120 62 17MB
German Pages 256 [300]
•• 1•
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/1802)
Herausgegeben sowie mit Einleitung und Anmerkungen versehen von
REINHARD LAUTH unter Mitarbeit von
PETER K. SCHNEIDER
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Alexis Philonenko gewidmet
INHALT
Einleitung. Von Reinhard Lauth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Zur Konstitution des nachfolgenden Textes . . . . . . . . . IX Zur Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Einige Hinweise zum Aufbau der vorliegenden Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXX Zur Textgestaltung ............................... XXXII Anmerkungen zur Einleitung ..................... XXXIII Zusätzliche Anmerkung (Ein Bericht Hans Christian Oersteds über Fichtes Vorlesung der „Wissenschaftslehre" im Februar und März 1802) ............... XXXVIII Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLI
Johann Gottlieb Fichte Darstellung der Wissenschaftslehre (1801 /1802) Einleitung ........................................ . Einleitung: Begriff der Wissenschaftslehre ........... . §. 1. Vorläufige Beschreibung des Wissens vermittelst einer Construktion desselben ...... . §. 2. Wort-Erklärungen ...................... . §. 3. Beschreibung der Wissenschaftslehre, als eines Wissens vom Wissen ................ . §. 4. Folgerungen ............................ . 1. Theil. Ueber das absolute Wissen ................. . §. 5. §. 6. §. 7. Formale und Wort-Erklärung des absoluten Wissens ................................ . §. 8. Real-Erklärung oder Beschreibung des absoluten Wissens ......................... .
3 9 9 13 13 15 19 19 19 20
22 VII
Inhalt §. 9.
Beschreibung der absoluten Form des Wissens................................. §. 10. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §.11. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. 12. Vereinigung der Freiheit und des Seyns im Wissen.................................. §. 13. Fortsetzung derselben Untersuchung . . . . . . §. 14. WortErklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. 15. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [16]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [17]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [18]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §.[19]. ......................................... §. [20]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [21]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [22]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PopulärAnhang zum ersten, u. Vorrede zum zweiten Theile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 27 29 31 33 36 37 47
51 55 62 63 67 79 90
ZweiterTheil..................................... §.[1]. ......................................... §. [2]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [3]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [4]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §. [5]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §.[6]. SynthesisE.............................. §. [7]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §.[8]. .........................................
101 101 116 129 144 157 168 183 194
Philosophische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
227
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243
VIII
EINLEITUNG
Von Reinhard Lauth
Zur Konstitution des nachfolgenden Textes Immanuel Hermann Fichte veröffentlichte 1845 erstmalig im II. Bande der von ihm herausgegebenen „Sämmtlichen Werke" 1 seines Vaters, S. 1-163, eine Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes unter dem Titel „Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801" mit dem Zusatz: „(Zum ersten Male gedruckt.)". Zu diesem Werk findet sich in den „Sämmtlichen Werken" nur in der „Vorrede des Herausgebers" ein kurzer Passus, der ein wenig Aufschluß über das Manuskript gibt, nach dem der Abdruck erfolgte: „Der unablässig umbildende und am wenigsten an der eigenen jeweiligen Gestalt haftende Geist des Urhebers [der Wissenschaftslehre] hatte reifere und bezeichnendere Formeln gefunden, um den Einen Grundgedanken auszusprechen, in dessen erschöpfender Entwickelung die Wissenschaftslehre besteht. Wir dürfen uns darüber [...] auf ,die Bestimmung des Menschen' (1799) und vornehmlich auf die hier zum ersten Male abgedruckte ,Darstellung der Wissenschaftslehre' vom J. 1801 berufen. Die letztere ist um so mehr hierin als urkundlicher Beleg zu betrachten, als sie zur Veröffentlichung bestimmt und ein Theil derselben (die 14 ersten §§.) schon zum Drucke ausgearbeitet war, während äussere Umstände die Vollendung verzögerten und unterbrachen. Entbehren dadurch die übrigen Theile dieses Werkes auch die Klarheit und scharfe Bestimmtheit der Darstellung, welche der erste Theil zeigt, so kann doch kein Zweifel bleiben über den wahren Sinn des Ganzen und über die charakteristischen Grundbestimmungen des Idealismus, der hier vorgetragen wird." Diese Angaben 1. H. Fichtes müssen als ungenau und irreführend bezeichnet werden. Der Terminus „urkundlicher Beleg" verführt zu der Annahme, daß die gedruckte „Darstellung", etwa von Orthographie und Interpunktion abgesehen, wortgetreu das Fichtesche Manuskript IX
Reinhard Lauth
wiedergebe. Tatsächlich aber hat I.H. Fichte das Werk von § 15 an grundlegend verändert und auf etwa zwei Drittel der Textmenge reduziert, indem er ganze Partien ausließ, andere in eine neue Gliederung brachte, wieder andere Abschnitte gedanklich neu faßte und zahlreiche sonstige Veränderungen am Text vornahm. Auch ein Teil des Paragraphen 15 gehört noch zu der zum Druck bestimmten Fassung, die übrigens nicht mit dem Ersten Teil dieser Wissenschaftslehre zusammenfällt, sondern mit jener Einleitung, die den Begriff der Wissenschaftslehre entwickelt, und mit einem Teil des Ersten Teils, der über das absolute Wissen handelt. Die nachfolgende Darstellung der wahren Textlage und der authentische Text in der Wiedergabe werden alles dies zur Genüge deutlich machen. Das Manuskript Johann Gottlieb Fichtes, dessen Wiedergabe der im 2. Bande der Sämmtlichen Werke abgedruckte Text sein soll, befindet sich heute als Ms. III,2 im J.G. Fichte Nachlaß der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin. Dieses Ms. III, 2 besteht z. Zt. aus 121 Blatt weißen Papiers, die in einem später von fremder Hand angelegten Umschlag liegen. Es bestand bei der Archivierung aus 122 Blatt; 1 Blatt ist z. Zt. als verloren zu betrachten. Das unter der Ziffer III, 2 zu einer Einheit zusammengefaßte Manuskript besteht aber in Wirklichkeit aus drei verschiedenen Teilen. 1. Der Hauptteil besteht zur Zeit aus 22 Paaren jeweils ineinandergelegter Halbbogen und zwei Blättern ( = z) (ursprünglich 1 Halbbogen und 1 Blatt), die von Johann Gottlieb Fichte mit den kleinen Buchstaben des Alphabets (bis z einschließlich} gekennzeichnet sind. Von diesem Teil, der mit dem Bogen c beginnt, fehlen die beiden ersten Bogen a und b. 2. Der unter 1. charakterisierte Hauptteil ist hinter dem Bogen i um 2 Blätter und einen Bogen erweitert, die von Fichte selbst auf BI. 49r am Rande mit den Worten angekündigt sind: „Hier folgen zwei einzelne Blätter 1 u. 2. u. ein Bog. 3. - die sehr wichtig sind". In der Tat sind diese Blätter auch von Fichte mit „l.)." und „2.)" und der Bogen mit „3.)." entsprechend der Anzeige gekennzeichnet (Bl. 50-55). - An diese Blätter und den Bogen schließt sich noch ein weiteres Paar ineinanderliegender Halbbogen an, das in der oberen Ecke noch X
Einleitung
zusammenhängt und von Fichte mit der Ziffer „1.)." und der Überschrift „PopulärAnhang zum ersten, u. Vorrede zum zweiten Theile" versehen ist (Bl. 56-59). Dieser vom Ersten zum Zweiten Teile überleitende Text endet auf der Rückseite des vierten Blattes (Bl. 59v) mitten im Satz, so daß anzunehmen ist (was sich, wie im folgenden dargelegt wird, auch bestätigt), daß die Fortsetzung fehlt. 3. Vor dem mit „c." gekennzeichneten Bogen des unter 1. beschriebenen Hauptteils fmdet sich ein Manuskriptpart, dessen Seiten von 1-46 durchnumeriert sind. In· diesem Teil fehlen allerdings die Seiten 19-22, also 2 Blatt bzw. ein Halbbogen, die ihm offenbar entnommen worden sind. Der ganze Part besteht aus 4 Paaren ineinandergelegter Halbbogen; nur die Blätter 9 und 10, zwischen denen, wie gesagt, 2 Blätter fehlen, sind Einzelblätter; nach Bl. 18, dem letzten Blatt der 4 genannt< n Paare, folgt ein einzelnes Blatt (Bl. 19) und ein Doppelblatt (20 und 21). Die Blätter llr und 15r sind in der linken oberen Ecke von Fichte mit den Ziffern „4)" und „5)" bezeichnet, während bei lr, Sr und 9r die entsprechende Bezifferung fehlt. Die derzeitige Verfassung des Ms. III, 2 erklärt sich aus mehreren Umständen. Der zuvor unter 2. aufgeführte Teil des Manuskripts ist nur als Ergänzung bzw. Weiterführung des unter 1. beschriebenen Hauptteils anzusehen. (Wir bezeichnen ihn im folgenden mit E.) - Der Hauptteil (1.) stellt das Vorlesungsmanuskript Fichtes dar, von dem allerdings die beiden ersten Bogen fehlen. Er ist sorgfältig ausgearbeitet, allerdings nicht in Reinschrift für den Setzer geschrieben, stellt jedoch sicherlich nicht die erste Fassung der Vorlesung dar. Blatt 122 (von z) ist später verloren gegangen. In diesem Text wendet sich Fichte an Hörer und spricht von verschiedenen Vorlesungsstunden. - Der im vorhergehenden unter 3. aufgeführte Textteil (Bl. 1-21), dem ein Halbbogen (S. 19-22) schon vor der Archivierung entnommen wurde, stellt eine zur Vorlage für den Setzer bestimmte Überarbeitung des vom 1. Teil fehlenden Anfangs (d.i. der Bogen a und b) dar, die nicht fortgeführt worden ist. Fichte wendet sich in dieser Überarbeitung an Leser. - Das Vorlesungsmanuskript (Teile 1und2 nach unserer Beschreibung) wird also ursprünglich genau aus einem XI
Reinhard Lauth
Alphabet bestanden haben, von dem die Bogen a und b in der Folge von Fichte selbst durch die Überarbeitung (Teil 3) ersetzt worden sind. Es ist nicht mit Sicherheit auszumachen (aber als wahrscheinlich anzunehmen}, ob das Vorlesungsmanuskript genau da einsetzt, wo das Manuskript für die Publikation abbricht. So, wie das Ms. IIl,2 vorliegt, ist es unvollständig. Es fehlen in demfor den Druck bestimmten Teil 2 Blatt, die (Fichteschen} Seiten 19-22. Dieser Text bricht auf BI. 20v ab. Auch wenn man annimmt, daß das Vorlesungsmanuskript genau an das für den Druck bestimmte Manuskript anschließt, fehlen diesem das BI. 122 und von E dasjenige, was an BI. 59v anschloß. Man müßte sich also mit einem unvollständigen Text begnügen, wenn nicht eine weitere Quelle zur Verfügung stünde in der Form einer vom jungen Immanuel Hermann Fichte angefertigten Abschrift des Ms. IIl,2 (und von Teilen des Ms. IIl,3, das Vorarbeiten zum Ms. IIl,2, Vorlesungsteil, enthält), die sich ebenfalls im J. G. Fichte Nachlaß der Deutschen Staatsbibliothek (Ms. VI,2,a.) befindet. 2 In dieser Abschrift trägt die Wissenschaftslehre den Titel: „Ausarbeitung der 18 gelesenen Wissenschaftslehre."s In ihr finden sich die im Ms. IIl,2 fehlenden Partien, zudem noch eine „Einleitung", die ebenfalls zu dem für den Druck bestimmten Teil gehört zu haben scheint. Ein Vergleich dieser Manuskripte mit dem von 1. H. Fichte in den SW veröffentlichten Texte offenbart nicht nur das ganze Ausmaß der Kürzungen und Veränderungen, die 1. H. Fichte an der Handschrift seines Vaters vorgenommen hat; sie läßt auch erkennen, daß 1. H. Fichte seine Absch nicht zur Verfügung stand, als er den Text für die SW herstellte. So finden wir andere Lesarten und Interpretationsfehler, die in Absch vermieden sind. Die frühe Abschrift erwies sich im Vergleich mit dem Originalmanuskript als sehr genau. Nur in den ersten Paragraphen hat 1. H. Fichte versucht, die in Fichtes Manuskript für den Druck an Leser adressierten Passagen wieder auf Hörer umzustellen. Sonst finden sich nur unerhebliche orthographische und stilistische Adaptationen und Veränderungen der Interpunktion. XII
Einleitung Ziemlich genau ist die Textwiedergabe in den SW, wie schon gesagt, nur bei dem für den Druck bestimmten Teil. (Der Sohn hat im Originalmanuskript seines Vaters die geringfügigen Veränderungen unglücklicherweise mit einer Tinte angebracht, die die gleiche wie die seines Vaters ist.) Aus dieser Erkenntnis kann gefolgert werden, daß der Text der fehlenden Seiten 19-224 ziemlich genau der Text des Originalmanuskripts ist, was auch durch einen Vergleich mit der entsprechenden Passage in Absch bestätigt wird. Auf Grund der beschriebenen Sachlage war es jedenfalls möglich, den gesamten Text der Wissenschaftslehre von 1801/02 wiederherzustellen. Von den Seiten 19-22 abgesehen, die durch den Text SW II, 14-16 ersetzt wurden, konnten alle fehlenden Partien aus der Absch entnommen werden. Der somit in diesem Bande vorgelegte Text setzt sich wie folgt zusammen: Einleitung: Absch. Begriff der Wissenschaftslehre (§§ 1-5): Ms. III, 2, Bl. 1-8. Erster Theil. Ueber das absolute Wissen (§§ 6-[22]): Ms. III,2, Bl. 9; SWII,14-16; Ms. III,2, Bl.10-54. PopulärAnhang zum ersten, u. Vorrede zum zweiten Theile: Ms. III, 2, Bl. 56-59; Absch. Zweiter Theil: (§. [1]-[8]): Ms. III,2, Bl. 60-121; Absch. Es kann ohne Übertreibung gesagt werden, daß damit der Text der ersten vollständigen Wissenschaftslehre von Fichtes Hand erstmalig in einer wissenschaftlich vertretbaren Form der Öffentlichkeit zugänglich wird. Denn 1. H. Fichtes Neukomposition auf Grund der fragwürdigen Voraussetzung, daß dem Vorlesungsmanuskript „Klarheit und scharfe Bestimmtheit der Darstellung" abgingen, unterschob eigene Interpretationen und selbst Darlegungen den authentischen Ausführungen seines Vaters. 5
Zur Entstehungsgeschichte Die vorliegende Ausarbeitung der Wissenschaftslehre stellt in ihrem Hauptteile die Handschrift einer Vorlesung von Fichtes Hand dar. Der Titel „Ausarbeitung der 1801 gelesenen Wissenschaftslehre", den die Abschrift Immanuel Hermanns XIII
Reinhard Lauth
trägt, gibt sehr genau den Charakter der vorliegenden Handschrift für die Vorlesung wieder. Ein ursprünglich für den Vortrag der Wissenschaftslehre entworfener Text wurde anschließend von Fichte sorgfältig ausgearbeitet. Fichte legt ein straff durchkomponiertes, höchst kunstvolles systematisches Ganzes vor; nirgendwo ist der Text unbestimmt oder abgebrochen; es fehlt nur noch an der stilistischen Konzision, die den für den Druck bestimmten Teil auszeichnet. In den SW lautet der Titel „Darstellung der Wissenschaftslehre", und das ist auch die Bezeichnung, deren Fichte sich vorwiegend bedient, wenn er von dem zu veröffentlichenden Werk spricht. Es fragt sich nun, wann diese Ausarbeitung bzw. die angefangene Darstellung der Wissenschaftslehre geschrieben worden ist. Die Ziffer 1801 im Titel von Imm. Hermann Fichtes Abschrift ist verbessert und mit den Worten „Ausarbeitung der gelesenen" durchstrichen; so wie sie jetzt geschrieben steht, könnte man auch 1811 lesen. Sucht man sich in Fichtes Briefwechsel und in Äußerungen seiner Zeitgenossen in dieser Frage Klarheit zu verschaffen, so findet man zwar ein im Winter 1800/01 gelesenes „Privatissimum" und eine im Winter 1801/02 gehaltene 6 „Vorlesung" über die Wissenschaftslehre, aber keine Vorlesung, die während des Jahres 1801 gehalten worden wäre. Am 9. Juni 1800 schreibt Fichte Schelling, „ein reicher Mann" läge ihm an, „ihm ein Privatissimum zu lesen". 7 Nach Mitteilung von 1. H. Fichte war dieser Mann ein Bankier Levi. Er schreibt in den „Briefen an Rudolph Köpke" 8 : „Der erste Vortrag dieser Art [cf. über die Wissenschaftslehre], ein privatissimum, galt einem damals sehr geachteten und gebildeten jüdischen Banquier, Namens Levi". Es handelt sich um Salomon Moses Levy (Levi, Levin), einen der auch in der Folge eifrigsten Hörer Fichtes in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts in Berlin. Es scheint, daß Levy nach dem Ansuchen noch einmal verreiste, so daß der Unterricht erst im Herbst 1800 zustandekam. Jedenfalls schrieb Fichte am 21. Oktober desselben Jahres an Andreas Reimer: „Jezt bin ich, durch die Ankunft eines, dem ich ein Privatissimum über die Wissenschaftslehre lese, über diese gerathen. " 9 Am 15. November 1800 teilte Fichte Schelling mit: „Ich habe [...] mit 3. Collegien, alle XIV
Einleitung
Hände voll zu thun diesen Winter". 10 Doch als Schelling, der diese Nachricht als sensationell empfand, zurückschrieb: „Ich kann Ihnen nicht genug sagen, wie sehr es inich freut, Sie diesen Winter wieder in dem Wirkungskreis zu sehen, den Sie sonst so herrlich erfüllt haben. Ich möchte sagen: das ist eine Epoche in der äußern Geschichte der Philosophie, daß Fichte seine Philosophie in Berlin vorträgt", 11 antwortete Fichte am 27. Dezember: „Nein, öffentlich lesen thue ich nicht. Die hiesigen Gelehrten machten niederträchtige Cabalen, und die andringenden Lehrbegierigen benahmen sich ungeschikt; inir lag nichts daran, und so ist es unterblieben. Nur zwei Privatisten habe ich." 12 Es ist bekannt, daß Christoph Friedrich Nicolai und dessen Verblindete sich einer öffentlichen Vorlesungstätigkeit Fichtes widersetzten. Der Philosoph, der nach seiner Entlassung von der Universität Jena in Berlin Zuflucht gefunden und wertvolle Beziehungen aufgebaut hatte, mußte immer noch vorsichtig sein, dainit er nicht des Landes verwiesen wurde. Fest steht jedenfalls, daß es zu keiner Vorlesung, sondern nur zu einem Unterricht für „zwei Privatisten" kam. Daß Fichte zu dieser Zeit nicht öffentlich las, bestätigt auch ein Schreiben Jean Paul Richters an Christian Otto vom 24. Dezember 1800: „Fichte seh' ich nicht," heißt es da, „er las nie hier" 13; und seinem Freunde Friedrich Heinrich Jacobi teilte Richter init: „Fichte lebt [...] ohne die jenensischen Studenten-Karyatiden, einsam und stumm."14 Von einer Vorlesung hören wir dann erst wieder Ende November 1801. Fichte fragt bei dem Verleger Cotta an, wann er init dem Erscheinen der zweiten Auflage seiner „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre" rechnen könne; „einige Frde,15 die bei inir darüber hören, haben sie nicht bekommen können." Ende des Jalires meldet das Intelligenzblatt der „Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek": „Herr Prof. Fichte hat in einem gedruckten Blatte bekannt gemacht, daß er, vom Anfange des Februars an, täglich, Mittwochs ausgenommen, über die Philosophie lesen wolle. "16 Derartige gedruckte Einladungen ließ man in Berlin, das ja noch keine Universität hatte, durch Freunde und Bekannte an Interessenten verteilen. übereinstimmend init dieser Ankündigung meldet August Wilhelm Schlegel Goethe am 19. Januar 1802: XV
