Cur Deus homo: Ein Rollenspiel des Gregor von Montesacro (13. Jh.) 3534406605, 9783534406609

Cur Deus homo ist der Titel eines sprachlichen Kunstwerks aus dem 13. Jahrhundert, das eine von der Theologie ungelöste

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German Pages 198 [200] Year 2023

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Impressum
Inhalt
Einleitung
Der Inhalt und seine Struktur
Der Sitz im Leben
Die Sprache
Der poetische Schmuck
Abt Gregor
Überlieferung
Text und Übersetzung
Cur Deus homo
Warum Gott Mensch ward
Literatur
Index
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Cur Deus homo: Ein Rollenspiel des Gregor von Montesacro (13. Jh.)
 3534406605, 9783534406609

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TEXTE ZUR FORSCHUNG

Cur Deus homo Ein Rollenspiel des Gregor von Montesacro (13. Jh.) von Udo Kindermann

Udo Kindermann (ed.)

Cur Deus homo

TEXTE ZUR FORSCHUNG Band 115

Cur Deus homo Ein Rollenspiel des Gregor von Montesacro (13. Jh.)

Untersuchung, Text, Übersetzung von Udo Kindermann

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz und eBook: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-40660-9 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-40661-6

Inhalt Einleitung............................................................................................................................ 7 Der Inhalt und seine Struktur........................................................................................... 9 Der Sitz im Leben.............................................................................................................27 Die Sprache.......................................................................................................................33 Der poetische Schmuck...................................................................................................35 Abt Gregor.........................................................................................................................41 Überlieferung....................................................................................................................45 Text und Übersetzung......................................................................................................49 Literatur...........................................................................................................................192 Index................................................................................................................................195

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Einleitung Die hier vorgelegte Dichtung ist sehr schön für den, der diese Schönheit erkennen will und erkennen kann. Am besten wäre dazu wohl ein lateinkundiger und bibelkundiger, frommer Süd-Italiener des Hohen Mittelalters in der Lage, der Freude an literarischer Kunst hat. Denn für einen solchen wurde die Dichtung offenbar verfasst. Die kulturellen Voraussetzungen, die er mitbrächte, sind nicht mehr gegeben. Um sich ihnen auch nur ein wenig anzunähern, muss die Dichtung erklärt werden. Die passendste Form des Erklärens schien mir in diesem Fall nicht der gelehrte Kommentar zu Einzelheiten des lateinischen Textes zu sein, sondern eine durchgehende Übersetzung ins Deutsche, die vorrangig das sachliche Verstehen des Originals wiedergibt, daneben aber auch ein bisschen von dem Flair nicht-alltäglicher liturgischer Sprache transportieren möchte, die für diese lateinische Dichtung charakteristisch ist. Der Übersetzung gehen Einzeluntersuchungen zu Teilaspekten voraus. Sie basiert auf einer Neuausgabe des lateinischen Textes aus den Handschriften. Die Dichtung Cur Deus homo will, so erscheint es dem heutigen Interpreten, durch Sprach-Kunst vermitteln, dass es ästhetisch angenehm sein kann, sich mit der Frage zu beschäftigen, warum die Menschheit erlöst wurde. Eine rationale Lösung der Frage ist nicht beabsichtigt.1 Das für diese Dichtung charakteristische und sehr häufig eingesetzte Mittel poetischer Kunst besteht darin, dass sehr viele Strophen eine Anspielung auf die lateinische Bibel enthalten. Für möglicherweise weniger bibelfeste moderne Leser wird in der Edition auf die wichtigsten Bibelanspielungen anzitierend verwiesen. Vom ursprünglich intendierten Rezipienten sollten die Anspielungen vermutlich nicht nur als biblisches Wortgut erkannt, sondern auch mit der jeweils entsprechenden

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Eine didaktische Nebenabsicht ist nicht ausgeschlossen: die Reaktivierung biblischen Wissens. Das Gedicht ist gleichwohl kein Lehrgedicht.

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biblischen2 Szene assoziiert werden.3 Ein solches gedanklich abkürzendes, möglichst instantanes Aufdecken erzeugt, wenn es gelingt, bekanntlich ein intellektuelles Vergnügen. Ähnliches gilt für den Akt erfolgreichen Verstehens dunkel-nicht-alltäglicher sprachlicher Formulierungen und von Metaphern und Allegorien, die sich überall in der Dichtung finden.4 Für das zum intellektuellen komplementäre sinnliche Vergnügen sorgen vielfache und wechselnde Rhythmen und vielfache und wechselnde zweisilbige, in aller Regel sogar zweisilbig-reine Endreime. Die Dichtung wird dadurch ausgesprochen klangreich.5 Das Klangbild ist trotz der beträchtlichen Länge des Textes nie langweilig, dies auch deswegen, weil der Reim nicht immer nach einer gleichen Anzahl von Silben statthat. Das wird durch die Organisation der Strophen und ihre Verteilung auf 12 Sprecher erreicht.

Ob bisweilen auch auf biblische Überlieferungen in apokryphen Evangelien direkt Bezug genommen wird oder auf allgemein umlaufendes Gut aus diesen Quellen wie z. B. in der Legenda Aurea, lässt sich kaum entscheiden. 3 Die Auflösung konnte offenbar ein ähnliches Grundverständnis der Bibelstellen beim Verfasser und beim Rezipienten voraussetzen. 4 Diese sogenannten Tropen sind nach den Vorstellungen mittelalterlicher Poetiken charakteristische Mittel des gehobenen Stils (ornatus difficilis), der als der erhabenen Thematik angemessen galt. In der Dichtung ist besonders eine starke Vorliebe für Adynata und Antithesen erkenbar. Und selbstverständlich finden sich auch und allenthalben die rhetorischen Schmuckmittel des ornatus facilis: Wort- und Sinnfiguren, Klang- und Satzfiguren. 5 Dieser schöne Klangreichtum kommt am besten zur Wirkung, wenn die Dichtung nicht als Lesedichtung, sondern laut realisiert wird. 2



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Der Inhalt und seine Struktur Die Handschriften fassen den Inhalt der Dichtung in dem Titel Cur Deus homo zusammen.6 Seine Formulierung7 ist dem Titel des damals sehr bekannten prosaischen Lehrdialogs Cur Deus homo Anselms von Canterbury entlehnt worden.8 Denn nicht nur der Titel, sondern auch die Gedankenführung bei der Behandlung der im Titel gestellten Frage weisen Gemeinsamkeiten auf: Anselm geht von den göttlichen Attributen der Gerechtigkeit und des Erbarmens9 aus, er lehnt Sühneversuche des gefallenen Menschen als prinzipiell unzureichend ab und argumentiert auf rein juridischer Basis für die Notwendigkeit einer adäquaten Genugtuung, nämlich durch den Gott adäquaten Gottmenschen in Vertretung der gesamten Menschheit. Diese Argumentation findet man in der Dichtung wieder.10 Auf ihrer Basis wird ein Teilaspekt des Erlösungsgeschehens in den Vordergrund gerückt mit der Frage: Wie kann Gott wahrhaftig im Sinne von ewig zuverlässig sein, wenn er einerseits

Der vollständige Text der Überschrift ist: In nomine domini nostri Ihesu Christi Petri Cari (Petri Cari om.: B) Gregorii abbatis Montis sacri Cur deus homo liber incipit: B,V. 7 Üblicher wäre eine Formulierung mit De gewesen (De redemptione o. ä.). 8 Das Wort Liber als Teil des Titels begegnet in der handschriftlichen Tradition des anselmischen Cur Deus homo, das dann allerdings aus zwei Büchern besteht, häufig und könnte von dort entnommen worden sein. 9 Zu ihrer hervorragenden Stellung vgl. Anselm., Cur Deus 2,20, mit der Kapitelüberschrift Quam magna et quam iusta sit misericordia Dei. – Erbarmen und Gerechtigkeit sind bei Anselm eng miteinander verbunden. Ein Erbarmen Gottes ohne hinreichende tätige Reue des Sünders (sola misericordia sine omni debiti solutione; ebd. 1,12) wäre ungerecht gegenüber einem, der nicht gesündigt hat. Ein solches Erbarmen entspräche nicht der göttlichen Ordnung und gezieme sich nicht für Gott (ebd.): Deum vero non decet aliquid inordinatum in suo regno dimittere. 10 Bisweilen fällt auch bei Details der Argumentation eine starke Ähnlichkeit ins Auge, ohne dass im eigentlichen Sinne zitiert würde, z. B. in Str. 227–228; s. Anm. 71. Ähnlichkeiten dieser Art bestehen auch, gleichfalls ohne dass direkt zitiert würde, zur 1. Predigt zu Mariä Verkündigung des Bernhard von Clairvaux, s. Anm. 15. Anders als die Kenntnisse des Bibeltextes sind Kenntnisse des Anselmtextes zum Verständnis der Dichtung nicht zwingend erforderlich.

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Strafe verhängt und andererseits Erbarmen walten lässt, d. h., die verhängte Strafe abbricht?11 Unterschiedliche philosophisch-theologische Antworten auf diese Frage wurden schon vor Anselm von Canterbury seit der Spätantike versucht, die Frage gelangte aber erstmals mit Anselm in den Vordergrund des theologischen Diskurses. Künstlerische Antworten auf die Frage werden seit dem 12. Jahrhundert mehrfach greifbar. In ihnen projiziert man in anthropomorpher Analogie widersprüchliche tugendhafte Eigenschaften in den an sich eigenschaftslosen, allmächtigen Gott hinein, zieht sie aber sofort gleichsam wieder aus ihm heraus und lässt sie vor ihm, personifiziert als seine Ratgeber,12 agieren.13 Dass dieses Motiv – in der Literaturwissenschaft wird es einmal Streit der Töchter Gottes genannt werden14 – eine so rasche und so weite Verbreitung fand, ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass es in einer der Predigten Bernhards von Clairvaux breit in Prosa ausgestaltet und mit diesen außerordentlich beliebten Predigten europaweit verbreitet wurde.15

Diese Frage musste sich stellen, wenn man den unerfassbaren Gott mit notwendigerweise menschlichen Vorstellungen erfassen wollte und deshalb rein sprachliche Aussagen über ihn machte. Diese Aussagen widersprechen sich nach heutigem Verständnis natürlich nur auf der Aussagenebene, und nicht auf der Objektebene. 12 Weil sie etwas widersprüchliche Tugenden repräsentieren, können die ihnen entsprechenden allegorischen Damen ohne Verlust ihres Ansehens vom hochmittelalterlichen Frauenbild für irdische Frauen abweichen und scharfsinnig miteinander streiten, während die nicht-allegorische Maria als keusche Magd des Herrn ihre Rolle in der Heilsgeschichte der Welt eher demütig annimmt. 13 Das wird dadurch verbildlicht, dass man die Wahrhaftigkeit (Veritas), die Gerechtigkeit (Iustitia), die Erbarmung (Misericordia) und die Tugend Friedfertigkeit / Friede (Pax) einen Disput veranstalten lässt vor den Personen der Trinität, die sich gerade darüber berät, ob und dann wie sie sich des gefallenen Menschen annehmen solle. Es müssen nicht immer alle vier Ratgeberinnen disputieren. 14 Vgl. Mäder (1971). 15 Möglicherweise hat Bernhard das Motiv auf der schmalen Basis des 84. Psalms regelrecht erfunden; ausgeführt hat er es in der 1. Predigt zu Mariä Verkündigung (MPL 183, Sp. 383–390, bsd. Kap. 9–14, = Winkler [1997, S. 122–129]). – Zur Behandlung des Motivs in zeitgenössischer mittelhochdeutscher Literatur vgl. den Streit der Töchter Gottes in dem Epos Die Erlösung, Vs. 520–656; Bartsch (1858, S. 17–21); Ohly (1994). 11

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Der Inhalt der Dichtung Cur Deus homo ist in etwa drei Dutzend Abschnitte gegliedert, die z. B. durch ihre Verteilung auf mehrere Sprecher noch weiter untergliedert werden könnten:

Strophen 1–6 Der extradiegetische Erzähler16 der Erzählpartien des Gedichts wendet sich in den ersten sechs Strophen an den Heiligen Geist und bittet ihn um sachliche und um künstlerische Inspiration: Gib, dass ich von Dir über diese wunderbaren Dinge belehrt sie angemessen zum Ausdruck bringe.17 In diesem Zusammenhang bittet er um eine Leier,18 um das Instrument Stimme19 und um eine schöne und richtige Rede.20 Zusammengenommen scheint das zunächst den konventionellen Eingang einer epischen Erzählung zu bilden, der also eine längere Verserzählung erwarten lässt. Doch diese Dichtung ist zwar eine längere, aber eine in vielfacher Hinsicht un-­ epische Erzählung. Bereits das Maß der ersten 108 Verse ist keineswegs der zu erwartende epische Hexameter.21 Sie sind anders als dieser auch nicht stichisch aneinander gereiht, son-

Er wird in den Handschriften nicht benannt. Lediglich zur Erleichterung des Überblicks erhält er in dieser Ausgabe die Bezeichnung Narrator bzw. Erzähler, ohne dass dies die Zuweisung zu einer intradihegetischen ‚Rolle‘ bedeuten würde. 17 A te doctus nunc res miras / da, ut apte dictitem: Str. 6,2–3; ähnlich in Str. 5,2–3. – Bereits der erste christliche Epiker ruft zu Beginn seiner Dichtung den Heiligen Geist an: Iuvencus, Praef. 25–27. 18 Str. 1,2. 19 Str. 1,3. 20 Str. 2,3. 21 Für ein episches, d.  h., gleichmäßig fortschreitendes Erzählen ist nicht unbedingt ein Hexameter nötig, wie das der lateinische Saturnier oder später Alexandriner oder Blankverse zeigen. Es wird jedoch gefördert durch einen gleichmäßig fortschreitenden Vers, dessen Gleichmaß nicht wie hier durch Endreime oder gar die Bindung zu Strophen immer wieder unterbrochen wird. 16

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dern zu Strophen zusammen gefasst, die besonders aus der akzentuierenden religiösen Lyrik allgemein bekannt waren.22 Die formale Beschreibung der Strophen ist in der Tabelle auf S.  39 zusammen gestellt, die auch die im Folgenden verwendeten Kurzbezeichnungen für Strophenform (S1–14) und Reimschema (R1–10) auflöst.

Strophen 7–36 Nach der Anrufung des Heiligen Geistes beginnt die Erzählung: vom ewigen Anbeginn des göttlichen Seins23 über die Schöpfung24 bis zum Verführungsversuch der Schlange im Paradies. Die Erzählung25 folgt in diesem Abschnitt grosso modo Die Strophen 1–36 verwenden das in der literaturwissenschaftlichen Forschung später so benannte Stabat-mater-Schema: Auf je zwei paroxytonisch endende, miteinander endgereimte Achtsilbler folgt ein proparoxytonisch endender Siebensilbler: 2*8p+7pp. Die Siebensilbler binden durch ihren Endreim je zwei Strophen zu einer formalen Zweiergruppe zusammen (Schweifreim). Diese Stabatmater-Strophen sind mit 164 Anwendungen das am häufigsten benutzte Schema in diesem Gedicht. Sie werden hauptsachlich für im weiteren Sinne erzählende Partien verwendet, was die Einfügung von Zitaten in direkter Rede oder von kurzen und längeren Apostrophen nicht ausschließt. In diesem Gedicht sind sie ,der Erzählvers‘. S1; R1. 23 Der theologisch schwierige Zusammenhang der Wesenheit der göttlichen Personen wird hier zwar logisch fehlerhaft (Fehlschluss wegen Homonymie) gelöst, aber poetisch elegant durch die Verwendung ähnlicher Begriffe der Ontologie (philosophische Partizipation als Wesens-Teilhabe) und der Grammatik (grammatische Teilhabe des Partizips der Verben an Nomina und an Verben) insinuiert. In räumlicher Nähe werden neben dem mit dem Verbum Dei gleichgesetzen Ens auch mehrere andere, beiden Wissenschaftsbereichen geläufige Begriffe verwendet: simplex, rectum, indivisum, perfectum, componitur, so dass die Intention erkennbar wird, man möge Philosophisches philologisch denken. 24 Dabei werden Gottes altruistische, für den Fortgang des Erzählens weniger relevante Prinzipien für die Schöpfung erläutert und es werden die wichtigsten Ereignisse des Sechstagewerks in unepischer Kürze lediglich benannt. 25 Die Sprechssituation des Erzählens wechselt in Str. 14 durch eine Hinwendung zu Gott. Die Apostrophe hier ist wohl ein bewusst eingesetztes Stilmittel, denn Apostrophen werden auch in den Strophen 277–278 angewandt (273–276 auf Maria), sowie am Schluss der Dichtung zur Verhöhnung von Tod und Teufel (Str.  345–352 und 356–358), in der Einladung zur militia Christi (Str.  359–60) und natürlich im Schlussgebet an Gott (Str. 361–262). Eher unbeabsichtigt und vielleicht lediglich durch die Quelle induziert ist die an einem uos erkennbare Apostrophe des Publikums in Str. 264,2. 22

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dem biblischen Schöpfungsbericht, der allerdings durch eine kurze Erwähnung der Erschaffung der Engel und des Höllensturzes Luzifers26 erweitert27 ist. Besonders hervorgehoben28 wird Gottes Verbot, vom Baume der Erkenntnis zu essen.

Strophen 37–40 In Strophe 37 ist es nicht mehr der Erzähler, der von den Aktivitäten der Schlange im Paradies berichtet, sondern die Schlange spricht selbst.29 Die Sprechsituation hat sich also geändert. Das wird auch äußerlich deutlich dadurch markiert, dass das Versmaß wechselt.30 Das Kennzeichnen des Sprechers durch ein Versmaß ist systemisch angelegt: Alle Sprecher, die in der Dichtung noch das Wort ergreifen werden, werden in ihrem eigenen Versmaß mit eigenem Reim sprechen. Dadurch werden äußerlich auch Beginn und Ende jeder Rede eindeutig festgelegt. Wenn mehrere Sprecher sich größere thematische Zusammenhänge aufteilen, lockern sie diese nicht nur durch ihr dialogisches Sprechen, sondern auch durch diese unterschiedlichen Versmaße auf.

Der Höllensturz wurde wohl eingefügt, um Luzifers Rache durch die Verführung Evas (Str. 35) zu motivieren. 27 Die Erschaffung der Engel am ersten Schöpfungstag und deren Höllensturz (vgl. 2 Petr.  2,4) sind bereits antike religiöse Vorstellungen, die aber auch noch in etwa zeitgenössisch von Thomas von Aquin diskutiert wurden (ST 1, qu. 50–64; verfasst ~1265– 1273). 28 Die Hervorhebung erfolgt durch direkte Zitate aus biblischen Worten Gottes, die in das Versmaß des Erzählers eingepasst sind (Str. 31–32). Diese inhaltlich eindeutigen Worte bilden die Grundlage für die später zu führende, essentielle Debatte um deren Auslegung. 29 Aus dem Inhalt der vorausgehenden Erzählerstrophe geht zwar schon eindeutig hervor, wer spricht, in den Handschriften ist es zusätzlich beigeschrieben. 30 Das Versmaß wechselt in den Strophen 37–40 zu Strophen von je drei Sechssilblern, die sich, nicht alternierend (vgl. Anm.  42), aus jeweils zwei rhythmischen Daktylen (2*D = ~´~~~´~~) zusammen setzen. Sie werden hier als 3*2D notiert, da eine Notierung als 3*(3pp+3pp) üblicherweise eine alternierende Betonung implizieren würde. Auffällig sind Tonbeugungen auf der ersten Silbe, auch dort, wo es sich bei ihr um kein Monosyllabon handelt. Sie könnten zu einer überdeterminierenden Kennzeichnung des habituell Unordnung stiftenden Teufels benutzt worden sein. S2; R1. 26

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Strophen 41–44 Eva antwortet der Schlange. Sie weigert sich, vom Baum der Erkenntnis zu essen, und macht deutlich, dass sie sich des göttlichen Verbotes ebenso bewusst ist wie seiner tödlichen Sanktionen.31

Strophen 45–48 Die Schlange ergreift wieder das Wort. Sie unternimmt einen weiteren und nunmehr erfolgreichen Verführungsversuch.32 Damit endet dieser erste, kurze Dialog und die Handlung wird durch die Erzählung des auktorialen Erzählers weitergeführt.

Strophen 49–54 Der Erzähler berichtet vom Erfolg der Verführung,33 von der Vertreibung aus dem Paradies und der Geißel des Todes. Er führt am Ende dieser Erzählpartie den gefallenen Menschen als Redner ein.34

Strophen 55–62 Der gefallene Mensch bittet in einer längeren, direkten Rede von gehobener Diktion und mit schwierigen Vergleichen schuldbewusst und reuevoll Gott um Beendigung der schon lange andauernden, furchtbaren Strafe.35 Das neue Versmaß ist S3 (2*8pp+6p), der Reim bleibt R1. S2; R1. 33 Die Handschrift V markiert die Textabschnittsgrenze durch eine (kaum hervorgehobene) Überschrift: Lapsus hominis. 34 Die beiden Handschriften markieren den Textabschnitt zusätzlich durch eine Überschrift (Homo lapsus ad Deum). – S1; R1. 35 Das erste Mal fällt hier (Str. 56,2) der zentrale Begriff eleos, der später auch als Synonym für die allegorische Figur Misericordia gebraucht wird (Str. 68,1 u. ö.). 31 32

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Diese Rede36 ist eine Unterbrechung der gerade wiederaufgenommenen Erzählerpartie.

Strophen 63–72 Als jetzt der Erzähler mit seiner Rede fortfährt, wird dies nicht mehr im vorausgehenden Text erwähnt. Der Erzähler ist hinreichend durch sein ihm eigentümliches Versmaß identifiziert.37 Gott, so erzählt er, erwägt, den Erlösungswunsch des Menschen zu erhören, schiebt aber eine Entscheidung darüber auf, bis er die diesbezügliche Meinung38 von vier Schwestern vernommen habe.39 Sie heißen Erbarmen (Eleos oder Misericordia), Wahrheit / Wahrhaftigkeit (Veritas), Friede (Pax) und Gerechtigkeit (Equitas oder Iustitia). So wendet sich also als erste40 der vorgestellten Schwestern Misericordia an Gott41 und an ihre Mitschwestern. Dass nun sie rede, wird also im Text des Erzählers angekündigt. Die essentielle Rolle der Misericordia in dieser Dichtung wird durch ein exzeptionelles Versmaß hervorgehoben.42 S4; R2. – Die Artikulation des Wunsches nach Erlösung wird durch das Versmaß hervorgehoben, sozusagen überdeterminiert. Denn es ist komplex strukturiert: 2*(8p+4p)+8p; ein ebenfalls neues Reimschema R2 tritt hinzu: ababa. (Zu den Endreimen treten noch Binnenreime.) Und in dieser Partie des Gedichtes sind die Strophen auffälligerweise nicht zu Zweiergruppen gebunden. (Bei den nur zwei Veritas-Strophen 167–168 mag die Zusammengehörigkeit auch ohne Reimklammer empfunden worden sein; vgl. die zwei Christus-Strophen 233–234.) 37 S1; R1. 38 censura (Str. 69,2). 39 Ihre Rolle ist wohl in Parallele zur Funktion eines Cardinalis Protector S.R.E. zu sehen. Ein solcher Kardinal ist allgemeiner Berater des Papstes und gleichzeitig Sachwalter der Anliegen einer Gruppe Gläubiger, z.  B. eines Ordens: Die Schwestern werden in der Dichtung allgemein protectrices (Str. 67,1) genannt, dann aber auch consultrices Gottes, also seine Beraterinnen (Str. 96,1; 221,2), und adiutrices des Menschen, also Anwälte seiner Anliegen (Str. 962). 40 princeps harum (Str. 71,1). 41 deum orat (Str. 72,2). 42 Ich setze hier zwei Zeilen aus je zwei rhythmischen Adoniern (~´~~~´~) an, gefolgt von einer dritten aus einem Adonier. Eine solche Folge von fünf Silben mit betonter erster 36

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Strophen 73–82 Misericordia verwendet sich für die Erlösung des Menschen, indem sie Gottes Eigenschaft43 des Erbarmens beschwört.

Strophe 83 In nur einer Strophe macht Schwester Veritas ihren grundlegenden Einwand, nämlich dass Gott gleichermaßen wie barmherzig auch wahrhaft sei und sein Wort daher Bestand haben müsse. Veritas als hier neu auftretende Sprecherin wird erst im Nachhinein sicher identifizierbar.44 Da man jedoch seit Strophe 68 die Namen der vier Schwestern kennt, schließt man bereits im zweiten Vers der Strophe aus einem uerax auf die Sprecherin Veritas.45

Strophen 84–85 Mit nur zwei Strophen Gegenrede der Misericordia bleibt der Dialog relativ lebhaft. Misericordia bittet um Erläuterung, welches beständige Wort Gottes ihre Schwester denn genau meine.46 Das sei doch gewiss ein Wort des Erbarmers.

und vierter bezeichne ich mit der Kürzel A und notiere die Misericordia-Strophe (S5) als 2*2A+A. Das damit verbundene Abweichen vom Grundsatz streng alternierend betonender Rhythmik dürfte überdeterminierend zur weiteren Hervorhebung der Rolle des Misericordia beigetragen haben, die hauptsächlich natürlich auf der Anzahl der von ihr bestrittenen Strophen beruht: Ihr Versmaß ist das zweithäufigste in dieser Dichtung. – S5; R1. 43 Vgl. Str. 99ff. und Lukas 6,36.: Ὁ πατὴρ ὑμῶν οἰκτίρμων ἐστίν. Vgl. Ps. 85,15. 44 Ueritas soror: Str. 84,2. 45 S6; im neuen Reimschema R3 (= aaa). 46 S5; R1.

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Strophe 86 In nur einer Strophe antwortet Veritas: Mit dem beständigen Wort meine sie die Todesandrohung für das Kosten der Frucht vom Baum der Erkenntnis.47

Strophen 87–94 Da die grundsätzlichen Standpunkte von Misericordia und Veritas ausgetauscht sind, mischt sich nun Iustitia, die personifizierte Gerechtigkeit, ein, um sie gegeneinander abzuwägen. Iustitia macht die Erlösung von einer Wiedergutmachung des Sündenfalls abhängig. Auch Iustitia wird nicht eingeführt. Dass sie spricht, muss aus der Formulierung erkannt werden, dass der gerechte Gott (iustus Deus) sie liebe und stets fördere.48 Nachdem man, wie gesagt, aus Strophe 68 die Namen der Debattantinnen kennt, bereitet das keine Schwierigkeit.49

Strophen 95–96 Schwester Pax, der Friede, macht einen Vermittlungsversuch zwischen den Schwestern. Ihre Identität muss auf ähnliche Weise wie im Falle der Iustitia erschlossen werden.50

S6; R3. Str. 87,1. 49 Die Strophenform (S7) ist jetzt 2*8p+(8p+4p), gereimt nach aaab bbbc (R4). 50 pacifici: Str. 95,1. – Das neue Versmaß (S8) für die neue Person ist: 2*(8pp+6p)+4p, endgereimt im Schema ababc dedec (R5). Dazu tritt in den ersten beiden Zeilen ein Binnenreim. 47 48

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Strophen 97–110 Misericordia setzt sich ausführlich mit den Argumenten der anderen Schwestern auseinander und versucht dann, diesen Vermittlungsversuch der Pax in ihrem Sinne auszulegen.51

Strophen 111–116 Die hauptsächlich angesprochene Veritas antwortet, dass das Entsühnungsproblem für den Menschen nicht lösbar sei.52

Strophen 117–118 Misericordia denkt laut über einen Kompromiss nach: Ob denn etwa ein neu zu schaffender und gerechter Mensch die Entsühnung leisten könne.53

Strophen 119–120 Auch das erklärt Veritas für unmöglich.54

Strophen 121–124 Und auch Iustitia hält die vorgeschlagenen Kompromissmöglichkeit nicht für tauglich. Sie meint, etwas besonders Wertvolles müsse Gott als Sühne angeboten werden.55 53 54 55 51 52

Str. 109–110. – S5; R1. S6; R3. S5; R1. S6; R3. S7; R4.

