittenwidrigkeit vor, wenn bei 8;
Komm. z. BGB, 1 1 . Aufl. II. Bd. (Haager)
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§ 826 A n m . 23, 24
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Abschluß eines Prozeßvergleichs eine Partei die Unglaubwürdigkeit ihres Zeugen ververschweigt (RG WarnRspr 1935 Nr. 35). Das Schweigen des Rechtsanwalts, der einen Vergleich vermittelt, von dem Umstände, daß ihm von der Vergleichssumme ein Sonderhonorar von seiner Partei versprochen worden ist, verstößt nicht gegen die guten Sitten; denn sein eigenes Interesse an dem Vergleichsabschluß brauchte der Rechtsanwalt dem Gegner seiner Partei nicht zu offenbaren; ohne Wissen und Willen der letzteren ist er dazu nicht einmal berechtigt (RG 98, 77). Uber die Haftung des Anwalts bei arglistig herbeigeführtem Prozeß vgl. R G H R R 1936 Nr. 330. Wohl aber handelt ein Rechtsanwalt sittenwidrig, wenn er bei Verhandlungen über den Verkauf eines Grundstücks dem Gegner seiner Partei, der es kaufen will, verschweigt, daß die erste Hypothek fällig ist und die Zwangsversteigerung bevorsteht (RG J W 1929, 3149 1 ). Sittenwidrig ist das Verschweigen des Kredit begehrenden Warenkäufers, daß sein ganzes Warenlager einem anderen Gläubiger übereignet ist (RG J W 1 9 1 1 , 324 1 8 ); des Verkäufers eines Grundstücks, daß eine darauf lastende Hypothek gekündigt ist (RG 15. 6. 1910 V 321/09); das Verschweigen bei der Abtretung einer Hypothek, daß die Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung über das Pfandgrundstück eingeleitet ist (RG J W 1 9 1 1 , 213 8 ); das Verschweigen der wahren Geschäftslage, wenn bei einem Anstellungsvertrage der Anzustellende verpflichtet wird, Gesellschaftsanteile zu erwerben, die in Wirklichkeit wertlos sind (RG WarnRspr 1912 Nr. 166); Schweigen eines Vertragspartners, der nach Stellung eines Konkursantrags unterläßt, den Gläubiger hierauf hinzuweisen, obwohl dieser zur Vorleistung verpflichtet ist ( B G H VersR 1957, 317). Verkauf von Geschäftsanteilen einer Gesellschaft m.b.H. unter Verschweigung des Umstandes, daß das Betriebskapital zum wesentlichen Teil aus Unterschlagungen stamme, s. R G J W 1932, 392. Verschweigen eines den Verkehr gefährdenden Fehlers beim Kaufeines Kraftwagens, R G D R 1940, 1293. A n m . 23 idd) A u s n u t z u n g eines I r r t u m s . Mit der A u s n u t z u n g eines v o r h a n d e n e n I r r t u m s handelt nicht ohne weiteres sittlich verwerflich, wer ein Vertragsangebot in der Erkenntnis annimmt, daß der Anbietende sich in der Ansetzung des Angebotspreises nach Maßgabe der geltenden Wertverhältnisse geirrt habe; wer eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt, muß selbst aufmerksam sein (RG 55, 367). Ein Verstoß wider die guten Sitten liegt jedoch dann in der Benutzung des Irrtums des anderen, wenn der Unterschied des bedungenen Preises und des wirklichen Verkaufswerts ein ganz unverhältnismäßig großer ist, so daß aus seiner bewußten Ausnutzung auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden muß (RG J W 1910, 187 10 ). Wer bei Anmeldung eines Patents objektiv unrichtige Angaben gemacht hat, nutzt den dadurch herbeigeführten Irrtum des Patentamts sittenwidrig aus, wenn- er trotz späterer Kenntniserlangung von der Unrichtigkeit seiner Angaben die Patenterteilung weiter betreibt (RG 140. 184). A n m . 24 ee) T ä u s c h u n g einer Behörde. Sittenwidrig handelt auch derjenige, der durch arglistige Täuschung einer Behörde ein Recht erlangt, durch das andere geschädigt werden. Ein Gewerbeunternehmer haftet nicht schon deshalb aus § 826, weil er bei Errichtung einer für die Nachbargrundstücke gefährlichen und lästigen Anlage die Entwertung dieser Grundstücke mit Sicherheit voraussehen konnte; wohl aber, wenn er die den Gewerbebetrieb zulassende Genehmigung arglistig durch Täuschung der Behörde erschlichen hatte (RG WarnRspr 1914 Nr. 251). Gemäß §826 haftet auf Schadensersatz dem Käufer der Verkäufer, der durch unwahre Angaben über den Käufer die Erteilung der nach V O v. 15. 3. 1918 für einen Grundstückskauf erforderlichen behördlichen Genehmigung arglistig hintertrieben hat (RG 110, 356). Sofern dabei nicht mit unrichtigen Angaben auf eine Täuschung der Behörde hingewirkt wird, ist darin, daß jemand zum Schaden eines anderen sich wegen Beseitigung eines gefahrdrohenden Zustandes an die Polizei wendet, ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht zu finden (RG 135, 308). Veranlassung des Zwangsversteigerungsrichters zum Zuschlag durch einen Irrtum, B G H L M §826 (Gi) Nr. 2; Herbeiführung einer be-
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Unerlaubte Handlungen
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hördlichen Anordnung auf Übertragung eines Handelsgeschäfts durch Täuschung und Ausnutzung politischer Bestimmungen, BGH L M HGB §25 Nr. 1. Wenn das für ein Verfahren allein zuständige Gericht die für die angebliche Sittenwidrigkeit sprechenden Umstände selbst gekannt, sie aber für seine Entscheidung nicht als maßgeblich betrachtet hat, so kann in einem anderen Verfahren nicht mehr vorgetragen werden, das Gericht hätte mit Rücksicht auf diese Umstände anders entscheiden müssen (BGH L M § 826 [Gi] Nr. 2). Die Ausnutzung einer formell ordnungsmäßigen Patenterteilung verstößt gegen die guten Sitten, wenn die Erteilung oder die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Zahlung der Gebühr erschlichen ist (RG 76, 67; 140, 184; B G H L M PatG § 12 Nr. 1). Der Täuschung des Patentamts kommt es gleich, wenn der Anmelder mit Wettbewerbern, welche die Berechtigung eines Patents bestreiten, Vereinbarungen trifft, wonach sie sich des Angriffs gegen das erstrebte Patent enthalten sollen (RG 140, 184, 191). A n m . 25 b) Mitwirkung bei arglistiger Täuschung. Eine Handlung wider die guten Sitten ist es, wenn bei Vertragshandlungen ein Dritter, der nicht Vertragspartei ist, in Unterstützung der einen Vertragspartei den anderen Vertragsteil durch arglistige Täuschung zum Abschlüsse des Vertrags bestimmt (RG 61, 250; 63, 146; R G J W 1929, 3149 1 ), z. B. durch Zuführung eines Kauflustigen durch Makler unter wissentlich falscher Angabe über die Zahlungsfähigkeit (RG WarnRspr 1908 Nr. 49) oder durch falsche Auskunft über die Sicherung eines von einem Dritten nachgesuchten Kredits (BGH WM 1959, 89). Schädigung einer GmbH durch wissentliche Überbewertung der Sacheinlage eines Gesellschafters durch Dritten, R G 84, 332; gesetzliche Vertreter einer J P stellen die Vermögenslage der J P einem Kreditgeber gegenüber falsch dar, R G J W 1908, 149; Rechtsanwalt einer Partei verschweigt bei Verkaufsverhandlungen über ein Grundstück, daß Zwangsversteigerung aus 1. Hypothek bevorsteht, R G J W 1929, 3149. Sachverständiger Berater eines Hausverkäufers verschweigt, daß Schwammarbeiten kürzlich durchgeführt wurden, RG J W 1936, 3310; Ausstellung einer unrichtigen Bescheingung durch Dritte, die Empfänger zur Täuschung eines anderen benutzen will, RG 114, 289; Bestimmung der zu einer beschränkten Ausschreibung aufgeforderten Unternehmer durch einen Mitunternehmer zur Abgabe eines Scheingebotes unter Gewährung einer Abfindung, R G WarnRspr 1908 Nr. 50; Gruchot 52, 1037. Hierher gehört ferner der Fall, daß jemand einen andern zur Eingehung einer Wechselbürgschaft für die Wechselverpflichtung eines Dritten an bestimmter Stelle veranlaßt unter dem Vorgeben, daß er vor ihm als Bürge zeichnen werde und nachdem jener unterzeichnet hat, seine Unterschrift erst hinter ihm abgibt, während an die vordere Stelle eine zahlungsunfähige Person geschoben wird (RG WarnRspr 1908 Nr. 517). Keinen Verstoß wider die guten Sitten bedeutet es, wenn ein Rechtsanwalt bei Vergleichsverhandlungen mit dem Gegner seiner Partei die Vereinbarung eines Sonderhonorars, das ihm diese zugesichert hat, verschweigt (RG 98, 74); dagegen ist es sittenwidrig, wenn ein Rechtsanwalt bei Vertragsverhandlungen dem Gegner der von ihm vertretenen Partei unwahre Tatsachen angibt, oder wahre einer Offenbarungspflicht zuwider verschweigt; R G J W 1929, 3149A n m . 26 c) Verletzung von Vertragspflichten. Die Verletzung bestehender Vertragspflichten verstößt, für sich allein betrachtet, noch nicht gegen die guten Sitten, insbesondere nicht schon bei Fahrlässigkeit (RG H R R 1934 Nr. 1448). Nur darf keine Vertragspartei darauf ausgehen, den Vertragszweck für den anderen Vertragsteil zu vereiteln (RG WarnRspr igog Nr. 89). Ein G e s e l l s c h a f t e r handelt unsittlich, wenn er hinter dem Rücken der übrigen für sich selbst Geschäfte macht und deren Abschluß für die Gesellschaft vereitelt (RG J W 1917, 1046), nicht dagegen, wenn er in Verfolgung seines erlaubten Interesses den Gesellschaftsvertrag rechtsgültig kündigt und dann darauf hinarbeitet, die Lieferanten und Kunden der Gesellschaft an sich allein heranzuziehen (RG J W 1917, 217 5 ). Unerlaubte Veräußerungen des von einem Gesellschafter «j*
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A n m . 26 eingebrachten Patents an Dritte als sittenwidrige Schädigung dieses Gesellschafters s. R G J W 1930, i 7 3 9 3 8 a . Nicht sittenwidrig ist es, wenn ein Gesellschafter einer Gesellschaft m.b.H. nach deren Beendigung ein ihm während ihres Bestehens einwandfrei bekannt gewordenes Geheimnis benutzt, mag auch ein anderer Gesellschafter der geistige Urheber des (urheberrechtlich nicht geschützten) Geheimnisses sein ( R G J W 1939, 45 2 7 ). Ausnutzung oder Verrat von Geschäftsgeheimnissen durch Angestellte, R G 65, 3 3 3 ; R A G 5, 98: bei früheren Angestellten und bei Vertrauensstellung oder heimlicher Beschaffung von Geschäftsgeheimnissen. Sittenwidrige Weiterveräußerung eines nur zu treuen Händen übertragenen Patentrechts Hamburg H R R 1935 Nr. 784. Unsittlich ist der Vertragsbruch eines Treuhänders, der bestellt ist, die Interessen aller Gläubiger zu schützen, und sich als Gläubiger Sondervorteile vom Schuldner ohne Wissen der anderen ausbedingt ( R G 79, 194); Verwendung des Handelsvertreters der Konkurrenzfirma in demselben Absatzgebiet, R G J W 1926, 563; WarnRspr 1926 Nr. 18. Sittenwidrige Vereitelung der vergleichsmäßigen Befriedigung der Gläubiger einer Firma durch Verweigerung der hierfür versprochenen Mittel s. R G D J Z 1933, 499. Unsittlich ist die Verletzung eines durch Gemeinschaft — gemeinschaftlichen Erwerb eines Grundstücks — begründeten Vertrauensverhältnisses durch Sichausbedingen einer Sonderprovision ( R G L Z 1923, 227 1 ). Verkauf eines Hauses an Ehefrau um Kündigungsrecht gegen Mieter zu schaffen, R G L Z 1920, 856; Erwerb eines Grundstücks in der Zwangsversteigerung, um lästigen Mietvertrag zu beenden, R G J W 1927, 1407. Keine Sittenwidrigkeit, wenn Gläubiger wegen des Ausfalls in der Zwangsversteigerung gegen den Schuldner vorgeht, obwohl er das Grundstück unter dem Wert erhalten hat, R G 80, 153. Sittenwidrigkeit, wenn Prozeßpartei eine Zusage verletzt, bis zum Ausgang des Rechtsstreits eine Grundbucheintragung nicht zu beantragen, R G Recht 1924, 15. Unsittlich ist auch die absichtliche Hinausdrängung des Vertragsgegners aus einem von einer Gesellschaft m.b.H. geschlossenen, auf längere Zeit berechneten Reklamevertrages durch Auflösung der bisherigen und Gründung einer neuen Gesellschaft m.b.H. unter den nämlichen Gesellschaftern mit dem gleichen Gesellschaftszweck ( R G 1 1 4 , 68). Mißbrauch der Rechtsform der Gesellschaft m.b.H., um den Gesellschaftern alle Rechte und Vorteile zu erhalten, den Gläubigern aber eine Vollstrekkung unmöglich zu machen s. R G D J 1935, 1303. Sittenwidrig ist es auch, wenn ein Einzelkaufmann eine Gesellschaft m . b . H . nur zu dem Zwecke gründet, u m seine Haftung zu beschränken, Geschäfte mit der Gesellschaft abzuschließen und bei einem Mißerfolg möglichst viel für sich auf Kosten der wirklichen Gläubiger zu retten ( R G J W 1938, 862 1 6 ). Nichtauseinanderhalten des Vermögens einer Einmanngesellschaft und des einen Gesellschafters, Karlsruhe D R 1943, 8 1 1 1 5 ; keine Berufung des auf Rückzahlung von Schmiergeldern belangten Alleingesellschafters auf die Verschiedenheit der Rechtsperson, R G D R 1940, 580 7 ; Haftung der herrschenden Gesellschaft bei Schädigung Dritter durch Vereinbarungen zwischen herrschender und Organgesellschaft vgl. S c h i l l i n g - H a c h e n b u r g GmbH-Ges. § 13 Anm. 7. D i e n s t v e r h ä l t n i s . Vertrauensbruch durch Beamte R G 95, 97. Ein gegen die guten Sitten verstoßender M i ß b r a u c h d e r D i e n s t s t e l l u n g ist es, wenn gewerbliche Angestellte eines gewerblichen Unternehmens w ä h r e n d d e s D i e n s t v e r h ä l t n i s s e s anderen Unternehmern, die mit dem Dienstherrn jener im Wettbewerbverhältnis stehen, über G e s c h ä f t s g e h e i m n i s s e des Unternehmens ihres Dienstherrn (Verfahren, Maschinen, VerarbeitungsstofTe, Bezugsquellen) Mitteilung machen ( R G 65, 333). Mitteilungen über die geschäftlichen Verhältnisse des Unternehmens an eine Organisation der Angestellten zum Zwecke der Beratung der letzteren bei der Stellenbewerbung sind dagegen innerhalb der Grenzen erlaubter Interessenvertretung ebensowenig sittenwidrig wie das Ersuchen um solche Mitteilungen ( R G 92, 132). Nach B e e n d i g u n g d e s D i e n s t v e r h ä l t n i s s e s besteht eine Verpflichtung des Angestellten, Geschäftsgeheimnisse seines früheren Dienstherrn zu bewahren, in der Regel nur, wenn sie vertraglich übernommen ist. Dem Interesse des Betriebsinhabers steht hier das Interesse des früheren Angestellten am eigenen Fortkommen ebenso berechtigt gegenüber, und es ist ihm nicht verwehrt, hierbei, was er in dem Betriebe des früheren Dienstherrn gelernt und erfahren hat, für sich zu benutzen ( R G 65, 3 3 3 ; H R R 1937 Nr. 1 1 8 2 ) . Eine Verpflichtung des früheren Angestellten ist aber anzunehmen, wenn er eine be-
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Anm. 27, 28 sondere Vertrauensstellung einnahm, für die er dementsprechend entlohnt wurde, oder wenn er die Kenntnis der Geheimnisse nicht aus der eigenen Beobachtung des Betriebs erwarb, sondern auf unlauterem Wege hinter dem Rücken des Dienstherrn sich verschaffte ( R G 109, 2 7 2 ; 166, 198; R G M u W 1935, 1 0 7 ; J W 1 9 1 2 , 6 9 7 " ; 1936, 2 0 8 1 ; 1938, 120). Sie kann als Nachwirkung des Dienstverhältnisses, j e nach den Umständen des einzelnen Falles, auch weitergehend aus der g e g e n s e i t i g e n T r e u p f l i c h t zu folgern sein, die das Arbeitsverhältnis grundlegend beherrscht (vgl. D i e t z , Die Pflicht der ehemaligen Beschäftigten zur Verschwiegenheit über Betriebsgeheimnisse in Festschrift für Hedemann 1938 S. 330 fr). — Uber den Einfluß der Bestechung kaufmännischer Angestellter auf die Gültigkeit eines Kaufvertrages s. R G 107, 208.
Anm. 27 D e r G l ä u b i g e r handelt wider die guten Sitten, wenn er, u m d e m S c h u l d n e r b e g r ü n d e t e E i n r e d e n a b z u s c h n e i d e n , gegen eine ausdrückliche Vereinbarung oder auch ohne eine solche, die ihm vom Schuldner gegebenen Wechsel auf dritte gutgläubige Erwerber überträgt ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 386). Noch mehr, wenn der Gläubiger durch eine Reihe ineinandergreifender planmäßiger Handlungen seinem Schuldner selbst den allgemeinen Kredit abschneidet und ihm die Möglichkeit verlegt, ihn, den Gläubiger, zu befriedigen, um in der Zwangsversteigerung die Grundstücke des Schuldners billig an sich zu bringen ( R G 58, 219), oder wenn er sonst durch sein Verhalten die rechtliche oder wirtschaftliche L a g e seines Schuldners zu verschlechtern trachtet ( R G 58, 425). Es ist eine im Bauverkehr nicht seltene hierher gehörige Erscheinung, daß der B a u g e l d g e b e r , wenn der Bau zum größeren Teile fertiggestellt ist, mit seinen weiteren Vertragsleistungen unter nichtigen Vorwänden zurückhält, um das Baugrundstück, für das im unfertigen Bauzustande nur schwer Kauflustige sich finden, zur Zwangsversteigerung und darin an sich zu bringen. Gegen die guten Sitten handelt ferner der V e r m i e t e r , der gegen den Mieter mit einer Räumungsklage vorgeht, nachdem er ihm vorher durch vertragswidrige Weigerung der Zustimmung zu einer Untervermietung außerstand gesetzt hatte, den Mietzins zu zahlen ( R G 22. 1 1 . 1907 I I I 326/07). Sittenwidrig handelt ein M i e t e r , wenn er während der Mietzeit hinter dem Rücken des Vermieters auf die Schankerlaubnis für die von ihm auf dem gemieteten Grundstück betriebene Wirtschaft verzichtet, um eine solche in einem benachbarten Grundstück betreiben zu können ( R G J W 1936, 1829®). N i c h t g e g e n d i e g u t e n S i t t e n handelt ohne hinzukommende andere Tatbestandsmomente der D a r l e h n s g l ä u b i g e r , der die ausgefallene Forderung gegen den persönlichen Schuldner beitreibt, obwohl er selbst das Pfandgrundstück so billig erstanden hat, daß der Mehrwert seine Forderung deckt; denn er handelt in erlaubter Verfolgung eines Rechts ( R G 80, 1 5 3 u . a . ) ; vgl. Anm. 45. K e i n Verstoß wider die guten Sitten ist die Vereitelung des Zustandekommens eines Vertrages, für den ein bindendes Vertragsangebot noch nicht vorlag ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 3). Zwischen Bank und Kunden besteht ein besonderes Vertrauensverhältnis. Die Verletzung der daraus entspringenden Verschwiegenheitspflicht ist allgemein sittenwidrig, R G H R R 1935 Nr. 662.
Anm. 28 d ) Verletzung von A n s p r ü c h e n D r i t t e r . Die zwischen anderen Personen bestehenden persönlichen Schuldverhältnisse können von einem Dritten nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, verletzt werden (vgl. § 823 Anm. 20) und brauchen deshalb in der Regel von ihm nicht beachtet zu werden ( R G Gruchot 5 1 , 987). Daher keine Sittenwidrigkeit bei Bestellung einer Hypothek trotz Kenntnis von einem bereits vorher begründeten Anspruch eines Dritten auf Hypothekenbestellung, R G Gruchot 5 1 , 987; J W 1 9 1 0 , 3 9 0 ' ; keine Sittenwidrigkeit bei Eigentumserwerb trotz Kenntnis früherer Ansprüche eines Dritten auf Eigentumsübertragung, R G 83, 2 3 7 ; J W 1925, 1 7 5 2 8 ; Abschluß eines Bierlieferungsvertrages, obwohl der Abnehmer einer anderen Brauerei gegenüber gebunden ist, R G 78, 14. Dagegen macht ein p l a n m ä ß i g e s Z u s a m m e n w i r k e n des einen V e r t r a g s t e i l s mit e i n e m D r i t t e n z u m S c h a d e n des a n d e r e n V e r t r a g s t e i l s nicht nur den verräterischen Vertragsteil, sondern auch den Drit1327
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
ten gegenüber dem beeinträchtigten Vertragsteile nach § 826 verantwortlich (RG 62, 14072; 83, 237; 88, 361, 365; 90, 350; 91, 170, 178; 108, 58; 147, 136; R G JW 1910, 3907; 1921, 1311 6 ; 1922, 13906; 1925, 1635; 1927, 14072; 1935.3300'; DR 1942, 735 19 ; WarnRspr 1928 Nr. 128; SeuffArch 87 Nr. 70; Gruchot 51, 987; B G H 14, 313, 317). Wer dagegen einwandfrei eine Rechtsposition erlangt hat, darf die Rechte daran auch geltend machen, wenn er erfährt, daß sein Vertragsgegner durch das Einräumen der Rechtsposition einem anderen gegenüber vertragsbrüchig geworden ist und dieser durch die Geltendmachung der Rechte Schaden erleidet ( B G H 14, 313; I LR 236/52 v. 22.1. 1954). Sittenwidrige Vereitelung eines gerichtlich festgestellten Herausgabeanspruchs durch planmäßiges Zusammenwirken des Schuldners und Dritter s. R G JW 1930. 14917; sittenwidrige Aufrechterhaltung des von einem anderen veranlaßten Scheins einer Garantieübernahme durch einen Kaufmann s. R G JW 1932, 3955. Sittlich verwerflich ist der in planmäßigem Zusammenwirken mit einem Wechselgläubiger erfolgte Erwerb von Wechseln, um dem Schuldner Einreden abzuschneiden (RG WarnRspr 1912 Nr. 386); die bloße Kenntnis der Einreden macht den Erwerb nicht sittenwidrig (RG 57 S. 65 u. 391; JW 1908, 151 25 ); s. jetzt aber auch Art. 17 WechselGes. Ebenso handelt sittenwidrig, wer, mag er auch nebenbei eigene erlaubte Zwecke verfolgen, im arglistigen planmäßigen Zusammenwirken mit dem Eigentümer eine Auflassung entgegennimmt, um dadurch diesem einen unliebsamen Veräußerungsvertrag mit einem Dritten beseitigen (RG 62, 137; 83, 237; 88, 366; JW 1922, 13906; 1926, g865; SeuffArch 79 Nr. 139; 86 Nr. 29) oder die Begründung einer Grunddienstbarkeit hintertreiben zu helfen, zu der er sich verpflichtet hatte (RG Gruchot 50, 971); ebenso wer durch hinterlistiges Verhalten den Verkäufer eines Grundstücks veranlaßt, die zur Heilung des Formmangels gemäß § 313 Satz 2 erforderliche Auflassung zu unterlassen, um selbst das Grundstück zu erwerben (RG WarnRspr 1925 Nr. 18). Über den Fall m e h r f a c h e r V e r m i e t u n g derselben Sache s. §535 Anm. 3; Verwertung von Betriebsgeheimnissen durch einen früheren Angestellten in Verbindung mit Dritten, R A G 5, 98; sittenwidrige Maßnahmen eines Erben zur Vereitelung des Anspruchs des Vermächtnisnehmers, R G SeuffArch 87 Nr. 10; über Mitwirkung bei Mißbrauch der Vertretungsmacht vgl. Anm. 31; Gründung einer neuen Gesellschaft durch die Gesellschafter einer GmbH und Auflösung der bisherigen mit demselben Geschäftszweck bestehenden, um langfristige Verträge mit Dritten zu beseitigen, R G 114, 68. Ebenso verstößt gegen die guten Sitten die Übertragung einer Hypothek und deren Annahme durch ein Scheingeschäft zu dem Zwecke, das Recht eines Dritten auf Vorrechtseinräumung zu vereiteln (RG 95, 160). Sittenwidrig handelt gegenüber dem Verkäufer der A b n e h m e r des Käufers, der, wissend, daß der inzwischen zahlungsunfähig gewordene Käufer Fracht und Zoll nicht bezahlen kann, die diesem noch nicht ausgelieferte Ware unter Berechnung des Kaufpreises auf eine Gegenforderung erwirbt und sich unmittelbar vom Frachtführer (Eisenbahnverwaltung) aushändigen läßt (RG JO. 6. 1931 IX 128/31). Sittenwidriges Verhalten eines Dritten, der von einem Wiederverkäufer, der selbst unter Eigentumsvorbehalt gekauft hat, außerhalb des ordnungsmäßigen Geschäftsbetriebes kauft, obwohl er die darin liegende Überschreitung der Veräußerungsermächtigung kennt s. R G HRR 1935 Nr. 1587. Annahme der Ubertragung des Gesamtvermögens eines geschädigten Ehemannes um Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau zu vereiteln (RG 74, 224, 229). A n m . 29 e) Verleitung z u m Vertragsbruch, A u s n u t z u n g des Vertragsbruchs. Die Verleitung zum Vertragsbruch kann insbesondere einen Umstand darstellen, der das Verhalten des Schädigers bei der Verletzung von Ansprüchen Dritter als sittlich besonders verwerflich erscheinen läßt (RG 62, 137; 88, 366; 90, 355; JW 1935, 3300; B G H 12, 308, 318). In der Regel wird allerdings die Verleitung eines Vertragspflichtigen zum Vertragsbruch, z. B. eines Angestellten zur vertragswidrigen Auflösung des Dienstverhältnisses oder eines Verkäufers, die verkaufte Sache einem Dritten nochmals zu verkaufen, nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Es müssen in der Regel besondere Umstände hinzutreten, wie z. B. die Anwendung verwerflicher Mittel, die Absicht reiner Schädigung oder die Verleitung zu Wettbewerbszwecken (RG 81, 86, 91; 83,
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237; 88 > 3 6 6 ; I 0 3> 4 J 9 ; J W 1 9 1 0 , 705 5 ; 1 9 1 3 , 3 2 5 1 0 , 866; 1 9 1 6 , 4 1 3 1 3 ; 1930, 1 2 0 7 " ; 1 9 3 1 , 2 2 3 8 1 0 ; WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 1 8 3 ; 1 9 1 3 Nr. 322; B G H L M U W G § 1 Nr. 33). Verleitung zum Doppelverkauf durch Bieten eines höheren Preises durch den zweiten Käufer und Versprechen der Freistellung von Regreßansprüchen, R G J W 1 9 3 1 , 2238; 108, 5 8 : späterer K ä u f e r haftet auf Herausgabe der Sache an den ersten K ä u f e r ; Verleitung zum Vertragsbruch zu Wettbewerbszwecken, R G 148, 364, 369; B G H L M U W G § 1 Nr. 3 3 ; sittenwidrige Bestimmung des Verkäufers durch den K ä u f e r an ihn unter Umgehung des vom Verkäufer beauftragten Verkaufsmaklers zu verkaufen, R G WarnRspr 1909 Nr. 1 4 2 ; Bestechung des Geschäftsführers eines anderen, er solle seinem Geschäftsherrn Kauflustige abspenstig machen, R G WarnRspr 1909 Nr. 97; Bestechung von Angestellten eines Unternehmens zwecks bevorzugter Zuteilung von Aufträgen, R G 1 6 1 , 229; Verleitung von Angestellten zur Ausnutzung von Geschäftsgeheimnissen, u. Umständen auch von früheren Angestellten, R G 65, 333, 3 3 7 ! Verleitung eines reversgebundenen Einzelhändlers zum Vertragsbruch, um sich auf diese Weise Erzeugnisse eines anderen gegen dessen Willen zu verschaffen, R G H R R 1935 Nr. 6 1 2 ; vgl. Anm. 80. Keine Sittenwidrigkeit bei Verleitung eines Angestellten zu ordnungsmäßiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses, R G J W 1 9 1 6 , 1 1 1 5 4 ; vgl. 1 9 1 7 , 2 1 7 5 . Uber die Bestimmung eines Vertreters zum Mißbrauch seiner Vertretungsmacht vgl. Anm. 3 1 . Auch die Beteiligung an einem Vertragsbruch, insbesondere die Ausnutzung eines Vertragsbruchs, kann beim Vorliegen besonderer Umstände Sittenwidrigkeit begründen, wenn z. B. der Vertragsbrüchige und der Nutznießer dieses Vertragsbruchs dolos zusammenwirken ( B G H N J W 1957, 587). So ist z.B. sittenwidrig der Erwerb eines Grundstücks durch bewußtes und gewolltes Zusammenwirken mit einem anderen, zur Verschaffung des Grundstücks verpflichteten Stellvertreter ( R G J W 1928, 24, 46 1 0 ). Sittenwidrig ist ferner die Beteiligung an der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Verpflichtungen, da es sich gegenüber einem einfachen Vertragsbruch um die Verletzung von Treuepflichten handelt ( B G H 12, 308, 320). Dagegen ist es nicht sittenwidrig, eine einwandfrei erlangte Rechtsposition geltend zu machen, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Vertragsgegner gegenüber einem Dritten dadurch vertragsbrüchig wurde, daß er diese Rechtsposition einräumte ( B G H L M § 826 [Gd] Nr. 3).
A n m . 30 f ) E r w e r b z w e c k s S c h ä d i g u n g e i n e s D r i t t e n . Der Erwerb von Rechten ist dann sittenwidrig, wenn er dazu dient, einen anderen zu schädigen oder Rechte Dritter zu vereiteln. Der Erwerb in Kenntnis des Bestehens von Ansprüchen Dritter oder im Bewußtsein, daß Dritte geschädigt werden, allein genügt nicht. Erwerb eines Grundstücks, um die Forderung eines anderen auf Einräumung eines dinglichen Rechts zu verleiten, R G 62, 1 3 8 ; vgl. 83, 239; Gruchot 50, 9 7 1 ; vgl. J W 1922, 1 3 9 0 ' ; fiduziarische Rechtsübertragung, um Vollstreckungsgegenstände zu entziehen, R G Gruchot 49, 3 5 3 ; Erwerb eines Wechsels, um Einreden abzuschneiden, R G J W 1 9 1 8 , 42; WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 386; Erwerb einer Aktienmehrheit, um einen anderen Großaktionär zu schädigen und kaltzustellen, R G J W 1935, 1 7 7 3 ; Gründung einer G m b H durch Einzelkaufmann zwecks Gläubigerbenachteiligung, R G J W 1938, 862; Erwerb eines Gewerbebetriebes von einem Unterhaltspflichtigen, um diesen zum Schaden des Unterhaltsberechtigten einkommens- und vermögenslos zu machen, B G H L M § 826 (Ge) Nr. 2.
A n m . 31 g ) M i ß b r a u c h d e r V e r t r e t u n g s m a c h t . Mißbrauch der Vertretungsmacht liegt dann vor, wenn auf Grund der rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Vertretungsmacht Geschäfte abgeschlossen werden, für die im Innenverhältnis keine Ermächtigung erteilt ist. Wegen des Mißbrauchs der Vertretungsmacht durch Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, Geschäftsführer und Liquidatoren von Handelsgesellschaften vgl. §§ 294 A k t G , 146 G e n G , 8 1 a GmbHGes. Die wissentlich falsche Darstellung oder die wissentliche Verschleierung der Vermögenslage der Gesellschaften nach diesen Gesetzen enthält, wenn sie zum Zwecke der Täuschung Dritter erfolgt, die der Gesell-
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 32 schaft Kredit gewähren sollen, zugleich eine Zuwiderhandlung gegen § 826, dessen Tatbestand an die engeren Merkmale jener Paragraphen hinsichtlich des Gegenstandes der unwahren Darstellung nicht gebunden ist, und macht die Vertreter den geschädigten Dritten haftbar ( R G J W 1908, 149 2 3 ). Mißbrauch der Vertretungsmacht durch Vertreter ist in der Regel sittenwidrig, und zwar der Mißbrauch der Vollmacht als auch der gesetzlichen Vertretung ( R G 145, 3 1 1 , 3 1 5 ; H R R 1933 Nr. 277, Nr. 992). Verkauf eines Grundstücks durch den zum Verkauf Bevollmächtigten an sich selbst unter Ausnutzung der Geldentwertung, R G SeuffÄrch 81 Nr. 49. Ebenso sittenwidrig ist die Ausnutzung des e r k a n n t e n Mißbrauchs der rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Vertretungsmacht durch Dritte oder die Mitwirkung beim Mißbrauch ( R G 145, 3 1 1 , 3 1 5 ; J W 1 9 2 1 , 1 3 1 1 ; H R R 1929 Nr. 1 7 3 0 ; 1933 Nr. 277, Nr. 992; L Z 1 9 3 1 , 1 1 9 7 ; SeuffÄrch 79 Nr. 1 8 5 ; 81 Nr. 49). Bei fahrlässiger Nichterkenntnis des Mißbrauchs der Vertretungsmacht ist eine an Gewissenlosigkeit grenzende Fahrlässigkeit erforderlich ( R G H R R 1936 Nr. 1 9 1 ; vgl. R G 145, 3 1 1 , 3 1 5 ) . Zusammenwirken eines Vertragsteils mit dem Vertreter eines Anderen, R G J W 1 9 2 1 , 1 3 1 1 ; 1928, 1584 3 0 ; Diskontierung von Wechseln einer A G durch eine Bank in Kenntnis, daß Wechsel von einem Vorstandsmitglied zu persönlichen Zwecken ausgestellt sind, R G J W 1 9 3 1 , 794 3 ; Zusammenwirken einer Bank mit den Direktoren einer im Kontokorrent stehenden A G zum Nachteil der Gesellschaft, R G 1 2 5 , 4 1 1 ; Zahlung des Schuldners an untreue Treuhänder, R G J W 1925, 1685 7 . Auch das Zusammenwirken mit einem s t i l l e n Vertreter kann sittenwidrig sein, wenn es dolos geschieht (Kollusion). Erschleichen eines Grundstücks durch arglistiges Zusammenwirken mit dem zur Beschaffung des Grundstücks verpflichteten stillen Stellvertreter, R G 1928, 2446.
A n m . 32 h ) U r t e i l s m i ß b r a u c h . Vgl. hierzu S c h o t t , D R 1940, 4 1 4 ; 1 9 4 1 , 1035. Die Schadensersatzpflicht wird nach der Rechtsprechung durch ein rechtskräftiges Urteil zugunsten des Schädigers nicht grundsätzlich gehindert. Wegen prozeßrechtlicher Bedenken vgl. R o s e n b e r g Z P O 7. Aufl. § 157, 3—5. a a ) U r t e i l s e r s c h l e i c h u n g . Eine zur Anwendung des § 826 führende Sittenwidrigkeit kann gegeben sein, wenn eine Partei ein Urteil oder die Rechtskraft eines Urteils durch eine rechts- oder sittenwidrige Handlung vorsätzlich im Bewußtsein von der sachlichen Unrichtigkeit eines erstrebten Erfolgs herbeiführt, insbesondere durch Täuschung des Gerichts oder des Prozeßgegners, z. B. durch Benutzung falscher Beweismittel ( R G 46, 75; J W 1926, 1 1 4 8 " ; 1928, 1 8 5 3 2 ; 1 9 3 1 , 3 1 1 2 2 1 ; B G H L M § 8 2 6 [Fa] Nr. 7). Die Möglichkeit, das Urteil mit einer Restitutionsklage anzugreifen, schließt den Schadensersatz nicht aus, wenn es sich um ein erschlichenes Ehescheidungsurteil handelt, durch das der Unterhaltsanspruch der von der Sittenwidrigkeit betroffenen Partei beeinträchtigt wird ( B G H aaO). Abredewidrige Ausnützung eines im Einverständnis herbeigeführten Versäumnisurteils, R G 36, 249; Meineid des Klägers, R G 46, 7 5 ; planmäßiges Zusammenwirken mit Zeugen, R G J W 1926, 1 1 4 8 ® ; falsche Zeugenaussagen, R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 25; vgl. R G 67, 1 5 2 ; B G H L M § 826 (Fa) Nr. 7 ; Täuschung der Sachverständigen, R G WarnRspr 1922 Nr. 4 5 ; Abweisung der Unterhaltsklage gegen unehelichen Vater durch dessen hinterhältiges Verhalten, R G D R 1943, 6 1 7 9 ; Herbeiführung eines falschen Ergebnisses in einem auf Anfechtung der Ehelichkeit gerichteten Prozeß, R G WarnRspr 1935 Nr. 184; Herbeiführung eines Scheidungsurteils in sittenwidriger W e i s e ' und damit verbundene Schädigung des anderen Ehegatten in seinen Unterhaltsansprüchen, R G 75, 2 1 3 ; J W 1 9 1 2 , 37 2 6 ; SeuffÄrch 89 Nr. 167; B G H N J W 1956, 505; L M § 826 (Fa) Nr. 7 ; Erschleichung der öffentlichen Zustellung und Herbeiführung eines Urteils in Kenntnis des Nichtbestehens der eingeklagten Forderung, R G 6 1 , 3 5 9 ; 78, 390; arglistige Zusage, von der Rechtskraft eines Urteils keinen Gebrauch zu machen, R G J W 1938, 1 1 6 8 ; Schadensersatz gegen Ehefrau, die Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes verhindert hat, R G WarnRspr 1935 Nr. 184; über sittenwidriges Zusammenwirken zur Erlangung des Vollstreckungstitels für eine in Wahrheit nicht bestehende Forderung, um dem wirklichen Gläubiger mit einer Pfändung zuvorzukommen s. R G 153, 200; arglistiges
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A n m . 33
Verschweigen einer wesentlichen Tatsache, R G J W 1928, 1853 2 ; WarnRspr 1934 Nr. 1 1 9 . Dem Urteil steht gleich ein Entmündigungsentschluß ( R G WarnRspr 1922 Nr. 46), ferner ein Schiedsspruch ( R G J W 1928, 1853 2 ; H R R 1937 Nr. 1 3 1 4 ) . Arglistige Herbeiführung eines Zuschlagsbeschlusses, R G 69, 277; Erwirkung eines Vollstreckungsbefehls, R G 132, 273; sittenwidrige Erlangung einer einstweiligen Verfügung, R G H R R 1935 Nr. 665; Herbeiführung eines Prozeßvergleichs durch Benutzung falscher Zeugenaussagen, R G 84, 1 3 1 ; SeuffArch 85 Nr. 45; ein bestätigter Zwangsvergleich kann einem Urteil nicht gleichgestellt werden, da die Konkursordnung eine Sonderregelung enthält ( R G 158 Nr. 79; J W 1938, 2543; vgl. H R R 1930 Nr. 6 1 1 ) ; über Anmeldung nicht bestehender Forderung zum Konkurs s. R G Recht 1 9 1 4 , 920; über sittenwidrige Patenterschleichung s. R G 140, 184; R G D R 1941, 1467 2 1 ; Erschleichung der Patentruhe, R G 157, 1 ; J W 1938, 1602 3 1 , 2283 1 8 ; vgl. Anm. 5. Kein Schadensersatzanspruch, wenn die Partei gegenüber dem Gegner ganz offen handelt, und nur den Richter täuscht ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 2 7 3 ; D J 1936, 1657), oder wenn beide Teile an dem Erwirken eines Urteils in sittenwidriger Weise teilgenommen haben ( R G J W 1938, 1262 3 0 ; WarnRspr 1936 Nr. 1 7 5 ; vgl. H R R 1936 Nr. 1219). Dasselbe gilt von der Geltendmachung der Rechte aus einem Vergleich, wenn das Nichtbestehen der dem Vergleich zugrunde liegenden Forderung beim Vergleichsabschluß dem anderen Teil ebenso bekannt war. Die Ursächlichkeit zwischen Arglist und erreichtem Urteil muß der Kläger beweisen. Entscheidend ist hierfür nicht, wie das frühere Gericht ohne das arglistige Verhalten entschieden hätte, sondern wie es bei richtiger Beurteilung nach Ansicht des über den Schadensersatzanspruch erkennenden Gerichts hätte entscheiden müssen ( B G H N J W 1956, 505 = L M §826 [Fa] Nr. 6; vgl. VersR 1958, 526). Der Geschädigte muß so gestellt werden, wie er ohne das sittenwidrige Verhalten des anderen gestanden hätte. E r hat insbesondere einen Anspruch auf Herausgabe des sittenwidrig erwirkten Urteils, sowie auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung, auf Beseitigung der vermögensrechtlichen Folgen aus einem rechtsgestaltenden Urteil. Der Antrag soll nicht auf Unzulässigkeitserklärung der Zwangsvollstreckung gehen, vielmehr dahin den Beklagten zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung zu unterlassen und den Titel herauszugeben ( R G J W 1934, 6 1 3 4 ; 1938, 1 1 6 8 » , 1262; H R R 1936 Nr. 1 2 1 9 ; B G H 13, 7 1 ; N J W 1958, 826; vgl. dagegen R G 155, 55, 56; 156, 265, 271). Anm. 33 bb) Ausnutzung eines unrichtigen U r t e i l s . Fehlt es an einer Urteilserschieichung, so können aus der Vollstreckung eines einwandfrei erlangten Urteils an sich keine Schadensersatzansprüche aus § 826 hergeleitet werden. Die frühere Rechtsprechung lehnte es im Hinblick auf die Bedeutung der Rechtskraft unter Hinweis auf die in der Z P O gegebenen Möglichkeiten zur Beseitigung eines falschen Urteils (§ 580ff Z P O ) ab, in einer derartigen Vollstreckung einen Verstoß gegen die guten Sitten zu sehen ( R G 67, 1 5 1 ; 80, 1 5 3 ; 126, 239; J W 1926, 1 1 4 8 6 ; 1 9 3 1 , 3 1 1 a 2 1 ; WarnRspr 1920 Nr. 1 1 0 ; H R R 1930 Nr. 6 1 1 ; 1937 Nr. 1462). Diese Beurteilung setzt aber die Form über die Sache, wird auch dem Zwecke des § 826 nicht gerecht und kann deshalb, zumal von einer geläuterten Auffassung von Sitte und Recht aus betrachtet, jedenfalls in dieser Angelegenheit nicht aufrecht erhalten werden. Zwischen dem Fall, daß jemand der mehr oder weniger begründeten Ansicht ist, eine von ihm erstrittene Entscheidung treffe nicht das Richtige, und dem anderen Fall, daß eine Partei den Erlaß eines ihr günstigen Urteils durch ein gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten selbst herbeigeführt hat, liegen, wie in R G 155, 55, 60 ausgeführt ist, zahllose Tatbestände, die sich nicht durch eine allgemeine Regel erfassen lassen. Sittenwidrigkeit liegt in diesen Fällen vor, wenn eine Partei das als sachlich unrichtig — nicht verfahrensrechtlich unrichtig — erkannte Urteil vollstreckt oder sonstwie geltend macht, und besondere Umstände bei der Erwirkung des Urteils, bei seiner Vollstreckung oder bei beiden hinzutreten, welche die Ausnutzung eines solchen Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen. Die Rechtsprechung geht hier zum Teil sehr weit,
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§ 826 Anm. 34
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
wenn sie sogar den Fall dazu rechnet, daß das Urteil sich nachträglich als offensichtlich objektiv unzutreffend herausstellt und seine Vollstreckung oder sonstige Geltendmachung für den Betroffenen eine dem allgemeinen Sittlichkeitsempfinden gröblich widersprechende Härte und beim Berechtigten ein unredliches Ausnutzen einer formalen Rechtsposition darstellt (vgl. B G H i, 181, 188; 13, 7 1 ; L M §826 [Fa] Nr. 3; NJW 1951, 759 m. Bespr. R e i n i c k e NJW 1952, 3). Es sind, wenn die Rechtskraft zurücktreten muß, strenge Anforderungen zu stellen (BGH 26, 391, 397). Besondere Umstände können auch darin liegen, daß das Urteil zwar nicht erschlichen wurde (Anm. 32), eine Partei aber irgendwie eine unredliche Handlung vorgenommen hat, ohne daß der ursächliche Zusammenhang zwischen dieser Handlung und dem Urteil nachweisbar ist, es vielmehr nur beim Versuch geblieben ist (RG 155, 55; 156, 265, 270; L e h m a n n J W 1937, 2225; vgl. B G H L M § 826 [Fa] Nr. 8). In jedem Falle muß die Unrichtigkeit des Urteils in sachlicher Hinsicht, nicht in verfahrensrechtlicher Hinsicht feststehen oder von dem Schadensersatz Beanspruchenden nachgewiesen werden; sie muß dem Schädiger bekannt sein (RG 163, 287, 292; B G H 26, 391, 398; L M § 826 [Fa] Nr. 7). B A G NJW 1958, 686). Aus der Rechtsprechung: R G 155, 55; 156, 265 u. 347; 163, 287; 165, 26, 28; 168, r 5 ; J W 1938, 513 2 4 , 1262 30 ; WarnRspr 1941 Nr. 1 1 5 ; RAG 24, 37; D R 1939, 1590 20 ; BGH 13, 7 1 ; 26, 391; NJW 1953, 345; 1958, 826; L M §826 (Gi) Nr. 2; §826 (Fa) Nr. 3; L M ZPO § 322 Nr. 10; K G J W 1937, 2978 15 ; J W 1939, 417, beide Entscheidungen sehr weitgehend. Vereinbarung über Unterhaltspflicht auf Grund eines Ehescheidungsurteils unter Verschweigen des eigenen ehewidrigen Verhaltens ist nicht sittenwidrig, B G H NJW 1953, 345; Vollstreckung aus Unterhaltsurteilen durch uneheliche Kinder, Hamburg J W 1938, 2236 1 3 ; Düsseldorf J W 1939, 417 2 2 ; Einwand der Arglist bei Berufung auf die Rechtskraft eines früheren, die Unterhaltsklage eines unehelichen Kindes abweisenden Urteils, Dresden H R R 1942 Nr. 725. Uber Vollstreckung von übermäßig hohen Zinsansprüchen, die rechtskräftig zuerkannt sind vgl. K G J W !937> i4°5 4 ; J e n a J W 1937, 3331 4 9 ; Breslau J W 1938, 315»; Danzig D R 1942, 1599 7 ; vgl. H e i s e DGWR 1938, 209; R o q u e t t e J W 1937, 1938; H e r s c h e l J W 1937, 679, 1407; B r a u n J W 1937, 3202; K r u p p J W 1938, 3077; B ä s t l i n DJ 1938, 330, 334. Zwangsvollstreckung aus einer vollstreckbaren Urkunde mit nichtiger Verpflichtung (Vaterschaftsanerkenntnis) als sittenwidrig, B G H 1, 181, 186; anders bei Urteil, R G 163, 287; sittenwidrige Ausnutzung eines unrichtigen, nicht erschlichenen Zuschlagsbeschlusses, KG D R 1940, 646 12 ; keine Sittenwidrigkeit der Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil, das der Verurteilte in einer bestimmten, später nicht eingetretenen Erwartung gegen sich hat ergehen lassen (BGH 13, 71). Es besteht kein Anspruch auf Rückgewähr von Zahlungen, die auf Grund eines einwandfrei herbeigeführten rechtskräftigen Urteils geleistet wurden, wenn sich das Urteil auf Grund einer späteren Legaldefinition als unrichtig erweist (BGH L M ZPO § 322 Nr. 10). Anm. 34 i) Gläubigerbenachteiligung aa) Durch Schuldner. Der Schuldner hat nicht die Verpflichtung, nur für seinen Gläubiger zu leben und zu arbeiten. Daher hat es die frühere Rechtsprechung nicht für sittenwidrig erklärt, wenn ein Schuldner, um mit seiner Familie leben zu können, in einem Einstellungsvertrag die Entlohnung für künftige Dienste sich in der Weise hat versprechen lassen, daß ein kleiner Gehaltsbetrag ihm bezahlt wird, daneben eine größere Leistung an seine Ehefrau gemacht wird, sofern diese Leistung den Verhältnissen der Ehegatten angepaßt ist (1500 Mark-Vertrag; R G 69, 59; 81, 4 1 ; J W 1912, 689 13 ); ebenso auch nicht ohne weiteres, wenn ein Schuldner sein Geschäft auf seine Ehefrau überträgt und ihr in dem Geschäfte seine Dienste unentgeltlich zu widmen sich verpflichtet (RG 67, 169; vgl. Dresden D J 1937, 5 1 3 ; s. auch Köln D J 1935, 1194 u n d Breslau H R R 1936 Nr. 1215). Diese Auffassung bedarf der Einschränkung, insbesondere da, wo dem Schuldner ein Gläubiger mit gesetzlichen Unterhaltsansprüchen, wie etwa ein uneheliches Kind, gegenübersteht (vgl. auch RAG 14, 107, i i 2 f ; ferner R G 155, 327, 330; DJ 1937, 1581 m. Anm. K r a u s e ZAk D R 1938, 27; R A G WarnRspr 1932 Nr. g6; 1935 Nr. 99: unentgeltliche Beschäftigung in einem Bauernhof). Die 1332
§826
Unerlaubte Handlungen
A n m . 35
Anwendung des § 826 hat durch die Einführung der jetzt in § 850 Z P O enthaltenen Regelung sehr an Bedeutung verloren. Gegen die guten Sitten verstößt es auch, wenn der Schuldner das v o r h a n d e n e H a b und Gut durch treuhänderische Veräußerungsgeschäfte in nach außen nicht erkennbarer Weise an Dritte als Vertreter überträgt und übereignet, um es den Gläubigern zu entziehen ( R G 74, 224; J W 1904, 49g 3 2 ; 1 9 1 1 S. 324 1 8 , 576 1 0 , 650 2 2 ; 1 9 1 3 , 3 1 8 4 ; WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 155). Zur Frage der Sittenwidrigkeit, wenn geschiedener Ehemann seiner neuen Ehefrau sein Geschäft überträgt und sich von ihr als Angestellter beschäftigen läßt, R G 67, 169; SeufFArch 77 Nr. 6; H R R 1931 Nr. 9; WarnRspr 1932 Nr. 9 3 ; D R 1939, 1 0 8 1 ; J W 1925, 1889; vgl. § 4 3 3 Anm. 4 3 ; B G H W M 1958, 168; Betreibung eines Unternehmers unter einer wechselnden Rechtsreform bei Beibehaltung der wirtschaftlichen Inhaberschaft zur Verhinderung der zwangsweisen Deckung der aus dem bisherigen Betrieb herrührenden Schulden, R G H R R 1933 Nr. 299; Mißbrauch der Rechtsform einer G m b H , R G J W 1938, 862; K G D J 1935, 303; Zusammenwirken der Ehefrau mit Erzeuger eines unehelichen Kindes zur Vereitelung von Unterhaltsansprüchen, R A G J W 1932, 2747; Sittenwidrigkeit durch Aufhebung der Gütergemeinschaft und Vereinbarung der Gütertrennung unter Übertragung des Vermögens auf die Ehefrau, R G WarnRspr 1936 Nr. 23. Eine Benachteiligung der Gläubiger liegt auch dann vor, wenn eine Ehefrau ihren Geschäftsgewinn, der das Ergebnis der Arbeitskraft ihres Ehemannes darstellt, seinen alten Gläubigern vorenthält ( R G WarnRspr 1939 Nr. 886). Zur Frage der Sittenwidrigkeit bei Übertragung eines zusammengebrochenen Geschäfts vom Ehemann auf seine Frau mit Schadensersatzpflicht der Frau gegenüber den Altgläubigern des Mannes s. R G H R R 1939 Nr. 886. Haftung eines Dritten, wenn Unterhaltspflichtiger seinen Geschäftsbetrieb diesem überträgt und sich dadurch vermögensund einkommenslos macht, B G H L M § 826 (Ge) Nr. 2.
A n m . 35 bb) Gläubigerbenachteiligung
durch andere
Gläubiger,
insbesondere
K r e d i t s i c h e r u n g s V e r t r ä g e . Wie bereits ausgeführt (vgl. Anm. 10), verstößt die Verfolgung eines eigenen Rechts oder Interesses grundsätzlich nicht deshalb gegen die guten Sitten, weil dadurch einem anderen Schaden zugefügt wird. Deshalb sind Maßnahmen eines Gläubigers zu seiner Sicherung, hauptsächlich Sicherungsübereignung und -abtretung an sich nicht sittenwidrig ( R G 143, 48, 5 1 ; B G H ig, 1 2 , 1 6 ; W M 1956, 987). Sie mögen zur Gläubigeranfechtung führen, begründen aber noch keinen Schadensersatzanspruch aus § 8 2 6 ( R G WarnRspr i g i 8 Nr. 1; L Z i g i 7 , 1070 1 4 , 1 2 5 4 9 ; B G H Betrieb 1958, 1 2 1 6 ) . Als unsittlich ist das Verhalten eines Gläubigers, der sich eine Kreditsicherung geben läßt, in der Regel dann nicht zu erachten, wenn die Sicherheit in angemessenem Verhältnis zur Höhe des gewährten Kredits steht und dem Schuldner soviel Bewegungsfreiheit bleibt, daß er, wenn nicht besondere Umstände eintreten, seinen Betrieb ohne Schädigung anderer fortführen und seine Verbindlichkeiten, sei es auch mit Hilfe eines Kredits, decken kann, und wenn auch der Sicherungsnehmer auf das redliche Verhalten des Schuldners gegenüber seinen anderen Gläubigern vertrauen darf ( R G H R R i g 3 i Nr. 1 3 0 g ; B G H M D R 1956, 4 1 7 ) . Eine Kreditsicherung ist insbesondere dann nicht sittenwidrig, wenn der Schuldner mit Hilfe des neu aufgenommenen Kredits sein Geschäft fortführen und diejenigen Gläubiger befriedigen kann, die im Zusammenhang mit Geschäftsaufträgen Forderungen erwerben ( B G H 20, 43, 5 1 ; W M 1956, 283; 1958, 5go). Nicht sittenwidrig ist auch eine weitgehende Sicherung, wenn der Kredit zur Umstellung auf eine neue Produktion gegeben wurde ( B G H Betrieb 1958, 1007). Ein Gläubiger, der nach einwandfrei geschlossenen Verträgen einen Anspruch auf die vom Schuldner angebotene Leistung hat, ist in der Regel nicht gehindert, die Leistung entgegenzunehmen, selbst wenn damit der Zusammenbruch des Schuldners und die Schädigung anderer Gläubiger unvermeidbar wird ( B G H L M 138 [Bb] Nr. 5 ; W M 1956, 1 1 7 8 ; 1959, 1 1 5 ) . E r darf aber, um eine Befriedigung seiner Forderung aus anderen Geschäften zu erlangen, keine Waren vom Schuldner kaufen, wenn er damit rechnet, daß sie auf Kredit bezogen sind und von dem Schuldner nicht bezahlt werden können ( B G H N J W 1957, 587). Es ist auch nicht sittenwidrig, wenn
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§ 826 A n m . 35
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
eine Bank, die einem U n t e r n e h m e r gegen angemessene Sicherungen einen K r e d i t zur A u f n a h m e oder Erweiterung der Produktion einräumt, eine unvorhergesehene Erweiterung des Kredits ablehnt, selbt wenn infolgedessen andere Lieferfirmen mit ihren Forderungen ausfallen ( B G H M D R 1956, 473). Es müssen bei diesen an sich rechtlich erlaubten u n d wirtschaftlich nicht zu entbehrenden Geschäften besondere U m s t ä n d e hinzukommen, u m ihnen d e n Stempel der Sittenwidrigkeit aufzudrücken ( R G 143, 48, 5 1 ; W a r n R s p r 1935 Nr. 36). Dies gilt auch in Ausnahmefällen, in denen die Sicherung in einem rechtlich nicht zu b e a n standenden f r ü h e r e n V e r t r a g versprochen w u r d e ( B G H W M 1959, 1 1 5 ) . Die Rechtsprechung h a t eine Reihe von einzelnen T a t b e s t ä n d e n aufgestellt (vgl. unten), bei denen eine Sittenwidrigkeit in der Regel vorliegt. Es gibt aber keine erschöpfenden allgemeinen Regeln hierfür. Die Frage k a n n n u r auf G r u n d einer z u s a m m e n fassenden Gesamtwürdigung des Einzelfalles unter Berücksichtigung aller U m s t ä n d e , insbesondere der Absicht, der Beweggründe der Parteien u n d der objektiven V e r h ä l t nisse entschieden werden ( R G 136, 247, 253; 143, 48, 5 1 ; J W 1935, 2886"; H R R 1935 N r . 1306; W a r n R s p r 1939 Nr. 143; SeufFArch 88 Nr. 1 1 7 ; B G H 10, 228, 232; N J W I954> 673; 1272; 1956, 417 m - A n m - von C a e m m e r e r J Z 1956, 97; Betrieb 1958, 220, 1007; L M A n f G § 3 Nr. 1; W M 1955, 402; 1956, 283; 1958, 249, 590, 1082). E n t scheidend ist nicht allein der U m f a n g der Sicherungsübereignung, die d e n Schuldner seiner geschäftlichen Selbständigkeit b e r a u b t . Deshalb erfüllt z. B. ein Knebelungsvertrag nicht den T a t b e s t a n d des § 826, d e n n d a d u r c h wird noch kein Gläubiger geschädigt ( R G 143, 48, 52). Ausschlaggebend ist u. a. die notwendige, a n d e r e Gläubiger über die wirkliche Geschäfts- u n d Kreditlage des Schuldners täuschende Geheimhaltung, die diese Sittenwidrigkeit begründet. Z u den sittenwidrigen Geschäften gehört in der Regel: Die K o n k u r s v e r s c h l e p p u n g d u r c h A b h a l t u n g des Schuldners von d e m d u r c h die Verhältnisse gebotenen alsbaldigen A n t r a g auf Konkurseröffnung d u r c h G e w ä h r u n g eines f ü r die Gesundung des Schuldners offenbar unzulänglichen u n d n u r zur Verlängerung seines wirtschaftlichen Todeskampfes geeigneten Kredits ( B G H N J W 1956, 4 1 7 ; L M § 138 [Gb] Nr. 11; W M 1955, 1580, 1667; Betrieb 1958, 220). Die s t i l l e I n h a b e r s c h a f t des Kreditgebers d u r c h Erniedrigung des Schuldners in der Weise, d a ß er n u r noch S t r o h m a n n ist, er lediglich den Verlust des Geschäfts trägt ( R G H R R 1933 N r . 1845). U b e r e i g n u n g aller Vermögensstücke einschließlich aller gegenwärtigen u n d zukünftigen Forderungen u n d Wegfall j e d e r eigenen wirtschaftlichen u n d kaufmännischen Entschließungsfreiheit, B G H W M 1959, 1 1 5 . Die ü b e r m ä ß i g e Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit, die K n e b e l u n g d u r c h M i ß b r a u c h einer wirtschaftlichen Machtstellung des Kreditgebers ( B G H 7, 111; N J W 1955, 1 2 7 2 ; W M 1955, 4 0 2 , 9 1 4 , 1586, 1667; 1958, 590), insbes. die A u s s a u g u n g d u r c h Einengung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit in der Weise, d a ß das Geschäft des Schuldners z u m Schaden anderer Gläubiger z u m Konkurs getrieben wird (vgl. R G 143, 48, 52; H R R 1931 N r . 2 1 5 ; B G H 19, 1 2 ; N J W 1955, 1 2 7 2 ; 1956, 4 1 7 ; M D R 1956, 473; W M 1955, 1580, 1667; 1958, 249; Betrieb 1958, 220. K r e d i t b e t r u g , Kredittäuschung d u r c h Bestimmung Dritter — allein oder zusammen mit d e m Schuldner — zur K r e d i t g e w ä h r u n g u n t e r arglistiger T ä u s c h u n g ü b e r Kreditunwürdigkeit des Schuldners ( R G 133, 234; 136, 293, 295; B G H 10, 228, 2 3 3 ; 19, 12, 17; L M § 138 [Cb] N r . 5, 11; W M 1956, 985; 1958, 249, 590; 1959, 116; Betrieb 1958, 220). Die nicht allzu naheliegende Möglichkeit einer T ä u s c h u n g u n d Schädigung reicht zur Sittenwidrigkeit nicht aus, wenn die Kreditgeberin auf G r u n d einer sachlichen u n d sorgfältigen P r ü f u n g der Lage des Schuldners u n d der Geschäftsaussichten ü b e r zeugt war, ein Sanierungsverfahren w e r d e Erfolg h a b e n ( L M § 138 [Cb] Nr. 11). Der Sicherungsgeber m u ß aber in der Regel, wenn er einen Kredit gegen Sicherung gewährt, die Lage des U n t e r n e h m e r s u n d dessen künftige Betriebsaussichten dahin prüfen, o b das V o r h a b e n f ü r den U n t e r n e h m e r wirtschaftlich t r a g b a r ist ( B G H 20, 43, 51; N J W 1956, 585; L M § 138 [Cb] Nr. 11). G l ä u b i g e r g e f ä h r d u n g , wenn die ausbedungene Sicherheit d u r c h ihren U m f a n g u n d ihre Undurchsichtigkeit die Gefahr mit sich bringt, d a ß — ohne K r e d i t b e t r u g —• nichts erkennende Gläubiger zu Schaden kommen ( R G J W 1935, 2886; B G H 10,
1334
Unerlaubte Handlungen
§826
Anm. 36, 37
228 m. Anm. B a r k h a u s e n N J W 1953, 1665 und M e y e r - C o r d i n g J Z 1953, 665; B G H 20, 4 3 ; J Z 1 9 5 1 , 686; M D R 1 9 5 1 , 604; N J W 1955, 1272 u. 1956, 4 1 7 m. Anm. B a r k h a u s e n und von C a e m m e r e r J Z 1956, 97; W M 1955, 1580; 1956, 283; 1959, 1 1 5 ; Betrieb 1958, 220). So kann ein Vertrag, durch den Aufträge eines Unternehmers gegen sicherungsweise Vorausabtretung der Werklohnansprüche vorfinanziert werden, sittenwidrig sein, wenn der Gläubiger nicht berücksichtigt, daß nach der Person des Unternehmers und den sonstigen Umständen Zweifel daran bestehen, daß der Unternehmer seinen Verpflichtungen nachkommt ( B G H 20, 4 3 ; N J W 1955, 1 2 7 2 ; Betrieb 1958, 220). Subjektiv muß der Gläubiger mindestens den bedingten Willen zur Schadenszufügung haben. Die mangelnde Unterrichtung über die wirtschaftlichen Verhältnisse kann sittenwidrig sein (vgl. Anm. 15), wenn sich der Kreditgeber aus grober Fahrlässigkeit der Erkenntnis verschließt, daß hierdurch Dritte Schaden erleiden ( L M § 138 [Cb] Nr. 1 1 ; W M 1956, 283, 985), aber sie ersetzt den Vorsatz nicht ( R G 143, 48, 5 2 ; B G H 10, 228, 233). E i n e A b s i c h t d e r G l ä u b i g e r b e n a c h t e i l i g u n g seitens desjenigen, zu dessen Gunsten eine Sicherung erfolgt, ist nicht erforderlich. Es genügt das Bewußtsein der Möglichkeit einer solchen Schädigung ( R G J W 1930, 2927®; WarnR s p r 1 9 3 1 Nr. 1 1 8 ; 1934 Nr. 188). Als Beispiel für eine sehr weitgehende Bejahung des bedingten Vorsatzes vgl. B G H N J W 1956, 4 1 7 m. Anm. von C a e m m e r e r J Z 1956,97). Zur Verpflichtung des Sicherungsnehmers, bei späterer Erkenntnis der schlechten Vermögenslage des Schuldners auf diesen einzuwirken, seine Gläubiger hiervon zu unterrichten und zur Benachrichtigungspflicht gegenüber den anderen Gläubigern vgl. R G 143, 48, 56; H R R 1933 Nr. 1845; WarnRspr 1933 Nr. 75; J W 1934, 4 7 5 ; SeuffArch 88 Nr. 1 1 7 . Die Rechtsfolgen — U m f a n g des Schadens und Kreis der betroffenen Personen, Altoder Neugläubiger — sind j e nach den im einzelnen verwirklichten Tatbeständen verschieden ( R G 136, 247, 254; 143, 48, 5 3 ; J W 1934, 475; SeuffArch 88 Nr. 1 1 7 ; vgl. B G H N J W 1956, 4 1 7 ) .
Anm. 36 c c ) V e r h ä l t n i s zu § 1 3 8 . Das Vorliegen eines Sittenverstoßes allein gegenüber dem Schuldner erfüllt noch nicht den Tatbestand des § 826, wohl aber des § 1 3 8 ( R G 136, 247, 253 u. 293, 295). Die Frage, ob Sicherungsverträge nach § 138 nichtig sind, ist daher von der anders liegenden Frage zu trennen, ob die etwa geschädigten Gläubiger einen Schadensersatzanspruch nach §826 haben ( B G H 10, 232). Sittenwidrigkeit nach § 138 kann schon gegeben sein, wenn z. B. hinsichtlich der Gläubigergefährdung grobe Fahrlässigkeit (Gewissenlosigkeit) vorliegt. So ist nach den Umständen des Einzelfalles z. B. das Unterlassen der Nachprüfung der Vermögensverhältnisse des Schuldners sittenwidrig ( R G 143, 48, 5 2 ; B G H 10, 228, 234; N J W 1953, 1665; 1955, 1 2 7 2 ; 1956, 4 1 7 , 585). Dagegen gehört zum subjektiven Tatbestand des § 826 zumindest bedingter Vorsatz. Soweit nicht mehr vorliegt als ein Sachverhalt, der den Tatbestand der Anfechtung nach § 3 A n f G erfüllt, ergibt sich nur die Rechtsfolge der Anfechtung und nicht daneben die Nichtigkeit nach § 138 oder eine Schadensersatzpflicht aus u. H. ( B G H Betrieb 1958, 1 2 1 6 ; W M 1959, 1 1 6 ) . Der Gläubiger muß sich vielmehr über den Anfechtungstatbestand hinaus eines weiteren sittenwidrigenVerhaltens gegenüber den übrigen Gläubigern seines Vertragspartners schuldig gemacht haben ( B G H BB 1954, 1 7 2 ; Betrieb 1956, 1 1 7 8 ; L M § 826 [Ge] Nr. 2; W M 1956, 283; 1958, 109, 590, 895).
Anm. 37 3. Mißbräuchliche Berufung auf ein Recht a ) A l l g e m e i n e s . Die Berufung auf ein G e s e t z verstößt grundsätzlich nicht gegen die guten Sitten (vgl. E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 236 I I I , 2 ; ferner Anm. 10). Wegen des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung auf Grund § 242, der hier im allgemeinen ausreicht, vgl. Anm. 3. Zulässig ist daher die Berufung auf Mängel der gesetzlichen Form ( R G 82, 199; 96, 3 1 5 ) , oder der vereinbarten Form ( R G 58, 2 1 4 ; WarnRspr. 1909 Nr. 537).
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§ 826 Anm. 38
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Nicht sittenwidrig ist daher der Wechsel des Rechtsstandpunkts bei Verfolgung der Rechte auch bei Benachteiligung des Gegners, R G J W 1906, 15 1 3 ; WarnRspr 1909 Nr. 451; Geltendmachung von Ansprüchen, auf die in einem nach § 138 nichtigen Rechtsgeschäft verzichtet wurde, R G WarnRspr 1914 Nr. 273; vgl. WarnRspr 1917 Nr. 16; die Geltendmachung einer einwandfrei erlangten Rechtsposition trotz nachträglich erlangter Kenntnis, daß der Vertragsgegner, der diese Rechtsposition einräumt, einem anderen gegenüber vertragsbrüchig geworden ist, B G H L M § 826 (Gd) Nr. 3; die Einräumung einer Darlehnssicherung auf einem Grundstück des Schuldners, obwohl der Gläubiger nach der Vereinbarung über die Bewilligung der Sicherung erfährt, daß das Grundstück vom Schuldner mit Mitteln erworben wurde, die aus einer strafbaren Handlung herrühren, BGH NJW 1955, 586 = L M § 826 (Gd) Nr. 5. Ebensowenig wie die Berufung auf das Gesetz begründet die Ausübung von V e r t r a g s r e c h t e n einen Verstoß gegen die guten Sitten. Ein solcher liegt nur bei ganz besonderen Umständen vor ( R G J W 1930, 831 2 4 ). Wer sich einem Vertrag unterworfen hat, der ihm Opfer auferlegt, und ihn Schädigungen aussetzt, hat diese Wirkung selbst gewollt, ( R G 81, 4; 88, 406). Daher liegt keine Sittenwidrigkeit vor, wenn der Käufer die Aushändigung eines durch Versehen des Verkäufers zu billig erstandenen Gegenstandes fordert ( R G L Z 1926, 1063 1 ). Mißbrauch des vertraglichen Rechts zur Kündigung eines Dienstverhältnisses als Verstoß gegen die guten Sitten, R G SeufTArch 87 Nr. 26; R A G 16, 202; vgl. R A G D R 1940, 2271; ArbRSlg 41, 320; 325; 43, 119, 124 u. 251, 253; L A G Bremen BB 1952, 521. Die allgemeinen Lehren über Sittenwidrigkeit werden hier insbes. zur Anwendung kommen, wenn es sich um Dienstverhältnisse handelt, für die kein Kündigungsschutz nach Arbeitsrecht besteht. Die Sittenwidrigkeit kann sich aus Motiv oder Zweck der Kündigung ergeben (vgl. Nikis ch Arbeitsrecht 2. Aufl. §48 IV). Sittenwidrig ist auch die Kettenkündigung, d . h . die wiederholte Kündigung und Wiedereinstellung zwecks Umgehung von Kündigungsschutzbestimmungen ( R A G J W 1937, 1 1 7 3 ; .1938, 1979; vgl. N i k i s c h aaO § 47 I I 3c). Sittenwidrig ist die Kündigung zur Vereitelung des Ruhegeldanspruchs ( R A G D R 1940, 141). Anm. 38 b) Treuwidriger Erwerb oder treuwidrige Geltendmachung. Sittenwidrig ist die Berufung auf ein Recht jedoch, wenn es dem anderen gegenüber treuwidrig erworben wurde, oder wenn sich die Geltendmachung mit Rücksicht auf ein früheres Verhalten als treuwidrig darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt wurde als sittenwidrig betrachtet die Geltendmachung eines Formmangels, wenn der eine Teil absichtlich den Abschluß des Vertrages in der gehörigen Form verhindert (RG 96, 315), wenn der Gegner den Irrtum über die Bedeutung der Form mindestens fahrlässig hervorgerufen hat (RG 117, 1 2 1 , 124), wenn er mit der Berufung auf Formmängel eine Haltung einnimmt, die mit seinem früheren Verhalten nicht vereinbar ist (RG 153, 59, 60), wenn es überhaupt den Bestimmungen der Parteien und den gesamten Umständen nach Treu und Glauben widersprechen würde, Ansprüche an einem Formmangel scheitern zu lassen (BGH 12, 286, 304; 16, 334; 23, 249; L M § 3 1 3 Nr. 13). Unter dem Gesichtspunkt des treuwidrigen Erwerbs oder der treuwidrigen Geltendmachung kann die Berufung auf Verjährung versagt sein (RG 144, 3 8 1 ; vgl. §222 Anm. 12—19). Ebenso leitet sich daraus der Einwand der Verwirkung ab. Sittenwidrig ist der wiederholte Wechsel der Rechtsform eines Unternehmens, um alte Gläubiger um die Befriedigung ihrer Forderung aus späteren Einnahmen zu bringen, R G H R R 1933 Nr. 299; Versuch der Entziehung der Erfüllung einer Verpflichtung über § 139 bei Nichtigkeit der dafür bestellten Sicherheit, R G J W 1916, 390 1 ; Einklagung eines Wechsels, der in der Absicht erworben ist, Einreden abzuschneiden, R G 56, 3 1 7 ; Gründung einer GmbH durch Einzelkaufmann, um Gläubiger zu schädigen, R G J W 1938, 862; Auswahl einer Firma in der Absicht, mit anderen älteren Firmen Verwechslungen herbeizuführen, BGH 4, 96; Geltendmachung einer unbegründeten Forderung trotz guten Glaubens des Fordernden an sein Recht, wenn der Erwerb der Forderung sittenwidrig war, ihre Geltendmachung also nur die Fortsetzung des früheren sittenwidrigen Verhaltens bildete, R G J W 1932, 938®; Gläubiger läßt sich einen Geldbetrag durch Überweisung bezahlen, von dem er weiß, daß der Zahlende ihn unrecht1336
Unerlaubte Handlungen mäßig erworben hat; daß ihm das ihn gegen die Eigentumsklage, darf Sicherheit zu bringen, R G 94, 1 9 1 ; liches Recht durchzusetzen, ist nicht
§826 Anm. 39—41
Geld nicht körperlich übergeben wurde, schützt ihm jedoch nicht dazu verhelfen, seine Beute in die Erhebung einer K l a g e allein, um vermeintsittenwidrig ( B G H 20, 169).
Anm. 39 c) Ausnutzung einer formalen Rechtslage. Sittenwidrig ist die Ausnützung
einer formalen Rechtslage, um einen anderen ohne berechtigte eigene Interessen zu schädigen (vgl. Anm. 1 0 ; E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 236 I I I 2d). Der Sachverhalt fällt teilweise bereits unter die Verletzung von Vertragspflichten (vgl. Anm. 26). § 826 greift gerade dann ein, wenn die an sich berechtigte Ausübung eines Rechts im Einzelfalle gegen das Anstandsgefühl verstößt und sich als sittenwidriger Mißbrauch einer formalen Rechtsstellung darstellt ( B G H Betrieb 1956, 986). Hierher gehört u. a. der Mißbrauch der erloschenen Vollmacht, die Verfügungsmöglichkeit des Zedenten, der Verkauf einer bereits verkauften Sache ( R G 108, 58), der Abschluß eines Tauschvertrages zur Umgehung eines Vorkaufsrechts ( R G 88, 3 6 1 , 365). Zeichnung eines Bürgschaftsscheins in persönlichen Angelegenheiten mit der Firma einer O H G , R G 58, 3 5 6 ; Auflösung einer Gesellschaft und Gründung einer neuen Gesellschaft mit denselben Beteiligten und denselben Gegenständen, um Dritten um sein Recht aus einem Vertrag mit der Gesellschaft zu bringen, R G 1 1 4 , 68, 7 1 ; H R R 1933 Nr. 2gg; Mißbrauch der Ausnutzung der Verschiedenheit der Rechtsstellung von Einmannaktionär und A G , R G D R 1939, 1083; Ausnützung eines im Ausland nebenher begründeten Wohnsitzes und der dortigen anders gearteten Gesetzgebung zur Herbeiführung einer nach deutschem Recht nicht möglichen Scheidung ( R G 157, 1 3 6 ; H R R 1935 Nr. 1 3 8 1 ) ; bewußte Ausnutzung der schwächeren L a g e eines anderen zur Erzielung übermäßiger Gewinne, R G 150, 1 , 5 ; mit den Geschäftsbedingungen zu vereinbarende, jedoch der bei der Ubergabe angegebenen Zweckbestimmung zuwiderlaufenden Verwendung eines Schecks durch eine Sparkasse, um bei ihr vorhandenes Debet des Scheckeinreichers abzudecken, B G H Betrieb 1956, 986. Organisierter Austausch von Wechselakzepten (Finanzwechsel) zum Zwecke der Kreditbeschaffung unter Einschaltung eines gewerbsmäßigen Vermittlers, dem die Prüfung der Kreditwürdigkeit der Partner ohne eigene Verantwortung überlassen bleibt, B G H 27, 172. In dem Handeln eines Gläubigers, der die ihm versprochene Leistung entgegennimmt, liegt in der Regel nichts Sittenwidriges, selbst wenn andere Gläubiger dadurch leer ausgehen, B G H 19, 12, 1 6 ; W M 1959, 1 1 5 .
Anm. 40 d) Mißbrauch des Eigentums und anderer ausschließlicher Rechte. Eine Haftung aus § 826 — wegen der Unzulässigkeit der Rechtsausübung schon nach § 242, vgl. Anm. 3 ; R G 1 5 5 , 154, 159 — wird auch durch den Mißbrauch des Eigentums oder anderer ausschließlicher Rechte eines Dritten begründet. Sittenwidrig ist: Bewußte Schädigung der Nachbarn durch Bordellbetrieb im eigenen Hause, R G 57, 239, 2 4 1 ; WarnRspr 1908 Nr. 3 1 2 ; Entziehung von Licht und L u f t f ü r den Nachbarn in Schädigungsabsicht, R G 98, 1 5 ; sittenwidrige Entfernung eines Grabsteins durch den Eigentümer, München SeuffArch 82 Nr. 1 7 2 ; Verkaufeines Hauses an Ehegatten zwecks Schaffung eines Kündigungsrechts, R G L Z 1920, 856; vgl. L Z 1924, 8 1 8 ; Grundstückserwerb in der Zwangsversteigerung, um Mietverträge zu beendigen, R G J W 1927, 1407; sittenwidrige Geltendmachung eines Eigentumherausgabeanspruchs, R G H R R 1934 Nr. 1024. Nicht sittenwidrig ist: Verkauf einer Pfandsache durch Pfandgläubiger, um Dritten zum Erwerb einer Sache zu verhelfen, R G 98, 70; Bekanntgabe des Planes über Herausgabe eines Werkes nach Ablauf der Schutzdauer an die Sortimentsbuchhändler, R G 107, 277.
Anm. 41 Mißbrauch eines Warenzeichens, einer Ausstattung einer Firma und des Namens. Unlautere Ausnutzung eines Warenzeichens fällt unter § 826 (RG 106, 250, 254; J W 1927, 1569). Sittenwidrig ist der Erwerb eines Warenzeichens nur in der
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§ 826
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 42—44 Absicht, andere von der Benutzung auszuschließen, soweit kein schutzwürdiges Interesse besteht. Durch die Benutzung von V o r r a t s z e i c h e n darf keine unangemessene und überwiegende Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs stattfinden. Es muß die Absicht der Benutzung in angemessener Zeit verwirklicht werden ( R G 97, 90; 106,
25°. 254; i n , 192, 195; BGH GRUR 1953, 486).
Bei der Verfolgung von Defensivzeichen oder der Abwehr von Zeichenverletzungen findet das normale Zeichenrecht seine Schranken an den Grenzen des lauteren Wettbewerbs und der guten Sitten, es muß dem Inhaber ein schutzwürdiges Interesse zur Seite stehen. Sittenwidrigkeit liegt daher vor, wenn der Inhaber eines solchen Zeichens lange Zeit nichts gegen die ihm bekannte Benutzung eines verwechslungsfähigen Zeichens unternimmt ( R G 1 1 4 , 360, 3 6 3 ; J W 1929, 1206; 1927, 1569, 1 5 7 0 ; 1937, 1905 1 6 ). Die mit vorsätzlicher Schädigung anderer verbundene Benutzung von an sich gesetzmäßig erworbenen Warenzeichen zum Zwecke der Täuschung über Herkunft oder Beschaffenheit der Ware ist sittenwidrig ( R G 8 1 , 3 3 0 ; 85, 1 9 7 ; 106, 250: Schutz des Ausstattungsberechtigten gegen eingetragenes Warenzeichen; vgl. R G WarnRspr 1909 Nr. 40; J W 1925, 2759 3 ). Aus Täuschungszwecken erfolgte Auffrischung von Warenzeichen auf auflackierter Nähmaschine, die als neu in den Verkehr gebracht wird, R G 103, 367. Die planmäßige Entwicklung eines Warenzeichens zu einer bestimmten Marke mit der daraus folgenden Beeinträchtigung anderer Zeichenrechte auf einem ungleichartigen Warengebiet kann sittenwidrig sein, wenn sie zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen führt und die gebotene und zumutbare Rücksichtnahme auf die Rechte anderer Zeicheninhaber vermissen läßt ( B G H 25, 369, 376). Sittenwidrig ist ferner die unredliche Verwendung einer Firma, die von vornherein in der Absicht gewählt ist, durch Ausnützung der Namensgleichheit mit anderen älteren Firmen Verwechslungen herbeizuführen ( B G H 4, 96, 100 m. weit. Nachw., vgl. B G H N J W 1 9 5 1 , 520; 1952, 222).
A n m . 42 e) A u s n u t z u n g e i n e s u n r i c h t i g e n U r t e i l s . Wegen der Ausnutzung eines unrichtigen Urteils (Urteilserschleichung und Urteilsausnutzung) vgl. Anm. 32, 33.
A n m . 43 4. Betätigung eigener Interessen m i t unerlaubten Mitteln oder zu v e r w e r f lichem Zweck a ) A l l g e m e i n e s . Die an sich bestehende Freiheit, eigene Interessen ohne Rücksicht auf die Belange anderer zu verfolgen, findet ihre Grenze in dem Verbot, der sittenwidrigen Schädigung ( R G 138, 373, 3 7 5 ; D R 1940, 1 1 0 6 ) .
A n m . 44 b ) P l a n m ä ß i g e u n l a u t e r e M a c h e n s c h a f t e n . Eine sittenwidrige Schädigung liegt vor bei planmäßiger Anwendung unlauterer Machenschften, um jemand z. B. in Vermögensverfall zu bringen und sich seinen Besitz anzueignen ( R G 58, 219). So ist sittenwidrig: Bankier verleitet unerfahrene Person zum Börsenspiel, R G WarnRspr 1 9 1 6 , 2 7 7 ; Darlehnshingabe zu Schmuggelzwecken, R G J W 1927, 2287; Durchsetzung unbegründeter Forderungen unter Ausnutzung der Willensschwäche eines anderen, R G J W 1938, 3 1 6 3 ; Ausbeutung eines Geisteskranken zu einem ihm schädlichen Vertrag, R G 67, 3 9 3 ; 72, 6 1 ; bewußte Ausnutzung der schwächeren L a g e eines anderen, u m im Wirtschaftsleben übermäßigen Gewinn zu erzielen, R G 150, 1, 5 ; Vermögensveräußerung durch den Ehemann zwecks Schädigung seiner unterhaltsberechtigten Ehefrau, R G SeuffArch 77 Nr. 6; WarnRspr 1932, Nr. 9 3 ; H R R 1 9 3 1 Nr. 9. Öffentliche Ausbietung der Forderungen gegen einen bekannten Schuldner, um ihn bloßzustellen, R G Recht 1 9 1 8 , 704; Erwerb eines Grundstücks durch bewußtes und gewolltes Zusammenwirken mit einem zur Verschaffung des Grundstücks verpflichteten stillen Stellvertreter, R G J W 1928, 2446 1 0 . Sittenwidrig ist ferner: Planmäßige Prozeßverzögerung durch bewußte unwahre Einwendungen, R G 95, 3 1 3 ; bewußte Verstöße gegen die Wahrheitspflicht (§ 1 3 8
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Unerlaubte Handlungen
§826 Anm. 45, 46
Z P O ) werden in der Regel sittenwidrig sein; Benutzung verfälschter Beweismittel, R G H R R 1935, 665; wegen Haftung des Anwalts bei arglistiger Herbeiführung eines Prozeßvergleichs vgl. R G H R R 1936, 330, ferner Anm. 22. Keine Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn eine Partei bei Abschluß eines Prozeßvergleichs die Unglaubwürdigkeit ihrer Zeugen verschweigt ( R G WarnRspr 1935 Nr. 35).
Anm. 45 c) Zwangsversteigerung. In diesem Zusammenhang kommen in Betracht Maß-
regeln, die bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks von Hypothekengläubigern oder sonstigen Kauflustigen zum Nachteile anderer Hypothekengläubiger oder des Eigentümers vorgenommen werden. Kein Hypothekengläubiger hat die Verpflichtung, bei der Zwangsversteigerung des Pfandgrundstücks mitzubieten; deshalb enthält auch eine V e r e i n b a r u n g mehrerer G l ä u b i g e r , s i c h des B i e t e n s z u e n t h a l t e n , an sich nichts Unsittliches. Sie wird jedoch zu einem Verstoß gegen die guten Sitten, wenn sie bezweckt, alle in Betracht kommenden Bieter überhaupt auszuschalten, so daß zum Schaden des Eigentümers oder anderer Hypothekengläubiger der Zweck der gesetzlichen Zwangsversteigerung, durch Erzielung eines möglichst dem Grundstückswert entsprechenden Gebots bei freiem Wettbewerb der Bieter die Deckung der auf dem Grundstück ruhenden Lasten herbeizuführen, vereitelt wird ( R G J W 1933, 425 1 ; R G H R R 1929 Nr. 98, 1096. Gegen die guten Sitten handelt ein nachstehender Hypothekengläubiger, der dem vorstehenden gegenüber übernommen hat, ihn herauszubieten, wenn er zum Nachteil des daraufhin im Versteigerungstermine nicht vertretenen Vorgläubigers eine diesem unbekannte Sachlage ausnutzt, ohne ihn nach Treu und Glauben von dieser Sachlage, soweit dies ohne Schwierigkeiten möglich, zu benachrichtigen ( R G WarnRspr 1911 Nr. 326). Sittenwidrige Abgabe von Scheingeboten durch Strohmänner, um andere Bieter zu höherem Gebote zu veranlassen, R G H R R 1935 Nr. 664, sittenwidrige Erschleichung des Zuschlags durch einen Strohmann, R G 69, 277, 280; B G H L M § 826 (Gi) Nr. 2. Kein Verstoß gegen die guten Sitten ist es aber, wenn ein Hypothekengläubiger in der Zwangsversteigerung von einem Bieter nach § 67 Z V G wegen seines Gebots Sicherheit verlangt, auch wenn er vorher diesen Bieter als Hypothekengläubiger selbst bewogen hatte, mit seiner vorstehenden Hypothek hinter die seinige zurückzutreten ( R G 58, 214). Keine Sittenwidrigkeit, wenn Eigentümer die Zwangsversteigerung zur Beseitigung von Grundstückslasten betreibt, die er für wertlos hält, R G 160, 52. Kein Verstoß gegen die guten Sitten ist es auch, wenn der Gläubiger bei d e r V e r s t e i g e r u n g des Grundstücks oder der für ihn gepfändeten b e w e g l i c h e n S a c h e n diese ersteht, beim Weiterverkauf einen seine Forderung übersteigenden Erlös erzielt, gleichwohl aber seine Forderung geltend macht ( R G 8o, 153, 161: J W 1916, 400 5 ; 1917, 812 3 ).
Anm. 46 d) Mißbrauch von Machtstellungen. Wegen der Gefahr, die sich aus wirtschaftlichen und sozialen Machtstellungen ergibt, müssen die von den Inhabern
derartiger Machtstellungen angewandten Mittel und die von ihnen verfolgten Zwecke streng geprüft werden. Die willkürliche Ausübung wirtschaftlicher oder sozialer Macht ist sittenwidrig. So verpflichtet z. B. die Innehabung eines Monopols den Unternehmer, wenn er dem Publikum seine Dienste öffentlich anbietet, die auf ihn angewiesenen Interessenten mit gleichem M a ß zu messen und sich nicht unangemessene Vergütungen für Leistungen versprechen lassen (vgl. B G H Betrieb 1958, 953). Die Inhaber von solchen Machtstellungen handeln auch sittenwidrig, wenn sie Zwangs- und Strafmaßnahmen ohne die erforderliche vorherige Aufklärung verhängen, oder wenn diese Maßnahmen außer Verhältnis zu dem Anlaß stehen. Wegen des Mißbrauchs von V e r t r e t u n g s m a c h t , auch der Vertretungsmacht von juristischen Personen vgl. Anm. 31; wegen des Mißbrauchs der sich aus einer Dienststellung ergebenden Möglichkeit, Geschäftsgeheimnisse aus dem Dienstverhältnis auszunutzen, vgl. § 433 Anm. 38, ferner § 826 Anm. 26. Im I n n e n v e r h ä l t n i s von Handelsgesellschaften kann eine Ausbeutung der Mehrheitsrechte gegenüber der Minderheit und die Verfolgung eigener Interessen hierbei 86
Komm. z. BGB, n . Aufl. II. Bd (Haager)
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§ 826 A n m . 46
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
unter bewußter Hintansetzung des Wohles der Gesellschaft einen Verstoß gegen die guten Sitten enthalten. Die Mehrheit muß auch den berechtigten Belangen der Minderheit Rechnung tragen und ihre Rechte nicht über Gebühr verkürzen. Die frühere Rechtsprechung ist teilweise durch das AktG überholt. Aus der Rechtsprechung: Beschlüsse über Entlastung des Vorstands und Aufsichtsrats einer AG, RG 68, 314; über die Erhöhung des Grundkapitals aus eigensüchtigen Interessen der Mehrheit, R G 107, 72; über Zuteilung von Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht an Vorstand und Aufsichtsrat, R G 108, 322 (vgl. jetzt § 12 AktG); über Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH, R G 122, 159; über Auflösung einer Gewerkschaft mit Verkauf des Unternehmens zu einem verhältnismäßig niedrigem Preis, R G 107, 202; Mißbrauch der Aktienmehrheit zur Verfolgung eigennütziger Zwecke, R G 142, 219; J W 1931, 2958; vgl. R G 68, 235; Schiebung von Aktien, denen nach § 114 Abs. 5 AktG das Stimmrecht entzogen ist, an Dritte zu dem Zweck, daß sie im Sinne des Veräußerers an der Abstimmung teilnehmen, R G 85, 170; sittenwidrige Schädigung der Aktionäre, auch künftiger Erwerber von Aktien durch u. H. der Verwaltungsträger einer AG, R G 157, 213; mißbräuchliche Ausnutzung der Stellung als Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied bei Erwerb junger Aktien, R G 115, 289; Erwerb einer Aktienmehrheit, um einen anderen Großaktionär zu schädigen, R G J W 1 935> 1773; Abstimmungsvereinbarung zwischen Aktionären R G 133, 91; Belastung von Grundstücken einer GmbH, um für den Fall des Zusammenbruchs den Beteiligten Teile des Gesellschaftsvermögens zuzuwenden, kann auch dann als Schädigung einer GmbH sittenwidrig sein, wenn der Geschäftsführer und Alleingesellschafter zustimmen (RG J W 1936, 3111). Nicht ohne weiteres ist dagegen sittenwidrig der Beschluß über die Schaffung von Schutzaktien und ihre Uberweisung an die Verwaltung (RG 113, 188; vgl. 132, 169). Kein Mißbrauch einer Machtstellung einer Reederei war es, wenn sie von ihren Angestellten verlangte, daß sie einem Verbände von Seeleuten fernbleiben, der die Stellung und die Rechte der Reedereien ihren Beamten und Angestellten gegenüber herabzudrücken sich zum Ziele gesetzt hatte (RG WarnRspr 1909 Nr. 556). Sittenwidrig ist die Verwendung von Druckmitteln, um jemand zur Annahme unbilliger Vertragsbedingungen oder zum Eintritt in eine Standesorganisation zu zwingen (RG 104, 327, 330; 120, 144, 150). Hintansetzung der Interessen eines V e r e i n s durch Mehrheit aus eigensüchtigen Interessen unter übermäßiger Verkürzung der Rechte der Minderheit, R G 119, 97, 104; 132, 149, 163. Es dürfen Zwangsmaßnahmen eines Vereins nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung stehen, die derjenigen Handlung zukommt, die sie veranlaßt hat. Nach der früheren Rechtsprechung war es kein Sittenverstoß, wenn Ärzteverein ohne Verletzung des öffentlichen Interesses den Mitgliedern zur Pflicht machte, ihre Dienstleistungen den Krankenkassen nicht unter einem Mindestsatz zu gewähren (RG J W 1903 Beil. 4083) oder wenn er seinen Mitgliedern die gegenseitige Vertretung und den Beratungsverkehr mit bestimmten Personen des ärztlichen Standes untersagte (RG 64, 155) oder Gegner der von ihm verfolgten Interessen von der Mitgliedschaft aus dem Verein ausschloß, um sie von dessen Wirkungskreis fernzuhalten (RG 93, 302; J W 1912, 29413; 1914, 355). Sittenwidrig war es dagegen, wenn der Arzteverein einem Arzte ein Verbot des Verkehrs mit einem anderen Arzte unter Androhung der Verrufserklärung auferlegte und die letztere dann auch aussprach und neben den Mitgliedern Krankenhäusern und medizinischen Fakultäten mitteilte, ohne den Arzt über die Gründe des Verbots aufzuklären und in den Mitteilungen den Sachverhalt darzulegen (RG 79, 17); ferner wenn er gegen seinen Satzungen nicht unterworfene Berufsgenossen, um sie dem Vereinswillen gefügig zu machen, planmäßig mit Maßregeln vorging, so, wenn er die bereits aus dem Verein freiwillig ausgetretenen Ärzte aus diesem ausschloß, um ihnen den beruflichen Verkehr mit anderen Ärzten abzuschneiden (RG J W 1914, 4602), oder wenn er einem Arzte die Verpflichtung auferlegte, sich innerhalb einer längeren Zeit ohne seine Genehmigung nicht an einem anderen Orte, als seinem derzeitigen Wohnort niederzulassen (RG 68, 186). Sittenwidrig war der Beschluß einer Anwaltsorganisation, daß Anwälte Sachen nicht übernehmen dürfen, in denen Rechtskonsulenten tätig waren (RG J W 1926, 562). Sittenwidrig ist die Verhängung von Vereinsstrafen, ohne vorherige sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts (RG 125, 338) oder der Ausschluß eines Mitglieds unter solchen Um-
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Unerlaubte Handlungen
§826
Anm. 47—49
ständen, daß der Ausschluß existenzgefährdend ist ( R G 107, 386). Vorgehen gegen Arzt durch einen Arzteverein, R G 93, 302.
Anm. 47 Durch einen M i ß b r a u c h der persönlichen Stellung handelt wider die guten Sitten der Vater, der aus nichtigen und verwerflichen Gründen seine zunächst in Aussicht gestellte Einwilligung in die Eheschließung der Tochter verweigert, gegenüber dem Verlobten, der bereits kostspielige Aufwendungen für die künftige eheliche Wirtschaft gemacht hat ( R G 58, 248); der V o r e r b e , der Nachlaßforderungen l e d i g l i c h zu dem Zwecke einzieht, den Wert seiner Ehefrau und deren Verwandten zuzuwenden, damit die Nacherben nichts bekommen ( R G 70, 332); nicht dagegen der Vormund, der die Versagung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung betreibt (vgl. R G SeuffArch 77 Nr. 8).
Anm. 48 e) Arbeitskämpfe a a ) Allgemeines. Arbeitsrechtliche Kampfmittel sind der Streik als Kollektivkampfmittel der Arbeitnehmer und die A u s s p e r r u n g als entsprechendes Kampfmittel der Arbeitgeber und der Boykott als Kampfmittel der beiden sozialen Gegenspieler. Der S t r e i k ist die gemeinsame, planmäßig durchgeführte Arbeitseinstellung durch eine größere Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb eines Betriebs oder eines Berufs zur Erreichung des Kampfzwecks und mit dem Willen, die Arbeit nach Beendigung des Streiks fortzusetzen. A u s s p e r r u n g ist die gleichzeitige, planmäßige Ausschließung eines Teils oder aller Arbeitnehmer eines oder mehrerer Betriebe in der Regel durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Erreichung des Kampfziels und mit dem Willen zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder Wiedereinstellung der Arbeitnehmer nach Beendigung der Aussperrung (vgl. B G H 14, 347, 354). Wegen des Boykotts vgl. Anm. 50; ferner R e u ß A c P 156, 89 fr. Der Arbeitskampf kann unmittelbar bezwecken, den Partner des Arbeitsvertrages zu beeinflussen. Er kann zur Aufgabe haben, den Kampf anderer auf der Seite des Kämpfenden stehender Partner zu unterstützen (Sympathiestreik, Sympathieaussperrung), und er kann endlich politische Ziele verfolgen. Der Arbeitskampf, besonders die im Verlauf des Arbeitskampfes vorgenommenen Einzelhandlungen, können eine u. H. nach § 823 Abs. 1 oder nach § 823 Abs. 2 in der Hauptsache in Verbindung mit §§ 240, 253 StGB sein (vgl. N i e s e , Streik- und Strafrecht 1954; ferner § 823 Anm. 29). Der Arbeitskampf ist darauf berechnet, den Widerstand des Gegners zu überwinden und einen wirtschaftlichen Druck auszuüben. E r ist naturgemäß mit Schädigungen des Gegners verbunden. Wenn deshalb allein schon die Sittenwidrigkeit bejaht würde, wäre der Arbeitskampf unmöglich. Deshalb ist der Arbeitskampf grundsätzlich legitim ( R G 106, 277; 1 1 9 u. 2 g i ; B A G 1, 2 9 1 ; 2, 75, 7 7 ; N J W 1955, 1 3 7 3 ; R A G ArbRSlg 2, 2 1 7 , 222).
Anm. 49 bb) Sittenwidrigkeit von A r b e i t s k ä m p f e n . Vgl. D o e r k , Der Streik als unerlaubte Handlung im Sinne des §826 BGB, 1954. Wie allgemein (vgl. Anm. 7), ist bei der Festsetzung des Sittenverstoßes auf die Auffassung der Kreise Rücksicht zu nehmen, welche von der zu verurteilenden Handlung unmittelbar betroffen werden ( R A G 6, 49; ArbRSlg 2, 2 1 7 , 222; 7, 404; 8, 106; 10, 100). Die Rechtsprechung hat die Sittenwidrigkeit in folgenden Fällen (zum Boykott vgl. auch Anm. 50) bejaht: Es werden u n s i t t l i c h e M i t t e l angewendet, wie z. B. wahrheitswidrige und aufhetzende Darstellungen ( R G 104, 3 2 7 ; 105, 6; 119, 291, 295; 130, 89, 92; H R R 1932 Nr. 1852; R A G ArbRSlg 2,217,226). Es werden schärfere Mittel angewendet, obwohl mildere möglich sind ( R A G A r b R S l g 7, 404, 407; 9, 179; R G SeuffArch 80 Nr. 83: Vorsitzender des Betriebsrats verlangt Stillegung des Fabrikationsbetriebes zur Durchführung von Schutzvorschriften; J W 1930, 410). Es erfolgen Gewaltandrohungen oder Gewaltmaßnahmen ( R A G 11, m ) . Zulässig ist die Aufstellung von Streikposten, die sich auf gütliche Überredung beschränken und nicht durch Drohung, Beschimpfung oder durch körperliche Gewalt die Arbeitswilligen von dem Eintritt in die Arbeitsstätte abzuhalten S6:
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versuchen ( Q L G 43, 92, 1 0 1 ; B a y O b L G N J W 1955, 1806; vgl. R G 76, 46: Aufstellung von Boykottposten). Die Mittel zur Erreichung des Zwecks sind nicht zu billigen ( R G W a r n R s p r 1932 N r . 6 1 : D r o h u n g mit Arbeitsniederlegung zur Erreichung der E n t lassung von Arbeitern, u m Arbeitslose einzustellen, R A G A r b R S l g 15, 36). F ü r Arbeiteraussperrungen ist es erheblich, ob die Tatsachen, auf die hin die Aussperrung erfolgt, gehörig geprüft sind ( R G 71, 108). Es werden v e r w e r f l i c h e Ziele verfolgt u. a. d a n n , wenn die wirtschaftliche Vernichtung des Gegners beabsichtigt oder w e n n sonst der beabsichtigte Erfolg nicht als berechtigt a n e r k a n n t werden kann ( R G 104, 2 7 ; J W 1913, 147). N a c h der R e c h t sprechung stellt die Verweigerung der Z u s a m m e n a r b e i t mit Streikbrechern kein sittenwidriges Ziel d a r ( R A G A r b R S l g 10, 100). Verweigerung der Z u s a m m e n a r b e i t mit anderen Arbeitnehmern bei besonderen G r ü n d e n , R A G A r b R S l g 5, 258; A b l e h n u n g von Streikarbeit, R A G 7, 565, 574. Die Arbeitnehmerschaft ist auf die Solidarität ihrer Angehörigen besonders angewiesen u n d verdankt ihnen viele Errungenschaften, so d a ß die Verfolgung der E i n h a l t u n g der Solidarität a n sich nicht sittenwidrig sein k a n n ( R A G A r b R S l g 10, 100, 104). Weitere Beispiele f ü r Sittenwidrigkeit: R G J W 1930, 4 1 0 ; R A G A r b R S l g 9, 179: Entfernung eines Vorgesetzten d u r c h Streikdrohung; R G 104, 327; H R R 1929 Nr. 629; Breslau J W 1930, 4 1 7 : Forderung nach Entlassung eines nicht organisierten Arbeitnehmers oder eines politischen Gegners; R A G A r b R S l g 10, 6 1 7 ; 11, i n = J W 1932, 275; 15, 36; R A G 4, 19. Keine Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn die H e r a u s d r ä n g u n g aus A b w e h r g r ü n d e n erfolgt, R G J W 1924, 1 0 4 1 ; 1935, 3299; R A G A r b R S l g 9, 179, 184: Versuch, betriebliche oder organisatorische Neuerungen zu beseitigen; R A G A r b R S l g 8, 266: Versuch, die Wiedereinstellung eines zu Recht entlassenen Arbeitnehmers zu erreichen; R G 132, 249; J W 1930, 1207: Sympathiestreik ohne unmittelbares eigenes Interesse. Ein Arbeitskampf ist ferner sittenwidrig, w e n n der d e m G e g n e r zugefügte N a c h t e i l in keinem erträglichen Verhältnis zu d e m angestrebten Vorteil steht ( R G 64, 158; 93) 304; !°4, 327, 3 3 ° ; J W 1913, 147; 1926, 1983; 1935, 3299). Für die Frage, o b die A u s s p e r r u n g gegen die guten Sitten verstößt, ist es entscheidend, ob den Arbeitern d u r c h die d a m i t v e r b u n d e n e n Maßregeln n u r die Arbeitsgelegenheit erschwert wird, oder ob sie ihnen f ü r längere D a u e r u n d vollständig entzogen wird (schwarze Listen; R G 57, 4 1 8 ; 65, 423). Ein Geschäftsherr, der mit einem a n d e r n Geschäftsherrn vereinbart hat, d a ß kein Teil Angestellte des anderen vor Ablauf einer gewissen Zeit seit Beendigung des Dienstverhältnisses einstellen solle, k a n n von einem bei i h m ausgeschiedenen, bei d e m a n d e r n Geschäftsherrn nicht a n g e n o m menen Angestellten nicht h a f t b a r gemacht werden, wenn er in W a h r u n g berechtigter Interessen die Z u s t i m m u n g z u m Eintritt bei d e m anderen verweigert ( R A G 2, 64). Dagegen h a n d e l t der Geschäftsherr sittenwidrig, w e n n er das U n t e r k o m m e n eines früheren Angestellten bei einem mit i h m im W e t t b e w e r b stehenden U n t e r n e h m e r d u r c h A n w e n d u n g starker Druckmittel verhindert u n d d a d u r c h die Existenz des Angestellten gefährdet ( R A G 3, 174; vgl. auch 2, 64). Ähnlich wie bei Boykott im geschäftlichen W e t t b e w e r b (vgl. A n m . 59) verliert a u c h die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit, mindestens was den Streik u n d den Boykott d u r c h Arbeitnehmer anlangt, a n Bedeutung, weil diese Maßregeln in der Regel einen Eingriff in den Gewerbebetrieb darstellen ( B A G 2, 75; § 8 2 3 A n m . 2 7 ; vgl. N i p p e r d e y , Festschrift f ü r Sitzler, S. 79ff; S p e n g l e r , Betrieb 1958, 1033). Die Schwierigkeit liegt daher in der Beurteilung der Widerrechtlichkeit dieses Eingriffs (vgl. § 823 A n m . 30; N i p p e r d e y a a O S. 94). Z u r Frage, ob das Recht a m Arbeitsplatz ein subjektives R e c h t n a c h § 823 Abs. 1 darstellt, so d a ß Aussperrung u n d Boykott d u r c h A r b e i t n e h m e r schon unter diesem Gesichtspunkt zivilrechtlich erfaßbar sind, vgl. N i p p e r d e y a a O , g2. A n m . 50 c c ) B o y k o t t i m A r b e i t s k a m p f . U n t e r Boykott versteht m a n das p l a n m ä ß i g e Zusammenwirken, nicht das rein zufällige Zusammentreffen von Einzelhandlungen, zur Absperrung des Gegners vom geschäftlichen Verkehr ( R G 155, 278; B G H 19, 72). Wegen des Begriffs der A b k e h r vgl. A n m . 60. Die Aufforderung, Vertragsschlüsse mit d e m Boykottierten zu unterlassen, erfolgt im Arbeitskampf d u r c h Arbeitgeber, z. B.
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Unerlaubte Handlungen
§826
A n m . 51 durch Aufforderung zur E i n s t e l l u n g s s p e r r e hinsichtlich bestimmter Arbeitnehmer oder durch Arbeitnehmer durch Aufforderung, keine Arbeitsverhältnisse mit einem bestimmten Arbeitgeber einzugehen. Im Arbeitskampf spielt neben der Sperre hinsichtlich des Eingehens von Arbeitsverhältnissen auch die K u n d e n s p e r r e eine bedeutsame Rolle. Sie wird dadurch verhängt, daß Arbeitnehmer auffordern, die Waren eines boykottierten Arbeitgebers nicht zu kaufen ( R G J W 1929, 580; vgl. S p e n g l e r , Betrieb 1958, 1033). Der Boykott richtet sich gegen den sozialen Gegenspieler oder auch gegen Angehörige der gleichen Gruppe, wenn z. B. Arbeitnehmer sich weigern, mit einem anderen Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten ( R G J W 1930, 4 1 0 ; R A G A r b R S l g 7, 405; 9, 1 7 9 ; B G H 19, 72). Die Aufforderung zum Boykott verstößt nicht notwendig gegen die guten Sitten ( B V e r f G N J W 1958, 257). Der Boykott ist ähnlich wie Streik und Aussperrung unter den oben dargelegten Umständen (Anm. 49) sittenwidrig. Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn er den wirtschaftlichen Bestand des in Verruf Erklärten zu untergraben bestimmt und geeignet ist, oder wenn die Schädigung des Betroffenen nicht in einem erträglichen Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht ( R G 140, 423, 4 3 1 ; J W 1929, 1580 9 ). Sittenwidrigkeit, wenn die Flugblätter oder Druckschriften, mit denen die Boykottierenden sich an die Berufsgenossen oder die Allgemeinheit wenden, wahrheitsentstellende Darstellungen der Sachlage enthalten oder sich in aufreizenden Ausführungen ergehen ( R G J W 1 9 1 2 , 749 1 4 ; 1 9 1 3 , 3524)> oder wenn ein Arbeitgeber durch öffentliche Warnung ohne Angabe von Gründen in Verruf gebracht wird ( R G 105, 47), wenn Boykottposten Besucher des Boykottgeschäfts bedrohen und mit Gewalt abhalten ( R G 76, 35), wenn unbeteiligte über den Gegenstand des Streits nicht unterrichtete Kreise öffentlich zur Unterstützung des Boykotts aufgerufen werden ( R G 66, 379, 383), wenn der Boykott nicht der Durchsetzung einer bestimmten und in angemessenen Grenzen sich haltenden Forderung in Ansehung eines Arbeitsverhältnisses dient, sondern als Machtmittel erscheint, um dem Gegner den Willen des Boykottierenden aufzuzwingen, und, so z. B. die frühere Rechtsprechung, schwerwiegende Fragen der Wirtschaftspolitik zum Schaden anderer Volksteile auf dem Wege des Zwangs nach dem Willen einzelner Gruppen auszutragen ( R G J W 1 9 1 2 , 814 3 4 ). Wer einen Boykott verhängt, hat die Pflicht, vorher genau abzuwägen, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen die Entfesselung eines Wirtschaftskampfes mit der scharfen W a f f e des Boykotts rechtfertigen, oder ob andere, weniger gefährliche und schädliche Wege zu dem gleichen Ziel führen. Eine Unterlassung dieser Prüfung macht, wenn solche Wege vorhanden und leicht erkennbar sind, den Boykott sittenwidrig ( R A G 1, 273, 283; A r b R S l g 2, 2 1 7 , 222). Aus der Rechtsprechung vgl. ferner R G WarnRspr 1928 Nr. 148: Sperrung eines Musikerverbandes gegenüber einem Theaterunternehmen; SeuffArch 87 Nr. 42: Aufführungsverbot eines Orchesterwerkes verhängt von einem Verband von Dirigenten und Chorleitern zum Nachteil eines Musikverlags. Wegen der Betrachtung des Boykotts als Eingriff in den Gewerbebetrieb vgl. Anm. 49; § 8 2 3 Anm. 27. Ähnliche Grundsätze gelten für den Boykott zur Erreichung anderer Zwecke, z. B. politischer Ziele ( B V e r f G 7, 198, 2 1 5 ) . Z u m Boykott im Wettbewerb vgl. Anm. 58.
A n m . 51 5. Mißachtung sittlicher Güter a ) M i ß a c h t u n g d e r s i t t l i c h e n W ü r d e . Die Menschen haben im sozialen Leben die Würde des anderen Menschen zu achten ( G G Art. 1). Es ist zu beachten, daß bei der Verletzung der Persönlichkeit Rechtsschutz schon nach § 823 erfolgt, da nach der neueren Rechtsprechung allgemein der Schutz der Persönlichkeit anerkannt ist (vgl. § 823 Anm. 1 1 ) . Unter dem Gesichtspunkt der Mißachtung der menschlichen Würde handelt sittenwidrig ein Arzt, der bei der Entmündigung grob fahrlässig ein falsches Gutachten abgibt ( R G 72, 175). D a einem Vorbestraften die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft nicht erschwert werden darf, ist die Aufnahme einer schon lange zurückliegenden Vorstrafe in eine Auskunft sittenwidrig ( R G 1 1 5 , 4 1 6 ; vgl. J W 1928, 1 2 1 1 ) . Sittenwidrig ist daher auch die grobfahrlässige, insbesondere bewußt leichtfertige Behauptung oder Verbreitung einer unwahren Tatsache ( R G 72, 1 7 5 : Arzt erklärt eine Person ohne tatsächliche Unterlagen für geisteskrank). An Schriftsätze im
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§ 826 A n m . 52, 53
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Prozeß, die eine Ehrverletzung enthalten, sind besondere Maßstäbe anzulegen (vgl. Anm. 13). Über sittenwidrige Verletzung der persönlichen und geschäftlichen Ehre in Druckschriften s. RG H R R 1933 Nr. 1319. Keine Bekanntgabe von Tatsachen aus dem Privatleben, B G H L M § 826 (Gb) Nr. 3. Die bloße Weiterverbreitung einer unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilten Tatsache bildet in der Regel nur eine Verletzung des gesellschaftlichen Anstandes, nicht aber der guten Sitten (RG WarnRspr 1908 Nr. 472). Sittenwidrig ist es, wenn ein Verleger nicht für Richtigstellung eines gehässigen Aufsatzes sorgt, in dem ein Künstler in seiner Zeitung herabgewürdigt wird (RG 162, 7). Erfaßt werden unter dem Gesichtspunkt der Mißachtung der menschlichen Würde unzulässige Beschränkungen der Willens-, M e i n u n g s - und Entschließungsf r e i h e i t , z.B. die Freiheit der politischen Betätigung (RG 148, 48). Geschützt wird die Freiheit der w i r t s c h a f t l i c h e n E n t s c h l i e ß u n g , die durch übermäßige vertragliche Bindungen beschränkt wird (RG 76, 78: Bierlieferungsverträge; 125, 251; 150, 1, 5), ferner die Freiheit der individuellen Lebensgestaltung (Coing NJW 1947/48, 216) und die Vereinigungsfreiheit (RG 104, 327: unzulässiger Zwang zum Eintritt in die Genossenschaft der deutschen Bühnenschaffenden). Anm. 52 Unter dem Gesichtspunkt der E n t s c h l i e ß u n g s f r e i h e i t in G e w i s s e n s f r a g e n sind als sittenwidrig erklärt (vgl. § 138 Anm. 74) Vereinbarungen, durch die jemand sich zu einer Entscheidung verpflichtet in einer Frage, die allein vom freien sittlichen Entschluß abhängen darf (RG 57, 250; 58, 203; 91, 78; 109, 37). Aus denselben Erwägungen sind sittenwidrig Vereinbarungen, die sich mit dem Berufsethos nicht in Einklang bringen lassen, so z. B. Vereinbarungen, die die Unparteilichkeit der schiedsrichterlichen Tätigkeit beeinträchtigen (RG 137, 251). Bisher konnte die Rechtsprechung in der Hauptsache nur die Generalklausel des § 826 heranziehen, um das eigene Leben vor Indiskretionen zu schützen. Das in Art. 1 und 2 GG gewährleistete Grundrecht steht einer Offenlegung der geschützten Geheimsphäre entgegen. Sie ist als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt (vgl. § 823 Anm. 11). Ebenso sind familiäre Beziehungen durch § 826 geschützt. Wegen der Unterlassungsklage gegen den Ehebrecher vgl. Vorbem. § 823 Anm. 77. Anspruch auf Rücknahme einer von einem deutschen Ehegatten im Ausland zwecks Umgehung der deutschen Gesetze erhobenen Scheidungsklage (RG 157, 136). Rücktritt vom Verlöbnis stellt keine u. H. nach § 826 dar. Die vermögensrechtlichen Folgen bemessen sich nach § 1298 ff (RG 168, 280, 285). Wegen des Ausschlusses des Schadensersatzanspruchs, auch unter dem Gesichtspunkt des § 826, eines Ehegatten, dessen Ehe wegen Ehebruchs mit anderem Ehegatten geschieden ist, auf Ersatz der durch die Ehescheidung verursachten Kosten vgl. B G H 23, 215 u. 279; wegen des Ersatzes der durch die Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes entstandenen Kosten vgl. BGH 14, 359; 26, 217; vgl. ferner § 823 Anm. 25. Wegen Beihilfe zur Flucht einer Ehefrau vgl. RG Gruchot 70 S. 619 m. weit. Nachw. A n m . 53 b) Denunziation. Vgl. N i p p e r d e y in Festschrift Heinrich Lehmann, Die Haftung für politische Denunziation in der NS-Zeit, S. 285 fr. Abgesehen von der Ersatzpflicht wegen Freiheitsentziehung (vgl. § 823 Anm. 14) wird eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet auch durch die Erstattung einer objektiven wahren Anzeige, die als verwerflich und dem allgemeinen Anstandsgefühl widersprechend erscheint, wie es z.B. der Fall ist in einer Staatsordnung, die jede ihr abträgliche Äußerung und Gesinnung unter Mißachtung der Würde des Menschen gewaltsam unterdrückt (BGH 17, 328 m. krit. Bespr. N i p p e r d e y MDR 1955, 666; B G H NJW 1952, 1054; 1952, 1428; 1953, 1428). Uber Denunziationen in der NS-Zeit vgl. Frankfurt NJW 1947/48, 23 u. 64; Celle MDR 1948, 174; Kiel J R 1948, 227; OGH MDR 1949, 501. Wer das Leben eines politischen Gegners für nichts wert erachtet, handelt sittenwidrig (BGH 3, 94, 106).
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Unerlaubte Handlungen
§826
A n m . 54 A n m . 54 c ) R a t , Auskunft, E m p f e h l u n g . Rat, Auskunft und Empfehlung bilden, wenn sie w i s s e n t l i c h u n w a h r erteilt werden, die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch nach § 826 (vgl. § 676 Anm. 5). Nach dem in Anm. 13 Ausgeführten, kann aber auch die in b e s o n d e r s g r o b e r F a h r l ä s s i g k e i t erteilte Auskunft, wenn sie mit dem Vorsatz der Schädigungen, d. i. wenigstens mit dem Bewußtsein verbunden ist, daß der Betroffene dadurch Schaden leiden könnte, ausreichen, die Haftung aus § 826 zu begründen ( R G J W 1922, 13905; 1933, 2513). Uber die Grenze von Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Auskünften ( R G 76, 313; WarnRspr 1935 Nr. 115, 319). Auch eine w a h r e A u s k u n f t kann unter Umständen gegen die guten Sitten verstoßen, wie z.B. die Mitteilung von Vorstrafen einer Person durch eine Auskunftei, wenn diese ungeprüft läßt, ob die berechtigten Interessen des Auskunft begehrenden Kunden die Mitteilung erfordern und eine solche Prüfung zur Verneinung der Frage hätte führen müssen ( R G 115, 416; J W 1928, 1211; R G SeuffArch 82 Nr. 122), oder wenn sie ohne berechtigte Interessen lediglich in der Absicht erfolgt, den Dritten zu schädigen ( B G H L M § 826 [Gc] Nr. 2). Als unwahr hat die Rechtsprechung auch eine Auskunft erachtet, wenn der Mitteilende etwas zu wissen behauptet, obwohl er selbst keine sichere Uberzeugung hat und sich der Unsicherheit seines Wissens bewußt ist ( R G J W 1932, 3060; WarnRspr igo8 Nr. 214; vgl. § 824 Anm. 12). Wird eine objektiv unwahre Auskunft in gutem Glauben abgegeben und wird nachträglich dem Mitteilenden die Unwahrheit seiner Auskunft bekannt, dann ist in der Regel e i n e P f l i c h t z u r B e r i c h t i g u n g gegeben. Anders wenn die Auskunft objektiv wahr war, und später durch die Änderung der Vermögensverhältnisse unrichtig wurde ( R G J W 1917, 285). Uber Haftung gegenüber dritten Personen, denen eine falsche Auskunft weitergegeben wird, vgl. Anm. 16. Das vorsätzliche Verschweigen von Umständen, die für die Frage der Kreditwürdigkeit — sei es der eigenen oder der eines Dritten — und der Kreditgewährung erheblich sind, ist sittenwidrig, so daß durch solche bewußt falschen Auskünfte eine Haftung gegenüber dem geschädigten Kreditgeber begründet wird ( B G H BB 1959, 60). Sittenwidrig kann auch die grobfahrlässige Auskunft sein, z.B. eine Auskunft nur nach den Angaben der in Frage stehenden Firma. Sittenwidrig ist auch die Übertreibung; jedoch muß mit einer gewissen günstigen Färbung der Verhältnisse gerechnet werden ( R G J W 1932, 42). Eine Auskunft ist zusammenhängend als Ganzes zu würdigen. Eine B a n k kann nach der bestehenden Übung einer erbetenen Auskunft nicht wohl ausweichen, braucht aber auch ihre eigenen Beziehungen zu dem Geschäftsmann, über den Auskunft begehrt wird, nicht aufzudecken; das nötigt sie zu vorsichtiger Zurückhaltung in ihrer Auskunft, auf die der Anfragende sich einstellen muß ( R G J W 1916, 36®; WarnRspr 1917 Nr. 110; H R R 1930 Nr. 6; 1931 Nr. 215: zur Haftung einer Bank gegenüber einem dritten Kreditgeber für falsche und unvollständige Auskunft über einen ihrer Kunden, von dem sie selbst sich bereits das Warenlager hatte verpfänden lassen). Zur Auskunft insbesondere durch eine Bank vgl. ferner R G 126, 50; 139, 103: Fassung einer Auskunft durch Bank mit Rücksicht auf das Bankgeheimnis; B G J W 1917, 285 s ; 1931, 246g 5 ; 1933, 2513 1 ; 1938, 1272; WarnRspr 1908 Nr. 518; 1910 Nr. 327; 1930 Nr. 10, 94, 95; 1935 Nr. 115; SeuffArch 88 Nr. 126; 90 Nr. 96; B G H 12, 105, 110. Eine gelegentliche Auskunft, die der Befragte nicht für verbindlich zu halten braucht, begründet in der Regel keine Haftung ( R G WarnRspr 1915 Nr. 84). Weitere Fälle aus der Rechtsprechung: Bewußt oder leichtfertiges Gutachten eines Wirtschaftsprüfers, B G H NJW 1956, 1595; wissentlich falsche Auskunft über Wertpapiere, R G WarnRspr 1935 Nr. 115; Verleitung zum Abschluß von gewagten Börsengeschäften durch Bankkaufmann und Dritten, der den Spekulanten zuführt, R G WarnRspr 1916 Nr. 277; Makler gibt falsche Darstellung über Zahlungsfähigkeit seines Kunden, R G WarnRspr 1908 Nr. 49; Vereinbarung eines Hauseigentümers mit einem Mieter bei Besichtigung eines Hauses durch Kauflustige wahrheitswidrig günstige Auskünfte über das Haus zu erteilen oder ungünstige Umstände zu verschweigen, R G WarnRspr 1909 Nr. 89; teils bewußte, teils grobfahrlässige unwahre Angaben in dem Prüfungsbericht eines Wirtschaftsprüfers, die günstiges Urteil ergeben, B G H BB 1958,
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§ 826 A n m . 55, 56
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
754; sittenwidrige Herbeiführung des Verzichts eines rechtsunkundigen Beteiligten durch falsche Unterrichtung durch den gegnerischen Anwalt, R G H R R 1938 Nr. 372; falsche Auskunft über Grundlagen für die Sicherung eines Kredits, B G H WM 1959, 89. A n m . 55 Ähnliche Grundsätze gelten für die Auskunft oder das (schonende) Zeugnis eines Arbeitgebers über einen früheren Arbeitnehmer, wobei namentlich die Verschweigung von Unehrlichkeiten in Frage kommt (RG J W 1916, 1190; 1933, 2081; 1937, 3107; WarnRspr 1916 Nr. 76; 1917 Nr. 88; H R R 1932 Nr. 612; RAG ArbRSlg 33 Nr. 14). Verweigerung einer Auskunft unter Umständen, die den Verdacht nicht einwandfreier Führung erwecken, RAG J W 1934, 1259, vgl. RAG H R R 1936 Nr. 470; wissentlich unwahre Empfehlung eines Angehörigen für eine Stellung unter Verschweigung früherer Veruntreuungen, RG WarnRspr 1912 Nr. 24; vgl. J W 1913, 431®; ferner Hamburg NJW 1956, 348 m. Anm. N e u m a n n - D u e s b e r g und NJW 1956, 916. Uber die Verpflichtung zur Zeugniserteilung und den Inhalt eines Zeugnisses vgl. §630 Anm. 1; über die Verpflichtung zur Auskunftserteilung durch einen Arbeitgeber über einen früheren Arbeitnehmer vgl. § 630 Anm. 5. A n m . 56 6. Wettbewerb a) Allgemeines. Das Verbot der Betätigung eigener Interessen unter Mißachtung der dadurch gefährdeten Belange anderer durch Verwendung unlauterer Mittel oder Verfolgung verwerflicher Zwecke spielt im Wirtschaftsleben, insbesondere im geschäftlichen Wettbewerb eine bedeutende Rolle. Die erfolgreiche Betätigung des eigenen geschäftlichen Interesses im wirtschaftlichen Wettkampf der Gewerbeunternehmer ist regelmäßig mit einer Schädigung der anderen Wettbewerber verbunden. Dem entspricht es, daß, soweit nicht höhere Interessen der Gesamtheit ein anderes gebieten, niemand verpflichtet ist, sein eigenes Interesse einem fremden hintanzusetzen, und niemand einen Anspruch hat, in seiner wirtschaftlichen Betätigung nicht durch Erfolge anderer gestört zu werden. Die Freiheit des einen findet an der Freiheit des anderen ihre natürliche Schranke. Selbst das Bewußtsein der Schädigung der anderen Wettbewerber kann deshalb, solange ein jeder das erlaubte Interesse mit erlaubten Mitteln verfolgt, einen Verstoß gegen die guten Sitten nicht begründen (RG 71, 170, 173; 138, 373, 375; DR 1940, 1106). Ein gesunder Wettbewerb, der Leistungen und Leistungsfähigkeit der einzelnen zum Wohle des Ganzen fördert, liegt auch durchaus im Sinne des Ganzen. Es muß aber gefordert werden, daß jeder Wettbewerber die Grenzen der Lauterkeit wahrt und die übrigen Glieder der Gemeinschaft in ihrem Leben und Schaffen nicht mehr beeinträchtigt, als der Zweck eines gesunden Wettbewerbs notwendig macht. Dabei ist nicht gerade die Betätigung einer besonders vornehmen Gesinnung zu verlangen. Lauter ist jeder echte Leistungswettbewerb, der nur durch die Güte und den Preis der eigenen Waren und der gewerblichen Leistungen Kunden gewinnen will und auf diese Weise einem Mitbewerber Kunden nehmen muß. Eine Handlung wird nicht schon deshalb allein sittenwidrig, weil sie gegen ein Gesetz verstößt (RG 115, 319, 325), wenn nicht dieses Gesetz die verbotene Handlung als unsittlich mißbilligen will. Es verstößt auch nicht ohne weiteres jedes Verhalten gegen die guten Sitten, das die wirtschaftliche Existenz eines anderen gefährdet (RG J W 1928, 1206; G R U R 1938, 207, 209). Was dem Kampf im wirtschaftlichen Wettbewerb den Stempel der Unerlaubtheit und des Sittlichverwerflichen aufdrückt, sind hauptsächlich die K a m p f m i t t e l , die über das zur Erreichung der eigenen Zwecke erforderliche Maß hinausgehen, die w i r t s c h a f t l i c h e V e r n i c h t u n g des Gegners herbeizuführen bestimmt und geeignet sind oder ihm so schweren Schaden zufügen, daß dieser zu den erstrebten Vorteilen in keinem erträglichen Verhältnis steht (RG 119, 408, 415; 128, 92, 97; J W 1927, 112 1 4 ; BGH NJW 1956, 588), oder wenn durch u n l a u t e r e M i t t e l z. B. Erregung der Spielsucht, durch ein auf Täuschung berechnetes Vorgehen, die bewußte Ausnutzung der Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit der Adressaten einer Werbung 1346
Unerlaubte Handlungen
§826
A n m . 56
deren wirtschaftliche Interessen gefährdet werden ( R G 1 1 5 , 3 1 9 , 330), wenn also Mittel angewendet werden, die eine gesunde Anschauung der beteiligten Verkehrskreise nicht mehr als sachliche und wirtschaftlich vernünftige Werbung betrachtet, oder wenn die Wettbewerbshandlungen zu einer allgemeinen Beunruhigung des Wirtschaftslebens führen ( B G H 9, 392, 397: Gratisverteilung eines Anzeigenblattes). Mittel, die ohne den Abwehrzweck gegen eine unzulässige Maßnahme eines Mitbewerbes unzulässig sind, können als Abwehrhandlung erlaubt sein. Die Abwehrmaßnahme darf aber über die Verhinderung des unlauteren Wettbewerbs eines anderen hinaus nicht bezwecken, die eigene L a g e auf Kosten des Mitbewerbers zu verbessern ( R G J W 1929, 1204; 1936, 874; vgl. E r i c h s e n G R U R 1958, 4 2 5 ; ferner Anm. 68). Der Z w e c k der Kampfhandlung im Wettbewerb darf bei der Frage der Sittenwidrigkeit keineswegs außer acht gelassen werden ( R G 134, 342; SeuffArch 87 Nr. 42). Immer ist das gesamte Verhalten nach Beweggrund, Mittel und Zweck zu berücksichtigen. Bei der Frage, ob eine Wettbewerbshandlung sittenwidrig ist, ist nicht nur auf die Auffassung eines anständigen durchschnittlichen Gewerbetreibenden abzustellen, sondern überall dort, wo die Allgemeinheit oder ein Teil von ihr als Objekt der Wettbewerbshandlungen unmittelbar berührt wird, auch auf die Auffassung derer, an die sich die Wettbewerbshandlung richtet ( R G 149, 224, 2 2 7 ; B G H 19, 392, 396; 22, 167, 1 8 1 ; 22, 347: L M U W G § 1 Nr. 26). Außer der Anspruchsgrundlage des § 826 können Wettbewerbsverletzungen gestützt werden auf § 823 Abs. 1 unter dem Gesichtspunkt des Angriffs in einen Gewerbebetrieb (vgl. § 8 2 3 Anm. 2 7 f f ) , auf § 8 2 3 Abs. 2, soweit Bestimmungen z. B. des U W G mit dem Charakter eines Schutzgesetzes verletzt werden, und insbesondere auf § 1 U W G , der wie § 826 einen Verstoß gegen die guten Sitten fordert, allerdings ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs voraussetzt (über das Verhältnis von § 826 zu § 1 U W G vgl. B a u m b a c h - H e f e r m e h l , Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht 7. Aufl. 1. Teil Randnote 238—240; R e i m e r , Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht 3. Aufl. § 74 Anm. 10). § 1 U W G ist ein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 ( B G H N J W 1954, 147). In der praktischen Bedeutung tritt § 826 B G B neben § 1 U W G zurück. Soweit einzelne Wettbewerbshandlungen nur gegen gesetzliche Sonderregelungen über die Werbung oder sonstige gesetzliche oder behördliche Verbote verstoßen, liegt ein zwar unerlaubtes Verhalten vor, das aber nicht in jedem Fall zugleich sittenwidrig zu sein braucht, so daß in diesen Fällen weder § 826 noch § 1 U W G anwendbar ist ( R G 166, 3 1 5 ; B G H 22, 167, 1 8 0 ; I Z R 19/56 v. 2 1 . 5. 1957 S. 9). Sittenwidrig ist ein Verstoß gegen Wettbewerbsvorschriften, die aus Gründen der Volksgesundheit erlassen sind ( B G H 22, 1 6 7 ; 23, 1 8 4 ; L M ArzneimittelVO Nr. 3). Ferner ist zu beachten das Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen v. 27. 7. 1957 (BGBl I 1 0 8 1 ) . Wie allgemein bei der Einteilung der sittenwidrigen Handlungen überhaupt (vgl. Anm. ig), haben sich auf dem engeren Gebiet des Wettbewerbs Tatbestandsgruppen herausgebildet. Eine allgemein gültige Einteilung mit strenger Abgrenzung der einzelnen Tatbestände ist schwierig zu finden. Ausgehend davon, daß der Wettbewerb sich entweder unmittelbar gegen den Mitbewerber richtet oder sich unmittelbar an den Kunden und über diesen nur mittelbar an den Mitbewerber wendet, daß ferner kein am Wirtschaftsleben Teilnehmender in unerlaubter Weise sich die Tätigkeit seines Mitbewerbes zunutze machen und daß, wie allgemein, niemand Vorteile durch eine verwerfliche Zuwiderhandlung gegen vertragliche Bindungen erlangen soll, werden als Wettbewerbsverstöße unterschieden: Die B e h i n d e r u n g , der K u n d e n f a n g , die A u s b e u t u n g und der V o r s p r u n g d u r c h R e c h t s b r u c h (so B a u m b a c h - H e f e r m e h l a a O R a n d note 120). Die einzelnen Tatbestände überschneiden sich wie z. B. unzulässige Angaben über einen Mitbewerber sowohl den Tatbestand des Kundenfangs als auch der Behinderung erfüllen. Das gleiche gilt bei Hingabe von übermäßigen Werbegeschenken (vgl. B G H Betrieb 1958, 980). Bei Werbung, die sich unzulässig an die Leistungen des Konkurrenten anlehnt, liegt sowohl Behinderung als auch Ausbeutung vor. Uber Einteilungssysteme vgl. B a u m b a c h - H e f e r m e h l a a O Randnote 1 1 8 — 1 2 5 ; Rosenthal, Wettbewerbsgesetz 1930 S. 8; vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei T e t z n e r , U W G 2. Aufl. § 1 Anm. 64fr.
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§ 826 A n m . 57—59
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 57 b) Behinderung aa) Begriff. Vgl. B a u m b a c h - H e f e r m e h l , Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht 7. Aufl. § 1 U W G Anm. 94. Der Behinderungswettbewerb ist unlauter, weil er o h n e e i g e n e L e i s t u n g den Mitbewerber durch Behinderung in den verschiedensten Formen in seiner gewerblichen Betätigung zu beschränken oder zu schädigen sucht. Allerdings hat niemand im Geschäftsleben Anspruch auf die unveränderte Erhaltung seines Kundenkreises. Der eigentliche Inhalt, Zweck und Sinn jeden Wettbewerbs ist es, in den Kundenkreis des Mitbewerbers einzudringen und durch Güte, Preis und eigene Leistung ihm die Kunden abspenstig zu machen (RG 144, 41, 50; B G H 19, 392> 395! L M U W G § 1 Nr. 7). Unlauter wird der Wettbewerb dadurch, daß der Konkurrent zur Erlangung eigener Vorteile von der Beteiligung am allgemeinen Wettbewerb ausgeschlossen wird, z. B. dadurch, daß der Markt durch die kostenlose Verteilung eines Erzeugnisses für die Mitbewerber verstopft wird (BGH L M U W G § 1 Nr. 43). Dagegen ist die Abgabe von Warenproben zulässig, wenn dem Verbraucher Gelegenheit zur Unterrichtung über die Güte eines Erzeugnisses gegeben werden soll (BGH 23, 365). A n m . 58 bb) Boykott. Vgl. R e i m e r , Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht 79. Kap. Unter Boykott (Verrufserklärung) versteht man das planmäßige Zusammenwirken, nicht das rein zufällige Zusammentreffen von Einzelhandlungen (RG 155, 257, 281; B G H 19, 72), zur Einwirkung auf den Mitbewerber, und zwar durch Absperrung vom Markt, sei es durch Ausschluß von Lieferungen oder durch Verhinderung von Verkäufen oder sonstige, ihn in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit treffende Einschränkungen. Außer der Erringung wettbewerblicher Erfolge kann der Boykott zur Erreichung anderer Zwecke, z. B. politischer Ziele (RG 76, 35; J W 1909, 1096) oder arbeitsrechtlicher Ziele (vgl. Anm. 50) durchgeführt werden. Vgl. ferner R G 130, 89: Aufnahme eines Fürsorgeheims in die Cavete-Tafel einer ärztlichen Standesorganisation; R G 79, 17: Verrufserklärung eines Arztes, dem ein Verbot des Verkehrs mit einem anderen Arzt auferlegt war; B G H 24, 200: Boykott zur Verteidigung sozialer und ethischer Werte; B V e r f G NJW 1958, 257. Bei einem Boykott im Gegensatz zur bloßen A b k e h r (vgl. Anm. 60) sind beteiligt der B o y k o t t i e r e r , der A d r e s s a t der B o y k o t t a u f f o r d e r u n g und der B o y k o t t i e r t e . Es fehlt an diesem Begriffsmerkmal der Dreiteilung, wenn der Adressat eine eigene Entscheidungsfreiheit aus Rechtsgründen nicht besitzt (BGH 19, 72). Der Boykott verlangt eine Willensbeeinflussung. Eine reine Anregung ohne Einfluß auf die Entschließungsfreiheit reicht nicht aus. Andererseits ist eine Anwendung von Druckmitteln nicht erforderlich (BGH NJW 1954, 147). Der Boykott verstößt nach der Rechtsprechung unter besonderen Umständen gegen die guten Sitten (RG 140, 423, 431; vgl. Anm. 50). Solche besonderen Umstände sind: Ö f f e n t l i c h e V e r r u f s e r k l ä r u n g , die den Zweck und Erfolg hat, die gewerbliche Stellung des Gegners völlig zu vernichten oder die rein schikanös oder aus Rache erfolgt; d i e g e b r a u c h t e n M i t t e l s i n d v e r w e r f l i c h , wie z. B. Verrufserklärung ohne Angabe von Tatsachen oder unter Aufstellung leichtfertig falscher Behauptungen oder mit aufreizendem Inhalt; die Maßregeln desjenigen, der den Boykott verhängt, stehen in k e i n e m b i l l i g e n V e r h ä l t n i s zu der Handlungsweise dessen, gegen den sich der Boykott richtet (RG 104, 330; 105, 4, 7; 130, 89, 92; 140, 423; 155, 257; J W 1937, 2195). Der Boykott ist nicht sittenwidrig, wenn er zu A b w e h r z w e c k e n geboten ist (RG 76, 35; 140, 423, 4 3 1 ; J W 1927, 1 1 2 1 5 ; 1935, 3299«; LZ 1924, 34 3 ; vgl. B G H N J W 1954, 147; BB 1959, 282, „Versandbuchhandlung"). A n m . 59 Der Boykott war verboten durch die Dekartellisierungsgesetze der Besatzungsmächte. Soweit es sich um Boykott zu Wettbewerbszwecken handelt, vgl. jetzt § 26 GWB v. 27. 7. 1957.
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Unerlaubte Handlungen
§826 A n m . 60—62
Die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit des Boykotts dürfte als solche an Bedeutung verloren haben, da sich nach der Entwicklung der Lehre vom Eingriff in einen Gewerbebetrieb (vgl. § 8 2 3 Anm. 27 fr) der Boykott in der Regel als einen derartigen Eingriff darstellen dürfte. Allerdings werden zur Frage der Widerrechtlichkeit oder des Ausschlusses der an sich grundsätzlich gegebenen Widerrechtlichkeit ähnliche Erwägungen anzustellen sein, wie sie bisher für die Sittenwidrigkeit galten.
A n m . 60 c c ) A b k e h r . Darunter versteht man die Weigerung, vertragliche Beziehungen, die abgelaufen sind, fortzusetzen oder neue Beziehungen anzuknüpfen. Sie erfolgt im Gegensatz zum Boykott aus eigenem Entschluß und nicht auf Veranlassung Dritter. Abgesehen von den Fällen des gesetzlichen Abschlußzwangs ist jeder frei in seiner Entscheidung, ob und mit wem er vertragliche Bindungen eingehen will. Die Abkehr ist sittenwidrig, wenn es sich um eine a b s i c h t l i c h e S c h a d e n s z u f ü g u n g a u s r e i n f e i n d s e l i g e r G e s i n n u n g oder wenn sie unter m i ß b r ä u c h l i c h e r A u s n u t z u n g e i n e r (rechtlichen oder tatsächlichen) M o n o p o l s t e l l u n g erfolgt ( R G 1 1 5 , 253, 258; 128, 92, 97; 132, 2 7 3 ; 1 3 3 , 388; 143, 24, 28; 148, 3 3 2 ; 155, 257, 283; J W 1924, 1 5 9 2 ; 1928, 1206 6 ; 1933, 331 2 ; WarnRspr 1930 Nr. 78; B G H Betrieb 1958, 953). Eine Kirchenstiftung ist kraft ihres Eigentums am Friedhof berechtigt, gewerblichen Bestattungsunternehmern Bestattungshandlungen zu verbieten ( B G H 14, 294). Vgl. jetzt G W B §§ 22 ff.
A n m . 61 dd) Irreführung der Kunden und Herabsetzung des Mitbewerbers. Vgl.
B a u m b a c h - H e f e r m e h l a a O Anm. 6 — 1 1 . In der Regel ist es sittenwidrig, durch unwahre Angaben über eigene Waren, Dienste und eigene persönliche Verhältnisse oder über Waren, Leistungen, persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse eines Mitbewerbers sich auf Kosten der Mitbewerber wettbewerbsmäßige Vorteile zu verschaffen. Soweit es sich über Irreführung über eigene Verhältnisse handelt, ist zugleich der Tatbestand des Kundenfangs gegeben. Die Irreführung über Verhältnisse des Mitbewerbers richtet sich zunächst an den Kunden, wirkt sich aber mittelbar auf den Mitbewerber aus. Es ist unzulässig, die Kunden über eigene Verhältnisse irrezuführen, z. B. durch Auslegen von Waren, die nicht als Ausschuß gekennzeichnet sind, zu einem ungewöhnlich billigen Preis ( R G J W 1905, 508). Erweckung des falschen Eindrucks eines besonders günstigen Angebots, R G 1 1 6 , 277; Vortäuschung von Konkurrenzpreisen durch Inhaber zweier Firmen, R G J W 1926, 1549 4 ; Anpreisung von Konfektionsarbeit als Maßarbeit, R G J W 1 9 3 1 , 4 5 7 ; sittenwidrige Verwendung der von dem Wettbewerber selbst beeinflußten, wenn auch sachlich vertretbaren Äußerung eines Fachmanns unter dem Anschein, als handle es sich um das Werk eines aus freien Stücken tätig gewordenen unabhängigen Sachverständigen, R G J W 1936, 2079; Erweckung des Eindrucks fachmännischer Beratung, B G H L M U W G § 1 Nr. 7 ; Beifügung des Vermerks „gesetzlich geschützt" als Hinweis auf einen angeblichen oder wirklichen Ausstattungsschutz, B G H L M U W G § 3 Nr. 2 3 ; „Blindenseife", B G H L M B l i W V G Nr. 1 ; Führung eines Firmennamens, der zu unzutreffenden Schlüssen auf die geschäftlichen Verhältnisse führt, B G H BB 1959, 282.
A n m . 62 Die H e r a b s e t z u n g d e s R u f e s und der L e i s t u n g e n d e s M i t b e w e r b e r s ist in der Regel sittenwidrig. Wegen vergleichender Werbung s. Anm. 68, 69. Die Heranziehung persönlicher Eigenschaften und Verhältnisse eines Mitbewerbers zur Förderung des eigenen Absatzes ist unlauter, in der Regel auch dann, wenn es sich u m Angabe wahrer Tatsachen handelt ( R G 166, 14, 30; J W 1925, 2 3 2 7 ; G R U R 1938, 923). Die Mitteilung wahrer Tatsachen verstößt hauptsächlich dann gegen die guten Sitten, wenn ein Interesse an der Mitteilung für das Publikum nicht besteht ( R G J W 1932, 1883), wenn der Mitteilende schikanös handelt, oder z. B. längst erledigte Vorkommnisse als jetzt noch bedeutsam hingestellt werden, oder wenn der andere geschädigt werden soll ( R G 76, 1 1 0 ; J W 1925, 2327: Mitteilung gerichtlicher Vorstrafen; 1932, 1 8 8 3 ; 1933,
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§ 826 A n m . 63, 64
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
1403). Hinweis auf Ausländereigenschaft, R G 163, 164; auf Beteiligung von ausländischem Kapital, R G 150, 55; auf frühere separatistische Betätigung, R G J W 1933, 1403; Veröffentlichung eines Urteils, R G H R R 1934 Nr. 1707; Warnung eines Händlerverbands vor Geschäftsverbindung mit einer Firma, die auch unmittelbar an Private verkauft, R G J W 1926, 19829; Täuschung des Verkehrs über Geschäftsverhältnisse eines Mitbewerbers, z. B. über die Vertriebsstätte seiner Waren, LM UWG § 1 Nr. 46; Veröffentlichung in einer Zeitschrift über unlautere Werbemethoden eines Mitbewerbers, BGH UWG § 1 Nr. 49. A n m . 63 ee) Preisbildung, Preisbindung und sonstige Bindungen. Die Preisgestaltung steht jedem Unternehmer frei. Er kann daher auch Sonderpreise gewähren und sogar Abnehmer der gleichen Wirtschaftsstufe preislich verschieden behandeln (BGH NJW 1958, 1140). Die Preisunterbietung allein ist nicht sittenwidrig, auch wenn sie den Mitbewerber zu gleichen Maßnahmen zwingt (RG 134, 118, 120; 144, 41, 50; J W 1933, 1721; BGH 28, 54, 58; Karlsruhe, Betrieb 1959, 198). Die Preisunterbietung ist grundsätzlich dann sittenwidrig, wenn sie einerseits auf der M i ß a c h t u n g e i g e n e r R e c h t s p f l i c h t e n oder auf b e w u ß t e r A u s n u t z u n g f r e m d e n V e r t r a g s b r u c h s , andererseits auf dem R e c h n e n auf d i e V e r t r a g s - u n d G e s e t z e s t r e u e d e r M i t b e w e r b e r oder auf einer sonstigen unlauteren Wettbewerbshandlung beruht (RG 117, 16: Preisunterbindung auf Grund untertariflicher Entlohnung der Arbeitnehmer; 120, 47; 133, 33i» 3355 148. 364. 367. 37o; J W 1932, 19611; 1936, 651, 312511; H R R 1933 Nr. 1683; vgl. BGH 28, 387; MDR 1958, 577; BB 1958, 722; WuW 1955, 118, 122). Sittenwidrig ist es, wenn durch systematisches Unterbieten, durch Verschleudern von Waren oder gewerblicher Leistungen zu Verlustpreisen bezweckt wird, den Gegner vom Markt zu verdrängen und zu vernichten, oder wenn das Unterbieten in der Absicht geschieht, den Wettbewerber, der auf gesunder kaufmännischer Grundlage wegen seiner billigeren Gestehungskosten billiger verkauft, zur Angleichung an die eigenen höheren Preise zu bestimmen, deren Wiederkehr beabsichtigt ist. Dagegen ist der Verkauf unter Gestehungskosten an sich ohne das Hinzukommen dieser Umstände nicht sittenwidrig (RG 134, 342, 351; 144, 41, 50; J W 1936, 651; B G H 28, 54, 58). A n m . 64 Bei preisgebundenen Markenartikeln reicht die Preisunterschreitung als solche noch nicht aus. Sie ist sittenwidrig bei besonderen Umständen, z. B. dann, wenn sie auf der Ausnutzung eines Vertragsbruchs beruht, wenn z. B. ein Außenseiter seinen Lieferanten verleitet, ihm die Ware unter Verletzung seiner eigenen Vertragspflicht gegenüber dem Hersteller zu liefern, wenn er also fremden Vertragsbruch fortsetzt und planmäßig ausnutzt. Weitere Voraussetzung ist, daß das Preisbindungssystem lückenlos aufgebaut ist (RG 133, 51, 61; 133, 330, 341; 148, 364; 150, 271; 151, 239: Erleichterung des Beweises über die Lückenlosigkeit der Preisbindung; vgl. R G 154, 50, 55; B G H BB 1958, 214; Düsseldorf BB 1957, 659; Frankfurt NJW 1958, 1613). Weitere Voraussetzung ist, daß die Preisbindung vor dem Gesetz Bestand hat. Sie war nach dem Rechtszustand bis zum Zusammenbruch im Jahre 1945 an sich erlaubt. Vgl. KartVO v. 2. 11. 1923 (RGBl I 1067) mit Änderungsgesetzen und Verordnungen; wegen des Rechtszustandes im einzelnen, auch zur Frage des sittenwidrigen Zwangs zum Beitritt zu einem Kartell vgl. 10. Aufl. § 826 Anm. 5n. Anschließend waren Kartelle verboten durch die Dekartellierungsvorschriften der Besatzungsmacht (MRG Nr. 56 amerik. Zone; M R V O Nr. 78 brit. Zone; M R V O Nr. 96 franz. Zone). Aus der Rechtsprechung hierzu vgl. B G H 5, 218, 225; LM M R G (AmZ 56) Art. V Nr. 7; WuW/E BGH 205. Die vertikale Preisbindung war zulässig bei Markenartikeln und bei Verlagserzeugnissen (BGH NJW 1958, 589 u. 591). Die vertikale Preisbindung ist jetzt kartellrechtlich geregelt in §§ 15 ff GWB. Vertikale Preisempfehlungen, die die Händler t a t s ä c h l i c h binden, sind unzulässig. Sie sind nur erlaubt, wenn sie in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 4 GWB beim Bundeskartellamt angemeldet sind (BGH 28, 208). Zur Frage, in welchem Verfahren über die kartellrechtliche Zulässigkeit von vertikalen Preisbindungen zu entscheiden
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Unerlaubte Handlungen
§826
Anm. 65—68
ist, vgl. B G H N J W 1958, 1395, 1396 1. S p . ; Frankfurt N J W 1958, 1 6 3 8 ; L o o s N J W I 9 5 8 . i 9 0 1 v - G a m m N J W 1959, 964. Über sittenwidrige Rabattgewährung, die eine Preisunterbietung darstellt, vgl. R G 120, 4 7 ; J W 1933, 1767 5 . Die gesetzliche Sonderregelung im Rabattgesetz v. 23. 1 1 . 1933 ( R G B l I 1 0 1 1 ) schließt die Anwendung des § 1 U W G und des § 826 nicht aus.
Anm. 65 S u b m i s s i o n s k a r t e l l e , die den Mitbewerber bei der Bewerbung um öffentlich ausgeschriebene Arbeiten zur Einhaltung bestimmter Preise verpflichten, waren nach der Rechtsprechung sittenwidrig, wenn dadurch die Preise unangemessen hoch gehalten werden sollen, oder der Ausschreibende in Unkenntnis der Abrede irregeführt wurde ( R G H R R 1936 Nr. 4 5 7 ; J W 1 9 3 1 , 2 5 6 1 , 3602; WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 397). Solche Kartelle wurden geregelt durch die VerdingungskartellVO v. 29. 3. 1935 ( R G B l I, 488). Wegen des Rechtszustandes nach 1945 vgl. die Dekartellierungsgesetzgebung der Besatzungsmächte, 10. Aufl. § 826 Anm. 5n.
Anm. 66 V e r t r i e b s b i n d u n g . Grundsätzlich steht die Art des Verkaufs über Großhandel oder unmittelbar an Einzelhändler oder an den Endverbraucher frei. Deshalb sind Direktverkäufe an den letzten Verbraucher grundsätzlich nicht unlauter, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, wie z. B. Vorkehrungen zur Verheimlichung der Doppelfunktion eines Lieferanten als Groß- und Einzelhändler ( B G H 28, 54). Vertragliche Bindungen, durch die Zwischenhändlern eine Beschränkung hinsichtlich des Verkaufs an bestimmte Verbraucher oder Verbrauchergruppen auferlegt wurden, waren nach der früheren Rechtsprechung zulässig. Es war auch kein sittlich vorwerfbarer Wettbewerb, wenn ein Unternehmer elektrischer Anlagen (Überlandzentrale) die Stromabnehmer verpflichtete, die Einführung und Anbringung von ihm vornehmen zu lassen, und die Beleuchtungskörper von ihm zu beziehen; es widersprach aber den guten Sitten, wenn er dabei ungewöhnlich hohe Preise forderte und unbillige Bedingungen setzte ( R G 79, 224). Verstöße gegen die Vertriebsbindung sind sittenwidrig, wenn die Bindung lückenlos vereinbart und lückenlos durchgeführt ist und wenn der Zuwiderhandelnde sich einen Vorsprung gegenüber Berufsgenossen verschafft, die sich in gleicher Weise gebunden haben ( R G 148, 364; Stuttgart, N J W 1958, 465). Uber die Zulässigkeit einer Vertriebsbindung über den Ausschluß ambulanter Händler von dem Verkauf von Marken.schokolade nach dem alliierten Dekartellierungsrecht vgl. B G H N J W 1958, 589. Vgl. jetzt § 18 G W B .
Anm. 67 c) Kundenfang a a ) A l l g e m e i n e s . Es ist sittenwidrig, sich auf Kosten der übrigen Mitbewerber durch unlautere Mittel, die gegenüber den K u n d e n angewendet werden, Vorteile zu verschaffen, z. B. durch unwahre Angaben über Waren, Leistungen oder über den Mitbewerber oder auch durch sonstige unlautere Mittel (vgl. Anm. 6 i , 62). Durch § 1 U W G soll nicht nur der Mitbewerber vor einem unlauteren Wettbewerb, sondern auch die Allgemeinheit vor Wettbewerbsauswüchsen bewahrt werden ( R G 128, 330, 3 4 3 ; BGH L M U W G § 1 Nr. 26.
Anm. 68 b b ) V e r g l e i c h e n d e W e r b u n g . Vgl. B a u m b a c h - H e f e r m e h l , Wettbewerbsund Warenzeichenrecht, 7. Aufl. § 1 U W G Anm. 1 4 f r ; vgl. R e i m e r , Wettbewerbsund Warenzeichenrecht, 3. Aufl. K a p . 78. Es kann sittenwidrig sein, die Vorzüge seiner eigenen Waren oder Leistungen durch eine Herabsetzung des Mitbewerbers in persönlicher Hinsicht hervorzuheben (vgl. Anm. 62). Erfolgt die Werbung in der Weise, daß sie auf die Waren oder Leistungen eines Konkurrenten Bezug nimmt ( b e z u g n e h m e n d e W e r b u n g ) , so ist sie in der Regel sittenwidrig. Die Nennung des Mitbewerbers mit Namen ist nicht erforderlich. Es genügt, daß er für den Leser eindeutig erkennbar ist ( L M U W G § 1 Nr. 7).
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§ 826 A n m . 69, 70
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Dieser Vergleich kann erfolgen mit dem Zweck, die eigenen Waren gegenüber denen des Mitbewerbers besser herauszustellen ( k r i t i s i e r e n d e v e r g l e i c h e n d e W e r b u n g ) . Er ist in der Regel sittenwidrig (RG 116, 277, 280), ohne weiteres bei unwahren Angaben (RG WarnRspr 1910, Nr. 280; B G H NJW 1952, 223; LM UWG § 1 Nr. 3, 7, 11, 19)Einzelfälle: RG 131, 75: Odol ist besser (Anpreisen im Komparativ); 116, 277 und 143, 362, 365: Preisvergleich; G R U R 1934, 437: Übertreibung der Gesundheitsgefährlichkeit von Konkurrenzware; BGH LM UWG § 1 Nr. 39: Herabsetzung der Erzeugnisse des Mitbewerbers aus einer früheren Epoche. Bei der a n l e h n e n d e n v e r g l e i c h e n d e n W e r b u n g wird der gute Ruf der fremden Ware ausgenutzt; durch die Bezugnahme auf die Vorteile der fremden Ware werden deren Vorteile für die eigene Ware verwertet. Dies ist in der Regel sittenwidrig (RG 1 1 0 , 343; 143, 3 6 2 ; J W 1926, 46; 1937, 3 1 0 ; B G H NJW 1956, 1 5 5 6 ; LM U W G § 1 Nr. 36, 58; 28, 387, „Nelkenstecklinge"). Deshalb ist die Bezugnahme auf einen fremden eingeführten Namen oder ein fremdes Wortzeichen regelmäßig sittenwidrig. Ein Gewerbetreibender darf auf Anfragen nach seiner Leistungsfähigkeit zur Herausstellung der Qualität seiner Produkte nicht darauf hinweisen, daß er Fachkräfte aus einem Konkurrenzunternehmen eingestellt hat (BGH NJW 1956, 1556). Der Warenvergleich ist ausnahmsweise zulässig zur A b w e h r e i n e s A n g r i f f s , durch den der Angegriffene gezwüngen wird, sich mit der Person oder Leistung des Angreifers zu befassen, und bei dem eine andere Abwehrmöglichkeit nicht bleibt (RG J W 1928, 1572; LM UWG § 1 Nr. 3, 7, 19, 35, 39). Bei Abwehrmaßnahmen muß es sich um taugliche und adäquate Mittel zur Abwehr des Angriffs handeln. Unwahre Behauptungen sind in keinem Fall zulässig. Ferner ist der Vergleich zulässig zur Erfüllung des Verlangens eines Kunden nach Aufklärung (RG J W 1936, 2867; B G H NJW 1956, 1556), ferner, wenn er notwendig ist zur Darlegung eines sonst nicht deutlich zu machenden wirtschaftlichen oder technischen Fortschritts (RG 166, 14, 35; DR 1944, 5775 B G H LM UWG § 1 Nr. 3). Anm. 69 Allgemein zulässig ist dagegen der S y s t e mvergleich. Dabei handelt es sich um die ohne Bezugnahme auf einen Mitbewerber oder mehrere Mitbewerber erfolgende abstrakte Vergleichung zwischen Systemen, z. B. eines Herstellungs- oder eines Vertriebssystems. Dieser Vergleich darf keine persönliche Bezugnahme auf den Mitbewerber, enthalten (RG 116, 277; 135, 38; 156, 1, 11; G R U R 1937, 941, 945; 1940, 50; 1944, 154; BGH NJW 1952, 223; 1958, 1235; LM UWG § 1 Nr. 11, 19). Ein zulässiger Systemvergleich liegt auch vor, wenn die besondere technische Ausgestaltung und Arbeitsweise eines bestimmten Erzeugnisses mit den technischen Möglichkeiten anderer Warengattungen, durch die der gleiche wirtschaftliche Erfolg erreicht werden soll, ohne Bezugnahme auf einen bestimmten und begrenzten Kreis von Mitbewerbern verglichen wird (BGH LM UWG § 1 Nr. 3). Der Systemvergleich muß sachlich bleiben und darf keine bewußten oder grob fahrlässig falschen Behauptungen enthalten. Es dürfen nicht einseitig nur die Vorteile des einen und die Nachteile des anderen Systems hervorgehoben werden (RG 135, 38, 45; 156, 1; 166, 14, 37; H R R 1933 Nr. 1681; B G H NJW 1958, 1235; LM UWG § 1 Nr. 60). Die Erwähnung eines Mitbewerbers macht den Vergleich nicht notwendig zu einer sittenwidrigen Reklame (RG 156, 1, 7; DR 1944, 577). Die Einkleidung in den äußeren Rahmen eines Systemvergleichs überschreitet jedoch die Grenzen der Zulässigkeit, wenn sie sich verbindet mit einer Gegenüberstellung der Leistungen und Preise sowie der Person des Mitbewerbers zu den Leistungen und Preisen desjenigen, der den Vergleich anstellt (RG 143, 363; G R U R 1942, 154, 1 5 5 ; BGH LM UWG § 1 Nr. 11). A n m . 70 cc) Nötigung, Anreißen, sonstige Mittel. Vgl. B a u m b a c h - H e f e r m e h l aaO Anm. 46—53, 70fr. Unzulässig ist der M i ß b r a u c h e i n e r M a c h t s t e l l u n g insbesondere einer öffentlich-rechtlichen Machtstellung zur Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs. Die öffentliche Hand, die als Gewerbetreibende auftritt, darf keine Vor-
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Unerlaubte Handlungen
§826 Anm. 71—73
zugsstellung einnehmen ( B G H BB 1959, 282; München N J W 1958, 1298). Werbung für öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalt durch eine Behörde, R G 1 3 2 , 296; J W 1932, 2529; Bevorzugung einer Autoverkehrsgesellschaft, an der die Stadt beteiligt ist, durch das Stadt. Verkehrsamt, R G D J Z 1936, 1 3 1 1 ; Ausnutzung der amtlichen Eigenschaft eines Kommunalverbandes zur Einflußnahme auf Gemeindeangehörige, R G 1 1 6 , 28; 138, 1 7 7 ; vgl. 124, 239; Werbung einer staatlichen Kurverwaltung f ü r staatseigene Betriebe, B G H 19, 299. Zulässig ist dagegen die Zwangsunfallversicherung von Schülern bei einer bestimmten Versicherungsanstalt auf Anordnung des Justizministeriums ( R G 128, 134), ferner die Überlassung von Anschriftenmaterial für Fernsprechanschlüsse durch die Post an private Herausgeber eines Branchen-Fernsprechbuchs ( R G 1 3 7 , 57)-
Anm. 71 Unzulässig ist das A n r e i ß e n , d. h. die Gewinnung von Kunden durch aufdringliche Einwirkung. Das Publikum läßt nur in gewissem U m f a n g lästigen und unangenehmen Wettbewerb über sich ergehen. Wenn unerfreuliche Wettbewerbserscheinungen die Grenzen des Zumutbaren überschreiten, werden sie sittenwidrig, z. B. das Ansprechen von Passanten auf der Straße von einem Bücherwagen aus (Stuttgart, N J W 1955, 146). Werbung für Schutzmittel, R G 149, 224; Aufsuchen von Angehörigen eines Verstorbenen durch Bestattungsunternehmen, R G 145, 396, 4 0 1 ; Werbung f ü r den Abschluß von Verträgen auf dereinstige Bestattung, B G H L M U W G § 1 N r . 26; unzulässig ist die Herbeiführung einer Marktverstopfung für den Mitbewerber ohne eigene Leistung z. B. durch Aufkaufen von nicht absetzbaren Erzeugnissen der Mitbewerber mit der Verpflichtung der Verkäufer gegen Aufkauf der alten, nicht absetzbaren Ware eine mehrfache Menge der eigenen Erzeugnisse abzunehmen ( B G H 3, 339). Unentgeltliche Massenverteilung von Warenproben, B G H 23, 365; Zusendung unbestellter Waren, B G H Betrieb 1959, 283: Künstlerpostkarten. Schaufensterwettbewerb ist nicht schlechthin sittenwidrig ( B G H L M U W G § 1 Nr. 71 „Italienische N o t e " ) .
Anm. 72 Beeinflussung in der Form, daß durch Z u g a b e n oder W e r b e g a b e n das Urteil des Kunden getrübt wird, ist unter besonderen Umständen sittenwidrig, wenn sie zu Mitteln greift, die mit dem Wesen einer wirtschaftlich vernünftigen Werbung unvereinbar sind, wenn die Werbung sich in Formen abspielt, die den allgemein gültigen Grundsätzen wirtschaftlicher Betriebsführung nicht entsprechen. Die aus besonderen Anlässen erfolgende unentgeltliche Abgabe von Gebrauchsartikeln an Kunden ist nicht wettbewerbswidrig, wenn sie nach ihrem Wert und nach Art der bestehenden Geschäftsbeziehungen nicht geeignet erscheint, den Kunden in seinen geschäftlichen Entschlüssen zu beeinflussen ( R G 160, 385, 388; G R U R 1936, 8 1 0 ; 1938, 207; 1939, 3 1 4 , 862; B G H 1 1 , 260, 269, 272; N J W 1956, 1 5 5 9 ; L M U W G § 1 Nr. 59: Zulässigkeit einer langjährigen Garantieübernahme; Betrieb 1958, 980: Feuerzeuge als Werbegeschenk). V g l . ferner die Z u g a b e V O v. 9. 3. 1932 ( R G B l I 1 2 1 ) idF v. 12. 5. 1933 ( R G B l I 264) und v. 20. 8. 1953 ( R G B l I 939).
Anm. 73 Das Ansprechen der S p i e l l e i d e n s c h a f t durch Preisausschreiben usw. ist an sich nicht wettbewerbswidrig, auch wenn sie vom Mitbewerber als lästig und unbequem empfunden wird ( B G H BB 1958, 1274). Diese Werbung wird erst unzulässig, wenn erschwerende Umstände hinzukommen, z. B. die Irreführung des Publikums über Gewinnaussichten oder die Schaffung eines „psychologischen K a u f z w a n g s " ( B G H BB 1958, 1 2 7 4 : Schaufensterwettbewerb). Unzulässig ist auch die sog. p r o g r e s s i v e K u n d e n w e r b u n g . In diesem Fall kann fast der gesamte Kaufpreis außer in Ratenzahlungen in der Weise beglichen werden, daß der K ä u f e r neue Käufer wirbt und diese oder die von diesen wiederum neu geworbenen K ä u f e r fortlaufend, in geometrischer Progression, die ihnen obliegenden Ratenzahlungen bar an den Verkäufer entrichten (Hydra- und Schneeballsystem; R G 1 1 5 , 3 1 g , 3 3 0 ; B G H S t 2, 79 u. 1 3 9 ; B G H 15, 3 5 6 ; N J W 1952, 392). Sittenwidriger Wettbewerb durch Veranstaltung einer un-
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§ 826
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 74, 75 genehmigten Lotterie, R G J W 1 9 2 8 , 1 2 1 0 1 0 ; Veranstaltung von unentgeltlichen Verlosungen zu Reklamezwecken, R G J W 1931, 4 5 1 3 3 ; Vertrieb von Waren unter Anlockung von Käufern durch Provisionsversprechen für Anwerbung weiterer Käufer, R G J W 1 9 2 7 , 1 5 7 2 1 3 . Sittenwidrig kann die Zusage sein bei Werbung eines weiteren Kunden, eine Prämie zu gewähren und an einer Verlosung teilnehmen zu lassen ( B G H I Z R 1 3 0 / 5 8 v. 2 3 . 1. 1 9 5 9 : „Bienenhonig"; vgl. Stuttgart N J W 1 9 5 8 , 1 4 9 6 ) . Nicht sittenwidrig ist die Werbung mit Zugabeartikeln, die sich den Spiel- und Sammeltrieb der Kinder zunutze macht ( B G H N J W 1 9 5 6 , 1 5 5 9 ) .
