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German Pages 324 Year 2016
Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen
Image | Band 21
Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.)
Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur
Diese Publikation geht auf einen 2010 veranstalteten Workshop des DFG-Forschungsprojekts »Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik« zurück und wurde dank der freundlichen Unterstützung der DFG, Deutschen Forschungsgemeinschaft Bonn, realisiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Anthony McCall, »Line Describing a Cone«, 1973. 16 mm-Film, s/w; 31 min., Maße variabel, Installationsansicht. Whitney Museum of American Art, New York; erworben durch das Film and Video Committee 2001.248 © 1973 Anthony McCall. Fotografie: David Allison, N.Y. Satz: Eva Arzdorf, Köln Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-1711-5 PDF-ISBN 978-3-8394-1711-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung Lilian Haberer/Annette Urban Bildprojektionen. Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur
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Teil I: Installative und andere räumlich-dispositive Anordnungen von Bildprojektionen Alexander Streitberger Projektionsapparatur und Produktionskontext. Dispositive zeitgenössischer Kunst 39 Miriam Lowack Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit. Eine Betrachtung von Deimantas Narkevičius’ The Dud Effect 53 Brigid Doherty Rilke’s Magic Lantern. Figural Language and the Projection of “Interior Action” in the Rodin Lecture 67 Annette Urban Zwischen Foto- und Filmstudio. Rückprojektionen und Projektionen von Weiblichkeit bei Laurie Simmons und Cindy Sherman 91
Teil II: Die Bildlichkeit von Projektionen im räumlichen und medialen Dazwischen Nina Steinmüller „To ferry images of presence and absence“. Projektion, Medium und Bild bei James Coleman und Douglas Gordon 115 David Campany In the light of the Lumières. Art at the beginnings and ends of cinema 129
Teil III: Architektur als Screen in der Verschränkung von Blickprojektionen Floris Paalman Revolving Rotterdam. Cinematic Modes of Perception as Templates for Urban Design 145 Lilian Haberer Screen als Membran. Zur Konzeption von Architektur, Modell und Blickprojektion bei Maya Deren und Dorit Margreiter 165
Teil IV: (Film-)Projektionen im Expanded Cinema und in der Black Box Volker Pantenburg 1970/2010. Experimentalfilm und Kunsträume 193 Maxa Zoller The Cinematic Body. Das Britische Expanded Cinema damals… und heute (?) 209 Dennis Göttel Picture-languages. Abbildungen von Stan VanDerBeeks Movie-Drome 225
Teil V: Transit- und transitorische Räume bewegter Betrachtung und bewegter Bilder Doris Berger/Ursula Frohne Casting Los Angeles. Verortung einer Stadt im Projektionsfeld des Films
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Annette Jael Lehmann Gehen und Sehen. Streifzüge zwischen Performance und Projektion
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Eva Ehninger 360°. Landschafts-Projektionen und ihr bildkritisches Potenzial
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Abbildungsverzeichnis
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Kurzbiographien
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Lilian Haberer/Annette Urban
Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur
„Line Describing a Cone is what I term a solid light film. It is dealing with the projected light-beam itself, rather than treating the light-beam as a mere carrier of coded information, which is decoded when it strikes a flat surface. [...] The film exists only in the present: the moment of projection. It refers to nothing beyond this real time.“ Anthony McCall1 Projektionen sind mit unterschiedlichen Semantiken und Praktiken wie auch mit Bereichen der Kultur und des Wissens verbunden, die sich aus weit zurückreichenden historischen Strängen herleiten lassen. Dabei erstaunt nicht nur das breite Spektrum der Disziplinen, das die Bereiche Physik, Geometrie, Optik, Psychologie, Musik, die bildliche Darstellung sowie die Schau(steller-)künste umfasst, sondern ebenso dessen Heterogenität oder gar Gegensätzlichkeit, die Dominique Païni pointiert mit dem Verweis auf Geometrie versus Spektakel benennt.2 Diese Gegensätzlichkeit prägt gleichermaßen die durch signifikante Umschwünge gekennzeichnete Geschichte der Projektion, die nicht einfach in deren Monopolisierung im schließlich primär populär-kommerziellen Medium Film bzw. Kino mündet, sondern vielmehr – folgt man Jens Ruchatz’ Darstellung in seiner Studie Licht und Wahrheit – eine keineswegs lineare Entwicklung mit verschiedenen Paradigmenwechseln zwischen Wissenschaft und Schaustellerei, Bildung und Unterhaltung genommen hat.3 Sowohl diese Bandbreite als auch die oft aufgemachte Polarität zwischen high und low, zwischen Kunst und Wissenschaft mit ihrem Visualisierungs- und Er1 2 3
Anthony McCall: Statement gegenüber der Jury des 5. Internationalen Experimentalfilm-Wettbewerbs in Knokke-Heist, Belgien von 1974 abgedruckt in: „Line Describing a Cone and Related Films“, in: October 103 (2003), S. 42–62, hier S. 42. Vgl. Dominique Païni: „Should we Put an End to Projection?“, in: October, 110 (2004), S. 23–48, hier S. 23. Vgl. Jens Ruchatz: Licht und Projektion. Eine Mediumgeschichte der fotografischen Projektion, München 2003.
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Lilian Haberer/Annette Urban kenntnisstreben einerseits und der Illusionsmacht der Bilder andererseits, zwischen filmischer Perfektionierung der Projektion und der demgegenüber vermeintlich rudimentären, in Funktion und Wirkung untergeordneten Projektion statischer, fotografischer Bilder wird auch in diesem Band von besonderem Interesse sein, wenn es um Bildprojektionen in Kunst und Architektur sowie als filmisch-fotografisches Dispositiv geht: Kunst und Architektur zeigen sich schon in der Projektion miteinander verknüpft, denkt man an die Erfindung der Zentralperspektive als nachhaltig die westliche Bildproduktion sowie Architekturdarstellung und -entwurf prägendes Projektionsdispositiv zurück, das überdies bis in die Bildraumkonstruktion der Kameramedien Fotografie und Film nachwirkt.4 Für eine andere Verbindung zwischen Kunst und Architektur sorgen die in letzter Zeit entstehenden künstlerischen Projektionen, sofern gerade die so genannten kinematographischen Installationen in Ausstellungsräumen sich von der statischen Leinwand des Kinos und der Kanalisierung des Blicks lösen, die umgebende Architektur als Bildfläche einbeziehen und so Bilder – der Grundbedeutung von Projizieren entsprechend – förmlich in den Raum werfen. Gleichzeitig verschwimmen in solchen künstlerischen Installationen die Grenzen zwischen fotografischen und filmischen Dispositiven, da Filmund Videoprojektionen vielfach eine Verlangsamung des Bilderflusses bis hin zum vermeintlichen (fotografischen) Standbild vorführen oder umgekehrt beispielsweise fotografische Lichtbilder nutzen, die mittels eines Karussellprojektors ihrerseits in quasi-filmische Bewegung versetzt werden. Zwar handelt es sich beim (projizierten) Diapositiv nur um eine, keineswegs dominante Präsentationsform der Fotografie, während der Film nicht von der Projektion als der einzigen Form seines Erscheinens zu trennen ist, doch ist sie deswegen nicht zu vernachlässigen. Noch dazu bringt die Fotografie als Lichtbild5 in besonderer Weise die Projektion nicht nur als Modus der Rezeption, sondern auch der Produktion der Bilder ins Spiel. Schon die Camera obscura stellte in ihrer begehbaren Form als Kammer mit der Projektion des Geschehens von außen in einen geschlossenen Innenraum hinein nicht nur eine frühe, nicht selten magisch konnotierte Liveprojektion bewegter Bilder dar. Sie diente darüber hinaus auch als rationalistische Metapher zur Veranschaulichung des mentalen Raums und der dortigen Repräsentation der Außenwelt, bevor dann neue optische Geräte und Projektionstechniken wie das Phenakistiskop und die Stereoskopie zugleich eine andere, körperliche Beziehung von BetrachterIn und Betrachtetem und mithin eine andere Subjektivität etablierten, folgt man Jonathan Crarys kontrovers diskutiertem Geschichtsmodell, das anstelle der Kontinuität stärker die Brüche herausstellt.6 So verbindet sich mit Projektionen in einem allgemeinen, systematischen Sinne sowohl eine mediale oder technische Anordnung 4 5 6
Vgl. Hubert Damisch: Der Ursprung der Perspektive, Zürich 2010. Vgl. Ingrid Hölzl: „Moving Stills – Images ‚that are no longer immobile‘“, in: Photographies 3, 1 (2010), S. 99–108. Vgl. Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert, Göttingen 1990, S. 13–15 und Kap. 4.
Bildprojektionen als auch eine Erweiterung, ein Hinausverlagern in ein Außen bzw. eine Bewegung aus dem eigenen (Leib-)Raum heraus, die neben visueller und imaginär-mentaler gleichermaßen akustischer Natur sein kann, sofern auch die tragfähige Stimme gerade von Interpreten und Schauspielern als raumerschließende Projektion verstanden wird. Die Projektion dient ebenso als Praxis der subjektiv gefilterten Interpretation von Welt wie der objektiven Darstellung und Veranschaulichung, die sich abgesehen von der schon erwähnten Zentralperspektive gleichfalls in geographischen Karten, Globen und Diagrammen manifestiert.7 Paradigmatisch ist, dass Projektionen einerseits als Bestandteil der technischen Dispositive sowohl in die Geschichte der optischen Medien eingeschrieben sind, andererseits für die Beschreibung mentaler und unterbewusster Übertragungen auf Menschen oder die Umwelt herangezogen werden. Ihnen kommt damit eine zentrale Rolle innerhalb der psychologischen und psychoanalytischen Reflexion zu, wie sie in einem systematischen Zuschnitt von Francesca Ramas und in einer erweiterten, historischen Perspektive von Jutta Müller-Tamm für den Zusammenhang von Psychophysiologie, Kulturtheorie, Ästhetik und Literatur der frühen Moderne dargestellt worden ist.8 Nicht zuletzt stellen Projektionen zudem in der philosophischen Auseinandersetzung mit der Entstehung von Bildern und dem Umgang mit ihnen seit Platons Höhlengleichnis die Verbindung zwischen Urbild und Abbild, Realem und Vergegenwärtigtem her. Mit dem Schattenriss und dessen (mechanischer) Reproduktion liegt sowohl ein Gründungsmythos der Porträtkunst, des Lichtbilds wie der bildlichen Repräsentation allgemein, aber auch ein grundlegender Topos der idealistischen Bildkritik im Sinne einer Warnung vor dem trügerischen Schein von Bildern als bloßen Projektionen vor.9 Während bei Platon die Gegenstände selbst noch im Schattenwurf als Quelle der projizierten Bilder fungieren, wie dies ebenso bei frühen Projektionsmaschinen wie der Laterna Magica oder auch der erwähnten Camera obscura der Fall ist, dienen bald schon Bilder demselben Zweck, in gedruckter Form wie beim Skioptikon, vor allem aber als durchscheinendes, diaphanes Bild,10 das als latentes Bild erst in Verbindung mit dem Lichtstrahl des Projektors die ihm eigene Luminosität und suggestive Lebendigkeit bei gleichzeitiger Immaterialität erreicht. 7
Vgl. Elizabeth McCormick: „Projection“, in: The University of Chicago, Theories of Media, Keywords Glossary, http://csmt.uchicago.edu/glossary2004/projection.htm (letzte Sichtung 29.01.2014). 8 Vgl. Francesca Ramas: Zur Theorie der Projektion. Der Projektionsbegriff in der Psychoanalyse und sein Bezug zur Metaphysik, Essen 2007 und Jutta Müller-Tamm: Abstraktion als Einfühlung. Zur Denkfigur der Projektion in Psychophysiologie, Kulturtheorie, Ästhetik und Literatur der frühen Moderne, Freiburg im Breisgau 2005. 9 Vgl. Victor Ieronim Stoichiţă: Eine kurze Geschichte des Schattens, München 1999. 10 Emmanuel Alloa widmet dem durchscheinenden Bild eigens eine philosophisch fundierte Untersuchung, will damit aber primär einer Medienvergessenheit der Phänomenologie des Bildes entgegenwirken, indem er innerhalb des Doppelparadigmas von Transparenz und Opazität auf Basis der aristotelischen Wahrnehmungstheorie das Diaphane in seiner medialen Dimension neu durchdenkt. Vgl. Emmanuel Alloa: Das durscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie, Zürich 2011.
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Lilian Haberer/Annette Urban Mithin sind Bilder nicht nur Ergebnis, sondern auch schon Ausgangspunkt von Projektionen, so dass sich hier von Bildprojektionen in doppeltem Sinne sprechen lässt. Wie eng beide Aspekte, die man ebenso unter der Produktion und dem Transport der Bilder zusammenfassen kann, zusammengehören, verdeutlicht neben fotografischem Lichtbild und durchleuchtetem Dia in besonderer Weise der frühe Kinematograph, der die Filmbilder sowohl aufzuzeichnen als auch an die Wand zu werfen imstande war. Erst im Folgenden entwickelten sich das Aufnehmen und das Projizieren zunehmend zu zwei getrennten Vorgängen, als der Film begann, sich vom Bild als räumlichem Erzeugnis einer statischen Einstellung abzulösen11 und die Bewegung mittels mobiler Kamera aufzuzeichnen, zu schneiden und zu montieren und mit Projektionsapparaturen wiederzugeben.12 Mit dieser Entwicklung des verräumlichten, statischen Bildes zu einem Bewegungsbild als „Matrix oder Zelle der Zeit“13 geht für Deleuze zudem eine Verschiebung oder Virtualisierung des Bildes in der Zeit als Verzeitlichung einher, die das verbreitete Axiom einer Gegenwärtigkeit der kinematographischen Bildprojektion vor allem innerhalb der Institution Kino stark relativiert.14 Mit einer Rückgewinnung anderer Räume für Bildprojektionen jenseits dieser Institution jedoch zeigt die von Deleuze für das kinematische Bild zu Recht in Frage gestellte Manifestation eines sich in der Gegenwart vollziehenden Bildes15 neue Evidenz, wie es etwa die eingangs mit einem Zitat eingeführten Solid Light films von Anthony McCall veranschaulichen. McCalls erster Solid Light Film, der, durch die digitalen Versionen seiner Werkserie seit den 2000er-Jahren und in Deutschland zuletzt im Hamburger Bahnhof Berlin 2012 präsentiert, wieder große Aufmerksamkeit erfahren hat, verdeutlicht neben dieser Gegenwärtigkeit der (filmischen) Projektion zudem die ästhetische Eigenwertigkeit des Projektionsstrahls selbst in seiner raumaktivierenden Dimension sowie nicht zuletzt die Übergänglichkeit zwischen ‚reiner‘ Lichtprojektion und Bild. Aufgrund dieser Komplexität bei zugleich größter Reduktion verdient seine Arbeit in dieser Einleitung nochmals genauere Betrachtung: Line Describing a Cone, 1973 nach McCalls Umzug von London nach New York konzipiert, erstmals in Stockholm auf einem Festival gezeigt und 1974 im New Yorker Artists Space installiert, ist schließlich als animierte Zeichnung zu verstehen, die mit Gouache und Bleistift auf schwarzem Papier in stop-motion Technik auf 16 mm-Film entstand.16 Derart 11 Vgl. François Albera: „Vom Standbild zum Bewegungsbild. Ueber [sic!] einige neue Theorien des Films“, aus: Cinema. Unabhängige Schweizer Filmzeitschrift: „Bild für Bild“, 30 (1984), S. 60–69, hier S. 61. 12 Vgl. Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt am Main 1998, S. 16. 13 Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt am Main 1999, S. 54, 56. 14 Vgl. ebd., S. 58, 59, 61. 15 Vgl. ebd., S. 56. 16 Vgl. McCall (2003), Anm. 1, S. 48, 50 f. Chrissie Iles: „Anthony McCall. Line Describing a Cone“, Werkbeschreibung in: dies. (Hg.): Into the Light. The Projected Image in American Art 1964–1977, Ausst.-Kat. Whitney Museum of American Art, New York, Ostfildern 2001, S. 120–121; Philippe-Alain Michaud: „Line Light: The Geometric Cinema of Anthony McCall“, in: October 137 (2011), S. 3–22, hier S. 3 f. Henriette Huldisch: „Einleitung“,
Bildprojektionen vervollständigt sich über einen Zeitraum von dreißig Minuten eine projizierte Linie, von McCall metaphorisch als „Zeichenstift aus Licht“ oder „Laserstrahl“17 bezeichnet, zu einem geschlossenen Kreis. Bereits zur Entstehungszeit des Werks hat der Künstler die Präsentation von Line Describing a Cone als zunächst auf den Projektor gerichteten Blick mit dem Rücken zur Projektionsfläche, somit explizit als Umkehrung der kinematischen Betrachtungsweise und filmischen Anordnung beschrieben. Aufgrund fehlender Trennung zwischen Apparatur und Raum der Betrachtung sowie nicht vorhandener Bestuhlung erfahren die Betrachter in der Bewegung durch den Raum die nicht mehr linear kanalisierte, sondern aus jeder Perspektive in differente Ansichten aufgefächerte Projektion.18 Die allmähliche Verfertigung der Linie zu einem Kreis auf der Wand als Projektionsfläche und die Materialisierung des Lichtstrahls im Raum zu einem geometrischen Körper – während der ersten Ausstellungen in den lagerhallenähnlichen Räumen durch Schwebepartikel und Zigarettenrauch, später ersatzweise durch Verdampfung von Nebel mit entsprechenden Maschinen erzielt – lassen zwei heterogene Erfahrungen dieses projizierten Lichtstrahls zu: einerseits die zeitliche eines animierten Filmbildes, andererseits die sich materialisierende, räumlich-skulpturale eines Projektionsstrahls quer durch den gesamten Raum, mit dem die Rezipienten interagieren können. Für die per se variable Größe der Projektion hat der Künstler daher ein Idealmaß zwischen 10,6 und 18,2 m Länge des Strahls bei 2,4 bis 2,7 m Höhe der Projektionsfläche festgelegt und einen Bezug zum menschlichen Körper hergestellt, der ausgestreckt nicht die obere Kante des Lichtkegels erreichen sollte.19 Die sich langsam zu einem Kreis vervollständigende Linie scheint dem filmischen Ablauf eines ‚konventionellen, narrativen Films‘ ähnlich.20 Doch die Nivellierung der Grenzen zwischen Zuschauer- und Projektionsraum und der zur Interaktion herausfordernde Projektionsstrahl als plastischer Körper rufen Fragen zur Produktion auf und heben den Film als solchen in seiner Materialität und Zeitlichkeit hervor. Zwei grundlegende Aspekte sind für die Solid Light Films festzuhalten: zum einen die von McCall betonte filmische Illusion einer Bewegung, die tatsächlich auf einzelnen stillgestellten, gezeichneten Bildern beruht, die Frame für Frame nur in der Wahrnehmung bewegt werden, wobei der Filmstreifen das projizierte Licht insoweit abschirmt, dass es auf der Wand als sich entwickelnde Linie erscheint. Zum
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in: Anthony McCall: Five Minutes of Pure Sculpture, Ausst.-Kat. Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, Köln 2012, S. 13–15, hier S. 14. McCall (2003), Anm. 1, S. 42. McCall spricht von einer „partizipatorischen Rolle“ und bezeichnet jede Position der Betrachtung im Raum als gleichberechtigt. Ebd. Vgl. ebd., S. 46. „For McCall, Line is a narrative film of conventional structure (...)“, Michaud (2011), Anm. 16, S. 4. Der Rekurs von Michaud auf eine Äußerung des Künstlers bleibt unklar, da er nur auf ein unveröffentlichtes Interview mit Mark Webber Bezug nimmt, aber darin betont McCall vor allem sein Interesse an Film als Material, in: Shoot Shoot Shoot (2002), S. 1, http://de.scribd.com/doc/17741226/Shoot-Shoot-Shoot-Broadsheet-Newspaper-2002 (letzte Sichtung 07.10.2014).
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Lilian Haberer/Annette Urban anderen lag für den Künstler bei dieser Arbeit die Fokussierung auf dem Raum zwischen Projektor und Wand, in dem das Licht als Körper in Erscheinung trat.21 Die Rezeption von McCalls Line Describing a Cone war bereits von vornherein mit dieser unterschiedlichen Ausrichtung sowohl für das Screening in alternativen KinoRäumen mit weiterhin festen Zeiten als auch für den Ausstellungsraum bestimmt. Dort etablierte sich aufgrund des Loops und des unmittelbaren Zugangs eine eigene Zeitlichkeit der Rezeption, wie sie seit den 1990er-Jahren für das cinema of exhibition und die geloopten Bewegtbildinstallationen in den Black Boxes eines Ausstellungsparcours charakteristisch geworden ist.22 Die Möglichkeit, McCalls Film mehrfach kinästhetisch zu erfahren, wurde aus der Rückschau auch in der Reflexion über die neue Rolle des projizierten Bildes in der Kunst als Argument für dessen Dislozierung in den Kunst- und Galerieraum gewertet.23 Tatsächlich wird das projizierte Bild seit Ende der 1990er-Jahre zuerst in Ausstellungen, bald auch in theoretischen Debatten und zuletzt in einigen wissenschaftlichen Sammelbänden vermehrt thematisiert: Dabei ist der Blick sowohl auf bestimmte Traditionslinien, etwa innerhalb des amerikanischen (Post-)Minimalismus mit besonderem Akzent auf der Genese aus Wahrnehmungsexperimenten im Übergang von ‚reinen‘ abstrakten Licht- oder Spiegel- zu Bildprojektionen,24 gelenkt worden als auch auf die Fortführung bzw. Wiederkehr dieser Arbeitsweisen innerhalb der Gegenwartskunst.25 Jüngere Publikationen widmen sich den Rändern und Übergängen des Kinos in andere (digitale) Medien und den Dynamiken ihrer Screenformate mit Blick auf die ästhetischen Praktiken des Films, vom tragbaren Display und vom netzbasierten Interface zum Imax-Kino.26 Überdies richten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Temporalisierung und die Bewegungsmodi des Bildes: sei es in seiner Anordnung und Reihung, in seiner technisch-apparativen Aufzeichnung und Animation, im Wechselspiel von Stand- und Bewegtbild sowie in seinen affektiven und affizierenden Qualitäten.27 Eine eigene Beachtung hat ferner 21 Vgl. McCall (2003), Anm. 1, S. 50, 51. 22 Vgl. Jean-Christophe Royoux: „Towards a post-cinematic space-time (from an ongoing inventory), in: Sara Arrhenius u. a. (Hg.): Black Box Illuminated, Lund 2003, S. 107–120; Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003, S. 179–207; Noam M. Elcott: „Darkened Rooms: A Genealogy of Avant-Garde Filmstrips from Man Ray to the London Film-Makers’ Co-op and Back Again“, in: Grey Room 30 (2008), S. 6–37. 23 Vgl. „Round Table: The Projected Image in Contemporary Art“, in: October 104 (2003), S. 71–96, hier die Statements von Malcom Turvey und George Baker, S. 90–91. 24 Vgl. Chrissie Iles: „Between the Still and the Moving Image“, in: dies. (2001), Anm. 16, S. 32–69. 25 Vgl. Susanne Neubauer (Hg.): Projektion. Chan, Export, Fischli/Weiss, Gander, Gillick, Graham, Knoebel, Parker, Streuli, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Luzern u. a., Frankfurt am Main 2006. 26 Vgl. Gertrud Koch/Volker Pantenburg/Simon Rothöhler (Hg.): Screen Dynamics. Mapping the Border of Cinema, Wien 2012. 27 Vgl. Pirkko Rathgeber/Nina Steinmüller (Hg.): BildBewegungen/ImageMovements, München 2013.
Bildprojektionen die künstlerische Verwendung des Diapositivs gerade als lange primär dienendes, d. h. heteronomes Bildmedium erfahren.28 Daneben erscheint jedoch, wie es auch den hier vorliegenden Band und den vorausgehenden Workshop im Rahmen des Forschungsprojekts „Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik“ angeregt hat, weniger das Medium-Spezifische als vor allem das Medium-Übergreifende der Bildprojektionen von Interesse. Entsprechend ist sogar zusammenfassend von einer Projektionskunst29 die Rede, die sich nicht selten in Abgrenzung vom Kino definiert.30 Bildprojektionen und nicht primär Film zu thematisieren, ist, wie Tamara Trodd resümiert, aber auch deswegen sinnvoll, weil deren analoge und ebenso digitale Materialien und Formate im Unterschied zum Begriff des artists’ film jeweils distinkte Bedingungen mit sich bringen, die keineswegs eingeebnet sind.31 Demgemäß bilden die historische Entwicklung technischer Medien, aber auch die modernistischen und später sozialen Bewegungen des experimentellen, strukturellen Films und der Kunst Reibungsflächen und Referenzen für die projizierten, analog wie digital produzierten Bilder des 21. Jahrhunderts, auch wenn die Herausforderungen und Bedingungen andere geworden sind.32 Wie Tanya Leighton für die aktuelle Wechselbeziehung von Kunst und Bewegtbild zuspitzt, bringen bildende KünstlerInnen und experimentelle FilmemacherInnen verschiedene Praxen, Institutionen, Ökonomien und historische Bedingungen mit, die sich gleichwohl in ihren ästhetischen Auseinandersetzungen und Interessen ähneln,33 weswegen in diesem Band in einem eigenen Kapitel das Verhältnis zum (historischen) Expanded Cinema beleuchtet wird und gegenwärtige Weiterentwicklungen in Verbindung mit (Lecture-)Performances einbezogen sind. Durch die veränderten institutionellen, ökonomischen, aber auch produktionstechnischen Parameter, nicht zuletzt im Zuge des Veraltens analoger Verfahren sowie des Kinos selbst angesichts neuer Bildkulturen und Screenmedien, werden Fragen der Produktionsästhetik34 und der Teilhabe von Betrachterschaft an 28 Vgl. Dia/Slide/Transparency. Materialien zur Projektionskunst, Ausst.-Kat. NGBK, Berlin 2000; Le diaphane et l’obscure. Une histoire de la diapositive dans l’art contemporain, Ausst.-Kat. Maison européenne de la photographie, Paris 2002; Darsie Alexander (Hg.): Slide Show. Projected Images in Contemporary Art, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art u. a., London 2005. 29 Vgl. Stan Douglas/Christopher Eamon (Hg.): Art of Projection, Ostfildern 2009. 30 Vgl. Joachim Jäger (Hg.): Jenseits des Kinos. Die Kunst der Projektion, Filme, Videos und Installationen von 1963 bis 2005, Ausst.-Kat. Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, Ostfildern 2006. 31 Vgl. Tamara Trodd: „Introduction. Theorising the Projected Image“, in: dies.: Screen/ Space. The Projected Image in Contemporary Art, Manchester u. a. 2011, S. 1–22, hier S. 6. 32 Siehe George Bakers Statement in: Round Table (2003), Anm. 23, S. 73. 33 Vgl. Tanya Leighton: „Introduction“, in: dies. (Hg.): Art and the Moving Image. A Crit ical Reader, London 2008, S. 7–40, hier S. 9. Leighton hat in ihrer Einleitung die verschiedenen für den Diskurs zentralen und verhandelten Kategorien der Medien, ihrer Aneignung (Remake etc.), des Stand- und Bewegtbilds, diverser Publika etc. adressiert. 34 Die Skizzierung einer Produktionsästhetik ist nicht erst über die literaturwissenschaftlichen Ansätze (Jauß, Ingarden) in den kunstwissenschaftlichen Diskurs gelangt, sondern wurde bereits umfassend von Konrad Fiedler in seiner Schrift Der Ursprung der
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Lilian Haberer/Annette Urban den zeitbasierten und raumorientierten Bildprojektionen neu konzeptualisiert. Sie schließen die Bedingungen und Orte der Entstehung, die Codierung der Räume und ihre BetrachterInnen, Partizipations-, Immersions- und Distinktionsmodelle sowie Fragen der digitalen Bildmacht und -kritik mit ein. Die Immaterialität und Virtualität großformatig projizierter Bilder, qua Lichtstrahl entweder auf eine Projektionsfläche, auf gebaute Elemente zurückgeworfen oder frei durch den Raum fluktuierend, ermöglichen eine maximale Flexibilität in der Maßstäblichkeit des Bildes, die modellhafte Sets, Realraum und projizierte Bildräume verschmelzen lassen kann. Im Kino jedoch ging mit der Großprojektion ein Verlust an Taktilität, Nähe, Kontingenz des Bildes und des Nutzerbezugs einher, welche frühen proto-kinematographischen Bild-Apparaturen, Blickmaschinen und optischen Geräten noch zu eigen waren.35 Darin setzt das Kino gewissermaßen die Tendenz des Schattentheaters und der menschlichen Schattenprojektionen fort, die Samuel van Hoogstraten mit einer Radierung36 als Gedankenmodell in seinem Melpomene-Buch des Malereitraktats von 1678 zur Unterweisung der Lehrlinge in bildimmanenter Lichtführung und Perspektivkonstruktion veranschaulichte.37 In den oft multifokalen kinematographischen Installationen, die die Bühnensituation überwinden und die Körper der Besucher mitunter unmittelbar berühren, gewinnen die fluiden Bilder demgegenüber viel von ihrer Kontingenz und Nähe zurück. Sie zeichnen sich in ihrer ästhetischen Präsenz durch das Ausstellen und Aufführen aus. Während Gertrud Koch dies für den Experimentalfilm als nicht-identisch mit dem Werk selbst charakterisierte,38 stellt die unterschiedliche Ausprägung der jewei-
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künstlerischen Thätigkeit, Leipzig 1887, theoretisch entfaltet. Wie Friedrich Weltzien darlegt, sind bereits die Kategorien von Körperlichkeit (im psychophysischen Pro zess des Wahrnehmens und des körperlichen Ausdrucks) und Prozessualität angelegt. Friedrich Weltzien: „Produktionsästhetik und Zeitlichkeit. Zur Dynamisierung des Kunstbegriffs bei Konrad Fiedler“, in: Karin Gludovatz/Martin Peschken (Hg.): Momente im Prozess. Zeitlichkeit künstlerischer Produktion, Berlin 2004, S. 43–55. Sebastian Egenhofer hingegen fasst den Begriff der Produktionsästhetik elementarer, indem er Produktion im marxistischen Sinne als nicht-sichtbare und darstellbare Kategorie des Wirklichen versteht. Er geht auf das ,Werden‘ und ,Gewordensein‘ sowie auf die „symbolischen und technischen Mittel seiner Repräsentation und Reproduktion“ ein. Sebastian Egenhofer: Produktionsästhetik, Zürich 2010, S. 7. Vgl. Mary Ann Doane: „Movement and Scale. Vom Daumenkino zur Filmprojektion“, in: Daniel Gethmann/Christoph B. Schulz (Hg.): Apparaturen bewegter Bilder, Kultur und Technik, Bd. 2, Münster 2006, S. 123–137, hier S. 131. Vgl. Nike Bätzner u. a. (Hg.): Blickmaschinen oder wie Bilder entstehen. Die zeitgenössische Kunst schaut auf die Sammlung Werner Nekes, Ausst.-Kat. Museum für Gegenwartskunst Siegen, Köln 2009, Abb. S. 126, 312; Susanne Neubauer: „Idea Projectionis“, in: dies. (2006), Anm. 25, S. 10–24. Vgl. Hans-Jörg Czech: Im Geleit der Musen. Studien zu Samuel van Hoogstraatens Malereitraktat ,Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst: Anders de Zichtbaere Werelt‘ (Rotterdam 1678), insbesondere Kap. 5.3 und Abb. Kat. Nr. 17, S. 252. Vgl. Gertrud Koch: „Filmische Welten – Zur Welthaltigkeit filmischer Projektionen“, in: Joachim Küpper/Christoph Menke (Hg.): Dimensionen ästhetischer Erfahrung, Frankfurt am Main 2003, S. 162–175, hier S. 163.
Bildprojektionen
Abb. 1: Schattenspiel mit Menschen, in: Samuel van Hoogstraten: Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst, Rotterdam 1678.
ligen Installation im Galerieraum für die bewegtbildbasierten Arbeiten hingegen eine notwendige Bedingung des Werks dar.39 Dergestalt hat Païni die wesentlich durch Licht auf der Fläche materialisierten und zeitlich bestimmten Bilder in der Entwicklung vom analogen zum Video- und digitalen Bild nachgezeichnet: Neben unterschiedlichen Charakteristika der Projektion, vom durchleuchteten Glasdia über den Videobeam bis zum netzbasierten Bild, konstatiert er dabei das zunehmende Verwischen einer ontologischen Trennung von projiziertem und appliziertem Bild. Den Umgang der bildenden KünstlerInnen mit der Projektion versteht er als Manipulation des Transports luminoser Bilder, der innerhalb eines dialektischen und kritischen Verhältnisses zum Bild operiert.40 Dieses Spiel mit der abwesenden Anwesenheit des Bildes, seinem unbewussten verdrängten Repertoire und einer Verlagerung der Projektionsapparatur in den Ausstellungsraum fordert nicht nur die von Païni gestellten Fragen zur Veränderung der Organisation und Aufteilung des Sichtbaren, zwischen mechanischer und digitaler Reproduktion, zwischen Darstellen und Ausstellen heraus. Es verändert auch das Ver39 Vgl. Lilian Haberer/Annette Urban: Einführung zum Workshop Bildprojektionen am 10. April 2010, unveröffentlichtes Manuskript. 40 Vgl. Païni (2004), Anm. 2, S. 24, 27, 28–30. Vgl. auch: ders: Le Temps exposé. Le cinéma de la salle au musée, Paris 2002, S. 46–55.
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Lilian Haberer/Annette Urban halten und die Selbstwahrnehmung der BetrachterInnen. Diese werden nicht allein als Teilhaber mittels der zumeist in Black Boxes raumgreifenden Projektion angesprochen, physisch affiziert und von den Lichtquellen des Dia-, Video- oder Projektionsbildes im Museumsraum angezogen. Die dunklen Räume evozieren ebenfalls, wie Ursula Frohne resümierte, die Auseinandersetzung mit der psychologischen und affektiven Qualität projizierter Bilder.41 Wenn die BesucherInnen die oftmals großzügig aufgestellten oder hängenden Screens, ihre Apparaturen und freistehenden Projektionswände umschreiten, sich flanierend, stehend oder sitzend in den Black Boxes oder „grey areas“42 der Film- und Videoinstallationen bewegen, beobachten sie gleichermaßen das Verhalten anderer BetrachterInnen. Dieser Umgang mit Anordnungen des Blicks, wie er bereits von Ursula Frohne anhand Don DeLillos Erzählung über einen Museumsbetrachter der Videoinstallation Douglas Gordons 24 Hour Psycho (1993) im Museum of Modern Art New York signifikant analysiert wurde, lässt eine neue „ordo coexistendi“ als liminale wie kulturelle Erfahrung der BesucherInnen in den Räumen der Projektion zu. Die Rezipienten werden zu AkteurInnen, sie treten nicht nur buchstäblich zwischen die Elemente der Installation, sondern sind in deren verschränkte fiktionale und reale Bild- und Raumkonfigurationen geradezu eingelassen.43
Installative und andere räumlich-dispositive Anordnungen der Bildprojektionen Bildprojektionen erfordern per se eine räumliche Anordnung. Insbesondere die technisch-dispositiven Komponenten des Projektionsgefüges, die in der Geschichte des projizierten Bildes aufgrund dessen zweifelhaften Illusionismus zunehmend unsichtbar gemacht wurden,44 sind dafür maßgeblich. Sie rücken sowohl in theoretischen Überlegungen zu Bildprojektionen, angestoßen durch die Apparatus-Theorie der 1970er-Jahre, wie in künstlerischen Praktiken der letzten Jahre verstärkt ins Bewusstsein. Nicht selten ist es dort das apparative Dispositiv, das an erster Stelle die installative Anordnung im Raum bestimmt und sich gemeinsam mit anderen Einbauten und architektonischen Elementen zu regelrechten Installationen ausdifferenziert. Insofern löst das ‚projected image in contemporary art‘ weniger das Paradigma der weiter gefassten Installation ab,45 sondern geht vielmehr entscheidende Verbindungen mit ihr ein. Als raumbildend kommen alle Elemente des klassischen, vom Kino ab41 Vgl. Ursula Frohne: „Dissolution of the Frame: Immersion and Participation in Video Installations“, in: Leighton (2008), Anm. 33, S. 355–370, hier S. 363, 365, 369. 42 Gregor Stemmrich: „White Cube, Black Box and Grey Areas: Venues and Values“, in: Leighton (2008), Anm. 33, S. 430–443. 43 Vgl. Ursula Frohne: „Passagen: Projektionsräume im Museum“, in: Barbara Engelbach (Hg.): Bilder in Bewegung. Künstler & Video/Film 1958–2010, Ausst.-Kat. Museum Ludwig, Köln 2010, S. 121–128. 44 Vgl. Païni (2004), Anm. 2, S. 46–48. 45 Vgl. Trodd (2001), Anm. 31, S. 1.
Bildprojektionen geleiteten Projektionsdispositivs in Betracht, die zur Neuverteilung und installativen Ausgestaltung einladen. Dies beginnt mit dem Lichtstrahl, der in bereinigter Form als pures Licht wie bei McCall im Expanded Cinema vorwiegend in seiner skulpturalen Qualität entdeckt worden ist. Ebenso sehr ist er funktionsgebunden als Träger der luminosen Bilder räumlich wirksam, die Licht, Apparatur, Bildträger und Umraum gleichermaßen beanspruchen und so ihre illusionäre wie räumliche Wirkkraft als ,Zwischen-Bilder‘46 entfalten. Etabliert der Lichtstrahl gemeinhin eine dominante, eindeutig gerichtete Achse im Raum durch die Fokussierung auf die singuläre Leinwand als Erscheinungsort der immateriellen Bildlichkeit, mit den Zuschauern dazwischen und der räumlich abgetrennten Projektionsapparatur in deren Rücken, so vermögen die durch den Raum reisenden projizierten Bilder47 prinzipiell vielfältige neue Verschmelzungen von Bild- und Realraum sowie Verkörperungen des Bildes zu initiieren. Jede Fläche, jeder Körper, der den Lichtstrahl durchschneidet, kann sich schließlich mit dem Bild überblenden und dessen räumliche Entgrenzung und die Vervielfältigung der Projektionsflächen bzw. Screens vorantreiben. Im Verbund mit dieser forcierten Verräumlichung projizierter Bilder, ihrer Vervielfältigung und Entrahmung ist insbesondere die ausgestellte Sichtbarkeit des Projektors in kinematographischen Installationen auffällig, die meist als illusionskritisches Offenlegen des bildproduzierenden Apparats in einem letztlich modernistischen Sinne gedeutet wird. Gleichwohl stellt ausgerechnet die Projektionsapparatur, wie Alexander Streitberger in seinem Beitrag zur ersten Sektion zeigen kann, sowohl in der nach ihr benannten Filmtheorie der 1970er-Jahre wie in der heutigen Theoriebildung zum projizierten Bild noch in gewisser Weise einen blinden Fleck dar. Streitberger zufolge gilt es überhaupt erst eine Apparatus-Theorie im erweiterten Sinne für die Projektionsinstallationen der zeitgenössischen Kunst fruchtbar zu machen, indem die Projektionsmittel explizit als Produktionsmittel aufgefasst werden. Auf diesem Weg lasse sich das bislang ahistorisch verstandene, nur in seinen formalen Parametern auf ideologische Effekte befragte Projektionsdispositiv in Beziehung zu den insgesamt eine Gesellschaft bestimmenden jeweiligen Produktionsbedingungen setzen. Damit wird die künstlerische Produktion als in eben diese Bedingungen eingebettet kenntlich, wie es Streitberger am Beispiel von Simon Starlings Projektionsinstallation Wilhelm Noack oHG (2006) und den Installationen Studio (2004–2010) und Théâtre des opérations (2004) von Michel François demonstriert. Starling unternimmt eine solche Reflexion von Projektions- als Produktionsmitteln, indem er anstelle des Lichtstrahls die Projektionsapparatur selbst skulptural gestaltet 46 Vgl. Raymond Bellour: L’Entre-images. Photo, Cinéma, Video, Paris 2002. Ursula Frohne hatte den Begriff der l’entre-images Bellours nicht nur im Hinblick auf das apparative und projektive „Zwischenstadium (...) fiktionaler mit faktischen Raum- und Zeitkategorien“ im Kontext der Videoinstallationen bezeichnet, sondern insbesondere auf eine andere Konnotation des „Dazwischentretens“ der Besucher und Interagierens mit den installativen Rahmungen und Bildprojektionen in der bewegten Betrachtung hingewiesen. Frohne (2010), Anm. 43, S. 122. 47 Vgl. Païni (2004), Anm. 2, S. 47.
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Lilian Haberer/Annette Urban und dieses Gerät mit dem Kontext seiner Herstellung kurzschließt. Streitbergers Lesart zufolge wird damit aber die Fetischisierung des Apparates, wie sie manch nostalgische 16 mm-Projektion in der aktuellen Kunst kennzeichnet, im Sinne Roland Barthes subversiv gewendet. Im Vergleich dazu rekurrieren die Installationen von Michel François auf weitere Produktionskontexte, die für eine den Illusionismus neu instrumentierende Projektionskunst von besonderer Bedeutung sind, nämlich das Filmstudio und die Theaterbühne. In François’ nicht mehr medienspezifischen, sondern die Medien miteinander kreuzenden Projektionsdispositiv treten Diaprojektoren und ‚projecteurs‘, also Theaterscheinwerfer, miteinander in Konkurrenz und beschwören mit ihren Schattenprojektionen wie bei Baudry nochmals die Imagination von Platons Höhlengleichnis herauf. Wie Alexander Streitberger mit Bezug auf Starlings Projektionsskulptur, so greift auch Miriam Lowack im zweiten Beitrag zur einführenden Sektion Thierry Kuntzels Vergleich von Filmprojektion und freud’schem Wunderblock auf, nun mit beson derem Akzent auf den Analogien zwischen dem Film als historiographischer Praxis und der psychischen Struktur des Erinnerns. Projektion kommt damit als metaphorische Kategorie zum Tragen, auf Basis von Filmtheorie und ihrer Verknüpfung mit psychoanalytischen Prämissen, wonach Projektion als ein maßgeblicher Mechanismus u. a. im Prozess des Erinnerns gilt. Auch in diesem Beitrag spielen die räumlich-dispositiven Eigenschaften der Projektion eine wesentliche Rolle, allerdings nur sekundär in ihrer buchstäblich installativen Ausprägung als vielmehr auf topologischer Ebene im Bezug zu strukturverwandten Erinnerungsräumen: Wenn Lowack am Beispiel einer Videoarbeit von Deimantas Narkevičius, die den geschichtsträchtigen Ort einer ehemaligen sowjetischen Raketenbasis in Litauen über historische Fotografien und mit Zeitzeugen vermeintlich nachgestellte Filmszenen zum Thema macht, Film als Medium der Vergegenwärtigung des Vergangenen analysiert, dann hat das Projizieren als psychophysische Bewegung daran entscheidenden Anteil. In der Abfolge der immateriellen Filmbilder überlagern sich schließlich nicht nur Gegenwart und Vergangenes. Im Unterschied zur Fotografie führt die Kinematographie auch die für das Erinnern entscheidende Reproduktion durch unser Bewusstsein in Form eines InBewegung-Setzens vor, sofern Erinnerungsbilder niemals einfach nur gespeichert und abgerufen, sondern durch Wahrnehmungen in der Gegenwart mobilisiert werden. Wenn diese Struktur Kuntzel zufolge schon der Doppelexistenz als Filmprojektion und Filmstreifen inhärent ist, verstärkt sich die Reflexion solcher Erinnerungsprozesse bei Narkevičius’ noch durch den Wechsel von fotografischen und filmischen Bildern, die ihrerseits verschiedene Wahrnehmungen des Historischen implizieren. Nicht zuletzt findet sich in The Dud Effect (2008) eine Lichtprojektion auch als symptomatisch wiederkehrendes Motiv, das Wiederholung als wesentliches Strukturmerkmal des Filmischen unterstreicht. Diese Lichtprojektion vermag sowohl eine (niemals ausgelöste) Detonation in ihrer Potenzialität zu evozieren und zugleich die „Überblendung von Gegenwart und Vergangenheit“ anschaulich werden zu lassen. Auch im dritten Aufsatz der ersten Sektion spielt die räumlich-dispositive Anordnung der Projektion eine wichtige Rolle, ohne sich direkt als Installation zu kon-
Bildprojektionen kretisieren. Sie findet sich stattdessen zurück ins Bild überführt. In dem Beitrag von Annette Urban stehen Rückprojektionen im Mittelpunkt, eine filmische Trickund Studio-Technik also, bei der sich – wie David Campany im Zusammenhang mit Mark Lewis im Rahmen der zweiten Sektion schreibt – der Film selber filmt. Dem liegt bereits eine Darstellung zweiter Ordnung zugrunde, die den gemeinhin kohärenten Bildraum künstlich aufgrund einer Projektionsanordnung entstehen lässt und im Spannungsverhältnis von Bild und Raum die Wechselbeziehung von Figur und Kulisse zum Thema macht. Dies gilt noch in gesteigertem Maße für die künstlerische Adaption der Rückprojektionstechnik bei Laurie Simmons und Cindy Sherman, die mit ihrer inszenierten Fotografie eine Vorform der heutigen kinematographischen Installationen ins Spiel bringen. Anstelle filmischer verwenden beide Künstlerinnen an sich schon statische Diaprojektionen als Hintergrund, was neben den Studioproduktionen des klassischen Hollywood-Kinos ebenso die Kulissen der Studiofotografie zum Referenzhorizont macht. Die rückprojizierten Szenarien evozieren eine fotofilmische Ästhetik, und zwar nicht allein in Shermans Rear Projections im Anschluss an ihre Untitled Film Stills, sondern auch in den filmischen Auftritten der Protagonisten von Simmons Fotoporträts, die – begünstigt durch das Musicalgenre, die Rückprojektion als Intermezzo und Simmons Vorliebe für Bauchrednerpuppen – auch die Stimme als Form der Projektion thematisieren. Die Übergänge zwischen den Medien fügen sich bei Simmons insgesamt in eine Kette von Verlebendigungen, an deren Ursprung gewissermaßen der Schattenriss steht, der als einfachste Form der (Licht-)Projektion hier zunächst weniger Platons Höhle als Kino-Allegorie denn Projektion im Sinne der steten Übertragung von Selbst- und Fremdbildern meint. Mithin sind Film- und Fotostudio, die Streitberger als Produktionskontext anspricht, in diesem Zusammenhang als Bühnen der Selbstinszenierung im Spiegel des Anderen relevant, in einer unabschließbaren Verweisstruktur verschiedenster durch Projektionen gewonnener Verbildlichungen und Verkörperungen, angefangen bei der kindlichen Wunschprojektion über das Alter Ego der Puppe bis hin zum Starimage. Abermals kommt der psychologischen Projektion wesentliche Bedeutung zu, wenn die bei Lowack hervorgehobene Erinnerungsstruktur ihre Begehrensökonomie offenbart.
Die Bildlichkeit von Projektionen im räumlichen und medialen Dazwischen Projektionsdispositive sind also zuerst als eine räumliche Anordnung zu beschreiben, die sich indes – wie es sich offenkundig in den sich wandelnden Projektionsapparaturen sowie deren künstlerischen Aneignungen, aber auch im festgefügten Blickregime des klassischen Kinos zeigt – weit weniger durch fixe Positionen der einzelnen Elemente als durch ein relationales Gefüge auszeichnen: Entscheidend sind die oben schon angesprochenen Zwischenräume, sofern projizierte Bilder den Raum durchqueren und auf verschiedensten Flächen, Körpern und Architekturen, die den
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Lilian Haberer/Annette Urban Lichtstrahl kreuzen und so zu Bildträgern werden, jeweils flüchtig und immateriell zur Erscheinung kommen. Gerade diese Loslösung von spezifischen Trägerstrukturen, sowohl hinsichtlich des auffangenden Bildschirms als auch der Bildquelle, die bei der Camera obscura noch das Objekt selbst ist, bevor zu durchleuchtende, außerhalb ihrer Aufführung nur latente Bilder an diese Stelle treten, überführt projizierte Bilder neben dem räumlichen auch in ein mediales Dazwischen. Damit sind nicht nur die Übergänge gemeint, die die Projektion gerade in den künstlerischen Beispielen der ersten Sektion schon zwischen filmischen und fotografischen Bildern vollzog. Soll die Projektion darüber hinaus selbst als Medium gelten, in dem sich etwas für sie Spezifisches zeigt, das der Differenzierung in fotografische und filmische Projektion übergeordnet ist? Ist analog von der Projektion als Dispositiv oder besser von Projektionsdispositiven zu sprechen, immer eingedenk der Tatsache, dass die Projektion medienarchäologisch lange Zeit vorwiegend dem Film zugeschlagen wurde, so dass Jens Ruchatz mit seiner „Mediumgeschichte der fotografischen Projektion“48 noch Pionierarbeit zu leisten hatte, indem er LaternaMagica-Projektionen und Phantasmagorien nicht allein als Vorstufen auf dem Weg zum Film wertete? Und lässt sich für projizierte Bilder, sofern man sie versuchsweise als Medium versteht, überhaupt noch eine Medienspezifik behaupten, oder sind sie herausstechendes Symptom einer Konvergenz der – für sich obsolet gewordenen – Medien, von Intermedialität oder einem postmedialen Stadium? Solchen Fragen stellt sich Nina Steinmüller in ihrem Beitrag zur zweiten Sektion, ausgehend von James Colemans in dieser Hinsicht paradigmatischen Arbeiten, für die dieser den Begriff der projected images in Anspruch nimmt. An seinem Beispiel entwickelt Rosalind Krauss überdies ihre theoretischen Überlegungen zu einem „differentiellen Medium“ als Ausdruck einer Spezifik auch unter postmedialen Bedingungen. Steinmüller führt anhand von Charon (MIT Project) (1989) in Colemans besondere Umgangsweise mit projizierten Bildern ein, wobei in dieser Arbeit auch inhaltlich das Fotografische als ein Set verschiedener Konventionen seines Gebrauchs thematisch wird. Und das Reisen bzw. die Raumdurchquerung der projizierten Bilder entfaltet hier als Transport in Anspielung auf den Totenschiffer Charon eine ganz eigene Facette der psychologischen Projektion im Oszillieren zwischen geisterhafter An- und Abwesenheit. Für die Möglichkeit der Neuerfindung eines Mediums, wie sie Krauss bei Coleman erkennt, werden in der Tat jenseits der Rückführung auf ein Material gerade die historisch und sozial bestimmten Konventionen des Mediums relevant, deren postmediale Verwendung erst ihr eigentliches Potenzial in seiner Komplexität aufschließt. In diesem Zusammenhang aber wendet sich Steinmüller gegen Krauss’ Prämisse, wonach dafür das Veralten des jeweiligen Mediums Voraussetzung sei, und wertet dies als unnötige Eingrenzung. Sie plädiert stattdessen dafür, das Konzept der „medienimmanenten Differenz“ auch für Videound digitale Bilder gelten zu lassen, die Païni zufolge ebenso das Wahrnehmungsdispositiv Projektion unabhängig von dessen analogen, optisch-mechanischen Ur48 Vgl. Ruchatz (2003), Anm. 3.
Bildprojektionen sprüngen erfüllen können49, und es schließlich gleichermaßen auf die von Krauss pauschal kritisierte Installationskunst zu übertragen. Wie fruchtbar dies sein kann, demonstriert Steinmüller am Beispiel von Douglas Gordons Arbeit 10 ms-1 (1994), in der dieser sein Ausgangsmaterial, medizinhistorisches Found Footage, mithilfe einer freistehenden, durchlässigen Leinwand zum filmischen Objekt macht und für den stockenden Bewegungsfluss der Projektion analog zur Motorik des nicht mehr zu kontrollierenden Körpers auch videographische Techniken nutzt. Der Gedanke des Veraltens analoger Medientechniken spielt ebenfalls in David Campanys Überlegungen zur Bildlichkeit des „moving picture“ zwischen Fotografie und Film eine wesentliche Rolle. Beide charakterisiert er als „eclipsed medium“, die sich in diesem Stadium wieder ihrer Anfänge erinnern und in dieser Historizität nun auch die Künstler interessieren, die lange Zeit die Fotografie etwa gerade wegen ihrer vermeintlichen Geschichtslosigkeit als bloßes Reproduktionsmedium geschätzt hätten. Ein frühes Werk der Lumières, das deren Filmaufnahmen beim FotografenKongress 1895 in Neuville-sur-Saône zeigt, dient ihm dabei gleichsam als Urszene des Aufeinandertreffens von Fotografie und Film, um dem Anfangsmoment nachzuspüren, als sich Bilder wie buchstäbliche „motion pictures“ erstmals in Bewegung setzten, denn gerade diese Faszination sieht Campany in der zeitgenössischen Kunst wiederbelebt. Exemplarisch zeigt sich dies in den Arbeiten von Mark Lewis, der tatsächlich „motion pictures“ schafft, sofern sich darin für Campany das hypnotische Potenzial des Single Take des Kinos mit der piktorialen Tradition überschneidet, die ein Produkt des Galerieraums ist. Hier steht demnach die Bildlichkeit oder besser Bildhaftigkeit der Projektion im Vordergrund, die nicht nur zwischen Fotografie und Film, sondern ebenso im Zwischenraum zur Malerei oszilliert. Schließlich bleiben die tonlosen, oft wenig bewegten Einkanalprojektionen von Lewis dem Tableau eng verwandt, weswegen Campany die Wand hier gerade nicht in einen Screen verwandelt sieht. Den Projektionsaspekt vertieft der Autor anhand einiger Werke, bei denen Lewis nicht in Fotografien wie Sherman und Simmons, wohl aber in seinen fotoähnlichen Filmarbeiten Rückprojektionen einsetzt, die in ihrer Bildlichkeit und Wahrnehmung eine Ambivalenz aufweisen und somit zwischen der klassischen Einheit und der modernistischen Fragmentierung stehen, was Campany als Auseinandersetzung mit dem Modernwerden des Kinos deutet. Denn damit nähern sich die klassische Forderung nach Einheit und die moderne Forderung nach Fragmentierung einander an, was Campany ferner mit der doppelten Artikulation des Ortes in der Moderne – hier und zugleich woanders zu sein – verknüpft, die ihm als Wesensmerkmal des Kinos generell gilt. Im letzten Beitrag zu dieser Sektion wird nochmals die Verbindung von Projektion und gesprochener Sprache, die wie bereits erwähnt aufgrund ihrer raumerschließenden Kraft selbst als Projektion verstanden wird,50 genauer die Simultanität von projiziertem Bild und gesprochener Sprache relevant. Nachdem uns diese Verbin49 Vgl. Païni (2004), Anm. 2, S. 24. 50 Vgl. McCormick (2004), Anm. 7.
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Lilian Haberer/Annette Urban dung schon bei Steinmüller in Form von Colemans Diainstallationen und am Rande bei den Musical-Adaptionen und Bauchredner-Performances von Simmons im Beitrag von Urban begegnet ist, konzentriert sich Brigid Doherty in ihrem Text auf ein Beispiel aus der Hochphase der Moderne um 1900, die gleichzeitig die Frühzeit der Diaprojektion markiert: Ihre Untersuchung gilt den Vorträgen, die Rainer Maria Rilke zwischen 1905 und 1907 in verschiedenen Städten zum Werk des Bildhauers Auguste Rodin gehalten hat. Obwohl Rilke dabei entgegen der zeitgenössisch hochmodernen Praxis des Lichtbildvortrags und trotz des großen Stellenwerts, den Rodin selbst Fotografien seiner Werke jenseits bloßer Illustration zumaß, auf die Diaprojektion von dessen Skulpturen verzichtet, ist dieses Beispiel äußerst instruktiv. Denn für Rilke wird es in dieser Phase poetologisch entscheidend, „mit Rodins Augen zu sehen“, d. h. nicht mit Worten Skulpturen nachzuahmen, sondern „geschriebene Dinge“ zu schaffen, die Skulptur gleichsam sprachlich-skulptural nachzubilden und damit eine vergleichbar psychische Intensität zu erzielen. Wie also Rilke von Rodin lernt, der in derselben Frage des transmedialen Nachbildens seinerseits bei der Dichtung Dantes und Baudelaires in die Schule ging, so überträgt Rilke die suggestive Wirkung von Rodins Skulpturen für sein Publikum wiederum in gesprochene Sprache. Hierfür aber ist das Fehlen der Bilder essentielle Voraussetzung. An deren Stelle tritt die Aktivierung von Erinnerungen und der inneren Bilder auf Seiten des Publikums mittels Sprache durch den Vortragenden, wenn der Dichter Rodins Skulpturen nahezu als Sprachfiguren wiedererstehen lässt unter Verzicht auf das projizierte Bild. Sofern Rilkes Worte als Verdichtungen fungieren, werden die quasi „körperhaft-psychischen Details“ in seiner dichterischen Sprache durch den Einfluss Rodins zu einem berührbaren, doch immateriellen Darstellungsmedium. Auf diese Weise verwandeln sich die Augen der Zuschauer Rilke zufolge gleichsam in Linsen der fehlenden Laterna Magica, indem sie etwa ein Bild von Rodins Balzac-Statue geradezu an die Wand hinter dem Rücken des Vortragenden projizieren und ihre Körper dadurch selbst zur Apparatur der Bildprojektion werden. Doherty spricht hier vom Publikum, das in zweifacher Weise, nämlich im hypnotischen wie fotografischen Sinn, regelrecht zum (Übersetzungs-)Medium des Vortrags wird. Somit schließt sich hier zudem der Kreis zu den räumlichen Anordnungen des Projektionsdispositivs, während am Rande zugleich die Bedeutung der Projektion innerhalb der sich institutionalisierenden Kunstgeschichte thematisch wird: Denn Doherty zieht zusätzlichen Gewinn aus dem Vergleich mit der überlieferten Vortragspraxis der kunsthistorischen Vorlesungen von Heinrich Wölfflin, der im Angesicht der Lichtbilder im Dunkeln einen idealen Betrachter zu konstruieren vermochte. Damit verschmolz er zu einer Einheit mit dem Publikum und betonte die gemeinsame Seh-Erfahrung, während sich Rilke vom Auditorium gesondert im hellen Raum als Quell der Worte nicht zuletzt als Schöpfer der unsichtbaren Balzac-Figur analog zu deren von ihm in seiner Rede lange unbenannten Schöpfer Rodin in Szene setzt.
Bildprojektionen
Architektur als Screen in der Verschränkung von Blickprojektionen Wechselwirkungen zwischen Bildprojektion und Blick sind schon seit dem 17. Jahrhundert in unterschiedlichen, bald mechanisch erzeugten Varianten vom Schattenspiel über die Laterna Magica bis zu den optischen Spielzeugen des 19. Jahrhunderts ausgelotet worden. Diese machen sich die Wirkung projizierter Bilder als Nachbilder zunutze, welche sich in der Betrachterrezeption als Netzhautbilder lokalisieren lassen.51 Den immateriell-körperlosen und lebensgroßen Projektionen haftet zudem der Charakter geisterhafter Erscheinungen, von Täuschung und Verführung an. In kinematographischen Installationen, bei denen sich die BetrachterInnen den Bildraum konkret zu Eigen machen und die in der Projektion verschmolzene, virtuelle und reale Architektur zu einem Teil ihrer Betrachterprojektion wird, unterstützt die Rezeptionsweise ihrerseits Formen der Immersion oder der Reflexion und Introspektion. Die Leinwand werde generell als „peripherer Topos“ marginalisiert und erhalte weniger Aufmerksamkeit, wie Dennis Göttel für die Filmwissenschaft konstatierte.52 Oftmals ist die Fläche des Bildträgers selbst immateriell und außerhalb der Filmprojektionen unbespielt, bleibt eine Leerstelle, ein weißes Quadrat, das als Platzhalter für bewegte Bilder fungierend mentale Projektionsfläche wird; ein zu beschreibender oder bespielender Zwischenraum als Nahtstelle zwischen innerfilmischen und realräumlichen Konstellationen. In diesem Zusammenhang wird sie nicht nur zum Bindeglied, sondern zur Projektionsfläche, in der sich eigene Vorstellungen zu materialisieren vermögen. So ist es nur ein Schritt vom Topos des Screens oder der zu beschreibenden Wachstafel, dem freud’schen Wunderblock53 zu der innermenschlichen Introspektion, zum Ort, der zum Ursprung für Urprojektionen wird, wie Brigid Doherty sie in ihrem Vortrag im Rahmen des Workshops zu Freud und Ferenczi beschrieb.54 Für die museale Situation oder die Architektur hingegen werden die installierten Bildschirme oder eigens gebauten Leinwände als Displays sichtbar, nicht nur als Projektions- wie Ausstellungsflächen, sondern als Fensterfronten oder gläserne Raumteiler, die allein durch die partielle Verdunkelung zu Screens werden können. Der Bildschirm oder Bildträger, sei er statisch oder beweglich, ist wie die Wand Teil des bereits bestehenden Raumes oder wird zu einer gebauten, gespannten oder gar transparenten Einheit. Die modernistische Architektur wurde in den Bewegtbildinstallationen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre oftmals selbst thematisiert, da sich die 51 Vgl. Crary (1990), Anm. 6, S. 103–108. 52 Göttel nennt als Gegenbeispiel die Untersuchungen Karl Siereks zur Leinwand. Dennis Göttel: „Metapher und Material. Somatische und textuelle Projektionen der Kinoleinwand“, in: Nach dem Film 10 (2008), http://www.nachdemfilm.de/content/metapher-und-material (letzte Sichtung 08.10.2014). 53 Vgl. Thierry Kuntzel: „A Note Upon the Filmic Apparatus“, in: Quarterly Review of Film Studies 1/3 (1976), S. 266–271. 54 Brigid Doherty: „Where do Urprojektionen come from?“, Vortrag anlässlich des Workshops Bildprojektionen am 9./10. April 2010 an der Universität zu Köln.
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Lilian Haberer/Annette Urban künstlerischen Reflexionen zeitlich mit der Parallelität von frühem Kino und der Architektur des Neuen Bauens auseinandersetzten.55 Wenn darüber hinaus das horizontale Fensterband (fenêtre en longueur), wie es beispielsweise Le Corbusier gegen Auguste Perret verteidigte, als Blickdispositiv fungierte, mit dem die modernen Betrachter Innen die Landschaft als fotografische oder filmische Einstellung der Landschaft wahrnahmen56, so wurden diese Fensterausschnitte in der städtischen Wahrnehmung durch Flaneur/Flaneurin mobilisiert, der Blick war dabei gleichsam virtualisiert.57 Durch die Trennung von Außen- und Innenraum lassen sich transparente Flächen in Blickfänger für Abb 2: Dan Graham, Cinema 81, 1982. Realzeit-Bewegtbilder verwandeln, in denen sich Passanten des öffentlichen Raums wie Museumsbesucher je nach Lichtsituation spiegeln und als Bilder reflektiert werden. Dan Graham hat diese Phänomene in seinem Cinema-Projekt (1981), das er in verschiedenen Versionen ausgeführt hat, einem Kino in einem modernis tischen Bürogebäude als Screen zwischen Kinoleinwand und gläserner Außenhaut, als Denkmodell erprobt. Inwieweit sich Stadt, Kino und filmische Wahrnehmung mit der Architektur der Moderne überlagern, die Stadt selbst zum Set und Architektur zur Mise-en-Scène wird, untersucht Floris Paalman am Beispiel der Stadt Rotterdam seit Beginn des 20. Jahrhunderts. In seiner Studie zur Verflechtung von kinematographischen Projektionen und architektonischen Projekten, von Luftaufnahmen, frühen Stadtfilmen und kinematographisch geprägten Räumen in der Stadt, von den Siedlungsbauten, Geschäfts- und Kinogebäuden bis hin zur großangelegten 55 Vgl. Giuliana Bruno: Atlas of Emotion. Journeys in Art, Architecture and Film, London 2002 sowie dies.: Public intimacy. Architecture and the Visual Arts, Cambridge Mass. 2007. 56 Vgl. Beatrice Colomina: Privacy and Publicity. Modern Architecture and Mass Media, Cambridge Mass., 1994, S. 128–134; vgl. dies.: „Die gespaltene Wand: häuslicher Voyeurismus“, in: Christian Kravagna (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, S. 201–222. 57 Anne Friedberg widmet sich in ihrer Untersuchung mit Rückgriff auf Walter Benjamins Passagen-Werk und Charles Baudelaires Untersuchungen des Modernen Lebens den Dispositiven des virtualiserten und mobilisierten Blicks in der Moderne (Panopticon, Panorama und Diorama) und erweitert das baudelair’sche Flaneur-Konzept um eine gendertheoretische Perspektive. Dies.: Window Shopping, Cinema and the Postmodern, Berkeley/Los Angeles 1993, Kap. 1.
Bildprojektionen urbanen Rekonstruktion des kriegsgeschädigten Rotterdam in den 1940er-Jahren, fokussiert Paalman die Stadt als ,scripted space‘ in ihrer „projektiven Reflexivität“ als Medium kinematischer Wahrnehmung. So zeigt er den Einfluss kinematischer Prinzipien auf die Bauprojekte der Moderne in den Niederlanden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, welche durch die Animation abstrakter und geomet rischer Formen eines Hans Richter und die Montage Dziga Vertovs angeregt, mittels des Prinzips Elie Faures der cinéplastique auf die industrielle Architektur übertragen wurde. Theo van Doesburg ließ sich zu „raumzeitlichen, kubischen Modellen“ als „bewegliche architektonische Einheiten“ anregen, die er als abstrakte Vorstudien für spätere Hausprojekte und seine Vorstellung einer „Lichtarchitektur“ fruchtbar machte. Letztere zielte auf eine Verbindung infrastruktureller und städtebaulicher Umgebung, der gebauten Architektur und bewegter, projizierter Bilder. Architekten wie Van der Vlugt und Brinkmann waren nicht nur Mitglieder des Avant-GardeClubs Filmliga, sondern prägten mit Industrie- und Kinobauten neue Gebäudetypen mit vertikalen Fensterbändern, ebenso wie der Architekt Van Gelderen, der für seine Zukunftsprojekte über Architekturen aus Licht, Luft und Fensterdisplays ebenfalls mit Bildprojektionen experimentierte. Von der Nachkriegszeit bis in die 2000er-Jahre zeigt Paalman zudem den Wandel von den für die Kinobauten geschaffenen neuen (institutionellen) Projektionsräumen, den Plan als filmisches Skript und die Darstellung der Architektur in Stadtfilmen bis hin zur Architektur als Mise-en-Scène wie auch der Stadt als ‚reality film‘ auf. Somit werden für das Kino in Verbindung mit der modernen Stadt sowohl ontologische als auch epistemologische Fragen maßgeblich, und Bildprojektionen haben zunehmend Teil an der Medialisierung, Simulation und Virtualisierung der gebauten Umwelt. Die Frage nach der Transparenz und Durchlässigkeit, nach der räumlichen Durchdringung von urbanem Außen- und offen gestaltetem Innenraum58, ist auch eine zentrale für das Haus als „Durchgangsmedium“, wie es Architekturtheoretiker des Neuen Bauens identifizierten, beispielhaft Siegfried Ebeling mit seiner Schrift zum Raum als Membran (Dessau 1926). So wurden Überlegungen zur Architektur als Medium und Wahrnehmungsdispositiv sowie als permeable Membran nicht nur innerhalb des architektonischen Diskurses verhandelt, sie ist zudem als wandelbare Struktur Gegenstand einer filmischen und künstlerischen Auseinandersetzung mit der Moderne. Anhand zweier Fallstudien, Maja Derens für den Avantgardefilm signifikantes filmisches Erstlingswerk Meshes of the Afternoon (USA 1943) und Dorit Margreiters Beitrag für den österreichischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2009, untersucht Lilian Haberer – wie zuvor Paalman im Hinblick auf die Stadt – das Verhältnis von Film und Architektur sowie die unterschiedlichen Projektionsebenen: diejenigen des Films, des Blicks und der inneren Bilder. Das Modell als miniaturisierte, vorläufige Struktur ist in der Auseinandersetzung mit dem Ort der Architektur und (Film-)Produktion ein zentrales Reflexionselement. Haberer erkun58 Vgl. Anthony Vidler: unHEIMlich. Über das Unbehagen in der modernen Architektur, Hamburg 2002, insbesondere das Kapitel zur Transparenz.
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Lilian Haberer/Annette Urban det, inwiefern die Außenhaut, die Wände und die architektonischen Schwellen als Membranen und Projektionsscreens in der filmischen Mise-en-Scène in Erscheinung treten und wie die Materialität der modernistischen Architektur für imaginäre Blicköffnungen eingesetzt wird.
(Film-)Projektionen im Expanded Cinema und in der Black Box Die kulturhistorische Entwicklung der Black Box lässt sich aus den Schwarzräumen der Laterna Magica59, Phantasmagorien und den Ausstellungen optischer Phänomene60 nachzeichnen. Seit Ende der 1980er-Jahre mit den zunehmenden „kinematisierten Räumen“ hat sie sich als Gegenmodell zum White Cube in den Räumen der Museen und Sammlungen festgesetzt – trotz alternativer Konzepte zu Bildprojektionen im Ausstellungsraum, die zur direkten Integration in die Ausstellungen oder zur Einrichtung von „grey areas“61 geführt haben. Doch wie steht die Black Box im Verhältnis zu den Bestrebungen einer Neuerfindung und -verortung des Kinos? Die Expanded Cinema-Bewegung der 1960er- und 70er-Jahre in ihrer heterogenen, geographischen Ausprägung war bestrebt, das Kino anders zu denken und sich bewusst davon abzusetzen, wie Malcom Le Grice es im Gespräch mit Maxa Zoller 2004 artikuliert hat.62 Der Begriff des ,erweiterten Kinos‘, zunächst durch die experimentellen Filmemacher Jonas Mekas, Stan VanDerBeek und die Performerin Carolee Schneeman manifestiert, später in Gene Youngbloods 1970 erschienenem gleichnamigen Buch mit einer explizit visionären Ausrichtung auf die für das Kino neuen bildtechnologischen Verfahren und Kommunikationsmöglichkeiten hin untersucht, stand jedoch für vielfältige Initiativen, wie die des experimentellen, strukturellen Films, der Performance und politischen Aktion, des neodadaistischen Happenings oder überblendeten Mehrfachprojektionen, die wie im Fall von Stan VanDerBeeks Movie Mural und Movie-Drome Bildprojektionen auch zum thema tischen Gegenstand von Echtzeit-Projektionsdispositiven wurden.63 Gleichwohl stellte Youngblood nicht nur diese bestimmten Werkformen heraus, die performativ mit Bildprojektion und mit dem Film als Material umgingen, dabei intermediär wie synästhetisch wirkten, aber vor allem von einem „erweiterten Bewusstsein“ aus59 Vgl. Ralf Beil: „Der Schwarzraum – Phänomen, Geschichte, Gegenwart“, in: Black Box. Der Schwarzraum in der Kunst, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bern, Ostfildern 2001, S. 9–24, hier S. 15. 60 Vgl. Tom Gunning: „The long and the short of it: Centuries of Projecting Shadow, from natural magic to the Avant-Garde“, in: Douglas/Eamon (2009), Anm. 29, S. 23–35. 61 Stemmrich (2008), Anm. 42. 62 Symposium: Expanded Cinema. Activating the Space of Reception, Tate Modern, London, 17. – 19. April 2009. 63 Vgl. Peter Weibel: „Erzählte Theorie – Multiple Projektionen und neue Narration in der Videokunst der neunziger Jahre“, in: Ursula Frohne (Hg.): video cult/ures. Multimediale Installationen der 90er-Jahre, Ausst.-Kat. Museum für Neue Kunst, ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, Köln 1999, S. 24–37, hier S. 26.
Bildprojektionen ging.64 Als eine bestimmte künstlerische Praxis, eine Geisteshaltung zu einer bestimmten Zeit kündet das Expanded Cinema von der Sprengung eines nicht nur optisch, sondern vor allem architektonisch wie institutionell geprägten Rahmens und damit der Freisetzung eines Bildes in den Raum. Diese Freistellung beinhaltete gleichsam eine Aktivierung des Umraums und seiner Rezipienten, da nun weder das Trägermaterial des bewegten Bildes, noch das Verhältnis von Betrachter und Werk einem vorgegebenen Rahmen folgte. Der Ort der Intervention fand im Raum der BetrachterInnen statt, welche oftmals Teil des Geschehens wurden. Ein wesentlicher Unterschied zu den Bildprojektionen und kinematographischen Installationen seit den 1990er-Jahren besteht in dem dezidierten Bruch mit den Aufführungsbedingungen des Kinos und filmischen Aufnahmeverfahren. Vielmehr ging es um ein Experimentieren mit Film als Material in den damals performativ umgesetzten Aktionen und um einen im Wesentlichen interventionistischen, aber auch oftmals anti-narrativen Charakter, weshalb sich die geographisch heterogen ausgeprägten Initiativen des Expanded Cinema nicht als Vorläuferphänomen für heutige Entgrenzungstendenzen eignen, sondern einer eigenen Betrachtung bedürfen. Dies betont Volker Pantenburg in seinem Beitrag zu den Konstellationen von Kino und bildender Kunst mit Blick auf die 1960er/70er-Jahre und die Gegenwart, deren Unterschiede und differente Vorbedingungen er in acht Thesen darlegt. Mit dem Zusammendenken beider Bereiche gehen diverse Missverständnisse einher, wie Pantenburg pointiert, welche im Expanded Cinema vor allem die Erweiterung in den Raum priorisiert sahen, statt die Entgrenzung des Bewusstseins zu betonen, wie in der amerikanischen Variante des Expanded Cinema thematisiert. Die Raumerweiterung stellte somit nur ein Mittel auf dem Weg zu neuen Formen der Kommunikation und Wahrnehmung dar und war nicht sein ursprünglicher Fluchtpunkt. Ebenso setzt Pantenburg den immer wieder bemühten Argumentationslinien zu den Rezeptionsbedingungen von Kino und Museum spezifische historische Beobachtungen zur Betrachtermobilität, zu Zeiten der Erfahrung sowie Aufmerksamkeitsökonomien entgegen. Dabei arbeitet er heraus, dass die Zeit um 1970 als historische Referenz relevant wird und von zwei gegenläufigen Bewegungen geprägt ist, die Pantenburg im Hinblick auf Stan VanDerBeeks Movie-Drome und Kubelkas Invisible Cinema-Projekt als utopische Momente markiert: zum einen mit den als „postmoderner Gestus“ beschriebenen gemeinschaftlichen Entgrenzungstendenzen jenseits des Expanded Cinema; zum anderen mittels einer spezifischen Orts- und Medien erfahrung des Invisible Cinema und zum Teil des strukturellen Films, welche auf Konzentration statt Zerstreuung als absolute und autonome Kinoerfahrung setzt. In der kritischen Auseinandersetzung, wie sich die Aufmerksamkeit der Rezipienten vom Film im Kino zum Betrachter im Museumsraum verschoben hat und mit ihr die Parameter von Konzentration zu Zerstreuung, bezieht Volker Pantenburg die Dynamiken der beteiligten Akteure an der Präsentation, Ausstellung und Vermittlung im Kunstbetrieb und ihre ökonomischen, netzwerkorientierten Interessen mit 64 Vgl. Gene Youngblood: „Preface“ in: ders., Expanded Cinema, New York 1970, S. 41–44.
