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German Pages 218 Year 2010
Hermann Broch Briefe an Erich von Kahler (1940–1951)
Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Herausgegeben von
Ernst Osterkamp und Werner Röcke 65 (299)
De Gruyter
Hermann Broch
Briefe an Erich von Kahler (1940–1951)
Herausgegeben von Paul Michael Lützeler
De Gruyter
ISBN 978-3-11-022744-4 e-ISBN 978-3-11-022745-1 ISSN 0946-9419 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Broch, Hermann, 1886–1951. Hermann Broch : Briefe an Erich von Kahler (1940–1951) / edited by Paul Michael Lützeler. p. cm. (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte ; 65) Includes index. ISBN 978-3-11-022744-4 (alk. paper) 1. Broch, Hermann, 1886–1951 – Correspondence. 2. Authors, Austrian – 20th century – Correspondence. I. Kahler, Erich, 1885–1970. II. Lützeler, Paul Michael. III. Title. IV. Title: Briefe an Erich von Kahler (1940–1951). PT2603.R657Z48 2010 838.91209–dc22 2010030357
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Datenkonvertierung/Satz: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Göttingen ' Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Einleitung des Herausgebers: „Libru, guter Alter“ . . . . . . . VII Hermann Brochs Briefe an Erich von Kahler (1940–1951) . . .
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Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Verzeichnis der Abkürzungen
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Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Einleitung des Herausgebers: „Libru, guter Alter“ I. Gemeinsamkeiten Schon am zweiten Tag seines amerikanischen Exils, am 10. Oktober 1938, lernte Hermann Broch in New York Erich von Kahler kennen, der ebenfalls gerade aus Europa in die USA geflohen war. „Der Kontakt“, berichtete Kahler später, „hat blitzartig eingeschlagen und wurde sehr bald zu einer Lebensfreundschaft“ (HBB, S. 243). Die gegenseitige Sympathie hatte Gründe. Nicht nur die Herkunft und das gleiche Alter verbanden, auch die gemeinsamen geistigen Interessen und politischen Ziele trugen zur Befestigung der Freundschaft bei. Kahler und Broch waren Privatgelehrte und freie Schriftsteller. Sie stammten aus jüdischen Industriellenfamilien, die es in der Zeit um 1900 in der österreichischen Monarchie zu Reichtum gebracht hatten. Kahler wurde in Prag geboren und wuchs dort auf, doch siedelte die Familie im Jahr 1900 nach Wien über. Hier beendete er seine Gymnasialausbildung und schloss 1911 an der Universität Wien das Studium der Philosophie mit einer Doktorarbeit über Recht und Moral ab. Als Schüler und Student schrieb und publizierte Kahler jugendbewegte Gedichte, und Broch begann etwas später ebenfalls mit ersten Gedichten, Novellen und Essays, die ein waches Interesse an der Moderne des neuen Jahrhunderts belegten und die er kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der Innsbrucker Kulturzeitschrift Der Brenner veröffentlichte. 1912 zog Kahler nach Wolfratshausen bei München, wo er zum George-Kreis gehörte und mit Friedrich Gundolf bekannt wurde. Seit 1919 stand er in freundschaftlicher Beziehung zu Thomas Mann, und dieser Kontakt riss auch im Exil nicht ab. Theoretisch hätten der junge Broch und der junge Kahler sich in Wien begegnen können, doch da die Lebenspraxis jeweils anders aussah, ist es dazu nicht gekommen. Kahler ging auf das humanistische Schottengymnasium, Broch auf eine Realschule; Kahler besuchte im Anschluss an die Matura die Universität, Broch dagegen musste eine Fachschulausbildung als Textil-Ingenieur absolvieren. Vom George-
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Kreis blieb Broch ein Leben lang denkbar weit entfernt, doch teilte er die Begeisterung für Thomas Manns Erzählwerk, wie schon seiner ersten Publikation überhaupt, der einfühlsamen Interpretation von Der Tod in Venedig (KW 9/1, S. 13–26) aus dem Jahr 1913 zu entnehmen ist. Anfang 1948 schrieb Broch an eine ehemalige Freundin in Wien über Kahler: „Ich habe ihn erst hier kennengelernt, obwohl wir tausende gemeinsame Bekannte in Europa hatten und umeinander wußten.“ (HBB, S. 287). 1918 hielt Max Weber den Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ und betonte dabei in seinen Ausführungen zu „Begriff“ und „Experiment“ die Rationalitätsstandards, ohne die wissenschaftliches Arbeiten seinen Sinn verfehlen würde. Er plädierte für die Zurückhaltung persönlicher Überzeugungen und äußerte sich skeptisch über Wissenschaft als Lebensorientierung. Georgianisch inspiriert, hatte Kahler dagegen zwei Jahre später die Schrift Der Beruf der Wissenschaft publiziert, wobei er von „fragwürdiger Objektivität“ in der Wissenschaft der „Spezialisten“ sprach. Ziel der Wissenschaft sei nicht Spezialisierung, nicht das Training von Experten, sondern der inter- und transdisziplinäre Zugriff und die Bildung geistiger „Führer“, die das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft gestalten sollten. Auch Broch wandte in den 1920er Jahren der universitären Wissenschaft enttäuscht den Rücken zu, auch ihm ging es um eine Art der Erkenntnis, die über die Partialeinsichten der akademischen Einzelfächer hinausging und sich nicht in das Rationalitätskorsett der Hochschulwissenschaft zwängen ließ. Broch gestand allerdings der Wissenschaft ihre Weber’schen Rationalitätskriterien zu und hielt die Tendenz zum Expertentum für unrevidierbar. Anders als Kahler wollte er nicht die Universität an sich revolutionieren, sondern suchte ein Gebiet – das der Dichtung, vor allem des Romans –, in dem er Erkenntnisweisen erproben konnte, die sich nicht an die innerhalb der Wissenschaften geltenden Limitierungen zu halten brauchten. So kommt es, dass man in Brochs Erstlingsroman Die Schlafwandler (KW 1) eingestreute philosophische Essays („Zerfall der Werte“) findet, die Teil des Romanganzen sind und sich als solche der komplexeren dichterischen Gesamtaussage unterordnen. Wie Kahler interessierten Broch die großen historischen – europäischen und menschheitlichen – Zusammenhänge. Auch nach Hitlers Machtergreifung sind die Ähnlichkeiten im Werk Kahlers und Brochs nicht zu übersehen. Kahler hatte noch 1933
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in seinem Buch Israel unter den Völkern die fruchtbare Interaktion zwischen jüdischer und deutscher Kultur im Sinne eines gegenseitigen Gebens und Nehmens geschildert, hatte noch von einer deutschjüdischen Symbiose geträumt, die im europäischen Kontext ein „höheres Menschentum“ ermöglichen werde. Vier Jahre später äußerte er sich in dem Buch Der deutsche Charakter in der Geschichte Europas sehr viel kritischer und pessimistischer. Hier sprach er in der Einleitung des Buches vom geistigen Verfehlen deutscher und europäischer Kultur und sagte die Zerstörung Europas durch das nationalsozialistische Deutschland voraus. Ähnliches begriff zur gleichen Zeit – nämlich 1937 – Hermann Broch, als er seine „VölkerbundResolution“ (KW 11, S. 195–231) verfasste, mit der er die Friedensorganisation in Genf dazu aufrufen wollte, gegen die Menschenrechtsverletzungen und den Terror in totalitären Staaten vorzugehen. Verwandtschaften und Parallelen in der geistigen Arbeit fallen bei Broch und Kahler auch im Exil auf. Kahler bekleidete in den frühen 1940er Jahren eine Gastprofessur an der New School for Social Research in New York und hielt dort eine Reihe von Vorträgen, die er 1943 unter dem Titel Man the Measure. A New Approach to History publizierte. Vieles in dem Buch ist noch aus dem Geist des Widerspruchs gegen Max Webers Auffassung von Wissenschaft geschrieben. Kahler will kein Spezialthema im Bereich der Geschichtsphilosophie abhandeln oder einen Teilaspekt menschlicher Kultur historisch erklären. Vielmehr stellt er die Grundfrage nach dem, was das Besondere am Menschen innerhalb der Schöpfung ist, was ihn prinzipiell von allen anderen Lebewesen unterscheidet und worin die Zielsetzung der Menschheit als Species besteht. Über die einzeldisziplinären theologischen, rationalistisch-philosophischen und biologischen Ansätze hinausgehend, will er das spezifisch Menschliche generell bestimmen. Das ist nach Kahler der Geist mit seinen ihm eigentümlichen drei Besonderheiten der Existenz (Selbstreflexivität), der Geschichte (Bewusstsein von Zeitdimensionen) und der Humanität (einem durch die Psyche bedingten Verhalten). Man the Measure erwies sich als Kahlers erfolgreichstes Buch, ist aber nie ins Deutsche übersetzt worden. Kahler ist sicher, dass es einen faktischen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit gibt, dass sie in ihrer Entwicklung zwar Rückschläge erleiden könne (wie etwa in der Barbarei zur Zeit des Totalitarismus), dass aber die Zukunft an sich wegen der eigentümlichen Konstitution des Menschen weitere Progression ver-
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spreche. Broch hat in einer ausführlichen Besprechung dieses Buches (KW 10/1, S.298–311) Kahlers anthropologischen Ansatz gewürdigt, hat sein Verdienst um das Erkennen der „Grundnatur“ (KW 10/1, S. 299) des Menschen herausgestellt, womit ihm auch eine „Entdogmatisierung der Geschichtsphilosophie“ (KW 10/1, S. 300) gelungen sei. Allerdings bemängelt er die fehlende „erkenntnistheoretische ‚Systemevidenz’“ (KW 10/1, S. 310) des Ganzen und rät ihm, die epistemologischen Voraussetzungen in einer Fortsetzung nachzuholen, ein Rat, den sein Freund nicht befolgte. Für Broch war Man the Measure eine intellektuelle Herausforderung, denn zur gleichen Zeit arbeitete er an seiner Massenwahntheorie (KW 12), die ein anderes Bild vom Menschen entwirft als das bei Kahler der Fall ist. Für Broch waren Nationalsozialismus und Stalinismus nicht lediglich vorübergehende Rückfälle in die Barbarei, sondern Symptome einer Menschheit, in der die Trias von Existenz, Geschichte und Humanität eben nicht selbstevident und gesichert ist. Eine Kategorie wie die des „menschlichen Dämmerzustands“ (KW 12, S. 177 ff.) in Brochs Massenwahntheorie kommt bei Kahler nicht vor. Broch ist sie eine anthropologisch vorgegebene psychische Größe, die ein massenwahnartiges Verhalten ermöglicht, für das Menschen in jeder geschichtlichen Phase – und nicht nur in Ausnahmesituationen – anfällig sind. Einmal dem Massenwahn mit seinen Phänomenen der geistigen wie physischen Versklavung verfallen, bedürfe der Mensch der aktiven und gezielten „Bekehrung zur Humanität“ (KW 12, S. 510 ff.). Repräsentanten solch ethisch-erzieherischer Bekehrungsbemühung waren für ihn in früheren Menschheitsepochen die biblischen Propheten und die christlichen Kirchenväter. Im Zentrum modern-edukatorischer Maßnahmen im Zeitalter des spezifisch totalitaristischen Massenwahns steht bei Broch das „Menschenrecht“ als etwas in ethischer Hinsicht „Irdisch-Absolutes“ (KW 12, S. 456). Aufschlussreich ist, dass Kahler in seinem Buch The Tower and the Abyss von 1957 sich der Broch’schen Position annähert. Dort konstatiert Kahler für die Gegenwart seiner Zeit die Gefahr, dass die Menschen ihre Humanität verlieren, weil der Einzelne durch Vermassung seines Individualismus verlustig gehe.
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II. Vernichtungswaffen und Menschenrechte Bei diesen Gemeinsamkeiten, was den kulturellen Hintergrund und das geistige Profil betrifft, war es nicht verwunderlich, dass die beiden Exulanten sich auf Anhieb sympathisch waren und sich in ihren Arbeiten gegenseitig unterstützen wollten. Was in den Briefen auffällt, sind die zahlreichen Freundschaftsbeteuerungen, die bereits in den Anredeformen zum Ausdruck kommen. Meistens sprechen Broch und Kahler sich mit „Lieber“ an, aber dazu gibt es bei Broch alle möglichen Varianten, von „sehr“ und „ganz Lieber“ zu „Viellieber“ und „Liebster“, wobei die Abkürzung „Libru“ (lieber Bruder) besonders häufig benutzt wird. In den wenigen erhalten gebliebenen Briefen Kahlers an Broch kommt nur einmal mit „Brubro“ (Bruder Broch) ein vergleichbares Kürzel vor. Die Betonung der brüderlichen Verbundenheit war beiden wichtig, und lange nach Brochs Tod hat Kahler den Freund als „Prototypen des brüderlichen Menschen“ (HBB, S. 290) bezeichnet. Variiert werden bei den Anreden auch „Guter“ und „Alter“ mit den entsprechenden Attributen von „sehr“, „mein“ und „lieber“ und Kombinationen von „guter Lieber“, „guter Alter“ bis zu, wenn es denn sein muss, „Lieber, Guter, Fauler“. Zuweilen sind die Formulierungen kaum zu unterscheiden von Beteuerungen, wie man sie aus Liebesbriefen kennt, wenn es etwa heißt: „So wichtig bist Du mir geworden, so lieb und unentbehrlich“ (32). Mag sein, dass Broch in solchen Wendungen, die sich bei ihm in Briefen an andere Männer nicht finden, Zugeständnisse an den Freundschaftskult der Georgianer machte, wie Kahler ihn aus der Wolfratshausener Zeit gewöhnt war. Als Kahler sich 1942 in Princeton ein Haus kaufte, bot er Broch, der nach über drei Jahren Exil noch immer keine feste Bleibe gefunden hatte, an, in seinem Haus Untermieter zu werden. Für dieses Zimmer bezahlte Broch monatlich fünfzig Dollar, aber dieses Geld hatte Kahler für Broch bei dem mit ihm befreundeten William (Wilhelm) Roth besorgt, einem der wenigen jüdischen Verfolgten, die ihr Vermögen aus Deutschland in die USA hatten retten können, und der nun eine Reihe von verarmten jüdischen Vertriebenen unterstützte. Broch wohnte bis 1948, also sechs Jahre lang, in Kahlers Haus in Princeton mit der Adresse One Evelyn Place. Die Zeit bei Kahler hörte Mitte 1948 auf, als er wegen eines Unfalls ins Princeton Hospital eingeliefert werden musste, wo er bis Anfang April 1949 behan-
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delt wurde. Danach lebte er in New Haven, und von dort aus schrieb er Kahler nostalgisch: „Die Jahre bei Dir, mein Alter, waren wahrscheinlich die letzten guten […] meines Lebens, und mir gruselt ein wenig vor dem Lebensabend.“ (41) Bei Kahler hatte er eine Art Heimat im Exil gefunden, war Teil einer Familie geworden, an deren Problemen er Anteil nahm. Besonders gut hatte Broch sich mit Kahlers Mutter Antoinette verstanden, die mit ihrem Sohn eine solide altphilologische Bildung teilte: Sie las die griechischen und römischen Klassiker im Original. Gleichzeitig hielt sie mit ihrem Pragmatismus zu Beginn des Exils den Haushalt ihres Sohnes zusammen. Als 1940 die Trennung Kahlers von seiner Frau Josefine erfolgte, zog Alice (Lili) Loewy als Haushälterin und Geliebte Kahlers ein. Sie war eine Emigrantin aus Österreich, Tochter eines Wiener Kunsthändlers. Begabt mit kommunikativen Fähigkeiten, verwandelte sie das Haus One Evelyn Place in einen Treffpunkt, in dem sich Princetoner Prominenz von Albert Einstein bis Paul Oppenheim traf und auch Freunde und Freundinnen aus New York oft zu Gast waren. Da gab es allerdings ein Problem: Hanna, die neurotische Tochter Lilis aus erster Ehe. Broch wurde oft gebeten – der Briefwechsel macht es deutlich – der jungen Hanna psychischen Beistand zu leisten. Auch in die Scheidungsaffäre zwischen Kahler und seiner ersten Frau Josefine wurde Broch als Botschafter des Freundes eingeschaltet. Im Gegenzug beriet Kahler Broch, wenn es darum ging, Probleme zu lösen, die aus seinen vielen Frauenfreundschaften resultierten. Kahler wie Broch waren mittellose Emigranten und darauf angewiesen, berufliche Netzwerke zu bilden, um ihre Existenz als Autoren und Gelehrte zu sichern. Das gelang nicht zuletzt deswegen, weil sie sich gegenseitig über eventuelle Stipendien und mögliche Lehraufträge informierten. Kahler bezog Broch mit ein in den Princetoner Freundeskreis um Thomas Mann, und Broch stellte die Verbindung zwischen Kahler und einflussreichen Ostküsten-Intellektuellen wie Henry Seidel Canby her. Es lag in der Natur der Sache, dass Broch seinen Beruf als freier Schriftsteller auch im Exil fortsetzen wollte, dass Kahler aber als Kulturphilosoph und Literarhistoriker eine Stelle als Universitätsprofessor anstrebte. Broch war mehr auf Stipendien und Honorarvorschüsse, Kahler auf Gastprofessuren mit dem Ziel einer Festanstellung angewiesen. Beide waren nicht zuletzt wegen der gegenseitigen Hilfe, die sie sich zukommen ließen, erfolgreich: Broch erhielt Stipendien von der Guggenheim sowie der
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Rockefeller Foundation, und Kahler konnte an der New School for Social Research und der Cornell University unterrichten, wo er später eine feste Anstellung als Germanistikprofessor erhielt. Kahler bezog Brochs Romane in seine Literaturseminare ein, und Broch vermittelte dem Freund einen Vortrag an der Yale University. Vor allem aber stand der geistige Austausch im Vordergrund: Man las gegenseitig die Manuskripte und Publikationen. Als Broch an der letzten Fassung seines Romans Der Tod des Vergil (KW 4) schrieb, half Kahler ihm mit seinen Kenntnissen des Lateinischen. Er konnte ihm die Kontexte vieler Stellen aus den Werken Vergils (vor allem der Aeneis) erklären und bei der Rhythmisierung bestimmter Passagen behilflich sein. In einem dem Freund gewidmeten Gedicht Brochs von 1944 heißt es deswegen: „Sorgender Hand hast du mir Herden von Versen betreut“ (KW 8, S. 128). Brochs Roman hat bekanntlich eher einen lyrischen als einen erzählerischen Charakter. Wenn Broch selbst ein Gedicht schrieb oder eines übersetzte, holte er den Rat des Freundes ein, wollte sich versichern, dass hier ein literarisches Niveau erreicht wurde, das kritischer Lektüre standhielt. Broch schickte Kahler Passagen aus seiner Studie „Hofmannsthal und seine Zeit“ (KW 9/1) und bat ihn um Hinweise auf Quellen. Auch als Brochs letzter Roman Die Schuldlosen (KW 5) entstand, diskutierte er Teile des Romans mit seinem Freund, auch hier wieder besonders die lyrischen Einlagen. Ebenfalls bei den politischen Aktionen und Schriften inspirierten und kritisierten sie sich gegenseitig. 1940 hatte sich in Princeton um Thomas Mann und seinen Schwiegersohn Giuseppe Antonio Borgese eine Gruppe von exilierten und amerikanischen Intellektuellen versammelt, die bereits damals – als Amerika noch nicht am Krieg gegen Hitler beteiligt war – die Vision einer demokratischen Welt für die Zeit nach dem Krieg entwerfen wollte. Kahler beteiligte sich zwar nicht direkt, wohl jedoch – über Broch – indirekt an dem Projekt, dem man den Namen „The City of Man“ gab, und dessen Ergebnis unter diesem Titel bereits 1940 erscheinen konnte. Broch beriet alle Schritte, die er bei diesem Projekt unternahm, mit Kahler. Es war ein denkwürdiges pro-demokratisches Dokument, das sich gegen den Totalitarismus aber auch gegen einen ungehemmten Kapitalismus aussprach. Broch war für die volkswirtschaftlichen Teile des Bandes zuständig und plädierte – inspiriert durch den „New Deal“ von Präsident Roosevelt aber auch durch Wirtschaftstheoretiker wie John
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Maynard Keynes – für eine Kombination von freier Marktwirtschaft und staatlichem Dirigismus. Die „City of Man“-Gruppe hatte das Ziel, die amerikanische Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit eines Kriegseintritts der USA hinzuweisen und wollte mit ihrem Buch die gesellschaftlichen Ziele einer amerikanisch geprägten atlantischen Welt, letztlich sogar einer demokratischen Weltgesellschaft umreißen. Der global denkende Universalist der Gruppe war ihr Leiter selbst, der italienische Emigrant Borgese, der nach dem Krieg an der Formulierung einer demokratischen Welt-Verfassung arbeitete, die Broch allerdings (nicht nur wegen der Zweiteilung der Welt nach Yalta) für illusorisch hielt. Gleichzeitig verfolgte Broch in den frühen 1940er Jahren den Plan einer „Immigrants Loyalty League“, die er ebenfalls mit Kahler abstimmte. Broch war überzeugt, dass Exulanten aus den Feindländern bei einem Kriegseintritt der USA interniert werden würden, auch wenn sie selbst vor den Regierungen dieser Länder geflohen waren. Er wollte eine Interessenvertretung der Immigranten aufbauen, die stark genug wäre, sich im Senat und beim Präsidenten Gehör zu verschaffen, um die Internierungen zu verhindern. Unabhängig von Brochs Initiative, die keine große Unterstützung fand, gelang die Verhinderung der Internierung europäischer Exulanten weitgehend, aber für die Amerikaner japanischer Abstammung wurden Gefangenenlager errichtet. Viele Hitlerflüchtlinge meldeten sich bei Kriegseintritt der USA beim amerikanischen Geheimdienst oder bei staatlichen Organisationen, die mit Kriegspropaganda zu tun hatten, um ihr Scherflein zur Bekämpfung von NaziDeutschland beizusteuern. Das erinnerte Broch an die Zeit von 1914 in Wien und veranlasste ihn zu der ironischen Bemerkung: „[…] die Geister des Kriegspressequartiers mit Paul Stefan in Husarenuniform steigen aus dem Asphalt der Madison Ave.“ (8) Kahler beschäftigte sich nach dem Abwurf der Atombomben in Japan stärker als Broch mit den Folgen der nuklearen Bewaffnung und veröffentlichte eine Reihe kritischer Artikel gegen das Wettrüsten, die er mit Broch diskutierte. Broch stimmte Kahler darin zu, dass die Atombomben im Kalten Krieg voraussichtlich nicht zum Einsatz kommen würden, „einfach weil der Sieger im Atom- und Hydrogenkrieg im Vorhinein der Verlierer“ sein werde (49). Kahler und Broch planten damals zwei Jahre lang – zwischen dem Sommer 1945 und dem Sommer 1947 – gemeinsam ein Buch über Demokratie zu schreiben. Kahler änderte 1947 seine Forschungspläne und be-
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gann seine Arbeit an dem kulturkritischen Buch The Tower and the Abyss, das allerdings erst zehn Jahre später fertig wurde. Broch aber hatte schon drei große Kapitel dazu fertiggestellt, die im Band Politische Schriften (KW 11) zu finden sind: „Bemerkungen zur Utopie einer ‚International Bill of Rights and of Responsibilities‘“ (KW 11, S. 243–276), „Die Zweiteilung der Welt“ (KW 11, S. 278–337) und „Strategischer Imperialismus“ (KW 11, S. 339–362). Broch wandte sich der Frage der Verteidigung der Menschenrechte zu, und die Aufsätze darüber, die zum Teil in die Massenwahntheorie (KW 12) eingingen, waren ihrer Zeit voraus. Broch verstand sie selbst als utopisch, weil sie die Entwicklung der internationalen Beziehungen realitätsgerichtet vorwegnahmen. Broch forderte einen internationalen Strafgerichtshof, der Vergehen gegen die Menschenrechte unter Anklage stellen würde. Inzwischen ist in Den Haag diese Institution begründet worden. Im ersten Heft der Neuen Rundschau von 1950 fasste Broch seine politischen und menschenrechtlichen Ideen unter dem Titel „Trotzdem: Humane Politik“ (KW 11, S. 364–396) zusammen. Darin plädierte er unter anderem für eine internationale Organisation auf privater Basis, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen sollte, also für eine Institution, die dann ein gutes Jahrzehnt später mit Amnesty International gegründet wurde. Der Artikel trug ihm eine Einladung zum Kongress für kulturelle Freiheit in Berlin (West) im Juni 1951 ein. Broch fuhr nicht hin, und er erklärte seinem Freund auch warum: Zwar hätte er gerne David Rousset dort getroffen, aber mit Reinhold Niebuhr zu diskutieren, fehlte ihm die Lust; die Witze von Bertrand Russell zu hören, war er nicht geneigt (49); und danach Arthur Koestler, Denis de Rougemont und Carl Zuckmayer über den Weg zu laufen, stand ihm nicht der Sinn, weil unter ihnen zu viel „angegeben werde“ (50). Broch schickte aber an den Kongress eine Adresse, der er den Titel „Die Intellektuellen und der Kampf um die Menschenrechte“ (KW 11, S. 453–458), gab. Er schlug sich auf die Seite der kritischen, parteilich unabhängigen Intellektuellen und machte sich für die Friedensmission der UNO stark. Von Interesse sind ferner die Diskussionen der beiden Freunde über die Literatur der Zeit. Auch im Alter gehörten sie noch zu den Bewunderern Thomas Manns, wenn Brochs Beziehung zum Nobelpreisträger auch ambivalenter war als die Kahlers: Er schätzte Mann als Erzähler, doch störte ihn dessen Narzissmus. Kahler hatte 1948 in
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der Neuen Rundschau einen Essay über den Doktor Faustus veröffentlicht. Als Broch 1949 Thomas Manns Die Entstehung des Doktor Faustus gelesen hatte, teilte Broch Kahler mit: „Soeben den ‚Roman des Romans‘ durchflogen, u. z. mit argen Minderwertigkeitsgefühlen angesichts der stupenden Arbeitskraft dieses alten Mannes.“ Andererseits aber meinte er einschränkend: „Ansonsten ist dieses Tagebuch höchst unangenehm. Diese Haltung ‚Schaut, was für ein einfacher menschlicher Mensch ich bin, obwohl…‘ ist überaus zuwider. All das hängt mit der Immoralität des rein Schriftstellerischen zusammen“. (39) 1950 arrangierte die Bibliothek der Yale University eine Ausstellung zu Thomas Manns 75. Geburtstag. Mann und Broch trafen sich bei der Gelegenheit, worüber Broch an Kahler berichtete: „Ich habe weiterhin meine innerlichen Schwierigkeiten [...] mit ihm: man muß es ihm leicht machen, leutselig zu sein, und obwohl er doch so gern möcht, geht es ihm eigentlich wider die Natur. Das ist kein Vorwurf gegen ihn, bloß Konstatierung: der Zaubermantel der Ungemütlichkeit weht halt um ihn.“ (54) Als in den Nachkriegsjahren der Fall Martin Heidegger öffentlich diskutiert wurde, schrieb Broch an Kahler: „Hinter all dem steht freilich nichts anderes als die Grundfrage: hat der Philosoph im Notfall Märtyrer zu sein? Und da es eine Frage ist, die im letzten eigentlich nicht nur für den Philosophen sondern für jedermann zu bejahen ist, weil sie das Zentrum dessen ist, was man Anständigkeit nennt, so ist der Mensch Heidegger damit gerichtet.“ (25)
III. Diogenes im Exil Viel Zeit verwandten Broch und Kahler auf die Hilfe für andere Emigranten, und so wird seitenfüllend über die Besorgung von Affidavits, von Visen, von akademischen Arbeitsplätzen, über Stipendienvergaben, über Hospitalisierungen für Kranke oder (nach Kriegsende) über Rückkehrmöglichkeiten einiger Freunde nach Europa korrespondiert. Zu den vielen Namen, die da fallen, gehören auch die Siegfried Kracauers und Walter A. Berendsohns. Manchmal werden auch Kontakte zwischen europäischen oder israelischen Bekannten und amerikanischen Universitäten hergestellt, und zuweilen ist Broch auch literarisch vermittelnd tätig, so wenn er sich erfolgreich darum bemüht, einen der Bergromane des Schweizer Autors Charles F. Ra-
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muz mit Hilfe seines Freundes Henry Seidel Canby beim amerikanischen Lesezirkel Book-of-the-Month Club zu plazieren. Ramuz selbst erfuhr von diesem Glück, das einem Lotteriegewinn gleichkam, allerdings nichts mehr, weil er einige Monate zuvor verstorben war (23). Als Kahler sich für das 1948 erschienene Buch Verlust der Mitte von Hans Sedlmayr begeisterte, wies Broch ihn auf seine Essayfolge „Zerfall der Werte“ in den Schlafwandlern hin: „Wenn der Sedlmayr für Deine ‚Krisis‘ wichtig ist, so ist es der ‚Zerfall der Werte‘ doppelt und dreifach. Denn der ganze Sedlmayr-Traktat ist nichts als eine Illustration zum ‚Zerfall‘“ (46). Broch vertraute Kahler auch seinen Wunsch an, einmal den Nobelpreis für Literatur zu bekommen. Der Österreichische P.E.N.Club hatte ihn 1950 nominiert, woraufhin Brochs Freund und Gönner Alvin Johnson, der Gründer der New School for Social Research in New York, eine Aktion startete, um auch in den USA Unterstützer der Broch’schen Nominierung zu gewinnen. Kahler selbst gewann dafür Victor Lange, den Leiter der Deutschen Abteilung an der Cornell University, und er sprach auch mit Thomas Mann, der sich von Johnson für eine Nominierung im Jahr 1951 überreden ließ. Broch selbst rechnete sich – realistisch wie er war – aus, dass er den Preis nicht vor seinem achtzigsten Geburtstag erhalten werde. Das wäre im Jahr 1966 gewesen. Damals erhielt die jüdische Exilautorin Nelly Sachs im Alter von fünfundsiebzig Jahren den Preis, und vielleicht hätte sie sich ihn mit Broch teilen müssen, wenn der damals noch gelebt hätte. Eine sehr viel bescheidenere Ehrung wurde Broch allerdings zuteil: Die 1949 neu begründete Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt lud ihn ein, Mitglied zu werden. Frank Thiess war dort Vizepräsident, und er hatte die Nominierung durchgesetzt. Das war aber auch das Problem, denn Thomas Mann und Thiess waren seit dem Streit über Exil und Innere Emigration verfeindet. Broch wollte es sich mit Thomas Mann – auch im Hinblick auf seinen Nobelpreisehrgeiz – nicht verderben, und so bat er die Akademie, zunächst Thomas Mann die Mitgliedschaft anzubieten. Der hatte – anders als wenige Jahre später, als Frank Thiess diese Akademie verlassen hatte – damals kein Interesse an Darmstadt. Kahler riet Broch, sich direkt in der Sache mit Thomas Mann ins Benehmen zu setzen. Der fand das Ganze aber nur lästig und antwortete unfreundlich. Broch selbst wiederum hielt eigentlich nicht viel von der Akademie, wie sie sich damals selbst darstellte, bedachte
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aber gleichzeitig seinen Nobelpreiswunsch. So schrieb er an Kahler: „Die deutsche Dichterakademie wird mich jetzt zum Mitglied wählen. Mir ist das irgendwie unbehaglich; deutsche ‚Körperschaften‘ werden den Leichengeruch noch lange nicht loswerden, und ich weiß nicht wie man sich da herausdrehen soll, umsoweniger als sie im Begriff sind ‚zu Hauf‘ für meine Nobelei zu stimmen und an die schwedische Akademie zu schreiben.“ (51) Mit Blick auf die Mitgliederliste der Darmstädter Akademie konnte sich Broch in einem anderen Brief an Kahler eine sarkastische Bemerkung nicht verkneifen: „Genau so gut hätte sich das Café Central oder Herrenhof als Akademie konstituieren können.“ (57) In einer anderen Botschaft an Kahler heißt es in dieser Sache: „Was soll man da machen? Mir ist diese Migliedschaft so putten wie nur was, und wenn mir auch die Leute beim Nobelpreis teils nützen, teils schaden können, so verkauf ich mich deswegen doch nicht.“ (63) Schließlich vertröstete Broch die Darmstädter Akademie darauf, mit dem Präsidenten Pechel die Sache persönlich während seiner Europareise Mitte 1951 zu besprechen, doch dazu kam es nicht mehr, weil Broch kurz vor der Abreise verstarb. Ein Kapitel für sich sind die Klagen, die Broch über seine Frauenfreundschaften bei Kahler loswurde. Broch unterhielt in den 1940er Jahren Verhältnisse als Parallelaktionen zu der Sozialarbeiterin Jadwiga Judd, den Autorinnen Frances (Fanny) Colby Rogers und Jean Starr Untermeyer, der Lektorin Ruth Norden, der Bildhauerin Irma Rothstein und der Graphikerin Annemarie Meier-Graefe, um nur die relativ konstanten Verhältnisse zu nennen. Broch charakterisiert sich als „Would-be-Diogenes“ (20), als Möchtegern-Diogenes in der Tonne, als jemanden, der am liebsten den Frauen bedeutet hätte, sie mögen ihm aus der Sonne seiner geistigen Interessen gehen. Die amourösen Beziehungen zu den vielen Freundinnen waren ihm über den Kopf gewachsen, und er empfand sie als arge Belastung. So stöhnte er in einem der Briefe an Kahler: „Es ist halt die ständige Störung, die bei unsereiner unerträglich ist. Deswegen mußten ja auch all meine Frauengeschichten schief ausgehen: keine von all den Frauen hat begriffen, was Störung heißt.“ (38) Dabei wusste Broch sehr wohl, dass er seinen Freundinnen gegenüber im Unrecht war. So hielt er fest: „Natürlich brodelt der Hexenkessel weiter, und leider ist’s ein Engelskessel, denn daß noch keine Krach gemacht hat – oh täten sie es doch allesamt! – ist eine Engelshaltung.“ (47) „Das
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Malheur ist“, fügt er ein anderes Mal hinzu, „daß all diese Frauen menschlich besser sind als es meine Wut zulassen möchte, und gerade das zerrüttet mich vollkommen.“ (35) Bei all den Klagen verlor er nicht den Humor. So heißt es einmal mit typisch Broch’scher Selbstironie: „Außergeschäftlich bloß Jammer: gewiß, ich habe ein sündiges Leben geführt, gewiß bin ich, mit einem understatement ausgedrückt, von Dämonen gehetzt – wie gerne würde ich dazu ein ‚worden‘ setzen –, doch das alles war doch nicht gar so ein Spaß, daß ich dafür so fürchterlich zahlen muß. Ich bleibe ja wirklich nicht gerne etwas schuldig, nicht einmal dem Schicksal, aber ich finde, daß mir doch eine etwas zu große Rechnung präsentiert wird, umsomehr als doch in wenigen Jahren auch noch Fegefeuer und vielleicht sogar Hölle nachfolgen werden. Das alles ist sehr ungerecht, genauso ungerecht wie daß man im Alter, wo es einem sowieso schlecht geht, auch noch überdies sterben soll.“ (34) Annemarie Meier-Graefe wollte ihre Beziehung zu Broch durch eine Heirat legalisieren, und obwohl Broch sich dagegen sträubte, gab er nach, rang ihr aber das Zugeständnis der Geheimhaltung ab. Lange hatte er sich gegen diesen Schritt gewehrt. An Kahler schrieb er einmal: „Libru, verzeih meinen gestrigen Panikbrief – im Grunde ist es ja die Mentalität des franzjosephinischen Kavaliers, die aus mir und in mir spricht: für gehabtes Vergnügen muß man zahlen, und u. U. sogar überzahlen, ja sogar mit Ehe. Und meine Panik entsteht weil ich kein franzjosephinischer Kavalier sein will; es ist die Revolte gegen das Über-Ich.“ (15) Bis in die Träume hinein verfolgte Broch das zwiespältige Hin-undHergerissensein zwischen Diogenes-Askese und dämonischer ErosVerfallenheit. So schildert er Kahler einmal ein Traumgesicht: „[…] gestern Nachts erschien mir ein Geist in Gestalt einer Dame der 90erJahre (die merkwürdigerweise an Claire Goll gemahnt) und sie präsentierte mir zwei brennende Kerzen: ‚Du kannst sie nach Deiner Wahl als Wunschtraum oder als Angsttraum benützen, aber nicht beides zusammen.‘ Da wußte ich, daß sie im ersten Fall zwei Penisse, im zweiten (Totenkerzen) zwei letzte Lebensjahre bedeuten; ich entschied mich zu letzterem und werde demnach, wie ich mit Schrecken feststellte, Ende 1951 zu sterben haben.“ (46) Gleichzeitig erhielt Broch nach Kriegsende viel Post von verlassenen, verlorenen, vergessenen Geliebten „aus aller Frauen Länder“, was ihm den Stoßseufzer entlockte, dass er „einfach keine Briefe mehr schreiben“ (56) könne. Kahler wusste, dass der Freund keine
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der an ihn gerichteten Botschaften unbeantwortet lassen würde. „Daß ein Mensch wirklich infolge Korrespondenz zugrunde gehen kann, ist grotesk, ist aber doch so“ (21), klagte Broch Kahler gegenüber. Es war so und gleichzeitig war es nicht so. Sicher ist Broch einer der pünktlichsten Korrespondenzpartner unter den Schriftstellern gewesen, und zuweilen streifte seine Beantwortungsmanie ans Zwanghafte. Andererseits aber war er ein Briefschreiber aus Leidenschaft. Die Botschaften, die er erhielt und verschickte, waren Teil seines spezifischen Lebensrhythmus und Ausdruck seines Bedürfnisses nach Freundschaft und menschlicher Kommunikation. Zudem war die Korrespondenz der Motor dessen, was man heute Netzwerkbildung nennt. Durch seinen Briefverkehr hielt Broch sich auf dem Laufenden über die Veränderungen in Amerika und Europa zu einer Zeit, als im Krieg und in den Nachkriegsjahren die Informationen in den Zeitungen viel zu undifferenziert waren, als dass man sich auf sie allein hätte verlassen können, wollte man sich ein Bild der mentalen und psychischen Entwicklungen in den Gesellschaften und Ländern verschaffen, mit denen Broch sich verbunden fühlte. Und den Kontakt mit Kahler empfand er immer als notwendig, weil sein Freund ein kritischer Leser seiner Manuskripte war und sich Broch auf dessen Unbestechlichkeit im Urteil verlassen konnte. Auch für Kahler war die Freundschaft mit Broch eine menschliche Bereicherung, auf die er nicht hätte verzichten wollen. Über den Tod hinaus sorgte er sich um das literarische Vermächtnis des Freundes. So beteiligte er sich an der ersten Brochausgabe, indem er 1953 den Band Gedichte edierte, und 1962 veröffentlichte er ein Buch über Die Philosophie von Hermann Broch, das nach wie vor eine gute Einführung in die Gedankenwelt Brochs mit den Filiationen der Wert- und Geschichtstheorie, der politischen Kritik und der Massenpsychologie bietet. Broch hatte viele Freunde im Exil gewonnen, aber die Freundschaft mit Kahler war exzeptionell, und diese Briefe vermitteln einen Eindruck von ihr.
Hermann Brochs Briefe an Erich von Kahler (1940–1951)
1. 420 West 121 Street1 New York City 1. Juli 1940 Mr. Erich Kahler2 Carniola Byrdcliffe Woodstock3, N.Y. Lieber E. K., Ihr erster Brief kam vor meiner Abreise nach Princeton, sodaß ich also Frau Lederer4 nicht mehr anrufen konnte, den zweiten Brief aber fand ich erst gestern bei meiner Rückkunft hier vor, und da heute bereits der erste ist, konnte ich in gleicher Weise Trude Schmidl nicht besuchen. Den Fall Trude Schmidl 5 habe ich bereits Margaret Beller6 in Princeton erzählt, damit sie sich wegen einer Sommerunterbringung umsehe. Leere Häuser wären in Princeton natürlich zu finden, aber damit ist [ihr] ja noch nicht gedient. Weiters möchte ich gerne wissen, ob eine Empfehlung an Psychiater zweckvoll wäre, z. B. ist jetzt der Analytiker René Spitz7 zum ständigen Konsulenten des Mount Sinai Hospitals 8 ernannt worden; ebenso könnte ich durch Dr. Polzer9 eine Empfehlung an Professor Dattner10 vom Bellevue Hospital 11 bekommen. Um mit Pädagogen in Verbindung zu kommen, sollte sie sich an die Direktorin der Walden School 12, 1 West 88 Street, wenden, die sehr nett ist und Goldberg oder Goldschmidt 13 heißt. Was aber den oberwähnten Princetonbesuch anlangt, so galt er vor allem Aydelotte14 und das Gespräch mit ihm war ausgesprochen erfreulich. Für die Alienssache15 interessierte er sich lebhaft und will mitarbeiten. Alles übrige in dieser Angelegenheit mögen Sie aus beiliegender Kopie meines Briefes an Elisabeth16 entnehmen. Daß ich
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blödsinnig arbeite, brauche ich Ihnen nicht zu berichten, Sie werden sich auch nicht wundern, daß ich noch immer kein Zeitprogramm vor mir habe, aber irgendwie wird es schon mit Woodstock17 ausgehen. Mir tut es leid, daß Sie nicht ganz zufrieden sind, wenigstens dies sollte man im Schatten der Apokalypse haben, aber wenn es Ihnen ein Trost ist: ich bin auch nicht ganz zufrieden. Übermitteln Sie Handküsse an Ihre Damen18, grüßen Sie BeerHofmanns19 und lassen Sie sich die Hand drücken. Immer Ihr HB. Beil. [Handschriftlicher Zusatz:] Diese Briefe sind diktiert, denn ich kann es einfach nicht mehr allein leisten. Und wenn ich diktiere, gerate ich stets atavistisch ins geliebte Kaufmannsdeutsch. Nochmals alles Herzliche! Anmerkungen 1 420 West 121 Street: Das war Brochs New Yorker Adresse für etwas mehr als zwei Jahre von Anfang 1940 bis März 1942. 2 Erich von Kahler: Erich von Kahler (1885–1970), Prager Kulturphilosoph, lebte seit 1900 in Wien, später in Heidelberg und München, wo er dem George-Kreis angehörte. (Über George publizierte Kahler 1964 bei Neske in Pfullingen das Buch Stefan George. Größe und Tragik.) Nach mehrjährigem Exil in der Schweiz kam er 1939 auf Anraten Thomas Manns, zu dessen Freundeskreis er gehörte, in die USA und ließ sich in Princeton nieder. Als Gastprofessor für deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft lehrte Kahler an der Cornell University, der Princeton University und war Fellow am Institute for Advanced Study in Princeton. Broch hatte Kahler im Oktober 1938 durch den gemeinsamen Freund Richard Bermann kennengelernt. Von Juli 1942 bis Juni 1948 wohnte Broch in Logis bei Erich von Kahler in Princeton, One Evelyn Place. 3 Woodstock: Erich von Kahler hielt sich damals für einen Monat in der – heute immer noch existierenden – Künstlerkolonie „Byrdcliffe“ in der Nähe von Woodstock auf. Diese artist colony in den Catskill Mountains war 1903 gegründet worden, um Malern, bildenden Künstlern, Schriftstellern und Musikern Kurzaufenthalte als artists in residence zu gewähren. Jedes der Häuser der Kolonie hat einen eigenen Namen. Kahler war in der Casa Carniola untergebracht. Gründer der Kolonie war der Engländer Ralph Radcliffe-Whitehead gewesen, der durch seinen Lehrer, den Schrift-
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steller John Ruskin und durch seinen Freund, den Künstler und Sozialpolitiker William Morris, beeinflusst war. Frau Lederer: Gertrude Lederer, geb. Dannheißer (1895–1987). Sie stammte aus einer jüdischen Arztfamilie in Landau. 1917 heiratete sie den Soziologen Hans Felix von Eckardt, von dem sie sich 1927 scheiden ließ. 1935 emigrierte Gertrude Eckardt in die USA, wo sie in New York ihren künftigen Mann, den Wirtschaftswissenschaftler Emil Lederer (1882–1939), kennenlernte und heiratete. Lederer war der erste Dekan der University in Exile, die Alvin Johnson als Graduate School der New School for Social Research in New York angliederte. Im Hause Kahlers in Princeton lernte Broch die Witwe Gertrude Lederer kennen. Sie gehörte in den vierziger Jahren zu seinen Freundinnen (vgl. ZB). Broch widmete ihr das Akrostichon »Sprachverwandlung« (KW 8, S. 140) als Dank für ein Geschenk zum 60. Geburtstag. Trude Schmidl: Trude S. Waehner (1900–1979), Wiener Malerin. Ihr Atelier in der elterlichen Wohnung im achten Bezirk Wiens war ein Treffpunkt von Künstlern, Gelehrten, Schriftstellern und Kunsthistorikern. Sie hatte auch Kontakt zu Mitgliedern des Wiener Kreises. In dieser Zeit dürfte sie Broch erstmals begegnet sein. 1925 heiratete sie den Rechtsanwalt Fritz Schmidl und benutzte seitdem zuweilen den Doppelnamen Schmidl-Waehner. Nach dem „Anschluss“ emigrierte sie 1938 zunächst nach Zürich, dann im Dezember 1938 – mit Hilfe von Erika und Thomas Mann – nach New York, wo sie erneut zum weiteren Bekanntenkreis von Broch gehörte. Im Exil lebte sie vor allem vom Kunstunterricht, den sie erteilte. Nach dem Krieg ließ sie sich in Italien nieder, wo ihre gegenständliche Malerei Beachtung fand. Ihr Werk umfasste Porträts, Stillleben, Holzschnitt-Zyklen und politisch-kritische Zeichnungen. Margaret Beller: Frau von Elmer A. Beller, Historiker an der Princeton University. Beller veröffentlichte damals das Buch Propaganda in Germany during the Thirty Years War (Princeton: Princeton University Press, 1940). René Spitz: René A. Spitz (1887–1974), österreichischer Arzt und Psychoanalytiker. Er emigrierte 1938 in die USA. Dort nahm er Lehraufträge u. a. am Psychoanalytischen Institut der New York University wahr. Broch hatte Spitz in den 1930er Jahren über seinen Verleger Daniel Brody kennengelernt. Mount Sinai Hospital: Das New Yorker Mount Sinai Hospital, gegründet 1852, hat Manhattans Upper East Side und Harlem als Einzugsbereich. Es ist eines der ältesten und größten Lehrkrankenhäuser der Vereinigten Staaten. Dr. Polzer: Broch widmete sich in der zweiten Jahreshälfte 1940 zusammen mit Victor Polzer (ehemals Lektor im Wiener Paul Zsolnay Verlag) der Beschaffung von Affidavits für befreundete Flüchtlinge aus Europa. Professor Dattner: Bernhard Dattner (1887–1952) war Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und unter Julius Wagner-Jauregg (1857– 1940, Nobelpreis für Medizin 1927) Assistent an der Klinik für Psychiatrie
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und Neurologie in Wien. Später betrieb Dattner dort eine Privatpraxis für Nerven- und Geisteskrankheiten. 1938 emigrierte er in die USA und war von 1943 bis 1947 außerordentlicher Professor für Neurologie an der Medizinischen Fakultät der New York University. Bellevue Hospital: Das Bellevue Hospital Center in New York City, 1736 gegründet, ist das älteste öffentliche Krankenhaus der USA. Eine Reihe von wichtigen Entwicklungen in der Geschichte der Medizin gingen von hier aus, so zum Beispiel die Polio-Impfung. Walden School: Im Jahre 1914 gründete die Erzieherin Margaret Naumburg (1890–1983) in New York City die „Children’s School“, die sie ein Jahr später in „Walden School“ umbenannte. Naumburg gehörte dem amerikanischen Progressive Education Movement an, dessen Ideen sie mit Einsichten und Methoden der psychoanalytischen Theorie und Therapie Sigmund Freuds verband. Goldberg oder Goldschmidt: Nicht ermittelt. Aydelotte: Frank Aydelotte (1880–1956), damals neuer Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton. Von 1921 bis 1940 war er Präsident des Swarthmore College in Swarthmore, Pennsylvania, gewesen. Alienssache: Broch verweist hier auf seine v.a. in den Jahren 1940 bis 1941 verfolgte Idee einer Immigrants Loyalty League (KW 13/2, S. 213–217), für die er beständig um Unterstützung warb. Brochs Idee entsprang der Befürchtung, dass im Falle eines Kriegseintritts der USA die europäischen Flüchtlinge aus den Feindländern Deutschland und Italien (wie zuvor schon in England) interniert würden. Diese Furcht war nicht unbegründet, wurde ein solcher Plan doch 1942 in Washington diskutiert und im Falle der japanischen Minderheit in den USA auch umgesetzt. Die europäischen Emigranten fanden in zahlreichen Exilorganisationen wie dem Unitarian Service Committee oder dem Committee for Jewish and Christian Refugees sowie prominenten Einzelpersonen wie z. B. Thomas Mann aber so viel Fürsprache, dass bei den 1942 anfangenden Internierungen viel weniger Deutsche und Italiener als Japaner betroffen waren. Brochs Befürchtungen erwiesen sich als berechtigt, auch wenn er selbst nicht interniert wurde. (Vgl. auch die Anm. „Biddle“ im Brief vom 5.1.42.) Elisabeth: Elisabeth Mann-Borgese (1918–2002), Katia und Thomas Manns viertes Kind; Schriftstellerin, Meeresforscherin und Politikwissenschaftlerin. Sie heiratete 1939 den italienischen Schriftsteller Giuseppe Antonio Borgese. Elisabeth Mann Borgese schrieb am 29. Juni 1982 über ihre Beziehung zu Hermann Broch an Paul Michael Lützeler: „Ich habe Hermann Broch sehr gut gekannt und sehr verehrt. Erst schon in Zürich, und dann in Princeton. Ich habe ihn sehr oft mit dem Auto herumgefahren und bin viel mit ihm spazieren gegangen. Und dann war er sogar mein Trau-Zeuge, bei meiner Hochzeit mit Borgese. Seine in der Mathematik verwurzelte Philosophie, sein Humanismus, sein Stil – all das hat mich sehr fasziniert. Ich habe ihm sehr gern zugehört, ich habe mich gern von ihm anleiten und
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anregen lassen. Details könnte ich jetzt keine geben, aber im Alter von 15 bis 20 stand ich ziemlich unter seinem Einfluß.“ (uv. PML) 17 Woodstock: Broch hatte vor, Kahler in der Byrdcliffe Colony zu besuchen. Die Stadt Woodstock, New York, wurde 1787 gegründet. Weil seit dem 19. Jahrhundert viele Künstler in der Stadt wohnten, war sie berühmt. Deshalb wurde der Name der Stadt auch zur Bezeichnung für das Musikfestival von 1969 gewählt, das im etwa sechzig Meilen entfernten Bethel, N.Y., stattfand. 18 Ihre Damen: Antoinette von Kahler (1862–1951) und Alice (Lili) Loewy, geb. Pick (1900–1992). Antoinette von Kahler war die Mutter Erich von Kahlers. Nach ihrem Tod hielt Broch die Grabrede „Worte des Abschieds“ (KW 13/3, S. 523–524). Alice Loewy war die Haushälterin, Lebensgefährtin und spätere Frau Kahlers (die Heirat erfolgte erst 1969). Sie stammte aus Wien und war die Tochter des Kunsthändlers Ignaz Pick. 19 Beer-Hofmanns: Das Ehepaar Beer-Hofmann. Richard Beer-Hofmann (1866–1945), österreichischer Schriftsteller, der 1938 in die USA emigrierte. Während des Exils hatte Broch nur wenig Kontakt zu dem zwanzig Jahre älteren Autor. Beer-Hofmanns Frau war Pauline Anna Beer-Hofmann, geb. Lissy (1879–1939).
2. HB c/o Dr. Maschke 1, 1376 Lynn Park Drive, Cleveland Heights, Ohio 18.9.40 Lieber E.K., mein Gewissen ist nicht gar so schlecht, wie Sie glauben: ich konnte einfach nicht schreiben, erstens wegen meiner Zahnbehandlung, die etwas zuwider war und noch lange nicht abgeschlossen ist (in zwei Monaten muß ich wieder herkommen), zweitens wegen der BorgiKonferenz2 und drittens wegen Loyalty-League, welche nunmehr die offizielle Zustimmung von Washington bekommen hat und daher gestartet werden muß; den Zustimmungsbrief habe ich Ihnen durch Polzer als Lebenszeichen schicken lassen. Zur Konferenz: Borgis „Manifesto“ erscheint bei Hübsch3. Ich habe darauf bestanden, daß sofort ein paar sachliche Pamphlete nachfolgen, und ich hoffe, daß er dies auch durchgesetzt hat, denn wenn das Manifest allein erschiene, so wäre sachlich überhaupt nichts ge-
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tan. Immerhin hat die letzte Tagung danach ausgeschaut, als ob sich nun sachliche Arbeit anschließen könnte, und deswegen wird es Ihnen wohl nicht erspart werden, der Sache beizutreten. Die Hauptsache für die Fortsetzung ist natürlich Geld, aber ich habe den Eindruck, daß dies auftreibbar sein wird. Die Arbeitsteilung wurde folgendermaßen vorgenommen: Theologie und Gott – Niebuhr4, Weltdemokratie samt internationale Beziehungen – Borgi 5 und Hans Kohn6, Government und Legislatur – Elliott7, Ökonomie samt Sozialgebiete – vorderhand nebbich8 ich allein, der ich doch ein Waisenknabe darin bin, doch soll ein gelernter Ökonomiker dazu aufgetrieben werden. Das „Manifesto“ wird über meinen Vorschlag durch einen Anhang „Plan of Work“ versachlicht werden, zu dem lt. obiger Einteilung die Genannten je einen Beitrag zu liefern haben, allerdings jeder von ihnen nur 500 Worte. Ich habe mich nun daran gemacht, als erstes Pamphlet eine Skizze zur Krisentheorie zu schreiben, weil ich meine, da ein wirkliches Ei gefunden zu haben, und die Einleitung zu dieser Arbeit habe ich Borgi geschickt, damit er sich da herausschneidet, was ihm gefällt. Ich übermittle Ihnen anbei diese Einleitung, auf die ich sehr stolz bin, weil sie in meinem selbständigsten Englisch fast ohne deutsche Unterlage geschrieben worden ist. Allerdings muß ich sie mir jetzt nachherüber-zurück ins Deutsche übersetzen, denn die Fortsetzung, die eben viel gewichtiger ist, schreibe ich deutsch. Außerdem möchte ich als zweites Pamphlet sofort über die gesetzlichen Möglichkeiten einer totalitären Demokratie9 schreiben. Zur Immigrant Loyalty League10: ich schicke Ihnen anbei eine Abschrift, damit Sie darüber nachdenken, denn hier müssen Sie sogleich feste mitarbeiten, ob sie wollen oder nicht. Ich habe meinerseits Elliott, welcher mir als der draufgängerischeste und für derlei fähigste der Konferenzteilnehmer erscheint, um eine Zusammenkunft in Boston oder Washington ersucht, um die Organisierungsfrage mit ihm zu besprechen. Aber inzwischen sollen auch Sie sich den Kopf zerbrechen: ich übermittle Ihnen anbei auch meine Antwort11 an Harrison12 und verweise insbesondere auf den einen Satz über die Erweiterung der Aktion; denn wenn man die ganze Sache solcherart ins Positiv-Aktive drehen könnte, würde sie ihren unangenehmen Beigeschmack einer Privat-Gestapo, der ja vielen die Mitarbeit verleiden
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könnte, einigermaßen verlieren. Wollen Sie schon Th[omas] M[ann] 13 Mitteilung machen? bitte behandeln Sie dies nach Gutdünken. So weit also meine activities14. Daneben lese ich mit Volldampf allerhand Nationalökonomisches – Keynes15, Strachey16, Elliott etc. – und zur Erholung habe ich Ihre beiden Schriften17 gelesen, mit großer und aufrichtiger Freude. Und doch haben Sie recht gehabt, vom Polemischen zum Exempel hinüberzuwechseln; der „Deutsche Charakter“18 ist etwas Bleibendes, was immer auch geschieht. Nebenbei: aus völlig irrationalen Gründen, keineswegs wegen des englischen Widerstandes, habe ich ein besseres Weltgefühl bekommen. Wenn ich irgend etwas Rationales dazu anführen kann, so liegt es eigentlich nur in meiner bessern Einsicht in das Ökonomische19; es geht ein wenig über die narzißtische Entdeckerfreude hinaus, denn ich glaube tatsächlich, gewissen Gesetzlichkeiten auf der Spur zu sein, die offenbar bisher noch nicht bemerkt worden sind, und wenn man ein Gesetz hat, so kann man bekanntlich auch handeln. Ich freue mich, diese Dinge mit Ihnen bald zu besprechen; in etwa vierzehn Tagen werde ich in Princeton sein, und hiezu habe ich eine Bitte, nämlich, daß Sie sich wegen eines Zimmers für mich erkundigten, womöglich nicht allzu weit von Ihnen und womöglich mit einer Fütterungsmöglichkeit, zumindest Frühstück, denn Sie wissen ja, daß meine Lebenstechnik im Vorjahr recht kompliziert gewesen ist. Mir hängt dieses Herumsiedeln in möblierten Zimmern ohnehin schon beim Hals heraus; aber ich will mich durch derlei Geschimpfe nicht versündigen. Diesen Brief schicke ich bereits nach Princeton, da Sie ja am 15. übersiedeln wollten. Und ebendeshalb lege ich auch ein paar Zeilen für Fried 20 bei, da ich dessen neue Adresse nicht weiß. Im übrigen meine ich, daß Fried in irgend einer Funktion bei den Aliens eingespannt werden sollte. Doch dies hat Zeit. Übermitteln Sie Handküsse. Und lassen Sie sich die Hand drücken. HB. Ich wohne hier im Hause Dr. Maschkes, eines ganz hervorragenden Internisten, zu dem ich eigentlich sehr gerne Ihren zu geringen Blutdruck bringen möchte; ich habe ganz außerordentliche Beispiele seiner diagnostischen Sicherheit gesehen. Haben Sie übrigens schon einmal Schur21 in N[ew] Y[ork] konsultiert?
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Anbei schließlich noch Kopie meines letzten Briefes an Trude Schmidl: wüßten Sie irgend jemanden für Zeichnung der gleichfalls beil. Sponsorbriefe? (Die Briefe sollen auf Privatbriefpapier geschrieben und notariell legalisiert sein). Es ist eine gewisse Schwierigkeit mit diesem moral affidavit22, denn man weiß ja bei einem Narren, wie es Canetti 23 schließlich ist, doch nicht, als was er sich bei oder nach der Landung deklarieren wird. Nochmals alles Herzliche! [KW 13/2, S. 230–233] Anmerkungen 1 Dr. Maschke: Internist und Neurologe in Cleveland, Ohio, der mit Selma Maschke, einer Cousine von Brochs Freundin Jadwiga Judd, verheiratet war. 2 Borgi-Konferenz: Broch spielt auf eine Konferenz an, die vom 23. bis 25. Mai 1940 auf Initiative Giuseppe Antonio Borgeses in Atlantic City, New Jersey, stattfand. Die Konferenz, an der neben Broch und Borgese noch u. a. Thomas Mann, Lewis Mumford, Herbert Agar und der Italiener Gaetano Salvemini teilnahmen, war Keimzelle des City of Man-Projekts, der Weiterentwicklung eines von Mann und Borgese ursprünglich geplanten Europa-Kommitees. In diesem Projekt sollte, als neuzeitliche Antwort auf Augustinus’ Civitas Dei, eine Gruppe von europäischen und amerikanischen Intellektuellen die Bedingungen für einen dauerhaften Weltfrieden untersuchen. Die Schrift The City of Man erschien 1940 in New York bei der Viking Press mit dem Untertitel A Declaration on World Democracy. Sie bestand aus zwei Teilen, einer „Declaration“ und einem „Proposal“. Broch trug wirtschaftswissenschaftliche Ansichten bei. 3 Huebsch: Benno W. Huebsch (1876–1964), Direktor des 1925 gegründeten Verlags Viking Press in New York. 4 Niebuhr: Reinhold Niebuhr (1892–1971), amerikanischer evangelischer Theologe. Er lehrte von 1928 bis 1960 am Union Theological Seminary in New York. Sein Werk Nature and Destiny of Man erschien 1941 bei C. Scribner’s Sons in New York. Niebuhr war einer der Mitarbeiter am „City of Man“-Projekt. 5 Borgi: Giuseppe Antonio Borgese (1882–1952). Von 1910–1931 war er Professor für deutsche Literatur in Rom und Mailand. 1922 verweigerte er den Eid auf die faschistische Regierung und emigrierte 1931 in die USA, wo er zunächst als Gastprofessor an der University of California at Berkeley, dann als Professor am Smith College und von 1936 bis 1947 als Ordinarius für italienische Literatur an der Romanistik-Abteilung der University of Chicago tätig war. Dort war er 1946 auch Sekretär eines Committee to frame a World Constitution. 1950 kehrte er mit seiner Familie nach Italien
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zurück und lehrte in den beiden folgenden Jahren bis zu seinem Tod an der Universität Mailand. Kohn: Hans Kohn (1866–1972), Historiker und Philosophieprofessor aus Prag. Er war 1933 in die USA emigriert, lehrte zunächst an der New School for Social Research in New York und erhielt 1934 eine Professur am Smith Colllege. Er publizierte vor allem zu Fragen des Nationalismus. Wie mit den meisten Beiträgern zum City of Man-Projekt blieb Broch auch mit Kohn in Verbindung. Elliot: William Yandell Elliot (1869–1946), damals Professor der Staatswissenschaften an der Harvard University. nebbich: aus dem Jiddischen, bedeutet so viel wie „armes Ding“ oder „armer Kerl“, also umgangssprachlich das Gegenteil von einem „großen Tier“. In anderen Zusammenhängen kann es auch eine rhetorische Wendung mit der Bedeutung von „Was soll’s?“ oder „Was soll’s schon?“ haben. totalitäre Demokratie: Die totalitäre (oder totale) Demokratie ist eine Forderung, die in Brochs politischen Schriften aus den späten 1930er und frühen 1940er Jahren auftaucht, besonders explizit im Aufsatz „Zur Diktatur der Humanität innerhalb einer totalen Demokratie“ von 1939 (KW 11, S. 24–68). Immigrant Loyalty League: auch Emigree Loyalty League (vgl. Aliensache im Brief vom 1. Juli 1940). meine Antwort: Brochs Brief an Harrison ist nicht erhalten. Harrison: Earl G. Harrison, Director of Registration des Immigration and Naturalization Service im US Department of Justice, Washington D.C. Thomas Mann: Thomas Mann (1875–1955). Zur Beziehung des Autors zu Hermann Broch vgl. F E. activities: Englisch für „Beschäftigungen“, „Aktivitäten“. Keynes: John Maynard Keynes (1883–1946), englischer Nationalökonom. Broch las damals das Werk The General Theory of Employment, Interest and Money (New York: Harcourt & Brace, 1936). Keynes begründete die Arbeitslosigkeit mit mangelnder Nachfrage von Unternehmen und privaten Haushalten. Zur Erreichung von Vollbeschäftigung sollte durch staatliche Aufträge die Nachfragelücke geschlossen warden. Strachey: John Strachey (1901–1963), englischer Nationalökonom. Vgl. seine Bücher: The Theory and Practice of Socialism (London: V. Gollancz, 1936); The Menace of Facism (London: V. Gollancz, 1938); Hope in America (New York: Modern Age Books, 1938); Federalism or Socialism? (London: V. Gollancz, 1940). Strachey war ebenfalls als Politiker der britischen Labour Party aktiv. beiden Schriften: Erich von Kahler, Israel unter den Völkern (Zürich: Humanitas, 1936) und Erich von Kahler, Der deutsche Charakter in der Geschichte Europas (Zürich: Europa-Verlag 1937). „Deutsche Charakter“: Kahlers Werk von 1937.
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19 Einsicht in das Ökonomische: Vgl. Hermann Broch, „Nationalökonomische Beiträge zur ‚City of Man‘ 1940“ (KW 11, S.91–108). 20 Fried: Hans Ernst Fried (1905–1990), später John H. E. Fried, österreichischer Jurist und Politologe. Er emigrierte 1938 in die USA. Bei den Kahlers waren er und seine Frau Edrita häufig zu Gast. Vgl. sein Buch The Guilt of the German Army (New York: Macmillan, 1942). Er lehrte Politische Wissenschaften an der New School for Social Research in New York und war amerikanischer Berater bei den Nürnberger Prozessen. 21 Schur: Max Schur (1897–1969), Psychoanalytiker. Von 1915 bis 1921 studierte er Medizin in Wien, wo er 1921 seinen Dr. med. erwarb. Von 1926 bis 1931 erhielt er eine Ausbildung als Psychoanalytiker der Freud-Schule und wurde Freuds Leibarzt. 1939 ging Schur ins Exil in die USA. Er etablierte eine Privatpraxis als Psychoanalytiker in New York und lehrte gleichzeitig an der New York University. 22 affidavit: Englisch für „eidesstattliche Erklärung“. Um ein Visum für die USA zu erhalten, musste der Antragsteller ein sogenanntes „Affidavit of financial and moral support“ vorzeigen können, das von einem Staatsbürger der USA unterschrieben wurde. 23 Canetti: Elias Canetti (1905–1994), österreichischer Schriftsteller. Broch war in den 1930er Jahren mit ihm befreundet. Vgl. Hermann Broch, „Einleitung zu einer Canetti-Lesung“ (KW 9/1, S. 59–62); ferner: Elias Canetti, „Hermann Broch. Rede zum 50. Geburtstag“ (1936), in: Erich Fried (Hrsg.), Welt im Kopf (Graz: Stiasny, 1962), S. 91–108. Zur Beziehung der beiden Autoren vgl. Elias Canetti, Das Augenspiel (München: Hanser, 1985), S. 25–49. 1940 trug Canetti sich mit dem Gedanken, in die USA auszuwandern, doch blieb er im englischen Exil.