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Strophen 125–126 Misericordia wendet hilfsweise ein, dass der Mensch doch bemüht sei, (blutige) Sühneopfer zu bringen.56

Strophen 127–138 Die könne Gott nicht als geeignet ansehen, erwidert Iustitia, denn die ihm geopferten Stierkälber und Böcke habe er schließlich selbst erschaffen. Nur eine perfekte Opfergabe könne Gott versöhnen.57

Strophen 139–140 Pax macht einen weiteren Versuch, indem sie Gott auf einer allgemeineren Ebene um die Verwirklichung des göttlichen Friedens bittet, der den Frieden mit dem Menschen einschließen solle.58

Strophen 141–142 Eine kurze Zwischenbemerkung des Erzählers weist auf den ungebrochenen Durchsetzungswillen der Misericordia hin. Er führt sie als wiederum als Redende ein.59

S5; R1. S7; R4. 58 Dreimal taucht in diesen zwei Strophen der Begriff pax auf, die Sprecherin auch über die inhaltliche Ebene identifizierend. Durch Versmaß und Reim ist sie hier ebenfalls bestimmt, und als Pax wird sie in der folgenden ‚Erzählerstrophe‘ nochmals extern benannt (Str. 141,1). – S8; R5. 59 S1; R1. 56 57

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Strophen 143–166 Misericordia wechselt ihre Taktik. Sie will die Schwestern dazu bringen, ihre (und des gefallenen Menschen) Partei zu ergreifen, indem sie aus biblischen Prophezeiungen umfänglich beweist, dass die Strafverhängung mit den Verzeihungsversprechen Gottes kompatibel sei. Ihr Kompromissvorschlag lautet: Körperlich solle der Mensch dem Tode anheimfallen, seiner Seele nach jedoch nicht.60

Strophen 167–168 Erstaunlich schnell bekennt sich Veritas als zu dieser Ansicht bekehrt.61

Strophen 169–212 Der Misericordia schwierigste Gegnerin ist jedoch nicht Veritas, sondern Iustitia (Equitas). Sie zu überzeugen, erfordert den größten Aufwand. Deren Einrede, dass es kein adäquates Sühneopfer gebe, begegnet Misericordia mit dem wort- und zitatereichen Hinweis auf die Prophezeiungen über die Rolle des Gottmenschen Jesus.62 Damit ist sie erfolgreich.

Strophen 213–214 Nach der Beendigung des Streites fordert Pax ihre Schwestern dazu auf, gemeinsam Gott um die Erlösung des Menschen zu bitten.63

S5; R1. S6; R3. Keine Reimbindung der Strophen zu einer formalen Zweiergruppe; vgl. Str. 55– 62. 62 S5; R1. 63 Auffällig ist wiederum die dreifache Identifikation der Pax durch das Versmaß, durch ein eingeschobenes Pax … inquit (Str. 213,1) und ein nachgeschobenes Ista Pace prosequente (Str. 215,1). – S8; R5. 60 61

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Strophen 215–218 Der Erzähler bekräftigt nochmals, dieses Mal in der Bildlichkeit des 84. Psalms, dass Veritas sich der Bitte der Pax und den Argumenten der Misericordia angeschlossen habe, und dass auch Iustitia (die ja ihre Zustimmung nicht formell ausgesprochen hatte) die Pax umarme.64

Strophen 219–220 Die vier Schwestern tragen Gott ihre Bitte um Erlösung vor, entweder im Chor65 oder vertreten durch Misericordia als ihre Sprecherin, denn diese beiden Strophen benutzen das Versmaß der Misericordia.66 Motivlich gesehen ist damit der eigentliche Streit der Beraterinnen Gottes67 beendet. Und die Frage, warum Gott Mensch geworden sei, könnte philosophisch gesehen als beantwortet gelten. Künstlerisch gesehen war aber wohl noch eine Abrundung erwünscht gewesen. Sie wurde realisiert durch die Darstellung der Folgen, die Gottes Entscheidung zugunsten einer Erlösung mit sich brachte und die bis in die Zeit des Verfassers der Dichtung wirken. Als Überleitung folgt aber zunächst ein Erlösungsrat innerhalb der Trinität.68

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S1; R1. Weil Gott sie in seiner Antwort mit einem Plural als Consultrices adressiert (Str. 221,2). S5; R1. Das Bild von Töchtern Gottes ist übertragen zu verstehen, auch wenn sie ihn, ähnlich wie wir im Vaterunser, als Vater anreden (Str. 219,1). In der Erzählwelt des Gedichtes hat man sie sich immerhin wohl als im Himmel angesiedelt vorzustellen, denn Gottvater schickt eine von ihnen hinab zur Erde (Str. 237,2). 68 Der Heilige Geist beteiligt sich an dem Gespräch nicht als aktiver Sprecher. 64 65

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Strophen 221–222 Gott der Schöpfer69 antwortet mit einer heute vielleicht etwas verblüffenden Gegenfrage, wer aus der Trinität denn zur Erlösungstat schreiten solle, denn er stimme den Vorbringungen seiner vier Beraterinnen bereits zu. Gott spricht in einem ganz besonders kunstvollen Versmaß.70

Strophen 223–228 Iustitia antwortet darauf, dass der Vater nicht fleischwerden dürfe, da er sonst Vater und (fleischgewordener) Sohn heißen müsse, auch der Heilige Geist dürfe nicht fleischwerden.71 Inkarnieren müsse Gottsohn als Gottmensch.72

plastes rerum: Str. 221,1. Gottvater spricht in zwei Strophen von je drei paroxytonischen Achtsilblern (S9). Sie sind endgereimt nach dem Schema aaa bbb (R6). Beide Strophen werden dadurch zusammengebunden, dass die Wörter der Endzeile der ersten Strophe in umgekehrter Reihenfolge den Anfangsvers der zweiten Strophe bilden, damit gleichzeitig deren Reim festlegen. Gottes erhabene Rolle im Text wird so auch auf der metrischen Ebene durch das gewählte besonders kunstvolle Maß überdeterminiert. 71 Die Erörterung der Frage, welche Person der Trinität inkarnieren solle, führt Anselm von Canterbury mit den gleichen Argumenten durch in seiner Schrift Cur Deus homo (2,9; Schmitt [1940, S. 105]): Si quaelibet alia persona incarnetur, erunt duo filii in trinitate, filius scilicet dei, qui et ante incarnationem filius est, et ille qui per incarnationem filius erit virginis; et erit in personis, quae semper aequales esse debent, inaequalitas secundum dignitatem nativitatum. Digniorem namque nativitatem habebit natus ex deo quam natus ex virgine. Item si pater fuerit incarnatus, erunt duo nepotes in trinitate, quia pater erit nepos parentum virginis per hominem assumptum; et verbum, cum nihil habeat de homine, nepos tamen erit virginis, quia filii eius erit filius. Quae omnia inconvenientia sunt, nec in incarnatione verbi contingunt. Ganz ähnlich argumentiert er in der Epistola de incarnatione verbi (Schmitt [1940, S. 25–28]). 72 S7; R4. 69 70

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Strophen 229–232 Gottvater antwortet ihr nicht direkt, sondern er wendet sich an seinen Sohn und fordert ihn auf, eilends zur Erlösung zu schreiten und den Tod zu überwinden. Er verspricht ihm Erfolg und sagt, dass er mit ihm sein werde.73

Strophen 233–234 Der Sohn bekundet seinen Gehorsam und bittet um die Verklärung, wenn die Stunde gekommen sei. Gottsohn spricht in einem Versmaß,74 das dem seines Vaters ähnlich ist.

Strophen 235–238 Gottvater entsendet endgültig den Sohn und gibt ihm die Misericordia als Begleiterin mit. Damit ist das literarische Motiv vom innergöttlichen Erlösungsrat durchgeführt.75

Strophen 239–244 Der Erzähler leitet vom Dialog zwischen Gottvater und Gottsohn zum folgenden zwischen Gabriel und Maria über.76 Er führt Gabriel als Sprecher ein.77

S9; R6. Christus spricht in paroxytonischen Achtsilblern. Die Christus-Strophen (S10; R7) sind auch dadurch besonders herausgehoben, dass sie im Gegensatz zu fast allen anderen Strophen (Ausnahmen die Schluss-Strophen 359–362; S13 und S14) vierzeilig gebaut sind. Die Wortverschränkung wie in S9 fehlt allerdings. Um die (nur zwei vorhandenen) Strophen gibt es keine Reimklammer; vgl. die Anm. zu Str. 55–62, S. 15. 75 S9; R6. 76 S1; R1. 77 Str. 244,2–3. 73 74

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Strophen 245–252 Gabriel preist Maria selig und verkündet ihr die Empfängnis.78

Strophen 253–254 Maria stimmt demütig zu. Sie benutzt ein auffällig bescheidenes Versmaß, das dem des Erzählers weitgehend gleicht, aber zusätzlich zweisilbig binnengereimt ist.79 Diese kürzere Dialogpartie (um das Wort Szene zu vermeiden) über die Verkündigung endet hier und es folgt eine auffallend lange Erzählerpartie. Sie reicht eigentlich bis zu den Schlussgebeten und wird nur durch die direkte Rede Christi am heilsgeschichtlichen Höhepunkt der Abendmahls-Einsetzung unterbrochen.

Strophen 255–308 Der Erzähler geht auf das Wunder der Inkarnation ein; ein Adynaton folgt hier dem anderen. Er preist Maria und Christus, er spricht Christus-Prophetien und Christus-Wunder an, und führt auf die Geschehnisse am Gründonnerstag hin.80

Strophen 309–312 Es folgen die Einsetzungsworte des Altar-Sakraments. Sie unterbrechen die Erzähler-Partie nicht wirklich, sondern sind sozusagen als wörtliches Zitat81 in sie ein-

Er spricht in Strophen aus je drei proparoxytonischen Siebensilblern, zweisilbig endgereimt nach dem Schema aab ccb. – S11; R1. 79 Die Strophen haben einen auffälligen Reim, der sich aus Binnen- und Endreimen in einem Schema ababc bdbdc zusammensetzt (R8); S12. 80 S1; R1. 81 Das ist aus dem dicens in Str.  309,1 abzuleiten, das der Erzähler innerhalb des Zitats spricht. 78

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gepasst, aber in der Versform, in der Christus in dieser Dichtung spricht und die er auch schon in seinem Dialog mit dem Vater benutzt hatte.82

Strophen 313–320 Der Erzähler spricht von Christi Leidensweg und Tod und dessen heilsgeschichtlicher Bedeutung.

Strophen 321–358 Er preist die anti-typische Erfüllung zahlreicher entsprechender Typen im Alten Testament durch Christus, so die des Wassers aus dem Berge, an den Mose schlug (Str. 321–324), Noahs (Str. 325–327), der Zyperntraube, des Taus am Berge Hermon und des Stierkalbes (Str. 328–330), des Banaia (Str. 331–336) und des ägyptischen Joseph (Str. 337–344); und er beendet seine Führung durch erfolgreiche Erfüllungen alttestamentlicher Voraus-Bilder mit einem triumphalen Jubel über den besiegten und gefesselten Tod (Str. 345–358).83

Strophen 359–360 Dieser Jubel wird nun in einer ruhigeren Apostrophe an das Publikum aufgefangen, die einen anagogischen Schluss aus dem Gedicht zieht: ‚Alle‘84 werden dazu aufgefordert, einzutreten durch die Pforte des Lebens, Christus nachzufolgen und den Bösen zu verlassen. Sie ist im Strophenmaß des Erzählers abgefasst; es gewinnt aber äußerlich etwas an Gewicht durch eine zusätzliche Stabat-mater-Zeile.85

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S10; R7. S1; R1. Zum realweltlichen Signifikat dieses ‚Alle‘ siehe S. 31. Man wird sich diese Oratio also als vom Erzähler gesprochen vorzustellen haben. Der Reim ist aaab cccb. – S13; R9.

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Strophen 361–362 In zwei Schluss-Strophen wird die Aufforderung der vorangegangenen Strophen an ‚Alle‘ (Invitatio) zu einem Gebet (Oratio) an Christus: Er möge das Werk der Erlösung im Sprecher und in seinem Publikum86 verwirklichen. Das Strophenmaß gewinnt äußerlich weiteres Gewicht durch eine weitere angefügte Stabat-mater-Zeile.87

Das Gemeinschaftsempfinden drückt sich in der kleinräumigen Häufung von nostre, nos, nostra, nostra, nos aus. 87 Die Strophen 361–362 sind die zeilenreichsten Strophen im Gedicht. Der Reim ist aaaab ccccb. – S14; R10. 86

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Der Sitz im Leben Schon der Überblick über den Inhalt in seiner Gesamtheit hat erkennen lassen, dass es sich bei der Systemreferenz auf die Textsorte Epos in den Strophen 1–6 nur um eine scheinbare handelt. Denn einer der wesentlichen Unterschiede zu einem Epos besteht darin, dass hier keine Geschichte auf episch-breite Weise erzählt, sondern jeweils nur kurz auf eine Abfolge von vielen Geschichten und Ereignissen angespielt wird.88 Ein bereits äußerlich erkennbarer Unterschied zu einem Epos besteht ferner darin, dass der Inhalt der Dichtung zwar über weite Strecken durch das Erzählen eines Erzählers vermittelt wird, dass der Inhalt aber auch, und zwar fast zur Hälfte, durch Dialogbeiträge von einem Dutzend verschiedener Personen vermittelt wird, und darin, dass die Dialogbeiträge in unterschiedlichen, und zwar lyrischen Maßen erfolgen. Die Dialogbeiträger zeugen jedoch nicht etwa von einer veritablen Bühnen-Dichtung mit agierenden Figuren.89 Die jeweiligen Sprecher sind nicht äußerlich erkennbar und müssen daher jeweils vor ihrer ersten90 Rede vom Erzähler eingeführt

Erzähltechnisch strebt der Dichter durch die Bibelstellen offensichtlich nicht die Erzeugung einer statischen, plastischen Bildlichkeit an; er tippt fortlaufend unterschiedliche Bilder an, lässt sie auflockernd kurz aufleuchten am Rande eines sonst vielleicht ermüdend geraden Weges von der Schöpfung zur Erlösung. Dieser Weg bleibt im Hintergrund stets präsent und sichert zusätzlich die erzähltechnisch erforderliche Textkohärenz zwischen einzelnen Bibelszenen, die einem bibelunkundigen Rezipienten bisweilen als unzusammenhängend erscheinen könnten. Auch andere epostypische Darstellungsmittel fehlen, z.  B. feststehende Formeln, Ekphraseis und sogar eine ausgestaltete Katabasis, die sich einem an epischem Erzählen interessierten Verfasser bei Christi Abstieg in die Hölle in der Tat angeboten hätte. Katalogähnliche und insofern an Erzähltechniken im Epos erinnernde Strukturen sind die Aufzählungen biblischer Erlösungsprophetien (z. B. in Strophen 173–212 oder 321–336). 89 Eine Bewegung der Sprechenden ist nirgends zu erkennen. 90 Nach seiner ersten Rede ist der jeweilige Sprecher für den weiteren Verlauf der Dichtung hinreichend durch sein spezifisches Versmaß identifiziert. Bisweilen wird die Identifikation zusätzlich durch eine Inquit-Formel in der Figurenrede bestätigt, z. B. in Str. 213,1: Pax „Eia“, inquid, „agite, o mites sorores, …“ (ähnlich in Str. 233,1). Eine besonders deut-

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werden.91 Die Aufteilung des Inhalts auf viele Sprecher leistet einen beachtlichen Beitrag zu einer Dynamisierung des Erzählens und insbesondere zur Verlebendigung theologisch-philosophischer Argumentationen.92 Um dennoch für einen Moment bei einer sich anbietenden bühnenaffinen Terminologie zu bleiben: Der bedeutendste Sprecher in dieser ‚Aufführung‘ ist der extradiegetische, allwissende auktoriale Erzähler, der die ‚Rollen‘-Träger der Dialogpartien vorstellt, der ihre Eigenschaften kennt und sie ebenso wie die ‚Handlungen‘ der ‚Rollen‘-Träger kommentiert und in eine alle zeitlichen Grenzen sprengende ‚Rahmenhandlung‘ einpasst, nämlich in die Geschichte der Welt von der Schöpfung bis in die Zeit Christi und ansatzweise noch darüber hinaus. Das zeitliche Einpassen geschieht nicht selten durch Anachronien (sensu Genette), also durch Analepsen, Prolepsen u. ä. Offenbar ist die Abbildung realer Zeitabläufe kein vorrangiges Ziel dieses fiktionalen Textes über das im Wesentlichen zeitenthobene Heilsgeschehen, seine Wurzeln und seine Folgen. Durch seine Kommentare und allein schon durch die von ihm getroffene Auswahl der biblischen Ereignisse ist der Erzähler weitgehend der Herr über die Interpretation der Dichtung durch einen Rezipienten, der – straff geführt durch die Rede des Erzählers und nicht abgelenkt durch irgendein körperliches Agieren der ‚Figuren‘ oder etwa durch Requisiten – nur den Gedanken der Redebeiträge folgt und sie vermutlich wunschgemäß bewertet.

liche Inquit-Formel hat wohl Str. 253,1 erfordert, wo der Erzähler in eine solche Figurenrede hinübergleitet, die bis auf die Binnenreimung dem Erzählerversmaß gleicht (ähnlich in Str. 309,1: dicens). 91 Einige wenige weitere Angaben darüber, wer spricht, finden sich auch in den Handschriften. Sie vermitteln keine Informationen, die über das im Text Gesagte hinausgingen. Zu Strophen 37ff. u. 45ff. liest man: Serpens ad mulierem (vgl. Str. 36); zu Strophe 41: Mulier ad serpentem und zu den Strophen 55ff.: Homo lapsus ad deum (vgl. Str. 54); nur in der Handschrift B zu Strophe 121: Econtra Iustitia. Keine zusätzlichen Informationen bietet auch der Paratext in den Handschriften zu den in der 3. Person berichtenden Strophen 49ff.: Lapsus hominis. 92 Für die Darstellung solchen Argumentierens in Dichtung hatte sich im Mittelalter das Format des Streitgedichts (Altercatio; Conflictus; Causa) herausgebildet, in dem jedoch die Disputanten in der Regel gleich lange Verspartien beanspruchen konnten und keine nicht-argumentierenden Dialoge vorgesehen sind. Eine Durchführung des Themas ‚Streit der Töchter Gottes‘ in Form eines solchen Streitgedichts aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts wurde von Walther veröffentlicht (1920, S. 221–223).

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Wo und wann in der realen Welt hätte diese Dichtung ihren Platz haben können? Dazu gibt es keine textexternen Angaben. Und auch in der Textwelt wird nicht gesagt, wo in der realen Welt diese Dichtung und von wem sie auf welche Weise93 hätte rezipiert werden sollen. Lediglich ein eher beiläufiger Hinweis lässt sich finden, der als Ausgangspunkt für die folgende Überlegung dienen möge: In der angenähert chronologischen Erzählung der Heilsgeschichte in der Dichtung wird unter anderem auch Jesu Taufe im Jordan thematisiert. Sie wird etwas umfänglicher als andere Ereignisse in seinem Leben bedichtet, nämlich in vier Strophen (294–297). Bereits dadurch erhält dieses Einzelereignis etwas mehr Gewicht. In der unmittelbar folgenden Strophe 298 unterbricht der Erzähler seine Erzählung über das Leben Jesu,94 hier also über die Begebenheiten bei Jesu Taufe, und schlägt mit einem nunc eine Brücke zu einer Taufe in der Gegenwart.95 Er sagt: ‚Nichts anderes (sc. als bei der Taufe Jesu im Jordan) geschieht jetzt, wenn hier die Taufe gespendet wird‘: Non fit secus nunc, cum datur / hic babtismus.96 Kann man diesem Zeit- und Ortswechsel einen Bezug zu einem Vorgang in der außertextlichen Realität unterstellen, zu einer realen Taufe? Der performative Sprechakt der Taufe wurde stets auf Lateinisch vollzogen, auch wenn in Anwesenheit nicht lateinkundiger Laien getauft wurde. Aus der nicht-sprachlichen liturgischen Situation konnten Laien den Sinn der lateinischen Worte beim Taufakt dennoch verstehen. Aber 362 schwierige Strophen in einer Fremdsprache wie in diesem Text hätten Laien nicht verstehen können. Daher kommt eine Tauffeier von Laien für ihn nicht als realweltliche Situation in Frage. Es ist andererseits auch nicht vorstellbar, dass er für die Taufe von lateinkundigen Klerikern verfasst wurde, da hochmittelalterliche Kleriker zwar Latein verstehen, aber bereits getauft sind. In der Lebenswelt dieser Kleriker gibt es jedoch anlässlich einer endgültigen Aufnahme in den mönchischen Stand das liturgisch ausgestaltete Ritual der sogenannten (Ewigen) Profess. Diese Profess hieß nach ihrer Heilswirkung auch die Zweite Taufe97.

Ob durch Lesen oder Hören. Auch in Strophe 14 wendet sich der Erzähler unvermittelt an einen anderen Adressaten (Apostrophe Gottes, mit einem Wechsel von der 3. in die 2. Person). 95 Dieses Beiseitesprechen ist nicht für die am Dialog beteiligten Sprecher bestimmt. 96 Str. 298,1–2. 97 So in Anselms von Lucca Collectio canonum 7,99 (entstanden zwischen 1181 und 1186). 93 94

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Nimmt man als Hypothese an, dass diese Dichtung für eine solche Profess-Taufe verfasst wurde, lassen sich folgende Formulierungen im Text besser verstehen und in einen gemeinsamen Zusammenhang einordnen. Die ganz allgemeine Aufforderung an die Erlösten, einzutreten durch die Pforte des Lebens (intret, Str. 359,4) evoziert einen Zusammenhang mit der speziellen Aufforderung, in den Orden einzutreten dadurch, dass sie inhaltlich genauer bestimmt, wozu man eintreten solle: Man solle nicht etwa kommen, um in den durch Christus geöffneten Himmel zu gelangen, sondern um ‚Kriegs‘-Dienst für Christus zu leisten. Denn auch die Benediktinerregel kennt nahezu die gleiche Aufforderung einzutreten in Verbindung mit der gleichen inhaltlichen Präzisierung, wenn es um die Aufnahme neuer Mönche geht, bei einer Profess also. Im Gedicht heißt es in Strophe 359 Iam, iam ergo aduenite …; qui uult, cite intret Christo militans. – Kommet also nun herbei …; schnell trete ein, wer Willens ist, als ein Streiter Christi. Und in der Benediktinerregel lautet die abschließende Frage an den EintrittsKandidaten: Ecce lex, sub qua militare vis; si potes observare, ingredere!98  – Siehe das Gesetz, unter dem Du als Streiter Christi dienen willst; wenn Du es beobachten kannst, tritt ein. Die Begriffe Christo militans und militare vis im unmittelbaren Kontext sind ferner nicht nur mit einem auffordernden intret beziehungsweise einem synonymen ingredere verbunden, sondern auch mit der ausdrücklichen Erwähnung einer Willensentscheidung: qui uult beziehungsweise sub qua … vis.99 Akzeptiert man die Ähnlichkeit beider Textstellen als kaum zufällig, wird ferner eine irritierende Frage verständlich, die das Gedicht drei Strophen vorher an das Publikum gestellt hatte: … Ihesus. – Quis est miles? Intret!100 – … Jesus. – Wer ist sein Streiter? Er trete ein! Denn auch hier dürfte bewusst ein Anklang an die oben genannte Formel für die Ordens-Aufnahme von Benediktinern gewählt worden sein. Das ist nicht ausdrücklich gesagt, aber es brauchte vermutlich deshalb nicht gesagt zu werden, weil es sich aus der Situation, in der die Dichtung aktualisiert wurde,

Regula Sancti Benedicti, c. 58,10. Auch heute noch wird der Postulant vor der Aufnahme in den Benediktinerorden förmlich gefragt, ob er bereit sei einzutreten. 100 Str. 356,1–2. 98 99

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als selbstverständlich ergab, aus einer Situation, die man sich irgendwann am Tage einer Profess vorstellen kann. Die Nähe des Textes zu den Aufnahmebestimmungen der Ordensregel könnte insbesondere auch einen Hinweis darauf geben, von welchem Publikum nicht nur die zum Verstehen der Dichtung nötigen Lateinkenntnisse, sondern auch die zum Verstehen nötigen Bibelkenntnisse erwartet werden konnten: nämlich von jungen Ordensangehörigen. Von ihnen konnte man nicht nur ein passives Verstehen des ausgesagten Inhalts erwarten, sondern auch das mitgestaltende Herstellen von Textkohärenz durch ein spontanes und ästhetisch wirksames Assoziieren101 einer bestimmten Szene oder Begebenheit in der Bibel, dies nicht nur an einer Stelle der Dichtung, sondern nahezu von einer Strophe zur anderen. Als extratextueller Ort des Geschehens käme das Chorgestühl einer Kirche in Betracht, denn eine Profess findet häufig in einer Kirche statt.102 Eine Aktualisierung der Dichtung Cur Deus homo dort ließe sich z. B. so vorstellen, dass alle 12 Sprecher gleichmäßig auf die einander gegenüberliegenden Seiten des Chorgestühls verteilt waren und dass ein jeder aufstand, wenn er zu sprechen103 an der Reihe war. Die oben genannte Aufforderung am Ende der Dichtung, in den Orden einzutreten, bezieht sich auf etwas in naher Zukunft: cite intret.104 Das spricht dafür, dass man sich die Aktualisierung der Dichtung wohl vor der Ablegung der Gelübde zu denken hat, die ihrerseits üblicherweise vor einer feierlichen Messe geleistet wurden.105

Diese Assoziationen dürften sich durchaus in einer gewissen Bandbreite bewegt haben, die durch die individuell unterschiedlichen Kapazitäten der einzelnen, das Verstehen mitgestaltenden Rezipienten bedingt ist. 102 Für den Ort, an dem die nicht zum eigentlichen Profess-Ritual gehörige Dichtung vorgetragen wurde, käme aber auch z. B. ein Kapitelsaal in Frage. 103 Auch ein gesungener Vortrag des immerhin in lyrischen Strophenmaßen abgefassten Textes wäre grundsätzlich denkbar, auch wenn der Zeitbedarf dann deutlich größer gewesen wäre. Eine direkte Neumierung oder ein indirekter Hinweis auf eine Verbindung der Dichtung zur Musik sind nicht erkennbar. 104 Str. 359,3–4. 105 An welchem Festtag diese Messe potentiell gefeiert wurde, ist nicht bekannt. Der langanhaltende Jubel (Str. 345–358) über den Tod des Todes und die Auferstehung Christi am Ende der Dichtung erinnern an die Jubelstimmung der österlichen Zeit im Kirchenjahr. Die Dichtung könnte daher mit einer österlichen Messe in Verbindung gestanden haben, 101

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Die obigen Überlegungen gingen von der Frage aus: „Wo und wann in der realen Welt hätte diese Dichtung ihren Platz haben können?“ Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die richtige Antwort darauf lautet: bei einer Benediktiner-Profess. Mit Nachdruck sei aber darauf hingewiesen, dass diese Antwort durch ein Vorgehen gewonnen wurde, bei dem auf methodisch bedenkliche Weise aus Elementen der Textwelt eine Situation in der sozio-kulturellen Realwelt nicht ermittelt, sondern hypothetisch konstruiert wurde, um in ihr dann diesen Text zu verorten.

ohne aber eine Art von Osterspiel zu sein, das bekanntlich auf die Darstellung der Geschehnisse um die Auferstehung Christi zu Ostern beschränkt ist.