A n m . 74 d) A u s b e u t u n g a a ) A l l g e m e i n e s . Vgl. R e i m e r , Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht 3 . Aufl. 7 7 . K a p i t e l ; B a u m b a c h - H e f e r m e h l a a O Anm. 1 5 0 f r . Die Nachahmung fremder Erzeugnisse, überhaupt die Ausnutzung fremder Arbeit verstößt noch nicht gegen die guten Sitten. J e d e Leistung baut auf der früheren Arbeit auf. Soweit daher Sondergesetze wie Patentgesetz, Musterschutzgesetz usw. und das Urheberrecht nicht eingreifen, ist grundsätzlich die Ausnutzung fremder Arbeit erlaubt. Daher ist der sog. „sklavische Nachbau", d. h. die maßgetreue Nachahmung eines gewerblich nicht geschützten Erzeugnisses an sich nicht sittenwidrig (vgl. Anm. 7 5 ) . Es müssen besondere Umstände hinzutreten, um eine sich an ein anderes Werk anlehnende Tätigkeit als sittenwidrig erscheinen zu lassen, wie z. B. die Verwechslungsgefahr ( R G 1 1 9 , 4 0 8 ; 135; 385; 143, 362; 1 4 4 , 4 1 , 4 4 ; J W 1 9 3 7 , 3 0 ; 1 9 3 8 , 1 1 8 ; B G H 5 , 1, 1 0 ; 1 8 , 1 7 5 , 1 8 2 ; 2 1 , 2 6 6 , 2 6 9 ; 2 6 , 5 2 , 5 9 ; L M GeschmMG § 5 Nr. 1 ; U W G § 1 Nr. 3 6 , 5 8 ) .
A n m . 75 bb) U n l a u t e r e A u s n u t z u n g d e r Leistung eines M i t b e w e r b e r s . Solche be-
sonderen Umstände liegen in folgenden Fällen vor. Die Nachahmung einer fremden Ware oder Leistung wirkt täuschend, das fremde Arbeitsergebnis wird also nicht nur als Grundlage der eigenen Weiterentwicklung benutzt, sondern als Ergebnis eigener Arbeit dargestellt und damit die Öffentlichkeit über den Urheber getäuscht, also V e r w e c h s l u n g s g e f a h r und T ä u s c h u n g s a b s i c h t ( R G 1 3 5 , 3 8 5 , 3 9 5 ; 1 4 4 , 4 1 , 4 4 ; 1 4 6 , 2 4 7 , 2 4 9 ; 1 5 5 , 1 9 9 , 2 0 7 ; B G H L M U W G § 1 Nr. 1 9 , 5 6 , 5 7 ) . Einer bewußten Nachahmung steht es gleich, wenn der Wettbewerber es unterläßt, die ihm bekannte Verwechslungsgefahr zu beseitigen ( B G H 2 1 , 2 6 6 , 2 7 0 ) , so z. B., wenn es sich um ein eigenartiges, überdurchschnittliches Erzeugnis handelt. Der Nachahmer muß die ihm zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verwechslungsgefahr treffen. Die Nachahmung einer Warenkennzeichnung ist unlauter, wenn sie infolge ihrer besonderen Eigenart im Verkehr in dem Sinne wirkt, daß sie eine Gedankenverbindung mit der Herstellungsstätte hervorruft und dadurch die Gefahr einer Irreführung besteht ( B G H LM U W G § 1 Nr. 3 6 ) . Die Nachahmung ist ferner sittenwidrig, wenn sich der Nachahmer durch die Ausnutzung der fremden Arbeitsleistung in den Stand setzt, die Ware ohne erhebliche Aufwendungen billiger in den Handel zu bringen und so den Mitbewerber um die Früchte seiner mit Mühe und Kosten verbundenen Arbeit bringt (ungerechtfertigte Bereicherung; RG 1 1 5 , 180, 1 8 3 ; 119, 408; 120, 94; 135, 385; 142, 145, 3 4 1 ; 146, 247). Der Nachahmer verschafft sich die nachgeahmten Erzeugnisse von dem Ersterzeuger auf unredliche Weise, z. B. durch Täuschung (Erschleichung; R G 1 4 4 , 4 1 ; R G G R U R 1938,70). Die maßstäblich genaue Nachbildung eines technischen Erzeugnisses ( s k l a v i s c h e r N a c h b a u ) wird durch das Hinzukommen besonderer Umstände sittenwidrig ( B G H 2 1 , 2 6 6 , 2 6 9 ) , wenn z. B. zu der genauen Nachbildung die Absicht hinzukommt, die Abnehmer über die Herkunft einer Ware, die Verkehrsgeltung hat, zu täuschen und damit den guten R u f der fremden Ware auszunützen ( R G 1 4 4 , 4 1 , 4 5 ; J W 1 9 3 1 , 4 5 9 " ; 1 9 3 2 , 1 8 8 0 4 0 ; 1 9 3 5 , 1 0 9 1 " ; 1 9 3 6 , 8 7 4 " ; 1 9 3 7 , 3 0 8 ; 1 9 3 8 , 1 1 8 1 3 ; Hamburg M D R 1 9 5 0 , 4 8 ) . Der Nachbau ist ferner sittenwidrig, wenn das nachgeahmte Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird, ohne daß sich der Nachahmer um die Gefahr von Verwechslungen kümmert ( B G H 2 1 , 2 6 6 , 2 7 0 ) . Kein sklavischer Nachbau ist die Nachzüchtung vege-
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Unerlaubte Handlungen
§826
A n m . 76 tativ erzeugter Pflanzen, denn in diesem Fall bereichert der Vermehrer die Leistung des Züchters nicht durch eine eigene Zutat ( B G H 28, 387). Eine Ausnutzung fremder Leistung stellt auch die anlehnende Werbung dar (vgl. Anm. 68), ferner die unlautere Ausnutzung der Kennzeichnungskraft einer Firmenoder Warenbezeichnung, ohne daß die Gefahr einer Verwechslung besteht, oder die Ausnutzung einer Ausstattung ( R G 117, 318; 143, 362; 170, 137; J W 1915, 579 13 ; G R U R 1939, 631; 1940, 360; B G H 4, 96; 15, 107, 113; beachte B G H 28, 320, „ Q u i c k " ) . Hierher gehört ferner die Ausnutzung der Namensgleichheit, z. B. durch Aufnahme einer anderen Person in ein Geschäft, um zum Zwecke des Wettbewerbs deren Namen in die Firma einfügen zu können ( R G WarnRspr 1910 Nr. 441; 1911 Nr. 401; 1917 Nr. 80; B G H NJW 1951, 520). Wettbewerber, die in der Firmenund Warenbezeichnung gemeinsame Namensbestandteile führen, müssen unterscheidende Zusätze hinzufügen ( B G H NJW 1952, 222). Hierher gehört auch die planmäßige oder zielbewußte Ausnutzung des guten Rufes einer fremden Ware ( B G H 28, 387, „Nelkenstecklinge", insbesondere zum Begriff der Planmäßigkeit). Vgl. Anm. 68.
A n m . 76 c c ) E i n z e l f ä l l e d e r u n l a u t e r e n A u s n u t z u n g . Einmaliger Bezug von Musterstühlen und Bestellung bei einem anderen Hersteller, dem sie zugänglich gemacht werden, R G H R R 1933 Nr. 1572; vgl. R G 83, 37; Nachbildung von Möbeln nach früherer Lieferung, R G 101, 2; Verschaffen von Erzeugnissen unter der Täuschung, daß eine Bestellung beabsichtigt sei, R G WarnRspr 19 t 1 Nr. 80; Käthe-Kruse-Puppen, R G i n , 254; Nachahmung einer illustrierten Zeitschrift, R G J W 1932, 872®; Nachzeichnung eines bei einer Submission abgegebenen Probestücks und Bekanntgabe der Zeichnung, R G 83, 37; planmäßige Verwendung fremder Ausstattung, R G 146, 247; J W 1929, 3070; Nachahmung einer Warenkennzeichnung, die keinen Ausstattungsschutz genießt, B G H L M U W G § 1 Nr. 36; irreführende Anpreisung beim Vertrieb von Ersatzteilen dahin, als stammten die Ersatzteile von dem Hersteller der Hauptware, R G G R U R 1941, 117; B G H 27, 264, 268; dagegen ist der bloße Hinweis erlaubt, daß der Ersatzteil oder ein Zusatzgerät zu dem von einem anderen Mitbewerber hergestellten Hauptgerät gehört ( B G H L M U W G § 1 Nr. 55). Unzulässige Verwendung des eigenen Namens oder des Namens eines Geschäftspartners zu Wettbewerbszwecken, R G WarnRspr 1917 Nr. 80; G R U R 1940, 358, 363; B G H 4, 96; 25, 369, 374; NJW 1951, 520; 1952, 222; sittenwidrige Nachbildung eines urheberrechtlich nicht geschützten Gegenstandes, R G J W 1932, 1881; Nachbildung eines geschützten Gegenstandes nach Ablauf der Schutzfrist, R G J W 1932, 1880; 1937, 30 8 ; Ausnutzung der patentamtslosen Zeit durch Verwertung der Leistung eines Erfinders, B G H 3, 365; Verwendung eines geschützten Warenzeichens für nicht gleichartige Waren, R G 115, 401, 409; 154, 1, 9; J W 1932, 1 8 4 1 " ; beachte B G H 28, 320, „ Q u i c k " ; Nachahmung der äußeren Ausstattung oder Bezeichnung fremder Erzeugnisse in Täuschungsabsicht, R G 146, 247; J W 1929, 3070 10 ; Ausnutzung des guten Rufs einer fremden Ware, B G H L M U W G § 3 Nr. 17 (Rügenwalder Teewurst); vgl. L M U W G § 1 Nr. 36; Nachahmung von Massenware, R G J W 1931, 189820; Eindringen in Abnehmerkreis einer Zeitung durch Verwendung eines verwechslungsfähigen Titels, R G L Z 1933, 930; Nachahmung eines Adreßbuchs, R G 116, 292; Nachahmung von Bildwerken, R G 117, 318; Anknüpfung an Romanfigur in einem Film, B G H 26, 52, 59; Benutzung von Modellen eines Kunden nach Ablauf des Vertreterverhältnisses, R G 83, 344; Verkauf eigener Tabletten durch Apotheker an Stelle der ärztlich verordneten, R G SeuffArch 86, 209; Ausnutzung der markanten Werbung eines Mitbewerbers, R G 116, 292; J W 1926, 49; G R U R 1944, 90; sittenwidriger Erwerb und Verwendung fremder Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, R G J W 1936, 2081 17 . Nicht sittenwidrig ist die Verbreitung einer Rundfunknachricht durch Extrablatt ( R G 128, 330), ebenso der Abdruck von Rundfunkprogrammen ohne Genehmigung der Rundfunkanstalt ( R G 140, 137, 142). Dagegen ist sittenwidrig das Verbreiten von Programmheften zur Veranstaltung eines anderen ( B G H 27, 264). Ein Ausnutzen einer fremden Leistung stellt es dar, wenn man eine Kennzeichnung mit überragender Verkehrsgeltung („berühmtes Zeichen") benutzt. Da die §§ 24, 25 87
Komm. 2. BGB, II. Aufl. II. Bd. (Haager)
1355
§ 826 Anm. 77—79
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
W Z G Schutz nur gegen Verwechslungsgefahr bei gleichen oder gleichartigen Waren gewähren und auch der Schutz des § 16 UWG in der Regel nicht ausreicht, ist eine derartige Kennzeichnung unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in einen Gewerbebetrieb dahin geschützt, daß sie durch den Gebrauch für andere Waren nicht „verwässert" wird (BGH 28, 320, „Quick"; vgl. § 823 Anm. 31). Anm. 77 dd) Ausspannen. Das A b w e r b e n von Arbeitnehmern ist sittenwidrig bei Anwendung verwerflicher Mittel, z. B. durch Verleitung zum Vertragsbruch ( R G SeuffArch 88 Nr. 48) oder durch Irreführung des Abgeworbenen ( R G G R U R 1938, 137), ferner bei Verfolgung verwerflicher Zwecke ( R G 123, 366: Anstiftung eines Angestellten zum Verrat von Geschäftsgeheimnissen und Anstellung dieses Angestellten), ferner bei planmäßigem Vorgehen, z. B. bei sofortigem Einsatz von abgeworbenen Bezirksvertretern im Bezirk des bisherigen Unternehmers ( R G 149, 140; vgl. J W 1934, 3I37 8 ). Anm. 78 Das Abspenstigmachen von Kunden ist grundsätzlich nicht sittenwidrig, denn kein Geschäftsmann hat Anspruch auf Erhaltung seines einmal erworbenen Kundenstamms. Eine neuartige und wirksame Werbung ist deshalb nicht schon aus dem Grunde zu mißbilligen, daß sie für den Mitbewerber wegen ihres Erfolgs unangenehm wird ( R G 144, 41, 49; B G H 19, 392, 396). Daher müssen besondere Umstände hinzukommen. Hierher gehört die Werbung des Kunden durch I r r e f ü h r u n g (Kundenfang; vgl. Anm. 67fr) und die V e r l e i t u n g eines K u n d e n zum V e r t r a g s b r u c h (vgl. Anm. 29). Es ist auch sittenwidrig, wenn ein Wettbewerber es unternimmt, unter Berufung auf eine noch nicht gesicherte Rechtsauffassung Abnehmer seines Mitbewerbers für sich zu gewinnen ( B G H J Z 1954, 288: Auffassung über die Nichtigkeit eines Bierlieferungsvertrags) . Anm. 79 e) Vertragsbruch und Gesetzes verstoß. Vgl. B a u m b a c h - H e f e r m e h l aaO Anm. 201 ff; vgl. R e i m e r , Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht 3. Aufl. Kap. 76. Wie bereits dargelegt (Anm. 26), ist die Verletzung eines Vertrags noch nicht gleichbedeutend mit einem sittenwidrigen Verhalten. Sie wird sittenwidrig durch das Hinzukommen besonderer Umstände, z. B. dadurch, daß der Vertragsbrüchige die Vertragstreue seiner Mitbewerber ausnützt ( B G H NJW 1958, 465, 591) oder wenn das Vertragsverhältnis ein besonderes Vertrauensverhältnis darstellt ( R G J W 1936, 3125). Es dürfen auch Arbeitnehmer ihre Kenntnisse, die sie bei einem früheren Arbeitgeber erworben haben, in der Regel nach Beendigung des Dienstverhältnisses verwerten. Uber Ausnahmen vgl. Anm. 26. Die Werbung eines ausgeschiedenen Angestellten im Kundenkreis seines früheren Geschäftsherrn ist nur dann zu beanstanden, wenn besondere Umstände sie als sittlich anstößig erscheinen lassen ( R G D J 1938, 1689). Ein Unternehmer, der auf Grund eines Kaufvertrags die wesentliche Einrichtung eines anderen Gewerbebetriebs in sein Unternehmen übernommen hat, darf nach Rückgängigmachung des Kaufvertrags die ihm überlassenen technischen Unterlagen, zu deren Rückgabe er verpflichtet ist, nicht für seine eigenen gewerblichen Zwecke weiterbenutzen ( B G H Betrieb 1956, 445). Ein Verstoß gegen g e s e t z l i c h e B i n d u n g e n kann schon dann sittenwidrig sein, wenn das gesetzliche Verbot einer sittlichen Auffassung Ausdruck verleiht. Handelt es sich nur um Vorschriften, die aus Gründen staatlicher Zweckmäßigkeit und nicht aus Erwägungen des allgemeinen sittlichen Empfindens eine Regelung getroffen haben, dann liegt in ihrer Übertretung kein Sittenverstoß ( R G 166, 316, 319). Sittenwidrig handelt, wer sich über ein Gesetz hinwegsetzt, das aus Gründen der Volksgesundheit erlassen ist ( B G H 22, 167, 180; 23, 184, 186; L M ArzneimittelVO § I Nr. 3); ferner derjenige, der sich bewußt und planmäßig über ein Gesetz hinwegsetzt, um sich einen Vorsprung vor dem gesetzestreuen Mitbewerber zu verschaffen ( B G H L M PBefG Nr. 1 ; Betrieb 1958, 1210). Sittenwidrig ist die Verletzung von S t a n d e s o r d n u n g e n ( B e r u f s s t a n d s v e r g e s s e n h e i t ) , z. B. der Rechtsanwälte, Zahnärzte usw., wenn sie 1356
Unerlaubte Handlungen
§ 826 A o m . 80 § 827 A n m . 1, 2
in der Absicht geschieht, sich einen Vorsprung vor dem standestreuen Mitbewerber zu verschaffen (BGH 28, 54, 60; NJW 1958, 2112; G R U R 1955, 542; Bremen NJW 1954, 1937)A n m . 80 Die Verleitung z u m Vertragsbruch, die zu Wettbewerbszwecken erfolgt, ist auch ohne das Hinzutreten weiterer Umstände in der Regel sittenwidrig (vgl. Anm. 29; R G 109, 172; 148, 364, 369; G R U R 1939, 562, 566; J W 1926, 563'; WarnRspr 1926 Nr. 18; DR 1942, 738; B G H NJW 1956, 909; 1958, 1395; Frankfurt NJW 1958, 1637: Verleitung eines reversgebundenen Wettbewerbers zur Lieferung von Waren an den nicht reversgebundenen Wettbewerber). Die Ausnutzung fremden Vertragsbruchs ist unter besonderen Umständen sittenwidrig, wenn z. B. die Unterstützung eines Vertragsbrüchigen dazu führt, daß er gegenüber seinen Gläubigern seinen Verpflichtungen nicht nachkommt ( B G H LM § 1 UWG Nr. 40: Belieferung eines Gastwirts durch eine Brauerei trotz ausschließlicher Bezugsverpflichtung dieses Gastwirts gegenüber einer anderen Brauerei).
§ 837 Wer i m Zustande der Bewußtlosigkeit oder in einem die freie Willensb e s t i m m u n g ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustande widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn i h m Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist. E
I
708
II
7J0;
M
3
731,
732;
P
2
579—590.
Ubersicht 1. 2. 3. 4. 5.
Zurechnungsfähigkeit Bewußtlosigkeit, Störung der Geistestätigkeit Ausschluß der Verantwortlichkeit Schuldhafte Herbeiführung der Bewußtseinsstörung Anwendungsbereich der §§ 827, 828
Anm.
1 2 3 4, 5 6
Anm. 1 1. Zurechnungsfähigkeit. Verschulden setzt Deliktsfähigkeit voraus. Sie wird ausgeschlossen durch Unzurechnungsfähigkeit (§ 827), ausgeschlossen oder beschränkt durch jugendliches Alter (§ 828 Abs. 1, Abs. 2), und beschränkt durch Taubstummheit (§ 828 Abs. 2 Satz 2). Aus Billigkeitserwägungen greift in diesen Fällen die Haftung nach § 829 ein. Anm. 2 2. Bewußtlosigkeit, Störung der Geistestätigkeit. § 827 behandelt die Aufhebung der Verantwortlichkeit für eine widerrechtliche Handlung infolge Aufhebung der Willensfreiheit (vgl. §51 StGB). B e w u ß t l o s i g k e i t ist ein vorübergehender, ausnahmsweiser, an sich nicht notwendig krankhafter Zustand, der die Willensfreiheit ausschließt: Schlaf, Ohnmacht, Schlaftrunkenheit, Trunkenheit, hypnotische Zustände. § 827 erfaßt — wie der Wortlaut des § 51 StGB vor der Änderung im Jahre 1933 — den Fall der B e w u ß t l o s i g k e i t , in dem keine Handlungen im Rechtssinne möglich sind. Dementsprechend gilt auch hierfür § 829 (RG 146, 213, 215; B G H 23, 90, 98). Ferner fallen darunter physiologische (z. B. Schlaftrunkenheit) als auch pathologische Bewußtseinsstörungen (z. B. Rausch, Vergiftungen, Fieberdelirien) und Störungen auf Grund psychischer Einwirkungen (z. B. hypnotische Dämmerzustände); vgl. M a u r a c h StGB Allg. Teil § 38. Uber Bewußtseinsstörung infolge äußerster Erregung vgl. B G H S7»
1357
§ 827
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 3, 4 N J W 1958, 266. Eine k r a n k h a f t e S t ö r u n g d e r G e i s t e s t ä t i g k e i t bilden Geisteskrankheiten, aber auch Körperkrankheiten, die die geistige Tätigkeit beeinflussen (Fieberzustände); vgl. § 104 Nr. 2. Die Zustände können dauernd oder vorübergehend sein. Die krankhafte Störung muß die f r e i e W i l l e n s b e s t i m m u n g a u s s c h l i e ß e n , eine bloße Minderung der Verstandes- und Willenskraft genügt zur Anwendung des § 827 nicht ( R G 74, 1 1 0 ; 108, 86, 90; J W 1908, 2 1 0 3 2 ; SeuffArch 84 Nr. 87), ebenso nicht krankhafte Gleichgültigkeit gegen die Folgen des eigenen Handelns, Unfähigkeit, diese ruhig und vernunftsgemäß abzuschätzen ( R G 108, 87). Auch die E n t m ü n d i g u n g des Schädigers wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ersetzt nicht den Nachweis der in § 827 vorausgesetzten Geistesstörung; eine dem § 104 Nr. 3 entsprechende Bestimmung fehlt hier; auch der wegen Geisteskrankheit Entmündigte vermag u. H . im Rechtssinne zu begehen und kann wegen der Folgen in Anspruch genommen werden ( R G 108, 87; J W 1 9 1 2 , 24 4 : Haftung wegen betrügerischer Vorspiegelung der Geschäftsfähigkeit). Doch kann die Entmündigung einen tatsächlichen Anhalt f ü r das Vorhandensein eines krankhaften Geisteszustandes gewähren.
Anm. 3 3 . A u s s c h l u ß d e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t . I m Zustande der Bewußtlosigkeit oder der krankhaften Störung der Geistestätigkeit muß ein Schaden zugefügt sein, wenn § 827 Anwendung finden soll; die den freien Willen aufhebenden Hemmungen oder Störungen müssen also im Augenblicke der T a t vorhanden gewesen sein; die Zeit des Eintritts der Schadensfolge ist ohne Bedeutung. Ein Handeln in lichten Zwischenräumen der Geisteskrankheit macht den Handelnden in gewöhnlicher Weise verantwortlich. Für den in einem der Zustände des Satz 1 einem anderen zugefügten Schaden ist der Täter nicht v e r a n t w o r t l i c h , mag es sich um Vorsatz oder Fahrlässigkeit, bei letzterer um ein wirkliches oder vermutetes Verschulden (§§ 8 3 1 , 832, 833 Satz 2, 834, 836—838), um ein T u n oder Unterlassen (Nichtbeleuchtung der Treppen, Nichtstreuen bei Glatteis) handeln. §827 findet auch Anwendung, wenn ein m i t w i r k e n d e s V e r s c h u l d e n d e s V e r l e t z t e n in Frage steht und dieser dabei in einem der in Satz 1 bezeichneten Zustände sich befunden hat ( R G J W 1902 Beil. 2 1 2 1 6 ) . Dem Gesetzesgedanken nach tritt die Freiheit von der Verantwortlichkeit jedoch nicht ein, wenn ein Verschulden, wenn auch nur ein vermutetes, nicht zur Begründung der Schadensersatzpflicht gehört (§ 833 Abs. 1).
Anm. 4 4. Schuldhafte Herbeiführung der Bewußtseinsstörung. Der zweite Satz des
§ 827 bestimmt eine Ausnahme von der Verantwortungsfreiheit des Satz 1, w e n n d e r T ä t e r s i c h s e l b s t durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel schuldhafterweise, wie der Schlußsatz ergibt, i n e i n e n v o r ü b e r g e h e n d e n Z u s t a n d d e r A u f h e b u n g d e r f r e i e n W i l l e n s b e s t i m m u n g v e r s e t z t h a t . Die in Satz 2 erwähnte Fahrlässigkeit umfaßt sowohl die einfache wie die grobe Fahrlässigkeit. Uber grobes Verschulden s. R G D R 1 9 4 1 , 1786 2 ; dazu S ü ß Z A k D R 1942, 88. Die schuldhafte Selbstverursachung des Zustandes setzt auch voraus, daß der Täter von der berauschenden Wirkung der genossenen geistigen Getränke Kenntnis hatte oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt haben mußte. E r ist dann für einen von ihm in dem Zustande der Willenlosigkeit angerichteten Schaden verantwortlich, w i e w e n n i h m F a h r l ä s s i g k e i t z u r L a s t f i e l e , d. h. er steht für die schädlichen Folgen derjenigen widerrechtlichen Handlungen ein, die entweder nur fahrlässig oder die sowohl vorsätzlich als fahrlässig begangen werden können. E r bleibt dagegen frei von der Haftung f ü r Handlungen, die erst durch den rechtswidrigen Vorsatz unerlaubte werden, wie die u. H. nach §§ 826, 825 und teilweise auch § 823 Abs. 2 B G B . Wenn er haftet, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele, dann muß er auch für solche Folgen haften, die er, als er nüchtern war, noch nicht voraussehen konnte ( E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y § 2 1 2 I Fußnote 5). E r haftet auch für Vorsatz, wenn er sich v o r s ä t z l i c h in den Zustand der Willensunfreiheit versetzt hat, gerade um in diesem Zustande die u. H. zu begehen. I n diesem Falle hat er die T a t vorsätzlich verübt (actio libera in causa, verantwortliche
1358
Unerlaubte Handlungen
§ 827 Anm. 5, 6 § 828
Ingangsetzung), denn die zum Ersatz verpflichtende Handlung liegt in dem Sichversetzen in diesem Zustand. Satz 2 findet auch bei e i g e n e m V e r s c h u l d e n de; V e r l e t z t e n Anwendung ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 132).
Anm. 5 O h n e V e r s c h u l d e n ist der Täter in den Zustand der Willensunfreiheit geraten, wenn er die Wirkung z.B. des berauschenden Getränkes oder der Hypnose weder kannte noch kennen mußte. Die Fassung des Satz 2 mit dem den Schluß des Paragraphen bildenden Nachsatze ist im Hinblick auf die B e w e i s l a s t gewählt. Der Beschädigte beweist die Handlung und den durch sie zugefügten Schaden. Der Schädiger wendet ein, daß er die Handlung in einem der Zustände des Satz 1 begangen habe. Sache der Erwiderung des Verletzten ist der Nachweis, daß er sich selbst in den Zustand versetzt habe, Sache der Gegenerwiderung des Täters, daß er ohne Verschulden in diesen Zustand geraten sei. I m übrigen geht das B G B von der Verantwortlichkeit jedes Menschen aus, so daß der Schädiger seine Unzurechnungsfähigkeit beweisen muß.
Anm. 6 5. A n w e n d u n g s b e r e i c h d e r § § 8 2 7 , 8 2 8 . Satz 2 gilt, wie die §§ 827 u. 828 überhaupt, zwar n i c h t n u r f ü r d a s G e b i e t d e r u n e r l a u b t e n H a n d l u n g e n — dort allerdings nicht bei Tatbeständen, die kein Verschulden, auch kein vermutetes, voraussetzen, dagegen bei vermutetem Verschulden, z. B. § 833 Abs. 2 ( R G W a r n R s p r 1 9 1 6 Nr. 278; J W 1 9 1 7 , 38) und § 836 ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 334) —, sondern auch für die Verantwortlichkeit in Vertragsverhältnissen, wie die Heranziehung der Paragraphen bei der Regelung der allgemeinen Verantwortlichkeit in Schuldverhältnissen in § 276 beweist (vgl. R G 59, 2 2 1 ) . Sie gelten im Rahmen der Vertragshaftung auch für die Haftung nach §§ 278, 276 für einen unzurechnungsfähigen Erfüllungsgehilfen, der sich schuldhaft in einen Rauschzustand versetzt hat ( B G H V e r s R 1956, 307). Die Bestimmungen dieser Paragraphen finden ferner Anwendung für die Schuldverantwortlichkeit im Reichshaftpflicht- und im Straßenverkehrsgesetz, soweit dort Verschulden verlangt wird. Sie gelten ferner in den Fällen, in denen jemand unter den Voraussetzungen der §§ 827, 828 nicht einen Dritten geschädigt, sondern bei einer Schädigung seiner eigenen Person oder seines Vermögens, f ü r die ein anderer verantwortlich ist, mitgewirkt hat ( R G 108, 86 m. weit. Nachw.; vgl. Anm. 3, 4 ; § 828 Anm. 2), so daß gegenüber einem Geschädigten, der nicht zurechnungsfähig ist, weil er im Zustand der Bewußtlosigkeit oder einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gehandelt hat oder weil ihm die Fähigkeit zur Erkenntnis der Gefährlichkeit seines eigenen Verhaltens fehlt, § 254 nicht eingewendet werden kann. Sie gelten ferner bei der Verwirkung eines Rechts nach § 8 1 7 Satz 2 B G B ( R G 105, 270, 272), außerdem für das Gebiet des Privatversicherungsrechts z.B. § 61 V V G ( R G D R 1 9 4 1 , 1786).
§ 838 Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Wer das siebente, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Das gleiche gilt von einem Taubstummen. E I 709 II 7 5 1 ; M l 732—734; P * 579—59°-
Übersicht Anm.
1. Verantwortlichkeit nach Lebensalter 2. Anwendungsbereich 3. Bedingte Verantwortlichkeit . . .
I 2—4 5-8
1359
§ 828 A n m . 1—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm.
a) Begriff" b) Beweislast c) Fahrlässigkeit d) Taubstumme 4. Einzelfälle
5 6 7 8 9
Anm. 1 1. Verantwortlichkeit nach d e m Lebensalter. Für die Bestimmung des § 838 waren die §§ 55—58 StGB vorbildlich, von denen die §§ 55—57 inzwischen durch das Jugendgerichtsgesetz v. 15. 2. 1923 (RGBl I 135) §47 (später J G G 1943, jetzt J G G v. 4. 8. 1953, BGBl I 751) aufgehoben und durch eine anderweitige Regelung der Strafbarkeit Jugendlicher ersetzt worden sind. Doch ist als die untere Altersgrenze für die rechtliche Verantwortlichkeit nicht mit §55 StGB aF das vollendete 12. Lebensjahr (nach JGG 1953 14. Lebensjahr), sondern entsprechend dem in § 104 BGB für den Beginn der Geschäftsfähigkeit angenommenen Alter das 7. Lebensjahr festgesetzt worden, während die obere Altersgrenze nicht der Zeit des Eintritts der vollen Geschäftsfähigkeit (§§ 2, 106 BGB) sich anpaßt, sondern den §§ 56, 57 StGB aF (ebenso J G G § 1) folgt. Bis zum vollendeten 7. Lebensjahr ist danach eine Person für die von ihr begangene u. H. unbedingt u n v e r a n t w o r t l i c h . Vom vollendeten 18. Lebensjahre an ist sie unbedingt verantwortlich, in der Zwischenzeit ist sie b e d i n g t v e r a n t w o r t l i c h . Der Schlußsatz des § 828 stellt in Übereinstimmung mit § 58 StGB die Taubstummen den bedingt verantwortlichen jugendlichen Personen gleich. Anm. 2 2. Anwendungsbereich. Auch § 828 findet, wie § 827 (vgl. dort Anm. 6; R G WarnRspr 1916 Nr. 278), über das Gebiet der unerlaubten Handlung hinaus Anwendung auf jede Verantwortlichkeit in Schuld Verhältnissen, insbesondere auch vertraglichen, soweit sie für die behandelten Personenkreise überhaupt in Frage kommen kann (so im Lehrlingsverhältnis §§ 110—113). Insbesondere gilt §828, wie §827, nicht nur für die gegen einen anderen begangene schädigende Handlung, sondern kraft entsprechender Anwendung auch für die Frage, ob ein e i g e n e s m i t w i r k e n d e s V e r s c h u l d e n des B e s c h ä d i g t e n nach § 254 angenommen werden kann oder nicht (RG 76, 187; 108, 86; JW 1908, 522"; WarnRspr 1908 Nr. 314 u. 579; 1910 Nr. 19; SeuffArch 88 Nr. 43; 90 Nr. 24; H R R 1933 Nr. 1081; B G H VersR 1954, 221). Wegen der Anwendbarkeit des § 829 auf mitwirkendes Verschulden vgl. § 829 Anm. 1. Bei der Abwägung des Mitverschuldens entsprechend § 828 Abs. 2 tritt an die Stelle der zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht die zur Erkenntnis der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens erforderliche Einsicht (RG WarnRspr 1908 Nr. 579; H R R 1933 Nr. 1081; OGH NJW 1950, 905). Zur Frage der Berücksichtigung der Jugendlichkeit bei Abwägung des mitwirkenden Verschuldens vgl. Anm. 6. Die Frage, ob ein Verletzter, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, bei Begehung einer ihn selbst schädigenden Handlung die erforderliche Einsicht besessen hat, ist aber zu scheiden von der anderen, ob er seinen Schaden schuldhaft mitverursacht hat ( R G SeufFArch 90 Nr. 24; vgl. Anm. 7). Anm. 3 § 828 bezieht sich nicht auf U n t e r l a s s u n g s v e r s t ö ß e gegen durch Schutznormen gesicherte oder sonst bestehende Verpflichtungen (z.B. der Treppenbeleuchtung, des Streuens bei Glatteis für den Hauseigentümer), die ihrer Natur nach nicht den Minderjährigen, sondern dessen gesetzlichen Vertreter treffen (M 2, 734; R G WarnRspr 1914 Nr. 334; 1916 Nr. 278). Für Verschulden des gesetzlichen Vertreters haftet der Unzurechnungsfähige oder der bedingt Zurechnungsfähige nicht (RG WarnRspr 1914 Nr. 334; 1915 Nr. 283; 1916 Nr. 278). Zu §§828, 829 s. auch P i m i t z , Schuld und Haftung bei Schadensfällen, an denen Minderjährige beteiligt sind. Anm. 4 Die in Anm. 1 u. 2 erörterte Anwendung des § 828 auf das eigene mitwirkende Verschulden von Beschädigten, die Schadensersatz fordern, hat zur Folge, daß ein
1360
Unerlaubte Handlungen
§828
Anm. 5 eigenes m i t w i r k e n d e s V e r s c h u l d e n e i n e s b e s c h ä d i g t e n K i n d e s , das das 7. Lebensjahr nicht vollendet hat, unter keinen Umständen angenommen werden kann ( R G 54, 404; 59, 2 2 1 ; J W 1906, 55"; WarnRspr 1935 Nr. 67; S c h l H O L G SchlHAnz 1949, 129). Wegen Anwendung des § 829 vgl. dort Anm. r. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Handlung, nicht des Eintritts des Schadens. Handelt es sich um ein Verhalten des Verletzten, das zeitlich nach der schädigenden Handlung liegt (Unterlassung der Abwendung oder Minderung des Schadens nach § 254 Abs. 2), so kommt das Alter zur Zeit dieses Verhaltens in Betracht.
Anm. 5 3. Bedingte Verantwortlichkeit a ) B e g r i f f . Die zivilrechtliche Haftung der im Zwischenalter befindlichen Personen macht § 828 Abs. 2 S. 1 vom individuell verschiedenen biologischen Reifungsprozeß des Schädigers abhängig. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Schädiger die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht hat. Der Schädiger muß nach dem Stand seiner geistigen Entwicklung im Zeitpunkt seines Handelns d i e F ä h i g k e i t z u r E r k e n n t n i s — nicht die Erkenntnis selbst — besitzen, daß seine Handlung gegenüber den Mitmenschen ein Unrecht darstellt und daß er in irgendeiner Weise für die Folgen seiner Handlung einzustehen (vgl. hierzu München V e r s R 1952, 229) und sie zu vergelten hat ( R G 53, 1 5 7 ; J W 1904, 2 0 2 1 3 ; B G H V e r s R 1953, 28 = L M § 828 Nr. 1 ; V e r s R 1954, 1 1 8 = L M § 828 Nr. 2 ; V e r s R 1 9 5 4 , 2 2 1 ; 1 9 5 7 , 4 1 5 ; 1959, 387). § 828 Abs. 2 betrifft den biologischen Reifungsprozeß, nicht die Auswirkung sonstiger geistiger Mängel (vgl. hierzu D a l l i n g e r / L a c k n e r J G G § 3 V I I Randnote 24 fr). Es handelt sich um die Fähigkeit zur Erkenntnis des Unrechts eines Handelns wie in § 3 J G G 1953. Dagegen wird im Gegensatz zu § 3 J G G nicht gefordert, daß der Schädiger reif genug ist, nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. dazu K o e b e l N J W 1956, 969 Fußnote 8). Auf die Willensschwäche gegenüber einer Verlockung kommt es nicht an ( R G H R R 1931 Nr. 1845). Die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht fällt nicht z u s a m m e n m i t d e r E r k e n n t n i s d e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t s e l b s t , also des Unrechts und der Vergeltungspflicht hierfür; sie ist vielmehr n u r d i e F ä h i g k e i t dazu. Eine bestimmte Vorstellung des Handelnden, in welcher Weise die Vergeltung von ihm verlangt und erzwungen werden könnte, wird nicht vorausgesetzt, nur das Verständnis für die Pflicht der Vergeltung dem Verletzten oder der Allgemeinheit gegenüber überhaupt ( R G 53, 157). Das Verständnis für die Pflicht zur V e r g e l t u n g wird vermittelt durch die Einsicht zur Erkenntnis des U n r e c h t s der Handlung. Grundlage der letzteren Einsicht ist bei allen Fahrlässigkeitshandlungen wiederum die Einsicht f ü r die Erkenntnis der allgemeinen G e f ä h r l i c h k e i t — nicht die Vorstellung der besonderen Gefahr ( R G 5 1 , 20; O G H N J W 1950, 905; B G H V e r s R 1953, 28 = L M §828 Nr. 1) — der Handlung, ohne die hier die Erkenntnis des Unrechts nicht denkbar ist ( R G 53, 157). Deshalb rechtfertigt der Nachweis vom Vorhandensein der zur Erkenntnis der Gefährlichkeit der Handlung erforderlichen Einsicht in der Regel den Schluß, daß der Schädiger die Fähigkeit hatte, das Unrecht zu erkennen und die Pflicht, dafür einstehen zu müssen, und ersetzt so den Nachweis der zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht ( R G J W 1904, 2 0 2 1 3 ; 1906, 472 3 3 ; 1 9 3 1 , 2562 a ; WarnRspr 1908 Nr. 579; 1935 Nr. 67; H R R 1933 Nr. 1 0 8 1 ; B G H V e r s R 1953, 28). Dies gilt auch für das mitwirkende eigene Verschulden des Verletzten (vgl. Anm. 2). Es handelt sich bei der erforderlichen Einsicht — von der Vorsatz und Fahrlässigkeit wohl zu unterscheiden sind ( R G 146, 2 1 6 ; 156, 193, 201) — um ein a l l g e m e i n e s V e r s t ä n d n i s für die Folge einer Handlung und die Vertretungspflicht dafür; deshalb kommt es auf eine bestimmte Vorstellung, welche b e s o n d e r e Gefahr durch ein Handeln ausgelöst werde (besondere Gefahr einer Maschine, besonders hohe Explosionsgefahr von Chemikalien) und welcher b e s o n d e r e Schaden entstehen könne ( R G 51, 30; J W 1906, 472 a 3 ), ebensowenig an, wie darauf, welche bestimmte Vergeltung zu erwarten ist. Es ist nur allgemeines Verständnis dafür erforderlich, daß die Handlung irgendwelche Gefahren herbeiführen kann (Oldenburg V e r s R 1956, 718) und daß sie daher in irgendeiner Weise Verantwortung begründen kann ( R G SeuffArch 90 Nr. 24; B G H V e r s R 1954, 1 1 8 = L M § 828 Nr. 2 ; V e r s R 1957,
1361
§ 828 Anm. 6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
415). So braucht ein Jugendlicher, dem wegen des Betriebes einer landwirtschaftlichen Maschine das Betreten eines Grundstücks verboten war, nicht die Gefährlichkeit der landwirtschaftlichen Maschine erkennen zu können; es genügt zur Bejahung der Einsicht, wenn er die Fähigkeit hat zu erkennen, daß er mit dem Betreten des Grundstücks etwas tue, was er nicht dürfe und weswegen er in irgendeiner Weise zur Verantwortung gezogen werden könne (RG SeuffArch 78 Nr. 23). Die Furcht vor der in Aussicht stehenden Schulstrafe wegen Übertretung eines Schulverbotes beweist noch nicht die Fähigkeit zur Erkenntnis der Vergeltungspflicht (RG JW 1904, 20213). Schwäche gegenüber einer Verlockung bedeutet noch nicht den Mangel der erforderlichen Einsicht (RG H R R 1931 Nr. 1845). Ob vorausgegangene Verbote, M a h n u n g e n und W a r n u n g e n für die Feststellung der Einsicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen, hängt von den Umständen ab (RG 76, 187; RG JW 1906, 686»; 1931, 3319; SeuffArch 88 Nr. 149; OGH NJW 1950, 905). Innerhalb der Altersgrenzen des §828 Abs. 2 muß in j e d e m e i n z e l n e n F a l l die g e f o r d e r t e E i n s i c h t n a c h den U m s t ä n d e n g e p r ü f t , der Grad der geistigen Entwicklung des Täters und sein Verhältnis zum Verständnis der Verantwortlichkeit für die in Frage kommende u. H. ermittelt werden. Auf das höhere Alter allein darf daher die Feststellung der Einsicht nicht gestützt werden (RG J W 1905, 48"), obwohl natürlich dem Lebensalter eine entscheidende Bedeutung zukommt. Die Annäherung an die obere oder untere Altersgrenze allein genügt nicht zur Bejahung oder Verneinung der Verantwortlichkeit. Doch ist die auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruhende Erwägung zulässig, daß in einem gewissen Alter regelmäßig und erfahrungsgemäß für gewisse Handlungen die verlangte Einsicht vorhanden zu sein pflege und deshalb auch bei dem Täter des fraglichen Falles angenommen werden kann (RG 51, 30; WarnRspr 1912 Nr. 13). Nur darf dabei die i n d i v i d u e l l e Entwicklung des einzelnen Täters nicht außer Betracht gelassen werden (RG JW 1906, 6866 u. 74718 ; WarnRspr 1908 Nr. 314; 1912 Nr. 13; BGH VersR 1954, 118), zumal das Maß der geistigen Entwicklung bei gleichaltrigen Kindern verschieden ist. Es wird auch auf die Art der einzelnen Rechtsverletzung ankommen, weil sich die Einsicht hinsichtlich der verschiedenen Rechtsgüter und dementsprechend die Einsicht in ihre Verletzung verschieden entwickelt. Ist der jugendliche Täter verantwortlich, dann kommt er auch als Beteiligter nach §830 Abs. 1 S. 2 in Betracht (RG 74, 143). Anm. 6 b) Beweislast. Der jugendliche Täter ist nicht verantwortlich, wenn er bei Begehung der Tat nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besaß. Diese Fassung weist nach dem Sprachgebrauch des BGB darauf hin, daß die B e h a u p t u n g s - und B e w e i s p f l i c h t für das Fehlen der Einsicht dem jugendlichen Schädiger zur Last fällt. Das BGB behandelt im Zweifel jedes über sieben Jahre alte Kind als für seine Schaden verursachenden Handlungen verantwortlich. Gegengründe, die für den Mangel an Einsicht nach der Individualität des Schädigers sprechen, müssen von dem Schädiger geltend gemacht und bewiesen werden. Dies gilt auch, soweit es sich um mitwirkendes Verschulden handelt. Eine Klage kann also nicht abgewiesen werden, weil ein Kind, das das 7. Lebensjahr vollendet hatte, seinem Alter nach noch nicht die geistige Reife habe, das Unerlaubte seiner Handlung einzusehen (RG 51, 30; 74, 143; JW 1906, 47223; 1911, 44610; WarnRspr 1908 Nr. 579; SeuffArch 77 Nr. 29; Recht 1923 Nr. 193; BGH VersR 1957, 415). Ist der Mangel an Einsicht nicht behauptet oder nicht nachgewiesen, so ist der jugendliche Täter für seine Handlung haftbar gleich dem Erwachsenen; der Tatbestand der u. H. oder des mitwirkenden Verschuldens ist objektiv wie subjektiv derselbe wie bei dem Erwachsenen (BGH VersR 1953, 28; 1954, 118, 221; 1957, 415). Insbesondere ist für die Frage, ob ein Verschulden (§ 276) vorliegt, nicht nochmals die Jugend des Täters in Rechnung zu stellen. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach § 276 ist ein allgemeines Regelmaß der von einem ordentlichen Menschen in den besonderen Verhältnissen des Verkehrs anzuwendenden Sorgfalt. Wohl aber fallen bei A b w ä g u n g des Verschuldens des jugendlichen Schädigers oder Verletzten gegen dasjenige der Gegenpartei nach § 254 die be-
1362
Unerlaubte Handlungen
§828
A n m . 7—9 sonderen Umstände, die durch Alter und Geschlecht bedingt werden, Uberlegungsfähigkeit und Besonnenheit des jugendlichen Alters wieder Gewicht ( R G 68, 4 2 2 ; 76, 1 8 7 ; 108, 90; 1 1 4 , 2 9 1 ; J W 1 9 1 1 , 1 0 1 6 1 3 ; WarnRspr 1908 Nr. 3 1 4 ; 1909 Nr. 2 8 1 ; 1 9 1 0 Nr. 1 9 ; SeuffArch 90 Nr. OGH N J W 1950, 905).
die geringere erheblich ins 1931, 331911; 24; vgl. auch
Anm. 7 c ) F a h r l ä s s i g k e i t . Wenn die erforderliche Einsicht nicht verneint ist, ist damit die Fahrlässigkeit noch nicht bejaht. Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen der F ä h i g k e i t , die Verantwortlichkeit als Folge .der Gefährlichkeit zu e r k e n n e n und der als Inhalt des Verschuldens festzustellenden K e n n t n i s der konkreten Gefährlichkeit oder doch der Verpflichtung, diese Kenntnis zu gewinnen. Der Verletzte muß nachweisen, daß der Jugendliche die Gefährlichkeit seines Verhaltens zur Zeit der T a t unter den gegebenen Umständen erkannt hat, oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen ( R G 146, 2 1 3 , 2 1 6 ; 156, 202; S e u f f A r c h 90 Nr. 24; B G H V e r s R 1953, 28; 1954, 1 1 8 u. 2 2 1 ; 1957, 1 3 1 u. 4 1 5 ; Braunschweig V e r s R 1954, 460; H a m m V e r s R 1954, 418). Die Fahrlässigkeit richtet sich wohl nach einem abstrakten Maßstab, nicht nach der individuellen Willensfähigkeit und dem persönlichen Hemmungsvermögen ( B G H V e r s R 1958, 177). Es ist jedoch hierbei die Verschiedenheit ganzer Gruppen von Menschen nach Beruf, Lebensstellung und nach A l t e r zu berücksichtigen ( B G H V e r s R 1953, 28; 1954, 1 1 8 ; 1957, 1 3 1 u. 4 1 5 ; 1958, 1 7 7 ; vgl. § 823 Anm. 6).
Anm. 8 d ) T a u b s t u m m e . Abs. 2 S. 1 findet nach S. 2 Anwendung auf die Taubstummen, also Personen, die zugleich t a u b und s t u m m sind; auf solche, die n u r t a u b oder n u r s t u m m sind, erstreckt sich die Bestimmung nicht. Sie sind unbedingt verantwortlich.
Anm. 9 4 . E i n z e l f ä l l e . Die Zurechnungsfähigkeit ist b e j a h t : Wurf mit Tomaten durch 15jährigen J u n g e n führt zum Verlust eines Auges: B G H V e r s R 1953, 28; siebenjähriger, vorher gewarnter J u n g e , trifft ein Auge unter Benutzung einer Schleuder: B G H V e r s R 1954, 1 1 8 ; ebenso bei zehnjährigem J u n g e n : München V e r s R 1954, 5 4 5 ; anders bei einem geistig und körperlich unterentwickelten neunjährigen J u n g e n : München V e r s R 1953, 292; dreizehnjähriger J u n g e spielt mit Gewehr: Kiel O L G 39, 1 9 5 ; neunjähriger J u n g e spielt mit Tesching: R G Recht 1909 Nr. 680; nicht ganz zwölf J a h r e alter J u n g e sammelt Sprengkapseln auf einem Truppenübungsplatz: R G SeuffArch 88 Nr. 1 4 3 ; dreizehnjähriger J u n g e kauft Chemikalien zur Herstellung von Knallerbsen: R G SeuffArch 90 Nr. 24; neunjähriger J u n g e erklettert Hochspannungsmast: B G H V e r s R 1954, 2 2 1 ; fast acht J a h r e alter J u n g e steigt auf den Anhänger eines Lastzuges: R G J W 1 9 3 1 , 3 3 1 9 ; achtjähriger J u n g e kommt in Gerätekasten eines Lastzuges; vgl. R G 156, 193, 202; siebeneinhalbjähriger J u n g e setzt sich trotz Warnung und Verbot auf Deichsel eines Anhängers: O G H N J W 1950, 905; achtjähriger J u n g e hat, zumal nach Belehrung in der Schule, Einsicht in die Gefährlichkeit des Spiels auf belebter Landstraße: Karlsruhe R d K 1932, 95; Wurf eines als Speer hergerichteten Stockes durch elfjährigen J u n g e n : Kiel SchlHAnz 1939, 1 4 5 ; elfjähriger J u n g e spielt mit Pfeil und Bogen: B G H V e r s R 1957, 1 3 1 ; elfjähriges Mädchen hat grundsätzlich Einsicht in die Gefährlichkeit des unbedachten Hineinlaufens in die Straße, das zum Ausweichmanöver eines Pkw zwingt (unentschieden): R G D A R 1937 Sp. 145. Zurechnungsfähigkeit v e r n e i n t : Fast elfjähriger J u n g e verletzt anderen J u n g e n beim Hantieren mit einem Beil: München V e r s R 1952, 229; achtjähriger J u n g e spielt an der Drehscheibe der Bahn: R G H R R 1933 Nr. 1 0 8 1 ; achtjähriger J u n g e ist nicht mit der Ätzwirkung von Kalkbrei vertraut: H a m m V e r s R 1954, 4 1 8 ; bei neuneinhalbjährigem J u n g e n fehlt Einsicht, daß eine gefundene Flasche mit einer explosiven Flüssigkeit gefüllt sein kann: Neustadt V e r s R 1955, 1 7 8 ; unentschieden bleibt, ob dreizehneinhalbjähriger J u n g e beim Hantieren in einem Trümmergrundstück Einsicht in die Gefährlichkeit hat: B G H V e r s R 1957, 4 1 5 .
1363
§ 829 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§839 W e r in einem der in den § § 823 bis 826 bezeichneten Fälle für einen von i h m verursachten Schaden auf Grund der § § 827, 828 nicht verantwortlich ist, hat gleichwohl, sofern der E r s a t z des Schadens nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden kann, den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert und ihm nicht die Mittel entzogen werden, deren er z u m standesmäßigen Unterhalte sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. E II 752; P 2 589—593-
Ubersicht Anm.
1. Sachlicher Anwendungsbereich 2. Personenkreis 3. Anwendungsvoraussetzungen a) Ausschluß der Verantwortlichkeit b) Schadensersatz durch Aufsichtsperson c) Billigkeit der Schadloshaltung d) Begrenzung des Anspruchs 4. Beweislast
1 2 3 3 4 5—7 8 9
Anm. 1 1. Sachlicher Anwendungsbereich. Vgl. auch K o e b e l NJW 1956, 969. Die Bestimmung des § 829 setzt, indem sie eine Billigkeitshaftung aus nur objektiv 11. H. einführt, eine offenbare Ausnahme von dem allgemein geltenden Verschuldungsgrundsatze des BGB, in dem sie trotz Fehlens der die Voraussetzung für ein Verschulden — Vorsatz oder Fahrlässigkeit — bildenden Zurechnungsfähigkeit eine Haftung begründet. § 829 erfaßt die Fälle der Bewußtseinsstörung einschließlich der Bewußtlosigkeit, in denen ein Handeln im Rechtssinne überhaupt nicht möglich ist. Er erstreckt sich auf alle Fälle ohne Rücksicht darauf, ob sie nur die Zurechnungsfähigkeit des Täters, oder auch das Handeln mit Vorsatz oder Fahrlässigkeil oder jede willensmäßige Steuerung des körperlichen Verhaltens ausschließen (RG 146, 213, 215; B G H 23, 90, 98). Die Ausnahmehaftung des § 829 ist nach dem Wortlaut ausdrücklich auf die vier Tatbestände der §§ 823—826 beschränkt. Diese Beschränkung schließt aber die Anwendung des § 829 auf die Fälle der §§831, 833 S. 2, 836 nicht aus, da hier nicht andere Tatbestände von u. H., sondern nur eine Umkehrung der Beweislast für den Tatbestand des § 823 vorliegt (RG JW 1915, 58014; WarnRspr 1915 Nr. 283; 1916 Nr. 278; Neustadt D A R 1951, 98). Ebenso ist § 829 auf den Fall des § 830 Abs. 1 S. 2 anwendbar. Dieser Fall soll nach dem Gesetz dem des § 830 Abs. 1 S. 1 gleichbehandelt werden. Dort handelt es sich gerade um die in § 829 aufgezählten Fälle der §§ 823—826 (RG 74, 143). Noch weniger bestehen Bedenken gegen die Anwendung des § 829 im Falle des § 844. Hier handelt es sich um bestimmte Schadensfolgen bestimmter u. H., nicht um deren Tatbestände, die vielmehr vorausgesetzt werden (RG 94, 220). Entsprechende Anwendung auf andere u. H. ist ausgeschlossen (RG 74, 143, allerdings teilweise überholt durch spätere Rechtsprechung z.B. R G 94, 220, 221; WarnRspr 1915 Nr. 283). Noch weniger kann eine entsprechende Anwendung außerhalb des Gebiets der u. H. bei Schuldverhältnissen stattfinden, wie auch § 276 nur die Bestimmungen der §§ 827, 828, nicht die des § 829 anzieht. Umstritten ist die entsprechende Anwendung des § 829 auf das eigene mitwirkende Verschulden eines nicht zurechnungsfähigen Geschädigten. Sie ist vom Rcichsgericht verneint (RG JW 1903 Beilage 122), weil es sich um eine nicht ausdehnungsfähige Ausnahmevorschrift handelt (ähnlich R G 59, 221, 223); später ist die Frage offengelassen (RG JW 1906, 556). Ebenso ist die entsprechende Anwendung abgelehnt vom SchlHOLG (SchlHAnz 1949, 129). Dagegen wurde die entsprechende Anwendung von verschiedenen Oberlandesgerichten bejaht (München D A R 1953, 114; Hamm VersR 1364
Unerlaubte Handlungen
§829
Anm. 2, 3
1954, 4 1 8 ; Celle V e r s R 1954, 4 6 1 ; Stuttgart V e r s R 1958, 4 7 3 ) ; vgl. auch Weimar D R 1944, 608 und K o e b e l N J W 1956, 969). Die entsprechende Anwendung wird unter besonderer Beachtung von Billigkeitserwägungen zu bejahen sein. Ist auch der Schädiger eine nach §§ 827, 828 von der Verantwortlichkeit befreite Person, die allein auf Grund des § 829 auf Schadensersatz herangezogen werden kann (ein K i n d fügt einem anderen beim Spielen eine Körperverletzung zu), so ist § 829 jedenfalls in der Weise anzuwenden, daß bei dem Billigkeitsermessen des Gerichts auch die Mitwirkung des Geschädigten an der Verursachung des Schadens berücksichtigt wird. Auf die Fälle, in denen ein Verschulden fehlt, z. B. wegen entschuldbaren Irrtums, ist § 829 nicht anwendbar, wie sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte (vgl. hierzu R G 146, 2 1 3 , 2 1 6 ) ergibt, auch nicht bei Verneinung der Fahrlässigkeit trotz Vorhandenseins der Einsicht nach § 828 Abs. 2 (aA Braunschweig V e r s R 1954, 460); vgl. dazu K o e b e l N J W 1956, 969, 970 und M e z g e r M D R 1954, 277. Eine Anwendung des Grundgedankens des § 829 in Sondergesetzen findet sich in § 1 Abs. 2 des RGes. über die Haftung des Reiches für seine Beamten v. 22. 5. 1 9 1 0 ( R G B l I 798) und in § 1 Abs. 2 des entsprechenden preuß. Ges. v. 1. 8. 1909 (GS 691). Die Billigkeitshaftung des § 829 B G B kann neben die Haftung aus § 7 S t V G treten, wenn der Schaden durch eine objektiv verkehrswidrige Fahrweise verursacht wurde, für die der Fahrer nur wegen seiner Unzurechnungsfähigkeit nicht verantwortlich gemacht werden kann ( B G H 23, 90; vgl. Anm. 3).
Anm. 2 2. P e r s o n e n k r e i s . Auf Grund der §§ 827, 828 nicht verantwortlich sind die Bewußtlosen, die Geistesgestörten, die Kinder unter sieben J a h r e , ferner die jugendlichen Personen zwischen sieben und achtzehn J a h r e n und die Taubstummen, w e n n sie den Nachweis führen, daß sie bei Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht besessen haben. Es muß sich demnach um das Fehlen der Zurechnungsfähigkeit handeln, nicht der Schuld im Sinne von Vorsatz oder Fahrlässigkeit (vgl. Anm. 1).
Anm. 3 3. Anwendungsvoraussetzung a ) A u s s c h l u ß der V e r a n t w o r t l i c h k e i t . Voraussetzung der Anwendung des § 829 ist nicht allein die von dem Nichtverantwortlichen ausgehende Verursachung eines Schadens. Die Verantwortlichkeit muß a u f G r u n d der §§ 827, 828 ausgeschlossen sein, d. h. die Schadenszufügung muß unter Umständen erfolgen, die, v o n d e r F r a g e d e r Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t a b g e s e h e n , für den Schaden haftbar machen würden. Es ist also der volle gegenständliche (objektive) und persönliche (subjektive) Tatbestand der u. H. erforderlich. Wenn auch den Zurechnungsfähigen bei gleicher L a g e ein Verschulden und damit eine Verantwortung nicht treffen würde, z. B. weil er in entschuldbarem Irrtum gehandelt hätte, oder weil auch bei einem Zurechnungsfähigen keine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorliegen würde, greift § 829 nicht Platz, so daß der Unzurechnungsfähige in diesem Falle auch nicht haftet. Würde bei einem Zurechnungsfähigen nur Fahrlässigkeit vorliegen, so kann der Unzurechnungsfähige nicht wegen einer u. H., die Vorsatz erfordert, nach § 829 haftbar gemacht werden. Dies folgt daraus, daß nach dem Sinne des § 829 der Unzurechnungsfähige nur f ü r den d u r c h s e i n e U n z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t v e r u r s a c h t e n S c h a d e n h a f t e n s o l l , im übrigen aber nicht schlechter gestellt werden soll, als ein Zurechnungsfähiger in gleicher L a g e ( B G H N J W 1958, 1630). Daher ist z.B. auch getrennt zu beurteilen, ob der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt, und ob er die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besessen hat. Ein Anspruch aus § 829 kommt nur in Betracht, wenn die erste Frage bejaht, die zweite verneint wird (vgl. R G 146, 2 1 3 , 2 1 5 ; ferner Neustadt V e r s R 1955, 178). Wenn die Schadenszufügung gerade mit dem gesetzlichen Grund der Unzurechnungsfähigkeit zusammenhängt, ist von einer Prüfung des Verschuldens abzusehen. Es muß dann genügen, wenn der Schädiger den objektiven Tatbestand rechtswidrig verwirklicht hat ( R G 146, 2 1 3 , 2 1 5 , 2 1 8 a. E . ; vgl. B G H 23, 90, 98; N J W 1958, 1630).
1365
§ 829
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 4—6 Arnn. 4 b ) K e i n S c h a d e n s e r s a t z d u r c h A u f s i c h t s p e r s o n . Die Voraussetzung „Sofern der Ersatz des Schadens nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten verlangt werden kann", verweist auf die Haftung der Aufsichtspersonen über Minderjährige oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedürfende Personen nach § 832. Sie ist erfüllt sowohl, wenn ein aufsichtspflichtiger Dritter nicht in Frage kommt, als auch wenn er sich nach § 832 gerechtfertigt hat, endlich auch, wenn nur wegen der Vermögenslage des Dritten dessen Inanspruchnahme nicht zum Ziele führt und den Beschädigten wegen seiner Schadensersatzforderung nicht voll befriedigt. Soweit nur teilweise Ersatz vom Dritten zu erlangen ist, haftet der Schädiger für den Ausfall nach § 829. Eine Vorausklage gegen den Dritten ist nicht erforderlich. Uber die Ausgleichung zwischen dem Aufsichtspflichtigen nach § 832 und dem Aufsichtsbedürftigen, wenn letzterer auf Grund des § 829 zum Schadensersatz herangezogen wird, vgl. § 840 Anm. 12.
Anm. 5 c) Billigkeit der Schadloshaltung. Für Bestand und U m f a n g und A r t der
Schadensersatzpflicht nach § 829, also für das Ob, das Wieweit und das Wie ist maßgebend, ob und inwieweit d i e B i l l i g k e i t n a c h d e n U m s t ä n d e n e i n e S c h a d l o s h a l t u n g e r f o r d e r t . Darüber entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen. Insbesondere sind die V e r h ä l t n i s s e d e r B e t e i l i g t e n , des Schädigers wie des Beschädigten, und zwar nicht nur zur Zeit der Handlung, sondern zur Zeit der Urteilsfällung, zunächst die Vermögensverhältnisse — bei Prüfung der Vermögensverhältnisse des Schädigers eine für ihn bestehende Haftpflichtversicherung ( B G H 23, 90, 1 0 0 ; Neustadt V e r s R 1955, 178) •—, aber auch die sonstigen Lebensverhältnisse und Bedürfnisse z.B. (eine dauernde Vermehrung der Bedürfnisse eines körperlich Verletzten) in Betracht zu ziehen. Wenn allerdings ohne eine Haftpflichtversicherung überhaupt keine Schadensersatzpflicht gegeben ist, dann wird sie auch durch das Vorliegen einer solchen allein nicht begründet ( B G H N J W 1956, 1630). Bei einer Feststellungsklage ist auch die in der Zukunft voraussichtlich eintretende Gestaltung jener Verhältnisse mit zu berücksichtigen ( R G 169, 394). Ferner dürfen d i e U m s t ä n d e d e r H a n d l u n g selbst nicht unberücksichtigt bleiben, ob der Schädiger mit Absicht oder nur unbesonnen — entsprechend dem Vorsatz oder der Fahrlässigkeit bei verantwortlichen Personen — handelte, und wie nahe der Täter der Grenze sich befand, wo die Einsicht f ü r die Erkenntnis der Verantwortlichkeit beginnt, ob z.B. der Schädiger, der einen Autounfall verursacht, den Eintritt der die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Bewußtlosigkeit auch bei Anwendung des gesteigerten Sorgfaltsmaßstabes nach § 7 S t V G nicht voraussehen konnte ( B G H 23, 90, 100). Unter Umständen kann die billige Schadloshaltung vollen Schadensersatz bedeuten (so bei Reichtum des Schädigers und Armut des Geschädigten). Auch die A r t d e r E n t s c h ä d i g u n g , ob sie in Gestalt einer Rente oder durch Zahlung eines Kapitals zu leisten ist, untersteht hier dem Billigkeitsermessen des Gerichts. Die Billigkeitsprüfung verpflichtet den Richter, a l l e Umstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht abzuwägen ( B G H 23, 90, 99).
Anm. 6 M a ß g e b e n d e r Z e i t p u n k t für die Bemessung der Schadloshaltung ist die Zeit des Urteilserlasses (vgl. R G Z A k D R 43, 418). B e i n a c h t r ä g l i c h e r V e r ä n d e r u n g d e r V e r h ä l t n i s s e ist, wenn eine Rente zugesprochen wurde, § 323 Z P O anwendbar. V o n diesem Fall abgesehen, kann eine Änderung des rechtskräftigen Urteils wegen Veränderung der ihm zugrunde liegenden Verhältnisse ebensowenig verlangt werden, als sie sonst zulässig ist (vgl. S c h w a r t z , Das Billigkeitsurteil nach §829 S. 38fr). Wenn eine Leistungspflicht des Schädigers z. Z . der letzten m. V . nicht besteht, so kann eine Feststellung dahin getroffen werden, daß er den Schaden — ganz oder teilweise — dann zu ersetzen habe, wenn und soweit die Billigkeit dies erfordert und ihm nicht die Mittel zum Unterhalt entzogen werden ( B G H N J W 1958, 1630 m. Anm. P o h l e M D R 1958, 838).
1366
Unerlaubte Handlungen
§ 829 A n m . 7—9
§830
Anm. 7 Für den Beginn der dreijährigen Verjährung gemäß § 852 kann nur die Kenntnis der Umstände maßgebend sein, die für den Bestand des Anspruchs, nicht solche, die nur für dessen Bemessung Bedeutung haben. Die Grenzlinie zu finden, ist Sache des Richters. Ein Anspruch aus § 829 kommt erst in Frage, wenn die Verantwortlichkeit nach §§ 827 oder 828 ausgeschlossen ist. Bevor diese und die weitere Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs — kein anderweitiger Ersatz — nicht feststehen, ein Anspruch des § 82g somit noch nicht gegeben ist, kann eine Verjährung nach § 852 — soweit es sich um die dreijährige Verjährung handelt — nicht beginnen. Der Geschädigte muß von dem Versagen des Anspruchs gegen den erstverpflichteten Dritten und von der Unzurechnungsfähigkeit des Täters Kenntnis erlangt haben (vgl. § 852 Anm. 7ff; R G 94, 220; JW 1931, 2230, 2232; vgl. die ähnliche Bestimmung in § 839 Abs. 152 und dazu B G H Betrieb 1958, 1360). Ohne diese Kenntnis von der Unzurechnungsfähigkeit kann er gar nicht auf den Gedanken kommen, daß ein anderer als Erstverpflichteter in Anspruch genommen werden müsse. Eine Klage auf Feststellung des (aufschiebend bedingten) Anspruchs ist aber auch vor dem Feststehen dieser Voraussetzung zulässig mit der Maßgabe, daß der Schädiger zur Entschädigung verpflichtet sei, sobald die Verhältnisse es als billig erscheinen lassen, so insbesondere auch dann, wenn der Schädiger noch kein Vermögen oder Einkommen hat (RG 169, 394; JW 1910, 82448; Recht 1923 Nr. 881). Anm. 8 d) Begrenzung des Anspruchs. Die Schadloshaltung aus § 829 findet ihre Grenze an dem eigenen Lebensbedarf des Schädigers für sich und die ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Personen. Der standesmäßige Unterhalt ist nach § 1610 der für den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe nach der Lebensstellung der Person erforderliche Betrag. Die gesetzlichen Unterhaltspflichten bestimmen die §§ 1360, 1361, 1601 ff, 1708 fr, ferner Ehegesetz v. 20. 2. 1946 §§ 26, 37, 58. Veränderungen der Unterhaltspflichten nach Rechtskraft des Urteils s. Anm. 6. Anm. 9 4. Beweislast. Die Beweislast trifft den B e s c h ä d i g t e n außer für die allgemeinen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs dafür, daß von einem Dritten Ersatz nicht zu erlangen sei und daß die Billigkeit seiner Forderung zur Seite stehe. Sache der Verteidigung des S c h ä d i g e r s ist der Nachweis der Beeinträchtigung des eigenen Lebensbedarfes oder der Leistungen gesetzlicher Unterhaltspflichten bei einer Ersatzleistung an den Beschädigten. Daraus ergibt sich, daß § 829 nur anwendbar ist, wenn ein Anspruch daraus erhoben, das Vorhandensein seiner tatsächlichen Voraussetzungen behauptet ist (RG 74, 143; Recht 1910 Nr. 2999).
§ 830 Haben m e h r e r e durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln läßt, wer von m e h r e r e n Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat. Anstifter und Gehilfen stehen Mittätern gleich. E I 714 II 753; M 1 738; P a 606.
Üb ersieht Anm.
1. Anwendungsbereich 2. Mittäter, Anstifter, Gehilfen a) Mittäter b) Anstiftung und Beihilfe
1 2—5 2 4, 5
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§ 830 A n m . 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm.
3. Nebentäter 4. Gemeinschaftliche Gefährdung 5. Inhalt der Haftung
6 7—12 13
Anm. 1 1. A n w e n d u n g s b e r e i c h . § 830 regelt die Haftung für einen Schaden, wenn mehrere Personen an der Entstehung des Schadens mitgewirkt haben. Die beiden Sätze des Abs. 1 des § 830 behandeln einen wesentlich verschiedenen Tatbestand. Während der erste Satz die Mittäter einer u. H. im Sinne des § 47 StGB im Auge hat, also ein bewußtes Zusammenwirken mehrerer Personen in objektiver und subjektiver Gemeinschaftlichkeit voraussetzt, ist der Fall des zweiten Satzes, der dementsprechend auch nicht von Mittätern, sondern von Beteiligten spricht, gegeben, wenn die mehreren Personen bei demselben Vorfall ohne subjektive Gemeinschaft sich gleichzeitig betätigt haben (vgl. R G WarnRspr 1913, 363). Nicht geregelt ist die selbständige Verursachung durch selbständige Einzelhandlung mehrerer (vgl. Anm. 2). §830 gilt auch dann, wenn es sich nicht um positives Tun, sondern um Unterlassung entgegen einer Rechtspflicht handelt (wegen Rechtspflicht vgl. § 823 Anm. 33). Es sind bei der Mitwirkung mehrerer Personen bei der Entstehung eines Schadens drei Fälle möglich: 1. Gemeinschaftliche Verursachung nach § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2; 2. Selbständige Verursachung durch selbständige Einzelhandlungen mehrerer Personen (im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt); 3. Teilnahme mehrerer Beteiligter an einem gefährdenden Verhalten, aus dem heraus ein Schaden entstanden ist (§ 830 Abs. 1 Satz 2). Anm. 2 2. Mittäter, A n s t i f t e r , Gehilfen. § 830 Abs. 1 S. 1 regelt die Haftung mehrerer Mittäter. Ihnen ist die Haftung der Anstifter und der Gehilfen nach § 830 Abs. 2 gleichgestellt. a) Mittäter. Eine u. H. ist v o n m e h r e r e n g e m e i n s c h a f t l i c h b e g a n g e n , wenn sie — wie die Übereinstimmung des Wortlauts mit § 47 StGB zeigt — in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken gehandelt haben ( B G H 8, 288, 292; B G H VersR 1957, 304). Satz 1 erfordert zum Unterschied von Satz 2 einen rechtlichen Zusammenhang in dem unerlaubten Handeln mehrerer (RG J W 1909, 136 1 1 , 687 1 1 ; WarnRspr 1914 Nr. 159), der nur durch ein i n n e r e s Band hergestellt, nur durch die Gemeinschaftlichkeit des Bewußtseins und des Wollens geschaffen werden kann. Von der g e m e i n s c h a f t l i c h e n Begehung oder Ausführung (§ 47 StGB) einer Handlung seitens mehrerer Personen kann nur die Rede sein, „wenn die mehreren Personen die fragliche Handlung, die sich äußerlich aus einer Anzahl von Handlungen der einzelnen zusammensetzt, in ihrer eigenen Vorstellung als gemeinschaftliche erfassen und entsprechend ausführen wollen" ( B i e r l i n g , J u r . Prinzipienlehre I I I S. 151). Gemeinschaftliche Begehung setzt einen gemeinschaftlichen Entschluß voraus und ist daher nur bei vorsätzlichem Handeln gegeben (RG Gruchot 67, 187). Im Gegensatz zum gewollten Zusammenwirken reicht tatsächliches Zusammenwirken, auch das Zusammenwirken fahrlässiger Handlungen, zu einer gemeinschaftlichen Begehung nicht aus, auch wenn der Schaden sich als das Ergebnis der Gesamtwirkung der Handlungen der einzelnen darstellt. Auch die Ausnützung der gleichen Gelegenheit, z. B. Ausplünderung eines Warenlagers durch mehrere selbständig Handelnde, begründet keine Gemeinschaftlichkeit. Das Reichsgericht (RG 58, 357; J W 1904, 486) hat sich allerdings in einem Falle der Beteiligung nach Abs. 1 S. 2 beiläufig in dem Sinne ausgesprochen, es genüge zur Anwendung des § 830 Abs. 1 S. 1 das bloße Zusammenwirken mehrerer, j a selbst das Zusammenwirken fahrlässiger Handlungen mehrerer unter der Voraussetzung, daß der eingetretene Schaden sich als das Produkt der Gesamtwirkung der Handlungen der einzelnen darstelle. Später hat das Reichsgericht die Frage offengelassen (RG WarnRspr 1913 Nr. 363; 1914 Nr. 287;
1368
Unerlaubte Handlungen
§830
Anm. 3
1 9 1 5 Nr. 52). Dem kann nicht zugestimmt werden. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut. Das Gesetz spricht nicht von einem durch das Zusammenwirken der u. H . mehrerer, sondern von dem Schaden, der durch eine von mehreren gemeinschaftlich begangene u. H. verursacht ist. Bei Fahrlässigkeitsdelikten spricht ein weiterer Gesichtspunkt gegen diese Auffassung. Die Fahrlässigkeit ist ein Willensfehler der einzelnen Person, ein Mangel an Überlegung und rein verneinenden Charakters. Ihr Wesen schließt einen gemeinsamen bejahenden Willensentschluß aus, der zur Begründung der Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe erforderlich ist ( R G 65, 160; L Z 1923, 107 5 ). Die Rechtsprechung ist der obigen Auffassung des Reichsgerichts auch nicht gefolgt (Bamberg N J W 1949, 225; Koblenz ACP150, 4 5 3 ; Braunschweig J R 1 9 5 1 , 658). Das O L G Hamburg ( M D R 1956, 676) hat die Entscheidung offengelassen. Der Bundesgerichtshof fordert ebenfalls bewußtes und gewolltes Zusammenwirken, wie sich schon daraus ergibt, daß die Regelung in Abs. 1 S. 1 als Mittäterschaft im Sinne des § 47 S t G B bezeichnet wird ( B G H 8, 288, 292; V e r s R 1957, 304; B G H 30, 203). Die mehreren fahrlässigen Urheber eines einheitlichen Schadens (z. B. mehrere Beamte, von denen ein jeder durch Erfüllung seiner Pflicht den schädlichen Erfolg abgewendet haben würde, R G 5 1 , 258; mehrere Miteigentümer eines Hauses, die ihrer Beleuchtungs- oder Streupflicht nicht nachkommen, mehrere Fabrikanten, die giftige Abwässer in einen Bach leiten und dadurch Schaden anrichten, R G 16, 144; ferner der verbotswidrig Schießpulver an eine unerwachsene Person abgebende K a u f m a n n und der mit Schießpulver hantierende Knabe, R G 33, 348; der ungerechtfertigt pfandende Gläubiger und der die Pfandsache unsachgemäß aufbewahrende Gerichtsvollzieher, R G WarnRspr 1930 Nr. 108), oder die mehreren ohne Verschulden f ü r einen Schadenserfolg verantwortlichen Personen (mehrere Tierhalter desselben Tieres oder mehrerer an der Verursachung eines Schadens beteiligter Tiere, oder der Tierhalter und der Beaufsichtiger des Tieres) handeln nicht miteinander; sie sind daher keine Mittäter. Sie haften nur nebeneinander, ein jeder selbständig für seine Handlung oder Gefährdung. Soweit allerdings die einzelne Handlung für den gesamten Schaden kausal war, haften sie — aber nur insoweit — aus allgemeinen Grundsätzen über adäquate Verursachung f ü r den Gesamtschaden (vgl. Anm. 6; R G WarnRspr 1930 Nr. 108).
Anm. 3 Bei der gemeinschaftlich begangenen Handlung des S. 1 erzeugt der gemeinschaftliche Wille die gemeinschaftliche Verursachung, so daß es gleichgültig ist, wieviel der einzelne Mittäter zu dem schädlichen Erfolg beigetragen hat. Nicht erforderlich ist, daß jeder der Mittäter bei der Ausführung physisch mitwirkt, insbesondere, daß die Ausführungshandlung, die den Schaden unmittelbar herbeiführt, gemeinsam begangen wird. Auch eine rein intellektuelle, bloß geistig bestimmende, durch Ermunterung oder auch nur durch Anwesenheit bewußt unterstützende Tätigkeit, oder eine Vorbereitungshandlung, überhaupt irgendeine Mitwirkung kann ausreichen, um eine Mittäterschaft anzunehmen, sofern nur die Gemeinschaftlichkeit des Wollens vorhanden ist, der Erfolg also als Folge der Gesamttätigkeit erscheint ( R G Gruchot 67, 1 8 7 : Vorbereitungshandlung; 70, 6 1 9 ; B G H 8, 288, 292; 17, 327, 3 3 3 ; N J W 1953, 499). Wer von den mehreren Mittätern den endlichen Erfolg auch herbeigeführt haben mag, durch die Einheit des Willens erscheint der durch die Handlung der einzelnen verursachte Erfolg als das Ergebnis ihrer Gesamtwirksamkeit ( R G 58, 3 5 7 ; J W 1909, 4 1 6 1 5 ; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 287; 1 9 1 5 Nr. 5 2 ; 1 9 1 7 , Nr. 1 7 : gemeinsame Ausplünderung eines Landguts durch Eigentümer und Abkäufer der einzelnen Inventarstücke zum Schaden des Hypothekengläubigers; WarnRspr 1929 Nr. 144; Gruchot 5 1 , 990; 70, 619, 622). Die Gemeinschaftlichkeit des Willens erfordert, daß jeder Täter den Willen hat, zugleich dieselbe T a t zu verwirklichen, auf die der Wille des Mittäters gerichtet ist, daß er nicht nur seinen eigenen Tatanteil, sondern auch den der anderen als seinen eigenen verwirklichen will (Hamburg M D R 1956, 676). Aus dem Erfordernis der Gemeinschaftlichkeit des Handelns ergibt sich, daß einem Täter bei dem im übrigen gemeinschaftlichen T u n das nicht zugerechnet wird, was er nicht mitgewollt hat, auch nicht in der Weise, daß er es bei der Ausführung durch einen anderen billigen wird, oder daß er alles in K a u f nimmt,
1369
§ 830 Anm. 4—6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
was der andere tut, bedingter Vorsatz (Exzeß eines Mittäters). Insoweit ist keine Mittäterschaft vorhanden (RG WarnRspr 1929 Nr. 144). Da die gemeinschaftliche Verursachung schon durch die Gemeinschaftlichkeit des Willens erzeugt wird, ist G l e i c h z e i t i g k e i t des H a n d e l n s oder eine E i n h e i t des T a t o r t s der mehreren Mittäter nicht erforderlich. Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines einzelnen Mittäters ist natürlich, daß er rechtswidrig handelt (BGH VersR 1953, 146, 147). Anm. 4 b) Anstiftung und Beihilfe. Anstiftung und Beihilfe stehen der Mittäterschaft gleich. Beide Begriffe sind im Sinne des Strafrechts (§§ 48, 49 StGB) zu verstehen (RG WarnRspr 1917 Nr. 17). A n s t i f t u n g bedeutet demnach die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zu der von ihm begangenen u. H. durch die in § 48 StGB genannten Mittel, B e i h i l f e im Sinne der bisherigen Auffassung von der strafrechtlichen Beihilfe nach § 49 StGB die dem Haupttäter vorsätzlich geleistete Hilfe zu einer von diesem begangenen u. H. (RG 99, 90; 129, 330; 133, 326, 329; R G Gruchot 70, 619; WarnRspr 1917 Nr. 17; SeuffArch 90, 260: Beihilfe durch Duldung; B G H NJW 1957, 29). Die Haftung des Gehilfen und des Anstifters erstreckt sich auf den durch die gemeinschaftliche u. H. verursachten Schaden (RG L Z 1915, 689; WarnRspr 1917 Nr. 17) ohne Rücksicht darauf, wie weit der Schaden gerade durch sein Tun verursacht ist, selbst wenn er nur einen meßbaren, begrenzten Teil des Gesamtschadens herbeigeführt hat. Was vom Vorsatz des Anstifters oder Gehilfen nicht umfaßt ist, kann ihnen ebenso wenig angerechnet werden, wie dem Mittäter (vgl. Anm. 3). § 830 Abs. 1 S. 1 ist entsprechend anwendbar auf das vom Verletzten zu vertretende eigene Verschulden (RG Recht 1911 Nr. 2091). Die bisherige Auffassung hat angenommen, daß gegenüber den nach §§ 827, 828 für ihr Tun nicht verantwortlichen Personen Anstiftung und Beihilfe nicht denkbar sind. Diese Auffassung ist im Strafrecht mit der Einführung der limitierten Akzessorietät überwunden (vgl. dazu S c h ö n k e - S c h r ö d e r StGB 7. Aufl., Vorbemerkung vor § 47 V ; D r e h e r - M a ß e n StGB Vorbemerkung vor § 47 III). Der Frage kommt für die u. H. keine praktische Bedeutung zu. Die Handlungen des Anstifters oder des Gehilfen erscheinen in diesem Falle als selbständige u. H., die sie für die Folge der von ihnen gewollten und von ihnen auch durch die unverantwortlichen Personen bewirkten u. H. verantwortlich machen. Bei Beihilfe zu einer fortgesetzten Handlung im Sinne des Strafrechts ist der Gehilfe nur verantwortlich, soweit die Beihilfe die einzelnen Handlungen gefördert hat (BGH NJW 1954, 1033). Anm. 5 Hehler und Begünstiger haften nicht nach §830 Abs. 1 S. 1, denn sie wirken nicht durch bewußte und gewollte Teilnahme für die Gesamthandlung kausal (BGH 8, 288, 292; R G SeuffArch 78 Nr. 2 1 ; WarnRspr 1917 Nr. 17). Hehlerei und Begünstigung sind zivilrechtlich selbständige u. H., deren Schadensfolgen besonders zu ermitteln sind (RG J W 1921, 1582; Recht 1908 Nr. 1550). Wenn der durch sie verursachte Schaden mit dem durch die Haupttat verursachten zusammenfällt, dann besteht gesamtschuldnerische Haftung mit dem Haupttäter (bestritten: vgl. S t a u d i n g e r § 830 Anm. 7). Anm. 6 3. Nebentäter. In § 830 nicht geregelt ist der Fall, daß zwar mehrere Mitwirkende einen Schaden verursacht haben, jedoch keine Mittäterschaft nach Abs. 1 S. 1 (oder Abs. 2) und keine Beteiligung nach Abs. 1 S. 2 vorliegt. Es kann vielmehr jeder Mitwirkende den g a n z e n S c h a d e n durch eine selbständige Einzelhandlung im Sinne der Lehre von der adäquaten Kausalität (vgl. Vorb. §823 Anm. 48 ff) verursacht haben, ohne daß sie gemeinschaftlich (Abs. 1 S. 1), d. h. bewußt und gewollt zusammengewirkt haben, und ohne daß eine Beteiligung an einer gemeinschaftlichen Gefährdung gegeben ist. Da die Mitwirkenden somit nicht bewußt und gewollt zusammengewirkt haben, können die selbständigen Einzelhandlungen auch fahrlässig begangen werden oder von einem Mitwirkenden vorsätzlich und dem anderen fahrlässig. Entweder liegen solche Handlungen vor, die jede für sich den Erfolg herbeigeführt hätte (Ableitung von 1370
Unerlaubte Handlungen
§830 Anm. 7, 8
Giftstoffen durch zwei Fabrikanten in einer solchen Menge, daß die von jedem in einen Fluß eingeführte Menge zur Tötung der Fische ausgereicht hätte ( E n n e c c e r u s L e h m a n n § 247 I 2), oder es wird erst durch das Zusammentreffen und Zusammenwirken der verschiedenen Handlungen der Erfolg verursacht, wobei der verursachte Erfolg in beiden Fällen für jedes Handeln adäquat sein muß (vgl. R G WarnRspr 1930 Nr. 108; ferner die oben Anm. 2 genannten Beispiele). Voraussetzung ist zum Unterschied von der gemeinschaftlichen Gefahrdung nach Abs. 1 S. 2, daß die Kausalität jeder einzelnen Handlung feststeht. In beiden Fällen ist jeder Mitwirkende nach den allgemeinen Regeln über adäquate Kausalität für den gesamten Schaden verantwortlich, soweit sein Handeln adäquat kausal war. Einheit von Ort und Zeit ist nicht erforderlich. Soweit ein Mitwirkender nur einen bestimmten und bestimmbaren Teil des Schadens verursacht hat, haftet er nur für diesen Teil, denn darüber hinaus fehlt es an der Ursächlichkeit (vgl. Bamberg N J W 1949, 225; Koblenz A c P 150, 453; Braunschweig J R i g 5 i , 658), soweit nicht eben sein T u n kausal dafür war, daß die anderen Schädiger tätig wurden. Die Regelung der in Anm. 1 — 6 behandelten Fälle ergibt daher das allgemeine Prinzip, daß von mehreren vorsätzlich oder fahrlässig handelnden jeder, der den g a n z e n Erfolg adäquat verursacht hat, für den daraus entstandenen Schaden haftet ( T r a e g e r , Kausalzusammenhang 282).
Anm. 7 4. Beteiligung an gemeinschaftlicher Gefährdung, § 830 Abs. 1 S. 2. Die
Mitwirkung unter bewußtem und gewolltem Zusammenwirken ist in Abs. 1 S. 1 (Abs. 2) erfaßt. Aus allgemeinen Grundsätzen ergibt sich die Haftung in den Fällen, in denen bei selbständigen Einzelhandlungen die adäquate Verursachung durch die einzelne selbständige Handlung des jeweils Inanspruchgenommenen feststeht. Bei Beteiligung an gemeinschaftlicher Gefährdung nach Abs. 1 S. 2 fehlt es an einer derart gemeinschaftlichen Begehung, auch ist die Kausalität der selbständigen Einzelhandlung für den gesamten Erfolg nicht festgestellt.
Anm. 8 Gefährdung durch mehrere Beteiligte — wie das Gesetz im Gegensatz zum Mittäter, Gehilfen und Anstifter spricht •— hat einen Tatbestand zur Voraussetzung, bei dem die äußere zeitliche und örtliche Einheitlichkeit des Vorgangs für die gleichartigen, aber an und für sich selbständigen Handlungen mehrerer, eine gewisse unechte, rein tatsächliche Gemeinschaftlichkeit zwar nicht der u. H. selbst, aber der Gefährdung schafft und e i n e dieser gefahrlichen Handlungen, also die Handlung — auch die pflichtwidrige Unterlassung ( B G H 25, 271) — eines von mehreren Handelnden, einen schädlichen Erfolg herbeigeführt hat. Die Vorschrift soll Beweisschwierigkeiten für den Geschädigten überwinden, wenn ungewiß bleibt, wer von mehreren als Urheber in Betracht kommenden Personen den Schaden verursacht hat. Der Fall des S. 2 ist gegeben, wenn j e d e einzelne der von mehreren begangenen, an sich selbständigen Handlungen im allgemeinen nach den über den ursächlichen Zusammenhang geltenden Regeln den schädlichen Erfolg herbeizuführen geeignet war, eine von ihnen den Erfolg herbeigeführt hat, aber nicht ermittelt werden kann, wer von den mehreren Handelnden der Urheber ist ( R G 121, 400; 148, 154, 166; J W 1937, 462*; B G H 25, 271; VersR 1957, 304; Hamburg M D R 1956, 656), wenn die Handlungsweise jedes Beteiligten, wenn sich nachweisen ließe, daß er den Schaden herbeigeführt hat, sich als u. H. darstellen würde. Die Handlung muß geeignet sein, d e n G e s a m t s c h a d e n herbeizuführen. Es genügt nicht, daß sie nur einen abgrenzbaren Teilschaden herbeigeführt hat, daß also verschiedene, von verschiedenen Tätern verursachte feststellbare Teilschäden erst zusammen den Gesamtschaden verursacht haben ohne innere und äußere Verbindung zwischen den einzelnen Tätern. Steht fest, daß jeder Beteiligte nur einen abgrenzbaren Teilschaden verursacht hat, dann fehlt es an der Voraussetzung, daß sich nicht ermitteln läßt, welcher der möglichen Täter Verursacher des Gesamtschadens war (Bamberg N J W 1949, 225; Koblenz A c P 150, 453; Braunschweig N J W 1951, 658; Hamburg M D R 1956, 676; Neustadt VersR 1958, 251). In diesem'Falle haftet jeder für seinen «8
Komm, z
B G B , II. Aufl. n . Bd. (Haager)
1371
§ 830 Anm. 9
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anteil. Anders ist es nur, wenn der Fall der Nebentäterschaft vorliegt, wenn also das Handeln des einen adäquat kausal dafür war, daß auch der andere Schädiger eingriff (vgl. Anm. 6) oder wenn der Fall der Mittäterschaft nach Abs. i Satz i, Abs. 2 gegeben i st. Die gemeinsame Grundlage der Haftung ist die von jedem Beteiligten bewirkte Gefährdung. Es fehlt ein innerer rechtlicher Zusammenhang. Andererseits wird die Haftung für Beteiligung an einer Gefährdung gegenüber einem nur zufälligen gleichzeitigen Nebeneinander von Handlungen abgegrenzt durch die äußere, zeitliche und r ä u m l i c h e Einheit des Vorgangs für die g l e i c h a r t i g e n , an sich selbständigen Handlungen mehrerer Personen, die eine gewisse tatsächliche Gemeinschaftlichkeit der Gefährdung schaffen. Dies rechtfertigt, die sämtlichen Handlungen wegen dieser schuldhaft bewirkten Gefährdung als eine Einheit aufzufassen. Der rechtswidrige Erfolg muß in diesen Bereich des gemeinsamen Tuns fallen (RG J W 1909, 136 1 1 ; WarnRspr 1908 Nr. 315; 1913 Nr. 363; 1929 Nr. 144; BGH 25, 271; VersR 1957, 304). Wegen Fehlens der zeitlichen und räumlichen Einheit liegt z. B. keine Beteiligung vor, wenn nicht festgestellt werden kann, ob die Eisbildung auf einer Treppe durch Wasser verursacht wurde, das durch ein schadhaftes Dach herunterlief, oder durch Ausschütten von Wasser auf der Treppe durch Hausbewohner (RG WarnRspr 1908, 315 = Recht 1908, Nr. 974). Es liegt keine Beteiligung vor, wenn mehrere gleichzeitig eine Handlung vornehmen, die jede allein den Erfolg hätte herbeiführen können, nicht festgestellt ist, welche ihn herbeigeführt hat und die beiden Handelnden voneinander nichts wissen. Also keine Beteiligung, wenn zwei Wilderer, die voneinander nichts wissen, von verschiedenen Seiten gleichzeiüg nach dem Förster schießen und einer ihn verwundet (vgl. R G WarnRspr 1908 Nr. 315). Keine gemeinsame Gefährdung, sondern ein zufälliges Nebeneinander liegt vor, wenn ein Unfall durch zwei unabhängig voneinander die Straße befahrende Kraftfahrzeuge verursacht wird, im Gegensatz zur Verursachung durch eine zusammengehörende Wagenkolonne (vgl. S t a u d i n g e r § 830 Anm. 3). Beispiele von Satz 2: Eine Schlägerei (§ 227 StGB): RG WarnRspr 1929 Nr. 144; die Mißhandlung einer Person durch mehrere andere, die ohne Gemeinschaftlichkeit des Willens handeln: RG WarnRspr 1908 Nr. 633; das gleichzeitige unvorsichtige Abgeben von Schüssen seitens mehrerer Teilnehmer einer Jagdgesellschaft: RG 98, 58; WarnRspr 1909 Nr. 557; J W 1909, 687 11 ; Recht 1911 Nr. 1551; vgl. BGH VersR 1953 146, 147; das Werfen von Steinen nach Menschen durch mehrere Personen: RG J W 1909, 136 1 1 ; das Werfen mit Knallerbsen in einen mit vielen Menschen besetzten geschlossenen Raum: RG 58, 357, auch wenn der Verletzte selbst geworfen hat: Celle NJW 50, 951. Zweifelhaft erscheint der RG WarnRspr 1912 Nr. 387 behandelte Fall, in dem vielleicht richtiger nur ein zufälliges Nebeneinander oder Nacheinander ohne äußere Einheitlichkeit anzunehmen gewesen wäre; richtig dagegen RG WarnRspr 1913 Nr. 363 (mit Anzweiflung von RG WarnRspr 1912 Nr. 387), wo die Anwendung von Satz 1 wie Satz 2 des § 830 auf den Fall verneint ist, daß eine Frauensperson, die mit mehreren Männern innerhalb eines längeren Zeitraumes geschlechtlich verkehrt hat, geschlechtlich erkrankt, aber nicht zu ermitteln war, durch wen die Ansteckung erfolgt sei. In diesem Fall lag nur eine Mehrzahl von selbständigen, zeitlich und räumlich getrennten Vorkommnissen, von Handlungen verschiedener Personen vor; ebenso R G 96, 224. Beim Einsturz eines Hauses, das unter Verwendung von Fertigteilen gebaut wurde, die ein Unternehmer hergestellt und ein anderer eingebaut hat, haften beide, wenn ihre Leistungen mangelhaft waren und sich nicht feststellen läßt, auf wessen mangelhafter Leistung der Einsturz beruht (BGH VersR 1957, 304). Von zwei Häusern herabstürzende Gesteinsmassen zerstören eine Sache: BGH VersR 1956, 627, 629; Unfall auf einem Weg, der über die Grundstücke verschiedener VerkehrssicherungspflicHtiger führt, ohne daß sich ermitteln läßt, auf welchem verkehrsunsicherem Grundstück sich der Unfall zugetragen hat (BGH 25, 271); mehrere Personen schießen in eine Menge, wobei ein Mensch durch einen Schuß getötet wird: Braunschweig J R 1951, 658, 659. Anm. 9 Gefordert wird somit die Mitwirkung an einer Tätigkeit, die zunächst eine Gefährdung hervorruft, aber in ihrer weiteren Entwicklung, sei es infolge der Handlung 1372
Unerlaubte Handlungen
§830
A n m . 10—12 des Inanspruchgenommenen oder eines anderen den Schaden herbeigeführt hat, und zwar in der Weise, daß die jeweilige Mitwirkung des Inanspruchgenommenen selbst den Schaden hätte herbeiführen können. Die Ursächlichkeit braucht somit nicht nachgewiesen werden. Es genügt, daß sein Handeln im Hinblick auf den eingetretenen Erfolg u r s ä c h l i c h s e i n k a n n . Ein Beteiligter, der jedoch nachweist (Beweislast!), daß er den Schaden nicht — insbesondere auch nicht als Nebentäter (vgl. Anm. 6) — verursacht haben kann, wird daher von der Haftung frei. Wer für die Schadensverursachung überhaupt nicht in Betracht kommen kann, ist nicht beteiligt im Sinne des Abs. I S. 2. Einer auf Grund dieser Vorschrift in Anspruch genommenen Person muß daher ein entsprechender Entlastungsbeweis, z. B. daß der tödliche Schuß nicht von ihr herrühren könne, gestattet werden ( R G i a i , 400; SeufTArch 83 Nr. 96: Anschlußpfändung auf Grund eines ungerechtfertigten Arrests, die aber infolge der vorausgegangenen Arrestpfändung anderer Gläubiger für den Schaden nicht ursächlich war; Recht 1929 Nr. 2152; WarnRspr 1929 Nr. 144: Nachweis, daß der Inanspruchgenommene bei einer Schlägerei, bei der durch Messerstiche eine schwere Verletzung eines Beteiligten herbeigeführt wurde, kein Messer hatte; J W 1928, 2974; B G H VersR 1956, 627, 629; 1957, 304).
A n m . 10 Die Haftung eines Mitwirkenden entfällt natürlich, soweit sein Handeln aus Gründen, die in seiner Person liegen, r e c h t m ä ß i g ist, da die Haftung voraussetzt, daß jeder der Beteiligten, hätte er nachweislich den Schaden durch seine Handlung herbeigeführt, r e c h t s w i d r i g gehandelt hätte. So kann z. B. bei zwei Beteiligten der erste Beteiligte nicht in Anspruch genommen werden, solange nicht feststeht, daß der zweite Beteiligte rechtswidrig gehandelt hat, selbst wenn der erste Beteiligte auf jeden Fall rechtswidrig gehandelt hätte. Allein die Tatsache, daß das Handeln des in Anspruch genommenen Erstbeteiligten rechtswidrig gewesen war, genügt nicht ( B G H VersR 1953, 146 = L M 830 Nr. 2). Ferner entfallt die Haftung eines Beteiligten, wenn er nach §§ 827, 828 nicht verantwortlich gemacht werden kann, soweit die Haftung aus § 829 nicht eingreift ( R G 74, 143; vgl. S t a u d i n g e r § 830 Anm. 3 b m. weit. Nachw.). In bezug auf das gefährliche Verhalten ist Verschulden erforderlich (vgl. R G g8, 58, 60; Recht 1911 Nr. 1551). Wenn die Ersatzpflicht nur bei Vorsatz besteht, muß Vorsatz vorliegen. Zur Frage, ob das gemeinschaftliche Handeln an sich den Tatbestand einer u. H. bilden muß ( B G H 25, 271; Braunschweig J R 1951, 658; vgl. S t a u d i n g e r § 830, 3 c). Begrifflich sind Anstiftung und Beihilfe auch bei dem unerlaubten Handeln des Abs. 1 Satz 2 nicht ausgeschlossen, sofern es sich dabei um vorsätzliche Handlungen und um die Bestimmung oder Unterstützung eines oder mehrerer Beteiligter handelt, ohne daß diese unter sich zu einem gemeinsamen Handeln verbunden sind. Der Regel nach werden Anstiftung und Beihilfe jedoch nur im Falle des Abs. 1 Satz 1 in Betracht kommen.
A n m . 11 § 830 Abs. 1 Satz 2 kann nicht entsprechend angewendet werden über den Kreis der unerlaubten Handlung hinaus ( R G 102, 319). Die Haftung gilt jedoch für alle Bestimmungen des 25. Titels, z. B. §§ 836, 838 ( B G H VersR 1956, 629).
Anm. 12 § 830 Abs. 1 Satz i gilt entsprechend für das vom Verletzten zu vertretende eigene Verschulden ( R G Recht 1911 Nr. 2091). Uber die entsprechende Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 auf den Fall, daß von mehreren spielenden Kindern eines verletzt wird, aber nicht festzustellen ist, welches von den anderen den Schaden verursacht hat, insbesondere nicht nachgewiesen ist, daß der Schaden nicht durch den Verletzten selbst verursacht ist vgl. Celle N J W 1950, 951 (Minderung nach § 254) mit Anm. R e i n i c k e NJW 1951, 316. 88*
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§ 830 Anm. 13 §831
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 13 5. Inhalt der Haftung. Mehrere Mittäter (Anm. 2, 3), einschließlich Anstifter und Gehilfen (Anm. 4,5), mehrere Nebentäter (Anm. 6) und mehrere Beteiligte (Anm. 7—12) haften als Gesamtschuldner nach § 840, denn sie haften fiir den ganzen Schaden. Dies gilt auch für Nebentäter (vgl. R G WarnRspr 1930 Nr. 108), obwohl der Wortlaut des §840 („aus einer u. H.") dagegen sprechen könnte. §840 umfaßt alle Formen des Zusammenwirkens mehrerer Personen zu einer u. H., wie auch das Zusammenwirken mehrerer u. H. zu einem schädlichen Erfolg (vgl. R G 96, 224, 225). Untereinander steht ihnen der Ausgleichungsanspruch nach §§426, 840 zu. Die Frage, ob die Haftung sich auf bestimmte meßbare Teile des Schadens ermäßigt, wenn festgestellt werden kann, inwieweit der Schaden auf die Tätigkeit der einzelnen zurückgeführt werden kann, darf für den Taibestand des Abs. 1 Satz 1 nicht aufgeworfen werden, denn der gemeinschaftliche auf die Handlung gerichtete Wille erzeugt hier auch die Verantwortung für den ganzen Schaden; soweit der Wille nicht gemeinschaftlich war, ist auch der Erfolg als gemeinschaftlich verursachter nicht zuzurechnen (vgl. Anm. 3), und insoweit kann die Verantwortung einzelner für einen Teilschaden wohl in Betracht kommen. Für Abs. 1 Satz 2 aber ist, sofern ein bestimmter Teilschaden als Erfolg der einzelnen Handlungen der Beteiligten feststeht, der Fall, daß sich nicht ermitteln läßt, welcher der Beteiligten durch seine Handlung den Schaden verursacht hat, nicht gegeben; in erster Linie haftet nach Abs. 1 Satz 2 jeder für den Schaden, den er selbst nachweislich angerichtet hat.
§831 Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersätze des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher für den Geschäfteherrn die Besorgung eines der im Abs. 1 Satz 2 bezeichneten Geschäftes durch Vertrag übernimmt. E I 711 II 754; M a 736; P 2 597—604. Ü b ersieht I. Allgemeines II. Verhältnis zu anderen Bestimmungen 1. zu § 823 BGB 2. zu § 278 BGB 3. zu § 254 BGB 4. zu §§ 31, 89 BGB a) J P und OHG b) Privatrechtliche Verrichtungen, hoheitliche Aufgaben c) Haftung für Organisationsmängel 5. zu § 839 . . . 6. zu weiteren Bestimmungen III. Bestellung zu einer Verrichtung 1. Art der Tätigkeit 2. Bestellung 3. Besteller als Geschäftsherr des Bestellten 4. Einzelfälle IV. In Ausführung der Verrichtung 1374
Anm. i 2—9 2 3 4 5—7 5 6 7 8 9 10—13 10 11 12 13 14—20
Unerlaubte Handlungen
§ 831 Anm. 1 Anm.
V. VI.
VII. VIII.
1. In Ausführung oder bei Gelegenheit 14 2. Beteiligung mehrerer Verrichtungsgehilfen 15 3. Einzelfälle 16—18 a) Irrtümliche Überschreitung eines Auftrages, vorsätzliche Handlungen, Schwarzfahrt 16, 17 b) Weitere Einzelfälle 18 Widerrechtlichkeit 19, 20 Entlastungsbeweis für fehlendes Verschulden 21—34 1. Sorgfaltige Auswahl 22—30 a) Umfang und Ausgestaltung des Entlastungsbeweises 22, 23 b) Sorgfaltsmaßstab 24, 25 c) Zeitpunkt der Sorgfaltsanwendung, allgemeine laufende Uberwachung 26—28 d) Entlastungsbeweis bei Großbetrieben 29 e) Verrichtungen auf Weisung des Geschäftsherrn 30 2. Beschaffung von Vorrichtungen, Leitung von Verrichtungen . . . 31—34 a) Vorrichtungen und Gerätschaften 32 b) Leitung einer Verrichtung 33 c) Art und Umfang des Entlastungsbeweises 34 Widerlegung der Kausalitätsvermutung 35—37 Übernahme der Verantwortlichkeit 38
Anm. 1 1. Allgemeines. § 831 schafft keinen neuen Tatbestand einer u. H. Der nach § 831 in Anspruch genommene Geschäftsherr kann nur dann für eine Schädigung Dritter durch seinen Verrichtungsgehilfen haftbar gemacht werden, wenn er, falls er diese Handlung selbst begangen hätte, aus u. H. haftbar wäre (LM § 831 [Fe] Nr. 1). Dem äußeren Anschein nach nimmt § 831 eine Parallelstellung zu § 278 ein. Wie hiernach der Geschäftsherr für ein Verschulden der Vertreter und Hilfspersonen einzustehen hat, deren er sich zur Erfüllung einer Verbindlichkeit in Vertrags- und vertragsähnlichen Verhältnissen bedient, so scheint § 831 eine Haftung des Geschäftsherrn für die widerrechtlichen Eingriffe in einen fremden Rechtsbereich festzusetzen, deren sich seine Hilfspersonen bei den ihnen vom Geschäftsherrn aufgetragenen Tätigkeiten schuldig machen. Eine Ähnlichkeit zwischen beiden Bestimmungen ist aber nur in deren Zweck und Erfolg gegeben; die rechtliche Grundlage des § 831 ist von der des § 278 verschieden. Während n a c h § 278 der Geschäftsherr wirklich für ein V e r s c h u l d e n d e r H i l f s p e r s o n aufzukommen hat und sein eigenes Verhalten dabei gar nicht in Frage kommt, ist es n a c h §831 nicht das unerlaubte Verhalten der Gehilfen, sondern das e i g e n e V e r s c h u l d e n des G e s c h ä f t s h e r r n , das er zu vertreten hat; die widerrechtliche Handlung, für die er einzustehen hat, ist die der Hilfsperson; das Verschulden, das diese Haftung begründet, ist sein eigenes. Der Tatbestand des § 831 setzt sich demnach aus dem widerrechtlichen, im allgemeinen (beachte aber § 826, vgl. Anm. 20) nicht notwendig schuldhaften Verhalten des Verrichtungsgehilfen und dem vermuteten ursächlichen Verschulden des Geschäftsherrn zusammen (RG 139, 304; 140, 386, 392; 142, 356, 368; 151, 296; 157, 228, 234; J W 1931, 33061; WarnRspr 1912 Nr. 74). Der Verletzte muß zunächst die Widerrechtlichkeit des Verhaltens des Verrichtungsgehilfen darlegen. Sie wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Der Verletzte braucht nicht bestimmte Personen als Schadensverursacher zu bezeichnen. Es genügt, wenn er den Vorfall nach Art, Zeit und Umständen so bezeichnet, daß sich ein Tätigwerden einer Hilfsperson ergibt (RG 159, 290; J W 1933, 824). Der Geschäftsherr hat zu beweisen, daß das Verhalten rechtmäßig war (BGH VersR 1957, 656). Dies gilt auch, wenn es sich darum handelt, ob ein Verhalten v e r k e h r s r i c h t i g und daher rechtmäßig war (BGH 24, 21). Die Ungeklärtheit, ob ein verkehrsrichtiges Verhalten vorlag, geht zu Lasten des Geschäftsherrn des Schädigers mit dem somit zunächst überraschenden Ergebnis, daß der Geschädigte sich nach § 831 zunächst besser stellt, wenn er von einem Verrichtungsgehilfen und nicht vom Geschäftsherrn geschädigt wird
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§ 831 Anm. 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
(vgl. H a u ß L M § 831 [E] Nr. 2 Anm.; ferner B o d e D A R 1957, 173). Wegen des Entlastungsbeweises bei der Mitwirkung mehrerer Personen vgl. Anm. 2 1 ; wegen Art und Umfang des Entlastungsbeweises vgl. Anm. 2 2 ff; wegen der Beweislast für die Pflicht zur Beschaffung von Gerätschaften und zur Leitung einer Verrichtung vgl. Anm. 31 ff. Das Verschulden des Geschäftsherrn besteht in der schuldhaften, untüchtigen Auswahl der Hilfspersonen oder schuldhaft versäumten Beschaffung der für eine Arbeit der Hilfspersonen erforderlichen Verrichtungen oder Gerätschaften, oder endlich der schuldhaft unterlassenen Leitung einer Verrichtung, die einer Leitung bedurfte. §831 stellt eine d o p p e l t e g e s e t z l i c h e V e r m u t u n g auf: einmal für das Verschulden des Geschäftsherrn, daß er seine Hilfsperson, die bei Ausführung eines Geschäfts oder einer Arbeit einem anderen widerrechtlich einen Schaden zugefügt hat, schuldhafterweise untüchtig. ausgewählt oder ungenügend mit Arbeitsmitteln ausgestattet habe oder daß er eine Verrichtung ohne die erforderliche Sorgfalt geleitet habe; ferner dafür, daß durch diese Sorgfaltsverletzung der dem Dritten zugefügte Schaden verursacht wurde. Infolgedessen bürdet § 831 dem Geschäftsherrn zur Entkräftung dieser doppelten Vermutung die Beweislast dafür auf, daß er nach allen diesen Richtungen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, also einer Fahrlässigkeit sich nicht schuldig gemacht habe, o d e r daß der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. Die Haftung des § 831 erfordert im übrigen nicht, daß der Schaden gerade durch die untüchtige Eigenschaft des Bestellten verursacht ist (vgl. Anm. 37). Es genügt, daß der Verrichtungsgehilfe zu der Verrichtung ungeeignet war. Der Gegenbeweis des Geschäftsherrn muß sich, wenn dies feststeht, dahin richten, daß der schädliche Erfolg auch bei aller Tüchtigkeit des Bestellten eingetreten wäre ( R G WarnRspr 1908 Nr. 3 1 0 ; 1913 Nr. 93; vgl. Anm. 36). Da § 831 eine Haftung aus dem Verschulden des Geschäftsherrn, nicht des Bestellten festsetzt, ergibt sich, daß die Haftung nach § 831 ausgeschlossen ist, wenn dem Geschäftsherrn die freie Willensbestimmung oder die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht (§§ 827, 828) fehlte. § 829 ist jedoch, weil § 831 nur eine Umkehrung der Beweislast für einen Tatbestand des § 823 darstellt, anwendbar (vgl. § 829 Anm. 1). Verschulden — auch Deliktsfähigkeit — des Verrichtungsgehilfen ist nicht erforderlich ( R G 129, 60; 135, 149, 155; J W 1931, 3 3 1 9 1 1 ; D R 1939, 867). Bei Verschulden haftet er selbst aus §§ 823 fr, neben dem Geschäftsherrn nach § 840 Abs. 1, im Innenverhältnis nach § 840 Abs. 2. Bei Ausgleichung gegenüber weiteren Gesamtschuldnern bilden Geschäftsherr und Verrichtungsgehilfe eine Einheit ( B G H 6, 3, 28). Die Schuldlosigkeit des Verrichtungsgehilfen kann von Bedeutung sein für den Entlastungsbeweis ( R G 135, 149, 155; vgl. Anm. 36). Grobes Versagen des Erfüllungsgehilfen hindert den Entlastungsbeweis nicht ( B G H L M HpflG § 9b Nr. 1). Bei § 826 wird die Widerrechtlichkeit erst durch die Kenntnis der Tatumstände begründet, die die Handlung zu einer sittenwidrigen machen, so daß hier Verschulden des Verrichtungsgehilfen erforderlich ist. Ein auch nur objektiver Verstoß gegen das Verbot des § 826 durch den Verrichtungsgehilfen ist begrifflich nicht denkbar, ohne daß er vorsätzlich und sittenwidrig handelt (vgl. B G H N J W 1956, 1 7 1 5 ; B G H L M § 831 [Fe] Nr. 1 ; vgl. Anm. 20). Anm. 2 I I . V e r h ä l t n i s zu a n d e r e n B e s t i m m u n g e n 1. Zu § 823 B G B : § 831 stellt eine Umkehrung der Beweislast für die Tatbestände der §§ 823 ff dar. Wenn daher das Verschulden des Schädigers und die Ursächlichkeit dieses Verschuldens bewiesen ist, so ergibt sich die Haftung des Geschäftsherrn schon aus § 823 ohne die Möglichkeit des Entlastungsbeweises aus § 831 (vgl. § 823 Anm. 73 bis 78 zur allgemeinen Uberwachungspflicht). Die Haftung aus allgemeinen Vorschriften ohne die Möglichkeit des Entlastungsbeweises ist auch dann gegeben, wenn eine J P des Privat- oder des öffentlichen Rechts es unterlassen hat, einen verfassungsmäßigen oder besonderen Vertreter zu bestellen, obwohl ihre Organe infolge des Umfangs und der Art der zu erledigenden Geschäfte nicht imstande waren, die Verpflichtungen der J P in gleicher Weise wie eine natür-
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Unerlaubte Handlungen
§831
A n m . 3—5
liehe Person zu erfüllen ( R G 162, 129, 166; J W 1932, 2076; D R 1944, 287; B G H 1 1 , 151» 155; Stuttgart N J W 1951, 525; vgl. Anm. 7).
Anm. 3 2. Zu § 2 7 8 : § 278 regelt die Hafcung innerhalb eines Vertrages oder eines vertragsähnlichen Verhältnisses. Es wird eine Haftung für Verschulden des Erfüllungsgehilfen ohne eigenes Verschulden des Geschäftsherrn begründet (vgl. Anm. 1). Wenn die von der Hilfsperson bei Ausführung der ihr aufgetragenen Verrichtung begangene widerrechtliche Verletzung zugleich eine Vertragsverletzung in Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung des Geschäftsherrn gegen den anderen enthält, so kann sowohl § 278 als auch § 831 zur Anwendung kommen ( R G 88, 433; 1 3 1 , 67, 73; vgl. B G H 4, 138, 152; aA S t a u d i n g e r §831 6b; vgl. Vorb. §823 Anm. 23). Allerdings hat der Verletzte bei Heranziehung des § 278 die Beweislast für Verschulden der Hilfsperson. Weist der durch Verletzung einer schuldrechtlichen Verpflichtung Geschädigte ein Verschulden der Hilfsperson nach, so darf er nach § 278 den Geschäftsherrn in Anspruch nehmen, ohne daß diesem ein Entlastungsbeweis zustünde, daß ihn bei Bestellung der Hilfsperson kein Verschulden treffe ( R G 131, 67). Kann oder will er diesen Beweis nicht führen, so verbleibt die Berufung auf § 831 wegen der widerrechtlichen Schadenszufügung, die der Geschäftsherr jedoch durch den Gegenbeweis in Satz 2 des § 831 Abs. 1 zu entkräften vermag. Nur §831, nicht §278 ist anwendbar, wenn der Verletzte nicht selbst der Gläubiger des Schuldverhältnisses ist, sondern zum Gläubiger seinerseits weder in vertraglichen oder sonstigen Rechtsbeziehungen steht ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 260). Allerdings wird hier häufig ein Vertrag zugunsten Dritter vorliegen. Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Anm. 48) begründet kein Schuldverhältnis, deshalb Haftung für Hilfspersonen nur nach § 831. Die Haftung aus §278 und aus §831 (Schmerzensgeld!) kann nebeneinander geltend gemacht werden.
Anm. 4 3 . Zu § 2 5 4 B G B : Der aus §831 in Anspruch genommene Geschäftsherr kann sich auf das eigene Verschulden des Geschädigten berufen. Dies gilt auch bei arglistigem oder vorsätzlichem Handeln der Hilfsperson, denn der Geschäftsherr selbst wird nicht als vorsätzlich oder arglistig handelnd angesehen. Er haftet nicht für die u. H. des Angestellten, sondern für die von ihm selbst in vermuteter Fahrlässigkeit bebegangene ( R G 71, 2 1 7 ; 157, 228, 233; J W 1928, 1046 12 ). Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens nach § 254 ist aber nicht nur das Verschulden des Geschäftsherrn, sondern auch die Art der Verletzung durch die Tat des Angestellten, gegebenenfalls also auch sein Verschulden, in Betracht zu ziehen, die beide zusammen den Tatbestand der u. H. nach §831 ausmachen ( R G 139, 302; 140, 392; 142, 356, 368; J W 1931, 3306; B G H VersR 1957, 504 1 ). D e m G e s c h ä d i g t e n ist bei Schädigung durch unerlaubte Handlungen das Verhalten seiner Hilfspersonen nach § 831 anzurechnen ( R G 77, 2 1 1 ; 142, 356, 358; 164, 264, 269; J W 1912, 138; 1931, 3345, 3352; 1934, 1642 2 ; B G H 1, 248; VersR 1956, 504). Dagegen ist § 254 auf das Mitverschulden des g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r s nicht anzuwenden (vgl. Anm. 10; R G 1 2 1 , 1 1 8 ; 159, 283, 292; B G H 1, 248; 5, 378, 384); anders, wenn das Mitverschulden im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses oder wenigstens eines Verhältnisses vorliegt, das einer Verbindlichkeit ähnlich ist, so daß § 278 Anwendung findet ( B G H 3, 46; 9, 316).
Anm. 5 4. Zu §§ 31, 89 B G B : a ) H a f t u n g f ü r J P u n d O H G : J P des Privatrechts und des öffentlichen Rechts — mit der unter Anm. 6 näher ausgeführten Einschränkung — haften für die u. H. ihres Vorstandes, oder anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter, also ihrer Organe, auch der nach § 30' bestellten besonderen Vertreter, nach §§31, 89 BGB unter den in den genannten Bestimmungen festgelegten Voraussetzungen (vgl. dort) ohne die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises. Da sie durch ihre Organe handeln, liegt eigenes
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§ 831 A n m . 6, 7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Verschulden vor. Es m u ß demnach der volle objektive und subjektive Tatbestand der u. H . durch die Organe erfüllt sein. Die J P haftet in derselben Weise, wie jede andere Privatperson (RG J W 1928, 1047; 1936, 1956). Dies gilt auch für O H G und K G (RG 148, 154, 160; B G H NJW 1952, 537). Vergleiche dagegen wegen der Haftung für die u. H . der Vertreter eines n i c h t r e c h t s f ä h i g e n Vereins R G 135, 242, 247; J W 1913, 737; 1933, 423; vgl. § 823 Anm. 93; § 54 Anm. 15. Für u. H . von Hilfspersonen, die erst von dem Vorstand oder dem verfassungsmäßigen oder besonderen Vertreter bestellt sind, haftet die J P nach § 831 mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises (RG 139, 149, 1 5 1 ; 155, 257, 267). Die Grenze der gesetzlichen Vertretung, besonders nach § 3 0 (dazu R G 157, 228; 162, 129, 165) und der Verrichtung einer Hilfsperson, insbesondere eines bestellten Beamten, im Sinne des § 831 ist nicht immer leicht zu bestimmen; maßgebend ist, ob die Personen zu ihrer Tätigkeit innerhalb eines Geschäftsbereichs durch die Satzungen der Körperschaft, der bei Körperschaften öffentlichen Rechtes die die Verwaltungsgliederung regelnden Bestimmungen entsprechen, berufen sind, oder ob sie ihren Dienstauftrag erst wiederum von den so berufenen Personen herleiten; erstere sind die Vertreter (RG 120, 307; 157, 234), letztere die nach § 831 zu behandelnden Angestellten (RG 163, 30; R G D R 44, 287). Des näheren vgl. §§ 3°> 3 1 ! 89 und die Anm. daselbst und § 839 Anm. 4. Anm. 6 b) Privatrechtliche Verrichtungen — hoheitliche A u f g a b e n : Bei deliktischen Handlungen der Angehörigen einer JP des öffentlichen Rechts kommt die Haftung nach §§ 89, 31 und aus § 831 — neben der eigenen Haftung des Beamten nach § 839 (vgl. § 839 Anm. 1) — nur in Frage, soweit die Handlung in Ausübung einer rein privatrechtlichen, wirtschaftlichen Betätigung der JP erfolgt. Soweit hoheitliche Aufgaben wahrgenommen werden, scheiden die §§823, 831, 30, 31, 89, die nur Rechtsverhältnisse des bürgerlich-rechtlichen Verkehrskreises betreffen, aus (RG 139, 149, 152; 142, 356; 151, 385, 387; 165, 91, 100; B G H 20, 57). Soweit der Schaden in Ausübung der öffentlichen Gewalt zugefügt wird, besteht die Haftung des Dienstherrn nach § 839 i. Vbdg. mit Art. 34 GG, wenn eine dem geschädigten Dritten gegenüber bestehende Amtspflicht verletzt ist (RG 147, 275, 278; 155, 257, 267; 166, 1, 4). Wenn die eigene Haftung des Beamten bei schädigenden Handlungen, die innerhalb des privatrechtlichen Geschäftskreises vorgenommen wurden, nach § 839 Abs. I Satz 2 wegfällt, kann trotzdem der öffentlich-rechtliche Dienstherr nach §§89, 30, 31 oder gegebenenfalls nach § 831 haften (RG 155, 257, 269). Die Haftung des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn nebeneinander aus Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 und aus §§823, 831 ist gegeben, wenn mehrere Personen teils bei Ausübung öffentlicher Gewalt, teils bei privatrechtlichen Verrichtungen einen Schaden verursacht haben (RG 151, 385; vgl. JW 1937, 3221; 3244 10 ) oder die Handlung des Beamten zugleich eine schuldhafte Amtspflichtverletzung in Ausübung öffentlicher Gewalt als auch eine u. H. bei Betätigung innerhalb des bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreises darstellt (RG 151, 385; 155, 257, 277; vgl. §839 Anm. 2, 3). Anm. 7 c) H a f t u n g für O r g a n i s a t i o n s m ä n g e l : Die Anforderungen des täglichen Lebens bringen es mit sich, daß bestimmte Geschäftskreise einer J P nicht durch eine Hilfsperson wahrgenommen werden dürfen, für die die Entlastung Außenstehenden gegenüber möglich ist. O b die Bestellung einer Hilfsperson ungenügend ist, richtet sich nach der Bedeutung und dem Umfang der in Betracht kommenden Geschäftskreise und der dadurch bedingten Bewertung der Stellung und Tätigkeit der sie wahrnehmenden Personen. Ist für einen derartigen Geschäftsbereich trotzdem nur ein Verrichtungsgehilfe nach § 831 bestellt, so haftet die J P wegen eines Organisationsmangels nach allgemeinen Vorschriften, weil sie es unterlassen hat, einen verfassungsmäßigen Vertreter zu bestellen, und weil infolgedessen ihre Organe die Verpflichtungen nicht erfüllen können, denen eine J P ebenso wie eine natürliche Person nachkommen muß. Eine J P kann also nicht dadurch entlastet werden, daß ihre Organe wegen des Umfangs ihrer Tätigkeit nicht selbsthandelnd auftreten können (RG 89, 136; 157, 228,
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Unerlaubte Handlungen
§831
A n m . 8—10 235; 162, 129, 166; 163, 31, 30; SeuffArch 96 Nr. 68; J W 1938, 3162 14 ; D R 1944, 287; DJZ 1936, 641; B G H 24, 200, 212; Stuttgart N J W 1951, 525). Von einer H a f t u n g wegen Organisationsmängeln kann nur bei Fahrlässigkeit des Schädigers die Rede sein (RG 163, 21, 30).
Anm. 8 5. Zu § 8 3 9 : § 839 betrifft die eigene Haftung des Beamten selbst bei Verletzung einer Amtspflicht, die nicht eine Ausübung einer hoheitlichen Gewalt darstellt ( R G 131, 239, 248; 147, 275, 278; 155, 257, 267). Die Bestimmung erfaßt die H a n d h a b u n g privatrechtlicher Belange der öffentlichen Rechtsträger mit der Folge des Ausschlusses der Haftung nach §§ 823fr ( R G 131, 239, 248; 139, 149, 151). Soweit eine schuldhafte Amtspflichtverletzung bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeit vorliegt, greift die Staatshaftung nach Art. 34 G G unter Wegfall der eigenen Haftung des Beamten Platz ( R G 166, 1 , 4 ) . Die eigene Haftung des Beamten nach § 839 kann nach § 839 Abs. 1 Satz 2 entfallen, während sein Dienstherr nach §§ 30, 31, 89 oder § 831 haftet ( R G 131, 239, 249; I55> 257, 267). Dagegen findet § 831 keine Anwendung auf die allein widerrechtliche Ausübung eines hoheitlichen Rechts eines Beamten ( R G 129, 305; 139, 149; 140, 415, 419).
Anm. 9 6. V e r h ä l t n i s z u w e i t e r e n gesetzlichen B e s t i m m u n g e n : Eine Haftung d e s R e e d e r s aus §§485, 486 H G B (§§ 3 , 4 BinnSchG) — ohne Entlastungsbeweis — schließt die Anwendung des § 831 nicht aus, denn § 485 H G B setzt eine Haftung für f r e m d e s V e r s c h u l d e n (in Ausübung einer Dienstverrichtung erfolgendes Verschulden eines Besatzungsmitgliedes) voraus ( R G 151, 296; H R R 1941 Nr. 42; B G H VersR 1957, 286; 1958, 163). Keine Anwendung von §831 im Falle: d e s §903 R V O , früher § 136 G e w U V G ( R G 69, 340; J W 1906, 403; K G KGB1. 22, 118); des § 2 H p f l G ( R G SeuffArch 79 Nr. 93); des § 7 Abs. 3 StVG (Schwarzfahrt; vgl. R G 119, 58; 135, 154; J W 1932, 3712 8 ; vgl. Anm. 17; sonst Haftung aus StVG u n d §831 nebeneinander); des § 13 Abs. 3 U W G ( R G 116, 33); d e r V e r l e t z u n g des Patentrechts, Gebrauchsmusteru n d Warenzeichenrechts ( R G 70, 74). Nicht ausgeschlossen ist die H a f t u n g aus § 831 neben der Haftung der Eisenbahn nach §§ 454, 459 H G B u n d E V O ( B G H 24, 188, 196). In dem Verhältnis zwischen Eisenbahn und Postverwaltung im Falle der Beschädigung eines im Eisenbahnpostdienst beschäftigten Postbeamten kam §831 nicht zur Anwendung, da nach Art. 8 des Eisenbahnpostgesetzes v. 20. 12. 1875 eine Haftung der Eisenb a h n der Post gegenüber nur bei wirklichem, von der Postverwaltung nachzuweisendem Verschulden des Eisenbahnbetriebsunternehmers oder seiner Angestellten, nicht auf Grund des vermuteten Verschuldens des § 831 geltend gemacht werden kann ( R G J W 1921, 337'). Über die Haftung der P o s t bei Beschädigungen von Reisenden oder beförderten Sachen vgl. Vorb. § 823 Anm. 3, für Schäden, die ihre Angestellten bei Einrichtung eines Fernsprechanschlusses anrichten, s. R G 141, 420; über die Bedeutung des § 5 E V O v. 23. 12. 1908 s. R G WarnRspr 1916 Nr. 82.
Anm. 10 III. Bestellung zu einer Verrichtung 1 . A r t d e r T ä t i g k e i t : Zu einer Verrichtung bestellt ist jeder, dem von einem anderen, von dessen Weisungen er mehr oder weniger abhängig ist, eine Tätigkeit übertragen ist. Die Tätigkeit kann tatsächlichen (z. B. Ausübung der Verkehrssicherungspflicht: R G 159, 283, 290, oder die Beaufsichtigung von untergeordneten Verrichtungsgehilfen B G H 11, 150), oder rechtlichen (z.B. Abschluß von Rechtsgeschäften: R G 92, 345; J W 1938, 2744) Charakter haben. Bei einer Tätigkeit rechtlicher Art kann sie mit Vertretungsmacht verbunden sein oder ohne eine solche sich vollziehen ( R G 9i> 363; 92, 345; WarnRspr 1915 Nr. 6). Sie kann entgeltlich oder unentgeltlich, dauernd oder vorübergehend, niederer oder höherer Art sein, sich auf einen ganzen Geschäftskreis oder eine einzelne Tätigkeit beziehen. Eine allgemeine Bestellung umfaßt auch die einzelnen im R a h m e n eines Auftrages liegenden Handlungen ( R G 92,
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§ 831
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
345 j J W 1915, 704; BGH 11, 151, 153). Nicht erforderlich ist, daß der Bestellte, äußerlich erkennbar als Geschäftsbesorger auftritt. Es fallen unter §831 z.B. die Tätigkeit •des Arbeiters, eines Aufsehers, des Leiters einer Fabrik, des Schriftleiters, des Rechtsanwalts, des Kraftfahrers im Verhältnis zum Halter, des Ehemanns bei Verwaltung •des Frauenvermögens bei Gütertrennung (vgl. im einzelnen Anm. 13). Soweit der Geschäftsherr eine juristische Person des privaten oder des öffentlichen Rechts oder auch eine Handelsgesellschaft ist, ist zu beachten, ob es sich nicht um einen verfassungsmäßig bestellten Vertreter oder bei Handelsgesellschaften einen vertretungsberechtigten Gesellschafter handelt (vgl. hierzu §§ 30, 32, 89; für oHGBGH NJW 1952, 537; vgl. Anm. 5). Dagegen hat die Rechtsprechung bisher angenommen, daß die Tätigkeit der Vorstandspersonen oder sonstiger Vertreter eines nicht rechtsfähigen Vereins unter § 831 und nicht unter §§ 30, 31 fällt mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises durch einzelne Mitglieder (RG 91, 72, 75; 135, 242, 247; J W 1913, 737; 1933, 423; WarnRspr 1912 Nr.438; 1913 Nr. 319; 1917 Nr. 263; LZ 1922, 584; vgl. Anm. 5; §823 Anm. 93; § 54 Anm. 15). Nicht unter § 831 fallen, anders als bei § 278, die g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r einer natürlichen oder JP. Eine Haftung natürlicher Personen aus u. H. ihrer gesetzlicher Vertreter ist dem BGB fremd (vgl. § 823 Anm. 93; R G 121, 114, 118; 132, 76, 80). Die Haftung der J P ist in §§30, 31, 89 geregelt, wobei eine Entlastungsmöglichkeit nach §831 Abs. 1 Satz 2 nicht besteht (RG J W 1928, 1047; 1936, 1956; vgl. Anm. 5). Wegen der Haftung aus fehlerhafter Organisation, weil nur ein Verrichtungsgehilfe nach § 831 an Stelle eines verfassungsmäßigen oder besonderen Vertreters zuständig ist vgl. Anm. 7. Wegen der Amtshaftung einer J P des öffentlichen Rechts bei Schadenszufügung durch Beamte in Ausübung des ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes vgl. Anm. 6. Bei vertragsgemäßem Zusammenwirken mehrerer Verrichtungsgehilfen bei einer schädigenden Handlung genügt es für die Haftung aus § 831, wenn die Voraussetzungen hierfür bei einem Verrichtungsgehilfen vorliegen (RG 157, 228, 234; WarnRspr 1914 Nr. 53). Die Benennung eines einzelnen Verrichtungsgehilfen durch den Geschädigten ist nicht erforderlich, wenn feststeht, daß der Schaden auf das Tun oder Unterlassen irgend eines Verrichtungsgehilfen des in Anspruch genommenen Geschäftsherrn zurückzuführen ist. Wegen des Entlastungsbeweises vgl. Anm. 15, 21. A n m . 11 2. Bestellung: Ein rechtsgeschäftlicher Akt der Übertragung ist nicht erforderlich, auch nicht die Geschäftsfähigkeit des Bestellten. Die Bestellung muß nicht unmittelbar auf den Geschäftsherrn oder dessen gesetzlichen Vertreter zurückzuführen sein. Sie kann auch durch eine Zwischenperson erfolgen. Wer von Angestellten zur Hilfeleistung zugezogen wird, ist vom Geschäftsherrn bestellt, wenn die Zuziehung im Geschäftskreis des Zuziehenden lag (RG WarnRspr 1912 Nr. 109). Uber den Entlastungsbeweis der sorgfältigen Auswahl in diesem Falle vgl. Anm. 29. Bei der Bestellung durch eine Zwischenperson ist der Bestellte, wenn er bei der Verrichtung durch die Zwischenperson geschädigt wird, neben seiner Eigenschaft als Verrichtungsgehilfe des Geschäftsherrn diesem gegenüber zugleich Dritter (RG WarnRspr 1912 Nr. 109). Nicht zu einer Verrichtung bestellt sind die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen oder die Organe einer JP. Nicht bestellt war der Ehemann, der früher auf Grund des gesetzlichen Güterstandes der Nutzverwaltung das Frauenvermögen verwaltete (BGH 5, 378, 383). Die Stellung des Bestellers als Geschäftsherr wird an und für sich nicht dadurch beeinträchtigt, daß die aufgetragene Tätigkeit für einen Dritten oder zugleich für den Dritten mitgeleistet werden soll (RG 170, 321). Wenn aber dem Dritten überlassen wird, die einzelnen Verrichtungen dem Gehilfen zuzuweisen und dieser sie nach Weisung des Dritten ausführen soll, dann ist letzterer hinsichtlich dieser Verrichtung der Geschäftsherr, wenn z.B. der Bauherr dem Bauunternehmer Arbeiter zur Anfuhr von Baustoffen zur Verfügung stellt (RG WarnRspr 1908 Nr. 56). Der Bauunternehmer bleibt aber Geschäftsherr der einem Architekten zur Verfügung gestellten Arbeiterkolonne, wenn er noch Aufsichtsrechte und Pflichten gegenüber den Arbeitern hat und
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Unerlaubte Handlungen
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die Arbeiter aus seinem Betrieb nicht völlig herausgelöst sind ( B G H V e r s R 1956, 322 = L M § 831 [ C ] Nr. 3 ; BB 1957, 4 1 3 = Betrieb 1957, 4 2 5 ; vgl. K ö l n D R 1940, 723*).
A n m . 12 3. Besteller als Geschäftsherr des Bestellten: Wesentlich für die Bestellung
zu einer Verrichtung ist, wie sich aus Abs. 1 Satz 2 ergibt, daß dem Besteller die Eigenschaft a l s G e s c h ä f t s h e r r im Verhältnis zum Bestellten zukommt. Der zu einer Verrichtung Bestellte muß die Anordnungen des Bestellers für die Ausführung der Verrichtung zu befolgen haben, von dessen Willen bei der Ausführung demnach abhängig sein. Es ist nicht erforderlich, daß er im Einzelfall mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Geschäftsherrn gehandelt hat, denn in diesem Fall liegt eigenes Handeln des Zustimmenden oder mindestens mittelbare Täterschaft vor ( R G J W 1 9 3 1 , 4 6 3 ; B G H N J W 1956, 1 7 1 5 ; V e r s R 1956, 504, 505). Eine ins einzelne gehende Weisungsbefugnis ist f ü r § 831 auch nicht erforderlich ( B G H L M § 823 [Hb] Nr. 5). Wer andererseits die aufgetragene Tätigkeit als selbständiger Unternehmer nach eigenem Ermessen ausführen soll, über seine Person frei verfügen und Zeit und U m f a n g seiner Tätigkeit selbst bestimmen kann, ist nicht zu einer Verrichtung bestellt ( R G 148, 154, 1 6 1 : verantwortlicher Schriftleiter; J W 1 9 1 2 , 37 m. w. Nachw.; L Z 1922, 68; B G H 14, 163, 1 7 7 ; 24, 247, 248; 26, 152 = V e r s R 1958, 17). Der selbständige Bauunternehmer oder Handwerksmeister, der ein Werk auszuführen übernommen hat, ist also nicht zu einer Verrichtung bestellt, auch wenn eine gewisse Oberaufsicht des Bauherrn vorhanden ist, oder das Einschreiten für den Einzelfall vorbehalten ist ( R G W a r n R s p r 1 9 1 2 Nr. 3 0 1 ; H R R 1933 Nr. 3 7 i ; B G H V e r s R 1953, 358). Unternehmer ist z. B. auch der Halter einer Kraftdroschke, der dem Fahrgast selbständig gegenübertritt ( R G J W 1935, 35). Der Kraftfahrzeughalter ist nicht Geschäftsherr des Handwerkers, dem er das Fahrzeug zur Reparatur übergeben hat ( R G 79, 3 1 2 , 3 1 5 ) . Es ist aber bei der Abgrenzung zum selbständigen Unternehmer zu beachten, daß auch die zu einer Verrichtung bestellten Hilfspersonen ein teilweise großes M a ß an Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit haben und nach eigenem Ermessen und eigener Sachkunde handeln können, da eine ins einzelne gehende Weisungsgebundenheit nicht vorausgesetzt wird ( B G H V e r s R 1957, 301). Entscheidend wird sein, ob sie über ihre Tätigkeit frei bestimmen können, ob ihnen die Verfügung über ihre Person und die Bestimmung ihrer Tätigkeit zusteht ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 180; 1 9 1 2 Nr. 3 0 1 ) oder ob der Geschäftsherr dem Angestellten das Recht für ihn tätig zu sein, jederzeit entziehen kann ( B G H V e r s R 1957, 3 0 1 ) . Der Unterschied des selbständigen Unternehmers und des zu einer Verrichtung Bestellten wird vielfach mit dem von Werk- und Dienstvertrag zusammenfallen, aber auch beim Werkvertrag kann ein Verhältnis nach § 831 bestehen ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 3 0 1 ; J W 1 9 1 2 , 3 7 ; B G H V e r s R 1956, 504). Uber die Stellung des Geschäftsherrn, wenn die aufgetragene Tätigkeit für einen Dritten geleistet werden soll, und ferner über den Fall, daß dem Dritten die Weisungsbefugnis überlassen wird vgl. Anm. 1 1 . Der Geschäftsherr braucht selbst zur Vornahme der übertragenen Tätigkeit nicht fähig zu sein ( R G 1 3 1 , 67, 70).
A n m . 13 4 . E i n z e l f ä l l e : Als zur Verrichtung bestellte Personen sind in der Rechtsprechung angesehen worden: A r z t : Der Kassenarzt ist kein Verrichtungsgehilfe der Krankenkasse, dagegen der Vertrauensarzt: R G 1 3 1 , 67; wenn ein Krankenhaus einem Arzt einen Röntgenapparat nebst der Bedienungsschwester zur Verfügung stellt und der Arzt kein Bestimmungsrecht über den technischen Betrieb hat, ist die Krankenschwester bei ihren Verrichtungen keine Verrichtungsgehilfin des Arztes: R G III 203/36 v. 2 1 . 5- 1 9 3 7 ; vgl. R G 1 1 8 , 4 3 ; 139, 255, 2 6 1 ; vgl. Vorb. § 6 1 1 Anm. 5 7 ; Abwesenheitsvertreter eines Arztes: B G H V e r s R 1956, 714. B a n k e n : s. auch Sparkassen: Die L e i t e r d e r Z w e i g n i e d e r l a s s u n g e n von Aktienbanken können Vertreter nach § 3 1 sein, wenn sie dem Gesamtvorstande angehören; sie können besondere Vertreter nach § 30 sein, wenn ihre Bestellung satzungsmäßig vorgesehen ist; es genügt, daß die Zweigniederlassung ausdrücklich satzungsmäßig vorgesehen ist und die Stellung ihres Leiters durch Auslegung aus der Satzung ermittelt wird; sie können aber auch lediglich A n -
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§ 831
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gestellte im Sinne des § 831 sein; die Satzung ist dafür Maßstab und Grundlage (RG 91» 35 94» 318; ii7» 64; R G WarnRspr 1915 Nr. 317; 1917 Nr. 110; J W 1927, 1682 7 ; 1930, 2927°; 1933, 2513 1 ); ähnlich ist die Stellung von Depositenkassenvorstehern der Banken (RG 94, 318; J W 1917, 285®; 1930, 2927®; WarnRspr 1918 Nr. 208; 1930 Nr. 33); Bankprokurist, der als Angestellter der Bank Auskünfte zu erteilen hat, vgl. R G WarnRspr 1930 Nr. 94; Direktor der Preuß. Staatsbank als besonderer Vertreter, R G 157, 228, 242; Vorsteher einer Depositenkasse als besonderer Vertreter, R G 94, 318; wegen des Vorstehers einer Reichsbanknebenstelle vgl. R G 76, 179. Betriebe, gemeindliche oder staatliche: Leiter der städtischen Gasanstalt, R G 74, 2 1 ; J W 1915, 395'; Leiter des städtischen Schlachthauses, R G L Z 1922, 615; Kreisbaumeister, R G J W 1915, 395; Straßenbahnbetriebsdirektion s. Verwaltung; Heilanstalt s. Verwaltung; U n i v e r s i t ä t s k l i n i k : Leiter der Ambulanz muß besonderer Vertreter sein, R G DR 1944, 287; mit Blutentnahme für Blutgruppengutachten beauftragter technischer Assistent als Verrichtungsgehilfe, Hamm MDR 1950, 221. Ehemann als Verwalter des Frauenvermögens beim Güterstand der Gütertrennung, R G 91, 363; vgl. J W 1933, 152, 154; E h e f r a u im Rahmen des § 1356 Abs. 2, R G 152, 222, 224; vgl. B G H VersR 1956, 2 i i . Eisenbahn: Aufsichtsbeamter, Köln DR 1940, 1945; Bahnhofsvorsteher, R G J W 1911, 450; WarnRspr 1917 Nr. 242; 1919 Nr. 89; anders für Reichsbahn, R G 121, 382 (Stationsvorsteher als verfassungsmäßig berufener Vertreter); Bahnmeister, R G J W 1911, 450; WarnRspr 1917 Nr. 242; R G 55, 229; Schrankenwärter, R G 142, 356; 170, 321; J W 1938, 371; Zugpersonal, R G WarnRspr 1914 Nr. 53; J W 1936, 2793. G a s t w i r t : als Geschäftsherr der Musiker, die zum Tanz aufspielen, Kiel H R R 1941 Nr. 635. Gerichtsvollzieher: kein Verrichtungsgehilfe R G WarnRspr 1930
Nr. 30. Gesellschafter, Geschäftsführer, Verwalter einer Gemeinschaft: Mit-
gesellschafter und Mitgeschäftsführer einer GmbH stehen zueinander nicht im Verhältnis von Geschäftsherrn und Angestellten. Ein Gesellschafter einer oHG oder ein Geschäftsführer einer GmbH kann aber von den übrigen zu einer Verrichtung bestellt sein, R G 91, 72 u. 412; SeufFArch 80 Nr. 167; wegen Bestellung eines Mitinhabers vgl. R G J W 1933, 152; bei n i c h t r e c h t s f ä h i g e m V e r e i n sind Vertreter Verrichtungsgehilfen, R G 135, 242, vgl. unter Verein; ferner Anm. 5, 10; §823 Anm. 93; §54 Anm. 15; bei einer Erbengemeinschft ist angestellter Verwalter Verrichtungsgehilfe sämtlicher Beteiligter auch bei Vereinbarung einer Teilung der Verwaltung, R G WarnRspr 1930 Nr. 103. Handelsvertreter, G e n e r a l v e r t r e t e r : Verrichtungsgehilfe, wenn er bei Ausführung seiner Werbemaßnahmen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Lieferanten steht und dessen Weisungen zu befolgen hat, B G H NJW 1956, 1715. J ä g e r : Eine Treibjagd ist im Verhältnis zu den Jagdgästen kein Geschäft des Jagdherrn, dessen Gegenstand der Wildabschuß bildet. Deshalb keine Haftung des Jagdherrn für Schäden, die sich Jagdgäste einander zufügen nach § 831, aber möglicherweise wegen schuldhafter Zulassung ungeeigneter Jagdgäste nach § 823, R G 128, 39; Jagdberechtigter als Geschäftsherr des Jagdaufsehers, R G WarnRspr 1928 Nr. 76; 1930 Nr. 103. K r a f t f a h r e r : im Verhältnis zum Halter, R G 128, 149, 153; 146, 97, 104; der mit Überführung des Kraftfahrzeuges Betraute, R G J W 1912, 37; mit Führung, Pflege und Beaufsichtigung betrauter Kraftfahrer, R G 135, 149, 154. Der Angestellte eines Kraftfahrzeughändlers, der einen Kunden ein Kraftrad fahren läßt, bestellt ihn zu einer Verrichtung, R G J W 1931, 3345; dagegen sind keine V e r r i c h t u n g s g e hilfen der Kraftfahrzeugführer gegenüber einem Fahrgast, R G J W 1912, 138; 1935, 35; ebenso nicht der Halter einer Kraftdroschke gegenüber dem Fahrgast, R G J W 1935, 35; ebenso nicht, wer sich einem Bekannten gegen Zuschuß zu den Unkosten mit seinem Kraftfahrzeug zur Verfügung stellt, R G J W 1935, 35; ferner ist der gehobene Angestellte kein Geschäftsherr des Kraftfahrers, der ihm von der gemeinschaftlichen Firma zu Dienstfahrten zur Verfügung gestellt wird, R G J W 1938, 456. Lehrlinge: im Verhältnis des Geschäftsherrn steht im allgemeinen auch der Handwerksmeister zum Lehrling, wenn der Lehrling mit der selbständigen Ausführung von Arbeiten betraut ist, Celle VersR 1959, 379. Notargehilfe: wenn Notar sich bei dem Rechtsgeschäft eines Gehilfen bedienen durfte, R G J W 1921, 237; 1930,3307. P o s t : Postassistent, R G J W 1906, 706; Hausmeister des Postgebäudes, R G J W 1904, 165; Angestellte bei Einrichtung eines Fernsprechanschlusses, R G 141, 420; Sachbearbeiter einer Oberpostdirektion
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Unerlaubte Handlungen
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als besonderer Vertreter, R G 129, 165. Rechtsanwalt: R G 96, 177, 180; B G H VersR 1957, 3 0 1 ; aA R G WarnRspr 1915 Nr. 6; Bürovorsteher des Rechtsanwalts, R G Recht 1906, 1168. Schiffahrt: Schlepperführer kein Verrichtungsgehilfe des Eigners, B G H VersR 1956, 504; II Z R 340/56 v. 27. 3. 1958; Stauervize als Verrichtungsgehilfe des Reeders, der ihn bestellt hat, BGH NJW 1958, 220; Kanallotse: R G 79, 1 0 1 ; 81, 316. Schriftleiter: R G 148, 154, 161 ( v e r a n t w o r t l i c h e r Schriftleiter als Vertreter nach § 3 1 ) ; B G H 3, 270, 275; dagegen nicht ein vom Herausgeber bestellter, von den Weisungen des Verlegers unabhängiger Schriftleiter, B G H 14, 163, 177 (möglicherweise Haftung nach § 823). Schulen: Schuldiener, R G J W 1906, 427. Wegen Sparkassenleiter vgl. R G 126, 50, 53; 1 3 1 , 239; 162, 202; J W 1930, 1198; 1931, 3097. Unternehmer: Betrauung einer Firma während der Zwangsbewirtschaftung mit dem Verkauf von Futtermitteln, R G 96, 8 1 ; Unternehmer eines Taxibetriebes vgl. Kraftfahrer; Bauunternehmer für spezielle Arbeiten ist kein Verrichtungsgehilfe, auch wenn Bauherr die Oberleitung hat, B G H BB 1953, 690; Generaldirektor eines staatlichen Hüttenwerkes als verfassungsmäßiger Vertreter des Staates, R G SeufFArch 96 Nr. 68; Landesbaubehörde als Verrichtungsgehilfe eines Kreises, R G 145, 107, 1 1 6 ; selbständiger Handwerksmeister ist kein Verrichtungsgehilfe, R G 79, 3 1 2 , 3 1 5 ; H R R 1933 Nr. 3 7 1 ; B G H VersR 1953, 358 = M D R 1953, 666. Verwaltung: Bei höherer und selbständiger Berufstätigkeit von Beamten ist im Einzelfalle zu prüfen, ob der Beamte kein verfassungsmäßig berufener Vertreter ist. Wegen Vorstehers einer Reichsbanknebenstelle vgl. R G 76, 179 u. unter Bank; Leutnant in Angelegenheiten der militärischen Vermögensverwaltung, R G 120, 304; wegen Vorstehers eines Stadtbauamtes vgl. R G 157, 228, 237; J W 1912, 849; 1920, 775; WarnRspr 1914 Nr. 35; wegen Betriebsdirektors einer städtischen Straßenbahn vgl. R G J W 1 9 1 1 , 640; WarnRspr 1916 Nr. 125; wegen des Leiters einer der Körperschaft gehörenden Heilanstalt vgl. R G J W 1912, 338; wegen Gemeindesparkasse s. Sparkasse; Kreisbaumeister, R G J W 1915, 395; Generaldirektor eines staatlichen Hüttenwerkes als besonderer Vertreter, R G SeuffArch 96 Nr. 68; Vorstand eines staatlichen Wasser- und Straßenbauamtes als verfassungsmäßiger Vertreter, R G D R 1940, 2105; Sachbearbeiter der Oberpostdirektion als besonderer Vertreter, R G 162, 129, 167. Verwalter: Vermögensverwalter nach Gesetz 52 ist kein Verrichtungsgehilfe des Landes, B G H III Z R 65/55 v. 29. 10. 1956; III Z R 142/51 v. 31. 1. 1952, teilweise abgedruckt in NJW 1952, 877. Wasserstraßen: Kanallotse, R G 81, 316. Verein, nicht rechtsfähiger: Vertreter als Verrichtungsgehilfe, R G 135, 242; R G J W 1913, 737; 1933, 423; vgl. Anm. 5, 10; § 823 Anm. 93; § 54 Anm. 15. Anm. 14 IV. In Ausführung einer Verrichtung 1. In Ausführung oder bei Gelegenheit. Die Hilfsperson muß in Ausführung der Verrichtung gehandelt haben, wenn für den Schaden, den ihre Handlung angerichtet hat, der Geschäftsherr in Anspruch genommen werden soll. Dafür ist nicht erforderlich, daß gerade die den Schaden unmittelbar verursachende Handlung selbst dem zur Verrichtung Bestellten aufgetragen war. Diese Voraussetzung ist vielmehr schon dann gegeben, wenn die schädigende Handlung in den Kreis der Tätigkeiten fällt, die die Ausführung der Verrichtung darstellen. Sie muß mit dieser Tätigkeit nach Zweck und Art in einem i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g stehen, sie muß bei Beamten in den Kreis der dienstlichen Tätigkeit fallen (RG 104, 141, 144; die Entscheidung ist für das Postscheckverhältnis überholt durch R G 161, 174, 176, vgl. B G H 6, 304, 3 1 1 ; J W 1910, 333, 652; 1938, 2744; SeufFArch 80 Nr. 174; WarnRspr 1928 Nr. 74; L Z 1930, 590; D R 1943, 984; B G H 11, 1 5 1 ; M D R 1955, 282). Die schädigende Handlung kann auch in der U n t e r l a s s u n g einer auftrags- oder pflichtgemäß vorzunehmenden Handlung bestehen, z. B. der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (RG 159, 283, 290; B G H V I Z R 159/52 v. 30. 9. 1953; J W 1 9 1 1 , 182 9 ). Da ein i n n e r e r Z u s a m m e n h a n g mit der Verrichtung bestehen muß, zu der der Schädiger bestellt ist, genügt ein nur ö r t l i c h e r oder z e i t l i c h e r Zusammenhang nicht. Dem inneren Zusammenhang steht es nicht entgegen, daß die getroffene Maßnahme nicht notwendig
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
oder nicht zweckmäßig war. Allein durch willkürliche oder irrtümliche Überschreitung der Grenze eines Auftrages stellt sich die Handlung nicht außerhalb des Kreises der aufgetragenen Verrichtungen, wenn z. B. Arbeiter versehentlich einen nicht abbruchsreifen Teil eines Gebäudes mitabreißen ( B G H n , 1 5 1 ; s. R G WarnRspr 1928 Nr. 74; SeufFArch 80 Nr. 174; LZ 1930, 590; J W 1938, 2744; R A G 16, 226, 229; München H R R 1939 Nr. 1220; Düsseldorf D R 1939, 1238; B G H VersR 1955, 214; W M 1959, 80). Vorsätzliche Handlungen erfolgen in der Regel bei Gelegenheit einer Verrichtung, z. B. Diebstahl oder Unterschlagung durch Verrichtungsgehilfen, es sei denn, daß der Verrichtungsgehilfe dabei der Verpflichtung zuwiderhandelte, deren Wahrnehmung ihm übertragen ist (RG SeuffArch 80 Nr. 174). Es braucht durch eine vorsätzliche oder durch eine arglistige Handlung der Zusammenhang nicht verloren zu gehen, denn es kommt für den Zussmmenhang mit der aufgetragenen Verrichtung nicht auf die Absicht des Verrichtungsgehilfen an (RG 87, 1,3). Eine bloße irrtümliche Annahme, in Ausführung eines Auftrages zu handeln, genügt nicht, wenn der innere Zusammenhang fehlt (RG J W 1910, 652). Der Zusammenhang wird nicht begründet durch die Annahme eines Geisteskranken. Der Zusammenhang kann nicht von dem Bestellten geschaffen w;erden, er muß objektiv bestehen (RG J W 1938, 2744). Es muß durch die Übertragung der Verrichtung eine für die Schadensentstehung ursächliche Gefährdung begründet oder erhöht sein. Wenn daher der Erfolg auch ohne Bestellung des Verrichtungsgehilfen eingetreten wäre, weil er nur gelegentlich einer ohnehin auszuführenden Verrichtung betraut wurde, so entfällt § 8 3 1 ( B G H N J W 1958, 1774). Den Gegensatz bildet die Zufügung eines Schadens b e i G e l e g e n h e i t der Ausführung der Verrichtung. Der zugewiesenen Verrichtung objektiv ganz fremde Handlungen, die der Vollziehung des Auftrages nicht dienen können, können die Grundlage f ü r eine Haftung des Geschäftsherrn aus § 831 nicht abgeben. Wenn die zugewiesene Verrichtung nur Anlaß oder Anreiz zur Schadenszufügung bot, besteht kein innerer Zusammenhang ( B G H M D R 1955, 282; vgl. B G H W M 1959, 80). Hier ist die Handlung nicht in Ausführung der Verrichtung, sondern nur bei deren Gelegenheit verübt (RG J W 1910, 652). Der i n n e r e Z u s a m m e n h a n g ist z. B. gegeben, wenn Handwerksgesellen, die von ihrem Meister mit der Anbringung von Beleuchtungsgegenständen in einem Hause beauftragt sind, die Wohnungseinrichtung beschädigen. Dagegen handelt es sich u m eine Verübung bei Gelegenheit der Verrichtung, wenn die beauftragte Hilfsperson einen Diebstahl in dem Hause ausführt. Allerdings ist zu beachten, daß in diesem Falle eine Haftung nach § 831 BGB eintreten kann, weil die in einem fremden Grundstück arbeitenden Hilfspersonen eines Unternehmers durch den je nach dem Umfang der Arbeiten notwendigerweise zur Aufsicht zu bestellenden Verrichtungsgehilfen nicht genügend überwacht werden (BGH 11, 150). Bei fehlender Bestellung einer Aufsichtsperson kommt Organisationsverschulden in Frage. Ebenso kann die Kenntnis von der diebischen oder (bei Körperverletzung) gewalttätigen Neigung oder von der gefährlichen Geisteskrankheit eines Angestellten eine Haftung des Geschäftsherrn aus § 823 Abs. 1 begründen (RG J W 1910, 652 10 ). Zu der Abgrenzung zwischen Handlungen, die in innerem Zusammenhang zu dem Auftrag stehen und solchen, die nur bei Gelegenheit der Ausführung einer Verrichtung begangen werden, vgl. auch die Ausführungen zu § 278. A n m . 15 2. Beteiligung m e h r e r e r Verrichtungsgehilfen: Kommen m e h r e r e P e r sonen, die in bezug auf denselben Vorgang mit Verrichtungen beauftragt waren, als Täter der schädigenden Handlung in Frage, so hat der Beschädigte, der auf § 831 gestützt seinen Schaden gegen den Geschäftsherrn geltend macht, Ort, Zeit und begleitende Umstände des Vorgangs so genau anzugeben, daß der Geschäftsherr daraus die Person oder die Personen der beteiligten Angestellten entnehmen kann; diese selbst mit Namen zu bezeichnen, kann dem verletzten Kläger nicht zugemutet werden; die fragliche Ermittlung ist Sache des Entlastungsbeweises des Geschäftsherrn (RG 87, 1; 159. 283> 290; J W 1914, 759; 1933, 824 a ; WarnRspr 1909 Nr. 507; 1914 Nr. 53; vgl. Anm. 10, 21). 1384
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Anm. 16, 17"
Anm. 16 3. Einzelfälle a) Irrtümliche Überschreitung eines Auftrags, vorsätzliche Handlungen, Schwarzfahrt: Wie bereits erwähnt, stellt eine w i l l k ü r l i c h e oder i r r t ü m l i c h e U b e r s c h r e i t u n g der Grenzen eines Auftrages die Handlung noch nicht außerhalbdes Kreises der aufgetragenen Verrichtungen, wenn der innere Zusammenhang in Wirklichkeit vorhanden ist, so wenn z. B. ein angestellter Kraftwagenführer ohne den Willen des Geschäftsherrn oder auch gegen dessen Weisungen eine andere Person mit in den Wagen nimmt und mit ihr die aufgetragene Fahrt der Bestellung gemäß oder auch mit einem Umweg ausführt und dabei diese Person verletzt (RG L Z 1930, 590; J W 1932, 20a 7 13 ). Ob die Abweichung von dem erteilten Auftrag so erheblich ist, daß der innere Zusammenhang verloren geht, entscheidet sich nach dem Einzelfall. Zusammenhang besteht, wenn mit Abbrucharbeiten beauftragte Arbeiter einen nichtabbruchreifen Teil eines Gebäudes in ihre Arbeit einbezogen haben ( B G H 1 1 , 150) oder wenn mit Beaufsichtigung von auf der Straße lagerndem Bauholz beauftragte Hilfspersonen spielende Kinder durch Werfen mit Holzstücken vertreiben (LM 831 [D] Nr. 2). Wegen vorsätzlicher Handlungen vgl. Anm. 14. Mit dem Begriff der S c h w a r z f a h r t e n , also Fahrten, die ohne Wissen und gegen den (ausdrücklichen oder zu vermutenden) Willen des Kraftfahrzeughalters stattfinden,, ist regelmäßig die Annahme unvereinbar, daß der Kraftwagenführer in Ausführung der ihm übertragenen Verrichtung handelt. Hier greift § 7 Abs. 3 StVG ein und § 831 ist ausgeschlossen (RG 79, 312, 3 1 5 ; 119, 58, 60 und 347, 352; 135, 149, 154; 136, 4 und 15; 161, 145, 149; J W 1932, 2013, 2014, 2027 14 , 3712 8 ; H R R 1932 Nr. 1872; 1937 Nr. 1334; B G H 1, 388, 390). Bei der Verwertung der früheren Entscheidungen ist zu beachten, daß nach der Änderung durch das Gesetz v. 7. 1 1 . 1939 (RGBl I, 2223; amtliche Begründung D J 1939, 1771) nach Abs. 3 Satz 2 die Halterhaftung nach §7 Abs. 1 und 2 StGV auch bei solchen Schwarzfahrten aufrechterhalten bleibt, bei denen entweder der Schwarzfahrer für den Betrieb des Kraftfahrzeuges angestellt ist oder das Fahrzeug vom Halter dem Kraftfahrer überlassen wurde, d. h. ihm die tatsächliche Benutzungsmöglichkeit eingeräumt wurde (BGH NJW 1954, 392). Ein gelegentlicher Beifahrer ist nicht für den Betrieb eines Kraftfahrzeugs angestellt (BGH NJW 1954, 392). Ein Fahrzeug isi dem Mieter des Fahrzeugs auch dann überlassen, wenn der Vermieter zu erkennen gegeben hat, daß er die Führung des Wagens nur durch einen vom Mieter gestellten Dritten gutheißen will (BGH 5, 269). Wenn eine zur Überwachung des Fahrdienstes bestellte Aufsichtsperson ihre Uberwachungspflicht verletzt, so besteht die rechtswidrige Schadenszufügung in der Nichthinderung der Schwarzfahrt. Diese Folge ist in § 7 Abs. 3 StVG geregelt; deshalb ist §831 unanwendbar (BGH 1, 388, 390). Die Einschränkung der Anwendung des § 831 beschränkt sich auf die Haftung des Halters. Die Haftung des Fahrers selbst wird dadurch nicht berührt. An die Stelle dieser Eigenhaftung kann die Amtshaftung nach § 839, Art. 34 G G als Haftung für fremdes Verschulden treten (BGH 1, 388, 399). Die Beweislast für Schwarzfahrten hat der Kraftwagenhalter. Der Geschädigte hat die Beweislast für ein Verhalten, das auf ein Verschulden des Halters schließen läßt (RG 119, 60; 135, 149, 158; 136, 4; J W 1936, 2792; BGH 1, 388). Wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der Kraftfahrzeughalter nach § 83 r haftet, so ist es unerheblich, ob die einzelne Fahrt, bei der die schadenzufügende Handlung begangen wurde, ohne Wissen und Willen des Halters ausgeführt wurde (RG 14. 10. 1926 I V 328/25). Anm. 17 Verhältnis des § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 zu § 8 2 3 : § 7 Abs. 3 regelt die schuldhafte Ermöglichung der Schwarzfahrt, § 823 die schuldhafte Verursachung des dabei entstandenen Schadens ( R G 136, 4, 8). § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StVG ist anzuwenden, wenn sich das Verschulden des Halters darin erschöpft, daß er die Benutzung des Fahrzeugs ermöglicht; § 823 ist dann anzuwenden, wenn sein Verschulden eine darüber hinausgehende Bedeutung hat, wenn er nicht nur die unbefugte, sondern eine von vornherein gefährliche Benutzung ermöglicht, z. B. fahrlässig einen unzuver-
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Anm. 18, 19
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lässigen Fahrer eingestellt hat, oder in das Fahren ohne Führerschein eingewilligt hat, wenn er also seine Pflichten als Halter fahrlässig verletzt, insbesondere bei Ausübung seines Gewerbebetriebes ( R G 135, 149, 158; 136, 4, 8 und 15, 1 7 ; J W 1932, 2014, 2 0 2 7 " mit Anm. M ü l l e r ; 3712, 3 7 1 4 ; 1934, 1647'; 1936, 4 4 1 1 ; 1938, 958; Düsseldorf VersR 1957, 343).