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Lilian Haberer/Annette Urban ein. Somit plädiert er für eine Erweiterung der Fokussierung von Raumdispositionen auf die Zeitlichkeit der Bildprojektionen in Kino und Museum. Inwieweit die Einbeziehung der gesellschaftlichen Bewegungen, der Counter Culture, des Aktivismus, der Hippie- und Punkbewegung usf. über die Distributions- und Ausstellungsorte der Kunst und des Films hinaus und ihre jeweiligen politischen Bedingungen von Bedeutung sind, untersucht Maxa Zoller anhand der Expanded Cinema-Bewegung in Großbritannien. Dabei zeichnet sie die Entwicklung der letzten vierzig Jahre nach, von der Londoner FilmMakers Coop’ und der 1973 gegründeten Gruppe Filmaktion ausgehend, über den gallery film der young British Artists bis hin zu neueren Ansätzen des Expanded Cinema von Karen Mirza und Brad Butler. Dergestalt untersucht sie anhand der auf Festivals und bei Filmprogrammen gezeigten Aktionen, Performances und Werke die Aktivierung des Raums zwischen Projektor und Bild und der damit verbundenen Betrachterrolle wie auch die Auswirkungen der technischen, soziopolitischen und wirtschaftlichen (Krisen-) Situationen auf die Bildprojektionen. Hierbei sind für sie filmtheoretische Überlegungen der Zeit zum Verhältnis von Apparatur und Körper von Althusser, Metz und Baudry ebenso relevant wie ihre Aktualisierungen durch Shaviro, Agamben, Massumi und ihre Auseinandersetzungen mit dem cinematic body, dem Dispositiv und Begriff des Affekts. Zoller artikuliert, wie schon zuvor Pantenburg mit seinem Vergleichsmoment zwischen den 1970ern und den jüngeren Entwicklungen, die Frage, wer etwas auf wen projiziert und welche dynamischen Widerstandsräume sich in den verschiedenen Initiativen abzeichnen. Unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen der Thatcherzeit in Großbritannien und derjenigen des Neoliberalismus und Spätkapitalismus stellt sie im Vergleich zu den 1960ern und 70ern ebenfalls die Frage, in welchem Verhältnis die aus einer aktivistischen und Gegenkultur entstandenen Expanded Cinema-Aktionen zu den großformatigen Filminstallationen der 1990er- und 2000er-Jahre stehen und wie Bildprojektionen sich jenseits spätkapitalistischer Verwertungslogik artikulieren könnten. Einen Ansatz sieht sie in einer Aktualisierung des Expanded Cinema, in den jüngeren „Expanded Media“-Arbeiten der Filmemacher Mirza und Butler, die mit ihrem im Netz und an verschiedenen Orten stattfindenden Museum of Non-Participation (2008) das Verhältnis von Körper und Apparatur und ihre gesellschaftlichen Erweiterungen im globalen, postkolonialen und medialen Kontext untersuchen. Den Aufführungs- und Präsentationsbedingungen der Bildprojektionen in den eigens geschaffenen Räumen des Expanded Cinema geht Dennis Göttel in seinem Beitrag zu Stan VanDerBeeks Movie-Drome auf den Grund. Für die Filmwissenschaft wertet Göttel VanDerBeeks Anliegen, den Kinoraum in einen Cinema-Scopeähnlichen Kuppelbau zu erweitern sowie die Aufmerksamkeit auf eine „Expansion“ des Films „in den Aufführungsraum“ und damit auf ihre „topischen, technischen wie ästhetischen“ Qualitäten gerichtet zu haben, als Verdienst des Expanded Cinema. Dabei lenkt Göttel sein Augenmerk auf die historiographische Aufarbeitung des Movie-Drome-Konzepts anhand von Notizen, Beschreibungen und vor allem auf das in der Vermittlung des Projekts wesentliche fotografische Bildmaterial,
Bildprojektionen welches die Kluft zwischen der Unwiederholbarkeit der performativen Ereignisse und ihrer bilddokumentarischen Verfügbarkeit schließt. Die Projektionsfläche im Innenraum des halbrunden Getreidesilos, das für multimediale Screenings mit LivePerformance-Elementen ohne Bestuhlung ausgelegt war, entsprach der gesamten Kuppelfläche, die an Buckminster Fullers geodätische Dome erinnerte. Darüber hinaus veranschaulicht er, dass dieses im Hinblick auf Kommunikation und Massenmedialität konzipierte, utopische Projekt mittels technischer, satelliten- wie fernsehübertragener Bilder und ihrer Zirkulation erst in der vanderbeek’schen „picturelanguage“ seiner aus Fotos collagierten Ansichten realisierbar erscheint: Technische Unwägbarkeiten wie die reflektierende Aluminiumfolie im Kuppelraum, welche die Projektionen störte, werden über das aus fotografischen Einzelsegmenten geklebte Rundbild multiperspektivisch ansichtig und in seinen Bildprojektionen über die gesamte Kuppelfläche verteilt. Zudem legt Göttel anhand des vielfältigen Bild- und Quellenmaterials in der Ansicht des Movie-Dromes mit Personengruppen sowohl die Stärkung des sozialen Aspekts sinnfällig dar als auch VanDerBeeks auf eine universelle und kulturelle Bildsprache mittels Projektion ausgerichtete Initiative, die sich wesentlich von dem ideologiekritischen Impetus des österreichischen Expanded Cinema und dessen Skepsis gegenüber allumfassenden, multimedialen und uto pischen Ansätzen unterschied.
Transit- und transitorische Räume bewegter Betrachtung und bewegter Bilder Die kinoeske Wahrnehmung ist auch außerhalb des Kinos mit einem zeitlichen und räumlichen Bilderfluss konfrontiert, hat sich jedoch in den heutigen digitalen Bildern als Code oder „Matrix-Bild“ für die Bildrealität etabliert und ist vor allem in ihren intermedialen Abläufen wahrnehmbar.65 Von Interesse ist hier zudem das Ubiquitärwerden von Screens, welche die Lebensumwelt mehr und mehr in eine Bilderwelt transformieren. Besonders die umgebende Architektur wird zum temporären Bildträger während das Bild seinerseits eine Verzeitlichung erfährt. So hatte bei-
Abb. 3 a–c: Ana Torfs, Ausstellungsansichten von Album/Tracks A, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2010. 65 Vgl. Tina Hedwig Kaiser: Aufnahmen der Durchquerung. Das Transitorische im Film, Bielefeld 2008, S. 63.
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Abb. 4 a–d: Ana Torfs, Ausstellungsansichten von Album/Tracks A, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2010.
spielsweise die belgische Künstlerin Ana Torfs in ihrer 2010 gezeigten Ausstellung Album/Tracks A in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 in Düsseldorf eine für mediale Installationen ungewöhnliche Ausstellungsarchitektur gewählt: Die Diainstallationen und Fotografien waren in einem hellen, weißen Ausstellungsparcours präsentiert, bei dem man sich wie in einer städtischen Gasse durch den Raum bewegte – an den Wänden waren große Titel wie Straßennamen angebracht und die Räume wurden bis auf zwei Installationen ohne Türstürze direkt zugänglich und einsehbar. Als würden die flanierenden BesucherInnen wie bei einem Albumtitel von einem Stück zum nächsten schalten, so hat die Künstlerin die Architektur angelegt. Für den zweiten Ausstellungsort in der Generali Foundation Wien sah sie wie bei der B-Seite einer Schallplatte eine andere Zusammenstellung vor. Innerhalb der Installation verwendete Funkkopfhörer und Klappstühle forderten eine Veränderung der eigenen Sitz- oder Standposition im Raum heraus oder unterstützten die Möglichkeit, sich blicktechnisch von den Korridoren aus an den Werken vorbei zu bewegen. Wie werden somit Architektur und Wände als Projektionsscreens zu imaginären Blicköffnungen, wäre zu fragen, und welche Formen von Architektur zwischen Transparenz und Opazität sind dazu einsetzbar? Welche Übergänge und Rahmungen werden zwischen den installativen und innerfilmischen Architekturen evoziert? Umgekehrt fordern Bildprojektionen auch im musealen Raum eine andere Form der bewegten Betrachtung heraus, die zwischen dem Eindringen in den Raum und als Aktivierung der kinematographischen Installation angesiedelt ist. Dabei lässt sich ein ähnlich freies Flanieren wie beim baudelaire’sche Flaneur des 19. Jahrhunderts feststellen.66 Man möchte fragen, ob der urbane dem musealen Flaneur vergleichbar wird? Im Gegensatz zu diesem der Menge widerstehenden urbanen und ohne Ziel vagabundierenden Spaziergänger werden die im Raum mit architektonischen Einbauten möglicherweise nur bedingt frei umherschweifenden BesucherInnen wahlweise selbst zur Projektionsfläche, zum affizierten Bildträger, zum Akteur oder wieder zum passiven Beobachter. Gleiches gilt für die heterogenen Betrachtergruppen, welche sich selbst in ihren unterschiedlichen Verhaltensweisen wahrnehmen und sich dabei gegenseitig animieren oder auch einschränken können. Joachim Krausse beschrieb die Bewegung in Räumen der Performance oder in ephemeren architektonischen Projektionsräumen quasi als Samplingtechnik, als sei der in Bewegung befindliche Mensch selbst in der Lage, quasi seine Bildstrecke und Ton66 Vgl. Païni (2004), Anm. 2, S. 71. Zur Erweiterung des Flaneur-Konzepts um die Figur der Flaneurin siehe Friedberg (1993), Anm. 57.
Bildprojektionen spur zu erstellen.67 Doch dieses Selbstermächtigungsmodell erfährt je nach filmischer oder installativer Arbeit seine Grenzen. Damit wird die Aufmerksamkeit, wie schon Pantenburg betonte, vom Werk auf die Ausstellung und die Selbstwahrnehmung verschoben, was je nach Ausstellung eine erweiternde oder auch zerstreuende Erfahrung mit sich bringt. In der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Wahrnehmungsmodi durch reale und mentale Betrachterbewegung ist Maeve Connollys Resümee aufschlussreich, da sie nicht die oftmals verwendete, kontrastierende Argumentation kritisch-bewegter und passiv-immersiver Zuschauer zwischen den Filmbetrachtern und Ausstellungsbesuchern von Bewegtbildinstallationen fortschreibt, sondern den von Margaret Morse verwendeten Begriff des Zwischenraums („in-between-space“) fruchtbar macht, als zwischen Film- und Museumserfahrung oszillierend, zwischen kinästhetischer Involvierung, Distanzierung und einer Kommodifizierung wiederstehend.68 Dabei operiert sie mit Catherine Fowlers Terminologie des in-frame und outof-frame im Hinblick auf die Rahmung innerhalb und außerhalb des Films, sei es im Kino oder Ausstellungsraum, und dasjenige, was im On- oder Offscreen thematisch wird. Hiermit vermag Fowler laut Connolly die automatische Verkettung von bewegter Betrachtung und kritischer Reflexion aufzulösen, indem Kino und Ausstellungsraum als „beständig in Wechselwirkung bestehende Ausstellungskontexte“69 wahrgenommen werden, die werk- und filmbezogene Rezeptionsweisen herausfordern. Jenseits der institutionellen Räume des Films lässt sich fragen, inwiefern die mobilisierte Stadt und die bewegten Bilder als analoge Projektionsräume fungieren und ob sie nicht nur als mediatisierter urbaner Raum, sondern selbst als mentale Projektionsfolie und ihre öffentlichen Displays und Fassaden als Screens für die filmischen und installativen Reflexionen fungieren? Einer dieser zentralen transitorischen Orte ist Los Angeles als Filmstadt und Produktionsstätte. Erst der mobilisierte, aus dem Fahrzeug heraus erfolgende Blick verwandelt sich dem weitläufigen urbanen Gefüge an und wird damit – ähnlich wie bei Las Vegas70 – Teil der grundlegenden, mitunter kollektiven Stadterfahrung. Den vielfältigen Casting-Funktionen im Sinne einer Inszenierung, Medialisierung und Verortung von Los Angeles widmen sich Doris Berger und Ursula Frohne in ihrem Beitrag. Einen Aspekt stellt dabei die Selbstdarstellung der Stadt dar, wie Thom Andersen sie in seinem Essayfilm Los Angeles Plays Itself (USA 2003) verwirklichte. Hierbei verwendete der Regisseur im Voice over Found Footage-Material derjenigen Filme, welche die Stadt, ihre Strips und Viertel, die Silhouette und das urbane Leben in Szene setzen. Dabei thematisierte Andersen in den ersten Sequenzen bereits den Kontrast von der miniaturhaften Ausschnitthaftigkeit der filmischen Einstellung und der Größe seiner Stadt und skizziert die entgegen67 Vgl. Joachim Krausse im Gespräch mit Nikolaus Kuhnert und Philipp Ostwalt: „Projektion und nichtsimultaner Raum“, in: Arch+ 107 (1991), S. 59–65, hier S. 64–65. 68 Vgl. Maeve Connolly: The Place of Artists’ Cinema. Space, Site and Screen, Bristol/Chicago 2009, S. 22–23. 69 Ebd., S. 24. 70 Vgl. Martino Stierli: Las Vegas im Rückspiegel: die Stadt in Theorie, Fotografie und Film, Zürich 2010.
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Lilian Haberer/Annette Urban gesetzten Parameter des Kamerablicks und dieser Stadtstruktur: die im Film konsta tierte „Vertikalität des projizierten Filmbildes“ und die weitgehende „Horizontalität der Stadt Los Angeles mit Ausnahme von Downtown L.A“. Zudem richten Frohne und Berger ihr Augenmerk auf die künstlerische Reflexion der Straßenzüge und architektonischen Charakteristika in Fotografie, im Film und kinematographischen Installationen: In Ed Ruschas als Leporello angelegtem Fotobuch Every Building on the Sunset Strip (1966) beispielsweise, bei dem nicht nur die Fotografie die Fassaden und Stadtoberflächen abtastet und eine langsame Kamerafahrt entlang des Sunset Blvd. evoziert, stellt das ausfaltbare Buch im Durchblättern analog dazu die filmische Bewegung her. Künstlerinnen wie Dorit Margreiter und Karina Nimmerfall fokussieren ihren Blick jeweils auf ein signifikantes Gebäude und seine Modellhaftigkeit, die jedoch ebenfalls als Filmset in Erscheinung tritt. Das Oszillieren zwischen taxonomischem und filmischem Blick, dem Verhältnis der Mise-en-Scène und des Ortes selbst wie auch der Vielfältigkeit architektonischer Darstellung stellt dabei für Berger und Frohne eine wesentliche Referenz in der Auseinandersetzung mit der Stadt- und Narrationsfolie Los Angeles dar. So fungiert sie als Thema und Fluchtpunkt, als Set und Schauplatz, als Produktions- und Reflexionsort filmischer Projektion. Wenn die filmischen Bilder selbst in den urbanen wie Landschaftsraum migrieren, mischen sie sich mit unserer realen, alltäglichen Erfahrung, interagieren, kommentieren und kontrastieren sie, geben somit in der künstlerischen Reflexion Aufschluss über die Präsenz der Partizipation, aber auch über eine Dislozierung der mit ihnen verbundenen Momente. Auf diese Erfahrungen von Absorption und Rezeption der Umgebung während der Aneignung des städtischen Raums durch Gehen und ihre unterschiedlichen Zeitlichkeiten war der Alter Bahnhof Video Walk auf der dOCUMENTA (13) aus dem Jahr 2012 in Kassel von Janet Cardiff & George Bures Miller angelegt, bei dem die Ausstellungsbesucher durch Ausleihen von Kopfhörern und iPod mit Bild und Raumklang gleichermaßen mittels Anweisungen und narrativen wie fiktionalen Einsprengseln durch den Bahnhof und seine historischen Zeitschichten geführt wurden. Die Doppelung des Spaziergangs in der Überlagerung von realer und mediatisierter Stadterfahrung, von vergangenem, im Filmbild gezeigten Flanieren und der Vergegenwärtigung verschiedener Erinnerungssplitter in der Narration, vermitteln einmal mehr das tiefe Eindringen filmischer und mentaler Projektionen in das Gewebe der Stadt. Inwiefern die migrantischen Bilder, wie T. J. Demos konstatierte, uns nicht nur im täglichen medialen Umgang begegnen, sondern zudem kulturelle Zeugnisse der migratorischen, entwurzelten und staatenlosen Lebenserfahrungen aufgrund der globalen Krise und lokaler Konflikte werden, vergegenwärtigen künstlerische, dokumentaristische und konzeptuelle Ansätze, die mit filmisch-projektiven und fotografischen Mitteln Aufschluss über konfliktreiche Bilder geben und diesen mit eigenen Interventionen begegnen.71
71 Vgl. T. J. Demos: The Migrant Image: The Art and Politics of Documentary during Global Crisis, Durham u. a. 2013.
Bildprojektionen
Abb. 5: Janet Cardiff/George Bures Miller, Alter Bahnhof Video Walk, Kassel 2012.
Jael Lehmann widmet sich in ihrem Beitrag der Rolle von Projektionsprozessen für das Gehen und Sehen in künstlerisch-performativen Ansätzen und deren Bildgenese im medialen Dokumentieren: Sie befasst sich mit den walks von Land Art-Künstler Richard Long und in der postkolonialen Variante mit den paseos von Francis Alÿs. Dabei interessiert sie der Projektionsbegriff als eine Denkfigur der raum-zeitlichen und medialen Übertragung, der Übergänge zwischen Bild- und Betrachterraum. So untersucht sie produktions- und rezeptionsästhetisch die Bewegungsvollzüge und konzeptuellen Entscheidungen in Richard Longs A Line Made By Walking (1966) und seine Trennung von Erfahrungs- und Bildraum. Über die fotografische Dokumentation seiner walks in Fotobüchern lässt sich Lehmann von der projektiven Bewegung ins fotografische Bild leiten und fragt: „Wie generiert Fotografie ein dynamisches Dispositiv, das die Einbildungskraft zu motivieren und Möglichkeitsspielräume der Blickpunkte der Betrachter zu aktualisieren vermag?“ Darüber hinaus reflektiert sie die quasi paradoxe Bildrhetorik und -kritik Richard Longs im Umgang mit der statischen, stillgestellten Fotografie, da er in einer ikonoklastischen Geste die raumzeitliche Natur- und Bewegungserfahrung nicht auf eine fixierende Repräsentation verkürzt sehen will. Er durchkreuze vielmehr jegliche Authentizität und Dokumentierbarkeit. Jael Lehmann beschreibt in diesen Arbeiten eine Auflösung zwischen künstlerischer und außerkünstlerischer Wirklichkeit, welche die Betrachtung zu einem stark partizipatorischen Moment werden lasse, der einem projektive Möglichkeiten in das Bild hinein anbiete. Mit Francis Alÿs’ als performative Streifzüge angelegten paseos rund um seinen Arbeitsmittelpunkt Mexico City legt sie eine andere urbane Erfahrung dar: In dieser hinterlässt der Künstler in einer quasi-dokumentarischen Ästhetik Spuren durch tropfende Farbe oder ephemere Materialien (wie das Schieben eines Eisblocks). Er
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Lilian Haberer/Annette Urban zeigt in der alltäglichen Stadterfahrung zugleich situative Ereignisse und Begegnungen, vor allem aber auch Grenzerfahrungen. Der Akteur bleibt jedoch vor der Kamera unsichtbar, lediglich seine leibliche Präsenz im Raum oder Spuren seiner Interaktion, etwa mit Hunden, werden filmisch festgehalten. Am Beispiel von Alÿs’ Arbeit El Gringo (2003) bringt Lehmann das Verhältnis von Liminalität für die Betrachtung zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung in einem territorialen Gegebenheiten unterliegenden und nicht für alle Stadtbewohner frei zugänglichen Gebiet auf den Punkt, indem sie die künstlerische Produktionsästhetik von Alÿs als eine Zuspitzung von performativer Bewegung, Intervention und der Konstruktion eines medial vermittelten Projektionsbildes fasst. Wesentlich in den beiden künstlerischen Herangehensweisen scheint der Entzug durch Diskursivierung des Ortes zu sein, der ihrer beider Aufmerksamkeit auf kinästhetische Wahrnehmung sowie imaginäre und projektive Qualitäten richtet. Mit Künstlern der Land Art wie Walter de Maria und Robert Smithson wie auch weiteren filmexperimentellen, künstlerisch-konzeptuellen Beispielen der ausgehenden 1960er- und 1970er-Jahre und dem bildkritischen Vermögen ihrer Projektionen im Landschaftsraum der Wüste befasst sich Eva Ehninger. Dabei spielen die Gestaltungsmittel der filmischen Einstellung, wie der 360°-Schwenk bei Nancy Holts und Robert Smithsons Swamp (1971) oder de Marias Hard Core (1969) wie auch die umgekehrt um den eigenen Körper herumgeführte Kamera bei Dan Grahams Helix/Spiral (1973), eine zentrale Funktion bei der Desorientierung oder Fragmentierung der Wahrnehmung des Naturraums. Ehninger interessiert ebenso wie Lehmann die wesentliche Rolle der Medialisierung und Bildkritik der Projektion, aber auch die Kontrastierung zwischen der ausschnitthaften Kadrierung und der Größe und Unermesslichkeit des Landschaftsraums, wie ihn Frohne und Berger für Andersens Auseinandersetzung mit der städtischen Ausdehnung von Los Angeles formuliert hatten. Ehninger geht es zudem um eine Verortung und Adressierung der Zuschauerinstanz, ob in Robert Smithsons Making of Spiral Jetty in den extremen Einstellungs- und Perspektivwechseln aus der Nahsicht wie Vogelperspektive oder mittels der Schnittwechsel vom einen zum anderen Protagonisten bei Hard Core, welche den 360°-erfassten panoramatischen Naturraum in Rekurrenz auf das Erzählkino unendlich und deterritorialisiert erscheinen lassen. Die Landschaft erscheint nicht nur als Gegenüber der Betrachterperspektive, sondern ebenfalls als weiterer Protagonist und Reflexionsfolie, etwa in den Filmen Michael Snows. In einem letzten Schritt zieht Eva Ehninger im Präsentationskontext der Arbeiten eine Parallele von den Land Art-Filmen zum Expanded Cinema, bei dem die Projektion ebenfalls entgrenzt ist, die performative Situation des Entstehungskontexts filmtechnisch aufgegriffen wird und darüber hinaus oftmals eine Verortung des Publikums zwischen den Screens stattfindet. Das Konzept der Publikation beruht auf einem 2010 an der Universität zu Köln veranstalteten Workshop zum Thema Bildprojektionen, der im Rahmen des DFGForschungsprojekts „Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik. Konvergenzen filmischer und realer Räume in Kunstinstallationen und inszenierter Fotogra-
Bildprojektionen fie“ stattgefunden hat. Die Beiträge sind zum großen Teil aus den dort gehaltenen Vorträgen hervorgegangen, wurden jedoch thematisch durch weitere Manuskripte ergänzt. Allen Referentinnen und Referenten, den Gästen sowie den Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle besonders für ihre Beiträge und ihre Diskussionsbereitschaft gedankt, die das Projekt wesentlich befeuert haben. Wir möchten uns vor allem sehr herzlich bei Ursula Frohne für die große Unterstützung und wohlwollende Begleitung des Projekts sowie den fruchtbaren fachlichen Austausch bedanken. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die den Workshop und die Publikation großzügig gefördert hat, gilt ebenso unser Dank. Beim Transcript Verlag, namentlich bei Jörg Burkhard und Gero Wierichs, bedanken wir uns vielmals für die Aufnahme in die Publikationsreihe Image und das Vertrauen über einen längeren Zeitraum hinweg. Für das Lektorat, die Redaktion und Arbeit im Hintergrund des Bandes danken wir sehr herzlich Erec Gellautz für seinen engagierten, unermüdlichen und gründlichen Einsatz. Darüber hinaus sei Stefanie Schrank für das Teillektorat vielmals gedankt sowie Miriam Lowack, Fabian Zavodnik und Stefanie Zobel für die Organisation im Rahmen des Workshops. Unser besonderer Dank gilt Eva Arzdorf für ihre Geduld und Präzision und für ihre gelungene grafische Gestaltung. Zuletzt sei ein herzlicher Dank an diejenigen ausgesprochen, welche zur Entstehung der Publikation auch im Rahmen weiterer Veranstaltungen sowie auf unterschiedliche Weise mit Impulsen beitrugen, namentlich Claudia Althaus, Anna Weber, Doris Krystof, Barbara Engelbach, Anna Pawlak, Joachim Gaus, Ilka Becker, Henry Keazor, Regina Barunke, Christa Blümlinger, Kassandra Nakas, sowie den Galerien und Institutionen, die uns freundlicherweise Abbildungen und Reproduktionsrechte zur Verfügung gestellt haben, insbesondere Kiowa Hammons, Whitney Museum of American Art und Eva Neuroth, VG Bild-Kunst.
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Teil I
Installative und andere räumlich-dispositive Anordnungen von Bildprojektionen
Alexander Streitberger
Projektionsapparatur und Produktionskontext Dispositive zeitgenössischer Kunst
In seinem Aufsatz „Should We Put an End to Projection?“, bemerkt Dominique Païni, die in der Ausstellung „Projections: Les transports de l’image“ präsentierten Installationen bezögen ihre Bedeutung aus der Sichtbarkeit des Projektionsgeräts, und fügt hinzu: „For these artists, the machine is not ostensible for ‚enlarging‘ the cinematic effect.“1 Um zu veranschaulichen, worum es denn eigentlich gehe, wenn nicht um die Ausweitung des ‚cinematic effect‘, der auf nichts anderes abziele als auf die Illusionsbildung beim Zuschauer, untersucht Païni die Relevanz des Projektionsapparats für Werke der Ausstellung. In Michael Snows Filminstallation Two Sides to Every Story (1974) etwa werde der Betrachter eben nicht in ein (fiktives) Filmgeschehen hinein gesogen, sondern mit der Realität der Projektionsfläche als „surface of an apparatus“2 konfrontiert, einer Oberfläche also, die einerseits Transparenz im Sinne eines Eindringens ins Bild suggeriere, andererseits jedoch auf ihrer Opazität als materieller Bildträger beharre.3 Two Sides to Every Story besteht aus einem zentral im Raum angebrachten Bildschirm, auf den beidseitig jeweils ein Film projiziert wird. Beide Filme zeigen ein und dieselbe Frau, die sich zwischen zwei Kameraleuten auf und ab bewegt aus der jeweils entgegengesetzten Perspektive. Um beide Perspektiven – die Frau von vorne und von hinten – wahrzunehmen, muss der Betrachter um den Bildschirm herum gehen und imitiert somit zwangsläufig die Bewegungen der Frau. Aufgrund der dialektischen Inbezugsetzung von (zeitlicher) Sukzession und (räumlicher) Simultaneität sowie von Erinnerungsbild und aktueller Wahrnehmung werde hier, so Païni, die Projektionsfläche in ihrer Eigenschaft als Bild erzeugendes Mittel auf den Prüfstand gestellt.4 1 2 3 4
Dominique Païni: „Should We Put an End to Projection?“, in: October 110 (2004), S. 23–48, 32. Ursprünglich als Katalogtext veröffentlicht in: Le Fresnoy (Hg.): Projections: Les transports de l’image, Ausst.-Kat. Tourcoing, Studio National des Arts Contemporains, Paris 1997. Païni (2004), Anm. 1, S. 44. Vgl. ebd. S. 45. Païni spricht von „putting the screen to the test insofar as it is a second machine for the projected image, complementary to the projector.“ (Ebd., S. 45) Allerdings liegt er meines
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Alexander Streitberger Für die folgenden Ausführungen sind vor allem zwei Aspekte der skizzierten Interpretation bedenkenswert. Wenn Païni Projektor und Projektionsfläche als maßgeblich an der Bilderzeugung teilhabende Maschinen ins Zentrum rückt, drängt sich die Frage nach einem Zusammenhang von installativer Projektionskunst und der Apparatus-Theorie geradezu auf, ein Zusammenhang also, der bei Païni keine Beachtung findet, anderen Orts jedoch gerade dann hergestellt wird, wenn Künstler in ihren Werken das Verhältnis von Bild, Projektionsmitteln und Betrachter reflektieren.5 Ein Ziel des vorliegenden Textes wird sein, die Brauchbarkeit der ApparatusTheorie für Projektionskunst, in der eine konkrete Einbindung der Bild erzeugenden Mittel stattfindet, zu überprüfen. Davon ausgehend soll anschließend das in Bezug auf Projektionsinstallationen immer noch weit verbreitete Interpretationsmodell, demzufolge der Sinn einer Einbeziehung des Projektionsraumes und der Projektionsapparatur darin bestehe (oder gar bestehen müsse), den Illusionismus projizierter Bilder zu brechen, um die formalen Eigenschaften und Funktionsweisen des Mediums Film kritisch zu hinterfragen, relativiert werden.6 Gerade in aktuellen Arbeiten zeitgenössischer Künstler wie
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Erachtens falsch, wenn er behauptet, der Projektor selbst spiele eine untergeordnete Rolle in Snows Installation. Schließlich wird der perfekte Wechsel von der Perspektive der gefilmten Person zur Betrachterperspektive erst dadurch ermöglicht, dass die Position der Projektoren exakt mit derjenigen der Kameras, mit denen der Film aufgenommen wurde, übereinstimmt. Zur Apparatus-Theorie vgl. Stephen Lowry: „Film – Wahrnehmung – Subjekt. Perspektiven des Filmzuschauers“, in: Montage/AV 1/1 (1992), S. 118–119. Die Anwendung der Apparatus-Theorie auf zeitgenössische Videokunst wird zum Beispiel von Gregor Stemmrich und Chrissie Iles vorgenommen. Vgl. Gregor Stemmrich: „Dan Graham’s Cinema and Film Theory“, in: Stan Douglas/Christopher Eamon (Hg.), Art of Projection, Ostfildern 2009, S. 93–110; Crissie Iles: „Between the Still and The Moving Image“, in: dies. (Hg.), Into the Light. The Projected Image in American Art 1964–1977, Ausst.-Kat. Whitney Museum of American Art New York 2001, S. 32–69. Als prominente Position sei hier auf Rosalind Krauss verwiesen, die den strukturalen Film (u. a. das Werk des bereits erwähnten Michael Snow) lediglich als Reflexionsmittel seiner eigenen Struktur und Beschaffenheit versteht. Wenn sie dabei ‚Apparatus‘ als Zusammenspiel des Filmstreifens, der Kamera, des Projektoren, des projizierten Lichtstrahls wie auch der Betrachterposition definiert, bleibt sie letztlich in einer formalen Sichtweise verhaftet, die wenig Interesse für inhaltliche, soziale und ökonomische Aspekte des filmischen Dispositivs bekundet. Vgl. Rosalind Krauss: ‚A Voyage to the North Sea‘. Art in the Age of the Post-medium Condition, London 1999, S. 25. In ihren weiteren Ausführungen ergänzt Krauss zwar den skizzierten formalen Begriff der Medienreflexivität um eine historischtechnische Komponente, indem sie vorschlägt, dass die Aufgabe neuerer Projektionskunst darin bestehe, ein technisch überholtes Medium durch ein Medium einer höheren technischen Entwicklungsstufe zu reflektieren. Nichtsdestotrotz bleibt sie jedoch im Gedanken der Medienspezifik gefangen, wenn sie multimediale Installationskunst als internationale Mode abtut und lediglich einige wenige Arbeiten von James Coleman oder William Kentridge aufgrund ihrer Eigenschaft, Medien in ihrer wechselseitigen Differenz zu reflektieren, gelten lässt: „Artists such as James Coleman or William Kentridge have embraced the idea of differential specificity, which is to say the medium as such, which they understand they will now have to reinvent or rearticulate.“ (ebd., S. 56).
Projektionsapparatur und Produktionskontext Simon Starling und Michel François werden medienreflexive Strategien der 1960erund 1970er-Jahre zwar durchaus aufgegriffen, um dann allerdings über die Einbindung der Projektionsapparatur Produktionsmechanismen und -kontexte zu thematisieren, die sich eben nicht – oder nicht nur – auf formale oder strukturale Aspekte der Bilderzeugung beziehen, sondern auf historische, soziale und ökonomische Zusammenhänge, die in ihrer Relevanz zur Kunstproduktion reflektiert werden.
Dispositiv, Apparatur, Situation Historisch betrachtet lässt sich der Durchbruch der Apparatus-Theorie ziemlich exakt auf das Jahr 1975 festlegen, als in dem Themenheft Psychanalyse et Cinéma der französischen Zeitschrift Communications zwei Aufsätze erschienen, die erstmalig den kinematographischen Apparat in ihren filmtheoretischen Überlegungen ins Zentrum rückten: Jean-Louis Baudrys „Le dispositif: approche métapsychologique de l’impression de réalité“ und Roland Barthes’ „En sortant du cinéma“.7 Ausgehend von einem analogischen Verhältnis zwischen Kinosituation und Platons Höhle, schreibt Baudry die illusionsbildende Macht des Kinos dem Dispositiv zu – bestehend aus dem abgedunkelten Saal, der Leinwand, auf die Bilder projiziert werden, und dem hinter den Kinobesuchern situierten Projektionsgerät. Davon unterscheidet er das Basisgerät („appareil de base“), das zusätzlich noch das Filmmaterial, die Kamera, die Entwicklung, die Montage, kurz: die technischen Aspekte der Filmproduktion umfasst.8 Dieses Dispositiv produziere nun den ‚effet cinéma‘, welcher, den Betrachter in einen traumhaften, dämmrigen Zustand versetzend, in der Entwicklung des Menschen dem postnatalen oder gar dem embryonalen Stadium entspreche: „Der Gefangene in Platons Höhle ist das Opfer der Illusion von Realität, das heißt genau dessen, was man eine Halluzination im Wachzustand und einen Traum im Schlafzustand nennt; er ist die Beute des Eindrucks [impression] von Realität.“9 Das Dispositiv ist folglich in der Lage, den Betrachter in einen bestimmten unbewussten Zustand des Begehrens zu versetzen, den des Voyeurs. Nach Baudry wird dieser passive Zustand von der Filmindustrie optimiert, indem sie Filme liefert, die es dem Betrachter erlauben, sich in der Filmhandlung zu spiegeln und so – ganz im Sinne Lacans – die Fiktion eines autonomen Subjektes aufrecht zu erhalten oder gar zu konstituieren. Um dieses Phantasma zu durchbrechen, sei es nötig, so Baudry, die technische Grundlage des Films offen zu legen, wie dies z. B. in Dziga Vertovs Tschelowek s kinoapparatom (Der Mann mit der Kamera, UdSSR 1929) geschehe, wo die Produktionsbedingungen der eigenen Erzeugung gezeigt werden. 7 8 9
Jean-Louis Baudry: „Le dispositif: approche métapsychologique de l’impression de réalité“, in: Communications 23 „Psychanalyse et Cinéma“ (1975) S. 56–72; Roland Barthes: „En sortant du cinéma“, in: ebd., S. 104–107. Vgl. Baudry (1975), Anm. 7, S. 57. Ebd., S. 58 (Ü. d. A.).
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Alexander Streitberger Damit stellt sich Baudry eindeutig in die Tradition marxistisch geprägter Ästhetik, wo die Frage nach den Produktionsmitteln und den Produktionsverhältnissen gestellt wird und, um es mit Walter Benjamin zu formulieren, der Begriff der Technik dazu bestimmt ist, die unfruchtbare Debatte zum Verhältnis von Form und Inhalt zugunsten einer Einbindung des Werks in „die lebendigen gesellschaftlichen Zusammenhänge“ zu überwinden.10 Wie Baudry verschiebt auch Barthes in „En sortant du cinéma“ sein Augenmerk vom projizierten Bild zu den Projektionsbedingungen, nicht ohne den statischen Begriff der Vorrichtung (Dispositiv) um den dynamischen Begriff der Situation („situation du cinéma“) zu erweitern. Die Kinosituation konstituiert sich demnach aus dem Film selbst und dem Dispositiv, das sich laut Barthes aus der Trias von dunklem Saal, (tanzendem) Lichtstrahl des Projektionsgeräts und Kinobesuchern zusammensetzt.11 Und ganz wie Baudry versteht Barthes diese Kinosituation als eine Verführungsstrategie der Unterhaltungsindustrie mit dem Ziel, den Betrachter regelrecht einzulullen. Barthes’ Vorschlag, dem entgegen zu wirken, fällt dann allerdings ganz anders aus. Um nicht den ideologischen Effekten des Kinos als institutionalisierter Illusionsmaschinerie anheim zu fallen, schlägt Barthes vor, sich gewissermaßen aufzuspalten in einen narzisstischen Körper, der sich im Spiegel der Filmprojektion verliert, und einen perversen Körper, der nicht das Bild fetischisiert, sondern das, was darüber hinaus geht: die Tonfärbung, den Saal, die dunkle Masse der anderen Körper, die Lichtstrahlen, den Eingang und den Ausgang. Misstrauisch gegenüber jeglicher Ideologiekritik, da eine solche doch nur stets wieder in einer neuen Ideologie münde, ist es Barthes darum zu tun, eine Distanz zu schaffen, die, anstatt sich intellektuell über den Film zu erheben, ein affektives Verhältnis ausdrückt und somit eine binäre Relation zu einer mehrschichtigen Situation verkompliziert.12 In ihrem Aufsatz „Between the Still and the Moving Image“ verbindet Chrissie Iles Barthes’ für die Kinosituation geprägtes Rêverie-Konzept mit der Phänomenologie des ‚wahrnehmenden Körpers‘ von Maurice Merleau-Ponty und überträgt es auf den Kunstbereich. Indem die Galeriesituation dem Betrachter erlaube, sich frei zu bewegen und somit verschiedene Standpunkte einzunehmen, sei es diesem möglich, seine Aufmerksamkeit von der Projektionsfläche auf den ihn umgebenen Raum sowie die physischen Bedingungen der Bildproduktion zu lenken: „The projector beam as a sculptural form, the transparency and illusionism of the cinema screen, the internal structure of the film frame, the camera as an extension of the body’s own mental and ocular recording system, the seriality of the slide sequence, and the interlocking structure of multiple video images.“13 10 Walter Benjamin: „Der Autor als Produzent“, in: Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhauser, Bd. II-2, Frankfurt am Main 1980, S. 685. 11 Vgl. Barthes (1975), Anm. 7, S. 106. 12 Vgl. ebd., S. 107. 13 Iles (2011), Anm. 5, S. 33.
Projektionsapparatur und Produktionskontext Seltsamerweise kommt der Filmprojektor selbst in dieser Auflistung nicht vor. Nach Iles entspricht der installativen Dezentrierung des sehenden Subjekts („decentering of the viewing subject“14) eine Fokussierung auf den menschlichen Körper in Projektionsinstallationen der 1960er- und 1970er-Jahre, wobei das körperliche Erleben des Installationsraums in ein Spannungsverhältnis mit der im Film dargestellten Körpererkundung tritt. Dieses Wechselspiel ermögliche, auf die Herstellungsmechanismen der projizierten Bilder aufmerksam zu machen und, davon ausgehend, ein Bewusstseinsmodell, in dem wir selbst als Projektionsfigur auftreten, sichtbar werden zu lassen: „The projective installation thus […] make[s] visible a model of consciousness in which […] we recognize that we exist within a continuous projection of our own ‚event‘.“15 1975 verfasst und im Folgejahr erstmals in der Zeitschrift Quarterly Review of Film Studies veröffentlicht, ist Thierry Kuntzels „Note sur l’appareil filmique“ auf das selbe Jahr datiert, in dem Baudrys und Barthes’ Texte zum filmischen Dispositiv in Communications erschienen sind. Der Text basiert auf Sigmund Freuds „Notiz über den Wunderblock“, worin der Psychoanalytiker eine Analogie zwischen dem Spielzeug des Wunderblocks und dem menschlichen Gedächtnis herstellt. Durch das immer neue Beschreiben und Löschen von Zeichen auf einer druckempfindlichen Wachstafel graben sich Spuren vergangener Schreibvorgänge als unsichtbare Vertiefungen in die Schreibfläche ein, womit laut Freud zwei wesentliche Bedingungen der Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses gegeben sind: „Unbegrenzte Aufnahmefähigkeit und Erhaltung von Dauerspuren.“16 Kuntzel schlägt vor, diese Analogie auf die filmische Apparatur zu übertragen, da diese ein ständig im Werden begriffenes Bild auf die Leinwand projiziert, das, um Neues entstehen zulassen, Altes auslöschen muss. Gleichzeitig bewahrt der Filmstreifen, der mit einer Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde durch die Apparatur gleitet und damit die Illusion von Bewegung erzeugt, jedes einzelne Bild des Filmes auf, das folglich jederzeit re aktualisiert werden kann. Als formelle Möglichkeiten, diese Ambivalenz im Film sichtbar zu machen, nennt Kuntzel den bewussten Einsatz von Flimmern und Flackern des Bildes oder auch die Akzentuierung des Filmstills innerhalb des Films. Dafür entwirft er das Konzept des ‚anderen Films‘ („l’autre film“), bei dem es sich um einen Film handelt, „der, seiner temporalen Zwängen befreit, alle seine Elemente gleichzeitig präsentiert […] indem diese unaufhörlich aufeinander verweisen, sich überschneiden, sich decken, Konfigurationen bilden wie sie im herkömmlichen Ablauf noch nie gesehen oder gehört wurden. Endlich ein Film-Text.“17 14 Ebd., S. 34. 15 Ebd., S. 65. 16 Sigmund Freud: „Notiz über den ‚Wunderblock’“, in: Sigmund Freud. Psychologie des Unbewußten, Studienausgabe, hg. v. Alexander Mitscherlich/Angela Richards/James Strachey, Bd. III, Frankfurt am Main 1982, S. 363–369, hier S. 365. 17 Thierry Kuntzel: „Note sur l’appareil filmique“, in: Thierry Kuntzel. Title TK. Notes: 1974–1992, hg. v. Anne-Marie Duguet, Paris 2006, S. 107–114, hier S. 114 (Ü. d. A.).
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Alexander Streitberger Als Gemeinsamkeit all dieser Ansätze lässt sich feststellen, dass den Projektionsmitteln – sprich dem Projektionsgerät und der Leinwand – keine maßgebliche Rolle zukommt. Das Dispositiv ist definiert durch die räumliche Situation, den Kinobesucher und den Lichtstrahl, der in dem Maße zur Form oder gar zum Akteur wird, als das Projektionsgerät, dem viel offensichtlicher skulpturale und performative Qualitäten zueigen sind, unsichtbar bleibt. Dementsprechend beziehen sich die Lösungsvorschläge für eine Desillusionierung des Betrachters und eine damit einhergehende Dekonstruktion der Projektionsmechanismen auf innerfilmische Strategien (Baudry und Kuntzel) oder, wie im Falle von Iles’ Barthes-Rezeption, auf die körperliche Situation des Betrachters. Ein durchaus interessanter Ansatz für die Einbeziehung des technischen Projektionsapparats selbst findet sich bei Kuntzel, auch wenn sich dieser letztendlich doch wieder ausschließlich auf das Resultat in Form eines absoluten Films als Film-Text kapriziert. Wenn sich das Funktionieren des Wunderblocks ‚Film‘ erst dem Zusammenspiel der transitorischen Bilder der Projektion und der statischen, bleibenden Bilder des Filmstreifens verdankt, was liegt dann näher als den Illusionismus des Films zu brechen, indem beide gleichzeitig präsentiert und dialektisch aufeinander bezogen werden?
Projektionsgerät und Produktionsapparat Eben dies geschieht in Simon Starlings 2006 realisierter Projektionsinstallation Wilhelm Noack oHG. Der Projektor ist eingebunden in eine wendeltreppenförmige Architektur, die nicht nur das Gerät selbst trägt, das einen vierminütigen Loop an die gegenüberliegende Wand projiziert, sondern auch die dafür benötigten 120 Meter Filmstreifen, die sich elegant über das spiralförmige Gestänge entrollen. Dem Betrachter wird somit gleichzeitig das gesamte Filmmaterial als auch die sukzessive Entfaltung der Filmnarration vor Augen geführt.18 Das Wunderblockmodell hat noch einen weiteren Vorzug, um Starlings Installation zu interpretieren. Während den Dispositiv-Modellen Baudrys und Barthes’ ein auf phänomenologischen und psychoanalytischen Ansätzen beruhendes ahistorisches Wahrnehmungsmodell zugrunde liegt, impliziert die Wunderblockanalogie die Relevanz von Gedächtnis und Geschichte. Das Wunderblockmodell ist auf das 18 Natürlich erinnert die Wunderblockanalogie an Hiroshi Sugimotos Fotografien der Theaters-Serie, in denen die Belichtungszeit der Dauer des projizierten Kinofilmes entspricht. Die Einschreibung des gesamten Films auf den lichtempfindlichen Bildträger bewirkt hier zugleich dessen Auslöschung angesichts des sichtbaren Resultats einer strahlend weißen Leinwand. Allerdings ist Sugimoto keineswegs an dem (kinematographischen oder fotografischen) Dispositiv interessiert. Er stellt vielmehr Fragen nach dem innerbildlichen Verhältnis von Erinnerung und Wahrnehmung oder auch nach der Relation zwischen der zeitlichen Dauer des Films und dem statischen Charakter der Fotografie.
Projektionsapparatur und Produktionskontext
Abb. 1: Simon Starling, Wilhelm Noack oHG, 2006, Installationsansicht Presentation House Gallery, Vancouver, 2007.
in der Geschichte verankerte, mit einem Gedächtnis begabte Subjekt angewiesen, muss sich doch Erlebtes als Spur ins Unbewusste eingraben, damit es neu überschrieben – und nicht ausgelöscht – werden kann. Historische Erinnerungen weckt Starling gleich in doppelter Hinsicht. Zunächst auf technischer Ebene, indem er einen 35 mm-Film-Projektor einsetzt, dessen Rasseln und Surren an die gute alte Zeit des Avantgarde-Films der 1960er- und 1970er-Jahre erinnert, als es noch keine Videobeamer gab, die lautlose Bilder an die Wand warfen. Die Frage nach einer damit einher gehenden Wahrnehmungsverschiebung wird von Stan Douglas folgendermaßen formuliert: „I wonder if there’s been a change in perception over time and now we’ve become used to seeing images appear magically on a wall, and if, at one point, these loud, clattering projection devices were invisible to the audiences who saw them in the sixties. Or were they somehow fetishizing the gear in the room also?“19
Muss die Frage nach der fetischistischen Macht lärmender Filmvorführgeräte für eine Epoche, in der es noch keine Videobeamer gab, unbeantwortet bleiben, so kann man wohl annehmen, dass das Revival solcher Projektoren in jüngster Zeit erheblich auf ihre nostalgische, fetischistische Wirkung zurückzuführen ist. Bei Starling jedoch gerät die Projektionsapparatur zu einem Fetisch, der ganz im barthes’schen Sinne subversiv wirkt, indem er vom Film selbst, dem ebenfalls fetischistische Ei19 Stan Douglas im Interview mit Christopher Eamon, in: Douglas/Eamon (2009), Anm. 5, S. 11.
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Alexander Streitberger genschaften zugeschrieben werden können, ablenkt.20 Allerdings wird auch dieser Fetisch entmystifiziert, indem sich das Projektionssurren mit den martialischen Metallverarbeitungsgeräuschen der Tonspur des Films mischt. Diese stammen aus der 1897 gegründeten Berliner Traditions-Metallwerkstatt Wilhelm Noack oHG, in die der Film Einblick gewährt. Wie man sehen kann, wird hier die komplette Bandbreite an Edelstahlarbeiten abgedeckt: von Bauschlosserei über funktionale Designmöbel der Klassischen Moderne (Barcelona-Sessel von Mies van der Rohe) bis hin zu filigran ornamentierten Kunstschmiedearbeiten. Historische Fotografien des Unternehmens und Konstruktionszeichnungen von dort hergestellten Produkten wechseln ab mit selbst gedrehtem Filmmaterial, das die Herstellung der Projektionsskulptur in der Metallwerkstatt dokumentiert. Man erfährt, dass diese tatsächlich auf die Konstruktionszeichnung einer Wendeltreppe zurückgeht, womit der Bogen von Gebrauchsmöbel und Kunstobjekt, zwischen Design und Trägerkonstruktion gespannt ist. Interessant ist diesbezüglich der Kommentar des Künstlers, der erklärt, dass es sich um „eine Art kunstvolle ‚Schachtel mit dem Klang ihrer eigenen Herstellung‘ [handele], wenn man so will, eine rhetorische Struktur, die es der Arbeit erlaubt, ihre eigene Produktion zu dokumentieren und gleichzeitig einen wichtigen Bereich der Geschichte Berlins quasi in Gang zu setzen.“21 Das ist natürlich eine Anspielung auf Robert Morris Arbeit Box with the Sound of its own Making (1961), einem handlichen Holzwürfel, der ein die Geräusche der eigenen Herstellung wiedergebendes Aufnahmegerät enthält. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied. Während Morris’ Arbeit einen ausschließlich selbstbezüglichen Charakter hat, und damit seinen Platz in der mit der Definition von Kunst als prozessualem Vorgang beschäftigten Kunstszene der 1960er-Jahre einnimmt, koppelt Starling sein Werk an einen Produktionskontext, der historisch und ökonomisch mit dem Kunstbereich zunächst nur in loser Verbindung steht, nämlich denjenigen eines Metallverarbeitungsunternehmens. Die Tatsache, dass die Noack oHG einerseits Verbindungen zum Bauhaus unterhielt und Designgegenstände des Internationalen Modernismus herstellte, andererseits aber auch Projekte für das Dritte Reich realisierte22, zeigt die enge Vernetzung verschiedener ökonomischer, politischer und künstlerischer Realitäten – ein Zusammenhang, der sich in der Installation durch eine zirkuläre Verschiebung ausdrückt: von der Architektur einer Standardwendeltreppe über die Projektionsskulptur hin zum projizierten Film, der wiederum die Entstehung der erwähnten Konstruktion en zeigt. Starling äußert sich dementsprechend: 20 Als eine der ersten stellt Laura Mulvey einen Zusammenhang zwischen Film und Fetisch her, um zu erklären, auf welche Weise gewisse Filme den weiblichen Star zum fetischistischen Objekt verdinglichen. Laura Mulvey: „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, in: Screen 16/3 (1975), S. 16–18. 21 Simon Starling in: Under Lime. Simon Starling, Ausst.-Kat. Temporäre Kunsthalle Berlin, Köln 2009, S. 63. 22 Vgl. Simon Starling. Cuttings [Supplement], Ausst. Kat. The Power Plant, Toronto 2008, S. B 30.
Projektionsapparatur und Produktionskontext „Ich finde es interessant, sich auf die ‚Produktionsmittel‘ im weitesten Sinne zu konzentrieren – insbesondere da ein großer Teil der künstlerischen Produktion vor allem auf globaler Ebene zunehmend in unmittelbarer Beziehung zu anderen Produktionsformen steht.“23
Um diese Beziehung hervorzuheben, macht sich Starling die Mechanismen eines der Kunst fremden Produktionszusammenhangs zueigen, was soweit geht, dass die Kamera, auf Metallverarbeitungsmaschinen und Laufrollen montiert, deren ruckhafte, abrupt abgebremste und beschleunigte mechanische Bewegungen imitiert. In Anlehnung an den französischen Philosophen Jacques Rancière verfolgt Starling eine Strategie, die sich nicht auf kunstimmanente Probleme beschränkt, sondern der Kunst externe Praktiken und Methoden imitiert und reflektiert: „Mir gefällt Jacques Rancières Aussage, dass ‚künstlerische Praktiken »Aktions- und Produktionsmethoden« sind, die sich in den allgemeinen Vertrieb von Aktions- und Produktionsmethoden einschleichen‘ [...].“24 In seinem Buch Die Aufteilung des Sinnlichen geht Rancière tatsächlich von einer Verbindung von Politik und Ästhetik aus, indem er künstlerische Praktiken als Tätigkeitsformen definiert, welche die herkömmliche Aufteilung des Sichtbaren, des Sagbaren und des Hörbaren sowie des Privaten und des Politischen in Frage stellen und „somit ein raum-zeitliches Sensorium [schaffen], durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins, des Innen- oder Außen-, Gegenüberoder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden.“25 Die Aufteilung des Sinnlichen in klar getrennte ästhetische und politische Sphären wurde freilich bereits von Walter Benjamin radikal hinterfragt. In seinem gegen den Faschismus gerichteten Vortrag „Der Autor als Produzent“ fordert Benjamin nicht nur die Verbindung bis dahin getrennter künstlerischer Tätigkeitsfelder wie die des Schriftstellers, des Fotografen und des Kritikers. Er stellt auch die Frage nach der Beziehung zwischen Kunst und gesellschaftlichen Produktionsbedingungen neu, weniger im Sinne einer inhaltlichen Stellungnahme als eines produktionsbedingten Verhältnisses: „Also ehe ich frage: wie steht eine Dichtung zu den Produktionsverhältnissen der Epoche? möchte ich fragen: wie steht sie in ihnen?“26 Wie bereits erwähnt, zielt Benjamin darauf ab, den unfruchtbaren Gegensatz von Form und Inhalt durch den Begriff der Technik zu ersetzen. Durch eine Aneignung und Umfunktionierung der technischen Produktionsmittel gehe es darum, „den Produktionsapparat nicht zu beliefern, ohne ihn zugleich, nach Maßgabe des Möglichen, im Sinne des Sozialismus zu verändern.“27
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Under Lime (2009), Anm. 21, S. 56. Ebd., S. 62. Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen, Berlin 2006, S. 77. Benjamin (1980), Anm. 10, S. 686. Ebd., S. 691.
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Alexander Streitberger Natürlich liegt es Starling fern, Kunst als politische Waffe im Kampf gegen ein totalitäres Regime zu verstehen – die Zeiten, als künstlerisches Engagement bedeutete, die Kunst bedingungslos in den Dienst des Sozialismus als einzig gangbarer Alternative zur europaweiten Ausbreitung des Faschismus zu stellen, sind vorbei. Nichtsdestotrotz scheint die Frage nach der Bedeutung von Kunst in den herrschenden Produktionsverhältnissen abermals aktuell zu sein in einer Zeit, in der ökonomische, politische und soziale Aspekte einer zunehmenden Ästhetisierung unterliegen und die von Bildern erzeugten Effekte ihre historischen und technischen Herstellungsbedingungen allzu leicht verdecken. Gerade in dieser Hinsicht spielt bei Starling das materielle Dispositiv in Form einer Projektionsskulptur eine entscheidende Rolle, da es einerseits das eigentliche Motiv für die Herstellung des Films ist, andererseits die herkömmliche Hierarchie zwischen Kunstwerk und Industrie pervertiert. Verschwindet normalerweise die Metallwerkstatt, welche die Elemente einer Skulptur oder einer Installation liefert, komplett hinter dem ausgestellten Kunstobjekt, wird sie hier durch die Konstellation Projektionsskulptur plus Projektion zur Hauptdarstellerin. Die ausgestellte Arbeit wird als Konstrukt unterschiedlicher sozialer und historischer Bezüge greifbar, indem (künstlerischer) Prozess und (industrielle) Produktion in ein komplexes ästhetisches, ökonomisches und kulturelles Wechselverhältnis treten.
Platons Höhle im Funktionswandel Im räumlichen Zentrum von Michel François’ Installation Studio (2004–2010) stehen ein Theater- oder Studiostrahler („projecteur“) und ein Diaprojektor.28 Der Diaprojektor projiziert das Bild eines anderen Strahlers an die Wand, dessen Lichtfeld durch einen Spiegel ersetzt ist, welcher das Licht des Diaprojektors reflektiert und somit den Schatten des realen Strahlers an die gegenüberliegende Wand wirft. Das Licht des Strahlers selbst ist auf eine großformatige Fotografie gerichtet, die ein Film- oder Fotostudio aus der Vogelperspektive zeigt. Die Hochglanzoberfläche des Fotos reflektiert den grellen Lichtstrahl brutal, so dass der Betrachter geblendet wird und das Abgebildete nur aus der Schrägsicht zu erkennen ist. Durch den starken Lichtreflex der Fotografie wird ein weiterer Schatten der Projektionsapparatur auf die entgegengesetzte Wand geworfen. Auch hier verweist die Projektionsapparatur nicht nur auf die Entstehung der durch sie erzeugten Bilder, sondern auch auf einen anderen Produktionskontext, für den der Strahler metonymisch steht: denjenigen des Filmstudios, das vom auf die Fotografie gerichteten Strahler nicht in Szene gesetzt, sondern optisch ausgelöscht wird. Wie 28 Studio ist ein work in progress, von Michel François 2001 begonnen und bis heute in verschiedenen Varianten – je nach räumlicher Situation – realisiert. Im Folgenden beziehe ich mich auf die im Rahmen der Retrospektive im Genter Stedelijk Museum voor Aktuele Kunst (SMAK) 2009/2010 eingerichtete Version.
Projektionsapparatur und Produktionskontext
Abb. 2, 3: Michel François, Studio, 2009, Installationsansicht Stedelijk Museum voor Aktuele Kunst (SMAK), Gent, 2009.
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Alexander Streitberger im Katalog der Retrospektive Plans d’évasion zu lesen ist, geht es François hier um die „Herstellung von Schatten, von Bildern, die die Wahrnehmung verwirren. Es handelt sich um eine Art mise en abyme eines Filmstudios.“29 Es findet also eine Verschiebung von der Projektion selbst zu einem anderen Produktionskontext statt, der soziale und kulturelle Zusammenhänge thematisiert, die außerhalb des Medienspezifischen und seiner Wahrnehmungsmodi anzusiedeln sind. Die Projektionsapparatur spielt dabei eine entscheidende Rolle. Indem sie ein komplexes Spiel unterschiedlicher Projektionsarten in Gang setzt, stellt sich zunächst die Frage nach der Bilderzeugung selbst. Wenn der Strahler mit seinem grellen Licht das fotografische Abbild blendet und der Diaprojektor sein Bild auf einen Spiegel wirft, nur um jeweils ein Schattenbild auf der gegenüberliegenden Wand zu erzeugen, drängt sich das von Baudry zitierte Bild von Platons Höhle geradezu auf. François schafft einen Illusionsraum, der Bilder ersten, zweiten und dritten Grads gegeneinander ausspielt, so dass die Frage nach einem Original letztlich obsolet wird: Sind etwa die Schattenprojektionen als direkte Abbildungen eines konkreten Objekts realer als die fotografischen Reproduktionen einer abwesenden Wirklichkeit, wo diese doch erst mittels Lichtreflexion die Schattenbilder ermöglichen? Allerdings ist auch hier die Thematisierung der Herstellungsbedingungen der projizierten Bilder mit der Realität einer anderen Illusionsmaschinerie verknüpft, derjenigen des Filmstudios, wodurch kunstexterne Bedeutungsschichten und Produktionskontexte ins Blickfeld rücken. Der Titel der Arbeit, die für die Studioarbeit typischen Strahler und die Luftfotografie eines Studiodekors, in dem scheinbar gerade aufgenommen wird, weisen auf herkömmliche Praktiken und Prozesse von Film- und Fotografie-Studios hin, welche Platons Höhle fest in einer historischen und sozialen Bildproduktionspraktik verankern. Die Strahler, die hier ganz im Sinne der französischen Wortbedeutung als ‚projecteurs‘ – als Projektoren – der Schatten auftreten, werden in diesem Kontext selbstverständlich als Hilfsgeräte eines Filmoder Fotostudios wahrgenommen. Ganz anders in der verwandten Arbeit Théâtre des opérations, die François 2004 für das Centre Photographique d’Île-de-France, Pontault-Combaut realisierte. Bereits der Titel verweist auf eine andere Funktion des Strahlers – die des Theaterspots. Entsprechend wird hier eine als Beweisstück betitelte Handfeuerwaffe der Israelischen Armee gleich einer Theaterszene beleuchtet, während die ins Scheinwerferlicht gerückte Agave zum Hauptakteur – oder zum Täter – mutiert. Vom Studiodekor zum Theaterdekor, von der illusionären Diaprojektion zur imaginären Projektion des Tatorts: Offensichtlich suggeriert die innerhalb der Installation vorgenommene Inszenierung der Strahler deren Funktion und folglich auch die Bedeutungen ihrer Projektionen.
29 Michel François. Plans d’évasion, Ausst.-Kat. Stedelijk Museum voor Aktuele Kunst Ghent, Amsterdam 2010, S. 233 (Ü. d. A.).
Projektionsapparatur und Produktionskontext
Abb. 4: Michel François, Théâtre des opérations, 2004, Installationsansicht Stedelijk Museum voor Aktuele Kunst (SMAK), Gent, 2009.
Das erweiterte Dispositiv In Anbetracht der vorangehenden Überlegungen zu den Projektionsinstallationen von Starling und François ist der Begriff des Dispositivs in zweierlei Hinsicht zu erweitern. Zunächst ist festzuhalten, dass die in der Filmtheorie aufgrund ihrer Unsichtbarkeit vernachlässigte Projektionsapparatur zum zentralen Element wird. Dies geschieht nicht nur, um Wahrnehmungsbedingungen und Herstellungsprozesse des Kunstwerks zu reflektieren, sondern darüber hinaus, um scheinbar historisch und kulturell kunstexterne Produktionszusammenhänge einzubeziehen und in ihrem Bezug zur Kunstproduktion zu überprüfen. Daraus folgt, dass das traditionelle Konzept des Dispositivs als einer ahistorischen, auf psychologischen und ideologischen Prämissen basierenden Konstellation von Raum, Betrachter und technischem Apparat, um eine historische und um eine pragmatische Perspektive zu erweitern ist. Tom Gunnings Forderung, dass die Position des Betrachters in ihrem historischen Zusammenhang gesehen werden muss30, ist diesbezüglich hinzuzufügen, dass die Historisierung des Betrachters nicht möglich ist ohne die Historisierung der technischen Darstellungsmittel und der Produktionszusammenhänge. Besonders die in Michel François’ Installationen stattfindende Funktionsverschiebung ein und der30 Tom Gunning: „Cinema of Attraction[s]“, in: Wide Angle 8/3-4, (1986), S. 63–70.
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Alexander Streitberger selben Projektionsapparatur legt außerdem nahe, Frank Kesslers Vorschlag, eine his torische Analyse des Dispositivs um eine pragmatische Perspektive zu ergänzen, zu folgen. In seinem Aufsatz „The Cinema of Attractions as Dispositif“ schreibt Kessler: „A historical analysis based on the concept of dispositif reinterpreted in a pragmatic perspective could actually take into account different uses of one and the same text within different exhibition contexts, or different institutional framings.“31 Mein Vorschlag wäre folglich, den Begriff des Dispositivs als einer raumpsychologischen Situation aufzugreifen und ihn um die technischen Produktionsbedingungen der Projektionsapparatur einerseits, historische, ökonomische und kontextuelle Aspekte andererseits, zu erweitern. Nur so kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass in Projektionsinstallationen wie den hier vorgestellten kunstimmanente Spannungsverhältnisse zwischen materiellem Realraum und immateriellem Projektionsraum, zwischen Repräsentation und Präsentation, zwischen Absorbierung des Betrachters und kritischer Distanz unlösbar mit der Frage nach den wechselseitigen (reellen oder potenziellen) Beziehungen zwischen Kunstschaffen und modernen gesellschaftlichen Produktionspraktiken und -kontexten verbunden sind.
31 Frank Kessler: „The Cinema of Attractions as Dispositif“, in: Wanda Strauven (Hg.): The Cinema of Attractions Reloaded, Amsterdam 2006, S. 57–70, hier S. 61. Bereits 2002 definiert Kessler die Zielsetzungen dieses Ansatzes, wenn er schreibt: „Unter einer historischen Pragmatik wird hier also nicht ein geschlossenes theoretisches Modell verstanden, sondern eher eine Perspektive, welche versucht, Filme innerhalb ihrer historischen institutionellen Rahmen zu betrachten und die jeweilige kommunikative Intentionalität zu rekonstruieren. Diese kann wiederum zur Grundlage für die Formulierung von Hypothesen werden, die helfen, formale Besonderheiten der Filme als Aspekte einer historisch spezifischen Bedeutungsproduktion zu erklären.“ Frank Kessler: „Historische Pragmatik“, in: Montage/AV 11/2 (2002), S. 104–112, hier S. 111.
Miriam Lowack
Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit Eine Betrachtung von Deimantas Narkevičius’ The Dud Effect*
Memory is, so to speak, the organ of reality’s modalisation; it is that which can transform the real into the possible and the possible into the real. If you think about it, that’s also the definition of cinema. Doesn’t cinema always do just that, transform the real into the possible and the possible into the real? Giorgio Agamben1 Diese zentrale These Giorgio Agambens im Hinblick auf das Verhältnis von Geschichte und Kino, das der italienische Philosoph an den Filmen und insbesondere der von Wiederholung und Stillstellung geprägten Montagetechnik Guy Debords zu exemplifizieren sucht, bietet eine analytische Perspektive auch auf die Arbeiten des litauischen Künstlers Deimantas Narkevičius. Dessen Video- und Filmarbeiten oszillieren, wie im Folgenden anhand der 2008 entstandenen Arbeit The Dud Effect deutlich wird, zwischen genau diesen von Agamben thematisierten Momenten der Dokumentation und der Fiktion: Er befasst sich mit Geschichte, ihren Quellen und (Re-)Präsentations- wie auch Rezeptionsmodi. Mit dem Blick auf die Vergangenheit der sowjetischen Staaten, insbesondere seines Heimatlandes Litauen, untersucht er – in einem Wechsel von dokumentarischen und kinematographisch-inszenierten Strukturen – den narrativen Charakter von Geschichte und Erinnerung und thematisiert, wie sich diese zwischen institutioneller und individueller Erinnerungsarbeit konstituieren. Die Wiederholung als bedeutendes Prinzip seiner Arbeiten stellt die Möglichkeit dessen, was gewesen ist, wieder her, macht es erneut möglich und knüpft damit an die Funktionsweise von Erinnerungen an2, die niemals unvermit* 1 2
Das Manuskript wurde Anfang 2013 eingereicht und liegt in Druckfassung seit September 2014 vor. Giorgio Agamben: „Difference and Repetition. On Guy Debord’s Films“, in: Tanya Leighton (Hg.): Art and the Moving Image: A Critical Reader, London 2008, S. 328–333, hier S. 330. Vgl. ebd.
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Miriam Lowack telt abrufbar sind, sondern stets aus der Gegenwart interpretiert und somit, wie der Film, das Kino – im übergeordneten Sinne das Archiv – ein Konstrukt aus Fiktion, Realität und Imagination bedeuten, an dessen Genese der Betrachter partizipiert. Narkevičius’ filmische Projektionen schaffen Erinnerungsräume, indem sie Geschichte nicht ausschließlich (nach-)erzählen, sondern gestalten und dabei ihre Prozesshaftigkeit in der Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit sowie ihre Konstruiertheit reflektieren: Nicht zuletzt indem sie, vergleichbar der Stillstellung des Bildes, die Agamben für die Filme Debords als charakteristisch erachtet, mit der Integration von fotografischem Material Narrationen unterbrechen und auf den Status des Bildes (im statischen wie im bewegten Modus) als Erinnerungsmedium direkt verweisen – und gerade in der Gegenüberstellung die Referenzialität der fotografischen und filmischen Medien befragen. Der Begriff oder vielmehr das Bild der Projektion ist in dieser Hinsicht nicht nur in Bezug auf formale Aspekte – der Film als physikalisch-optische Projektion, die die Sichtbarkeit dessen bedingt, was auf dem Film gespeichert ist – von Relevanz, sondern zeigt sich auch auf inhaltlicher und filmästhetischer Ebene innerhalb des narrativen Filmraums (der Diegese) für die sich im Dialog mit dem Betrachter entfaltenden Erinnerungsräume von Deimantas Narkevičius als bedeutsame Kategorie. Die divergierenden, diskursiven Bezugspunkte des Begriffs ‚Projektion‘ lassen eine eindeutige Definition kaum zu. Daher soll im Folgenden das Bild der Projektion als metaphorische Kategorie aufgegriffen werden, die – geprägt von der psychoanalytischen Theoriebildung – für den Prozess der Erinnerung und die Entstehung von Erinnerungsräumen anhand der analytischen Betrachtung der Filmarbeit The Dud Effect zur Veranschaulichung hinzugezogen wird. Der Projektionsbegriff ist an eine diskursive Auseinandersetzung mit der Kon stitution von Wirklichkeit gebunden. Bezieht er sich als Film- respektive Kinoprojektion zunächst auf eine technische, sich physikalisch-optisch und räumlich manifestierende Erscheinung, die als ein Instrument der Veranschaulichung und des Sichtbar-Machens fungiert, so knüpft auch die Psychologie in ihren Bezugnahmen auf Wahrnehmungsvorgänge und damit zusammenhängende Wirklichkeitskonstruktionen immer wieder an den Begriff bzw. das Bild der Projektion an, verstanden als Vermittlungsinstanz zwischen innerem Erleben und Außenwelt.3 Gegenwärtige Wahrnehmungen werden mit erinnerten Perzeptionen kurzgeschlossen und prägen unser Bild der Wirklichkeit. Als facettenreiches Bild oder Analogie für die verschiedensten Möglichkeiten der Übertragung zeigt sich die Projektion auch für Erinnerungsvorgänge relevant, die sich in den Theorien Sigmund Freuds – einem der prominentesten Vertreter der aus der Neurophysio3
Im Inneren erzeugte Bilder werden nach Außen verlagert, an äußere Gegebenheiten gekoppelt und durch diese Übertragung wird vom Menschen Realität geschaffen. Vgl. Francesca Ramas: Zur Theorie der Projektion. Der Projektionsbegriff in der Psychoanalyse und sein Bezug zur Metaphysik, Univ. Diss., Düsseldorf 2006, hg. v. Rudolf Heinz in der Reihe Genealogica, Essen 2007, S. 9–12.
Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit logie hergeleiteten psychoanalytischen Projektionstheorie – als konstituierend für die psychische Struktur erweisen.4 Um psychische Phänomene zur Erklärung zu bringen, rekurriert Freud in seinen Ausführungen über den psychischen Apparat immer wieder auf optische Metaphern.5 „Alles, was Gegenstand unserer inneren Wahrnehmung werden kann, ist virtuell, wie das durch den Gang der Lichtstrahlen gegebene Bild im Fernrohr.“6 Die konkret formulierte Verzahnung von technischen und psychoanalytischen Prozessen, die Metaphorisierung von Wahrnehmungsvorgängen spitzt die mit der Projektion verbundene Vorstellung einer Fiktionalisierung der Wirklichkeit zu. Die starke Präsenz der Projektionsmetapher findet sich nicht nur in psychoanalytischen Kontexten.7 Der niederländische Psychologiehistoriker Douwe Draaisma beschreibt einen direkten Zusammenhang zwischen Gedächtnismetapher und technischer Entwicklung und somit zwischen Medien- und Erinnerungsgeschichte, wenn er konstatiert: „Unsere Auffassungen über den Hergang des Erinnerns werden von den Verfahren und Techniken gespeist, die wir für das Konservieren und Reproduzieren von Informationen erfunden haben.“8 Neben der Metapher des Raums, die sich das Gedächtnis als Magazin gespeicherter und potenziell abrufbarer Daten vorstellt, gilt in der Tradition der Gedächtnismetaphern die Wachstafel, die das Gedächtnis als Prägemasse versteht, in die sich etwas einschreibt, als zentrale metaphorische Kategorie.9 Gedächtnis als Verfahren des Speicherns, als topologische Wissensorganisation, in welcher zeitliche Dimensionen aufgehoben sind, und, in Anlehnung an die raum- und zeitorientierte Metapher der Schrift bzw. Spur, die Erinnerung als rekonstruktiver, sich in der Gegenwart konstituierender Prozess, stehen einander
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Vgl. Ilka Quindeau: Spur und Umschrift. Die konstitutive Bedeutung von Erinnerung in der Psychoanalyse, München 2004, S. 14 f. Vgl. Ramas (2007), Anm. 3, S. 102. Sigmund Freud: „Die Traumdeutung“, in: G.W. II/III, 1900, S. 616. Zitiert nach Ramas (2007), Anm. 3, S. 104. Jutta Müller-Tamm bezieht sich in ihrer Habilitation auf die aus der Psychologie abgeleitete Denkfigur der Projektion, wie sie in der Literatur immer wieder aufgegriffen wurde. In Ihrer Einleitung pointiert sie knapp die Bedeutung der Projektionsmetapher auch für andere Disziplinen wie Erkenntniskritik, Kulturwissenschaft und Ästhetik. Vgl. Jutta Müller-Tamm: Abstraktion als Einfühlung. Zur Denkfigur der Projektion in Psychophysiologie, Kulturtheorie, Ästhetik und Literatur der frühen Moderne, Freiburg im Breisgau 2005. Douwe Draaisma: Die Metaphernmaschine. Eine Geschichte des Gedächtnisses, Darmstadt 1999, S. 11. Draaisma beleuchtet in seiner umfangreichen Studie die Analogien und Metaphern, die in den vergangenen Jahrhunderten für das Erinnern verwendet wurden, darunter unter anderen: Zaubertafel, Schrift, Phonograph, Fotografie, Computer, Hologramm. Der Literaturwissenschaftler Harald Weinrich hat diese beiden Metaphern als die zentralen herausgearbeitet. Vgl. Aleida Assman: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 150 f.
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Miriam Lowack hier direkt gegenüber.10 Freud entwickelte mit seinem Modell des Wunderblocks eine der wohl bekanntesten und am häufigsten adaptierten Gedächtnismetaphern. Er bereitete damit ein Bild, das diesen von der Vergangenheit geprägten Moment der Vergegenwärtigung anschaulich darlegt – dessen Struktur im Anschluss von dem Filmtheoretiker Thierry Kuntzel auch für die Metapher der Filmprojektion aufgegriffen wird. Bestehend aus einer Wachstafel und zwei darüber gespannten Zellophanfolien, bleiben durch den Druck beim Beschreiben der Tafel Spuren in der oberen Fläche zurück. Werden die beiden Folien voneinander gelöst, verschwinden die oberflächlich sichtbar gewordenen Zeichen und machen Platz für neue. In der darunter liegenden Wachsschicht (als Ort des Unterbewusstseins) bleiben jedoch dauerhaft Spuren des Geschriebenen gespeichert.11 Freud geht davon aus, dass der psychische Mechanismus durch Aufeinanderschichtungen entstanden ist, welche durch mehrfache Kodierung und Umstrukturierung von Gedächtnisinhalten (im Unterbewussten), im Sinne von nachträglichen Umschriften, Gegenwart (im Bewusstsein) konstituieren.12 Optisch-technische Apparaturen, Medien, die der Externalisierung unseres Gedächtnisses dienen – insbesondere solche, die in ihrer Funktion als Bild- und Zeitspeicher Raum- und Zeitdistanzen überbrücken und so als Emanationsmedien von Vergangenem fungieren –, wurden für Erinnerungsvorgänge immer wieder als metaphorische Erklärungsmodelle hinzugezogen.13 Insbesondere der spezifische Vergangenheitsbezug der Fotografie, dass die ‚Lichtspur‘ indexikalisch das ‚Reale‘ auf der Fotografie hinterlässt und damit deren Authentizität bezeugt und gleichzeitig über die Ähnlichkeit des Abbilds die Beziehung zum Realen herstellt,14 hat das Medium lange Zeit zum Erinnerungsmedium und zur -metapher par excellence gemacht. Die Fotografie als Bild für den Vorgang des Erinnerns stellt zwar den Prozess des Speicherns, nicht aber den der Reproduktion durch unser Bewusstsein dar, der sich in technischen Konstruktionen, wie beispielsweise der Camera obscura (die allerdings Bilder nicht konserviert) oder aber der Kinematographie manifestiert, die mit dem Moment der Bewegung der selbst unsichtbaren Einzelbilder bei der Wiedergabe, mit ihrer Existenz zwischen Stillstand und Bewegung, den Prozessen in unserem Be10 Aleida Assmann gliedert das Gedächtnis diesbezüglich in „Ars“ und „Vis“, vgl. ebd., S. 27–32. 11 Vgl. Sigmund Freud: „Notizen über den ‚Wunderblock‘“ (1925), in: ders., Psychologie des Unbewussten. Studienausgabe Band 3, Frankfurt am Main 1975, S 363–369. 12 Das Konzept des ‚Wunderblocks‘ wird häufig als speichertheoretisches Erinnerungsmodell verstanden. Ilka Quindeau erörtert in ihrer Publikation Spur und Umschrift die Verknüpfung des Freudschen Modells des ‚Wunderblocks‘ mit dem einige Jahre zuvor entstandenen Konzept der ‚Umschrift‘. Damit zeigt sie, dass auch der Wunderblock das Prinzip der nachträglichen Bedeutungszuschreibung impliziert und nicht als Modell, das Erinnerungen speichert und unverändert wieder abruft, verstanden werden kann. Siehe hierzu: Quindeau (2004), Anm. 4, S. 39–42. 13 Vgl. Draaisma (1999), Anm. 8, S. 11. 14 Vgl. Götz Großklaus: Medien-Bilder. Inszenierung der Sichtbarkeit, Frankfurt am Main 2004, S. 73.
Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit wusstsein am nächsten kommt.15 Erinnerungsbilder werden nicht nur gespeichert, sondern durch Wahrnehmungen in der Gegenwart in Bewegung versetzt und geraten durch diese Korrelation in unser Bewusstsein: „[...] der gegenwärtige Augenblick, der ja immer in Bewegung ist, als flüchtige Grenze zwischen der letzten Vergangenheit, die schon nicht mehr ist, und der unmittelbaren Zukunft, die noch nicht ist, würde zu einer bloßen Abstraktion zusammenschrumpfen, wäre er nicht eben der bewegliche Spiegel, der unaufhörlich die Wahrnehmung als Erinnerung reflektiert.“16
Der Filmtheoretiker Thierry Kuntzel bezieht sich in seiner Textmontage Notizen über den filmischen Apparat (1975)17 auf die Struktur des freudschen Wunderblocks, um die Analogie zwischen psychischem Apparat und Kinematographie plausibel zu machen. Der Aspekt der Spur und somit das Einschreiben von Vergangenem bleiben auch in Kuntzels Metapher relevant, wenn er den Lichtstrahl der Projektion an Stelle des Stiftes, die Leinwand an die der Deckblätter und das Filmmaterial (bestehend aus einem Zelluloidstreifen aus einer Abfolge von Fotografien) an die der Wachsschicht setzt.18 Was die Metapher des Films dem Wunderblock voraus hat, ist der Mechanismus der zeitlichen Bewegung, wie er für die von Freud konstatierte Nachträglichkeit im Erinnerungsprozess prägend ist. „Bei der Projektion geschieht alles so, als ob unablässig auf der Leinwand aufgeschrieben und wieder weggewischt würde [...]. Anderswo bleiben Dauerspuren von ihr zurück: aufbewahrt am Filmstreifen und, wenn das Band wieder in den Kanal eingelegt wird, in der Lage, wieder zu erscheinen.“19
Den aufgerollten Filmstreifen versteht Kuntzel als „Film-Text“, dessen einzelne Bilder alle gleichzeitig anwesend sind und sich in der projizierten Abfolge zu stetig neuen „Konfigurationen umgruppieren“.20 In der Projektion verweist der Film immer auf etwas in der Vergangenheit Liegendes, eine mit der semiotischen Kategorie des Index verknüpfte Spur, die in der (jeweiligen) Gegenwart präsentiert wird.21 Zugleich visualisieren die sich in der Projektion nach und nach auf der Leinwand übereinanderlagernden Bilder den Prozess des Erinnerns: Semantisch impliziert das Projektionsbild wie sich die Vergangenheit für einen Bruchteil an Sekunden über die gegenwärtige Wahrnehmung 15 Vgl. Draaisma (1999), Anm. 8, S. 138–140. 16 Henri Bergson: Die seelische Energie. Aufsätze und Vorträge, Jena 1928, S. 121. 17 Thierry Kuntzel: „Notizen über den filmischen Apparat“, in: Karl Sierek/Barbara Eppensteiner (Hg.): Der Analytiker im Kino. Siegfried Bernfeld. Psychoanalyse. Filmtheorie, Frankfurt am Main/Basel 2000, S. 238–244. 18 Vgl. ebd., S. 201 f. 19 Ebd., S. 202. 20 Ebd., S. 204. 21 Vgl. Gertrud Koch: „Nachstellungen – Film und historischer Moment“, in: Eva Hohenberger/Judith Keilbach (Hg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte, Berlin 2003, S. 216–229, hier S. 217.