Reinhard Lauth
„Fichte ist wohl, und will mit dem Februar anfangen auf zwey Monate lang, täglich in seinem Hause vor nur zwanzig Zuhörern Vorlesungen zu halten." 17 Am 2. März lehnt Fichte es in einer Antwort an den Redakteur der Erlanger „LitteraturZeitung", Mehmel, ab, Rezensionen zu schreiben, da er ausschließlich an der neuen Darstellung der Wissenschaftslehre arbeiten wolle. „Sobald die Handschrift jener neuen Darstellung (über die ich gegenwärtig vor fremden Adelichen, Doktoren, und einheimischen Bankiers, GeheimenRäthen, u. s. f. lese) aus meinen Händen seyn wird, werde ich an Sie schreiben, und melden, was ich etwa in Ihre LitteraturZeitung arbeiten könnte. " 1 s Ende des Jahres 1802 besuchte Hans Christian Oersted aus Kopenhagen Johann Jakob Wagner in Salzburg. Wagner berichtet davon: „Er kam von Berlin, wo er bei Fichte ein privatiss. gehört hatte. Fichte bleibt halsstarriger als je bei seiner Wissenschaftslehre, behauptet, daß ihn Schelling nie verstanden habe, und daß er Hegels Differenz nicht zu lesen brauche. Oersted trug tiefe Spuren der Gewalt, die Fichtes Geist über ihn geübt hatte. "19 Im J. G. Fichte-Nachlaß der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin befindet sich ein Ms. (II,4), das unter dem Titel „Über Wissenschaftslehre 1802." aufgeführt ist. Tatsächlich handelt es sich um einen Kommentar zu Ernst Platners „Philosophischen Aphorismen" 20 und um Aufzeichnungen für ein Conversatorium, deren Gedankengang mit dem. Anfang der von Imm. Herrn. Fichte edierten Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1801 parallel geht. 21 Auf Bl. 1 r steht in der linken oberen Ecke: „1802. Jänner". 22 Auf dieser Seite kommentiert Fichte Platners § 649. Die Kommentierung hatte aber schon mit dem § 142 begonnen; die Blätter des Manuskripts sind nur von der Bibliothek falsch gezählt. Man muß also folgern, daß Fichte den Platner-Kommentar schon vor dem Januar 1802 begonnen hat. Nun hatte Fichte die Gewohnheit, Platners „Philosophische Aphorismen" in einer Reihe von Vorlesungsstunden zu erläutern und diese Kommentierung als Einführung in die Wissenschaftslehre zu benutzen. Es legt sich also der Gedanke nahe, er könnte auch vor der Vorlesung über die Wissenschaftslehre im Winter 1801/02 einleitend Platners Buch kommentiert haXVI
Einleitung
ben. Dann ergäbe sich folgendes Resultat: Die Fremden (bzw. Freunde), die bei Fichte seiner Mitteilung an Cotta vom November 1801 zufolge Wissenschaftslehre hörten, 2 3 waren zunächst Hörer einer Einführung in die Wissenschaftslehre in Form einer Erörterung von Aphorismen Platners. Auf die Einführung sollte dann die Vorlesung über die Wissenschaftslehre selbst folgen. Mit Beginn des Januar 1802 stand Fichte noch mitten in der Einführung. Möglicherweise war die Zahl derer, die die Wissenschaftslehre zu hören wünschten, inzwischen angewachsen. Fichte entschloß sich, die eigentliche Vorlesung der Wissenschaftslehre durch eine gedruckte Anzeige (die nicht mehr vorliegt) anzukündigen. Das Datum wurde auf Anfang Februar festgesetzt. Es kam dann zu der Vorlesung vor zwanzig Hörern, von der Schlegel berichtet, 24 vor „fremden Adelichen, Doktoren, und einheimischen Bankiers, GeheimenRäthen u.s.(", wie Fichte sie in seinem Brief an Mehmel aufführt. 25 Es kann aber auch sein, daß Fichte schon im Herbst jenen „einigen Fremden" (bzw. Freunden), von denen er Cotta schreibt, Wissenschaftslehre in einem Privatissimum gelesen hat. Der Titel der Abschrift lautet ja „Ausarbeitung der 1801 gelesenen Wissenschaftslehre". Wenn mit „ 1801" nicht nur der Zeitraum vom Beginn im Herbst dieses Jahres an bezeichnet sein soll, so müßte Fichte schon einmal im Jahre 1801 diese Wissenschaftslehre vorgetragen haben. Sieht man, wie man angesichts der Verfassung des Fichteschen Manuskripts, das sorgfältig geschrieben ist und sicherlich keine erste Fassung darstellt, wohl muß, die Handschrift des Teils, der sich an die Hörer wendet (also des Alphabets), als die Ausarbeitung der Vorlesung an, so legt sich der Gedanke nahe, daß Fichte sein Konzept erst nach Abhaltung der Vorlesung in eine zweite Fassung gebracht hat. Dies könnte dann frühestens nach der präsumtiven Herbstvorlesung von 1801 geschehen sein, falls diese Vorlesung aber nur in der Kommentierung der Platnerschen „Philosophischen Aphorismen" bestand, erst zu den entsprechenden Vorlesungen im Februar und März 1802, im ersten Falle also erst von Dezember 1801 (und dann wahrscheinlich fortgehend in den ersten Monaten des Jahres 1802), im zweiten Fall von Februar oder März 1802 an. XVII
Reinhard Lauth Nun gibt es ein Indiz für diese Datierung der eigentlichen Ausarbeitung („eigentlichen" im Sinne der Ausfeilung) auf den Anfang des Jahres 1802. Auf Bl. 84r findet sich nämlich am Rande die Notiz „D. 29. Merz an Perret. 5 Bogen". Tatsächlich war Claude-Camille Perret, ein Franzose aus Dijon, der 1794 in Jena bei Fichte Wissenschaftslehre studiert hatte und nachher Privatsekretär des Generals Napoleon Bonaparte geworden war, zu dem genannten Zeitpunkt (29. 3. 1802) in Berlin, wo Fichte ihm die erwähnten Bogen gegeben haben wird. Auf Bl. 84r befindet sich Text des 4. Paragraphen des Zweiten Teils der Darstellung der Wissenschaftslehre. Fichte war also schon weit in der vorliegenden Ausarbeitung fortgeschritten, wenn man annimmt, daß die Randbemerkung bei Abfassung des Textes geschrieben wurde. Das spricht dafür, daß wir es bei dem Alphabet entweder mit der in den ersten Monaten des Jahres 1802 erfolgten präzisen Ausarbeitung einer Vorlesung der Wissenschaftslehre aus dem Herbst 1801 oder, wahrscheinlicher, mit der Fassung zu tun haben, die Fichte aus Anlaß der Vorlesung vom Februar/März 1802 herstellte. Dann fällt die „Ausarbeitung" des „Alphabets" in die ersten Monate des Jahres 1802, und die Reinschrift für den Drucker bis zum Paragraphen 15 wohl in einen noch etwas späteren Zeitraum, da sie ja ihrerseits die Vorlesungsfassung (das „Alphabet") ersetzt. In diesem Falle aber trägt diese Wissenschaftslehre zu Unrecht das Datum 1801. Es handelt sich vielmehr um eine Ausarbeitung der Wissenschaftslehre aus dem Winter 1801/02 oder aus dem Jahre 1802. Natürlich betrifft diese Datierung nur die vorhandene präzise schriftliche Ausarbeitung, nicht das (nicht mehr vorliegende) erste Konzept und die erste Fassung der Vorlesung selber, welch letztere, wie aus dem zuvor Gesagten ersichtlich, als Privatissimum auch im Herbst 1801 stattgefunden haben kann. Fichte hat nach seinem Weggang von Jena ursprünglich daran gedacht, die von ihm für seine Jenaer Vorlesungen in Heften ausgearbeitete Wissenschaftslehre nova methodo zu veröffentlichen. 26 Er wollte die Fassung in den Heften im Winter 1799/1800 für den Druck überarbeiten. Das Privatissimum für Levy, das schließlich im Herbst 1800 zustandekam, XVIII
Einleitung
veranlaßte ihn im Oktober 1800, nach Beendigung der BardiliRezension, 27 sich an eine „Neue Bearbeitung der W.L."2s zu machen, bei der es sich schon gleich zu Anfang herausstellte, daß sie zu einer neuen Fassung der Wissenschaftslehre führen und nicht mehr eine Endredaktion der WL nova methodo sein würde. Doch auch die Neue Bearbeitung blieb liegen; Fichte verfaßte eine polemische Schrift gegen Nicolai 29 , mußte den „Sonnenklaren Bericht" 3 o zuendeschreiben und dann öffentlich gegen Reinhold auftreten. 31 Auch kamen verlegerische Schwierigkeiten dazwischen. Fichte, der die neue „Darstellung der Wissenschaftslehre" zur Oster- oder Jubilatemesse 1801 bei Cotta herausbringen wollte, wünschte zuvor eine Subskription, damit man ermessen konnte, wie hoch die Auflage zu veranstalten wäre. Cotta wendete ein, der Termin sei zu kurz, um die Subskriptionsanzeige in entfernte Gegenden wie Ungarn und Siebenbürgen zu senden und von dort noch rechtzeitige Antwort zu erhalten; die Auflage ließe sich also, wenn man am Ostertermin festhielte, „nicht nach der Subscribenten Anzahl reguliren". 32 Cottas Mitteilungen decouragierten Fichte in Hinsicht auf den Verlag. Am 9. Mai schreibt er Cotta: „Ich denke, es ist in buchhändlerischer Rücksicht Zeit genug, wenn die neue Darstellung der Wissenschaftslehre, nachdem. sie zu Ostern einmal nicht erscheinen konnte, zur MichaelisMesse erscheint. [... ] Aber wie steht es mit der Subscription? - Es scheint in der That, [... ] daß man im großen Publikum sich keinen Begriff macht, was ich mit diesem Buche eigentlich will. Und da mag es warten auch länger als Michaelis 1801. "33 Doch nicht nur die Verlagsfrage verzögerte das Erscheinen der neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Im November 1800 hatte Fichte Schellings „System des transscendentalen Idealismus" gelesen und in einem Brief an Schelling 34 die zwischen diesem und ihm hervorgetretenen philosophischen Differenzen offen zur Sprache gebracht. Fichte führte diese vor allem darauf zurück, daß er das „System der intelligiblen Welt" noch nicht wissenschaftlich dargelegt habe; der Atheismusstreit habe ihn seinerzeit daran gehindert. „In diesem Systeme des Intelligiblen allein können wir uns über diese, und andere Differenzen durchaus verstehen, und vereinigen." „Ich XIX
Reinhard Lauth habe diese ausgedehntem Principien noch nicht wissenschaftlich bearbeiten können; die deutlichsten Winke darüber finden sich im dritten Buche meiner Best. d. Menschen. Die Ausführung derselben wird, sobald ich mit der neuen Darstellung der Wissenschaftslehre fertig bin, meine erste Arbeit seyn. "as Im Mai 1801 erhielt Fichte Schellings „Darstellung meines Systems der Philosophie" (im 2. Heft des II. Bandes der „Zeitschrift für spekulative Physik"), in der das Identitätssystem entfaltet war. Fichte erkannte bei der Lektüre nicht nur, daß Schellings „Misverständniß [s]eines Systems fortdauert[e]". 36 Schellings dogmatischer Ansatz oder auch schon die weitere intensive Beschäftigung mit der geplanten neuen „Darstellung der Wissenschaftslehre" müssen Fichte überzeugt haben, daß er die Ausführung des Prinzips der Geisterwelt in die neue Darstellung der WL hineinnehmen sollte. „Es fehlt der Wissenschaftslehre", schreibt er Schelling, „durchaus nicht in den Principien; wohl aber fehlt es ihr an Vollendung; die höchste Synthesis nemlich ist noch nicht gemacht, die Synthesis der GeisterWelt. Als ich Anstalt machte, diese Synthesis zu machen, schrie man eben Atheismus." 37 Fichte ließ den am 31. Mai 1801 geschriebenen großen Auseinandersetzungsbrief aber zunächst noch liegen und gab ihn erst am 7. VIII. August Wilhelm Schlegel mit, der nach Jena reiste. Am Ende des Briefes fügte er hinzu: „Ich muß es jezt Ihnen überlassen, ob Sie mit weitem Erörterungen Ihres Systems die Erscheinung meiner neuen Darstellung abwarten wollen, oder nicht. Daß ich meiner Sache sehr sicher bin, darf ich Ihnen wohl freimüthig sagen; theils um der innern Natur der Evidenz selbst willen; theils aus dem äussern Grunde, daß ich jezt wiederum beinahe ein ganzes Jahr nichts gethan habe, als von den verschiedensten Seiten und Wegen diese Untersuchungen anspinnen, und immer wieder, gegen Wissen, und Willen, auf dasselbe gekommen [bin], was in meiner, von mir durchaus vergessenen alten Darstellung vor 8. Jahren3 8 gefunden wurde: ferner, wegen der merkwürdigen Organisation des Ganzen." „Zu Michaelis wird meine neue Darstellung nun freilich wohl nicht erscheinen, aber doch zu NeuJahr. Ich habe die W.L. einige male wieder, und von einigen Seiten her, neu erfunden." 39 Entsprechend schrieb Fichte auch am XX
Einleitung
8. August Cotta: „Ich habe in der neuen Bearbeitung - eigentlicher, mehrmaligen neuen Erfindung der Wissenschaftslehre aus mehrem Mittelpunkten - soviel zu thun gefunden, daß ich nicht ohne einige Eilfertigkeit in dem Vortrage und Ausdruke den Druk bis zur MichaelisMesse besorgen könnte. Lassen wir es also lieber anstehen, so daß wir es mit der völligsten Reife, und Musse können. Gegen Ende des Jahrs wird sie gewiß erscheinen. Ungern 4 0 werde ich in diesen Tagen gleichfals davon benachrichtigen.'' Etwa Mitte Oktober erhielt Fichte Schellings Antwort4 1 auf seinen Brief vom 31. Mai/7. August, in der Schelling sich zum ersten Male auch der Argumente Hegels 42 gegen Fichte bedient. Am 28. November schreibt Fichte Cotta: „Die neue Bearbeitung der Wissenschaftslehre wird bis zur OsterMesse ohnfehlbar abgedrukt seyn. Ich habe schon bei Gelegenheit mit Hrr. Unger darüber gesprochen, und werde in diesen Tagen noch ganz bestimmte Abrede mit ilim nehmen. "43 Einen der Gründe für diese neuerliche Verschiebung berührt der Brief Fichtes an Schad vom 29. Dezember 1801: „W as Professor Schelling betrifft, [...] Ich hoffe, meine zu Ostern erscheinende neue Darstellung soll sein Vorgeben, daß er mein System, welches er nie verstanden hat, weiter geführt, in seiner ganzen Blöße darstellen. Es mag wohl seyn, daß seine Naturphilosophie, indem er darauf auszugehen scheint, die Erscheinung völlig zu vernichten44 , sich auf meine Metaphysik nicht bauen ließ. Und was soll man zu seinem neuen verklärten! - Spinozismus sagen, in welchem er glücklich das Absolute unter Quantitätsformen existiren läßt, wie es Spinoza freilich auch thut und aller Dogmatismus. Kann derjenige, der die wahre Quelle des ganzen Quantitätsbegriffes und mit ihm aller Mannigfaltigkeit so wenig kennt, jemals gewußt haben, was der kritische Idealismus sey? freilich hat Schelling dieses nie gewußt. Er gibt es nun deutlich an den Tag, daß er geglaubt, die Wissenschaftslehre leite das Ding von dem Wissen vom Dinge ab, und daß er ehemals mit seinem eigenen Idealismus es wirklich also gemeint [...]. Es hat mir großes Vergnügen gemacht[ ... ], zu ersehen, daß Sie, mein würdiger Freund, dieses V orurtheil, das ich nun beinahe für allgemein halten muß, nicht theilen. Meine neue DarstelXXI
Reinhard Lauth
lung, denke ich, wird demselben ein Ende machen. Sie wird zeigen, daß das Absolute (welchem eben darum, weil es das Absolute ist, kein Prädicat, nicht das des Wissens oder Seyns, ebenso wenig der Indifferenz beider, hinzuzufügen ist) zu Grunde gelegt werden müsse: daß dieses in sich selbst als Vernunft sich äußere, sich quantitire, in Wissen und Seyn sich spalte und in dieser Gestalt erst zu einer ins Unendliche verschiedenen Identität des Wissens und Seyns werde. Erst auf diese Weise kann das ~v xcxt 7t~V feststehen, aber nicht so, wie bei Spinoza, daß er das E:v verliert, wenn er zum 7t~v kommt, und das 7t~V, wenn er das E:v hat. Nur die Vernunft hat das Unendliche, weil sie das Absolute nie fassen kann; und nur das Absolute, das aber nie, außer formaliter, in die Vernunft eintritt, ist das Eine, durchaus nur qualitative, nie quantitative". 45 Am 15. Januar schreibt Fichte Schelling selbst, in dem letzten Brief, den er demselben sandte: „Ihr Seyn, und Ihr Wissen selbst sind [... ] nur in Relation, und Sie müssen, da Sie von beiden wissen, und reden, beides durch ein höheres erklären, von dem Sie eben auch wissen müssen.. und Ihr System ist in Beziehung auf das absolute nur negativ, wie Sie das meinige so nemlich wie Sie es verstehen, - beschuldigen; und das Ihrige erhebt sich eben nicht zum GrundReflexe, und drum glauben Sie, daß das meinige[ ... ] auf dem Re/lexionsPunkte stehen geblieben. Es giebt ein relatives Wissen, Nebenglied vom Seyn. Unter diesem relativen Wissen giebt es freilich wieder ein anderes Seyn. In dem Standpunkte dieses Wissens haben Sie nun immer meine Wissenschaftslehre gefunden.. Das Nebenglied dieses Wissens ist das höchste, und eben darum absolute, Seyn, - Seyn, sage ich. Zu dem Begriffe dieses Seyns glauben Sie nun über die W.L. hinweg sich erhoben zu haben; und vereinigen nun die Nebenglieder, - nicht materialiter durch Einsicht, sondern formaliter, weil das Bedürfniß des Systems Einheit ist, nicht durch Anschauung (die ja etwas positives liefern müste,) sondern durch Denken, (das nur ein Verhältniß postulirt) - in eine negative Idendität d.i. NichtVerschiedenheit des Wissens u. Seyns, in einen IndifferenzPunkt u. s. w. Aber sehen Sie vor der Hand z.B. das absoluteste Seyn, das Sie aufstellen mögen, nur darauf an, so finden Sie in ihm das deutliche MerkXXII
Einleitung