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Die Sprache Der Text wird in einer Orthographie überliefert, die für die damalige Zeit unauffällig ist. Aus ihr Schlüsse auf Phonetisches oder Grammatisches beim Verfasser zu ziehen, ist schwierig. Denn man muss auch bei den hier überliefernden Handschriften B und V davon ausgehen, dass orthographische Auffälligkeiten und Schwankungen106 durch den jeweiligen Schreiber verursacht worden sein können und nicht dem Verfasser zuzuschreiben sind. Einen Beleg für ein gewisses, wenn auch nicht auf ihn beschränktes Schwanken des Verfassers in der Phonetik liefert das sechssilbige Wort Misericordia. Es ist schwer im Vers unterzubringen, weshalb er es durch das griechische Wort Eleos (ἔλεος) ersetzt oder aber es zulässt, dass –dia(–) mit halbvokalischer Wertung des i einsilbig als –d͡ja(–) zu lesen ist, bisweilen, nicht aber immer.107 Das zeigt wohl, dass beides für ihn äquivalent ist.108 Beim Sprachgebrauch des Verfassers ist eine gewisse Affinität zu griechischen Wörtern nicht zu übersehen.109 Sie sind zum Teil der mit Gräzismen durchsetz-

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ae und oe sind durchgängig durch e ersetzt (euo: 14,1). i/y schwankt leicht (ymago: 70,3; sinagoga: 324,2). b wird in der Schreibung des Fremdwortes babtismus bevorzugt (294,1). ci/ti schwankt vor hellen Vokalen (spetie: 295,3), bevorzugt wird ci. -d/-t schwankt nach Vokal bisweilen, meist nach i (id = ‚er geht‘: 327,3), seltener nach u (velud: 276,2); set für sed: passim. h vor Vokal fällt häufig aus; in der Regel steht ortus für hortus. Wenn nihil ausgeschrieben wird, wird die ch-Schreibung des sogenannten usus modernus angewendet: nichil. k tritt sehr selten auf: in perpreklarum (71,2: nur V) und im Fremdwort maskos (127,3). mn wird durch p erweitert (alumpnis: 305,3). Die Assimilation des n an folgendes m oder q unterbleibt meistens (inmensus: 256,3; tanquam: 274,2). s fällt nach x meist aus (expectans: 70,1; exurge: 79,1). -d͡ıa z. B. in 73,2; 84,1; 151,2; 155,2; -d͡ıam z. B. in 100,1: 107,2; 147,1; 186,1. – Analog

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wird in 186,1 wohl –tiam als –t͡jam zu lesen sein. Auf die Sprache des Dichters selbst ist auch der Paradigmenwechsel bei mellaria (276,3) zurück zu führen, denn er wählt es als Reimwort. 109 Sie werden in den Handschriften mit lateinischen Buchstaben geschrieben. 108

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ten christlichen Kirchensprache entnommen, wie pneuma sacrum,110 paradisus,111 holocaustum,112 plastes,113 hydrops,114 cataclismus,115 tropheum,116 sinagoga117 und botrus.118 Darunter sind auch nicht ganz so geläufige: eleos,119 psica,120 doxa121 und elefantia.122 Zu einem sehr kleinen Teil werden die griechischen Begriffe nicht als Fremdwörter, sondern als fremdsprachige Wörter, und zwar in lateinischer Schrift und in mittelgriechischer Lautung123 verwendet: maskos124 für μόσχους, ólus125 für βολίς, yctirmón tu126 für οἰκτιρμόν τoυ, und eleón mu für ἔλεόν μου.127 Zur Betonung gilt wohl, wie häufig im Mittelalter, dass sie für griechische Wörter im Lateinischen nicht festgelegt ist: éleos findet sich neben eléos.128 Hebräische Wörter sind selten. Hel kommt mehrfach vor, phele ioes und Hel fortis kommen einmal vor.129 Pasca130 ist wohl nicht mehr als Hebraïsmus empfunden worden. Str. 1,1. Str. 28,1. 112 Str. 94,3. 113 Str. 221,1. 114 Str. 292,1; ~ hydropicus: Luc. 14,2. 115 Str. 294,2. 116 Str. 315,2. 117 Str. 324,2. 118 Str. 328,1. 119 Str. 56,2 et passim. 120 Str. 203,2. 121 Str. 279,2. 122 Str. 291,3 (= elephantiasis). 123 Dabei werden die griechischen Flexionsformen den Erfordernissen des jeweiligen lateinischen Verses angepasst. 124 Str. 127,3 (ex maskis coni.). 125 Str. 274,2. 126 Str. 99,1. 127 Str. 161,1. 128 Éleos in Str.  75,1. Demgegenüber findet sich mehrfach die Betonung eléos, so in den Str. 56,2, 68,1 (hier: Genetiv), 237,2 und 238,2. In Str. 161,1 verliert éleos oder eléos wegen eines folgenden Enklitikon seine Betonung und erhält ausschließlich eine Endbetonung. 129 Str. 180,1. 130 Str. 316,1. 110 111

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Der poetische Schmuck Der hauptsächliche, ästhetisch ebenso wie geistlich wertvolle Schmuck des Textes besteht in den vielen biblischen Bildern,131 die anders als im Epos nicht im Text mit Worten gezeichnet werden, sondern die der Rezipient als zu einem Gelingen der Dichtung notwendig Mitwirkender assoziieren muss. Zur Ermöglichung ebenso wie zur Lenkung der Assoziationen bietet die Dichtung sehr viele Wörter und Junkturen aus der lateinischen Bibel an, die auf die entsprechenden Bibelstellen verweisen, ohne dass aber Cur Deus homo den Eindruck eines Bibel-Cento machen würde. Die durch gleiche oder ähnliche Wörter aufgerufenen Bibelstellen werden einem damaligen, bibelkundigen Rezipienten meist relativ leicht präsent geworden sein.132 Es wird aber auf Bibelstellen auch anders als durch gleiche oder ähnliche Wörter Bezug genommen; dann wird das Aufdecken einer alludierten Ähnlichkeit zwischen beiden Texten schon ein bisschen schwieriger. So muss man sich z. B. vielleicht erst kurz überlegen, warum Gottvater seinen Sohn mit den Worten tröstet: Ich werde mit Dir sein, und Furcht soll nicht sein.133 Diese Worte sollen wohl mit der Agonie Christi am Ölberg assoziiert werden, über die Lukas sagt: „Und er geriet in Todesangst und betete heftiger.“134 Oder es wird lediglich eine ähnliche Argumentationsstruktur als Hinweis auf die zu assoziierende Bibelstelle benutzt,135 so z. B. in Strophe 92 mit den Worten: „Denn wer Treugeld nicht gegen Zinsen ver Zur erzähltechnischen Funktion der Bildlichkeit siehe Anm. 88. Eine Reihe von Stellen lässt darauf schließen, dass auch apokryphe Bibeltexte bekannt waren, sie nicht unbedingt aus erster Hand, denn sie kursierten als Einzel-Überlieferungen im Volk oder gelangten in Legenden-Sammlungen, z. B. in die Legenda Aurea. – Antikische Junkturen sind einem Benutzer der lateinischen Sprache praktisch unvermeidbar, wohl auch einem Autodidakten (vgl. Anm. 161; Beispiele Str. 22,1 / Ov., Met. 1,17; Str. 56,1 / Verg., Aen. 2,215). In Cur Deus homo sind sie selten und nicht charakteristisch. Sie werden daher nicht verzeichnet. 133 Ero tecum, metum ueto: Str. 231,3. 134 Et factus in agonia prolixius orabat: Lc. 22,43. 135 Je schwieriger die Herstellung der Bezüge ist, desto höher dürfte beim Rezipienten der Lustgewinn sein, wenn sie gelingt. 131 132

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leihen mag, sondern es ohne Gewinn ausgräbt, verdient es nicht, dass man ihm die Einbuße nachsieht.“ Hier wird etwas kryptisch auf das Gleichnis von den Talenten bei Matthäus (25, 25–28) angespielt.136 Selten muss mit einem Wort des Dichtungstextes gleichzeitig sowohl ein Wort in der Bibel als auch ein Begriff aus der realen Welt des 13. Jahrhunderts assoziiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Aussage, dass Christus ein tiefer und hoher Eckstein sei.137 Das Bild vom tiefen Eckstein, von einem Eckstein am Fundament also, ist ohne weiteres verständlich und kommt auch in der Bibel vor.138 In der realen Baukunst gibt es aber auch einen Eckstein mit eindeutigem Christus-Bezug als krönenden Abschluss-Stein oben im Gewölbe einer Kirche.139 Auf den wird hier vermutlich Bezug genommen mit petra angularis ardua, Eckstein in der Höhe, poetisch verkürzt zu hoher Eckstein. Ein gewisser Schmuck des Textes kann wohl auch in der Deautomatisierung der grammatischen Struktur mancher Sätze gesehen werden: Durch eine sehr freie Stellung der Wörter im Satz wird so sehr von der üblichen Wortfolge eines wohlgeformten lateinischen Satzes abgewichen, dass dies momentan irritiert, dass es dann aber zu einem angenehmen Erfolgserlebnis führt, wenn man die Aussage trotzdem simultan oder sehr zeitnah enträtseln und verstehen kann. Dem Schmuck der Rede dient ferner der Wechsel der Vers- und Strophenmaße.140 Sie sind an die jeweils sprechenden Personen gebunden und dienen auch zu deren Identifizierung. Die Bedeutung eines Sprechers kann bereits durch die bloße Anzahl der von ihm gesprochenen Verse angezeigt werden. Das trifft auf den Erzähler und auf die Schwester Erbarmung zu. Auf ein vergleichbares Bedeutungsniveau werden die Schwestern Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede nicht quantitativ, sondern dadurch gehoben, dass ihre Verse zwar weit weniger zahl-

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Ähnlich: Lc. 19,12–23. humilis et ardua: Str. 283,1–3. Eph. 2,20. Auf diesem heute meist Schluss-Stein genannten Stein befindet sich häufig eine Abbildung Christi oder sein Chi-Rho-Kreuz. 140 Verwendet sind ausnahmslos rhythmisch gebaute Verszeilen; der Rhythmus ist von Silbe zu Silbe alternierend, mit Ausnahme der von der Schlange und vom Erbarmen gesprochenen Zeilen (s. S. 39). 136 137

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reich, aber besonders kompliziert sind.141 In kompliziertem Maß sind gleichfalls die Redebeiträge des gefallenen Menschen, um dessen Erlösung es ja geht, gedichtet, und natürlich die der erhabensten Sprecher in der Dichtung, nämlich die von Gottvater und Gottsohn. Weniger aufwändig sind die Zeilen, die Maria spricht, vermutlich weil sie an dieser Stelle so als die folgsame und bescheidene ancilla domini wirken soll. Äußerlich betrachtet besteht der auffälligste Schmuck der Dichtung in ihren vielfältigen Reimen.142 Wer geregelte Klangvariationen schätzt, wird das als schön empfinden können. Die Fülle der Reime hält sich indes so weit in Grenzen, dass ihr Klang nie die Semantik des Textes erdrückt. Länge und Anzahl der Verse sind so auf die Reime abgestimmt, dass man sich bei den Reimsilben mühelos an ihr letztes Vorkommen erinnert und sie wiedererkennt. Die Verse sind andererseits nicht so kurz, dass die Reime für die Formulierung der in den Versen transportierten Gedanken hinderlich würden.143 Welche Effekte144 die Klänge von Reimen und die Anordnung von Reimen erzielen, und welche Stimmung beides einer Strophe oder einem Gedicht gibt, wird von Rezipienten ganz allgemein so unterschiedlich empfunden, dass man darüber keine generelle Aussage machen kann. Immerhin kann man erkennen, dass im Falle von Cur Deus homo der Dichter einen Effekt, vermutlich einen positiven Klangeffekt, dadurch erreichen wollte, dass seine Reime zweisilbige Reime sind145 und dass gleichzeitig die Reimsilben stark abwechseln, d. h., sich in der Partie des jeweiligen Sprechers selten wiederholen: In den Strophen  1–36 beispielsweise, die alle vom Narrator gesprochen werden, finden sich 108 Versenden. Bei ihnen werden ledig-

So schwierig zu dichtende Strophen auch für die 96 Strophen der Schwester Erbarmen oder die 164 Strophen Erzählers herzustellen, wäre mit enormem Aufwand verbunden gewesen und hätte sie durch ihre Vielzahl vermutlich ästhetisch entwertet. 142 Es handelt sich in aller Regel um sorgfältig ausgewählte zweisilbige End- und Binnenreime, die mehrfach auch zwei Strophen umfassen (s. S. 40). 143 Bei komplexeren Aussagen wird nicht selten zu einem gedanklichen Enjambement gegriffen. 144 Eine Korrespondenz zwischen lautlicher Form und Inhalt ist offensichtlich nicht intendiert. 145 Ausnahme davon ist -itus / -ibus (Str. 27,3; 28,3). 141

37

lich vierzehnmal, d.  h. in 13  % der Fälle, dieselben Reimsilben an mehr als zwei Stellen verwendet.146 Die folgende Tabelle soll zur schnellen Orientierung in den vorkommenden Versmaßen und Reimschemata dienen.147

4 Reime auf -ite, 4 Reime auf -itur, 6 Reime auf -uit. Die darin verwendeten Abkürzungen gehen grundsätzlich von einer alternierenden Betonung der Silben im Vers aus; Abweichungen sind mit ‚nicht alt.‘ angegeben. Es bedeuten:

146 147

A

rhythmischer Adonier (~´~~~´~), nicht alt.

B

Beginn

Bem.

Bemerkung

BR

Binnen-Reim

D

rhythmischer Daktylus (~´~~), nicht alt.

E

Reim auf Einzelstrophen beschränkt

H

Häufigkeit der S, absolute

nicht alt.

nicht alternierend betonte Silben

p

paroxytonischer Versschluss

pp

proparoxytonischer Versschluss

R

Reim; Reimschema

r

rückläufig

S

Strophenform

38

Versmaße S

Sprecher

B

Rhythmus

H

R

1

Narrator

1

2*8p+7pp

164

1

2

Serpens

37

3*2D

8

1

3

Mulier

41

2*8pp+6p

4

1

4

Homo lapsus

55

2*(8p+4p)+8p

8

2

+BR;E

5

Misercordia

73

2*2A+A

96

1

nicht alt.

6

Veritas

83

3*15pp

12

3

7

Iustitia

87

2*8p+(8p+4p)

30

4

8

Pax

95

2*(8pp+6p)+4p

6

5

+ BR

9

Deus

221

3*8p

10

6

rR

10

Natus

233

4*8p

6

7

11

Gabriel

245

3*7pp

8

1

12

Maria

253

2*(4p+4p)+7pp

2

8

(13)

Invitatio

359

3*8p+7pp

2

9

(14)

Oratio

361

4*8p+7pp

2

10

39

Bem.

nicht alt.

+ BR

Reimschemata Sie sind in der für Reime üblichen Weise notiert.148 BR bedeutet hier Binnenreim. 1

aab ccb

2

ababa + BR

3

aaa

4

aaab bbbc

5

ababc dedec + BR

6

aaa(r) b(r)bb

7

abba

8

ababc bdbdc + BR

9

aaab cccb

10

aaaab ccccb

Wie zu sehen ist, verbindet sich eine klanglich abwechslungsreiche und ästhetisch vermutlich sehr wirksame Form der Dichtung mit der erwähnten anspruchsvollen Grundanforderung ihrer Poetik, dass beim Rezipienten die Erzählungen der Bibel zwar nur im Hintergrund, aber als unverzichtbare Konstituenten der Dichtung sozusagen mitlaufen, damit er diese nicht nur als schön empfinden, sondern ihre Kohärenz überhaupt erst verstehen kann. Der Klangreichtum und der rhythmische Reichtum auf der Wortebene und die Vermittlung von Gedanken mit Hilfe einer gehobenen Metaphorik durch eine nicht-banale Syntax auf der Satzebene wirken durch die ständige Präsenz biblischer Szenen im Hintergrund zusammen zu einem Gesamteindruck frommer Erhabenheit dieser Dichtung, der ihrem vermutlichen Anlass angemessen erschien, nämlich der würdevollen Feier einer Ewigen Profess – mit einem besonderen literarischen Schmuckstück.

Siehe Anm. 147.

148

40

Abt Gregor Nach Auskunft der beiden überliefernden Handschriften hat das Gedicht den der Literaturgeschichte wenig bekannten Benediktinerabt Gregor von Montesacro zum Verfasser. Seine Vita lässt sich umrisshaft rekonstruieren aus zwei Widmungsschreiben, mit denen Gregor sein Hauptwerk De hominum deificatione149 an zwei Bischöfe versendet,150 und aus einem eigenhändig verfassten sog. Accessus zu diesem Werk,151 sowie aus ein paar Urkunden aus seiner Abtszeit.152 Ich vermute, dass Gregor bei der Geburt Petracca oder Petraccio153 oder ähnlich hieß, denn er latinisiert seinen Namen in einem der beiden von ihm selbst verfassten Widmungsschreiben als Petrus pauper,154 und in der Handschrift V wird Gregor Petrus carus Gregorius abbas Montis sacri genannt. Beides wäre deutbar als Übersetzung einer der genannten Deminutiv-Formen von Pietro. Den lateinischen Namen Gregorius erhielt er in dem Moment, als einer der Großen der Römischen Kirche, der Apostolische Legat Gregor von St. Aposteln, Kardinal-Diakon von Sancta Maria in Porticu Octaviae, ihn ‚adoptierte‘. Der spätere Abt Gregor nennt das adoptatum sibi in filium suo nomine insignitum, wörtlich also: als Sohn angenommen und mit des Kardinals Namen Gregor ausgezeichnet.155

In den beiden genannten Handschriften. Nach unpublizierten Teilausgaben des Buches 1 durch Ronquist (1975) und des Buches 3 durch den Verfasser (1973) hat Bernhard Pabst 2000 eine meisterliche Edition der Deificatio in seiner Habilitationsschrift vorgelegt (Druck: 2002). 150 Widmung an Risandus von Molfetta auf fol. 3v–4r: V; Pabst (2002, S. 938–940). – Widmung an Kardinal Thomas von Capua auf fol. 1r–1v: B; Schaller (1965, S. 499–502), Ronquist (1975, S. 287–328), Pabst (2002, S. 935–937). 151 Kindermann (1989, S. 194–202), Pabst (2002, S. 941–947). 152 Nitti (1914, S. 272, Nr. 218, bzw. S. 320, Nr. 254) und Prencipe (1952, S. 144 = Regest nach Vendola [I 1940, S. 106–107, Nr. 115; S. 176–178, Nr. 204; S. 181–183, Nr. 209]). 153 In Apulien oft auch in der Form Petruccio benutzt. 154 An Thomas von Capua; Schaller (1965, S. 500), Pabst (2002, S. 935). 155 Schaller (1965, S. 500). 149

41

Das geschah zwischen 1199 und 1202, als er zehn Jahre alt war, wie man beiläufig erfährt.156 Er muss also zwischen 1189 und 1192 geboren sein und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit in Apulien, da er an anderer Stelle seine Nationalität dezidiert als apulisch angibt.157 Wiewohl kirchenrechtlich Adoptionen möglich sind und waren, scheint mir hier eher in metaphorischer Weise von einer feierlichen Aufnahme als Sohn Benedikts in den ordensgeistlichen Stand die Rede zu sein, und Gregor wird der Ordensname des jungen158 Ordensmitglieds geworden sein. Er dürfte es als Ehre empfunden haben, den Namen Gregor von einem Kardinal (öffentlich) zugeteilt zu bekommen, der selbst diesen Namen trug.159 Als Anfang-Zwanzig-Jähriger fiel Gregor einem weiteren Kirchenfürsten auf, dem 1212 verstorbenen Roger, Titular-Kardinal-Priester von Sant’Anastasia, der ihn aus dem Kloster nach Rom holte.160 Es liegt nahe zu vermuten, dass Gregor bei römischen Prälaten wegen seiner hohen sprachlichen und theologischen Begabung auffiel, hatte er doch, eigenen

Ebd. In einem selbstverfassten Accessus zu seinem Hauptwerk (s. S. 44) gibt er außer seiner Nationalität (natione Apulus; Kindermann [1989, S. 200], Pabst [2002, S. 945]) auch das Gebiet seines seinerzeitigen Aufenthaltes an, indem er sich einen ciuis Garganicus nennt (ebd.). Das Adjektiv Garganicus bezieht sich auf einen der drei Bezirke der historischen Landschaft Capitanata, die den Nordteil der heutigen Region Apulien bildete. Es ist allerdings unklar, ob er mit Garganicus einen Gegensatz zu Apulien ausdrücken oder eine topographische Präzisierung innerhalb Apuliens vornehmen will. 158 Der Eintritt in einen Orden mit zehn Jahren war kirchenrechtlich zulässig und für das Kind endgültig, wenn der Vater es förmlich dem Kloster übergab (devotio paterna). Es spricht nichts dagegen, dass Gregor diesen seinen Ordensnamen bereits als solcher puer oblatus erhalten hat. In der Regel legten die Oblaten nach einigen Jahren auch noch die beiden förmlichen Professen ab. 159 Möglicherweise war der Kardinal als ranghöchster anwesender Würdenträger der Zele­ brant einer Messe, in diesem Fall also eines Pontifikalamtes, die anlässlich der Aufnahme in den Orden gefeiert wurde. Das Eintrittskloster ist nicht bekannt. 160 Im Brief an Kardinal Thomas: Audivi  … magistrum Roggerium, tituli sancte Anastasie presbyterum cardinalem, cum me in suum a monasterio assumpsisset, septem penitentiales psalmos Rome suis familiaribus disserentem. Schaller (1965, S. 500), Pabst (2002, S. 935). 156 157

42

Angaben zufolge, seine Schulbildung und, seit frühester Jugend, beachtliche Bibelkenntnisse im Selbstunterricht erworben und schon bald literarische Versuche unternommen.161 Rom aber ist am Vorabend der 4. ökumenischen Lateransynode unter Innozenz  III. wieder geistig-politischer Mittelpunkt der Welt geworden und sollte im Jahre 1215 allein 71 Patriarchen und Metropoliten, 412 Bischöfe und etwa 900 Äbte und Prioren in seinen Mauern zusammenführen. Im Gefolge eines der Kardinäle dürfte der begabte junge Mönch aus Apulien einen Eindruck vom Getriebe der Welt bekommen haben, auch von ihren geistigen Strömungen, denn sein hochmögender Patron war gleichzeitig ein gelehrter Magister, der Gregor in einen Gelehrtenzirkel theologischer Ausrichtung aufnahm.162 Noch vor dem Jahre 1218 unternahm Gregor aus unbekannten Gründen eine Reise nach England, und während der Rückkehr von dort studierte er in Paris bei einem weiteren Kirchenfürsten Theologie, bei dem Professor Petrus, Titular-Kardinal-Diakon von San Giorgio in Velabro (und späterem Titular-Patriarchen von Antiochia).163 Man kann nicht erkennen, dass Gregor besonders karrieresüchtig gewesen wäre, aber unter solchen Bedingungen konnte eine Karriere kaum ausbleiben: Mit etwa 30 Jahren war er denn auch selbst Prälat, als Abt des exemten, also direkt dem Papst unterstellten Benediktinerklosters Santissima Trinità del Montesacro auf dem Vor-

Im selben Brief: … cum me … absque humano magisterio post amorem litterarum sacra pagina intellectualiter erudisset … parumper supra vires cepi celeste donum rudi ac rustico sermone quasi balbutiens experiri, copia discendi corde docili et materia mihi celitus attributa. Non enim grammatice vel aliarum liberalium artium laribus per humanum magisterium educatus scribere aliquid attemptavi, sed potius divino munere vel instinctu. Schaller (1965, S. 499–500), Pabst (2002, S. 935). – Die ihm bewusste Prägung durch den Text der Bibel (sacra pagina) mag den Autodidakten später dazu bewogen haben, auffällig viele Bibelanspielungen als besonderes poetisches Gestaltungsmittel der Dichtung Cur Deus homo zu wählen. 162 Siehe Anm. 160. 163 Audivi … semel dominum meum magistrum Petrum, sancti Georgii ad Velum Aureum diaconum cardinalem, apud Parisius regentem cathedram orthodoxe, cum ad eum revertens ab Anglia divertissem, theologiam et theurgiam populos edocentem. Schaller (1965, S. 500), Pabst (2002, S. 935). 161

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gebirge Gargano,164 zu dessen Füßen sich Kaiser Friedrichs II. Residenz-Stadt Foggia lagert und das Castel del Monte. Dieses Kaisers Erzieher war jener Kardinal, der Gregor in den geistlichen Stand aufgenommen hatte; und der andere Kardinal, der, dem Gregor sein Hauptwerk widmete, Thomas von Capua, war einer derjenigen, die einen Ausgleich zwischen dem Kaiser und dem Papst Gregor IX. arrangieren wollten; so wird man vermuten dürfen, dass Gregor selbst im großen Streit jener Zeit zumindest kein extremer Gegner des Kaisers war. Politisch trat er, soweit bisher zu sehen, nicht hervor. Er wird allerhand mit der Verwaltung seiner Abtei zu tun gehabt haben, denn er führte als Abt von Ss. Trinità auch die Aufsicht über 31 Kirchen und 6 Priorate in 11 Diözesen.165 1220 und 1237 ist er in weniger relevanten kirchlichen Missionen bezeugt, zwischen 1220 und 1241 urkundet er oder wird als Lebender in Urkunden erwähnt, 1249 in einer Urkunde erstmals als ein vor einiger Zeit Verstorbener.166 Seine literarische Tätigkeit hat sich in einem recht umfangreichen Oeuvre niedergeschlagen. Allein das Hauptwerk unter dem Titel De hominum deificatione umfaßt etwa 13.000 Hexameter und ist von enzyklopädischem Zuschnitt, eine Art poetischer Summe der Welt in ihren Einzelheiten und deren geistlicher Bedeutung.167 Dazu treten etwa 2.700  Verse religiöser Kleindichtung,168 unter der die hier gedruckte die umfangreichste ist.

Er unterschreibt eine Urkunde aus Barletta vom 30. November 1220 offenbar eigenhändig mit Ego, Gregorius q supra Montis Sacri Abbas, ss. Nitti (1914, S. 272, Nr. 218). Abb. bei Kindermann (1989, nach S. 226). 165 Prencipe (1952, S. 111–125; 127). 166 Nitti (1914, S. 272, Nr. 218, bzw. S. 320, Nr. 254) und Prencipe (1952, S. 144 = Regest nach Vendola [I 1940, S. 106–107, Nr. 115; S. 176–178, Nr. 204; S. 181–183, Nr. 209]). 167 Nachgewiesen in der bewundernswerten Erstedition von Pabst (2002). 168 Ediert von Kindermann (1989). 164

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Überlieferung Handschriftliche Überlieferung Die hier vorgelegte erstmalige Übersetzung beruht auf einer verbesserten Fassung eines in zwei Handschriften der Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom überlieferten lateinischen Textes.169 Es sind dies der Codex (Vaticanus) Barberin(ian)us Latinus 2089,170 hier abgekürzt mit der Sigle B, und der Codex Vaticanus Latinus 5977,171 hier abgekürzt mit der Sigle V. Die Handschrift B bietet einen relativ verlässlichen Text. Ihr Hersteller wollte wohl eher richtig abschreiben als mit dem Produkt des Abschreibens kalligraphisch imponieren. Sie besteht aus so dünnem Pergament, dass die Tinte der Rückseite nicht selten auf die Vorderseite durch dringt.172 Bei der Herstellung der Handschrift  V hingegen hat man mit der schriftlichen Darstellung repräsentative Absichten verfolgt: Die Buchstaben und Initialen der Strophen sind sorgfältiger geschrieben.173 Es wurde besseres Pergament verwendet. Dennoch war man großzügiger bei dessen Verbrauch, denn hier ist die Seite mit nur drei Text-Kolumnen beschrieben. In B war man sparsamer und hat vier Kolumnen auf jeder Seite untergebracht.

171 172

Kindermann (1987). Olim XXX 162. – Fol. 135r–137v. Fol. 143v–147r. Besonders häufig sind die mit mehr Tinte geschriebenen Initialen einer Seite auch auf deren Rückseite sichtbar. 173 Ab fol. 144v hat der Initialenschreiber wohl gewechselt; die Strophenanfangsbuchstaben sind weniger sorgfältig geschrieben und weniger verziert. 169 170

45

Eine kurze Beschreibung der gesamten Handschrift B findet sich bei Silverstein, eine solche der Handschrift V bei Wagner, beider Handschriften bei Silvagni, Petrucci und Ronquist und eine sehr ausführliche bei Pabst.174

Textsicherheit Die Handschriften B und V haben solche Textfehler,175 wie sie bei handschriftlichem Vervielfältigen üblicherweise auftreten. Aus ihnen lässt sich daher auch hier das gegenseitige Verhältnis der Handschriften bestimmen. Da der Bestand an Gedichten und ihre Reihenfolge in den beiden hier zu untersuchenden Handschriften nicht völlig übereinstimmen, muss damit gerechnet werden, dass für jedes abgeschriebene Gedicht eigene Vorlagen benutzt wurden. Folglich ist das Verhältnis der Texte für jedes eingetragene Gedicht zu untersuchen, so auch für das hier vorgelegte. Wenn im Folgenden verkürzt von den Handschriften B und V gesprochen wird, beziehen sich die entsprechenden textkritischen Aussagen lediglich auf den Teil der Handschriften B und V, in dem jeweils die Dichtung Cur Deus homo überliefert wird.

Trennfehler Es lässt sich wie folgt ausschließen, dass eine der erhaltenen Handschriften die Vorlage für die andere gewesen ist: Das Fehlen der gesamten Strophe 116 in der Handschrift B schließt aus, dass diese (oder ein Abkömmling aus ihr) die Vorlage für die Handschrift V gewesen sein könnte. Das Fehlen der gesamten Strophe 59 in der Handschrift V schließt aus, dass diese (oder ein Abkömmling aus ihr) die Vorlage für die Handschrift B gewesen sein könnte.