3. Hermann Broch, 420 West 121 Street, New York City May 15, 41 Mr. Erich von Kahler 310 Nassau Street Princeton, N.J. Lieber! Anbei. Damit Du auch eine Freud hast. Das erste ist Beschaffung eines guten Affidavits. Willst Du das übernehmen und Dich hiezu mit den ange-
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gebenen Freunden in Verbindung setzen? Wenn es da ist, besorge ich gern das Weitere zur Erreichung des Emergency Visums1. Gib mir, bitte, Nachricht über die Entwicklung. Sei umarmt H. Anmerkungen 1 Emergency Visum: Der am 22. Juni 1940 unterzeichnete Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich verpflichtete das französische Regime in Vichy, Flüchtlinge deutscher Staatsbürgerschaft an Deutschland auszuliefern. Infolge dieser Zuspitzung der Lage wurde in New York das Emergency Rescue Committee gegründet, ein Komitee, das sich zur Aufgabe machte, den Verfolgten zur Flucht in die USA zu verhelfen. Es erstellte eine Liste mit Namen bekannter Gegner Hitlers, die von der Auslieferung an die Nationalsozialisten am stärksten bedroht waren. Nachdem sich die Regierung zunächst quergestellt hatte – die Immigration sollte wegen der sich immer noch auswirkenden Weltwirtschaftskrise stark eingeschränkt bleiben –, gelang es dem Emergency Rescue Committee und anderen Gruppierungen schließlich, Präsident Franklin D. Roosevelt zur Autorisierung einer begrenzten Anzahl von „Emergency Visa“ (Notvisen) zu bewegen, mit denen einigen Hundert Flüchtlingen die Einreise in die USA ermöglicht wurde.
4. 2. Juli 41 L!1 Danke vielmals für den Check. Anbei die outline des Vergil2. Ich bin wahnsinnig überhetzt, sodaß ich nur sagen kann: ich komme ausführlicher bald wieder mit genauem Bericht und M[anu]skr[ipt] der Autobiographie3. Inzwischen sei umarmt H Bitte die outline nach Gebrauch zurück an: Dr. Polzer, 311 West 97 Street, N[ew] Y[ork] C[ity], der auch fragt, ob Du schon das Exem-
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plar „Jaakob“4 via Bamberger 5-Aydelotte zurückbekommen hast, da er seinen signierten „Jungen David“6 der Sendung zum selben Zweck beigeschlossen hatte und mit gelegentlicher Rücksendung rechnet. Anmerkungen 1 L!: Abkürzung für „Lieber!“ 2 outline des Vergil: Broch schrieb an seinem Roman Der Tod des Vergil mit Unterbrechungen während der sieben Jahre von 1938 bis 1945. 3 Autobiographie: Brochs „Autobiographie als Arbeitsprogramm“ aus dem Jahr 1941 (KW 10/2). Vgl. ferner: Hermann Broch, Psychische Selbstbiographie (PS, S. 83–143). 4 Jaakob: Thomas Mann, Die Geschichten Jaakobs (1933), erster Teil des vierteiligen Romanzyklus Joseph und seine Brüder (entstanden von 1926 bis 1942). 5 Bamberger: Louis Bamberger (1855–1944) war ein US-amerikanischer Geschäftsmann deutsch-jüdischer Herkunft. Während der Zeit des Nationalsozialismus half er vielen Verfolgten bei der Flucht aus Deutschland. Durch Spenden ermöglichte er die Gründung religiöser, karitativer, kultureller und wissenschaftlicher Institutionen, u.a. des Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, im Jahre 1930, das u. a. als Wirkungsstätte Albert Einsteins bekannt wurde. 6 Junger David: Richard Beer-Hofmann, Der junge David (1933), erster Teil der geplanten, aber unvollendet gebliebenen Dramentrilogie Die Historie von König David. Beer-Hofmann (1866–1945) war ein jüdisch-österreichischer Schriftsteller aus Wien. Er emigrierte 1939 zunächst in die Schweiz, dann in die USA. Zur Historie von König David erschien außer Der junge David (1933) nur das Vorspiel Jaákobs Traum (1918).
5. 27.11.41 Lieber, ich will es nicht als allzu schlechtes Omen nehmen, daß Aydelotte – sein Brief traf soeben ein – mich just für Dienstag (11 a. m.) eingeladen hat; er kann nicht anders –, und so steht er. Nun muß ich Dich um etwas bitten, nämlich mir das Programm dieses Tages telephonisch zu arrangieren. Ich will sehen:
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1.) Deine Mutter1, 2.) Gauss2, 3.) Einstein3, (am wenigsten wichtig) 4.) Cantril, (tunlichst in seinem Office) 5.) Beller Letztere, bei denen ich übrigens diesmal den „Deutschen Charakter“ abholen will, möchte ich tunlichst zum Dinner haben, um sodann entweder zurückzufahren, oder – solltest Du doch Abends hinauskommen – Dich zu erwarten. Sei bedankt und umarmt H Anmerkungen 1 Deine Mutter: Antoinette von Kahler. 2 Gauss: Christian Gauss (1878–1951) war ein amerikanischer Literaturwissenschaftler, von 1913 bis 1925 Leiter der Literaturabteilung und von 1925 bis 1943 Dekan am College der Princeton University. Gauss war mit Broch befreundet. 3 Einstein: Mit Albert Einstein (1879–1955) war Broch während der Princetoner Jahre seines Exils befreundet. Vgl. Brochs Briefe an Einstein (KW 13/1–3) und Einsteins Brief an Broch über den Tod des Vergil (KW 13/3, S. 18–19).
6. 420 W., 121st. N.Y.C. 5.1.421 Dr. Erich Kahler One Evelyn Place Princeton (N.J.) Liebster! ich habe Dir nicht eher geschrieben, weil ich leider vom Wesentlichen nichts zu berichten hatte: Mittwoch Früh, 9h rief ich pünktlich bei Cantril2 im Hotel an, doch hatte er das Haus bereits verlassen gehabt; seitdem warte ich auf ein Wort von ihm, wartete bis
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5. Januar 1942
heute vergebens, und so steigert sich seine Unachtsamkeit zu jener burschikosen Rüpelhaftigkeit, die allerdings zum jüngeren akademischen Stil gehört. Unter diesen Umständen muß ich Dich neuerdings bemühen. Erstens ist es angesichts solchen Verhaltens für mich überhaupt schwer, Cantril direkt zu schreiben, zweitens aber ist es nicht ganz sicher, ob hinter dem Verhalten nicht eine Absicht steckt (was ich freilich nicht hoffen will), und drittens muß ihm zu Bewußtsein gebracht werden, wie lebenswichtig eine rasche Erledigung der Angelegenheit für mich ist. Könntest Du also diese diplomatische Mission wieder übernehmen? d. h. also die wahren Absichten Cantrils herauszufinden und dieselben, soferne sie positiv sind, tunlichst zu beschleunigen? Ich komme natürlich jederzeit hinaus, bin aber ebenso gerne bereit – fast ist es mir lieber – , ihn hier zu treffen. Was aber das Hinausfahren anlangt, so möge er mir eine Bestätigung des Institutes jedenfalls schicken, besagend, daß meine Anwesenheit in Princeton zwecks Bearbeitung eines wissenschaftlichen Projektes fallweise unbedingt nötig ist. Nach den letzten Äußerungen Biddles3 scheine ich zwar kein enemy alien zu sein, aber die Verordnungen widersprechen einander, und da ich es solcherart morgen doch sein könnte, so muß man auch für diese Eventualität gerüstet sein, d. h. durch Besorgung eines Reisepasses zwecks Überschreitung der Grenze von New Jersey. Ansonsten gibt es bei mir natürlich nicht viel Neues; aber ich bin wieder an der Arbeit, und jetzt – da ich die ganze Sache4 wieder durchgehe – finde ich, daß sie doch kein so arger Unsinn ist, wie ich bereits gefürchtet hatte. Solltest Du übrigens mit Cantril persönlich sprechen, so wäre es ganz angezeigt, ihn auf die Arbeit, die er ja nur sehr kursorisch kennt, taktvollst neugierig zu machen. Sei bedankt. Und alles Liebe! H Handküsse! Anmerkungen 1 5.1.42: Wie es Broch am Anfang eines neuen Jahres öfters passierte, hatte er diesen Brief fälschlich mit „5.1.41“ datiert.
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2 Cantril: Headley Cantril (1906–1969), amerikanischer Sozialpsychologe. Er war Leiter des Office of Public Opinion Research an der Princeton University. Cantril hatte Broch für die Massenwahntheorie (KW 12) ein Stipendium der Rockefeller Foundation verschafft. 3 Biddle: Francis Beverly Biddle (1886–1968) war ein Anwalt und Richter, der später als US-amerikanischer Hauptrichter bei den Nürnberger Prozessen bekannt wurde. Nach der Ausübung mehrerer Funktionen im amerikanischen Justizapparat wurde Biddle 1941 Attorney General (Generalstaatsanwalt) der USA. In dieser Position wies er nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 das FBI zur Festnahme von sogenannten „enemy aliens“ („feindlichen Ausländern“) an. Mit diesem Begriff wurden in der United States Executive Order 9066 vom 19. Februar 1942 Bürger bezeichnet, die einem Staat angehörten, mit dem sich die USA in einem Konflikt (meistens im Krieg) befanden, und die deshalb verhaftet werden sollten. Die Executive Order führte während des Zweiten Weltkriegs zur Internierung von 120 000 japanisch-amerikanischen Bürgern. Unter den Internierten fanden sich auch – allerdings weit weniger – Deutsche und Italiener. 4 die ganze Sache: Broch hatte im Jahr zuvor den „Entwurf für eine Theorie massenwahnartiger Erscheinungen“ (KW 12, S. 43–66) bei Cantril eingereicht.
7. 420 West 121st Street, New York City 16. Jänner 1942 Erich Kahler One Evelyn Place Princeton N.J. Lieber! Anbei Kopie1 des heute hier eingelangten Briefes von Gauss, sowie meine Antwort an ihn. Ebenso Kopie meines Briefes an Cantril. Wenn Du nächstens kommst, bitte vergiß nicht, mir Kopie des Aufsatzes2 sowie der outlines mitzubringen. Hab Dank für alles. Herzlichst Dein H
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Anmerkungen 1 Anbei Kopie: Die Briefe von Gauss und an Cantril haben sich nicht erhalten. 2 Kopie des Aufsatzes: Es ist unklar, worum es sich bei dem Aufsatz gehandelt hat. Mit der „outline“ ist Brochs „Entwurf für eine Theorie massenwahnartiger Erscheinungen“ (KW 12, S. 43–66) gemeint.
8. Broch, 35 W., 75th Street, N.Y.C. 3.4.42 Dr. Erich Kahler One Evelyn Place Princeton (N.J.) Special Delivery L.!, letzten Dienstag stand ich sharp 8 in der N[ew] S[chool] 1, und als ich nach 20 Minuten in den Saal 21 ging, war dieser leer. Ich verstand es nicht und verstehe es heute noch immer nicht, denn am Mittwoch fiel mir ein, daß Du die Vorlesung vielleicht wegen Grippe abgesagt hättest, und rief in der Indian Road2 an, um zu erfahren – Fine3 war in der Stadt –, daß Du wohlbehalten nach Princeton abgereist seiest. So weit meine hiesigen Abenteuer; denn ansonsten hat sich nichts ereignet, außer dem weiterandauernden rockefellerschen4 Schweigen, an das ich mich schließlich gewöhnen könnte – die Arbeit geht jetzt recht lebendig vorwärts –, wenn nicht die Gewöhnung an Nahrungsentzug damit letztlich verbunden wäre. Also beginne ich mich zu kränken, daß ich die Untermeyerin5 nicht zur Borchardtübersetzung6 verhalten habe. Und ich frage mich, ob ich nicht neuerdings einen Berufswechsel vorzunehmen habe: unsere gesamten Rejudees7 beginnen sich beim Information Coordinator8 mit Gehalten von 200 bis 600 zu versammeln; die Geister des Kriegspressequartiers9 mit
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Paul Stefan10 in Husarenuniform steigen aus dem Asphalt der Madison Ave. Also was soll man machen? es ist Ostern, und sowohl Cantril, der allein etwas machen könnte, als auch die Rockefeller dürften sich zum Seder11 zurückgezogen haben. Ich habe daran gedacht, Cantril mit einem Osterwunsch anzutelephonieren, unterlasse es aber, weil es mir ein bißchen zu unterstrichen erscheint: es dürfte genügen, wenn Du dies für mich tätest. Und darum möchte ich Dich bitten: er möge sich alles Gute ausbeten und mich in sein Gebet einschließen. Weiters möchte ich Dich bitten, meine Osterwünsche an Deine Mutter und Frau Lili zu übermitteln. Ich hätte furchtbar gern ein paar Blumen geschickt, aber angesichts der finanziellen Ungeklärtheit wäre es frivol; Gott könnte mir mit Recht zürnen. Kommst Du Ostersonntag12? Sehr viel Herzliches Dir. Und Dank. Dein Alter H Anmerkungen 1 New School: The New School ist eine Institution der höheren Bildung in New York City, die 1917 als The New School for Social Research gegründet wurde. Diesen längeren Namen führt heute noch die Graduate Division der Universität. Sie wurde 1933 als The University in Exile ins Leben gerufen und diente als Forum für europäische Wissenschaftler, die vor totalitären Regimes in die USA geflohen waren. Erich von Kahler lehrte hier in den frühen 1940er Jahren. 2 Indian Road: Straße in der North Bronx, New York, am Baker Field der Columbia University, in der Nähe der Hudson Bridge. 3 Fine: Josefine Sóbotka (1889–1959), Erich von Kahlers erste Frau, die er 1912 geheiratet hatte. Sie stammte aus Wien und hatte in Heidelberg Medizin studiert. Wie Kahler gehörte sie dem George-Kreis an, und Friedrich Gundolf hatte zu ihren Verehrern gehört. Im amerikanischen Exil fand sie eine Arbeit in der Krebsforschung. Seit 1940 lebte Kahler getrennt von seiner Frau, doch zog sich die Scheidungsangelegenheit noch Jahre hin. 4 rockefellerschen: Die Rockefeller Foundation ist eine philantropische Organisation, die von Mitgliedern der Rockefeller Familie 1913 in New York gegründet wurde. Eines ihrer größten Programme in den 1930er und 1940er Jahren war die Hilfestellung bei der Emigration von deutschen (zumeist jüdischen) Gelehrten nach Amerika. Auch das Emergency Rescue Committee wurde von der Rockefeller Foundation unterstützt. Broch erhielt
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von Mai 1942 bis April 1943 (danach verlängert bis Ende 1944) für seine massenpsychologischen Forschungen am Office of Public Opinion Research ein Rockefeller-Stipendium. Damals wartete er auf den Bescheid. die Untermeyerin: Jean Starr Untermeyer (1886–1970), amerikanische Lyrikerin. Broch begegnete ihr erstmals auf der Feier zum 64. Geburtstag Thomas Manns am 6. Juni 1939 in New York. Sie trafen sich im Sommer des gleichen Jahres als Stipendiaten der Künstlerkolonie Yaddo in Saratoga Springs, N.Y., wieder, als Broch an den „Vier Elegien an das Schicksal“, der vierten Fassung seines Romans Der Tod des Vergil (KW 4) arbeitete. Sie übertrug diese Elegien ins Englische und entschied sich danach, den ganzen in der Entstehung befindlichen Roman zu übersetzen. Sie war mit Broch eng befreundet und beschrieb ihre künstlerische und persönliche Beziehung zu ihm in ihrer Autobiographie Private Collection (New York: Knopf, 1965) im Kapitel „Midwife to a Masterpiece“, S. 218–277. Borchardtübersetzung: Rudolf Borchardt (1877–1945), deutscher Schriftsteller, der, wie Erich von Kahler, vorübergehend dem Georgekreis angehörte. Er war mit Rudolf Alexander Schröder und Hugo von Hofmannsthal befreundet. Um welches Buch Borchardts, das übersetzt werden sollte, es sich gehandelt hat, ist nicht zu eruieren. Rejudees: Wortspiel aus refugees (Flüchtlinge) und Jews (Juden). Information Coordinator: Broch spielt hier auf das Office of the Coordinator of Information an. Das COI war eine US-Regierungsbehörde zur Zentralisierung der Geheimdienstaktivitäten während des Zweiten Weltkrieges in Washington D. C. Es bestand vom 11. Juli 1941 bis zum 12. Juni 1942, als es offiziell in das Office of Strategic Services (OSS), den Vorläufer der CIA, umgewandelt wurde. Den COI-Apparat leitete ein Expertengremium von amerikanischen Akademikern (Board of Analysts). Kriegspressequartier: Das kaiserlich und königliche Kriegspressequartier (KPQ) wurde 1914 als Abteilung des österreichisch-ungarischen Armeeoberkommandos gegründet. Es hatte seinen Sitz in Wien. Seine Aufgabe bestand in der Koordinierung aller Presseinformationen und Propagandatätigkeiten der österreich-ungarischen Monarchie während des Ersten Weltkriegs. Zu seinen Mitarbeitern zählten u.a. Hugo von Hofmannsthal, Egon Erwin Kisch und Franz Werfel. Paul Stefan: Paul Stefan (1879–1943), eigentlich Paul Stefan Grünfeld(t), war ein österreichischer Musikschriftsteller. Er studierte an der Universität Wien Musiktheorie bei Hermann Grädener und Komposition bei Arnold Schönberg. Stefan schrieb u.a. für die Neue Zürcher Zeitung und Musical America. 1922 gehörte er zu den Gründern der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. 1938 emigrierte er in die Schweiz, 1941 dann über Paris und Lissabon in die USA. Seder: Seder (Hebräisch: Ordnung) werden die sechs Hauptabteilungen von Talmud und Mischna genannt, in der Regel dient das Wort jedoch als Kurzbezeichnung für den Sederabend, der den Auftakt des jüdischen Pessach-
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Festes bildet und im Kreis der Familie oder der Gemeinde verbracht wird. Das Pessach-Fest beginnt meist am Abend des ersten Frühlingsvollmonds. Es gehört zu den höchsten Festen des Judentums und erinnert an den Auszug aus Ägypten, der für die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei steht. 12 Ostersonntag: 5. April 1942.
9. 7.5.42 Lieber, anbei das Canby-Exemplar1 in üblem Zustand, weil er es auf der Bahn gelesen hat. Er findet die Kritik ausgezeichnet und veröffentlichungsnotwendig. Hingegen wehrt er sich – typisch amerikanisch – gegen die Idee der edukativen Zwangswirtschaft: solche Dinge müßten sich aus bestehenden Institutionen natürlich herausentwickeln. Da läßt sich bloß schwer argumentieren. Sein zweiter daran geknüpfter Einwand hingegen ist berücksichtigenswerter: im Rahmen eines kurzen Aufsatzes wirken derartige Vorschläge isoliert und haben infolge solcher Isolierung ein zu großes Gewicht; der ganze Aufsatz stünde weit mehr im Gleichgewicht, wenn der scharf formulierte Vorschlag gestrichen und statt dessen bloß die Möglichkeit derartiger Maßnahmen als Weiterentwicklung bestehender Institutionen angedeutet werden würde. Darüber ließe sich reden. Und unter dieser Voraussetzung ist er unbedingt für Veröffentlichung. Und er möchte Dich gerne kennen lernen. Ansonsten gibt es bei mir nichts Berichtenswürdiges. Ich stehe in Ansehung der Fertigstellung des Massenwahnes2 vor dem gleichen Problem wie Du; insbesondere die Finanzierung des Sekretariats und der notwendigen Übersetzung macht mir arges Kopfzerbrechen, umsomehr als ich jetzt erst sehe, welche Schuldenlast ich aufgehäuft [habe]: bisher habe ich weggeschaut, weil das Hinschauen ohnehin nichts genützt hätte. Indes, auch dieses Problem wird gelöst werden. Alles Liebe und Herzliche H
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Anmerkungen 1 Canby-Exemplar: Es handelt sich um ein unveröffentlichtes Manuskript Erich von Kahlers, dessen Titel nicht zu eruieren ist. 2 Massenwahn: Hermann Broch, Massenwahntheorie (KW 12).
10. Killingworth 1 19.10.[1944] Sei bedankt, sehr Lieber! Die Sache mit der Paschal2 ist zu blöd, weil sie ja für das Verhältnis Kurt-Mellon3 nicht angenehm ist. Andererseits hoffe ich, daß es auch ohne Mellon-Beihilfe gehen wird: wenn die Paschalin sich am Vergil4, an dem sie sicherlich noch kaut, zu begeistern fähig ist, was freilich noch dahinsteht, so wird sie es machen. Ich habe jedenfalls K[urt] W[olff] geschrieben, daß er sich sofort mit E[lse] St[audinger]5 in Verbindung setzen möge, denn diese (Else) wird schon in richtiger Weise einwirken. Ich schließe K[urt] W[olff]s Brief bei. Und dazu auch – als Verleger-Parallele – den Dani Brodys6, der schlau genug ist sich dumm stellen zu können, denn in Wahrheit hat er seine Nekome7 an Kurts Verlegenheit und will einfach nicht, daß die deutsche Ausgabe hier zu stande kommt; das Verlagsgeschäft besteht nämlich zu 99 % aus Eifersucht. Ich habe meine Völkerbundarbeit8 begonnen. Sie ist besser und schwieriger und langwieriger als ich angenommen hatte. Wie ich das jetzt hineinpressen soll, weiß ich nicht, aber es muß geschehen. Sonntag-Montag mache ich Yale-Besuche9, Dienstag bin ich in N[ew] Y[ork], eventuell bei der Paschal, Mittwoch kommt die Untermeyerin an (die mich hier angerufen hat, um das Leid ihrer intestines und eyes10 – hoffentlich ist es nichts Ernstes sondern Fröhlich-Hysterisches – langmächtig zu klagen), und so werde ich frühestens spät Mittwoch Nachts sichtbar oder richtiger, da Du schon schlafen wirst, unsichtbar sein.
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Sag der Lili11, daß sie mir aus mancherlei Gründen, die sie sich ausrechnen kann, wirklich wichtig ist, und sage ihr auch sonst viel Liebes von mir. Mama12 habe ich heute eine Karte geschickt. Von Deinen Grüßen konnte ich bloß die an Canby selber bestellen, da wir allein im Hause sind. Zwei Tage waren jetzt wirklich schön, und wir sind sogar spazieren gegangen. Leider aber hat es im Futter versteckte Zwiebel13 gegeben, und ich bin erst draufgekommen, als [es] bereits zu spät war. Lost weekend.14 Von ganzem Herzen Dein H. Anmerkungen 1 Killingworth: Kleinstadt in Connecticut, USA, etwa vierzig Kilometer östlich von New Haven. Broch wohnte dort als Gast im Haus von Henry Seidel Canby und seiner Frau Marion Canby. 2 Paschal: Marion Paschal (1912–1946), Generalsekretärin einer Stiftung mit dem Namen New Yorker Independent Aid Inc., die von Paul Mellon finanziert wurde und die einen Druckkostenzuschuss zu Brochs Roman Der Tod des Vergil (KW 5) aus einem sogenannten „revolving fund“ zahlte: Falls das Buch genügend Gewinn machen sollte, würde diese Beihilfe an die Stiftung wieder zurückgezahlt werden. 3 Kurt-Mellon: Kurt Wolff (1887–1963), deutscher Verleger. Er gründete 1913 den Kurt Wolff Verlag in Leipzig, verkaufte diesen aber 1930, um in Florenz einen Kunstverlag zu betreiben. 1941 emigrierte er über Spanien in die USA, wo er in New York gemeinsam mit seiner Frau Helene Wolff (1906– 1994) den Verlag Pantheon Books gründete, bei dem 1945 Brochs Der Tod des Vergil auf Deutsch und Englisch erschien. Paul Mellon (1907–1999) war der Sohn des amerikanischen Unternehmers, Politikers und Diplomaten Andrew W. Mellon. Nach dem Tod seines Vaters verließ Paul Mellon 1937 das Geschäftsleben und widmete sich seinen philanthropischen Stiftungen sowie Kunst- bzw. Buchsammlungen, Projekten, in die er eine Milliarde Dollar investierte. Mary Mellon, geb. Conover Brown (1905–1946), die Frau Paul Mellons, war die treibende Kraft bei der Gründung der Bollingen Series, in der Brochs Massenwahntheorie (KW 12) erscheinen sollte, die aber zu Lebzeiten Brochs nicht publiziert wurde. 4 Vergil: Hermann Broch, Der Tod des Vergil (KW 4). 5 Else Staudinger: Else Staudinger (1890–1966), Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie emigrierte 1934 in die USA und gründete mit ihren Mann Hans Staudinger und mit Alvin Johnson das American Council for Emigrants in the Professions in New York. Sie war einwandernden Intellektuellen und Akademikern bei der Stellensuche behilflich.
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6 Brody: Daniel Brody (1883–1969), ungarischer Verleger. 1929 hatte er den Rhein-Verlag in Basel gekauft, dem die deutschsprachigen Rechte an James Joyce gehörten. Brody führte den Verlag von Zürich und München aus. 1930 wurde Broch Autor des Rhein-Verlags. Dort erschien zwischen 1930 und 1932 seine Romantrilogie Die Schlafwandler. Brody emigrierte nach Mexiko, kehrte aber nach Kriegsende wieder nach Zürich zurück. Brochs Gesammelte Werke wurden im Rhein-Verlag in zehn Bänden publiziert (Zürich 1953–1961). Vgl. auch Daniel Brody, „Mein Freund und Autor Hermann Broch“, in: Forum (Mai 1961), S. 179–181. Vgl. auch den Briefwechsel zwischen Broch und Brody (BBB). 7 Nekome: Jiddisch für „Rache“. 8 Völkerbundarbeit: Bereits 1938 hatte Broch eine Völkerbund-Resolution (KW 11, S. 195–231) geschrieben, in der er forderte, dass die Mitglieder des Völkerbundes gegen die Menschenrechtsverletzungen und den Emigrationszwang der totalitären Staaten einschreiten sollten. Im amerikanischen Exil gingen Gedanken und Thesen dieser Resolution in seine Massenwahntheorie (KW 12) und in einige seiner politischen Aufsätze ein (KW 11). 9 Yale-Besuche: Zu Brochs Bekannten und Freunden an der Yale University in New Haven, Connecticut gehörte neben den Canbys noch Hermann J. Weigand. 10 Intestines; eyes: Englisch: Darm; Augen. 11 Lili: Alice Loewy. 12 Mama: Antoinette von Kahler. 13 Zwiebel: Das Essen enthielt Zwiebeln, auf die Brochs Magen allergisch reagierte. 14 Lost weekend: Englisch für „vertanes/ verlorenes Wochenende“.
11. 8.8.45 Erich Lieber, das ist der hundertundzwölfte Brief, der seit Bouchis1 und Deiner Abreise aus meiner Feder fließt; ich bin also bereits in einem Zustand. Also folge ich Lilis Befehl und antworte nicht separat auf ihre Zeilen. Aber sag ihr, daß ich ihr sehr danke, und daß ihr eine Aggressions-Verschreibung unterlaufen ist: auf mich läßt sich bloß sagen
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„Wie gut muß er sein, wenn er so schlecht ist“, denn meine Drohung mit Else Hofmann2 war als reine Erpressung und sohin reine Schlechtigkeit gemeint. Strafweise schicke ich ihr anbei die Hofmann-Korrespondenz und außerdem den Philadelphia Record3, den sie mir angetan hat. Weiters aber muß ich Euch beiden sagen, daß man derartige Briefe auf neutralem Couvert mit Druckschrift adressiert: Mama paßt wie ein Haftelmacher4 auf die Post auf, und ist natürlich jetzt hochaufgeregt, weil ich ihr den Erich-Brief5 nicht zeigte. Ich log geistesgegenwärtig, daß Du mir bloß den Oppenheimbrief6, den ich Dir durch Bouchi schickte, retourniert hättest, aber jetzt traue ich mich nicht hinunter, denn bestimmt wird sie jetzt sagen, daß sie den Oppenheim-Brief nochmals lesen will. Worauf ich wieder zu sagen haben werde, daß ich ihn geschwind der Bouchi geschickt hätte. – Ich war gestern in N[ew] Y[ork], und sie hat sicherlich Qualen ausgestanden, daß der Brief den ganzen Tag herumgelegen ist, ohne daß sie ihn hat öffnen dürfen. In N[ew] Y[ork] war ich hauptsächlich wegen Schrecker7. Er ist im Medical Center8, hat schwere Ischias-Erscheinungen, ohne Ischias zu haben, bekommt Lumbal-Punktionen9, kurzum ist in einem furchtbaren Zustand. Die Atombombe10, die der schlaue Lauser11, der Einstein, so kategorisch abgeleugnet hat, regt mich furchtbar auf, u.a. weil ich von Physik nichts verstehe. Aber in der Einleitung zur Massenpsychologie12 (und jetzt in den 45 Seiten13 wiederverwendet) habe ich geschrieben, daß die neuen bevorstehenden Erfindungen nicht mehr Waffen zu nennen sind, sondern einfach Naturgewalten, und daß nur die Selbsterziehung des Menschen – bloß die Moral, oder Unmoral, nicht der Erfindungsgeist läßt sich zügeln – die Verwendung dieser Erfindung hintanzuhalten vermag, damit nicht ein Zustand eintrete, in dem es keinen Unterschied zwischen Krieg und Frieden mehr gibt, weil derartiges allüberall und jederzeit gewärtigt werden kann: und so bringt mich die nicht fertiggestellte und nicht fertigstellbare Massenpsychologie zu wahnhafter Verzweiflung. Ich fahr auch nicht zur Bouchi. Und so gibt es wenigstens eine ausgleichende Gerechtigkeit. Im übrigen ist ideales Unreisewetter. Ich hoffe nur für Euch, daß es dort wesentlich anders ausschaut. Dagegen kommt Jeanerl14 wegen schlechten Wetters verfrüht zurück, was wieder ein Grund zum Wegfahren wäre. Ich werde sie
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einmal hierher einladen und ansonsten mich nicht viel um sie kümmern, was wiederum zu ihrer Feststellung führen wird, ich wolle aus der Literaturgeschichte „dash out“15. Um bei Peterborough16 und der Literaturgeschichte zu bleiben, anbei Sahl-Korrespondenz17: ich vermute sehr, daß er in seiner Sucht nach Mohammedanismus, d.h. als einer der 12 kleinsten Propheten18 in die Geschichte einzugehen, beschlossen hat ein Hayek19 des Romans zu werden. Das könnte ihm übrigens gelingen; ein solcher Roman20 könnte ein best seller werden. Hinsichtlich des WhyteBuchs21 hat er aber teilweise recht, leider. Und um nochmals bei der Literaturgeschichte zu bleiben, anbei ein paar markige Aussprüche Berthold Weiss’22. Und von der Versicherung zur Börse ist nur ein Schritt. Es ist kein Zweifel, daß die Atomenergie die gesamte Wirtschaftsstruktur umschmeißen wird. Ich weiß nicht, wie die Börse heute reagiert hat, aber wenn nun noch der japanische Friede dazukommt, kann allerlei passieren. Du solltest den Loewenfeld 23 anrufen, oder den Vicki 24, oder den Paul Maier25. Ich bin etwas beunruhigt. Verzeih diese Urlaubsstörung26; sie ist vielleicht Panik, aber kein Sadismus. Alles Liebe Euch beiden. Grüße alles. Von Herzen H [Handschriftlicher Zusatz:] Anbei ein Brief und eine Postkarte. Soeben für Dich eingelangt
Anmerkungen 1 Bouchi: Annemarie (Bouchi) Meier-Graefe (1905–1994), Malerin und Graphikerin. 1925 heiratete sie den Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe (1867– 1935). Sie stammte aus einer assimilierten bürgerlich-jüdischen Berliner Familie. Ihr Vater war der Berliner Architekt Walter Epstein (1874–1918), ihre Mutter Else kam aus einer Nürnberger Unternehmerfamilie. 1937 lernte sie Hermann Broch bei einem Empfang des Zsolnay-Verlages in Wien kennen. Im Mai 1941 emigrierte sie in die USA, wo sie mit Hannah Arendt befreundet war. Im amerikanischen Exil intensivierte sich die Beziehung zu Broch; sie heiratete ihn Ende 1949. Von 1950 lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1994 im französischen Saint-Cyr-sur-Mer. Als Broch 1951 starb, wurden sie und Brochs Sohn, H.F. Broch de Rothermann, die Nachlassverwalter des Broch’schen Werkes (vgl. TE).
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2 Hofmann: Else Hofmann (1893–1960) entstammte einer jüdischen Familie aus Wien. Sie studierte Philosophie, klassische Philologie, Archäologie und Kunstgeschichte an den Universitäten Wien, Berlin und Graz. 1924 wurde sie in Kunstgeschichte promoviert. Sie schrieb als Kunstkritikerin für verschiedene deutsche, österreichisch-ungarische und tschechoslowakische Zeitschriften, hielt Vorträge an Volkshochschulen und publizierte Gedichte. 1938 emigrierte sie nach Paris, 1939 nach New York. In den USA verdiente sie ihren Lebensunterhalt mit kunstkritischen Arbeiten, Vorträgen und als Museumsführerin. In New York organisierte sie eine Volkshochschule nach Wiener Muster. 3 Philadelphia Record: Eine 1870 von William James Swain gegründete Zeitung. 4 Haftelmacher: Im Österreichischen der Erzeuger von Hafteln, also von Draht- oder Miederspangen. Das Wort ist heute noch im Gebrauch innerhalb der Redewendung „aufpassen wie ein Haftelmacher“, was so viel heißt wie „sehr konzentriert sein“. 5 Erich-Brief: Brief Erich von Kahlers an Hermann Broch. 6 Oppenheimbrief: Paul Oppenheim (1885–1977) war ein deutsch-jüdischer Chemiker, Philosoph und Industrieller. Er stammte aus einer jüdischen Familie in Frankfurt am Main. 1912 heiratete er Gebrielle Errera (1892– 1997) aus Brüssel. Als Wissenschaftstheoretiker stand er dem Neopositivismus des Wiener Kreises nahe. Mit Carl Gustav Hempel und Kurt Grelling publizierte er in der Zeit zwischen 1937 und 1939 Arbeiten zur Philosophie und Wissenschaftstheorie, u.a. zur Gestaltpsychologie. Er emigrierte 1939 in die USA und lebte dort als Privatgelehrter in Princeton, wo er zum Freundeskreis Brochs gehörte. Nach Beginn der Nazi-Herrschaft in Deutschland verschaffte Oppenheim verschiedenen verfolgten Wissenschaftlern, wie z. B. Hempel und Grelling, finanzielle Mittel zur Flucht aus Deutschland. Broch widmete ihm und seiner Frau das Gedicht „Grundlos, ein Diener des Schicksals ...“ (KW 8, S. 132). Oppenheim schrieb am 31. Juli 1945 von Cape Cod aus an Broch über dessen Roman Der Tod des Vergil: „Lieber Broch, eben komme ich von einer einsamen Bank am Meer. Dort, wo man von Fern die Schiffe in den Hafen fahren sieht, habe ich mit Gabi die ersten 30 Seiten Ihres Vergil gelesen. – Es drängt mich, Ihnen sofort zu schreiben. Rein als Selbstzweck. Ein Buch müßte ich Ihnen schreiben. So groß ist die Flut der Gedanken, die jede Seite auslöst. Ein Dichter müßte auch ich sein, so groß ist die Flut der Gefühle, die aus mir herausdrängen. Schriebe ich Ihnen nicht, es gäbe unerträgliche Verdrängungen. – Wir haben beide geweint und wieder geweint; nicht aus einem verstandesmäßig empfundenen Grunde. Nein, so wie man weint, wenn in Kommunion mit größter Kunst die Stimmgabel innen in Weite und Stärke schwingt. [...] Kein Dichter, kein Denker hat mich je so ergriffen, hat so zu mir gesprochen, hat so mich angesprochen. Sie vollbringen das Wunder, die Seele sprechen zu lassen. In Dankbarkeit und Herzlichkeit von uns Beiden Ihr Oppenheim.“ (ITJ)
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7 Schrecker: Paul Schrecker (1889-1963), österreichischer Philosophiehistoriker. Er war einer der ältesten Freunde Brochs. 1913 hatte er an der Universität Wien zum Doktor der Rechte promoviert. Von 1929 bis 1933 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Leibniz-Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. Schrecker emigrierte 1938 zunächst nach Frankreich und 1940 in die USA, wo er zuletzt an der University of Pennsylvania in Philadelphia lehrte. Auch im Exil blieben Schrecker und Broch in Kontakt. 8 Medical Center: Medical Center der New York University. 9 Lumbal-Punktionen: Eine Lumbalpunktion (lat. lumbum: Lende) ist eine Punktion im Bereich der Lendenwirbel, bei der mittels einer Hohlnadel Rückenmarksflüssigkeit aus dem Lumbalkanal entnommen wird. 10 Atombombe: Schon vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges richteten am 1. September 1939 die drei in den Vereinigten Staaten lebenden Physiker Leó Szilárd, Albert Einstein und Eugene Paul Wigner im August 1939 einen Brief an den damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, um ihn vor der Möglichkeit des Baus einer Atombombe in Deutschland zu warnen und ihn im Gegenzug zu der Entwicklung einer US-Atombombe anzuregen. Am 6. August 1945, zwei Tage vor Brochs Brief, war die erste Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen worden, am 9. August, dem Folgetag des Briefes, ging die zweite Atombombe auf Nagasaki nieder. 11 Lauser: Österreichisch für „Lausbub“. 12 Massenpsychologie: Brochs Massenwahntheorie (KW 12). 13 45 Seiten: Hermann Broch, „Bemerkungen zur Utopie einer ‚International Bill of Rights and of Responsibilities“ (KW 11, S. 243–276). 14 Jeanerl: Jean Starr Untermeyer. 15 „dash out“: Broch meint wohl „dash away“ (weglaufen). 16 Peterborough: Kleinstadt im Hillsborough County im US-Bundesstaat New Hampshire, wo Jean Starr Untermeyer einen Urlaub verbracht hatte. 17 Sahl: Hans Sahl, eigentlich Hans Salomon (1902–1993), Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer aus Berlin. Er emigrierte 1933 nach Prag, ging 1934 in die Schweiz und weiter nach Paris. 1939/40 war er in Frankreich interniert; seit 1941 lebte er in den USA (New York) als Übersetzer und Korrespondent deutscher Zeitungen. 1953 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er zunächst bis 1958 lebte, dann erneut in die USA ging, um 1989 wieder nach Deutschland umzusiedeln. Broch und Sahl korrespondierten regelmäßig während der Kriegszeit (vgl. KW 13/2). In seiner Antwort vom 13. August 1945 meinte Erich von Kahler, Broch sollte gegenüber Sahl eine ablehnendere Haltung einnehmen, weil dessen Kritik der dialektischen Methode das Niveau von Marx und Hegel weit unterschreite: Sahls „Antithese wird immer noch veralteter sein als die These, gegen die er sich richtet.“ 18 Propheten: Anspielung auf „Die prophetischen Bücher“ des Alten Testaments.
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19 Hayek: Friedrich August von Hayek (1899–1992), österreichischer, neoliberalistischer Wirtschaftswissenschaftler. Neben seinem Lehrer Ludwig von Mises war er im 20. Jahrhundert der wichtigste Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. 1931 wurde er an die London School of Economics berufen, wo er während der 1930er und 1940er Jahre als Gegner von John Maynard Keynes galt. 1950 wechselte er an die University of Chicago. 1974 wurde er aufgrund seiner Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. 20 ein solcher Roman: Es dürfte sich um Sahls in der Emigration geschriebenes Buch über das Exil handeln. Vgl. Hans Sahl, Die Wenigen und die Vielen (Frankfurt am Main: S. Fischer, 1958). 21 Whyte-Buch: Nicht ermittelt. 22 Berthold Weiss: Berthold M. Weiss war ein New Yorker Versicherungsagent, bei dem Annemarie Meier-Graefe ihren Besitz versichert hatte. 23 Loewenfeld: Philipp Loewenfeld (1887–1963), Rechtsanwalt aus München. Er war Mitglied der SPD und emigrierte, weil er von den Nationalsozialisten aus politischen wie rassistischen Gründen verfolgt wurde, 1933 in die Schweiz, später in die USA. Er vertrat als Anwalt Erich von Kahlers Interessen bei der Scheidung von Josefine Kahler. Vgl. auch: Recht und Politik in Bayern zwischen Prinzregentenzeit und Nationalsozialismus: Die Erinnerungen von Philipp Loewenfeld, hg. v. Peter Landau und Rolf Riess (Ebelsbach: Aktiv Druck & Verlag, 2004). 24 Vicki: Vicki war der Spitzname Victor von Kahlers (1889–1963), eines Vetters Erich von Kahlers. Er war ein Prager Industrieller, der 1938 über Frankreich und Portugal in die USA emigrierte. Mit Broch teilte er das Interesse an klassischer Musik. 25 Paul Maier: Nicht ermittelt. 26 Urlaubsstörung: Kahler verbrachte mit Lili Loewy einen gemeinsamen Urlaub.
12. 11.8.45 Ordbru1, Dank für den ordinären Brief, d.h. der un-privacy-Schilderung2. Ich bin so Brief-übermüdet, daß ich mich auf [das] Kärglichste beschränken muß. Aus dem Massenwahn wird eine Wahnmasse, und die bin ich.
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Daß hier alles in Ordnung geht, wißt Ihr. Mama Pick3 ist lieb und vorsorglich und tüchtig, und ich habe sie ausgesprochen sehr gern. Aber ich weiß trotzdem, wie der Zwischenfall mit Hanna4 vonstatten gegangen ist: als Hanna mit den Antisemitismus-Nachrichten kam, sagte die Großmama „Der Jude [wird] verbrannt“5, und als dann die weiteren Details kamen, sagte sie „Es kann der Beste nicht in Frieden wohnen“6, und darauf ist die Enkelin losgegangen. Die Erfinderin der Atomzersprengung7 aber ist die Schwägerin Leo Frischauers8. Und hat das Zerspring des Frischauer-Jargons9 in die Tat umgesetzt. Zum Antisemitismus aber, zu dem es also keines weitern Übergangs bedarf, anbei ein Aufsatz Picks10 für den Jewish Record11. Er legt besondern Wert auf Dein Urteil12. Ich habe ihm bereits geschrieben, daß er sich mit dem Stück gleich seinem Darstellungsobjekt aufs äußerste amerikanisiert hat und ihm einiges über Magie-Haltungen erzählt. Der Aufsatz ist ausgesprochen schwach, aber durchaus brauchbar und die $ 100.– wert. Weitere Beilagen: das Menschenwürde-Gesetz13, eine Voll-Korrespondenz mit Zühlsdorff14, dem ich es – glaube und hoffe ich – richtig hineingesagt habe, eine Else-Hofmann-Karte für Lili, ein Schaeffer15, ein Schiffer16. Mit Bouchi habe ich eine Korrespondenz, daß ich schon fast hätte hinfahren17 können; so viel Zeit nimmt mir das weg. Andererseits sind wenigstens Dinge zur Aussprache gelangt, die man beim Reden doch nie aufnimmt. Also ist es ganz gut. – Und Frances18 ist endlich wieder in Boston. Ruth19 wird erst Mittwoch mit der Übersetzung20 fertig sein. Und dann wird man sehen. Auf der Vergil-Front nichts Neues. Der englische Verkauf schreitet rüstig vorwärts. Und meine fan mail21 ist entsetzlich; das hat mir gerade noch gefehlt. Zu allem habe ich einen Schnupfen, und bin überhaupt in einem Zustand. Seid beide umarmt, und grüßt die Rothis22. Von ganzem Herzen – H. [Zusatz:] Pick wird Dir schreiben, wohin er das M[anu]s[kript] retourniert wünscht.
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Ordbru: Ordensbruder. un-privacy: Englisch für „Nicht-Privates“. Mama Pick: Mutter von Alice (Lili) Loewy, geb. Pick. Hanna: Hanna Loewy, Tochter von Alice (Lili) Loewy. „Der Jude [wird] verbrannt“: Vgl. Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise, IV. Aufzug, 2. Auftritt (der Patriarch gegenüber dem Klosterbruder und dem Tempelherrn). „Es kann der Beste nicht in Frieden wohnen“: Vgl. Friedrich Schillers Wilhelm Tell (4. Aufzug, 3. Szene): „Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben,/ Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.“ Erfinderin der Atomzersprengung: Lise Meitner (1878–1968), Nuklearphysikerin. Nach ihrer Promotion 1906 arbeitete Meitner als Assistentin von Otto Hahn am chemischen Institut in Berlin. Mit ihm entdeckte sie zwischen 1907 und 1938 sechs radioaktive Elemente, vier davon allein in den Versuchen zur Atomzersprengung. Nachdem ihr 1933 als Jüdin die Arbeitserlaubnis entzogen wurde, ging sie zurück nach Wien, 1938 nach Stockholm, wo sie von 1938 bis 1946 am Nobel Institut für Physik angestellt war. Während ihres gesamten Exils stand Meitner in Kontakt mit Otto Hahn. Hahn räumte ihr in seiner Nobelpreisrede 1945 einen ebenbürtigen Verdienst an seinen Forschungsergebnissen ein. Leo Frischauer: Der Arzt und Philosoph Leo Frischauer war mit Lise Meitners Schwester Frida verheiratet. Frischauer-Jargon: Broch spielt auf den österreichischen Schriftsteller Paul Frischauer (1898–1977) an. Er emigrierte 1934 nach Großbritannien, später nach Brasilien und ging 1945 in die USA. Er schrieb in den 1930er Jahren erfolgreiche historische Romane wie Dürer, Prinz Eugen und Leonardo da Vinci. Pick: Robert Pick (1898–1967); Erzähler, Biograph und Essayist. Er emigrierte 1938 nach England und 1940 in die USA. Dort arbeitete er als Lektor im Verlag Alfred A. Knopf in New York. Pick gehörte zu den engsten Freunden Brochs im amerikanischen Exil und hatte 1950 den Vertrag zwischen dem Alfred A. Knopf Verlag und Broch über die englischsprachige Publikation von Brochs Nachlaßroman Die Verzauberung vermittelt. Als Broch 1951 starb, war der Roman (Broch arbeitete an der dritten Fassung) nur bis zu etwa einem Drittel fertig geworden und so konnte das Buch nicht erscheinen. Pick hat in der Ausgabe der Gesammelten Werke Brochs im Rhein-Verlag, Zürich, 1957 den Briefband (GW 8) ediert. Jewish Record: Die Zeitschrift Contemporary Jewish Record wurde von 1938 bis 1945 vom American Jewish Committee als Review of Events and Digest of Opinion herausgegeben. Robert Pick veröffentlichte in der vorletzten Ausgabe, im April 1945, den Aufsatz „Last Grasp“, in dem es um die Durchhalte-Broschüre „Wofür kämpfen wir?“ der deutschen Wehrmacht geht.
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12 Wert auf Dein Urteil: Hierauf antwortete Erich von Kahler am 13. August 1945 in seinem Brief an Hermann Broch, dass er den Aufsatz gleich gelesen habe. Sein Urteil war gemischt: Im Ganzen sei die Stellungnahme „sehr anständig“, doch finde er den Ton der „Plauderei“ unangemessen. Er werde Pick selbst schreiben. 13 Menschenwürde-Gesetz: Bereits in seinem 1939 geschriebenen Aufsatz „Zur Diktatur der Humanität innerhalb einer totalen Demokratie“ stellte Broch die Forderung nach einem „Gesetz zum Schutze der Menschenwürde“ (KW 11, S. 27) auf. In der Massenwahntheorie war ein international verankertes Gesetz zum Schutz der Menschenwürde eine der Forderungen (vgl. KW 12, S. 456 ff.). 14 Zühlsdorff: Volkmar von Zühlsdorff (1912–2006), Sekretär der American Guild for German Cultural Freedom. Zühlsdorff emigrierte 1933 zunächst nach Österreich, dann über Frankreich und England nach New York. Er kehrte 1945 gemeinsam mit Hubertus Prinz zu Löwenstein, dem Gründer der Guild, nach Deutschland zurück. Er blieb mit Broch in brieflichem Kontakt. Vgl. dazu den Broch-Zühlsdorff-Briefwechsel (BZB). Gemeint ist Brochs Brief an Zühlsdorff vom 9. August 1945, in dem er auf die Verfolgung der Juden während der Zeit des Nationalsozialismus eingeht (BZB, S. 25–27). Am 13. August 1945 schrieb Erich von Kahler an Broch: „Deine Antwort an Zühlsdorff ist ausgezeichnet und von einer schönen Schärfe und bei Dir leider allzu seltenen Entschiedenheit. So ist recht. Mir aus dem Herzen gesagt.“ 15 Schaeffer: Albrecht Schaeffer (1885–1950), Schriftsteller. Er stammte aus Elbing in Ostpreußen. In Cornwall-on-Hudson im Staat New York gründete er mit seiner Frau Irma ein Heim für Emigrantenkinder. 1950 kehrte er nach Deutschland zurück. Seine Gedichte waren durch Stefan George beeinflusst, und in seinen Dramen versuchte er christliche Ideale mit klassischen Formen in Einklang zu bringen. Er übersetzte Werke von Oscar Wilde und Denis Diderot in Deutsche. 16 Schiffer: Walter Schiffer (1906–1949), deutscher Völkerrechtler, der während der Zeit des Nationalsozialismus über die Schweiz in die USA emigrierte. Von 1943 bis 1948 war er Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton. 1944/45 lehrte er an der Syracuse University. Vgl seine Bücher Die Lehre vom Primat des Völkerrechts in der neueren Literatur (1937) und The Legal Community of Mankind. A Critical Analysis of the Modern Concept of World Organization (1954). 17 hinfahren: Annemarie Meier-Graefe wohnte in New York. 18 Frances: Frances (Fanny) Colby Rogers (1904–1981), amerikanische Schriftstellerin, die unter den Namen Frances Bainbridge Colby und Fanny Sedgewick Colby veröffentlichte. 1925 heiratetet sie den vier Jahre älteren Lektor und Schriftsteller Cameron Rogers (ein Biograph Walt Whitmans), von dem sie sich 1929 scheiden ließ. Broch lernte sie Ende 1939 in New York kennen. Zwei Jahre lang unterhielt er eine enge Beziehung zu ihr,
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doch riss der Kontakt auch nach 1942 nicht ab. Sie veröffentlichte zwei Romane: The Black Wind Blows (1940) und The Apple must be Bitten (1944). Fanny Rogers arbeitete bis zu ihrem Tod an einem (unveröffentlichten) autobiographischen Schlüsselroman, in dem Broch unter dem Namen Stefan Bjoernson vorkommt. Ihr Vater Bainbridge Colby (1869–1950) war ein aus St. Louis stammender Politiker, der 1920/21 US-Außenminister in der Regierung Woodrow Wilsons gewesen war. Ihre Mutter war die Schriftstellerin Nathalie Sedgwick Colby (1873–1942). Sie war bekannt wegen des von ihr in New York geführten literarischen Salons, den sie auch nach der 1923 erfolgten Trennung von ihrem Mann weiterführte. 1928 wurde sie von ihrem Mann geschieden. 1938 erschien ihre Autobiographie unter dem Titel Remembering. Ruth: Ruth Norden (1906–1977), deutsche Dramaturgin, Lektorin, Übersetzerin und Rundfunkredakteurin. In den frühen dreißiger Jahren war sie Assistentin des Dramaturgen Hans Rothe am Deutschen Theater in Berlin und Leiterin der Auslandsabteilung des S. Fischer Verlages gewesen. Nachdem sie 1934 Brochs Schlafwandler gelesen hatte, nahm sie Kontakt zum Autor auf. Noch im gleichen Jahr emigrierte sie in die USA. 1938 war sie Broch bei seiner Emigration in die USA behilflich. Sie arbeitete damals beim Alfred A. Knopf Verlag in New York und übersetzte Schriften Albert Einsteins ins Englische. Sie war eine von Brochs vielen Geliebten. Heinz Norden (1905–1978) war ihr Bruder, mit dem sie gemeinsam Übersetzungsarbeiten durchführte (vgl. TK). Übersetzung: Ruth Norden übersetzte Brochs Aufsatz „Bemerkungen zur Utopie einer ‚International Bill of Rights and of Responsibilities‘“ (KW 11, S. 243–276) ins Englische. Fan mail: Verehrerpost zum 1945 erschienenen Roman Der Tod des Vergil (KW 4). Rothi: Wilhelm (William) Roth, Wiener Industrieller. Er emigrierte 1938 nach New York, wo er als Versicherungskaufmann und Aktienmakler arbeitete. Er half mehreren Hitlerflüchtlingen (darunter Hermann Broch und Erich von Kahler) finanziell. Broch erhielt vom 1. Juli 1947 bis zu seinem Tod monatlich fünfzig Dollar von ihm.
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13. [15.08.1945] Dieses Zitat wurde mir von Pick durch die Canby1 geschickt; es ist ganz schön – aber man kann eben nichts Neues erfinden. Und jetzt werden die Massenpsychologien wie die Schwämme aus der Erde schießen, und ich werde nicht fertig sein. Und der Aydelotte wird ein massenpsychologisches Department ohne mich eröffnen. Und wenn Du Dich nicht gleichfalls nun an die Arbeit machst, wird es auch noch ein kulturkritisches Department ohne Dich geben. Denn dies alles wird durch Atomenergie notwendig werden. Ein Senator sagte heute: „One has to prevent that the atom bomb falls in the wrong hands“. Das geschieht, wenn die Sprache sich selbständig macht. Love Bru. [Handschriftliche Notiz:] Donne (ein alter englischer Schriftsteller)2: „We are all conceived in close prison … and then all our life is but a going out to the place of execution, to death. Nor was there any man seen to sleep in the cart between Newgate and Tyburn – between prison and the place of execution, does any man sleep? But we sleep all the way; from the womb to the grave we are never thoroughly awake.“ Anmerkungen 1 die Canby: Marion Canby (1885–1967) war die Frau von Henry Seidel Canby. Sie war Lyrikerin und setzte sich während der 1930er und 1940er Jahre in verschiedenen Komitees für die aus Europa geflohenen Schriftsteller ein. Vgl. ihre Bücher High Mowing (1932) und … On My Way (1937). 2 Donne: John Donne (1572–1631), englischer Schriftsteller und der bedeutendste der Metaphysical Poets. Sein Werk umfasst Predigten, religiöse Gedichte, Übersetzungen aus dem Lateinischen, Epigramme, Elegien, Lie-
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der und Sonette. Das Zitat ist ein Auszug aus der Nr. 27 der DonneSammlung Eighty Sermons von 1640. Die Schlafmetapher erinnert an Brochs Roman Die Schlafwandler (KW 1), und die Aussage „we are never thoroughly awake“ an den Terminus „Dämmerzustand“, den Broch in der Massenwahntheorie (KW 12) einführte.
14. 20.8.45 Ganz Lieber, verzeih, daß ich Dich in Urlaubsruhe mit meinen Deiges1 verfolge, aber ich halte es einfach nicht mehr aus: Bouchilein2 treibt mich mit ihren Vorwürfen ganz ins Närrische, und dazu mit ihren Hinweisen auf ihre „Bravheit“, die niemals belohnt worden ist. Nun hat sie mit dieser „Bravheit“ natürlich recht; sie hat sich bis zum Krach mit der Lili – die hübsch und gesund und lieb zurückgekehrt ist, und auf die ich trotzdem einen begreiflichen Zorn hab – wirklich ohne Muckser in das etwas merkwürdige Leben (das sie sich freilich selbst so eingerichtet hat) gefügt und hat es verstanden eine Atmosphäre der Unbeschwertheit zu schaffen, die für mich die einzig erträgliche ist, doch seitdem ist, wie du weißt, der Teufel los. Natürlich hat sie recht, wenn sie ihr Leben in „ordentliche“ Bahnen lenken will, aber ich bin außerstande jetzt derartige Entschlüsse zu fassen. Dabei bringt mich diese erbarmungslose Zielgerichtetheit ihrer Aktionen, zu denen auch die Erzwingung des Cape Cods3 gehört, einfach nur zur Raserei. Obwohl ich es nicht gern tu, schicke ich Dir doch Kopie meines gestrigen Briefes – eines vor lauter Qual äußerst schlecht geschriebenen (d. h. auch nicht ganz richtigen) Briefes. Du siehst daraus die Natur der Vorwürfe, unter denen ich stehe, aber auch meine Reaktion. Doch es handelt sich mir nicht darum Dich anzujammern, sondern Entschlüsse zu fassen, und zwar in folgender Dichotomie: 1.) es bei dem Brief zu belassen, eventuell noch einen zweiten in diesem Sinne nachfolgen zu lassen und nicht zu fahren, was mir bei meiner Überbelastung, meinem Übelbefinden natürlich weitaus am
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liebsten wäre, auch auf die Gefahr hin, daß Bouchi mich daraufhin definitiv hinausschmeißt, denn das würde mir das Leben der nächsten Monate ganz wesentlich erleichtern und den Massenwahn retten; 2.) nachzugeben und Ende dieser Woche doch noch hinzufahren, schlecht aufgelegt, überdeckt von jener Freundlichkeit, die den andern vor bad feelings4 bewahren und den „Aufenthalt nicht zerstören“ will, doch wenn ich mich zu dieser Alternative entscheiden sollte, so wäre noch zu fragen, ob Du mich – zur Erleichterung der Situation – nicht vielleicht bei Bouchi treffen willst. Bitte überlege Dir (in meinem Interesse) diese Dichotomie. Am liebsten freilich wäre es mir Du führest allein zur Bouchi und veranlaßtest sie mich definitiv hinauszuwerfen. Könntest Du mich nicht von dort Donnerstag Abend 5 (– Dienstag–Mittwoch bin ich übersetzungshalber in N.Y. –) collect 6 anrufen? ich werde Lili sagen, das Gespräch nicht zu übernehmen, falls ich aus irgend einem Grund nicht hier sein sollte, z.B. wegen einer Verschlechterung bei Schrecker (womit man leider rechnen muß.) Dank für Brief. Ich bin in einem Zustand, daß ich nicht richtig antworten kann. Das Demokratie-Buch7 kommt zur rechten Zeit, nur sollte es schon fertig sein. (Vielleicht kann man das als Argument für die Bouchi verwenden, aber sie hört ja auf gar nichts mehr.) Pick habe ich ja sofort geschrieben, daß ich es für eine Plauscherei halte. Jetzt ist er beleidigt, hat meinen Brief nicht einmal bestätigt. Fan mail läuft weiter ein. Auch ein paar sehr gute Kritiken8. Ich bin ebensowohl Plato wie Konfuzius (aber der Bouchi liegt es staglgrien9 auf; sie weiß was liegen heißt.) Mir liegt es ja leider irgendwie auch staglgrien auf, aber das Material wird für Dich gesammelt. Wohl habe ich dreimal vergeblich angerufen. Lili wird jetzt hingehen. Ich muß zum Kastl10. Sei umarmt in Liebe H. Anmerkungen 1 Deiges: Jiddisch für „Sorgen“. 2 Bouchilein: Annemarie Meier-Graefe. 3 Cape Cod: Cape Cod ist eine Halbinsel an der US-Ostküste, der östlichste Zipfel des Staates Massachussetts. Gemeint sind hier die Einladungen von
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Annemarie Meier-Graefe an Broch, sie in Cape Cod während ihres Sommerurlaubs zu besuchen. bad feelings: Englisch für „schlechte Gefühle“. Donnerstag Abend: 23. April 1945. collect: „Collect Call“ ist der amerikanische Ausdruck für ein R-Gespräch, wobei der Angerufene – nach erfolgter Zustimmung – die Kosten des Anrufs übernimmt. Demokratie-Buch: Broch und Kahler planten zu dieser Zeit ein gemeinsames Buch über Demokratie, ein Projekt, das nicht zur Ausführung gelangte. Kritiken: Kritiken zum Tod des Vergil. stagelgrien: „Es liegt einem stagelgrien (oder stagelgrün) auf“ ist Wiener Umgangssprache und bedeutet „Es ärgert einen“. Kastl: Briefkasten.
15. [21.8.1945] Libru, verzeih meinen gestrigen Panikbrief – im Grunde ist es ja die Mentalität des franzjosephinischen1 Kavaliers, die aus mir und in mir spricht: für gehabtes Vergnügen muß man zahlen, und u.U. sogar überzahlen, ja sogar mit Ehe. Und meine Panik entsteht weil ich kein franzjosephinischer Kavalier sein will; es ist die Revolte gegen das Über-Ich. Kurzum ich entschließe mich mehr und mehr nicht nach Cape Cod zu fahren, brauche aber hiezu noch Deine Sanktion, vielleicht sogar Deine Hilfe. Also bitte rufe mich trotzdem an, trotz der Kosten. Anbei wieder Zühlsdorff-Korrespondenz, und so noch einiges dazu. Höchste Zeit mit dem Demokratie-Buch: der Unterschied zwischen uns ist der zwischen Giften und Panik, und beides ist nicht gut. Grüß die Rothis und sei umarmt H. Anbei wieder ein Wittlin2, nicht wegwerfen.
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Anmerkungen 1 franzjosephinisch: Franz Joseph I. (1830–1916) regierte als Kaiser von Österreich (1848–1916) und als König von Ungarn (1867–1916). 2 Wittlin: Jozef Wittlin (1896–1976), jüdisch-polnischer Schriftsteller. Er emigrierte 1941 nach New York. Von 1919 bis 1920 gehörte er der polnischen Expressionistengruppe Zdroj („Die Quelle“) an. Von 1920 datiert auch sein erster Gedichtband Hymni („Hymnen“). Als Wittlins wichtigster Text gilt die Erzählung Sól ziemi („Das Salz der Erde“) von 1936. Neben seiner schriftstellerischen Arbeit betätigte sich Wittlin auch als Übersetzer antiker Texte ins Polnische.
16. [Ende August 1945] Libru, die Max-Beilage1 ist versehentlich liegen geblieben, offenbar weil mir selber so mies davor ist. Um künftige Widersprüche zu vermeiden, wiederhole ich was ich den Sch[iffers]2 gesagt habe: in Deiner vorjährigen Unterredung mit Stewart3 hast Du den Eindruck gewonnen, daß alles von Cooper4 abhängt, daß man sich daher jetzt an diesen halten muß, und daß daher Walter5 [sich] jetzt unbedingt mit ihm auseinanderzusetzen haben wird, u.z. womöglich direkt und nicht durch Mittelsmänner. Das und nur das hast Du mir am Telephon gesagt. Von einer Ablehnung durch Stewart war keine Rede. Dorchen6 hat gestern geantwortet; sie ist fahrbereit sobald die Schiffskarte eintrifft. Natürlich wäre es gut vorher das Institut7 gesettelt zu haben. Ich bemühe mich aber außerdem bei den World Affairs8; Staudinger9 und Lowe10 scheinen günstig gestimmt. What a mess.11 Und love und love. H. Anmerkungen 1 Max-Beilage: „Max“ war der Spitzname Helene Schiffers, der Ehefrau von Walter Schiffer. Um welche Beilage es sich handelt, ist aus dem Kontext nicht ersichtlich.