mal einer Zusammensetzung, die begreiflich nicht ohne Scheidung vorgegangen seyn kann; daher Sie auch ganz richtig aus diesem Seyn das (relative) Wissen und aus diesem Wissen wiederum das Seyn ableiten. Des gleichen finden Sie im relativen Wissen auch. - Ihr Punkt liegt also allerdings höher, als der im relativen Wissen, den Sie der W.L. zuschreiben [... ]. Aber es giebt einen noch höhem, in welchem eben das Seyn, und sein Nebenglied Wissen erst, sowohl geschieden, als zusammengesezt wird; dieser Punkt ist eben auch ein Wissen {nur nicht von etwas, sondern das absolute) und in diesem hat die W. L. stets gestanden und ist eben darum transscendentaler Idealismus, und ihn unter anderm durch den Ausdruk des Ich, in welchem erst das Ich - versteht sich das relative - und das Nicht-Ich geschieden wird, angedeutet. - Dies wollte ich auch in einem frühem Briefe zu verstehen geben, in dem ich sagte, das absolute der Philosophie, versteht sich, bleibe doch immer ein Sehen. Sie erwiderten, es könne kein Sehen von Etwas seyn, was denn sehr richtig ist, ich auch nicht vermeinte [...]. So ergeht es Spinoza. Das Eine soll Alles {bestimmter, das Unendliche, denn es giebt hier keine Totalität) seyn, und umgekehrt; was denn ganz richtig ist. Aber wie das Eine zu Allem, und das All zu Einern werde - den Uebergangs- Wendeund realen IdenditätsPunkt derselben kann er uns nicht angeben, daher hat er das Eine verlohren, wenn er aus dem All greift, und das All, wenn er das Eine faßt. Drum stellt er auch die beiden Grundformen des Absoluten, Seyn, und Denken, eben ohne weiteren Beweiß hin, wie Sie eben auch, - durch die W.L. keinesweges berechtigt, thun. - Aber es scheint mir an sich klar, daß das Absolute nur eine absolute, d.h. in Beziehung auf Mannigfaltigkeit, durchaus nur Eine, einfache, sich ewig gleiche, Aeusserung haben kann; und diese ist eben das absolute Wissen. Das absolute selbst aber ist kein Seyn, noch ist es ein Wissen, noch ist es Idendität, oder Indifferenz beider: sondern es ist eben - das absolute - und jedes zweite Wort ist vom Uebel. [...] Sollten die hingeworfuen Winke Ihrer Aufmerksamkeit nicht ganz unwerth scheinen; oder sollte die vortheilhafte Meinung von mir, daß ich, da Sie mir selbst zugestehen, daß ich, - dies mein Zurükbleiben abgerechnet, ehemals doch ganz erträgliche Sachen vorgebracht, jezt ein XXIII
Reinhard Lauth Jahr unbefangner Arbeit und Untersuchung nicht durchaus verlohren haben möchte, einiges Gewicht für Sie haben, so wünschte ich wohl, daß Sie sowohl als Hegel über diesen Streitpunkt nicht weiteres Aufheben, und dadurch, wie ich glaube, die Misverständnisse nicht zahlreicher machten; bis meine neue Darstellung erschienen ist, die zu Ostern erscheinen wird. Ich habe - nicht etwa aus Schonung gegen Sie, ich bin nicht so kleindenkend, um zu glauben, daß Sie derselben bedürfen, - sondern um Anstoß zu vermeiden, über diesen Punkt, den ich allerdings erörtern muß, gar nicht Sie, sondern lediglich Spinoza zu meinem Gegner zu machen; und es wird dann von Ihnen abhängen, fortzufahren, oder einzulenken, wie Sie selbst es gut gethan finden. "47 Aus alledem geht hervor, daß Schellings System (und vor allem dessen Stellungnahme zu Fichtes Kritik in seinem großen Brief vom 31. Mai/7. August) Fichte veranlaßt hat, die neue Darstellung der Wissenschaftslehre in Auseinandersetzung mit dem System der Identität und mit Hegels Argumenten, wie sie u. a. in Schellings Brief vom 3. Oktober vorgetragen werden, zu schreiben, wenn auch ohne Schelling beim Namen zu nennen. Auch finden sich die Argumente in Fichtes Brief vom Oktober 1801/15. Januar 1802 an Schelling in unserer Wissenschaftslehre wieder. Man vergl. z.B. die Ausführung im Brief vom 15. Januar 1802 über die Einheit, in welcher Sein und Wissen Nebenglieder sind: „ein Wissen (nur nicht von etwas, sondern das absolute)" mit der Stelle in § 7 (II, 14/15): „Es ist nicht ein Wissen von Etwas, [... ] sondern es ist das Wissen (absolut qualitativ). [... ] (Dass man diesen Purret übersah, darin lag der Grund, warum man die Wissenschaftslehre als auf einem Reflectir-Puncte hangen geblieben erblickte, und einen Standpunct über ihr eingenommen zu haben glaubte, der doch tief unter der wirklichen Wissenschaftslehre liegt.)" Eben an dieser Stelle hat Immanuel Hermann Fichte in seiner Veröffentlichung eine Fußnote, für die sich weder in seiner frühen Abschrift, noch in Fichtes Originalmanuskript ein Beleg findet: „Am Rande wird vom Verfasser bemerkt, dass dies (in der letzten Redaction des Werkes) ,nur problematisch auszudrücken sey."' (SW II, 15.) Dies könnte auf einer Seite des nicht mehr vorliegenden Teils des XXIV
Einleitung
Vorlesungsmanuskripts (Bogen a) gestanden haben. Bezeichnend ist aber, daß in dem Druckmanuskript die kategorische Aussage gebraucht wird. Man muß wohl daraus schließen, daß Fichte bei Abfassung der betreffenden Passage des § 6 der (Alphabet-) Redaktion (oder noch früheren Redaktion) der Vorlesung noch daran gedacht hatte, Schelling zu schonen, ja dessen Philosophie als eventuell nur vorübergehend verirrte Transzendentalphilosophie zu behandeln. Es ist aber nicht anzunehmen, daß dies nach dem Februar 1802 geschah, als der Bruch endgültig geworden war. Daß Hegel in Fichtes Auseinandersetzung mit eingeschlossen ist, dafür spricht, daß Fichte, dem wohl die „Differenz"-Schrift und von Hegel stammende Artikel im „Kritischen Journal" bekannt waren, 4 8 von einer Mehrzahl der Gegner spricht, und zwar an Stellen, wo Reinhold nicht gemeint sein kann. (Schad wurde erst 1803 Anhän:.. ger Schellings; Friedrich Schlegel gab sich erst später als Gegner Fichtes zu erkennen. Auch wußte Fichte von Anfang 1802 an, daß Schelling zusammen mit Hegel die Beiträge des „Kritischen Journals" schrieb.) Übrigens kannte Fichte einige Argumente Hegels aus Schellings Brief vom 3. Oktober 1801, in dem sie letzterer sich zu eigen gemacht hatte. Fichtes wichtigstes Argument ist auch hier, daß das oberste Prinzip der Schellingschen und Hegelschen Philosophie eine „Synthesis post factum" ist, in der nur in einer „negativen Identität" „ein Verhältniß postulirt" wird. Man vgl. insbesondere die Stelle Bl. 48r, wo Fichte das Verhältnis von Differenz und Indifferenz in der absoluten Identität behandelt. Auf die von ihm mit Bezug auf die absolute Identität aufgeworfene Frage: „Ob denn die Absolutheit sich selbst vernichtet, um zur Relation zu werden?" antwortete er: „Dann müste sie ja eben absolut Nichts seyn, wie sie es denn in dieser Gestalt allerdings ist; der reine Widerspruch ist [...] ; daß sonach dieses System, statt absolutes IdentitätsSystem, absolutes NullitätsSystem heissen sollte." Der endgültige Bruch mit Schelling und die Erfahrungen beim erneuten Vortrag der Wissenschaftslehre von Anfang Februar 1802 an scheinen dann zum mindesten hinzukommende Ursachen zu dem Entschluß gewesen zu sein, die Darstellung der Wissenschaftslehre auf etwa die Hälfte zu kürzen. XXV
Reinhard Lauth Schon am 23. Januar, also noch bevor Fichte Schellings letzten Brief an ihn (vom 25. Januar) erhalten hatte, schreibt er an Cotta: „Der Druk der neuen Darstellung der Wissenschaftslehre wird im März angehoben, und das Buch nicht über 8-12. Bogen stark werden. Haben Sie die Güte, mir die Stärke der Auflage anzugeben. "49 Wollte Fichte nunmehr nur noch die Lehre vom absoluten Wissen (Teil 1 des Ms. III,2) herausgeben? Denn 8-12 Druckbogen entsprechen ungefähr einem halben Alphabet Fichtescher handgeschriebener Bogen. Am 2. März ist Fichte neben dem Vortrag noch vollauf mit der schriftlichen Bearbeitung für den Druck beschäftigt. So schreibt er dem Redakteur der Erlanger „Litteratur-Zeitung", Gottlieb Ernst August Mehmel, er sei entschlossen, „vor dem Erscheinen [s]einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, nichts andres, nicht nur zu arbeiten, sondern auch an eine andere Arbeit auch nicht zu denken", darum könne er keine Rezensionen übernehmen. „Sobald die Handschrift jener neuen Darstellung [... ] aus meinen Händen seyn wird, werde ich an Sie schreiben".so Doch beanspruchten Fichte die Vorlesungen und die z. T. scharfsinnigen Fragen und Einwände seiner Hörer so sehr, daß er Cotta am 2. April, also unmittelbar nach Schluß der Vorlesungen, meldete: „Die neue Darstellung der Wissenschaftslehre kann erst nach der Messe erscheinen. Ich habe Vorlesungen darüber gehalten, und so sehr diese neue Beschäftigung damit, der Sache selbst Nutzen bringen soll, so bin ich doch dadurch verhindert worden, die Handschrift für den Druk zu redigiren. " 51 Aus dieser Mitteilung ist zu entnehmen, daß die Anfertigung der Druckfassung irgendwann im März oder April abgebrochen wurde. Doch waren es nicht nur äußere Gründe, die Fichte zum Aufschub der Veröffentlichung veranlaßten. Mit der Vervollkommnung der Darstellung hatten sich neue Probleme ergeben, die erst später in der Wissenschaftslehre von 1804 ihre Lösung fanden. Am 17. August 1802 schreibt Fichte dem Verleger: „Den ganzen Sommer über habe ich von Monat zu Monat gehoft, den Druk meiner Darlegung der Wissenschaftslehre der wenige Bogen betragen wird (so wird der Titel lauten) anfangen lassen zu können. Aber nachdem ich 2. Jahre dieser wissenschaftlichen Angelegenheit aufgeopfert, habe ich
XXVI
Einleitung
auch ferner keiner Zeit schonen wollen, um diese Arbeit für die Ewigkeit sogleich in ihrer ganzen Vollkommenheit erscheinen zu lassen. Doch hoffe ich noch, daß es zur MichaelisMesse erscheinen soll. " 52 Tatsächlich nahmen diese Arbeiten noch das ganze Jahr 1802 und 1803 in Anspruch. Mitte 1803 schreibt Fichte Schiller: „Drei Jahre unabläßiger Arbeit an der Wissenschaftslehre, fast ohne alles lukrative Geschäft, bei der absoluten Unmöglichkeit, jene MeditationsReihe zu unterbrechen, wenn sie nicht ganz aufgegeben werden sollte, haben das Wenige, was uns [an finanziellen Mitteln] übrig geblieben, aufgezehrt; noch bin ich in denselben Meditationen befangen, und ich sehe höchst unangenehmen Störungen entgegen, wenn ich mir nicht noch gegen ein Jahr sorgenfreie Musse verschaffen kann." Und am Ende desselben Briefes: „Ich bin, wie gesagt, noch gänzlich befangen in der Wissenschaftslehre; nicht um sie zu finden, oder zu verbessen1, sondern um sie zur reinen Klarheit zu erheben. Was ich in der Ankündigung53 [... ]versprochen, das, und mehr noch, werde ich halten. Es wird sich sodann unter andern zeigen, daß die angeblichen Verbesserer und W eitergeher54 Recht haben würden, wenn sie-nur wüsten, wovon dermalen eigentlich die Rede sey, und daß sie etwas sagen würden, und in die Zeit eingreifen, - wenn - ich sage nicht keine Wissenschaftslehre, sondern kein Kant, ja kein Leibnitz vor ihnen gelebt hätte. Der ganze Streit über Subjektivismus, oder Objektivismus liegt tief unter den Principien derselben. Allenthalben fällt man aus Furcht vor einem erdichteten Subjektivismus in den todten Objektivismus. - was man auch in Worten sage. Es gilt nicht, die Vernunft zu beschreiben, sondern die Vernunft zu seyn". 55 Erst Anfang Januar 1804 ist diese Arbeit nach dem Ermessen Fichtes geleistet. Während also Schelling durch zahlreiche V eröffentlichungen, in denen er von Mal zu Mal seine Position veränderte, sekundiert von Hegel im „Kritischen Journal", das Identitätssystem mit der ihm eigentünilichen Naturphilosophie in der philosophierenden Öffentlichkeit zum Erfolg führte, während sich, wie Fichte wohl wußte, die Überzeugung zu verbreiten begann, daß die neue Darstellung der Wissenschaftslehre - um es mit Friedrich Schlegel auszudrücken: „bloß möglich und notwendig bleiben soll, ohne doch wirklich zu werden", 56
XXVII
Reinhard Lauth arbeitete Fichte unermüdlich - von morgens früh bis vier Uhr nachmittags (ohne Mittagessen) - und ohne Rücksicht auf die materiellen Folgen für sich und seine Familie an der vollendeten Fassung des Systems der Wissenschaftslehre. Selbst die außerordentliche systematische Leistung der Darstellung von 1801/02 genügte ihm nicht. Erst die vollendete Durchführung der Lehre vom Absoluten und der Theorie des absoluten Wissens konnte ihn zufriedenstellen. Was es im besonderen war, das Fichte nicht zum Abschluß kommen ließ, sagt er selbst im 21. Vortrag der „Ersten Vorlesung" der Wissenschaftslehre von 1804: Es „ist, nicht diese Lösung [des Problems des Wissens und Wähnens] selber - denn sie ist, theilweise auch von Kant, hinter welchem alle diese neueren Schwärmer weit zuri.ik bleiben, und vollständig in der W.L. gegeben worden, seit diese da ist,[-] nicht sie selber faktisch, sondern die eigene deutliche intelligirende Einsicht in ihr GrundPrincip, zwar nicht das am schwersten zu fassende in der W.L., [... ] aber das am schwersten zu findende in ihr: wie ich denn mit der Offenheit, welche bei wissenschaftlichem Interesse stets ist, ausdrüklich sagen will, daß dieser Punkt der Grund und Gegenstand meiner Untersuchungen der lezten zwei Jahre gewesen ist" .5 7 Das absolute Wissen spaltet sich aber „in mancherlei Modifikationen". „Das eigenthümliche Princip dieser Spaltung, als Spaltung des Einen, daher die Brüke, um von dem Absoluten zum Relativen, u. umgekehrt zu kommen, soll nun angegeben werden; in absoluter Einheit des Princips angegeben werden, und nicht etwa so, daß von den, durch Theorie, oder Probiren gefundenen besondern Principien, z.B. der nur untergeordneten Hauptstandpunkte, jeden insbesondre genommen, u. bei ihm angehoben[,] die Möglichkeit zum Einen absoluten aufzusteigen, und aus dem absoluten zu ihm herabzusteigen, gezeigt, sodann, ,eben in der Einheit dieser gefundnen Möglichkeit' sie zu einer synthetischen Einheit, deren Analyse aber verborgen geblieben, vereinigt werden; sondern, daß man sie selber aus der unmittelbar gefaßten Einheit hervorgehen sehe, daher sie nicht erst synthetisch zu vereinigen brauche, in dem man sie schon als reine stehende Einheit gefunden. Wird auf die erste Weise verfahren, so wird zwar allerdings W.L. vorgetragen, und die XXVIII
Einleitung Aufgabe der Philosophie, ihrem Inhalte, u. Zweke nach, vollständig [...] schlechthin evident gelöst; aber die W.L. ist ihrer eignen innern wissenschaftlichen Form nach, noch nicht vollendet, und die Ansprüche, die man an sie selber, als durchgeführte Einheit des Sinnes, der genetischen Evidenz, ohne Beimischung irgend eines faktischen, zu machen hat, nicht befriedigt. Auf diese Einheit des analytischen Princips, als solchen, wird es daher, für wissenschaftliche Form ankommen''.68 Zuvor wurde dargelegt, daß die Wissenschaftslehre von 1801/02 z. T. in einer für den Druck bestimmten Fassung, hauptsächlich aber als Vorlesungsmanuskript vorliegt, das bereits sorgfältig redigiert ist. Es fragt sich aber noch, wann diese Wissenschaftslehre verfaßt worden ist. Zur Lösung dieser Frage bieten Fichtes Schriften aus dem fraglichen Zeitraum und seine brieflichen Äußerungen wertvolle Hilfe. So finden wir den Gedankengang der ersten vier Paragraphen, d. i. des Begriffs der Wissenschaftslehre, schon ähnlich im „Antwortsschreiben an den Herrn Professor Reinhold" dargelegt59, ferner erneut im Brief vom 31. Mai 1801 an Schelling.60 Es fällt auch auf, daß die anfänglichen Ausführungen unserer Wissenschaftslehre noch vorwiegend gegen Bardilis {von Reinhold vertretenes) System gerichtet sind, was sich nachher vollständig verliert. Man muß also annehmen, daß dieser Teil schon im Frühjahr 1801 konzipiert und wahrscheinlich auch in einer ersten Fassung ausgeführt worden ist. Der große Auseinandersetzungsbrief an Schelling zeigt, daß die zuvor getrennt konzipierten Pläne einer Darstellung der Wissenschaftslehre und einer Darstellung der Prinzipien derselben {insbesondere des höchsten Prinzips der Geisterwelt) zu einer Einheit verschmolzen worden sind. Noch aber ist die Lehre vom Absoluten {vom rein gedachten absoluten Sein) nicht voll durchgeführt. Gott ist noch der „unbegreifliche RealGrund der Getrenntheit der Einzelnen, und ideales Band aller", also der „intelligiblen Welt". „Diese lezte Synthesis ist die höchste", schreibt Fichte. „Will man das, was auch diesem Blike noch undurchdringbar bleibt, Seyn nennen, und zwar das absolute, so ist Gott das reine Seyn; aber dieses Seyn ist an sich nicht etwa Compression, sondern es ist durchaus Agilität, reine Durchsichtigkeit, Licht, nicht das Licht zurükwerfender Körper. Das leztere ist XXIX
Reinhard Lauth es nur für die endliche Vft: es ist daher nur für diese, nicht aber an sich ein Seyn". 61 Die Platner-Vorlesungen vom Winter 1801/02, die der Vorlesung der Wissenschaftslehre im Februar und März vorangingen, sowie die Briefe an Schelling vom Oktober 1801 und 15. Januar 180262 , ferner der Brief an Schad vom 29. Dezember 1801 weisen dann wieder fast wörtliche Parallelen zum Text unseres Manuskripts auf.63 Wie gesagt, ist die Entscheidung, Schellings (und Hegels) System zu bekämpfen, wohl erst nach dem Brief Schellings vom 3. Oktober 1801 gefallen; und daß die Position derselben kategorisch und nicht nur hypothetisch als bestehend hingestellt wird, erst nach dem endgültigen Bruch mit Schelling vom Januar 1802. Diese kategorische Voraussetzung findet sich aber im gesamten Manuskript, vom Beginn des 1. Theils über das absolute Wissen an. Man muß also annehmen, daß die vorliegende Redaktion des Vorlesungsmanuskripts erst in den ersten Monaten des Jahres 1802 erfolgte, der dann im Februar oder März die Redaktion des Manuskripts für den Druck folgte, in dem wahrscheinlich nur der (Erste) Teil über das absolute Wissen herausgegeben werden sollte. Anfang April spätestens ist diese letztere Redaktion abgebrochen worden. Unser gesamtes Manuskript ist also wohl im Jahre 1802 geschrieben worden. Aber es stellt, wie der Titel der Abschrift auch besagt, eine „Ausarbeitung der 1801 gelesenen Wissenschaftslehre" dar. Wir können das Werk in der vorliegenden Form daher mit Fug als Darstellung der Wissenschaftslehre 1801/02 bezeichnen.