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Miriam Lowack legt und visualisiert in seiner entmaterialisierten Erscheinungsform und Ungegenständlichkeit die Ungreifbarkeit dieser (einen) Vergangenheit. Neben der Funktion als Aufzeichnungs- und Speichermedium und der Präsentationsform als projizierte Bilderfolge, welche beide die metaphorische Qualität des Films generieren, ist es die Möglichkeit, Geschichte im narrativen Sinne zu (re-)konstruieren, zu wiederholen und der Gegenwart neu zur Verfügung zu stellen, die eine Auseinandersetzung mit dem Medium als Erinnerungsträger und -metapher nicht nur in psychoanalytischen, neurowissenschaftlichen und kulturtheoretischen Ansätzen hervorruft. Im Zuge gesellschaftlicher Wandlungsprozesse sowie einer zunehmenden Medialisierung der Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten, die einerseits stetig neue Möglichkeiten zur technischen Auslagerung unseres Gedächtnisses bereitstellt und andererseits eine kontinuierlich wachsende Menge historischer Materialien verfügbar macht, die uns mit der Vergangenheit konfrontieren, sind auch im Kontext der zeitgenössischen Kunst Auseinandersetzungen mit Erinnerungsmedien und -praktiken wie der filmischen Re-Inszenierung von Geschichte zu einem zentralen Konzept avanciert.22 Deimantas Narkevičius bezieht sich in seinen Arbeiten auf den Prozess des Erinnerns nicht nur, indem er den Film und dessen (konstruktivistische) Bedingungen als historiographisches Medium selbst reflektiert – er nutzt außerdem verschiedene filmische Praktiken, um den Mechanismus des Vergegenwärtigens, das Projizieren der Vergangenheit über die Gegenwart – und/oder umgekehrt – im individuellen wie auch gesellschaftlichen Sinne auf inhaltlicher und filmästhetischer Ebene sichtbar zu machen, um damit zugleich das Verhältnis von Historiographie und Kinematographie auszuloten. Das durch Montagetechniken verfügbare Potenzial zur räumlichen und zeitlichen Vielschichtigkeit des filmischen Mediums wird in den Arbeiten von Narkevičius evident. Durch das Zusammenführen unterschiedlicher Referenten von Geschichte, wie Schauplätzen, Architekturen, Dokumenten und persönlichen Erinnerungen, wird der Film selbst zum Ort differenter, sich in der Gegenwart der Projektion bündelnder Zeitebenen. Der Film entfaltet sich dabei – wie Freud den psychischen Apparat und analog dazu den Wunderblock sowie davon ausgehend Thierry Kuntzel den Film beschreibt – zu einem palimpsestartigen Erinnerungsraum: Durch die Imagination des Betrachters und dessen eigene Gedächtnisleistung werden die einzelnen Bruchstücke der Vergangenheit zusammengefügt und einer Revision bzw. Umschrift unterzogen.
22 Siehe hierzu u. a. die Ausstellungsprojekte begleitenden Publikationen: Beatrice von Bismarck (Hg.): Interarchive. Archivische Praktiken und Handlungsräume im zeitgenössischen Kunstfeld, Ausst.-Kat. Kunstraum der Universität Lüneburg, Lüneburg 2002; Ingrid Schaffner (Hg.): Deep Storage. Arsenale der Erinnerung. Sammeln, Speichern, Archivieren in der Kunst, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, München 1997; Inke Arns/Gaby Horn (Hg.): History Will Repeat Itself. Strategies of Reenactment in Contemporary (Media) Art and Performance, Ausst.-Kat. Hartware MedienKunstVerein/KW Institute for Contemporary Art, Frankfurt am Main 2007.
Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit Die Auseinandersetzung mit Architekturen, Denkmälern und gesellschaftlich konstruierten Orten, die als Erinnerungsorte23 die sowjetpolitische Vergangenheit kondensieren und in verschiedenen zeitlichen Schichtungen die Spuren des realen Sozialismus ablesbar machen, ist charakteristisch für viele der Arbeiten des ursprünglich als Bildhauer ausgebildeten Künstlers.24 In The Dud Effect widmet sich Narkevičius einer in den Jahren 1960 bis 1962 in den Wäldern des Zemaitija-Parks in Litauen von der sowjetischen Armee errichteten unterirdischen Militärbasis – der „Plokštine Missile Base“ – wo bis in die späten 1970er-Jahre vier Nuklearraketen vom Typ R-12 gelagert und je nach militärischer Situation auf verschiedene Städte in Europa ausgerichtet wurden – sowie der nahegelegenen und mit dem Komplex militärisch verbundenen Basis Šateikiai. Die politischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in der ehemaligen Sowjetunion und insbesondere in Litauen haben Funktion und Erscheinungsbild dieser Orte in den letzten Jahrzehnten zunehmend verändert. „De-Architekturierung“, wie Hartmut Böhme den Verlust des funktionalen oder repräsentativen Sinnes und die damit verbundene Öffnung für semantische Neubesetzungen eines Bauwerks bezeichnet, scheint hier, wie für zahlreiche der in den Arbeiten von Narkevičius in den Blick genommenen Bauten des Kalten Krieges, ein fruchtbarer Begriff. Die spezifische Form von Zeiterfahrung, die solche Orte bereitstellen, die Erfahrung einer zugleich „unvergangenen Vergangenheit und einer schon gegenwärtigen Zukunft“, die zur „Schrift, zur Archivierung und Umschreibung der enigmatischen Bilderschrift der Ruinen ins Buch der Geschichte“25 tendiert, wird von Narkevičius mit Hilfe genuin filmischer Mittel zugespitzt.26 Lange Zeit verlassen, befindet sich an der ehemaligen „Plokštine Missile Base“ heute mit der Einrichtung eines Museums ein Ort, der bewusst an die Zeit des Kalten Krieges erinnert und die historischen Zusammenhänge zu rekonstruieren sucht.27 Indem Narkevičius divergierende Raum-, Zeit- und Medienebenen 23 Zum Konzept des Erinnerungsortes siehe: Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, (=Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek, Band 16), Berlin 1990. 24 So geht es beispielsweise in den Arbeiten The Head (2007) und Once in the XX Century (2004) um sowjetische skulpturale Monumente und ihre Rolle für die Gegenwart bzw. für historische Betrachtungen. Energy Lithuania (2000) stellt ein Kraftwerk in den Mittelpunkt, das als Relikt sowjetpolitischer Ideologie und ökonomischer Entwicklung noch heute als Monument bedeutsam ist, während Scena (2003) das Contemporary Art Center in Vilnius in den Blick nimmt und das Auseinanderklaffen von Form und Funktion thematisiert. 25 Hartmut Böhme: „Die Ästhetik der Ruinen“, in: Wulf Kamper (Hg.): Der Schein des Schönen, Göttingen 1989, S. 287–304, hier S. 287. 26 Christa Blümlinger hat sich umfassend mit der Bedeutung der Ruine – sowohl auf inhaltlicher als auch auf medialer Ebene – in den Arbeiten von Narkevičius auseinandergesetzt. Siehe Christa Blümlinger: „Film as the Art of Ruins“, in: The Unanimous Life. Deimantas Narkevičius, Ausst.-Kat. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid 2008, S. 25–35. 27 Nachdem 1978 die Raketen von der Plokštine Missile Base entfernt wurden, wurde das Gebiet noch bis in die 1990er-Jahre, bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, für militärische Zwecke genutzt. Danach ist Plokštine unbeachtet vom öffentlichen Interesse
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Miriam Lowack
Deimantas Narkevičius, The Dud Effect, 2008, Filmstillls.
zu einem narrativen Geflecht verknüpft, konstruiert er einen filmischen Raum, in welchem er die Militärbasis als historisch-politischen Ort des Kalten Krieges mit einer subjektiven Geschichte kurzschließt und für gegenwärtige Perspektiven öffnet. Eingeleitet wird der fast 16 Minuten lange und sich in drei Kapitel gliedernde Film The Dud Effect durch eine Abfolge von schwarz-weißen Fotografien aus den 1980erJahren, die Aufnahmen einer Militärbasis zeigen. Die Bilder stammen aus dem Besitz von Evgeny Terentiev, einem ehemaligen Offizier, der an einer vergleichbaren Militärbasis in Litauen stationiert war und zum zentralen Protagonisten der filmischen Handlung wird.28 Mittels seiner Erinnerungen an die Arbeitsabläufe auf einer solchen Raketenstation wird im Mittelteil die vergangene Funktion des Ortes in Form einer Re-Inszenierung eines Raketenabschusses durch den Zeitzeugen Terentiev selbst vergegenwärtigt. Zeitlos hingegen wirken die metaphorischen Filmaufnahmen der heute verlassenen, zerstörten und scheinbar funktionslosen Örtlichkeiten, die den Schlussteil des Filmes bilden. Der von Hayden White aufgeführte Zusammenhang von (literarischem) ‚Erzählen‘ und Geschichtsschreibung impliziert den ‚poetischen Impetus‘ von Vergegenwärtigungen und damit den Moment der Imagination, der zu einem zwischen verfallen, bis vor wenigen Jahren das „Museum of Cold War“ gegründet wurde. Informationen zum Museum: http://coldwarsites.net/country/lithuania/plokstine-missile-basemuseum-of-cold-war (letzte Sichtung 08.10.2014). 28 Die Bilder wurden von Evgeny Terentiev während seines Dienstes an einer Raketenstation nahe der Stadt Jurbarkas angefertigt, die mit der Basis Šateikiai – einer mit Plokštine verbundenen Station – vergleichbar ist. In Šateikiai wurden die Raketen in Hallen gelagert, und auf Militärfahrzeugen wie auch auf den Fotografien zu sehen, für den Abschuss bereitgestellt. Auf einem der Bilder ist auch Terentiev selbst zu sehen. (Vielen Dank an Deimantas Narkevičius für diese Informationen).
Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit subjektiven und objektiven Perspektiven, zwischen Fakt und Fiktion changierendem Geschichtsverständnis führt,29 das auch für die narrative Struktur von The Dud Effect zentral zu sein scheint. Trotz der klassischen dreiteiligen Erzählstruktur zeigt sich hier weniger eine dem typischen Erzählkino inhärente klare chronologische Kohärenz noch eine stringente Abfolge historischer Dokumente. Vielmehr ergibt sich die Möglichkeit, durch das vom Moment der Imagination und eigenen Erinnerungen und Assoziationen geprägte Neuverketten von Bildern, Geschichte in der Gegenwart neu zu generieren, umzuschreiben30 und diesen Prozess zugleich zu reflektieren. Als erstes Bild – noch bevor die Einblendung des Filmtitels: The Dud Effect folgt – erscheint, begleitet von einem eindringlich pfeifenden Signalton, die Fotoaufnahme eines sowjetischen Militärfahrzeugs in einer winterlichen, mit Schnee bedeckten Landschaft. Ein heller Lichtkegel macht deutlich, dass es sich bei dem in der Fotografie festgehaltenen Moment um den eines von dem Fahrzeug gestarteten Raketenabschusses handelt, auf welchen eine Aneinanderreihung weiterer Aufnahmen von Raketenteilen und deren Zusammensetzung durch uniformierte Männer auf einer sowjetischen Militärbasis (unter anderem Terentiev selbst) folgt. Die Bilder sind zunächst sehr dunkel, das Abgebildete zum Teil schwer erkennbar, doch zunehmend werden die Fotografien heller, ihr Inhalt deutlicher und der alarmierende Pfeifton wird schließlich von den Erzählungen des russischen Offiziers Terentiev – noch bevor dieser selbst im Filmbild zu sehen ist – abgelöst. So wird eine Überleitung zu dem Mittelteil des Films geschaffen und die Fotoaufnahmen mit der folgenden Filmhandlung in Beziehung gesetzt. Das Oszillieren zwischen Foto und Film, zwischen Stand- und Bewegtbild, wird in den Filmen Narkevičius’ zum Konzept.31 Obgleich die Materialität der fotogra fischen Bilder in der Film- bzw. Videoprojektion32 verloren geht, verweisen sie durch ihr Erscheinungsbild darauf, dass es sich um historische Aufnahmen dokumentarischen Charakters handelt, in denen sich Vergangenes realitätsnah manifestiert. Neben ihrer Rolle im zeitlichen und narrativen Gefüge von The Dud Effect fungieren die Fotografien hier als Metaphern; als Bilder, die als ‚fotografische Spuren‘ ihre Funktion reflektieren, Geschichte medial zu tradieren.33 Narkevičius zeigt auf, dass es sich bei den Fotografien um Ausschnitte aus einer vermeintlich realen Vergan29 Siehe hierzu: Hayden White: Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe, Baltimore/London 1973. 30 Vgl. Gilles Deleuze: Kino 2. Das Zeit-Bild, Frankfurt am Main 1991, S. 314 f. 31 Nicht nur in The Dud Effect integriert Narkevičius fotografische Aufnahmen in den filmischen Ablauf: so unter anderen auch in The Head (2004), Revisiting Solaris (2007), Disappereance of a Tribe (2005), um die vielschichtigen Verknüpfungen verschiedener Zeit- und Raumperspektiven herzustellen. 32 Bei der Arbeit handelt es sich um einen auf Video übertragenen 16 mm-Film. 33 Torsten Scheid beschreibt die Integration fotografischen Materials in filmische Handlungen als „Metaphorische Intermedialität“, wodurch bestimmte mediale Eigenschaften hervorgehoben und damit diskursiviert werden. Vgl. Torsten Scheid: Fotografie als Metapher. Zur Konzeption des Fotografischen im Film; ein intermedialer Beitrag zur kulturellen Biografie der Fotografie, Hildesheim 2005, S. 22–25.
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Miriam Lowack genheit handelt, die im Kontext der Gegenwart, hier durch ihr Eingebundensein in den Filmverlauf und ihren Rezeptionsprozess, vergangenes Geschehen neu hervorbringen. Der Wechsel – vom statischen Bild der Fotografie zum bewegten Bild der Filmaufnahme sowie der damit einhergehende Wandel von der Schwarz-Weiß- zur Farbaufnahme – suggeriert einen zeitlichen Sprung, der den Betrachter nicht nur in ein anderes Raum-Zeitgeflecht, sondern auch in eine andere Wahrnehmungsebene des Historischen führt. Fühlten wir uns soeben noch durch das von der Indexikalität der Fotografie generierte Gefühl „Es-ist-so-gewesen“34 mit einem affirmativen Blick auf die Vergangenheit konfrontiert, finden wir uns plötzlich in einer filmischen Handlung wieder, die sich zunächst nicht eindeutig einer der Kategorien Dokumentar- oder Spielfilm zuordnen zu lassen scheint. Die Erzählungen Evgeny Terentievs – welche noch die ersten Filmbilder aus dem Off begleiten – führen nüchtern informativ in die historischen Kontexte der Militärbasis sowie in seine eigene Funktion ein und verifizieren durch seine Stellung als Zeitzeuge das Gesehene.35 Doch dann wird Terentiev zum Schauspieler in seiner eigenen Geschichte: Auf der Basis seiner Erinnerungen spielt er in eigener, originaler Uniform die Schritte und Kommandos durch, die dem Abschuss einer Rakete vorausgehen. Wiederholung und Aktualisierung als essenzielle Akte von Erinnerung und Geschichtsrekonstruktion sowie als konstitutive Prinzipien für das filmische Medium an sich36 erscheinen insbesondere mit dem vermeintlichen Reenactment als bedeutende Strukturelemente des Films. Zum zentralen Handlungsort wird ein Büro, das von einem Schreibtisch mit einer Funkanlage und einem Telefon darauf dominiert wird – die wichtige Requisiten im folgenden Verlauf darstellen:37 Terentiev in seinem Büro wird zur Schaltstelle der Organe, die zwischen der politischen Entscheidung und der Ausführung eines solchen Raketenabschusses agiert. Ein für den Zuschauer zunächst nicht verständlicher Telefonanruf veranlasst den Offizier zu Kommandos, die er durch die Funkanlage weiterleitet. Die durch den Funk ertönenden Informationen zum Fortgang der Abläufe gibt er wiederum stetig durch das Telefon weiter. Während der Auftraggeber nicht sichtbar wird, fällt der Kamerablick immer wieder in Maschinen- und Kellerräume, in denen die ausführenden uniformierten Kräfte zu agieren scheinen. Terentiev hakt die nach und nach durchgeführten Aktionen auf einer Liste ab. Das sich stetig steigernde Tempo der Einstellungswechsel wie auch das der agierenden Personen und ihrer Handlungen baut einen Spannungsbogen auf. Der Eindruck einer bedrohlichen Situation entsteht. Auf eine lange Reihe Anweisungen aus dem Telefon folgt ein durch das Fenster hereinbrechendes, gleißend-helles Licht. 34 Zum barthes’schen Noëma der Fotografie („Es-ist-so-gewesen“) siehe Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1985, S. 89. 35 Der Originalton von The Dud Effect ist in russischer Sprache, mit englischen Untertiteln. 36 Zu den verschiedenen Formen des filmischen Strukturprinzips ‚Wiederholung‘ siehe: Raymond Bellour: „Cine-Repetitions“, in: Screen 20/2 (1979), S. 65–72. 37 Wie bei der Uniform von Terentiev handelt es sich bei dem Telefon um eine originale, vom Protagonisten selbst mitgebrachte Requisite aus seiner Dienstzeit. (Vielen Dank an Deimantas Narkevičius für diese Informationen).
Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit Terentievs Gesicht im Close-Up wird kurz geblendet, bevor er das Telefonat beendet. Die Lichtprojektion suggeriert den Moment der ausgelösten Detonation – lässt sich als metaphorisch aufgeladenes Bild aber auch als Moment der Überblendung von Gegenwart und Vergangenheit lesen und wird selbst zur Projektionsfläche für den Rezipienten: Visuell erfolgt ein Rekurs auf den Anfang des Films, die erste Fotografie, die einen Raketenabschuss mit hellem Lichtstrahl – begleitet von dem Signalton – zeigte. Der gedankliche Bogen, der sich hier bei der Filmbetrachtung spannt, macht deutlich, dass die Lesart des Filmverlaufs bereits in diesen ersten Momenten geprägt wurde. Die Fotografien fungieren hier – um Bezug zu nehmen auf den aus der kognitiven Psychologie entlehnten Begriff des „Primacy Effect“ – wie eine Art Filter, der den Prozess der folgenden Lektüre und Wahrnehmung der Filmbilder beeinflusst.38 Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne dient das hier wieder auftretende Lichtintervall auch als Bild für einen Flashback (der an dieser Stelle jedoch nicht als Eingriff in die Zeitachse der Erzählkonstruktion erfolgt, sondern als Bild für den Vorgang der Erinnerung per se), den hier nicht nur der Betrachter in Form seiner Erinnerung an den Filmanfang durchlebt und der damit die Entfaltung einer Ursache-Wirkung-Kette generiert, sondern auch Terentiev. In seiner Rolle als Schauspieler, aber auch in seiner realen biografischen Involviertheit in die konstruierte Situation der Inszenierung – an diesem für ihn auch als persönlicher Gedächtnisort fungierenden Ort – wird dieser an die Vergangenheit erinnert.39 In diesem Moment der Filmhandlung, in dem sich sowohl beim Betrachter als auch beim Protagonisten aktuelle Wahrnehmungen mit den Erfahrungen aus der Vergangenheit verbinden, bündeln sich die für The Dud Effect zentralen Korrelationen: zwischen Fiktion und Realität, Fotografie und Film sowie zwischen persönlicher (psychologischer) und kollektiver Erinnerung. Das Bild eines Baumes, von dessen Krone eine Krähe im Sturzflug hinab segelt, sowie eine lange statische Einstellung eines ruinenartigen Gebäudeteils – ehe nochmals Terentievs in die Ferne blickendes Gesicht fokussiert wird – bilden die Überleitung zum Schlussteil. Der letzte und längste Teil des Filmes zeigt Aufnahmen verlassener Kellerräume sowie der heute zerfallenen Militärbasis Šateikiai nahe der Wälder von Plokštine, die von einer melancholischen und bisweilen surreal anmutenden Atmosphäre geprägt sind. Von dem Lichtstrahl einer Taschenlampe begleitet, tastet sich die Kamera minutiös in die dunklen, verlassenen teilweise unterirdisch liegenden Gänge vor. Während das Ertönen einer Sirene erneut Bezüge 38 Das von den Literaturwissenschaftlern Perry und Sternberg aus der kognitiven Psychologie entlehnte und für Narrationen adaptierte Phänomen des „Primacy Effect“ bezieht sich auf erste Wahrnehmungseindrücke (in der Initialphase der Narration), welche die Interpretation folgender Informationen maßgeblich prägen. Siehe hierzu Britta Hartmann: „Anfang, Exposition, Initiation. Perspektiven einer pragmatischen Texttheorie des Filmanfangs“, in: Montage AV 4/2 (1995), S 105. Zur Anwendung in der Filmwissenschaft bei u. a. Wuss und Bordwell siehe ebd., S. 105 f. 39 Zur filmischen Figur des Flashbacks: Mureen Turim: Flashbacks in Film. Memory & History, London 1989.
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Miriam Lowack zum Filmanfang herstellt, erinnern von lautem Rauschen untermalte Stimmen wie aus einer Funkanlage an den Mittelteil des Filmes und ergänzen die konstruierte Ursache-Wirkung-Kette. Mitunter führt die Kamera zurück ans Tageslicht, wo ein weiteres Mal – mit einer Überblendung, einem hell aufleuchtenden Licht, das ein in Fokus genommenes Trümmerteil umgibt – visuell die Explosion vergegenwärtigt wird. Symbolisch aufgeladen wirken die Bilder der hier miteinander verschmelzenden ruinösen Architektur- und Naturlandschaft, über welcher sich der Himmel zunehmend verdunkelt, bis es zu regnen beginnt und grollende Geräusche die Bilder begleiten. Nur langsam beginnt die Geräuschkulisse abzuebben – während die Kamera die innere architektonische Struktur einzelner verfallener Bauteile fokussiert und nur noch die Laute des Regens hörbar sind. Die bereits durch die Ars Memoria begründete kulturhistorische Verbindung zwischen Raum und Gedächtnis zeigt sich in The Dud Effect in vielfältigen Ausprägungen. Architektur und Ort werden zum konservierenden Erinnerungsort und in ihrer Erscheinung als Ruine zu einer Leerstelle – und damit zum Auslöser und zur Projektionsfläche für Vergangenheitsreflexionen. Gerade in der sedimentartigen Betrachtung der verschiedenen Zeitschichten innerhalb der Filmarbeit manifestiert sich eine Analogie zum Modell des Wunderblocks, das von Freud auch auf die Übereinanderlagerung imaginärer Baupläne der von Ruinen gezeichneten Stadt Roms übertragen wurde.40 Die symbolisch aufgeladene Bildsprache, die langen Kameraeinstellungen und kontemplativen Kamerafahrten sowie die Komposition der Geräuschkulisse des Schlussteils erinnern an die Filmwelten des russischen Regisseurs Andrej Tarkowskij, dessen kulturkritische Filme das Verhältnis von Zeit und Erinnerung zum Grundthema erheben. Nicht selten nehmen Tarkowskijs Filme Orte der Veränderung und kultureller Übergänge in den Blick, die oftmals Ausdruck seiner apokalyptischen Visionen werden, in denen sich Transformationen und Verschiebungen zwischen innerer und äußerer Welt der Protagonisten manifestieren.41 An die utopistischen Filmwelten von Tarkowkskijs Science-Fiction anknüpfend, entfaltet der Schlussteil von The Dud Effect eine Atmosphäre, die den Raum öffnet für eine Befragung möglicher zukünftiger Ereignisse. Darauf verweist bereits der Titel der Arbeit: Ein „Dud“ ist ein Blindgänger, eine nicht explodierte Bombe, die noch Jahrzehnte, bis 40 Siehe hierzu: Boehme (1989), Anm. 25, S. 295. (Insbesondere die Anmerkungen in der Fußnote), sowie Blüminger (2008), Anm. 26, S. 32. 41 Die Weltraumstation in Solaris (UDSSR 1971/72) und die von Ruinen geprägte „Zone“ in Stalker (UDSSR 1978/79) sind diesbezüglich besonders charakteristisch. Im Schlusswort seiner Essaysammlung Die versiegelte Zeit wird die Technikkritik des Regisseurs zugespitzt, wenn er von einer bevorstehenden „Zerstörung einer Zivilisation“ schreibt. Dieter Roelstraete sieht darüber hinaus eine Paralelle zwischen Terentiev und Solaris Darsteller Donatas Banionis. Vgl. Dieter Roelstraete: The Repeat Function. Deimantas Narkevicius and Memory, in: The Unanimous Life. Deimantas Narkevičius, Ausst.-Kat. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid 2008, S. 69–80. S. 79. Vgl. Andreij Tarkowskij: Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films, Berlin 2012.
Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit zu ihrer Entschärfung, ein enormes Gefährdungspotenzial darstellen kann. Einen wie im Mittelteil des Filmes vorgeführten Raketenabschuss hat es in der ‚realen‘ Geschichte des Kalten Krieges nicht gegeben, die vermeintliche (Re-)Inszenierung, das Reenactment durch den ‚Augenzeugen‘ Terentiev ist Fiktion – hätte aber durchaus zur Wirklichkeit werden können. Die Analogie zwischen Kopie und immateriellem Palimpsest, in welchem sich nachträglich entstandene Bedeutungen bündeln42, erscheint hier zentral für den Umgang mit Geschichte, handelt es sich bei einem Reenactment doch auch um die Kopie bzw. Nachstellung eines Ereignisses, das durch den aktuellen Gegenwartsbezug mit neuen Aussagen aufgeladen wird. Fiktive Mikro- und Makrogeschichte verbinden sich durch künstlerische Aktualisierung zu einem Möglichkeitsraum: Die spürbare Bedrohung in Narkevičius’ The Dud Effect entsteht maßgeblich durch die Suggestivkraft der Bilder in ihrer Zusammenführung und die Bezüge, die wir als Betrachter selbst herstellen. So ist auch die im Film evozierte Bedrohung nicht ausschließlich für die Vergangenheit gültig, sondern ist mit dem Blick auf gegenwärtige politische Situationen auch für Gegenwart und Zukunft existent. Mehr als 20 Jahre nach dem Kalten Krieg besitzen diverse Staaten atomare Massenvernichtungswaffen, die als Machtinstrumente trotz Abrüstungsvereinbarungen noch immer produziert und weiterentwickelt werden – und deren Bedrohung für die Welt bis heute ungebrochen ist.43 „Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen wie es denn eigentlich gewesen ist. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt“ – lautet eine bedeutende These Walter Benjamins im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Geschichte.44 Dies gilt nicht ausschließlich für individuelle Erinnerungsprozesse: Kollektive Gegenwart wird immer anhand von vergangenen Ereignissen konstituiert und ist an Erinnerungsinstitutionen, die Dokumente aus der Vergangenheit bewahren, selektieren und aufbereiten und damit Gegenwartsbezug herstellen, gebunden.45 Deimantas Narkevičius’ Filmarbeit The Dud Effect lässt sich mit den Strukturen des Archivs – als Raum eines zeitlichen und räumlichen Nebeneinanders46 – vergleichen. Das bezieht sich nicht nur auf den Film als dokumentarisches Medium, das Vergangenheit aufzeichnet sowie Vergangenheit in Form von historischem Fotomaterial bereitstellt, sondern auch inhaltlich 42 Vgl. hierzu ausführlicher die Einleitung in Arns/Horn (2007), Anm. 22. 43 Die Position Russlands innerhalb der Atommächte ist noch immer (gemeinsam mit den USA) führend. Vgl. hierzu z. B.: http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2012/ dec/13/north-korea-nuclear-weapons (letzte Sichtung 08.10.2014). 44 Walter Benjamin: „Über den Begriff der Geschichte“, in: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann/Herrmann Schweppenhäuser, Band 1.2, Frankfurt am Main 1974, S. 691–704, hier S. 695. 45 Vgl. Jan Assmann/Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt am Main 1988, S. 13. 46 Archive zählt Michel Foucault zu den Heterotopien, die sich durch dieses Nebeneinander verschiedener Räume und Zeiten auszeichnen. Vgl. Michel Foucault: „Andere Räume“, in: Karlheinz Barck/Peter Gente/Heidi Paris u. a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Essais, Leipzig 1990, S. 34–47, hier S. 43.
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Miriam Lowack und filmästhetisch: Im Film bündeln sich verschiedene Zeitebenen, die über den Ort und dessen historische Bezüge, die persönlichen Erinnerungen Terentievs sowie die vermeintliche Re-Inszenierung (Wiederholung) eines Raketenabschusses in der Gegenwart der Projektion, sprich in der des Betrachters, miteinander verknüpft werden. Der Film positioniert sich damit zwischen einem als Institution verstandenen Archiv und dem von Foucault begründeten poststrukturalistischen Konzept des Archivs, als einem „System der Diskursivität“, das anordnet, zueinander in Beziehung setzt, stetig wieder bearbeitet und damit transformiert.47 Wie auch das individuelle Gedächtnis ist das Archiv ein Ort eines aktiven Produktions- und (Um-)Schreibprozesses von Geschichte und wird damit zum Apriori der Geschichtsschreibung.48 Deimantas Narkevičius folgt in The Dud Effect verschiedenen Spuren aus der Vergangenheit, verknüpft diese und schafft damit Bedeutung für die Gegenwart, indem er für seine filmisch-historiographische Praxis durch die Leerstellen und Projektions flächen in der filmischen Diegese beim Betrachter den Moment der Imagination herausfordert. Der Film als „Ort, mit dem man etwas macht“49, konstituiert sich als Erinnerungsraum, der sich – im Gegensatz zum auf die Vergangenheit gerichteten Ort, an dem Geschichte stattgefunden hat – durch Gestaltungsmöglichkeiten und damit sein Potenzial, zukunftsweisend zu sein, auszeichnet.50 An die derrida’sche Lesart des psychoanalytisch geprägten Spurbegriffs im freud’ schen Konzept des Wunderblocks anknüpfend, kann Narkevičius Film als Text verstanden werden, „ein nirgendwo präsenter Text, der aus Archiven gebildet ist, die immer schon Umschriften sind“.51 Jeder Zugriff auf diesen Text bedeutet Rekon struktion, eine nachträgliche Sinnzuschreibung, die in den Strukturen von The Dud Effect auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene reflektiert wird und ihre Abhängigkeit von medialen Repräsentationsformen thematisiert.
47 Vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973, S. 187 f. 48 Vgl. hierzu die Einleitung in Knut Ebeling/Stephan Günzel (Hg.): Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten, Berlin 2009, S. 9, 17. 49 Michel de Certeau: Kunst des Handelns, Berlin 1987, S. 218. 50 Vgl. Aleida Assmann: „Geschichte findet Stadt“, in: Moritz Csáky/Christoph Leitgeb (Hg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“, Bielefeld 2009, S. 13–27, hier S. 17. Susanne Leeb beschreibt den Moment des Eingreifens in den Diskurs der Geschichte als charakteristisches Phänomen der Gegenwartskunst. Siehe hierzu: Susanne Leeb: „Flucht nach nicht ganz vorn. Geschichte in der Kunst der Gegenwart“, in: Texte zur Kunst, Dezember 2009, Heft 76, S. 28–44. 51 Jacques Derrida: „Freud und der Schauplatz der Schrift“, in: ders: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main, 1976, S. 302–350, hier S. 323.
Brigid Doherty
Rilke’s Magic Lantern Figural Language and the Projection of “Interior Action” in the Rodin Lecture*
In mid-October 1905, while employed as private secretary to Auguste Rodin at the sculptor’s home and studio in the Paris suburb of Meudon, Rainer Maria Rilke composed a lecture about Rodin’s art that he went on to deliver publicly some nine times, beginning with a presentation in Dresden on 23 October of that year.1 The *
Versions of this essay were delivered as lectures at Binghamton University (March 2011) and Cooper Union (April 2011), and as contributions to the following conferences: “Freud and the 20th Century,” organized by Rubén Gallo at Princeton University (December 2010); “Forensic Aesthetics,” organized by Eyal Weizman, Thomas Keenan, and Anselm Franke at the New School (November 2011); the section convened by Regine Prange and Ralph Ubl at CIHA2012 – Die Herausforderung des Objekts (July 2012); “Subjectivities,” organized by Barbara Will at Dartmouth College (September 2012); “Interiors and Interiority,” organized by Beate Söntgen (Leuphana Universität) and Ewa Lajer-Burcharth (Harvard University) at the Denkerei, Berlin (December 2012); and the Lovis Corinth Colloquium on German Modernism, organized by Todd Cronan at Emory University (March 2013). Erica DiBenedetto and Mareike Stoll provided invaluable research assistance on this project.
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Cf. Rainer Maria Rilke: “Rodin. Ursprüngliche Fassung des Vortrags,” in: Schriften (= Rainer Maria Rilke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden, vol. 4), ed. by Horst Nalewski, Frankfurt am Main 1996, pp. 495–511, with commentary pp. 928–940, 957–958; Rilke: “Letter to Clara Rilke-Westhoff, 28 June 1907,” in: Briefe aus den Jahren 1906 bis 1907, ed. by Ruth Sieber-Rilke/Carl Sieber, Leipzig 1930, pp. 290–291; Ingeborg Schnack: Rainer Maria Rilke. Chronik seines Lebens und seines Werkes, 1875–1926, expanded new edition ed. by Renate Scharffenberg, Frankfurt am Main 2009, pp. 223– 242, 285–291; Schnack: “‘Zu Rilkes Vortrag ‘Vom Werke Rodins’: Rilke und Kessler,” in: Über Rainer Maria Rilke. Aufsätze, Frankfurt am Main 1996, pp. 125–139; Rainer Maria Rilke und Auguste Rodin. Der Briefwechsel und andere Dokumente zu Rilkes Begegnung mit Rodin, ed. by Rätus Luck, Frankfurt am Main 2001, pp. 113–170, 201–217; idem: “Rilkes Rodin-Vortrag in Dresden,” in: Blätter der Rilke-Gesellschaft 29 (2008), pp. 51–65; Ralph Freedman: Life of a Poet: Rainer Maria Rilke, Evanston 1996, pp. 230–242, 277–280; Werner Kohlschmidt: “Die Berner Handschrift von Rilkes Ro-
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Brigid Doherty lecture, according to Rilke, lasted a little over an hour and was not accompanied by slides.2 “The evening in Dresden,” he reported in a letter to his wife, the sculptor Clara Rilke-Westhoff, to whom he had dedicated his 1903 monograph on Rodin and who that autumn was sharing a small house with Rilke on the grounds of Rodin’s property in Meudon, was not as animated as I had hoped it would be. There was contact, but what kind of contact can be made with old maids and weary employees? […] Nevertheless, from the first words an altogether ready silence established itself, and attention held sway in the very large hall, which was filled with some 650 people, who I sensed from time to time were fully obedient, in thrall to my presentation [tout à fait obéissants (sic.) et dans mon geste].3
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din-Vortrag,” in: idem: Dichter, Tradition und Zeitgeist. Gesammelte Schriften zur Literaturgeschichte, Bern/Munich 1965, pp. 160–175; Torsten Hoffmann: “Rilke als Redner. Publikumskommunikation und Kunstvermittlung in den Vorträgen ‘Moderne Lyrik’ (1898) und ‘Vom Werke Auguste Rodins’ (1905/1907),” in: Zeitschrift für Germanistik 20/3 (2010), pp. 543–562. A revised and expanded version of the lecture was published as part two of the third edition of Rilke: Auguste Rodin, Berlin 1907, pp. 75–116; a preface in that edition explains that the second part of the monograph seeks to retain aspects of the spoken form of the lecture on which it is based (cf. ibid., pp. 73–74). My thanks to Dr. Franziska Kolp of the Schweizerisches Rilke-Archiv, Bern, for making accessible to me a copy of the manuscript of Rilke’s Rodin lecture (Rilke Ms_D_20/Ms_D_21. “Rede über A. Rodin,” Schweizerisches Rilke-Archiv, Schweizerisches Literaturarchiv, Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). Unless otherwise noted, all translations are my own. Cf. Rilke: “Letter to Valdemar Vedel, 13 January 1906,” in: Luck (2001), n. 1, p. 152. Rilke: “Letter to Clara Rilke-Westhoff, 25 October 1905,” in: Briefe aus den Jahren 1902 bis 1906, ed. by Ruth Sieber-Rilke/Carl Sieber, Leipzig 1929, pp. 266–267. The letter was written in French and indicated that Rilke’s remarks about the Dresden appearance were meant to be shared with Rodin (“quelques mots seulement au hasard du moment pour vous et pour notre Maître”). The letter also appears, in German translation, in: Luck (2001), n. 1, pp. 116–117. Rilke described himself at the time as writing “a French for which there is bound to be a purgatory somewhere” (Rilke: “Letter to Lou Andreas-Salomé, 14 November 1905,” in: Rilke and Andreas-Salomé. A Love Story in Letters, ed. and trans. by Edward Snow/Michael Winkler, New York 2008, p. 153; cf. the original German in: Sieber-Rilke/Sieber [1929], p. 271). Rilke’s unidiomatic phrase dans mon geste may represent a confusion between, or a conflation of, geste/Geste as gesture, in both French and German, and Geste as story or narration, in German. My translation attempts to capture something of what I take to be the allusive complexity of the poet’s unusual formulation. My thanks to Fabien Capeillères for a helpful exchange regarding Rilke’s geste. Gesture, of course, is a key concept in Rilke’s writings on Rodin, where he regularly uses the term Gebärde and only very rarely Geste. As noted below, gesture figures in a crucial moment of the 1905 manuscript of the Rodin lecture. A newspaper article about the Rodin lecture in Elberfeld on 26 February 1906 noted that Rilke “had a peculiar form of presentation that one must recognize as masterful after its own fashion. The listeners, whom the lecture hall barely contained, were from time to time completely enthralled [ganz in Bann geschlagen].” Friedrich Kerst: “Rilke über Rodin,” in: Täglicher Anzeiger für Berg und Mark, 2 March 1906, reprinted in: Hans-Henrik Krummacher: “Paul Zech und Rainer Maria Rilke,” in: Zeit der Moderne. Zur deutschen Literatur von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart, ed. by idem et al, Stuttgart 1984, pp. 511–512,
Rilke’s Magic Lantern A rather more disappointing event attended by a much smaller group took place two days later in Rilke’s hometown of Prague, and lectures in Elberfeld, Berlin, and Hamburg followed in early 1906. A third tour that brought Rilke to Vienna in November 1907 featured a version of the Rodin lecture that registered, finally, as a huge success. “I have never had a more sympathetic experience than that of my last lecture on 13 November,” wrote Rilke in a letter to Rodin a few days later. “A well-selected audience, not too numerous, accompanied me with perfect attention. The hall remained illuminated: so I could observe the personal impressions of those present; there were faces on which I joyfully perceived animation, awakening, interior action.”4 It would require more space than I have at my disposal here to pursue a reading of Rilke’s Rodin lecture as a whole. In what follows, I offer an account of the emergence of what I take to be a crucial figure within the lecture, the image of the magic lantern that Rilke invokes to represent the audience’s response to his refiguration of Rodin’s sculptures in words, a projection of the “animation, awakening, interior action” that he recognized in their faces: “And your eyes, like the lenses of a magic lantern, cast a gigantic Balzac past me onto the wall. The image of a creator in all his hubris, erect in his inner movement as if in the vortex of a storm that draws the whole world into this teeming head.”5 Central to the Rodin lecture, I suggest, is the elaboration of a scene in which Rilke’s writing, presented as speech, would supplant both Rodin’s art and the technological media of diapositive photographic reproduction and projection. That elaboration culminates in an assertion of the figurative metamorphosis of his listeners’ eyes into the lenses of a magic lantern, an image of the transformation of the body into an apparatus for the projection of pictures.6
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here p. 512. Regarding the presentation in Dresden on 23 October 1905, a review declared that Rilke “did not deliver a lecture, he deilvered a lyric poem.” The lecture drew its listeners “into a deep, lyrical absorption (...) one felt how the lecture sought to imitate formally the sounding of a musical instrument, how Rilke reveled in the suggestive effects [suggestive Wirkungen] of a musical lecture.” Dresdner Anzeiger, 25 October 1905, cited in Luck (2008), n. 1, p. 62. Rilke: “Letter to Auguste Rodin, 16 November 1907” [in French], in: Briefe aus den Jahren 1907 bis 1914, ed. by Ruth Sieber-Rilke/Carl Sieber, Leipzig 1933, pp. 24–25, here p. 24. The letter also appears, in German translation, in: Luck (2001), n. 1, pp. 216–217. Cf. also the postscript to Rilke’s “Letter to Sidonie Nádherny von Borutin, 14 November 1907,” in: Luck (2001), n. 1, p. 216, where Rilke describes the evening of the Rodin lecture in Vienna as having “gone off very well, and with sympathetic contact.” Given that Rilke revised the Rodin lecture in June 1907, it seems likely that the text from which he spoke in Vienna in November of that year would have differed somewhat from the 1905 manuscript. However, I am not aware of the existence of a manuscript related to the November 1907 Rodin lecture in Vienna. Rilke: “Rodin. Ursprüngliche Fassung des Vortrags,” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 503. What the Rodin lecture invokes in the image of the magic lantern is “a bodily reproduction of technical processes,” to borrow a term from Friedrich Kittler’s media-theoretical treatment of Rilke’s The Notebooks of Malte Laurids Brigge [1910] in: Discourse Networks, 1800/1900 [1985], Stanford 1990, pp. 315–346, here p. 329. Kittler’s analysis situ-
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Brigid Doherty In the wake of his engagement with Rodin’s work during the writing of the first part of the monograph, Rilke felt himself to be “suffering” the effects of the sculptor’s “huge example.” His own art, as he put it in a letter to Lou Andreas-Salomé of 10 August 1903, gave him “no means of following [Rodin] directly.” “The impossibility of creating physically,” he wrote, “turned to pain in my own body and even my fears (whose material content was the proximity of something too hard, too stonelike, too big) arose from the irreconcilability of the two worlds of art.” Rilke’s fears arose, or seemed to him to have arisen, from the irreconcilability of the Kunstwelt of poetry with that of sculpture, and those fears made themselves felt as the looming impingement of a massive, hard, stone-like thing – a thing with the materiality of a sculpture – upon a fragile body that itself seemed incapable of physical creation. And yet, he announced,
ates Rilke’s writing (and that of his novel’s eponymous narrator) within the “discourse network of 1900,” which “rescinds the freedom of the writing imagination” (p. 327). Kittler further describes Brigge’s writing as presented in Rilke’s fiction as “proceed[ing] exhaustively, like technological media” (pp. 327–328). My understanding of the Rodin lecture and of Rilke’s work in general is indebted to Kittler’s post-hermeneutic criticism. Nevertheless, the present essay can only be read as an instance of the persistence of interpretation in the face of (what I take to be) the persistence of imaginative metaphorization (and, beyond that, to engage Kittler’s terms, of the activity of the writer as a certain kind of literary author rather than a mere transcriber) in Rilke’s work. Here I concur with Eric Santner’s view of Rilke’s writing, which Santner understands to have been dedicated to “sounding out ever more precisely the ways in which, under the conditions of modernity, objects and people manifest [a] needfulness for poetic elaboration.” Santner notes that, in crucial respects, Rilke’s work of the so-called “middle period” (1902–1912) was “inspired by the poet’s growing appreciation for – and envy of – the craftsmanship, the artisanal mode of production, that he associated above all with painting and sculpture.” Eric Santner: “The Poet’s Two Bodies: Rainer Maria Rilke’s The Notebooks of Malte Laurids Brigge,” in: idem: The Royal Remains. The People’s Two Bodies and the Endgames of Sovereignty, Chicago 2011, pp. 188–244, here p. 188. As its title’s allusion to Ernst Kantorowicz’s classic study, The King’s Two Bodies: A Study in Medieval Political Theology [1957], indicates, Santner’s interpretation of Rilke’s works in “The Poet’s Two Bodies” concerns motifs and implications of the political theology of sovereignty with regard to what he calls “the dimension of the flesh” in Rilke’s novel. In that connection, Santner engages Kittler’s work productively, and criticizes Kittler for “missing” precisely the “dimension of the flesh” and the range of its significance in Rilke’s work (cf. ibid., pp. 231–235, here p. 234). There is no room in this short text to explore fully the relation of my claims to those of Kittler and Santner. But it bears mentioning here that, among other things, the present essay sees Rilke’s appreciation for, and envy of, Rodin’s art as having been comprehended by Rilke himself with regard to Rodin’s capacity to figure bodily and psychic experience in art, and thereby to exert suggestive influence; crucially, Rilke came to comprehend Rodin’s art in this way through his exchange of letters with Lou Andreas-Salomé, whose own suggestive influence might be said to have effected, by means of writing, the poet’s recognition of his own suggestibility and of the capacity of his writing to manifest, and potentially to transmit, effects of suggestion in specifically poetic form; more on this below.
Rilke’s Magic Lantern I must follow him, Rodin: not by a sculptural transformation of my creative work, but by an inner ordering of the artistic process; it is not shaping that I must learn from him, but a deep collectedness for shaping’s sake. […] I too must find some way to make things; not plastic, written things, – realities that emerge from handwork. Somehow I too must discover that smallest basic element, the cell of my art, the tangible immaterial medium of presentation for everything.7
For Rilke, following Rodin would involve not a bildhauerisches Umgestalten seines Schaffens (a transformation that would be perceivable as a deliberate attempt to imitate sculptural effects in his poems, whatever that might mean in technical and formal terms), but an innere Anordnung des künstlerischen Prozesses (a reconfiguration of the process of artistic production that, because internal to the artist, would determine the mode of composition of the poems as “written things” but would not itself be manifest in their form, whose basic element would be a “tangible immaterial medium of presentation for everything” [greifbare unstoffliche Darstellungsmittel für Alles]). The repudiation of the possibility of a “sculptural transformation” of his writing would establish in Rilke’s poetry a counterpart to what he recognized as Rodin’s indifference with regard to how his sculptures looked. Rodin, Rilke remarked in a letter to Andreas-Salomé, “attempted to make nothing with reference to ‘how it would look’ […] one could almost say that the way [Rodin’s] things look is a matter of indifference to him.”8 A poetic practice modeled on a sculptural practice within which how things look is a matter of indifference would have no need to seem “sculptural,” indeed would be at pains precisely not to do so. In this connection, it is worth noting that in the Rodin monograph, Rilke asserts that poetry (first Dante’s Inferno and then Baudelaire’s Fleurs du mal) revealed to Rodin something he through that revelation came to realize he had already known: that a figural expressivity inhered in the human body, and that the inherent figural expressivity of the body should serve as the foundation for his sculptural production. In Dante, “he found images that bore him out, and when he read of the weeping feet of Nicholas the Third, he found that he already knew there were weeping feet, that there was a weeping that was everywhere, throughout the entirety of a human being, and tears that sprang from every pore.”9 Rodin already knew of the existence 7
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Rilke: “Letter to Lou Andreas-Salomé, 10 August 1903,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, pp. 76–77. Emphasis in original. Translation modified, based upon the German in: Rainer Maria Rilke and Lou Andreas-Salomé. Briefwechsel, ed. by Ernst Pfeiffer, Frankfurt am Main 1975, pp. 103–104. Rilke: “Letter to Lou Andreas-Salomé, 8 August 1903,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, p. 71; cf. the original German in: Pfeiffer (1975), n. 7, p. 95. Rilke: “Auguste Rodin (Erster Teil),” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 413. Dante, Inferno, Canto XIX, line 45 refers to Pope Nicholas III, condemned as a Simonist to spend eternity upside down in a hole, with flames licking at his feet, as quel che si piangeva con la zanca. In preparing the present text I have consulted translations of Rilke’s Rodin monograph by G. Craig Houston (“The Rodin-Book,” in: Rilke: Selected Works, vol. 1, Norfolk 1960, pp. 93–160) and Daniel Slager (Rilke: Auguste Rodin, New York 2004).
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Brigid Doherty of weeping feet, but he was in need of reading a poetic figure invoking that know ledge in order to envision its counterpart in sculpture. Indeed, Rilke further suggests, Rodin needed to read a more extreme and specifically lyrical figuration of the body’s inbuilt capacity for polymorphous expressivity as a model for poetry. And so from Dante he came to Baudelaire, in whom the sculptor found a “predecessor” in the search for “bodies, in which life was larger, more terrible and more restless” than it merely appeared to be in faces. Moreover Rodin discovered in Baudelaire’s poems “places that stood out from the text [heraustraten aus der Schrift], that seemed not written, but molded [geformt], words and groups of words that were melted in the hot hands of the poet, lines that felt like reliefs to the touch and sonnets that like involuted capitals bore the weight of a fearful thought. He sensed vaguely that this art, where it ended abruptly, abutted the beginning of another art, and that it had been longing for this other art.” Rodin’s art “retrieved a past” from the writings of Dante and Baudelaire, and in the period of his mature production “their figures [ihre Gestalten] rose within him, woeful and real, like memories from his own life, and entered his work as if into a homeland.”10 Thus within the memory of the sculptor whom Rilke intended in one way or another to follow dwelled the figures of poets, figures that, having found a home as if as revenants in Rodin’s art, might move on to occupy Rilke’s writing as well. To Lou Andreas-Salomé, Rilke’s writings following his encounter with Rodin made plain that he was still stamped by the suggestion that [he] had taken in and reproduced and that became [his] own self: and with stupendous Rodin-eyes [mit unerhörten Rodin-Augen] [he] saw everything [he] saw, with a view toward the corporeal-psychic detail [körperhaft-psychisches Detail], with a concentrated receptivity for whatever spoke of bodily experience, even though in [his] tools, the tools of the poet, the bodily does not find an adequate means for its expression.11
The poet, Andreas-Salomé insisted, was no mere imitator [bloßer Nach-Erschaffer]. Hence his attempts to reckon with the aesthetic effects of Rodin’s art, his efforts to Reflecting on his engagement with Dante’s Inferno in the Gates of Hell (1880–ca. 1890), Rodin described Dante as “a literary sculptor. He speaks in gestures as well as in words; is precise and comprehensive not only in sentiment and idea but in the movement of the body. I have always admired Dante, and have read him a great deal, but it is very difficult for me to express in words just what I think of him, or have done on the door” (Auguste Rodin, cited in: Albert E. Elsen: In Rodin’s Studio: A Photographic Record of Sculpture in the Making, Oxford 1980, p. 164). 10 Rilke: “Auguste Rodin (Erster Teil),” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 413. 11 Lou Andreas-Salomé: “Letter to Rainer Maria Rilke, 7 August 1903,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, p. 66. Translation modified, based upon the German in: Pfeiffer (1975), n. 7, p. 88. Andreas-Salomé’s choice of words in describing the transformation of Rilke’s vision such that he saw everything he saw mit unerhörten Rodin-Augen is echoed, remotely, in the opening lines of Rilke’s “Archaïscher Torso Apollos” (1907), the first poem of Der neuen Gedichte anderer Teil, published in 1908 and dedicated À mon grand ami Auguste Rodin: “Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, / darin die Augenäpfel reiften.”
Rilke’s Magic Lantern discharge the corporeal-psychic overstimulation and the suggestion that came to shape him in the face of the master’s sculptures, “transported [him] into the uncanny dimensions of a foreign world, and drove a wedge between [his] mind and [his] senses.” In this period following his first extended engagement with Rodin’s art, Rilke’s work, so Andreas-Salomé, “stood on the borderline between what was [his] and what was someone else’s.” Moreover, she posited, “the sculptural urges, that is, those stamped by the corporeal, unable to find satisfaction through the poet’s means, had to turn their energy against [Rilke’s] own self, had, as it were, to exploit [his] own body like a vampire.”12 If, in Andreas-Salomé’s formulation, confronting the model of Rodin’s creative productivity initially proved incapacitating for the poet and seemed to situate his work in a space between his own authorship and that of another, the sculptor’s suggestive effects also activated in Rilke a receptive capacity for the recognition of details of precisely the sort of “corporeal-psychic” transformation she encouraged him now to acknowledge as his own. For Rilke, to see everything he saw mit unerhörten Rodin-Augen was to enter into a new kind of corporeal-psychic experience of the world, an experience of the determinative effect of another upon the internal order ing of his artistic process, indeed upon the procedures of perception, cognition, and representation in general. As he saw things, Rilke’s encounter with Rodin and his art reshaped both the poet’s fears (figured as the “proximity of something too hard, too stone-like, too big”) and his ambitions (to invent a mode of writing that would not aim to achieve quasi-sculptural appearances or effects, but would somehow otherwise provide an adequate means of expression for the bodily). It was Rilke’s aim “to make things; not plastic, written things,” written things in which corporeal-psychic details would take shape by means of a “tangible immaterial medium of presentation” in his poetry. The 1903 Rodin monograph, it bears remembering, offered Dante’s quel che si piangeva con la zanca (the one who weeps with the soles of his feet) as the occasion for Rodin’s own recognition of the force of corporeal-psychic details and their originary significance for poetry and sculpture alike. In his response to Andreas-Salomé’s analysis, Rilke drew a distinction between the process of “shaping” or composition [Bilden] and an internal state of “collectedness” or composure [Gesammeltsein] that would allow for the possibility of making “written things” as realities. With regard to the composition of his works Rilke did not see himself in need of a model in sculpture, indeed already in the monograph as published in 1903 he had presented poetic language as a crucial source for the development of Rodin’s own mature work, an artistic practice in which Rilke recognized, moreover, the sculptor’s lack of interest in how his artworks looked. For Rilke’s own composure, however, Rodin was taken to provide a model, and his suggestive effects an impetus. Andreas-Salomé recognized an acute “suggestibility” as fundamental both to what Rilke did in writing, and to what he was incapable of doing. The encounter with Rodin, she thought, had entailed a “psychic reorienta12 Ibid. Emphasis in original.
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Brigid Doherty tion” on the part of the poet, an experience of “expectations and intensifications pointing into a future,” of an “awakened longing” that could not in the context of the composition of the monograph “envision its realization.”13 The terms of Andreas-Salomé’s analysis of Rilke’s engagement with Rodin’s art not only made their way into his immediate epistolary responses to that analysis. They also informed the composition of the work the poet himself would come to understand as having “gone beyond” his Rodin book, the Rodin lecture written in October 1905 and revised and expanded in June 1907 for publication in November of that year as the second part of the third edition of the monograph.14 The aim of Rilke’s Rodin lecture, to borrow a phrase from Andreas-Salomé, was “to give further, reflective form to what someone else created [nachzugestalten, was ein Anderer schuf].”15 The lecture summoned the audience’s longing to see Rodin’s art with the aim of envisioning, in its turn, the satisfaction of that longing by means of figural language or, more precisely, by the presentation of figural language as speech. “I am pleased with my Rodin lecture,” Rilke wrote to Andreas-Salomé in November 1905. “I think it goes beyond my little book,– at any rate it is ‘spoken’ to the same degree that the book is ‘written’.”16 Self-reflexively predicated on the absence not only of the works of art that were its subject but also of projected photographic images of those works, the lecture eschewed description of the unseeable art objects. Instead, Rilke’s presentation made suggestion central to its own expository enterprise, in which (to borrow the terms of Rilke’s letters describing the lecture) the poet’s spoken words were called upon not merely to conjure up Rodin’s sculptures, but, in a space where “attention held sway,” to make “contact” with “obedient” listeners in a state of “altogether ready silence,” and to induce in them “animation, awakening, interior action” that would become visible on their faces. It is as if, following Andreas-Salomé’s analysis, Rilke recognized himself as embodying the effects of Rodin’s suggestion and set out to reproduce those effects in his audience. Hearing his voice, Rilke’s listeners might come, as he had done, to see things with “Rodin-eyes,” to experience the “interior 13 Andreas-Salomé: “Letter to Rainer Maria Rilke, 8 August 1903,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, p. 67. Translation modified, based upon the German in: Pfeiffer (1957), n. 7, p. 88. 14 Cf. Rilke: “Letter to Lou Andreas-Salomé, 14 November 1905,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, p. 154; for the German, cf. Pfeiffer (1975), n. 7, p. 210. 15 Andreas-Salomé: “Letter to Rainer Maria Rilke, 7 August 1903,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, p. 65. Translation modified, based upon the German in: Pfeiffer (1975), n. 7, p. 87. 16 Rilke: “Letter to Lou Andreas-Salomé, 14 November 1905,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, p. 154. Translation modified, based upon the German in: Pfeiffer (1975), n. 7, p. 210. The quotation marks Rilke places around both gesprochen and geschrieben only hint at the complexity of his presentation of writing in relation to “the power of the voice.” Within the scope of the present text, I can only allude in this connection to chapter six of Jacques Derrida: Voice and Phenomenon. Introduction to the Problem of the Sign in Husserl’s Phenomenology [1967], Evanston, IL 2011, pp. 60–74, especially the discussion of “the operation of hearing-myself-speak as an auto-affection of an absolutely unique type” (pp. 67–69).
Rilke’s Magic Lantern action” their own perceptions as determined externally, by the suggestive influence of another. For Rilke at Meudon, it was the suggestive influence conveyed through his viewing of Rodin’s works and his encounter with the sculptor’s artistic practice that transformed the poet’s vision. For the audience in attendance at Rilke’s lecture, only the poet’s presentation of words, over and against any exposition of the sculptures as visual objects, could be deployed to effect such a transformation in them. As in Rilke’s experience of Rodin’s person and his art, the audience’s experience of the poet and his words would elicit a “psychic reorientation” as both an effect of and a condition of possibility for a form of aesthetic experience to which suggestion was fundamental. The logic of Rilke’s understanding of his relation to Rodin – whom he sought to follow not by transposing the sculptor’s mode of artistic composition with the aim of creating seemingly plastic things in writing, but by taking his own psychic composure (located internally but originally determined from outside, by means of Rodin’s suggestive influence) as a condition of possibility for making “written things” in a “tangible immaterial medium of presentation” – dictated that his lecture would have to begin not with an invocation of the appearance of Rodin’s art but with an assertion of its invisibility. Not the reproduction of the presence of Rodin’s sculptures as projected diapositive photographic images, but the presentation of his own words as vocalized figures would transmit to Rilke’s listeners the significance of the artist’s works as occasions for “psychic reorientation.” Rilke’s audience would have come to the Rodin lecture with a collection of images of the sculptor’s works stored in their memories. By 1905, Rodin’s fame was immense. His art was held in especially high regard in Germany, where, beginning in the mid-1890s, his works were featured prominently in exhibitions and museum collections and reproduced widely in newspapers and magazines. Rilke’s appearance before some 650 listeners in Dresden in October 1905 was not the first well-attended public lecture on the French artist’s work to take place in Germany. In Leipzig in February 1904, the classical archaeologist Georg Treu – who already in the 1890s in his capacity as director of the Dresden Skulpturensammlung had acquired five sculptures by Rodin for the collection, including, and of which more below, The Man with the Broken Nose (1864), The Age of Bronze (1877), and The Inner Voice (1896) – presented a lecture on Rodin to an audience of 1,200 (or perhaps as many as 2,000).17 Regarding his exhibition at the custom-built Pavillon de l’Alma just outside the official grounds of the Universal Exposition in Paris in 1900, Rodin remarked that it was visited by “a few Americans, a few Englishmen, but many Germans.”18 The sculptor himself had traveled to Dresden en route to an exhibition 17 Cf. Claude Keisch: “Rodin und Deutschland: Fragmente zu einer Chronologie,” in: Auguste Rodin: Plastik, Zeichnungen, Graphik, exhib.-cat. Nationalgalerie Berlin, Berlin 1979, pp. 22–34, here p. 27. Treu employed two Skioptikon projectors for the presentation of images of Rodin’s works in his lecture. Cf. Luck (2001), n. 1, p. 63. 18 Cited in: Ernst-Gerhard Güse: “Auguste Rodin und Deutschland,” in: Auguste Rodin: Zeichnungen und Aquarelle, exhib.-cat. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Stuttgart 1984, pp. 13–39, here p. 17.
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Fig. 2: View of the Rodin exhibition, Städtisches Museum, Leipzig, 1904.
of his work in Prague in 1902, and a retrospective of more than sixty of his sculptures was held in Düsseldorf in summer 1904, concurrent with smaller exhibitions in Dresden and Weimar.19 In 1911, Rodin Fig. 1: Auguste Rodin, Eve, 1881, gelatin- would note in a newspaper interview that silver print by Eugène Druet, undated. his art was even better known in Germany than in France: “I exhibited there often, and I always found the best reception […] In addition to the works of mine one could see [in German collections and exhibitions], most of them were reproduced in profusion, popularized in print form [popularisées par la gravure].”20 It would have been better to say, precisely, popularisées par la photographie. Beginning in 1896, Rodin worked closely with photographers, including the amateur Eugène Druet, to promote his work publicly – an activity, according to Rodin scholar Hélène Pinet, “to which he devoted almost as much energy as he expended on creating sculpture.”21 In the Pavillon de l’Alma exhibition of 1900, Druet’s photographs were displayed as framed, 30-by-40-centimeter-sized gela19 Cf. Michael Kuhlemann: “Rodin in Deutschland. Kommentiertes Verzeichnis der Ausstellungen 1883–1914,” in: Heinz Spielmann et al. (eds.): Vor 100 Jahren. Rodin in Deutschland, exhib.-cat. Bucerius Kunst Forum und Staatliche Kunstsammlung Dresden, Munich 2006, pp. 158–175, here pp. 164–167. Cf. Hélène Pinet: “Expositions connues de sculptures de Rodin accompagnées de photographies,” in: Rodin et la Photographie, exhib.-cat. Musée Rodin, Paris 2007, pp. 218–219. 20 Auguste Rodin: “Interview in L’Intransigeant, 5 February 1911,” cited in: Güse (1984), n. 18, pp. 13, 38. 21 Hélène Pinet: “Montrer est la question vitale: Rodin and Photography,” in: Geraldine A. Johnson (ed.): Sculpture and Photography: Envisioning the Third Dimension, Cambridge 1998, pp. 68–85, here p. 74; Cf. Pinet: “Von der Skulptur zur photographischen Darstellung,” in: Spielmann (2006), n. 19, pp. 32–37, here pp. 35–36; and Kirk Varnedoe: „Rodin and Photography,“ in: Albert Elsen (ed.): Rodin Rediscovered, exhib.-cat. National Gallery of Art Washington D.C., Boston 1981, pp. 203–208, here p. 206.
Rilke’s Magic Lantern tin-silver prints inscribed with the names of both sculptor and photographer (fig. 1), and were offered for sale alongside Rodin’s works in bronze and plaster; photographs by Druet and Jacques-Ernest Bulloz also appeared in Rodin’s exhibitions in Düsseldorf, Leipzig, and Weimar in 1904, and Druet’s works were acquired by museums in Berlin and Dresden.22 As if to insist on photography’s capacity to convey the authority of the artist as a virtual presence within an exhibition space, the 1904 exhibition at the Städtisches Museum in Leipzig featured a photographic portrait of Rodin propped on a velvet-covered easel among his sculptures (fig. 2).23 Rilke, in a letter of 12 May 1903, pointed to the powerful effects of looking at Druet’s photographs of Rodin’s sculptures and noted the decisive role the master’s collaboration played in their making. “There are some 300 exceptionally beautiful photographic reproductions of Rodin’s work,” he wrote to the playwright Gerhart Hauptmann, who a few days later would express an interest in acquiring a complete set. “They depict more of the essence and the wonder of the sculpture than any other photographs I have seen,” Rilke continued. “And as some of the little things have been shot from multiple sides, you can almost touch them and circle around them when you spread the images out in front of you.”24 Druet’s photographs earned similar praise from the art historian Julius Meier-Graefe on the occasion of a 1904 exhibition in which they were shown unaccompanied by the sculptures. “If it would not sound barbaric,” wrote Meier-Graefe, “one would almost have to say that with these photographs one comes to know Rodin for the first time in all his greatness, his sovereign articulation of space.”25 Although by 1905 technologies for lantern slide projection were widely used in university art history courses and public lectures in Germany, Rilke delivered his Rodin lecture without the aid of a projector, and hence without recourse to the effects of photographic images of the sculptor’s works, images that, it has been said, “were no longer just illustrations” but had begun “to appropriate the functions of the objects depicted in them” as “visual spokesmen personally accredited by Rodin.”26 Among the most prominent, and fervent, advocates of the use of slide 22 Cf. Pinet (1998), n. 21, p. 77. 23 Cf. Ortrud Westheider/Moritz Woelk: “Rodin in Deutschland: Zur Einführung,” in: Spielmann (2006), n. 19, pp. 8–11, here p. 10. 24 Rilke: “Letter to Gerhart Hauptmann, 12 May 1903,” in: Gerhart Hauptmann Nachlass, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, GH Br NL: Rilke, Rainer Maria, fol. 23 + 24. My thanks to Christian Jany for his expert assistance in transcribing this letter in full. The passage from Rilke’s letter that discusses Druet’s photographs, as well as a letter from Hauptmann in which he mentions his interest in purchasing a complete set of the photographs, can be found in Luck (2001), n. 1, p. 73. 25 Julius Meier-Graefe: “Pariser Bericht,” in: Kunst und Künstler 2/1 (1904), p. 38. 26 Pinet (1998), n. 21, p. 75. On the use of slide projection technologies in German university art history courses beginning in the mid-1870s, cf. Heinrich Dilly: “Lichtbildprojektion – Prothese der Kunstbetrachtung,” in: Irene Below (ed.): Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, Gießen 1975, pp. 153–172. Dilly notes that by 1902 slide projection was in use in almost every such course (pp. 165–166). Rilke gave voice to his aversion
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Brigid Doherty projection technologies (specifically a device called the Skioptikon) was Herman Grimm, whose courses in art history may have been among those Rilke attended in Berlin in 1899–1900, and whose newspaper and journal articles on the topic in the 1890s emphasized the potential scientific and socio-cultural benefits to which the use of those technologies could lead. Slide projection, Grimm insisted, obviated the need for conventional art-historical introductions in university lectures by substituting for them the presence of a work of art in reproduction. In the case of a lecture on Raphael, for example, “the first thing that should become known to those in an auditorium is the sudden appearance on the wall of his earliest masterpiece.” And since, according to Grimm, “reproductions, not originals, remain in memory,” art history stood to benefit especially from the use of technologies for the projection of photographic images of works of art.27 Franz Landsberger, who studied under Grimm’s successor, Heinrich Wölfflin, in Berlin around 1905, noted that a technological innovation had prompted the development of the modern art history lecture: “the Skiopticon made possible for the first time a simultaneity of work and word; neither the literary historian nor the music historian has recourse to such a parallelism.” Indeed, Landsberger explained, the use of projected images of works of art and the conditions of darkness that obtained in the hall on the occasion of an art history lecture “put the work of art at the center of viewing” such that the artwork itself appeared “to demand its elucidation.” Art historians who required illumination to read from notes at a lectern risked drawing the gaze of their listeners away from the projected image of the work of art in reproduction as it appeared on a wall at the front of the darkened hall, but Wölfflin, “the master of extemporaneous speaking, places himself in the dark and alongside his listeners, his eye like theirs directed at the picture. He comes together with them as a unity, and he represents as it were the ideal viewer, in whom the experience common to the use of projection apparatuses in a letter written some fifteen years after the first presentation of the Rodin lecture. Acknowledging that the state-of-the-art Epidiascop that was to be placed at his disposal for an upcoming event at the Kunstverein Winterthur might induce feelings of “jealousy” in him as he lectured, he remarked: “Even when I speak about the phenomena of the visual arts (indeed then above all) my ambition always consists in intensifying my word to the point that it arouses moving ideas in the inner imagination of the listener: one must only disturb a person thus moved if one wants to impose upon him (by interrupting his phantasying) a turning-outward of his perceptions and intuitions; in this shift, the productivity of empathy crosses over into a process of objective being-corrected and mere noticing. Art historians naturally may and must think otherwise.” Cf. Rilke: “Letter to Georg Reinhart, 2 October 1920,” in: Briefwechsel mit den Brüdern Reinhart, 1919–1926, ed. by Rätus Luck, Frankfurt am Main 1988, pp. 57–59, here p. 58. Cf. Luck (2001), n. 1, pp. 55–56. 27 Grimm’s remarks are cited in: Dilly (1975), n. 26, pp. 162–166. On Grimm’s reflections regarding the effects of reproductions of Raphael’s Sistine Madonna (1512/13) in particular, cf. Brigid Doherty: “Between the Artwork and Its ‘Actualization’: A Footnote to Art History in Benjamin’s ‘Work of Art’ Essay,” in: Paragraph 32 (2009), pp. 331–358, here pp. 334–335; in that same essay, cf. the discussion of Stendhal’s description of how reproductions destroy and supplant memories of original works of art (p. 336).
Rilke’s Magic Lantern to all condenses into words. For a while Wölfflin lets the work take effect in silence, approaching it, following Schopenhauer’s advice, as one approaches a prince, waiting for it to speak to him.”28 Whether or not Wölfflin in fact delivered his lectures from the floor of the hall, turning his eye to the projected image from within the same darkened space occupied by his listeners, his words, presented as if summoned by the projected image itself, seemed to register a shared experience of the work of art as seen in reproduction. It is as if, in Landsberger’s recollection, Wölfflin, by approaching the projected image only after an interval of silence, sought to suggest that his remarks were generated as an effect of the reproduced presence of the work of art in the darkened hall and of the silence within which visual experience “condensed” into words. The Rodin lecture was not delivered extemporaneously. Carefully scripted throughout and also at crucial moments graphically exact in its arrangement on the page, Rilke’s presentation took shape as a written thing before becoming a spoken thing. In the absence of slide projections, it fell to the lecture itself to generate an effect of the presence of the master’s sculptures. To that end, Rilke’s text underscores the absence of the sculptures as things to be seen, even in reproduction, and it does so initially by withholding the name of their famous maker. Pronouncing the artist’s name, Rilke explains at the outset of the lecture as drafted in the 1905 manuscript, “would establish a friendship between us, a warmth and unanimity that would make it appear as if I – only seemingly set apart – were speaking from among you: outward from you, like one of your voices.”29 Projected, as a spoken word, into the space of the audience, the name Rodin would create the illusion of a unity similar to that experienced by Wölfflin’s students in the same period. In the scenario Rilke sets out in the lecture, it is as if the vocalization of the name would serve as an acknowledgment of the equivalence of speaker and audience in their subjection to that signifier’s evocation of the authority of the artist, and would generate a friendship (“a warmth and unanimity”) between them on those grounds. As if, in other words, the presentation of the name Rodin would manifest in the lecture hall a sovereignty corresponding to the princeliness of the projected reproduction of the work of art in Landsberger’s recollection of Wölfflin’s teaching. Both the students in attendance at Wölfflin’s lectures and the audience gathered for Rilke’s would by custom have assumed a position as listeners and viewers at once. As a consequence of his mastery of extemporaneous speaking and of its interaction, in the darkened hall, with the technology of slide projection, Wölfflin became, as a lecturer, in effect invisible to his audience, emerging instead as an ideal viewer seemingly at one with his listeners. Rilke, by contrast, renounces the possibility of producing a seeming unity of speaker and audience, and in so doing implicitly insists on his own presence and potential visibility as someone set apart and speaking in a voice unmistakably different from those belonging to his listeners. 28 Franz Landsberger: Heinrich Wölfflin, Berlin 1924, pp. 92–94. Cf. Robert S. Nelson: “The Slide Lecture, or The Work of Art History in the Age of Mechanical Reproduction,” in: Critical Inquiry 26 (2000), pp. 414–434, here pp. 419–420. 29 Rilke: “Rodin. Ursprüngliche Fassung des Vortrags,” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 495.
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Brigid Doherty The potential unity that Rilke at once invokes and intends his words to preclude would seem to correspond to what Landsberger defines as essential to the success of Wölfflin’s lectures: a unity of speaker and audience effected, on the one hand, by “a simultaneity of work and word” in the art historian’s staging of a relation between his extemporaneous speech and a series of images projected by a Skioptikon, and, on the other hand, by his engagement, as an ideal viewer, in a shared activity of looking alongside his listeners. Wölfflin, Landsberger takes pains to point out, was able to lecture without notes, and hence without the customary lectern and lamp that demand, and call visual attention to, the set-apartness of a lecturer’s position relative to his audience; indeed Landsberger suggests that Wölfflin not only faced the projected images about which he spoke, but when beholding them situated himself alongside his listeners in the lecture hall. Rilke, we know, delivered his lecture without the aid of slides and, at least on the occasion in Vienna in November 1907, in a space that to his great satisfaction remained illuminated throughout; presumably he also stood before his audience on some sort of stage or otherwise appeared “set apart” from his listeners. The outset of the lecture alludes to but declines to actualize a scenario in which, as an effect of nothing other than his utterance of the name Rodin, Rilke’s real separation from his listeners would seem illusory, and would create in turn the illusion of his “speaking from among” them, “like one of [their] voices.” Describing the potential effect of the name Rodin on his listeners, Rilke explains that “the name that – far off – presides like a constellation of five great stars over this evening, cannot be spoken. Not now. It would only unsettle you, currents would surge up in you – sympathy and resistance, whereas I require your silence and the unclouded surface of your obliging anticipation.”30 Adduced by means of a simile as five starlike letters in a far-off sky, the unspeakable name R-O-D-I-N presides as if in writing. Which is to say it presides, in the figure of the constellation, as something made by the poet. Hence the poet himself presides from a more proximate distance, and lets his listeners know what he requires of them – something other than the surging currents of sympathy and resistance the vocalization of the name Rodin would elicit. What Rilke requires, in a word, is an audience prepared to serve as the medium of his lecture. He requires an obedient, attentive audience whose offering up, in silence, of “an unclouded surface of obliging anticipation” would put its members at his disposal less as willing recipients of new knowledge about Rodin’s art than as unwitting vehicles for the activation of knowledge they might already, though in the moment only unconsciously, possess – less, that is, as interested listeners taking part in a lecture about art than as hypnotic mediums participating in an experiment.31 If the image of an “unclouded surface of obliging anticipation” figures something like the mental state of a hypnotic medium about to enter a trance, it also evokes the prepared surfaces on 30 Ibid. 31 Cf. Santner’s discussion of Rilke’s figuration of Malte in The Notebooks of Malte Laurids Brigge “as a kind of medium, and indeed one in a double sense,” Santner (2011), n. 6, p. 219.