Anm. 18 b) W e i t e r e E i n z e l f ä l l e : I n A u s f ü h r u n g e i n e r V e r r i c h t u n g : Beschädigung der Einrichtung eines Hauses durch A r b e i t e r , die das Haus zur Vornahme von Reparaturen betreten haben, B G H 1 1 , 1 5 1 ; Verletzung von Personen durch K r a f t f a h r z e u g - , E i s e n b a h n - oder S t r a ß e n b a h n f ü h r e r , R G J W 1907, 16; WarnRspr 1909 Nr. 507; 1915, Nr. 53; Beseitigung von Gepäckstücken durch B a h n a n g e s t e l l t e , die mit der Beförderung dieses Gutes dienstlich beauftragt waren, R G 120, 3 1 3 ; SeuffArch 80 Nr. 174; B G H 24, 188, 196; auftragswidrige Nichtabhaltung (Unterlassung!) Unbefugter von dem Betreten eines dritte Personen gefährdenden Arbeitsplatzes, R G J W 1 9 1 1 , 182; zur Beaufsichtigung von Bauholz bestellte Personen vertreiben spielende Kinder durch Werfen mit Holzstücken, B G H M D R 1955, 282; K a n z l e i V o r s t e h e r eines Rechtsanwalts oder Notars unterschlägt Gelder, die er für den Geschäftsherrn in Empfang nimmt. P o s t a n g e s t e l l t e r , der die ihm in Ausführung seiner Tätigkeit zugänglichen Vordrucke, Stempel usw. über das Kundenkonto des Postscheckamtes einem Dritten mitteilt, wenn er mit der Bearbeitung des Postscheckkontos betraut war, R G 104, 1 4 1 , 145 (für Postscheckverhältnis überholt durch R G 1 6 1 , 174, 176; vgl. B G H 6, 304, 3 1 1 ; jetzt Art. 34 G G ) ; E i s e n b a h n a n g e s t e l l t e r bei Mitwirkung bei einem Betrug mit gefälschtem Frachtbriefduplikat, R G J W 1924, 1714 6 ; unrichtige Auskunft durch Vorsteher einer Depositenkasse, die trotz Auskunftsverbots gegeben wird, R G 94, 318 (entschieden für § 3 1 ) ; A u f s i c h t s p e r s o n unterläßt die Verhinderung eines Diebstahls, B G H VersR 56, 322, vgl. B G H 1 1 , 1 5 1 , 1 5 5 ; K r a f t f a h r z e u g f ü h r e r , der einem Kraftfahrzeughandwerker zu einer Probefahrt mit dem übergebenen Wagen beigegeben wird, R G 79, 312, 316. Bei G e l e g e n h e i t e i n e r V e r r i c h t u n g : Zum Abschluß von Verträgen nicht ermächtigter K a s s i e r e r e i n e r G e n o s s e n s c h a f t nimmt Darlehen auf für Genossenschaft und unterschlägt das Geld, R G 65, 292; nicht vertretungsberechtigter Rechner einer Sparkasse gibt Bürgschaftserklärung ab, R G J W 29, 1002; Unterschlagung durch Mißbrauch eines Sparbuchs durch einen lediglich zur Einzahlung Beauftragten, R G D R 1943, 984; Unterschlagung durch Fahrer, den Geschäftsherr einem Dritten zur Beförderung der Waren zur Verfügung stellt, R G J W 1920, 284®; kein Zusammenhang, wenn Beamter lediglich Zugangsmöglichkeit in die Räume seiner Dienststelle und zu Unterlagen hat, die einen Betrug ermöglichen, R G 104, 1 4 1 , 147; wer nur mit laufenden Geschäften eines Betriebes betraut ist, handelt nicht in Ausführung einer Verrichtung, wenn er hohe Kredite aufnimmt, R G J W 1938, 2744 1 8 ; betrügerischer V e r s i c h e r u n g s a g e n t , R G J W 1928, 1740; Fahrt eines A r b e i t n e h m e r s z u r A r b e i t s s t ä t t e mit dem Fahrrad und damit zusammenhängende Handlungen bei Instandsetzung des Fahrrades begründen keine Haftung des Unternehmers, R G D R 1942, 1280 1 1 ; kein Zusammenhang, der nur auf der krankhaften Einbildung eines geisteskranken Verrich— tungsgehilfen beruht, R G J W 1910, 652; Diebstahl von durch Abbruch gewonnenen Baumaterialien, B G H VersR 56, 322; aber Haftung, wenn zur Beaufsichtigung der Arbeiter bestellter Verrichtungsgehilfe nicht genügend aufpaßt, B G H 1 1 , 1 5 1 , 153.
Anm. 19 V. Widerrechtlichkeit Weitere Voraussetzung der Haftung aus § 831 ist, daß der zu einer Verrichtung Bestellte e i n e m D r i t t e n e i n e n S c h a d e n widerrechtlich zufügt. Dritter ist hier eine jede vom Geschäftsherrn und vom Täter verschiedene Person; auch ein anderer Angestellter desselben Geschäftsherrn, der bei derselben Verrichtung in dessen Auftrag selbst mitwirkt, kann als Dritter in Betracht kommen ( R G J W 1912, 296"). Der Begriff der Widerrechtlichkeit ist hier derselbe wie in §823 (vgl. §823 Anm. 32 fr). Mit diesem Erfordernis der Widerrechtlichkeit wird an die gesetzlichen Tatbestände des Delikts-
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rechts angeknüpft. Es muß der objektive Tatbestand einer u. H. vorliegen, der wie iiach § 823 Abs. 1 in einem Handeln oder in dem Unterlässen einer gebotenen Handlung (Unterlassung der Beleuchtung der Treppen oder des Bestreuens des Bürgersteiges durch den beauftragten Hausmeister) bestehen kann ( R G J W 1910, 333 1 0 ; 1911, 1839; WarnRspr 1916 Nr. 304). Die Rechtswidrigkeit entfällt auch hier — wie allgemein vgl. § 823 Anm. 43 — bei verkehrsmäßigem Verhalten des Verrichtungsgehilfen ( B G H 24, 21, 26; VersR 1958, 320). Es muß aber, wenn eines der durch § 823 BGB geschützten Rechtsgüter durch eine Handlung des Verrichtungsgehilfen verletzt ist, der Geschäftsherr beweisen, daß das Verhalten des Verrichtungsgehilfen rechtmäßig (verkehrsrichtig) war ( B G H 24, 21, 29; vgl. hierzu Bode DAR 1957, 173; B G H VersR 1957, 656; 1958, 320; 1959, 104). Ist dies der Fall, dann bedarf es keiner Prüfung, ob gegenüber der Schuldvermutung mangelnde Kausalität eingewendet werden kann (vgl. Anm. 35; B G H VersR 1957, 519). Durch dieses Handeln oder Unterlassen muß ein Schaden zugefügt sein. Auf ein Verschulden, also auch auf die Deliktsfahigkeit der zu der Verrichtung bestellten Person bei der schädigenden Handlung kommt es nicht an, da § 831 nicht eine Haftung aus fremdem Verschulden, sondern aus eigenem Verschulden bei fremder unrechter Tat festsetzt ( R G 129, 55, 60; 135, 149, 155; J W 1911, 979 11 ; 1913, 23 1 0 ; 1914. 353 5 ; I 9 3 I ) 854*; 1932, 3716 1 0 ; 1933, 824"; 1937» 2190 6 ; D R 1939) 867 2 ; WarnRspr 1912 Nr. 410; 1914 Nr. 53; 1916 Nr. 304; LZ 1917, 866 11 ; vgl. Anm. 1). Die Schuldlosigkeit des Verrichtungsgehilfen erleichtert allerdings den Beweis, daß auch ein sorgfaltig ausgewählter und beaufsichtigter Angestellter nicht anders hätte handeln können (vgl. Anm. 36). Anm. 20 Daraus folgt aber nicht, wie R G WarnRspr 1909 Nr. 484 (aufgegeben in R G J W 1911, 584) annahm, daß § 831 unanwendbar ist, wo eine Rechtswidrigkeit nur bei vorsätzlicher und grobfahrlässiger Verletzung eines Rechts oder Rechtsguts vom Gesetz anerkannt wird, so insbesondere, wenn eine u. H. nach § 826 vorliegt. Freilich ist im Falle des § 826 und in einer Reihe von Fällen des § 823 Abs. 2 die Zufügung eines Schadens nur unerlaubt und widerrechtlich, wenn sie auf der persönlichen Seite des Tatbestandes mit Vorsatz verknüpft ist und deshalb kann auch für die Anwendung des § 831 hier vom Vorsatze des mit der Verrichtung betrauten Täters nicht abgesehen werden. Daß auf seiner Seite kein Verschulden vorzuliegen braucht, kann hier nicht gelten. Die vorsätzlich begangene Schädigung nach § 826 ist aber dann auch widerrechtlich im Sinne des §831 ( R G 73, 434; 163, 21, 30; J W 1911, 584"; WarnRspr 1912 Nr. 428; 1918 Nr. 208; 1919 Nr. 35; R A G 16, 226; B G H L M § 831 [Fe] Nr. 1). Allerdings ist es im Einzelfalle dann zweifelhaft, ob hier noch ein Zusammenhang vorliegt ( R G J W 1911, 584; vgl. Anm. 14). Anm. 21 VI. Entlastungsbeweis für fehlendes Verschulden Wie oben (Anm. 1) ausgeführt, stellt §831 eine doppelte Vermutung auf, daß der Geschäftsherr seine widerrechtlich handelnden Hilfspersonen s c h u l d h a f t erweise untüchtig ausgewählt oder ungenügend mit Arbeitsmitteln ausgestattet oder ohne die erforderliche Sorgfalt geleitet hat und ferner dafür, daß durch diese Sorgfaltsverletzung der dem Dritten zugefügte Schaden v e r u r s a c h t ist. Zur Widerlegung seines vermuteten Verschuldens hat der Geschäftsherr daher den Entlastungsbeweis zu führen, daß er bei Auswahl der bestellten Personen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (vgl. Anm. 22) und daß er darüber hinaus bei Beschaffung von Vorrichtungen oder Gerätschaften oder bei der Leitung der Verrichtungen, sofern solche Beschaffungen oder die Leitung erforderlich waren, dieselbe Sorgfalt hat obwalten lassen (vgl. Anm. 31 ff). Unabhängig von dem Entlastungsbeweis für Aufwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt kann der Geschäftsherr die zweite Vermutung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen seinem Verschulden und dem Schaden durch den Nachweis entkräften, daß der Schaden auch bei fehlendem Verschulden eingetreten wäre (vgl. Anm. 35—37). Wenn eine Mehrheit von Personen an einem Kreis von Verrichtungen beteiligt war, in deren Ausübung der Schaden zugefügt wurde, ohne daß 89
Komm. z. B G B , I i . Aufl. II. Bd. (Haager, Kreft)
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der Verletzte den Täter bezeichnen kann (vgl. Anm. 10), muß der Geschäftsherr den Entlastungsbeweis entweder f ü r a l l e Personen führen, aus deren Mitte die schädigende Handlung kam, oder er muß dartun, auf welche Person die schädigende Handlung zurückzuführen ist und muß für diese Person den Entlastungsbeweis erbringen, z. B. bei Abhandenkommen eines auf der Eisenbahn aufgegebenen Gepäckstückes durch Diebstahl der Bahnangestellten (RG 87, 1, 4; WarnRspr 1909 Nr. 507; J W I9!4» 759"; B G H VersR 1955, 746, 747 2. Sp.; 1958, 107). A n m . 22 1. Sorgfältige Auswahl des Verrichtungsgehilfen: Der Geschäftsherr muß nachweisen, daß er bei Auswahl der bestellten Person die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. a) U m f a n g und Ausgestaltung des Entlastungsbeweises: Der Entlastungsbeweis muß sich auf alle Voraussetzungen erstrecken, die von dem Angestellten zu fordern sind. Wenn in irgendeiner Beziehung noch Zweifel bestehen, ist der Entlastungsbeweis nicht geführt. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der einem Dritten zugefügte Schaden gerade auf dem Mangel beruht, hinsichtlich dessen der Geschäftsherr sich nicht entlasten kann. Hätte daher z. B. bei gehöriger Auswahl und Überwachung (vgl. über deren Erfordernis Anm. 24—29) der Geschäftsherr Mängel des Angestellten, wie z. B. häufiges übermäßig schnelles Fahren oder Neigung zu übermäßigen Alkoholgenuß entdecken müssen, dann versagt der Entlastungsbeweis, ohne daß es darauf ankommt, ob gerade auf diesem Mangel der in Ausführung der späteren Verrichtung einem Dritten zugefügte Schaden zurückzuführen ist (RG J W 1920, 492*; LZ 1921, 1416; vgl. Anm. 37). Zu diesem Nachweis muß der Geschäftsherr b e s t i m m t e T a t s a c h e n dartun, die ein Urteil darüber ermöglichen, ob die bestellte Person gerade zu der Verrichtung oder zu dem Kreis von Verrichtungen, die ihr aufgetragen waren, nach ihrer Befähigung und Verläßlichkeit geeignet war, o d e r von ihm bei gewissenhafter Überlegung als geeignet angesehen werden konnte (RG 131, 67, 73; J W 1913, 737'; 1937, 35 16 ; WarnRspr 1908 Nr. 514; 1920 Nr. 30; 1937 Nr. 46). Der durch bestimmte Tatsachen zu erbringende Beweis wird nicht durch allgemeine Erwägungen ersetzt, wie z. B., daß der in Frage stehende staatliche Betrieb oder der große Betrieb eines geachteten Unternehmers die Sorgfalt bei der Auswahl der Angestellten als selbstverständlich erscheinen lassen (RG 87, 1; 159, 283, 291; J W 1911, 594"; 1912, 19415; WarnRspr 1917 Nr. 242; BGH VersR 1955, 746, 747). Es genügt nicht der allgemeine Hinweis auf die durch Kriegsverhältnisse gegebenen Schwierigkeiten, tüchtige Angestellte zu bekommen (RG WarnRspr 1919, Nr. 170). Allerdings sind nicht dieselben Anforderungen wie in Friedenszeiten zu stellen (RG SeuffArch 80 Nr. 174; B G H VersR 1955, 746, 747 2. Sp.). Ungenügend ist auch die Feststellung, es ließen sich keine faßbaren Einwände gegen die Zuverlässigkeit erheben. Der Geschäftsherr hat vielmehr nachzuweisen, wie er die Eignung des Angestellten für die ihm übertragenen Arbeiten überprüft hat, etwa durch Einholung von Auskünften oder durch Vorlage von Zeugnissen. Der Geschäftsherr muß sich von der Zuverlässigkeit positiv überzeugt halten dürfen (RG WarnRspr 1912 Nr. 388). Die Tatsache, daß er nichts Ungünstiges erfahren hat, genügt allein nicht (RAG 16, 226, 229). Langjährige Dienststellung eines Angestellten genügt nicht für den Beweis der sorgfaltigen Auswahl zur Zeit der Verrichtung, denn sie kann auf Gutmütigkeit, persönlicher Verpflichtung oder Personalmangel beruhen (RG VI 220/13 v. 2. 10. 1913). Grobes Versagen des Verrichtungsgehilfen hindert den Entlastungsbeweis nicht (BGH LM HpflG § 9b Nr. 1). Der Beweis der Sorgfalt in der Auswahl des Angestellten wird z u n ä c h s t f ü r d e n Z e i t p u n k t d e r E i n s t e l l u n g je nach den Umständen geführt durch schriftliche Zeugnisse früherer Dienstherren über seine Befähigung und seine Dienstführung (RG WarnRspr 1912 Nr. 217), im allgemeinen aber sind unmittelbare Erkundigungen erforderlich, zumal in Zeugnissen oft ungünstige Tatsachen verschwiegen werden (RG J W 1931, 3340; 1935, 2043), ferner durch gründliche Erkundigung bei Stellen, die geeignet sind, die Uberzeugung von der Tauglichkeit des Verrichtungsgehilfen zu begründen (RG 131, 67, 73; WarnRspr 1910 Nr. 443; 1912 Nr. 388; 1914 Nr. 54; 1933 Nr. 97; J W 1931, 3340). Der Beweis der sorgfältigen Auswahl von F a c h l e u t e n
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kann nicht durch Berufung auf beliebige, unsachverständige Zeugen und Auskünfte unbestimmter und allgemeiner Art oder Auskünfte über nur kurze Dienstdauer erbracht werden ( R G 59, 203; 70, 379; J W 1906, 199 1 6 ; 1 9 2 1 , 526"). Vorsicht bei häufigem Wechsel des Arbeitsplatzes ( R G V e r k R 1933, 273). Die Auswahl kann auch eine vorherige Erprobung verlangen ( R G H R R 1932 Nr. 445; B G H 1, 388). Andererseits kann der Entlastungsbeweis dem Geschäftsherrn nicht mit der allgemeinen Erwägung abgeschnitten werden, daß aus dem unvorsichtigen Verhalten des Verrichtungsgehilfen bei der rechtswidrigen Handlung die mangelnde Sorgfalt des Geschäftsherrn bei der Bestellung von selbt sich ergebe ( R G J W 1905, 3 4 0 1 1 ; 1 9 1 0 , 1 1 1 4 ; B G H L M H p f l G § g b Nr. 1), denn der Entlastungsbeweis soll gerade dartun, daß dieses rechtswidrige Verhalten nicht auf das Verschulden des Geschäftsherrn zurückzuführen ist. Der Geschäftsherr darf aber auch einen in jeder Beziehung tüchtigen und zuverlässigen Angestellten nicht so überlasten, daß eine pünktliche und gehörige Ausführung der einzelnen Verrichtungen nicht mehr erwartet werden kann ( R G J W 1910, 468). Bei Ü b e r t r e t u n g von S c h u t z g e s e t z e n wird sich der Entlastungsbeweis aus § 831 regelmäßig mit dem Widerlegungsbeweis (vgl. § 823 Anm. 1 1 5 ) gegen das zunächst vorliegende Verschulden des Geschäftsherrn decken ( R G J W 1 9 1 1 , 5 9 4 " ; 1 9 1 2 , 536 1 4 ).
A n m . 23 Der Nachweis der Sorgfalt in der Auswahl und der Überwachung ist ein allgemeines Erfordernis für die zu einer Verrichtung bestellte Person. Deshalb ist auch der S t a a t davon nicht befreit f ü r seine Beamten. Wegen der Haftung für Beamte nach § 831 vgl. Anm. 6. Keine Berufung auf die aus dem Beamtenrecht sich ergebenden Hindernisse zur Entfernung eines unbrauchbar gewordenen oder als unbrauchbar erkannten Beamten ( R G 79, 1 0 1 , 105). Ein Angestellter, der sich eine Verfehlung hat zuschulden kommen lassen, braucht — vorbehaltlich einer schärferen Überwachung — nicht aus seiner Stellung entfernt werden ( R G 78, 1 0 7 ; 79, 1 0 1 , 1 0 5 ; J W 1 9 1 2 , 194 1 5 ). Die ständige Unterrichtung des Geschäftsherrn über Amtsführung und erhebliche Verfehlungen des Angestellten muß durch organisatorische Einrichtungen und Anweisungen gewährleistet sein, z. B. Pflicht des Eisenbahnunternehmers zur Überwachung der Bahnwärter ( R G 142, 356). Ebenso hat der E h e m a n n für seine E h e f r a u , der V a t e r für seine K i n d e r , soweit sie zur Verrichtung bestellt sind, den Entlastungsbeweis zu führen ( R G 152, 222). Soweit die Ehefrau allerdings b e r e c h t i g t ist, nach § 1356 Abs. 1 den Haushalt zu führen, bedarf es dazu keiner Bestellung. Ist sie dazu untauglich, so konnte bisher der Ehemann, dem nach § 1354 B G B die Entscheidungsbefugnis zustand, sich wegen Versäumnis des Einschreitens nach § 823 Abs. 1 verantwortlich machen ( R G 70, 48; 152, 222; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 322).
A n m . 24 b ) S o r g f a l t s m a ß s t a b : Das M a ß der vom Geschäftsherrn aufzuwendenden Sorgf a l t richtet sich nach der Art der Verrichtung. Dabei wird für u n t e r g e o r d n e t e Tätigkeiten die Prüfung der körperlichen Fähigkeiten und der allgemeinen Zuverlässigkeit der bestellten Personen genügen. Eine Verpflichtung, die unbedingt Besten f ü r Aufgaben von geringer Schwierigkeit zu verwenden, besteht nicht ( B G H L M H p f l G § 9 b Nr. 1). Bei V e r r i c h t u n g e n h ö h e r e r A r t oder solchen Verrichtungen, mit deren Ausführungen leicht Gefahren für andere verbunden sind, genügen nicht nur Fachkenntnisse in dem Fach, in dem die Verrichtung sich bewegt. Der Verrichtungsgehilfe muß vielmehr die s i t t l i c h e n und m o r a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n besitzen, die eine solche Tätigkeit im Interesse der Allgemeinheit erfordert, wie Charakterstärke, Besonnenheit, Verantwortungsgefühl, worauf besonders bei jugendlichen Personen zu achten ist ( R G WarnRspr 1920 Nr. 30). Der Verrichtungsgehilfe muß insbesondere auch Achtung vor der öffentlichen Ordnung und der Persönlichkeit der Mitmenschen besitzen, ohne die die trotz guter Fachkenntnis eine andere Personen gefährdende Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Deshalb stehen der Eignung eines Verrichtungsgehilfen auch moralische Mängel entgegen, die mit der Verrichtung selbst nichts zu tun haben, wie sie sich z. B. aus einer Bestrafung wegen Meineids ergeben ( R G J W 1933, 2 9 9 3 ' ; 1937, 1964 3 ; H R R 1934 Nr. 799; J W 1 9 3 1 , 3 3 4 0 : Bestrafung wegen Meineids; «9*
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§ 831 A n m . 25, 26
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
B G H VersR 1955, 746; 1957, 463). Die Sorgfalt bei der Auswahl soll rechtswidrige Schädigungen durch den Ausgewählten verhindern. Daher braucht sie sich nicht darauf zu erstrecken, ob der Verrichtungsgehilfe für den Fall eines Schadens dem Verletzten Schadensersatz leisten kann ( B G H 12, 75, 79). A n m . 25 Von diesen allgemeinen Grundsätzen ausgehend, hat die vielfaltige Rechtsprechung für einzelne Verrichtungen gewisse Normen entwickelt. Es ist dabei jedoch immer zu beachten, daß die Gesamtumstände des einzelnen Falles entscheiden. An die Auswahl von K r a f t f a h r e r n sind besonders hohe Anforderungen zu stellen. Sie müssen außer der fahrtechnischen Beherrschung des Fahrzeuges und der Kenntnis der verkehrspolizeilichen Bestimmungen ein gewisses Maß von Vorsicht und Besonnenheit besitzen und damit die Achtung vor der öffentlichen Ordnung und der Persönlichkeit der Mitmenschen verbinden, die sie vor leichtfertiger Gefährdung des Verkehrs und anderer Personen behüten (RG 120, 161; 128, 153; 135, 156; 136, 11; 142, 356, 362; J W 1906, 1996; 1910, 1053; 1911, 40 28 ; 1919, 824'; 1921, 526"; 1931, 8605, 135719, 3340, 3345: Vorlage des Führerscheins genügt nicht; 1932, 202713; 1933, 2993; WarnRspr 1920 Nr. 162; 1933 Nr. 97; H R R 1933 Nr. 751; 1934 Nr. 799; B G H VRS 8, 139; 8, 253, 2 55 = VersR 1955, 186: Vorlage des Führerscheins bei Fahren mit Zugmaschinen; VRS 10, 4 = VersR 1955, 746; VRS 13, 8: Omnibusfahrer; VersR 1956, 211; 1957, 463). Noch strenger sind die Anforderungen bei j u g e n d l i c h e n Kraftfahrern und bei der Auswahl eines Kraftwagenfahrers für schwere Lastkraftwagen und Lastzüge (RG 159, 312; J W 1937, 1587). Bei Zurverfügungstellung eines Kraftwagenfahrers zu einer Fahrt mit einem Fabrikwagen darf der Benutzer sich, soweit der Fahrer überhaupt sein Verrichtungsgehilfe ist (vgl. Anm. 13), auf die Zuverlässigkeit verlassen (RG 79, 320; J W 1932, 782®). Pflicht des Inhabers einer Autoreparaturwerkstätte zur sorgfältigen Auswahl und Anleitung eines Lehrlings, Düsseldorf DR 1939, 12382. Ähnliche Anforderungen wie an die Auswahl eines Kraftfahrzeugführers hat die Rechtsprechung für die Auswahl eines Kutschers aufgestellt (vgl. z. B. R G J W 1904, 471 10 ; 1906, 1996; WarnRspr 1912 Nr. 388), insbes. bei Jugendlichen (RG H R R 1932 Nr. 445). Besondere Sorgfalt erfordert auch die Auswahl des Fahrers eines S t r a ß e n b a h n w a g e n s ( R G J W 1906, 37 7 3 ; 1920, 492 4 ; WarnRspr 1909 Nr. 507; Düsseldorf J W 1939, 70112). Entlastungsbeweis hinsichtlich eines F l u g z e u g f ü h r e r s , R G H R R 1939 Nr. 693. Der V e r l e g e r einer Tageszeitung hat im Hinblick auf die Gefahren, die durch die Verbreitung der Zeitung bei der Wiedergabe unrichtiger Meldungen entstehen, die Schriftleiter mit besonderer Sorgfalt auszuwählen. Er muß sie mit Weisungen versehen, um die Verbreitung unrichtiger Meldungen nach Möglichkeit zu verhindern ( R G 148, 154; H R R 1935 Nr. 921). Einem M a u r e r - oder Z i m m e r p o l i e r können, wenn ihre Tüchtigkeit im allgemeinen dargetan ist, gewisse regelmäßige Geschäfte, wie die Aufstellung eines Bauzaunes oder die Vornahme von Ausschachtungsarbeiten unter gewöhnlichen Verhältnissen ohne Verschulden aufgetragen werden (RG J W 1910, m 1 2 ; WarnRspr 1908 Nr. 212; LZ 1922, 159). Anforderung an F o r s t s c h u t z b e a m t e , R G WarnRspr 1920 Nr. 30, an Schrankenwärter, B G H LM HpflG § 9b Nr. 1. A n m . 26 ^ c) Zeitpunkt der Sorgfaltsanwendung, allgemeine laufende Überwachung: Entscheidend ist, daß der Angestellte im Z e i t p u n k t d e r V e r r i c h t u n g , in deren Ausführung Schaden zugefügt wurde, die erforderliche Befähigung besessen und der Geschäftsherr die ihm auferlegte Sorgfaltspflicht ausgeübt hat ( B G H L M §831 [Fe] Nr. 1). Wenn für diesen Zeitpunkt der Entlastungsbeweis geführt ist, ist es unschädlich, wenn er für den Zeitpunkt der Anstellung fehlt (RG 53, 53; 79, 101; 87, 1; J W 1910 28720, 468®; 1912, 19415; 1920, 492 4 ; 1932, 79415; WarnRspr 1910 Nr. 204; 1911 Nr. 30, 32; 1913 Nr. 93; 1914 Nr. 54; 1915 Nr. 19; 1920, Nr. 162; 1921 Nr. 96). Daraus folgt, daß der Geschäftsherr sich nicht mit der Prüfung bei der Einstellung begnügen darf. Der Geschäftsherr genügt in vielen Fällen, wenn die Verhältnisse dieselben geblieben sind, wie z. B. bei einer z e i t l i c h n i c h t w e i t z u r ü c k l i e g e n d e n E i n s t e l l u n g des Bestellten in seinen Dienst, vorerst seiner Beweispflicht, wenn er die Beobachtung der 1390
Unerlaubte Handlungen
§831
Anm. 27
gehörigen Sorgfalt bei der früheren Anstellung in der oben (Anm. 24) angegebenen Weise dartut. Sobald aber die Führung des Angestellten in der Zwischenzeit bis zur Ausführung der Verrichtung, bei der der Schaden zugefügt wurde, Bedenken wegen seiner Tauglichkeit ergibt oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte ergeben müssen, oder wenn die besondere Gefährlichkeit der übertragenen Verrichtung im allgemeinen öffentlichen Interesse eine ständige Überwachung erfordert, hat er den Beweis der Sorgfalt auch auf den späteren Zeitpunkt zu richten, und er hat auch nachzuweisen, daß er seine Hilfsperson während ihrer Tätigkeit überwacht und keinen Anlaß gefunden hat, an der Eignung zu zweifeln ( R G 78, 107; 79, 1 0 1 ; J W 1910, 287 2 0 ; 1 9 1 1 , 652 2 1 ; 1920, 492*; 1928, 1046 1 2 ; WarnRspr 1910 Nr. 443; 1919 Nr. 1 2 1 ; 1920 Nr. 162; B G H 8, 239, 243; VersR 57, 463). Da die Befähigung und Eignung und überhaupt alle zur Ausübung einer Verrichtung erforderlichen Eigenschaften nicht nur im Zeitpunkt der Anstellung, sondern im Zeitpunkt der Verrichtung gegeben sein müssen, muß der Geschäftsherr, w e n n seit d e r A n s t e l l u n g ein l ä n g e r e r Z e i t r a u m v e r s t r i c h e n ist, sich fortdauernd über das weitere Vorhandensein dieser Eigenschaften auf dem Laufenden halten; er hat demnach eine a l l g e m e i n e A u f s i c h t s - u n d U b e r w a c h u n g s p f l i c h t . Nur ein wohl beaufsichtigtes Personal kann als wohl ausgewählt gelten ( R G 87, 4; WarnRspr 1930 Nr. 33). Der Entlastungsbeweis muß sich daher auf diese r e g e l m ä ß i g e A u f s i c h t s f ü h r u n g e r s t r e c k e n . Es muß dafür Sorge getragen werden, daß der Geschäftsherr über die Leistung eines jeden Angestellten ständig unterrichtet wird und irgendwie erhebliche Ordnungswidrigkeiten zu seiner Kenntnis kommen. Auf die zu diesem Zwecke getroffene Einrichtung muß sich demnach der Entlastungsbeweis erstrecken ( R G 78, 1 0 1 ; 79, 107; J W 1912, 194 17 ). Diese regelmäßige Aufsichtsführung, die den Anforderungen der sich aus § 823 ergebenden Aufsichts- und Uberwachungspflicht entspricht (vgl. § 823 Anm. 73—78), ergibt sich aus § 831 mindestens dann, wenn Bedenken gegen die Tauglichkeit des Angestellten sich ergeben oder bei gehöriger Aufmerksamkeit sich hätten ergeben müssen, oder wenn die besondere Gefährlichkeit der Verrichtung eine ständige Überwachung fordert ( R G 79, 105; 87, 1; 120, 154, 161; 128, 149, 1 5 3 ; 142, 356, 3 6 1 ; 146, 97, 104; J W 1932, 2027 1 3 ; WarnRspr 1930 Nr. 3 3 ; B G H VersR 1955, 746). Diese allgemeine Uberwachungspflicht ist verschieden von der besonderen in §831 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz geregelten Leitungspflicht ( R G 82, 206, 218; vgl. Anm. 33). Die praktische Bedeutung dieser sich aus § 831 ergebenden Uberwachungspflicht, die ihrem Inhalt nach weitgehend mit der aus § 823 übernommenen Überwachungspflicht übereinstimmt, liegt insbesondere in der Regelung der Beweislast, zu der nach § 831 kein Nachweis eines Verschuldens gehört, andererseits die Möglichkeit der Entlastung durch den Geschäftsherrn besteht ( R G 142, 356, 3 6 1 ; 1928, 1726; B G H L M § 823 [Bf] Nr. 22). Allerdings wird der Nachweis des Verschuldens nach § 823 dadurch erleichtert, daß es Sache des Beklagten ist, sein mangelndes Verschulden und die Erfüllung seiner Aufsichtspflicht nachzuweisen, wenn ein ordnungswidriger Zustand auf längere Dauer besteht, der zunächst nur mit der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht erklärt werden kann und bei gehöriger Überwachung dem Aufsichtspflichtigen nicht hätte entgehen können (vgl. § 823 Anm. 78).
Anm. 27 Diese nach der Person des zu Uberwachenden sich richtende regelmäßige Aufsichtspflicht erfordert selbstversändlich nicht eine undurchführbare, unausgesetzte Überwachung. Im allgemeinen ist eine wiederholte, planmäßige und unauffällige Uberwachung mit unerwarteten Kontrollen und Stichproben erforderlich und ausreichend. Auch Hinweise auf Gefahren sind notwendig ( R G H R R 1939 Nr. 1010). Die Anforderungen dürfen nicht überspannt werden ( B G H L M § 831 [Fe] Nr. 1 u. [Gc] Nr. 1). Ein Angestellter, der sich Ordnungswidrigkeiten hat zuschulden kommen lassen, braucht deshalb nicht aus seiner Stellung entfernt zu werden. Eine schärfere Uberwachung, in manchen Fällen schon eine ernste Mahnung kann genügen ( R G 78, 107; 79, 1 0 1 ; J W 1912, 194 1 5 ; K G D R 1939, 168 1 1 ; B G H VersR 1955, 746). Eine allgemeine Norm läßt sich nicht geben. Die Überwachungspflicht richtet sich vielmehr, wie auch die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl (vgl. Anm. 24) einmal nach der Art der Verrichtung (Tätigkeit auf dem Lande oder in der Großstadt), insbesondere ihrem Gefährlichkeits-
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grad u n d nach der Person des Angestellten, wobei Kenntnisse, Erfahrungen, Alter, Verantwortungsgefühl u n d Zuverlässigkeit einen M a ß s t a b abgeben. Bei einfachen Verrichtungen wird m a n davon ausgehen können, d a ß sie von bewährten F a c h k r ä f t e n richtig durchgeführt werden. Dabei ist es n a t u r g e m ä ß auch von Bedeutung, o b der Verrichtungsgehilfe neu eingestellt ist, oder in schon längerer Betätigung sich als zuverlässig erwiesen hat (Vorstrafe: B G H V e r s R 1956, 382), ob er z. B. w ä h r e n d dieser Tätigkeit eine seine Eignung beeinflussende K r a n k h e i t d u r c h g e m a c h t hat. Es reicht f ü r die Entlastung nicht aus, d a ß der Angestellte nachweislich bis d a h i n noch n i e m a n d einen Schaden zugefügt hat, u n d d a ß d e m Geschäftsherrn Nachteiliges über i h n nicht bekannt geworden ist, wenn es i h m bei ordnungsmäßiger Aufsicht h ä t t e b e k a n n t sein müssen ( R G W a r n R s p r 1 9 1 0 Nr. 443; 1 9 1 1 Nr. 30; 1 9 1 2 Nr. 388; R A G 16, 226). Allerdings b r a u c h t ein F a c h m a n n , der sorgfältig ausgewählt ist u n d sich j a h r e l a n g bewährt hat, grundsätzlich nicht von einem fachkundigen Leiter seiner Dienststelle ü b e r w a c h t werden ( B G H 1, 383, 387; L M 831 [Fe] N r . 1). Ein I n h a b e r eines Großbetriebs m u ß die Personen, die eine Kontrolle eines Wachstücks d u r c h z u f ü h r e n h a t t e n , namentlich angeben können u n d f ü r sie Entlastungsbehauptungen aufstellen können ( B G H VersR 1959, 104). A u s d e r R e c h t s p r e c h u n g zur laufenden Ü b e r w a c h u n g : R G 78, 107; 79, 1 0 1 ; 87, 1; 120, 154; 128, 149; 142, 356; R A G 16, 226; J W 1913, 750 20 , 864 1 0 ; 1920, 492 4 ; 1928, 1726 8 ; 1930, 2927 5 , 3 2 1 3 5 ; 1931, 860 5 , 1357, 2236; 1932, 794 1 5 ; 1937, 1964; W a r n Rspr 1 9 1 3 Nr. 93; 1920 Nr. 30; 1921 N r . 96; 1930 N r . 33, 103; B G H L M § 823 (De) Nr. 23; VersR 1955, 746; 1957, 393. A n m . 28 Diese aus § 831 sich ergebende Pflicht zu einer allgemeinen Beaufsichtigung des Angestellten gilt insbesondere f ü r das Verhältnis von H a l t e r u n d F ü h r e r von K r a f t f a h r z e u g e n . A u ß e r d e m Nachweis der Sorgfalt bei der Einstellung ist der Nachweis erforderlich, d a ß der U n t e r n e h m e r auf G r u n d der bisherigen Tätigkeit des F a h r e r s keinen A n l a ß gefunden hat, a n seiner Zuverlässigkeit zu zweifeln u n d i h m d a h e r einen neuen Auftrag erteilen konnte. Es sind p l a n m ä ß i g e u n d d a u e r n d e Beaufsichtigungen des Kraftfahrers, insbesondere jugendlicher K r a f t f a h r e r u n d neuangestellter F a h r e r , gegebenenfalls d u r c h dritte Personen erforderlich. Der Halter m u ß sich fortlaufend über Zuverlässigkeit, allgemeine Dienstführung u n d Berufstüchtigkeit seines K r a f t fahrers, auch über dessen Kenntnis der verkehrspolizeilichen Vorschriften unterrichten u n d regelmäßige Aufsicht üben, unter U m s t ä n d e n auch d u r c h u n v e r m u t e t e Kontrollen, d a m i t die Fahrer wissen, d a ß sie unter Aufsicht stehen. Starre Regeln lassen sich nicht aufstellen. Z u berücksichtigen ist auch die Tatsache, d a ß der Fahrer f r ü h e r bereits einen Unfall verursacht h a t ( R G 120, 154, 1 6 1 ; 128, 149; 135, 149, 156; 136, 4, 11; 142, 356, 3 6 1 / 6 2 ; 146, 975 J W 1928, 2 3 2 1 7 ; 1931, 861 6 , 862', I357 1 0 , S S ^ 1 1 , 332716» 3340 20 , 3345 2 1 ; '932, 793, 794 1 5 , 2027 1 3 ; 1933, 830 6 , 2393»; 1935, 115 6 , 2043»; 1937, 1964 3 ; H R R 1933 N r . 7 5 1 ; 1934 N r . 799; 1937 Nr. 1334; B G H 8, 239, 243; V R S 10, 4 = VersR 1955, 746; V R S 14, 85; VersR 1955, 746; 1956, 463, 572). Vorhandensein des Führerscheins allein befreit nicht von der Ü b e r w a c h u n g ( B G H VersR 1956, 2 1 1 ) . Kontrolle d u r c h Tachographenscheibe allein genügt nicht ( B G H V e r s R 1956, 692). Pflicht des mitfahrenden Fahrzeughalters, Stuttgart VersR 1957, 419. K e i n e Ü b e r s p a n n u n g der Überwachungspflicht, d a h e r kein besonderer ausdrücklicher Hinweis gegenüber ausgewähltem u n d ausgesuchtem Fahrer, d a ß er das Fahrzeug Dritten nicht überlassen darf, R G 158, 352, vgl. auch R G J W 1932, 2013. Keine d a u e r n d e Ü b e r w a c h u n g des Fahrzeugführers auf Fernfahrten, R G D J 1937, 124. Der selbst nicht sachkundige Halter b r a u c h t sich zur Ü b e r w a c h u n g eines sorgfältig ausgewählten u n d überprüften Fahrers nicht eines Sachverständigen höheren Grades bedienen, R G J W 1938, 952, 1650. Keine Verpflichtung, einen auf gemeinsamen Fahrten als b e w ä h r t e r k a n n t e n Fahrer d u r c h unauffälliges N a c h f a h r e n zu kontrollieren, B G H V R S 10, 12 = V e r s R 1955, 7455 1957, 74°E r h ö h t e Anforderungen sind a n die Sorgfaltspflicht zur Verhinderung von S c h w a r z f a h r t e n zu stellen, wobei allerdings auch die H a f t u n g aus § 823 in Frage k o m m e n k a n n ( R G 1 1 9 , 58, 347; 135, 149, 158; 136, 4, 9, 11; J W 1934, 1647 6 ; 1936, 414«, 2792 s ;
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Unerlaubte Handlungen
§831 Anm. 29
1938, 325 1 8 ; WarnRspr 1936 Nr. 1 1 0 ; H R R 1937 Nr. 1334). Zur Beweislast bei Schwarzfahrten vgl. R G 135, 149, 158; 136, 4, 9, 1 1 ; J W 1936, 27925, 4146. Zum Begriff der Schwarzfahrten vgl. Anm. 16; zur Haftung aus §823 vgl. Anm. 17. Strenge Anforderungen gelten für die Unternehmer ö f f e n t l i c h e r K r a f t v e r k e h r s b e t r i e b e , und zwar aus § 823 für die Tätigkeit der verantwortlichen Organe selbst, als auch nach § 831 für die Auswahl, Überwachung, Leitung und Anweisung derjenigen, deren sich der Unternehmer zur Ausführung von Verrichtungen bedient ( B G H V R S 14, 85). Aus der Rechtsprechung: K r a f t f a h r e r : Überwachung eines angestellten Fahrers durch nicht fachkundigen Halter, R G J W 1938, 952, 1650; Einhaltung der Polizeivorschriften oder Fehlen solcher entlastet noch nicht, R G H R R 1934 Nr. 799; Entlastungspflicht eines Unternehmers, der mit seinem Traktor eine Straßenkehrmaschine eines Dritten auf der Landstraße bewegt, R G SeufFArch 88 Nr. 7 1 ; auf langer gemeinsamer Fahrt gewonnene Uberzeugung von der Zuverlässigkeit genügt, B G H VersR 1957, 740; Überwachung eines neu angestellten, noch nicht erprobten Fahrers, R G J W 1932, 793 14 ; Alkoholgenuß eines Fahrers vor Beginn der Fahrt, R G 146, 97; Uberwachung eines Omnibusfahrers, B G H VersR 1957, 463; Überwachung des Fahrers eines Straßenbahnwagens, R G J W 1920, 492; Düsseldorf J W 1939, 701 1 2 ; besonders strenge Überwachung der Einhaltung der Dienst- und Betriebsanweisung im Bahnbetrieb, B G H VersR 1955, 746. H a u s e i g e n t ü m e r : Entlastungsbeweis des streupflichtigen Eigentümers erstreckt sich auf den mit der Ausführung beauftragten Hauswart und den Hausverwalter, dem strenge Weisungen für die Überwachung des Streuens erteilt werden müssen, R G WarnRspr 1937 Nr. 1 1 8 ; J W 1937, 1917; B G H L M § 831 (Gc) Nr. 1 = NJW 1952, 6 1 ; Aufsichtspflicht bei Schneeglätte, Königsberg H R R 1942 Nr. 304. Überwachung einer R ö n t g e n s c h w e s t e r durch den Arzt, R G J W 1935, 3540. Keine weitere Überwachung des seit Jahren bewährten C h e f a r z t e s und einer seit Jahren bewährten Krankenschwester, B G H 1, 383, 388; B G H L M 831 (Fe) Nr. 1. Leitender Arzt einer Abteilung, B G H 4, 138, 152; aber bei angestellten Ärzten B G H NJW 1956, 1106; Überwachung des S c h r a n k e n w ä r t e r s , auch durch ärztliche Kontrolle, R G 142, 356; B G H V R S 5, 35, 37; Köln VersR 1953, 166. Uberwachung des B a h n - und Z u g p e r s o n a l s , B G H VersR 1955, 746; 1956, 490, 624; 1959, 310, 375; Überwachung von Kanalisationsarbeiten, B G H VersR 1957, 393. Auswahl und Überwachung der Schriftleiter, B G H NJW 1957, 1149. A n m . 29 d) E n t l a s t u n g s b e w e i s bei Großbetrieben: Die Vermutung eines Verschuldens des Geschäftsherrn muß eine Grenze da finden, wo nach den gegebenen Verhältnissen die Möglichkeit eines Verschuldens aufhört. Dies ist der Fall bei Großbetrieben, in denen dem Unternehmer die Auswahl und allgemeine Überwachung (Anm. 22—28) des gesamten Personals nicht zuzumuten ist. Ist in einem g r o ß e n B e t r i e b e eine M e h r h e i t von P e r s o n e n in der Weise beschäftigt, daß die e i n e der a n d e r n n a c h g e o r d n e t ist, und der mit einem Kreis von Verrichtungen betraute höhere Angestellte zur Ausführung gehörige niedere Verrichtungen einem Untergebenen nach seiner Auswahl überträgt, vielleicht auch überhaupt ermächtigt ist, die unteren Hilfspersonen nach seiner eigenen Prüfung und nach seinem Ermessen anzustellen, so richtet sich der — somit erleichterte — Sorgfaltsbeweis des Geschäftsherrn zunächst auf die A u s w a h l und Beaufsichtigung des von ihm selbst ausgewählten h ö h e r e n A n g e s t e l l t e n . Dazu muß der N a c h w e i s einer a u s r e i c h e n d e n O r g a n i s a t i o n kommen, die die ordentliche Geschäftsführung und Beaufsichtigung gewährleistet (RG 87, 1 ; J W 1906, 547 13 ; 1 9 1 1 , 9 8 2 " ; 1913, 919«; 1914, 759«; WarnRspr 1908 Nr. 475; 1914 Nr. 35; München D R 1941, 274"; B G H 4, 1 ; VersR 1959, 104). Damit ist der Großbetrieb begünstigt (vgl. E n n e c c e r u s - L e h m a n n §241 I I I ic) und der sogenannte dezentralisierte Entlastungsbeweis eingeführt. Die besondere unmittelbare persönliche Aufsicht obliegt hier regelmäßig dem höheren Angestellten. Die a l l g e m e i n e n A u f s i c h t s a n o r d n u n g e n , nach denen die höheren Angestellten in dem ihnen zugewiesenen Verrichtungskreis zu verfahren haben, bleiben aber A u f g a b e des G e s c h ä f t s h e r r n , die er einem Angestellten nicht übertragen kann. Er hat sich von der Sicherheit des Betriebs und dem Funktionieren der Überwachung des Personals zu überzeu-
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§ 831
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 30, 31 gen. Bei J P ist dies Aufgabe eines verfassungsmäßigen Vertreters. Wegen der Haftung einer J P bei Nichtbestellung von Vertretern vgl. Anm. 7. Soweit ein Mangel in den allgemeinen Aufsichtsanordnungen in Frage kommt, kann sich der Geschäftsherr daher nicht mit dem Nachweis sorgfältiger Auswahl seiner Aufsichtsbeamten decken. Er ist dann wegen V e r n a c h l ä s s i g u n g d e r a l l g e m e i n e n A u f s i c h t s p f l i c h t aus §823 Abs. 1 haftbar ( B G H 4, 1; R G 78, 107; 79, 1 0 1 ; 87, 1; J W 1 9 1 1 , 9 8 a " ; 1914, 759»; 1935) 3369 1 ; 1937» I9'75 '938, 1 6 5 1 ; 1939, 560; WarnRspr 1914 Nr. 35; 1920 Nr. 30; D R 1944, 287®). Für den Entlastungsbeweis, soweit er die Schuldvermutung widerlegen soll, ist es weder erforderlich noch ausreichend, daß der höhere Angestellte nicht schuldhaft gehandelt hat, oder daß er den schadenstiftenden Betriebsangehörigen sorgfältig ausgewählt oder überwacht hat. Dieser Nachweis ist aber von Bedeutung für die Widerlegung der Kausalitätsvermutung dahin, daß auch ein sorgfältig ausgewählter höherer Angestellter nicht anders hätte handeln können ( R G 135, 149, 155; J W 1934, 2973; B G H 4, 1). Konnte aber der Geschäftsherr bis zu der Verrichtung, bei der der Schaden zugefügt wurde, Kenntnis von der Untüchtigkeit des so bestellten Arbeiters erlangt haben, dann haftet er für den Schaden sowohl aus § 831 wegen mangelnder Sorgfalt in der Auswahl des Arbeiters, wie nach § 823 Abs. 1 wegen Vernachlässigung der allgemeinen Aufsicht, wenn er nicht eingegriffen hat ( R G WarnRspr 1920 Nr. 30). War dem höheren Angestellten nicht die Auswahl der Arbeiter übertragen, wurden diese vielmehr zu ihrer Verrichtung vom Geschäftsherrn selbst bestellt, so kann der letztere sich nicht damit entlasten, daß an der Spitze des Betriebszweigs ein tüchtiger Beamter stehe ( R G J W 1915, 395 7 ). Bei gefahrengeneigter Arbeit eines Arbeitnehmers ist der Entlastungsbeweis im Ergebnis unerheblich, soweit der Arbeitgeber den unmittelbar in Anspruch genommenen Arbeitnehmer freistellen muß (vgl. Vorb. §823 Anm. 27). Aus der Rechtsprechung: U b e r w a c h u n g s p f l i c h t des Inhabers eines Krankenhauses gegenüber Chefarzt und Operationsschwester, B G H 1, 383; der Bundesbahn beim Transport gefährlicher Gegenstände, B G H 17, 214, 220; eines Instituts gegenüber ärztlichen und technischen Assistenten bei Blutgruppenuntersuchungen, Hamm M D R 1950, 221. Bestellung eines Bauaufsehers durch Unternehmer, B G H 1 1 , 150, 155. Die gleichen Grundsätze gelten, wenn es sich nicht um einen Großbetrieb handelt, der G e s c h ä f t s h e r r aber durch A l t e r , K r a n k h e i t , A b w e s e n h e i t gehindert ist, selbst seine Geschäfte überall zu leiten und zu beaufsichtigen, sondern gezwungen ist, Aufsicht und selbst Auswahl des Dienstpersonals anderen zu überlassen.
Anm. 30 e) Verrichtungen auf Weisungen des Geschäftsflerrn: Wie die Schadensvermutimg des § 831 da aufhört, wo nach der Sachlage ein Verschulden des Geschäftsherrn ausgeschlossen ist, so ist andererseits f ü r e i n e n E n t l a s t u n g s b e w e i s der sorgfaltigen Auswahl des Angestellten k e i n R a u m , wo d i e s c h ä d i g e n d e H a n d l u n g g e r a d e in d e r e i g e n e n W i l l e n s m e i n u n g des G e s c h ä f t s h e r r n l i e g t , und jener ausgewählt wurde, um derartige Handlungen, wodurch er Dritte schädigte, auf die Gefahr einer solchen Schadenszufügung hin, auf seine Art vorzunehmen (Auswahl des Redakteurs bei Schadenszufügung durch beleidigende und aufreizende Zeitungsartikel R G 13. 2. 1 9 1 1 V I 652/09). Hier handelt es sich nicht mehr um § 831, sondern um unmittelbare Verantwortung des Geschäftsherrn aus eigener u. H. (bedingter Vorsatz, dolus eventualis). Um die unmittelbare eigene Verantwortung des Geschäftsherrn, nicht oder doch nicht allein um eine Angelegenheit des zur Verrichtung Bestellten, handelt es sich auch, wenn der Bauherr nicht dafür sorgt, daß bei der Ausführung des Baues Rechte, die Dritten ihm gegenüber zustehen, gewahrt werden ( R G 145, 107, 1 1 7 ) .
Anm. 31 2. Beschaffung von Vorrichtungen und Gerätschaften, Leitung der Ver-
r i c h t u n g e n : Ein weiteres vermutetes Verschulden des Geschäftsherrn, das seine Haftung begründet, selbst wenn die Sorgfalt der Auswahl des Bestellten dargetan ist, stellt der Mangel gehöriger Sorgfalt bei Beschaffung der Vorrichtungen und Gerätschaften oder bei der Leitung der Verrichtung dar, aber nur, sofern die Ausführung der Verrichtung solche Beschaffungen oder eine Leitung erforderlich macht. Daß dies der Fall
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Unerlaubte Handlungen
§831
A n m . 32—34
ist, hat zunächst der Verletzte nachzuweisen; es ergibt sich nicht aus §831 ( R G 8a, 206, 2 1 8 ; J W 1928, 1726 6 ; 1935, 3540 1 1 ). Erst wenn dieser Beweis geführt ist, setzt der Entlastungsbeweis des Geschäftsherrn ein, daß er auch in dieser Richtung seiner Sorgfaltspflicht genügt habe ( R G 53, 1 2 3 ; J W 1 9 1 1 , 4 0 3 " , 939 1 ; WarnRspr 1938 Nr. 155),
Anm. 32 a) V o r r i c h t u n g e n u n d G e r ä t s c h a f t e n : Die Beschaffung verlangt nicht, daß der Geschäftsherr die einzelnen Gerätestücke selbst auswählt; dies kann auch dem sachkundigen Ermessen des Bestellten (z.B. eines Poliers) überlassen werden; nur müssen die tauglichen Gerätschaften zur Stelle sein ( R G 53, 1 2 3 ; J W 1 9 1 5 , 704 9 ; WarnRspr 1915 Nr. 124; 1916 Nr. 165). Zu den V o r r i c h t u n g e n gehört besonders die Vorbereitung der Arbeitsstätte, so beim Eisenbahnbetrieb auch die Gleisanlage, zu den G e r ä t s c h a f t e n zählen z.B. die Stoffe für Gerüst und Bauzaun, Leitern sowie Bauhandwerkszeug, die Laternen zur nächtlichen Beleuchtung von Verkehrshindernissen bei Bauarbeiten; bei den Verrichtungen von Kraftfahrern und Fuhrleuten die Wagen und Pferde ( R G WarnRspr 1914 Nr. 53; 1916 Nr. 165, 304; 1919 Nr. 36; SeuffArch 88 Nr. 38; J W 1931, 862 8 ; H R R 1933 Nr. 7 5 1 ; B G H L M 831 [Fb] Nr. 1), ferner Zubehör wie Schneeketten, Seile und Ketten zum Abfahren von Bauholz (Kiel D R 1941, 155 1 1 ), Beleuchtung ( R G H R R 1934 Nr. 1280). Wegen des Beweises und des Umfangs des Beweises vgl. Anm. 34.
Anm. 33 b) Leitung e i n e r V e r r i c h t u n g : Es handelt sich hier nicht um die allgemeine Uberwachungspflicht (vgl. Anm. 26), sondern um eine besondere aus der Art der Verrichtung und aus den besonderen Eigenschaften der dazu bestellten Personen sich ergebende Sonderaufsicht über die einzelnen Verrichtungen. Diese sich aus der besonderen Sachlage ergebende Leitungspflicht besteht außerhalb und neben der allgemeinen aus §§ 823 und 831 begründeten Aufsichtspflicht (vgl. Anm. 26; R G 82, 206, 2 1 8 ; 142, 356, 3 6 1 ; J W 1928, 1726 8 ; 1935, 3540; H R R 1932 Nr. 119). Ob eine Leitung der Verrichtung erforderlich ist, richtet sich ebenso wie der Maßstab, der an die Pflicht anzulegen ist, nach den Umständen des Falles, insbesondere auch nach dem Grad der Gefährlichkeit der Verrichtung und nach einer vernünftigen Verkehrsanschauung mit Rücksicht auf Erfahrung und Übung ( R G WarnRspr 1938 Nr. 155). Sie besteht daher bei allen außergewöhnlichen Tätigkeiten im Handwerk und Gewerbebetrieb ( B G H L M § 831 [Fe] Nr. 6), aber auch z.B. bei den ersten selbständigen Arbeiten eines Lehrlings.
Anm. 34 c) A r t u n d U m f a n g des E n t l a s t u n g s b e w e i s e s . Wo eine Leitungspflicht besteht, ist der Beweis zu führen, daß die erforderlichen Leitungsmaßnahmen getroffen wurden. Es ist nicht schlechthin erforderlich, daß der Geschäftsherr bei der Verrichtung anwesend ist, er kann die Leitung durch einen tüchtigen Vertreter ausüben lassen, für den er allerdings den Beweis für die Sorgfalt in der Auswahl führen muß ( R G L Z 1928, 53). Eine vorherige, sorgsame Unterweisung kann auch der Leitungspflicht genügen ( R G J W 1910, i n 1 2 ; 1 9 1 1 , 403 16 , 939 1 ). Hinsichtlich der Art und des Umfangs des Beweises über die sorgfaltige Beschaffung von Vorrichtungen und Gerätschaften und die sorgfaltige Leitung der Verrichtung gilt das zum Beweis über die sorgfältige Auswahl des Verrichtungsgehilfen Gesagte (vgl. Anm. 22 ff). Allgemeine Erwägungen über die Ordnung im Betrieb genügen nicht. Der Beweis muß auf einzelne Dinge gerichtet werden ( R G WarnRspr 1914 Nr. 53; B G H L M §831 [Fe] Nr. 3). Ob eine Leitung der Verrichtung erforderlich war, hat der Verletzte zu beweisen ( R G J W 1928, 1726 8 ; 1935, 3540). Beispiele a u s d e r R e c h t s p r e c h u n g : R G 96, 81, zweifelhaft, ob Pflicht zur Leitung einer Verrichtung, eher eine Beaufsichtigungspflicht; Leitung der Verrichtungen von Lernschwestern eines Krankenhauses, R G SeuffArch 88 Nr. 40; Dienstanweisung an Fahrer eines Kraftfahrunternehmens über Verhalten bei Annäherung an Eisenbahnübergänge, R G 142, 356; Anleitung des Lehrlings einer Kraftfahrrepara-
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§ 831 Anm. 35—37
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
turwerkstätte, Düsseldorf DR 1939, 1238; Belehrungspflicht eines Kraftwagenhalters bei besonderer Gefahrenlage, R G H R R 1940 Nr. 4; Kraftfahrbetrieb, Anweisung an Kraftfahrer zur regelmäßigen Überprüfung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs, BGH VersR 1956, 382; LM (Fe) Nr. 3; Anleitung des Jagdaufsehers, RG WarnRspr 1928 Nr. 76; Anleitung des Hausverwalters zur Überwachung des Hauswarts, R G J W 1934, 3126; 1937, 191722; SeuffArch 88 Nr. 106; Überwachung der elektrischen Treppenbeleuchtung, R G WarnRspr 1935 Nr. 55. Die Aufklärungspflicht eines Arztes über die Folgen eines Eingriffs ist keine rein ärztliche Verrichtung und unterliegt daher der Leitung und Weisung des Unternehmers des Krankenhauses (BGH NJW 1956, 1106, 1108: Elektroschock). Anm. 35 VII. Widerlegung der Kausalitätsvermutung Der Entlastungsbeweis nach dem Schlußsatze des Abs. 1 Satz 2, d a ß der S c h a d e n a u c h bei A n w e n d u n g der S o r g f a l t in der Auswahl der zu der Verrichtung bestellten Person, bei der Überwachung, bei der Beschaffung der notwendigen Vorrichtungen und Gerätschaften oder bei der notwendigen Leitung der Verrichtung e n t s t a n d e n sein w ü r d e , daß also die mangelnde Sorgfalt für die Schadenszufügung nicht ursächlich war, dient zur Entkräftung der in § 831 aufgestellten Vermutung eines ursächlichen Zusammenhangs des Verschuldens der mangelnden Sorgfalt in den vorbehandelten Richtungen mit dem Schaden. Dem Geschäftsherrn bleibt dieser Entlastungsbeweis noch möglich, wenn er den Beweis für ordentliche Sorgfalt in der Auswahl (vgl. Anm. 22) und der Überwachung (vgl. Anm. 26—28) nicht führen konnte. Er kann sich von vornherein ohne diesen Entlastungsbeweis auf die mangelnde Ursächlichkeit seiner Sorgfaltsverletzungen berufen. Die Beweisführung muß sich dahin richten, daß derselbe schädliche Erfolg auch bei Anwendung aller Sorgfalt entstanden sein würde (RG 128, 149; BGH LM 831 [Fb] Nr. 1), daß er dann auch m ö g l i c h e r w e i s e hätte eintreten können, genügt nicht (RG 159, 283, 291 u. 312, 315; J W 1907, 333 12 ; i93°> 32I3 5 ; i934> 9° 3 ; WarnRspr 1914 Nr. 53; 1916 Nr. 304). Anm. 36 Der Beweis kann auf eine doppelte Weise geführt werden. Der Geschäftsherr kann beweisen, daß der schädliche Erfolg auch eingetreten sein würde, wenn er einen zuverlässigen Menschen mit der Verrichtung betraut und alle Sorgfalt in der Auswahl angewandt hätte. Dieser Fall ist gegeben, wenn der Geschäftsherr nachweist, daß der wohl untüchtige Verrichtungsgehilfe — oder bei möglicher Beteiligung mehrerer Verrichtungsgehilfen (vgl. Anm. 15, 21) sämtliche — sich bei der schädigenden Handlung sachgemäß, besonnen und vernünftig verhalten hat, gerade wie eine tüchtige und zuverlässige Person gehandelt hätte, daß also ein zuverlässiger Verrichtungsgehilfe auch nicht anders gehandelt hätte (RG 128, 149, 154; 159, 312, 315; 135, 149; J W 1921, 526; 1934, 2973; WarnRspr 1913 Nr. 104; LZ 1917, 866 u ; Kiel HRR 1937 Nr. 8; BGH 4, 1; 12, 94, 96; NJW 1954, 913; 1957, 1149; VersR 1955, 745; 1957, 247, 519; !959> i o 4)- Dasselbe gilt, wenn bei einer mittelbaren Bestellung (vgl. Anm. 29) der Beweis sorgfältiger Auswahl hinsichtlich der Mittelperson nicht erbracht werden kann, die Person, die die Verrichtung ausführt, aber zuverlässig war (RG J W 1906, 547 13 ; WarnRspr 1914 Nr. 53). Der Fall ist ferner gegeben, wenn derselbe Schaden auch eingetreten wäre, wenn der schadhafte Zustand eines Gerätes nicht bestanden hätte (BGH LM [Fb] Nr. 1 = VersR 1953, 117). Dieser Beweis wird erleichtert durch den Nachweis, daß der Verrichtungsgehilfe nicht schuldhaft gehandelt hat (RG 135, 149, 155; 159, 312, 314; WarnRspr 1912 Nr. 410; 1914 Nr. 53; BGH 4, 1). Es bedarf keiner Prüfung in dieser Hinsicht, wenn feststeht, daß ein Verrichtungsgehilfe sich verkehrsgemäß verhalten hat (BGH VersR 1957, 519; vgl. Bode DAR 1957, 173). Anm. 37 Der Geschäftsherr kann auch beweisen, daß er bei Aufwendung aller tatsächlich nicht angewandten Sorgfalt in der Auswahl vernünftigerweise diesen Angestellten beauftragt hätte, weil dieser ihm mit Recht als zuverlässig erschienen wäre (RG J W 1911, 1396
Unerlaubte Handlungen
§ 831 A n m . 38
§ 832 Anm. 1
979 11 ;
1921, 5 2 6 ° ; BGH 4 , 1, 4 ) . Dieser zweite Fall eines Nachweises der fehlenden Kausalität liegt vor, wenn der unzuverlässige Verrichtungsgehilfe auch einem sorgfältigen Geschäftsherrn, z. B. auf Grund der Zeugnisse und Auskünfte früherer Dienstherren, als geeignet erscheinen mußte. Der Nachweis des fehlenden ursächlichen Zusammenhangs nach Maßgabe dieser Bestimmung kann nicht durch den Nachweis ersetzt werden, daß die Schadenszufügung seitens des Angestellten nicht durch denjenigen Mangel verursacht worden sei, der ihn bei der Prüfung seiner Fähigkeiten als ungeeignet zu der Verrichtung erscheinen lassen mußte (RG J W 1 9 2 0 , 4 9 2 * , 1 9 3 4 , 29 73 4 ; WarnRspr 1 9 0 8 Nr. 3 1 0 ; 1 9 1 3 Nr. 9 3 ; LZ 1 9 2 1 , 1 4 t 6 ; vgl. Anm. 2 2 ) . Anm. 38 VIII. Übernahme der Verantwortlichkeit Der V e r t r a g des Abs. 2 , durch den jemand für den G e s c h ä f t s h e r r n die Besorgung der Sorgfaltspflichten des Abs. 1 übernimmt, erfordert ein gültiges Rechtsgeschäft, das aber nicht gerade mit dem Geschäftsherrn abgeschlossen zu sein braucht (RG 8 2 , 2 0 6 , 2 1 8 ) . Eine Geschäftsführung ohne Vertrag (ohne Auftrag §§ 6 7 7 f r ) erfüllt den Tatbestand nicht. Die Haftung aus Abs. 2 besteht neben der des Geschäftsherrn aus Abs. 1. Der Geschäftsherr kann durch Entlastung von der Haftung frei sein. Beide Personen können, wenn sie den ihnen obliegenden Entlastungsbeweis nicht führen, für den Schaden als Gesamtschuldner nach § 8 4 0 verhaftet sein. Für die Ausgleichung unter ihnen ist das zwischen ihnen bestehende Vertragsverhältnis maßgebend. § 8 3 » Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersätze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt. E I 710 II 755; M 2 734—736; P 2 593—596.
Übersicht I. II. III. IV.
Allgemeines Der Begriff der „Beaufsichtigung" Der Kreis der Aufsichtsbedürftigen Der Kreis der Aufsichtspflichtigen 1. Aufsichtspflicht kraft Gesetzes 2. Aufsichtspflicht auf Grund Vertrages V. Widerrechtliche Schadenszufügung durch den Aufsichtsbedürftigen VI. Der Entlastungsbeweis des Aufsichtspflichtigen 1. Allgemeines 2 . NichtVerletzung der Aufsichtspflicht 3 . Mangelnder Ursachenzusammenhang VII. Mehrere Ersatzpflichtige
Anm.
1—-3 4 5—6 7—8 7 8 . . 9—11 12—14 13 13 14 15
I. Allgemeines Anm. 1 Ähnlich wie § 8 3 1 schafft § 8 3 2 einen s e l b s t ä n d i g e n D e l i k t s t a t b e s t a n d in der Weise, daß eine Haftung für den von einem andern einem Dritten widerrechtlich zugefügten Schaden aus dem Gesichtspunkt eines vermuteten Verschuldens des für haftbar Erklärten begründet wird. Wie im Falle des § 8 3 1 ist auch hier nur eine gegenständlich 1397
§.832
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 2—4 widerrechtliche, keine schuldhafte Handlung des Täters (der zu beaufsichtigenden Person) erforderlich. In § 832 ist es die V e r l e t z u n g e i n e r gesetzlichen (Abs. 1) oder vertragsmäßig übernommenen (Abs. 2) A u f s i c h t s p f l i c h t , die die Vermutung eines Verschuldens bei der Verursachung des Schadens erzeugt. § 832 umfaßt jedoch keineswegs alle Aufsichtsverhältnisse; er beschränkt die Haftung der Aufsichtspersonen auf die Fälle der Beaufsichtigung von Minderjährigen oder wegen ihres körperlichen oder geistigen Zustandes der Beaufsichtigung bedürfenden Personen, weil von diesen Personen wegen ihres Zustandes Gefahren für andere drohen und die Aufsichtsführung sich daher auf die Pflicht erstrecken muß, diesen Gefahren vorzubeugen, was bei anderen Aufsichtsverhältnissen (im Arbeits- und Dienstverhältnis, im Heeresdienst und Beamtenverhältnis) nicht der Fall ist (Prot 2, 594). Soweit die Verletzung der Aufsichtspflicht die Verletzung einer einem Beamten (z. B. einem beamteten Lehrer) einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht darstellt, richtet sich die Haftung ausschließlich nach § 839. Ebenso greifen in allen Fällen, in denen die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht sich als „Ausübung eines öffentlichen Amtes" darstellt, wie dies bei der Aufsichtspflicht der — beamteten oder nicht beamteten —• Lehrer an öffentlichen Schulen stets der Fall ist (vgl. § 839 Anm. 18), an Stelle des § 832 die Bestimmungen des § 839 i. V . m. Art. 34 G G ein ( B G H 13, 25). Wegen der Haftung der Lehrer vgl. im einzelnen § 839 Anm. 62 und F r i e b e , Die Haftpflicht des Lehrers und Schulträgers, 2. Aufl. 1957. Anm. 2 Im übrigen ist die Haftung von Aufsichtspersonen in § 832 e r s c h ö p f e n d g e r e g e l t ( R G 53, 3 1 2 ) ; eine entsprechende Anwendung der Bestimmung ist ausgeschlossen ( R G 70, 48). § 832 ist deshalb auch nicht anwendbar, wenn sich ein volljährig gewordener Sohn weiterhin im Haushalt des Vaters befindet ( B G H N J W 1958, 1775). Auch geht es nicht an, eine Erweiterung der Haftung in der Weise zu rechtfertigen, daß man die die Aufsichtspflicht bestimmenden Gesetze als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 ansieht ( R G 53, 312). Selbstverständlich ist dadurch eine Schadenshaftung im §832 nicht aufgeführter Aufsichtspersonen aus u. H. nach § 823 Abs. 1, sofern einer der Tatbestände dieses Gesetzes vorliegt, nicht ausgeschlossen ( R G 70, 48: Ehemann und geistesgestörte Ehefrau; R G SeuffArch 88, 39; R G WarnRspr 1934 Nr. 53: Ehefrau und geistesgestörter Ehemann; B G H L M Nr. 3: Stiefvater und Stiefsohn).
Anm. 3 Wie nach § 831 ist es Sache desjenigen, der für die Handlung des anderen einzustehen hat, die V e r m u t u n g seines Verschuldens durch den Nachweis zu e n t k r ä f t e n , daß er seiner Verpflichtung genügt habe. Daß ebenso der Nachweis ihn befreit, daß der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde, bedurfte ebensowenig wie in § 831 der ausdrücklich hinzugefügten Bestimmung; denn in diesem Falle fehlt zwischen dem vermuteten Verschulden des Aufsichtspflichtigen und dem Schaden der ursächliche Zusammenhang.
II. Der Begriff der Beaufsichtigung Anm. 4 B e a u f s i c h t i g u n g (vgl. § 1631) im Sinne des § 832 ist derjenige Teil der Sorge für eine Person, der neben dem eigenen Interesse dieser Person auch das I n t e r e s s e D r i t t e r im Auge hat, denen jene wegen ihres Zustandes, wenn ihr die Freiheit gelassen wird, ihrem Willen oder ihren Trieben nachzugeben, gefahrlich werden kann (vgl. M 4,753; Prot. 2,594). Gerade der Schutz Dritter kommt für §832 in Betracht; mit dem Erziehungszwecke und der Fürsorge für den zu Beaufsichtigenden hat § 832 nichts zu tun ( R G WarnRspr 1914 Nr. 2 1 7 ; 1916 Nr. 166; B G H VersR 1958, 85). Die Beaufsichtigung eines Minderjährigen fällt demnach nicht mit dessen E r z i e h u n g zusammen, wie auch § 1631 deutlich ergibt, der die Erziehungspflicht u n d die Beaufsichtigungspflicht der Eltern als besondere Teile der Sorge für die Person des Kindes aufführt. Die Fortschritte der Erziehung der geistigen und sittlichen Ausbildung des. Kindes nach Maßgabe seiner Verhältnisse und Anlagen (M 4, 750) geben vielmehr einen Maßstab für das
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Unerlaubte Handlungen
§832
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Bedürfnis der Beaufsichtigung; je mehr ein Kind bereits erzogen ist, desto weniger bedarf es der Aufsicht und umgekehrt (RG WarnRspr 1911 Nr. 33 und 2 4 1 ; 191a Nr. 28; 1914 Nr. 217). Art und Maß der Beaufsichtigung gestalten sich mithin je nach der Individualität des Kindes verschieden (RG 52, 69, 73). Für den Grad der bereits vollendeten Erziehung können als Beweisstücke gute Schulzeugnisse in Führung und Betragen in Betracht kommen (RG J W 04, 202 13 ; 05, 21 2 1 ). III. Der Kreis der Aufsichtsbedürftigen Anm. 5 1. Personen, die wegen Minderjährigkeit der Beaufsichtigung bedürfen, sind nicht die Minderjährigen, wenn sie der Beaufsichtigung bedürfen, sondern alle Minderjährigen, weil sie der Beaufsichtigung bedürfen. „Aufsichtsrecht und Aufsichtspflicht über einen Minderjährigen bestehen wegen seines Zustandes, weil er eben minderjährig ist" (RG 52, 69, 73; BGH L M §832 Nr. 1 und §546 ZPO Nr. 9). Ob es sich um Kinder unter sieben Jahren (§ 828 Abs. 1), um Minderjährige zwischen sieben und achtzehn Jahren (§ 828 Abs. 2) oder um Minderjährige über achtzehn Jahre (§ 2) handelt, ist gleichgültig. Anm. 6 2. Unter den Personen, die wegen ihres körperlichen oder geistigen Zustandes der Beaufsichtigung bedürfen, sind körperlich oder geistig erkrankte Personen, vornehmlich Geistesgestörte und Epileptiker, aber auch Blinde oder Taubstumme zu verstehen, wenn sie im Einzelfalle der Beaufsichtigung bedürfen. Entmündigung gemäß § 6 Nr. I (Geisteskrankheit oder Geistesschwäche) begründet nicht ohne weiteres die Aufsichtsbedürftigkeit; jedoch kann diese bei Entmündigung tatsächlich vermutet werden. IV. Kreis der Aufsichtspflichtigen Anm. 7 1. Kraft Gesetzes, d. h. nach Bundes- oder Landesgesetz zur Führung und Aufsicht über eine Person verpflichtet sind bundesgesetzlich in erster Linie die E l t e r n über ihre minderjährigen Kinder. Nach heutiger Rechtslage sind Vater und Mutter in gleicher Weise zur Aufsicht über die ehelichen Kinder verpflichtet (§§ 1626, 1631). Bei unehelichen Kindern liegt die Aufsichtspflicht allein bei der Mutter (§ 1707 Satz 2). Ferner sind der V o r m u n d (über Minderjährige §§ 1793, 1797, 1800; über Volljährige §§ 1896, 1901) und der P f l e g e r (§§ 1909, 1910, 1915) zur Aufsicht über ihre Mündel verpflichtet. Während der Dauer der Fürsorgeerziehung eines Minderjährigen (§§ 62 ff RJWG) ruht die an sich weiter bestehende Aufsichtspflicht der Eltern, des Vormundes oder Pflegers und sind die mit der Durchführung der F ü r s o r g e e r z i e h u n g betrauten Stellen aufsichtspflichtig; die Aufsichtspflicht der Eltern tritt bei Beurlaubung oder Entweichen des Minderjährigen ins Elternhaus ohne weiteres wieder in Kraft (RG 98, 246). Unter der Geltung der §§ 127 und 127a GewO war auch der g e w e r b l i c h e L e h r herr ganz allgemein zur Aufsicht über den minderjährigen Lehrling verpflichtet, auch wenn dieser nicht in Kost und Pflege bei dem Lehrherrn stand. Nach §§ 22 und 24 der Handwerksordnung v. 17. 9. 1953 wird eine allgemeine Aufsichtspflicht (und damit eine Haftung für vom Lehrling verursachte Schäden, die nicht im Zusammenhang mit dem Betrieb stehen) allenfalls noch dann angenommen werden können, wenn der Lehrling in die häusliche Gemeinschaft des Lehrherrn aufgenommen worden ist (vgl. E y e r m a n n - F r ö h l e r Anm. I 2 zu § 22 HandwO). Das Entsprechende ist wegen der gleichen Stellung zum LehrlingfürdenkaufmännischenLehrherrn (§ 76HGB) anzunehmen (RG 97, 229). Die Aufsichtspflicht der Eltern wird durch die Aufnahme des Lehrlings in die Hausgemeinschaft des Lehrherrn grundsätzlich nicht eingeschränkt (OLG Köln MDR 1957, 227 = VersR 1957, 401). Lebt ein Lehrling im elterlichen Haushalt und fährt er mit dem Fahrrad zur Arbeitsstätte, so ist es daher Aufgabe der Eltern und nicht des Lehrherrn, sich über Verkehrsgewandtheit des Minderjährigen und seine Kenntnis der Verkehrsregeln zu vergewissern und ihn in dieser Hinsicht ggfs. zu beaufsichtigen (BGH VersR 1958, 549, 550). L e h r e r an öffentlichen Schulen sind zwar aüfsichtspflichtig; bei ihnen richtet sich jedoch die Haftung aus verletzter Aufsichtspflicht aus-
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 8—11 schließlich nach § 839 ( B G H 13, 25 und Anm. 1). K e i n e Aufsichtspflichten bestehen für den L e i t e r e i n e r S c h u l e in dieser Eigenschaft ( R G WarnRspr 1908 Nr. 3 1 6 ) , für den E h e m a n n gegenüber der minderjährigen oder geisteskranken Ehefrau ( R G 70, 48), für den B e i s t a n d (§§ 1687, 1689), für den G e g e n v o r m u n d (§ 1799) und f ü r den die S c h u t z a u f s i c h t ausübenden Helfer ( § 5 6 ff R J W G §§5, 9 J G G ) . Landesrechtlich kann die gesetzliche Aufsichtspflicht erweitert werden.
Anm. 8 2. Die Übernahme der Führung einer Aufsicht durch Vertrag setzt einen
r e c h t s g ü l t i g e n V e r t r a g voraus, denn ein anderer verpflichtet nicht; ein nicht rechtsgültiger steht gleich einer einseitigen freiwilligen bloß tatsächlichen Übernahme, etwa seitens Familienangehöriger, die ebenso den Tatbestand des § 832 Abs. 2 nicht erfüllen kann ( R G J W 05, 202 6 ). Die Aufsichtsführung braucht aber in dem Vertrage n i c h t a u s d r ü c k l i c h bedungen zu sein, wenn nur der sonstige Inhalt des Vertrags sie als selbstverständlich erscheinen läßt ( R G aaO). Der Vertrag kann z. B. auch stillschweigend geschlossen sein, wenn Erwachsene die Verpflegung und Erziehung minderjähriger Geschwister im Einverständnis mit dem Vormund übernehmen; daß die zum Schutze Dritter erforderliche Aufsicht nicht zusammenfällt mit der im Interesse des Minderjährigen gebotenen Erziehung (Anm. 4), steht einer solchen Annahme nicht entgegen ( R G WarnRspr 1934 Nr. 155). Vertragsmäßige Übernahme der Aufsicht liegt b e i s p i e l s w e i s e vor bei Pflegeeltern, Krankenpflegern, Kindergärtnerinnen, bei dem Leiter und dem Aufsichts- und Erziehungspersonal in privaten Erziehungsanstalten, Kinderheimen und dgl. Nicht erforderlich ist, daß der Vertrag gerade mit dem gesetzlich Aufsichtspflichtigen geschlossen ist, und daß überhaupt eine gesetzliche A u f sichtspflicht neben der vertragsmäßigen besteht. O b der Vertrag entgeltlich oder unentgeltlich, auf dauernde oder vorübergehende Leistung geschlossen ist, ist gleichgültig.
V. Widerrechtliche Schadenszufügung durch den Aufsichtsbedürftigen Anm. 9 Wie in § 831 wird auch in § 832 nur eine gegenständliche (objektive) Widerrechtlichkeit der von dem Aufsichtsbefohlenen begangenen u. H., n i c h t ein V e r s c h u l d e n 1 rfordert ( R G 50,60; L Z i 9 i 8 , 5 O i 1 0 ; B G H V e r s R 1954, 558). I m übrigen setzt aber die Anwendung des § 8 3 2 (ebenso wie die des § 8 3 1 ) den Tatbestand einer unerlaubten Handlung voraus, und zwar, wenn diese in einem Betrug oder in einem Verstoß gegen die guien Sitten bestehen soll, außer dem objektiven auch den subjektiven Tatbestand des § 263 S t G B oder des § 826 B G B ; die bloße Vermögensbeschädigung genügt nicht ( R G H R R 1929 Nr. 705). War von der Handlung der Aufsichtsbefohlenen der eingetretene schädliche Erfolg nicht zu erwarten, so ist mit der (adäquaten) Verursachung auch die gegenständliche Rechtswidrigkeit ausgeräumt und deshalb eine Haftung aus § 832 nicht gegeben ( R G L Z 1 9 1 8 , 5 0 1 1 0 ) .
Anm. 10 § 832 bezieht sich nur auf den von dem Aufsichtsbefohlenen e i n e m D r i t t e n widerrechtlich z u g e f ü g t e n S c h a d e n ; für einen Schaden, den der Aufsichtsbefohlene sich selbst zufügt, kann aber der Aufsichtspflichtige gemäß § 823 wegen Vernachlässigung der Sorge für die Person des Aufsichtsbefohlenen haftbar sein. Bei Schädigung des Aufsichtspflichtigen kann der aus §§ 823 bis 826 (bei Deliktsfähigkeit) oder aus § 829 in Anspruch genommene Aufsichtsbefohlene dem Aufsichtspflichtigen Verletzung der Aufsichtspflicht im Rahmen des § 254 entgegenhalten.
Anm. 11 Einem Verletzten, der zu den im Sinne des § 832 kraft Gesetzes zu beaufsichtigenden Personen gehört, kann ebensowenig wie dem wegen seiner Aufwendungen an Heilkosten usw. aus dem Gesichtspunkte der Geschäftsführung oder der Bereicherung mitklagenden aufsichtspflichtigen Vater auf Grund des § 832 entgegengehalten werden, daß letzterer es an der erforderlichen Aufsicht habe fehlen lassen und dadurch den Schaden mitverursacht habe. Denn § 8 3 2 dient l e d i g l i c h d e m S c h u t z e D r i t t e r gegen
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Schäden, die ihnen von Aufsichtsbefohlenen durch rechtswidrige Handlungen infolge der Vernachlässigung der Aufsicht über sie zugefügt werden können, nicht dem Schutze der Aufsichtsbefohlenen selbst ( R G 53, 3 1 2 ) .
VI. Entlastungsbeweis des Aufsichtspflichtigen Anm. 12 1. Für die in Abs. 2 Satz 1 aufgestellten Voraussetzungen des Nichteintritts der Ersatzpflicht (wenn Aufsichtspflichtiger seiner Aufsichtspflicht genügt hat oder der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde) ist der Aufsichtspflichtige beweispflichtig, wie sich aus der Fassung des § 832 und aus dem Gesetzesgedanken — vermutetes Verschulden des Aufsichtspflichtigen sowie vermuteter U r sachenzusammenhang zwischen widerrechtlicher Schadenszufügung durch den Aufsichtsbefohlenen einerseits und der Verletzung der Aufsichtspflicht andererseits — ergibt.
Anm. 13 2. Für die Frage, ob der Aufsichtspflichtige seiner Aufsichtspflicht genügt hat, kommen einerseits die Eigenschaften des Aufsichtsbefohlenen, das M a ß der von ihm ausgehenden, dritten Personen drohenden Gefahr, wie andererseits die eigenen Verhältnisse des Aufsichtspflichtigen in Betracht. So bestimmt sich das M a ß der von den Eltern zu leistenden Aufsicht nach dem, was nach Alter und Entwicklung der Kinder von verständigen Eltern in Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen L a g e und ihrer eigenen Geschäfte und Berufspflichten erwartet werden kann ( R G 98, 246; R G J W 1904, 2 0 2 1 3 ; 1905, 2 1 2 1 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 2 4 1 ; B G H 26. 4. 1951 III Z R 182/50). Die Frage, inwieweit sich ein Elternteil auf die Ausübung der Aufsicht durch den andern Elternteil verlassen kann, hängt ebenso wie die, ob und inwieweit der Aufsichtspflichtige die Aufsichtsführung anderen Personen (z. B. älteren Geschwistern) überlassen darf, von den Umständen des Einzelfalles ab. F ü r d e n E r f o l g seiner Aufsichtstätigkeit hat der Aufsichtspflichtige n i c h t einzustehen; es genügt, daß er das seinige getan hat, einen guten Erfolg herbeizuführen ( R G 50, 60; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 3 3 ; 1 9 1 4 Nr. 2 1 7 ) . Für die Haftung aus § 832 kommt es auch nicht darauf an, ob der Aufsichtspflichtige ganz allgemein und in jeder Beziehung seiner Aufsichtspflicht genügt hat, sondern darauf, ob dies gerade in bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist ( B G H V e r s R 1957, 799). Eine Überwachung des Aufsichtsbefohlenen auf Schritt und Tritt ist in der Regel nicht angängig und bei reiferem Alter der Kinder überhaupt nicht erforderlich ( R G 50, 60; J W 05, 2 1 2 1 ; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 217). Wesentlich sind f ü r das M a ß der Aufsichtspflicht vor allem die Eigenschaften der Kinder, gleichviel in welchem Alter sie stehen ( R G J W 1926, 1 1 4 9 7 ; B G H V e r s R 1957, 1 3 1 und 370). Höhere Anforderungen an die Aufsicht sind daher z. B. zu stellen, wenn der zu Beaufsichtigende sich bereits als zuchtlos und unbotmäßig erwiesen hat oder wenn der Aufsichtspflichtige wußte, daß der Aufsichtsbefohlene nicht bloß zu gewöhnlichen Unarten, sondern auch zu ernsteren üblen Streichen geneigt ist ( R G 98, 248; WarnRspr 09 Nr. 298; 1 9 1 1 Nr. 33 und 2 4 1 ) ; seine Nichtkenntnis von früheren Streichen des Aufsichtsbefohlenen fällt in die Beweislast des Aufsichtspflichtigen ( R G 15. 12. 1 9 1 0 V I 582/09). Ist aber eine etwaige schlechte und generell die Aufsichtspflicht verschärfende Charaktereigenschaft eines Kindes in einem konkreten Fall gar nicht zur Auswirkung gekommen, so kann sie auch für diesen Fall keine besondere Pflicht für den Aufsichtspflichtigen herbeiführen, nachzuweisen, daß er seiner — verschärften — Aufsichtsaufgabe generell genügt habe ( B G H V e r s R 1957, 799, 800). Die Aufsichtspflicht ist ferner verschärft, wenn im Einzelfall aus besonderen Gründen (Alkoholgenuß des Minderjährigen) Veranlassung dazu besteht ( B G H L M § 8 3 2 Nr. 1). J e d e r Aufsichtspflichtige muß sich in weitem U m f a n g darum kümmern, wie der zu Beaufsichtigende seine Freizeit gestaltet, wobei das M a ß der Aufsicht auch von dem Alter und den persönlichen Eigenschaften des Minderjährigen mitbestimmt wird ( B G H V e r s R 1958, 563). Ein Verbot oder eine Mahnung genügt zur Erfüllung der Aufsichtspflicht nur, wenn der Verpflichtete von deren Wirkung überzeugt sein konnte ( R G 52, 69. 7 6 ; vgl. auch B G H J Z 1955, 500 = V e r s R 1955, 4 2 1 ) .
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Die Aufsichtspflicht im Blick auf das Verhalten i m Verkehr: Zu Art und Maß der Aufsichtspflicht bei nicht schulpflichtigen Kindern im S t r a ß e n v e r k e h r s. O L G Dresden H R R 1940 Nr. 606; bei Kindern auf einer verkehrsreichen Straße insbesondere nach der Richtung, daß sie nicht in die Fahrbahn hineinlaufen, s. OLG München H R R 1940 Nr. 1021. Auch in einer Großstadt können Eltern ihr 5jähriges Kind in der Regel auf dem Bürgersteig vor dem Hause spielen lassen, wenn sie es gelegentlich beobachten und das Betreten der Fahrbahn nachdrücklich verboten haben ( B G H L M § 683 Nr. 5). Zu den Aufsichts- und Ermahnungspflichten eines Vaters, der seinem 4jährigen Jungen einen R o l l e r überläßt, s. VersR 1958, 85. Nach OLG München in VersR 1958, 238 dürfen Eltern nicht dulden, daß ihre minderjährige Tochter unter Mitführung eines aufgespannten Regenschirmes einhändig Rad fährt. Wer seinem minderjährigen Sohn die Benutzung eines K l e i n k r a f t r a d e s überläßt, muß dessen Fahrweise von Zeit zu Zeit unbemerkt überwachen oder überwachen lassen ( B G H L M § 546 ZPO Nr. 9). Im übriggen können bei einem 19 jährigen Kraftfahrer unter normalen Umständen keine hohen Anforderungen an die elterliche Aufsichtspflicht mehr gestellt werden (BGH L M §832 Nr. 1 ; OLG Nürnberg VersR 1958, 118). Jedoch bleibt der Vater neben dem Halter eines Kfz verpflichtet, seinen 19 jährigen Sohn daran zu hindern, das ihm vom Halter überlassene Fahrzeug im Zustand einer durch Alkoholgenuß bedingten Verkehrsuntüchtigkeit zu benutzen (BGH aaO). Zur Verletzung der Aufsichtspflicht des Vaters gegenüber seinem minderjährigen Sohn, der sein Kfz zu einer S c h w a r z f a h r t benutzt s. BGH VersR 1954, 558. Uber die Beaufsichtigung von Spielen und Spielgeräten der Kinder vgl. R G 50, 60; R G J W 1904, 202 13 ; WarnRspr 1916 Nr. 166; B G H VersR 1955, 421; 1957, 799. Ein Spielzeug ist danach nicht schon deshalb als gefährlich anzusehen, weil es unter besonders unglücklichen Verhältnissen einmal Schaden angerichtet hat; es ist zu prüfen, inwieweit eine Belehrung über das Spielzeug erforderlich war und die Aufsichtsperson Grund zu der Annahme hatte, daß durch dessen Benutzung am Spielorte Schaden gestiftet werden könnte. Wird ein g e f ä h r l i c h e r G e g e n s t a n d dem Minderjährigen mit Wissen und Willen des Aufsichtspflichtigen in die Hand gegeben, sind besonders strenge Anforderungen an die Ausübung der Aufsichtspflicht hinsichtlich dieses bestimmten gefährlichen Gegenstandes zu stellen. Das gilt insbesondere für Schießgeräte aller Art wie Pfeil und Bogen, Schleudern usw. (RG J W 1912, 539 18 ; WarnRspr 1912 Nr. 28; 1913 Nr. 94; 1916 Nr. 136; OGH 1, 159; B G H J Z 1955, 500; VersR 1957, 131 und 799; OLG München VersR 1954, 544); jedoch sind auch hier die Anforderungen nicht zu überspannen (BGH aaO). Den Gebrauch von Schußwaffen wird der Aufsichtspflichtige dem minderjährigen Aufsichtsbefohlenen nur gestatten dürfen, wenn er ihn darüber unterrichtet hat oder unterrichtet weiß, von seiner Besonnenheit, seinem Geschick und Verständnis für den Gebrauch und die Gefahren der Schußwaffen sich überzeugt hat, und wenn dafür gesorgt ist, daß die Benutzung an einem sicheren Orte und ohne Verletzung polizeilicher Schutzvorschriften (§367 Nr. 8 StGB) erfolgt (RG 52, 69; 98, 246; J W 1905, 21 2 1 ; Gruchot 46, 949; WarnRspr 09 Nr. 298; 1916 Nr. 136; 1934 Nr. 155; LZ 1919, 695®; R G SeufFArch 77 Nr. 75; 88 Nr. 39; B G H L M § 832 Nr. 3). Überlassung eines vom Aufsichtsbefohlenen mitgenommenen Gewehrs an einen Spielgefährten, der durch einen Schuß Dritte verletzt, s. R G WarnRspr 1929 Nr. 10; R G Recht 1922, 1154. Zu den Anforderungen an die Überwachung von Kindern in einem W a i s e n h a u s oder K i n d e r h e i m s. OLG Oldenburg H R R 1936 Nr. 871 (14 jährige Jungen); B G H VersR 1956, 520 (Kinder von 3 und 4 Jahren) und 1957, 370 (11 jährige Jungen). Ein Elfjähriger darf in der Regel für einige Zeit in der Wohnung allein gelassen werden (BGH VersR 1957, 131). A n m . 14 2. Der Nachweis, daß der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde (vgl. §831 Abs. 1 Schlußsatz), bedeutet inhaltlich den Wegfall des ursächlichen Zusammenhangs des nach § 832 vermuteten Verschuldens des Aufsichtspflichtigen in der Aufsichtsführung mit dem entstandenen Schaden. Die deshalb an sich entbehrliche Bestimmung hat den Zweck, auß er Zweifel zu stellen, daß dem Auf-
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Unerlaubte Handlungen
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sichtspflichtigen auch für das Nichtbestehen des bezeichneten ursächlichen Zusammenhangs die Beweislast obliegt. Die Vermutung des § 832 erstreckt sich also auch auf diesen ursächlichen Zusammenhang (RG WarnRspr 1912 Nr. 28). Die M ö g l i c h k e i t , daß der Unfall auch bei gehöriger Aufsichtsführung sich hätte ereignen können, genügt deshalb nicht, um die Ersatzpflicht auszuschließen (RG WarnRspr 1910 Nr. 60; 1912 Nr. 28; R G Recht 1922 Nr. 1154). S. auch § 831 Anm. 2 1 . VII. Mehrere Ersatzpflichtige Anm. 15 Für den von dem Aufsichtsbefohlenen angerichteten Schaden können mehrere Aufsichtspersonen, mag ihre Aufsichtspflicht auf Gesetz oder auf Vertrag beruhen, nebeneinander verantwortlich sein (Vater, Mutter oder Vormund und Lehrherr; Eltern und Erzieher usw.); auch der zu beaufsichtigende Täter nach §§ 828, 829 und eine Aufsichtsperson, wobei jedoch im Falle des § 829 der Täter nur hilfsweise (subsidiär) herangezogen werden kann. Sie haften dann nach Maßgabe des § 840 als Gesamtschuldner; für ihre Ausgleichung untereinander ist § 840 Abs. 2 zu beachten.
§833 Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht trifft nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Satz 1 : E I 734 Abs. 1 II 756; M 1 809—814; F 2 646—648. Satz 1 ; R G v. 30. j . 1908. RGBl 313. Begt. R T V 1905/06 Nr. 155.
Ubersicht
Anm.
I. Allgemeines 1 II. Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen (Satz 1) 2—4 1. Tiere im Sinne des § 833 2 2. Schadensverursachung durch ein Tier 3 3. Ursachenzusammenhang 4 I I I . Haftung nur für Tötung, Körper- (Gesundheits-)verletzung und Sachbeschädigung 5 I V . Der Tierhalter 6—7 1. Begriff 6 2. Einzelfälle 7 V . Mehrere Ersatzpflichtige 8—9 1. Mehrere Tierhalter 8 2. Tierhalter und Dritte 9 V I . Schulhafte Mitverursachung (mitwirkendes Verschulden) des Verletzten 10 V I I . Einwirkung eines Vertragsverhältnisses auf die Tierhalterhaftung . . . 11 V I I I . Beweisfragen 12 I X . Satz 2 13—17 1. Haustiere, die dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt sind 13—14 2. Der Entlastungsbeweis 15—17 a) Allgemeines 15 b) Gehörige Beaufsichtigung 16 c) Mangelnde Ursächlichkeit 17 90
Komm. z. BGB, n . Aufl. n . Bd. (Kreft)
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§ 833 Artrn. 1—3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
I. Allgemeines Anm. 1 Satz i des § 833, der die ursprüngliche Vorschrift des BGB über die Haftung des Tierhalters enthält,' während Satz 2 durch das Nachtragsgesetz v. 30. 5. 1908 hinzugefügt worden ist, schafft eine Ausnahme von dem Verschuldensgrundsatz, der im allgemeinen die im BGB normierte Haftung aus u. H. beherrscht, und setzt an dessen Stelle den Grundsatz der reinen Gefährdungshaftung. Den Tieren kommt an sich wegen der durch die Vernunft nicht geregelten Willkür ihres Tuns und der körperlichen Kraft, die sie dabei entfalten, eine Gefährlichkeit zu, so daß, wer in seinem Interesse Tiere hält, auch den Schaden ersetzen soll, der infolge dieser Gefährdung entstanden ist (Prot. 2, 647; R G 141, 406). Deshalb soll entsprechend den Grundsätzen der Gefährdungshaftung (vgl. §§ 1, 1 a, 2 RHaftPflG; § 7 StrVG; § 33 LuftVerkG — Fassung v. 10. 1. 1959 — u. a.; s. im einzelnen Vorbem 3 vor § 823) nach § 833 Satz 1 auch derjenige, der in seinem Interesse Tiere hält, für den durch deren besondere Gefährlichkeit Dritten zugefügten Schaden haften, ohne daß ein Verschulden seinerseits vorliegt (RG 80, 237 ; 141, 406). Daher insoweit auch Haftung eines Deliktsunfahigen. Während im allgemeinen jedoch die Gefahrdungshaftung einen wirtschaftlich Starken trifft, belastete die Gefährdungshaftung des § 833 in besonderem Maße den mittleren und kleineren landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieb. Die Härten, die die Anwendung des Gesetzes für diese mit sich brachte (vgl. R G 54, 73), die indessen durch die spätere Rechtsprechung wesendich gemildert wurden (vgl. R G 65, 3 1 3 ; 67, 431; WarnRspr 1909 Nr. 357), gaben den Anstoß zur Ergänzung und Abschwächung des strengen Grundsatzes des Satz 1 im Wege eines neuen Gesetzes. Der Wortlaut dieses Gesetzes wurde in einem Satz 2 dem ursprünglichen § 833 hinzugefügt und ersetzte für Haustiere, wenn sie dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt sind, die Gefährdungshaftung durch eine V e r s c h u l d e n s h a f t u n g mit vom Tierhalter zu widerlegender Verschuldensvermutung in der Weise der §§ 831, 832, 834, 836 bis 838 (RG J W 1911, 76220; WarnRspr 1910 Nr. 445; BGH V R S 8, 9). II. Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen — (Satz 1) Anm. 2 1. Was ein Tier ist, bestimmt sich zunächst nach der naturwissenschaftlichen Lehre; für § 833 kommen aber nur Tiere in Betracht, die durch ihre Tätigkeit auf die Außenwelt einzuwirken befähigt, mit Sinneswerkzeugen und Nervensystem ausgestattet sind. Den Tieren niederster Ordnung, deren Leben dem der Pflanzen sich nähert, fehlen diese. Mögen Bazillen daher an sich als Tiere anzusprechen sein, die Gefahr, gegen die § 833 Personen und Sachen schützen will, geht von ihnen nicht aus (für die Anwendung des § 833 auf Bazillen O e r t m a n n A 3 a). Diese besondere T i e r g e f a h r besteht darin, daß das Tier zwar nach einem Willen handelt, dieser Wille aber nicht durch eine Vernunft geleitet und beherrscht, sondern entweder durch äußere Einwirkungen oder durch dem Menschen sich verbergende Vorstellungen ausgelöst wird. Vorwiegend sind es Haustiere, die für die Anwendung des § 833, auch im Satz 1, in Frage kommen; doch bezieht sich Satz 1 auch auf andere Tiere, die gehalten werden, wie Bienen, gezähmte Tiere, wilde Tiere im Zirkus, in Tierhandlungen und zoologischen Gärten. Anm. 3 2. Durch ein Tier ist eine Verletzung verursacht, wenn ein der tierischen Natur entsprechendes selbsttätiges, in einem übertragenen Sinne willkürliches V e r h a l t e n des Tieres sie verursacht hat. Dahin gehört das Scheuen und Durchgehen, das Ausschlagen und Beißen der Pferde, das Anspringen gegen Menschen und andere Tiere und das Beißen der Hunde (RG 54, 73; 60, 65; 61, 316; 80, 237; 158, 34, 40; J W 1905 S. 318 5 , 531 1 2 ; WarnRspr 1911 Nr. 328; 1932 Nr. 149; BGH V R S 8, 9). Deshalb Tierhalterhaftung, wenn ein Hund ein Motorrad anspringt oder doch dagegen anrennt und so einen Unfall verursacht; nicht wenn der Motorradfahrer einen ruhig seines Weges laufenden Hund von hinten anfährt und dadurch mit dem Rade zu Fall kommt (OLG 1404
Unerlaubte Handlungen
§833
Anm. 3 Celle H R R 1935 Nr. 1658; s. auch R G Recht 1906 Nr. 3194). Ebenso Tierhalterhaftung, wenn Pferde von einer Weide ausgebrochen sind und sich dann auf der Fahrbahn einer Straße aufhalten, so daß hierdurch ein Unfall verursacht wird; der tierischen Natur entspricht es, auf den Verkehr nicht Rücksicht zu nehmen und sich unbekümmert u m den Straßenverkehr auf der Straßenfläche zu bewegen ( B G H L M § 833 Nr. 3 ; V e r s R 1957, 167). J e d o c h keine Tierhalterhaftung bei Beschädigung fremder Sachen durch körperliche Ausscheidungen von Bienen ( R G 1 4 1 , 406); ebenso nicht bei Beeinträchtigung des Zuchtwerts junger Rinder dadurch, daß sie vorzeitig durch einen Bullen gedeckt und trächtig werden ( O L G Düsseldorf V e r s R 1956, 226; auch V e r s R 1958, 8 1 2 ) . Auch dann verhält sich das Tier selbsttätig und willkürlich, wenn es d u r c h e i n e n ä u ß e r e n A n r e i z zu einer jähen, gewaltsamen Bewegung veranlaßt wird; so, wenn ein Pferd, wie es in seiner furchtsamen und reizbaren Natur begründet ist, durch Lokomotivpfiffe, Geräusche (z. B. Motorgeräusche herannahender Kraftfahrzeuge R G WarnRspr 1932 Nr. 149), flatternde Wäsche, durch vor seinen Augen fallende Gegenstände, oder infolge von Schmerzempfindungen, weil es von Fliegen gestochen oder vom Striegel unsanft berührt wurde, scheut, in die Höhe steigt und ausschlägt; denn daß es auf diese Weise zu jähen Bewegungen fortgerissen wird, ist gerade die Betätigung der tierischen Natur ( R G 60, 65; 6 1 , 3 1 6 ; 82, 1 1 2 ; R G J W 1905 S. 3 1 8 5 , 3 9 2 1 0 ; 5 3 1 1 2 ; 1 9 1 1 S. 45 3 1 , 3 6 6 1 8 ; 1 9 1 2 , 797 1 4 ; 1933, 693 5 ; WarnRspr 1909 Nr. 2 1 ; 1 9 1 1 Nr. 328). Reizung eines Pferdes durch Einwirkung von Fliegen und Bremsen s. München H R R 1940 Nr. 363. Tötung von Jungtieren durch Muttertiere als Schreckwirkung s. R G 158, 34. Einen G e g e n s a t z z u d e n s e l b s t t ä t i g e n B e w e g u n g e n des Tieres bildet einmal der Fall, daß es als b l o ß e s m e c h a n i s c h e s W e r k z e u g wirkt, wie wenn ein Tier von einem Menschen dem andern ins Gesicht geworfen und dieser dadurch verletzt wird, oder daß nur seine Größe, seine Masse und sein Gewicht Menschen oder Sachen beschädigt, z. B. wenn ein Pferd oder Rind stürzt und auf einen Menschen fällt, es sei denn, daß der Sturz wiederum nur die Folge eines willkürlichen Verhaltens, wie des Durchgehens des Pferdes, ist ( R G J W 1 9 1 1 , 3 6 6 1 8 ; 1 9 1 4 , 36®). In solchen Fällen ist das Tier überhaupt nicht selbsttätig. Ebenso ist das Tier nur unwillkürlich und gleich einem Werkzeug tätig, wenn es auf ein anderes Krankheitskeime überträgt und es dadurch beschädigt, mag selbst diese Übertragung durch willkürliche Bewegungen des Tieres (Beschnüffeln des andern Tieres) vermittelt werden ( R G 80, 237). Ein willkürliches und selbsttätiges T u n des Tieres soll auch in den außergewöhnlichen Fällen ausgeschlossen sein, wenn auf den Körper oder auf die Sinne des Tieres ein ä u ß e r e s E r e i g n i s m i t ü b e r m ä ß i g e r Gewalt nach Art einer mechanischen Ursache derart einwirkt, daß ihm gar keine Freiheit gelassen wird, sich anders zu verhalten ( R G 54, 7 3 ; 60, 65; 6 1 , 3 1 6 ; 69, 399; J W 1905 S. 3 1 8 5 , 392 1 0 , 6 9 1 " ; 1909, 3 1 3 1 1 ; 1 9 1 0 , 5 7 9 1 3 ; 1 9 1 1 S. 45 3 1 , 2 i 5 1 3 , 3 6 6 1 8 ; 1 9 1 2 , 797 1 4 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 328). Gegen den Ausschluß der Tierhalterhaftung in derartigen Fällen können Bedenken geltend gemacht werden insofern, als bei einer Einwirkung auf die Sinne des Tieres gerade die sich aus der besonderen tierischen Natur ergebenden Gefahren häufig hervorgerufen werden (vgl. E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 253 I V 2 b ) . Die Rechtsprechung hat auch nur in seltenen Fällen solche, die Tierhalterhaftung ausschließende Zwangsbewegungen eines Tieres angenommen ( R G 6g, 399; J W 1909, 3 1 3 1 1 ) ; auch diese Fälle aber sind zweifelhaft; zumeist liegt ein auf heftigen äußeren Anreiz erfolgtes selbsttätiges Verhalten des Tieres vor. Die richtige Umgrenzung dieser Zwangsbewegungen legen spätere Entscheidungen R G J W 1 9 1 1 S. 45 3 1 , 2 1 5 1 3 , 3 6 6 1 8 ; 1 9 1 2 , 797 1 4 ; 1922, 286 3 ; 1933, 6g3 5 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 328 dar. Auf die naturwissenschaftliche Auffassung des Verhaltens der Tiere kommt es f ü r die Darlegung der Begriffe des Gesetzes nicht an (vgl. R G J W 1 9 1 2 , 797 1 4 ). Den z w e i t e n u n d w i c h t i g e r e n G e g e n s a t z zum selbsttätigen und willkürlichen Verhalten bilden die unselbständigen Tätigkeiten, wenn d a s T i e r d e m W i l l e n u n d d e r L e i t u n g d e s M e n s c h e n f o l g t , wie das Reitpferd und das Maultier der Zügellenkung des Reiters, das eingespannte Pferd der Leitung des Kutschers. Hier ist nicht das Tier, sondern der es nach seinem Willen leitende Mensch der Handelnde ( R G 50 S. 180 und 2 1 9 ; 6 1 , 3 1 6 ; 65, 1 0 3 ; R G J W 1909, 2 1 8 6 ; WarnRspr 1908 Nr. 3 7 7 ; B G H N J W 1952, 1329). Das Tier folgt dem Willen des Menschen aber nicht unbedingt und
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§ 833 Anm. 4, 5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
wird von ihm im allgemeinen nicht gezwungen; und so schließt die Leitung des Kutschers oder Reiters keineswegs willkürliche Bewegungen des Tieres (Seitensprünge, Hochsteigen, Beißen, Schlagen der Pferde) aus, die alsdann unter § 833 fallen (RG J W 1909, 218"; WarnRspr 1908 Nr. 582 und 636), wie es auf der andern Seite nicht willkürlich handelt, wenn es dem Willen des Menschen nicht aus Widerspenstigkeit, sondern weil es ihm nicht möglich ist, die bisherige Bewegung plötzlich abzubrechen, nicht sofort Folge leistet (RG WarnRspr 1908 Nr. 377 und 58a). In der Gewalt des Lenkers kann sich ein Pferd auch dann noch befinden, wenn der Kutscher die Zügel nicht in der Hand hält: Pferde können mit einem Zurufe geleitet werden, und das Nebenhergehen des Kutschers neben dem Fuhrwerke genügt vielfach, es in Gewalt zu behalten (RG 65,103). Anm. 4 3. Die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer eingetretenen Verletzung und einem auf der Tiergefahr beruhenden Tun des Tieres folgt den in Vorbem 47fr vor §823 entwickelten Grundsätzen (sog. adäquate Verursachung). Der Zusammenhang braucht nicht ein unmittelbarer zu sein; die Verletzung kann auch m i t t e l b a r auf jenes Tun zurückführen (RG 50, 219; Gruchot 50, 668; J W 1914 S. 36® und 471 1 3 ), sei es, daß diese zunächst auf einen von dem Tier in Bewegung gesetzten Gegenstand einwirkt, so auf den von Pferden gezogenen Wagen, und mittels dieses Gegenstandes die Verletzung erfolgt (RG 50, 219; vgl. auch J W 1911, 366 18 ), sei es, daß durch das Tun des Tieres die beschädigte Person in Schrecken versetzt wird, infolgedessen stürzt und verletzt wird: so, wenn ein bissiger Hund gegen einen Menschen anläuft, dieser erschrickt, stolpert und stürzt (RG J W 1906, 349'; 1908, 680 12 ; 1914, 471 13 ). Doch muß eine ernste Gefahr vorliegen; ein harmloses Anspringen und Bellen eines gutartigen und offenbar nicht zu fürchtenden Hundes begründet einen ursächlichen Zusammenhang nicht; wenn eine besonders nervenschwach veranlagte Person davor erschrickt und fällt, so ist dies nicht Wirkung einer Tiergefahr (RG J W 1908, 41 16 ). Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Tun des Tieres und der Verletzung wird ferner nicht dadurch aufgehoben, daß der Geschädigte selbst durch eine auf freier Selbstbestimmung beruhende Handlung eingreift, wie, daß er beim Durchgehen der Pferde, um sich zu retten, vom Wagen springt und sich dabei Verletzungen zuzieht (RG J W 1907, 3078), oder daß er, um andere vor der Gefahr zu behüten, die durchgehenden Tiere aufhalten will und hierbei von ihnen verletzt wird (RG 50, 219). Inwiefern ein solches Handeln des Geschädigten ein mitwirkendes V e r s c h u l d e n an der Verursachung des Schadens begründen kann, darüber vgl. unten Anm. 10. Der Ursachenzusammenhang ist jedoch aufgehoben, wenn die für den Schadenseintritt ursächliche Bewegung des von einem Tier gezogenen Fahrzeugs nicht auf dem selbständigen, willkürlichen Verhalten des Tieres, sondern ausschließlich auf mechanischen Einwirkungen beruht (s. OLG München VersR 1958, 424). Kommt das Verhalten mehrerer T i e r e , von denen das eine auf die Sinne des andern einwirkte, als ursächlich für eine Verletzung in Frage (ein Hund springt gegen Pferde an, die dann scheuen und Unheil anrichten), so ist der Schaden auch durch das einwirkende Tier verursacht worden, wenn die Einwirkung derart war, daß sie das schadenstiftende Verhalten des anderen Tieres nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge entsprechend der Natur dieser Tiergattung mit Wahrscheinlichkeit auslösen mußte (RG J W 1905, 691 1 4 ; Gruchot 50 S. 668 und 973; OLG Nürnberg VersR 1959, 573: Jagdhund hetzt ein Reh, das auf der Flucht über eine Straße in ein Motorrad springt). Eine Berufung auf höhere G e w a l t kann es gegenüber der Inanspruchnahme aus § 833 nur insoweit geben, als infolge einer äußeren Einwirkung ein willkürliches Tun des Tieres ausgeschlossen ist; dann ist aber eben im Sinne des § 833 der Schaden nicht durch das Tier verursacht (RG 54, 407). III. Haftung nur für Tötung, Körper- (Gesundheits-) Verletzung und Sachbeschädigung Anm. 5 Die Haftung nach § 833 tritt nur ein, wenn durch das Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt 1406
Unerlaubte Handlungen
§833
A n m . 6, 7
wird. Uber die Tötung eines Menschen vgl. § 823 Anm. 12, über die V e r l e t z u n g des K ö r p e r s u n d d e r G e s u n d h e i t ebenda Anm. 13. Für den Schadensersatz aus der Tötung oder der Verletzung von Körper oder Gesundheit eines Menschen gelten die §§ 842—847; der Schadensersatz umfaßtmithin a u c h d e n N i c h t v e r m ö g e n s s c h a d e n . Unter der B e s c h ä d i g u n g e i n e r S a c h e (§ 90) ist ebenso wie bei der Verletzung des Eigentums in § 823 Abs. 1 (vgl. dort Anm. 18) auch die Entziehung der Sache (Verschleppung eines Gegenstandes durch ein Tier) zu verstehen. Nur für Schäden, die aus der Verletzung der hier bezeichneten Rechtsgüter entstehen, haftet der Tierhalter nach § 833; für andere Schäden gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 823, 831; der Tierhalter kann also in solchen Fällen nur aus einem Verschulden oder aus einer rechtswidrigen Handlung seines Angestellten in Ausführung einer Verrichtung in Anspruch genommen werden. Einen Ansp.uch auf Unterlassung der u. H. nach § 833 kann es nicht geben, da die die Haftung begründende Gefährdung schon mit dem Halten des Tieres gegeben ist, das für sich eine u. H. nicht darstellt.
IV. Tierhalter Anm. 6 1 . B e g r i f f : In Erweiterung der zunächst in den Urteilen R G 52, 117 und J W 1906, 197 14 gegebenen Begriffsbestimmung, die auf die Sorge für Obdach und Unterhalt des Tieres entscheidendes Gewicht legte, ist nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ( R G 62, 79; 66, 1) als T i e r h a l t e r anzusehen, w e r das T i e r nicht nur zu ganz vorübergehendem Zweck im e i g e n e n I n t e r e s s e in s e i n e m — in weitestem Sinne verstandenen — H a u s s t a n d o d e r W i r t s c h a f t s b e t r i e b v e r w e n d e t (dazu kritisch u. a. H o f f ArchZivPrax 154, 344fr). Das E i g e n t u m sowie die Sorge für Obdach und Unterhalt können Umstände sein, aus denen auf die Tierhaltereigenschaft im einzelnen Falle zu schließen ist; wesentlich für den Begriff sind sie nicht ( R G 55, 163; J W 1916, 9076; WarnRspr 1915 Nr. 208 und 237; 1918 Nr. 187). Das Tierhalterverhältnis ist ein tatsächliches, kein rechtliches. Ohne mittelbaren oder unmittelbaren Besitz ist es nicht wohl denkbar, und schlechthin wesentlich ist das Merkmal des e i g e n e n I n t e r e s s e s ( R G 62, 79; 66, 1). Auch der Staat und sonstige juristische Personen können Tierhalter sein ( R G 76, 225, 227). Die Aufgabe der unmittelbaren Verfügungsgewalt über die Tiere auf Zeit bedeutet nicht den Verlust der Tierhaltereigenschaft (RG WarnRspr 1915, 237; J W 1917, 2875). Ebenso hebt eine vorübergehende Besitzentziehung (Entlaufen des Tieres) die Tierhaltereigenschaft nicht auf, wohl aber eine dauernde Entziehung, durch die das Tier seiner Bestimmung für den Tierhalter entfremdet wird (Diebstahl). Zu welchem Zweck das Tier im Augenblick des Unfalls benutzt wird, ist gleichgültig ( R G 55, 163, 166; J W 1906, 19714); für die Tierhaltereigenschaft ist nur die Bestimmung des Tieres zur Verwendung in der eigenen Wirtschaft und im eigenen Interesse maßgebend. Der U n z u r e c h n u n g s f ä h i g e (§§ 827, 828) kann Tierhalter sein, aber nicht durch eigenen Willensentschluß werden; er wird es jedoch, wenn sein gesetzlicher Vertreter ihn durch seine Handlung in das Verhältnis des Tierhalters versetzt. Auch m e h r e r e P e r s o n e n können gleichzeitig Halter derselben Tiere sein ( R G H R R 1936 Nr. 8 7 2 ) ; so z. B., wenn der Vater das Landgut, dessen Wirtschaftsbetriebe die Pferde dienen, seinem Sohne übergeben, sich aber deren Benutzung für seine Wirtschaft gleichfalls vorbehalten hat; er ist dann Tierhalter, sobald sie in seiner Wirtschaft verwendet werden und in seiner Verfügung stehen (RG J W 1911, 279®). Dienen Tiere den wirtschaftlichen Zwecken eines nichteingetragenen Vereins, so sind alle Mitglieder der Vereinigung als Tierhalter anzusehen (RG J W 1911, 21823).
Anm. 7 2. E i n z e l f ä l l e : Tierhalter ist der Inhaber eines R e i t i n s t i t u t s , der gewerbsmäßig Reitpferde gegen Entgelt vermietet; sie scheiden durch den Ausritt nicht aus seiner Wirtschaft aus, werden vielmehr gerade durch die Vermietung dafür verwendet und bleiben seiner Verfügung unterworfen ( R G WarnRspr 1912 Nr. 254; 1915 Nr. 237); Tierhalter bleibt der L a n d w i r t , wenn er unentgeltlich vorübergehend aus Entgegenkommen sein Pferd an Dritte verleiht ( R G J W 1915, 91 7 ). Tierhalter ist der Nieß-
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§ 833
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 8 braucher oder Pächter eines Gutes, der Ehegatte, der bei der Gütergemeinschaft das Gesamtgut verwaltet (§§ 1421, 1422), hinsichtlich der zum Gesamtgut gehörigen Tiere; desgl. der Ehemann, der den zum bisherigen eingebrachten Gut seiner Ehefrau gehörenden landwirtschaftlichen Betrieb auch nach Wegfall des gesetzlichen Güterstandes der Verwaltung und Nutznießung tatsächlich weiter bewirtschaftet ( L G Kiel Schl-HA 1955, 129). Ehemann als Halter eines Zuchtbullen, der in dem landwirtschaftlichen Betriebe der Ehefrau untergebracht ist, aber dem Ehemann gehört, der auch die Nutzung aus dem Halten des Tieres zieht ( R G 158, 341). Tierhalter sind aber auch der S c h l ä c h t e r , der Tiere kauft und bei sich einstellt, um sie am nächsten T a g e zu schlachten ( R G 79, 246) oder der V i e h h ä n d l e r , der dasselbe tut, um die Tiere am nächsten Tage zum Markt zu führen und sie zu verkaufen. Eine Landgemeinde ist Tierhalter des Zuchtstieres, der zu Zuchtzwecken für die Gemeinde angeschafft und bei einem Bauern im Stalle untergebracht ist, der dem Tiere gegen Vergütung Fütterung und Wartung gewährt ( R G J W 1917, 287'). Nicht Tierhalter wird der G u t s v e r w a l t e r , der die für die Gutswirtschaft bestimmten Pferde zu einer Spazierfahrt benutzt ( R G 52, 117; Gruchot 47, 404); desgleichen nicht die L a n d w i r t s c h a f t s k a m m e r , die durch ihre Geschäftsstelle den A b satz von Schlachtvieh vermittelt, das Vieh sich zusenden, tierärztlich besichtigen und in die Verkaufshalle bringen läßt ( R G 66, 1); nicht der Staat, dem b e i d e m P f e r d e m u s t e r u n g s g e s c h ä f t in Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung die Tiere zur Auswahl vorgeführt werden ( R G J W 1904, 408 17 ; 1906, 4Ö624), nicht der staatliche oder kommunale Unternehmer einer behördlich angeordneten Zwangsimpfung ( R G J W 1933, Ö935); nicht der K a u f l u s t i g e , der zu einer Probefahrt zwecks Entschließung über einen K a u f das Pferd bei sich einstellt und die Probefahrt ausführt ( R G J W 1906, 197 14 ); auch nicht der B e r e i t e r (Trainer) oder der S t a l l m e i s t e r , denen zum Zwecke des Zureitens das Rennpferd oder das Reitpferd übergeben wird; sie nutzen das Tier nicht für ihr Interesse; die Vergütung, die sie für das Zureiten erhalten, ist nicht Nutzung des Tieres, sondern Entlohnung ihrer im fremden Interesse gleisteten Arbeit ( R G WarnRspr 1908 Nr. 317); ferner nicht der bloße V e r w a h r e r ( R G J W 1913, 431 9 ), mag auch nebenher eine Benutzung des Tieres durch ihn vorgesehen sein, wie sie in vielen Fällen im Interesse des Hinterlegers (Ausreiten von Pferden) selbst zu den Pflichten des Verwahrers gehört (vgl. § 688 Anm. 4). Tierhalter ist auch nicht, wer auf Grund eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit der Stadt Schlachtvieh von der Ausladerampe des städtischen Viehhofes zum Stall desselben zu befördern und dort einige Tage zu füttern hat ( R G 168, 331: Fall des § 834, s. dort). Ebenso ist Tierhüter und nicht Tierhalter der V i e h k o m m i s s i o n ä r ( R G 66, 1; O L G München VersR 1957, 31). Tierhalter bleibt dagegen bis zur kurzfristigen Abholung oder Übergabe an den Käufer der Verkäufer eines Tieres, das bisher seiner Wirtschaft diente und in seinem Stalle steht oder auf der Beförderung zum Käufer sich befindet ( R G J W 1910, 706 6 ; 1930, 2421 31 ). Tierhalter ist aber wiederum aus den gleichen Gründen wie die vorgenannten Personen nicht der T i e r a r z t , dem das Tier zur Behandlung zugeführt wird ( R G n . 12. i g n I V 142/11). Wohl aber ist Tierhalter der Landwirt, dem zur selbständigen Verwendung in seiner Wirtschaft Tiere vom Eigentümer, wenn auch nur auf kurze Zeit, geliehen werden ( R G 62, 79). Über den Tierhalter g e f a n g e n e r o d e r g e z ä h m t e r (§ 960) w i l d e r T i e r e vgl. R G J W 1916, 9076. Uber den Tierhalter eines gefangenen Tigers während der Versendung vom Verkäufer an den Käufer auf hoher See s. H R R 1936 Nr. 872. Z u m F i n d e r als Tierhalter s. W e i m a r M D R 1957, 658. V. Mehrere Ersatzpflichtige Anm. 8 1. Mehrere Tierhalter: Mehrere Halter des Tieres, das den Schaden angerichtet hat, haften als Gesamtschuldner nach § 840 Abs. 1, ebenso der Tierhalter und der Aufsichtspflichtige nach § 834 (der Tierhüter, R G 60, 313). Für die Ausgleichung dieser mehreren Ersatzpflichtigen untereinander ist das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis maßgebend. Auch die verschiedenen Tierhalter mehrerer Tiere, die zusammenwirkend einen Schaden angerichtet haben, sind gesamtschuldnerisch verhaftet; für
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Unerlaubte Handlungen
§833 Anm. 9,10
deren Ausgleichung untereinander gilt § 840 Abs. 1 in Verbindung mit § 426 (RG 58, 335) 3375 R G J W 1905, 691 14 ). Diese Bestimmungen gelten entsprechend, wenn einer der Tierhalter der Verletzte ist (RG Gruchot 50, 973, 976). Anm. 9 2. Tierhalter u n d Dritte: Gesamtschuldnerische Haftung tritt ferner ein, wenn die V e r l e t z u n g a u f e i n T i e r u n d z u g l e i c h a u f d i e u. H . e i n e s D r i t t e n zurückzuführen ist (das Pferd scheut infolge eines in der Nähe verbotenerweise abgegebenen Schusses, vgl. R G 53, 1 1 4 ; 58, 335; R G Gruchot 47, 405); bei der Ausgleichung untereinander kann sich hier aber der Tierhalter auf die Bestimmung des § 840 Abs. 3 berufen, wonach im inneren Verhältnisse ein dritter Haftpflichtiger gegenüber dem Tierhalter den ganzen Schaden trägt, und zwar auch dann, wenn der Tierhalter selbst der Geschädigte ist (RG 71, 7; R G WarnRspr 1910 Nr. iao). Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG 53, 1 1 4 ; 58, 335; 61, 56, 63) sollte dies auch dann gelten, wenn die H a f t u n g d e s D r i t t e n , wie die des Eisenbahnunternehmers aus § 1 RHaftPflG, ebenfalls nicht auf einem Verschulden, sondern a u f G e f ä h r d u n g beruhte. Diese Rechtsprechung aber hat der B G H mit Recht aufgegeben, indem er der Rechtsauffassung des O L G H a m m in N J W 1958, 346 ( = VersR 1958, 33) zu der Ausgleichung zwischen der Tierhalterhaftung und der Gefährdungshaftung des Bahnunternehmers im Beschluß v. 6. 11. 1957 (VI Z R 48/57) ausdrücklich beigetreten ist. Danach ist „Dritter" im Sinne des § 840 Abs. 3 nur derjenige, der aus unerlaubter Handlung im engeren Sinne, d. h. aus Verschulden oder zumindest aus vermutetem Verschulden (§§ 823 fr) haftet, so daß die genannte Bestimmung auf das Verhältnis des Tierhalters zu den nach §§ 1, 1 a RHaftPflG Ersatzpflichtigen nicht anwendbar ist und bei Verletzung des Tierhalters selbst die mitwirkende Tiergefahr nach § 254 berücksichtigt werden muß (zustimmend B ö h m e r VersR 1958, 290). H a t aber der Tierhalter den Entlastungsbeweis gemäß § 833 Satz 2 geführt, dann entfällt seine Haftung in vollem Umfang und es kann dann auch im Verhältnis zu einem nach § 1 RHaftPflG Ersatzpflichtigen § 254 keine Anwendung finden. Entsprechendes gilt beim Zusammenwirken eines Tieres und eines Luftfahrzeuges für die Ausgleichung zwischen dem Tierhalter und dem Halter des Luftfahrzeuges gemäß §41 Abs. 1 und 2 LuftVerkG i.d. F.v. 10.1.1959 (vgl. R G 158, 34, 39). Beim Z u s a m m e n w i r k e n e i n e s T i e r e s u n d e i n e s K r a f t f a h r z e u g e s zur Verursachung eines Schadens der in § 833 bezeichneten Art (vgl. § 7 StrVG) greift für die Ausgleichung zwischen dem Tierhalter und dem Fahrzeughalter die Sonderregelung des § 17 Abs. 2 StrVG (vgl. auch § 18 Abs. 3 StrVG) Platz. Dadurch wird für diesen Fall die für den Tierhalter günstige Bestimmung des § 840 Abs. 3 ebenfalls ausgeschlossen. Jedoch wird im übrigen an den Haftungsvoraussetzungen nichts geändert, so daß die Haftung des Tierhalters, der den Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 führt, auch im Rahmen des § 17 Abs. 2 StrVG entfällt, da diese Bestimmung keine haftungsbegründende Bedeutung hat (RG 82, 1 1 2 ; 96, 130; 129, 55, 59; R G WarnRspr 1922 Nr. 69; LZ 1921, 145 1 0 ; DAR 1931, 216). Selbst wenn die Haftung des Fahrzeughalters und gegebenenfalls des Fahrzeugführers (§ 18 Abs. 3 StrVG) auch aus den allgemeinen Vorschriften des BGB und (oder) die des Tierhalters ebenfalls auch aus §§823 oder 831 hergeleitet wird, findet doch für die Ausgleichung ausschließlich § 17 StrVG Anwendung (RG 96, 68; R G WarnRspr 1922 Nr. 69; DAR 1933. 90). Trifft den T i e r h a l t e r e i n V e r s c h u l d e n bei der Verursachung der Verletzung, das den § 823 anwendbar macht, so kann er sich für die Ausgleichung gegenüber dem dritten Haftpflichtigen auf die Befreiung des § 840 Abs. 3 insoweit nicht berufen. H a t er für die rechtswidrige Verursachungshandlung eines Verrichtungsgehilfen (§831) einzustehen, so kommt ihm, falls diesen ein Verschulden trifft, das auch ihn ersatzpflichtig macht, im inneren Verhältnis zwar nicht § 840 Abs. 3, aber § 840 Abs. 2 zugute. VI. Schuldhafte Mitverursachung des Verletzten A n m . 10 Daß eine schuldhafte Mitverursachung (mitwirkendes Verschulden) des Geschädigten an der Verletzung und ihren Folgen (§ 254) wie bei allen anderen u. H. auch bei
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§ 833 Anm. 11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
der Haftung des Tierhalters den Ersatzanspruch ausschließen oder im Umfange mindern kann, ist selbstverständlich. Die Abwägung nach § 254 hat auf der Seite des Tierhalters die Tiergefahr, auf der Seite des Verletzten das Maß seines Verschuldens und dessen Bedeutung für die Verursachung des Schadens in Betracht zu ziehen ( R G 5 1 , 2755 158, 388, 394; R G J W 190a Beil 234; 1903 Beil 143 3 1 4 ; 1906, 8082; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 327; 1912 Nr. 6 1 ; B G H J Z 1955, 87). Dabei kann die Haftung des Tierhalters für Sach-, Körper- und nichtvermögensrechtliche Schäden des Verletzten, dem mitwirkendes Verschulden zur Last fällt, nicht unterschiedlich bemessen werden (aA L G Berlin J R 1951, 661). Uber das mitwirkende schädliche Verhalten eines Kindes oder Unzurechnungsfähigen gilt das § 827 Anm. 3, § 828 Anm. 2 Gesagte: mangels der Möglichkeit eines Verschuldens entfällt ihre Verantwortlichkeit (vgl. R G 67, 120, 123). Ein eigenes m i t w i r k e n d e s V e r s c h u l d e n des V e r l e t z t e n l i e g t v o r , wenn er sich leichtsinnig selbst der Tiergefahr ausgesetzt hat: so, wenn er den Hof betritt, auf welchem ein bissiger Hofhund gehalten wird, obwohl durch eine Tafel an der Hoftür vor dem Betreten des Hofes mit einem Hinweise auf den Hund gewarnt war ( R G J W 1906, 349'); ähnlich, wenn ein Hundebesitzer seinen Hund vor den Angriffen eines anderen Hundes schützen will, in ihren Kampf eingreift und dabei selbst verletzt wird ( R G WarnRspr 1914 Nr. 1 6 1 ) ; oder wenn er dicht an einen Bienenstand herangeht (vgl. dazu R G 158, 388); oder wenn er Qhne Not dicht an Pferden vorbeigeht ( R G J W 1906, 739'; 1909, 136 1 3 ; WarnRspr 1908 Nr. 290; 1916 Nr. 201; B G H J Z 1955, 87); das trifft indessen nicht zu bei einem Stallknecht oder dem Hufschmied, dessen Arbeit es mit sich bringt, daß er sich den Tieren nähern muß ( R G J W 1906, 740 8 ; 1 9 1 1 , 2 1 5 1 3 ) ; oder wenn der Verletzte ein krankes Tier ohne Veranlassung nur berührt hat ( R G J W 1908, 235'). Ein mitwirkendes Verschulden des Verletzten ist ferner gegeben, wenn der verletzte Radfahrer durch übermäßig schnelles Fahren in Ortschaften die Hunde aufregt und das Anspringen von Hunden an das Rad für sich selbst gefährlich macht ( R G J W 1908, 680 12 ); wenn der Tierarzt oder der Hufschmied bei der Behandlung oder beim Beschlagen der Pferde die nötigen Vorsichtsmaßregeln versäumen ( R G J W 1904, 57 1 0 ; WarnRspr 1909 Nr. 212). Ein eigenes Verschulden des Verletzten liegt aber nicht darin, daß der Insasse eines Wagens beim Durchgehen der Pferde, um sich aus der größeren Gefahr zu retten, selbst ungeschickt abspringt ( R G J W 1907, 307 8 ). Noch weniger kann ein Vorwurf eigenen Verschuldens gegen den Verletzten daraus hergeleitet werden, daß er in Erfüllung einer sittlichen Pflicht, um eine größere Gefahr von der Allgemeinheit abzuwenden, den durchgehenden Tieren sich entgegenstellt, um sie zum Stehen zu bringen; überhaupt bedeutet eine u n g e e i g n e t e M a ß r e g e l noch kein V e r s c h u l d e n , s o f e r n der V e r l e t z t e bei dem V e r s u c h nur n i c h t die n a c h L a g e der D i n g e g e b o t e n e V o r s i c h t a u ß e r a c h t l i e ß ; das muß besonders bei Rettungshandlungen gelten, die ein schnelles Eingreifen erfordern ( R G 50, 219; R G J W 1904, 356®; Gruchot 49, 931; WarnRspr 1909 Nr. 99). Bedeutung des Umstandes, daß der verletzte Kraftfahrer nicht im Besitz eines Führerscheins war, für die Frage des mitwirkenden Verschuldens s. R G WarnRspr 1932 Nr. 149. Daß der V e r l e t z t e d u r c h das e i g e n e T i e r v e r l e t z t wird dergestalt, daß er, wenn der Verletzte ein Dritter wäre, diesem selbst als Tierhalter haften würde, begründet für den schuldhaft handelnden Verursacher des Unfalls einen Einwand des mitwirkenden Verschuldens des Verletzten laicht; eine entsprechende Anwendung des § 254 ist hier durch die Vorschrift des § 840 Abs. 3 (s. die vorige Anmerkung) ausgeschlossen ( R G 71, 7; WarnRspr 1910 Nr. 120). Dagegen ist eine solche rechtsähnliche Anwendung des § 254 zulässig und dem Sinne des Gesetzes entsprechend, wenn auch der in Anspruch genommene Ersatzpflichtige nur als Tierhalter und nicht aus schuldhafter Schadensverursachung haftet ( R G 67, 120 in dieser Beschränkung richtig; vgl. § 840 Anm. 14). VII. Einwirkung eines Vertragsverhältnisses auf die Tierhalterhaftung A n m . 11 Wie regelmäßig schon die Fahrlässigkeitshaftung aus u. H., kann um so mehr die ohne Verschulden des Haftpflichtigen eintretende Gefährdungshaftung des § 833 durch Vertrag ausgeschlossen werden (vgl. Vorbem 2gff, 35 vor § 823). Ein solcher Vertrag beseitigt dann nicht nur die Ansprüche des Verletzten, sondern auch die der Unterhalts-
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berechtigten nach §844 ( R G 65, 313). Eine ausdrückliche Vertragsvereinbarung auf A u s s c h l u ß d e r T i e r h a l t e r h a f t u n g wird im täglichen Leben selten vorkommen; der Ausschluß kann sich aber aus dem sonstigen Inhalt des Vertragsverhältnisses als dem Willen der Vertragsparteien entsprechend ergeben. Das ist der Fall, wenn dem Verletzten durch Dienst- oder Werkvertrag eine in seinen Berufskreis gehörige Arbeitsleistung bezüglich des Tieres übertragen worden ist, die als solche mit einer besonderen Tiergefahr verbunden ist; hier muß diese Gefahr mit der Übernahme der Leistung als übernommen gelten. Der hauptsächlichste Anwendungsfall ist der Vertrag auf Zureiten eines Rennpferdes durch den Bereiter (Trainer), eines Reitpferdes durch einen Stallmeister, der eine s e l b s t ä n d i g e G e w a l t d i e s e r P e r s o n e n ü b e r das T i e r b e d i n g t ( R G 58, 4 1 0 ; J W 1905, 1 4 3 " ) . Beim Tierarzt, der eine ärztliche Verrichtung an dem Tiere vornimmt, beim Hufschmied, der das Pferd beschlägt, ist eine solche Gefahrübernahme n i c h t anzunehmen; ihre Vertragsleistungen weisen auf einen derartigen Vertragswillen nicht hin; ihnen wird eine Verfügung über das Tier nicht übertragen ( R G 61, 54 läßt für den Hufschmied die Frage offen, während R G J W 1906, 553 2 2 die Übernahme der Gefahr verneint und den Unterschied vom Bereiter und Stallmeister betont; ebenso R G J W 1 9 1 1 , 89' und WarnRspr 1912 Nr. 6 1 ; unter besonderen Umständen ist Ausschlußvertrag beim Hufschmied angenommen, WarnRspr 1912 Nr. 430; zum Tierarzt s. R G J W 1904, 5 7 1 0 ; 1912, 797 14 ). Noch weniger kann an eine vertragsmäßige Übernahme der Tiergefahr bei den unselbständigen Dienstverrichtungen der von den Weisungen des Dienstherrn abhängigen Bediensteten: Kutscher, Reitknecht, Stallknecht, gedacht werden ( R G 50, 244; R G J W 1905 S. 392 1 0 ,393 u , 528'; 1907,7io 1 7 ; 1 9 1 1 , 2 1 5 1 3 ; WarnRspr 1908Nr. 3 1 8 ; Recht 1912 Nr. 586); auch der Jockey nimmt nicht ohne weiteres solche Gefahren auf sich, die sich aus der bösartigen Veranlagung eines anderen am Rennen teilnehmenden Pferdes ergeben ( B G H VersR 1955, 116). Frage des einzelnen Falles ist die Übernahme der Tiergefahr bei den Leistungen des Beförderungsunternehmers ( R G WarnRspr 1908 Nr. 495) oder beim Abschneiden (Kupieren) von Pferdeschweifen ( R G WarnRspr 1909 Nr. 212).
Das Vertragsverhältnis zu allen diesen Personen, die die Tiergefahr nicht
ü b e r n o m m e n h a b e n sowie zu dem bestellten Tierhüter nach § 834, ist indessen, wenn diese Personen selbst bei Erfüllung ihrer Vertragsverpflichtungen von dem Tiere verletzt worden sind, immerhin nicht ohne Wirkung. Denn in diesem Falle erscheint zunächst die von dem Hufschmied, Kutscher, Beförderungsunternehmer, Stallknecht, Tierhüter bei der Vertragsleistung zu beobachtende Sorgfaltspflicht verletzt, und es trifft daher sie die B e w e i s l a s t , daß sie ihrer Sorgfaltspflicht genügt haben, daß der Schaden durch das Tier ohne ihr Verschulden angerichtet wurde oder daß er auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde ( R G 50, 244; R G J W 1905 S. 202', 392 1 0 , 393 1 1 , 528'; 1907, 7 1 0 " ; WarnRspr 1909 Nr. 2 1 2 ; 1910 Nr. 1 5 3 ; 1912 Nr. 6 1 ; gegen diese Beweislastverteilung W e i m a r D R i Z 1956, 198). Dieser Beweis kann auch allgemein dahin geführt werden, daß der Verletzte bei derselben Verrichtung bisher stets sorgfältig und vorsichtig zu Werke gegangen sei ( R G J W 1905, 392 1 0 ), und er ist als geführt zu erachten, wenn der Dienstverpflichtete die ihm von dem Dienstherrn gemachten Vorwürfe sachwidrigen Verhaltens widerlegt ( R G 13. 7. 1908 I V 83/08). Ist von dem Geschäfts- oder Dienstherrn gar nicht geltend gemacht, daß den Verletzten ein eigenes mitwirkendes Verschulden an dem Schaden treffe, so bedarf es nicht des Sorgfaltsbeweises des Verletzten. Die Beweislast für ein Vertragsverhältnis, das eine Ausschließung oder Beschränkung der Haftung des Tierhalters zur Folge hat, trifft den Tierhalter ( R G 5. 3. 1908 I V 341/07). Besondere Veranlassung zur Annahme eines s t i l l s c h w e i g e n d e n A u s s c h l u s s e s der Tierhalterhaftung bieten die Fälle, in denen der Tierhalter oder sein Angestellter in ihr Fuhrwerk aus G e f ä l l i g k e i t e i n e n F a h r g a s t a u f g e n o m m e n haben. Während R G 54, 73 in einem solchen Falle die volle Strenge der Haftung aus § 833 zur Anwendung brachte, suchte und fand die spätere Rechtsprechung einen Weg, die Härten jener Entscheidung zu beseitigen. Grundsätzlich ließ sich zwar an der Haftung des § 833 nichts ändern. Aber man entnahm für den einzelnen Fall aus dem Verhalten der Beteiligten und den begleitenden Umständen einen Vertrag auf Ausschließung der Haftung des Tierhalters, ohne daß die Beteiligten eine solche Willenseinigung erklärt zu haben
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§ 833 A n m . 12, 1 3
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brauchten, ja ohne daß sie auch nur an Gefahr und Unfall gedacht hatten (RG 65, 3 1 3 ; 67, 431; R G J W 1908, 108'; WarnRspr 1908 Nr. 157; 1909 Nr. 100). Der Vertragsschluß ist zwar nicht ohne weiteres aus der Gefälligkeit des Mitfahrenlassens zu entnehmen, die selbst einen Vertrag an sich nicht darstellt ( R G 65, 18; R G WarnRspr 1909 Nr. 357; B G H NJW 1958, 905); er bedarf besonderer Feststellung; aber diese darf schon auf die Bitte um Mitnahme und die Einwilligung dazu gestützt werden (RG J W 1908, io8e). Bei der Annahme einer solchen Willenseinigung muß aber die Kenntnis der Sachlage durch den Verzichtenden vorausgesetzt werden; ein Ausschluß der Haftung ist auch bei einer Gefälligkeitsfahrt nicht anzunehmen, wenn der Tierhalter ein ungewöhnlich scheues Pferd eingespannt hatte (RG Recht 1910 Nr. 3920). Die Entgeltlichkeit der Beförderung schließt einen solchen Vertrag zwar nicht aus, ist aber ein tatsächlicher Umstand, der gegen die Annahme eines Vertrags spricht, so daß er in diesem Falle besonderer Begründung bedarf (RG J W 1908, 108 6 ; 1906, 3 1 3 1 1 ; WarnRspr 1909 Nr. 22). Als ein anderer gegen den Enthaftungsvertrag sprechender Umstand ist die Tatsache angesehen worden, daß der Tierhalter, wie dem Fahrgast bekannt war, gegen die Tiergefahr versichert ist (RG WarnRspr 1909 Nr. 22 und 100); und endlich wurde die Annahme eines solchen Vertrags mit Recht abgelehnt, wenn das Mitfahren des Verletzten nicht auf einer Gefälligkeit des Tierhalters, sondern auf einer Gefälligkeit des Verletzten gegenüber dem Tierhalter beruhte (RG WarnRspr 1910 Nr. 153; vgl. die Fälle J W 1911 S. 319 5 und 714 14 ). Die Entscheidung R G WarnRspr 1909 Nr. 357 (vgl. auch J W 1 9 1 1 , 285) weist auf die Bedenken gegen die Annahme eines solchen nicht nur unausgesprochenen, sondern auch unausgedachten und ungewollten Vertrags hin, für dessen Feststellung es vielfach an einer tatsächlichen Unterlage fehlt, und setzt an die Stelle des stillschweigenden Vertrags das Handeln auf eigene Gefahr: Wer bewußterweise außerhalb eines Vertragsverhältnisses und ohne eine sonstige rechtliche oder sittliche Verpflichtung einer bestimmten Gefahr sich aussetzt, nimmt diese Gefahr auf sich. Die Verwendung dieses Rechtsgedankens ist geeignet, einer gerechten, im Sinne des Gesetzes selbst liegenden Ausgleichung gegenüber einer Gefährdungshaftung, wie sie § 833 dem Tierhalter auferlegt hat, zu dienen. Zum rechtsgeschäftlichen Haftungsausschluß vgl. im einzelnen Vorbem 29 ff, zum Handeln auf eigene Gefahr insbesondere Vorbem32 vor §823. VIII. Beweisfragen A n m . 12 Dem V e r l e t z t e n liegt die Beweislast lediglich dafür ob, daß er durch das V e r halten eines von dem Beklagten gehaltenen Tieres geschädigt worden ist; hingegen hat der Halter zu beweisen, daß — ausnahmsweise •—- ein willkürliches und selbständiges Tun des Tieres (vgl. Anm. 3) nicht vorgelegen habe (RG J W 1905, 392 10 ; 1914, 36®; von dieser Rechtsprechung will auch B G H L M § 833 Nr. 3 trotz der weitergehenden Formulierung nicht abweichen). Wenn nach dem Sachverhalt jedoch eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, daß das Tier dem Willen eines Menschen untergeordnet war, dann erhöht sich die Beweislast des Geschädigten: Ist der Schaden z. B. durch ein von einem Fuhrmann geleitetes Gespann verursacht, dann hat der Geschädigte weiter zu beweisen, daß das den Unfall auslösende Ausbiegen des Gespanns zur Seite auf der tierischen Natur und nicht auf der Zügelhandhabung des Fuhrmanns beruhte (RG Recht 1905 Nr. 43). Eine eigene s c h u l d h a f t e M i t v e r u r s a c h u n g des V e r l e t z t e n hat nach allgemeinen Grundsätzen der T i e r h a l t e r zu beweisen (BGH VersR 1955, 38). Zur Beweislast bei Schäden der Personen, die vertragsgemäß Verrichtungen an oder mit dem Tier vorzunehmen hatten, s. Anm. 1 1 . IX. Satz 2 A n m . 13 1. Nach dem dafür maßgeblichen gewöhnlichen Sprachgebrauch sind unter Haustieren diejenigen Gattungen von zahmen Tieren zu verstehen, die in der Hauswirtschaft zu dauernder Nutzung oder Dienstleistung gezüchtet und gehalten zu werden pflegen und dabei auf Grund von Erziehung und Gewöhnung der Beaufsichtigung und
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Unerlaubte Handlungen
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Anm. 14
dem beherrschenden Einfluß des Tierhalters unterstehen ( R G 158, 388, 391). Dazu gehören Pferd, Maultier und Maulesel, Esel, Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Hund, Katze, zahmes Kaninchen, Geflügel (einschließlich Tauben). Ob das Tier zur Erfüllung seiner Aufgabe, z. B. ein Hofhund zur Bewachung des Anwesens, sich eignet, ist für den Begriff nicht wesentlich (OLG München H R R 1939 Nr. 418). Den Gegensatz zu den Haustieren bilden die wilden und die gezähmten wilden Tiere (gezähmtes Reh, Affe u. a.), die dadurch, daß sie in einer Hauswirtschaft gehalten werden, nicht Haustiereigenschaft erlangen. Tiere, die zwar ihrer Gattung nach Haustiere sein können, aber nicht als solche verwendet werden (Versuchstiere in wissenschaftlichen Instituten o. ä., Tiere zur Heilserumerzeugung in den Serumanstalten) kommen im Sinne des Gesetzes als Haustiere nicht in Betracht ( R G 79, 246, 248). Wohl aber gehören hierher solche Tiere dieser Art, die der erwerbstätige Tierhalter in seinem Geschäft zum Weiterverkaufen erwirbt und für einige Zeit in Obhut nimmt ( R G WarnRspr 1937 Nr. 34: Eber). Die Biene ist kein Haustier; es fehlt bei ihr an der Möglichkeit einer Beaufsichtigung und Beherrschung durch den Halter, wie sie bei Haustieren vorausgesetzt wird ( R G 141, 406; 158, 388; streitig aA O e r t m a n n Anm. 9 b zu § 833; W e b e r D G W R 1942, 56ff mit weiteren Angaben zum Schrifttum).
Anm. 14 Der Schutz des Satz 2 erstreckt sich nur auf solche Haustiere, die d e m B e r u f e , d e r
Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt
s i n d . Ausgeschlossen sind damit diejenigen Haustiere, die zu anderen Zwecken, für den Sport oder zur Annehmlichkeit (Luxusreitpferd, Schoßhund) gehalten werden ( R G 79, 246; R G J W 1 9 1 1 , 45 3 2 ; B G H VersR 1955, 116). Das vom Landwirt zu Zuchtzwecken gehaltene Vollblutpferd ist seinem Erwerb zu dienen bestimmt; es wird Luxustier, wenn es in einen aus Liebhaberei und nicht zu Erwerbszwecken gehaltenen Rennstall ( B G H VersR 1955, 116) oder in den Stall eines Rentners übergeht, der es zu Spazierfahrten benutzt ( R G 79, 246). Die Tiere sollen jenen Zwecken zu dienen bestimmt sein; sie müssen daher diese Bestimmung zur Zeit der Schadenszufügung haben; daß sie ausschließlich den hervorgehobenen Zwecken dienen, wird nicht gefordert ( R G J W 1 9 1 1 , 45 32 ), auch nicht, daß sie bei der Schadensverursachung ihnen gerade gedient haben; maßgebend ist ihre a l l g e m e i n e Z w e c k b e s t i m m u n g ( R G J W 1917, 2868). Dabei ist die dem Tier durch den Tierhalter gegebene Zweckbestimmung maßgebend (vgl. B G H VersR 1955, 1 1 6 ) ; dieser ist die Wirksamkeit nur dann zu versagen, wenn sie mit vernünftigen Erwägungen eines verständigen Tierhalters nicht zu vereinigen ist ( R G H R R 1931 Nr. 1 1 1 ) . Daß die Bestimmung äußerlich erkennbar sei (Begr.), wird nicht zu verlangen sein. Gelegentliche Benutzung eines Tieres zu Erwerbszwecken, das im allgemeinen dem Vergnügen des Besitzers zu dienen bestimmt ist, genügt dem Erfordernis des Satz 2 nicht ( R G J W 1 9 1 1 , 45 32 ). Dem B e r u f des Tierhalters sind zu dienen bestimmt die Dienstpferde des Offiziers und Polizeibeamten, die Jagdhunde des Försters, die Hütehunde des Schäfers ( B G H L M § 833 Nr. 2), der einen Blinden bei der Berufsausübung führende Blindenhund. Für die Annahme einer Berufsbestimmung der Haustiere wird der Umstand maßgebend sein, ob die Ausübung der Berufstätigkeit die regelmäßige Benutzung von Tieren erforderlich macht, oder diese, wie es bei Soldaten und Beamten der Fall sein kann, sogar vorgeschrieben wird. Dem Beruf zu dienen sind ferner die Tiere bestimmt, die für Berufszwecke vom Staat, von den Gemeinden oder von sonstigen Körperschaften, in deren Dienst die einen entsprechenden Beruf ausübenden Personen stehen, gehalten werden: die Dienstpferde der Wehrmacht ( R G 76, 225; R G J W 1938, 808 35 ), die Polizeipferde und -hunde. Der E r w e r b s t ä t i g k e i t dienen die in gewerblichen oder landwirtschaftlichen Betrieben als Zug-, Last-, Schlacht-, aber auch als Zuchtvieh zur Verwendung kommenden Haustiere; sowohl das vom Landwirt oder Viehhändler zu Verkaufszwecken, wie das vom Metzger zum Schlachten erworbene und gehaltene Vieh sind der Erwerbstätigkeit dieser Personen bestimmte Haustiere ( R G 79, 246; R G WarnRspr 1912 Nr. 389; 1937 Nr. 34). Hierher gehören auch die in Gestüten oder sonstigen Zuchtanstalten gehaltenen
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§ 833 Amn. 15, 16
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Tiere, wenn aus der Aufzucht ein Gewerbe gemacht wird (RG 79, 246). Die zur Bew a c h u n g und S i c h e r h e i t gehaltenen H u n d e können der Erwerbstätigkeit zu dienen bestimmt sein wie der Schäferhund, der Hofhund des Landwirts (RG J W 1917, 2868; RG SeuffArch 87 Nr. 131), der Wachhund auf einem Lagerplatz oder in einem einsam gelegenen Betrieb. Sie können auch Berufszwecken dienen (z. B. bei Kassenbeamten). Werden sie nur zur Bewachung privater Wohnhäuser gehalten, so fallen sie unter die Bestimmung des Satz 1 (vgl. OLG Stuttgart H R R 1930 Nr. 110). Der Dackel ist nicht Wachhund, sondern Jagdhund und, wenn von einem Nichtjäger in der Großstadt gehalten, überwiegend für Vergnügen und Liebhaberei seines Eigentümers bestimmt (OLG München H R R 1941 Nr. 230). Auch der von einem Landwirt gehaltene Jagdhund, der nicht als Hofhund verwendet wird, dient nicht der Erwerbstätigkeit des Halters (OLG Nürnberg VersR 1959, 573). Dem Unterhalt endlich sind zu dienen bestimmt die Milchkuh oder Milchziege sowie das im Haushalt zu verwendende Schlachtschwein. Dem Ausnahmecharakter des Satz 2 entsprechend hat der Tierhalter zu beweisen, daß es sich um ein Tier der in Satz 2 genannten Art gehandelt hat (RG WarnRspr 1910 Nr. 445; J W 1 9 1 1 , 4532). 2. Der Entlastungsbeweis: Anm. 15 a) Der Tierhalter kann sich in den Fällen des Satz 2 von der Haftung durch den Nachweis befreien, daß er bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe oder daß der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Auch hier ist, wie in den §§ 831, 832, 834 mithin die doppelte V e r m u t u n g aufgestellt, daß der Tierhalter die Aufsicht über das Tier vernachlässigt habe und daß auf diese Vernachlässigung der entstandene Schaden ursächlich zurückzuführen sei. Vgl. darüber §§ 831 Anm. 1 und 832 Anm. 12. Die H a f t u n g aus § 833 Satz 2 ist, wie diejenige des § 831, V e r s c h u l d e n s h a f t u n g ; sie greift also nicht Platz bei schuldunfähigen Personen (§§ 827, 828 Abs. 1), deren Verschulden auch nicht durch ein solches ihrer gesetzlichen Vertreter ersetzt werden kann, die nicht die Tierhalter sind; dagegen steht der Anwendung des § 829 auch für § 833 Satz 2 nichts im Wege (RG J W 1917, 38®; s. § 829 Anm. 1). Anm. 16 b) Der Beweis für gehörige Beaufsichtigung des Tieres umfaßt die Sorge für die Verwahrung, den Unterhalt und die Leitung des Tieres. Er hat sich, wie grundsätzlich auch in den Fällen der §§ 831 und 832, auf den Zeitpunkt zu beziehen, in dem die S c h a d e n s z u f ü g u n g durch das T i e r e r f o l g t e ; er erstreckt sich aber auch auf die allgemeine Fürsorge vor diesem Zeitpunkt, wenn deren Vernachlässigung für den Unfall und Schaden ursächlich sein kann (Unterlassung der Absperrung von Hunden bei Tollwut), in besonderen Fällen (z. B. für die Hütehunde eines Schäfers) auch darauf, daß geeignete Tiere ausgewählt wurden (vgl. BGH L M § 833 Nr. 2). Der Sorgfaltsbeweis des § 833 Satz 2 berührt sich hiernach mit demjenigen des § 831, fällt aber, auch wo sich der Tierhalter der Hilfe von zur Überwachung der Tiere bestellten Personen (Tierhüter) bedient, nicht schlechthin mit ihm zusammen. Uber die Anstellung des tauglichen Tierhüters hinaus hat er nicht nur, was bei § 831 ebenfalls verlangt wird, bei der Beaufsichtigung dieser Person die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufzuwenden (vgl. § 831 Anm. 26ff); § 833 Satz 2 verlangt von ihm alles, was zur Sorgfalt bei der Beaufsichtigung des Tieres gehört (vgl. RG 76, 225; J W 1914, 36®; 1931, 3445 13 ; WarnRspr 1915 Nr. 2 1 ; 1917 Nr. 1 4 1 ; 1927 Nr. 160; 1932 Nr. 149; BGH VersR 1956, 516). Will der Tierhalter geltend machen, daß er bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe, so muß er alle hierfür in Betracht kommenden Umstände dartun. Wenn einzelne Umstände unaufgeklärt bleiben, gereicht dies zum Nachteil des Tierhalters (RG J W 1928, 2318 4 ; WarnRspr 1911 Nr. 403; 1914 Nr. 19,250; 1929 Nr. 145; 1930 Nr. 12; 1938 Nr. 35; RG L Z 1918,1214 1 1 ). Von dem Sorgfaltsbeweis des § 834 unterscheidet sich der des § 833 Satz 2 wiederum dadurch, daß 1414
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§833
Anm, 16
er sich nicht auf die unmittelbare Beaufsichtigung des Tieres beschränkt, sondern auch die des Tierhüters oder sonstigen Angestellten umfaßt (vgl. R G J W 1 9 1 1 , 218 2 3 ). Für den U m f a n g des S o r g f a l t s b e w e i s e s kommt es wesentlich auf das Tier und seine Eigenschaften, die Art seiner Verwendung und die besonderen Umstände der Beaufsichtigung an; so verlangt z. B. die längere Beförderung eines Tieres mit der Eisenbahn besondere Aufsichtsmaßregeln ( R G WarnRspr 1912 Nr. 389). Bei ruhigen Tieren und unter gewöhnlichen Umständen ist der in § 833 Satz 2 erforderten Sorgfalt durch die Bestellung eines zuverlässigen Tierhüters zur Zeit der Schadenszufügung, die also die regelmäßige Beaufsichtigung des Tierhüters von seiner Anstellung an in sich schließt, genügt ( R G WarnRspr 1911 Nr. 327; R G J W 1931, 3445 1 3 ; O L G Oldenburg VersR 1959, 218). Der Tierhalter handelt in solchem Falle auch dann nicht schuldhaft, wenn er ein Pferd durch belebte Straßen einer Großstadt zum Schmied und zurück führen läßt; eine erhöhte Sorgfaltspflicht, wie sie der Halter und der Führer eines Kraftfahrzeugs haben, gilt für den Tierhalter nicht ( R G J W 1931, 1550 2 ). Beaufsichtigung eines Pferdes, das angeschirrt allein den Stall verläßt, mitwirkendes Verschulden des unmittelbar vor der Stalltür arbeitenden Verletzten s. R G WarnRspr 1933 Nr. 119. Hat das Tier aber gefährliche Eigenschaften oder kommt es voraussichtlich in Lagen, in denen es ungebärdig wird, so muß der Tierhalter darauf aufmerksam machen und dem Tierhüter die erforderlichen Unterweisungen zur Verhütung von Unfällen geben oder die sonstigen zur Abwendung der Gefahr gebotenen Maßregeln ergreifen ( R G 76, 225; J W 1 9 1 1 S. 218 2 3 , 586 29 , 6 5 3 " ; 1914, 36«; 1928, 2318 4 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 327; 1912 Nr. 77 u. 389; 1914 Nr. 296; 1927 Nr. 160; 1929 Nr. 145; 1930 Nr. 1 2 ; H R R 1931 Nr. 935). Zu besonderer Sorgfalt ist der Tierhalter dann verpflichtet, wenn er einen anderen veranlaßt, sich in die gefahrliche Nähe eines Tieres zu begeben ( B G H J Z 1955 87; B G H VersR 1956, 574). Maßnahmen zur Verhütung des Durchgehens von Pferden bei längerem Halten des Wagens s. R G H R R 1937 Nr. 1223. Ein bei der Begegnung mit Autos zum Scheuen neigendes Pferd darf auf einer ständig von Kraftfahrzeugen benutzten Straße nicht als Zugpferd verwendet werden ( B G H VersR 1956, 502). Eine allgemeine Pflicht, beim Nahen entgegenkommender Kfz. vom Fuhrwerk abzusteigen und das Zugtier am Zügel zu führen, kann nicht anerkannt werden (s. dazu O L G Celle VersR 1956, 593 und L G B.-Baden VersR 1958, 492). Jedoch entspricht es auch bei in der Regel straßensicheren Pferden nicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, wenn der Führer eines Pferdefuhrwerks seitlich zwischen den Rädern auf dem Bodenbrett des Wagens sitzt ohne Halt für Füße und Körper (OLG Schleswig, SchlHA 1958, 140). Zur Verkehrssorgfalt bei der Aufsicht über eine die Straße entlang ziehende Kuhherde s. O L G München H R R 1940 Nr. 657. Zur Haftung des Hundebesitzers, der nichts tut, um das Publikum gegen die Gefahren zu schützen, die mit der ihm bekannten Bissigkeit des Hundes verbunden sind, s. R G H R R 1934 Nr. 254. Ein Landwirt ist nicht verpflichtet, die zur Ratten- und Mäusebekämpfung gehaltene Katze an der Überquerung der an seinem Anwesen vorbeiführenden Straße zu hindern (OLG Oldenburg VersR 1957, 742). In ländlichen Gemeinden besteht im allgemeinen auch keine Pflicht der Geflügelhalter, Vorkehrungen zu treffen, daß das Geflügel nicht auf die Straße gelangt (s. dazu L G Duisburg M D R 1957, 544 u. A G Bramsche M D R 1958, 5 1 5 ; a. A. L G Münster D A R 1958, 269). Nimmt der Besitzer eines Wachhundes diesen mit auf die Straße, so sind im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Verkehrs an den ihm obliegenden Entlastungsbeweis in bezug auf seine Beaufsichtigungspflicht strenge Anforderungen zu stellen ( R G J W 1929, 3288 2 ). Beaufsichtigung von Wachhunden s. auch R G H R R 1931 Nr. i n und O L G München H R R 1939 Nr. 418, von Hütehunden eines Schäfers s. B G H L M § 833 Nr. 2. Beaufsichtigung und Verwahrung eines Hundes, der eine Neigung zum Umherschweifen hat und dadurch verkehrsgefährdend wirken kann, s. R G WarnRspr 1929 Nr. 99. Auch einen friedfertigen Hund darf der Halter auf einer dem Kraftfahrzeugverkehr dienenden Landstraße nicht unbeaufsichtigt herumlaufen lassen ( R G J W 1933, 832'). Ungenügend ist es auch, wenn ein Radfahrer seinen Hund frei mitlaufen läßt, da er dann nicht ausreichend auf ihn einwirken kann, um eine Gefahrdung von Verkehrsteilnehmern durch ihn zu verhüten (OLG Königsberg H R R 1941 Nr. 883). Ist die sichere Verwahrung eines bösartigen Tieres nicht möglich, dann muß der Halter es abschaffen (OLG Karlsruhe H R R 1940 Nr. 422).
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§ 8 3 3 A n m . 17 § 8 3 4 A n m . 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Für die V e r h ä l t n i s s e eines g r o ß e n B e t r i e b e s , oder wenn sich wegen persönlicher Behinderung der Tierhalter um die Leitung seiner Wirtschaft nicht selbst kümmern kann, wird sich, wie im Falle des § 831, der Beweis des § 833 Satz 2 regelmäßig darin erschöpfen, daß er nach bestem Können für die Beaufsichtigung der Tiere durch tüchtige Angestellte und für die etwa erforderliche Beaufsichtigung der niederen Angestellten durch höhere, die an seiner Stelle den Betrieb leiten, gesorgt hat; ganz untätig bleiben und alles seinen Leuten überlassen darf der Tierhalter aber auch hier nicht (vgl. § 831 Anm. 29 u. R G WarnRspr 1916 Nr. 2 0 1 ; 1929 Nr. 145). A n m . 17 c) Der Nachweis, daß der S c h a d e n a u c h b e i A n w e n d u n g der i m V e r k e h r e r f o r d e r l i c h e n S o r g f a l t bei der Beaufsichtigung des Tieres e n t s t a n d e n sein würde, bedeutet den Wegfall des vom Gesetz vermuteten ursächlichen Zusammenhangs zwischen der — vermuteten — Aufsichtspflichtverletzung des Tierhalters und dem eingetretenen Schaden. Die an sich entbehrliche Bestimmung soll lediglich klarstellen, daß die Beweislast insoweit angesichts der vom Gesetz aufgestellten Vermutung ausnahmsweise nicht den Geschädigten, sondern den Tierhalter trifft. S. dazu R G WarnRspr 1912 Nr. 77 und B G H VersR 1955, 38 u. 1956, 516 sowie § 831 Anm. 35 und § 832 Anm. 14.
§834 W e r f ü r denjenigen, w e l c h e r e i n T i e r h ä l t , die F ü h r u n g der A u f s i c h t ü b e r das Tier durch Vertrag ü b e r n i m m t , ist für den Schaden verantwortlich, den d a s T i e r e i n e m D r i t t e n i n der i m § 833 b e z e i c h n e t e n W e i s e z u f ü g t . D i e V e r a n t w o r t l i c h k e i t t r i t t n i c h t ein, w e n n er bei der F ü h r u n g der A u f s i c h t die i m V e r k e h r e r f o r d e r l i c h e S o r g f a l t b e o b a c h t e t h a t o d e r w e n n der S c h a d e n a u c h b e i Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. E I 734 Abs. 2 757; M 2 812, 813; P 2 646—648.
Ü b ersieht I. II. III. IV. V.
Allgemeines Die Aufsichtsführung über ein Tier Die vertragliche Übernahme der Aufsichtsführung Umfang der Tierhüterhaftung Der Entlastungsbeweis
Anm.
. I . 2 •
3
• 4 • 5
I. A l l g e m e i n e s Anm. 1 Der Tatbestand des § 834 ist ähnlich dem des § 831 Abs. 2 und des § 832 Abs. 2. Der rechtliche Gesichtspunkt, aus welchem die Haftung des Aufsichtsführers über das Tier (des Tierhüters) angeordnet wird, ist wie in jenen Bestimmungen e i n v e r m u t e t e s V e r s c h u l d e n , das er durch den nach Satz 2 ihm gestatteten Entlastungsbeweis in derselben Weise wie der Geschäftsherr nach § 831 Abs. 1 Satz 2, der zur Aufsicht über einen Menschen Verpflichtete nach § 832 Abs. 1 Satz 2 zu widerlegen hat. II. D i e A u f s i c h t s f ü h r u n g ü b e r e i n T i e r Anm. 2 Unter der F ü h r u n g d e r A u f s i c h t ü b e r das T i e r ist die Obsorge zu verstehen, daß das Tier keinen Schaden anrichtet. Die nach § 834 rechtserhebliche Aufsicht muß sich auf die Verhütung der Gefahren beziehen, wegen deren eine Haftung für Handlungen des Tieres überhaupt bestimmt ist. Die Aufsichtsführung erfordert eine g e w i s s e S e l b s t ä n d i g k e i t in dem Ergreifen von Maßnahmen, die gegen die von dem Tiere drohenden Gefahren schützen. Wer nur auf Anweisung der Dienstherrschaft handelt, hat keine Aufsicht. Auch ein Pferdeknecht oder Kutscher ist nicht schlechthin als zur Aufsicht über das Pferd bestellt anzusehen. Diese Personen haben Hantie1416
Unerlaubte Handlungen
§834
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rungen mit dem Pferde vorzunehmen, es zu reinigen, mit Futter zu versehen, ein- und auszuspannen, während des Ausreitens oder Fahrens zu lenken; eine selbständige allgemeine Gewalt und Aufsicht über das Tier ist ihnen in der Regel nicht übertragen ( R G 50, 244; R G J W 1905, 392 1 0 ). Dagegen hat eine Aufsicht der Verwahrer, der Entleiher, der Mieter des Tieres, der Begleiter eines Viehtransports ( R G J W 1905, 202 6 ). Uber Art und Umfang der Aufsichtspflicht beim Führen eines Bullen auf dem Schlachthofe s. R G 168, 3 3 1 .