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Schiffers: Walter Schiffer. Stewart: Nicht ermittelt. Cooper: Nicht ermittelt. Walter: Walter Schiffer. Dorchen: Nicht ermittelt. Institut: Institute for Advanced Study in Princeton. Ein privates Forschungsinstitut in Princeton, New Jersey. Es wurde 1930 von Louis Bamberger und Caroline Bamberger Fuld gegründet. Zunächst hatten die beiden an eine Ausbildungsstätte für Zahnärzte gedacht, ließen sich dann jedoch von dem Erziehungstheoretiker Abraham Flexner überzeugen, die Arbeit des Instituts der Grundlagenforschung zu widmen. Flexner leitete das Institut von seiner Gründung bis 1939. Ihm folgte Frank Aydelotte bis 1947, dem wiederum J. Robert Oppenheimer bis 1966. Bekannt ist das Institut auch als Wirkungsstätte Albert Einsteins. World Affairs: Institute for World Affairs an der New School for Social Research in New York, das Hans Staudinger und Adolph Lowe leiteten. Staudinger: Hans Staudinger (1889–1980), Wirtschaftswissenschaftler. Er war seit 1912 Mitglied der SPD, von 1929 bis 1932 Staatssekretär im Preußischen Handelsministerium und von 1932 bis 1933 Mitglied des Reichstages. Im Juni 1933 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet, im Juli 1933 gelang ihm die Flucht. Er emigrierte über Belgien, Frankreich und Großbritannien in die USA. Von 1934 bis 1960 lehrte er als Professor der Wirtschaftwissenschaften an der New School for Social Research in New York, wo er mehrfach Dekan der Graduate Faculty war. Dort leitete er auch gemeinsam mit Adolph Lowe das Institute for World Affairs. 1946 gründete er mit seiner Frau Else Staudinger (1889–1966) und Alvin Johnson das American Committee for Emigré Scholars, Writers and Artists (später: American Council for Emigrés in the Professions). Lowe: Adolph Lowe (1893–1995), deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er stammte aus Stuttgart und war 1933 in die USA emigriert. 1940 wurde er Professor of Economics an der New School for Social Research in New York. Broch lernte Lowe durch den gemeinsamen Freund Hans Staudinger kennen. What a mess: Englisch für „Eine schöne Bescherung!“
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17. Princeton 4.8.46 Libru, Dank für Lilis Brief, der erst gestern einlangte, so daß wir die Jacke erst morgen aufgeben können und sie erst Donnerstag eintreffen wird, hoffentlich überflüssigerweise infolge Heißwetter-Einbruches. Bisher aber ist es angenehmst kühl hier; die Mama sieht unberufen so gut aus wie noch nie, kann nach Belieben trocken abwaschen, und dreimal unberufen ist alles in schönster Ordnung. Nicht in Ordnung bin lediglich ich. U.z. infolge der unmenschlich-erbarmungslosen Störung, die mir durch Bouchis Long IslandErpressung1 angetan worden ist. Sie wohnt dort in völliger Abgeschiedenheit, so daß man sie nicht allein lassen kann, und ich fahre morgen wieder hin. Leider hat sie dadurch viel verdorben, weit mehr als sie denkt, und sie wird niemals begreifen, daß sie es getan hat. Für mich ist das recht schmerzlich, wahrscheinlich auch mehr als man sich vorstellt. Daneben läuft die wahrhaft tragische Qual mit Frances und die übliche Untermeyer-Belästigung. Die letzte Woche in Sag Harbor2 habe ich ausschließlich gearbeitet. Die Sache geht anständig vorwärts. Wahrscheinlich wird – leider – noch manches umgeschrieben werden, aber es scheint mir nun richtig angelegt und vor allem schwatzfrei. Was meint Lili mit Schiffles? (richtig Schifles!)3 Hat sie sich noch nicht überzeugt, daß in long range4 ich meistens recht behalte? Seit drei Tagen mache ich aber wieder nichts als Korrespondenz. Ein neuer Korrespondenten-Staff ist auf den Plan getreten. Unter ihnen befindet sich Reisiger, dessen – eigentlich an Tommy5 gerichteten – Brief ich beileg, ebenso meine Antwortkopie. Solltest Du Reisigern6 selber schreiben wollen, so lege ihm bitte diese Antwortkopie bei, andernfalls will ich sie ihm später schicken, falls er das Original nicht bald bestätigt, denn er soll den Brief unbedingt erhalten, ich hingegen nicht nochmals schreiben. Ich hoffe, daß Du mit dieser Antwort einverstanden bist. Wenn man ihm mitteilen könnte, daß er in den „Faust“7 aufgenommen worden ist, wäre alles gut.
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Den gleichfalls beil. Federn8 sollst Du wegen der Weltkonstitution lesen. Er sagt ein paar recht gescheite Sachen, über deren Anwendung nachzudenken der Mühe wert ist. Schließlich ein Brief aus Peru. Alle übrige Post ist umadressiert worden und hoffentlich eingelangt. Seid beide umarmt und habt es gut. Grüß die Rothis! Von Herzen H. Anmerkungen 1 Long Island: Long Island ist eine Insel im Südosten des US-Bundesstaats New York, auf der sich die Stadtteile Brooklyn und Queens von New York City befinden, sowie zahlreiche Vororte. 2 Sag Harbor: Sag Harbor im Staat New York liegt am äußersten Ostende von Long Island. Der Ort wurde 1707 gegründet und war lange Zeit für den von hier aus betriebenen Walfang bekannt, dem auch die Erwähnung des Ortes in Herman Melvilles Roman Moby-Dick (1851) zu verdanken ist. Sag Harbor war die erste offizielle Zollstelle für in die USA importierte Güter, einst ein betriebsamerer Hafen als New York City. Von Manhattan bis Sag Harbor sind es gut 160 Kilometer. Annemarie Meier-Graefe verbrachte 1946 ihren Sommerurlaub in Sag Harbor. Broch arbeitete damals an dem politischen Buch, das er gemeinsam mit Kahler schreiben wollte. Vgl. Brochs Aufsätze „Die Zweiteilung der Welt“ (KW 11, S. 278–337) und „Strategischer Imperialismus“ (KW 11, S. 339–362). 3 Schiffles: Nicht ermittelt. 4 long range: Englisch für „auf lange Sicht“. 5 Tommy: Thomas Mann. 6 Reisiger: Hans Reisiger (1884–1968), deutscher Erzähler und Übersetzer. Er studierte in Berlin und München, lebte 1907 und 1911 als freier Schriftsteller in Florenz und Rom, dann in München. Er war mit Thomas Mann, den er 1913 kennenlernte, und dessen Familie befreundet. 1933 ging er nach Seefeld in Tirol, wurde 1938 nach dem Anschluß Österreichs durch die Nationalsozialisten kurzzeitig inhaftiert, lebte von 1938 bis 1945 in Berlin und seit 1946 in Stuttgart und Garmisch-Partenkirchen. Reisiger lernte Broch 1935 in Seefeld bzw. Mösern/Tirol kennen, als Broch an seinem Roman Die Verzauberung schrieb. Broch bezieht sich auf seinen Brief an Reisiger vom 1. August 1946 (vgl. KW 13/3, S. 111–113). 7 „Faust“: Thomas Manns im Exil geschriebener Roman Doktor Faustus, erstmals 1947 erschienen. 8 Federn: Paul Federn (1871–1950), österreichischer Arzt und Psychoanalytiker. Sohn des Wiener Arztes Salomon Federn, beendete 1895 sein Medizin-
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studium in Wien und arbeitete als Assistent am Wiener Krankenhaus. 1901 schloss er sich der Psychoanalytischen Schule Sigmund Freuds an und wurde einer seiner engsten Mitarbeiter. Wie Broch emigrierte er 1938 in die USA. Broch kannte ihn aus Wien und begab sich im amerikanischen Exil ab 1943 bei ihm in psychoanalytische Behandlung (vgl. BF). Federn arbeitete damals an einem politischen Buch mit dem Arbeitstitel Weltbürgertum, das er aber nicht abschloss. Vgl. Brochs Brief an Federn vom 31. Juli 1946 (BF, S. 140–147).
18. Princeton 20.8.46 Gubru1, ich schreibe eigentlich bloß egoistisch-tachletisch2, nämlich für den Fall, daß der Kurt3 Dich dort abgewartet haben sollte, für welchen Fall ich meine Korrespondenz mit ihm beilege. Ich habe ja nicht den Eindruck, daß er das Buch4 machen will, und ich werde ihm bestimmt nicht zureden. Weiters lege ich Kopie meines Briefzettels an die Lili 5 bei, womit auch Deine Einwendungen m.E. widerlegt sind. In der Dialektik geht es halt jiddisch zu: wenn man will nach Krakow muß man zuerst nach Tarnow 6 (daher das Wort getarnt – und nicht gekrakt). Ich stecke tief im Volkswirtschaftlichen, und es geht ganz schön vorwärts, u.z. nach dem Prinzip: „Ich hab gar nix gewisst, daß ich Französisch auch kann“. Aber ich sehe, daß ich die Geschichte von Krakow-Tarnow in die Einleitung nehmen muß, denn wenn Du das schon nicht durchschaut hast, der Du doch der Mann im Zimmer bist, was soll der auf der Straße machen – also muß man es ihm erleichtern. Weiters lege ich eine Notiz aus Time-Magazin7 über Palestine 8 bei; die Juden sitzen nun wirklich zwischen allen Stühlen. Das geht alles zwangsläufig vor sich, und es ist bedrückend. Die Aufdeckung dieser erschreckenden Zwangsläufigkeit ist ja mit eine der Aufgaben der Massenpsychologie. Mit Vernunft ist nix zu machen, und mit noch so schön und überzeugend geschriebenen Artikeln ist nix zu
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machen – immer geht es um Aufdeckung der Realitätsrichtung (mein Terminus) und der sie bestimmenden Zwangsläufigkeiten. Und nur von hier aus ist auch den Juden zu helfen. Ich glaube mehr und mehr, daß die sogenannten „Territorialisten“ – Land wo immer – recht haben. Aber mit einer Ecke in Afrika oder sonstwo ist es auch nicht getan. Nur wenn der Typus des neuen Gebildes wahrhaft in der Realitätsrichtung liegt, kann etwas Haltbares geschehen. Und diese Richtung scheint mir zum „Unstaat“ hinzuweisen: Gebietsfetzen allüberall, aber zusammengehalten durch eine geistige Kapitale, die in diesem Fall Jerusalem wäre. Aber nur auf Grund einer sehr genauen Untersuchung kann man mit so etwas herauskommen; von rechts wegen gehörte es gleichfalls ins Demokratie-Buch, doch wir können nicht alles darin unterbringen – fast fürchte ich, daß es zwei Bände werden, da Du Dich ja ebensowenig wie ich wirst zurückhalten können. Es wächst und wächst in erschreckendem Maße, und manchmal frage ich [mich,] ob dieses Breitwerden nicht einfach Dilettantismus ist. Staudingers urgieren das Exposé. Ich muß also drüber gehen; den Meiklejohn9 werde ich mir sofort anschauen. Hoffentlich ist das Magazin10 noch da. Furchtbar ist, daß ich total vergessen habe, was ich eigentlich dem Hovde11 dort erzählt habe; ich weiß bloß noch, daß es drei Punkte waren – aber was waren die drei? Das kommt davon, wenn ein Idiot gescheit sein muß; es ist das Furchtbarste. Allerdings bin ich zum Hinfallen müde. Meine Realitätsrichtung läuft einerseits zum Nervenzusammenbruch, andererseits in die Ehe12, und da die Natur nach dem Ökonomieprinzip handelt, werden die beiden items13 in eines zusammenfallen. Im Augenblick befinde ich mich auf Urlaubsurlaub und werde Dich hier abwarten: doch dann fängt die Fahrerei wieder an, denn Bouchi bleibt bis Mitte September. Und die Dinge bei Frances werden ärger: sie jammert konstant nach einem Halt, den sie nirgendwo finden kann, und den sie von mir erhofft. Jetzt bettelt sie darum übers weekend herauskommen zu dürfen; ich werde ihr vielleicht ein Zimmer in der Tavern14 nehmen – aber was das wieder an Zeit kosten wird, vom Geld ganz zu schweigen! Ich hoffe sehr, daß Du zum weekend da bist. Ich brauche nämlich auch einen Halt. Von Schrecker15 habe ich – mir fällt das nur ein, weil ich mit Entsetzen sehe wie allüberall die Dekomposition einsetzt, die ich ja auch bei mir fürchte – einen giftigen Brief bekommen: Staudin-
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ger operiert angeblich mit Äußerungen von mir gegen ihn; dabei weiß jedermann wie ich ihm allüberall die Stange halte. Natürlich mache ich hie und da einen Witz; das gehört zu meiner dialektischen Methode, und der unkluge Hans16, der überhaupt keinen Witz versteht, mag ja irgendwie einen Blödsinn daraus gemacht haben. Aber schad Wort17. Und trotzdem erschreckt es mich wie der Schrecker herumhaut und herumbeißt – was soll das für ein Alter werden! Golffing18 hat das Heft bekommen und auch schon zurückgeschickt. Leider habe ich keinen Durchschlag gemacht; fairerweise hätte ich einen für die Lili gebraucht. Also mußt Du ihr dieses Original zeigen. Grüß die Sterbas19, und falls der Kurt20 dort ist auch ihn. Und love to you! H Anmerkungen 1 Gubru: Guter Bruder. 2 tachletisch: leitet sich von „Tachles“ oder „Tacheles“ ab, ein Wort aus dem Jiddischen, das auf das hebräische „tachlît“ zurückgeht, was „Ziel“ bedeutet. „Tachles reden“ ist eine österreichische Redewendung, die so viel wie „zur Sache kommen“ oder „Klartext reden“ bedeutet. 3 Kurt: Kurt Wolff. 4 das Buch: Gemeint ist das politische Buch, das Broch und Kahler damals gemeinsam schreiben wollten. 5 Briefzettels an die Lili: Am gleichen Tag schrieb Broch einen Brief an Lili Loewy, in dem es hieß: „[...] was Marx deduziert hat, nämlich die Sozialisierungsnotwendigkeiten, war richtig, und was ich deduzieren werde (oder eigentlich schon [deduziert] habe) wird auch richtig sein, weil es die totale Demokratie sein wird. [...] der Marxismus ist ein viel zu festgefügtes, viel zu fein ausgearbeitetes Dogmengebäude, als dass man mit bloßen ‚Vorschlägen‘ für die oder jene ‚Milderung‘ oder ‚Humanisierung‘ ihm kommen könnte. Einem System muß man ein besseres System entgegensetzen, d.h. eines, das noch ein Stückel tiefer fundiert ist. Deswegen schreie ich ja ständig nach Erkenntniskritik.“ 6 Krakow-Tarnow: Gemeint sind die beiden südpolnischen Städte Kraków (Krakau) und Tarnów (Tarnau). Die Redewendung bedeutet, dass man in einer Darstellung vom Einfachen zum Komplizierten fortschreiten muss. 7 Time-Magazin: TIME ist ein seit 1923 wöchentlich erscheinendes US-amerikanisches Nachrichtenmagazin. Es wird der Eindeutigkeit halber oft Time Magazine genannt. Der von Broch genannte Beitrag ließ sich dort nicht finden.
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8 Palestine: Broch spielt auf die unsichere Situation in Palästina 1946, zwei Jahre vor der Staatsgründung Israels, an. Die von ihm beigefügte Notiz selbst ist verlorengegangen. 9 Meiklejohn: Alexander Meiklejohn (1872–1964), Philosoph und Erziehungswissenschaftler. Er fungierte als Dekan an der Brown University und als Präsident des Amherst College. Er promovierte 1897 in Philosophie an der Cornell University und beschäftigte sich mit Fragen der Bürgerrechte und der persönlichen Freiheit, vor allem im universitären Rahmen. Vgl. The Experimental College (1932) und Free Speech and its Relation to SelfGovernment (1948). 10 Magazin: Gemeint ist das erwähnte Time Magazine. 11 Hovde: Brynjolf Jakob Hovde (1896–1954), amerikanischer Historiker, Soziologe und Skandinavist. Er war 1945 Nachfolger Alvin Johnsons im Amt des Präsidenten der New School for Social Research in New York geworden. 12 die Ehe: Broch heiratete Annemarie Meier-Graefe in zweiter Ehe am 5. Dezember 1949. 13 items: Englisch für „Dinge“, „Themen“, „Punkte“. 14 Tavern: Die Nassau Tavern ist ein Hotel-Restaurant in Princeton. 15 Schrecker: Paul Schrecker. 16 Hans: Hans Staudinger. 17 schad Wort: Prager Deutsch abgekürzt für „schade um jedes Wort“. 18 Golffing: Francis Charles (eigentlich Franz) Golffing (geb. 1910), Professor der Anglistik und Kulturwissenschaften, Künstler, Schriftsteller und Übersetzer. Zu seinen Werken gehören Collected Poems (1980), die NietzscheÜbersetzungen The Birth of Tragedy und The Genealogy of Morals. In den 1930er Jahren schrieb er unter dem Pseudonym Ignaz Riebl für die Wiener Glocke. 1938 ging er ins amerikanische Exil. Von 1974 bis 1980 war er Herausgeber des Journal of Pre-Raphaelite Studies. 19 Sterbas: Richard Sterba (1898-1989) und Editha Sterba (1895-1986), geb. von Radanowicz-Hartmann, betrieben in Wien eine gemeinsame psychoanalytische Praxis. 1938 emigrierten sie über die Schweiz in die USA und ließen sich in Detroit nieder. Richard und Editha Sterba besaßen in Vermont (Sugar Bush, South Shaftesbury) ein Sommerhaus, wo Erich von Kahler sich damals aufhielt. 20 Kurt: Kurt Wolff.
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19. 25.8.[1946] Guter oder Gubru, laß Dir nur rasch für Deinen ausführlichen Brief danken; es ist rührend, daß Du Dir diese Mühe gemacht hast, umso rührender als wir das ohnehin alles mündlich zu bereden haben, worauf ich mich aber sehr freue. Für heute also nur Tachles: Mama ist beruhigt – man muß ihr möglichst späte Termine sagen; Du kannst also ohne schlechtes Gewissen ausbleiben so lange Du willst. Für mich ist es nur in einer Beziehung unangenehm; ich muß nämlich morgen (Montag) Abend nach N[ew] Y[ork], weil Bouchi für zwei Tage zum Konsul nach Canada fährt und ich während dieser Zeit den Puckett1 hüten muß, daneben allerdings alles was ich in der Stadt zu besorgen habe erledigen werde. Morgen Nacht ist also Frau Pick2 allein hier, und das ist mir peinlich. Hoffentlich trifft Lili pünktlich am Dienstag ein. Borgi3 ist ausgeschnitten; dagegen habe ich im Sonntagsmagazin4 den Artikel über die Int. Akademie5 nicht gefunden. Staudingers 6 haben mich urgiert, und ich habe meine drei Punkte gefunden: der Aufruf7 ist bald fertig. Um die 14 September-Tage bei Bouchi komme ich nicht herum; versprochen ist versprochen, umsomehr als ich sie durch meine bisherigen Aufenthaltsunterbrechungen höchlich unglücklich und raunzig gemacht habe. Der Marianne Schlesinger8 mußt Du ein paar Zeilen schreiben; ihre Mutter ist vorige Woche gestorben, was freilich eine große Erleichterung für sie sein wird. Der Mama habe ich davon nichts gesagt. Wenn Dich der Zettel noch erreicht, grüß die Sterbas und den Busch9, dem ich wohl auch werde schreiben müssen. Und sei umarmt H. Solltest Du Dienstag oder Mittwoch in N[ew] Y[ork] sein, so wirst Du Dich wohl bei Hanna10 aufhalten: ich werde also dort zurücklassen, wo ich auffindbar bin.
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Puckett: Der Kater Annemarie Meier-Graefes. Frau Pick: Die Mutter von Alice (Lili) Loewy, geb. Pick. Borgi: Antonio Giuseppe Borgese. Sonntagsmagazin: Gemeint sein dürfte die Sonntagsbeilage der New York Times (New York Times Magazine). Int. Akademie: Hermann Broch, „Philosophische Aufgaben einer Internationalen Akademie“ (KW 10/1, S. 67–112). Staudingers: Else und Hans Staudinger. der Aufruf: Vgl. „Int. Akademie“. Schlesinger: Marianne Schlesinger (1883–1975) stammte aus Österreich und war eine geborene Geiringer. Sie war die Schwägerin von Trude Geiringer, einer Fotografin, die viele Aufnahmen von Hermann Broch vor allem in den 1930er Jahren machte. In erster Ehe war Marianne Schlesinger mit Fritz Schlesinger verheiratet, der während des Holocausts im Konzentrationslager Buchenwald ermordet wurde. 1939 ging sie ins Exil nach New York, wo sie in den 1940er Jahren in zweiter Ehe Rudi Duschnitz heiratete. Daher kommt sie in Brochs Korrespondenz auch unter dem Namen Marianne Duschnitz vor. Busch: Adolf Busch (1891–1952), deutscher Geiger und Komponist, Lehrer Yehudi Menuhins und Gründer des „Busch-Quartetts“. Hanna: Hanna M. Loewy (1925–2007), Tochter von Alice (Lili) Loewy, der damaligen Lebensgefährtin und späteren Frau Erich von Kahlers.
20. 11.9.46 Ganzlibru1, Dein erster Brief hat mich verwirrt, weil ich mir doch einbilde Dir gesagt wie geschrieben zu haben der Untermeyerin zu sagen, daß ich mit Sohn2 auf Long Island „irgendwo“ sei und bald zurückkomme, und nun nicht weiß, ob ich so vertrottelt gewesen bin es Dir weder zu sagen noch zu schreiben; dahingegen hat mich der zweite gerührt und aufgeregt. Was nun den ersten anlangt, so habe ich Jeanerl von hier telegraphiert und werde ihr auch schreiben. Hingegen werde ich nichts, also auch keine Hintermedizin bestätigen, weil Du offiziell doch keine Nachschickadresse hast. Und bitte schick mir auch das Packel nicht nach; erstens würde es sich nicht mehr verlohnen, und zweitens hat
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die Bluterei3, die vor meiner Abreise schon recht unangenehm war, bis auf weiteres aufgehört. Und um gleich zum Rückkunftprogramm zu kommen: Bouchi hat bei der hier nicht anwesenden Hausfrau4 brieflich um eine 8-tägige Verlängerung angesucht, aber noch keine Antwort erhalten. Ich fahre jedenfalls zum Wochenende in die Stadt5, weil ich die Canbys sprechen muß, sprechen will. Von dort aus rufe ich Dich an und werde Dir den Entscheid sagen. Sollte sie die Verlängerung bekommen, so kehre ich nochmals für ein paar Tage hierher zurück. Vorderhand also bitte unterbrich alle Nachschickungen. Unter allen Umständen aber ist es mir eine Ehre Kurt6 als weekend-Gast in meinem Bett zu haben. Selbst wenn Bouchi ihre Verlängerung nicht bekäme, würde ich nicht vor Montag in Princeton sein. Zur Polyresponsibilität: wer liebt ist gegen jedermann andern hart; das ist ein Faktum, dessen Beobachtung, besonders bei Frauen, mich seit früher Jugend aufgeregt hat. M[it] a[nderen] W[orten], es sitzt in mir zutiefst die Überzeugung, daß Liebe, nicht zuletzt infolge dieser Härte, unmoralisch mache, und daß man sich daher davor zurückhalten müsse. Und da sich noch ein paar ähnliche Gründe dazu aufbringen lassen, bin ich weich wie ein soft crab 7 geblieben; die Zurückhaltung ist mir geglückt. Aber in dieser Weichheit ist es mir auch geglückt jedwedes Schicksal oder Schicksalendchen, das mich um die oder jene Hilfe gebeten hat, auf mich zu nehmen. Wenn Bouchi sagt warum ich sie so fürchterlich strafe bin ich wehrlos. Und wenn F[rances]8 während all der Jahre mir ihre Katastrophen und Krankheiten geklagt hat, war ich zur Stelle, obwohl das doch die Aufgabe ihrer Liebhaber hätte sein müssen. Und ich rationalisierte es mit meinem Wissen um sie, durch das Wissen um eine ausgezeichnete noble Menschlichkeit, die unter all dem Meschugan9 vergraben liegt. Außerdem natürlich war mir die harmlose Onkel-Rolle, in die ich mich da hineingespielt habe, beruhigend und recht; das Nicht-Erotische ist mir immer eine Beruhigung. Nun, jetzt habe ich die Bescherung, u.z. in Gestalt von Dankbarkeit, die leider seelische Ansprüche stellt. Und es ist umso ärger, als ich genau spüre, daß ich mich da wirklich attachieren könnte, und doch weiß welch fürchterliches Unglück das wäre. Nebenbei: ihr sagte ich, ich sei in Boston. Bitte auseinanderzuhalten! Und wenn Du wüßtest wie mich diese ganzen Machinationen anekeln. Und wenn in ihnen sicherlich auch Feigheit steckt, es ist
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doch die Angst vor der Schädigung des andern dabei das Prävalierende. Wer nicht liebt schädigt so sehr, daß er die paar äußerlichen Schädigungen, die gar keine Rolle spielen, frenetisch überbewertet. Und darum redest Du in ein hohles Faß, in dem ein Would-be-Diogenes10 sitzt. Und irgendwie ist das alles beschämend, wenn man echten Leides gedenkt, also der Welt, aber auch des Schiffers. Wie so oft verkriecht man sich in sein eigenes Pseudoleid, um jenes nicht zu sehen. Außerdem verkrieche ich mich in die Arbeit. Das fertige Universitätsexposée 11 kriegst Du morgen. Also lies den ersten Entwurf nicht. Von der Demokratie12 sind 100 Seiten fertig, aber damit ist der erste Teil noch immer nicht abgeschlossen. Ich bin ob dieser Kaninchen-Produktivität entsetzt. Möchtest Du nicht Deinem Mexico-Verleger13 schreiben, ob er zum Erscheinen des Buches nicht meinen Aufsatz über Dich14 dort irgendwie unterbringen will? In Argentinien erschien bereits einer über Vergil und Schlafwandler15 als Publikationsvorbereitung. Und bitte frage Kurt wegen Verbindung mit Zuckmayer16 wegen Placierung Kracauers17 wegen des diesbezüglichen Wunsches von Schreckern, der mir den Wunsch Kracauers nach Mitarbeit bei Zuckmayer in Deutschland (oder Washington) übermittelte. Im übrigen schreibt mir Schrecker, daß die Paschal vorige Woche gestorben ist. Auch das mußt Du Kurt sagen. Und es tut mir aufrichtig leid um sie. Wie es korrespondenzmäßig bei mir aussieht hast Du bemerkt, und ich bin froh, daß Du mir den Käfer18 nicht geschickt hast; hoffentlich erbaust Du Dich an ihm. Zur weiteren Erbauung lege ich einen Theodor Sapper19 bei. Schiffer hat für so etwas einen Sinn; es mag ihn zerstreuen. Schließlich lege ich die Politics20 bei, die Ihr neulich gesucht habt. Sie ist unter die Abwesenheits-Nations21 und -Republics22 geraten, die ich alle mitbringen werde. Ich bitte um Entschuldigung, aber endlich konnte ich das Blatt lesen; an der ausgeschnittenen Ecke magst Du erkennen, daß ich ein zweites Abonnement (für Bouchi) genommen habe. Mama antworte ich natürlich. Viel Liebes für Lili, und immer H
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Anbei ein Brief, den eine Freundin23 der Jean bekommen und ihr zum Lesen gegeben hat: er ist wirklich interessant, und Jean hat ihn konfidentiell auch Dir geschickt; sie will ihn zurückhaben. Anmerkungen 1 Ganzlibru: Ganz lieber Bruder. 2 Sohn: Hermann Friedrich Broch de Rothermann (1910–1994), Reiseleiter, Dolmetscher und Übersetzer. Er entstammte der Ehe zwischen Broch und dessen erster Frau, der Industriellentochter Franziska von Rothermann. Im Oktober 1941 konnte Broch de Rothermann in die USA emigrieren, wobei ihm sein Vater, der das Emergency Rescue Committee mobilisiert hatte, behilflich gewesen war. 3 die Bluterei: Broch leidete damals unter Zahnfleischblutungen. 4 Hausfrau: Broch besuchte Annemarie Meier-Graefe während ihres Urlaubs in Sag Harbor auf Long Island. 5 die Stadt: New York. 6 Kurt: Kurt Wolff. 7 soft crab: soft-shell crab: Englisch für „Taschenkrebs“. 8 F[rances]: Fanny (Frances) Colby Rogers. 9 Meschugan: Von Jiddisch „meschugge“, abgeleitet aus dem Hebräischen „meshugga“, was „verrückt“ bedeutet. 10 Would-be-Diogenes: Englisch für „Möchtegern-Diogenes“. 11 Universitätsexposée: Hermann Broch, „Philosophische Aufgaben einer Internationalen Akademie“ (KW 10/1, 67–112). 12 Demokratie: Das geplante Gemeinschaftsprojekt des politischen Buches von Broch und Kahler. 13 Mexico-Verleger: Nicht ermittelt. 14 Aufsatz über Dich: Hermann Broch, „Geschichte als moralische Anthropologie. Erich von Kahlers ‚Scienza Nuova‘“ (KW 10/1, S. 298–311). 15 Vergil und Schlafwandler: Vgl. Paul Zech, „Hermann Broch, un nuevo escritor universal“. In: La Nación (1.9.1946): 1–2 (Beilage „Artes, Letras“). Die Zeitschrift erschien in Buenos Aires, Argentinien. Brochs Trilogie Die Schlafwandler wurde 1946 auf Spanisch in Argentinien unter dem Titel Los Sonámbulos publiziert, übersetzt von Aristides Gregori (Buenos Aires: Editorial Castelar) und Der Tod des Vergil ebenfalls im gleichen Jahr unter dem Titel La muerte de Virgilio, übersetzt von Aristides Gregori (Buenes Aires: Editorial Peusner). Paul Zech (1881–1946) war ein deutscher Schriftsteller und Übersetzer, der 1934 nach Südamerika emigrierte und von 1938 bis zu seinem Tod in Buenos Aires lebte. Damals war er Mitarbeiter der in Santiago de Chile erscheinenden Exilzeitschrift Deutsche Blätter. 16 Zuckmayer: Carl Zuckmayer (1896–1977), deutscher Schriftsteller. 1933 erhielten seine Stücke in Deutschland Aufführungsverbot. 1939 emigrierte
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er in die Vereinigten Staaten und schrieb während seines Exils das Drama Des Teufels General, in Deutschland eines der erfolgreichsten Bühnenstücke der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Europa zurück und lebte bis zu seinem Tod in der Schweiz. Kracauer: Siegfried Kracauer (1889–1966) entstammte einer Frankfurter jüdischen Familie. Er studierte in Berlin Architektur und arbeitete zunächst als Architekt. 1917 wurde er ins Militär einberufen und begann nach dem Ersten Weltkrieg kulturkritische Arbeiten zu publizieren. Damals begann die lebenslange Freundschaft mit Leo Löwenthal und Theodor W. Adorno. Seit 1921 schrieb er für die Frankfurter Zeitung und arbeitete dort seit 1924 als Feuilletonredakteur. 1933 emigrierte er nach Paris. 1939 wurde er in Frankreich interniert, doch gelang ihm 1940 die Flucht über Marseille und Lissabon in die USA. Kracauer lebte bis zu seinem Tod von Stipendien, Publikationen und Auftragsarbeiten in New York. Käfer: Johannes Käfer, österreichischer Journalist und Publizist, der in verschiedenen Wiener Zeitungen veröffentlichte. Vgl. seinen Artikel „Hermann Broch und unsere Zeit“, in: Der Ring 1.2 (1949): 12–13. Sapper: Theodor Sapper (1905–1982), österreichischer Schriftsteller. Er war der Sohn eines evangelischen Theologen, promovierte 1929 in Geschichte an der Universität Graz und war danach journalistisch tätig. Politics: Die von 1944 bis 1949 monatlich in New York erscheinende Zeitschrift Politics wurde von Dwight MacDonald herausgegeben und versammelte Aufsätze zur internationalen Politik, ab 1945 verstärkt zur Entwicklung der beiden Machtblöcke. Autoren waren u.a. Hannah Arendt, Mary McCarthy, Karl Jaspers, Simone Weil und Simone de Beauvoir. Nations: Gemeint sind Exemplare von The Nation, einer linksliberalen amerikanischen Zeitschrift, herausgegeben von The Nation Associates, die seit 1865 wöchentlich erscheint. Sie behandelt vor allem politische und kulturelle Themen. Republics: Gemeint sind Exemplare der Zeitschrift The New Republic, einer liberalen Zeitschrift, die seit 1914 alle zwei Wochen erscheint, deren Position als Mitte-Links beschrieben wird und die schon seit dem Ersten Weltkrieg eine interventionistische amerikanische Außenpolitik befürwortet. Vgl. auch die Anmerkung „Lippmann“ zum Brief von Anfang November 1948. eine Freundin: Eine Freundin von Jean Starr Untermeyer.
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21. [25.7.1947] Li-teu-Bru1, Jeanerl hat – das weiß ich – den geheimen Wunsch von mir übersetzt zu werden, und so tat ich es mit beil. Schmarrn2 wie folgt: Oh Mozart, du im Elendsgrab? Oh nein! Dein Staub war Glanz, von keinem Grab zu halten, War erdentfloh’n im eig’nen süßen Ton Gelöster Seel’: In Ariels3 Gestalten Entzückt entschwebtest du, der Sphären liebster Sohn. Irdisch entirdischt, ja! Beerdigt, nein! Dein schwebend Wesen hat das Sein durchtränkt, Ist sichtbar in dem Antlitz jener zwei, Die du entsinnlicht-sinnlich hast beschenkt: In ihren Händen am Clavecin4 wird Geisterfreude frei. Glaubst Du daß man das Schönwiesen5 in der Mozartstadt 6 ohne Selbstblamage senden kann? Ansonsten gibt es unberufen hier nichts Neues; nur die unveränderte Korrespondenz möchte ich berufen. Das Haus ist ruhig, gästelos, das Telephon schweigt, Schiffers sind gesittet, und niemand verscheucht die Mama aus der Küche. Anbei ein Ausschnitt aus der Nazi-Zeitung7. Ich weiß nicht ob man das H[einz] N[orden]8 schicken soll, schicken darf (ganz abgesehen davon, daß seine Post ja jetzt wahrscheinlich überwacht werden wird) doch es ist immerhin anzunehmen, daß er darum weiß und dagegen Stellung nimmt. Das Schwarz-Weiß-Verfahren der Politik – Schwarz gleich Rot – ist einfach scheußlich; Bradley9 ist als Dpt.Head der NYU enthoben worden, u. s. w. Und dabei weiß ich natürlich, daß es für Politik bloß das Schwarz-Weiß-Verfahren gibt, weil nur mit Dummheit auf die Massendummheit gewirkt werden kann. Was aber diesen Einzelfall anlangt, so tut es mir insbesondere [um] Ruth10 leid, die sich schrecklich darüber aufregen wird, wenn sie es erfährt, und sie wird es wohl früher oder später (wenn auch nicht von
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mir) erfahren. Im übrigen ist sie in ihrer unablässigen Sorge um mich einfach rührend. Wie ja überhaupt all diese Frauen um mich rührende Feinde sind: das ist die ärgste Feindschaft. Man muß für Weihnachten vorsorgen, sowohl in Ansehung der galanten Geschenke wie überhaupt. Anbei ein Offert der New Directions11, das so überaus preiswert ist, daß Du unbedingt etwas bestellen solltest, u.z. sofort ehe der Stock ausverkauft ist. Und zum Spaß lege ich Friedmans12 Bestätigung bei, denn er nennt sich aus lauter Freundschaft nur mehr Milton13. Finanziell noch nichts Neues außer dem üblichen Canbyschen Optimismus. Morgen bin ich in N[ew] Y[ork], erstens um Blücher14 zu sehen, zweitens um den Hofmannsthal-Vorschlag15 zu akzeptieren. Hannah (Arendt)16 hat geschrieben und läßt Dich sehr grüßen. Daß ein Mensch wirklich infolge Korrespondenz zugrunde gehen kann, ist grotesk, ist aber doch so. Ich kann einfach nicht mehr weiter: Korrespondenz- und Frauenabstellung wäre wichtiger als jeder Urlaub. Sei umarmt, Libru. Grüß die Bells17. Immer H. Anmerkungen 1 Li-teu-Bru: Lieber, teurer Bruder. 2 Schmarrn: Schmarrn oder Schmarren ist eine süddeutsche oder österreichische Mehlspeise; bedeutet im übertragenen Sinn so viel wie „Unsinn“. 3 Ariel: Luftgeist in Shakespeares The Tempest; von Goethe in den Faust übernommen. 4 Clavecin: Französisch für Cembalo, das ursprünglich Clavicembalo hieß. An dieser Stelle der Gedichtsübertragung stand zunächst „am Klavier“, doch änderte Broch handschriftlich in „Clavecin“ um, wahrscheinlich, weil das Clavecin eines der Lieblingsinstrumente Mozarts war. Broch überarbeitete das Gedicht leicht und änderte die letzte Zeile um in „Und am Klavier wird Geistesfreude frei“. Er gab dem Gedicht den Titel „Mozart-Vierhändigspielen“. Es handelte sich um die freie Übersetzung des Gedichts „Duets at the MacDowell Colony“ von Jean Starr Untermeyer (KW 8, S. 92–93). Untermeyers Gedicht erschien unter dem genannten Titel erstmals in: Jean Starr Untermeyer, Job’s Daughter (New York: Norton, 1967), S. 118. 5 Schönwiese: Ernst Schönwiese (1905–1991), österreichischer Schriftsteller und Rundfunkredakteur. Vor dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Schönwiese
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als Publizist und Volkshochschuldozent, 1938 emigrierte er nach Ungarn. Ab 1945 war er Literaturredakteur des Rundfunksenders Rot-Weiß-Rot in Salzburg, von 1954 bis 1971 Programmdirektor für Literatur beim Österreichischen Rundfunk in Wien. Als Herausgeber, vor allem der Literaturzeitschrift das silberboot vor 1938 und nach 1945, setzte er sich für die Autoren der klassischen Moderne ein. Broch publizierte vor und nach dem Krieg im silberboot, wo er das Untermeyer-Gedicht allerdings nicht veröffentlichte. Mozartstadt: Salzburg, Österreich. Nazi-Zeitung: Nicht ermittelt. Norden: Heinz Norden (1905–1978), emigrierte 1924 in die USA, wo er für die New York City Housing Authority administrativ tätig war. Er arbeitete auch als Übersetzer, oft gemeinsam mit seiner Schwester Ruth, nachdem sie 1934 in New York eingetroffen war. Wie seine Schwester wurde Heinz Norden nach 1945 Information Officer der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland. Als 1947 der Kalte Krieg begann, wurde er angegriffen, da er zu sehr die Kooperation zwischen der westlichen und der östlichen Besatzungsadministration befürwortete. Am 10. Juli 1947 war Norden in der New York Times von einem Mitglied des amerikanischen Kongresses wegen seiner allzu freundlichen Haltung gegenüber der Sowjetunion angegriffen worden. Norden war damals Chefredakteur der in München von den Amerikanern herausgegebenen Zeitschrift Heute, einer Illustrierten, die im Stil von Life über nationale und internationale Entwicklungen berichtete. 1947 wurde Norden, dem als Sozialisten nicht an einer Konfrontationspolitik mit der Sowjetunion gelegen war, von der US-Besatzungsbehörde entlassen (vgl. TK). Bradley: Lyman R. Bradley jr. (geb. 1900), war seit 1942 Chairman des German Department an der New York University. Er wurde 1947 wegen angeblicher subversiver Aktivitäten seines Amtes enthoben und 1948 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung bemühte er sich vergeblich um Rehabilitierung und Schadensersatz. Ruth: Ruth Norden. New Directions: Die New Directions Publishing Corp. ist ein 1936 gegründeter Literaturverlag, der auch Übersetzungen der europäischen Moderne publizierte. Zu den Directions-Autoren zählten Vladimir Nabokov, James Joyce, Ezra Pound und Dylan Thomas. Friedman: Milton Friedman (1912–2006), marktliberaler US-Ökonom, der 1976 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Friedmann lehrte seit 1946 an der University of Chicago. Er machte sich einen Namen als Spezialist für Verbrauchertheorie, für die Theorie und Geschichte des Geldes und für Marktstabilisierungsstrategien. Er hatte als Begründer der Chicago School of Economics großen Einfluss mit der Verbreitung seiner politischen Philosophie, dass es besser für die Wirtschaft sei, wenn man den Einfluss der Regierung einschränke und den privaten Sektor sich selbst überlasse.
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13 Milton: Milton Friedman. Wie in Amerika üblich, reden sich die Kollegen an der Universität mit Vornamen an, woran Broch sich noch nicht gewöhnt hatte. 14 Blücher: Heinrich Blücher (1899-1970), Ehemann Hannah Arendts, Philosophieprofessor. Er lehrte an der New School for Social Research, später am Bard College in Annandale-on-Hudson im Staat New York. 15 Hofmannsthal-Vorschlag: 1947 wurde Broch von Seiten der Bollingen Series vorgeschlagen, für einen englischsprachigen Auswahlband der Werke Hugo von Hofmannsthals ein Geleitwort zu schreiben. Dieses Projekt gab Broch den Anstoß zu einer Epochendarstellung des Fin de siècle unter dem Titel Hofmannsthal und seine Zeit (KW 9/1, S. 111–275). Der Text wurde 1948 fertiggestellt. Bollingen bestand jedoch auf einer kurzen Einleitung, die Broch 1950 ablieferte. Er gab ihr den Titel „Hugo von Hofmannsthals Prosaschriften“ (KW 9/1, S. 300–332). Die englischsprachige Fassung von Brochs Aufsatz erschien erstmals als „Introduction“, in: Hugo von Hofmannsthal, Selected Prose (New York: Pantheon, 1952), S. 9–47. 16 Arendt: Hannah Arendt (1906–1975). Mit Hermann Broch unterhielt sie zwischen 1946 und seinem Tod einen Briefwechsel, publizierte auch mehrfach über ihn (vgl. ABB). 17 die Bells: Charles G. Bell (geb. 1916) und seine Frau Mildred Bell. Bell stammte aus Greenville, Mississippi. Von 1940 bis 1945 unterrichtete er als Assistant Professor am Iowa State College in Ames, Iowa. 1945 wechselte er zur Princeton University, wo er im ersten Jahr Forschungsassistent bei den Physikern war. Danach wurde er Assistant Professor an der Englischabteilung bis 1948. Er verließ Princeton 1948 mit einem Stipendium der Rockefeller Foundation.
22. One Evelyn Place, Princeton, N.J. 27.7.47 Dr. Erich Kahler Black Mountain College1 Black Mountain, N.C. Mein Vermißter, jetzt besonders Vermißter, ich bin bereits schwer korrespondenz-allergisch, krieg einen Ausschlag, wenn ich ein Couvert sehe, muß Dir aber doch mitteilen,
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daß ich vorgestern bei Barrett2 einen unberufen freundlichen Tag hatte: (1) Ich hab den Eindruck, daß Du den Voll-Grant3 hast – dem Grantigen sein Grant. (2) Ich werde – so scheint es – für den Hofmannsthal $ 2000.– (allerdings nicht steuerfrei) erreichen und kränke mich zutiefst nicht 4000.– verlangt zu haben. Die Geschichte vom Lamplfell4 und meinem Großvater5 kennst Du. Vorderhand aber habe ich $ 300.– in der Tasche. Bis zum 1. Oktober soll ich den genauen Plan des Werkes vorlegen und meine endgültigen Forderungen stellen. Es bleibt dann freilich das Problem offen wie ich mich um die Arbeit werde drücken können. So weit gut, soferne ich mich wirklich um die Arbeit drücken könnte. Die ist nämlich unbewältigbar. Das Politische darf ich jetzt nicht mehr unterbrechen, und selbst die Ausarbeitung des Planes bis Oktober will mir als eine unlösbare Aufgabe vorkommen. Zudem habe ich in den Hofmannsthal schon inzwischen hineingeschaut: ich bin kein so wohlwollender Rosinen-Herauspicker; mir ist das Ganze unsagbar fad. Viel lieber möchte ich einen Bachofen6 für $ 8000.– für Bollingen7 machen; aber all das ist bitte noch diskret. Es ist umso diskreter als ich den Bell8 als Übersetzer hineinbringen möchte, was aber eine delikate Aufgabe ist, weil der Bursche noch keinen Namen hat. Sie wollen den Spender9 haben. Was hältst Du davon? Leider ist Schiffrin10 auf Urlaub. Kann Berryman11 deutsch? Der Vergil ist – offenbar ohne Geld – an Gallimard12 verkauft, was mich ein bißchen freut. Ich habe, angesichts seiner vorjährigen Leistungen, bei Pitz13 wegen der Börs angefragt, und I quote14: „Kahler soll jetzt nichts verkaufen: lt. letzten Informationen wird die Steigerung sicherlich noch bis Ende September anhalten; dann wird die Sache zu einem Wendepunkt gelangen, doch über den Grad der Wendung läßt sich noch nichts voraussagen, da das in erster Linie von der Ernte und im übrigen natürlich von den politischen Entwicklungen abhängen wird.“ End [of] quote.15 Ansonsten das übliche Elend, und ich habe den Eindruck, daß Du wirklich nicht weißt was das für ein entsetzliches Elend ist. Zudem schaltet Federn16 für mich jetzt offenbar aus: der Arme fühlt
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sich trotz Urlaub nicht wohl, kann sich nicht erholen, und ich fürchte sehr, daß es jetzt rapid mit ihm abwärts gehen wird. Ein schwerer Jammer. Einer der wenigen Menschen, die mir wirklich etwas bedeuten. Im übrigen läßt er Dich schön grüßen. Sehr Lieber, sei umarmt H Anmerkungen 1 Black Mountain College: Dieses Liberal Arts College war 1933 in der Nähe von Asheville im Staat North Carolina von John Andrew Rice und Theodore Dreier gegründet worden. Im Mittelpunkt der Ausbildung standen die Künste, und die Erziehungsvorstellungen von John Dewey spielten eine große Rolle. Der Ansatz war interdisziplinär, und dem College gelang es, führende Künstler, Schriftsteller und Graphiker als Professoren zu gewinnen. Erich von Kahler hatte dort eine Gastprofessur inne. Das College existierte bis 1957. 2 Barrett: John D. Barrett (1903–1981), war von 1946 bis zu seiner Pensionierung 1969 Leiter und Herausgeber der Bollingen Series in Kurt Wolffs Verlag Pantheon Books in New York. Er war außerdem von 1951 bis 1965 Präsident der Bollingen Foundation. 3 Voll-Grant: Voll-Stipendium. 4 Lamplfell: Nicht ermittelt. 5 mein Großvater: Gemeint ist Herrmann Schnabel (1823–1883) aus Wien, Brochs Großvater mütterlicherseits. 6 Bachofen: Johann Jakob Bachofen (1815–1887) war ein Schweizer Jurist und Anthropologe. Er erforschte Mythen und Symbole des Altertums und kam zu dem Schluss, dass die patriarchale Struktur der Gesellschaft nicht schon immer bestanden habe. In seinem 1861 erschienenen Hauptwerk Das Mutterrecht beschreibt er, dass dem Patriarchat eine „Urgesellschaft“, ein Matriarchat, vorausgegangen sei. Broch hatte sich mit Bachofen Mitte der 1930er Jahre beschäftigt, als er seinen Roman Die Verzauberung (KW 3) schrieb. 7 Bollingen: In der im Verlag Pantheon Books in New York erscheinenden Bollingen Series sollte Brochs Massenwahntheorie (KW 12) publiziert werden. Seit Anfang 1945 wurde Brochs Studie mit $ 200 pro Monat bevorschusst. Broch bat 1946 und 1947 erfolgreich um eine Verlängerung dieser Vorauszahlung, die dann bis Mitte 1947 gewährt wurde. Herausgeber der Bollingen Series war John D. Barrett. Vgl. Brochs Brief an Barrett vom 12. März 1946 (KW 13/3, S. 83–84). Broch war durch Kurt Wolff, den Leiter von Pantheon Books, auf die Bollingen Series hingewiesen worden. Bei Pantheon Books war 1945 Brochs Roman Der Tod des Vergil (KW 4)
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erschienen. Gegründet worden war die Bollingen Foundation, die die Bollingen Series finanzierte, 1945 durch Paul Mellon und seine Frau Mary Mellon. Benannt wurde die Stiftung nach dem Schweizer Ort Bollingen, wo C.G. Jung ein Landhaus besaß. Ursprünglich war die Bollingen Series für die Herausgabe der Gesammelten Werke von C.G. Jung vorgesehen bzw. für Werke, die zur Verbreitung von C.G. Jungs Psychologie beitragen würden. Bell: Charles G. Bell. Spender: Stephen Spender (1909–1995), englischer Essayist und Lyriker, Vertreter einer engagierten Literatur. Broch hatte Spender 1935 bei seinem Verleger Daniel Brody in München kennengelernt. Als die englische Übersetzung von Brochs Schlafwandler-Trilogie bei Pantheon Books in New York neu aufgelegt wurde, schrieb Spender die Besprechung „Nightmare and Redemption: The Sleepwalkers“, in: Commentary 6.10 (1948), S. 385– 387. Spender verfasste keine Übersetzung von Brochs Arbeiten. Schiffrin: Jacques Schiffrin (1886–1950), französischer Übersetzer und Pléiade-Herausgeber. Er übersetzte (u.a. gemeinsam mit André Gide) russische Klassiker (Dostojewski, Puschkin, Gogol und Turgenjew) und edierte La Fontaine und Shakespeare. 1940 emigrierte er in die USA. Er arbeitete als Lektor in Kurt Wolffs 1942 gegründetem Pantheon Books Verlag, in dem er auch selbst publizierte. 1950 half Schiffrin Broch bei den Korrekturen an der französischen Ausgabe des Romans Der Tod des Vergil (KW 4), für dessen Publikation er sich mit Nachdruck eingesetzt hatte. Berryman: John Berryman (1914–1972), eigentlich John Allyn Smith, war ein amerikanischer Lyriker. 1942 hatte er seinen ersten Band The Dispossessed herausgebracht, 1948 folgte Homage to Mistress Brad Street. Er gilt als Vorläufer der Beat-Poets und gewann 1964 den Pulitzer-Preis für Lyrik. Berryman gehörte zum Bekanntenkreis Brochs und Kahlers. Gallimard: Gaston Gallimard (1881–1975), französischer Verleger, der 1919 den nach ihm benannten Verlag Editions Gallimard in Paris gründete, einen der bedeutendsten Literaturverlage des Landes. Dort erschienen zwischen 1952 und 1961 Brochs Romane in französischer Übersetzung. Pitz: Hermann Friedrich Broch de Rothermann. quote: Englisch für „ich zitiere“. End [of] quote: Englisch für „Zitatende“. Federn: Paul Federn war an Krebs erkrankt. Im Mai 1950 beging er Selbstmord.
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23. 1.8.47 Hab nur ein schlechtes Gewissen, mein sehr Guter; Du hast allen Anlaß hiezu. Aber vor allem laß Dich umarmen und zur Beilage gratulieren. Also das wäre geschafft. Du hingegen mußt den Wolffs gratulieren: sie haben den Ramuz1 beim Book of the Month2 angebracht. Gestern Abend hat mich die Helene3 jubelnd angerufen. Ich war an der Sache mehr und geschickter beteiligt als die Helene wissen soll. Aber die Canbys wissen, weil sie ja das Operationsobjekt gewesen sind. Und ihre Reaktion ist höchst amerikanisch: Henry schlägt – der Brief langte heute Früh ein – kaltblütig vor, (1) daß ich eine Provision von Pantheon4 verlangen soll, (2) eventuell in Gestalt eines entsprechenden Vorschusses auf die neue Sleepwalker-Ausgabe, (3) und daß ich ihm hiezu den Kontrakt zur „Überprüfung“ – natürlich höchst offiziell – vorlegen soll, was begreiflicherweise leichtes Daumschrauben für Pantheon bedeuten würde. Mir ist das Ganze nicht sehr sympathisch, und ich glaube auch nicht, daß ich darauf eingehen werde. Hingegen halte ich es für richtig Helenen von der innigen Verbindung zwischen mir und Canby in dieser Sache Kenntnis zu geben, und so habe ich ihr l[au]t Beil[age] geschrieben. Zum sonstigen Inhalt meines Briefes braucht es keinen Kommentar, und ich nehme an, daß Du durchaus einverstanden bist. Der Zabel 5 wird eine sehr anständige Einleitung schreiben, aber er ist alles andere denn eine Publikationsattraktion. Man kann jetzt bloß the best of it 6 und him7 machen. Ungesehen wird meine Hofmannsthal-Einleitung8 besser sein, und noch besser wäre die Deine. Aber an den Bachofen würde ich mich – trotz aller Gierlust danach – nicht heranwagen; irgendwo muß das Herumdilettieren eine Schranke haben. Im übrigen kann das alles erst nach der Rückkehr Barretts im September zur Sprache kommen. Ebenso, wie ich Dir gestern schrieb, die Übersetzungsfrage.
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Canby muß ich jetzt natürlich die Hofmannsthal-Lösung mitteilen, und es wird eine große Erleichterung für ihn und leider auch für Moe9 sein. Mit Freuden werden sie in ihren Anstrengungen wieder erlahmen; der Moe ist auch daraufhin schon auf Urlaub gegangen: schön hätte ich ausgeschaut, wenn ich mich auf ihn, resp[ektive] den Henry’schen Optimismus verlassen hätte, und fast fürchte ich, daß auch die Idee von der Pantheon-Provision eine Art Flucht-Aktion gewesen ist, denn er war von der Moe-Vacation, die mich einfach sitzen ließ, selber überrascht worden. Das ist meine Beschäftigung: Briefe an Canby, an Pantheon, an Edlin10, an Brody – im Juli sind 176 Briefschaften, geschrieben mit meiner eigenen Hand, hinausgegangen. Und da willst Du, daß ich auf Urlaub gehe! Es wäre meschugge und würde mich bloß meschugge machen. Befreie mich von Korrespondenz und Frauen, und Du würdest sehen wie ich auflebe. Statt dessen läßt Du mich ableben. Und dabei wird das Politische immer besser – wenn ich es schreiben könnte. Im Gegenteil, ich [rate] Dir allen Ernstes von Deinem Urlaub ab. Ich halte es für sinnlos, daß Du da 14 Tage herumhetzt und vertratschtst. Der Sommer ist hier absolut erträglich, und Du hast ein Riesenprogramm vor Dir, dem Du keinen Tag mehr entziehen darfst. Dazu kommt die Mama: da Du Cornell11 machen sollst, ja machen mußt, so wäre es nur angezeigt, wenn Du ihr vorher diese paar Wochen gäbest. Natürlich solltest Du etwas für den Rücken tun, aber 8 Tage Meerbad, überdies mit dem Schlechtwetterrisiko, sind kein „tun“; das ist gar nichts und ist weder die Reisemühe noch die Kosten wert. Wenn ich einen wirklichen Gesundheitszuschuß für Dich sähe, würde ich nicht so reden; doch wie die Dinge liegen sehe ich nichts dergleichen, sondern nur Anstrengung und Chinese Checker12 mit dem Rothi13. Meinetwegen nenne es Eifersucht, aber sicherlich ist es nicht Verantwortungslosigkeit. Ansonsten, d.h. abgesehen von Mamas auf- und abschwellendem Raunzen über Dein Herumgefahre, geht hier alles in unberufen bester Ordnung. Die Steuer beim Borough 14 habe ich heute gezahlt, doch wollten sie noch eine weitere, bereits fällige Rate von $ 90.–. Ich habe sie vertröstet. Ich bin korrekt, Du aber inkorrekt: in meinem Geehrten v.25.pt. habe ich Dir ein Jeanerl-Gedicht15 zwecks Silberboot-Begutachtung vorgelegt, und in Deinem demzufolge sehr Ungeehrten hast Du
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keine Silbe, geschweige denn Silber, geschweige Silberboot dazu erwähnt. Und habe ich einen dringenden Schönwiese-Brief ebendeshalb zurückgehalten. Also bitte mach es wieder gut. Wie glücklich ich über Bollingen16 bin, kann ich Dir gar nicht sagen. Und noch mehr freue ich mich auf das Buch: man darf Man the Measure17 nicht weiter so als ein Halbeter18, der er ist, herumlaufen lassen. Das bist Du Dir, bist Du der Welt schuldig. Und ebendarum meine ich, daß man das Problem des deutschen Man the Measure bis zur Fertigstellung der zweiten Hälfte vertagen soll. Natürlich tut es mir weh, daß meine Demokratie nun ohne Deine sehr wichtige Hälfte bleiben muß. Aber wird meine Hälfte gemacht werden, wenn die Dinge so weiter gehen? Jetzt drei Tage Korrespondenz. Natürlich wird das Buch an der Weltsauerei nichts ändern, aber es soll herumgehen. Die Aufhängungen in Palästina19 sind die trottelhafteste Schweinerei, die eine Regierung sich hat leisten können. Ich bin gewiß immer der Ansicht den anderen nicht ohneweiters als Trottel anzuschauen, sondern zuerst einmal seine Gründe kennen zu lernen, doch für so etwas gibt es keine Gründe. Und Churchill 20 hätte jetzt die schönste Gelegenheit zu einem Angriff auf die Laboristen21. Ich bin sehr gespannt ob er es ausnützen wird. Ansonsten aber nur angewidert. Von Herzen H Hannah Arendt-Blücher, 317 West 95th St., N.Y.C. 25, vom Urlaub zurück Else Staudinger, 71 Washington Square, N.Y.C. 12, Mutter gestorben: kondolieren. Anmerkungen 1 Ramuz: Charles Ferdinand Ramuz (1878–1947), einer der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller französischer Sprache. Das Hauptthema seiner Romane ist das Leben der Bauern seiner waadtländischen Heimat. Broch hatte im Herbst 1930 Ramuz’ Roman Das Große Grauen in den Bergen (1927), also die Übersetzung von La grande peur dans la montagne (1926) gelesen. Sein Kommentar dazu: „[… es ist ein gutes Buch, wenn auch ganz außerhalb unserer ‚westlichen‘ Linie.“ (KW 13/1, S. 108). Broch schätzte Ramuz, und dessen Bergromane dürften mit zu den Anregungen zu seinem Buch Die Verzauberung (KW 3) gehört haben.
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2 Book of the Month: Der Book-of-the-Month Club ist eine 1926 gegründete kommerzielle Institution, deren Mitglieder für ihren Beitrag monatlich den Nachdruck eines literarischen Erfolgswerkes erhalten. Dieser Lesezirkel hatte damals 900.000 Mitglieder. 1947 war von C.F. Ramuz bei Pantheon Books der Roman When the Mountain Fell erschienen, eine Übersetzung seines Romans Derborance (1934) durch Sarah Fisher Scoff. Das Buch war vom Book-of-the-Month Club übernommen worden. Ramuz erlebte diesen Erfolg seines Romans nicht mehr; er war bereits im Mai 1947 verstorben. 3 Helene: Helene Wolff. 4 Pantheon: Kurt Wolffs Pantheon Books in New York (gegründet 1942). 5 Zabel: Morton Dauwen Zabel (1901–1964), Autor, Herausgeber, Kritiker und Universitätsprofessor. Zabel promovierte an der University of Chicago, wo er anschließend auch als Englischprofessor lehrte. Er war für die Neuausgabe der englischen Übersetzung von Brochs Schlafwandler-Trilogie bei Pantheon Books im Jahre 1948 vorgesehen gewesen, die dann aber von Hannah Arendt übernommen wurde. 6 the best of it: Englisch „to make the best of it“: „das Beste daraus machen“. 7 him: Morton Dauwen Zabel. 8 Hofmannsthal-Einleitung: „Hugo von Hofmannsthals Prosaschriften“ (KW 9/I, S. 300–332). 9 Moe: Henry Allen Moe (1894–1975), amerikanischer Mitarbeiter verschiedener Stiftungen und Organisationen. Er war in den zwanziger Jahren für den Aufbau der John Simon Guggenheim Foundation in New York zuständig, für die er in der Folge als Sekretär, Generalsekretär und schließlich von 1961 bis 1963 als Präsident tätig war. Daneben hatte er u.a. Ämter bei der American Philosophical Society und beim Museum of Modern Art inne. 1940/41 hatte Broch ein Guggenheim-Stipendium für die Arbeit am Tod des Vergil erhalten. Seitdem stand er mit Henry Allen Moe in Verbindung. 10 Edlin: Gregor Edlin (1892–1972), Zürcher Anwalt. 1929, als Daniel Brody den Rhein-Verlag erwarb und den Sitz der Firma nach Zürich verlegte, wurde Edlin Präsident des Verlags-Verwaltungsrats. Während Brodys Emigration übernahm er die Leitung des Verlags, bei dem er bis 1963 arbeitete. 11 Cornell: Cornell University. 12 Chinese Checker: Hunderasse. 13 Rothi: William Roth. 14 Steuer beim Borough: Kommunalsteuer (Borough ist in Amerika die kleinste Verwaltungseinheit, vergleichbar mit der deutschen Gemeinde). 15 Jeanerl-Gedicht: Das Gedicht „Duets at the MacDowell Colony“ von Jean Starr Untermeyer (KW 8, S. 92–93). 16 Bollingen: Kahler hatte einen Vertrag für ein Buch in der Bollingen Series erhalten, die bei Pantheon Books in New York erschien. Es handelte sich um das Projekt, das ein Jahrzehnt später in einem anderen Verlag (bei Braziller in New York) unter dem Titel The Tower and the Abyss. An Inquiry
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into the Transformation of the Individual erschien. Nach Abschluss dieses Vertrags gab Kahler die Idee auf, ein Buch mit Broch gemeinsam zum Thema Demokratie zu schreiben. Man the Measure: Erich von Kahler, Man the Measure. A New Approach to History. (New York: Pantheon Books, 1943). Die geplante deutschsprachige Ausgabe von Man the Measure kam nicht zustande. Halbeter: Österreichisch für etwas, das nur halbfertig ist. Früher konnte man für das Adjektiv „halb“ auch „halbeter“ sagen. Vgl. das Grimmsche Wörterbuch, wo das Beispiel „ein halbeter Apfel“ angegeben ist. In seiner Besprechung von Man the Measure von 1949 hatte Broch darauf hingewiesen, dass dem Buch die erkenntnistheoretische Grundlegung fehle (KW 10/1, S. 310). So drängte Broch Kahler dazu, diese Basisarbeit in einer Fortsetzung des Buches zu leisten. Aufhängungen in Palästina: Am 29. Juli 1947 wurden durch die britische Mandatsregierung in Palästina drei Mitglieder der Irgun in Akra mit dem Tod durch Erhängen bestraft. Sie waren beschuldigt worden, das Gefängnis von Akra am 4. Mai 1947 in die Luft gesprengt zu haben, so dass zweihundert Insassen (Juden und Araber) entkommen konnten. Die Irgun war eine militante zionistische Gruppe in Palästina zwischen 1931 und 1948. Churchill: Winston Churchill (1874–1965). Laboristen: Britische Labour Party, die von 1945 bis 1951 unter Clement Attley die Regierung stellte.
24. 5.8.47 Lieber, Guter, Fauler, hast schon recht nicht zu schreiben; ich kann meinerseits schon nicht mehr weiter. Das Heutige dient nur, um ein paar Briefe zu schicken, die von der Mama teils aus Neugier, teils aus Markengier1 geöffnet worden sind. Außerdem zwei Kleinkarten. Weiters liegt – über speziellen Wunsch des beloved brothers2 – ein neuer Aufruf für Dich bei mit der Bitte um Deine Begutachtung. Natürlich ist gegen all das nichts einzuwenden. Ich frage bloß zurück, worin sich diese Zielsetzung von denen des PAC3 sowie von denen der Roosevelt4- und Wallacegruppen5 unterscheidet.
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Brody hat Bespaloff 6 und Weil7 abgelehnt. Stattdessen will er bloß die Einleitung zusammen mit dem Mythologie-Aufsatz aus Chimera8 bringen, und zur Abrundung des Bandes soll ich einen zusammenfassenden Essay zu den beiden dazuschreiben, insgesamt also drei Mythologie-Essays. Ganz schön, aber woher die Zeit nehmen. Anbei ein Lili-Brief. Meine Antwort kannst Du Dir vorstellen. Leider ist auch Frances zu geldgehemmt, um hinfahren zu können. Sei umarmt Gubru H. Antwort mir wegen des Jeanerl-Gedichts! da genügt doch wirklich eine Karte mit einem Ja oder Nein. Anmerkungen 1 Markengier: Antoinette von Kahler sammelte Briefmarken, die sie jedoch weiterverschenkte. 2 beloved brother: Englisch für „geliebter Bruder“ (hier ironisch verwendet). Gemeint ist Friedrich Josef (Fritz) Broch (1889–1967), der jüngere Bruder Hermann Brochs. Er lebte damals in Cambridge, Massachusetts, im Exil, wo er mit seiner Frau eine Konditorei betrieb. Bis zum Verkauf der väterlichen Firma Spinnfabrik Teesdorf im Jahr 1927 war Fritz Broch der technische Direktor der Fabrik gewesen, während Broch die kaufmännische Leitung inne gehabt hatte. 3 PAC: PAC (Political Action Committee) ist in den USA die Bezeichnung für eine Lobbygruppe, die sich darauf konzentriert, Abgeordnete oder Wahlbeamte der Regierung zu unterstützen oder zu bekämpfen. Die PACs unterliegen dabei bestimmten gesetzlichen Regeln; neben Interessengruppen gründen auch viele Amtsinhaber eigene PACs, um ihr Fundraising zu organisieren. Welches PAC Broch hier meint, ist nicht ersichtlich. 4 Roosevelt: Franklin D. Roosevelt (1882–1945), von 1933 bis zu seinem Tod am 12. April 1945 amerikanischer Präsident. 5 Wallacegruppen: Anspielung auf die Progressive Party von 1947, deren Ziel es war, die Wahl Henry Agard Wallaces zum Präsidenten zu ermöglichen. Wallace (1888–1965) war ein amerikanischer Politiker, der zunächst Mitglied der Republikanischen Partei gewesen war, dann jedoch zur Demokratischen Partei wechselte. 1947 entschloss er sich aber, eine eigene Partei, die Progressive Party, mitzubegründen. Von März 1933 bis September 1940 war er Landwirtschaftsminister, von Januar 1941 bis Januar 1945 Vizepräsident in der Regierung von Franklin D. Roosevelt gewesen. Nach Roose-
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velts Tod bekleidete er in der Regierung von Harry S. Truman von März 1945 bis September 1946 das Amt des Wirtschaftsministers. Wallace trat mit seiner neuen Partei in der Präsidentschaftswahl des Jahres 1948 als Kandidat an, verlor jedoch gegen Harry S. Truman, den Kandidaten der Demokratischen Partei. 6 Bespaloff: Rachel Bespaloff, geb. Pasmanik (1895–1949), Philosophin ukrainischer Herkunft. Broch schrieb die Einleitung „The Style of the Mythical Age“ zu Bespaloffs Studie On the Iliad (New York: Pantheon, 1947). Auf Deutsch erschien der Aufsatz unter dem Titel „Mythos und Altersstil“ (KW 9/2, S. 212–232). Bespaloffs kleines Buch war aus dem Französischen von Mary McCarthy übertragen worden. Brochs Einleitung findet sich auf den Seiten 9–33. Hannah Arendt war mit Rachel Bespaloff, die sie aus dem Pariser Exil kannte, befreundet. Am 19.6.1947 schrieb Broch an Annemarie Meier-Graefe: „Gestern Abend mit Rachel Bespaloff bei Schiffrin, wohin gleichfalls Hannah gekommen ist; sie läßt Dich zärtlichst grüßen. Rachel Bespaloff ist an die fünfzig, hochintellektualisiert, weiß ungeheuer viel, was mir Minderwertigkeitsgefühle verursachte, und die sind auch durch ihr Entzücken über meine Einleitung keineswegs aufgehoben.“ (ABB, S. 62). Brochs Idee, die Ilias-Studien von Simone Weil und Rachel Bespaloff gemeinsam zu edieren, wurde erst vier Jahrzehnte später realisiert. Vgl. Simone Weil/Rachel Bespaloff: War and the Iliad. With an essay by Hermann Broch (New York: New York Review Book, 2005). 7 Weil: Simone Weil (1909–1943) war eine französische Philosophin und Mystikerin jüdischer Herkunft. Sie schrieb den Aufsatz „The Iliad or the Poem of Force“, der in Englisch erstmals als pamphletartiger Sonderdruck der Politics im Jahr 1945 erschien. Weil schrieb den Aufsatz bereits 1940 in ihrer französischen Heimat als „L’Iliade ou le poème de la force“ und veröffentlichte ihn in den Cahiers du Sud in Marseille. 8 Chimera: Die New Yorker Zeitschrift Chimera. A Literary Quarterly erschien vom Frühjahr 1942 bis zum Sommer 1947 unter wechselnden Herausgebern und in verschiedenen Verlagen. Beiträger waren neben Broch u. a. Erich von Kahler, C.G. Jung, Thomas Mann und Karl Kerényi. Das Frühjahrsheft von 1946 hatte den Untertitel „A Special Issue on Myth“. Broch veröffentlichte hier seinen Aufsatz „The Heritage of Myth in Literature“, Chimera 4.3 (1946): 33–41. Es handelt sich um die englische Übersetzung des Essays „Die mythische Erbschaft der Dichtung“ (KW 9/2, S. 202–211), der im Jahr zuvor im Thomas Mann zum 70. Geburtstag gewidmeten Heft der Neuen Rundschau (6. Juni 1945) erschienen war. Im gleichen ChimeraHeft erschien auch Erich von Kahlers Aufsatz „The Persistence of Myth“ (S. 2–11).