Rilke’s Magic Lantern which photographic images are variously recorded and reproduced and thus alludes to a technological medium that subsequently emerges as crucial to the lecture with the invocation of the magic lantern as an apparatus for the projection of diapositive images. Having stated his need for the silence and the compliance of his public, his need for their readiness to serve as medium as if in both hypnotic and photographic senses of the term, Rilke pleads next for forgetting, a forgetting of the name on which his lecture turns, and a broader forgetting as well, of the context and presumed purpose of a lecture on recent art. Then, acknowledging the lecture’s lack of accompanying visual images, he asks his listeners to “lower [their] eyes for the evening.”32 And of these listeners with downcast eyes prepared to offer him the unclouded surface of their obliging anticipation, of these listeners whose attention, obedience, and suggestibility he has sought to secure for his own purposes, Rilke now requests a remembering to follow the forgetting of the name Rodin, a remembering of “childhood” – not of any individual childhood, but of “all that ever was childhood.” It falls to him as speaker, Rilke insists, “to awaken memories” in his listeners. Not their own memories, but memories that are older than them. “To rebuild relationships and renew connections” that originated long before the individuals in his audience came into the world. Relationships, he means, not among human subjects, but with “things [Dinge]”.33 The memories Rilke sets out to awaken concern the first things of childhood and the “inexhaustible meaningfulness of small forgotten objects,” things such as “some small piece of wood” that once “did and bore everything” for the child who possessed it.34 Recognizing that compelling his listeners to recall the things of earliest childhood will not suffice to induce their longing for the things of which he means to speak, Rilke quickly moves to retract the word things from his audience, in order to “work” on it.35 Although he presents no interdiction against his 32 Ibid. 33 Ibid., p. 496. Rilke’s insistence on an understanding of “things” as essential to the comprehension of Rodin’s art demands further consideration in relation to his earlier engagement with the conceptualization of “things” in the writings of Ralph Waldo Emerson, especially around the issue of the presentation of Rilke’s own figural language with regard to Rodin’s sculptures, as addressed below. Following his reading of Emerson in 1897–1898, Rilke explored the notion of a specifically poetic receptivity to, and capacity to transcribe, the primordial “melody of things.” Cf. the discussion of Rilke’s “Notizen zur Melodie der Dinge” (1898) and other texts in Marilyn Vogler Urion: “Emerson’s Presence in Rilke’s Imagery: Shadows of Early Influence,” in: Monatshefte 85/2 (1993), pp. 153–169. Rilke’s notion of “the melody of things” deserves further consideration in relation to the musicality his contemporaries heard in the Rodin lecture and to the lecture’s deployment of the poet’s voice and gestures at large. 34 Ibid., p. 497. In versions of this paper delivered as talks I have situated this section of Rilke’s lecture in relation to Freud’s “Der Dichter und das Phantasieren,” which was presented as a lecture in the bookshop and Kunstsalon of his publisher, Hugo Heller, in Vienna on 6 December 1907. Rilke’s presentation of his Rodin lecture in Vienna on 13 November 1907 was also organized by Heller, and the poet gave a reading from his literary works at Heller’s Kunstsalon on 8 November 1907. 35 Rilke: “Rodin. Ursprüngliche Fassung des Vortrages,” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 499.
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Brigid Doherty own ongoing vocalization of the word things, Rilke’s gesture of retracting that word from his listeners recalls the lecture’s inaugural conceit, in which the name Rodin, already known to all, is deemed unspeakable. The 1903 monograph begins with the name “Rodin” only to dissociate that name from the artist’s work: “Fame is the epitome of the misunderstandings that gather around a new name.” And many misunderstandings surround the name Rodin. However, Rilke asserts, the sculptor’s work extends far beyond the “sound and the bounds [Klang und Rand]” of his name, and the work itself has grown to Fig. 3: Rainer Maria Rilke, Rede über A. Rodin, be “nameless, the way a plain is name1905, manuscript, p. XIII. less, or a sea that only has a name on maps, in books, and among people, but in reality is just expanse, motion, and depth.”36 In the revised text of the lecture as published in the third edition of the monograph in 1907, Rilke acknowledges that his spoken words addressed listeners who knew the name Rodin as “the name of countless things,” listeners, that is to say, whose knowledge of Rodin’s work was inseparable from their awareness of his fame, and who brought to the event of the lecture a demand to see works with which they were likely already familiar from museum exhibitions or published photographs, famous works to which they understood the famous name Rodin to be attached. “It confounds me,” Rilke writes in the published version of the lecture, “that I cannot show you any.”37 The 1905 manuscript says nothing of the poet’s confusion in the face of his inability to show his listeners any of Rodin’s works. Instead, when Rilke does finally speak the name “Rodin,” that word indicates a maker of “things . . . real things, bounded on every side, self-sufficient things […]; things above and beyond us [über uns hinaus]” (fig. 3).38 The circumstance of the inability of the poet lecturing without slides to show his audience the sculptor’s works is presented as if to acknowledge, with chagrin, that the visibility of things made by Rodin would render Rilke’s words superfluous. But this seeming acknowledgment is a conceit that itself all but announces that the absence of projected images represents a deliberate choice on the part of the poet, whose aim is to present, in words, a Nachgestaltung 36 Rilke: “Auguste Rodin (Erster Teil),” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 405. 37 Rilke (1907), n. 1, p. 83. 38 Rilke: “Rodin. Ursprüngliche Fassung des Vortrags,” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 502.
Rilke’s Magic Lantern of the works of art he cannot show. “If I could show you some of these things,” Rilke asserts, “you would, without a word, understand what I mean.”39 Rilke cannot show his audience Rodin’s sculptures, for they are not present in the auditorium, and he is, it seems intentionally, delivering a lecture unaccompanied by projected images of sculptures in photographic reproduction. His audience remains in need of words, and words are what Rilke has to offer. He has called attention to this from the lecture’s outset, when he deemed the name Rodin unspeakable and figured it instead as a constellation of five letters inscribed in the sky. Now, having spoken the name Rodin from a position – visible to his audience and audible in his difference from them – that has established his authority as if over and against the sculptor’s, Rilke lets his listeners know that, although he cannot show them things made by Rodin, he can, as if by means of an activation of the “unclouded surface of their obliging anticipation,” see images of the sculptor’s works in their memories. Moreover he can call those images forth, as if in place of absent slide projections: “I see One and still / One / more in your memory, – and I only have to raise them up a bit, such that you see them all – .”40 Rilke’s “raising up” of what he “sees” involves, of course, not a movement of images into the field of vision but a figuring of sculptures in words, a figuring envisioned in relation to, and as potentially exceeding, the capacity of slide projection to make things visible by presenting images one by one (or, as the projections accompanying Wölfflin’s lectures famously did, two by two). And this “raising up” of the things he “sees” in his audience’s memory would make it possible for Rilke’s listeners to “see” them all, as if images of sculptures remade in words could become visible not just one after another – as they are bound to appear, line by line, with the lines and the caesurae between them seemingly taking the place of a more conventional lecture’s presentation of projected images – but perhaps also, after the fact, as if drawn together into composite or overlapping or somehow otherwise coextensive mnemic images. That man with the broken nose, which I make like a fist; That young man who stretches up in a motion as near to you as your own awakening; – that walking man, who stands like a new word for walking in the vocabulary of your feeling, and The one who sits, thinking with his entire body, withdrawing into himself. And the burgher with the key –: like a great locker, in which nothing but pain is encased – And the Eve, bent into her own embrace as if from a great distance, her hands turning outward to reject everything (including her own changing body). 39 Ibid. 40 Ibid.
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Brigid Doherty And the sweet, soft Inner Voice, armless like the inner and separated like an organ from the circulation of the group – And this small thing whose name you have forgotten, made from a white shimmering embrace that holds together like a knot, – And another, that perhaps is called Paolo and Francesca –: flying through you like two shrieking seagulls – And still smaller ones you find within yourself, like fruits with very thin skin – And – your eyes, like the lenses of a magic lantern, cast a gigantic Balzac past me onto the wall. The image of a creator in all his hubris, – erect in his inner movement as if in the eye of a storm that inhales the whole world into this teeming head.41
Rilke’s earliest recording of his encounter with Rodin recounts how the sculptor, when describing his Hand of God (1896) while Rilke beheld that work during his first visit to the studio at Meudon in September 1902, in effect reproduced the sculpture as a gesture of his hand: “C’est une main comme-ça (he said and made with his own a gesture of holding and shaping so powerful that one believed oneself to be seeing things growing out of it).”42 In the 1905 manuscript version of the lecture, Rilke’s invocation of “That man with the broken nose, which I make like a fist” announces the poet’s performative effort “to give further, reflective form to what someone else created [nachzugestalten was ein Anderer schuf]” (fig. 4). The making of a fist as a Nachgestaltung of Rodin’s famous early work proceeds by means of a linguistic presentation, and Fig. 4: Rainer Maria Rilke, Rede über A. Rodin, perhaps an actual demonstration, of a 1905, manuscript, p. XIV. gesture of the hand, a gesture that, for 41 Ibid., pp. 502–503. 42 Rilke: “Letter to Clara Rilke-Westhoff, 2 September 1902,” in: Letters of Rainer Maria Rilke, ed. by Jane Bannard Greeley/M. D. Herder Norton, New York 1949, p. 78; translation modified based upon the German in: Sieber-Rilke/Sieber (1929), n. 3, p. 26. There is much more to be said about the relation of language, voice, gesture, and artwork as sketched in this remarkable letter.
Rilke’s Magic Lantern Rilke, would have recalled the sculptor’s own gestic remaking of an artwork on the occasion of his first studio visit. A fist displayed by the poet to the audience might manifest (as something made by hand in the fullest sense of the term) a resemblance to the rough surfaces of Rodin’s Man with the Broken Nose. But it would also and above all body forth a figure of speech, the making of a fist as the transformation of the hand as such into a gesture, indeed into a thing nameable as distinct from the hand itself.43 Rilke had discussed Rodin’s Man with the Broken Nose at length in the first part of the monograph published in 1903, citing its title sometimes in French, sometimes in German, and illustrating the work with a reproduction of a photograph by Druet.44 The manuscript of the 1905 lecture shows the words that make up 43 Whether or not Rilke in fact made and displayed a fist while delivering the Rodin lecture, when the text summons that actual or potential gesture it underscores Rilke’s commitment to distinguishing his presentation from an art history lecture in which, as was said of Wölfflin’s teaching of the period, the speaker would render himself virtually invisible in assuming the role of ideal viewer in the face of a projected reproduction of a work of art. In this connection it is tempting to associate Rilke’s pointed invocation of a gesture with the “teaching gestures” of his sometime professor, Georg Simmel, who delivered his lectures without the aid of technological media, and was remembered by his student Ludwig Marcuse as having deployed certain “unforgettable gestures” in the space around the lectern. Hans Blumenberg cites Marcuse’s recollections of Simmel under the heading “Gestures of a Loss of Reality” [Gebärden des Wirklichkeitsverlustes], and notes that by means of those gestures the philosopher’s “thought process seemed to be able to become optically perceptible [optisch wahrnehmbar]” precisely in the movement of reversal from one “teaching gesture” [Lehrgestus] to the next. Cf. Hans Blumenberg: Care Crosses the River, Stanford 2010, pp. 33–34. For the German see idem: Die Sorge geht über den Fluss, Frankfurt am Main 1987, pp. 49–56, here p. 50. Rilke’s gesture as articulated in the Rodin lecture signals, I suggest, a shift in thinking by means of which a sculpture might be reconceived as a figure of speech made optically perceptible in the image of a hand made into a fist. Further discussion of the significance of Simmel’s work for Rilke’s must be left for another occasion. Rilke met Simmel in Berlin in 1897 and attended his lectures there in 1899–1900 and again in late spring and summer 1905 (cf. Scharffenberg (2009), n. 1, pp. 75, 90, 217); he read Simmel’s article, “Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart,” the first of several texts by Simmel on Rodin, shortly after its publication in the Berliner Tageblatt on 29 September 1902 (the article is reprinted in: Simmel, Aufsätze und Abhandlungen (= Georg Simmel. Gesamtausgabe, vol. 7/1), ed. by Rüdiger Kramme/Angela Rammstedt/Otthein Rammstedt, Frankfurt am Main 1995, pp. 92–100). On Simmel’s writings on Rodin, cf. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, “Simmel und Rodin,” in: Hannes Böhringer/Karlfried Gründer (eds.): Ästhetik und Soziologie um die Jahrhundertwende: Georg Simmel, Frankfurt am Main 1976, pp. 18–38. Alex Potts discusses both Simmel’s and Rilke’s writings on Rodin in The Sculptural Imagination. Figurative, Modernist, Minimalist, London 2000, pp. 72–101. 44 Cf. Rilke: “Auguste Rodin (Erster Teil),” in: Nalewski (1996), n. 1, pp. 415–418. Cf. Rilke: Auguste Rodin, Berlin 1903, unpaginated illustration between pp. 18–19. It may be worth noting that, of the sculptures invoked in the part of the lecture under discussion here, the following were included in photographic reproduction in the third edition of the Rodin monograph in 1907: The Man with the Broken Nose (1862), The Age of Bronze (1877), the Burghers of Calais (1889), Balzac (1898), Eve (1881), and the Walking Man (1899–1900). Of those, only the latter appears within “Part Two: A Lecture,” cf. Rilke
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Brigid Doherty the sculpture’s title underlined, in German, as if to set the stage graphically for the poet’s vocalization of its remaking as a fist in a way that would insist on the replacement of a name [diesen Mann mit der gebrochenen Nase] by an instance of figural language representing (and perhaps accompanying the demonstration of ) a gesture [den ich herstelle wie eine Faust]. Of course in this case the word for a thing made by gesture alone also represents a name (or a title), one that appears (underlined), suggesting a pun, or a slip of the pen, that would hint at Rilke’s literary ambition: Faust – or, he who would rewrite the Gospel of John to read: “In the beginning was the deed!”45 In the sequence that follows, underlined words approximate the titles of famous works by Rodin, which the poet then remakes as linguistic figures that renounce the substantiality of sculpture and present instead nameless distillations of “corporeal-psychic details” intended to demonstrate the potential of Rilke’s words to emerge as a “tangible immaterial medium of presentation for everything.” The upward movement of the young man’s body in The Age of Bronze (1877) is as near to you, the audience, as your own awakening; the Walking Man (1899–1900) “stands like new word for walking” in “the vocabulary of your feeling;” the key-bearing Jean d’Aire of the Burghers of Calais (1889) is like a container of nothing but pain. Rilke’s Nachgestaltung of The Thinker (1880) unnames the subject Rodin originally envisioned as “The Poet” and fashioned after Dante. Here, Rodin’s figure becomes “the one who sits” and his entire body does the work of thinking as he withdraws into himself. “The one who sits, thinking with his entire body, withdrawing into himself ” thus appears on Rilke’s page as a Nachgestaltung not only of Rodin’s Thinker but also of Dante’s “the one who weeps with the soles of his feet [quel che si piangeva con la zanca],” a figure Rilke might now be said to present, following his account of Rodin’s development in the 1903 monograph, as having entered his own work “as if into a homeland.” Which is to say that the line also marks a return of Rodin’s mature work to what Rilke had earlier asserted was its origin in figural language. In the movement from Eve (1881) to the Inner Voice the sequence stages a presentation of what Paul de Man in his analysis of Rilke’s lyric calls chiasmic reversals: the body in Eve is enveloped within its own embrace “as if from afar,” while its hands turn outward to defend itself from everything, including its own changing body, within which another grows; armless, the body in the Inner Voice is like something interior and like an organ cast out of the circulatory system of the group in relation to which it was conceived.46 With “this small thing whose name you have forgotten, made from a white shimmering embrace that holds together like a knot,”– Rilke’s (1907), n. 1, unpaginated illustrations. 45 Johann Wolfgang Goethe: Faust: Eine Tragödie (1808), chapter 6: “Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat / Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!” 46 On chiasmic reversal in Rilke’s poetry, cf. Paul de Man: “Tropes (Rilke),” in: Allegories of Reading. Figural Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke, and Proust, New Haven 1979, pp. 20–56, especially p. 43–51.
Rilke’s Magic Lantern words not only invoke Rodin’s sculpture as no longer nameable but also, in effect, as nothing other than the product of a “tangible immaterial medium of presentation,” a diaphanous figure that likens a corporeal coming together to the self-constituting form of a knot.47 This image, it seems, is Rilke’s alone; it no more conjures up the memory of a photographic reproduction of a sculpture than it does the sound of a forgotten name. The action interior to Rilke’s similes intends to effect “interior action” in his audience at the same time as his presentation of the similes as virtual slide projections claims to be the result of the induced exteriorization of that “interior action” as an effect of memories of works of art in reproduction. In the image of the magic lantern Rilke thus stages once again a reversal that has structured his lecture from the start: the figuration of his audience as the medium of his presentation. Following the articulation of the name Rodin and the invocation, as images deemed to be seeable, of a number of his most famous works, Rilke informs those listeners whom he had earlier asked to “lower their eyes” as they put themselves at his disposal for the activation of “the unclouded surface Fig. 5: Auguste Rodin, Monument of their obliging anticipation” that they should to Balzac, gelatin-silver print by now see their own memories awakened and Eugène Druet, ca. 1897. 47 This figure seems to call out for Robert Musil’s reading of how, in Rilke’s “gentle lyric affect, one thing becomes the likeness [Gleichnis] of another.” For Musil, “the metaphorical” in Rilke’s writing “becomes serious to a high degree.” “In Rilke stones or trees not only become people – as they have done always and everywhere poetry has been written – but people also become things or nameless beings. […] Something is never compared with something else – as two different and separate things, which they remain in the comparison – ; for, even if this sometimes does happen, and one thing is said to be like another, it seems at that moment to have already been the other since primordial times.” Musil cites an example of his own invention, which resonates with the passage of the Rodin lecture cited above and emphasizes a reversibility he sees as typifying Rilke’s Gleichnisse. If in Rilke’s writing a “a particularly soft woolen fabric [would be] likened to a November evening” that November evening would at the same time be likened to a particularly soft woolen fabric. In Rilke’s lyric, Musil insists by means of the presentation of his own metaphor, “things are woven together as in a tapestry.” Robert Musil: “Address at the Memorial Service for Rilke in Berlin” [1927], in: Precision and Soul: Essays and Addresses, ed. by Burton Pike/David S. Luft, Chicago 1990, pp. 237–249, here pp. 245–246; translation slightly modified, based upon the German “Rede zur Rilke‐Feier in Berlin am 16. Januar 1927,” in: Musil: Essays und Reden (= Robert Musil. Gesammelte Werke in neun Bänden, vol. 8), ed. by Adolf Frisé, Reinbek 1981, pp. 1229–1242, here pp. 1237–1239.
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Brigid Doherty transformed through the chiasmic figure of eyes operating like the lenses of a projector. Still silent, Rilke’s listeners, presented in the text as bodies become technological apparatuses, are said to deliver as if projected onto the wall behind him an image actually manifested in the form of his own spoken words: “a gigantic Balzac [...] The image of a creator in all his hubris, – erect in his inner movement as if in the eye of a storm that inhales the whole world into this teeming head” (fig. 5). Hence the “interior action” [action intérieure] Rilke saw exteriorized on the faces of his listeners in Vienna in 1907 can be read as a figure for creativity that echoes Balzac’s “inner movement” [innere Bewegung] in this vital moment of the 1905 text of the lecture. However, the creativity presented in the image of the magic lantern cannot properly be attributed to Rilke’s listeners, whose “interior action” only emerges as an effect of the poet’s suggestive influence. With the image of a creator in all his hubris, the proper name returns, now as the name of a sculpture whose presence Rilke’s line describes as appearing specifically as if in photographic reproduction: he sees a “gigantic Balzac,” and he envisions that one among many possible images of Rodin’s Balzac cast upon the wall behind him. What Rilke sees in the memory of his listeners finally appears, then, by means of his words and as if in imitation of the projection (and concomitant enlargement) of a diapositive image: a figure whose cloaked all-over manifestation of phallic mastery in sculptural form is drawn towards a climax likened to a birth in the Kreisendes Haupt of the poet’s invocation. The upper-case K in the 1905 manuscript’s Kreisendes Haupt suggests in its evocation of the capitalized words of a title a condensation of Rodin’s full-bodied Balzac into a poetic figure for the head alone. Thus Rilke’s Kreisendes Haupt asserts the fecundity of the writer’s imagination by alluding to parturition – indeed to a word (kreisen in the sense of kreiszen) that names a condition of parturience by means of its own allusion to the groaning vocalizations of a body laboring in childbirth – and hence by producing another instance in which the lecture, however distantly, insists on the link between speech and corporeal experience in the emergence of figural language.48 In Dante’s quel che si piangeva con la zanca, Rilke recognized “a weep48 The 1905 manuscript speaks of dieses Kreisende Haupt (Rilke: “Rede über A. Rodin,” n. 1, p. XV), whereas the published text of the lecture as it appears in the 1907 edition of the Rodin monograph indicates dieses kreissende Haupt (Rilke (1907), n. 1, p. 84). My translation of dieses Kreisende Haupt as “this teeming head” intends to capture something of what the Grimms’ Deutsches Wörterbuch identifies as the figurative disposition of the German kreiszen in modern usage. Cf. the definition of kreisen as an alternate spelling of kreiszen (“kreisen, parturire, cf. kreiszen”) and the longer entry for kreiszen (“kreiszen, gemere, vociferare, parturire […] parturire, eigentlich vom schmerzlichen stöhnen, schreien der gebärenden”) in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 volumes in 32 sub-volumes, Leipzig 1854–1961. List of references, Leipzig 1971. http:// www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=kreisen and http://www.woerterbuchnetz.de/ DWB?lemma=kreiszen (last view 2014/04/01). Among Rodin’s sculptures of Balzac were a number of studies and finished works representing the writer’s head alone, but it seems unlikely that the Balzac intended in Rilke’s lecture was anything other than the
Rilke’s Magic Lantern ing that was everywhere, throughout the entirety of a human being, and tears that sprang from every pore” – a figure for the total expressivity of the body and for the origin of Rodin’s mature art. With Balzac’s Kreisendes Haupt, the crying of childbirth that provides a name for parturition itself shapes an image of the writer’s creativity, implying once again a primacy of figural language in relation to both sculptural production and technological media – and now, it seems, also insisting on the role of vocalization in giving meaning to bodily experience, indeed to the delivery of human beings into the world. At the same time, Rilke’s image displaces Fig. 6: Auguste Rodin, Balzac, First from below to above the surging engorge- Study of Nude “F” (also called the ment of what in a plaster study he would have “Athlete” ), 1895–1896. known was depicted explicitly in the form of the figure’s erect penis (fig. 6). The massive, almost animate robe of the Balzac itself appears at pains to expand to contain the midsection of the body it covers. A plaster study for the robe might be seen to show something like a conjunction or coalescence of erect penis and bulging belly (fig. 7), and a photograph of the study for the robe that was marked up by the artist in the course of working towards completion of the full figure reveals the attention paid to precisely that aspect of the sculpture (fig. 8). No doubt either separately or together an erect penis and a prodigious girth would readily have signified Balzac’s prowess, the latter while also producing a likeness to the historical figure. Rilke’s image initiates instead a shift that would seem to promise if not a unity or coincidence of ejaculation and parturition then some sort of correspondence between them, effected by the figurality of language as an originary instance of the relation of speech to the experience of the body at large. Rilke’s insistence on his own set-apartness and his difference from his listeners; full standing figure, which, as noted above, is illustrated in the first part of the 1907 edition of the monograph (Rilke (1907), n. 1, illustration between pp. 62–63; the medium of the plaster sculpture is misidentified there as marble). I would not suggest that Rilke’s image of a Kreisendes Haupt in the Rodin lecture was derived from a reading of the entries on kreisen and kreiszen in the Grimms’ Deutsches Wörterbuch. But it is worth noting here that in his letter of 10 August 1903 to Lou Andreas-Salomé Rilke referred to his reading of precisely those volumes as having prompted him to wonder whether the “handwork” he was seeking to achieve in his poetry in the wake of his observations of Rodin’s art might perhaps “lie in the language itself, in a better recognition of its inner life and will, its development and past? (The big Grimm dictionary, which I once saw in Paris, led me to this possibility).” Rilke: “Letter to Lou Andreas-Salomé, 10 August 1903,” in: Snow/Winkler (2008), n. 3, p. 78. Translation modified, based upon the German in: Pfeiffer (1975), n. 7, p. 106.
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Fig. 7: Auguste Rodin, Balzac, Study for Robe, 1897, plaster.
Fig. 8: Auguste Rodin, Balzac, Study for Robe, 1897, salt print by D. Freuler, undated.
his renunciation of the possibility of a unity of speaker and audience; his expression of an intention to preside over the lecture in place of the artist who was its subject, exerting a virtually hypnotic suggestive influence over his audience in order thereby to body forth sculptures remade as poetic figures – all this finally gives rise to a juxtaposition of the image of “a gigantic Balzac,” with that of another writer, the one present in the auditorium, himself visible and facing the audience as he calls up that speakable but unseeable figure as an effect of suggestion and projection realized by means not of works of art or technological media but of the vocalization of an originally written figural language. That the lecture goes on to dismantle the figural language in which Rilke had invoked the visibility of the audience’s memories of Rodin’s sculptures, that it goes on to envision Rodin’s sculpture as a potentially infinite list of nameless things – One sees men and women, men and women, always men and women. And the longer one looks, the more even this content simplifies itself, and one sees: / things. / And in this moment my words become powerless. What should I say to you? Things – Things – Things / Nameless things. Vessels.
– that is a topic for another occasion.49 49 Rilke: “Rodin. Ursprüngliche Fassung des Vortrags,” in: Nalewski (1996), n. 1, p. 504.
Annette Urban
Zwischen Foto- und Filmstudio Rückprojektionen und Projektionen von Weiblichkeit bei Laurie Simmons und Cindy Sherman
1983 erschien auf dem Cover der amerikanischen Zeitschrift ARTnews eine Fotografie, die zuerst einmal entgegen vieler anderer Serien tatsächlich ein Selbstporträt der Künstlerin Cindy Sherman zeigt (Abb. 1).1 Neben dem Selbstauslöser, der locker über die Stuhllehne fällt und – wenngleich unbenutzt – auf Shermans Praxis der Selbstinszenierung vor der Kamera verweist, fungiert vor allem die Studioatmosphäre mit Lampen und allerlei Requisiten als Indiz für ein Künstlerselbstbildnis.2 Doch nährt sich die Selbstdarstellung, die man von einem aufstrebenden Star der Kunstszene erwartet, hier widersprüchlich aus der Adaption des glamourösen Filmbusiness und unterwandert sich dabei selbst. Entsprechend evozieren auch die Untitled Film Stills, auf denen sich Shermans damals junger Ruhm gründete, ein Starimage nur, um es durch die fingierte Referenz auf nicht existierende Filme und die Vielzahl unterschiedlichster Images wieder zu depotenzieren. Das Künstlerselbstporträt wird von Sherman somit sogleich in die Mehrdeutigkeit der vielfältigen Rollenspiele hineingezogen, die ihr Werk generell bestimmen. Schließlich verbirgt sie sich hier unter einer ähnlichen blonden Perücke, die zugleich als achtlos auf den Boden geworfenes Requisit zu sehen ist, und verwandelt sich derart dem im Hintergrund postierten Kopf an. Diese rumpflose Puppe erinnert an die beim Film üblichen Köpfe, die neben etwaigen falschen Haartrachten 1
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Begleitend zu dem Artikel von Gerald Marzorati: „Imitation of Life [Cindy Sherman]“, in: ARTnews 82/September (1983), S. 79–87, wo in den ersten Ausgaben jenes Jahres auffallend viele männliche Künstlerporträts das Titelbild schmücken. Als semi-autonomes Werk erscheint dieses „[manufactured] public portrait“ (S. 13) als Untitled (Art News cover) (1983) in Eva Respini (Hg.): Cindy Sherman, Ausst.-Kat. Museum of Modern Art, New York [u. a.], New York/London 2012, S. 12. Eva Respini betont das „enacting the role of the ‚artist‘“, nachdem sie eingangs die angesichts des in den meisten Werken gar nicht intendierten Selbstporträts irreführende, aber stets drängende Frage nach der realen Cindy Sherman abwehrt: „Cindy Sherman’s photographs are NOT self-portraits.“, Eva Respini: „Will the Real Cindy Sherman Please Stand Up“, in: dies. (2012), Anm. 1, S. 12–53, hier S. 12 f.
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Annette Urban auch das zurecht geschminkte Filmgesicht der Darsteller aufbewahren, und setzt ein Verwirrspiel von Doppelgängerin und verlebendigter Puppe in Gang. Hierin liegt eine auffallende Gemeinsamkeit zwischen den Arbeiten Cindy Shermans und denen ihrer hierzulande weniger bekannten Kollegin Laurie Simmons. Beide beschäftigen sich seit Mitte der 1970er-Jahren in ihrer inszenierten Fotografie mit Repräsentationen der Frau und bringen dabei auf je verschiedene Weise sich selbst ein. Nachdem Simmons die Tyler School of Art in Philadelphia besucht und Sherman ein Studium am Buffalo State College absolviert hat, leben und arbeiten beide seit 1973 bzw. 1977 in New York.3 Sie werden der inzwischen Abb. 1: Cindy Sherman, Untitled (Art News so genannten Pictures Generation4 zucover), 1983. gerechnet, für die die Aneignung bereits existierender, kulturell geprägter wie prägender Bilder kennzeichnend ist. Bei Sherman äußert sich dies in ihren Untitled Film Stills paradigmatisch als künstlerische Reflexion einer kinematographischen Ästhetik. Die frühen Fotoserien von Laurie Simmons favorisieren hingegen ein häusliches Interieur. Sie haben ihren Ausgangspunkt im Arrangement von Puppenstubenmobiliar und auf diesem Wege zuerst weibliche Spielzeugfiguren integriert, so dass der eher unterschwellige, aber auch vielschichtig intermediale Rekurs auf Bildwelten der Medien hier erst herauszuarbeiten ist. Aufschlussreich ist dafür eine weitere Parallele, die im Folgenden im Mittelpunkt stehen soll, nämlich der Rückgriff auf ein Bildgenerierungsverfahren, das nicht zuletzt eine veraltete Tricktechnik des Kinos darstellt. Wie Sherman in ihren direkt auf die Untitled Film Stills folgenden, weit weniger kom3
Hier ergab sich über Artists Space und Metro Pictures von Helene Winer ein gemeinsamer Bezugspunkt. Vgl. zu Simmons, die ihre erste Ausstellungsgelegenheit im Januar 1979 bei Artists Space fand und bei Metro Pictures seit 1981 ausstellte, Jan Howard: „Picturing Memories“, in: ders.: Laurie Simmons. The Music of Regret, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art, Baltimore 1997, S. 15–69, hier S. 18, 24 f. und zu Sherman, die seit Herbst 1977 als Empfangsdame bei Artists Space arbeitete, dabei mitunter in Verkleidung erschien und im Herbst 1978 dort bei einer Gruppenausstellung erstmals in New York ihre Untitled Film Stills zeigte, Gabriele Schor: Cindy Sherman, das Frühwerk 1975–1977. Catalogue raisonné, Ostfildern 2012, S. 37 f. 4 Vgl. Douglas Eklund: The Pictures Generation 1974–1984, Ausst.-Kat. Metropolitan Museum of Art [u. a.], New York 2009. Beide waren indes nicht an der namensgebenden Ausstellung „Pictures“ 1977 im Artists Space, kuratiert von Douglas Crimp, beteiligt.
Zwischen Foto- und Filmstudio mentierten5 Rear Projections von 1980, so arbeitet auch Simmons wiederholt in verschiedenen Werkgruppen und in ihrem ersten Film von 2006 mit Rückprojektionen. Dieses Verfahren, das jenseits kurzer Einträge im Kontext diverser Tricktechniken auch filmwissenschaftlich bislang wenig untersucht worden ist,6 kann gleichwohl in amerikanischen Produktionen zwischen 1930 und 1960 als „das am häufigsten verwendete Verfahren der Bildsynthese“7 gelten. Es wurde vor allem für die Illu sionierung ferner Schauplätze und von Außenaufnahmen in schneller Bewegung verwendet und setzt eng mit dem Star- und Studiosystem verbunden die prominenten Hauptdarsteller besonders effektvoll und zugleich effizient unter bestens kontrollierbaren Licht- und Tonbedingungen in Szene. In den Adaptionen von Sherman und Simmons jedoch wird das Verfahren ins Statische gewendet, sofern vorrangig fotografische Serien entstehen und von vornherein anstelle filmischer wie sonst nur im frühen Kino üblich unbewegte Diaprojektionen den Hintergrund bilden. Ins Blickfeld rücken Überschneidungen zwischen der Rückprojektion als wesentlichem Teil der Studiopraxis des klassischen Hollywood-Kinos und der inszenierenden Fotografie, die ihrerseits durch eine Rückkehr „back to the studio“8 gekennzeichnet ist und ebenfalls häufig synthetische bzw. komposite Bilder erzeugt. Hier ist von besonderem Belang, dass die Rückprojektion, die prominent bei Alfred Hitchcock zu einem Illusionsbrüche und destabilisierte Innenwelten inszenierenden Stilmittel avanciert,9 immer schon als illusionstechnisch durchaus unvollkommenes Darstellungsmittel durchschaut wurde: Es wird von den Zuschauern aber trotz oder gerade wegen dieser Künstlichkeit akzeptiert zugunsten des vor den Strapazen eines Drehs on location zu schützenden Stars und im Dienste seiner buchstäblich in den Vordergrund gerückten Starperformance.10 Nicht umsonst hatte das neue Star-Kino 5
Vgl. Birgit Käufer: „Die Kunststücke der Cindy Sherman. Doppelte Mimikry versetzt Grenzen in Bewegung“, in: dies./Alexandra Karentzos/Katharina Sykora (Hg.): Körperproduktionen. Zur Artifizialität der Geschlechter, Marburg 2002, S. 180–194. 6 Vgl. James zu Hüningen/Hans J. Wulff: „Rückprojektionen. Synthetische Bilder, perzeptueller Realismus, ästhetische Erfahrung“, o.J., online unter: http://www.derwulff. de/2-124 (letzte Sichtung 08.03.2014); Ulrike Hanstein: „Rückprojektionen. Bilder des Schauplatzes und Schauplätze des Bildes“, o.S. – ich danke Ulrike Hanstein, die mir ihren Tagungsbeitrag vor der Übersetzung ins Englische und vor der Drucklegung zur Verfügung gestellt hat. Vgl. Ulrike Hanstein: „Rear Projections. Images of the Setting and Settings of the Image“, in: Volker Pantenburg (Hg.): Cinematographic Objects. Things and Operations, Berlin 2015, S. 251–281. Vgl. daneben zu Hitchcock Dominique Païni: „The Wandering Gaze. Hitchcock’s Use of Transparencies“, in: ders./Guy Cogeval (Hg.): Hitchcock and Art. Fatal Coincidences, Ausst.-Kat. The Montreal Museum of Fine Arts, Mailand 2000, S. 51–78. 7 Hanstein (o.J.), Anm. 6, o.S. Andernorts wird die Kernzeit bis Ende der 1940er-Jahre datiert: vgl. Hüningen/Wulff (o.J.), Anm. 6, o.S. 8 Craig Owens: „Back to the Studio“, in: Art in America 56 (1982), S. 99–107. 9 Vgl. Païni (2000), Anm. 6. 10 Vgl. Hanstein (o.J.), Anm. 6, o.S. Vgl. zur stets durchschauten Illusion auch Hüningen/ Wulff (o.J.), Anm. 6, o.S., die sich auf Steven D. Katz: Die richtige Einstellung. Zur Bildsprache des Films. Das Handbuch, Frankfurt am Main1998 beziehen.
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Annette Urban die Hauptattraktion auf die Schauwerte des nahsichtig vorgeführten, mimischgestischen Spiels und eine gesteigerte Körperlichkeit gelegt, im Einklang mit einer mehrschichtigen Starpersona, die zusammen mit der Summe ihrer Rollen auch die öffentliche Person außerhalb der Filme involviert und jene dadurch authentifiziert.11 In denselben Zusammenhang gehört die Ausprägung eines besonderen, gewissermaßen fotofilmischen Bildtypus, der – wie Laura Mulvey zuerst herausgestellt hat12 – innerhalb des narrativen Kinos aus dessen Logik ausschert und die bildhaft stillgestellte Frau als Quell visueller Lust darbietet, wie es sich nicht nur im Close-Up zeigt. Dem zugrunde liegt die von Amelia Jones nachgezeichnete Theoriefigur eines ‚projective eye‘, das Weiblichkeit zum Produkt des männlichen Blicks macht: Es wurde in Mulveys Lesart, derzufolge sich dieses Prinzip allein durch Internalisierung ‚zur Kenntlichkeit entstellen‘ lässt, schon früh für eine feministische Interpretation von Shermans Arbeiten herangezogen, während sich mit Rekurs auf das Konzept der Maskerade der Akzent auf das Aufführen von Repräsentationen als Strategie einer subversiven Affirmation verschob.13 Auch hier dient Sherman als paradigmatisches Beispiel dafür, wie Weiblichkeit als Oberflächen-Effekt erkennbar wird, der eine „Illusion von Tiefe“14 generiert, was geradezu den Übergang zu den Rear Projections antizipiert. Ferner sind Parallelen zur melodramatischen Heroine auffallend, die nicht nur eng mit dem Star als Phänomen der Personalisierung und betonten Verkörperung verwandt ist,15 sondern insbesondere durch ihre oft gestisch vermittelte, übertrieben künstliche Emotionalität hervorsticht und als passiv oder gar stumm Erleidende ihrerseits eine große Affinität zum Bild besitzt.16 Tatsächlich wird das Melodram, das selbst über ein Genre mit spezifischer Theater- und Kinotradition hinaus als Modus transmedial bis in Werbung und TV migriert ist, für die Kunst der 1980er-Jahre interessant, die anders als eine an Sprache orientierte Konzeptkunst wieder Kleider, Körper und Gesten beredt werden lässt, d. h. eine „plastic figuration 11 Vgl. u. a. Christine Gledhill: „Signs of Melodrama“, in: dies. (Hg.): Stardom. Industry of Desire, London/New York 1991, S. 207–229, hier S. 210 f. 12 Vgl. Laura Mulvey: „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, in: Leo Braudy/Marshall Cohen (Hg.): Film Theory and Criticism. Introductory Readings, New York 1999, S. 833– 844. 13 Vgl. Amelia Jones: „Tracing the Subject with Cindy Sherman“, in: Amada Cruz: Cindy Sherman. Retrospective, Ausst.-Kat. Museum of Contemporary Art, Los Angeles [u. a.], London 1997, S. 33–53. 14 Judith Williamson: „Images of ‚women‘: the photographs of Cindy Sherman“, in: Screen 24/6 (1983), S. 102–116, hier S. 106 (Übers. d. Verf.). 15 Vgl. Gledhill (1991), Anm. 11, S. 210 f. 16 Vgl. Hermann Kappelhoff: Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodrama und das Theater der Empfindsamkeit, Berlin 2004, S. 58 f. Kappelhoff versteht desweiteren „die erzählten Handlungen, die Orte, die Figuren [als] lediglich darstellende Elemente einer Imago, die sich letztlich allein im Empfinden des Publikums (…) verwirklicht“ und rekurriert auf Freuds Begriff des Empfindungsbildes (ebd., S. 20). Gledhill spricht von durch „staging devices, lighting effects“ hervorgebrachten „pictorial beings“: Gledhill (1991), Anm. 11, S. 211.
Zwischen Foto- und Filmstudio of meaning“17 präferiert. Die Rückprojektion lebt entscheidend von der Spannung zwischen verkörperter Darstellung und Bild, deren „ontologische Differenz“18 tendenziell, nie aber vollständig nivelliert wird. Daher erscheint hier von besonderem Interesse, wie sich diese Technik mit dem Einsatz von Puppen verschränkt, die ihrerseits wie das Weibliche Natur und Artefakt paradox verschmelzen.19 Gerade für Laurie Simmons ist das Changieren zwischen belebtem und unbelebtem Bildpersonal in ihren frühen Werkserien mit Tänzerinnen, Unterwasser-Akten sowie den Walking Objects, allerlei auf menschliche Beine gestellten Dingen, maßgeblich in Korrespondenz mit der Verwendung sowohl von echten wie von miniaturhaften Objekten, deren maßstäbliche und ontologische Divergenz fotografisch aufgehoben wird. Simmons Vorliebe kulminiert in Bauchrednerpuppen als animierter Kunstfigur par exellence,20 während bei Sherman, noch bevor sie zeitweise ihre Präsenz im Bild durch Puppen und Prothesen ersetzt, u. a. eine Selbstinszenierung als Papieranziehpuppe21 den ostentativen Kostümwechseln der Rear Projections und Untitled Film Stills vorausgeht. Nicht nur Simmons Bauchrednerpuppen charakterisiert eine paradoxe Belebung durch die Stimme, der sie in den fotografischen Porträts ostentativ beraubt sind. Auch die von Sherman verkörperten Protagonistinnen werden der überartikulierten melodramatischen Gefühlsregungen wegen, die im Foto stumm bleiben und die teilweise mit ausdruckslosen Physiognomien kontrastieren, als „dumb“22 beschrieben. Folglich kommen über die unterdrückte Latenz von Sprache und Bewegung Schwellenphänomene zwischen Fotografie und Film als stillem und bewegtem Bild ins Spiel. Die Rückprojektion erscheint hier besonders naheliegend, sofern sie nur scheinbar bewegte Akteure zeigt und als ein Verfahren, das in der perfekt regulierbaren Soundkulisse des Studios sonst störanfällige Außenaufnahmen simuliert, per se nachsynchronisierte, mit synthetischem Ton versehene Bilder vorführt.
Music of Regret, 1994 Die vielfältigen Prozesse der Übertragung zwischen Puppe/Puppenkörper und weiblichem (Eben-)Bild werden bei Laurie Simmons mitunter sogar explizit als optische Projektion visualisiert und verbinden sich mit Projektionen psychologischer Art, in17 Kate Linker: „Melodramatic Tactics“, in: Artforum 21/1 (1982), S. 30–32, S. 31. 18 Hanstein (o.J.), Anm. 6, o.S. 19 Vgl. Katharina Sykora: Unheimliche Paarungen. Androidenfaszination und Geschlecht in der Fotografie, Köln 1999, S. 48–53. 20 In ihrer Serie The Love Doll (2009–2011) arbeitet Simmons mit einer höchst lebensechten, -großen Puppe aus Japan. 21 Vgl. zu dem Kurzfilm Doll Clothes (1975), zu dem es auch ein Buch gibt, Gabriele Schor: „Cindy’s Original Scene: Doll Clothes. Cindy Sherman’s Early Films“, in: Parkett 78 (2006), S. 24–28. 22 Linker (1982), Anm. 17, S. 32.
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Annette Urban sofern es sich dabei um eine Verlagerung innerer Vorgänge nach außen handelt, die Eigenes am Anderen wahrnimmt und die schon Freud in Verbindung mit dem Animismus gebracht hat.23 In Simmons elfteiliger Fotoserie Music of Regret von 199424, die zum Großteil aus schwarzweißen Aufnahmen besteht, welche zwischen Halbfigurenporträt und Brustbild variieren, erhellt eine starke seitliche Beleuchtung jeweils eine Gesichtshälfte einer langhaarigen weiblichen Figur. Sie gibt deren charakteristische Silhouette umso prägnanter als schwarzes Gegenstück im Schattenriss wieder (Abb. 2). Anders als bei Allegorien des Ursprungs von Zeichen- und Porträtkunst kommt hier jedoch weniger dem Schattenbild Abb. 2: Laurie Simmons, The Music of der Status eines bloßen Substrats, einer Regret I, 1994. Repräsentation oder stellvertretenden Kopie zu, sondern viel stärker noch dem vermeintlichen Original, das selbst bloßes Objekt und letztlich tote Materie ist. Demgegenüber erlangt die flüchtige, auf die Kontur abstrahierte Lichtprojektion eine gesteigerte Lebensähnlichkeit und Ausdruckskraft. Sie beseelt umgekehrt eine Puppe, die das eigentliche reale Vorbild, nämlich die Künstlerin, nach der sie modelliert ist, vertritt und so ein lebendiges Inneres in mehrfachen Entäußerungen im ähnlichen25 Anderen eines fremden Ichs spiegelt. Diese Porträts gesellen der Puppe ihren Schattenriss als Alter Ego oder Double in einer Art Paarung wie eine zweite Figur zu, deren Platz in anderen Beispielen der 23 Vgl. zu Freud und übergreifend zum Projektionsbegriff in der Psychoanalyse Francesca Ramas: Zur Theorie der Projektion. Der Projektionsbegriff in der Psychoanalyse und sein Bezug zur Metaphysik, Essen 2007, hier S. 74 sowie Sigmund Freud: „Animismus, Magie und Allmacht der Gedanken. Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker III“, in: Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften II (1913), S. 1–21. 24 Gemäß den Werkgruppen auf der Homepage der Künstlerin http://www.lauriesimmons. net/photographs/the-music-of-regret/ (letzte Sichtung 08.03.2014): Music of Regret I-XI umfasst dort fünf Schwarz-Weiß-Einzelporträts der Simmons-Puppe, davon vier mit Schattenriss, zwei Schwarz-Weiß-Doppelporträts mit männlicher Bauchredner-Puppe und vier Gruppenporträts der Simmons-Puppe im Kreis der geklonten BauchrednerPuppen, davon eins in Farbe. 25 Zum Zusammenhang von Ähnlichkeit und Projektion vgl. Elizabeth McCormick: „Projection“, in: The University of Chicago, Theories of Media. Keywords Glossary, lucian. uchicago.edu/blogs/mediatheory/keywords/projection/ (letzte Sichtung 03.09.2014).
Zwischen Foto- und Filmstudio Serie eine männliche Puppe besetzt. Ein solches Gegenüber ist bei Sherman ebenso, nur meist indirekt über den projektiven, primär männlich konnotierten Betrachterblick präsent, der sich weniger reziprok denn einseitig voyeuristisch oder fetischistisch ausprägt.26 Wenn auch Intersubjektivität generell auf Projektion basiert, die psychoanalytisch gedacht einen Mangel voraussetzt, so weist das ‚projective eye‘ diesen, wie Amelia Jones resümiert, allein dem Anderen, d. h. der Frau zu, die durch den externen Blick als Subjekt paradoxerweise auf ihre Objekthaftigkeit festgelegt wird.27 Jones subsummiert Shermans Untitled Film Stills, Rear Projections und Center Folds, während sie zugleich deren wegweisende Öffnung des Subjekts zur Andersheit betont, unter der Figur eines ‚projective eye‘, das seine Intersubjektivität und die daraus erwachsende Kontingenz (noch) verschleiert: Damit grenzt sie die früheren Werkgruppen, deren Bildräume entweder architektonisch oder flach organisiert sind, von den dann a-perspektivischen History Portraits und deren auf dem Austausch von Subjektivitäten basierender Betrachterbeziehung ab.28 Hier dagegen ist eine größere Feindifferenzierung nötig, um die Besonderheit der Rückprojektion innerhalb eines allgemeinen Projektionsdispositivs und die durch sie ausgelösten Divergenzen zwischen Raum und Bild herauszustellen. Simmons Beispiele mit Schattendouble nutzen zunächst einmal die Wand als einen wenn auch lichtundurchlässigen Screen und führen über diese einfachste Form der Projektion zugleich eine zweite Figur und einen projizierten Hintergrund ein, analog zu den bei der Künstlerin vielfach anzutreffenden illusionistischen Hintergründen, seien es Rückprojektionen, Fotografien oder Tapeten, über die die zentrale Figur ein Setting erhält. Diesem Setting kommt besondere Bedeutung zu, sofern sich Simmons ursprünglich für das eingangs schon erwähnte Mobiliar von Puppenstuben weit mehr interessierte als für die entsprechenden Puppen.29 Der Etablierung der dazugehörigen (Bild-)Räume dienen seit ihrer Werkgruppe Early Black & White (1976–1978) verschiedenste Papiere, von groß ornamentierten Floraltapeten über Seiten aus Musterund Interior Decorating-Büchern teils sogar mit Schrift bis hin zu Interieurfotografien, etwa eines Period Room aus dem Brooklyn Museum (Abb. 3). Die Übergänge 26 In den Rear Projections erscheint vereinzelt eine zweite, männliche Figur im Bild. Vgl. zur Bedeutung auch des weiblichen Betrachterblicks Jui-Ch’i Liu: „Female Spectatorship and the Masquerade. Cindy Sherman’s Untitled Film Stills“, in: History of Photography 34/1 (2010), S. 79–89. Sherman betonte das Fehlen jeden Dialogs. Vgl. „Cindy Sherman and John Waters: A Conversation“, in: Respini (2012), Anm. 1, S. 68–79, hier S. 77. 27 Vgl. Jones (1997), Anm. 13, S. 40, 43. 28 Vgl. ebd., S. 40, 42–44. Zur Verbindung mit dem Perspektivraum auch Käufer (2002), Anm. 5, S. 187, 191. 29 Vgl. Laurie Simmons: „In and Around the House“, in: dies./Carol Squiers: Laurie Simmons. In and Around the House. Photographs 1976–78, New York/Ostfildern 2003, S. 15–24, hier S. 19–23 und Jan Seewald: „Die Kamera lügt oder warum ich immer einen Film machen wollte – Ein Gespräch via E-Mail mit Laurie Simmons, August 2006“, in: Ingvild Goetz (Hg.): Imagination becomes Reality, Part V ‚Fantasy and Fiction‘, [Hamburg] 2006, S. 142–149, hier S. 142, 144.
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Annette Urban zwischen Objekten wie Miniaturmobiliar und Puppen sowie Bildern werden dabei bereits durch das homogenisierendbeglaubigende (Re-)Fotografieren gezielt verflüssigt. Selbst wenn Interieuraufnahmen unbeschnitten als intakte Bildobjekte im Bildraum figurieren, erfüllen sie eine illusionistische Hintergrundfunktion und füAbb. 3: Laurie Simmons, Worgelt Study, 1977. gen sich so in die keineswegs allein kinematographische, sondern zunächst bühnenhafte Tradition von gemalten, fotografischen bis hin zu projizierten Kulissen ein, die auch die Rückprojektion in eine Linie mit den gemalten Hintergründen der Moving Panoramas zu stellen erlaubt.30 Dass Simmons dieses Verfahren in Kontinuität mit Projektionsdispositiven sieht, zeigt sich in zwei weiteren Beispielen der genannten Serie, in denen der Schattenwurf der weiblichen Spielzeugfigur auf dem Boden mit Kreide nachgezogen und mit demselben Strich auf der ansonsten neutralen Trägerplatte auch
Abb. 4: Laurie Simmons, Woman with Chalk Line, 1976.
Abb. 5: Laurie Simmons, Woman/Interior VIII, 1976.
ein Teppich angedeutet wird (Abb. 4, 5). In den bald folgenden Color Coordinated Interiors (1982–1983) versetzt die Künstlerin die hierfür ausgewählten japanischen Spielzeugfiguren, sogenannte Teenettes aus einfarbigem Vollplastik, in komplett per Rückprojektion generierte Räume (Abb. 6). Neben der Beleuchtung sorgt vor allem die aufeinander abgestimmte monochrome Farbigkeit31 dafür, die für die Rückprojektion charakteristische Unverbundenheit von Figur und Grund zu überbrücken. Was auf den ersten Blick als für das Interieur in der Moderne typische Verschmel30 Vgl. Hanstein (o.J.) Anm. 6, o.S. , die sich auf deren Engführung in Max Ophüls’ Film Letter from an Unknown Woman (USA 1948) bezieht. 31 Die Monochromie der Hintergründe resultiert aus der minderen Qualität der Dias. Vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 41.
Zwischen Foto- und Filmstudio
Abb. 6: Laurie Simmons, Yellow Bathroom, 1983.
Abb. 7: Laurie Simmons, Tourism: Parthenon, 1984.
zung von weiblicher Figur und zum ornamenthaft Flächigen tendierenden Bildraum gelten mag, erhält durch die nun in Gruppen und bewegter Haltung auftretenden Teenettes den Anflug des Passageren. So wundert es nicht, wenn dieselben Figurinen kurz darauf in der Tourism-Serie (1983–1984) (Abb. 7) vor wechselnden Sehenswürdigkeiten weltweit erscheinen und dabei sowohl den Stock Character der austauschbaren Rückprojektions-Hintergründe als auch den Exotismus solch ferner Schauplätze ins Spiel bringen, indem sie die Sehnsuchts-Klischees typischer Postkartenfotografien betretbar machen. Doch setzt Simmons’ Alter Ego als Puppe weniger die Reihe der weiblichen Spielzeugfiguren fort. Sie antwortet vielmehr der männlichen Puppe, auf die die Künst lerin Mitte der 1980er-Jahre bei der Suche nach einem männlichen Gegenpart zu ihren bis dato fast ausschließlich weiblich besetzten Szenarien stieß. Einflussreicher als die Figuren in offener Gras-Landschaft, die in der Serie der Big Figures bzw. Cowboys (1979) den vom Western geprägten männlichen Helden evozieren und mithilfe der Spielzeug-Sammlung von Simmons’ Mann32 eine davon infiltrierte, zugleich authentisch mit der Erinnerung an Kinderzeiten verknüpfte Vorstellung wachrufen, erwies sich eine andere männliche Puppe. Bei ihr lässt sich ebenfalls kaum zwischen Spielzeug und prominentem Akteur der TV-Unterhaltung unterscheiden. Denn in der noch stark an Bühnenformaten orientierten Fernsehkultur der 1950er-Jahre feierten innerhalb von Talent- und Variety-Shows gerade Bauchredner eine Renaissance,33 und Simmons ist als Kind auf Familienfotos mit einer solchen Puppe zu sehen,34 so dass die späteren künstlerischen Szenarien als erinnerte immer auch mehrfach medial 32 Vgl. ebd., S. 29 und Seewald (2006), Anm. 29, S. 143. 33 Vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 49 und Kate Linker: „Reflections on a Mirror“, in: dies./Laurie Simmons: Laurie Simmons. Walking, talking, lying, New York 2005, S. 7–59, hier S. 24, 32, 43 f. 34 Vgl. zur Familienfotografie des Vaters ebd., S. 27, 43 und Simmons (2005), Anm. 29, S. 17 zu ihren ersten, vom Vater unterstützten Close-Ups der von ihr gesammelten Keramikfiguren.
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100 Annette Urban gefiltert sind. Mit diesen Puppen und den dazugehörigen Bauchrednern bot sich für Simmons, die in vorangegangenen Ballett-, Unterwasser- und Walking Objects-Serien mit der Vertauschung von Figurinen und lebenden Akteuren experimentiert hatte,35 erstmals Anlass für eine direkte Interaktion. Hier wird schließlich ein Mensch mit einem kleinen, sichtlich unvollkommenen, materiellen Kunstgeschöpf oder sogar einer ‚hölzernen‘ Kopie36 konfrontiert, die ausgerechnet durch die geliehene menschliche Stimme große Lebendigkeit erzielt und das menschliche Gegenüber zum bloßen Medium degradiert.37 Wird die von Sängern und Schauspielern aufgeführte Stimme mit Projektion als einem Von-Sich-Fort-Werfen assoziiert, das eine Abb. 8: Laurie Simmons, Music of distanzüberwindende, raumerfüllende Präsenz er- Regret III, 1994. zeugt, aber auch als künstliche Verfremdung des natürlichen Stimmgebrauchs gilt,38 so potenziert die von einer camouflierten Quelle auf das Kunstgeschöpf übertragene Stimme diese dislozierende Projektion noch. Als Paar bzw. Partner bringen Vent und Dummy außerdem typische, gesellschaftlich kodifizierte Beziehungsmuster, mehrheitlich unter Männern, aber auch unter den Geschlechtern zur Aufführung. Ihnen geht Simmons in ihren Tableaux aus Presse- bzw. Werbefotos von Boy bzw. Girl Vents und deren jeweiligen Puppen nach.39 Die vergleichend-typologische Zusammenstellung fördert bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht selten Doppelgänger-Phänomene zutage, während die kleinen Begleiter der Bauchrednerinnen zwischen Kind und Geschlechtspartner changieren.40 Entsprechend zeigt sich in der Fotoserie Music of Regret von 1994 die SimmonsPuppe nicht nur allein vor ihrem Schattenriss, sondern auch buchstäblich im Tête-àtête mit einer männlichen Puppe (Abb. 8), wobei das ins Spiel gebrachte sexuelle Subjekt phänemenologisch-psychoanalytisch als Projektion seiner körpergebundenen, 35 Nach Cowboys (1979) und Under the sea (1979–1980) mit Spielzeugfiguren waren in Waterballet (1980–1981) nackte Akteure, z.T. im Kostüm, und in Ballet (1982–1983) Figurinen vor projizierten Bildern aus Tanzfilmen präsent. Vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 30–37, 56–58. Auch bei Walking Objects waren u. a. Menschen und Tänzer involviert, vgl. Linker (2005), Anm. 33, S. 36–41 und Seewald (2006), Anm. 29, S. 144 f. 36 Die identischen Repliken der männlichen Figur sind aus Fiberglas; sie haben stärker skulpturalen Charakter (vgl. Linker (2005), Anm. 33, S. 52) und keinen beweglichen Kiefer (vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 61). 37 Vgl. ebd., S. 51 und Linker (2005), Anm. 33, S. 43–54, die weitere Literatur zur Kulturgeschichte der Bauchrednerei heranzieht. 38 Vgl. McCormick (2004), Anm. 25 mit weiteren Quellen. 39 Vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 51–55, Linker (2005), Anm. 33, S. 48. Unter den angeeigneten Bildern findet sich ein nachgestelltes Pressefoto. 40 Vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 55.
Zwischen Foto- und Filmstudio
Abb. 9: Laurie Simmons, Clothes Make the Man, 1990–1992, Installationsansicht Daniel Weinberg Gallery, Los Angeles, 1992.
Abb. 10: Laurie Simmons, Music of Regret IV, 1994.
begehrenden Beobachter verstanden werden kann.41 Die männliche Puppe entstand 1989, also einige Jahre vor dem Ebenbild der Künstlerin und kann gleichwohl in gewisser Weise ebenso als ihr Geschöpf gelten. Denn es handelt sich nicht um eines der zahlreichen Exemplare, von denen die Künstlerin im Bauchrednermuseum Vent Haven einige ausgewählte teils allein, teils mit ihrem Bauchredner vor Rückprojektionen fotografierte, wobei neben Bühnensettings als weiterer Verwendungskontext solcher künstlichen Hintergründe der des Porträtstudios aktiviert wird. Die Beispiele dieser Ventriloquism-Serie sind heute in der Werkgruppe der Talking Objects aufgegangen,42 die wie die Walking Objects ihren Ursprung in den sprechenden und agierenden Accessoires der Bauchredner, aber auch in anthropomorph animierten Dingen der Werbung haben,43 was die Band- und Bedeutungsbreite der Verlebendigungen in Simmons Werk belegt. Im Unterschied zu den in Vent Haven gesammelten Dummies ist die extra angefertigte männliche Puppe, eine jungenhafte und doch alterslose, zugleich altmodische Figur mit kurzen braunen Haaren und Seitenscheitel, als Verdichtung diverser Vorstellungsbilder, von der Kindheitserinnerung bis hin zu Wunschprojektionen prototypischer Männlichkeit, und in dieser Hinsicht als Simmons eigenes Geschöpf zu verstehen. Nicht von ungefähr beginnt die Künstlerin, noch bevor sie 1994 dann sich selbst als weibliches Pendant hierzu entstehen lässt, die männliche Puppe in einer Reihe von Klons zu vervielfältigen, die sich allein durch ihre Kleidung unterscheiden. Wenn diese wie in der Wand-Installation Clothes Make the Man (1990–1992) (Abb. 9) zusammen auftreten und in Music of Regret dann die Simmons-Puppe umringen (Abb. 10), entfaltet sich eine paradoxe Kopräsenz von Identität und Differenz, da die wechselnden Kleider und Typen von Männlichkeit nicht nur differente Rollen 41 Vgl. Jones (1997), Anm. 13, S. 40. 42 Mit Ventriloquism ist z. B. 1986 ein Portfolio mit den ersten publizierten Beispielen der Serie betitelt, vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 50, heute findet sich keine derart bezeichnete Werkgruppe auf der Website mehr. 43 Vgl. ebd., S. 55 f.; Seewald (2006), Anm. 29, S. 144; Linker (2005), Anm. 33, S. 32 f.
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102 Annette Urban ein und derselben Figur, sondern ebenso eine unheimliche Gleichförmigkeit im Gewand vermeintlicher Individualität veranschaulichen. Zeigt sich bei Sherman Weiblichkeit als Effekt einer Maskerade, die gleichwohl ein subversives Spiel mit deren exzessiv theatralischer Übersteigerung erlaubt,44 wird hier umgekehrt Männlichkeit aus klassisch-biederem Kostümrepertoire durchdekliniert und einer Kunstfigur appliziert, die selbst Produkt weiblicher Wunschprojektion ist: Ihre kindliche Anmutung und irritierend kleine Größe verleihen ihr trotz der offensichtlichen Reproduzierbarkeit affektiven Wert, der Erinnerung und Regression ins Begehren mischt. Abgesehen von der Kleidung charakterisieren sich die identischen Figuren durch Untertitel, die mithilfe stehender Redewendungen wie You Better Believe It oder Ask Any Women45 den Puppen indirekt eine Stimme geben und derart desöfteren ein weibliches Gegenüber implizieren. Schon zu Beginn war Simmons Interesse an solchen Puppen weniger visueller denn konzeptueller Natur, sofern hier ein anderer spricht, der sich von der Instanz eines Autors oder Urhebers löst und deswegen zum Sprachrohr einer uneigentlichen klischeebesetzten,46 darin umso ‚wahreren‘ Rede taugt, analog zu den stereotypen Rollen und Bildern. Zweifelsohne initiiert Simmons im Anschluss mit der Kreation ihres Alter Ego als Bauchredner-Puppe komplexe Inversionen, die sich als Verschmelzung von Bauchredner und Geschöpf, als Ineinander-Fallen von SubjektObjekt-Positionen ähnlich wie in Shermans fotografischen Selbstinszenierungen, aber auch als Wechsel aus der Position des Objekts des Begehrens in diejenige des begehrenden Subjekts im Kreis der verehrten Verehrer bzw. seiner Wunschprojektionen interpretieren lassen.47 Die Künstlerin selbst bemerkt hierzu, sie habe derart zu ihrer eigenen Muse werden wollen,48 und kürzt damit aus einer auf den männlichen Künstler fokussierten, von ihr einst gehegten ‚Mädchenphantasie‘ die Geschlechterpolarität schlussendlich heraus. In unserem Zusammenhang ist über die Korrelation von Künstler(-in), Muse/Modell und Kunst-Geschöpf/-Werk hinaus bedeutsam, in welcher Weise dieses Beziehungsgefüge, ganz wie im Pygmalion-Mythos vorgeprägt, ein offen erotisiertes Liebesverhältnis beinhaltet. Denn dieses tritt losgelöst in denjenigen Arbeiten in den Vordergrund, die die Paarbeziehung im Gewand dezidiert filmischer Muster imaginieren. In den Schwarz-Weiß-Aufnahmen der männlichen wie der Simmons-Puppe hatte bisher nur der feine Spalt des beweglichen, aber stets 44 Vgl. resümierend dazu Jones (1997), Anm. 13, S. 35–38. 45 Weitere Untertitel lauten And I Should Know; Don’t I Know It; Always Did, Always Will; Tell me About It. 46 Vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 51 und Linker (2005), Anm. 33, S. 47. 47 Für Howard erlangt Simmons schon in den Fotografien der Dummies als deren unsicht barer Animateur Präsenz, vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 50, während die Simmons-Puppe dann als Kollaps dieser Dualität deutbar wird (vgl. Linker (2005), Anm. 33, S. 54). Linker verweist zudem auf die Nähe von Simmons’ Gruppenporträt im Reigen der männlichen Dummies zum Gruppenportrait der Surrealisten collagiert um einen mittigen Frauenakt (ebd., S. 56). 48 Vgl. zuletzt in Seewald (2006), Anm. 29, S. 147 sowie Howard (1997), Anm. 3, S. 65 mit Bezug auf ein Interview mit Simmons von 1996 und Anm. 47.
Zwischen Foto- und Filmstudio 103 geschlossenen Unterkiefers, sofern er nicht durch einen hellen Spot naturalisierend überblendet wurde, der stummen Fotografie latent eine Beredsamkeit eingeschrieben. Nun wird als Agent der Verlebendigung insbesondere ein Zusammenspiel von Bild, Ton, Stimme, Bewegung und Rückprojektion, also ein basal filmischer und zugleich in seine Komponenten aufgegliederter Medienverbund, aktiviert. Als wichtigsten Beweggrund für ihre Hinwendung zum Film nennt Simmons die Verkopplung von Bewegung und Klang mit Emotion,49 so dass hier überdies verstärkt die spezifisch synästhetischen Qualitäten des Melodrams50 zum Tragen kommen können.
Music of Regret, 2006 Derselbe Reigen mit der Simmons-Puppe inmitten ihrer männlichen Geschöpfe und zugleich Verehrer kehrt gut ein Jahrzehnt nach der Fotoserie Music of Regret in dem gleichnamigen ersten Film der Künstlerin wieder. Er wird zu Beginn des zweiten Aktes in diesem „mini musical film“ von 2006, flankiert vom Handpuppen-Drama zweier sich zerstreitender Familien im ersten und dem Vortanzen von Simmons Walking Objects im dritten Akt, sogar buchstäblich ins Kreisen versetzt, wenngleich weniger tänzerisch als in der Art eines Glückrads (Abb. 11 a–c). Mit demselben Gestus der Zuneigung, mit dem die Puppe in der Mitte dem jeweils vorüber gleitenden Dummy ihre Gunst bezeugt und sich diese Wahl dann doch nicht als die endgültige erweist, verschwindet ihre ausdrucksvolle Silhouette schließlich hinter den nach vorn fallenden Haaren wie hinter einem Vorhang, der in einer unerwarteten Metamorphose ein weiteres Alter Ego auftauchen lässt. Mithilfe einer dunklen Langhaarperücke schlüpft hier Meryl Streep in die weibliche Hauptrolle und verkörpert sie in den zweisamen Spielszenen, die jeweils vom Verharren des Glücksrades bei einem der Dummys eingeleitet werden. Schon Simmons’ versammelte Pressefotos von Bauchrednern und -rednerinnen zeigen diese durchaus glamourös als Stars in Szene gesetzt. Nun wird der erste Auftritt von Simmons’ männlichem Dummy in bewegten Bildern ebenfalls filmreif inszeniert durch das Mitwirken einer zeitgenössischen Hollywoodikone, die die Verkörperung der zum Leben erweckten Simmons-Figur mit der Aura des Stars versieht. Verstärkt wird dieser Effekt noch dadurch, dass die Spielszenen anstelle des narrativen Musters des Erzählkinos eher einem Prinzip einzelner Nummern folgen. Dies entspricht nicht nur der Struktur des Musicals, das sich wesentlich auf Paar-Konstellationen gründet und sein Kernprinzip des Coupling weniger in chronologisch-kausaler Abfolge, denn durch Parallelisierung der Protagonisten bis in kleinste Ausstattungsdetails hinein realisiert.51 Ebenso wird damit erneut der Logik der Starperformance genüge 49 Vgl. Seewald (2006), Anm. 29, S. 145. 50 Vgl. Kappelhoff (2004), Anm. 16, u. a. S. 24. 51 Vgl. Rick Altman: The American Film Musical, Bloomington [u. a.] 1989, S. 16–18, S. 28–30, bes. S. 29, 32.
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Abb. 11 a–c: The Music Of Regret (USA 2006, R: Laurie Simmons), Filmstills.
getan: Neben gesungenen Duetten sorgen insbesondere Mimik, Blicke und teils sogar im Close-Up gezeigte minimale Gesten wesentlich für die Interaktion zwischen Frau und kleinem hölzernen Mann. Gerade die betont emotionale Adressierung lässt die Puppe lebendig und als Partner glaubwürdig wirken. Demgegenüber bleibt der Hintergrund flach. Ihn bilden nicht von ungefähr in drei von vier Szenen Rückprojektionen, was ganz deren üblicher Verwendung als Intermezzo entspricht.52 Sie versetzen Meryl Streep alias Simmons’ Alter Ego mit ihrem jeweiligen Partner an diverse Schauplätze, auf die schon das wechselnde Gewand des Dummys – vom Smoking übers Hawaiihemd bis zum Tweedjacket – vorausdeutet. Auf diese Weise zaubert die jeweilige Ausstaffierung der Puppe eine andere Szenerie, entsprechende Stimmung und passende Songs hervor, die von „Excellent Moon“ über den „Café“ und „Rain Song“ bis zu „Love Grown Cold“ die Wechselfälle der Liebe in all ihren Nuancierungen intonieren. Sie lassen diese in einem eigenen Spannungbogen schlaglichtartig Revue passieren, beginnend beim sprichwörtlichen hawaiianischen Honeymoon und dem Schwur ewiger Liebe, die freilich schon auf „sweeter ku’uipo comes strolling along“ schielt, über eine angeheitert melancho lische Rückschau auf „all of my partners [who] were kind to me, in my fantasy“ und „romance [as] a game, all the boys were the same“ bis hin zur bangen Vergewisserung über die wechselseitigen Gefühle, die wie das begleitende Gewitter vorüberziehen, und schließlich zum buchstäblichen Einfrieren der Liebe. Wie Kostüm und Dekor derart aufs engste verwoben sind und gleichsam den Schauplatz generieren, so erweisen sich auch die jeweilige Figurenkonstellation, ihre im Dialog zum Ausdruck gebrachte Beziehung und Gefühlslage als unauflöslich hiermit verquickt und bei aller feinen Ironie als überaus vorhersagbar. Sie erfüllen genau die Funktion des Old Familiar Song, von dem in Simmons selbst geschriebenen Lyrics selbstreflexiv die Rede ist, und bestätigen überhaupt allerlei filmische Stereotypen des Romantischen: Da ruft die Strandszene innerhalb des Musical-Genres eine Assoziation zu Blue Hawaii (USA 1961, R: Norman Taurog) mit Elvis Presley hervor und kleidet die Liebessehnsucht zugleich als Alltagsflucht ins exotistische Klischee, das Simmons schon in den Rückprojektionen der früheren Foto-Serie Tourism ausgestaltet hat. Nach dem Prinzip stärkster Kontraste folgen später eine Regen- und Winterszene; wiederum befinden sich Wetter- und Stimmungslage in schönster Korrespondenz. Der blitzdurchzuckte Himmel erinnert an eine bei Erfindung der neuen Technik 52 Vgl. Hüningen/Wulff (o.J.), Anm. 6, o.S.
Zwischen Foto- und Filmstudio 105 besonders herausgestellte Leistung, die ausgerechnet die trügerische Rückprojektion zum Garant für mehr Wahrhaftigkeit erhebt. Schließlich gleicht sie – so zitiert Ulrike Hanstein aus der Patentschrift von Josef Behrens von 1918 – die Mängel bisheriger Filme aus, bei denen „der Hintergrund der Bilder unwahr erscheint“, nicht nur wegen der „lediglich bemalte[n] Kulissen“, sondern auch, weil „Blitze[…], Wolkenbilder[…], Mondscheinszenen […] bisher nur sehr unvollkommen“ und aufwändig mittels „Retouche und Zusammenkopieren mehrerer Teilaufnahmen“53 darstellbar waren. Der Regen freilich ist bei Simmons nicht Teil der Rückprojektion, sondern bedient sich eines anderen Special Effects und geht realiter künstlich im Studio auf die Darsteller unterm transparenten Schirm nieder. Hierfür liefert – wie für die Winterszene – nach Hawaii nun der Central Park vor Wolkenkratzern bzw. mit Eislaufbahn die passende Kulisse, die sowohl ein anderes romantisches Stereotyp des Kinos als auch nun städtisches Refugium darstellt. Die Regenschirm-Szene verzweigt sich in einem weiten Referenzhorizont über die Kino- und Musicalgeschichte hinaus auch innerhalb von Simmons’ Werk und setzt dabei in einem Spiel von Rekurrenzen, Übertragung und Verschiebung wiederum ihre eigene Puppe alias Streep mit einer anderen Version dieser Doppelgängerin und weiteren Filmdiva, Catherine Deneuve, in Beziehung. Denn kurz im Anschluss an die Fotoserie Music of Regret hat die Künstlerin 1995/1996 eine Installation realisiert, in der es auf die nun direkt als Figur ausgestellte Simmons-Puppe mit schwarzem Regenmantel und Schirm niederregnet, begleitet vom Soundtrack zu Jacques Demys Filmmusical mit Catherine Deneuve in der Hauptrolle, das Simmons’ Arbeit Umbrellas of Cherbourg ihren Titel leiht. Hierin verdichten sich nicht nur motivische Überlagerungen, wenn die Künstlerin ihr erwachsenes Alter Ego als Puppe innerhalb des Musical-Genres, das zentral um „wish-fulfillment“54 kreist, für eine Art Reenactment der jugendlichen Wunschprojektion und Identifikation mit der damals ebenfalls kaum erwachsenen Catherine Deneuve55 einsetzt. Sie stellt damit eine quasi- filmische Szene nach, die Kernmotive aus Demys Film wie den Regen, die allein gelassene, schließlich im dunklen Mantel wiederkehrende Heldin und den Grundton des Bedauerns kompiliert und später pamlipsestartig mit anderen Regenschirm-Szenen und Actricen verwoben wird. Neben diesen Verweisen ist es ein guckkastenähnliches, gewissermaßen proto-kinematographisches und schlechthin voyeuristisches Blickdispositiv, das eine Referenz zum Kino erzeugt, sofern die Simmons-Puppe keineswegs direkt als Skulptur zugänglich ist, sondern sich dem Blick nur durch ein Guckloch präsentiert (Abb. 12).56 Darin liegt ein offensichtlicher Bezug57 zu 53 54 55 56
Zitiert nach Hanstein (o.J.), Anm. 6, o.S. Linker (1982), Anm. 17, S. 31. Vgl. Howard (1997), Anm. 3, S. 67. Dies war durch die Gegebenheiten des ersten Ausstellungsraums in der Postmasters Gallery, New York bedingt (vgl. ebd.), wozu bisher noch keine weiteren Quellen gesichtet werden konnten. 57 Duchamps Werk war für Simmons schon während ihres Studiums an der Tyler School of Art in Philadelphia ein wichtiger Bezugspunkt. Vgl. ebd., S. 18.
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Abb. 12 a, b: Laurie Simmons, The Umbrellas of Cherbourg, 1996, Installationsansichten Postmasters Gallery, New York, 1996.
Duchamps Spätwerk Étant donnés: 1° la chute d’eau, 2° le gaz d’éclairage (1946–1966) mit seiner doppelt verstellten, vereinzelnden Sicht, der sich die Museumsbesucher vor der mit zwei Löchern versehenen Holztür anzuverwandeln haben, auf einen ebenfalls künstlich lebensechten, allerdings nackten und kopflosen Frauenkörper vor ebenso illusionistischem Hintergrund mit Wasserfall und künstlichem Licht.58 Gilt Duchamp als Musterbeispiel eines durch das ‚projective eye‘ konstituierten Raumbildes,59 das die (historische) Symbiose von perspektivischem und penetrierendem Sehen (kritisch) auf die Spitze treibt und das fließende Wasser als Motor einer „männliche[n] sexuelle[n] Wunschmaschine“60 impliziert, so ist für Simmons interessant, wie dieses Modell eines für das abgetrennte Auge, andeutungsweise stereoskopisch konstruierten61 Bildraums das Realwerden von Perspektive demonstriert62 und zu einer installierten Illusion von phantasmagorischer Bildlichkeit gerät. Auf rein optische Distanz gehalten, verschränkt sich der visuelle Eindruck bei ihr 58 Vgl. aus der Fülle der neueren Literatur Mary Cason (Hg.): Marcel Duchamp: Étant donnés, Ausst.-Kat. Philadelphia Museum of Art, New Haven, Conn. [u. a.] 2009 u. a. mit genauen technischen Analysen des Hintergrunds; u. a. zur werkübergreifenden Semantik der Elemente Wasser und Licht vgl. Herbert Molderings: Die nackte Wahrheit. Zum Spätwerk von Marcel Duchamp, München 2012 und Hans Belting: Der Blick hinter Duchamps Tür. Kunst und Perspektive bei Duchamp. Sugimoto. Jeff Wall, Köln 2009, S. 64–69. 59 Vgl. Jones (1997), Anm. 13, S. 36. 60 Molderings (2012), Anm. 58, S. 74, vgl. auch ebd., S. 46. 61 Vgl. Belting (2009), Anm. 58, S. 22, für Molderings ist dieser Bezug vor allem als Zitat der pornographischen Visualisierungstechnik schlechthin bedeutsam (vgl. Molderings 2012, Anm. 58, S. 47). 62 Vgl. Belting (2009), Anm. 58, S. 22: „[…] und die Perspektive entsteht nicht als Projektion auf eine Fläche, sondern durch eine dreidimensionale Replik der Realität.“
Zwischen Foto- und Filmstudio 107 synästhetisch mit der Lebensnähe des geräuschvoll prasselnden Regens, den auch Demy bereits im Vorspann in einem spielerisch-selbstironischen Special Effect des Natürlichen geradezu zentralperspektivisch fluchtend aus dem Auge der Kamera auf das in strikter Aufsicht gezeigte Pflaster niedergehen lässt, zu einem kinogleichen Effekt. In den Klang der Tropfen mischt sich der Soundtrack von Demys Film, der mit seinen leitmotivischen Melodien und rein gesungenen Dialogen der stummen Puppe wiederum eine nicht sichtbar nach außen tretende, sondern quasi innere Stimme verleiht. Der Regen steht gleichsam zur Naturgewalt verallgemeinert stellvertretend für die ebenfalls nicht nach außen dringenden Tränen des Bedauerns der Hauptfigur und verweist auf die gerade für das Melodram so wichtige Gefühlsregung des Weinens, das dort primär das Weinen der Zuschauerinnen ist und für das Publikum „eine affektive Beziehung auf einen Körper“ aufbaut, „der nicht der eigene […] ist und doch im gleichen Modus vorgestellt wird“.63 Die ansonsten projektiv männlichvoyeuristische Blickstruktur, die Simmons in der installativen Anordnung des einäugigen Gucklochs aufgreift, wird derart mit einer geschlechtlichen Ambivalenz des Mitleidens versehen. Und die Puppe, die auch bei Duchamp nach lebendem Vorbild modelliert ist und in Analogie zu Schaufensterpuppen steht,64 wird wiederum vom „object of desire“ zum „desiring and inspiring subject“65 umgedeutet. Der Rekurs auf Jacques Demys Les Parapluies de Cherbourg (F/D 1964) ist aber auch über die gleichnamige Installation hinaus für Simmons’ Werk erhellend, waren bei diesem einzigartigen Kino-Experiment doch die durchweg gesungenen Dialoge der Ausgangspunkt, nach dem dann Spiel und Bewegungsabläufe der Schauspieler choreographiert wurden,66 ohne deswegen den Eindruck einer durchlaufenden Handlung aufzugeben. Dies führt zu einer vollkommen eigenen Mélange von natürlicher Künstlichkeit bzw. künstlicher Natürlichkeit, die bei aller Artifizialität des sonst nur in der Oper beheimateten Singens Liedstrukturen der gesprochenen Sprache anpasst und auf eine innere emotionale Wahrheit des gesungenen Wortes setzt. Umgekehrt macht sie die FilmschaupielerInnen gewissermaßen zu BauchrednerInnen, da jene sämtlich nachsynchronisiert und mit fremden Singstimmen versehen wurden. Hier ist also ein alternatives Modell vorzufinden, das Narration mit einer starken Stilisierung der Darstellung und betonten Bildhaftigkeit zu verbinden weiß und das auch Simmons’ nur implizit narrative Fotoarbeiten samt deren gleichwohl zur Sprache und Bewegung drängenden ProtagonistInnen67 mit ihrem alles andere als klassisch erzählenden Film verknüpft. Die betonte Bildhaftigkeit zeigt sich u. a. darin, dass Demy gleichermaßen mit großer Hingabe und nach regelrechten Farbschemata an der farblichen Anpassung von Dekor und Ausstattung gearbei63 Kappelhoff (2004), Anm. 16, S. 101, der die Verortung auf Seiten des Publikums, weniger aber die geschlechtliche Konnotierung des Weinens betont. 64 Vgl. Belting (2009), Anm. 58 und Molderings (2012), Anm. 58. 65 Linker (2005), Anm. 33, S. 58. 66 Vgl. zusammengefasst bei Kelley Conway: „France“, in: Corey K. Creekmur (Hg.): The International Film Musical, Edinburgh 2012, S. 29–44, hier S. 41. 67 Vgl. Seewald (2006), Anm. 29, S. 145 f.