Silverstein (1967, S.  124–126). Wagner (1882, S.  XXIX–XXXI). Silvagni (1901, S. 413–414). Petrucci (1968, S. 23–24). Ronquist (ungedruckt 1975, S. 2–33). Pabst (2002, S. 29–53). 175 Relevant sind nur solche Fehler, die der Abschreibende nicht selbst verbessern konnte. 174

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Bindefehler B und V müssen eine gemeinsame Vorlage gehabt haben, spätestens im Autorenexemplar. Dieses stellt man sich im Regelfall als fehlerfrei vor. Da die Handschriften B und V jedoch gemeinsame Fehler aufweisen, die so beschaffen sind, dass man mit vernünftiger Plausibilität vermuten darf, dass sie nicht unabhängig von einander im Laufe der einzelnen Vervielfältigungen der Handschriften entstanden sind, muss auch ihre gemeinsame Vorlage bereits diese Fehler gehabt haben. Diese gemeinsame Vorlage ist, in einem oder mehreren Handschriftenexemplaren, irgendwo zwischen dem Autor-Exemplar und B und V anzusiedeln. Ein solcher gemeinsamer Fehler von B und V liegt in Strophe 141,3 vor. Beide Handschriften überliefern hier statt eines vom Sinn her richtigen harum das Wort sororum, das jedoch schon wegen der vom Versmaß her unzulässigen Anzahl der Silben, also aus formalen Gründen, im Sinne der Textkritik fehlerhaft ist.176 Die meisten der gemeinsamen Fehler lassen sich nicht formal, sondern inhaltlich, z. B. an einer unpassenden Semantik des überlieferten Textes erkennen. Das ist etwa in Strophe 207,2 der Fall. Dort ist die reine Jungfrau Maria angeblich „dem Leben hingegeben“ (uirgo perpura uite addicta). Inhaltlich richtig ist hingegen, dass die Jungfrau Maria als Tempelschülerin „sich einem reinen Leben widmet“ (uirgo perpure uite addicta). Solche Bindefehler beweisen nicht nur, dass es eine gemeinsame Vorlage für zwei Handschriften gegeben haben muss, sie lassen, wenn auch selten, auch vorsichtige Schlüsse auf das Aussehen dieser Vorlage zu. Bei Strophe 141,3 sind solche Schlüsse möglich, denn offenbar ist mit sororum hier eine inhaltlich richtige Glosse zum ursprünglichen harum, in den Text gerutscht und als Text, nicht als Glosse, kopiert worden. Daraus folgt, dass die durch Bindefehler erschließbare Vorlage von B und V bereits glossiert gewesen sein muss.177 Weitere Bindefehler finden sich u. a. in Strophe 8,2; 14,2; 20,3; 22,3; 43,3; 57,3; 58,2; 86,1; 110,2; 114,2; 128,2; 176,1; 186,1; 195,3; 196,3; 204,3; 207,2; 209,2; 210,2; 213,1; 214,1; 224,2–3; 232,2; 234,3; 238,3; 247,2; 257,3; 274,2: bolus] coni., holus: B, olus: V; 289,2; 292,3; 312,4; 322,3; 324,1; 329,1; 331,2; 334,1; 340,2; 349,2; 354,2; 360,3. 177 Auch außerhalb der Seiten der beiden Handschriften, die die Dichtung Cur Deus homo überliefern, findet sich eine Vielzahl von Rand- und Interlinearglossen. Das große Lehrgedicht Deificatio, das ebenfalls in den Handschriften B und V überliefert wird, wurde diesbezüglich von Pabst mit dem Ergebnis untersucht, dass ein Grundbestand an Marginalglossen zwar nicht am Text des Verfassers, aber bereits im Archetypus anzusetzen sei (Pabst 2002, S.  124–147).

176

47

Technisches Die orthographischen Unterschiede zwischen B und V sind unerheblich. Da die Orthographie in V in sich konsequenter ist, wurde sie aus dieser Handschrift übernommen. Lediglich die Groß- und Kleinschreibung wurde modernisiert. Die Aufteilung der Textzeilen in den einzelnen Strophen folgt der Aufteilung in den Handschriften. Sie bevorzugen mehrfach die Anordnung eines Verses als eine Langzeile mit Binnenreim vor der Anordnung dieses Verses in zwei Kurzzeilen und verdeutlichen ihre Auffassung in der Regel durch graphische Reimklammern.178 Die wenigen überlieferten Überschriften erscheinen recte, die hauptsächlich zur Identifikation der Sprecher vom Herausgeber eingefügten kursiv. Lediglich zur Leseerleichterung wurden einige wenige Akzente, Macrons, Tremata und Bögen eingefügt. In lateinischem Text werden spitze Klammern < > zur Einfügung nicht überlieferten Textes benutzt, ohne dass notwendigerweise ein Textverlust angesetzt werden müsste.

Die in Cur Deus homo vorgefundenen Interlinear-Glossen widersprechen diesem Ergebnis jedenfalls nicht. Sie dienen dazu, in aller Kürze Kleinigkeiten zu erklären, z. B. nicht geläufige Wörter und Wortformen: eleos (68,1; 75,1), Equitas für den Namen der allegorischen Figur Iustitia (68,2), Hel (70,3), stellionatus (74,2), maskos / maskis (127,3), den Genetiv von polis (219,3); dicere = diceris (37,1), quis = quibus (69,1); auch einmal die Beziehung eines quomodo (107,1) oder es erfolgt eine semantische Präzisierung von dampnum durch iniuria (227,2).  Eine Frage bleibt: Für welchen Rezipienten, von dem erwartet wurde, dass er diese sprachlich und gedanklich anspruchsvolle Dichtung verstand, waren diese eher banalen Erklärungen gedacht und wer war befugt, sie in die materiell wertvolle Handschrift hineinzuschreiben? 178 Z.B. Str. 55–62 oder Str. 139–140.

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Text und Übersetzung

Cur Deus homo Narrator 1 Pneuma sacrum, nunc aspira meis uotis et cum lira prebe uocis organum. Ante 1,1: In nomine domini nostri Ihesu Christi Petri Cari (Petri Cari om.: B) Gregorii abbatis Montis sacri Cur deus homo liber incipit: B,V

2 Igne tuo cum micanti purga mentem de te fanti: Os ferto dulce sanum. 2,1: micanti] i.q. micante 2,3: dulce sanum] coni., dulcisonum: B,V

3 Fons habundans ac perlucens, cor ad tui potum ducens da, ut numquam sitiam. 3,3: sitiam] coni., satiat: B,V

4 Duc ad pastum panis uite, qui se dixit uitam rite, famem ut non sentiam. 4,3: sentiam] satiat: V Ego sum panis vitae, qui veniet ad me, non esuriet. Io. 6,35

5 Cor, quod tangis, mox qui doces, tu largire mihi uoces, quo te digne uocitem. 50

Warum Gott Mensch ward Der Erzähler 1 Heiliger Geist, sei nun gewogen meinen Bitten, und die Lyra des Dichters gib mir und die Stimme.

2 Mit Deinem lodernden Feuer reinige dem den Sinn, der von Dir spricht. Schön soll sein Mund Richtiges künden.

3 Reicher und klarer Quell Du, leite mein Herz, von Dir zu trinken, und gib, dass ich niemals dürste. 4 Führe mich dazu, dass ich esse vom Brote des Lebens, das wahr von sich gesagt hat: Ich bin das Leben, auf dass ich keinen Hunger kenne.

5 Du, der Du das Herz, das Du berührst, sogleich lehrst, schenke mir reichlich Worte, auf dass so ich würdig Dich anrufe. 51

Spiritus Sanctus … vos docebit omnia. Io. 14,26 – … prout Spiritus Sanctus dabat eloqui illis. Act. 2,4

6 Ubicumque uis qui spiras, a te doctus nunc res miras da ut apte dictitem. 6,3: dictitem] dicitem: B Spiritus ubi vult spirat. Io. 3,8

7 Apud deum ens superbum, compar deo, dei uerbum, erat in principio, 7,1: Apud] Solita maiore littera coeptum: B; superbum] superbis: B; cf. 7,2. 7,2: uerbum] uerbis: B In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum. Io. 1,1

8 ens in patre, non creatum, consubsistens alternatum, carens participio, 8,2: alternatum] alteratum: B,V … quia ego sum in Patre meo. Io. 14,20 – unigenitum et ex patre natum … consubstantialem patri: Symbolum

9 simplex enim est et rectum, indiuisum et perfectum, quia non componitur, Quia rectum est verbum Domini. Ps. 32,4

10 ens – per ipsum constant cuncta, uiua simul et defuncta, et nichil excipitur. … omnia in ipso constant. Col. 1,17

52

6 Du, der Du wehest, wo immer Du willst, gib, dass, von Dir belehrt, ich nun über Wunderbares so spreche, wie es angemessen ist.

7 Es war bei Gott ein erhabenes Seiendes, Gott gleich: das Wort Gottes, im Anbeginn,

8 ein ungeschaffenes Seiendes im Vater, ein Anderes von gleichem Sein, ohne Partizip zu sein,

9 denn es ist ein Einzelwort, und ungebeugt, unteilbar und vollkommen, weil es nicht aus Teilen besteht, 10 ein Seiendes, durch das alles sein Sein hat, im Leben und im Tode, alles ohne Ausnahme.

53

11 Fecit ergo creaturam luce plenam, sorde puram, primo incorpoream, 11,1: cf. 17,1, ~ 271,3

12 rationis et capacem, ut creantis ferret facem, deinde corpoream, 12,2: facem] e pacem corr.: V

13 non ut sibi quid conferret, set creatis ut afferet sui participium. 14 Iure cuncta, rex, qui claudis equo, iugi tibi laudis ferat ut obsequium. 14,2: equo] coni., euo: B,V; tibi] ubi: V

15 Sola sua bonitate tantum, non necessitate talem esse uoluit. 16 Eius uelle opus uerum est et nexus iugis rerum, ut scriptura docuit. Dixitque Deus fiat lux, et facta est lux. Gen. 1,3 – Quomodo autem posset aliquid permanere, nisi tu voluisses …? Sap. 11,26

17 Ergo deus fecit celum, quod extendens sicut uelum supra terram statuit, Fecit Dominus Deus caelum. Gen. 2,4

54

11 Gott also schuf zuerst die Geistwesen, licht und rein, 12 teilhaftig der Vernunft, dass sie das Licht des Schöpfers weiter trügen, und schuf dann die Körperwesen, 13 nicht, damit er sich etwas hinzu gebe, sondern um Geschöpfen Teilhabe an ihm zu geben. 14 Unter dies gerechte Gebot, o höchster Herr, stellst Du schließlich alles: dass beständig die Geschöpfe huldigend Dich preisen. 15 Aus seiner Güte ganz allein, nicht aus einer Notwendigkeit wollte er eine solche Schöpfung. 16 Sein Wollen aber ist Schaffen und es ist das beständige Band der Dinge, wie die Schrift es gelehrt hat.

17 Gott erschuf also den Himmel, den er ausspannte wie ein Segel und über der Erde errichtete,

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18 in quo chorum angelorum, magnum opus et decorum, libere constituit. 19 Quorum primas, ut se uidit, conditori mox inuidit suis cum sequacibus. 20 Celo statim est proiectus ille magnus et erectus cum subiectis sontibus. 20,3: sontibus] coni., montibus: B,V Proiectus est draco ille magnus serpens … proiectus est in terram, et angeli eius cum illo missi sunt. Apoc. 12,9

21 In amore qui mansere summi boni, micuere ut cristallus lucida. 21,2: micuere] coni., duruere: B, diruere: V

22 Aer erat egens lucis, terra carens florum sucis, uerum tantum arida. 22,3: arida] coni., candida: B,V lucis egens aer. Ov., Met. 1,17 – Et vocavit Deus aridam terram … Gen. 1,10

23 Tollens tandem cecitatem dedit lucis uenustatem ille potens opifex.

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18 in dem er die Chöre der Engel, ein großes Schöpfungswerk voll Schönheit, in Freiheit ansiedelte. 19 Als deren Führer sich in dieser Schönheit sah, erfüllte sogleich Missgunst gegen seinen Schöpfer ihn und sein Gefolge. 20 Sogleich wurde er aus dem Himmel gestoßen, er, jener Große und Stolze, zusammen mit den ihm Untergebenen, die schuldig geworden waren.

21 Die aber, die in Liebe zum Höchsten Gute verharrten, sie erstrahlten wie lichter Kristall. 22 Kein Licht war noch im Äther, keine frischen Blüten trug die Erde, sondern trockenes Land nur war sie.

23 Da nahm Gott schließlich die Finsternis hinweg und gab die Schönheit des Lichtes, er, jener machtvolle Schöpfer.

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24 Iussit herbas tum prodire, flores fructu conuenire uti doctus artifex. 24,2: fructu] i.q. fructui; e fluctu corr.: V Et ait germinet terra herbam virentem et facientem semen et lignum pomiferum faciens fructum. Gen. 1,11

25 Ast, creatis cunctis rebus et distinctis sex diebus homo demum conditur 26 alter mundus, quo formatur corpus limo; celo datur anima que dicitur. Formavit igitur Dominus Deus hominem de limo terrae et inspiravit in faciem eius spiraculum vitae. Gen. 2,7

27 Qui, ut terris ius pretendat, ore celum et intendat, est a deo conditus. Replete terram et subicite eam. Gen. 1,28

28 Paradisum iam plantarat, quem e cunctis adornarat Hel creatis fructibus; 28,2: quem et] quam e: B,V Plantaverat autem Dominus Deus paradisum, …

29 in quo lignum erat uite. Ut seruaret illud rite, collocauit hominem,

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24 Dann ließ er Pflanzen sprießen, ließ Blüten sich zu Früchten zusammentun, als kundiger Schöpfer.

25 Dann, als alles erschaffen war, und als es sechs Tage waren, wird schließlich der Mensch erschaffen, 26 als eine zweite Erde durch den Lehm, aus dem sein Körper geformt wird; doch vom Himmel erhält er, was seine Seele heißt.

27 Dass er über die Erde herrsche und dass er sein Antlitz zum Himmel richte, dazu wurde er von Gott erschaffen. 28 Gott hatte schon einen Garten bepflanzt und ihn geschmückt mit allen fruchttragenden Bäumen, die er geschaffen hatte;

29 in ihm stand der Baum des Lebens. Ihn unversehrt zu bewahren nach dem Gebote, hatte Gott den Menschen in das Paradies gesetzt,

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29,1: quo] qua: B,V … in quo posuit hominem, …

30 e tellure quem plasmauit et e celo animauit, suam ad imaginem. 30: cf. 26 … quem formaverat. Gen. 2,8 – Et creavit Deus hominem ad imaginem suam. Gen. 1,27

31 Omni ligno, dixit, ede! Set ab una longe sede arbore scientie! Ex omni ligno paradisi comede. Gen. 2,16

32 In qua hora manducabis, uitam tuam leto dabis, hosti innocentie. 32,1: hora] ex corr.: B,V De ligno autem scientiae boni et mali ne comedas, in quocumque enim die comederis ex eo, morte morieris. Gen. 2,17 – … diabolus innocentium hostis … Euseb. Verc., Epist. 2,3

33 Noster autem hostis ille, qui nocendi artes mille habet, dictus Lucifer, Mille nocendi artes: Verg., Aen. 7,338, et passim, e. g. Aug., Civ. 8,18,14

34 tenebrarum quia pater ipse lucem odit, ater, pessimusque letifer,

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30 ihn, den er aus der Erde geformt und aus dem Himmel beseelt hatte nach seinem Bilde.

31 Von allen Bäumen, sprach er, darfst Du essen. Doch halte Dich weit entfernt von einem einzigen, dem Baum der Erkenntnis. 32 Sobald Du von ihm issest, wirst Du Dein Leben dem Tode anheimgeben, der die Sünde liebt.

33 Jener unser Feind aber, der tausend Schadenskünste weiß, den man den Lichtbringer nennt,

34 weil er als der Vater der Finsternis das Licht hasst, er, der Finstere, und der gar böse Todbringer,

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35 ubi uidit ascendisse, unde nouit se ruisse, hominem, indoluit. 36 Formam statim sinuosi sumens anguis non exosi sibi, sic increpuit:

Serpens ad Mulierem 37 Uírago dicere. Nunc michi dissere uerbis fidelibus, 37, ante 1: Serpens ad mulierem] in marg.: B 37,1: dicere] pro ris ss.: V Vocabitur virago, quoniam de viro sumpta est. Gen. 2,23

38 cur mundi conditor, fúturi agnitor, pomis regalibus Cur praecepit vobis Deus, ut non comederetis de omni ligno paradisi? Gen. 3,1 – … deus omnium cognitor etiam futurorum … Aug., in Heptat. 7,17 – agnitor. Sir. 7,5

39 uos uesci uetuit. Nam scire decuit ligni dulcedinem, 39: cf. 38 Scit enim Deus, quod … eritis sicut dii …

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35 als der sah, dass der Mensch dorthin aufgestiegen war, von wo er wusste, gefallen zu sein, da schmerzte ihn das. 36 Sogleich nahm er die Gestalt der sich windenden Schlange an, die er liebte, und schalt also:

Die Schlange zum Weibe 37 Die Du Frau-aus-dem-Manne genannt wirst, sage mir nun ehrlich,

38 warum der Schöpfer der Welt, der die Zukunft weiß, diese herrlichen Baumfrüchte

39 Euch zu essen verbot? Denn er musste wissen, wie süß dieses Obst schmeckt,

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40 quod sapientie atque scientie dat plenitudinem. 40,3: dat] dat ut: B … scientes bonum et malum. Gen. 3,5

Mulier ad Serpentem 41 E cunctis lignis edimus, precepit sicut, credimus, ipse nobis factor. 41, ante 1: Mulier ad Serpentem] om.: B Cui respondit mulier: De fructu lignorum, quae sunt in paradiso, vescemur. Gen. 3,2

42 Set lignum est in medio, quod manet nunc in tedio, sicut iussit actor. De fructu vero ligni, quod est in medio paradisi, praecepit nobis Deus, ne comederemus, …

43 Ex eo non comedimus, set nimis procul sedimus, illo ne fruamur. 43,2: sedimus] cedimus: B 43,3: illo] ut illo: B,V

44 Quod etiam non tangimus, ne, si de eo frangimus, forte moriamur. 44,2: ne, si de eo frangimus] coni., sed usque deo pangimus: B,V

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40 das Weisheit und Wissen in Fülle schenkt.

Das Weib zur Schlange 41 Von allen Bäumen essen wir so wie es, das glauben wir, der Schöpfer selbst uns geboten hat.

42 Doch in der Mitte steht ein Baum, gegen den wir nun eine bleibende Abneigung haben, so wie es der Schöpfer befahl.

43 Von ihm essen wir nicht, sondern wir halten uns ganz weit von ihm entfernt auf, um zu vermeiden, dass wir an ihm uns gütlich tun.

44 Wir berühren ihn auch nicht, damit wir nicht, wenn wir von ihm etwas abbrechen, vielleicht sterben.

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44,3: forte] coni., ne forte: B,V 44,1–3: cf. 42,1 … et ne tangeremus illud, ne forte moriamur. Gen. 3,3

Serpens ad Mulierem 45 Non moriemini, set ut laudemini, quod dico facite. 45, ante 1: Serpens ad Mulierem] om.: B Dixit autem serpens ad mulierem: Nequaquam morte moriemini. Gen. 3,4

46 Nam deus metuit, ídcirco uetuit – et hoc perpendite –: 47 Si comederitis, ut dii eritis scíentes omnia. Scit enim Deus, quod in quocumque die comederitis ex eo, aperientur oculi vestri, et eritis sicut dii scientes bonum et malum. Gen. 3,5

48 Pátescent oculi. Mox cuncta seculi uos colent fortia. 48,1: patescent] patescunt: B

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Die Schlange zum Weibe 45 Ihr werdet nicht sterben, doch damit Ihr Ruhm erntet, tuet, was ich Euch sage.

46 Denn Gott hatte die Furcht – und er erließ daher das Verbot, das bedenket genau, 47 dass, wenn Ihr davon gegessen habt, Ihr sein werdet wie Götter und alles wissen.

48 Euch werden die Augen aufgehen. Bald werden alle Mächte der Welt Euch verehren.

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Lapsus Hominis 49 Uerum illa cernens lignum, pulchrum satis et benignum, uisu delectabile. 49, ante 1: lapsus hominis] om.: B Vidit igitur mulier, quod bonum esset lignum ad vescendum et pulchrum oculis, aspectuque delectabile, …

50 Tulit eo et comedit, ast post suo uiro dedit. – Factum miserabile! 50, 2: ast] ha: V … et tulit de fructu illius et comedit, deditque viro suo, qui comedit. Gen. 3,6

51 Preceptorum ut oblitus est a deo statim citus. Se occultat noxius. Et cum audissent vocem Domini Dei …, abscondit se Adam et uxor eius a facie Domini Dei. Gen. 3,8

52 Perquisitis demum causis paradiso his pro ausis éxpellítur ocius. Emisit eum Dominus Deus de paradiso. Gen. 3,23

53 Quique uita spoliatus erat hosti mancipatus, a quo mox consumitur.

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Der Fall des Menschen 49 Sie aber sah auf den Baum. Er war sehr schön, und er trug reichlich, und er war erfreulich anzusehen.

50 Da nahm sie davon und aß, dann gab sie auch ihrem Mann. Das war nicht wohlgetan!

51 Wegen Missachtung des Verbotes sogleich von Gott zu sich gerufen versteckt sich der Übeltäter.

52 Schließlich wird die Sache untersucht und wegen der dreisten Tat wird er auf der Stelle aus dem Paradies vertrieben. 53 Und verlustig des ewigen Lebens ward er Beute des bösen Feindes, und von ihm bald verschlungen.

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54 Saturatus cuius penis, laceratis tandem genis creatori loquitur:

Homo lapsus ad Deum 55 Qui creata cuncta regis, summe Deus, en, transgressor tue legis, ualde reus, subest iuri seui regis. 55, ante 1: Homo lapsus ad Deum: in marg.: B

56 Nam depascit edax ignis artus meos, terror regnat quo insignis, non eléos, ubi fruor penis dignis. … serpens … depascitur artus Verg., Aen. 2,214–5

57 Cur non audis penitentem, factor bone, iam Plutonis perfruentem regione? Orto lucis conde flentem. 57,3: flentem] coni., mentem: B,V

58 Nam uicissim omnes uenti me dispergunt ut sementa in sementi, mox immergunt, at tu irim da mergenti! 58,1: uicissim] coni., uiritim: B,V 58,2: sementa in sementi] coni., segmenta ensem menti: B,V Arcum meum ponam in nubibus. Gen. 9,13

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54 Durch dessen Qualen reichlich gestraft spricht er schließlich, mit trauerzerkratzten Wangen, zu seinem Schöpfer:

Der gefallene Mensch an Gott 55 Du, der Du alle Schöpfung regierest, Allerhöchster, siehe, der, der Dein Gebot übertrat und der schwere Schuld hat, ist eines grausamen Herrschers Macht unterworfen. 56 Denn verzehrendes Feuer versengt meine Glieder, wo ungeheurer Schrecken wütet und es kein Erbarmen gibt, dort, wo ich meine gerechte Strafe erleide.

57 Guter Schöpfergott, warum hörst Du nicht die Stimme des Reuigen, der jetzt im Lande des Todes leidet? Birg mich, der ich weinend bitte, im Garten des Lichtes. 58 Denn alle die Winde im Kreis verwehen mich wie Samen bei der Aussaat, versenken mich bald. Doch Du, gib dem Versinkenden das Zeichen des Regenbogens!

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59 Limo fixus sum profundi, fac me saluum! Limphis laci non secundi meam aluum iam repleuit princeps mundi, 59,1–3: desunt in V 59,2: laci] biblice i.q. lacûs Infixus sum in limo profundi. Ps. 68,3 – Salva me Deus, quoniam venerunt aquae usque ad animam. Ps. 68,2 – Eduxit me de lacu famoso, de luto caeni … Ps. 39,3

60 alto mare nam tempestas me dimersit, huius mundi set potestas me non tersit. Summa munda me maiestas. 60,1: mare] i.q.mari; dimersit] i.q. demersit veni in profundum aquarum et flumen operuit me. Ps. 68,3 – Multum lava me ab iniquitate mea, et a peccato meo munda me. Ps. 50,4

61 Iam pretende manum tuam condempnato, ne contempto penas luam pro mandato. Passim profert mors uim suam. 62 iam absolue nexu mortis creaturam et extractam orci portis ualde puram demum pone tuis ortis!

Narrator 63 Uerum ille bonus sator, demptor mortis, uite dator, homo quem offenderat,

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59 Im Schlamme der Tiefe stecke ich fest, errette mich! Mit Wassern der Grube des Verderbens hat der Fürst dieser Welt meinen Bauch schon gefüllt,

60 denn im tiefen Meer hat ein Sturm mich versenkt, doch keine Macht dieser Welt hat mich rein gemacht. Du, höchste Majestät, mache Du mich rein.

61 Reiche nunmehr Deine Hand dem Verurteilten, damit ich nicht mehr für die Missachtung Deines Gebotes büßen muss. Überall zeigt der Tod seine Macht; 62 erlöse nunmehr aus den Banden des Todes Dein Geschöpf, ziehe es aus den Pforten der Hölle und setze es ganz gereinigt wieder in Dein Paradies.

Der Erzähler 63 Aber jener gute Schöpfer, Todestöter, Lebensspender, er, gegen den der Mensch gesündigt hatte,

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64 diu differt exaudire preces eius, morti dire olim quem tradiderat. 65 De excelso tum prospexit, eius uoces nec despexit, eum ut absolueret. Deus de caelo prospexit super filios hominum, ut videret, si esset intellegens requirens Deum. Ps. 52,3

66 Nam de celo uidit mundum descendentem in profundum, eum ni protegeret. 66,3: ni] coni., ut: B,V

67 Erant autem protectrices atque recti amatrices tunc sorores quattuor, protectrices: cf. S. R. E. Cardinalis protector ordinis

68 quīs Eléos, Ueritatis, Pacis, siue Equitatis nota est insignior. 68,1: Eleos] misericordie ss.: B 68,2: Equitatis] iustitie ss.: B

69 Quīs commisit regni iura, quarum liquit in censura penitentem hominem. 69,1: Quis] pro quibus ss.: B; regni] regi: V 69,2: liquit] coni., dedit: B,V

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64 er stellt es lange zurück, desjenigen Bitten zu erhören, den er dem grausen Tod einst überantwortet hatte. 65 Dann aber blickte er aus der Höhe hinab und nahm dessen Rufe zur Kenntnis, dass er ihn erlösen möge.

66 Denn vom Himmel herab sah er, wie die Welt in den Abgrund sänke, wenn er ihn nicht schützte. 67 Es gab da aber als Sachwalterinnen vier Schwestern, die das Rechte liebten. 68 Ihre Namen Erbarmen, Wahrheit, Friede und Gerechtigkeit kennzeichnen sie genauer.

69 Ihnen gab er Königsrechte in seinem Reiche, er überließ ihrer Beurteilung den reuigen Menschen.

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70 Quam expectans differebat, nec tam cito redimebat suam Hel ymaginem. 70,3: Hel] deus ss.: B

71 Quod cognoscens princeps harum, cuius nomen perpreklarum est Misericordia, 72 surgit presto et adorat, pia uoce deum orat dicta promens talia:

Misericordia ad Deum Sororesque 73 Domine pater, inquid propheta: Misericord͡ıa tua repleta est tellus tota. 73,1: propheta] e prophete corr.: V 73,2: repleta] e replete corr.: V Misericordia Domini plena est terra. Ps. 32,5

74 Quomodo namque permanet ibi, stellionatus quo parat sibi rura non lota, 74,2: stellionatus] iure fraudulenter ss.: B; 75,2: quo] i.q. quo loci

75 Eleos manet quomodo mundo, quo perit homo, quem in profundo Herebus arcet,

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70 Auf diese Beurteilung wartete Gott, und zögerte, und erlöste nicht sogleich sein Ebenbild auf Erden. 71 Es untersucht dies die erste von ihnen, sie, die den überaus herrlichen Namen Erbarmen trägt, 72 und sie erhebt sich vor Gott in Anbetung und wendet sich mit freundlicher Stimme bittend an ihn mit diesen Worten:

Schwester Mitleid an Gott und ihre Schwestern 73 Mein Herr und mein Vater, es sagt ein Prophet, dass die ganze Erde erfüllt ist von Deinem Erbarmen.

74 Wie freilich hat Erbarmen dort einen Platz, wo ein Betrüger sich ein schmutziges Feld schafft,

75 wie kann Erbarmen weiter in einer Welt sein, in der der Mensch zugrunde geht, den tief unten ein Totenreich festhält,

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75,1: Eleos] misericordia ss.: B 75,2: quo] i.q. quo loci

76 ubi cruentus regnans comedo antris opacis cubat ut predo, nemini parcet? Ascendit leo de cubili suo, et praedo gentium se levavit. Ier. 4,7

77 Moueat uasta te solitudo iam tui regni, quam culpa nudo homini dedes. 77,1: uasta te] e te uasta corr.: V 77,3: dedes] coni., debes: B,V 77,1: cf. 80,3 Utinam mortui essemus in Aegypto et non in hac vasta solitudine utinam pereamus. Num. 14,3

78 Moueant iam te lacrime eius, labefactetur ne fors in peius, exaudi preces! 79 Exurge tandem, domine, queso, et ne repellas in finem; leso medicum mitte! 79,3: medicum] modicum: V Consurge, quare dormitas Domine, evigila. Quare proicis nos in sempiternum? Ps. 43,23

80 Faciem tuam, o, cur auertis obliuioni tradens? Desertis locis remitte. Quare faciem tuam abscondis, oblivisceris adflictiones et angustias nostras? Ps. 43,24

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76 wo ein blutrünstiger Verschlinger herrscht, und in seinen finsteren Höhlen liegt wie ein Räuber, und keines Menschen schonet?