Einige Hinweise zum Aufbau der vorliegenden Wissenschafts/ehre Die Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02 gliedert sich wie folgt: 1. Die nur in Absch vorliegende „Einleitung" ist als Einleitung in das gesamte für den Druck vorgesehene Werk anzusehen. Sie hebt teils einen Hauptgedanken des folgenden Werks hervor, teils gibt sie die mentalen Bedingungen des wissenschaftlichen Erkennens an. XXX
Einleitung
2. Wie auch in anderen Fällen, in denen Fichte die Wissenschaftslehre dargestellt hat, wird ihr eine Klärung des Begriffs der Wissenschaftslehre einleitend vorausgeschickt:§§ 1-4. Es geschieht in dieser Wissenschaftslehre das erstemal, daß Fichte in einem zur Publikation bestimmten Werk diese Klärung in die Darstellung der Wissenschaftslehre hineinzieht. 3. Die Wissenschaftslehre selbst gliedert sich in zwei Teile. Von diesen handelt der erste Teil: „Ueber das absolute Wissen", §§ 5-[22]. Dieser erste Teil gliedert sich seinerseits in zwei Unterabschnitte. In dem ersten Abschnitt, §§ 5-15, wird durch die am Gegenstande von außen und willkürlich tätige „Reflexion des Wissenschaftslehrers" das absolute Wissen mittels einer scheinbaren Komposition aus den beiden Merkmalen des Absoluten (zu sein, was es ist, und zu sein, weil es ist) dem, der es noch nicht erkennt, zugänglich gemacht. Fichte geht dabei von einer allseits zugestandenen wissenschaftlichen Einzeleinsicht (der dritten Seite eines Dreiecks) aus und zeigt, daß sie den Begriff eines absoluten Wissens impliziere, ohne daß damit schon eingesehen würde, was dieses absolute Wissen ist. Die von diesem Punkte an einsetzende dialektische Komposition mittels der (vom Verfasser) willkürlich gesteuerten Reflexion dient der Aufgabe, das geistige Auge des Lesers (bzw. Hörers) für das Objekt der Untersuchung, die intellektuelle Anschauung, zu eröffnen. Die§§ 5-15 ermöglichen also nur den „Eingang" in die Wissenschaftslehre. Von da an beginnt der zweite Abschnitt des Ersten Teils der Wissenschaftslehre, §§ 16-(22], in dem dem Sichvollzug des absoluten Wissens selbst, dem inneren geistigen Handeln in der intellektuellen Anschauung zugesehen, bzw. dieser „leidend" verfolgt wird. „Alles, was von nun an aufgestellt werden soll," schreibt Fichte am Ende des § 15, „liegt in der aufgezeigten Anschauung, und der Verfolg ist bloß u. lediglich eine Analyse derselben". 64 4. Das Kapitel „PopulärAnhang zum ersten, u. Vorrede zum zweiten Theile" faßt noch einmal das Resultat des Ersten Teils, der Lehre vom absoluten Wissen, zusammen und zeigt den Einheitspunkt auf, aus dem sich das gesamte Wissen in seinen verschiedenen Teilmomenten entfaltet. XXXI
Reinhard Lauth 5. Der zweite Teil, §§ 1-[8], bringt daraufhin die Entfaltung des Wissens in fünf Synthesen (A-E). Den Ausgangspunkt bildet das „Resultat der lezten, das absolute Wissen ausmachenden Reflexion": die „Bestimmtheit der Freiheit, als Quantitirens, durch das absolute Seyn". Von der Quantitabilität bis zur Natur- und Geisterwelt wird das Wissen durch alle seine prinzipiellen Bildungen hindurch verfolgt. Im Gegensatz zur Darstellung in der „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre" von 1794/95 werden die Sphären des faktischen und praktischen Wissens nicht getrennt abgehandelt. Die „Synthesis der Geisterwelt" ist in die Ableitung mit aufgenommen. Die Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02 bietet also eine vollständige Wissenschaftslehre (abgesehen von den vier Disziplinen der Natur-, Rechts-, Sitten- und Religionslehre), und nicht nur die Grundlage derselben. Sie behandelt aber neben der Lehre vom absoluten Wissen und von dieser aus das System der Entfaltungen des Wissens, und nicht nur wie die Wissenschaftslehren von 1804 und 1805 den ersten Teil, die „philosophia prima", d.i. die Lehre vom Absoluten und vom absoluten Wissen, und ist damit in charakteristischer Weise von diesen unterschieden. Ein Vergleich zeigt, daß Fichte die Lehre vom Absoluten und vom absoluten Wissen noch ausbaubedürftig erschien, als er die Darstellung von 1801/02 in der vorliegenden Form verfaßt hatte. Man kann anhand des jetzt gebotenen Textes ermessen, in welchen Punkten Fichte die Lehre vom absoluten Wissen noch vertieft hat. Mit der geforderten allseitig deutlichen Intellektion des Grundprinzips hängt zusammen, daß auch der Nexus zwischen Absolutem und Relativem neu, und zwar „in absoluter Einheit des Princips" gefaßt werden mußte.
Zur Textgestaltung Johann Gottlieb Fichtes bzw. seines Sohnes Text wird in Orthographie und Interpunktion unverändert wiedergegeben. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden nur die beiden Worte Identität und Aczidentalität, deren auf die sächsische XXXII
Anmerkungen zur Einleitung
Mundart zurückgehende Schreibweise als „Idendität" und „Aczidendalität" verbessert wurde. Um die philosophische Lektüre zu erleichtern, wurden abgekürzte Worte in Klammem ergänzt. Eckige Klammem bedeuten stets Zusätze des Herausgebers; Winkelklammern besagen, daß die Lesart unsicher ist. Griechisch geschriebene Worte wurden aus Gründen der Kostenersparung. in lateinischer Umschrift wiedergegeben. Der Benutzer wird sich nach anfänglicher Umstellung an die Schreibweise und Interpunktion Fichtes nicht nur gewöhnen, sondern auch finden, daß sie häufig dem Gedankengang angemessener und präziser als die heutige ist. Eine Modernisierung hätte unausweichlich eine Änderung des von Fichte intendierten Sinns zur Folge und stellte eine Interpretation dar. Abänderungen des Textes sind stets in den Anmerkungen kenntlich gemacht und erfolgten nur da, wo der vorliegende Text zweifelsfrei sinnlos wäre oder die Gefahr einer Fehlinterpretation beim Leser abzuwenden war. Der Leser kann jedoch anhand der Fußnoten realisieren, wie der Originaltext lautet. Fichte hat, von den ersten Paragraphen abgesehen, die jeweiligen Paragraphen mit „§. -" bezeichnet und auf diese Weise für die kommende Durchzählung unbestimmt gelassen. Imm. Herrn. Fichte hat dem von ihm veröffentlichten Text willkürlich eine eigene Einteilung in Paragraphen gegeben, auf die hier keine Rücksicht genommen worden ist. Die Paragraphen wurden vielmehr vom Herausgeber nach der Originaleinteilung in beiden Teilen durchgezählt. Der Kommentar zum Text, ist durch x am Rande der Zeile signalisiert und findet sich von S. 227 an.
Anmerkungen zur Einleitung 1 im folgenden mit SW zitiert. - Die Vorrede zu Bd. 1 u. II in Bd. I, S. V-XXVI. - Der im folgenden zitierte Passus S. VIII-IX. 2 im folgenden mit Absch bezeichnet. 3 Von diesem Titel sind die Wörter „Ausarbeitung der 1801 gelesenen" von I.H. Fichte durchstrichen und durch „Frühere" ersetzt worden.
x:xxm
Reinhard Lauth 4 in den SW II der Text auf den Seiten 14-16. 5 Die Ausgabe von Medicus bringt nur wieder den von Immanuel Hermann Fichte herausgegebenen Text. 6 genau genommen - wie im folgenden gezeigt wird - 1802 gelesene 7 Vgl. J.G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hgg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzy, Stuttgart-Bad Cannstatt l 962ff., (im folgenden zit. Akad.-Ausg.), Reihe III Briefwechsel, Bd. 4, Brief Nr. 542., S. 260. 8 Berlin 1909, S. 17. 9 Akad.-Ausg. 111,4; Nr. 567., S. 338. 10 Akad.-Ausg. III,4; Nr. 577., S. 359. 11 Akad.-Ausg. III,4; Nr. 578., S. 368. 12 Akad.-Ausg. III,4; Nr. 584., S. 407. 13 Vgl. „Jean Pauls Briefwechsel mit seiner Frau und Christian Otto" hgg. v. Paul Herrlich, Berlin 1902, S. 166. 14 Vgl. „Fichte in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen" hgg. von Hans Schulz, Leipzig1923, S. 169. 15 oder: Freunde -Lesart unsicher! -Brief Nr. 615, in Akad.-Ausg. IIl,5. 16 Bd. 66,2. Stück, Heft 5, S. 344. 17 „Fichte in vertraulichen Briefen ... ", S. 182. 18 Akad.-Ausg. III,5; Nr. 625. 19 „Fichte in vertraulichen Briefen ... ", S. 189/90. 20 Platner, Ernst: „Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte." Ganz neue Ausarbeitung. Erster Theil, Leipzig 1793. - Fichte hat nach dieser Ausgabe des fünfmal erschienenen, viel gelesenen Lehrbuchs von Platner in Jena in den Jahren 1794/95-1799 seine Vorlesungen über Logik und Metaphysik als Propädeutik zur Wissenschaftslehre gehalten. 21 Der Text ist veröffentl. in Akad.-Ausg. 11,4. 22 a.a.O., S. 207. 23 Vgl. Anm. 15. 24 Vgl. Anm. 19. - Vgl. außerdem die zusätzl. Anm. S. XXXVIII. 25 Vgl. Anm. 18. - Vgl. „fremde Adeliche" und „einige Fremde" im Brief an Cotta. Waren es zuerst nur die fremden Adeligen und kamen einheimische Doktoren, Bankiers u. Geheimräte dazu? 26 Vgl. z.B. noch im Brief an Cotta v. 16. Aug. 1800: „An die Redaction meiner neuen, seit Jahren fertig liegenden Bearbeitung der Wissenschaftslehre hoffe ich künftigen Winter, für Sie gehen zu können."
XXXIV
Anmerkungen zur Einleitung
Z1 Vgl. „Rccension von Bardili's Grundriss der ersten Logik. Aus der Erlanger Literatur-Zeitung vom Jahre 1800. No. 214 und 215; s. 1705ff." In sw ß, s. 490-503. 28 Das Ms. dieser „Neuen Bearbeitung der W.L." befmdet sich in Form ungeordneter Blätter unter der Nr. 1,36 im J.G. Fichte Nachlaß der Deutschen Sta;itsbibliothek in Berlin. Es konnte von den Herausgebern der J.G. Fichte-Gesamtausgabe in jahrelanger mühevoller Arbeit geordnet werden. Es handelt sich um eine im Spätherbst 1800 von Fichte angefangene eigne Darstellung der Wissenschaftslehre, die demnächst in Bd. II, 5 der J.G. Fichte-Gesamtausgabe erscheinen wird. (Kurztitel: WL 1800.) 29 „Friedrich Nicolai's Leben und sonderbare Meinungen." Tübingen 1801. 30 „Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie." Berlin 1801. 31 „Antwortsschreiben an Herrn Professor Reinhold auf dessen im ersten Hefte der Beiträge zur leichtem Übersicht des Zustandes der Philosophie ect. ect. (Hamburg bei Perthes 1801.) befmdliches Sendschreiben an den erstem." Tübingen 1801. - Abgedruckt in SW II, S. 504-534. 32 Brief vom 30. Nov. 1800 (Akad.-Ausg. IIl,4; Nr. 581., S. 397): „Was die Wissenschaftslehre betrift, so will ich die SubskriptionsAnzeige besorgen, allein da Sie das Werk schon zur Ostermesse wollen erscheinen lassen, so ist der Termin für die entferntem Gegenden zB. Ungarn, Siebenbürgen zu kurz - denn bis dorthin nur die Anzeige in Umlaufkomt, müssen wir schon mit dem Druk beginnen, u. die Auflage läßt sich also nicht nach der Subscribenten Anzahl reguliren." - Am 3. Febr. 1801 (Akad.Ausg. III,5; Nr. 590.): „Wegen der Wissenschaftslehre halte ich es für räthlicher bis nach Ostern zuzuwarten: zeigen sich bis dorthin Subscribenten, so ist es gut - da ich aber hieran zweifle, so müßte die Auflage nach Gutdenken gemacht werden." Am 14. Febr. (in Akad.-Ausg. IIl,5, Nr. 592.) stellt Fichte Cotta die Frage: „wenn Sie an diejenigen Ihrer Correspondenten, denen Sie etwa den Auftrag gäben, Subscribenten zu sammeln, einige Blätter der A. Z. [gemeint ist: von Fichtes Ankündigung der WL vom 24. Januar] beilegten?" - Cotta darauf am 23. Febr. (Akad.-Ausg. Nr. 593.): „Die Wissenschaftslehre soll bestens angezeigt werden." 33 Akad.-Ausg. IIl,5; Nr. 601. 34 Brief vom 15. Nov. 1800 an Schelling (Akad.-Ausg. IIl,4; Nr. 577.).
XXXV
Reinhard Lauth 35 Brief vom 27. Dezember 1800 an Schelling. (Akad.-Ausg. IIl,4; Nr. 584.) 36 Brief vom 31. Mai/7. August 1801 (Akad.-Ausg. III, 5; Nr. 605.): „Endlich erhielt ich Ihr System der Philosophie, und das begleitende Schreiben. Sie sagen in der Einleitung einiges problematisch über meinen Idealismus, Sie sprechen im Schreiben von einer gewöhnlichen Ansicht des Idealismus, welches, wenn Sie etwa das erste kategorisch gedacht, und in Absicht des leztern gedacht haben, daß ich diese Ansicht des Idealismus, die wohl die gewöhnliche seyn mag, auch habe, beweis't, daß Ihr Misverständniß meines Systems fortdauert." 37 Ebenda. 38 d.i. der „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre" von 1794[/95]. 39 Brief Nr. 605. 40 in Berlin, bei dem das Buch gedruckt werden sollte. 41 Brief vom 3. Oktober 1801 an Fichte (Akad.-Ausg. III,5; Nr. 613.) 42 Georg Wilhelm Friedrich Hegel war 1801 mit der Schrift „Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie in Beziehung auf Reinhold's Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, 1stes Heft" (Jena) gegen Fichtes Wissenschaftslehre aufgetreten. - Eine weitere große Auseinandersetzung mit der Wissenschaftslehre folgte von Hegel im Juli 1802 in dem mit Schelling gemeinsam herausgegebenen „Kritischen Journal der Philosophie" unter dem Titel „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichteschen Philosophie", S. 1-188. Da sich schon charakteristische Argumente aus dieser letzteren Schrift in Schellings Brief vom 3. Oktober 1801 finden, ist anzunehmen, daß sie von Hegel schon damals geschrieben oder wenigstens gedanklich konzipiert war. 43 Akad.-Ausg. III,5; Nr. 615. 44 nämlich als Manifestation der Freiheit. 45 Akad.-Ausg. III,5; Nr. 619. 46 im philosophischen Publikum. 47 Akad.-Ausg. III,5; Nr. 620. 48 Es ist als wahrscheinlich anzunehmen, daß Fichte wenigstens die ersten Bogen dieses Buchs geiesen hat. Leider fehlen historische Zeugnisse. 49 Akad.-Ausg. IIl,5; Nr. 621. 50 Akad.-Ausg. III,5; Nr. 625.
XXXVI
Anmerkungen zur Einleitung 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60
61 62 63 64
Akad.-Ausg. III,5; Nr. 627. Akad.-Ausg. III,5; Nr. 633. vom 24. Januar 1801 in der Beilage der „Allgemeinen Zeitung". gemeint sind Schelling und Hegel, vielleicht auch schon Schad. Akad.-Ausg. III,5; Nr. 643. „Fichte in vertraulichen Briefen ...", S. 190. Vgl.Johann Gottlieb Fichte: „Erste Wissenschaftslehre von 1804" hgg. von Hans Gliwitzky, Stuttgart 1969, S. 127. Ebenda, S. 127/28. SW II, S. 505-507. Akad.-Ausg. III,5; Nr. 605: „Fassen Sie auf z.B. Ihr Bewußtseyn, daß zwischen zwei Punkten nur Eine gerade ist. Zuförderst haben Sie da eben Ihr sich Erfassen, u. Durchdringen, den Akt der Evidenz, und dieses [ist] mein Grundpunkt. Sie setzen voraus, und sagen schlechthin aus, daß dieser Satz von allen möglichen Linien, sowie für alle möglichen Intelligenzen gelte; und dies geht Ihnen so zu: Sie setzen in der ersten Rüksicht sich d. h. eben die Form des sich erfassens als bestimmtes (materiales) in der leztern als bestimmbares. Das erstere giebt Ihnen mit der Zeit sich als Individuum; das leztere, wo Sie eben, um es nur als bestimmbar zu setzen, die leere Form der Ichheit sezten, giebt Ihnen späterhin die Geisterwelt. Das allgemeine (endliche) Bewußtseyn ist sonach die absolute Vereinigung des Bewußtseyn[s] der Geisterwelt, und des Individuum." Brief Nr. 605. vom 31. Mai 1801. Beide wurden zusammen am 15.Januar 1802 abgeschickt. Man vgl. im folgenden die Anmerkungen zum Text der Wissenschaftslehre. Vgl. noch in der „Wissenschaftslehre" von 1812: „Alles unser Wissen geht schlechthin aus von einem absoluten Faktum, dem eben, daß die Erscheinung von sich weiß, sich erscheint. Alle Deduktion, Einsicht, Verständigung ec„ die ja nur im Wissen möglich, bedarf darum dessen, als einer Voraussetzung, als Grundfaktum. Darum bedarf auch die W.-L. einer Einleitung, in welcher dieses absolute Faktum als ihre Grundlage nachgewiesen und derselben ihr Objekt gegeben wird. [... ] die Philosophie ruh[t] auf dem Wissen als Faktum, aber dem einzigen Faktum. Dies hat sie zu verstehen, d.h. aus seinem Gesetze abzuleiten, welches sie freilich ihm nicht giebt, sondern die Erscheinung bildet, [sie] versteht sich eben selbst schlechthin in ihrem Gesetze, und dies vollzogene Sichverstehen aus ihrem Gesetze ist die W.-L." (SW X, S. 344/45.)