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Abb. 13: Les Parapluies De Cherbourg (F/D 1964, R: Jacques Demy), Filmstills.
tet hat und eigens Tapeten hat entwerfen lassen, was auch ohne die Verwendung von Rückprojektionen für eine entsprechende Künstlichkeit der Hintergründe sorgt. Charakteristisch erscheint besonders eine Szene, in der die beiden Liebenden Guy und Geneviève ohne sich zu bewegen vor der knallgrünen Hofeinfahrt zu Guys Wohnung wie vor einem abrollenden Hintergrund vorbeischweben (Abb. 13) und dabei die Leitmelodie des Films anstimmen, womit generell die Trennlinie zwischen Handlung und Intermezzo zusehends verschwimmt. Erneut bestätigt sich eine enge Verwandtschaft von gemalten und rückprojizierten künst- Abb. 14: Laurie Simmons, Black lichen Hintergründen, in der sich bildhafte Flä- Bathroom (View through Window/ chigkeit wie bei Duchamp mit illusionistischer March 26, 1997), 1997. Räumlichkeit und Lebensechtheit verbindet. Dessen Gucklochstruktur greift Simmons bezeichnenderweise nochmals auf, wenn sie mit ihrem künstlichen Alter Ego in die anfänglichen häuslichen Interieurs, genauer ins Badezimmer und zu dessen Verbindung von Nacktheit und flüssigem Element, zurückkehrt und das Guckloch sich mit einem voyeuristischen FensterEinblick verschränkt (Abb. 14). Das erinnerte häusliche Setting und das über den Ersatzkörper der Puppe vollzogene Reenactment ehemaliger Film(-star-)phantasien als Projektionsfläche weiblicher Identifikationswünsche kommen darin zur Synthese.
Zwischen Foto- und Filmstudio 109
Rear Projections An dieser Stelle ergibt sich ein zusätzlicher Konnex zu Cindy Shermans Rear Projections, die in einer ähnlichen Uneindeutigkeit zwar das typisch kinematographische Bildsyntheseverfahren inkorporieren und Hitchcocks bewusst künstliche Verwendung dieser Technik heraufbeschwören,68 aber den viel klareren Kinobezug der schwarz-weißen, einer Genreästhetik der 1950er- und 1960er-Jahre konformen Untitled Film Stills verloren haben. Generell steht diese Serie nach den gewissermaßen on location ‚gedrehten‘, d. h. im öffentlichen Raum performten und mit Hilfe dritter fotografierten69 Untitled Film Stills für jenen schon erwähnten Rückzug ins Studio, der sich über die Kinotricktechnik falsche Außen-Schauplätze als Stock Material allverfügbar macht, und für den Übergang zur Farbe, die hier ebenfalls in einer die ontologische Differenz der Rückprojektion zwar naturalisierenden, aber doch unnatürlich wirkenden Abstimmung von Figur und Grund eingesetzt wird. Dies gilt beispielsweise für die ausgeblichenen Braun-Töne von Umgebung, Haut und Kleidung in Untitled [#71] (Abb. 15) oder Untitled [#78], die nah an die vorn begrenzende Bildfläche herangerückt eine fragend sich umwendende Frau im dezent geblümten Kleid in einer Vorortstraße bzw. seitlich aus dem Zentrum verschoben ein halb verschattetes Gesicht neben Fensterausblick und Zimmerpflanze zeigen. In anderen Beispielen wie Untitled [#77] verfügt allein der Hintergrund über eine homogene, hier bläulich-kühle Farbigkeit, die eine technoid-mediale Bildlichkeit suggeriert70 und die Figur vorn wie in einen Filmausschnitt montiert erscheinen lässt. Manche Motive wie Untitled [#72] scheinen mit einer touristisch ausstaffierten Frauenfigur stärker als das kinematographische das exotistische Dispositiv der Rückprojektion zu aktivieren und ähneln darin Simmons’ Tourism-Serie, während sich andersorts Hinweise auf Werbung finden und der Referenzhorizont insgesamt uneindeutiger wird. Die betonte Nahsichtigkeit und gegenüber Simmons noch forcierte Fragmentierung der Figur setzt die ohnehin prekäre Verbundenheit von Figur und Grund zusätzlich unter Spannung, wodurch die Frau hier Birgit Käufer zufolge zugleich Produkt und Störfaktor in der vermeintlich sich in die Tiefe erstreckenden Raumprojektion ist.71 Aufgrund der doppelten Mimikry, die Käufer für Figur und Raum als Ergebnis einer performativen und fotografischen Verdoppelung von Realität herausarbeitet und die sich in den refotografierten Rückprojektionen noch potenziert, ist Shermans Rear Projections eine innere Abständigkeit von differentieller Wiederholung und dadurch erst hervorgebrachtem, vermeintlichem Original im68 Vgl. Sherman/Waters (2012), Anm. 26, S. 72. 69 Vgl. dazu zuletzt ebd., S. 70, wobei für Waters als Interviewpartner der Vergleich mit Filmproduktionsweisen besonders naheliegt. 70 Simmons Unterwasser-Bilder werden wegen ihrer liquiden Bläulichkeit mit TV-Bildern verglichen. Vgl. Paula Marincola: „Stock Situations/Reasonable Facsimiles“, in: Image Scavengers, Ausst.-Kat. Institute of Contemporary Art Philadelphia, Pennsylvania 1982, S. 5–26, hier S. 16. 71 Vgl. Käufer (2002), Anm. 5, S. 191.
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Abb. 15: Cindy Sherman, Untitled [#71], 1980.
Abb. 16: Cindy Sherman, Untitled Film Still, 1978.
Abb. 17: Cindy Sherman, Untitled [#74], 1980.
manent.72 Sie infiltrieren das Spektakel einer Starperformance, die durch den Allerweltscharakter der Girls ohnehin bereits zurückgenommen ist,73 mit den Nahtstellen und Passfehlern einer teils schon überdeutlichen, sogar abstoßenden Maskerade, wie im Vergleich motivisch verwandter Beispiele aus der Film Still- und Rear Projection-Serie wie Untitled Film Still und Untitled [#74] (Abb. 16, 17) sofort anschaulich wird. Die Rear Projections stellen den Zusammenhang von Akteurin und Setting als brüchige Konstruktion aus. Nur notdürftig ist der rückprojizierte Hintergrund über die auffallenden Bewegungsmotive verklammert, die lediglich in einem Fall nach hinten in die Tiefe ausgerichtet sind und weniger zur Pose geronnen denn arretiert erscheinen. Die betonten Blickvektoren verlaufen indes meist am Betrachter vorbei schräg nach vorn aus dem Bild und suggerieren in diese Richtung eine paradoxe Kontinuität des doch fiktional in sich geschlossenen Bildraums, der kaum mehr wie noch in manchen Untitled Films Stills ein architekto nisches Repoussoir für den Betrachter als Voyeur bereithält. Es finden sich zwar Fenster, die jedoch anders als bei Simmons nicht einen Einblick kanalisieren. Und in den mehrheitlichen Außenräumen fehlt den teils auffälligen gucklochähnlichen Randunschärfen und -abdunkelungen, die rein technisch durch die behelfsmäßige Apparatur und den Lichtkegel des Diapro-
72 Vgl. ebd., u. a. S. 186. 73 Vgl. Cindy Sherman. A Cindy Book, c. 1964–1975, Ausst.-Kat. Jeu de Paume [u. a.], Paris 2006, S. 246.
Zwischen Foto- und Filmstudio jektors bedingt sind,74 ohnehin jede (architektonische) Legitimation. Sie evozieren vielmehr ein fokussierend heranzoomendes Kameraauge als Synonym des projektiven Blicks und kehren den Bildcharakter hervor. Der kreisförmig erhellte Ausschnitt korreliert mitunter mit dem als Gegenlicht gesetzten, zum Studiozusammenhang gehörigen Spot, der die Protagonistin von vorn anstrahlt, und durchbricht die Kontiguitätsbeziehung75 von Rückprojektion und Figur, so dass sich „the fulfilling and refusal of the projective/identificative desires“76 ambivalent die Waage halten. Während sich in den Untitled Film Stills in gewissen Untergruppen noch eine Art von Einheit des Schauplatzes erhält und sich daraus Mikrosequenzen ergeben, entfalten die Rear Projections vor allem das Potenial von beliebig mit den Hintergründen wähl- bzw. austauschbaren Szenarios und Charakteren, was Käufer mit einem Zufallsgenerator vergleicht77 und in gewisser Hinsicht Simmons Glücksrad entspricht. In ihren neueren, u. a. 2012 bei der Retrospektive in New York zu sehenden Arbeiten trägt Sherman nicht nur Kostüme, die vielfach einer Fantasy-Welt entliehen scheinen, sondern nutzt auch kulissenartige landschaftliche Szenerien, die an illusionistische Tapeten erinnern und wie diese als Murals unmittelbar mit der Ausstellungswand eins werden (Abb. 18).78 Auf diese Weise werden ihre Fotografien nun gleichsam wandfüllend in den Raum projiziert, und auch bei Sherman macht sich ein breites, keineswegs nur kinematographisches Spektrum verschiedenster künstlicher Hintergründe79 bemerkbar. In den Murals setzt die Künstlerin bei der Verwandlungsarbeit im Gesicht gewisse digitale Korrekturen ein, erscheint ansonsten aber auffällig ungeschminkt, so dass diese Porträts auch wieder mit der Faszination von Shermans ‚wahrer‘ Physiognomie spielen, mit der sie auf andere Weise schon in dem frühen Künstlerselbstporträt für ARTnews umzugehen wusste. Ähnlich wie Sherman hat auch Laurie Simmons diese diffuse Zone zwischen (Kunst-)Zeitschriften und medialem Glamour in ihre Arbeitsweise integriert, indem sie ebenfalls nicht nur angewandte und freie Arbeiten im Grenzbereich der Modefotografie realisiert,80 sondern auch selbst 1994 in einem Beitrag für das New York Times Magazine posiert. Eine gewöhnliche Modestrecke bzw. Reportage über Designer 74 Dies legt die Beschreibung der technischen Hürden in Sherman/Waters (2012), Anm. 26, S. 72 nahe. 75 Vgl. Hanstein (o.J.), Anm. 6., o.S. 76 Jones (1997), Anm. 13, S. 40. 77 Vgl. Käufer (2002), Anm. 5, S. 191. 78 Siehe auch die Abbildungen in Respini (2012), Anm. 1, S. 229–239 sowie eine Installationsansicht aus Kiew, S. 63. 79 Die Hintergründe der Murals basieren auf eigens gemachten Fotos, die digital gespiegelt und zu Zeichnungen transformiert werden, vgl. Respini (2012), Anm. 2, S. 48 und Sherman/Waters (2012), Anm. 26, S. 79. In den History Portraits nutzt Sherman Draperien, in den Society Portraits und Clowns dann illusionistische und/oder digital erzeugte Hintergründe. 80 Siehe bei Simmons u. a. die Werkgruppe Fake Fashion (1984–1985) mit Rückprojektionen und Shermans Fashion-Serie sowie z. B. das Buch Jürgen Teller, Cindy Sherman, Marc Jacobs, New York 2005.
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Annette Urban wird in eine weitere Reflexion des Verhältnisses von Kunstgeschöpf und Schöpfer(-in) gewendet, indem Simmons ModeschöpferInnen in ihren eigenen Kreationen zusammen mit einer identisch gekleideten, ebenbildlich modellierten Puppe als „perfect companion“ ablichtet (Abb. 19) und sich selbst darunter mischt.81 Kreativität zeigt sich als projektives NachAbb. 18: Installationansicht von Cindy SherAußen-Verlagern eines zurecht gemans photo-mural Untitled, 2010, Museum schneiderten, besser gekleideten Ichs. of Modern Art, New York, 2012. Und als bester Begleiter fungiert in diesen Duos, die untergründig wieder die inspiratorische, affektiv(-erotische) und gesellschaftliche Dimension solcher Paarbildungen reflektieren, nicht ohne Ironie, wie es der Untertitel vom niemals von der Seite weichenden oder widersprechenden Partner signalisiert, er/sie selbst. Zeitgleich zu den Schattenriss-Porträts von Music of Regret wird die Simmons-Figur hier direkt mit ihrem lebenden Vorbild konfrontiert, das sich dieser in Kleidung, Make-Up sowie der statuarischen HalAbb. 19: Laurie Simmons, Self Portrait, Aus- tung mit abgewendetem Blick in ähnschnitt aus New York Times Magazine, fashion lichem Wechselspiel wie bei Shermans shoot „The Perfect Companion“, 1994. frühem Selbstporträt angleicht, so dass die eigene Präsenz im Bild in die Zweideutigkeit einer Präsenz als Bild bzw. als vergrößerte Ausgabe der eigenen Puppe gezogen wird. Nicht zuletzt fügt sich die Künstlerin damit als einst ersehnte und nun tatsächliche Berühmtheit mitten in die in ihrem Werk vielfältig reflektierte Medienwelt ein. Illustrierte Presse, Mode und Werbung sowie das Kino gehen eine ebenso unauflösliche Liaison ein, wie sich auch die Rückprojektion als Mittel der Generierung phantasmagorischer, teils bewusst antiquierter Wunschwelten und projektiver Verortungen von keineswegs nur kinematographischer Abkunft erwiesen hat.
81 Siehe die vier Seiten des Magazinbeitrags unter ‚Projects‘ auf der Website der Künstlerin, wie Anm. 24.
Teil II
Die Bildlichkeit von Projektionen im räumlichen und medialen Dazwischen
Nina Steinmüller
„To ferry images of presence and absence“ Projektion, Medium und Bild bei James Coleman und Douglas Gordon
Projektionen bewegter und unbewegter Bilder sind im heutigen Ausstellungsbetrieb keine Seltenheit – seit den 1960er-Jahren haben Film, Video und projizierte Fotografie Einzug in die Museen und Galerien gehalten. War es anfangs noch üblich, Filme in Black Boxes ähnlich einer Kinovorführung zu zeigen, wurden mit der Zeit vielfältige Möglichkeiten der Präsentation, beispielsweise als Installationen, mit freistehenden Leinwänden oder Projektionsapparaten, aber natürlich auch im öffentlichen Raum in Bezug zur Architektur entwickelt.1 Das Verhältnis der projizierten, immateriellen Bilder zu ihrem technischen und medialen Ursprung muss dabei stets neu verhandelt werden. James Coleman und Douglas Gordon, zwei Künstler, die mit installativen Bildprojektionen im Ausstellungsraum arbeiten und dabei auf sehr unterschiedliche Weise durch die Transformation des statischen und bewegten Bildes die Einordnung ihrer Arbeiten mithilfe etablierter Medienbegriffe wie Fotografie, Film oder Video herausfordern, werden im folgenden Beitrag im Mittelpunkt stehen. Dabei wird insbesondere die Rolle der Projektion in ihren Werken untersucht und somit, wie das Zitat aus Colemans Arbeit Charon (MIT Project) von 1989 im Titel andeutet, auch der Transport („ferry“) und die Beweglichkeit der Bilder sowie ihr Changieren zwischen Präsenz und Absenz in den Blick genommen. 1
Vgl. Gregor Stemmrich: „White Cube, Black Box and Grey Areas. Venues and Values“, in: Tanya Leighton (Hg.): Art and the Moving Image. A Critical Reader, London 2008, S. 430– 443. Allein in den vergangenen zehn Jahren haben sich zahlreiche Ausstellungen und Publikationen diesen Künsten gewidmet. Zur Einführung siehe exemplarisch Malcolm Turvey u. a.: „Round Table. The Projected Image in Contemporary Art“, in: October 104 (2003), S. 71–96; Matthias Michalka (Hg.): X-Screen. Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre, Ausst.-Kat. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, Köln 2004; Joachim Jäger u. a. (Hg.): Jenseits des Kinos. Die Kunst der Projektion: Filme, Videos und Installationen von 1963 bis 2005, Ausst.-Kat. Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, Ostfildern 2006; Stan Douglas/Christopher Eamon (Hg.): Art of Projection, Ostfildern 2009; Kurt Wettengl (Hg.): Bild für Bild. Film und zeitgenössische Kunst, Ausst.-Kat. Museum Ostwall, Dortmund 2010.
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Nina Steinmüller Der Ire Coleman hat in den letzten Jahrzehnten die Projektion in Kombination mit gesprochenem Text zu seinem ‚Markenzeichen‘ gemacht und als genuin eigene Ausdrucksweise etabliert; ihm wird mit der Frage begegnet, wie sich dabei die Bilder und ihre Wahrnehmung verändern und welche Form sie jenseits von Film und Fotografie annehmen. Hierfür ist der Ansatz der amerikanischen Kunsthistorikerin und -kritikerin Rosalind Krauss von Interesse, die die Bildprojektion in Colemans Werk als ein eigenes, „differenzielles“2 Medium beschreibt. Es stellt sich die Frage, ob ihr Medienbegriff auch für die weitere kunsthistorische Arbeit über zeitgenössische Kunst fruchtbar gemacht werden kann. Hierzu wird abschließend ein Blick auf Douglas Gordons Werk gerichtet. Wo bei Coleman die „synthetisierende Wahrnehmung“3 aller Werkbestandteile, also Bild und Ton im Raum, im Mittelpunkt steht, lenkt Gordon die Aufmerksamkeit auf die freistehende Leinwand und Überschreitungen der Grenze zwischen Film und Video im einzelnen Werk. Bei beiden verlassen die Bilder als projizierte Lichtbilder ihren angestammten materiellen bzw. sozialen Raum der Fotografie, des Kinos oder des Videoscreens. Dabei situiert die Projektion den sich bewegenden Betrachter räumlich zwischen den verschiedenen Bestandteilen der Installation. Dazu tritt ein mediales „Dazwischen“4, wenn die Bildmedien aus ihren herkömmlichen Erscheinungsformen herausgelöst und so verändert werden, dass die Frage nach dem Medium nicht mehr klar beantwortet werden kann. Gerade die Projektion als Wahrnehmungsdispositiv hat, wie gezeigt werden soll, an dieser „differenziellen“ Verfasstheit der Arbeiten einen wesentlichen Anteil.
Projected Images Die von James Coleman selbst so bezeichneten projected images, welche seit den späten 1970er- bis in die späten 1990er-Jahre entstanden, bilden den Kern seines künstlerischen Werks. Es handelt sich dabei um komplexe fotografische Bilderserien von mehreren synchronisierten Diaprojektoren, die übereinander auf einem im Raum stehenden Gestell arrangiert sind und passgenau auf eine Wand des Ausstellungsraums projizieren. Zu den Bilderfolgen erklingt eine Tonspur, auf der eine Stimme die Bilder erzählend oder beschreibend begleitet. Dabei ist die simultane Wahrnehmung der räumlichen Anordnung, der Tonspur und der projizierten Bilder konstitutiv. 2 3 4
Rosalind Krauss: A Voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-Medium Condition, London 2000, S. 53 (Deutsche Ausgabe: A Voyage on the North Sea. Broodthaers, das Postmediale, Zürich 2008). Maren Butte und Sabina Brandt beschreiben die ästhetische Erfahrung des Hören-Sehens als „synthetisierende Wahrnehmung“, vgl. dies.: „Bild und Stimme. Eine Einführung“, in: dies. (Hg.): Bild und Stimme, München 2011, S. 9–19, hier S. 12. Vgl. den Sektionstitel „Die Bildlichkeit von Projektionen im räumlichen und medialen Dazwischen“ des Workshops Bildprojektionen, Universität Köln 2010.
„To ferry images of presence and absence“ Colemans Medium ist die Fotografie, und gleichzeitig auch nicht, zumindest nicht in bekannter Form. Seine Dia-Arbeiten der 1990er-Jahre hat Kaja Silverman treffend als Allegorien von Sprache und Fotografie beschrieben.5 Beide Elemente macht er formal und inhaltlich zum Gegenstand, befragt sie auf ihre medialen Charakteristika und ihre Darstellungsbedingungen hin. In den Werken treten Fotografie und das gesprochene Wort in eine dynamische Beziehung zueinander, in der nicht das eine Medium das andere beschreibt, illustriert oder kommentiert. Vielmehr ergänzen sich die sprachlichen und bildlichen Ausdrucksformen zu einer Werkerfahrung, in welcher sie sich berühren, jedoch weder überlagern noch je voneinander zu trennen sind.6 Dieses Ineinandergreifen von Darstellungs- und Ausdruckselementen, gepaart mit einem großen Interesse an den Bedingungen bildlicher Darstellung und Repräsentation, ist charakteristisch für Colemans Arbeiten. In Charon (MIT Project) von 1989 thematisiert Coleman die gesellschaftliche Funktion und Kodierung der Fotografie, ihre Entstehungsbedingungen und ontologischen Zuschreibungen. Nachdem er sich in seinem Frühwerk fast ausschließlich mit den Bedingungen von visueller und auditiver Wahrnehmung in an experimentelle Anordnungen erinnernden Arbeiten auseinandergesetzt hat, verschiebt sich hier und in anderen Arbeiten derselben Werkperiode der Fokus auf die Repräsentation mittels technischer Medien, vornehmlich Film und Fotografie. Diese Werke nehmen je auf einen übergreifenden Erzählzusammenhang Bezug, also beispielsweise das Leben eines Fotografen, das Thema eines historischen Stichs oder die Geschichte eines Films, und haben in der zeitlichen Abfolge von Bildern und Text eine narrative Dimension. Das Narrativ tritt als eine von mehreren semantischen Ebenen auf und steht in einem dynamischen Verhältnis zur abbildenden und ikonischen Dimension des Bildes. Charon (MIT Project) besteht aus 14 Episoden, welche von Szenen oder Ereignissen erzählen, die von einem Fotografen erlebt werden und in denen die Rolle der Fotografie in der modernen Gesellschaft reflektiert wird. Dominierend sind drei Bereiche: die Werbefotografie, der Familienschnappschuss und das Selbstporträt. Die Arbeit besteht aus zwei Diaprojektoren mit Karussellen und einer elektronischen Steuerung, welche die Überblendung der Dias sowie den Loop regelt. Ein Durchlauf dauert 21 Minuten. Wie bei allen Dia-Arbeiten Colemans sind die Wände des dunklen Ausstellungsraums schallisoliert und mehrere Lautsprecher kreisförmig arrangiert, so dass eine Art Surround-Sound entsteht. Die kurzen Dia-Sequenzen 5 6
Vgl. Kaja Silverman: „Melancholia 2“, in: Helmut Friedel (Hg.): James Coleman, Ausst.Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus/Kunstbau, München, Ostfildern 2002, S. 16– 32, hier S. 16. George Baker spricht in Bezug auf Colemans Arbeiten von einem „konsequenten Teilen von Formen“: „An interstice between mediums has not been ‚crossed‘; forms can only share themselves around that which they lack. Forms can only (truly) share themselves around an absolute limit, a limit that must be respected“. George Baker: „Reanimations (I)“, in: Ulrich Krempel (Hg.): James Coleman. Drei Filmarbeiten, Ausst.-Kat. Sprengel Museum, Hannover 2002, S. 90–138, hier S. 108.
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Nina Steinmüller sind mittels Schnitten und Überblendungen arrangiert und werden von einer männlichen Stimme teils erzählend, teils kommentierend begleitet. Hauptperson ist stets der Fotograf, der jedoch unterschiedliche Rollen und Identitäten anzunehmen scheint.
Abb. 1: James Coleman, Charon (MIT Project), 1989, Projected Images with Synchronized Audio Narration.
In der ersten Episode, die der Installation ihren Titel gab, soll der Fotograf eine Kampagne für Sicherheitsgurte in Autos fotografieren. Dabei erinnert er sich da ran, selbst einen schweren Unfall erlebt zu haben, in dem er fast gestorben wäre. Er entscheidet sich, das Setting für die Fotos an seinem eigenen Unfall zu orientieren. Während er die Szene fotografiert, wird er von Flashbacks seiner Erfahrung geplagt: „projecting his vision through the eye of the camera, he imagines himself in the role of an injured body. Like a cadaver who is viewed by his own spirit, he is forced to ferry images of his presence and absence.“7 Während dieser ca. sechs Minuten sieht man Bilder eines Automobils, das anscheinend gegen einen Absperrpfosten einer Baustelle gefahren ist. Die Fahrertüre steht offen, der Sicherheitsgurt hängt heraus. Die Szene ist von einem tiefen Kamerastandpunkt aus fotografiert; kontrastreiche, leuchtende Farben und Scheinwerferlicht von verschiedenen Seiten lassen sie höchst artifiziell erscheinen. Es folgen weitere Bilder aus der gleichen Perspektive, einzig der Dampf oder Rauch, der unter der Motorhaube aufsteigt, ändert sich, indem er sich verteilt 7
Transkription des Voice overs durch die Autorin.
„To ferry images of presence and absence“ und auf einem Bild sogar das ganze Fahrzeug verhüllt. Ohne dass der Erzähler direkt auf die Bilder Bezug nimmt, scheint es offensichtlich, dass es sich um die Fotografien handelt, die der imaginäre Fotograf am Set macht. Eine andere Episode verbindet die Thematisierung des Gesichts als Spiegel unserer Seele mit der Hoffnung auf eine exorzistische, kathartische Wirkung der Fotografie. Ein junger Mann verbringt Stunden vor dem Spiegel, er sucht, Grimassen ziehend, nach Anzeichen, wie er später einmal aussehen wird. Er erschrickt vor dem, was er sieht, und kann kaum mehr schlafen, weil sein verzerrtes Antlitz ihn heimsucht. Angeregt von einem Satz von Franz Kafka, dass der Mensch Dinge fotografiert, um sie aus den Gedanken zu vertreiben,8 macht er ein Foto von dem schlimmsten Gesicht, das er sich vorstellen kann, und hängt es groß über sein Bett. In derselben Nacht träumt er von einem Monster mit Nähten, die das Gesicht zusammenhalten, welches ihn zu Tode erschreckt; er erkennt, dass er es selbst ist und versucht, dem drohenden Blick zu entgehen. Die geschaffene Kreatur ist zurückgekehrt, um ihren Schöpfer zu töten. Mit einem Mal verschwindet das Bild. Es hat den blinden Fleck seines Blicks erreicht: „Realising, it has entered the blind spot of his vision, he lay there, frozen, still, terrified to move.“ Die Bilder der Projektion zeigen in Überblendung verschiedene Blicke eines geschminkten Gesichts in Großaufnahme. Die Narbe legt die Vermutung nahe, dass es sich um das geträumte Monster handelt; sicher kann man sich dessen aber nicht sein. Der starke Kontrast von gelbem und blauem Licht erinnert in seiner Künstlichkeit an die erste Episode. Wie bei dieser ist es ein traumatisches, unheimliches Moment der Fotografie, auf das hier Bezug genommen wird – auf der einen Seite die als magisch beschriebene Dimension der Abbildung von Unsichtbarem, auf der anderen Seite die Bannung von Visionen und Obsessionen auf Papier. In Charon (MIT Project) werden also verschiedenste Bedeutungsebenen der Fotografie angesprochen. Ebenso wenig wie sich Bild und Text dabei direkt entsprechen, ergibt sich aus den Episoden, die jeweils eine andere Facette des Mediums in einem anderen Kontext beleuchten, ein vollständiges Bild des „theoretischen Objekts“9 Fotografie. Es wird offensichtlich – hier auf thematischer und nicht auf formaler Ebene – keine Ontologie oder Medienspezifik verfolgt, sondern durch die Aneinanderreihung verschiedenster Bedeutungszusammenhänge aufgezeigt, dass diese Liste endlos weiter zu verfolgen wäre. Desweiteren betont Coleman die enge Verschränkung von psychologischer und medialer Projektion. Auf der narrativen Ebene tritt die Projektion als psychologischer Prozess auf: Wenn der imaginäre Fotograf seine Erinnerungen als Referenz für die Gestaltung einer Fotografie heranzieht, dann jedoch im Akt des Fotografierens 8
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„He read that Kafka said we photograph things in order to drive them out of our minds.“ – Coleman bezieht sich hier auf ein Kafka zugeschriebenes Zitat im Gespräch mit Gustav Janouch: Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Frankfurt am Main 1951, S. 54 („Man photographiert Dinge, um sie aus dem Sinn zu verscheuchen.“). Rosalind Krauss: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände, München 1998, S. 14.
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120 Nina Steinmüller seine eigene Auferstehung als Bild zu erleben glaubt, projiziert er seine Gedanken und Ängste in sein Werk, er spricht dem Medium nicht nur repräsentierende, sondern gleichsam erschaffende Möglichkeiten zu. Der Ausdruck „ferry“ sowie der Titel der ersten Episode „Charon“ spielen auf die mythologische Figur Charon an, den Fährmann der Toten über den Strom Styx zum Hades. Ebenso wie die Fotografie, deren Bezeugungscharakter insbesondere André Bazin und Roland Barthes hervorgehoben haben,10 hier als Mittlerin zwischen dem Beinahe-Tod und der Gegenwart des Fotografen auftritt, fungiert der Fährmann als Medium zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen Präsenz und Absenz, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Die Wendung „ferry images of his presence and absence“ des Voice overs bezieht sich auf diese mediale Eigenschaft der Fotografie, die Vergangenheit der Aufnahme in die Gegenwart der Wahrnehmung zu vermitteln. Zugleich erinnern beide Episoden an spiritistische Praktiken und den Glauben an die Möglichkeit der Wiederauferstehung oder der Bannung mittels Fotografie. Coleman zieht hier eine Verbindung zu zwei der wichtigsten Topoi der Fotografiegeschichte, die Verbindung zur Vergangenheit und die Sichtbarmachung des Unsichtbaren. Wie ironisch gebrochen dieser Glaube an die Fotografie gemeint sein muss, wird in der Überzeichnung der Bilder deutlich: Diese und seine späteren Arbeiten sind von einer übertriebenen Künstlichkeit der Farben, Ausstattung und Kostüme gekennzeichnet und verhehlen ihre Inszenierung nicht. Während sich in den späteren Dia-Arbeiten von Coleman Bild und Ton, iko nische und sprachliche Darstellung nie entsprechen, sondern nur lose und über Assoziationen korrespondieren, scheint die Korrelation in Charon (MIT Project) erstaunlich einfach – jedoch nur auf den ersten Blick. Die Kombination von erzählender Stimme und projizierten Bildern ruft beim Betrachter Erinnerungen beispielsweise an Diavorträge im familiären Kreis hervor. Allerdings ergibt sich hier auch eine Diskrepanz zwischen Bild und Text, denn weder illustrieren die Bilder die Geschichte, noch beschreibt die Stimme die Bilder. Trotzdem sind sie auf das Engste miteinander verwoben, denn neben der Tonspur, die den unbekannten Kommentator verkörpert, und den Dias, die in mal mehr, mal weniger geklärtem Verhältnis zum Narrativ stehen, ist der Betrachter selbst der dritte, wesentliche Bestandteil der Arbeit: Seine Imaginationskraft stellt das Bindeglied zwischen gesprochener Sprache und Bild, zwischen akustisch vermittelter, sprachlicher Information und optischer Referenz dar. Doch nicht nur das Verhältnis von Bild und Sprache wird hier neu verhandelt, sondern auch das von Bild und Bewegung – in Colemans Arbeiten gehen die (potenziell) bewegte Projektion und die (vermeintlich) statische Fotografie eine Allianz ein. Die Bilder strahlen innerbildlich eine eigentümliche, zeitlose Stillstellung aus – Räume wirken verlassen, und die fotografierten Personen sind in ihre Posen 10 Vgl. André Bazin: „Ontologie des photographischen Bildes“, in: ders.: Was ist Film?, hg. v. Robert Fischer, Berlin 2004, S. 33–42 und Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt am Main 1989.
„To ferry images of presence and absence“ versunken. Nicht die Fotografie hat sie stillgestellt, bereits die Posen, die sie für das Foto einnehmen, zeigen sich als „herausgehobene Raum-Zeit-Figur[en], die zwischen dem Einhalt und der Bewegung angesiedelt [sind].“11 Coleman imitiert das Erstarren beim Posieren für ein Foto, das Craig Owens als schützende Geste vor dem stillstellenden Blick des Fotografen interpretierte.12 Rosalind Krauss verweist mehrmals in ihren Texten auf die spezifische Form des „double face-out“13, wobei zwei Personen starr aneinander vorbei aus dem Bild blicken. Diese von Coleman häufig eingesetzte Form ist an die Ästhetik von Fotoromanen angelehnt und impliziert die Vermeidung einer filmisch-dialogischen Schuss-Gegenschuss-Bewegung. Bewegung erfasst diese Standbilder erst im zeitbasierten Dispositiv der Projektion, sie wird im Prozess des Erscheinens und Verschwindens des Bildes sichtbar sowie in der Möglichkeit, durch Aneinanderreihung von Bildern mit geringen Unterschieden eine Art Bewegungsillusion zu erzeugen. Vor allem bei Überblendungen wird die Präsenz des Projektors im Raum spürbar: Wenn das Geräusch des Diawechsels nicht synchron mit dem tatsächlichen Bildwechsel ertönt, sondern ihn nur ankündigt, das mechanische und auditive Ereignis also dem tatsächlichen Erscheinen des Bildes vorausgeht, ergibt sich ein rhythmisches Erleben des Werks, welches von dem steten Wechsel von Synchronizität und Asynchronizität zwischen Geräusch und Bild auf der einen Seite, gesprochenem Text und Bildinhalt auf der anderen Seite lebt.14 Die Projektion erzeugt hier nicht nur ein Bild, für das sie als Darstellungsmedium fungiert, sondern eine Situation, in welcher sich der Betrachter physisch positionieren muss und dabei als wahrnehmendes Subjekt zum Vermittler zwischen Wort und Bild ein Teil der Arbeit wird. Auf der inhaltlichen Ebene wird die Fotografie in fast all ihren diskursiven Erscheinungsformen thematisiert, in der Arbeit jedoch entmaterialisiert und verzeitlicht, als Standbild „erschüttert“, wie Kaja Silverman es ausdrückt.15 Es wird deutlich, warum James Coleman selbst von seinen Arbeiten nicht als slide shows spricht, sondern als projected images – indem er die spezifischen Eigenschaften ganz unterschiedlicher Darstellungsformen in einer Arbeit vereint, erschafft er ein neues Medium, dessen Kern die Projektion ist.
11 Gabriele Brandstetter: „Attitüden und Posen. Figuration als Bild und als Performance“, in: Atsuko Onuki (Hg.): Figuration - Defiguration: Beiträge zur transkulturellen Forschung, München 2006, S. 163–173, hier S. 163. 12 Vgl. Craig Owens: „Posieren“, in: Herta Wolf (Hg.): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt am Main 2003, S. 92–114, hier S. 109. 13 Vgl. exemplarisch Rosalind Krauss: „Reinventing the Medium“, in: Critical Inquiry 25/2 (1999), S. 289–305, hier S. 300. 14 Die Rhythmisierung der Bild- und Texterfahrung ist hier allerdings noch nicht so präsent wie sie in einigen späteren Arbeiten sein wird, z. B. INITIALS (1993/1994) oder Photograph (1998/1999). In diesen hat das Voice over nicht einen erzählenden Sprechduktus, sondern ist lyrisch-expressiv, affektiv und mit nonverbalen Äußerungen durchsetzt. 15 Silverman (2002), Anm. 5, S. 16.
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Projektion als Medium und Bild im post-medialen Zeitalter Aber kann man die Projektion als ein eigenes Medium betrachten? Und welche Vorteile brächte eine solche Einschätzung? Dass dies keine neuen Fragen sind, zeigt ein Blick in die Medienarchäologie, die sich immer wieder mit der Geschichte der Projektion und ihrer engen Verknüpfung mit Sehtheorien auf der einen Seite und Theorien der Imagination auf der anderen Seite beschäftigte.16 Die Diaprojektion im Speziellen hat Jens Ruchatz als ein Medium mit einer eigenen Geschichte gewürdigt.17 Er beschreibt, dass sich die fotografische Projektion im 19. Jahrhundert in einem vergleichbaren Stadium der Vereinigung und Interaktion medialer Komponenten befand wie heute. Mit der Laterna Magica sei zum ersten Mal ein Medium geschaffen worden, bei dem medialer Träger und vermittelter (Bild-)Inhalt technisch auseinanderfallen, im räumlichen und zeitlichen Zusammenwirken der medialen Komponenten jedoch eine Wahrnehmungssituation entsteht, welche sie „unifiziert erscheinen lässt“ und, wie beim Kino, als „mediengenerierend angesehen worden ist.“18 Die auch in Colemans Arbeiten dominierende Rhythmisierung und Narrativierung der fotografischen Bilder sind für Ruchatz Argumente, die Projektion ‚als Medium‘ zu betrachten. Die methodologischen Ansätze von Rosalind Krauss, auf deren Schriften im Folgenden näher eingegangen werden soll, und Ruchatz ähneln sich insofern, als sie die Mediencharakteristik und Spezifik als genuin historische Kategorie bewerten: Nur im Kontext ihrer sozialen Wirksamkeit, ihrer Konventionalisierung, und in Bezug zur Tradition bzw. Abgrenzung zu anderen Medien können Techniken als Medien beschrieben werden. Rosalind Krauss machte die ‚Erfindung‘ eines Mediums durch Coleman und andere Künstler zum Fluchtpunkt ihrer Schriften der letzten Jahre, in denen sie ausgehend von der Fotografie fragt, wie der Begriff des Mediums heute verwendet werden kann. Ihren Ausgang nehmen die Überlegungen bei einer doppelten Kritik: Einerseits fragt sie, wie man noch über Fotografie als künstlerisches Medium sprechen könne, seitdem diese in der poststrukturalistischen Theorie über die Identifizierung mit der Wiederholung zum theoretischen (im Gegensatz zum ästhetischen und historischen) Objekt und zum Paradigma geworden sei.19 Andererseits überlegt sie weiter, inwiefern überhaupt noch von ‚Medium‘ in der Kunst gesprochen werden
16 Vgl. u. a. Ulrike Hick: Geschichte der optischen Medien, München 1999, sowie die Aufsätze in: Le Fresnoy (Hg.): Projections, les transports de l’image, Ausst.-Kat. Studio National des Arts Contemporains, Tourcoing, Paris 1997. 17 Vgl. Jens Ruchatz: Licht und Wahrheit. Eine Mediumgeschichte der fotografischen Projektion, München 2003. 18 Ebd., S. 60. 19 Vgl. Krauss (1999), Anm. 13, S. 290. Mit dieser Feststellung bezieht sie sich auf ihre eigene, vielfach kritisierte Erhebung der Fotografie zum Paradigma der Moderne, verbunden mit einer Kritik der Originalität der Avantgarden, vgl. u. a. dies.: „The Originality of the Avant-Garde. A Postmodernist Repetition”, in: October 18 (1981), S. 47–66.
„To ferry images of presence and absence“ 123 kann. In A Voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-Medium Condition20 laufen schließlich die an anderer Stelle begonnenen Gedanken zusammen,21 wenn sie das Ende eines spezifisch künstlerischen Mediums im post-medialen Zeitalter verkündet und gleichzeitig eine postmoderne Neudefinition desselben wagt. Dabei hat sie keine Strategien der Inter- und Multimedialität vor Augen – tatsächlich greift sie die Installationskunst polemisch an –, sondern arbeitet sich historisch an wichtigen Positionen der filmischen Avantgarde und der Konzeptkunst wie Joseph Kosuth, Richard Serra, Marcel Broodthaers und Michael Snow ab. Der postmedialen Verfasstheit des Mediums, wie sie Krauss beschreibt, eignet eine Spezifik, die sie nicht an den im modernistischen Diskurs vorbelasteten Begriff des Materials knüpft, sondern zunächst einmal vage als „differenziell“ beschreibt. Über verschiedene historische Positionen benennt sie Merkmale dieses Mediums: seine „innere Pluralität“22 (Cavell), eine „aggregierende“23 Verfasstheit (struktureller Film) und „rekursive Struktur“24 (Denis). Am Ende fasst sie die zwei Komponenten ihres theoretischen Ansatzes wie folgt zusammen: „Erstens: die Spezifik der Medien, selbst der Medien der Moderne, muss als differenziell, als von sich selbst differierend verstanden werden, weshalb eine reine Schichtung bestimmter Konventionen niemals einfach in die reine Körperlichkeit ihres Trägers kollabiert. […] Zweitens: gerade der Anfang höher entwickelter Technologien – ‚Roboter, Computer‘ – gestattet uns dadurch, daß sie ältere Techniken überholt aussehen lassen, die innere Komplexität jenes Mediums zu erfassen, dessen Träger diese Techniken sind.“25
Krauss bleibt im Hinblick auf ihre Begrifflichkeiten ungenau, es wird jedoch deutlich, dass sich ein „postmedialer“ Gebrauch von bestimmten technischen Trägerstrukturen wie beispielsweise Fotografie, Film oder Diaprojektion entlang von Konventionen entwickelt, die das Medium vorgibt – historisch und durch den Kontext determinierte Regeln –, und ihren Möglichkeiten, die in ihrer Komplexität erst sichtbar werden, wenn das Medium veraltet ist. Obgleich Rosalind Krauss eine Abgrenzung von Greenberg propagiert – und dessen Medienbegriff zeithistorisch zu eng mit der Farbfeldmalerei verknüpft ist, als dass er auf neue, hybride Bildformen übertragbar wäre –, ist diese jedoch eher als rhetorische denn 20 Krauss (2000), Anm. 2. Die Wendung verweist einerseits auf den von ihr maßgeblich diskutierten Kunstwerk-Aufsatz von Walter Benjamin, andererseits auf Jean-François Lyotards The Postmodern Condition. A Report on Knowledge, Minneapolis 1986. 21 Vgl. Rosalind Krauss: „‚…And Then Turn Away?‘ An Essay on James Coleman“, in: October 81 (1997), S. 5–33; dies.: „‚The Rock‘. William Kentridge�s Drawings for Projection“, in: October 92 (2000), S. 3–35, sowie später dies.: „Two Moments from the Post-Medium Condition“, in: October 116 (2006), S. 55–62 und dies.: Under Blue Cup, Cambridge Mass. 2011. 22 Krauss (2008), Anm. 2, S. 8. 23 Ebd., S. 32. 24 Ebd., S. 9. 25 Ebd., S. 69.
124 Nina Steinmüller tatsächliche Volte zu verstehen. Wie Mark B. Hansen feststellt, „Rosalind Krauss attempts to situate the reconceptualization of the medium within the framework of a nuanced, expanded understanding of modernism.“26 Sie bestreitet nicht die mögliche Physikalität des Trägers des Mediums, sieht es jedoch weder der Reinheit noch einer spezifischen Sehkonvention verpflichtet.27 Vielmehr beschreibt sie es als ein Gefüge aus einer offenen Trägerstruktur und den sich in Wechselwirkungen damit ergebenen Konventionen – es ist der künstlerische Gebrauch des technischen „Supports“, der sich in der Form der entstehenden Bilder in das Medium einschreibt, also die Bedingungen der Darstellung, die so zugleich geschaffen und genutzt werden. Der Ausdruck „self-differing“ unterstreicht den paradoxalen Charakter: ein sich von sich selbst unterscheidendes Medium, das gleichzeitig selbstreflexiv ist und über sich hinausgeht. Gerade auf die Bildprojektion als Kern von Colemans Arbeiten treffen diese Charakteristika zu: Die „traditionellen“ Medien überschreitend, fungiert sie als Form, in der die technische Grundstruktur und die ästhetischen Merkmale, die beide auf kulturelle Verwendungszusammenhänge verweisen, zusammenwirken. Ihre spezi fischen Elemente Licht und Zeit bestimmen die Werke als zeitbasiert, leuchtend und ephemer, sie setzen die Regeln der Verwendung fest, aber determinieren auch das Resultat des Gebrauchs. Als Medium gilt dabei nicht allein die technische Installation mit ihren materiellen Voraussetzungen; vielmehr beschreibt Krauss die einzelnen Elemente als Teil einer Grammatik oder Syntax,28 womit das Medium an Prozesse der Signifikation angeschlossen ist – wie eine Sprache hat es eine eigene Ausdruckslogik.29 Wie sehr die spezifische Form der Bilder mit ihrer technischen Genese verknüpft ist und dass gerade diese Verknüpfung die Grundstruktur des Mediums von Colemans Arbeit darstellt, wird in folgendem Zitat deutlich: „But Coleman cannot be said to be returning to a given medium […]. Rather, the medium Coleman seems to be elaborating is just this paradoxical collision between stillness and movement that the static slide provokes right at the interstice of its changes, which […] is underscored by the click of the carousel�s rotation and the new slide�s falling into place or by the mechanical whir of the double projectors� zoom lenses changing focus to create the effect of a dissolve.“30
26 Mark B. Hansen: New Philosophy for New Media, Cambridge Mass. 2004, S. 23. 27 Juliane Rebentisch weist zu Recht darauf hin, dass Krauss’ Begriff der „Erfindung“ eines künstlerischen Mediums „nach wie vor im Zeichen Greenbergs [steht]. Er steht nämlich nach wie vor für die Produktion eines distinkten Bereichs medialer Eigenheit.“ Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003, S. 99, Fußnote 19. 28 Vgl. exemplarisch Krauss (1999), Anm. 13, S. 301: „The frequency of the double faceout’s occurrence within Coleman’s work signals its importance as a grammatical component of the medium he is using it to invent.“ 29 Vgl. Karin Krauthausen: „Ist das Medium noch zu retten?“, in: Texte zur Kunst 39 (2000), S. 111–115, hier S. 114 und Krauss (2011), Anm. 21, S. 17. 30 Krauss (1999), Anm. 13, S. 297.
„To ferry images of presence and absence“ 125 Die Originalität von Colemans Medium zeigt sich, wie oben bereits ausgeführt, an der „Kollision von Stillstand und Bewegung“ auf der Ebene der Technik ebenso wie der Darstellung. Assoziationen mit Kino, Theater oder auch, mit Blick auf die Farbigkeit, Malerei, bedeuten keine Verweise auf andere, „spezifische“ Medien, sondern bilden eine Art historischen Resonanzraum möglicher Darstellungsformen. Der „neue“ Gebrauch einer Technik ist laut Krauss allerdings nur möglich, weil diese zum einen veraltet ist (wie die Diaprojektion) und zum anderen aus einem anderen Kontext, jedoch mit gewendeter Bedeutung in die Kunst überführt wird. Nur dann könne man von einer Erfindung bzw. Neuerfindung eines Mediums sprechen, wie sie sie bei Coleman, aber auch bei anderen Künstlern feststellt.31 Die von ihr propagierte erlösende Wirkung der Veralterung leitet Krauss aus der Entwicklung der Fotografie selbst ab. Erst in den 1960er-Jahren sei es durch die Transformation der Fotografie zum theoretischen Objekt in der poststrukturalistischen Philosophie und durch die Dekonstruktion ihrer eigenen Praxis in der Fotokonzeptkunst möglich geworden, dass sie von Künstlern neu entdeckt und in veränderten technischen, theoretischen und imaginativen Konstellation gebraucht wurde.32 Mit der Voraussetzung, dass erst die „obsolescence“ die notwendige Offenheit eines Mediums ermöglicht, hängt Krauss jedoch einem technikzentrierten Anachronismus nach, der ihre Medienkonzeption einschränkt und ihre Argumente schwächt. Sie kann weder den neuen, auf Video oder Computer basierenden Bildern, noch der Installationsund Multimediakunst etwas abgewinnen, obgleich sich die Idee einer medienimmanenten Differenz, die jeder ontologischen Bestimmung eines Mediums vorgängig ist, grundsätzlich auch auf neuere Techniken und Praktiken übertragen ließe. Im Hinblick auf die Bildprojektion sollte daher ihre Historizität nicht als Limitierung auf den Aspekt einer Neuerfindung begriffen werden, sondern lediglich, wie Dominique Païni vorschlägt, als Bewusstsein für den optisch-mechanischen Ursprung des Wahrnehmungsdispositivs, das auch mit neueren Technologien, insbesondere dem Video- und digitalen Bild, erzeugt werden kann.33 31 Vgl. Krauss (2011), Anm. 21. Sie bezieht sich u. a. auf Marcel Broodthaers, William Kentridge, Ed Ruscha und Sophie Calle. 32 Vgl. Krauss (1999), Anm. 13. Charon (MIT Project) von James Coleman wurde hier aufgrund seiner speziellen Form der Bildprojektion als Beispiel für sein ,eigenes‘ Medium diskutiert. Darüber hinaus jedoch wirkt die Arbeit durch ihr Thema wie ein antizipierender Kommentar der krauss’schen Theorie. Coleman macht im Medium der fotografischen Projektion die Konventionalisierungen und Regelhaftigkeiten der Fotografie und ihre kulturelle Verwendungsweise und diskursiven Zusammenhänge selbst zum Gegenstand. Es ist nicht nur die selbstbeschreibende mise en abyme-Struktur von Charon (MIT Project), die hier zum Tragen kommt; sondern die Selbstthematisierung der Fotografie in der Fotografie ereignet sich gerade innerhalb der technischen Trägerstruktur, die von Krauss als neues Medium in der Folge der Theoretisierung der Fotografie beschrieben wird. 33 Dominique Païni: „Should We Put an End to Projection?“, in: October 110 (2004), S. 23–48. In den letzten Jahren hat es mehrere Versuche gegeben, eine Kritik an Krauss’ nostalgischem Materialismus mit einer Öffnung ihres Ansatzes für andere, hybride Bild-
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Abb. 2: Douglas Gordon, 24 Hour Psycho, 1993, Installationsansicht Kunstmuseum Wolfsburg, 2007.
Ausblick Als Ausblick darauf, wie in den aktuellen Projektionskünsten die Differenziertheit des Mediums Projektion deutlich wird und so die Idee von einem „self-differing medium“ von Rosalind Krauss auch auf andere Formen der Installationskunst übertragbar ist, soll abschließend eine Arbeit von Douglas Gordon betrachtet werden. Der schottische Künstler ist in den 1990er-Jahren mit konzeptuellen Found Footage Videoarbeiten bekannt geworden, so die Installation 24 Hour Psycho (1993, Abb. 2), er hat aber auch mit medizinhistorischem Material gearbeitet, das er über die Bearbeitung mit Video aus Archiven in den Ausstellungskontext transferiert. Es verweist auf kulturelle Bereiche, die als transformierte Zitate in den Arbeiten sichtbar gemacht und gleichzeitig dekonstruiert werden. 10 ms-1 (1994) zeigt einen Kriegsversehrten nach dem Ersten Weltkrieg, den das Kriegstrauma buchstäblich blockiert, er ist nicht mehr formen zu verbinden, zuletzt von Mark B. Hansen (vgl. Anm. 26) mit Blick auf digitale Bilder und die Einbeziehung des Körpers als Medium, von Rosemarie Hawker mit Blick auf Transgressionen von Fotografie und Malerei bei Gerhard Richter sowie von Ji-Hoon Kim für neue, digitale und installative Filmformate (vgl. Rosemarie Hawker: „Idiom Post-medium. Richter’s Painting Photography“, in: Oxford Art Journal 32/2 (2009), S. 263–280, Ji-Hoon Kim: „The Post-Medium Condition and the Explosion of Cinema“, in: Screen 50/1 (2009), S. 114–123).
„To ferry images of presence and absence“ 127 Herr seiner Bewegungen und kämpft unter dem entwürdigenden Blick der Kamera mit und gegen seinen Körper (Abb. 3). Durch die videotechnische Bearbeitung nimmt das bewegte Bild die ruckartigen Bewegungen des traumatisierten Körpers auf; es wird hier nicht nur verlangsamt, sondern auch an manchen Stellen durch vor- und zurückspulen zur Wiederholung einzelner Bewegungsdetails eingesetzt. Gordon Abb. 3: Douglas Gordon, 10ms-1, 1994, Installations nimmt eine buchstäbliche Aus- ansicht Dox, Prag, 2009. stellung des Films vor: Wie ein Objekt präsentiert er ihn in erweiterter Sichtbarkeit, indem er den sonst unbekannten Film auf einer freistehenden Leinwand zeigt, auf der jedes Detail verlangsamt, vergrößert und im Loop erscheint. Die Leinwand ist durchlässig, so dass die Projektion auch von hinten, spiegelverkehrt zu betrachten ist (in einer anderen Arbeit macht Gordon gerade diese Durchsichtigkeit zum Thema, indem er Bilder sich überlagern lässt). Das filmische Objekt erfährt so institutionelle und mediale Verschiebungen, welche seine Sichtbarkeit – und die damit verbundene Sinngenerierung – aber gleichzeitig erhöhen und verstellen. Das Material dieses Films offenbart zwar durch die Bildästhetik Bruchstücke seiner Historizität. Der Betrachter wird jedoch über Herkunft, Gegenstand, Entstehungszeit und Zweck des Footages im Unklaren gelassen. Indem Gordon nicht die Apparate sichtbar im Raum platziert, wie Coleman seine Diaprojektoren, sondern mit den Leinwänden eigene Räume definiert oder auch im öffentlichen Raum besetzt, löst er sich noch stärker von einer kinematogra phischen Anordnung; seine Thematisierung des Dispositivs, der Bewegungsdarstellung und der bildnerischen Konventionen stellt dennoch einen unübersehbaren Verweis auf das Medium Film und das Kino dar. Durch die Verwendung von Video wird dies nicht aufgehoben, sondern „differentiated“34, wie Ji-Hoon Kim schreibt. Er argumentiert, Video würde die kinematographischen Konventionen nicht in seine technologische Heterogenität auflösen, sondern als Trägerstruktur fungieren, wodurch das selbst-differierende Potenzial der Konventionen entfaltet werden könne.35 Wie bei vielen anderen Formen projizierter Bilder ist das hier als Speicher- und Bearbeitungsmaterial adressierte Medium Video nur ein Teil des Werks; erst in der Projektion entstehen die bewegten und leuchtenden Bilder, in denen sich die Referenzen an historische Projektionsapparate, an Kino, Film und Video in der Installation überlagern und eine eigene Bildsprache etablieren. 34 Ebd., S. 118. 35 Vgl. ebd.
128 Nina Steinmüller In vielen Werken der zeitgenössischen Kunst korrelieren Aspekte des ‚räumlichen Dazwischens‘ der Projektion mit ihrem ‚medialen Dazwischen‘36. In diesem Beitrag sollte dargestellt werden, dass die Projektion durch ihre Vielschichtigkeit in der Bedeutung und die starke Variabilität der Erscheinung mit der Mediumkonzeption beschrieben werden kann, die Rosalind Krauss in ihren Texten über die Post-Medium Condition auch mit Blick auf James Colemans Dia-Arbeiten hin entwickelt hat. Die spezifischen Eigenschaften der Projektion – Licht, Zeit und Raum, Bewegung und Mobilisierung der Bilder – bilden die Trägerstruktur für unterschiedlichste Medienüberschreitungen, die die potenzielle Komplexität dieses Mediums deutlich machen; es verbleibt dabei ‚selbstdifferenziell‘, denn: „the projection of images belongs to an aesthetic of representation that ‚resists‘ an aesthetic of self-definition.“37 Durch diesen offenen Charakter kann der Blick weg von einer technikdeterminierten und medienspezifischen Analyse hin zu einer bildkritischen Auseinandersetzung mit den Kunstwerken gelenkt werden. Die Spezifik eines künstlerischen Ausdrucks äußert sich so in der Arbeit an der Verfasstheit der Bilder. Raymond Bellour hat angesichts der Schwierigkeit, zu bestimmen, wo die Fotografie heute steht – „The photographic (…) is in a state of ‚in-between-ness‘“38 – von verschiedenen Zuständen der Bilder („image-states“39) gesprochen. Wie auch an den hier besprochenen Beispielen deutlich wurde, hat die Bewegung, welche die Bilder ergreift und erschüttert, einen wesentlichen Anteil an dieser Heterogenität. Bildprojektionen erschöpfen sich eben nicht in der Interpretation des projizierten Bildes, sondern es ist die Relationalität der einzelnen Elemente einer Installation zueinander, welche die Wahrnehmung der projizierten Bilder bedingt. Deutlich wird dies insbesondere bei James Coleman, lässt sich aber auch bei vielen anderen Künstlern beobachten. Nicht dem einzelnen projizierten Dia kommt so als Bild Bedeutung zu, sondern im Verhältnis zum vorherigen und zum folgenden Bild, in der rhythmischen Bildbewegung und im Wissen um den Übergang fügt sich seine Wahrnehmung in den Zusammenhang der Arbeit ein. Die gleichzeitige Wahrnehmung der Tonspur, die materielle Anwesenheit der Projektoren und die Geräusche, die sie produzieren, korrelieren mit der Sichtbarkeit der Bilder in der Installation. In der Beweglichkeit, Immaterialität und Flüchtigkeit der Bilder liegt, wenn man so will, eine Spezifik dieses selbstdifferenziellen Mediums.40 36 Vgl. Anm. 4. 37 Païni (2004), Anm. 33, S. 29. 38 Raymond Bellour: „The Photographic“, in: Karen Beckman/Jean Ma (Hg.): Still Moving. Between Cinema and Photography, Durham NC 2008, S. 253–276, hier S. 253. 39 Ebd., S. 261. 40 Von der Projektion ‚als‘ Bild kann am ehesten mit Blick auf die Arbeiten von Anthony McCall gesprochen werden. In seinen skulpturalen Lichtprojektionen, in denen sich die einzelnen Komponenten kurzzeitig materialisieren, wird die Sichtbarkeit des Projektionsstrahls, der auf den im Raum befindlichen Rauch und Staub bzw. heute künstlich erzeugten Nebel trifft, zum Ort, an dem Zeitlichkeit und Räumlichkeit der Projektion in eins fallen.
David Campany
In the light of the Lumières Art at the beginnings and ends of cinema
It seems clear that in recent years there has been a revival of interest in the histories of both photography and the moving image. Even contemporary artists are interested, where once such media were attractive precisely because they did not seem to have histories, or at least histories that mattered. No doubt there are many reasons for this but I will cite just two. Firstly, recent technological transformations have produced new orders of production, dissemination and archiving that allow us to grasp the differences between past moments in visual culture and our present, which is now organised according to the logics of the digital archive. The past of photography and the moving image are available to us as never before and in ways that have the potential to make them seem as radically contemporary as they are historical. Secondly there has been a realisation that many of the concerns and interests that inform the work of contemporary photographers and filmmakers – artistic, technical, philosophical, social and ontological – have been encountered before. For example it would be possible to read William Henry Fox Talbot’s The Pencil of Nature1 (his publication of twenty-four photographic images and text of 1844 that introduced photography to the English) as a prediction of what might be the future uses or applications of his invention. Fox Talbot suggested the medium might be used to produce forensic evidence, legal documents, substitutes for memory, art, art history and archiving, among other things. (He did not foresee advertising or pornography but his understanding that photography could be both promotional and illicit suggests that he may not have been entirely surprised to see it used that way.) As we wonder what photography, now an eclipsed medium, is for or good at, The Pencil of Nature finds new significance. In cinema the directions suggested right at the beginning by the pioneering films of Louis and Auguste Lumière on the one hand and Georges Meliès on the other certainly anticipate some of the central 1
William Henry Fox Talbot: The Pencil of Nature, (published in six installments) London 1844–1846.
130 David Campany drives of the moving image in contemporary art: the description of everyday life, the invention of imaginary worlds, the documentary potential and a fascination with movement itself. Contemporary filmmakers and audiences find magic in the realism of the Lumière’s films and realism in the magic of Meliès’ films. I would like to consider just one film that has fascinated me since first I saw it, and to think about it in relation to contemporary photography and film in art. It is Arrivée des congressistes à Neuville-sur-Saône, made by the Lumières in 1895 (fig. 1). It is the film with which I opened my recent book Photography and Cinema but I did not have the space there to draw out some of its deeper implications.2 My hope is that a consideration of this film in the context of the present collection of essays may shed some light on the revival of art’s revived interest in the history of the moving image. On June 11, 1895, the French Congress of Photographic Societies was gathered in Lyon. Photography had been in existence for about sixty years and cinema was a new invention. The Lumières had just been granted a patent for their Cinémato graphe, the first movie camera and projection system. Louis, who worked for the family’s photography business, was there to demonstrate it. A boat trip to Fig. 1: Louis and Auguste Lumière, Arrivée des congresNeuville-sur-Saône had been sistes à Neuville-sur-Saône [The Photographic Congress arranged for the photographers arrives in Neuville-sur-Saône], 1895, filmstill. and Louis set up his camera to record them. He filmed as they came down the narrow gangway onto the quayside. The Lumières made several movies of people filing past their camera, including the first film to be screened publicly (La Sortie des usines Lumière, 1895).3 The subject matter was ideal: endlessly different figures passing through a fixed frame express so much, so simply about photographs in motion. The photographers had heard of the Cinématographe and were interested to see it. In the film, which consists of a single shot of around forty-eight seconds, some smile self-consciously as they pass, others wave their hats. One man, looking more serious, holds a large plate camera to his chest. He halts as he passes, takes a quick photo of Louis and the movie camera and rejoins the flow.4 2 3 4
David Campany: Photography and Cinema, London 2008. La Sortie des usines Lumière was screened in Paris on December 28, 1895. Arrivée des congressistes à Neuville-sur-Saône (1895). The film is also known as Congrès des sociétés photographiques de France and usually translated as The Photographic Congress
In the light of the Lumières 131 The whereabouts of his snapshot is unknown. He may have not actually taken one. Perhaps what really mattered was the filming of the gesture, the first footage of a still photographer ‘in action’. Louis was not bluffing. In fact those photographers were the first to see the film when it was developed and projected for them the following day. What might they have thought of what they saw? Was the Cinématographe something familiar and agreeable or radically different? What effect would it have on photography? What purpose might it serve? Was it competition? Was it a novelty or would it last? And what was the meaning of that moment when Louis was photographed and the photographer was filmed? It passes in seconds but its enigma remains. Was it a friendly affirmation that photographer and filmmaker were essentially the same, or a realisation of profound difference? Was this cinema affirming a debt to photography or distancing itself? The questions must have been felt acutely. Whatever curiosity or trepidation the photographers experienced as they were filmed would have been compounded as they watched their encounter played back in real time. The image I reproduce here derives from a frame of the film. For reasons that will become clear I should be more precise: it is a ‘frame grab’ from a DVD transfer of the film. It was acquired by playing the film on a computer and using a simple piece of software to pause it, then copy and extract the chosen frame. This particular frame might be considered the ‘high point’ of the action (not that this is an ‘action’ movie; it is more of a ‘motion’ movie). But this highpoint is in fact a moment of suspension, when the photographer pauses, almost stopping to take his photograph. There is an elegant symmetry between his taking of a still photograph and the necessary stilling of his own body. In order to take his still he must still himself momentarily. In effect he turns himself into a photograph in order to take his photograph. He pauses but he also poses separating himself from the motion recorded by the Cinématographe. If he actually did take a photograph, let us assume he was sufficiently still to get a clear image. It would have shown Louis operating the movie camera, his body still, apart from his moving arm which would have appeared blurred as it cranked the ciné-film through the camera. The man taking the photograph was Jules Janssen, a pioneer astronomer and chronophotographer.5 Among his achievements Janssen had developed a photographic revolver, a gun-like contraption designed to make sequential images of eclipses and other celestial activity.6 Such sequences constitute an image form somewhere between the still photograph and cinema, belonging equally to both since they derive from the wish to arrest things and to see them in various
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Arrives in Lyon. The man taking the snapshot in the film is Jules Janssen, the astronomer and pioneer chronophotographer. Pierre-Jules-César Janssen was President of La Société Française de Photographie for the years 1891–93 and 1900–1902 (i.e. he was not President in the 1895 films). In 1904 he published Atlas des Photographies Solaires, a book of more than 6000 solar photographs. Janssen’s photographic ‘revolver’ was an influence on the work of the more celebrated chronophotographer Etienne-Jules Marey.
132 David Campany sequential states. But in this film Janssen uses a regular plate camera that takes just one photograph, siding with his fellow photographers in front of the movie camera rather than with the cinematographer behind it. Janssen attempts to take an instantaneous shot, a ‘decisive moment’ so to speak, although we had to wait another three decades or so for the idea of the decisive moment to really become significant for the photography of everyday life. Like the others in the film, Janssen knows his movements are being recorded and seems aware that he should not really be performing too overtly for the camera. Louis is trying to make a documentary, or at least that is how it appears. In fact most of the photographers behave in a way that is somewhere between theatricality and a pretended absorption. Let us call it coyness, or flirtation. While following the instruction to disembark and exit frame left or right, they make gestures that both proclaim their presence and recognise the presence of the camera and its operator. The photographers may even be gesturing to posterity, knowing their motions will be preserved forever. Janssen was certainly in on the act. Also on June 11, 1895, the Lumières shot the film M. Janssen causant avec M. Lagrange, which was also shown to the Photographic Congress the next day. Janssen and Lagrange sat concealed behind the movie screen and spoke the words of a filmed conversation (the synchronized recording and playback of sound and moving image would not become standard for another thirty-five years). So we cannot think of Arrivée des congressistes à Neuville-sur-Saône as a documentary in the narrow sense of a neutral observation of the world. If it is a documentary at all, it is a highly reflexive one, showing how a group of photographers at a particular moment in history behave in front of a movie camera operated by someone most of the group probably know and count as a colleague. Perhaps all this makes the film a richer document than was ever intended. When the audience saw Jules Janssen pause to take his snapshot it would have been the second still moment in the presentation of the film. The very first frame would have appeared on the screen as a still picture, set in motion by the deliberately delayed hand-cranking of the projector. Suddenly the static photograph would spring into animated life. The movement within the image and the movement of the image would be thrilling and fascinating in themselves. The same year, the Lumières made a comic short film about a photographer growing impatient with a sitter who will not keep still, Photographe (1895). Right from the very start they seemed to have grasped that stillness was an ideal foil for the presentation of the fascinating spectacle of movement. In being single, silent shots from fixed vantage points perhaps all the Lumières’ films could be described as ‘motion pictures’. This is a very old-fashioned term. These days we encounter it perhaps once a year, when the Oscars are handed out in Los Angeles by the Academy of Motion Picture Arts and Sciences. But the phrase hints at that excitement that surrounded the phenomenon of the moving image. Can we still imagine that uncanny pleasure of seeing pictures in motion for the first time?
In the light of the Lumières 133 If that pleasure lives on anywhere, it is in contemporary art, where the moving image seems compelled to spiral back to the beginnings of cinema. Indeed a number of theorists and curators have noted a ‘Lumière drive’ in much recent film and video art, with its preference for the long take, simple apparatus and almost forensic attention to duration and movement. These were the pleasures of the Lumières’ films, most of which were records of minor, everyday movements: trains arriving or departing; menial tasks being performed; people walking or setting off on journeys. In the late 19th century the Lumières’ films seemed spectacularly modern and ‘state of the art’, now their relative primitivism seems like an essential and profound moment of origin, if not pure then at least clear, rich and a little strange. In the interwar cinema of Hollywood production and the various avant gardes, the tendency was to see the single shot not as an autonomous entity but as a constituent part of an edited, montage whole. But when cinema began to demand of itself a counter-tradition in the decades after the Second World War it looked to the long take. The films of Roberto Rossellini, Ingmar Bergman, Yasujirō Ozu, Robert Bresson, Michelangelo Antonioni, Stanley Kubrick and later Chantal Akerman, Wim Wenders, Theo Angelopoulos, Edward Yang, Hou Hsiao-Hsien, Tsai Mingliang, Jia Zhang-Ke, Apichatpong Weerasethakul, Bella Tarr and Michael Haneke (leaving aside those contemporary artist-filmmakers producing works for the gallery environment) exploit the long take, the locked-off camera and the funereal tracking shot. The slow, even glacial tempo preferred by these filmmakers seeks a distance from the spectacle of Hollywood and the cut and thrust of television. The fleeting is often considered irredeemably frivolous and artistically beyond the pale. Instead the camera’s gaze is so long and penetrating as to estrange what at first looks banal and familiar. The long look describes the surface of the world but doubt creeps into the equation between appearance and meaning. As Wenders once noted “When people think they’ve seen enough of something, but there’s more, and no change of shot, then they react in a curiously livid way”.7 One of the clearest echoes of the work of the Lumières is to be found in the films of the Canadian artist Mark Lewis, who is interested in the possibility of an overlap between the hypnotic potential of cinema’s single take and the pictorial tradition of art as it evolved in the gallery setting. His silent films are presented in the gallery as, quite literally, moving pictures. North Circular (2000) begins as a fixed shot of an empty car park. Judging by the light it is early dusk. In the distance is a derelict modernist office block that is roughly the same shape as the image itself. After two unnerving minutes of almost photographic stillness the camera lunges forward, leaves the ground and glides towards the block’s façade of broken windows (fig. 2). Three boys are playing inside the building. One of them approaches a table and sets in motion a spinning top. Coming closer, 7
Wim Wenders: “Time Sequences, Continuity of Movement. Summer in the City and The Goalkeeper’s Fear of the Penalty” [1971], in: idem, The Logic of Images. Essays and Conversations, London 1991, pp. 3–6.
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Fig. 2: Mark Lewis, North Circular, 2000, filmstill.
we watch the top as it loses its centrifugal grace and begins to wobble. The instant it skitters to a halt the shot ends with a cut to black, four minutes after it began. Looped for gallery presentation, what seemed at first coldly hermetic begins to open up. Lewis’ film becomes a metaphor for its own mechanism and for the mechanism of history: everything must come to an end – including modernity and its movies – if only to start anew. It is a rare reflection on Fig. 3: Jean-Baptiste Siméon Chardin, Portrait of the the nature of modern life and Son of M. Godefroy, Jeweller, Watching a Top Spin, on film’s long-standing depic- 1738, oil on canvas. tion of its fortunes. North Circular is also emblematic of the forty or so films Lewis has made since the mid-1990s. Many are silent single takes that run the length of a reel of commercially available celluloid film, transferred to DVD for gallery projection. They are slow, meditative and rich in allusion. Among other things North Circular alludes to Jean-Baptiste Siméon Chardin’s painting Portrait of the Son of M. Godefroy, Jeweller, Watching a Top Spin (1738) (fig. 3). An absorbed boy watches his humble top, while the mastery and mystery of the depiction have the potential to absorb the beholder and set the mind spinning. The viewer contemplates the painting the way the boy contemplates the spinning of the top, and perhaps for the same amount of time. Lewis himself has spoken of Chardin’s anticipation of art’s great shift from the “representation of drama to the drama of representation”.8 The modern artwork may 8
Mark Lewis: “Art and Theatre”, in: Mark Lewis: Some Near Distance, exhib.-cat., Sala Rekalde, Bilbao 2003, pp. 81–87.
In the light of the Lumières 135 depict the most inconsequential moments of everyday life, but the manner in which it does so may be profound. Nothing much more than this ‘happens’ in Lewis’ films, but that is enough. Windfarm (2001) presents a majestically composed landscape in which dozens of wind turbines rotate at their individual speeds (fig. 4). One is stationary, while another casts its flickering shadow across the mid-ground. The invisible wind that animates the scene also flutters the desert plants in the foreground. Each element in the frame marks time in its own way, while we observe them all through the elapsing of a filmic time made palpable by the tension between motion and stillness. It exemplifies Lewis’ interest in finding ways Fig. 4: Mark Lewis, Windfarm, 2001, installation view, to fuse the pictorial tradition Kunsthalle Bern, 2002. with the art of movement. For certain guardians of art’s pictorial tradition, Jeff Wall among them, the moving image is an intrusion. Movement was what the pictorial arts of painting, sculpture and photography were obliged to find the courage, invention and craft to depict. Film simply mimics movement. This is not to denigrate the moving image (there are few artists to whom it means more than it does to Wall), but it places it outside of art, in the cinema. But here we must recognise the radically different paths by which the moving image has found its way into the contemporary gallery. Firstly the gallery and museum have taken under their wing those films and practices left adrift by the collapse of those older forms of avant-garde and experimental film production and distribution. For example over the last two decades or so the network of filmmakers’ co-ops and independent venues that supported experimental film since the early 1960s has all but collapsed.9 Such work has been granted a new home in the gallery and museum system. This has given rise to a certain amount of misgiving and ambivalence, because gallery spaces are unsuited to the proper presentation of much experimental film. 16 mm and 35 mm projectors are expensive to maintain and invigilate, there are no projection booths, there is no seating, light leaks, sound leaks and there is no scheduling (unless, of course, the gallery is temporarily turned into a cinema). Secondly, art and the museum have become a home for 9
Cf. Maxa Zoller’s text concerning Expanded Cinema in this volume, pp. 209–224.
136 David Campany what we might call a ‘culture of exile’ – those films with forms and values that find little outlet elsewhere. Thirdly, there are forms of moving image that have developed within the gallery and museum setting, taking on and working with its specific history and specific forms of attention. This is the complex situation presented to the contemporary art audience. Mark Lewis is committed to the pictorial tradition, but for him it is not so much movement that is the intrusion as sound. Most of Lewis’ films are silent and show an abiding respect for the essential silence of the pictorial. This, combined with a preference for the unbroken shot free of montage, allows his films to appear as pictures in motion. Moreover their silence permits several films to be shown in a single gallery space, just as several paintings or photographs may hang in the company of each other. Unenveloped by sound, the beholder is not recruited into a cinematic spectacle but permitted to remain detached and observant. In this sense Lewis does not use the gallery wall as a screen; he accepts it as a gallery wall. Although his work is indebted to cinema’s history (notably to Hollywood’s high modern era and the experimentalism of structuralist film of the 1960s and 70s with its isolating and instrumentalizing of distinct cinematic techniques) he has accepted the established conventions of the gallery. The gallery’s indifference to beginnings and endings is essential to his work, as are its freely moving viewers, its roots in the pictorial and its convention of silence. Apart from leaving the lights off and mounting projectors on the walls or ceilings, Lewis’s art makes no special demands either on the space or the audience. Lewis has taken a while to arrive at this position, and he does not stick to it dogmatically. His first major works were the Two Impossible Films (1995), structured as wildly ambitious trailers for imaginary ‘biopics’ of Sigmund Freud and Karl Marx. Comprising graphic title sequences and sharply cut vignettes of key scenes, they follow Hollywood conventions but at an alienated remove (Hollywood just wouldn’t take on such subject matter today, which makes John Huston’s 1962 film Freud10 all the more striking). The Pitch (1998) consists of a single shot of Lewis himself filmed in a busy railway station. Center-frame he delivers to an overhead camera a spoken homage to movie extras, cinema’s unsung proletariat. Around him the milling commuters become unwitting extras in his film, far more realistic than any hired hands could ever be. It ends with the artist’s rallying cry to the audience to help him make a big-budget CinemaScope movie without plot or stars, just celebrating extras. In a wonderfully neat tautology, the film we have just watched with its ‚cast‘ of hundreds passing through his frame is virtually that. Cinema Museum (2008), comprises four nine-minute shots of a tour guide leading us around the labyrinthine corridors of a vast private collection of movie ephemera housed in south London (fig. 5). The guide’s soft, measured voice soothes the ear while our eyes gawp at a teeming archive verging on chaos. The camera sets out with the stealth of a Stanley Kubrick Steadicam shot, but it soon begins to drift. As the guide walks ahead, the camera lingers over drawers marked ‘Gulag Guns’, 10 Freud: The Secret Passion (USA 1962, R: John Huston).