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25. 30.9.47 Lieber, Guter, der beil. von Mama glücklicherweise geöffnete und sodann glücklicherweise zu mir geratene Brief Sterns 1 hat mich wegen seiner Beilage natürlich höchlich interessiert, umsomehr als ich gerade jetzt die Polemik in den von Bouchi mitgebrachten „Temps modernes“2 – ich hebe das Heft für Dich auf – gegen den Löwith-Aufsatz3 lese. Hinter all dem steht freilich nichts anderes als die Grundfrage: hat der Philosoph im Notfall Märtyrer zu sein? Und da es eine Frage ist, die im letzten eigentlich nicht nur für den Philosophen sondern für jedermann zu bejahen ist, weil sie das Zentrum dessen ist, was man Anständigkeit nennt, so ist der Mensch Heidegger4 damit gerichtet. Und seine Eingabe ist demgemäß recht jämmerlich, denn er weiß natürlich, worum es da geht. Dabei bin ich im Grunde recht milde gegen derartige Fälle; denn oft weiß der Mensch nicht, ob der Notfall eingetreten ist oder ob er selber zu Fall gekommen ist. Ich bin froh, daß die Sachen dort funktionieren, und daß sie Dir doch augenscheinlich etwas Spaß machen. Hoffentlich kommst Du daneben wenigstens so weit zur eigenen Arbeit, daß Du die Niederschrift des Aufsatzes, der ein Buch ist, beendigen kannst, so daß Du den Kopf für das Bollingen-Projekt frei hast. Bei mir beginnt der Hofmannsthal irgendwie Form anzunehmen. So wie sich zwischen Dienstmädchen und der Gnädigen langsam eine Art homosexuelles Verhältnis entwickelt, genauso geht es mir mit H.: mit leichter Perversität überwinde ich meinen Ekel. Nebenbei träume ich, im wahrsten Wortsinn, nämlich in der Nacht unaufhörlich Literatur, vorgestern einen ganzen Roman, den ich sogar teilweise skizzieren5 konnte, und der einen Sinn gibt, ja tatsächlich das repräsentieren würde, was ich „Essentialismus“ nennen würde. Ich habe es Frances gegeben, die damit natürlich nichts wird anfangen können. Überhaupt, das Gedränge am Ausgang wird ärger und ärger, und damit auch meine farewell-Stimmung6, in die ich mich hineinzureden hüte, aber aus der ich mich auch nicht herauszureden vermag.
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Du gehst mir ab, und im Niederschreiben merke ich wie niederträchtig das Deutsche doch manchmal ist: eine so ekelhafte Zweideutigkeit wie Abgehen gibt es in keiner anderen Sprache. Also eindeutig: sei umarmt. H Wo finde ich „den Erben laß verschwenden“7. Ich habe mir jetzt die „Nachlese“8 der Jugendgedichte aus der Bibliothek geholt, aber es ist nicht dabei. [KW 13/3, S. 169–170]
Anmerkungen 1 Stern: James Stern (1904–1993), anglo-irischer Schriftsteller, der in den 1930er Jahren für die Bank seiner Familie in England und Deutschland arbeitete. Er machte sich einen Namen mit seinen Short Storys und Erzählungen: The Heartless Land (1932), Something Wrong (1938), The Man who was Loved (1952). 1939 emigrierte Stern nach New York, kehrte aber in den frühen 1950er Jahren nach England zurück. Er gehörte zum Freundeskreis Brochs während des amerikanischen Exils. Unmittelbar nach dem Kriege arbeitete Stern (gemeinsam mit W. H. Auden) für die amerikanische Besatzungsmacht in Deutschland. Ergebnis seiner Beobachtungen im Nachkriegsdeutschland war der Bericht The Hidden Damage (1947), der damals viel diskutiert wurde. Gemeinsam mit seiner Frau Tania übersetzte er 1950 Brochs Einleitung „Hofmannsthals Prosaschriften“ ins Englische. Vgl. Hermann Broch, „Introduction“, in: Hugo von Hofmannsthal: Selected Prose (New York: Pantheon Books), S. 9–47. 2 „Temps modernes“: Les Temps Modernes ist eine von Jean-Paul Sartre im Oktober 1945 begründete literarisch-politische Monatsschrift. Sie erscheint in Paris bei Gallimard. Zu den Mitbegründern zählten neben Sartre auch Simone de Beauvoir und Maurice Merleau-Ponty. 3 Löwith-Aufsatz: Karl Löwith (1897–1973), deutscher Philosoph jüdischer Herkunft. Er emigrierte 1934 über Italien und Japan in die USA (1941), wo er an der New School for Social Research in New York lehrte. Vgl. seinen Aufsatz „Les implications politiques de la philosophie de Heidegger“. In: Les Temps Modernes 2.14 (1946), S. 343–360. 1952 wurde Löwith Professor in Heidelberg. Er war mit Karl Jaspers befreundet. 4 der Mensch Heidegger: Martin Heidegger war in den Jahren nach dem Krieg wegen seiner Rolle in der Nazizeit umstritten und stand bis zu seiner Emeritierung 1951 unter Berufsverbot. In der Juli-Ausgabe 1947 der Temps Modernes befassten sich zwei Aufsätze kritisch mit Heidegger: Eric Weils
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„Le cas Heidegger“ (S. 128–138) und Alphonse de Wählens „La philosophie de Heidegger et le Nazisme“ (S. 115–127). Im gleichen Jahr 1947 versuchte sich Heidegger mit einem Brief über den „Humanismus“ an Jean Beaufret zu rehabilitieren. Vgl. Martin Heidegger, Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den ‚Humanismus‘ (Bern: Francke, 1947). Roman [...] skizzieren: Es existiert ein fragmentarischer Entwurf zu einem autobiographisch angelegten Roman mit dem Titel Siegreiche Niederlage. Broch wollte diese Skizze nicht selbst ausarbeiten, vielmehr war sie als Anregung für die mit ihm befreundete amerikanische Schriftstellerin Fanny Colby Rogers gedacht, die als Autorin in eine Schreibkrise geraten war. Broch verlegte die Handlung in die USA, schildert hier aber die Geschichte seiner Kindheit und Jugend (KW 13/3, S. 171–175). farewell-Stimmung: Englisch für „Abschiedsstimmung“. „den Erben laß verschwenden“: Erste Zeile aus Hugo von Hofmannsthals „Lebenslied“ von 1896. Vgl. Hugo von Hofmannsthal, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Band 1: Gedichte und lyrische Dramen (Frankfurt am Main: S. Fischer, 1952), S. 12. „Nachlese“: Broch meint den posthum erschienenen Hofmannsthal-Band Nachlese der Gedichte. Berlin: S. Fischer 1934.
26. One Evelyn Place, Princeton, N.J. 19.10.47 Prof. Erich Kahler c/o Mrs. van der Hoek 109 Cayuga Heights Rd. Ithaca, N.Y. Lieber, Guter, antworten tust Du ja eh nicht, und ich habe vergessen Dich am Telephon zu fragen, ob Du das Bermann-Kabel 1 bekommen hast. Also wiederhole ich es um-ä-Falle jeden2, wie meine Großmutter3 sagte: „Stockholm. How fast could you deliver Rundschau article Faustus please cable. Bermann-Fischer.“4
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Vielleicht paßt Dir die Sache in die Vorlesungsvorbereitung, so daß Du zwei Fliegen5 hast. In diesem Fall könntest Du es wohl machen, anders aber nicht; Du bringst Dich sonst um. Über den Roth6 hat Dir Lili alles gesagt. Anbei sein Brief, Gott wie vorsichtig abgefaßt. Außerdem scheint er nicht zu wissen, daß man Zahlungen auch von der Schweiz aus veranlassen, ja sogar einen Scheck schicken kann. Ich antwortete darauf folgendes, höflichkeitshalber handschriftlich, unhöflichkeitshalber auf einem Air mail letter: „Nur ein kurzer und rascher Dank, lieber Herr Roth, für ihre guten Zeilen v.14.ds. Und hiezu die besten Wünsche für eine glückliche Heimkunft. Ich freue mich Sie im November begrüßen zu können. Kahler ist augenblicklich in Ithaca; er hat dort Gastvorlesungen an der Cornell-Universität. Aber ich verständige ihn von Ihrer Benachrichtigung. Mit einem sehr herzlichen Gruß aufrichtigst Ihnen verbunden HB“ Ich nehme an, daß Du mit dieser Enunziation einverstanden bist. Weiters über Lilis Wunsch, aber Du hättest es auch so bekommen, mein Geburtstagsgedicht7 für sie. Am Hofmannsthal-Kapitel nudel ich noch immer herum. Wenn ich denke wie lange ich bei diesem Tempo mit ganzen Einleitungen brauchen werde, habe ich es mit dem Angstschweiß zu tun. Mein Entsetzen über mich und die von mir verlorene Zeit wächst unaufhörlich, und mein Schlaf wird immer kürzer. Sei umarmt, in Liebe H Borgi 8 hat mir die Konstitution9 geschickt und verlangt kritische Stellungnahme. Ich glaube ich werde ungelesen loben. Erstens weiß ich nicht wie auch das noch unterbringen, und zweitens hört er’s am liebsten.
Anmerkungen 1 Bermann-Kabel: Gottfried Bermann Fischer (1897–1995), Schwiegersohn von Samuel Fischer, übernahm 1928 die Leitung des S. Fischer Verlags in
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Berlin. Kabel ist umgangssprachlich für Telegramm. Bermann-Fischer machte in den Nachkriegsjahren regelmäßig Abstecher nach New York, um mit Exilautoren zu sprechen. um-ä-Falle jeden: auf jeden Fall. Großmutter: Gemeint ist Fanni Fleischmann (1834–1915) aus Wien, Brochs Großmutter mütterlicherseits. „Stockholm ...“: Kahlers Artikel „Säkularisierung des Teufels“ über Thomas Manns Doktor Faustus erschien in: Neue Rundschau (Frühjahr 1948): 185– 203. Der Bermann-Fischer Verlag, wo die Neue Rundschau erschien, befand sich damals noch in Stockholm, wohin der Verleger während der Zeit des Nationalsozialismus geflohen war. zwei Fliegen: verkürzt für „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“. Roth: William Roth. Geburtstagsgedicht: Hermann Broch, „Kulinarisches Liebeslied“, „für Lili Loewy zu ihrem Geburtstag am 17.10.1947“ (KW 8, S. 148). Borgi: Giuseppe Antonio Borgese. Konstitution: Giuseppe Antonio Borgese betrieb damals das Projekt einer „Weltverfassung“.
27. One Evelyn Place, Princeton, N.J. 23.10.47 Prof. Erich Kahler c/o Mrs. van der Hoek 109 Cayuga Heights Rd. Ithaca, N.Y. Lieber, Guter, gerade für teueres Geld geplauscht, aber von Zeit zu Zeit mußt Du anrufen. Daß ich hinkommen1 und vorgestellt werden soll ist eine liebe Idee, aber (a) Schüchternheit (b) Zeitmangel für Reise (c) noch größerer Zeitmangel für Vorbereitung eines Vortrages, den ich den Knaben, bin ich schon dort, ja doch halten müßte. Jedenfalls reden wir noch darüber.
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Heute nur kurzer Kommentar zu den Beilagen: Helene.2 Ich habe ihr Viettas3 MS4 seines mir gewidmeten Artikels5 für ein Sammelwerk („Die repräsentativen Denker Europas“) geschickt, nicht damit er als Einleitung für die neuen Sleepwalkers verwendet werde, sondern um ihr zu zeigen was m.E. in einer solchen Einleitung enthalten sein sollte. Sie und Schiffrin schlagen daraufhin vor ein Exzerpt aus diesem etwa 40-seitigen Artikel dem Buch beizulegen. Wie ich darauf reagiere ersiehst Du aus dem Durchschlag. Ich denke, daß Du einverstanden sein wirst, ebenso damit, daß sie mit der Publizierung warten sollen bis sie einen anständigen Einleiter gefunden haben. Der Artikel selber wird Dir von Helene zugeschickt, sobald sie ihn nicht mehr braucht. Franz Kahler 6 braucht keinen Kommentar. Gedicht7 halte ich jetzt für recht perfekt. Brody lediglich wegen der hebräischen Fülle, die mir Spaß gemacht. Ansonsten seine Beleidigung, weil ich der Bespaloff die Freude machen will ihr Büchel, das er notabene abgelehnt hat – er will nur meine Einleitung bringen – einem deutschen Verlag anzubieten. Sei umarmt in love H [Handschriftlicher Zusatz:] Lieber, Guter, dies ist nebbich Bouchis Geburtstagsgedicht geworden. Wo befindet sich der Kitsch-Aufsatz8? ich glaube er war in der N[euen] R[undschau], aber wo ist die? und wo ist der FischerAlmanach9 mit der Musik-Erkenntnis? Verzeih, verzeih! ich habe das gestern vergessen. Aber gar so wichtig ist es auch nicht. Love. H Milder Herbstmorgen Will die Kälte sich verwandeln da ich in den Garten trete? Hebt die Sonne an zu handeln, daß sie letzte Schatten jäte?
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Welch ein schönes Abschiednehmen jenes, der stets wiederkehrt, und gelobte Länder dehnen sich wo ew’ger Sommer währt. Bist du mit mir in dem Garten oder ziehst du mit dem Volke? fehlt auch dir die Zeit zum Warten? In der Hecke hängt die Wolke. Bin ich’s selbst noch? hier im Blauen wissend um ein fernes Sehnen, ich nur Schatten, Auge, Schauen? Welch ein mildes Abschiednehmen. Anmerkungen 1 hinkommen: Kahler wollte für Broch einen Vortrag an der Deutschen Abteilung der Cornell University in Ithaca im Staat New York, wo er Gastprofessor war, vermitteln. Kahler unterrichtete ein Seminar über den zeitgenössischen Roman, in dem er auch Brochs Bücher behandelte. Am 7. November 1948 schrieb Kahler an Broch: „Heute habe ich eine Stunde über die Schlafwandler geredet, auch 3 Stücke Gödicke vorgelesen. Die Kinder sind mit angestrengter Aufmerksamkeit [...] dagesessen. So ein Jammer, daß ich Dich ihnen nicht selbst vorführen kann. Nächsten Freitag kommt der Vergil dran.“ 2 Helene: Helene Wolff. 3 Vietta: Egon Fritz Vietta (1903–1959) wurde als Sohn eines Deutschen und einer Italienerin in Bühl (Baden) geboren und studierte Jura und Philosophie in Berlin und Freiburg im Breisgau. Mit Beginn seiner Publikationen in den 1920er Jahren nahm er den Familiennamen seiner Mutter (Vietta) an. Er arbeitete als Versicherungsjurist und Zeitschriftenherausgeber, schrieb Romane, Dramen und Kritiken. Philosophisch orientierte er sich am Werk Heideggers. Nach dem Krieg war er freier Schriftsteller und arbeitete als Dramaturg am Theater in Darmstadt. Seit den 1930er Jahren stand er mit Broch in brieflicher Verbindung. 4 MS: Manuskript. 5 mir gewidmeter Artikel: Der von Egon Vietta geschriebene Artikel über Broch wurde nicht publiziert. 6 Franz Kahler: Franz von Kahler bzw. Francis V. Kahler (1896–1973). Es gab drei Zweige der Familie Kahler: eine Prager, der Erich von Kahler entstammte, eine Wiener und eine Hamburger Linie. Franz von Kahler war ein
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Hamburger Versicherungskaufmann, der während der Hitlerzeit in die USA emigrierte und in New York eine Versicherungsfirma gründete. Aus Gefälligkeit erledigte Franz von Kahler kleinere Finanzgeschäfte für Freunde und Verwandte. (Broch legte einen Brief Franz von Kahlers kommentarlos bei.) 7 Gedicht: „Milder Herbstmorgen“. Diese Version weist eine Reihe von Unterschieden zur Endfassung auf (vgl. KW 8, S. 69). 8 Kitsch-Aufsatz: Hermann Broch, „Das Böse im Wertsystem der Kunst“, erstmals in Neue Rundschau 44.2 (1933): 157–191 (KW 9/2, S. 119–156). 9 Fischer-Almanach: Hermann Broch, „Gedanken zum Problem der Erkenntnis in der Musik“, in: Almanach. Das 48. Jahr (Berlin: S. Fischer 1934), S. 53– 66 (KW 10/2, S. 234–245).
28. Broch, Hotel Duncan, 1151 Chapel Street, New Haven 11, Conn. 4.11.47 Prof. Erich Kahler c/o Mrs. van der Hoek 115 de Witt Place Ithaca, N.Y. Ja, Du Lieber, Hilfe würde ich wohl brauchen – aber wer braucht keine? Ich jammere bloß mehr als andere, und abgesehen davon, daß das unwürdig ist, es erweckt so sehr den Eindruck, daß es mir schlechter als anderen geht, daß ich am Ende selber daran glaube. Und im übrigen wäre es nur ganz gerecht wenn ich schwerer als andere zahle. Denn Schwäche ist Sünde; und wer schwach gegen sich selber und infolgedessen auch gegen andere ist muß Erbarmungslosigkeit einheimsen. Meine innere Kalkulation war stets darauf abgestellt, kraft Hochleistungen meine Peiniger von Erbarmungslosigkeiten abzuhalten; allein, da ich diese niemals noch habe abstellen können, bin ich auch nicht zu meinen Hochleistungen gekommen. Und es will mir scheinen, daß ich diesem Zirkel nicht mehr entfliehen werde. Aber es ist gut, daß Du da bist: es ist gut zu wissen, daß wenigstens einer weiß, um was es da geht, und wie ernst es ist.
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Die Erbarmungslosigkeit liegt ja im Nichtwissen. Und wie sehr ich Dir für solches Wissen dankbar bin, wirst Du vielleicht auch wissen. Nun genug davon. Seit einer Woche habe ich nichts gearbeitet. Wegen des blöden Geburtstages1. Und morgen muß ich wieder in die Stadt. Die Beilagen sprechen alle für sich selbst, brauchen also keinen Kommentar. Sie können auch alle – mit Ausnahme des Franz-Briefes 2 (beidseitig beschrieben) – weggeschmissen werden. Berendsohn3 soll es mit einer application4 beim Thomas Jefferson Fund, 179 Voorkis Ave., River Edge, N.J.5 versuchen. Der Generalsekretär hievon ist Treviranus6, und falls B[erendsohn] diesen etwa kennen sollte, so kann er ihm auch privat schreiben; die Privatadresse: Dr. Gottfried Treviranus, 2006 North Dixie Highway, Monroe, Mich. Außerdem werde ich mich noch bei Hannah Arendt wegen eventueller jüdischer Möglichkeiten erkundigen. Was aber den Ehrenstein7 anlangt, so war er vorige Woche selber bei der Staudinger, und mehr kann man ihm leider nicht bieten. Bitte bessere in Deinem Geburtstagsgedicht8 in der letzten Zeile das Wort „Lehrer“ auf „Schüler“ aus: dadurch wird ihm das Rationale genommen, und es wird ein wirkliches Gedicht. Was aber mein Herbstgedicht9 anlangt, so sollte der dritte Vers lauten Bleib mir ja nicht in dem Garten, zieh mir lieber mit dem Volke: jedem reut vergeblich Warten; flieh die Hecke, flieh die Wolke. Womit dieser Brief wieder zu seinem Anfang zurückkehrt. Komm zurück in meinen Garten In Liebe H Anmerkungen 1 Geburtstag: Brochs 61. Geburtstag am 1. November 1947. 2 Franz-Brief: Brief Franz von Kahlers an Broch. 3 Berendsohn: Walter A. Berendsohn (1884–1984) wurde in Hamburg geboren. Er studierte Germanistik und Philosophie in Berlin, Freiburg, München und Kiel, wo er 1911 promoviert wurde. Seit 1914 war er Assistent am Germanistischen Seminar der Universität Hamburg, von 1920 an Privatdozent für Skandinavische Literatur und Leiter des Skandinavischen Insti-
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tuts. 1926 wurde er Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg. Im selben Jahr wurde er Mitglied der SPD. 1933 aus seinen Ämtern entlassen, emigrierte Berendsohn nach Dänemark und 1943 nach Schweden. Von 1943 bis 1970 war er Archivar der Nobel-Bibliothek der Schwedischen Akademie und seit 1952 Dozent für Deutsche Literatur an der Universität Stockholm. Er war Begründer der Stockholmer Koordinationsstelle zur Erforschung der deutschsprachigen Exilliteratur. Berendsohns Werk Die humanistische Front (1947) galt als grundlegend für die Erforschung deutscher Exilliteratur. Er starb in Stockholm. application: Englisch für „Bewerbung“. Thomas Jefferson Fund: Der Thomas Jefferson Fund war eine Organisation zur Flüchtlingsbetreuung in den USA. Geschäftsführer war Gottfried Treviranus. Treviranus: Gottfried Treviranus (1891–1971) war in der Weimarer Republik Politiker der rechtskonservativen Deutsch-Nationalen Volkspartei und ab 1930 Reichsminister im Kabinett Brüning. 1934 emigrierte er, der Hitler verhasst war, in die USA und dann nach Kanada. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück. Ehrenstein: Albert Ehrenstein (1886–1950) wurde in Wien geboren. Er studierte dort Geschichte, Philosophie und Philologie und schloss das Studium 1910 mit einer Dissertation über ungarische Geschichte ab. Seit 1910 veröffentlichte er Gedichte. In den Gedichtbänden Der Mensch schreit (1916) und Die rote Zeit (1917) wandte er sich gegen den Krieg. 1915/16 war Ehrenstein Lektor für Kurt Wolff und S. Fischer, 1917/18 in der Schweiz Sekretär des Vereins für Individualpsychologie. Er ging nach dem Ersten Weltkrieg in der Hoffnung auf eine deutsche Revolution nach Berlin und kehrte desillusioniert nach Wien zurück. Ehrenstein bereiste 1928/29 mit Oskar Kokoschka Nordafrika und den Nahen Osten. 1932 emigrierte er in die Schweiz, 1941 in die USA. In New York arbeitete er an der jüdischen Wochenzeitung Aufbau mit. Nach 1945 fand sich erst 1989 ein Verleger für seine Werke in Deutschland. Er starb in einem Armenhospital in New York. Deinem Geburtstagsgedicht: Hermann Broch, „Die Prüfung“ (KW 8, S. 147). Broch hatte es Kahler zu dessen 62. Geburtstag am 14. Oktober 1947 geschickt. Es lautet: „Hast die Schule du erlitten/ und im Herz die Prüfungsangst?/ Hörst im Traum du Zwei in Sitten,/ da du nach dem Zeugnis langst?// Selber schreibst du Zeugnis heute,/ Aber wenn du manchmal schwankst/ weißt du wie aus Traumgeläute:/ Der wer prüft hat gleichfalls Angst.// Angst, die sich zur Angst gewendet,/ Prüfer, Prüfling werden eins,/ und zu tiefrem Mut entsendet/ wirst du Lehrer bessern Seins.“ Herbstgedicht: Die dritte Strophe lautete zuvor: „Bist du mit mir in dem Garten/ oder ziehst du mit dem Volke?/ fehlt auch dir die Zeit zum Warten?/ In der Hecke hängt die Wolke.“ Vgl. „Milder Herbstmorgen“ (KW 8, S. 69).
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29. One Evelyn Place, Princeton, N.J. 12.1.48 Prof. Erich Kahler c/o Mrs. van der Hoek 109 Cayuga Heights Rd. Ithaca, N.Y. Liebstbru, ich bin noch lieber ein Hypochonder als ein Schlampsack, der sich mit Interpunktionen und Unterstreichungen durchs Leben frettet. Wenn der Sinn eines Satzes ein transitives Verbum verlangt, darf man sich nicht mit [einem] intransitiven begnügen, sondern hat so lange nachzudenken, bis man das transitive gefunden hat. Hugh! 1 eine der schönsten Karl Mayschen Erfindungen. Und die Gedichte sind aber doch abgegangen. Wie bereits telephoniert habe ich den Schabert2-Wunsch an Staudinger weitergegeben: er wird sich bemühen das Geld aufzutreiben und wird sodann mit Sch[abert] sprechen. Meiner Schätzung nach wird er die Hälfte bekommen, und Sch[abert] wird sich damit begnügen, ja wird sogar ohne Beitrag drucken; er hat sich halt gedacht ein Versuch schadet nix. (Richtige Verwendung des transitiven „gedacht“.) Beilagen. Ein Brief der Irma Maier3, den Lili geöffnet hat, der aber nicht das erwartete Selfhelp-Schnorrformular4 enthielt, so daß wir ihn leider an Dich weiterleiten müssen. Einen verschnörkelten Günther Anders5, den ich für den Februar, wenn Du da bist, eingeladen habe. Ein Jeanerl on Tommy6. Wenn Du willst schicke ich Dir die S[aturday] R[eview]7, aber ich glaube, daß Du’s erwarten kannst. Keine Beilagen. Von Richter8 ist ein ganzes Korrespondenzfaszikel über sein Mißgeschick mit Th[omas] M[ann] eingelangt, eingehüllt in Flehen Du mögest die Sache ihm ausbügeln. M[eines] E[rachtens] kann das warten bis Du zurück bist, und so verschone ich Dich damit. Neurotiker sind eine ekelhafte Bagage.
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Persönliches. (Neurose) Frances’ Befund war unberufen negativ. Die Sache ist auf den Mumps9 zurückzuleiten, den sie vor zwei Jahren in Boston hatte, und der angeblich nicht modern behandelt worden ist. Ich bin glücklich; mein Rebbach10 in menschlichen Beziehungen beschränkt sich ja aufs Mir-nicht-Zukommende, oder genauer gesagt in meinen Frauen-Beziehungen. Positives in meinem Leben: gegenseitiges Händewaschen mit Dir. Über Schlafwandler- und Vergil-Vorlesung11 bin ich sehr gerührt. Dabei ist mir freilich – das glaubt mir niemand und ist doch so – als ob diese Bücher überhaupt nicht von mir seien. Fachlich ausgedrückt ist es vollkommene Anal-Neurose: was man produziert muß verleugnet werden und gehört im Klosett heruntergelassen. Daraus resultiert eine fürchterliche Selbstverachtung, und da ich mir nicht gestatte sie durch Selbst-Überschätzung zu kompensieren, ist sie eine Leidensquelle. Man kann damit auskommen, aber Du kannst Dir vorstellen wie unheilvoll die Geschichte wird, wenn sich unter den Produkten auch ein Sohn12 befindet. Über-Neurose (Schiffer). Der März macht mir fürchterliche Sorgen. Ich hätte mir vorstellen können, daß das Institut13 ihn, via Stewart, gnadenhalber halten würde, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß der Privatmann Cooper14 einen Nicht-Arbeiter halten wird. Ein Privatmann schenkt einem Kranken $ 100.– und fühlt sich nobel, doch mehr wird da kaum zu erzielen sein. Ich sehe also wenig Sinn darin, daß ich, wie Lili vorschlägt, mit Cooper spreche, umsomehr als ich für den ein völlig Unbekannter bin. Canby, durch den ich auf Moe einwirken lassen könnte, fährt in 14 Tagen nach Südamerika (natürlich, da die Sleepwalkers herauskommen), hat also auf nichts mehr einen Kopf, und außerdem ist es schwierig ihn mit noch weiteren Patienten zu belasten. Die Staudinger selber hat kein Geld mehr, ist krank und funktioniert wegen Überbürdung nicht mehr ordentlich. Ich bin also ziemlich paralysiert und verzweifelt. Die Bestrahlungen15 hatten übrigens bisher einen guten Effekt, doch Nissen16 hat Lungen-Aufnahmen angeordnet, scheint also noch weiter an Operation zu denken. Ich traue mich kaum mehr hin, denn nun wird sie ja wieder im Vollbetrieb sein. Hab’s möglichst gut, gib mir acht auf Dich und sei umarmt H
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Weitere Beilagen. Ein Prospekt Franzens samt Brief und meiner Antwortkopie. Ich hoffe Dich einverstanden. Eine Trude, der ich Deine Adresse gegeben habe. Das Gedicht zeigt nochmals die korrekte Anwendung der Transitivität. Hätte ich nach Deiner Methode gedichtet, so hätte es gelautet: „Also ich vor mich hinpfiff“. Weiter keine Beilagen. Soeben war der Darmstädter Kurt Wolff17 da und hat sein entsetzliches MS wieder ins Haus gebracht, weil ich so schlau war ihm zu sagen, daß ich es damals nicht gelesen hätte. Also hat er mich überschlaut, und ich muß nochmals in diese Zähigkeit beißen, die einem unaufhörlich, ganz wörtlich, in den Zähnen stecken bleibt. Aber er hat seinen Freund Tuman18, den Anthropologie-Juden mitgebracht, den ich ausgesprochen gern hab. Das Gespräch kam auf unsere Armut, und er sagt er hätte Leute an der Hand, welche begeistert wären für große jiddische Geister etwas zu tun. Man wird ja da sehen, aber wenn man ja sehen sollte, so müßte man sich überlegen ob man diese legendären Gestalten mit Roth zusammenführen soll, auf daß seine ebenso legendäre Foundation 19 vielleicht doch zustandekäme. Anmerkungen 1 Hugh!: Mit der Wendung „Hugh, ich habe gesprochen“ beenden die Indianer in Karl Mays Amerika-Romanen ihre Reden, um den Ernst ihrer Aussage zu unterstreichen. 2 Schabert: Kyrill S. Schabert (1908–1983) war Autor und Übersetzer aus dem Deutschen. Er gründete mit Kurt Wolff den Verlag Pantheon Books und war von 1943 bis 1961, als der Verlag von Random House aufgekauft wurde, dessen Präsident. Schabert starb in New York City. Es ging um einen Druckkostenzuschuss für eine Neuauflage von Kahlers Buch Man the Measure bei Pantheon Books. 3 Irma Maier: Nicht ermittelt. 4 Selfhelp-Schnorrformular: Selfhelp = englisch für „Selbsthilfe“. Schnorren = Jiddisch für „anbetteln“. 5 Anders: Günther Anders (1902–1992), deutscher Philosoph. Er schrieb an Paul Michael Lützeler am 10. Februar 1982: „[...] ich lernte ihn [Hermann Broch] auf Grund einer sehr schroffen Besprechung seines Vergils kennen, den ich, auf den pfiffigen Rat von Thomas Mann hin, Erich von Kahler
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zwecks Weitergabe zusandte. Broch war so nobel, nichts für ungut, alles für gut zu nehmen.“ (uv. PML) Vgl. Günther Anders, „Der Tod des Vergil... und die Diagnose seiner Krankheit“, in: Austro-American Tribune 4.2 (September 1945), S. 9 und 12. Jeanerl on Tommy: Ein Brief von Jean Starr Untermeyer über Thomas Mann, wahrscheinlich über den Doktor Faustus. Saturday Review: Die Saturday Review of Literature (SRL) war eine von Henry Seidel Canby gegründete und später von Marion Canby herausgegebene wöchentliche Literaturzeitschrift. 1952 wurde sie in Saturday Review umbenannt. Richter: Werner Richter (1888–1969), deutscher Schriftsteller und Journalist. Für das Berliner Tageblatt hatte Richter 1931/32 die einzelnen Bände der Schlafwandler Trilogie besprochen. 1936 emigrierte er nach Italien, zwei Jahre später in die Schweiz. Dank der Mithilfe Brochs erhielt er 1941 ein amerikanisches Visum. Um welches „Missgeschick“ Richters in seiner Beziehung zu Thomas Mann es sich gehandelt haben kann, wird nicht ersichtlich. Mumps: Ansteckende Virusinfektion. Rebbach: Jiddisch, Herkunft aus dem hebräischen „rewah“ (Gewinn); ins Deutsche als „Reibach“ eingegangen. Schlafwandler- und Vergil-Vorlesung: Kahler hatte eine Lesung Brochs an der Cornell University geplant, die Broch aber nicht wahrnahm. ein Sohn: Hermann Friedrich Broch de Rothermann. Institut: Das Institute for Advanced Study in Princeton. Walter Schiffers Zeit als Fellow dort lief ab. Cooper: Nicht ermittelt. Bestrahlungen: Broch bezieht sich auf die medizinische Behandlung von Walter Schiffer, der an Krebs erkrankt war. Mit „sie“ im „Vollbetrieb“ ist Helene Schiffer gemeint. Nissen: Rudolf Nissen (1896–1981), Arzt. Er stammte aus Neiße in Schlesien. Von 1941 bis 1952 war er Leiter der Chirurgischen Abteilung des Brooklyn Jewish Hospital in New York. Gleichzeitig lehrte er seit 1944 Chirurgie am Long Island College of Medicine (später die State University of New York). der Darmstädter Kurt Wolff: Kurt H. Wolff (1912–2003), Soziologe und Schriftsteller. Wolff war in Darmstadt geboren worden. 1939 wanderte er in die USA aus. Zu Wolffs Dichtung Vorgang und immerwährende Revolution. Prosa und Szenen (1977) schrieb Broch ein Verlagsgutachten (KW 9/1, S. 398– 401). Wolff lernte Broch 1947 bei Erich von Kahler kennen und traf ihn erneut 1949 und 1950 in New Haven. Tuman: Nicht ermittelt. legendäre Foundation: William Roth spielte mit dem Gedanken, eine Stiftung zur Förderung der Literatur zu begründen, doch wurde der Plan nicht verwirklicht.
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30. One Evelyn Place, Princeton, N.J. 19.1.48 Prof. Erich Kahler c/o Mrs. van der Hoek 109 Cayuga Heights Rd. Ithaca, N.Y. Lieber, Guter, nur ein rascher Bericht: Deutscher Charakter. Lili hat Dir ja heute schon Oprechts 1 Brief geschickt. Ich freue mich sehr, daß die Deutschen jetzt endlich ihren Charakter lesen werden. Es war die höchste Zeit. Man the Measure.2 Die neue Foundation scheint zustandezukommen. Gauss3 hat zugesagt. Und wenn die Sache, wie es eben aussieht, in den allernächsten Wochen klappt, so ist „Man the Measure“ das erste Buch, das dran kommt. Eigentlich gift ich mich, daß der Schabert das Geschenk bekommen soll, denn m. E. wird er jedenfalls drucken. Der Versuch diese Finanzierung zu bekommen ist eine ausgesprochene Chuzpeh4, und daß sie ihm noch außerdem unberufen glücken soll, ist ärgerlich. Im übrigen hat Berta Segall5, die von alldem natürlich nichts weiß, heute angerufen: sie hat für ihren Neffen „The History of the Antic World“ von Rostofjew6, oder wie der halt heißt, kaufen wollen und dabei erfahren, daß auch die Neuauflage, die zehnte oder die zwölfte, schon wieder ausgekauft sei, weil das Buch mit seinen Bilderbeilagen nun überall als Textbuch eingeführt werde, denn der Zug gehe allüberall auf eine Kombination von history mit art history. Demzufolge will sie Dir resp[ektive] Kurt Wolff vorschlagen die nächste Auflage in ähnlicher Form herauszubringen, und sie war über ihre Idee sehr aufgeregt. Ich halte die Idee ja für gut; K[urt] W[olff] hat mit seinen illustrierten Büchern immer Erfolg gehabt, und ein Anhang von 30 bis 40 Bildseiten kann nicht gar so viel kosten; dahingegen wäre ich nicht für eingeschossene Bilder im Text, wie sie Mumford7 gehabt hat. Bitte überlege Dir das. Bettinavicki.8 Anbei ihrer beider Briefe, die ich leider nicht viel zu ausführlich beantwortet habe, aber doch so habe beantworten müssen. Antwortkopie ebenfalls anbei.
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Bru9-Reaktion auf Bespaloff noch ganz wesentlich blöder, aber herrlich, daher beiliegend. Mann10-Reaktion noch ganz wesentlich kühler, nicht einmal Dank für die Widmung. Ich nehme es ihm nicht übel; nur werde ich doch irgendwo eine Faustus-Kritik schreiben müssen. Wolfgang11 berichtet anbei über Faustus-Reaktionen. Auch ich habe schon reichlich schimpfen hören. Ferguson12-Golffing13 anbei Brief samt Antwort. Ich glaube, daß es genügt, doch wenn Du noch etwas dazusetzen willst, schreib es dem F. Und ansonsten bloß die übliche Elendsmischung von Scham, Verzweiflung, Überlastung, etc. Eh schon wissen. Sei umarmt H PS. Schiffer anbei zwei Briefe vom Max14. Ich habe deren mehr. Größte Aufregung, weil ich ihnen sagte, daß sie diesmal möglichst ohne Mittelsmann bei Stewart und Cooper auskommen sollen. Ich sagte ihnen ferner, daß ich mit Dir telephoniert hätte, und daß Du meine Ansicht teilst. Die Lili habe ich gebeten, Dich in diesem Sinne übers Telephon zu instruieren. Natürlich hat sie es vergessen, vermutlich aus Widerwillen vor dem Max. Was sich sodann im Telephongespräch zwischen Dir und dem Max zugetragen hat, weiß ich nicht; jedenfalls versichert mir der Walter seit vorgestern unaufhörlich übers Telephon, daß er wegen Stewart „aufgeregt“ sei. Es wird sich schon noch herausstellen, und ich muß mich halt irgendwie herauslügen. Die Hauptsache ist, daß die Strahlungen bisher offenbar erfolgreich sind – leider ist das eine zitternde Freud. Bitte retourniere mir die Vicki15-Korrespondenz für die Bouchi, u. z. sofort: denn wenn sie von der Bettina16 erfährt, daß die großen jiddischen Geister miteinander korrespondieren, wird sie es ja sehen wollen und beleidigt sein, wenn sie es nicht bekommt. PPSS Der sehr gescheite und trotzkystische Guérin17 war da: er hat eine Geschichte der franz. Revolution geschrieben, die sicherlich viel Neues bringt. Sie kommt bei Gallimard heraus. Glaubst Du, daß das was für die Cornell Press18 wäre?
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Anmerkungen 1 Oprecht: Emil Oprecht (1895–1952), Züricher Buchhändler und Verleger. Er war mit Thomas Mann befreundet. Zusammen mit seiner Gattin Emmie Oprecht nahm er sich der exilierten deutschen Schriftsteller und Schauspieler an. Seine Buchhandlung in der Rämistraße 5 in Zürich war Treffpunkt und Zentrum der exilierten deutschen Intellektuellen, und die von ihm gegründeten Verlage Dr. Oprecht und Helbling und Europa-Verlag waren die führenden antifaschistischen Verlage der Schweiz. Als wichtigster Verleger von Exilliteratur in der Zeit von 1933 bis 1945 publizierte er u.a. Thomas Mann, Alfred Polgar und Else Lasker-Schüler. Erich von Kahlers Werk Der deutsche Charakter in der Geschichte Europas (Zürich: Europa-Verlag, 1937) sollte neu aufgelegt werden, doch zerschlug sich der Plan wieder. 2 Man the Measure: Auch der Plan der Neuauflage dieses Werks Erich von Kahlers wurde damals nicht realisiert. Das Buch erlebte seine erste Neuauflage erst 1956, als es in New York bei Braziller erschien. 3 Gauss: Christian Gauss. 4 Chuzpeh: Jiddisch, vom hebräischen „chuzpa“: Frechheit, Dreistigkeit, Unverschämtheit. 5 Segall: Berta Segall (1902–1976), Kunsthistorikerin und Archäologin. Sie hatte 1928 an der Universität Wien promoviert, war 1938 in die USA geflohen und forschte von 1945 bis 1949 als Fellow am Institute for Advanced Study in Princeton. 6 Rostofjew: Michail Iwanowitsch Rostowzew (1870–1952), Historiker an der Yale University in New Haven, Connecticut. Broch meint sein Buch A Social and Economic History of the Hellenistic World (Oxford: Clarendon Press 1941). 7 Mumford: Lewis Mumford (1895–1990), amerikanischer Architekt und Städteplaner. Er gehörte wie Broch 1940 zum Kreis der Mitarbeiter an Giuseppe Antonio Borgeses Projekt The City of Man. 8 Bettinavicki: Bettina und Victor von Kahler. 9 Bru: Friedrich (Fritz) Broch, der jüngere Bruder Hermann Brochs. Er hatte die Einleitung im Band von Rachel Bespaloff gelesen und dazu Stellung genommen. 10 Mann: Thomas Mann. 11 Wolfgang: Wolfgang Sauerländer (1911–1977) war einer der frühesten und engsten Mitarbeiter Kurt Wolffs im Verlag Pantheon Books. 12 Ferguson: Nicht ermittelt. 13 Golffing: Francis Charles Golffing. 14 Max: Der Spitzname von Helene Schiffer war „Max“. 15 Vicki: Victor von Kahler. 16 Bettina: Bettina von Kahler, Frau Victor von Kahlers. 17 Guérin: Daniel Guérin (1904–1988), französischer Publizist und Historiker; Vertreter der libertären Linken. Broch bezieht sich auf sein Buch La lutte
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des classes sous la Première République, das 1946 bei Gallimard in Paris erschienen war. 18 Cornell Press: Cornell University Press, gegründet 1869. Es handelt sich hier um den ältesten der amerikanischen Universitätsverlage. Guérins Buch erschien nicht bei der Cornell University Press.
31. 28.1.48 Ach, Libru, ich bin so müde. Von 9 bis 12 habe ich gearbeitet, nämlich von 9 h Früh bis 12 in der Nacht; dann habe ich mit unaufschiebbaren Briefen angefangen, und jetzt ist es 2 h. Und morgen Früh muß ich um 8 nach N[ew] Y[ork], wo ich ein Sauprogramm für zwei Tage habe. Also laß Dir nur ganz rasch danken, und als Dank Dir wieder einigen Mist schicken, soweit er Dir Spaß machen könnte. Weiss1 hat endlich eine für uns passende Devise gefunden. Bru eine Fortsetzung im Politisch-Ökonomischen. Dabei wird es ihm am Ende doch noch glücken Geld herüber zu bekommen. Vicki setzt sich fort, ist aber nicht mehr schön. Bitte retour. Ferguson ist befriedigt. Faber2: die Sache mit dem Mantelträger, der den Ring bekommt und Zwergengestalt annimmt, ist wirklich mystisch. In diesen Dingen weiß ich wirklich nicht wo Zeus wohnt, bin also wirklich ein unbeschriebenes Blatt, und man muß wirklich auf Generationengedächtnis sich berufen, aber – welche Ahnin hat sich mit einem Griechen vergangen? Das muß schier in Alexandria gewesen sein. Gerty Wyatt3 ist hinsichtlich des Faustus gar nicht dumm. Sleepwalkers4 lege ich vier Exemplare bei, eventuell für Studenten, die sich dafür interessieren. Falls Nachfrage kann Pantheon mehr schicken. Aber natürlich darfst Du keine kommerzielle Propaganda machen. Lili meldet: sie ist eifersüchtig. Aber wir alle freuen uns auf Dich. Laß Dich umarmen H. Hast Du wegen Guérin bei der Press gefragt?
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Anmerkungen 1 Weiss: Berthold Weiss. 2 Faber: Curt von Faber du Faur (1890–1966), deutsch-amerikanischer Büchersammler, Bibliothekar und Literaturwissenschaftler. Er stammte aus Stuttgart und war Barock- und Goethe-Forscher. Faber du Faur veröffentlichte zwei Artikel über Hermann Broch: „Ansprache zum 66. Geburtstag Hermann Brochs“. In: Monatshefte 45.2 (1953), S. 99–101; und „Der Seelenführer in Hermann Brochs Tod des Vergil“, in: Wächter und Hüter: Festschrift für Hermann J. Weigand (New Haven: Yale University Press, 1957), S. 147–161. 3 Gerty Wyatt: Gerty (Gertrud) Wyatt (1903–1993), war die Frau von Frederick Wyatt (1911–1993), eigentlich Friedrich Wyatt, einem amerikanischen Psychiater und Psychologen österreichischer Herkunft, der damals an der Harvard Medical School lehrte. Die beiden waren mit Broch befreundet und besuchten ihn zuweilen in Princeton (vgl. HBB, S. 187, 195). 1948 publizierte Frederick Wyatt Aufsätze, die sich mit Persönlichkeit und Eigenerfahrung des Psychotherapeuten beschäftigten. Gertrud Wyatt war Psychiaterin und publizierte Arbeiten zur Mutter-Kind-Interaktion und zur Stottertherapie. 4 Sleepwalkers: Brochs Romantrilogie Die Schlafwandler war in der Übersetzung von Edwin und Willa Muir erstmals 1932 bei Secker (London) und gleichzeitig bei Little, Brown (New York) erschienen. Diese Übersetzung war an der Jahreswende 1947/1948 in einer neuen Auflage bei Pantheon Books in New York erschienen.
32. 12.10.[1948] Mein Guter und Alter, diesmal ein Geburtstag ohne Gedicht, aber ich hoffe doch, daß ich noch etwa ein halbes Hundert Gedichte zu diesem Anlaß werde machen können, denn für die nächsten fünfzig bis hundert Jahre, die ich ja doch so gerne noch auf dieser Welt verbringen möchte, will ich Dich, damit ich eine Freud an ihr habe, nicht mehr missen. So wichtig bist Du mir geworden, so lieb und unentbehrlich.
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Hier geht alles in Ordnung, und das hat Dir ja schon auch Lili übers Telephon berichtet. Der Einstieg in Hofmannsthal IV. 1 ist unberufen geglückt, wobei das unberufen auch für die sonstige Ordnung gelte, und ich bin jetzt bei der Verwandtschaft von Jugendstil, Debussy2 und Maeterlinck3. Doch welch andere Symbolisten soll man neben Maeterlinck noch anführen? Felix Dörmann4 reicht mir nicht aus. Von den Russen weiß ich so viel wie nix. Es geht um die Zeit 1900–1910. Apropos Symbolismus: das beil. Büchlein ist bloß ein Symbol. Aber Du sollst es lesen. Es ist gut, obwohl die Gans5 den Hanslick 6 ohne Ironie zitiert. Sei umarmt und nochmals umarmt, mein Alter. Immer (was keine Hyperbel ist) H Anmerkungen 1 Hofmannsthal IV: In der fertigen Fassung von Brochs Hofmannsthal und seine Zeit wurde dies das Kapitel III mit dem Titel „Der Turm von Babel“ (KW 9/1, S. 221–275). 2 Debussy: Claude Debussy (1862–1918), Komponist des französischen Impressionismus. 3 Maeterlinck: Maurice Maeterlinck (1862–1949), belgischer Schriftsteller, Vertreter des Symbolismus. Seine bedeutendste Schöpfung ist das Schauspiel Pelléas et Mélisande, das die Vorlage für Debussys gleichnamige Oper abgab. 4 Dörmann: Felix Dörmann (1870–1928), eigentlich Felix Biedermann, österreichischer Schriftsteller, Librettist und Filmproduzent. Broch schrieb über Dörmanns 1920 erschienenes Buch Der platonische Wüstling, „das eigentlich Ergötzliche an diesen Novellen“ sei „dieses Abbiegen vor dem Kitsch, auf den scheinbar stets mit vollen Segeln zugesteuert wird.“ (KW 9/1, S. 349–350). 5 die Gans: Schimpfname für eine Autorin, die nicht ermittelt werden konnte. 6 Hanslick: Eduard Hanslick (1825–1904), österreichischer Musikwissenschaftler und Musikkritiker. Er sah in der Musik der Klassik und ihrer Nachfolger (v. a. Schumann und Brahms) das musikalische Ideal und lehnte die „Neudeutsche Schule“ Liszts und Wagners ab. Neben seiner Habilitationsschrift Vom Musikalisch-Schönen veröffentlichte er u. a. eine Geschichte des Konzertwesens in Wien und edierte eine neunbändige Ausgabe über Die moderne Oper. 1894 legte er seine Autobiographie Aus meinem Leben vor.
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33. [Anfang November 1948] Mein Guter, Trude1 wünschte mir zum Geburtstag „nie mehr ein Glied zu brechen“, und da konnte ich nicht umhin ihr obiges ebenso laszives wie tiefes Gegengeschenk zu machen. Ein Archiv-Exemplar ist bereits bei Lili, die sich mit dem Erzeugnis besonders freute. Brody bekommt ein Exemplar als Einleitungsgedicht für die Sammlung. Ich lege einen Jeanerl-Brief bei, und hier auf der Rückseite findest Du meine Antwort, die ich Dir aus zwei Gründen schicke: erstens damit Du die Versicherungssituation2 siehst, und zweitens damit Du Jeanerl – der Du unbedingt eine Karte schreiben mußt – gleichlautend mit mir Deine Hetzerei schilderst. Ich beantworte noch immer Geburtstagsbriefe und bin schon ganz wahnsinnig. Anbei zwei clippings3. Ich verstehe den Roper 4 – die Poll-Blamage5 ist ganz erfreulich –, ich verstehe den Lippmann6, ich verstehe Mr. Green7, ich verstehe Elsworth (der diesmal besonders schön ist), ich verstehe Ferdinand (den Du Jeanerl schicken könntest) aber ich verstehe nicht „Nothing can be done“8; da bin ich ebenso bled wie die Blede. Was ist big word? Hab’s tunlichst gut und denk an mich. In Liebe H Zu meinem ach so Zweiundsechzigsten für Trude und ihren schönen Biedermeierstock. Träum ich hie und da von Stöcken Wach ich meistens auf mit Schrecken: Viel zu viel Symbole stecken, Traumhaus aller Geisterschnecken, Freudverborgen in den Ecken Lauernd, daß sie Schläfer necken. – Denn seit Jaacobs Sprenkel-Stecken Züchtend Labans Lämmer-Schecken
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Wollen Hirtenstäb’ sich flecken, Angst und Wunsch des Ethos-Gecken, Beides seiner Träume Zwecken, Hirtenseele, Dreck am Stecken, Es am Ich –, um’s zu verdecken Muß das Ich mich rüd aufwecken. Anders freilich darf mir’s passen Dankend Dir den Stock zu fassen An dem Elfenbein, dem blassen, Um zu wandeln durch die Gassen Biedermeierisch gelassen: Nie hab’ ich mir’s träumen lassen. Anmerkungen 1 Trude: Gertrud Lederer. Broch hatte sich am 17. Juni 1948 die Hüfte gebrochen und wurde seitdem stationär im Princeton Hospital behandelt. Für die Zeit seiner Rekonvaleszenz hatte ihm Trude Lederer zu seinem 62. Geburtstag am 1.November 1948 einen Gehstock geschenkt. Brochs Gedicht ist abgedruckt in KW 8, S. 153. 2 Versicherungssituation: Broch hatte sich den Hüftbruch in der New Yorker Wohnung von Jean Starr Untermeyer zugezogen. So kam ihre Versicherung für die Broch im Princeton Hospital entstehenden Kosten auf. 3 clippings: Englisch für „(Zeitungs-)Ausschnitte“. 4 Roper: Elmo Burns Roper jr. (1900–1971), gründete 1946 das „Roper Center for Public Opinion Research“ am Williams College in Williamstown, Massachusetts, dem ersten Datenarchiv der Sozialwissenschaften in den USA, aus dem später die „Roper Opinion Research Company“ (noch später „Roper Starch Worldwide Company“) hervorging. Nach der „PollBlamage“ 1948 führte er die öffentliche Verteidigung der betroffenen Meinungsforschungsinstitute an. Es gelang ihm dabei, den Ruf der Meinungsforschung halbwegs zu konsolidieren, indem er offen Fehler zugab und analysierte. 5 Poll-Blamage: Bezieht sich auf eine kollektive Blamage der US-Meinungsforschung im Zusammenhang mit der US-Präsidentenwahlen im November 1948. Drei bekannte Meinungsforscher – Roper, Crossley und Gallup – trafen damals alle dieselbe inkorrekte Vorhersage: Thomas Dewey würde Harry Truman schlagen und Präsident der Vereinigten Staaten werden. Diese Fehlvorhersage wäre nicht solch ein Skandal gewesen, wenn sich die Meinungsforscher nicht einen Monat vor der Wahl so sicher über Deweys
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Sieg gewesen wären, dass sie beschlossen, keine Umfragen mehr zu machen. Das führte letztlich auch zur legendären Falsch-Überschrift „Dewey defeats Truman“ in der Chicago Daily Tribune. Erich von Kahler antwortete in seinem Brief vom 6. November 1948: „Die Wahlen waren trotz allem eine große Genugtuung und als Reaktion des Volkes wirklich respektabel.“ 6 Lippmann: Walter Lippmann (1889–1974), einflussreicher US-Journalist, Schriftsteller und politischer Kommentator. 1931 gründete er mit Herbert Crolz und Walter Weyl das Magazin The New Republic. Mit seinem Buch The Cold War prägte er 1947 den Begriff „Kalter Krieg“. 7 Mr. Green: Kahler schickte Broch gerne sog. Cartoons (Karikaturen) mit Witzen, wobei es Broch nicht immer leicht fiel, den amerikanischen Humor zu verstehen. Die hier genannten Figuren (Elsworth, Ferdinand) kamen in diesen Witzzeichnungen vor und wohl auch die Wendung „big word“. 8 Nothing can be done: Broch spielt auf eine Karikatur des New York Tribune-Zeichners H.T. Webster an, die Kahler ihm geschickt hatte. Dort fragt ein Mann eine Frau, was die Definition eines Baumes sei. Er beantwortet die eigene Frage damit, dass ein Baum etwas sei, das fünfzig Jahre an einer Stelle stehe, um dann plötzlich vor das Auto einer weiblichen Fahrerin („Woman Driver“) zu springen. Die Frau entgegnet, dass Bäume doch gar nicht springen könnten.
34. 10.11.48 Mein guter Gubru, Dank für Brief, Beilagen und Nachtragsbrief; ich bestelle einfach die drei Originalnummern der Zeitung, und so braucht man vom Nathan1, den ich auch nicht mag, keine Gefälligkeiten verlangen. Ansonsten höre ich von den Löwensteinern2 seit meinem sehr guten und richtigen Abrechnungsbrief nichts mehr, außer z.B. die beil. Karte, die zugleich mit der Kerrschen3 eingetroffen ist; der eine kommt, der andere geht. Geschäftlich habe ich Dich zu bitten, der Dame in München4 mitzuteilen, daß der von mir geschickte Zweig5 von Dir ist. Ich wollte nämlich Dich nicht als Absender aufgeben, weil sonst der Brody, bei aller sonstigen Gefälligkeit, sich und mich gefragt hätte warum er Bestellungen ausführen muß, die dem Oprecht gebührten.
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Außergeschäftlich bloß Jammer: gewiß, ich habe ein sündiges Leben geführt, gewiß bin ich, mit einem understatement6 ausgedrückt, von Dämonen gehetzt – wie gerne würde ich dazu ein „worden“ setzen –, doch das alles war doch nicht gar so ein Spaß, daß ich dafür so fürchterlich zahlen muß. Ich bleibe ja wirklich nicht gerne etwas schuldig, nicht einmal dem Schicksal, aber ich finde, daß mir doch eine etwas zu große Rechnung präsentiert wird, umsomehr als doch in wenigen Jahren auch noch Fegefeuer und vielleicht sogar Hölle nachfolgen werden. Das alles ist sehr ungerecht, genauso ungerecht wie daß man im Alter, wo es einem sowieso schlecht geht, auch noch überdies sterben soll. Die Auszüge7 aus dem „D[eutschen] Ch[arakter]“ – zu blöd daß Knopf8 nicht will – möchte ich (oder Du) dem Gauss geben, damit er sie der Princeton Press9 rekommandiere. Mein Schlußkapitel10 wächst schon wieder zu sehr. Aber jetzt solltest Du den Anfang lesen, wenn Du Zeit findest. Vielleicht auf der Herfahrt. Ich möchte Dir einen sehr langen Brief schreiben, ausschließlich über mich. Zum Glück für Dich wird es nicht dazu kommen. Die Gehversuche 11, die Massage, die Bouchi, der Harem12, der Gustl 13 – alles, alles, zu viel, zu viel. Mir ist bang nach Dir. H. Anmerkungen 1 Nathan: Otto Nathan (1893–1987), deutsch-amerikanischer Nationalökonom. Bereits 1931 emigrierte er in die USA, wo er im gleichen Jahr Wirtschaftsberater von Präsident Herbert Hoover wurde. Als Wirtschaftsanalytiker arbeitete er für das amerikanische Finanzministerium. Von 1935 bis 1958 lehrte er als Professor Wirtschaftswissenschaften an der New York University. Auch während der Präsidentschaft Franklin Roosevelts war er als Wirtschaftsberater tätig. Er war mit Albert Einstein und Heinz und Ruth Norden befreundet. Nach Einsteins Tod im Jahre 1955 wurde Nathan Testamentsvollstrecker und der Nachlaßverwalter des literarischen (d.h. nicht-wissenschaftlichen) Nachlasses von Albert Einstein. Mit Heinz Norden gemeinsam edierte er 1963 den Band Einstein on Peace, zu dem Bertrand Russell das Vorwort schrieb. 2 Löwensteinern: Gemeint sind Hubertus Prinz zu Löwenstein und sein Assistent Volkmar Zühlsdorff, mit dem Broch damals korrespondierte. Vgl.
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Brochs Brief vom 5. September 1948 (BZB), in dem Broch von einer Kontinuität der Naziherrschaft und -mentalität in Deutschland spricht, etwas, das Zühlsdorff bestritt. Kerrschen: Alfred Kerr (1867–1948), deutscher Schriftsteller, Journalist und Theaterkritiker jüdischer Herkunft. 1933 emigrierte die Familie Kerr zunächst in die Schweiz, später nach Paris und London. Von 1941 bis 1948 war Kerr Vorsitzender des deutschen P.E.N.-Club im Exil in London, 1947 erhielt er die englische Staatsbürgerschaft. Am 12. Oktober 1948 wählte er nach einem Schlaganfall auf einer Deutschlandreise den Freitod durch Tabletten. Kahler hatte Broch einen Ausriss aus einer Zeitung geschickt mit Tagebucheintragungen Kerrs von seinem ersten Besuch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Eintragungen sind mit römischen Ziffern VIII bis X versehen und beginnen mit „VIII Tagebuch. – Heut kam die Erlaubnis zur Einreise. Bin dankbar und froh. Kann jetzt mit dem ganzen Körper nach Deutschland hinein. Nicht nur die Teilstrecke von unlängst. Schließlich: fünf Tage sind fünf Tage. Fuhr zum zweitenmal nach Kreuzlingen. Jetzt glatt über die Grenze.“ (YUL). Dame in München: Nicht ermittelt. Zweig: Stefan Zweig (1881–1942), österreichischer Schriftsteller. understatement: Englisch für „Untertreibung“. Auszüge: Am 6. November 1948 erwähnt Erich von Kahler in seinem Antwortbrief, dass der Alfred A. Knopf Verlag sein Buch Der deutsche Charakter in der Geschichte nicht publizieren wolle; es sei eine Studie, die besser in einer University Press unterzubringen sei. Knopf: Alfred A. Knopf (1892–1966) hatte 1915 in New York zusammen mit seiner Frau Blanche den gleichnamigen Verlag gegründet und war seit den 1920er Jahren einer der wichtigsten Verlage im Belletristik- und Sachbuchbereich, hielt u. a. die englischsprachigen Rechte an Thomas Manns Werk. Princeton Press: Princeton University Press. 1974, also ein Vierteljahrhundert später, erschien eine stark überarbeitete und ergänzte Fassung von Kahlers Der deutsche Charakter in der Geschichte Europas auf Englisch unter dem Titel The Germans, hg. v. Robert und Rita Kimber. Schlußkapitel: „Der Turm von Babel“ aus Brochs Studie Hofmannsthal und seine Zeit (KW 9/2, S. 221–275). Gehversuche: Brochs Hüftbruch zog im Princeton Hospital noch einen rechtsseitigen Leistenbruch nach sich. So musste Broch fast ein Jahr im Krankenhaus verbringen. der Harem: Broch unterhielt während des Exils zahlreiche Frauenverhältnisse, die meisten davon gleichzeitig. Zu seinen Geliebten gehörten neben seiner späteren Frau, der Graphikerin Annemarie Meier-Graefe, die Lektorin Ruth Norden, die Bildhauerin Irma Rothstein, die beiden Schriftstellerinnen Frances Colby Rogers und Jean Starr Untermeyer sowie in den Anfangsjahren des Exils die Sozialarbeiterin Jadwiga Judd.
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13 Gustl: August Schnabel (1874–1949), ein Onkel Hermann Brochs, der ihn damals im Princeton Hospital besuchte.
35. 7.12.48 Seit Deiner Abreise, mein Guter Lieber, war die Posthölle los. In den paar Wochen, während welchen ich das letzte (vorvorletzte) [Mal] schrieb, habe ich meine Beantwortungen unterbrochen, und schon lagen weit über 100 Briefe [vor]; davon habe ich etwa 3/4 irgendwie, tunlichst mit Karten erledigt, und jetzt bin ich so ziemlich durch: immerhin Nr. 91. Und jetzt kann ich erst an den Hofmannsthal zurückgehen. Aus der höllischen Fülle schicke ich Dir anbei ein paar Stücke: Vietta. Geht auch Dich an, habe auch für Dich lt. Beilagen geantwortet, aber vielleicht schickst Du ihm doch eine Karte. Bitte Brief und Gegenbrief wegen Brody aufheben. Amann.1 Sein kluger Frohsinn geht einem auf die Nerven, wahrscheinlich auch dem Tommy. Dahingegen wollte ich Dich bitten seinethalben mit Lange2 zu sprechen. Als Lehrer ist er sicherlich hochempfehlenswert; er kennt seine Sachen, ist stoffbegeistert und sicherlich ein guter Vortragender. Er ist [am] Champlain College3, also in einer der Veteranenanstalten4, die nächstes Jahr aufgelassen werden. Kurt H. Wolff geht mir aber noch mehr auf die Nerven. Und den hast Du mir eingebrockt. Sein paper, um das es in der Korrespondenz geht, ist prinzipiell gut; d.h. es ist ebenso kraus verhuzzelt wie sein Brief, aber er hat für die Soziologie genau die Position gefunden, die ich in den Schlafwandlern, von anderer Seite kommend, für alles Geschichtliche und Gesellschaftliche vorgezeichnet habe. Und weil es eine Duplizität der Fälle gibt, hat mir jetzt ein Logiker vom Brooklyn College5 geschrieben (Arthur Lapan6) er sei plötzlich auf die Sleepwalker gestoßen und hätte im Zerfall der Werte7 die Grundlage für eine logistisch-empirische Behandlung der Soziologie gefunden. Das habe ich dem Wolff natürlich nicht mitgeteilt.