III. Die vertragliche Übernahme der Aufsichtsführung Anm. 3 Haftbar für einen durch das Tier angerichteten Schaden ist nach § 834, wer die Führung der Aufsicht über das Tier durch Vertrag übernommen hat. Auf gesetzliche Aufsichtspflichten, wo solche bestehen, bezieht sich § 834 nicht, auch nicht auf eine bloß tatsächliche freiwillige Übernahme. Aber die Aufsichtsführung braucht in dem Vertrage n i c h t a u s d r ü c k l i c h bedungen zu sein; sie kann sich und wird sich regelmäßig aus dem sonstigen Inhalt des Vertrags von selbst ergeben. Wem ein Tier zur Verwahrung, zur Wartung, zur Jagdabrichtung, zum Zureiten vertragsmäßig überlassen und in seine Gewalt überliefert wird, wer die Begleitung eines Viehtransports vertragsmäßig übernimmt, hat damit auch die Aufsicht über das Tier oder über die Tiere bekommen und übernommen ( R G 58, 4 1 0 ; R G J W 1905, 2066). Durch den Vertrag muß der Tierhüter die Aufsichtsführung für den Tierhalter, also an dessen Stelle übernommen haben; daß der Vertrag auch mit diesem geschlossen sei, ist nicht erforderlich. Daher ist nach § 834 verantwortlich, wer durch Vertrag mit der Stadt die Beförderung ankommenden Viehs zum Stall des Schlachthofs übernimmt, und ebenso der, welcher als Viehtreiber auf Grund Vertrages mit jenem tätig wird ( R G 168, 3 3 1 : Aufsicht beim Führen eines Bullen).
IV. Der Umfang der Tierhüterhaftung Anm. 4 Die Aufsichtsführung macht den Tierhüter f ü r d e n S c h a d e n v e r a n t w o r t l i c h , d e n
das Tier in der in § 833 bezeichneten Weise einem Dritten zufügt, d. i. durch
Tötung oder körperliche Verletzung eines Menschen oder Beschädigung einer Sache (s. darüber § 833 Anm. 5). Auf den Schaden, den das Tier dem Tierhüter oder Aufsichtsführer selbst zufügt, findet § 834 keine Anwendung; diesem haftet der Tierhalter an und für sich nach § 833 ( R G WarnRspr 1937 Nr. 34). Das Vertragsverhältnis zu letzterem legt aber regelmäßig dem Aufsichtsführer die Beweispflicht auf, daß er seine Vertragspflicht erfüllt und das Tier ohne sein Verschulden seiner Aufsicht sich entzogen habe oder daß der Mangel an Aufsicht für den Eintritt des Schadens nicht ursächlich geworden sei (vgl. § 833 Anm. 17). Fällt ihm selbst ein Verschulden zur Last, so kann ihm ein Schadensersatz nur unter Berücksichtigung des § 254 zugesprochen werden ( R G 58, 410; J W 1905 S. 393 1 1 , 528'). Unter Umständen, so bei der mit besonderen Gefahren vom Tiere her verbundenen Übernahme eines Pferdes zum Zureiten, wird nach der Verkehrssitte als Absicht der Vertragsparteien anzunehmen sein, daß der Bereiter diese Gefahr zu tragen und jede Haftung des Tierhalters als der Vertragsgegenpartei für den ihm, dem Bereiter, entstandenen Schaden wegzufallen hat ( R G 58, 410). N e b e n d e m T i e r h ü t e r h a f t e t dem Geschädigten d e r T i e r h a l t e r als Gesamtschuldner ( R G 60, 313). Zu dem Fall, daß noch ein sonstiger Dritter haftet, s. § 833 Anm. 9.
V. Der Entlastungsbeweis Anm. 5 Der Aufsichtspflichtige (Tierhüter) haftet nicht unbedingt wie der Tierhalter im Falle des § 833 Satz 1 ; ihm steht, wie dem Geschäftsherrn nach § 831, dem Aufsichtspflichtigen nach § 832, dem Tierhalter über ein Haustier nach § 833 Satz 2, der Entlastungsbeweis zu, entweder d a ß e r s e i n e r A u f s i c h t s p f l i c h t g e n ü g t h a b e o d e r d a ß
der Schaden auch bei gehöriger Sorgfalt entstanden sein würde. Ihm steht die
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§ 835 A n m . 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Vermutung entgegen, daß er seine Aufsichtspflicht verletzt habe und diese Pflichtverletzung für den Schaden ursächlich sei. Es liegt ihm ob, diese Vermutung durch den von ihm zu führenden Gegenbeweis zu widerlegen ( R G 168, 331, 333). Jedoch steht ihm der Gegenbeweis bei allen Tieren und nicht nur bei Haustieren im Sinne des § 833 offen. Zum Umfang der Sorgfaltspflicht beim Führen einer Kuh in einen Schlacht- und Viehhofs. O L G München VersR 1957, 31 und 1958, 461. Den V e r l e t z t e n trifft die B e w e i s l a s t , daß der Schaden durch ein Tier entstanden ist und daß der Beklagte über das Tier die Aufsicht für den Tierhalter vertragsmäßig übernommen hat.
§835 Ü b ersieht Anm.
I. II. III. IV. V. VI. VII.
Allgemeine Bemerkungen Text der §§ 26—35 des Bundesjagdgesetzes Allgemeines zum Wild-und Jagdschadenrecht Ersatz des Wildschadens Ersatz des Jagdschadens Verfahren Landesrechtliche Regelungen
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I. Allgemeine Bemerkungen Anm. 1 § 835 ist durch § 71 des Reichsjagdgesetzes v. 3. 7. 1934 (RGBl I 549) aufgehoben worden, das in den §§ 44—50 den Ersatz des Wild- und Jagdschadens neu regelte. In den Ländern der britischen Besatzungszone blieb das Reichsjagdgesetz auch nach dem Zusammenbruch in Geltung. In den Ländern der amerikanischen Besatzungszone (Bayern, Bremen, Hessen, Württemberg-Baden) wurde das Reichsjagdgesetz durch das am 1. 2. 1949 in Kraft getretene US-MilRegG Nr. 13 aufgehoben, und es wurden die am 30. 1. 1933 in Geltung gewesenen gesetzlichen Bestimmungen wieder in Kraft gesetzt. Die Länder der französischen Besatzungszone erließen im Jahre 1949 eigene Landesjagdgesetze (Baden v. 22. 6. 1949, Rheinland-Pfalz v. 6. 8. 1949 und Württemberg-Hohenzollern v. 12. 7. 1949), durch die das Reichsjagdgesetz außer Kraft gesetzt wurde. Für das Bundesgebiet gilt nunmehr einheitlich das Bundesjagdgesetz v. 29. 11. 1952 (BGBl I 780, 843), das zwar auch, ebenso wie das Reichsjagdgesetz, lediglich ein Rahmengesetz ist und für landesrechtliche Sonderregelungen weithin Raum läßt. II. Anm. 2 V I I . Abschnitt Wild- und Jagdschaden 1. Wildschadensverhütung
§ 26 Fernhalten des Wildes Der Jagdausübungsberechtigte sowie der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte eines Grundstückes sind berechtigt, zur Verhütung von Wildschäden das Wild von den Grundstücken abzuhalten oder zu verscheuchen. Der Jagdausübungsberechtigte darf dabei das Grundstück nicht beschädigen, der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte darf das Wild weder gefährden noch verletzen. § 27 Verhinderung übermäßigen Wildschadens (1) Die zuständige Behörde kann anordnen, daß der Jagdausübungsberechtigte unabhängig von den Schonzeiten innerhalb einer bestimmten F r i s t
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Unerlaubte Handlungen
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in b e s t i m m t e m Umfange den Wildbestand zu verringern hat, wenn dies m i t Rücksicht auf das allgemeine Wohl, insbesondere auf die Interessen der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, notwendig ist. (2) Kommt der Jagdausübungsberechtigte der Anordnung nicht nach, s o kann die zuständige Behörde für dessen Rechnung den Wildbestand vermindern lassen. Das erlegte Wild ist gegen angemessenes Schußgeld d e m Jagdausübungsberechtigten zu überlassen. § 28 Sonstige Beschränkungen der Hege (1) Schwarzwild darf nur in solchen Einfriedigungen gehegt werden, die ein Ausbrechen des Schwarzwildes verhüten. (2) Das Aussetzen von Schwarzwild und Wildkaninchen ist verboten. (3) Das Aussetzen fremder Tierarten in der freien Wildbahn ist nur m i t schriftlicher Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle zulässig. (4) Das Hegen oder Aussetzen weiterer Tierarten kann durch die Länder beschränkt oder verboten werden. 2. Wildschadensersatz § 29 Schadensersatzpflicht (1) Wird ein Grundstück, das zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehört oder einem gemeinschaftlichenJagdbezirk angegliedert ist (§ 5 Abs. 1), durch Schalenwild, Wildkaninchen oder Fasanen beschädigt, so hat die Jagdgenossenschaft d e m Geschädigten den Wildschaden zu ersetzen. Der aus der Genossenschaftskasse geleistete Ersatz ist von den einzelnen Jagdgenossen nach d e m Verhältnis des Flächeninhalts ihrer beteiligten Grundstücke zu tragen. Hat der Jagdpächter den Ersatz des Wildschadens ganz oder teilweise übernommen, so trifft die Ersatzpflicht den Jagdpächter. Die Ersatzpflicht der Jagdgenossenschaft bleibt bestehen, soweit der Geschädigte Ersatz von d e m Pächter nicht erlangen kann. (2) Wildschaden an Grundstücken, die einem Eigenjagdbezirk angegliedert sind (§ 5 Abs. 1), hat der Eigentümer oder der Nutznießer des Eigenjagdbezirks zu ersetzen. I m Falle der Verpachtung haftet der Jagdpächter, wenn er sich i m Pachtvertrag z u m Ersatz des Wildschadens verpflichtet hat. In diesem Falle haftet der Eigentümer oder der Nutznießer nur, soweit der Geschädigte Ersatz von dem Pächter nicht erlangen kann. (3) Bei Grundstücken, die zu einem Eigenjagdbezirk gehören, richtet sich, abgesehen von den Fällen des Absatzes 2, die Verpflichtung z u m Ersatz von Wildschaden (Absatz 1) nach dem zwischen dem Geschädigten und d e m Jagdausübungsberechtigten bestehenden Rechtsverhältnis. Sofern nicht anderes b e s t i m m t ist, ist der Jagdausübungsberechtigte ersatzpflichtig, wenn er durch unzulänglichen Abschuß den Schaden verschuldet hat. (4) Die Länder können bestimmen, daß die Wildschadensersatzpflicht auch auf andere Wildarten ausgedehnt wird und daß der Wildschadensbetrag für bestimmte Wildarten durch Schaffung eines Wildschadensausgleichs auf eine Mehrheit von Beteiligten zu verteilen ist (Wildschadensausgleichskasse). § 30 Wildschaden durch Wild aus Gehege Wird durch ein aus einem Gehege ausgetretenes und dort gehegtes Stück Schalenwild Wildschaden angerichtet, so ist ausschließlich derjenige z u m Ersatz verpflichtet, dem als Jagdausübungsberechtigten, Eigentümer oder Nutznießer die Aufsicht über das Gehege obliegt. 91
Komm. z. B G B , n . Aufl. II. Bd. (Kreft)
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§ 31 Umfang der Ersatzpflicht (1) Nach §§ 29 und 30 ist auch der Wildschaden zu ersetzen, der an den getrennten, aber noch nicht eingeernteten Erzeugnissen eines Grundstücks eintritt. (2) Werden Bodenerzeugnisse, deren voller Wert sich erst zur Zeit der Ernte bemessen läßt, vor diesem Zeitpunkt durch Wild beschädigt, so ist der Wildschaden in dem Umfange zu ersetzen, wie er sich zur Zeit der Ernte darstellt. Bei der Feststellung der Schadenshöhe ist jedoch zu berücksichtigen, ob der Schaden nach den Grundsätzen einer ordentlichen Wirtschaft durch Wiederanbau i m gleichen Wirtschaftsjahr ausgeglichen werden kann. § 32 Schutzvorrichtungen (1) Ein Anspruch auf Ersatz von Wildschaden ist nicht gegeben, wenn der Geschädigte die von dem Jagdausübungsberechtigten zur Abwehr von Wildschaden getroffenen Maßnahmen unwirksam m a c h t . (2) Der Wildschaden, der an Weinbergen, Gärten, Obstgärten, B a u m schulen, Alleen, einzelstehenden Bäumen, Forstkulturen, die durch Einbringen anderer als der i m Jagdbezirk vorkommenden Hauptholzarten einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sind, oder Freilandpflanzungen von Gartenoder hochwertigen Handelsgewächsen entsteht, wird, soweit die Länder nicht anders bestimmen, nicht ersetzt, wenn die Herstellung von üblichen Schutzvorrichtungen unterblieben ist, die unter gewöhnlichen Umständen zur Abwendung des Schadens ausreichen. Die Länder können bestimmen, welche Schutzvorrichtungen als üblich anzusehen sind. 3. Jagdschaden § 33 Schadensersatzpflicht (1) Wer die J a g d ausübt, hat dabei die berechtigten Interessen der Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigten zu beachten, insbesondere besäte Felder und nicht abgemähte Wiesen tunlichst zu schonen. Die Ausübung der Treibjagd auf Feldern, die mit reifender Halm- oder Samenfrucht oder m i t Tabak bestanden sind, ist verboten; die Suchjagd ist nur insoweit zulässig, als sie ohne Schaden für die reifenden Früchte durchgeführt werden kann. (2) Der Jagdausübungsberechtigte haftet dem Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigten für jeden aus mißbräuchlicher Jagdausübimg entstehenden Schaden; er haftet auch für den Jagdschaden, der durch einen von ihm bestellten Jagdaufseher oder durch einen Jagdgast angerichtet wird. 4. Gemeinsame Vorschriften § 34 Geltendmachung des Schadens Der Anspruch auf Ersatz von Wild- oder Jagdschaden erlischt, wenn der Berechtigte den Schadensfall nicht binnen einer Woche, nachdem er von dem Schaden Kenntnis erhalten hat oder bei Beobachtung gehöriger Sorgfalt erhalten hätte, bei der für das beschädigte Grundstück zuständigen Behörde anmeldet. Bei Schaden an forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken genügt es, wenn er zweimal i m J a h r e , jeweils bis zum 1. Mai oder 1. Oktober, bei der zuständigen Behörde angemeldet wird. Die Anmeldung soll die als ersatzpflichtig in Anspruch genommene Person bezeichnen.
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Anm. 2—5
§ 35 Verfahren in Wild- und Jagdschadenssachen Die Länder können in Wild- und Jagdschadenssachen das Beschreiten des ordentlichen Rechtsweges davon abhängig machen, daß zuvor ein Feststellungsverfahren vor einer Verwaltungsbehörde (Vorverfahren) stattfindet, in dem über den Anspruch eine vollstreckbare Verpflichtungserklärung (Anerkenntnis, Vergleich) aufzunehmen oder eine nach Eintritt der Rechtskraft vollstreckbare Entscheidung (Vorbescheid) zu erlassen ist. Die Länder treffen die näheren Bestimmungen hierüber. III. Allgemeines zum Wild- und Jagdschadenrecht Anm. 3 Das J a g d r e c h t , d. i. das Recht, mit Ausschluß anderer Personen jagdbaren Tieren nachzustellen, sie zu fangen oder zu erlegen und sich anzueignen, war früher reichsgesetzlich nicht geregelt, sondern unbeschadet der Vorschriften der §§ 958, 960 über den Eigentumserwerb der Regelung durch die Landesgesetzgebung vorbehalten ( E G Art. 69). A u c h das W i l d s c h a d e n s r e c h t , die Ordnung der Schadensersatzpflicht des J a g d berechtigten f ü r von dem Wild angerichteten Schaden, war der besonderen Ausgestaltung durch Landesgesetze überlassen ( E G Art. 70—72). Das B G B beschränkte sich darauf, in § 835 einheitlich eine Ersatzpflicht f ü r Wildschaden, der durch bestimmte Gattungen von J a g d w i l d an Grundstücken und deren noch nicht weggeschafften Erzeugnissen angerichtet wurde, festzusetzen. Die Haftung für Wildschaden war danach eine reine Gefährdungshaftung; sie beruhte nicht auf der Vermutung eines Verschuldens. § 8 3 5 enthielt aber nachgiebiges Recht; durch Vertrag zwischen Grundeigentümer und Jagdberechtigten konnte der Wildschadensersatz anders geordnet oder auch ganz ausgeschlossen werden. — Seine einheitliche reichsrechtliche Regelung fand das Jagdrecht in dem Reichsjagdgesetz v. 3. 7. 1934 ( R G B l I, 549), dessen achter Abschnitt in den §§ 4 1 — 5 0 neben der Verhütung von Wildschaden auch den Wildschadensersatz regelte. Nach dem Kriege wurden durch Anordnungen der Besatzungsbehörden und Ländergesetze die Bestimmungen des Reichsjagdgesetzes teils abgeändert oder aufgehoben, teils durch andere ersetzt (s. Anm. 1). U m diese Zersplitterung des Jagdrechtes zu beseitigen, erging das Bundesjagdgesetz v. 29. 1 1 . 1952, das am 1. 4. 1953 in K r a f t getreten ist, so daß von diesem Zeitpunkt wieder ein einheitliches Recht gilt, wenn auch im größeren Umfange als früher l a n d e s g e s e t z l i c h e E r g ä n z u n g e n z u g e l a s s e n sind. Für den Wild- und Jagdschaden kommen die oben abgedruckten Bestimmungen in Betracht. Danach ergibt sich für das Bundesgebiet jetzt folgender Rechtsstand:
IV. Ersatz des Wildschadens Anm. 4 Die Ersatzpflicht ist durch das Gesetz (§ 29) auf die Wildgattungen Schalenwild (d. i. nach § 2 Abs. 3 Wisent-, Elch-, Rot-, Dam-, Sika-, Reh-, Stein-, Muffel-, Gamsund Schwarzwild), Wildkaninchen und Fasanen beschränkt. Doch kann sie gemäß § 29 Abs. 4 durch Landesgesetz auf andere Wildarten ausgedehnt werden. Voraussetzung ist, daß das Wild als jagdbares, freies Tier anzusehen ist, in niemandes Eigentum steht (§ 900), nicht im Sinne des § 833 gehalten wird, wie Tiere in Parkgehegen oder Tiergärten. Für das in Gehegen (Gattern) gehaltene Schalenwild gilt die Sonderbestimmung des § 30 (s. Anm. 6).
Anm. 5 Der Schaden
muß an einem Grundstück entstanden sein. Schäden an Personen oder beweglichen Sachen kommen nicht in F r a g e ; die Haftung des Jagdberechtigten für einen durch Wildwechsel entstandenen Verkehrsunfall kann deshalb nicht aus § 29 hergeleitet werden ( O L G H a m m V e r s R 1957, 472). Die Benutzungsart des Grundstückes ist im allgemeinen gleichgültig, da der Wildschadensersatz nicht auf land- und forstwirtschaftliche Grundstücke beschränkt ist. J e d o c h entfällt bei Weinbergen, Gärten, Obstgärten, Baumschulen, Alleen, einzelnstehenden Bäumen, Forstkulturen, Freiland-
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§ 835 A n m . 6—9
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Pflanzungen von Garten- und hochwertigen Handelsgewächsen mangels anderweiter gesetzlicher Regelung der Schadensersatzanspruch, wenn die üblichen Schutzvorrichtungen nicht vorhanden sind (§ 32 Abs. 2). Die Ersatzpflicht umfaßt auch Schäden an den mit dem Boden zusammenhängenden Erzeugnissen (§ 94), sowie die bereits vom Boden getrennten, aber noch nicht eingeernteten Erzeugnisse, falls der Schaden durch Wiederanbau in der gleichen Wirtschaftsperiode nicht ausgeglichen werden kann (§ 31). Anm. 6 Schadensersatzpflichtig ist der Inhaber des Jagdrechts. Dieses ist nach dem Bundesjagdgesetz untrennbar mit dem Grund und Boden verbunden, steht nur dem Eigentümer desselben zu; ein dingliches Recht kann nicht begründet werden, solche früher bestehenden Rechte waren schon durch das Reichsjagdgesetz aufgehoben. Das Jagdrecht darf nur in Jagdbezirken (Eigen- und Gemeinschaftsjagdbezirke) ausgeübt werden, kann aber für einen Jagdbezirk verpachtet werden (§§ 11 ff). Bei Grundstücken, die zu Gemeinschaftsjagdbezirken gehören, ist also die Jagdgenossenschaft (die Grundstückseigentümer anteilig) schadensersatzpflichtig, bei Grundstücken, die eigenen Jagdbezirken angeschlossen sind, der Eigentümer oder Nutznießer des Eigenjagdbezirks. Der Jagdpächter ist nur dann ersatzpflichtig, wenn er in seinem Jagdpachtvertrag den Ersatz ganz oder teilweise übernommen hat; alsdann bleibt aber hilfsweise die Haftung der Jagdgenossenschaft oder des Eigentümers bestehen. Bei Grundstücken, die zu einem Eigenjagdbezirk gehören, richtet sich die Ersatzpflicht in erster Linie nach dem zwischen dem Geschädigten und dem Jagdausübungsberechtigten (Pächter) bestehenden Rechtsverhältnis. Mangels anderweiter Regelung obliegt die Ersatzpflicht dem Jagdausübungsberechtigten, wenn er durch unzulänglichen Abschuß den Schaden verursacht hat (§29 Abs. 3). Für Schaden, den Schalwild bei Austreten aus dem Gehege verursacht, haftet derjenige, dem als Jagdausübungsberechtigten, Eigentümer oder Nutznießer die Aufsicht über das Gehege obliegt (§ 30). Anm. 7 Schadensersatzberechtigt ist der Geschädigte, mithin in erster Linie der Eigentümer des Grundstücks, dann auch jeder, der das Grundstück für sich nutzt, d. i. der kraft dinglichem Recht Nutzungsberechtigte, Nießbraucher, Pächter. Mitwirkendes Verschulden (z. B. verspätetes Einbringen der Ernte) kann den Ersatzanspruch mindern oder — so vor allem in den in § 32 Abs. 1 und 2 geregelten Sonderfällen — ganz ausschließen. Anm. 8 Die gesetzliche oder vertragliche Schadensersatzpflicht beruht — abgesehen von dem Fall des § 29 Abs. 2 Satz 2 (Verschuldenshaftung) — auf dem Grundsatz der G e f ä h r d u n g s h a f t u n g , ist also nicht davon abhängig, daß den Jagdausübungsberechtigten ein Verschulden trifft. Sie wird deshalb durch die Tatbestände der §§ 827, 828 nicht berührt. Die volle Gefährdungshaftung gilt auch bei Schäden durch aus Gehege ausgetretenes Schalenwild, da entgegen § 45 Abs. 2 Reichsjagdgesetz der Ersatz nicht ausgeschlossen ist, wenn nachweislich das Gehege durch höhere Gewalt oder durch Dritte beschädigt und dadurch dem Wild der Austritt ermöglicht wurde. Der Anspruch auf Ersatz des Wildschadens entfällt vielmehr nur dann, wenn der Geschädigte selbst die von dem Jagdausübungsberechtigten zur Abwehr des Wildes getroffenen Maßnahmen unwirksam gemacht oder bei Weinbergen, Gärten usw. die üblichen Schutzvorrichtungen nicht getroffen hat (§ 32). V. E r s a t z des J a g d s c h a d e n s Anm. 9 Der J a g d s c h a d e n ist der Schaden, der durch mißbräuchliche Ausübung der Jagd entsteht, wenn besäte Felder und nicht abgemähte Wiesen nicht genügend geschont, auf Feldern, die mit reifender Halm- oder Samenfrucht oder mit Tabak bestanden sind, Treibjagden abgehalten und bei Suchjagden die reifenden Früchte beschädigt werden oder sonst die berechtigten Interessen der Grundstückseigentümer oder Nutzungs-
im
Unerlaubte Handlungen
§835 Anm. 10, 11
berechtigten nicht hinreichend beachtet wurden. Für Jagdschaden wird also nicht gehaftet nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung, sondern die Ersatzpflicht setzt ein Verschulden, d. h. die Nichtbeachtung der genannten Sorgfaltspflichten eines weidgerechten Jägers voraus. Schadensersatzberechtigt ist der Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigte, schadensersatzpflichtig der Jagdausübungsberechtigte, und zwar auch für die von ihm bestellten Jagdaufseher und Jagdgäste; eine Entlastungsmöglichkeit (vgl. §831 Abs. 1 Satz 2) besteht insoweit nicht.
VI. Verfahren Anm. 10 Der Schaden muß binnen einer Woche, nachdem der Schaden bekannt geworden oder bei der Beobachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte zur Kenntnis kommen können, bei der für das Grundstück zuständigen Behörde a n g e m e l d e t w e r d e n , bei Forstkulturen jeweils bis zum 1. Mai und bis zum 1. Oktober. Zuständig für die Entscheidung über die Schadensersatzansprüche ist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes nach § 23 Z 2 d G V G das Amtsgericht. Doch kann durch landesrechtliche Regelung die Beschreitung des Rechtsweges von einem V o r v e r f a h r e n v o r e i n e r V e r w a l t u n g s b e h ö r d e abhängig gemacht werden, in dem entweder ein vollstreckbares Anerkenntnis oder ein vollstreckbarer Vergleich aufzunehmen oder eine — nach Rechtskraft vollstreckbare — Entscheidung (Vorbescheid) zu erlassen ist. Die Länder haben sämtlich entsprechende Regelungen getroffen (s. Anm. 1 1 ) .
VII. Landesrechtliche Regelungen Anm. 11 Für B e r l i n (vgl. § 45) ist das Bundesjagdgesetz infolge Einspruchs eines Kontrollratsmitglieds noch nicht in Kraft gesetzt. Im S a a r l a n d gilt gemäß § 3 des Eingliederungsgesetzes v. 23. 12. 1956 (BGBl I 1 0 1 1 ) das Jagdgesetz v. 21. 4. 1948 (Amtsbl S. 469) noch fort. Es ist jedoch durch Gesetz v. 22. 12. 1956 (Amtsbl S. 1686) dem Bundesjagdgesetz angepaßt und unter dem 5. 3. 1957 (Amtsbl S. 209) in der jetzt geltenden Fassung neu bekanntgemacht worden. Das V e r f a h r e n ist in § 24 DurchfBest v. 5. 3. 1957 (Amtsbl S. 216) geregelt, für Schwarzwildschaden im Gesetz v. 22. 12. 1956 (Amtsbl S. 1688) und den DurchfBest v. 8. 5. 1957 (Amtsbl S. 458).
Baden-Württemberg: Landesjagdgesetz v. 15. 3. 1954 (GBl S. 35).
V e r f a h r e n : §§ 14—21 der I. DurchfVO v. 25. 3. 1954 (GBl S. 44). B a y e r n : Jagdgesetz v. 15. 12. 1949 (GVB1 1950, 33). Zu dessen Verhältnis zum Bundesjagdgesetz s. Bekanntmachung v. 1 . 4 . 1953 (StAnz Nr. 16). V e r f a h r e n : Verfahrensgesetz v. 12. 8. 1953 (GVB1 S. 143).
Bremen : Jagdgesetz v. 14. 7. 1953 (GBl S. 73). V e r f a h r e n : §§ 3 1 —33 J a g d G .
Hamburg : LandesjagdG v. 28. 6. 1955 (GVB1 S. 233).
V e r f a h r e n : § 16 L J a g d G i. V . m. Anordnung v. 16. 12. 1955 (Amtl Anz 1159).
Hessen : AusfG v. 24. 3. 1953 (GVB1 S. 27).
V e r f a h r e n : §§ 29—31 AusfG i. V . m. § 19 DurchfVO v. 8. 4. 1953 (GVB1 S. 47).
Niedersachsen: Landesjagdgesetz v. 31. 3. 1953 (GVB1 S. 23).
V e r f a h r e n : Art. 18 L J a g d G i. V . m. V O über das Vorverfahren in Wild- und Jagdschadensachen v. 4. 8. 1953 (GVB1 S. 67).
Nordrhein-Westfalen: Landesjagdgesetz v. 31. 3. 1953 (GVB1 S. 229).
V e r f a h r e n : § 24 Nr. 5 L J a g d G i. V . m. §§ 2 — 1 1 der II. DurchfVO v. 29. 4. 1953 (GVB1 S. 265).
Rheinland-Pfalz : AusfG v. 16. 11. 1954 (GVB1 S. 143).
V e r f a h r e n : § 40 Nr. 10 AusfG i. V . m. §§ 42—49 Landes V O v. 15. 3. 1956 (GVB1 S. 15).
Schleswig-Holstein : Jagdgesetz v. 13. 7. 1953 (GVB1 S. 77).
V e r f a h r e n : § 12 Abs. 2 j a g d G i . V . m. VerfahrensVO v. 22. 6. 1954 (GVB1 S. 105).
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§ 836 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§836 Wird durch den Einsturz eines Gebäudes oder eines anderen mit einem Grundstücke verbundenen Werkes oder durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder des Werkes ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Besitzer des Grundstücks, sofern der Einsturz oder die Ablösung die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Besitzer zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Ein früherer Besitzer des Grundstücks ist für den Schaden verantwortlich, wenn der Einsturz oder die Ablösung innerhalb eines Jahres nach der Beendigung seines Besitzes eintritt, es sei denn, daß er während seines Besitzes die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder ein späterer Besitzer durch Beobachtung dieser Sorgfalt die Gefahr hätte abwenden können. Besitzer im Sinne dieser Vorschriften ist der Eigenbesitzer. E I 7J5 Abs. i II 759; M 2 814—819; P 2 6jo—656. Ubersicht
Anm. Allgemeines i Gebäude 2 Mit einem Grundstück verbundene Werke 3 Teile eines Gebäudes oder Werkes 4 Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder Werkes als Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung 5—6 V I . Schaden, Ursachenzusammenhang und Mitverschulden 7—9 1. Der zu ersetzende Schaden 7 2. Ursachenzusammenhang zwischen Einsturz oder Ablösung von Teilen und Schaden ' . . . . . 8 3. Mitverschulden des Geschädigten 9 V I I . Der Kreis der Ersatzpflichtigen 10—12 1. Der gegenwärtige Eigenbesitzer 10 2. Der frühere Eigenbesitzer 11 3. Mehrere Ersatzpflichtige 12 V I I I . Der Entlastungsbeweis 13—17 I. II. III. IV. V.
I. Allgemeines Anm. 1 Wie die §§ 831, 832, 833 Satz 2, 834 beruht auch die Bestimmung des § 836 auf dem V e r s c h u l d e n s g r u n d s a t z m i t e i n e r von dem zunächst Haftpflichtigen z u w i d e r l e g e n d e n V e r m u t u n g einmal eines Verschuldens und zum anderen des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem vermuteten schuldhaften Verhalten und dem Einsturz des Gebäudes oder Werkes oder der Ablösung von Teilen (RG L Z 1922, 232; B G H L M §836 Nr. 4). A u f den Ursachenzusammenhang zwischen der (objektiv) fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung, dem Einsturz oder der Ablösung und dem Schaden bezieht sich die Vermutung jedoch nicht. Nur in dieser Verschuldensund Verursachungsvermutung, nicht in einer sachlichen Erweiterung oder Minderung der sich aus der allgemeinen Vorschrift des § 823 ergebenden Haftung liegt die Bedeutung des § 836. Die Gesetzesvorschrift behandelt die Haftung für den durch Gebäude oder andere mit dem Grund und Boden verbundene Werke durch Einsturz oder Ablösung von Teilen für Personen oder Sachen entstandenen Schaden und geht von dem G r u n d s a t z aus, daß jeder Eigentümer (Eigenbesitzer) für die Schädigungen eines anderen durch seine Sache insoweit aufzukommen hat, als er die Schädigung bei billiger Rücksicht-
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Unerlaubte Handlungen
§836 A n m . 2, 3
nähme auf die Interessen des anderen hätte verhüten müssen (RG 52, 373; 54, 53, 58; 134, 231, 235; R G H R R 1935 Nr. 730). Eine e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g der Vorschrift ist n i c h t a n g ä n g i g , da die Schuldvermutung des § 836 auf andere Sachverhalte nicht übertragen werden kann. Dementsprechend hat die Entscheidung R G 52, 373 bei dem Umsturz eines morschen Baumes nicht § 836 selbst entsprechend angewandt, sondern lediglich den aus § 836 entnommenen Rechtssatz der allgemeinen Norm des § 823 unterstellt und damit die umfangreiche Rechtsprechung über die Verletzung von „Verkehrssicherungspflichten" (s. dazu § 823 Anm. 48 fr) eingeleitet. Da die Haftung aus § 836 auf einem, wenn auch vermuteten Verschulden des Haftpflichtigen beruht, sind s c h u l d u n f ä h i g e P e r s o n e n (§§ 827, 828) von ihr frei; § 829 findet dagegen Anwendung (s. §829 Anm. 1; R G J W 1915, 580 14 ; WarnRspr 1914 Nr. 334). Auch die Haftung der schuldunfähigen Personen für ihre gesetzlichen Vertreter unter entsprechender Anwendung des § 278 findet im Gesetze keine Stütze (RG J W 1915, 580 14 ; WarnRspr 1916 Nr. 278; R G 1 1 3 , 293, 296). § 278 ist mithin in Fällen der Haftung aus § 836 überhaupt nicht anwendbar (RG SeuffArch 79 Nr. 128). Der Forfall einer öffentlich-rechtlichen Pflicht, für den Zustand des Gebäudes oder Werkes einzustehen (z. B. nach § 20 Pr PVG), berührt die zivilrechtliche Haftung aus § 836 grundsätzlich nicht ( B G H 6, 315). II. Gebäude Anm. 2 Gebäude im Sinne des § 836 sind zum Aufenthalte von Menschen und Tieren oder zur Aufbewahrung von Sachen bestimmte, nach Regeln der Baukunst oder der Erfahrung hergestellte, mit dem Grund und Boden verbundene, umschlossene Behältnisse (vgl. § 912 Anm. 4), selbst senn sie noch unvollendet, etwa erst im Rohbau fertiggestellt, oder wieder in Verfall geraten sind (RG WarnRspr 1912 Nr. 78). Deshalb zählen zu den Gebäuden (oder Teilen von ihnen) auch die Hausruinen, die „ T r ü m m e r g r u n d s t ü c k e " (OGH 3, 135, 138; B G H 1, 103; B G H L M §836 Nr. 2 und 4). III. M i t e i n e m Grundstück verbundene Werke Anm. 3 In ähnlicher Weise wie ein Gebäude ist auch ein mit einem Grundstück verbundenes Werk im Sinne des § 836 als ein einem bestimmten Zwecke dienender, nach Regeln der Baukunst oder der Erfahrung unter Verbindung mit dem Erdkörper hergestellter Gegenstand zu beschreiben (RG 60, 138; 76, 260). Ob das Werk zu d a u e r n d e r Bes t i m m u n g o d e r nur zu v o r ü b e r g e h e n d e m Z w e c k hergestellt worden ist, beg r ü n d e t k e i n e n U n t e r s c h i e d (RG WarnRspr 1909 Nr. 23; R G J W 1910, 288 21 ). Ein solches Werk ist z. B. eine in einem Garten hergestellte Treppe ( R G 14. 6. 1906 I V 127/06), eine ein Grundstück abschließende Mauer und die darin befindlichen Tore und Türen, die Torpfeiler einer Umfriedigung (RG 16. 3. 1908 I V 368/07), ein im Erdboden befestigtes eisernes oder hölzernes Staket, ein Brunnen, eine befestigte Bank, ein Eisenbahndamm (RG J W 1908, 196 10 ) und eine Böschung (RG 60, 138), ein Deich (RG WarnRspr 1913 Nr. 417), Staudämme (RG 97, 1 1 2 ; R G D R 1940, 723 3 ), eine Schleuse als Teil einer Deichanlage (RG H R R 1930 Nr. 1104), ein auf einer Ausstellung oder Festveranstaltung aufgestelltes, durch Einlassen von Pfählen mit dem Grund und Boden verbundenes Wirtschaftszelt oder eine Schaubude oder ein Verkaufsstand (RG J W 1916, 1019 7 ; WarnRspr 1909 Nr. 23), ein Signalmast (RG WarnRspr 1913 Nr. 365), ein Telefonleitungsmast (OLG Stuttgart V R S 7, 246), eine Straßenlaterne (RG SeuffArch 75 Nr. 76), ein Baugerüst (RG J W 1910, 288 21 ), Rutschwand an einem Neubau, die das Anschlagen und Festhaken der mit einer Winde in die Höhe zu befördernden Gegenstände verhindern soll (RG H R R 1935 Nr. 730), eine Baugrube ( R G WarnRspr 1909 Nr. 302), ein mit Platten bedeckter Durchlaß zur Ableitung des Regenwassers (RG 76, 260), ein ebenso bedeckter Kellerschacht (OLG 45, 175), eine unter dem Straßenpflaster liegende Rohrleitung (RG 133, 1, 6; R G SeuffArch 78 Nr. 128), ein Grabstein (OLG Celle VersR 1954, 435), ein unterirdischer Luftschutzstollen ( B G H
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§ 836 Anm. 4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
L M § 836 Nr. 9). Ein Firmenschild kann sich mit Rücksicht auf seine Größe, die Zusammenfügung seiner Bestandteile und die Art seiner Befestigung als ein mit einem Grundstücke verbundenes Werk darstellen (RG J W 1906, 423®; 1916, 1019 7 ). Starkstromleitung als ein mit einem Grundstück verbundenes Werk s. R G 147, 353; R G SeuffArch 79 Nr. 168. K e i n Werk im Sinne des § 836 bilden die bei Erdarbeiten zusammengeschütteten ausgeschachteten Schlamm- und Erdmassen (RG 60, 138), ebenso nicht eine zur Aufnahme solcher Massen dienende, über einem Graben durch kreuzweise übereinandergelegte Hölzer gebildete Tragbrücke (RG 8. 3. 1906 IV 240/05) oder eine bewegliche, zum Gebrauche bald hier bald da bestimmte Leiter oder Treppe, mag sie auch vorübergehend etwa mittels Ketten an einem Gebäude befestigt sein (RG 10. 10. 1907 IV 34/07). Bäume und andere natürliche Bepflanzungen des Bodens sind ebenso wie gewachsener Fels niemals Werke (s. oben Anm. 1 sowie R G 149, 205, 210). Vgl. auch § 908 Anm. 2. IV. Teile eines Gebäudes oder Werkes Anm. 4 Als Teile des Gebäudes oder des Werkes hat die Rechtsprechung nicht nur in sich einheitliche größere Stücke oder Bestandteile im Sinne des § 93 anerkannt, die für den Bestand des Gebäudes oder Werkes wesentlich sind, sondern auch alle Gegenstände, die mit diesem in eine derartige tatsächliche Verbindung gebracht sind, daß die dem Besitzer obliegende Fürsorge für die gefahrensichere Beschaffenheit des Gebäudes oder Werkes „die Vermeidung einer fehlerhaften Einrichtung bei der Herstellung der Verbindung oder einer mangelhaftenUnterhaltung während deren Dauer mitumfaßt" (RG 60, 421). T e i l e eines Gebäudes sind danach: Erker, Balkone, Schornsteine (RG J W 1936, 2913 7 ), Gesimsstücke (RG J W 1903 Beil 115 254 ), einzelne Steine (RG J W 1904, 91 1 ), Dachziegel (RG H R R 1928 Nr. 1978), Stufen und Geländer einer Treppe (RG J W 1908, 480 12 ; 1911, 450"; WarnRspr 1913 Nr. 13), in den Balken eines Schuppens eingeschraubte Ösen, die der Befestigung einer mit eisernen Haken versehenen Treppe dienen (RG J W 1932, 1208 10 ), die Balken oder Dielen eines Fußbodenbelags (RG 52, 236; J W 1904, 486»; 1912, 242 10 ), Dielen des Laufganges einer Fabrik (RG H R R 1935 Nr. 1515), die Galeriebrüstung eines Theatersaals (RG J W 1909, 275 10 ), die Stellvorrichtung eines Fahrstuhls (RG WarnRspr 1914 Nr. 334), eine tönerne Schmuckvase auf einem Mauerpfeiler (RG 13. 4. 1908 IV 524/07), eine neu gegossene Betondecke, die bereits im wesentlichen abgebunden ist und auf Anordnung der Bauleitung entschalt wird (BGH L M § 836 Nr. 1 1 ) ; aber auch Türflügel (RG 15. 1. 1906 IV 338/05), Fenster (RG 113, 286, 292; R G J W 1907, 45*; WarnRspr igio Nr. 333; 1914 Nr. 55), in Angeln drehbare Fensterläden (RG 60, 421; OLG Stuttgart VersR 1958, 865) oder Rolläden (RG WarnRspr 1909 Nr. 101), eine in den Luftraum über der Straße hineinragende Markise (RG 27. 9. 1930 I X 56/30), der Flügel eines Hoftores (RG J W 1931, 344614), eine an der Wand befestigte Schultafel (RG L Z 1921, 226), selbst ein zur Befestigung dienender Nagel (Vorstecker, R G WarnRspr 1913 Nr. 365). Doch wird man in der Ausdehnung des Begriffs nicht zu weit gehen dürfen, vielmehr nach dem Zwecke des Gesetzes, wie nach dem Sprachgebrauch und der Verkehrsauffassung den Gesichtspunkt einer b a u m ä ß i g e n V e r b i n d u n g in den Vordergrund stellen und deshalb in der Regel fordern müssen, daß eine Sache zur Herstellung des Gebäudes eingefügt oder sonstwie aus baulichen Gründen oder zu baulichen Zwecken an ihm angebracht ist. So auch R G 107, 337, wo zutreffend ein schwerer Spiegel, der nicht in die Wand eingelassen, sondern nur an ihr aufgehängt, wenn auch am unteren Rande durch eiserne Klammern gestützt ist, nicht als Teil eines Gebäudes im Sinne des § 836 anerkannt wird. Eine feste Verbindung des Teiles mit dem Ganzen des Gebäudes oder Werkes erfordert § 836 nicht (RG 60, 421); Gegenstände aber, die noch nicht baumäßig mit dem Gebäude verbunden sind, sind keine Teile des Gebäudes (RG WarnRspr 1912 Nr. 78; BGH L M §836 Nr. 11); ebenso nicht solche, die schon vor dem Einsturz aus dem Zusammenhang gelöst waren (RG WarnRspr 1920 Nr. 12; L Z 1921, 2684). Keine Teile eines Gebäudes sind Eisstücke und Schneebrocken, die sich von dem Dache lösen (München H R R 1941 Nr. 481; BGH NJW 1955, 300). Vgl. auch § 908 Anm. 4. 1426
Unerlaubte Handlungen
§836
Anm. 5, 6
V. Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder Werkes als Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung Anm. 5 Der E i n s t u r z ist der Zusammenbruch des ganzen Werkes infolge Lösung der Verbindungen, die es zusammenhalten, die A b l ö s u n g v o n T e i l e n eine T r e n n u n g oder auch nur Lockerung der Verbindung des Teiles mit dem im übrigen unversehrt bleibenden Ganzen oder auch nur in seinen eigenen inneren Zusammenhängen (RG 52, 236; I 33> !» 6 j R G D R 1940, 249'). Eine Ablösung liegt deshalb auch vor beim Durchbrechen eines Fußbodenbrettes (RG 1912, 242 10 ). Eine teilweise Zerstörung oder Vernichtung des Werkes gehört nicht zum Begriff der Ablösimg von Teilen; auch nicht, d a ß diese ohne Mitwirkung menschlicher Kräfte erfolgt ist (RG W a r n R s p r 1913 Nr. 365; 1919 Nr. 169; R G H R R 1929 Nr. 1313). Deshalb gehört auch hierher das undichtwerden einer Wasserleitung (RG 133, 1, 6). Die Lockerung von Brettern einer Holzverschalung, an der j e m a n d Halt sucht, als Ablösung von Gebäudeteilen s. R G H R R 1938 Nr. 436. Entsteht ein Schaden, ohne d a ß der Gebäude- oder Werkteil in seinem eigenen inneren Zusammenhalt irgendwie verändert oder im Zusammenhange mit dem Ganzen gelöst oder auch nur gelockert ist, so kann von Anwendung des § 836 nicht die Rede sein (Herabgleiten eines Rolladens in den Führungen, R G WarnRspr 1909 N . 101; Zuschlagen einer T ü r u. a.).
Anm. 6 Zur Anwendung des § 836 ist weiter erforderlich, d a ß der Einsturz oder die Ablösung die — adäquate — Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Erhaltung ist. Nicht vorausgesetzt ist, d a ß die fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Erhaltung die a l l e i n i g e Ursache des Einsturzes oder der Ablösung war ( B G H L M § 836 Nr. 4 ) ; es kann u n d wird häufig die Einwirkung menschlicher Tätigkeit — sei es die des Verletzten selbst oder die eines Dritten — hinzukommen, damit die Ablösung sich vollzieht (Auftreten, Anstoßen, Anlehnen usw.) (RG W a r n R s p r 1913 Nr. 365; 1919 Nr. 169; 1920 Nr. 12; R G H R R 1929 Nr. 1313.) Die durch § 836 geforderte Fürsorge f ü r eine gefahrlose Beschaffenheit von Eigentumsgegenständen ist daher näher dahin zu bestimmen, daß, wer ein Gebäude oder ein Werk im Sinne des § 836 herstellen läßt, bei seiner Errichtung u n d Unterhaltung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufzuwenden hat, so d a ß es bei ordnungsmäßiger Benutzung oder bei der nach Lage der Sache vorauszusehenden Behandlung nach seiner Beschaffenheit genügende Widerstandsfähigkeit gegen die Ablösung von Teilen bietet (RG WarnRspr 1913 Nr. 365). I n jedem Fall aber m u ß die Ursache des Einsturzes oder der Ablösung wesentlich und entscheidend in der fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung liegen. Bei planmäßigem A b r e i ß e n o d e r S p r e n g e n eines Gebäudes oder Werks fehlt es an dieser Voraussetzung. Der G e s c h ä d i g t e h a t n u r z u b e w e i s e n , d a ß der Einsturz oder die Loslösung gegenständlich (objektiv) die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Erhaltung war, nicht auch, d a ß dieser Fehler auf ein Verschulden des in Anspruch genommenen Eigenbesitzers oder überhaupt auf ein Verschulden von irgend j e m a n d zurückzuführen ist ( R G J W 1907, 16 19 ; WarnRspr 1920 Nr. 12; H R R 1929 Nr. 1313; B G H L M § 836 Nr. 4 ; B G H N J W 1954, 913, 914; B G H VersR 1956, 627, 629). Ist der Einsturz des Gebäudes oder Werkes oder die Loslösung von Teilen unmittelbar durch W i t t e r u n g s e i n f l ü s s e herbeigeführt, so kommt es darauf an, ob diese Witterungseinflüsse regelmäßige Einwirkungen sind, auf die nach der Erfahrung zu rechnen war u n d denen ein Gebäude oder Werk bei fehlerloser Errichtung und ordnungsmäßiger Unterhaltung standhalten muß, oder ob es sich u m ein außergewöhnliches Naturereignis handelt (RG J W 1936, 2913 7 ; 1938, 1254; L Z 1921, 454»; B G H VersR 1956, 627, 629), dem auch ein fehlerlos errichtetes u n d ordnungsmäßig unterhaltenes Werk nicht standzuhalten vermöchte (RG 76, 262; WarnRspr 1913 Nr. 365). I m ersteren Falle beweist gerade die Lösung der Verbindung des Gebäudes oder Werkes oder Gebäude- oder Werkteils infolge der Witterungseinwirkung die Mangelhaftigkeit der Anlage oder der Unterhaltung; im anderen Falle fehlt es an der Voraussetzung des § 836 (RG J W 1908, 196 10 ; WarnRspr 1913 Nr. 417). Vgl. auch § 908 Anm. 3.
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§ 836 Anm. 7—10
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 7 1. Die zu ersetzenden Schäden: Durch den Einsturz des Gebäudes oder Werkes oder die Loslösung von Teilen dieser muß ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt sein, wenn eine Schadensersatzpflicht aus § 836 entstehen soll. Auf andere Schäden, z. B. wenn ein Mensch infolge des Einsturzes eines Gebäudes in den verschütteten Keller eingeschlossen und seiner Freiheit beraubt wird, erstreckt sich § 836 nicht. Anm. 8 2. Ursachenzusammenhang zwischen Einsturz oder Ablösung von Teilen und Schaden: Die Tötung, Körper- oder Gesundheitsverletzung oder Sachbeschädigung muß in adäquatem Ursachenzusammenhang mit dem Einsturz oder der Ablösung von Teilen stehen. Dazu ist nicht erforderlich, daß diese Schäden unmittelbar und auch zeitlich sofort durch den Einsturz oder die Ablösung hervorgerufen worden sind, indem die Trümmer einen Menschen begraben, ein sich ablösender Stein ihm auf den Kopf fällt; der ursächliche Zusammenhang ist auch gegeben, wenn infolge der Ablösung, z. B. der Unterlagen eines Bodenbelags oder einer Luken- oder Falltürdecke der Mensch oder die Sache abstürzt und durch diesen Sturz verletzt wird (RG 5a, 236; 97, 1 1 2 ; J W 1905, 370 10 ; WarnRspr 1913 Nr. 417), oder wenn durch die Beseitigung des Befestigungsmittels ein Zustand geschaffen wurde, der mit Notwendigkeit in kürzerer oder längerer Frist den Einsturz oder die Loslösung bewirken muß (RG WarnRspr 1913 Nr. 365). Immerhin muß es aber die bewegend w i r k e n d e K r a f t des Einsturzes oder der Loslösung von Teilen sein, die die Verletzung herbeiführt (RG Recht 1910 Nr. 3921; s. auch R G 172, 156, 161). Es fällt daher nicht unter §836, wenn infolge des Ausströmens von Gas aus einer geborstenen Gasleitung ein Feuerschaden oder eine Explosion entsteht (RG 172, 156, 161) oder durch Einatmen des Gases ein Mensch an Leben oder Gesundheit beschädigt wird; wohl aber, wenn infolge eines Wasserrohr- oder Deichbruchs ausströmendes Wasser den Schaden bewirkt (RG 97, 112; R G WarnRspr 1913 Nr. 417; R G DR 1940, 723 a ). In R G 147, 353, 356 und J W 1938, 1254 hat das R G die Bestimmung des § 836 auch in den Fällen angewandt, in denen ein Hochspannungsdraht gerissen und ein Mensch dann später durch Berührung des noch unter Strom stehenden Drahtes getötet oder verletzt worden war. Hiergegen bestehen Bedenken, weil in diesen Fällen die mit dem Abreißen des Drahtes (der Ablösung von Teilen eines Werkes) einhergehende Bewegung bereits völlig zum Stillstand gekommen war und nunmehr unabhängig davon durch Berührung mit dem längst vorher abgelösten und in Ruhe befindlichen Draht der Schaden entstanden ist (vgl. R G WarnRspr 1913 Nr. 417). Für Unfälle, die durch Gas- oder Stromleitungen hervorgerufen werden, vgl. jetzt den mit Wirkung v. 1.9. 1943 eingefügten § 1 a RHaftpflG. Ein Vertragsverhältnis zwischen dem (Eigen-) Besitzer und dem Geschädigten schließt die Haftung des ersteren aus § 836 nicht aus. Anm. 9 3. Schuldhafte Mitverursachung des Schadens durch den Verletzten, die vom Gegner zu beweisen ist, kann selbstverständlich berücksichtigt werden und gemäß § 254 zur Minderung oder gar zum Ausschluß der Haftung führen. Zum Mitverschulden eines Mieters, der den Vermieter nicht auf eine drohende Gefahr hingewiesen hat, s. BGH NJW 1951, 229. VII. Der Kreis der Ersatzpflichtigen Anm. 10 1. Der gegenwärtige Eigenbesitzer: Entschädigungspflichtig nach §836 ist nicht der Eigentümer, dem u. U. die Möglichkeit der Fürsorge für die Sache fehlt, sondern der Eigenbesitzer (Abs. 3), mithin diejenige natürliche oder juristische Person, die das Gebäude oder das Werk als ihr gehörend oder wie ihr gehörend besitzt (§ 872; R G J W 1916, 395) und die sowohl mittelbarer wie unmittelbarer Besitzer (§ 868) sein kann. Der Eigenbesitz ist die durch den Willen des Besitzers, die Sache nicht nur tat1428
Unerlaubte Handlungen
§836 Anm. 11—13
sächlich, sondern auch rechtlich als ihm gehörend zu beherrschen, besonders geartete Besitzform (§ 872 Anm. 1). Der Eigenbesitz an einem Grundstück schließt daher nicht ohne weiteres den Eigenbesitz an allen von dem Grundstück ausgehenden Werken mit allen ihren Teilen ein, sondern nur bei einem auch diese Teile umfassenden Besitzwillen ( B G H LM § 836 Nr. 9). Der Eigenbesitz des Erblassers geht ohne weiteres auf den Erben über (§ 857; B G H L M § 836 Nr. 6). Der „Fremd-Besitzer" haftet niemals unmittelbar nach § 836, aber möglicherweise nach § 838; so auch der gem. MilRegG Nr. 5a bestellte Treuhänder (custodian) ( B G H 2 1 , 285). Den Eigenbesitz des in Anspruch Genommenen muß der Geschädigte beweisen ( B G H L M § 836 Nr. 9). Hat der Geschädigte außerdem Verschulden des (Eigen-) Besitzers bewiesen, so haftet dieser auch nach § 823 Abs. 1.
Anm. 11 2. D e r f r ü h e r e E i g e n b e s i t z e r : Der Haftung des gegenwärtigen (Eigen-) Besitzers fügt Abs. 2 noch die weitere des früheren (Eigen-) Besitzers hinzu, die an die vom Geschädigten nachzuweisende Voraussetzung gebunden ist, daß der Einsturz oder die Ablösung innerhalb eines Jahres nach Beendigung seiner Besitzzeit (§§ 187, 188) eingetreten ist. Die Verantwortlichkeit des gegenwärtigen und des früheren (Eigen-) Besitzers stehen selbständig nebeneinander. Wegen des dem früheren Besitzer offenstehenden Entlastungsbeweises s. Anm. 17.
Anm. 12 3. M e h r e r e E r s a t z p f l i c h t i g e : Mehrere gegenwärtige Eigenbesitzer haften nach •§ 840 Abs. 1 als Gesamtschuldner. Das gleiche gilt für mehrere frühere Besitzer, deren — gleichzeitige oder aufeinanderfolgende — Besitzzeit noch in das letzte J a h r vor dem Einsturz oder der Ablösung fällt, und für die Haftung von gegenwärtigen oder früheren Besitzern nebeneinander. Im Innenverhältnis richtet sich die Ausgleichung nach den vertraglichen Beziehungen der Beteiligten, mangels solcher nach § 426. Für den Fall, daß für den Schaden auch jemand aus § 838 haftet, s. daselbst Anm. 4. Ist noch ein sonstiger Dritter etwa aus §823 oder aus §831 für den Schaden verantwortlich, so gilt ebenfalls gesamtschuldnerische Haftung nach § 840 Abs. 1. Für die Ausgleichung untereinander gilt jedoch in diesen Fällen § 840 Abs. 3, so daß der Dritte imVerhältnis zu dem (den) Besitzer(n) den Schaden allein zu tragen hat.
VIII. Der Entlastungsbeweis Anm. 13 Der zur Widerlegung der Schuldvermutung von dem in Anspruch genommenen Besitzer zu führende Beweis, daß ihn ein Verschulden nicht treffe, hat sich darauf zu
richten, daß er zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die i m Verkehr erforder-
l i c h e S o r g f a l t beobachtet hat. Dieser Beweis geht weiter als der aus § 831 BGB zu führende; er steht der in § 833 Satz 2 geregelten Haftung des Halters von Haustieren gleich ( R G J W 1913, 867 1 2 ; R G WarnRspr 1916 Nr. 278; R G L Z 1921, 226 1 »; R G H R R 1935 Nr. 1515). Der gegenwärtige Besitzer genügt seiner Beweispflicht, wenn er dartut, daß er während seiner Besitzzeit die zur Verhütung von Gefahren verkehrsüblichen und erforderlichen Maßnahmen getroffen hat; auf die Sorgfalt des Vorbesitzers erstreckt sich seine Beweispflicht nicht (RG J W 1904, 487 1 1 ). Hat er selbst das Gebäude oder das Werk errichten lassen, so hat sich der von ihm zu führende Beweis auf die Sorgfalt bei der Errichtung wie bei der Unterhaltung zu beziehen; hat er es fertig übernommen, so kommt nur die letztere in Frage. Was zur Abwendung der Gefahr zu geschehen hat, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Da der Besitz ohne weiteres auf den Erben übergeht, darf sich der (Allein- oder Mit-) Erbe, sobald er Kenntnis von dem Erbfall erlangt, nicht untätig verhalten, sondern muß die zur SicherungTdritter Personen notwendigen und ihm zumutbaren Maßnahmen treffen. E r kann sich auch nicht mit dem Hinweis entlasten, das ererbte Grundstück werfe keinen Gewinn ab ( B G H L M § 836 Nr. 6).
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§ 836 A n m . 14, 1 5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 14 Die Sorgfalt bei der Errichtung wird sich für den Besitzer, der nicht selbst Sachverständiger ist, in der Auswahl tüchtiger Sachverständiger zur Herstellung des Gebäudes oder Werkes erschöpfen ( R G 76, 260; J W 1932, 1208 10 ; WarnRspr 1909 Nr. 302; L Z 1921, 226 10 ; 1922, 232®; B G H L M § 836 Nr. 8). Dies gilt nicht, soweit der Besitzer trotz mangelnder besonderer Sachkunde selbst in der Lage ist, eine von dem Werk Dritten drohende Gafahr zu erkennen ( R G L Z 1916, 1240 11 ). Ist er selbst Sachverständiger, so kann ihn ein Verschulden treffen, wenn er auf einen Fehler des Bauplans oder der Ausführung nach Lage der Umstände hätte aufmerksam werden müssen. Aber auch der Laiejst, wenn er eine für Dritte möglicherweise gefahrbringende Einrichtung herstellen läßt, verpflichtet, das hergestellte Werk sich darauf anzusehen, ob es ordnungsmäßig ausgeführt ist ( R G J W 1932, 1208 10 ). Die baupolizeiliche Abnahme enthebt den Besitzer nicht schlechthin der Verantwortung; sie bietet lediglich eine gewisse Gewähr, daß die baupolizeilichen Vorschriften beobachtet sind ( R G J W 1909, 275 1 0 ; L Z 1921, 226 10 ; B G H L M § 836 Nr. 8). Eine fachmännische Nachprüfung der Arbeitsleistung des mit gründlicher Ausbesserung eines Schadens oder mit der Herstellung eines sonstigen Werkes beauftragten Handwerkers ist von dem Besitzer, wenn sich der Fehler in der Ausführung der Arbeit seinem Auge verbarg, aber nicht zu verlangen ( R G J W 1908, 480 12 ; 1932, 1208 10 ). Anm. 15 Die ordnungsmäßige Unterhaltung erfordert die regelmäßige Durchsicht der Gebäude und Werke durch zuverlässige Sachverständige, deren Wiederkehr sich nach der Beschaffenheit und örtlichen Lage der Gebäude und Werke zu richten hat; bei besonders Wind und Wetter ausgesetzten, nach der Straßenseite belegenen Gebäudeteilen ist eine öftere Durchsicht erforderlich als unter gewöhnlichen Verhältnissen ( R G J W 1904, 91 1 0 ; 1916, 190 8 ; B G H L M §836 Nr. 8). Verpflichtung des Grundstückeigentümers, das Hoftor (Schiebetor) innerhalb angemessener Frist fachmännisch prüfen zu lassen, s. R G J W 1931, 344614. Bei einer in den Luftraum über einer öffentlichen Straße hinüberragenden Vorrichtung, z. B. einer Markise, ist mindestens jährlich eine Prüfung des Zustandes der Vorrichtung zu fordern ( R G J W 1931, 1942). Es ist unter gewöhnlichen Umständen kein Verschulden, wenn der Besitzer das erst ein halbes Jahr vor dem Unfall errichtete Gebäude in der Zwischenzeit nicht durch einen Sachverständigen hat untersuchen lassen und die Überwachung einem zuverlässigen Mieter übertragen hatte ( R G J W 1907, 45 4 ; ähnlich L Z 1918, 843 12 ). Auch darf sich der für die Standfestigkeit eines Schornsteins verantwortliche Besitzer nicht allein darauf verlassen, daß der Bezirksschornsteinfeger den Schornstein regelmäßig auf seine Feuerfestigkeit überprüft ( B G H L M § 836 Nr. 8). Die Beauftragung eines an sich fachtüchtigen Sachverständigen mit regelmäßigen Nachprüfungen genügt nicht, wenn der Besitzer nicht überzeugt ist und sein kann, daß jener den Auftrag auch gehörig ausführt ( R G J W 1906, 336 12 ). Ebenso kann sich der Besitzer nicht durch Berufung auf Sachverständige oder auf den Bescheid einer Baubehörde entlasten, wenn er den gefahrdrohenden Zustand selbst kannte ( R G 7. 5. 1906 IV 321/05; B G H 1, 103, 106). Nach erlangter Kenntnis von der Gefahr sind u. U. sofortige Schritte zu deren Abwendung geboten ( R G WarnRspr 1914 Nr. 55). Wie hinsichtlich der Errichtung, so enthebt auch hinsichtlich der Unterhaltung die baupolizeiliche Abnahme den Besitzer nicht schlechthin der Verantwortung. E r h ö h t e S o r g f a l t kann geboten sein mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit und Zweckbestimmung des Gebäudes und seiner Einrichtungen; ein Gebäude, das dem ständigen Verkehr des Publikums (Gerichtsgebäude, Postgebäude, Bahnhofsgebäude, Theater, Kinos, Gasthäuser) oder von Kindern (Schulgebäude) dient, muß in allen seinen Teilen den diesen Zwecken entsprechenden Anforderungen genügen; öftere Besichtigungen durch Sachverständige sind hier geboten (vgl. R G J W 1916, 190 8 ; L Z 1921, 226 10 und 4546; B G H VersR 1955, 692). Ist der Besitzer eine K ö r p e r s c h a f t , so ist es für den nach § 836 zu führenden Entlastungsbeweis gleichgültig, ob der Beamte, dem das Verschulden bei der mangelhaften Errichtung oder Unterhaltung zur Last fallen würde, ein Vertreter nach §§ 30, 31, 89 oder ein Angestellter im Sinne des § 831 ist; der Inhalt des zu führenden Nachweises zur
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Unerlaubte Handlungen
§836
A n m . 16
Widerlegung der Schuldvermutung des § 836 bleibt in beiden Fällen der gleiche (RG J W 1913, 867 12 ; RG H R R 1928 Nr. 1978). Entsprechend ist die Verantwortung einer Aktiengesellschaft, die an verschiedenen Orten Deutschlands Fabriken besitzt, für das Tun und Lassen der örtlichen Leiter zu beurteilen (RG H R R 1935 Nr. 1515). Ein abwesender oder sonst verhinderter Besitzer kann die Überwachung, wenn eine Durchsicht oder eine Ausbesserung des Gebäudes erforderlich wird, auch einem zuverlässigen Hausverwalter übertragen und durch den Beweis der Sorgfalt in dessen Auswahl und Unterweisung den Nachweis der von ihm erforderten Sorgfalt führen (RG WarnRspr 1910 Nr. 333; RG J W 1932, 1210 1 1 ). Da auch Hausruinen zu den „Gebäuden" zählen (s. Anm. 2), kann beim Einsturz von Ruinen oder bei der Ablösung von Ruinenteilen eine Haftung aus § 836 eintreten. Zwar dürfen an die Sorgfaltspflichten der Besitzer von Trümmergrundstücken keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (BGH 1, 103, 105; OLG Frankfurt VersR 1951, 103; OLG Düsseldorf VersR 1952, 134; OLG Köln VersR 1954, 24). Im allgemeinen darf der Besitzer sich auf gutachtliche Äußerungen der maßgeblichen Baubeamten über die Standfestigkeit der Trümmer verlassen (OGH 3, 135, 138; BGH aaO; OLG Düsseldorf aaO). Auch darf er darauf vertrauen, daß von der Stadtgemeinde veranlaßte Abbrucharbeiten auf seinem Grundstück so ausgeführt werden, daß nicht schon ganz kurz darauf wieder ein Gefahrenzustand entsteht (BGH VersR 1953, 479). Er handelt jedoch schuldhaft, wenn er Auflagen des Bauaufsichtsamts zur Beseitigung von Trümmerteilen nicht nachkommt (BGH 1, 103). Auch ist er, wenn Gebäudetrümmer behördlicherseits in Anspruch genommen und beschlagnahmt worden sind, nicht ohne weiteres von seiner Haftung aus § 836 frei; er muß gegebenenfalls bei der zuständigen Behörde auf einen Gefahrenzustand hinweisen und auf Beseitigung drängen (BGH L M § 836 Nr. 4). Zu den Sorgfaltspflichten einer Stadtgemeinde als Eigenbesitzerin eines Trümmergrundstücks an einer verkehrsreichen Straße s. BGH L M § 836 Nr. 5. Mit fortschreitender Normalisierung der allgemeinen Verhältnisse sind die Anforderungen an die Besitzer von Ruinengrundstücken wieder zu verschärfen. Insbesondere sind dann, wenn ein Trümmergrundstück wiederhergestellt wird, wieder normale Anforderungen an die^Sorgfaltspflichten bei der Errichtung und Unterhaltung zu stellen (BGH VersR 1956, 175, 176). Bei Schäden durch Einsturz von Gebäudetrümmern oder Ablösung von Trümmerteilen kann sich auch eine Haftung der Gemeinde aus § 839 i. V. m. Art. 34 GG ergeben, wenn z. B. ihre Beamten unrichtige Erklärungen über die Standfestigkeit der Trümmer abgegeben, Abbrucharbeiten nicht gehörig überwacht und abgenommen oder trotz Vorstellungen der Besitzer keine Schutzmaßnahmen veranlaßt haben (vgl. OGH 3, 135; BGH VersR 1953, 479; OLG Düsseldorf MDR 1952, 357). Eine Amtspflichtverletzung liegt aber nicht schon darin, d; 0 in einer Großstadt ein Parkplatz für Kraftwagen vor einem Trümmergrundstück eingerichtet wird, wenn und soweit nach dem Gutachten zuverlässiger Baufachleute kein» Einsturzgefahr besteht (BGH L M § 839 [Fe] Nr. 1). Anm. 16 Der Entlastungsbeweis des Abs. 1 Satz 2 des § 836 ist abweichend von den §§831, 832, 833, 834 nur dahin gerichtet, daß der Besitzer zur Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat, nicht auch darauf, daß der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Nach dem in § 832 Anm. 14 Gesagten ist auch dieser Nachweis dem Besitzer selbstverständlich nicht verwehrt, der den ursächlichen Zusammenhang seines Verschuldens mit dem eingetretenen Schaden aufhebt. Ist z. B. zwar nachgewiesen, daß die Ablösung eines Gebäudeteils auf einen Fehler in der Errichtung zurückzuführen ist, und ist der beklagte Besitzer den Nachweis schuldig geblieben, daß er auf die Unterhaltung die gehörige Sorgfalt verwendet habe, tut er aber dar, daß der Fehler verborgen und auch bei regelmäßiger sorgfältiger fachmännischer Nachprüfung nicht hätte entdeckt werden können, so muß die Klage gegen ihn ebenso versagen, wie wenn er den Nachweis der regelmäßigen Nachprüfungen geführt hätte. Dieser ursächliche Zusammenhang fällt nicht mit demjenigen zwischen dem vermuteten Verschulden und dem Schaden zusammen, wie das angeführte Beispiel zeigt (vgl. RG L Z 1922, 232"; BGH L M § 836 Nr. 4). 1431
§ 836 Anm. 17 § 837 Anm. 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 17 Jeder frühere Besitzer kann sich durch den Nachweis befreien, daß er während seiner Besitzzeit bei der Errichtung des Gebäudes oder Werkes, wenn sie von ihm ausging, und bei deren Unterhaltung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe, oder daß der Unfall und Schaden vermieden worden wäre, wenn ein späterer Besitzer seine Schuldigkeit in der Unterhaltung des Gebäudes oder Werkes getan hätte; er muß mithin die Verabsäumung der Sorgfalt durch den späteren Besitzer dahin dartun, daß dieser in der Lage war, für die Abwendung der Gefahr Sorge zu tragen. Daß er dies unterlassen, ist nicht nachzuweisen, da feststeht, daß die Gefahr nicht abgewendet wurde.
§837 Besitzt jemand auf einem fremden Grundstück in Ausübung eines Rechtes ein Gebäude oder ein anderes Werk, so trifft ihn an Stelle des Besitzers des Grundstücks die im § 836 bestimmte Verantwortlichkeit. E I 735 A b s . 2 I I 7 6 0 ; M
2
819; P
2
657.
Ü b ersieht I. Allgemeines II. Einzelfälle III. Mehrere Ersatzpflichtige
Anm
. I . 2 • 3
I. Allgemeines Anm. 1 § 837 setzt eine Ausnahme von der Regel des § 836, indem er an der Stelle des Eigenbesitzers des Grundstücks, auf dem ein Gebäude oder ein mit dem Grundstück verbundenes Werk sich befindet, die Person haften läßt, die auf einem fremden Grundstück in Ausübung eines Rechtes ein Gebäude oder ein anderes Werk besitzt. Voraussetzung für den Tatbestand des § 837 ist mithin einmal, daß ein getrennter Besitz (Eigenbesitz) des Grundstücks und des darauf errichteten Gebäudes oder Werkes stattfindet (RG 59, 8; J W 1910, 653 1 1 ; 1916, 3g 5 ; WarnRspr 1910 Nr. 242), und ferner, daß der Besitzer des Gebäudes oder Werkes dieses in Ausübung eines Rechtes besitzt; auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an. Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, daß in diesen Fällen in erster Linie der Besitzer des Gebäudes oder Werkes berufen und in der Lage ist, die zur Gefahrloshaltung gebotenen Maßnahmen zu treffen. Ob das Recht ein dingliches oder persönliches ist, dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht angehört, ist an sich gleichgültig (RG DR 1940, 2105 1 ); nur muß es so geartet sein, daß die Verantwortung der fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung anstatt dem Eigenbesitzer des Grundstücks dem Besitzer des Gebäudes oder Werkes zufällt (RG 59, 8; R G H R R 1935 Nr. 730). Auch kommt es nicht darauf an, ob das Recht wirklich besteht, wenn es nur wie ein bestehendes ausgeübt wird (RG J W 1916, 39). II. Einzelfälle Anm. 2 Für den M i e t e r eines Hauses treffen die Haftungsvoraussetzungen nicht zu, da er weder zur Unterhaltung des gemieteten Gebäudes verpflichtet ist (hat er Unterhaltung übernommen, kann sich Haftung aus § 838 ergeben), noch das Gebäude abgesondert von dem Grundstück besitzt (RG 59, 8; OLG Frankfurt VersR 1951, 103). Doch haftet der Hausbesitzer als solcher nur dafür, daß die Einrichtungen seines Hauses brauchbar sind und bleiben; für ihre Handhabung ist der Benutzer verantwortlich. Ist 1432
Unerlaubte Handlungen
§ 837 Anm. 3 §838
der Hausbesitzer zugleich Benutzer, so müssen beide Eigenschaften auseinandergehalten werden (RG 113, 286). Der Hauptfall des § 837 ist der, daß jemand in Ausübung eines Rechtes an einem fremden Grundstücke ( N i e ß b r a u c h §§ 1030fr, E r b b a u r e c h t V O über das Erbbaurecht v. 15. 1. 1919 [RGBl 72], G r u n d d i e n s t b a r k e i t in den Fällen der Errichtung und Erhaltung einer baulichen Anlage durch den Berechtigten nach §§ 1020, 1022) ein Gebäude oder ein Werk gemäß § 95 mit diesem verbunden hat. Doch beschränkt sich die Anwendung des § 837 keineswegs auf diesen Fall. Der U n t e r n e h m e r eines B a u e s auf fremdem Grund und Boden ist Besitzer des Baugerüstes, das er mit dem Grundstück verbunden hat, und er besitzt das Gerüst in Ausübung der aus dem Bauvertrage sich ergebenden Vertragsrechte, an denen es nichts ändert, daß die Errichtung des Gerüstes zugleich in Betätigung der aus dem Bauvertrage folgenden Verpflichtungen erfolgte; solange der Bauvertrag besteht, hat er ein Recht zum Halten des Gerüstes auf dem fremden Grundstück (RG WarnRspr 19x0 Nr. 154). Das gleiche gilt für den Maler, der ein Gerüst zum Anstreichen eines Hauses errichtet hat (LZ 1924, 239 1 ). Rutschwand an einem Neubau, die das Anschlagen und Festhaken der mit einer Winde in die Höhe zu befördernden Gegenstände verhindern soll, s. R G H R R 1935 Nr. 730. Der M i e t e r o d e r P ä c h t e r eines Grundstücks, der auf Grund des ihm eingeräumten Vertragsrechts ein Gebäude oder Werk auf dem Grundstück errichtet, das nur er, nicht der Eigenbesitzer des Grundstücks besitzt: so der Pächter eines Landguts, der für seine Vertragszeit auf Grund der Vertragsrechte für seine wirtschaftlichen Zwecke auf dem Pachtgut Anlagen schafft, die unter den Begriff des Gebäudes oder Werkes fallen ( R G J W 1910, 653 1 1 ); ein Mieter eines Platzes, der für eine Ausstellung oder Festveranstaltung ein Wirtschaftszelt oder eine Verkaufs- oder Schaubude in Verbindung mit dem Grundstück aufstellt (RG J W 1916, 1019 7 ; WarnRspr 1909 Nr. 23); der G r a b s t e l l e n i n h a b e r , der den Grabstein auf Grund eines in der Friedhofsordnung geregelten Nutzungsrechts besitzt (OLG Celle VersR 1955, 749); der Besitzer einer e l e k t r i s c h e n L e i t u n g s a n l a g e auf fremdem Grundstück (RG J W 1916, 3g 5 ; R G SeufFArch 79 Nr. 168); die Bundespost hinsichtlich der in Ausübung der sich aus dem Telegraphenwegegesetz ergebenden Rechte auf fremden Grundstücken angebrachten Telegraphenmasten (OLG Stuttgart V R S 7, 246). Sie alle sind Besitzer der Gebäude oder Werke in Ausübung eines Rechtes im Sinne des § 837, sofern sie diese abgesondert von dem Besitz am Grundstück als Eigenbesitzer innehaben; der bloße Mietbesitz genügt nicht, selbst wenn der Mieter die Unterhaltung übernommen hat (RG J W 1916, 1019 7 ). Haftung des Besitzers einer über einen öffentlichen Weg führenden elektrischen Leitung für das Reißen eines Drahtes s. R G J W 1938, 1254 20 (s. dazu § 836 Anm. 8). Wenn eine in einen Deich eingebaute Schleuse von einem anderen als dem Deicheigentümer erbaut ist und unterhalten wird, ist § 837 anzuwenden (RG 24. 3. 1930 V I 249/29).
III. Mehrere Ersatzpflichtige Anm. 3 Hat neben dem nach § 837 Ersatzpflichtigen noch ein anderer (z. B. nach § 823 oder auch möglicherweise als früherer Besitzer nach § 836 Abs. 2) für den Schaden einzustehen, dann haften beide als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis haftet der nach § 823 Ersatzpflichtige gemäß § 840 Abs. 3 allein, während diese Vorschrift auf das Verhältnis zum früheren Besitzer nicht anzuwenden, mithin insoweit § 426 maßgebend ist.
§838 Wer die Unterhaltung eines Gebäudes oder eines mit einem Grundstücke verbundenen Werkes für den Besitzer übernimmt oder das Gebäude oder das Werk vermöge eines ihm zustehenden Nutzungsrechts zu unterhalten hat, ist für den durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen verursachten Schaden in gleicher Weise verantwortlich wie der Besitzer. E I 73 5 Abs. 3 II 761; M 2 819; P a 657.
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§ 83 8 A n m . 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Ubersicht
I. Allgemeines II. Die Unterhaltungspflicht eines Dritten 1. auf Grund „Übernahme" 2. vermöge eines Nutzungsrechts III. Mehrere Ersatzpflichtige
Anm.
i a—3 2 3 4
I. Allgemeines Anm. 1 Während § 837 eine andere Person a n s t a t t des Eigenbesitzers des Grundstücks für den durch einen Einsturz herbeigeführten Schaden haften läßt, schafft § 838 die Haftung eines Dritten n e b e n der des Grundstücksbesitzers aus dem Gesichtspunkte der Unterhaltungspflicht des Dritten für das Gebäude oder das Werk. Ob der unterhaltungspflichtige Dritte Besitzer des Gebäudes oder Werkes ist, ist ohne Belang. Der Wegfall der öffentlich-rechtlichen Pflicht, für den polizeilichen Zustand eines Gebäudes einzustehen, berührt die zivilrechtliche Haftung nach §§ 836, 838 grundsätzlich nicht ( B G H 6, 315). II. Die Unterhaltungspflicht eines Dritten Anm. 2 1. Der erste Fall der hier interessierenden Unterhaltungspflicht ist der, d a ß ein Dritter die Unterhaltung eines Gebäudes oder eines m i t einem Gebäude v e r bundenen Werkes für den Besitzer übernommen hat. Bisher wurde auch hier die Auffassung vertreten, daß eine derartige Übernahme der Unterhaltung nur durch Vertrag möglich sei. In B G H 21, 285 ist jedoch dargelegt, daß ein gesetzliches Schuldverhältnis, welches ähnliche Verpflichtungen wie ein vertragliches Geschäftsbesorgungsverhältnis erzeugt, der vertraglichen Übernahme zumindest dann gleichzustellen ist, wenn die Übernahme der Verpflichtung auf dem freien Willensentschluß des Verwalters beruht. Die genannte Entscheidung bezieht sich auf einen Treuhänder (custodian) nach MilRegG 52; doch ist aaO S. 292 ausdrücklich erörtert, daß dieselbe Rechtslage (persönliche Verpflichtung aus § 838) auch für den Konkursverwalter gilt. Man muß danach nunmehr annehmen, daß für die Anwendbarkeit des § 838 die einseitige, bloß tatsächliche Übernahme jedenfalls dann genügt, wenn der Ubernehmende damit ein eigenes Interesse verfolgt, wie dies z. B. auch bei einem Ehemann der Fall ist, der mit seiner Frau das dieser gehörende Haus bewohnt und die Verwaltung des Hauses übernommen hat. Trotz dieser Ausweitung des „Übernahme"-Begriffes bildet die vertragliche Übernahme der Unterhaltung weiterhin ihren Hauptanwendungsfall. Eine beschränkte Vertragsverpflichtung, ein Werk in Ordnung zu halten, ohne daß eine Verantwortung für Bau- und Werkschäden übernommen wird, genügt allerdings nicht ( R G JW 1916, 10197). Andererseits ist es nicht erforderlich, daß die Unterhaltungspflicht ausdrücklich im Vertrage ausbedungen wird; es genügt, wenn sich die Übernahme dieser Pflicht aus dem Vertrag nach Sinn und Zweck eindeutig ergibt (BGH L M § 836 Nr. 2). Unter den § 838 gehört insbesondere die Übernahme der Unterhaltung eines Hauses durch einen Pächter oder Mieter oder durch einen Hausverwalter oder durch den Ehegatten (vgl. § 1413). Für landwirtschaftliche Baulichkeiten vgl. § 582. Hierher gehört es auch, wenn ein Verwalter die Pflicht übernimmt, die baulichen Mängel eines Gebäudes festzustellen, die Instandsetzungen festzulegen und die Arbeiten ausführen zu lassen, mögen auch die die laufenden Einnahmen übersteigenden Ausgaben der Zustimmung des Eigentümers bedürfen ( B G H 6, 315). Ebenso ist die Gebäudeunterhaltungspflicht hinsichtlich einer Ruine zu bejahen, wenn die Pflicht des Verwalters nur darin besteht, bei Gefahr der Baupolizei Meldung zu erstatten und den kostenlosen Abbruch der einsturzgefährdeten Teile zu veranlassen (BGH L M § 838 Nr. 3). Anders, wenn der Verwalter selbst ohne Rückfrage bei dem Eigentümer und ohne dessen Weisung zu keinerlei Maßnahmen hinsichtlich der Unterhaltung des Gebäudes oder Werkes befugt ist, er auch für Unterhaltungsmaßnahmen keinerlei Mittel zur Verfügung hat und keine Vergütung erhält (BGH L M § 836 Nr. 2). Daß der Vertrag mit dem Besitzer des Grundstücks geschlossen sei, ist nicht schlechthin erforderlich (vgl. § 832 Anm. 8).
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Unerlaubte Handlungen
§ 838 A n m . 3, 4 §839
Anm. 3 2. Der zweite Fall der Unterhaltungspfllicht des §838 ist der, daß sie dem Dritten obliegt vermöge eines i h m zustehenden Nutzungsrechts, das an dem Gebäude allein oder zugleich an dem Grundstücke bestehen kann. Solche Nutzungsrechte sind das Recht des Nießbrauchers (§§ ioioff, namentlich § 1041), das Recht der Eltern am Vermögen der Kinder (§ 1649), bis zum 30. 6. 1958 das Recht des Ehemannes am Vermögen der Ehefrau (§§ 1363, 1373 alter Fassung), auch das Recht des Grunddienstbarkeitsberechtigten in dem Falle, daß ihm an den seinem Rechte dienenden Anlagen kein Besitz zusteht, aber die Unterhaltungspflicht obliegt (§ 1021). III. Mehrere Ersatzpflichtige Anm. 4 Da die in Halbsatz 1 und 2 bezeichneten Personen für den durch Einsturz oder Ablösung von Teilen verursachten Schaden in gleicher Weise verantwortlich sind wie der Besitzer, können beide nebeneinander verantwortlich sein und haften dann nach § 840 Abs. 1 als Gesamtschuldner. Der Besitzer kann aber möglicherweise den nach § 836 ihm obliegenden Beweis dahin führen, daß er sich auf den unterhaltungspflichtigen Dritten habe verlassen dürfen. Dieser hat, da er in gleicher Weise verantwortlich ist wie der Besitzer, den Beweis seines NichtVerschuldens ebenso wie der Besitzer nach § 836 zu führen (RG WarnRspr 1913 Nr. 13). Für die Ausgleichung der mehreren verantwortlichen Personen untereinander gilt §426; §840 Abs. 3 kommt nur zur Anwendung, wenn ein außerhalb des Personenkreises der §§ 836—838 stehender Dritter (z. B. der Erbauer des Gebäudes) mit haftbar ist.
§ 839 Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die i h m einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er d e m Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch g e n o m m e n werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Verletzt ein Beamter bei d e m Urteil in einer Rechtssache seine A m t s pflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung m i t einer iirf Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des A m t e s findet diese Vorschrift keine Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. E I 736 Abs. 1 II 762; M 2 819—828; P a 6j8—664; 6 202—20J.
Ubersicht I. Allgemeine Grundsätze der Beamtenhaftung II. Die Haftung des Staates und der sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften für unerlaubte Handlungen ihrer Beamten A. Die Haftung für unerlaubte Handlungen im Bereich des Privatrechtsverkehrs B. Die Haftung für unerlaubte Handlungen im Rahmen der Ausübung des jemandem anvertrauten öffentlichen Amtes ( = Ausübung der einem Beamten anvertrauten öffentlichen Gewalt) . . 1. Allgemeines a) Geschichtliche Entwicklung b) Rechtszustand unter der Geltung des Art. 34 GG . . . . 92
Komm. 2. BGB, I i . Aufl. II. Bd. (Kreit)
Anm.
i—2 3—30 4 5—30 5—11 6—7 8
1435
§839
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse Anm.
c) Insbesondere die Einschränkungen der Staats- (Körperschafts-) haftung 2. „ J e m a n d " im Sinne des Art. 34 G G 3. Die haftpflichtige Körperschaft 4. „ I n Ausübung eines öffentlichen Amtes" a) Allgemeine Grundsätze b) öffentliche Unternehmungen c) Insbesondere Post und Eisenbahn 5. (Weitere) Einzelfälle der Staats- (Körperschafts-)haftung . . 6. Der Rückgriff gegen den Beamten III. Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen 1. „Beamter" 2. Verletzung einer dem Beamten einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht a) Amtspflichten b) „ . . . einem Dritten gegenüber" c) Einzelfälle 3. Verschulden 4. Ursachenzusammenhang und Schadensberechnung 5. Anhang: Schuldhafte Mitverursachung (mitwirkendes Verschulden) des Verletzten IV. Einzelfälle i- Post 2. Eisenbahn 3. Militär 4. Zoll- und Finanzbeamte 5. Forstbeamte 6. Gesundheitswesen 7. Geistliche 8. Lehrer und Schulverwaltungsbeamte 9. Polizei 10. Straßenverkehrsbehörden 1 1 . Wohnungsbehörden 12. Richter und Justizbeamte a) Richter und Justizbeamte allgemein b) Justizverwaltung c) Prozeßrichter d) Strafrichter e) Staatsanwalt f) Strafregisterführer g) Registerrichter h) Nachlaßrichter i) Vormundschaftsrichter k) Grundbuchrichter (und sonstige Grundbuchbeamte) . . . . 1) Sonstige Richter der Freiwilligen Gerichtsbarkeit m) Vollstreckungsrichter n) Versteigerungsrichter o) Konkursrichter p) Rechtspfleger und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle . . . q) Gerichtsvollzieher r) Anhang: Notare
1436
9—ii 12 13—16 17—25 17—22 23 24—25 26—29 30 31—44 31 32—44 32—39 40—41 42—44 45—49 50—51 52 53—88 53 54 55 56—57 58 59—60 61 62 63 64 65 66—82 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82
§839
Unerlaubte Handlungen
Anm. 1 Anm.
13. Sonstige Beamte V . Abs. i Satz 2 V I . Abs. 2 V I I . Abs. 3 V I I I . Mehrere Ersatzpflichtige; mehrere Geschädigte I X . Beweislast X . Verhältnis zu anderen Bestimmungen X I . Zulässigkeit des Rechtsweges; Nachprüfbarkeit von akten X I I . Sonstige prozessuale Besonderheiten
83—88 89—98 99—102 103—105 106—107 108—112 113 Verwaltungs114—i16 117
I. Allgemeine Grundsätze der Beamtenhaftung Anm. 1 Wenn nicht die Sonderbestimmungen des § 839 gegeben wären, würden auch die Beamten des Staates und der öffentlichen Körperschaften für die in Ausübung des Amtes begangenen u. H. den dadurch geschädigten Personen nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen der §§ 823 ff, insbesondere § 823 Abs. 1 u. 2, § 826, unter Umständen auch des § 831, der gemäß Art. 78 E G nach dieser Richtung landesgesetzlich erweitert werden kann, haften. Dies würde ebenso von den mit der Verwaltung des Staats- oder Gemeindeguts betrauten oder in Unternehmerbetrieben des Staates oder der Gemeinden (Eisenbahnen, Elektrizitätswerke, Bergwerke u. a.), mithin im privaten Geschäftskreis des Dienstherrn beschäftigten Beamten gelten, wie von den in den hoheitlichen Tätigkeitsbereichen des Staates oder der öffentlichen Körperschaften tätigen und mit öffentlicher Gewalt bekleideten Beamten. Für beide Arten von Beamten hat § 839 gegenüber den allgemeinen Bestimmungen eine Erweiterung der Haftung dahin geschaffen, daß sie, auch wenn nicht eins der in §823 Abs. 1 bezeichneten Rechtsgüter eines Dritten oder ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 verletzt ist, und wenn es am Tatbestande einer anderen u. H., etwa des § 824 oder des § 826 fehlt, für jedweden Schaden haften, den sie durch die Verletzung einer Amtspflicht, die ihnen Dritten gegenüber obliegt, diesen Dritten schuldhaft zufügen. Die Erweiterung schließt die engeren Tatbestände der bezeichneten Gesetze ein, so daß auch die u. H. der Beamten nach §§ 823 ff, sofern sie die Verletzung einer dem Beamten Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht enthalten, unter § 839 fallen und für eine Anwendung der Bestimmungen der §§ 823 fr mit § § 3 1 , 89 oder 831 kein Raum ist ( R G 139, 149, 152; 154, 117; 164, 5; 166, 1, 4; R G H R R 1933 Nr. 1535; B G H 3, 94, 101). Das gilt auch für § 832 ( B G H 13, 25) und — soweit es um Haftung aus Verschulden geht — für §833 ( R G DJ 1936, 188); ebenso für § 18 S t r V G ( R G 125, 98; 140, 415, 418; B G H N J W 1958, 868 und 1959, 985; wegen der Beweislast in diesem Fall s. Anm. 110). Die reine G e f ä h r d u n g s h a f t u n g z . B. nach §833 S. 1 oder §§ 7 f f S t r V G bleibt hingegen neben der aus §839 bestehen ( R G 145, 177, 181; 156, 257; R G H R R 1937 Nr. 1167; B G H 1, 388, 391; 29, 38). Andererseits wird durch die Tatbestandsmerkmale des § 83g eine Einschränkung der nach dieser Richtung allgemeinen Tatbestände der §§ 823 ff gesetzt, und zwar wird die Haftung des Beamten für Verletzung der Amtspflicht durch § 839 in dreifacher Weise beschränkt: a) Der Beamte haftet aus einer fahrlässigen Verletzung der Amtspflicht nur hilfsweise, n a c h der sonst etwa für denselben Schaden verantwortlichen Person (Abs. I Satz 2; s. Anm. 89—98); b) der Spruchrichter hat für die Verletzung einer Amtspflicht bei einem U r t e i l in e i n e r R e c h t s s a c h e nur einzustehen, wenn die Pflichtverletzung mit öffentlicher Strafe bedroht ist (Abs. 2; s. Anm. 99—102); c) die Haftung des Beamten entfällt, wenn der Verletzte schuldhafterweise den G e b r a u c h e i n e s R e c h t s m i t t e l s gegen die Amtshandlung des Beamten, der den Schaden abgewendet haben würde, u n t e r l a s s e n h a t (Abs. 3; vgl. Anm. 103—105).
1487
§ 839 A n m . 2—4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Asm. 2 F ü r die H a f t u n g des B e a m t e n , der eine i h m e i n e m D r i t t e n g e g e n ü b e r o b l i e g e n d e A m t s p f l i c h t v e r l e t z t , ist ausschließlich § 839 m a ß g e b e n d . Der Grundsatz, daß § 839 nicht mit §§ 823 ff zusammentreffen kann, bezieht sich natürlich nur auf eine und dieselbe Handlung eines bestimmten Beamten. Ist der Schaden durch mehrere Personen verursacht, von denen die eine als Beamter ihre Amtspflicht verletzt, die andere als Nichtbeamter eine u. H . begangen hat, so gelten für jene die Vorschriften des § 839, für diese die der §§ 823 ff, was auch zu einer verschiedenen Beurteilung der Haftung des Staates (s. Anm. 3 ff), der für beide in Anspruch genommen wird, führen kann (RG 151, 385). Dasselbe Haftungszusammentreffen kann eintreten, wenn ein bestimmtes Verhalten eines Beamten sich ausnahmsweise zugleich als u. H. innerhalb des bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreises seines öffentlichen Dienstherrn nach §§ 823 ff und als eine in Ausübung öffentlicher Gewalt begangene Amtspflichtverletzung (s. Anm. 17fr) darstellt (RG 155, 257, 272; RG D R 1944, 79; B G H LM §823 [De] Nr. 19; B G H VersR 1956, 320). Wegen der V e r j ä h r u n g s. §852, insbesondere Anm. 12. II. Die H a f t u n g des Staates und der s o n s t i g e n öffentlich-rechtlichen Körperschaften für unerlaubte Handlungen ihrer B e a m t e n Anm. 3 In diesem Zusammenhang wird es angesichts der vom Gesetz getroffenen Regelung (vor allem Artikel 34 GG) notwendig, z w i s c h e n u. H. d e r B e a m t e n b e i W a h r n e h m u n g der b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e n I n t e r e s s e n im Bereich des P r i v a t r e c h t s v e r k e h r s u n d s o l c h e n „ i n A u s ü b u n g e i n e s ö f f e n t l i c h e n A m t e s " („Ausübung öffentlicher Gewalt" vgl. Anm. 17—25) zu u n t e r s c h e i d e n (vgl. auch R G 164, 1, 4ff). A . Die H a f t u n g für unerlaubte Handlungen i m Bereich des Privatrechtsverkehrs Anm. 4 Bei u. H. i m Bereiche des Privatrechtsverkehrs (s. Anm. 1) muß sich die öffentliche Körperschaft die Beurteilung der Handlungen ihrer Beamten nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes (§§823 ff) gefallen lassen. Infolgedessen haftet die Körperschaft für u. H. eines Beamten, wenn dieser „verfassungsmäßig berufener Vertreter" ist, nach §§823 ff, 31, 8g, wenn er nicht verfassungsmäßig berufener Vertreter ist, nach §831. Die besondere Regelung des § 839 mit seiner Haftungsbeschränkung und -erweiterung findet insoweit weder zugunsten noch zuungunsten der öffentlichen Körperschaft Anwendung (RG 131, 239, 248; 147, 275; 148, 286, 292; !55> 257> 266ff; 162, 129, 161; B G H M D R 1952, 674, 676; aA S ü s t e r h e n n - S c h ä f e r VerfRhldPf 1950 S. 442 und F r i e s e n h a h n Recht—Staat—Wirtschaft 2, 279, die Artikel 34 GG auch im Bereich des Privatrechtsverkehrs der öffentlichen Körperschaften eingreifen lassen wollen). Weil der öffentlich-rechtliche Dienstherr im Rahmen der Organhaftung aus §§ 823fr, 31, 89 und der Haftung aus § 831 n i c h t b e s s e r , a b e r a u c h n i c h t s c h l e c h t e r g e s t e l l t werden soll a l s d e r p r i v a t e D i e n s t h e r r , stellt auch die Verwirklichung des Tatbestandes einer Amtspflichtverletzung als solche noch keine widerrechtliche Schadenszufügung im Sinne des § 831 dar und kann auch § 839 nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 angesehen werden (RG 131, 239, 250; 162, 129, 161/2; B G H M D R 1952, 674, 676). Für die Haftung des Beamten selbst — und zwar hier nur des Beamten im staatsrechtlichen Sinne (s. Anm. 31) — bleibt es auch hier bei der Anwendung des § 839 (s. Anm. 1 und R G 147, 275, 278; 155, 257, 268f). Er haftet also angesichts § 839 Abs. 1 Satz 2 bei nur fahrlässiger Amtspflichtverletzung nicht, wenn der Geschädigte von dem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn des Beamten Ersatz verlangen kann; bei vorsätzlichem Handeln tritt seine Haftung neben die des Dienstherrn (RG 155, 257, 269, 273). Stellt die Amtspflichtverletzung keine u. H. im allgemeinen Sinne dar oder hat die aus § 831 in Anspruch genommene Körperschaft den Entlastungsbeweis geführt, dann haftet der Beamte allein.
1438
Unerlaubte Handlungen
§839 Anm. 5, 6
B. Die Haftung für unerlaubte Handlungen im Rahmen der Ausübung des jemandem anvertrauten öffentlichen Amtes ( = Ausübung der einem Beamten anvertrauten öffentlichen Gewalt) 1. Allgemeines Anm. 5 Wird die Amtspflichtverletzung von d e m Beamten „ i n A u s ü b u n g e i n e s i h m a n v e r t r a u t e n ö f f e n t l i c h e n A m t e s " begangen, d a n n haftet a n seiner Stelle der Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Die R e c h t s g r u n d l a g e d a f ü r bildet jetzt A r t i k e l 3 4 G G : „Verletzt j e m a n d in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die i h m einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. F ü r den Anspruch auf Schadensersatz u n d f ü r den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen w e r d e n . " D a bei den meisten Amtspflichtverletzungen die Voraussetzungen der Staats(Körperschafts-)haftung gegeben sind, treten hinter ihr die Fälle der persönlichen H a f t u n g des Beamten a n Bedeutung völlig in den H i n t e r g r u n d .
a) Geschichtliche Entwicklung Anm. 6 Hinsichtlich des von Beamten in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt (s. d a r ü b e r R G 84, 27; 9 1 , 273 u. 347; B G H 9, 145; 16, 111, 1 1 3 ; 20, 102, 104 u n d unten A n m . 17ff) verursachten Schadens enthält Artikel 77 E G einen V o r b e h a l t f ü r d i e L a n d e s g e s e t z g e b u n g , der dieser sowohl die Regelung einer H a f t u n g des Staates, der Gemeinde oder des K o m m u n a l v e r b a n d e s f ü r ihre Beamten, wie a u c h der H a f t u n g der Beamten selbst, sofern eine H a f t u n g des Staates oder des K o m m u n a l verbandes landesgesetzlich eingeführt war. überließ. Entsprechend diesem Vorbehalt f ü r die Landesgesetzgebung hat die M e h r z a h l der Bundesstaaten die H a f t u n g des Staates, der Gemeinden u n d Gemeindeverbände f ü r den von ihren Beamten in Ausü b u n g der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt zugefügten Schaden angeordnet, u n d zwar B a y e r n in Artikel 60, 61 A G BGB, W ü r t t b g . in Artikel 188, 190 (früher Artikel 202—204) A G BGB idF v. 29. 12. 1931 (RegBl S. 545), B a d e n in Artikel 4 A G BGB i d F v. 13. 10. 1925 (GVB1 S. 281), H e s s e n in Artikel 77—80 A G BGB, O l d e n b u r g im Gesetz v. 22. 12. 1908 (GBl 1907/08, 1110), B r a u n s c h w e i g i m Ges. v. 28. 7. i g i o (GVS S. 305), L ü b e c k im Ges. v. 17. 2. 1 9 1 2 (GS S. 78), B r e m e n im Ges. v. 19. 3. 1921 (GBl S. 101), L i p p e im Ges. v. 28. 11. 1922 (GS S. 910). P r e u ß e n insbesondere h a t d u r c h Ges. v. 1 . 8 . 1909 (GS S. 691) f ü r die von u n m i t t e l b a r e n Staatsb e a m t e n in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt begangene schuldhafte Verletzung einer ihnen Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht die H a f t u n g des Staates u n d ebenso f ü r die Verletzung solcher Amtspflichten seitens ihrer Beamten die H a f t u n g der K o m m u n a l v e r b ä n d e eingeführt. Diese H a f t u n g w u r d e d u r c h ein Nachtragsgesetz v. 14. 5. 1 9 1 4 (GS S. 117) auf Lehrer u n d Lehrerinnen ausgedehnt; dazu R G 152, 385; R G J W 1937, 1 7 2 1 1 8 (Lehrpersonen an höheren Schulen); R G J W 1938, 2 33 5 (Schwimmlehrer a n Volksschulen); O L G Breslau H R R 1942 N r . 73 (Lehrer a n Fortbildungsschulen). Das R e i c h , das zunächst n u r die H a f t u n g des Bundesstaates oder der Körperschaft, der der Beamte angehörte, f ü r die von G r u n d b u c h b e a m t e n begangene schuldhafte Verletzung der Amtspflicht geregelt hatte (§ 12 G B O v. 24. 3. 1897/20. 5. 1898 [vgl. dazu R G 57, 277; 66, 1 0 7 ; 72, 324; J W 1905, 139 1 8 ], außer K r a f t gesetzt d u r c h § 5 der V O v. 3. 5. 1935 [RGBl I, 587]), folgte der preußischen Gesetzg e b u n g u n d schritt zu einer gleichen Regelung der H a f t u n g f ü r die Reichsbeamten i m Gesetz v. 22. 5. 1910 (RGBl 798); dazu § 4 des Ges. v. 30. 6. 1933 (RGBl I, 433). Z u m PrGes. vgl. aus der R e c h t s p r e c h u n g R G 84, 27; 87, 1 1 4 ; 88, 256; 89, 1 3 ; 9 1 , 3 4 1 ; 100, 102; J W 1915, 663 1 6 ; 1 9 1 7 S. 594 2 » u. 633 2 1 , 9 3 1 9 u. 972 1 3 ; W a r n R s p r 1 9 1 7 N r . 1 1 9 u. 208; z u m Reichsgesetz R G 82, 3 1 7 ; 86, 1 1 7 ; 87, 347; 89, 247; 91 S. 9 u.
1439
§ 839 A n m . 7, 8
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
273; 93, '98; 94, 102; 96, 164; 98, 208; 102, 30; 103, 59; 104, 141; 105, 230; WarnRspr 1919 Nr. 186. Ein Verschulden des für seine Beamten haftenden Reiches oder Staates neben dem Amtsvergehen des Beamten setzt die Haftung nach diesen Gesetzen nicht voraus (RG 105, 174). Die Staatshaftung blieb in Preußen und dem Reich (ebenso in verschiedenen anderen Ländern) jedoch ausgeschlossen gegenüber Ausländern, soweit nicht die Gegenseitigkeit verbürgt war (im einzelnen s. Anm. 10), und bei Beamten, die auf den Bezug von Gebühren angewiesen sind, nach dem Pr. Ges. auch bei Amtshandlungen anderer Beamter, für die diese eine besondere Vergütung von den Beteiligten zu beziehen haben. Die Haftung des Reichs blieb ferner ausgeschlossen bei Amtspflichtverletzungen eines mit Angelegenheiten des auswärtigen Dienstes befaßten Beamten, wenn dessen Verhalten nach amtl. Erklärung politischen oder internationalen Rücksichten entsprach (§§ 5, 7 RGes., §§ 1, 7 PrGes.). Mit Rücksicht auf den U b e r g a n g d e r R e c h t s p f l e g e auf d a s R e i c h (vgl. Gesetze v. 16. 2. 1934 RGBl I 91, v. 5. 12. 1934 RGBl I 1214 und v. 24. 1. 1935 RGBl I 68) fand dann gemäß der VO v. 3. 5. 1935 (RGBl I 587) auf Amtspflichtverletzungen von Justizbeamten allgemein das RGes. v. 22. 5. 1910 idF v. 30. 6. 1933 (s. oben) mit Haftung des Deutschen Reiches Anwendung (§ 1 der VO). Sondervorschriften für Grundbuchbeamte, württ. Bezirksnotare, bad. Grundbuchhilfsbeamte s. §§ 2—4. Da die Justizbeamten inzwischen wieder Landesbeamte geworden sind, gelten jetzt für sie wieder die älteren Vorschriften, s. dazu S c h r ö e r DRZ 1948, 228. Anm. 7 Eine verfassungsrechtliche Verankerung des Rechtszustandes brachte zunächst die Vorschrift des Artikel 131 WeimVerf: „Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob." Diese Verfassungsbestimmung stellte nicht nur, wie das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannte, ein Programm für die künftige Gesetzgebung dar, sondern gab u n m i t t e l b a r a n w e n d b a r e s R e c h t und behielt nur die nähere Regelung der zuständigen Gesetzgebung vor (vor allem R G 106, 34; 129, 42; 167, 1, 7f). Art. 131 WeimVerf ist auch während der staatsrechtlichen Wandlungen n a c h i g 3 3 i n G e l t u n g g e b l i e b e n (RG 149, 167, 170; 160, 193, 196) und blieb es a u c h n a c h d e m Z u s a m m e n b r u c h des Jahres 1945 (BGH i, 388; 3, 94; 6, 215 u. a.; F o r s t h o f f Lehrbuch I 7. Aufl. S. 280), soweit nicht eigene landesrechtliche oder zonale Vorschriften (Art. 108 BadVerf, Art. 97 BayVerf, Art. 97 Württ-BadVerf, Art. 136 HessVerf, §43 BiBG [VOBlBrZ 1949, 57]) ergingen. b) Rechtszustand unter der Geltung des Art. 34 GG Anm. 8 An die Stelle des Art. 131 WeimVerf ist nunmehr für die Bundesrepublik und Berlin Art. 34 GG (Wortlaut s. Anm. 5) getreten, der abertrotz des etwas veränderten Wortlauts keine andere Bedeutung hat (Forst hoff aaO; v. M a n g o l d t Anm. 2 zu Art. 34 GG). Wenn es jetzt „öffentlichen Amtes" statt „öffentlicher Gewalt" heißt, so ist das nicht dahin zu verstehen, als ob Art. 34 GG auch nichthoheitliche (fiskalische) Maßnahmen umfasse. Es handelt sich nur um eine Verbesserung des Ausdruckes für das, was in Auslegung des Art. 131 WeimVerf schon die Rechtsprechung des Reichsgerichts (s. unten) angenommen hatte, daß nämlich das Gesetz sich nicht nur auf Fälle obrigkeitlichen Zwanges bezieht, sondern jede Amtsausübung trifft, die sich nicht als Wahrnehmung bürgerlich-rechtlicher Interessen des Staates oder einer sonstigen öffentlichen Körperschaft darstellt. Der Ton liegt nach wie vor auf dem Wort „öffentlich". Vgl. dazu D i c k e r t m a n n MDR 1950, 726; B G H VerwRspr 8 Nr. 141; aA S ü s t e r h e n n S c h ä f e r VerfRhldPf 1950, 442; F r i e s e n h a h n , Recht—Staat—Wirtschaft, 2, 279, während Giese GG 4. Aufl. 1955 Anm. 2 zu Art. 34 seine frühere gegenteilige Meinung
1440
Unerlaubte Handlungen
§839
Anm. 9, 10
aufgegeben hat. Auch die Ersetzung des Wortes „Beamter" in Art. 131 WeimVerf durch „jemand" in Art. 34 G G bedeutet keine sachliche Änderung, sondern trägt nur der in der Rechtsprechung erfolgten Erweiterung des BeamtenbegrifTs im haftungsrechtlichen Sinne über den staatsrechtlichen Beamtenbegriff hinaus Rechnung (dazu unten Anm. 12). Für die Anwendung des Art. 34 GG bleibt daher auch die Rechtsprechung zu Art. 131 WeimVerf von Bedeutung. Aus dem Schrifttum s. dazu K a y s e r , Die Amtshaftung bei Ausübung öffentlicher Gewalt 1939; S c h a c k D R 1943, 632; S c h r ö e r D R Z 1948, 228; H e i d e n h a i n NJW 1949, 841; G ü t z k o w DÖV 1953, 2895 B e t t e r m a n n DÖV 1954, 299; R e i n h a r d t DÖV 1955, 542; T i e t g e n DVB1 1955, 549; W e i t n a u e r , Die Haftung aus Amtspflichtverletzungen 1957; K a y s e r - L e i ß , Die Amtshaftung 1958. Da Art. 34 G G ebenso wie Art. 131 WeimVerf unmittelbar geltendes Recht enthält, sind widersprechende Bestimmungen der Landesverfassungen (z. B. Ausschluß des Rechtsweges vor den Zivilgerichten in Art. 108 BadVerf) aufgehoben (Art. 31 G G ; dazu Z i m n i o k DÖV 1953, 296; teilw. aA F r i e s e n h a h n DVB1 1949, 478, 483). Die Staatshaftung auf Grund Art. 34 G G tritt an die S t e l l e der Eigenhaftung des Beamten, n i c h t n e b e n sie. Das bedeutet, daß der Beamte, soweit die Staatshaftung eintritt, dem Geschädigten nicht haftet (wegen der Rückgriffshaftung s. Anm. 30) und daß ferner die Staatshaftung nur im Rahmen des § 839 und mit den dort bestimmten Einschränkungen Platz greift, so daß sich Voraussetzungen und Umfang der Haftung des Staates mit denen der im BGB geregelten Haftung des Beamten selbst decken (RG 96, 143, 147; 102, 166, 168/9; OGH 3, 135, 140; BGH 9, 65, 67), mithin Haftung des Staates auch nur bei Verschulden und nur unter den Beschränkungen des Abs. 1 Satz 2, des Abs. 2 und des Abs. 3 in § 839 (wegen der Beschränkungen des Abs. 1 Satz 2 aA B e t t e r m a n n DÖV 1954, 299, 304). c) Insbesondere die Einschränkungen der Staats-(Körperschafts-)haftung Anm. 9 Da die Verfassungsvorschriften die Staatshaftung nur „grundsätzlich", aber nicht erschöpfend geregelt haben, sind die landes- und reichsrechtlichen Haftungsvorschriften insoweit in Kraft geblieben, als sie die verfassungsmäßigen Grundsätze durch Regelung im einzelnen ergänzen (aA J e ß , Bonner Komm. Anm. I I 1 zu Art. 34, wonach das Wort „grundsätzlich" hier besagt, daß die Staatshaftung eine ausschließliche sei und nicht durch anderweitige gesetzliche Regelungen angetastet werden könne; ebenso G ü t z k o w DÖV 1953, 289). So sind z. B. in K r a f t g e b l i e b e n ausnahmsweise R e g e l u n g e n f ü r besonders g e a r t e t e B e a m t e n k l a s s e n , so für die Beamten, die ausschließlich auf den Bezug von G e b ü h r e n angewiesen sind (§5 Nr. 1 RGes, § 1 Abs. 3 PrGes, Art. 79 HessAG BGB sowie die in Anm. 6 genannten Ges von Braunschweig, Lübeck, Bremen und Lippe; zum PrGes s. R G 134, 178; R G Gruchot 72, 70) und für die B e a m t e n des A u s w ä r t i g e n A m t e s (RGes §5 Nr. 2; R G 102, 166). Für N o t a r e s. die besondere Regelung in § 21 der Reichsnotarordnung v. 13. 2. 1937 (RGBl I, 191, B G H 9, 289). Weiter ist die Staatshaftung beschränkt (§ 6 des Preuß. und des RGes) in den Fällen des Art. 7 E G HGB, §§485, 486, 735 fr HGB und der §§3, 4 BinnSchG (RG 149, 167; 1 5 1 , 271; R G J W 1936, 2 6 5 3 " ; OGH NJW 1950, 65®; B G H 3, 321, 328—332). Anm. 10 Auch die die Staatshaftung gegenüber Ausländern beschränkenden Vorschriften (§ 7 des Preuß. und des RGes; Art. 60 BayAG BGB; Art. 202 Abs. 3 WürttAG BGB; Art. 5 Abs. 6 BadAG BGB; Art. 80 HessAG BGB und die in Anm. 6 genannten Gesetze von Oldenburg, Braunschweig, Lübeck, Bremen und Lippe) sind in Kraft geblieben (RG i n , 375, 379; 128, 238; 149 83 [Türkei]; R G SeuffArch 84 Nr. 209; OGH NJW 1950, 65 [Schweden]; BGH 13, 241 [Polen]; B G H NJW 1956, 1836 [Belgien]; B G H VersR 1957, 642 [Frankreich]). Eine deutschrechtliche GmbH mit dem Sitze in Deutschland wird aber nicht dadurch zu einer ausländischen, daß ihre Inhaber und Geschäftsführer Ausländer sind und die Geschäftsführung vom Ausland aus besorgt wird (RG H R R 1935 Nr. 9). In Bayern, Altwürttemberg und Altbaden kann nach den zuvor genannten Vorschriften die Befriedigung des an sich entstehenden Amtshaftungs-
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§ 839 A n m . 11, 12
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
anspruchs eines Ausländers verweigert werden, wenn nicht nachgewiesen wird, d a ß im Heimatstaat des Ausländers eine entsprechende H a f t u n g gegenüber Deutschen anerkannt ist. N a c h den f ü r das Reich, f ü r Preußen, Hessen, Oldenburg, Braunschweig, Lübeck, Bremen u n d Lippe ergangenen Bestimmungen tritt die Staats-(Körperschafts-)h a f t u n g gegenüber Ausländern nur bei V e r b ü r g u n g d e r G e g e n s e i t i g k e i t ein, u n d zwar — außer in Hessen — auch nur unter der weiteren Voraussetzung, d a ß die Gegenseitigkeitsverbürgung amtlich bekannt gemacht worden ist; s. dazu R G 149, 83. Rein tatsächliche H a n d h a b u n g der Gegenseitigkeit genügt nicht ( B G H N J W 1956, 1836). V e r b ü r g u n g der Gegenseitigkeit u n d entsprechende Bekanntmachung sind materielle Anspruchsvoraussetzungen. Bei ihrem Fehlen wird deshalb auch die Staatsh a f t u n g nicht d u r c h nachträglichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ( R G J W 1936, 383) oder d u r c h U b e r g a n g des Anspruchs auf einen Inländer b e g r ü n d e t ( B G H N J W 1956, 1836). Andererseits wird die einmal begründete Staatshaftung nicht d u r c h einen Anspruchsübergang auf einen Ausländer b e r ü h r t ( R G 111, 294). Fällt die Beschränkung der Staatshaftung nachträglich d u r c h V e r b ü r g u n g der Gegenseitigkeit u n d entsprechende Bekanntmachung weg, so kann sich der Ausländer a n den Staat auch wegen solcher Amtspflichtverletzungen halten, die vorher begangen worden sind ( R G 128, 238). Soweit die Staatshaftung versagt, kann der geschädigte Ausländer d e n schuldigen Beamten in Anspruch n e h m e n ( R G 128, 238). Die G e g e n s e i t i g k e i t i s t v e r b ü r g t im Verhältnis zu G r i e c h e n l a n d (Bekanntm. v. 31. 5. 1957 — BGBl I 1957, 607; in Nordrh.-Westf. Bekanntm. v. 17. 12. 1957 — GVB1 1958, 28) u n d den N i e d e r l a n d e n (Bekanntm, v. 6. 5. 1958 — BGBl I 1958, 339). Mit Ö s t e r r e i c h ist eine S o n d e r r e g e l u n g in d e m A b k o m m e n zur Regelung der Amtshaftung aus H a n d l u n g e n von O r g a n e n des einen in grenznahen Gebieten des anderen Staates v. 14. 9. 1955 (BGBl I I 1957, 596) getroffen. Bei „ h e i m a t l o s e n A u s l ä n d e r n " i. S. des Ges v. 25. 4. 1951 (BGBl I 269) bedarf es der V e r b ü r g u n g der Gegenseitigkeit nicht ( § 5 ) . Das gleiche gilt unter gewissen Voraussetzungen f ü r „ F l ü c h t l i n g e " i. S. des Abkommens v. 28. 7. 1951 (BGBl 1953 I I , 562) g e m ä ß Art. 7 dieses Abkommens. D a n a c h § 7 des PrGes u n d des RGes die H a f t u n g n u r gegenüber „Angehörigen eines ausländischen Staates" eingeschränkt ist u n d es a n einer einschränkenden Bestimmung f ü r S t a a t e n l o s e fehlt, m u ß die Staatshaftung diesen gegenüber b e j a h t werden, zumal aus Art. 29 EGBGB seit seiner Neufassung d u r c h Ges v. 12. 4. 1938 (RGBl I, 380) nichts Gegenteiliges mehr hergeleitet werden kann (vgl. F e l i x N J W 1957» 1099; B a a d e N J W 1957, 1586; H e n d r i c h s N J W 1958, 89). Die Mitglieder der in der Bundesrepublik s t a t i o n i e r t e n S t r e i t k r ä f t e sind d u r c h Art. 9 des Truppenvertrags (BGBl I I 1955, 321) i m wesentlichen den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt. A n m . 11 U b e r die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g im R P o s t G e s s. R G 107, 41 u n d B G H 12, 96 (keine Haftungsbeschränkung gegenüber d e m Adressaten einer nach der Z P O zu bewirkenden Zustellung) sowie B G H 28,30; zur T e l e g r a p h e n o r d n u n g s . R G 1 4 1 , 4 2 0 ; L M § 256 Z P O Nr. 5; B G H 12, 89; z u m Ausschluß der H a f t u n g der Post s. im übrigen A n m . 24. Z u m Ausschluß der Staatshaftung d u r c h § 8 6 Abs. 1 des R e i c h s v e r s o r g u n g s g e s . s. R G 167, 385, 3 9 1 ; d u r c h § 8 9 8 R V O s. Köln D R 1941, 2245 1 0 ; R G !67> 385, 3 9 1 ; a u c h B G H N J W 1954, 758 u. BVerwG N J W 1958, 762. Ferner ist Staatshaftung ausgeschlossen d u r c h § 23 des G e f a n g e n e n f ü r s o r g e g e s . v. 30. 6. 1900 ( B G H 25, 231, 235). Z u m Ausschluß der Amtshaftungsansprüche gegen Reich, Bund u n d L ä n d e r d u r c h § 8 des B u n d e s e n t s c h ä d i g u n g s g e s . v. 29. 6. 1956 s. A n m . 1 1 3 . A n m . 12 2. „ J e m a n d " i . S . d e s A r t . 3 4 G G . W e n n in Art. 34 G G nicht m e h r wie in Art. 1 3 1 WeimVerf der Ausdruck „ B e a m t e r " verwendet, sondern statt dessen gesagt ist, d a ß die H a f t u n g der öffentlichen Körperschaft eintritt, wenn j e m a n d in Ausü b u n g eines i h m anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, so bedeutet das k e i n e n s a c h l i c h e n U n t e r s c h i e d
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Unerlaubte Handlungen
§839 Anm. 13
g e g e n ü b e r A r t . 1 3 1 W e i m V e r f (Sten.Ber. des Hauptausschusses des Pari. Rates S. 220—222; J e ß , Bonner Kommentar Anm. I I 2 zu Art. 34; v. M a n g o l d t , Anm. 2 zu Art. 34; D i c k e r t m a n n M D R 1950, 726). Der Gesetzgeber hat damit lediglich der in der Rechtsprechung erfolgten Erweiterung des Beamtenbegriffs im haftungsrechtlichen Sinne über den staatsrechtlichen Beamtenbegriff hinaus Rechnung getragen (s. Anm. 8). Bei Schaffung der Haftungsbestimmung des § 839 fielen unter den staatsrechtlichen Beamtenbegriff auch solche Personen, die nicht durch formellen Ernennungsakt Beamte geworden waren, denen aber die Ausübung obrigkeitlicher Gewalt tatsächlich übertragen worden war ( R G 28, 80, 85; 84, 364, 368; 90, 259, 260; 99, 265, 267). Dieser Beamtenbegriff war auch der in § 8 3 9 gemeinte, so daß die Begriffe des Beamten im staatsrechtlichen und im haftungsrechtlichen Sinne sich deckten. Art. 1 3 1 WeimVerf, der das Prinzip der Amtshaftung verfassungsmäßig verankerte, brachte insoweit keine grundsätzliche Änderung, wenn auch der Beamtenbegriff im haftungsrechtlichen Sinne nunmehr in der Rechtsprechung des R G immer mehr verselbständigt und dahin gefaßt wurde, daß haftungsrechtlich als Beamter jede Person ohne Rücksicht auf ihre staatsrechtliche Qualifikation anzusehen sei, die von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit öffentlicher Gewalt, und zwar mit der Gewalt umkleidet wurde, in deren Ausübung sie pflichtwidrig handelte ( R G 105, 3 3 4 ; 1 1 4 , 197, 2 0 1 ; 1 1 8 , 2 4 1 ; 159, 235). Als später zunächst das R G e s zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamtenrechts usw. v. 30. 6. 1933 ( R G B l I, 433) den Erwerb der Beamteneigenschaft im staatsrechtlichen Sinne von der Aushändigung einer Urkunde bestimmten Inhalts abhängig machte (später ebenso das Deutsche Beamtengesetz v. 26. 1. 1937 [ R G B l I, 39], das Bundesbeamtengesetz v. 14. 7. 1953 [BGBl I, 5 5 1 ] und das Beamtenrechtsrahmengesetz v. 1. 7. 1957 [BGBl I, 667]) und damit den staatsrechtlichen Beamtenbegriff gegenüber dem vorherigen Rechtszustand wesentlich einengte, konnte das an dem haftungsrechtlichen Beamtenbegriff nichts ändern, so daß sich nunmehr eine eindeutige Aufspaltung der beiden Begriffe ergab ( R G 142, 190, 1 9 2 ; 1 5 1 , 385, 387). I m S i n n e d e s H a f t u n g s r e c h t s s i n d d a n a c h h e u t e a l s B e a m t e außer den B e a m t e n im s t a a t s r e c h t l i c h e n S i n n e a u c h alle d i e j e n i g e n P e r s o n e n a n z u s e h e n , d i e in A u s ü b u n g h o h e i t l i c h e r A u f g a b e n t ä t i g w e r d e n , die ihnen v o m S t a a t oder einer sonst d a z u b e f u g t e n K ö r p e r s c h a f t a n v e r t r a u t w o r d e n s i n d ( R G 165, 9 1 , 99; B G H 3 . 5 . 1 9 5 6 — I I I Z R 285/54, ständ. Rspr). Dabei fallen innerhalb des Haftungsrechts der Begriff des Beamten in § 839 einerseits und in Art. 1 3 1 WeimVerf ( „ j e m a n d " i. S. Art. 34 G G ) andererseits nicht auseinander, vielmehr deckt sich, soweit es um die Ausübung hoheitlicher Tätigkeit geht, der von § 839 erfaßte Personenkreis mit dem von Art. 1 3 1 WeimVerf und Art. 34 G G erfaßten (dazu im einzelnen K l e i n h o f f A c P 156, 2 1 2 ff und G ü t z k o w D Ö V 1953, 289, 293; B a c h o f D Ö V 1954, 95/96; a A S o e r g e l - L i n d e n m a y e r Anm. A 2 a bb und B I I zu § 839; E r m a n Anm. 2 B d zu § 8 3 9 ; P a l a n d t Anm. 3 zu §839), so daß jeder, der von Art. 34 G G erfaßt ist, bei ausnahmsweisem Wegfall der Staatshaftung (z. B. wegen Ausländereigenschaft des Geschädigten, s. oben Anm. 10) nach § 839 persönlich haftet. Uber den Beamtenbegriffs, im einzelnen Anm. 3 1 .
3. Die haftpflichtige Körperschaft Anm. 13 Für die in Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes ( = Ausübung anvertrauter öffentlicher Gewalt, s. Anm. 8) begangenen Amtspflichtverletzungen h a f t e t ohne Rücksicht d a r a u f , wessen Hoheitsrechte w a h r g e n o m m e n w e r d e n , der S t a a t oder die K ö r p e r s c h a f t , die den s c h u l d i g e n B e a m t e n mit dem in B e t r a c h t k o m m e n d e n „ A m t " , mit der A u s ü b u n g „ ö f f e n t l i c h e r G e w a l t " b e t r a u t h a t (zur Frage A n s t e l l u n g s - o d e r F u n k t i o n s t h e o r i e — nach der derjenige Dienstherr haften soll, dessen Hoheitsrechte der schuldige Beamte ausgeübt hat — s. K a y s e r N J W 1 9 5 1 , 95 und 1952, 377 sowie S c h r ö e r J Z 1952, 129). Mithin haftet in aller Regel der „Dienstherr" des Beamten, seine „Anstellungskörperschaft" ( R G 1 2 5 , 1 1 ; 129, 306; 1 3 7 , 39; 140, 1 2 7 ; 152, 385; 165, 9 1 , 104; 167, 1, 5 ; 168, 214, 2 1 8 ; R G H R R 1934 Nr. 388; 1936 Nr. 1308; OGH 4, 255, 260; BGH 2, 3 5 0 ; 6, 2 1 5 ) . Die Haftung des Dienstherrn des Beamten entfällt jedoch, wenn die Amtspflichtverletzung bei
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§ 839 Anm. 14
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Ausübung eines Amtes begangen wird, das dem Schuldigen nicht von seinem Dienstherrn „anvertraut" ist, wenn mithin die Amtsausübung nicht in den Bereich der Dienste fällt, die der Beamte auf Grund seiner Anstellung durch den Dienstherrn leistet (RG 140, 126, 127). Der Aufgabenkreis, innerhalb dessen der Beamte schuldig geworden ist, muß also, soll die Haftung des Dienstherrn begründet sein, zu dem eigenen Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Dienstherrn gehören. Dessen Haftung ist daher zu bejahen für Amtspflichtverletzungen im Rahmen der „ s t a a t l i c h e n A u f t r a g s a n g e l e g e n h e i t e n " der Gemeinden und Gemeindeverbände, da diese — wenn auch als Wahrnehmung staatlicher Hoheitsrechte — in den eigenen Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Gemeinden fallen (RG 158, 95, 97; 168, 214, 218; B G H L M Art. 34 GGNr.24). Dabei macht es keinen U n t e r s c h i e d , ob die A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g durch Beamte i m s t a a t s r e c h t l i c h e n Sinne oder durch sonstige Bedienstete begangen worden ist. Soweit eine Körperschaft des öffentlichen Rechts die ihr übertragenen staatlichen Verwaltungsaufgaben nicht durch Beamte, sondern durch Angestellte wahrnehmen läßt, haftet deshalb sie selbst und nicht der Staat für dabei vorkommende Amtspflichtverletzungen (BGH 2, 350; LM Art. 34 GG Nr. 4; B G H 6, 215 und seitdem stand. Rspr des B G H ; zur Rechtspr des Reichsgerichts insoweit Schröer J Z 1952, 129). Die Anstellungskörperschaft haftet selbst dann, wenn die staatliche Auftragsangelegenheit ihr nicht selbst, sondern lediglich einem bestimmten Organ (Oberbürgermeister) übertragen war (BGH L M Art. 34 Nr. 4 GG). Die Länder haften für Amtspflichtverletzungen ihrer Amtsträger im Rahmen der in Art. 85 GG normierten B u n d e s a u f t r a g s v e r w a l t u n g (BGH 16, 95, 99/100). Bei Wahrnehmung von L u f t s c h u t z a n g e l e g e n heiten durch gemeindliche Amtsträger haftet die Gemeinde (BGH 30. 1. 1956 III Z R 263/54). Auch bei der A m t s h i l f e erfüllt die Amtshilfe leistende Behörde ihr selbst gestellte Aufgaben und haftet dementsprechend (BGH 28. 1 1 . 1955 I I I Z R 46/54). Haftung des Landkreises selbst dann, wenn ein Kreiskommunalbeamter im Auftrage seines Landrats diesem als Staatsbeamten obliegende Staatsaufgaben erledigt, da er diese staatlichen Aufgaben auf Grund der ihm als Kreiskommunalbeamten dem Landrat gegenüber obliegenden Gehorsamspflicht wahrnimmt und seine Tätigkeit im staatlichen Geschäftsbereich daher auf seinem Dienstverhältnis zum Kreis und nicht zum Staat beruht (RG 140, 126; R G H R R 1933, 1185; BGH LM Art. 34 GG Nr. 24). Die Anstellungskörperschaft haftet auch dann, wenn ein früherer Beamter n a c h B e e n d i g u n g des B e a m t e n v e r h ä l t n i s s e s sich einer Verletzung der ihm auch über die Dauer des Beamtenverhältnisses hinaus Dritten gegenüber obliegenden Amtspflichten (z. B. Geheimhaltungspflichten) schuldig macht (s. auch Anm. 3 1 a . E.). Anm. 14 Wird der Beamte hingegen persönlich von einer anderen K ö r p e r s c h a f t mit der A u s ü b u n g ö f f e n t l i c h e r G e w a l t b e t r a u t und zur Wahrnehmung dieser Aufgabe aus der Organisation und dem Behördenapparat seiner Anstellungskörperschaft herausgelöst, dann haftet allein die Körperschaft, die ihn mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe betraut hat (RG L Z 1927, 1271 1 2 ; B G H 25. 6. 1953 I I I Z R 175/51; B G H L M Art. 34 GG Nr. 24). Deshalb Haftung des Staates, wenn ein Amtsvorsteher persönlich zum Schauamtsvorsitzenden bestellt war und in dieser Eigenschaft Amtspflichtverletzungen beging (RG L Z 1927, 1271 1 2 ) oder wenn ein von einer Gemeinde angestellter Feld- und Forsthüter in Ausübung der ihm vom Landrat übertragenen polizeilichen Befugnisse seine Pflichten verletzte (RG 158, 98; vgl. dazu Schröer J Z 1952, 129 [130]). In gleicher Weise haftet für Amtspflichtverletzungen von Gemeindebeamten, die bei Entnazifizierungsbehörden tätig und zu diesem Zweck völlig aus der Gemeindeverwaltung herausgenommen und ausschließlich den Weisungen des staatlichen Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen unterworfen waren, nicht die Gemeinde, sondern der Staat (BGH 28. 1. 1954 I I I Z R 196/52). Ebenso entfällt die Haftung der Gemeinde, wenn ein gemeindlicher Polizeibeamter ausschließlich ihm von der Besatzungsmacht übertragene und von dieser allein wahrgenommene Aufgaben erfüllte (BGH 16. 1 1 . 1953 I I I Z R 146/52 und 13. 1. 1955 III Z R 186/54). Im Falle einer A b o r d n u n g eines Beamten zu einer anderen als seiner Anstellungsbehörde muß deshalb diejenige Körperschaft, die uneingeschränkt über die Dienste eines, wenn
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 15
auch von einer anderen Körperschaft angestellten Beamten verfügt, für die in Ausübung seines Dienstes hoheitlicher Art schuldhafterweise Dritten zugefügten Schäden haften ( R G i68, 361, 368/9 und 170, 1, 7 bei Abordnung von Beamten der Reichsbahn an das „Unternehmen Reichsautobahnen"). Deshalb auch Haftung des Kreisfeuerwehrverbandes für einen ihm für eine Dienstfahrt zur Verfügung gestellten gemeindlichen Angestellten ( R G D R 1941, 1294) u n d Haftung der Gemeinde A, der der Gemeindediener der Gemeinde B von dieser zur Kartoffelkäferbekämpfung zur Verfügung gestellt worden war ( B G H 14. 5. 1956 I I I Z R 269/54). A n m . 15 Hat ein Beamter eine Doppelstellung inne, hat er also zwei Dienstherren (so der frühere preuß. L a n d r a t , der Beamter des Staates und des Kreisverbandes war, und heute der O b e r k r e i s d i r e k t o r in Nordrh.-Westf. gem. Landkreisordnung v. 21. 7. 1953 — GVB1 305), dann ist entscheidend, wessen Aufgaben der Beamte wahrgenommen hat. Soweit also der preuß Landrat staatliche Aufgaben zu erfüllen hatte, haftete für ihn der Staat; soweit er bei seinem amtspflichtwidrigen Verhalten für den Kreis tätig war, haftete dieser ( R G 100, 188; 140, 126; B G H 6, 215, 222; B G H L M Art. 34 G G Nr. 24; vgl. auch Anm. 28). Wegen der Stellung des b a y r . L a n d r a t s auf Grund der Landkreisordnung v. 18. 12. 1946 (GVB1 S. 229) s. BayObLGZ 1955, iofF; jetzt ausdrückliche Regelung der Amtshaftung für Landräte und für die bei den Landratsämtern tätigen Staats- und Kreisbediensteten in Art. 35 Abs. 3 und Art. 36 Abs. 5 der bayr. Landkreisordnung v. 16. 2. 1952 (GVB1 S. 39). Für nur t e i l w e i s e a b g e o r d n e t e Beamte müssen die Grundsätze der Staatshaftung für Beamte in einer Doppelstellung entsprechend gelten. Hat ein Beamter neben seinem Hauptamt ein von diesem u n a b h ä n g i g e s N e b e n a m t inne, dann haftet für im Rahmen des Nebenamtes begangene Amtspflichtverletzungen die Körperschaft, die dem Beamten das Nebenamt übertragen hat (so richtig O L G Celle NJW 1958, 264). Deshalb Haftung der Gemeinde für einen staatlichen Lehrer, der nebenamtlich in einer gemeindlichen Berufsschule tätig war und hierbei Pflichtverletzungen beging (unrichtig O L G Breslau H R R 1942 Nr. 73; vgl. E r i e b e D R 1944, 555). Nimmt ein Beamter im Rahmen einer von zwei Körperschaften bei einer von ihnen eingerichteten gemeinsamen Dienststelle (gemeinsames Wirtschaftsamt für Stadt und Kreis) neben der Tätigkeit für seine Anstellungskörperschaft auch Hoheitsbefugnisse für die andere Körperschaft wahr, so ist er auch als im Dienste dieser Körperschaft stehend anzusehen mit der Folge, daß diese andere Körperschaft für etwaige im Rahmen des von ihr übertragenen Aufgabenkreises begangene Amtspflichtverletzungen haftet ( B G H 9. 7. 1953 I I I Z R 372/51; vgl. dazu auch B G H L M Art. 34 G G Nr. 24). Fehlt es an einem Anstellungsverhältnis zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, ist mithin ein öffentlich-rechtlicher „Dienstherr" nicht vorhanden, so haftet die Körperschaft, die den Schädiger mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet und damit zum Beamten im haftungsrechtlichen Sinne gemacht hat. Deshalb Haftung des Staates (oder Reiches) bei einem von einer Vereinigung von Grundbesitzern angestellten und vom Landrat bestätigten (d. h. mit den Befugnissen eines Polizeibeamten ausgestatteten) Feld- und Forsthüter ( R G 142, 190, 195), bei dem Kraftfahrer eines gewöhnlichen Unternehmers, der Polizeimannschaften auf einer Dienstfahrt zu fahren hat ( R G 167, 1, 5), bei einem Privatarzt, dem die ärztliche Betreuung von Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes ( R G 168, 392) oder dem als Vertragsarzt die Wahrnehmung ärztlicher Aufgaben für das staatliche Gesundheitsamt im Rahmen der Tbc-Fürsorge übertragen war (OLG Celle NJW 1958, 264). Haftung der Gemeinde bei den von ihr eingesetzten Führern von Suchkolonnen beim behördlich angeordneten Absuchen der Kartoffelfelder nach Kartoffelkäfern (vgl. R G 169, 312, 314). Bei von der Besatzungsmacht eingesetzten Beamten haftet die deutsche Körperschaft, deren Aufgaben der Beamte wahrzunehmen hatte; diese muß die Einsetzung gegen sich gelten lassen ( B G H 24. 5. 1956 I I I Z R 297/54; auch B G H 10, 220, 224).
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§ 839
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 16 Selbst wenn einer K o r p o r a t i o n f o r m e l l n o c h n i c h t die Stellung einer K ö r p e r s c h a f t d e s ö f f e n t l i c h e n R e c h t s verliehen worden ist, kann Haftung nach Amtshaftungsgrundsätzen eintreten ( B G H 2 5 . 6 . 1953 I I I Z R 3 3 9 / 5 1 : Rechtsanwaltskammer).
A n m . 16 Ist die z u n ä c h s t h a f t p f l i c h t i g e K ö r p e r s c h a f t w e g g e f a l l e n oder kann sie zur Zeit nicht in Anspruch genommen werden, dann kann sich aus der Übernahme der Funktionen dieser Körperschaft durch eine andere auch der Ubergang der Verbindlichkeiten ergeben, die aus der Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben durch den früheren Träger der Hoheitsgewalt entstanden sind; vgl. dazu im einzelnen B G H 8, 169 (Haftung der Länder für Ansprüche aus Amtspflichtverletzung gegen den Reichsjustizfiskus) und 10, 220 (Haftung der nach 1945 neu gebildeten Länder für Amtspflichtverletzungen, die vor der formellen Gründung des Landes in seinem späteren Gebietsbereich von Beamten im staatlichen Aufgabenbereich begangen worden sind). Ist jedoch die zunächst haftpflichtige Körperschaft als selbständige und zahlungsfähige Rechtspersönlichkeit bestehen geblieben, dann wird ihre Haftung durch den Ubergang ihrer Aufgaben, bei deren Wahrnehmung die Pflichtverletzung begangen wurde, auf eine andere Körperschaft nicht berührt ( B G H 2, 209, 2 1 2 ; 7, 75, 88; 8, 169, 180). Soweit es um A n s p r ü c h e g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h , das frühere L a n d P r e u ß e n und das Unternehmen R e i c h s a u t o b a h n e n geht, ist eine Haftung des Bundes oder anderer öffentlicher Rechtsträger aus dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge nunmehr durch die ausdrückliche Regelung in § 2 Nr. 1 Allgem. KriegsfolgenG v. 5. 1 1 . 1957 (BGBl I 1747) ausgeschlossen. Die Bestimmung des § 8 des 2. UberleitungsG v. 2 1 . 8. 1951 (BGBl I 774), nach der in bestimmtem U m f a n g die Haftung des Bundes für die Verbindlichkeiten des Reichs für durch Angehörige der Wehrmacht oder wehrmachtsähnlicher Organisationen verursachte Personenschäden vorgesehen war (vgl. B G H 1 2 , 349), ist durch § 5 Abs. 3 Allgem. KriegsfolgenG wieder aufgehoben worden. Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen dann, wenn die zunächst haftpflichtige Körperschaft infolge völligen Wegfalls oder aus anderen Gründen nicht in Anspruch genommen werden kann und auch der Aufgabenkreis, bei dessen Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung begangen wurde, nicht von einer anderen Körperschaft übernommen worden ist, eine p e r s ö n l i c h e H a f t u n g des s c h u l d i g e n B e a m t e n bejaht werden kann. In B G H 3, 94fr und B G H 13. 12. 1951 I I I Z R 179/51 ist eine persönliche Inanspruchnahme der schuldigen Amtsträger gutgeheißen worden für den Fall, daß sie ihre Amtspflicht gegenüber dem Geschädigten vorsätzlich und objektiv sittenwidrigerweise verletzt haben und die Ablehnung der persönlichen Haftung sich als Rechtsmißbrauch darstellen würde (aA S c h r ö e r D R i Z 1952, 5 7 ; F i s c h b a c h , BundesbeamtenG Anm. A I V zu § 78). Eine noch weitergehende Sonderregelung hat nunmehr § 95 Allgem. KriegsfolgenG dahin getroffen, daß bei allen nach diesem Gesetz nicht zu erfüllenden Ansprüchen gegen das Deutsche Reich, das frühere L a n d Preußen und das Unternehmen Reichsautobahnen aus einer in Ausübung öffentlicher Gewalt begangenen vorsätzlichen Amtspflichtverletzung derjenige, der die Amtspflichtverletzung begangen hat, persönlich in Anspruch genommen werden kann. Für Pflichtverletzungen eines Amtsträgers der früheren NS-Organisationen — für die früher mit Rücksicht darauf, daß die N S D A P durch das Ges zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat v. 1. 12. 1933 zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhoben worden war, die N S D A P haftete ( R G 160, 193) — hat der schuldige Amtsträger persönlich einzustehen, weil das Ges v. 1. 12. 1933 durch M i l R e g G Nr. 1 (Art. I I I Nr. 4) aufgehoben und damit der Anwendbarkeit des Art. 1 3 1 WeimVerf auf die früheren NS-Organisationen der Boden entzogen ist ( S c h r ö e r D R Z 1949, 3 1 7 ; OGH 4, 1 2 1 ; BGH 3, 94, 98). Wegen der Haftung der Bundesrepublik für Verluste oder Schäden, die im Bundesgebiet infolge von Handlungen oder Unterlassungen der a u s l ä n d i s c h e n S t r e i t k r ä f t e entstehen, und wegen des Verfahrens zur Geltendmachung derartiger Ansprüche s. Art. 9 des Finanzvertrags (BGBl I I 1955, 3 8 1 ) ; dazu O L G Düsseldorf V R S 1 5 , 324.
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 17, 18
4. „ I n A u s ü b u n g eines öffentlichen A m t e s " a) A l l g e m e i n e Grundsätze A n m . 17 Art. 34 GG setzt voraus, daß es sich um Amtspflichtverletzungen in A u s ü b u n g eines anvertrauten öffentlichen A m t e s ( = Ausübung anvertrauter öffentlicher Gewalt i. S. Art. 131 WeimVerf; s. Anm. 8) handelt. Jede mit der Wahrnehmung von Hoheitsrechten betraute öffentlich-rechtliche Körperschaft kann sich als Fiskus auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtsverkehrs auf der gleichen rechtlichen Ebene wie jeder Staatsbürger bewegen, und soweit ein Beamter in diesem Rahmen tätig wird, handelt es sich nicht um Ausübung öffentlicher Gewalt. Eine in den bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreis einer öffentl. Körperschaft fallende Amtshandlung wird auch nicht schon dadurch zugleich Ausübung öffentlicher Gewalt, daß der Beamte sich dabei auch von Wahrung der Staatsautorität, von staatswirtschaftlichen Erwägungen oder Rücksicht auf den wirtschaftlich Schwächeren leiten läßt (RG 155, 257, 272, 274). Andererseits liegt Ausübung öffentlicher Gewalt nicht nur vor bei Ausübung obrigkeitlichen Zwanges, sondern sie umfaßt auch die Betätigung öffentlichen Schutzes und öffentlicher Fürsorge (RG 156, 220, 229; 164, 15, 19; 165, 91, 9 7 f ; B G H 4, 138, 150). Sie begreift mithin das gesamte Gebiet der hoheitlichen Verwaltung ein, d. h. sowohl die schlichte Hoheitsverwaltung (durch Ausübung von Schutz und Fürsorge) als auch die Obrigkeitsverwaltung (durch Anwendung von Befehlen, Zwangs- und Machtmitteln) (BGH 16, i n , 113; 20, 102, 104). A l l g e m e i n kann man sagen, daß a l s A u s ü b u n g e i n e s ö f f e n t l i c h e n A m t e s (Art. 34 GG) u n d als A u s ü b u n g ö f f e n t l i c h e r G e w a l t (Art. 131 WeimVerf) j e d e A m t s a u s ü b u n g , d . h . d i e n s t l i c h e B e t ä t i g u n g eines Beamten einer mit der W a h r n e h m u n g von H o h e i t s r e c h t e n b e t r a u t e n ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n K ö r p e r s c h a f t a n z u s e h e n ist, d i e s i c h n i c h t als W a h r n e h m u n g b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e r ( f i s k a l i s c h e r ) B e l a n g e e i n e r s o l c h e n K ö r p e r s c h a f t d a r s t e l l t (RG 126, 28, 32; 147, 275, 278; 155, 186, 189; 161, 145, 151; B G H L M Art. 34 GG Nr. 25). Demgemäß umfassen auch die Tatbestände der Amtshaftung nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 zusammen mit denen der Organhaftung nach §§89, 31 i . V . m. §§ 823 ff, 831 (s. Anm. 4) haftungsrechtlich lückenlos das gesamte Gebiet öffentlicher Tätigkeit (RG 91, 273; 144, 262, 267; 158, 83, 95; 166, 1, 8; WarnRspr 1937 Nr. 91). A n m . 18 A u s ü b u n g eines öffentlichen A m t e s (öffentlicher Gewalt) stellt dar: die Erteilung von Unterricht an öffentlichen Schulen (vgl. dazu R G 84, 28, 30; R G J W 1927, 19946; 1938, 233 5 : Schwimmunterricht; R G H R R 1938, 654) sowie ganz allgemein die Wahrung der Schulzucht und Wahrnehmung der Pflicht durch die an öffentlichen Schulen tätigen Lehrkräfte (und ggfs. die mit der Schulaufsicht betrauten Beamten), die Schuljugend im Schulbetrieb vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren und sie so zu beaufsichtigen, daß sie auch keine fremden Personen oder Sachen verletzen (RG 125, 85; R G WarnRspr 1937 Nr. 119: Aufsicht bei Scherenarbeiten; B G H 13, 25; B G H 28, 297; B G H VersR 1957, 532). Deshalb gehört hierher auch die Beaufsichtigung der Schüler u. U. schon vor Beginn des Unterrichts (RG D R 1940, 1192'; B G H VersR 1957, 755), beim Turnen (BGH L M § 839[Fd] Nr. 6: Waldlauf; L M § 839 [C] Nr. 40), beim Spielen auf dem Schulhof (RG WarnRspr 1939 Nr. 135; R G D R 1941, 2561, daselbst auch über die Haftung für verkehrssichere Einrichtung des Schulspielplatzes), in den Unterrichtspausen (BGH 13, 25; B G H VersR 1957, 612), bei Schulwanderungen (RG SeuffArch 88 Nr. 188; B G H 28, 297), bei Jugendwettkämpfen (RG 121, 254) und bei sonstigen Veranstaltungen der Schule (BGH I 3- 5- '954 HI ZR 23/53: Weihnachtsfeier); Wahrung der Ordnung auch gegenüber Gästen (RG H R R 1932 Nr. 315). Ferner: die amtliche Führung des Verzeichnisses der Schuldner, denen gegenüber der Antrag auf Konkurseröffnung mangels Masse abgewiesen worden ist (KO § 107 Abs. 2, R G 118, 241); eine Pfandversteigerung nach den §§ 1235 fr oder eine freiwillige Versteigerung durch den Gerichtsvollzieher (RG 144, 262); Schätzungen durch Gemeinderat (RG J W 1938, 47 25 ); Führung der Zahlstelle einer Krankenkasse durch den Gemeindevorstand ( R V O §§319, 404, R G 120,
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§ 839
Anm. 19
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
162); Ausgabe von Blankoquittungskarten f ü r Beiträge zur Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung durch Gemeindbehörden ( R G WarnRspr 1937 Nr. 76); Führung und Beaufsichtigung amtlicher Siegel und Stempel ( R G J W 1935, 3372 3 ). Amtsausübung im Sinne von Ausübung der öffentlichen Gewalt durch den Leiter einer Krankenkasse oder seinen Stellvertreter, soweit sie sich innerhalb des öffentlich-rechtlichen Aufgabenbereichs der Krankenkasse vollzieht, mit der Folge einer Haftung der Krankenkasse nach Art. 1 3 1 WeimVerf mit § 839 s. R G 165, 9 1 ; Umtausch von Versicherungskarten durch Krankenkassenangestellten ( R G D R 1939, 243 1 6 ; B G H V e r s R 1958, 326). Überwachung der Kassenärzte und Verteilung der von den Krankenkassen zu entrichtenden Gesamtvergütung an die Kassenärzte durch kassenärztliche Vereinigungen ( L M § 5 1 S G G Nr. 1 ) ; Tätigkeit der gemäß § 368 n Abs. 4 R V O gebildeten Prüfungsausschüsse ( B G H L M § 51 S G G Nr. 2); die Führung der Amtsvormundschaft nach J W G ( B G H 9, 255 und 1 7 , 108, 1 1 4 ; a A H. K r ü g e r in J Z 1955, 634); Wahrnehmung der Jugendhilfe durch die Jugendämter und insbes. deren Mitwirkung bei Vollzug der Fürsorgeerziehung ( B G H L M § 839 [Fe] Nr. 5 ; B G H 25.2. 1957 I I I Z R 194/55); Landverschickung gesundheitsgefährdeter Kinder durch Jugendamt ( B G H 24, 325, 328); die Tätigkeit der Gesundheitsämter im Rahmen der Tuberkulosefürsorge und damit auch die Erteilung von Auskünften über die Notwendigkeit von U m g e bungsuntersuchungen ( B G H V e r s R 1959, 3 5 3 ) ; Untersuchung der aus Kriegsgefangenschaft Heimkehrenden durch Lagerarzt in einem Heimkehrerlager ( B G H V e r s R 1958, 608); soziale Betreuung der Unternehmer-Arbeiter an der Reichsautobahn ( R G 168, 3 6 1 , 370); Betreuung der rassisch Verfolgten, denen der Staat Wiedergutmachungsleistungen gewährt ( B G H N J W 1955, 1 8 3 5 ; B G H W M 1956, 3 1 9 u. 1404); Wahrnehmung der Aufsichtspflichten durch Landesämter für Vermögenskontrollen gemäß M i l R e g G Nr. 52 ( B G H 17, 140; L M Art. 34 G G Nr. 36); Förderung des sozialen Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln ( B G H W M 1957, 486); Betätigung der öffentlichen Hand im Rahmen der Schaffung neuer Siedlungen usw. (einschließlich Verteilung der Siedlerstellen auf die einzelnen Bewerber) nach ReichssiedlungsG u. V O v. 1 3 . 2 . 1924, R G B l I, 1 1 1 ( B G H 2 5 . 9 . 1957 V Z R 220/55); Durchführung der Abräumung gemäß Berliner Ges. v. 25. 1 1 . 1954 über die A b r ä u mung von Trümmergrundstücken ( K G N J W 1958, 185); Enttrümmerung eines kriegszerstörten Grundstücks durch eine Stadtgemeinde auf Grund des Nordrh.-Westf. Enttrümmerungsges. v. 2. 6. 1948/2. 5. 1949 ( O L G K ö l n V e r s R 1959, 1 1 3 ) ; Durchführung der Schlachtvieh- und Fleischbeschau gem. FleischbeschauG v. 29. 10. 1940 ( B G H 15. 6. 1954 I I I Z R 34/53; B G H 22, 246, 248); Kartoffelkäferbekämpfung ( R G 169, 3 1 4 ; B G H 1 4 . 5 . 1956 I I I Z R 269/54); polizeimäßige Wegereinigung auf Grund Preuß. WegereinigungG ( B G H 27, 278); Dienst der Feuerwehren ( R G D R 1 9 4 1 , 1 2 9 4 1 8 ; B G H V e r s R 1958, 688/9; für die Freiwillige Feuerwehr i n R G 124, 159 verneint, nach Erlaß des preuß. Ges. v. 15. 12. 1934 bejaht in H R R 1937 Nr. 802 und 1939, 7 7 3 ) ; jetzt auch Einsatz (einschl. Übungseinsatz) der freiwilligen Feuerwehr, soweit diese nicht privatrechtlich organisiert ist ( B G H 20, 290 für Nordrh.-Westf. u. B G H V e r s R 1958, 886 f ü r Nordbaden); Erteilung von behördlichen Auskünften ( R G 148, 286; 170, 134), und zwar u. U . auch dann, wenn die Auskunft zur Verwendung für bürgerlich-rechtliche Zwecke erteilt wird ( R G WarnRspr 1936 Nr. 156 und 1937 Nr. 9 1 ) ; die Errichtung von öffentlichen Urkunden über vor der Behörde oder Urkundspersonen abgegebene Erklärungen gemäß § 4 1 5 Z P O ( B G H 6, 304, 3 0 8 f ) und die Ausstellung sonstiger öffentlicher Urkunden (§§ 4 1 7 , 4 1 8 Z P O ) , wenn sie nach ihrem Inhalt hoheitsrechtlicher Art sind ( B G H 6, 304, 309 gegen R G 107, 272, 274f und R G J W 1927, 1 3 5 2 , wonach Ausstellung öffentlicher Urkunden in jedem Fall Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen sollte); Jagdschutz als Ausübung öffentlicher Gewalt s. R G 155, 3 3 8 ; die Ehrengerichtsbarkeit ( R G 170, 336); die Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften außerhalb des fiskalischen Bereichs ( R G 168, 143, 1 5 8 ; B G H 22, 383, 388; a A S c h r ö e r J Z 1958, 422).
Anm. 19 K e i n e Ausübung eines öffentlichen Amtes (öffentlicher Gewalt) ist die Erfüllung der W e g e u n t e r h a l t u n g s p f l i c h t der öffentlich-rechtlichen Körperschaften und der
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Unerlaubte Handlungen
§839 Anm. 20
ihnen obliegenden V e r k e h r s s i c h e r u n g s p f l i c h t an öffentlichen Gebäuden, Straßen und Wasserstraßen: R G J W 1928, 1046 1 2 ; R G WarnRspr 1928 Nr. 1 4 7 ; B G H N J W 1952, 1087; L M § 8 2 3 (De) Nr. 18 (Streupflicht der Gemeinde); R G 166, 8 (Erhaltung der Verkehrssicherheit in Gebäuden); R G 154, 16 (Wegeunterhaltungspflicht); R G 155, i ; B G H 9, 373 (Verkehrssicherung auf Wasserstraßen); B G H 20, 57 (Schleusenbetrieb); B G H 14, 83 (Landstraßen I I . Ordnung); B G H 16, 95 (Bundesstraßen); B G H 12, 94 (Telegraphenanlagen der Bundespost); B G H 24, 124 (Ortsdurchfahrten der Landstraßen I. Ordnung). Polizeimäßige Wegereinigung auf Grund des Preuß. Wegereinigungsges. v. 1. 7. 1 9 1 2 aber fällt in den Bereich der hoheitlichen Betätigung der Gemeinden ( B G H 27, 278). Z u beachten jedoch, daß Amtshaftung nur dann entfällt, wenn der Geschädigte infolge des nicht verkehrssicheren Zustandes der öffentlichen Verkehrseinrichtung zu Schaden gekommen ist. Amtshaftung tritt daher ein, wenn Amtspflichtverletzungen der Wasserpolizeibeamten ( R G 155, 1, 6) oder der Verkehrspolizei ( R G 162, 2 7 3 ; B G H N J W 1952, 1 2 1 4 und B G H 23. 2. 1956 I I I Z R 167/54) Frage kommen oder wenn ein Angehöriger des Straßenbaupersonals der öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf einer Dienstfahrt einen anderen verletzt ( B G H 2 1 , 48). Ausübung öffentlicher Gewalt liegt ferner nicht vor bei der Errichtung öffentlicher Urkunden privatrechtlichen Inhalts ( B G H 6, 304, 309 gegen R G 107, 272, 274f und J W 1927, 1352), bei der Tätigkeit der zur Liquidierung jüdischer Geschäfte bestellten Abwickler ( B G H L M § 675 Nr. 6, a A f ü r Treuhänder jüdischen Vermögens nach der V O v. 3. 12. 1938 O L G Kiel S J Z 1947, 5 1 1 ) sowie der Treuhänder (custodians) nach MilRegGes. Nr. 52 und 53 ( B G H 24, 393; O L G München S J Z 1950, 906), bei der von Beamten der staatlichen Bauleitung vorgenommenen Kontrolle von Bauarbeiten für die Besatzungsmacht, die von privaten Baufirmen auf Grund privatrechtlicher Verträge ausgeführt werden ( B G H V e r s R 1959, 372). Von Ausübung — deutscher — öffentlicher Gewalt kann ferner nicht gesprochen werden, wenn die Verwaltungsstelle lediglich als „ v e r l ä n g e r t e r A r m " d e r B e s a t z u n g s m a c h t gehandelt hat in dem Sinne, daß sie nicht aus eigenem Recht und auf Grund eigener Entschließung, sondern nur in Ausführung eines Befehls der Besatzungsmacht tätig geworden ist, wenn also die deutsche Behörde lediglich die Maßnahme der Besatzungsmacht bekanntzugeben und weisungsgemäß ohne eigenen Verwaltungsakt durchzuführen hatte ( B G H 12, 52, 5 7 ; L M Art. 153 WeimVerf Nr. 1 6 ; B G H 14. 7. 1956 I I I Z R 5/55). Fallen die Handlungen des Beamten in den privatrechtlichen Geschäftskreis des Dienstherrn, dann wird sein Verhalten auch dann nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes, wenn die Handlungen zugleich öffentlichen Interessen dienen oder der Beamte sich bei seinen Maßnahmen von der Rücksicht auf öffentliche Belange leiten läßt ( R G 1 5 5 , 257, 273/274 und 162, 129, 162).