77 Lass Dich jetzt rühren von der menschenleeren Öde in Deinem Reiche, die Du dem Menschen, sobald er schuldrein geworden ist, übergeben mögest.

78 Lass Dich nunmehr rühren von seinen Tränen, damit es ihm nicht schlimmer ergehe, erhör seine Bitten! 79 Erhebe Dich schließlich, o Herr, ich bitte Dich, und weise ihn nicht endgültig zurück; sende dem Verletzten einen, der ihn heilt!

80 Ach, warum wendest Du Dein Antlitz ab und gibst ihn der Vergessenheit anheim? Lass ihn zurückkehren an den verlassenen Ort.

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81 Altiuideque uos, o sorores, surgite mecum et mitiores fundite preces, 82 nam aspirabit sereno uultu mísericórs, si sine tumultu fundimus preces. 82,2: si] ss.: V

Ueritas ad Misericordiam 83 Sic miséricórs est deus, o Misericordia, ut est uerax. Quare dicta manent peremptoria, que iam prompsit inconuulsa mundi in primordia. 83,1: sic misericors] coni., misericors sic (m. sicut: V): B,V 83,2: est] coni., sit: B,V Tu autem Domine Deus misericors et … verus. Ps. 85,15

Misericordia ad Ueritatem 84 Misericord͡ıa inquid: En, fare, Ueritas soror, non sic amare. Oro, responde: 84,3: oro] ore: B

85 Sane fuere misericordis talia uerba; in mei cordis archanum conde! 85,2: talia] coni., qualia: B,V

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81 Und Ihr, tiefeinsichtige Schwestern, erhebet Euch mit mir, und bringet, ganz ruhig, Eure Bitten vor, 82 denn es wird mit freundlicher Miene der Erbarmer uns gewogen sein, wenn wir in Ruhe unsere Bitten vorbringen.

Schwester Wahrheit an Schwester Mitleid 83 Gott ist ebenso voll Erbarmen, Schwester Mitleid, wie auch voll Wahrhaftigkeit. Deshalb sind seine Worte unumstößlich, die er bereits in den heilen Beginn der Welt hineingesprochen hat.

Schwester Mitleid an Schwester Wahrheit 84 Schwester Mitleid sagt: Ach, sprich doch nicht so hart, Schwester Wahrheit. Bitte sag mir: 85 Das waren doch sicher Worte eines Erbarmers? Sie senke mir tief in mein Herz.

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Ueritas ad Misericordiam 86 Illa nempe, quīs est dictum manducato homini ligno boni siue mali Morte moriemini. Ne sit mendax ergo deus, stet sub hoste domini. 86,1: manducato] coni., manducabis: B,V De ligno autem scientiae boni et mali ne comedas, in quocumque enim die comederis ex eo, morte morieris. Gen. 2,17

Iustitia ad Misericordiam 87 Iustus deus me dilexit, lancem equam non despexit, ore dextro set protexit meum cultum. 87,2: equam] quam: B Quoniam iustus Dominus iustitias dilexit, rectum videbunt facies eorum. Ps. 10,8

88 Nullum malum fert inultum, neque per uim premit ultum. Nam is censor per me multum est timendus. 88,2: neque] coni., nec quem: B,V; ultum] ulltum in corr.: B, uultum: V

89 Per te ergo redimendus aut per istam puniendus, uni tamen est tradendus, me censente. 90 Si saluarit se potente feceritque satis mente, Deo uitam tribuente tunc fruetur; 82

Schwester Wahrheit an Schwester Mitleid 86 Es sind allerdings die Worte an den Menschen, der vom Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen gegessen hatte: Ihr werdet des Todes sterben. Damit Gott also wahrhaftig bleibe, bleibe der Mensch dem Feinde des Herrn unterworfen.

Schwester Gerechtigkeit an Schwester Mitleid 87 Gott, der Gerechte, hat mich geliebt, hat meine Waage des Rechtes nicht geringgeschätzt, sondern hat mit rechter Rede sichergestellt, dass man meiner pflege.

88 Er lässt keinen Missetäter ungestraft, aber er verfolgt ihn nicht mit Gewalt, wenn der die Strafe verbüßt hat. Er ist als Richter ob seiner Gerechtigkeit sehr zu fürchten.

89 Nach Dir soll der Mensch erlöst werden, und nach ihr soll er in seiner Strafe verbleiben, doch kann er, meine ich, nur einer von Euch überlassen werden. 90 Wenn er sich von dem Machthaber befreit hat und bußfertigen Sinnes geworden ist, dann wird er sich Gottes erfreuen, der das Leben schenkt; 83

Quia eruet pauperem a potente … Ps. 71,13

91 id si nequid, morietur, penis dignis punietur, uultum dei non meretur conspicari. 92 Nam qui tempnens fenerari se preceptum ruat pari, damni sui liberari est indignus, 92,1: qui tempnens fenerari] coni., quis cliens (e glossa, ut videtur) tempnens mari (in mari: B): B,V 92,2: ruat] pro obruat (e glossa, ut videtur): B 92,3: damni] coni., doni: B, domni: V Et timens abii et abscondi talentum tuum in terra, ecce habes quod tuum est. Mt. 25,25 – Tollite itaque ab eo talentum, et date ei, qui habet decem talenta. Mt. 25,28

93 nec ut natus rura dignus possidere; ut privignus propelletur, donec pignus reddat gratum. 93,3: gratum] coni., latum: B,V Et ait illi: Euge, bone serve, quia in modico fidelis fuisti, eris potestatem habens supra decem civitates. Lc. 19,17 – … auferte ab illo mnam … Lc. 19,24

94 Sic et homo legens stratum leti nequid iam per pratum ire celi, ni per gratum holocaustum.

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91 wenn er das nicht kann, wird er des Todes sein, wird die gerechten Strafen erleiden, wird es nicht verdienen, Gottes Antlitz zu schauen. 92 Denn wer Treugeld nicht gegen Zinsen verleihen mag, sondern es eingräbt und schließlich ohne Gewinn wieder ausgräbt, verdient es nicht, dass man ihm die Einbuße nachsieht,

93 und verdient es nicht, würdig wie ein Sohn über ein Land gesetzt zu werden; wie ein Stiefsohn wird er zurück gestoßen werden, bis er das Treugut zufriedenstellend zurück gibt.

94 So kann auch der Mensch, der das Totenbett erwählt hat, nun nicht durch himmlische Gefilde wandeln, wenn er nicht ein Gott zufriedenstellendes Opfer darbringt.

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Pax ad Sorores 95 Beati sunt pacifici, scriptum est, sorores melopse. Panigerici ne geratis mores, set modeste Beati pacifici, quoniam filii Dei vocabuntur. Mt. 5,9

96 contendite re, domini uos o consultrices, set parcite iam homini, cuius adiutrices pie este! 96,1: re] coni., ne: B,V; o] ss.: B

Misericordia ad Ueritatem 97 Ueracem deum, ut ais, cedo, mísericórdem attamen credo, Ueritas lecta. 97,1: cedo] coni., credo: B,V 97,2: credo] coni., dedo B,V

98 Tu ueritatem sic ei donas, ut et tyranni nomen imponas me procul iecta. 99 Num yctirmón tu obliuiscetur aut in eternum num irascetur perpius deus? 99,1: yctirmon] yctyrmon: B 99,3: perpius] propius: B,V Ὁ πατὴρ ὑμῶν οἰκτίρμων ἐστίν. Lc. 6,36 – … διὰ τῶν οἰκτιρμῶν τoῦ θεοῦ … Rom. 12,1 – Numquid

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Schwester Friede an ihre Schwestern 95 Selig sind die Friedfertigen, so steht es geschrieben, meine süßen Schwestern. Bitte übertreibt nicht wie Prunkredner, sondern rechtet zurückhaltend 96 in der Sache, Ihr Beraterinnen des Herrn, aber nehmet jetzt Rücksicht auf den Menschen, seied seine ihm holden Fürsprecherinnen.

Schwester Mitleid an Schwester Wahrheit 97 Du sagst, dass Gott wahrhaftig ist. Das gebe ich zu. Aber ich glaube, dass er gleichwohl barmherzig ist, liebe Schwester Wahrheit.

98 Du stellst ihn in einer Weise als wahrhaftig dar, dass er gar wie ein Tyrann wirkt, weil er mich, das Erbarmen, nicht mehr kennt. 99 Wird er denn etwa seines Erbarmens vergessen, wird er denn etwa ewig zürnen, der grundgütige Gott?

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oblitus est misereri Deus aut continebit in furore misericordias suas semper? Ps. 76,10

100 Mísericordi͡am suam abscidet numquid a seclo, pro penis ridet, quas nunc fert reus? … non de poenis innocentum rideat. Ijob 9,23

101 Absit! Nam, Si me inuocas, fatur, cum tribularis, mox a me datur, quod postulabis. 101,1: inuocas] ex in uos corr.: B; fatur] fatum: V; cf. 101,2 101,2: datur] datum: V; cf. 101,1 Invocabit me, et exaudiam eum, cum ipso ero in tribulatione. Ps. 90,15

102 Ast me secernens iusta secludis Dei decretis. Cur bella cudis? In quem pugnabis? 102,1: secernens] coni., decernens: B,V 102,2: decretis] coni., secretis: B,V 102,3: pugnabis] coni., amabis: B,V

103 Equidem scio, quod liberari homo indignus est, uel amari – patitur tamen. 104 Numquid nam deus, si liberarit, iniustus erit, aut hunc amarit? Absit hoc famen! 104,1: liberarit] e corr.: V 104,2: amarit] e corr.: V

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100 Wird er der Welt etwa sein Erbarmen entziehen, wird er lachen angesichts der Strafen, die der Sünder jetzt erträgt? 101 Das sei fern! Denn er spricht: Wenn Du mich rufst in Bedrängnis, werde ich Dir alsbald geben, worum Du mich bittest.

102 Ach, wenn Du mich ausschließt, schließt Du Wohlbegründetes von Gottes Entscheidungen aus. Warum schmiedest Du Kriegspläne? Gegen wen willst Du kämpfen?

103 Ich weiß ja, dass der Mensch es nicht verdient, befreit zu werden oder geliebt zu werden; trotzdem: Er leidet. 104 Wenn Gott ihn vielleicht befreit und wieder in Liebe aufnimmt, dann wird Gott doch nicht etwa ungerecht sein? Fern sei solche Rede!

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105 Numquid et homo, si adimplere nequid, quod debet, omittet, rere, Deus quod suum? 106 Obliuiscetur num misereri aut continebit in ira geri me, opus suum? 106,1–2: cf. 99,1 Numquid oblitus est misereri Deus aut continebit in furore misericordias suas semper? Ps. 76,10

107 Quam si tenebit, quomodo canet misericordi͡am eius, uel sanet suas ruinas? 107,1: tenebit] coni., tenerit: B,V; quomodo] scilicet implebit ss.: V; canet] coni., canam: B,V 107,2: sanet] coni., sanam: B,V Misericordiam et judicium cantabo tibi, Domine. Ps. 101,1

108 Cum inuocabis, audiam ego, misericors sum, quod numquam nego, tempno iam minas. 108,3: tempno] coni., tempne: B,V Invocabit me, et exaudiam eum … Ps. 90,15 – Si clamaverit ad me, exaudiam eum, quia misericors sum. Ex. 22,27

109 Ergo, nolite iam litigare, hominem propter; nec decertare nos decet late, 109,1: litigare] e ligare corr.: B

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105 Und wenn der Mensch nicht erfüllen kann, was er soll, dann meinst Du doch nicht etwa, dass Gott etwas aufgeben wird, was zu ihm gehört? 106 Wird er denn etwa seines Erbarmens vergessen oder in seinem Zorn etwa verhindern, dass ich, sein Geschöpf, agiere?

107 Wenn er seinen Zorn beibehält – wie will einer wie David dann von Gottes Erbarmen singen, oder etwa seine Verstoßung heilen?

108 Wenn man mich anruft, so werde ich hören, denn ich bin barmherzig. Dabei bleibe ich. Drohende Strafen fürchte ich des weiteren nicht.

109 Also, streitet nicht mehr – des Menschen wegen; und wir sollten auch nicht mehr lang und breit debattieren,

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110 set dictis Pacis acquiescentes hominis uitam michi cedentes mecum orate! 110,2: uitam] coni., uita: B,V

Ueritas ad Misericordiam 111 Contra fas et ueritatem uis, Miséricordia,  – quare nolo – sic prebere hominí remedia. Nec Hel trucem, set ueracem dico, quod tu nuntia!

112 Uerum tu sic pium deum demonstrare niteris, ut me, procul quod repellas, facere non poteris. Illi prebe te, qui dignus extat tui muneris. 112,3 tui] cui: B

113 Homo autem, quonam modo est te dignus, iaceat cum in imo peccatorum surgeré nec ualeat, set ad uelle creatoris hosti se subiciat? 114 Nisi forsan se saluare et uictorem uincere reddereque se fauori, deo satisfacere posset. – Probo manifeste, quod non potest facere: 114,2: fauori] coni., sorori: B,V

115 Nam peccantis maledicta terra est in opere. Maledictus potest nemo talem fructum facere, per quem hoste possit mitti et deo se reddere. 115,2: nemo] coni., ergo: B,V 115,1: cf. 117,1–2

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110 stimmt vielmehr den Worten der Schwester Friede zu und überlasst mir das Leben des Menschen und unterstützt meine Bitten.

Schwester Wahrheit an Schwester Mitleid 111 Gegen Gottes Recht und gegen die Wahrhaftigkeit möchtest Du, Schwester Mitleid, so den Menschen heilen – und deshalb bin ich dagegen. Und Gott nenne ich auch nicht grimmig, sondern wahrhaftig – was Du so sagen sollst. 112 Du freilich willst Gott so als barmherzig beschreiben, dass Du mich, die Wahrheit, und das sei fern, nicht zulassen kannst. Erbarme Dich Eines, der Deiner Gabe würdig ist. 113 Der Mensch aber, wie ist der denn Deiner würdig, da er tief unter Sünden liegt und sich nicht zu erheben vermag, sondern nach dem Willen des Schöpfers seinem Feind unterworfen ist? 114 Wenn er sich aber vielleicht auslösen, seinen Besieger umstimmen, wieder Huld finden und Gott Genugtuung leisten könnte? – Ich beweise Euch bündig, dass er das nicht tun kann: 115 Denn von einem Sünder wird eine verfluchte Erde bestellt. Kein Verfluchter kann aus ihr solchen Ertrag erzielen, dass er dafür vom Feinde freigegeben würde und er wieder zu Gott zurückkehren könnte.

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115,3: cf. 113,3 Maledicta terra in opere tuo … Gen. 3,17

116 Neque enim maledictus poterit eripere maledictum, neque uinctus compeditum soluere, nec conseruis libertatem seruus manens reddere. 116,1–3: om. B 116,3: libertatem] coni., deest B, libertate: V

Misericordia ad Sorores 117 Hominis arte si maledicta est terra, numquid in nostra dicta stabunt auctoris, Maledicta terra in opere tuo … Gen. 3,17

118 cum faciamus alium rectum, qui liberare possit deiectum manu raptoris? 118,1: cum] coni., cur: B,V

Ueritas ad Misericordiam 119 Quondam primus haud corrupta incorruptus potuit esse, uero quod se terra nece iusti polluit, inpollutus ex eadem necdum nasci ualuit, 119,1: quondam] coni., non nam: B,V Nunc igitur maledictus eris super terram, quae aperuit os suum et suscepit sanguinem fratris tui de manu tua. Gen. 4,11 – sanguine Abel iusti Mt. 23,35

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116 Denn ein Verfluchter wird einen Verfluchten nicht erretten können, wie einer in Fesseln einen Gefesselten nicht befreien, einer, der Sklave bleibt, seinen Mitsklaven nicht wieder die Freiheit geben kann.

Schwester Mitleid an ihre Schwestern 117 Auch wenn ob eines Menschen Trug die Erde verflucht wurde, dann werden Gottes Worte dem doch wohl nicht entgegenstehen, 118 wenn wir etwa einen anderen nicht Verfluchten schaffen, der den Verstoßenen befreien könnte aus der Hand des Räubers?

Schwester Wahrheit an Schwester Mitleid 119 Einst konnte es einen unbefleckten ersten Menschen geben, weil die Erde noch nicht befleckt war; aber weil sie durch den Tod eines Gerechten befleckt ward, konnte aus ihr auch noch kein Unbefleckter hervorgehen,

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120 abluantur perpolluta per quem, cur sententia primo data stabit, quia sine differentia homo deo talionem reddat pro superbia. 120,3: homo] amor: B; reddat] coni., qui dat: B,V

Iustitia ad Sorores 121 Quantum dictum protendatur? Pretio ni redimatur homo, qui se non saluatur, uenit gratis. 121,2: Econtra iustitia in marg.: B; ni] in: B

122 Si decretis ei datis non mundatur neque latis yrcis, nephas quid putatis de auctore, 122,2: neque] coni., nisi: B,V

123 per quod cuncta in dolore nunc uersantur: Pio ore num decerno saluum fore per oblatum? 124 Esse possit quid sic gratum, quo reddatur quod ablatum, restauretur inamatum genus totum? 124,2: ablatum] oblatum: V

Misericordia ad Iustitiam 125 Hominem audi sacrificantem Deo instanter pro se clamantem 96

120 durch den die schlimmen Befleckungen getilgt würden, weshalb das anfängliche Urteil ohne Ausnahme weiter gelten wird: Der Mensch soll Gott für seinen Hochmut büßen.

Schwester Gerechtigkeit an ihre Schwestern 121 Was folgt aus diesen Worten alles? Wenn der Mensch, der nicht aus eigener Kraft freikommt, nicht etwa um einen Preis freikommt, kommt er umsonst frei. 122 Wenn er von seiner festgesetzten Strafe auch durch kein Widderopfer frei kommt, er, der Täter der Untat, 123 durch die alles jetzt im Leide lebt – was glaubt Ihr, soll ich dem etwa mit freundlichen Worten bescheiden, dass er durch ein Opfer errettet werden wird? 124 Und was könnte so wohlgefällig sein, dass dadurch zurückgegeben wird, was Gott genommen wurde, und ein ganzes verfemtes Geschlecht einen Neuanfang erfährt?

Schwester Mitleid an Schwester Gerechtigkeit 125 Höre, wie der Mensch, der Gott Opfer darbringt, ihn in seiner Sache inständig anruft 97

talibus dictis: 125,3: dictis] dictus: V

126 En, holocausta offeram tibi, arietumque thus dico tibi, boues cum yrcis! 126,1: en] e corr.: V 126,2: dico] coni., dicam: B,V Holocausta medullata offeram tibi tibi cum incensu arietum, faciam boves cum hircis semper. Ps. 65,15

Iustitia ad Misericordiam 127 Set responsum audi cite: Num de domo feram rite maskos, yrcos, quibus mite te ditaui? 127,2: de] coni., in: B,V; rite] coni., mite: B,V 127,3: maskos] coni., maskis (uitulos ss.: B): B,V; mite] coni., rite: B,V Non accipiam de domo tua vitulum neque de gregibus tuis hircos. Ps. 49,9

128 Numquid edam, quos creaui? Nam sunt mea, que formaui. Holocaustum, quod optaui, non est tale. 128,1: numquid] numqui: V 128,2: nam] coni., non: B,V Numquid comedam carnem taurorum … Ps. 49,13 – Mea sunt enim omnia animalia … Ps. 49,10

129 Scito ergo: Per mortale non mundatur quod uitale. Genus esse debet quale, intuere: 129,3: intuere] intue: B

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mit solchen Worten: 126 Siehe, ich will Dir Brandopfer darbringen, weihe Dir den Opferrauch von Widdern, und Stierkälber und Ziegenböcke.

Schwester Gerechtigkeit an Schwester Mitleid 127 Doch höre die augenblickliche Antwort darauf: Soll ich wohl die Stierkälber und Ziegen aus Deinem Hause mit Recht wieder an mich nehmen, mit denen ich Dich gnädig beschenkt habe?

128 Soll ich etwa sie verzehren, die ich geschaffen habe? Denn das, was ich geschaffen habe, ist das Meinige. Das ist nicht ein Opfer, das ich wollte.

129 So wisse denn, dass Totes Lebendes nicht entsühnen kann. Siehe, so soll das Opfer sein:

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130 Purum, deo quod placere, iustum, rei quod delere possit scelus, hostem uere superare, 131 quod salutem operare, et sublatum deo dare, pacem meam confirmare, hoc perfectum. Quid abstulit homo Deo, cum vinci se permisit a diabolo? Anselm., Cur Deus 1,23

132 Sin alías inperfectum: Inuenitur num tam rectum, reuocare quod deiectum possit mundo? 133 Paradisi si quis fundo plasmaretur iam secundo, numquid posset omni mundo uitam dare? 133,3: uitam] coni., dicta: B,V

134 Ast, si posset hoc patrare, non deceret usurpare. Et quapropter? Dicam quare, o sorores: 134,2: usurpare] coni., uera fare: B,V

135 Cum carpebat uite flores, soli Deo tunc honores deferebat. Nunc dolores legit satis. 135,3: nunc dolores] e corr.: V

136 Qui redemptus si quo gratis laudes Dei – secundatis rebus – canet post cum natis redemptori. 136,2: Dei] coni., Deo: B,V

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130 Ein reines Opfer, das Gott gefallen kann, ein gerechtes, das des Schuldigen Schuld tilgen, den Feind wirklich besiegen kann, 131 das das Heil erwirken kann und das das Gott Genommene zurückgeben kann und den Rechtsfrieden dauerhaft machen kann – das ist ein vollkommenes Opfer.

132 Wenn aber nur so Vollkommenheit möglich ist: Gibt es denn wirklich etwas so Makelloses, dass es den Verstoßenen aus der Welt zurückholen könnte? 133 Wenn jetzt zum zweiten Mal einer auf dem Boden des Paradieses geschaffen würde – könnte der etwa der ganzen Menschheit wieder das Leben geben? 134 Aber selbst wenn er das tun könnte, wäre es ungehörig, dass er es täte. – Und warum? Ich will es Euch sagen, Schwestern: 135 Damals als der Mensch ein blühendes Leben hatte, erwies er Gott allein die Ehre. Doch jetzt hat er nur Schmerzen in Fülle. 136 Wenn ihn irgendeiner ohne Eigenleistung des Menschen erlöst, und die Umstände sich günstig wenden, wird danach der Mensch und werden dessen Nachkommen diesem Erlöser das Gotteslob singen.

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137 Perindecens quod est. Flori quare primo ac splendori non reddetur. – Iamque ori est parcendum, 137,2: ac] coni., nec: B,V 137,3: non reddetur] coni., redderetur: B,V

138 secus enim haud tuendum. Nec se credat redimendum fore, nec recipiendum, ni predictis. 138,3: fore] forte: B; ni] nisi: B

Pax 139 Pax fiat. O mi domine, in tua uirtute da uerbum, tuo nomine maneam ut tute arce tua! 140 Da pacem nunc, o domine, nostris in diebus, nec cóntende cum homine, fulgeat ut Phebus pace tua. 140,2: nec contende] coni., contende ne: B,V 140,3: pace] ace: B pacem in diebus nostris … Sir. 50,25

Narrator 141 Pax hec ait metuendo atque preces effundendo harum controuersia. 141,3: harum] sororum e glossa, ut videtur: B,V

102

137 Das wäre sehr ungehörig. Deshalb wird der Mensch der Pracht seiner einstigen Blüte nicht zurückgegeben werden. – Und nun genug der Worte,

138 denn so muss man es sehen. Und der Mensch soll nicht glauben, dass er einmal erlöst und wieder angenommen werden kann – außer zu den genannten Bedingungen.

Schwester Friede 139 Es werde Friede. In Deiner Macht, o Herr, sprich ein Wort, damit ich in Deinem Namen sicher bleibe unter Deinem Schutze! 140 Schenke Frieden, Herr, nun in dieser Zeit, und liege nicht im Streit mit dem Menschen, auf dass die Sonne erstrahle in Deinem Frieden.

Der Erzähler 141 So spricht Schwester Friede und bittet inständig, weil sie besorgt ist ob der Schwestern Uneinigkeit.

103

142 Est haudquaquam istis mota, set constanter cunctis nota fert Misericordia: 142,1: haudquaquam] aut quaquam: B

Misericordia ad Sorores 143 Quoniam ad hoc cerno uos ire, quod faciatis homine dire Deum certare 144 meo subtracto nomine. Quare sum preparata uobis monstrare, set non amare, 145 hominis me ad causam preire. Et uos oportet cum reo ire eius pro uita. 145,2: reo] coni., deo: B,V

146 Iudicium quod debeam ego nunc preuenire, ut usque lego, Dauid fert ita: 146,2: nunc preuenire] precedere nunc: B,V

147 Mísericórd͡ıam iudiciumque, Domine, tibi canam utrumque, cum videro te. Misericordiam et iudicium cantabo tibi, Domine … Ps. 100,1 – … Erudiar in via perfecta, quando venies ad me. Ps. 100,2

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142 Schwester Mitleid bewegt das nicht, sondern sie bringt unbeirrt vor, was alle schon kennen:

Schwester Mitleid an ihre Schwestern 143 Da ich sehe, dass Ihr darauf aus seid zu erreichen, dass Gott bitteren Streit mit dem Menschen führe, 144 als ob es mich nicht gäbe, bin ich also bereit, Euch freundlich zu zeigen, 145 dass in der Sache Mensch ich den Vortritt haben soll und dass Ihr an der Seite des Schuldigen eintreten sollt für sein Leben. 146 Dass ich einem Gericht jetzt vorausgehen müsse, wie ich das überall lese, sagt David mit diesen Worten: 147 Von Deinem Erbarmen und Deinem Gericht, Herr, von beidem, will ich Dir singen, wenn ich Deiner ansichtig geworden bin.

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148 Nam primo per me est liberandus, postmodum per uos examinandus, quod estis pote. 149 Quomodo uinclis criminum strictus iudicium nam caneret dictus, ni me haberet? 150 Uersus alīus uide decretum, homine pellit quod hostis metum, usque cui heret: 151 Est uniuersis deus suauis, mísericórdi͡a cuius non grauis cuncta transcendit. Iugum enim meum suave est … Mt. 11,30 – Bonus Dominus omnibus et misericordiae eius in universa opera eius. Ps. 144,9

152 Si sic est ergo, me precedente subsequi decet uos, pura mente reus qua tendit. 152,3: reus] coni., deus: B,V

153 Ueritas, ista si attendisses, tu non inmobile hoc astruxisses dictum ueracis. 153,2: tu non inmobile hoc] coni., inmobile non tu: B,V

154 Itaque illud si dispensatur, ut uiuat homo et moriatur, quin immo facis,

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148 Denn zuerst muss der Mensch durch mich frei werden, dann erst soll er von Euch gewägt werden, soweit Ihr das könnt. 149 Denn wie könnte der Genannte als ein Verbrecher in Ketten vom Gericht des Herrn singen ohne mich? 150 Höre eines anderen Psalmes Urteil, das dem Menschen die Furcht vor dem Feinde nimmt, die er ständig spürt: 151 Allen gütig ist der Herr, mild ist sein Erbarmen und größer denn alles.

152 Wenn es also so ist, sollt ihr mir, die ich voraus gehe, auf dem Wege folgen, den reinen Sinnes der Sünder einschlägt. 153 Schwester Wahrheit, wenn Du das beachtet hättest, hättest Du nicht behauptet, dieses Wort des Wahrhaftigen lasse keine Auslegung zu.