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Fig. 5: Mark Lewis, Cinema Museum, 2008, filmstill.
boxes bulging with fanzine clippings, spare parts for projectors and bits of Art Deco signage. Untethered from the guide’s voice, the camera confronts its own past in silence, remembering what it has seen and how it once thought. At times Lewis has referred to his approach as a kind of ‘part cinema’. Cinema has been the art with which all the other arts have had to contend and make their peace. For Lewis this has involved making pieces, breaking cinema down into its constituent grammar, syntax, genre conventions and techniques, any of which can be isolated and mobilized to generate a stripped-down, elemental work. His handful of rear-projection films constitutes a particularly rich engagement with the way classical cinema itself became modern. Through rear-projection film films itself. Most often of course the technique was used to save money: send a small crew out on location to film the background, then light and film the stars back in the studio while the location ‘plate’ is projected behind them. Rarely was it completely convincing, and required an awkward suspension of disbelief on the part of the audience. In the hands of Hitchcock rear projection was more than a short cut to realism. He knew it was essentially stranger than that and would often use it instead to express the unsettled psychological states of his characters. For Lewis rear projection suggests a temporary rapprochement between the classical demand for unity and the modernist demand for fragmentation. Folding two images into one pictorial statement without ever entirely conflating them, rear projection has the potential to hold all manner of perceptual and pictorial contradictions in the air. In Rear Projection:
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Fig. 6: Mark Lewis, Rear Projection: Molly Parker, 2006, filmstills.
Molly Parker (2006), the actress, projected close to her actual size faces the camera (fig. 6). Lighted simply, dressed simply and without apparent make-up she appears to promise something straightforward. But as she holds her pose over four minutes she seems increasingly inscrutable and enigmatic. Moreover the landscape behind her shifts imperceptibly from summer to winter. It’s quite clear she does not belong to this place but it is not quite possible to separate her from it either. The long take is a form that both requires and produces very particular experi ences of duration and place. Many of Lewis’s works have been made in the places where he has lived, and most were inspired by locations he has known or stumbled across. The results are films that seem to be, among other things, celebrations of particular spaces. That said, Lewis is from Vancouver and now lives in south London, near the Elephant and Castle. For all their particularity his locations seem to be quite generic too. There are parts of Vancouver and south London that could be just about any modern city. Watching his films, we confront that strange double articulation of place that is becoming so typical of modern life: we are here now, but we could be anywhere or nowhere in particular. More to the point, a similar fate is befalling cinema as it fragments and disperses across the face of visual culture. Cinema may be particular to cinemas, but we watch it anywhere these days, from television and laptops to aeroplanes and art galleries. Lewis’s films permit us to grasp deep connections between the fate of place, the fate of time and the fate of their representations in the modern era.
In the light of the Lumières 139 I began with an early encounter between photographic stillness and cinematic movement. It would be remiss not to address here the shifts in the understanding of contemporary photography in terms of its stillness and temporality. Admittedly, photography is almost always a fixed look; it always stares a little. Nevertheless the rise of photography in art in the last decades can be characterized by a preoccupation with slowness, premeditation and measure. Most often it comes in the form of a hyper-attention to detail in the image. The meticulous in photography tends to become a fascinated agitation for the viewer (think of work as varied as that of Thomas Demand, Hannah Collins, Gregory Crewdson or Hiroshi Sugimoto). Whether it is the intense visual description of the grand print or the laboured construction of an image, there is a refusal of the quick glance. In 2004, Henri Cartier-Bresson, still perhaps the most famous and influential photographer there has been, died at the age of 95. If his death represented a moment of closure for the medium, it was for that model of art photography derived from classical photojournalism and reportage, a model which evolved rapidly in the inter war years as a counterpoint to cinema: individual instants would be edited into paracinematic photo-essays for the illustrated press. Such photography elevated reaction, lightness, mobility and economy of expression above all. The technical tools were minimal and immersion in the changing world was the key. Motion would be frozen in fleeting frames by the lightweight Leica camera. Small and neat, it took 35 mm film originally designed for making movies. Where cinema celebrated movement, the aim of the art-reportage photographer was to suspend things in beautiful and symbolic geometry. Jeff Wall called it a ‘dynamic of anticipatory framing’, dependent on the ability to pounce when the world appeared to be organised momentarily as a picture.11 It would be difficult to underestimate the grip that this way of working had on photographers, on art and on the popular imagination. Its simplicity seemed to distil, for several decades, something thought to be unique and fundamental about the medium. But that way of thinking and making images now seems very distant indeed (the recent renaissance of ‘street photography’ has been significant but its notable how little impact it has had on contemporary art). Few contemporary art photographers make instant snapshots. In fact contemporary art photography seems to deploy every possible temporality of the still image apart from the ‘decisive moment’. Preparation and collaboration, often in forms that derive from cinema’s production methods, have eclipsed quick reaction. I am thinking here of the staged tableau, the photo as remake and all the other forms of indirection that preoccupy art photography today. It often seems as if photography has given up instantaneousness in order to reconsider what the idea of the photographic instant really was, or could be. Perhaps photography is coming to terms with its relative primitivism as a technology. It has been overtaken by the spread of the moving image 11 Jeff Wall: “‘Marks of Indifference’: Aspects of Photography in, or as, Conceptual Art”, in: Ann Goldstein/Anne Rorimer (eds.): Reconsidering the Object of Art. 1965–1975, Cambridge Mass.1995, pp. 247–267.
140 David Campany from cinema and television to computers, mobile phones, electronic billboards and the like. Where the boundaries between the still and moving image are breaking down, photography circulates promiscuously in all these different spaces, dissolving into the hybrid mass of mainstream visual culture. But where photography attempts to separate itself out and locate a sense of specialism, it now seems to be decelerating, pursuing a self-consciously sedate pace, refusing speed and quick reaction. If art-reportage was an attempt to invest the snapshot with the power to convey history and change, recent photography effects an altogether more complicated relation to social time. First of all there is what we might call the ‘long project’. Photography can lend itself to styles or subject matter that can be worked with over a great period of time, a career even. This is evident in the work Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer, Hiroshi Sugimoto and younger photographers such as Dan Holdsworth and Edgar Martins. Change is not so much recorded in their photographs as measured against them. This has its roots in the organising principles of the archive and the series as comparative typology. Focusing on spaces and buildings rather than their occupants, this is photography as monument not moment. Secondly, photographic time can be folded in on itself. This is most evident where images work allegorically. When allegory returned to photographic art in the 1970s and 80s it took the form of overt appropriation and quotation (think of the subversive re-photography of Richard Prince and Sherrie Levine, or the photo-texts work of Victor Burgin). It is still present, but is now discernible in the diverse ways in which image-makers are in dialogue with different pictorial genres. Few genres are unique to the medium (street photography may be the only one), so working generically will inevitably mean connecting with painting, cinema, theatre and literature. For example, in their gestures and enactments, the photographs of PhilipLorca diCorcia or Jeff Wall or Hannah Starkey forge hybrid visual tableaux from a range of sources. Their references are rarely explicit, rather the images draw from a storehouse of popular imagery from the past and present. There is a commitment to social description here, but in the mixing of artifice and realism the sense of the present is revealed as an accumulation of past experiences. Lastly, photography’s relation to time is scrambled by the vexed nature of ‘mature work’. The term hardly ever seems to arise in discussions of photography. (True, it hardly arises at all in contemporary art, but least of all with this medium). It is almost as if it were inappropriate. We might be tempted to think that photography has in-built limitations that preclude development beyond certain points. From its very beginnings there have been critics who argued as much. But it may have to do with an absence of limitation combined with its very accessibility. Photography has been what people have done with it, and a lot of people have done a lot of things with it, with relative ease. It has certainly been possible to make photographic work of extraordinary intelligence, craft and creativity at a young age. Indeed photography in art has often been a story of remarkably youthful achievements. Often these have been followed by artistic plateaux of consolidation or variation, or a moving on to other things (film, painting, sculpture, literature). To risk a comparison with pop
In the light of the Lumières 141 music, it has sometimes seemed as if great artistic heights can be reached within the first five or six years of work. Lifelong careers may sustain that richness but those early flourishes may never be surpassed. We might think of the boyhood family albums of Jacques Henri Lartigue in the 1910s and ’20s, the very early formation of CartierBresson’s style in the ’30s, the city photobooks of William Klein from the 1950s and ’60s, the groundbreaking photo-conceptualism of Dan Graham, Mel Bochner and Joseph Kosuth in the 1960s, the ‘Untitled Film Stills’ of a twenty-something Cindy Sherman in the 1970s, or Wolfgang Tillmans’s re-enchantment of the everyday in the 1990s. Youth and inexperience have been little obstacle to achievement. They may well have been an advantage. How then to account for the ways photography can fascinate for a lifetime? Why can it be such a rewarding medium for makers and viewers? What is it about photography that sustains the interest? Is its longevity simply a matter of compulsive repetition? The answers are to be found less within the medium per se, but in its status as recorder. The photographic image, whether still or moving, is inherently of the world. It cannot help but document things however abstract, theatrical, artificial or contentious that documentation may be. So the meaning of photography is intimately bound up with the meaning of the world it records. The theorist and photographer Jean Baudrillard put it more starkly: “The magic of photography is that it is the object which does all the work”.12 Perhaps it doesn’t do quite all the work, but certainly photography without subject matter is unimaginable. Moreover, photography is a product of modernity. Modernity has meant change, in photography and in the social world. So the identity of photography as recorder is condemned to remain restless, mobile, volatile even. The matter is made more complex still because today’s media are thoroughly interconnected, yet those connections are never fixed. What we think of as the essence of the photographic or filmic derives in part from its place within a broad range of image technologies. There seems to be little doubt that photography has been eclipsed. It no longer symbolises the visual zeitgeist. It no longer epitomises the general field of representations in which we live (surely that belongs to the hybrid space of the internet). But eclipse does not mean obsolescence. Far from it. Photography is still with us. Moreover, this vestigial state, this existence in the shadows of other media, is the source of photography’s increasing visibility in contemporary art. Might it be that photography became fully available to art once it had become at least partially dislodged from the centre of culture, and partially dispensable to it? Might we see this eclipse (which began in the 1960s but is now becoming very clear) as the necessary precondition for photography’s fullest artistic exploration? This is a line of argument familiar from accounts of the artistic fate of painting – that, once usurped, it was somehow free to explore ‘itself ’. However the idea ‘photography itself ’, independent of anything, is 12 Jean Baudrillard: “For Illusion is Not the Opposite of Reality”, in: Peter Weibel (ed.): Photographies 1985–1998, Exhib.-Cat. Neue Galerie, Graz, Ostfildern 1999, pp.129– 142.
142 David Campany unfeasible from the outset. Thus photography finds itself socially eclipsed but also socially rooted at the same time. And it is this challenging combination that we see at the heart of photographic work today. And if that encounter in 1895 between Jannsen’s still camera and the Lumière’s movie camera still resonates it is because photography and cinema have proved flexible enough to accommodate ever-newer conceptions of time, space, movement and stillness. That is why they are still with us rather than belonging to the nineteenth century.
Teil III
Architektur als Screen in der Verschränkung von Blickprojektionen
Floris Paalman
Revolving Rotterdam Cinematic Modes of Perception as Templates for Urban Design
Where is cinema? There is currently a growing interest in the relationship between film and the city1. Besides films on the city, the position of cinema in urban culture, and the places of production and exhibition, this also concerns instances of spatial design with correspondences to cinema. It raises the question how cinema has served as a template for urban design, how cinematic projections have transfigured into architectural projects. There is a twist in it. Whereas films on the city show spatial structures and urban issues, architectural and urban designs may highlight cinematic principles. This paper will focus on the latter, how cinema has provided a model for the organisation of space, through the case of Rotterdam. Throughout the 20th century, Rotterdam has manifested itself as a modern city, which is reflected by its architecture. It is remarkable that many of its architects and planners were interested in cinema, as a mode of perception, as a model to relate space and time, to perceive, understand, and to monitor the city’s development, and to transmit new ideas. It has resulted in a complex epistemological and ontological fabric, in which film does not only provide a view of the city, but has participated in its development.2 Here I will make an attempt to move beyond the cinema and to explore ways in which cinematic features have become part of urban design. It is a journey revolving in time, and this essay will serve as a travel guide, in order to reach the destination in ten stages. Let’s start our journey at the airport.
1 2
For a bibliography on cinema and the city: Media Resources Center, Library UC Berkeley, www.lib.berkeley.edu/MRC/cinematiccity.html (last view 2014/04/01). Cf. Floris Paalman: Cinematic Rotterdam. The Times and Tides of a Modern City, Rotterdam 2011.
146 Floris Paalman
Aerial Projections In 1919, the city of Rotterdam built ‘Vliegveld Waalhaven’, the first civil airport in Europe.3 Abraham Tuschinski, a famous cinema entrepreneur in the Netherlands, who, although little known, also produced newsreels and documentaries, decided to make aerial recordings of Rotterdam and its surroundings. Fig. 1: The City That Never Rests (NL 1928, In a film of seven minutes, one C: Andor von Barsy), filmstill. followed the river Nieuwe Maas, moving from Rotterdam to the surrounding towns of Schiedam, Vlaardingen and Maassluis.4 Projected in the theatres, the film provided a simulation of flying. Moreover, it provided a mode to perceive the city, its proportions and its relationship to its environment. Following this example, the Royal Dutch Airlines (KLM) began to make such recordings itself. They contributed to an integral planning of city and countryside, and plans were made for the extension of Rotterdam in connection to the surrounding municipalities.5 Aerial shots became soon part of documentaries about Rotterdam and other city films. A major example is The City That Never Rests (NL 1928, Andor von Barsy)6, which was made in collaboration with the municipal department of Public Works (Gemeentewerken).7 Following waterways and main roads to structure its sequences, the film presented various maps and aerial recordings (fig. 1), next to eye-level shots to show what happened on these sites. In this way it related large urban structures directly to human activity, and so it presented a comprehensive view of the city. I have called it a ‘cinematic atlas’, which is an instance of “cartographic cinema”, to use Tom Conley’s concept.8 Individual architects and planners started to use aerial recordings in their presentations as well. Important has been Cornelis van Eesteren’s lecture and slide show 3
I. L. Arense: Waalhaven 1920–1940. Ontstaan en ondergang van een luchthaven, Amsterdam 1990. 4 The film is called Langs den nieuwen waterweg in een watervliegtuig (NL), recorded on 21st of June 1921 (collection Nederlands Instituut voor Beeld en Geluid). 5 See the road map and plan for the extension of Rotterdam: Een studie van den algemeenen uitleg van Rotterdam in verband met omliggende gemeenten (1928, Willem Witteveen), collection Stadsarchief Rotterdam, nr. 1983-65. 6 Cf. Bert Hogenkamp: De Nederlandsche documentaire film, 1920–1940, Amsterdam 1988, p. 21. 7 Cf. Floris Paalman: “De Stad Die Nooit Rust” in: Kroniek 179 (2011), pp. 14–16. 8 Tom Conley: Cartographic Cinema, Minneapolis 2007.
Revolving Rotterdam 147 on the functional city, “Eine Stunde Städtebau” (1928), which has been called an “urbanist film”.9 It combined maps with diagrams, graphs and especially aerial photographs. Different from moving images, slide projection made it possible to locate particular features of the city and to discuss them in detail. Similar to films, slides were part of sequences, which applied cinematic principles of montage, combining different perspectives. In this way, aerial projections served as a planning instrument, as a mode of perception to see the city as a totality, and to analyse its structures and particular features, in order to develop elaborate and integral urban plans.
Projective Reflexivity Although we take off from the airport, we don’t leave the city. Aeroplanes in the sky over Rotterdam gave the city a futuristic image. This was strengthened by aviation shows, attracting media attention, which reached its pinnacle with the visit of the Zeppelin. It was reported by Tuschinki’s news show and others, such as Orion Revue (1929/10/18). As a media event it was also included in the film Groot Rotterdam (NL 1929, D: Co van der Wal), to promote a magazine with that name, showing its practice of news production. Masses of people went into the streets to catch a glimpse of this so-called luchtkasteel (‘air castle’).10 On the 18th of June 1932 the Graf Zeppelin made another Hollandfahrt, with Waalhaven as its destination. It was organised by Jac. Kleiboer, who would make himself a name for the organisation of various mass events afterwards. The arrival of the Zeppelin could be called a ‘cinematic event’, through the triple participation of the media: media created an excitement in advance, facilitated its organisation, and reported on it once it took place. The arrival was announced long before, which created a buzz. Everybody knew and talked about it, and everybody was out in the streets at the moment supreme, turning the city into a tremendous hive. Rather than merely reporting or reflecting upon the event, media enabled it by ‘projecting’ what was going to happen. Once the arrival took place, 50,000 people paid for a ticket to wait at the airport, although one could see the Zeppelin from everywhere across the city. The airport, however, was turned into a stage, with various performances. The KLM, moreover, organised aerial tours above the city, to see the masses out in the streets: the people themselves created the event they were looking for. There were also many cameramen and press photographers, like those of the Rotterdamsch Nieuwsblad, whose pictures were exhibited the same night in its Tijdingzaal (‘News Gallery’).11 Such media activities became part of the event. 9
Cf. Vincent van Rossem: ‘Het idee van de functionele stad’ een lezing met lichtbeelden 1928 – C. van Eesteren, Rotterdam 1997; cf. Wouter Vanstiphout: Maak een Stad, Rotterdam en de architectuur van J.H. van den Broek, Rotterdam 2005, p. 267. 10 Cf. Marlite Halbertsma/Patricia van Ulzen (eds.): Interbellum Rotterdam, kunst en cul tuur 1918–1940, Rotterdam 2001. 11 Mentioned in the Rotterdamsch Nieuwsblad, 1932/06/20, p. 14.
148 Floris Paalman Of particular interest in this case is the use of sound, at a time that sound film became paradigmatic, and new practices were developed. Through the novelty of loud speakers and a live radio connection, the audience was informed about the position of the Zeppelin; a suspense was created, which made it into a true audio-visual spectacle. While cinema offered a model, media in general created the conditions for the event to take place, and to report on it. This can also be observed in other cases, such as (industrial) exhibitions or sports games. Of special interest is the role played by the Rotterdamsch Nieuwsblad, the largest newspaper in town. Cultural historian André van der Velden has pointed to the fact that it covered the façade of its office building at Hofplein with a screen for running news messages, which Van der Velden has called ‘a projector in urban space’.12 This notion allows us to extend a literal understanding of projection to a conceptual one, by looking at another instance. Van der Velden has also pointed to a ‘live report’, a pre-television screening, of a football match between the Netherlands and Belgium (1930/05/04).13 While it took place in Amsterdam, thousands of people stood in front of the building of the Rotterdamsch Nieuwsblad, where a big screen was mounted that showed a field. Positions of players were indicated mechanically, informed by a radio-connection. The Rotterdamsch Nieuwsblad turned Rotterdam from Standort into Tatort14, which enhanced the urban experience. As such, the newspaper actively participated in the urban culture, while reporting on it at the same time. Media enabled, supported, amplified and extended the events, hence ‘projecting’ them onto the city as a ‘screen’. Whereas media used to report on events and to reflect upon them critically, a ‘projective dimension’ was added to its monitoring function, which we may call ‘projective reflexivity’. It is a creative monitoring, both generating and transmitting cultural values, according to an idea of what will or should happen. It transforms epistemological premises of media, as means to know about the world, into an ontological construction, as a way to participate in it.
Light Architecture Besides being a planning instrument, and a model for urban programming, the medium of film affected design concepts, too. In 1917, the artist Theo van Doesburg, together with the architect J. J. P. Oud and others, established the magazine De Stijl, which linked different artistic disciplines. In 1918, Oud, who had already built one of the first cinemas in the Netherlands in Purmerend, in 1912, became employed at the municipal housing department in Rotterdam, and asked Van Does12 André van der Velden: “Het Hofplein en de illussie van een wereldstad”, in: Interbellum Rotterdam, n. 10, pp. 93–120, here p. 115. 13 Ibid., pp. 115–117. 14 Cf. Thomas Elsaesser: “Monument, Mobility, Event: The Mediatisation of Public Space”, lecture at NIMK, Amsterdam, 2004/02/18.
Revolving Rotterdam 149 burg to collaborate on housing in the quarter Spangen (1918–1920).15 The idea was to integrate painting and architecture, and Van Doesburg started to develop colour schemes and compositions for the buildings. Eventually, it resulted in a conflict, but the ideas were further elaborated. When Van Doesburg lectured about De Stijl principles at the Bauhaus, in 1921, he met filmmaker Hans Richter, who made abstract animations: dynamic compositions of geometrical forms. Van Doesburg became very enthusiastic, and started to write about film.16 It affected his thoughts about the integration of painting and architecture, since it added the dimension of time and movement. At the same time he wrote about architecture, such as the pre-fabricated housing experiment ‘Stulemeijer’ by the architect Jan van Hardeveld in Rotterdam.17 Through prefabrication one could assemble elements, made at different locations, in a flexible and dynamic way. Architecture became a challenge of designing modules. Both cinema and architecture became a matter of montage, like Dziga Vertov said that he once built up a room of twelve walls, shot in different parts of the world.18 Applying ideas of abstract animation to industrial building methods, Van Doesburg thought of an “architecture of movement”, what art critic Élie Faure called, in 1922, la cinéplastique19; time was understood as a dimension of space, and architecture as a matter of designing time. It motivated Van Doesburg to draw his series of ‘tesseracts’ (1924), tempo-spatial models of cubes moving horizontally and vertically, as the units of a moving and adaptable architecture.20 These were the abstract counterparts of the studies of Maison Particulière and Maison d’Artiste (1923/1924) which Van Doesburg made with Cornelis van Eesteren, in which spatial units are centrifuged. There is no clear distinction between inside and outside, but there is a continuous space. The spatial order is defined by colour, hence light.21 As industrially produced architecture did no longer require walls as supportive structures, by building columns instead, walls could be made of glass or any other 15 Cor Wagenaar Marinke Steenhuis: “Laboratorium Spangen”, in: Interbellum Rotterdam, n. 10, pp. 179–202, here pp.191–193. 16 Theo van Doesburg: “Abstracte filmbeelding”, in: De Stijl 4/5 (1921), pp. 71–75 and “Licht- en tijdbeelding” (film), in: De Stijl 6/5 (1923), pp. 58–62. See also Ansje van Beusekom: “Theo van Doesburg and Writings on Film in De Stijl”, in: Klaus Beekman/Jan de Vries (eds.): Avant-Garde and Criticsm, Amsterdam/New York, 2007, pp. 55–66. For a complete bibliography of Van Doesburg, see: Els Hoek (ed.): Theo van Doesburg, Oeuvre Catalogue, exhib.-cat. (on the occasion of the exhibition: “Theo van Doesburg, architect, schilder, dichter”), Centraal Museum, Utrecht/Kröller-Müller Museum, Otterlo, 2000. 17 Theo van Doesburg: “Aanteekeningen bij de Rotterdamsche betonwoningen. Architecten Pauw en Hardeveld”, in: De Stijl 5/1 (1922), pp. 11–12. 18 Cf. Dietrich Neumann: Film Architecture: Set Designs from Metropolis to Blade Runner, Munich/New York, 1996. 19 Élie Faure: “De la cinéplastique”, originally published in: L’Arbre d’Éden, Crès, 1922, digital publication: http://classiques.uqac.ca/classiques/Faure_Elie/fonction_cinema/ cinemaplastique/Faure_cineplastique.pdf (last view 2014/04/01). 20 Cf. Evert van Straaten: Theo van Doesburg, Schilder en Architect, The Hague 1988, p. 118. 21 Cf. Paul Groenendijk/Piet Vollaard: Guide to Modern Architecture in the Netherlands, Rotterdam 1998.
150 Floris Paalman material. Inspired by the possibilities of film projection, Van Doesburg developed ideas of ‘light architecture’22, and extrapolated his ideas of spatial colour compositions and thought of projected walls, creating illusory spaces that were just made of light beams. Architecture, he prophesised, could be merely light, fully transparent, even immaterial and constantly changing. It meant a convergence between industrially built architecture, infrastructure and (projected) moving images. These were conceptual explorations, but they influenced various architects, since there existed close connections between De Stijl and Opbouw, an association of architects in Rotterdam. One of the architects was Leen van der Vlugt. Only 28 years old, he designed, together with Jan Wiebenga, the ‘Polytechnic School’ in Groningen (1922–1923). Its concrete skeleton and a glass-and-steel façade created openness and a maximum entry of light, while it displayed the building’s construction, spatial organisation, and life inside. In the same spirit, Van der Vlugt designed, together with Jan Brinkman, the ‘Van Nelle factory’ in Rotterdam (1925–1930), for coffee and tea, which received international acclaim.23 In the meantime, in 1927, Brinkman, Van der Vlugt, and Van Nelle director Kees van der Leeuw, became members of the avant-garde cineclub Filmliga, just like the architects Van Eesteren, Oud, Van Ravesteyn and Rietveld among others.24 Besides issues of transparency and display, they were interested in film as a way to explore and communicate new visions of the world, to perceive and simulate space, to register, conceptualise, and design time and movement, and for experimentation with perspectives, composition, structure and rhythm. In Joris Ivens’s short film The Bridge (NL 1928), for example, the structure of the film coincides with the functioning of the elevator mechanisms of the city’s new railway bridge, while Andor von Barsy’s Hoogstraat (NL 1929), about the main shopping street of Rotterdam, is a show about showing: people showing themselves and the shop windows that serve as a medium between inside and outside, private and public, objects and people, through its framing, transparency, and reflections that create visual layers. The film is an extension of the window, and hence the architecture, as it recreated the display and transferred it to other places.
The Space of Cinema Regarding the relationship between architecture and cinema, it seems to be a logical step to consider the designs of cinema theatres. Before doing so, another project by Brinkman & Van der Vlugt may illustrate the issues at stake. In 1931, just after the Van Nelle factory had been built, they designed the now iconic PTT telephone 22 Straaten (1988), n. 20, pp. 190–191. 23 Cf. Roman Koot: “De Hef en het imago van de modernste stad van Nederland”, in: Interbellum Rotterdam, n. 10, pp. 21–44, here p. 35. 24 The Filmliga programming may be further analysed to trace particular influences on the architects. See: Tom Gunning/Céline Linssen/Hans Schoots: Het Gaat Om De Film! Een Nieuwe Geschiedenis van de Nederlandsche Filmliga, 1927–1933, Amsterdam 1999.
Revolving Rotterdam
Fig. 2: Leen van der Vlugt, Theater Soesman, 1922, photograph 1923.
booth25, which consisted of a fully transparent steel-and-glass box. In the middle of the street one could make a call; visually one was still part of the environment, but auditory one was separated from it. Moreover, the telephone booth enabled the communication between two different locations, hence connecting them. It could probably be considered as an acoustic dimension to Van Doesburg thoughts, and be analysed in this spirit. Although the modern principles could thus be applied to a telephone booth, and were indeed desirable for a school and a factory, they did not apply to a cinema theatre. While the space of sound could be integrated in the environment, the moving image had to create its own space. As cinema needs darkness to make projection possible, being a matter of light itself, it is actually a reversal of the modernist principles, as cinema requires the exclusion of the environment. As a truly modern building type, the cinema challenged the modernists; certain functionalist premises and the relationship between inside and outside had to be reconsidered. This can be exemplified by the case of ‘Theater Soesman’ in Rotterdam (fig. 2), which Van der Vlugt and Wiebenga realised simultaneously with the school in Groningen. Since the theatre was destroyed during the war, it has been forgotten ever since, but it provides a counter example to the modernist landmarks. Instead of showing its construction, its concrete skeleton was hardly to be seen. On one side, the building was flanked by a shop with apartments on top of it. On the other side, there was a vacant lot, and the cinema just showed a blind wall here as well. The building was characterised by an asymmetrical, straight front design. Above the retreated 25 Jean-Paul Baeten: Een Telefooncel op de Lijnbaan, de traditie van een architectenbureau; M. Brinkman, Brinkman en Van der Vlugt, Van den Broek en Bakema, Rotterdam 1995.
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152 Floris Paalman entrance, in art-déco fashion, a square was marked by three rows of seven slender, vertical windows. These windows followed a general pattern in the street (Kruiskade), of commercial buildings with apartments on top of them. In this case, there were no apartments behind the windows, but hallways that gave access to the large, modestly decorated theatre with its free suspended balconies, and a total of 1200 seats. The windows did not display the building, and from the outside its function was hardly identifiable. The complex was a (well-designed) ‘black box’, which served its purpose, without the functionalist ‘style’ that became a trademark of the modernists. Many cinemas in Rotterdam were designed by Jacob van Gelderen. They are all modern, similar to ‘Theater Soesman’, but forgotten as most of them disappeared during the bombardment of Rotterdam in May 1940. The idea that a cinema could be an instance of ‘light architecture’, made of light and air, and itself moving like film, was still a future affair. On a small scale, image projections were explored to be part of window displays, while Rietveld, for example, thought of designing a stereoscopic theatre. He made studies of spatial arrangements, in order to create an illusory space, with projectors installed on different positions and constructions that created particular perspectives for viewing, but he did not succeed.26 Others explored the idea of illusory space by photographic means, especially Andor von Barsy.27 In the case of stereoscopic photography, however, physical space dissolves into the virtual space of the stereoscopic image, made visible by specific viewing devices and projectors. Space became nothing else than ‘light architecture’.
Movement A convergence between cinema and space remained to be realised, but cinema still informed architecture, especially regarding the aesthetics of movement. In various ways, architects dealt with movement. Michiel Brinkman, for example, developed a circulation system for the housing project ‘Spangen’ (1919–1922), by way of elevated streets, to access the upper dwellings. It created a spatial layering, with changing perspectives and sightlines as one moved on, which contributed to a spatial suspense. The elevated streets also enabled encounters between neighbours and hence it created a social suspense too. Of a different order is department-store ‘De Bijenkorf ’. Its interior became a “scripted space”28: a designed routing to direct the perception and behaviour of customers, in correspondence to particular (retail) aims. One experienced the building as if it were a film; ‘De Bijenkorf ’ was the first building in 26 Cf. H. J. Brusse:“De bioscoop Vreeburg te Utrecht”, in: De 8 & Opbouw, 9/1 (1938), pp. 3–5. Cf. K. Limperg: “Het nieuwe bouwen zonder steen, staal en glas, maar door middel van lichtprojecties”, in: De 8 & Opbouw, 10/12 (1939), pp. 126–128. 27 Still in Rotterdam, in the late 1930s, von Barsy began to experiment with stereo-photography, which resulted in his book Raumbild-Fotografie, Halle 1943. 28 For this concept, see: Norman Klein: Scripted Spaces: The Chase and The Labyrinth, exhibition at Haus.0/Künstlerhaus Stuttgart (1999), www.haussite.net (last view 2014/04/01).
Revolving Rotterdam 153 Rotterdam with escalators, which created views similar to tracking shots in cinema. Regarding its exterior design, moreover, the mobile view of drivers was taken into account, hence the perception of compositions, volumes and patterns, instead of ornamentation or proportions, which was articulated in several films indeed.29 Besides housing and stores, architecture had to accommodate new means of transport and logistics. Exemplary are Sybold van Ravesteyn’s railway signal-houses and stations, and Pieter Joosting’s railway bridge, next to cranes, loading bridges and elevators in the port. Movement became both a subject and an aesthetic motive, for both architects and filmmakers. Exemplary is Simon Koster’s Nul Uur Nul (1927– 1928), an experimental theatre play with moving images projected on stage, in which a train is presented as ‘the vehicle to the future’, while in Koster’s fiction film Lentelied (NL 1936), the automobile became the main vehicle. Since the 1930s, the car became the dominant engine for city planning, and the mobile view became ever more important. It is exemplified by the construction of the ‘Maastunnel’ (1937– 1941, Van Bruggen & Van der Steur). Connecting the north and south banks of the river Nieuwe Maas, it accommodated motorised traffic between The Hague and Antwerp. Rotterdam became part of a larger network that was created since 1927, by the state traffic department (Rijkswaterstaat)30. As a study for this Rijkswegenplan, film production company Polygoon – the largest in the country, mostly known for its
Fig. 3: Polygoon, Wegenfilm, Holland op z‘n Smalst, 1926, filmstill. 29 E.g. the short films Groei (NL 1930, D: Jo de Haas); De Steeg (NL 1932, D: Jan Koelinga), collection Stadsarchief Rotterdam. The film collection database is: http://www. stadsarchief.rotterdam.nl/collectie/beeld-en-geluid (last view 2014/04/01). 30 Cf. Michelle Provoost: Asfalt; Automobiliteit in de Rotterdamse Stedebouw, Rotterdam 1996, p. 13 et seq.
154 Floris Paalman newsreels – documented the existing route, in order to be analysed (fig. 3).31 When the ‘Maastunnel’ was being built, Polygoon was also asked to record it step by step, while the images were shown as newsreels too. Beyond monitoring, this was an active participation in channelling visions and transmitting values of mobility. It is striking, however, that the idea of a tunnel was seriously criticised by Han van Loghem, who was a radical advocate of functionalism. He argued that a tunnel could not have the same monumental value as a bridge, while it would lack the overwhelming experience of moving across the river.32 These were rhetorics based on an aesthetic of movement, a truly cinematic perception. For Van Loghem, who was also a film enthusiast, vision was a function of architecture, not a matter of beautification. It is comparable to J. Niegeman criticising the architects that had worked on the Nieuw Amsterdam, the flagship of the Holland-America Line, which had been too much of “putting a cloth around a carcass”. For many it would be too Jules Vernes like when we assert that one should apply more courageous, interesting and newer constructions, which could make travelling on such a ship an even bigger experience, such as extended decks of glass that suspend over the surface of the sea, or, at the bottom of the ship, a space with wall and floor elements of glass, which offer a sight into the sea that will be lit, or a combined aeroplane ship construction, a drifting-floating-flying vehicle.33
An image appears like that of Malevich’ Architektons (1920–1926), which is an architecture of perception, closely linked to cinema, as Margarita Tupitsyn has also demonstrated.34 Although such spectacular visions were still science-fiction, architects did apply ideas of movement to daily environments, including housing projects. They designed adjustable spaces, especially through sliding walls, which made it possible to use spaces for both day and night functions.35 As a result, floor plans became scripts. Architects also thought of buildings in terms of skeleton structures that could be filled in and modified. Such ideas were explored by Brinkman & Van der Vlugt and Willem van Tijen, through Rotterdam’s first high-rise housing projects.36 31 I. e. Polygoon, Wegenfilm, Holland op z‘n Smalst, 1926, coll. Nederlands Instituut voor Beeld en Geluid. Once the tunnel would be made, more specific film recordings were made, as well, to analyse the traffic of bicycles, see: Fietsproeven op de Willemsbrug (1939), collection Stadsarchief Rotterdam: BB-1397. 32 Han van Loghem: “Brugontwerp voor Rotterdam”, in: De 8 & Opbouw, 6/19 (1935), pp. 197–208 and “De Maastunnel te Rotterdam”, in: ibid 7/11 (1936), pp. 128–131. 33 Johan Niegeman: “De ‘Nieuw Amsterdam’”, in: De 8 & Opbouw, 9/12–13 (1938), (transl. FP), pp. 128–129. 34 Margarita Tupitsyn: Malevich and Film, New Haven 2002. 35 For Rotterdam, see e. g. Unilever Headquarters (1930–1931, Hermann Mertens) and housing De Eendracht (1929–1935, Joop van den Broek), in: Groenendijk/Vollaard (1998), n. 21, pp. 272, 287. 36 Bergpolderflat (1932–1934, Brinkman/Van der Vlugt/Van Tijen), Parklaanflat (1933, Van Tijen), Plaslaanflat (1937–1938, Van Tijen/Maaskant).
Revolving Rotterdam 155 Van Tijen evaluated these projects in De 8 & Opbouw, in a way as if he discussed scenes from a film. Like grey iron and concrete colossuses, they can stand hard and loveless in the lovelessness of their surroundings, against the greyness of a Dutch winter sky, without an intended beauty of measure of length, width or height, without refinement of detail and material. They can also be, on quiet, clear days – mirroring the sky in metal and glass – blue-white colossuses, big foreign ships moored at the embankments of daily life. On sunny summer days they can be animated bottom up, with moving statures, flowers, sunshades, lights, curtains, furniture, decked with all the variety that they contain.37
Van Tijen explains that these buildings lack a specific expression, but they can have various appearances, depending on the conditions. The weather, especially the light, and the use of the buildings can make a difference. The buildings can make a contrast with their surroundings, while they enable a changing of scenes. Movements can take place within the same frame, and in this way architecture becomes mise en scène.
Scripted City The bombardment of Rotterdam in 1940 created a new situation. The city needed to be rebuilt and the scale of plans enlarged. Urban functions and social organisation became most important, while modernisation got an impetus, albeit in a complex way, through conflicting interests. Within these conditions, cinema provided references to relate different places and people in a narrative order, and to present urban functions in terms of sequences and scripts: ‘scripted space’ became ‘scripted city’. In 1941, an influential study on housing was published by the architects Brinkman & Van der Vlugt, Van Tijen and Maaskant, with photographs by Jan Kamman.38 The book became literally a script for urban planning, which integrated different levels of design, in order to create a modern city, both attractive and efficient. The architects focused on housing, to enable social exchange and community development, and developed different kinds of projects, for young and old, high-rise and low-rise, in various configurations. These plans were further elaborated after the war, for example by Alexander Bos, the head of the municipal housing department, who lead a study on the city of the future. It resulted in the publication De Stad Der Toekomst, De Toekomst Der Stad39, which urban planning historian Cor Wagenaar 37 Willem van Tijen: “Hoogbouw aan de Kralingsche Plas te Rotterdam Arch. Ir. W. van Tijen en H. Maaskant”, in: De 8 & Opbouw, 9/11 (1938), pp. 99–105, here p. 105 (transl. FP). 38 J. Brinkman/J. van den Broek/H. Maaskant/W. van Tijen: Woonmogelijkheden in het Nieuwe Rotterdam, Rotterdam 1941. 39 Alexander Bos (e. a.): De Stad Der Toekomst, De Toekomst Der Stad; een stedenbouwkundige en sociaal-culturele studie over de groeiende stadsgemeenschap, Rotterdam 1946.
156 Floris Paalman has called “a film in the form of a book”. It was inspired by the German film Die Stadt von Morgen (D 1930, D: Maximilian von Goldbeck/Erich Kotze, P: Atelier Svend Nol dan), which had left a lasting impression on Bos.40 The book highlighted the human dimension and the social purposes of design (fig. 4). Also in 1946, the ‘Basisplan’ for the reconstruction of Rotterdam was presented, by city planner Cornelis van Traa. It was accompanied by a booklet, to inform the citizens, which is literally a story board about the city’s development (fig. 5).41 In fact, Van Traa had been the secretary of the Filmliga Rotterdam during its last years (it was dissolved in 1933). This casts a new light on his reconstruction plan, as an open-ended film script, to be lived and created in time. It supports the argument by Crimson architectural historians, who have argued that instead of thinking of a fixed final result, which had been the case before, Van Traa opened up the plans.42 Instead of ‘filling in empty space’, the plans by Van
Fig. 4: Alexander Bos et al. (ed.), De Stad Der Toekomst, De Toekomst Der Stad, 1946, photograph of pp. 56–57.
Fig. 5: Adviesbureau Stadsplan Rotterdam, Het Nieu we Hart van Rotterdam: Toelichting op het Basisplan voor den herbouw van de binnenstad van Rotterdam, 1946, photograph of pp. 4–5 from the booklet.
40 Cor Wagenaar: Welvaartsstad in wording; De wederopbouw van Rotterdam 1940–1952, Rotterdam 1992, pp. 214, 266. Bos introduced the film at the Volksuniversiteit (1936/11/25). A summary of the book was read by Bos for VARA-radio, 1947/01/25: 16h10–16h25. Archive ‘A. Bos’ NAi: BOSA g11. 41 ASRO: Het Nieuwe Hart van Rotterdam, Rotterdam 1946. Cf. Paul van de Laar: Stad van Formaat, Geschiedenis van Rotterdam in de negentiende en twintigste eeuw, Zwolle 2000, p. 463; Wagenaar (1992), n. 40, p. 284. 42 Crimson: “Emptiness”, in: Too Blessed to be Depressed; Crimson Architectural Historians, 1994–2002, Rotterdam 2002, pp. 33–52, here p. 44.
Revolving Rotterdam 157 Traa became less defined, and presented merely schemes for development. Instead of a design it became a script, a narrative that still needed to be unfolded. This, however, does not mean that Van Traa rejected urban design and aesthetics as such. In fact, his interest in cinema also draws a link to his emphasis on the experience of the city, which he addressed, for example, in his lecture and (indeed) slide show, Het Nieuwe Stadsplan (1946/05/10, Rotterdamsche Kunstkring).43 According to historian Paul van de Laar, accessibility was one thing, but “[e]qually important was the feeling that a passenger to Rotterdam-South would have.” He quotes Van Traa: “[one] passes twice the river, twice a harbour, and then goes along the heads of two of the largest and most vivid harbours of Europe, and all in a grand totality, so that one who experiences it becomes enthusiast once and again, while it is most important for the identity formation of the entire city.”44 It is an amplification of Van Loghem’s view; it is a ‘scripted city’.45 In a similar way Van Traa designed ‘the window on the river’ (het venster op de rivier): a visual connection between city and port, with the port being a ‘window on the world’ – a direct analogy to film. Van Traa explained it explicitly in aesthetic and psychological terms46; the identity of the city needed to be articulated, in order to enable its citizens to relate to it, to understand the purpose of their labour that contributed to the city’s achievements as a world port. To that end, the city also had to inspire its visitors, through surprising vistas and visual layering. In general, Van Traa paid attention to spatial contrasts, combining low-rise with high-rise, and high-density complexes with open spaces such as parks. Together with a refined transportation system, which encompassed a new network of roads and railways, including a metro, and a periphery motorway, this enabled an ‘urban montage’: the interchange of different spheres and urban scenes.47 The car, moreover, became integrated in architecture, through interior roads, car parks and car ports.48 The scripted city incorporated, and became interwoven with, the scripted spaces of particular buildings.
Reality Film Together with the presentation of the reconstruction plan, in 1946, the city opened its ‘Office for Information and Publicity’. One of its first activities, which took place during the summer months, was a daily two-hour ‘reconstruction tour’ by bus (Rondrit Wederopbouw Rotterdam, org.: Jan Lebbink, VVV, fig. 6). It showed the 43 44 45 46
Rotterdams Jaarboekje, “Dagelijkse Kroniek 1946”, 5 (1947), p. 51 [GAR]. Van de Laar (2000), n. 41, p. 460. For this concept, see Klein (1999), n. 28. Van de Laar (2000), n. 41, p. 460; cf. Paul Groenendijk/Piet Vollaard: Architectural guide to Rotterdam, Rotterdam 2004, p. 25. The plan failed as the port moved out of the city. 47 For a review of Rotterdam’s metro as a sightseeing vehicle, see: Harry Edzes: “Ritje met de metro een toeristische attractie”, in: Rotterdam, 12/3 (1974), pp. 1–7. 48 E. g. Groothandelsgebouw (1945–1952, Van Tijen/Maaskant).
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Fig. 6: Rondrit Wederopbouw, ca. 1951, photographer unknown.
people what had to be done, playing with the imagination – as almost nothing was being built yet. It was highly successful, and for the next two decades such a tour was organised every year49, while architectural sightseeing tours would be organised ever since. In this way, masses of people watched the city, as changing sceneries while being seated, while they listened to the guide in the bus, like a voice over of a film. In terms of duration, experience and narrative, the city appeared as a film, similar to the city promotion films that were made for the ‘Office for Information and Publicity’. As such, the city became a ‘reality film’. Since 1947, the information office also organised the annual Opbouwdag (‘construction day’), on the 18th of May. It attracted substantial media attention; the act of building was turned into a show, which was recorded on film too. In the end, the ‘Basisplan’, and the plans that developed from it, became literally a scenario for all the film recordings that accompanied it, often with the support and collaboration of Van Traa himself. The plans foresaw the different stages of construction, and as such they indicated when film recording would take place, as filmmakers documented these different stages of construction, regarding major buildings, and the celebrations once the buildings were inaugurated. Step by step, the urban plan became a scenario to tell a historical narrative, one of progress and development, to be exemplified by every new achievement. All kinds of recordings were made, and many of them in close connection with those involved with the planning process. Several films were initiated by the ‘Office for Information and Publicity’, while the department of Public Works made its own film recordings, for purposes of instruction and evaluation. The architect Bakema, who realised many projects in Rotterdam, used microcameras in his models, to simulate the experience of the designs. He also made various 8 mm recordings, and he presented the television series Van Stoel tot Stad (‘From Chair to City’, NTS, NL 1961–1963). 49 See: D.C. Zuur: “In de ene hand de microfoon… in de andere het stuur”, in: Rotterdam, Officieel Tijdschrift van de Gemeente Rotterdam, 2/1 (1963), p. 24.
Revolving Rotterdam 159 Different from set design serving the story of a film, the ‘set’ became the subject itself: films dealt with the built environment, as a stage for economic, social and cultural development. The subject of architecture and planning was modern life – its organisation, its becoming, its actualisation, and its reflection. Architecture, as mise en scène, enabled the city to act, but the focus was still on the act of building. Architecture reflected its own concerns, of building the future, rather than the present, of functions and efficiency, almost as autonomous entities, of construction and modernisation, as a rhetoric of becoming. The scripted city moved its citizens around, in order to contribute to this spectacle of building the city. One could wonder where this scenario would finally lead to. Films that promoted the modern city and its institutions, and the architecture that gave shape to it, according to a common agenda, created an ontological complex of architecture and cinema being mutually supportive regarding mediatised urban development.
The urban Medium In order to animate the city, several large events took place in the decades after the war, with the Ahoy’ being the first one (1950). This event, to celebrate the reconstruction of the port, was characterised by a collaboration between the arts, a Medienverbund, to use a concept of Thomas Elsaesser50, in order to address a shared agenda of different media, including cinema, design, architecture and the visual arts. It was a testing ground for new ideas and plans, and a media event that would have a lasting effect on urban programming. Three media practices can be distinguished here: films that were projected as a part of the event, which promoted its values or ‘intensions’; reports about the event that were its ‘extensions’; and amateur recordings, which became increasingly important, which were its ‘retentions’, since they remained hidden, serving private memories. These three ‘tensions’, in combination with live performances and the exhibitions, provided a model to present and to develop plans for the reconstruction of the city. Such practices were intensified by the E55, which was an exhibition devoted to the theme of ‘energy’, and a celebration of the reconstruction of the country. With the help of Philips, commercial television was introduced, with short films, quizzes and games, like Philips Electronische tienkamp (‘Philips Electronic Decathlon’)51, and commercials, for example for the electronic devices of Philips, which neatly combined with the exhibitions in the pavilions. Next to studio recordings, one made reports of the activities across the exhibition. While Bakema and others designed the 50 Thomas Elsaesser: “Die Stadt von Morgen; Filme zum Bauen und Wohnen”, in: K. Kreimeier e. a. (eds.), Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland: 1919–1933, Stuttgart, 2005, p. 381–409. 51 Peter de Winter: Evenementen in Rotterdam, Ahoy’, E55, Floriade, C70, Rotterdam 1988, p. 77.
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Fig. 7: Kees Molkenboer, photograph of mayor Thomassen being interviewed in the cable lift at the C70, June 1970.
pavilions, Constant, among other artists, created installations. This work, as a part of the event, became the basis for his influential study of ‘New Babylon’ (1956–1974). This urban utopia, in the situationist spirit, consisted of a network of sectors – large interconnected pavilions – which created a superstructure on top of existing cities, across various countries.52 It extrapolated the idea of (electronic) automation, which would result in a society of the homo ludens, characterised by leisure, play, and nomadism. The aspect of motion inherent to it was explored by Constant and Hy Hirsh in the film Giromorphosis (F/NL 1958), in which the models of New Babylon appear as kinetic sculptures. It can be seen as a counterpart of Philips’s commercials and electronic games. Other events followed, such as the horticulture exhibition “Floriade” (1960), which was a rhetorical act to associate Rotterdam – known for its port and industry – with flowers and greenery. A media campaign was started, and the watch tower ‘Euromast’ (1959–1960, Maaskant) was built as a tourist attraction. It became a new, highly mediatised symbol of Rotterdam, while its panoramic restaurant (during the heydays of cinemascope) created a widescreen view of the city. In this series of events, the C70, even went a step further. The ‘C’ stood for Communication. Beyond the communication of plans to its citizens, communication became itself the subject. The city itself was presented as a medium, to communicate itself, so that Rotterdam turned into a spectacle, through various presentations and attractions, including a chair lift that 52 Cf. Mark Wigley: Constant’s New Babylon, The Hyper-Architecture of Desire, Rotterdam 1998.
Revolving Rotterdam circulated through the city (fig. 7). The ‘Euromast’ was enlarged with a ‘space tower’, with an elevator circling around it, to provide a 360° panorama of the city, which literally created the spectacle of a ‘Revolving Rotterdam’. Another attraction was a 200 metres model of the port. ‘For its visitors, Philips introduced a precursor of the walkman, which was called ‘guidofoon’. It provided information in different languages.53 This development, of events taking place in the city and changing it accordingly, turned Rotterdam into a festival city. Important has been the International Film Festival Rotterdam (since 1972), and others have followed in its wake, such as V2’s Dutch Electronic Arts Festival (since 1994), and the Architecture Film Festival Rotterdam (since 2000).
Substance For decades, the city willingly collaborated on all kinds of films and television programmes, through the ‘Office for Information and Publicity’. In the 1990s, media became a spearhead in the city’s economic policy. Rotterdam got its own film fund, while the Rotterdam Development Corporation began to invest in an audiovisual quarter, the Lloydkwartier. As a result, the city’s architecture became ever more present in media productions. Exemplary is the ‘Erasmusbridge’ (1994–1996, Ben van Berkel), which would become the new symbol of Rotterdam (fig. 8). Its creation was influenced by Ivens’s film The Bridge (NL 1928), which is emphasised by Peter Greenaway, who was asked to make a film about the Erasmusbridge (Bridge Celebration, NL 1997), which is also a celebration of Ivens’s film. Other examples of mise en scène are the ‘Schouwburgplein’ (1991–1996, West 8), the ‘Netherlands Architecture institute’ (1988–1993, Jo Coenen), and the ‘Kunsthal’ (1987–1992, Rem Koolhaas). Besides such sets, understood as places that feature in films or serve as stages for events to take place, there are studios, where media productions are realised. A striking case is the medical faculty of the Erasmus University (1965–1968), designed by OD 205. Its design incorporated a cable television system throughout the building, for research and education, with a television studio centrally located in the building. A union of media and architecture also happened in the design and planning process at Gemeentewerken, including modeling, visualising and presenting plans through film. Of a different nature, but still part of development processes, is the example of the ‘Videocentrum’ (1976–1984), which made video registrations of neighbourhood activities, in order to serve urban renewal.54 Its productions were to be seen in community centres, shops and shop windows, and at home, as residents could borrow mobile video sets. 53 De Winter (1988), n. 51, p. 111. 54 Harry Edzes: “‘Video-centrum’ voor peilen meningen van wijkbewoners”, in: Rotterdam, 14/4 (1976), p. 17.
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Fig. 8: Marco de Nood, Erasmusbrug, postcard, 2004, issued by Development Corporation, Rotterdam, Rotterdam Film Fund, IFFR.
Today video screens are found all over the city, from metro stations to squares and in public transport, which is the business of City Media Rotterdam. It shows commercials, and clips about the city. Next to such displays there are façades turned into screens (e. g. KPN building, 1997–2000, Renzo Piano). According to Lev Manovich, such applications are ornamentation. Instead he suggest to consider “the ‘invisible’ space of electronic data flows as substance” 55, to make it an architectural problem. Manovich has pointed to individualised applications on mobile phones to interact with the environment. Due to the mobile phone, KPN decided (2011) to stop the exploitation of phone booths: the already transparent booth by Van der Vlugt has fully dissolved into the environment. The Netherlands Architecture institute, in collaboration with DPI Animation House, now provides an application called ‘Urban Augmented Reality’ (UAR).56 It offers texts, photographs and film images of buildings from the past, buildings that exist now, or that are planned. It succeeds a project called ‘sites and stories’ (2007, Paul Groenendijk e. a.), as a way ‘to call buildings’ to listen to their stories. The UAR functions on phones with a camera, compass and GPS, which have to be directed to the place of interest, for the information to appear on top of the actual image. The system also includes options for user generated content. Such an application provides a new travel guide, and this is where our journey comes to an end. 55 Lev Manovich: “The poetics of augmented space”, in: Visual Communication, 5/2 (2006) p. 219–240, here p. 237. 56 http://www.nai.nl/uar (last view 2014/07/16).
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Conclusion In a few moments we will reach the final destination of our city trip, having made a journey from cinematic projections to architectural projects. The journey started at the airport, to see aerial recordings as a mode of perception and as a planning tool. Flying above the city, the role of media in urban programming was addressed as ‘projective reflexivity’: media propelled events while reflecting upon them at the same time. Still moving ahead, back and forth through different periods, we made a stop for transit purposes, at a station called ‘light architecture’, to observe how spatial design concepts had incorporated cinematic features. Our next call was made at the telephone booth, before entering the cinema theatre, as a space of projections that served as a counterexample to the modernist principles based on light. We then moved, so to speak, through the visual equivalent of the sound barrier; like a supersonic aeroplane we entered a supervisual state, in which projections had become space, through movement. After the concept of spatial montage had already been used, the concept of an architectural mise en scène was introduced here, to conceptualise movement at a particular place. Moving on and changing scenes, we then reached a major terminal, that of the scripted city, with its open-ended narrative and ‘urban montage’, and continued through excursions that offered the experience of a ‘reality film’. The city itself turned into a medium of communication, and finally projections became substance. In the flight between projections and projects, an ontological complicity has appeared. Cinema is not only a way to know about the world – the domain of epistemology, but cinema has informed spatial design, through its reports and feedback, but also through its principles, which have offered models to spatial organisation. In this way, cinema has become part of the logic of being – the domain of ontology, regarding spatial plans. In this way, there is a complicity of cinema regarding spatial development. Once media report on this development, there is further entanglement and complexity, as the disciplines participate in each other’s development. It does not necessarily lead to a convergence, but it implies an oscillation between different forms of media and design. This means that different media become thoroughly interwoven, so that our perception and knowledge of the environment is part of the processes that establish it. It is thus a convergence between epistemology and ontology. This may result in a situation that image projection turns out to be merely an intermediary stage in a long term development. It may fulfil the experiments that have been carried out at the edges of cinematic space, which have informed the development of cinema and architecture. Cinema has moved from ‘projection’ to ‘injection’ and simultaneously from simulation to augmented space, and from representation to presentation. Cinematic principles have become pervasive and widely applied, projected onto the city, so that cinema is no longer necessarily present in, but inherently part of the environment. We may finally speak of cinema when the medium is not there anymore, of film without film, a ‘reality film’ in which projection, as a feature of the
164 Floris Paalman cinema, has been consumed and processed to become substance again. We may thus speak of reality in cinematic terms, as a way to perceive and to classify our environment, and to model it accordingly. Cinema, it turns out, is not only embedded in space, and not only should one look for its traces in space, but it has become part of space as well.
Lilian Haberer
Screen als Membran Zur Konzeption von Architektur, Modell und Blickprojektion bei Maya Deren und Dorit Margreiter
„Die schöpferische filmische Arbeit erstreckt sich vor allem auf die Manipulationen von Zeit und Raum [...]. Die Art der zeitlichen und räumlichen Manipulation, auf die ich mich hier beziehe, geht in die organische Struktur eines Films ein.“ Maya Deren1 Zwei case studies, die rund sechzig Jahre auseinander liegen, gehen in unterschied licher Weise mit der filmischen Struktur als organischer um und richten ihr Augenmerk auf die Architektur des Hauses, sei es als Bungalow oder Pavillon, in ähnlicher, filmischer Intensität. Beide Werke nehmen dabei ebenfalls auf die veränderte Funktion und Rolle des Wohn- und Ausstellungsgebäudes in der Moderne Bezug; eines aus der Perspektive der Moderne selbst, das andere aus der retrospektiven Reflexion. Maya Deren, die experimentelle Filmemacherin und -theoretikerin mit ihrem frühen Film Meshes of the Afternoon von 1943, der zusammen mit Alexander Hammid entstand, und Dorit Margreiter, die konzeptuelle Künstlerin mit ihrem Beitrag für den österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig von 2009, nehmen den jeweiligen Drehort als Ausgangspunkt ihrer filmischen und installativen Überlegungen. Da beide in expliziter Weise diesen Ort als Bezugsmoment für ihre Protagonisten thematisieren sowie das modernistische Haus als Membran zwischen Innen- und Außenraum in Erscheinung treten lassen, könnte ein Zusammendenken dieser Arbeiten nicht nur für die Auseinandersetzung mit dem Membranbegriff der Moderne, sondern auch über das Verhältnis von Architektur und Film Aufschluss geben. Dabei kommt der Projektion als mentale wie gestaltgebende Instanz glei1
Für die anregenden Gespräche und den fachlichen Austausch danke ich sehr herzlich Ursula Frohne und Annette Urban. Maya Deren: „Cinematography: The Creative Use of Reality“, in: Daedalus 89/1 (1960), S. 150–168, deutsche Übersetzung, dies.: „Kamera-Arbeit: Der schöpferische Umgang mit der Realität“, in: Maya Deren. Choreographie für eine Kamera – Schriften zum Film, hg. v. Jutta Hercher/Ute Holl u. a., Hamburg 1995, S. 51–70, hier S. 65 f.
166 Lilian Haberer chermaßen eine besondere Rolle im Durchlässig-Werden zwischen Architektur und Agency ihrer Akteure zu: Denn Dorit Margreiter projiziert ihren Film des Öster reichischen Pavillons auf den Ort selbst, indem sie seine Architektur filmisch reflektiert und im 35mm-Format innerhalb einer begehbaren Modellarchitektur, die sie in das Gebäude eingepasst hat, auf einen Screen projiziert. In dieser schweifen die verschieden sich formierenden Besuchergruppen zwischen genius loci und Drehort, zwischen Architektur und ihrer filmischen Darstellung frei umher, der Projektion des Ortes auf den Ort eingedenk. Bei Maya Deren hingegen wird die Architektur des eigenen Bungalows zur Mitakteurin, welche die Bewegungen der Figuren und ihre Blicke medial filtert und sich nicht nur mit ihnen, sondern auch mittels Filmschnitt in der kinematographischen Betrachtung wandelt. Da Maya Deren auch filmtheoretische Schriften verfasste, die für ihr filmisches Œuvre relevant sind, finden diese ebenso wie architekturtheoretische Texte Berücksichtigung, sonach sie für die diskutierten Konzepte der Moderne und ihre Reflexion in den Werken erhellend sind.
Raum als Membran In seiner programmatischen Schrift von 1926 zu einem Entwurf zukünftiger Architektur wendete sich Siegfried Ebeling, der Bauhausschüler von Marcel Breuer und Wassily Kandinsky, gegen eine den ökonomischen und industriellen Prinzipien unterworfene Architektur des Massenwohn- und Siedlungsbaus, die er als unzeitgemäß empfand. Stattdessen sah er für die „neue Epoche der Raum-Kunst“ Entfaltungsmöglichkeit einer Architektur und ihrer Durchdringung von Innen und Außen analog zur biologischen Zellmembran gegeben. Diese sei auf den Menschen jenseits einer Repräsentationsfunktion und damit ganz auf Wirkung ausgerichtet, jedoch nicht als unmittelbar erlebbare, sondern als unbewusster, physischer Eindruck.2 Dergestalt richtete er seine Überlegungen zur Außenhaut als Membran und Fragen zum Material, zur Belüftung und Belichtung insbesondere auf das Haus als „eigene Energiequelle“ aus. Ebeling betonte dabei die Verantwortung der Architektur, auf klimatische und umwelttechnische Gegebenheiten einzugehen: „Solche und andere teilweise praktische, teilweise soziologische Überlegungen führen endlich zur Konzeption des Gedankenkreises der ,biologischen Architektur‘, an dem wesentlich ist: die Zeit scheint innergeistig reif zu dem methodischen Versuch, den dreidimensional grobphysikalisch bestimmten Raum einer dreidimensional-biologisch bestimmten Membran zwischen unserem Körper als plasmatisch labiler Substanz und den latent gegebenen, aber noch nicht biostrukturell erfaßten [sic!] Feinkräften der Sphären anzugleichen [...].“3
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Vgl. Siegfried Ebeling: Der Raum als Membran, Dessau 1926, S. 14 f., 20 f. und Kap. II, insbes. S. 28. Ebd., S. 19.
Screen als Membran 167 Zeigt sich seine Schrift vom expressionistischen und utopischen Denken der Zeit geprägt4 und von Beobachtungen zur menschlichen und geistigen Kultur durchdrungen, so nimmt sie dennoch dasjenige visionär vorweg, was Gegenstand der biologisch, ökologisch und biomorph geprägten Architekturbewegungen seit den 1950er-Jahren war: „die Umfassungswände als ununterbrochene Haut durchzubilden“ sowie die Ausrichtung der Materialien „nach der dynamischen Funktion für den dynamischen Zusammenhang der Gesamtanlage (...).“5 Seine Zeitgenossen Mies van der Rohe, Bruno Taut, Walter Gropius und andere haben seinen Beitrag zum Raum als Organismus rezipiert und anerkannt, auch wenn die Presse ihn kritisierte und sein Projekt bei Junkers 1927 keine Realisierung seiner theoretischen Entwürfe zuließ.6 In der Auseinandersetzung mit Ebelings Schrift konzentrierte sich die Forschung auf eine Untersuchung seiner architektonisch avancierten Ansätze. Sie widmet sich jedoch kaum den von ihm selbst betonten Konsequenzen für den Menschen und das Gesellschaftsgefüge als ‚Transparenz des Sozialen‘.7 Darüber hinaus betonte er seine Überlegung eines das Haus umspannenden Baustoffs wie Glas, der nicht nur Licht filtert und Wärme reguliert, sondern einer osmotischen Mem bran ähnlich die Lebensbedingungen dynamisch mitgestaltet, insofern er in seiner Durchlässigkeit natürliche Belüftung wie Beleuchtung durch Ober- und Seitenlicht gewährleistet und sich damit auch auf das Wohnverhalten auswirkt.8 Damit nahm er eine vom „Bewegungsraum des menschlichen Körpers ausgehende“9 Architektur vorweg, die er 1930 mit einem Entwurf eines flexiblen, metallenen Rundhauses zumindest als Gedankenexperiment realisieren sollte. Dieses auf den Körper und seine Verlagerung im Raum ausgerichtete Bauen wurde für die Verbindung der beiden 4
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Ebeling studierte ebenfalls Theologie und Philologie, beschäftigte sich mit Experimentalphysik und war ab 1923 für die für das Bauhaus auf experimenteller Ebene wichtigen Junkerswerke für Flugzeugbau in der Propagandaabteilung tätig, wo er über Metall für den Hausbau forschte. Siehe Walter Scheiffele: Bauhaus, Junkers, Sozialdemokratie. Ein Kraftfeld der Moderne, Berlin 2003, insbes. das Kap. zu Metall und Membran, S. 185– 197, hier S. 185. Ebeling (1926), Anm. 2, S. 36 f. Bruno Taut rezensierte Ebelings Raum als Membran in der Bauwelt vom 18.08.1927, und Mies van der Rohe berief sich auf sein Buch, als er auf der Werkbund-Ausstellung in Stuttgart und bei der Weltausstellung in Barcelona von seinem deutschen Pavillon als einem diaphanen und transparenten Raumgebilde, einer „offenen Grenze“ sprach. Siehe Volker Frank: Lemma „Siegfried Ebeling“, in: Günter Meißner (Hg.): Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 31, München 2003, S. 531 und Scheiffele (2003), Anm. 4, S. 190, 196. Frank (2003), Anm. 6, S. 531. Dieser ,Transparenz des Sozialen‘ und ihrer Konsequenz für die organische Architektur nachzugehen, wäre Gegenstand einer gesonderten Untersuchung. Vgl. Ebeling (1926), Anm. 2, S. 34 ff. Scheiffele (2003), Anm. 4, S. 194. Ebelings Rundbauentwürfe entstehen zeitlich parallel zu Buckminster Fullers 4D/Dymaxion House-Entwürfen, vgl. ebd. S. 195, vgl. Claude Lichtenstein: „,Spirit House‘ and ,Steppenwolf Avant-Garde‘. American Origins in the Dymaxion House Concept“, in: Hsiao-yun Chu/Roberto G. Trujillo (Hg.): New Views on R. Buckminster Fuller, Stanford 2009, S. 76–85.
168 Lilian Haberer Bereiche Architektur und Film nicht nur über den zeitlichen Aspekt der filmischen und räumlichen Sequenz maßgeblich. Vielmehr kam es in diesen Jahren, wie Anthony Vidler pointiert resümierte, zu einer Durchdringung der beiden Bereiche, indem die Architektur zum Gegenstand und Schauplatz des Films und umgekehrt der Film in der Moderne verräumlicht und ausgehend vom Kino als plastische Verdinglichung einer ,Architektur in Bewegung‘ mit dem Begriff Filmplastik oder cinéplastique verbunden wurde.10 Der Architektur kommt in Ebelings Schrift eine jenseits der Gestalt und reinen Konstruktion zugewiesene, dem menschlichen Organismus analoge Rolle zu. Der Kunst- und Architekturtheoretiker definiert diese als dienende Instanz, die sich funktional dem Menschen und seinen Bedürfnissen unterzuordnen hat. Die in seiner Abhandlung thematisierte Idee vom Haus war diejenige eines „Durchgangsmediums“11 bestimmter Kräfte. Sie stützt diese Überlegung einer jenseits repräsentativer Strukturen gedachten, architektonischen Gestaltung: einer Architektur, bei der die Form durch Prozesse bestimmt und durch Energie begriffen wird und Technik von der Natur lernt, wie es Moholy-Nagy formulierte. Damit hob er nicht auf die Ausdehnung und Masse ab, sondern richtete sein Augenmerk auf das Verhältnis der Kräfte.12 Zwei Aspekte kommen in Ebelings Definition des Hauses zusammen: die Vorstellung vom Material respektive von der Architektur als Medium13 und spezifischer gefasst, das Haus oder Gebäude als Vorrichtung14, welche die Verbindung von Stadt und Mensch, Außen- und Innenraum, Klima- und Lichtverhältnissen herstellt und reguliert, ja geradezu zum der Landschaft vorgeschalteten Wahrnehmungsdispositiv 10 Anthony Vidler: „Die Explosion des Raumes: Architektur und das Imaginäre im Film“, in: archithese 5 (1992), S. 24–37, hier S. 25. Zur cinéplastique siehe Élie Faure: „De la cinéplastique“, in: L’Arbre d’Éden, Crès 1922, online: http://classiques.uqac. ca//classiques/Faure_Elie/fonction_cinema/cinemaplastique/Faure_cineplastique.pdf (letzte Sichtung 08.10.2014). Vgl. zur Verbindung von filmischem Dispositiv und Architektur: Lilian Haberer/Ursula Frohne: „Kinematographische Räume. Zur filmischen Ästhetik in Kunstinstallationen und inszenierter Fotografie. Einführung“ in: dies. (Hg.): Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst, München 2012, S. 9–52, hier S. 9 f. Vgl. Helmut Weihsmann: Cinetecture. Zum Verhältnis von Film und Architektur, Wien 1995, S. 55–56. 11 Ebeling (1926), Anm. 2, S. 38. 12 Vgl. Lázló Moholy-Nagy: Von Material zu Architektur, (= Bauhausbücher, Bd. 14), München 1929, S. 60. 13 Auf das Haus als Medium weist im Zusammenhang mit der Architekturvorstellung Ebelings auch Stephan Günzel hin: ders.: „Medienästhetik des Raums“, in: Melanie Sachs/ Sarah Linke (Hg.): Die Permanenz des Ästhetischen, Wiesbaden 2009, S. 217–230, hier S. 223; Wolfgang Schäffner widmet sich einer Bestimmung der Architektur als Medium und berücksichtigt dabei ebenfalls Ebeling. Ders.: „Elemente architektonischer Medien“, in: Kulturtechnik: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1 (2010), S. 137–150. 14 Colomina spricht im Hinblick auf Le Corbusiers Häuser von einer „technischen Vorrichtung“. Beatriz Colomina: „Die gespaltene Wand: Häuslicher Voyeurismus“, in: Christian Kravagna (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, S. 201–222, hier S. 217 und 219.
Screen als Membran 169 wird. Dieses Verständnis des Hauses als optischer Mechanismus oder gar bewegliche Apparatur, analog zu einer Fotokamera, die den Rahmen für die Sichtausschnitte bietet, die wie Screens zwischen den Bereichen vermitteln, hatte bereits Le Corbusier, in seinen Schriften zu Architektur und Städtebau formuliert: „Sie arbeiten mit einer Blende. Ihre Glaswand, Ihre Langfenster sind alle so eingerichtet, dass sie beliebig abgeblendet werden können. Sie lassen das Licht herein, wo immer es Ihnen günstig erscheint. Ihre Glaswand kann aus durchsichtigem Glas bestehen oder aber aus Spezialglas (wir lassen diesbezüglich Untersuchungen in den Laboratorien von Saint-Gobain anstellen), das die isothermischen Eigenschaften einer dicken Mauer hat und die Sonnenstrahlen bricht; oder aber es werden Sonnenschutzgläser, Mattglas oder Gussglastafeln verwendet. Glaswand, Blende – das sind neue Ausdrücke in der Sprache der Architektur.“15
Er nimmt eine Gegenüberstellung zwischen dem Prinzip des Sehens als ästhetischer Anordnung und den Funktionstypen der architektonischen Gestaltung vor, die er in Analogie zum Organismus beschreibt. Bezeichnend dabei ist, dass Le Corbusier aufgrund der Durchlässigkeit der Außenhaut ein Durchdrungensein von Licht als einfallendes, abgeblendetes und gestaltendes Element wahrnimmt und anhand der sich durch das Haus bewegenden und wahrnehmenden Personen beispielhaft darlegt (er spricht vom „Einatmen“ des Raums16). Die Bauteile, welche Beleuchtung, Belüftung, ,vertikale und horizontale Verbindungswege‘ gewährleisten, beschrieb er als „Organe“, das architektonische Gefüge hingegen begreift er als etwas Visuelles. Letzteres zielt auf eine filmische Wahrnehmung derjenigen sich in einer kontinuierlichen promenade architecturale befindlichen Bewohner, welche die Wände zu Membranen und die verwendeten Materialen zu Projektionsflächen oder Screens werden lassen.17 Le Corbusier hatte bereits mit dem von ihm beschriebenen vierten Funktionstyp, als Synthese aus den vorhergehenden, seine Essenz formuliert: die äußere, strukturierte durchlässige und durchsichtige Haut um ein Bauskelett, die Funktionen als „Organe“ im Inneren berücksichtigend und nach klimatischen Bedingungen gestaltet, welche er in seinem Villenmodell in Poissy verkörpert sah.18 Dieses Modell erfüllt gleich mehrere Kriterien, eine direkte Zugänglichkeit für Automobile, eine fließende Bewegung vom Vestibül bis zum Dachgarten durch das Gebäude, welches durch die Außenhaut von Licht durchflutet ist und eine direkte Auswirkung des Hauses auf die Landschaft als gestaltende wie rahmende Einheit. Dergestalt wird das Haus aufgrund seiner Permeabilität zwar nicht per se immateriell, wie Colomina resümierte19, sondern es wird medial, also wandelbar und passt 15 Le Corbusier: Feststellungen zu Architektur und Städtebau, Berlin u. a. 1964, S. 128. 16 Ebd., S. 120, 127 ff. 17 Vgl. Lilian Haberer: „Modernereflexionen – Schwellenmomente architektonischer und filmischer Rahmungen in der kinematographischen Installation“, in: Frohne/Haberer (2012), Anm. 10, S. 127–167, hier S. 142. 18 Vgl. Le Corbusier (1964), Anm. 15, S. 128–129. 19 Vgl. Colomina (1997), Anm. 14, S. 217.
170 Lilian Haberer sich den Wahrnehmungsbedingungen und den fließenden Bewegungen an. Sigfried Giedion beschrieb das Haus als einen Reflexionsort dieser Durchdringung der Lebensbereiche, die er als einen geistigen Zustand der Zeit erkannt hatte.20 Giedions Text zum Wohnen und Schriften weiterer Architekturtheoretiker der 1920er-Jahre widmen sich dem organischen Prinzip, welches sie auf die Funktionsbereiche, auf die Bauteile der Architektur und auf die Anschauungen zum Wohnen übertragen. Dabei gehen die theoretischen Reflexionen im Rahmen des Neuen Bauens über die Naturmetaphorik hinaus. Vielmehr fungiert die Membran im Sinne einer Denkfigur, deren mediale Rolle für Mensch und (Stadt-)Landschaft in ihren unterschiedlichen Formierungen für die architektonischen Konzepte der Moderne bestimmend wird. Inwiefern die Membran auch für eine filmische, modernistische Reflexion maßgeblich ist, soll in beiden Werken beispielhaft aufgezeigt werden, die einerseits für ihre Transkription in den Film eigene semantische wie strukturelle Artikulationen gefunden haben, die das Medium für den Ort und seine Projektionen durchlässig zeigen. Aufschlussreich ist diesbezüglich Antonin Artauds Überlegung, der sich in seiner Filmtheorie gegen das absolute Kino wandte, um für eine neue, wahrhaftige, reale und hybride Kunstform einzutreten: „The human skin of things, the epidermis of reality: this is the primary raw material of cinema.“21 Ähnlich wie Maya Deren war er der Ansicht, dass diese neue Form bei einer Sprache des Films (er spricht von einer „inorganic language“) anzusetzen habe. Diese solle mit Bildern argumentieren und sich dem menschlichen Gedächtnis und seiner Imaginationsfähigkeit osmotisch einprägen. Inwieweit sich diese Einprägung vollzieht, wird insbesondere anhand der zeitlichen und räumlichen Eingriffe sowohl innerhalb des Films als auch im Hinblick auf die extradiegetischen Räume Gegenstand der Analyse. Bereits 1946 hatte Deren in ihrem Beitrag „Magic is New“ und auch später in ihrem umfangreicheren Text zum Umgang mit der Kamera betont, dass sie bei der Bearbeitung zeitlicher wie räumlicher, filmischer Parameter ebenfalls die Verbindungen zwischen den Personen, den Orten und entsprechenden Zeitpunkten berücksichtige, die sie mittels einer bewegten Kamera zu einer Einheit zusammenführe.22 Zum allpräsenten Vorbild in Meshes of the Afternoon wird die Architektur selbst, die innerhalb der rezipierenden Literatur bislang nur intrinsisch, im Hinblick auf das filmische Mäandern zwischen drinnen und draußen Beachtung fand und in der Deren-Forschung insgesamt bislang kaum thematisiert wurde.23 20 Diese umfasst beim Haus nicht nur die Leichtigkeit, Lichtdurchlässigkeit und Beweglichkeit, sondern auch die „innere Einheit“ der verschiedenen Funktionen. Sigfried Giedion: Befreites Wohnen, Frankfurt am Main 1985 [1929], S. 8–9. 21 Antonin Artaud: „Cinema and Reality (1927)“, in: ders. Selected Writings, hg. v. Susan Sontag, Berkeley/Los Angeles u. a. 1976, S. 150–152, hier S. 151–152. 22 Deren (1995), Anm. 1, S. 67 sowie dies. „Magic is New“, in: Mademoiselle, Januar 1946, dt. Übersetzung „Magie ist etwas Neues“, in: Hercher/Holl (1995), Anm. 1, S. 19–29, hier S. 27. 23 John David Rhodes beschreibt an einer Stelle architektonische Details des Eingangs im Film sowie genauer die Rolle des Fensters bei der ikonischen Einstellung, wie Deren
Screen als Membran Bei der Inszenierung der Architektur, ihrer Innen- und Außenansichten, der fließenden Übergänge, ihrer modernistischen Anmutung und ihrer Rolle bei den Perspektivverschiebungen zwischen Figuren und BetrachterInnen, kommt den exponierten Blicken und ihren Projektionen bei beiden untersuchten Werken eine große Aufmerksamkeit zu: Sie sind es, welche die innere Struktur des Films und der künstlerischen Arbeit ausmachen, Zusammenhänge stiften und mittels der Kameraführung dramatische Einheiten herstellen. Sie formieren ebenso instabile Gemeinschaften – nicht im kommunitaristischen Sinne als identitätsbildende Festschreibung – wie auch Gemeinsames, das Nancy als „Mit-Sein“ verschiedener „Indizes, Markierungen“ bezeichnete. Er versteht dieses im Sinne eines Austauschs, eines Verhältnisses, einer „Interiorität“24, die erweitert auf die Arbeiten nicht nur das Mit-Sein von Objekten, Räumen und Akteuren innerhalb des Werks thematisiert, sondern auf die RezipientInnen und Akteure der Ausstellungssituation ausgreift. Inwieweit diese Konstellationen den Motor und den eigentlichen Gegenstand der filmischen Ausarbeitung darstellen, wird im Folgenden dargelegt.