XXXVII
Reinhard Lauth
Zusätzliche Anmerkung Ein Bericht Hans Christian Oersteds über Fichtes Vorlesung der „Wissenschaftslehre" im Februar und März 1802 bestätigt nicht nur, daß Fichte die schon erwähnte Vorlesung im Februar und März 1802 gehalten hat, sondern auch, daß ihr Inhalt mit der vorliegenden „Darstellung" übereinstimmte. In „Breve fra og til Hans Christian 0rsted" hgg. von Mathilde 0rsted (F0rste Samling Kj0benhavn 1870) finden wir eine Reihe von Tagebuchnotizen über Oersteds Besuch der Vorlesung Fichtes. Am 29.Jan. 1802 ging er zu Fichte, um sich einzuschreiben. Fichte hatte als Bezahlung von den Teilnehmern 4 Friedrichsdor verlangt, einen ziemlich hohen Betrag, der Oersted nicht ohne weiteres disponibel war. Er traf Fichte nicht in seiner Wohnung an, aber Frau Fichte teilte ihm mit, ihr Mann wünschte, daß er nur 2 Friedrichsdor bezahlte, er habe es unbillig gefunden, von einem Studenten mehr als das zu nehmen, die Gebühr wäre für die Berliner Teilnehmer gedacht, die keine Studenten wären. Am 1. Februar schreibt Oersted: „Ich hörte heute erstmals Fichtes Vorlesungen. Das seltene Talent, das er besitzt, um seine Gedanken vorzutragen, macht seine Vorlesungen doppelt interessant, und wenn ich auch nichts anderes von ihm lernte als einige der Kunstgriffe, mit denen er so gut die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu spannen und zu erhalten weiß, und Vorstellungen bei ihnen zu erwecken, die nicht so geradezu mit Worten ausgedrückt werden können, so war ich schon für die Zeit, die ich dafür anwandte, belohnt." Am 7. Februar schreibt er an Anders S. Oersted: „Ich genieße nun ein Glück, um das Du mich wohl fast beneiden wirst, ich höre Fichte selbst seine Wissenschaftslehre vortragen." Er berichtet ferner, daß auch der Schwede Benjamin Karl Henrik Höyer zu den Hörern Fichtes zähle. Am 10. April verabschiedete sich Oersted von Fichte, um nach Dresden zu reisen. Besonders wertvoll ist ein Brief Oersteds an Anders S. Oersted vom 16. Februar 1802, in dem er über den Inhalt von Fichtes Vorlesungen berichtet. Er lautet in Übersetzung: „Berlin, den 16. Februar 1802. Ungeachtet Fichtes vortrefflicher Vortrag sein System nicht so schnell in ein klares Licht setzt, als ich erwartet hatte, kann ich Dir doch einige Winke mitteilen, die Dir vielleicht nicht neu sind, mir jedoch viel Licht gegeben und meine Erwartung des Kommenden sehr angespannt haben. Das Absolute muß mit zwei Attributen gedacht werden, nämlich das Absolute ist schlechthin, was es ist, und weil es ist. Über das Erste erklärt er sich mit anderen Worten so:
XXXVIII
Zusätzliche Anmerkung zur Einleitung Das Absolute ist ein in sich Ruhendes, beständiges Sein. Das Andere drückt er mit dem Worte Freiheit aus. Da das Absolute nicht für etwas Anderes sein kann, muß es für sich sein, und das muß man sich als die innerlichste Verschmelzung von Freiheit und Sein denken, und das ist eigentlich Wissen, und daher ist da eine Duplizität in allem Wissen; alles Wissen ist eine Vereinigung von Separaten, und darum können wir zu nichts Einzelnem in unserem Wissen kommen, sondern alles ist grenzenlos teilbar. Er macht selbst darauf aufmerksam, daß das widersprüchlich scheint, daß er in seinem System über das Wissen hinausgeht; aber diesen Widerspruch versprach er im Folgenden zu lösen. Über dieses Absolute wollte er überdies im Augenblick nicht mehr reden, und das sollte bloß als Wink zum besseren Verständnis des Folgenden dastehen. Hier wollte er nun bloß über das absolute Wissen reden. Auch in diesem müßten Freiheit und Sein verschmolzen sein, und nun seien da zwei Richtungen möglich, worin diese ineinander übergehen könnten, nämlich von der Freiheit zum Sein oder vom Sein zur Freiheit. Der erste Standpunkt ist der idealistische; der andere der realistische; aber keiner von diesen ist für sich [der] der Wissenschaftslehre, die sie beide im absoluten Wissen vereinigt. Daß ich Dir nur so wenige Worte über Fichtes Prinzipien mitgeteilt habe, kommt daher, daß ich weiß, daß Du das, was er zuvor gesagt hat, vollkommen genug kennst, um es zu verstehen. Du siehst leicht, daß er jetzt ganz neue Ausdrücke wählt; daß aber sein System dasselbe ist wie vorher, behauptet er selbst, und daß es das im wesentlichen ist, glaube ich auch, nämlich insoweit als er vom absoluten Wissen ausgeht; über das Absolute katexochen weiß ich nicht, ob er sich irgendwo in seiner „Grundlage zur Wissenschaftslehre" ausgelassen hat; aber vielleicht kommt das nur davon, daß ich nicht genau genug mit ihr vertraut bin. Im übrigen werde ich, sobald es mir möglich ist, Dir etwas ausführlicher über das, was er gesagt hat, schreiben, um doch, soweit es sich machen läßt, mit Dir in der Abwesenheit über einen Gegenstand zu sprechen, der uns lange Zeit beide interessiert hat. Hier nur noch ein paar Worte zur Erläuterung oder richtiger als Vergleichspunkt zwischen dem Neuen und dem Alten. Der Weg oder die Richtung vom Sein zur Freiheit ist der Weg der Konsequenz. Die Vorstellung ist da an eine gewisse Ordnung gebunden (hiervon die Zeit). In der Richtung von der Freiheit zum Sein (die Selbsteinschränkung der Freiheit) schwebt die Freiheit ungebunden über einem jeden Punkt, und keiner von diesen bestimmt daher den anderen mehr, als umgekehrt der selbst bestimmt (hiervon der Raum). Auch das ist nur ein Wink, den Fichte später ausführen will; aber für Dich wird es klar sein, ob er die Zeit
XXXIX
Rcinhard Lauth
und den Raum auf die gleiche Weise wie früher ableitet. F. hält das, was er in seiner Moral über die vomehmlichsten Punkte der Transzendentalphilosophie gesagt hat, für das Erleuchtendste, was er darüber geschrieben hat. Grüß unseren 0hlenschläger. In brüderlicher Freundschaft Christian". (Der Herausgeber verdankt die Übersetzung Herrn Dr. Bernd Henningsen vom Seminar für Nordische Philologie der Universität München.)
XL
BIBLIOGRAPHIE
Textveröffentlichungen Johann Gottlieb Fichte's sämmtliche Werke. Herausgegeben von J. H. Fichte. Erste Abtheilung. Zur theoretischen Philosophie. Zweiter Band. Berlin, 1845. - Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801. (Zum ersten Male gedruckt.) S. 1-163. Joh. Gott!. Fichte, Werke. Auswahl in sechs Bänden. Mit mehreren Bildnissen Fichtes / herausgegeben und eingeleitet von Fritz Medicus. - Fichtes Werke Vierter Band. Leipzig o. J. - Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801. S. 1-63.
Sekundär-Literatur Gueroult, Martial: L'Evolution et Ja Structure de Ja Doctrine de Ja Science chez Fichte. 2 Bde., Paris 1930. Gurwitsch, Georg: Fichtes System der konkreten Ethik. Tübingen 1924. Von Hofe, Joh.: Umriß eines Systems der späteren Fichteschen Philosophie. (1.-D.) Segenberg 1904. Janke, Wolfgang: Fichte Sein und Reflexion- Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970. Kerler, Dietrich Heinrich: Die Philosophie des Absoluten in der Fichteschen Wissenschaftslehre. Ansbach 1917. Loewe, Johann Heinrich: Die Philosophie Fichte's nach dem Gesammtergebnisse ihrer Entwickelung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza. Stuttgart 1862. Philonenko, Alexis: La liberte humanie dans Ja philosophie de Fichte. Paris 1966. Schmid, Friedrich Alfred: Die Philosophie Fichtes mit Rücksicht auf die Frage nach der ,veränderten Lehre'. (1.-D.) Freiburg im Breisgau 1904.
XLI
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/1802)
Einleitung.•
Absch
Falls es sich etwa mit der Erkenntniß der Wahrheit durch den Menschen also verhielte, daß sich diese Erkenntniß selber nach eigenen innern u[nd] unsichtbar bleibenden Gesetzen gestaltete, und diese ihre eigene Gestaltung auch der in ihr zu erkennenden Wahrheit mittheilte, ohne unser Vermerken eine Gestaltung der Wahrheit selber wäre, und so selbst sich selber entgegenträte, und sich verhinderte; so würde es auf diese Weise nie zur Wahrheit selber kommen; und wäre diese Selbstmodification der Erkenntniß wandelbar, veränderlich, u. in ihrer verschiedenen Gestaltung vom blinden Ohngefähr geleitet, so ließe sich auch keine bleibende Einheit und Gewisheit in der Erkenntniß erreichen. Diesem Uebelstande könnte nur dadurch abgeholfen werden, daß jene innern Selbstmodificationen der Erkenntniß, jene ihre sich u die Wahrheit durch sich Gestaltung aus ihren Gesetzen, die etwa müßten sichtbar werden können[,] vollständig erschöpft und die Producte derselben von der erkannten Wahrheit abgezogen würden, worauf denn nach diesem Abzuge die reine Wahrheit übrig bleiben würde. So verhält es sich nun in der That, und demzufolge wurden bis auf Kant alle Bearbeiter der Wissenschaft von jenen ver- x borgenen Gestaltungen der Erkenntniß fortgerissen, u mit sich selbst in Widerstreit gebracht. Kant entdeckte zuerst diese Quelle aller Irrthümer u Widersprüche, und wollte sie durch systematische Erschöpfung jener Modificationen der Erkenntniß, und, wie er es nannte[,] durch Ausmessung des ganzen Gebietes der Vernunft verstopfen. Aber die Ausführung blieb x hinter dem Vorsatze zurück, weil er die Vernunft oder das Wissen nicht in seiner absoluten Einheit, sondern schon selbst in verschiedene Zweige gespalten als theoretische, praktische, u urtheilende Vernunft, der Untersuchung unterwarf, und selbst dieser einzelnen Zweige Gesetze mehr empirisch sammelte, u durch Induktion sie als Vernunftgesetze erhärtete,
a Abschrift von Immanuel Hermann Fichtes Hand
3
Einleitung
als daß eine wahre Deduction aus der Urquelle sie erschöpft, u als das, was sie sind, dargelegt hätte. Die W[issenschafts] L[ehre] ergriff drum die durch jene kantische Entdeckung der Menschheit gestellte Aufgabe, indem sie zeigte, was das Wissen schlechtweg in seiner Einheit sey, u sicher wissend, daß [/]sich aus dieser Einheit heraus die besondem Zweige derselben von selber ergeben, u aus ihr würden characterisirt werden können: wir wollen drum hier alle Form von der Realität ablösen, und durch die Erkenntniß der Nichtigkeit der Form die wahre Realität im Hintergrunde aufzeigen. Zur vorläufigen Erwägung. Wenn jemand eingesehen hätte, daß das Seyn - ich muß, um die Rede anknüpfen zu können, von diesem Begriffe, den ich zunächst zu zerstöhren gedenke, ausgehen - daß das Seyn schlechthin nur Eins, durchaus nicht zwei, ein in sich selber geschlossenes u vollendetes, eine Identität keinesweges aber eine Mancherleiheit seyn könnte; so würde ein solcher nach dieser Einsicht nun auch wirklich verfahren müssen, nicht aber zur Stunde wiederum gegen sie handeln. Wollte er nun ein solches Seyn nicht nur problematisch an seinen Ort gestellt sein lassen, sondern es positiv u bejahend annehmen, so müßte er dasselbe ins positive Seyn selber, oder ins Leben setzen u annehmen, daß es nur lebend u im Leben sich bewahrheiten könne, u durchaus auf keine andere Weise. Wollte er nun dieses Leben wiederum absolut nennen, wie er könnte, wenn er nur dadurch keinen Gegensatz, der ja gegen die angenommene Einheit des Seyns streiten würde[,] aufstellen sondern nur so viel sagen wollte, daß dies das Eine in sich vollendete Seyn sey, außer welchem gar nichts anderes seyn könne, so würde er annehmen müssen, daß das absolute nur in dem einzig möglichen innern Leben von sich aus sich durch sich sey, u durchaus auf keine andere Weise seyn könne, daß nur im unmittelbaren Leben das absolute sey, u außer dem unmittelbaren Leben gar kein anderes Seyn es gäbe, u alles Seyn nur gelebt, nicht aber auf andere Weise vollzogen werden könnte. Besönne sich nun ein solcher, daß er in dieser Operation das Leben doch nur dächte, u objectiv vor sich hinstellte, so müßte sich derselbe nur recht verstehen, um einzusehen, daß er doch nicht diesen Gedanken seines Lebens u das Product seines Denkens meine, 4
Einleitung
indem er ja das Leben aus sich u von sich selbst, nicht aber aus seinem Gedanken heraus gedacht zu haben vermeint, sonach in diesem Gedanken sein Denken ausdrücklich zerstört, u durch den Inhalt dieses einzig möglichen wahren Gedankens das Denken, als etwas für sich bedeuten wollend, völlig zerstöhrt hat. Geradezu aber würde gegen die vorausgesetzte Einsicht gehandelt werden, wenn jemand das Seyn, u da das Seyn durchaus das absolute ist, das [/]absolute, in ein nicht einfaches sondern mannigfaltiges, und in ein sichtbares Erzeugniß und Product eines andern außer ihm setzen wollte. Dergleichen ist nun der gewöhnliche Begriff des Seyns. Es ist nicht von sich, sondern aus dem Denken, und dieses Seyn ist in sich selbst todt, wie nothwendig ist, da sein Schöpfer, das Denken, in sich selbst todt ist, und vor dem einzigen wahren Gedanken, dem des Leben[s,] sich also bewährt. Auch bewährt dieses Seyn sich wirklich also todt im Gebrauche, indem es für sich selbst nicht aus der Stelle rückt, und durch unendliche Wiederholbarkeit doch nie etwas aus ihm herauskommt, sondern erst durch einen zweiten Ansaz des Denkens ihm Leben u Bewegung als ein zufälliges Praedicat beygelegt wird. Alle diese dem Seyn hinterher noch beigelegten Praedicate sind nun nothwendig willkührliche Erdichtungen, indem, falls das Denken auf eine glaubhafte Weise Bericht vom Leben abstatten sollte, das letztere selber darin eintreten, u unmittelbar von sich zeugen müßte, jenes Denken eines Seyns aber gleich ursprünglich das Leben von sich ausgeschieden, u außer aller unmittelbaren Berührung mit ihm sich gesetzt hat, und darum nichts berichten, sondern nur erdichten kann. Würde nun dennoch in einem gewissen zu bestimmenden Sinne angenommen, daß wir, oder was dasselbe bedeutet, daß Bewußtseyn sey; so wäre dieses innerhalb der vorausgesetzten Grund Einsicht nur also zu begreifen, daß das Eine absolute Leben eben das unsrige, u das unsrige das absolute Leben sey, indem es nicht 2 Leben, sondern nur Eins zu geben vermöge, und daß das absolute auch in uns eben nur unmittelbar Lebend und im Leben, u auf keine andere Weise da zu seyn vermag, indem es überhaupt auf keine andere Weise da zu• seyn bMs. dazu 5
x x
Einleitung
vermag, und wiederum, daß nur in uns das absolute lebt, nachdem es überhaupt in uns lebt, es aber nicht zweimal zu leben vermag. Inwiefern aber ferner angenommen wird, daß Wir nicht bloß das Eine Leben, sondern zugleich auch Wir, oder Bewußtseyn sind, so würde insofern das Eine Lehen in die Form des Ich eintreten. Sollte sich nun diese Ichform klar durchdringen lassen, wie wir aus guten Gründen vorläufig vermuthen, so würden wir einsehen, was an uns u unserm Bewußtseyn lediglich aus jener Form erfolge, u somit nicht reines, sondern formirtes Leben sey, u vermöchten wir nun dieses von unserm gesamten Leben abzuziehen, so würde erhellen, was an uns als reines u absolutes Leben, was man gewöhnlich das Reale nennt, übrig bleibe. Es entstände eine WL, die zugleich die einzig mögliche Lebenlehre wäre[.] [/] In Rücksicht auf das vorher aufgestellte todte Seyn würde erhellen, daß es durchaus nicht das absolute, sondern nur das letzte Product des in uns in der Form des Ich eingetretenen wahrhaft absoluten Lebens sey; das letzte: also dasjenige, in welchem in dieser Form das Leben abgeschlossen, erloschen, und ausgestorben, somit in ihm durchaus keine Realität übrig geblieben ist. Es würde einleuchten, daß eine wahrhaft lebendige Philosophie vom Leben gehen müsse zum Seyn, und daß der Weg vom Seyn zum Leben völlig verkehrt sey, und ein in allen seinen Theilen irriges System erzeugen müsse, drum diejenigen, die das absolute als ein Seyn absetzen, dasselbe völlig aus sich ausgetilgt haben. Auch in der Wissenschaft kann man das absolute nicht außer sich anschauen, sondern man muß in eigner Person dasselbe seyn und Leben.