154 Wenn es also so ausgelegt wird, dass der Mensch lebe und sterbe, kann man vielmehr sagen,

107

154,1: si] coni., sic: B,V 154,3: quin immo facis] coni., quem imo iacis: B,V

155 ut plastes uerax inueniatur, mísericórdi͡a et impendatur iam sauciato: 156 Corpore iure is morietur, anima uiuet, atque reddetur polico prato. 157 Tu deum dum uis esse ueracem, non solum facis eum mendacem, set pei͡erare. 157,3: peierare] coni., peierate: B,V

158 Omne per euum, ipse iurauit, sedem parabo tuam, o Dauit. Hoc memorare: Iuravit Dominus David … filii tui … et filii eorum usque in aeternum sedebunt super thronum tuum. Ps. 131,11–12

159 Decreta mea oblitterarint si nati tui, nec ambularint in lege mea, … si custodierint filii tui pactum meum … Ps. 131,11–12

160 tunc uisitabo mala eorum, iniquitates, scelus ipsorum in uirga mea, Visitabo in virga scelera eorum et in plagis iniquitatem eorum. Ps. 88,33

108

155 dass der Schöpfer als wahrhaftig gelten und gleichwohl jetzt Mitleid erfahren kann der Wunde: 156 Dem Körper nach wird der Wunde zu Recht sterben, seine Seele aber wird leben und zurückgegeben werden den Gefilden des Himmels. 157 Du willst, dass Gott wahrhaftig ist, doch damit machst Du ihn nicht nur zum Lügner, sondern lässt ihn sogar meineidig werden. 158 Denn er selbst hat geschworen: Auf ewiglich will ich für Dich einen Thron schaffen, David. Doch denke daran:

159 Wenn Deine Nachkommen meiner Gebote vergessen, nicht wandeln in meinem Gesetze,

160 dann will ich ihre Untaten, ihr Unrecht und ihre Verbrechen strafen mit meinem Stabe,

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161 set eleón mu non feram eis, nec que procedunt labiis meis irrita erunt. Misericordiam autem meam (τὸ δὲ ἔλεός μου) non auferam ab eo, nec mentiar in veritate mea. Ps. 88,34 – Et quod egressum est de labiis meis, non mutabo. Ps. 88,35

162 Ergo si Dauid mala natorum uirga correxit, fide dictorum, ut scripta ferunt, 163 quid restat, nisi diu afflictis mísericordi͡am ut det, iam dictis quam repromisit. 164 Ut uero scias stabilitate firma durare hec dicta, late infit, qui misit: 165 In sancto meo semel iuraui, ne ludam Dauid, nec quod iuraui me penitebit. 165,2: ne] coni., si: B,V Semel iuravi in sancto meo, ne David mentiar. Ps. 88,36

166 Tu nunc cur audes, hec cum sint ita, hominem procul pellere uita? – Quid, si habebit?

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161 doch werde ich ihnen mein Erbarmen nicht entziehen. Und die Worte aus meinem Munde werden gültig bleiben.

162 Wenn er also die Untaten der Nachkommen Davids mit dem Stabe bestraft hat, getreu seinen Worten, so wie die Schrift es überliefert, 163 was bleibt dann, als dass er lange gestraften Menschen nun sein Erbarmen schenke, das er mit diesen Worten erneut verheißen hat? 164 Dass Du aber wissest, dass festen und starken Bestand diese Worte haben, so sagt ausdrücklich der, der sie sprach: 165 Ich habe einmal geschworen bei meiner Heiligkeit, dass ich David nicht belügen will; und es wird mich dessen nicht gereuen, was ich geschworen habe.

166 Wenn dem so ist, warum wagst Du es dann, den Menschen vom ewigen Leben fern zu halten? Was ist, wenn er es erhält?

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Ueritas ad Misericordiam 167 Quia tandem ostendisti, o Misericordia, dicta Dei usque uera et dispensatoria, ipsum pium et ueracem, pulchre faris omnia. 168 Et petitis ergo tuis iam assensum prebeo; sciens certo, quod nos amat deus, tibi faueo, et quod terre dabit ipse gratiam, iam foueo. 168,1: Et petitis ergo] coni., peticionibus: B,V 168,3: foueo] coni., doceo: B,V

Misericordia ad Iustitiam 169 Equitas, tuque, si aduertisses hec sacramenta, numquam dixisses fore silendum 170 hominis lapsi dé redempti͡one, set quod facesso, diceres prone, esse implendum. 170,2: prone] coni., pone: B,V 170,3: esse] coni., me est: B,V; implendum] implenm: B

171 Ergo, cum per se nequeat homo surgere, restat, gratis ut domo per me reddatur. 171,2: domo] i. q. domui; coni, pomo: B,V

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Schwester Wahrheit an Schwester Mitleid 167 Da Du, Schwester Mitleid, letztendlich gezeigt hast, dass Gottes Worte stets wahr sind und dabei auslegungsfähig, dass er barmherzig und auch wahrhaftig ist, fasst Deine Rede alles gut in Worte. 168 Daher stimme ich jetzt Deinen Bitten zu; weil ich sicher weiß, dass Gott uns liebt, bin ich auf Deiner Seite, und unterstütze es jetzt, dass er sich der Welt erbarmt.

Schwester Mitleid an Schwester Gerechtigkeit 169 Wenn auch Du, Schwester Gerechtigkeit, auf diese Schwüre geachtet hättest, hättest Du niemals gesagt, man dürfe nicht mehr 170 über die Erlösung des gefallenen Menschen reden, sondern Du würdest zustimmend sagen, dass das, was ich immer tue, jetzt getan werden muss.

171 Also, da der Mensch sich nicht alleine erheben kann, bleibt nur, dass er ohne Eigenleistung durch mich, das Erbarmen, seiner Heimat zurückgegeben wird.

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172 Redimet frater, non tamen homo, scilicet ille, quem iam depromo ut Dauid fatur: Fratrem redimens non redimet vir … Ps. 48,8

173 Est homo, inquid, in ea natus, fundauit ipse eam elatus. Et quis est iste? 173,2: eam] coni., quam non: B,V … vir natus est in ea, et ipse fundavit eam Excelsus. Ps. 86,5

174 De quo Balaam: En orietur ex Iacob stella, homo nascetur Israhel iste. En, orietur stella ex Iacob, et consurget virga de Israhel … Num. 24,17

175 Rursus psalmista: Quem adorabunt gentes et reges, atque laudabunt cum seruitute. Et adorabunt eum omnes reges, universae nationes servient ei. Ps. 71,11

176 Addens mox causam: Nam liberabit pauperem, infit, potente, stabit inops tunc tute. 176,1: nam] coni., non: B,V Quia eruet pauperem a potente et inopem, cui non est adiutor. Parcet inopi … Ps. 71,12–13

177 Ut uero michi faueas, sero, audi sollerter, que asseuero, ut fert propheta, 114

172 Ein Bruder wird ihn erlösen, und doch kein Mensch, nämlich der, von dem ich jetzt sprechen will mit Davids Worten: 173 Es ist ein Mensch, sagt er, in der Stadt geboren, zu der Höchste selbst den Grundstein gelegt hat. Und wer ist jener Mensch?

174 Von ihm sagt Bileam: Siehe, ein Stern wird aufgehen aus dem Hause Jakob, jener Mensch wird Israel geboren werden.

175 Und weiter sagt der Psalmist: Vor ihm werden Könige niederfallen und ihre Völker, und seinen Ruhm verkünden, und ihm dienen.

176 Und er nennt dann den Grund: Denn er wird den Armen erretten, so spricht er, vor dem Mächtigen, und es wird der Machtlose dann in Sicherheit leben.

177 Damit Du aber, wenn auch spät erst, mir zustimmst, so höre verständig, was ich ernstlich versichere nach Worten von Propheten 115

178 hominis huius natiuitate, de passione, uel deitate, simul concreta: 179 Paruulus, inquid, est nobis natus, cuius potestas uel principatus est in lacertis. Parvulus enim natus est nobis, … et factus est principatus super umerum eius …

180 Dicetur phele ioes, Hel fortis, pater futuri mundi, non mortis, paxque desertis, … et vocabitur nomen eius Admirabilis consiliarius, Deus fortis, Pater futuri saeculi, Princeps pacis. Is. 9,6

181 imperiumque cuius augetur, pax cuius regni non minuetur ulla etate. Multiplicabitur eius imperium et pacis non erit finis. Is. 9,7

182 Sécundum uisum non iudicabit, neque secundum aurem, set dabit in equitate. Non secundum visionem oculorum iudicabit, neque secundum auditum aurium arguet. Sed iudicabit in iustitia pauperes et arguet in aequitate pro mansuetis terrae …

183 Atteret terram uirga uerborum, perimet flatu et labiorum impium, scias.

116

178 über die Geburt, das Leiden und die Göttlichkeit dieses Menschen, und über das, was schon eingetreten ist. 179 Ein kleiner Knabe ist uns geboren, heißt es, Herrschaft und Fürstentum ruhen auf seinen Schultern.

180 Er wird Wunder-Rat heißen, Gott-Held, Vater der kommenden Welt, nicht Vater des Todes, Friedefürst für die Verlassenen,

181 und seine Herrschaft wird wachsen, und ihr Friede nicht schwinden zu jeglicher Zeit.

182 Er wird nicht nach dem Anschein urteilen, noch Urteil sprechen nach dem, was er zu hören bekommt, sondern er wird mit Gerechtigkeit richten.

183 Wisse, dass er mit dem Stab seiner Worte die Welt hart strafen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen vernichten wird.

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183,1: Atteret] Attereret: V 183,2: et] coni., quod: B,V … et percutiet terram virga oris sui, et spiritu labiorum suorum interficiet impium. Is. 11,3–4

184 Iústiciáque cingulum erit cuius lumborum, quam secum gerit, hoc Ysaÿas. 184,2: secum] coni., mecum: B,V Et erit iustitia cingulum lumborum eius. Is. 11,5

185 Uatis alīus dictum subdatur: En, deus noster. Non estimatur altior eo; 185,2: estimatur] extimatur: B,V

186 hic sapient͡ıam omnem inuenit, et dedit eam Iacob, non uenit populo reo. 186,1: hic sapientiam] coni., scientiam hic: B,V. Omnis sapientia a Deo Domino est. Sir. 1,1 – Veritatem eme, et noli vendere sapientiam, et doctrinam, et intelligentiam. Prov. 23,23

187 Post hec in terris íntuitús est cum hóminéque cónuersatús est dominus uero. Post haec in terris visus est, et cum hominibus conversatus est. Bar. 3,38

188 Uenient, dicit, iustum, en, dies et suscitabo Dauit, quod cies, germen haud sero. Ecce dies veniunt, ait, et suscitabo David germen iustum. Ier. 23,5

118

184 Gerechtigkeit wird Gürtel seiner Lenden sein, Gerechtigkeit, die er so mit sich trägt, so spricht Jesaia.

185 Und so spricht ein anderer Prophet: Siehe unseren Gott. Er ist der Allerhöchste; 186 alle Weisheit kommt von ihm, und er gab sie Jakob, doch dem sündigen Volk wurde sie nicht zuteil.

187 Später ist der Herr auf Erden erschienen und er hatte wirklich Umgang mit den Menschen.

188 Siehe, es werden kommen die Tage, sagt er, da ich zu Zeiten David jenen Nachkommen erwecken will, den Du den Gerechten nennst.

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189 Audi Micheam, locum scribentem: Bethleem parua non es, dicentem, milibus Iude. 189,1: audi] udi: B 189,2: non es] e corr.: B Et tu Bethleem terra Iuda nequaquam minima es in principibus Iuda, …

190 Ex te dux magnus egredietur, populo meo qui dominetur, non tamen rude. … ex te enim exiet dux, qui reget populum meum Israhel. Mat. 2,6 ex Mich. 5,2

191 Ut autem scias tempus adesse redemptionis, uide iam esse multa completa. 191,2: iam esse] ia ese: B

192 Nam cum medela Habram precessit concisionis, set non egessit mersum in freta. 192: cf. 59–60 Infixus sum in limo profundi. Ps. 68,3 – … eduxit me de lacu famoso, de luto caeni … Ps. 39,3

193 Moÿses post hunc uenit cum lege; hominem uerum is non a rege retulit nequam. 193,2: rege] grege: V 193,3: retulit] coni., ui tulit: B,V … daboque tibi … legem …, ut doceas eos. Ex. 24:12

120

189 Höre Micha, der an einer Stelle schreibt: Du, Betlehem, sagt er, bist nicht klein unter den Tausendschaften Judas.

190 Aus Dir wird ein großer Anführer hervorgehen, der mein Volk beherrschen wird, aber nicht mit dem Schwert.

191 Damit Du aber erkennest, dass die Zeit der Erlösung gekommen ist, siehe, dass schon viel sich erfüllt hat. 192 Denn zuerst kam Abraham mit dem Heilmittel des Schnittes, doch er führte den in die Tiefe Versunkenen nicht hinauf zum Licht.

193 Nach ihm kam Mose mit dem Gesetz; aber auch er befreite den Menschen nicht von dem nichtswürdigen Herrscher.

121

194 Citharam ferens uenit ast Dauit, set non ferentem alleuiauit penam Saul equam. 194,3: Saul] coni., sat: B,V … quaerant hominem scientem psallere cithara, ut quando arripuerit te spiritus Dei malus, psallat manu sua et levius feras. 1 Sam. 16,16

195 Uerum, bacillo puero dato mortuo nondum resuscitato lecto iacente, 195,3: lecto] coni., leto: B,V Giezi … posuerat baculum super faciem pueri … nuntiavit ei dicens: Non surrexit puer. 2 Reg. 4,31

196 quid restat, nisi ut Heliseus ueniat – per se hic uerus deus me decernente – 196,3 me] coni., te: B,V Ingressus est ergo Heliseus domum, et ecce puer mortuus iacebat in lectulo eius. 2 Reg. 4,32

197 inque defunctum se totum tendat, ut illo ore uitam prehendat, quo est formatus. Et ascendit, et incubuit super puerum, posuitque os suum super os eius … 2 Reg. 4,34

198 Tum uideatur completa fore iam prophetia Iacob, quam ore decedens fatus: 198,1: tum] coni., cum: B,V

122

194 Dann kam David mit seiner Harfe doch er hat nur Saul aufgerichtet, der seine gerechte Strafe nicht ertragen konnte.

195 Aber als Elisas Knecht einem toten Knaben seinen Stab auf das Gesicht gelegt hat, und der, noch nicht auferweckt, auf seinem Bett liegt,

196 da muss schließlich Elisa selbst kommen, – hier eigentlich der wahre Gott, wie ich fest meine –

197 und sich ganz über den Toten breiten, auf dass dieser den Lebensodem aus dem Mund dessen empfange, von dem er geschaffen ward.

198 Dann muss man sehen, dass auch schon die Prophezeiung Jakobs erfüllt wurde, die er auf dem Sterbebette mit seinem Munde sprach:

123

199 Haut auferetur de Iuda sceptrum, ueniat donec uelud fulgetrum, est qui mittendus. 199,2: fulgetrum] coni., electum: B, electrum: V Non auferetur sceptrum de Iuda …, donec veniat, qui mittendus est. Gen. 49,10 – sicut fulgur coruscans … ita erit Filius hominis … Lc. 17,24

200 Denique ipse gentium erit éxpectatío, animo querit quem redimendus. … ipse erit expectatio gentium. Gen. 49,10

201 Dux iam de Iuda nuper defecit, regnat Herodes, qui interfecit principem Iude. Herodes primus Hircanum regem simul et pontificem Iudaeorum interfecit. Papias, s. v. (ed. 1496, p. 141)

202 En, Ysaÿe uerba peracta. Uideo dudum contra, que pacta noua incude: 202,2: pacta: coni., nacta: B,V 202,3: noua incude] coni., tu noua cude: B,V

203 Exiet uirga Iesse radice et flos ascendet ex ea psice mox in salutem. 203,2: ascendet ex ea] coni., ex ea ascendet: B,V Et egredietur virga de radice Iesse, et flos de radice eius ascendet. Is. 11,1

124

199 Es wird das Szepter von Juda nicht weichen, bis wie ein Leuchten am Himmel der kommt, der gesandt werden soll.

200 Er wird es schließlich sein, den die Völker erwarten, er, den der im Geiste sucht, der erlöst werden soll. 201 Vor Kurzem hat Juda die Führerschaft verloren, es regiert König Herodes, der den Fürsten von Juda getötet hat.

202 Du siehst, des Jesaia Worte haben sich erfüllt. Ich hingegen sehe schon, was auf neuem Amboss geschmiedet wird:

203 Es wird ein Reis entspringen aus der Wurzel Jesse und eine Blüte aus ihr sich erheben, aus der der Seele das Heil werden soll.

125

204 Uirgam egressam iam olim specto, at florem eius tantum expecto, uisurum nutem. 204,3: uisurum] coni., et uis ut: B,V

205 Si autem: Qui flos, que uirga? queris – dic Ysaÿa, que corde geris, et que prestolor. 205,3: prestolor] prestolatur: B

206 En, inquid, uirgo capiet aluo, natum pudore pariet saluo, procul hinc dolor. 206,2: natum pudore] coni., pudore natum: B,V Ecce virgo concipiet, et pariet filium. Is. 7,14

207 Uirga Maria est uate dicta, uirgo perpure uite addicta, Deo dicata, 207,2: perpure] coni., perpura: B,V

208 immaculata corpore, corde, ad proferendum cárentem sorde florem parata. 209 Ut uero uictam te fateare, cum Ueritate uel Pace pare statim transibis 209,2: pare] coni., mare: B,V

210 et ad reddendum hominem uite uelis cum eo homine cite aut nolis ibis. 210,2: eo] coni., Deo: B,V

126

204 Das Reis sehe ich lange schon, doch auf ihre Blüte warte ich nur, bin mir nicht sicher, ob ich sie noch sehen werde. 205 Wenn man aber fragt: Welche Blüte?, welches Reis? – dann sage Du, Jesaia, was Du im Herzen weißt und worauf ich warte. 206 Siehe, so sagt er, eine Jungfrau wird in ihrem Leib empfangen und jungfräulich einen Sohn gebären, ganz ohne Schmerzen.

207 Maria ist das Reis, von dem der Prophet spricht, eine Jungfrau, die sich dem reinsten Leben widmet, dem Gotte geweiht, 208 reinen Leibes und reiner Seele, bereit, eine Blüte hervorzubringen, die ohne Makel ist. 209 Damit Du aber zugibst, dass ich Dich überzeugt habe, sollst Du mit Schwester Wahrheit oder ihrer Genossin, Schwester Friede, sogleich hingehen 210 und für die Rückgabe des Menschen an das Leben eilends an die Seite dieses Menschen treten, ob Du willst oder nicht.

127

211 Scriptum est: Terra̅ ueritas nata, equitas celo próspexit lata. Ergo, quid facis? 211,1: Scriptum est] coni., est scriptum: B,V Veritas de terra orta est, et iustitia de caelo prospexit. Ps. 84,12

212 Equitas rursus surget, propheta, tempore eius, et sine meta copia pacis. 212,3: pacis] facis: V Germinabit in diebus eius iustitia et multitudo pacis donec non sit luna. Ps. 71,7

Pax ad Sorores 213 Pax Eia, inquid, agite, o mites sorores, ad dominum et pergite, quod iam spargat flores uerbi sui, 213,1: mites] coni., mite: B,V; sorores] sopores: V 213,2: quod] coni., quo: B,V

214 et exorate dominum Ierusalem, pace quod purget mentes hominum uerus Phebus face ortus sui. 214,1: et exorate] coni., interrogate: B,V 214,2: quod] coni., quo: B,V

128

211 Denn es steht geschrieben: Wahrheit erwuchs auf der Erde, Gerechtigkeit schaute weithin vom Himmel. Was also tust Du?

212 Die Gerechtigkeit wird wieder erblühen, sagt der Prophet, zu Jenes Zeiten, und ohne Ende wird großer Friede sein.

Schwester Friede an ihre Schwestern 213 Friede spricht: Machet Euch auf, meine mild gestimmten Schwestern, und tretet hin zum Herrn, damit er nun die Schönheit seines Wortes verströme,

214 und erbittet vom Herrn des himmlischen Jerusalem, es möge in Frieden die wahre Sonne durch das Licht ihres Erscheinens den Sinn der Menschen reinigen.

129

Narrator 215 Ista Pace prosequente taliterque perducente tunc Misericordia 215,2: perducente] coni., perdocente: B,V

216 Ueritas mox fauet ei, hac in terra ueri dei habitet ut gloria. … habitet gloria in terra nostra. Ps. 84,10

217 Iústicía osculate se sunt et Pax, adunate constrictis amplexibus. 217,1: osculate] obsculate: V 217,3: constrictis] coni., destrictis: B,V Misericordia et veritas occurrerunt, iustitia et pax deosculatae sunt. Ps. 84,11

218 Pergunt ergo postulantes, conditorem obsecrantes luctuosis uocibus: 218,1: cf. 73,1–3

Sorores ad Deum 219 Quesumus, Pater, iam intuere ruinas eius, et miserere poleos tue,

130

Der Erzähler 215 Als Schwester Friede ihr so zuredet, und dann in diesem Sinne Schwester Mitleid ihr zur Seite steht, 216 stimmt bald auch Schwester Wahrheit ihr zu, nämlich, dass des wahren Gottes Herrlichkeit auf dieser Erde wohnen möge. 217 Schwester Gerechtigkeit küsste Schwester Friede und vereinte sich mit ihr in fester Umarmung.

218 Sie treten also als Bittende vor den Schöpfer und flehen ihn mit betrübter Stimme an:

Die Schwestern an Gott 219 Lieber Vater, bitte schau nun herab auf Deiner Stadt Ruinen und erbarme Dich ihrer;

131

219,3: poleos] ciuitatis ss.: B Miserere civitati sanctificationis tuae Hierusalem. Eccli. 36,15; cf. Aug. ‘Civitas’ Dei

220 nam uenit tempus, iam ut soluatur uinculo mortis atque reddatur gratie tue.

Deus ad Sorores quattuor 221 Plastes rerum tum sic fatus: Consultrices, quis est gratus? Ego numquid, Flamen, Natus? 221,1: fatus] factus: B 221,3: Ego] Ergo: V … ipse Deus formans terram et faciens eam ipse plastes. Is. 45,18

222 Natus, Flamen, numquid ego? Iam aspiro et hoc lego, et quem mittam nulli nego.

Iustitia ad Deum 223 Tu non debes incarnari, nam – me decet iusta fari – pater potes non uocari atque natus;

132

220 denn die Zeit ist gekommen, dass sie nun gelöst werde aus den Fesseln des Todes und wieder aufgenommen werde in Deine Huld.

Gott an die vier Schwestern 221 Da sprach der Schöpfer der Welten: Wer, Ihr meine Beraterinnen, ist erwünscht – ich etwa oder der Heilige Geist oder Gottsohn?

222 Gottsohn, der Heilige Geist oder etwa ich? Ich bin Eurem Wunsche schon gewogen und verfüge diese Mission und ich schließe keinen von ihr aus.

Schwester Gerechtigkeit an Gott 223 Du solltest nicht im Fleische geboren werden, denn – und ich muss ja, was recht ist, sagen –, Du kannst nicht der Vater genannt werden und sein Sohn;

133

224 set nec tuus debet Flatus, ne sint duo tuus Natus. Alter semper ex te natus is mittatur. 224,2: tuus Natus] coni., humanatus: B,V 224,3: is mittatur] ex corr.: B Si quaelibet alia persona incarnetur, erunt duo filii in trinitate … Anselm., Cur Deus 2,9 – … ex Patre natum ante omnia saecula: Symbolum

225 Qui ut deus audiatur et ut homo uideatur, idem unus ut credatur deushomo. 226 Est creatus tuam homo ad figuram, tua domo, quam – utendo orti pomo – uiolauit; 226,3: orti] orci: V Et creavit Deus hominem ad imaginem suam. Gen. 1,27

227 Nato tuo inrogauit maius dampnum, qui signauit fore tuam uel narrauit se figuram, 227,2: dampnum] iniuriam ss.: B … homo … et diabolus … specialius adversus personam filii peccaverant, qui vera patris similitudo creditur. Anselm., Cur Deus 2,9

228 Cur impendat ipse curam, qui est passus hanc lesuram, quam lauetur per censuram nephas reis. 228,3: quam] coni., quo: B,V Illi itaque, cui specialius fit iniuria, convenientius

134

224 aber auch Dein Heiliger Geist soll das nicht, damit nicht Zweie Gottsohn heißen. Deine Zweite Person, Dein Sohn, der seit Anbeginn aus Dir hervorgeht, er möge ausgesandt werden.

225 Er möge als Gott gehört werden und als Mensch gesehen werden, so dass man an ihn als an ein und denselben Gottmenschen glaube. 226 Der Mensch wurde erschaffen nach Deinem Gleichnis in Deiner Hausgemeinschaft, die er verletzt hat, als er vom Baume im Garten aß.

227 Am meisten aber hat er Deinen Sohn verletzt, als er zeigte und sagte, dass er, der Mensch, Deinesgleichen sei.

228 Deshalb möge sich der Verletzte selbst damit befassen, wie über eine Begnadigung der Schuldigen entschieden werden solle.

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attribuitur culpae vindicta aut indulgentia. Anselm., Cur Deus 2,9

Deus ad Natum 229 Eia, Nate, surge cito, ad saluandum reum ito. Creaturam in te dito. 230 In te dito creaturam, tecum feres quam perpuram. Leto uinces litem duram. 231 Duram litem uinces leto. O mi Nate, omni freto ero tecum, metum ueto. Et factus in agonia prolixius orabat. Lc. 2,43

232 Ueto metum, tecum ero. Haec precedent uerba uero tua, usque asseuero. 232,1: ueto] meto: B 232,2: uerba] coni., uultus: B,V 233,3: tua] coni., tuos: B.V

Natus ad Deum 233 Pater, inquid Natus, uado, si non potest calix ire, nisi bibam illum, mire. Uelle tuo me nunc trado.

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Gottvater an Gottsohn 229 Wohlan, mein Sohn, erhebe Dich eilends und mache Dich auf, den Sünder zu retten. Meine Geschöpfe beschenke ich in Dir. 230 In Dir beschenke ich meine Geschöpfe, die Du ganz entsühnt mit Dir nehmen wirst. Durch Deinen Tod wirst Du einen schweren Streit gewinnen. 231 Einen schweren Streit wirst Du durch Deinen Tod gewinnen. O mein Sohn, in allen Fluten werde ich mit Dir sein, und Furcht soll nicht sein. 232 Furcht soll nicht sein, denn ich werde mit Dir sein. Doch nun sprich Du zuerst, worauf ich, wie immer, bestehe.

Gottsohn an Gottvater 233 Vater, sprach der Sohn, ich gehe, wenn dieser Kelch der Bitternis nicht an mir vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke. Nun geschehe mir Dein Wille.

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Pater mi, si non potest hic calix transire nisi bibam illum, fiat voluntas tua. Mt. 26,42

234 Pater iuste, uenit hora, clárifíca tuum natum, ut cognoscat homo datum. Me des ei sine mora. 234,3: cognoscat] coni., cognoscens: B,V Pater venit hora, clarifica Filium tuum … Io. 17,1 – … cognoscat mundus, quia tu me misisti … Io. 17,23

Deus ad Natum 235 Dudum habes postulata mea, tua sunt perrata. Ito cum his ad creata! 236 Ad creata cum his ito. Ut factura plastes fito. Reuerteris uictor cito. 237 Cito uictor reuerteris. Huic Eléos comes eris. Tecum ferens mortem peris. 238 Peris mortem ferens tecum. O Eléos, multos secum feret solus uadens tecum. 238,3: tecum] coni., mecum: B,V

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234 Gerechter Vater, wenn die Stunde gekommen ist, dann verherrliche Deinen Sohn, auf dass der Mensch Dein Geschenk erkenne. – Mach mich ihm sogleich zur Gabe.

Gottvater an Gottsohn 235 Längst kennst Du meine Wünsche, und die Deinen sind sehr richtig. Gehe damit zu den Geschöpfen. 236 Zu den Geschöpfen gehe damit. Wie ein Geschöpf werde sein Schöpfer. Siegreich wirst Du alsbald zurückkehren. 237 Alsbald wirst Du siegreich zurückkehren. Du, das Erbarmen, Du wirst mit ihm gehen. Den Tod tötest Du durch Dein Sterben. 238 Durch Dein Sterben tötest Du den Tod. O Erbarmen, Viele wird dieser Eine mit sich bringen, den Du begleitest.

139

Narrator 239 Hec cum Nato Pater fatus Gabrihelem horum Flatus mittit e uestigio 239,3: e uestigio] euestio: V

240 templo dei ad nutritam Dauid, in Nazareth sitam uirginem in solio. 240,2: Dauid in Nazareth] coni., in Nazareth Dauid: B,V … tradentes … Mariam in contubernio virginum … Ps.-Mt. 4; cf. Protev. Iac. 8,1 – … missus est angelus Gabrihel a Deo in civitatem Galilaeae, cui nomen Nazareth. Lc. 1,26

241 Cui Ioachim erat pater sterilisque Anna mater, uir Ioseph iustissimus, 241,2: cf. Ps.-Mt. 5; Protev. Iac. 2 Ioseph autem vir eius, cum esset iustus … Mt. 1,19

242 cui columba descendente sicca uirga et florente commisit altissimus. … Joseph virga florente (Leg. aur., c. 51) …; … in ejus cacumine columba de coelo adveniens consedisset … (ib., c. 131 [126]) – Ex Lib. de nativ. Mar. et Ps.-Mt.

243 Tribus lustris cui peractis mensibusque septem auctis missum hoc dirigitur. 243,1–2: Tribus … auctis] Nam duobus lustris actis, tribus annis cui peractis: B

140

Der Erzähler 239 Als mit dem Sohne so der Vater gesprochen hat, schickt ihr Heiliger Geist sogleich den Erzengel Gabriel 240 zu einer Tempelschülerin des Davidtempels, einer Jungfrau in Nazareth, die dort auf einem Stuhle saß.

241 Ihr Vater war Joachim, und die lange Zeit unfruchtbare Anna war ihre Mutter, ihr Mann war der rechtschaffene Joseph,

242 dem sie, da eine Taube herniederstieg, und der trockene Stab erblühte, der Allerhöchste anverlobt hat.