Blickprojektion und permeable Architektur Eine frühe Sequenz in Maya Derens erstem Film Meshes of the Afternoon, den sie zusammen mit ihrem damaligen Partner Alexander Hammid (Hackenschmied) in dem gemeinsamen Bungalow in Los Angeles drehte25, widmet sich mit kinematographischen Mitteln einer Untersuchung der Dramaturgie und Funktion des Blicks: Nach der Anfangssequenz – in der die Protagonistin Maya Deren zunächst als Schattenriss in Verfolgung einer schwarz gewandeten Gestalt sowie in Nahaufnahme auf Füße und Hände in Erscheinung getreten war – betritt und erkundet sie im Pointof-View-Shot das Innere des modernistischen Gebäudes. Während sie sich in einem Sessel an dem fast die gesamte Wand einnehmenden Fenster niederlässt, die eingangs aufgelesene Blume auf ihrem Schoß ablegt, sich in einer selbstvergessenen Geste über durch das Fenster blickt. Darüber hinaus zieht er zum Vergleich inszenierte Fotografien von Deren und ihrem Partner Alexander Hammid in Wohnzimmern heran, ohne jedoch genauer auf filmische Typologien der Innenräume in Meshes of the Afternoon einzugehen. Vgl. John David Rhodes: Meshes oft he Afternoon, London 2011, S. 59, 53 und 75. 24 Jean-Luc Nancy: „Gemeinschaft neu denken. Wie werden wir künftig zusammenleben?“, in: Yilmaz Dziewior (Hg.): Wessen Geschichte. Vergangenheit in der Kunst der Gegenwart, (= Jahresring. Jahrbuch Moderner Kunst 56), Köln 2009, S. 220–222. 25 Auch wenn Alexander Hammid maßgeblich an dem gemeinsamen Projekt beteiligt war, so identifiziert die jüngere Forschung es aufgrund der Filmsprache und Thematik vor allem als Werk Derens. Deren selbst beschreibt in „Magic is New“: „Weil Sascha [Spitzname Hammids] tagsüber arbeitete, war es ursprünglich meine Absicht, allein einen Film zu machen. (...) es wurde bald offensichtlich, dass ich nicht zugleich spielen und drehen konnte. So wartete ich, bis mein Mann Zeit hatte, um das Konzept des Films weiterzuentwickeln und mit mir zusammen zu realisieren.“ Deren (1995), Anm. 1, S. 25. Siehe beispielhaft Rhodes (2011), Anm. 23, S. 40.
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Abb. 1a–d: Meshes Of The Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills.
den Körper streicht, zurücklehnt und ihre Lider langsam schließt, wird im SchussGegenschussverfahren der Blick aus dem Fenster auf den Weg vor dem Haus gezeigt, der sich eintrübt. Erst als beide Augen im Close-Up sichtbar geschlossen sind, erweitert sich die Sicht aus dem Fenster in einer langsamen Rückwärtsbewegung der Kamera in einen Tunnel hinein, dessen runder Ausschnitt nach wie vor die Straße fokussiert, bevor dann erneut die schwarze Rückenfigur am unteren Ende des Sichtfelds der ersten Maya Deren zu sehen ist, die sich auf dem Weg fortbewegt (Abb. 1a–d).26 Obwohl Deren diese Kamerabewegung vielfach als Dolly shot beschrieb, ist Meshes of the Afternoon mit Handkamera gedreht worden.27 Der zylinderförmige Fokus, welcher das Blickmotiv zurücktreten lässt, evoziert einerseits einen Einblick ins Innere des Auges der Protagonistin selbst und vermeint, eine visuelle Erweiterung der eigenen Sicht auf die Szene zu sein. Andererseits führt er die Kamera durch die ins Filmbild eingeführte apparative Blicklenkung als vermittelnde Instanz für das Sehen ein. Doch jenseits dieser visuellen Thematisierung markiert dieses Moment einen Übergang vom äußeren zum inneren Blick, vom Sichtbaren zur Traumsequenz. Diese zentrale Szene wiederholt sich im Laufe des Films drei Mal in Varianten, in denen Maya Deren jeweils als eine weitere Doppelgänger-Traumfigur eingeführt wird. Untermalt wird der Film seit 1959 von einer Filmmusik Teiji Itos, Derens drittem Ehemann. Mit reduziert eingesetzter Percussion, Windgeräuschen und parallel dazu verwendetem, homophonen Streich- und Blasinstrumentensound hat Ito mit Derens Unterstützung ein Element hinzugefügt, dass den traumähnlichen Sequenzen und den einem Ritual ähnlich angelegten Wiederholungen zuträglich ist. Wie John David Rhodes betont hat, vermeidet die Komposition zu explizite Untermalungen bestimmter Handlungen, dennoch werden zum Teil Schnitte und Objekte, wie das Fallen des Schlüssels oder das Eintreten in das Haus, von Percussion begleitet.28 So gibt es viele Sequenzen – das Umherblicken der ersten Maya 26 Im Drehplan, den Maya Deren für die spätere Vertonung von Meshes of the Afternoon durch ihren dritten Ehemann Teiji Ito 1959 erstellte, beschreibt sie: „Nahaufnahme des Auges, schließt sich im Einschlafen. Totale der Straße, dunkler, dann zieht sich die Kamera zurück, als verschwände sie in einem dunklen Tunnel, Straße wie durch die runde Tunnelöffnung gesehen, „Drehplan – Meshes of the Afternoon“, in: Rhodes (2011), Anm. 23, S. 135–141, hier S. 136. Deren bezeichnet die Gestalt selbst im Drehplan als ,schwarze Frau‘ (ebd., S. 141, Anm. 1). 27 Vgl. ebd., S. 135. 28 Vgl. Rhodes (2011), Anm. 23, S. 102.
Screen als Membran 173 Deren im Raum oder die Szene mit der dritten Maya, als sie das Haus betritt und auf der Treppe die Orientierung verliert, während sie der schwarzen Gestalt folgt –, die gänzlich auf Sound verzichten. Die Architektur tritt zunächst als Träger der Schattenbilder der weiblichen Protagonistin in Erscheinung: Die Mauer, die Hauswand, die Tür, an der sie durch Klopfen Einlass begehrt, sind allesamt Darstellungen der Außenhaut des Gebäudes. Doch zuvor und bei der zirkulären Wiederholung im Außen- wie Innenraum sind es vor allem die architektonischen Übergänge, die ins Bild gesetzt werden: die Stufen zum Gebäude, auf der die Protagonistin mehrfach den Schlüssel verliert, und im Inneren die durch viele Einstellungswechsel oftmals unendlich lang wirkende Treppe29 zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss (Abb. 2a–d). Bezeichnend ist ebenfalls, dass der erste Point-of-View-Shot des Films einen Blick auf den Innenraum im Erdgeschoss zeigt. Die Kamera tastet beim Eintreten Derens mit einem langsamen Schwenk die Wände und den Raum bis zum Objektensemble auf dem Esstisch ab, den sie näher heranzoomt. Es ist dieselbe zirkuläre Bewegung der weiblichen Figur und ihrer Doppelgängerinnen in der Traumsequenz durch das Haus: zunächst die Orientierung im Erdgeschoss mit Eingangs- und Essbereich, die gemäß einer offenen Raumstruktur in der Moderne nur noch in Funktionsbereiche unterteilt ist; dann das Überwinden der Treppe und ihr Blick und Umherschweifen im Schlafzimmer. Der Weg über die Stufen zurück zeigt zumeist den Rundbogen, der den Übergang zum Eingangsbereich bildet. In der rückwärtigen Bewegung jedoch wird zunächst nur der Sessel vor dem fast wandfüllenden Fenster sichtbar, und es bleibt vorerst unklar, wo sich dieser im Haus befindet, da die als Orientierung dienenden Requisiten, wie der Plattenspieler, ebenfalls an unterschiedlichen Stellen auftauchen. Erst in der letzten Sequenz, als Hammid das Haus betritt und die nun nicht mehr schlafende, sondern leblose Figur im Sitzmöbel versunken sieht, wird die Position des Möbels im Eingangsbereich des Hauses und als Ort des Traums deutlich. Die Architektur gestaltet die Wahrnehmung bei dieser Bewegung der Protagonistin durch das Haus entscheidend mit, auch bei ihrem Blick durch die wandfüllende Scheibe und
Abb. 2a–d: Meshes Of The Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills. 29 Deren notierte dazu: „Die Länge einer Treppe kann enorm gedehnt werden, wenn drei verschiedene Einstellungen der Person, die hochsteigt (aus verschiedenen Winkeln aufgenommen, so dass nicht auffällt, dass man jeweils denselben Treppenabschnitt sieht), so zusammengeschnitten sind, dass die Handlung kontinuierlich erscheint.“, Deren (1995), Anm. 1, S. 66.
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Abb. 3a–c: Meshes Of The Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills.
bei ihrer Bewegungssequenz innerhalb und außerhalb des Fensters. Somit zeichnen sich die Raumgrenzen ebenso wie die Fensterzonen nicht nur als Übergangsorte aus, sondern passen sich organisch den Aktionen Derens an. Die Filmemacherin testet die Vorstellungen Ebelings und Le Corbusiers zum architektonischen Raum als Membran sowie als Organismus bei Meshes performativ aus, insbesondere bei ihrem Interagieren mit dem Vorhang an der Schwelle zwischen Innen und Außen werden die Raumgrenzen als permeable und anpassungsfähige Einheiten ins Bild gesetzt (Abb. 3a–c). Die Zirkularität und ritualistische Wiederholung in Meshes of the Afternoon ist bereits intensiv diskutiert worden mit je unterschiedlichen Gewichtungen: vom Übergangsmotiv zwischen Wachen und Träumen, von der Perspektiv- und Blickverschiebung zwischen dem filmischem Selbst und seiner kinematographischen Projektion, dem Filmauge (,eye‘) und dem autobiographischen Schreiben (,I‘) zu einer die Blickbeziehungen des weiblichen Subjekts in seiner sexuellen Differenz, zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein thematisierenden, kinematogra phischen Darstellung.30 Maya Deren selbst charakterisierte die Form des Rituals als eine Bewusstseins(ein)übung – der Problematik des Ritualbegriffs in seiner anthro pologischen Lesart eingedenk –, mit direkter Auswirkung auf das veränderbare Ge-
30 Sitney benennt beispielsweise die Übergänge zwischen den zirkuläre und den traumartige Zustände thematisierenden Sequenzen: P. Adams Sitney: „Meshes of the Afternoon“, in: ders.: Visionary Film, New York 1974, S. 4–17, hier S. 11; Soussloff widmet sich der Dichotomie von Subjekt und projiziertem Bild, Catherine M. Soussloff: „Maya Deren Herself“, in: Bill Nichols (Hg.): Maya Deren and the American Avantgarde, Berkeley/ Los Angeles u. a. 2001, S. 105–130, hier S. 109, 124; Elizabeth W. Bruss: „Eye for I: Making and Unmaking Autobiography in Film“, in: James Olney (Hg.): Autobiography: Essays Theoretical and Critical, Princeton 1980, S. 296–320, hier S. 314. Geller fasst Meshes of the Afternoon, die Literatur dazu und damit sämtliche Reflexionen zum feministischen Avant-Garde-Kino zusammen. Unter der Berücksichtigung der Ansätze von Anaïs Nin und Marcel Duchamp sieht Geller in Meshes in der Darstellung sexueller Differenz eine filmische Form des Autobiographischen und verortet diese innerhalb eines modernistischen Diskurses. Theresa L. Geller: „The Personal Cinema of Maya Deren: Meshes of the Afternoon and its critical reception in the history of the Avant-Garde“, in: Biography 29/1 (2006), S. 140–158, hier S. 141, 156.
Screen als Membran 175 füge von Realität, Imagination und Individuum.31 Diese Vergegenwärtigung von Strukturen der Wahrnehmung und des Bewusstseins versteht sie somit nicht nur als Aufgabe des neuen Mediums Film, sich als eigene Kunstform jenseits theatraler Methoden zu etablieren, sondern auch als Herausforderung an die Betrachterschaft im Einüben dieser neuen Sehgewohnheiten.32 Sie wird ebenfalls als ein Modell der Formfindung, als ,bewusster Eingriff‘ jenseits realistischer Darstellung oder spontan eingesetzter Ausdrucksmittel eingesetzt.33 Deren hat in ihrer Schrift „An Anagram of Ideas on Art, Form and Film“ in der Auseinandersetzung mit dem fotografischen Realismus auf die Funktionen und Möglichkeiten der Kameratechnik hingewiesen, mehr als andere Instrumente scheinbar eine gegebene Wirklichkeit darzustellen und dabei die physikalische und funktionale Ähnlichkeit von menschlichem Auge und Linse herausgestellt.34 Diese Wechselbeziehung sei von Ambivalenzen geprägt, da oftmals die Aufzeichnung im Fokus stünde, statt den wesentlich entscheidenderen Aspekt des kreativen Elements zu sehen, einschließlich der Person dahinter. Jedoch sei die Apparatur selbst ein eigenmächtiges Instrument innerhalb dieses künstlerischen Entscheidungsprozesses. Dergestalt changiert die Kameraperspektive in Meshes of the Afternoon von der ersten Einstellung an zwischen einem Blick auf die Protagonistin und ihrer scheinbar eigenen Sicht auf die Dinge. Ersterer könnte irrtümlicherweise als derjenige Alexander Hammids verstanden werden35, der insbesondere die Szenen gefilmt hat, in denen Maya Deren zu sehen war. Jedoch tritt er selbst als Akteur, als Eindringling in die eigene Welt der Protagonistin und als Gegenüber seiner Frau in den letzten Sequenzen des Films auf. Gleichwohl wird bereits in den Anfangsszenen deutlich, dass die Blickperspektive unermüdlich zwischen der weiblichen Person und ihren Traum-Doppelgängerinnen wechselt, sei es im Erblicken einer schwarzen Gestalt, im Hinterherblicken des der Akteurinnen entglittenen Schlüssels oder beim Eintreten in das Haus und einem schweifenden Blick auf das Mobiliar. Mit Einsetzen der Traumsequenz der ersten Maya wird die Zuordnung der Perspektiven vielfältiger und kaum identifizierbar. Mittels schnell hintereinander gesetzter Schnitte oder Einstellungen aus extremer Unter- und Obersicht auf die Protagonistin verselbständigt sich auch die Sicht auf das Geschehen. Diese Verwirrung der Blicke im und auf den Film wie auch im übergangslosen Spiel mit den Projektionen des Traums der ersten Maya wirken wiederum auf die Anfangssequenz zurück und stellen das durch die Kamera Wahrgenommene grundsätzlich in Frage. 31 Vgl. Maya Deren: „An Anagram of Ideas on Art, Form and Film“ [1946], abgedruckt in: Nichols (2001), Anm. 30, Appendix, S. 1–52, hier S. 17. 32 Vgl. ebd., S. 43. 33 Vgl. Annette Michelson: „Poetics and Savage Thought: About Anagram“, in: Nichols (2001), Anm. 30, S. 21–45, hier S. 34. 34 Vgl. Deren (2001), Anm. 31, Appendix, S. 30. Siehe auch in der dt. Übersetzung, Deren (1995), Anm. 1, S. 40. 35 P. Adams Sitney hatte dies, Parker Tyler zitierend, so resümiert: „it is also Hammid’s portrait of his young wife.“ Sitney (1974), Anm. 30, S. 10.
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Abb. 4a–c: Meshes Of The Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills.
Deren arbeitete mit der Kameratechnik als identifikatorischem Moment nach der stilisierten Annäherung einer Maya mit gezücktem Messer auf die schlafende Protagonistin, als im Moment des Zustechens ein Schnitt erfolgt, der Alexander Hammid als Eindringling aus der Perspektive der ersten Maya zeigt, nachdem er sich über sie gebeugt hat. Diese Übertragungen entstehen mittels Filmtechnik, aufgrund des Zirkulierens, Auftauchens und Verschwindens einfacher, aber symbolhafter Objekte wie Schlüssel, Messer, Spiegel etc. Mittels technischer Kunstgriffe, wie demjenigen der Wiederholung, erfahren die Traumszenen eine psychologisch-psychotische Aufladung (4a–c). Das Halluzinierte oder Wahrgenommene, das Sichtbare oder Imaginierte wird dabei verunklärt. Wie Jean-Louis Baudry bereits in seinem vielzitierten Aufsatz zum Dispositiv konstatierte: „Es ist völlig klar, dass das Kino kein Traum ist: es reproduziert bloß einen Realitätseindruck, es löst einen Kino-Effekt aus, der sich mit dem durch den Traum veranlassten Realitätseindruck vergleichen lässt. Um diese Simulation hervorzurufen, tritt das ganze kinematographische Dispositiv in Aktion: Dabei handelt es sich jedoch um die Simulation eines Subjektzustands, einer Subjektposition, einer Subjektwirkung, und nicht der Realität.“36
Derens Operieren mit einem multiplen Kamerablick betont ihren differenzierten Umgang mit dem „gendered self“37, das in sich nicht nur weiblich und mit Aufmerksamkeit auf einen wahrnehmungsästhetisch und sexuell anderen Blick codiert ist. In der zirkulären Sequenz zeigt sie die Mayas, wie sie sich selbst beobachten, etwa in der ikonischen Einstellung ihres Blicks durch das Fenster auf die andere Doppelgängergestalt (Abb. 5). So verlagert sich aufgrund der Aufsplittung der agierenden Protagonistin in drei weitere Akteurinnen auch die von vermeintlicher Opposition geprägte Dichotomie von Selbst/Anderem in eine multiple Darstellung38 des weiblichen Selbst. Analysen innerhalb der feministischen Filmtheorie zur sexuellen Diffe36 Jean-Louis Baudry: „Das Dispositiv – Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks“, in: Robert F. Riesinger (Hg.): Der kinematographische Apparat. Geschichte und Gegenwart einer interdisziplinären Debatte, Münster 2003, S. 41–62, hier S. 61. 37 Geller (2006), Anm. 30, S. 141. 38 Vgl. Maria Pramaggiore: „Seeing Double(s). Reading Deren Bisexually“, in: Nichols (2001), Anm. 30, S. 237–260, hier S. 237.
Screen als Membran 177 renz und zu einer spezifisch weiblichen Betrachterschaft durch Laura Mulvey, E. Ann Kaplan, Mary Ann Doane und andere haben wesentliche, neue Impulse für die Codierungen in Blickund Kameraregie gegeben. Sah Doane in der Historisierung der Filmtheorie eine Möglichkeit für die feministische Filmwissenschaft gegeben, einer hegemonialen Stilisierung und Theoretisierung des Konzepts ,Frau‘ zu Abb. 5: Meshes Of The Afternoon (USA entgehen, so betonte sie als Analyse- 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), instrument den widerständigen Um- Filmstills. gang mit bestehenden Theorien wie der Apparatus-Theorie gegenüber dem Ausschluss des weiblichen Subjekts aus dem filmischen Bild und dem Dispositiv.39 So wurden nicht nur die Dichotomien einer Handlungsmacht des aktiven/passiven Blicks auf die Aspekte von Nähe und Distanz hin erweitert (Doane), sondern in der Lesart der Suture-Theorie verlagerte sich das idealisierte, homogene Betrachtersubjekt zu einer heterogenen, zwischen Kamera und Auge distanzierenden und in sich differierenden Gruppe von BetrachterInnen (Silverman).40 Die Perspektive eines bestimmten (subjektiven) Blicks sieht Ute Holl zwar in ihren luziden Beobachtungen zu Maya Derens Erstlingswerk und ihrer Filmkunst in keiner Weise gegeben, da sie die filmische Selbstbeschreibung der Filmemacherin, eine subjektive Kamera einzusetzen41, zu Recht als ein auf filmische wie tech39 Vgl. Mary Ann Doane: „Remembering Women: Psychical and Historical Constructions in Film Theory“, in: E. Ann Kaplan (Hg.): Psychoanalysis and Cinema, New York/London 1990, S. 46–63, hier S. 48. 40 Die umfangreiche Auseinandersetzung der feministischen Filmtheorie mit der Skopophilie des Kinos und ihrem männlich dominierten Blick in Kamera und Darstellung wie auch mit der Psychoanalyse (Freud, Althusser, Lacan) sowie ihrer Reflexion in der Filmtheorie der 1970er-Jahre (Baudry, Metz) kann an dieser Stelle nur verkürzt wiedergegeben werden. Stellvertretend seien Laura Mulveys Aufsatz über „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ (1975), ihre Erweiterung „Afterthoughts on ,visual Pleasure and narrative cinema‘“ (1989) sowie E. Ann Kaplans: „Is the gaze male?“ (1983) genannt, alle erneut abgedruckt in The film theory Reader, hg. v. Marc Furstenau, New York/London 2010; darüber hinaus Mary Ann Doane: Femmes Fatales: Feminism, Film Theory, Psychoanalysis, New York/London 1991, S. 21 und Kaja Silverman: The threshold of the visible world, New York/London 1996, insbesondere das Kapitel „The Gaze“, S. 126. Silverman spielt bei den Theoretikern der Suture-Theorie auf Millers, Oudarts und Heaths Veröffentlichungen in Screen von 1977/78 an. 41 „Ich begann, indem ich mir Einstellungen einer subjektiven Kamera ausdachte, die nur das sehen sollte, was ich selbst, ohne die Hilfe von Spiegeln sehen konnte, und die sich durch das Haus bewegen sollte als sei sie ein Augenpaar, das mit Interesse hier und dort verweilt, Türen öffnet und so weiter.“ Deren (1995), Anm. 1, S. 25.
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Abb. 6a–d: Meshes Of The Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills.
nische Eingriffe und Bewegungen zurückgehendes Manipulieren hin interpretiert, das Deren mittels Kinematographie erzeugte.42 Dennoch spricht die Dramaturgie der filmischen Einstellungen eine etwas andere Sprache im Ausstellen des Blicks selbst: Indem sie diesen nicht aus der Perspektive einer Protagonistin oder eines Beobachters zeigt, führt sie das Blicken an sich vor: Die Hauptfigur ist zunächst nur als Schattenbild und in Details im Close-Up sichtbar, bevor ihr aktives Erblicken des Hauses, der signifikanten Objekte in den Räumen und der Doppelgängerinnen thematisiert wird, die sich später am Tisch sitzend kritisch gegenseitig beäugen. Signifikant ist auch die von einer der drei Traumfiguren angelegte, nur entfernt an eine Brille erinnernde, binokulare Sehapparatur mit konvexen, spiegelnden Gläsern. Diese dient als Ausrüstung einer der Traumfiguren neben dem zentralen, zirkulierenden Objekt des Messers, um die schlafende Maya Deren zu traktieren. Im Moment des Erwachens der ersten Maya fokussiert die Kamera im Detail ihren angstvollen Blick (Abb. 6a–d). Die Kamera übernimmt somit vielfältige Funktionen, die Holl auch prägnant als „Entpersönlichung“ fasst, welche „Individuum und Subjekt vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung gesellschaftlicher Technologien begreift“. 43 Das heißt, dass sie ihre als Individuen dargestellten Protagonisten aufgrund der Wiederholungen und veränderten Einstellungen entpersönlicht. Zudem sind Kamera und Blickperspektive in Derens frühem Werk entkoppelt und werden zugleich durch das eingeführte Motiv des Blickens der Protagonistin oder ihrer Doppelgängerinnen im Film verunklärt: Wenn beispielsweise in der eigentümlichen Sequenz die Kamera der dritten Maya im Point-of-View-Shot folgt, die wiederum der schwarz gewandeten Person hinterherschaut, wie sie die Treppe hochläuft und dann dort durch Kamerabewegung ins Schwanken gerät, wechseln sich unmittelbar Kamera, BetrachterInnenblick und Perspektive der Darstellerin ab. Indem Deren sich hochzieht, um über die Treppe in den oberen Raum zu schauen, bleibt auch den RezipientInnen und der Kamera diejenige Aussicht zumindest gleichzeitig verschlossen, an der die Akteurin selbst voyeuristisch teilhat (7a–c). Erst im nachfolgenden Schnitt beobachten wir in der Totale die schwarze Figur 42 Holl betont zudem, anhand der Rollen von Hammid und Deren sei auf der Produktions- wie der Schauspielerseite ersichtlich, dass eben kein subjektiver Blick dargestellt werde. Ute Holl: „Die Bewegung der Seelen der Tänzer“, in Hercher/Holl (1995), Anm. 1, S. 101–125, hier S. 107 und Holl: „Moving Dancer’s Soul“ (übersetzter Titel, aber etwas anderer Beitrag), in: Nichols (2001), Anm. 30, S. 151–177, hier S. 160–161. 43 Holl (1995), Anm. 1, S. 115.
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Abb. 7a–c: Meshes Of The Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills.
beim Ablegen einer Blume auf dem Bett und vermeinen damit desselben Blicks der weiblichen Figur teilhaftig zu werden. Das Close-Up auf Derens Gesicht im Profil wechselt die Perspektive erneut, und die nachfolgende Halbtotale auf die verhüllte Gestalt führt wieder eine andere Sicht ein als diejenige der Darstellerin. Die Fragmentierung und Verunsicherung des Blicks werden in einer derjenigen abstrakten Sequenzen explizit nachvollziehbar, bei der sich die Mayafigur in kurz hintereinander gesetzten Schnitten ohne eigene Bewegung im Raum verlagert. Dieser Blick wird folglich nicht nur gendertheoretisch auf das Begehren hin doppeldeutig, sondern etabliert wahrnehmungsästhetisch viele Perspektiven – die Rezipientensicht eingeschlossen –, indem der Film in seiner repetitiven Struktur die räumlichen und zeitlichen Kategorien fließend werden lässt.44 Den Sequenzen kommt, wie Rhodes konstatierte, aufgrund der zum Teil tektonisch gegeneinander gesetzten Filmschnitte selbst schon eine architektonische Form zu. Als Beispiel nannte er die vierte Maya und ihre Bewegung mit gezücktem Messer vom Esstisch zum Sessel in fünf Schnitten – mit dem Close-Up auf ihre Füße –, wie sie verschiedene Landschaften durchschreitet. Seine Argumentation ist bezeichnend, da er die Metapher der architektonischen Sequenz als notwendiges, kontrastreiches Stilmittel gegenüber den filmisch ins Bild gesetzten, membranähnlichen Schwellen analysierte: „Deren’s evocation of the sequence as an architectural form whose boundaries were necessary insofar as they acted as permeable thresholds to another world expresses in nuce not only the possibilities-within-limits of the film’s location, Deren’s and Hammid’s bungalow, but the work of the entire film itself.“45
Bei allen Annäherungen an Meshes of the Afternoon ist maßgeblich, in welcher Weise Deren ihre filmischen Objekte, die Filmschnitte wie auch die Architektur einsetzt, um diese als wirkmächtige und zeichentheoretisch aufgeladene Bilder 44 Vgl. Pramaggiore (2001), Anm. 38, S. 240. 45 Rhodes (2011), Anm. 23, S. 87. Vgl. allgemein zu architektonischen Strukturen des Films: Martin Seel: „Architekturen des Films“, in: Gertrud Koch/Christiane Voss (Hg.): „Es ist so als ob“. Fiktionalität in Philosophie, Film und Medienwissenschaft, München 2009, S. 151–161.
180 Lilian Haberer und Metaphern zu inszenieren und bewusst Vervielfältigungen von Personae und Perspektiven zu evozieren. Dabei arbeitet sie mit den filmisch bekannten Genres wie dem Film noir, dem psychologischen Melodram und sucht einen experimentellen Umgang mit Sujets und Motiven, um die filmische Sequenz als offene Struktur anzulegen. Das vielfach Codierte und das Imaginäre bilden den eigentlichen Horizont in Derens Auseinandersetzung mit dem so genannten Realen und seiner Überführung in die Kunst: zunächst im ursprünglichen Sinne, als Bildhaftes, die Einbildungskraft Anregendes; dann ebenfalls in der Metz’schen Lesart, der das Imaginäre, das den Film und auch das Unbewusste repräsentiert, mit dem filmischen Signifikanten verbunden hat.46 Maya Deren schreibt: „In dem Maße, wie die anderen Kunstformen nicht aus der Realität selbst bestehen, schaffen sie Metaphern der Realität. Dagegen kann die Photographie, die selbst Realität oder jedenfalls ihr Äquivalent ist, ihre eigene Realität als Metapher für Ideen und Abstraktionen verwenden. In der Malerei ist das Bild eine Abstraktion des gewählten Aspekts; in der Photographie produziert die Abstraktion einer Idee das archetypische Bild.“47
Der Eingriff in zeitliche und räumliche Wahrnehmungsmuster ist ihr, innerhalb der filmischen Darstellung des für sie auf Abstraktion und gelenkten Zufallsprozessen basierenden Realen im Film, ein zentrales Anliegen. Die Filmemacherin misst hierbei der Kamera und ihren technischen Möglichkeiten, Sequenzen mittels Zeitlupe, Schnitt, Zeitraffer, Schwenk und manuellem Split-Screen zu manipulieren, einen hohen Stellenwert bei.48 Überdies wird der scheinbar subjektive Fokus in Meshes of the Afternoon zu einer Stellvertreterinstanz für das Ausstellen des Blicks, das heißt für die Projektion selbst, da sie sowohl der Perspektive als auch den Bewegungen der Protagonistin und ihren traumwandlerischen Doppelgängerinnen in der Blicklenkung wie auch in der formalisierten Wiederholung der Sequenzen mit kleinen Varianten folgt. Das heißt, der Betrachterblick wird vervielfältigt: Er stellt mittels der Schwenks, Schnitte und Kameraeinstellungen – vermittelt durch die blickenden Mayas – einerseits unseren Blick aus, andererseits wird eine Verselbständigung des Kameraauges gezeigt. So repräsentieren die verschiedenen Blickprojektionen nicht nur die verschiedenen Blickinstanzen, sondern deuten auch im psychologischen Sinn Projektionen an. Anhand einiger Motive und Szenen im Film sind die verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen; zum einen in der signifikantesten Einstellung mit gegeneinandergesetzten Schnitten, die Deren durch die Fensterscheibe blickend zeigt, wie ihre Doppelgängerin im Traum der schwarz gewandeten Gestalt hinterherläuft, und in der Anfangssequenz, bei der der künstliche Arm einer Schaufensterpuppe eine große Blume tragend langsam von oben herabgelassen 46 Siehe Christian Metz: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino, Münster 2000 [Paris 1977], S. 14. Siehe auch Lilian Haberer: Lemma „Imaginäres“, in: Stephan Günzel (Hg.): Lexikon der Raumphilosophie, Darmstadt 2012, S. 184–184. 47 Deren, in: Hercher/Holl (1995), Anm. 1, S. 61. 48 Vgl. Deren (1960), Anm. 1, deutsche Übersetzung, in: Hercher Holl (1995), Anm. 1, hier S. 52, 62–68.
Screen als Membran
Abb. 8a–b: Meshes Of The Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills.
wird, letztere auf dem Weg zum Haus und Schauplatz des Geschehens ablegt, einzig dem BetrachterInnenblick ausgesetzt (Abb. 8a–b). Zum anderen wird dies in der frontalen Sicht der Kamera auf Deren als Halbfigur beim Eintreten in das Haus oder auch im Schlafzimmer manifest, bei der sie den Sichtwechsel zwischen ausgestelltem Blick und der verfolgenden Kameraführung durch leichte Drehung des Kopfes und den anschließenden Schnitt auf das Bett explizit werden lässt. Zu den filmtechnischen Manipulationen kommen extreme Kameraperspektiven, die insbesondere bei einer Interaktion der Filmfigur mit der sie umgebenden Architektur zutage treten: und zwar in der signifikanten und bereits thematisierten Sequenz, die Deren zunächst beim Hinauslehnen aus dem Fenster zeigt und auf die Außentreppe fokussiert ist, sie jedoch nach einem Schnitt von Oben als Innentreppe erkennbar werden lässt. Ein weiterer Schnitt kehrt die Perspektive um und zeigt das Agieren der Filmemacherin mit den Händen auf den nun hellen und vergrößerten Stufen und Treppenabsätzen in Untersicht. Hierbei stellt sich eine zunehmende Orientierungslosigkeit ein: Handelt es sich dabei um das Äußere oder Innere des Hauses, den Unterbau des Treppenhauses, eine weitere Treppe oder nur die Laibung? Jedenfalls ist die architektonische Darstellung dieses Übergangs modellhaft vergrößert, so dass Deren als Performerin und im Ertasten der übermächtigen Architektur eine Szene lang selbst miniaturisiert erscheint. Die Architektur verändert sich somit in Meshes of the Afternoon mit der geschickt eingesetzten Blickregie. Sie wird an dieser Stelle einerseits anhand ihrer im Maßstab veränderten Darstellung zu einem Modell, das die Verschachtelung von Innen und Außen mithilfe der provisorisch anmutenden Einbauten bei der Sequenz auf einer riesig anmutenden Modelltreppe anschaulich werden lässt; andererseits spiegelt sie zudem die inneren, klaustrophobischen Zustände der Akteurin nach außen, indem sie sich organisch ihren Bewegungen anpasst. Die semantische Vielfalt und Unschärfe des Modellbegriffs ist in der Literatur eingehend diskutiert worden.49 Im Zusammenhang dieser 49 Vgl. Bernd Mahr: „Modellieren. Beobachtungen und Gedanken zur Geschichte des Modellbegriffs“, in: Sybille Krämer/Horst Bredekamp (Hg.): Bild, Schrift, Zahl, München
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182 Lilian Haberer beiden Werke, die mit einer permeablen Architektur und ihrer medialen Reflexion spielen, setzt Deren die Modellhaftigkeit visuell und als Projektionsfläche für die Traumsequenzen und inneren Befindlichkeiten der Protagonistin ein, wohingegen Dorit Margreiter mit dem Modell – eingebaut in den realen Pavillon – als Doppelung des Ortes umgeht und die Ausstattung des Drehortes sowohl in der schauspielerischen Darstellung als auch bei den Objekten selbst modelliert.
Der Ort als doppelte Projektionsfläche: Modell und Blick Zur Biennale in Venedig bespielte Dorit Margreiter 2009 einen Flügel des öster reichischen Pavillons mit ihrer schwarz-weißen, filmischen Arbeit Pavilion und einer nachgebauten und in das Gebäude gespiegelt eingepassten Ausstellungsarchitektur des dortigen Innenraums selbst.50 Die 35 mm-Projektion thematisiert gleichermaßen den Ausstellungsort ihrer Arbeit wie auch die Architektur des Drehortes, den von Josef Hoffmann (1870–1956) erstmalig als Gartenpavillon 1912 projektierten, nach gemeinsamen Entwürfen mit Robert Kramreiter (1905–1965) realisierten und im Jahr 1934 eröffneten Länderpavillon Österreichs auf der Insel Sant’Elena in den Giardini der Biennale. Die neuere Forschungslage zur Architektur kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter thematisiert werden, da diese im Jahr der Entstehung der künstlerischen Arbeit 2009 noch nicht Gegenstand der Diskussion war und insofern darin keine Berücksichtigung findet. 51 2003, S. 59–68; Ingeborg Reichle/Steffen Siegel/Achim Spelten: „Die Wirklichkeit visueller Modelle“, in: dies. (Hg.): Visuelle Modelle, München 2008, S. 9–13; Ralf Christofori: Bild – Modell – Wirklichkeit. Repräsentationsmodelle in der zeitgenössischen Fotografie, Heidelberg 2005 sowie Roland Nachtigäller: „Vor- und Nachbilder“, in: Modellräume, Bühnen, Spielfelder, Versuchsanordnungen, Ausst.-Kat. Städtische Galerie Nordhorn, Nordhorn 2006, S. 4–5. 50 Siehe zum Modell allgemein und zur Modellreflexion von Dorit Margreiters Pavilion: Lilian Haberer: „Screen, Scapes, Architektur. Mediale Übergänge und Rahmungen im Ausstellungsraum“, in: Tasja Langenbach (Hg.): Videonale 14. Festival For Contemporary Video Art, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, Berlin 2013, S. 24–29, hier S. 26–28. 51 Die Forschungsdiskussion zur Entstehung des Gebäudes hat seit einer im Sommer 2013 erschienen Publikation des Pavillon-Kurators der 55. Biennale in Venedig, Jasper Sharp, zum Österreichischen Pavillon wieder neue Impulse erhalten, da dieser von einer Planung Kramreiters und Realisierung von Hoffmann ausgeht. (Siehe Gespräch zwischen Jasper Sharp und Alexandra Matzner am 08.05.2013, in: dies., Texte zu Kunst und Kultur, http://www.textezukunst.com/index.php?page=jasper-sharphg-oesterreich-und-die-biennale-venedig-1895-2013 (letzte Sichtung 08.10.2014), vgl. auch den Aufsatz von Rainald Franz: „Der österreichische Pavillon der Biennale Venedig. 1983–2013“, insbesondere Kap. 5, indem er diesen als „neoklassisch überformte Version des von Robert Kramreiter in seinem ersten Entwurf schon angelegten Raumkonzepts“ bezeichnete, in: Jasper Sharp (Hg.): Österreich und die Biennale Venezia 1895–1913, Nürnberg 2013, S. 73–86, hier S. 83, 85. Der Verfasser des Werkverzeichnisses von Josef Hoffmann, Eduard F. Sekler, hat gleichwohl bereits 1982 die gemeinsame Grundrissgestaltung Hoffmanns und Kramreiters beim Österreichischen Pavillon verzeichnet.
Screen als Membran 183 In einer achtminütigen, langsamen und zumeist horizontalen Kamerafahrt, mitunter durch den Kunstgriff des Suspense, aber auch technische Mittel wie Überblendungen und Kameraschwenks unterbrochen, werden die Architektur, ihre Oberflächen und Materialien abgetastet und die von der Künstlerin in den Räumen platzierten Objekte wie auch Akteurinnen in den Blick genommen. Die erste Einstellung ähnelt einer Filmleinwand, auf die das Licht fällt. Erst als die Kamera herauszoomt, ist eine weiße, das helle Sonnenlicht reflektierende Pavillonwand draußen zu sehen, vor der ein Baum seine Silhouette auf die Fläche wirft. Zunächst werden vor allem die Spuren der Schatten und des intensiven Sonnenlichts auf den Wänden und dem Boden und das sich wie ein Schattenriss abzeichnende Raster eines Fensters sichtbar, bevor die Raumfolgen und Öffnungen aus nächster Nähe oder in der Totale aufscheinen. In den Räumen sind Gegenstände platziert: Kugeln, an die Wand gelehnte oder hängende, weiße oder schwarze Platten, Plexiglaspaneele, Sockel, matt weiß oder hochpoliert, glänzend und die Umgebung reflektierend. Auf den hohen Kuben wurden Dinge abgelegt: etwa eine durchsichtige Kugel, ein Plexiglaskubus, ein metallener Doppelring oder ein Stapel Bücher zur Kinematographie und zu Special Effects sowie zum Verhältnis von Kino und Fotografie (Abb. 9a–d).
Abb. 9a–d: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Filmstills.
Die Kamera bewegt sich zwischen Innen- und Außenansicht, da sie das Gebäude trotz Richtung verändernder Schwenks langsam zu umkreisen scheint. Der offenen, architektonischen Gestaltung gemäß, gibt sie auch den Blick in den Hof mit der weißen Innenmauer und dem signifikanten Baum frei. Oftmals gibt es eine geringe Tiefenschärfe, so dass die Einstellung an die Nahsicht gebunden bleibt und der Hintergrund unscharf wird. Das Abtasten der Oberflächen durch die Kamera aus nächster Nähe verunklärt mitunter auch das gesamte filmische Bild. Demgegenüber erscheint die filmische Einstellung der in der Kamerafahrt erfassten, jeweils zu zweit vor einem Spiegel posierenden und sich kostümierenden Akteurinnen in der Totale gestochen scharf. Ihre seidenen, fließenden Stoffe bilden Analogien zu Zudem existieren bereits Skizzen von Hoffmann aus dem Jahr 1912, als er einen Gartenpavillon für die Biennale projektierte, und spätere Entwürfe, die Skizzen des späteren Pavillons mit der charakteristischen Schaufassade zeigen. 1924/25 entstand der Österreichische Pavillon auf der Internationalen Kunstgewerbeausstellung in Paris, bei dem Hoffmann ebenfalls von einem querrechteckigen Baukörper mit zwei symmetrischen Flügeln ausging. Vgl. Eduard F. Sekler: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg/Wien 1986 (2. Aufl.), S. 210–11, 347–348, 403–404, 431–432. Der Pavillon wurde 1984 durch Hans Hollein umfassend restauriert und in seinen Originalzustand zurückgeführt.
184 Lilian Haberer
Abb. 10a–c: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Filmstills.
Abb. 10d–f: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Filmstills.
den silbrig und hochglänzenden Texturen der Sockel; ihre Schatten hingegen sind bewegt gegenüber denjenigen der Objekte und sich abzeichnenden, architektonischen Details. In einem Teil des Gebäudes ist neben Objekten, abgestellten Dingen, wie Spiegel, glänzenden Platten etc. und Requisiten, auch filmisches Equipment gelagert. Dieses weist den österreichischen Pavillon – bevor die Kamera den Blick auf den Park der Giardini freigibt und sich wieder der Ansicht des Hofes widmet – nicht nur als realen Drehort aus, sondern lässt diesen auch thematisch mit den dort sichtbaren Filmstrahlern, Akteurinnen und requisithaften Objekten als Filmset erkennbar werden (Abb. 10a–c). Dorit Margreiter stellt somit den Ort als zweifache Projektionsfläche heraus: zum einen als Protagonisten des Films, dessen symmetrisch angelegter Grundriss und seine offene, gegenüber dem Außenraum permeable Struktur gänzlich von der Funktion als Ausstellungsgebäude bestimmt wird; zum anderen als modellhaftes Display, das zwischen Bühne, Installationsraum und Kinoarchitektur oszilliert. Eine Charakteristik des Länderpavillons ist es, nur temporär alle zwei Jahre ausschließlich für eine Schau belebt zu werden. Es bedarf der Präsentation von Kunst oder der filmischen Inszenierung bezogen auf den Drehort, um aktiviert und rezipiert zu werden. Die enge Verbindung von ästhetischer Erfahrung der Kunst und dem institutionellen Raum52 wird bei Pavilion unmittelbar sichtbar. In Margreiters doppelter Überlagerung von Filmset und Ausstellungsort nimmt das Medium jedoch eine vermittelnde Funktion ein: Erst in der filmischen Wahrnehmung dieser funktionsgebundenen Orte und somit in ihrer medialen Reflexion und Belebung, in diesem Fall durch das Kameraauge, tritt die Typologie dieses spezifisch gefassten Raums hervor. Barbara Clausen hatte in Bezug auf die margreiter’sche Bestandsaufnahme des Pavillons die Notwendigkeit der medialen Übertragung im Moment seiner Nutzung 52 Vgl. André Rottmann: „The Artist as Topologist. Notes on the Art of Dorit Margreiter“, in: Ausst. Kat. Dorit Margreiter. Description, Museo Reina Sofía, Madrid 2011, S. 99–111, hier S. 109.
Screen als Membran 185 betont, um einen immateriellen Raum wahrnehmungsästhetisch anschaulich werden zu lassen. Dieser allmählichen Erschließung attestierte sie einen „semantischen Eigensinn“, den Clausen ebenfalls mit der Selbstreferenz der Medien in Verbindung bringt.53 Im Rückschluss auf die Eingangsthese einer Architektur als Übertragungsmedium54 und einer Wahrnehmungsvorrichtung für die Umgebung, lässt sich nun über eine Selbstbezüglichkeit der Medien hinaus konstatieren, dass bei Margreiter vielmehr das Mediale im Sinne eines Transkriptionsvorganges im Fokus steht: Bei 10104 Angelo View Drive (2004) waren es sowohl performative Interventionen im oftmals als Ort für Hollywoodfilme ausgewählten Abb. 11: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Lautner-Haus, Los Angeles – mit einer Installationsansicht. doppelten Reflexion des Drehortes – und die Architektur selbst, welche sich durch Mechanismen der automatisierten Eigenbewegung des spätmodernen Settings – durch automatisch in Bewegung versetzte Fenster und Bauteile – filmisch in Szene setzen ließen.55 In Pavilion treten die Eigenheiten der modernistischen Pavillonarchitektur als Ausgangspunkt für die Wahrnehmung der dortigen Exponate wie schauspielerischen Aktionen erst in der filmischen Übersetzung, in der Belebung durch Licht und Schatten, wie auch in der Rhythmisierung der Raumfolgen hervor. Vor allem aber werden sie augenfällig in der Modellarchitektur des Gebäudes und ihrer Integration in die reale Raumsituation, die der eigenen physischen Erschließung harrt (Abb. 11). Die Selbstreflexion von Film(-Set) und Ausstellung, welche sich parallel dazu in der installativen Ebene noch einmal spiegelt, wird von der Künstlerin mit einem 35 mm-Projektor am Eingang eingeleitet, der Maschine selbst, die paradigmatisch für das Set und den Ort der Filmprojektion wie auch das Wahrnehmungsdispositiv von Film und Architektur steht. 53 Barbara Clausen: „Dorit Margreiter. Pavilion“, in: Valie Export/Silvia Eiblmayr (Hg.): Elke Krystufek, Dorit Margreiter, Franziska & Lois Weinberger, Österreich Pavillon, 53. Biennale Venedig, Köln 2009, S. 72–82, hier S. 80–81. 54 Vgl. Wolfgang Schäffner, „Elemente architektonischer Medien“, in: Lorenz Engell/Bernhard Siegert (Hg.): Kulturtechnik: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1 (2010), S. 136–149, hier S. 139, 142. 55 Siehe Haberer (2012), Anm. 17, S. 158–159.
186 Lilian Haberer Zu sichtbaren Schnittstellen werden hier die Screens, etwa die wahrnehmbare Projektionsleinwand in Margreiters Modellarchitektur und die Träger der Schatten und Spiegelungen architektonischer Elemente wie Wände und Glasscheiben, aber auch reflektierende Oberflächen der Objekte selbst. Diese funktionieren ebenfalls thematisch als Projektionsflächen dieses doppelten Ortes, der sich mit den Objekten, Requisiten und Schauspielerinnen in einem Stadium der ständigen Vorläufigkeit befindet, der die finale Situation einer installierten Ausstellung respektive einer fertiggestellten Produktion andeutet (Abb. 10d–f ). Der Screen tritt in der filmischen Auseinandersetzung mit der Außenhaut der jeweiligen Architektur in Fenster- und Glasflächen mittels der filmisch abgetasteten Objekte, aber auch innerhalb der Installation im Österreichischen Pavillon als Figuration einer Membran in Erscheinung, die auf das Gefüge verschiedener Akteure einwirkt, dieses mitgestaltet. Dies zeigt sich insbesondere im filmischen Erkunden der Räume und Projektionen des Lichts auf die Wand- und Bodenflächen, mit jedem Frame, der eine neue Raumsituation erschließt – mit oder ohne Objekt – und die Durchlässigkeit der Außenhaut durch Fenster und Durchgänge vor Augen führt. Wiewohl die Wahrnehmung immaterialisierter Projektionsflächen allgemein einer zunehmenden Materialität und Architektur der elektrotechnischen Trajekte (und ihrer ökologisch nachvollziehbaren Spuren) entgegensteht – wie Sean Cubitt überzeugend gezeigt hat56 –, lässt sich für die screenanalogen Funktionen modernistischer Bauelemente ein umgekehrter Effekt erkennen, der die durchscheinenden, glatten und innerhalb der Architektur zurücktretenden Flächen durch die (Licht-)Projektionen und Einspiegelungen in ihrer Materialität deutlich werden lässt. Mit diesen Dichotomien spielt Dorit Margreiter, wenn sie nur die weiße Fläche Pavillonwand als lichtdurchfluteten Screen und im Herauszoomen den Baum als Schattenriss zeigt. Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die medial vermittelte Architektur als Träger dieser Schattenprojektionen, mit der sie auch auf Hoffmanns Fähigkeit anspielt, dass er seine architektonischen Projekte vor allem für ein fotografisches Bild inszenierte, was – wie Beatriz Colomina in Ihrer Untersuchung herausgearbeitet hat57 – von seinen Zeitgenossen kritisch betrachtet wurde. Die Architektur ist hier bereits als Bildobjekt stilisiert58 und in ihrer Medialität herausgestellt, wobei die Künstlerin aufgrund der als Black Box-Modell in den Pavillon eingefügten architektonischen Form den Film wieder institutionell und materiell verortet. Hatte André Rottmann Margreiters Verfahren luzide als topologisches herausgearbeitet sowie ihre Auseinandersetzung mit Produktionsästhetiken und ihren kulturellen Reflexen im Medium Ausstellung analysiert – etwa mit der Thematisierung der Objekte als Displays und einer visuellen Sprache der Minimal Art –, so lässt sich 56 Vgl. Sean Cubitt: „Current Screens“, in: Oliver Grau (Hg.): Imagery in the 21st Century, Cambridge Mass. 2011, S. 21–35, hier S. 21, 24. 57 Vgl. Beatriz Colomina: Privacy and Publicity. Modern Architecture and Mass Media, Cambridge Mass. 1996 (2. Aufl.), S. 64 und 101–103 (siehe insbesondere die Kapitel „City“ und „Photography“). 58 Vgl. ebd., S. 70.
Screen als Membran 187 für Pavilion anhand dieses exemplarischen Settings eine Überblendung verschiedener historischer Situationen an einem Ort feststellen. Darüber hinaus oszillieren nicht nur die Codierungen des Raums zwischen filmischem Drehort, Interaktion vor der Kamera und musealer Inszenierung: die Objekte sind ebenso Teil einer installativen Anordnung im Ausstellungsraum des Pavillons wie auch unbewegte Beweger der sequenziellen Logik im Durchmessen der Räume. Zugleich liegt die Aufmerksamkeit auf dem Bewegtbild, da Margreiter ihre Arbeit – in Reminiszenz an den frühen Film der Moderne – als Stummfilm zeigt, ohne jedoch die histo rischen Paratexte der Zwischentitel und Filmmusik hinzuzunehmen. Im Zuge der historischen Entwicklung des Stummfilms, an die Reihenbilder von Marey an der Schwelle der Industrialisierung anknüpfend, wurde – wie Kittler beschrieb – ebenfalls die Frage nach den imaginären Bildern virulent und der Möglichkeit, sie mittels wissenschaftlich orientierter Versuche durch reelle zu ersetzen.59 Dergestalt oszilliert die Pavilion-Arbeit zwischen der situativen, realzeitlich anmutenden Erkundung des Raums – mit einer etwas retardierten Kamerabewegung – und einer imaginativen Sequenz im allmählichen Ertasten der Oberflächen, Raumkanten und Objekte, welche die Bilder ästhetisch auflädt. Statt eines Schnitts setzt die Künstlerin oftmals einen Suspense ein, als sei die Stärke und Schwäche des natürlichen Lichts, das den Pavillon belebt, ausleuchtet und kinoähnliche Projektionen auf der Architektur hinterlässt, analog zum Licht des Projektors das gestaltgebende Medium der Bilderzeugung jenseits des Filmstreifens. Signifikant ist hierbei, dass diese visuell argumentierende Arbeit mittels der Charakteristiken filmischer Bildproduktion ebenso die postminimalistische Auseinandersetzung mit den eigens für die Ausstellung angeordneten Objekten als Äquivalente für die künstlerischen Setzungen modellhaft durchspielt. Margreiters Reflexion eines filmischen, architektonischen und ausstellungspraktischen Modernismus thematisiert gleichermaßen die von Erwin Panofsky 1936 konstatierte Erkenntnis in seinem prägenden, filmästhetischen Essay, dass der Film als eine notwendige, kulturelle Praxis der Moderne das idealistische durch ein materialistisches Selbstverständnis abgelöst habe und nur er diesem Anspruch gerecht werden könne.60 Bei Margreiter tritt nun einerseits die Materialität der Medien in der engen Verflechtung mit der modernistischen Architektur in Erscheinung. Andererseits nutzt sie filmische Techniken und Einstellungen, wie das Close-Up und die Unschärfe etc., um die Immaterialisierung der Projektionsflächen zu betonen. Beide Aspekte finden in ihre Arbeit nicht mehr als konträre Prinzipien Eingang, sondern – gemäß der von Ute Holl analysierten Ansätze – werden im Sinne eines ,Dazwischenseins‘ in 59 Vgl. Friedrich Kittler: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin 2002, S. 218– 219 und 227. 60 Vgl. Erwin Panofsky: „On Movies“, in: Bulletin of the Department of Art and Archeology of Princeton University, Juni (1936), S. 5–15, dt. in der dritten Fassung: ders.: „Stil und Medium im Film“, in: Helga und Ulrich Raulff (Hg.): Erwin Panofsky. Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers, Frankfurt am Main/New York 1993, S. 17–51, hier S. 47.
188 Lilian Haberer
Abb. 12: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Modell der Installation.
Relation zueinander begriffen: Wahrnehmung und kritische Rezeption erzeugend.61 Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem Modell zu, dass nicht nur in modellhafter Anmutung in Hoffmanns Pavillon als Ausstellungsarchitektur eingepasst ist, sondern auch als solches ausgestellt wird, etwa in Dorit Margreiters Description im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid. Da hier erstmalig Pavilion unabhängig von seinem reflektierten Gegenstand, der Pavillonarchitektur gezeigt wird, hat die Künstlerin ein Teilmodell des linken Flügels vom Österreichischen Pavillon auf der Biennale anfertigen lassen, das gleichsam auch die von ihr getätigten Einbauten und den Projektionsraum zeigt (Abb. 12). Demgegenüber hat sie neun Zeichnungen des Architekten Hoffmann aus dem Museum für Angewandte Kunst in Wien platziert, um den genius loci und die Auseinandersetzung mit der Architektur in anderer Form zu visualisieren (Abb. 13). In der Gegenüberstellung zu Margreiters Biennale-Ausstellung werden unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen: Im Österreichischen Pavillon stand das Gebäude zur Disposition und damit die reale architektonische Außenhaut im Verhältnis zur Ausstellungsarchitektur sowie ihre filmische Aktivierung als Raumschachtelung. Diese erfolgte in direkter Konfrontation mit den durch den Innenraum und den Garten mäandernden Besuchergruppen und vermittelte somit ihre Durchlässigkeit zwischen filmischem und architektonischem Eingriff. Das Modell in der Reina Sofía hingegen visualisiert eine Veranschaulichung der künstlerischen Auseinandersetzung und stellt gleichsam die 61 Vgl. Ute Holl: „Materialität | Immaterialität. Einleitung in den Schwerpunkt“, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 2/1 (2010), S. 10–13, hier S. 10.
Screen als Membran 189
Abb. 13: Dorit Margreiter, Installationsansicht Dorit Margreiter. Description, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 2011.
Frage von Präsentation und Intervention im Verhältnis zum ursprünglichen architektonischen Konzept der nun abwesenden Pavillonarchitektur neu. Die Künstlerin spielt hiermit die verschiedenen Dimensionen des Modellbegriffs exemplarisch durch: Sie nutzt es zur Veranschaulichung, als produktiven Denkansatz und damit als Ausgangpunkt für neue Thesen.62 Für Margreiters Ansatz ist es bezeichnend, dass sie ihre Reflexion des Ortes, der Ausstellung, der Architektur, des Modernismus sowie dessen historische Schichten selbst modellhaft begreift und produktiv werden lässt63, indem sie diese verschiedenen Verfremdungseffekten unterwirft. Den Ort 62 Vgl. Mahr (2003), Anm. 49, S. 73, 77. 63 Vgl. Haberer (2013), Anm. 50, S. 28–29.
190 Lilian Haberer oder zumindest dasjenige, was er in seiner kulturellen, (ausstellungs-)historischen, architektonischen und produktionsästhetischen Schichtung selbst vergegenwärtigt, sucht sie mittels Spiegelung, Miniaturisierung, Doppelung und Projektion dergestalt herauszustellen und zu problematisieren, dass dieser selbst zur reflektorischen Folie, zum Screen wird. Darüber hinaus bleibt er als Produktionsschauplatz und Ausstellung erfahrbar. Beide Ansätze, Derens filmtechnische Eingriffe in die zeitliche Struktur des Films und den Drehort sowie Margreiters topologische Methode einer Verfremdung des Produktionsorts haben in unterschiedlicher Weise die „organische Struktur eines Films“64 im Sinne einer membranartigen Durchlässigkeit nicht nur der Architektur, sondern auch der Medialität und ihrer Schwellen sichtbar werden lassen. Diese eröffnet den Rezipienten eine andere Möglichkeit der Teilhabe im Sinne Nancys, einer kritischen Wahrnehmung der eigenen Veranschaulichungsmodelle und Modellbildungen.
64 Deren (1995), Anm. 1, S. 65–66.
Teil IV
(Film-)Projektionen im Expanded Cinema und in der Black Box
Volker Pantenburg
1970/2010 Experimentalfilm und Kunsträume
In der Geschichtsschreibung der Kunst/Kino-Konstellation können zwei Zeiträume als kanonisiert gelten, in denen die Galerie und das Museum als institutionelle und architektonische Alternativen zum Kino-Dispositiv charakterisiert werden. Für den früheren Zeitpunkt, grosso modo: die sechziger und frühen siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, wird häufig der Sammelbegriff Expanded Cinema verwendet, während zur Beschreibung des späteren Zeitpunkts, der in etwa die letzten beiden Jahrzehnte umfasst, unterschiedliche Bezeichnungen miteinander konkurrieren.1 Üblicherweise werden beide Phänomene im Modus der Kontinuität aufeinander bezogen. Das Expanded Cinema wird als potentieller Vorläufer der Installationskunst interpretiert, die Film- und Videoinstallationen seit den frühen 1990ern – etwa die raumgreifenden Vielfachprojektionen Doug Aitkens – greifen Aspekte auf, die in der früheren Strömung bereits angelegt sind. Mir geht es in meinem Beitrag darum, sowohl die historischen Zeitpunkte als auch die genannten Phänomene eher als gegenläufig zu begreifen. Statt einmal mehr die Gemeinsamkeiten herauszustellen, scheint es mir sinnvoll, einige der Differenzen, möglicherweise auch Unvereinbarkeiten zwischen experimentellen Filmformen um 1970 und der Installationskunst der letzten fünfundzwanzig Jahre zu benennen. Ich werde dies in acht unterschiedlich langen und eher thesenhaften Anmerkungen tun, bevor ich abschließend einige Gedanken nochmals bündeln möchte.
1
‚Artists� cinema‘, ‚Kinematographische Installation‘, ‚L’Entre-Images‘, ‚Cinéma d’Expo sition‘; die Begriffe setzen verschiedene Akzente und stammen aus unterschiedlichen Phasen der Diskussion seit etwa 1995.
194 Volker Pantenburg
I. Das räumliche Missverständnis Der Begriff Expanded Cinema bündelt in Gene Youngbloods gleichnamigem Buch von 19702 eine äußerst heterogene Vielzahl von Praktiken: Zwischen seiner Lektüre der ‚Stargate Corridor‘-Sequenz aus Kubricks 20013 und technischen Zukunftsvisionen wie dem ‚holographischen Kino‘ erstreckt sich ein weites und eher entropisch strukturiertes Feld. Für die historische Herleitung installativer und raumbezogener Arbeiten hat das Label vor allem deshalb so wichtig werden können, weil es erlaubte, die räumliche Komponente aus dem Attribut ‚expanded‘ herauszulösen und zu Lasten anderer, ebenfalls im Konzept angelegter Dynamiken absolut zu setzen. Als Beispiel für diese Tendenz zitiere ich die Galeristin Tanya Leighton, die in der Einleitung zu ihrem umfassenden Kompendium „Art and the Moving Image“ so argumentiert: „The decade of the 1960s [...] saw the contemporary exodus of film from the theatre towards the site of the gallery (and an emphasis on screening situations); the beginning of an ‚intermedia‘-condition; the permeation of boundaries between art and film; and the creation of hybrid filmic objects, installations, performances and events.“4
Was Leighton hier als ‚Exodus‘ und somit als Ortswechsel beschreibt, kennzeichnet aber nur einen Teil dessen, was seinerzeit gemeint war. Das Partizip ‚expanded‘, dessen Semantik ja weniger auf ‚Abkehr‘ als vielmehr auf ‚Erweiterung‘ hindeutet, hatte über diesen räumlichen Aspekt hinaus mindestens zwei weitere Implikationen: Für die britische und österreichische Spielart des Expanded Cinema müsste man hier differenzieren,5 aber in der amerikanischen Variante meinte es erstens und vor allem die Erweiterung der Wahrnehmung. Youngblood selbst lässt daran keinen Zweifel, wenn er ganz zu Beginn seines heute aufgrund des psychedelisch berauschten Stils teils mühsam zu lesenden Buchs schreibt: „When we say expanded cinema we actually mean expanded consciousness. Expanded cinema does not mean computer films, video phosphors, atomic light, or spherical projections. Expanded cinema isn’t a movie at all: like life it’s a process of becoming, man’s ongoing historical drive to manifest his consciousness outside of his mind, in front of his eyes.“6
2 3 4 5
6
Gene Youngblood: Expanded Cinema, New York 1970. 2001: A Space Odyssey (GB/USA 1968, R: Stanley Kubrick). Tanya Leighton: „Introduction“, in: dies. (Hg.): Art and the Moving Image. A Critical Reader, London 2008, S. 7–40, hier S. 13 f. Eine Analyse des britischen Expanded Cinema als Auseinandersetzung mit dem Fernsehen und Fragen der Live-Übertragung liefert Duncan White: „British Expanded Cinema and the ‚Live Culture‘ 1969–79,” in: Visual Culture in Britain, 11/1 (2010), S. 93–108. Ein Band mit lesenswerten Texten zum Expanded Cinema erschien 2011: Alan L. Rees/ Duncan White/Steven Ball u. a. (Hg.): Expanded Cinema. Art, Performance, Film, London 2011. Youngblood (1970), Anm. 2, S. 43.
1970/2010 195
Abb. 1: Stan VanDerBeek, Movie-Drome, 1963, Innenansicht, Fotografie.
Zwar bleibt die Zielsetzung von Youngbloods Utopie allgemein, weil seine Ausführungen oft schematisch auf ‚Bewusstseinserweiterung‘ hinauslaufen. Trotzdem sind hier die beiden Entgrenzungsbewegungen präzise benannt, mit denen sich das Kino in den letzen vierzig Jahren verstärkt konfrontiert sieht: die Ablösung vom Filmmaterial einerseits und vom Aufführungsdispositiv ‚Kino‘ andererseits. Dass die Verwirklichung dieser Utopie in der Ersetzung des Kinos durch Rockkonzerte, Lightshows oder immersive Kuppelarchitekturen gesucht wurde, ist allerdings lediglich ein Mittel auf dem Weg zu einer quasi-religiösen gemeinschaftlichen ,Erfahrung‘, nicht der Ausgangs- oder Zielpunkt der unterschiedlichen Projekte. An den Texten und Filmen Stan VanDerBeeks, der bereits Mitte der sechziger Jahre von ‚Movie Dromes‘ und der globalen Vernetzung von bildbasierten, sprachunabhängigen Wissensformen schwärmte, lässt sich neben der räumlichen und somatisch-aisthetischen Erweiterung noch eine weitere Form der Entgrenzung erläutern (Abb. 1).7 Denn ‚Expansion‘ meint bei VanDerBeek nicht zuletzt die Erweiterung der Kunst in Richtung Kommunikation. Deshalb ist es kein Wunder, dass VanDerBeek seine Hoffnungen zu Beginn der siebziger Jahre keineswegs in das Museum oder die Galerie setzt, sondern in die seinerzeit neuen oder neuesten Medien Fernsehen und Computer. Wer die dispositiven Verschiebungen im Bilddiskurs 7
Im Frühjahr 2011 hat das Contemporary Arts Museum in Houston eine Überblicksausstellung von Stan VanDerBeeks Arbeiten gezeigt: Bill Arning (Hg.): Stan VanDerBeek. The Culture Intercom, Ausst.-Kat. Contemporary Arts Museum, Houston 2011. Auf der Website www.stanvanderbeek.com wird ein großer Fundus an historischem Bild- und Textmaterial in Form von PDFs zugänglich gemacht (letzte Sichtung 08.10.2014). Siehe auch Andrew V. Uroskie: Between the Black Box and the White Cube. Expanded Cinema and Postwar Art, Chicago 2014, S. 148–170.
196 Volker Pantenburg einzig auf die institutionellen Zusammenhänge Museum und Kino bezieht und das Expanded Cinema zum Ursprung der Installationskunst hypostasiert, blendet TV und Computer als mindestens ebenso wichtige Bildmedien aus.8
II. Die Mobilitätsfrage Seit der Wiederentdeckung des Erzählkinos in den neunziger Jahren, für die stellenweise die Begriffe ‚narrative‘ oder ‚cinematographic turn‘ ins Feld geführt werden, ist die Differenz zwischen Museum und Kino mit der Beharrlichkeit einer Beschwörungsformel als Unterschied zwischen dem immobilen und passiven Zuschauer einerseits und dem mobilen und aktiven Museumsbesucher andererseits beschrieben worden. Die Denkfigur beerbt – man könnte auch polemisch sagen: exhumiert – den in den siebziger Jahren entwickelten Gedanken der Apparatus-Theorie, dass im Kino als bürgerlich-repräsentativem und tendenziell entmündigendem Raum die klassischen Blickverhältnisse seit Platon und der Camera obscura perpetuiert werden.9 Mit Althusser und Lacan wird diese Struktur als Interpellations- und Subjektivierungspraxis begriffen und kritisiert. Ausgeblendet wird, dass das transzendentale Zuschauersubjekt der in den siebziger Jahren produktiven Theorien in der Filmwissenschaft selbst längst in Frage gestellt und durch phänomenologische, feministische oder filmhistorische Differenzierungen ergänzt wurde.10 Es gibt den Zuschauer ebenso wenig wie es das Kino gibt, wenn man Fragen nach dem Zusammenhang von Spectatorship und Gender, nach den Besonderheiten des proto-narrativen frühen 8
Alternative Modelle, diese Konstellation zu denken, finden sich bei Jay David Bolter/ Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media, Cambridge Mass. 2000; Anne Friedberg: The Virtual Window. From Alberti to Microsoft, Cambridge Mass. 2006; Lev Manovich: The Language of New Media, Cambridge Mass. 2002. 9 An einer kurzschlüssigen Übernahme von Positionen der 1970er-Jahre setzt auch Ruth Noacks Kritik an, wenn sie ihre Skepsis gegenüber der gefeierten Mobilität des Museumsbesuchers artikuliert und vorschlägt, den ideologiekritischen Impuls auf die Ausstellungssituation zu übertragen: „Sicher ist, dass die Freiheit, mit der sich das neoliberale Subjekt als Individuum durch soziale und geographische Räume bewegt, nur manche Menschen und Bevölkerungssegmente meint. Bevor das zeitgenössische Mobilitätsideal als ‚Transformation vom Betrachter zum Benutzer‘ leichtfertig auf die Bewegung der BetrachterInnen im Ausstellungsraum umgelegt wird, muss nach den ideologischen Bedingungen dieses Szenarios gefragt werden.“ Ruth Noack: „Events Take Place. Was sucht das Kino im Ausstellungsraum“, in: Irene Nierhaus/Felicitas Konecny (Hg.): Räumen. Baupläne zwischen Raum, Visualität, Geschlecht und Architektur, Wien 2002, S. 315–325, hier S. 322. 10 Eine Reihe dieser Ansätze hat Linda Williams bereits Mitte der 1990er-Jahre in einem Reader zusammengestellt, der Texte von Jonathan Crary, Anne Friedberg, Tom Gunning, Miriam Hansen, Vivian Sobchack und anderen enthält: Linda Williams (Hg.): Viewing Positions. Ways of Seeing Film, New Brunswick 1995. Im deutschsprachigen Raum ist diese Debatte zum Teil unter dem Begriff der Erfahrung aufgegriffen worden. Vgl. z. B. die Beiträge in montage AV 19/1 (2010).
1970/2010 197 Kinos oder nach der Involviertheit des Körpers in die Filmerfahrung berücksichtigt, wie dies seit gut dreißig Jahren in der Filmtheorie geschieht. Der konkrete historische Zeitpunkt von 1970 (gekoppelt seinerzeit an ein emanzipatorisches politisches Projekt) konnte daher nur um den Preis einer radikalen Enthistorisierung in kunstkritischen Zusammenhängen seit 1990 erneut zur Beschreibung der Kunst-KinoKonstellation aufgegriffen werden. Die Konzepte von Mobilität, Partizipation, Aktivität, Reflexivität und Kritik wurden dabei auf ein und derselben Ebene angeordnet und wechselseitig miteinander identifiziert. Warum ein umherwandelnder Besucher reflektierter, kritischer oder alerter sein solle als ein Zuschauer in seinem Sessel, blieb entweder undeutlich oder verdankte sich einer problematischen Gleichsetzung von körperlicher mit gedanklicher oder reflexiver Aktivität. Wie Erika Balsom schreibt: „The comparisons between the cinema hall and the gallery rest on a spurious mapping of passive/active binaries onto this architectural difference, as if to conflate physical stasis with regressive mystification and physical ambulation with clear-sighted, intellectual engagement.“11
III. Die Zeiten der Erfahrung Mir scheint, dass diese einseitige Privilegierung der Mobilität ebenfalls der oben angedeuteten Prominenz des räumlichen Moments geschuldet ist. In einem anderen Licht stellt sich die Frage nach dem Dispositiv der Aufführung oder Präsentation dar, wenn man statt der räumlichen Dimension die zeitliche in den Vordergrund stellt. An die Stelle von Mobilität tritt dann die Dissoziation der Filmerfahrung im Ausstellungsraum und, wahrnehmungsökonomisch gewendet, die Zerstreuung des Zuschauersubjekts, während die Immobilität eher als Voraussetzung von zeitlicher Kompaktheit und Konzentration in den Blick kommt. Um 1968 ist diese Frage der ‚konzentrierten Wahrnehmung‘ neben der oben geschilderten ‚Expansion‘ und Entgrenzung die zweite Kernfrage des experimentellen Kinos. Zwei Beispiele können das illustrieren. Das erste stammt von Hollis Frampton. Seine nüchtern A Lecture (1968) benannte Performance beginnt Frampton so: „Please turn out the lights. / As long as we’re going to talk about films, we might as well do it in the dark. / We have all been here before. By the time we are eighteen years old, say the statisticians, we have been here five hundred times. / No, not in this room, but in this generic darkness.“
Dieser atmosphärischen Einstimmung folgt eine überraschende Charakterisierung des Kinos als „the only place left in our culture intended entirely for concentrated 11 Erika Balsom: „Screening Rooms. The Movie Theatre in/and the Gallery”, in: Public 40 (2009), S. 25–39, hier S. 31. Vgl. auch Erika Balsom: Exhibiting Cinema in Contemporary Art, Amsterdam 2013.
198 Volker Pantenburg exercise of one, or at most two, of our senses.“12 Das zweite, bekanntere Beispiel ist Jonas Mekas’ und Peter Kubelkas Initiative, in den Räumen der Anthology Film Archives in New York 1970 ein Kino einzurichten, das die architektonischen Voraussetzungen für genau diese Form der konzentrierten Wahrnehmung herstellen sollte (Abb. 2).13 Den Hintergrund skizzieren die Akteure des Anthology Kollektivs so: „Die Konstruktion von Anthology’s Cinema beruht auf der Idee, daß die filmische Erfahrung zugleich gemeinsam und extrem auf Bild und Ton des Films konzentriert sein sollte, ohne Ablenkungen. Der Betrachter sollte kein Gefühl bekommen für die Gegenwart von Wänden oder die Größe des Zuschauerraumes als seinem Anhalt für Größe und Abstand. Er sollte nur die weiße Leinwand haben, in Dunkelheit isoliert. [...] Um die Möglichkeit der Ablenkung während unseren Vorstellungen zu verringern, wird niemand in das Theater eingelassen, nachdem das Programm begonnen hat.“14
Der Unterschied zur entgrenzten und zeitlich flexibilisierten Museumserfahrung könnte nicht größer sein. Offensichtlich stehen für Mekas, P. Adams Sitney und Peter Kubelka die modernistisch geprägten Abgrenzungen und Autonomietendenzen im Vordergrund. Wo das Expanded Cinema – wenn man so will: im postmodernen Gestus – die Aufhebung des Kinos im gemeinschaftlichen Bewusstsein und seine Verzahnung mit anderen zeitgenössischen Medien, Techniken, Künsten und Praktiken fordert, setzen das ‚Invisible Cinema‘ und weite Teile des structural film auf die Medien- und Ortsspezifik von Film und Kino. 1970 ist deshalb der Zeitpunkt zweier gegenläufiger Utopien. Das Expanded Cinema entwickelt eine Utopie der Zerstreuung und Expansion. Sie basiert auf der Diagnose, dass das Kino nicht (oder nicht mehr) in der
Abb. 2: Peter Kubelka, The Invisible Cinema, 1970.
12 Hollis Frampton: „A Lecture”, in: On the Camera Arts and Consecutive Matters. The Writings of Hollis Frampton, hg. von Bruce Jenkins, Cambridge Mass. 2009, S. 125–130, hier S. 125. 13 Für eine oral history des Invisible Cinema vgl. Sky Sitney: „In Search of the Invisible Cinema”, in: Grey Room 19/Frühjahr (2005), S. 102–113. 14 Kollektiv der Anthology Film Archives: „Das unsichtbare Kino“, in: Karsten Witte (Hg.): Theorie des Kinos, Frankfurt am Main 1972, 250–255, hier S. 250 und 253.
1970/2010 199 Lage ist, angemessene Wahrnehmungs- und Kommunikationsvoraussetzungen für die zeitgenössische, vernetzte und durchmischte Welt zur Verfügung zu stellen. Global verschaltete ‚Movie Dromes‘ mit tausenden von synchron projizierten Bildern, immersive Kuppelarchitekturen, Fernsehen oder Computer erscheinen als Alternativen zum unidirektional organisierten Kommunikationsraum ‚Kino‘. Es existiert aber zugleich – und dialektisch darauf bezogen – die Utopie der konzentrierten Wahrnehmung (Frampton, Mekas, Kubelka, Sitney), die davon ausgeht, dass es das Kino in einer angemessenen Form noch gar nicht gegeben hat, sondern dieser Wahrnehmungsraum zu allererst herzustellen wäre. Nehmen wir zwei der bekanntesten Experimentalfilme um 1970, Michael Snows Wavelength von 1967 und Hollis Framptons (nostalgia) von 1971; Snows 45-minütiger Zoom durch einen Raum auf ein Foto, Framptons zeitversetzte Reflexion über Fotografien, Erinnerung, Text und Bild. Beide Filme würden in Black Boxes und als Loops schlicht nicht funktionieren. Sie haben einen Anfang und ein Ende und entfalten sich entweder linear oder in geordneter Struktur. Snow selbst hat den Charakter der Zeiterfahrung und Linearität nach zahlreichen Anfragen von Galerien und Museen vor einigen Jahren ironisch gekontert, indem er eine Installationsfassung mit dem Titel Wavelength for those who don’t have the time (2003) produziert hat, die den Film in drei gleiche Teile zerlegt und die drei Streifen übereinander kopiert. Es ist auffällig, dass der Anschluss an die zeitbasierten Werke des strukturellen Films dem Museum und der Galerie schwer fiel; Arbeiten wie die Sharon Lockharts, die mit ihren Fotografien und Filmen sehr gezielt das Kino und die Galerie adressiert, sind eher die Ausnahme. Erst in den letzten Jahren ist verstärkt der Versuch unternommen worden, auch dieser Linie des experimentellen Kinos einen Platz im Museum einzuräumen, oft allerdings unter unzureichenden Bedingungen in Form von DVD-Loops oder mit der Pointe, statt der Werke die Requisiten und Ausstattungen (wie im Fall Kenneth Angers) oder die Paratexte und Kollateralobjekte (wie im Fall Jonas Mekas’) auszustellen.15 Weshalb aber wird der flexible Wahrnehmungsmodus des Museumsbesuchers der Kinosituation so häufig als überlegen entgegengesetzt? Ein möglicher Grund ist, dass man in der Folge radikaler Kritik am Konzept sowohl des Werks als auch des Autors in konsequenter Weise auf den Rezipienten (sprich: den Leser, den Zuschauer, den Besucher) gesetzt hat. Dies gilt auch in temporaler Hinsicht: Wer die Flexibilität des Museumsbesuchers lobt, überträgt die Verantwortlichkeit für das Zeitmanagement vollständig dem Besucher und lässt dabei zwei andere Zeitmodi der ästhetischen Erfahrung vollständig in den Hintergrund treten. In der ästhetischen Erfahrung treffen jedoch mindestens drei verschiedene Zeitlichkeiten aufeinander: Da ist zum einen die Zeit des Werkes und seiner Dauer, zum zweiten die Zeit des Zuschauers oder Besuchers und zum dritten die Zeitlichkeit, die durch die institutionelle 15 Vgl. für einige kritische Anmerkungen zur Ausstellungspraxis historischer Positionen des Experimentalfilms Volker Pantenburg: „Film ohne Film“, in: Texte zur Kunst 80 (2010), S. 166–171.