Anm. 20 Wenn eine e i n h e i t l i c h e A u f g a b e ihrem Wesen nach hoheitsrechtlicher Natur ist, dann erfolgen sämtliche in den Rahmen dieser Aufgabe fallenden Maßnahmen „ i n Ausübung eines öffentlichen Amtes" (öffentlicher Gewalt). Der gesamte Tätigkeitsbereich, der sich auf die Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe bezieht, muß als Einheit beurteilt werden, und es geht n i c h t an, die e i n h e i t l i c h e A u f g a b e i n e i n z e l n e T ä t i g k e i t s a k t e — teils h o h e i t s r e c h t l i c h e r , teils b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e r A r t — a u f z u s p a l t e n ( R G 156, 220, 230; B G H 9, 373, 388 und 16, m , 1 1 2 ) . Deshalb muß dann, wenn die Briefbeförderung der Post als hoheitliche Aufgabe anzusehen ist, die gesamte mit der Briefbeförderung zusammenhängende Tätigkeit, insbesondere auch der Beförderungsvorgang selbst, als Ausübung öffentlicher Gewalt erscheinen ( R G 158, 83, 93; ebenso B G H 16, i n , 1 1 2 — 1 1 4 für die Paketbeförderung der Bundespost und L M Art. 34 G G Nr. 25 für Beförderung von Dienstpost der Bundesministerien durch Kurierfahrer); a A W o l f f J Z 1956, 489. Deshalb bilden auch die Tätigkeiten, die lediglich im inneren Dienstbetrieb der Vorbereitung der eigentlichen hoheitsrechtlichen Maßnahme dienen, mit dieser eine Einheit und stellen sie insgesamt Ausübung öffentlicher Gewalt dar ( R G 170, 129, 133). Das gleiche gilt von den Tätigkeiten zur Ausführung der eigentlichen hoheitsrechtlichen Maßnahme. Deshalb übten auch die im Rahmen der Zwangswirtschaft mit der Weiterbearbeitung ministerieller
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Zuteilungsverfügungen betrauten Dienststellen öffentliche Gewalt aus, so daß falsche Adressierung einer eine solche Verfügung enthaltenden Postsendung die Staatshaftung begründete (BGH 20. 3* 1956 III Z R 183/54)* Jedoch ist zu beachten, daß es dem Staat oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft f r e i s t e h t , s i c h auch — sofern es nicht um Ausübung obrigkeitlicher Gewalt mit Zwangscharakter geht (Rechtsprechung, Polizei usw.) — z u r E r r e i c h u n g ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e r Z i e l e f ü r ein b e s t i m m t e s G e s c h ä f t oder einen abgegrenzten Geschäftskreis b ü r g e r l i c h r e c h t l i c h e r M i t t e l zu b e d i e n e n und sich insoweit auf den Boden des bürgerlichen Geschäftsverkehrs zu begeben mit der Folge, daß sie in diesem Umfang ausschließlich bürgerlich-rechtlicher Rechtsregel unterstehen (RG 158, 83, 89; 162, 129, 1 3 1 ; B G H 6, 304, 3ogf; 17, 317, 320). Wenn es sich dabei jedoch um t y p i s c h e A u f g a b e n e i n e r B e h ö r d e handelt, die diese kraft der ihr übertragenen hoheitlichen Befugnisse zu erledigen hat, dann spricht die V e r m u t u n g dafür, daß sich die Behörde zur Erfüllung solcher Aufgaben öffentlich-rechtlicher Maßnahmen bedient und in A u s ü b u n g ö f f e n t l i c h e r G e w a l t handelt (BGH 4, 266, 268). A n m . 21 In Zweifelsfällen ist bei der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person Ausübung öffentlicher Gewalt gewesen ist, entscheidend, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn die Person tätig wurde, dem Gebiet der hoheitlichen Betätigung der Staatsgewalt angehört und ob bejahendenfalls zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein solcher Zusammenhang besteht, daß letztere ebenfalls noch als dem Bereich der hoheitlichen Betätigung angehörend angesehen werden muß (RG 166, 1, 5). Danach ist insbesondere auch zu entscheiden, ob Teilnahme a m öffentlichen Verkehr Ausübung eines öffentlichen Amtes (öffentlicher Gewalt) ist oder nicht. Das ist nicht nur dann zu bejahen, wenn mit der Teilnahme am öffentlichen Verkehr unmittelbar Hoheitsaufgaben erfüllt werden — z.B. bei Kontrollfahrten der Verkehrspolizei, Fahrten der motorisierten Polizei zur Verfolgung eines Verbrechers, Fahrten kraftfahrender Truppenteile nach dienstlichem Befehl oder Paket- und Briefbeförderung durch die Post (RG 158, 83, 93; B G H 16, I i i ) —, sondern auch dann, wenn die Handlung lediglich in einer solchen Beziehung zu der unmittelbaren Verwirklichung des hoheitlichen Zieles steht, daß sie mit dieser als ein einheitlicher Lebensvorgang angesehen werden muß (RG 166, 1 , 8 ; B G H L M Art. 34 G G Nr. 25). Darauf, ob der Beamte ein „Dienstfahrzeug", ein „beamteneigenes" oder ein „privateigenes" Kfz. geführt hat, kommt es nicht an (BGH 29, 38). Deshalb Ausübung eines öffentlichen Amtes (öffentlicher Gewalt) bejaht bei Beförderung von Polizeimannschaften zum Übungsschießen (RG 125, 98) oder zu ihrem Einsatzort (RG 140, 415, 417); Verbringen des Dienstfahrzeugs der Polizei in die Garage nach beendeter Dienstfahrt (RG V A E 1937,255); Beförderung von Polizeioffizieren zur dienstlichen Besprechung ( R G 1 5 5 , 186); Fahrt von Soldaten mit einem Pferdefuhrwerk der Wehrmacht zum Strohholen (RG 162, 309, 3 1 2 ) ; Dienstfahrt eines Postbeamten im Telegraphendienst im „beamteneigenen" Kraftwagen (RG 165, 365); Dienstfahrt eines Postangestellten zum Zwecke der Rundfunkentstörung (RG 166,1); Dienstfahrt des Beauftragten für die soziale Betreuung der bei dem Unternehmen,,Reichsautobahnen" Beschäftigten (RG 168,361,371); Kurierfahrt zur Beförderung von Dienstpost zwischen verschiedenen obersten Bundesbehörden (BGH L M Art. 34 G G Nr. 25); Dienstfahrt eines Straßenmeisters (BGH 20, 48). Hingegen liegt Ausübung eines öffentlichen Amtes (öffentlicher Gewalt) nicht vor, w e n n es an d e r i n n e r e n B e z i e h u n g z w i s c h e n der s c h ä d i g e n d e n H a n d l u n g u n d d e m D i e n s t f e h l t (RG J W 1938, 1652 und D J 1939, 1618; R G 166, 1, 8; B G H 1 1 , 181, 185). Deshalb Ausübung eines öffentlichen Amtes (öffentlicher Gewalt) zu verneinen bei Gebrauchmachen von einer Dienstwaffe aus rein persönlichen Gründen (RG 104, 286), bei unvorsichtiger Handhabung einer Dienstwaffe bei Gelegenheit einer rein privaten Gefälligkeitsleistung (RG 155, 362, 366), bei Gebrauchmachen von der Dienstwaffe, um sich zu rächen, auch wenn die Rachegefühle durch dienstliche Vorkommnisse veranlaßt sind (BGH 11, 181), bei Schießen eines Unteroffiziers nach Dienstschluß auf Spatzen mit einem ihm nicht dienstlich überlassenen Kleinkalibergewehr (RG 168, 231). Zur Frage, wann ein Nachtwächter, der, ohne zur Führung 1450
Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 22, 23
einer Dienstwaffe befugt zu sein, zu einer Zeit, da er sich im Dienste befindet, aus einer ihm persönlich gehörigen Schußwaffe auf einen Dritten einen Schuß abgibt, in amtlicher Eigenschaft und in Ausübung öffentlicher Gewalt handelt, s. R G 159, 235. Bei B e n u t z u n g v o n K r a f t f a h r z e u g e n Ausübung eines öffentlichen Amtes (öffentlicher Gewalt) zu verneinen, wenn ein Soldat in Verbindung mit einer Urlaubsfahrt mit eigenem Kraftrad befehlsgemäß seinem Vorgesetzten ein Schriftstück überbringt ( R G 156, 401), wenn ein Soldat ein Dienstfahrzeug benutzt, um damit zu privaten Zwecken einen längeren mit dem Dienstbefehl nicht zu vereinbarenden Umweg zu machen ( R G 1 6 1 , 145, 1 5 2 ; vgl. jedoch andererseits die in Anm. 22 wiedergegebene Entscheidung B G H 1, 388). Keine Ausübung öffentlicher Gewalt vor allem dann, wenn die öffentliche Körperschaft sich in keiner Weise darum kümmert, wie der Beamte an den Ort der Betätigung gelangt, wenn ihm also die Art der Reise freigestellt ist ( R G 166, 1 , 9 ; R G J W 1938, 1652), z.B. bei Fahrt des Beamten zur Dienststelle ( R G 165, 365, 369/ 370) und Heimfahrt des Beamten auf eigenem Kraftrad nach Dienstschluß ( R G V A E 1941, 163), bei Fahrt eines Soldaten auf eigenem Kraftrad zur Teilnahme an einem an anderem Ort stattfindenden Lehrgang ( R G J W 1938, 1652). A n m . 22 Von in Ausübung eines öffentlichen Amtes erfolgter Schadenszufügung kann nicht mehr gesprochen werden, wenn die schädigenden Handlungen lediglich bei Gelegenheit der Amtsausübung vorgenommen wurden und es an einem inneren Zusammenhang zwischen dem schadenstiftenden Verhalten und der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit des Schädigers fehlt, mag auch ein solcher äußerlicher Zusammenhang bestehen ( R G 104, 286, 288/290; 126, 28, 3 3 ; 159, 235, 238; 168, 2 3 1 , 233). Die Handlung muß sich nach ihrem inneren Zusammenhang als Ausübung öffentlicher Gewalt erweisen, und der Beamte muß als Träger öffentlicher Machtbefugnisse gehandelt haben ( B G H 29. 1 1 . 1951 I I I Z R 22/50). Andererseits darf den Worten „in Ausübung" keine zu enge Auslegung gegeben werden ( R G 104, 286, 289; B G H 12. 7. 1951 I I I Z R 168/50). Deshalb schließt der Umstand, daß die schädigende Handlung während der dienstfreien Zeit des Beamten vorgenommen wurde, noch nicht ohne weiteres aus, daß die Handlung „in Ausübung" des Amtes erfolgte. Amtsausübung deshalb z. B. bejaht, wenn Polizeibeamter während seiner dienstfreien Zeit gegen vermeintlichen Störer der öffentlichen Ordnung einschreitet ( R G H R R 1930 Nr. 901) oder wenn ein Soldat in einer „freien Stunde" in seinem Quartier seine Dienstwaffe entlädt ( R G 1 0 1 , 355). Amtsausübung ist auch nicht ausgeschlossen, wenn ein Beamter freiwillig selbst außerhalb seines eigentlichen Pflichtenkreises liegende hoheitliche Aufgaben als öffentliche übernimmt und durchführt, wenn nur sein Handeln (oder Unterlassen) eine innere Beziehung zu seinen dienstlichen Obliegenheiten aufweist und nicht etwa ganz außerhalb des Rahmens seines eigentlichen Dienstes liegt ( B G H L M § 839 [Fe] Nr. 6). Insbesondere schließt ferner Überschreitung der dienstlichen Befugnisse und Zuständigkeitsgrenzen, Mißbrauch der Amtsstellung zu eigensüchtigen oder strafbaren Zwecken und ein den Dienstpflichten Zuwiderhandeln aus eigensüchtigen Beweggründen den inneren Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit nicht aus ( R G 104, 286, 289 und 304, 306). Deshalb Amtspflichtverletzung in Ausübung öffentlicher Gewalt, wenn ein Polizeibeamter ein durch die Amtspflicht gebotenes Tätigwerden aus rein persönlichen Gründen unterläßt ( L M § 839 [Fg] Nr. 5), bei Plünderungen seitens einer Wachmannschaft, die u. a. Plünderungen verhindern sollte ( R G 104, 304), bei befehlswidriger Benutzung eines Dienstwagens zu einer Schwarzfahrt durch Polizeibeamten, der die befehlsgemäße Verwendung der Fahrzeuge zu überwachen und ihre mißbräuchliche Benutzung zu verhindern hatte ( B G H 1, 388; ähnlich bereits R G D R 1940, 509). Der Beamte tritt also nicht aus dem Bereich seiner dienstlichen Obliegenheiten heraus, wenn er selbst das tut, was er anderen zu wehren hat ( B G H 30. 1 1 . 1953 I I I Z R 226/52). b ) Öffentliche U n t e r n e h m u n g e n A n m . 23 Soweit der S t a a t (oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaft) ein U n t e r n e h m e n betreibt, das seiner Natur und Wesensart nach auch auf bürgerlich-recht93
Komm. z. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Kitft)
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§ 839 A n m . 24
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
licher Grundlage betrieben werden kann, folgt daraus allein, daß es sich um die Betätigung eines Hoheitsträgers handelt, noch nicht, daß die gesamte Tätigkeit öffentlichrechtlich und Ausübung öffentlicher Gewalt ist. Andererseits folgt daraus, daß es sich um eine nicht bereits ihrer Wesensart nach öffentlich-rechtliche Betätigung handelt, die auch von jedem privaten Unternehmer vorgenommen werden könnte, noch nicht, daß die gesamte im Rahmen dieser Unternehmung liegende Tätigkeit notwendig im bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreis liegt. Vielmehr kommt es für die Frage, ob ein Unternehmen des Staates oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft im bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreis oder im Rahmen hoheitlicher Betätigung betrieben wird, e n t s c h e i d e n d darauf an, wie das U n t e r n e h m e n im V e r h ä l t n i s zu seinen B e n u t z e r n g e o r d n e t (organisiert) ist. Entscheidend ist also, ob danach, wie das Unternehmen gliederungsmäßig aufgebaut, sein Betrieb geordnet und der Aufgabenbereich geregelt ist, der Wille des Hoheitsträgers erkennbar ist, das Unternehmen im ganzen oder zumindest in gewissen Beziehungen nach Art eines privaten Unternehmens in seinem bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreis zu betreiben, oder ob danach angenommen werden muß, daß das Unternehmen von dem Hoheitsträger als eine im Rahmen seines hoheitlichen Tätigkeitsgebietes liegende öffentliche Aufgabe durchgeführt werden soll (RG 158, 83, 9 1 ; 161, 341, 345; 164, 273, 277; B G H 17, 317, 320/i; 20, 102, 104; B G H 8. 1 1 . 1956 I I I Z R 159/55; BayVerfGH DÖV 1956, 499). Es kommt also nicht entscheidend auf den Akt der Schaffung des Unternehmens und seine Zielsetzung an, sondern auf die Ordnung des Verhältnisses zwischen dem Unternehmen und seinen Benutzern. Der Begründungsakt kann sehr wohl dem hoheitlichen Bereich zugehören, ebenso wie das Verhältnis zu den bei dem Unternehmen beschäftigten Personen, ohne daß dadurch bedingt wäre, daß auch das Verhältnis des Unternehmens zu seinen Benutzern hoheitsrechtlich sein müsse ( B G H 9, 145, 147; 20, 102, 104; L M § 839 [Fa] Nr. 2). Nach diesen Grundsätzen ist die Krankenbehandlung in einem öffentlichen Krankenhaus regelmäßig nicht als Ausübung öffentlicher Gewalt anzusehen ( B G H 1, 384), und zwar selbst dann nicht, wenn die Einweisung in das Krankenhaus einen öffentlich-rechtlichen Akt darstellt ( B G H 4, 138, isof). Dasselbe gilt für die Krankenbehandlung in Universitätskliniken ( B G H 9, 145; BGH NJW 1959, 816). Ausübung öffentlicher Gewalt beim Bau und Betrieb der Reichsautobahn bejaht in R G 159, 129 (131) und R G 168, 361 (369) gegen K G D R 1941, 156 1 3 . c) Insbesondere P o s t u n d Eisenbahn A n m . 24 Für den Betrieb der P o s t und der Eisenbahn gilt folgendes: Zunächst nahm die Rechtsprechung bei der Post hoheitliche Betätigung nur dort an, wo es um die Ausübung obrigkeitlicher Gewalt mit Zwangscharakter ging, während im übrigen die Beziehungen zwischen der Post und ihren Benutzern als privatrechtliche betrachtet wurden (RG 73, 270; 91, 273; 104, 1 4 1 ; 109, 209; 126, 28; 130, 402; 139, 149). Später hat sich jedoch die Rechtsprechung des R G gewandelt, und heute muß die g e s a m t e T ä t i g k e i t der Post als h o h e i t s r e c h t l i c h und damit als Ausübung öffentlicher Gewalt angesehen werden, sofern nicht im Einzelfall ausnahmsweise der Wille der Post erkennbar gemacht ist, sich nur auf privatrechtlicher Ebene zu betätigen. Im einzelnen sind als Ausübung öffentlicher Gewalt anerkannt: Fernsprechdienst (RG 155, 333); Briefbeförderung (RG 158, 83); Postscheckdienst (RG 161, 174); Paketbeförderung (RG 164, 273; B G H 16, 1 1 1 ) ; Telegraphenbaudienst (RG 165, 365) und Arbeiten zur Erhaltung der Betriebssicherheit der Fernmeldekabel (BGH L M § 839 [Fh] Nr. 4); Rundfunkbetrieb und damit auch Dienstfahrten in Dienstfahrzeugen zum Zwecke der Rundfunkentstörung (RG 166, 1); Dienstfahrten, die der Verwaltung, Leitung und Beaufsichtigung des Postwesens dienen (RG Postarch 1941, 283); Postsparkassenwesen (OVG Hamburg Postarch 1951, 503); Postkleiderkassen (BFH Postarch 1953, 603); Telegrammzustellung ( B G H 12, 89); Zustellungen im Rahmen der ZPO ( B G H 12, 96); Personenbeförderung ( B G H 20, 102; O L G Nürnberg VersR 1958, 252; O L G Celle VersR 1958, 343) und zwar Fahrten von Personenomnibussen auch dann, wenn sie im Einzelfall nicht der Personenbeförderung dienen, wie z.B. bei Überführungsfahrten ( B G H VersR 1958, 767). Hingegen ist Ausübung öffentlicher
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m , 25, 26
Gewalt v e r n e i n t für die Tätigkeiten im Rahmen der Wohnungsfürsorge der Post ( R G 162, 129, 162); ebenso für die verkehrssichere Unterhaltung der Telegraphenanlagen ( B G H 12, 94). Zu beachten ist: Soweit die Haftung der Post — auch bei einem seine persönliche Haftung begründenden Verschulden eines Beamten — nach postrechtlichen Bestimmungen ausgeschlossen ist (u. a. §§ 6 f f des Postgesetzes; §§9, 13 der Postordnung v. 30. 1. 1929 — R G B l I, 3 3 ; §§ 24, 29, 30 der Telegraphenordnung idF v. 12. 12. 1938 — ABl 819 — ; § 41 der Fernsprechordnung v. 24. 9. 1939 — ABl 859 — ; § 9 PostscheckGes. idF v. 22. 3. 1921 — R G B l 247), ist diese Haftungsbeschränkung auch unter der Geltung des Art. 1 3 1 WeimVerf und Art. 34 G G wirksam geblieben (vgl. Anm. 1 1 ) , so daß insoweit eine Haftung der Post unter keinerlei Gesichtspunkten begründet ist ( R G 107, 4 1 , 43; B G H 12, 89). Jedoch erstreckt sich der Haftungsausschluß im Postgesetz und in den von der Post für die Einzelgebiete des Postwesens erlassenen Verordnungen nur auf die typischen Haftungsgefahren der einzelnen Sondergebiete postalischer Tätigkeit ( R G 1 4 1 , 420, 426; B G H 12, 89, 91). Infolgedessen ist die Haftung für schuldhafte Schadenszufügung bei Anlage des Fernsprechanschlusses durch die Fernsprechordnung nicht ausgeschlossen ( R G 1 4 1 , 426), ebensowenig die Haftung gegenüber dem Zustellungsadressaten wegen fehlerhafter nach der Z P O zu bewirkender Zustellung durch §§6 Abs. 5, 12 des PostGes ( B G H 12, 96; 28, 30). Gleichfalls kein Haftungsausschluß für Vorlage eines Telegramms an falschen Absender anläßlich der Gebührennacherhebung durch § 29 TelegrOrdn. (BGH L M § 256 Z P O Nr. 5) und für falsche Auskunft über Verbleib des Briefes bei Ersatzzustellung gemäß § 182 Z P O ( O L G München M D R 1957, 357). A n m . 25 Beim Betrieb der E i s e n b a h n handelt es sich, auch wenn ebenso wie bei der Post, staatliche Hoheitsverwaltung in Frage steht, doch im wesentlichen um eine der p r i v a t w i r t s c h a f t l i c h e n gleichstehende staatliche T ä t i g k e i t . So die ständige Rechtsprechung des R G ( J W 1924, 1 7 1 4 ® ; H R R 1933 Nr. 657; R G 1 6 1 , 3 4 1 ; 169, 376, 379; 170, 1, 9), das A u s ü b u n g ö f f e n t l i c h e r G e w a l t n u r a u s n a h m s w e i s e , so bei bahnpolizeilicher Tätigkeit ( R G 162, 364, 366; 170, 1, 9) angenommen hat. Deshalb k e i n e Ausübung öffentlicher Gewalt bei der Personenbeförderung einschließlich der Regelung der Personenzugfolge durch Fahrdienstleiter ( R G 1 6 1 , 341) und bei der Güterbeförderung ( R G 162, 365). Der B G H führt diese Rechtsprechung fort und mißt ebenfalls dem Betrieb der Reichsbahn (jetzt der Bundesbahn, die mit der Reichsbahn personengleich ist [ B G H 1, 34; 13, 67]) privatrechtlichen Charakter bei ( B G H N J W 1952, 2 1 9 ; B G H 2, 37, 4 1 ; 6, 304, 3ogf; L M §839 [Fa] Nr. 2). So stellt auch das ö f f n e n und Schließen der fernbedienten und ortsbedienten Schranken keine bahnpolizeiliche, mithin keine hoheitliche Tätigkeit dar ( R G J W 1933, 840; R G 162, 364; B G H L M § 839 [Fa] Nr. 2; B G H VersR 1956, 52); ebensowenig der Dienst des Lokomotivführers ( R G 170, 1, 10; R G D R 1944, 491) und des Rangiermeisters ( R G Recht 1923 Nr. 1237). Der B G H sieht — im Gegensatz zum R G ( R G 107, 272 und J W 1927, 1352 4 ) — auch in der Ausfüllung öffentlicher Urkunden (Beförderungspapiere) durch die Reichs- und Bundesbahn nicht schlechthin Ausübung öffentlicher Gewalt ( B G H 6, 304). 5. ( W e i t e r e ) E i n z e l f ä l l e d e r S t a a t s - ( K ö r p e r s c h a f t s - ) H a f t u n g A n m . 26 Zur Haftung des R e i c h s für Dienstpflichtverletzungen von Militärpersonen s. Anm. 55; für Äußerungen eines mit den Verhandlungen über den Ersatz von Besatzungsschäden betrauten Vertreters der Reichsinteressen s. R G J W 1928, 1 4 4 5 1 ; bei Zurückweisung berufsmäßiger Vertreter von Beteiligten durch eine Verwaltungsbehörde s. R G 1 2 1 , 225; bei V e r f ü g u n g des K r i e g s z u s t a n d s s. R G 107, 396. Die Reichshaftung für Amtspflichtverletzungen beim L u f t s c h u t z ergab sich aus § 18 der V O v. 4. 5. 1937 ( R G B l I, 559). Nahmen jedoch mittelbare Reichsbeamte im Rahmen ihrer Tätigkeit bei ihrer Anstellungskörperschaft Luftschutz aufgaben wahr, so haftete für deren Pflichtverletzungen der unmittelbare Dienstherr ( B G H L M § 1 LuftschutzG Nr. 2). In den Fällen, in denen das Reich die Ausübung der Reichsgewalt auf gewissen 93*
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§ 839 Anm. 27
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Sondergebieten s e l b s t ä n d i g e n j u r i s t i s c h e n P e r s o n e n des p r i v a t e n R e c h t s übertragen hatte, ist deren Haftung für Pflichtwidrigkeiten ihrer Beamten und Angestellten aus § 839 i. V. mit den entsprechend angewandten Bestimmungen des ReichshaftungsG und später des Art. 131 WeimVerf bejaht worden (RG 106, 373 und R G L Z 1924, 125 7 für Kriegsgesellschaften mbH; R G m , 403 für die Reichstreuhandgesellschaft). Die Haftung des R e i c h s n ä h r s t a n d e s und der in ihm zusammengeschlossenen Viehwirtschaftsverbände für Amtspflichtverletzungen ihrer Bediensteten war auch noch über den Zusammenbruch von 1945 hinaus bis zur Auflösung des Reichsnährstandes durch Ges.VerWiGeb. v. 21. 1. 1948 gegeben ( B G H 7, 75). Zur Haftung des Reiches für Amtspflichtverletzungen von F i n a n z b e a m t e n bei der Behandlung von Steuersachen R G 111, 64 (verzögerte Steuervergütung); R G J W 1937, 1548 8 (unrichtige Belehrung und Beratung in einer Steuersache); R G 1 2 1 , 173 (unrichtige Auskunft über die Zollpflichtigkeit einzuführender Waren); R G 138, 40 (Verwahrung gepfändeter Sachen); bei Verwahrung von Zollgut in einer öffentlichen Niederlage R G 1 1 5 , 419. Heute ist die Finanzverwaltung wieder Ländersache; für Amtspflichtverletzungen von Z o l l b e a m t e n haftet hingegen weiter die Bundesrepublik, vgl. B G H N J W 1956, 1234 (Aufklärungspflicht über die Bedeutung der „Vorabfertigung" zollpflichtigen Reisegepäcks im Inland). Desgleichen haftet der Bund für Amtspflichtverletzungen der D e v i s e n ü b e r w a c h u n g s s t e l l e n (BGH L M § 839 [Fl] Nr. 3). Aus dem Recht der Bundesregierung, die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder zu beaufsichtigen, kann sich u. U. eine dem durch eine Unterlassung des Landes betroffenen Bürger gegenüber obliegende Amtspflicht zum Einschreiten und bei deren Verletzung eine Haftung des Bundes ergeben, so z. B. im Bereich der Bundesstraßenverwaltung (BGH L M Art. 34 G G Nr. 27). Die B u n d e s a n s t a l t für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung haftet auch für Ansprüche aus vor ihrer Errichtung (1. 5. 1952) begangener Amtspflichtverletzung eines von ihr übernommenen Beamten eines Arbeitsamtes (BGH 27, 29). Anm. 27 Haftung der Länder (früher Bundesstaaten): Zur Haftung des p r e u ß . S t a a t e s für unterlassenes oder ungenügendes Einschreiten der Wasserpolizeibehörde gegen die mißbräuchliche Benutzung eines Wasserlaufs s. R G 138, 259; für Amtspflichtverletzungen, die der Vorsitzende eines nach § 356 WasserG gebildeten S c h a u a m t e s bei Ausübung seiner wasserpolizeilichen Befugnisse begangen hatte, s. R G SeuffArch 81 Nr. 153; gegenüber Gemeinden für Amtsverschulden staatlicher Beamten bei A u s ü b u n g d e r k o m m u n a l e n A u f s i c h t s. R G 118, 94 (vgl. auch B G H 15, 305). Für Amtspflichtverletzungen im Bereich der J u s t i z haften, nachdem diese vom 1 . 4 . 1935 bis zum Zusammenbruch vorübergehend Reichssache war, jetzt wieder die Länder, z. B. für mangelnde Sorgfalt des Vollstreckungsrichters bei der Abnahme des Offenbarungseides (BGH 7, 287); für die Erteilung eines falschen Strafregisterauszuges (BGH 17, 153); bei der leichtfertigen Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, obwohl der angezeigte Sachverhalt unter keine Strafbestimmung fällt (BGH 20, 178); für Vernachlässigung der Fürsorge für die Invalidenversicherung von Strafgefangenen (RG J W 1933, 2951 3 ); für mangelnde Gesundheitsbetreuung der Strafgefangenen (BGH 21, 214). Die Länder hafteten unter dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge auch für Amtspflichtverletzungen aus der Zeit der Reichsjustizverwaltung (BGH 8, 169); s. jetzt jedoch § 2 des Allgem. KriegsfolgenG v. 5. 1 1 . 1957 (vgl. oben Anm. 16). Haftung der Länder für Vernachlässigung der Pfliiht, einen T r e u h ä n d e r für ein der Kontrolle gemäß MilRegG Nr. 52 unterliegendes Vermögen sorgfältig auszuwählen und zu beaufsichtigen s. B G H 15, 142; 17, 140; für Vernachlässigung von Amtspflichten gegenüber anderen Beamten im Landesdienst s. B G H 4, 380; 22, 258; für Amtspflichtverletzungen der Entnazifizierungsberufungsausschüsse einschl. des Geschäftspersonals, selbst wenn das Personal von den Kreisen bestellt wurde, s. B G H 28. 1. 1954 I I I Z R 196/52. Zur Haftung der nach 1945 neugebildeten Länder für vor ihrer formellen Gründung in ihrem späteren Gebietsbereich von Beamten im staatlichen Aufgabenkreis begangene Amtspflichtverletzungen s. B G H 10, 220.
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 28—30
A n m . 28 Für den preußischen L a n d r a t hafteten zufolge seiner Doppelstellung der Staat oder der L a n d k r e i s , j e n a c h d e m die Amtspflichtverletzung in den Bereich der den Kreis betreffenden staatlichen Geschäfte oder in den der K o m m u n a l v e r w a l t u n g des Kreises fiel ( R G ioo, 188; 129, 330; R G J W 1935, 3531 4 ; R G W a r n R s p r 1933 Nr. 121); die ihm beigegebenen Beamten waren n u r staatliche oder k o m m u n a l e Beamte mit H a f t u n g des sie anstellenden Gemeinwesens ( R G 140, 126). Dagegen w a r der O b e r k r e i s d i r e k t o r in der britischen Besatzungszone nach den g e m ä ß M i l R e g V O Nr. 21 revidierten Gemeindeordnungen, obwohl er die funktionelle Doppelstellung des früheren L a n d r a t s hatte, n u r noch Kreiskommunalbeamter, u n d f ü r seine etwaigen Amtspflichtverletzungen haftete daher n u r der Kreis ( B G H 13. 10. 1952 I I I Z R 104/51 u n d 11. 3. 1954 I I I Z R 284/52). I n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n hat der Oberkreisdirektor nach der Landkreisordnung v. 21. 7. 1953 (GVB1 305) wieder eine Doppelstellung inne. Zur H a f t u n g der Landkreise in B a y e r n vgl. A n m . 15. Z u r H a f t u n g des Landkreises f ü r Amtspflichtverletzungen eines Kreisbeamten, der im A u f t r a g seines L a n d r a t s Staatsaufgaben erledigte, s. B G H L M Art. 34 G G Nr. 24 u n d B G H 28. 1 1 . J 9 5 5 H I Z R 46/54; f ü r Amtspflichtverletzungen der Mitglieder des K r e i s t a g e s bei W a h r n e h m u n g von staatlichen Verwaltungsaufgaben s. B G H 11, 193.
A n m . 29 H a f t u n g einer G e m e i n d e wegen eines von ihrem A m t s a r z t erstatteten falschen Gutachtens über die Dienstfähigkeit eines Beamten s. R G J W 1931, 4 7 1 2 ; desgleichen wegen der vom Amtsarzt nicht erkannten Geschlechtskrankheit bei der U n t e r s u c h u n g auf Polizeidiensttauglichkeit s. B G H J R 1955, 340; wegen Versagung der B a u e r l a u b n i s s. R G 126, 356; wegen Verzögerung der Bauerlaubnis s. B G H V e r w R s p r 6 N r . 4 1 ; wegen Erteilung der Bauerlaubnis bei G e f ä h r d u n g des Nachbargrundstücks d u r c h die Ausschachtungsarbeiten s. R G W a r n R s p r 1938 Nr. 1 2 1 ; f ü r pflichtwidrige Schädigung eines Mündels d u r c h den von der Gemeinde bestellten V o r m u n d s. R G 132, 257 (Amtshaftung u n d H a f t u n g der Gemeinde nach § 1833 können d a n n konkurrieren, s. B G H 9, 255). Keine H a f t u n g der Gemeinde f ü r einen von der Gemeinde aus ihren Beamten vorgeschlagenen, vom Vormundschaftsgericht bestellten V o r m u n d s. R G SeuffArch 87 Nr. 113; f ü r die Zuverlässigkeit der vom Gemeindevorsteher erteilten Bescheinigung über die sachliche Tüchtigkeit u n d gute F ü h r u n g oder über die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Gemeindeangehörigen s. R G J W 1935, 2043 8 ; R G W a r n R s p r 1936 Nr. 156. H a f t u n g einer Stadtgemeinde f ü r eine von einer „Ermittlungsstelle" in einer Amtsvormundschaftssache d e m J u g e n d a m t erteilten unrichtigen Auskunft s. R G 170, 129, 134. Erstreckung der H a f t u n g einer Stadtgemeinde f ü r Amtspflichtverletungen ihrer Beamten auch auf den Bereich der von der Stadt verwalteten Stiftungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, s. R G 161, 288. H a f t u n g einer (württembergischen) Stadtgemeinde f ü r grob fahrlässige unrichtige Grundstücksschätzung ihres Gemeinderates s. R G W a r n R s p r 1938 Nr. 87. Keine Amtshaftung der Gemeinde, w e n n j e m a n d , der einem öffentlichen Aufruf zur Beteiligung an unentgeltlicher Gemeinschaftsarbeit (Bau einer Straße) n a c h k o m m t , dabei Schaden erleidet ( R G D R 1940, 1108 1 3 ). Ebenso keine A m t s h a f t u n g der Stadtgemeinde gegenüber einem auf G r u n d öffentlicher Fürsorge im städtischen K r a n k e n h a u s unentgeltlich aufgenommenen K r a n k e n bei fehlerhafter Behandlung, vielmehr n u r H a f t u n g entsprechend § 278 ( B G H 4, 138).
A n m . 30 6. N a c h Art. 34 Satz 2 G G bleibt der R ü c k g r i f f d e r von d e m Geschädigten a u f S c h a d e n s e r s a t z i n A n s p r u c h g e n o m m e n e n K ö r p e r s c h a f t vorbehalten, j e d o c h lediglich bei Vorsatz u n d grober Fahrlässigkeit. Eine noch w e i t e r g e h e n d e Bes c h r ä n k u n g der Rückgriffsmöglichkeit d u r c h einfaches Gesetz (s. z. B. § 2 Abs. 2 des Ges. über die E i n f ü h r u n g der Pflichtversicherung f ü r Kfz-Halter i d F des Ges. v. 16. 7. '957> BGBl I 710) ist z u l ä s s i g . — Der Vorbehalt ist f ü r die B e a m t e n i m s t a a t s r e c h t l i c h e n S i n n ausgefüllt d u r c h § 78 BBG u n d § 4 6 B R R G u n d f ü r die Soldaten d u r c h § 24 des Soldatengesetzes v. 19. 3. 1956 (BGBl I, 114). Für die ü b r i g e n A m t s t r ä g e r richtet sich die Rückgriffshaftung nach d e m der Amtsausübung z u g r u n d e
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§ 839 A n m . 31
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
liegenden Dienst- oder sonstigen Rechtsverhältnis mit der Maßgabe, daß auch insoweit der Rückgriff bei nur leicht fahrlässiger Amtspflichtverletzung ausgeschlossen ist (RG 165, 323, 332fr). § 839 selbst kommt als G r u n d l a g e für den Rückgriffsanspruch nicht in B e t r a c h t , weil diese Bestimmung das Innenverhältnis zwischen dem schuldigen Amtsträger und seinem Dienstherrn nicht betrifft und der durch das Einstehenmüssen für die Folgen einer Amtspflichtverletzung geschädigte Dienstherr nicht,,Dritt er" ist (RG 134, 3 1 1 , 320; 164, 1 ; 165, 323, 332). Mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Amtsträgers berührt den Rückgriffsanspruch grundsätzlich nicht (RG 163, 87, 89). Jedoch g r e i f t § 254 P l a t z z. B. bei Verschulden des Dienstherrn wegen Uberbelastung des Beamten (RG 126, 362; R G H R R 1936 Nr. 257). Zu beachten ist ferner, daß auch die Rückgriffsansprüche gegen die Beamten u n t e r dem G e d a n k e n der F ü r s o r g e p f l i c h t des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn stehen (s. § 36 DBG; § 79 BBG; §48 BRRG). Daraus folgt, daß der Beamte, wenn er sich auch auf §839 Abs. 1 Satz 2 nicht berufen kann, von seinem Dienstherrn doch erst dann im Rückgriffwege in Anspruch genommen werden darf, wenn anderweite Ersatzansprüche, die der Dienstherr sich etwa über § 255 beschaffen kann, nicht mehr bestehen oder nicht durchgesetzt werden können (vgl. P a g e n d a r m DÖV 1955, 520, 526). Z u s t ä n d i g für Rückgriffsansprüche sind gemäß Art. 34 Satz 3 GG, der unmittelbar geltendes Recht ist ( J e ß , Bonner Kommentar, Anm. II 10 zu Art. 34), die o r d e n t l i c h e n (Zivil-) G e r i c h t e . § 126 Abs. 2 B R R G gilt insoweit nicht. Die Zuständigkeit der Zivilgerichte ist gegeben für Rückgriffsansprüche gegen „jemand" i. S. des Art. 34 GG, mithin nicht nur für Rückgriffsansprüche gegen Beamte im staatsrechtlichen Sinn, sondern auch für solche gegen sonstige Amtsträger (so auch W e i m a r M D R 1958, 896; aA P a l a n d t Anm. 14 zu § 839; O L G Stuttgart M D R 1954, 181), und zwar sind gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 2 G V G die Landgerichte ausschließlich zuständig. Unter „Beamten" im Sinne dieser Vorschrift sind die Beamten im haftungsrechtlichen Sinne, also auch die nicht beamteten Amtsträger (s. oben Anm. 12) zu verstehen (aA R G 165, 323, 334). III. Die a l l g e m e i n e n H a f t u n g s v o r a u s s e t z u n g e n A n m . 31 1. B e a m t e i. S. des § 839 sind einmal alle öffentlichen Beamten des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen in § 121 B R R G genannten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, und zwar ohne Rücksicht darauf, welcher Art das Beamtenverhältnis (auf Lebenszeit, auf Zeit, auf Probe, auf Widerruf; Ehrenbeamtenverhältnis) ist und welcher Art die von dem Beamten zu leistenden Dienste sind. Das Beamtenverhältnis ist ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis (§ 2 BBG; § 2 B R R G ; früher § 1 DBG), das durch Aushändigung einer Urkunde, in der die Worte „unter Berufung in das Beamten Verhältnis" enthalten sein müssen, begründet wird (§ 6 BBG; § 5 B R R G ; früher § 27 DBG). Darüber, daß in der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 ein Beamtenverhältnis auch ohne Beachtung der gesetzlichen Formvorschriften begründet werden konnte, vgl. B G H 3, 1 (28f); BVerfGE 3, 255fr. N u r Beamte in diesem b e a m t e n r e c h t l i c h e n S i n n e können für Amtspflichtverletzungen im B e r e i c h des P r i v a t r e c h t s v e r k e h r s (s. Anm. 4) aus § 839 — persönlich — in Anspruch genommen werden. Zu diesen ö f f e n t l i c h e n B e a m t e n zählen auch die Beamten der als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten R e l i g i o n s g e m e i n s c h a f t e n (RG 168, 143, 158; B G H 22, 383, 388; aA S c h r ö e r J Z 1958, 422). Beamte waren f r ü h e r landesgesetzlich durchweg auch die N o t a r e (vgl. für Preußen R G 49, 269; J W 1906, 4 6 7 " ; für Bayern BayOblGZ 3 [1903], 1038). Nach der Reichsnotarordnung v. 13. 2. 1937 (RGBl I, 191) sind die Notare nicht mehr Beamte im beamtenrechtlichen Sinne, aber Träger eines öffentlichen Amtes; ihre Amtshaftung ist in §§21, 35 dieser VO besonders geordnet (vgl. Vorbem 69—80 vor § 6 1 1 und unten Anm. 82). Auch die S c h i e d s m ä n n e r sind nach der pr. Schiedsmannsordnung v. 3. 12. 1924 (GS S. 751) nicht mehr Beamte, sondern nur Träger eines öffentlichen Amtes. K e i n e öffentlichen Beamten sind ferner die M i n i s t e r (BGes. v. 17. 6. 1953 — BGBl I, 407; B G H L M § 162 DBG Nr. 1), die S o l d a t e n (§ 1 des Soldatengesetzes v. 19. 3. 1956 — BGBl I, 114) und die öffentlich bestellten V e r m e s s u n g s i n g e n i e u r e (Berufsordnung v. 20. 1. 1938—• RGBl 1 , 4 0 ; für
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Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 31 die früheren Feldmesser in Preußen vgl. R G 79, 85). Uber die frühere beamtenrechtliche Stellung der Volksschullehrer in Preußen s. R G 85, 22 und J W 1915, 663 16 ; wegen der Lehrer an höheren Lehranstalten s. R G 84, 27. Jedoch sind, soweit es um Amtspflichtverletzungen im Rahmen der A u s ü b u n g e i n e s ö f f e n t l i c h e n A m t e s (öffentlicher Gewalt) geht, als Beamte i. S. des Haftungsrechts und damit auch i. S. des § 839 a u ß e r den B e a m t e n im beamten-(staats-)rechtlichen Sinne a u c h noch alle diejenigen P e r s o n e n ohne Rücksicht auf ihre staatsrechtliche Qualifikation anzusehen, die h o h e i t l i c h e A u f g a b e n (öffentliches Amt, öffentliche Gewalt) ausüben, die ihnen vom Staat oder einer sonst dazu befugten Körperschaft anvertraut worden sind (s. Anm. 12). Ein „Dienstverhältnis" ist nicht Voraussetzung ( B G H 11, 192, 198). Im haftungsrechtlichen Sinne waren deshalb als Beamte auch anzusehen die nach der Staatsumwälzung des Jahres 1918 eingesetzten A r b e i t e r - und S o l d a t e n r ä t e ( R G 99, 285; 100, 25; 104, 257 und 362; R G WarnRspr 1923/24 Nr. 92) und die Angehörigen des Ende 1918 gebildeten Marinesicherungsdienstes ( R G WarnRspr 1926 Nr. 21). Beamte im haftungsrechtlichen Sinne sind: M i n i s t e r ( R G 118, 325; B G H 14, 319); S o l d a t e n ( R G 162, 308); Mitglieder der F e u e r w e h r e n ( R G D R 1941, 1294 18 , auch R G 167, 385, 390; für die freiwilligen Feuerwehren in Preußen verneint in R G 124, 159, jedoch nunmehr für Nordrh-Westf. bejaht in B G H 20, 290, für Nordbaden in VersR 1958, 886); Jagdaufseher gem. § 25 Abs. 2 BundesjagdGes vom 29. 11. 1952 — BGBl I, 780; mit Polizeigewalt betraute private Feldhüter ( R G 142, 190), Nachtwächter ( R G 159, 235) und Straßenaufseher ( R G 132, 61); Fahrer eines Krankenwagens eines von einem Landkreis unterhaltenen öffentlichen Krankenbeförderungsdienstes ( O L G Schleswig SchlHAnz 1958, 112); Z w a n g s l o t s e n im Nordostseekanal ( R G 86, 117; 87, 347; i r o , 349); Kreisfürsorgerinnen mit Exekutivbefugnissen ( R G 138, 316); S c h i e d s m ä n n e r ( R G 88, 51); S c h ö f f e n , G e s c h w o r e n e und sonstige gerichtliche B e i s i t z e r ( R G J W 1924, 192); Mitglieder gesetzlich anerkannter E h r e n g e r i c h t e ( R G 138, 57: Ärzte; 156, 34: Jäger; 170, 333: Rechtsanwälte); Leiter und Vertrauensärzte öffentlicher Krankenkassen ( R G 165, 91, 99, 103); praktischer Arzt bei nebenberuflicher Betreuung von Gefängnisinsassen ( B G H 15. 10. 1956 III Z R 35/55); Fleischbeschauer ( B G H 22, 246, 248); Mitglieder des Mieteinigungsamtes ( R G J W 1928, 2534 19 ); Mitglieder des Wohnungsausschusses ( B G H 6. 12. 1951 I I I Z R 143/50; O L G Schleswig J R 1951, 56; vgl. auch B G H NJW 1955, 1405); Mitglieder der Kommission für Kulturschaffende im Bayer. Kultusministerium bei Erstattung von Gutachten in politischen Säuberungsverfahren ( B G H L M Art. 97 BayerVerf Nr. 1); auch die Mitglieder der Kreistage, soweit es um die Wahrnehmung staatlicher Verwaltungsaufgaben geht ( B G H 11, 192). Dagegen sind auch im haftungsrechtlichen Sinne keine Beamten: S c h i e d s r i c h t e r ( R G 65, 175; R G J W 1933, 217; B G H 15, 12; vgl. jedoch Anm. 99); R e c h t s a n w ä l t e (auch nicht als Armenanwälte), V o r m ü n d e r , P f l e g e r , T e s t a m e n t s v o l l s t r e c k e r und N a c h l a ß - , Z w a n g s - u n d K o n k u r s v e r w a l t e r ; die zur Liquidierung jüdischer Geschäfte nach den V O e n v. 12. und 23. 11. 1938 (RGBl I, 1580 und 1642) bestellten Abwickler ( B G H L M § 675 Nr. 6; aA für Treuhänder jüdischen Vermögens nach der V O v. 3. 12. 1938 [RGBl I, 1709] O L G Kiel SJZ 1947, 5 1 1 ) ; die T r e u h ä n d e r (custodians) nach MilRegGes Nr. 52 und 53 ( B G H L M Art. 34 G G Nr. 36; BGH 24, 393). Als Beamter kann für die Haftung aus § 839 i m m e r n u r d i e E i n z e l p e r s o n in Betracht kommen. Geht die Amtshandlung, die eine Verletzung der Amtspflicht enthält, v o n m e h r e r e n B e a m t e n aus, die hierbei nach gesetzlicher Ordnung zusammenwirken müssen (Kollegium), so kann Amtshaftung nur insoweit eintreten, als Beamte mit der Mehrheit gestimmt haben und so für die Amtshandlung mit verantwortlich geworden sind ( R G 89, 13; R G J W 1928, 2534 19 ). Die F e s t s t e l l u n g der E i n z e l p e r s ö n l i c h k e i t des Beamten ist indessen bei den gegen eine öffentliche Körperschaft gemäß Art. 34 G G erhobenen Klagen ebenso n i c h t e r f o r d e r l i c h , wie die des Angestellten im Falle des § 831 ( R G 100, 102; 159, 283, 290). Nicht anwendbar ist § 839, wenn ein Nichtbeamter unbefugt eine Handlung vornimmt, die nur kraft eines Amtes vorgenommen werden darf ( R G 140, 129).
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§ 839 A n m . 32
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Auch f r ü h e r e B e a m t e , deren Beamten Verhältnis beendet ist (durch Entlassung, Versetzung in den R u h e s t a n d u. a.), sind haftungsrechtlich noch als „ B e a m t e " zu behandeln, wenn es u m die Verletzung von Pflichten geht, die — wie etwa die Geheimhaltungspflicht — über die D a u e r des Beamtenverhältnisses selbst hinaus bestehen ( B G H 27. 6. 1957 I I I Z R 27/56). 2. V e r l e t z u n g e i n e r d e m B e a m t e n e i n e m D r i t t e n g e g e n ü b e r o b l i e g e n d e n Amtspflicht a) A m t s p f l i c h t e n A n m . 32 Die H a f t u n g aus § 839 setzt d i e V e r l e t z u n g e i n e r d e m B e a m t e n e i n e m D r i t t e n g e g e n ü b e r o b l i e g e n d e n A m t s p f l i c h t voraus. Die Verletzung einer Amtspflicht kann, wie regelmäßig die u. H . sowohl in der V o r n a h m e einer unzulässigen, wie in der U n t e r lassung einer gebotenen A m t s h a n d l u n g bestehen ( R G 56, 84, 92). I n h a l t u n d U m f a n g d e r A m t s p f l i c h t e n bestimmen sich einmal nach den den Aufgaben- u n d Pflichtenkreis der Beamten allgemein regelnden Vorschriften (bei Landesbeamten also n a c h Landesrecht, s. R G 144, 339, 345; R G J W 1936, 1434 6 ; R G H R R 1936 Nr. 1500), wie sie f ü r die Beamten im staatsrechtlichen Sinne in BBG, B R R G sowie in den einzelnen Landesbeamtengesetzen u n d f ü r sonstige I n h a b e r eines öffentlichen Amtes in den einschlägigen Gesetzen ( R N o t O ; Schiedsmannsordnungen; G V G f ü r Schöffen u n d Geschworene usw.) oder auch in den Anstellungs- u n d Dienstverträgen enthalten sind. Ferner ergeben sich Amtspflichten aus sonstigen gesetzlichen Bestimm u n g e n sowie aus allgemeinen Dienstvorschriften, dienstlichen Weisungen u n d Befehlen der Vorgesetzten ( R G J W 1934, 2398). Abgesehen von ausdrücklichen Gesetzesu n d Verwaltungsvorschriften können sich Amtspflichten auch aus der Art der w a h r z u n e h m e n d e n Aufgaben selbst ergeben ( R G J W 1916, 739 5 ; B G H VersR 1958, 600). Auch aus d e m Fürsorge- u n d Treueverhältnis, wie es z. B. zwischen einem Beamten u n d seinem öffentlichen Dienstherrn besteht, können besondere Amtspflichten erwachsen ( R G 146, 35, 40; B G H 15, 185, 187). Ferner können sich aus einer bestimmten Art der Erledigung eines Dienstgeschäfts Amtspflichten hinsichtlich des künftigen amtlichen Verhaltens in der betreffenden Angelegenheit ergeben (Pflicht zu konsequentem Verhalten als Folge vorausgegangenen Tuns), s. R G J W 1934, 2398, 2400; B G H 25. 11. 1957 H I Z R 86/56. Der A u f g a b e n - u n d P f l i c h t e n k r e i s der Beamten l i e g t n i c h t e i n f ü r a l l e m a l f e s t , u n d die H a f t u n g n a c h § 839 setzt nicht einmal voraus, d a ß der Beamte zu der Amtshandlung, in deren Ausübung er sich einer Pflichtverletzung schuldig machte, verpflichtet war. Deshalb können Amtspflichten auch d a n n verletzt werden, wenn es sich u m Aufgaben handelt, die von d e m Beamten freiwillig, selbst a u ß e r h a l b seines eigentlichen Pflichtenkreises u n d unter Überschreitung der Grenzen seiner Zuständigkeit, als amtliche Aufgaben ü b e r n o m m e n u n d durchgeführt worden sind, wenn sein H a n d e l n nur noch eine innere Beziehung zu seinen dienstlichen Obliegenheiten aufweist: s. R G 71, 60, 63: Unterschriftsbeglaubigung d u r c h einen d a f ü r nicht zuständigen Gemeindevorsteher; R G 68, 277, 282; 146, 35, 40; R G J W 1929, 1797 u n d 1934, 2398; D R 1941, 1228; B G H N J W 1955, 1835 (sämtlich Fälle von Auskunfts- u n d Raterleilungen, zu denen der Beamte nicht verpflichtet w a r ) ; R G D R 1940, 1950: Mangelhafte Beaufsichtigung des in einem Abmeierungsverfahren bestellten Nutzverwalters d u r c h den unzuständigen Kreisbauernführer; R G J W 1937, 1 4 9 1 : A n n a h m e von Bargeld d u r c h einen dafür nach der Kassenordnung nicht zuständigen Kassenbeamten; B G H L M § 839 (Fa) N r . 6 : Verweigerung einer zwar nicht zu den Dienstobliegenheiten eines Kreistierarztes gehörenden, gleichwohl aber regelmäßig erteilten Bescheinigung ü b e r Tbc-Freiheit von R i n d e r n . Alle i m R a h m e n der Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben eines B e a m t e n l i e g e n d e n P f l i c h t e n s i n d „ A m t s p f l i c h t e n " , selbst w e n n die gleiche Pflicht (z. B. die Pflicht zur I n n e h a l t u n g der Verkehrsvorschriften) auch j e d e n anderen trifft ( R G 1 3 9 , 1 4 9 , 153 ff; B G H 16,111,114). Hingegen stellt im R a h m e n der Tätigkeit eines Beamten im Bereich des Privatrechtsverkehrs die Beachtung einer derartigen allgemeinen Pflicht keine besondere Amtspflicht dar ( R G 158, 83, 94; B G H 16, m , 1 1 4 ; 20, 48, 51).
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Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 33 Anm. 33 Allgemein läßt sich sagen: J e d e r B e a m t e h a t d i e A m t s p f l i c h t , s e i n A m t s a c h l i c h , u n p a r t e i i s c h und im E i n k l a n g mit den F o r d e r u n g e n von T r e u und G l a u b e n und guter Sitte a u s z u ü b e n und sich j e d e n h i e r g e g e n vers t o ß e n d e n M i ß b r a u c h s s e i n e s A m t e s z u e n t h a l t e n ( R G 154, aoi, 208; B G H 29. 10. 1956 I I I Z R 51/55 und 27. 6. 1957 I I I Z R 13/56). Daraus ergibt sich u. a.: Es ist Pflicht eines jeden Beamten, im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt die ihm anvertrauten Machtmittel streng in den Grenzen der Amtsausübung zu gebrauchen, sich, soweit ihn das Gesetz nicht ausdrücklich dazu ermächtigt, jeden Eingriffs in die Rechte Dritter zu enthalten und sein Amt so auszuüben, daß unbeteiligte Dritte dadurch nicht geschädigt werden. Jeder Amtsausübung wohnt mithin die Pflicht inne, dafür zu sorgen, daß Dritte, die von der Amtstätigkeit nicht berührt werden sollen, auch nicht von ihr beeinträchtigt werden ( R G 91, 3 8 1 ; i o i , 24; 108, 366; 125, 85; 139, 14g, 154; 158, 83, 94; R G J W 1936, 2396; B G H 16, i n , 1 1 3 ; s. auch B G H 12, 206). Ebenso hat jeder Beamte die Pflicht, E i n g r i f f e v o n h o h e r H a n d in die Rechtssphäre von Privatpersonen in d e n G r e n z e n des u n u m g ä n g l i c h N o t w e n d i g e n zu halten; es obliegt ihnen deshalb auch, im Rahmen des Zumutbaren des Ihrige zu tun, um dem einzelnen Betroffenen die Wahrung seiner Rechte zu ermöglichen oder zu erleichtern, und dazu beizutragen, die nachteiligen Folgen des Eingriffs für den Betroffenen herabzumindern ( B G H SchlHA 1954, 145; B G H 18, 366). Bei Anwendung gesetzlicher Vorschriften kann auch zu prüfen sein, ob nicht eine über den Wortlaut hinausgehende sinngemäße Anwendung geboten ist ( R G H R R 1937 Nr. 799). Die A u s k u n f t , die ein Beamter auf Grund dahingehender Verpflichtung oder freiwillig erteilt, m u ß dem Stande der Erkenntnismöglichkeit entsprechend v o l l s t ä n d i g , r i c h t i g u n d s a c h g e r e c h t sein ( R G 68, 277, 282; 170, 129, 1 3 5 ; R G D R 1941, 1228; B G H 14, 3 1 9 , 3 2 1 ; N J W 1955, 1835; B G H W M 1956, 3 1 9 und 1404; VersR 1959, 520). Dabei kommt es u. U . nicht auf den Wortlaut an, sondern auf den Eindruck, den die Mitteilung bei den Empfängern hervorruft ( B G H 27, 338: Auskunft der StA an die Presse über den Stand eines Ermittlungsverfahrens). Jedoch kann nicht allgemein von einem Beamten, der an Hand von Akten Auskunft erteilt oder eine Bescheinigung ausstellt, verlangt werden, er müsse auch die Unterlagen dahin prüfen, ob sie das in den Akten enthaltene Ergebnis rechtfertigen ( B G H 22. 5. 1958 I I I Z R 99/56). Jeder Beamte hat die Pflicht, sich die für die Führung seines Amtes n o t w e n d i g e n u n d e t w a noch f e h l e n d e n K e n n t n i s s e z u v e r s c h a f f e n (vgl. R G 126, 363; R G H R R 1931 Nr. 854 und D R 1941, 1457). Die mit der Betreuung der sozial schwachen Volkskreise betrauten Beamten haben die Amtspflicht, diesen zur Erlangung und Wahrung der ihnen vom Gesetz zugedachten Rechte und Vorteile nach Kräften beizustehen ( B G H N J W 1957, 1873: Rechtsbelehrung Schwerbeschädigter; auch schon R G D R 1941, 1296). Überhaupt haben die Beamten jeden Gesuchsteller so zu behandeln, daß er das erreichen kann, was ihm das Gesetz zubilligt ( B G H L M Nr. 5 [C] zu § 839). G e s u c h e , Beschwerden und sonstige Eingaben sind in a n g e m e s s e n e r F r i s t z u e r l e d i g e n ( R G H R R 1935 Nr. 586; B G H 15, 305, 3 i o f f ; B G H 22. 1 1 . 1951 I I I Z R 200/50). Eine Behörde ist einem Antragsteller gegenüber zu einer wahrheitsgemäßen M i t t e i l u n g ü b e r d e n S a c h s t a n d verpflichtet; sie ist auch zu einer S a c h e n t s c h e i d u n g verpflichtet, sobald die rechtliche Prüfung des Antrags abgeschlossen ist, dies vor allem, wenn der Behörde erkennbar ein dringendes Interesse des Antragstellers an einer alsbaldigen Sachentscheidung besteht ( B G H 30, 19). Alle Organe des Staates und alle Stellen, deren sich der Staat zur Durchführung seiner Aufgaben bedient, haben die Pflicht, soweit erforderlich, dazu mitzuwirken, daß die zur Sachentscheidung berufene Stelle in den Stand gesetzt wird, diese Sachentscheidung zu treffen ( B G H 15, 305, 309). Die zur Entscheidung über eine Beschwerde zuständige Behörde hat ihre Entscheidung auf Grund eigener Würdigung des Sachverhalts nach seiner tatsächlichen und rechtlichen Seite hin zu treffen ( B G H 20. 3. 1958 I I I Z R 201/56). Entscheidungen, diedem Gesetz widersprechen, darf der Beamte nicht in sichere Aussicht stellen ( R G H R R 1934 Nr. 94; B G H L M Nr. 5 [C] zu § 839). Mündliche Z u s a g e n , einen dem Gesetz nicht widersprechenden Verwaltungsakt zu erlassen, müssen gehalten werden (BVerwG
1459
§ 839 Anm. 34, 35
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
DVB1 1955, 293 und 1956, 574). Ein als gesetzwidrig erkannter oder erkennbarer belastender V e r w a l t u n g s a k t muß in der Regel w i d e r r u f e n werden (BGH 13. 1 1 . 1952 III ZR 319/51 und 30. 1 1 . 1953 I I I Z R 191/52). Eine Behörde darf sich zu ihrem eigenen früheren Verhalten zu Lasten des davon betroffenen Staatsbürgers nicht in Widerspruch setzen, wenn der auch das öffentliche Recht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben dies verbietet (Pflicht zu konsequentem V e r halten); dies kann sogar dann gelten, wenn der Staatsbürger durch das frühere Verhalten der Behörde eine mit den allgemeinen Bestimmungen nicht in Einklang stehende günstige Rechtsposition erlangt hat (RG J W 1934, 2398, 2400; BGH 25. 11. 1957 I I I ZR 86/56). Unter Umständen darf danach auch ein objektiv rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht widerrufen werden (vgl. BVerwG DÖV 1958, 178). Ohne gesetzliche Ermächtigung darfeine Behörde die Erfüllung ihrer amtlichen A u f g a b e n , insbesondere einen in ihrem Ermessen stehenden Erlaß eines hoheitlichen Verwaltungsaktes nicht von w i r t s c h a f t l i c h e n Gegenleistungen des Gesuchstellers abh ä n g i g machen (RG 132, 174, 17gf; 138, 300, 308; RG J W 1932, 2990; BGH 26, 84). Ein Beamter darf auch seine amtliche Tätigkeit nicht ohne ganz besonderen Grund, insbesondere nicht wegen persönlicher Differenzen mit dem Gesuchsteller versagen (BGH L M § 839 [Fe] Nr. 6). Anm. 34 Jeder Beamte ist verpflichtet, die Grenzen seiner Zuständigkeit einzuhalten. Deshalb kann die Überschreitung der Amtsbefugnisse durch Vornahme von Amtshandlungen, für die der Beamte nicht zuständig ist, die Verletzung einer Amtspflicht darstellen, wenn nur eine innere Beziehung zwischen der schädigenden Handlung des Beamten und der Amtsausübung besteht (RG 71, 60, 62; 99, 285, 288; 104, 257, 2Ö2f und 346, 348; 140, 423, 428; 144, 391, 395; 145, 204, 213; 156, 220, 232 ff; RG J W 1928, 3113 6 ; H R R 1933 Nr. 372, 376, 1582, 1921; RG DR 1940, 1950 20 ; 1941, 58»; RG WarnRspr 1923/24 Nr. 92; 1930 Nr. 191; RG SeuffArch 84 Nr. 62 und 95 Nr. 65; BGH 27. 4. 1953 III ZR 332/51 und 18. 3. 1957 III Z R 191/55; BGH NJW 1959, 1316). Deshalb Amtspflichtverletzung, wenn ein Beamter (Schiedsmann, Gemeindevorsteher), der dazu nicht befugt ist, eine Beglaubigung von Unterschriften in Form amtlicher Urkunden vornimmt und dabei schuldhaft Falsches beurkundet (RG 71,60; J W 1909,391 8 und 49417 in Abweichung von RG 60, 3 2 i ; J W i 9 i i , 45 2 20 ; 1917, 93i 9 ;vgl. auch L Z 1927, 926); wenn sich ein Grundbuchbeamter unter der Vorspiegelung, er sei für Hinterlegungssachen zuständig, zur Hinterlegung bestimmte Gelder aushändigen läßt, um sie alsbald für sich zu verwenden (RG 148, 251; s. auch 156, 232); wenn ein dafür nicht zuständiger städtischer Beamter Steuerzahlungen entgegennimmt, sie dann aber nicht ihrem Zwecke zuführt, sondern sie unterschlägt (RG J W 1938, 2399); wenn ein dafür nicht zuständiger Bürgermeister ein Privatfahrzeug in Anspruch nimmt (BGH 27. 4. 1953 III Z R 332/51). Amtsmißbrauch durch Überschreitung obrigkeitlicher Befugnisse als Amtspflichtverletzung s. ferner RG 154, 201, 208 und 159, 235, 238. Anm. 35 Auch im Rahmen von Ermessensentscheidungen können Amtspflichtverletzungen vorkommen. Um Ermessensentscheidungen handelt es sich aber grundsätzlich nur dann, wenn die Behörde die Wahl zwischen mehreren Entscheidungen hat, aber nicht, wenn nur eine Entscheidung die richtige, jede andere aber falsch ist (vgl. im einzelnen Forsth o f f , Lehrbuch I 7. Aufl. S. 73ff; Bachof J Z 1955, 97). Bei Ermessensentscheidungen steht dem Beamten ein so weiter Spielraum zu, daß auch bei fehlerfreier Ausübung des Ermessens widersprechende Entscheidungen durch verschiedene Beurteiler möglich sind. Das Gericht darf deshalb eine Amtspflichtverletzung nicht schon einfach deshalb annehmen, weil es die getroffene Entscheidung für unbillig oder unzweckmäßig hält. Ermessensentscheidungen der Verwaltungsbehörden sind daher auch von den Gerichten grundsätzlich nicht auf ihre Richtigkeit, Vollständigkeit und Zweckmäßigkeit nachzuprüfen. Bei einer weitergehenden Nachprüfung würde das Gericht an die Stelle des pflichtmäßigen Ermessens der Verwaltungsbehörde sein eigenes Ermessen setzen und die Grenzen von Rechtsprechung und Verwaltung mißachten (vgl. RG 99, 254; 1460
Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 35 1 3 5 , 1 1 0 , 1 1 7 ; 138, 6, 1 4 ; 146, 369, 3 7 5 ; 147, 179, 1 8 3 ; 164, 15, 3 1 ; 168, 129, 1 3 7 ; R G J W 1932, 484; B G H 12, 206, 208; B V e r w G D V B 1 1957, 786). Vielmehr liegt ein als Amtspflichtverletzung zu wertender Ermessensfehler ( E r m e s s e n s m i ß b r a u c h ) n u r d a n n vor, w e n n der Beamte w i l l k ü r l i c h g e h a n d e l t , ü b e r h a u p t k e i n e s a c h lichen oder sachfremde E r w ä g u n g e n angestellt, die ihm gesetzten Schrank e n b e w u ß t ü b e r s c h r i t t e n o d e r i n so h o h e m M a ß e f e h l s a m g e h a n d e l t h a t , d a ß seine E n t s c h e i d u n g mit den an eine o r d n u n g s m ä ß i g e V e r w a l t u n g zu s t e l l e n d e n A n f o r d e r u n g e n s c h l e c h t e r d i n g s — d. h. jedem sachlich Beurteilendem ohne weiteres einleuchtend — u n v e r e i n b a r ist ( R G 1 1 3 , 1 9 ; 1 2 1 , 1 1 4 , 1 1 7 und 225, 2 3 2 ; 126, 164, 166; 138, 259, 263; 154, 1 1 7 , 1 2 1 ; R G H R R 1934 Nr. 388; B G H 2, 209, 2 1 4 ; 4, 302, 3 1 1 / 3 1 2 ; 22, 258, 263; B G H L M § 8 3 9 [Fg] Nr. 3 ; L M § 14 P r P V G Nr. 5). J e d o c h keine Pflichtwidrigkeit, wenn ein Beamter, der fortlaufend gewisse typische Ermessensentscheidungen zu treffen hat, die dafür maßgeblichen grundsätzlichen Erwägungen ein für allemal anstellt und ihr Ergebnis der Entscheidung im Einzelfall ohne weiteres zugrunde legt, so lange nicht die besondere Sachlage des Einzelfalles eine andersartige Ausübung des Ermessens erfordert ( B G H 6, 178, 183). Durch längere gleichmäßige Handhabung kann der Ermessensspielraum der Behörde so eingeengt werden, daß ein Abweichen von der bisherigen Übung nur bei Vorliegen besonderer Umstände zulässig ist (vgl. O V G Münster in O V G E 6, 197, 202). Die A u s n u t z u n g f o r m e l l b e s t e h e n d e r B e f u g n i s s e zur Erreichung eines nicht erlaubten Zieles kann Ermessensmißbrauch darstellen ( R G 154, 167, 183). Auch in der W a h l e i n e s durch den zu erreichenden Zweck n i c h t g e r e c h t f e r t i g t e n M i t t e l s kann Ermessensmißbrauch liegen ( R G 1 2 1 , 225, 2 3 3 ; 154, 1 1 7 , 1 2 1 ; J W 1928, 2020). Die Entscheidung darüber, ob eine Gefahr als Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten besteht oder bevorsteht, ist keine Ermessens-, sondern eine im Amtshaftungsstreit nachprüfbare Rechtsfrage ( R G J W 1938, 23g8 5 ; B G H L M § 14 P r P V G Nr. 5). J e d o c h ist die Bestimmung des Umfangs der Untersuchung darüber, ob eine bestimmte Gefahr (z. B. gefahrdrohender Zustand eines Gebäudes) besteht, Ermessenssache der Polizei ( B G H 7. 5. 1953 I I I Z R 23/52 und 18. 6. 1953 I I I Z R 274/51). Ebenso steht die Entscheidung über die zur Abwendung der Gefahr zu treffenden Maßnahmen im pflichtmäßigen Ermessen der Polizei ( R G J W 1938, 2398®: Auferlegung von Handelsbeschränkungen; R G H R R 1942 Nr. 549: Gesundheitspolizeiliche Zustimmung zur Errichtung und zum Betrieb einer gemeinnützigen Krankenanstalt). J e d o c h hat die P o l i z e i bei ihren der Gefahrenabwendung dienenden Maßnahmen den G r u n d s a t z d e r V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t d e r M i t t e l zu beachten ( B G H L M § 14 P r P V G Nr. 5 und B G H 1 2 , 206, 208). Auch ist die Frage des polizeilichen Einschreitens bei Vorliegen einer polizeilichen Gefahr insoweit keine Ermessensfrage, als die Polizei in bestimmten Gefahrenfällen einschreiten muß und in anderen, geringfügigen Fällen nicht mehr einschreiten darf. Nur in den Fällen, die zwischen diesen Gefahrenpunkten der „Schädlichkeit" und des „ U b e r m a ß e s " (so J e l l i n e k , Verwaltungsrecht 1950 S. 432) liegen, steht das Einschreiten im Ermessen der Polizei ( B G H L M § 839 [Fg] Nr. 3 und 5 und § 14 P r P V G Nr. 4 ; B G H 13. 6. 1957 III Z R 187/55). Bei der Frage, ob sich die Polizeibehörde bei der Schließung eines Gewerbebetriebes im Rahmen der ihr zustehenden Befugnisse gehalten hat, handelt es sich nicht um eine Ermessensfrage ( R G SeuffArch 95 Nr. 7 1 ) , ebensowenig bei der Erteilung einer Legitimationskarte nach § 44 a G e w O ( R G D R 1939, 2 4 4 " ) . Ebenso war die Auswahl und Festnahme einer angeblich asozialen Person zur Einlieferung ins Konzentrationslager keine vom Gericht nicht nachprüfbare Ermessensentscheidung ( B G H 2, 209). Die Polizei ist jedoch nicht nur dann befugt, zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit tätig zu werden, wenn objektiv eine polizeiliche Gefahr besteht, sondern sie kann auch dann, wenn eine Sachlage bei verständigem Ermessen den Anschein einer polizeilichen Gefahr erweckt, bis zur K l ä r u n g der Sachlage eingreifen ( B G H 5, 144). J e d e Behörde hat die Pflicht, bei Vorliegen der Voraussetzungen von Ermessensnormen, die im Interesse des einzelnen geschaffen sind, in eine Prüfung darüber einzutreten, ob und wie von dem Ermessen Gebrauch zu machen ist ( B V e r w G N J W 1956, 155). Z u r K l a r s t e l l u n g sei jedoch folgendes bemerkt: V o n der im Blick auf das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung zu entscheidenden Frage des ermessensmißbräuch-
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§ 839 A n m . 36
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
liehen, willkürlichen Verhaltens eines Beamten ist die F r a g e zu u n t e r s c h e i d e n , w a n n ein V e r w a l t u n g s a k t wegen W i l l k ü r n i c h t i g ist. Der Kreis der wegen Willkür nichtigen Verwaltungsakte ist enger zu ziehen als der Kreis der durch Willkür begangenen Amtspflichtverletzungen; stellt doch nicht allein der Erlaß eines nichtigen, sondern auch der eines zwar rechtswirksamen, aber doch fehlerhaften und nicht rechtmäßigen Verwaltungsakts eine — objektive — Amtspflichtverletzung dar ( B G H 4, 10, 23fr; auch B G H 4, 68, 71). Als wegen Willkür n i c h t i g wird man einen V e r w a l t u n g s akt nur dann ansehen können, wenn es sich um einen dem B e r e i c h h o h e i t l i c h e r B e t ä t i g u n g u n z w e i f e l h a f t f r e m d e n , g e s e t z l i c h ü b e r h a u p t n i c h t zu r e c h t f e r t i g e n d e n A k t r e i n e r W i l l k ü r h a n d e l t und die Maßnahme sich soweit von den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen entfernt, daß sie als Akt der Verwaltung überhaupt nicht mehr angesehen werden kann, vielmehr außerhalb aller verwaltungsmäßigen Erwägungen liegt. Liegt hingegen in irgendeiner Hinsicht ein dienstliches (sachliches) Interesse an seiner Vornahme vor, dann ent ällt der Vorwurf der Willkür, wenn dieses Interesse für den Erlaß des Verwaltungsaktes mitbestimmend war (RG 164, 162, 176; 168, 129, 137; B G H 2, 366 und 4, 10, 23; F o r s t h o f f , Lehrbuch I 7. Aufl. S. 465). A n m . 36 Jeder Beamte ist als Träger eines öffentlichen Amtes in besonderer Weise verpflichtet, sich in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit der für j e d e r m a n n verbotenen Handlungen, insbesondere aller strafbaren Handlungen zu enthalten. Unter § 839 fallen mithin, was für die Bestimmungen in Abs. 1 Satz 2 und in den Abs. 2 und 3 von Wichtigkeit ist, a l l e u n e r l a u b t e n H a n d l u n g e n im S i n n der a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g e n der §§ 8 2 3 f r (s. dazu Anm. 1 und R G 154, 117, 123; 158, 83, 94; B G H 16, i n , 113/114). Bei Verstößen gegen Schutzgesetze (§ 823 Abs. 2) und gegen die sich aus § 823 Abs. 1 ergebende allgemeine Pflicht, auf die dort genannten Rechtsgüter anderer Personen Rücksicht zu nehmen, liegen daher, wenn der notwendige innere Zusammenhang zwischen der dienstlichen Tätigkeit des Beamten und der schädigenden Handlung besteht (s. dazu oben Anm. 21, 22, vor allem B G H 11, 181, 185 fr), Amtspflichtverletzungen vor. Ebenso dann, wenn ein Beamter im Zuge amtlicher Verrichtungen in einer den Tatbestand des § 826 erfüllenden Weise einem Dritten Schaden zufügt (RG 140, 423, 430; B G H 14, 319, 324; 23, 36, 47; L M Nr. 1 zu § 839 [Fm]: Bewußtsein, Dritten schädigen zu können, erforderlich). Danach hat auch jeder Beamte, der kraft seines Amtes eine Waffe führt, die Amtspflicht, auf die Verhütung ihrer mißbräuchlichen Benutzung bedacht zu sein (RG H R R 1935 Nr. 585) und jeder Lehrer hat die Amtspflicht, die ihm anvertraute Schuljugend im Schulbetrieb vor Schäden zu bewahren (im einzelnen Anm. 62 sowie B G H VersR 1957, 532; 1958, 231 und 705; B G H 28, 297). Weiter im einzelnen: Amtsunterschlagung: R G 56, 84; Fälschung amtlicher Urkunden: R G 66, 107; Körperverletzung oder Sachbeschädigung durch Mißbrauch der Waffe seitens eines Polizeibeamten: R G 104, 203 u. 286; R G H R R 1935 Nr. 585; R G Gruchot 51, 1001, durch Mitführung eines verwilderten Polizeihundes: R G WarnRspr 1932 Nr. 1 1 8 ; ferner R G m , 1 (Fluchtversuch eines Festgenommenen), R G J W 1926, 1150 9 (Verfolgung flüchtiger Personen); Überschreitung der Notwehr beim amtlichen Gebrauch einer Schußwaffe: R G WarnRspr 1937 Nr. 98; fahrlässiges Umgehen mit der Dienstwaffe bei Diensthandlungen: R G H R R 1934 Nr. 1282, außerhalb des Dienstes: R G J W 1937, 2916 25 ; unvorsichtige Führung des geladenen Gewehrs durch einen Forstschutzbeamten bei der Jagdausübung: R G D J 1936, 188; mangelhafte Sicherung einer Dienstwaffe auf außerdienstlichem Gang: R G 155, 362 (Zollbeamter); fahrlässige Körperverletzung eines Gefangenen durch den Strafvollstreckungsbeamten: R G 56, 2 1 5 ; Pflicht zur Gesundheitsfürsorge gegenüber dem Strafgefangenen: B G H 21, 214, 220; Überschreitung des Züchtigungsrechts der Lehrer: R G 105, 226 (s. auch § 823 Anm. 40); Freiheitsentziehung durch verspätete Vorführung eines von der Polizei vorläufig Festgenommenen vor den Richter: R G 135, 1 6 1 ; Amtspflicht der Sicherheitspolizei, für die Verkehrssicherheit einer Brücke zu sorgen, bei zu erwartendem Massenandrang u. U. bei der Strombauverwaltung Erkundigungen über die Tragfähigkeit der Brücke einzuziehen: R G J W 1935,
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 37, 38
336g 2 . Zur Verpflichtung der Baiuaufsichtsbehörde neben derjenigen der Sicherheitspolizei, für Beseitigung der gefahrdrohenden Gebäudetrümmer und Ruinen zu sorgen, s. O L G Hamburg, Braunschweig M D R 1949, 554, 555, Düsseldorf N J W 1 9 5 1 , 567; vgl. dazu auch B G H L M § 823 [De] Nr. 9). Amtspflicht des Kreiswegemeisters zur Sicherung des Verkehrs bei Einsturzstellen einer Landstraße: R G H R R 1934 Nr. 627. Allgemein hat die Verkehrspolizei die Amtspflicht, verkehrsgefährdende Zustände auf öffentlicher Straße nicht zu dulden, s. R G 162, 273 und B G H V e r s R 1956, 320 (gefährliche Aufstellung eines Verkehrszeichens), R G H R R 1936 Nr. 398 (Rodelbetrieb auf öffentlicher Straße), SeuffArch 88 Nr. 1 1 9 (Verkehrshindernisse auf Bürgersteigen einer Großstadt); Pflicht der Verkehrspolizei zur Warnung vor den Verkehrsteilnehmern drohenden Gefahren: B G H L M § 8 3 9 [Fg] Nr. 3 und 4 (gefährliche Wegestrecken), B G H V e r s R 1958, 5 3 1 (plötzliche Fahrbahn Verengung), B G H L M § 8 3 9 [Fg] Nr. 12 (nicht ohne weiteres erkennbares Ende einer öffentlichen Straße); Pflicht der Naturschutzbehörden zur Gefahrloshaltung der geschützten Naturdenkmäler: O L G Celle N J W 1957, 1 6 3 7 ; Pflicht des Gerichtsvollziehers, bei Vollstreckungsmaßnahmen das Eigentum des Schuldners und dritter Personen zu schonen: B G H L M § 808 Z P O Nr. 2. Verleitung zu strafbaren Handlungen als agent provocateur: B G H 8, 83; Verkauf eines Kraftwagens durch einen Beamten der Straßenverkehrsbehörde, der mit der Möglichkeit rechnet, daß es sich um ein gestohlenes Fahrzeug handelt: B G H 25. 10. 1955 III Z R 92/54 und 27. 9. 1956 I I I Z R 32/55-
A n m . 37 Amtspflichten sind insbesondere auch die P f l i c h t e n z u r s o r g f ä l t i g e n A u s w a h l
und Überwachung von Trägern öffentlicher oder privater Ä m t e r sowie von
Personen, die zur Durchführung bestimmter Verrichtungen bestellt sind. Z u r Pflicht des Vormundschaftsrichters zur Überwachung der Tätigkeit des Vormundes und Beistandes s. R G SeuffArch 93 Nr. 3 1 ; J W 1938, 2206; H R R 1935 Nr. 1452 sowie R G 96, 143 (Nichtabsetzung eines als ungetreu verdächtigen Vormundes). Zur Aufsichtspflicht des Nachlaßrichters über Nachlaßverwalter und -pfleger s. R G 88, 264 und 154, 1 1 0 . Z u r Pflicht des Konkursrichters, die Geschäftsführung des Konkursverwalters zu überwachen, s. R G Recht 1905 Nr. 997 und R G 154, 296. Zur Pflicht der zuständigen Behörde zur sorgfältigen Auswahl und Überwachung der Treuhänder (custodians) nach M R G Nr. 52 und 53 s. B G H 15, 142, i 4 5 f ; 17, 140; L M Art. 34 G G Nr. 36. Wenn ein Beamter im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit — sei sie privatrechtlicher oder auch hoheitlicher Art — eine dritte Person zur Durchführung bestimmter Verrichtungen bestellt (wenn z. B. ein Bauunternehmer von der Polizeibehörde mit dem Abreißen eines einsturzgefährdeten Hauses beauftragt wird), so ist er zu sorgfältiger Auswahl und Überwachung mindestens ebenso verpflichtet, wie eine Privatperson gemäß § 8 3 1 ( B G H 15. 3. 1956 I I I Z R 101 u. 163/55).
A n m . 83 Für die durch Beschlagnahme, Sicherstellung oder sonstwie i n a m t l i c h e V e r w a h r u n g g e l a n g t e n G e g e n s t ä n d e besteht als Amtspflicht die Pflicht, für eine ordnungsmäßige Aufbewahrung und für eine Sicherung der späteren unversehrten Rückgabe an den Berechtigten, bei drohendem Verderb aber für eine sachgerechte Verwertung zu sorgen (u. a. R G 108, 249; 166, 218, 222; B G H L M § 688 Nr. 2 und 6). Dabei ist jedoch zu bemekren, daß eine Beschlagnahme allein, die die bisherigen Besitzund Gewahrsamsverhältnisse unberührt läßt, noch keine besonderen Obhuts- und Fürsorgepflichten begründet, diese vielmehr erst dann entstehen, wenn die Behörde die beschlagnahmten Gegenstände in eigenen Gewahrsam nimmt oder sonstwie eigene Einwirkungen und Fürsorgemaßnahmen des Berechtigten unmöglich macht ( R G 1 3 2 , 40; B G H L M §688 Nr. 7, V e r w R — Allgem. [öff.-rechtl. Verpflichtungen] Nr. 2). Unabhängig von den genannten „Amtspflichten" und neben diesen können sich Obhuts- und Fürsorgepflichten für die in amtliche Verwahrung gelangten Gegenstände aus dem sog. öff.-rechtl. Verwahrungsverhältnis ergeben, auf das die Vorschriften des B G B über die Verwahrung entsprechende Anwendung finden (s. R G 166, 2 1 8 ; B G H L M § 688 Nr. 2, 6 u. 7), jedoch unter Ausschaltung der Vorschrift in § 690 ( B G H 4, 192).
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§ 839 A n m . 39, 40
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
(Für diese Ansprüche ist der ordentliche [Zivil-] Rechtsweg gegeben, jedoch sind die Landgerichte nicht ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig, s. B G H i, 369; 3, 162). A n m . 39 Alle Beamten sind gehalten, a l l g e m e i n e n D i e n s t a n w e i s u n g e n , dienstlichen Weisungen und B e f e h l e n der Dienstvorgesetzten und der sonstigen zu sachlichen Weisungen befugten Stellen ungesäumt Folge zu leisten (§ 55 BBG, § 37 BRRG; vgl. auch bereits R G J W 1921, 742; H R R 1931 Nr. 937; R G 105, 99), und zwar selbst dann, wenn die die Weisung empfangende Stelle dagegen Aufsichtsbeschwerde erhoben hat (BGH D Ö V 1954, 347 = VerwRSpr 1954 Nr. 41). Soweit der Beamte nach den einschlägigen Vorschriften einer dienstlichen Weisung — nach erfolgloser Remonstration — Folge leisten m u ß , handelt er, selbst wenn die in Ausführung der Weisung getroffene Maßnahme als solche nach dem Gesetz nicht zulässig und damit rechtswidrig ist, nicht amtspflichtwidrig. Es entfällt in diesem Fall nicht nur sein Verschulden. Denn der Pflichtenkreis des untergeordneten Beamten ist, soweit er einer dienstlichen Weisung nachkommen m u ß , eingeschränkt mit der Folge, daß er eine Prüfung und Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der ihm aufgetragenen Maßnahme in eigener Verantwortung nicht mehr zu treffen hat. Wenn der Beamte mit Rücksicht auf den die Verwaltung beherrschenden Grundsatz der Über- und Unterordnung nicht anders als der Weisung entsprechend handeln durfte, entspricht sein Verhalten der ihm obliegenden Amtspflicht (vgl. B G H NJW 1959, 1629; aA Arndt DVB1 1959, 624). Die Gehorsamspflicht entfällt nach § 55 BBG, § 37 BRRG, wenn das dem Beamten aufgetragene Verhalten strafbar und die Strafbarkeit für ihn erkennbar ist oder wenn das ihm aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt (s. auch bereits R G J W 1908, 653). Dem Grundsatz der Ü b e r - und U n t e r o r d n u n g entsprechend darf eine Behörde, deren Verwaltungsakt auf Beschwerde von der übergeordneten Behörde aufgehoben worden ist, bei unveränderter Sachlage den gleichen Verwaltungsakt mit der früheren Begründung auch dann nicht noch einmal erlassen, wenn sie die eigene Rechtsauffassung für richtig und die der übergeordneten Behörde für unrichtig hält ( B G H LM VerwR — Allgemeines [Folgenbeseitigungsanspruch] Nr. 1). b) . . . e i n e m Dritten gegenüber A n m . 40 O b eine Amtspflicht dem Beamten e i n e m Dritten gegenüber obliegt, entscheidet sich w e s e n t l i c h nach d e m Zweck, d e m die A m t s p f l i c h t dient (RG 72, 324, 330; 78, 241, 243; 140, 423, 427; 169, 312, 314; B G H 10, 122, 124; 18, 110, 1 1 3 ; 20, 53. 55; 26, 232; 28, 297; L M § 839 [C] Nr. 13 und § 839 [Fg] Nr. 5). Den Gegensatz zu den Amtspflichten, die dem Beamten Dritten gegenüber obliegen, bilden unter diesem Gesichtspunkt einmal die Amtspflichten, die im inneren Verhältnis zu den übergeordneten, nebengeordneten und untergeordneten Behörden und Beamten zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltung oder im Interesse des Gemeinwesens an einer ordnungsmäßigen Amtsführung der Beamten überhaupt zu beachten sind, sodann auch die Pflichten, die dem Beamten zwar nach außen, aber unmittelbar im öffentlichen Interesse zum Schutze der öffentlichen Ordnung oder der vermögensrechtlichen Belange des Gemeinwesens auferlegt sind. In solchen Fällen kommt eine Haftung Dritten gegenüber nicht in Frage, mag auch durch die Ausübung der Amtspflichten mittelbar in die Interessen Dritter eingegriffen werden, eine pflichtgemäße Amtsausübung auch ihnen zugute kommen (RG 118, 325, 327; 134, 3 1 1 , 3 2 1 ; 135, 110, 1 1 3 ; 139, 149, 153; 140, 423, 427; 169, 312, 317; B G H 14, 319, 322; 15, 305, 3ogf; 26, 232, 234). Hierunter fallen Maßnahmen von Regierungsmitgliedern im Rahmen der Finanzhoheit und der Währungspolitik (RG 118, 325, 328f). Hierhin gehört auch die Einstellung und Beförderung von Beamten. Die — pflichtwidrige — NichtVerleihung einer Beamtenstelle und Nichtbeförderung eines Beamten stellen als solche mithin keine Verletzung einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht dar (RG 145, 137, 140; 159, 247, 250; B G H 21, 256, 258). Anders, wenn nicht der
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Unerlaubte Handlungen
§ 839 A n m , 40
Hoheitsakt der Anstellung oder Beförderung in Rede steht, sondern die Nichteinstellung oder Nichtbeföderung lediglich die adäquate Folge von sonstigen mit der Einstellung oder Beförderung zusammenhängenden, insbesondere ihrer Vorbereitung dienenden Maßnahmen ist, die eine Amtspflichtverletzung gegenüber einzelnen Beamten enthalten, wie etwa falsche Berichterstattung durch einen Vorgesetzten (RG 105, 196; Gruchot 71, 422), unrichtige Begutachtung des Gesundheitszustandes durch einen Amtsarzt, Einräumung einer Mitbestimmung dafür unzuständiger Stellen bei der Einstellung und Beförderung ( B G H 15, 185), Nichtinnehaltung der Zusicherung einer Einstellung oder Beförderung ( B G H Z B R 1956, 185; B G H 23, 36, 48/49) oder Verwirklichung eines Tatbestandes des § 826 im Rahmen der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Einstellung oder Beförderung zu treffen waren ( B G H 23, 36, 49); s. auch B G H 22, 258 (Behandlung des Wiederverwendungsgesuches eines nach dem Zusammenbruch aus politischen Gründen aus seinem Amt entfernten Beamten). Auch die Pflicht der Behördenvorstände und der Zentralbehörde, im Rahmen der allgemeinen Dienstaufsicht für die Aufrechterhaltung eines ordnungsmäßigen Betriebes zu sorgen, besteht lediglich zum öffentlichen Nutzen und liegt diesen Stellen nicht als eine Dritten gegenüber bestehende Amtspflicht ob (RG 162, 129, i63f; R G J W 1931, 3097 1 3 : Aufsicht des Landrats über Kreissparkassen; J W 1938, 2277 1 0 : Richterliche Dienstaufsicht). Auch im Rahmen der Bundes- und Staatsaufsicht handeln die zuständigen Stellen ebenfalls grundsätzlich ausschließlich im öffentlichen Interesse; jedoch kann sich unter besonderen Umständen eine dem betroffenen Bürger gegenüber obliegende Amtspflicht zum Einschreiten ergeben ( B G H 15, 305, 3ogf; L M Art. 34 G G Nr. 27). Ein Ministerium handelt beim Erlaß von Verordnungen und bei der Herausgabe allgemeiner Erlasse in aller Regel ausschließlich im öffentlichen Interesse (anders unter Umständen dann, wenn sich Verordnung oder Erlaß lediglich auf einen ganz bestimmten Personenkreis bezieht, dazu S c h a c k M D R 1953, 514, 5 1 7 ) ; doch kann dadurch, daß ein Ministerium eine nachgeordnete Behörde im Einzelfall zur Anwendung der Verordnung oder des Erlasses anweist, eine Amtspflicht gegenüber dem Betroffenen verletzt werden (vgl. O L G Celle N J W 1958, 345). Die Pflicht der „zentralen Stellen" (z. B. der Regierungen), die Fachbehörden mit persönlichen und sachlichen Mitteln so auszustatten, daß die anfallenden Arbeiten möglichst rasch erledigt werden können, zählt nicht zu den den Beamten Dritten gegenüber obliegenden Amtspflichten; anders ist es mit den Pflichten der Beamten, die ihnen tatsächlich zur Verfügung gestellten — persönlichen und sachlichen — Mittel gehörig auszunutzen ( B G H NJW 1959, 574). Die Versicherungsämter erfüllen bei der Beurkundung und Prüfung von Rentenanträgen auf Grund der Sozialversicherung nicht eine ihnen den Versicherungsträgern gegenüber obliegende Aufgabe ( B G H 26, 232). Ebenso begründen die den Gemeinden obliegenden Aufgaben zur Durchführung des Soforthilfe- und des Lastenausgleichsgesetzes keine Amtspflichten gegenüber dem Bund ( B G H 27, 210). Die Amtspflicht der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung strafbarer Handlungen besteht nur im öffentlichen Interesse; der Verletzte kann aus ihrer Nichterfüllung keine Ansprüche herleiten (RG 154, 266; anders für die Polizei R G 147, 144, s. auch Anm. 41, 63). Jedoch hat die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten gegenüber die Pflicht, ihre Ermittlungen ordnungsmäßig zu führen ( B G H 20, 178). Die Verhaftung eines Beschuldigten und die auf ihre Aufrechterhaltung gerichteten Maßnahmen geschehen nur im öffentlichen Interesse; ihre Unterlassung kann daher keine Amtspflicht gegenüber dem durch die Straftat Geschädigten verletzen (RG 108, 249). Die Amtspflicht des Prozeßrichters, einen Prozeß ohne sachlich unnötige Abschweifung durchzuführen und dementsprechend auch überflüssige Beweisaufnahmen zu unterlassen, besteht allein gegenüber dem Staat, aber nicht gegenüber den Prozeßparteien (RG 155, 218, 223). Der Registerrichter übt seine Aufsichtstätigkeit lediglich im öffentlichen Interesse aus (RG H R R 1936 Nr. 1348). Der gerichtlich bestellte Sachverständige nimmt bei der Erstattung eines Gutachtens nur Amtspflichten im öffentlichen Interesse, aber nicht im Interesse der Prozeßparteien wahr (OLG Frankfurt M D R 1957, 357). Bei der Stellungnahme zu einem Simultanzulassungsgesuch erfüllt das Präsidium des Oberlandesgerichts nicht eine Amtspflicht gegenüber dem Rechtsanwalt (RG J W 1933, 1058 7 ). Bei einem von der Gemeindebehörde angeordneten kolonnenweisen Absuchen der Kartoffelfelder nach Kartoffelkäfern besteht
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
keine Amtspflicht zum gewissenhaften Absuchen aller Felder gegenüber dem Nutzungsberechtigten als „Dritten" (RG 169, 312). Bei der Wiedergabe der technischen Einzelheiten im Kraftfahrzeugbrief (§21 StrVZO) wird der „amtlich anerkannte Sachverständige" nur im öffentlichen Interesse tätig (BGH 18, 110). Die Aufsichtspflicht einer Bankenaufsichtsbehörde besteht lediglich im öffentlichen Interesse und begründet keine Amtspflicht gegenüber dem einzelnen Bankkunden (OLG Bremen NJW 1953, 585; O L G Hamburg BB 1957, 950). Erfolgt eine Amtshandlung im inneren Dienstbereich, so wird sie nicht dadurch zu einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht, daß der Dritte oder auch die ihm nahestehenden Kreise allgemein annehmen, die Amtshandlung habe auch den Zweck, seine Interessen zu schützen ( B G H L M § 839 [C] Nr. 13). A n m . 41 Hat die A m t s p f l i c h t aber (wenn nicht allein, so doch auch) den Zweck, das Interesse des einzelnen w a h r z u n e h m e n , so liegt sie d e m B e a m t e n e i n e m Dritten gegenüber ob (so grundlegend R G 78, 241; ferner R G 135, 1 1 0 ; 139, 149; 140, 423; 143, 84, 90; B G H 1, 388, 394/5; 18, 110, 113). Der danach zu bestimmende Kreis der „Dritten" ist weit zu ziehen. Es fallen darunter nicht nur die an dem Amtsgeschäft unmittelbar Beteiligten (wie die Parteien des Rechtsstreits, die Rechtsanwälte, Zeugen, Sachverständigen gegenüber dem Prozeßrichter, die Vertragsparteien gegenüber dem beurkundenden Notar oder Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder diejenigen, an die sich unmittelbar die Verfügung einer Verwaltungsbehörde richtet), sondern a l l e P e r s o n e n , d e r e n B e l a n g e n a c h d e r b e s o n d e r e n N a t u r d e s A m t s g e s c h ä f t e s d u r c h d i e s e s b e r ü h r t w e r d e n u n d in d e r e n R e c h t s k r e i s e i n g e g r i f f e n w e r d e n k a n n , selbst wenn sie durch die Amtsausübung nur mittelbar und unbeabsichtigt betroffen werden (RG 72, 324, 332; 78, 241; 86, 102, 105; 125, 85; 129, 37> 43f; 309; 151» 177; !53> 153; 154. 276, 288f; 170, 129, 135; R G J W 1921, 336 5 ; 1935, 1084«; B G H 20, 53; 28, 297; B G H L M Art. 97 BayVerf Nr. 1 und §839 [Ff] Nr. 3). Demzufolge bestehen d i e a l l g e m e i n e n A m t s p f l i c h t e n — wie die Pflicht jedes Beamten, sein Amt sachlich und unparteiisch zu führen, sich jeden Amtsmißbrauchs zu enthalten, die Grenzen seiner Zuständigkeit zu wahren, die ihm anvertrauten Machtmittel streng in den Grenzen der Amtsausübung zu gebrauchen und dabei nicht in den Bereich Unbeteiligter einzugreifen (s. Anm. 33, 34) — j e d e m g e g e n ü b e r , d e r d u r c h e i n e V e r l e t z u n g d i e s e r P f l i c h t e n g e s c h ä d i g t w e r d e n k ö n n t e (RG 139, 149, 154; I 4°) 423> 428; 154, 201, 208; 156, 220, 237; 158, 83, 94; B G H 16, i n , 113). Das gleiche gilt, soweit eine A m t s p f l i c h t z u r B e a c h t u n g d e r a l l g e m e i n e n V e r k e h r s v o r s c h r i f t e n besteht (RG 108, 366; 155, 186, 188; 160, 193, 204; 170, 3 1 1 , 314; B G H 1, 388, 395; 16, i n , 113/4; 20 48, 51). Die Pflicht, jede Auskunft sachgerecht und wahrheitsgemäß zu erteilen, besteht gegenüber jedem, in dessen Interesse die Auskunft erteilt wird ( B G H 14, 319, 3 2 i ; B G H N J W 1955, 1835; Vers R 1959,520). Auch besteht die P f l i c h t d e r P o l i z e i z u r V e r h ü t u n g s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n gegenüber jedem, dessen Rechtskreis durch eine Verletzung dieser Pflicht gefährdet ist (BGH L M § 839 [Fg] Nr. 5); die Pflicht, gegen strafbare Handlungen einzuschreiten, den Täter zu ermitteln und die Beute wieder zu beschaffen, besteht auch gegenüber dem Geschädigten (RG 147, 144; O G H 4, 263; B G H 5. 2. 1953 I I I Z R 81/51). Ebenso besteht die Pflicht der Polizei zur Feststellung der an einem Verkehrsunfall Beteiligten (durch Feststellung der Autonummer usw.) auch gegenüber dem bei dem Unfall Verletzten (vgl. R G 172, 11; aA K G JW 1930, 1977). Die Pflicht zur A m t s v e r s c h w i e g e n h e i t (s. § 61 BBG, § 39 BRRG) besteht auch gegenüber „Dritten", und zwar gegenüber allen, denen durch die Verletzung dieser Pflicht Schaden entstehen kann (vgl. R G 87, 419; 88, 171). Der Beamte, der bei Vornahme eines Amtsgeschäfts eine u. H. im Sinne der §§ 823 ff gegen einen Dritten begeht, verletzt damit gleichzeitig eine ihm diesem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht (BGH 14, 319, 324 sowie L M §839 [Fm] Nr. 1 für §826; B G H 16, m , 113). Die Rechtsprechung zieht besonders a u f d e m G e b i e t des B e u r k u n d u n g s w e s e n s s o w i e d e r G r u n d b u c h - u n d K a t a s t e r f ü h r u n g den K r e i s d e r D r i t t e n s e h r w e i t und rechnet hierzu jeden, der
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Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 42 auf die richtige Führung des Grundbuchs und Katasters oder die Zuverlässigkeit einer Beurkundung oder Beglaubigung angewiesen ist und hierauf vertrauend am Rechtsverkehr teilnimmt ( R G 86, 102, 105; 1 5 1 , 395, 398; 154, 276, 288f; B G H L M §839 [Fe] Nr. 12). Jedoch ist zu beachten, daß zu den Dritten, denen gegenüber dem Beamten Amtspflichten obliegen, n i c h t a l l e P e r s o n e n zählen, d i e durch seine Maßnahmen i r g e n d w i e b e n a c h t e i l i g t und deren Interessen durch die Amtshandlung irgendwie betroffen w e r d e n , s o n d e r n n u r d i e j e n i g e n , d e r e n B e l a n g e n a c h d e r N a t u r des R e c h t s g e s c h ä f t e s , d. h. seinem Zweck und seiner rechtlichen Bestimmung nach, d u r c h d i e s e s b e r ü h r t w e r d e n ( R G 138, 309, 3 1 3 ; 140, 43; B G H 28. 6. 1956 I I I Z R 317/54 und 22. 5. 1958 I I I Z R 99/56). Deshalb können alle die, die nur z u f ä l l i g durch die Amtshandlung benachteiligt werden, insbesondere diejenigen, die nur infolge ihrer schuldrechtlichen Beziehungen zu den unmittelbar Betroffenen in ihren Interessen berührt werden (z.B. als Bürgen oder Versicherer), nicht zu den Dritten im Sinne des § 839 gerechnet werden ( R G 145, 56, 64; 147, 142, 1 4 3 ; 1 5 1 , 1 7 5 ; B G H VersR 1958, 886). Vor allem hat die Rechtsprechung bei der T ä t i g k e i t v o n Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g s o r g a n e n den Kreis der Dritten für den Regelfall auf Vollstreckungsgläubiger und -Schuldner und gegebenenfalls den Eigentümer der Pfandsachen ( R G 87, 294; 140, 427; 1 5 1 , 109, 1 1 3 ; R G Recht 1 9 1 3 Nr. 1288; J W 1 9 3 1 , 2427; für Grundstückszwangsversteigerungsverfahren s. Anm. 44, 78) und bei Eingriffen in das Eigentum auf den Eigentümer beschränkt ( B G H 28. 6. 1956 I I I Z R 317/54). Ist die Amtspflicht nach der Art der Tätigkeit des Beamten a u f e i n e n b e s t i m m t e n P e r s o n e n k r e i s b e s c h r ä n k t , so liegt sie ihm nicht gegenüber anderen Personen ob, mögen auch deren Belange durch spätere Nachwirkungen der Amtshandlung betroffen werden ( R G ' 3 8 , 309, 3 1 3 ; 147, 142, 1 4 3 ; B G H VersR 1959, 194). Bei alledem kann für die Frage, ob eine Amtspflicht einem Dritten gegenüber besteht, bedeutsam sein, ob dem Betroffenen ein Rechtsmittel gegen die Amtshandlung gegeben ist oder nicht ( R G 107, 120; 135, U 4 f ; 155, 218, 223). A u c h a n d e r e B e a m t e können zu den „Dritten" im Sinne des § 839 zählen, sei es als von einer dienstlichen Maßnahme Betroffene, s. R G 100, 188 (Versetzung in den Ruhestand); 103, 429 (Entlassung wegen Dienstunfähigkeit); 105, 196 (Nichtzulassung zu einer Prüfung); 1 1 1 , 178 (Verletzung der Fürsorgepflicht); B G H 15, 185 und 2 1 , 256 (Fürsorgepflichtverletzung bei Beförderungsmaßnahmen) oder etwa als Empfänger einer ihre dienstlichen Verhältnisse betreffenden Auskunft ( B G H 7, 69). E b e n s o können d e r S t a a t u n d a n d e r e K ö r p e r s c h a f t e n des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s „Dritte" sein, vor allem, wenn und soweit der Beamte nach den maßgeblichen Vorschriften das Vermögensinteresse eines Gemeinwesens, dem er nicht untersteht, wahrzunehmen hat ( R G 134, 303, 3 2 1 ; 144, 1 1 9 , 124; O G H 4, 255, 259). Unter Umständen kann auch die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht, als „Dritter" in Betracht kommen, dies jedoch nur, wenn der Beamte bei der Erledigung eines Dienstgeschäftes der Körperschaft in der Weise „gegenübersteht", die für das Verhältnis zwischen ihm und dem Bürger charakteristisch ist, der sich auf die Verletzung einer ihm gegenüber bestehenden Amtspflicht beruft; die allgemeine aus dem Beamtenverhältnis sich ergebende Pflicht des Beamten, die Belange seines Dienstherrn wahrzunehmen, ist keine ihm seinem Dienstherrn als einem „Dritten" gegenüber obliegende Amtspflicht ( B G H 26, 232, 234; 27, 210). c ) Einzelfälle A n m . 42 Im Gebiete der F i n a n z - u n d Z o l l v e r w a l t u n g dienen die Vorschriften über die Überwachung des Steuerschuldners und die Einziehung der Steuer nur der Sicherung des Steueraufkommens und legen den Steuerbeamten keine Amtspflicht gegenüber anderen Steuerpflichtigen auf. Wohl aber kann den Steuerbeamten eine Pflicht zu sorgfältigem Vorgehen gegen einen Steuerschuldner als Amtspflicht gegenüber einem Steuermitschuldner obliegen, der gegen den ersteren einen Rückgriffsanspruch hat, s. R G J W 1934, 2"j6j5. Doch folgt aus solcher Verpflichtung nicht eine Amtspflicht, an Stelle des Zweitschuldners Maßnahmen zu treffen, die diesen schützen, als Zweit94
Komm. 2. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Kreit)
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§ 839 A n m . 42
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Schuldner in Anspruch genommen zu werden, oder die seinen Rückgriff gegen den Erstschuldner sicherstellen ( R G D R 1939, 1326 30 ). Freigabe einer Sicherheit zum Nachteil eines Steuermitschuldners als Amtspflichtverletzung diesem gegenüber s. R G D R 1942, 1241 1 6 . Zur Frage, wie weit sich die Amtspflicht der Steuerbeamten gegenüber den Steuerschuldnern erstreckt, s. R G 165, 257. Amtspflicht eines Zollbeamten bei Wiederversiegelung eines Fasses nach Entnahme einer größeren Menge Weingeist gegenüber den dabei behilflichen Angestellten des Betriebsinhabers s. R G H R R 1937 Nr. 1224. Unberechtigte Sperrung eines Kontos durch die Devisenstelle s. R G WarnRspr 1938 Nr. 126. Über die Pflicht der Beamten des a u s w ä r t i g e n D i e n s t e s , deutsche Staatsangehörige bei der Verfolgung von Rechtsansprüchen im Ausland zu unterstützen, s. R G SeuffArch 91 Nr. 147. Verpflichtung der B a u p o l i z e i b e h ö r d e , für die Beachtung baupolizeilicher Vorschriften bei einem Neubau zu sorgen, als Amtspflicht gegenüber jedem künftigen Benutzer s. R G J W 1936, 803 13 . Die Pflichten der Gemeinden als Träger des F e u e r s c h u t z e s auf Grund des nordrh.-westf. Ges. v. 2. 6. 1948 (GVB1 205) bestehen auch gegenüber den durch einen Verstoß gegen diese Pflichten gefährdeten einzelnen Bürgern ( B G H L M §839 [C] Nr. 26). Die Pflicht der P a ß b e h ö r d e , einem Bewerber, der sich der gesetzlichen Unterhaltspflicht entziehen will, den Paß zu versagen (§7 Abs. i d PaßG v. 4 . 3 . 1952/24.5. 1956), besteht auch den Unterhaltsberechtigten gegenüber (vgl. B G H N J W 1957, 1835). Die Pflicht der zuständigen Behörde, vor E r t e i l u n g eines n e u e n K e n n z e i c h e n s f ü r ein K f z . das Vorliegen einer ausreichenden Haftpflichtversicherung zu prüfen, besteht gegenüber allen, die durch das Fehlen der Versicherung Nachteile erleiden können ( B G H VersR 1953, 283). Die der K f z . Z u l a s s u n g s s t e l l e nach § 2gd Abs. 2 StVZO obliegende Amtspflicht, nach Anzeige des Versicherers vom Erlöschen des Versicherungsschutzes für das Kfz. unverzüglich den Erlaubnisschein einzuziehen und die amtlichen Kennzeichen zu entstempeln, besteht gegenüber jedem durch den Betrieb des Fahrzeugs gefährdeten Verkehrsteilnehmer ( B G H 11. 2. 1954 I I I Z R 163/53) u n d auch gegenüber dem nach § 158c V V G haftpflichtigen Versicherer ( B G H 20, 53). Hingegen besteht die Pflicht der „amtlich anerkannten Sachverständigen" (§21 StVZO), die technischen Daten im Kfz.-Brief richtig zu bescheinigen, nicht gegenüber einem späteren Erwerber des Kfz. ( B G H 18, 110). Die für die zuständigen Behörden durch § 1 1 GaststättenG im Rahmen der E r l a u b n i s e r t e i l u n g z u m B e t r i e b e e i n e r G a s t - o d e r S c h a n k w i r t s c h a f t im Interesse Dritter begründeten Pflichten sind Amtspflichten, die gegenüber allen durch die genannte Bestimmung geschützten Personen bestehen ( B G H NJW 1959, 767). Amtspflichten der mit der K o m m u n a l a u f s i c h t betrauten staatlichen Beamten gegenüber den Gemeinden s. R G 118, 94. Amtspflichten der Krankenkassenangestellten beim Umtausch von Karten der Invalidenversicherung auch gegenüber dem Arbeitgeber s. R G D R 1939, 243 16 . Der b e a m t e t e A r z t , der eine kranke Ehefrau in einem öffentlichen Krankenhaus behandelt, hat damit nicht ohne weiteres Amtspflichten auch gegenüber dem Ehemanne; dessen Schadensersatzansprüche wegen amtspflichtwidriger Behandlung der Frau beschränken sich daher in der Regel nach Maßgabe der §§844, 845 ( R G 126, 253). Jedoch bestehen die Belehrungspflichten des Amtsarztes nach dem Ges. über die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten jedem gegenüber, dessen Rechtskreis durch einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht gefährdet ist (BGH J R 1955, 340). Die Pflichten des G e s u n d h e i t s a m t e s bei zentraler Trinkwasserversorgung gemäß DVOen zum GesundheitsG v. 3. 7. 1934 stellen Amtspflichten gegenüber den einzelnen an die Einrichtung angeschlossenen Bürger dar ( B G H L M GesundheitsG v. 3. 7. 1934 Nr. 1). Der beamtete T i e r a r z t hat im Rahmen des staatlichen Tbc-Bekämpfungsverfahrens Amtspflichten auch gegenüber den einzelnen Tierhaltern ( B G H L M § 839 [Fe] Nr. 7). Die sorgfältige Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für ein Z e i t u n g s v e r b o t ist eine Amtspflicht, die der Behörde gegenüber allen vom Verbote Betroffenen, nämlich gegenüber dem Herausgeber, Verleger, Drucker, Verbreiter, obliegt ( R G 107, 1 1 8 ; 110, 286; 1 1 7 , 138; R G H R R 1933 Nr. 655).
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Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 43, 44
A n m . 43 Aus dem Grundsatz, daß jeder Amtsausübung auch die Pflicht innewohnt, dafür zu sorgen, daß Dritte, die von der Amtstätigkeit nicht berührt werden sollen, auch nicht von ihr beeinträchtigt werden, folgt: die Pflicht der L e h r e r , die Schulkinder vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren, liegt diesen nicht nur gegenüber den Schülern, sondern auch gegenüber den unterhaltspflichtigen Eltern ob ( R G J W 1936, 860 5 : Pflicht des Schulleiters, einen tuberkuloseverdächtigen Lehrer zur Befragung des Arztes und zur Einstellung des Unterrichts zu veranlassen). Die Pflicht zur Beaufsichtigung der Schüler liegt den Lehrern gegenüber allen ob, auf die sich das Tun und Treiben der Kinder auswirken kann ( R G 125, 85: Ballspiel der Schüler, bei dem ein Straßenpassant geschädigt wurde; R G D R 1942 S. 621 8 und 974* sowie B G H 28, 297: Schulwanderungen). Jedoch bei Benutzung einer Fähre im Rahmen einer Schulwanderung keine Verpflichtung des Lehrers gegenüber dem Fährunternehmer, dafür zu sorgen, daß dieser wegen des Unfalls eines Schülers nicht in einen Prozeß verwickelt wird ( B G H aaO). Dem P o l i z e i b e a m t e n , der einen Verdächtigen verfolgt, liegt die Amtspflicht zu sorgfältigem Vorgehen nicht nur gegenüber dem Verfolgten, sondern gegenüber allen denjenigen ob, deren Weg er bei der Verfolgung berührt; fahrlässiges Umrennen eines Unbeteiligten erfüllt daher den Tatbestand des § 839 ( R G 108, 366). Für Kriminalbeamte kommen Amtspflichten gegenüber Dritten regelmäßig erst dann in Frage, wenn sie zu dem einzelnen Staatsbürger bei der Erfüllung einer allgemeinen Amtspflicht in besondere Beziehung treten ( R G WarnRspr 1929 Nr. 147). Wer in A u s ü b u n g ö f f e n t l i c h e r G e w a l t e i n e n K r a f t w a g e n b e n u t z t , ist jedem Verkehrsteilnehmer, auch jedem Mitfahrenden gegenüber verpflichtet, unter Aufbietung aller Sorgfalt jede Gefährdung der anderen zu vermeiden ( R G 139, 149, 1 5 3 ; 155, 186; 158, 83, 94; 160, 193, 204; R G J W 1938, 2 7 5 7 35 ). Die Pflicht der N a t u r s c h u t z b e h ö r d e n zur Gefahrloshaltung der Naturdenkmäler besteht gegenüber allen, die durch Verletzung dieser Pflicht Schaden erleiden können (vgl. dazu O L G Celle N J W 1957, 1637). Anm. 44 Dem ein T e s t a m e n t beurkundenden Richter, Notar oder Gemeindevorsteher liegen Amtspflichten gegenüber allen Personen ob, die der Erblasser in dem Testament bedacht hat oder bedenken wollte ( R G 58, 296; 74, 4 2 1 , 428; R G WarnRspr 1909 Nr. 180; 1939 Nr. 80). Die Pflicht des N a c h l a ß r i c h t e r s zur gehörigen Beaufsichtigung des Nachlaßverwalters besteht nicht nur den Erben, sondern auch den Nachlaßgläubigern gegenüber ( R G 88, 264). Eine Pflicht zur Ausstellung und Aushändigung eines Erbscheins besteht jedoch nur dem Antragsteller gegenüber ( B G H W M 1957, 1165). Amtspflichten des V o r m u n d s c h a f t s r i c h t e r s bestehen regelmäßig nur gegenüber dem Mündel ( R G 88, 264, 265; R G WarnRspr 1930 Nr. 1 3 8 ; vgl. auch § 1848). Im Rahmen der G r u n d b u c h g e s c h ä f t e sind „Dritte" nicht nur die, in deren Interesse die Eintragung vorgenommen werden soll, sondern auch alle diejenigen, die im Vertrauen auf die richtige Handhabung der Grundbuchgeschäfte und die dadurch geschaffene Rechtslage im Rechtsverkehr tätig werden ( R G 78, 2 4 1 ; 1 5 1 , 395, 398; 155, 253; R G WarnRspr 1912 Nr. 390; SeuffArch 86 Nr. 30; H R R 1932 Nr. 1 6 5 1 ) . I m Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g s v e r f a h r e n über Grundstücke hat der diese leitende Beamte die Amtspflicht zur Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften auch gegenüber dem Bieter und Meistbietenden ( R G 129, 23; 154, 397; R G J W 1934, 2842 2 ; R G WarnRspr 1932 Nr. 166; B G H L M §839 [D] Nr. 5 ; nicht gegenüber dem Bürgen eines Hypothekenpfandgläubigers s. R G 1 5 1 , 1 7 5 ) ; die Berücksichtigung des Vorkaufsrechts gemeinnütziger Siedlungsunternehmen ( § 1 1 RSiedlG v. 1 1 . 8. 1919) ist nicht Amtspflicht des Versteigerungsrichters gegenüber dem Schuldner ( R G D J 1933, 661). Der N o t a r , der im Auftrage eines Sicherungseigentümers ein Grundstück öffentlich versteigert, hat keine Amtspflicht gegenüber dem Sicherungsgeber (Treugeber), z.B. zur Ubersendung des Erlösüberschusses an diesen, selbst wenn der Auftraggeber den Notar dazu angewiesen hat ( R G J W 1938, 2275®). Amtspflichten des Notars, der eine freiwillige Versteigerung vornimmt, gegenüber einem Mitbieter s. R G WarnRspr 1939
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§ 839
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 44 Nr. 29. Eine Amtspflicht zur sorgfältigen A u s w a h l e i n e s Z w a n g s v e r w a l t e r s besteht an sich nur gegenüber den am einzelnen Verfahren Beteiligten; soll aber vom Vollstreckungsgericht oder von einer Justizverwaltungsstelle eine Persönlichkeit allgemein als für diese Aufgabe geeignet bezeichnet werden, dann besteht die Amtspflicht, sie sorgfältig auszuwählen, gegenüber allen Personen, die an einem künftigen Zwangsverwaltungsverfahren im Amtsbereich der betreffenden Stelle beteiligt sein können ( R G H R R 1932 Nr. 1653). Die Amtspflicht zur sorgfältigen Führung des V e r z e i c h n i s s e s d e r S c h u l d n e r , die den Offenbarungseid geleistet haben, besteht allen gegenüber, die das Verzeichnis einsehen, um sich daraus über die Vertrauenswürdigkeit einer Person zu unterrichten ( R G 140, 152). Bei der Führung des H a n d e l s r e g i s t e r s kommen als Dritte im Sinne des § 839 alle Personen in Betracht, deren Interessen durch eine gesetzwidrige Eintragung beeinträchtigt werden können ( R G 127, 153). Die Prüfung von Anmeldungen zum G e n o s s e n s c h a f t s r e g i s t e r liegt dem Registerrichter als Amtspflicht auch den einzelnen Genossen gegenüber ob ( R G 140, 174). Bei Anmeldungen zum V e r e i n s r e g i s t e r liegt die Pflicht zur ordnungsmäßigen Prüfung und Erledigung dem Registerrichter gegenüber dem Verein ob; dagegen bedeutet es keine Amtspflichtverletzung gegenüber dem Verein, wenn der Richter den Vereinsvorstand nicht zu einer diesem obliegenden Anmeldung anhält ( R G J W 1936, 3120 8 ). Dem P r o z e ß r i c h t e r , der einen Vergleich beurkundet, liegen Amtspflichten nicht nur gegenüber den Prozeßparteien, sondern auch gegenüber dem Rechtsnachfolger oder Pfandgläubiger einer Prozeßpartei ob ( R G 129, 37). Die Amtspflicht zu sachgemäßer und erschöpfender Prüfung liegt den über ein Gesuch um Bewilligung des Armenrechts entscheidenden Richtern nicht gegenüber dem Gegner der armen Partei ob ( R G 135, 1 1 0 ; 155, 218), sondern nur gegenüber der antragenden Partei selbst ( R G WarnRspr 1933 Nr. 1 8 3 ; R G SeuffArch 87 Nr. 1 1 0 ; R G H R R 1935 Nr.666). In der Bewilligung des Armenrechts für einen aussichtslosen Prozeß liegt aber auch nicht eine Amtspflichtverletzung gegenüber dem Antragsteller ( R G 155, 218, 223). Bei Eingriffen der J u s t i z v e r w a l t u n g in die Auswahl der für gerichtliche Bekanntmachungen zu bestimmenden Zeitungen können als Dritte im Sinne des § 839 nur die von den einzelnen Verfahren betroffenen Personen in Betracht kommen, nicht die benachteiligten Zeitungsunternehmer ( R G 140, 423). Amtspflichten gegenüber Dritten, nicht nur gegenüber dem Staate begründen die in den Geschäftsordnungen für die Gerichtsschreibereien enthaltenen Vorschriften über die Behandlung der sog. Asservate ( R G J W rg25, 95Ö26). Keine Amtspflicht der S t a a t s a n w a l t s c h a f t gegenüber dem Eigentümer, beschlagnahmte Devisen für dessen Rechnung zu verwalten und beschlagnahmtes Geld zinstragend anzulegen ( R G SeuffArch 91 Nr. 92). Der G e r i c h t s v o l l z i e h e r ist dem Ersteher gegenüber dafür verantwortlich, daß er den Versteigerungserlös nicht an den betreibenden Gläubiger abführt, bevor die zugeschlagene Sache abgeliefert ist ( R G 153, 257). Der Gerichtsvollzieher, der beim Schuldner Sachen pfändet, auf die Dritte Anspruch erheben, verletzt keine Amtspflicht diesen gegenüber, wenn er durch Belassung der Sachen beim Schuldner einen Pfandbruch und den Eigentumsverlust für die Dritten ermöglicht ( R G H R R 1934 Nr. 1 1 1 0 ) . Einziehung und Unterschlagung von Wechselsummen aus Wechseln, die vom Vollstreckungsschuldner auf einen Dritten gezogen und von diesem angenommen sind, als Verletzung einer Amtspflicht gegenüber dem Vollstreckungsschuldner s. R G SeuffArch 91 Nr. 134. Zur Einhaltung der Frist zwischen Versteigerung und Pfändung und zur ordnungsmäßigen Bekanntmachung der Versteigerung ist der Gerichtsvollzieher auch dem Drittberechtigten gegenüber amtlich verpflichtet ( R G H R R 1931 Nr. 1854). Die Amtspflicht, die Pfändung im Gewahrsam des Schuldners belassener körperlicher Sachen durch Anlegung von Siegeln oder sonstwie ersichtlich zu machen (§ 808 Abs. 2 Z P O ) , obliegt dem Gerichtsvollzieher auch dem Schuldner gegenüber ( B G H N J W 1959, 1775). Zur Frage, inwieweit die Vollstreckungsbehörden die Interessen des Schuldners wahrzunehmen, insbesondere in seinem Interesse dafür zu sorgen haben, daß bei Versteigerung gepfändeter Sachen ein angemessener Erlös erzielt wird, s. R G 1 2 5 , 289. Haftung des Staates gegenüber dem Lagerhalter gepfändeter Sachen für Anordnungen des die Dienstaufsicht über die Gerichtsvollzieher handhabenden Richters s. R G 145, 204.
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Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 45, 46
3 . Verschulden A n m . 45 Die Amtspflichtverletzung muß schuldhaft erfolgt sein. Ob V o r s a t z oder F a h r lässigkeit vorliegt, ist nicht für die Haftungsfrage an sich, wohl aber im Blick auf Abs. i Satz 2 von Bedeutung. Wegen des allgemeinen Verschuldensbegriffs vgl. Erläuterungen zu § 276 und § 823 Anm. 2. Auch wo es um die Anwendbarkeit von landesrechtlichen Vorschriften geht, richtet sich die Verschuldensfrage ausschließlich nach der allgemeinen Vorschrift des § 276 ( R G J W 1936, 1434 6 ; 1938, 4 7 " ) . Bei der Prüfung der Verschuldensfrage ist von dem Sachverhalt auszugehen, den der Beamte nach seiner Kenntnis der Dinge als gegeben ansehen konnte ( R G D R 193g, 244; B G H VersR 1958, 600, 601). Auch müssen die besonderen Gesamtumstände der örtlichen und zeitlichen Situation, in die das Verhalten des Beamten fällt, berücksichtigt werden. So konnten allgemein für die erste Zeit nach dem Zusammenbruch, als die Grundlagen des Staatsund Rechtsgefüges erschüttert waren, die Verwaltungen sich vor eine Vielzahl neuer Aufgaben gestellt sahen und allgemein unter einem Mangel an fachlich ausgebildeten Beamten litten, an die Sorgfaltspflicht der Beamten nicht die Anforderungen wie in normalen Zeiten gestellt werden ( B G H 7. 12. 1953 I I I Z R 190/52 und 13. 12. 1954 I I I Z R 165/52). Das Verschulden m u ß sich im Rahmen des § 839 immer auf die Verletzung der Amtspflicht beziehen ( B G H VersR 1956, 96). Daß der Beamte den aus der Pflichtverletzung entstehenden S c h a d e n v o r a u s s a h oder voraussehen konnte, ist n i c h t e r f o r d e r l i c h ( R G J W 1907, 828"; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 188; B G H VersR 1956, g6). V o r s ä t z l i c h e s H a n d e l n ist deshalb gegeben, wenn der Beamte weiß, daß er pflichtwidrig handelt, wenn er sich mithin bewußt über Gesetzesbestimmungen oder sonstige seine Amtspflichten regelnde Vorschriften hinwegsetzt oder wenn er zumindest mit der Möglichkeit eines Verstoßes gegen Amtspflichten rechnet und diese Pflichtverletzung in Kauf nimmt ( R G 86, 102; WarnRspr 1934 Nr. 54; B G H 29. 4. 1954 I I I Z R 378/52). Die Kenntnis der Tatsachen allein, die ein bestimmtes Verhalten erfordern (z. B. Kenntnis der Tatsachen, die die Erteilung einer Bescheinigung oder Genehmigung objektiv nicht erlauben), genügt für die Annahme von Vorsatz nicht; da dieser sich auf die Amtspflichtverletzung selbst beziehen muß, muß hinzukommen, daß der Beamte sich der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewußt ist oder zumindest mit der Möglichkeit, pflichtwidrig zu handeln, rechnet und sich mit dieser Möglichkeit innerlich einverstanden erklärt ( B G H VersR 1956, 96). Eine Schädigungsabsicht ist aber auch hierbei nicht erforderlich ( R G D R 1 9 4 1 , 1458 1 3 ). Vorsätzliches Handeln wird auch dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Beamte mit der Billigung seines Verhaltens durch den Dritten rechnet ( R G H R R 1934 Nr. 1109). F a h r l ä s s i g handelt der Beamte, wenn er bei gehöriger Aufmerksamkeit, bei Beachtung der für einen Beamten im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in der Lage ist, seine Handlungsweise als einen Verstoß gegen seine Amtspflichten zu erkennen ( R G 85, 64, 72 u. a.). Dabei ist nicht der Maßstab eines Musterbeamten, sondern der eines pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten anzulegen ( B G H 29. 1 1 . 1951 I I I Z R 103/51 = Arch. ö.R. 78, 102; B G H VerwRspr. 7, 607). Jedoch sind an einen öffentlichen Pflichtenträger im Blick auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, namentlich, wenn es sich um einen Irrtum über Bestehen, Inhalt und Umfang einer gesetzlich begründeten Pflicht handelt ( B G H VersR 1957, 785). A n m . 46 Jeder Beamte m u ß die zur Führung seines Amtes n o t w e n d i g e n R e c h t s - u n d V e r w a l t u n g s k e n n t n i s s e b e s i t z e n o d e r s i c h v e r s c h a f f e n ( R G 126, 362; R G WarnRspr 1925 Nr. 30; H R R 1931 Nr. 854; SeuffArch 88, 358). Dementsprechend kommt es für die Verschuldensfrage an auf die Kenntnisse und Einsichten, die für die Führung des übernommenen Amtes erforderlich sind, nicht auf die, über die der Beamte tatsächlich verfügt ( R G 156, 34, 5 1 ; B G H L M HandelsbeschränkungsVO Nr. 1). Minister, die nicht selbst rechtskundig sind, müssen sich durch ihre rechtskundigen Beamten beraten lassen; geben diese falschen Rat, so haftet der Staat für ihr Ver-
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§ 839 A n m . 47
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
schulden ( R G J W 1932, 3767'; R G H R R 1931 Nr. 854). Ein Beamter darf sich bei seinen Entscheidungen nicht auf andere, auch nicht ohne weiteres auf die Richtigkeit der Auffassung der vorgesetzten Dienststellen verlassen, so daß ihn nicht schon der Umstand, daß die vorgesetzte Dienstbehörde sein Verhalten nicht beanstandet oder gar ausdrücklich bestätigt hat, entlasten kann ( R G 125, 85; R G D R Z 1929 Nr. 822; B G H M D R 1959, 734 = VersR 1959, 736). Vielmehr hat der zuständige Beamte die vor einer Entscheidung gebotene P r ü f u n g d e r S a c h l a g e g r u n d s ä t z l i c h von sich aus und s e l b s t ä n d i g in e i g e n e r V e r a n t w o r t u n g vorzunehmen ( R G 1 2 1 , 1 1 4 : Der mit der Bestätigung eines Vertrages über Annahme an Kindes Statt befaßte Richter darf sich nicht darauf verlassen, daß der Richter, der die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erteilt hat, die Gültigkeit des Annahmevertrages schon ausreichend geprüft habe; R G 138, 6, 14; R G H R R 1931 Nr. 854; s. jetzt auch § 56 Abs. 1 BBG und § 38 Abs. 1 B R R G ) . Der Beamte darf sich zwar in seiner Auffassung durch die Stellungnahme der vorgesetzten Behörde bestärkt fühlen ( B G H 15. 2. 1954 I I I Z R 198/52). Auch darf sich ein juristisch nicht vorgebildeter Beamter im allgemeinen an die von einer fachkundigen Behörde ergangenen „Richtlinien" oder den von einem Fachbeamten der übergeordneten Behörde gefertigten Verfügungsentwurf halten ( H R R 1933 Nr. 1185; B G H L M Pr.PVG § 14 Nr. 6). Ebenso kein Verschulden eines Polizeibeamten, wenn er sich so verhält (z. B. beim Schußwaffengebrauch), wie er auf der Polizeischule belehrt worden ist ( B G H 7. 7. 1958 I I I Z R 67/57). — Wenn ein Beamter lediglich einer dienstlichen Weisung nachkommt, dann ist auch dann, wenn der Beamte die Weisung nach den einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften (s. § 55 BGB, § 37 B R R G ) nicht unbedingt und ohne weiteres befolgen m u ß t e (vgl. Anm. 39), doch in der Regel ein Verschulden des Beamten ausgeschlossen, es sei denn, daß er die Pflichtwidrigkeit der Weisung erkannt hat oder ohne weiteres erkennen konnte ( B G H 17. 5. 1956 I I I Z R 283/54). Nicht jedes Versehen, n i c h t j e d e r o b j e k t i v e R e c h t s i r r t u m b e d e u t e t ein die Schadensersatzpflicht auslösendes V e r s c h u l d e n ( R G H R R 1931 Nr. 854; R G J W 1922, 9 0 1 ; 1936, 2 2 1 5 5 ; 1938, 2277). Vielmehr bedeutet ein Rechtsirrtum nur dann ein Verschulden, wenn der Beamte bei pflichtmäßiger Überlegung zu der von ihm befolgten irrigen Rechtsansicht nicht hätte gelangen können ( B G H 29. 11. 1951 I I I Z R 103/5I = Arch.ö.R. 78, 102). A n m . 47 Bei N i c h t b e a c h t u n g k l a r e r u n d e i n d e u t i g e r V o r s c h r i f t e n ist in der Regel ein Verschulden ebenso zu bejahen ( R G 60, 392, 398; R G J W 1938, 947) wie bei einer offenbar unrichtigen und mit der Rechtsprechung der obersten Gerichte in Widerspruch stehenden Gesetzesauslegung ( R G 133, 137, 142; R G J W 1909, I i 4 ; 1936, 1 2 1 1 ; 1938, 9 4 7 1 1 ; H R R 1931 Nr. 1851). Jedoch kein Verschulden bei einer zwar unrichtigen, aber nach gewissenhafter Prüfung der zu Gebote stehenden Hilfsmittel auf vernünftige Überlegung gestützten Stellungnahme bei Gesetzesbestimmungen, die für die Auslegung Zweifel in sich tragen, zumal wenn die Gesetzesbestimmungen noch neu, die Zweifelsfragen noch unausgetragen sind und der Beamte für seine Auffassung namhafte Rechtslehrer auf seiner Seite hat ( R G 59, 381, 388; 85, 64, 72; 91, 1 2 7 ; 107, 1 1 8 ; 133, 137, 142; 135, HO, 1 1 6 ; R G J W 1906 S. 53, 132, 162; 1922, 9 0 1 ; 1938, 2277; WarnRspr 1909 Nr. 1 7 1 ; 1911 Nr. 2 7 1 ; 1929 Nr. 179; SeuffArch 61 Nr. 1 7 5 ; H R R 1938 Nr. 1008 u. a. m.). Deshalb kein Verschulden, wenn ein Wohnungsamt in der ersten Zeit nach Inkrafttreten des Wohnungsgesetzes ( K R G Nr. 18) unrichtigerweise ( B G H 10, 215) gewerbliche Räume zu den nach diesem Gesetz erfaßbaren Räumen gerechnet hat ( B G H 16. 5. 1955 I I I Z R 264/53 und 12. 11. 1956 I I I Z R 83/55). Ebenso kein Verschulden, wenn Ministerialbeamte im Sommer 1952 noch davon ausgingen, daß einem unzulässigen Einspruch gegen einen Verwaltungsakt die in § 5 1 BrMilRegV O Nr. 165 normierte aufschiebende Wirkung nicht zukomme ( B G H SchlHAnz 1956, 106). Richter und rechtskundige Beamte haben in Z w e i f e l s f ä l l e n E r l ä u t e r u n g s b ü c h e r hinzuzuziehen ( R G WarnRspr 1939 Nr. 62; 1941 Nr. 49). Die Übertragung richterlicher Geschäfte auf die sog. R e c h t s p f l e g e r (s. jetzt Rechtspflegergesetz v. 8. 2. 1957 BGBl I, 18), d. h. auf nicht zum Richteramt befähigte Beamte bedeutet 1472
Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 48, 49 keine Minderung des Rechtsschutzes gegen Amtspflichtverletzungen; es muß vorausgesetzt werden, daß die Rechtspfleger die zur ordnungsmäßigen Erledigung ihrer Aufgaben erforderlichen Kenntnisse besitzen oder sich alsbald aneignen ( R G 127, 153, 156). Aus dem W e c h s e l e i n e r R e c h t s a u f f a s s u n g kann einem Beamten ein Schuldvorwurf nur gemacht werden, wenn er den Wechsel ohne sorgfältige Prüfung der Rechtslage vorgenommen hat ( R G 125, 24, 3 2 ; B G H 29. 10. 1953 I I I Z R 31/52). Ein Verschulden ist auch nicht allein deswegen anzunehmen, weil der Beamte nicht mit der Möglichkeit rechnet, daß seine Maßnahmen auf Rechtsmittel des Betroffenen hin wieder aufgehoben werden könnten ( B G H 5. 5. 1955 I I I Z R 231/53). G e r i n g e r e A n f o r d e r u n g e n als an einen Rechtskundigen sind naturgemäß a n e i n e n L a i e n z u s t e l l e n , dem die Aufgabe der Auslegung eines Gesetzes zufällt, beispielsweise an einen Gemeindevorsteher bei der Beurkundung eines Nottestaments ( R G J W 1 9 1 1 , 7 1 4 1 5 ; 1938, 810 3 6 ). Ein Verschulden liegt aber in einem derartigen Falle vor, wenn der Laie die in Betracht kommenden Amtshandlungen vornimmt, ohne sich um die einschlägigen Vorschriften überhaupt zu kümmern ( R G WarnRspr 1925 Nr. 30; 1 9 3 1 Nr. 86).
A n m . 48 D a v o n e i n e m B e a m t e n durchweg k e i n e b e s s e r e R e c h t s e i n s i c h t a l s v o n e i n e m K o l l e g i a l g e r i c h t v e r l a n g t w e r d e n kann, ist nach der vom Bundesgerichtshof fortgeführten Rechtsprechung des Reichsgerichts ein Verschulden in der Regel zu verneinen, wenn zwar das Verhalten des Beamten als nicht rechtmäßig und damit als objektiv pflichtwidrig zu erachten ist, wenn aber ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht (Landgericht, Oberlandesgericht, Verwaltungsgericht usw.) nach mündlicher Verhandlung und sorgfältiger Prüfung dieses Verhalten als objektiv gerechtfertigt gebilligt hat ( R G 106, 406, 4 1 0 ; 1 4 1 , 328, 3 3 4 ; R G J W 1 9 3 1 , 2363 2 ; 1933, 1064 1 6 ; 1938, 2 2 8 7 " ; H R R 1935 Nr. 734; B G H 2. 7. 1953 I I I Z R 320/51 und 13. 6. 1957 I I I Z R 25/56; B G H 27, 338, 343). Dieser Satz gilt zwar nicht allgemein und es handelt sich bei der genannten Regel nur um eine allgemeine Richtlinie f ü r die rechtliche Beurteilung des im Einzelfall gegebenen Sachverhalts ( R G 164, 32, 4 1 ; R G H R R 1933 Nr. 647; B G H 24. 2. 1955 I I I Z R 180/53). Voraussetzung f ü r die Anwendung der Regel ist, daß es sich um eine wirklich zweifelhafte und nicht einfach zu lösende Rechtsfrage handelt ( R G 156, 34, 5 1 ; R G J W 1938, 8 1 0 " ; R G D N o t Z 1938, 248; B G H 30. 1 1 . 1953 I I I Z R 191/52). Sie kommt deshalb nicht zum Zuge, wenn das Kollegialgericht bei seiner Beurteilung die Rechtslage trotz klarer und eindeutiger Gesetzesbestimmungen verkannt hat ( B G H 27, 338, 343) oder wenn es um die Beurteilung von rechtlichen Spezialfragen geht, mit denen die Gerichte wenig befaßt werden, die jedoch dem tätig gewordenen Beamten in besonderem Maße vertraut sind ( B G H 29. 1 1 . 1951 I I I Z R 4/50; 2. 7. 1953 I I I Z R 320/51). Für die Anwendung der Regel ist ferner kein R a u m , soweit das Kollegialgericht bei Bildung seiner Rechtsauffassung infolge unzureichender Tatsachenfeststellung von einem anderen Sachverhalt ausgegangen ist als dem, vor den der Beamte gestellt war ( B G H 24. 3. 1955 I I I Z R 158/53 und 18. 1 1 . 1957 I I I Z R 123/56), soweit das Verhalten des Beamten auch unter Gesichtspunkten, unter denen das Kollegialgericht es nicht gewürdigt hat, auf das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung hin zu prüfen ist ( B G H 25. 1 1 . 1957 I I I Z R 86/56) und soweit das Kollegialgericht bereits in seinem rechtlichen Ausgangspunkt sich von einer juristisch fehlsamen Betrachtungsweise nicht hat frei machen können ( B G H V e r s R 1959, 467, 468).
A n m . 49 Hatte der Beamte nach seinem p f l i c h t m ä ß i g e n E r m e s s e n zu entscheiden, so kann ihm aus seiner Entscheidung ein Schuldvorwurf nur unter besonderen Umständen gemacht werden, und zwar in der Regel nur bei Ermessensmißbrauch, mithin vor allem dann, wenn er bei Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens in so hohem Maße fehlsam gehandelt hat, daß sein Verhalten mit den an eine ordnungsmäßige Amtstätigkeit zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar ist (s. im einzelnen oben Anm. 35). Liegt Ermessensmißbrauch vor, wird Verschulden stets bejaht werden
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§ 839 A n m . 50
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
müssen, da ein einen Ermessensmißbrauch darstellendes Verhalten sich mit den an die Sorgfaltspflicht eines pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu stellenden Anforderungen nicht verträgt. Von einem Beamten d ü r f e n L e i s t u n g e n n i c h t v e r l a n g t w e r d e n , d e r e n G r ö ß e u n d U m f a n g eine p f l i c h t g e m ä ß e A m t s f ü h r u n g n i c h t z u l a s s e n , die an normale Kraft und Arbeitsfähigkeit zu stellenden Anforderungen weit übersteigen und die körperliche und geistige Spannkraft des Beamten hemmen und lähmen. Deshalb kann erhebliche Arbeitsüberlastung das Verschulden des Beamten ausschließen, wenn er seine vorgesetzten Stellen rechtzeitig auf die Arbeitsüberlastung mit der Bitte um Abhilfe hingewiesen hat oder die Überlastung den vorgesetzten Stellen bekannt war, zumindest bei ordnungsmäßiger Aufsicht bekannt sein mußte; s. im einzelnen R G 9 0 , 3 8 5 ; 9 6 , 1 4 3 , 1 4 7 ; 1 2 6 , 3 6 2 (für Gerichtsvollzieher); R G JW 1 9 1 7 , 9 7 2 (Richter mit zwei richterlichen Dezernaten); HRR 1930 Nr. 974 (Überlastung der Grundbuchämter infolge der Aufwertungsgesetzgebung) ; HRR 1939 Nr. 1350. Es ist aber nicht so, daß eine Amtspflichtverletzung bei Arbeitsüberhäufung immer als deren Folge angesehen werden müßte; sie kann auch trotz dienstlicher Überbeanspruchung nach Lage des Falles doch als schuldhafte Unaufmerksamkeit angesehen werden ( R G HRR 1936 Nr. 257; R G DJZ 1931, 895; B G H VersR 1959, 479). Es kann für den Beamten auch im Einzelfall A u s n a h m e s i t u a t i o n e n geben, in denen ihm ein pflichtgemäßes Verhalten nicht zugemutet und ihm deshalb ein pflichtwidriges Verhalten nicht als Verschulden angerechnet werden kann (BGH 2 5 . 2 . 1 9 5 4 III ZR 2 9 2 / 5 2 und 7 . 3 . 1 9 5 7 III ZR 7 2 / 5 5 : Beschlagnahme der Wohnung eines ,,NSFunktionärs" durch einen Beamten des Wohnungsamtes unter dem Druck eines „Verfolgten-Ausschusses" Anfang Mai 1 9 4 5 ) . Zum m i t w i r k e n d e n V e r s c h u l d e n des Verletzten s. Anm. 52. 13
4. Ursachenzusammenhang und Schadensberechnung A n m . 50 Über den Ursachenzusammenhang zwischen amtspflichtwidrigem Verhalten des Beamten und Schaden vgl. Vorbem. 47 vor § 823. Es ist stets zu fragen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Beamten genommen haben würden und wie die Vermögenslage des Verletzten sein würde, wenn der Beamte die Amtspflichtverletzung nicht begangen, sondern pflichtgemäß gehandelt hätte. Nur soweit die Vermögenslage des Verletzten bei pflichtgemäßem Verhalten des Beamten günstiger als die tatsächliche sein würde, hat die Amtspflichtverletzung Schaden verursacht (RG HRR 1 9 3 4 Nr. 2 5 6 ; R G JW 1 9 3 6 , 2 7 0 7 ; R G DR 1 9 4 1 , I 2 2 8 1 9 ; B G H LM § 8 3 9 [D] Nr. 2 und 5; vgl. auch B G H 22, 258, 265). Dieser muß sich, wenn ein Ersatzanspruch gegeben sein soll, als adäquate Folge der Amtspflichtverletzung darstellen ( B G H VersR 1959, 31). Deshalb hat eine verzögerte Erledigung eines Antrages auf Schiffsregistereintragung dann keinen Schaden verursacht, wenn dem Eintragungsantrag auch bei sofortiger Erledigung nicht hätte entsprochen werden dürfen (RG JW 1 9 3 6 , 2 7 0 7 ) ; ebenso kein Schaden, wenn ein unrichtig behandeltes Gesuch auch bei richtiger Behandlung erfolglos geblieben wäre (BGH L M § 839 [D] Nr. 2). Desgleichen kein Ursachenzusammenhang zwischen der amtspflichtwidrig unterbliebenen Aufhebung eines Versteigerungstermins und der Versagung des Zuschlags an den Meistbietenden, wenn dieser auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Versteigerungsrichters das Grundstück nicht hätte erwerben können (BGH L M § 839 [D] Nr. 5). Die fehlerhafte oder schuldhaft unterlassene Pfändung durch den Gerichtsvollzieher hat keinen Schaden verursacht, wenn der Gläubiger auch bei richtigem Verhalten des Gerichtsvollziehers nichts oder nicht mehr, als er bekommen hat, erhalten haben würde, der Gerichtsvollzieher beispielsweise pflichtgemäß auch andere Pfändungsaufträge ausgeführt haben und für den Kläger nichts übrig geblieben sein würde (RG HRR 1930 Nr. 502); alle Gläubiger, aber auch nur diejenigen, die bei ordnungsmäßigem Vorgehen des Gerichtsvollziehers wenigstens teilweise befriedigt worden wären, haben Schaden erlitten (RG H R R 1931 Nr. 1 8 5 3 ) . Eine durch amtspflichtwidriges Verhalten eines Notars oder Grundbuchbeamten verschuldete Rangverschlechterung eines Grundpfandrechts hat zwar Schaden 6
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 51
verursacht, wenn sie die Befriedigung des Gläubigers aus dem Grundstück gefährdet, den Verkehrswert des Grundpfandrechts beeinträchtigt oder gar zu einem Ausfall bei der Zwangsversteigerung geführt hat ( R G J W 1937, 1 9 1 7 2 3 ; WarnRspr 1934 Nr. 57 und 1936 Nr. 91). Ein Schaden ist jedoch nicht entstanden, wenn das Grundpfandrecht auch bei Eintragung an richtiger Stelle völlig wertlos gewesen wäre (s. R G WarnRspr 1934 Nr. 57) oder das bei einer Zwangsversteigerung ausgefallene Grundpfandrecht bei dem ihr ohne die Amtspflichtverletzung zuteil gewordenen besseren R a n g ebenfalls ausgefallen sein würde. Die vielfach für die gegenteilige Ansicht angeführte Entscheidung R G 144, 80 trifft diesen Fall nicht, da dort die Hypotheken-Valuta bei pflichtgemäßem Verhalten des Notars überhaupt nicht an den Grundstückseigentümer ausgezahlt worden wäre. Besteht die Amtspflichtverletzung lediglich in einem U n t e r l a s s e n , dann ist der Ursachenzusammenhang mit dem Schaden nur dann zu bejahen, wenn ein pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des schädigenden Erfolges verhindert haben würde ( R G 147. '295 B G H 19. 9. 1955 I I I Z R 276/54 und 15. 3. 1956 I I I Z R 203/54). Daß die A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g die e i n z i g e U r s a c h e für den eingetretenen Schaden sei, w i r d für den ursächlichen Zusammenhang im Rechtssinne n i c h t g e f o r d e r t . Auch wird die Ursächlichkeit nicht dadurch aufgehoben, daß die amtspflichtwidrige Verfügung auf Beschwerde des Betroffenen von der Aufsichtsbehörde bestätigt wird ( B G H 19. 3. 1953 I I I Z R 2 7 1 / 5 1 , insoweit B G H 9, 129 nicht abgedruckt). Z u dem Fall, daß die Amtspflichtverletzung eines Richters nur infolge hinzutretenden Fehlers eines anderen Richters Schaden verursacht hat, s. R G 142, 383, oder daß zur unzulässigen Erteilung einer Vollstreckungsklausel durch den Notar ein ungerechtfertigter Beschluß des Versteigerungsrichters hinzukommt, s. R G 145, 199. Amtshaftungsansprüchen aus v e r f a h r e n s m ä ß i g f e h l e r h a f t e n H a n d l u n g e n einer Behörde kann allgemein nicht entgegengehalten werden, die Maßnahme der Behörde hätte bei Beachtung der Verfahrensvorschriften rechtsgültig vorgenommen werden k ö n n e n , und die Behörde würde auch bei nicht fehlerhaftem Vorgehen nicht anders entschieden haben ( R G 169, 353, 358). Anders jedoch, wenn die Behörde bei pflichtgemäßem Verhalten die in Rede stehende Maßnahme hätte treffen m ü s s e n . K o m m t es im Rahmen der Prüfung, wie die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten verlaufen wären, darauf an, w i e d i e E n t s c h e i d u n g e i n e s G e r i c h t s a u s g e f a l l e n w ä r e , so ist nicht darauf abzustellen, wie dieses Gericht, vielleicht nach seiner Übung, tatsächlich entschieden haben würde, sondern darauf, wie es nach Ansicht des über den Schadensersatzanspruch erkennenden Gerichts richtigerweise hätte entscheiden müssen ( R G 1 1 7 , 287, 293; 142, 3 3 1 , 3 3 3 ; R G H R R 1932 Nr. 4 3 5 ; L M § 21 R N o t O Nr. 5 ; B G H V e r s R 1958, 329). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für gerichtliche Entscheidungen im Prozeßverfahren, sondern auch für andere Verfahrensarten, s. R G H R R 1 9 3 1 Nr. 1852 (Konkursverfahren). Dasselbe gilt in gleicher Weise für Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, soweit es sich nicht um Ermessensentscheidungen handelt ( R G H R R 1933 Nr. 1 9 1 4 ; J W 1936, 8 1 3 2 9 ; D R 1939, 1007 2 8 ). K o m m t es jedoch darauf an, wie eine Verwaltungsbehörde im Rahmen ihres Ermessens entschieden haben würde, dann ist darauf abzustellen, wie die Behörde ihr Ermessen nach ihrer Übung in gleichen oder ähnlichen Fällen auszuüben pflegte ( R G J W 1936, 8 1 3 2 9 ; B G H N J W 1959, 1 1 2 5 und 1 3 1 6 ) .
A n m . 51 Z u m Begriff des S c h a d e n s (Vermögensschadens) s. Anm. 2—6 vor § 249. Der zu ersetzende Schaden umfaßt a l l e N a c h t e i l e , d i e s i c h i n f o l g e d e r A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g e r g e b e n h a b e n , und zwar insoweit nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren Schäden ( B G H L M § 839 [C] Nr. 1 1 ) . Z u beachten ist auch, daß die Haftung aus § 839 nicht wie die aus § 823 einen Eingriff in bestimmte Rechtsgüter voraussetzt, sondern nur allgemein einen Vermögensschaden, mithin lediglich eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Güterlage einer Person verlangt (s. Anm. 1 u n d B G H 3 1 . 1. 1955 I I I Z R 1 5 1 / 5 3 s o w i e B G H W M 1957, 1 1 6 5 , 1 1 6 7 ) . A u c h S c h ä d e n i m ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n R e c h t s k r e i s des Betroffenen kommen in Betracht ( B G H 23, 36, 48). Bei auf die Dauer wirkenden Eingriffen (z.B. Entziehung der Ver-
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§ 839
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 51 fügungsbefugnis über Wohnräume) dauert der Schaden solange, bis die unrechtmäßige Verfügung aufgehoben oder durch eine rechtmäßige ersetzt wird ( B G H 6. io. 1955 I I I Z R 227/53). Besteht die Amtspflichtverletzung in der Nichterfüllung eines Zahlungsanspruchs, dann entsteht kein inhaltsgleicher Schadensersatzanspruch, weil die Nichterfüllung eines Anspruchs als solche die Vermögenslage des Berechtigten noch nicht verändert, es mithin insoweit an einem Schaden fehlt ( B G H 1 1 , 2 1 2 ; B G H W M 1956, 65). D a zu den zu ersetzenden Schäden a l l e V e r m ö g e n s e i n b u ß e n gehören, d i e e i n e a d ä q u a t e F o l g e d e r A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g s i n d , können auch K o s t e n e i n e s P r o z e s s e s zu ersetzen sein, zu dessen Führung die Amtspflichtverletzung Anlaß gibt, mag auch in diesem Prozeß festgestellt werden, daß ein unmittelbarer Schaden durch die Amtspflichtverletzung überhaupt nicht entstanden ist ( R G D N o t Z 1934, 944). Ebenso kann der an einem Verkehrsunfall Beteiligte, der im Strafverfahren wegen des Verkehrsunfalls freigesprochen worden ist, die V e r t e i d i g u n g s k o s t e n des Strafverfahrens ersetzt verlangen, wenn ein Beamter durch schuldhafte Amtspflichtverletzung den Verkehrsunfall herbeigeführt hat ( B G H 26, 69; vgl. jedoch auch B G H 27, 137, wonach ein solcher Anspruch aus § 8 2 3 nicht hergeleitet werden kann). Soweit nach Art. 8 Abs. 4 des Finanzvertrages § 839 anzuwenden ist, gehören zum Schaden auch die zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen beim A m t für Verteidigungslasten aufgewendeten Anwaltskosten ( B G H 30, 154). D a der Geschädigte einen Amtshaftungsanspruch erst geltend machen kann, wenn feststeht, daß er auf andere Weise Ersatz nicht zu erlangen vermag (Abs. 1 Satz 2, s. Anm. 8 9 f f ) , sind ihm auch alle Kosten zu ersetzen, die er zur Prüfung des Bestehens anderweiter Ersatzmöglichkeiten aufgewandt hat. Daher sind die Kosten eines zur Klärung dieser Frage geführten Prozesses regelmäßig zu ersetzen, wenn die Prozeßführung als vernünftige Maßnahme und nicht als aus Rechtsgründen offenbar aussichtslos oder wegen völligen Zahlungsunvermögens des Prozeßgegners als zwecklos erscheinen mußte ( R G 9 1 , 2 3 2 ; 145, 56, 70; R G SeuffArch 93 Nr. 3 1 ; R G H R R 1934 Nr. i m ; B G H 18, 366). Das gleiche gilt für K o s t e n v o n V o l l s t r e c k u n g s m a ß n a h m e n g e g e n d e n i n e r s t e r L i n i e H a f t b a r e n (vgl. R G Recht 1920 Nr. 3379). K o m m e n aber m e h r e r e B e a m t e a l s E r s a t z p f l i c h t i g e in Betracht (z.B. Notar und Grundbuchrichter), so können die Kosten des gegen den einen Beamten erfolglos gebliebenen Prozesses nicht von dem anderen ersetzt verlangt werden (vgl. den vom R G in WarnRspr ig 12 N r . 3 9 0 entschiedenen Fall). Der m a ß g e b l i c h e Z e i t p u n k t für die Schadensberechnung ist grundsätzlich die Z e i t d e r l e t z t e n m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g in der Tatsacheninstanz (s. im einzelnen und über Sonderfälle § 823 Anm. 98). Deshalb ist auch für einen vor der Währungsreform erlittenen, aber noch nicht beseitigten Schaden der zur Beseitigung erforderliche DM-Betrag zu ersetzen (auch dazu im einzelnen § 823 Anm. 98 und für Amtshaftungsansprüche im besonderen O G H 3, 1 3 5 und B G H N J W 1952, 618). Schadensersatzforderungen sind Wertforderungen, keine Geldsummenforderungen, mithin auch keine „Reichsmarkforderungen" im Sinne der § § 1 3 , 14 UmstG, so daß diese Bestimmungen ihrer Geltendmachung gegen das Deutsche Reich nicht entgegenstehen ( B G H 3, 3 2 1 ) . § 839 gibt g r u n d s ä t z l i c h n u r e i n e n A n s p r u c h a u f E r s a t z i n G e l d . Auf eine Wiedergutmachung durch Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung kann — auch wenn insoweit nicht der Beamte selbst, sondern die an seiner Stelle haftende Körperschaft in Anspruch genommen wird —• angesichts der Trennung zwischen Rechtspflege und Verwaltung nicht geklagt werden, da ein Urteil solchen Inhalts eine unzulässige Einmischung der Gerichte in die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden bedeuten würde ( R G 150, 140; 156, 34, 40; 169, 353, 356). Aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 34 G G ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen ( B G H 4, 77, 8 3 f ; s. auch B G H 4, 302, 3 0 9 f f ; a M H e i d e n h a i n N J W 1949, 841 und 1953, 1081). Wohl aber kann sowohl der Beamte als auch die für ihn haftende Körperschaft z u r L i e f e r u n g v e r t r e t b a r e r S a c h e n verurteilt werden, da damit der Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung nicht angetastet wird ( B G H 5, 102).
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 52
S c h a d e n s e r s a t z b e r e c h t i g t ist n a c h M a ß g a b e des § 839 n u r derjenige, d e m gegenüber die Amtspflicht zu erfüllen w a r (s. A n m . 40 fr). Die § § 8 4 2 — 8 4 5 gelten f ü r die Fälle der T ö t u n g , Körperverletzung, Gesundheitsbeschädigung u n d Freiheitsentziehung a u c h f ü r den Bereich des § 839 ( R G 94, 102, 104). Das gleiche gilt von § 847 (Schmerzensgeld) u n d zwar auch d a n n , w e n n an Stelle des Beamten der Staat oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaft haftet ( R G 1 1 3 , 104; B G H 12, 278).
5. A n h a n g : Schuldhafte Mitverursachung ( m i t w i r k e n d e s Verschulden) des Verletzten A n m . 52 Bei einem mitwirkenden Verschulden (genauer: einer schuldhaften M i t v e r u r s a c h u n g ) des Geschädigten k o m m t § 254 zur A n w e n d u n g . J e d o c h k o m m t das mitwirkende Verschulden des Geschädigten a u c h der n a c h Art. 34 G G in Anspruch g e n o m m e n e n K ö r perschaft n u r in demselben U m f a n g zugute, wie sich der schuldige Beamte d a r a u f berufen könnte ( R G 156, 220, 239). Eine entsprechende A n w e n d u n g des in § 254 Abs. 2 e r w ä h n t e n § 278 ist, wie bei u n e r l a u b t e n H a n d l u n g e n ü b e r h a u p t , a u c h i m Falle des § 839 ausgeschlossen, w e n n es sich u m ein bei der E n t s t e h u n g des Schadens mitwirkendes Verschulden (§ 254 Abs. 1) handelt ( R G 1 2 1 , 114, 1 1 8 ; 159, 283, 2 g 2 ; B G H 1, 248), es sei d e n n , d a ß ausnahmsweise bereits zur Zeit des schadenstiftenden Ereignisses zwischen d e m Schädiger u n d d e m Geschädigten eine dieses Ereignis betreffende Verbindlichkeit oder ähnliche Rechtsbeziehungen bestanden ( B G H g, 316; B G H V e r s R 1957, 269 u n d 1958, 834). M i t d e m Augenblick der Amtspflichtverletzung entstehen j e d o c h zwischen d e m Beamten (oder der f ü r ihn h a f t e n d e n Körperschaft) u n d d e m Betroffenen Beziehungen schuldrechtlicher Art, die es d e m Betroffenen zur Pflicht m a c h e n , d e n Schaden a b z u w e n d e n oder zu m i n d e r n ( R G 141, 353, 3 5 7 ; R G D R 1939, 630 1 1 ). I m R a h m e n dieser schuldrechtlichen Beziehungen, die die A b w e n d u n g u n d M i n d e r u n g des aus der Amtspflichtverletzung d r o h e n d e n Schadens (§ 254 Abs. 2) z u m Gegenstand h a b e n , ist a u c h R a u m f ü r die A n w e n d u n g des § 278 ( R G 141, 353, 3 5 6 ; R G J W 1937, 2654"). Bei v o r s ä t z l i c h e n Amtspflichtverletzungen bleibt in der Regel ein fahrlässiges Mitverschulden des Geschädigten bei der E n t s t e h u n g des Schadens a u ß e r Betracht ( R G 156, 220, 239). Anders b e i m Verschulden des Verletzten i m R a h m e n seiner Verpflichtung zur A b w e n d u n g oder M i n d e r u n g des Schadens ( R G 148, 48, 58; R G SeuffA r c h 92 Nr. 82). Die N i c h t z a h l u n g einer vollstreckbaren Schuld k a n n nicht als mitwirkende U r sache f ü r einen Schaden angesehen werden, der bei der P f ä n d u n g d u r c h Versehen des p f ä n d e n d e n Beamten entsteht ( R G 142, 379). Der Rechtsbrecher behält A n s p r u c h auf gesetzmäßige Aburteilung, u n d er ist nicht mitschuldig an einem gesetzwidrigen Urteil oder einem sonstigen Nachteil, der i h m a u ß e r h a l b des Strafzwecks entsteht ( B G H 12. 7. 1 9 5 1 I I I Z R 168/50 u n d 13. 12. 1951 I I I Z R 1 7 9 / 5 1 ) . D e m Bürger k a n n es a u c h i m allgemeinen nicht z u m Verschulden im Sinne des § 254 gereichen, w e n n er nicht klüger ist als die mit der Sache befaßten Beamten ( B G H 15, 305, 3 1 5 ; B G H 16. 1. 1956 I I I Z R 1 7 1 / 5 4 ) . Der Staatsbürger darf d a h e r grundsätzlich a u c h von der „ R e c h t m ä ß i g k e i t der V e r w a l t u n g " ausgehen u n d sich dementsprechend zunächst d a r a u f verlassen, d a ß die V e r w a l t u n g n u r zulässige Leistungen von i h m verlangt ( B G H 10. 11. 1958 I I I Z R 178/57). U b e r h a u p t ist die G r e n z e f ü r ein r e c h t s e r h e b l i c h e s M i t v e r s c h u l d e n d a n n e r r e i c h t , w e n n der Ges c h ä d i g t e das ihm z u m u t b a r e M a ß an A u f m e r k s a m s e i t u n d Sorgfalt bei d e r B e s o r g u n g s e i n e r A n g e l e g e n h e i t e n a u f g e w a n d t h a t ( B G H V e r s R 1956, 2 57> I 959> 233). Schadensausgleich n a c h § 254 bei Z u s a m m e n t r e f f e n von Gefährdungsh a f t u n g u n d A m t s h a f t u n g s. R G D R 1939, 784 19 . Ist ein B e a m t e r g e s c h ä d i g t u n d ist sein eigenes schuldhaftes V e r h a l t e n im R a h m e n der A u s ü b u n g eines öffentlichen Amtes erfolgt (ist beispielsweise ein Beamter als F a h r e r eines im Dienst befindlichen Polizei-Kfz. bei einem Verkehrsunfall, a n d e m er selbst mitschuldig ist, verletzt worden), d a n n kann er der Berücksichtigung der eigenen schuldhaften Schadensmitverursachung nicht entgegenhalten, d a ß er d e m Gegner selbst
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§ 839 A n m . 53—55
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gemäß Art. 34 GG nicht persönlich hafte (vgl. Böhmer MDR 1957, 657; BGH NJW 1959, 985)Einen besonderen Fall des eigenen mitwirkenden Verschuldens des Verletzten bei der Entstehung des Schadens hat Abs. 3 herausgehoben, der dem Verletzten unter Beiseiteschiebung des Abwägungsgrundsatzes des §254 jeden Schadensersatzanspruch gegen den Beamten abspricht, wenn er es schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (vgl. Anm. 103ff). IV. Einzelfälle A n m . 53 1. Post. Die gesamte Tätigkeit der Post ist hoheitsrechtlich, sofern nicht im Einzelfall der Wille der Post erkennbar ist, sich nur auf der privatrechtlichen Ebene zu betätigen (vgl. oben Anm. 24). Amtspflichtverletzungen kommen in Betracht bei: Fehlleitung eines Eilbriefes (RG JW 1911, 46®®; 1912, 1061 3 ); Briefverlust (RG J W 1933 S. 1953); Bestellfehlern, wenn nicht auszuschließen ist, daß einfache Postsendungen sich in Drucksachen verschoben haben (RG Recht 1913 Nr. 2299); Herausgabe eines Paketes an einen ungenügend Legitimierten (RG H R R 1934, 629); mangelhafter Zustellung (BGH 12, 96); falscher Auskunft bei Ersatzzustellung (OLG München MDR 1957, 357); verzögerlicher Telegrammzustellung (BGH 12, 96); Vorlage eines Originaltelegrammes an einen Unbefugten bei der Nacherhebung von Gebühren (BGH L M § 256 Nr. 5); Unterlassen der Weiterbeförderung einer telegrafischen Postanweisung ( R G J W 1912, 751 16 ); Schäden beim Legen von Fernsprechkabeln (RG 126, 3 1 ; BGH L M § 839 [Fh] Nr. 4: Änderung von Unfallverhütungsvorschriften ohne ausreichende Prüfung); Schäden bei Paketbeförderung mit Kraftwagen (BGH 16, m ) ; bei Personenbeförderung (RG 127, 12; BGH 20, 102); bei Fahrt zum Zwecke der Rundfunkentstörung mit DienstKfz. (RG 166, 1). Zur Aufbewahrungspflicht eines nach § 182 ZPO niedergelegten Zustellungsbriefes vgl. BGH 28, 30. Zum Haftungsausschluß der Post nach postrechtlichen Bestimmungen s. Anm. 24. A n m . 54 2. Eisenbahn. Der auf Personen- und Güterverkehr gerichtete Betrieb der Bundes(Reichs-)bahn ist nicht Ausübung hoheitlicher Gewalt (s. dazu im einzelnen Anm. 25). Daher kommt in der Regel eine Haftung der Bundesbahn nicht aus Art. 34 GG, sondern aus § 823 in Verbindung entweder mit § 831 oder mit §§31, 89 in Betracht. Die Ausübung hoheitlicher Gewalt (und damit eine Haftung der Bundesbahn aus Art. 34 GG) ist aber zu bejahen, wenn der Beamte bahnpolizeiliche Funktionen ausübt, z. B. wenn der Schrankenwärter gegen Dritte einschreitet, die trotz geschlossener Schranken versuchen, den Übergang zu benutzen (RG 162, 364, auch 170, 1). A n m . 55 3. Militär. Nichteinschreiten der Wachmannschaft bei Plünderung durch Militärgefangene: R G 104, 304; Recht 1925 Nr. 2428; Sachbeschädigung und Diebstahl im Verlauf einer militärischen Durchsuchung: R G Recht 1923 Nr. 647; Plünderung oder Entwendung durch Soldaten (RG 107, 270; R G 105, 338) trotz Befehls, Plünderungen zu verhindern (RG 104, 304); Verletzung der Sicherheitspflicht für Häftlinge: R G 105, 174; Schäden infolge mangelhafter Dienstanweisung: R G 91, 9; unvorsichtige Behandlung von Waffen und Munition: R G 91, 381; 101, 355; 105, 230; R G DR 1941, 4406; mangelhafte Überwachung: R G 102, 30; nicht gehörige Ausführung eines Befehls: R G 162, 308; Mißbrauch von Dienstgerät: R G 168, 231; Auflösen eines Warenlagers bei Heranrücken des Feindes: OLG Stuttgart NJW 1947/48, 227; Übungsfahrt eines Kriegsschiffes: R G 72, 347; Sprengung zu Übungszwecken: R G Recht 1912 Nr. 1500; Flurschäden: R G 82, 3 1 ; Laufübung auf einer Landstraße: R G 126, 144; unvorsichtiger Umgang mit einer Pistole während der Essenausgabe: R G 105, 230; Mißbrauch einer Waffe aus Rache: R G 104, 286; BGH 11, 181; Unfall mit Pferdefuhrwerk: R G 162, 308. Es muß ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Soldaten und seinen hoheitlichen Aufgaben oder Befugnissen bestehen (RG 168, 231, allgemein R G 166, 1; vgl. auch R G 120, 304: Vereinbarung mit Privatunternehmer über Ab-
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 56—58
transport von Brückengerät nach beendeter Übung). Amtspflichtverletzung bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen: Die Verwendung des Fahrzeugs muß in enger Beziehung zur Ausbildung der Truppe und zur Förderung ihrer militärischen Verwendungsfähigkeit stehen ( R G J W 1927, 2 1 9 9 1 3 ) ; Unfall auf Dienstfahrt: R G 108, 387; R G J W 1930, 1 1 8 5 2 ; Fahrt nach beendeter Ü b u n g : R G J W 1930, 2848 1 , weiter: R G WarnRspr 1930 Nr. 189; R G 170, 3 1 1 ; R G D R 1943, 5 1 9 1 1 . Benutzung von privaten Fahrzeugen durch Soldaten: R G 156, 4 0 1 ; R G J W 1938, 1 6 5 2 1 3 s. auch J W 1938, 1 8 2 3 2 9 ; verbotswidrige Benutzung von Kraftfahrzeugen: R G 1 6 1 , 1 4 5 ; 167, 367; D R 1940, 5 0 9 " ; BGH 1, 388.
4. Zoll- und Finanzbeamte A n m . 56 Falsche Auskunft, Verschulden bei Zulassung zur zollfreien Einfuhr: R G 121, 173; zur Aufklärungspflicht der Zollbehörde s. B G H L M § 839 [Fl] Nr. 1 ; zur Haftung für Auskünfte von Zollbeamten s. O L G Köln N J W 1955, 106. Pflicht zur Beachtung des gesetzlichen Pfandrechts des Spediteurs an Waren, die er beim Zollamt einlagert: R G WarnRspr 1935 Nr. 8; Haftung gegenüber dem zur Wiederversiegelung eines Weingeistfasses hinzugezogenen K ü f e r : R G H R R 1937 Nr. 1 2 2 4 ; Verschulden des Führers eines Zollkreuzers: R G J W 1936, 2653; Beamter in Uniform, der eine ungenügend gesicherte Dienstwaffe auf privatem Gang mit sich führt: R G 155, 362; Autoschaden und Waffengebrauch: R G WarnRspr 1935 Nr. 9. Verpflichtung zur Überwachung der Erfüllung der Tabaksteuer keine Amtspflicht gegenüber einem Dritten: R G WarnRspr 1928 Nr. 8 1 ; wenn Zollbeamte eine wegen Verdachtes von Abgabenhinterziehung erfolgte Beschlagnahme von Waren auch nach Ausräumen des Verdachtes noch kurze Zeit aufrechterhalten, um der Lebensmittelpolizei wegen eines Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz Gelegenheit zur Entschließung zu geben, so ist das unter dem Gesichtspunkt der Amtshilfe nicht amtspflichtwidrig ( B G H 18. 1 1 . 1957 I I I Z R 100/56); kein Verschulden, wenn Beamte ein Gemisch aus den Süßstoffarten Saccharin und Dulein als ein „ a l i u d " gegenüber seinen Bestandteilen angesehen haben ( B G H 1. 4. 1957 I I I Z R 229/55).
A n m . 57 Zur Frage des Verhältnisses von § 242 R A O zu § 839 vgl. R G 146, 2 5 7 ; 157, 1 9 7 ; J W 1937, 1548 u. 1938, 1662 u. 2 0 1 2 . Unterdrückung einer Amnestieanzeige s. R G 157, 1 9 7 ; D R 1942, 1 2 4 1 ; Freigabe einer Sicherheit zum Nachteil des Steuergesamtschuldners: R G D R 1942, 1 2 4 2 ; unbegründete Veranlagung: R G 165, 169; verzögerte Beitreibung einer für Steuerschulden beschlagnahmten Forderung: R G WarnRspr 1939 Nr. 6 1 ; zur Wahrung des Steuergeheimnisses s. R G J W 1934, 420; Maßnahmen zur Feststellung der Steuerpflicht: R G 149, 275; Falschbuchung: R G H R R 1937 Nr. 8 0 1 ; Pflichten gegenüber dem Steuerzweitschuldner: R G Recht 1924 Nr. 538, R G H R R 1939 Nr. 955 vgl. auch R G H R R 1928 Nr. 1 8 5 1 ; mangelhafte Verwahrung von gepfändeten Sachen: R G 138, 40; Verschulden des Vollziehungsbeamten bei Versteigerung: O L G Kiel SchlHA 1926, 199; keine Amtspflichtverletzung des Steuerfahndungsbeamten, wenn er über eine Vernehmung statt Niederschrift Aktenvermerk aufnimmt ( § 4 4 1 Abs. 5 R A O ) : B G H 28. 1. 1957 I I I Z R 175/55. Einlegung eines unzulässigen Rechtsmittels durch Finanzamtsvorsteher: B G H 21, 359. Rechtsweg unzulässig, wenn Amtspflichtverletzung behauptet wird, um in Wirklichkeit Steuerbeträge zurückzuerhalten s. Anm. 1 1 5 .