Bemerkungen. [1.)] Die Wissenschaft, so gewis sie Wissenschaft ist, hat eine absolute und unveränderliche Evidenz in sich selber, vernichtend schlechthin alle Möglichkeit des Gegentheils und allen Zweifel, und da diese Evidenz nur auf eine einzige unwandelbare und unveränderliche Weise möglich seyn kann, die Wissenschaft hat ihre feste und unveränderliche äußere Form. Dies gehört zum Wesen der Wissenschaft als solcher, u so ist auch überall, wo es ein wissenschaftliches Publicum gegeben hat, geglaubt worden. 6
Einleitung
2.) Das innere Wesen der Wissenschaft ist auf sich selbst gegründet, und macht sich schlechthin durch sich selbst und aus sich selbst, so wie es sich macht, absolut vernichtend alle Willkühr, und es ist die aller erste Forderung an einen wissenschaftlichen Menschen, vor deren Erfüllung niemals auch nur ein Funke von Wissen in seine Seele kommen wird, daß alle Neigung in ihm vor dem heiligen Gesetze der Wahrheit verstumme, und er_für immer entschlossen sey, alles, was ihm als wahr einleuchten werde, mit ruhiger Ergebung sich gefallen zulassen. 3.) Die aller erste, dem wissenschaftlichen Menschen anzumuthende Erkenntniß ist die, daß die Wissenschaft nicht ein leeres nur die Zeit vertreiben sollendes Spiel, und eben so wenig bloß ein an sich nicht nothwendiger sondern nur zum erhöhten Lebensgenusse dienender Luxus, sondern daß sie ein x dem Menschengeschlecht schlechthin anzumuthendes, und die einzige mögliche Quelle aller seiner weitem Fortentwicklung sei: daß die [/] Wahrheit ein Gut, und das höchste, alle andern Güter in sich enthaltende Gut, der Irrthum dagegen die Quelle aller Uebel, und daß er Sünde, und die Quelle aller andern Sünden sey, und daß derjenige, der die Wahrheit aufhält, und den Irrthum verbreitet, die allerschaudervollste Sünde am Menschengeschlechte begeht. Es ist aber ein himmlisch klarer Satz, und ganz allein durch sich der Mensch[h]eit den Besitz der Wahrheit sichernd, daß die Evidenz eine specifisch verschiedene innere u überzeugende Kraft bei sich führe, welche niemals auf die Seite des Irrthums treten kann und daß drum jedermann unter allen Umständen wissen kann, ob das, was er denke[,] ihn mit dieser Kraft ergreife, oder nicht, daß daher jeder, von welchem hinterher sich findet, daß er geirrt habe, demnach, obwohl er seinen Irrthum recht füglich nicht als Irrthum eingesehen haben kann, ihn doch sicher nicht als Wahrheit eingesehen hat, und daß er auch hätte entdecken können, daß er ihn nicht als solchen einsahe, wenn er sich nur hätte besinnen wollen. 4. Die Quelle der Gleichgültigkeit gegen Wahrheit ist Leichtsinn, Trägheit, Egoismus, tiefe moralische Auflösung. Das Leben reißt unaufhörlich uns selber heraus aus uns selber, und treibt uns dahin oder dorthin, so wie es will, nach seinem 7
Einleitung Gutdünken sein Spiel mit uns führend. Diesem Hange zuwider dennoch sich zusammenzunehmen, u betrachtend si& zu halten, bis man vollendet, kostet Anstrengung, Selbstverläugnung, Mühe, u diese thut wehe dem verzärtelten Fleische. Es will schon etwas sagen nur zu weilen sich zu besinnen: daß man es aber in der Wissenschaft, zumal in der höchsten, in der Speculation, zu etwas Bedeutendem bringe, dazu bedarf es einer bis zur absoluten Freiheit geübten Kunst der Besinnung, und der erworbenen Unmöglichkeit, jemals von dem Strome der blinden Einbildungskraft gefaßt zu werden, welches alles wiederum einen ganz klaren, nüchternen und besonnenen Lebenslauf erfordert.•
c Ende des nur in Abschrift von I. H. Fichte vorliegenden Teils 8
M 1r-1v
Begriff der Wissenschaftslehre § 1
SWß3-4 11,3
Einleitung. Begriff der Wissenschaftslehre.
1r
§. 1. Vorläufige Beschreibung des Wissens vermittelst einer Construktion desselben. Vorläufig nennen wir diese Beschreibung, weil durch sie nicht etwa der Begriff des Wissens erschöpft, sondern nur diejenigen Merkmale in demselben nachgewiesen werden sollen, deren wir für unsern gegenwärtigen Zwek bedürfen. Die Frage sonach, mit welcher man gleich den Anfang unsrer Rede unterbrechen könnte[,]• von welchem Wissen redet ihr denn, und in welch[em Sin]ne bedient ihr euch dieses vieldeutigen Worts, [käme] hier zur Unzeit. Wir verstehen an diesem Orte unter [Wissen] dasjenige, was wir sogleich angeben werden, und [durchau]s nichts anderes, und bedienen uns dieses Wort[es in] dem Sinne, der aus dem folgenden hervorgehen wird.
--[/] Beschreibe einen beliebigen Winkel; - würden wir dem Leser zurufen, wenn wir uns mit demselben im Gespräche befänden. - Schliesse nun diesen also beschriebenen Winkel mit einer dritten geraden Linie. Nimmst du wohl an, daß derselbe Winkel noch mit einer oder mehrem andern, (d.i. mit irgend einer längern oder kürzem) Linien habe geschlossen werden kön[ne]n, ausser der, mit der du ihn wirklich geschlossen hast? - [W]enn er, wie wir erwarten, darauf antwortet, daß er [dies] keines weges annehme, so werden wir ihn weiter fragen, [ob er] dies nur für seine Meinung, sein unvorgreifliches, und [einer wei]tem Berichtigung sich allerdings bescheidendes Gutachten h[a]lte, oder ob er es zu wissen, ganz gewiß, und sicher zu wissen glaube. Bejahet er diese Frage, wie wir gleichfals erwarten, so werden wir ihn weiter fragen, ob er dafür a Loch von ca. 2x 5 cm im Blatt. Textergänzungen am Rande von I.H. Fichtes Hand. Der ergänzte Text stimmt mit dem der Abschrift von I.H. Fichte überein
9
1v
II, 4
SWll 4-5
Begrüf der Wissenschaftslehre § 1
M2r-2v
halte, daß der ausgesprochne Fall nur bei diesem bestimmten Winkel, der ihm im Construiren nun eben so ausfiel, wie er 2r ihm ausfiel, und bei diesen bestimmten ein[/]schliessenden Seiten, die ihm ebenfals nun gerade so ausfielen, statt finde, und ob etwa andere mögliche Winkel zwischen andern möglichen Seiten, durch mehrere dritte Seiten, ausser Einer, möchten geschloßen werden können; ferner, nachdem er hierüber sein Urtheil abgegeben, ob er glaube, daß nur ihm für seine Person die Sache also erscheine, oder daß schlechthin alle vernünftige Wesen, die nur seine Worte verstehen, hierin nothwendig seine[r] Ueberzeugung seyen; endlich, ob er über diese beiden in Frage gestellten Punkte eben nur zu meinen, oder entschieden etwas zu wissen glaube. Antwortet er, wie wir erwarten denn sollte eine einzige der hier zu ertheilenden Antworten anders ausfallen, als wir sie voraussetzen, so müsten wir freilich, so lange sein Zustand derselbe bleibt, alle weitere Unterhaltung mit dem Leser aufgeben; mit welchem Rechte, kann nur derjenige beurtheilen, der die Fragen richtig beantwortet hat - antwortet er, sage ich, daß schlechthin keiner unter den unendlichen möglichen Winkeln, eingeschloßen in die unendlichen möglichen Seiten, mit andern, ausser einer einigen möglichen dritten Seite geschlossen werden könne, daß schlechthin jedes vernünftige Wesen derselben Ueberzeugung seyn müsse, und daß er, der absoluten Gültigkeit des ausgesprochnen Satzes, beides sowohl von den unendlich möglichen Win11, s keln, als für die unendlich möglichen VemunftWesen, [/] 2v schlechthin sicher sey; so werden wir mit ihm weiter folgende Betrachtungen anstellen. Er versichert sonach an dem ausgesprochnen Vorstellen•' ein Wissen zu haben, eine Stetigkeit, Festigkeit, und Unerschütterlichkeit des Vorstellens, auf der er unwandelbar ruhe, und unwandelbar zu ruhen sich verspreche. Worauf ruhet denn nun eigentlich dieses • Wissen; welches ist denn dieser feste Standpunkt, dieses unwandelbare Objekt desselben?
a' ab an mit Vermerk am Rande vermutlich von I.H. Fichte
10
b unwandelbare gestrichm. Streichung
M2v-3r
Begriff der Wissenschaftslehre § 1
SWIIS-6
Zuförderst: - Der Leser hatte eben einen bestimmten Winkel, von einer bestimmten Summe von Graden durch bestimmte Seiten von bestimmter Länge errichtet, zog darauf ein für allemal die dritte Seite, und sagte in diesem Ziehen ein für allemal aus, daß nach in's unendliche fortgesezten Proben eine andere zu ziehen, doch immer nur dieselbe werde wiederholt werden. Mithin muste er in dem diesmaligen Ziehen gar nicht bloß das diesmalige, sondern das Ziehen einer Linie, unter diesen Bedingungen, d. i, um diesen bestimmten Winkel zu schliessen, überhaupt und schlechthin in seiner unendlichen Wiederholbarkeit, mit Einern Blike zu übersehen meinen, und wirklich übersehen, wenn es mit seiner Behauptung eines Wissens Grund haben soll. Er muste auf das diesmalige Ziehen, als diesmaliges, überhaupt gar nicht sehen. Ferner: der ausgesagte Saz sollte nicht nur für diesen bestimmten, ihm [/] vorliegenden Winkel, sondern schlechthin für die unendlich möglichen Winkel gelten, behauptete er zu wissen; er muste dem nach auf das Ziehen einer Linie, um diesen Winkel zu schliessen, durchaus nicht, sondern überhaupt, und schlechthin auf das Ziehen einer Linie um überhaupt einen Winkel zu schliessen, sehen, und dasselbe in seiner möglichen unendlichen Verschiedenheit mit Einern Blike übersehen, wenn es mit seiner Behauptung des ausgesprochnen Wissens Grund haben soll. Ferner sollte der ausgesagte Saz nicht nur für ihn, sondern schlechthin für jedes vernünftige Wesen gelten, welches nur die Worte, mit denen er ausgedrükt ist, verstände; sonach muste der Leser durchaus nicht auf sich, als diese Person, noch auf sein eignes persönliches Urtheil, sondern auf das Urtheil aller vernünftigen sehen, und dasselbe mit Einern Blike übersehen, aus seiner Seele heraus in die Seele aller vernünftigen Wesen hineinsehen, b• wenn es mit seiner Behauptung des ausgesprochnen Wissens Grund haben soll. Endlich, indem er, dieses alles zu~ammengefaßt, zu wissen behauptet, sonach in alle Ewigkeit nicht anders zu urtheilen sich verspricht, sezt er sein in diesem Augenblike gefälltes Urtheil, als Urtheil für alle Zukunft sowohl, als für alle Vergangenheit, wenn in ihr über diesen Gegenstand hätte geurtheilt werden sollen, fest; b' ab aus mit Vermerk am Rande 11
3r
II, 6
SWII6
3v
x
Begriff der Wissenschaftslehre § 1
M3r-3v
er betrachtet sonach sein Urtheil gar nicht als ein in diesem Augenblike gefälltes, sondern übersieht sein und aller vernünftigen Wesen Urtheil über diesen Gegenstand schlechthin in aller Zeit, d. i. absolut zeitlos, wenn es [/] mit der Behauptung des ausgesprochnen Wissens Grund haben soll. Mit einem Worte: der Leser schreibt sich zu eine Uebersicht, und ein Auffassen alles Vorstellens - versteht sich in Beziehung auf den Gegenstand, an welchem wir es erwiesen haben - oder wie wir lieber sagen möchten, schlechthin mit Einern Blike. Nun verhindert uns nichts, davon zu abstrahiren, daß in dem gewählten Beispiele es gerade das Vorstellen über die Linie zwischen zwei Punkten war, welches mit dem Einen Blike umfaßt wurde; und demzufolge• als Resultat unsrer Untersuchung den bloß formalen Saz aufzustellen: es giebt, falls der Leser unsre obigen Fragen beantwortet hat, wie wir es voraussezten, für denselben ein Wissen, und dieses Wissen ist das Auffassen eines gewissen Vorstellens (oder, wie wir lieber sagen, der Vernunft, welches Wort indessen hier nicht mehr bedeuten soll, als es dem Zusammenhange zufolge bedeuten kann-) 4 in seiner Gesammtheit schlechthin mit Einem Blike. Nichts verhindert uns, sage ich, diese Abstraktion zu machen, wenn wir nur nicht etwa vermittelst derselben unser Resultat willkührlich erweitern, - sondern gänzlich unentschieden lassen, ob es bloß den zum Beispiele untergelegten Gegenstand eines Wissens, oder ausser ihm auch noch mehrere gebe. [*] [/]
[*] N.B. Hieher einen Zusaz, daß nicht aus dem Satze der Linie gefolgert werde: ferner, daß er selbst nicht bewiesen, sondern als bekannt vorausgesezt werde. -!
c demzufolge mit Vermerk am Rande d Passage in der Klammer mit Vermerk am Rande e ab N. B. gestrichen. Streichung vermutlich von I.H. Fichte 12
M4r-4v
Begriff der Wissenschaftslehre §§ 2 u. 3
SWII7
§. 2.
4r
Wort-Erklärungen. Ein solches absolutes Zusammenfassen und Uebersehen eines rr, Mannigfaltigen v Vorstellen, welches Mannigfaltige denn auch wohl überall zugleich ein unendliches seyn dürfte, wie sich ein solches in der vorstehenden Construktion eines Wissens gezeigt hat, heißt in der folgenden Bearbeitung, und überhaupt in der Wissenschaftslehre, Anschauung. Es hat sich in derselben Construktion gefunden, daß nur in der Anschauung das Wissen beruhe, und bestehe. Diesem zusammenfassenden a Bewußtseyn b ist entgegengesezt das Bewußtseyn des besondern, wie in dem untergelegten Beispiele das Bewußtseyn des diesmaligen Ziehens der Linie zwischen den beiden durch den Winkel bestimmten Punkten war. Wir können dieses Bewußtseyn Wahrnehmung nennen, oder Erfahrung. Es hat sich gefunden, daß im Wissen von der bloßen Wahrnehmung abgesehen werden muß.*[/]
§. 3. Beschreibung der Wissenschafts/ehre, als eines Wissens vom Wissen.
4v
Die Wissenschaftslehre soll, wie die Zusammensetzung des Worts zeigt, seyn eine Lehre, eine Theorie des Wissens, welche Theorie sich nun ohne Zweifel auf ein Wissen vom Wissen gründet, dasselbe erzeugt, oder mit Einern Worte, es ist. Dieses Wissen vom Wissen ist, zufolge des Begriffs, zuförderst selbst ein Wissen, ein Zusammenfassen eines Mannigfaltigen durchaus mit Einern Blike.
* Es thut daher der Abgrund der Dummheit sich auf, wenn irgend ein Nicolai irgendwo mich auffodert, ihm doch zu sagen, wie man x irgend etwas wissen könne ausser durch Erfahrung. Durch Erfahrung kann man gar nichts wissen; indem das bloß erfahrne erst aufgegeben werden muß, wenn es mit uns zu einem Wissen kommen soll. a verb.aus Zusammenfassen
b Bewußtseyn mit Vermerk am Rande 13
7
SWII 7-8
11. 8
Sr
Sv
Begriff der Wissenschaftslehre § 3
M5r-5v
Es ist ferner ein Wissen vom Wissen. Wie sich verhält das oben beschriebne Wissen von dem Linienziehen zwischen zwei Punkten schlechthin, zu den in's unendliche verschiednen Fällen dieses Ziehens, so verhält sich das Wissen vom Wissen zu diesem Wissen, welches sodann freilich die Ansicht eines Mannigfaltigen geben müste, das schlechthin in Einem Blike zusammengefaßt würde. Oder, noch deutlicher, und schärfer: - in allem blossen Wissen von dem Ziehen der Linie, von den Verhältnissen der Theile eines Triangels, und welcherlei Wissen es noch sonst geben mag, wäre das Wissen in seiner absoluten Identität, eben als Wissen, der eigentliche Mittelpunkt, und Sitz des [/] Wissens vom Linienziehen, Verhältniß der Theile des Triangels u.s. w. in ihm eben, und seiner Einheit, würde von allem, so verschieden dasselbe auch sonst seyn mag, dennoch auf einerlei Weise gewußt, was man eben Wissen nennt; keinesweges aber vom Wissen, als solche gewußt, weil ja eben nicht vom Wissen sondern vom Linieziehen, u. dergl. gewußt wird. Das Wissen wäre eben, als Wissen, und wüßte eben, weil es wäre; aber es wüßte nicht von sich, eben weil es bloß wäre. Im Wissen vom Wissen aber, würde dieses Wissen selbst, durchaus als solches mit Einem Blike, und darum eben als sich selbst gleiche Einheit, aufgefaßt; gerade so wie im Wissen das Linienziehen u.s. w. als sich selbst gleiche Einheit aufgefaßt wurde. Im Wissen vom Wissen entäusserte das Wissen sich seiner selbst, und stellte sich hin vor sich selbst, um sich wiederum zu ergreifen. So hatten wir in unsrer Beschreibung des Wissens (§ 1.) allerdings das blosse Wissen - nur eben ein bestimmtes vom Linienziehen - zu unserm Objekte. Das aber, was wir selbst, - nur uns unbewußt, eben weil dies der Mittelpunkt unsers Bewußtseyns war, - in dieser Beschreibung waren, oder vollzogen, war ein Wissen von diesem blossen Wissen. Wir standen sonach schon in jener Beschreibung nicht auf dem Boden der blossen Wissenschaft, so wie wir es etwa 1nit jenem Satze von der Linie in der Geometrie thun, sondern auf dem der Wissenschafts[/]lehre; und in der soeben angestellten Betrachtung haben wir noch über der Wissenschaftslehre gestanden.
14
M5r-6r
Begriff der Wissenschaftslehre § 4
SWII9
Es ist klar, daß ein solches sich selbst ergreifen und erfassen des Wissens, wie wir das Wissen vom Wissen beschrieben haben, möglich seyn muß, wenn eine Wissenschaftslehre möglich seyn soll. Nun könnten wir allerdings sogar schon hier aus der Wirklichkeit des Bewußtseyns unsrer aller den, freilieh nur mittelbaren, Beweiß führen, daß dieses sich ergreifen des Wissens wirklich sey, mithin wohl möglich seyn müsse. Der direkte unmittelbare Beweiß aber ist eben die Wirklichkeit der Wissenschaftslehre, den sich jeder faktisch führen wird, wenn er dieselbe in sich realisirt. Wir können uns daher, auf diesen zu führenden faktischen uns berufend, alles vorläufigen Beweises durch Worte überheben; da wir zum Ueberfluße schon jezt durch die bloße Existenz unsers §. 1. den faktischen Beweiß angehoben haben.