243 Als sie fünfzehn Jahre alt ist und sieben Monate, da ergeht diese Botschaft.

141

… Factum est autem, cum XIIII aetatis annos haberet, … Ev. Ps.-Mt. 8,1

244 Uenit ergo magna luce Gabrihél, sic deo duce uirginem alloquitur:

Gabriel ad Mariam 245 Stella maris fulgida, Máriá deiuida, aue, plena gratia, Stella maris: passim – Cherubim … eorum … deividum: Ps.-Dion., Cael. hier. 7 – Angelus ad eam dixit: Have gratia plena. Lc. 1,28

246 Uectura deifica, regna tenens celica tecum est in omnia. 246,1: uectura] coni., pictura: B,V Humanis gressibus portabatur vectura deifica … Aug., Serm. 121,2 (MPL 39, col. 1988) – Dominus tecum. Lc. 1,28

247 Cunctis preeligeris, celo benediceris, uirgo sacratissima. 247,1: cunctis preeligeris] coni., pre cunctis eligeris: B,V 247,2: celo] coni., idcirco (e glossa, ut videtur): B,V praeelecta: passim – Benedicta tu in mulieribus. Lc. 1,28

142

244 Und also kommt in hellem Lichte Gabriel und spricht wie Gott es will so zu der Jungfrau:

Gabriel an Maria 245 Meerstern voll des Glanzes, Maria, die Du Gott erkennen kannst, sei gegrüßet, Du bist voll der Gnaden.

246 O Du Gottesträgerin, der Himmelsbeherrscher ist allerwege mit Dir.

247 Vor allen bist Du auserwählt und vom Himmel gesegnet, o heilige Jungfrau.

143

248 Ecce, aluo capies, Natum Dei paries, uirginum castissima. 248,1 capies] cupies: B Ecce, concipies in utero, et paries filium … Hic erit magnus. Et Filius Altissimi vocabitur. Lc. 1,31

249 Sancta es concipiens, sanctior es pariens, post partum sanctissima. 250 Nubes Sancti Spiritus te obumbrat celitus, uirgo felicissima. Spiritus Sanctus superveniet in te, et virtus Altissimi obumbrabit tibi. Lc. 1,35

251 Reparatrix omnium, nobile triclinium Dei atque hominis, reparatrix: passim – triclinium: passim

252 tu nunc uelud lilium generabis filium sempiterni luminis. Ego flos campi et lilium convallium. Cant. 2,1

Maria ad Gabriel 253 Ad hec illa inquid: Dei en ancilla. Fiat ei, quem ammodum loqueris, 144

248 Siehe, Dein Leib wird empfangen, und Du wirst den Sohn Gottes gebären als reine Jungfrau.

249 Heilig bist Du, wenn Du empfängst, noch heiliger, wenn Du gebierst, und allerheiligst nach der Geburt. 250 Die Wolke des Heiligen Geistes, überschattet Dich, hoch vom Himmel, Du glückliche Jungfrau.

251 Die Du die Allwiederherstellerin bist, ein edles Wohngemach für Gott und Mensch, 252 Du wirst nun lilienrein den Sohn des ewigen Lichtes hervorbringen.

Maria an Gabriel 253 Darauf sprach sie: Siehe eine Magd Gottes. Ihr geschehe wie Du sagst, 145

253,3: ammodum] e corr.: V Ecce ancilla Domini; fiat mihi secundum verbum tuum. Lc. 1,38

254 fiat ei, ut sit mater ueri dei, cuius pater celsa regit etheris!

Narrator 255 Statim autem Uerbum Patris castum intrans claustrum matris hominem induitur. 256 In se manens quicquid erat, ast assumens quod non erat mox inmensus capitur. … qui immensus est, capitur. Aug., Sermo in natali Domini 128,2 (MPL 39, col. 1998)

257 Ast personam non persona, set naturam tunc persona, Dei Uerbum, induit. 257,3: Dei] coni., Deus: B,V

258 Totum hominem suscepit, quia totum mors decepit et secum detinuit. … mancipium mortis …: Aug., Serm. de Vet. et Novo Test. 96,1 (MPL 39, col. 1929)

146

254 ihr geschehe, dass sie Mutter des wahren Gottes werde, dessen Vater im hohen Himmel herrscht.

Der Erzähler 255 Sogleich aber tritt das Wort des Vaters ein in den keuschen Schoß der Mutter und nimmt menschliche Natur an. 256 Das Wort Gottes bleibt all das, was es war, aber nimmt an, was es nicht war, und so wird bald der Unermessliche umfangen.

257 Doch es nahm nicht eine Person eine andere Person an, sondern es nahm damals eine Person, nämlich das Wort Gottes, eine andere Gestalt an. 258 Es nahm den ganzen Menschen an, weil der Tod den ganzen Menschen irreführte und bei sich festhielt.

147

259 Conditorem nam benignum homo uictus iam per lignum errans multiformiter 260 conspicari non ualebat, hostem suum set cernebat morte uisibiliter. 261 Eum homo ut sequatur, quare deus humanatur in utéro uirginis, 262 non reliquid qui superna, iura misit nec paterna formam sumens hominis. 263 Secus non ac, cum narramus uerbo, corde quod gestamus, seu notum facimus: 263,1: secus non ac] coni., non ac (hac: V) secus: B,V 263,3: uerbo] coni., uerbum: B,V Sicut uerbum, quod corde gestamus, fit uox, cum id ore proferimus, …

264 Id a nobis non recedit, uoce sed ad uos procedit. Sic factor altissimus, 264,2: uoce sed ad uos procedit] coni., set uos circum intra dedit: B,V … manens in mentis luce, et assumpta carnis uoce procedit ad audientem … Aug., Serm. 187,3 (In natali Domini; MPL 38, col. 1002)

148

259 Denn seinen gnädigen Schöpfer konnte der Mensch, der durch die Frucht des Baumes schon gebrochen war und auf vielfache Weise irrte, 260 nicht erkennen, doch seinen Feind, sah er durch das Sterben mit eigenen Augen. 261 Auf dass der Mensch ihm anhange, wird Gott deshalb Mensch im Schoße der Jungfrau, 262 ohne dass er den Himmel aufgab noch auch seine väterlichen Rechte verlor, als er menschliche Gestalt annahm. 263 Das ist so, wie wenn wir das mit einem Wort aussprechen, was wir in uns tragen, oder es mitteilen:

264 Das verlässt uns nicht, sondern gelangt über unsere Stimme zu Euch. So hat der hocherhabene Schöpfer,

149

265 cum maneret aluo matris, non dimisit thronum patris sensu dicti faminis. 265,3: dicti] dictu: V; faminis] carminis: B,V

266 Est in carnem nec mutatus, set assumpsit illam natus sempiterni luminis. … assumpta carnis voce … cf. ad 264,1 – … manens in mentis luce … cf. ad 264,1

267 Item ceu cum cogitamus illud uerbum et dicamus, quod in corde nascitur: 268 Mens assumit quendam sonum, qui uocatur uox, nec sonum in eundem uertitur, … fit uox, cum id ore proferimus, non tamen illud in hanc commutatur … Aug., Serm. 187,3 (MPL 38, col. 1002)

269 in se manens inmutata uoce profert uerba data. Non secus in uirgine. 269,3: Non] Haud: B … uerbum, cum fit uox, non mutatur in uocem … Aug., Serm. 187,3 (MPL 38, col. 1002)

270 Uerbum Dei non mutatum carnem sumpsit habitatum ueniens in tempore.

150

265 als seine Mutter ihn im Leibe trug, den Thron des Vaters nicht verlassen im Sinne der zitierten Worte. 266 Und der Sohn des ewigen Lichtes wurde nicht zu Fleisch verwandelt, sondern er nahm Fleisch an.

267 Das ist so wie wenn wir denken und als Wort aussprechen, was im Herzen entsteht: 268 Da nimmt unser Gedanke einen Laut an, den man gesprochenes Wort nennt, aber er wird nicht zu diesem Laut verwandelt,

269 sondern er besteht in sich unverändert fort und äußert mit der Stimme die Wörter, die zu hören sind. So auch war es bei der Jungfrau:

270 Das unveränderte Wort Gottes nahm Fleisch an, als es kam, um in der Welt zu wohnen.

151

270,2: habitatum] habitum: B Et Verbum caro factum est, et habitavit in nobis. Io. 1,14

271 O res mira: Fit, qui erat, et creatur – quis hoc ferat? – qui creator creditur. 271,2: creatur] creator: B

272 Mensis noni post decursum uirgo parit hunc, et sursum astrum nouum cernitur. 272,1: noni] noui: B Vidimus enim stellam eius in oriente … Mt. 2,2

273 O quam felix es, Maria, Deum paris que in uia hominemque pariter! 273,2: que] quem: V

274 Tu es tellus atque polus, qua est deus tanquam bolus ortus temporaliter. 274,2: bolus] coni., holus: B, olus: V 274,3: ortus] artus: B … bolis vero perpetua ardens longiorem trahit limitem. Plin., N. h., 2,96

275 Regis alti tu es porta et fenestra, qua est orta omnis boni copia. porta: passim – fenestra: passim

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271 O wunderbares Geschehen! Der wird, der schon war, und – wer könnt’ das fassen? – geschaffen wird der, an den wir als den Schöpfer glauben. 272 Nach dem Ablauf von neun Monaten kommt die Jungfrau mit ihm nieder, und am Himmel erscheint ein neuer Stern.

273 O wie gebenedeit bist Du, Maria, die Du auf einer Reise einen Gott gebierst und zugleich einen Menschen! 274 Erde bist Du und Himmel, Du, aus der Gott aufstrahlte wie ein Meteor für eine Spanne Zeit.

275 Des hohen Königs Pforte bist Du und das Fenster, aus dem alles Guten Fülle kam.

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276 Tu mons magnus, ex quo lapis est abscisus, uelud apis nascens in mellaria. … abscisus est lapis de monte sine manibus. Et percussit statuam … Dan. 2,34 – Lapis autem, qui percusserat statuam, factus est mons magnus, et implevit universam terram. Dan. 2,35 – Apes namque neque ullo concubitu miscentur … Rupert. Tiut., Div. off. 3,25

277 O, quam, Christe, pietatis est et tue karitatis pérmirá dignatio, 278 qui, ut mundum releuares, et ut celo nos ditares, iaces in presepio. Et reclinavit eum in praesepio, quia non erat eis locus in diversorio. Lc. 2,7

279 Angelique decantarunt Doxam deo, et optarunt Pacem mox hominibus. 279,2: doxam] e noxam corr.: V Gloria in altissimis Deo, et in terra pax in hominibus … Lc. 2,14

280 Uerus deus, uerus homo, semet offert patris domo genitricis manibus. … tulerunt illum in Hierusalem, ut sisterent eum Domino. Lc. 2,22

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276 Du bist der große Berg, von dem sich der Stein löste, Du bist wie die Biene, die jungfräulich im Bienenstock entsteht.

277 O wie überaus wunderbar ist die Huld Deiner Barmherzigkeit und Deiner Liebe, Christus, 278 der Du, um die Welt zu erlösen und um uns den Himmel zu schenken, da liegest in einer Krippe.

279 Und es sangen die Engel: Ehre sei Gott in der Höhe; und sie wünschten Frieden den Menschen sodann.

280 Der wahre Gott und wahre Mensch bringt sich im Hause seines Vaters dar aus den Händen seiner Mutter.

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281 Et qui super ethra rugit, ut infirmus hostem fugit, Egiptumque uisitat. Dominus de excelso rugiet. Ier. 25,30 – Fuge in Aegyptum … Mt. 2,13

282 Corruere autem statim manu facta cateruatim, seque deum indicat. 282,3: indicat] coni., dictitat: B,V … cum beatissima Maria cum infantulo templum fuisset ingressa, universa idola prostrata sunt in terram … Ps.-Mat. 23; cf. Ies. 19,1

283 Hic est petra reprobata angularis et amata humilis et ardua, 283,1: hic] coni., hec: B,V Lapis, quem reprobaverunt aedificantes, factus est in caput anguli. Ps. 117,22 – … mittam in fundamentis Sion lapidem, lapidem probatum angularem, pretiosum …, Is. 28,16 – … summo angulari lapide Christo Iesu. Eph. 2,20

284 que est manu non abscisa regis mundi perinuisa corruente statua, 284,1: abscisa i.q. abscissa 284,2: regis] regi: V … donec abscissus est lapis de monte sine manibus, et percussit statuam … Dan. 2,34

285 quam Iudeus amplexatur, cui late copulatur paries gentilium, 156

281 Und er, dessen Stimme über dem Äther brüllt wie die des Löwen, er flieht wie ein Schwächling vor dem Feind und geht nach Ägypten.

282 Dort aber fielen reihenweise sogleich die Götterbilder von Menschenhand zu Boden, und so zeigt er, dass er der Gott ist.

283 Er ist der von den Handwerkern verworfene Stein, den man als Eckstein schätzt unten am Fundament und als Schlusstein oben im Gewölbe,

284 der Stein, der nicht gebrochen ward von Menschenhand, bei der Zerstörung der verhassten Statue des Königs der sündigen Welt,

285 der Stein, den die Kirchenmauer der Judenchristen umschließt, mit der weithin die Kirchenmauer der Heidenchristen verbunden ist, 157

Christus … lapis dicitur angularis, quia duos ad se populos a diverso venientes, Gentilium atque Iudaeorum, tanquam geminos parietes in unam soliditatis gratiam colligavit. Hraban., univ. 14,23

286 donis deum, uoce regem hominemque iuxta legem fatens dei filium: 287 Qui cum sitit, fatigatur, esurit, flet, et tristatur, hominem se indicat. 288 Ast, ut deus signa facit, morbos, pestes longe iacit, mortuosque suscitat. 289 Nam olentem reddit uiuum, curuam leuat, premit riuum fimbria sanguineum. 289,2: curuam] coni., curuum: B,V … iam fetet, quadriduanus enim est. Io. 11,39. – Mulier … inclinata … Lc. 13,11 – … tetigit fimbriam vestimenti eius, et confestim stetit fluxus sanguinis eius. Lc. 8,44

290 Arens homo manu plaudit, cuius nutu surdus audit, ignes cedunt febrium, … et erat ibi homo, et manus eius dextra erat arida. Lc. 6,6. – Et adducunt ei surdum … Mc. 7,32 – … ait illi: Eppheta, quod est, adaperire. Mc. 7,34 – Et statim apertae sunt aures eius … Mc. 7,35 – … et accedens elevavit eam adprehensa manu eius, et continuo dimisit eam febris, et ministrabat eis. Mc. 1,31

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286 der sich durch seine Gaben als Gott und durch sein Wort als König und Menschen zu erkennen gibt, gemäß der Schrift als Gottes Sohn: 287 Wenn er dürstet oder wenn er müde wird, wenn er hungert, weint und trauert, dann zeigt er, dass er Mensch ist. 288 Doch als Gott wirkt er Wunder, weithin vertreibt er Krankheiten und Seuchen und erweckt Tote wieder zum Leben. 289 Ja, einen schon Verwesenden erweckt er zum Leben, eine Verkrümmte richtet er auf, und die Berührung des Saumes seines Gewandes beendet den blutigen Ausfluss einer Frau.

290 Ein Mann, dessen Hand verdorrt war, kann wieder in die Hände klatschen, auf Jesu Befehl hört ein Tauber wieder, und Fieberhitze verschwindet,

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291 claudus salit, mutus fatur, surgit iacens, et mundatur horrens elefantia, … claudi ambulant, leprosi mundantur …, mortui resurgunt … Mt. 11,5. – Et tenuit manum ejus. Et surrexit puella. Mt. 9,225 – Et eiecto daemone locutus est mutus … Mt. 9,33

292 demon corpus, ydrops flumen spernit, uisus nouum lumen hauriunt per spatia. 292,3: per spatia] coni., palatia: B,V … et eiciebat spiritus verbo … Mt. 8,16 – Et ecce homo quidam hydropicus erat ante illum. Lc. 14,2 – Ipse vero adprehensum sanavit eum ac dimisit. Lc. 14,4. – accesserunt ad eum caeci … Mt. 9,28 – Tunc tetigit … oculos eorum … Mt. 9,29. – Et aperti sunt oculi illorum … Mt. 9,30

293 Rerum cuncta hic peregit, reformaret ut quos legit forme sue glorie. 294 Inde uenit ad babtismum iri uetans cataclismum. Et largitor gratie, Arcum meum ponam in nubibus, et erit signum foederis inter me et inter terram. Gen. 9,13

295 aqua uero ut ascendit, Sanctum Pneuma mox descendit in columbe spetie, Et statim ascendens de aqua vidit apertos caelos et Spiritum tamquam columbam descendentem et manentem in ipso. Mc. 1,10

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291 ein Lahmer springt wieder, ein Stummer spricht wieder, eine tot Daliegende erhebt sich, und einer, der vor Aussatz starrt, wird wieder rein,

292 Dämonen werden ausgetrieben und Wasser bei einem Wassersüchtigen, und die Augen eines Blinden fangen, geöffnet, erneut das Licht ein.

293 All diese Wunder-Taten vollbrachte er, damit er diejenigen, die er auswählte, wieder zu Abbildern seiner Herrlichkeit machte. 294 So ging er denn zu der Taufe, die mit dem Regenbogen eine neue Sintflut ausschließt. Und als der Spender der Gnade

295 aus dem Taufwasser steigt, steigt sogleich der Heilige Geist herab in Gestalt einer Taube,

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296 polo pater at aperto Hic est meus natus, certo, clamat, mee glorie. 296,1: polo] e Colo corr.: V, uolo: B Et ecce vox de caelis dicens: Hic est Filius meus dilectus, in quo mihi conplacui. Mt. 3,17

297 Homo clausit hunc peccando, ueniam set Christus dando babtismo aperuit. 298 Non fit secus nunc, cum datur hic babtismus, Christus fatur, sicque fides docuit. 298,1: fit] sit: B; fit ss.: V 298,3: fides] fide: B Et accedens Iesus locutus est eis dicens … Euntes … docete omnes gentes baptizantes eos … Mt. 28,18–19

299 Inde tela ter obscena fregit, postquam quater dena pertulit ieiunia. Et accedens temptator dixit ei: Si Filius Dei es, … Mt. 4,3. – Et cum ieiunasset quadraginta diebus et quadraginta noctibus postea esuriit. Mt. 4,2

300 Limpha pallens uim nature perdens late nouo iure uina dat rubentia. 300,2: late] e corr.: B Dicit eis Iesus: Implete hydrias aqua … Io. 2,7 – … gustavit architriclinus aquam vinum factam … Io. 2,9

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296 der Vater aber ruft aus dem Himmel, der sich auftut: Dies ist mein Sohn, fürwahr, der mir Ehre macht.

297 Durch seine Sünde hat der Mensch sich den Himmel verschlossen, doch Christus hat in der Taufe die Sünde vergeben und so den Himmel wieder geöffnet. 298 Nichts anderes geschieht jetzt, wenn hier die Taufe gespendet wird, das sagt Christus, und so hat es der Glaube gelehrt.

299 Dreimal wehrte er dann schamlose Angriffe ab, nachdem er ein vierzigtägiges Fasten ertragen hatte.

300 Helles Wasser verliert durch ihn seine Eigenschaft, es gehorcht neuen Gesetzen und wird reichlich zu rotem Wein.

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301 Septem panes qui bis binis et uirorum quinque quinis milibus distribuit. 301,1: qui bis] quibus: B Quot panes habetis? At illi dixerunt: Septem … Mt. 15,34. – Erant autem, qui manducaverant quattuor milia hominum … Mt. 15,38 – Est puer unus hic, qui habet quinque panes hordiacios … Io. 6,9 – Dixit ergo Iesus: Facite homines discumbere … Discubuerunt ergo viri numero quasi quinque milia. Io. 6,10

302 Set hunc noster pressit labor, qui Titane monte Tabor clarior enituit. 303 Uerum simul uenit hora, qua impleret id, haud mora, propter quod huc uenerat, 303,2: qua] coni., quo: B,V; impleret] implere: B … sciens Iesus, quia venit eius hora, ut transeat ex hoc mundo ad Patrem … Io. 13,1

304 iamque legem nouam mundo, frueretur ut secundo ligno uite, dederat: … dabo ei edere de ligno vitae, quod est in paradiso Dei mei. Apoc. 2,7

305 Sacramentum, en, nunc tradit, quo ad uitam homo uadit alumpnis cenantibus, Cenantibus autem eis accepit Iesus panem … Mt. 26,26

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301 Sieben Brote verteilte er an viertausend Männer und fünfe an fünftausend.

302 Doch es bedrückte ihn unsere Not, ihn, der da aufstrahlte heller als die Sonne am Berge Tabor. 303 Als aber die Stunde kam, da er ungesäumt erfüllen sollte, weshalb er auf die Welt herabgekommen war,

304 da hatte er schon einen neuen Bund mit der Welt geschlossen, nämlich den, dass sie vom zweiten Baume, dem des Lebens, essen solle:

305 Siehe, das Sakrament setzt er nun ein, durch das der Mensch zum ewigen Leben gelangt, bei einem Mahle der Jünger.

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306 carnis sue sanguinisque – non saluamur ni utrisque – ceno lotis pedibus. … coepit lavare pedes discipulorum … Io. 13,5

307 Quo tunc prius ueterauit Testamentum, inchoauit Nouum uel instituit. Hic est calix novum testamentum in sanguine meo, quod pro vobis funditur. Lc. 22,20

308 Namque cenam ut peregit, benedicens grates egit, frangens panem tribuit. 308,1: namque] coni., iamque: B,V Cenantibus autem eis accepit Iesus panem et benedixit ac fregit deditque discipulis suis …

Natus ad Alumnos 309 Hoc est, dicens, corpus meum, quod pro uobis mox tradetur. Et hic sanguis effundetur, ut absoluam nexu reum. 309,4: reum] rem: B … et ait: Accipite et comedite. Hoc est corpus meum. Mt. 26,26 – Hic est enim sanguis meus …, qui pro multis effunditur in remissionem peccatorum. Mt. 26,28

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306 Er setzt ein das Sakrament seines Fleisches und Blutes – das beides wir zum Heile brauchen –, nachdem er bei diesem Mahle ihnen den Schmutz von den Füßen gewaschen hatte. 307 Damit machte er früheren Bund zum Alten Bund und setzte den Beginn des Neuen Bundes.

308 Denn als er mit ihnen das Mahl hielt, nahm er das Brot, segnete es, dankte, brach es, und teilte es aus an die Jünger.

Der Sohn Gottes an die Jünger 309 Dies, sprach er, ist mein Leib, der bald für Euch hingegeben werden wird. Und dies ist mein Blut, das vergossen werden wird, damit ich den Sünder aus seinen Banden befreie.

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310 Nam sum ego panis uite: Qui me ēst, non morietur, set in celo me fruetur, quo pax manet sine lite. Ego sum panis vitae. Io. 6,48 – Si quis manducaverit ex hoc pane, vivet in aeternum. Io. 6,52

311 Est hic panis mea caro, et hoc uinum meus sanguis. Quīs fruenti uetus anguis non nocebit michi caro. Hic est calix novum testamentum in sanguine meo, quod pro vobis funditur. Lc. 22,20 – … serpens antiquus, qui vocatur Diabolus et Satanas. Apoc. 12,9

312 Hoc est nouum testamentum, quod in mei ut agatis mémoríam et edatis, uestrum moneo conuentum. 312,4: conuentum] coni., concentum: B,V Et accepto pane gratias egit et fregit et dedit eis dicens: Hoc est corpus meum, quod pro vobis datur. Hoc facite in meam commemorationem. Lc. 22,19

Narrator 313 Post hec sacer ille magnus cruce uelud mitis agnus semet patri obtulit,

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310 Denn ich bin das Brot des Lebens: Wer mich isset, der wird nicht sterben, sondern mich im Himmel schauen, wo Friede ist und kein Streit.

311 Dieses Brot ist mein Fleisch, und dieser Wein ist mein Blut. Wer beides zu sich nimmt, dem wird die Alte Schlange nicht schaden, denn der gehört zu mir.

312 Dieses ist das neue Vermächtnis: Ein solches Mahl sollt ihr zu meinem Gedächtnis halten und davon essen. Dazu fordere ich Euch hier Versammelte auf.

Der Erzähler 313 Dann brachte jener heilige Große sich wie ein sanftes Lamm dem Vater als Sühneopfer dar an einem Kreuze,

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314 quam gestauit ipse, sibi reuocaret nos ut ibi, quorsum se iam attulit. 314,3: quorsum] coni., unde: B,V Et baiulans sibi crucem exivit in eum, qui dicitur Calvariae, locum, Hebraice Golgotha. Io. 19,17

315 Cesus flagris auctor lucis hinc tropheum subit crucis dedente discipulo. 315,3: dedente] dediti (sequitur lacuna): B Tunc ergo adprehendit Pilatus Iesum et flagellavit. Io. 19,1

316 Circa pasca qui mactatur, per quem homo liberatur a mortis periculo, … et videbo sanguinem [sc. agni] ac transibo vos, nec erit in vobis plaga disperdens, quando percussero terram Aegypti. Exod. 12,13

317 quam degustans mox occidit. Cum extinctum miles uidit, statim asta uulnerat, 317, 2: cum] coni., quem: B,V Sed unus militum lancea latus eius aperuit, et continuo exivit sanguis et aqua. Io. 19,34

318 Calamum nam, fel, acetum, sputa, clauos, palmas, letum primitus gustauerat. 318,1: calamum nam] coni., nam calamum: B,V Currens autem unus et implens spongiam aceto circumponensque calamo potum dabat …

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314 das er selbst trug, damit er dort uns zu sich zurückführe, wohin er sich nun begab.

315 Von Geißeln geschlagen nimmt der Schöpfer des Lichtes deshalb das Siegeszeichen des Kreuzes auf sich, verraten von einem seiner Jünger.

316 In der Osterzeit wird er als Opfer geschlachtet, er, durch den der Mensch befreit wird von der Drohung des Todes,

317 von dem er kostete und ihn alsbald besiegte. Als ein Soldat Jesu Tod bemerkte, durchbohrt er sogleich seine Seite mit der Lanze.

318 Ja, Stock, Galle, Essig, Spucken, Nägel, Ohrfeigen und den Tod hatte Jesus bereits erlitten.

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Mc. 15,36 – … ille autem dixit eis: Nisi videro in manibus eius figuram clavorum … Io. 20,25 – Tunc expuerunt in faciem eius, et colaphis eum ceciderunt, alii autem palmas in faciem ei dederunt. Mt. 26,67

319 Profluitque unda, sanguis, quo mundatur, quicquid anguis polluisse legitur. 319,3: legitur] legitus: V; cf. 320,3 Continuo exivit sanguis et aqua. Io. 19,34

320 Hinc nos unda renascentes, carne, sanguine uescentes, templum Christi dicimur. 320,3: dicimur] coni., dicimus: V Nescitis, quia templum Dei estis et Spiritus Dei habitat in vobis? 1 Cor. 3,16

321 Hic est silex bis percussa prebens potus inconcussa sitienti populo, 321,1: hic] coni., hec: B.V 321,2: potus] potum: V Cumque elevasset Moses manum percutiens virga bis silicem, egressae sunt aquae largissimae ita, ut et populus biberet et iumenta. Num. 20,11

322 qua Aáron sacris datis Móÿsésque cessit fatis. Ihesu misso seculo 322, 3: misso] coni., dato: B,V Cumque Aaron spoliasset vestibus suis … Num. 20.28. – Illo mortuo in montis supercilio … Num. 20.29. – Mortuusque est ibi Moses servus Domini in terra Moab … Dtn. 34,5

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319 Und so fließen aus seiner Seite Wasser und Blut, wodurch alles reingewaschen wird, was nach der Schrift die Schlange befleckt hat.

320 Daher heißen wir, die wir aus dem Wasser der Taufe wiedergeboren werden und Christi Leib und Blut zu uns nehmen, Tempel Christi.

321 Er ist der Antitypus des Felsen, an den Mose zweimal schlug, der unentwegt Wasser spendet dem Volke, das dürstet,

322 des Felsen, wo Aaron die Heiligen Gewänder ablegte und verschied und auch sein Bruder Mose. Als freilich Jesus dann selbst das Zeitliche verließ,

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323 clamat mundus sustinere se non posse mortem uere Dei nati fluctuans. Causam … effusionis uirtutemque …, quam se sustinere non posse mundus clamauit. Rup. Tuit., Anulus, lib. I (ed. Magoga 2020, p. 198)

324 Legis uela lugent scissa. Sinagoga it dimissa multa secum murmurans. 324,1: lugent] coni., gaudent: B,V Et ecce velum templi scissum est in duas partes a summo usque deorsum. Mt. 27,51 – Cumque dimissa esset synagoga, … Act. 13,43

325 Hic est Noe debriatus et in lecto denudatus, in sepulchro scilicet. Bibensque vinum inebriatus est et nudatus in tabernaculo suo. Gen. 9,21

326 Cum Ham, uerna set dampnato, Sem cum Iapheth dilatato orbem totum possidet. 326,1: cum Ham, uerna] coni., in Cham uerpo: B,V Maledictus Chanaan servus servorum erit fratribus suis. Gen. 9,25. – Dilatet Deus Iafeth, et habitet in tabernaculis Sem … Gen. 9,27

327 Ut Ca͡ yn Abel interfecto Christo uerpus a se iecto it uagus et profugus. 327,1: ut Cayn] coni., Cayn: B,V … Consurrexit Cain adversus Abel fratrem suum et

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323 schreit die Erde, sie könne den Tod dessen nicht ertragen, der wahrlich der Sohn Gottes sei, und sie erbebt.