A n m . 58 5. F o r s t b e a m t e : Feld- und Forsthüter nach dem Preuß. Feld- und Forstpolizeigesetz v. 1 . 4 . 1880 sind nicht Polizeibeamte nach dem Pol.BeamtenGes. und haben nicht die Amtspflichten, die sich aus § 14 P r P V G ergeben ( B G H 29. 1 1 . 1951 I I I Z R 22/50); zur Frage des Verschuldens, wenn Forstbeamter umherstreifenden Hund, den er nicht als fremden J a g d h u n d erkannt hat, erschießt s. B G H V e r s R 1957, 63; Tötung eines wildernden Hundes: R G 1 5 5 , 388; weisungswidriges Verderbenlassen geschlagenen Holzes: R G Soergel Rspr. 1906 Nr. 18 zu § 839; keine Amtshaftung, wenn
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§ 839 Anm. 59—61
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Forstschutzbeamter in leidenschaftlicher Aufwallung auf Wilderer schießt: O L G München Recht 1913 Nr. 2887; bedenklich, es kommt auf den Einzelfall an, vgl. dazu R G 104, 286 u. BGH 11, 181. 6. Gesundheitswesen Anm. 59 A r z t : Falsches Gutachten eines Amtsarztes über Dienst- oder Arbeitsfähigkeit: R G J W 1931, 47; B G H L M § 839 [Fe] Nr. 2 u. 4; Amtsarzt verletzt Amtspflicht, wenn er auf Grund falscher Diagnose Antrag auf Unfruchtbarmachung stellt (BGH 30. 1 1 . 1953 I I I Z R 234/52); zur Sorgfaltspflicht des Amtsarztes bei Feststellung der Invalidität eines Arbeitnehmers s. B G H VersR 1957, 82. Amtsarzt hat die Pflicht, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn er bei einer Untersuchung auf Polizeitauglichkeit eine Geschlechtskrankheit feststellt (BGH J R 1955, 340). Falsches Gutachten eines Vertrauensarztes der Landesversicherungsanstalt: R G 165, 103; fehlerhafte Behandlung durch Lagerarzt: R G 168, 388; unrichtige Beurteilung eines Röntgenbildes durch Arzt in einem Heimkehrerlager: BGH VersR 1958, 608; Pflichtverletzung eines Militärarztes: O L G Dresden Recht 1919 Nr. 276. Zur Überwachung der zentralen Trinkwasserversorgung durch das G e s u n d h e i t s amt s. B G H L M § 839 [Fe] Nr. 5; Nichtbeachtung des Art. 104 G G als unmittelbar geltendes Recht bei Einweisung in eine Heilanstalt in der Zeit kurz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes entschuldbar (BGH 18. 1 1 . 1957 I I I Z R 123/56); die Leitung einer H e i l - und P f l e g e a n s t a l t muß die Polizei darauf hinweisen, wenn die Einweisung ohne ausreichenden Grund vorgenommen worden ist (BGH 29. 1 1 . 1951 I I I Z R 1/50); zur Notwendigkeit der ärztlichen Untersuchung bei der Einweisung in die F ü r s o r g e e r z i e h u n g s a n s t a l t s. BGH L M §839 [Fe] Nr. 5. Keine Amtshaftung beim Patienten, der im Rahmen der öffentlichen Fürsorge unentgeltlich von einem städtischen K r a n k e n h a u s aufgenommen worden ist (BGH 4, 138); ebenso nicht beim Patienten einer U n i v e r s i t ä t s k l i n i k (BGH 9, 145; B G H NJW 1959, 816). Haftung der Kassenärztlichen Vereinigung für unrichtige Rechtsanwendung R G D R 1939, 1084; zur Haftung der Reichsärztekammer für eine Anordnung über privatrechtliche Verrechnungsstelle R G D R 1942, 895. Anm. 60 Ausstellung von Marktbescheinigungen über Tuberkulosefreiheit von Rindern durch T i e r a r z t : B G H L M §839 [Fe] Nr. 6; zur Frage, inwieweit bei der Tuberkulosebekämpfung dem beamteten Tierarzt Amtspflichten gegenüber dem einzelnen Tierhalter obliegen, s. B G H § 839 L M [Fe] Nr. 7; hat F l e i s c h b e s c h a u e r bakteriologische Untersuchung des Fleisches eines notgeschlachteten Tieres angeordnet, bleibt Eigentümer für sachgemäße Lagerung und Aufbewahrung des Fleisches bis zur abschließenden Beschauung verantwortlich (BGH 15. 6. 1954 III Z R 34/53); der L e i t e r eines öffentlichen S c h l a c h t h o f e s darf verdorbenes Fleisch anhalten, um eine lebensmittelpolizeiliche Untersuchung alsbald herbeizuführen (BGH L M §839 [B] Nr. 1 1 ) . Anm. 61 7. Geistliche: Für Ansprüche aus Amtspflichtverletzung Geistlicher (kirchlicher Beamter) gelten mangels besonderer kirchenrechtlicher Vorschriften § 839 BGB i. V. mit Art. 34 G G mindestens entsprechend. Für evangelische Geistliche: BGH 22, 383; für katholische: R G 168, 142. Die kirchliche Interna betreffenden Maßnahmen kirchlicher Stellen können jedoch — wegen der Autonomie der Kirchen — von den Gerichten (abgesehen von dem Fall des „offenkundigen Vorwands und Mißbrauchs der Berufung auf die kirchliche Lehre") nicht auf ihre Rechtmäßigkeit nachgeprüft werden (BGH 22, 383; das R G prüfte schlechthin nach, ob Ermessensmißbrauch vorlag). 1480
Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 62, 63
A n m . 62 8 . L e h r e r u n d S c h u l v e r w a l t u n g s b e a m t e : Die Haftung des beamteten Lehrers ist in § 839 B G B abschließend geregelt ( B G H 13, 25). Dem Lehrer steht das Recht der Schulzucht zu; seine Aufsichtspflicht erstreckt sich auch über die Schulzeit und die Schulräumlichkeiten hinaus. E r handelt bei der Handhabung der Schulzucht und im Rahmen seiner Aufsichtspflicht „in Ausübung eines öffentlichen Amtes" (s. Anm. 18). E r hat bei Wahrnehmung seiner Aufgaben alles zu vermeiden, was zu einer Schädigung der Kinder führen kann ( R G J W 1920, 1 0 3 2 9 ; vgl. dazu auch: R G 105, 226; R G WarnRspr 1939 Nr. 60; B G H L M § 839 [Fd] Nr. 5 ; B G H V e r s R 1957, 532). E r hat die Schüler so zu beaufsichtigen, daß sie keine fremden Personen oder Sachen verletzen; diese Pflicht besteht auch allen denen gegenüber, auf die sich das T u n und Treiben der Schüler auswirken kann ( R G D R 1942, 974 4 ; B G H 28, 297). Die Anforderungen an die Umsicht, die eine Lehrkraft bezüglich des einzelnen Schulkindes aufbringen muß, dürfen jedoch nicht überspannt werden ( B G H V e r s R 1957, 6 1 2 ) ; Überschreitung des Züchtigungsrechts: R G 105, 4; WarnRspr 1939 Nr. 140; mangelnde Fürsorge und Aufsicht bei Schulausflug: R G D R 1942, 974 4 ; J W 1934, 2 6 1 8 ; Aufsicht im Klassenzimmer vor Beginn des Unterrichts: R G WarnRspr 1940 Nr. 120, während der Pause: B G H 13, 25; B G H L M [Fh] Nr. 4 ; B G H V e r s R 1957, 6 1 2 ; für einklassige Volksschule s. B G H V e r s R 1955, 742, während einer Schulfeier s. R G H R R 1932 Nr. 3 1 5 ; B G H 13. 5. 1954 I I I Z R 23/53; Explosion bei Chemieunterricht: R G J W 1925, 2445; Handhabung von Gasapparaten durch Schülerinnen beim Kochunterricht: R G SeuffArch 91 Nr. 207; Verletzung von Amtspflichten beim Turnen: R G WarnRspr 1929 Nr. 76; R G J W 1938, 2 3 3 ; WarnRspr 1939 Nr. 7 u. Nr. 3 2 ; WarnRspr 1940 Nr. 66; B G H L M § 839 [C] Nr. 40; beim Waldlauf: B G H L M § 839 [Fd] Nr. 6; bei Reichsjugendwettkämpfen: R G 121, 254; beim Spiel auf dem Schulhof: R G H R R 1942 Nr. 167, R G WarnRspr 1939 Nr. 1 3 5 ; B G H V e r s R 1955, 742; beim Fußballspiel auf öffentlichem Weg: R G 125, 85. Keine Amtspflichten des Lehrers, wenn er in einer Freistunde Schüler zu privathäuslichen Arbeiten heranzieht ( R G Recht 1 9 1 4 Nr. 2663); zur Auslegung von Anordnungen für den Schulbetrieb durch Lehrer s. R G 90, 4 1 2 . Pflicht der S c h u l l e i t u n g , Gefährdung der Schüler durch tuberkuloseverdächtige Lehrer zu verhindern ( R G J W 1936, 860); Verpflichtung des Schulträgers zur Instandhaltung der Schuleinrichtung und Turngeräte s. R G D R 1 9 4 1 , 2 5 6 1 , B G H V e r s R 1957, 201. Neben den beteiligten Lehrern ist auch der Schulleiter für möglichst gefahrlose Gestaltung von Schulveranstaltungen verantwortlich ( R G D R 1942 Nr. 974). Die Haftung der an p r i v a t e n S c h u l e n tätigen Lehrer richtet sich nicht nach § 839, da diese auch im haftungsrechtlichen Sinne keine Beamten sind.
A n m . 63 9. P o l i z e i : Zur Prüfung der Voraussetzungen des polizeilichen Eingriffs und der Auswahl des zu wählenden Mittels (Verhältnismäßigkeit): B G H L M § 839 [Fg] Nr. 3 ; § 14 P r P V G Nr. 5. Die Fragen, ob eine polizeiliche Gefahr vorliegt und ob die Polizei einschreiten muß, sind keine Ermessens-, sondern Rechtsfragen ( B G H L M § 14 P r P V G Nr. 5 ) ; vgl. im übrigen Anm. 35. Pflichtwidrige Unfähigkeit eines Polizeibeamten: R G 138, 259; Nichteinschreiten aus persönlichen Gründen: B G H L M § 8 3 9 [ F g ] Nr. 5. Wer schuldhaft den Anschein einer polizeilichen Gefahr hervorruft, hat bei Eingreifen der Polizei keinen Anspruch auf Schadensersatz ( B G H 5, 144). Die Polizei darf ihre der Gefahrenabwehr dienenden Maßnahmen nicht ohne Rücksicht auf deren erkennbare Folgen für unbeteiligte Dritte treffen ( B G H 12, 206). Z u m Aufgabenkreis der Polizei gehört es nicht nur, strafbare Handlungen zu verhindern und, wenn solche begangen worden sind, den Täter zu ermitteln, sondern sie hat auch das Eigentum Dritter, das durch etwaige Straftaten gefährdet wird, zu schützen und sich um die Wiederbeschaffung des etwa gestohlenen Gutes zu bemühen (RG 154, 266; OGH 4, 263; B G H 5. 2. 1953 I I I Z R 8 1 / 5 1 u. 3 1 . 1. 1955 I I I Z R 1 1 7 / 5 3 ) ; Nichteinschreiten gegen Sachbeschädiger: R G 147, 1 4 4 ; gegen Plünderer: R G Recht 1925 Nr. 2428; Nichtverhütung strafbarer Handlungen: B G H L M § 8 3 9 [Fg] Nr. 5 ; ungenügende Überwachung eines Asozialenlagers: B G H 12, 206; mangelhafte Sicherstellung von Diebesgut: O G H N J W 1 9 5 1 , 1 1 2 ; U m f a n g der Sicherungs-
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§ 839
Schuld Verhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 63 pflicht bei sichergestelltem K f z . : B G H V e r s R 1956, 219; 1958, 6 9 1 ; nach F r e i g a b e : R G R e c h t 1924 Nr. 24; bei nicht sichergestelltem K f z . aber wegen Fahruntüchtigkeit vorläufig festgenommenem F a h r e r : B G H L M § 839 [B] Nr. 12. Festnahme und V o r f ü h r u n g : R G 135, 1 6 1 ; Mitsichführen eines verwilderten Polizeihundes: R G W a r n Rspr 1932 N r . 118. Bei Erteilung eines Rufberichtes genügt die Polizei ihrer Pflicht, w e n n sie die ihr von dritten Personen gegebenen Auskünfte ohne N a c h p r ü f u n g a u f ihre Richtigkeit weitergibt, allerdings auch wesentliche Tatsachen, z . B . offenbare U n z u verlässigkeit der Gewährsleute, nicht verschweigt ( B G H 26. 1. 1953 I I I Z R 116/52). Mitteilung von im Strafregister getilgten Strafen: R G 168, 193; Kriminalpolizei m u ß (ebenso wie die Staatsanwaltschaft) a u c h den entlastenden T a t s a c h e n nachgehen; über das Ergebnis der Befragung von Personen i m Ermittlungsverfahren m u ß Niederschrift oder Aktenvermerk jedenfalls dann aufgenommen werden, w e n n das Ergebnis der Befragung für das weitere V e r f a h r e n von Bedeutung sein kann ( B G H 24. 1. 1957 I I I Z R 166/55). V e r l e t z u n g Unbeteiligter bei der V e r f o l g u n g V e r d ä c h t i g e r : R G 108, 366; vgl. a u c h B G H 12, 206. Z u m W a f f e n g e b r a u c h : R G H R R 1934 Nr. 1282; H R R 1935 Nr. 585; B G H 1 1 , 181 ( W a f f e n g e b r a u c h aus R a c h e ) , B G H 2. 7. 1953 I I I Z R 339/52. Bei der Prüfung der Frage, ob die Festnahme eines Täters auch auf andere Weise als durch W a f f e n g e b r a u c h erreicht werden kann, ist ein strenger M a ß s t a b anzulegen ( B G H 2 8 . 5 . 1953 I I I Z R 280/51 und 7 . 7 . 1958 I I I Z R 67/57). D u r c h die Möglichkeit einer strafgerichtlichen Einziehung genuß-untauglicher Lebensmittel wird die Befugnis der Polizei, solche Lebensmittel beim Vorliegen der allgemeinen polizeirechtlichen Voraussetzungen aus d e m V e r k e h r zu ziehen, nicht berührt ( B G H L M § 13 LebensmittelG Nr. 1). Unzulässige Einweisung als M i e t e r : R G W a r n R s p r 1943 Nr. 26; Einweisung in K Z : B G H 2, 209. Die zur V e r m e i d u n g seiner Obdachlosigkeit verfügte Einweisung eines Räumungsschuldners in seine bisherige W o h n u n g ist nur als eine vorübergehende und kurzfristige polizeiliche Notstandsmaßnahme zulässig ( B G H N J W 1959, 768). D u l d u n g des gefährlichen Zustandes einer M i e t w o h n u n g : R G R e c h t 1929 N r . 7 5 7 ; A n o r d n u n g des A b b r u c h s eines Gebäudes wegen angeblicher Baufälligkeit: R G 169, 353; Nichtüberprüfung der Beachtung der baupolizeilichen Vorschriften vor Ingeb r a u c h n a h m e eines N e u b a u e s : R G J W 1936, 803; D u l d u n g der Errichtung u n d Inbetriebnahme ungeprüfter Bauten: B G H 8, 9 7 ; pflichtwidrige Untätigkeit der Baupolizei bei Einsturzgefahr von G e b ä u d e t r ü m m e r n : B G H V e r s R 1956, 447. D i e Bestimmung des U m f a n g s der Untersuchung, o b und in welchem M a ß e der Zustand eines Gebäudes eine Gefahr darstellt, ist Ermessenssache der Baupolizei ( B G H 7. 5. 1953 I I I Z R 23/52 u. 10. 11. 1955 I I I Z R 94/54)W a s s e r p o l i z e i : R G 138, 259 (Unterlassen des Einschreitens gegen m i ß b r ä u c h liche Benutzung eines Wasserlaufs); S t r o m p o l i z e i : R G 155, 1 ( Ü b e r w a c h u n g v o n Schiffahrtszeichen). D i e Sicherung des Straßenverkehrs ist A u f g a b e der Straßenverkehrsbehörden (vgl. im einzelnen F l ö g e 1 - H a r t u n g Straßenverkehrsrecht § 4 7 S t r V O A n m . 3 ) ; daher ist a u c h die regelmäßige Kontrolle der Straßen auf Verkehrssicherheit Sache des V e r kehrssicherungspflichtigen; die Polizei m u ß nur bei besonderer Veranlassung eingreifen ( B G H L M § 8 3 9 [Fg] Nr. g). A n o r d n u n g und Ausführung einer Verkehrsumleitung: R G J W 1936, 3395; 1939, 239; A n b r i n g u n g v o n W a r n - und Verbotsschildern: B G H N J W 1952, 1214; Nichtbeseitigung oder U n s c h ä d l i c h m a c h u n g v o n Verkehrshindernissen auf öffentlichen Straßen: R G 162, 273; B G H V R S 7, 87 ( ö l s p u r ) ; Warnungstafel bei gefährlichen Wegstrecken und plötzlicher F a h r b a h n v e r e n g u n g : B G H L M § 839 [Fg] Nr. 3 u. 4 ; Anzeigen des Endes einer öffentlichen Straße, w e n n sich das E n d e nicht ohne weiteres aus der Örtlichkeit ergibt und aus dem Betreten oder Befahren des weiteren Geländes Gefahren entstehen können: B G H L M § 839 [Fg] N r . 12. Freihaltung des Bürgersteiges von Verkehrshindernissen in Großstädten: R G SeuffA r c h 88, 234; zur gefahrlosen A b w i c k l u n g und L e n k u n g des Fahrverkehrs a u f d e m W o c h e n m a r k t s. B G H V e r s R 1955, 453; Prüfung der Tragfähigkeit einer Brücke bei bevorstehendem Massenverkehr: R G J W 1935, 3369. Verkehrsunfall der Polizei: R G 140, 4 1 5 (Streifenwagen); R G 155, 186 (Fahrt von Polizeioffizier zur Dienstbesprechung);
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 64, 65
R G 125, 98 (Fahrt zum Übungsschießen); B G H 26, 69 (Polizeiwagen im dienstlichen Einsatz unter Einschaltung des Blaulichtscheinwerfers). Mißbräuchliche Benutzung polizeieigener Fahrzeuge: B G H 1, 388; Amtspflichten der Verkehrspolizei bei Durchführung einer Verkehrskontrolle: B G H VersR 1959, 294. A n m . 64 10. S t r a ß e n v e r k e h r s b e h ö r d e n : Neuausstellung von Kfz.-Papieren durch Straßenverkehrsamt in den Jahren 1945—1947 für einen im Besitz eines ausländischen Dolmetschers der Besatzungsmacht befindlichen Pkw. in der Regel keine Amtspflichtverletzung ( B G H 16. 5. 1955 I I I Z R 374/52); kein Zusammenhang mit dienstlichen Aufgaben, wenn Beamte außerhalb des Dienstes einen durch strafbare Handlung erlangten Pkw. auf betrügerische Weise weiterveräußern ( B G H 14. 2. 1952 I I I Z R 84/51), wohl aber bei mißbräuchlicher Zulassung eines gestohlenen Kfz. ( B G H 25. 10. 1955 I I I Z R 92/54). Schablonenmäßige Beorderung von Kfz. ohne Prüfung des Einzelfalles und Überlassung der Beorderung an eine an sich unzuständige untergeordnete Dienststelle war pflichtwidrig ( B G H 1, 146; B G H 13. 1 1 . 1952 I I I Z R 319/51). Nichtrückgabe eines beorderten Wagens, wenn Zweck der Beorderung entfallen ist: B G H 9, 295; Amtspflichten der Zulassungsstelle bei Ubersendung des Kfz.-Briefs an Sammelstelle für Nachrichten über K f z . : B G H 10, 389; vgl. aber auch B G H 18, 1 1 0 . Zulassung eines Kfz. ohne Vorlage des Kfz.-Briefes: B G H 10, 122. Anm. 65 11. Wohnungsbehörden: Inanspruchnahme von Räumen nach R L G : R G WarnRspr 1943 Nr. 27; bei Beschlagnahme einer eingerichteten Wohnung ist Inventaraufnahme nötig; aber bei Inanspruchnahme von nicht benötigtem Wohnraum zur Unterbringung Obdachloser nach Luftangriff" mühevolle Bestandsaufnahme oder Sicherstellung des Hausrats, der sich in der Wohnung befindet, in der Regel nicht erforderlich ( B G H 12.4. 1954 I I I Z R 65/53); Verschulden wegen falscher Beurteilung der Rechtslage bei der Inanspruchnahme von Räumen und Inventar in der Zeit kurz nach dem Zusammenbruch ist angesichts der damaligen Unsicherheit der Rechtsgrundlagen im allgemeinen zu verneinen ( B G H 6. 5. 1954 I I I Z R 18/53); Beamte des Bauamtes handelten nicht willkürlich, wenn sie „zur Behebung eines Notstandes" mit Beugestrafen gegen einen Hauseigentümer vorgingen, der die Kochstromversorgung für eine nach R L G in Anspruch genommene Wohnung unterbrochen hatte ( B G H 10. 5. 1951 I I I Z R 93/50); Zuweisung eines zahlungsunfähigen Mieters: R G H R R 1934 Nr. 1 1 , wenn Mieter später zahlungsunfähig wird: B G H 12, 273; Prüfung der Zahlungsfähigkeit und -Willigkeit des einzuweisenden Mieters kann bei geringer Miethöhe ohne besondere Veranlassung unterbleiben ( B G H N J W 1954, 955). Zuweisung eines Mieters, der nur unmöbliert mieten will, kann dann, wenn Vermieter aus Existenzgründen möbliert vermieten muß und Interessenten nachgewiesen hat, Amtspflichtverletzung sein ( B G H 17. 12. 1953 I I I Z R 185/52); durch Erfassungsverfügung ( § 1 9 WohnBewG) — ohne sofortige Vollziehung — wird Wohnungseigentümer rechtlich nicht geschädigt ( B G H 18. 1 1 . 1957 I I I Z R 133/56); wenn auch die Beschwerde gegen die Erfassung einer Wohnung keine aufschiebende Wirkung hat, so ist doch eine durch sachliche Gründe nicht zu rechtfertigende sofortige Durchführung amtspflichtwidrig ( B G H 14. 7. 1952 I I I Z R 196/51); Wohnungsbehörden haben unverzüglich nach Erfassung einer Wohnung einen neuen Mieter zuzuweisen ( B G H 1. 6. 1953 I I I Z R 329/51). Vollstreckungsbeamte brauchen den Hinweis des Schuldners, die Einweisungsverfügung sei aufgehoben worden, nicht zu beachten, es sei denn, daß besondere Umstände für die Richtigkeit des Hinweises sprechen ( B G H 28. 4. 1955 Z R 204/53); bei Zwangsräumung und Unterstellung der geräumten Gegenstände bei einem Dritten (Spediteur) kann Wohnungsamt anordnen, daß Herausgabe nur mit seiner Zustimmung erfolgen darf ( B G H 6. 10. 1955 I I I Z R 88/54). Zum Verschulden des Wohnungsamtes bei der Erfassung gewerblicher Räume s. Anm. 47; die Mitglieder der Wohnungskommission einer Gemeinde üben in Wohnungsangelegenheiten Hoheitsaufgaben aus, daher Amtshaftung der Gemeinde ( B G H 6 . 1 2 . 1951 I I I Z R 143/50); führt Wohnungsamt schuldlos rechtswidrig Mietausfall herbei, 95
Komm. z. BGB, n . Aufl. II. Bd. (Kreft)
1483
§ 839 A n m . 66—69
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
so H a f t u n g nach Enteignungsgrundsätzen ( B G H 6, 270; 7, 296); Zuweisung einer W o h n u n g gegen Abstandssumme: R G J W 1930, 1585; Zustimmung der Gemeinde z u m A b b r u c h eines Hauses von Abstandssumme abhängig g e m a c h t : R G 132, 1 7 4 ; zur U m w a n d l u n g von W o h n r a u m in gewerblichen R a u m : R G W a r n R s p r 1933 Nr. 88; Wohnungsbehörden dürfen von der Besatzungsmacht freigegebene M i e t w o h n u n g nicht anderweit zuweisen, sondern müssen sie d e m früheren Mieter wieder überlassen ( B G H 15. 10. 1953 I I I Z R 34/52). 12. R i c h t e r u n d J u s t i z b e a m t e A n m . 66 a ) R i c h t e r u n d J u s t i z b e a m t e a l l g e m e i n (siehe dazu A n m . 6 a. E.) : Sie müssen nicht nur die zur F ü h r u n g ihres Amtes erforderliche Rechts- u n d Gesetzeskenntnis besitzen, sondern sich auch über das einschlägige Schrifttum u n d die Rechtsprechung der Obergerichte unterrichten; sie können sich jedoch darauf verlassen, d a ß ihnen die Veröffentlichungen im gewöhnlichen Geschäftsgang zugänglich gemacht werden ( R G SeuffArch 92 Nr. 88). Unkenntnis höchstrichterlicher Rechtsprechung: R G 133, 1 3 7 ; unrichtige Gesetzesauslegung (hier: Verstoß gegen völlig eindeutigen W o r t l a u t ) : R G I 33> 137; I35> n o . Kein Verschulden, wenn sich die Entscheidung auf vernünftige Überlegungen nach sorgfältiger P r ü f u n g stützt, m a g die Auffassung a u c h später von höheren Gerichten mißbilligt werden ( R G J W 1938, 947; 1938, 2277; R G H R R 1935 Nr. 666). Z u r Frage des Verschuldens bei zweifelhaften oder schwierigen Rechtsfragen, wenn die unrichtige Entscheidung von einem Kollegialgericht gebilligt worden ist, s. R G 125, 24, 32 u n d A n m . 48. Der Richter kann die Behandlung einer Eilsache g r u n d sätzlich nicht wegen seiner Belastung mit anderen richterlichen Geschäften ablehnen, sondern hat die Erledigung einer dringlichen Sache unter W ü r d i g u n g aller U m s t ä n d e des Falles nach pflichtmäßigem Ermessen in seinen Arbeitsplan einzuordnen; bei der A n b e r a u m u n g eines Termins b r a u c h t er die allgemeine Geschäftslast des Gerichts nicht außer acht lassen ( B G H 21. 3. 1955 III Z R 219/53). A n m . 67 b ) V e r w a l t u n g : Z u r Verantwortlichkeit der Justizverwaltung gegenüber einem als Richter dienstverpflichteten Rechtsanwalt s. B G H L M § 839 [Fi] N r . 2. Fürsorgepflichtverletzung einer Gefängnisbehörde gegenüber Gefangenen kann n u r n a c h Amtshaftungsgrundsätzen beurteilt werden ( B G H 21, 214). Behördliche Akten b r a u c h e n im allgemeinen nicht als „Einschreiben" oder „ W e r t s e n d u n g " versandt zu werden ( B G H 28. 1. 1954 I I I Z R 196/52). Aufsichtsrichter: H a f t u n g f ü r A n o r d n u n g hinsichtlich der P f a n d k a m m e r s. R G 145, 204; zu den Pflichten bei der Entscheidung über eine Dienstaufsichtsbeschwerde s. R G J W 1938, 2277 1 0 . A n m . 68 c) P r o z e ß r i c h t e r : U n g e n ü g e n d e P r ü f u n g der örtlichen Zuständigkeit: R G H R R 1936 Nr. 9 1 7 ; Belehrungspflicht in der Regel nur im R a h m e n des § 139 Z P O : R G H R R 1933 Nr. 6 5 1 ; zur Versagung des Armenrechts s. R G H R R 1935 Nr. 666; keine H a f tung bei Bewilligung des Armenrechts f ü r aussichtslosen Prozeß: R G 155, 2 1 8 ; zur H a f t u n g bei Prozeßvergleich s. R G 129, 37. A n m . 69 d) S t r a f r i c h t e r : I m Privatklageverfahren die notwendige Zustellung des Urteils an den Angeklagten nicht verfügt: R G J W 1913, 266; Amtspflichtverletzung bei E r l a ß eines Haftbefehls: unter Außerachtlassung der gebotenen Umsicht u n d Vorsicht U m stände nicht berücksichtigt, die zur Beseitigung des dringenden Tatverdachtes offensichtlich hätten f ü h r e n müssen: R G 62, 367; B G H 9. 7. 1953 I I I Z R 1 9 5 / 5 1 ; z u m U m f a n g der Verpflichtung des Richters, vor Erlaß eines Haftbefehls die Ermittlungsakten durchzuarbeiten s. B G H 27, 338.
1484
Unerlaubte Handlungen
§ 839 A n m . 70—74
A n m . 70 e) Staatsanwalt: Verlängerung der Haftfrist nicht rechtzeitig beantragt und das dem Beschuldigten abgenommene Geld nicht sichergestellt: R G 108, 249; vorschriftswidrige Vornahme der Beschlagnahme und Veräußerung von Waren wegen Verdachts der Preistreiberei: R G 1 1 3 , 19; Richtigkeit der erlassenen öffentlichen Bekanntmachung nicht nachgeprüft und Fehler nicht beseitigt: R G 1 1 3 , 104; Amtspflicht zum Einschreiten wegen strafbarer Handlungen besteht nur gegenüber der Allgemeinheit, nicht gegenüber dem Verletzten: R G 154, 266. Zur Frage der Amtspflicht der Staatsanwaltschaft bei der Führung eines Ermittlungsverfahrens gegenüber dem Beschuldigten s. B G H 20, 178. Staatsanwalt darf Haftbefehl nur dann beantragen, wenn er auf Grund sorgfältiger Prüfung annehmen darf, der Erlaß könne gerechtfertigt sein (BGH 27, 338); zur Amtspflicht der Staatsanwaltschaft bei Auskunft über den Stand eines Ermittlungsverfahrens an die Presse s. B G H 27, 338. Anm. 71 f) Strafregisterführer: Amtspflichtverletzung des Strafregisterführers bei Berechnung der Tilgungsfrist: B G H 17, 153. A n m . 72 g) Registerrichter: Verzögerung der Eintragung eines Schiffspfandrechts in das Schiffsregister und des entsprechenden Vermerks auf dem Schiffszertifikat: R G SeuffArch 87 Nr. g4, vgl. auch J W 1936, 2707. Bei Eintragung in das Genossenschaftsregister Bedenken, die die Nichtigkeit des einzutragenden Beschlusses nahelegten, nicht nachgegangen: R G 140, 174; Eintragung der Fortsetzung einer durch den Tod eines Gesellschafters aufgelösten offenen Handelsgesellschaft in das Handelsregister, ohne auf das Vorliegen der wegen Beteiligung minderjähriger Erben notwendigen vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zu achten: R G J W 1935, 3 1 5 4 ; Unterlassen oder Verzögerung der öffentlichen Bekanntmachung des Haftungsausschlusses im Falle des § 25 H G B : R G WarnRspr 1937 Nr. 67; 1938 Nr. 36; vgl. auch R G 99, 136; Nichthinwirken in Vereinssachen auf Anmeldung trotz Kenntnis eines Verstoßes gegen die Anmeldungspflicht oder unterlassene Prüfung der einem Eintragungsantrag beigefügten Urkunden auf Vollständigkeit: R G H R R 1936 Nr. 1348. Zur Prüfungspflicht des Registerrichters bei der Eintragung einer neugegründeten Aktiengesellschaft s. R G 154, 276. Zur Führung der Handelsregister durch Rechtspfleger vgl. R G 127, 1 5 3 ; zur Frage der Amtspflichtverletzung eines Geschäftsstellenbeamten, der bei der Anmeldung eines Firmenübergangs zum Handelsregister nicht auf die Bedeutung der Geschäftsveräußerung (§ 25 HGB) hinweist, s. R G WarnRspr 1938 Nr. 77. A n m . 73 h) Nachlaßrichter: Mangelhafte Beaufsichtigung des Nachlaßverwalters: R G 88, 264; fahrlässig eine falsche Auskunft erteilt: R G WarnRspr 1915 Nr. 264; Erbschein für Vorerben ohne Hinweis auf Nacherbfolge: R G 139, 343; NichtSperrung eines zum Nachlaß gehörigen Sparkassenbuches und Aushändigung an Nachlaßpfleger, Hinausschieben der Aufhebung der Nachlaßpflegschaft bis zur Verteilung des Nachlasses unter die Erben: R G 154, 1 1 0 ; ungenügende Nachforschung nach in gerichtlicher Verwahrung befindlichen Testamenten, Verantwortlichkeit gegenüber den Erben: R G H R R 1934 Nr. 1590. A n m . 74 i) Vormundschaftsrichter: Zur Uberwachungspflicht hinsichtlich der Tätigkeit des Vormundes s. R G SeuffArch 93 Nr. 3 1 ; Bestellung oder Nichtabsetzung eines unzuverlässigen Vormundes: R G 96, 143; Erteilung der Genehmigung zur Anlage oder Abhebung von Mündelgeldern oder zur Löschung einer Mündelhypothek ohne gehörige Prüfung: R G 85, 416; 88, 264; WarnRspr 1908 Nr. 486; WarnRspr 1917 Nr. 178; unterlassene Nachprüfung der Sicherstellung der Nutzungen des Mündelvermögens und der Verwendung von Renten, Nichthinwirken auf Anlegung von Mündelgeld, z. B. 95*
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§ 839
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n r a . 75 nach Verkauf eines Mündelgrundstücks: R G H R R 1935 Nr. 1 4 5 2 ; 1938 Nr. 1009; keine Maßnahmen gegen vorschriftswidrige Anlegung von Mündelgeld, obwohl Vormundschaftsrichter davon Kenntnis hatte oder haben mußte: R G WarnRspr 1936 Nr. 1 5 7 ; über die Grenzen der Nachprüfungspflicht s. R G 67, 408; falscher R a t für die Anlegung von Mündelgeld: R G 84, 92; Verletzung der Aufsichtspflicht bei der Hinterlegung von Inhaberpapieren des Mündels durch den Vormund: R G J W 1 9 1 0 , 288; Genehmigung eines Abfindungsvertrags trotz Gefahr der weiteren Geldentwertung: R G WarnRspr 1923 Nr. 30; R G J W 1930, 990 (vgl. auch B G H 9, 255); Genehmigung eines derartigen Vertrages, ohne darauf hinzuwirken, daß ein der Möglichkeit fortschreitender Preissteigerung oder Geldentwertung Rechnung tragender Vorbehalt in den Vertrag aufgenommen wird: R G SeuffArch 80 Nr. 1 5 1 ; vgl. aber auch R G WarnRspr 1929 Nr. 3 3 ; Versäumnis, im Interesse des Mündelvermögens auf Eintragung eines Widerspruches im Grundbuch hinzuwirken: R G WarnRspr 1936 Nr. 1 0 5 ; über die Prüfung der Rechnungslegung des Vormundes s. R G WarnRspr 1937 Nr. 92; schuldhafte Verzögerung der Nachprüfung der Vormundschaftsrechnung: R G 80, 406 (betr. den Gerichtskalkulator in Preußen); Sorgfaltspflicht des Vormundschaftsrichters bei Genehmigung dinglicher und persönlicher Haftungsübernahme Minderjähriger zugunsten ihres Vaters: R G SeuffArch 89 Nr. 149; über die Amtspflicht des Vormundschaftsrichters, der zugleich Versteigerungsrichter ist, wenn der Vormund zur Wahrung der Mündelrechte am Grundstück im Versteigerungstermin anwesend ist, s. R G H R R 1933 Nr. 1924; ungenügende Beratung und Belehrung des Vormundes: R G J W 1939, 1 5 5 ; Haftung entfällt nicht, wenn ein dem Mündel durch Untreue des Vormundes zugefügter Schaden durch Dritten ausgeglichen wird: R G 96, 143.
A n m . 75 k ) G r u n d b u c h r i c h t e r (und sonstige Grundbuchbeamte): Uber die Belehrungspflicht des Grundbuchbeamten s. R G 169, 3 1 7 ; Erteilung einer falschen Auskunft, auch wenn zur Auskunft keine Verpflichtung bestand: R G J W 1 9 1 4 , 1 5 1 ; ungenügende Prüfung des Inhalts der eingereichten Urkunden: R G J W 1929 S. 740 u. 7 4 1 , 746; 1936, 1 8 9 1 ; 1937, 1306 (dort auch über die Bedeutung von Begleitschreiben); U m f a n g der Prüfung der Urkunden wird durch den Zweck, zu dem sie erkennbar eingereicht worden sind, bestimmt: R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 279; zum Verhalten bei zweifelhafter oder besonders schwieriger Rechtslage s. R G WarnRspr 1929 Nr. 3 3 0 ; R G J W 1931, 1079; J W 1906, 1 3 3 . Eintragung einer unwirksamen Hypothekenverpfändung: R G SeuffArch 86 Nr. 46; Nichteintragung einer Hypothek: R G WarnRspr 1931 Nr. 8 5 ; falscher Rangvermerk für Aufwertungshypothek: R G WarnRspr 1931 Nr. 106; eine der Grundschuld vorgehende Auflassungsvormerkung im Grundschuldbrief nicht erwähnt: R G Gruchot 70, 630; Vornahme einer beantragten Eintragung ohne gehörige rechtliche Prüfung: R G J W 1 9 1 2 , 866; nicht genügende Prüfung der Persönlichkeit: R G SeuffArch 86 Nr. 130 (vgl. auch B G H L M D O f N o t §36 Nr. 1 ) ; nicht ausreichende Prüfung der Vertreterbefugnisse: R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 140; Eintragung bei Beteiligung von Ausländern ohne Nachprüfung der Zuständigkeit des die Genehmigung erteilenden deutschen Vormundschaftsgerichts: R G SeuffArch 89 Nr. 102; 91 Nr. 8 1 ; Unterlassen einer beantragten Eintragung: R G 72, 324; WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 196, 197, 198; 1930 Nr. 190; falsche Beurteilung der Verpflichtungsbefugnis des Testamentsvollstreckers: R G SeuffArch 86 Nr. 180; Erledigung und Eintragung von verschiedenen Anträgen in unrichtiger Reihenfolge (entgegen § 17 G B O ) : R G 57, 2 7 7 ; 60, 392; 65, 98; WarnRspr 1929 Nr. 149; einen Fall fehlenden Verschuldens in Ansehung des § 17 G B O behandelt R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 1 4 ; unsachgemäße Behandlung eines Verpfändungsantrages: R G J W 1932, 1549; bei der Übertragung von Grundstücken auf andere Grundbuchblätter Hypotheken versehentlich nicht mitübertragen und dadurch zur Löschung gebracht: R G 138, 1 1 4 ; keine Mitteilung an den Gläubiger von der Löschung unzulässigerweise eingetragener Hypotheken: R G J W 1930, 1063; Nichteintragung des Schuldgrundes bei einer Vormerkung: R G H R R 1933 Nr. 1848; Nichtbeachtung von § 41 Abs. 1 Satz 1 (früher §42) G B O : R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 2 7 7 ; Ausfertigung des Hypothekenbriefes nicht mit dem Entwurf und dem
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 76—78
Grundbuch verglichen (entgegen Art. 7 P r . A G G B O ) : R G 77, 4 2 3 ; Eigentumsumschreibung auf Antrag des Käufers, obwohl Eigentümer die Umschreibungsbewilligung ausdrücklich nur zu einem anderen Zweck eingereicht hat: R G H R R 1934 Nr. 1 5 9 3 ; verspätete Eintragung des Eigentumsüberganges: R G WarnRspr 1927 Nr. 3 1 ; zu § 19 Abs. 2 Z w V G s. R G L Z 1924, 747; mehrere gleichzeitig gestellte Eintragungsanträge werden insgesamt nicht erledigt, weil einem der Anträge ein Hindernis entgegensteht: B G H V e r s R 1958, 58. Unrichtige Beurkundung des Zeitpunktes des Einganges von Anträgen: R G SeuffArch 83 Nr. 2 1 0 ; Versehen bei der Gewährung von Einsicht in Grundakten: R G SeuffArch 87 Nr. 56; zur Gewährung von Grundbucheinsicht, wenn ein noch nicht erledigter, auf mehrere Grundbuchblätter sich beziehender Antrag sich nicht bei sämtlichen in Betracht kommenden Grundakten befindet, s. R G J W 1933, 2584; Aushändigung eines Hypothekenbriefes an Nichtberechtigten: R G WarnRspr 1928 Nr. 1 5 0 ; 1930 Nr. 2 1 4 ; Erteilung einer Abschrift und Unterschriftsbeglaubigung ohne Prüfung der Persönlichkeit: R G H R R 1932 Nr. 1652; Amtspflichtverletzung des Grundbuchbeamten, der einen zwei Grundstücke betreffenden Umschreibungsantrag nicht bei den Grundakten beider Grundstücke einträgt und es unterläßt, eine Vormerkung des Antrags einzutragen: R G WarnRspr 1941 Nr. 8 1 ; Gerichtsbeamter weist bei Vorlage von Grundakten den Richter nicht darauf hin, daß die Akten zur Erledigung eines Antrages bei anderen Grundakten dringend benötigt werden: R G SeuffArch 87 Nr. 7. Uber die Behandlung einer Sache durch den nämlichen Richter als Beurkundungsund Grundbuchsache s. R G WarnRspr 1930 Nr. 72; Verschulden des Grundbuch- und Aufwertungsrichters: Nichtvermerk des Nacherbenrechts bei Aufwertung der Restkaufgeldhypothek eines Vorerben durch Bestellung einer neuen Hypothek: R G WarnRspr 1933 Nr. 15. Abgrenzung der Amtspflichten der Beamten des Grundbuchamts und der Aufwertungsstelle: R G SeuffArch 87 Nr. 176. Mißbrauch der Amtsstellung durch Grundbuchrichter, der falsche Bestätigung über Grundbuchverhältnisse zu eigennützigen privaten Zwecken abgibt: R G J W 1935, 2041.
A n m . 76 1. Sonstige Richter der Freiwilligen Gerichtsbarkeit: Belehrungspflicht des
beurkundenden Richters gleich der des Notars s. R G H R R 1932 Nr. 1 2 0 ; über die Verpflichtung des Richters, der eine Eintragungsbewilligung für eine Hypothek aufnimmt, diese dem Grundbuchamt vorzulegen, s. R G J W 1930, 1304. Zur Belehrungspflicht des Aufwertungsrichters s. R G H R R 1934 Nr. 9. Amtspflicht bei Aufnahme von Testamenten und Beurkundung von Verträgen besteht auch gegenüber jedem, in dessen Interesse die Beurkundung erfolgen soll ( R G 95, 2 1 4 , 219). Zur Bestätigung eines nichtigen Adoptionsvertrages s. R G J W 1928, 3037.
A n m . 77 m ) V o l l s t r e c k u n g s r i c h t e r : Abnahme des Offenbarungseides trotz unvollständigen Vermögensverzeichnisses: R G 62, 3 5 1 ; NichtVerständigung des Gläubigers von der Eidesabnahme, Pflicht zur Erforschung versteckter Vermögensstücke: B G H 7, 287; zur Führung des Schuldnerverzeichnisses s. R G 140, 1 5 2 ; falsche Bezeichnung des Schuldners im Pfändungs- und Uberweisungsbeschluß: R G SeuffArch 90 Nr. 1 1 4 ; Einleitung eines Verteilungsverfahrens nach § 872 Z P O , obgleich die Hinterlegung des Betrages einer zugleich abgetretenen und gepfändeten Forderung nach § 372 B G B erfolgt w a r : R G 144, 3 9 1 .
A n m . 78 n ) V e r s t e i g e r u n g s r i c h t e r : Abhaltung eines Zwangsversteigerungstermins und Erteilung des Zuschlags trotz fehlerhafter Zustellung des Versteigerungsbeschlusses an den Schuldner oder fehlender sonstiger vorgeschriebener Bekanntmachungen: R G 129, 23; R G J W 1907, 828; WarnRspr 1908 Nr. 2 1 5 ; L Z 1924, 747; fehlerhafte Terminbestimmung: R G 129, 2 3 ; mißverständliche Fassung der in § 66 Z V G vorgeschriebenen Mitteilungen: R G J W 1935, 2955; falsche Auslegung des die Versteigerung anord-
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§ 839 A n m . 79, 80
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
nenden oder den Beitritt eines Gläubigers zulassenden Beschlusses bei der Festsetzung des geringsten Gebotes: R G 134, 56; Nichtberücksichtigung von Forderungen bei der Festsetzung des geringsten Gebotes: R G 129, 23; R G J W 1914, 864; WarnRspr 1916 Nr. 167; unrichtige Aufnahme einer Auflassungsvormerkung in das geringste Gebot: R G WarnRspr 1935 Nr. 180; Nichtbelehrung der im Versteigerungstermin Erschienenen über das Bestehenbleiben eines Altenteils: R G SeuffArch 88 Nr. 187; Nichtbeachtung der von einem Bieter verlangten Sicherheit: R G J W 1915, 654; sachwidrige Rechtsauskunft in einem Versteigerungstermin auf Fragen eines Bieters oder Hypothekengläubigers, auch wenn keine Verpflichtung zur Belehrung bestand: R G 148, 3 1 0 ; R G D R 1941, 1228, vgl. dazu Wilhelmi ZAkDR 1941, 209; Schließung des Versteigerungstermins vor der in § 73 Z V G bestimmten Frist, Nichteinhalten dieser Frist z. B. durch längeres Verlassen des Terminraumes: R G 142, 383; 154, 397; R G J W 1906, 539; R G J W 1938, 947; Unterlassen des Hinweises im Terminsprotokoll, daß neben Gesamtausgebot — auf das Zuschlag erteilt wurde — auch Einzelausgebot stattgefunden hatte: R G 146, 1 1 3 ; Versteigerung eines Grundstücks trotz Rücknahme des Versteigerungsantrages oder Einstellungsbewilligung durch betreibende Gläubiger: R G 125, 24; Kaufgeld Verteilung unter Nichtbeachtung des § 1 1 7 Z V G : R G 73, 298; ungerechtfertigte Vertagung eines Zwangsversteigerungstermins: R G 125, 299; zum Ursachenzusammenhang zwischen pflichtwidrig unterbliebener Aufhebung eines Versteigerungstermins und dem Schaden des Meistbietenden, dem der Zuschlag versagt wird, s. B G H L M § 839 (D) Nr. 5; Nichtanordnung der gebotenen einstweiligen Einstellung des Verfahrens für die vom Zuschlag auszuschließenden Zubehörstücke: R G J W 1933, 604; Nichtbeachtung des Wegfalls der Einrede der Vorausklage beim Bürgen (§ 773 Nr. 4 BGB): R G WarnRspr 1937 Nr. 5; unzulässige Anordnung der Unbrauchbarmachung von Hypothekenbriefen: R G 157, 287; mangelnde Prüfung der Hofeigenschaft: R G WarnRspr 1936 Nr. 129; über Pflichten in bezug auf Feststellung des Grundbuchstandes, Überwachung des Zustellungsvertreters s. R G 157, 89. Aufbewahrung eines Grundschuldbriefes und Abtretungsurkunde bei den Akten: R G J W !934> 2842. Zum Pflichtenkreis des Versteigerungsrichters s. auch Waldmann D J 1942, 538. Unterlassung des 'Widerspruchs gegen unrichtigen Teilungsplan ist kein Verzicht auf Schadensersatzansprüche wegen Unrichtigkeit (RG 166, 249). A n m . 79 o) Konkursrichter: Zum Umfang der Aufsichtspflicht des Konkursrichters gegenüber dem Konkursverwalter s. R G 154, 291; vgl. auch R G WarnRspr 1939 Nr. 8; fehlende Klarheit bei Eintragungen in die Tabelle und Anordnung der Erteilung von Tabellenauszügen über bestrittene Forderungen: R G J W 1928, 2714. Konkursrichter hat vor Konkurseröffnung sorgfältig zu ermitteln, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt (BGH L M § 839 [Fi] Nr. 4). A n m . 80 p) Rechtspfleger und U r k u n d s b e a m t e der Geschäftsstelle: Die Übertragung richterlicher Geschäfte auf Rechtspfleger bedeutet keine Minderung des Rechtsschutzes gegen Amtspflichtverletzungen. Rechtspfleger muß die zur ordnungsgemäßen Erledigung seiner Aufgaben erforderlichen Kenntnisse besitzen oder sich alsbald aneignen (RG 127, 153; R G J W 1931, 1079). Über die Handelsregisterführung durch Rechtspfleger s. R G 127, 153. Nicht gehörige Überwachung der zur Unterbrechung der Verjährung notwendigen unverzüglichen Zustellung eines Schriftsatzes: R G 105, 422; Partei, deren persönliches Erscheinen angeordnet ist, nicht geladen: R G WarnRspr 1930 Nr. 193; Ablehnung der Aufnahme eines Antrags auf Einstellung der Zwangsvollstreckung mit dem Bemerken, die zur Begründung des Antrags vorgelegten Urkunden genügten nicht: R G J W 1934, 3194; Beurkundung einer neuen Klage statt Aufnahme des Rechtsstreits im Konkursverfahren: R G J W 1932, 3670; Nichteintragung einer angemeldeten Forderung in Konkurstabelle: R G J W 1904, 85; mangelhafte Führung der Liste bzw. des Registers der in amtliche Verwahrung genommenen Uberführungsstücke: R G J W 1925, 956;
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Unerlaubte Handlungen
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über die Verpflichtung des die Anmeldung eines Firmenüberganges zum Handelsregister aufnehmenden Beamten zur Belehrung des Anmeldenden hinsichtlich des Ausschlusses der Schuldenhaftung nach § 25 HGB s. R G 1938, 1453; versehentliche Eintragung in Liste der Personen, deren Konkursantrag mangels Masse abgelehnt worden ist: R G 118, 241; unrichtige Zustellung eines Urteils: R G SeuffArch 86 Nr. 327; Aufgaben der Verteilerstelle für Gerichtsvollzieheraufträge: R G 7g, 216; verspätete Abholung eines Zahlungsbefehlsantrages am Postfach: R G WarnRspr 1938 Nr. 3. A n m . 81 q) Gerichtsvollzieher: Bei Zustellung der Klage dem Beklagten eine Klageschrift übergeben, auf der die Terminbestimmung fehlte (Haftung neben Gerichtsschreiber): R G 51, 258; Zustellungstätigkeit nicht persönlich ausgeübt: R G H R R 1934 Nr. 13; in eiliger Fristsache Zustellung durch Post vorgenommen, ohne sich um deren Erledigung und den Verbleib der Zustellungsurkunde zu kümmern: R G J W 1918, 135; schuldhafte Verzögerung der Zustellung der Benachrichtigung von bevorstehender Pfändung gemäß § 845 ZPO: R G SeuffArch 92 Nr. 97; Zustellung durch Niederlegung bei der Post bewirkt, obgleich Ersatzzustellung (§§ 181 Abs. 2, 182 ZPO) möglich w a r : R G 87, 412; zur Haftung des Gerichtsvollziehers, der eilbedürftige Sachen (auch ohne Eilvermerk) nicht mit Beschleunigung erledigt, s. R G 1938, 1452; R G WarnRspr 1937 Nr. 35. Vollstreckungsauftrag nicht ausgeführt: R G WarnRspr. 1930 Nr. 57; 1931 Nr. 120; Zwangsvollstreckung gröblich verzögert, so daß Schuldner Vermögensstücke beiseite schaffen konnte (RG 79, 241) oder Schuldner vorher in Konkurs geriet: R G WarnRspr 1932 Nr. 158; Vornahme einer Pfändung unter Nichtbeachtung der Frist des § 798 ZPO: R G 83, 336; 125, 286; Zwangsvollstreckung wegen einer Wechselforderung, ohne im Besitz des Wechsels zu sein: R G J W 1916, 739; Vornahme einer Anschlußpfändung statt Ersatzpfändung: R G WarnRspr 1931 Nr. 21; bei Pfändung von im Gewahrsam eines Dritten befindlichen Sachen dessen Herausgabebereitschaft zu Unrecht festgestellt: R G SeuffArch 81 Nr. 73; bei zwangsweiser Räumung einer Wohnung nicht die Mitwirkung der Polizei zur anderweiten Unterbringung der Bewohner erbeten: R G LZ 1924, 468; den Schuldner nicht von der bevorstehenden zwangsweisen Räumung eines Grundstücks benachrichtigt: R G 147, 136; bei der Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen die Pfändung nicht oder nicht ausreichend kenntlich gemacht: R G LZ 1925, 1085; R G WarnRspr 1930 Nr. 116; 1931 Nr. 107; 1932 Nr. 158; R G SeuffArch 87 Nr. 93; auf Grund eines Titels gegen Gesellschafter in das Vermögen einer Ein-Mann-Gesellschaft vollstreckt: BGH L M § 839 (Fi) Nr. 6; bei der Inbesitznahme der zu pfändenden Sachen nicht genügend auf den Schutz der Rechte des Gläubigers vor Maßnahmen des Schuldners bedacht gewesen: R G 118, 276; zur Frage, wann er im Gewahrsam des Schuldners belassene Pfandstücke entfernen muß, s. BGH VersR 1959, 204; bei der Schätzung des Wertes von Pfandstücken nicht sorgfältig verfahren: R G H R R 1929 Nr. 1314; Beträge, um die sich mehrere Beteiligte streiten, ausgezahlt statt zu hinterlegen oder eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts herbeizuführen: R G H R R 1931 Nr. 220; von dem mitbietenden Pfandgläubiger zu Unrecht Barzahlung zwecks Hinterlegung verlangt: R G H R R 1934 Nr. 258; unpfändbare Sache in Kenntnis dieser Eigenschaft gepfändet, andere geeignete Sachen aber nicht gepfändet: R G 72, 181; Anweisungen des Gläubigers über Pfändung nicht beachtet: R G H R R 1938 Nr. 513; infolge ungenauer Prüfung des Vollstreckungstitels für eine zu geringe Forderung gepfändet: OLG 45, 176; nicht neu gepfändet, nachdem sich erste Pfändung als unzureichend erwiesen hat: R G LZ 1927, 461; Versteigerung von Pfandstücken weiter ausgedehnt, als zur Befriedigung des Gläubigers und zur Deckung der Kosten erforderlich (§818 ZPO): R G 51, 186; gepfändete Warenbestände nicht vorschriftsmäßig behandelt: R G SeuffArch 90 Nr. 169; fehlerhafte Ausführung einer Pfandversteigerung nach §§ 1235fr oder freiwilligen Versteigerung: R G 144, 262; fehlerhaftes Verhalten bei freihändigem Verkauf von Pfandsachen: R G H R R 1935 Nr. 787; Pfandsachen trotz Verlangen des Gläubigers nicht versteigert: R G 137, 133; Pfandsachen zu Unrecht freigegeben: R G J W 1936, 2096 (Berechnung des Schadens); mangelhafter Verschluß der Pfandkammer: R G H R R 1934 Nr. 257; falls Pfandstücke
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aus der Pfandkammer abhanden gekommen sind, muß Gerichtsvollzieher oder der an seiner Stelle haftbar gemachte Staat den Verlust aufklären, mindestens aber nachweisen, daß er ohne Verschulden des Gerichtsvollziehers eingetreten sein kann ( R G L Z 1933, 650/1); Versteigerungserlös ausgezahlt, obwohl Gerichtsvollzieher von dem Bevorstehen einer gerichtlichen Einstellungsanordnung zugunsten eines Dritten (Vermieterpfandrecht) Kenntnis hatte: R G 87, 294; Versteigerungserlös vor Ablieferung der zugeschlagenen Sache an den betreibenden Gläubiger ausgeliefert und dadurch den Ersteher geschädigt: R G 153, 257; einen von einem Anwalt zum Zwecke der Einstellung der Zwangsvollstreckung ausgehändigten Geldbetrag nicht an die Hinterlegungsstelle abgegeben: R G SeuffArch 87 Nr. 44; Gerichtsvollzieher läßt einen zu persönlichem Arrest zu verhaftenden Schuldner fahrlässig entweichen: R G J W 1929, 1 1 1 ; über die Anwendung von Gewalt gegenüber einem bei der Zwangsvollstreckung geleisteten Widerstand s. R G SeuffArch 90 Nr. 25; bei gewaltsamer Öffnung von Türen und Türbehältnissen hat Gerichtsvollzieher das Eigentum des Schuldners oder des betroffenen Dritten möglichst zu schonen ( B G H L M § 808 ZPO Nr. 2) ; über die Pflichten des Gerichtsvollziehers bei Aberntung und Vermostung von auf dem Stock gepfändeten Trauben s. R G 161, 109. Zur Frage des Verschuldens, wenn Gerichtsvollzieher die vom Gläubiger freigegebene Sache an den Schuldner statt an den Eigentümer herausgibt, s. R G WarnRspr 1934 Nr. 122. Über Auszahlung der beim Gegner beigetriebenen Kosten statt — wie verlangt — an den Anwalt an dessen unpfändbaren Auftraggeber s. R G J W 1927, 2200. Gerichtsvollzieher handelt nicht schuldhaft, wenn er von einer Vollstreckungshandlung nicht auf Grund einer vom Schuldner aufgestellten Behauptung, deren Richtigkeit die Vollstreckung unzulässig machen würde, Abstand nimmt ( R G 10. 3. 1902 V I 431/01) oder wenn er den Schuldner im Auftrag des Gläubigers zur nochmaligen Ableistung des OfTenbarungseides nach § 903 ZPO verhaftet: die Prüfung, ob der Schuldner zur nochmaligen Ableistung des Eides verpflichtet ist, steht dem Gerichtsvollzieher nicht zu ( R G 9. 10. 1906 I I I 34/06). Verschulden des Gerichtsvollziehers, der einen Wechselprotest aufnimmt, ohne zuvor die Person des Bezogenen, dessen Name undeutlich geschrieben ist, einwandfrei festzustellen: R G H R R 1930 Nr. 1 1 4 ; zu den Amtspflichten des Gerichtsvollziehers bei Ablieferung der beigetriebenen Leistung an den Vollstreckungsgläubiger oder an einen von diesem bezeichneten Dritten, sowie bei Aushändigung eines beglichenen Wechsels an den Vollstreckungsschuldner s. auch R G 151, 109. A n m . 82 r) A n h a n g : N o t a r e . Die nachstehenden Entscheidungen betreffen den Rechtszustand vor Inkrafttreten der Reichsnotarordnung v. 13. 2. 1937 (vgl. Anm. 31), sind aber auch heute noch von Bedeutung. Für die spätere Zeit s. Vorbem. 69—80 vor § 611. Die Erfüllung der Amtspflicht des Notars kann nicht zugleich Gegenstand vertraglicher Bindung sein ( R G 85, 409; 93, 68; 95, 214; R G J W 1920, 370). Halbamtliche Pflichten gibt es nicht, nur: Amtspflichten und vertragliche Pflichten, die Notar als Rechtskundiger eingeht ( R G J W 1915, 1193 und 1224). Der Notar muß sich bei der Beurkundung eines Rechtsgeschäfts in genügender Weise Gewißheit über die Persönlichkeit der vor ihm zur Beurkundung Erschienenen verschaffen ( R G 78, 241; 81 S. 125 und 157; 124, 62; 150, 348; 156, 82; R G J W 1932, 2864) ebenso bei der Beglaubigung von Unterschriften ( R G J W 1907, 87; 1928, 1864; 1930, 129; 1932 S. 644 und 2864; 1936, 1956; R G SeuffArch 87 Nr. 77); ungenügende oder unterlassene Prüfung der Vollmachten der Erschienenen: R G J W 1934, 2394; Blankobeglaubigung unter nicht ausgefülltem Vordruck entgegen § 183 F G G : R G 86, 102; fahrlässige Beglaubigung einer Vollmacht zur Errichtung und Anmeldung einer Aktiengesellschaft: R G 154, 276, 288 (über den Begriff „Dritter" in solchem Falle); nichtiger Vertrag als Gegenstand der Beurkundung: R G J W 1921, 336; L Z 1919, 46, vgl. auch R G 87, 232 und 93, 68; Beglaubigung statt erforderlicher und bei oberflächlicher Prüfung als notwendig erkennbarer Beurkundung: R G 146, 155; wo nur die Beglaubigung der Unterschrift begehrt wird, erstreckt sich die Amtstätigkeit des Notars nicht auf den Inhalt der Erklärung ( R G J W 1910, 1004), kennt er aber den Inhalt und
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Unerlaubte Handlungen
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Anm. 82
weiß er, daß die Urkunde ein offenbar ungültiges Geschäft enthält, so darf er auch die Unterschriften nicht beglaubigen ( R G 87, 232 und 93, 68). Z u einer Rechtsbelehrung ist der Notar bei Beurkundung eines Rechtsgeschäftes insoweit verpflichtet, als sie für das Zustandekommen einer rechtswirksamen Urkunde erforderlich ist; er muß den wahren Willen der Vertragsparteien erforschen und sie über die Bedeutung der zu beurkundenden Erklärung und das für den Zweck taugliche Rechtsgeschäft aufklären, selbst dann, wenn ihm Zweifel an der Einsicht der Parteien erst nach der Beurkundung entstehen ( R G 85, 3 3 7 ; 95 S. 2 1 4 u. 299; 100, 284; J W 1 9 1 2 , 1 9 5 ; 1 9 1 3 S. 490 u. 1 1 5 2 ; 1 9 1 4 S. 194 u. 354; 1 9 1 5 , 5 1 3 ; 1 9 1 7 S. 358 u. 600; 1921 236; ig22, 805; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 2 3 3 ; L Z 1919, 477). Die Haftung für eine unrichtige Belehrung entfällt aber, wenn der Notar das Rechtsgeschäft rechtlich anders beurteilt hatte und beurteilen konnte, falls dann seine Angaben richtig gewesen wären ( R G J W 1 9 2 1 , 169). Z u m U m f a n g der Belehrungspflicht des Notars vgl. auch R G 142, 424. Gegenüber geschäftskundigen Personen, bei denen eine genügende Rechtskenntnis vorauszusetzen ist, besteht keine Belehrungspflicht ( R G J W 1 9 2 1 , 237). Uber die K l a r legung, zweckentsprechende und richtige Gestaltung und Fassung des Parteiwillens in der Beurkundung geht die Amtspflicht des Notars nicht hinaus; hat er es an der etwa erforderlichen Belehrung nicht fehlen lassen und dem erforschten wahren Willen der Parteien des Rechtsgeschäfts gemäß dieses beurkundet, so ist seine amtliche Fürsorgepflicht erschöpft ( R G J W 1 9 1 5 , 1 1 9 3 ; R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 235). Falsche Wiedergabe des Vertragswillens durch mangelhafte Abfassung: R G J W 1 9 1 6 , 1 1 1 6 ; 1 9 1 9 , 995; Verträge, die eine rechtliche Einheit bilden, nicht in einer Urkunde beurkundet: R G WarnRspr 1940 Nr. 2 3 ; verzögerte Ausfertigung einer aufgenommenen Urkunde: R G J W 1910, 234. In den Amtsbereich des Notars gehört auch das Entwerfen der Urkunden, deren Unterschriften nachher beglaubigt werden sollen; dies ist nicht Gegenstand eines besonderen Vertrages ( R G 87, 232 und 93, 68; R G J W 1 9 1 7 , 358); keine Verpflichtung des Notars, den Vertragsparteien seinen Vertragsentwurf auszuhändigen ( R G ioo, 284). Der Notar muß ggfs. die Beteiligten über die wirtschaftlichen Gefahren des beabsichtigten Vertrages aufklären ( R G 100, 284; J W 1922, 805) und bei Testamentsaufnahme den Erblasser auf die Unfahigkeitsgründe für die Testamentszeugen aufmerksam machen ( R G 7. 1. 1 9 1 3 I I I 1 5 1 / 1 2 ) , sowie den Pächter daraufhinweisen, daß das ihm vom Verpächter verpfändete Inventar in erster Linie gemäß § 1 1 2 0 den Hypothekengläubigern haftet ( R G WarnRspr 1937 Nr. 10). Nichtbekanntgabe der hypothekarischen Belastung eines Grundstücks, dessen Verkauf der Notar protokolliert, s. München H R R 1939 Nr. 305. Die Einreichung der vom Notar aufgenommenen oder beglaubigten Urkunden bei Gericht zwecks Eintragung in das Grundbuch oder in das Handelsregister gehört noch in den Amtsbereich des Notars ( R G 93, 68). Eintragungsantrag verspätet beim Grundbuchamt eingereicht: R G WarnRspr 1940 Nr. 43; dem Grundbuchamt Kaufvertrag mit Wohnrecht- und Hypothekenbestellung eingereicht, aber im Begleitschreiben nur Eigentumsumschreibung und Hypothekenbestellung beantragt: R G SeuffArch 83 Nr. 69; auftragswidrige Veranlassung der Eintragung einer Hypothek an falscher Stelle: R G Recht 1907 Nr. 453. Die Entgegennahme grundbuchamtlicher Mitteilungen über Eintragungen aus den beurkundeten Rechtsgeschäften gehört nicht zu den Amtspflichten des Notars; er ist insoweit Beauftragter der Partei oder Geschäftsführer ohne Auftrag ( R G 8 1 , 428). Aufgenommenes Testament mit unrichtiger Tagesangabe versehen: R G 74, 4 2 1 . Die Mitwirkung des Notars bei der Ausführung eines von ihm beurkundeten Erbauseinandersetzungsvertrages ist keine amtliche Tätigkeit; diese endet mit der Beurkundung des Vertrags ( R G SeuffArch 78 Nr. 129). Uber die Sorgfaltspflicht des Notars in bezug auf Hinterlegung von Geld bei einer Bank vgl. R G H R R 1934 Nr. 1 2 ; 1932 Nr. 944. Zur Frage, inwieweit Entgegennahme und Weitergabe von Geldbeträgen in den Bereich der Amtstätigkeit des Notars fällt, s. auch R G 142, 184. Mangelhafter oder ungültiger Wechselprotest: R G J W 1906, 467; R G D J 1933, 580; R G 139, 1 9 3 ; R G H R R 1933 Nr. 666; Erteilung der Vollstreckungsklausel einer vom Notar aufgenommenen Urkunde, nachdem er bereits als Rechtsanwalt Voll-
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streckungsauftrag des Gläubigers angenommen hatte: R G 145, 199; Wertpapiere, deren Verpfändung beurkundet wird, nicht geprüft: R G H R R 1930 Nr. 704; Mängel eines vorgelegten Hypothekenbriefes nicht beachtet, obwohl diese den Verdacht der Fälschung ohne weiteres hätten aufdrängen müssen: R G J W 1932, 6444; leichtfertige, den Mißbrauch ermöglichende Aufbewahrung von amtlichen Siegeln und Stempeln: R G 8 1 , 1 3 0 . Pflichtwidrige Benutzung seiner amtlichen Inanspruchnahme zur Regelung einer privaten Rechtsangelegenheit zwischen ihm und den ihn als Notar Angehenden: R G 144» 339Eine Haftung des Notars für Verfehlungen seiner Angestellten besteht nicht nach § 839 (RG J W 1910, 1004; R G WarnRspr 1918 Nr. 226). Eine eigene Verfehlung des Notars kann aber darin liegen, daß er die Bearbeitung einer nicht ganz einfachen Rechtsangelegenheit dem rechtsunkundigen Bürovorsteher überläßt ( R G J W 1914, 354; R G WarnRspr 1913 Nr. 195). Zur Haftung für falsche Auskunft durch Bürovorsteher s. R G 162, 24. 1 3 . Sonstige B e a m t e A n m . 83 V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n sind zu peinlichster Sorgfalt allen Betroffenen gegenüber verpflichtet (RG J W 1935, 2043). Haftung des M i n i s t e r s bei mangelnder Unterrichtung über die Rechtslage: R G J W 1932, 3767; keine Amtspflichtverletzung der Minister des Landes NRW bei Erlaß der DB zur 1. SparVO: B G H L M §839 (Fm) Nr. 2; Verschulden von U n i v e r s i t ä t s - P r o f e s s o r e n , D o z e n t e n oder deren Assistenten bei Verletzung von Studenten durch mißglücktes Experiment: R G J W 1927, 1994; zur Frage der Amtspflichten der K o m m u n a l a u f s i c h t s b e h ö r d e gegenüber der zu beaufsichtigenden Körperschaft s. B G H L M §839 (Fm) Nr. 2; zur Frage der Amtspflichten bei Erteilung von Einkaufsermächtigungen im Rahmen des Runderlasses Außenwirtschaft Nr. 56/61 (BAnz Nr. 244 v. 18. 12. 1951) s. B G H L M §839 (Fm) Nr. 4; Amtspflichten des L a n d e s a m t e s f ü r V e r m ö g e n s k o n t r o l l e : B G H 17, 140. Ein Beamter, der in einer den T a t b e s t a n d des § 826 erfüllenden Weise durch Ausübung seiner Amtsgewalt einem Dritten Schaden zufügt, verletzt eine ihm gegenüber diesem obliegende Amtspflicht (BGH 14, 319) nur dann, wenn dieser Amtsmißbrauch in dem Bewußtsein erfolgt, diesen Dritten schädigen zu können (BGH L M §839 [Fm] Nr. 1). Uber Prüfungspflicht des Verwaltungsbeamten, ob Landesrecht mit Reichsrecht vereinbar, vgl. R G 130, 319; u n r i c h t i g e b e h ö r d l i c h e A u s k u n f t : R G 170, 12g, vgl. auch B G H VersR 1955, 580; auch eine freiwillige Auskunft muß erschöpfend sein (RG J W 1929, 1797); Amtspflichten bei der V e r w a h r u n g von S i e g e l n : R G H R R 1935 Nr. 1454; ein zur Siegelführung bestellter Beamter muß über seinen Aufgabenkreis belehrt werden (BGH L M § 839 [Fe] Nr. 12); Verwendung des Dienstsiegels für unwirksame bürgerlich-rechtliche Verpflichtung: R G 162, 164; zur verzögerlichen Behandlung von Anträgen vgl. B G H 20. 10. 1958 III Z R 26/57. A n m . 84 Bei E n t s c h e i d u n g e n über R e c h t s b e z i e h u n g e n des B e a m t e n zu seiner B e h ö r d e (Entlassung, Beförderung usw.) darf dafür nicht zuständigen Stellen nicht ein bestimmender Einfluß eingeräumt werden (BGH 15, 185); Pflichtwidrigkeiten im Rahmen der mit einer Beförderung eines Beamten zusammenhängenden Maßnahmen: B G H 21, 256; Beamter ist zu hören, bevor für ihn ungünstige Schlüsse aus einem Sachverhalt gezogen werden (BGH 22, 258; dort auch S. 262 ff zur Frage der Nachprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen). Ungerechtfertigte Einziehung des Sparkassenguthabens eines Beamten durch Bürgermeister: R G J W 1936, 2396. Haftung für Gesundheitsschäden, die sich Beamte oder Angestellte im Dienst zugezogen haben: R G J W 1936, 2213; R G WarnRspr 1937 Nr. 63. Anm. 85 Zur Amtspflicht der B a u b e h ö r d e , nicht genehmigte Bauten zu verhindern: B G H 8, 907; Einrichtung eines Parkplatzes vor Trümmergrundstück: B G H L M § 839 (Fe)
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Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 86—88 Nr. i ; nicht gerechtfertigte Versagung der Baugenehmigung: B G H V e r w R s p r 6 Nr. 4 1 ; vgl. aber auch R G 126, 356 (Fluchtlinie); Erteilung der Bauerlaubnis für Schlachthaus ohne Hinweis auf die für die Schlächterei notwendige besondere Genehmigung nach der G e w O : R G J W 1929, 1797. Haftung der Gemeinde bei Zuschüttung von Luftschutzstollen: B G H L M § 1 LuftschutzG Nr. 2; B G H 9. 6. 1958 I I I Z R 2 1 8 / 5 7 ; zur Verwertung von Material aus Trümmergrundstücken: B G H L M Art. 34 G G Nr. 4. Keine Amtspflichtverletzung, wenn im Herbst 1944 zur beschleunigten Durchführung von Sofortmaßnahmen über den Bergungserlaß hinaus Baumaterial aus zerstörten Gebäuden entnommen worden ist ohne förmliche Inanspruchnahme nach R L G ( B G H N J W 1953, 941 u. B G H 1. 4. 1954 I I I Z R 386/52).
A n m . 86 Anforderungen an ländliche G e m e i n d e v o r s t e h e r : R G J W 1 9 1 1 , 7 1 4 ; 1938, 8 1 0 ; ist der Leiter eines Gemeindeausschusses rechtsunkundig oder in der Verwaltung unerfahren, so muß er sich vor Verwaltungshandlungen sorgfältig unterrichten ( B G H 6. 12. 1951 I I I Z R 143/50); zur Frage, welche Anforderungen an ehrenamtliche Bürgermeister einer Dorfgemeinde bei Errichtung eines Testamentes zu stellen sind, s. B G H L M § 839 (Ff) Nr. 3 ; die Verwaltung einer ländlichen Gemeinde braucht in der Regel keine Fürsorgemaßnahmen auf Gebieten zu ergreifen, die nicht ihrer Zuständigkeit unterliegen ( B G H V e r w R s p r 7 Nr. 1 2 7 ) ; Bürgermeister, der zugleich J a g d v o r s t e h e r ist, hat keine Amtspflicht, Grundstückseigentümer ungefragt über gesetzliche Möglichkeiten zur Geltendmachung von Wildschäden aufzuklären ( B G H 18. 1. 1954 I I I Z R 356/52); fahrlässig unrichtige Grundstücksschätzung durch Gemeinderat: R G J W 1938, 4 7 ; städtische Angestellte des S o f o r t h i l f e a m t e s erfüllen keine Amtspflicht gegenüber der Bundesrepublik ( B G H 27, 210). Zur Pflicht des S p a r k a s s e n b e a m t e n zur Belehrung gegenüber Hypothekenschuldner: R G 91, 3 4 1 ; 1 3 1 , 248; über die Amtspflichten der Mitglieder eines Verwaltungsrates (Vorstandes) einer Sparkasse s. B G H L M § 23 D B G Nr. 2. Zur Frage der Haftung einer Stadt bei Verwaltung eines von dritter Seite zur Verfügung gestellten Treuhandfonds zur Entschädigung der von einem Explosionsunglück betroffenen Bürger: B G H 27, 73. F e u e r l ö s c h w e s e n der Gemeinden in NordrhWestf.: B G H L M § 8 3 9 (C) Nr. 26; freiwillige Feuerwehr: B G H 20, 290 (NordrhWestf.); B G H V e r s R i g 5 8 , 886 (Nordbaden). Für mangelhafte W e g e r e i n i g u n g nach § 1 PreußWegereinG kann Haftung der Gemeinde aus § 839 in Betracht kommen ( B G H 27, 278).
A n m . 87 Amtspflichtverletzung des B e r u f s V o r m u n d s : R G 132, 2 5 7 ; Amtsvormund läßt schuldhaft zu niedrig festgesetzte Unterhaltsrente rechtskräftig werden: R G WarnR s p r 1933 Nr. 26; Abfindungsvertrag über Kapitalzahlung im Oktober 1945 geschlossen: B G H 9, 255; 22, 72; Haftung für vom J u g e n d a m t vorgeschlagenen, vom Vormundschaftsgericht bestellten Vormund nur, wenn schuldhaft eine unzuverlässige Person vorgeschlagen worden ist ( R G H R R 1937 Nr. 243; R G SeuffArch 87, 1 1 3 ) ; ärztliche Fürsorge bei Fürsorgezöglingen: B G H L M § 839 (Fe] Nr. 5. Amtspflicht des S t a n d e s b e a m t e n zur rechtzeitigen Anzeige der außerehelichen Geburt eines Kindes an das Vormundschaftsgericht: R G Recht 1 9 1 6 Nr. 243.
A n m . 88 V e r s o r g u n g s b e h ö r d e ist zur sachgemäßen Beratung von Schwerbeschädigten verpflichtet ( B G H N J W 1957, 1873). Versagung der Genehmigung zu einem Grundstückskaufaus ungesetzlichem Grund: R G H R R 1934 Nr. 94. U n r i c h t i g e A d r e s s i e r u n g einer für den Empfänger wichtigen Postsendung stellt Amtspflichtverletzung dar ( B G H 20. 3. 1956 I I I Z R 183/54). Ausstellung einer inhaltlich u n r i c h t i g e n A u f e n t h a l t s b e s c h e i n i g u n g : B G H V e r s R 1959, 194. Z u den Pflichten der zuständigen Behörde zur Rücksichtnahme auf die Interessen Dritter ( § 1 1 GaststättenG) bei der Erteilung der E r l a u b n i s z u m B e t r i e b e e i n e r G a s t - o d e r S c h a n k w i r t s c h a f t s. B G H N J W 1959, 767. K a t a s t e r b e a m t e müssen dem Grundbuchamt zu-
1493
§ 839 Anm. 89
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
treffende Angaben machen (RG 100, 102; 148, 3 7 5 ; R G H R R 1942 Nr. 550). Amtspflichten des G e w e r b e a u f s i c h t s b e a m t e n : R G D J Z 1931, 895; H R R 1935 Nr. 586. Amtspflichten eines Bedienste en einer U m t a u s c h s t e l l e f ü r I n v a l i d e n q u i t t u n g s k a r t e n : BGH L M § 839 (Fe) Nr. 13. Die eine Z w a n g s e i n w e i s u n g in eine H e i l a n s t a l t verfügende Behörde hat den Kranken auf Anfechtungsmöglichkeit hinzuweisen (BGH VersR 1958, 622). Sachwidrige Behandlung eines ärztlichen Gutachtens durch L e i t e r einer K r a n k e n k a s s e : R G 165, 102; Amtspflichten der Paßbehörde: BGH L M §839 (Fe) Nr. 1 1 ; Wegnahme und Verwertung von bei der Viehzählung verschwiegenen Tieren im Jahre 1947 keine schuldhafte Amtspflichtverletzung (BGH 3. 5. 1954 I I I Z R 38/53). Haftung des V i e h w i r t s c h a f t s v e r b a n d e s für Handlungen des Beschlagnahmebeauftragten: BGH 7, 75. Die „ V o r w e g v e r w e r t u n g " v o n der E i n z i e h u n g u n t e r l i e g e n d e n G e g e n s t ä n d e n ist nur bei starkem Verdacht einer strafbaren Handlung zulässig, der die Einziehung als statthafte und zu erwartende Maßnahme erscheinen läßt (BGH 2. 6. 1955 I I I Z R 224/53). Zur Verpflichtung, durch organisatorische Maßnahmen dem Patienten eines öffentlichen Krankenhauses die Errichtung eines Testamentes zu ermöglichen, s. B G H L M § 839 (Fe) Nr. 12. Amtspflichtverletzungen eines Z w a n g s l o t s e n s. R G 87, 347; 93, 36; 96, 166; 105, 100; 110, 349; i n , 375! 126, 82; unbefugtes Festhalten eines Schiffes durch K a n a l v e r w a l t u n g : R G 1 1 5 , 54; R G 105, 99 (Schleusenmeister); vgl. aber B G H 20, 57; R G Recht 1928 Nr. 286 (Hafenmeister). V. Abs. 1 Satz 2 Anm. 89 Der Beamte haftet nach Abs. 1 Satz 2 für eine fahrlässige Verletzung der Amtspflicht nur hilfsweise; er kann erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise E r s a t z zu erlangen v e r m a g . Art. 131 WeimVerf und Art. 34 GG haben hieran nichts geändert, da die nach diesen Bestimmungen haftende Körperschaft nur an die Stelle des Beamten tritt, sich mithin Voraussetzungen und Umfang der Haftung der hinter dem Beamten stehenden Körperschaft mit denen der in § 839 geregelten Haftung des Beamten selbst decken (s. Anm. 8). Infolgedessen gilt die Haftungsbeschränkung auch, wenn an Stelle des Beamten der Staat oder eine sonstige Körperschaft haftet (RG 102, 166, 168; R G Gruchot 71, 537; stand. Rspr. des BGH, s. u. a. B G H 4, 10, 45f und 16, 366, 3 7 1 ; aA Bettermann DÖV 1954, 299, 304), und zwar auch dann, wenn die Körperschaft ihrerseits gegen Haftpflicht versichert ist (BGH VersR 1958, 886). Solange noch ein Dritter haftet, ist der Beamte, dem nur Fahrlässigkeit zur Last fällt, oder die für ihn eintretende Körperschaft überhaupt nicht schadensersatzpflichtig (RG 138, 209, 2 1 2 ; B G H 28, 297, 301; B G H VersR 1959, 389 Und 469, 470); § 840 wird mithin durch § 839 Abs. 1 Satz 2 zugunsten des Beamten ausgeschaltet, weil dieser den Geschädigten ganz auf den anderen Ersatzpflichtigen verweisen kann. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) kann in der Regelung des § 839 Abs. 1 Satz 2 nicht gesehen werden (BGH VersR 1958, 886). Die Haftungseinschränkung g i l t nur f ü r die H a f t u n g aus § 839. Sie gilt nicht, soweit der Beamte (Gerichtsvollzieher, Notar) dem Geschädigten aus einem Vertragsverhältnis (Auftrag, Dienstvertrag) haftet (vgl. Anm. 71 vor § 611) oder die öffentliche Körperschaft aus einem öffentlich-rechtlichen Verwahrungs- oder Treuhandverhältnis in Anspruch genommen wird (BGH L M § 688 Nr. 6). Wenn die Amtspflichtverletzung den Tatbestand einer u. H. nach §§ 823 ff erfüllt, erfolgt Haftung allein aus § 839 (s. Anm. 1), so daß sich der Beamte oder die an seiner Stelle haftende Körperschaft in diesem Fall auf die Vergünstigung des Abs. 1 Satz 2 berufen kann (RG 74, 250). Trifft den für einen Schaden verantwortlichen Beamten die Ersatzpflicht nicht nur aus § 839, sondern auch aus anderen Rechtsgründen, tritt z. B. — ausnahmsweise — neben die Haftung aus Amtspflichtverletzung eine selbständige Haftung aus §§ 823 ff (s. Anm. 2) oder haftet er zugleich als Tierhalter (§ 833 Satz 1) oder als Halter eines Kraftfahrzeugs (§ 7 StrVG), dann kommt für die Haftung aus diesen anderen Rechtsgründen eine Befreiung gemäß der allein die Ansprüche aus Amtspflichtverletzung betreffenden 1494
Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 90, 91
Vorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 nicht in Betracht. Dies gilt auch, wenn der Beamte persönlich als Kfz.-Halter in Anspruch genommen wird und die Haftung aus Amtspflichtverletzung den Dienstherrn des Beamten trifft (BGH 29, 38, 43ff). Andererseits kann sich der Beamte in diesen Fällen der Haftung aus Amtspflichtverletzung nicht durch Berufung auf seine daneben aus anderen Rechtsgründen bestehende Haftung (z. B. aus § 7 StrVG) entziehen. Dasselbe gilt für die Haftung einer öffentlichen Körperschaft auf Grund des Art. 34 GG (Art. 131 WeimVerf), wenn gleichzeitig sie selbst oder der in Betracht kommende Beamte aus §§ 823fr (ggfs. i. V. m. §§31, 89 oder 831), aus §§ 7 StrVG oder aus einem sonstigen Rechtsgrunde haftet (RG 145, 177, 181; 156, 257; 165, 365, 373; B G H 3, 321 328fr: Auch einem auf §§ 485, 486, 735 HGB, Art. 7 EG HGB gestützten Schadensersatzanspruch eines gegen Kasko versicherten Reeders gegenüber kann sich der Staat, dessen Beamter in Ausübung einer Amtspflicht einen Schiffszusammenstoß fahrlässig verursacht hat, nicht auf § 839 Abs. 1 Satz 2 berufen; B G H 13, 88, 100; B G H LM §823 [De] Nr. 19). Nach §21 Abs. 1 R N o t O bleibt die Haftungseinschränkung bei Amtsgeschäften des Notars der in §§ 25, 26 R N o t O bezeichneten Art im Verhältnis zwischen dem Notar und dem Auftraggeber außer Anwendung (vgl. Anm. 70 vor §611). A n m . 90 Gleichartigkeit des R e c h t s g r u n d e s für die Haftung des Beamten und für den Ersatzanspruch gegen den Dritten wird nicht gefordert; es genügt, wenn der Ersatzanspruch aus denselben tatsächlichen Vorgängen erwächst. Es ist dementsprechend gleichgültig, ob der anderweite Ersatzanspruch auf Gesetz oder Vertrag beruht. Deshalb muß auch ein Bereicherungsanspruch oder ein Anspruch gegen Mitschuldner und Bürgen erschöpft sein, bevor ein Schadensersatzanspruch aus § 839 erhoben werden kann (RG 138, 211; R G H R R 1932 Nr. 1448; R G J W 1934, 2545«). Ebenso schließt die Möglichkeit, aus einem V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g — und zwar bei Sach- wie bei Personenversicherung — Schadensersatz zu erlangen, die Amtshaftung aus, s. R G 138, 209 (Kreditversicherung); 145, 56 (Sachschadenversicherung); 152, 20 (Unfallversicherung) ; R G J W 1935, 10846; B G H 17.12.1953 I I I Z R 177/52 (Kaskoversicherung); B G H VersR 1956, 52 (Sachschadenversicherung); B G H VersR 1958, 886 (Feuerversicherung). Jedoch kommen Ansprüche aus einer Lebens- und Sterbegeld Versicherung als anderweite Ersatzansprüche nicht in Betracht, weil diese Versicherung, in aller Regel wenigstens, nicht Schadensdeckung, sondern Kapital- oder Rentenvorsorge bezwecken, also Sparzwecken dienen (RG 155, 186). Auch die Möglichkeit, aus einer g e s e t z l i c h e n K r a n k e n - o d e r U n f a l l v e r s i c h e r u n g Ersatz für den durch die Amtspflichtverletzung entstandenen Schaden zu erlangen, schließt die Amtshaftung aus (RG 161, 199; 171, 173; B G H 23. 3. 1959 I I I Z R 173/57). Keine anderweite Ersatzmöglichkeit ist aber gegeben, wenn Vertrag oder Kassensatzung eine Leistung des Dritten (z. B. der Versicherung) für den Fall ausschließen, daß der Verletzte sonstige Schadensersatzansprüche hat (RG 138, 209, 211; 171, 198); jedoch kann der vertragliche Haftungsausschluß arglistig sein, wenn er in der Absicht erfolgt, die Staats(oder Körperschafts-)Haftung herbeizuführen (RG Recht 1927 Nr. 31). A n m . 91 Ist ein Schadensersatzanspruch t e i l w e i s e n a c h e i n e r a n d e r e n B e s t i m m u n g (z. B. § 7 StVG), teilweise jedoch nur nach § 839 begründet, dann muß sich der Berechtigte einen Ersatz, den er von einem Dritten (Kaskoversicherer) erhalten hat, auf den aus § 839 begründeten Teil des Anspruchs in vollem Umfang anrechnen lassen (RG DR 1941, 587 13 ). Der Verletzte muß sich auch eine Zahlung, die er auf eine zunächst als bestehend angenommene, in Wirklichkeit aber nicht vorhandene Schadensart (z. B. Teilinvalidität) von einer Versicherung erhalten hat, auf eine tatsächlich entstandene Schadensart (z. B. Heilungskosten) anrechnen lassen (RG 158, 176). Jedoch nimmt der Anspruch auf S c h m e r z e n s g e l d gemäß § 847 gegenüber den auf Ausgleichung eines vermögensrechtlichen Schadens gerichteten Schadensersatzansprüchen eine Sonderstellung ein; es ist auf ihn nach § 839 Abs. 1 Satz 2 nur die für einen nichtvermögensrechtlichen Schaden gewährte oder zu gewährende Entschä-
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§ 839
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 92 digung anzurechnen, nicht aber die auf eine vermögensrechtliche Einbuße gewährte, und zwar auch dann nicht, wenn eine solche Einbuße tatsächlich nicht oder nicht mehr besteht ( R G 170, 37). Die in R G 167, 207 vertretene, jedoch unrichtige Auffassung, auf den Träger der Sozialversicherung, der teilweise Ersatz geleistet hat, gehe der auf den überschießenden Betrag beschränkte Amtshaftungsanspruch bis zur Höhe der Ersatzleistungen über (doppelte Absetzung der Versicherungsleistungen), ist vom Reichsgericht selbst in R G 171, 1 7 3 wieder aufgegeben worden. — Ein durch Amtspflichtverletzung geschädigter Arbeitgeber muß sich auf Ansprüche gegen seinen Arbeitnehmer verweisen lassen; die Anwendbarkeit des § 8 3 9 Abs. 1 Satz 2 kann nicht mit der Begründung verneint werden, es sei mit dem Grundgedanken des Art. 34 G G und den Grundsätzen eines Sozialstaates nicht vereinbar, daß gerade eine staatliche Behörde zur Beschränkung der Staatshaftung den Geschädigten auf Ersatzansprüche gegen seinen Arbeitnehmer verweise ( B G H V e r s R 1955, 149, 150).
A n m . 92 Grundsätzlich kommen auch die auf einem anderen Rechtsgrunde beruhenden A n s p r ü c h e g e g e n e i n e a n d e r e ö f f e n t l i c h e K ö r p e r s c h a f t , auch solche gegen den e i g e n e n D i e n s t h e r r n des schuldigen Beamten selbst als ander weite Ersatzansprüche in Betracht ( R G 74, 250, 2 5 3 ; 170, 3 1 1 , 3 1 6 : Ausschließung von Ansprüchen gegen das Deutsche Reich aus Amtspflichtverletzungen außerhalb der Deutschen Reichsbahn durch die Möglichkeit, wegen desselben Schadens von der Deutschen Reichsbahn Ersatz zu erlangen; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 329; B G H 4, 10, 45; B G H L M § 688 Nr. 6; B G H 13. 11. 1952 III Z R 72/52). Soweit es sich um einen anderweiten Ersatzanspruch gegen den aus Amtspflichtverletzung in Anspruch genommenen Dienstherrn des Beamten selbst handelt, kann jedoch nach B G H 10, 137 eine Verurteilung aus Amtshaftung ohne Rücksicht auf den — etwaigen — anderweiten Ersatzanspruch gegen den Beklagten erfolgen, sofern nur der sonstige Anspruch, wenn er überhaupt zur Entstehung gelangt sein sollte, noch gerichtlich durchsetzbar sein würde und dem Geschädigten nicht mit Erfolg entgegengehalten werden kann, daß er die Möglichkeit anderweiter Ersatzerlangung schuldhaft versäumt habe. Die neuere Rechtsprechung des B G H schränkt die Anwendbarkeit des § 839 Abs. 1 Satz 2 in äußerst bedeutsamer Weise noch weiter ein und geht im Anschluß an die Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen in B G H 13, 88, 101 ff davon aus, daß die aus Amtspflichtverletzung in Anspruch genommene Körperschaft den Geschädigten auf keinen wie immer gearteten Anspruch gegen die „öffentliche H a n d " — sei es gegen die in Anspruch genommene Körperschaft selbst oder gegen eine andere Körperschaft — verweisen kann, der erst durch die deliktischen Handlungen oder Unterlassungen ihrer Beamten begründet worden ist; dabei genügt es, wenn Amtshaftungsanspruch und anderweiter Ersatzanspruch aus demselben Tatsachenkreis entspringen ( B G H 13. 12. 1954 III Z R 165/52; 3 1 . 1. 1955 III Z R 139/53; 10. 3. 1958 III Z R 185/56; B G H V e r s R 1958, 705; a A Schröer J Z 1955, 308; s. auch Donau M D R 1955, 716). Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht als Bestätigung der Auffassung angesehen werden, daß sich die Amtshaftungsbestimmung des Art. 34 G G selbständig gemacht habe und nicht mehr an das B G B angeseilt sei (so J e l l i n e k J Z 1955, 147, 149). Vielmehr ist auch nach der wiedergegebenen neuen Rechtsprechung des B G H die Haftung des Staates und der sonstigen öffentlichen Körperschaften nicht weiter zu ziehen als die des Beamten selbst. Es stellt sich jedoch die Frage, ob nach den in B G H 10, 137 aufgestellten Grundsätzen der in Anspruch genommenen Körperschaft die Berufung auf anderweite Ersatzansprüche gegen die öffentliche Hand nur dann zu versagen ist, wenn die aaO genannten Voraussetzungen für eine „ H a f t u n g aus wahlweisem Haftungsgrund" gegeben sind, daß nämlich der anderweite Ersatzanspruch noch gerichtlich durchsetzbar sein muß und der Geschädigte die Möglichkeit anderweiter Ersatzerlangung nicht schuldhaft versäumt hat (vgl. P a g e n d a r m D Ö V 1955, 520, 526). Der Bundesgerichtshof hat zu dieser Frage bisher nicht Stellung genommen. Jedenfalls ist die neue Rechtsprechung geeignet, der Bestimmung des § 839 Abs. 1 Satz 2 — von S c h e u n e r D Ö V 1955, 545, 548 mit Recht als antiquiert bezeichnet — die für den betroffenen Staatsbürger nachteiligen Wirkungen in nicht unbedeutendem U m f a n g zu nehmen.
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 93, 94
A n m . 93 Die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der ersatzpflichtige D r i t t e s e i n e r s e i t s v o n d e m s c h u l d i g e n B e a m t e n (oder der an seiner Stelle haftenden Körperschaft) E r s a t z v e r l a n g e n k a n n ( R G 91, 96; B G H 16. 5. 1955 I I I Z R 7/54). S c h w i e r i g k e i t e n in d e r r e c h t l i c h e n B e u r t e i l u n g der Frage, ob anderweite Ersatzmöglichkeiten bestehen, beseitigen nicht die bei richtiger Entscheidung der Zweifelsfragen bestehende Möglichkeit anderweiter Ersatzerlangung; insoweit kommt es nur auf die objektive Rechtslage an ( R G 166, 1, 14; B G H 16, 1 1 1 , 1 1 7 ) . Die Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Verletzte gegen den Dritten einen rechtlich verfolgbaren Anspruch auf Ersatz des Schadens hat; sie umfaßt vielmehr a u c h E r s a t z m ö g l i c h k e i t e n r e i n t a t s ä c h l i c h e r A r t , sofern deren Ausnutzung dem Geschädigten zumutbar ist ( R G 138, 2 1 1 ; 158, 277; B G H L M § 839 [Fi] Nr. 5; B G H VersR 1957, 201). A n m . 94 Der Geschädigte hat ein R e c h t auf alsbaldigen S c h a d e n s e r s a t z und braucht sich deshalb auf Möglichkeiten anderweiten Ersatzes in der Zukunft, die keine begründete Aussicht auf alsbaldige Verwirklichung haben, sowie auf weitläufige und im Ergebnis unsichere Wege des Vorgehens gegen Dritte nicht verweisen zu lassen ( R G 80, 254: Keine anderweite Ersatzmöglichkeit, wenn Befriedigung durch Gehaltspfändungen erst im Laufe von zwei Jahren möglich wäre; R G 1 4 1 , 3 5 3 ; 1 6 1 , 3 7 5 ; 162, 24, 3 1 ; R G WarnRspr 1936 Nr. 5; 1937 Nr. 99; R G J W 1930, 997 1 5 ; 1936, 1434 6 ; R G H R R 1934 Nr. 865; R G SeufTArch 93 Nr. 70; B G H 2, 209, 218). Deshalb keine anderweite Ersatzmöglichkeit, wenn der rechtlich zur Ersatzleistung verpflichtete Dritte zur alsbaldigen Ersatzleistung in absehbarer Zeit wirtschaftlich nicht in der Lage ist ( R G WarnRspr 1936 Nr. 91) oder wenn die Möglichkeit anderweiter Ersatzerlangung zwar besteht, ihre Durchführung dem Geschädigten aber einen erneuten, mindestens gleich hohen Schaden verursacht hätte ( R G DNotZ 1934, 677). Auch Ansprüche aus dem Lastenausgleichsgesetz vom 14. August 1952 (BGBl I 446) und dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden vom 1. Dezember 1955 (BGBl I 734) braucht sich der Geschädigte mangels Liquidität dieser Ansprüche als anderweite Ersatzmöglichkeiten nicht anrechnen zu lassen ( B G H 25. 6. 1953 I I I Z R 1 7 5 / 5 1 ; B G H 23. 2. 1956 I I I Z R 184/54; B G H 10. 3. 1958 I I I Z R 185/56). Der in seinem Pfändungspfandrecht geschädigte Gläubiger, dessen Forderung durch eine Hypothek gesichert ist, braucht sich nicht auf eine durch Vorschriften zum Schutz des Vollstreckungsschuldners beträchtlich erschwerte Liegenschaftsvollstreckung verweisen zu lassen ( R G 1 6 1 , 109, i 2 o f ) ; der bei einer Verteilung ungenügend berücksichtigte Konkursgläubiger auch nicht auf den weitläufigen und im Ergebnis unsicheren Weg von Bereicherungsansprüchen gegen andere Konkursgläubiger ( R G 154, 297). Doch kann ihm u. U . die Anmeldung in einem Konkurse zugemutet werden, der eine baldige Befriedigung mindestens zu einem erheblichen Teil erwarten läßt (vgl. R G J W 1930, 1304 6 ; R G WarnRspr 1930 Nr. 13). Die anderweite Ersatzmöglichkeit kann insbesondere auch dann als ausgeschlossen angesehen werden, wenn die Rechtsverfolgung oder Zwangsvollstreckung im Ausland stattfinden müßte ( R G SeufTArch 81 Nr. 73; B G H 2. 1 1 . 1953 I I I Z R 166/52). Der durch Amtsversehen im R a n g seiner Hypothek benachteiligte Gläubiger braucht nicht erst die Fährnisse eines Zwangsversteigerungsverfahrens auf sich zu nehmen oder um einen Verkauf der Hypothek bei den durch die Rangverschlechterung geminderten Aussichten bemüht zu sein ( R G J W 1937, 1917 2 3 ). Man kann auch nicht ohne weiteres von dem Verletzten verlangen, sich dadurch Ersatz zu verschaffen, daß er den Verkauf der durch eine Amtspflichtverletzung abhanden gekommenen Sachen durch einen Weiterverkäufer genehmigt, um so gegen den Weiterverkäufer einen Bereicherungsanspruch nach § 816 zu erlangen ( B G H 13. 1 1 . 1952 I I I Z R 72/52). Ist neben dem Vormund und Gegenvormund auch der Vormundschaftsrichter für den Schaden eines Minderjährigen verantwortlich, so kann der an dessen Stelle haftende Staat das Mündel nicht auf Ersatzansprüche gegen Vormund und Gegenvormund verweisen, wenn es dem Minderjährigen mangels geeigneter
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§ 839 A n m . 95, 96
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
gesetzlicher Vertretung nicht möglich war, gegen Vormund und Gegenvormund vorzugehen (RG J W 1935, 3530 3 ). Jedoch besteht eine anderweite Ersatzmöglichkeit, wenn der ersatzpflichtige Dritte selbst nach Übertragung seines gesamten Vermögens auf einen anderen vermögenslos geworden ist, der andere aber nach § 419 belangt werden kann ( B G H 7. 11. 1957 III Z R 113/56). Auch muß der Geschädigte angemessene und ihm zumutbare Teilzahlungen des Dritten annehmen; § 266 greift gegenüber § 839 Abs. 1 Satz 2 insoweit nicht Platz (BGH 29. 10. 1953 III Z R 315/52). Ferner ist darauf hinzuweisen, daß es dem Grundgedanken des § 839 Abs. 1 Satz 2 (wie auch des § 254) widersprechen würde, wenn der Geschädigte eine prozessuale Handhabe zur Beseitigung einer nur formalen Beeinträchtigung seiner Rechte verschmähen und den für ein Amtsversehen verantwortlichen Beamten zu einem beträchtlichen Vermögensopfer zwingen wollte, nur um die mit eigenem Vorgehen vielleicht verbundene Unannehmlichkeit zu vermeiden (RG J W 1936, 2063). A n m . 95 Die U n m ö g l i c h k e i t , anderweit Ersatz zu erlangen, bildet einen Teil des Tatbestandes, aus dem der Amtshaftungsanspruch hergeleitet wird und dementsprechend eine zur Klagebegründung gehörende Voraussetzung des A m t s h a f t u n g s a n s p r u c h s ; der Verletzte hat deshalb das Vorliegen dieser Voraussetzung darzulegen und im Streitfall zu beweisen (RG 86, 286; 137, 20; 138, 209, 2 1 2 ; 145, 56, 68; 165, 105; R G J W 1926, 2284®; 1928, 1 8 6 2 " ; 1930 S. 99716 und 1304 6 ; 1931, 2465 1 ; 1937 S. 393 3 und 2 1 1 3 1 6 ; 1939, 239 29 ; SeuffArch 87 Nr. 92; R G H R R 1930 Nr. 1 1 2 ; 1932 Nr. 1447; B G H 4, 10, 14; 10, 138; 18, 366, 3 7 1 ; B G H L M § 839 [E] Nr. 6). Doch darf dem Verletzten damit nichts Unmögliches zugemutet und es kann von ihm, wenn nach dem Sachverhalt die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit anderweiter Ersatzerlangung nicht in Betracht kommt, nicht ein weiterer Nachweis dieser Negative verlangt werden (RG 51, 186, 192; R G H R R 1933 Nr. 1321). Der Verletzte kann sich deshalb auch in aller Regel darauf beschränken, die sich aus dem Sachverhalt selbst ergebenden Ersatzmöglichkeiten zu widerlegen, und kann es dem Beamten oder der für ihn haftenden Körperschaft überlassen, ihm die Versäumung anderer Ersatzmöglichkeiten nachzuweisen (RG 158, 277, 283; B G H L M §839 [E] Nr. 6). Ebenso ist es dann, wenn der in Betracht kommende ersatzpflichtige Dritte kein greifbares Vermögen besitzt, Sache des In-Anspruch-Genommenen, darzutun, daß dennoch Vollstreckungsmöglichkeiten bestehen (RG 162, 24, 31). Auch die Höhe seines nach Inanspruchnahme anderer Haftpflichtiger noch verbleibenden Schadens muß der Geschädigte darlegen und beweisen, wenn er einen bestimmten Anspruch gegen den schuldigen Beamten erheben will; solange die Höhe des Ausfalles und damit das Fehlen anderweiter Ersatzmöglichkeit noch nicht feststeht, ist auch eine Feststellungsklage gegen den Beamten nicht gerechtfertigt, weil eine Anspruchsvoraussetzung fehlt und deshalb nicht die Höhe, sondern der Bestand des Anspruchs in Frage gestellt ist (RG 137, 20, 23; 139, 349; R G J W 1935, 3533®; 1936, 1434 6 ; R G H R R 1935 Nr. 1589; B G H 4, 10, 14). Vor dem E r l a ß eines G r u n d u r t e i l s nach § 304 ZPO muß mindestens festgestellt werden, daß durch die anderweite Ersatzmöglichkeit der Schaden nicht in voller Höhe ausgeglichen wird (RG 156, 82, 87; B G H 4, 10, 15). A n m . 96 Für die Frage, ob eine Ersatzmöglichkeit im Sinne von Abs. 1 Satz 2 überhaupt besteht, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Klageerhebung m a ß g e b e n d (RG 100, 128; R G H R R 1934 Nr. 1672; 1935 Nr. 1455). Darauf, daß sich für den Geschädigten nach Klageerhebung die Möglichkeit anderweiter Ersatzerlangung ergeben habe, kann sich der Beklagte nicht berufen; anderenfalls könnte dieser wiederholt das Vorhandensein derartiger im Laufe des Rechtsstreits eingetretener Möglichkeiten behaupten und den Rechtsstreit dadurch immer wieder verzögern (RG 100, 128, 129). Besteht die Ersatzmöglichkeit im Zeitpunkt der Klageerhebung, dann ist der Ersatzanspruch aus fahrlässiger Amtspflichtverletzung auch dann ausgeschlossen, wenn dem Geschädigten nicht als Verschulden anzurechnen ist, daß er sie nicht erkannt und von ihr nicht Gebrauch gemacht hat. Es kommt mithin insoweit lediglich auf die objektive
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Unerlaubte Handlungen
§839
Anm. 97 Rechtslage im Zeitpunkt der Klageerhebung an ( R G D R 1939, 169 12 ; B G H 11. 3. 1954 I I I Z R 284/52 und 8. 11. 1956 III Z R 88/55). War eine Ersatzmöglichkeit vorhanden, so kann sich der Verletzte nach dem Grundsatz des § 254 Abs. 2 auf ihr Fehlen im Zeitpunkt der Klageerhebung nur berufen, wenn ihn selbst an dem Wegfall der Ersatzmöglichkeit keine Schuld trifft. Er genügt daher seiner Beweispflicht nicht schon, wenn er die jetzige Unmöglichkeit eines anderweiten Ersatzes dartut; er muß a u c h
nachweisen, daß er eine früher vorhandene Ersatzmöglichkeit nicht schuldhaft versäumt habe (RG 86, 286; 139, 349; 145, 56, 69; 161, 109, 117; R G J W 1930,
13046; R G WarnRspr 1934 Nr. 121; 1937 Nr. 69; R G H R R 1932 Nr. 943; 1933 Nr. 653 und 1321; B G H L M §839 [Fi] Nr. 5; B G H VersR 1958, 886). Auch die schuldhafte Versäumung einer nur tatsächlichen Möglichkeit des Schadensersatzes schließt den Amtshaftungsanspruch aus ( R G 158, 277). War eine anderweite Ersatzmöglichkeit zur Zeit der Klageerhebung zwar gegeben, jedoch von dem Geschädigten schuldlos nicht erkannt worden, dann schließt das den Schadensersatzanspruch nicht aus, wenn die Ersatzmöglichkeit im Laufe des Rechtsstreits wieder fortgefallen ist und auch hieran den Geschädigten kein Verschulden trifft. Die V e r s ä u m u n g einer Ersatzmöglichkeit ist n u r d a n n s c h u l d h a f t , wenn der Geschädigte von einer ihm nach den Umständen des Falles zumutbaren Möglichkeit, seinen Schaden an anderer Stelle zu decken, keinen Gebrauch gemacht hat ( B G H L M §839 [Fi] Nr. 5; B G H VersR 1958, 373, 375). Eine schuldhafte Säumnis liegt in der Regel vor, wenn der Geschädigte den Ersatzanspruch gegen den Dritten hat verjähren lassen ( R G 145, 56, 69). O b in der Gewährung einer Stundung an einen zum Ausgleich Verpflichteten ein Verschulden liegt, ist nach den Umständen des Falles zu beurteilen ( R G H R R 1933 Nr. 1748). Eine schuldhafte Versäumnis kann auch vorliegen, wenn der Verletzte aus eigenem Verschulden von der Ersatzmöglichkeit erst nach der Klageerhebung erfahren hat ( R G H R R 1934 Nr. 1672). Schuldhafte Versäumung einer Ersatzmöglichkeit setzt aber in jedem Falle Kenntnis von der Entstehung eines Schadens voraus; schuldhafte Unkenntnis hiervon ist dem nicht gleichzustellen ( R G 145, 258). Keine schuldhafte Säumnis, wenn der Ersatzberechtigte (Mündel) die vielleicht vorhandenen Schadensersatzansprüche gegen Vormund und Gegenvormund mangels eines gesetzlichen Vertreters (Pflegers) bis zur Klageerhebung gegen den schuldigen Beamten oder den Staat nicht erheben konnte ( R G J W 1935, 35303). Ebenso keine schuldhafte Versäumung einer anderweiten Ersatzmöglichkeit, wenn der Verletzte es bei der — sachlich unrichtigen — Abweisung seiner K l a g e gegen den Dritten durch das erstinstanzliche Gericht hat bewenden lassen und er kein Rechtsmittel dagegen eingelegt, auch das Armenrecht für die Rechtsmittelinstanz nicht beantragt hat, sofern nicht ein klarer Verstoß gegen eindeutige Vorschriften bei der gerichtlichen Entscheidung ersichtlich war; s. R G 150, 323 (Urteil eines Amtsgerichts) und B G H L M § 35 R N o t O Nr. 1 (Urteil eines Landgerichts). In der Regel wird auch dann dem Verletzten kein Schuldvorwurf gemacht werden können, wenn er nach Verweigerung des Armenrechts durch ein Kollegialgericht für eine Klage gegen den Dritten den Anspruch gegen diesen nicht weiter verfolgt hat ( B G H VersR 1957, 612, 614). Ferner in der Regel kein Verschulden des Verletzten, wenn er von einem Offenbarungseidverfahren gegen den Erstverpflichteten abgesehen hat ( R G H R R 1937 Nr. 800). Wird eine vorhandene Ersatzmöglichkeit schuldhaft versäumt, dann geht damit ohne weiteres auch der Ersatzanspruch gegen den Beamten oder die hinter ihm stehende Körperschaft aus fahrlässiger Amtspflichtverletzung verloren; eine A b w ä g u n g d e s beiderseitigen V e r s c h u l d e n s findet n i c h t statt, § 254 Abs. 2 wird mithin insoweit durch §839 Abs. 1 Satz 2 ausgeschaltet ( R G 86, 289; 126, 87; R G J W 1937, 1307 4 ; R G WarnRspr 1937 Nr. 155).
Anm. 97 D e r V e r l e t z t e k a n n d e n i h m o b l i e g e n d e n B e w e i s , daß ein anderweiter Ersatz nicht zu erlangen sei, i m R e c h t s s t r e i t g e g e n d e n B e a m t e n o d e r d i e a n s e i n e r S t e l l e h a f t e n d e K ö r p e r s c h a f t f ü h r e n ; er braucht die als ersatzpflichtig in Betracht kommende Person nicht vorher zu verklagen ( R G 96, 168; 139, 343, 349; 165» 91. 105; B G H 4, 10, 46). Ein besonderes Verfahren gegen den Erstverpflichteten 96
Komm. z. B G B , n . Aufl. II. Bd. (Klcft/Haagel)
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§ 839 A n m . 98, 99
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
ist auch dann nicht notwendig, wenn im Verhältnis des Erstverpflichteten zu dem Geschädigten § 254 anzuwenden ist (RG 8. 12. 1936 III 67/36). Wenn der Geschädigte für das Nichtvorhandensein anderweiter Ersatzerlangung substantiierte Behauptungen aufgestellt und Beweis für deren Richtigkeit angetreten hat, dann muß das mit der Amtshaftungsklage befaßte Gericht die Beweise erheben und kann sich der Entscheidung über das Bestehen einer anderweiten Ersatzmöglichkeit nicht entziehen ( B G H L M § 839 [E] Nr. 6). Ist die Amtshaftungsklage mit der Klage gegen einen anderen Ersatzpflichtigen verbunden und ist die Frage der Ersatzpflicht dieses anderen noch nicht entscheidungsreif, dann kann die Amtshaftungsklage nicht im Hinblick auf die noch nicht geklärte andere Ersatzmöglichkeit durch Teilurteil abgewiesen werden (BGH VersR 1958, 451). Wenn der Geschädigte mit seiner Klage gegen einen möglicherweise ersatzpflichtigen Dritten wegen Beweisschwierigkeiten abgewiesen werden müßte, dann steht fest, daß er auf diese „andere Weise" Ersatz nicht erlangen kann (BGH VersR 1958, 886; 1959, 353). A n m . 98 Hat der Beamte (oder die hinter ihm stehende Körperschaft) den Geschädigten befriedigt, dann kommt für den R ü c k g r i f f g e g e n den in erster L i n i e E r s a t z p f l i c h t i g e n einmal ein Ersatzanspruch aus § 840 i. V . m. §§ 426 und 839 Abs. 1 Satz 2 oder ggf. die Möglichkeit, auf Grund einer Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gemäß § 255 gegen den Erstverpflichteten vorzugehen, in Betracht (vgl. R G 80, 252, 254 und auch B G H 13, 88, 105/6). VI. Abs. 2 A n m . 99 Die zweite Beschränkung der Haftung des Beamten aus der Verletzung von Amtspflichten betrifft den Spruchrichter, der sich bei dem Urteil in einer Rechtssache einer Amtspflichtverletzung schuldig macht. Alle richterliche Tätigkeit erfolgt „in Ausübung eines öffentlichen Amtes". Weder für die Eigenhaftung des Richters (die nur in Betracht kommen kann, wenn die Staatshaftung gemäß Art. 34 G G ausnahmsweise, z. B. gegenüber Ausländern bei nicht verbürgter Gegenseitigkeit, versagt, s. Anm. 10), noch für die Staatshaftung kommt es darauf an, ob der Richter staatsrechtliche Beamteneigenschaft genießt (s. Anm. 31). Ebensowenig ist entscheidend, ob er die Befähigung zum Richteramt besitzt und ob er auf Lebenszeit ernannt worden ist (BGH 10, 55, 58/59). Es gehören deshalb hierher a u c h die H a n d e l s r i c h t e r (§ 116 GVG), die S c h ö f f e n , die G e s c h w o r e n e n u n d die sonstigen n i c h t r i c h t e r l i c h e n B e i s i t z e r in der ordentlichen sowie in der Verwaltungs-, Sozial-, Arbeits- und Disziplinargerichtsbarkeit; s. R G JW 1924, 192 (Schöffen). Die früher hier vertretene gegenteilige Auffassung wird nicht aufrechterhalten. Der BGH hat, was bedenklich erscheinen mag, sogar die M i t g l i e d e r der S p r u c h k a m m e r n in der amerikanischen Besatzungszone hierher gerechnet (BGH 10, 55; B G H L M §839 [G] Nr. 4; dagegen D ü r i g NJW 1953, 1467) und ebenso die Mitglieder der in Berlin auf Grund des Entnazifizierungsabschlußgesetzes vom 14. 6. 1951 geschaffenen Spruchkammern (BGH27.4. '955 I V Z R 286/54). S c h i e d s g u t a c h t e r gehören n i c h t hierher (RGJW1933,217); e b e n s o w e n i g die S c h i e d s r i c h t e r (§§ 1025fr ZPO), weil sie auch im haftungsrechtlichen Sinne nicht Beamte sind (s. Anm. 31). Da aber die streitenden Parteien dem von ihnen durch Schiedsvertrag bestellten Schiedsrichter die Stellung eines ordentlichen Richters in ihrer Rechtssache geben, muß es als stillschweigende Vertragsbedingung, ohne die der Schiedsrichter den Auftrag nicht annehmen würde, angesehen werden, daß eine Haftung des Schiedsrichters für Fahrlässigkeit ebenso ausgeschlossen sein soll, wie sie beim ordentlichen Richter ausgeschlossen ist (RG 65, 175; R G J W 1927, 148416; B G H 15, 12). Als Gerichte können nur solche Behörden in Betracht kommen, die eine rechtsprechende Tätigkeit ausüben, deren Verfahren so geordnet ist, daß den betroffenen Personen rechtliches Gehör gewährt wird, und die selbständig und nicht Teil oder Organ einer Verwaltungsbehörde sind. Auch müssen, wie aus Art. 97 Abs. i GG folgt, die in dieser Behörde zur Rechtsprechung berufenen Personen bei ihrer rechtsprechenden 1500
Unerlaubte H a n d l u n g e n
§839 A n m . 100, 101
Tätigkeit u n a b h ä n g i g u n d n u r d e m Gesetz unterworfen sein ( B G H 27. 4. 1955 I V Z R 286/54; vgl. über die a n ein Gericht zu stellenden Mindestanforderungen auch BVerfG N J W 1955, 17 2 ). Entscheidungen von Behörden, die nicht Gerichte sind (Arbeitsämter, Finanzämter, Behörden der Sozialversicherung usw.), fallen auch d a n n nicht unter Abs. 2, wenn sie in einem den Vorschriften der Prozeßordnungen angenäherten Verfahren ergehen ( R G J W 1928, 2534 f ü r Mieteinigungsämter; B G H 10, 55> 57> O L G Schleswig N J W 1958, 2019 f ü r Beschwerdeausschüsse in Lastenausgleichssachen). Nicht Urteile in einer Rechtssache, sondern Verwaltungsentscheidungen sind (oder waren) deshalb die Entscheidungen des Reichskommissars f ü r die Ablösung der Reichsanleihen alten Besitzes u n d der Reichsschuldenverwaltung über die G e w ä h r u n g oder Nichtgewährung von Auslosungsrechten ( R G 138, 6), die Bestätigung eines Spruches eines Jägerehrengerichts d u r c h den Provinzjägermeister ( R G 156, 34, 41), die Strafverfügungen einer Preisüberwachungsstelle ( R G 162, 230), die polizeilichen Strafverfügungen ( R G W a r n R s p r 1930 N r . 159) sowie die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses einer kassenärztlichen Vereinigung ( R G D R 1939, 1084). A n m . 100 Nicht j e d e richterliche Entscheidung genießt das Privileg des Abs. 2, sondern n u r ein „ U r t e i l i n e i n e r R e c h t s s a c h e " . Das Reichsgericht hat dabei das „ U r t e i l " entscheidend i m rein prozeßtechnischen Sinne verstanden. Es h a t deshalb grundsätzlich allein diejenigen richterlichen Entscheidungen als Urteile erachtet, die auf G r u n d vorgeschriebener mündlicher V e r h a n d l u n g ergehen u n d ein Rechtsverfahren ganz oder teilweise zur Erledigung bringen (Endurteile, Teilurteile, Zwischenurteile, aber auch Versäumnis- u n d Anerkenntnis-Urteile) u n d regelmäßig sich selbst mit d e m die Erledigung ausdrückenden N a m e n „ U r t e i l " bezeichnen ( R G 62, 367; 1 1 6 , 90; R G W a r n R s p r 1 9 1 4 Nr. 82; R G D R 1939, 1084; s. a u c h E n n e c c e r u s - L e h m a n n § 2 4 0 I I I 2). Einen Berichtigungsbeschluß n a c h § 3 1 9 Z P O hat das R G j e d o c h als einen Bestandteil des Urteils diesem gleichgeachtet ( R G 90, 228). Der B G H stellt demgegenüber n i c h t e n t s c h e i d e n d auf d i e f o r m a l e N a t u r d e r E n t s c h e i d u n g , sondern darauf ab, ob es sich u m eine richterliche Entscheidung handelt, die unter den f ü r ein Urteil wesentlichen Voraussetzungen, mithin auf G r u n d eines geregelten Verfahrens mit der Möglichkeit gehörigen rechtlichen Gehörs f ü r die Beteiligten ergeht u n d d u r c h die ein Prozeßverhältnis f ü r die Instanz — ganz oder teilweise — beendet wird. Der B G H h a t deshalb die Sprüche der S p r u c h k a m m e r n in der amerikanischen Besatzungszone ( B G H 10, 55, 60/61; B G H L M § 839 [G] Nr. 4) u n d in Berlin ( B G H 27. 4. 1955 I V Z R 286/54) s o w i e die Entscheidungen des Spruchrichters über die Kosten eines Rechtsstreits g e m ä ß § 9 1 a Z P O ( B G H 13, 142) als „Urteile in einer Rechtssache" angesehen. Hervorzuheben ist jedoch, d a ß auch n a c h der Rechtsprechung des B G H erforderlich ist, d a ß es sich u m Entscheidungen h a n d e l n m u ß , die ihrem Wesen n a c h Urteile sind ( u r t e i l s v e r t r e t e n d e E r k e n n t n i s s e ) u n d die ein „Prozeßverhältnis" f ü r die Instanz beendigt h a b e n ( B G H 13, 142, 144; B G H L M § 839 [G] Nr. 6). Bei Beachtung dieser Grundsätze wird die zu U n r e c h t als äußerlich u n d willkürlich bezeichnete Unterscheid u n g bei Arrest u n d einstweiliger V e r f ü g u n g d a n a c h , ob die Entscheidung d u r c h Beschluß oder Urteil ergeht (vgl. R G W a r n R s p r 1930 Nr. 159), sinnvoll; im ersten Fall liegt i m Gegensatz z u m zweiten eine die Instanz n a c h notwendiger A n h ö r u n g des Gegners abschließende .Entscheidung nicht vor (s. B G H 10, 60). Deshalb fallen auch Haftbefehle ( R G 62, 367; 89, 13), Entscheidungen des Zwangsvollstreckung«-, K o n kurs-, Vergleichs- u n d Vertragshilferichters ( B G H L M § 839 [Fi] Nr. 4 u n d § 839 [G] Nr. 6; B G H N J W 1959, 1085) sowie Entscheidungen in Verfahren vor den Erbgesundheitsgerichten wie ü b e r h a u p t Entscheidungen i m R a h m e n der freiwilligen Gerichtsbarkeit ( B G H N J W 1956, 1716), insbesondere aber auch alle lediglich prozeßleitenden V e r f ü g u n g e n nicht unter § 839 Abs. 2. A n m . 101 W e n n Abs. 2 erfordert, d a ß die Pflichtverletzung „ b e i d e m U r t e i l " begangen sein m u ß , d a n n scheiden d a m i t zwar alle bei der Leitung des Verfahrens v o r k o m m e n d e n Pflichtverletzungen aus. J e d o c h b r a u c h t die Pflichtverletzung nicht in d e m Urteil selbst 96»
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§ 839 A n m . 102, 103
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
zu liegen („bei" dem Urteil, nicht „durch" ein Urteil). Vielmehr gilt die Haftungsbeschränkung für die gesamte Tätigkeit, die darauf abzielt, eine Rechtssache durch ein Urteil zu entscheiden. Deshalb sind verfahrensrechtliche Verstöße eines Richters, die nur im Zusammenhang mit dem zu fällenden Urteil zu Eingriffen in die Rechtssphäre des Betroffenen zu führen vermögen, noch als Amtspflichtverletzungen „bei" einem Urteil anzusehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall später ein Urteil ergeht oder nicht (RG J W 1914, 85; R G H R R 1933 Nr. 651; B G H L M § 839 [G] Nr. 5). Abs. 2 findet daher auch bei unrichtiger Bezeichnung der Parteien oder ihrer Stellvertreter im Urteilskopf (RG SeuffArch 86 Nr. 179) und selbst dann Anwendung, wenn ein Richter seine Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) verletzt (RG H R R 1933 Nr. 651; BGH 4. 3. 1954 III ZR 324/52) oder wenn er streitige Behauptungen als unstreitig behandelt und erhebliche Beweisangebote übersehen hat (BGH LM § 839 [G] Nr. 5). A n m . 102 Die Voraussetzung, von der Abs. 2 Satz 1 die Ersatzpflicht des Spruchrichters abhängig macht, daß die Pflichtverletzung m i t einer i m Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist, erfordert eine Strafandrohung durch die allgemeinen Strafgesetze (§334 StGB: Richterbestechung; § 336 StGB: Rechtsbeugung, wobei zu beachten ist, daß diese Bestimmung auf Laienrichter nicht anwendbar ist; s. B G H S t 10, 294); den Gegensatz bildet die Dienststrafverfolgung (Disziplinarstrafe). Vorsätzlichkeit der Handlung genügt mithin allein nicht, die Ersatzpflicht des Beamten als Spruchrichters zu begründen. Die Bestimmung in Satz 2 des Abs. 2, daß die pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes von der Einschränkung der Haftung des Spruchrichters ausgeschlossen ist, soll etwa entstehende Zweifel beseitigen und besagt im übrigen etwas Selbstverständliches; denn die Verweigerung oder Verzögerung des Rechtspruches ist keine Spruchtätigkeit. Die Haftungsbeschränkung findet auf alle Pflichtverletzungen, die die Tatbestandsmerkmale des Abs. 2 erfüllen, Anwendung, auch auf solche, die schon nach den allgemeinen Bestimmungen als u. H. erscheinen würden. VII. Abs. 3 A n m . 103 Die dritte Einschränkung der Haftung des Beamten im Abs. 3 des § 839 behandelt einen besonderen Fall des mitwirkenden eigenen Verschuldens des Verletzten, dem das Gesetz die Wirkung beilegt, daß er dem Verletzten jeden Schadensersatzanspruch nimmt: den Fall, daß der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Abs. 3 bezieht sich auf alle Tatbestände des Abs. 1 wie des Abs. 2. R e c h t s m i t t e l i m S i n n e d i e s e r B e s t i m m u n g sind nicht nur die gegen Urteile der Spruchbehörden gegebenen Rechtsmittel im prozeßtechnischen Sinne (Berufung, Revision, Einspruch), sondern alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und nach gesetzlicher Ordnung ihre Beseitigung oder Berichtigung bezwecken und ermöglichen ( R G 138, 114, 116; 163, 121, 125; R G J W 1937, 12356; 1938, 102925; B G H LM § 839 [H] Nr. 3; B G H VersR 1959, 294, 296). Deshalb sind zu den Rechtsmitteln auch zu zählen: Beschwerde; Widerspruch gegen Arrestbefehle und einstweilige Verfügungen; die Nichtigkeits- und Restitutionsklage im Zivilprozeß; die Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozeß; der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 StPO ( B G H 1. 2. 1954 I I I ZR 371/52); der vom Geschädigten zu erwirkende Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuches (RG 138, 114; R G SeuffArch 85 Nr. 46); der Widerspruch gegen den Teilungsplan in der Zwangsversteigerung (RG 166, 255); der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegenüber einer polizeilichen Strafverfügung (RG WarnRspr 1930 Nr. 159); Einwendungen gegen Entscheidungen der Rechtspfleger in den ihnen zur selbständigen Erledigung übertragenen richterlichen Geschäften, z. B. gegen mangelhafte Eintragungen ins Handelsregister (RG 131, 12; R G J W 1928, 158631); Erinnerung an die Erledigung eines Grundbucheintragungsantrages (RG J W 1935,
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Unerlaubte Handlungen
§839 Anm. 104, 105
7724); verwaltungsrechtliche Rechtsmittel, insbesondere die verwaltungsgerichtliche Aufhebungsklage (BGH 9, 129, 134; OVG Hamburg MDR 1954, 567) und auch die Untätigkeitsklage des Verwaltungsgerichtsverfahrens (BGH 15, 305, 312); die Erinnerung nach § 7 6 6 ZPO (RG 1 5 0 , 3 2 8 ; RG J W 1 9 3 7 , 2 0 3 8 8 ) . Auch die einfache — mündlich oder schriftlich vorgebrachte — Dienstaufsichtsbeschwerde kann ein „Rechtmittel" sein, s. RG WarnRspr 1931 Nr. 2 und 1936 Nr. 6 (gegen Gerichtsvollzieher); R G WarnRspr 1927 Nr. 31 (in Grundbuchsachen); RG WarnRspr 1939 Nr. 61 (gegen Finanzbeamte); BGH 28, 1 0 4 (in Grundbuchsachen); ferner RG DR 1 9 4 1 , 1 4 5 8 1 3 ; BGH 10. 3 . 1 9 5 5 III ZR 1 8 8 / 5 3 . Eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist jedoch immer nur dann geboten, wenn die Annahme einer Amtspflichtverletzung dringlich nahe liegt (RG J W 1927, I4I2 8 ;BGH 28, 104, 106). DieNichteinlegung eines Rechtsmittels kann auch dann beachtlich sein, wenn es sich darum handelte, einen nichtigen Verwaltungsakt, der aber tatsächliche Wirkungen hatte, durch formelle Aufhebung aus der Welt zu schaffen ( B G H 14. 2. 1955 III Z R 262/53).
Immer aber m u ß das R e c h t s m i t t e l z u r A b w e n d u n g o d e r M i n d e r u n g des infolge der Amtshandlung oder Unterlassung entstehenden S c h a d e n s durch deren Beseitigung oder Berichtigung g e e i g n e t sein; es darf sich nicht etwa nur um die Möglichkeit eines Ersatzes des bereits entstandenen Schadens handeln. Sind derartige Möglichkeiten zur Wiedergutmachung des bereits entstandenen Schadens versäumt, dann kann dies nur unter dem Gesichtspunkt des § 254 gewürdigt werden, soweit nicht jede Haftung bereits nach Abs. 1 Satz 2 ausgeschlossen ist (RG 150, 323, 328 [insoweit gegen RG 126, 81, 87]; RG 157, 206; 163, 121, 125; RG J W 1934, 772®; 1935» 353° 3 ; R G WarnRspr 1 9 3 8 Nr. 1 2 1 ; RG DR 1 9 4 1 , 1 4 5 8 1 3 ; BGH LM § 8 3 9 [H] Nr. 3 ; BGH 20. 3 . 1 9 5 6 III ZR 1 8 3 / 5 4 ) . Nicht hierher gehört daher die Herbeiführung der Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch (RG H R R 1935 Nr. 1455; R G J W 1937, 2 2 2 6 ) oder der Antrag auf Erlaß eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung (RG H R R 1 9 3 4 Nr. 1 4 5 2 ) ; auch nicht ein mit Einlegung der Berufung gestellter Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (RG J W 1 9 3 7 , 2 0 3 8 8 ) . Es fallen daher vor allem Rechtsbehelfe, die der Verfolgung eines anderweiten Ersatzanspruches (Abs. 1 Satz 2) dienen, nicht unter die Rechtsmittel im Sinne des Abs. 3 (BGH 8. 11. 1 9 5 6 III ZR 8 8 / 5 5 ) . Wenn durch den unterlassenen Rechtsbehelf zwar die Beseitigung der schädigenden Amtshandlung, aber nicht die Abwendung des Schadens zu erreichen, hierfür vielmehr die Einleitung eines neuen selbständigen Verfahrens erforderlich ist, handelt es sich nicht mehr um den Gebrauch eines Rechtsmittels im Sinne des Abs. 3. Die Unterlassung eines solchen Schrittes kann vielmehr allenfalls nach § 254 gewürdigt werden (RG 1 6 3 , 1 2 1 , 1 2 5 ; R G J W 1 9 3 8 , 1 0 2 9 2 5 ; RG WarnRspr 1 9 3 4 Nr. 5 5 und 1938 Nr. 1 2 1 ; B G H
6. 1 2 . 1 9 5 1
III ZR
143/50).
Als „ G e b r a u c h eines R e c h t s m i t t e l s " genügt regelmäßig seine ordnungsmäßige Einlegung. Wird aber das Rechtsmittel nur „formell" eingelegt, also nicht um einen sachlichen Erfolg zu erzielen, und wird aus dem gleichen Grunde auch eine sachdienliche Begründung unterlassen, so kann nicht mehr vom Gebrauch eines Rechtsmittels zur Abwendung eines Schadens gesprochen werden (RG 138, 309, 311). Anm. 104 Die N i c h t e i n l e g u n g des Rechtsmittels m u ß f ü r d e n S c h a d e n ganz oder teilweise ursächlich g e w o r d e n sein (RG J W 1927, 24572; RG SeuffArch 85 Nr. 47). Im Rahmen der Prüfung, ob das versäumte Rechtsmittel den Schadenseintritt ganz oder teilweise verhindert haben würde, ist stets davon auszugehen, wie nach der Auffassung des mit der Amtshaftungsklage befaßten Gerichts bei richtiger Sachbehandlung über das Rechtsmittel hätte entschieden werden müssen, nicht davon, wie die zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene Stelle tatsächlich entschieden haben würde (BGH
2 2 . 9. 1 9 5 5 H I
ZR
289/54).
Anm. 105 Die Nichtausnutzung eines Rechtsmittels, das durch Beseitigung oder Berichtigung der pflichtwidrigen Amtshandlung oder Unterlassung den Schaden abgewendet haben würde, genügt für sich allein aber noch nicht, dem Verletzten den Anspruch aus § 839
1503
§ 839 A n m . 106
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
zu nehmen; es muß ein Verschulden, sei es auch nur ein leichtes (RG 131, 12, 16; R G DR 1941, 19996; B G H 1. 2. 1954 III ZR 371/52), wegen der Nichtanwendung des Rechtsmittels hinzukommen. Bei der Prüfung, ob der Verletzte das Gebrauchmachen von einem Rechtsmittel schuldhaft (§ 276) unterlassen hat, ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles auf die Verhältnisse des Verkehrskreises, dem der Verletzte angehört, mithin darauf abzustellen, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von Angehörigen dieses Kreises verlangt werden muß (RG JW 1936, 1891; B G H 30. 11. 1953 III ZR 234/52; 10. 3. 1955 III ZR 188/53). Ein Rechtsunkundiger darf sich zwar grundsätzlich auf richtige Rechtsanwendung durch Gerichte und Behörden verlassen; er bleibt jedoch verpflichtet, über ihm unverständliche Entscheidungen und Bescheide Rechtsrat einzuholen, wie überhaupt Rechtsunerfahrenheit den Verletzten nicht ohne weiteres entschuldigen kann (s. R G 166, 256; R G D R Z 1934 Nr. 322 und HRR 1934 Nr. 381). Ein Kaufmann hat grundsätzlich Mitteilungen des Registergerichts über Eintragungen im Handelsregister (auch ihre amtliche Veröffentlichung, s. R G SeufTArch 88 Nr. 9; R G JW 1938, 59330) auf Richtigkeit und Vollständigkeit hin nachzuprüfen (RG 131, 12; R G JW 1928, 158631; 1933, 2644®; R G HRR 1931 Nr. 501). Auch können Mitteilungen des Grundbuchamtes über Grundbuchvorgänge nicht ohne weiteres von den Beteiligten hingenommen, sondern müssen auf etwaige Fehler geprüft werden (RG 138, 114; R G JW 1932, 15492; 1936, 18915; R G WarnRspr 1931 Nr. 22; R G HRR 1934 Nr. 8 und 383; 1935 Nr. 785). S. ferner R G HRR 1934 Nr. 1113 (Prüfung eines Zuschlagsbeschlusses durch den Ersteigerer) und R G 166, 249 (Prüfung eines Teilungsplanes durch einen am Versteigerungsverfahren Beteiligten). Selbst das Ausbleiben einer Eintragungsnachricht, nachdem eine Eintragung im Grundbuch oder Handelsregister beantragt ist, kann nach den besonderen Umständen des Falles Anlaß zu einer Erinnerung abgeben (RG JW 1935, 7724; B G H NJW 1958, 1532). Ein in medizinischen Fragen unbewanderter, sich selbst krank fühlender Mensch handelt nicht schuldhaft, wenn er einen seine in Wirklichkeit nicht bestehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigenden amtsärztlichen Untersuchungsbefund zunächst als richtig hinnimmt (BGH VersR 1957, 82). Auch kann von dem einzelnen Bürger, selbst wenn er durch einen Anwalt vertreten ist, nicht erwartet werden, daß er nach erfolgloser Beschwerde an die zunächst vorgesetzte Dienststelle noch weiter bis an das Ministerium selbst Beschwerde führt ( B G H 10. 3. 1955 III ZR 188/53). Zu den Voraussetzungen, unter denen gegebenenfalls eine verwaltungsgerichtliche Untätigkeitsklage zu erheben ist, s. B G H 15, 305, 313. Die sich aus § 839 Abs. 3 ergebende Verpflichtung zur Schadensabwendung ist eine Verbindlichkeit, bei deren Erfüllung der Verletzte gemäß § 278 sich ein V e r s c h u l d e n seines g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r s und der Personen, deren er sich zur E r f ü l lung seiner V e r b i n d l i c h k e i t b e d i e n t (Anwalt), anrechnen lassen muß (RG 138, 114 für Verschulden eines Beamten, der durch ein Versehen des Grundbuchrichters geschädigten Körperschaft; R G WarnRspr 1931 Nr. 22; B G H 30. 11. 1953 III ZR 234/52 und 24. 1. 1955 III ZR 29/54). Eine A b w ä g u n g des Grades der V e r u r s a c h u n g und des b e i d e r s e i t i g e n V e r s c h u l d e n s gemäß § 254 Abs. 2 ist im Falle des Abs. 3 ebenso ausgeschlossen wie bei schuldhafter Versäumung einer anderweiten Ersatzmöglichkeit gemäß Abs. 1 Satz 2 (RG 126, 81, 87; 150, 323, 328; R G H R R 1 9 3 4 ^ . n i 3 ; R G D R 1941, 1999"; B G H NJW 1958, 1532, 1533). Soweit die Voraussetzungen des Abs. 3 nicht gegeben sind, bleibt immer noch die Anwendbarkeit des § 254 zu prüfen (RG 141, 357; 163, 121, 125; R G JW 1938, 102925; R G WarnRspr 1938 Nr. 121; R G HRR 1935 Nr. 1455; B G H NJW 1958, 1532, 1533). VIII. Mehrere Ersatzpflichtige; m e h r e r e Geschädigte A n m . 106 Ist der Schaden durch m e h r e r e verursacht worden, so ist zu unterscheiden: Haben ein Beamter (unter den Voraussetzungen des § 839) und ein N i c h t b e a m t e r den Schaden herbeigeführt, dann haften sie, wenn der Beamte vorsätzlich gehandelt hat, beide (ggf. an Stelle des Beamten die für ihn haftende Körperschaft) als Gesamtschuldner gemäß § 840 Abs. 1. Hat in diesem Falle der Beamte nur fahrlässig gehandelt, 1504
Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 107, 108
dann haftet im Blick auf § 839 Abs. 1 Satz 2, der § 840 Abs. 1 zugunsten des Beamten ausschaltet, der Nichtbeamte allein, und die Haftung des Beamten (oder der hinter ihm stehenden Körperschaft) tritt erst ein, wenn und soweit von dem Nichtbeamten Ersatz nicht zu erlangen ist (s. R G 1 5 1 , 385; s. auch Anm. 89). Dies gilt auch dann, wenn der Beamte grob und der Nichtbeamte nur leicht fahrlässig gehandelt hat, da insoweit eine Abwägung des Verschuldens der Beteiligten nicht stattfindet. Sind m e h r e r e B e a m t e aus der Verletzung einer Amtspflicht für denselben Schaden verantwortlich, dann kann der wegen Fahrlässigkeit Verantwortliche auf Grund des Abs. 1 Satz 2 seine Haftpflicht ablehnen, solange nicht der aus Vorsatz Verantwortliche herangezogen worden ist. Haben die mehreren Beamten sämtlich nur fahrlässig gehandelt, so kann angesichts des allseitigen Hilfscharakters der mehreren ohne Rangverhältnis nebeneinander bestehenden Ansprüche der eine nicht unter Berufung auf Abs. 1 Satz 2 die Verantwortung auf den anderen abwälzen. Hier versagt die Anwendung dieser Bestimmung und gilt § 840 Abs. 1. Dasselbe gilt, wenn der Staat und andere öffentliche Körperschaften für Amtspflichtverletzungen ihrer Beamten gemäß Art. 34 G G (Art. 1 3 1 WeimVerf.) nebeneinander oder neben anderen Beamten dem Geschädigten haften ( R G 5 1 , 258; 1 4 1 , 283; 165, 91, 105; 169, 3 1 7 , 320; R G WarnRspr 1916 Nr. 279; 1930 Nr. 190, R G J W 1936, 24g 3 ; B G H 2, 209, 2 1 8 ; 13, 88, 102; B G H VersR 1957, 201). So kann z.B. der Staat, der aus schuldhafter Amtspflichtverletzung des Grundbuchrichters in Anspruch genommen wird, den Geschädigten nicht auf eine gleichzeitige Haftung des Notars, und ebensowenig kann in diesem Falle der Notar den Verletzten auf die gleichzeitige Haftung des Staates verweisen ( R G 1 4 1 , 283). Die Anwendung dieser Grundsätze setzt aber in allen Fällen voraus, daß die Haftung der verschiedenen Beamten auf demselben Rechtsgrund einer Amtspflichtverletzung beruht ( R G 1 2 1 , 404; R G J W 1937, 1235 6 ). Es kann — ausnahmsweise (s. Anm. 89 a . E . ) — n e b e n die A m t s h a f t u n g auf Grund desselben Sachverhalts eine p e r s ö n l i c h e H a f t u n g des B e a m t e n aus anderem Rechtsgrund (Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1, Kfz-Halterhaftung nach § 7 S t r V G u. a.) treten, so daß in diesem Fall der Geschädigte den Beamten persönlich (als Tierhalter, Kfz-Halter u. a.) und daneben den Dienstherrn dieses Beamten nach Amtshaftungsgrundsätzen in Anspruch nehmen kann. Die A u s g l e i c h u n g z w i s c h e n m e h r e r e n ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n K ö r p e r s c h a f t e n , die für denselben durch Amtspflichtverletzungen ihrer Beamten verursachten Schaden einzustehen haben, richtet sich nach §§840, 426 ( B G H 9, 65). A n m . 107 Werden durch ein und dieselbe fahrlässige Amtspflichtverletzung m e h r e r e P e r sonen geschädigt, dann ist die Frage des Vorhandenseins und der Versäumung anderweiter Ersatzmöglichkeiten (s. Anm. 89 ff) für jeden gesondert zu prüfen. Der Beamte (Staat) kann dem einzelnen Geschädigten jedoch die Versäumung einer für alle Geschädigten vorhanden gewesenen Ersatzmöglichkeit, die nur seinen Schaden, nicht auch den der anderen gedeckt hätte, nicht mit der Folge entgegenhalten, daß der Ersatzanspruch in voller Höhe abzuweisen wäre; der Verlust muß vielmehr nach dem Verhältnis der anderweit vorhanden gewesenen Deckungsmittel zur Summe aller Ersatzansprüche begrenzt werden ( R G J W 1934, 2398). I X . Beweislast A n m . 108 Grundsätzlich hat der Gegner des Beamten (oder der an seiner Stelle haftenden Körperschaft) das V o r l i e g e n e i n e r s c h u l d h a f t e n A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g u n d eines d a d u r c h v e r u r s a c h t e n S c h a d e n s n a c h den a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e n z u b e w e i s e n . Es genügt jedoch im allgemeinen, daß ein Sachverhalt dargetan und im Streitfalle bewiesen wird, der nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Folgerung rechtfertigt, daß ein Beamter schuldhaft seine Amtspflicht verletzt hat ( R G Recht 1922 Nr. 4 3 3 ; B G H L M §839 [ J ] Nr. 1). Im Amtshaftungsprozeß sind auch die Grundsätze des sog. A n s c h e i n s b e w e i s e s in vollem Umfang anzuwenden ( R G H R R 1930Nr. 769; 1933 Nr. 1489; zum Anscheinsbeweis im allgemeinen B G H 2 , 1 u. a.).
1505
§ 839 A n m . 109, 110
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Wird der Schadensersatzanspruch aus der E n t s c h e i d u n g eines K o l l e g i u m s hergeleitet, so hat der Geschädigte bei persönlicher Inanspruchnahme eines Beamten nachzuweisen, daß dieser für die Entscheidung gestimmt hat, und bei Inanspruchnahme einer öffentlichen Körperschaft hat er, wenn diese nicht für alle Mitglieder des Kollegiums einzustehen hat, zu beweisen, daß das Kollegiumsmitglied (oder die -mitglieder), für das die in Anspruch genommene Körperschaft haften muß, die getroffene Entscheidung gebilligt habe (vgl. dazu R G 89, 13). Die Nennung der Einzelpersönlichkeit des oder der schuldigen Beamten ist im übrigen bei Amtshaftungsklagen gegen den Staat oder sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht erforderlich (RG 100, 102; ständ. Rspr.). Die Amtshaftung entfallt demgemäß auch nicht, wenn der schuldige Beamte nicht zu ermitteln ist; es genügt der Nachweis, daß irgend ein Beamter, für den die in Anspruch genommene Körperschaft einzustehen hat, sich einer Amtspflichtverletzung schuldig gemacht hat. Wird zunächst ein bestimmter Sachverhalt zur Darlegung einer Amtspflichtverletzung vorgetragen, später jedoch die Amtspflichtverletzung in einer anderen Handlung (oder Unterlassung) des Beamten erblickt, dann stellt das eine K l a g e ä n d e r u n g dar, die in der Revisionsinstanz nicht mehr zulässig ist (RG H R R 1930 Nr. 1155; B G H 14. 2. 1955 I I I Z R 155/53). A n m . 109 Zur Rechtswidrigkeit im besonderen ist darauf hinzuweisen, daß die Maßnahmen der Verwaltungsbehörden die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich haben, so daß der Betroffene die Unrechtmäßigkeit zu beweisen hat. Diese Vermutung gilt jedoch nicht, wenn die Behörde für ihr — durch die zunächst dafür gegebene Begründung nicht zu rechtfertigendes — Verhalten später eine andere Begründung nachschiebt; in diesem Fall hat sie die Richtigkeit der zur Rechtfertigung ihres Verhaltens nachträglich gegebenen Begründung zu beweisen (BGH 11. 7. 1957 III Z R 56/56: Der zunächst aus städtebaulichen Gründen durchgeführte und aus diesem Grunde nicht gerechtfertigte Abbruch einer Hausruine wurde später auf sicherheitspolizeiliche Gründe gestützt). — Erscheint das Verhalten eines Beamten seiner Art nach (Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, in die Freiheit oder in das Eigentum des Verletzten) bereits als gegenständlich widerrechtlich, dann hat der Beamte die besonderen Umstände, die sein Verhalten als gerechtfertigt erscheinen lassen können (zulässiger Waffengebrauch, Notwehr^ Notstand usw.), darzulegen und ggfs. zu beweisen (s. dazu § 823 Anm. 44 und im übrigen R G J W 1907, 138 20 unter Aufgabe der früheren gegenteiligen Rechtsprechung; R G WarnRspr 1926 Nr. 1 1 2 ; SeuffArch 81 Nr. 50; J W 1930, 34005; H R R 1936 Nr. 665; R G 159, 235, 240; B G H L M § 14 PrPVG Nr. 5). Wenn jedoch jemand bei einer strafbaren Handlung gestellt und dabei von einem Beamten durch einen Schuß oder sonstwie körperlich verletzt wird, dann spricht die Vermutung (Anscheinsbeweis) für die Rechtmäßigkeit der Verletzung, und der Verletzte hat diese Vermutung zu entkräften (vgl. dazu OLG Düsseldorf MDR 1957, 358). A n m . 110 Auch für das Verschulden des Beamten spricht die tatsächliche Vermutung nicht (RG 105, 421, 428; R G J W 1917, 931 9 ; 1922, 901). Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die M a ß n a h m e n eines Beamten auf s a c h l i c h e n E r w ä g u n g e n beruhen und daß er bei seinen Ermessensentscheidungen die G r e n z e n seines Ermessens nicht überschritten hat (BGH VersR 1956, 519, 520), doch wird auch die Annahme eines Verschuldens des verantwortlichen Beamten schon gerechtfertigt durch die Feststellung eines Zustandes, der erfahrungsgemäß nur auf Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt zurückzuführen ist (RG DR 1941, 58 14 ). Bei objektiv rechtswidrigen Eingriffen der Behörde in Eigentum, Freiheit und sonstige Rechtsgüter von Privatpersonen liegt die Annahme eines Verschuldens der verantwortlichen Beamten nahe und eine Schuldverneinung bedarf einer nach jeder Richtung einwandfreien Begründung (RG J W 1932, 3767'; B G H L M § 14 PrPVG Nr. 5). Mit der grundsätzlichen Beweislastregelung steht nicht in Widerspruch, daß der Beamte sich entlasten muß, wenn es sich um den Verlust von Geld oder anderer dem Beamten
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Unerlaubte Handlungen
§839
Anm. 111, 112
zur amtlichen Verwahrung übergebener oder sonst in seine Obhut gelangter Sachen handelt; insoweit ist § 282 entsprechend anzuwenden (RG 74, 342; 120, 67; 137, 153: bei Abhandenkommen von Pfandsachen, die der Gerichtsvollzieher im Gewahrsam des Schuldners belassen hat, ist Verschulden des Gerichtsvollziehers zu beweisen). Ebenso ist bei Verlust amtlich aufbewahrter Akten und Urkunden grundsätzlich von einem Verschulden der für die Aufbewahrung verantwortlichen Beamten auszugehen (BGH 16. 12. 1954 III ZR 96/53). Die in § 18 StrVG aufgestellte V e r m u t u n g e i n e s V e r s c h u l d e n s des K r a f t f a h r e r s behält seine Bedeutung auch für den aus Amtspflichtverletzung des beamteten Kraftfahrers gegen diesen (oder die an seiner Stelle haftende Körperschaft) hergeleiteten Anspruch (RG J W 1931, 3317 8 ). Das gleiche gilt bei einem Anspruch gegen den beamteten T i e r h a l t e r für die Schuldvermutung gemäß § 833 Satz 2. M i t w i r k e n d e s V e r s c h u l d e n (§ 254) hat der Beamte (oder die für ihn eintretende Körperschaft) nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen. |$ j Hat ein Beamter im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit eine Privatperson zur Durchführung bestimmter Verrichtungen bestellt (vgl. Anm. 37) und fügt diese Privatperson in Ausführung der Verrichtung einem Dritten Schaden zu, so muß für die Haftung aus § 839 die in § 831 g e t r o f f e n e B e w e i s l a s t r e g e l u n g in gleicher Weise gelten. Anm. 1 1 1 Zum Nachweis des Ursachenzusammenhangs: Der Verletzte braucht dann, wenn eine Amtspflichtverletzung gegeben ist und auch eine zeitlich nachfolgende Schädigung des Verletzten, die mit dem Schaden in ursächlichem Zusammenhang stehen kann, feststeht, im allgemeinen nicht den ursächlichen Zusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und Schädigung nachzuweisen; vielmehr ist es dann Sache des Gegners, nachzuweisen, daß der Schaden nicht auf die Amtspflichtverletzung des Beamten zurückzuführen ist (RG HRR 1934 Nr. 255). Insbesondere ist bei Verletzung der Aufsichtspflicht etwa des Vormundschaftsrichters gegenüber Vormund und Beistand, des Nachlaßrichters gegenüber dem Nachlaßpfleger, des Konkursrichters gegenüber dem Konkursverwalter usw. anzunehmen, daß dann, wenn eine gehörige Beaufsichtigung an sich geeignet war, den — etwa durch Veruntreuungen des zu Beaufsichtigenden entstandenen — Schaden zu verhüten, der Schaden auch tatsächlich auf der Pflichtverletzung beruht, solange nicht der Aufsichtspflichtige (oder die für ihn haftende Körperschaft) das Gegenteil nachweist; es ist davon auszugehen, daß das Bewußtsein des zu Beaufsichtigenden, vom Gericht streng beaufsichtigt zu sein, geeignet ist, Veruntreuungen zu verhüten (RG J W 1916, 1116; R G WarnRspr 1936 Nr. 157; R G 154, 291, 297). Im übrigen ist anerkannt, daß nicht nur die Frage der Höhe des Schadens, sondern auch die des ursächlichen Zusammenhangs zwischen unerlaubter Handlung (einschließlich Amtspflichtverletzung) und dem eingetretenen Schaden der richerlichen Würdigung nach § 287 ZPO unterliegt (BGH 7, 287, 295; BGH 16. 6. 1952 III ZR 172/51). Demgemäß ist auch die Frage, welche tatsächliche Lage bei pflichtgemäßem Verhalten des Beamten eingetreten wäre, nach §287 ZPO zu beurteilen (RG J W 1937, 2466; BGH VersR 1958, 782). Anm. 112 Abs. 1 Satz 2 : Da bei Ansprüchen aus fahrlässiger Amtspflichtverletzung das Nichtvorhandensein anderweiter Ersatzmöglichkeiten eine zur Klagebegründung gehörende Anspruchsvoraussetzung ist, hat der Verletzte das Vorliegen dieser Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs zu beweisen (vgl. dazu im einzelnen Anm. 95,97). Im Falle des Abs. 2 hat der Verletzte die Voraussetzungen der Ersatzpflicht des Spruchrichters zu beweisen (vgl. R G 164, 15, 20). Im Falle des rechtsvernichtenden Tatbestandes des Abs. 3 (Sonderfall des § 254) hat der Beamte (oder die an seiner Stelle in Anspruch genommene Körperschaft) zu beweisen, daß die Unterlassung der Einlegung eines Rechtsmittels für den Schaden ursächlich gewesen ist und den Verletzten an dieser Unterlassung ein Verschulden trifft ( R G H R R 1935 N r . 7 3 1 ; R G 168, 143, 1 7 2 ; B G H 10. 3. 1955 I I I Z R 188/53).
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§ 839 A n m . 113
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
X . Verhältnis zu anderen Bestimmungen A n m . 113 Zum Verhältnis von §839 zu §§ 823fr s. oben Anm. 1. Die §§8420", vor allem §§ 844, 845, 847 gelten auch für die Haftung aus Amtspflichtverletzung (RG 94, 102; 126, 253; R G J W 1930, 1582; s. auch B G H 18, 286). In §§ 1697 und 1848 sind Sonderbestimmungen für die Haftung des Vormundschaftsrichters gegeben. Für Pflichtverletzungen von Beamten bei Führung der Amtsvormundschaft hat die an Stelle des Beamten haftende Körperschaft (Gemeinde, Kreis) nicht nur nach § 839 (i. V . m. Art. 34 GG), sondern auch nach § 1833 einzustehen ( B G H 9, 255). Ansprüche aus G e f ä h r d u n g s h a f t u n g , insbesondere aus § 7 StrVG, werden durch §839 nicht ausgeschlossen (s. Anm. 1 ) ; soweit der Beamte persönlich oder die hinter ihm stehende Körperschaft als K f z - H a l t er in Anspruch genommen werden, ist mithin eine Berufung auf die Haftungsbeschränkung nach § 839 Abs. 1 Satz 2 versagt (vgl. Anm. 89). Andererseits unterliegen Ersatzansprüche (einschließlich Schmerzensgeldansprüche) eines bei einem Zusammenstoß zweier Kraftfahrzeuge geschädigten Halters auch insoweit der Ausgleichung nach § 17 StrVG, als sie auf Amtspflichtverletzung gestützt werden ( B G H 26, 69). Die Ansprüche der durch einen A r b e i t s u n f a l l verletzten RVO-Versicherten und ihrer Hinterbliebenen haben in § 898 R V O und diejenigen der durch einen D i e n s t u n f a l l verletzten Beamten und ihrer Hinterbliebenen in §§ 124 DBG, 151 BBG, 81 B R R G eine Sonderregelung erfahren (zu § 124 DBG s. R G D R 1942, 1365; zu §898 R V O s. R G 167, 385). Dabei ist jedoch jetzt das in B G H 6, 3 nicht erwähnte Gesetz über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. 12. 1943 (RGBl I, 674) zu beachten, das für den Fall, daß der Dienstoder Arbeitsunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist, die sonst bestehende Haftungsbeschränkung erheblich lockert. Zum Begriff der „Teilnahme am allgemeinen Verkehr" s. B G H 8, 330, 336fr; 17, 65; 19, 114, n 8 f ; B G H L M Dienstund ArbeitsunfallG Nr. 3, 5, 6, 9; BAG NJW 1956, 1 7 7 1 ; BayObLGZ 5, 346. Zum Begriff der „öffentlichen Verwaltung" im Sinne der §§ 1, 4 des Gesetzes s. B G H 17, 65; B G H L M Dienst- und A r b e i t s u n f a l l Nr. 7; BayObLGZ 5, 346. An die im Verfahren nach der R V O ergehenden Entscheidungen sind die Zivilgerichte im Rahmen der §§901, 1543 R V O gebunden. Uber den Begriff der „Entscheidung" i. S. dieser Vorschriften s. B G H VersR 1957, 320. Ansprüche aus ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e r V e r w a h r u n g werden durch § 839 nicht ausgeschlossen (RG 166, 218, 223; B G H L M § 688 Nr. 2 und 6), auch nicht Ansprüche aus schuldhafter V e r l e t z u n g e i n e r (etwa durch zwangsweise Anstaltsunterbringung begründeten) b e s o n d e r e n F ü r s o r g e p f l i c h t (RG D R 1943, 854 Nr. 6; B G H 4, 138; vgl. aber auch B G H 21, 214 und L M § 839 [Fe] Nr. 5). Die Bestimmungen der §§ 36 DBG, 79 BBG, 48 B R R G über die b e a m t e n r e c h t l i c h e F ü r s o r g e p f l i c h t bilden keine Rechtsgrundlage für einen neben dem Amtshaftungsanspruch bestehenden besonderen Schadensersatzanspruch; jedoch kann die Verletzung der Fürsorgepflicht eine Amtspflichtverletzung darstellen (so B G H 29, 3 1 0 ; anders noch B G H 7, 69; !0) 303, 306; 14, 122, 136/7). Ansprüche aus e n t e i g n u n g s g l e i c h e m E i n g r i f f u n d A u f o p f e r u n g stehen selbständig neben denen aus §839 (BGH 13, 88; aA für den Aufopferungsanspruch F o r s t h o f f Lehrbuch 7. Aufl. S. 313/4 und K r e f t D Ö V 1955, 517). Das gilt insbesondere auch von den Entschädigungsansprüchen, die auf Aufopferungsgrundsätze zurückgehen, aber eine positive gesetzliche Grundlage gefunden haben, z. B. nach § 26 des Reichsleistungsgesetzes, §§ 28 ff des Ges. betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 3. 6. 1900 (RGBl 306), §§66 ff des ViehseuchenG v. 20. 6. 1909 (RGBl 519), § 70 P r P V G ( B G H 14, 363) u. a. m. Das L a s t e n a u s g l e i c h s g e s e t z vom 14. 8. 1952 (BGBl I, 446) schließt zwar Ersatzansprüche aus Enteignung oder enteignungsgleichen Tatbeständen grundsätzlich aus, Ansprüche aus Amtspflichtverletzung hingegen im allgemeinen nicht ( B G H 8, 256, 264); eine Ausnahme ist jedoch zu machen, wenn es sich um den Tatbestand der „Vertreibung" (§§ 1 1 , 12 L A G ) handelt, der auch Amtshaftungsansprüche ausschließt ( B G H 22, 286). Durch das Gesetz über die Abgeltung von B e s a t z u n g s s c h ä d e n vom I. 12. 1955
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Unerlaubte Handlungen
§839
A n m . 114, 115 (BGBl I, 734) werden Amtshaftungsansprüche ebenfalls nicht ausgeschlossen ( B G H 10. 3. 1958 I I I Z R 185/56). Neben den Ansprüchen aus dem B u n d e s e n t s c h ä d i g u n g s g e s e t z idF vom 29. 6. 1956 (BGBl I, 559) sind — darüber hinausgehende — Amtshaftungsansprüche gegen Reich, Bund und Länder ausgeschlossen (§8 B E G ) . Soweit in B G H 1 1 , 198 (keine Amtshaftungsansprüche, soweit B E G Ansprüche gewährt) und B G H 12, 278 (Schmerzensgeldanspruch neben Ansprüchen aus B E G bestehen geblieben) für die Fassung des B E G vom 18. 9. 1953 (BGBl I, 1387) noch etwas anderes gesagt ist, kann diese Auffassung zumindest für die Fassung des B E G vom 29. 6. 1956 nicht mehr aufrecht erhalten werden (vgl. P a l a n d t Anm. 12 zu § 839 und P a g e n d a r m N J W R z W 1958, 41). Noch nicht entschieden hat der B G H die zweifelhafte Frage, ob Amtshaftungsansprüche aus Verfolgungsschäden gegen die tätig gewordenen Beamten persönlich geltend gemacht werden können (bejahend P a g e n d a r m aaO S. 1 2 1 ; vgl. auch Anm. 16). Wegen der sich im übrigen aus den Staatshaftungsgesetzen und sonstigen Sonderbestimmungen ergebenden Haftungsausschlüsse und -beschränkungen s. Anm. 9 — 1 1 . X I . Zulässigkeit des R e c h t s w e g s ; N a c h p r ü f barkeit von Verwaltungsakten A n m . 114 Nicht nur dann, wenn der Beamte persönlich aus § 839, sondern auch dann, wenn die an seiner Stelle haftende öffentlich-rechtliche Körperschaft auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch genommen wird und es sich mithin um die Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs handelt ( B G H 11, 198, 200; 12, 278, 282), ist die Zuständigkeit der ordentlichen (Zivil-)Gerichte begründet. Dies war bereits für den vor der Weimarer Verfassung bestehenden Rechtszustand anerkannt ( R G 87, 1 1 4 , 119; 92, 240 und 304; 99, 254; 105, 196; R G J W 1923, 174 3 ). In Art. 1 3 1 WeimVerf und Art. 34 G G ist die Z u s t ä n d i g k e i t d e r o r d e n t l i c h e n ( Z i v i l - ) G e r i c h t e durch die Bestimmung, daß der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden dürfe, v e r f a s s u n g s m ä ß i g v e r a n k e r t . Dies gilt nicht nur für den Schadensersatzanspruch, sondern auch für den Rückgriff gegen den schuldigen Beamten und ferner auch für die Ausgleichsansprüche zwischen mehreren öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die für denselben auf Amtspflichtverletzung beruhenden Schaden haften, mag auch in Art. 34 Satz 3 G G ausdrücklich nur von dem Schadensersatzanspruch und dem Rückgriff die Rede sein ( B G H g, 65). Wegen des Rückgriffsanspruchs im besonderen vgl. Anm. 30. Der Vorschrift des Art. 34 Satz 3 G G stehen landesrechtliche Bestimmungen, daß vor Erhebung der Amtshaftungsklage zunächst ein V e r w a l t u n g s ( A b h i l f e - ) V e r f a h r e n durchzuführen sei (vgl. Art. 2 B a y A G Z P O und K O i. V . m. §§ 8 ff der V O v. 8. 8. 1950 — B a y G V B l S. 1 1 5 ) , nicht entgegen, da durch ein derartiges Verwaltungsverfahren der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht ausgeschlossen wird. Im Gebiet der D D R gibt es keine Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen seiner Amtsträger; wenn auch § 839 formell noch gilt, so ist er doch mangels Zulässigkeit des Rechtsweges für Amtshaftungsklagen praktisch gegenstandslos geworden ( O G Neue Justiz 1954, 573 und S c h r e i e r , Neue Justiz 1958, 195 = D R i Z i958> 179)Schadensersatzansprüche können aus Amtspflichtverletzungen jeglicher Art ohne Rücksicht auf die Natur des Rechtsverhältnisses, auf das die Amtspflichtverletzung sich bezieht, hergeleitet werden. Dementsprechend steht den Zivilgerichten die Entscheidungsgewalt im Bereich des Art. 34 G G auch •— und gerade — dann zu, wenn die Amtspflicht im Rahmen der Ausübung eines öffentlichen Amtes ( = öffentlicher Gewalt) bei Betätigung eines staatlichen Hoheitsrechts begangen sein soll, mag der in Betracht kommende Hoheitsakt auch mehr oder weniger politischen Charakter tragen ( R G 103, 429; 106, 34; 154, 144). A n m . 115 Zur Annahme der Zulässigkeit des Rechtsweges genügt es aber nicht, daß der Kläger seinen Anspruch im äußeren Gewände eines Schadensersatzanspruches aus Amtspflichtverletzurg geltend macht, indem er den Sachverhalt unter § 839 i. V . m. Art. 34 G G (Art. 1 3 1 WeimVerf) stellt und sich zur Klagebegründung auf diese Bestimmungen
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§ 839 A n m . 115
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
stützt. E r f o r d e r l i c h ist vielmehr, daß die vom Kläger zur Begründung seiner Klage aufgestellten und als richtig unterstellten t a t s ä c h l i c h e n B e h a u p t u n g e n o b j e k t i v und ohne Rücksicht auf die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung g e e i g n e t s i n d , die A n n a h m e e i n e r von einem Beamten in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (öffentliche Gewalt) begangenen s c h u l d h a f t e n A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g zu r e c h t f e r t i g e n , und so wenigstens die Möglichkeit einer Haftung des Staates oder einer sonstigen öffentlichen Körperschaft hinreichend deutlich erkennen lassen (RG 140, 84; 144, 253; 145 S. 137 und S. 369, 374; 146, 257; 154 S. 144, 152 und S. 167, 1 8 1 ; 157, 197; 164, 15, 25; 165, 323, 329; 170, 54, 57; R G J W 1938, 1662 1 ® und 2763 41 ; R G D R 1940, 1629 9 ; 1941, 1296»; OGH 1, 272; B G H 9, 65, 66; 13, 145, 152; 15, 185; 21, 359). Der R e c h t s w e g zu den Zivilgerichten ist deshalb nicht nur dann u n z u l ä s s i g , w e n n mit der Klage die Aufhebung von Verwaltungsakten oder die Vornahme oder Unterlassung von Amtshandlungen verlangt wird (RG 93, 255; R G J W 1928, 2705 2 ; B G H 12, 52, 69; 14, 222; B G H L M § 549 ZPO Nr. 29; s. auch Anm. 51), sondern auch dann, wenn eine formell auf § 839 und Art. 34 G G gestützte A m t s h a f t u n g s k l a g e nur dem Z w e c k d i e n e n s o l l , im R e c h t s w e g n i c h t v e r f o l g b a r e A n s p r ü c h e d u r c h z u s e t z e n oder lediglich die (zivil-)gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit von öffentlich-rechtlichen Anordnungen der Verwaltungsbehörde herbeizuführen (RG 143, 84; 146, 369; 159, 247; 162, 230; 168, 143, 163; R G D R 1943, 193 8 ; O G H 2, 58, 62; B G H 4, 77, 84; 24, 302, 305). Deshalb ist eine Klage unzulässig, wenn der Kläger im äußeren Gewand einer Amtshaftungsklage in Wirklichkeit einen vermeintlichen Anspruch auf Übertragung eines öffentlichen Amtes oder auf Beförderung (RG 104, 2 5 1 ; 110, 265; 145, 137; 146, 369; 159, 247; R G WarnRspr 1921 Nr. 106; 1933 Nr. 4 1 ; B G H 21, 256) oder auf Erstattung von Steuern (RG 140, 84; 146, 257; R G H R R 1934 Nr. 955; B G H 26.5. 1955 III Z R 269/53) oder auf Erstattung von durch ungerechtfertigte Steueransprüche verursachten (Anwalts-) Kosten (RG J W 1938, 1662 19 ) oder wegen Nichterfüllung von Zusagen der Steuerbehörde (RG J W 1937, 230629) durchsetzen will. Anders jedoch, wenn in dem Rechtsstreit nicht der Staatshoheitsakt der Anstellung oder Beförderung eines Beamten als solcher in Rede steht, sondern wenn es wirklich um die Verletzung von Amtspflichten geht, die im Rahmen der Einstellungs- oder Beförderungsmaßnahmen Dritten gegenüber bestanden (s. dazu Anm. 41 sowie B G H 21, 256). Ebenso ist die Klage zulässig, wenn nicht die Frage der Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu einer Steuer als solche im Streit steht, sondern außerhalb des rein steuerrechtlichen Tatbestandes die Verletzung von Amtspflichten, die dem Steuerbeamten Dritten gegenüber obliegen, zur Grundlage der Klage gemacht wird (RG i n , 64; 157, 197; R G J W 1937, 1548 8 ; R G D R 1939, 1326 3 0 ; 1940, 1629 9 ; B G H 21, 359: Amtspflicht des Finanzamtsvorstehers, die für die Rechtsmitteleinlegung geltenden Verfahrensvorschriften zu beachten). Der Rechtsweg ist zur Geltendmachung eines Steuererstattungsanspruchs aber auch dann verschlossen, wenn nicht das Bestehen eines solchen Anspruchs, sondern die Frage streitig ist, ob der Kläger durch Abtretung wirksam Gläubiger geworden ist ( R G J W 1936, 2712 1 2 ). Das Reichsgericht hat danach im e i n z e l n e n auch den Rechtsweg für unzulässig erklärt, wenn auf dem Umweg über die Amtshaftungsbestimmungen in Wirklichkeit die Rechtmäßigkeit von Entschädigungsfestsetzungen durch das Reichsentschädigungsamt (RG 143, 84), von Polizeiverordnungen (RG 144, 253), von Verwaltungsakten des Reichskommissars für Milchwirtschaft und der von ihm beauftragten Organe der Milchwirtschaftsverbände (RG 145, 369), von Anordnungen einer Verwaltungsstelle, die den Verkauf vom Erzeuger an den Verbraucher unter gewissen Voraussetzungen verboten hatten (RG 162, 230) oder von behördlichen Maßnahmen auf Grund des Reichsleistungsgesetzes (RG D R 1943, 193 8 = WarnRspr 1943, 27; vgl.dazu OGH 2,58) nachgeprüft werden sollten. Ebenso ist der Rechtsweg unzulässig, wenn mit einer als Amtshaftungsklage aufgezogenen Klage in Wirklichkeit die richterliche Nachprüfung der Festsetzung einer Requisitionsentschädigung durch die Festsetzungsbehörde ( B G H 13, 145, 152), der Verteilung öffentlicher Mittel zur Bewältigung öffentlicher Aufgaben zwischen verschiedenen öffentlichen Körperschaften ( B G H 24, 302) oder gar die Nachprüfung kirchlicher Interna (d. h. Maßnahmen kirchlicher Stellen, die vom Wesen der Kirche, ihrem Auftrag, ihrer Lehre gefordert werden) herbeigeführt werden soll ( B G H 22, 383).