II, 9
§. 4. Folgerungen. 1.). Alles Wissen ist nach dem obigen Anschauung. Daher ist das Wissen vom Wissen, inwiefern es selbst ein Wissen ist, Anschauung, und inwiefern es ein Wissen vom Wissen ist, Anschauung aller Anschauung; absolutes Zusammenfassen aller möglichen Anschauung in Eine. [/] x 2.). Sonach ist die Wissenschaftslehre, die ja das Wissen vom 6r Wissen ist, keine Mehrheit von Erkenntnissen, kein System, oder Zusammenfügung von Sätzen, sondern sie ist durchaus nur ein einiger, untheilbarer Blik. 3.) Die Anschauung ist selbst absolutes Wissen, Festigkeit, Unerschütterlichkeit, und Unwandelbarkeit des Vorstellens, die Wissenschaftslehre ist lediglich die Einheits-Anschauung jener Anschauung. Die Wissenschaftslehre ist daher selbst absolutes Wissen, Festigkeit, Unerschütterlichkeit, und Unwandelbarkeit des Urtheils. also, was nur wirklich Wissenschaftslehre ist, kann von einem vernünftigen Wesen• nicht widerlegt, ihm kann nicht widersprochen, es kann daran nicht a ab von mit Vermerk am Rande
15
SWII 9-10
ll, 10
6v
x
7r
Begriff der Wissenschaftslehre § 4
M6r-7r
einmal gezweifelt werden, indem die Möglichkeit aller Widerlegung, alles Widerspruches, und alles Zweifels auf ihrem Boden erst möglich gemacht wird, sonach tief unter ihr liegt. Es kann ihr, in Beziehung auf Individuen, lediglich das begegnen, daß jemand sie nicht besitze. 4.) Da die Wissenschaftslehre eben nur die Anschauung des unabhängig von ihr vorausgesezten und vorauszusetzenden Wissens {vom Linieziehen, Triangel, u.sw.) ist, so kann sie kein neues, und besonderes, etwa nur durch sie mögliches materiales Wissen {Wissen von etwas) herbeiführen, sondern sie ist nur das zum Wissen von sich selbst, zur Besonnenheit, Klarheit, und Herrschaft über sich selbst gekommene allgemeine Wissen. Sie ist garnicht Objekt des Wissens, sondern [/] nur eine Form des Wissens von allen möglichen Objekten. Sie ist auf keine Weise unser Gegenstand, sondern unser Werkzeug; unsre Hand, unser"' Fuß, unser Auge; ja nicht einmahl unser Auge, sondern nur die Klarheit des Auges. Zum Gegenstande macht man sie nur dem, der sie noch nicht hat, bis er sie bekommt, nur um dieses willen stellt man sie in W orten dar; wer sie hat, der, inwiefern er nur auf sich selbst sieht, redet nicht mehr von ihr, sondern er lebt, thut und treibt sie in seinem übrigen Wissen. Der Strenge nach hat man sie nicht, sondern man ist sie, und keiner hat sie eher, bis er selbst zu ihr geworden ist. 6.) Sie ist, sagten wir, die Anschauung des allgemeinen, nicht erst zu erwerbenden, sondern schlechthin bei jedem, der nur ein vernünftiges Wesen ist, vorauszusetzenden, und das vernünftige Wesen eben constituirenden Wissens. Sie ist daher das leichteste, offenbarste, einem jeden zunächst vor den Füssen liegende, was es geben kann. Es gehört zu ihr nichts weiter, als daß man sich auf sich selbst besinne, und ein[en]• festen Blik in sein Inneres wende. Daß die Menschheit in ihrem Forschen nach ihr Jahrtausende irre gegangen ist, und das Zeitalter, dem sie vorgelegt worden, sie nicht vernommen hat, beweißt bloß, daß den Menschen bisjezt alles andere näher angelegen hat, als sie sich selbst. [/] 7.) Ohnerachtet nun die Wissenschaftslehre nicht ein Sya' Ms. unsrer 16
b sinngemiijl ergänzt
M 7r-7v
Begriff der Wissenschaftslehre § 4
SWII 10-11
stem von Erkenntnissen, sondern eine Einige Anschauung ist, so könnte es doch wohl se)rn, daß die Einheit dieser Anschauung selbst keinesweges eine< absolute Einfachheit, ein leztes Element, Atom, Monade, oder wie man diesen Ungedanken etwa noch ausdrüken will, wäre, etwa weil es so etwas im Wissen nicht, und überhaupt nicht gäbe, sondern daß sie eine organische Einheit wäre, eine Verschmelzung der Mannigfaltigkeit in Einheit, und Ausströmung der Einheit in Mannigfaltigkeit zugleich und eben in ungetrennter Einheit: wie wohl schon daraus sich ergeben dürfte, daß diese Anschauung ein Mannigfaltiges von Anschauungen in Einen Blik fassen soll, deren jede, einzeln gedacht, wiederum ein unendliches Mannigfaltiges von Fällen in Einen Blik fassen soll. Nun könnte ferner, falls dieses sich also verhalten sollte, es wohl geschehen, daß wir, nicht in dem bei uns vorauszusetzenden eignen Besitze dieser Wissenschaft, sondern im Vortrage derselben für andre, welche als nicht besitzende vorausgesezt werden, jene Einheit nicht unmittelbar hinzustellen vermöchten, sondern sie erst vor dem Auge des Lesers aus irgendeiner Mannigfaltigkeit sich organisiren, und wiederum• in jene sich desorganisiren lassen müsten. In diesem Falle würde dasjenige Glied des Mannigfaltigen, von welchem etwa unsre Organisation anhöbe, als einzelnes Glied gar nicht [/] verständlich seyn, indem es ja für sich garnicht, sondern nur als organischer Theil einer Einheit ist, und nur in der Einheit verständlich seyn kann. Wir würden also nie einen Eingang in unsre Wissenschaft gewinnen, oder wenn wir ihn doch gewönnen, und ein einzelner Theil sich verständlich machen ließe, so könnte dies nur dadurch geschehen, daß die Anschauung desselben, von der, obwohl dunkeln und uns unbewußten, Anschauung des Ganzen begleitet würde, in derselben ihren Ruhepunkt hätte, und von daher ihre .Klarheit und Verständlichkeit erhielte indem sie wiederum von ihrer Seite der Anschauung des Ganzen, inwiefern sie auf dasselbe einfließt, Klarheit gäbe: und eben so mit allen in der Folge aufzustellenden Theilen. Nicht allein aber dies, sondern der etwa an der zweiten Stelle stehende Theil erhielte nicht bloß .Klarheit vom c eine mit Vermerk am Rande
d wiederum mit Vermerk am Rande
17
II, 11
7v
SW II 11-12
Begriff der Wissenschaftslehre § 4
M7v-8v
ersten, schon abgehandelten, sondern gäbe umgekehrt auch diesem wiederum neue Klarheit, indem dieses ja seine vollendete Klarheit nur Ganzen hat, dieses zweite aber zum Ganzen gehört; so der dritte erhielte nicht bloß Klarheit vom ersten, sondern gäbe auch hinwiederum beiden eine eigenthümliche, nur aus ihm ausströmende Klarheit; und so fort" bis zum Ende. Daß also im Verlaufe der Betrachtung fortwährend jeder Theil durch alle, und alle durch jeden erklärt würden, sonach fortwährend alle gehandelten Theile geII. 12 genwärtig erhalten werden müsten, weil sie mit jedem Schritte Sr nicht einzeln, sondern gegen[/]seitig durch alle hindurch, und von allen , erblikt würden, und keines durchaus klar wäre, solange nicht alle es sind, und solange nicht eben der Eine klare Blik, der das Mannigfaltige einet, und das Eine in ein Mannigfaltiges verströmt, hervorgebracht ist. Somit bliebe die Wissenschaftslehre, in der ganzen Länge, und Ausdehnung, die man ihr durch den successiven Vortrag geben möchte, doch immer nur ein und eben derselbe untheilbare Blik, der nur aus dem Zero der Klarheit, in welchem er bloß ist, aber sich nicht kennt, successiv und gradweise erhoben würde zur Klarheit schlechthin, wo er sich selbst innigst durchdringt, und in sich selbst wohnet und ist; und es sich hier von neuem bestätigte, daß das Geschäft der Wissenschaftslehre nicht ist ein erwerben, und hervorbringen eines neuen, sondern lediglich ein verklären dessen, was da ewig war, und ewig wir selbst war. Wir können historisch hinzusetzen, daß es sich wirklich also verhält, wie wir angenommen haben, und daß hierdurch die Methode der Wissenschaftslehre bestimmt ist. Diese Wissenschaft ist nicht vorwärts folgernd in einer einfachen Reihe, gleichwie in einer Linie, nach dem Gesetze der Consequenz, dergleichen Verfahren nur innerhalb und über einem schon vorausgesezten und unterliegenden Organismus des Wissens möglich ist, in der Philosophie aber zu nichts führt, und da die Seichtigkeit selbst ist; sondern sie ist allseitig und wechselseitig Sv folgernd, immer aus einem Central[/]Punkte aus nach allen Punkten hin, und von allen Punkten zurük, gleichwie in einem x organischen Körper. [/] e Ms. sofort
18
M9r-9v
Erster Teil §§ 5 u. 6
SWII 13
1. [Theil]) Ueber das absolute Wissen.
9r
§. 5. Zuförderst, welches lediglich darum gesagt wird, um unsre Untersuchung zu leiten•[,] ist durch den bloßen Begriff eines absoluten Wissens soviel klar, daß dasselbe nicht das Absolute"' ist. Jedes zu dem Ausdruke das absolute gesezte zweite Wort hebt die Absolutheit, schlechthin als solche, auf, und läßt sie nur noch in der durch das hinzugesezte Wort bezeichneten II, 13 Rüksicht, und Relation stehen. Das absolute ist weder ein Wissen, noch ist es ein Seyn, noch ist es Identität•, noch ist es Indifferenz beider, sondern es ist durchaus bloß und lediglich x das Absolute. Da wir aber in der Wissenschaftslehre, und vielleicht auch ausser derselben in allem möglichen Wissen, nie weiter kommen, denn bis auf das Wissen, so kann die W. L! nicht vom Absoluten, sondern sie muß vom absoluten Wissen ausgehen. Wie es denn doch zugehe, daß wir, wie wir soeben gethan, das Absolute noch über dem absoluten Wissen hinaus und als unabhängig von demselben, wenigstens denken, und das so eben Behauptete von ihm behaupten können, wird im Verfolg unsrer Untersuchung sich ohne Zweifel ergeben. Vielleicht, daß das absolute eben nur in der Verbindung, in der es aufgestellt ist, als Form des Wissens, keinesweges aber rein an und für sich, in unser Bewußtseyn eintritt.
§. 6. Dieselbe Frage, die soeben über die Denkmöglichkeit des Absoluten erhoben wurde, läßt ohne Zweifel, wenn nemlich [/] sich finden sollte, daß alles unser wirkliches, und mögliches
a ab welches mit Vermerk am Rande a' Ms. absolute - Man beachte, daß Fichte im folgenden das Absolute teils klein, teils groß schreibt b hier und häufig im gesamten folgenden Text schreibt Fichte Idendität Fichtes abweichende Schreibweise ist im gesamten Text verbessert worden c hier und im folgenden Abk.for Wissenschaftslehre 19
9v
SWII 13-14
x
11, 14
Erster Teil § 7
M9v
Wissen durchaus nie das absolute, sondern nur ein relatives, so oder anders bestimmtes, und beschränktes Wissen sey, über die Denkmöglichkeit des absoluten Wissens sich aufwerfen; und sie dürfte ohngefähr auf dieselbe Weise beantwortet werden, daß das absolute Wissen nur als Form, oder in einer andern Weise der Ansicht, nur als Materie oder Objekt des wirkliehen Wissens zum Bewußtseyn komme, oder kommen könne. Daher müssen auch wir insbesondre, die wir hier das absolute Wissen zu beschreiben gedenken, sonach von demselben zu wissen ohne Zweifel vermeinen, die Frage, wie wir zu diesem unserm wirklichen Wissen von dem absoluten Wissen gekommen, vor der Hand unbeantwortet lassen. Vielleicht erbliken auch wir dasselbe, obgleich als absolutes, dennoch nur in einer Relation, nemlich in der mit allem relativen Wissen. Wir müssen in der zu liefernden Beschreibung uns lediglich an die unmittelbare Anschauung des Lesers halten, und ihn fragen, ob das was er dieser Beschreibung zufolge in sich erbliken wird, sich ihm wohl mit dem Bewußtseyn, daß es das absolute Wissen sey, aufdringe: oder, falls selbst diese Anschauung ihn verliee, müssen wir abwarten, ob in der Entwiklung der später folgenden Sätze zugleich über diesen ersten Punkt ihm ein Licht aufgehen werde. [/]•
§. 7. Formale und Wort-Erklärung des absoluten Wissens. Wenn es auch bei dem bleiben sollte, was einem jeden schon der Augenschein giebt, dass alles unser wirkliches Wissen ein Wissen von Etwas sey, - diesem Etwas, welches nicht ist jenes zweite oder jenes dritte Etwas; so ist doch ohne Zweifel jeder vermögend die Betrachtung anzustellen, und zu finden, dass es nicht ein Wissen von Etwas seyn könne, ohne eben überhaupt ein Wissen, schlechthin bloss und lediglich als Wissen, zu seyn. Inwiefern es ein Wissen von Etwas ist, ist es, in jedem anderen Wissen von jedem anderen Etwas, von sich selbst verschieden; inwiefern es eben Wissen ist, ist es sich selbst in a die hier folgenden Seiten fehlen im Ms.; Text nach SW wiedergegeben 20
M9v
Erster Teil § 7
SWII 14-15
allem Etwaswissen gleich, und durchaus dasselbe, ob auch dieses Etwaswissen in die Unendlichkeit fortgehe und insofern in die Unendlichkeit hin verschieden sey. Zu diesem Denken des Wissen nun, als des Einen und sich selbst gleichen in allem besonderen Wissen, und wodurch dieses letztere nicht dieses, sondern eben überhaupt Wissen ist, ist der Leser hier eingeladen, wo vom absoluten Wissen gesprochen wird. Dass wir es ihm, versteht sich als den Gedanken, der ihm angemuthet wird, noch durch einige Züge beschreiben: - Es ist nicht ein Wissen von Etwas, noch ist es ein Wissen von Nichts (so dass es ein Wissen von Etwas, dieses Etwas aber Nichts wäre); es ist nicht einmal ein Wissen von sich selbst; x denn es ist überhaupt kein Wissen von - noch ist es ein Wissen (quantitativ und in der Relation), sondern es ist das Wissen (absolut qualitativ). Es ist kein Act, keine Begebenheit, oder dess• etwas im Wissen, sondern es ist eben das Wissen, in welchem allein alle Acte und alle Begebenheiten, die da gesetzt werden, gesetzt werden können. Weichen Gebrauch [/] wir 11, 15 dann doch davon machen werden, muss der Leser erwarten. Es wird nicht entgegengesetzt dem Etwas, wovon gewusst wird; denn dann wäre es das Wissen von Etwas, oder das besondere Wissen selbst, sondern es wird entgegengesetzt dem Wissen von Etwas. (Dass man diesen Punct übersah, darin lag der Grund, warum man die Wissenschaftslehre als auf einem Reflectir-Puncte hangen geblieben erblickte, und einen Standpunct über ihr eingenommen zu haben glaubte, der doch tief unter der wirklichen Wissenschaftslehre liegt.)* x
Nun dürfte Jemand sagen, dieser Begriff des Wissens überhaupt sey doch nur eine Abstraction von allem Besonderen des Wissens: und diesem ist allerdings zuzugeben, dass man zu einem besonderen Bewusstseyn des absolut Einen und gleichen in allem besonderen Wissen sich im Verlaufe des wirklichen Be-
* {Am Rande wird vom Verfasser bemerkt, dass dies (in der letzten Redaction des Werkes)„] nur problematisch auszudrücken sey.["] x a SWdass 21
swn tS-16
Erster Teil § 8
M9v
wusstseyns nur durch eine freie Niederdrückung und Verdunkelung {gewöhnlich Abstraction davon genannt) des besonderen Charakters eines bestimmten Wissens erhebe; ohnerachtet es auch wohl noch einen anderen Weg geben könnte, wenigstens hinterher zu diesem Bewusstseyn zu gelangen, welcher letztere gerade derselbe seyn dürfte, den wir in der Folge unseren Leser zu führen gedenken. Wenn nur nicht, nach den Begriffen, dergleichen im philosophischen Publicum gäng und gäbe sind, von einer Abstraction, welche aus einer Menge von Einzelnen herausbringen soll, was in keinem einzigen dieser Einzelnen liegt - wenn nur nicht nach diesen Begriffen durch jene Einwendung soviel gesagt werden soll, dass der Charakter des Wissens überhaupt, den jedes besondere Wissen haben muss, keinesweges für die Möglichkeit jedes einzelnen, besonderen vorausgesetzt werde, sondern etwa erst, nachdem eine beträchtliche Reihe besonderer Wissensbestimmungen abgelaufen, in sie hineinkomme, und nun erst zu einem Wissen mache, was vorher zwar ein besonderes Wissen war, ohnerachtet es kein Wissen war! [/] II, 16
§. 8. Real-Erklärung oder Beschreibung des absoluten Wissens. Zuvörderst, die Realerklärung des absoluten Wissens kann nichts Anderes seyn, als die Nachweisung dieses Wissens in unmittelbarer Anschauung. Es lässt sich nicht etwa durch Denken schliessen, welches dieses absolute Wissen seyn werde; denn da es eben das absolute seyn soll, so kann es kein höheres, würde heissen, kein noch absoluteres Datum des Wissens geben, aus welchem und von welchem aus durch ein Denken geschlossen würde. Das absolute Wissen müsste daher durch eine gleichfalls absolute Anschauung seiner selbst erfasst werden. ferner ist klar, dass es eine solche absolute Anschauung des absoluten Wissens geben und dem zufolge die angekündigte Realerklärung des letzteren möglich seyn muss, wenn es überhaupt eine Wissenschaftslehre geben soll. Denn in der Anschauung, in welcher diese besteht, soll die Vernunft, oder das Wissen durchaus mit Einem Blicke aufgefasst werden. Aber das besondere Wissen lässt sich nicht mit Einem, sondern nur 22
M9v-10r
Enter Teil § 8
SWII 16-17
mit besonderen, und unter sich verschiedenen Blicken auffassen. Sonach müsste das Wissen, sowie es schlechthin Eins und sich selbst gleich ist, d. h. das absolute Wissen, aufgefasst werden. In der Beschreibung selbst bedienen wir uns folgender Hinleitung. Denke sich der Leser zuvörderst das Absolute, schlechthin als solches, sowie oben sein Begriff bestimmt worden. Er wird finden, behaupten wir, dass er es nur unter folgenden zwei Merkmalen denken könne, theils, dass es sey schlechthin, was es sey, auf und in sich selbst ruhe durchaus ohne Wandel und Wanken, fest, vollendet und in sich geschlossen, theils, dass es sey, was es sey, schlechthin weil es sey, von sich selbst, und durch sich selbst, ohne allen fremden Einfluss, indem neben dem Absoluten gar kein fremdes übrig [/]• bleibt, sondern 10r alles, was nicht das.Absolute selbst ist, verschwindet. (Es kann seyn, d.aß diese Duplicität der Merkmale, mit welcher wir das Absolute fassen, und es anders gar nicht fassen können, welche II, 17 dem Absoluten gegenüber allerdings sonderbar scheint, b selbst Resultat unsers Denkens, also eben eines Wissens ist, welches wir vorläufig unentschieden lassen müssen.) Wir können das erstere absolutes Bestehen, ruhendes Seyn u.sw. nennen; das leztere absolutes Werden, oder Freiheit. [OBeide Ausdrüke sollen, wie sich dies von einem ehrlichen und gründlichen Vortrage versteht, nichts mehr bezeichnen, als was in der bei' m Leser vorausgesezten Anschauung der beiden Merkmale des Absoluten wirklich liegt.) Nun soll das Wissen absolut seyn, als Eins, eben als sich selbst gleiches, und ewig gleich bleibendes Wissen, als Einheit einer und eben der höchsten Anschauung/ als blosse absolute Qualität. Im Wissen sonach müsten die beiden oben unterschiedenen Merkmale des Absoluten schlechthin in einander fallen, und verschmelzen, so d.aß beide garnicht mehr unterscheidbar wären; und eben in dieser absoluten Verschmelzung würde das Wesen des Wissen, als solchen, oder das absolute Wissen bestehen. x Ich sage, in dem zu einer untrennbaren Einheit Verschmelzen, und innigsten sich Durchdringen beider, so d.aß beide a ab hier wieder Text nach]. G. Fichtes Ms. b ab welche mit Vermerk am Rande c ab als Einheit mit Vermerk am Rande 23