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A. Stern8 Dieser Süßling geht mir natürlich am allermeisten auf die Nerven; so ein Selbst-Benachezer9. Natürlich habe ich ihm abgeschrieben. Burgmüller10 stehe ich vor dem Bruch. Gott muß es da in der Paulskirche hohl hergegangen sein. Lies diesen Bericht. Die Paulskirche muß errötet sein, wenn sie sich 1848 erinnerte. Burgmüller, der deutsche Aragon11! ä paar Fraß12. Zuckerkandls.13 Viel habe ich gegen die Mimi. Aber im Vergleich mit alldem, ein Hauch der Menschlichkeit. Phantastisch ist, wie die beiden alles durchsetzen was sie haben wollen; jetzt fahren sie nach Europa. Amerika Herold.14 Ich hoffe, daß ich diesmal richtig adressiert habe, nämlich Winona, Minnesota, daß also der Brief nicht nochmals zurückgekommen ist, dagegen die Blätter eingelangt sind. Mit meinen Privatschmerzen will ich Dir nicht kommen. Das Malheur ist, daß all diese Frauen menschlich besser sind als es meine Wut zulassen möchte, und gerade das zerrüttet mich vollkommen. Mir ist ganz bang nach Dir. Und so sei umarmt H. Grüße Lange und Servis15. Nur Vietta aufheben. Alles übrige wegschmeißen. [Handschriftlicher Zusatz:] Harpers16 folgt. Ich habe Dir die SRL17 wegen des Artikels über die Sowjet-Biologie geschickt, den ich übrigens – in den ideologischen Absichten der Sowjets – nicht verstehe. Wofür verhauen sie sich ihre Ernten? Anmerkungen 1 Amann: Paul Amann (1884–1958), österreichischer Philologe, Lyriker, Übersetzer und Kulturhistoriker. 2 Lange: Victor Lange (1908–1996), deutsch-amerikanischer Germanist, der nach seiner Promotion in Leipzig von 1934 bis 1938 an der University of Toronto, von 1938 bis 1957 an der Cornell University in Ithaca, New York, und von 1958 bis zu seiner 1977 erfolgten Emeritierung an der Princeton University lehrte. 3 Champlain College: Champlain College ist eine private Hochschule mit vor
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allem berufspraktischer Ausrichtung in Burlington, Vermont. 1878 wurde es als Burlington Collegiate Institute gegründet. Veteranenanstalten: Nach 1945 erhielten auf Grund der G.I. Bill amerikanische Kriegsteilnehmer Stipendien, um an Universitäten studieren zu können. Brooklyn College: Ein College in New York, das 1930 gegründet worden war und besonders Emigranten und Emigrantenkindern Möglichkeiten zum Studium bot. Lapan: Arthur Lapan (geb. 1911), ein Philosophieprofessor, der am Brooklyn College in New York lehrte. Zerfall der Werte: Vgl. den „Zerfall der Werte“-Essay in Brochs Roman Die Schlafwandler (KW 1, S. 418 ff). A. Stern: Alfred Stern (1899–1979), Journalist und Hochschullehrer. Er emigrierte 1934 von Wien nach Paris, 1942 von Paris nach Mexico City und von dort 1944 nach New York City, wo er an einer französischsprachigen High School unterrichtete. 1960 erhielt er eine Anstellung als Philosophieprofessor am California Institute for Technology in Pasadena. Seine Publikationsschwerpunkte waren Kant, Schopenhauer, Nietzsche und Sartre. Benachezer: Das Jiddische „benaches“ bedeutet so viel wie „in aller Gemütlichkeit“. „Naches“ leitet sich her vom Hebräischen „nahath“, was „Zufriedenheit“ bedeutet. Brochs Wendung „Selbst-Benachezer“ bezeichnet wohl eine Person, die mit sich selbst zufrieden ist, von sich selbst überzeugt ist. Burgmüller: Herbert Burgmüller (1913–1970), deutscher Schriftsteller. Nach Hitlers Machtergreifung emigrierte Burgmüller nach Österreich, wo er Mitarbeiter an Ernst Schönwieses Literaturzeitschrift das silberboot war. Er veröffentliche eine Reihe von Rezensionen über Brochs Romane. 1948 wurden viele Artikel zur Erinnerung an die Revolution von 1848 verfasst, und wahrscheinlich hatte Burgmüller einen Aufsatz zum Thema geschrieben und Broch geschickt. Aragon: Louis Aragon (1897–1982), französischer Schriftsteller, der lange die kommunistische Partei Frankreichs unterstützte. ä paar Fraß: österreichische Mundart für „ein paar Ohrfeigen“. Zuckerkandls: Das Ehepaar Victor und Mimi Zuckerkandl. Victor Zuckerkandl (1896–1965), Musikwissenschaftler, wurde in Wien geboren und emigrierte 1938 über die Schweiz in die USA. Amerika Herold: Der America-Herold war eine in Winona, Minnesota, erscheinende Zeitung für Deutsch-Amerikaner. Servis: Nicht ermittelt. Harpers: Das Harper’s Magazine enthält Beiträge von allgemeinem Interesse zu den Themen Literatur, Politik und Kultur. Es wurde 1850 vom New Yorker Verlag Harper & Brothers gegründet und ist das älteste monatlich publizierte Magazin der USA. SRL: Abkürzung für The Saturday Review of Literature. Broch bezieht sich auf den Artikel von H. J. Muller, „The Destruction of Science in the
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USSR“, in: The Saturday Review of Literature 31.49 (4.12.1948): 13–15 und 63–65. Eine Woche später wurde der Beitrag fortgesetzt: H. J. Muller, „Back to Barbarism – Scientifically“, in: The Saturday Review of Literature 31.50 (11.12.1948): 8–10.
36. S[aybrook] C[ollege] 1, N[ew] H[aven] 27.7.[1949] Mein Alter, sei für das Zettelchen bedankt, dem man die Hetz anmerkt. Und nur eine Geschäftsantwort: Frau Hinzelmann2, Knolls3 Perle was ist, war bei Fabers4, aber nur um zu melden, daß sie schon eine andere Stelle hat. Die Reise war etwas rätselhaft. Aber sie haben sich gut miteinander gesprochen. Die Schweizer Bücher5 sind alle bestellt. Die Alchemie6 ist im Eranos7 erschienen, etwa 150 Seiten stark. Ich habe sie selber gesehen. Wo ist der Band hingeraten? Ich hab Dir alle Eranos gegeben. Aber so viel ich weiß hat sich die Segall was ausgeliehen. Jedenfalls habe ich Brody wegen der Identität angefragt. (Curtius8 mitbestellt.) Dagegen hast Du mir nichts wegen der im „Literarischen Echo“9 rot angestrichenen Bücher gesagt. Insbesondere der Sedlmayr10 für Lili. Sind die Hefte, ist mein Brief nicht eingelangt? Die Hefte hätten fürs Archiv gehört. Mit gleicher Post kommt gleichfalls für Archiv „Welt und Wort“11, darin Besprechungen über Broch und Kassner. Weiters der „Monat“12 mit Broch-Essay von der Hannah13. Daß Du Gauss das Exemplar geschickt hast ist gut. Weitere Exemplare sind in Hamburg14 bestellt. Ein paar werde ich hier verteilen. Schon wegen Deines Herbstvortrages15. Charles16 muß warten bis ich komme. Und ich werde nicht vergessen. Bitte behalte auch ein Exemplar für den Spitalsdirektor. (Engl. natürlich.) Marion-Karte17 weitergeleitet. Adresse: Killingworth, Clinton, Conn.
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Roman18 in Rohschrift fertig. Nur drei Gedichte19 muß ich noch hineintun, aber ich hoffe das noch zustandezubringen. Am 15. muß die Reinschrift fertig sein. Daß ich ein Buch ohne Dein o.k. hinausgehen lassen soll, ist mir entsetzlich. Ich habe das Gefühl eines Volldrecks (weil Du es nicht durchgesehen hast) immerhin eines großartigen Drecks. Bitte um die Bouchi-Photographien, die Mama am Geburtstagstisch gehabt hat. Zumindest eine Parie. Max war hier. Leider muß ich Dich an den Piper20 wegen der Urne erinnern. Anbei eine Karikatur21 für das mantelpiece22. Mama wird entsetzt sein. Voraussichtlich wird das Stück im hiesigen Inquirer erscheinen. Dem Künstler Birchman23 habe ich eine Schlafwandlerwidmung gegeben, s. u. fürs Archiv. Grüße alles, alles. Angefangen von Mama bis herunter, sagen wir zur Katz, damit niemand beleidigt ist. Und irgendwo in der Mitte der Skala sind die Sessions24. In Liebe Dein alter H. Im Aug’ muß alle Kunst beginnen, Wer niemals sah wird nie ein Lied ersinnen; Im Aug beruht der Mensch, beruhend sein Geschick, Es sieht das All in einem Augenblick.25 [Zusatz:] Soll ich die Saturday Reviews schicken? jetzt kommen sie wieder. Was macht das Katzerl? Bitte, bitte anrufen!! Auch um den Tierarzt wegen Gratispension zu erinnern! Anmerkungen 1 Saybrook College: Durch die Vermittlung von Hermann J. Weigand von der Deutschen Abteilung der Yale University in New Haven, Connecticut, konnte Broch die Monate Mai bis September 1949 – also während der Sommerpause – als Fellow an diesem College verbringen. Das bedeutete für ihn freie Verpflegung. Eine Unterrichtsverpflichtung war damit nicht verbunden. 2 Frau Hinzelmann: Sekretärin Max Knolls.
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3 Knoll: Max Knoll (1897–1969), deutscher Elektro-Ingenieur und Professor für Elektrotechnik. Mit Ernst Ruska erfand er 1927 das Elektronenmikroskop. 1948 emigrierte er in die USA, wo er an der Princeton University eine Professur erhielt. 1956 kehrte er nach Deutschland zurück, um an der Technischen Universität München das neu eingerichtete Institut für Elektronik zu leiten. 4 Faber: Curt von Faber du Faurs Frau war Emma von Plötz. 5 Schweizer Bücher: Bücher aus dem von Daniel Brody geleiteten Rhein-Verlag in Zürich, der auch Brochs Bücher publizierte. 6 Alchemie: Offenbar ein Irrtum Brochs, denn ein Aufsatz zum Thema ist im Eranos-Jahrbuch nicht erschienen. 7 Eranos: Von der homerschen Tradition des Eranos (eines Freundschaftsmahls) leitet sich die Benennung der seit 1933 in Ascona (Schweiz) durchgeführten Eranos-Tagungen ab. Sie wurden von Olga Froebe-Kapteyn als eine Begegnungsstätte östlicher und westlicher Religion und Geistigkeit geplant und in der Folgezeit berühmt wegen ihrer Diversität und ihrer humanistischen Themen. Philosophen, Wissenschaftler und Studenten disparater Disziplinen verbrachten gemeinsam acht Tage miteinander. Basierend auf den Vorträgen erscheinen die Eranos-Jahrbücher. Regelmäßige Teilnehmer waren C.G. Jung, Karl Kerényi, Mircea Eliade, Heinrich Zimmer und Gustav Richard Heyer. 8 Curtius: Ernst Robert Curtius (1886–1956), deutscher Romanist, der in Bonn, Marburg und Heidelberg lehrte. Curtius war ein Kenner sowohl der europäischen Literatur des Mittelalters wie der Moderne. Nach seiner Emeritierung 1951 verlegte Curtius seinen Wohnsitz nach Rom. Gemeint ist hier Curtius’ Hauptwerk Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (Bern: Francke, 1948). 9 Literarisches Echo: Eine Halbmonatsschrift. Sie wurde zwischen 1898 und 1923 von der Deutschen Verlagsanstalt publiziert. Herausgeber war von 1898 bis zu seinem Tode 1912 der Literaturhistoriker Josef Ettlinger. 10 Sedlmayr: Hans Sedlmayr (1896–1984), österreichischer Kunsthistoriker. Sedlmayr habilitierte sich 1933 und wurde 1936 Nachfolger seines Lehrers Alois Riegl auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Wien. Er verlor seine Professur jedoch nach dem Kriege wegen Mitgliedschaft in der NSDAP. Er veröffentlichte die Studie Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit (Salzburg: Otto Müller, 1948). 1951 folgte er einem Ruf an die Universität München. 11 „Welt und Wort“: Heinz Günther Oliass, „Hermann Broch: Der Tod des Vergil“, in: Welt und Wort 4/5 (1949), S. 198. 12 „Monat“: Der Monat war eine 1948 von Melvin Lasky aus Mitteln des CIA gegründete deutsche Kulturzeitschrift. Sie erschien bis 1987. 13 Broch-Essay von der Hannah: Hannah Arendt, „Hermann Broch und der moderne Roman“, in: Der Monat 1/8 (1949), S. 147–151. Ebenfalls abgedruckt in ABB, S. 175–184.
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14 Hamburg: Belegexemplare der Hamburger Akademischen Rundschau, wo Broch den Essay „Geschichte als moralische Anthropologie. Erich von Kahlers ‚Scienza Nuova‘“ veröffentlicht hatte: 3.6.(1949): 406–416 (KW 10/1, S. 298–311). 15 Deines Herbstvortrages: Broch wollte Kahler einen Vortrag an der Deutschen Abteilung der Yale University vermitteln. 16 Charles: Charles Bell. 17 Marion: Marion Canby (1885–1967) war Lyrikerin und setzte sich in verschiedenen Komitees für die emigrierten Schriftsteller aus Europa ein. Sie war die Ehefrau von Henry Seidel Canby. 18 Roman: Gemeint ist Brochs Roman Die Schuldlosen (KW 5). 19 drei Gedichte: Broch eröffnete jeden der drei Teile seines „Romans in elf Erzählungen“ Die Schuldlosen mit einem Gedicht. Sie trugen die Titel „Stimmen 1913“, „Stimmen 1923“ und „Stimmen 1933“. 20 Piper: Nicht ermittelt. 21 Karikatur: Eine Karikatur von Broch, die Willis Birchman gezeichnet hatte. Broch meinte, dass sie in der New Havener Lokalzeitung (dem Inquirer) erscheinen werde. 22 mantelpiece: Englisch für „Kaminsims“. 23 Birchman: Willis Birchman (1911–1951), amerikanischer Karikaturist und Illustrator. Er veröffentlichte seine Karrikaturen vor allem in den Zeitschriften und Zeitungen Life, Cosmopolitan und The New York Herald Tribune. 1949 zeichnete er eine Karikatur von Broch. 24 Sessions: Roger Sessions (1896–1985) war ein amerikanischer Komponist, der an der Princeton University als Musikprofessor lehrte. Gemeinsam mit Broch war Sessions im November 1939 Trauzeuge bei der Heirat von Giuseppe Antonio Borgese und Elisabeth Mann, der jüngsten Tochter Thomas Manns, gewesen. 25 Im Aug’: Ein Gedicht Hermann Brochs (KW 8, S. 144).
37. 10.9.49 Lieber, Guter, Lieber, ich hatte die Absicht Dir zu Sterbas zu schreiben, aber es ist schlechterdings nicht gegangen: ich schufte weiter meine 18 Stunden per Tag und Nacht, habe jeden Abend das Gefühl, mich des Morgens tot im Bett aufzufinden, und dabei ist das Romanchen1, das ich – in Anbetracht der Herstellungszeit (wirklich begonnen 1. Juli) – für ein
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Wunderwerkchen halte – immer nur knapp vor dem Abschluß, aber nicht fertig. Also sehr, sehr verspäteter Dank für Deinen Brief und die Cambridger Karte. Inzwischen habe ich von Hanna2 eine Karte und von Lili einen Brief bekommen; sag ihnen beiden Dank, und Lili soll entschuldigen, wenn ich die Antwort hier einbeziehe. Also (1) Lili Brief. (a) Ich muß das College3 am 22. verlassen. Der headmaster4 fragte offiziös, ob ich mich zu einem teaching5 entschließen könne; in diesem Fall hätten sie mich wohl behalten. Aber ich kann kein teaching übernehmen. Du weißt am besten, wie einen das auffrißt. Und ich habe unter Vertrag den Hofmannsthal und den Bergroman6 abzuliefern; außerdem ist das politische Buch, das mir ja am wichtigsten ist, mit Knopf7 abgesprochen. All das muß ich einhalten. Und mit der Lehrstelle würde ich auch kaum wesentlich mehr verdienen. Also mußte ich ablehnen und muß raus. (b) Dagegen habe ich eine vage Hoffnung, daß ich mir mit meiner Bibliothek vielleicht etwas werde richten können. Denn die Leute wollen mich eigentlich behalten, finden nur nicht die geeignete offizielle Form. Du wirst mir also den Katalog8 schicken müssen, soferne ich ihn nicht selber abhole. (c) Ich komme also bestimmt nach Princeton. Schon auch weil ich in meinen Sommerkleidern friere. Aber ehe ich nicht das Romanchen abgesandt habe, rühre ich mich, trotz Frierens, nicht weg. Meine Hoffnung ist, daß das um den 22. herum, also wenn ich hier rausmuß, gelingen wird. (d) Ich bleibe aber nicht in Princeton, u.z. I. weil ich hier die Bibliotheksunterhandlungen führen will, II. weil mir hier das German Dept. eine wirkliche Hilfe für den Hofmannsthal ist, und ich sowohl für meine Schnelligkeit wie für meine Langsamkeit jetzt diese Hilfe aller-allerdringendst brauche, III. weil mich die Weigands9 – und er ist mir doch ein sehr wichtiger Mann – für die Überbrückungszeit eingeladen haben, IV. weil ich unbedingt zu Deinem Vortrag hier sein will. Weiteres zum Lili-Brief, V. wenn ich „princeton-freundlich“ schreib, so mein’ ich weder menschen- noch katzenfreundlich, sondern einfach, daß der geglückte Urlaub – wie ich ihn gewünscht habe und wie er es offenbar auch war – sich stets in einem positiven Verhältnis zu Pr[inceton] auswirkt, während sie es vorher nicht mehr sehen mag,
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VI. und in meiner mimosenhaften Feinfühligkeit habe ich die Bemerkung wegen des Staudingerbriefes verstanden, muß aber zurückfragen, ob der Max nicht $ 1000.– bekommen hätt’, wenn’s bei meiner Fassung geblieben wäre. (2) Nochmals Yale. Höchst peinlich ist es mir, daß gerade jetzt der Sau-Aufbau10 die Notiz „H.B. nach Yale berufen“ gebracht hat. Die Leute hier könnten glauben, daß ich die Anfrage des headmasters dazu aufgebauscht und es dem Blatt gesteckt habe. Man kann nur hoffen, daß niemand von den Hiesigen das liest, und daß keiner der Juden mich bei ihnen denunziert. Inzwischen habe ich alle Hände mit Dementis zu tun – das auch noch –, denn jeden Tag kommen Gratulationen. (3) Erich-Brief. Daß Dir die „Heimkehr“11 – ein Exemplar anbei – so gefällt, erschreckt mich. Das ist doch nichts als gedrechselter Staub. Und wenn Du recht hättest, so wäre das neue Buch, mit dem ich all die falschen Symbolismen, die in jenen ersten Novellen enthalten waren (Doppel-Relativer), aufzutrennen und aufzuheben trachte, schlechterdings ein Dreck. Aber es ist kein Dreck, und Du hast Unrecht. Und ich hoffe, daß das Buch Dich das einsehen machen wird. (4) Ur-Ur-Vergil.12 Überhaupt, was ich um jene Zeit getrieben habe, ist entsetzlich. Ich habe den Ur-Ur bei Bunzeln13 aufgetrieben, weil Brody plötzlich die Irrsinns-Idee hatte, ihn als literarischen Haut-goût14 zu drucken (den Ur, nicht den Bunzel), doch dieser Haut-goût ist nichts als ein fades Gestinke. Trotzdem sollst Du’s haben. Daß daraus noch der Vergil werden konnte, ist ein Wunder. Genauso ist’s, im kleineren Maßstab, jetzt mit den Novellen15 und dem neuen Buch. Ich habe die jetzige Publikation des Stückes verboten; in die Gesamtausgabe mag er es aufnehmen. Aber für die Gesamtausgabe müssen erst all die andern Bücher fertig sein. (5) Knopf. Derselbe (um mein Lieblingspronomen – nach Duden zulässig! – zu gebrauchen) faselt gleichfalls von einer Gesamtausgabe, wenn er mich einmal „aufgebaut“ – built up – haben wird. Dafür ist der Vertrag, den ich heute erhalten habe, keineswegs glänzend, und am Schluß sind die $ 1800.–, auf die [ich] mit dem Glauber16 schon gewesen bin, nun doch auf 1500.– reduziert worden. Aber ich kann es nicht weiter hinziehen, umsoweniger als Glauber Knopf verlassen
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hat. Heute kam der Kontrakt, und so werde ich nächste Woche unterschreiben, soferne sich beim Durchstudieren nicht doch nochmals ein Häkchen findet. (6) Kurt Wolff. Eben wollte ich den beil. Brief wegschicken. Aber da fiel mir ein, daß ich ihn Dir doch noch zur Kontrolle geben müßte, umsomehr, als Du ja wahrscheinlich mit K.W. über den Fall gesprochen hast. Bitte lies den Brief sofort, und wenn Du damit einverstanden bist, schick ihn noch soforter weiter. Solltest Du aber Abänderungen wünschen, so bitte ich um sofortige Verständigung, (7) Rhein-Verlag. Weitaus der angenehmste meiner Verleger. Anbei ein Brief von ihm, der Dich – Büchersendungen – angeht. Sofort nach Erhalt der Bücher und Durchschnüffelung kriegst Du sie. (8) Weismann17 benimmt sich übrigens auch nett. Jetzt schickt er mir alle Verlagswerke, die durchaus Dreck sind. Am interessantesten ist das Packpapier; ich lege die Makulatur eines Nazi-Almanachs – welch ein Doppelschwein ist dieser Paul Zech – und ein paar Seiten eines Nachkriegsmagazins bei, und es zeigt sich, daß die Ordinärheit die gleiche geblieben ist, wie denn auch nicht. Im übrigen ersucht Weismann unausgesetzt um Empfehlungen. Soll ich ihn auf „Man the Measure“ aufmerksam machen? und willst Du Deine präsumptive Übersetzerin in München zu ihm schicken? (9) Vietta. Derselbe verehrt Dich. Anbei ein Brief von ihm mit Grüßen an Dich zum Papierkorb. Aber er ist Teilhaber eines Hamburger Verlages (ich glaube des Gildenverlages 18) geworden, und man könnte auch ihn auf „Man the M[easure]“ stoßen. (10) Deutsche Zeitungen hier und drüben. Dieselben bringen allesamt Gedichte, und ich frage mich, ob Du ihnen nicht Mamas Gedichte anbieten solltest. Ich glaube es möchte ihr Spaß machen, sich gedruckt zu sehen. Anbei ihr letztes, eigentlich sehr charmantes Werk für die Sammlung. (11) Ehemalige deutsche Verleger. Anbei die Gesamtkorrespondenz mit Reiss19, die Du mir angehängt hast. Er wird Dir jetzt wohl schreiben. Ich habe ihm meinen Scheck schon gesandt; um solche Rachmones kann man nicht herum.
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(12) Bunzelen. Eine andere Rachmones20-Affäre. Schrecklich ist, daß er unter allen Umständen teachen21 will. Also will er durchaus ins German Dept., sei es hier durch mich, oder in Cornell durch Dich hineinkommen. Ich lege pflichtgemäß seinen letzten Brief bei, enthaltend die Anweisungen, wie wir es zu machen haben, u. z. Schema „Schnorre hoch zu Roß.“ Hier geht es aber nicht – ich habe mit Weigand wirklich gesprochen –, und vermutlich wird [es] in Cornell ebensowenig gehen. Also mit diesen 12 Punkten sei es heute genug. Und noch essentielle Fragen: (a) treffe ich Dich noch in Princeton, wenn ich nach dem 22. komme? sollte das nicht der Fall sein, so schick mir bitte den Bücherkatalog sofort her, u. z. rekommandiert. (Und vielleicht auch meine verpönten Dokumente aus dem safe! oder laß den Schlüssel – sie dürfte ihn ja sowieso haben – bei Lili.) (b) Wann paßt es Dir, hier den Vortrag zu halten? Ich kann Dir das nach Deinem Belieben regeln. Ach Gott, ach Gott, was für ein Leben! so soll ein Lebensabend ausschauen, wo man sich doch zur Ruhe und Weisheit setzen sollte! Ich bin entsetzlich müde und voll funebrer Gedanken. Müde bin ich, keine Ruh, halte nie die Äuglein zu.22 Umarm mir Mama, Lili, Hanna für mich. Bang nach allen, bang nach Dir H
Anmerkungen 1 2 3 4
das Romanchen: Die Schuldlosen (KW 5). Hanna: Hanna Loewy. das College: Saybrook College der Yale University. headmaster: Theodore M. Greene (1897–1969), amerikanischer Philosophieprofessor. Greene promovierte 1924 in Edinburgh über Kants Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. 1923 hatte er einen Lehrauftrag in Princeton angenommen, wo er bis 1955 als Professor für Philosophie lehrte. Greene publizierte u.a. The Arts and the Art of Criticism (Princeton: Princeton University Press, 1940). Er war damals Präsident aller Vorsteher der einzelnen Colleges an der Yale University. 5 teaching: Englisch: unterrichten oder Unterricht.
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6 Bergroman: Brochs Roman Die Verzauberung (KW 3). 7 Knopf: Die dritte Fassung von Brochs sogenanntem „Bergroman“ war unter dem Arbeitstitel Demeter zur Publikation beim Alfred A. Knopf Verlag in englischer Übersetzung für 1951 vorgesehen. Der Vertrag zwischen Knopf und Broch über die englische Übersetzung von Demeter war im Juni 1949 abgeschlossen worden. Broch schrieb das Manuskript auf Deutsch, und nach Fertigstellung des Romans sollte er ins Englische übersetzt werden. Als er am 30. Mai 1951 starb, war gut ein Drittel des Buches fertig. Das Fragment dieser Fassung wurde erstmals 1967 im Suhrkamp Verlag in Frankfurt am Main unter dem Titel Demeter veröffentlicht. Eine Ausgabe aller drei Fassungen des „Bergromans“ erschien, herausgegeben von Frank Kress und Hans A. Maier, 1969 ebenfalls im Suhrkamp Verlag. Die zweite und dritte Fassung blieben Fragment. Die erste (und einzig vollständige) Fassung des Romans, die 1935 geschrieben wurde, erschien unter dem Titel Die Verzauberung (KW 3). Diese erste Fassung lag auch der englischen Übersetzung von H.F. Broch de Rothermann zugrunde, die 1987 bei Farrar, Straus und Giroux in New York erschien. 8 Katalog: Verzeichnis von Brochs Wiener Bibliothek (vgl. AGB). 9 Weigands: Hermann J. Weigand (1892–1985), amerikanischer Skandinavist und Germanist. Er lehrte deutsche Literatur an der Yale University. Weigands Frau war Frances Weigand. Hermann Weigand schrieb den ersten Aufsatz über Brochs Der Tod des Vergil: „Broch’s Death of Virgil: Program Notes“, in: Publications of the Modern Language Association of America 62.2 (1947): 525–554. 10 Sau-Aufbau: Der Aufbau ist eine deutsch-jüdische Zeitung, die 1934 in New York gegründet wurde. Broch beschwert sich hier über eine Notiz aus dem Jahr 1949, in der vermeldet wird, Broch sei an der Yale University zum Professor für Sozialwissenschaften ernannt worden. 11 „Heimkehr“: Brochs Erzählung „Die Heimkehr“ erschien erstmals in Die Neue Rundschau 44.2 (Dezember 1933): 765–795. Unter dem Titel „Verlorener Sohn“ ging die überarbeitete Fassung in den Roman Die Schuldlosen (KW 5, S. 50-83) ein. 12 Ur-Ur-Vergil: Die Heimkehr des Vergil (KW 6, S. 248–259). 13 Bunzel: Joseph Bunzel (1907–1975), österreichischer Schriftsteller und Verlagslektor. Er emigrierte 1938 nach England und 1940 in die USA. Im amerikanischen Exil gehörte er zu Brochs Freundeskreis. 14 Haut-goût: Französisch für „Wildbretgeschmack“, im übertragenen Sinn so viel wie „besonders feiner Geschmack“ oder „hohe Qualität“. 15 Novellen: „Tierkreis-Novellen“ aus den 1930er Jahren (KW 6, S. 127–247), die Broch zum Teil in überarbeiteter Fassung in seinen Roman Die Schuldlosen (KW 5) übernahm. 16 Glauber: Robert H. Glauber war in den 1940er Jahren Lektor im Alfred A. Knopf Verlag in New York. Broch korrespondierte mit ihm in den Jahren 1948 und 1949 über den Roman Die Verzauberung. Nach seiner
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Kündigung bei Knopf arbeitete Glauber als Kritiker und Journalist bei verschiedenen amerikanischen Zeitschriften. Weismann: Willi Weismann (1909–1983), deutscher Verleger, Leiter des 1946 von ihm gegründeten Willi Weismann Verlags in München. 1950 erschien hier Brochs Roman Die Schuldlosen (KW 5). Gildenverlag: Hansischer Gildenverlag, Hamburg. Reiss: Erich Reiss (1887–1951), Inhaber des Erich-Reiss-Verlags in Berlin, der Alfred Polgar, Erich Kästner und Egon Erwin Kisch verlegte sowie die expressionistische Serie Tribüne der Kunst und Zeit herausgebracht hatte. Reiss war 1937 von den Nationalsozialisten interniert worden, kam aber 1940 durch Bemühungen von Karin Michaëlis und Selma Lagerlöf wieder frei. Er emigrierte 1940 über Schweden in die USA. Rachmones: Jiddisch für „Mitleid“. teachen: Von englisch „to teach“: unterrichten, lehren. Müde bin ich …: Anspielung auf das Kindergebet von Louise Hensel „Müde bin ich, geh’ zur Ruh’,/ schließe beide Äuglein zu“.
38. Hotel Duncan, 1151 Chapel Street, New Haven 11, Conn. 4.10.49 Mein Guter, Alter, also bist Du, wenn auch mit anderer Adresse, doch wieder bei van der Hoek und dem Kind gelandet –, oder ist es diesmal unschädlich? Ich bin wieder vollkommen korrespondenz-ausgeschöpft, und je nichtssagender die Briefe sind, desto unerträglicher sind sie mir. Jeder andere (nicht Du) erledigt das mit dem linken Fuß, und für mich bedeutet es Energie- und Zeitaufwand höchsten Grades. Es ist halt die ständige Störung, die für unsereiner unerträglich ist. Deswegen mußten ja auch all meine Frauengeschichten schief ausgehen: keine von all den Frauen hat begriffen, was Störung heißt, und daraus ergab und ergibt sich jene Erbarmungslosigkeit, welche Störungslosigkeit unter Bedingungen verspricht, andernfalls aber Störung als „Strafe“ anwendet. Natürlich war es meine Schwäche, welche derartiges geduldet hat, und doch war [es] nicht bloße Schwäche: es war auch Mitgefühl für den, der es nicht besser versteht und daher bloß sein
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eigenes Unglück kennt und bejammert. Doch auch ein solches Mitgefühl ist Schuld, und so kann ich nur trachten den heranrückenden Zahltag möglichst erträglich für mich zu machen. Dies nur als Antwort auf Deine Frage nach meiner nächsten Zukunft. Morgen oder übermorgen trifft Bouchi ein, und dann werden wir halt weiter sehen. Wegen der Bibliothek1 habe ich hier noch nichts unternommen. Ich komme einfach nicht dazu. Im Augenblick erscheint mir das Romanchen als kompletter Saudreck, und selbstverständlich habe ich damit recht. Ich kenn das Gewerbe allzugut. Ich kenne alle seine Billigkeiten und seine Fadenscheinigkeiten und seine Schäbigkeiten. (Soeben höre ich im Radio als Illustration dazu ein japanisches Buggiwuggi2, von einem Japaner komponiert, von einer japanischen Band gespielt und gesungen – haarsträubend.) Im Grund ist mir ganz verständlich, wenn diese sogenannte Kunst einfach zum politischen Instrument degradiert wird; sie verdient es nicht besser. Gerade weil ich überzeugt bin, daß es niemand besser als ich machen kann, darf ich mir solches Urteil erlauben. Aus purer Reinlichkeit möchte ich endlich meine Erkenntnistheorie machen, umsomehr als ich sie gleichfalls besser als alle andern machen könnte. Und dabei die Kürze der Zeit vor einem. Vor dem kommenden Jahr mit seinem zweiten Roman ist mir daher einigermaßen mies. Und ich bin des Kampfes mit der Zwangsjacke müde, welche Sprache heißt –, diese entsetzliche Mühe, sie um ein paar Millimeter zu lockern! Aber begreifst Du jetzt, warum mir diese alten Novellen einschließlich dem Ur-ur3 unerträglich sind, einfach unerträglich? Genau so wie 99 % aller sonstigen Kunstproduktion mir schlechterdings unerträglich ist; ganz wenig Ausnahmen gibt es: Bach ist eine solche. Das wichtigste aber: bist Du zum Geburtstags-weekend 4 in Pr[inceton]? in diesem Fall würde ich am 15. (Sonntag) dort eintreffen. Du kriegst von mir den großen Curtius5, der ein Abgrund an Gelehrsamkeit ist, dagegen ein Kleinhügelchen an Ideen. Trotzdem hochimponierend. Was kann ich für Lili und Hanna haben, die doch mit Dir gemeinsam gefeiert werden????!!!!! Bitte Antwort. Bücher beim Rheinverlag werden bestellt. Brauchst Du keine Bücher aus Deutschland? Im Augenblick ist Deutschland gegen den Dollar wieder sehr billig. Hast Du keine deutschen Guthabungen, die man aufbrauchen soll?
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Wie steht es mit Man the Measure? Du hast nicht geantwortet. Berta Segall, die Dich grüßen läßt, schreibt daß wir beide Löwiths „Meaning in History“6 lesen müssen. Hast Du es? Außerdem soll eines von einem jungen franz. Philosophen Eliade7 existieren, das ähnliches behandelt. Außerdem lege ich einen Prospekt über Rudolf Rocker8 hier bei; nie davon gehört. Andere Beilagen: Gauss, reizend – ich habe kein Wort aber entziffern können. Muß ich ihm schreiben? Mamas letzter Brief samt meiner Antwort. Bunzel: ein Voll-Narr. Du sollst keine full professorship für ihn verlangen. Wegen seiner Nebbichheit habe ich ihm verhältnismäßig mild geantwortet. Dimitroff-Bild9: das sind die Sieger. Auch nix schön. Knoll hat mich wegen Colombo10 meschugge gemacht. Und das schaut dabei heraus. Meine Telephon-Nummer 7-1273 Bang, Libru, sehr bang H. Anmerkungen 1 Bibliothek: Broch wollte seine Wiener Bibliothek an eine Universität in den USA verkaufen. Er beauftragte seinen Sohn, H.F. Broch de Rothermann, der sich damals in Wien aufhielt, die Bibliothek verpacken und in die USA schicken zu lassen. Erst kurz nach Brochs Tod langten seine Bücher in New Haven ein, die dann von den Broch-Erben an den New Yorker (ehemals Wiener) Buchhändler Theo Feldmann verkauft wurden. Der veräußerte sie weiter an den österreichischen Emigranten Josef Buttinger, der sie (mit seinen anderen Büchern) 1971 der neugegründeten Universität Klagenfurt schenkte. Inzwischen ist Brochs Bibliothek dort separat aufgestellt und zugänglich (vgl. AGB). 2 Buggiwuggi: Boogie-Woogie ist ein Solo-Klavierstil, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in den USA entstand. Der harmonische Ablauf entspricht im wesentlichen dem Blues-Schema, das Tempo ist im Vergleich zum Blues aber erheblich höher. 3 Ur-ur: Hermann Broch, Die Heimkehr des Vergil (KW 6, S. 248–259). 4 Geburtstags-weekend: Kahlers 64. Geburtstag am 14. Oktober 1949, einem Freitag. 5 der große Curtius: Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (Bern: Francke, 1948).
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6 „Meaning in History“: Karl Löwith, Meaning in History (Chicago: Chicago University Press, 1949). 7 Eliade: Mircea Eliade (1907–1986), rumänischer Philosoph. Er studierte in Bukarest unter Nae Ionescu, reiste mit 21 Jahren nach Indien und studierte dort von 1928 bis 1931 an der Kalkutta-Universität. Ab 1945 lebte und lehrte er in Paris. Seit 1957 unterrichtete er als Professor für Religionswissenschaften an der University of Chicago. Neben seinem literarischen Werk steht vor allem ein philosophisches mit Schwerpunkt auf der phänomenologischen Theologie. 1949 erschien sein Werk Le Mythe de l’eternel retour: archétypes et répetition in Paris bei Gallimard. 8 Rocker: Rudolf Rocker (1873–1958), Autor und Historiker deutsch-jüdischer Herkunft. 1933 floh Rocker in die USA. Dort veröffentlichte er 1937 Nationalism and Culture (New York: Covici-Friede, 1937), das zum Zeitpunkt des Brochschen Briefes gerade auf deutsch als Die Entscheidung des Abendlandes (Hamburg: Friedrich Oetinger, 1949) erschienen war. 9 Dimitroff-Bild: Georgi M. Dimitrow (1882–1949), bulgarischer Politiker. 1919 war er an der Gründung der bulgarischen Kommunistischen Partei beteiligt, nahm führend an bewaffneten Aufständen teil. Nach dem Verbot seiner Partei im Ausland (1923), wurde er 1933 in Deutschland im Prozeß um den Reichstagsbrand von der Anklage der Brandstiftung freigesprochen. Von 1933 bis 1944 war er Generalsekretär der Komintern in Moskau, und von 1946 bis 1949 Ministerpräsident von Bulgarien. Dimitrow starb am 2. Juli 1949. 10 wegen Colombo: Brochs Budapester bzw. Wiener Freundin Edith Ludowyk-Gyömröi lebte damals im Exil in Colombo, der Hauptstadt Ceylons (heute Sri Lanka), wo sie eine psychoanalytische Praxis betrieb. Broch hatte von ihr eine Einladung erhalten, der er nicht folgte.
39. Hotel Duncan, 1151 Chapel Street, New Haven 11, Conn. 12.10.[1949] Prof. Erich Kahler c/o Mrs. van der Hoek 115 de Witt Place Ithaca, N. Y.
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Mein sehr sehr geliebter Mensch, natürlich keine Antwort: aber niemand kann’s so gut verstehen wie ich –, es ist zu viel, alles ist zu viel. Aber aus gerad eingetroffenen Zeilen Hannas sehe ich, daß Du nicht nach Pr[inceton] zum Geburtstag kommst, und so laß Dir hier sagen, daß Du mir erhalten bleiben sollst. Mir ist die Verschiebung der Princeton-Fahrt auch lieber, weil das Romanchen noch immer nicht fertig ist. Ich habe die Ablieferung für den 1. Sept. versprochen, und jetzt sind wir Mitte Oktober. Es ist wie mit einer gebrochenen Hüfte: als man mich vor einem Jahr aus dem Gips herausnahm glaubte ich, daß ich innerhalb [von] vier Wochen herumspringen würde, und noch immer hink ich wie eine Schnecke; wie Du auf Urlaub gegangen bist, habe ich mit der Reinschrift begonnen, der ich vier Wochen gegeben habe –, doch jetzt ist es wirklich zu Ende. Die Gedichte 1 waren halt verflucht schwer, und von rechts wegen müßte ich ihnen noch drei Wochen geben. Soeben den „Roman des Romans“2 durchflogen, u.z. mit argen Minderwertigkeitsgefühlen angesichts der stupenden Arbeitskraft dieses alten Mannes. Was der alles geleistet hat, während er den Faustus fertigbrachte! Ansonsten ist dieses Tagebuch höchst unangenehm. Diese Haltung „Schaut, was für ein einfacher menschlicher Mensch ich bin, obwohl…“ ist überaus zuwider. All das hängt mit der Immoralität des rein Schriftstellerischen zusammen: der Schriftsteller ist der Rhetor; er hat Meinungen, also mit rhetorischer Überzeugungskraft, ohne wahrhaft etwas zu beweisen. Du weißt, wie mich das bedrückt. Das beste, was man auf den Schriftsteller, soweit er Künstler ist, nämlich auf die gesamte Kunst sagen kann, ist: Schmonzes3 mit Herzblut. Anbei ein soeben eingelangtes Mann-clipping. Wann also kommst Du? ich will dann unbedingt in Pr[inceton] sein. Und was ist mit dem Yale-Vortrag? Wünsche, Wünsche, Wünsche in Liebe, Liebe, Liebe H. Ich habe neulich van der Hoek mit Chazeau4 verwechselt: also bist Du dort kinderlos, hoffentlich. Der Curtius5 geht also jetzt nach Cornell. [zum größten Teil in KW 13/3, S. 365]
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Anmerkungen 1 Die Gedichte: Die „Stimmen“ in Brochs Roman Die Schuldlosen (KW 5). 2 „Roman des Romans“: Thomas Mann: Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans (Amsterdam: Bermann-Fischer, 1949). 3 Schmonzes: Jiddisch für „Unsinn“, von hebräisch „Schmoo“ (billiger Schmuck, Tand). 4 Chazeau: eine Familie, bei der Kahler in Ithaca zur Untermiete wohnte. 5 Der Curtius: Broch schickte, wie bereits verschiedentlich angekündigt, Ernst Robert Curtius’ Buch Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter an Kahlers Adresse in Ithaca, New York.
40. Saybrook College 1, Yale University, New Haven Hotel Duncan, 1151 Chapel Street, New Haven 11, Conn. 3.11.49 Litreubru, Gott hab ich auf Dich geschimpft (auf Dich) wie ich gehört hab, daß Du in Pr[inceton] warst ohne mich zu verständigen. Wo ich dabei noch gerade in N[ew] Y[ork] war. Andererseits weiß ich natürlich, daß das Hinauskommen nach Princeton nicht einmal Sinn gehabt hätte, denn den dortigen Wirbel kann ich mir natürlich vorstellen. Gestern war ich dort, ebensolcher Wirbel: glücklicherweise bin ich früh genug gekommen, um den Vormittag mit der Mama zu sitzen, doch dann ist es losgegangen – Bank2, Fleck3, Kann4, Max, Oppenheim5, Condell6, Einstein, Hetty Goldman7 (dinner) und dazwischen die Curtius8 zum Tee am Evelyn9 – und am Abend bin ich noch mit einer Bekannten des Dave10, einer Mathematikerin nach N[ew] Y[ork] gefahren, so daß Du Dir vorstellen kannst in welchem Zustand ich eingelangt bin. So weit Bericht, und nun Antwort, in Deiner Anordnung: Mit mir sollst Du kein schlechtes Gewissen haben. Das einzige was ich Dir vorwerfe als Nicht-Antwort ist die Lili. Denn ich habe doch gefragt, ob die Geburtstage verschoben werden, wenn Du nicht kommst, und was ich für L[ili] besorgen kann. (NB. zum Geburtstag
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habe ich Hanna geschrieben und sie gebeten, ähnliches Lili auszurichten.) Natürlich hätte ich am 14. anrufen können und sollen, aber an diesem Tag ist Bouchi aus Europa eingelangt, und das war nicht nur die ganze Ekelhaftigkeit der Warterei, sondern auch meine grenzenlos traurig-widerliche Stimmung, die mich alles vergessen ließ. Leberreizung, habe ich zu meinem Schrecken bereits in Pr[inceton] gehört. Da läßt sich leider nur eines sagen: bittich haltdich. Ich bin froh, daß es soweit überstanden ist. Geburtstagsgeschenke. Weh Dir, wenn Du mir noch was schenkst. Bleib mir erhalten; mehr und mehr als genug. Nämliches gilt für Weihnachten. Sonst nimmst Du mir die Freud, Dir den Jung11 (den ich hier hab) zu X-mas12 zu geben. Neumann13 bestellt. Hingegen bin ich beleidigt, wenn Du ein Buch wie den Löwith hast, mich nicht darauf aufmerksam machst, offenbar nur für Wissenschaftler, nicht für Dichter. Aber was immer Du brauchst, lasse es mich wissen; auch deutsche Bücher, da ich jetzt dort Geld habe. Yale. Vor lauter Arbeit mich um nix gekümmert. Ich werde erst jetzt die Dinge wieder angehen. Unter keinen Umständen kann ich eine Lehrstelle jetzt übernehmen. Princeton-Rückkehr. Mir sieht es eher nach Frankreich14 aus. Aber im Safe sind meine Scheidungspapiere15 verschwunden. Und ich war gerührt mißtrauisch. Roman. Die Gedichte sind kein Schigan16. Du wirst schon sehen. Nur möchte ich das eine verbleibende MS-Exemplar (das ich bald zum Vergleich mit den Fahnen brauchen werde) nicht gern nach Cornell schicken. Yale. Auf den Schreiber17 kann man nicht warten, denn der wird vielleicht erst zu Weihnachten zurückkehren. Wenn Bluhm18 von Weigand, Faber etc. gestützt wird, mag er es vielleicht doch noch allein entscheiden. Als Vortragsdaten kommen jedoch bloß die Dienstage in Frage, müßte also (wenn in Verbindung mit thanksgiving) Dienstag der 29. sein. Bitte postwendenden Bescheid. Nein, das kommt von der Eile: ich sehe gerade, daß Du ja diesen Tag ohnehin in Aussicht genommen hast. Ich werde also morgen oder übermorgen mit den Vögeln sprechen. Jedenfalls werde ich, wenn es bei Deiner Thanksgiving19-Fahrt bleibt, zum weekend nach Princeton kommen. Vietta wird ein nuisance20 sein. Bunzel ist es bereits. Ich habe bloß meine Pflicht erfüllt.
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Cornell. Denk vorderhand nicht an die Verlängerung. Bis dahin ist noch viel Zeit. Ich denk an Deine Bücher. Genau so wie ich an meine denk. Gewiß läßt sich immer sagen, es ist nur ein Buch, also Schmonzes, aber es ist halt Schmonzes mit Herzblut. Und Dein Herzblut ist mehr wert als das von vielen anderen. Also denk jetzt nicht an die Professurverlängerung, und das erinnert mich an eine Geschichte vom Ernst Bloch21: 1933 nach Hitler ist er höchst betropetzt22 im Romanischen Kaffee gesessen, und da ist der Kellner zu ihm getreten und hat gesagt: „Nun ja, Herr Doctor, aber in solchen Zeiten heißt’s Philosoph sein … nicht nachdenken!“ Anbei ein entzückender Brief von der Mama. Weiters Lilis Gratulation. Und zwei Akademische23, die ich für den Vortrag hier behalten habe schicke ich mit gleicher Post; mehr habe ich nicht. S[einer]z[ei]t hatte ich sechs für Dich bestellt –, sind die nicht angekommen? Weiters liegt hier ein Text des Süddeutschen Rundfunks24 fürs Archiv bei, während den Rundschaus ein Vergil-Aufsatz des EuropaKuriers25 beiliegt. Die Hannah [Arendt] möchte die zwei Kapitel ihres Imperialismus-Buches26, die sie Dir gegeben hat, u.z. womöglich vor ihrer Abreise nach Europa am 20. Nov. [zurückerhalten]. Kannst Du der Lili sagen wo diese Seiten sind? ich habe sie gefragt, und sie weiß es nicht. Viel Liebe, mein Guter, Alter. Und sei umarmt H. 8.11.[1949] Ich habe mit der Absendung gewartet, weil ich noch mit Weigand wegen des Vortrages habe sprechen wollen: aber der ist in Cincinnati 27 gewesen und erst gestern zurückgekehrt, so daß ich ihn erst Sonntag sehen werde. Inzwischen haben sich die Beilagen erhöht: Hanna nett wie immer, Vietta, der drohende, der plötzlich mich zu duzen begonnen hat, offenbar als Vorbereitung seines Kommens. Roth, den ich daraufhin in N[ew] Y[ork] aufgesucht habe, und der mir sagte, daß „die Aktion wird fortgesetzt werden“; im übrigen haben wir uns diesmal gut gesprochen, und infolgedessen habe ich ihn gebeten – dies zu Deiner Beachtung – mich mit Sola Pool28 zusammenzubringen.
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Ja, und die hiesige Tel. Nummer, nach der Du gefragt hast: 7-1273 Und nochmals und nochmals Love
Anmerkungen 1 Saybrook College: Broch benutzte noch Papier mit dem Briefkopf des Colleges, obwohl er dort nicht mehr wohnte, fügte dann aber seine neue Adresse ein. 2 Bank: Broch besuchte seine New Yorker Bank, um in seinem Schließfach Unterlagen zu holen, die er für die bevorstehende Heirat mit Annemarie Meier-Graefe benötigte. 3 Fleck: Ludwik oder Ludwig Fleck (1896–1961), polnischer Mikrobiologe, Mediziner und Wissenschaftstheoretiker. Er gilt als Ideengeber für das theoretische System Thomas S. Kuhns (Paradigmenwechsel) und des Foucault’schen Episteme-Begriffs. Nach der Okkupation seiner Heimatstadt Lemberg durch die Nationalsozialisten forschte Fleck zunächst im Hospital des jüdischen Ghettos an einem Typhus-Impfstoff, ehe er ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde. Nach dem Krieg wurde er zunächst Leiter des Instituts für Mikrobiologie an der Universität von Lublin, später Direktor der Mikrobiologie und Immunologie am staatlichen Mutter-undKind-Institut in Warschau. 1956 emigrierte Fleck nach Israel. Sein wissenschaftstheoretisches Hauptwerk erschien erstmals 1935 unter dem Titel Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. 4 Kann: Robert A. Kann (1906–1981), Historiker. Er promovierte 1930 in Jura an der Universität Wien, praktizierte als Jurist in Wien von 1931 bis 1938. Nach dem „Anschluss“ emigrierte er in die USA. Er war von 1942 bis 1945 Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton und lehrte seit 1947 Geschichte an der Rutgers University in New Brunswick, New Jersey. 5 Oppenheim: Paul Oppenheim. 6 Condell: Nicht ermittelt. 7 Goldman: Hetty Goldman (1881–1972), Archäologin deutsch-jüdischer Herkunft. Damals arbeitete sie am Institute for Advanced Study in Princeton. Sie hat Ausgrabungen in Griechenland, u.a. in Kolophon, geleitet. Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte sie jüdische Flüchtlinge in den USA. 8 die Curtius: Ilse Curtius (1907–2002), die Ehefrau Ernst Robert Curtius’. 9 am Evelyn: die Adresse Erich von Kahlers in Princeton (One Evelyn Place). 10 Dave: Nicht ermittelt. 11 Jung: Carl Gustav Jung (1875–1961). Broch las in den frühen 1930er Jahren Jungs Werke und stand mit ihm in lockerer Verbindung.
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12 X-mas: Englisches Kürzel für „Christmas“, Weihnachten. 13 Neumann: Robert Neumann (1897–1975), österreichischer Schriftsteller. Er emigrierte über England in die USA, wo er Direktor der International Authors Limited wurde, die ein Teil des Londonder Verlags Hutchinson waren. Welches Buch Neumanns Broch bestellt, wird nicht klar. Es könnte sich um Kinder von Wien handeln, das 1948 bei Querido in Amsterdam erschienen war. 14 Frankreich: Brochs Freundin Annemarie Meier-Graefe wünschte, dass Broch zu ihr nach Südfrankreich ziehe, wo sie in St. Cyr sur Mer (in der Nähe von Bandol) ein Haus erstanden hatte. 15 Scheidungspapier: Broch heiratete am 5. Dezember 1949 in zweiter Ehe Annemarie Meier-Graefe. Vorher musste er die Unterlagen besorgen, in denen die Scheidung von seiner ersten Frau bestätigt wurde: Broch hatte sich am 13. April 1923 von Franziska von Rothermann scheiden lassen. 16 Schigan: Jiddisch für „Wahnsinn“. 17 Schreiber: Carl Frederick Schreiber (1886–1960), amerikanischer Germanist. Von 1944 bis 1954 war er Chairman des German Departments an der Yale University. 18 Bluhm: Heinz S. Bluhm (1907–1993), deutsch-amerikanischer Germanist, der von 1937 bis 1967 deutsche Literaturgeschichte an der Yale University lehrte. 19 Thanksgiving: Donnerstag, 29. November 1949. 20 nuisance: Englisch für „Belästigung“. 21 Bloch: Ernst Bloch (1885–1977), deutscher Philosoph. Bloch verbrachte die Jahre 1933 bis 1948 im Exil, zuerst in Wien, dann ab 1938 in New York. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er eine Professur für Philosophie in Leipzig, wurde jedoch 1957 zwangsemeritiert und übersiedelte 1961 in den Westen Deutschlands, wo er an der Universität Tübingen lehrte. Während ihres Wiener und des New Yorker Exils gehörten Ernst Bloch und seine Frau Karola zu Brochs Freundeskreis. 22 betropetzt: Österreichische Mundart für „bedrückt“. 23 Akademische: Broch meint zwei Sonderdrucke seiner Besprechung von Kahlers Buch Man the Measure. Vgl. Hermann Broch, „Geschichte als moralische Anthropologie. Erich von Kahlers ‚Scienza Nuova‘“, in: Hamburger Akademische Rundschau 3.6 (1949): 406–416 (KW 10/1, S. 298–311). 24 Text des Süddeutschen Rundfunks: Broch schickte Kahler einige Exemplare der Neuen Rundschau und fügte das Manuskript einer Sendung bei, die im Süddeutschen Rundfunk über seinen Roman Der Tod des Vergil ausgestrahlt worden war. 25 Europa-Kurier: Gustav René Hocke, „Commedia der Seele: Über das Werk Hermann Brochs“, in: Europa-Kurier, Nr. 30 (29.7.1949): 5–6. 26 Imperialismus-Buch: Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism (New York: Harcourt, Brace 1951). 27 Cincinnati: amerikanische Großstadt in Ohio.
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28 Sola Pool: David de Sola Pool (1885–1970), amerikanischer Rabbiner. Er stand seit 1907 im Dienst der New Yorker Congregation Shearith Israel, zu deren Gemeinde die älteste Synagoge der Vereinigten Staaten gehörte. Er veröffentlichte das Buch Portraits Etched in Stone: Early Jewish Letters (1682–1831) (New York: Columbia University Press, 1953). William Roth und andere Freunde hätten es gerne gesehen, wenn Broch zum Judentum zurückgekehrt wäre. Broch war 1909 zum Katholizismus konvertiert. David de Sola Pool hätte die Re-Konversion ermöglicht, doch unternahm Broch keine Schritte in dieser Richtung.
41. Hotel Duncan, 1151 Chapel Street, New Haven 11, Conn. 18.11.49 Prof. Erich Kahler c/o van der Hoek 115 de Witt Place Ithaca, N.Y. Mein Guter, ich war von Deinem Anruf sehr gerührt, wollte Dir auch gleich schreiben, aber Du bist mir halt zuvorgekommen. Die letzten Tage vor der Roman-Absendung waren eben Hölle. Aber jetzt ist er aus dem Haus draußen. Und vorderhand finde ich ihn noch gut, freilich wissend, daß sich das bald ändern wird; dann wird die gewohnte Scham einsetzen. Aber ich muß ja nicht viel darüber schreiben, da ich Dich in 8 Tagen sehen werde. Ich treffe Samstag um 12h Mittag ein, um Sonntag sodann mit sehr schwerem Herzen wegzufahren. Die Jahre bei Dir, mein Alter, waren wahrscheinlich die letzten guten (oder zumindest – infolge der Frauenplage – einigermaßen guten) Jahre meines Lebens, und mir gruselt ein wenig vor dem Lebensabend. Wie ich meine schwierige, teils furiose, teils gebrechliche psychische Maschine werde intakt halten können, sehe ich nicht. Und von dieser Intaktheit hängt ja das bißchen Restproduktivität ab. Und gerade die
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wäre wichtig. Wahrscheinlich ist ja alles Geistige wie ein Eisberg, bei dem bekanntlich bloß 10 % sichtbar ist (bei Genie-Eisbergen 11 %) während bei mir just ein Spitzel von 2 bis 3 % herausschaut. Also noch rasch Antwort: Vor Vietta fürchte ich mich. Er ist ein Beispiel dafür wie brennender Ehrgeiz (– auch Schleim kann offensichtlich brennen –) zur Produktion von Dreck führt. Das Wesen des Künstlers, d.h. des geistigen Menschen ist „brennender Un-Ehrgeiz“. Natürlich werde ich ihm nix über Hofmannsthal erzählen, und glaube auch nicht, daß er selber etwas finden wird außer Platitüden. Hannah Arendt habe ich wegen MS verständigt. Höchstens werde ich es ihr nachschicken. Sie fährt nach England, Frankreich, Westdeutschland, Schweiz wegen der Jiden 1: was ihre Aufgabe da ist, hat sie nicht gesagt, und demzufolge habe ich nicht gefragt. Snell2 werde ich aufs neue bei Claassen3 bestellen; die Abhandlung von Bergmann 4 könnte man – wenn Du willst – in Deutschland antiquarisch suchen lassen. Ich wußte gar nicht, daß (a) die Wölffe5 ein Auto haben (b) es zum Kistenverlust benützen. Ullmann6 für Hanna ist auf dem Weg. Schreiber ist zurück. Und da hat sich vor allem herausgestellt, daß sie die $ 75.– für Dich noch nicht beisammen haben. Faber ist beschämt, hat mich sehr aufgeregt angerufen, und das Ganze war Vorspiel zu einer Vortragseinladung an mich: gratis, was sie freilich in meinem Fall sich höchst wohlverdient haben. Bei Dir aber ist es anders, umsomehr als es fix abgemacht war; Schreiber denkt sogar daran, hiefür einen illegitimen Griff in den Bücherfond zu machen. Vielleicht kann ich Dir nächste Woche schon mehr darüber erzählen. Wie ich das mit dem MS7 machen soll, weiß ich nicht; ich brauche dieses Exemplar unbedingt zur Fahnenkontrolle – die Fahnen werden jetzt ja bald eintreffen –, und an der verlorenen Kiste kannst Du sehen was alles passieren kann. Sei umarmt, Lieber, sehr Lieber H [zur Hälfte in KW 13/3, S. 375]
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Anmerkungen 1 wegen der Jiden: Von 1948 bis 1952 war Hannah Arendt Geschäftsführerin der Jewish Cultural Reconstruction Inc. in New York, einer Organisation, deren Präsident Salo W. Baron war, und deren Aufgabe darin bestand, jüdische Kulturschätze in Europa, die von den Nationalsozialisten geraubt worden waren, zu retten, d. h., wenn möglich, den überlebenden Juden zurückzuerstatten oder sie jüdischen Institutionen in Israel, Europa und Amerika zuzuführen. 1949/50 reiste Hannah Arendt sechs Monate lang durch Europa (ihr europäisches Büro war in Wiesbaden), um die Operation zu leiten, bei der 1,5 Millionen Bände Hebraica und Judaica, Tausende von Kultgegenständen und Kunstwerken und mehr als tausend Thorarollen gerettet werden konnten. 2 Snell: Bruno Snell (1896–1986), klassischer Philologe. Von 1931 bis 1959 hatte er an der Universität Hamburg den Lehrstuhl für Klassische Philologie inne. Broch spielt hier auf Snells Buch Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen (1946) an. 3 Claassen: Eugen Claassen (1885–1955), deutscher Verleger. Er war 1947 daran interessiert gewesen, Brochs Massenwahntheorie in seinem Hamburger Verlag herauszubringen, wozu es nicht kam, da Broch das Werk nicht abschloss. 4 Bergmann: Gustav Bergmann (1906–1987). Er stammte aus Wien, wo er in den zwanziger Jahren Mathematik, Philosophie und Jura studiert hatte. Zu dieser Zeit lernte Broch ihn an der Universität Wien kennen. 1938 emigrierte er in die USA. Ab 1939 hatte er eine Stelle an der University of Iowa (Iowa City) als Research Assistent im Child Welfare Department bei Kurt Lewin. 1950 wurde er Professor für Philosophie und Psychologie an der University of Iowa. 5 die Wölffe: Kurt und Helene Wolff. 6 Ullmann: Regina Ullmann (1884–1961), eine österreichisch-schweizerische Dichterin, die sich als Schülerin Rilkes verstand. Im Wien der 1920er Jahre war sie u. a. mit Robert Musil befreundet. 1949 erschien ihr Erzählband Von einem alten Wirtshausschild. 7 MS: Manuskript der Schuldlosen (KW 5).
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42. 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 24.12.[1949] Libru, soeben langte (mit arger Verspätung) Lilis Brief ein und ich habe daraufhin telegraphiert, daß ich erst nächste Woche komme. Ich bin, nicht zuletzt durch den Umzug, in einer Weise übermüdet, daß ich eine kleine Ruhepause einschalten muß, oder zumindest eine, in der ich Restanten1 aufarbeiten kann. Ansonsten entwickeln sich die Dinge hier langsam aber unsicher. Immerhin, ich bin nicht ganz ohne Hoffnungen. Wären wir miteinander vor fünf oder sechs Jahren hergekommen, so hätten wir uns beide dauernd hier einrichten können. Aber wir haben eben beide nicht gewußt, was Princeton im Vergleich mit den [anderen] Universitäten ist. Mit der Wohnung beginne ich mich zu befreunden. Es ist nicht das schlechteste. Die beil. Kataloge sind nicht uninteressant: sie geben doch einen Überblick über das was jetzt drüben erscheint, viel besser als all die Antiquariatskataloge. Ich möchte Freitag gegen Abend eintreffen, wenn es Euch recht ist. Samstag Nachts (Sylvester) würde ich dann nach N[ew] Y[ork] fahren. Bouchi hat eine neue Wohnung, ein Studio in der Carnegie Hall2 (Untermiete). Das Haus in der 62nd3 wird eingerissen. Mein Telephon: 8-0731. Dank Lili für ihre Zeilen und für die Besorgungen, die sie für mich gemacht hat, umarm die Mama für mich und überhaupt! In Liebe Dein H. Anmerkungen 1 Restanten: „le restant“ ist französisch für „der Rest“. 2 Carnegie Hall: Eine Konzerthalle in Manhattan in New York City, die sich an der Ecke 57th Street und 7th Avenue befindet. 3 62nd: 62nd Street, New York.
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43. 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 12.1.1950 Libru, gut, daß Du in drei Wochen zurückkommst. Ich brauch Dich, zwar nicht aus praktischen Gründen, wohl aber im Gemüt. Demgemäß betreibe ich hier Deinen Vortrag. Aber an Schreiber, der ein perfekter Dilatoriker ist, kann man nicht heran. „Wir werden schon einen Ausweg finden.“ Faber ist wütend und schämt sich vor Dir. Nächsten Dienstag gehe ich zum Faculty 1 dinner, wo sie alle beisammen sind, und sie sich nicht aufeinander ausreden können. Ich bin aus rein egoistischen Gründen dahinter her, denn von rechtswegen müßte man Dich von jeder derartigen Verpflichtung befreien. Ansonsten das übliche Gejammere. Ich stecke wieder einmal in einem Korrespondenzberg. Nicht nur wegen der seasonal greetings 2, nein, diesmal hat die Hölle ihre sämtlichen Manuskripte gegen mich ausgespien, ebensowohl englische wie deutsche, und ich frage mich, nach welchen statistischen Gesetzen das vor sich geht: innerhalb der letzten drei Wochen sind 17 (siebzehn!) Manuskripte und Separata da hereingetropft3. Dabei rechne ich allerdings auch Schmarrn mit, wie den beil.: wenigstens eines aus dem Haus. Die Geschichte ist ganz gut; mit den Gedichten weiß ich wenig anzufangen, obwohl sie eine gewisse Intensität haben und nicht mehr so durchaus literarisch und literatur-verknorxt wie die deutschen sind. Viel zu viel Arbeit macht mir ein offener Brief an die Berliner Kommunisten4; Uhse5 hat ohne Einwilligung meine Mitarbeiterschaft am „Aufbau“ in seinem letzten Heft groß angekündigt – das ist ja ihre Methode – und allenthalben herrscht darüber mehr Aufregung als bei mir. Ich bin sehr froh, daß mein politischer Artikel 6 gerade zur rechten Zeit, leider in der „N[euen] R[undschau]“ (deren Fortbestand nach neuesten deutschen Nachrichten wieder einmal fraglich erscheint, was kein Schad ist), aber ich muß trotzdem nun direkt auch Stellung nehmen. Ich möchte schon das pol. Buch fertig haben: wegen Recht behalten. Anbei ein paar Seiten der „Gegenwart“7 fürs gemeinsame Archiv. Ich hab’s gern, wenn wir gemeinsam genannt werden. Ein paar der
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angezeigten Bücher dürften Dich interessieren; ich hab sie rot angestrichen. Viel Sehnsucht, viel Liebe. Also sei mir umarmt. H Anmerkungen 1 Faculty: Amerikanisch für „Lehrkörper“ an einer Universität. 2 seasonal greetings: Englisch für „Feiertragsgrüße“ (hier zu Weihnachten). 3 hereingetropft: Anglizismus von „to drop in“, zu Deutsch etwa „auf einen Sprung vorbeikommen“ oder „hereinschneien“. 4 offener Brief an die Berliner Kommunisten: Die Redaktion der Ost-Berliner Zeitschrift Aufbau hatte Broch am 6. April 1949 folgendes Telegramm geschickt: „Aus tiefer Besorgnis und im Bemühen um einen gemeinsamen Weg erbitten wir Ihre Stellungnahme zu der Frage, ob ein Friede mit Deutschland eine sofortige Entspannung der Weltlage herbeiführen könnte und welche Schritte zum schnellen Abschluß eines Friedens mit Deutschland wünschenswert sind Antwort bis auf 5 Seiten für Friedensheft Mai Zusage erbeten an Redaktion Aufbau = Johannes R. Becher Paul Wiegler Alexander Abusch“. Jahrgang 5, Heft 5 (Mai 1949) des Aufbau enthält Bodo Uhses Artikel „Gespräch um den Frieden“, S. 387–389, in dem das Ergebnis der Umfrage zusammengefasst wird. Im gleichen Heft sind Antworten auf die Umfrage abgedruckt von Rudolf Alexander Schröder, Ulrich Noack, Reinhold Schneider, Hans Leip, Ernst Penzoldt, Alfred Meusel, Manfred Hausmann und Horst Lange. Obgleich die Redaktion auf S. 480 behauptet „Wir haben alle Stimmen veröffentlicht, die Echo auf unseren Aufruf gegeben haben“, wurde Brochs Entgegnung vom 22. April 1949 an die Redaktion des Aufbau (KW 13/3, S. 320–322) nicht publiziert. Mit Bodo Uhse entwickelte sich danach ein kurzer Briefwechsel. Broch schrieb einen langen, jedoch nie abgesandten Brief vom 22. Dezember 1949 an Uhse, in dem er seine politischen Meinungen darlegte (KW 13/3, S. 386–405). 5 Uhse: Bodo Uhse (1904–1963), deutscher Schriftsteller, der von 1949 bis 1958 die Position des Chefredakteurs der DDR-Zeitschrift Aufbau inne hatte. 6 mein politischer Artikel: Hermann Broch, „Trotzdem: Humane Politik. Verwirklichung einer Utopie“, in: Neue Rundschau 61.1 (1950): 1–31. 7 Gegenwart: Gemeint ist die Kulturzeitschrift Die Gegenwart, die in Deutschland von Dezember 1945 bis Dezember 1958 halbmonatlich erschien, und deren Herausgeber in den ersten Jahren Max von der Brück, Bernhard Guttmann, Robert Haerdter, Albert Oeser und Benno Reifenberg waren. Broch bezieht sich auf die Besprechung von Max von der Brück, „Das Gespräch mit dem All. Hermann Broch: Der Tod des Vergil“, in: Die Gegenwart 4.22 (1949): 16–17.