324 Der Vorhang des Alten Bundes im Tempel zerreißt als Zeichen der Trauer. Die Versammlung der Juden geht auseinander mit viel Unzufriedenheit.

325 Er ist der Antitypus des Noah, der berauscht nackt in seinem Bett lag, denn nackt lag Jesus in seinem Grabe.

326 Mit Ham, der aber zu dienen verdammt ist, und mit Japhet, für den Raum geschaffen wurde, besitzt Noahs Sohn Sem die ganze Erde.

327 Aber wie Kain nach dem Mord an Abel so irrt der beschnittene Nachkomme Sems, der Christus verstieß, umher ohne Heimat.

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interfecit eum. Gen. 4,8 – … vagus et profugus eris super terram. Gen. 4,12

328 Botrus Cipri hic est pressus, cuius gustu leto fessus uiam scandit protinus. 328,3: uiam] uitam: B, uiam e corr.: V; protinus] coni., prodigus: B,V Botrus cypri dilectus meus mihi in vineis Engaddi. Cant. 1,13

329 Hic ros Ermon est nouellus, qui descendit super uellus; saginatus uitulus: 329,1: est] coni., et: B,V Sicut ros Hermon, qui descendit super montana Sion … Ps. 132,3 – Et adducite vitulum saginatum …

330 Hic pro exule mactatur nato, quo̅que saginatur famelicus populus. et occidite, et manducemus et epulemur. Lc. 15,23

331 At tu, Sathan, es destructus, te occīdit iam eductus natus terre uirginis. 331,2: eductus] coni., seductus: B,V Illa terra virgo …, ex qua homo tunc primum plasmatus est, ex qua nunc Christus secundum carnem ex virgine natus est. Tert., Adv. Iud., 13,11

332 Triste nephas unda lauit, terram rubram dealbauit rubor Christi sanguinis.

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328 Er, Christus, ist die gepresste Zyperntraube, nach deren beglückendem Trunk sich ein Müder sogleich auf den Weg macht.

329 Er ist der frische Tau, der vom Berge Hermon herabsteigt auf das Vließ; und er ist das junge Mastkalb:

330 Das wird geschlachtet für den verlorenen Sohn und macht die hungernden Menschen satt. 331 Du aber, Satan, Du liegst am Boden, Dich hat niedergeschlagen Einer, der nunmehr aus jungfräulicher Erde hervorging.

332 Das Wasser aus der Seite Christi hat das Unheil der Sünde weggewaschen und sein rotes Blut hat die blutrote Welt wieder weiß gemacht. 177

Si fuerint peccata vestra ut coccinum, quasi nix dealbabuntur, et si fuerint rubra quasi vermiculus, velut lana erunt. Is. 1,18

333 Qui descendit ad inferna ut Bana͡ıas in cisterna cum leone dimicans. 333,3: dimicans] dimicantes: B Banaia … descendit et interfecit leonem in media cisterna tempore nivis. 1 Chr. 11,22

334 Cuius tempus qui allidit, Dauid, Goliam occidit hoc bellum significans. 334,1: tempus qui] coni., genus hic: B,V Goliath de Geth, altitudinis sex cubitorum et palmi. 1 Sam. 17,4. – Praevaluitque David adversus Philistheum. 1 Sam. 17,50

335 Ast tyranno alligato homineque liberato die surgit tercia. [sc. angelus] … ligavit eum per annos mille. Apoc. 20,2 – Et resurrexit tertia die …: Symbolum

336 Sicut Ionas uentrem ceti sic et Christi aluum leti uacuauit gratia. Sicut enim fuit Ionas in ventre ceti …, sic erit Filius hominis in corde terrae … Mt. 12,40

337 Indumento iam inceste misso sua sine ueste Ioseph intrat carcerem,

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333 Er steigt hinab in die Unterwelt wie Banaia, der in der Löwengrube mit dem Löwen kämpft.

334 David traf Goliath an der Schläfe und hat ihn getötet, und hat damit diesen Kampf vorausbedeutet.

335 Christus hat dann den Schreckensherrscher gebunden und den Menschen befreit. Und er ersteht am dritten Tage auf.

336 So wie Jonas den Bauch des Wales so hat Christi Gnadenerweis den Bauch des Todes leer werden lassen.

337 Joseph von Ägypten, der sein Oberkleid schon in der Hand einer liederlichen Frau dort gelassen hat, und es nicht mehr vorweisen kann, geht deswegen ins Gefängnis,

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337,2 misso] coni., scisso: B,V … relicto in manu illius pallio fugit. Gen. 39,12 – Tradiditque Ioseph in carcerem … Gen. 39,20

338 in quo unum condempnatum alterumque liberatum sibi fecit martirem. Alterum suspendit in patibulo. Gen. 40,22 – Restituitque alterum … Gen. 40,21 – Tantum memento mei, cum tibi bene fuerit. Gen. 40,14

339 Perillustris hic ut censor uiduarum et defensor, pauperum protectio, 339,3: pauperum] paperum: B Pater orphanorum et tutor viduarum Deus est in habitaculo sancto suo. Ps. 67,6

340 celsam crucis datus uenum scandens arcem nequam senum iussus sacerdotio, 340,3: iussus] coni., scisso: B,V

341 paradiso se fatentem, alterumque diffidentem flammis dat ultricibus. Et dixit illi Iesus: Amen dico tibi: Hodie mecum eris in paradiso. Lc. 23,43

342 Carceremque nostre mortis petens – huius mundi fortis dampnatis sequacibus – 342,3: cf. 19,3

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338 wo er sich einen, der später den Tod fand, und einen anderen, der später Gnade fand, zu Zeugen machte.

339 Und so wie dieser durchlauchte Wesir steigt der Schützer der Witwen und der Schutz der Armen,

340 auch er verkauft, auf, hinauf zur hohen Höhe des Kreuzes, auf Geheiß eines infamen Hohe-Priester-Rats, 341 schenkt einem, der an ihn glaubt, das Paradies, und überlässt einen anderen, der nicht an ihn glaubt, den Feuern der Strafe.

342 Und er suchte den Kerker unserer Toten auf, verstieß die Anhänger des Herren dieser Welt,

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343 magnam turbam secum uexit post sanctorum, que surrexit de fauilla tumuli, Et monumenta aperta sunt, et multa corpora sanctorum, qui dormierant, surrexerunt. Mt. 27,52

344 que ostendit pependisse atque letum deuicisse creatorem seculi. 345 Ubi nunc est, dic, mors dira, ius, uis, stimulus, et ira, et tua uictoria? 345,2: uis] om.: B Ubi est, mors, victoria tua, ubi est, mors, stimulus tuus? 1 Cor. 15,55

346 Nequam semine crearis matre culpa; set dampnaris nunc regnante uenia. … pater nequam, id est mundus, … mater pessima, id est carnalis concupiscentia. Ps.-Bern. Clar., De excellentia ss. sacramenti sermo (MPL 184, col. 986)

347 Cum te sine te gustasset Uita nosque liberasset, tu es statim mortua. [Iesus] … ut gratia Dei … gustaret mortem. Heb. 2,9 – … fecit te sine te … Aug., Sermo de scripturis 169, 11 (MPL 38, col. 923)

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343 und zog dann eine große Schar von Heiligmäßigen mit sich, die aus der Asche ihrer Gräber auferstanden,

344 eine Schar, die kundtat, dass der Schöpfer der Welt am Kreuze gehangen und den Tod überwunden hat. 345 Grauser Tod, sprich, wo sind jetzt Dein Recht, Deine Macht, Deine Pein, Deine Wut und Dein Sieg?

346 Von einem nichtswürdigen Vater stammst Du, Sünde heißt Deine Mutter; doch Du wirst verworfen, weil jetzt die Vergebung herrscht.

347 Als das Wahre Leben Dich ohne Dich kennen gelernt und uns frei gemacht hatte, da bist Du sogleich gestorben.

183

348 Deuoratrix populorum et destructrix seculorum, iam non scandis ardua, 348,2: destructrix] destructis: V

349 iaces enim captiuata parte tua et dampnata Dei nostri gratia. 349,2: parte tua] coni., patre tuo: B,V

350 Te conculcat corpus Christi, et tu gemis pena tristi regnante iusticia. 351 Agni sanguis in Egipto te fugauit, teste scripto, domo Iacobitica. … et videbo sanguinem ac transibo vos, nec erit in vobis plaga disperdens, quando percussero terram Aegypti. Ex. 12,13

352 Agni sanguis, en, precellit, qui te funditus euellit a domo catholica. 353 At, submerso Pharaone Christus nos in regione I͡ erusálem statuit, Reversaeque sunt aquae et operuerunt currus et equites cuncti exercitus Pharaonis. Ex. 14,28

354 namque petens dextram patris nos in sinum pie matris satis pie posuit. 184

348 Du, der Du Völker verschlingst und Generationen zerstörst, Du steigst nun nicht mehr auf, 349 denn Du liegst am Boden in Banden, und Deine Anhänger sind verworfen durch unseren gnädigen Gott. 350 Der Leib Christi tritt Dich nieder und Du stöhnst unter bitterer Pein, jetzt, da die Gerechtigkeit herrscht. 351 Das Blut eines Lammes hat Dich in Ägypten, wie die Schrift berichtet, fern gehalten vom Hause Jakob.

352 Siehe, stärker noch ist das Blut des Lammes, das Dich gänzlich entfernt hat vom Hause der katholischen Kirche. 353 Ja, nach dem Untergang des Pharao hat Christus uns in ein neues Jerusalem gebracht,

354 denn als er zur Rechten seines Vaters auffuhr, übergab er uns der Fürsorge der gütigen Mutter Kirche, in seiner großen Barmherzigkeit. 185

354,2: pie] coni., prime: B,V … pia mater ecclesia … Innoc. IV pp., coaevus (ed. Pertz 1887, p. 416)

355 Patet ianua celestis, clausit Adam quam terrestris comedendo uetita, 355,2: terrestris] coni., terrestis: B,V

356 que est Ihesus. – Quis est miles? Intret! O tu, Satan, nil es, mittis diu habita. 356,1: cf. 359,4 Labora sicut bonus miles Christi Iesu. 2 Tim. 2,3 – Ecce lex sub qua militare vis; si potes observare, ingredere. Regula sancti Benedicti 58,10

357 Ad se Ihesus trahit cuncta, que te duce sunt defuncta, stans expassis brachiis. 357,3: expassis] ex: B Et ego si exaltatus fuero a terra, omnia traham ad me ipsum. Io. 12,32

358 Siquis implet cuius dicta mente policis non ficta perfruetur gaudiis.

186

355 Offen steht die Himmelspforte, die der irdische Adam verschlossen hatte, als er vom verbotenen Baume aß, 356 sie heißt Jesus. – Wer will sein Streiter sein? Er trete ein! Ach Du, Satan, Du bist ein Nichts, Du verlierst, was Du lange hast besessen.

357 Alles zieht Jesus an sich, was unter Dir tot ist; er steht mit offenen Armen da.

358 Wer nach seinem Worte lebt mit ehrlichem Sinn, der wird die Freuden des Himmels genießen.

187

Inuitatio 359 Iam, iam ergo aduenite, cuncte gentes, quia uite porta patet; qui uult, cite intret Christo militans. 359,3: cf. 356,2 Ego sum ostium, per me si quis introierit, salvabitur, et ingredietur et egredietur, et pascua inveniet. Io. 10,9

360 Sequimini redemptorem, linquite populatorem, aufert uerbi qui uigorem se doctorem simulans. 360,3: uerbi] coni., recti: B,V … venit Satanas et aufert verbum, quod seminatum est in corda eorum. Mc. 4,15 – Adtendite a falsis prophetis … Mt. 7,15

Oratio 361 Ihesu, consors nostre sortis, insons agnus, leo fortis, ne nos deuoret os mortis, tu repone tuis ortis, quo lux lucet sedula! 361,5: quo] i.q. quo loci; lucet] luct: B; lucet e corr.: V ut nos salvat [sc. Christus] a peccatis / et in regno claritatis / quo lucet lux sedula / collocet per secula. De Beata Maria Virgine, AH 54, Nr. 216, p. 337

188

Einladung 359 Kommet also nun herbei, Ihr Alle, denn die Pforte des Lebens steht offen; schnell trete ein, wer Willens ist, als ein Streiter Christi.

360 Folget dem Erlöser, folget nicht dem Zerstörer, der dem Worte der Lehre die Kraft stiehlt als ein falscher Lehrer.

Gebet 361 Jesu, der Du unser Leben geteilt hast, unschuldiges Opferlamm und starker Löwe, bringe uns, damit uns nicht der Rachen des Todes verschlinge, zurück in Dein Paradies, wo das Licht immer leuchtet.

189

362 Nostra salus, nostra uita, cuius morte mors contrita, nos a lite infinita saluans celis teque dita per eterna secula! Amen.

190

362 Unser Heil und unser Leben, Du, dessen Tod den Tod in den Staub getreten hat, erlöse uns vom unendlichen Streite und beschenke uns mit dem Himmel und Deiner Gegenwart in alle Ewigkeit. Amen.

191

Literatur AH s. Drewes & Blume. Anselm von Canterbury s. Schmitt 1940 und 1965. Anthologia Latina s. Riese 1906. Augustinus, (Quaestiones) In Heptateuchum s. CSEL 28,2. Augustinus, Sermones s. MPL 38, MPL 39. Bartsch 1858. Karl Bartsch, Die Erlösung. Mit einer Auswahl geistlicher Dichtungen (= Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit, Bd. 37), Quedlinburg und Leipzig 1858 / Nachdruck Amsterdam 1966. Bernhard von Clairvaux s. MPL 183; s. Winkler 1997. Ps.-Bernhard von Clairvaux s. MPL 184. Bulhart 1956. Eusebii Vercellensis episcopi Quae supersunt ed. Vincentius Bulhart (= Corpus Christianorum, series Latina, Bd. 9), Turnhout 1957. CSEL 28,2. Sancti Aurelii Augustini Quaestionum in Heptateuchum libri VII. Adnotationum in Iob liber unus, hrsg. von Josephus Zycha (= Corpus scriptorum eccesiasticorum Latinorum, Bd. 28,2), Wien 1895. Drewes & Blume. Guido Maria Drewes und Clemens Blume, Analecta Hymnica medii aevi, Bd. 54, hrsg. von Clemens Blume und H[enry] M[arriott] Bannister, Leipzig 1915, Nr. 216, p. 337. Eusebius s. Bulhart 1956. Evangelium Pseudo-Matthaei s. Tischendorf 1876. Genette 1998. Gérard Genette, Die Erzählung, 2. Aufl. München 1998. Graesse 1850. Theodor Graesse, Jacobi a Voragine Legenda aurea, 2. Aufl. Leipzig 1850. Hrabanus Maurus, De universo s. MPL 111. Jacobus von Voragine s. Graesse 1850. Kindermann 1987. Udo Kindermann, Zwischen Epos und Drama: Ein unbekannter Streit der Töchter Gottes. Erstedition eines lateinischen Gedichts aus dem 13. Jahrhundert, Erlangen 1987. Kindermann 1989. Udo Kindermann, Der Dichter vom Heiligen Berge, Nürnberg 1989. Legenda aurea s. Graesse 1850. Liber de nativitate Mariae s. Tischendorf 1876.

192

Mäder 1971. Eduard Johann Mäder, Der Streit der ‚Töchter Gottes‘. Zur Geschichte eines allegorischen Motivs (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Bd. 41), Bern und Frankfurt 1971. Magoga 2020. Rupertus Tuitiensis, Anulus seu dialogus de sacramentis fidei, hrsg. von Alessio Magoga (= Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis, Bd. 299), Turnhout 2020. MPL 38. Monachi O. S. B. e congregatione S. Mauri, Sancti Aurelii Augustini, Hipponensis episcopi Opera omnia  …, Paris 1679, hrsg. v. Jacques-Paul Migne (=  Patrologia Latina, Bd. 38), Paris 1845 / Nachdruck Turnhout 1993. MPL 39. Monachi O.S.B. e congregatione S. Mauri, Sancti Aurelii Augustini, Hipponensis episcopi Opera omnia  …, Paris 1679, hrsg. v. Jacques-Paul Migne (=  Patrologia Latina, Bd. 39), Paris 1845 / Nachdruck Turnhout 1991. MPL 111. Beati Rabani Mauri … Opera Omnia, Bd. 5, hrsg. von Jacques Paul Migne (= Patrologia Latina, Bd. 111), Paris 1852 / Nachdruck Turnhout 1996. MPL 183. Sancti Bernardi … Opera omnia … ed. Johannes Mabillonus 1667, hrsg. v. JacquesPaul Migne (= Patrologia Latina, Bd. 183), Paris 1854 / Nachdruck Turnhout 1976; – dort: In festo annuntiationis Beatae Mariae virginis sermo I: Sp.  383–390, bsd. Kap.  9–14, Sp. 387–390; s. auch Winkler 1997. MPL 184. Sancti Bernardi … Opera omnia … ed. Johannes Mabillonus 1667, hrsg. v. JacquesPaul Migne (= Patrologia Latina, Bd. 184), Paris 1854 / Nachdruck Turnhout 1995; – dort: Ps.-Bernardus, De excellentia sanctissimi sacramenti et dignitate sacerdotum, Sp. 981–992. Nitti 1914. Francesco Nitti (di Vito), Le pergamene di Barletta, archivio capitolare, 897– 1285 (= Codice diplomatico barese, Bd. 8), Bari 1914. Ohly 1994. Friedrich Ohly, Die Trinität berät über die Erschaffung des Menschen und seine Erlösung, in: Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur, Bd. 116 (1994), S. 242–284. Pabst 2002. Berhard Pabst, Gregor von Montesacro und die geistige Kultur Süditaliens unter Friedrich II. Mit text- und quellenkritischer Erstedition der Vers-Enzyklopädie Peri ton anthropon theopiisis (De hominum deificatione), Stuttgart 2002. Pertz 1887. Epistulae saeculi XIII e regestis pontificum Romanorum selectae per G(eorgium) H(einricum) Pertz, edidit Carolus Rodenberg, Bd. 2, Berlin 1887. Petrucci 1968. Armando Petrucci, Scrittura e cultura nella Puglia altomedievale (= Quaderni di La Capitanata, Heft 8), Foggia 1968. Prencipe 1952. Salvatore Prencipe, L’abbazia benedettina di Monte Sacro nel Gargano (= Daunia. Collana di monografie storiche, Bd. 5), Santa Maria Capua Vetere 1952. Ps.-Bernhard von Clairvaux s. MPL 184. Rabanus Maurus s. MPL 111. Riese 1906. Alexander Riese, Reliquorum librorum carmina (= Anthologia Latina sive poesis Latinae supplementum, hrsg. v. Franciscus Buecheler und Alexander Riese, Bd. 1,2), 2. Aufl. Leipzig 1906 / Nachdruck Amsterdam 1964. Rup(ertus) Tuit(iensis) s. Magoga 2020.

193

Ronquist 1975. Eyvind Carl Ronquist, Gregorius de Monte Sacro, Peri Ton Anthropon Theopoieseos. A Study and Partial Edition, Diss. Chicago 1975 (unveröffentlicht). Schaller 1965. Hans Martin Schaller, Studien zur Briefsammlung des Kardinals Thomas von Capua, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Bd. 21 (1965), S. 371– 518. Schmitt 1940. Sancti Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera omnia … recensuit Franciscus Salesius Schmitt, Bd. 2, Rom 1940; – dort: Epistola de incarnatione verbi, S. 1–36, und Cur Deus homo, S. 37–134. Schmitt 1965. Franciscus Salesius Schmitt, Anselm von Canterbury, Cur Deus homo. Warum Gott Mensch geworden. Lateinisch und deutsch, Darmstadt 1965. Silverstein 1967. Theodore Silverstein, Medieval Latin Scientific Writings of the Barberini Collection. A Provisional Catalogue, Chicago 1967. Tertullian s. Tränkle 1964. de Tischendorf 1876. Constantinus de Tischendorf, Evangelia apocrypha, 2. Aufl. Leipzig 1876. Tränkle 1964. Q[uinti] S[eptimii] F[lorentis] Tertulliani Adversus Iudaeos. Mit Einleitung und kritischem Kommentar hrsg. von Hermann Tränkle, Wiesbaden 1964. Vendola 1940. Domenico Vendola, Documenti tratti dai registri Vaticani relativi alla Puglia, Bd. 1, Trani 1940. Wagner 1882. Albrecht Wagner, Visio Tnugdali. Lateinisch und altdeutsch, Erlangen 1882. Walther 1920. Hans Walther, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters (=  Quellen und Untersuchungen zur Lateinischen Philologie des Mittelalters, Bd.  5,2), München 1920 / Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern hrsg. v. Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim, Zürich und New York 1984. Winkler 1997. Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke, lateinisch / deutsch, hrsg. v. Gerhard B. Winkler, Bd. 8, Innsbruck 1997; – dort: In annuntiatione beatae Mariae virginis, Sermo I: S. 96–129; bsd. Kap. 9–14: S. 122–129.

194

Index Abendmahl 24

Baum der Erkenntnis 14

abstrakte Handlungsstruktur 35

Beiseitesprechen 29

Abt Gregor 41

Benediktinerregel 30

Accessus 41

Beraterinnen 15, 21, 22

adiutrix 15

Bernhard von Clairvaux 10

Adonier 15

Bibelkenntnisse 7, 31, 43

Adoption 42

Bindefehler 47

Adynata 8, 24

Bindung in Strophen 11

Aequitas  siehe Iustitia

Binnenreim 17, 24

Agonie Christi 35

Blankverse 11

Aktualisierung der Dichtung 29 Alexandriner 11

Cento 35

Allegorien 8

Chorgestühl 31

alternierende Rhythmik 16

Christus 24

Anachronien 28

Consultrices 15, 21

Anagogie 25 Analepsen 28

deificatione, De hominum 41, 44

Anselm von Canterbury 9

Deus 132, 136, 138

Anselm von Lucca 29

Dialog 14, 16, 24, 25, 27

Anspielungen 7, 27 Antithesen 8

Eckstein 36

Antitypus 25

Eigenschaften Gottes 10

apokryphe Evangelien 8

Eingangstopos 11

Apostrophen 12, 29

Einladung 189

Apulien 42

Ekphraseis 27

Aside  siehe Beiseitesprechen

Eleos 14, 15, siehe auch Misericordia

Aversio  siehe Beiseitesprechen

Endreime 8, 11, 12, 15, 24 Engel 13

195

England 43

Handlungsstruktur 35

Epos 11, 27

Handschriften 14, 41, 45, 46

Equitas siehe Iustitia

Hebräisch 34

Erlösung 7

Heiliger Geist 11, 22

Erlösung, Die, Epos 10

Hexameter 11

Erlösungsrat 21, 23

Höllensturz Luzifers 13

Erschaffung der Engel 13

hominum deificatione, De   siehe deificatione, De hominum

Erzähler 11, 14, 15, 24, 25, 27, 51, 103, 131, 141, 147, 169

Homo lapsus 14, 70

Erzählvers 12 Eva 14, 64, 65

Inhalt 11

Evangelien, apokryphe 8

Inspiration 11

Ewige Profess  siehe Profess

intellektuelles Vergnügen 8 Interlinearglossen 47

Friede  siehe Pax

Invitatio 188

Friedfertigkeit  siehe Pax

Iustitia 10, 15, 17, 18, 19, 22, 82, 96, 98, 132

Friedrich II., Kaiser 44

Iuvencus 11

Gabriel 23, 24, 142

Katabasis 27

Gebet 26, 189

Kataloge 27

Geist, Heiliger  siehe Heiliger Geist

Kirchensprache 34

Gerechtigkeit  siehe Iustitia

Klangreichtum 8

Glossen 47

Kleindichtung 44

Gottmensch 22

Kohärenz 27

Gottsohn 22, 23, siehe auch Natus

Kommentar 7

Gottvater 23

Kurzbezeichnungen S und R 12

Gräzismen 33 Gregor IX., Papst 44

Lapsus hominis 14

Gregor von Montesacro 41

Lateinkenntnisse 7, 31

Gregor von St. Aposteln 41

Legenda Aurea 8

Griechisch 33

Lehrdialog 9

Gründonnerstag 24

Lehrgedicht 7 Leier 11

196

Literatur 192

Profess 29

Luzifer 13

Prolepsen 28

Lyrik 12

proparoxytonische Rhythmen 12 Prophetien 20, 24, 27 protectrix 15

Maria 23, 24, 144 Mensch, gefallener 14, 71 Misericordia 10, 14, 15, 18, 19, 20, 21, 23, 76, 80, 86, 94, 96, 104, 112, 130

R1–10 – Reimschemata 12

Misericordia-Strophe 16

rationale Lösung 7

Mitleid  siehe Misericordia

Randglossen 47

Mittelgriechisch 34

Reim 13, siehe auch Binnenreime, siehe auch Endreime

Motiv, literarisches 10

Rhythmen 8

Mulier 64

Rhythmik 16

Narrator  siehe Erzähler

S1–S14 (Strophenformen) 12

Natus 23, 136, 166

Saturnier 11

Neuausgabe 7

Schlange 13, 14, 63, 67

Neumierung 31

Schluss-Stein 36 Schluss-Strophen 26

Oratio 25, 188

Schmuckmittel 35

ornatus difficilis 8

Schönheit 7

ornatus facilis 8

Schreibung 33

Orthographie 33

Schweifreim 12

Osterspiel 32

Serpens 62, 66 sinnliches Vergnügen 8

paroxytonische Rhythmen 12

Sorores 130

Pax 10, 15, 17, 19, 20, 86, 102, 128

Sprachliches 33

Petracca 41

Sprecher 8, 11, 27, 31

Petraccio 41

Sprechsituation 13

Petruccio 41

Stabat-mater-Schema 12

Petrus pauper 41

Stabat-mater-Zeile 25, 26

Petrus von S. Giorgio in Velabro 43

Stellung der Wörter im Satz 36

Poetiken, mittelalterliche 8

Stimme 11

197

Streit der Töchter Gottes 10, 21, 28

Überlieferung 45

Streitgedicht 28

Überschrift 9

Strophenform 12, 38

Übersetzung 7, 45

Sündenfall 68, 69 Systemreferenz 27

Vergnügen 8

Taufe 29,  siehe auch Zweite Taufe

Veritas 10, 15, 16, 17, 18, 20, 21, 80, 82, 92, 94, 112 Versmaß 11, 13

Technisches 48 Textabschnittsgrenze 14

Wahrheit  siehe Veritas

Textsicherheit 46 Thomas von Capua 41, 42, 44

Wortfolge 36

Töchter Gottes  siehe Streit der Töchter Gottes

Wunder 24

Wortverschränkung 22, 23

Trennfehler 46 Trinità del Montesacro, Ss. 43

Zäsurreim  siehe Binnenreim

Typus 25

Zweiergruppen von Strophen 12, 20 Zweite Taufe 29

Überdeterminierung 13, 15, 16, 22

198

www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-40660-9

TEXTE ZUR FORSCHUNG

TEXTE ZUR FORSCHUNG Udo Kindermann ist emeritierter ordentlicher Professor der Lateinischen Philologie des Mittelalters an der Universität zu Köln. Sein ­Interesse gilt vor allem der literarischen Kunst hochmittelalterlicher Texte.

Cur Deus homo

Cur Deus homo ist der Titel eines sprachlichen Kunstwerks aus dem 13. Jahrhundert, das eine von der Theologie ungelöste Frage behandelt: Warum hat Gott den Menschen erst verstoßen und sich dann wieder mit ihm versöhnt, und warum musste dafür Gottes Sohn ­sterben? Der Benediktiner-Abt Gregor von Montesacro geht dieser Frage phantasievoll, ehrfürchtig und auf künstlerisch anspruchsvolle Weise nach. Die 862 lateinischen Verse seines Sprechstücks für 12  Personen werden im vorliegenden Band von Udo Kindermann ediert und erstmalig ins Deutsche übersetzt. Kindermann kommt nach philologischen Untersuchungen zu der Hypothese, dass es sich hier um ein bisher unbekanntes Format einer literarischen Einlage in ein Festprogramm handeln könnte, das die feierlichen Gelübde eines Mönches (Profess) umrahmte.

Cur Deus homo Ein Rollenspiel des Gregor von Montesacro (13. Jh.) von Udo Kindermann