SWII 17-18
Erster Teil § 8
M 10v-11r
ihren Charakter der Unterscheidung in der Vereinung gänzlich aufgeben, und verlieren, und als Ein Wesen, und ein durchaus neues Wesen dastehen, also in einer eigentlich realen 10v Verei[/]nung, und wahren Organisation: keinesweges aber in einem blossen Nebeneinander zu liegen kommen, wodurch niemand begreift, wodurch sie denn doch nebeneinander bestehen, und lediglich eine formale und negative Einheit, eine Nichtverschiedenheit entsteht, die man denn doch auch nur, Gott weiß aus welchem Grunde, behaupten, keinesweges aber x nachweisen kann. - Nicht etwa: in irgendein, somit schon vorausgeseztes, Wissen, tritt ein das ruhende Seyn, und tritt ein die Freiheit, und diese beide treten nun in diesem Wissen zusammen, und machen in dieser ihrer Vereinigung das absolute Wissen, wodurch noch ein Wissen ausser dem absoluten x Wissen, und dieses innerhalb des ersten gesezt würde; sondern: jenseit alles Wissens, nach unsrer gegenwärtigen Darstellung, treten Freiheit, und Seyn zusammen, und durchdringen sich, II, 18 und diese innige Durchdringung, und Identificirung beider zu einem neuen Wesen giebt nun erst das Wissen, eben als Wissen, als ein absolutes Tale. Von der Einsicht in diesen Punkt hängt alles ab, und die Vernachlässigung desselben hat die x neuesten Misverständnisse veranlaßt. Wie nun wir unsres Orts, die wir ohne Zweifel doch auch nur wissend sind, dazu kommen, scheinbar über alles Wissen hinauszugehen, und das Wissen selbst aus einem Nichtwissen 11r zu componiren; oder mit andern Worten, wie es [/] mit der in unsrer gegenwärtigen Beschreibung dem Leser ohne Zweifel angemutheten Anschauung des absoluten Wissens selbst, die doch wohl auch nur ein Wissen seyn kann, sich verhalte, und wie dieselbe möglich sey - eine Möglichkeit, die schon oben als Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaftslehre sich zeigte, - ferner, wie wir doch dazu kommen, diese Anschauung, oder dieses Wissen wieder als ein Nichtwissen zu setzen, wie wir doch gleichfalls gethan haben, wird in der Folge sich ergeben. Dieses Verweisen auf die Folge aber liegt in der §. 4.7. beschriebenen eigenthümlichen Methode der Wissenschaftslehre. Es mangelt hier an einer Klarheit, die erst das zweite Glied über das erste zu verbreiten hat. 24
M11r-11v
Erster Teil § 9
swn 18-19
Uebrigens ist noch zu bemerken, daß das absolute Wissen hier lediglich seiner Materie nach geschildert ist. Seyn, und Freiheit, sagten wir, treten zusammen; sie also sind das thätige, inwiefern hier nach einem thätigen gefragt werden sollte, und sind thätig, inwiefern sie eben noch nicht Wissen, sondern Seyn, und Freiheit sind. Wie sie sich aber durchdringen, ihre separaten Naturen aufgeben, um zu einer einigen, zu einem Wissen sich zu vereinigen, sind sie eben gegenseitig durch einander gebunden; denn sie sind ja nur in dieser Gebundenheit Wissen, ausser derselben aber separates Seyn, und Freiheit, und sind nun in einem ruhigen Bestehen. Dieses [/] nennen wir nun die Materie des absoluten Wissens oder die absolute Materie des Wissens•. Es könnte seyn, daß diese zur absoluten Form desselben Wissens sich gerade so verhielte, wie ruhendes Seyn zur Freiheit in der absoluten Materie selbst. ~~
11v
~~
Beschreibung der absoluten Form des Wissens. Nicht das ruhende Seyn ist das Wissen, und eben sowenig ist es die Freiheit, sagten wir, sondern das absolute sich Durchdringen, und Verschmelzen beider ist das Wissen. Sonach ist eben das sich Durchdringen, ganz davon abgesehen, was sich durchdringe, die absolute Form des Wissens.• Das Wissen ist ein für sich seyn, und in sich seyn, und in sich wohnen, und walten, und schalten. Dieses Fürsichseyn eben ist der lebendige Lichtzustand, und die Quelle aller Erscheinungen im Lichte, das •' substantielle innere Sehen, schlechthin als solches. Es ist nicht die Aufgabe die, daß du bedenken sollest, du wissest von dem Gegenstande, und nun dein Bewußtseyn (eben vom Gegenstande) als ein subjektives, und den Gegenstand, als ein objektives, begreifest, sondern daß du innigst lebendig erfassest, beides sey Eins, und sey ein sich Durchdringen, - und erst hinterher, und zufolge dieses Durchdringens mögest du auch beides unterscheiden. Du sollst sie d ab oder mit V ennerk am Rande a bis hierher senkrechter Strich am Rande und N.B. a' absolute gestrichen; Streichung von I.H. Fichte? 25
SWII 19-20
Erster Teil § 9
M 12r-12v
nicht bloß nach ihrer Trennung [/] wieder zusammenknüpfen, wie mit einem , den du nirgends herzunehmen weißt, sondern du sollst begreifen, daß sie organisch in einander, und durch einander verschmolzen sind, damit du nur erst sie trennen könnest. Oder, denke nochmals das absolute, so wie es oben beschrieben worden. Es ist schlechthin, was es ist, und ist dieses schlechthin, weil es ist. Aber dadurch ist ihm noch immer kein Auge eingesezt, und wenn du nun fragest, für wen es sey, welche Frage du sehr natürlich erheben kannst, sie auch ohne weiteres verstehst, wenn sie durch einen andern erhoben wird, so magst du dich nur nach einem Auge ausser ihm umsehen; und wenn wir dir dieses Auge auch in der That schenken wollten, wie wir doch nicht können, so wirst du ferner die Verbindung desselben mit jenem absoluten nimmer erklären, sondern sie nur x in den Tag hinein behaupten. Aber dieses Auge liegt nicht ausser ihm, sondern in ihm, und ist eben das lebendige sich Durchdringen der Absolutheit selbst. II, 20 Die Wissenschaftslehre hat dieses absolute sich selbst in sich selbst durchdringen, und für sich selbst seyn mit dem einigen Worte in der Sprache, welches sie ausdrükend fand, dem der Ichheit bezeichnet. Aber wessen innerem Auge nun einmal die Freiheit mangelt, von allem andern ab, und auf sich selbst sich zu kehren, dem helfen keine Hinleitungen, und keine noch so passenden Ausdrüke, die er nur in einem verkehrten x Sinne, zu seiner eignen noch größcrn Verwirrung, versteht. Er ist innerlich blind, und muß es bleiben. 12r
---[/] 12v
Besteht, wie aus dem eben gesagten einleuchtet, in diesem für sich seynb das eigentliche innere Wesen des Wissens, als eines solchen (als eines Lichtzustandes, und Sehens): so besteht das Wesen des Wissens eben in einer Form (einer Form des Seyns, und der Freiheit, nernlich, ihrem absoluten sich Durchdringen), und alles Wissen ist seinem Wesen nach formal. Dagegen erscheint dasjenige, was wir (§. praec[edente].) die absolute Materie des Wissens nannten, und was wohl überb ab in mit Vermerk am Rande
26
M 12v-13r
Erster Teil § 10
SWII 2(}-21
haupt die absolute Materie als Materic:C bleiben dürfte, hier, wo dem Wissen selbst sein selbstständiges Wesen gegeben ist, als eine Form, nemlich des Wissens.
§.10. Das Wissen ist in sich, und für sich als Wissen; und durchaus nur als Wissen. Es ist als Wissen absolut, was es ist, und weil es ist. Denn mit dem Verschmelzen und Verströmen erst des Separaten, ganz davon abgesehen, was dieses separate sey, keinesweges aber etwa mit dem Separaten, als solchem, entsteht ein Wissen. Dieses kann nun, als Wissen, nicht aus sich selbst herausgehen, wodurch es ja eben aufhörte, ein Wissen zu seyn; es kann für dasselbe nichts seyn ausser ihm selbst. Es ist daher für sich absolut und ergreift sich selbst und hebt an, als eigentliches formales Wissen, wie es §. praec[edente]. beschrieben ist, als Lichtzustand und Sehen, nur, inwiefern es absolut ist. Nun aber ist es, wie gesagt, als Wissen, nur Verströmung und Verschmelzung eines Separaten zur Einheit; und wohlgemerkt, diese Einheit ist in sich selbst, und ihrem Wesen nach, was für andere Einhei[/]ten es auch noch sonst geben möchte, Verschmelzung des Separaten, und schlechthin keine andere Art der Einheit. Nun hebt alles Wissen mit dieser, also charakterisirten Einheit an, worin ja die Absolutheit seines Wesens besteht; und kann sich derselben nie entledigen, noch aus ihr herausgehen, ohne sich selbst zu vernichten. Soweit sich daher das Wissen erstrekt, erstrekt sich diese Einheit, und das Wissen kann schlechthin nie auf eine Einheit kommen, die etwas anderes sey, als eine Einheit des Separaten. Mit anderen Worten: der §. 1. faktisch gefundne Saz, daß alles Wissen Zusammenfassen des Mannigfaltigen in Einen Blik sey, ist hier abgeleitet; und dazu noch die Unendlichkeit c als
Materie mit Vermerk am Rande Z7
t3r
II, 21
SWII 21-22
Erster Teil § 10
M 13v-14r
dieser Mannigfaltigkeit, die unendliche Theilbarkeit alles Wissens, über welche wir bloß faktisch nichts aus machen konnten, sondern dazu eines Satzes vom Absoluten bedurften: und zwar ist diese unendliche Theilbarkeit alles Wissens abgeleitet aus dem absoluten Wesen des Wissens, als eines Formalen(§. 9.). Was du auch auffassen mögest mit deinem Wissen, das ist Einheit, denn nur in der Einheit ist Wissen, und ergreift sich das Wissen. Wie du aber wiederum dieses Wissen ergreifest, zerstiebt dir das Eine in separate; und wie du wieder irgend einen Theil dieser so separirten, versteht sich als Einheit, weil du nicht anders kannst, fassest, und sein Wissen fassest, zerstiebt dieser dir wieder in ein Mannigfaltiges; und so wie13v de[/]rum die Theile dieser Theile, so lange du dein Theilen fortsetzen wirst. Setzest du es aber nicht fort, so stehst du eben bei einer Einheit, die dir nur dadurch Einheit bleibt, daß du dich nicht weiter darum kümmerst. Nun wisse nur, daß du diese unendliche Theilbarkeit selbst mit dir bringst, vermittelst der absoluten Form deines Wissens, aus welcher du eben nicht heraus, und welche du allemal, freilich ohne dein klares Bewußtseyn, überschauest, so oft du von unendlicher Theilbarkeit sprichst. Du wirst dir daher nicht ferner einfallen lassen, daß sie etwa in einem Dinge an sich begründet sey, welches, wenn es wahr wäre, zulezt doch nichts weiter hiesse, als x daß du den Grund nie erforschen könntest, da sie dir in deinem Wissen selbst, als der einzig möglichen Urquelle, nachgewiesen ist, welches freilich auch nichts mehr heisset, als daß II, 22 du den Grund davon allerdings wissen und erforschen kannst, wenn du nur dich selbst recht scharf, und klar beschauest. Nun ruht, welches noch wohl zu merken ist, das Wissen keinesweges im Vereinen, noch ruht es im Zerstreuen, sondern es ruht selbst schlechthin im Verschmelzen dieser beiden, in ihrer realen Identität; denn es ist keine Einheit, ausser der der separaten, und es sind keine separaten, ausser in der Einheit. Das Wissen kann nicht ausgehen von dem Bewußtseyn der Elemente, die du etwa zusammenseztest, fort zur Einheit; dehn 14r alles dein [/] Wissen kommt in Ewigkeit auf keine Elemente; noch kann es ausgehen von der Einheit, die du etwa in beliebige Theile spaltetest, mit dem Bewußtseyn, sie bis ins unendliche spalten zu können; denn du hast gar keine Einheit 28
M 14r-14v
Erster Teil § 11
SWII22-23
für sich, sondern nur eine der separaten. Es schwebt daher innerhalb beider, und ist vernichtet, wenn es nicht innerhalb beider schwebt. Es ist in sich selbst organisch.
§.11. Das Wissen ist nicht das Absolute, aber es ist selbst als Wissen absolut. Nun ist das absolute, inwiefern es als ruhig bestehend angesehen wird(§. 8), schlechthin, was es ist. Was in dieser Rük.sicht das Wissen sey, eben welches sein absolutes Wesen, d.i. sein beharrendes Bestehen sey, haben wir i vorigen §. gesehen. Das absolute ist ferner, von Seiten des Werdens, oder der Freiheit angesehen, - und es muß von dieser Seite angesehen werden, um als absolutes angesehen zu werden, - was es ist, schlechthin weil es ist. Dasselbe muß vom Wissen, eben als Wissen, gelten. Zuförderst ist klar, daß das Wissen, inwiefern es nicht mehr als Wissen schlechtweg, sondern als absolutes Wissen, mit Hinzuftlgung dieses Prädikats, angesehen wird, nicht mehr bloß in sich selbst ruhe, sondern sich wiederum über sich selbst erhebe, und auf sich herabsehe. Diese neue Reflexion nun vollzie[/]hen wir hier, stillschweigend, und ohne weitere Rechenschaft über ihre Möglichkeit abzulegen, welche ja auch über dies, da das Wissen ein absolutes für sich ist, sich von selbst versteht. Bestimmt diese neue Reflexion mit allen ihren Folgen aufzustellen, bleibt der Zukunft vorbehalten. Ferner ist, zur Erreichung der vollendeten Klarheit, und Präcision, hier noch zu bemerken, daß wir schon im vorigen §. auf diese Freiheit im Wissen stillschweigend gerechnet, und nur vermittelst ihrer dargestellt haben, was wir darstellten. Das Wissen ist ein Für sich für sich selbst[,] sagten wir, und kommt auf diese Weise aus der Einheit der eparaten, somit aus den eparaten nie heraus. Da sezten wir ja, um nur verstanden zu werden voraus, daß das Wissen nicht in sich festgehalten sey, sondern ins unbedingte sich selbst ausdehnen, sich verbreiten, und sich forttragen könne. 29
II, 23 14v
SWil23-24
15r
II, 24
1sv
Erster Teil § 11
M 14v-15v
Aber ferner, das Wissen ist als Wissen nur für sich, und in sich selbst: also nur für sich kann es seyn weil es ist; und es ist als Wissen weil es ist, nur inwiefern es dieses für sich {keinesweges für ein fremdes und äusseres) innerlich in sich selbst ist; oder mit einer andern Wendung, inwiefern es sich sezt, als seyend, weil es ist. Nun ist dieses Seyn weil es ist, nicht Ausdruk. des absoluten Seyns (Geseztseyns und ruhenden Bestehen) des Wissens, wie das im vorigen §. aufgestellte und beschriebne, sondern es ist Ausdruk seiner Freiheit, und seiner absoluten Freiheit. Das sonach, wie wir [/] zuförderst zu erinnern haben, was unter dem Charakter dieser Absolutheit verstanden, und durch ihn herbeigeführt werden wird, folgt nicht aus dem Seyn des Wissens, und dieses seyn könnte auch ohne dasselbe seyn, wenn überhaupt ein Wissen ohne dasselbe seyn kann. Dieser Charakter ist, wenn er ist, schlechthin, weil er ist, und er ist, wenn er nicht ist, schlechthin, weil er nicht ist; er ist eben Produkt der absoluten, wir sagen der absoluten, durchaus unter keiner Regel, oder Gesez, oder fremden Einflusse stehenden Freiheit des Wissens, und ist selbst diese absolute Freiheit. In diesem Sinne soll daher genommen werden, was wir darüber sagen, nicht als ob wir es aus irgend einem andern ableiten wollten, wie wir im vorigen §. mit dem Seyn des Wissens aus dem Verschmelzen der beiden Prädikate des Absoluten schlechtweg, allerdings gethan haben, sondern daß wir es schlechthin setzen wollen, eben als die innere immanente Absolutheit, und Freiheit des Wissens selbst. Soviel über das ormale dieses Freiheits-Charakters im Wissen. Was nun das Materiale desselben betrift: - ein Wissen, das in sich selbst, und für sich selbst ist, weil es ist, hiesse; ein absoluter Akt des Wissens, des für sich seyns, also eben des sich selbst Ergreifens und sich Durchdringens, des absoluten Erzeugens der oben (§. 9.) beschriebnen Fürsichheit, oder Ichheit würde gesezt, würde erzeugt, schlechthin, und dieser Akt würde angesehen als Grund alles Seyns des Wissens. Das Wissen wäre, schlechthin, weil Er wäre für mich; und es wäre nicht für mich, wenn Er nicht wäre. [/] Ein Akt, weil es Freiheit ist, ein Akt der Ichheit, des für sich, des sich ergreifens, weil es Freiheit des Wissens ist. Einheit, ein durchaus untheilbarer Punkt, des sich ergreifens, und berührens, und sich 30
M 15v-16r
Erster Teil § 12
SWII24-25
durchdringens in einem untheilbaren Punkte, weil durchaus nur der Akt, schlechthin, als solcher, keinesweges aber irgendein Seyn {des Wissens versteht sich) ausgedrükt werden soll, welches allein das Mannigfaltige {§. 10.) bei sich führt, hier aber in das begründete fällt, und vom Grunde rein abgesondert werden muß. Ein innerer lebendiger Punkt, absolute Aufregung des Lebens und des Lichts in sich selbst, und aus sich selbst.
§.12. Vereinigung der Freiheit und des Seyns im Wissen. Das absolute Wissen ist betrachtet, seinem innern immanenten, - d. h. mit Abstraktion von dem Absoluten schlechtweg {§. 5.) aufgefaßten, - Wesen nach, als absolutes Seyn; es ist betrachtet, seiner innern immanenten Erzeugung nach, als absolute Freiheit. Nun aber ist das absolute weder das Eine, noch ist es das Zweite, sondern es ist beides, als schlechthin Eins, und im Wissen wenigstens verschmilzt jene Duplicität zur Einheit. Aber selbst dieses abgerechnet ist ja die Absolutheit des Wissens eben die des Wissens, also, da das Wissen für sich ist, nur für das Wissen, welches sie nur seyn kann, inwiefern die Duplicität in ihr zur Einheit verschmilzt. Es giebt daher nothwendig im Wissen selbst, so [/] gewiß es ein Wissen ist, einen Vereinigungspunkt der Duplicität seiner Absolutheit. Auf diesen Vereinigungspunkt - nicht mehr auf die separaten, als welche nun zur Gnüge beschrieben worden - richten wir von nun an unsre Aufmerksamkeit. Das Eine Glied der separaten wenigstens, welches in dem zu beschreibenden Wissen mit einem andern zu vereinigen ist, ist die innere Freiheit des Wissens. Sonach gründet sich der höhere Einheitspunkt, den wir zu beschreiben haben, auf absolute Freiheit des Wissens selbst, sezt sie voraus, und ist nur unter dieser Voraussetzung möglich. Er ist daher schon aus diesem Grunde selbst ein Produkt der absoluten Freiheit, läßt sich nicht aus irgend einem andern ableiten, sondern nur schlechthin setzen, ist, wenn er ist, schlechthin weil er ist, und ist, wenn er nicht ist, schlechthin nicht, weil er nicht ist. Soviel· über seine äussere Form. 31
11, 25 16r
SWil25-26
16v
11, 26
Erster Teil § 12
M 16r-16v
Ferner, die Voraussetzung in dem {§. praec[edente].) beschriebnen absoluten Hinwissen der Freiheit des Wissens ist, daß alles Wissen von ihr, als ihrem Ursprunge ausgehe, daß daher, da die Freiheit Einheit ist, von der Einheit fortgegangen werde zur Mannigfaltigkeit. Nur unter Voraussetzung dieses sich reflektirens der Freiheit wird die höhere vereinigende Reflexion, von der wir hier reden[,] möglich; wie diese aber gesezt ist, ist sie schlechthin möglich. Sie ruht daher mit ihrem Fusse unmittelbar in der Einheit, und geht aus von der Einheit, und ist ihrem