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Unerlaubte Handlungen
§839 A n m . 116
A n m . 116 Eine andere Frage als die der Zulässigkeit des Rechtsweges und von ihr scharf zu scheiden ist die sachlich-rechtliche F r a g e , i n w e l c h e m U m f a n g das mit der Amtshaftungsklage befaßte Zivilgericht M a ß n a h m e n d e r V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n , i n s b e s o n d e r e V e r w a l t u n g s a k t e auf ihre Rechtswirksamkeit und Rechtmäßigkeit n a c h p r ü f e n kann. Da ein nichtiger Verwaltungsakt keine rechtliche Wirksamkeit hat und nicht beachtet zu werden braucht, ist es auch den Zivilgerichten nicht verwehrt, einem n i c h t i g e n V e r w a l t u n g s a k t die Anerkennung zu versagen und ihn als unverbindlich zu behandeln. Es ist jedoch zu beachten, daß die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nach dem dafür ausschließlich maßgeblichen materiellen Verwaltungsrecht nur bei ganz besonders schweren Mängeln angenommen werden kann, die die mangelnde Rechtswirksamkeit für jedermann, dem die Umstände des Einzelfalles bekannt sind, ohne weiteres erkennbar sein lassen (vgl. dazu im einzelnen J e l l i n e k Verwaltungsrecht 3. Aufl. S. 268ff; F o r s t h o f f , Lehrbuch, 7. Aufl. S. 203ff; S o e r g e l - S i e b e r t Einl. B V I ; O G H 4, 34; B G H 1, 146; 2, 366; 4, 10, 22 ff mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts; 4, 68, 7 1 ; 4, 302; 21, 294für Verwaltungsakt eines Kollegiums; B G H 24,386,391; B G H L M VerwRecht Allgemeines [Verwaltungsakt: Fehlerhaftigkeit] Nr. 12; BVerwGE 1,67; zur Frage der Nichtigkeit von Verwaltungsakten wegen „Willkür" s. auch oben Anm. 35). Einen nicht nichtigen, mithin r e c h t s w i r k s a m e n — wenn auch nicht rechtmäßigen und somit fehlerhaften und anfechtbaren — V e r w a l t u n g s a k t h a t der Z i v i l r i c h t e r a l s s o l c h e n h i n z u n e h m e n und bis zu seiner Aufhebung als rechtswirksam anzuerkennen (soweit ihm nicht ausnahmsweise auch die Entscheidung über Verwaltungsakte selbst zugewiesen ist, wie etwa durch Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG, §§ 32 ff des BaulBeschG v. 3. 8. 1953). Da es jedoch für die Frage des Vorliegens von Amtspflichtverletzungen entscheidend auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ohne Rücksicht auf seine Rechtswirksamkeit ankommt, ist der Zivilrichter nicht nur nicht gehindert, sondern sogar v e r p f l i c h t e t , i m R a h m e n d e r A m t s h a f t u n g s k l a g e j e d e n V e r w a l t u n g s a k t auf seine R e c h t m ä ß i g k e i t hin in v o l l e m U m f a n g n a c h z u p r ü f e n (vgl. B G H 2, 209, 214; 9, 129, 132; B G H L M § 14 PrPVG Nr. 5 und ständige Rechtspr.; B a c h o f SJZ 1949, 377, 389; T i e d a u M D R 1954, 269; J e s c h , Die Bindung des Zivilrichters an Verwaltungsakte 1956 S. 141 ff). Ist der Verwaltungsakt nicht rechtmäßig, d. h. ist er rechtswidrig, dann stellt sein Erlaß und seine Durchführung ebenso wie der Erlaß (und die Durchführung) eines nichtigen Verwaltungsaktes objektiv eine Amtspflichtverletzung dar. Dabei ist es gleichgültig, ob die mangelnde Rechtmäßigkeit in falscher Rechtsanwendung oder in fehlerhafter Ermessensausübung (s. dazu oben Anm. 35) ihren Grund hat. Bei der Prüfung der Rechtswirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes ist der Z i v i l r i c h t e r a n d i e E n t s c h e i d u n g , d i e e i n V e r w a l t u n g s g e r i c h t über diese Frage g e t r o f f e n h a t , im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung g e b u n d e n . Dies ergibt sich aus der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Verwaltungs- und der Zivilgerichtsbarkeit. Wenn ein Verwaltungsgericht auf Anfechungsklage hin einen Verwaltungsakt als nicht rechtmäßig oder gar nichtig aufgehoben hat, so bindet den Zivilrichter daher diese Entscheidung und er hat auch bei der Entscheidung über eine Amtshaftungsklage von der Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auszugehen; s. B G H 9, 329 (für den Geltungsbereich der BritMilRegVO 165); B G H 10, 220 (für den Geltungsbereich des für die amerikanische Besatzungszone einheitlichen Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 31. 10. 1946); B G H 10. 5. 1954 I I I Z R 7/53 (für Bremen); B G H 27. 6. 1957 I I I ZR 27/56 (für Württemberg-Hohenzollern); B G H 27. 6. 1957 I I I Z R 57/56 (fürRheinland-Pfalz). Die Beurteilung eines Verwaltungsaktes als rechtswidrig ist jedoch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Verwaltungsakt verwaltungsrechtlich nicht mehr anfechtbar ist ( B G H 16. 10. 1952 I I I Z R 180/50). Umgekehrt kommt auch einer rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, die nach sachlicher Prüfung die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bejaht (und deshalb aus sachlichen Gründen etwa die Anfechtungsklage abweist), eine den Zivilrichter insoweit bindende Wirkung zu ( B G H 15, 17, 19; B G H 8. 5. 1958 I I I Z R 3/57).
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§ 839 A n m . 117
§840
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Hervorzuheben ist jedoch, daß die B i n d u n g an die-verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sich nur auf die Entscheidung als solche, und n i c h t auf die G r ü n d e dieser Entscheidung bezieht. Der Zivilrichter kann daher die Prüfung, ob durch den — zwar vom Verwaltungsgericht bindend als rechtswidrig festgestellten —• Verwaltungsakt ein Schaden entstanden ist, ohne Rücksicht auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit hergeleitet hat, vornehmen ( B G H 20, 379). Insbesondere ist der Zivilrichter auch in der Prüfung der Verschuldensfrage frei und an die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsgründe nicht gebunden ( B G H L M Art. 14 GG Nr. 46 mit weiteren Nachweisen). V e r f ü g u n g e n und E n t s c h e i d u n g e n der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n außerhalb des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens äußern jedoch keine materiellen Rechtskraftwirkungen und binden den Zivilrichter in der Frage der Rechtswirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Akte n i c h t ( B G H 9, 129; B G H L M VerwRecht — Allgemeines [Folgenbeseitigungsanspruch] Nr. 1). XII. Sonstige p r o z e s s u a l e B e s t i m m u n g e n A n m . 117 Prozeßrechtlich ist im übrigen noch auf folgendes hinzuweisen: Der in § n Abs. 2 E G G V G enthaltene Vorbehalt für die Landesgesetzgebung, wonach die Verfolgung der Beamten (oder der an ihrer Stelle in Anspruch genommenen Körperschaften, s. R G 87, 114) von der Vorentscheidung einer besonderen Behörde darüber, ob der Beamte sich einer Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht habe, abhängig gemacht werden kann, ist durch die Bestimmungen des Art. 131 Abs. 1 Satz 3 WeimVerf, jetzt Art. 34 Satz 3 GG, daß für Amtshaftungsansprüche der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden dürfe, beseitigt worden (RG 106, 34). Die in § 147 DBG vorgesehene Sonderregelung ist niemals in Kraft getreten. In B a y e r n ist nach Art. 2 AGZPO und K O i. V. m. §§ 8ff der V O vom 8. August 1950 (BayGVBl S. 115) vor Erhebung der Amtshaftungsklage zunächst ein V e r w a l t u n g s - ( A b h i l f e - ) V e r f a h r e n d u r c h z u f ü h r e n (s. dazu Anm. 114). Nach § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG sind „für Ansprüche gegen Richter und Beamte wegen Überschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen" die L a n d g e r i c h t e ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes a u s s c h l i e ß l i c h z u s t ä n d i g . Diese Bestimmung gilt über ihren zu eng gefaßten Wortlaut hinaus für alle Ansprüche aus Amtspflichtverletzungen (RG 40, 202, 203; stand. Praxis des R G und des B G H ) , und zwar auch dann, wenn an Stelle des Beamten der Staat oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaft in Anspruch genommen wird. Wegen des R ü c k g r i f f s a n s p r u c h s gegen den Beamten s. Anm. 30. Die R e v i s i o n ist für die unter § 71 Abs. 2 G V G fallenden Streitigkeiten ohne Zulassung und ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 547 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubter Handlung und damit für Klagen aus Amtspflichtverletzung auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist ( W a h l g e r i c h t s s t a n d des Tatortes).
§ 840 Sind für den aus einer unerlaubten H a n d l u n g entstehenden Schaden m e h rere nebeneinander verantwortlich, s o h a f t e n sie vorbehaltlich der Vorschrift des § SJJ Abs. 3 als G e s a m t s c h u l d n e r . I s t neben demjenigen, w e l c h e r n a c h den § § 831, 823 z u m Ersätze d e s v o n e i n e m anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der andere f ü r den Schaden verantwortlich, so i s t in i h r e m Verhältnis zueinander der andere allein, i m Falle des § 829 der Aufsichtspflichtige allein verpflichtet. I s t n e b e n demjenigen, w e l c h e r n a c h den § § 833 bis 838 z u m Ersätze d e s Schadens verpflichtet ist, ein Dritter für den S c h a d e n verantwortlich, s o i s t in i h r e m Verhältnisse zueinander der Dritte allein verpflichtet. E I 713, 714, 736 A b s . 2 II 764; M 2 737. 738; P 2 606, 663.
1512
Unerlaubte Handlungen
§ 840
Anm. 1, 2
Ubersicht Aiim.
1. 2. 3. 4. 5.
Gesetzestext i Bedeutung und Anwendungsbereich 2, 3 Verantwortung mehrerer nebeneinander 4, 5 Haftung im Außenverhältnis 6, 7 Haftung im Innenverhältnis 8—10 a) Allgemeines 8 b) Rechtsnatur des Ausgleichungsanspruchs 9 c) Höhe des Ausgleichungsanspruchs 10 6. Anderweitige Bestimmung des Ausgleichungsanspruchs 11—15 a) Allgemeines 11 b) Anderweitige Bestimmung in Abs. 2 12 c) Anderweitige Bestimmung in Abs. 3 13—15 7. Ausgleichung nach Sonderbestimmungen 16—20 a) Allgemeines 16 b) Regelung im Straßenverkehrsgesetz 17 c) Regelung im Luftverkehrsgesetz 18 d) Sonstige Regelung, insbesondere Reichshaftpflichtgesetz, Sachschadenhaftpflichtgesetz 19, 20
Anm. 1 1 . G e s e t z e s t e x t . In § 840 Abs. 1 wurden die Worte vorbehaltlich der Vorschrift des § 835 Abs. 3 durch § 71 Abs. 2 Ziff. 1 des RJagdG vom 3. 7. 1934 gestrichen. Soweit diese Bestimmung durch Besatzungsanordnung wieder in Kraft gesetzt worden war — in Bayern, Bremen, Hessen, Württemberg-Baden — , wurde sie durch § 46 Abs. 2 Ziff. 1 des BJagdG vom 29. 11. 1952 (BGBl I, 780, 843) erneut gestrichen (vgl. §835 Anm. 1). Der Vorbehalt aus §835 Abs. 3 betraf den Fall, daß mehrere Grundstückseigentümer für einen Wildschaden nach dem Verhältnis der Größe ihrer Grundstücke ersatzpflichtig sind. Hier trat eine gesamtschuldnerische Haftung überhaupt nicht ein; vgl. § 4 4 RJagdG und §§ 29ff BJagdG; vgl. §840 Anm. 1, 11.
Anm. 2 2 . B e d e u t u n g u n d A n w e n d u n g s b e r e i c h . Die Bestimmung regelt den U m f a n g d e r H a f t u n g m e h r e r e r Ersatzpflichtiger, die für einen Schaden aus u. H. verantwortlich sind, einmal gegenüber dem Verletzten, Abs. 1, als auch untereinander, Abs. 1—3. Der Begriff der u. H. ist hier in demselben Sinne zu verstehen wie in der Uberschrift des 25. Titels. Er umfaßt also alle Haftung aus wirklichem und vermutetem Verschulden (§§830 Abs. 1 S. 2, 831, 832, 833 S. 2, 834, 836—838, § 18 S t V G ) , aus der Gefährdungshaftung nach BGB (§§ 833 S. 1 und früher § 835 und die an dessen Stelle getretenen Vorschriften, vgl. §835 Anm. 1, 11). Soweit mehrere Personen aus einer u. H. nebeneinander verantwortlich wären, wenn nicht ihre Verantwortlichkeit nach §§ 827, 828 ausgeschlossen wäre, haften sie, soweit ihre Ersatzpflicht aus § 829 begründet ist, als Gesamtschuldner nach § 840 Abs. 1; ebenso wenn einer von mehreren Ersatzpflichtigen nach § 829 haftet. Ferner gehören hierzu die u. H. im weiteren Sinne (vgl. Vorbem. § 823 Anm. 2, 3), insbesondere die Tatbestände des Reichshaftpflichtgesetzes, des Sachschadenhaftpflichtgesetzes, des Straßenverkehrsgesetzes und des Luftverkehrsgesetzes (HpflG: R G 61, 63; J W 1911, 220; WarnRspr 1912 Nr. 74; L u f t V G : R G 158, 34; Z P O § 945: R G WarnRspr 1930 Nr. 108; wegen des in dieser letztgenannten Entscheidung zugleich erwähnten Amtshaftungsanspruchs vgl. R G D R 1943, 1234). § 840 gilt auch für die jetzt in Art. 34 G G geregelte Verantwortlichkeit der öffentlichrechtlichen Körperschaften, für die d u r c h A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g ihrer Beamten entstandenen Schäden, sowohl gegenüber dem Geschädigten als auch im Verhältnis zueinander ( B G H 9, 65, 67). Beim privatrechtlichen A u f o p f e r u n g s a n s p r u c h kann der Einwirkende nur zu dem Anteil in Anspruch genommen werden, zu dem er zur Herbeiführung des Gesamtschadens mitgewirkt hat. Nur soweit mehrere Personen für ein und dieselbe Einwirkung verantwortlich sind, haften sie als Gesamtschuldner ( R G
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§ 840 A n m . 3, 4
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
167, 14, 39). Schädliche Einwirkung wegen Wasserentziehung durch ein Bergwerk ist keine u. H. (RG DR 1943, 707). § 840 wird durch Sonderbestimmungen des Wasserhaushaltgesetzes vom 27. 7. 1957 (BGBl I 1110) ausgeschlossen (§22). Anm. 3 Für die i n t e r n e A u s g l e i c h u n g s p f l i c h t — nicht für die Haftung gegenüber dem Geschädigten — gelten zum Teil Sondervorschriften, und zwar soweit mehrere Kraftfahrzeuge oder Kfz. und Eisenbahn oder Kfz. und ein Tier einen Schaden verursacht haben und der Kraftwagenhalter oder der Kraftwagenfahrer für diesen Schaden kraft Gesetzes verantwortlich sind (§17, 18 Abs. 3 StVG), ferner bei Verursachung von Sachschäden unter Beteiligung von Eisenbahn oder Straßenbahn (§8 SHpflG), ferner bei Schäden durch Elektrizitäts- oder Gasanlagen (§§ i a , 9 b HpflG) und endlich bei Schäden unter Beteiligung von Luftfahrzeugen (§ 41 LuftVG; vgl. R G 158, 34. 3 9 ;
v
gl- A n m . 16—20).
Anm 4 3. Verantwortlichkeit mehrerer nebeneinander. Mehrere sind nebeneinander verantwortlich bei gemeinschaftlicher Begehung einer vorsätzlichen u. H. als Mittäter (§ 830 Abs. 1 S. 2) oder als Anstifter oder Gehilfen (§ 830 Abs. 2) oder bei schuldhafter Beteiligung aus gemeinschaftlicher Gefährdung nach §830 Abs. 1 S. 2 (RG 69, 422); ferner wenn ein jeder selbständig aus denselben oder aus verschiedenen Rechtsgründen für den Schaden einzustehen hat (Nebentäter; R G WarnRspr 1930 Nr. 108: Anspruch gegen pfändenden Arrestgläubiger aus § 945 ZPO und Anspruch wegen nicht ordnungsgemäßer Verwahrung des Pfandgutes; B G H 17, 214, 221; NJW 1955, 1314; VI ZR 95/58 v. 16. 6. 1959; über die Regelung bei mitwirkendem Verschulden des Geschädigten vgl. Anm. 9). Es sind somit nebeneinander verantwortlich alle Personen, die aus Verschulden oder Gefährdungshaftung aus denselben oder verschiedenen Tatbeständen für d e n s e l b e n Schaden haften. Danach sind u. a. nebeneinander verantwortlich: mehrere nach §§ 823fr haftbare Personen (RG H R R 1929 Nr. 298: Eigentümer und Pächter einer Gastwirtschaft wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht; B G H 17, 214, 221), die nach §823 Verantwortlichen und die Aufsichtspflichtigen nach §§831, 832 (RG 97, 229), neben den nach § 833 Verantwortlichen die Aufsichtspflichtigen nach § 834 ( R G 60, 313), neben den nach §§836, 837 Ersatzpflichtigen der Verwalter nach §838; ferner •die nach § 823 Ersatzpflichtigen mit den aus §§ 836, 837 haftenden Personen oder mit den aus § 833, §§ 1, 1 a RHpflG, § 1 SHpflG, §§ 7, 18 StVG und § 19 LuftVG haftenden Personen ( R G DR 1943, 648 und B G H VersR 1958, 833: Fahrer eines Kraftwagens und Wagenunterhaltungspflichtiger); ferner mehrere Tierhalter (RG 60, 313; 67, 120); oder Tierhalter mit Kfz-Haltern ( B G H LM § 840 Nr. 5) oder mit Eisenbahnunternehmern ( R G J W 1915, 324) oder mit Haltern von Luftfahrzeugen ( R G 158, 34); mehrere Kfz.-Halter oderKfz.-Halter mit Eisenbahnunternehmern (RG 84, 415; B G H 11, 170) oder mit Haltern von Luftfahrzeugen; ferner mehrere Eisenbahnunternehmer bei Haftung aus § 1 HpflG (RG 93, 96; WarnRspr 1920 Nr. 194) oder aus § 1 SHpflG oder mehrere Eisenbahnunternehmer mit Haltern von Luftfahrzeugen; ferner mehrere aus Art. 34 GG haftende Körperschaften ( B G H 9, 65, 67). Wird der Insasse eines Behördenwagens auf einer Dienstfahrt verletzt und hat er gegen die öffentlich-rechtliche Körperschaft nur Ansprüche aus § 839, dann ist die öffentliche Körperschaft einem dritten Schädiger nicht ausgleichungspflichtig; sie haftet nur subsidiär, so daß zwischen ihr und dem dritten Schädiger kein Gesamtschuldverhältnis mit daraus entspringender Ausgleichungspflicht entstehen kann (RG DR 1943, 1234; vgl. B G H NJW 1959, 335; VersR 1959, 389); anders dagegen, wenn sie noch aus anderen Rechtsgründen haftet ( B G H 6, 3, 23; vgl. VI ZR 97/55 vom 22. 6. 1956, insoweit in NJW 1956, 1479 nicht abgedruckt). Beim Zusammenstoß von Schiffen wird außervertraglich nur a n t e i l i g für S a c h s c h a d e n an Schiffen und an den an Bord befindlichen Sachen — nicht für Beschädigung z. B. von Uferanlagen, Brücken usw. — gehaftet bei gemeinsamem Verschulden der Besatzungen der beteiligten Schiffe (§ 736 Abs. 1 HGB; vgl. Schlegelberger H G B § 736 R a n d n o t e 2 ; B G H V I Z R 95/58 v. 16. 6. 1959; I I Z R 3/58 v. 29. 6. 1959),
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A n m . 5—7
für Personenschaden gesamtschuldnerisch (§ 736 Abs. 2 S. 1 HGB); für BinnenschifFfahrt vgl. § 92 BinnSchG. Anm. 5 Es ist gleichgültig, ob einer der mehreren Haftpflichtigen z u g l e i c h aus einem Vertrag verantwortlich ist, wenn er auch aus u. H. haftet. Auf denjenigen, der nur aus einem Vertrag für einen Schaden verantwortlich ist, findet § 840 keine Anwendung. Jedoch kommt auch in diesem Falle eine Haftung als Gesamtschuldner in Frage, wenn infolge eines i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g s der Haftungsgründe ein echtes Gesamtschuldverhältnis vorliegt ( R G 84, 415, 430; B G H 6, 3, 19, 24; L M BGB § 426 Nr. 8, 9; vgl. Erläuterungen zu § 421). Eine echte Gesamtschuld setzt keinen gemeinschaftlichen Entstehungsgrund voraus. Erforderlich ist vielmehr die Gemeinschaftlichkeit des Zweckes ( R G 159, 86, 89). Der nach § 1542 R V O der Berufsgenossenschft verpflichtete Schädiger und der nach § 903 R V O der Berufsgenossenschaft regreßpflichtige Unternehmer sind keine echten Gesamtschuldner ( B G H L M BGB §426 Nr. 8). Dagegen kann aus vertraglichen Beziehungen ein Ausgleichsanspruch entstehen ( R G 157, 282; D R 1940, 1434; vgl. G r ä b e r VersR 1958, 581). Nebeneinander verantwortlich für denselben Schaden sind n i c h t mehrere Personen, die j e n u r e i n e n b e s t i m m t e n T e i l des S c h a d e n s verursacht und deshalb auch nur zu erstatten haben (vgl. Bamberg NJW 1949, 225); auf Mittäter, Anstifter, Gehilfen einer gemeinschaftlich begangenen Handlung trifft dies aber nicht zu (vgl. § 830 Anm. 2—5). Sind an einem Unfall mehrere beteiligt, so braucht der Unfallgeschädigte nicht im einzelnen darzutun, wie sie zum Unfall beigetragen haben. Wenn er einen Beteiligten in Anspruch nimmt, genügt es, daß dieser für den Unfall verantwortlich ist. Er braucht daher auf die Beteiligung der anderen nicht einzugehen ( B G H VersR 1956, 127). Da der Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach § 898 R V O ausgeschlossen ist (Vorbem. § 823 Anm. 37), kann zwischen einem Drittschädiger und dem Unternehmer ein Gesamtschuldverhältnis nicht entstehen ( R G DR 1940, 1779; B G H 6, 3, 22; vgl. G r ä b e r VersR 1958, 581). Dagegen ist ein Unternehmer, der auf Grund Werkvertrags eine Arbeit übernommen hat, dem Besteller k r a f t dieses V e r t r a g s ausgleichspflichtig, wenn durch sein Verschulden ein Arbeitnehmer Schaden erleidet ( R G 157, 282; B G H L M R V O § 898 Nr. 2). Anm. 6 4. Haftung i m Außenverhältnis. Die mehreren Verantwortlichen (Anm. 4) haften als G e s a m t s c h u l d n e r , also nach Maßgabe der §§ 421 ff. Das bedeutet einmal, daß jeder dem Gläubiger gegenüber zum Ersatz des ganzen Schadens verpflichtet ist, der Gläubiger den Schadensersatz aber nur einmal fordern kann (s. Erläuterungen zu § 421). Ferner ergibt sich daraus die Haftung im I n n e n v e r h ä l t n i s (vgl. Anm. 8—11). Der U m f a n g der E r s a t z p f l i c h t gegenüber einem Gläubiger kann sich für die mehreren für den Schaden verantwortlichen Personen verschieden gestalten, einmal infolge von untereinander abweichenden Bestimmungen über den Umfang der Haftung (z.B. §829), insbes. ist die Haftung nach den Sonderbestimmungen (vgl. § 12 StVG § 4 SHpflG, § 7 a HpflG) beschränkt, auch durch Wegfall des Schmerzensgeldes. Für die Höhe des nach § 847 zu entrichtenden Schmerzensgeldes sind persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse des einzelnen Schädigers und der Grad seines Verschuldens zu beachten (vgl. §847 Anm. 7). Ferner kann infolge der Anwendung des § 254 bei einem mitwirkenden Verschulden des Geschädigten, das mehreren Ersatzpflichtigen gegenüber in verschiedener Weise gewertet werden kann, die Ersatzpflicht des einzelnen Schädigers der Höhe nach verschieden sein ( B G H 12, 213, 220; L M §840 Nr. 5 ; VersR 1956, 32; 1957, 167; Neustadt V R S 5, 163; B G H V I ZR 95/58 v. 16. 6. 1959). In diesen Fällen besteht eine Gesamtschuld der mehreren Ersatzpflichtigen — auch hinsichtlich der internen Ausgleichung (s. Anm. 9) — nur in Höhe der geringeren Ersatzpflicht ( R G J W 1913, 3 1 1 9 ; D R 1940, 453; B G H aaO; NJW 1953, 1264). Anm. 7 Der Verletzte kann nach seiner Wahl von jedem Gesamtschuldner im Rahmen seiner Haftung nach außen (vgl. Anm. 6) den Schaden ganz oder teilweise fordern. 97
Komm. 2. BGB, Ii. Aufl. II. Bd. (Haager/Kreft)
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Anm. 8, 9 Er kann gegen einen Gesamtschuldner oder alle zusammen in einer oder in getrennten Klagen vorgehen (vgl. Erläuterungen zu § 421). Wenn die mehreren für den Schaden verantwortlichen Personen gleichzeitig auf Leistung von Schadensersatz wegen Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfahigkeit in Anspruch genommen werden (§ 843), dann ist die Art und Weise des Schadensersatzes (Rente oder Kapitalabfindung) einheitlich nach den Verhältnissen des Berechtigten und aller Verpflichteten zu bestimmen ( R G 68, 429). Bei einer Inanspruchnahme nacheinander muß dementsprechend nach dieser Richtung die Bestimmung des zuerst gesprochenen Urteils maßgebend bleiben, da anders die Einheitlichkeit der Entschädigung nicht gewahrt werden kann. Uber die Wirkung der Erfüllung durch einen Gesamtschuldner, eines Erlaßvertrages und des Gläubigerverzuges vgl. §§ 422—424, über die Wirkung anderer Tatsachen, insbesondere eines rechtskräftigen Urteils vgl. §425 BGB. Die im Strafverfahren gegen einen Gesamtschuldner nach § 231 StGB ausgesprochene Buße (vgl. § 823 Anm. 100) schließt den w e i t e r e n S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h gegen einen anderen Ersatzpflichtigen nicht aus ( R G 97, 229). Andere Ersatzpflichtige sind befreit, soweit durch eine Zahlung der Buße eine Tilgung eingetreten ist.
Anm. 8 5. Haftung im InnenVerhältnis a) A l l g e m e i n e s . Die Haftung im Innenverhältnis bestimmt sich zunächst nach § 840 Abs. 1 aus der Tatsache, daß mehrere Verantwortliche als Gesamtschuldner haften. Das bedeutet, daß sie im Innenverhältnis nach § 426, „soweit nicht ein anderes bestimmt ist", zu gleichen Anteilen verpflichtet sind. Eine derartige abweichende Bestimmung — allerdings nicht die einzige (vgl. Anm. 10, 16—20) — findet sich im BGB in § 840 Abs. 2 und Abs. 3, ferner in § 841 (s. auch § 1833 Abs. 2).
Anm. 9 b) R e c h t s n a t u r d e s A u s g l e i c h u n g s a n s p r u c h s . Der Ausgleichungsanspruch steht selbständig neben dem Schadensersatzanspruch ( B G H 1 1 , 170, 172 m. w. Nachw.; 20, 259, 263; VersR 1957, 17). Eine Ausgleichung findet allerdings nur statt, wenn mehrere für den Schaden haften, denn die Ausgleichungspflicht als Folge der Schadensersatzpflicht hat diese zur Voraussetzung ( R G 153, 38, 43; 159, 55, 59). Bei einer Amtspflichtverletzung stellt der Schadensersatzanspruch gegen einen Mitschädiger eine die Amtshaftung ausschließende anderweitige Ersatzmöglichkeit nach § 839 Abs. 1 S. 2 dar, so daß auch im Innenverhältnis zwischen beiden Schädigern keine Ausgleichung stattfinden kann ( R G 161, 202). Das BGB, das Straßenverkehrsgesetz, das Sachschadenhaftpflichtgesetz, das Reichshaftpflichtgesetz und das Luftverkehrsgesetz behandeln das Schuldverhältnis der Beteiligten untereinander als ein solches, das selbständig neben dem Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner steht ( B G H 1 1 , 170, 172). Der Ausgleichungsanspruch entsteht nicht erst mit der Befriedigung des Geschädigten durch einen Gesamtschuldner, sondern in dem Augenblick, in dem mehrere Ersatzpflichtige schadensersatzpflichtig werden, also normalerweise im Zeitpunkt des Unfalles ( B G H 11, 170, 174; VersR 1957, 17). Infolge seiner Selbständigkeit besteht der Ausgleichungsanspruch auch dann, wenn der Anspruch des Verletzten gegen den auf Ausgleichung in Anspruch genommenen Mitschädiger z.B. verjährt ist. Entscheidend ist lediglich, daß die Schadensersatzpflicht des Ausgleichungspflichtigen gegenüber dem Geschädigten im Zeitpunkt der Entstehung des Schadens bestanden hat ( B G H 11, 170). Der Ausgleichungsanspruch wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß die Ersatzpflicht eines Schädigers gegenüber dem Geschädigten deshalb entfällt, weil der Geschädigte z.B. die Anmeldefrist nach § 5 SHpflG, § 15 StVG, § 40 L u f t V G versäumt hat (vgl. B G H 11, 170; VersR 1957, 230). Der Ausgleichungsanspruch ist nicht davon abhängig, daß jeder Schuldner vom Gläubiger tatsächlich zur Leistung herangezogen wird. Das gegen einen der Gesamtschuldner ergangene Urteil übt weder Rechtskraftwirkung noch Rückwirkung (Reflexwirkung) für den anderen aus. Es ist daher möglich, daß das Urteil im Haftpflichtprozeß die Haftung des Ausgleichungspflichtigen anders beurteilt als das Urteil im Ausgleichungsprozeß ( R G 146, 97, 100). Da der Ausgleichungsanspruch kein Anspruch aus u. H. ist, findet die Verjährungsvorschrift
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Anm. 9
des § 852 BGB, des § 14 StVG, § 6 SHpflG, § 8 HpflG, § 39 LuftVG auf ihn keine Anwendung (RG 146, 97, 101; BGH 1 1 , 170, 173; L M BinnSchG § 118 Nr. 1; VersR 1956, 32; 1957, 17). Anders wenn es sich um den Anspruch z. B. des Halters eines Kraftfahrzeugs gegen einen anderen Halter wegen seines eigenen Schadens handelt (vgl. Anm. 17). Hier liegt nicht ein echter, rechtlich selbständiger Ausgleichungsanspruch vor, es wird vielmehr in diesen Fällen der Schadensersatzanspruch geltend gemacht, der nur in seinem Umfang verringert ist. Daher gelten hierfür die für den Schadensersatzanspruch vorgesehenen Bestimmungen, z. B. die kurze Verjährung nach § 852 oder nach § 14 StVG. Der Ausgleichungsanspruch gilt als Anspruch auf Ersatz eines Schadens im Sinne von §67 V V G (RG D R 1942, 886). Der Ausgleichungsanspruch erlischt nicht dadurch, daß nach Eintritt des Schadens der Verletzte einem Gesamtschuldner seine Verpflichtung erläßt (BGH 11, 170, 174; 12, 213, 218). Die im voraus mit einem späteren Mitschädiger vereinbarte Haftungsfreistellung berührt den Ausgleichungsanspruch des zweiten Schädigers aus § 426 — auch aus den Sonderbestimmungen wie z.B. § 17 StVG — nicht. (BGH 12, 213 m. Anm. R e i n i c k e NJW 1954, 1641; dazu auch Hamburg VersR 1958, 809; vgl. R G DR 1939, 1318.) Die Kosten des von einem Gesamtschuldner mit dem Verletzten durchgefochtenen Vorprozesses gehören nicht zum Schaden und sind nicht Gegenstand der Ausgleichung (RG 92, 148; BGH VersR 1957, 800). Die Ausgleichungspflicht reicht nicht weiter als die Schadensersatzpflicht, da der Ausgleichungsanspruch die Schadensersatzverpflichtung des Ausgleichungsklägers sowie des Ausgleichungsbeklagten zur notwendigen Grundlage hat (RG 153, 38, 43; BGH 12, 213, 215). Wie oben dargelegt (Anm. 6), kann ein Ersatzpflichtiger in geringerem Umfange haften als ein anderer. Es muß daher erst eine getrennte Schadensabwägung zwischen dem Geschädigten und den einzelnen Ersatzpflichtigen erfolgen (vgl. hierzu E n g e l h a r d t und Dunz J Z 1957, 369). Nur soweit sich die Ansprüche des Geschädigten gegen sämtliche Ersatzpflichtigen decken, sind sie Gesamtschuldner und nur insoweit ist die Möglichkeit einer Ausgleichung gegeben (RG DR 1940, 453; BGH L M § 840 Nr. 5; VersR 1956, 32). Es ist zulässig, zwischen denselben Beteiligten den Schadensausgleich im Rahmen eines Haftungsgrundes anders zu regeln als im Rahmen eines anderen Haftungsgrundes, so daß z. B. der sich in den Höchstgrenzen des StVG haltende Schaden unter zwei Schädigern in einem anderen Verhältnis zu verteilen ist, als der darüber hinausgehende Schaden, der z. B. durch das Schmerzensgeld gedeckt wird (RG 164, 341; DR 1944, 843). Nimmt der mitschuldige Geschädigte mehrere N e b e n t ä t e r in Anspruch, so ist zwar seine Mitverantwortung gegenüber jedem Schädiger gesondert nach § 254 abzuwägen (Einzelabwägung). Zusammen haben die Schädiger jedoch nicht mehr als den Betrag aufzubringen, der bei einer Gesamtschau des Unfallgeschehens dem Anteil der Verantwortung entspricht, die sie im Verhältnis zu der Verantwortung des Geschädigten insgesamt tragen (Gesamtgbwägung; BGH V I ZR 95/58 v. 16. 6. 1959; II Z R 3/58 v. 29. 6. 1959). Die Ausaleichung ist eine Aufteilung der gemeinsamen Schuld unter den mehreren gesamtschuldnerisch haftenden Ersatzpflichtigen. Daraus ergibt sich, daß der Ausg l e i c h u n g s a n s p r u c h nicht wiederum auf gesamtschuldnerische Haftung gehen kann (RG 84, 432; 136, 275, 286; BGH 6, 3, 25; 17, 214, 222). Wenn mehrere für die Verletzung des Eigentums an einer Sache als Gesamtschuldner haften und ein Versicherer eines der Gesamtschuldner den Eigentümer befriedigt hat, so kann ein anderer Gesamtschuldner, gegen den der Versicherer den vollen Schadensbetrag geltend macht, den Einwand der Ausgleichungspflicht des versicherten Gesamtschuldners entgegenhalten. Diese Regelung nach § 426 Abs. 2 kann nicht dadurch umgangen werden, daß der Eigentümer seinen ihm gegen den anderen Gesamtschuldner zustehenden Schadensersatzanspruch an den Versicherer abgetreten hat (BGH 17, 214, 221). Wenn die entsprechende Anwendung des § 254 dahin führt, daß im Innenverhältnis ein Gesamtschuldner von der Ausgleichungspflicht völlig befreit wird (s. Anm. 10), dann wird sein Ersatzanspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner auch auf die gesamtschuldnerische Haftung gerichtet, da hier eine Aufteilung nicht mehr in Frage kommt (RG 136, 275, 286; BGH 17, 214, 222). Unter besonders gearteten Umständen wurde die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer 97»
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§ 840 Anm. 10, 11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Ausgleichungsverpflichteter gegenüber dem Anspruch des Ausgleichungsberechtigten in Anwendung des § 254 auch dann für gegeben erachtet, wenn der Ausgleichungsberechtigte nicht durch § 254 im Innenverhältnis völlig freigestellt war (RG 136, 276, 278). Haben für einen Schaden sowohl der Geschäftsherr als auch der Verrichtungsgehilfe in gleicher Weise einzutreten, so stehen sie für die Ausgleichung weiteren Gesamtschuldnern als eine Einheit mit nur einem Kopfteil zur Ausgleichung gegenüber ( B G H 6, 3; vgl. R G 136, 275, 287; B G H VersR 1957, 166). Anm. 10 c) Höhe des Ausgleichungsanspruchs. Soweit eine Ausgleichungspflicht besteht, sind die mehreren Ersatzpflichtigen nach § 426 zu gleichen Anteilen einander verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist (vgl. Erläuterungen zu § 426). Eine solche anderweitige Bestimmung im Sinne des § 426 und damit für § 840 Abs. 1 kann sich aus dem Vertragsverhältnis zwischen den mehreren Ersatzpflichtigen ergeben (RG J W 1912, 86524). Eine anderweitige Bestimmung kann aber auch aus dem Sachverhalt selbst, der die Schadensersatzpflicht begründet, in entsprechender Anwendung des § 254 (einschließlich § 278) auf die Handlungen der mehreren sich gegenübertretenden Ersatzpflichtigen entnommen werden (RG 136, 275, 286; 159, 86, go; B G H 17, 214, 222). In diesen Fällen gibt, ähnlich wie in § 17 StVG, § 9b HpflG, § 8 SHpflG, § 27 LuftVG, die verschiedenartige Beteiligung der Gesamtschuldner an der Verursachung des Schadens, auch die Schwere eines vorhandenen Verschuldens den Maßstab ab (RG J W 1915, 22 7 ; WarnRspr 1920 Nr. 194). Die entsprechende Anwendung des § 254 kann dahin führen, daß im Innenverhältnis einem Gesamtschuldner der ganze Schaden auferlegt, ein anderer ganz befreit wird (RG J W 1915, 22'; B G H 17, 214, 222). Beim Zusammentreffen eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen einen Dritten mit einem Aufopferungsanspruch kann der Dritte gegen den Staat keinen Ausgleichungsanspruch erheben (BGH VersR 1959, 67). Die gleiche Haftung nach § 426 erscheint daher nur als eine Hilfsregel, die da eintritt, wo ein besonderer, in den einzelnen Verhältnissen begründeter Maßstab fehlt (RG 92, 147) oder dann, wenn keine Aufklärung der für die Beurteilung des Falles wesentlichen Umstände möglich ist. Sind bei einer Schadensverteilung, wie sie z.B. in § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG, § 9b HpflG, § 8 Abs. 1 S. 2 SHpflG, § 41 Abs. 1 Satz 2 LuftVG vorgesehen ist, Schäden zu ersetzen, die dem Ausgleichungspflichtigen selbst entstanden sind, und hat jeder der Beteiligten einen bestimmten Bruchteil des Schadens zu tragen, dann sind die beiderseitigen Schadensersatzansprüche keine bloßen Rechnungsposten eines Gesamtschadens, sondern sie müssen selbständig gewürdigt werden. Es muß an beiden Schadensersatzforderungen die dem Quotenverhältnis entsprechende Kürzung vorgenommen werden und es stellt sich dann bei einem Vergleich der beiden gekürzten Forderungen heraus, wer dem anderen erstattungspflichtig ist (BGH 15, 133; vgl. NJW 1954, 1197; VersR 1958, 297: entschieden für § 736 HGB; VersR 1959, 608). Anm. 11 6. Anderweitige Bestimmung des Ausgleichungsanspruchs a) Allgemeins. Abs. 2 und Abs. 3 ändern für das Gebiet der u. H. den an sich auch hier geltenden Grundsatz des § 426 (s. Anm. 10) teilweise ab. Soweit Abs. 2 und Abs. 3 zum Zuge kommen, ist eine andere Ausgleichung — auch nicht unter Heranziehung von § 254 — ausgeschlossen ( R G 159, 86, 91). Der Grundgedanke der Abänderung ist der: wer aus w i r k l i c h e m Verschulden haftet, soll keine Ausgleichung bei demjenigen suchen, der aus vermutetem Verschulden haftet und beide nicht bei demjenigen, den nur eine von ihm zu vertretende G e f ä h r d u n g verantwortlich macht ( R G 71, 7). Dieser Grundsatz ist jedoch in Abs. 2 und Abs. 3 nicht allgemein durchgeführt (vgl. B G H VersR 1959, 67). Dies zeigt sich einmal darin, daß nicht gleichartige Tatbestände zusammengefaßt werden, wie z. B. in Abs. 3 die Gefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 — und früher aus § 835 — mit der Haftung aus vermutetem Verschulden nach § 833 Satz 2, 834—838. Man könnte eher sagen, Abs. 2 enthalte die Fälle der Haftung aus rechtswidrigen Handlungen von Personen, Abs. 3 diejenigen für den 1518
Unerlaubte Handlungen
§840
Anm. 12, 13
durch Sachen angerichteten Schaden. Deshalb kann diesen Tatbeständen der genannte allgemeine Grundsatz nicht mit der Folge entnommen werden, daß er über die in Abs. 2 und 3 hinaus aufgezählten Tatbestände auf ähnlich gelagerte Tatbestände, z.B. § i H p f l G , angewendet werden könnte ( R G J W 1 9 1 5 , 3 2 4 ; B G H 6, 3, 28 u. 3 1 9 , 3 2 1 ; V e r s R 1957, 166). Der Eisenbahnunternehmer, der nach § 1 R H p f l G haftet, kann daher von dem Dritten Ausgleichung nicht nach § 840 Abs. 2 oder 3 verlangen. Der Eisenbahnunternehmer ist sogar nach der bisherigen Rechtsprechung Dritter im Sinne des § 840 Abs. 3 ( R G J W 1 9 1 5 , 324). Es kommt hierdurch zu unbilligen Ergebnissen, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß beim Zusammenwirken von K f z . und Tieren und Luftfahrzeugen mit Tieren die in § 840 Abs. 3 getroffene Regelung durch die Sonderbestimmung der § § 1 7 Abs. 2 S t V G , 41 Abs. 2 L u f t V G , 9 b H p f l G ausgeschaltet ist (vgl. Anm. 1 6 — 1 8 ) , so daß man demgegenüber die Schlechterstellung des Eisenbahnunternehmers schwerlich noch rechtfertigen kann. Diese Rechtsprechung ist inzwischen mit Recht aufgegeben (Hamm N J W 1958, 346, bestätigt durch B G H V I 48/57 v. 6. 1 1 . 1957). Demnach ist Dritter nach § 840 Abs. 3 nicht derjenige, der aus Gefährdung haftet.
Anm. 12 b ) A n d e r w e i t i g e B e s t i m m u n g in A b s . 2 . Die erste Abweichung vom Grundsatze des § 426 ist, daß der G e s c h ä f t s h e r r ( § 8 3 1 ) und der über eine aufsichtsbedürftige Person Aufsichtspflichtige (§ 832) im inneren Verhältnis zu dem mit einer Verrichtung betrauten Angestellten oder zu dem Aufsichtsbedürftigen in vollem Umfang, nicht nur nach gleichen Teilen, einen Rückgriffsanspruch haben, vorausgesetzt, daß der Angestellte oder der Aufsichtsbedürftige nicht nur in der Sache (objektiv) rechtswidrig, sondern auch schuldhaft gehandelt und sich somit selbständig für den Schaden verantwortlich gemacht haben. Der Geschäftsherr und der Aufsichtspflichtige haften dagegen allein und haben gegen den Angestellten oder den Aufsichtsbedürftigen keinerlei Ausgleichungsanspruch, wenn diese nur sachlich rechtswidrig gehandelt haben, weil es dann bei diesen an einer u. H. überhaupt fehlt. Das gilt auch, wenn der an sich schuldlose Aufsichtsbedürftige auf Grund des § 829 aus Gründen der Billigkeit zu einem Schadensersatz gegenüber dem Beschädigten herangezogen wird. Der Gedanke, daß der Aufsichtspflichtige im Innenverhältnis allein haftet, ist auch in § 1833 Abs. 2 B G B zum Ausdruck gekommen. Soweit es sich um die Beteiligung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an einem Unfall handelt, wird sich aus dem Arbeitsverhältnis häufig eine andere Schadenstragung ergeben (vgl. Anm. 17). §840 Abs. 2 ist nicht anwendbar, wenn die K l a g e nicht nur aus § 831 (oder § 832), sondern auch aus § 823 begründet ist ( R G Recht 1 9 1 5 Nr. 1499).
Anm. 13 c ) A n d e r w e i t i g e B e s t i m m u n g in A b s . 3. Die zweite Abweichung, die § 840 von der gleichanteiligen Ausgleichung des § 426 bestimmt, besteht darin, daß im Verhältnis zu den aus §§ 833—838 für einen Schaden ersatzpflichtigen Personen ein Dritter, der f ü r denselben Schaden verantwortlich ist, allein verpflichtet ist. Aus dem Gesamtinhalt des Paragraphen ergibt sich, daß unter dem dritten Ersatzpflichtigen nur ein solcher verstanden werden kann, der aus irgendeinem Tatbestand einer u. H., diesen Begriff im weiteren Sinne genommen (Anm. 2), f ü r den Schaden haftbar ist ( R G J W 1 9 1 1 , 552 4 1 ). Aus welchem Tatbestand einer u. H . im weiteren Sinne der Dritte mithaftet, ist gleichgültig, ob er also aus wirklichem Verschulden, aus vermutetem Verschulden oder aus Gefährdungshaftung, auch z. B. aus dem Sondertatbestand des § 1 H p f l G haftet. D a die in § 840 zugelassenen Ausnahmen von dem Grundsatz des § 426 in der Rechtsprechung nicht f ü r erweiterungsfähig erachtet sind (vgl. Anm. 1 1 ) , mußte trotz der Ähnlichkeit des Rechtsgrundes der Haftung des Eisenbahnunternehmers mit derjenigen aus den angezogenen §§ 833—838 der Eisenbahnunternehmer, dessen Haftung nach § 1 R H p f l G richtigerweise auf reine Gefährdung zurückzuführen ist, im Sinne des Abs. 3 als Dritter erscheinen, der dem Tierhalter gegenüber, wenn der Eisenbahnbetrieb und ein Tier denselben Schaden verursachen, den ganzen Schaden zu tragen hat ( R G J W 1 9 1 4 , 9 2 2 ' ; 1 9 1 5 , 324 2 ). Diese Rechtsprechung ist inzwischen auf-
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§ 840
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 14—17 gehoben (Hamm N J W 1958, 346, bestätigt durch B G H V I Z R 48/57 v. 6. 1 1 . 1957). Die Vorschrift des § 840 Abs. 3 ist u. a. durch § 17 S t V G ausgeschaltet (vgl. A n m . 16 und 17). Haftet der Tierhalter nicht nur aus § 833, sondern aus einem anderen Rechtsgrund, z. B. §823,so findet §840 Abs. 3 keine Anwendung (Stuttgart Recht 1 9 1 0 Nr.908).
Anm. 14 Wenn mehrere nach §§ 833 bis 838 verantwortliche Personen nebeneinander haften, ist im Innenverhältnis jeder zum gleichen Anteil verpflichtet, da sich jeder auf Abs. 3 berufen kann ( R G 67, 3 2 0 ; J W 1 9 1 5 , 324). Allerdings kann sich aus dem Grundgedanken des in diesem Falle ebenfalls anwendbaren § 254 eine andere Verteilung der Haftung im Innenverhältnis ergeben.
Anm. 15 Die in § 840 Abs. 3 festgelegte abweichende Bestimmung der internen Ausgleichungspflicht kommt auch dann zur Anwendung, wenn der G e s c h ä d i g t e selbst zu den von dieser Bestimmung erfaßten Personen gehört, also z. B. Tierhalter oder Besitzer eines Grundstücks ist. Das gilt zunächst einmal, wenn der Dritte schuldhaft handelt ( R G 7 1 , 7 ; WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 120). Es galt zum anderen auch dann, wenn die Haftung des Dritten auf Gefährdung beruhte ( R G J W 1 9 1 1 , 220; 1 9 1 2 , 190; vgl. Anm. 13). Bei Verletzung des Halters eines Tieres wegen Scheuens des Tieres vor der Eisenbahn haftete danach der Eisenbahnunternehmer allein für den ganzen Schaden. Soweit allerdings den Halter ein mitwirkendes Verschulden trifft, kommt § 254 zur Anwendung, der durch § 840 Abs. 2 und 3 nicht ausgeschaltet wird. Mit der Aufgabe dieser Rechtsprechung (vgl. Anm. 1 1 , 13) kann die mitwirkende Tiergefahr nach § 2 5 4 berücksichtigt werden (vgl. B ö h m e r V e r s R 1958, 290). Wenn der Halter eines Tieres durch Tiere eines anderen verletzt wird (vgl. Anm. 14), hat jeder den gleichen Anteil zu tragen, soweit der ebenfalls zur Anwendung kommende § 254 keine andere Verteilung fordert.
Anm. 16 7. Ausgleichungspflicht nach Sonderbestimmungen a ) A l l g e m e i n s Abgesehen von der Sonderregelung in § 840 Abs. 2 und 3 ist der Grundgedanke des § 254, daß sich die Ausgleichung nach den Umständen, insbesondere nach der vorwiegenden Verursachung richtet, in verschiedenen Sonderbestimmungen außerhalb des B G B niedergelegt ( S t V G , S H p f l G , R H p f l G , L u f t V G ) nachdem er als anderweitige Bestimmung im Sinne des §426 auch bei § 840 dazu führt, daß von der als Regel vorgesehenen anteiligen Haftung zu gleichen Teilen abgewichen wird. Die nach diesen Sonderbestimmungen anzuwendenden Maßstäbe entsprechen denen des § 254 ( B G H 20, 259, 263; G e l h a a r D A R 1954, 265, 266). Es handelt sich dabei nur um die Schadensausgleichung zwischen den mehreren Ersatzpflichtigen, nicht um die Haftung im Außenverhältnis zum Geschädigten. Wegen der Rechtsnatur des Ausgleichungsanspruchs vgl. Anm. g. Die Sonderbestimmungen setzen f ü r i h r e n B e r e i c h die allgemeinen Vorschriften der §§ 840, 426 außer K r a f t ( S t V G : R G 84, 4i5» 429; J W 1929, 832, 2949; 1937, 1 3 1 2 1 1 ; D A R 1938, 270; vgl. R G 129, 55, 59; B G H 6, 3 1 9 , 3 2 2 ; L u f t V G : R G 158, 34, 39). Die Ausgleichungspflicht richtet sich bei diesen Sonderbestimmungen nach den Umständen, insbesondere dem M a ß der Verursachung. Es bedeutet einen nur sprachlichen, jedoch keinen sachlichen Unterschied, wenn nach § 17 S t V G die „vorwiegende" und nach den übrigen Sonderbestimmungen (§ 9 b H p f l G ; § 8 S H p f l G ; § 4 1 L u f t V G ) die „überwiegende" Verursachung maßgeblich ist. In allen Fällen der Ausgleichungspflicht nach diesen Sonderbestimmungen ist erforderlich, daß die Unternehmer oder Halter kraft Gesetzes haften. Damit ist nicht eine Haftung auf Grund dieser Sonderbestimmung gemeint, sondern nur der Gegensatz zur vertraglichen Haftung.
Anm. 17 b ) R e g e l u n g i m S t r a ß e n v e r k e h r s g e s e t z . Wird ein Schaden durch m e h r e r e K r a f t f a h r z e u g e oder durch e i n K r a f t f a h r z e u g u n d e i n T i e r oder durch e i n K r a f t f a h r z e u g und e i n e E i s e n b a h n verursacht, so richtet sich die Ausgleichung
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Unerlaubte Handlungen
§840
Arnn. 18,19 nach § 17 Abs. i Satz i und Abs. 2 StVG nach den Umständen, insbesondere danach, wie weit der Schaden überwiegend von dem einen oder anderen Schadensverursacher herbeigeführt ist. Das gleiche gilt, wenn der Schaden einem der beteiligten Halter selbst entstanden ist (§ 17 Abs. 2 Satz 1; B G H 6, 319, 322; 20, 259; 26, 69, 76; V R S 4, 167; VersR 1957, 375; G e l h a a r D A R 1954, 265; Anrechnung auch der Betriebsgefahr eines schuldlosen Halters auch auf einen Schmerzensgeldanspruch: B G H 26, 69; VersR 1958, 83). Bei der Ausgleichung ist ein Verschulden, daß nur vermutet wird, nicht zu berücksichtigen ( B G H VersR 1953, 337; 1956, 732; 1957, 98, 178 und 181). Bei der Erstattung von Schäden, die den beteiligten Haltern selbst entstanden sind, sind die gegenseitigen Schadensersatzansprüche selbständige Ansprüche (vgl. Anm. 10). Es handelt sich nicht um einen echten Ausgleichungsanspruch, sondern um den ursprünglichen Schadensersatzanspruch, der lediglich verringert wird, aber z.B. hinsichtlich der Verjährung seinen ursprünglichen Charakter behält (s. Anm. 9). Mit § 17 Abs. 2 StVG hat das Gesetz die in § 840 Abs. 3 getroffene Regelung des Innenverhältnisses zwischen einem ebenfalls nur für die „Betriebsgefahr" haftenden Tierhalter und einem aus Verschulden Verantwortlichen nicht übernommen, soweit es sich um das Zusammenwirken mehrerer Kraftfahrzeuge, von Kraftfahrzeug und Eisenbahn oder Kraftfahrzeug und Tier handelt. Die Vorschrift des § 840 Abs. 3 ist im Bereich des § 17 S t V G ausgeschaltet (RG 84, 415, 429; 158, 34, 39; J W 1937, 1312). Die Beteiligten müssen kraft Gesetzes haften, d. h. nach den Sondergesetzen oder aus u. H. nach BGB, z.B. auch aus § 839 (RG 138, 1, 4; B G H V R S 12, 172; VersR 1958, 767). § 17 S t V G ist auch dann anwendbar, wenn der beteiligte Kraftfahrzeughalter aus StVG im Hinblick auf § 8 S t V G nicht in Anspruch genommen werden kann ( R G J W 1937, 1769; Celle H R R 1939 Nr. 767; B G H V R S 12, 172; aA offensichtlich R G V A E 1937, 37; beachte auch R G J W 1911, 753 8 ; 1913, 919®). Es ist wegen sämtlicher Schadensersatzansprüche auch der auf § 823 BGB gestützten, § 17 StVG anzuwenden ( B G H 26, 69, 76). Bei nur vertraglicher Haftung eines Beteiligten richtet sich der Ausgleichungsanspruch unmittelbar nach § 426 BGB, soweit ein echtes Gesamtschuldverhältnis vorliegt (RG 84, 415, 430; 138, 1, 7). Wegen Verjährung des Ausgleichungsanspruchs nach § 17 Abs. 1 S t V G vgl. Anm. 9. Wegen der Einzelheiten vgl. M ü l l e r StVG 20. Aufl. § 17 Anm. B—E; ferner F l o e g e l - H a r t u n g StVG 1 1 . Auflage, § 17 Anm. 1 ff. Die Regelung des § 17 S t V G gilt auch, wenn der Fahrer mit den Haltern oder Fahrern anderer Kraftfahrzeuge oder mit Tierhaltern oder Eisenbahnunternehmern nebeneinander haftet (§18 Abs. 3 StVG). Die Ausgleichung zwischen Halter und Fahrer desselben Fahrzeuges erfolgt nicht nach § 17 StVG, sondern nach allgemeinem Recht, also nach §§ 840, 426, wobei § 254 BGB und das zwischen beiden bestehende Dienstverhältnis zu beachten ist ( R A G 20, 252; H R R 1937 Nr. 1 5 1 3 ; D R 1941, 1372 und 1375; vgl. Vorb. § 823 Anm. 37).
Anm. 18 c) R e g e l u n g i m L u f t v e r k e h r s g e s e t z . Bei Verursachung eines Schadens durch m e h r e r e L u f t f a h r z e u g e gilt eine dem § 17 S t V G entsprechende Regelung (§41 Abs. 1 LuftVG). Nach § 41 Abs. 2 LuftVG gilt diese Regelung auch, wenn neben dem Halter des Luftfahrzeugs ein anderer für den Schaden verantwortlich ist. Dabei kann es sich um einen Eisenbahnunternehmer, den Halter eines Kraftfahrzeuges, einen Tierhalter, als auch — insofern geht § 41 Abs. 2 L u f t V G über § 17 S t V G hinaus — um jeden sonstigen zum Schadensersatz Verpflichteten handeln. In diesen Fällen bedarf es daher, soweit ein sonstiger Schädiger in Frage kommt, im Gegensatz zu § 17 S t V G keiner Heranziehung des § 254 BGB mehr. Damit hat das LuftVG ebenso wie das S t V G die in § 840 Abs. 3 getroffene Sonderregelung des Innenverhältnisses nicht übernommen (RG 158, 34, 39). Wegen der Rechtsnatur des Ausgleichungsanspruchs vgl. Anm. 9.
Anm. 19 d) Sonstige Regelung, insbes. Reichshaftpflichtgesetz, Sachschadenhaft-
p f l i c h t g e s e t z . Nach § 9b HpflG regelt sich die Ausgleichungspflicht der Inhaber von Elektrizitäts- und Gasanlagen (§ 1 a des Gesetzes) ebenfalls nach den Umständen, ins-
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§ 840 Anm. 20
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 84t Anm. 1, 2 besondere danach, inwieweit der Schaden überwiegend durch die eine oder andere Anlage verursacht worden ist. Das gleiche gilt, wenn der Schaden einem Inhaber selbst entstanden ist; ferner — entsprechend § 41 Abs. 2 L u f t V G — auch dann (§ 9b Abs. 2 HpflG), wenn neben der Haftung des Inhabers der Anlage die Haftung eines anderen fiir den Schaden durch Gesetz bestimmt ist. Eine entsprechende Regelung enthält § 8 SHpflG. Wegen der Rechtsnatur des Ausgleichungsanspruchs vgl. Anm. 9. Die Ausgleichungspflicht bei Haftung aus § 1 SHpflG und § 7 S t V G richtet sich nach § 17 S t V G ( B G H 1 1 , 170; vgl. B G H VersR 1957, 230; G e l h a a r D A R 1954, 265, 270). Die Ausgleichungspflicht ist unabhängig davon gegeben, ob dem Ersatzpflichtigen nach § 5 SHpflG rechtzeitig Mitteilung von dem Unfall gegeben worden ist ( B G H 1 1 , 170). Anm. 20 Bei Schiffszusammenstößen regelt sich die Ausgleichungspflicht für Personenschäden bei gemeinsamem Verschulden der Besatzungen der beteiligten Schiffe nach § 736 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 (vgl. R G D J Z 1905, 1122). Wegen der Binnenschiffahrt vgl. § 92 BinnSchG. Wegen Haftung des aufsichtspflichtigen Vormunds vgl. § 1833 Abs. 2. Wegen der Haftung des Beamten, der kraft seiner Amtspflicht einen anderen zum Geschäftsführer für einen Dritten zu bestellen oder eine solche Geschäftsführung zu beaufsichtigen hat vgl. § 841. Wegen der Schadenstragung im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer s. Anm. 17 und Vorbem. §823 Anm. 27, 37.
§841 Ist ein Beamter, der vermöge seiner Amtspflicht einen anderen zur Geschäftsführung für einen Dritten zu bestellen oder eine solche Geschäftsführung zu beaufsichtigen oder durch Genehmigung von Rechtsgeschäften bei ihr mitzuwirken hat, wegen Verletzung dieser Pflichten neben dem anderen für den von diesem verursachten Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnisse zueinander der andere allein verpflichtet. E I 736 Abs. 2 II 764 Abs. 3; M 2 82;; P 2 663.
Anm. 1 Neben den Abweichungen von dem Regelsatze des § 426 in § 840 Abs. 2 u. 3 bestimmt § 841 eine weitere für das innere Verhältnis eines nach § 839 aus der Verletzung seiner Amtspflicht ersatzpflichtigen Beamten zu einem Dritten, der für denselben, Schaden verantwortlich ist (vgl. dazu auch § 839 Anm. 89 und 106). Anm. 2 Die Ausnahmevorschrift des § 841 beschränkt sich auf eine bestimmte B e amtengruppe: solche B e a m t e , zu deren Amtskreise die B e s t e l l u n g a n d e r e r z u r G e s c h ä f t s f ü h r u n g f ü r e i n e n D r i t t e n oder die B e a u f s i c h t i g u n g e i n e r s o l c h e n G e s c h ä f t s f ü h r u n g oder die Mitwirkung dazu durch die G e n e h m i g u n g v o n R e c h t s g e s c h ä f t e n gehört. Darunter fällt in erster Linie der Vormundschaftsrichter, dann aber auch der Nachlaß-, Konkurs- und Vollstreckungsrichter. Wenn diese (oder der an ihrer Stelle haftende Staat) neben den von ihnen bestellten oder zu beaufsichtigenden Geschäftsführern (Vormund, Pfleger, Nachlaß-, Konkurs-, Zwangsverwalter) für denselben Schaden dem beschädigten Dritten, wenn auch nur in zweiter Linie (§ 839 Abs. 1 Satz 2) verantwortlich sind, soll in ihrem inneren Verhältnis der Nichtbeamte den Schaden allein zu tragen haben (RG 80, 252: Vormundschaftsrichter und Gegenvormund). § 841 trifft auch zu für das Verhältnis zwischen dem Beamten, der einen Treuhänder (Custodian) gemäß M i l R e g G Nr. 52 zu bestellen und (oder) zu überwachen hatte (vgl. B G H 15, 142; 17, 140), und dem Treuhänder selbst. Eine ähnliche Bestimmung trifft § 1833 Abs. 2 zugunsten des Gegenvormundes oder Mitvormundes gegenüber dem Vormunde, dessen Geschäftführung jene zu beaufsichtigen haben. Den Schaden hat danach im Innenverhältnis der Vormund allein zu tragen. 1522
Unerlaubte Handlungen
§842
A n m . 1—3
§ 8 4 » Die Verpflichtung zum Schadensersatze wegen einer gegen die Person gerichteten unerlaubten Handlung erstreckt sich auf die Nachteile, welche die Handlung für den E r w e r b oder das Fortkommen des Verletzten herbeiführt. E n 765; P 2 635— 83° 6 ; DR 1944, 115 4 ; WarnRspr 1931 Nr. 23; 1932 Nr. 78; SeuffArch 87 Nr. 45; B G H VersR 1952, 288; 1955, 38, 39 und 1957, 132). Daß dies der Sinn des § 843 ist, ergibt einmal der Zusammenhang mit § 842 (vgl. § 842 Anm. 2), dann aber auch gerade die in § 843 vorgesehene Art und Weise der Entschädigung durch eine Rente, die die wirtschaftliche Einbuße des Verletzten infolge des Verlustes der Arbeitsrente ausgleicht, nicht aber das Kapital an Arbeitskraft er-
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Unerlaubte Handlungen
§843 Anm. 3
setzt, das dem Verletzten verlorengegangen ist. Auch § 3 2 3 Z P O geht offenbar von dieser Auffassung aus. Die Verminderung der Erwerbsfähigkeit um einen auf ärztlicher Schätzung beruhenden Hundertsatz führt nicht immer zu einer Verminderung des Erwerbs im gleichen Verhältnis. Der Verletzte kann seine Erwerbsmöglichkeit unter Umständen zu einem viel höheren Bruchteil oder auch ganz verlieren, so daß dann ein entsprechend höherer Schadensersatz zuzubilligen ist. Entsprechend ist aber auch im umgekehrten Fall zu verfahren, d. h. ein Schadensersatzanspruch abzuweisen, wenn trotz theoretisch (abstrakt) festgestellter Minderung der Erwerbsfähigkeit ein wirklicher Ausfall an Einnahmen oder ein erhöhter Bedarf (s. Anm. 4) nicht nachgewiesen ist.
Anm. 3 Immerhin aber ist es die G e s t a l t u n g d e r Z u k u n f t , die § 843 im Auge hat. Es kommt deshalb nicht gerade darauf an, ob der Verletzte bis zu der Verletzung tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und daraus einen Verdienst gezogen hat; entscheidend ist für die Zuerkennung und Bemessung der Entschädigung vielmehr, ob und wie der Verletzte ohne die Verletzung fernerhin seine Erwerbsfähigkeit ausgenutzt und welchen Erwerb er daraus voraussichtlich und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge gezogen haben würde. Der tatsächliche Erwerb, den der Verletzte vor der Verletzung gehabt hat, bildet nur einen mehr oder weniger wesentlichen Anhalt und den natürlichen Ausgangspunkt ( R G 63, 1 9 5 ; J W 1908, 273®; I 9 i i , 584 2 6 ; 1932, 1249 2 ; WarnRspr 1908, Nr. 169; 1931 Nr. 2 3 ; auch B G H 10, 6 zur Frage der Berücksichtigung eines hypothetischen Ursachenzusammenhangs). Demgemäß bleibt derjenige, der ohne Arbeit von den Erträgnissen seines Vermögens lebt und der deshalb trotz des Verlustes oder der Beschränkung seiner Erwerbsfähigkeit einen wirklichen Schaden nicht erleidet, f ü r die Dauer dieser Lebensführung ohne Entschädigung f ü r die Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit ( R G J W 1908, 273®; 1 9 1 0 , 19 2 7 ; W a r n R s p r 1 9 1 1 Nr. 387). E r ist für den Fall, daß die Zukunft ihn in die L a g e bringen würde, seine Erwerbsfähigkeit auszunutzen, auf den Weg der Feststellungsklage gewiesen ( R G J W 1908, 273®; R G WarnRspr 1908 Nr. 169). Soweit die Verhältnisse für den Eintritt dieses Falles zu überschauen sind, ist natürlich auch die Leistungsklage zulässig (vgl. R G J W 1905, 3 4 1 1 2 ) . Auch derjenige, der nach der Verletzung seine bisherige Stellung mit der gleichen Arbeitsvergütung behalten hat, erleidet in seinem Erwerbe keinen Schaden ( R G 165, 236; R G J W 1908, 4 5 1 1 7 ; s. aber jetzt auch B G H 2 1 , 1 1 2 ) , es sei denn, daß er zwar zunächst in der bisherigen Stellung verblieben ist, aber das Aufhören dieses Verhältnisses zu erwarten steht. Ist eine verletzte F r a u wegen Heirat aus dem Berufsleben ausgeschieden, ohne daß der Unfall dafür von Einfluß war, liegt im Aufhören der früheren Arbeitseinkünfte kein Erwerbsschaden, für den der U n f a l l ursächlich wäre ( B G H V e r s R 1958, 530). Das verletzte K i n d ist noch nicht erwerbsf ä h i g ; wie es, nachdem es das erwerbsfähige Alter erreicht haben wird, seine Arbeitskraft verwerten wird und welche Einbuße es in seinem Erwerb und Fortkommen durch die Verletzung erleidet, ist der Regel nach f ü r eine fernere Zukunft nicht zu überschauen, namentlich dann nicht, wenn es sich nicht um einen völligen Verlust, sondern nur um eine Minderung der Erwerbsfähigkeit als Folge der Verletzung handelt. A u c h hier ist daher in den meisten Fällen der Weg der Feststellungsklage geboten ( R G J W 1906 S. 23Ö 23 , 359 2 1 , 7 1 8 1 9 ) ; die Leistungsklage ist jedoch nicht ausgeschlossen und ist immer dann zulässig, wenn nur der gewöhnliche Durchschnittslohn für Hand-, Hausoder Fabrikarbeit gefordert wird ( R G J W 1906 S. 23Ö 23 ). Z u r Ausheilung von Verletzungen muß, wenn die Verpflichtung zur Zahlung einer Rente entfallen soll, die Fähigkeit zur Wiederaufnahme der früheren oder einer anderen dem Verletzten zuzumutenden Tätigkeit kommen ( O L G Düsseldorf J W 1938, 1 1 6 6 1 ' ) . K a n n der Verletzte mit dem ihm verbliebenen Bruchteil seiner Erwerbsfähigkeit, auch mit Hilfe eines etwa zumutbaren Berufswechsels (s. Anm. 7), keine Arbeit finden, so ist ihm nicht nur ein Bruchteil seines Durchschnittsverdienstes, sondern der ganze Durchschnittsverdienst zu ersetzen ( R G J W 1 9 3 1 , 2 7 2 5 2 6 ; R G WarnRspr 1934 Nr. 1 7 8 ; s. auch J W 1938, 2 0 1 0 1 1 ) . Wird ein s e l b s t ä n d i g e r H ä n d l e r durch die Verletzung zur Geschäftsstillegung gezwungen, so besteht sein Schaden in dem vollen Verdienst, den er in dem stillgelegten Geschäft erzielt hätte ( B G H L M § 843 Nr. 1; s. auch R G
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§ 843
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 4, 5 J W 1938, 592 2 9 : Bemessung der Erwerbsbeeinträchtigung eines Unfallverletzten Geschäftsinhabers, dessen Geschäftsbetrieb kraft seiner Eigenart (Viehaufkauf) auf die persönliche Betätigung des Inhabers eingestellt ist; R G SeuffArch 91 Nr. 3 2 : Bemessung des Schadens eines Architekten, dessen Eignung als Bauunternehmer durch einen Unfall nicht beseitigt, nur beeinträchtigt worden ist, dessen Vater das von ihm betriebene Bauunternehmergeschäft aber wegen jener Beeinträchtigung dem Sohne nicht übergibt). - D e r Verlust von E i n k ü n f t e n a u s s i t t e n w i d r i g e n G e s c h ä f t e n gehört nicht zu dem zu erstattenden Schaden ( B G H L M § 843 Nr. 5). Deshalb ist auch der Erwerbsverlust einer Dirne nicht zu ersetzen ( O L G Stuttgart H R R 1932 Nr. 1 2 1 ) . Z u m Schaden aus der Minderung der Erwerbsfähigkeit gehört n i c h t n u r d e r V e r l u s t d e r u n m i t t e l b a r e n B e z ü g e an Entgelt der Arbeit, sondern auch der Vergütungen, Provisionen und Anteile am Geschäftsgewinn, die mit Rücksicht auf die Arbeitsleistung gewährt werden ( R G 92, 55). War der Verletzte B e a m t e r oder ist ihm durch die Verletzung der Eintritt in eine Beamtenstellung unmöglich gemacht worden, so umfaßt die Ersatzpflicht auch die Gewährung einer nach seinem Ableben seinen Hinterbliebenen zu zahlenden Rente in Höhe des beamtenrechtlichen Witwenund Waisengeldes, s. R G 1 3 5 , 3 7 2 ; R G H R R 1933 Nr. 1 2 2 5 ; s. auch SeuffArch 86 Nr. 148.
Anm. 4 2. Vermehrung der Bedürfnisse Die Entschädigung f ü r Vermehrung der Bedürfnisse begreift den Ausgleich der Nachteile, die dem Verletzten i n f o l g e d a u e r n d e r S t ö r u n g d e s k ö r p e r l i c h e n W o h l b e f i n d e n s entstehen: die Kosten für eine besondere Pflege, sowie für bessere Verpflegung, die zur Herbeiführung einer Besserung oder zur Abwendung einer V e r schlimmerung des körperlichen Zustandes erforderlichen Mehraufwendungen; die Kosten für Erholungskuren, unter Umständen für die Einstellung von Hauspersonal und bei Kindern für einen notwendig werdenden Privatunterricht; die Mehraufwendungen f ü r Leibwäsche, Körperpflegemittel und die zusätzliche Benutzung von Verkehrsmitteln; die Beschaffung und Erneuerung künstlicher Gliedmaßen. Die meisten dieser Aufwendungen gehören zu den Heilungskosten, wenn sie nur zeitweilig und vorübergehend erforderlich sind; sie begründen aber den Anspruch auf eine Rente wegen Vermehrung der Bedürfnisse, wenn der Folgezustand der Verletzung sie d a u e r n d u n d r e g e l m ä ß i g n ö t i g macht ( R G J W 1907, 3 7 3 2 5 ; 1 9 1 4 , 408 1 0 ; WarnRspr 1 9 1 4 Br. 1 3 ; R G J W 1937, 1 5 3 3 ; B G H N J W 1956, 2 1 9 , 220). Der auf die Vermehrung der Bedürfnisse gestützte Ersatzanspruch ist n i c h t e i n E r s t a t t u n g s a n s p r u c h , dessen Nestand und U m f a n g davon abhängt, daß ein bestimmter Geldbetrag zur Befriedigung der erhöhten Bedürfnisse ausgegeben wurde; er entsteht vielmehr bereits mit dem Eintritt der vermehrten Bedürfnisse, nicht erst mit ihrer Befriedigung. Daher ist Ersatz f ü r die Mehrbedürfnisse auch insoweit zu leisten, als der Verletzte sie aus Mangel an Mitteln nicht hat befriedigen können ( R G 148, 68; 1 5 1 , 298; B G H L M §249 [Gb] Nr. 2 ; B G H V e r s R 1958, 176 u - 887/9) oder ihre Befriedigung, wie etwa bei Notwendigkeit besonderer Pflege nach Entlassung aus dem Krankenhaus, durch unterhaltspflichtige Eltern mit Hilfe einer diesen nach § 1 6 1 7 dienstpflichtigen Tochter erfolgt ( R G J W 1937, I53 3 )-
III. Die Geldrente Anm. 5 1 . A l l g e m e i n e s . Die Rente des § 843 ist ein besonders gearteter S c h a d e n s e r s a t z ( k e i n U n t e r h a l t ) , eine Form der Entschädigung in Geld ( § 2 5 1 ; s. Anm. 1). Diese R e n t e n e n t s c h ä d i g u n g d e s § 8 4 3 i s t e i n e e i n h e i t l i c h e . Z w a r sind die Entschädigung wegen Verlustes oder Minderung der Erwerbsfahigkeit und die wegen Vermehrung der Bedürfnisse in ihren sachlichen Voraussetzungen verschieden und getrennt zu behandeln ( B G H N J W 1956, 2 1 9 , 220); sie beruhen jedoch auf einem rechtlich einheitlichen Anspruch und bilden nur verschiedene unselbständige Rechnungsposten
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dieses einheitlichen Anspruchs. Dementsprechend vertreten sich beide Schadensteile gegenseitig und können beide im Laufe des Rechtsstreits untereinander ausgewechselt werden, ohne daß eine Verjährungseinrede gegen die Erhöhung des einen oder des anderen Anspruchs erhoben werden könnte ( R G 69, 296; 74, 131; 1 5 1 , 298, 300; J W 1906, 23Ö23; 1914, 408 1 0 ; 1921, 1230 3 ; L Z 1921, 59 4 ; B G H VersR 1957, 394, 396). Da der Anspruch auf Entschädigung wegen Vermehrung der Bedürfnisse auch den Personen zusteht, die in ihrem Erwerbe einen Schaden nicht erlitten haben, dem beschäftigungslosen Rentner, der nicht selbst erwerbenden Ehefrau und den noch nicht erwerbsfähigen Kindern, so haben diese mit der Leistungsklage wegen Vermehrung der Bedürfnisse nicht notwendig eine Feststellungsklage wegen des etwaigen späteren Verlusts oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu verbinden: soweit überhaupt eine Rente aus § 843, wenn auch nur wegen Vermehrung der Bedürfnisse zugesprochen wird, kann der spätere Eintritt eines Erwerbsschadens vielmehr nach § 323 Z P O geltend gemacht werden. Aus der Einheitlichkeit der Rente folgt, daß keine spätere Herabsetzung der Rente nach § 323 Z P O gefordert werden kann, wenn die Erwerbsverhältnisse sich verbessert, die Bedürfnisse aber auch sich entsprechend vermehrt haben ( R G 74, 1 3 1 ) , wie umgekehrt keine Erhöhung der Rente. E n t s t a n d e n ist der Rentenanspruch im ganzen bereits mit der Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfahigkeit des Verletzten (oder mit der Vermehrung der Bedürfnisse, s. Anm. 4), nur die Fälligkeit der einzelnen Rentenbeträge ist hinausgeschoben; im Konkurse des Verletzten gehören daher auch die nach Konkurseröffnung fallig werdenden Renten zur Konkursmasse ( R G 142, 291; 1 5 1 , 279, 283). Nach Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes kann und muß eine Ehefrau bei gesetzlichem Güterstand (Zugewinngemeinschaft), in dem jeder Ehegatte sein Vermögen selbständig verwaltet (§ 1364), ihre Ersatzansprüche ebenso wie im Falle der Gütertrennung selbst geltend machen. Das gleiche gilt für die Ansprüche aus § 843 auch bei der Gütergemeinschaft, da diese Ansprüche (ebenso wie die Schmerzensgeldansprüche) zum Sondergut gehören (§§ 1417 Abs. 2).
Anm. 6 2. Höhe der Rente. Die Rente des § 843 ist Schadensersatz für aus vergangener
Ursache in d e r Z u k u n f t zu e r w a r t e n d e Nachteile. Deshalb sind für die Festsetzung der Rente die körperlichen wie die Berufs- und Erwerbsverhältnisse des Verletzten, wie sie sich ohne die Verletzung in der Zukunft gestaltet haben würden, und wie sie sich nunmehr nach der Verletzung voraussichtlich entwickeln werden, ins Auge zu fassen, soweit sie zu übersehen sind ( R G J W 1 9 1 1 , 584 26 ). Die Bestimmung des § 3 2 3 Z P O sieht zwar einen Weg vor, auf dem eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die für die Verurteilung zur Entrichtung von Leistungen zur Zeit des Urteilserlasses maßgebend waren, von seiten des Verletzten wie des Ersatzpflichtigen zur Anerkennung gebracht werden kann (vgl. Anm. 19). Aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift ergibt sich aber, daß der n a c h d e r a l l g e m e i n e n E r f a h r u n g u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g d e r b e s o n d e r e n V e r h ä l t n i s s e , d e r A n l a g e n u n d A u s s i c h t e n des V e r l e t z t e n zu e r w a r t e n d e L a u f d e r D i n g e zunächst zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden muß. Eine abweichende spätere Entwicklung wird dann den Anstoß zu einer Klage nach § 323 Z P O geben ( R G 63, 195; 86, 1 8 1 ; 123, 40, 43; 126, 239; R G J W 1905, 283 4 ; 1917, 604 15 ; R G WarnRspr 1908 Nr. 169; 1 9 1 3 Nr. 123 u. 292; 1914 Nr. 32; 1919 Nr. 79; 1931 Nr. 23; B G H 5, 314). Das Gericht kann insbesondere eine D u r c h s c h n i t t s r e n t e festsetzen, und zwar nicht nur auf einige J a h r e ; bei einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse, wie z. B. wenn der Verletzte wieder arbeitsfähig wird, kann der Ersatzpflichtige gemäß § 323 Z P O eine Abänderung der Festsetzung verlangen ( R G J W 1935, 294g4, 2953'; R G H R R 1934 Nr. 564). Den Ausgangspunkt für die Bemessung der Rente bieten die Verhältnisse der Zeit der Verletzung; sie sind der Regel nach zugrunde zu legen, sofern sie sich nicht als nur vorübergehend und deshalb für die Gestaltung der Zukunft nicht maßgebend darstellen ( R G WarnRspr 1913 Nr. 56). Sie stellen aber in der Regel nur das Mindestmaß des zuzusprechenden Schadensersatzes dar. Da es sich um eine Gestaltung der Zukunft handelt, muß f ü r d i e B e m e s s u n g der Rente der Z e i t p u n k t d e r U r t e i l s f ä l l u n g zugrunde
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Anm. 6 gelegt werden, der die Verhältnisse der Zukunft am besten überschauen läßt. V o n den Erwerbsverhältnissen des Verletzten zur Zeit der Beschädigung aus muß berechnet werden, welchen Erwerb nach den zur Zeit der Urteilsfallung zu überblickenden wirtschaftlichen Verhältnissen der Ersatzberechtigte in Zukunft ohne die Verletzung gehabt haben würde. V o n diesen Gesichtspunkten aus muß der Verletzte, der von seiner Arbeitskraft bisher keinen Gebrauch gemacht hat und eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit fordert, dartun, daß er jene in Zukunft verwertet haben würde, wie umgekehrt, wenn der Verletzte vorher einen Erwerb gezogen hat, der den Anspruch bestreitende Ersatzpflichtige nachweisen mag, daß der Verletzte in Zukunft auch ohne die Verletzung wenig oder nichts verdient haben würde ( R G J W 1911, 584 26 ; WarnRspr 1908 Nr. 169; 1913 Nr. 56). Der Verletzte, der den Verlust laufender Einkünfte geltend macht, muß sich entgegenhalten lassen, daß er die Einkünfte auch ohne die Verletzung später mit Gewißheit verloren haben würde; insoweit ist ein sog. hypothetischer Ursachenzusammenhang jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn er an Umstände anknüpft, die schon zur Zeit der Verletzung in der Person des Verletzten selbst lagen ( B G H 10, 6). Die Verurteilung zu künftiger Leistung setzt aber immer voraus, daß die Einschätzung der — zwar stets eine gewisse Unsicherheit in sich tragenden — künftigen Entwicklung nach der Lebenserfahrung und den Gesamtumständen zur Zeit des Urteils m i t e i n i g e r G e w i ß h e i t möglich ist; ist das nicht der Fall, kann zunächst nur die urteilsmäßige Feststellung der Schadensersatzpflicht für die weitere Zukunft erfolgen ( R G 145, 146; B G H VersR 1956, 174; s. auch R G WarnRspr 1917 Nr. 26). Bei B e a m t e n und t a r i f l i c h (oder entsprechend) e n t l o h n t e n A r b e i t n e h m e r n sind bei der Rentenbemessung die einschlägigen tarif- und besoldungsrechtlichen Bestimmungen über automatische Lohn- und Gehaltssteigerungen usw. zu berücksichtigen. Die Rente kann ggfs. nach den tariflichen oder besoldungsrechtlichen Lohn- oder Gehaltssätzen (oder Bruchteilen davon) bemessen und so der wechselnden Lohn- und Gehaltslage angepaßt werden (vgl. SeuffArch 87 Nr. 45; B G H VersR 1957, 574). Bei einem durch die Verletzung dienstunfähig gewordenen Beamten ist für die Ermittlung der Rente auch das normale gesetzliche Ruhegehalt, das er ohne die Verletzung später bezogen haben würde, zu berücksichtigen ( R G J W 1910, 4 7 1 ' ) . Entsprechendes gilt für die Versorgungsrenten von Arbeitnehmern. D a dem Verletzten nur der tatsächlich entstandene Schaden zu ersetzen ist, hat die Berechnung des Erwerbsausfalles, insbesondere bei L o h n - u n d G e h a l t s e m p f ä n g e r n von den N e t t o b e z ü g e n auszugehen, die sich ergeben, wenn vorweg die persönlichen Steuern und die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge abgesetzt werden. Zusätzlich ist alsdann zu berücksichtigen, was auf die dem Verletzten als Ersatz für die Verdienstausfallschäden zufließenden Leistungen an Einkommen- und Kirchensteuern, Sozialversicherungsbeiträgen usw. zu entrichten ist ( R G D R 1942, 1186 6 ; B G H L M § 249 [Ga] Nr. 5). Die Sozialversicherungsbeiträge kann der Schädiger jedoch nicht zu seinen Gunsten in Anrechnung bringen, soweit ihre weitere — freiwillige — Zahlung zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft auf die dem Verletzten nach seinem früheren Einkommen zustehenden Versicherungsleistungen erforderlich ist ( B G H NJW 1954, 1034). Auch bedeutet der Grundsatz der Nettoberechnung nicht, daß der Schädiger Steuervergünstigungen, die dem Verletzten wegen seiner Körperbeschädigung bewilligt werden, auf den von ihm zu leistenden Schadensersatz in Anrechnung bringen könnte ( B G H VersR 1958, 528). Bei einem s e l b s t ä n d i g e n K a u f m a n n , G e w e r b e t r e i b e n d e n o d e r L a n d w i r t kommt in Frage, wieweit für den wirtschaftlichen Ertrag seines Unternehmens die aufgehobene oder verminderte persönliche Arbeitskraft in Ansatz zu bringen ist. Unter Umständen ist seine persönliche Tätigkeit durch Annahme einer Hilfskraft zu ersetzen, und in diesem Falle ist die Rentenentschädigung auf den notwendigen Aufwand für die Hilfskraft zu beschränken ( R G Recht 1908 Nr. 1416; B G H L M § 843 Nr. 1). Kamen einem verletzten Ehemanne beim Betriebe des Erwerbsgeschäfts, das er infolge der Verletzung aufgeben muß, Dienste der Ehefrau oder der Kinder zustatten, die die Geschäftsunkosten verringerten, so ist dies bei der Festsetzung der Rente zu berücksichtigen; es können ihm nicht Geschäftsunkosten belastet werden, die er nicht gehabt hat ( R G J W 1911, 773 41 ).
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Anm. 7 Auch völlig u n r e g e l m ä ß i g e (Neben-)Einkünfte sind zu berücksichtigen; die durchschnittliche Höhe ist ggfs. nach § 287 ZPO zu schätzen (BGH VersR 1957, 574). Der Ersatzpflichtige hat keinen allgemeinen Anspruch darauf, daß der Verletzte seinen Beruf oder seine Stellung nicht wechselt; geringerer Verdienst in neuer Stellung ist zu Lasten des Verletzten daher nur unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens, insbesondere bei Verstoß gegen Treu und Glauben zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 1951, 797; BGH DAR 1952, 26; OLG Tübingen VersR 1952, 280). Uber den Einwand des Ersatzpflichtigen, ohne den Unfall würde der Verletzte zum Kriegsdienst eingezogen worden und um seinen Erwerb gekommen sein, vgl. RG 95, 1, 66 u. 87; RG J W 1920, 7742 und VAE 1944, i84e. Wegen der Berücksichtigung k r a n k h a f t e r V e r a n l a g u n g des Verletzten s. RG 169, 117; Rentenhysterie s. BGH 20, 137. Beruht der Verdienstausfall außer auf dem Unfall noch auf a n d e r e n s e l b s t ä n d i g e n U r s a c h e n , für die der Schädiger nicht aufzukommen hat, so kann das Gericht eine entsprechende Zerlegung des Gesamtschadens nach Hundertsätzen (§ 287 ZPO) vornehmen (BGH VersR 1952, 288 im Anschluß an RG HRR 1931 Nr. 824; vgl. auch RG J W 1938, 373')Im Prozeß gilt für die Feststellung der Schadensfolgen in der Erwerbsfähigkeit des Verletzten und deren Abänderungen nach § 323 ZPO ü b e r a l l § 287 ZPO (RG 83, 65; RG WarnRspr 1931 Nr. 23; BGH VersR 1957, 574). Anm. 7 Der Verletzte darf seine Arbeitskraft, soweit sie ihm erhalten geblieben oder mit zumutbarer Mühe wieder herzustellen ist, nicht brachliegen lassen, sondern er muß sich nach Kräften bemühen, sie nutzbringend zu verwerten (§ 254 Abs. 2). Im einzelnen bestimmt sich das, was dem Verletzten zuzumuten ist, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falles nach den Grundsätzen von T r e u und Glauben. Hiernach bestimmt sich insbesondere, ob und in welcher Art dem Verletzten ein Berufswechsel, ggfs. eine besondere U m s c h u l u n g angesonnen werden kann. Dabei sind insbesondere Alter, Vorbildung, Kenntnisse, seelische und körperliche Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, Art und Schwere der Unfallfolgen, verbleibende Betätigungsmöglichkeiten, aber auch Familienverhältnisse, etwaige persönliche Bindungen des Verletzten an einen bestimmten Personenkreis und an einen bestimmten örtlichen Bezirk, Arbeitsmarktlage und die Aussichten, den Schaden wenigstens zum Teil mindern zu können, zu berücksichtigen (vgl. RG 160, 119; BGH 10, 18, BGH DAR 1952, 26; BGH VersR 1955, 38; 1956, 174). Wenn es auch grundsätzlich Sache des Verletzten ist, sich um einen neuen der veränderten Sachlage entsprechenden Tätigkeitsbereich zu bemühen, so hat doch auch der Schädiger das seine zu tun, indem er dem Verletzten bei der Gewinnung zumutbarer Erwerbsmöglichkeiten behilflich ist und ihm ggfs. die erforderlichen Mittel für eine Umschulung, Geschäftseröffnung oder dergleichen zur Verfügung stellt. Im Einzelfall wird sich diese Frage nur bei v e r s t ä n d i g e m Zusammenwirken beider P a r t e i e n , an dem es keine Seite fehlen lassen darf, befriedigend lösen lassen. Vgl. im einzelnen: RG 53, 48; 20RG J W 1909, 49518: erblindete landwirtschaftliche Arbeiterin; RG J W 1912, 597 : Hebamme; RG J W 1937, 1916 21 : es darf nicht eine über das Durchschnittsmaß hinausgehende Leistung gefordert werden; RG J W 1937, 236619: einem ausschließlich künstlerisch ausgebildeten und eingestellten Verletzten (hier: an zwei Fingern der linken Hand verletzter 4ojähriger Geiger) kann Umschulung auf einen Handwerks- oder Arbeiterberuf nicht zugemutet werden; RG J W 1938, 16489: selbständiger Kaufmann; RG SeuffArch 89 Nr. 20: der längere Zeit erwerbsunfähig gewesene Verletzte muß sich innerhalb angemessener Frist bemühen, sich wieder an die Arbeit zu gewöhnen; RG 139, 131: Pflicht zur Duldung einer Operation; RG 160, 119 und BGH 10, 18: Grundlegendes zur Umschulungspflicht und Zumutbarkeit einer medizinischen Nachbehandlung; BGH DAR 1952, 26; BGH VersR 1955, 38; 1956, 174; 1957, 752. Bietet der Ersatzpflichtige dem Verletzten Aussicht auf eine Anstellung, wird dieser aber wegen Begehung einer Straftat nicht angestellt, so ist nach § 254 abzuwägen, in welchem Maße die Erwerbseinbuße des Verletzten ihm selbst und in welchem Maße sie dem Ersatzpflichtigen zur Last fällt (RG 164, 79). Ein V e r s c h u l d e n wegen Nichtausnutzung 98
Komm. 2. B G B , I i . Aufl. II. Bd. (Kreft)
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neuer Erwerbsmöglichkeiten trifft den Verletzten nur, wenn er trotz erkennbar vorhandener Erwerbsmöglichkeiten Bemühungen um einen neuen Erwerb unterläßt; die Beweislast trifft insoweit den Ersatzpflichtigen(RG J W 1912, 597 20 ; RG L Z 1918, 691 4 ; R G 160, 119, 120; 163, 40, 45; BGH VersR 1955, 38; 1957, 752). Die Annahme, daß ein Arbeiter, der infolge eines Unfalls seine Stelle verloren hat, trotz Herabsetzung seiner Arbeitskraft sofort eine andere feste Arbeitsstelle hätte finden können, bedarf insbesondere bei weithin bestehender Arbeitslosigkeit eingehender Prüfung und Würdigung (RG SeuffArch 88 Nr. 26). Anm. 8 3. Dauer der Rente. Im Rahmen der Entschädigung für Verlust oder Minderung der Erwerbsfähigkeit muß der nach der E r f a h r u n g n a t ü r l i c h e und r e g e l m ä ß i g e G a n g der Dinge den Ausgangspunkt vor allem auch zur Beantwortung der Frage bilden, wie lange der Verletzte ohne die Verletzung zur Ausnutzung seiner Arbeitskraft in der Lage gewesen sein würde, und es muß in allen Fällen in denen nicht angenommen werden kann, daß der Verletzte ohne die Verletzung bis in sein hohes Alter hinein seine Erwerbstätigkeit hätte fortsetzen können, für die Dauer der Rente eine A l t e r s g r e n z e festgesetzt werden (RG 83, 65; 86, 377; 98, 222; R G J W 1905, 283 4 ; 1906, 548 15 ; 1909, 686 10 ; 1910 S . 6 5 " , 471», 812 2 »; 1911, 3 2 5 " ; 1932, 7871»; WarnRspr 1913 Nr. 141; 1928 Nr. 105). Eine Rente wegen Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit auf die ganze Lebenszeit ist nur zuzuerkennen, wenn nach den persönlichen und Berufsverhältnissen des Beschädigten eine Erwerbstätigkeit bis ins hohe Greisenalter mit Zuverlässigkeit angenommen werden kann, was insbesondere bei geistiger Berufstätigkeit vielfach zutrifft (RG J W 1905, 493 19 ; 1906, 308"; 1908, 140 10 ; 1910, 812 3 0 ; R G WarnRspr 1932 Nr. 78; R G H R R 1931 Nr. 1858; R G 9. 1 1 . 1903 V I 120/03: Hausdame; 3. 12. 1906 V I 127/06: Arzt), sowie wenn die Beschädigung den noch rüstigen, arbeits- und erwerbsfähigen Verletzten erst im hohen Alter traf (RG WarnRspr 1908 Nr. 57). Andererseits ist ein allgemeiner Erfahrungssatz dahin, daß die Erwerbsfähigkeit eines Menschen in der Regel mit der Vollendung eines bestimmten, z. B. des 65. Lebensjahres erlösche, nicht anzuerkennen; entscheidend sind vielmehr die besonderen Umstände des Falles, die Art der Berufstätigkeit, der körperliche und geistige Zustand des einzelnen (RG J W 1932 S. 202915, 2154 1 3 ; RG SeuffArch 89 Nr. 40; R G H R R 1934, 1023); dasselbe gilt für die Frage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (RG J W 1933, 8306). Eine Bemessung der Rente als Bruchteil einer Gesamtvergütung für die Minderung der Erwerbsfähigkeit dergestalt, daß sie für die ganze Lebenszeit, aber in geringerem Jahresbetrage festgesetzt wird, ist nicht unzulässig (RG J W 1908, 140 11 ), aber wegen der damit möglicherweise verbundenen Unbilligkeit kaum zu empfehlen (vgl. R G 145, 195, 199). Die Zuerkennung einer Rente für die gesamte L e b e n s z e i t muß stets besonders begründet werden ( R G J W 1931, 865 11 ; 1932, 787 10 ); ein Urteil, das ohne zeitliche Begrenzung die Verpflichtung zur Zahlung einer Rente ausgesprochen hat, obwohl der Anspruch nach der maßgebenden sachlich-rechtlichen Grundlage zeitlich begrenzt ist, schafft über die Dauer der Rentenzahlungsverpflichtung keine Rechtskraft (OLG Düsseldorf DR 1940, 22Ö335). Die für eine u n v e r h e i r a t e t e F r a u festzusetzende Rente endigt nicht ohne weiteres mit der Eheschließung (RG J W 1917, 60415) und eine entsprechende urteilsmäßige Bestimmung ist unzulässig (vgl. R G H R R 1934, 1023). 4. Anrechnung von Leistungen Dritter; gesetzlicher Forderungsübergang Anm. 9 Für den Fall, daß durch die Verletzung auch Leistungen von dritter Seite — sei es kraft Gesetzes, sei es kraft vertraglicher Verpflichtung, sei es freiwillig — an den-Verletzten ausgelöst werden, hat sich in der Rechtsprechung und auch in der einschlägigen Gesetzgebung immer mehr der Grundsatz durchgesetzt, daß der Schädiger durch diese Leistungen nicht entlastet werden darf ( B G H 9, 179, 191; 13, 360, 363; 21, 112, 1 1 6 ; 22, 72, 75). Die für die Leistungen eines unterhaltspflichtigen Dritten in § 843 Abs. 4 gegebene ausdrückliche Vorschrift bringt insoweit einen über den Wortlaut dieser Vorschrift hinausgreifenden a l l g e m e i n e n R e c h t s g e d a n k e n zum Ausdruck. 1532
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Anm. 10
Grundsätzlich ist mithin bei der Beurteilung der Rechtsbeziehungen in dem dreiseitigen Verhältnis zwischen Verletztem, Schädiger und Drittem davon auszugehen, daß die Schadensersatzpflicht des Schädigers trotz der Leistungen des Dritten an den Verletzten grundsätzlich in vollem Umfang bestehen bleibt, der Verletzte selbst jedoch in der Regel auch keinen Vorteil aus der Verletzung ziehen soll.
Anm. 10 Soweit dem Verletzten L e i s t u n g e n k r a f t G e s e t z e s , insbesondere L e i s t u n g e n a u s d e r S o z i a l v e r s i c h e r u n g oder b e a m t e n r e c h t l i c h e V e r s o r g u n g s l e i s t u n g e n zu erbringen sind oder soweit er trotz Aufhebung seiner Dienstfähigkeit Ansprüche auf Dienstbezüge behält, ist dem Grundsatz, daß einmal der Schädiger durch diese von den öffentlichen Versicherungs- oder Versorgungsträgern erbrachten Leistungen nicht entlastet werden, der Geschädigte aber auch nicht doppelten Ersatz erhalten soll, allgemein dadurch Rechnung getragen, daß im Gesetz ein entsprechender F o r d e r u n g s ü b e r g a n g normiert ist (§1542 R V O , § 49 A V G , § 105 RKnappschG, § 218 A V A V G , § 87 a BBG, § 52 B R R G ) . Durch die •— am 1. 9. 1957 in Kraft getretenen — Bestimmungen des § 87 a BBG und des § 52 B R R G ist nunmehr auch die bis dahin umstrittene Frage (s. B G H L M § 843 Nr. 7), ob der öffentliche Dienstherr auch wegen der Gehaltsbezüge, die er einem infolge Verletzung vorübergehend dienstunfähigen Beamten zu zahlen hat, Rückgriff bei dem Schädiger nehmen kann, positiv geregelt und ein Forderungsübergang gesetzlich bestimmt. Der Schadensersatzanspruch entsteht zwar zunächst in der Person des Geschädigten, aber doch vollzieht sich der Forderungsübergang — gewissermaßen dem Grunde nach — bereits in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt, mögen auch die Voraussetzungen der Zahlungspflicht des Versicherungsträgers oder des öffentlichrechtlichen Dienstherrn im einzelnen noch nicht feststehen; es bleiben also Schaden sowie Schadensersatzanspruch und es wechselt nur die Person des Anspruchsberechtigten (RG 91, 142; 148, 19, 22; 156, 347, 3 5 1 ; B G H 19, 177; B G H L M § 1542 R V O Nr. 9 und Nr. 20 sowie § 852 Nr. 8). Der F o r d e r u n g s ü b e r g a n g setzt mithin nicht mehr v o r a u s , als daß der Fall eintritt, auf Grund dessen der Verletzte die Leistungen des Versicherungsträgers oder des öffentlichen Dienstherrn beanspruchen kann, also weder die Feststellung der Leistungspflicht des Versicherungsträgers (oder öffentlichen Dienstherrn), noch den Leistungsantrag des Geschädigten ( B G H VersR 1958, 533, 534 und 1959, 34). Demgemäß gehen die Ansprüche auch insoweit über, als die zu gewährenden Versicherungs- oder Versorgungsleistungen durch nachträgliche Gesetzesänderung erhöht worden sind, so daß der Schädiger die Mehrbeträge im Rahmen des von ihm zu ersetzenden Schadens auch dann erstatten muß, wenn er mit dem Geschädigten wegen des diesem entstandenen Schadens vor der Rentenerhöhung einen Abfindungsvergleich geschlossen hat ( B G H 19, 177; B G H L M § 1542 R V O Nr. 5); anders, wenn dem Geschädigten nach gesetzlicher Änderung des Versicherungssystems neuartige Ansprüche gewährt werden ( B G H § 1542 R V O Nr. 9, B G H VersR 1955, 393). Der Forderungsübergang findet auch insoweit statt, als der Träger der Rentenversicherung Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner für einen Unfallverletzten zu leisten hat ( B G H VersR 1959, 51). Gewährt der Staat auf Grund einer KannVorschrift den Kindern eines durch Unfall getöteten Beamten über das 18. Lebensjahr hinaus eine Waisenrente, so beruht das auf einer Verpflichtung des Staates und kann den Ubergang der Ansprüche (§ 844) begründen ( B G H L M Art. 154 Bayer. BeamtenG Nr. 1). Voraussetzung für den Forderungsübergang ist die Gleichartigkeit d e s dem Versicherten oder Versorgungsberechtigten erwachsenen S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h s u n d der ihm gewährten V e r s i c h e r u n g s - o d e r V e r s o r g u n g s l e i s t u n g e n , mit anderen Worten ihre z e i t l i c h e u n d s a c h l i c h e K o n g r u e n z . Es muß deshalb bei dem Schadensersatzanspruch des Verletzten nach der Art der ihm erwachsenen Schäden unterschieden und untersucht werden, ob und in welchem Umfang die Versicherungsoder Versorgungsleistungen die Deckung dieser Schäden bezwecken ( B G H L M § 46 A V G Nr. 1 ; § 1542 R V O Nr. 20). Jedoch gehen bei Tötung eines Invalidenrentners oder pensionierten Beamten die Ansprüche der Hinterbliebenen (§ 844), wenn nunmehr 98«
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§ 843 A n m . 11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
der öffentliche Dienstherr oder der Versicherungsträger die Hinterbliebenenrente zu gewähren haben, auf Versicherungsträger oder öffentlichen Dienstherrn selbst d a n n über, wenn die Hinterbliebenenrenten hinter den vorher an den Getöteten zu erbringenden Leistungen zurückbleiben ( B G H 9, 179 [Großer Senat]; a A W a g n e r VersR 1954, 5 2 1 ; S e i t z VersR 1957, 348). Auch h a t der Schädiger bei Unfalltod eines erwerbstätigen Sozialversicherten oder eines aktiven Beamten die Hinterbliebenenbezüge, soweit sie sich mit den Schadensersatzansprüchen nach §§ 843, 844 decken, nicht n u r bis z u m Zeitpunkt der normalen Invalidisierung des Versicherten oder Zurruhesetzung des Beamten, sondern bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen bis z u m m u t m a ß lichen natürlichen T o d e des Versicherten oder Beamten zu ersetzen ( B G H 9, 179, 193; B G H VersR 1954, 225/6). Bleibt der Schadensersatzanspruch hinter d e m wirklich entstandenen Schaden zurück, weil etwa eine schuldhafte M i t v e r u r s a c h u n g des Schadens d u r c h den Verletzten gemäß § 254 zu berücksichtigen ist, so ist der Forderungsübergang auf den Träger der Sozialversicherung nicht auf einen entsprechenden Teil des Ersatzanspruchs beschränkt; vielmehr u m f a ß t der Ü b e r g a n g den ganzen (Teil-)Anspruch bis zur H ö h e der Versicherungsleistungen, u n d zwar mit Vorrang vor d e m d e m Verletzten etwa verbleibenden Restanspruch, sog. Q u o t e n v o r r e c h t d e s S o z i a l v e r s i c h e r u n g s t r ä g e r s ( R G 148, 19; O G H 4, 16; B G H L M § 11 S t r V O Nr. 1; B G H VersR 1956, 85; ¡957, 814). Hingegen steht bei Ansprüchen von Beamten in derartigen Fällen d e m öffentlichen Versorgungsträger ein solches Quotenvorrecht nicht zu ( B G H 22, 136; B G H L M § 840 Nr. 5). Das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers k a n n nicht d a d u r c h umgangen werden, d a ß der Geschädigte f ü r die Vergangenheit einen Kapitalbetrag fordert u n d auf diesen lediglich die bereits geleisteten Zahlungen des Sozialversicherungsträgers anrechnet; fordert er einen Kapitalbetrag, so müssen auf diesen notwendig die gesamten auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Forderungen ebenfalls als K a p i t a l veranschlagt werden ( B G H VersR 1959, 352). Wegen der weiteren Einzelheiten u n d zu weiteren Fällen von gesetzlichem Forderungsübergang s. § 823 Anm. 85 fr. A n m . 11 Soweit d e m Verletzten durch die Verletzung ausgelöste f r e i w i l l i g e o d e r v e r t r a g l i c h e L e i s t u n g e n von dritter Seite zufließen, verbleibt es ebenfalls bei d e m Grundsatz, d a ß der Schädiger d u r c h solche Leistungen Dritter nicht entlastet werden darf u n d soll; eine Anrechnung derartiger Leistungen auf die Schadensersatzpflicht des Schädigers kommt d a n a c h n u r in Betracht, soweit dies bei Berücksichtigung der gesamten Interessenlage zwischen Verletztem, Schädiger u n d Drittem d e m Sinn u n d Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht u n d d e m Verletzten oder d e m Dritten z u m u t b a r ist (vgl. dazu B G H 7, 30, 49; 8, 325, 329; 10, 107, 108; 22, 72, 75f; s. auch bereits R G 92, 57; 141, 1 7 3 ; 152, 273, 280 sowie zur Vorteilsausgleichung allgemein Vorbem. 65fr vor § 823).
Es sind d a n a c h auf die Schadensersatzverpflichtungen des Schädigers n i c h t a n z u r e c h n e n : freiwillige Leistungen an den Verletzten aus A n l a ß der Verletzung aus fürsorgerischen Gesichtspunkten ohne Rechtsanspruch ( R G 152, 273, 280; R G J W 1936, 1667 6 ; R G D R 1941, 1457 1 2 ; B G H VersR 1958, 311), insbesondere freiwillige — oder auch arbeitsvertraglich ausbedungene — Leistungen des (früheren) Arbeitgebers ( R G 1 5 1 , 330; B G H 10, 107); L o h n f o r t z a h l u n g e n des Arbeitgebers trotz verminderter oder zeitweise aufgehobener Arbeitsfähigkeit des Verletzten ( B G H 7, 30, 50; 2 1 , 1 1 2 ; insoweit weitergehend als R G 165, 236). Leistungen aus einer (Arbeiter-) Pensionskasse oder sonstigen R u h e g e l d e i n r i c h t u n g ohne Rücksicht darauf, ob der Verletzte oder der Dritte (Arbeitgeber) die Prämien bezahlt\hat ( R G 130, 258; 1 4 1 , '73> 153, 2 Ö 4 ; R G J W 1937, 1155 12 ); S t e u e r v e r g ü n s t i g u n g e n wegen Körperbeschädigung ( B G H V R S 14, 420; 15, 243); Arbeitslosenfürsorgeunterstützung ( B G H 4, 170, 178ff; B G H L M § 2 4 9 [Cb] Nr. 3); im Gnadenwege gewährte F ü r s o r g e l e i s t u n g e n des (früheren) öffentlichen Dienstherrn ( B G H L M § 852 Nr. 8; vgl. auch R G 136, 83: W i t w e n b e i h i l f e nach RVersG, auf die kein Rechtsanspruch bestand); U n f a l l V e r s i c h e r u n g s l e i s t u n g e n aus einem vom Verletzten oder einem Dritten
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Unerlaubte Handlungen
§843 Anm. 12,13
(Arbeitgeber) abgeschlossenen Vertrag (RG 141, 173, 175; 146, 287; B G H 19, 94, 99; anders noch R G 70, 101). Selbst dann, wenn der Schädiger oder sonst Ersatzpflichtige die Unfallversicherung für den Verletzten abgeschlossen hat (z. B. Insassenversicherung des KFZ-Halters), bleibt grundsätzlich der Schadensersatzanspruch des Verletzten neben dem Anspruch aus der Unfallversicherung bestehen. Der Ersatzpflichtige, der die Versicherung abgeschlossen hat, kann jedoch, wenn die Interessenlage es gebietet, die Anrechnung verlangen, während ein etwaiger weiterer Ersatzpflichtiger dies nicht von sich aus kann ( B G H 19, 94; weniger weitgehend R G 152, 199). O b der Geschädigte eine Doppel-Leistung f ü r s i c h b e a n s p r u c h e n d a r f o d e r ob er sich i m V e r h ä l t n i s z u d e m D r i t t e n die Schadensersatzleistungen des Ersatzpflichtigen a n r e c h n e n l a s s e n , sie ggfs. a b t r e t e n m u ß , hängt von den zwischen dem Verletzten und dem Dritten bestehenden Rechtsbeziehungen ab ( B G H 13, 360, 364 fr). Der Verletzte bleibt jedenfalls solange, wie keine Abtretung erfolgt ist, Gläubiger des Schadensersatzanspruchs (vgl. B G H 7, 30; L M § 1542 R V O Nr. 20). Wenn und soweit jedoch der Ersatzanspruch auf der B e a m t e n - ( A m t s - ) H a f t u n g beruht, muß wegen der Subsidiarität dieser Haftung (§ 839 Abs. 1 Satz 2) eine Anrechnung auch von nach vorstehenden allgemein nicht anrechenbaren Leistungen erfolgen (RG 152, 20: Unfallversicherung; R G 171, 173: Leistungen aus der Sozialversicherung; vgl. im einzelnen § 839 Anm. 89ff). A n m . 12 5. Die Vorschriften des § 760 für die Leibrente, die auf die Rente nach § 843 entsprechend anzuwenden sind, bestimmen, daß die Rente im voraus in dreimonatlichen Zeitabschnitten zu entrichten ist und daß dem Berechtigten der volle Betrag des Rententeiles gebührt, wenn er den Beginn des Zeitabschnitts erlebt hat, für den die Rente zu entrichten ist. Diese Bestimmungen des § 760 sind für die Leibrente nachgiebigen Rechtes. Für die entsprechende Anwendung auf die Rente des § 843 gilt dies nicht; der Richter ist an die Vorschrift gebunden; er darf nicht andere Zahlungsabschnitte festsetzen und nicht statt der Vorauszahlung Nachzahlung anordnen; ein Ermessen besteht in dieser Beziehung nicht; es würde der gesetzlichen Regel ihren Wert nehmen ( R G 6 9 , 296). IV. Sicherheitsleistung (Abs. 2 Satz 2) A n m . 13 Eine Sicherheitsleistung durch den Ersatzpflichtigen kann nach § 843 Abs. 2 Satz 2 nicht schlechthin gefordert werden; es ist dem Ermessen des Gerichts überlassen, j e nach den Umständen zu bestimmen, sowohl ob, als in welcher Weise und für welchen Betrag eine Sicherheit zu leisten ist. Sind mehrere Ersatzpflichtige verklagt, so muß die Frage der Sicherheitsleistung für jeden auf Grund seiner wirtschaftlichenVerhältnisse besonders geprüft werden (RG 157, 348). Die Art der Sicherheitsleistung hat sich in den Grenzen der gesetzlichen Sicherheitsarten der §§ 232 bis 240 zu halten (RG J W 1906, 438 28 ). Dem Umstand, daß der Ersatzpflichtige gegen Haftpflicht versichert ist, steht die Auferlegung einer Sicherheitsleistung nicht entgegen, zumal wenn der Versicherte über den Versicherungsanspruch jederzeit verfügen kann (RG J W 1935, 2 949 4 )- Andererseits darf das Bestehen einer Haftpflichtversicherung nicht zuungunsten des Ersatzpflichtigen berücksichtigt werden, vielmehr ist umgekehrt zu seinen Gunsten zu prüfen, ob nicht der Versicherungsschutz eine Sicherheitsleistung, die ihm sonst zuzumuten wäre, entbehrlich macht (RG 157, 348). Die Prüfung, ob eine Sicherheitsleistung angebracht ist, hängt wesentlich von der Höhe der zuerkannten Entschädigung, insbesondere also von der Höhe der Renten und der Dauer der Rentenverpflichtung ab (RG J W 1935, 294g 4 ). Eine Sicherheitsleistung kann deshalb in Verbindung mit einer Feststellungsklage überhaupt nicht gefordert werden (RG 60, 416), und die Entscheidung darüber gehört, wenn sie bei einer Leistungsklage in Frage kommt, bei Scheidung des Verfahrens über Grund und Betrag des Schadensersatzanspruchs in das Nachverfahren (RG 10. 12. 1906 V I 189/06). Nach Erlaß des Urteils, in dem eine Sicherheitsleistung nicht vorgesehen war, kann der Verletzte eine solche verlangen bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Ersatzpflichtigen, unter der gleichen Voraussetzung auch auf Erhöhung der angeordneten Sicherheit antragen (§324 ZPO).
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§ 843 A n m . 14—16
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
V. Kapitalabfindung (Abs. 3) A n m . 14 Anstatt der Geldrente kann nach Abs. 3 der Verletzte eine Abfindung in Kapital verlangen, w e n n ein wichtiger Grund vorliegt. Als wichtiger Grund können zu befürchtende Zahlungsschwierigkeiten des Ersatzpflichtigen, aber auch die Schwierigkeit der Erhebung und Beitreibung des Rentenanspruchs gegen den im Auslande wohnenden oder seinen Wohnsitz oft verlegenden Ersatzpflichtigen in Betracht kommen. Als wichtiger Grund ist es aber auch angesehen worden, daß nach dem Gutachten der Ärzte eine einmalige Abfindung von günstigem Einfluß auf den Zustand des Verletzten sein würde (RG 73, 418; R G J W 1909, 13711). Bei jugendlichen Verletzten kann auch der Wunsch, sich selbständig zu machen und dadurch den wegen Erwerbsunfähigkeit auf andere Weise nicht zu erlangenden Lebensunterhalt zu gewinnen, die Kapitalabfindung rechtfertigen (RG J W 1933, 84012). Es ist auch nicht unzulässig, für eine Reihe von Jahren eine Rente und für die Folgezeit eine Abfindung zuzusprechen (RG Recht 1917 Nr. 1631). Zum Verlangen einer Kapitalabfindung, wenn der Ersatzpflichtige in Konkurs geraten, jedoch gegen Haftpflicht versichert ist s. R G 93, 209. Über die einheitliche Entscheidung, ob Kapital oder Rente zuzusprechen sei, gegenüber mehreren Ersatzpflichtigen, selbst wenn diese teils aus u. H., teils aus Vertragsverletzung für denselben Schaden verantwortlich sind, s. oben Anm. 1. Für die Verjährung ist zu beachten, daß es sich bei der Kapitalabfindung und der Rentenzahlung lediglich um zwei verschiedene Formen der Befriedigung desselben Anspruchs, nicht um zwei verschiedene Ansprüche handelt (RG 77, 216; RG H R R 1933 Nr. 1083). A n m . 15 Es liegt grundsätzlich allein b e i m V e r l e t z t e n , ob er Schadensersatz in Form einer Rente oder eines Kapitals verlangen will. Das Gericht kann nicht anstelle der einen beantragten Schadensersatzart von sich aus auf eine andere erkennen; jedoch kann der Verletzte auch beide Arten von Schadensersatz in Gestalt von Haupt- und Hilfsantrag zur gerichtlichen Entscheidung stellen (RG 136, 373, 375). Die Entscheidung, ob statt der Rente dem Verletzten ein Kapital zuzusprechen sei, gehört b e i S c h e i d u n g des V e r f a h r e n s ü b e r G r u n d u n d B e t r a g des Anspruchs grundsätzlich in das erstere (RG J W 1906 S. 35921, 686'; 1907, 388®; 1911, 185"; R G SeuffArch 85 Nr. 101). Die Entscheidung kann aber auch aus Zweckmäßigkeitsgründen, insbesondere wenn die Feststellung der Höhe für die Wahl der Entschädigungsart von maßgebender Bedeutung ist, durch erkennbaren Vorbehalt dem Nachverfahren überlassen werden (RG WarnRspr 1908 Nr. 634; 1911 Nr. 292; 1913 Nr. 177; 1914 Nr. 134; R G J W 1933, i4io 2 9 ; R G H R R 1936 Nr. 1501; vgl. auch R G 141, 304, 306). Wird nur eine Kapitalforderung erhoben, eine Rente aber nicht einmal hilfsweise verlangt, so kann dem Anspruch dem Grunde nach nur stattgegeben werden, wenn zuvor ein wichtiger Grund nach Abs. 3 endgültig festgestellt worden ist (RG H R R 1931 Nr. 664). VI. Abs. 4 A n m . 16 Abs. 4 enthält in der Bestimmung, daß der Anspruch g e m ä ß § 843 nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß ein anderer dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat, eine grundsätzlich bedeutsame Vorschrift, die einem allgemeinen Rechtsgedanken Ausdruck gibt und demgemäß sich nicht nur auf die Rente, sondern auch auf die Heilungskosten und andere Aufwendungen erstreckt (RG 65, 162; 132, 223: Wer die Verletzung des Körpers oder der Gesundheit einer Ehefrau schuldhaft verursacht, kann die Erstattung der Heilungskosten auch dann nicht ablehnen, wenn der Ehemann der Verletzten diese in seiner Eigenschaft als Arzt selbst behandelt; J W 1911, 774«; 1913, 1147; 1936, 1667«; WarnRspr 1908 Nr. 635; 1919 Nr. 195; B G H 9> 179> 191; 13, 360, 364; 22, 72, 74f; B G H VersR 1957, 790). Daß der Unterhaltspflichtige die Heilungskosten oder sonstige Aufwendungen aus eigenen Mitteln bestritten hat, schließt die Ersatzpflicht des Schädigers nicht aus. Soweit dem Ersatzpflichtigen jedoch infolgedessen ein eigener Ersatzanspruch zusteht (s. folgenden Ab-
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Unerlaubte Handlungen
§843
Anm. 17
satz), sollte dem Verletzten selbst entgegen R G 65, 162 und R G WarnRspr 1909 Nr.86 ein Anspruch versagt sein (vgl. E n n e c c e r u s - L e h m a n n §248 I I I 2f). Unterhaltsleistungen eines nicht unterhaltspflichtigen Dritten aus Wohltätigkeit berühren den Ersatzanspruch des Geschädigten nicht (vgl. R G 92, 57). Ein Ersatzanspruch des Unterhaltspflichtigen, der den Aufwand getragen hat, gegen den Schädiger kann aus dem rechtlichen Gesichtspunkte der a u f t r a g s losen G e s c h ä f t s f ü h r u n g gegeben sein, wenn der Unterhaltspflichtige von der Schädigung Kenntnis hatte und mit dem Vorsatze handelte, seinen Aufwand dem Schädiger in Rechnung zu stellen; der Ersatzanspruch kann weiter auch aus u n g e r e c h t f e r t i g t e r B e r e i c h e r u n g wegen Befreiung des Schädigers von seiner Schuld hergeleitet werden ( R G 65, 162; 138, 1 ; R G J W 1909, 137 1 6 ; 1910, 389"; WarnRspr 1909 ,Nr. 86; 1914 Nr. 1 3 ; vgl. auch O L G München H R R 1940 Nr. 1021 und B G H VersR 1955, 740, 741). Wegen erst künftig zu machender Aufwendungen kann selbstverständlich ein Anspruch aus dem Rechtsgrunde der Geschäftsführung oder der Bereicherung nicht erhoben werden ( R G 84, 390; 138, 1 ; R G J W 1910, 8 1 1 2 8 ; 1920, 639 1 ; L Z 1919, 6958). £ Über die Bestimmung des Abs. 4 hinaus führt der ihr zugrunde liegende Rechtsgedanke dazu, daß der E r s a t z p f l i c h t i g e g a n z a l l g e m e i n sich n i c h t d a r a u f b e r u f e n k a n n , daß der von ihm v e r u r s a c h t e S c h a d e n v o n e i n e m D r i t t e n , so z.B. durch freiwillige Zuwendungen ( R G J W 1936, 1667®) oder durch Dienste, die ein Kind gemäß § 1617 dem verletzten Elternteil leistet ( R G J W 1924, 1426 4 ), a u s g e g l i c h e n w e r d e (vgl. Anm. 9). Abs. 4 i. V. m. § 844 Abs. 2 ist in B G H 22, 72 auch angewandt worden bei Ersatzansprüchen wegen Beseitigung der gesetzlichen Unterhaltsansprüche. VII. Prozeßrechtliches Anm. 17 1. Die Leistungsklage muß unzweideutig zum Ausdruck bringen, ob Zahlung eines Kapitals oder einer Rente verlangt wird ( R G 141, 304). Die Klage auf Rentenzahlung hat der Regel nach die Forderung einer Rente in bestimmter Höhe und auf bestimmte Zeit, auf die Lebensdauer des Verletzten oder bis zu einer Altersgrenze, bei noch nicht erwerbsfähigen Personen auch von einem bestimmten späteren Zeitpunkt an, zu enthalten. Sie kann zulässigerweise auch in der Art erhoben werden, daß die|Rente in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, vorausgesetzt, daß dem Gericht ausreichende tatsächliche Grundlagen für die Feststellung der Rente nach Höhe und Dauer gegeben werden ( R G J W 1909, 495 18 ; auch R G 140, 2 1 1 , 2 1 3 ; B G H 4, 138; B G H L M § 323 ZPO Nr. 4), oder daß die Rente auf solange gefordert wird, wie der Kläger in dem Maße wie jetzt erwerbsunfähig sein wird ( R G J W 1908, 140 1 1 ). Hingegen ist der Klageantrag auf Zahlung einer Rente „bis zur Wiedererlangung der vollen Arbeitskraft" mangels der erforderlichen Bestimmtheit unzulässig ( R G D R 1944, 290 12 ). Da die Rentenentschädigung aus §843 eine einheitliche ist, vertreten sich beide Schadensersatzteile (Erwerbsbeschränkung und Vermehrung der Bedürfnisse) und sie können im Laufe des Rechtsstreits gegeneinander ausgetauscht werden (s. oben Anm. 5). Anders, wenn neben der Rente (oder Kapital) aus § 843 Ersatz von Heilungskosten oder Sachschäden oder Zahlung von Schmerzensgeld verlangt wird ( R G 170, 37, 39; B G H L M § 253 ZPO Nr. 1 1 ) ; bei Teilklagen ist in derartigen Fällen genaue Aufteilung der Klagesumme erforderlich ( B G H M D R 1953, 164; B G H 1 1 , 194). Die auf künftige Entrichtung der Rente gerichtete Klage setzt voraus, daß sich der zukünftige körperliche Zustand und die zukünftigen Erwerbsverhältnisse des Verletzten mit solcher Wahrscheinlichkeit übersehen lassen, wie sie für die Gewinnung einer richterlichen Uberzeugung erforderlich und ausreichend ist. Soweit diese Voraussetzung nicht gegeben ist, muß die Klage als zur Zeit unbegründet abgewiesen werden, falls nicht durch eine erhöhte oder verminderte Durchschnittsrente ( R G J W 1908, 140/1 und oben Anm. 7) ein Ausgleich geschaffen werden kann ( R G 145, 196). Uber die Zulässigkeit einer Klage auf künftige Leistung (§ 259 ZPO), wenn unpfändbare und noch nicht fällige Unfallrentenansprüche unter der aufschiebenden Bedingung voller Zahlung des Gegenwertes abgetreten sind, s. B G H 5, 342 und 13, 360, 369.
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§ 843 Anm. 18,19
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Rentenansprüche von mehreren G e s c h ä d i g t e n (z.B. Mutter und Kind eines bei einem Unfall Getöteten) können nicht zu einem einzigen Rentenanspruch zusammengefaßt werden (BGH n , 181). Anm. 18 2. Die Feststellungsklage. Sind die Schadenswirkungen noch nicht abgeschlossen, die Einflüsse der Verletzung auf das körperliche Wohlbefinden und auf die Erwerbsverhältnisse des Verletzten noch in der Entwicklung begriffen oder gewisse nachteilige Wirkungen erst in einer ferneren Zukunft zu erwarten (vgl. oben Anm. 3), so ist anstatt der Leistungsklage die Feststellungsklage (§ 256 ZPO) der gebotene Weg für den Verletzten, seinen Schadensersatzanspruch zunächst grundsätzlich geltend zu machen. Voraussetzung ist mithin, daß der entstandene oder noch entstehende Schaden nicht bereits in vollem Umfang durch einen Klageantrag auf Zahlung der Geldrente erfaßt werden kann (BGH 5, 314), es sei denn, daß aus besonderen Gründen trotz Möglichkeit der Leistungsklage ein Feststellungsinteresse besteht (BGH 2, 250; 17, 339; 28, 123; BGH L M § 256 ZPO Nr. 35 und Nr. 43). Bei drohender Verjährung besteht ein Feststellungsinteresse; dabei braucht nicht einmal festzustehen, daß eine Verjährungseinrede Erfolg haben würde (BGH L M § 256 ZPO Nr. 7). Ist der Schaden noch in der Entwicklung begriffen, dann braucht selbst dann, wenn ein Teil des Schadens schon mit der Leistungsklage gefordert werden könnte, der Klageantrag nicht aufgespalten zu werden, sondern es kann Feststellungsklage für den ganzen Anspruch erhoben werden (RG 108, 101, 102; RG 1 1 3 , 410, 412; R G J W 1908, 685 21 ; RG WarnRspr 1911 Nr. 179; RG Gruchot 48, 1102). Ist die Feststellungsklage zulässigerweise erhoben, wird sie nicht dadurch unzulässig, daß im Laufe des Rechtsstreits der Schaden bezifferbar und damit die Leistungsklage möglich wird (RG 108, 101, 102; 142, 291, 293; BGH 3. 2. 1954 V I Z R 125/52; vgl. aber auch BGH L M § 256 ZPO Nr. 5). Jedoch kann der Kläger in den Tatsacheninstanzen jederzeit von der Feststellungsklage zur Leistungsklage übergehen (nicht in der Revisionsinstanz, weil Leistungsantrag weitergeht als Feststellungsantrag); von der Leistungsklage zur Feststellungsklage, wenn deren Voraussetzungen gegeben sind, kann der Kläger auch noch in der Revisionsinstanz übergehen (vgl. RG 171, 202; BGH 23, 416). Uber Feststellungsklagen im Haftpflichtrecht s. auch Wussow DR 1944, 172. Anm. 19 3. Von besonderer Wichtigkeit ist die Abänderungsklage nach § 323 Z P O wegen wesentlicher Veränderung der Verhältnisse. Die Bedeutung des § 323 ZPO für die Entscheidung über den Rentenanspruch aus § 843 ist schon in Anm. 6 erörtert. Zur A n w e n d b a r k e i t der Abänderungsklage ist auf folgendes hinzuweisen: Bei Zuerkennung des Schadensersatzes in der Form eines K a p i t a l s (Abs. 3) ist §323 nicht a n w e n d b a r (RG 73, 418; 106, 396, 398; aA R o s e n b e r g Lehrbuch § 153 I 3 u. a.). § 323 ist auch nicht anwendbar, wenn lediglich ein Feststellungsurteil ergangen ist (RG 74, 121, 124; OGH 1, 62, 67). Zur Verwirklichung des festgestellten Anspruchs muß der Verletzte nach Eintritt des Schadens oder wenigstens, nachdem dessen Uberblick möglich geworden ist, die Leistungsklage erheben, der gegenüber der Ersatzpflichtige die nach dem Erlaß des Feststellungsurteils etwa eingetretenen Veränderungen in dem Zustande des Verletzten geltend zu machen in der Lage, aber auch genötigt ist (RG J W 1910, 710 16 ). Nach dem Wortlaut des § 323 ZPO ist die Abänderungsklage nicht gegeben, wenn nicht eine Verurteilung, sondern die A b w e i s u n g der auf Rentenleistungen erhobenen Schadensersatzklage ausgesprochen war. Nach dem Sinne der Bestimmung muß aber angenommen werden, daß die Abänderungsklage auch dann zulässig, eine neue Schadensersatzklage also nicht erforderlich ist, wenn die Schadensersatzpflicht selbst außer Streit oder vom Gericht ausdrücklich bejaht und die Klage nur abgewiesen ist, weil ein Schaden zur Zeit der Urteilsfällung nicht oder nicht mehr vorhanden sei (RG 162, 279; s. auch BGH L M § 323 ZPO Nr. 4). Anwendbar ist § 323 ZPO auch dann, wenn eine Rente ursprünglich zugesprochen, dann wegen Fortfalls der Erwerbsbeschränkung nach § 323 ZPO aberkannt worden war und jetzt wegen neu eingetretener Minderung der Erwerbsfähig-
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Unerlaubte Handlungen
§843
Anra. 19
keit wieder verlangt wird ( R G 108, 413). Die Verurteilung kann durch ein Anerkenntnis des Ersatzpflichtigen ersetzt werden ( R G 73, 1 3 1 ) , und nach Abs. 4 des § 323 Z P O finden dessen Bestimmungen entsprechende Anwendung auch auf die Vollstreckungstitel des § 794 Nr. 1 und 5 ZPO. Abänderung eines P r o z e ß v e r g l e i c h s über einen Unterhaltsrentenanspruch s. R G WarnRspr 1936 Nr. 24. Die Abänderungsklage setzt die R e c h t s k r a f t der früheren Entscheidung voraus ( R G 47, 405, 4 1 1 ; 75, 24, 25; 86, 377, 3 8 1 ; R o s e n b e r g Lehrbuch § 153 II 1 ; aA S t e i n - J o n a s - S c h ö n k e § 3 2 3 Anm. II 2; W i e c z o r e k § 3 2 3 Anm. A II). Die nach Erlaß eines rechtskräftigen Zwischenurteils über den Grund des Anspruchs eingetretenen veränderten Umstände, die in Anwendung des § 323 Z P O die Abänderungsklage rechtfertigen würden, können und müssen in dem Verfahren über den Betrag noch geltend gemacht werden; denn das Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs ist, wenn es auch selbständig anfechtbar ist, doch nur ein Element der Endentscheidung ( R G 89, 1 1 7 ; R G WarnRspr 1913 Nr. 1 2 3 ; R G J W 1921, 1082 7 ). Die Abänderungsklage eröffnet nicht von neuem den früheren Rechtsstreit; sie ist eine n e u e selbs t ä n d i g e K l a g e , mit der ein neuer selbständiger Tatbestand geltend gemacht wird; sie folgt auch hinsichtlich des Gerichtsstandes den allgemeinen Regeln ( R G 52, 344; R G J W 1 9 1 1 , 548 aa ; R G WarnRspr 1921 Nr. 149). O b eine eingetretene V e r ä n d e r u n g d e r V e r h ä l t n i s s e w e s e n t l i c h ist, hat der Tatrichter n a c h seinem f r e i e n E r m e s s e n zu entscheiden ( R G 145, 302, 306). Die im Rahmen des § 323 Z P O beachtlichen wesentlichen Änderungen können eingetreten sein in den besonderen Verhältnissen des Verletzten (Änderung in den Erwerbsfähigkeiten und-möglichkeitenusw.), wie auch in den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen. Deshalb stellte auch die infolge des 1. Weltkriegs und der Revolution eingetretene wirtschaftliche Umwälzung und Geldentwertung den Tatbestand der wesentlich veränderten Verhältnisse im Sinne des § 3 2 3 Z P O dar ( R G 1 1 4 , 188, 192; R G J W 1921, 1080 6 ; R G WarnRspr 1921 Nr. 99 und Nr. 149). Das gleiche gilt für die durch den 2. Weltkrieg und den Währungsverfall eingetretene Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Lebensbedingungen, soweit nicht (wie z. B. für die Währungsumstellung) Sonderbestimmungen Platz greifen. Auch eine Gesetzesänderung kann im Rahmen des §323 Z P O Bedeutung gewinnen ( R G 166, 303). Die Änderung der Verhältnisse kann sich auf die Höhe wie auch auf die Dauer der Rente beziehen ( R G 86, 377; R G WarnRspr 1919 Nr. 79). Erforderlich ist, daß ebenso wie die nach dem früheren Urteil für die Bemessung der Rente maßgebenden Verhältnisse auch die geänderten Verhältnisse in ursächlicher Verbindung mit dem Unfall stehen ( R G J W 1918, 221 1 0 ). Dabei ist zu beachten, daß überall, wo Schadensersatz in Rentenform zu leisten ist, das Kausalitätsverhältnis für jeden einzelnen Zeitabschnitt bestehen muß ( R G 68, 352; R G J W 1912, 594). An dem Grundsatz der E i n h e i t l i c h k e i t d e r R e n t e (vgl. Anm. 5) ist a u c h f ü r d i e A b ä n d e r u n g s k l a g e festzuhalten. Für die Abänderung bildet nach § 323 Abs. 3 ZPO der Zeitpunkt der Klageerhebung die Anfangsgrenze; dieser Zeitpunkt bleibt maßgebend, auch wenn in Anpassung an die Beweisaufnahme der Antrag im Laufe des Verfahrens erhöht wird ( R G 75, 24). Im einzelnen s. R G WarnRspr 1928 Nr. 66 (Rückgang der Kaufkraft der Mark nach der Stabilisierung); R G 68, 352 (Besserung des Zustandes des Geschädigten, die hätte eintreten müssen, aber infolge eigenen Verschuldens des Geschädigten nicht eingetreten ist); R G J W 1906 S. 767®9 und 76840 (Erhöhung des Diensteinkommens der Beamtengruppe eines verletzten Beamten); J W 1 9 1 1 , 6s8 35 (neuer Unfall); J W 1912, 594 16 und 1917, 604 15 (Verheiratung der verletzten Frau); R G 95, 66 (Einziehung zum Kriegsdienst); R G 86, 377 sowie R G H R R 1930 Nr. 63 (Erhaltung der Erwerbsfähigkeit über den im früheren Urteil angenommenen Zeitpunkt hinaus); R G D R 1944, 1 1 5 4 (Veränderung der Verhältnisse nach der als Folge einer Unfallverletzung erfolgten Versetzung eines Beamten in den Ruhestand); O L G Karlsruhe H R R 1939 Nr. 1 1 7 8 (Erhöhung der Leistungen des Versicherungsträgers, auf den Ansprüche nach § 542 R V O übergegangen sind). Die V e r j ä h r u n g s f r i s t für den Anspruch aus der u. H. gilt auch für Erhöhungen des Schadensersatzes, die mit der Klage aus § 323 ZPO verfolgt werden; die Verjährung beginnt also nach § 852 erst mit dem Zeitpunkt, in dem die wesentliche Änderung der
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§ 843
Anm. 20
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Verhältnisse dem Verletzten bekannt geworden ist ( R G 86 S. 181 u n d 384; R G L Z 1923, 349); handelt es sich u m einen nach dem R H a f t p f l G zu beurteilenden Schaden, so beginnt die Verjährung entsprechend § 8 R H a f t p f l G schon mit dem Eintritt der Veränderung ( R G 108, 38; R G J W 1906, 767?'; 1921, 1082 7 ; 1934, 1112 3 ; W a r n R s p r 1913 Nr. 4; L Z 1923, 349; aA über die ganze Frage O e r t m a n n , ArchZivPrax 109, 318 u. a.). N i c h t a n w e n d b a r ist §323 Z P O , wenn nicht eine Veränderung der f ü r das frühere Urteil maßgebend gewesenen tatsächlichen Verhältnisse, sondern n u r e i n e V e r ä n d e r u n g in der r e c h t l i c h e n o d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e u r t e i l u n g d i e s e r V e r h ä l t n i s s e e i n g e t r e t e n i s t ( R G 126, 241; R G J W 1930, 3315 10 ). So, wenn ein Urteil mit der Behauptung angegriffen werden soll, d a ß nach neuerer E r kenntnis der ärztlichen Wissenschaft die Erwerbsfähigkeit nicht gemindert gewesen sei ( R G 126, 239) oder gewisse Folgewirkungen auf eine Naturanlage oder auf einen Unfall bestimmter Art zurückzuführen seien ( R G J W 1928, 1387 61 ; R G WarnRspr 1928 Nr. 133). A n m . 20 4. D i e V o r a b e n t s c h e i d u n g ü b e r d e n G r u n d d e s A n s p r u c h s . Die Z P O ermöglicht in § 304 eine gesonderte Entscheidung über Grund u n d Betrag des Schadensersatzanspruchs aus den §§ 843—845. Der Erlaß eines Zwischenurteils nach § 304 Z P O setzt der Regel nach voraus, d a ß eine Leistungsklage und in dieser ein der H ö h e n a c h bestimmter Anspruch antragsgerecht erhoben oder wenigstens, wenn der Antrag die Entscheidung über die H ö h e in das richterliche Ermessen stellt, im Klagevortrage behauptet wird; nur d a n n kann davon die Rede sein, d a ß der Anspruch nach G r u n d u n d Betrag streitig ist ( R G J W 1906 S. 33g 22 , 570 42 ; 1912, 78 21 ; WarnRspr 1913 Nr. 340; R G J W 1935, 2954®: Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs, wenn als Schadensersatz die Befreiung von Geldschulden verlangt wird). Aber auch für eine F e s t s t e l l u n g s k l a g e ist der Erlaß eines Zwischenurteils nach § 304 Z P O nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sofern nur der Anspruch, dessen Feststellung begehrt wird, beziffert oder doch bestimmt auch der Höhe nach in seinem Gegenstande gekennzeichnet ist, u n d die Feststellungsklage erkennbar das Ziel verfolgt, auch einen Betrag zur Feststellung zu bringen ( R G 93, 152; R G J W 1931, 2483 13 ; 1936, 2093 25 ). Das Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs m u ß den Schadensersatzanspruch selbst — u n d zwar bei einer Mehrheit von Ansprüchen jeden einzelnen ( R G 132, 16, 19; 158, 36) — seinem Bestand nach außer Zweifel stellen u n d deshalb a l l e d e n A n s p r u c h s e l b s t t r e f f e n d e n E i n w e n d u n g e n e r l e d i g e n , so d a ß für das weitere Verfahren n u r noch die Entscheidung über den Betrag übrig bleibt ( R G 86, 305, 308; 97, 25, 29; R G W a r n Rspr 1910 Nr. 477; R G J W 1911, 658 34 ; 1936, 2093 25 ; B G H N J W 1956, 1236). Ein Schaden braucht nicht unumstößlich festzustehen; erforderlich u n d g e n ü g e n d i s t e i n e h o h e W a h r s c h e i n l i c h k e i t f ü r einen ziffernmäßig feststellbaren S c h a d e n s b e t r a g ( R G 103, 220; 151, 8; B G H L M § 304 Z P O Nr. 2; B G H VersR 1955, 342). Das Grundurteil m u ß sonach eine Entscheidung darüber treffen, ob ein m i t w i r k e n d e s V e r s c h u l d e n des Verletzten anzunehmen ist u n d in welchem Umfange (Quote) dieses den Schadensersatzanspruch des Beschädigten aufhebt ( R G 53, 117; J W 1905, 645 1 3 ; 1908, 5 5 8 " ; R G WarnRspr 1918 Nr. 187). Die Rechtsprechung hat es aber f ü r zulässig erklärt, die Prüfung dieser Frage durch einen V o r b e h a l t im Grundurteil d e m Nachverfahren zu überlassen ( R G WarnRspr 1910 Nr. 222 u n d Nr. 477; R G J W 1915, 148 15 ; R G H R R 1937 Nr. 591). Das ist d a n n zu billigen, wenn außer Zweifel ist, d a ß das mitwirkende Verschulden des Verletzten nicht seinen ganzen Anspruch aufzehrt ( R G 103, 140, 144; R G WarnRspr 1933 Nr. 148; R G J W 1936, 2313 9 ; B G H i, 34; B G H N J W 1951, 188 2 ; 1956, 1236); so insbesondere, wenn es sich nicht u m ein mitwirkendes Verschulden bei der Entstehung des Schadens (§ 254 Abs. 1), sondern u m die schuldhafte Unterlassung seiner Minderung handelt ( R G 81, 269; R G J W I 935> 1 1 9 8 )- Ist der Vorbehalt nicht gemacht, so ist die Einwendung aus § 254 im Nachverfahren nicht mehr zulässig ( R G WarnRspr 1909 Nr. 128; R G J W 1915, I48 1 S ; 1931, 3553 13 ). Das Zwischenurteil m u ß ferner A u f r e c h n u n g s e i n r e d e n erledigen, u n d zwar selbst dann, wenn sie den Klageanspruch nur teilweise erfassen ( R G W a r n -
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Unerlaubte Handlungen
§843
Anm. 20
Rspr 1916 Nr. 223; R G 123, 6; R G J W 1936, 2093 25 ; R G WarnRspr 1938 Nr. 8 1 ) ; im Nachverfahren sind solche nur zulässig, wenn sie erst nach Erlaß des Zwischenurteils entstanden sind ( R G WarnRspr 1915 Nr. 36 u. Nr. 280), oder wenn das Zwischenurteil einen Vorbehalt ausspricht. Ein solcher Vorbehalt wurde vom R G ( H R R 1940 Nr. 4 1 5 ; R G 170, 281, 283) nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des §302 Z P O (mangelnder Zusammenhang der Forderungen) für zulässig erachtet und ebenso vom B G H (IV. ZS) in L M § 304 Nr. 6. Der II. ZS läßt jedoch in B G H n , 63 einen solchen Vorbehalt auch bei rechtlich zusammenhängenden (konnexen) Forderungen zu, wenn die Klageforderung zu einem Betrage anzuerkennen ist, der die zur Aufrechnung gestellten Forderungen übersteigt. Dem hat sich der V I . Z S in VersR 1956, 5 1 5 , 5 1 6 ausdrücklich angeschlossen (s. auch VersR 1959, 515). Weiter muß auch über eine geltend gemachte Vorteilsausgleichung im Grundverfahren zumindest dann entschieden werden, wenn auch nur mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß ein auszugleichender Vorteil den eingeklagten (Teil-) Schadensbetrag erreicht ( R G 103, 406, 408; R G J W 1938, 3306 19 ). Auch muß das Zwischenurteil darüber Entscheidung treffen, ob von dem eingeklagten Anspruch g e w i s s e E i n k ü n f t e a b z u z i e h e n sind und der entsprechende Teil des Schadensersatzanspruchs des Verletzten a u f e i n e n ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n V e r s i c h e r u n g s t r ä g e r gemäß § 1542 R V O o d e r auf den S t a a t (oder eine andere öffentliche Körperschaft) g e s e t z l i c h übergegangen ist, weil insoweit der Anspruch des Verletzten nicht mehr besteht ( R G 123, 4 1 ; R G J W 1931, 865 1 1 ; 1932, 778; R G H R R 1934 Nr. 801; B G H 10. 3. 1954 V I Z R 122/52). Im Nachverfahren kann dieser Übergang nicht mehr geltend gemacht werden ( R G J W 1937, 1155 1 2 ), es sei denn, daß beide Teile einverstanden sind ( R G 28. 1. 1907 V I 166/06) oder daß das Zwischenurteil die Entscheidung darüber erkennbarerweise dem Nachverfahren vorbehalten hat, was angängig ist, wenn der dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtete Anspruch die abzuziehenden Beträge übersteigt ( B G H N J W 1956, 1236). Das Zwischenurteil muß endlich darüber entscheiden, sofern eine R e n t e a u f L e b e n s z e i t verlangt ist, ob dieser Anspruch für begründet zu erachten oder eine A l t e r s g r e n z e zu setzen ist ( R G 64, 3 3 ; 98, 222; R G D R 1940, 1287 8 ; R G H R R 1931 Nr. 1858). Auch hier kann aber die ziffernmäßige Altersbegrenzung entweder in der Weise, daß zunächst eine Höchstdauer der Rente festgesetzt wird ( R G WarnRspr 1908 Nr. 677), oder überhaupt dem Verfahren über den Betrag vorbehalten werden ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 1 2 3 ; 1914 Nr. 32; R G J W 1920, 282 3 ; R G H R R 1931 Nr. 1858; B G H 11, 1 8 1 , 183). Ohne solchen Vorbehalt kann die Dauer einer im Grundurteil auf Lebenszeit zugesprochenen Rente im Betragsverfahren nicht mehr nachgeprüft werden ( R G WarnRspr 1932 Nr. 78; R G D R 1940, 1287 8 ). Ebenso kann die Bestimmung des Zeitpunkts für den Beginn des Rentenanspruchs dem Nachverfahren überlassen werden ( R G J W 1904, 575'). In jedem Fall muß im Grundurteil entweder die zeitliche Begrenzung (Beginn und Dauer) der Rente zum Ausdruck gebracht oder doch mindestens ausgesprochen werden, daß diese Begrenzung im näheren dem Betragsverfahren vorbehalten bleibe ( R G J W 1931 S. 854*, 8 6 5 " ; 1932, 787 1 0 ; B G H 11, 181, 183). Wird mit der Klage lediglich eil? T e i l b e t r a g einer Mehrheit selbständiger Ansprüche (nicht bloßer Rechnungsposten) geltend gemacht, so muß das Grundurteil erkennen lassen, ob alle Ansprüche oder welche von ihnen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt werden sollen ( R G J W 1934, 2974®; s. auch R G J W 1933, 2949 1 ). Das setzt voraus, daß die Klagesumme ziffernmäßig auf die verschiedenen Ansprüche aufgeteilt wird oder die einzelnen Ansprüche durch Erklärung des einen zum Hauptanspruch und der anderen zu — in der Reihenfolge bestimmten — Hilfsansprüchen in ein Abhängigkeitsverhältnis zueinander gebracht werden (vgl. R G 157, 3 2 1 , 326; BGH M D R 1953, 164; BGH 11, 192). Darüber, in welchem Verfahren die Entscheidungen nach Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 zu treffen sind, vgl. Anm. 13 u. 15. Uber die rechtliche Bedeutung des Zwischenurteils nach § 304 Z P O für die Abänderungsklage s. Anm. 19. Wegen der U r t e i l s f a s s u n g bei gleichzeitig erhobener Leistungs- und Feststellungsklage vgl. B G H 7, 331 und B o d e D R i Z 1956, 57.
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§ 844 Anm. 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§844 I m Falle der Tötung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, w e l c h e m die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnisse, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig w a r oder unterhaltspflichtig werden konnte, und i s t d e m Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige d e m Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz z u leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein w ü r d e ; die Vorschriften des § 843 A b s . 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung erzeugt, aber noch nicht geboren war. E I 7«3f 723; M 2 766—784; P 2 612—627
Ü b ersieht
Anm.
I. Allgemeines zu den §§ 844, 845 1—4 II. Begriff der Tötung 5 III. Ersatz der Beerdigungskosten 6—7 1. Die Ersatzberechtigten 6 2. Umfang der Ersatzpflicht 7 IV. Der Kreis der nach Abs. 2 Berechtigten 8 V. Die Entziehung des Rechts auf Unterhalt durch Tötung des Unterhaltspflichtigen 9 VI. Der Umfang des Schadensersatzanspruchs 10—15 1. Die Bemessungsgrundlagen 10 2. Höhe und Dauer der Rente 11 3. Gesetzlicher Forderungsübergang; Anrechnung von sonstigen Leistungen 12— 13 4. Schuldhafte Mitverursachung des Getöteten und der Ersatzpflichtigen (insbesondere Arbeitspflicht der Witwe) 14 5. Entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften des § 843 Abs. 2—4 15 VII. Prozeßrechtliches 16 I. Allgemeines zu den §§ 844, 845 Anm. 1 Die §§ 844 u. 845 bestimmen die Voraussetzungen, unter denen das BGB einen Ersatzanspruch dritter Personen, die infolge der Verletzung einer anderen Person einen Schaden erlitten haben, anerkennt. Diese Vorschriften enthalten mithin eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß nur der unmittelbar Verletzte aus der u. H. ersatzberechtigt ist (vgl. § 823 Anm. 81). Die Ansprüche der §§ 844, 845 sind s e l b s t ä n d i g e r Natur. Sie entstehen mit dem Tode des unmittelbar Betroffenen von vornherein in der Person der mittelbar Geschädigten und nicht erst in der Person des unmittelbar Verletzten, von der sie dann auf die Hinterbliebenen des § 844 oder die Ersatzberechtigten des § 845 übergingen (RG 55, 24, 3 1 ; 69, 186; 122, 298, 305). G l e i c h w o h l sind die Ansprüche aus den §§ 844, 845 ihrer Entstehung nach a b h ä n g i g von dem V e r h a l t e n des u n m i t t e l b a r V e r l e t z t e n , und sie kommen nicht zur Entstehung, wenn ein Schadensersatzanspruch auch dem unmittelbar Verletzten nicht entstanden sein würde, sofern er der Geschädigte wäre. Hinsichtlich des eigenen mitwirkenden Verschuldens des unmittelbar Verletzten spricht dies § 846, der insoweit Ausfluß eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, ausdrücklich aus. Dementsprechend müssen die mittelbar Geschädigten auch sonstige Handlungen und Maßnahmen des Getöteten, die auf das Bestehen seines eigenen Schadensersatzanspruchs von Einfluß sein würden, gegen sich gelten lassen,
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Unerlaubte Handlungen
§844 Anm. 2, 3
so d a ß z. B. der vom Getöteten vertraglich vereinbarte Ausschluß der H a f t u n g die Ansprüche der an sich Ersatzberechtigten, namentlich der Hinterbliebenen n a c h § 844 beseitigt ( R G 65, 3 1 3 ; 69, 186; 117, 102; 128, 229, 233). Entsprechendes gilt aber auch für den gegen die Geltendmachung des Anspruchs erhobenen Einwand der allgemeinen Arglist oder der unzulässigen Rechtsausübung ( R G 170, 311, 315). Vergleiche u n d Verzichte hingegen, die der Getötete nach der Verletzung mit dem Schädiger über die Ansprüche aus der Verletzung abschließt, binden dagegen die nach §§ 844, 845 Berechtigten nicht; hier tritt die Selbständigkeit ihrer Ansprüche, über die der Getötete nicht verfügen kann und die nicht zu seinem Nachlaß gehören, zutage. Selbstverständlich m u ß — nach den allgemeinen Bestimmungen — a u c h d e r d e m G e t ö t e t e n s e l b s t e n t s t a n d e n e S c h a d e n (Kosten der versuchten Heilung; Verdienstausfall f ü r die Zeit zwischen Verletzung u n d später eingetretenem T o d usw.) ersetzt werden. Deshalb m u ß bei Schadensersatzklagen von Hinterbliebenen (und Erben) eines Getöteten angesichts der Verschiedenheit der Haftungsgründe immer genau unterschieden werden, was sie als Erben und was sie aus eigenem Recht verlangen (vgl. R G J W 1931, 85g4). Über ein Zusammentreffen von Ansprüchen aus § 843 u. § 844 bei gleichzeitiger Verletzung der Ehefrau und Tötung des Ehemanns s. R G 170, 174. Anm. 2 Uber den a b s c h l i e ß e n d i n d e n §§ 844, 845 a u f g e f ü h r t e n P e r s o n e n k r e i s der mittelbar geschädigten Dritten hinaus u n d f ü r andere als die dort bezeichneten Schäden besteht kein Schadensersatzanspruch aus u. H. ( R G 82, 189; R G H R R 1936 Nr. 867; B G H 7, 30, 33f; B G H L M § 10 StrVG Nr. 3). Deshalb hat derjenige, auf den nach Tötung des in erster Linie Unterhaltspflichtigen die Unterhaltspflicht übergeht, keinen Ersatzanspruch aus §844 (s. O L G Karlsruhe VersR 1955, 2 1 5 ) ; mithin kann auch die Witwe nicht einen Schadensersatzanspruch daraus herleiten, d a ß infolge des Todes ihres Ehemannes sie allein gegenüber den gemeinschaftlichen Kindern unterhaltspflichtig sei (vgl. dazu R G 64, 344 u. 350, 360; R G J W 1907, 388®; 1911, 185 1 3 ). Anm. 3 Die §§ 844 u. 845 g e l t e n — nur — f ü r d a s g e s a m t e G e b i e t d e r u. H . einschließlich § 829 ( R G 94, 220) sowie §§ 833, 836 u n d einschließlich des § 839 i. V. m. früher mit den Staatshaftungsgesetzen und später mit Art. 131 WeimVerf. sowie Art. 34 G G ( R G 94, 102; 126, 253, 256). Für Ersatzansprüche, die auf G r u n d Gefährdungshaftung aus Bestimmungen außerhalb des BGB hergeleitet werden, gelten die §§ 844, 845 nicht. Es kommen lediglich die einschlägigen S o n d e r b e s t i m m u n g e n der §§ 3, 7, 7 a R H a f t p f l G , §§ 10, 12, 13 S t r V G , § § 3 5 , 38 L u f t V e r k G (idF v. 10. 1. 1959) zur Anwendung, die den U m f a n g der Schadensersatzpflicht erschöpfend regeln u n d eine dem § 845 entsprechende Bestimmung mit der einzigen Ausnahme des § 53 Abs. 2 LuftVerkG bei der Haftung für militärische Luftfahrzeuge nicht enthalten ( R G 57, 52 u. 144, 67 sowie B G H L M § 17 StrVG Nr. 10 für das R H a f t p f l G ; R G 129, 55, 57 u. 139, 289, 295 für das StrVG; R G 1 1 7 , 102 f ü r das LuftVerkG). I m V e r t r a g s r e c h t gelten die in §§ 844, 845 normierten Grundsätze kraft ausdrücklicher Bestimmung in § 618 Abs. 3 BGB, §§ 62 Abs. 3, 76 Abs. 1 HGB. Darüber hinaus können sie im Vertragsrecht nicht ohne weiteres Geltung beanspruchen ( R G 112, 290, 296; R G J W 1908, 9» u. 449"; 1931» I357 1 9 ; B G H VersR 1957, 480), sind jedoch in gewissem U m f a n g einer e n t s p r e c h e n d e n A n w e n d u n g f ü r fähig erachtet worden, s. R G 159, 268; 167, 85 (Ansprüche der Hinterbliebenen eines bei einer Lebensrettung tödlich Verunglückten; anders n o c h R G 122, 2 g 8 ) ; B G H 5, 62 ff (Werkvertrag); 16, 265 (Auftrag). Die Anwendbarkeit der Grundsätze der §§ 844, 845 ist für den Bereich des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s ebenfalls anerkannt worden, vgl. R G 111, 22 (Anwendung des § 844 Abs. 2 auf den Fall, d a ß der Staat durch Verletzung der ihm seinen Beamten gegenüber obliegenden Fürsorgepflicht den T o d eines Beamten herbeigeführt h a t ) ; R G 1 1 2 , 290 (Tod infolge Falschbehandlung in einem städt. Hospital); B G H 18, 286 (Aufopferungs-
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
ansprüche der Hinterbliebenen des an den Folgen einer Zwangsimpfung verstorbenen Unterhaltsverpflichteten). Anm. 4 Soweit eine Klage aus § 844 und eine solche aus § 845 dieselben klagebegründenden Tatsachen zur Grundlage haben, bedeutet ein U b e r g a n g von der einen zur anderen keine K l a g e ä n d e r u n g (RG WarnRspr 1911 Nr. 291). Wegen der U n p f ä n d b a r k e i t der nach § 844 Abs. 2 zu entrichtenden Geldrente s. § 850b Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 ZPO (früher § 4 LohnpfändungsVO v. 30. 10. 1940, davor § 850g Nr. 2 ZPO; vgl. im übrigen § 843 Anm. 1). Die die Rentenzahlungspflicht aussprechenden Urteile sind gemäß § 708 Nr. 6 ZPO auch ohneAntragfür v o r l ä u f i g v o l l s t r e c k b a r zu erklären. Die S t r e i t w e r t b e r e c h nung erfolgt nach § 13 Abs. 3 G K G idF v. 26. 7. 1957 (BGBl I 861, 941). II. Begriff der Tötung Anm. 5 Tötung ist hier wie in § 823 jede widerrechtliche Handlung, die die Zerstörung des menschlichen Lebens unmittelbar oder mittelbar t a t s ä c h l i c h herbeiführt, mag der Schädiger diesen Erfolg vorausgesehen haben oder haben voraussehen können oder nicht. Mithin braucht sich das Verschulden in den Fällen, in denen der Tatbestand der u. H. ein solches für die Verletzung selbst erfordert (§ 823 Abs. 1), nur auf eine Körperverletzung zu erstrecken ( R G 66, 251; 69, 340, 344; R G J W 1907, 514 1 4 ; vgl. §823 Anm. 12; aA S t a u d i n g e r Anm. A I V ) . Der demnach nur erforderliche tatsächliche (objektive) ursächliche Zusammenhang zwischen Verletzung und Tod ist auch gegeben, wenn eine sogenannte traumatische Neurose, die die Folgewirkung einer Körperverletzung war, zum Selbstmord des Verletzten führt ( R G 8. 10. 1906 V I 31/06; vgl. auch B G H NJW 1958, 1579). Jedoch ist der Tod keine adäquate Unfallfolge, wenn der Verletzte an einem Eingriff stirbt, der gelegentlich einer unfallbedingten Operation zur Beseitigung eines nicht unfallbedingten Leidens vorgenommen wird ( B G H 25, 86). III. Ersatz der Beerdigungskosten Anm. 6 1. Die Ersatzberechtigten. Ersatzberechtigt ist der, dem die Verpflichtung obliegt, die Beerdigungskosten zu tragen. Kraft Gesetzes ist zunächst der Erbe (§ 1968) und alsdann derjenige verpflichtet, dem gegenüber der Getötete u n t e r h a l t s berechtigt w a r (§§ 1615 Abs. 2, 1713 Abs. 2 BGB, § 69 Abs. 2 EheGes.). Bei der allgemeinen Fassung des § 844 wird man annehmen müssen, daß auch derjenige einen Ersatzanspruch hat, der sich v e r t r a g l i c h verpflichtet hat, die Beerdigungskosten zu tragen (aA P l a n c k - F l a d Anm. 3). Hat ein Sozialversicherungsträger Scerbegeld gezahlt oder zu zahlen, so geht der Anspruch auf Erstattung der Beerdigungskosten insoweit auf ihn über (RG DR 1940, 163 16 ; OGH 4, 16; BGH VersR 1959, 231). Ob der tödlich Verletzte angesichts seines Alters oder allgemeinen Gesundheitszustandes ohnehin in absehbarer Zeit gestorben wäre, ist für die Ersatzpflicht aus § 844 Abs. 1 gleichgültig. Anm. 7 2. Umfang der Ersatzpflicht. Zu ersetzen sind, wie sich aus dem Zusammenhang mit § 1968 ergibt, die Kosten nicht nur einer notdürftigen, sondern einer „ s t a n d e s g e m ä ß e n " B e e r d i g u n g (RG 139, 393), auch die einer Feuerbestattung. D a z u gehören auch: Traueranzeigen und Danksagungen (einschl. Portokosten), Bewirtung und Unterkunft der Trauergäste, Trauerfeierlichkeiten einschl. ortsüblicher Trauermahlzeit, Kränze und Blumen sowie die erste Bepflanzung des Grabes, Grabmal (RG 139, 393), jedoch nicht die Kosten der — nicht mehr zum Bestattungsakt selbst zu rechnenden — Erhaltung und Pflege der Grabstätte (RG 160, 255) oder fortlaufender kirchlicher Jahresgedächtnisse (OLG Celle H R R 193g Nr. 551). Der Aufwand für Anschaffung der notwendigen T r a u e r k l e i d u n g ist als Teil der Beerdigungskosten eben-
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Unerlaubte Handlungen
§844
Anm. S
falls zu ersetzen, und zwar in der Regel ohne Abzug für infolgedessen etwa ersparte sonstige Kleidung (RG WarnRspr 1928 Nr. 127; O L G Naumburg J W 1937, 2593 u. D J 1937, 1499; vgl. auch B G H NJW 1953, 97, 98 sowie B ö h m e r D A R 1951, 106 u. VersR 1956, 595; O L G Hamm VersR 1954, 129; O L G Karlsruhe VersR 1956, 542; aA O L G Köln VersR 1956, 647 u. a.). Zur Frage, was bei einem Unfall zu den zu erstattenden Beerdigungskosten zu rechnen ist, vgl. im einzelnen auch O L G Köln J W 1938, 8 1 1 . Die Kosten einer U b e r f ü h r u n g der L e i c h e vom Unfall- oder Sterbeort zum Begräbnisort können zu den Beerdigungskosten gehören, wenn sie sich nach den Umständen als eine gebotene Aufwendung für die Beerdigung darstellen (RG 66, 306; O L G Freiburg NJW 1954, 720). Hingegen können die Kosten einer Beförderung des tödlich Verletzten zum Krankenhaus auf Grund des § 844 nicht gefordert werden (RG J W 1905, 144 24 ); sie gehören gleich den Kosten einer versuchten Heilung zu den Schäden, die noch dem unmittelbar Verletzten entstanden sind; der Anspruch auf ihre Erstattung geht demgemäß auf den Erben über. Eine allgemeine V o r t e i l s a u s g l e i c h u n g f i n d e t gegenüber dem Anspruch auf Erstattung der Beerdigungskosten n i c h t s t a t t (BGH M D R 1953, 30). IV. Der Kreis der nach Abs. 2 Berechtigten Anm. 8 Abs. 2 des § 844 gibt im Falle der Tötung einer Person denjenigen Personen einen dem Anspruch aus § 843 gleichgearteten Anspruch gegen den Schädiger, denen der Getötete kraft Gesetzes unterhaltspflichtig w a r oder werden konnte. Die gesetzlichen Unterhaltspflichten regeln die familienrechtlichen Bestimmungen der §§ 1360 fr BGB, §§ 58 fr, 26, 37 EheG (Ehegatten, auch nach geschiedener, aufgehobener oder für nichtig erklärter Ehe; vgl. dazu B G H NJW 1957, 537), §§ iöoifF, 1705, 1736, 1739, 1765 (Verwandte in gerader Linie), §§ 1757, 1762, 1766 (Adoptiveltern), § 1708 (außerehelicher Erzeuger). Nach Einfuhrung des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter hat das minderjährige eheliche Kind die Wahl, ob es sich wegen seines Unterhalts an den Vater oder die Mutter halten will (BGH 22, 51). Das Recht des fürsorgebedürftigen Kindes auf Personenfürsorge durch die uneheliche Mutter (§ 1707 Satz 2) kann zum Recht auf den Unterhalt im Sinne des § 844 Abs. 2 gehören (BGH 8, 374). Der Aussteueranspruch der Tochter ist hingegen kein Unterhaltsanspruch (OLG Hamm VersR 1953, 453). V e r t r a g l i c h e Unterhaltsrechte gegenüber dem Getöteten begründen angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts einen Ersatzanspruch n i c h t (RG D R 1944, 771: Zusammentreffen gesetzlicher und vertraglicher Unterhaltspflicht). Nach Abs. 2 Satz 1 sind als unterhaltsberechtigt auch die Personen anzusehen, denen gegenüber der Getötete unterhaltspflichtig gewesen oder geworden wäre, falls sie zur Zeit der Verletzung bereits gelebt hätten, wenn sie zur Teit der Verletzung bereits erzeugt, aber noch nicht geboren waren. Im übrigen ist für die Frage, ob eine Unterhaltspflicht bestand oder entstehen konnte, e n t s c h e i d e n d auf den Z e i t p u n k t der V e r l e t z u n g abzustellen. Deshalb sind nicht ersatzberechtigt die Witwe, die den Getöteten erst nach der Verletzung geheiratet hat, und auch nicht diejenigen, die erst nach der Verletzung, auf der der spätere Tod des Verletzten beruhte, erzeugt worden sind. Die Feststellung, ob der nach der Verletzung geborene Dritte zur Zeit der Verletzung bereits erzeugt war oder nicht, hat das Gericht nach § 286 ZPO in freier Beweiswürdigung zu treffen, ohne an die Bestimmungen der §§ 1592, 1717 Abs. 2 gebunden zu sein. Der Unterhaltsanspruch setzt im allgemeinen auf Seiten des Unterhaltsberechtigten B e d ü r f t i g k e i t (vgl. z.B § 1602 BGB, §§ 58, 60 EheG), aufsehen des Unterhaltsverpflichteten L e i s t u n g s f ä h i g k e i t (§ 1603) voraus; anders beim Unterhaltsanspruch des außerehelich geborenen Kindes gegen seinen Erzeuger (§ 1708). Soweit Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten Voraussetzung für den Unterhaltsanspruch ist, ist für die Entstehung des Ersatzanspruchs nicht Bedingung, daß die Unterhaltsbedürftigkeit bereits zur Zeit der Verletzung bestand. Erforderlich ist auch nicht, daß der Getötete vor der Verletzung tatsächlich für den Unterhalt des Dritten gesorgt hat; es genügt, daß er zu den gesetzlich verpflichteten Personen gehört und zur Leistung imstande
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
war oder (z. B. bei Tötung eines Kindes) später in den Stand gesetzt worden wäre (RG 74, 274; R G WarnRspr 1910 Nr. 206; R G J W 1907, 480 13 ; 1931, 3353 22 ). Der Berechtigte kann jedoch, solange seine Bedürftigkeit oder die mutmaßliche Leistungsfähigkeit des Getöteten noch nicht eingetreten ist, nur auf Feststellung der Ersatzpflicht für den Fall, daß die gesetzlichen Voraussetzungen später eintreten sollten, klagen. Dabei dürfen an die Beweisführung hinsichtlich der künftigen Bedürftigkeit des Berechtigten und der mutmaßlichen Leistungsfähigkeit des Getöteten keine strengen Anforderungen gestellt werden (RG J W 1907, 7 1 0 " ; 1909, 314 1 2 ; 1 9 1 1 , 153 9 ; BGH 4, 133; 5, 314: Feststellungsklage neben Leistungsklage; BGH NJW 1956, 1479). Der Feststellungsklage muß deshalb bereits dann stattgegeben werden, wenn der Nachweis einer nicht eben entfernt liegenden Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht geführt wird (BGH L M § 256 Nr. 7 u. § 844 Abs. 2 Nr. 9). Die tatsächliche Gewährung des Unterhalts durch einen dazu nicht verpflichteten Dritten hebt den Anspruch aus § 844 Abs. 2 nicht auf (RG 92, 57; R G J W 1931, 3353 22 ). Eine Feststellungsklage des Verletzten, daß im Falle seines Todes der Ersatzpflichtige den unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen nach § 844 Abs. 2 den Schaden zu ersetzen habe, ist mangels eines Feststellungsinteresses unzulässig (RG 95, 248). V. Die Entziehung des Rechts auf Unterhalt durch die Tötung des Unterhaltspflichtigen Anm. 9 Dem Dritten ist das Recht auf den Unterhalt infolge der Tötung entzogen, wenn die U n t e r h a l t s p f l i c h t des Getöteten mit seinem T o d e erlischt, wie die Unterhaltspflicht der Ehegatten, Eltern und Abkömmlinge, nicht dagegen an sich, wenn die Unterhaltspflicht auf die Erben übergeht, wie diejenige des Erzeugers eines unehelichen Kindes (§ 1712) oder die des geschiedenen Ehegatten (§70 EheG). Eine Schadensersatzforderung des unehelichen Kindes oder des geschiedenen Gatten des Getöteten kann aber gleichwohl aus § 844 Abs. 2 begründet sein, wenn die Erben tatsächlich nicht oder nicht voll zu leisten in der Lage sind oder sie die Leistungen gemäß § 1712 Abs. 2 BGB oder § 70 Abs. 2 EheG mindern können (vgl. R G 74, 375). Wenn mit dem Tode des Verletzten dessen Unterhaltspflichten erlöschen, die Unterhaltspflicht aber kraft Gesetzes auf einen anderen übergegangen ist, so steht das dem Ersatzanspruch nicht entgegen (§ 844 Abs. 2 i. V. m. § 843 Abs. 4). Soweit sich ein etwaiger vertraglicher Unterhaltsanspruch mit einem gesetzlichen deckt, wird durch den Tod des Verpflichteten nicht nur der vertragliche, sondern auch der gesetzliche Unterhaltsanspruch entzogen (RG DR 1944, 771 1 2 für den Fall eines in einem Gutsüberlassungsvertrag für den Ubergeber ausbedungenen Altenteiles). VI. Der Umfang des Ersatzanspruchs Anm. 10 1. Der Ersatzpflichtige ist dem Dritten insoweit zum Schadensersatz (nicht Unterhalt) verpflichtet, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens ihm zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde. Sonstige Schäden werden nach Abs. 2 nicht ersetzt. Die Hinterbliebenen eines Unfallgetöteten können deshalb auch nicht die durch die Geltendmachung von Rentenansprüchen gegenüber einem öffentlichen Versicherungsträger entstandenen Rechtsanwaltskosten ersetzt verlangen (BGH L M § 10 StrVG Nr. 3). Auch für die Bestimmung der Ersatzpflicht nach § 844 gilt es, eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung für eine zukünftige Entwicklung zu treffen, wie sie sich gestaltet haben würde, wenn das schädigende Ereignis und der Tod des Unterhaltspflichtigen nicht dazwischen gekommen wären. Die Unterhaltsverhältnisse des Berechtigten auf Grund der Leistungen, die der Getötete zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht zu machen imstande gewesen wäre, sind zu vergleichen mit den Unterhaltsverhältnissen, wie sie sich nach dem Wegfalle des Rechtes auf jene Leistungen voraussichtlich stellen werden. Dabei ist immer nur entscheidend, was der getötete U n t e r h a l t s p f l i c h t i g e unter den in Frage kommenden Voraussetzungen dem Unterhaltsberechtigten leisten müßte, nicht was er tatsächlich mehr oder weniger geleistet hat
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A n m . 11 und vielleicht auch künftig geleistet haben würde ( R G 159, 21; R G J W 1907, 480 13 ; 1931 S. 180413, 3353 22 ; 1936, 23064; R G D R 1939, 1443 12 ; B G H L M §844 Abs. 2 Nr. 2). Die mutmaßliche Leistungsfähigkeit des Getöteten ist nach den zur Zeit der Urteilsfindung bekannten Tatsachen (Alter, Gesundheit, geistige Befähigung, Schulund Berufsausbildung, Arbeitswilligkeit, Erwerbsmöglichkeiten usw.) zu prüfen; da es insoweit auf die Umstände des Einzelfalles ankommt, läßt sich eine bestimmte (Mindest-) Altersgrenze, von der an die mutmaßliche Leistungsfähigkeit eines getöteten Kindes erst beurteilt werden kann, nicht allgemein festlegen ( B G H 4, 133). Die Unterhaltsleistung des Ehemannes und Vaters kann auch in einer Tätigkeit im Geschäft der Ehefrau bestehen ( R G J W 1931, 33082). Seit Inkrafttreten der Gleichberechtigung der Geschlechter haben beide Eheleute in gleicher Weise zum gemeinsamen Unterhalt beizutragen (s. jetzt § 1360 Satz 1) und die Ehefrau, die eigene Einkünfte hat, kann nicht mehr verlangen, daß der Ehemann allein für den gemeinsamen Unterhalt aufkommt ( B G H NJW 1957, 537). Die B e m e s s u n g des Unterhalts, zu dessen Gewährung der Getötete verpflichtet gewesen wäre, ist f ü r j e d e n U n t e r h a l t s b e r e c h t i g t e n (Ehefrau und Kinder) b e s o n d e r s vorzunehmen ( R G 159, 21; s. auch R G SeufFArch 93 Nr. 70; R G WarnRspr 1940 Nr. 142). Eine Zusammenfassung der Rentenansprüche mehrerer Berechtigter zu einem einzigen Rentenanspruch ist unzulässig ( B G H 11, 181). Wenn die tatsächliche Entwicklung der Zukunft von dem regelmäßigen Verlaufe abweicht, gibt § 323 Z P O auch hier das Mittel in die Hand, sowohl hinsichtlich des Umfangs wie hinsichtlich der Dauer der Verpflichtung den veränderten Umständen zur Anerkennung zu verhelfen ( R G J W 1905, 152 38 ).