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44. 18.1.50 Guter und Lieber, also die gestrige Sitzung war abgesagt; sowohl der Sprecher wie der Schreiber1 (Karl) waren erkrankt, und so heißt es bis nächsten Dienstag warten. Was da passieren wird, wird sich erst herausstellen. Anbei ein entzückender Brief von der Mama sowie einer des weniger entzückenden Levy (Gatte der Edith Levy2), der als Mitglied der juristischen Atom-Kommission 3 in Princeton bei Oppenheimer 4 und dummerweise, wenn auch sehr freundschaftlich (was ihm nicht vergessen werden soll), sich bemüßigt gefühlt hat, mich bei diesem herauszustreichen: das von ihm gemeldete hochbetamte 5 Resultat hätte ich voraussagen können. Zum Danktrost habe ich ihm die Geschichte erzählt, die mir im Beth Israel Hospital 6 widerfahren ist. Bald nachdem ich dort mit gebrochenem Arm eingeliefert worden bin, oder auch nach Erwachen aus der Narkose – das weiß ich nicht mehr – erschien ein kleiner jüdischer Assistent ganz und gar interessegeil: „I was told you are the greatest German writer after Thomas Mann.“ Über den oder das after – wenn er wenigstens beside 7 gesagt hätt – hab ich mich gegiftet, und so sagte ich: „No, there is one in between but one doesn’t know him.“ Aber mir scheint, daß ich Dir das schon erzählt habe. Wie denn auch nicht! Dolf Sternberger8 hat sich mit Bermann9 überworfen – wie denn auch nicht – und ist aus der Rundschau wieder ausgetreten. Also wird die Rundschau so fad bleiben wie sie war, und mein zweiter und dritter politischer Artikel wird nicht mehr gedruckt werden. Im Besteigen sinkender Schiffe bin ich ein Meister, immerhin aber eine Un-Ratte. Sei sehr umarmt H.
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Anmerkungen 1 Sprecher … Schreiber: Broch spielt mit den Worten Sprecher und Schreiber. Mit dem „Sprecher“ meint er sich selbst, weil er sein Anliegen (Kahlers Besuch) vortragen wollte, mit „Schreiber“ Carl Frederick Schreiber. 2 Levy: Edith J. Levi (1908–1990) war die Sekretärin Alvin Johnsons. Sie half ihm bei seinen Bemühungen, emigrierten Akademikern Arbeit zu vermitteln. Sie erledigte auch die Schreibarten bei Johnsons Versuch, die BrochNominierungen für den Nobelpreis zusammenzubringen. 3 Atom-Kommission: Die United States Atomic Energy Commission (AEC) war eine 1946 vom US-Kongress ins Leben gerufene Einrichtung, die dem Aufbau und der Kontrolle der Atomtechnologie dienen sollte. 4 Oppenheimer: J. Robert Oppenheimer (1904–1967), theoretischer Physiker. Oppenheimer leitete im Zweiten Weltkrieg das Manhattan-Projekt in Los Alamos, in dem die ersten Atombomben entwickelt wurden. Oppenheimer war Mitglied der AEC, befand sich jedoch mit seinem Eintreten für eine Limitierung der Aufrüstung in strikter Opposition zu den meisten anderen Kommissionsmitgliedern, speziell seit den erfolgreichen Atomtests der UdSSR am 29. August 1949. 5 hochbetamte: Jiddisch-deutsche Wendung. Jiddisch „betamt“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „geistvoll“. 6 Beth Israel Hospital: Es gibt in New York City (Manhattan) mehrere Krankenhäuser mit den Namen Beth Israel. 7 beside: Englisch: neben. 8 Sternberger: Dolf Sternberger (1907–1989), deutscher Politkwissenschaftler und Publizist. Während einer Amerika-Reise Anfang 1949 hatte Sternberger Broch während des Krankenhausaufenthalts im Princeton Hospital besucht. Broch hatte Sternberger für Die Wandlung seinen Essay „Trotzdem: Humane Politik. Verwirklichung einer Utopie“ (KW 11, S. 364–396) versprochen. Als Sternberger 1949 die Herausgabe der Zeitschrift aufgab, publizierte Broch den Aufsatz 1950 in der Neuen Rundschau. Am 6. Juli 1949 schrieb Sternberger aus Heidelberg an Broch in New Haven: „Lieber und verehrter Herr Broch, mit großer Freude habe ich Ihren Brief vom 28. Juni empfangen, darin die Nachricht Ihrer endlichen Heilung und Entlassung aus dem Spital. Unsere dortige Begegnung ist mir in allen Einzelheiten genau im Gedächtnis, und das Erlebnis dieses wunderbar vertrauten Geistes in so merkwürdig entlegener Fremde wird mir unvergeßlich bleiben.“ (ABB, S. 129). 9 Bermann: Gottfried Bermann Fischer.
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45. 2.3.50 Libru, – erst habe ich nicht geschrieben, weil ich ja nach P[rinceton] kommen wollte, dann war ich auf dem Weg und bin umgekehrt, weil es plötzlich zu rutschig geworden ist, dann habe ich nicht geschrieben, weil ich dazu die income tax1 hätte machen müssen und ich gehofft habe, daß ich mir das doch erspare, wenn ich vor dem 15. hinkomme, doch meine Erkältung, die ich durch diese ganze Historie mitgeschleppt habe, ist seit gestern so scheußlich geworden, daß ich mir keine Daten setzen kann: ich muß ein paar Tage in völliger Ruhe verbringen, trotz all dem fürchterlichen Arbeitsdruck, denn sonst gelingt es mir nimmer das down hill2, in dem ich mich befinde, noch zu unterbrechen. Also muß ich schreiben, und fange beim Wichtigsten an: Goverts.3 Was ist das zweite Buch, das er neben M[an] th[e] M[easure] drucken will? Den „Deutschen Charakter“, die „Krisis“ 4? Ich nehme an, daß das Aufsatzbuch bei Bermann bleibt, so daß Du also in Deutschland insgesamt mit drei Büchern herauskommen wirst, und das ist wichtig. Ich freu mich sehr darüber. Da Goverts in Stuttgart ist, wäre Reisiger5 empfehlenswert; er schreibt ein verläßliches Deutsch und wird eine verläßliche Übersetzung zustandebringen: Dr. Hans Reisiger, Dachswaldweg 120, (14a) Stuttgart-Vaihingen. A- & H-Bomben-Aufsatz.6 Schicke ihn bitte! Ich weiß nicht wie Du die Sache anpackst und will es wissen. Meine Grundhaltung kennst Du: weder mit Entsetzensschreien noch mit wishful thinking läßt sich etwas machen; wir sind keine Journalisten und sind daher wirkungslos. Und selbst wenn wir noch so wirkungsvoll schrieben, für die hiesige Sturheit und die sowjetische Schlauheit existieren wir nicht. Das Oratorische in der Politik, das zu Victor Hugos 7 Zeiten noch gehört wurde, ist radikal verschwunden, aber doppelt und dreifach haben wir an der theoretischen Grundlegung der Humanität zu arbeiten, denn die heutige Krise ist zugleich eine Krise des Marxismus, und wenn Stalin siegt 8 – was ja anzunehmen ist –, so wird es erst recht eine fürchterliche Krise sein. Schade, daß wir es nimmer erleben werden; süß ist Rechthaben.
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Vortrag. Willst Du aufs Honorar verzichten? 9 Dann natürlich ist die Sache sofort zu machen. Schreiber hatte sein SchabbesSemester 10, und er taucht auch jetzt nur sehr zögernd auf. Ich habe ihn noch immer nicht gesehen; letzten Dienstag hatte er die Grippe, diesen, d. h. vorgestern hatte ich sie. Mit meiner eigenen Position hat das Ganze nicht das geringste zu tun, umsomehr als die jetzt ohnehin langsam ins Wasser gleitet. Von mir aus gesehen, wäre es höchst wichtig, daß Du den Vortrag hieltest, erstens weil Du herkämest, und zweitens weil dann der meine zumindest eine Woche später fiele. Augenblicklich stehen wir so: Faber „schämt sich“, scheint aber eine gewisse Scheu zu haben, das Thema bei Schreiber wieder anzuschneiden, und Weigand sagt einfach: „Ach, da will ich Schreiber nicht dreinreden.“ (Soeben versuchte ich Faber anzurufen, aber er ist im Kino, und ich hätte ja doch nur gehört, daß er sich schämt, und daß ich mit Schreiber reden soll, was Verschiebung bis zum nächsten Klub-Abend 11 bedeutet.) Meine Position. Natürlich bin ich auch hierher zu spät gekommen; das ist mein Fatum, und manchmal bin ich dran schuld und manchmal nicht. Meine assets 12 im hiesigen Geschäft hingen vor allem von Seymour 13 ab, und der wird jetzt vor seinem Abgang nichts machen. Leider habe ich Theodore Greene vernachlässigt, als er mich in Princeton eingeladen hat; er hat hier ziemlich viel zu sagen, aber ich hab halt die Scheu mich an die Herren Philosophen heranzumachen, ehe ich meine phil[osophischen] Publikationen zeigen kann. Wäre ich so weit, so könnte ich mich sogar trotz Seymours Abgang hier noch durchsetzen; solche Sachen weiß man und spürt man. Jetzt werde ich die Vögel hier mit dem Nobelpreis ein wenig anwärmen: der Wiener PEN 14 hat mich nämlich nominiert –, wahrscheinlich der beste Weg, um ihn niemals zu bekommen; wie soll Wien gegen Paraguay aufkommen. In Haiti oder in der Dominikanischen Republik hätte man geboren werden sollen. Meine einzige Chance mag in der mosaischen Herkunft liegen; noch kein Jud – Heyse 15 war halbert – hat den Literaturpreis je bekommen. Immerhin also, ich bin auf der Warteliste, und wenn ich das 80. erreiche, so mag es ernst werden wie beim Gide16. Ich komme mir vor wie der Mann, dem die Trafikantin ein Los anbietet: „Ziehung schon am 10. Herr Huber.“ – „Kann ich nicht nehmen; ich brauch das Geld schon am 1. fürn Zins.“ Natürlich müßte ich gleich Gide bis zum 80. unentwegt weiter produzieren, und manchmal fangen mir diese Trauben
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sauer zu werden an, vielleicht aus Müdigkeit, vielleicht aus durchschauerischer Weisheit, denn im „Wenn schon“ berührt sich der Weise mit dem Hallodri und dem Müden. Gedichte.17 Ich freu mich mit Deiner Zustimmung. Natürlich bin ich misstrauisch (gegen die Gedichte, nicht gegen Dich) denn sie sind ja spezifisch „undichterisch“. Weigand und Faber und Salinger 18 etc. können damit überhaupt nichts anfangen, und das macht mir sogar ein bisschen Spaß, ohne freilich zu wissen ob die Nichtigkeit auf ihrer oder meiner Seite einstmals liegen wird. Jedenfalls arbeit ich noch (unter Berücksichtigung Deiner Ausstellungen) weiter daran. Lilis Brief. Pitz kommt im Sommer, weil er sonst seine citizenship19 verlöre; ich habe ihm wegen der Kisten geschrieben. Seine neue Adresse: Hansenstr. 6, Wien I. Hanna hoffentlich geht alles gut. Schließlich sind ja gute Möglichkeiten hiefür vorhanden. Beilagen Braveman 20 Ich weiß weder ihren Vornamen, noch ihre (glaube ich) neue Adresse. Bitte daher um sofortigste Weiterleitung, inkl. der gelben Kopie als Beilage. Briefe Mamas fürs Archiv. Tineff 21, alles übrige zur leichten Ergötzung. Behelligung Werner Kraft 22, Jerusalem, hat einen recht guten Kafka-Kommentar 23 geschrieben, den ich Dir, als ich im Spital war, eben weil er gut war, zum Lesen gegeben habe. Kannst Du dieses Heft (halboktav) heraussuchen? Der Kraft penzt 24 seit Monaten drum. Ansonsten seit Dezember sind alle Postteufel wieder los. Sag mir nicht, ich soll nicht antworten: auch das ist eine Antwort, aber im Ganzen waren es über 400. Und jetzt beginnt die Dankerei bei den PEN-Leuten in Wien, so daß mir schon die ganze Nominierung zuwider ist. Mit Briefen bin ich halt wundgescheuert. Und ebendarum jetzt Schluß. Ringsum viel Liebes, und Du sei umarmt. H Versteh mich recht: ich bin nicht undankbar; im Gegenteil bin ich von der Haltung der Wiener Leute ebenso überrascht wie gerührt. Denn es ist rührend, daß sie mir’s gönnen; sie hätten ja überhaupt keinen nominieren brauchen. Aber ich sehe die Dinge trotzdem realitätsnahe.
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Anmerkungen 1 income tax: Englisch für „Einkommenssteuer“. 2 down hill: Englisch für „Talfahrt“. 3 Goverts: Henry Goverts (1892–1988), deutscher Verleger und Verlagsgründer. 1934 gründete er zusammen mit Eugen Claassen den literarischen H. Goverts Verlag. 4 „Krisis“: Wahrscheinlich der Arbeitstitel von Kahlers The Tower and the Abyss (1958). Erich von Kahler hatte dreißig Jahre zuvor bereits ein Buch mit dem Titel Die Krisis in der Wissenschaft (München: Der neue Merkur, 1919) veröffentlicht. 5 Reisiger: Am 10. Februar 1950 fragte Erich von Kahler in einem Brief an Broch, ob er ihm helfen könne, einen Übersetzer ins Deutsche für Man the Measure zu finden, weil der Kohlhammer Verlag in Stuttgart sich für das Buch interessiere. Broch schlug Hans Reisiger vor. Der Übersetzungsplan wurde nicht verwirklicht. 6 A-& H-Bomben-Aufsatz: Erich von Kahler, „Open Letter to Harold Urey“, Common Cause 3.8 (1950): 396–400. 7 Victor Hugo: Victor Hugo (1802–1885), französischer Schriftsteller. 8 wenn Stalin siegt: Broch drückt seine Besorgnis aus über die starke Präsenz der UdSSR in Europa. Diese Furcht wuchs noch, als wenige Monate später der Koreakrieg begann. 9 Honorar verzichten: Diesen Vorschlag machte Broch aufgrund des Briefes vom 10. Februar 1950, in dem Kahler klagt: „Und was ist nun mit der Vortragssache? Ich fange an mich ernstlich zu ärgern, denn die Behandlung dieser Sache grenzt schon an direkte Unhöflichkeit.“ 10 Schabbes-Semester: Akademisches Freisemester, „Sabbatical“. 11 Klub-Abend: Am German Department der Yale University gab es einen Germanic Club, der sich mehrmals im Semester traf, wobei sowohl Fakultätsmitglieder wie Studenten anwesend waren. 12 assets: Englisch für „Aktivposten“ oder „Vermögenswerte“. 13 Seymour: Charles Seymour (1885–1963), amerikanischer Historiker und Präsident der Yale University in den Jahren 1937–1951. 14 Wiener PEN: Wiener Sektion des internationalen PEN-Clubs, wo man Broch für den Nobelpreis nominierte. 15 Heyse: Paul Heyse (1830–1914), deutscher Schriftsteller, der 1910 den Literaturnobelpreis erhielt. 16 Gide: André Gide (1869–1951). Er bekam 1947 den Nobelpreis für Literatur zugesprochen. 17 Gedichte: Broch hatte Erich von Kahler die Gedichte („Stimmen“) aus dem neuen Roman Die Schuldlosen geschickt. Kahler machte in seinem Brief vom 10. Februar 1950 einige Verbesserungsvorschläge, lobte aber das Ganze, „besonders die großartigen Schlußgesänge“. 18 Salinger: Hermann Salinger (1905–1983), amerikanischer Germanist,
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Schriftsteller und Übersetzer; er lehrte damals am Grinell College in Grinell/Iowa. citizenship: Englisch für „Staatsangehörigkeit“. Braveman: Eine Juristin in Princeton, die in die Scheidung von Erich von Kahler und Fine Kahler eingeschaltet worden war, wobei Broch mit einer Zeugenaussage aushalf. Braveman unterstützte Broch auch bei der Besorgung notwendiger Papiere, als es um seine Eheschließung mit Annemarie Meier-Graefe ging. Tineff: Jiddisch für „wertloses Zeug“, „Ramsch“. Kraft: Werner Kraft (1896–1991), Lyriker und Literaturwissenschaftler. Bis 1933 war er Bibliothekar in Hannover. 1934 wanderte er über Frankreich nach Palästina aus und lebte seitdem in Jerusalem. Kraft verfasste Monographien über Karl Kraus, Stefan George, Rudolf Borchardt, Franz Kafka, Heine und Goethe. Kafka-Kommentar: Werner Kraft, „Franz Kafkas Erzählung ‚Das Ehepaar‘“, in: Die Wandlung Heft 2 (1949): 155–160. penzt: „Penzen“ ist österreichische Mundart für „ständig ermahnen“, „tadeln“.
46. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 9.3.50 Dr. Erich Kahler One Evelyn Place Princeton, N.J. Liebstbru, mein vorwöchentlicher Brief blieb unbestätigt, und das macht mir egoistische Sorgen, da er ja den zur Weiterleitung bestimmten Bericht für die Braveman enthielt. Gestern schrieb ich dieserhalb eine Karte, hoffend daß sie in erprobter magischer Wirkung sich mit Deiner Bestätigung kreuzen werde, aber bisher hat’s nicht genutzt. Also es scheint doch zu klappen: Faber hat mit Schreiber geredet, und dieser ist zum Dean 1 gegangen, da dieser einen Fonds für „Visiting foreign scholars and their lectures“ verwaltet; aus diesem Fonds
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soll Dein Vortrag nun bestritten werden. Faber erbittet nun einen englischen Brief von Dir, enthaltend das notwendige curriculum 2, das er dem Dean vorzulegen hat, um das Geld zu erhalten. Dieser an Faber zu adressierende Brief soll also vor allem Deine europäischen activities und Publikationen samt dem dazugehörigen Ruhm herausstreichen, während der amerikanische Teil Deines Lebens mehr nebensächlich abgetan werden soll. Die Sache hat also mit dem 14. Okt. 1885 in Prag zu beginnen. LILI: NOCHMALS DANK, UND SIE SOLL ENTSCHULDIGEN, WENN ICH NICHT SEPARAT ANTWORTE. Und zu ihrem Brief: (1) Wenn der Sedlmayr3 für Deine „Krisis“ wichtig ist, so ist es der „Zerfall der Werte“ doppelt und dreifach. Denn der ganze Sedlmayr-Traktat ist nichts als eine Illustration zum „Zerfall“. Natürlich hat er die Schlafwandler niemals gelesen, aber es haben eben alle Juden den gleichen Kopf, auch wenn ich ein bissl besser denken kann als jenner; dafür hab ich den Nachteil der Ignoranz und er den Vorteil der Arroganz, und außerdem hat er ja wirklich etwas gelernt, worum ich einen jeden maßlos beneide. (2) Kennedys 4 sind mir eine ausgesprochene Verlegenheit; daß sie nett sind, ist ein Fehler. Unnette Leute sind mir lieber, weil ich sie links liegen lassen kann, während mir jetzt die rechts und auf der Seel liegen werden, denn ich habe für niemanden mehr auch nur zehn Minuten, und so was kostet immer Stunden. Habt Ihr nicht einmal für die Karte gedankt und muß ich das jetzt auch für Euch besorgen? (3) Alle Futter-Anweisungen von Mushroom 5 bis Calcetose 6 werden sofort und mit Dank befolgt. Warum also „hoffnungslos“? Hoffnungslos ist bloß diese unentweichbare, unabschüttelbare Überarbeit, an der ich eben wirklich zugrundgeh. Und gleich zu letzterem: gestern Nachts erschien mir ein Geist in Gestalt einer Dame der 90er-Jahre (die merkwürdigerweise an Claire Goll7 gemahnt) und sie präsentierte mir zwei brennende Kerzen: „Du kannst sie nach Deiner Wahl als Wunschtraum oder als Angsttraum benützen, aber nicht beides zusammen.“ Da wußte ich, daß sie im ersten Fall zwei Penisse, im zweiten (Totenkerzen) zwei letzte Lebensjahre bedeuten; ich entschied mich zu letzterem und werde demnach, wie ich mit Schrecken feststellte, Ende 1951 zu sterben 8 haben.
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Natürlich hängt die Sache auch mit der Nobelpreiserei und der damit zusammenhängenden neuen Korrespondenz zusammen: jeder Brief ist zu einem Sargnagel geworden; ich bin wundgescheuert. Und deshalb soll Mama nicht bös sein, daß ich erst morgen oder übermorgen ihr schreiben werde. Ich muss gerade jetzt trachten meine Tage tunlichst korrespondenzfrei zu machen, umsomehr als ich immer noch an dem offenen Brief an die Berliner Kommunisten herumknotze, da ja dieser ausgesprochen verantwortungsbeschwert ist. Meine sonderbare Erkältungs-Infektion ist nicht loszukriegen. Ich bin nicht der einzige, der das hat. Dauermüdigkeit ohne eigentliches Fieber, eine Mischung von Luftröhrenkatarrh und Laryngitis 9, manchmal verschwindend, plötzlich wieder da, und die Ärzte sagen, daß das was Modernes sei. Wo bleibt Dein H-Bomben-Aufsatz? Love ringsum. Und sei mir umarmt H. Hast Du die N[eue ] R[undschau] mit meinem Aufsatz 10 und einem ganz blendenden Hannah A[rendt]s 11 bekommen? Mir haben sie bloß zwei Hefte geschickt; davon gebe ich eines Einstein als Geburtstagsgruß. (Vergeßt nicht zu gratulieren!) Wenn sie Dir das Heft vorenthalten haben, schlage Lärm!
Anmerkungen 1 Dean: Englisch für „Dekan“. 2 curriculum: Lebenslauf (Curriculum Vitae). 3 Sedlmayr: Broch hielt Hans Sedlmayr irrtümlich für einen Juden. Sedlmayr war wegen seines Engagements in der NSDAP 1945 an der Universität Wien die Lehrerlaubnis entzogen worden. Broch nahm an, dass Sedlmayr seinen Roman Die Schlafwandler mit der darin enthaltenen Essayfolge „Zerfall der Werte“ nicht gelesen habe. Es ist aber durchaus möglich, dass Sedlmayr das Buch kannte. Als Kunsthistoriker hatte er 1936 den Ruf an die Universität Wien angenommen, als man in Wien Broch in Kreisen der Literatur und der Geisteswissenschaft gut kannte. 4 Kennedys: Nicht ermittelt. 5 Mushroom: Englisch für „Pilz“. 6 Calcetose: eigentlich „Cal C Tose“, ein vitaminhaltiges Schokoladengetränk, das in Pulverform verkauft wird.
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7 Goll: Claire Goll (1890–1977), deutsch-französische Schriftstellerin und Ehefrau von Ivan Goll. Die Golls waren 1947 aus dem New Yorker Exil nach Europa zurückgekehrt. Ivan Goll war am 27. Februar 1950 gestorben. 8 sterben: Broch starb tatsächlich im Jahr 1951, allerdings bereits ein halbes Jahr früher als er damals vermutete, am 30. Mai. 9 Laryngitis: Laryngitis ist eine Entzündung des Kehlkopfes. Das Hauptsymptom ist Heiserkeit, die bis zur Stimmlosigkeit gehen kann. 10 meinen Aufsatz: Brochs Aufsatz „Trotzdem: Humane Politik. Verwirklichung einer Utopie“, in: Neue Rundschau 61.1 (1950): 1–31 (KW 11, S. 364–396). 11 Hannah A[rendt]s.: Hannah Arendt, „Der Dichter Bertolt Brecht“, in: Neue Rundschau 61.1 (1950): 53–67.
47. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 15.3.[1950] Dr. Erich Kahler One Evelyn Place Princeton, N.J. First Class Mein sehr Guter und Naher, es war gut Euch wenigstens übers phone 1 gehört zu haben. Aber ein paar Dinge muß ich noch schriftlich nachtragen: Geschimpfe, das Du in Deinem Brief losläßt. Ich nehme es als Zärtlichkeit und bin froh damit. Aber es stimmt nicht. Natürlich brodelt der Hexenkessel weiter, und leider ist’s ein Engelskessel 2, denn daß noch keine Krach gemacht hat – oh täten sie es doch allesamt! – ist eine Engelshaltung. Aber gerade das macht mich ja so wehrlos, nötigt mich immer wieder da eine halbe Stunde, dort eine ganze herzugeben, niemals mehr und trotzdem zu viel. Natürlich macht Bouchi das Rennen. Und alles Durchschauen, alle Skepsis nützt da nix; man soll nur nicht an mir herumpsychologisieren. Ich weiß über mich3 weiß Gott [am] gründlichsten Bescheid. Und ich weiß wie schwer ich für meine Neurosen zu zahlen habe. Und meine konstante Zahlungswilligkeit gehört gleichfalls zu diesen Neurosen.
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Nobelpreis. Bereits alles gesagt. Ich eile mich, 80 zu werden. Madagaskar wäre wahrscheinlich noch besser als Südamerika. Und was ist mit den neuen asiatischen Staaten? Politischer Aufsatz.4 Anbei ein Separatum für die Oppenheims. Ich muß damit sparsam sein, und wenn Du Dein Heft direkt bekommst, brauchst Du ja keines. Aber wenn das Heft noch nicht da sein soll, zeig das Separatum erst Mama und erkläre ihr warum ich kein eigenes schicke. Im übrigen möchte ich wieder darauf verweisen, daß das der erste Versuch seit Marx ist, Politik oder richtiger Metapolitik erkenntnistheoretisch zu fundieren. Thesen wie die von der „Totalitär-Struktur“, von den „Fehlsituationen der Historie“, vom „irdisch Absoluten“ sind echt fruchtbar und werden sich immer fruchtbarer erweisen; „nor Gedold“ braucht es dazu, wie der alte Baron Todesco5 bei der Madame Rose gesagt hat. Im übrigen fällt mir eine andere Geschichte vom Baron Todesco ein: wenn er, wie er es zu tun pflegte, den Aninger6 hinaufstieg und müde wurde, kommandierte er „Giovanni, die Gobel“, worauf der ihm folgende Diener Giovanni, der eine Art zweizinkige Heugabel geschultert, ihn von rückwärts mit dieser Gobel zu fangen und ihn hinaufzuschieben hatte. So einen Giovanni sollte man beim Schreiben haben. Braveman geht hoffentlich in Ordnung. Meine $ 600.– Zahnarzt 7 werden mich herausreißen. Im übrigen leider noch immer ein Grund meiner N[ew]Y[ork]-Fahrten; je kürzer das Leben wird, desto anspruchsvoller wird es via Körper. Werner Kraft gibt wegen seines Kafka-Heftes keine Ruh. Bittich sei nicht bös, daß ich deswegen plag. Heinrich Mann8 ist, wie ich eben erfahren habe, gestorben. Du wirst es wohl schon wissen. Ich schreibe jetzt den seit drei Jahren verschobenen Brief an Tommy9 und werde ihn Dir zur Begutachtung und Weiterleitung schicken. Zusammenkunft in N[ew]Y[ork]. Ich werde nicht Montag d. 27., sondern Mittwoch d. 29. in N[ew]Y[ork] sein, denn da hat Bouchi ihre alljährliche fade party, die ich immer nur alle zwei Jahre besuche. Diesmal muß ich hingehen. Natürlich bist Du eingeladen, dtto. Lili, aber dort werden wir kaum was reden können. Wir müßten uns vorher treffen. Irgendwie müssen wir uns vorher verständigen. Hiesiger Vortrag. Daß der Fadfinder 10 Willoughby 11 – diese Germanisten sind ja überhaupt ein Fadfinderkorps mit ganz wenigen
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Ausnahmen – $ 400.– bekommen hat, während Du mit Müh und Not 75 kriegst, ist eine Schweinerei reinsten Wassers. Franz. Vergil.12 Ich mache die Korrekturen, und Schiffrin korrigiert die Korrekturen, worauf sie zum Übersetzer nach Paris13 gehen. Und ich werde darüber wahnsinnig. Denn daneben laufen die Romankorrekturen, und der Hofmannsthal wartet, und der zweite Roman14. Max. Was soll eigentlich mit ihr geschehen? was denken die Einsteins? hast Du vielleicht einmal mit Goldstein15 gesprochen? Prophetengedicht 16 (letzte Fassung) könnte man eigentlich auch dem Paul17 geben. Schon um seinen Mehutten 18 zu giften. Beilagen mit Ausnahme von Mamas Gedicht lauter Schmonzes. Und genug geschrieben. Und viel Liebe Dir und allseits. H. Soeben lese ich, daß ein Stück von Dir in der Anthologie „Europäische Avantgarde“ 19 von A[lfred] Andersch (Verlag der Frankfurter Hefte) abgedruckt worden ist. Das ist nur recht und billig. Aber bist Du gefragt worden? Wenn Du die „N[eue ] R[undschau]“ bekommst, so schau Dir die „Biographischen Notizen“20 an; Du wirst lachen. Es ist, als ob auf einer Speiskarte zur „Specialitées du jour“21 der Vermerk stünde „Vielleicht stinkt’s“. Anmerkungen 1 phone: Englisch für „Telefon“. 2 Engelskessel: Broch berichtet über seine in New York lebenden Freundinnen. 3 Ich weiß über mich: Vgl. Hermann Brochs Psychische Selbstbiographie (PS). 4 Politischer Aufsatz: „Trotzdem: Humane Politik. Verwirklichung einer Utopie“, in: Neue Rundschau 61.1 (1950): 1–31 (KW 11, S. 364–396). 5 Baron Todesco: Moritz (seit 1869 Freiherr von) Todesco (1816–1873), früher Todescu, Wiener Großbankier und Kunstmäzen. 6 Aninger: Erhebung im Wienerwald (674 Meter). 7 Zahnarzt: Broch erwartete eine Erstattung seiner Zahnarztkosten durch eine Versicherung, womit er ausstehende Rechnungen begleichen wollte. 8 Heinrich Mann: Heinrich Mann (1871–1950), deutscher Schriftsteller. 9 Brief an Tommy: Brochs Brief an Thomas Mann vom 22. März 1950 (FIE, S. 191–192).
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10 Fadfinder: Pfadfinder (Wortspiel mit dem Adjektiv „fad“). 11 Willoughby: Leonard Ashley Willoughby (1885–1977), englischer Germanist. Er war von 1931 bis 1950 Professor an der London University, außerdem langjähriger Vorsitzender der englischen Goethe-Gesellschaft und Herausgeber ihrer Publikationen. Er war außerdem Gründer und Herausgeber der Zeitschrift German Life and Letters, des Weiteren Autor zahlreicher Bücher und Essays, darunter The Classical Age of German Literature, 1748–1805 (1926). Im Herbst 1949 unternahm Willoughby eine Vortragsreise durch Kanada und die USA. 12 Franz. Vergil: Französische Ausgabe von Brochs Der Tod des Vergil, erschienen unter dem Titel La Mort de Virgile, übersetzt von Albert Kohn (Paris: Gallimard, 1952). 13 Übersetzer nach Paris: Albert Kohn (1905–1990), französischer Übersetzer und Gymnasiallehrer. Raymond Queneau, der bei Gallimard als Cheflektor die Auslandsabteilung leitete, hatte 1948 Brochs Der Tod des Vergil zur Übersetzung an Kohn vergeben. Kohn übertrug sechs Bände der Zürcher Rhein-Verlag-Ausgabe von Brochs Gesammelten Werken (GW) ins Französische (erschienen bei Gallimard): GW 3 (Der Tod des Vergil), GW 2 (Die Schlafwandler) gemeinsam mit Pierre Flachat, GW 4 (Der Versucher), GW 6 (Essays I), GW7 (Briefe), GW 10 (Die Unbekannte Größe). 14 zweite Roman: Dritte (unvollendet gebliebene) Fassung des Romans Die Verzauberung (KW 3). 15 Goldstein: Kurt Goldstein (1878–1965), Pionier der Neuropsychologie und der Psychosomatik. 1935 emigrierte Goldstein aus Deutschland in die USA. Er lehrte u. a. an der Harvard University und der Columbia University. 16 Prophetengedicht: Teil der „Stimmen 1933“ in Brochs Roman Die Schuldlosen (KW 5, S. 242–244). 17 Paul: Paul Oppenheim. 18 Mehutten: Jiddisch, vom hebräischen „mehuttan“, bezeichnet allgemein angeheiratete Verwandtschaft, vor allem die Schwiegereltern. 19 „Europäische Avantgarde“: Alfred Andersch (Hg.), Europäische Avantgarde (Frankfurt am Main: Verlag der Frankfurter Hefte, 1949). Erich von Kahler veröffentlichte hier den Aufsatz „Der Mensch und die Sachen“, S. 104–120. Beiträger waren daneben u. a. Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Ignazio Silone. 20 „Biographische Notizen“: Broch spielt auf die kurzen Autorenbiographien am Ende der Neuen Rundschau an, in der sein Aufsatz „Trotzdem: Humane Politik“ im Januar 1950 erschienen war. Im Abschnitt über Broch steht da: „Nicht Wenige werden den neuen Aspekt, dem er in dem hier veröffentlichten Aufsatz der Debatte über die Gestaltung der Zukunft hinzufügt, ganz oder zu großen Teilen fragwürdig finden. Das Niveau aber, von dem aus hier gedacht und gesprochen wird, verpflichtet und wird die Auseinandersetzung mit den Thesen des Verfassers zweifellos mitbestimmen.“ 21 „Specialitées du jour“: Französisch für „Tagesspezialität“.
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48. 31.3.[1950] Libru, traurig daß Du nicht da warst. Mit meinem Hinauskommen sieht es mies aus. Die Arbeitspanik wird ärger und ärger. Mit Recht. Der Vortrag1, den die mir – nach Dir, also am 16. Mai – aufgepelzt haben, ist eine neue Panikursache. Dabei will ich es mir leicht machen, d.h. meinen alten Kitsch-Aufsatz aufsagen. Und den werden sie nicht verstehen. Die Bekessy2 hat schon wieder geschrieben. Wenn ich nicht hinauskommen kann, werde ich sie vermittels eines Schecks nach N[ew]Y[ork] bestellen. Jetzt will sie auch Bilder haben: habt Ihr keine, die Ihr ihr leihen könnt? Die brave Ruth3 zerbricht sich meinen Kopf, was für eine Aufmerksamkeit sie der Lili für die Sachen-Aufbewahrung erweisen könnte. Sie hat noch ein Marc-Bild4 draußen, das in der Garage hängt, doch hat sie, wie sie sagt, auch noch bessere Marc-Drucke, auch Impressionisten, und sie möchte wissen, ob das was wäre. Also bitte laß mich das wissen. Der Werner Kraft hat seine Kafka-Schriften zum Kurt Goldstein, mit dem er befreundet ist, beordert. Ich werde Goldstein schreiben, daß er das M[anuskript] direkt von Dir bekommt: bitte tue das, eventuell registered5. Auf alle Fälle freue ich mich auf den 18. Höchste, höchste Zeit. Alles Liebe ringsum. In Liebe H. Wie lange bleiben Paulis6 noch in Pr[inceton]? Canby meint, daß alle Nobelisten, welche mich kennen, ein affidavit beim StockholmCommittee für mich einreichen sollen. Aber Physiker? Und ist das überhaupt üblich? (Letzteres könnte Pauli vielleicht wissen.) Nebenbei: Italien hat Benedetto Croce 7 aufgestellt, Frankreich Bernanos 8, Israel Martin Buber 9, Deutschland angeblich Unruh 10, Amerika gleich zwei, nämlich Wilder 11 und Faulkner 12. Keine Red, daß ich mit meinem viel zu kleinen Oeuvre dagegen aufkomme!
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[Handschriftlicher Zusatz:] Ich werde trachten Montag d. 10. nach Princeton zu kommen. Werde im Laufe der Woche schreiben. Die arme Anna Meisel 13 ist gestorben. Magenkrebs. Anmerkungen 1 Vortrag: Broch war inzwischen vom Germanic Club der Yale University eingeladen worden. Er hielt den Vortrag „Einige Bemerkungen zum Problem des Kitsches“ (KW 9/2, S. 158–173). Wie dem Brief Kahlers vom 11. April 1950 zu entnehmen ist, war auch Kahlers Vortrag an der Yale University inzwischen vereinbart worden. Das war ihm wichtig, wie er im Brief an Broch vom 20. Februar 1950 betonte, „weil ich für alle Fälle mich bei den großen Universitäten in Erinnerung bringen und halten muß.“ 2 Bekessy: Eine amerikanische Fotografin, die von Broch Aufnahmen machen wollte, wozu es nicht kam. 3 Ruth: Ruth Norden. 4 Marc-Bild: Franz Marc (1880–1916), deutscher Maler, der 1911 mit Wassily Kandinsky die Künstlervereinigung Der Blaue Reiter gründete. Er malte zunächst impressionistisch, dann kubistisch. 5 registered: „registered mail“, Englisch für „per Einschreiben“. 6 Paulis: Wolfgang Ernst Pauli (1900–1958), österreichischer Physiker und seine Frau Franciska Pauli. Ab 1935 lebte Pauli in den USA, wo er 1935/ 1936 am Institute for Advanced Study in Princeton war und ab 1940 als Professor an der Princeton University lehrte. 1945 erhielt Pauli den PhysikNobelpreis für die Formulierung des Ausschließungsprinzips. 7 Croce: Benedetto Croce (1866–1952), italienischer Philosoph, Historiker und Politiker. 8 Bernanos: Georges Bernanos (1888–1948), französischer Schriftsteller. 9 Buber: Martin Buber (1878–1965), österreichisch-jüdischer Religionsphilosoph und Schriftsteller. 10 Unruh: Fritz von Unruh (1885–1970), deutscher Schriftsteller. 11 Wilder: Thornton Wilder (1897–1975), amerikanischer Schriftsteller. Wilder hatte Brochs Romantrilogie Die Schlafwandler (KW 1) bereits in den 1930er Jahren gelesen und schätzte sie sehr. 12 Faulkner: William Faulkner (1897–1962), amerikanischer Schriftsteller, der am 10. Dezember 1950 den Nobelpreis für Literatur in Stockholm verliehen bekam. Gleichzeitig wurde dieser Preis auch an Bertrand Russell verliehen. Faulkner erhielt ihn rückwirkend für das Jahr 1949, Russell für 1950. Kahler schrieb darüber an Broch in seinem Brief vom 16. November 1950: „Daß es der Faulkner gekriegt hat, ist ein wahres Glückswunder (so jung noch dazu!), ich kann es mir nicht erklären. Man mag und man schätzt ihn hier nirgends, siehe die sauren Kommentare.“
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13 Anna Meisel: Frau von Hans Meisel (1900–1991). Hans Meisel war Redakteur der Vossischen Zeitung, als ihm 1927 für seinen Romanerstling Torstenson der Kleist-Preis zuerkannt wurde. Später arbeitete er als Lektor im S. Fischer Verlag. Im November 1938 wurde er Sekretär Thomas Manns. Von 1945 bis 1970 war er Professor der Politischen Wissenschaften an der University of Ann Arbor, Michigan.
49. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 5.4.50 Dr. Erich Kahler One Evelyn Place Princeton, N.J. Mein Alter, soeben traf Common Cause1 ein; sei bedankt. Ich habe den Aufsatz natürlich sofort gelesen: ich brauche Dir nicht zu sagen, daß alles (auf höchstem Niveau) richtig ist, aber den Reim auf wichtig vermag ich mir hiezu nicht zu machen. Die Wichtigkeit liegt bestenfalls auf der volks-aufklärenden Seite, aber dazu hätte der Aufsatz nicht in Common Cause sondern in die Evening Post gehört, damit ihn (trotz des zu hohen Niveaus) Millionen läsen –, oder wie in Wien so richtig konstruiert wird: leserten. Was aber die Frage der Wichtigkeit anlangt: es werden keine Atom- oder Hydrogenbomben fallen, einfach weil der Sieger im Atom- und Hydrogenkrieg im Vorhinein der Verlierer ist. Und das sagst Du selber deutlich genug, so daß alles andere eigentlich überflüssig wird, bis auf einen allerdings wichtigsten Punkt: der Notwendigkeit einer demokratischen Ideologie. Aber mit der Konstatierung einer solchen Notwendigkeit ist man bloß im Bereich des wishful thinking. „We should not only talk democracy, but we should side with the people; we should not only talk democracy, but we should try to deliver it.“2 Schön, aber was tun, wenn die people die delivery nicht mehr akzeptieren? Wie willst Du in den Kolonialländern, für die der Westen sich als Plantagenbesitzer gezeigt hat, plötzlich diese
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(an sich existierende, nur nicht formulierbare) westliche Demokratie empfehlenswert machen? Wie willst Du mit einem Phantom gegen eine festgefügte und seit Jahren wohl-appretierte und wohl-propagierte Ideologie heute noch aufkommen? Was soll da noch der Weltstaat3 bedeuten? Ja, Du kannst ihn haben, und Du wirst ihn haben, aber mit dem Regierungssitz in Moskau. Was Moskau heute braucht ist Friede. Mit zehn bis zwanzig weitern Friedensjahren (Kriegshandlungen wie die in Asien etc. heißen heute Friede und sind es) ist der bolschewistische Weltsieg gesichert, sagen wir zu 90 %. Kann man mit einem Menschen, der 90 % seines Erfolges in der Tasche hat, noch reden? Und kriegerisch kann eben der Westen sich nicht dagegen auflehnen. Wie also kann er die ihm verbliebenen 10 % Chancen – morgen werden es noch weniger sein – noch ausnützen? Nur durch den Aufbau einer neuen Ideologie, welche der marxistischen einmal wird standhalten können. Alles andere ist wishful thinking, manchmal Wohlgesinnung und zumeist Faltenwurf einer phraseologischen Eitelkeit. Wahrscheinlich wird die Gesamtmenschheit durch die Totalitärhölle hindurchmüssen, ehe sie sich wieder auf die Humanität als eigentliche Aufgabe zu besinnen imstande sein wird. Nichtsdestoweniger: jeder macht Dummheiten, und auch Moskau wird – trotz aller Gefinkeltheit 4 – seine historischen Dummheiten begehen. Dann mögen die Chancen des Westens eben vielleicht doch wieder auf 20 oder 30 % ansteigen. Gäbe es nicht diese schwache Hoffnung, ich würde mich um den ganzen Krempel nicht mehr kümmern. So aber habe ich seit 1935 5 mich immer mehr auf das Problem der möglichen Humanitäts-Ideologie konzentriert, und daß ich richtig gedacht habe, zeigt sich an den Ereignissen, die mich schier zwangsläufig immer weiter bestätigen. Hätte ich Zeitungen gelesen, so hätte ich nicht so richtig denken können. Der Rundschau-Artikel 6 hat mir eine Einladung zur „Cultural Freedom Conference“ 7 in Berlin eingetragen, inkl. Reise- und Aufenthaltskosten, was also etwa $ 800.– ausmachen würde. Wäre ich ein besserer Redner und Diskutant, so hätte ich angenommen, denn mein obiges Sprüchel hätte ich gern öffentlich aufgesagt. So aber habe ich aufs Aufsagen verzichtet und stattdessen Absagen gewählt. Zudem wäre ich dort als minderjährig behandelt worden, hätte im Matrosenanzug hinfahren können: Dewey8, Gide9, Leon Blum10, Benedetto Croce, Russell sind eingeladen, von denen allen nicht fest-
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steht ob sie lebendig ankommen würden. Die junge Generation wäre durch Niebuhr, Jaspers11, Silone12, Sidney Hook13, Julian Huxley14, Crossman15 und meine Wenigkeit vertreten. Halt: auch der Alfred Weber16 wird erwartet. Ein einziger wäre mir wertvoll: David Rousset 17, der einzige, der m[eines] E[rachtens] weiß, was heute Politik sein soll, und an dessen Bewegung ich mich sobald als nur irgend möglich offiziell anschließen werde. Aber ich will nicht mit Niebuhr diskutieren, und ich will die Russell-Witz nicht mehr hören. Dagegen habe ich die Absicht eine Adresse vorzubereiten, die dort verlesen werden könnte, wenn das Sekretariat es akzeptiert. Nur kostet das auch Zeit. Alles geht ja bei mir so entsetzlich langsam. (Wenn sie mir dafür nur die Hälfte der Reisekosten, die ich ihnen erspar, bezahlen würden!) Und Zeitmangel: ich werde es am Montag nicht zusammenbringen. Mir ist nach der Mama – bitte sag ihr das – wirklich schon mehr als bang, aber ich bring mich mit der Hetzerei um, und dann kann ich überhaupt nicht mehr kommen. Nicht einmal einen so langen Brief dürfte ich schreiben. Was die Bekessy anlangt, so werde ich ihr mitteilen, wann ich in N[ew]Y[ork] bin, wahrscheinlich Montag d. 17., und ihr einen Scheck für die Fahrt schicken; sie hat mir wieder geschrieben, daß ich mich zwischenzeitig von niemanden andern interviewen lassen soll: keine Gefahr. Bitte schick mir und bring mir am 18. einen Schippel 18 der Weigand-Separata 19; der Bedarf steigt. Müd und müd. So wird man für zu lang währende Jugend bestraft. Und dabei bin ich ganz froh, daß sie überstanden ist. Love & love & love, für Mama, für Lili, und auf Dich freue ich mich. H Von der Tante Thorsch20 in San Francisco sind wieder Vanillekipferln21 etc. angekündigt: bitte nicht nachschicken sondern als Osterei aufessen. Anmerkungen 1 Common Cause: Eine von Giuseppe Antonio Borgese im Zusammenhang mit dem Committee to frame a World Constitution von 1947 bis 1951 her-
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ausgegebene Monatsschrift. Der anfängliche Untertitel A Monthly Report of the Committee to Frame a World Constitution wurde später in Journal of One World umgeändert. Erich von Kahler veröffentlichte hier im März 1950 einen „Open Letter to Harold Urey“, einen der Beteiligten am Manhattan-Projekt und Entdecker des schweren Wasserstoffs. Kahler nahm hier scharf ablehnend Bezug auf eine Rede Ureys beim Roosevelt Day Dinner of Americans for Democratic Actions. In dieser Rede hatte Urey vor einem atomaren Erstschlag Russlands gewarnt und auf dieser Grundlage eine verschärfte Rüstungspolitik der USA gefordert. Vgl. Common Cause 3.8 (1950): 396–400. Kahler berichtete in seinem Brief vom 10. Februar 1950, dass er die letzte Woche mit dem „Bomben-Aufsatz“ verbracht habe, den er Common Cause schicke. In seiner Antwort an Broch vom 11. April 1950 gab Kahler zu, dass er den Aufsatz der Wirkung halber lieber in der Nation veröffentlicht hätte, aber Common Cause habe ihn halt darum gebeten. „We should not only …“: Zitat aus dem offenen Brief Kahlers in Common Cause, S. 399. Weltstaat: Broch spielt auf die Utopie einer einheitlichen Weltregierung und Weltverfassung als Grundlage eines dauerhaften Friedens an, wie sie sowohl Borgeses „Committee“ als auch der Zeitschrift Common Cause zugrunde lag und wie Kahler sie in deren erster Ausgabe im Juli 1947 in einem Aufsatz formuliert hatte: „The Case for World Government“, in: Common Cause 1 (1947): 6–7. Gefinkeltheit: Austriazismus für „Durchtriebenheit“ oder „Schläue“. seit 1935: Vgl. Brochs „Völkerbund-Resolution“ aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre (KW 11, S. 195–231). Rundschau-Artikel: Hermann Broch, „Trotzdem: Humane Politik“, in: Neue Rundschau 61.1 (1950): 1–31 (KW 11, S. 364–396). „Cultural Freedom Conference“: Der von Melvin J. Lasky organisierte Kongress für kulturelle Freiheit fand vom 26.–30. Juni 1950 in Berlin (West) statt. Ein Bericht darüber findet sich in Der Monat 22/23 (1950): 339–495. Der Briefkopf der Kongressteilnehmer enthielt Brochs Namen als offiziellen Delegierten. Broch nahm persönlich nicht teil, schickte aber den Beitrag „Die Intellektuellen und der Kampf um die Menschenrechte“ (KW 11, S. 453– 458), der in hektographierter Form während des Kongresses auf Deutsch, Englisch und Französisch verbreitet wurde. (Ein Exemplar der französischen Übersetzung findet sich unter den Broch-Dokumenten im DLA.) Die Hauptreferate hielten Arthur Koestler, Ignazio Silone, H. R. Trever-Roper, Dolf Sternberger, Nicolas Nabokov, Karl Jaspers und David Rousset. Dewey: John Dewey (1859–1952), Philosoph und Pädagoge. Er gilt neben William James als der bedeutendste Vertreter des amerikanischen Pragmatismus. Er lehrte u.a. an der Columbia University in New York. Gide: André Gide.
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10 Blum: Léon Blum (1872–1950), französischer Jurist, Schriftsteller und Politiker der Front Populaire. Blum hatte sich schon früh politisch betätigt und seit 1904 an der Zeitung L’Humanité mitgearbeitet. 1905 gelang es ihm, die verschiedenen Strömungen der französischen Sozialisten zu einer Partei zu vereinen. Er wurde 1936 der erste sozialistische Premierminister Frankreichs. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er 1945 befreit wurde. 11 Jaspers: Karl Jaspers (1883–1969), deutscher Philosoph, ursprünglich Psychopathologe. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Jaspers in den Jahren zwischen 1945 und 1948 der prominenteste Philosophieprofessor an der Universität Heidelberg. Hannah Arendt wies Broch auf die Jaspers’schen Aufsätze von 1945 „Erneuerung der Universität“ und „Die Schuldfrage“ hin (ABB 20). 12 Silone: Ignazio Silone (1900–1978), italienischer Schriftsteller. 13 Hook: Sidney Hook (1902–1989), Sohn österreichisch-jüdischer Einwanderer in New York, Philosoph und Vertreter des Pragmatismus. Von 1948 bis 1969 war er Leiter der Philosophischen Abteilung der New York University. 14 Huxley: Julian Huxley (1887–1975), britischer Biologe und Schriftsteller. Er war von 1946 bis 1948 Generaldirektor der UNESCO. Huxley versuchte als Wissenschaftler, die alte Vorstellung von biologischer Evolution mit soziologischen Gesichtspunkten zu erweitern. 15 Crossman: Richard Crossman (1907–1974), britischer Schriftsteller und Politiker. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er in der Abteilung für Psychologische Kriegsführung, wo er Anti-Nazi-Propaganda für das Radio herstellte. 16 Weber: Alfred Weber (1868–1958), deutscher Ökonom, Soziologe und Kulturphilosoph. Bruder des Soziologen Max Weber. 17 Rousset: David Rousset (1912–1997), französischer Publizist, der in den beiden Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg für Time und Fortune geschrieben hatte. 1943 wurde er als französischer Widerstandskämpfer von den Deutschen verhaftet und in verschiedene deutsche Konzentrationslager verschleppt. 18 Schippel: „Schippel“ ist ein Austriazismus und bezeichnet einen Büschel, wird aber auch allgemein als Einheit für eine kleine Menge verwendet. 19 Weigand-Separata: Gemeint sind Sonderdrucke des Aufsatzes von Hermann J. Weigand, „Broch’s Death of Virgil: Program Notes“, in: Publications of the Modern Language Association 62.2 (1947): 525–554. 20 Tante Thorsch: Ida Thorsch, geb. Schnabel (1867–1935) war eine Schwester von Brochs Mutter. Offenbar war eine Verwandte von ihr in die USA emigriert, die den Kontakt zu Broch aufrecht erhielt. 21 Vanillekipferln: Kipferl (Plural Kipferln), österreichisches Gebäck, das im Deutschen als „Hörnchen“ bezeichnet wird.
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50. 1.6.50 Liebe Beide 1, ich kann Euch nicht getrennt schreiben: nur daß es Ihr miteinander dann austauscht? Und ich kann mich auch wegen des langen Stillschweigens nicht entschuldigen: eh schon wissen. Aber ich muß aufzählen, was ich von euch bekommen habe, nämlich Erich-Brief v. 30. IV. (Tommy), Lili-Brief v. 9. 5. und Zettel mit Mama-Brief, sowie der mit dem Princeton-clipping und in dieser Reihenfolge beantworte ich: Tommy. Dank! Ich werde ihm nächster Tage 2 schreiben. Ist jetzt nicht sein 75igster? Und wohin soll ich ihm schreiben? !!!!! Yale. Der Vortrag 3 war ein Erfolg, weil ich Lozelach 4 erzählt habe. Es war die einzige Möglichkeit, hab ich mir in meinem Sinn gedacht, Deinem Erfolg die Waage zu halten. Und nachdem ich sie zum Lachen gebracht hab, haben sie sich weiter zerkugelt, unentwegt auch dort, wo ich es bitterernst gemeint habe. Im letzten bin ich ja offenbar doch ein Willner & Bodanzky5. Dem Schreiber hat es großartig gefallen, und das kann nützlich werden, soferne noch irgend etwas vor den Ferien geschieht. Hinterher ist der neue Präsident da, und die Versandung wird unvermeidlich werden. Ich sollte mich wundern, wenn es nicht so käme. Mein Schicksal heißt Zuspätkommen, und damit muß ich mich abfinden; irgendwie wurschtel ich mich ja schließlich doch durch. Im übrigen irrst Du (Lili), es hat sich nicht um „Das Böse“ 6 gehandelt, was ja noch komischer gewesen wäre, sondern um den Kitsch, der „das Böse im Wertsystem der Kunst“ darstellt und gegen das es keine Toleranz gibt. Was aber die Toleranz anlangt, so hat der Philosoph Whitehead 7 seine Schüler grundsätzlich mit B klassifiziert. Gefragt, warum er dann die besseren papers nicht mit A gradiert, meinte er: „So vollkommen recht hat keiner.“ Gut, meinten die Studenten, warum aber dann die schlechten papers nicht mit C? „Vielleicht habe ich selber nicht ganz recht.“ Princeton. Ist Mamas Geburtstag8 am 16. ds. oder am 16. Juli? Ich verwechsel das immer, weil meine Mutter am 15. Juli Geburtstag hatte. Wenn es also dieser 16. ist, so komme ich hinaus; nur wäre ich
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Euch unendlich dankbar, wenn Ihr mir sofortestens sagtet, was ich mitbringen kann. Bleiben werde ich wohl nur einen Tag können: abgesehen davon, daß ich in diesem einen Jahr ein ganzes verlorenes Leben nachzuholen habe, haben mich jetzt die Roman-Fahnen Wochen gekostet, und der Gallimard in Paris ist schon meschugge, weil ich ihm die Übersetzung immer noch nicht abgeliefert habe, und für den Berliner Kongreß muß ich eine Adresse vorbereiten, weil ich nicht hinfahre, und die Kommunisten der Ostzone machen mir Kopfzerbrechen, und hinter allem steht der Hofmannsthal, dahinter-dahinter jedoch der zweite Roman für Knopf, da dieser darauf besteht, den zweiten vor dem ersten zu drucken. Und ich bin ein müder alter Mann geworden, der zu lange jung gewesen ist. Meine N[ew]Y[ork]-Fahrten sind aufs äußerste eingeschränkt und sind ein Durchrasen geworden, nur um sofort zum Schreibtisch zurückzukehren, an dem ich allerdings dann prompt einschlafe. Und ich kann an diesem Wahnsinnsregime im Augenblick gar nichts ändern. Vielleicht halte ich es durch; nur Zusätzliches muß ich unter allen Umständen vermeiden. Ich bewege mich tatsächlich auf des Messers Schneide, also dort, wo das Kamel keinen Strohhalm mehr verträgt. Zu allem andern kommt mir jetzt der Vietta aus Europa: darf ich ihn Euch schicken? Fahnen, liegen hier bei. Die Korrekturen sprechen selber für die Sauarbeit, die darin noch hineingesteckt worden ist. VortragsM[anuskript] kommt gelegentlich fürs Archiv, ist aber nicht lesenswert. Aspen9 erfreulich und hochgratulierbar, trotzdem zu viel und viel zu viel. Worüber willst Du sprechen? Oppenheim. Mein Telefon 8-0731. Ich glaube aber, daß ich Sonntag dort anrufen werde, um Gabriellens Besuch10 zu verhindern. Princeton-Zitat. Danke Lili! Wenn ich nur wüßte, woher es stammt. Am ehesten vom Bespaloff-Buch. Pick.11 Anbei die gewünschte outline, die ich aber zurückerbitte, denn ich soll ja über das Buch was schreiben. Russell anbei mit Dank retour. Natürlich ist er ganz gescheit. Aber eben doch. Und wär er ein Jud, so wär’s unerträglich. Jedenfalls ist er einer der Gründe, um derentwillen ich nicht nach Berlin gehe. Gott, wird dort angegeben werden: Russell, Borgese, Koestler 12, Arthur M. Schlesinger 13, Rougemont 14, Zuckmayer –, ich glaube, daß ich als Stalinist zurückkehren würde.
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Hanna.15 Anbei ein Brief von ihr. Irgendwie wird sie es schon dermachen, mit ihrem Köpperl16. Mama-Briefe anbei zum Aufheben; sie ist absolut erstaunlich und großartig. Den letzten Brief beantworte ich noch direkt. Alle andern Beilagen zum Wegschmeißen, sogar Else Hofmann. Und das ganze da ist kein Brief, sondern ein müdes Dahergerede. Und bitte (Erich) sag nicht, daß ich ganz aufgeräumt war, wie Du da warst. Da warst Du eben da. Statt nach Woodstock hättet Ihr lieber herfahren sollen; hier blühen auch Bäume, und außerdem hätte ich für Euch geblüht. Seid sehr umarmt H Hat der Tommy mein Vortrags- und Farewell-Telegramm bekommen? [zur Hälfte in KW 13/3, S. 463–464] Anmerkungen 1 Liebe Beide: Erich von Kahler und Alice (Lili) Loewy. 2 nächster Tage: Vgl. Brochs Brief an Thomas Mann vom Juni 1950 in FIE, S. 196–197. 3 Der Vortrag: Broch hatte im Mai 1950 im Germanic Club des German Departments der Yale University den Vortrag „Einige Bemerkungen zum Problem des Kitsches“ gehalten (KW 9/2, S. 158–173). 4 Lozelach: Jiddisch für „Späße, Blödsinn“. 5 Willner & Bodanzky: Alfred Maria Willner (1859–1929) und Robert Bodanzky (1879–1923) waren Wiener Kabarettisten, Opern- und Schlagerlibrettisten. Gemeinsam schrieben sie zahlreiche Libretti für Komponisten wie Ralph Benatzky oder Franz Lehár, darunter das Libretto für Der Graf von Luxemburg. 6 „Das Böse“: Vgl. Brochs Aufsatz „Das Böse im Wertsystem der Kunst“, in: Neue Rundschau 44.2 (1933): 157–191 (KW 9/2, S. 119–156). 7 Whitehead: Alfred North Whitehead (1861–1947), britischer Philosoph und Mathematiker. 8 Mamas Geburtstag: Antoinette von Kahler feierte am 17. Juni 1950 ihren 88. Geburtstag. 9 Aspen: Aspen ist ein Wintersport- und beliebter Tagungsort im US-Bundesstaat Colorado. Kahler hielt am 12. August 1950 bei der Jahrestagung des Aspen Institute for Humanist Studies einen Vortrag, der ein Vierteljahr später in überarbeiteter Fassung publiziert wurde. Vgl. Erich von Kahler,
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„Foreign Policy Today“, in: Bulletin of the Atomic Scientists 6.12 (1950): 356–362. Kahler nahm Stellung zu Amerikas Außenpolitik zur Zeit des Kalten Krieges. Er sprach sich gegen einen Atomkrieg aus, plädierte für eine Friedenspolitik und betonte, dass die Zeit westlicher Kolonialpolitik zu Ende gehe. Er empfahl, so viele Länder wie möglich zu einer neutralen Politik zwischen den Blöcken zu ermutigen und führte als positives Beispiel Indien an. Gabriellens Besuch: Gabrielle Oppenheim-Errera. Pick: Broch hatte vor, eine Rezension über Robert Picks neue Novelle Guests of Don Lorenzo (Philadelphia: J. B. Lippincott Company, 1950) zu schreiben, doch kam es dazu nicht mehr. Er hatte Picks Roman The Terhoven File am 27. Oktober 1944 unter dem Titel „Ein Schicksal“ im New Yorker Aufbau 10.43 (S. 9) besprochen. Koestler: Arthur Koestler (1905–1983), Romanschriftsteller und Journalist. Er hielt eines der Hauptreferate beim Kongress für kulturelle Freiheit im Juni 1950 in Berlin. Schlesinger: Arthur M. Schlesinger Sr. (1888–1965), Historiker an der Harvard Universität. Schlesinger war Pionier der „new social theory“ und der „women’s history“. Als Theoretiker hinterfragte er die Bedeutung von Ideologie und Werten für die Handelnden der Geschichte und setzte an ihre Stelle primär materielle Motivationen. Rougemont: Denis de Rougemont (1906–1985), Schweizer Philosoph und Essayist. De Rougemont war ein Kritiker des Nationalstaatenkonzepts und Vertreter des Paneuropäismus. Hanna: Hanna Loewy. Köpperl: Umgangssprachlich in Österreich für „Köpfchen“.
51. 5.6.50 Liebste Beide, oder Libei, also wieder gemeinsam und gemeinsamen Dank für den Doppelbrief sowie für die Karte. Und wieder [der] Reihe nach: Hannerl 1 habe ich bereits vor 14 Tagen geantwortet (sonst hätte ja [mein] Brief nicht den Schreibtisch verlassen lassen können), und ich habe ihr beiläufig so geschrieben, wie es Du Dir wünschest. Ich hoffe, daß sie es trotz Adressenänderung erhalten hat, und bin neu-
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gierig was sie antwortet. Das nächste Mal kriegst Du Durchschlag meines Briefes; diesmal habe ich keinen gemacht. Mein Sorgenkind2 schreibt jetzt sehr brav, und unberufen glaube ich eine gewisse, zunehmende Charakterfestigkeit konstatieren zu können. Er will also jetzt definitiv im August oder September kommen – was schon bei ihm definitiv heißt –, und deswegen möchte ich gerne Direktiven wegen der Kiste haben, die er bringen soll. Dank für Tommi-Adresse. Ich habe sofort gekabelt. Aspen ist trotz Unterbezahlung und Claire Luce 3 (– und das heißt klares Licht – ) jedenfalls gut. Schau, daß Du die Vorträge schon im Juli vorbereitet hast, damit ich sie sehen kann. Ich komme also bestimmt zum Geburtstag für drei Tage. Wegen Unterbringung macht Euch keine Sorgen: ich habe eine solche Sehnsucht nach dem Luxus eines eigenen Bades, daß ich sehr daran denke, mir dies für zwei Nächte in der Nassau Tavern zu gönnen. Bei Moe4 habe ich mich für übermorgen angesagt. Hoffentlich hat er Zeit für mich, sonst halt nächste Woche. Die deutsche Dichterakademie5 wird mich jetzt zum Mitglied wählen. Mir ist das irgendwie unbehaglich; deutsche „Körperschaften“ werden den Leichengeruch noch lange nicht loswerden, und ich weiß nicht wie man sich da herausdrehen soll, umsoweniger als sie im Begriff sind „zu Hauf“ für meine Nobelei zu stimmen und an die schwedische Akademie zu schreiben. Ich frage mich nur: Und wo bleibt Unruh? 6 Der muß rein wem dort beleidigt haben. Und das Ganze ist ein Affentheater. Anbei ein sample7 aus meiner fan mail; vielleicht macht es – Adressen beachten! – der Mama Spaß. Auch für die Mama: die Bilder meiner Eltern; am Doppelbild war der Vater8 80, die Mutter9 70; am Einzelbild ist sie 80; bitte gut aufheben! Hast Du die „Neue Rundschau“ mit dem Solon-Aufsatz10 von Jaspers bekommen, oder soll ich sie Dir schicken: sehr schön. Und „Mopey Dick and the Duke“11 liebe ich fast noch mehr als „Mr. & Mrs.“12 Soll ich das Buch13 „satirischer Roman“ betiteln, um es von meiner übrigen Produktion abzuheben? Bitte antworte mit einer Karte, aber ich möchte es gern wissen, was Du meinst. Für den Berliner Kongreß muß ich innerhalb drei Tagen eine Adresse vorbereiten. Es ist eine scheußliche Klemme, in der ich
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stecke. Wann, oh wann, wird es anders werden. Selten noch ist ein Mensch für seine schuldlos begangenen, freilich dafür zahlreichen Sünden so hart bestraft worden. Seid umarmt und umarmt H [Handschriftlicher Zusatz:] Vietta war natürlich ein Witz – ich werde trachten ihn zurückzuhalten, aber dort. Anmerkungen 1 Hannerl: Hanna Loewy. 2 mein Sorgenkind: Brochs Sohn (H. F. Broch de Rothermann). 3 Claire Luce: Claire Booth Luce (1903–1987), amerikanische Dramatikerin und Politikerin. Sie war Kongressabgeordnete, Mitbegründerin der amerikanischen Atomic Energy Commission und Unterstützerin des antikommunistischen Kurses von Joseph McCarthy. 4 Bei Moe: Broch versuchte Kahler dabei behilflich zu sein, ein GuggenheimStipendium zu erhalten. Wie Kahlers Brief an Broch vom 2. November 1950 zu entnehmen ist, wollte er sich mit einem „geschichtstheoretischen Thema“ um ein Guggenheim-Fellowship bewerben. Erst vierzehn Jahre später veröffentlichte Kahler ein Buch zu diesem Thema: Der Sinn der Geschichte (Stuttgart: Kohlhammer, 1964). Das Buch erschien gleichzeitig auf Englisch: The Meaning of History (New York: Braziller, 1964). 5 Dichterakademie: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Sie war 1949 begründet worden. Frank Thiess war dort Vize-Präsident und hatte Brochs Nominierung durchgesetzt. Broch praktizierte eine Hinhaltetaktik: zum einen aus Rücksicht auf Thomas Mann, der mit Frank Thiess seit dem Streit über Exil und innere Emigration verfeindet war, zum anderen wollte Broch sich die Akademie während der für 1951 geplanten Europareise selbst anschauen. Da Broch vor dem Aufbruch zur Reise verstarb, wurde er nie offiziell Mitglied der Darmstädter Akademie. 6 wo bleibt Unruh: Broch hatte gerüchteweise gehört, Fritz von Unruh sei von deutscher Seite aus für den Nobelpreis vorgeschlagen worden. 7 sample: Englisch für „Beispiel, Warenprobe“. 8 der Vater: Joseph Broch (1852–1933), ein jüdischer Wiener Textilhändler und -fabrikant. 9 die Mutter: Johanna Broch, geb. Schnabel (1863–1942). Sie entstammte einer jüdischen Wiener Kaufmannsfamilie und kam im Lager Theresienstadt ums Leben. 10 Solon-Aufsatz: Karl Jaspers, „Zu Nietzsche’s Bedeutung in der Geschichte
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der Philosophie“, in: Neue Rundschau 61.3 (1950): 346–359. Der Aufsatz hat mit Solon nichts zu tun. Broch vergleicht in seiner Bemerkung Jaspers mit Solon. Wie Solon der Schlichter der Klassengegensätze in Athen war, so sah Broch Jaspers um den Ausgleich der Differenzen zwischen den unterschiedlichen Richtungen der Nietzsche-Deutung bemüht. 11 „Mopey Dick and the Duke“: Karikatur-Figuren, die von Denys Wortman gezeichnet wurden und unter der Überschrift „Metropolitan Movies“ erschienen. Kahler schickte Broch häufig Karikaturen, die er aus Tageszeitungen herausgerissen hatte. 12 „Mr. & Mrs.“: Karikatur-Figuren des britischen Zeichners Tom Webster. 13 das Buch: Hermann Broch, Die Schuldlosen (KW 5).
52. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 15.6.50 Dr. Erich Kahler One Evelyn Place Princeton, N.J. Special Delivery Mein Alter, der Besuch bei Moe ist beiläufig so verlaufen, wie ich mir vorgestellt habe, d. h. ziemlich ergebnislos. „If we are making exceptions concerning the age of the applicant, we are doing it with bad conscience.“ Ansonsten war er über Dich orientiert, wußte um Cornell, um das vorjährige Institute, und ein „great scholar“ bist Du auch, nur wäre es ihm lieber, wenn Du ihn nicht zum bad conscience 1 bringen möchtest; das hat man halt so herausgespürt. Ich frage mich aber ob man es dabei bewenden lassen soll. Die Diskussion ist aufgenommen, und es kann keinesfalls Schaden bringen, wenn Du dem Moen einen Brief schriebest, etwa folgenden Inhalts: (1) Du hast von mir gehört, daß er sich in so überaus freundlicher Weise über Dich geäußert hätte, und deswegen möchtest Du ihn
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vertrauensvoll um Rat fragen, wie Du über Deine jetzige Lage hinwegkommen könntest, nämlich (2) Du hast die folgenden Bücher in Arbeit, die Du aus den und den Gründen für wissenschafts-fruchtbar hältst, und deren Fertigstellung daher finanziert werden müßte. (3) was aber ganz unmöglich wäre, wenn nicht ein entsprechender Außen-Zuschuß die Sache ermöglicht, denn wenn Du in Cornell bleibst, so hast Du keine Zeit, und wenn Du nicht dort bliebest, kein Geld für das Projekt. (Natürlich habe ich nichts über die eventuelle Endigung des Cornell-Kontraktes gesagt.) Falls Du Dich zu so etwas entschließen solltest, so schick mir bitte den Briefentwurf, doch können wir die Sache natürlich bis zu meinem Kommen aufschieben. Wie stehst Du mit Bollingen? Barrett ist in Europa, kommt erst Anfang September zurück. Was Rockefeller anlangt, so soll Moe dort einen ebenso großen Einfluß wie Stewart haben. Ich lege zwei Briefe des Prof. Sapper2 aus Graz bei: ich habe hier sein M[anuskript] über eine Neuanordnung des Michelson-Versuches 3, werde aber – bei allerdings viel zu flüchtigem Durchlesen – nicht klug daraus. Er will das in Amerika publizieren, will daß Miller den Versuch nach seinen Angaben wiederholt, hat auch Einstein und Knoll (s. Brief) darüber geschrieben. Vielleicht ist etwas daran, aber das können bloß die Physiker entscheiden. Interessant ist der zweite Brief; er hat also die Sache auch den Russen vorgelegt, und es scheint [so] zu sein, daß sie sich – offenbar als Frucht der Einstein-Kontroverse – damit befassen werden. Für Einstein4 lege ich auch ein Gedicht aus der SRL bei, falls er es noch nicht gesehen haben sollte. SRL: auf der gleichen Seite siehst Du auch Picken angekündigt 5. Ich werde seine outline brauchen; Du schreibst ja ohnehin nichts mehr, und es scheint mir überflüssig zu sein, da das Buch ohnehin geht. Besprechung Fülöp-Miller6 wird Dich wahrscheinlich interessieren. Hier schaut es unberufen aus. Und Liebes, viel Liebes ringsum. Und sei mir umarmt H [Handschriftlicher Zusatz:] A. Sonne 7 ist gestorben. Tuberkulose.
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Anmerkungen 1 bad conscience: Englisch für „schlechtes Gewissen“. 2 Prof. Sapper: Karl Sapper (1876–1964), Physiker an der Universität Graz, der sich konstruktiv-kritisch mit dem Michelson-Morley-Experiment sowie Äther- und Relativitätstheorie auseinandersetzte. Sein Hauptwerk war die zweibändige Kritik und Fortbildung der Relativitätstheorie (Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1957 bzw. 1962). 3 Michelson-Versuch: Das Michelson-Morley-Experiment wurde erstmals 1881 von Albert Abraham Michelson in Potsdam und Anfang Juli 1887 in verfeinerter Form zusammen mit Edward Morley in Cleveland, Ohio, durchgeführt. Es sollte nachweisen, dass Lichtwellen sich in einem Medium ausbreiten, das man als Lichtäther bezeichnete. Das Michelson-MorleyExperiment hatte zum Ziel, diesen Äther und seine Geschwindigkeit relativ zur Erde auf ihrer Bahn um die Sonne nachzuweisen. 4 Für Einstein: Pauline Starkweather, „Portraits of Two Alberts“, in: The Saturday Review of Literature 33.24 (June 17, 1950): 40. Es handelt sich um zwei jeweils sechszeilige Gedichte: eines über Albert Einstein, das andere über Albert Schweizer. Dasjenige mit dem Titel „Albert Einstein“ lautet: „A white corona round a tired face;/ The humble, questioning eyes of a child;/ Behind those eyes, something that dares to find/ God’s mind as logical as his own mind,/ The cosmic puzzle one united field,/ One mightly harmony of time and space.“ 5 Picken angekündigt: Robert Pick, Guests of Don Lorenzo (Philadelphia: Lippincott, 1950). Die Reklame-Anzeige findet sich auf Seite 39 der erwähnen Ausgabe der Saturday Review of Literature. 6 Fülöp-Miller: René Fülöp Miller (1891–1963), österreichischer Schriftsteller. 7 A. Sonne: Abraham Sonne bzw. Ben Yitzhak (1883–1950) war am 29. Mai 1950 verstorben. Er wurde in Przemysl, Galizien, geboren, studierte in Wien und Berlin jüdische Theologie und Geschichte und war Rektor am Jüdischen Pädagogischen Institut in Wien. Broch und Sonne waren seit den frühen 1930er Jahren befreundet. Als Broch ins amerikanische Exil ging, emigrierte Sonne nach Jerusalem. Die beiden Freunde blieben in Briefkontakt.
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53. 8.7.50 Guter, Alter, was heißt: „wieder vergessen“? Wann habe ich Dich schon je vergessen? Weißt Du nicht, daß kein Tag vergeht, ohne? Und gerade war ich daran diesen Brief zu schreiben, (denn gestern habe ich wieder eine französische Partie1 abgesandt, so daß ich wieder zur Korrespondenz zurückkehren kann) als Deine Mahnung einlangte. Also anbei der Moe-Brief, der hoffentlich Deinen Beifall hat; sonst müßten wir ihn, wenn ich dort bin, miteinander umbauen. Ich habe Dich absichtlich ins PS gesetzt, damit die Zufälligkeit unseres Zusammentreffens stärker unterstrichen wird; auch die sichtbarliche Änderung des Absendungsdatums mag zeigen, daß ich Dich getroffen und sodann mir die Sache überlegt habe. In Wahrheit hat aber die Verzögerung noch einen anderen Grund, nämlich die Adresse an den Berliner Kongreß, deren M[anuskript] hier beiliegt: die Berliner haben mir die in den vier Hauptsprachen gedruckten Exemplare versprochen, wovon ich eben eines dem Moe geben wollte, doch bisher ist nix davon gekommen, so daß ich nun Moe doch ein M[anuskript]Exemplar – bitte lies es – geben mußte. Und wenn Du gegen den Brief keine Einwendungen hast, schick ihn mitsamt den Beilagen ab. Die Resignation Aydelottes2 ist unangenehm. Die „Adresse“ hat mir – bisher der einzige Erfolg – sogar das Lob Blüchers3 eingetragen, weiters daß der Kongreß 50 N[eue]R[undschau] bestellt hat, um sie an die Teilnehmer zu verteilen. Dank für Korrekturen: alles soweit akzeptiert und richtiggestellt, sogar das Plusquamperfekt. Dagegen befinden sich die beiden angemerkten Stellen auf Bogen 143 nicht mehr dort (Brief beil.), doch besteht immerhin die Möglichkeit, daß sie irgendwohin anders abgewandert sind; Du hast es ja sicherlich am Rand angestrichen, so daß ich nicht weiter danach suchen muß. Nicht ganz verständlich ist mir Deine Bemängelung zu Bogen 165, denn der Satz fängt doch ganz unzweideutig an: „Dabei konnte von einer eigentlichen Mutter-SohnVertrautheit kaum die Rede sein …“ 4 womit eben erklärt ist, daß sich daraus der Zeremonialismus ergeben hat, und dieser eben nicht nur „bloße Formalität“ ist. Muß, soll ich das noch deutlicher machen? Ansonsten brauche ich nicht eigens zu sagen, daß ich über Deine Zustimmung froh bin. Für wen schreib ich denn, so nicht für Dich?
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Dahingegen, alewei ich könnt die Dinge so darstellen wie der Picasso5. Und nachherüber-zurück-dahingegen: das eigentlichste Lob bist Du mir schuldig geblieben, nämlich für die Schlauheit, mit der ich die Idioteninhalte der alten Novellen ausgenützt und zusammengestellt habe. Und natürlich hätt der Auernheimer6 die Liebesnacht der Hildegard7 rosiger vergoldet, doch ich habe es genauso gebraucht, wie es jetzt dasteht, nämlich um dem Schluß des Buches seinen eigentlichen Sinn zu geben. Im übrigen: es ist nicht ausgeschlossen, daß am Tage, an dem dieses Buch in Deutschland und der Vergil in Paris wird herauskommen sollen, die Russen sowohl da wie dort einmarschieren werden. Ein idiotisches Schachspiel, besonders weil es so gräßlich primitiv ist. Am liebsten möchte ich für den ach so kurzen Lebensrest sagen: „Was geht’s mich an.“ Aber leider geht es einen an. Meinem Bru8 scheint es in der letzten Zeit recht gut gegangen zu sein; er kann es selber nicht ableugnen, und so hat er sich zu beil. Jubelgesang einer in die Lüfte steigenden Lerche aufgerafft. Ich werde alle meine Schlüssel mitbringen. Dies für Lili, der ich für die Zeilchen danke. Aber es will mir scheinen, daß der fragliche nicht dabei ist, und das ist, da der Koffer niemals das Haus verlassen hat, unheimlich und unverständlich. Wohin kann er geraten sein? ist er eigenwillig wie ein Proton9 vom Bund abgesprungen? Oder habe ich ihn einmal aus irgend einem unerinnerlichen Grund Lili gegeben? Jedenfalls soll sie doch auch einmal alle ihre Schlüssel durchschauen. Im übrigen werde [ich] zwecks einerseits Bedarf andererseits Attic10Ausleerung wieder eine Reihe von Sachen mitnehmen. Ich werde Samstag eintreffen. Und wie gesagt: ich kann mir diesmal eine Nassau Tavern mit eigenem Bad ausnahmsweise einmal leisten. Mies ist mir nur vor die vielen Leut, die ich werde sehen müssen. Die arme Condell wird allerdings nicht dabei sein; die ist in N[ew]Y[ork] im Spital. Für Mama bringe ich also eine Leberpastete mit. Falls Du was besseres weißt, bitte sofort Nachricht. Und inzwischen sag ihr viel Liebes von mir. Und ringsherum love. Und Umarmung für Dich. H Dank für Blumenbesorgung und Searzucker 11. Wegen Knoll werde ich mit Richters 12 in N[ew]Y[ork] reden. Und ich hätte gerne gewußt was die große Hautautorität zu den Haaren gesagt hat.
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Anmerkungen 1 eine französische Partie: der von Broch korrigierten Übersetzung seines Romans Der Tod des Vergil. 2 Resignation Aydelottes: Frank Aydelotte, der ehemalige Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton, war offenbar nicht gewillt, ein Gutachten für Kahler zu schreiben. 3 Blücher: Heinrich Blücher. 4 „Dabei konnte von einer …“: Zitat aus Brochs Roman Die Schuldlosen (KW 5, S. 246). 5 Picasso: Pablo Picasso (1881–1973). 6 Auernheimer: Raoul Auernheimer (1876–1948), österreichischer Schriftsteller und Journalist. 7 Liebesnacht der Hildegard: Broch bezieht sich auf eine Szene aus seinem Roman „Die Schuldlosen“ (KW 5, S. 219–222). 8 Bru: Friedrich (Fritz) Broch. 9 Proton: Das Proton (Plural Protonen, von altgriech. prótos = „das Erste“) ist ein langlebiges elektrisch positiv geladenes Hadron mit dem Formelzeichen p. Es gehört neben dem Neutron und dem Elektron zu den Bausteinen, aus denen Materie besteht. 10 Attic: Englisch für „Dachboden“. 11 Searzucker: Searzucker oder Seersucker ist ein bestimmtes Baumwollgewebe, und die Bezeichnung wurde damals für kurze Sommerhosen aus diesem Stoff verwendet. Das Wort kam ins Englische aus dem Indischen, wo es wiederum aus dem Persischen übernommen worden war. Ursprünglich bedeutete es auf Persisch „schir o schakar“, also „Milch und Zucker“, um die Gewebemischung anzudeuten, die teils weich wie Milch und teils rau wie Zucker ist. 12 Richters: Werner Richter und seine Frau.
54. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 10.8.[1950] Dr. Erich Kahler Hotel Jerome Aspen, Colorado
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Liebste alle, Dank für den Triplexbrief1. Leider schreibt Ihr nix über den Vortrag, auf den ich doch am neugierigsten bin. Nur die Ili Voorm2 – wenn sie noch dort ist, laß ich ihr für ihre Karte sehr danken –, meldete braverweise, daß es sehr schön war. Und wie gerne ich dort gewesen wäre und noch dort sein möchte, brauche ich nicht eigens zu sagen. Aber bei mir geht es grauenhaft zu, vor allem in Kleinzeug und Korrespondenz; ich dürfte nicht einmal die paar Zeilen hier schreiben. Vorige Woche habe ich in Princeton angerufen, um Dir Hals-undBeinbruch zu wünschen, doch da wart Ihr alle schon weg; am Telephon war Mama Pick3, welche mir sagte, daß es Mama unberufen sehr gut ginge. Vorgestern traf der hier benützte Roth4 ein; der Scheck dürfte sich also bereits in Princeton befinden. Und zur Erheiterung anbei der heutige Brief des Torberg5, den ich wegen seines letzten Buches entsetzlich befetzt habe, der aber daraufhin alles so willig eingesehen hat, daß ich nicht umhin konnte gerührten Frieden zu schließen, trotz der Gefahr eines Vietta-Torberg-Abends. Jedenfalls hat es die Mittler 6-Wortzusammensetzungen eingetragen, und das ist schon etwas; das Feuchtersleben-Gedicht 7, das er gleichfalls sandte, ist nicht gut. Am 21. kommen die Manns her; in der Library haben wir eine Th[omas]M[ann]-Ausstellung 8, die fad ist. Wie soll sie auch lustig sein. Ich habe weiter meine innerlichen Schwierigkeiten in der Korrespondenz und im Verkehr mit ihm: man muß es ihm leicht machen, leutselig zu sein, und obwohl er doch so gern möcht, geht es ihm eigentlich wider die Natur. Das ist kein Vorwurf gegen ihn, bloß Konstatierung: der Zaubermantel der Ungemütlichkeit weht halt um ihn. Seid alle, alle umarmt H Anmerkungen 1 Triplexbrief: Korrespondenz Brochs mit Erich von Kahler, Lili Loewy und Antoinette von Kahler. 2 Ili Voorm: Nicht ermittelt. 3 Mama Pick: Mutter von Alice (Lili) Loewy. 4 der hier benützte Roth: Broch schrieb diese Mitteilung auf einem Schreiben, das er von William Roth erhalten hatte (dessen Adresse war 502 Park Avenue in New York). Roths Brief an Broch war auf den 4. August 1950 datiert.
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Roth schrieb: „Lieber Herr Broch, ich bin diese Woche aus Provincetown zurückgekommen und konnte erst heute die Sache für Sie bei Herrn Kahler erledigen. Ich hoffe, daß Sie in den nächsten Tagen in den Besitz des Checks sein werden. Wegen der Verzögerung bitte ich um Entschuldigung. Wie geht es Ihnen, sind Sie mit Ihren Arbeiten vorwärts gekommen? Mit herzlichen Grüßen bin ich Ihr Roth.“ Torberg: Friedrich Torberg (1908–1979), österreichischer Schriftsteller. Broch hatte Torberg bereits in den 1930er Jahren in Wien kennen gelernt. Torberg war 1938 in die Schweiz und von dort 1941 in die USA emigriert. 1950 kehrte er aus dem Exil nach Österreich zurück. Broch hatte Torbergs Roman Hier bin ich mein Vater (1948) positiv besprochen. Vgl. die Rezension „Literatur der Anständigkeit“, in: Aufbau 14.27 (1948): 11–12 (KW 9/1, S. 401– 402). Mit dem 1950 erschienenen Roman Torbergs Die zweite Begegnung konnte Broch sich offenbar nicht anfreunden. In beiden Büchern ging es um die Auseinandersetzung mit der jüdischen Leiderfahrung zur Zeit des Nationalsozialismus. Mittler: Leo Mittler (1893–1958), österreichischer Filmregisseur und Drehbuchautor. Er lebte von 1939 bis 1948 im amerikanischen Exil. Er galt als meisterhafter Schüttelreimer; war auch Klavierbegleiter von Karl Kraus. Feuchtersleben-Gedicht: Ernst von Feuchtersleben (1806–1849), österreichischer Lyriker. Torberg hatte Broch Feuchterslebens Gedicht „Resignation“ geschickt, dessen Text lautet: „Wend’ ich aufs Vergang’ne/ Prüfend mich zurück:/ Trifft auf schwarz behang’ne/ Särge nur mein Blick.// Schau’ ich in das Heute,/ Was gewahr’ ich drin?/ Alles Leben deute/ Auf Verwandlung hin.// Unerforschter Weiten/ Dämmerung verschließt,/ Was in fernen Zeiten/ Mir bereitet ist.// Und so schiff’ und lenk’ ich/ Durch die Nacht dahin;/ Wohlgemut bedenk’ ich,/ Welch ein Nichts ich bin.“ Thomas Mann-Ausstellung: Zum 75. Geburtstag von Thomas Mann hatte die Bibliothek der Yale University in New Haven im Juni 1950 eine große Thomas-Mann-Ausstellung veranstaltet, die Mann selbst besuchte. Bei der Gelegenheit traf er Hermann Broch wieder.
55. 12.10.50 Viellieber, – wie es mir geht kannst Du ja an der verspäteten Antwort sehen: wenn das schon bei mir passiert muß es wahr sein. Und dabei
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ist das nicht einmal eine Antwort sondern ein Geburtstagsgruß, denn es ist Dein ach so Fünfundsechzigster, und da es dafür keinen Trost außer dem schwachen des geteilten Leides gibt – denn damit werden wir ja doch nicht 32 –, so läßt sich bloß sagen, daß ich Dich lieb habe, und daß ich Dich auf dieser Welt nicht mehr missen möcht. Also werde mir 301, wenn ich 300 werden soll. Der Mallarmé 1 ist als Angebinde abgegangen. Hoffentlich kommt er zurecht. Und als Draufgabe einen franz. Irrenhauswitz: in einer Anstalt schauen zwei Irre zum Fenster hinaus, und unten laufen zwei Dackel vorbei; sagt der eine „Il va pleuvoir“ 2 – „Pourquoi?“ – „Les chiens volent bas.“ Und das leitet mühelos nebbich zur Hanna über. Lili hat Dir wohl geschrieben, daß ich sie besucht hab. Es war viel zu kurz. Ich hoffe, daß die Goldstein-Sache3 funktioniert. Mir tut die Lili maßlos leid, natürlich auch die Hanna: vor allem muß diese meschuggene Mutter-Tochter-Bindung gelöst werden, und da man das nicht nach dem berühmten Rezept „Kill his father, kill his wife“ bewerkstelligen soll, ist [es] schwierig. Ich werde mir nächstens in N[ew]Y[ork] ein paar Stunden für die Hanna nehmen; daß ich dabei höchst vorsichtig wegen der Analyse sein werde, versteht sich von selbst, aber irgendwie habe ich das Gefühl, daß sie Vertrauen zu mir hat, obwohl das bei einer solchen Selbstbeschwindlerin auch nicht feststeht. Moe anbei.4 Ich hatte neulich dort angerufen und gehört, daß er noch ein paar Wochen im Spital bleiben muß. Bitte Brief retour. Was an dem Vietta dran ist, habe ich immer gewußt. Noch weniger. Die Geschäftigkeit an sich, ein Anschmeißer, ein Ressentimentaler, ein Idealist. Natürlich nicht dumm dabei. Laß Dich umarmen. Du weißt nicht, was Du für eine seltene Erscheinung auf dieser Welt bist. Ich freu mich auf Thanksgiving5. H Lies im letzten Commentary6 den brillianten Artikel Hannahs7 über ihre deutschen Eindrücke!! Ist das beil. Gedicht8 nicht von Dir? Es befand sich unter den meinen, scheint mir aber für mi[ch] zu gut zu sein. Anbei Kopie meines Briefes an den Harold9. Er scheint beleidigt zu sein, oder gekränkt. Seit 6 Wochen nichts mehr von ihm gehört.
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Anmerkungen 1 Mallarmé: Stéphane Mallarmé (1842–1898), französischer Schriftsteller. 2 „Il va pleuvoir“: „Es wird regnen“ „Warum?“ – „Die Hunde fliegen tief.“ 3 Goldstein-Sache: Der Psychiater Kurt Goldstein sollte von Hanna Loewy, der Tochter Alice Loewys, konsultiert werden. 4 Moe anbei: Erich von Kahler antwortete am 31. Oktober 1950: „Ein leiser Lichtschimmer hat sich aufgetan in einem sehr freundlichen Brief von Moe, wofür ich auch Dir zu danken hab. Auf einmal sind sie ‚autorisiert worden mehr Fellowships als vorher für Leute meines Alters auszugeben‘ und die Einreichungsfrist hat er auch für mich verlängert.“ 5 Thanksgiving: Amerikanisches Erntedankfest. Es fiel 1950 auf den 23. November. 6 Commentary: Jüdische Monatsschrift, die 1945 in New York durch das American Jewish Committee gegründet wurde. Erster Herausgeber – von 1945 bis 1955 – war Elliot Cohen. Die Zeitschrift setzt sich mit politischen und kulturellen Fragen auseinander, wobei etwa die Hälfte der Beiträge auf spezifisch jüdische Themen entfällt. Broch hatte in den unmittelbaren Nachkriegsjahren vergeblich versucht, im Commentary einen seiner politischen Artikel zu platzieren. Er veröffentlichte dort aber damals die englische Fassung seiner Besprechung von Elisabeth Langgässers Das unauslöschliche Siegel (KW 9/1, S. 405– 411): „The Indelible Seal. A Novel of the Pilgrimage of Faith“, in: Commentary (Aug. 1950): 170–174. 7 Artikel Hannahs: Hannah Arendt, „The Aftermath of Nazi Rule. Report from Germany“, in: Commentary 10 (1950): 342–353. 8 beil. Gedicht: Kahler bestätigte Brochs Autorschaft in seinem Brief vom 31. Oktober 1950. Um welches Gedicht es sich dabei handelte, ist nicht mehr festzustellen. Kahler schickte Broch fast nie Gedichte. Er schrieb für Broch das Gedicht „Höhe des Lebens“ zu dessen 60. Geburtstag am 1. November 1946. Es lautet: „Die Zeit wird rasch, sie wird dünn und scheinbar./ Immer schwieriger wird es, sich hienieden zu beschweren/ Und den Schritt zu halten mit irdischen Dingen./ Alles will zusammen, will jetzt sein und immer,/ Die Kindheit, das Wachsen, das Hinüberwachsen/ In zitternde Klarheit, überwahr und traumig,/ Vor-Traum und Nach-Traum, alles will zusammen,/ Will jetzt sein und immer.// Es hebt uns hinweg. Der Boden, auf dem wir gehen,/ Das Holz, an das wir rühren, das Haus, das Heim,/ Was ist es als verhohlenes Schwirren/ Von Endlichkeit, die sich birgt im Unendlichen,/ Von endlosem Wandel, der sich duckt im Gehäuse/ Für menschliche Weile, für menschliches Dasein?/ Oh Weh, dass wir dem entwachsen, und Wohl!/ Das Leiden wird leichter, das Freuen wird schwerer --/ Wohl uns und Weh!// Sind wir es, Bruder, ist es der Mensch?/ Sinds unsre Jahre? Das Altern der Zeit?/ Es fließt zusammen. Die Städte, die Länder,/ Getrieb und Geschichte, Heimaten und Fremden,/ Es fließt zusammen, will Eins sein und All,/ Will jetzt sein und immer.// Hier sind wir,
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unglaubhafter Augenblick,/ Kaum lebbar, doch die Höhe des Lebens./ Wie der Flieger, der aufblitzt, wie die Lerche des Nachmittags,/ So halten wir uns, Schwebe der Ahnung./ Halt dich an mich, halt mich an dich,/ Dass uns nicht schwindle …“. Kahler veröffentlichte das Gedicht unter dem Titel „Höhe des Lebens. Gedicht. Für Hermann Broch zum 1. November 1946“ in: Neue Rundschau 58.3 (1947): 174. Kahler ließ dieses Gedicht damals von Jean Starr Untermeyer ins Englische übersetzen. Sie gab ihm den Titel „Friendship: The Summit of Life“ (uv. YUL). Schon als Schüler und Student hatte Kahler zwei Gedichtbände veröffentlicht: Syrinx. Gedichte (Leipzig: Magazin-Verlag, 1903) und Die Brücke der Iris. Gedichte (Berlin: Schuster & Loeffler, 1905). Vgl. ferner: Erich von Kahler, „Drei Gedichte“, in: das silberboot 3.4 (1947): 185–186 („Gefühl des Daseins“, „Von mir zu Dir“ und „Wieviel Jugend“). 9 Harold: Harold Strauss (1907–1975). Von 1939 bis 1942 war er Lektor, dann von 1942 bis 1966 Cheflektor im Verlag Alfred A. Knopf, New York. Sein Verdienst in den 1950er Jahren bestand darin, japanische Literatur in amerikanischer Übersetzung zu publizieren. Als Kritiker schrieb er auch für die New York Times Book Review, den New Yorker und andere Kulturzeitschriften. Kahler beruhigte Broch in seinem Brief vom 31. Oktober 1950, dass Harold Strauss „ganz beglückt“ von Brochs Brief gewesen sei.
56. Yale University, New Haven, Conneticut, Department of Germanic Languages 3.11.[1950] Nur um mit dem Briefpapier zu zeigen, mein Alter, daß ich’s jetzt auch kann. Vorige Woche ist meine Anstellung1 endlich von den Trustees bestätigt worden, sozusagen als honorarlose causa, und jetzt ist’s mir wurscht. Und jetzt geschwind: An der Festschrift2 bin ich so unschuldig wie nur möglich, denn im Grund war ich entgegen und dagegen. Aber ich habe aus folgenden Überlegungen zugestimmt und vielleicht macht’s Dir auch ein bisserl Spaß: (1) Solange es bloß Schreibmaschine bleibt, ist die ganze Geschichte harmlos, und wegen der Drucklegung wirst Du auch Dein say3 haben.
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(2) Vielleicht ist die Drucklegung angesichts Karriere praktisch, obwohl man auch das Gegenteil sagen könnte, nämlich daß das Ganze ein Greisendokument ist –, und als dritte Alternative, es wird nix nützen und auch nix schaden. (3) Das Gescheiteste wäre freilich, man könnte Dir die Druckkosten in Barem als Ehrengabe überreichen, aber leider kann man gerade das nicht gut verlangen. (4) Am ausschlaggebendsten war bei meiner Zustimmung der Gedanke an die Mama, für die doch die Sache hoffentlich eine restlose Freude war, selbst wenn sie, wie ich sie kenne, dazu wahrscheinlich „Was trägt’s“ gefragt haben dürfte. Sollte es nicht zur Drucklegung kommen, so würde ich versuchen meinen Beitrag beim Zappelphilipp Paul Weiss4 (Review of Metaphysics) oder beim stabilen Gegenpart, nämlich bei „Social Research“ 5 unterzubringen, sozusagen als akademische Reklame. Das erschiene mir als das Sinnvollste. Weiters Moe: Du hast mir seinen Brief nicht zurückgeschickt, aber ich habe ihn jetzt halt so beantwortet, in würdiger Süße. Jetzt überlege Dir bitte, ob Du mich unter den Sponsoren nennen willst, in welchem Fall er mich doch um Gutachten ersuchen muß, worauf er den glücklicherweise nun übersetzten Aufsatz von mir erhielte, oder aber ob ich, als zu intimer Freund, aus der Sponsorliste ausgelassen werden soll, in welchem zweiten Fall ich dem Moe den Aufsatz sozusagen aus eigenem [Antrieb] schicken würde, oder aber ob den Aufsatz Du einfach selber Deiner application6 beilegen willst, sozusagen als Darstellung Deines Gesamtdenkens. Meine einzige Hemmung ist dabei, daß der Aufsatz sauschwer ist, also vielleicht gar als Abschreckung wirken könnte. (Bei der Übersetzung habe ich mit der Eleanor7 nicht schlecht über die Schwere geächzt, aber Englisch ist es jetzt entschieden ein bissl einfacher.) Bitte überleg Dir das rasch, denn Du hast ja nicht mehr viel Zeit zur Verfügung. Eine weitere Idee: Hat Dir Houghton Mifflin8 seine jährliche Contest-Einladung9 geschickt? Wenn nicht, kann ich Dir meine schicken. Es ist ja auch eine Abteilung Non-Fiction vorgesehen, und obwohl ich kaum mir vorstellen kann, daß Du da irgend eine Chance hast, man könnte einen Versuch wagen, einfach weil die Leute ja doch von den Weltereignissen zur Suche nach neuen Konzepten angespornt werden. Und daß es unwürdig sein könnte mit einem Buch solch wissenschaftlichen Ranges sich an einem derartigen Con-
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test zu beteiligen, spielt in diesem Land überhaupt keine Rolle. Wichtig wäre bloß, ob Deine Verpflichtungen es erlauben das M[anuskript] 10 dem Houghton Mifflin anzubieten; vermutlich ist gerad das nicht möglich. Was für ein Projekt aber willst Du Guggenheim vorlegen? Ich halte Dich für durchaus berechtigt, das Bollingen-Projekt tel quel 11 zu verwenden. Und das wäre wohl auch das richtigste, denn wenn Du zu viel Projekte laufen hast, gerätst Du in das gleiche Schlamassel, in dem ich jetzt bin. Mit Houghton Mifflin ließe sich das BollingenProjekt allerdings nicht verbinden. Von Wien erfuhr ich, daß geburtstagsfeierlich das Radio eine Kahler-Sendung am 14.12 hatte. Auch Gedichte sind von Dir gelesen worden, und ich bin daran herauszufinden, wer das arrangiert hat. Es geschah nicht über meine Veranlassung, und ich schäme mich, nicht diese gewesen zu sein. In literatur-offizieller Stellung befinden sich Brunngraber13 und der Legationsrat Winter14, den ich nicht persönlich kenne, der aber jetzt eine Broschüre über mich schreibt: bisher weiß ich bloß eine einzige seiner Qualitäten, nämlich herausgefunden zu haben, daß ich von Kraus15 die Präzision der Satz-Konstruktionen gelernt habe. Das dürfte stimmen, und ich habe nicht das geringste dagegen. Nun, dieser Winter weiß um Dich, und es ist möglich, daß er hinter der Sache steht; andererseits hätte er mich doch in diesem Fall vorher verständigt und wegen des schwer-erhältlichen Materials wie Gedichte angefragt. Jedenfalls habe ich ihm geschrieben und ihn ersucht, er möge sich bei Radio-Wien16 über die Sache erkundigen und mir womöglich den Vortragstext verschaffen. Warum aber habe ich Deine Aspen-Texte nicht bekommen? Gemein. Meine eigenen politischen Einsichten vertiefen sich, weil mir vor den Verdiener-Visagen und den Dogmen-Biestern gleichmäßig mies ist. Manchmal habe ich traumhafte Durchblicke zu künftigen Weltgestaltungen hin, die etwas wirklich Neues zeigen, aber wie aus Selbstschutz verwehre ich es mir, schieb es weg. Du weißt, daß ich keine Propheten-Allüren habe und mir nix vormache, aber ich weiß, daß ich realitätsnah und richtig denke, und ich fürchte mich, da weiter zu denken. Erstens erlauben es meine Verpflichtungen nicht, und zweitens ist das Unvollendbare schon jetzt so groß und schmerzlich, daß ich es nicht zu vergrößern wage; ich bin einfach zu feig und zu wehleidig dazu. Aber noch niemals habe ich so genau beobachtet,
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wie das Richtige aus diffusen Ahnungen aufsteigt. Und dann muß man’s lichten, weil [man] sich nicht getäuscht haben will. Also soll man das Neue lieber der beiliegenden Prophetin17 überlassen. (sehr richtig Stalin auf der Rückseite) Dazwischen fällt mir ein, daß die Idee mit dem Houghton Mifflin, die mir da so plötzlich gekommen ist, weniger Realitäts- als Bledsinnsnähe hat; also don’t give another thought18 in dieser Richtung. Ich bin halt schon zu müd. Auch jetzt ist es schon wieder 1 a.m. Die letzten Korrekturen zu den Schuldlosen habe ich am 1. Nov. weggeschickt; Weismann war pleite, ist offenbar von Brody saniert worden. Ich arbeite Tag und Nacht, und nichts wird fertig, nicht zuletzt wegen der Korrespondenz, die zum Geburtstag wieder grauenhaft geworden ist; die air mail hat sich in der fürchterlichsten Weise ausgetobt, sozusagen aus aller Frauen Länder hat sie geweht. Ich kann einfach keine Briefe mehr schreiben; ich bin völlig allergisch dagegen geworden, und das ist kein Wunder. Also mach ich Schluß, mein sehr Naher. Bleiben wir miteinander jung; ich tu mein Möglichstes dazu. Und ich freue mich auf thanks giving. H Beilagen: Alpbach 19, wohin ich fürs nächste Jahr eingeladen bin. Eine Besprechung fürs Archiv. Eine Seufzerkarte von Steiner 20 und Eleanor, als sie meinen Aufsatz21 übersetzten. [Handschriftliche Notiz:] Mamas Geburtstagsgedicht 22 Bitte schick mir das angeblich von mir stammende Gedicht 23 –, ich glaub, es ist doch von Dir. Anmerkungen 1 Meine Anstellung: Broch war vom Board of Trustees der Yale University – dem obersten Entscheidungsgremium der Universität – mit Rückwirkung vom 1. Juli 1950 zum Honorary Lecturer an der Deutschen Abteilung der Yale University ernannt worden. Mit der Stelle waren keine Lehrverpflichtungen verbunden, allerdings erhielt Broch auch kein Gehalt.
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2 Festschrift: Eleanor L. Wolff, Herbert Steiner (Hg.), Erich Kahler (New York 1951), 52 Seiten. Der Band, der als Privatdruck in einer Auflage von 350 Exemplaren erschien, enthält kleinere Aufsätze, Dichtungen und Briefe von Personen aus dem Freundeskreis Kahlers. Bei Brochs Beitrag handelt es sich um die ausführliche Rezension zu Kahlers Buch Man the Measure (1943), „Geschichte als moralische Anthropologie. Erich von Kahlers ‚Scienza Nuova‘“ (KW 10/1, S. 298–311). Von Eleanor Wolff wurde sie ins Englische übertragen und erschien in der Festschrift unter dem Titel „History as Ethical Anthropology: Erich Kahler’s Scienza Nuova“ (S. 18–30). 3 Dein say: Von der englischen Redewendung „to have one’s say“ (mitreden, mitbestimmen). 4 Weiss: Paul Weiss (1901–2002), amerikanischer Philosoph. Er war die treibende Kraft hinter der Gründung der amerikanischen International Society for Metaphysics und ihrem Periodikum, dem Review of Metaphysics. 5 „Social Research“: Ein vierteljährlich erscheinendes sozialwissenschaftliches Journal, das von der New School for Social Research publiziert wird. 6 application: Englisch für „Bewerbung“. 7 Eleanor: Eleanor L. Wolff (1907–1995), amerikanische Übersetzerin aus New York, die an der Kahler-Festschrift mitarbeitete. 8 Houghton Mifflin: Die Houghton Mifflin Company ist ein amerikanisches Verlagsunternehmen aus Boston, das vorwiegend Schul- und Lehrbücher verlegt. Daneben publiziert der Verlag auch Autoren wie Ralph Waldo Emerson oder Henry David Thoreau. 9 Contest-Einladung: Einladung zu einem Buchpreisausschreiben des Verlags Houghton Mifflin. 10 Manuskript: Wahrscheinlich bereitete Kahler damals die Aufsatzsammlung mit dem Titel Die Verantwortung des Geistes vor, die 1952 bei S. Fischer in Frankfurt am Main erschien. 11 tel quel: Französisch für „wie es ist“. 12 Kahler-Sendung am 14.: Erich von Kahler feierte am 14. Oktober 1950 seinen 65. Geburtstag. Aus dem Anlass war über Kahler eine Sendung beim Österreichischen Rundfunk ausgestrahlt worden. 13 Brunngraber: Rudolf Brunngraber (1901–1960), österreichischer Schriftsteller. Broch war seit den 1930er Jahren mit Brunngraber bekannt. Er schätzte dessen Roman Karl und das XX. Jahrhundert aus dem Jahr 1933, wie einer Sammelrezension Brochs zu entnehmen ist (KW 9/1, S. 382–383). Brunngraber hatte Broch 1949 (erfolglos) für den Wiener Literaturpreis vorgeschlagen und im Österreichischen PEN-Club gemeinsam mit Edwin Rollet 1950 die Nominierung Brochs für den Nobelpreis durchgesetzt. Der Literaturkritiker Rollet, der während der nationalsozialistischen Herrschaft zwei Jahre in einem Konzentrationslager gefangen gehalten wurde, hatte 1931/32 die Bände der Schlafwandler-Trilogie in der Wiener Zeitung besprochen. Im Juni 1951 veröffentlichte er einen Nachruf auf Broch im gleichen Journal.
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14 Legationsrat Winter: Hanns von Winter (1897–1961), österreichischer Schriftsteller. Er hielt 1950 im Rahmen einer Vortragsreihe über österreichische Autoren eine Rede über Broch in Wien. Vgl. seinen Aufsatz „Hermann Broch“, in: Wissenschaft und Weltbild 4.7 (1951): 217–225. 15 Kraus: Karl Kraus (1874–1936). 16 Radio-Wien: Radio Wien I und II waren zwei von acht Rundfunksendern, die ab 1948 in der österreichischen Hauptstadt wieder zu empfangen waren. Die Sender waren im russischen Sektor der Stadt stationiert und standen dem amerikanischen Radio Rot-Weiß-Rot und dem britischen Sender Alpenland sowie den jeweiligen Soldatensendern gegenüber. 17 beiliegende Prophetin: Broch hatte das Zeitungsbild von Helene Jeffers beigelegt. Die Bildunterschrift lautete: „Attractive, 35-year-old ‚Dr.‘ Helene Jeffers is chief prophetess and pastor of the churchless ‚religion‘ which has moved in on Houston, Texas. The religion, Kingdom of Yahweh, preaches the practice of free love.“ 18 don’t give another thought: Englisch, in etwa „Kümmer dich nicht weiter drum!“ 19 Alpbach: Kleinstadt in Tirol. Dort finden seit 1945 jährlich Europa-Tagungen statt. 20 Steiner: Herbert Steiner (1892–1966), österreichischer Literaturwissenschaftler, der 1938 in die USA emigriert war. Er war der Herausgeber der Gesammelten Werke Hugo von Hofmannsthals in Einzelausgaben (1945– 1949) und beriet Broch bei seiner Studie über Hofmannsthal. 21 mein Aufsatz: Brochs Aufsatz über Erich von Kahler: „Geschichte als moralische Anthropologie. Erich von Kahlers ‚Scienza Nuova‘“ (KW 10/1, S. 298–311). 22 Geburtstagsgedicht: Antoinette von Kahler hatte Broch zu seinem 64. Geburtstag am 1. November 1950 ein Gedicht geschrieben. 23 das von mir stammende Gedicht: Die Diskussion um die Urheberschaft des ominösen Gedichts ging weiter.
57. 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 28.11.50 Mein Alter, Guter, ich nehme an, daß Du unberufen gut und richtig eingelangt bist; das Wetter war ja herrlich und auto-geeignet wie nur. Und wenn diese
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Geschichte mit der Hanna1 nicht wäre, es wäre ungetrübt gewesen. Aber das ist eine furchtbare Sache. Ich weiß nicht, ob es nicht am besten wäre, sie einfach mit der Wahrheit als solcher zu konfrontieren: in die Enge getrieben, gibt sie nämlich zu, daß in Cal[ifornien] etwas mit ihr los gewesen ist, und wenn man sie dazu mit ihren erblichen Belastungen bekannt macht, so könnte das einen Schock ergeben, einen psychischen, der sie zum physischen willig machen dürfte. Aber ohne ärztliche Genehmigung würde ich mich nicht trauen, ihr mit so etwas zu kommen. Ausbrüche wie die der Lili sind aber kein Schock; im Gegenteil sie sind eine Befriedigung: ich wollte das eigentlich Lili noch sagen und wundere mich, daß sie das nicht selber weiß und meint, daß sie durch derlei die Mutterbindung zu lösen vermag; just das Gegenteil ist der Fall. Ich habe eine dringlichste Frage an Dich: die beil. Akademie2 hat mich einstimmig zum korr. Mitglied ernannt. Darauf läßt sich natürlich in erster Linie nebbich 3 sagen. Genau so gut hätte sich das Café Central 4 oder Herrenhof 5 als Akademie konstituieren können. Doch diese Akademie hat Nobel-Vorschlagsrecht. Außerdem sind anständige Leute dabei, so Hausmann6, der trotz Nazi-Drohungen die Grabrede für S. Fischer hielt, etc. Daß Reisiger dabei ist, versteht sich von selbst; der braucht offizielle Bestätigungen seines Dichtertums. Aber trotz Reisiger, es fehlt Tommy. Und er muß fehlen, weil Thiess 7 Vizepräsident ist. Nun weißt Du ja, wie ich zu Thiess stehe: er hat sich bei meiner Ausreise erstklassig benommen und ist ein drittklassiger Dichter. Was soll ich jetzt tun? Gehe ich hinein, so ist es – trotz Reisi 8 – ein unfreundlicher Akt gegen den Tommy, gehe ich nicht hinein, so müßte ich die ganze Tommy-Sache wieder aufrühren (denn ich muß ja meine Absage begründen) und ich streite für etwas, das mir eigentlich nicht der Mühe wert ist. Daß ich daneben auch dem Reisi, der es eigentlich verdient, einen Rüffel gäbe, wäre ein Nebeneffekt. Auf besonderen Dank vom Hause Mann, wenn ich zu seinem Schildknapp9 werde, rechne ich natürlich nicht. Bitte um Deine Meinung postwendend. Und retourniere bitte die Kaffeehausstatuten. Max will nach Genf auswandern, um dort gelegentlich zu sterben. Sie bedarf dazu $ 250.– Das könnte man auftreiben. Soll man es tun? Aus egoistischen Gründen wäre ich sehr dafür. Aus unegoistischen würde ich eher sagen, daß man hier ihre Zähne richten lassen sollte.
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Anbei das auf meinen Schultern errichtete Vietta-Projekt. Er berichtet aus Harvard – jetzt ist er auf der Reise nach dem Westen –, daß sich die Sache im besten Zug befindet. William Elliot 10 soll Chairman werden, und ein Quarterly11 soll aus alldem entstehen. Was sagst Du daderzu? Bitte um sofortige Retournierung des Wisches. Aber am Ende werde ich angesichts der Köstlers, Viettas, etc. eben doch noch Stalinist werden. Hoch Sibierien. Bitte antworte wirklich gleich. Und schick die Sachen zurück. Vergiß nix. Es tut mir leid, daß ich Dich damit belaste. Aber es geht halt um Prinzipielles. Sei mir umarmt H.
Anmerkungen 1 Hanna: Hanna Loewy. 2 Akademie: Erich von Kahler schrieb Broch am 30. November 1950 zu dessen Bedenken: „Lieber, ich seh nicht ein, warum Du nicht die Korr[espondierende] Mitgliedschaft annehmen solltest. Es sind gute und miese Leute dabei, sehr anständige wie Pechel, Snell, Karl Reinhardt, Kogon, Kassner, die gute Annette [Kolb] [...]. Aus Tommi einen Casus zu machen halte ich für überflüssig [...].“ 3 nebbich: Jiddisch, bedeutet hier so viel wie „Was soll’s schon?“ 4 Café Central: Das Café Central befindet sich in der Herrengasse 14 im Ersten Bezirk Wiens. Es ist 1868 eröffnet worden. 5 Herrenhof: Das Café Herrenhof besteht seit 1918 und befindet sich in der Herrengasse 10 im Ersten Bezirk Wiens. 6 Hausmann: Manfred Hausmann (1898–1986), deutscher Schriftsteller. Während der Zeit des Nationalsozialismus gehörte er der „inneren Emigration“ an. 7 Thiess: Frank Thiess (1890–1977), deutscher Schriftsteller. Broch hatte Thiess 1928 über das Ehepaar Isidor und Bertha Kreisberg in Wien kennengelernt. Seitdem ließ er sich bis zu seiner Emigration in praktisch-literarischen Dingen durch Thiess beraten. 8 Reisi: Hans Reisiger. 9 Schildknapp: Rüdiger Schildknapp ist eine Figur in Thomas Manns Roman Doktor Faustus. Hans Reisiger hatte dem Autor dabei als Modell vor Augen gestanden, wovon der ehemalige Freund des Hauses Mann keineswegs begeistert war (vgl. FIE, S. 176). 10 William Elliot: William Yandell Elliot (1896–1979) wurde in Murfreesboro (Tennessee) geboren. Er studierte an der Vanderbilt University (Nashville,
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Tennessee) und an der Oxford University (England) Philosophie, Politologie und Wirtschaftswissenschaften. Seine Dissertation The Pragmatic Revolt in Politics erschien 1928. Elliot lehrte einige Jahre an der University of California at Berkeley, bevor er 1925 an das Department of Government der Harvard University wechselte. Während der Zeit an Harvard war er Berater mehrerer US-Präsidenten. 11 Quarterly: Vierteljährlich erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift.
58. 6.12.[1950] Mein Guter, ich finde es wichtiger gegenüber Tommy loyal zu sein als dieser Akademie beizutreten. Wenn sie ihn also niemals eingeladen haben, so werde ich gleichfalls draußen bleiben, doch wenn sein Nicht-Beitritt auf seine Ablehnung zurückzuführen ist, so werde ich halt hineingehen: Hauptsache war mir, die Sache so zu formulieren, daß ich auch dort niemanden beleidige, vor allem nicht den Thiess, und das wird hoffentlich mein Brief, dessen Abschrift ich beilege, ganz gut leisten. Die Abschrift bitte heb auf; vielleicht wird man sie bei der nächsten Differenz mit Manns (die ja im Bereich des Möglichen liegt) als Wogen-Öl brauchen können. Politik.1 Es ist ein Blödsinn jetzt das politische Buch zu schreiben, aber mich reißt es doch, es zu tun. Warum, kann ich Dir heute nicht ausführen; wahrscheinlich reißt es mich so, weil Einsichten explosiv innerhalb der Seele rumoren und durchaus herauswollen, so nutzlos, ja sogar selbstschädigend sie auch wären. Vermutlich werde ich mich trotzdem bezähmen. Anbei ein etwas überraschendes statement Johnsons2, überraschend in Ansehung des MacArthur 3Ponems 4, und doch nicht überraschend, wenn man bedenkt, daß es vielerlei Teile in des Menschen Intelligenz und Seele gibt. Nur bei Truman 5 glaube ich, daß er aus einem einzigen Guß ist, dem der Mediokrität durch und durch. Vietta, mit phil. Musterkoffer bewaffnet, treibt sich jetzt in Chicago herum: er ist das was der Alfred Stern sein möchte. Und trotz-
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dem ist auch in dieser Seele etwas Unverständliches: warum hat er sich nicht schon längst zum Marxismus geschlagen? Dort bräuchte er sich nicht so wild anzustrengen. Warum muß er just in Heidegger und Broch reisen? Daß ich zu seinem Symposium nicht gehen werde, steht bei mir ziemlich fest: als neueste Errungenschaft haben sie in Harvard beschlossen ein phil[osophical] Quarterly herauszugeben, wozu nun auch Vietta die Regierungsbeihilfe verschaffen soll. Natürlich wird er der editor werden. Ich schaue staunend zu. Staunend aber neidlos. Ich wundere mich bloß, daß er noch nicht in Cornell bei Dir aufgetaucht ist. Eine Abbitte habe ich zu leisten: an Theodore Greene. Der ist ganz anders als wir ihn uns vorgestellt haben. Das ist [ein] weltzugetaner, durchaus undemütiger Mann, der seine Erziehungsaufgabe sehr ernst nimmt, wahrscheinlich der weitaus begabteste aller headmaster ist, mit Recht als deren Präsident fungiert, auf seine Schüler einen ausgezeichneten Einfluß hat und dafür von ihnen geliebt wird. Sicherlich kein großer Philosoph, aber ein richtiger Pädagog. Du wirst sagen, er hat mich mit dem feierlichen headmaster-dinner bestochen, das er mir gegeben hat, und vielleicht stimmt es wirklich, denn er hat das gewissermaßen mit demokratischer Feierlichkeit arrangiert. Jedenfalls scheinen meine Sachen auf unberufen gutem Weg zu sein, denn ich glaube nicht, daß sie mich im wahren Wortsinn bloß mit einem Ehrendinner haben abspeisen wollen. Natürlich hängt es nun auch davon ab, ob ich den dinner-versammelten fellows gefallen habe. Es wird wohl eine Art Ballot stattfinden, und da haben natürlich alle versteckten Antisemiten ihr say. Auch hiezu: nicht, nicht. Sei umarmt. Alles Übrige zu Weihnachten, wenn auch nicht unbedingt in Princeton. Dort ist ka Ruh. Love H [Handschriftliche Notiz:] Den Mopey Dick habe ich ebenso lieb wie den Mr. Green6. Außerdem Golo Beilage7
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Anmerkungen 1 Politik: Zum Thema Politik hatte Kahler an Broch in seinem Brief vom 16. November 1950 geschrieben: „Natürlich müßten alle Begriffe revidiert werden, es stimmt doch keiner mehr. Trotzdem wirken die alten Schlagworte und Attitüden immer noch weiter und haben eine wahrhafte Macht. Es gibt freilich den eigentlichen Kommunismus ebensowenig mehr wie den eigentlichen Kapitalismus. Aber es gibt immer noch die Kommunisten und die Kapitalisten, die verbissen daran festhalten, daß sie es sind, und in ihnen kämpfen die Gespenster weiter. […] Die Entwicklungen sind panisch, und das Durchdenken, Zuendedenken kommt im öffentlichen Leben überhaupt nicht mehr an, die ‚Dinge‘ sind immer schon weiter.“ 2 Johnson: Alvin Johnson (1874–1971), amerikanischer Pädagoge. Er lehrte Volkswirtschaft und Politische Wissenschaft an führenden US-Universitäten und gründete 1919 die New School for Social Research in New York, eine Hochschule für Erwachsene und Berufstätige. Als nach 1933 viele Akademiker aus Deutschland nach New York emigrierten, gründete er die University in Exile, eine Graduate School innerhalb der New School. Johnson gehörte zu den Freunden und Förderern Brochs im Exil. Vgl. seine Autobiographie Pioneer’s Progress (New York: Viking Press, 1952). Johnson koordinierte die Nominierung Brochs zum Literaturnobelpreis 1952 und gewann u. a. Thomas Mann als Unterstützer. 3 MacArthur: General Douglas MacArthur (1880–1964), Kommandeur der US-Truppen in Korea. Im Zweiten Weltkrieg nahm er am 2. September 1945 die japanische Kapitulation entgegen. Von 1945 bis 1951 war er Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungsmacht in Japan. Im April 1951 wurde ihm von US-Präsident Truman das Oberkommando im Korea-Krieg entzogen. 4 Ponem: Jiddisch für „Gesicht“. 5 Truman: Harry S. Truman (1884–1972) war der 33. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. 6 Mr. Green: Hier ist die Figur aus den Karikaturen gemeint. 7 Golo Beilage: Eine Publikation von Golo Mann (1909–1994), in München geborener Sohn Thomas Manns; Historiker und Publizist. Von 1942 ab lehrte er an verschiedenen amerikanischen Universitäten bzw. Colleges Geschichte, 1951 am Pomona College in Claremont, Kalifornien.
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59. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 9. Dezember 1950 Prof. Erich Kahler c/o Crowell 112 Sage Place Ithaca, N.Y. Mein Gutester, Briefe gekreuzt, und Obiges1 habe ich dem Paul Oppenheim geschrieben. Ich hoff Dich damit einverstanden, ebenso mit der letzten Dir gesandten Fassung des Pechel 2-Briefes. Und zu Deinen Anfragen: (1) Vorderhand fahr ich nicht [nach] N[ew] Y[ork], und da der Howland 3 mir bloß Nicht-Rauchen verordnet hat, kann er mich damit nicht umbringen. Tatsächlich spür ich überhaupt nichts, wenn ich die Pfeife nicht anrühre. Also wird sich die Superkontrolle halten, bis ich nach N[ew]Y[ork] komme. Natürlich werde ich sie aber dann vornehmen lassen. (2) Der Bob Cohn 4 hat auf das Buch hin leider eine französische fellowship erhalten und ist demzufolge unerreichbar, und selbst wenn er (via French Dept.) erreichbar sein wird, kommt’s zu spät. Hätte ich Rollins 5 von der Yale Press6 nicht durch Nichtakzeptierung seiner Einladungen beleidigt, so würde ich einfach hingehen und um ein Restexemplar bitten, doch jetzt muß ich es auf Umwegen probieren. Ich schreib Dir in zwei Tagen ob es geglückt. (3) Die Welt: schad Wort. Der Ostblock ist jetzt fünffach so groß als das was vom Westen übrig geblieben ist, und mit technischer Überlegenheit läßt sich das nicht wettmachen. Aber da nützt auch keine noch so weise Politik, denn die Überlegenheit wird von Moskau rücksichtslos ausgenützt werden. Die Zeit für Politik war 1945/46. Natürlich wird es nicht ewig so bleiben, vielmehr wird Rußland auch noch am Ende draufzahlen. Aber das werden wir nicht mehr erleben. Aber wann krieg ich endlich Deine Rede 7!
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(4) Die „Schuldlosen“ mögen vielleicht schon auf dem Atlantik schwimmen, doch ich glaube nicht, daß die Exemplare vor Jänner hier sein werden. Bis das jetzt im Weihnachtstrubel durch den Zoll durchgeht! Aber wir können’s erwarten. Zu allem die Weihnachtshektik, die mich rasend macht. Sei umarmt, Liebster; ich freu mich auf Dich H. Anmerkungen 1 Obiges: Broch schrieb diesen Brief auf die Kopie einer Mitteilung, die er am gleichen Tag an Paul Oppenheim geschickt hatte und in der es heißt: „Da Sie leider ein Positivist sind und sich auch nicht scheuen, dies immer wieder zu beteuern, übermittle ich Ihnen anbei strafweise zwei Aufsätze eines gewissen Joseph Schächter aus Jerusalem. Ich habe mit ihm gemeinsam bei den Vorträgen und dem Seminar Schlicks und Hahns gesessen und habe ihn als begabten und reinlichen Denker kennen gelernt. Es versteht sich, dass mir die Aufsätze trotzdem gegen den Strich gehen. Aber er möchte sie gerne hier veröffentlichen, und so habe ich Sie zu fragen, ob Sie ihm hierzu behilflich sein können.“ Broch erkundigt sich dann auch, ob Oppenheim einen finanziellen Beitrag leisten könne, um Helene Schiffer die Rückreise nach Europa zu ermöglichen. 2 Pechel: Rudolf Pechel (1882–1961), Herausgeber der Deutschen Rundschau von 1919 bis zu ihrem Verbot 1942, dann wieder ab 1949. Als Gegner des Nationalsozialismus war er von 1942 bis 1945 Häftling in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück gewesen. Von 1950 bis 1952 hatte er das Amt des Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt inne und blieb deren Ehrenpräsident bis zu seinem Tode. Vgl. sein Buch Deutscher Widerstand (Erlenbach-Zürich: Rentsch, 1947). 3 Howland: Jonathan Howland (1918–1972). Er schloss 1944 sein Studium der Medizin an der John Hopkins University in Baltimore, Maryland, ab. Anfang 1949 wurde er Arzt im Princeton Hospital in Princeton, New Jersey. Er behandelte Broch zur Zeit seines Aufenthalts dort (Juni 1948 bis April 1949). 4 Bob Cohn: Robert G. Cohn (geb. 1921), amerikanischer Romanist. Er studierte an der Yale University, wo er 1949 seinen Doktorgrad erhielt und 1949/50 als Instructor unterrichtete. 1947/48 war er Begründer der Zeitschrift Yale French Studies. Für das akademische Jahr 1950/51 hatte er ein Fulbright-Stipendium nach Paris erhalten. Später ging er an die Stanford University. Broch bezieht sich auf Cohns Dissertation Mallarmé’s ‚Un coup de dés‘: an exegesis. Cohn veröffentlichte mehrere Bücher über Mallarmé.
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5 Rollins: Carl P. Rollins (1880–1960), wurde 1918 Produktionsleiter der Yale University Press. Seine Arbeit gilt als maßstabsetzend für Universitätsveröffentlichungen im anglo-amerikanischen Raum. 6 Yale Press: Yale University Press. 7 Deine Rede: Erich von Kahler, „Foreign Policy Today“, in: Bulletin of the Atomic Scientists 6.12 (Dezember 1950): 356–362.
60. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. 16.12.50 Prof. Erich Kahler c/o Crowell 112 Sage Place Ithaca, N.Y. Also Fortsetzung, mein Alter: mir ist eingefallen, daß die Serie 1, in der das Buch vom Bob Cohn erschienen ist, vom hiesigen French Dept. herausgegeben wird, und so habe ich Auerbach 2, der dem Dept. angehört, mit der Sache betraut. Soferne er ein Exemplar kriegt, werde ich es sofort (von Dir) an die Eleanor schicken; Widmung kannst Du später eintragen. Anbei Ausschnitt aus der Wiener „Presse“ 3, über den ich zersprungen bin. Der Verfasser ist der sehr wohlmeinende gschaftelige Legationsrat Winter, dem ich daraufhin die beil. Berichtigung geschickt habe. So etwas ist stets eine Halbtagsarbeit. Bitte schicke mir die Kopie gelegentlich zurück. Deine Wiener Radio-Stunde scheint vom Schönwiese arrangiert worden zu sein. Damit trägt er offenbar seine Schulden ab. (Dasselbe nämlich mit mir) Marianne Duschnitz4 und die Kurtwölffes5 arbeiten an einem joint evening6 zwecks Vorlesung meiner Hofmannsthaleinleitung: anwesend Du, die Blüchers7, die Christiane8, der Steiner, und ich würde zusätzlich vorschlagen die Eleanor9 und den Wolfgang10. Ort:
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Duschnitz-Palais. Zeit: scheint der 30. für Steiner (der bei der Convention11 ist) der einzig mögliche Tag zu sein. Love, mein sehr Lieber H. [Handschriftlicher Zusatz:] Der Paul Oppenheim soll Dir den zweiten Brief, den ich ihm geschrieben hab, zeigen. Leider kein Durchschlag. Anmerkungen 1 die Serie: Robert Greer Cohn hatte seine Mallarmé-Studie von 1949 in einer Reihe veröffentlicht, die im French Department der Yale University erschien. 2 Auerbach: Erich Auerbach (1892–1957), Romanist. Er stammte aus Berlin und war während der Zeit des Nationalsozialismus in die Türkei emigriert, wo er an der Universität Istanbul lehrte. 1948 war er Gastprofessor an der Pennsylvania State University, bevor er 1949 Stipendiat am Institute for Advanced Study in Princeton wurde. Von 1950 bis zu seinem Tod war er Romanistikprofessor an der Yale University in New Haven. Auerbach ist vor allem durch seine im türkischen Exil geschriebene Studie Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (1946) bekannt geworden. In New Haven gehörte er zum Bekanntenkreis Hermann Brochs. 3 Wiener „Presse“: Die Presse ist eine überregionale, bürgerlich-konservative österreichische Tageszeitung, die unter verschiedenen Namen (Presse, Wiener Presse, Neue Freie Presse) seit 1848 existiert. Broch bezieht sich auf einen kurzen Artikel Hanns von Winters vom 1. Dezember 1950. Hier wurde behauptet, Broch habe von der Yale University eine Professur in den Sozialwissenschaften angeboten bekommen. Der Beitrag enthielt auch andere sachliche Fehler. Vgl. Die Presse 646 (1. Dezember 1950): 4. 4 Marianne Duschnitz: Siehe unter Marianne Schlesinger. 5 Kurtwölffe: Kurt und Helene Wolff. 6 joint evening: Englisch für „ein gemeinsamer Abend“. 7 Blüchers: Hannah Arendt und Heinrich Blücher. 8 Christiane: Christiane Zimmer (1902–1987), die Tochter Hugo von Hofmannsthals, war die Witwe des Indologen Heinrich Zimmer und lebte damals im New Yorker Exil. 9 Eleanor: Eleanor Wolff. 10 Wolfgang: Wolfgang Sauerländer. 11 Convention: engl. für „Kongress“. Gemeint sein dürfte die alljährlich Ende Dezember stattfindende Jahrestagung der Modern Language Association of America.
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61. Broch, 78 Lake Place, New Haven 11, Conn. [24.12.1950] Dr. Erich Kahler One Evelyn Place Princeton, N.J. Mein Guter, das ist Pauls1 Brief. Laß Dir den meinen zeigen. Marianne 2 erwartet Lili 3 mit Freude, und ich freue mich, daß ich sie wenigstens dort sehe. Brauner Koffer wird in N[ew] H[aven] aufgehoben; alles vorbereitet und o.k. Ich krank mich, daß ich jetzt Mama 4 nicht sehe; hoffentlich kann ich es aber bald doch einrichten. Love and love H Anmerkungen 1 Paul: Paul Oppenheim, der die Adresse 57 Princeton Avenue, Princeton, New Jersey hatte, antwortete auf Brochs Schreiben vom 9. Dezember 1950 mit einem Brief vom 19. Dezember 1950, in dem er bat, den Spendern in Sachen Europareise für Helene Schiffer einen genaueren Plan vorzulegen. 2 Marianne: Marianne Duschnitz bzw. Schlesinger. 3 Lili: Alice Loewy. 4 Mama: Antoinette von Kahler.