A n m . 11 2. H ö h e u n d D a u e r d e r R e n t e . Nach den Maßstäben der gesetzlichen Verpflichtung ist zu ermitteln, welche Leistungen der Getötete hätte aufwenden müssen, um seinen Unterhaltspflichten gerecht zu werden. Dabei ist n i c h t eine allgemeine q u o t e n m ä ß i g e B e r e c h n u n g vorzunehmen, s o n d e r n es ist auf die b e s o n d e r e n U m s t ä n d e d e s E i n z e l f a l l e s abzustellen ( B G H L M §844 Abs. 2 Nr. 2; B G H VersR 1956, 423, 424). Es sind die tatsächlich gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse zugrunde zu legen, nicht eine durch sie nicht gerechtfertigte übertrieben hohe Lebenshaltung des Unterhaltspflichtigen ( R G J W 1935, 2628 11 ). Der Anspruch kann für die verschiedenen Zeiträume seiner Höhe nach unterschiedlich bemessen werden entsprechend dem Maße, in dem sich im Laufe der Zeit die Leistungsfähigkeit des V e r pflichteten geändert haben würde. Zur Berechnung des Einkommens, nach dessen H ö h e sich das M a ß der Unterhaltspflicht des Getöteten bemessen haben würde, u. a. zur Frage des Abzugs von Sozialabgaben und Steuern s. R G 159, 21; O L G Köln D R 1941, 590 14 und insbesondere zur Bemessung der Schadensersatzrente einer Witwe eingehend B G H L M § 844 Abs. 2 Nr. 2. Bei der Berechnung der Unterhaltsrente ist auch zu berücksichtigen, daß der getötete Ehemann ggfs. R ü c k l a g e n zur Sicherung der späteren Versorgung seiner Ehefrau gemacht haben würde ( B G H L M § 844 Abs. 2 Nr. 11; B G H VersR 1956, 38). Zur Berechnung der Unterhaltsrente für Hinterbliebene eines getöteten Landwirts s. B G H L M § 844 Abs. 2 Nr. 17. Die Unterhaltspflicht der E l t e r n gegen die Kinder und der K i n d e r gegen die Eltern findet ihre Schranke in der Bedürftigkeit der Berechtigten, hört im ersteren Falle auf, sobald die Kinder wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen können, und beginnt im letzteren Falle, sobald die Eltern der wirtschaftlichen Unterstützung durch die Kinder bedürftig werden. Der regelmäßige Verlauf der Dinge, die voraussichtliche Lebensstellung der unterhaltsberechtigten wie auch der unterhaltungsverpflichteten Kinder und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verheiratung mit ihrem Einfluß auf Unterhaltspflichten sind zu berücksichtigen ( R G J W 1905, 143 23 ; 1909, 660 11 ; 1911, 153"; B G H 4, 133). Hatte die (tödlich verunglückte) Mutter ihre Tochter im Haushalt zurückgehalten und ihr keinen eigenen Erwerb ermöglicht, so ist davon auszugehen, daß sie der Tochter auch den Unterhalt gewähren mußte, und es kommt nicht darauf an, ob diese anderenfalls verpflichtet und in der Lage gewesen wäre, einen Beruf zu ergreifen ( R G SeuffArch 91 Nr. 75). Der Vater verliert dadurch, daß seine Tochter keinen Beruf erlernt hat, nicht . das Recht, 99
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§ 844 Änm. 1 2 , 1 3
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sie auf eigenen Erwerb zu verweisen; der für den Tod des Vaters Schadensersatzpflichtige kann aber nicht verlangen, daß eine solche bloße Möglichkeit bei der Bemessung des Schadensersatzes in Rechnung gestellt wird (RG J W 1937, 1550 10 ). Zur Rentendauer bei Kindern aus Akademikerfamilien s. BGH VersR 1955, 36. Uber die Bemessung des Schadensersatzes bei Abfindung eines unehelichen Kindes durch die Erben des getöteten Vaters nach § 1712 Abs. 2 s. RG J W 1932, 1352 10 . War der Getötete ein E h e m a n n , so war er seiner Ehefrau grundsätzlich bis an sein Lebensende zum Unterhalt verpflichtet und nur das Maß des Unterhalts wird durch seine eigene Erwerbsfahigkeit bestimmt (RG J W 1909, 68713). Uber die Bemessung des Schadensersatzanspruchs der Ehefrau wegen Tötung ihres Mannes, wenn dieser schon auf Scheidung der Ehe Klage erhoben hatte, und über die Beweislast in solchem Falle s. RG 152, 360. Nicht berührt wird der Schadensersatzanspruch der Witwe dadurch, daß sie mit Zustimmung des Mannes Ehebruch getrieben hat (RG SeuffArch 90 Nr. 26). Eine Wiederverheiratung der Witwe, die nicht notwendig (OHG 1, 317), aber je nach den Umständen der neuen Ehe den Unterhalts- und damit auch den Schadensersatzanspruch ganz oder teilweise, für die Dauer oder auch nur zeitweise endigt (RG DR 1940, 163 16 ; BGH VersR 1958, 627), ist regelmäßig nicht von vornherein in Betracht zu ziehen (RG J W 1905, 143; WarnRspr 1934 Nr. 74; BGH 26, 282, 293). Der Schädiger ist insoweit auf § 323 ZPO angewiesen. Die mutmaßliebe Lebensdauer des Getöteten ohne den Unfall bildet in jedem Fall die äußerste zeitliche Grenze für seine Unterhaltsverpflichtung und damit auch für die von dem Ersatzpflichtigen wegen des entzogenen Unterhalts zu leistende Entschädigung. Es ist deshalb nicht angängig, der Witwe die Rente etwa bis zu ihrem Lebensende mit der Begründung zuzusprechen, daß nicht zu vermuten sei, daß der Getötete vor ihr verstorben sein würde (RG 90, 226; 128, 218; RG J W 1927, 2371'; WarnRspr 1919 Nr. 74; B G H L M § 844 Abs.2 Nr. 2 Bl. 3r). Trotzdem kann zugunsten einer Witwe auch für die Zeit nach dem mutmaßlichen Tode ihres Ehemanns berücksichtigt werden, daß sie infolge seines vorzeitigen Todes nur eine geringere Witwenpension bezieht; es treten insoweit lediglich die Folgen einer vor dem mutmaßlichen Tode des Ehemanns unterbliebenen „Unterhaltsleistung" nachträglich in Erscheinung (OLG Düsseldorf VRS 1951, 329, 334; Wussow DR 1940, 1866 Nr. 9 u. DAR 1951, з, 5; s. auch BGH L M § 844 Abs. 2 Nr. 2 Bl. 4; aA RG J W 1906, 570, 571; R G 155, 20). Ein Grundsatz des Inhalts, daß eine im Erwerbsleben stehende Person nicht über das 65. Lebensjahr oder ein anderes bestimmtes Lebensalter hinaus dem Erwerb nachgehe oder nachgehen könne, kann in dieser Allgemeinheit nicht anerkannt werden, die Frage ist in jedem Falle nach § 287 ZPO vom Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden (RG J W 1931, 8605; 1932, 202916, 2154 13 ; RG WarnRspr 1934 Nr. 74; R G H R R 1935 Nr. 1015; vgl. auch RG 86, 377 и. BGH 4, 133; BGH VersR 1953, 207, 208). Der Zeitpunkt des mutmaßlichen Todes muß im Urteil kalendermäßig bestimmt werden (RG JW 1927, 2371'; OLG Stuttgart VersR 1956, 701). Anm. 1 2 3. Gesetzlicher Forderungsübergang; Anrechnung von sonstigen Leistungen. Für den gesetzlichen Forderungsübergang sowie die Anrechnung von gesetzlichen und vertraglichen Bezügen, die den Unterhaltsberechtigten, insbesondere Witwen und Waisen der Getöteten anläßlich des Todesfalles von anderer Seite zukommen, gilt dasselbe wie im Falle des § 843 (s. dort Anm. 9—11). So sind insbesondere die auf vertragsmäßiger Grundlage beruhenden nach dem Tode des Verunglückten den Unterhaltsberechtigten ausgezahlten Lebens- und Unfallversicherungssummen oder die ersparten Prämien nicht anzurechnen (RG 146, 287; 148, 164; 1 5 1 , 330» 334; RG WarnRspr 1917 Nr. 266; J W 1932, 1352 1 ; RG DJ 1938, 792; 1940, 1396; BGH 19, 94, 99; BGH NJW 1954, 1153; BGH L M § 844 Abs. 2 Nr. 15). Anm. 1 3 Wenn den Ersatzberechtigten aus dem Vermögen des Getöteten durch E r b f a l l etwas zuwächst, so brauchen sie sich den Stammwert der Erbschaft nicht
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Unerlaubte Handlungen
§844
Anm. 14
a n r e c h n e n zu lassen, soweit ihnen diese Erbschaft bei dem späteren natürlichen Tode des Erblassers ebenfalls zugefallen sein würde. Ihr durch den Wegfall des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs entstandener S c h a d e n w i r d n u r i n s o w e i t g e m i n d e r t , als sie infolge des vorzeitigen Anfalls der Erbschaft aus dem ererbten Vermögen E i n k ü n f t e e r z i e l e n o d e r e r z i e l e n k ö n n e n ( B G H 8, 325). Daran hat sich für die Witwe als Erbin auch durch den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau nichts geändert ( B G H L M § 844 Abs. 2 Nr. 15). Einkünfte aus ererbtem Vermögen sind jedoch auch insoweit anrechenbar, als dem Ersatzberechtigten das Vermögen nicht unmittelbar, sondern über ein bei demselben Unfall verletztes, aber nach dem Unterhaltspflichtigen verstorbenes Kind angefallen ist ( B G H aaO). An einer Schädigung fehlt es daher auch, wenn das Erwerbsunternehmen, dessen Erträgnisse die Quelle für den Unterhalt der Ehefrau und des Kindes bildeten (Handelsgeschäft, landwirtschaftliches Gut), durch Erbgang auf diese übergegangen ist und von ihnen fortgeführt wird, und insoweit die Einkünfte des durch Erbgang auf sie gekommenen Vermögens des Getöteten dem Unterhaltsanspruch gleichkommen ( R G 69, 292; 72, 437; R G J W '934. 3464; I936» 4446; R G WarnRspr 1933 Nr. 149; 1934 Nr. 7; über die Berücksichtigung eines Erbteilungsvertrages, der die anrechnungsfähigen Vermögenseinkünfte verringert, s. R G J W 1938, 673 16 ). Ihre Vermögenslage ist insoweit nicht verschlechtert, und es kommt nur der Nachteil in Frage, der etwa durch den Wegfall der persönlichen Arbeit und Leitung des Getöteten die Ersatzberechtigten trifft. Diese Gründe treffen aber nicht zu auf einen Vermögensübergang, der gar nicht infolge des Todes des Verletzten stattgefunden hat, sondern etwa durch Beerbung eines der Ersatzberechtigten durch den anderen, oder auf einen durch Verkauf des Geschäfts des Getöteten erzielten Gewinn ( R G 91, 398). Bedingte Provisionsansprüche (HGB §88) sind Teil des Vermögens des Anspruchsberechtigten, gehen mit seinem Vermögen auf die Erben über und gehören nicht zu den Einkünften, die bei Schadensersatzansprüchen nach § 844 anzurechnen sind ( R G D R 1942, 1362 2 ). Berechnung der Witwenrente, wenn der von dem Verstorbenen allein geführte Geschäftsbetrieb (Schiffahrt) von den erwachsenen Söhnen fortgeführt und dadurch derselbe Gewinn erzielt wird, wie bisher, s. R G H R R 1936 Nr. 1 1 1 2 . Immer ist für eine Anrechnung vorausgesetzt, daß wirklich Vermögen vorhanden ist, das Einkünfte abwirft. Muß die W i t w e erst durch ihre Tätigkeit Einkünfte hervorbringen, so greifen die erörterten Gesichtspunkte nur ein, soweit die Witwe bereits auf Grund der ehelichen Lebensgemeinschaft auch bei Lebzeiten des Getöteten zur Mitarbeit verpflichtet war ( R G WarnRspr 1936 Nr. 122; B G H N J W 1954, 633 u. dazu jetzt § 1356 Abs. 2). Auf den Schadensersatzanspruch der K i n d e r des Getöteten kann sonach zwar nicht ihr Pflichtteil am Nachlaß des getöteten Elternteils angerechnet werden, wohl aber der Unterhaltsanspruch gegen den lebenden Elternteil, soweit dieser den Unterhalt aus denselben Einkünften gewährt, die früher dem Getöteten zuflössen und dem lebenden Elternteil als Erben oder Vermächtnisnehmer zugute kommen (OLG Zweibrücken H R R 1941 Nr. 430; vgl. auch O L G Oldenburg VersR 1956, 635). Über die Möglichkeit einer Feststellungsklage für den Fall, daß die an sich zur Unterhaltungsdeckung ausreichenden Erträgnisse eines ererbten Vermögens sich mindern oder verloren gehen, oder infolge besonderer Bedürfnisse nicht mehr ausreichen sollten, s. R G 148, 154, i64f.
Anm. 14 4. Mitwirkendes Verschulden des Getöteten und der Ersatzberechtigten.
Der Ersatzanspruch des § 844 kann ferner wegfallen oder sich mindern gemäß § 254, und zwar sowohl infolge mitwirkenden Verschuldens des Getöteten (§ 846) und ggfs. der von diesem zu vertretenden mitwirkenden Gefährdung (s. § 846 Anm. 1), als auch infolge eigenen Verschuldens des ersatzberechtigten Dritten, z.B. wegen mangelhafter Pflege des Verletzten oder nicht rechtzeitiger Zuziehung eines Arztes ( R G 55, 24). Insbesondere kann die Frage, ob und inwieweit die arbeitsfähige W i t w e des G e t ö t e t e n zu e i g e n e r E r w e r b s t ä t i g k e i t v e r p f l i c h t e t ist, nicht nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung (das Freiwerden ihrer Arbeitskraft ist kein mit der Tötung ihres Ehemannes verbundener „Vorteil") gelöst, sondern sie muß unter dem Gesichtspunkt der Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflicht (§254 Abs. a)
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beantwortet werden. Diese Vorschrift setzt nicht eine bestimmte Rechtspflicht voraus, sondern umfaßt jeden Verstoß gegen Treu und Glauben. Deshalb k o m m t es d a r a u f a n , ob und inwieweit der W i t w e eine A u s n u t z u n g i h r e r A r b e i t s k r a f t z u z u m u t e n ist und ob sie ggfs. einer ihr zumutbaren Tätigkeit schuldhaft nicht nachgegangen ist (RG 154, 236; R G J W 1939, 3 0 1 ; B G H 4, 170; B G H VersR 1955, 36; 1956, 373; nicht so weitgehend O G H 1, 317). Die Witwe eines Getöteten muß sich also auf die Schadensersatzrente aus § 844 Abs. 2 Einkünfte, die sie aus eigenem Erwerb tatsächlich erzielt hat oder hätte erzielen können, insoweit anrechnen lassen, als sie gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn sie die Übernahme einer ihr zumutbaren Erwerbstätigkeit ablehnte. Dabei ist für die Frage der Zumutbarkeit auf die Besonderheit des einzelnen Falles abzustellen und sind insbesondere entscheidend „die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu berücksichtigen, sowie, ob nach Alter, Leistungsfähigkeit und den sonstigen Lebensverhältnissen, vor allem bei eigener früherer Erwerbstätigkeit oder Berufsausbildung, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von der Witwe verlangt werden kann" ( B G H 4, 176). Vgl. dazu auch G i e s e k e S J Z 1949, 548; B ö h m e r VersR 1954, 334 und vor allem eingehend P a g e n d a r m D A R 1954, 169). Einkünfte aus einer tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit braucht sich die Witwe insoweit nicht anrechnen zu lassen, als ihr die Tätigkeit an sich nicht zugemutet werden konnte (RG 154, 241/2; B G H 4, 176/7). Bei S c h a d e n s t e i l u n g gemäß § 254 Abs. 1 kommt eine Anrechnung der erzielten oder erzielbaren Arbeitseinkünfte der Witwe nur in Betracht, soweit diese Einkünfte über den Schadensteil hinausgehen, den die Witwe ohnehin zu tragen hat ( B G H 16, 265, 275; B G H VersR 1955, 354; s. auch R G 172, 195, 198). S c h u l d h a f t wird die Pflicht zum Ergreifen einer zumutbaren Erwerbstätigkeit verletzt, wenn die Witwe es trotz Erkennbarkeit der tatsächlich gegebenen Möglichkeiten unterläßt, sich ernstlich um einen solchen Erwerb zu bemühen (RG 160, 1 1 9 , 1 2 1 ) . Das vorstehend für die Witwe des Getöteten Gesagte gilt e n t s p r e c h e n d f ü r d i e A b k ö m m l i n g e des Getöteten, die bei diesem lebten und von ihm unterhalten wurden (RG J W 1937, 1550 1 »). A n m . 15 5. Die Vorschriften des § 843 über die F o r m der E n t s c h ä d i g u n g (Abs. 2), die Kapitalabfindung anstatt der Rente (Abs. 3), sowie über das Bestehen des Schadensersatzanspruchs trotz der Unterhaltspflicht eines Dritten (Abs. 4) finden für den Schadensersatzanspruch nach § 844 entsprechende Anwendung. Vgl. darüber § 843 Anm. 12—16. Die Bestimmung des §843 Abs. 4 ist gerade hier von Bedeutung, insofern daraus folgt, daß auf Unterhaltsverpflichtungen anderer Personen gegenüber den nach § 844 ersatzberechtigten Personen der Ersatzpflichtige sich nicht berufen kann (RG 1 5 1 , 330, 336). A n m . 16 VII. Prozeßrechtliches Da die Voraussetzungen für Höhe und Dauer der Entschädigungsansprüche für Witwe und Kinder eines Getöteten verschieden sind, können sie nicht in einem Rentenanspruch zusammengefaßt werden, auch wenn die Witwe als Inhaberin der elterlichen Gewalt die Kinder im Rechtsstreit über den Schadensersatz vertritt (RG J W 1 9 1 1 , 185 1 3 ; B G H n , 1 8 1 ; B G H VersR 1953, 210). Bei T e i l u n g des P r o z e ß v e r f a h r e n s n a c h G r u n d u n d B e t r a g des Anspruchs gilt für § 844 das zu § 843 in Anm. 20 Ausgeführte. Die Prüfung, ob die geforderte Rente sich in den gesetzlichen Grenzen hält, vor allem die Bestimmung der mutmaßlichen Dauer des Lebens des Getöteten gehört in das Verfahren über den Grund des Anspruchs (RG 77, 408; 98, 222, 224; JW 1908 S. g 9 u. 109 7 ); die zahlen- oder kalendermäßige Abgrenzung kann dabei dem Nachverfahren vorbehalten werden (RG 98, 222; R G J W 1908, 109'; 1910, 812 3 1 ; 1 9 1 1 , 488 10 ; L Z 1921, 230 13 ). Im übrigen genügt für ein Grundurteil zum Rentenanspruch die Feststellung der Unwahrscheinlichkeit, daß der Getötete niemals zur Unterhaltsgewährung imstande sein würde (RG J W 1933, 1887 1 0 ; s. auch R G WarnRspr 1936 Nr. 80 und O L G Naumburg H R R 1936 Nr. 1216).
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Unerlaubte Handlungen
§845
Anm. 1
Zur F e s t s t e l l u n g s k l a g e s. § 843 Anm. 18. Für § 844 ist insbesondere auf folgendes hinzuweisen: An die Beweisführung dürfen keine strengen Anforderungen gestellt werden; es genügt eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit dafür, daß ohne den Unfall ein Unterhaltsanspruch gegeben sein würde ( B G H 4, 1 3 3 ; B G H L M § 256 Z P O Nr. 7 u. § 844 Abs. 2 Nr. 9). Zur A b ä n d e r u n g s k l a g e gemäß § 3 2 3 Z P O vgl. §843 Anm. 19.
§845 I m Falle der Tötung, der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie i m Falle der Freiheitsentziehung hat der Ersatzpflichtige, wenn der Verletzte kraft Gesetzes einem Dritten zur Leistung von Diensten in dessen Hauswesen oder Gewerbe verpflichtet w a r , dem Dritten für die entgehenden Dienste durch Entrichtung einer Geldrente E r s a t z zu leisten. Die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. E I I 768; P 2 6)1. 6)1.
Ubersicht I. II. III. IV.
Anm.
Allgemeines 1 Der Kreis der kraft Gesetzes zur Dienstleistung Verpflichteten 2 Die Ersatzleistung 3—4 Das Verhältnis der Ansprüche aus § 845 zu den eigenen Ansprüchen des Verletzten 5
Anm. 1 I. Allgemeines § 845 fügt den Ansprüchen der dritten Personen, die einem durch u. H. Getöteten gegenüber kraft Gesetzes unterhaltsberechtigt waren (§ 844), für den Fall der Tötung, der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit, sowie i m Falle der Freiheitsentziehung einer P e r s o n einen w e i t e r e n A n s p r u c h dritter m i t t e l b a r v e r l e t z t e r P e r s o n e n hinzu, der aus deren gesetzlichem Rechte auf Dienstleistungen des unmittelbar Verletzten entspringt. Für die allgemeine Bedeutung des § 845 und die Natur der daraus hergeleiteten Ansprüche sowie die Möglichkeiten einer entsprechenden Anwendung dieser Bestimmung vgl. § 844 Anm. 1—3. Uber die Verletzung der Rechtsgüter, auf die §845 sich beschränkt, vgl. §823 Anm. 12—14. Gleichgültig ist, ob die Verletzung auf wirklichem oder vermutetem Verschulden oder auf einem anderen Rechtsgrunde der Haftung (§833 Satz 1) beruht ( R G 50, 244, 253). Daß §845 (oder eine entsprechende Bestimmung) für das Anwendungsgebiet des RHaftpflG und das StrVG überhaupt nicht und für das LuftverkG (Fassung vom 10. 1. 1959) nur für die Haftung für militärische Luftfahrzeuge gemäß § 53 Abs. 2 gilt, ist in § 844 Anm. 3 behandelt. Der Rentenanspruch (§ 845 Satz 1) und der Kapitalabfindungsanspruch (§§ 845 Satz 2, 843 Abs. 3) sind nicht zwei verschiedene Ansprüche, sondern nur zwei verschiedene Formen des nämlichen Anspruchs (RG 77, 216; R G H R R 1933 Nr. 1083). Die R e n t e , auf die auch für den Anspruch aus § 845 regelmäßig erkannt werden soll, unterliegt nicht der Vollstreckbarkeits- und Pfändungsbeschränkungen der §§ 708 Nr. 6 und 850 b Z P O (früher § 4 LohnpfandungsVO vom 30. 10. 1940); sie ist mithin auch übertragbar, aufrechenbar und verpfändbar (§§ 400, 394, 1274 Abs. 2). Die Streitwertberechnung erfolgt nach § 13 Abs. 3 G K G (idF vom 26. 7. 1957 BGBl I 861, 941). Vor der Neufassung des G K G war § 9 Z P O anzuwenden ( B G H L M § 845 Nr. 2). Zum Verhältnis von § 845 zu § 898 R V O s. V o s s VersR 1954, 7 und B ö h m e VersR 1956, 334 (mit Angaben von Rechtsprechung und Schrifttum).
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§ 845
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 2, 3 Anm. 2 II. Der Kreis der kraft Gesetzes zur Dienstleistung Verpflichteten Kraft Gesetzes sind einem Dritten zur Leistung von Diensten in dessen Hauswesen oder Gewerbe verpflichtet: die E h e g a t t e n einander gegenüber nach § 1356 Abs. 2, während nach der früheren Fassung dieser Bestimmung allein die Ehefrau zur Mitarbeit im Haushalt und Geschäft des Mannes verpflichtet war und den Ehemann eine entsprechende familienrechtliche Verpflichtung nicht traf; die K i n d e r den Eltern gegenüber nach § 1617, solange sie dem elterlichen Hausstand angehören und von den Eltern erzogen oder unterhalten werden (Kinder aus nichtigen Ehen § 25 EheG, durch nachfolgende Eheschließung legitimierte Kinder § 1719, angenommene Kinder § 1757, uneheliche Kinder § 1705). Für die Rechtslage nach Inkrafttreten des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau gemäß Artikel 3 Abs. 2 G G ( 1 . 4 . 1953) und vor Inkrafttreten der Neufassung des § 1356 Abs. 2 (1. 7. 1958) s. B G H L M § I StrVO Nr. 6. Allein den Ehegatten und den Eltern steht sonach ein Anspruch aus § 845 zu. Eine e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g der Vorschrift bei anderen, vertraglichen oder auf Amtsbestellung beruhenden Dienstpflichten ist n i c h t z u l ä s s i g ( R G 6 1 , 293: Stellvertretungskosten des Staates für die entzogenen Dienste eines durch die u. H. eines Dritten verletzten Beamten). Zu den Diensten, die ein dem elterlichen Hausstand angehörendes oder von den Eltern erzogenes oder unterhaltenes Kind kraft Gesetzes zu leisten verpflichtet ist, können auch Dienste höherer Art gehören; entscheidend ist lediglich, ob die Dienste in den Rahmen des Hauswesens oder Geschäfts der Eltern und nicht in ein bestehendes Arbeitsverhältnis fallen ( R G 162, 116). Ersatz für die Dienste, die ein Sohn als Lehrling und Gehilfe in der kleinen Bäckerei seines Vaters leistet, im Hinblick auf § 1617 s. O L G Köln H R R 1937 Nr. 698. Die Ehefrau wird die Arbeit im Hauswesen im allgemeinen nicht im Rahmen vertraglicher Beziehungen verrichten. Jedoch wird die Mitarbeit der Frau im Geschäft des Mannes in der jetzigen Zeit häufig über das Maß des im Rahmen des §1356 Abs. 2 Üblichen hinausgehen. Leistet die Ehefrau eines Arztes ihrem Mann regelmäßig und in der nach den Verhältnissen üblichen Weise Sprechstundenhilfe, und ist sie infolge einer Körperverletzung für die Zukunft daran gehindert, so kann es sich dabei um Dienste handeln, zu denen die Ehefrau verpflichtet ist und für deren Entgang der Ehemann von dem Schuldigen Ersatz beanspruchen kann ( R G J W 1931, 3338 1 8 ). Vgl. im übrigen § 1356 Anm. 14fr sowie die Erläuterungen zu § 1617.
III. Die Ersatzleistung Anm. 3 Der Anspruch des Dritten nach § 845 geht nur auf E r s a t z f ü r die e n t g e h e n d e n Dienste. Es ist mithin der Wert dieser Dienste zu ersetzen, nicht ein sonstiger Schaden, den ein Ehegatte oder Elternteil durch die Tötung oder die Verletzung des anderen Ehegatten oder eines Kindes erlitten hat (vgl. R G J W 1904, 357°). Daß der Verletzte dem Dienstberechtigten bereits wirklich Dienste geleistet haben müßte, ist nicht erforderlich; denn der Anspruch geht auf Ersatz der entgehenden Dienste für die Zukunft. Dem Ehemann steht ein Ersatzanspruch auch dann zu, wenn die Ehefrau .berufstätig war und die Haushaltsführung außerhalb der beruflich beanspruchten Zeit geleistet hat ( B G H VersR 1959, 378). Nach der Rechtsprechung des R G war der Anspruch aus § 845 als reiner Wertersatzanspruch anzusehen, auf den die Grundsätze der Vorteilsausgleichung nicht Anwendung finden, auf den demzufolge auch Aufwendungen, die der geschädigte Dritte für den Unterhalt des Getöteten (z. B. der Ehemann für die getötete Ehefrau, der Vater oder die Mutter für das getötete Kind) gemacht haben würde, nicht anzurechnen sind und für den es auch unerheblich ist, ob er die Arbeiten, die ihm der Getötete geleistet haben würde, durch eine bezahlte Ersatzkraft ausführen läßt oder ob er sie ohne Aufwendung von Geld selbst ausführt oder sich unentgeltlich erlangter oder billigerer Aushilfe bedient ( R G 152, 208; R G J W 1937, 1490 1 0 ; R G D J 1938, 641; R G D R 1940, 41 3 4 ; 1944, 7 7 1 1 3 ; R G SeuffArch 91 Nr. 79). Hingegen hat sich der B G H in B G H 4, 123 auf den Standpunkt gestellt, daß es sich im Falle des § 845 um einen S c h a d e n s -
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Unerlaubte Handlungen
§845 Anm, 4
e r s a t z a n s p r u c h , wenn auch einen solchen b e s o n d e r e r A r t , handelt, bei dessen Bemessung in gewissem der Eigenart dieses Ersatzanspruchs entsprechendem Umfang doch auch der U n t e r h a l t (Verpflegung, Wohnung) zu b e r ü c k s i c h t i g e n ist, der dem Getöteten für die den Dienstleistungen entsprechenden Zeitabschnitte zu leisten gewesen wäre. An dieser Auffassung hat der B G H in LM § 845 Nr. 5 unter eingehender Würdigung der Gegenmeinungen festgehalten (s. auch B G H LM § 845 Nr. 3). Die Berücksichtigung weitergehender Aufwendungen, die der Dienstberechtigte sonst für den Dienstverpflichteten gemacht hat und die er infolge des Todes nicht mehr zu erbringen braucht, lehnt jedoch auch der B G H wegen der besonderen Natur des Schadensersatzanspruchs aus §845 ab ( B G H 4, 123, 131/2). Ebenso kommt es auch nach der Auffassung des B G H nicht darauf an, ob der Dienstberechtigte eine bezahlte Hilfskraft nimmt oder die Dienste nunmehr selbst verrichtet (aaO S. 130). Daß es auf den Ersatzanspruch ohne Einfluß ist, wenn die entgehenden Dienste nunmehr von einem anderen gesetzlich zur Dienstleistung Verpflichteten erbracht werden, ergibt bereits die nach Satz 2 entsprechend anzuwendende Bestimmung des § 843 Abs. 4 (vgl. R G 152, 208, 212; B G H 4, 123, 130). Der Grundsatz der A n r e c h n u n g a n d e r w e i t e n a u s g l e i c h e n d e n E r s a t z e s gilt selbstverständlich auch für § 845 ( R G J W I II 9 > 35 12 : Anrechnung von Unfallrenten, die der Gütergemeinschaft zugeflossen sind; O L G Karlsruhe VersR 1957, 271: Anrechnung einer Erbschaft, mit deren Anfall bei normalem Verlauf der Dinge nicht hätte gerechnet werden können). Ein Forderungsübergang gemäß § 1542 RVO und ähnlichen Bestimmungen auf den Versicherungsträger, der an den unmittelbar Verletzten durch den Unfall bedingte Leistungen erbringt, wird nach dem Grundsatz der kongruenten Deckung in der Regel nicht in Betracht kommen (s. dazu auch W u s s o w , Unfallhaftpflichtrecht TZ 1107; B r e n z e l VersR 1957, 563). Jedoch kann eine Berücksichtigung der Versicherungsleistungen aus dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung in Betracht kommen (vgl. B G H LM § 46 AVG Nr. 1 und auch OLG Tübingen VersR 1952, 55). Anm. 4 Für die Ermittlung des Schadens, die prozeßrechtlich nach § 287 ZPO zu erfolgen hat, bietet der Umfang der Dienste, die der Getötete oder Verletzte während der Lebensdauer des Dienstberechtigten diesem ohne die Verletzung voraussichtlich geleistet haben würde, und für diese Feststellung wiederum der Umfang der Dienste einen Anhalt, die er vor der Verletzung tatsächlich geleistet hat. Für die Bemessung der H ö h e der Entschädigung kann als ungefährer Maßstab der Lohn (oder das Gehalt) dienen, der einer an Stelle des Getöteten oder Verletzten anzunehmenden fremden Hilfskraft nach den ortsüblichen Lohnverhältnissen gezahlt werden muß. Jedoch ist zu beachten, daß Dienste eines nahen Angehörigen in der Regel wertvoller sind als die einer fremden Hilfskraft ( B G H 4, 123, 132; OLG Tübingen VersR 1953, 120; O L G Karlsruhe VersR 1957, 271). Bemessung der Rente eines Vaters, wenn der tödlich verunglückte Sohn im Gewerbebetrieb des Vaters tätig gewesen war und in Aussicht stand, daß er den Betrieb künftig übernehmen werde, s. R G SeuffArch 92 Nr. 114. Bei Bemessung des Ersatzes für entgangene Dienste des verletzten Haussohnes sind Beträge abzusetzen, die auf die Zeit der Erfüllung von Militär- oder Arbeitsdienstpflicht entfallen; auch ist der Vater unter Umständen verpflichtet, zur Minderung des Schadens den Sohn in seinem Hauswesen anderweit zu beschäftigen (OLG Köln H R R 1937 Nr. 698 und J W 1939, 634«). Die Frage der R e n t e n d a u e r läßt sich ebenfalls nicht allgemein beantworten. Es ist auf die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Lebensverhältnisse der Beteiligten abzustellen, vor allem auch Gesundheitszustand und Rüstigkeit des Dienstverpflichteten zu berücksichtigen und danach die mutmaßliche Dauer der Arbeitsfähigkeit des Dienstverpflichteten zu beurteilen. Rüstige Hausfrauen sind häufig bis in ihr hohes Alter hinein im Hause tätig, und der Ausfall ihrer Arbeit ist alsdann auch eine Vermögenseinbuße für den Ehemann (RG J W 1910, 811 28 ; R G WarnRspr 1942 Nr. 42; B G H VersR 1955, 452). Bei Kindern ist davon auszugehen, daß sie im allgemeinen bei gewissem Alter aus dem elterlichen Haushalt ausscheiden und selbständig werden oder heiraten, zumindest nicht mehr von den Eltern unterhalten werden (RG
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§846
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
V A E 1941, 181 Nr. 216). Künftige und mögliche Veränderungen (Wiederverheiratung des Ehemannes) sind für die Zuerkennung der Entschädigung nicht in Betracht zu ziehen; der Weg, sie zur Geltung zu bringen, ist durch § 323 ZPO gewiesen (RG H R R 1935 Nr. 173). Anm. 5 IV. Das Verhältnis der Ansprüche aus § 845 zu den eigenen Ansprüchen des Verletzten Dem v e r l e t z t e n E h e g a t t e n steht nach den §§ 842, 843 der Anspruch auf Ersatz der Kur- und Pflegekosten zu, die er unabhängig von der tatsächlichen Verausgabung, also auch dann erhalten kann, wenn der andere Ehegatte die fraglichen Kosten auf Grund seiner Unterhaltspflicht gezahlt hat; er hat weiter den Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847; er hat ferner nach denselben gesetzlichen Bestimmungen den Anspruch auf eine Rente wegen Verminderung seiner Erwerbsfähigkeit und Vermehrung der Bedürfnisse. Der Anspruch wegen Verminderung der Erwerbsfähigkeit ist aber, da ein Schadensersatzanspruch einen entstandenen Schaden voraussetzt, eingeschränkt auf den selbständigen Erwerb, dem der Verletzte außerhalb des in § 845 gedachten Rechtsverhältnisses nachgeht, und auf die etwaige Einbuße in einer möglichen künftigen Ausnutzung seiner Erwerbskraft (z. B nach Auflösung der Ehe), deren Geltend-, machung in der Regel nur im Wege der Feststellungsklage erfolgen kann ( R G J W 1905, 341 1 2 ; 1908, 273®). Dagegen steht der Anspruch auf Ersatz des durch Wegfall der Dienste und der Hilfstätigkeit des verletzten Ehegatten im Gewerbe des anderen Ehegatten entstandenen Schadens nach § 845 diesem anderen E h e g a t t e n , und nur diesem zu; ein Anspruch des verletzten Ehegatten selbst wegen verminderter Erwerbsfahigkeit infolge der notwendig gewordenen Einstellung oder Einschränkung" dieser Tätigkeit besteht daneben nicht (vgl. R G 63, 195; 64, 323; s. auch R G 139, 289; R G J W 1 9 1 1 , 810 1 '; R G WarnRspr 1908 Nr. 520; abweichend R G WarnRspr 1908 Nr.640). Lediglich insoweit, als die Vermehrung der Ausgaben für den Haushalt und das^Geschäft eine Rückwirkung auf das Maß des von dem anderen Ehegatten dem Verletzten zu gewährenden Unterhalts (§§ 1360 fr) möglicherweise ausüben wird, kann auch dem Verletzten eine Vermögenseinbuße entstehen und deshalb von einem eigenen Schadensersatzanspruch des verletzten Ehegatten die Rede sein, der aber selbstverständlich durch den von dem anderen Ehegatten wegen seines Schadens erhobenen Anspruch aufgezehrt wird (vgl. R G 63, 195; R G J W 1905, 341 1 3 ; 1913, 99 16 ; R G WarnRspr 1910 Nr. 197). Eine g e m e i n s c h a f t l i c h e K l a g e der Ehegatten wegen ihrer beiderseitigen Ansprüche ist zulässig und zu empfehlen, weil dadurch der Gefahr einer Erhebung doppelter Ansprüche wegen desselben Schadens begegnet wird ( R G J W 1911, 8 1 0 " ; R G WarnRspr 1909 Nr. 300; Gruchot 49, 944). Bei dem G ü t e r s t a n d der a l l g e m e i n e n G ü t e r g e m e i n s c h a f t erwerben die Ehegatten nicht sich selbst oder dem anderen, sondern dem Gesamtgut, dem auch die Kosten des Familienunterhalts zur Last fallen. Das Gesamtgut wird entweder von einem der Ehegatten oder von beiden gemeinschaftlich verwaltet. Dementsprechend werden auch die Rechtsstreitigkeiten für das Gesamtgut entweder von dem alleinverwaltenden Ehegatten oder von beiden gemeinschaftlich geführt (§§1421, 1422, 1450). Was der dem anderen dienstverpflichtete Ehegatte im Hauswesen oder im Gewerbe des anderen erwirbt, gehört zu gesamter Hand beiden Ehegatten und der Verlust ist unmittelbar auch ein Schaden des Dienstverpflichteten ( R G J W 1914, 45 14 ; vgl. auch R G WarnRspr 1914 Nr. 258). Ersatz dieses Schadens kann deshalb von den Verletzten auch auf Grund des RHaftpflG, des StrVG usw. verlangt werden, die einen Ersatzanspruch des mittelbar Geschädigten entsprechend § 845 nicht kennen (s. § 844 Anm. 3).
§846 Hat In den Fällen der §§ 844, 845 bei der Entstehung des Schadens, den der Dritte erleidet, ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden auf den Anspruch des Dritten die Vorschriften des § 254 Anwendung. E II 769; P z 639, 640.
1554
Unerlaubte Handlungen
§846 Anm. 1, 2
Anm. 1 Die Bestimmung des § 846 enthält zunächst eine Ausdehnung der Anwendung des §254 auf die Fälle der §§ 844, 845: die selbständigen Schadensersatzansprüche Dritter nach diesen Paragraphen können durch das mitwirkende Verschulden des u n mittelbar Verletzten (und auch durch die von diesem gemäß § 1 RHaftpflG, § 7 StrVG usw. zu vertretende m i t w i r k e n d e G e f ä h r d u n g ) in gleicher Weise aufgehoben oder gemindert werden, als wenn es sich um dessen eigene Ansprüche handelte ( R G 5 1 , 275; wegen der Berücksichtigung der mitwirkenden Gefährdung s. R G J W 1934, 3 1 2 7 5 ; B G H 6, 3 1 9 ; 26, 69, 76; B G H VersR 1959, 293). In der Gesetzesvorschrift ist der allgemeine Gedanke enthalten, daß in demselben Maße, wie die eigenen Ansprüche des unmittelbar Verletzten in ihrer Entstehung von seinem Verhalten beeinflußt werden können, auch die Ansprüche der mittelbar Geschädigten diesen von dem Verhalten des Verletzten ausgehenden Einwirkungen unterliegen. So erscheint trotz aller Selbständigkeit der Schadensersatzansprüche der §§ 844, 845 der unmittelbar Verletzte als Rechtsvorgänger des ersatzberechtigten Dritten. Daraus folgt, daß, wenn der unmittelbar Verletzte, auch ohne daß ein Verschulden auf seiner Seite vorliegt, den Ersatzpflichtigen von seiner Haftung befreit und die Gefahr ihm gegenüber übernommen hatte, dadurch auch der Anspruch des dritten Ersatzberechtigten aufgehoben wird, der davon abhängig ist, daß die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs in der Person 'des unmittelbar Verletzten gegeben waren (RG 1 1 7 , 102; 128, 229, 233; R G J W 1905, 143 2 2 ; B G H VersR 1952, 432; O L G Koblenz VersR 1953, 403). Es ist also ein a l l g e m e i n e r R e c h t s g r u n d s a t z des Inhalts anzuerkennen, d a ß das e i g e n e V e r h a l t e n des V e r l e t z t e n a u c h a u ß e r h a l b des § 254 für die Entstehung und für d i e H ö h e der Schadensersatzansprüche aus §§844, 845 b e d e u t s a m ist; dies gilt namentlich für die Einrede der allgemeinen Arglist oder der unzulässigen Rechtsausübung (RG 170, 3 1 1 , 3 i 5 f ) . Dem mittelbar verletzten und aus §844 wegen Tötung der Mutter klagenden Kind kann aber nicht das Verschulden des durch denselben Unfall getöteten Vaters entgegengehalten werden (RG WarnRspr 1910 Nr. 461). Zu Unrecht ist jedoch die Anwendbarkeit des § 846 verneint in O L G 2, 440 gegenüber den Ansprüchen der Witwe eines beim Ehebruch mit einer verheirateten Frau von deren Ehemann ertappten und getöteten Ehebrechers (vgl. auch O e r t m a n n Anm. ib). Wenn dem Hinterbliebenen gleichzeitig Versorgungsansprüche aus der Sozialversicherung zustehen, so gehen bei mitwirkendem Verschulden des Getöteten die noch verbleibenden Ansprüche bis zur vollen Höhe der Versorgungsbezüge auf den Sozialversicherungsträger über (RG D R 1940, 35 29 ). Hingegen steht dem öffentlichen Dienstherrn eines getöteten Beamten ein derartiges sog. Quotenvorrecht nicht zu (vgl. § 843 Anm. 10).
Anm. 2 Da § 846 Ausfluß eines allgemeinen Rechtsgedankens ist (vgl. § 844 Anm. 1), bestehen g e g e n s e i n e e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g in rechtsähnlichen Fällen k e i n e B e d e n k e n . Anwendung des Grundsatzes des § 846 bei der Vertragsklage des Mieters gegen den Vermieter auf Ersatz des seiner Ehefrau durch einen vom Vermieter verschuldeten Mangel der Mietsache entstandenen Schadens s. R G 81, 2 1 4 ; ferner in Fällen, in denen eine gegen einen anderen gerichtete u. H. die Folge hat, daß ein Dritter infolge der seelischen Einwirkung der körperlichen Verletzung oder der Tötung des unmittelbar Betroffenen auf ihn, den Dritten, einen Schaden an seiner körperlichen oder seelischen Gesundheit und dadurch einen Vermögensschaden erleidet (Schädigung durch sog. Fernwirkung) s. R G 157, 1 1 ; R G D R 1940, 163 1 '. Der in einem nichtigen Testament zum Erben Eingesetzte braucht sich jedoch gegenüber seinem Schadensersatzanspruch gegen den für die Nichtigkeit des Testaments verantwortlichen Beamten nicht ein Selbstverschulden auf Seiten des Erblassers oder des von ihm zugezogenen Beraters entgegenhalten zu lassen ( B G H L M § 839 [Ff] Nr. 3). Hier fehlt t es an einem den Tatbeständen der §§ 844, 845 vergleichbaren Tatbestand.
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§ 846 A n m . 3
§ 847 Anm. 1 Anm. 3
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Außer durch das Verhalten des unmittelbar Verletzten wird der Anspruch des mittelbar Verletzten nach dem allgemeinen Grundsatz des § 254 auch durch s e i n e i g e n e s m i t w i r k e n d e s V e r s c h u l d e n , das naturgemäß hauptsächlich ein solches nach § 254 Abs. 2 — Unterlassung der Abwendung oder Minderung des Schadens (keine gehörige Pflege des Verletzten, Nichtbeiziehung eines Arztes usw.) — sein wird, aufgehoben oder gemindert, da zwar die Entstehung seines Anspruchs von dem Verhalten des unmittelbar Verletzten beeinflußt wird, der Anspruch aber im übrigen von dem des Verletzten unabhängig ist ( R G 55, 24). Anrechnung des eigenen Mitverschuldens, wenn der Ehemann Ansprüche nicht nach § 845, sondern kraft Abtretung seitens der bei einem Fahrzeugzusammenstoß verletzten Ehefrau erhebt, s. R G 139, 289.
§847 Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist. Ein gleicher Anspruch steht einer Frauensperson zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit begangen oder die durch Hinterlist, durch Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt wird. E I 748 I I 770; M 2 799—803; P a 640, 641.
Ubersicht
Anm.
I. II. III. IV. V.
Wesen und Anwendungsbereich des Schmerzensgeldanspruchs . . . . I—3 Die Anspruchsvoraussetzung 4 Der Kreis der Berechtigten 5 Der Nichtvermögensschaden 6 Höhe und Art der Entschädigung 7—10 1. Allgemeine Bemessungsgrundlagen 7 2. Mitverursachung durch den Verletzten 8 3. Mehrere Ersatzpflichtige 9 4. Art der Entschädigung 10 V I . Beschränkung der Ubertragbarkeit und Vererblichkeit des Anspruchs . 11 V I I . Prozessuales 12
I. Wesen und Anwendungsbereich des Schmerzensgeldanspruchs Anm. 1 Dem Schadensersatze, der den Ausgleich der Verluste herbeiführen soll, die eine u. H. für das Vermögen des Verletzten zur Folge gehabt hat (§§ 249, 842, 843), fügt § 847 für gewisse Verletzungen persönlicher Rechtsgüter eine weitere Entschädigung hinzu. Die Besonderheit dieser Entschädigung liegt darin, daß sie nicht dem Vermögen des Verletzten etwas ihm Entzogenes wieder zuführen, sondern sein Vermögen vermehren soll, indem sie ihm in Geld eine Vergütung bringt für Schäden nichtvermögensrechtlicher Art. Diese Entschädigung, das sog. Schmerzensgeld, hat eine d o p p e l t e F u n k t i o n zu erfüllen: sie soll einmal dem Verletzten einen angemessenen A u s g l e i c h bieten für erlittene Schmerzen, Verunstaltungen und Beeinträchtigungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens u n d soll zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Verletzten G e n u g t u u n g schuldet für das, was er ihm angetan hat (so die grundlegende Entscheidung des Großen Z S in B G H 18, 149, 154; insoweit gegen die Entscheidung B G H 7, 223, die allein in der Ausgleichsfunktion das Wesen des Schmerzensgeldes sah).
1556
Unerlaubte Handlungen
§ 847
Anm. 2
Anm. 2 Das Schmerzensgeld kann als Entschädigung für Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, gemäß § 253 nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. Danach ist § 847 anwendbar l e d i g l i c h b e i u. H., jedoch bei allen Tatbeständen derselben, mithin auch bei denen der §§829 (RG 169, 394), 831 (RG 129, 55> 61; J W 1932, 3716 1 0 ) und 833 (RG 50, 244, 252) sowie bei Amtspflichtverletzungen (§ 839)) bei denen auch die anstelle des Beamten gemäß Art. 34 GG eintretende Körperschaft auf Schmerzensgeld haftet (RG 113, 104; B G H 12, 278; 26, 69). Auch bei einer sich auf § 485 HGB gründenden Haftung ist die Anwendbarkeit des § 847 bejaht worden (OLG Hamburg H R R 1935 Nr. 752). Der BGH hat jedoch in der „Herrenreiter-Entscheidung" in B G H 26, 349 (insoweit gegen B G H 20, 345, 352) auch dem durch die unbefugte Veröffentlichung seines Bildes Verletzten wegen des dadurch hervorgerufenen nichtvermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung gewährt. Diese umstrittene Entscheidung (vgl. zustimmend C o i n g J Z 1958, 558 u. B u s s m a n n G R U R 1958, 4 1 1 ; ablehnend L a r e n z N J W 1958, 827; in der Begründung ablehnend auch R e i n h a r d t in Schulze Rspr zum Urheberrecht Anm. zu B G H Z 43) wird damit begründet, daß ein wirksamer Schutz des durch Art. 1, 2 GG als ein Grundwert der Rechtsordnung erkannten Rechts zur freien Selbstbestimmung der Persönlichkeit mangels gesetzlicher Sonderregelung zur Zeit nur durch entsprechende Anwendung des § 847 erzielt werden könne. Diese Entscheidung ändert aber nichts daran, daß grundsätzlich der s i c h aus § 253 ergebende Ausnahmecharakter des Schmerzensgeldes eine e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g des § 847 v e r b i e t e t . Ein Schmerzensgeld kann deshalb unter Berufung auf § 847 bei einem lediglich durch Verletzung von Vertragspflichten der Person eines anderen zugefügten Schaden nicht verlangt werden (RG €5» 17; 99» 263; 112, 290, 294; R G J W 1908, 196 1 0 ; WarnRspr 1908 Nr. 445; 1909 Nr. 102; 1928 Nr. 105), und zwar auch nicht im Falle des § 6 1 8 (RG 113, 287, 290). Ebensowenig ist eine Ausdehnung des § 847 auf das Gebiet des RHaftpflG, des StrVG oder des LuftVerkG zulässig, da diese Gesetze den Umfang der dem Verletzten zu gewährenden Entschädigung selbständig und erschöpfend regeln (RG 57, 52; 99, 263; R G J W 1911, 824"). Dabei ist jedoch zu beachten, daß das LuftVerkG idF v. 10. 1. 1959 in § 5 3 Abs. 3 für die Haftung für m i l i t ä r i s c h e L u f t f a h r z e u g e , und zwar nur für diese, eine dem § 847 entsprechende Bestimmung enthält. Die EisenbVerkO regelt lediglich die Haftpflicht der Eisenbahnen aus dem Beförderungsvertrag, kann daher Ansprüche auf Schmerzensgeld nicht begründen (RG J W 1916, 488'). Die Ausnahmenatur der Bestimmung des § 847 verbietet auch eine sinngemäße Anwendung auf schuldhafte Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Verpflichtungen (RG 112, 290, 294; B G H 20, 61, 68 u. 22, 43, 50: Aufopferung). Selbstverständlich wird der Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 847 nicht dadurch ausgeschlossen, daß n e b e n der u. H. auch ein Vertrag, z. B. der Beförderungsvertrag, oder das Straßenverkehrsgesetz usw. den Schadensersatzanspruch begründet (RG 112, 290, 294; R G J W 1907, 82g 6 ; 1916, 1276 8 ; H R R 1928 Nr. 422). Wird z.B. ein Krankenhauspatient durch schuldhaftes Verhalten eines Arztes, der zu den gesetzlichen Vertretern des Krankenhauses gehört, geschädigt, so haftet das Krankenhaus dem Patienten, neben der vertraglichen Haftung nach §§ 276, 278, auch aus dem Rechtsgrund der unerlaubten Handlung auf Schmerzensgeld ( B G H 5, 321). Der Ausnahmecharakter des Anspruchs auf Ersatz immateriellen Schadens begründet jedoch kein Verbot und keine Mißbilligung freiwilligen Ersatzes solchen Schadens in anderen Fällen ( B G H L M § 134 Nr. 18: Ersatzleistung durch den Ehebrecher für den immateriellen Schaden des betrogenen Ehemannes). Der in § 898 R V O bestimmte A u s s c h l u ß von Schadensersatzansprüchen nach anderen gesetzlichen Vorschriften umfaßt auch den Schmerzensgeldanspruch; hieran ist durch das Ges. v. 7. 12. 1943 über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen nichts geändert ( B G H 3, 298; B G H VersR 1958, 17, 18 u. 46; B A G NJW 1956, 1 7 7 1 ; aA R i e t s c h e l J Z 1955, 35). Auch die verbotswidrige Beschäftigung eines noch nicht 12 J a h r e alten schulpflichtigen Kindes ist für den Haftungsausschluß nach § 898 R V O ohne Bedeutung ( B G H 3, 298). Da eine gemäß §231 StGB zuerkannte B u ß e jeden weiteren Entschädigungsanspruch ausschließt, wird auch der Schmerzensgeldanspruch von diesem Ausschluß erfaßt. 1557
§ 847 A n m . 3—5
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
Anm. 3 Das Schmerzensgeld bildet, als auf besonderen Voraussetzungen beruhend, nicht mit den Schadensersatzansprüchen aus §§ 842, 843 eine r e c h t l i c h e E i n h e i t , nicht einen Rechnungsposten des Gesamtschadensersatzes mit Heilungskosten und Rente, der mit anderen Rechnungsposten ausgewechselt werden könnte (RG 140, 392, 394/5; R G J W 1921, 1230 3 ). Der Ubergang von einem Anspruch aus §847 zu einem vermögensrechtlichen Schadensersatzanspruch enthält daher eine Klageänderung (RG 149, 157, 167; 170, 37, 39). Wegen der rechtlichen Selbständigkeit des Schmerzensgeldanspruchs im Verhältnis zu den auf Ersatz des Vermögensschadens gerichteten Ansprüchen kann auf ihn auch eine für eine vermögensrechtliche Einbuße von dritter Seite gewährte Entschädigung nicht gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 angerechnet werden (RG 170, 37). Ebenso folgt aus der Selbständigkeit des Anspruchs auf Schmerzensgeld, daß seine Verjährung durch die Erhebung der Klage auf Ersatz des Vermögensschadens nicht unterbrochen wird (RG WarnRspr 1927 Nr. 153); anders, wenn eine Leistungsklage Vermögens- und Nichtvermögensschaden umfaßt, mag auch ein bestimmter Betrag für Schmerzensgeld nicht ausgeschieden sein (RG H R R 1932 Nr. 122). Auch bezieht sich im Falle eines Gesundheitsschadens eine Klage, die auf Feststellung der Haftung für alle Schäden aus einer u. H. gerichtet ist, mangels ausdrücklicher Einschränkung auch auf die gleichzeitige Feststellung eines Schmerzensgeldanspruchs (BGH L M § 847 Nr. 3). Gleichzeitige Begründung eines Anspruchs als Schmerzensgeld und als Verdienstentschädigung s. R G WarnRspr 1935 Nr. 123. Anm. 4 II. Die Anspruchs Voraussetzungen Voraussetzung des Anspruchs auf ein Schmerzensgeld ist nach Abs. 1 eine Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer Person durch eine u. H. Daß die u. H. eine schuldhafte sei, wird nicht gefordert; § 847 bezieht sich auf alle vom BGB den u. H. zugerechneten Tatbestände, sofern sie die Verletzung der bezeichneten Rechtsgüter zum Gegenstande haben (RG 50, 244). Verletzungen der Ehre geben den Anspruch aus § 847 nicht (RG 140, 392; 142, 116, 122, auch zur Frage des Schmerzensgeldes, wenn die Ehrverletzung gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge gehabt hat; R G 150, 39; R G J W 1932, 3054 2 ; siehe jedoch den in B G H 26, 349 entschiedenen Sonderfall). Zum Schmerzensgeld wegen Freiheitsentziehung auf Grund politischer Denunziation s. OLG Frankfurt NJW 1947/48, 24. Der Anspruch auf ein Schmerzensgeld steht nach Abs. 2 ferner den „Frauenspersonen" zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen gegen die Sittlichkeit verübt worden ist. Hierunter fallen in Verbindung mit § 823 Abs. 2 die Verfehlungen der §§ 174, 176, 177, 179, 182 StGB und auch das Verbrechen gegen §48 des RGes. über das Auswanderungswesen v. 9. 6. 1897 (RGBl 463). Außerdem begründet nach Abs. 2 der Tatbestand des § 825 den Anspruch auf ein Schmerzensgeld. Auf das Alter der Verletzten kommt es nicht an; auch Mädchen im Kindesalter werden von der Vorschrift erfaßt. Anm. 5 III. Der Kreis der Berechtigten Der Schmerzensgeldanspruch ist nur dem gegeben, der durch einen der in Anm. 4 behandelten Tatbestände verletzt ist. Unter dem Verletzten ist hier nur der unmittelbar V e r l e t z t e zu verstehen; den durch eine u. H. mittelbar verletzten Personen kommen nur die im Gesetze ihnen ausdrücklich gewährten Ansprüche (§§ 844, 845) zu. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Verletzung der in § 847 besonders geschützten Rechtsgüter selbst nicht unmittelbar erfolgt zu sein braucht, daß insoweit vielmehr eine mittelbare Verletzung — sog. Fernwirkung der u. H. —, wenn sie in adäquatem Ursachenzusammenhang mit der u. H. steht (z. B. Nervenzusammenbruch einer Mutter nach tödlichem Unfall des Kindes), genügt (RG 133, 271; 157, 1 1 ; B G H 8, 243). Es ist mithin auch bei einer nur mittelbaren Verletzung der in Betracht kommenden Rechtsgüter für den — unmittelbar — Verletzten ein Schmerzensgeldanspruch
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Unerlaubte Handlungen
§847
A n m . 6, 7
gegeben, während Leid und seelischer Schmerz allein ohne Gesundheitsbeschädigung im eigentlichen Sinne einen Schmerzensgeldanspruch nicht auslösen (OLG Freiburg J Z 1953, 704; O L G Celle VersR 1953, 210; O L G Bamberg VersR 1956, 86). Anm. 6 IV. Der Nichtvermögensschaden Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, sind alle Benachteiligungen des Verletzten, die nicht mit einer Minderung des Vermögens in Gegenwart oder Zukunft verbunden sind, keine Aufwendungen veranlassen und den wirtschaftlichen Erwerb nicht schmälern, mithin alle Beeinträchtigungen der Wertinhalte des menschlichen Lebens, die sich nicht in Geld messen lassen. Z u e n t s c h ä d i g e n sind nach § 847 nicht nur Schmerzen im engeren Sinne, sondern die g e s a m t e n n i c h t v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n F o l g e n , die ein Unfall f ü r den k ö r p e r l i c h e n u n d g e s u n d h e i t l i c h e n s o w i e den s e e l i s c h e n Z u s t a n d des V e r l e t z t e n nach sich zieht (RG J W 1933, 830«; WarnRspr 1932 Nr. 4 o ; B G H 18, 149, I 5 7 ; B G H VersR 1956, 197; 1958, 60, 61), wie die Art und Schwere der Verletzung, die Bedeutung einer körperlichen Entstellung, die Beeinträchtigung der Lebensfreude, seelische Bedrückung und Sorgen (RG J W 1934, 2769®; R G Recht 1920 Nr. 3383: Entgang der Freude an der J a g d ; O L G München D R 1943, 246 18 : seelische Bedrückung eines Mädchens, geschändet worden zu sein; B G H VersR 1954, 1 1 6 : seelische Erschütterung nach Übertragung luetischen Blutes;BGH VersR 1958, 48: in dem Bewußtsein beruflicher Untauglichkeit bestehende seelische Störungen). Auch die nichtvermögensrechtlichen Folgen einer zweiten mit der ersten in adäquatem Ursachenzusammenhang stehenden Verletzung sind zu berücksichtigen (RG J W 1 9 1 1 , 754 9 ; O L G Bremen VersR 1957, 822). Darauf, ob der Verletzte subjektiv das Bewußtsein der Schädigung besitzt, kommt es nicht entscheidend an. Das Schmerzensgeld steht deshalb auch dem Verletzten zu, der angesichts seiner gestörten geistigen Kräfte die Schwere und Tragweite der Unfallfolgen nicht mehr zu ermessen vermag (vgl. B G H 18, 149, 157; B G H VersR 1958, 48). Körperliche V e r u n s t a l t u n g e n und die damit verbundene Verschlechterung der Heiratsaussichten für Frauen sowie Beeinträchtigungen und Verkümmerungen des körperlichen und geistigen Wohlbefindens können nach der wirtschaftlichen Seite sowohl als Erschwerung des Fortkommens im Sinne des § 842, wie als Schaden im Sinne des § 847 in Betracht kommen (BGH VersR 1959, 458); ebenso die Folgen der u. H. nach Abs. 2. Unter den Voraussetzungen der Abs. 1 u. 2 hat jeder Verletzte, ohne Rücksicht auf seine soziale Stellung und ohne Unterschied zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen (RG 76, 174; BGH L M § 847 Nr. 6), einen Rechtsanspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, der durch eine wenn auch „reichliche" Bemessung des vermögensrechtlichen Schadensersatzes nicht befriedigt wird (RG J W 1908, 550 1 2 ; 1913, 543'; 1934, 2769®; BGH L M §847 Nr. 1 1 a ) . Eines besonderen Nachweises, daß ein Schaden entstanden sei, der nicht Vermögensschaden ist, bedarf es deshalb nicht; das Schmerzensgeld ist stets zuzusprechen, wenn eine u. H. vorliegt, die in einer Körperverletzung, Gesundheitsbeschädigung oder Freiheitsentziehung besteht, mag die Verletzung der in Betracht kommenden Rechtsgüter auch nur geringfügig sein (vgl. R G J W 1 9 1 1 , 279®; 1915, 8g5). Daraus ergibt sich weiter p r o z e ß r e c h t l i c h als Folge, daß es für den Erlaß eines Zwischenurteils nach § 304 ZPO nicht einer besonderen Feststellung des Inhalts bedarf, daß der Verletzte überhaupt einen Nichtvermögensschaden erlitten habe (RG J W 1907, 202 6 ; 1913, 543'; WarnRspr 1914 Nr. 18; abweichend früher J W 1906, 339 20 ). V. Höhe und Art der Entschädigung Anm. 7 1. Allgemeine Bemessungsgrundlagen. Die Vergütung des Nichtvermögensschadens soll in einer billigenEntschädigung in Geld bestehen. Bei der Bemessung der Entschädigung muß der v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e S c h a d e n des Verletzten s c h l e c h t h i n u n b e r ü c k s i c h t i g t bleiben (RG J W 1913, 543'; 1915, 89/90; B G H L M § 847 Nr. 11 a; B G H VersR 1958, 48, 50). Im übrigen darf entscheidend nicht allein auf die Ver-
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§ 847
Anm. 7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
hältnisse des Verletzten abgestellt und das Schmerzensgeld nicht allein danach bestimmt werden, welcher Betrag zur Wiedergutmachung des angerichteten immateriellen Schadens, mit anderen Worten zum Ausgleich für die dem Verletzten zugefügten körperlichen und seelischen Leiden erforderlich erscheint, wie unter Hervorhebung des Schadensersatzzwecks des Schmerzensgelds in B G H 7, 223 u. B G H LM § 847 Nr. 4 gesagt ist. Diese Auffassung führt u. a. zu einer Außerachtlassung der Vermögensverhältnisse des Schädigers und weicht insofern ab von der festen Rechtsprechung des RG (vgl. R G 63, 104; 76, 174; R G J W 1915, 9209; 1933, 830«; R G DR 1941, i2 9 8 a °; WarnRspr 1921 Nr. 25; 1932 Nr. 40). Der Große Senat für ZS des BGH ist demgegenüber in seiner grundlegenden Entscheidung in B G H 18, 149 im wesentlichen zur Rechtsprechung des R G zurückgekehrt und hat betont, daß das Schmerzensgeld nicht allein eine Ausgleichsfunktion, sondern auch eine Genugtuungsfunktion zu erfüllen habe (vgl. oben Anm. 1) und daß bei der Festsetzung einer billigen Entschädigung g r u n d s ä t z l i c h a l l e dafür in Betracht kommenden U m s t ä n d e zu b e r ü c k s i c h t i g e n sind, insbesondere a u c h d i e w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e d e r B e t e i l i g t e n u n d d e r G r a d des V e r s c h u l d e n s des Schädigers. Dabei hat zwar die Rücksicht auf Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung (Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen) durchaus im Vordergrund zu stehen, während das Rangverhältnis der übrigen Umstände den Besonderheiten des Einzelfalles zu entnehmen ist. Nach der Auffassung des BGH kommen nicht nur die w i r t s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e des Schädigers in Betracht, sondern können auch die des Verletzten selbst Bedeutung gewinnen (BGH 18, 149, 160; vgl. auch R G 63, 104; R G J W 1925, 259911), was aber nicht bedeutet, daß grundsätzlich ein wirtschaftlich schlecht gestellter Verletzter ein höheres Schmerzensgeld bekommen müsse als ein Verletzter, der sich in guten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet (so zutreffend OLG Neustadt VersR 1958, 727). Da die wirtschaftliche Lage der Beteiligten nur eines von vielen zu berücksichtigenden Momenten ist, kann die Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers niemals dazu führen, ihn von einem Schmerzensgeldanspruch völlig freizustellen (RG J W 1934, 2769°; B G H 18, 149, 160; B G H VersR 1958, 485, 486). Für die Bemessung des Schmerzensgeldes, das auf Grund der A m t s h a f t u n g gemäß Art. 34 GG vom Staat oder einer sonstigen öffentlichen Körperschaft zu zahlen ist, kommen die persönlichen Verhältnisse des Beamten selbst nicht in Betracht (RG 163, 87); vielmehr hat ganz allgemein, wenn das Schmerzensgeld aus Fiskalvermögen zu bezahlen ist, die finanzielle Lage des Ersatzpflichtigen als wertneutral außer Betracht zu bleiben, da das Fiskalvermögen angesichts seiner öffentlichen Zweckgebundenheit keine Vermögenslage im privatwirtschaftlichen und privatrechtlichen Sinne bildet (RG aaO u. J W 1915, 9209; B G H 18, 149, 162 u. 166). Ist das Schmerzensgeld nach dem Tode des Verletzten an die E r b e n zu zahlen (vgl. Anm. 11), können die wirtschaftlichen Verhältnisse der Erben mitberücksichtigt werden (RG J W 1925, 259911). Während das RG zunächst zwar grundsätzlich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers berücksichtigt wissen wollte, dabei jedoch das Bestehen einer Haftpflichtversicherung des Schädigers außer Betracht ließ (RG 63, 104; 136, 60; R G J W 1933) 77911; !935> 29506; 1937, 3172 26 ; anders aber zuletzt R G DR 1944, 29012), ist nach der Auffassung des BGH zu b e r ü c k s i c h t i g e n , ob der Verpflichtete einen Ersatz seiner Leistung durch einen A u s g l e i c h s a n s p r u c h oder eine H a f t p f l i c h t v e r s i c h e r u n g findet (vgl. B G H 18, 149, 164fr; B G H LM § 847 Nr. n a ) . Für die Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung kann es darauf ankommen, ob der Schädiger im Verhältnis zum Versicherer den Schaden selbst tragen muß oder ob er einen Anspruch auf Freistellung von Schäden hat (BGH VersR 1957, 573: ein Freistellungsanspruch liegt nicht vor, wenn der Versicherer an den Verletzten auf Grund von § 158 c W G leistet, aber nach § I58f VVG diese Leistung vom Schädiger wieder fordern kann). Reicht die Versicherungssumme zur Deckung des Schadens einschließlich Schmerzensgeld aus, so sind die sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers ohne Belang; es kommt insoweit allein auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise an (BGH VersR 1957, 572). Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherers spielen in der Regel keine Rolle (BGH VersR 1957, 671).
1560
Unerlaubte Handlungen
§847 A n m . 8, 9
Zu den Umständen, die bei der Schmerzensgeldbemessung Berücksichtigung finden können, gehört auch die B e g e h e n s f o r m , insbesondere der Verschuldensgrad des Schädigers. Grob fahrlässiges, leichtfertiges oder gar vorsätzliches Verhalten, das auf den Verletzten verbitternd wirken kann, kann deshalb zuungunsten, und die besonders leichte Fahrlässigkeit dagegen zugunsten des Schädigers berücksichtigt werden ( R G 136, 60; B G H 18, 149, 157/8; O L G Nürnberg VersR 1958, 253: Volltrunkenheit des Schädigers). Wenn der Verschuldensgrad dem Schadensfall kein besonderes Gepräge gibt, kann er als Bemessungsfaktor ausscheiden; einen Rechtssatz, daß bei geringem Verschulden ganz allgemein auch nur ein geringes Schmerzensgeld in Betracht komme, gibt es nicht ( B G H VersR 1958, 849). Darüber hinaus kommen aber auch sonstige Umstände, die dem Einzelfall sein b e s o n d e r e s G e p r ä g e geben, in Betracht. Danach kann sich für die Bemessung des Schmerzensgeldes bei gleichem Verschulden doch unterschiedlich auswirken, aus welchem Anlaß es zu dem Unfall oder der Verletzungshandlung gekommen ist, ob etwa bei einem Vergnügen oder im Rahmen der Berufsausübung des Schädigers oder gar im Rahmen einer dem Verletzten vom Schädiger erwiesenen Gefälligkeit (z. B. Gefälligkeitsfahrt); vgl. B G H 18, 149, 158. Der Richter darf sich nicht darauf beschränken, die erlittenen Schmerzen und sonstigen immateriellen Schäden im einzelnen aufzuzählen und dann einen mehr oder weniger willkürlich bestimmten Geldbetrag als Schmerzensgeld festzusetzen, sondern er muß das S c h m e r z e n s g e l d zu A r t u n d D a u e r d e r e r l i t t e n e n S c h ä d e n erkennbar in e i n e a n g e m e s s e n e B e z i e h u n g s e t z e n ( B G H L M § 847 Nr. 4; VersR 1959» 458, 459)Auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist von den Verhältnissen zur Z e i t d e r U r t e i l s f ä l l u n g auszugehen ( R G J W 1923, 174 2 ). Es ist aber nicht nur die Gesamtheit der in diesem Zeitpunkt feststehenden Umstände zu beachten, sondern auch ihre für die Zukunft zu erwartende Entwicklung ( R G J W 1934, 156 4 ). Das Schmerzensgeld für einen vor der Währungsumstellung eingetretenen Unfall ist nach der Währungsreform von vornherein in Deutscher Mark festzusetzen, also nicht aus einem Reichsmarkbetrage durch Umstellung zu ermitteln, auch wenn das schadenstiftende Ereignis und teilweise auch die Schmerzen usw. vor dem Stichtag der Währungsreform liegen ( O G H 2, 65; O G H N J W 1949, 944). Über Anrechnung vor der Währungsreform geleisteter Zahlungen s. O L G Hamm N J W 1949, 907. N a c h t r ä g l i c h e i n g e t r e t e n e oder erkennbar gewordene und bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt gebliebene V e r l e t z u n g s f o l g e n können zu einem ergänzenden Anspruch aus §847 führen ( B G H 18, 149, 167; O L G Tübingen VersR 1953, 293; O L G Stuttgart VersR 1953, 500). Zusammenstellungen über die Rechtsprechung zur Höhe des Schmerzensgeldes in D A R 1957, 309fr u. VersR 1958 I — X X (Beilage zu Heft 27 und 1959 I — V I I (Beilage zu Heft 19).
Anm. 8 2 . M i t v e r u r s a c h u n g d u r c h den V e r l e t z t e n . Hat der Verletzte den Schaden schuldhaft mitverursacht, so greift die allgemeine Bestimmung des § 254 ein und das Schmerzensgeld ist entsprechend zu mindern (vgl. B G H VersR 1956, 500, 502; auch K o e b e l N J W 1957, 1009). Der verletzte Kfz.-Halter muß selbst dann, wenn ihn ein Verschulden nicht trifft, die eigene mitursächliche Betriebsgefahr gemäß § 17 S t r V G auch seinem Schmerzensgeldanspruch entgegenhalten lassen ( B G H 20, 259; 26, 69; aA O L G Neustadt M D R 1957, 546).
Anm. 9 3 . Sind m e h r e r e E r s a t z p f l i c h t i g e vorhanden, so ist das Schmerzensgeld gegen jeden besonders zu bemessen und die gesamtschuldnerische Verurteilung kann nur insoweit erfolgen, als die mehreren Ersatzpflichtigen für den gleichen Betrag haften ( R G D J 1937, 1 1 2 4 ; B G H 18, 149, 164). Vgl. dazu aber jetzt B G H 30, 203 (s. im einzelnen § 840 Anm. 9).
1561
§ 847 A n m . 10, 11
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 10 4. A r t d e r E n t s c h ä d i g u n g . Der Natur der Sache nach wird als Schmerzensgeld regelmäßig ein K a p i t a l , nicht eine Rente zuzusprechen sein; doch ist bei dauernden Nachteilen auch die Zubilligung in Gestalt einer R e n t e zulässig, die doch nur eine besondere Form der Entschädigung und auf die Ansprüche der §§ 843 bis 845 keineswegs beschränkt ist (vgl. für die Schadensbemessung nach § 251 R G 68, 429 und für das Schmerzensgeld WarnRspr 1932 Nr. 177). Durch Zubilligung des Schmerzensgeldes in Rentenform kann insbesondere den etwaigen ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Schädigers Rechnung getragen werden ( B G H 18, 149, 167). Ebenso kann bei Dauerschäden die Zubilligung eines Schmerzensgeldes in Rentenform angebracht sein ( B G H LM § 847 Nr. 10; B G H VersR 1958, 801). Aber auch bei dem in Rentenform zu erfüllenden Schmerzensgeldanspruch handelt es sich nicht um einen unter § 197 fallenden Anspruch auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen, sondern nur um eine besondere Erfüllungsform eines einheitlichen Anspruchs ( B G H LM § 75 Einl. zu PrALR Nr. 23 unter I I I 3). Das Schmerzensgeld kann auch teils in Gestalt einer Kapitalabfindung, teils in Gestalt einer Rente zugesprochen werden ( R G WarnRspr 1935 Nr. 81; B G H VersR 1958, 530/1 und 1959, 458). Dabei kann das Gericht über die einmalige Schmerzensgelsdumme schon entscheiden, während es für die Schmerzensgeldrente noch weitere Beweise fordert ( B G H VersR 1957, 218). Zulässig ist es auch, das Schmerzensgeld zunächst nur für einen bestimmten Zeitraum zuzusprechen ( R G SeufFArch 88 Nr. 40). Bei späterer Veränderung der Verhältnisse (z. B. bei nicht voraussehbarer Verschlechterung oder Besserung der Unfallfolgen oder auch bei Veränderung der bei der Bemessung berücksichtigten Vermögensverhältnisse der Beteiligten) kann unter den Voraussetzungen des § 323 ZPO eine Herauf- oder Herabsetzung der Rente erfolgen (vgl. B G H 18, 149, 167; aA W u s s o w Unfallhaftpflichtrecht § 847 Anm. 3). A n m . 11 VI. Beschränkung der Übertragbarkeit und Vererblichkeit des Anspruchs Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist gemäß Abs. 1 Satz 2 n i c h t ü b e r t r a g b a r u n d n i c h t v e r e r b l i c h . Weil er nicht übertragbar ist, ist er auch nicht pfändbar (§ 851 ZPO), nicht verpfändbar (§ 1273 Abs. 2), nicht mit einem Nießbrauch belastbar (§ 1069 Abs. 2), nicht aufrechenbar (§ 394 Abs. 1), nicht Konkursgegenstand (§ 1 Abs. I KO). Diese Beschränkungen entfallen, wenn der Anspruch durch vertragliche Anerkennung zu einer gewöhnlichen Forderung oder wenn er rechtshängig geworden ist (RG WarnRspr 1936 Nr. 183). Rechtshängigkeit des Schmerzensgeldanspruchs tritt schon ein durch eine im Falle einer Gesundheitsschädigung auf Feststellung der Ersatzpflicht für alle Schäden aus der u. H. gerichtete Klage (vgl. B G H LM § 847 Nr. 3) sowie durch Erhebung einer Vermögens- und Nichtvermögensschäden umfassenden Leistungsklage, selbst wenn nur ein Gesamtbetrag und nicht ein bestimmter Betrag für Schmerzensgeld verlangt wird (vgl. R G H R R 1932 Nr. 122). Rechtshängigkeit auch bei einer vor dem Tode des nach dem Unfall nicht wieder zum Bewußtsein gelangten Verletzten erfolgten Zustellung eines von einem Rechtsanwalt in Geschäftsführung ohne Auftrag beantragten Zahlungsbefehls (RG DR 1940, 1634 11 ). Die Auffassung, daß im Falle des § 847 die Rechtshängigkeit bereits mit Stellung irgendeines Antrags in Richtung auf die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs — z. B. Einreichung des Armenrechtsgesuchs oder der Klageschrift (§ 261b Abs. 3 ZPO), Antrag auf Beweissicherung — eintrete (so S c h n e i d e r DR 1940, 1340; M ü n z e l VersR 1956, 207; OLG Karlsruhe NJW 1959, 1372; auch LG Stuttgart MDR 1957, 227), findet im Gesetz keine ausreichende Stütze (vgl. M e y e r VersR 1956, 265; unentschieden B G H LM § 187 ZPO Nr. 5). S t i r b t d e r V e r l e t z t e an den Unfallfolgen, nachdem der Schmerzensgeldanspruch rechtshängig geworden ist, so kann dies angesichts dessen, daß für die Zukunft nichtvermögensrechtliche Schäden für den Verletzten entfallen, mindernd berücksichtigt werden. Andererseits kann jedoch die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes er-
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Unerlaubte Handlungen
§ 8 4 7 A n m . 12
§ 848 Anm. 1
f o r d e r n , den T o d des Verletzten als schwerste Unfallfolge erhöhend in Rücksicht zu ziehen (nur teilweise übereinstimmend R G D A R 1935, 134; S c h n e i d e r D R 1940, 1340; O L G Dresden V A E 1942, 54; O L G Düsseldorf VersR 1955, 459). I m f r ü h e r e n gesetzlichen Güterstand (ehemännliche Verwaltung u n d Nutznießung) gehörte der Schmerzensgeldanspruch z u m eingebrachten Gut der Ehefrau (§ 1363 aF) u n d deshalb war seine Geltendmachung d u r c h den E h e m a n n im eigenen N a m e n möglich ( R G 90, 65; 139, 289, 292). N a c h der a b 1. 7. 1958 geltenden Regelung kann k e i n E h e g a t t e i m e i g e n e n N a m e n den Schmerzensgeldanspruch des anderen geltend m a c h e n (vgl. dazu B G H VersR 1959, 68); auch nicht beim Güterstand der Gütergemeinschaft, d a der Schmerzensgeldanspruch z u m Sondergut (§ 1417) gehört, das von j e d e m Ehegatten seit ständig verwaltet wird. Die höchstpersönliche N a t u r des Schmerzensgeldanspruchs verbietet auch die A n w e n d u n g der sog. gewillkürten Prozeßstandschaft ( B G H L M §847 Nr. 3: Vater -— volljährige T o c h t e r ; O L G M ü n c h e n VersR 1959, 19: E h e m a n n — Ehefrau). Ein U b e r g a n g des Schmerzensgeldanspruchs auf den T r ä g e r d e r S o z i a l v e r s i c h e r u n g (§ 1542 R V O ) findet nicht statt ( R G H R R 1931, 1911). A n m . 12 VII. P r o z e s s u a l e s Der Richter h a t die B e m e s s u n g des Schmerzensgeldes unter Berücksichtigung aller U m s t ä n d e g e m ä ß § 287 Z P O vorzunehmen, dabei jedoch nur solche U m s t ä n d e zu berücksichtigen, die von den Parteien vorgetragen worden sind ( B G H VersR 1956, 197). I m R a h m e n des § 287 Z P O hat der Richter auch d a r ü b e r zu befinden, welche F o r m der Entschädigung — K a p i t a l oder R e n t e — d e m Zweck des Schmerzensgelds a m besten gerecht wird. Das Gesetz engt ihn nach keiner R i c h t u n g ein ( R G 76, 174/5; R G W a r n R s p r 1932 Nr. 177; B G H L M § 847 Nr. 10; B G H VersR 1958, 530, 531). D a m i t h i n die Festsetzung des Schmerzensgelds grundsätzlich in das Ermessen des T a t richters gestellt ist, kann dessen Entscheidung nur d a r a u f h i n nachgeprüft werden, ob sie auf einem Rechtsirrtum, insbesondere einer V e r k e n n u n g der f ü r die Festsetzung von A r t u n d H ö h e des Schmerzensgelds rechtlich entscheidenden Gesichtspunkte erfolgt ist, aber nicht d a r a u f h i n , ob die Bemessung überreichlich oder allzu dürftig ist ( R G 76, 174/5; R G J W 1915, 89, 90; R G D R 1941, 1298 20 ; B G H L M §847 N r . 6; B G H V e r s R 1957, 572; 1958, 60/1). I m Verfahren über den G r u n d des Anspruchs kann die Mitverursachung d u r c h den Verletzten (Anm. 7) in der Weise berücksichtigt werden, d a ß der — auf einen bestimmten Geldbetrag gerichtete — Schmerzensgeldanspruch zu einem bestimmten Bruchteil f ü r gerechtfertigt erklärt wird ( B G H VersR 1953, 83, 85).
§ 848 W e r z u r R ü c k g a b e e i n e r S a c h e v e r p f l i c h t e t i s t , die e r e i n e m a n d e r e n d u r c h eine unerlaubte Handlung entzogen hat, ist auch für den zufälligen Untergang, eine a u s e i n e m anderen Grunde eintretende zufällige Unmöglichkeit der H e r ausgabe oder eine zufällige Verschlechterung der Sache verantwortlich, e s s e i d e n n , d a ß d e r U n t e r g a n g , die a n d e r w e i t i g e U n m ö g l i c h k e i t d e r H e r a u s g a b e o d e r die V e r s c h l e c h t e r u n g a u c h o h n e d i e E n t z i e h u n g e i n g e t r e t e n s e i n w ü r d e . E I 716 II 771; M 3 740; P 2 607.
Anm. 1 Die d e m § 287 nachgebildete Vorschrift läßt denjenigen, d e r e i n e m a n d e r e n d u r c h e i n e u n e r l a u b t e H a n d l u n g e i n e S a c h e e n t z o g e n h a t u n d i h m deshalb n a c h § 249 zur R ü c k g a b e verpflichtet ist, a u c h f ü r d e n Z u f a l l e i n s t e h e n , der die Sache trifft, sie zerstört, verschlechtert oder d e m Ersatzberechtigten d a u e r n d entzieht. Sache ist a u c h hier j e d e körperliche Sache u n d n u r diese (§ 90). Der Zufall m u ß die Sache als solche treffen; so kann wohl eine E n t w e r t u n g der Sache als Verschlechterung in Betracht kommen, nicht aber eine solche W e r t m i n d e r u n g , die nicht die Sache 100
Komm. z. BGB, u . Aufl. II. Bd. (Kreit)
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§ 848 A n m . 2 § § 849, 850
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
erleidet, sondern nur ein mit ihr verknüpftes Recht, wie der Kurssturz einer Aktie ( R G Recht 1907 Nr. 76a). Eine Mahnung ist nicht Voraussetzung des Rechtes aus § 848; die Haftung des Ersatzpflichtigen für die Sache erlischt aber, nachdem der Geschädigte gemäß § 250 den Ersatz seines Schadens in Geld verlangt hat. Darüber, wann Herausgabe und wann statt ihrer Geldzahlung verlangt werden kann, entscheidet §848 nichts ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 81). Anm. 2 Der Rückgabeverpflichtete ist von der Haftung für Zufall entlastet, wenn der Untergang, die Verschlechterung, die Unmöglichkeit der Herausgabe a u c h o h n e d i e E n t z i e h u n g die Sache getroffen haben würde. Die B e w e i s l a s t hierfür trifft den Herausgabeverpflichteten. Daß derselbe Zufall, der die entzogene Sache getroffen hat, sie auch bei dem Geschädigten getroffen haben würde, ist nicht erfordert; auch irgendein anderer Zufall, der dieselbe Wirkung gehabt haben würde, genügt ( M 2, 607). Deshalb muß sich der Grundstückseigentümer, dem ein Eisenbahnunternehmer widerrechtlich ein Stück L a n d weggenommen und zur Eisenbahnanlage gezogen hat, mit dem Wertersatz begnügen, den er bei der Enteignung erhalten haben würde, wenn ohne die Entziehung die Enteignung zugunsten des Bahnbaues eingeleitet worden sein würde ( R G J W 1908, 443 2 ). Zur Anwendung des in § 848 a . E . liegenden allgemeinen Rechtsgedankens (Berücksichtigung eines sog. h y p o t h e t i s c h e n U r s a c h e n z u s a m m e n h a n g s ) s. B G H 10, 6 u. 20, 275 mit weiteren Nachweisen.
§ 849 Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird. E I 717 II 772; M 2 740, 741; P 2 607.
Anm. 1 Die hier festgesetzte V e r z i n s u n g s p f l i c h t für den Betrag des Wertersatzes an Stelle der Rückgabe einer entzogenen Sache (§ 90) entspricht der ähnlichen Regelung für den Fall des Verzugs in der Herausgabe einer Sache in § 290. Sie setzt den Nachweis eines Schadens, der häufig schwierig zu führen sein würde, nicht voraus, schließt aber die Geltendmachung eines nachzuweisenden höheren Schadens nicht aus. Neben den Zinsen ist deshalb auch die Zubilligung eines etwaigen weitergehenden entgangenen Gewinns nicht ausgeschlossen. Für die im Rahmen des § 287 Z P O vorzunehmende Wertbestimmung ist in der Regel der Z e i t p u n k t der letzten Tatsachenverhandlung maßgebend; es kann jedoch im Einzelfall der Wertermittlung auch ein anderer Zeitpunkt zugrunde gelegt werden (s. im einzelnen § 823 Anm. 98). § 849 trifft auch den Fall der Entziehung von Geld durch eine u. H. ( M 2, 740; B G H 8, 288, 298). Der Zinsfuß ist der gesetzliche (§ 246). Der nach §§ 486, 774 H G B dinglich oder persönlich beschränkt haftende R e e d e r haftet auch für die Zinsforderung aus § 849 nur entsprechend beschränkt; für Prozeßzinsen haftet er unbeschränkt ( R G 153, 1 7 1 ) .
§ 850 Macht der zur Herausgabe einer entzogenen Sache Verpflichtete Verwendungen auf die Sache, so stehen ihm dem Verletzten gegenüber die Rechte zu, die der Besitzer dem Eigentümer gegenüber wegen Verwendungen hat. E I 718 II 772; M 2 741; P 2 607.
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Unerlaubte Handlungen
§ 850 A n m . 1 § 851 A n m . 1 — 3
Anm. 1 Die R e c h t e , die der B e s i t z e r d e m E i g e n t ü m e r g e g e n ü b e r w e g e n V e r w e n d u n g e n hat, sind in den §§ 994—1003 bestimmt. Über notwendige Verwendungen handeln die §§ 994, 995, über nützliche § 996, über die Wirkung einer Genehmigung der Verwendungen § 1001. Wegen der Verwendungen, die ihm zu ersetzen sind, steht dem Besitzer auch das Recht der Zurückbehaltung der Sache nach § 273 zu, es sei denn, daß er die Sache durch eine vorsätzlich begangene u. H. erlangt hat (§ 273 Abs. 2, § 1000 Satz 2).
§851 Leistet der w e g e n der E n t z i e h u n g o d e r B e s c h ä d i g u n g einer b e w e g l i c h e n S a c h e z u m S c h a d e n s e r s a t z e Verpflichtete d e n E r s a t z a n denjenigen, i n d e s s e n B e s i t z e s i c h die S a c h e zur Zeit der E n t z i e h u n g oder d e r B e s c h ä d i g u n g b e f u n d e n hat, s o w i r d er d u r c h die L e i s t u n g a u c h d a n n b e f r e i t , w e n n e i n D r i t t e r Eigentümer der Sache w a r oder ein sonstiges Recht an der Sache hatte, es sei d e n n , d a ß i h m d a s R e c h t d e s D r i t t e n b e k a n n t oder i n f o l g e g r o b e r F a h r l ä s s i g keit u n b e k a n n t i s t . E n 774; p 2 607—609.
Anm. 1 Auch wer wegen einer u. H. zum Schadensersatze verpflichtet ist, soll des S c h u t z e s s e i n e s g u t e n G l a u b e n s bei der L e i s t u n g d e s S c h a d e n s e r s a t z e s nicht verlustig gehen. Er muß wissen, an wen er diesen leisten soll, und soll vor Doppelzahlungen gesichert sein, wenn er an denjenigen geleistet hat, den er für den richtigen Empfänger der Ersatzleistung angesehen hat und ansehen durfte. Anm. 2 Die dem Schutze dieses guten Glaubens dienende Bestimmung des § 851 beschränkt sich auf den Fall der E n t z i e h u n g oder B e s c h ä d i g u n g einer b e w e g l i c h e n S a c h e . Der Besitz ist ein äußerlich erkennbarer Zustand, nicht aber das Eigentumsrecht oder sonstige Recht an der Sache, das dessen Träger zu dem eigentlich durch die u. H. Geschädigten macht. Es ist das natürliche, d a ß d e r S c h ä d i g e r S c h a d e n s e r s a t z an d e n j e n i g e n leistet, der zur Zeit der E n t z i e h u n g oder der B e s c h ä d i g u n g d e r B e s i t z e r d e r S a c h e w a r . Diese Leistung soll den Schädiger daher befreien, wie wenn sie an den eigentlich Berechtigten erfolgt wäre. Selbstverständlich kann nur diejenige Ersatzleistung für den angerichteten Schaden, welche diesen im ganzen deckt, den Schädiger auch ganz befreien. Die Befreiung hat die Wirkung, daß die weitere endgültige Ausgleichung zwischen dem Besitzer und dem eigentlich Berechtigten stattzufinden hat (§816). Eine ausdehnende Anwendung des Paragraphen auf unkörperliche Gegenstände, an denen kein Besitz besteht, ist nicht zulässig. Anm. 3 Die Befreiung tritt nicht ein, wenn der zum Schadensersatz Verpflichtete d a s b e s s e r e R e c h t e i n e s Dritten an der Sache k a n n t e oder n u r i n f o l g e g r o b e r F a h r l ä s s i g k e i t nicht k a n n t e . Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist ein R e c h t s b e g r i f f . Er bezeichnet ein Verhalten, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§§ 276, 277) in ungewöhnlichem, in besonders hohem Maße verletzt wurde und das unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem einleuchten mußte ( R G J W 1904, 406 9 ; R G 163, 104, 106; B G H VersR 1959, 370 und 348 mit weiteren Nachweisen). Maßgebend für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Rechtes des Dritten ist die Zeit der Ersatzleistung. Den bösen Glauben (die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des besseren Rechtes des Dritten) aufseiten des Schadensersatzpflichtigen hat der ersatzberechtigte „Dritte" zu beweisen. 100'
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§ 852 Anm. 1, 2
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
§ 853 Der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens verjährt in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in dreißig Jahren von der Begehung der Handlung an. Hat der Ersatzpflichtige durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach der Vollendung der Verjährung zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. E I 719, 720 II 775; M 2 741—744; P 2 609—612.
Übersicht
Anm.
I. Allgemeines 1 II. Die von § 852 erfaßten Ansprüche 2—5 III. Der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist 6—14 1. Allgemeines 6 2. Die Kenntnis vom Schaden 7—9 3. Die Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen 10 4. Der Fristbeginn bei einzelnen Tatbeständen der u. H 11 —14 a) §§ 8 2 3 f f 11 b) insbesondere § 839 12 c) §§ 945 und 7'7 ZPO 13 d) Anhang: § 323 ZPO 14 IV. Der Beginn der dreißigjährigen Verjährungsfrist 15 V. Beendigung, Hemmung und Unterbrechung der Verjährung 16 VI. Abs. 2 17 I. Allgemeines Anm. 1 Das BGB sieht für die Ansprüche aus einer u. H. eine zweifache Verjährung von drei und von dreißig Jahren vor, deren Beginn für beide Fälle abweichend von der allgemeinen Regel des § 198 festgesetzt ist. Bei keiner der beiden Verjährungen des § 852 ist der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebend. Der Beginn der kurzen Verjährung setzt zwar auch die Entstehung des Anspruchs voraus (BGH L M § 717 ZPO Nr. 1), richtet sich aber im übrigen nach der Kenntnis des Verletzten von dem Schaden und der Person des Täters, während der Beginn der längeren Verjährungsfrist sich nach dem Zeitpunkt der Begehung der u. H. richtet. II. Die von § 852 erfaßten Ansprüche Anm. 2 Der Begriff der unerlaubten Handlung ist in § 852 in demselben weiteren Sinne zu fassen, in dem die Titelüberschrift ihn versteht. Die Verjährungsvorschrift des § 852 erstreckt sich deshalb auf alle Tatbestände, die diesem weiteren Begriffe zu unterstellen sind (RG 67, 141, 144; 122, 320, 326), mögen sie im BGB oder in einem anderen Gesetz geregelt sein (vgl. Vorbem. 3 vor § 823). § 852 erfaßt mithin alle Tatbestände, die einen gegenständlich rechtswidrigen Eingriff in den allgemeinen Rechtskreis einer Person enthalten, an den das Gesetz eine Schadensersatzpflicht knüpft, sofern nicht für einzelne Tatbestände eine Sondervorschrift geschaffen ist. So ist §852 auch auf Schadensersatzansprüche aus § 231 sowie auf die Ansprüche aus Eigentumsverletzung nach §§906, 1004 anzuwenden (RG J W 1912. 3 1 1 5 ; 1935, 1775 9 ; vgl. auch R G Gruchot 69, 105), und zwar auch auf die einen Verschuldensnachweis nicht erfordernden Schadensersatzansprüche, die dem Eigentümer an Stelle einer ihm aus besonderen Gründen (z. B. § 26 GewO) versagten Abwehrmöglichkeit 1566
Unerlaubte Handlungen
§852 Anm, 3, 4
zustehen ( R G 70, 150, 1 5 5 ; R G J W 1926, 1 1 5 1 ; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 189). § 8 5 2 kommt ferner zum Zuge bei Schadensersatzansprüchen aus § 1 des Preuß. TumultschadenGes. v. 1 1 . 3. 1850 ( R G 122, 320) aus dem WarenzG ( R G J W 1938, 3306 1 9 ) sowie bei Ansprüchen aus §§ 302 Abs. 4, 600 Abs. 2, 7 1 7 Abs. 2 u. 945 Z P O ( R G 74, 249; 78, 202, 207; 106, 289; 149, 3 2 1 , 324; 157, 14, 1 8 ; RG J W 1 9 1 3 , 438"; R G WarnRspr 1927 Nr. 1 2 7 ; 1935 Nr. 46; H R R 1938 Nr. 5 1 4 ; B G H 9, 209, 2 1 2 ; B G H L M § 7 1 7 Z P O Nr. 1). Zur Frage des Beginns der Verjährung der Ansprüche aus § 945 Z P O s. Anm. 13.
Anm. 3 N i c h t unter § 852 fallen die E r s a t z a n s p r ü c h e d e s E i g e n t ü m e r s gemäß §§ 9 8 5 f r ( R G 1 1 7 , 423), auch nicht die Ansprüche aus §§ 228 Satz 2, 867 Satz 2 (auch nicht in Verbindung mit § 1005), 904 Satz 2 ( B G H 19, 82; s. auch § 904 Anm. 10), 962 Satz 2, da es in diesen Fällen an der Rechtswidrigkeit des Eingriffs mangelt, mithin eine u. H . nicht vorliegt. § 852 gilt ferner nicht für die A u s g l e i c h s a n s p r ü c h e der mehreren Personen, die für denselben Schaden aus u. H. nebeneinander gemäß §§ 830, 840, 426 verantwortlich sind ( R G 69, 422; 77, 3 1 7 , 3 2 2 ; 146, 97, 1 0 1 ; B G H V e r s R 1956, 3 2 ; vgl. dazu für § 8 R H a f t p f l G R G J W 1 9 1 0 , 2 3 5 1 4 ) ; denn hier handelt es sich um Ansprüche aus dem Gesamtschuldverhältnis, nicht aus der u. H. Ansprüche aus der Geschäftsführung ohne Auftrag oder der Bereicherung wegen Aufwendungen Dritter zur Beseitigung eines aus u. H . herrührenden Schadens, die gegen den Ersatzpflichtigen erhoben werden, sind selbständig und unterliegen nicht der kurzen Verjährung des §852 ( R G 86, 96). Die Pflichtverletzung des Vormunds (§ 1833) erscheint nicht als u. H., sondern als Verletzung der Pflichten aus einem familienrechtlichen Schutzverhältnis; auf R ü c k g r i f f s a n s p r ü c h e des Mündels gegen den Vormund findet daher § 8 5 2 keine Anwendung ( R G Recht 1907 Nr. 2 5 7 5 ; vgl. auch B G H g, 255, 257). Ebenso gehören die A n s p r ü c h e des öffentlich-rechtlichen D i e n s t h e r r n g e g e n seine B e a m t e n wegen Amtspflichtverletzung nicht hierher ( R G J W 1927, 1249 4 ; s. Sondervorschriften in §§ 78 Abs. 3 B B G , 46 Abs. 3 B e a m t R R G v. 1. 7. 1957). A u c h auf A u f o p f e r u n g s a n s p r ü c h e und A n s p r ü c h e a u s enteignungsgleichen E i n g r i f f e n kann § 852 keine Anwendung finden; es gilt — soweit nicht Sonderbestimmungen eingreifen — 30jährige Verjährung ( R G 78, 202; 167, 14, 27; R G L Z 1 9 1 9 , 107 5 sowie mit eingehender Begründung B G H 9, 209; aA O L G München H R R 1941 Nr. 1 0 5 7 ; für Entschädigungsansprüche aus dem OrdnungsbehördenG für Nordrhein-Westf. v. 16. 10. 1956, G V B 1 289, s. die Sondervorschrift in § 4 4 des Ges.). I n Bayern erlöschen Aufopferungsansprüche jedoch wegen Art. 1 2 5 A G B G B bereits drei J a h r e nach Schluß des Kalenderjahres ihrer Entstehung ( B G H M D R 1958, 9 1 0 ; O L G Bamberg M D R 1957, 4 2 1 ) . Bei R ü c k s t ä n d e n v o n R e n t e n greift die Vorschrift des § 197 (Verjährung in vier Jahren) auch dann ein, wenn der Rentenanspruch auf u. H. beruht.
Anm. 4 Als der allgemeinen Regelung des § 852 v o r g e h e n d e S o n d e r v o r s c h r i f t e n kommen vor allem in Betracht: § 1 4 S t r V G ; § 8 R H a f t p f l G ; § 6 SachschHaftpflG; §39 LuftverkG (idF v. 10. 1. 1959); §48PatentG; § 1 5 Abs. 3 G e b r M G ; § i 4 G e s c h m M G ; § 50 L i t U r h G ; §§ 47 ff K u n s t U r h G ; § 21 U n l W G ; §§ 84 Abs. 6, 101 Abs. 6, 245 A k t G ; §§ 34 Abs. 4, 41 Abs. 4 G e n G ; § 1 1 7 Nr. 7 BinnSchG (dazu B G H 19, 82). Wenn jedoch Ansprüche aus den genannten Sondergesetzen mit denen aus den allgemeinen Tatbeständen der u. H. (§§ 823ff") k o n k u r r i e r e n , gilt g e s o n d e r t e V e r j ä h r u n g ( R G 87, 306 sowie SeuffArch 92 Nr. 3 für Ansprüche aus § 823 und Ansprüche aus § 41 Abs. 4 G e n G ; R G 74, 434 und 109, 272, 279 sowie R G D R 1942, 1064 9 f ü r Ansprüche aus §§ 824, 826 und Ansprüche aus dem U n l W G ) . Das Entsprechende gilt bei einer Konkurrenz von Bereicherungsansprüchen mit denen aus u. H . ( R G J W 1938, 2 4 1 3 ; s. auch R G H R R 1936 Nr. 258). Wenn der Tatbestand einer u. H. im Einzelfall z u g l e i c h e i n e V e r t r a g s v e r l e t z u n g enthält, so gilt auch hier grundsätzlich die Regel, daß jeder der konkurrierenden Ansprüche f ü r die Verjährung seinen besonderen Bestimmungen folgt. Deshalb
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§ 852 Anm. 5, 6
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
zieht die kürzere Verjährung des Anspruchs aus u. H, nicht auch die Verjährung des Vertragsanspruchs nach sich, für den eine längere Verjährungsfrist gilt ( R G 66, 86; 96, 53; 131) 278/9; B G H L M § 254 [E] Nr. 2), so des Anspruchs aus dem Beförderungsvertrage, ferner aus § 618, aus §§ 62, 76 HGB, aus § 463 Satz 2 BGB ( R G WarnRspr 1913 Nr. 282; 1914 Nr. 180). Da die Amtstätigkeit des Notars nicht zugleich Vertragsgegenstand sein kann, regelt sich die Verjährung der Ansprüche gegen den Notar wegen Amtspflichtversehen allein aus § 852 (RG WarnRspr 1915 Nr. 115). Dagegen kann die kürzere V e r j ä h r u n g der A n s p r ü c h e aus V e r t r a g s v e r letzungen besonderer Art, wie in §§ 558, 606 oder nach §§ 60, 61 HGB, a u c h den A n s p r u c h aus der u. H. aufzehren, wenn die Bestimmung, die die kürzere Verjährung anordnet, sonst bedeutungslos werden und ihren Zweck nicht erfüllen würde (RG 66, 363; R G DJ 1937, 1290; R G J W 1938, 2413/4; OLG München H R R 1942 Nr. 309). Aus demselben Grunde findet die kürzere Verjährung aus § 1057 (Anspruch des Eigentümers wegen Verschlechterung der Sache durch den Nießbraucher) auch dann Anwendung, wenn die Verschlechterung auf eine u. H. des Nießbrauchers zurückzuführen ist ( R G WarnRspr 1908 Nr. 320). Dies gilt jedoch nicht für die kürzere Verjährung der von § 414 Abs. 1 HGB und § 40 Kraftverkehrsordnung für den Güterfernverkehr (KVO) erfaßten Ansprüche ( B G H 9, 301; B G H VersR 1956, 349). Ganz allgemein kann im Rahmen eines Vertragsverhältnisses auch für die mit dem Vertragsverhältnis irgendwie zusammenhängenden u. H. die Verjährungsfrist des §852 durch a u s d r ü c k l i c h e V e r e i n b a r u n g gekürzt werden ( B G H 9, 301, 306). Anm. 5 Wie die sämtlichen Bestimmungen des 25. Titels spricht auch § 852 nur von dem Schadensersatzanspruch (§§249, 842, 843 fr) des Verletzten, nicht von dem daneben bestehenden A n s p r u c h auf U n t e r l a s s u n g der rechtswidrigen Eingriffe (vgl. darüber Vorbem. 73ff vor §823). Selbstverständlich zieht aber die Verjährung der Schadensersatzklage auch die Verjährung der Unterlassungsklage nach sich ( R G Recht 1908 Nr. 2669 = L Z 1908, 59925), und zwar nicht nur der Unterlassungsklage auf Wiederherstellung, sondern auch der vorbeugenden Unterlassungsklage, da auch diese Klage einen gegenständlich widerrechtlichen Eingriff in ein durch die Bestimmungen über die u. H. geschütztes Rechtsgut (§§ 823, 824) voraussetzt und als eine Klage aus oder wegen u. H. erscheint. III. Der Beginn der 3jährigen Verjährungsfrist Anm. 6 1. Allgemeines. Der Beginn der kürzeren 3jährigen Verjährung des § 852 setzt die Kenntnis des Verletzten von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen voraus, die durch verschuldete Unkenntnis nicht ersetzt wird (RG 76, 61, 63; R G J W 1912, 38 a8 ; WarnRspr 1912 Nr. 308; H R R 1930 Nr. 1 2 1 3 ; BGH VersR 1959, 467/8). Die Kenntnis muß soweit gehen, daß der Geschädigte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadensers a t z k l a g e , sei es auch nur eine Feststellungsklage, mit einigermaßen sicherer Aussicht auf E r f o l g erheben kann, sobald er mithin alle Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs außer dem Schadensbetrage vernünftigerweise für gegeben halten muß und ihm deshalb angesichts der ihm be- kannten Tatsachen eine Klageerhebung zuzumuten ist ( R G 106, 289, 291; 157, 14, 18; 168, 214, 219; B G H 6, 195, 201/2; B G H VersR 1956,507; 1957, 6 4 i ; B A G N J W 1959, 260). Das Fehlen aller Risiken und unbedingte Sicherheit, im Prozeß obzusiegen, kann jedoch nicht verlangt werden ( B G H VersR 1959, 274). Deshalb kann auch allein daraus, daß ein Gericht den Kläger als beweisfällig abweist, nicht ohne weiteres gefolgert werden, die Verjährungsfrist habe noch nicht zu laufen begonnen ( B G H VersR 1957, 181/2). Bloße Vermutungen stehen der Kenntnis nicht gleich ( R G 162, 202, 208). Andererseits ist auch nicht die Kenntnis aller Einzelheiten der schädigenden Tat erforderlich ( R G WarnRspr 1912 Nr. 432; B G H VersR 1956, 507). Mit jener Kenntnis beginnt die Verjährung ohne weiteres zu laufen; zur Einschiebung einer, wenn auch nur kurzen, Uberlegungsfrist bietet das Gesetz keine Möglichkeit ( R G J W 1937, 1237'). 1568
Unerlaubte H a n d l u n g e n
§852
Anm. 6 In der R e g e l genügt zur Iniaufsetzung der Verjährungsfrist die Kenntnis der die Schadensersatzpflicht begründenden Tatsachen. R e c h t s u n k e n n t n i s des Verletzten ist nur bei verwickelter und zweifelhafter Rechtslage u n d im allgemeinen nur insoweit in Betracht zu ziehen, als sie den Verletzten gehindert hat, zu erkennen, wer der Ersatzpflichtige ist ( R G 142, 280 u. 348; 157, 14, 1 9 ; 161, 375, 3 7 7 ; B G H 6, 195, 202; B G H L M § 8 5 2 Nr. 9; B G H V e r s R 1958 N r . 109). D e r Beginn der Verjährungsfrist wird j e d o c h nicht hinausgeschoben durch die Ungewißheit, ob der Entlastungsbeweis nach § 8 3 1 oder § 8 3 6 erbracht werden könne ( R G 133, 1 unter A u f g a b e der gegenteiligen Ansicht in J W 1913, 686/7; s - A n m . 11) oder ob nicht der Schädiger sonstige E i n w e n d u n g e n oder Einreden (z. B. Mitverschulden oder Haftungsausschluß) mit Erfolg vortragen wird ( B G H V e r s R 1959, 274). A u c h Zweifel in der Frage, ob § 898 R V O eingreift, schieben den Beginn der Verjährungsfrist nicht hinaus (vgl. R G 80, 2 1 2 ; a A O L G Stuttgart N J W 1956, 225), w o h l aber bewirkt ein Bescheid der Berufsgenossenschaft, der der V e r f o l g u n g des Anspruchs entgegenstand, eine H e m m u n g der V e r j ä h r u n g nach § 202 ( R G a a O ) . Der Verletzte i. S. des § 852 ist der Berechtigte, in dessen Person der Schadensersatzanspruch entstanden ist. In den Fällen der §§ 844, 845 sind mithin die mittelbar Geschädigten, denen n a c h d e m Gesetz eigene Ersatzansprüche zustehen, die „ V e r l e t z t e n " , so d a ß es auf deren Kenntnis ankommt ( R G 94, 220; R G J W 1914, I95 1 1 )- Bei in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Personen k o m m t es ebenso wie bei juristischen Personen auf die Kenntnis ihrer g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r an ( R G 152, 115/6; R G W a r n R s p r 1913 Nr. 143). W i r d aber z. B. eine Gesellschaft m b H unter M i t w i r k u n g ihres Geschäftsführers sittenwidrig geschädigt, dann kann dessen Kenntnis nicht als Kenntnis der Gesellschaft i m Sinne des § 852 gewertet w e r d e n ; die hier geforderte K e n n t n i s erlangt die Gesellschaft erst, w e n n ein neuer gesetzlicher Vertreter v o n d e m Schaden u n d der Person des Ersatzpflichtigen erfährt oder der ungetreue Geschäftsführer seine H a l t u n g ändert, Schritte zur D u r c h f ü h r u n g der Ansprüche der Gesellschaft unternimmt u n d damit seine Kenntnis als die der Gesellschaft verwertet ( R G J W 1936, 31 n 1 ) . Die Kenntnis eines r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e n V e r t r e t e r s (z. B. des Anwalts) ist in der R e g e l unerheblich ( R G L Z 1921, 689; R G W a r n R s p r 1934 N r . 187; B G H V e r s R 1955, 234). In besonders gelagerten Fällen, w e n n z. B. ein Grundstückseigentümer j e m a n d e n mit der gesamten V e r w a l t u n g eines Hausgrundstücks beauftragt hat, m u ß aber der rechtsgeschäftliche Vertreter a u c h als z u m „Wissensvertreter" bestellt angesehen werden, so d a ß in d e m genannten Beispiel bei einer Beschädigung des Hauses durch u. H . mit der Kenntnis des Verwalters v o m Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen auch bei Unkenntnis des Grundstückseigentümers selbst die V e r j ä h r u n g z u laufen beginnt. G e h t d e r A n s p r u c h d u r c h A b t r e t u n g o d e r k r a f t G e s e t z e s (§§ 398, 412) auf einen anderen über, so gilt folgendes: D i e Kenntnis des bisherigen Gläubigers schadet auch d e m neuen, so d a ß die infolge Kenntnis des Erstgläubigers bereits in L a u f gesetzte Verjährungsfrist nach der A b t r e t u n g oder d e m Forderungsübergang weiterläuft. Hatte der frühere Gläubiger bei der A b t r e t u n g oder d e m Forderungsübergang noch keine für den Verjährungsbeginn ausreichende Kenntnis, k o m m t es lediglich auf die Kenntnis des neuen Gläubigers an, so d a ß die Verjährungsfrist nunmehr ohne Rücksicht auf die Kenntniserlangung des Erstgläubigers mit der Kenntnis des neuen Gläubigers beginnt ( R G 152, 1 1 5 ; B G H L M § 852 Nr. 8; B G H V e r s R 1959, 34). Bei Teilabtretungen u n d teilweisem Forderungsübergang gilt das Entsprechende für den abgetretenen oder übergegangenen T e i l des Anspruchs (vgl. B G H V e r s R 1957, 231). Bei d e m gesetzlichen Forderungsübergang nach § 1542 R V O und entsprechenden Bestimmungen ist zu beachten, d a ß der Forderungsübergang bereits mit der V e r w i r k l i c h u n g des Tatbestandes, auf G r u n d desssen der Verletzte die Versicherungsleistungen beanspruchen kann (z. B. bei der Unfallversicherung meistens schon mit dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Unfall, bei der Invaliden-, j e t z t Arbeiterrentenversicherung mit d e m Eintritt der Invalidität des Versicherten), sich vollzieht ( R G 148, 19, 22; 156, 347, 3 5 1 ; B G H 19, 177, 178; B G H V e r s R 1958, 533, 534). Hatte der Versicherte in diesem Zeitpunkt — ggfs. in der „juristischen S e k u n d e " zwischen Entstehung u n d U b e r g a n g des Anspruchs — bereits die für den Verjährungs-
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§ 852 Anm. 7
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
beginn maßgebliche Kenntnis, dann hat mit seiner Kenntniserlangung somit die Verjährungsfrist auch gegen den Versicherungsträger zu laufen begonnen und auf dessen Kenntniserlangung kommt es dann nicht an (so mit eingehender Begründung B G H VersR 1959, 34 gegen M e y e r VersR 1957, 763). Wann im Verfahren nach der R V O die Leistungspflicht des Versicherungsträgers festgestellt worden ist, ist grundsätzlich unerheblich (BGH LM § 852 Nr. 8). Anm. 7 2. An die Kenntnis vom Schaden dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Sie ist nicht gleichbedeutend mit der Kenntnis vom Umfang des Schadens, bedeutet vielmehr lediglich die Kenntnis der schädlichen Folgen der u. H. im allgemeinen dergestalt, daß auf ihrer Grundlage eine Klage auf Schadensersatz, wenn auch nur als Feststellungsklage (RG WarnRspr 1909 Nr. 103; 1935 Nr. 39; R G J W 1938, 3306 19 ). mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg angestellt werden kann. Es g e n ü g t mithin die Kenntnis von der V e r m ö g e n s b e e i n t r ä c h t i g u n g in i h r e r w e s e n t l i c h e n G e s t a l t u n g . Bloße Vermutungen und Befürchtungen reichen nicht aus (RG J W 1915, 139 3 ; 1918, 303 6 ; R G L Z 1921, 19 6 ). Daher erlangt der Angestellte, der trotz seiner Einwendungen in der Nähe eines mit offener Tuberkulose behafteten Abteilungsleiters arbeiten muß und angesteckt worden ist, die nach § 852 erforderliche Kenntnis nicht schon mit der Vermutung, sondern erst mit der Überzeugung, angesteckt zu sein ( R A G 17, 33). Wer durch eine u. H. nur mittelbar insofern geschädigt wird, als er Dritten z. B. für eine Beschädigung ihrer Sache ersatzpflichtig ist, erlangt die Kenntnis von dem Schaden im Sinne des § 852 erst mit der Kenntnis von seiner Ersatzpflicht (RG J W 1927, 12494). Wenn ein Reichsbeamter sich infolge eines Verkehrsunfalls ein Herzleiden zuzog, das seine Zurruhesetzung erforderlich machte, dann lief die Frist für die Verjährung der Erstattungsansprüche des Reichs gegen den am Unfall schuldigen Kraftfahrer von dem Zeitpunkt an, in dem der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und Herzleiden auf Grund ärztlicher Gutachten mit genügender Sicherheit geltend gemacht werden konnte (RG D R 1942, 139 1 1 ). Beginn der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs wegen NichtVerwendung von Versicherungsmarken s. R A G 14, 273. Der g e s a m t e aus einer u. H. entspringende S c h a d e n stellt dabei eine E i n h e i t d a r und erscheint nicht als eine Summe einzelner selbständiger unzusammenhängender Schäden; die U n g e w i ß h e i t ü b e r den U m f a n g und die H ö h e des S c h a d e n s s c h l i e ß t d e s h a l b den Beginn der V e r j ä h r u n g n i c h t aus; alle Folgezustände, die in dem Zeitpunkte der erlangten Kenntnis von dem Schaden überhaupt auch nur als möglich vorauszusehen waren, sind mit dieser allgemeinen Kenntnis dem Verletzten bekannt geworden (RG 83, 354, 360; 85, 424; 106, 285; 119, 204, 208; R G J W 1907 S. 3025 u. 832 1 0 ; 1908, i o 1 1 ; 1912, 751 1 6 ; 1914, 355'; 1926, 1 1 5 1 1 0 ; 1936, 1831 8 ; 1937, 1307 5 ; 1939, 706 16 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 103, 509; 1914 Nr. 83; 1916 Nr. 1 3 7 ; R G H R R 1935 Nr. 670; BGH L M § 852 Nr. 8; BGH VersR 1957, 429; 1959, 34). Nur, wenn später neue N a c h t e i l e aus der u. H. entstehen oder ersichtlich werden, die vorher sich nicht voraussehen oder erwarten ließen, beginnt für diese eine besondere Verjährung mit ihrer Kenntnis und der Kenntnis ihres ursächlichen Zusammenhangs mit der u. H. (RG 70, 150; 86, 1 8 1 ; R G J W 1909, 725 1 9 ; 1936, 2398 14 ; R G H R R 1935 Nr. 109; R G WarnRspr 1913 Nr. 143; R G H R R 1938 Nr. 514; B G H VersR 1957, 534). War an einem Gebäude infolge einer u. H. eine Lockerung der Grundmauern entstanden und erkennbar geworden, so sind die einzelnen nach und nach sich bildenden Risse der Gebäudewände nicht neue Schäden, sondern Folgeerscheinungen des früher erkannten Schadens (RG J W 1909, 724 18 ; 1912, 751 1 6 ). Treten aber später neue Wirkungen einer u. H. hervor, die erst infolge nachträglich eintretender Umstände dem Verletzten weitere Nachteile bereiten, dann handelt es sich um neue Schäden mit neuem Beginn der Verjährung (RG 119, 204). Die nach dem Ausgang des 1. Weltkriegs einsetzende ungeheuere Verteuerung der Stoffe und Arbeitslöhne, die die Kosten für die Wiederherstellung einer beschädigten Sache um das Vielfache in die Höhe schnellen ließ, war eine Schadensfolge der Sachbeschädigung, deren mögliche Entstehung nicht vorhergesehen werden konnte; sie begründete deshalb den Beginn einer 1570
Unerlaubte Handlungen
§852 A n m . 8, 9
neuen Verjährung ( R G 102, 143). Ebenso war gegenüber der Erhöhung eines Anspruchs auf Schadensersatz die Einrede der Verjährung dann nicht begründet, wenn die Erhöhung nur auf der inzwischen eingetretenen ungewöhnlichen und nicht vorhersehbaren Geldentwertung beruhte ( R G 106, 184; 108, 38; R G WarnRspr 1923/24 Nr. 114). Anm. 8 Bei A u f h e b u n g oder Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge einer Verletzung des Körpers genügt für den Beginn der Verjährung die K e n n t n i s v o n d e r B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r E r w e r b s f ä h i g k e i t ü b e r h a u p t ( R G J W 1912, 3Ö28; WarnRspr 1913 Nr. 143); spätere Verschlimmerungen der durch die Verletzung hervorgerufenen Leiden die von vornherein mit in Rechnung zu ziehen waren, begründen keine neue Verjährung ( R G ebenda und WarnRspr 1916 Nr. 137; LZ 1918, 11332 u. 1921, 227 11 ). Wohl aber tun dies Leiden anderer Art, die sich erst später einstellen, innere Erkrankungen oder schwere dauernde (chronische) Zustände, während die Verletzung zunächst als Folgen nur äußere oder leichtere vorübergehende (akute) Störungen erkennen ließ ( R G 86, 384; R G J W 1914, 19511; 1915, 655'; 1918, 303 6 ; WarnRspr 1909 Nr. 301; 1912 Nr. 432; 1914 Nr. 56 u. Nr. 84; LZ 1921, 196; B G H VersR 1957, 534). Eine wesentliche Verschlimmerung des Leidens, die der Arzt dem Verletzten als außerhalb der Erwartung stehend bezeichnet hat, kann auch dem Verletzten selbst nicht wohl als erkennbar erscheinen, so daß er eine Klage nach verständiger Erwägung darauf bauen konnte; der Ausspruch des Arztes hindert in solchem Falle die Kenntnis des Verletzten und läßt die Verjährung nicht eintreten; doch darf es sich nicht um einen allgemeinen Trostzuspruch des Arztes handeln; es muß ein bestimmter Ausspruch des Arztes vorliegen, der die nachher eingetretene Verschlimmerung dem Verletzten als ausgeschlossen erscheinen läßt ( R G J W 1921, 1532 9 ). Für den Beginn der Verjährung ist es nicht von Einfluß, wenn der Verletzte zunächst eine Einbuße am Erwerbe überhaupt nicht erleidet (Beamter, der Gehalt bezieht und im Dienste verbleibt; Ehefrau, die im Hauswesen oder Geschäfte des Mannes tätig ist), sofern nur die Kenntnis von der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit erlangt war, die einen einigermaßen sicheren Ausblick auf die Erwerbsverhältnisse der Zukunft gestattet ( R G WarnRspr 1909 Nr. 509). Für den B e a m t e n , d e r i n f o l g e e i n e r K ö r p e r v e r l e t z u n g o d e r G e s u n d h e i t s b e s c h ä d i g u n g in d e n R u h e s t a n d v e r s e t z t wird und dadurch sein bisheriges Diensteinkommen verliert, beginnt hinsichtlich dieses Schadens die Verjährung mit dem Zeitpunkt, wo ihm die Unausbleiblichkeit dieses Erwerbsverlustes bekannt wird. War diese Folge bei der Schwere der Verletzung von vornherein vorauszusehen und mußte sie mit in Rechnung gezogen werden, so fällt ihre Kenntnis mit der allgemeinen Kenntnis vom gesamten Schaden zusammen (s. Anm. 7); ist der Beamte zunächst in Stellung und Gehalt verblieben und trat die Notwendigkeit seiner Versetzung in den Ruhestand erst später hervor, so ist die Kenntnis des Ersatzberechtigten hiervon für den Beginn der Verjährung maßgebend ( R G 85, 424; R G J W 1912, 38 28 ; 1915, 655'). Anm. 9 Die V e r j ä h r u n g e i n e s S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h e s a u s u. H . b e g i n n t in j e d e m F a l l e e r s t m i t d e r e n A b s c h l u ß . Besteht die Handlung z.B. darin, daß der Täter durch Erhebung einer sittenwidrigen Forderung den Verletzten zur Zuziehung eines rechtskundigen Beraters nötigt, so ist sie solange nicht abgeschlossen, als der Täter an seiner Forderung festhält und damit den Verletzten zur Beibehaltung des Beraters bestimmt (RG J W 1932, 938"). Daß die Wiederholung der schädigenden H a n d l u n g selbst immer eine neue Beschädigung und einen neuen Schadensersatzanspruch erzeugt und deshalb auch eine neue Verjährung in Lauf setzt, ist selbstverständlich. Der Umstand, daß die wiederholten schadenstiftenden Handlungen Ausfluß eines einheitlichen Entschlusses sind, kann eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen, insbesondere nicht bewirken, daß die Verjährung irgendwelcher Schadensersatzansprüche erst mit der letzten u. H. für alle beginnt; der strafrechtliche Begriff der fortgesetzten Handlung ist hier nicht zu Lasten des Schuldners verwendbar (RG 80, 436, 438; 134, 335; R G J W 1912, 31 15 ; 1926, 1151«; 1938, 3306"; R G H R R 1935 Nr. 669; B G H NJW 1954, I0 33 3 )- Von der fortgesetzten Wiederholung der u. H. mit steter Erneuerung der schäd-
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Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnisse
A n m . 10 liehen Folgen ist aber wohl z u u n t e r s c h e i d e n die F o r t d a u e r e i n e s a u s e i n e r e i n m a l i g e n , i n s i c h a b g e s c h l o s s e n e n u . H . , z. B. einer widerrechtlichen Pfändung, h e r v o r g e g a n g e n e n s c h ä d l i c h e n Z u s t a n d e s , wobei die Kenntnis von dem Eintritt dieses Zustandes maßgebend ist ( R G J W 1907, 8 3 2 1 0 ; 1 9 1 7 , 39®; 1927, 893*; 1934, 4 1 3 7 ; WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 2 8 1 ; L Z 1 9 1 9 S. 107 5 , 322*; Gruchot 69, 105). Anders wieder, wenn die Fortdauer eines schädlichen Zustandes nicht auf eine einmalige u. H., sondern darauf zurückzuführen ist, daß der V e r p f l i c h t e t e s c h u l d h a f t u n t e r l ä ß t , d e n Z u s t a n d z u b e s e i t i g e n ; der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist aus § 852 beginnt hier für jeden infolge der Nichtbeseitigung eintretenden Schaden besonders mit dem Zeitpunkt, in dem der Geschädigte von diesem Schaden Kenntnis erlangt ( R G 106, 283; A r b R S l g . 14, 160).
A n m . 10 3. Die Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen, der mit dem Schädiger
nicht identisch zu sein braucht, kann, wenn m e h r e r e Personen für denselben Schaden n e b e n e i n a n d e r verantwortlich sind (§840), hinsichtlich der einzelnen zu verschiedenen Zeiten erlangt werden, und die Verjährung beginnt dann gegen die mehreren Ersatzpflichtigen dementsprechend an verschiedenen Zeitpunkten. Wenn mehrere Personen nacheinander haften -—• hilfsweise Haftung des Unzurechnungsfähigen nach § 829 und des Beamten nach § 83g Abs. 1 Satz 2 •—, so beginnt die Verjährung gegen den Nachverhafteten erst mit der Kenntnis, daß ein vorverhafteter Ersatzpflichtiger nicht vorhanden ist ( R G 94, 220; R G J W 1 9 1 5 , 594 2 9 ; 1926, 2284®; .s auch Anm. 12). Die K e n n t n i s von der Person des Ersatzpflichtigen m u ß so w e i t r e i c h e n , d a ß d e r G e s c h ä d i g t e e i n e K l a g e g e g e n d i e P e r s o n zu b e g r ü n d e n in d e r L a g e ist. Bei Haftung aus Verschulden gehört dazu die Kenntnis von einem schuldhaften Handeln oder Unterlassen der Person, sowie die Kenntnis davon, daß dieses vorsätzliche oder fahrlässige Verhalten den Schaden verursacht haben kann, nicht notwendig die sichere Uberzeugung oder gar Gewißheit von dieser schuldhaften Verursachung ( R G 76, 6 1 ; J W 1 9 1 2 , 640 1 2 ; WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 308 u. 4 3 2 ; R G H R R 1935 Nr. 420). Jedenfalls aber ist mehr erforderlich als ein bloßer Verdacht ( R G 162, 202, 208; R G SeuffArch 96 Nr. 23), als eine bloße Vermutung ( R A G 17, 3 3 ; B G H V e r s R 1956, 507). Die K e n n t n i s ist aber bereits dann gegeben, w e n n dem Verletzten d i e U m s t ä n d e b e k a n n t s i n d , die ohne besondere Mühe und in zumutbarer Weise die Feststellung der Person des Ersatzpflichtigen ermöglichen (s. bereits R G J W 1907, 302 5 ; insbesondere B G H L M § 852 Nr. 4: der bei einem StraEenbahnunfall Verletzte konnte Namen und Anschrift des Straßenbahnführers ohne besondere Mühe durch Rückfrage bei der Straßenbahngesellschaft in Erfahrung bringen). Danch ist Kenntnis auch anzunehmen, wenn der Verletzte die Nummer des Fahrzeugs des ersatzpflichtigen Kfz-Fahrers kennt (anders, wenn er die Feststellung der Nummer, wenn auch fahrlässigerweise, unterlassen hat). J e d o c h steht die Möglichkeit, in zumutbarer Weise die Person des Ersatzpflichtigen nach Namen und Anschrift festzustellen, der Kenntnis dann nicht gleich, wenn der Verletzte diese Kenntnis irrigerweise bereits zu haben glaubt ( B G H L M § 1 5 1 PreußAllgemBergG Nr. 1; B G H V e r s R 1959, 467/8). Das bloße Bestreiten der Täterschaft durch den Schuldner hindert zwar nicht, daß der Berechtigte von der Person des Ersatzpflichtigen hinreichend Kenntnis erlangt hat. Bestreitet aber eine Behörde die tatsächlichen Grundlagen ihrer Haftung, so kann ein Ersatzberechtigter im allgemeinen zunächst davon ausgehen, daß die Angaben der Behörde stimmen, so daß er von der Person des Ersatzpflichtigen noch keine genügende Kenntnis hat ( B G H 26. 3. 1953 I I I Z R 325/51). Solange die Frage, wer für den Fall eines Ersatzanspruchs rechtlich der Ersatzpflichtige ist, für alle Beteiligten noch ungeklärt und zweifelhaft ist, kann auch die Verjährung nach § 8 5 2 noch nicht beginnen ( R G J W 1935, 3 1 5 4 4 ; B G H V e r s R 1957, 30). Für eine Rechtsverfolgung gegen einen N i c h t p r o z e ß f ä h i g e n ist die Kenntnis von der Person des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Auch eine auf R e c h t s i r r t u m beruhende Nichtkenntnis der Person des Ersatzpflichtigen kann dem Beginn der Verjährung entgegenstehen (vgl. R G 76, 6 1 , 63; 142, 280; R G H R R 1932 Nr. 446; B G H 6, 195, 202; B G H V e r s R 1958, 109). Das gilt auch für die Amtshaftung (§ 839), s. dazu im einzelnen Anm. 12.
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Ob die Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen auch die Kenntnis der Person des R e c h t s n a c h f o l g e r s (Erben) erfordert, auf den die Ersatzpflicht nach ihrer Entstehung übergegangen ist, läßt R G J W 1907, 3026 unentschieden; die Frage ist nach richtiger Ansicht zu verneinen; der Rechtsnachfolger wird ersatzpflichtig nur aus der Person des Rechtsvorgängers; dem Interesse des Gläubigers dient für den Fall der Erbfolge die Bestimmung des § 207. A n m . 11 4. a) Für die Frage, wie sich die Kenntnis von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen bei den einzelnen Tatbeständen der u. H. gestalten muß, bieten die Tatbestände der § § 823—826 nichts Besonderes. Für § 829 ist die Kenntnis, daß ein — an erster Stelle ersatzpflichtiger — aufsichtspflichtiger Dritter nicht vorhanden oder Ersatz von ihm nicht zu erlangen ist, sowie die Kenntnis von der NichtVerantwortlichkeit des — hilfsersatzpflichtigen — Täters erforderlich (RG 94, 220; s. Anm. 10 sowie § 829 Anm. 7). Für § 831 ist die Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung einer zu einer Verrichtung bestellten Person und von der Person des dafür verantwortlichen Geschäftsherrn zu verlangen, wogegen es auf die Kenntnis der zu der Verrichtung bestellten Person nicht ankommt. Wenn R G J W 1913, 6864 (ebenso LZ 1915, 5143) außerdem die Kenntnis fordert, daß keiner der Umstände vorliege, durch deren Nachweis sich der Geschäftsherr von seiner Ersatzpflicht befreien kann, so geht das zu weit; denn sein Verschulden wird vermutet, und die Entlastung, deren tatsächliche Grundlagen dem Verletzten meist unbekannt und auch für ihn schwer erkundbar sind, ist Sache des Geschäftsherrn und gehört nicht zur Klagebegründung (s. §831 Anm. 21). In R G 133, 1 ist denn auch jene Ansicht aufgegeben und ausgesprochen worden, daß auch im Falle des § 831 der Lauf der Verjährung nicht erst in dem Augenblick beginnt, in dem der Fordernde weiß, daß keine durchgreifenden Einwendungen und Einreden gegeben sind (vgl. auch R G H R R 1933 Nr. 1425). Entsprechend sind auch die gleichgearteten Tatbestände der § § 832, 833 Satz 2, 834, 836—838 zu behandeln (so auch R G I33> !> 6). A n m . 12 b) Bei § 839 setzt die Ersatzpflicht eine schuldhafte Amtspflichtverletzung voraus. Deshalb beginnt die Verjährung erst, wenn der Geschädigte weiß, daß die in Rede stehende Amtshandlung widerrechtlich und schuldhaft war und deshalb eine zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung darstellt; dabei genügt im allgemeinen die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die eine — ggfs. in Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amts begangene — schuldhafte Amtspflichtverletzung als naheliegend erscheinen lassen (RG 145, 56, 69; 168, 214, 22of; R G H R R 1933 Nr. 1921; BGH VersR 1957, 641). Für § 839 ist ferner ebenso wir für § 829 die Kenntnis erforderlich, daß ein in erster Linie Ersatzpflichtiger (§ 839 Abs. 1 S. 2) nicht mit Erfolg in Anspruch genommen werden kann, gegebenenfalls der Ausfall, für den der Beamte aufzukommen hat, auch seiner Höhe nach feststeht und diese Höhe dem Geschädigten bekannt ist (RG 137, 20; 161, 375; R G J W 1915, 594 29 ; 1926, 2 2 84 3 ; 1935, 3154; 1937, 2113 1 6 ; WarnRspr !935 Nr. i n ; BGH VersR 1957, 201; s. auch Anm. 10 u. § 839 Anm. 95). Daraus darf aber nicht gefolgert werden, daß sich der Geschädigte, wenn neben dem Beamten nur bestimmte Personen als Schädiger in Betracht kommen können, völlig untätig verhalten und abwarten kann, ob auf irgend eine Weise die eigentliche Ursache aufgeklärt und ihm bekannt wird; er muß vielmehr, schon um die Verjährung anderer Ersatzansprüche und damit die schuldhafte Versäumung einer Ersatzmöglichkeit (§ 839 Anm. 96) zu vermeiden, gegen den in Frage kommenden ersatzpflichtigen Dritten vorgehen und den Sachverhalt klarstellen, und die dreijährige Verjährung des Amtshaftungsanspruchs wird dann bei im übrigen gegebenen Voraussetzungen von dem Zeitpunkt an zu berechnen sein, in dem annehmbar im Prozeßweg hätte festgestellt sein können, daß von dem Dritten Schadensersatz nicht oder nur zu einem bestimmten Teil zu erlangen war (RG 145, 56, 70/1; BGH 25. 3- ¡954 HI ZR 389/52 u. 13. 2. 1956 III ZR 147/54)-
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Bei den Amtshaftungsklagen spielen die r e c h t l i c h e n Z w e i f e l ü b e r die P e r s o n des E r s a t z p f l i c h t i g e n eine besondere Rolle. Ein in dieser Richtung bestehender Rechtsirrtum — insbesondere über die Frage, welche von mehreren in Betracht kommenden Körperschaften haftet •— kann den Beginn der Verjährungsfrist hinausschieben (s. Anm. 6). Jedoch gewinnt der Geschädigte durch Bewilligung des Armenrechts gegen eine bestimmte von mehreren in Betracht kommenden Körperschaften eine so hinreichende Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen, daß ihm die Erhebung einer Klage gegen diese Körperschaft zugemutet werden kann (BGH L M § 852 Nr. 9). Auch ist das Wissen, daß überhaupt an Stelle des Beamten grundsätzlich den Staat (oder die sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht) die Ersatzpflicht trifft (Art. 34 GG), zur Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen nicht erforderlich (RG 142, 348; R G H R R 1933 Nr. 1 9 2 1 ; B G H VersR 1957, 428/9). Wann im Falle des § 839 Abs. 3 die Verjährung beginnt, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Häufig wird der Geschädigte positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der in Rede stehenden Amtshandlung erst mit der Entscheidung über sein Rechtsmittel gewinnen (s. aber R G 168, 214, 219ff). A n m . 13 c) Der Anspruch aus § 945 ZPO (s. Anm. 2) setzt nur voraus, daß durch die Vollziehung des Arrestes oder der einstweiligen Verfügung dem Gegner ein Schaden entstanden ist, und die Verjährung beginnt zu laufen, sobald diese den Ersatzanspruch begründenden Tatsachen dem Geschädigten in einer Weise bekannt geworden sind, daß ihm die Erhebung der Klage, wenn auch nur einer Feststellungsklage, zuzumuten ist (RG 149, 321, 324). Nicht erforderlich ist, daß der Arrestbefehl (einstweilige Verfügung) im Arrestverfahren aufgehoben oder daß über den Hauptanspruch in einem besonderen Verfahren entschieden worden ist. Vielmehr kann die Frage, ob der Arrest (einstweilige Verfügung) von Anfang an ungerechtfertigt war, im Schadensersatzprozeß entschieden werden (RG 65, 196; 106, 289, 292; 157, 14, 18; R G LZ 1926, 281 5 ; R G J W 1933, 2057 13 ). Ist über diese Frage aber im Arrestprozeß oder in dem Rechtsstreit über den Hauptanspruch entschieden, dann bindet das den zur Entscheidung über den Schadensersatzanspruch berufenen Richter (RG 58, 236; 59, 355; 157, 14, 19; R G J W 1937, 2234; vgl. auch B G H 15, 356, 358). Durch das Schweben des Rechtsstreits über den Hauptanspruch wird die Verjährung nicht gehemmt ( R G 106, 289, 292; R G J W 1927, 1153 1 9 ). Bei dem Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO beginnt die Verjährung jedoch angesichts der insoweit von § 945 ZPO verschiedenen Anspruchsvorausseitzungen nicht vor der Aufhebung oder Abänderung des für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils (BGH L M § 717 ZPO Nr. 1). A n m . 14 d) Anhang: Für die Abänderungsklage aus § 323 ZPO ist, soweit § 852 in Betracht kommt, auf Seiten des Verletzten, der die Erhöhung oder die weitere Erstreckung der Rente der Dauer nach verlangt, die Kenntnis von der wesentlichen Veränderung erforderlich (RG 86 S. 181 u. 384; vgl. §843 Anm. 19). Der Anspruch des Ersatzverpflichteten auf Aufhebung oder Minderung der Rente, auf den die Verjährungsvorschriften des § 852 (auch die des § 8 RHaftpflG) und des § 194 BGB nicht passen, ist der Verjährung überhaupt entrückt. Bei dem Verletzten handelt es sich um eine Erweiterung seines Schadensersatzanspruchs; bei dem Ersatzpflichtigen aber im strengen Sinne überhaupt um keinen Anspruch, sondern um ein neues, vom Gesetz zugelassenes Bestreiten des gegnerischen Anspruchs für die Forderungen in der Zukunft unter Führung des Gegenbeweises. A n m . 15 IV. Beginn der 30jährigen Verjährung Die 30jährige Verjährung, die ohne Rücksicht auf die für den Beginn der dreijährigen Frist maßgeblichen Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen
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ihren L a u f nimmt, b e g i n n t m i t d e r B e g e h u n g der u. H . Begangen ist im Sinne des § 852 die u. H., wenn die die Verletzung herbeiführende Ursache gesetzt ist, mag auch der Anspruch selbst noch gar nicht entstanden sein (vgl. M 2, 780). Die Bestimmung setzt also eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 198. Die „Begehung der H a n d l u n g " begreift hier nicht den gesamten gegenständlichen und persönlichen Tatbestand der u. H . ; vielmehr will das Gesetz den Beginn der längeren Verjährung auf das zeitlich am ehesten bestimmbare Ereignis der verursachenden äußeren Handlung abstellen, ähnlich wie § 8 R H a f t p f l G den T a g des Unfalls entscheiden läßt. Ein Unterschied zwischen Grundhaftung und Hilfshaftung (§§ 829, 839 Abs. 1 Satz 2 ; vgl. Anm. 10 u. 12) besteht für die 30jährige Verjährung nicht; sie beginnt u n b e d i n g t u n d a u s n a h m s l o s mit dem Zeitpunkt der begangenen Handlung im obigen Sinne.
A n m . 16 V. Vollendung, H e m m u n g , Unterbrechung der Verjährung Für die Vollendung, die Erneuerung, die Hemmung und die Unterbrechung der Verjährung gelten die a l l g e m e i n e n V o r s c h r i f t e n d e r §§ 202ff. Wegen der Folgerungen, die sich im Falle des § 843 aus der Einheitlichkeit des Anspruchs für die Verjährung ergeben, vgl. § 843 Anm. 5 u. 14. Die wegen Vermehrung der Bedürfnisse erhobene Ersatzklage unterbricht danach bis zur Höhe des geltend gemachten Betrags auch die Verjährung des Anspruchs wegen des durch Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit entstandenen Schadens und umgekehrt. Ebenso unterbricht die K l a g e auf Zahlung eines Kapitals, soweit der Klageantrag reicht, auch die Verjährung des Rentenanspruchs und umgekehrt ( R G 77, 2 1 3 / 2 1 6 ) . Die Verjährung des Anspruchs auf Schmerzensgeld wird durch die Erhebung der Klage auf Ersatz des Vermögensschadens jedoch nicht unterbrochen (vgl. § 847 Anm. 3 ) ; die Klage auf ein Schmei zensgeld in bestimmter Höhe hindert nicht die Verjährung darüber hinausgehender Beträge ( R G J W 1 9 2 1 , 1 2 3 0 ; R G WarnRspr 1927 Nr. 153). Eine T e i l k l a g e unterbricht die Verjährung nur für den geltend gemachten Teil, nicht f ü r den ganzen Anspruch; ein Vorbehalt der Erweiterung in der K l a g e ist belanglos ( R G 57, 3 7 2 ; 65, 398; 66, 365, 366; R G J W 1907, 302 5 ; 1908, i o 1 1 ; 1926, 1 1 5 1 1 0 ; st. Rspr. des B G H ) . K a n n zur Zeit der Klageerhebung der ganze Schaden nicht übersehen werden, so muß zur Unterbrechung der Verjährung mit der Teilleistungsklage eine F e s t s t e l l u n g s k l a g e wegen des übrigen Schadens verbunden oder überhaupt eine Feststellungsklage (vgl. darüber § 843 Anm. 18) erhoben werden ( R G 75, 302). Die Unterbrechung wirkt nach § 2 1 1 fort bis zur Erledigung oder rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits. Die E n t s c h e i d u n g über den Grund des Anspruchs n a c h § 304 Z P O ist in diesem Sinne nur eine Zwischenentscheidung; ihre Rechtskraft hat nicht die Wirkung, eine neue Verjährung nach § 2 1 8 in Lauf zu setzen ( R G 66, 10). Die Wirkung der Unterbrechung endigt, wenn der Rechtsstreit nicht weiter verfolgt wird, was auch nach Rechtskraft eines nach § 304 Z P O erlassenen Zwischenurteils geschehen kann, mit der letzten Prozeßhandlung ( § 2 1 1 Abs. 2 ; R G 66, 1 2 ) ; wird der Rechtsstreit nur wegen eines Teiles weiterbetrieben, endigt die Unterbrechungswirkung wegen des nicht weiterbetriebenen Teiles (vgl. R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 99). Eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ist keine die Unterbrechungswirkung herbeiführende K l a g e im Sinne des § 209 ( B G H V e r s R 1957, 429). Z u r H e m m u n g der Verjährung durch einen der Verfolgung des Anspruchs entgegenstehenden Bescheid der Berufsgenossenschaft s. R G 80, 2 1 2 (vgl. Anm. 6), durch Einreichung eines Armenrechtsgesuchs und die Versagung des Armenrechts für eine arme Partei s. R G 139, 2 7 2 ; 163, 9; 168, 2 1 4 ; B G H 17, 199; B G H V e r s R 1956, 500. Z u r Verjährung nach dem Anerkenntnis, aus einer u. H. verpflichtet zu sein, s. R G WarnRspr 1940 Nr. 1 2 1 . Z u m E i n w a n d d e r A r g l i s t gegen die Verjährungseinrede s. § 222 Anm. i 2 f f sowie vor allem R G 145, 239, 244/5; B G H L M § 242 [Cb] Nr. 2 ; B G H V e r s R 1957, 392 u. 757; 1958, 5 1 . Wenn der Einwand durchgreift, wird der Ablauf der Verjährung lediglich um eine nach Treu und Glauben zu bestimmende, in der Regel aber kurz zu bemessende Frist hinausgeschoben ( R G 157, 14, 22; R G H R R 1940, 980; B G H L M § 222 Nr. 2 ; B G H V e r s R 1955, 454/5; B G H V R S 16, 1).
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§ 852 A n m . 17 § 853 A n m . 1
Schuldverhältnisse. Einzelne Schuldverhältnise
A n m . 17 VI. Absatz 2 Wenn Abs. 2 des § 852 bestimmt, daß auch nach Vollendung der Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus einer u. H. der Ersatzpflichtige nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zur Herausgabe dessen verpflichtet sei, was er durch die u. H . auf Kosten des Verletzten erlangt habe, so ist damit nicht nur der selbstverständliche Satz ausgesprochen, daß dem Geschädigten außer dem Schadensersatzanspruch auch ein Bereicherungsanspruch gegen den Schädiger zustehen könne, der einer anderen Verjährung unterworfen ist (vgl. auch R G J W 1938, 2413 2 4 ). Der Gedanke der Bestimmung ist vielmehr, daß, wo derselbe Tatbestand den Schadensersatzanspruch wie den Bereicherungsanspruch begründet, der letztere in Wirklichkeit nur eine Einschränkung des Schadensersatzanspruchs bedeutet: die Bereicherung ist derjenige Teil des dem Verletzten infolge der u. H. entstandenen Schadens, hinsichtlich dessen sein Vermögensverlust zugleich mit einem Vermögenszuwachs für den Schädiger verbunden ist. Der Anspruch aus § 852 Abs. 2 ist demgemäß auch nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen einer ungerechtfertigten Bereicherung vorliegen ( R G J W 1935, 5 1 2 6 ; R G H R R 1935 Nr. 669; 1936 Nr. 258), und der Ubergang von der Schadensersatzklage zur Bereicherungsklage als Erwiderung auf die Verjährungseinrede des Beklagten stellt, wie R G 71, 358 (s. auch R G 94, 4) ausführt, prozeßrechtlich nicht eine unzulässige Klageänderung dar, sondern ist lediglich eine Rechtsverteidigung gegenüber der Verjährungseinrede, die erst durch deren Erhebung erforderlich wurde. Beschränkt der aus § 839 zum Verlangen von Schadensersatz Berechtigte den verjährten Anspruch gemäß § 852 Abs. 2 auf die Bereicherung, so ist wegen der rechtlichen Gleichartigkeit beider Ansprüche die Revision ohne Rücksicht auf die Revisionssumme ebenso zulässig wie bei dem ursprünglichen Schadensersatzanspruch ( R G J W 1937, 2917 2 7 ). Die Verjährung des iereicherungsanspruchs ist die 30jährige nach § 195. Anwendung des § 852 Abs. 2 auf den Fall, daß ein Gläubiger die Sache eines anderen als seines Schuldners versteigern läßt, s. R G 156, 395. — Zur Frage der Möglichkeit einer Verwirkung des Anspruchs auf Herausgabe der Bereicherung nach § 852 Abs. 2 s. R G 159, 99, 104 fr. Das Aufrechnungsverbot des § 393 gilt auch gegenüber Ansprüchen aus § 852 Abs. 2 ( R G 167, 257, 259). Die bei einer Amtshaftungsklage zur gesetzlichen Vertretung des Staates oder einer öffentlichen Körperschaft berufene Stelle ist dazu gegenüber dem im Falle der Verjährung dem Verletzten bleibenden Anspruch im Sinne des § 852 Abs. 2 ebenfalls berufen ( R G H R R 1933 Nr. 1754).
§ 853 Erlangt jemand durch eine von ihm begangene unerlaubte Handlung eine Forderung gegen den Verletzten, so kann der Verletzte die Erfüllung auch dann verweigern, wenn der Anspruch auf Aufhebung der Forderung verjährt ist. Anm. 1 Die Bestimmung des § 853 enthält keine Ausnahmevorschrift, sondern ist ein besonderer Anwendungsfall des im B G B nicht ausdrücklich anerkannten (vgl. darüber besonders R G 58, 356; 7 1 , 432, 435), aber nicht zu entbehrenden Einwands der allgemeinen Arglist oder unzulässiger Rechtsausübung (exceptio doli generalis), der auf dem Rechtsgedanken der Herrschaft von Treu und Glauben im Rechtsverkehr beruht (vgl. R G 87, 281, 284; 143, 236; B G H L M § 242 [Cb] Nr. 2; sowie Erläuterungen zu § 242). Der vornehmlichste Anwendungsfall ist der durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung seitens des einen Vertragsteils gegen den anderen zustandegebrachte Vertrag. O b die Weigerung der Erfüllung, die § 853 dem Schuldner einer auf solchem Wege erlangten Forderung auch anch Verjährung des Anspruchs auf Aufhebung der Forderung gestattet, auch dann zulässig ist, wenn es sich nicht u m Ver-
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Unerlaubte Handlungen
§ 853 Anm. 1
jährung des Anspruchs auf Aufhebung der Forderung handelt, sondern um den A b l a u f der A n f e c h t u n g s f r i s t nach § 124, läßt RG 60, 294 unentschieden. Wenn nach Versäumung der Anfechtungsfrist des § 124 der Getäuschte oder Bedrohte die Aufhebung des Vertrags auf Grund der §§ 826, 249 nicht mehr verlangen könnte, wie R G 63, 268 annahm, würde sinngemäß die Anwendung des § 853 auch in diesem Falle anerkannt werden müssen, wenn die Bestimmung einen wirklichen Wert für die Rechtsausübung haben soll (vgl. R G 79, 194; 84, 131; sowie in Anwendung auf die Frist in § 41 Abs. 1 K O R G 84, 225). Richtigerweise (vgl. Vorbem. 28 vor § 823) ist aber der Schadensersatzanspruch aus u. H. von dem Anfechtungsanspruch vollständig zu trennen (vgl. WarnRspr 1913 Nr. 42), so daß auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist noch die Möglichkeit besteht, ein Rechtsgeschäft unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzanspruchs wegen unerlaubter Handlung in seinen Wirkungen zu beseitigen. Infolgedessen hindert selbst eine Verjährung dieses deliktischen Anspruchs auf Beseitigung der Vertragsfolgen nicht, daß der Schadensersatzberechtigte die Forderungserfüllung verweigern kann, ohne daß es insoweit einer ausdehnenden Auslegung des § 853 bedürfte (vgl. RG JW 1928, 29721; BGH 31. 1. 1957 II ZR 307/55). Die Behauptung, daß der Gläubiger eine Bürgschaftsübernahme arglistig als gefahrlose Formsache bezeichnet habe, als eine nach § 853 unverjährbare und auch von rechtzeitiger Anfechtung unabhängige Einrede, s. RG SeuffArch 88 Nr. 57. Der Verletzte kann aber nicht nach § 853 die von ihm geschuldete Leistung aus einem gegenseitigen Vertrage verweigern, wenn er nicht die Auflösung des ganzen Vertrags herbeiführen, die erhaltenen Gegenleistungen nicht zurückgeben will (RG 60, 294; 71, 432; 130, 215); es steht ihm dann die Gegeneinrede der Arglist entgegen.
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GROSSKOMMENTARE
Aktiengesetz
DER
PRAXIS
Großkommentar
Begründet von W. G a d o w t . Dr. E. H e i n i c h e n f , Dr. E b e r h a r d S c h m i d t , Dr. W. S c h m i d t und Dr. O. W e i p e r t. 2., neu bearbeitete Auflage von Bundesrichter Dr. R o b e r t F i s c h e r , Prof. Dr. U l r i c h K l u g , Hechtsanwalt Dr. W o l f g a n g S c h i l l i n g , Rechtsanwalt Dr. W a l t e r Schmidt unter Mitarbeit von Rechtsanwalt Dr. J. Me y e r - L a n d r u t . 2 Bände. Lexikon-Oktav. B a n d I , L i e f e r u n g 1: §§ 1—69. 427 Seiten. 1957. DM 43,60 L i e f e r u n g 2: §§ 70—101. 270 Seiten. 1959. DM 27,20 B a n d I I , L i e f e r u n g 1: §§ 149—194. Im Druck Z i t i e r w e i s e : Fischer für §§ 16—69, 145—158. Klug für §§ 288—304, Schmidt für §§ 1—15, 70—83, 85—98, 100—144, 257—287. Schilling für §§ 84, 99, 159—256. Persönlichkeiten der Wissenschaft und der Praxis bearbeitete >rDer von namhaften Kommentar bedeutet eine sehr wesentliche Bereicherung der neuen aktienrechtlichen Literatur. In der bewährten übersichtlichen Anordnung des Stoffes bietet das Werk zu jeder einschlägigen Frage einen umfassenden überblick über den neuesten Stand der Rechtsprechung und des Schrifttums. Darüber hinaus enthält es im Rahmen der auf das wesentliche beschränkten Darstellung bei Zweifelsfragen selbständige wissenschaftliche Gesichtspunkte und dient damit der Fortentwicklung des Rechts. Der Kommentar wird einen hervorragenden Platz auf dem Gebiet des Aktienrechts einnehmen und in der täglichen Arbeit des Praktikers in Rechtsprechung und Wirtschaft ein außerordentlich wertvolles Hilfsmittel zur Lösung von aktienrechtlichen Problemen bilden." Industrie- und Handelskammer Detmold
Zivilprozeßordnung und Nebengesetze auf Grund der Rechtsprechung kommentiert von B e r n h a r d W i e c z o r e k , Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof. 7 Bände. Lexikon-Oktav. B a n d I : A l l g e m e i n e s , Z P O 1. B u c h 1. Teilband: §§ 1—107. VII, 837 Seiten. 1957. Halbleder DM 108,— 2. Teilband: §§ 108—252. 539 Seiten. 1957. Halbleder DM 76,— B a n d I I : Z P O 2. B u c h 1. Teilband: §§ 253—329. VI, 788 Seiten. 1957. Halbleder DM 100 — 2. Teilband: §§ 330—510c. 392 Seiten. 1957. Halbleder DM 56,— B a n d H I : Z P O 3 . - 7 . B u c h . § § 511—703 a. V, 915 Seiten. 1957. Halbleder DM 115,— B a n d I V : Z P O 8.—10. B u c h 1. Teilband: §§ 704—863. VI, 88T Seiten. 1958. Halbleder DM 115,— 2. Teilband: §§ 864—1048. 518 Seiten. 1958. Halbleder DM 75,— B a n d V : Nebengesetze. VII, 813 Seiten. 1957. Halbleder DM 106,— B a n d V I : Register.VIII, 577 Seiten. 1959. Halbleder DM 110,— B a n d V I I : Nachträge. In Vorbereitung „Das Hauptanliegen dieses Werkes besteht darin, einen überblick über die vielfältige und nicht einheitliche Rechtsprechung der Gerichte auf dem Gebiete des Verfahrensrechts zu geben. Den hierfür zu stellenden Anforderungen wird der Kommentar in jeder Hinsicht gerecht . . . Das Erläuterungswerk von Wieczorek ist für denjenigen, der sich einen vollständigen Überblick über die auf dem Gebiet des Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrechts aufgetauchten Streitfragen verschaffen will, unentbehrlich. Es gibt auf diesem Gebiet kein anderes Erläuterungswerk, das, wie dieses, bei den verschiedenen Bestimmungen auf alle Einzelheiten eingeht und zu jeder Frage die dazu ergangene Rechtsprechung der Gerichte aTier Rechtszüge in solch breitem Umfang mitteilt." Bundesrichter Kurt H. Johannsen, Karlsruhe, in: Juristische Rundschau
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vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Kelmer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.