62. 5.1.51 Mein Guter, anbei eine holländische Zeitschrift1 fürs Archiv: es macht mir immer eine geradezu kindische Freud, wenn wir irgendwo gemeinsam gedruckt sind. Weniger Freud macht mir, daß Du mir [den] Text 2 nicht zurückgeschickt hast. Ich habe noch etwa 10 Seiten ausgewechselt und eine Reihe von Kleinkorrekturen angebracht. Ich brauch ihn für die Hie-
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sigen und Dasigen. Nach dem Vortrag kriegst Du ihn wieder. Wenn ich denk, daß ich den Schmarrn mindestens ein dutzend Mal geschrieben hab, graust mir vor mir. Heute wurde das Broch-Archiv 3 der Library durch Übergabe des Schuldlosen-M[anuskripts] eingeweiht. Der Wing4 verlangt alle Manuskripte mit allen Zwischenstadien; ich sagte ihm, daß er dann aufstocken oder zubauen kann. Anbei, gleichfalls fürs Archiv, eine Bibliographie, in der nix stimmt. Doch die Zeitschrift 5 (obwohl katholisierend) scheint ganz reputierlich zu sein. Den Vietta hast Du bei mir auch nicht retourniert. Als Tauschobjekt gebe ich Dir den beil[iegenden] miesen Löwen6. Kannst Du dort was für ihn tun? Kaum. Hier geht es absolut nicht. Hast Du den Jimmy Whyte7 kennengelernt? Ich laß ihn grüßen. Im übrigen ist der auch ein Vietta-Opfer. Schließlich anbei ein süßer Brief von Mama. Und sei sehr umarmt. H
Anmerkungen 1 holländische Zeitschrift: Vgl. Elisabeth Augustin, „Hermann Broch en de taak van de moderne roman“, in: Litterair Paspoort 5.41 (November 1950): 194 –197. 2 Text: Broch hatte Kahler das Manuskript seines Aufsatzes „Hugo von Hofmannsthals Prosaschriften“ (KW 9/1, S. 300–332) zugeschickt. 3 Broch-Archiv: Broch sorgte sich bereits um seinen Nachlaß und bereitete die Gründung seines Archivs vor. Nach seinem Tod wurde das BrochArchiv an der Yale University offiziell eingerichtet. Es befindet sich seit 1963 in der Beinecke Rare Book Library, die Teil der Yale University Library in New Haven, Connecticut ist. 4 Wing: Donald G. Wing (1904–1972). Er arbeitete in der Sterling Memorial Library der Yale University, wo er sich vor allem mit dem Erwerb von Sammlungen beschäftigte. 5 Zeitschrift: Hanns von Winter, „Hermann Broch“, in: Wissenschaft und Weltbild 4.7 (1951): 217–225. Die Broch-Bibliographie befindet sich auf den Seiten 223–225. 6 Löwen: Nicht ermittelt. 7 Jimmy Whyte: Jimmy Whyte war ein Freund von Brochs Sohn H.F. Broch de Rothermann.
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63. 25.1.51 Mein Alter, Lieber, bei meiner Rückkunft hab ich das Atomic Bulletin 1 vorgefunden. Hab Dank. Der Artikel ist ganz ausgezeichnet; es ist gut, daß Du ihn geschrieben hast, und es ist schad, daß es nur ein Artikel ist: was wir brauchen ist ein großes team work zur Regeneration der Demokratie, oder wie man das Gebilde, das da anzustreben ist, nennen will; ein einzelner kann es nimmer leisten, selbst wenn er ein ganzes System wie Marx aufbaut. Hätten wir unser Demokratie-Buch gemacht, wir hätten vielleicht so etwas wie eine Akademie der Demokratie auf den Weg gebracht. Jeden Tag wein ich über unser Alter. Doch konkret: hast Du die Nummer Blücher-Hannah geschickt? soll ich es tun? Weiters, obwohl mehr dekorativ: Johnson, Gauss, eventuell Adolph Lowe. Nun Unmittelbares: Fine. Anbei ihre Korrespondenz mit Loewenfeld; sie hat sie mir kommentarlos geschickt. Ich habe es lt. beil. Brief samt Kommentar beantwortet. Im Brief habe ich von „Generalordnung“ gesprochen; das Wort Scheidung habe ich nicht ausgesprochen, da sie sonst vermutet, daß ich in Deinem Auftrag spreche. Sie wird wahrscheinlich wegen der aufgedeckten Antinomie wütend sein, aber das war notwendig, denn innerhalb eines Deduktivsystems von Spinnfäden kann man nix ins Reine bringen, sondern verwickelt sich nur immer mehr. Hier ist es Einzelpsychologie, aber das Problem der Massenpsychologie ist das nämliche, das Übel der „Systeme“, aus dem nichts als Hexenprozesse entstehen. Hofmannsthal. Verzeih die Verspätung. Die Seiten sind jetzt ausgewechselt, alles korrigiert. Alles in allem, recht anständig. Im übrigen habe ich Dir via Steiner einen sehr anständigen HofmannsthalAufsatz2 von Werner Kraft (M[anuskript]) geschickt. Manuskripte Schächter. Dieser Schächter3, Mathematiklehrer in Haifa, war mein Kollege bei Schlick 4, Hahn5, etc., also Positivist. Ansonsten ein anständiger, trockener, braver Mensch und Denker. Lesen brauchst Du’s nicht, aber der dortigen Philosophical Revue 6
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sollst Du’s geben, gleichgültig ob Du die Leute kennst oder nicht; sie haben Positivistisches gern. History of Ideas. Anbei Brief des Kristellers7, hiezu meine Antwort. Falls Du mit ihr einverstanden bist, expediere sie gleich weiter, oder lege gleich auch einen Brief von Dir bei. Falls Du es aber anders haben willst, verständige mich, d. h. Du mußt mich jedenfalls sofort verständigen, weil ich auch dem Cohn einen Durchschlag davon schicken will. – Jetzt ist der Aufsatz beim Zappelphilipp Paul Weiss. Deutsche Akademie. Anbei Pechel-Brief, der sich durch besonders jüdisches oder kraft Ungeschicklichkeit pseudojüdisches Gedreh auszeichnet. Was soll man da machen? Mir ist diese Mitgliedschaft so putten8 wie nur was, und wenn mir auch die Leute beim Nobelpreis teils nützen, teils schaden können, so verkauf ich mich deswegen doch nicht. Willst Du vielleicht den Golo9 um Ezz10 fragen? Wenn Du’s tust, so schick ihm auch die Kopie meines Briefes an Pechel – hast Du sie noch? – und ebenso seine Guggenheim-Kopie. Jedenfalls muß ich den Pechel-Brief zurückhaben! Das ist ein Dokument! Schiffrin-Nachruf.11 Und weil wir bei Dokumenten sind: ich hab Dir diesen Nachruf geschickt, und ich habe keine Kopie mehr, während die Wölffe12, die die ihre verschmissen haben, jetzt eine für die Witwe brauchen. Bitte schau nach ob Du das Exemplar findest. Mama. Anbei Reinschrift13 und Übersetzung14. Kopie hievon geht an Lili, und gleichzeitig frage ich hier wegen Druckkosten an. Wenn es doppelseitig gemacht wird, brauchen wir wegen der Symmetrie zwei Photos (eine aus dem Leben und die vom Totenbett) doch wenn es der Drucker auf eine Seite unterbringt, würde ich bloß das LebensBild nehmen. Und ansonsten: immerzu geht mir die Mama ab, sogar hier, trotz Überlastung, trotz Schinderei; immerzu denk ich an sie.15 Lili. Soeben von ihr einen besonders lieben Brief bekommen, der aber leider auch die Geschichte von dem an Hanna16 verübten Diebstahl erzählt. (NB. wie arm stellenweise das Deutsche ist, wie umständlich; das passive Hauptwort ist so selten –, warum kann man nicht einfach „Bestehlung“ sagen? Oder „Bediebung“? Wobei mir auffällt, daß Diebstahl eigentlich ein Pleonasmus ist.) Princetonbesuch. Mitte Februar komme ich auf einen Tag, eventuell auch um mit der Braveman meine Steuer zu machen. Und hiezu: es wäre ganz gut, wenn Du die Fine17-Sache bis dahin schleppen würdest, so daß man dann alles besprechen kann.
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Max triezt mich wegen Wegfahren. Oppenheim zieht sich. Lili stimmt mir jetzt schon bei. Endloses Gespräch mit Goldstein gehabt, der seinen schlechten Willen durch Telephonlänge ersetzt. Auerbach habe ich lt. Rechnung bezahlt. (3.75) Vietta als Sieger abgereist. Hat mich eigentlich ziemliches Geld gekostet, aber involviert bin ich doch wahrlich nicht –, was fällt Dir denn ein! Im übrigen hast Du mit „Tiefgeplauder“ einen schönen Terminus geprägt. Nur daß der Vietta nicht einmal tief plaudert. Er ist ein Phänomen. Deutschland. Wenn mir so ein Stück Landkarte wie die beil[iegende] mit Tutzing in die Hand kommt, werde ich sentimental. Das kann ich mir stundenlang anschauen. Alle sonstigen Beilagen sind Schmonzes. Sei mir umarmt; ich brauche Dich. H [Handschriftlicher Zusatz:] Ich schick nur den Kristellerbrief, da Du mir ja ohnehin antworten mußt; auf der Rückseite des Briefes findest Du den Entwurf des meinen. [zur Hälfte in KW 13/3, S. 521–522] Anmerkungen 1 Atomic Bulletin: Erich von Kahler, „Foreign Policy Today“, in: Bulletin of the Atomic Scientists 6.12 (1950): 356–362. Das Magazin war 1945 nach den Bombenwürfen auf Hiroshima und Nagasaki von Wissenschaftlern des „Manhattan Project“ mit dem Ziel gegründet worden, kritisch über die Nuklearpolitik der Weltmächte zu informieren. Beiträger waren u.a. Albert Einstein, Bertrand Russell, Paul Weiss und J. Robert Oppenheimer. 2 Hofmannsthal-Aufsatz von Werner Kraft: Werner Kraft: „Von Bassompierre zu Hofmannsthal. Zur Geschichte eines Novellenmotivs“, in: Revue de littérature comparée 15.3/4 (1935): 481–490 und 694–725. 3 Schächter: Joseph Schächter (geb. 1901), österreichischer Rabbiner, Philosoph und Philosophiehistoriker (Judaistik). Er emigrierte 1938 nach Palästina. Broch hatte ihn Mitte der 1920er Jahre kennengelernt, als sie Studienkollegen waren. 4 Schlick: Moritz Schlick (1882–1936), Philosoph und führendes Mitglied des Wiener Kreises, gilt als Vater des logischen Positivismus. Broch kannte ihn aus der Mitte der 1920er Jahre, als er bei ihm Seminare an der Universität Wien belegte.
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5 Hahn: Hans Hahn (1879–1934), österreichischer Mathematiker mit philosophischen Interessen. Ebenso wie Schlick ein Positivist und Mitglied des Wiener Kreises. Broch kannte Hahn persönlich aus seiner Wiener Zeit. 6 Philosophical Revue: The Philosophical Review ist eine vierteljährlich erscheinende Zeitschrift, die von den Mitarbeitern der Sage School of Philosophy an der Cornell University herausgegeben und von der Duke University Press veröffentlicht wird. Das Journal wurde 1892 vom damaligen Präsidenten der Cornell University Jacob Gould Schurman gegründet und hat es sich zur Aufgabe gesetzt, originellen, wissenschaftlichen Ansätzen aus allen Bereichen der Philosophie ein Forum zu geben. 7 Kristeller: Paul Oskar Kristeller (1905–1999), amerikanischer Philosophieprofessor deutscher Herkunft. Sein Forschungsschwerpunkt lag auf dem Gebiet der Philosophie der Renaissance und des Humanismus. 1939 floh er über Italien in die USA, wo er kurze Zeit an der Yale University lehrte, um dann an die Columbia University in New York zu wechseln, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1973 unterrichtete. 8 putten: Umgangssprachlich in Wien für „egal“ und „gleichgültig“. 9 Golo: Golo Mann. 10 Ezz: „Ezz“ (Plural Ezzes) ist (abgeleitet von hebräisch „‘ezâh“) ein jiddisch-österreichischer Ausdruck für Rat, Ratschlag, Hinweis oder Tipp. Erich von Kahler antwortete am 28. Januar 1951: „Prinzipiell wäre damit der Weg frei für Deine Mitgliedschaft, trotz Geschrei, es sei denn, Du würdest Tommi selbst darüber befragen, was ich für das Sinnvollste halte im Fall, [daß] Du wirklich so genau sein willst. Hätte auch den Vorteil, daß Tommi von Deinem Solidaritätsgestus weiß. Das hat viel mehr Sinn als den Golo zu fragen.“ 11 Schiffrin-Nachruf: Hermann Broch, „Abschiedsworte für Jacques Schiffrin“ (KW 9/1, S. 419–420). Kahler antwortete am 28. Januar 1951: „Sicher aber findet sich kein Schiffrin-Nachruf darin, den ich leider nie von Dir bekommen habe und nicht kenne – er soll so schön gewesen sein.“ 12 Die Wölffe: Kurt und Helene Wolff. 13 Anbei Reinschrift: Am 14. Januar 1951 war Antoinette von Kahler gestorben. Broch hielt die Grabrede „Worte des Abschieds“ (KW 13/3, S. 523–524), die damals auf Deutsch und Englisch als Privatdruck erschien und den Verwandten und Bekannten Antoinette von Kahlers zugeschickt wurde. 14 Reinschrift und Übersetzung: Es geht um die französische Übersetzung von Der Tod des Vergil (KW 4). 15 Immerzu denk ich an sie: Kahler antwortete in seinem Brief vom 28. Januar 1951: „Im Übrigen geht es mir schlecht. Briefe kommen in Massen Tag für Tag, aus den vergrabensten, vergessensten Winkeln kommen die Menschen hervor, [... sie] scheinen zu wissen, wer die Mama gewesen ist. Es kränkt mich, daß die Mama das nie geglaubt hat.“ 16 Hanna: Hanna Loewy.
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17 Fine: Josefine Kahler, geborene Sóbotka. In seiner Antwort vom 28. Januar 1951 schrieb Kahler an Broch über seine Frau Josefine, von der er geschieden werden wollte: „Ich habe der Fine nach Deinem Anruf sofort geschrieben, d. h. einen schon angefangenen Brief umgeschrieben: sanft, ruhig, sachlich auf eine persönliche Weise, habe ihr zu erklären versucht, warum ich kein Wiedersehen gesucht habe (weil ich nämlich auf alle meine Sendungen, u. a. zu ihrem 60. Geburtstag, kein noch so indirektes Zeichen von ihr erhalten habe, auch von andern immer hörte, daß sie über mich überhaupt nicht reden wollte.“
64. 22.2.51 Mein Guter, nur ein rascher Geschäftsbericht: (1) Fine war – d.h. ist heute noch – in N[ew]Y[ork]; durch puren Zufall habe ich das erfahren, denn ich habe bei Schur 1 wegen meines Grippe-shots2 angerufen, und gerade war er im Begriff gewesen, nach N[ew] H[aven] zu telephonieren, um mir zu sagen, daß Fine mich sehen will. Daraufhin habe ich mein ganzes Programm umgeschmissen, teilweise auf den nächsten Tag verlegt, da ich Fine erst am Abend erreichen konnte. Doch als ich sie dann anrief, hat sie changed her mind 3, war beleidigt und gekränkt und wollte mich nicht sehen. Davon solltest Du aber bitte nichts wissen. Nähere Berichte werde ich noch erhalten; dann werde ich Dir berichten. (2) Je länger ich darüber nachdenke, desto praktischer erscheint es mir, daß Fine einen fixen Percent-Satz Deines fatierten NettoEinkommens erhalten soll; dann braucht man keinerlei Abrechnungen, sondern legt einfach eine Abschrift des income tax returns vor. Über die Höhe des Satzes wird man halt zu verhandeln haben. Bitte besprich das mit dem Trenton4 Anwalt. (3) Mit Goldstein habe ich gesprochen. Er ist prinzipiell zum Beitrag bereit, vorausgesetzt daß das Gardone-Projekt5 tatsächlich durchführbar ist. Von Max fand ich einen Brief hier vor, besagend, daß Kapp6 Sonntag in Princeton sein wird, um alles festzulegen. Montag könnte also die ganze Geschichte in Angriff
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genommen werden. Bitte sag dies Oppenheim. Willst Du Dich dann Montag mit Max in Verbindung setzen? und wirst sodann Du mit Goldstein wegen der Höhe seines Beitrages unterhandeln? Ich übernehme dafür Staudinger und Schwerin7. An Max habe ich geschrieben, daß sie mir sofort das Resultat ihrer Unterredung mitteilen soll. Denn es hat ja keinen Sinn die Sache hinzuziehen. (4) Mein Freund Bill Birchman8, welcher den Entwurf für Mamas Nachruf gemacht hat, ist vorgestern vierzigjährig plötzlich gestorben, die übliche coronaris thrombosis9. Da ich sonst niemanden in seiner Druckerei-Firma kenne, also niemand das Interesse dort mehr daran hat, mir billige Preise zu machen, frage ich mich, ob es nun nicht praktischer wäre Kurt Wolff dafür einzuspannen. Anruhende Beilagen können weggeschmissen werden. Love & love, Liebe & Liebe H [Handschriftlicher Zusatz:] Bitte um Hofmannsthal-M[anuskript]! Leider vergessen! Anmerkungen 1 Schur: Max Schur. 2 Grippe-shots: Deutsch-Englisch für „Grippeschutzimpfung“. 3 changed her mind: Englisch „to change ones mind“: „es sich anders überlegen“. 4 Trenton: Hauptstadt des Staates New Jersey. 5 Gardone-Projekt: Helene Schiffer (genannt Max) wollte nach Europa zurückkehren, um im italienischen Gardone am Gardasee eine neue Existenz zu begründen. 6 Kapp: Ernst Kapp (1888-1978), Professor für klassische Philologie. Kapp promovierte 1912 an der Universität Freiburg im Breisgau und habilitierte sich acht Jahre später an der Universität München. 1937 wurde er von seiner 1927 angetretenen Professorenstelle an der Universität Hamburg aus politischen Gründen verbannt. Er emigrierte 1939 in die USA und lehrte von 1948 bis 1955 Griechisch und Latein an der Columbia University. Zu seinen Veröffentlichungen zählt Greek Foundations of Traditional Logic (1942). Nach seiner Emeritierung remigrierte Kapp nach Hamburg und ging später nach München. 7 Schwerin: Nicht ermittelt.
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8 Bill Birchman: Willis Birchman. 9 coronaris thrombosis: Die Thrombose ist eine Erkrankung, bei der sich ein Blutgerinnsel (Thrombus) in einem Gefäß bildet. Die Koronarthrombose ist ein aufgrund von arteriosklerotischen Wandveränderungen entstandenes Blutgerinnsel in einem Herzkranzgefäß.
65. 27.2.[1951] Dank, mein Guter, für den Aufsatz; Du kriegst ihn ja bald gedruckt. Für heute nur Geschäftsbericht: (1) Anbei für den Drucker Mamas Bild retour. Natürlich möchte, muß ich auch eines haben, wenigstens einen unvergrößerten Abzug. (2) Tommy hat unwürdig geschrieben1, lediglich sauer beleidigt auf die Akademie und so bes[onders] auf den Thiess, daß er sogar für meine Schildknappenschaft zu danken vergessen hat. Ich lege sowohl seinen Brief wie meine Antwort bei; ersteren erbitte ich retour, letztere bitte ich im Fall Deines Einverständnisses weiterzuleiten, andernfalls jedoch mit Deinen Korrekturvorschriften an mich zurückzuschicken. An Pechel werde ich erst schreiben, bis ich Deine Stellungnahme weiß. (3) Vicki2 ist wahrlich ein rührender Leser. Anbei sein Brief mit meiner Antwortkopie. Beides retour erbeten. (4) Pecks China-Buch 3, dessen Besprechung ich hier beilege, solltest Du lesen; sehr aufschlußreich. (5) Trude Fleischmann4 möge bitte mein Bild (das Lili gemacht hat) raschestens für die Publikation herrichten und es sodann samt Rechnung entweder an mich oder per Flugpost direkt an Dr. Daniel Brody, Via Mazzini 6, Lugano, Switzerland schicken; im letztern Fall erbitte ich Verständigung vermittels einer Karte. (6) Die beil. Ostzonenlese5 ist nicht übertrieben. Ich lese doch regelmäßig den Berliner Aufbau, und neben der schmalzigen Speichelleckerei, die da vor sich geht, sind unsere alten Lorbeerreiser trockenstes Dörrgemüse gewesen.
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Ich bin gräßlich müde, und natürlich immer wieder wegen der Korrespondenz. Was könnte ich alles geleistet haben, vielleicht sogar noch leisten, wenn diese tägliche Qual nicht wäre. Jetzt habe ich die Liquidation der Wiener Liegenschaften gehabt; es war ein entsetzliches Durcheinander, und herausgeschaut hat so viel wie nix. Daneben die Expedition meiner Wiener Bücher, auch dies im Kampf gegen Schwindel und Unfähigkeit. Love und love H. Soeben kam Dein Nachtragszettelchen. Die Anleihe ist lt. letztem Kurs, den ich erfahren hatte, auf 40 % gestanden. Vielleicht ist es heute mehr, vielleicht aber auch weniger. Bei 40 % wären es heute Sch. 6000.–. Die offizielle Transferierung dieser Beträge wird zum Kurs von Sch. 48.– per einen Dollar vorgenommen, so daß Du also für den Betrag volle $ 125.– [bekommst.] Am besten ist es immer noch, wenn man derartige Beträge im Inland verwendet: wenn Du z. B. die Genehmigung bekämest die Ea Allesch6 zu unterstützen – wofür wenig Aussicht vorhanden ist, weil keinerlei Verwandschaft besteht –, so könnte ich Dir beinahe das Doppelte als den Transferierungskurs auszahlen. Wie steht es mit Max? Und sei umarmt! Anmerkungen 1 Tommy hat unwürdig geschrieben: Vgl. Thomas Manns Brief an Broch vom 18. Februar 1951 (FIE, S. 209). Broch antwortete Thomas Mann am 27. Februar 1951 (FIE, S. 210). 2 Vicki: Victor von Kahler. 3 Pecks China-Buch: Graham A. Peck: Through China’s Wall (Boston: Houghton Mifflin, 1940). 4 Trude Fleischmann: Trude Fleischmann (1895–1990), österreichische Photographin. Sie führte ab 1920 ein eigenes Atelier in Wien. 1939 emigrierte sie nach New York und lebte später in der Schweiz. 5 Ostzonenlese: Broch las Zeitschriften aus der damaligen Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 6 Ea Allesch: Ea von Allesch (1875–1953), eine Schriftstellerin, die für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften zu Fragen der Mode schrieb. Broch war von 1917 bis 1927 eng mit ihr befreundet (siehe TEA).
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66. 4.5.51 Lieber, Guter, ein Expressbrief, der nicht einmal ein Brief ist: Fahrkarte ist hoffentlich eingetroffen; sie hatte sich bloß für eine Stunde aus meiner Brieftasche entfernt. Hanna-Briefe, von Lili gewünscht, hier beiliegend. Phenomological Research 1 lege ich bloß wegen der Ungezogenheit des Herrn Farbers bei. Kennst Du ihn? Im übrigen ist ja die Sache durch die Akzeptierung bei Social Research erledigt. Hingegen will Steiner daraufhin, daß ich für Deine Festschrift was Originales schreibe, weil er gegen Doppelveröffentlichung2 ist. Ich werde ihm ein Gedicht offerieren, an dem die Eleanor3 zwei Jahre übersetzen wird. Fine.4 Schreib dem Freeman5 nie mehr direkt, immer durch den Advokaten!! Wie hat sie das Angebot des Eugen-Bildes6 aufgenommen? Endowments.7 Wie steht’s damit? Hat Hutchins 8 wegen Ford 9 geantwortet? Deine Library. Hast Du Dir [die] Sache überlegt? Pomona10 hat sich wegen meiner Bücher noch immer nicht geäußert. Meine Library. Die New School11 will sie dagegen kaufen, wenn sie einen Sponsor dafür findet. Johnson hat sich an die Caroline Newton12 gewendet, und die hat – vorderhand vage – $ 2000.– zugesagt. Tommys Geldverlegenheit. Er hat sein ganzes Archiv, Manuskripte, Notizen etc. an Yale für $ 30.000.– angeboten. Nun werden auch hiefür Sponsors gesucht, und ich habe Eugen Meyer 13 (Washington) sowie gleichfalls die Newton genannt, welche prompt wieder 2000.– angeboten hat, so daß ich sehr fürchte, daß es just die meinen sind. Ein Herr Altschul 14 hat $ 10.000.– angeboten –, wer ist das? Nun eine dringliche Frage: weißt Du noch wen, der sich daran beteiligen könnte? Aus alldem aber ersieht man – und das gilt auch für Dich –, daß man nichts wegschmeißen soll; es ist Bargeld. Und ich Trottel habe nicht nur alles weggeschmissen, sondern habe ihnen noch außerdem meine Manuskripte geschenkt. Allerdings der Thornton Wilder schenkt ihnen auch alles. Dafür kriegen wir jetzt den Titel
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„Associate of the Library“, wovon man sich aber leider nix abbeißen kann. Nochmals Tommy. Soll ich ihm wegen seines an Johnson gerichteten noblen Briefes 15 schreiben? soll ich seine Bedrücktheit, über die er Dir geschrieben hat, irgendwie (taktvoll) erwähnen? Lange hat Johnson schon seinen Zustimmungsbrief 16 geschickt. Soll ich ihm desgleichen schreiben? Im allgemeinen hält ja das Objekt solcher Aktionen das Maul, dankt erst bis er den Preis wirklich kriegt. Photos (Brody, Trude Fleischmann) Die verschiedenen Illustrierten haben jetzt wohl kein Interesse mehr daran. So etwas muß sehr rasch gemacht werden. Und mir ist’s wahrlich nicht wichtig. Jadja.17 Habe ich Samstag tel[efonisch] nicht erreicht, ist offenbar auf weekend weggefahren. Ich probiere es das nächste Mal in N[ew]Y[ork]. Einstein. Hast Du ihm die Buch-Signierungen für die Margot 18 gesteckt? Wann kommt Ihr her? Doppelumarmung H Anmerkungen 1 Phenomological Research: Philosophy and Phenomological Research ist ein philosophisches Periodikum, das Ende der 1940er Jahre von Marvin Farber, dem Chairman der Philosophieabteilung an der University of Buffalo in Buffalo, New York, herausgegeben wurde. 2 Doppelveröffentlichung: Vgl. die Anmerkung „Festschrift“ im Brief vom 3. November 1950. (Es blieb bei Brochs altem Beitrag.) 3 Eleanor: Eleanor Wolff. 4 Fine: Josefine Kahler, geborene Sóbotka. 5 Freeman: Nicht ermittelt. 6 Eugen-Bild: Nicht ermittelt. 7 endowment: Englisch für „Stiftung“, „Schenkung“, auch „Dotierung“. 8 Hutchins: Robert M. Hutchins (1899–1877), amerikanischer Jurist, Erziehungswissenschaftler und Universitätsadministrator. Er wurde bereits als Dreißigjähriger 1929 Präsident der University of Chicago; ab 1945 ihr Kanzler. Mit seinem Chicago Plan versuchte er das Curriculum für die College-Studenten zu reformieren. Er warnte vor allzu früher Spezialisierung
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und förderte das Studium kanonischer literarischer und philosophischer Werke. 1951 verließ er die University of Chicago und wandte sich anderen Tätigkeiten zu. Er übernahm führende Aufgaben bei der Encyclopaedia Britannica und wurde Herausgeber der auf 52 Bände angelegten Reihe „Great Books of the Western World“. Ford: Die Ford Foundation in New York ist eine Stiftung, die sich seit ihrer Gründung 1936 der Armutsbekämpfung, den internationalen Beziehungen, der Unterstützung demokratischen Denkens sowie Kunst, Kultur und Bildung widmet. Wahrscheinlich wollte Kahler sich dort um ein Stipendium bewerben, und Hutchins sollte dabei vermittelnd tätig werden. Pomona: Das Pomona College in Claremont. Broch war dort im Gespräch wegen einer Gastdozentur, und man hatte ein vages Interesse am Kauf von Brochs Bibliothek geäußert. Seine Kontaktperson dort war der Anglist und Militärhistoriker Joseph W. Angell (1908–1989), den Broch an der Yale University kennen gelernt hatte. Aus der Gastprofessur wurde nichts, und auch seine Bücher konnte er dorthin nicht verkaufen. New School: Auch die New School for Social Research in New York konnte sich nicht zum Erwerb der Brochschen Bibliothek entschließen. Newton: Caroline Newton (1893–1975), amerikanische Psychoanalytikerin. Sie lebte in der Nähe von Princeton und war seit 1929 mit Thomas Mann bekannt. Sie übersetzte Jakob Wassermann und baute eine Thomas Mann-Sammlung auf, die heute in der Manuskriptabteilung der Princeton University Library (Firestone Library) zugänglich ist. Ursprünglich hatte sie vor, den Nachlass Thomas Manns zu erwerben und der Yale University Library zu stiften. Thomas Manns Briefe an sie erschienen mit einem Vorwort von Robert F. Goheen auf Deutsch und Englisch als Privatdruck: The Letters of Thomas Mann to Caroline Newton (Princeton 1971). Meyer: Eugene Isaac Meyer (1875–1959), amerikanischer Geschäftsmann; langjähriger Herausgeber der Washington Post. Altschul: Frank Altschul (1887–1981), amerikanischer Philanthrop, Büchersammler und Politiker (Berater für außenpolitische Fragen). Er hatte an der Yale University studiert und blieb als Gründer der Yale Library Associates (also die Freunde- und Fördervereinigung, die Broch in seinem Brief erwähnt) ein Leben lang mit der Universität verbunden. Er wohnte in New York, und Thomas Mann war während der Exilzeit zuweilen Gast in seinem Haus. nobler Brief: Thomas Mann hatte Alvin Johnson am 18. April 1951 in Sachen der Nobelpreisnominierung Brochs einen Brief geschrieben, in dem er sich lobend über Broch äußerte, den Tod des Vergil „one of the most extraordinary and profound experiments ever to have been undertaken“ nannte. Johnson hatte Broch den Brief gezeigt, und der war gerührt (FIE, S. 214–216). Zustimmungsbrief: Brief Victor Langes an Alvin Johnson. Auch Lange unterstützte die Nominierung Brochs zum Nobelpreis.
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17 Jadja: Jadwiga Judd (1897–1979), eine Freundin Brochs. Sie war die Tochter eines Wiener Fahrstuhlfabrikanten, hatte in den 1930er Jahren einen Amerikaner geheiratet, von dem sie sich, veranlasst durch die Beziehung zu Broch, scheiden ließ. Sie besaß die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Überfahrt von Southampton in England nach New York Anfang Oktober 1938 unternahm Broch gemeinsam mit ihr. 1940 waren vorübergehend Heiratspläne geschmiedet worden. 18 Margot: Margot Einstein (1899–1986), Stieftochter Albert Einsteins.
Editorische Notiz In dem Jahrzehnt zwischen Mitte 1940 und Frühjahr 1951 entwickelte sich eine rege Korrespondenz zwischen Hermann Broch und seinem Freund Erich von Kahler. Beide hatten, der gleichen Generation angehörend, als gemeinsamen kulturellen Hintergrund das alte Österreich der Donaumonarchie, in der sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatten: Broch in Wien und Kahler in Prag, wobei Kahler, als er fünfzehn Jahre alt war, mit seinen Eltern nach Wien umzog und dort ein Jahrzehnt als junger Mann verbrachte, und Broch wiederum gern und häufig sich in Prag aufhielt. Zwar hatten die beiden schon vor der Emigration voneinander gehört, aber erst im New Yorker Exil lernten sie sich Ende der 1930er Jahre kennen. Sie verstanden sich so gut, dass Broch 1942 Untermieter im Kahler’schen Haus in Princeton wurde, wo er sechs Jahre verbrachte. Von den Briefen Kahlers haben sich nur ganz wenige erhalten, so dass diese Edition nicht als Korrespondenz veröffentlicht werden konnte. Aus den fragmentarischen Briefzeugnissen Kahlers wird daher nur in Fußnoten der Brochbriefe zitiert, falls das zur Erhellung der jeweils beschriebenen Situation beiträgt. Sowohl die Briefe Brochs wie die Kahlers befinden sich im Hermann Broch-Archiv der Beinecke Rare Book Library, die Teil der Yale University Library in New Haven, Connecticut ist. In den Erich Kahler Papers der Rare Books and Special Collections der Princeton University Library in Princeton, New Jersey, finden sich keine Briefe Kahlers an Broch oder solche von Broch an Kahler. Die Briefe Brochs sind meist so ausführlich gehalten, dass sich der Inhalt der verloren gegangenen Kahlerbriefe durchweg rekonstruieren lässt. Kahler kann man als den besten und intimsten Freund Brochs im Exil bezeichnen. Die Briefe Brochs an Kahler haben innerhalb seines epistolarischen Werks insofern einen besonderen Stellenwert, als Broch sich sonst nicht so offen auslässt über gemeinsame Pläne und Anschauungen, über Fragen der literarischen und philosophischen Wertung, über Themen der Politik und über seine Beziehungen zu anderen.
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Editorische Notiz
Die hier veröffentlichten Briefe waren bisher fast alle unpubliziert. Nur sechs der abgedruckten sechsundsechzig Briefe Brochs an Kahler wurden in die Briefbände der Kommentierten Werkausgabe Hermann Broch (KW 13/2+3) aufgenommen, und auch diese sechs Briefe waren nur selten vollständig widergegeben worden, meistens nur zur Hälfte. Die Dokumente wurden chronologisch angeordnet und mit Nummern in fortlaufender Zählung versehen. Der Text des Briefkorpus mit Zeichensetzung, Schreibweise, Grammatik und Stil entspricht dem Original. Nur bei offensichtlichen, unbeabsichtigten Schreibfehlern – also bei Flüchtigkeitsfehlern – wurde stillschweigend korrigiert. Weder in der Groß- und Kleinschreibung noch in der Kommasetzung stimmt Broch immer mit den Duden-Regeln seiner Zeit überein. Nur in den seltenen Fällen, in denen die vorgefundene Schreibweise bzw. Kommasetzung zu Missverständnissen beim Lesen hätte führen können, wurde stillschweigend korrigiert. Irrtümlich ausgelassene Wörter sind sinngemäß – durch eckige Klammern gekennzeichnet – ergänzt worden. Erläuterungen zu Namen, Daten und Fakten finden sich in den Anmerkungen, die jedem Brief folgen. Dort wurden auch Wörter, Wendungen und Sätze aus Fremdsprachen (dem Englischen, Französischen oder Jiddischen) übersetzt. Wie immer bei solchen Editionsunternehmen gilt es vielfachen Dank abzustatten: für die Genehmigung zum Abdruck der Nachlassverwalterin Hermann Brochs, Sachiko Broch de Rothermann aus New York; Christa Sammons von der Beinecke Rare Book Library (YUL) in New Haven, Connecticut fürs Zugänglichmachen des hier veröffentlichten Materials. Für die Hilfe bei der Erstellung des Textes und bei den Forschungen zu den Anmerkungen sei meinen Research Assistants Jonas Meyer, Johannes Schneider und Susanne Fejer von der Washington University gedankt.
Verzeichnis der Abkürzungen In den Anmerkungen zu den Briefen und in den Beiträgen des Herausgebers werden Abkürzungen bzw. Siglen benutzt, die hier in alphabetischer Reihenfolge genannt und entschlüsselt werden.
ABB: Hannah Arendt – Hermann Broch. Briefwechsel 1946 bis 1951, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag, 1996). AGB: Klaus Amann, Helmut Grote, Die Wiener Bibliothek Hermann Brochs. Kommentiertes Verzeichnis des rekonstruierten Bestandes (Wien und Köln: Böhlau, 1990). BF: Hermann Broch, „Frauengeschichten“. Die Briefe an Paul Federn 1939–1949, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007). BZB: Hermann Broch, Briefe über Deutschland 1945–1949. Die Korrespondenz mit Volkmar von Zühlsdorff, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986). BBB: Hermann Broch – Daniel Brody. Briefwechsel 1930–1951, hg. v. Bertold Hack und Marietta Kleiß (Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung, 1971). DLA: Hermann-Broch-Archiv im Deutschen Literaturarchiv in Marbach a. N. FIE: Freundschaft im Exil: Thomas Mann und Hermann Broch, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2004). HBB: Paul Michael Lützeler, Hermann Broch. Eine Biographie (Frankfurt am Main: 1985). ITJ: Paul Michael Lützeler, „Im Taumel von Jamben, Trochäen, Daktylen und Anapästen. Hermann Brochs Widmung „für Gabrielle und Paul Oppenheim-Errera“ (1945) als Weiterdichtung des epischen Werks“, in: „Aus meiner Hand dies Buch …“ Zum Phänomen der Widmung, hg. v. Volker Kaukoreit u. a. (Wien: Turia + Kant, 2006), S. 218–224.
188 KW:
Verzeichnis der Abkürzungen
Kommentierte Werkausgabe Hermann Broch, 13 Bände, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974–1981). KW 1: Die Schlafwandler. Eine Romantrilogie KW 2: Die Unbekannte Größe. Roman KW 3: Die Verzauberung. Roman KW 4: Der Tod des Vergil. Roman KW 5: Die Schuldlosen. Roman in elf Erzählungen KW 6: Novellen. Prosa. Fragmente KW 7: Dramen KW 8: Gedichte KW 9/1: Schriften zur Literatur: Kritik KW 9/2: Schriften zur Literatur: Theorie KW 10/1: Philosophische Schriften 1: Kritik KW 10/2: Philosophische Schriften 2: Theorie KW 11: Politische Schriften KW 12: Massenwahntheorie KW 13/1: Briefe 1 (1913–1938) KW 13/2: Briefe 2 (1938–1945) KW 13/3: Briefe 3 (1945–1951) PML : Paul Michael Lützeler, Privatbesitz. PS : Hermann Broch, Psychische Selbstbiographie, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999). TE: Der Tod im Exil: Hermann Broch – Annemarie Meier-Graefe. Briefwechsel 1950/51, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001). TEA: Hermann Broch, Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995). TK: Hermann Broch und Ruth Norden: Transatlantische Korrespondenz 1934–1938 und 1945–1948, hg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005). YUL: Yale University Library, Broch-Archiv in der Beinecke Rare Book Library, New Haven, Connecticut. ZB: Zettelwirtschaft: Briefe an Gertrude von Eckardt-Lederer, hg. v. Sander Gilman (Berlin: Erich Schmidt, 1992).
Werkregister KW1: Die Schlafwandler VIII, XVII, 33, 35, 49, 50, 58, 59, 62, 77, 79, 83, 84, 91, 93, 95, 126, 127, 133, 159, 188 KW3: Die Verzauberung 31, 41, 57, 61, 98, 130, 131, 140, 188 KW4: Der Tod des Vergil XIII, 13, 15, 20, 22, 23, 27, 30, 33, 37, 49, 50, 56–58, 77, 79, 83, 84, 96, 99, 112, 118, 130, 131, 140, 148, 149, 150, 175, 188 KW5: Die Schuldlosen XIII, 95, 97–99, 113–115, 123, 124, 130, 131, 140, 143, 145, 148, 149, 150, 158, 167, 171, 188 KW 6: Novellen. Prosa. Fragmente Eine methodologische Novelle VII Tierkreis-Erzählungen 99 KW 8: Gedichte Mathematisches Mysterium VII Ein Viehpass XIII Sprachverwandlung 5 Grundlos, ein Diener des Schicksals … 27 Kulinarisches Liebeslied 69, 70 Milder Herbstmorgen 71–73, 75 Die Prüfung 74, 75 Im Aug’ muss alle Kunst beginnen… 95, 97
KW 9/1: Schriften zur Literatur: Kritik Philistrosität, Realismus, Idealismus der Kunst VII, VIII Einleitung zu einer CanettiLesung 12 Hofmannsthal und seine Zeit XIII, 53, 55–57, 59, 60, 66, 69, 85, 89, 90, 98, 114, 130, 160 Hugo von Hofmannsthals Prosaschriften 53, 55–57, 59, 60, 62, 67, 140, 160, 168, 170–172, 177 Kurt H. Wolff: Vorgang 79 Felix Dörmann: Der platonische Wüstling 85 Robert Pick: The Terhoven File 142 Friedrich Torberg: Hier bin ich, mein Vater 152 Elisabeth Langgässer: Das unauslöschliche Siegel 154 Die besten Bücher des Jahres (1936) 159 Abschiedsworte für Jacques Schiffrin 173, 175 KW 9/2: Schriften zur Literatur: Theorie Die mythische Erbschaft der Dichtung 64, 65 Mythos und Altersstil 64, 65 Das Böse im Wertsystem der Kunst 71, 73, 141 Einige Bemerkungen zum Problem des Kitsches 133, 139, 141
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Werkregister
KW 10/1: Philosophische Schriften 1: Kritik Ethik. Unter Hinweis auf H. St. Chamberlains Buch „Immanuel Kant“ VII Geschichte als moralische Anthropologie: Erich von Kahlers ,Scienza Nuova‘ X, 49, 50, 97, 112, 156, 158–160 Philosophische Aufgaben einer Internationalen Akademie 46, 47, 49, 50 KW 10/2: Philosophische Schriften 2: Theorie Autobiographie als Arbeitsprogramm 14 Gedanken zum Problem der Erkenntnis in der Musik 71, 73 KW 11: Politische Schriften Völkerbund-Resolution IX, 22, 24, 137
Nationalökonomische Beiträge zur ,City of Man‘ XIII, XIV, 7, 8, 10, 12 Bermerkungen zur Utopie einer ,International Bill of Rights and of Responsibilities‘ XV, 28, 30, 33 Die Zweiteilung der Welt XV, 41 Strategischer Imperialismus XV, 41 Trotzdem: Humane Politik. Verwirklichung einer Utopie XV, 117, 118, 120, 127–129, 131, 135, 137, 148 Die Intellektuellen und der Kampf um die Menschenrechte XV, 137, 140, 143, 144, 148 Zur Diktatur der Humanität innerhalb einer totalen Demokratie 8, 11, 32 KW 12: Massenwahntheorie XI, XV, XX, 17, 20–24, 28–30, 32, 34–36, 42, 57, 115, 172
Namenregister Abusch, Alexander 118 Adorno, Theodor W. 51 Agar, Herbert 10 Allesch, Ea von 179, 188 Altschul, Frank 180, 182 Amann, Klaus 187 Amann, Paul 91, 92 Anders, Günther 76, 78, 79 Andersch, Alfred 130, 131 Angell, Joseph W. 182 Aragon, Louis 93 Arendt, Hannah 26, 51, 53, 55, 61, 62, 65, 74, 94, 96, 110, 112, 114, 115, 128, 138, 153, 154, 168, 169, 172, 187 Attley, Clement 63 Auden, W. H. 67 Auerbach, Erich 168, 169, 174 Auernheimer, Raoul 149, 150 Augustin, Elisabeth 171 Augustinus 10 Aydelotte 3, 6, 14, 34, 39, 148, 150 Bachofen, Johann Jakob 56, 57, 59 Bamberger, Louis 14, 39 Bamberger Fuld, Caroline 39 Baron, Salo W. 115 Barrett, John D. 56, 57, 59, 146 Beaufret, Jean 68 Beauvoir, Simone de 51, 67, 131 Becher, Johannes R. 118 Beer-Hofmann, Pauline Anna 4, 7 Beer-Hofmann, Richard 4, 7, 14 Bekessy, Frau 132, 133 Bell, Charles G. 53, 55, 56, 58, 94, 97
Bell, Mildred 53, 55 Beller, Elmer A. 5, 15, Beller, Margaret 3, 5 Benatzky, Ralph 141 Berendsohn, Walter A. XVI, 74 Bergmann, Gustav 114, 115 Bermann, Richard 4, Bermann-Fischer, Gottfried 68, 69, 70, 119, 120 Bernanos, Georges 132, 133 Berryman, John 56, 58 Bespaloff, Rachel 64, 65, 71, 81, 82, 140 Biddle, Francis Beverly 6, 16, 17 Birchman, Willis 95, 97, 177, 178 Bloch, Ernst 110, 112 Bloch, Karola 112 Blücher, Heinrich 53, 55, 148, 150, 168, 169, 172 Bluhm, Heinz S. 109, 112 Blum, Leon 135, 138 Bodansky, Robert 139, 141 Borchardt, Rudolf 18, 20, 125 Borgese, Giuseppe Antonio XIII, XIV, 6–8, 10, 46, 47, 69, 70, 82, 97, 136, 137, 140 Bouchi (siehe: Meier-Graefe, Annemarie) Bradley, Lyman R. 52, 54 Brahms, Johannes 85 Braveman, Frau 123, 125, 129, 173 Brecht, Bertolt 128 Broch, Annemarie (siehe: MeierGraefe, Annemarie)
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Namenregister
Broch, Franziska (siehe: Rothermann, Franziska von) Broch, Friedrich Josef 63, 64, 81, 82, 83, 149, 150 Broch, Johanna 143, 144 Broch, Joseph 143, 144 Broch de Rothermann, Hermann Friedrich 26, 47, 50, 56, 58, 77, 79, 102, 105, 123, 143 Broch de Rothermann, Sachiko 186 Brody, Daniel 5, 22, 23, 58, 60, 62, 64, 71, 86, 88, 91, 94, 96, 100, 178, 181, 187 Brück, Max von der 118 Brunngraber, Rudolf 157, 159 Buber, Martin 132, 133 Bunzel, Joseph 99, 101, 102, 105, 109 Burgmüller, Herbert 92, 93 Busch, Adolf 46, 47 Buttinger, Josef 105 Canby, Henry Seidel XII, XVII, 21–24, 34, 48, 53, 59, 60, 77, 79, 97 Canby, Marion 23, 34, 48, 59, 79, 94, 97, 132 Canetti, Elias 10, 12 Cantril, Headley 15–17, 19, Churchill, Winston 61, 63 Claassen, Eugen 114, 115, 124 Cohen, Elliot 154 Cohn, Robert G. 166–169, 173 Colby, Bainbridge 33 Colby, Nathalie Sedgwick 33 Croce, Benedetto 132, 133, 135 Crolz, Herbert 88 Crossman, Richard 136, 138 Curtius, Ernst Robert 94, 96, 104, 105, 107, 108 Curtius, Ilse 108, 111 Dattner, Bernhard 3, 5, 6 Debussy, Claude 85 Dewey, John 57, 135, 137
Dewey, Thomas 87, 88 Diderot, Denis 32 Dimitrow, Georgi M. 105, 106 Dörmann, Felix 85 Donne, John 34, 35 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 58 Dreier, Theodore 57 Duschnitz, Marianne (siehe: Schlesinger, Marianne) Duschnitz, Rudi 47 Eckardt, Hans Felix von 5 Edlin, Gregor 60, 62 Ehrenstein, Albert 74, 75 Einstein, Albert XII, 14, 15, 25, 28, 33, 39, 89, 108, 127, 130, 146, 147, 174, 181 Einstein, Margot 181, 183 Eliade, Mircea 96, 105, 106 Elliott, William Yandell 8, 9, 11, 162, 163 Emerson, Ralph Waldo 159 Epstein, Else 26 Epstein, Walter 26 Ettlinger, Josef 96 Faber du Faur, Curt von 83, 84, 94, 96, 109, 114, 122, 123 Faber du Faur, Emma von 94, 96, 117, 125, 126 Farber, Marvin 181 Faulkner, William 132, 133 Federn, Paul 41, 42, 56–58, 187 Federn, Salomon 41 Fejer, Susanne 186 Feldmann, Theo 105 Feuchtersleben, Ernst von 151, 152 Fischer, Samuel 69 Flachat, Pierre 131 Fleck, Ludwik 108, 111 Fleischmann, Fanni 68, 70 Fleischmann, Trude 178, 179, 181 Flexner, Abraham 39
Namenregister
Foucault, Michel 111 Franz-Joseph I, Kaiser von Österreich XIX, 37, 38 Freud, Sigmund 6, 12, 42 Fried, Edrita 12 Fried, Erich 12 Fried, Hans Ernst (John E.) 9, 12 Friedman, Milton 53–55 Frischauer, Leo 30, 31 Frischauer, Paul 31 Fritz, Egon (siehe: Vietta, Egon) Froebe-Kapteyn, Olga 96 Fülöp-Miller, René 146, 147 Gallimard, Gaston 56, 58 Gauss, Christian 15, 17, 80, 82, 89, 94, 105, 172 Geiringer, Trude 47 George, Stefan VII, VIII, 4, 19, 20, 32, 125 Gide, André 58, 122, 124, 135, 137 Glauber, Robert H. 99, 102, 103 Goethe, Johann Wolfgang von 53, 125 Gogol, Nikolai Wassiljewitsch 58 Goheen, Robert F. 182 Goldman, Hetty 108, 111 Goldstein, Kurt 130–132, 153, 154, 174, 176, 177 Golffing, Francis Charles 44, 45, 81, 82 Goll, Claire XIX, 126, 128 Goll, Ivan 128 Goverts, Henry 121, 124 Grädener, Hermann 20 Greene, Theodore M. 98, 99, 101, 122, 164 Gregori, Aristides 50 Grelling, Kurt 27 Grote, Helmut 187 Guérin, Daniel 81–83 Gundolf, Friedrich VII, 19 Guttmann, Bernhard 118
193
Hack, Bertold 187 Haerdter, Robert 118 Hahn, Hans 167, 172, 174, 175 Hahn, Otto 31 Hanslick, Eduard 85 Harrison, Earl G. 8, 11 Hausmann, Manfred 118, 161, 162 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 28 Heidegger, Martin XVI, 66–68, 72, 164 Heine, Heinrich 125 Hempel, Carl Gustav 27 Hensel, Louise 103 Heyer, Gustav Richard 96 Heyse, Paul 122, 124 Hinzelmann, Frau 94, 95 Hitler, Adolf VIII, XIII, XIV, 13, 33, 73, 110 Hocke, Gustav René 110, 112 Hoek, Frau van der 103, 107 Hofmann, Else 25, 27, 30, 141 Hofmannsthal, Hugo von 20, 53, 55–57, 66–68, 114, 160, 169, 172, 174 Hook, Sidney 136, 138 Hoover, Herbert 89 Hovde, Brynjolf Jakob 43, 45 Howland, Jonathan 166, 167 Hübsch, Benno W. 7, 10 Hugo, Victor 121, 124 Hutchins, Robert M. 180–182 Huxley, Julian 136, 138 Ionescu, Nae 106 James, William 137 Jaspers, Karl 51, 67, 136–138, 143–145 Jeffers, Helene 158, 160 Johnson, Alvin XVII, 5, 23, 39, 45, 120, 165, 172, 180–182 Joyce, James 24, 54 Judd, Jadwiga XVIII, 10, 90, 181, 183
194 Jung, Carl Gustav 111
Namenregister
58, 65, 96, 109,
Käfer, Johannes 49, 51 Kästner, Erich 103 Kafka, Franz 123, 125, 129, 132 Kahler, Alice (siehe: Loewy, Alice) Kahler, Antoinette von XII, 4, 7, 15, 19, 23–25, 40, 46, 49, 52, 60, 63, 64, 66, 95, 100, 101, 105, 108, 110, 116, 119, 123, 127, 129, 130, 136, 139, 141, 143, 149, 151, 156, 158, 170, 171, 173, 175, 177, 178 Kahler, Bettina von 80–82 Kahler, Franz von 71–74, 78 Kahler, Josefine von XII, 18, 19, 29, 125, 172, 173, 176, 180, 181 Kahler, Victor von 26, 29, 80–83, 178, 179 Kandinsky, Wassily 133 Kann, Robert A. 108, 111 Kant, Immanuel 93, 101 Kapp, Ernst 176, 177 Kassner, Rudolf 94, 162 Kaukoreit, Volker 187 Kerényi, Karl 65, 96 Kerr, Alfred 88, 90 Keynes, John Maynard XIV, 9, 11, 29 Kimber, Rita 90 Kimber, Robert 90 Kisch, Egon Erwin 20, 103 Kleiß, Marietta 187 Knoll, Max 94–96, 105, 146, 149 Knopf, Alfred A. 90 Knopf, Blanche 90 Koestler, Arthur XV, 137, 140, 142, 162 Kogon, Eugen 162 Kohn, Albert 131 Kohn, Hans 8, 11 Kokoschka, Oskar 75 Kolb, Annette 162 Konfuzius 36
Kracauer, Siegfried XVI, 49, 51 Kraft, Werner 123, 125, 129, 132, 172, 174 Kraus, Karl 125, 152, 157, 160 Kreisberg, Bertha 162 Kreisberg, Isidor 162 Kress, Frank 102 Kristeller, Paul Oskar 173–175 Kuhn, Thomas S. 111 La Fontaine, Jean de 58 Lagerlöf, Selma 103 Lange, Horst 118 Lange, Victor XVII, 91, 92, 181, 182 Lapan, Arthur 91 Lasker-Schüler, Else 82 Lasky, Melvin 96, 137 Lederer, Gertrude 3, 5, 86, 87 Lederer, Emil 5 Lehár, Franz 141 Leip, Hans 118 Lessing, Gotthold Ephraim 31 Levi, Edith J. 119, 120 Lewin, Kurt 115 Lili (siehe: Loewy, Alice) Lippmann, Walter 51, 86, 88 Liszt, Franz 85 Loewenfeld, Philipp 26, 29, 172 Löwenstein, Hubertus Prinz zu 32, 88, 89 Löwenthal, Leo 51 Löwith, Karl 66, 67, 105, 106, 109 Loewy, Alice (Lili) XII, 4, 7, 19, 23–25, 29, 30, 35, 36, 40, 42, 44, 46, 47, 64, 69, 70, 76, 77, 80, 81, 83, 84, 86, 94, 98, 101, 104, 108–110, 116, 123, 126, 129, 136, 139, 140, 142, 144, 149, 151, 153, 161, 170, 173, 174, 178, 180 Loewy, Hanna M. XII, 30, 31, 46, 47, 98, 101, 104, 107, 109, 110, 114, 116, 123, 141, 142, 153, 154, 161, 162, 173, 175, 180 Lowe, Adolph 38, 39, 172
Namenregister
Luce, Claire Booth 143, 144 Ludowyk-Gyömröi, Edith 106 Lützeler, Paul Michael III, 6, 78, 187, 188 MacArthur, Douglas 163, 165 MacDonald, Dwight 51 Maier, Hans A. 102 Maier, Irma 76 Mallarmé, Stéphane 153, 154, 167, 169 Mann, Erika 5 Mann, Golo 164, 165, 173, 175 Mann, Heinrich 129, 130 Mann, Katja 6, 151 Mann, Thomas VII, VIII, XII, XIII, XV–XVII, 4–6, 9–11, 14, 20, 40, 41, 65, 70, 76, 78, 79, 81, 82, 90, 91, 97, 107, 108, 119, 129, 130, 134, 139, 141, 143, 144, 151, 152, 161–163, 165, 175, 178–182, 187 Mann-Borgese, Elisabeth 3, 6, 7, 97 Marc, Franz 132, 133 Marx, Karl 28, 44, 121, 129, 135, 164, 172 Maschke, Dr. 7, 9, 10 Maschke, Selma 10 Maeterlinck, Maurice 85 May, Karl 76, 78 McCarthy, Joseph 144 McCarthy, Mary 51, 65 Meier, Paul 26 Meier-Graefe, Annemarie XVIII, XIX, 24–26, 29, 30, 32, 35–37, 40, 41, 43, 45, 46, 48–50, 65, 71, 81, 89, 90, 95, 104, 105, 109, 112, 116, 125, 128, 129, 188 Meier-Graefe, Julius 26, 66 Meiklejohn, Alexander 43, 45 Meisel, Anna 133, 134 Meisel, Hans 133, 134 Meitner, Lise 30, 31 Mellon, Andrew W. 23 Mellon, Paul 22, 23, 58
195
Mellon, Mary 23, 58 Melville, Herman 41 Menuhin, Yehudi 47 Merleau-Ponty, Maurice 67 Meusel, Alfred 118 Meyer, Eugene Isaac 180, 182 Meyer, Jonas 186 Michaëlis, Karin 103 Michelson, Albert Abraham 146, 147 Miller, Dayton C. 146 Mises, Ludwig von 29 Mittler, Leo 151, 152 Moe, Henry Allen 60, 62, 77, 143–146, 148, 153, 154, 156 Morley, Edward 147 Morris, William 5 Mozart, Wolfgang Amadeus 52–54 Muir, Edwin 84 Muir, Will 84 Muller, H. J. 93, 94 Mumford, Lewis 10, 80, 82 Musil, Robert 115 Nabokov, Vladimir 54, 137 Nathan, Otto 88, 89 Naumburg, Margaret 6 Neumann, Robert 109, 112 Newton, Caroline 180, 182 Niebuhr, Reinhold XV, 8, 10, 136 Nietzsche, Friedrich 45, 93 Nissen, Rudolf 77, 79 Noack, Ulrich 118 Norden, Heinz 33, 52, 54, 89 Norden, Ruth XVIII, 30, 33, 52–54, 89, 90, 132, 133 Oeser, Albert 118 Oliass, Heinz Günther 96 Oppenheim, Paul XII, 25, 27, 108, 111, 129–131, 140, 166, 167, 169, 170, 174, 177 Oppenheim-Errera, Gabrielle 27, 129, 140, 142, 187
196
Namenregister
Oppenheimer, J. Robert 39, 119, 120, 174, 187 Oprecht, Emil 80, 82, 88 Oprecht, Emmie 82 Paschal, Marion 22, 23, 49 Pauli, Francisca 132, 133 Pauli, Wolfgang Ernst 132, 133 Pechel, Rudolf XVIII, 162, 166, 167, 173, 178 Peck, Graham A. 178, 179 Penzoldt, Ernst 118 Picasso, Pablo 149, 150 Pick, Ignaz 7 Pick, Mama 30, 31, 46, 47, 151 Pick, Robert 30–32, 34, 36, 140, 142, 146, 147 Platon 36 Polgar, Alfred 82, 103, Polzer, Victor 3, 5, 7, 13 Pound, Ezra 54 Puschkin, Alexander Sergejewitsch 58 Queneau, Raymond 131 Radcliffe-Whitehead, Ralph 4 Ramuz, Charles Ferdinand XVI, XVII, 59, 61, 62 Reifenberg, Benno 118 Reinhardt, Karl 162 Reisiger, Hans 40, 41, 121, 161, 162 Reiss, Erich 100, 103 Rice, John Andrew 57 Richter, Werner 76, 79, 149, 150 Riegl, Alois 96 Rilke, Rainer Maria 115 Rocker, Rudolf 105, 106 Rogers, Cameron 32 Rogers, Frances (Fanny) Colby XVIII, 30, 32, 33, 40, 43, 48, 50, 64, 66, 68, 77, 90 Rollet, Edwin 159 Rollins, Carl P. 166, 168
Roosevelt, Franklin D. XIII, XIV, 13, 28, 63, 64, 89, 137 Roper jr., Elmo Burns 86, 87 Rostowzew, Michail Iwanowitsch 80, 82 Roth, Wilhelm (William) XI, 30, 33, 60, 62, 69, 70, 78, 79, 110, 113, 151, 152 Rothe, Hans 33 Rothermann, Franziska von 50, 112 Rothstein, Irma XVIII, 90 Rougemont, Denis de XV, 140, 142 Rousset, David XV, 136–138 Ruska, Ernst 96 Ruskin, John 5 Russell, Bertrand XV, 89, 133, 135, 136, 140, 174 Sachs, Nelly XVII Sahl, Hans 26, 28, 29 Salinger, Hermann 123–125 Salvemini, Gaetano 10 Sammons, Christa 186 Sapper, Karl 146, 147 Sapper, Theodor 49, 51 Sartre, Jean-Paul 67, 93, 131 Sauerländer, Wolfgang 81, 82, 168, 169 Schabert, Kyrill S. 76, 78, 80 Schächter, Joseph 167, 172–174 Schaeffer, Albrecht 30, 32 Schiffer, Helene 38, 49, 52, 81, 82, 95, 99, 108, 130, 161, 167, 170, 176, 177, 179 Schiffer, Walter 30, 32, 38, 39, 49, 52, 77, 79, 81, 174 Schiffrin, Jacques 56, 58, 65, 71, 130, 173, 175 Schiller, Friedrich 31 Schlesinger, Arthur M. 140, 142 Schlesinger, Fritz 47 Schlesinger, Marianne 46, 47, 168–170 Schlick, Moritz 167, 172, 174, 175 Schmidl, Fritz 5
Namenregister
Schmidl, Trude (siehe Waehner, Trude S.) Schnabel, August 89, 91 Schnabel, Herrmann 56, 57 Schneider, Johannes 186 Schneider, Reinhold 118 Schönberg, Arnold 20 Schönwiese, Ernst 52–54, 61, 93, 168 Schopenhauer, Arthur 93 Schrecker, Paul 25, 28, 36, 43–45, 49 Schreiber, Carl Frederick 109, 112, 114, 117, 119, 120, 122, 125, 139 Schröder, Rudolf Alexander 20, 118 Schumann, Robert 85 Schur, Max 9, 12, 176, 177 Schurman, Jacob Gould 175 Schweizer, Albert 147 Scoff, Sarah Fisher 62 Sedlmayr, Hans XVII, 94, 96, 126, 127 Segall, Berta 80, 82, 94, 105 Sessions, Roger 95, 97 Seymour, Charles 122, 124 Shakespeare, William 58 Silone, Ignazio 131, 136–138 Snell, Bruno 114, 115, 162 Sóbotka, Josefine (siehe: Kahler, Josefine von) Sola Pool, David de 110, 113 Solon 143–145 Sonne, Abraham 146, 147 Spender, Stephen 56, 58 Spitz, René 3, 5 Stalin 121, 124, 140, 158, 162 Starkweather, Pauline 167 Staudinger, Else 22, 23, 39, 43, 46, 47, 61, 74, 77, 177 Staudinger, Hans 23, 38, 39, 43–47, 76, 99 Stefan, Paul XIV, 19, 20 Steiner, Herbert 158–160, 168, 169, 172, 180 Sterba, Editha 44, 45, 97
197
Sterba, Richard 44, 45, 97 Stern, Alfred 92, 93, 163 Stern, James 66, 67 Stern, Tania 67 Sternberger, Dolf 119, 120, 137 Strachey, John 9, 11 Strauss, Harold 153, 155 Swain, William James 27 Szilárd, Leó 28 Thiess, Frank XVII, 144, 161–163, 178 Thomas, Dylan 54 Thoreau, Henry David 159 Thorsch, Ida 136, 138 Todesco, Moritz Freiherr von 129, 130 Torberg, Friedrich 151, 152 Trever-Roper, H. R. 137 Treviranus, Gottfried 74, 75 Truman, Harry S. 65, 87, 88, 163, 165 Turgenjew, Iwan Sergejewitsch 58 Uhse, Bodo 117, 118 Ullmann, Regina 114, 115 Unruh, Fritz von 132, 133, 143, 144 Untermeyer, Jean Starr XVIII, 18, 20, 22, 25, 26, 28, 40, 47, 50–54, 60, 62, 64, 76, 79, 86, 90, 155 Urey, Harold 124 Vietta, Egon 71, 72, 91, 92, 100, 109, 110, 114, 140, 144, 151, 153, 162–164, 171, 174 Voorm, Ili 151 Wählens, Alphonse de 68 Waehner, Trude S. 3, 5, 10 Wagner, Richard 85 Wagner-Jauregg, Julius 5 Wallace, Henry Agard 63, 64, 65 Weber, Alfred 136, 138 Weber, Max VIII, IX, 138
198
Namenregister
Webster, H. T. 88 Webster, Tom 145 Weigand, Frances 98, 102 Weigand, Hermann J. 24, 95, 98, 101, 102, 109, 110, 122, 123, 136, 138 Weil, Eric 67, 68 Weil, Simone 51, 64, 65 Weismann, Willi 100, 103 Weiss, Berthold M. 26, 29, 83, 84 Weiss, Paul 156, 159, 173, 174 Werfel, Franz 20 Weyl, Walter 88 Whitehead, Alfred North 139, 141 Whitman, Walt 32 Whyte, Jimmy 171 Wigner, Eugene Paul 28 Wilde, Oscar 32 Wilder, Thornton 132, 133, 180 Willner, Alfred Maria 139, 141 Willoughby, Leonard Ashley 129, 131 Wilson, Woodrow 33 Wing, Donald G. 171 Winter, Hanns von 157, 159, 160, 168, 169, 171
Wittlin, Jozef 37, 38 Wolff, Eleanor L. 156, 158, 159, 168, 169, 180, 181 Wolff, Helene 23, 59, 62, 71, 72, 114, 115, 168, 173, 175 Wolff, Kurt 22, 23, 42, 44, 45, 48, 49, 50, 57–59, 62, 75, 78, 80, 82, 114, 115, 168, 173, 175, 177 Wolff, Kurt H. 78, 79, 91 Wortman, Denys 145 Wyatt, Frederick (Friedrich) 84 Wyatt, Gerty (Gertrud) 83, 84 Zabel, Morton Dauwen 59, 62 Zech, Paul 50, 100 Zimmer, Christiane 168, 169 Zimmer, Heinrich 96, 169 Zuckerkandl, Mimi 92, 93 Zuckerkandl, Victor 92, 93 Zuckmayer, Carl XV, 49–51, 140 Zühlsdorff, Volkmar 30, 32, 37, 88, 89, 187 Zweig, Stefan 88, 90