200 Volker Pantenburg Rahmung vorgegeben ist. Kinobesuch und Museumsbesuch haben unterschiedliche zeitliche Indizes, wobei im Kino die Zeitlichkeit des Werks dominant ist, während das zeitliche Kalkül des Museumsbesuchs sich nicht am Werk ausrichtet, sondern am Besucher.16 Die Kollision unterschiedlicher Zeitlichkeiten ist naturgemäß bei einer Großausstellung oder Biennale besonders eklatant. Die Zeitanforderung der Werke addiert sich, das Zeitbudget des Besuchers unterscheidet im Normalfall eher schematisch nach Galerie- (sagen wir: 30 Minuten) und Museumsbesuch (sagen wir: 2–3 Stunden) sowie Besuch von Biennalen (sagen wir: 1–2 Tage).
IV. Konzentration/Zerstreuung Anstelle der vielzitierten Mobilität würde ich das Kriterium ‚Aufmerksamkeit‘ als konzeptuelle Folie vorschlagen, vor der man die räumlichen und institutionellen Zusammenhänge produktiv, wenn auch eher kontrastiv aufeinander beziehen könnte. Jonathan Crarys umfassende Studie zur Dialektik von Aufmerksamkeit und Zerstreuung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wäre gewinnbringend um Analysen zur Kino- und Museumssituation zu ergänzen; seinen Analysen von Monet, Seurat oder Cézanne solche von Paul Sharits, Hollis Frampton, Sharon Lockhart oder Tacita Dean zur Seite zu stellen.17 Einen Vorstoß zur theoretischen Klärung hat der Philosoph Peter Osbourne in einem kurzen Text gemacht, der im Museumsbesuch das Paradigma einer „distracted reception“ erkennt.18 Osborne charakterisiert den Museumsbesuch – zutreffend, wie ich finde – als eine Abfolge von Wahlmöglichkeiten, denn der Besucher ist permanent mit zahlreichen anderen Optionen konfrontiert, die an die Stelle des gerade Betrachteten treten könnten. Ich sehe James Colemans 40-minütige Installation Retake with Evidence (2007) auf der documenta 12, aber ich weiß zugleich, dass hunderte von anderen Werken ebenfalls um meine Aufmerksamkeit konkurrieren. Osborne regt vor diesem Hintergrund an, das Muse16 Vgl. auch Jeremy Skollers skeptische Bemerkungen zum „mainstreaming of film and video installation in the 1990s“ in seinem Buch Shadows, Specters, Shards. Making History in Avant-Garde Film, Minneapolis 2005, S. 176–183. 17 Einen Schritt in diese Richtung unternimmt Anne Ring Petersen: „Attention and Distraction. On the Aesthetic Experience of Video Installation Art“, in: RIHA Journal 9 (2010), http://www.riha-journal.org/articles/2010/ring-petersen-attention-and-distraction (letzte Sichtung 08.10.2014). Bezüge auf Crary, insbesondere zu seinem Vorwort in Nicolas de Oliveira/Nicola Oxley/Michael Petry: Installation Art in the new Millenium. The Empire of Senses, London 2003 finden sich auch bei Ursula Frohne, die sich jedoch stärker den räumlichen als den zeitlichen Aspekten des Installationsdispositivs zuwendet: Ursula Frohne: „Passagen. Projektionsräume im Museum“, in: Barbara Engelbach (Hg.): Bilder in Bewegung. Künstler & Video/Film, Ausst.-Kat. Museum Ludwig, Köln 2010, S. 121–129. Siehe dazu jüngst auch Petra Löffler: Verteilte Aufmerksamkeit. Eine Mediengeschichte der Zerstreuung, Berlin 2014. 18 Peter Osborne: „Distracted Reception. Time, Art and Technology”, in: Jessica Morgan (Hg.): Time Zones. Recent Film and Video, London 2004, S. 66–75.
1970/2010 201 um in seiner dialektischen Beziehung zu analysieren, weil es einerseits eine Alternative zu den Zerstreuungen des Alltags bieten muss und andererseits selbst nach dem Prinzip fortgesetzter Modulation von Aufmerksamkeit und Zerstreuung konzipiert ist. Er geht soweit, zumindest hypothetisch die Funktion von Gruppenausstellungen darin zu sehen, die Zumutung der konzentrierten Auseinandersetzung mit einem Werk abzuschwächen: „Perhaps this is the function of grouping works together in the same visual space: they provide a psychic space of distraction which eases the anxiety involved in giving oneself up to a particular work.“19 Der Begriff ‚Aufmerksamkeit‘ kann, so scheint mir, auch deshalb ein Schlüsselbegriff für die Analyse der Kunst/Kino-Konstellation sein, weil er den Schnittpunkt markiert, an dem eine phänomenologische Beschreibung der Raum- und Zeitverhältnisse in eine Analyse ihrer ökonomischen Voraussetzungen und Implikationen überzugehen hätte. Gerade im kulturellen Feld, in dem Waren zwar weiterhin zentrale Akteure darstellen, aber eben auch die Kommodifizierung von Aufmerksamkeit eine immer größere Rolle spielt, überschneiden sich reale Ökonomie und Aufmerksamkeitsmanagement.
V. Das institutionelle Missverständnis Wie ich zu skizzieren versucht habe, unterscheiden sich Expanded Cinema und structural film im Charakter ihrer jeweiligen kritischen Intervention; man könnte eine zentrifugale Bewegung (Expansion, TV, alternative Räume, Computer, Entgrenzung, Postmoderne) und eine zentripetale Bewegung (Konzentration, Untersuchung des Mediums, Einzelkader, forcierte Abgrenzung, Moderne) voneinander abgrenzen und einander gegenüberstellen. Was beide Strömungen allerdings verbindet, ist ihr anti-institutioneller Impuls. Vor dem Horizont politischer Forderungen der sechziger Jahre ist es wenig überraschend, dass es in beiden Initiativen um Selbstverwaltung und um Distributionsformen geht, die unabhängig von Kapital und Markt bestehen können sollten. Die zahlreichen Film-Kooperativen in den USA (Canyon Cinema, Film-Makers’ Coop), Großbritannien (London Film-Makers’ Coop) oder Deutschland (Hamburger Film-Coop) hatten eine autonome Vertriebsstruktur im Sinn, deren Ziel nicht der ökonomische Gewinn, sondern die Zugänglichkeit und Zirkulation der Filme war. Beabsichtigt waren eine Ökonomie größtmöglicher Sichtbarkeit und eine Struktur, die alternativ zur Kommodifizierung der Filme im industriellen Kino angelegt war. Die Wiederentdeckung des Kinos seit den neunziger Jahren dagegen geht von Museen, Kuratoren und Galerien aus, deren Beziehung zum Wertbegriff eine andere 19 Ebd., S. 68 f; Die Dynamik von Aufmerksamkeit und Zerstereuuung habe ich kürzlich etwas ausführlicher nachgezeichnet: Vgl. Verf.: „Temporal Economy. Distraction and Attention in Experimental Cinema and Contemporary Art“, in: Millenium Film Journal 59 (Spring 2014), S. 44–51 sowie Verf.: „Attention, please. Negotiating Concentration and Distraction around 1970“, in: Aniki. Portuguese Journal fo the Moving Image, Vol. 1, Number 2 (2014) (online).
202 Volker Pantenburg ist. Gegenläufig zur immer größeren Verfügbarkeit zumindest von Teilen der Experimentalfilmgeschichte auf DVD oder im Netz, bleiben installative Arbeiten einer Verknappungslogik unterworfen, die nur zum Teil mit ihrer ,Site Specificity‘ zu erklären ist. Vielmehr basiert die Ökonomie installativer Arbeiten darauf, dass ihre Auratisierung unter anderem aus der jeweiligen Bindung an einen Ort und der daraus resultierenden Exklusivität beruht. Der Experimentalfilm der siebziger Jahre suchte Alternativen zur Gewinnorientierung und zur Warenförmigkeit von Film und Erfahrung. Die Installationskunst dagegen ist tief eingelassen in die spekulative Ökonomie des Kunstmarktes, der sich eher als Abbild (manche sagen: als Steigerungsform) zu den Spekulationen an Börse und Geldmarkt verhält. Bei der Berlinale 2010 äußerte James Benning den Gedanken, dass der Erfolg von Videoinstallationen seit den 1990ern sich unter anderem dem neuen Typus der Kommodifizierbarkeit verdanke, der in scharfem Kontrast zur Pragmatik des Filmezeigens steht, mit der er die Experimentalfilmtradition identifiziert: „The return of the time-based images in installations and galleries comes out of the 80ies art movement that created art stars and millionaires. And to have millionaires, you have to have an object. The past films weren’t objects. They were something to put on the projector and the audience would watch them.“20
VI. Die Re-Auratisierung des Films als Kunstwerk Über seine Installation Ich glaubte Gefangene zu sehen (2000), schreibt Harun Farocki: „Es gab später für diese Arbeit Interessenten, aber ich konnte sie nicht verkaufen, weil der Vertrag mit der Generali Foundation sie als Unikat festgeschrieben hatte. Sabine Breitwieser, die künstlerische Leiterin der Generali ist auch der Ansicht, man könne ein Unikat nicht zugleich an zwei verschiedenen Stellen auf der Welt zeigen.“ Und er ergänzt diese Beobachtung durch eine historische Einschätzung: „Es ist mir ganz fremd, meine Ware zu verknappen. Jahrzehnte lang habe ich versucht meine Arbeiten zu verbreiten, jetzt soll ich sie zurückhalten!“21 In Farockis Einschätzung prallen die beiden oben angesprochenen ökonomischen Logiken aufeinander: Die eine, die sich mit der Geschichte des experimentellen oder unabhängigen Kinos verbindet, ist auf weitestmögliche Verbreitung aus. Die Akteure der Installationskunst sind in den letzten zwei Jahrzehnten andere: Es sind GaleristInnen und SammlerInnen einerseits, KuratorInnen andererseits. Sie alle sind seit den neunziger Jahren stark unter ökonomischen Druck geraten und haben den Umbau öffentlich geförderter 20 So James Benning in der Podiumsdiskussion Time after Time. The return of the timeimage in contemporary art and cinema mit Sharon Lockhart, Mark Lewis, Karl Kels und Sandra Peters am 16.2.2010 im Kino Arsenal, Berlin. 21 Harun Farocki: „Auf zwölf flachen Schirmen. Kaum noch ein Handwerk“, siehe: http:// newfilmkritik.de/archiv/2007-12/auf-zwolf-flachen-schirmen/, 16.12.2007 (letzte Sichtung 01.04.2014).
1970/2010 203 Museen in privatisierte oder zumindest auf immer wieder neue Drittmittel angewiesene Institutionen miterlebt. Wohl auch aufgrund der ikonischen Qualitäten von Stars bezieht sich die Aneignung von Kinopositionen in den neunziger Jahren vor allem auf das Erzählkino mit seinen Wiedererkennungseffekten und seiner Attraktivität. Bis auf das eher formale Argument, die Räume der Kunst seien als Fortsetzung des Expanded Cinema zu verstehen, bleibt die Tradition des experimentellen Kinos zunächst ausgeblendet. In einem polemischen und pessimistischen Text hat Lars Hendrik Gass das anschließend erwachte Interesse so zugespitzt: „Der Kunstbetrieb hat in den letzten zehn Jahren zumindest zweierlei erreicht: 1. Künstlerfilmen und -videos neue Aufmerksamkeit und neue Einnahmequellen zu erschließen und 2. die historisch-kritische Auseinandersetzung um experimentelle Verfahren des Films und die Standards seiner Aufführung vollkommen auszuhebeln. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass der Preis der Anerkennung im Kunstbetrieb war, dass Film- und Kinogeschichte exorziert wurden.“22
VII. Ungleichgewicht diskursiver Kräfte Ich will an dieser Stelle auch kurz die diskursiven Verhältnisse ansprechen, in denen das Sprechen, vor allem aber das Schreiben über das Verhältnis von Kunst und Kino stattfindet. Bücher über das Kino entstehen, wenn überhaupt, im akademischen oder filmkritischen Kontext. Die Verlagslandschaft ist in Deutschland spärlich, die Verlage, die sich auf Filmbücher spezialisieren, sind an einer Hand abzuzählen. Anders als in den siebziger Jahren, als große Publikumsverlage wie Hanser oder Fischer beeindruckende Filmbuchreihen betrieben, hat sich die intellektuelle Auseinandersetzung mit Film in Richtung (a) einer Akademisierung und (b) neuer cinéphiler Textformen um Festivals und das Internet herum organisiert. Kaum ein Kino hat die Ressourcen, Publikationen über die unmittelbaren Paratexte zur Programmgestaltung hinaus zu veröffentlichen. Für Experimentalfilme gilt dies in verschärfter Form; die Zeit, in der Suhrkamp die zweibändige Subgeschichte des Films veröffentlichte und Ullstein Birgit Heins Film im Untergrund herausbrachte, sind lange vorbei.23 Ganz anders stellt sich die Situation in der zeitgenössischen Kunst dar. Im Ausstellungskontext ist die oft aufwändig gestaltete und reich bebilderte Publikation, 22 Lars Hendrik Gass: „Experimentalfilm oder Film-Avantgarde? Ein Plädoyer für den Diskurs – und eine andere Aufführungspraxis“, in: kolik.film, Sonderheft 13 (2010), S. 61–67, hier S. 66.Vgl. ausführlicher dazu ders.: Kunst und Film nach dem Kino, Hamburg 2012. 23 Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 2 Bde., Frankfurt am Main 1974; Birgit Hein: Film im Untergrund. Von seinen Anfängen bis zum unabhängigen Kino, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1971. Ausnahmen bilden Kinematheken mit eigenen, oft auch ambitionierten Buchreihen, die allerdings selten ein Grenzphänomen wie die Überschneidungen zwischen Kunst und Kino zum Thema haben.
204 Volker Pantenburg sprich: der Katalog, die Regel, nicht die Ausnahme. Es ist daher kein Wunder, dass ein Großteil der Diskussionen über das Verhältnis von Museum und Kino auf dem diskursiven Feld der zeitgenössischen Kunst geführt wird und die Interventionen aus der Perspektive von Filmtheorie und Filmgeschichte erst in den letzten Jahren beginnen. Das dickste und raumgreifendste Buch über Fassbinder ist nicht von einem Filmverlag, sondern – als Beigabe zur „Berlin-Alexanderplatz“-Ausstellung – von Klaus Biesenbach und den Kunst-Werken Berlin publiziert worden. Man vergisst dabei unter Umständen, dass es sich bei Ausstellungskatalogen a priori um eine „parteiische“ Publikationsform handelt, deren Charakter auf interessante, aber zugleich problematische Weise zwischen Analyse, Beschreibung und Werbung oszilliert. Mir ist bislang kein Text bekannt, der das Genre ‚Katalogtext‘ in ähnlicher Weise ideologiekritisch beschreibt, wie es Brian O’Doherty in den 1970er- Jahren für den White Cube getan hat. Welche Mechanismen greifen, wenn der Tenor eines Textes implizit oder explizit vorher feststeht? Wenn der Auftraggeber das Museum oder die Galerie ist, die den Künstler ausstellt oder unter Vertrag hat? Wenn der Autor eng oder weniger eng mit dem besprochenen Künstler befreundet ist?24 Um nicht missverstanden zu werden: Keine dieser prekären Balancen ist auf die zeitgenössische Kunst und die Gattung ‚Katalogtext‘ beschränkt; Netzwerke, Bekanntschaften sowie richtige oder falsche Parteinahmen gibt es allerorten. Der Unterschied scheint mir jedoch darin zu liegen, dass diese Gemengelage im Genre des ausstellungsbegleitenden Katalogs konstitutiv ist.
VIII. Found Footage
Abb. 3: Eureka (USA 1974, R: Ernie Gehr), Filmstill.
Nach diesen eher strukturellen Bemerkungen will ich zumindest kurz und abschließend auf konkrete Filme zu sprechen kommen. Zwei Experimentalfilm-Inkunabeln der sechziger und siebziger Jahre sind Ken Jacobs’ Tom, Tom, the Piper’s Son (USA, 1969) und Ernie Gehrs Eureka (USA, 1974). Eine der paradigmatischen Installationen der neunziger Jahre ist Douglas Gordons 24 Hour Psycho (1993). Alle drei Arbeiten greifen auf Bilder aus der Filmgeschichte zurück, aber es sind unterschiedliche Begriffe des Kinos,
24 James Elkins erzählt in seinem Bändchen What happened to Art Criticism, Chicago 2003, die Anekdote, dass er nach der Durchsicht seines Künstlertexts von der Kuratorin gebeten wurde, das Adjektiv „sad“ zu streichen, da es ihrer Meinung nach zu negativ wirke.
1970/2010 205 die in ihnen aktualisiert werden. In Tom, Tom, the Piper’s Son eignet sich Ken Jacobs den gleichnamigen kurzen Film Billy Bitzers von 1905 an, der einen populären Reim in eine turbulente und burleske Szene übersetzt. Jacobs filmt diesen Film zunächst unverändert in seiner ganzen Länge ab und unterwirft ihn anschließend allen denkbaren Untersuchungen. Er verlangsamt Szenen, hebt per Zoom Einzelheiten aus der unübersichtlichen Komposition heraus, verdeutlicht Inszenierungsweisen Billy Bitzers. All das geschieht mit den Mitteln von Kamera und Schneidetisch. Bart Testa, auf dessen Untersuchung zum Verhältnis zwischen Avantgarde und frühem Kino ich mich hier stütze, bezeichnet Jacobs’ Verfahren als „shot analysis“ und erläutert sein Vorgehen als Abfolge von dreistufigen Prozessen: „Although constantly varied, a similar three-step procedure shapes the structure of Jacob’s film: a clarification of the original tableau, the isolation of details and the decomposition of the illusion to its material infrastructure.“25
Gehrs Eureka (Abb. 3) ist weit entfernt von Jacobs aggressiv-analytischen Eingriffen. Der Film beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Aufnahme einer Straßenbahnfahrt in San Francisco von 1903 auf ein Achtel ihrer ursprünglichen Geschwindigkeit zu verlangsamen. Das Ausgangsmaterial ist ein sogenannter ,phantom ride‘, die Kamera ist am Triebwagen der Bahn befestigt und filmt in die Tiefe des Raums hinein. Ernie Gehr beschreibt seine Methode folgendermaßen: „This is a refilming of a remarkable movie depicting Market Street, San Francisco, around the turn of the century. The original film consisted of one long continuous take recorded from the front of a moving trolley from approximately Seventh Street all the way to the Embarcadero. I extended each frame six to eight times, full-frame, and increased the contrast and the light fluctuations. To some degree, the original film has obviously been transformed, but I hope that this simple muted process allowed enough room for me to make the original work ‚available‘ without getting too much in the way. This was very important to me as I tend to see what I did, in part, as the work of an archeologist, resurrecting an old film as well as the shadows and forces of another era.“26
Es sind also zwei Gesten, die Eureka auszeichnen: (1) Die Geste, einen Zugang zu einem ansonsten namenlosen und unsichtbaren Film aus der Frühzeit des Kinos zu ermöglichen und (2) die Geste, den hypnotischen und seinerzeit neuen Bewegungsund Raumeffekt der ursprünglichen Kamerafahrt durch das einfache Verfahren der Verlangsamung zu betonen und herauszuarbeiten. Man könnte denken, dass Douglas Gordons Installation (Abb. 4) ähnlichen Charakter hat. Auf einer rein formalen Ebene stimmt das. Auch hier wird das Material aus Hitchcocks Psycho verlangsamt, auch wenn das Ergebnis die titelgebenden 24 25 Bart Testa (Hg.): Back and Forth. Early Cinema and the Avant-Garde, Ausst.-Kat. Art Gallery of Ontario, Toronto 1992, S. 12 f. 26 So der Filmemacher in der Beschreibung des Films auf den Seiten von Canyon Cinema: http://canyoncinema.com/catalog/film/?i=973 (letzte Sichtung 08.10.2014).
206 Volker Pantenburg Abb. 4: Douglas Gordon, 24 Hour Psycho, 1993, Installationsansicht Akademie der bildenden Künste Wien, 1996.
Stunden lang ist, nicht 30 Minuten wie bei Gehr. Trotzdem würde ich argumentieren, dass Gordons Film sich eher kontrafaktisch zu Eureka verhält. Den ikonischen Bildern nach zu urteilen ist 24 Hour Psycho zweifellos eine Appropriation des Kinos. Aber wenn dies tatsächlich eine Installation ist, die von der Entgrenzung des Kinos handelt, dann indirekt, sozusagen ‚über Bande‘, nämlich über die re-mediatisierte Form des Films als Ausstrahlung im Kabelfernsehen. Douglas Gordon würde dieser Einschätzung zustimmen: Auf die Frage, wann und in welchem Kontext er das Kino entdeckt habe, das er in seinen Videoarbeiten appropriiert, antwortet er: „I stumbled upon them by accident when I was maybe fifteen or sixteen years old. I used to work on a late shift in a supermarket and when I came back home the clock was already at midnight or 1. A.M., and everyone in the house was already asleep, but I needed to rest and calm down before going to bed. This was around the time in Britain when Channel 4 had just started. It was a very important thing: Channel 4 was the only thing on TV at that time of night. They ran a pretty esoteric film series, from what I can remember. And that’s how I got to see Godard, that’s how I got to see Truffaut, Rohmer, and everyone else. As well as the vague boys, I also got an introduction to B movies, and noirs – Nicholas Ray or Rudolph Maté or Otto Preminger, for example.“27
Man müsste diesem Unterschied Rechnung tragen, wenn man die Videoinstallationen seit den neunziger Jahren analysiert. Wo scheinbar ,das Kino‘ gemeint ist, kann ,Film‘ längst auch TV, VHS-Kassette oder diverse digitale Zirkulationsformen heißen.28 Um 1970 herum, bei Jacobs und Gehr, ist noch relativ klar, dass sich die 27 David Sylvester: „Interview with Douglas Gordon”, in: Douglas Gordon, Ausst.-Kat. Museum of Contemporary Art, Los Angeles 2002, S. 153–173, hier S. 157. 28 Alexander Horwath argumentiert ähnlich, wenn er auf die Differenzen zwischen Peter Tscherkasskys Found Footage-Arbeiten und Douglas Gordons Installationen hinweist: „In this sense, Tscherkassky’s practical film criticism on the basis of found footage differs radically from seemingly similar and very popular strategies in visual art, for example most installations by Scottish artist Douglas Gordon. Using the video medium, Gordon transfers well known Hollywood classics into the White Cube and leaves his signature
1970/2010 207 Aneignung des Materials auf das Filmarchiv bezieht und mit Werkzeugen wie dem optical printer operiert. Während Jacobs und Gehr an den Inszenierungsweisen und Eigenheiten sowie an der Technik und Materialität eines alternativen, proto-narrativen Kinos interessiert sind, bezieht sich Gordon auf einen der spektakulärsten und ikonischsten Momente des Erzählkinos. Ihm geht es weniger um Kino und Film als um die Mythologien und die ikonische Valenz von Hitchcocks Bildern. Um es polemisch zuzuspitzen: Wo Gehr und Jacobs in Analyse und Archäologie investieren, schöpft Gordon den glamourösen Mehrwert ab, den die Filmgeschichte und die Found Footage-Filmer seit den fünfziger Jahren erwirtschaftet haben. Das spricht nicht so uneingeschränkt gegen Gordons Installation, wie es jetzt klingt. Don DeLillos Roman Point Omega von 2010, der mit einer Szene in Gordons Installation im New Yorker MoMA beginnt, bringt sehr schön auf den Punkt, dass die Verlangsamung beide Rezeptionsweisen ermöglicht. Über den Protagonisten, der Tag für Tag all seine Zeit in der Installation verbringt, heißt es: „It was only the closest watching that yielded his perception. He found himself undistracted for some minutes by the coming and going of others and he was able to look at the film with the degree of intensity that was required. The nature of the film permitted total concentration and also depended on it.“29
Der Normalfall allerdings sind die zerstreuten Besucher: „They stayed a moment longer and then they left. [...] There were other galleries, entire floors, no point lingering in a secluded room in which whatever was happening took forever to happen.“30 In gewisser Hinsicht prallen hier zwei Rezeptionsweisen aufeinander: Während die namenlose Hauptfigur Gordons Installation als strukturellen Film sieht, fassen die übrigen Besucher ihn als Expanded Cinema auf.
*** Der traditionsbildende Brückenschlag zwischen den Kunsträumen der Gegenwart und der Experimentalfilmgeschichte funktioniert nur um den Preis einiger Ausschließungen: Einerseits wird das Konzept des Expanded Cinema selbst auf seine räumliche Kritik am Kino reduziert. Einzelne Filme und Arbeiten spielen dabei kaum je eine Rolle, im Vordergrund steht das formale Argument der Migration an andere Orte und die Ablösung vom Trägermedium Film. Dabei verschwindet by manipulating one single formal element. Polemically stated, films like Psycho, The Searchers or Taxi Driver are thus blown-up or, rather, artificially shrunk into one-jokemovies. As viewers, we watch the flaccid gaze of a media junkie who is mainly out to refine rather than fathom his/our drug and his/our addiction.“ Alexander Horwath: „Singing in the Rain. Supercinematography by Peter Tscherkassky“, in: ders./Michael Loebenstein (Hg.): Peter Tscherkassky, Wien 2005 , S. 10–48, hier S. 44. 29 Don DeLillo: Point Omega, New York 2010, S. 5. Dank an Ursula Frohne für den Hinweis. 30 Ebd., S. 3-4.
208 Volker Pantenburg jedoch zweierlei im Schlagschatten der Aufmerksamkeit: zum einen ein beachtlicher Teil des Avantgardefilms, der die Eigenheit des Kinos darin sah, wie hier Dauer, zeitliche Entwicklung und Wahrnehmung prozessiert werden. Zum anderen die Eigenheit der jüngeren Videoarbeiten, sich oft nur mittelbar auf das Kino zu beziehen, weil ihr Referenzpunkt bereits eine Medienumwelt ist, in der Filme nicht zwingend als Kinofilme, sondern in vielfachen Erscheinungsweisen zur Disposition stehen. Mein Vorschlag ist vor diesem Hintergrund, die bisherigen Analysen der räumlichen Disposition um die Frage nach der Zeitlichkeit von Kino und Museum zu ergänzen. Das Konzept der Aufmerksamkeit in seiner theoretischen Tradition von Kracauer und Benjamin über Jonathan Crary bis hin zu Bernard Stieglers Buch zur „Logik der Sorge“31 ist ein vielversprechendes begriffliches Prisma, da es die Frage der Wahrnehmung unter ökonomischen Vorzeichen zu interpretieren hilft. In gewisser Hinsicht heißt das, die theoretische Aufmerksamkeit erneut auf Fragestellungen zurückzulenken, die um 1970 im Kontext modernistischer Projekte und in den Begriffen von Medien- und Raumspezifik diskutiert wurden. Die Proliferation von Filmen in die unterschiedlichsten Kanäle hat diese Fragen eher vervielfacht als sie zu beantworten.
31 Bernard Stiegler: Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien, Frankfurt am Main 2008.
Maxa Zoller
The Cinematic Body Das Britische Expanded Cinema damals… und heute (?)
Dieser Beitrag untersucht das Problem der Filmbildprojektion in England von seinen Anfängen im Expanded Cinema der London Filmmakers’ Coop bis zu seinen Neuformulierungen in der zeitgenössischen Film- und Videokunst. Mitte der 1960er hatte sich eine neue Generation von Filmkünstlern gebildet, meist Malerei- oder Skulpturstudenten, die mit ihren neuen, unorthodoxen Herangehensweisen die klassische Trennung zwischen Film und Kunst, Galerie und Kino grundsätzlich hinterfragten und veränderten. In Bezug auf und parallel zu dem strukturellen Film, der für diese Generation kennzeichnend werden sollte, entwickelte sich eine neue Form, das sogenannte Expanded Cinema, eine Art der Filmproduktion und -präsentation, die das Filmbild durch Mehrfachprojektionen, Performance und installative Elemente neu gestaltete. Eines der Hauptmerkmale des Expanded Cinema ist die Neudefinierung der Beziehung zwischen Projektionsraum und -bild, welches nicht nur die phänomenologische Erfahrung der BetrachterInnen, sondern auch den institutionellen Rahmen des Medium Films zu erweitern versuchte: im Expanded Cinema ging es wortwörtlich um die ‚Erweiterung des Kinos‘. Nachfolgend werde ich anhand einiger Beispiele diskutieren, welches die Notwendigkeiten und Bedingungen waren, die zu neuen Bildprojektionen des Expanded Cinema führten. Dies hat zum Ziel, dem Thema dieser Publikation, Bildprojektionen, das im Forschungsprojekt Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik verankert ist, einen weiteren Reflexionsraum zu bieten, in dem sich formale, inhaltliche und darüber hinaus soziopolitische Frage überschneiden. Es ist mir wichtig, das Thema Bildprojektionen nicht in einem akademisch-formalen Rahmen zu fassen; stattdessen werde ich versuchen aus einer angelsächsischen Perspektive heraus zu argumentieren, die wie bekannt pragmatischer, popularistischer, kontextbezogener und klassengeprägter als der kontinentale Ansatz ist. Folgende Fragen werden dabei berührt: Welcher Art ist die Beziehung zwischen Inhalt und Form im Expanded Cinema? Wie beeinflussen Technologie, Politikgeschehen und Wirtschaftsverhältnisse unser Verständnis vom und Verhältnis zum Bild? An welchen philosophisch-theoretischen Ideen können wir uns heute orientieren?
210 Maxa Zoller Um die Anfänge der Geschichte des Expanded Cinema vorzustellen, werde ich zuerst auf eines der frühsten Beispiele, Malcolm Le Grices Castle 1 (1966) zu sprechen kommen, um darauf aufbauend weitere Denkkreise durch die counter culture der 1960er- und -70er-Jahre, bis hin zu der zeitgenössischen Arbeit The Museum of Non Participation (2008) von Karen Mirza und Brad Butler, zu ziehen. Dieser Text kann als eine Art kritischer Streifzug durch die letzten vierzig Jahre britischer Filminstallationskunst gesehen werden. Dabei können Kunstwerke und wichtige diskursive Momente eben nur gestreift werden; die Hervorhebung bestimmter kritischer Punkte schließt damit eine vollständige historische Überschau aus. In einer Bildprojektion wird ein Bild nach vorne geworfen, das heißt, der Begriff Bildprojektion beinhaltet gleich ein Raumverhältnis zwischen einem Ort, von dem aus etwas geworfen/projiziert wird, und einem Ort, auf den etwas geworfen/projiziert wird. Dieser Raum zwischen Leinwand und Projektor, Objekt und Subjekt, wurde zu verschiedenen Zeitpunkten auf unterschiedliche Art und Weise philosophisch und physisch dekonstruiert, analysiert und verändert. Um kurz ein einführendes Schema zu skizzieren, wurde das räumliche Verhältnis zwischen Auditorium und Bühne bzw. Leinwand von vielen kritischen Theoretikern der Moderne, von Bertold Brecht zu Jean-Louis Baudry, als problematisch definiert. Für diejenigen Denker und Künstler, die dieser Theorie nahe standen, ging es darum, den Raum zwischen Projektor und Bild zu aktivieren. Der französische Psychoanalytiker Christian Metz sah eine Verbindung zwischen dem Kinosaal und der Psychologie: Der Projektor, der hinter dem Publikum platziert ist, wirft das immaterielle Bild auf die Leinwand, das in dem dunklen Kino wie ein (Tag-)Traum vor den ‚eyes wide shut‘ des Publikums ins Licht der Projektion tritt. Die ersten kritischen Theoretiker, die auf den Kalten Krieg, die Aufrüstung und den Konsumdruck des Wirtschaftwunders intellektuell reagierten, sahen im Kino eine Form der Massenmanipulation, wie es Louis Althusser in seinen Überlegungen zum Ideologischen Staatsapparat zum Ausdruck gebracht hatte.1 In diesem Sinne sah der französische Filmtheoretiker Jean-Louis Baudry einen Zusammenhang zwischen Ideologie und Filmapparat. Baudry, der das Kino als „ideologischen Mechanismus“ definierte, schrieb 1970, dass die Kamera „lays out the space of an ideal vision and in this way assures the necessity of a transcendence […]. The principle of transcendence which conditions and is conditioned by the perspective construction represented in painting and in the photographic image which copies from it seems to inspire all the idealist paeans to which the cinema has given rise (such as we find in Cohen-Séat and Bazin).“2
1 Louis Althusser (Hg.): Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie, Hamburg/Berlin 1977. 2 Jean-Louis Baudry: „Ideological Effects of the Basic Cinematographic Apparatus“, in: Film Quarterly 2 (1974), S. 39–47, hier S. 41 f.
The Cinematic Body So sehr Baudrys Behauptung auch heutzutage widerlegt wird, das Konzept der Einschreibung von idealistischen Ideologien in verschiedene institutionelle und kulturelle Körper sowie in unseren eigenen Sehapparat wurde von zeitgenössischen Theoretikern weiterentwickelt. Für den amerikanischen Filmtheoretiker Steven Shaviro zum Beispiel wird die filmische projection zur injection, da der Spätkapitalismus auf subtilste und daher äußerst effektive Weise bis ins Innerste des Konsumenten vordringt und sich auf perfide Weise sozusagen im Subjekt einnistet. Die theoretischen Konzepte zu dieser atomaren Verflechtung von System und Selbst in einem laut Shaviro cinematic body sind in der heutigen Zeit des neoliberalen globalen Hyperkapitalismus von wesentlicher Bedeutung. Die kulturhistorische Analyse des Dispositiv-Konzepts des italienischen Philosophen Giorgio Agamben, Brian Massumis Texte zu dem Thema Affekt und Mark Fishers Begriff des Kapitalistischen Realismus, um nur einige jüngere Beispiele zu nennen, behandeln die Beziehung zwischen politischer Ideologie, Kapitalismus, Körper und Identität.3 Setzten die Vor-Entleerung aller Utopien, die Erosion von politischer Sprache oder die systemische Gewalt und leeren Versprechungen heutiger ‚demokratischer‘ Regierungsmächte eine Klammer zwischen jenen apparativen Bedingungen, die die Postmoderne ins Leben riefen, ihr aber nun die Luft nehmen? In Bezug auf das Thema Bildprojektion stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach einem Dialog zwischen dem Expanded Cinema der 1960er-Jahre und zeitgenössischer Film- und Videokunst. Wer projizierte damals sowie heute was auf wen? Ein grauer Morgen in Londons Soho irgendwann im Jahr 1966: Der junge Maler und Kunstdozent Malcolm Le Grice ist auf dem Weg zum Central Saint Martins, wo er nach seinem Malereistudium Kunst unterrichtet. Der Weg führt ihn durch Soho, das damals das Zentrum der Londoner Filmindustrie war. Die Mülltonnen quillen über mit den Überresten nächtlicher Filmverarbeitung: Zelluloidschnipsel, auch längere Bänder kleiner schwarz-weißer Standbilder, in denen sich irgendwelche Szenen fast unmerklich von Frame zu Frame verändern. Le Grice greift großzügig zu; schließlich ist dies exzellentes Unterrichtsmaterial: In der Klasse wird das Material von seinen Kunststudenten gesichtet, verarbeitet und in Kunst verwandelt. Aus diesem Prozess entstand Castle 1 (1966), eine Filminstallation, die aus vermülltem Nachrichtenmaterial und einer Glühbirne besteht. Nachrichtensprecher, das Vorbeiziehen eines Flugzeugs, Fabrikarbeiter am Laufband, Parlamentsdebatten: Stotternd und aggressiv blitzen verschiedenste Szenen über die Leinwand, einzig unterbrochen von dem grellen Aufleuchten einer nackten Glühbirne, die direkt vor der Projektion herunter hängt. Le Grice, der am Lichtschalter steht, knipst das Licht ab und zu, mal schnell und kurz, mal länger an und aus. Das Filmbild wird ausgeblendet, sobald das Publikum eingeblendet wird (Abb. 1). Castle 1, der Titel ein Hinweis 3
Vgl. Steven Shaviro: The Cinematic Body (Theory Out Of Bounds), Minneapolis 1993; Giorgio Agamben: What is an Apparatus? And other essays, Stanford CA 2009; Brian Massumi: The Politics of Everyday Fear, Minneapolis 1993; Mark Fisher: Capitalist Realism: Is there no Alternative?, London 2009.
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212 Maxa Zoller
Abb. 1: Malcolm Le Grice, Castle 1, 1966, Filminstallation.
Abb. 2: Malcolm Le Grice, Castle 1, 1966, Filmstill.
The Cinematic Body 213 auf Franz Kafkas Das Schloss4, ist nicht nur eine Filmprojektion, sondern vor allem eine Aktivierung des Raumes zwischen Projektor und Leinwand. Die sich immer schneller wiederholenden Bildsequenzen machen Castle 1 zu einer Art intensivierten Darstellung des modernen industrialisierten Englands. Der laute, knackende Soundtrack, der uns in hochkandideltem britischem Englisch über die vorteilhaften Arbeitsbedingungen einer Großfirma und andere sozio-ökonomische Details informiert, wirkt fast pathologisch (Abb. 2). Was tun mit all dem Zeug, das über den Fernsehschirm flimmert, welches man sich hineinzieht (so wie man sich Tabletten einwirft)? Der ver- und weggeworfene ‚Filmmüll‘ wurde von Le Grice wiedergekäut und mit Hilfe des Projektors nach vorne in den Raum geworfen. Dieser konkrete, materielle Umgang mit Film ist ein Merkmal von Le Grices Arbeit sowie auch generell der London Filmmakers’ Coop, deren Arbeitsweise künstlerisch als auch kunsthandwerklich geprägt war. Castle 1 ist eigentlich eine Art objet trouvé, im Sinne der französischen nouveaux réalistes, die in den 1950er-Jahren wie baudelaire�sche Flaneure die Stadt zum Atelier krönten. Im prä-digitalen Zelluloidzeitalter war der materielle Träger des Filmbildes noch eindringlich physischer als heute; das heißt, dass Castle 1 weniger vom Kino, als von der Assemblagekunst beeinflusst war. In einem Interview erwähnt Le Grice Robert Rauschenberg als wichtige Inspiration: In einer Castle 1 direkt vorausgehenden Malereiarbeit kombinierte Le Grice ein Wandbild mit einem Kassettenrekorder, der ähnlich wie die Glühbirne in Castle 1 vor dem Bild platziert war. Castle 1 ist also eine Ausweitung des Bildes in den Raum, das Bild projiziert etwas auf den Raum zurück. Le Grice erinnert sich: „Im Zusammenhang mit Castle I kam mein theoretisches Interesse für das Verhältnis Brechts zu seinem Publikum. Aber ich theoretisierte gar nicht in dieser Richtung. Ich handelte spontan und unbewusst. Der Film handelt vom Verhalten des Betrachters. Er handelt nicht von der Filmstruktur, sondern von der Art und Weise, wie diese Struktur den Zuschauer beeinflusst. Wir sprachen viel darüber, wie der Zuschauer konstruktiv an dem Ganzen des Werks mitarbeiten sollte, ‚konstruktiv‘ war ein Wort, das wir damals viel verwendeten. Im Zuschauer hatte das Ganze zu entstehen. Der Film war nicht für die Zuschauer gemacht, sondern fragmentarisiert, damit der Zuschauer ihn wieder zusammensetzen musste. Das kam von meinem Interesse an Montage. Ich las viel über Eisenstein und Vertov zu dieser Zeit, und ich war viel mehr an Vertov als an Eisenstein interessiert.“5
Le Grices Filmmontage ist nicht auf das Medium Film begrenzt, sondern bezieht die konkreten physischen Bedingungen von Kunstproduktion und -rezeption mit ein und setzt diese neu zusammen. Schauen wir uns diese Raummontage einmal kontextuell an: Wie positionieren sich die BesucherInnen zur Bildprojektion? Wie verhalten sie sich im Dispositiv des Raumes? Die Räumlichkeiten der London Film4 Franz Kafka: Das Schloss, München 1926. 5 Zitiert nach Maxa Zoller: „Sound in Expanded Cinema. Malcolm Le Grice’s Berlin Horse“, in: Holger und Cornelia Lund (Hg.): Visual Music. An Anthology, Stuttgart 2009, S. 78–87, s. Zitat im Anhang der dt. Übersetzung, S. 289.
214 Maxa Zoller makers’ Coop, die 1966 gegründet wurde und sich für einige Zeit im sogenannten Arts Lab in Covent Garden ansiedelte, waren das extreme Gegenbeispiel zu Kubelkas Invisible Cinema, das der österreichische Filmemacher 1970 in den Anthology Film Archives in New Yorks Public Theater für die New York Filmmakers’ Coop kreierte. Im Gegensatz zu Kubelkas Kinositzplätzen, die die Zuschauer voneinander isolierten, war das Londoner Coop Kino im Arts Lab ein offener Raum, in dem sich das Publikum auf den Boden legen musste. Die architektonischen Gegebenheiten der jeweiligen Coop-Räume spielten eine wichtige Rolle in der Entstehung des Expanded Cinema, was auch nicht außerhalb der sich damals gerade entwickelnden alternativen Bewegung, den Demonstrationen, der Hausbesetzerszene, teach-ins etc. gesehen werden sollte.6 Amelia Jones’ Begriff des „activist artistic body”7 der 1960erJahre kann also als eine Körperpolitik gesehen werden, in der das aktive, politische Subjekt gegebene Strukturen und Dispositive veränderte. Das Expanded Cinema weitete das klassische Filmbild dreidimensional bis an die Grenzen aus, verdünnte und verdaute es, nur um es wieder aufblühen zu lassen, bis es aus allen Frames zu platzen drohte.8 Um ein besseres Bild der Londoner Expanded Cinema-Szene vor Augen zu haben, soll es genügen, ein paar Beispiele kurz vorzustellen. Die um 1973 gegründete Gruppe Filmaktion formierte sich um die jungen Filmemacher und Studenten Le Grice, William Raban, Gill Eatherly, David Crosswaite, Roger Hammond, Mike Dunford und Annabel Nicolson. Die Gruppe, die circa drei Jahre bestand, arbeitete gemeinsam an Mehrfachprojektionen, die installativ und performativ vorgeführt wurden.9 William Rabans 2’45” (1973) ist eine sich wiederholende Performance, in der der Filmemacher jeden Tag vor das Publikum und die Filmkamera tritt, dann Titel, Datum, Tag und Zeit in ein Mikrofon spricht, diesen Film über Nacht entwickelt und am nächsten Tag vor der Projektion der am Tag zuvor stattgefundenen Performance das gleiche Ritual wiederholt. Der resultierende Film ist ein Bild im Bild, eine mise en abyme, in der sich Zeit und Raum ineinander falten. Der Titel der Arbeit ist natürlich einerseits ein Hinweis auf John Cages berühmtes 4’33” (1952), hat aber auch pragmatische Gründe: Eine 110 Fuß lange 16 mm-Filmrolle ist 2 Minuten und 24 Sekunden lang. Gill Eatherlys Chair Installation (ebenfalls von 1973) wurde, wie Rabans 2’45”, zum ersten Mal während der „Film Action and 6
Es ist an dieser Stelle wichtig, auf den Unterschied zwischen dem britischen und europäischen Expanded Cinema und dem amerikanischen Expanded Cinema Gene Youngbloods hinzuweisen. 7 Amelia Jones: Body Art. Performing the Subject, Minneapolis/London 1998, S. 12. 8 The Cinematic Body ist ein wichtiger Begriff, der einerseits von dem gleichnamigen Buch des amerikanischen Akademikers Steven Shaviro geprägt wurde, andererseits in meinen eigenen Recherchen darüberhinaus auf Filme, Performances und zeitgenössische Arbeiten ausgeweitet wird. Siehe zum Beispiel das Screening Film without Film, Tate Modern, London 15.5.2010, in Zusammenarbeit mit no.w.here. 9 Auf der Homepage http://www.studycollection.co.uk/filmaktion/Frameset30.html (letzte Sichtung 08.10.2014) ist in Lucy Reynolds’ „Defining Filmaktion. An online exhibition“, 2005, ein Programm der Gruppe aus dem Jahr 1973 einzusehen.
The Cinematic Body 215 Installation“-Ausstellung im Gallery House in London gezeigt. Geloopte MehrfachSchwarz-Weißprojektionen von Stühlen und vier fluoreszierende, weiße Stühle wurden so in den Raum und die Lichtsituation gesetzt, dass sich eine geisterhafte Installation jenseits von physischer Schwerkraft ergab. Eatherly beschreibt, dass „the interesting thing there for me was the idea of building up something, starting from loops and bringing it off the screen down into the actual gallery situation and working with objects and movement. Then while it was going on I’d wear black and walk in amongst the chairs, the same way as the figure was doing on the screen. It produced this curious sensation of chairs floating in space.“10
Weitere einflussreiche Beispiele des Expanded Cinema sind Anthony McCalls bekanntes Line Describing a Cone (1973) und Annabel Nicolsons Reel Time (1973). Das Festival of Expanded Cinema im Londoner Institute of Contemporary Art (ICA), 1976, und die bekannte „Film als Film“-Ausstellung im Kölnischen Kunstverein (1977) sowie der Hayward Gallery (1979) waren die letzten großen Ausstellungen zu dieser Form der Zelluloidfilmarbeit.11 Es wäre allerdings kurzsichtig, die späten 1970er-Jahre und die Postmoderne als das Ende des Expanded Cinema zu beschreiben. Man könnte die neuen Filmexperimente der Punkszene, der Super 8-Bewegung und der Videokunst eher als eine Fortsetzung des Expanded Cinema sehen, das aus den Experimenten mit dem Filmapparat heraus sich auf andere physische und intellektuelle Räume auszuweiten begann. Ein interessantes Beispiel stellt Anthony McCalls und Andrew Tyndalls Film Argument (1978) dar, der nur in Verbindung mit einer der Filmvorführung folgenden Gruppendiskussion, eines arguments, gezeigt wurde. Unter den veränderten politischen Bedingungen der Thatcher-Ära, der Ausbreitung der freien Marktwirtschaft unter dem Neoliberalismus, den tiefgreifenden Auswirkungen der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft und der damit verbundenen Veränderung des Sozialstaats in eine Gesellschaft, in der es laut der Iron Lady weder eine Gesellschaft („There is no such thing as society“), noch Alternativen („There is no Alternative“) gab, entstanden in den Werken der jüngeren Künstler, Filmemacher und Denker neue Formen einer kritischen Ästhetik. In den 1980erJahren gab es in Großbritannien ganz bestimmte, tiefgreifende Veränderungen: Thatchers Regierung verursachte nicht nur eine schon längst überfällige Umschichtung der Klassengesellschaft. Die späten 1970er-Jahre zeugten auch von der Emanzipation der Great Empire-Immigrationsgeneration, die sich nicht nur in den von den Tories neu ins Leben gerufenen Fachhochschulen trafen (so wie das Black Audio 10 „Annabel Nicolson at the Co-op“, in: Light Years London Filmmakers’ Coop 20 Year Celebration Catalogue 1986, online einsehbar unter: http://www.studycollection.co.uk/ filmaktion/Frameset24.html (letzte Sichtung 08.10.2014). 11 Birgit Hein/Wulf Herzogenrath (Hg.): Film als Film. 1910 bis heute. Vom Animationsfilm der Zwanziger Jahre zum Filmenvironment der Siebziger Jahre, Ausst.-Kat. Kölnischer Kunstverein, Ostfildern 1978; dies. (Hg.): Film as Film. Formal Experiment in Film 1910–1975, Ausst.-Kat. Hayward Gallery, London 1979.
216 Maxa Zoller Film Collective), sondern auch auf den Straßen des Nottingham Hill Carneval, von Brixton und Handsworth in Birmingham, um gegen die systemische Aussonderung nicht-weißer Briten12 Widerstand zu leisten. Diese Krise legte den Grundstein für das heutige postkoloniale Großbritannien. Nur die Frage ‚Wer projiziert was auf wen?‘ ist heutzutage sehr viel schwieriger zu beantworten. Wenn in den 1970erJahren das Hollywoodkino ein klarer Gegner war, den es zu erweitern galt, wo ist dann der Gegner in der digitalen Welt des post-cinema? Und wo befindet sich der Raum zwischen Projektor und Leinwand im Zeitalter des Laptops? Wo sind die dynamischen Räume des Widerstands? In den 1990er-Jahren explodierte eine neue Form der Filminstallationskunst, die eine Reihe von neuen Ausstellungen, Diskursen, Konferenzen, Universitätsseminaren, Archiven usw. ins Rollen brachte. Dies war besonders ausgeprägt in Großbritannien, wo die lange, doch bis dahin dem Kunstmainstream weithin unbekannte Geschichte der London Filmmakers’ Coop und seines Expanded Cinema plötzlich wieder relevant wurde. Mark Webber veranstaltete im Jahr 2002 das bekannte Shoot Shoot Shoot-Filmprogramm, das national und international tourte und eine junge Generation von Künstlern und Akademikern, die Autorin miteingeschlossen, mit den Filmen der Coop bekannt machte, die als Organisation bis dahin nur noch in Form des Filmarchivs LUX überlebt hatte. Natürlich stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen dem historischen Expanded Cinema und neueren Formen von Mehrfachprojektionen, Filminstallationen und raumbezogenen All-over-Filmenvironments, wie sie von der yBa (young British artists)-Generation einschließlich Steve McQueen, Douglas Gordon, Jane und Louise Wilson, Isaac Julien, Tacita Dean und Sam Taylor-Wood in den 1990erund frühen Nullerjahren bis zum Anschlag projiziert wurden. Was haben die schwindelerregenden, kubistisch-fragmentierten Architekturen in den Installationen der Wilson-Zwillinge, die erotisch-körnigen, 16 mm maßgeschneiderten Großprojektionen von McQueen, Juliens barocke Maskenbälle, in denen sich der Betrachter immersiv verliert, und Gordons Zelluloidschlachterei in der Black Box mit den abstrakten, technisch fragil und ästhetisch rohen Arbeiten des Expanded Cinema zu tun? Ist diese Frage eine Fährte, die zu etwas führt? Oder zeugt die Annahme einer Verbindung zwischen dem sogenannten gallery film und dem Expanded Cinema von der pawlow’schen Konditionierung der Greenberg’schen October-Generation, die krampfhaft an einem modernistischen Formalismus festhält? Zahlreiche Diskussionen und Konferenzen haben versucht, der Beziehung dieser beiden britischen Filmkulturen auf den Grund zu gehen: mit der Erkenntnis, dass oberflächliche formale Überschneidungen nicht unbedingt Ausdruck inhaltlicher Kongruenz sind.13 12 Nota bene den Unterschied zwischen ,British‘ und ,English‘. Historisch sowie kulturell bezieht der Begriff ‚British‘ auch das Great Empire mit ein, wohingegen ,English‘ für das typisch traditionelle, das weiße, protestantische England steht. 13 Vgl. Expanded Cinema. Activating the Space of Reception, Konferenz in der Tate Modern, London, 17.–19.4.2009; Jenseits des Kinos. Die Kunst der Projektion, Symposium im Kino Arsenal, Berlin, 27.–29.10.2006 (begleitend zur gleichnamigen Ausstellung im Hamburger
The Cinematic Body 217 Es wurde deutlich, dass sich eine politisch-philosophische Kluft zwischen den Generationen auftat, bei der die zeitgenössischen Filminstallationskünstler als Thatcher’s children kritisiert wurden, die einen Pakt mit der Debord’schen Spektakelkultur eingegangen seien. Dieser Konflikt hat einen spezifischen Kontext: In England, diesem exzentrischen Land Shakespeares, in dem Maske, Kostüm, Sprachspiel und Wandlungsfähigkeit einen Widerstand zu den strengen Klassenformationen bis heute bilden, waren die Bildenden Künste, moderne Malerei und Skulptur, im Vergleich zur Theaterkultur von weniger Bedeutung. Als die yBa Mitte der 1990er die Bühne des Establishments stürmten, geschah dies im Übergang von der Tory-Regierung – Thatcher wurde 1990 durch John Major ersetzt – zu Blairs New Labour Politik, die das neue ‚Cool Britania‘ zelebrierte. Mit Hilfe des Geldes des irakischen Werbegurus Charles Saatchi fand im Jahr des Regierungswechsels eine ‚sensationelle‘ Umwertung von Kunst statt. Mit seiner Ausstellung „Sensation“ in der Royal Academy 1997 wurden Damien Hirst und Tracey Emin Ikonen der Populärkultur. Gleichzeitig wurde Kunst zur Ware, endlich auch offen für die breite Masse, einschließlich der working class14, denn Kunst war bisher in England eine äußerst elitäre Angelegenheit. Das Ausstellungshaus Tate Modern, das im Jahr 2000 eröffnete, pflegt diesen populären Ansatz, wie internationale Megamuseen heute überall, mit Nick Serotas fragmentierter Hängung, den massenfreundlichen Turbine Hall-Installationen und der Café-Kultur. Ein weiteres Beispiel zum spezifisch britischen Umgang mit dem Thema Bildende Kunst sind die Wettbüros, in denen jedes Jahr eifrig auf den Turner Prize gesetzt wird, und über deren Resultate man sich mit jedem Taxifahrer streiten kann. Hier stellt sich die Frage an junge, zeitgenössische Künstler, ob und wie es möglich ist, kritisch in einer Gesellschaft zu arbeiten, die jede Kritik an sich selbst sofort als sensationelle Neuigkeit darstellt und damit absorbiert. Die 1990er-Jahre haben die ökonomischen und sozialen Strukturen der britischen Kunstszene zutiefst verändert, und die Ausmaße dieses Phänomens sind nach wie vor bestimmend für die internationale Kunstwelt. Allerdings soll auf diesen Seiten Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung geschaffen werden. Viele junge Künstler und Kunststudenten beschuldigen die yBa, die Kunst von Kultur getrennt und allein in den Dienst des Konsums gestellt zu haben (dies geschieht nicht ganz zu Unrecht, denn qualitativ haben die yBa mit Ausnahme von Michael Landy, Yinka Shonibare und wenig anderen, nicht überlebt). In Bezug auf Filmkunst ist es auffallend, das sich der Begriff des gallery film für die Bezeichnung von Film- und Videokunst durchgesetzt hat. Die wörtliche Referenz auf die Galerie zeigt, dass die Filmkunst der 1990er-Jahre nicht mehr an ihrem Inhalt, sondern an ihrem institutionellen und ökonomischen Status gemessen wurde. Zeitgenössische Kunst wurde zum Lifestyle und damit Teil einer größeren soziopolitischen, neoliberalen Marktausbreitung im Zeitalter beschleunigter, da digitaler und globaler WirtschaftsBahnhof); Moving Image as Art, Konferenz in der Tate Modern, London, 1.6.–2.6.2001. 14 Es wäre ungeschickt, den Begriff ,working class‘ hier ins Deutsche zu übersetzen. In England hat die working class eine eigene Identität.
218 Maxa Zoller beziehungen. Letztere stehen in enger Beziehung zu der 2003 eröffneten Frieze Art Fair, dem Londoner Kunstmarktboom und der sogenannten Heuschreckenplage15, der allein es möglich war, die steil ansteigenden Marktpreise zu absorbieren und zu steigern. Dieser Kontext scheint sowohl künstlerisch als auch inhaltlich in den Arbeiten zeitgenössischer Künstler durch, die in den meisten Fällen von der Ästhetik des Kinos geprägt sind, welche natürlich nicht nur formalästhetisch, sondern auch durch und durch ideologisch gesehen werden müssen, als Beispiele seien genannt Douglas Gordons 24 Hour Psycho (1993), Stasi City (1997) von Jane and Louise Wilson und Sam Taylor-Woods Travesty of a Mockery (1995). Es ist genau diese ideologische Verwurzlung dieser Arbeiten in der Mainstream-Ästhetik, die sich von der politischen Sensibilität der Expanded Cinema-Generation vor der Thatcher-Ära unterscheidet. Wann immer die neuen Filmarbeiten der yBa (und international darüber hinaus) kunstkritisch analysiert wurden, las man die Aufsplittung der Projektion in installative Räume als ein Symptom postkolonialer Identität (Frantz Fanon), der Globalisierung (Benjamin Buchloh) und postindustrieller Entfremdung (Fredric Jameson)16. So beschreibt Buchloh die Arbeiten des Iren James Coleman als „the last resistances against spectacle’s global homogenization“17, was auch stellvertretend für Isaac Juliens Arbeiten gelten kann, dessen The Long Road to Mazatlán (1999) als „kaleidoscopic“18, „cubistic, simultaneously multifarious“19 und „panoscopic“20 beschrieben wurde. Diese Beobachtung deckt sich mit der Analyse Ursula Frohnes, die in den neuen „cinematisierten Illusionsräumen“ ein Gefühl des „Balanceverlusts“ und der „Ortslosigkeit“ vermittelt sah.21 Die Kuratorin Claire Doherty bezieht sich 15 „Der Begriff ,Heuschreckendebatte‘ wurde im April und Mai 2005 geprägt. Franz Müntefering verglich das Verhalten mancher ,anonymer Investoren‘ mit Heuschreckenplagen. ,Heuschrecken‘ gelten im deutschen politischen Sprachgebrauch seitdem als eine abwertende Tiermetapher für Private-Equity-Gesellschaften sowie gegen andere Formen der Kapitalbeteiligung mit mutmaßlich zu kurzfristigen oder überzogenen Renditeerwartungen, wie Hedge-Fonds oder sog ,Geierfonds‘.“ http://de.wikipedia.org/wiki/ Heuschreckendebatte (letzte Sichtung 08.10.2014). 16 Frantz Fanon war einer der ersten Theoretiker, die eine Beziehung herstellten zwischen Kolonialität und Psychoanalyse. Frantz Fanon: Black Skin, White Masks, London 2008 (frz. Original 1952). Frederic Jamesons bekanntes Buch Postmodernism, or the Logic of Late Capitalism ist ein Meilenstein in der postmodernen Theorie. Jameson zeigte auf, wie die Entfremdungsprozesse in der postindustriellen Gesellschaft von Künstlern übersetzt wurden. Frederic Jameson: Postmodernism, or the Logic of Late Capitalism, Durham, NC 1999. Benjamin Buchloh: „Memory Lessons and History Tableaux. James Coleman’s Archeology of Spectacle“, in: James Coleman, Ausst.-Kat. Fundació Antoni Tàpies, Barcelona 1999, S. 51–75. 17 Ebd. S. 68. 18 Nina Caplin: „Cinerama“, in: Metro, 29.9.2000, S. 22. 19 Alex Farquharson: „Isaac Julien & Javier de Frutos“, in: Art Monthly 241 (2000), S. 35 f., hier S. 36. 20 Judith Palmer: „One Upon the Time in the West“, in: The Independent, 19.9.2000, S. 13. 21 Ursula Frohne: „Ausbruch aus der weißen Zelle. Die Freisetzung des Bildes in Cinematisierten Räumen“, in: Ralf Beil (Hg.): Der Schwarzraum – Phänomen, Geschichte, Gegenwart, Ostfildern 2001, S. 51–63, hier S. 52, 59, 60.
The Cinematic Body 219 auf Anthony Vidlers einflussreiches Buch The Architectural Uncanny22, wenn sie Stasi City (1997) und Gamma (1999) von den Wilsons wie folgt analysiert: „Architectural historian Anthony Vidler has described such an effect in relation to the architectural uncanny, comparing it to the condition of schizophrenia. […] The absence of the ‚anchors‘ in the Wilson’s work […] thus induces a condition similar to that of schizophrenia or spatial phobia.“23
Diese Diskurse, die sich unmittelbar aus den radikalen Theorien der lacan‘schen Psychoanalyse, des Feminismus, der post-Bürgerrechts-Identitätsdebatte und der Queer Theory speisten, welche ja in den späten 1970er- und -80er-Jahren, also zeitgleich mit der Krise des klassischen Expanded Cinema entstanden waren, wurden in den 1990erJahren zum theoretisch-kritischen Handwerk der Analyse von Filminstallationskunst. Meine Kritik an dieser Kritik besteht darin, dass sie oft zu sehr illustrativ und wortwörtlich operiert, indem sie formale Fragmentierung mit psychologischer Dezentrierung gleichsetzt. Ein alternativer Vorschlag wäre das Konzept der Dezentrierung nicht als Pathologie, sondern als die Grundvoraussetzung des modernen Subjekts zu sehen. Der bekannte postkoloniale Theoretiker Achille Mbembe beschreibt dies folgendermaßen: „What characterises postcolonial thinking is entanglement and concatenation, unveiled chiefly through its critique of identity and subjectivity. From this viewpoint it is opposed to a particular Western illusion, that there can be no subject other than in the circular, permanent referral to oneself, to an essential and inexhaustible singularity. In countering this, postcolonial thinking stresses the fact that identity arises from multiplicity and dispersion, that self-referral is only possible in the in-between, in the gap between mark and demark, in co-constitution. In this situation colonisation no longer appears as mechanical and unilateral domination forcing the subjugated into silence and inaction. Quite the reverse – the colonized person is a living, talking, conscious, active individual whose identity arises from a three-pronged movement of violation, erasure and self-rewriting.“24
Der iranische Philosoph Reza Negarestani, der britische Theoretiker Ray Brassier, die Filmemacher Ayreen Anastas, Rene Gabri und Francois Bucher aus Palästina, Armenien, den USA, Frankreich und Kolumbien, die Londoner Künstlergruppe The Otolith Group (Anjalika Sagar und Kodwo Eshun) und das Künstlerduo Karen Mirza und Brad Butler, auf letztere ich im Folgenden zu sprechen kommen werde, sind nur einige weitere Akteure dieser Diskursartikulationen. Wenn das Medium Film heute nicht mehr so klar auf der Kinoleinwand zu Hause ist, sondern sich wie in David Cronenbergs Thriller Videodrome (CA/USA 1983), in 22 Anthony Vidler: The Architectural Uncanny. Essays in the Modern Unhomely, Cambridge Mass./London 1992. 23 Claire Doherty: „Awaiting Oblivion“, in: Jane and Louise Wilson, Ausst.-Kat Serpentine Gallery, London 2000, S. 74. 24 „What is postcolonial thinking? An interview with Achille Mbembe”, online unter: www. eurozine.com/articles/2008-01-09-mbembe-en.html (letzte Sichtung 22.07.2014), frz. Original in: Esprit 12 (2006).
220 Maxa Zoller dem sich die Hauptfigur Max Renn die Videokassette durch einen vaginalen Schlitz in den offenen Bauch schiebt, um zum ‚Neuen Fleisch‘ zu werden, in unseren Körpern eingenistet hat, gegen was und gegen wenn richtet sich dann die Kunst? – „Against what? Against whom?“ war auch der Titel der retrospektiven Ausstellung des deutschen Filmemachers Harun Farocki in London, der in seinen Filmen analysiert, wie die apparativen Strukturen des Kinos (cinematic apparatus) in unseren Körpern zum Fleisch gewordenen Cinematic Body werden.25 The Cinematic Body ist der Titel der oben genannten Publikation des amerikanischen Theoretikers Steven Shaviro, mit der er in den 1990er-Jahren versuchte, der psychologischen Filmtheorieschule eine Anti-Ödipus-Alternative entgegenzusetzen. Ausgehend von Donna Haraways „A Cyborg Manifesto“26 aus dem Jahr 1985 sieht Shaviro die Verschmelzung von Mensch und Maschine nicht als Todesdrohung, sondern als eine potenziale Erweiterung des Menschen. Er zelebriert die orgiastische Verschmelzung von Abjekt und Lust, wie sie in den Filmen Alien, Videodrome und Blue Steel dargestellt ist, anstatt sie im Sinne freud’scher Psychoanalyse aufzulösen.27 Darüber hinaus hat sich die feministisch-phänomenologische Theorie in den 1990ern und Nullerjahren mit einer Welle neuer Theoretikerinnen, von Vivian Sobchak bis zu Laura U. Marks und Jennifer M. Barker, weitergebildet.28 Alle diese Denker haben sich wie Max Renn symbolisch zu viele Kassetten eingeworfen, sie mehr oder weniger verdaut, projektil wieder hoch kommen lassen, mit einer Wucht, die von langfristiger politischer Frustration, institutionalisierten Machtverhältnissen und akademischer Apathie gespeist war. Daraus folgt, dass der zeitgenössische Cinematic Body nicht mehr in klarer Opposition zum Filmapparatus gesehen werden kann, wie es im Expanded Cinema der 1960er-Jahre der Fall war, sondern dass sich heutzutage die Beziehung zwischen Körper und Medien zutiefst komplex gestaltet. Im Jahr 2003 notierte der amerikanische Theoretiker der Postmoderne Jameson in seinem Text Future City29, dass wir uns das Ende der Welt, jedoch nicht das Ende des Kapitalismus vorstellen können. Dieser Satz ist zu einem Mantra zeitgenössischer britischer Künstler geworden: Der Kapitalismus hat sich so tief in unser Bewusstsein eingeschlichen, dass es uns unmöglich ist, eine Welt zu erdenken, in der der Wert von Zeit und Raum nicht durch maximale Produktionsoptimierung definiert ist.30 25 Vgl. Antje Ehmann/Kodwo Eshun (Hg): Harun Farocki. Against What? Against Whom?, Ausst.-Kat. Raven Row, London 2009. 26 Donna Haraway: „A Cyborg Manifesto. Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century“, wieder abgedruckt in: dies.: Simians, Cyborgs and Women. The Reinvention of Nature, New York 1991, S. 149–182. 27 Vgl. Shaviro (1993), Anm. 3. 28 Vgl. Vivian Sobchak: The Address of the Eye. A Phenomenology of Film Experience, Princeton, NJ/Oxford 1992; Laura U. Marks: The Skin of Film: Intercultural Cinema, Embodiment, and the Senses, Durham, NC 1999; Jennifer M. Barker: The Tactile Eye. Touch and the Cinematic Experience, Berkeley, CA 2009. 29 http://newleftreview.org/II/21/fredric-jameson-future-city (letzte Sichtung 03.09.2014). 30 Dies hat ganz konkrete Auswirkungen auf die Gesundheit: „In Britian, depression is now the condition that is most treated by the NHS. In his book The Selfish Capitalist, Oliver James has convincingly posited a correlation between rising rates of mental distress
The Cinematic Body 221 Was bedeutet dies für die Bildprojektion? Wenn es uns unmöglich geworden ist, eine Alternative für den Kapitalismus zu formulieren, heißt das, dass keine neuen Bilder mehr entstehen werden oder können? Und wenn der Projektionsraum sich in den letzten vierzig Jahren von einer klaren binären Struktur in komplexere Medienräume verwandelt hat, bedeutet dies nicht, dass jede Art von Bildprojektion obsolet geworden ist? Denn liest man den Begriff Bildprojektion nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich, dann kann man Jamesons Prophezeiung in dem Sinne deuten, dass es im heutigen postmodernen Spätkapitalismus kein Bild der Zukunft mehr gibt (ein Bild, das als Zukunftsprojektion nach vorne in die Zeit projiziert wird). Von diesem komplexen Raum zwischen Bild und Projektor, dem feinen von Mbembe oben beschriebenen „gap between mark and demark“31, handelt die Arbeit von Karen Mirza und Brad Butler, die in ihren Filmen, konzeptuellen Installationen und kontextuellen Interventionen versuchen, der Frage nach der Beziehung zwischen Körper und Apparat auf den Grund zu gehen. Hier ist das Expanded Cinema zu ‚Expanded Media‘ geworden, denn wie oben angedacht, reicht das Kino als Hauptpräsentationsort kapitalistischer Imag(e)ination nicht mehr aus. Anders als bei den yBa besteht eine direkte Verbindung zwischen Mirza und Butlers Arbeitsprozess und den strukturellen Untersuchungen des Filmdispositivs der Londoner Filmmakers’ Coop. Nicht nur retteten die beiden Filmmacher die Ausrüstung der Filmmakers’ Coop, als diese 2002 aufgelöst wurde, um sie in dem Experimentalfilm-Produktionslaboratorium no.w.here32 jungen Filmkünstlern wieder zugänglich zu machen. Auch ihre eigene künstlerische Arbeit untersucht den Cinematic Apparatus unter zeitgenössischen Gesichtspunkten, ohne dabei das Dispositiv nostalgisch zu fetischisieren (eine Verführung, der viele junge, mit Zelluloid arbeitende Künstler nachgeben). Mirzas und Butlers Arbeit ist ein gutes Beispiel dafür, wie die modernistische Reflexivität und medienspezifische Strukturanalyse des Expanded Cinema durch eine interdisziplinäre, postkoloniale, sprich erweiterte Definition von Reflexivität ersetzt wurde und so BetrachterInnen den globalen Raum öffnet. Ein heißer Herbstnachmittag in Islamabad 2007: Während einer Residency in Pakistan besuchen Mirza und Butler im Nationalmuseum eine Ausstellung über Körperkultur und Sexualität im modernen Pakistan, als draußen auf der Straße die Lawyers’ Movement-Unruhen ausbrechen (die Justizkrise hatte zur dramatischen Foland the neoliberal mode of capitalism practiced in countries like Britain, the USA and Australia. In line with Jame’s claims, I want to argue that it is necessary to reframe the growing problem of stress (and distress) in capitalist societies. Instead of treating it as incumbend on individuals to resolve their own psychological distress, instead, that is of accepting the vast privatisation of stress that has taken place over the last thirty years, we need to ask: how has it become acceptable that so many people, and especially so many young people, are ill?“ Mark Fisher: Capitalist Realism. Is there no Alternative?, London 2009, S. 19. 31 Mbembe (2006), Anm. 24. 32 no.w.here ist eine der wichtigsten unabhängigen Experimentalfilm-Plattformen Londons. http://www.no-w-here.org.uk (letzte Sichtung 03.09.2014).
222 Maxa Zoller ge, dass General Musharraf das Notstandsgesetz ausrief, ein Akt, der eigentlich nur dem Präsidenten zugeschrieben ist, was von tausenden schlipstragenden Anwälten auf der Straße bekämpft wurde.) Diese absurde Situation, sich zwischen zwei kritischen, umstrittenen und nicht-affirmativen Räumen, dem hochpolitischen Innen und dem gewaltsamen Draußen, zu befinden, wurde zum Ausganspunkt neuer Überlegungen zu der paradoxen Natur politischer Realität. Die daraus resultierende, konzeptuelle Arbeit The Museum of Non Participation (MoNP) überführte Pakistans Notstandsgesetz in den Kontext des westlichen Kunstsystems durch eine radikale Kritik an dessen Institutionen: In London wurde das MoNP in einem kleinen Raum im Hinterhof eines pakistanischen Friseurladens im East End ausgestellt. Doch fern von konventionellen Definitionen des Ausstellens wurden in diesem Raum nicht nur der Experimentalfilm The Exception and the Rule, Fotografien, Diaprojektionen und Textarbeiten der beiden Künstler präsentiert, sondern auch fortwährend Seminare, Debatten und sogar Urdusprachkurse (Urdu ist die Hauptsprache in Pakistan) abgehalten (Abb. 3). Gleichzeitig verwickelten Mirza und Butler die Besucher des ‚Museums‘ in eine paradoxe Situation: angenommen, man möchte das MoNP besuchen, wie nimmt man an einem ‚Museum der Nicht-Teilnahme‘ teil, ohne dessen Programm der Verweigerung zu verleugnen? Als AusstellungsbesucherIn des MoNP konnte man sich wundern, an was man gerade nicht teilnahm. Hier arbeiteten Mirza und Butler mit dem Konzept des hors-champs des französischen Filmhistorikers André Bazin, der Ende der 1950er-Jahre Film als ein Medium definierte, das vor
Abb. 3: Karen Mirza/Brad Butler, The Museum of Non Participation, 2009.
The Cinematic Body 223
Abb. 4: Karen Mirza/Brad Butler, What will the next revolution look like?, The Museum of Non Participation, Performance Lecture Intervention, Waterside Project Space, London, April 2010.
allem dasjenige, was ‚außerhalb des Feldes‘ liegt, artikuliert.33 Indem das MoNP ein filmisches Konzept auf eine soziopolitische und kulturelle Situation überträgt, wird die Beziehung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zum springenden Punkt für eine dadaeske Geste. In einem Interview sagte Butler: „The idea that what we see is a condition of how we see became a significant in both The Exception and the Rule and ‚The Museum of Non Participation‘. This led Karen and I to start working, not so much with what was inside the camera frame, but rather with what we couldn’t capture, and our discussions became about getting a sense of the boundaries and the limits of our inclusion and exclusion. The Exception and the Rule and the ‚Museum‘ present this to the viewer so that he or she might feel like they’re passing through those interrogations within the filmic scenario – in other words, the project not only profiles the viewer’s encounter with the material, but also what they bring to this encounter.“34
Indem Mirza und Butler das Filmdispositiv im Sinne von Agambens Theorie auch auf andere Formen von Technologien, seien es Sprache, Gesten oder die Medien selbst, ausweiten, kann man argumentieren, dass das MoNP eine neue, durchaus komplexe Weiterentwicklung des Expanded Cinema ist (Abb. 4). Wenn sich das 33 Vgl. André Bazin: Qu’est-ce que le Cinéma?, 4 Bde., Paris 1958–1962. 34 Gemma Sharpe: „Artists at Work: Karen Mirza and Brad Butler“, in: Afterall Online, 06.07.2010, http://www.afterall.org/online/artists-at-work-karen-mirza-and-brad-butler (letzte Sichtung 08.10.2014).
224 Maxa Zoller MoNP auch nicht formal haargenau mit dem Erscheinungsbild des Expanded Cinema überschneidet, liegen die philosophischen, sozialen, politischen und ästhetischen Fragen doch enger beieinander als die zwischen Expanded Cinema und yBa. Die Frage der Bildprojektion wird in MoNP also nicht mehr nur innerhalb des institutionellen Rahmens, sei dieser räumlich oder intellektuell, gesehen, sondern tritt über dessen Schwellen hinaus, um zum Kern des gesellschaftlichen Körpers vorzudringen. Feuer mit Feuer bekämpfend geben Mirza und Butler den ‚Hauptarbeitsmethoden‘ des neoliberalen Kapitalismus – Beschleunigung, Ausbreitung, Zersplitterung und systemische Verinnerlichung – mit ebenso komplizierten Dispositiven Antwort, um einen neuen dynamischen Raum zu finden, in dem wir ein Bild der Zukunft nach vorne projizieren können.
Dennis Göttel
Picture-languages Abbildungen von Stan VanDerBeeks Movie-Drome
Photo reality and image involvement simply surround us. It’s so common in our life anyway – old magazines and the graphic et ceteras. [...] You get Life magazine every week, you get a newspaper, you get older. It’s like a movie in a sense. Stan VanDerBeek1
Katalog Im Rahmen der Ausstellung „Projekt Projektion“ im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien 20092 findet sich Susanne Miggitschs Arbeit Ohne Titel (2009), bestehend aus drei Dias, die sich in längeren Intervallen ablösen. Die Dias zeigen jeweils eine Doppelseite aus dem Ausstellungskatalog X-Screen – Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre3. Der aufgeschlagene Katalog, fotografiert auf schwarzem Hintergrund, ist auf den Dias deutlich als Buch erkennbar. Die Seiten sind mit gelben Post-its markiert. Zu sehen sind Abbildungen, etwa zu VALIE EXPORTs Adjungierte Dislokationen (1973), Anthony McCalls Line Describing a Cone (1973), David Lamelas’ Film Script (Manipulation of Meaning) (1972) (welches selbst Diaprojektionen enthält) oder Dennis Oppenheims Machine Gun Fire (1974).4 1 2 3 4
Adrienne Mancia/Willard van Dyke: „Four Artists as Film-makers“, in: Art in America, Januar/Februar (1967), S. 64–73, hier S. 71 [Stan VanDerBeek im Interview]. „Projekt Projektion“, kuratiert von Matthias Michalka, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien, 5. bis 10.5.2009. Eine kurze Beschreibung von Miggitschs Arbeit findet sich im Beiheft der Ausstellung, S. 28 f. Matthias Michalka (Hg.): X-Screen. Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre, Ausst.-Kat. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Köln 2004. Vgl. ebd., S. 154 f., S. 176 f., S. 188 f. Zwei Abbildungen von Stan VanDerBeeks MovieDrome finden sich auf S. 41.
226 Dennis Göttel Die gesamte Ausstellung widmet sich neueren Film- und Videoarbeiten in der Tradition des Expanded Cinema. Die Arbeit von Miggitsch setzt sich mit Musealisierung und Historiografie des Expanded Cinema auseinander, indem sie die traditionelle Präsentationsweise der akademischen Kunstgeschichte, die Diaprojektion, adaptiert. Nicht jedoch fotografische Reproduktionen künstlerischer Arbeiten werden gezeigt, sondern deren Darstellung im Ausstellungskatalog, der auswählt, inventarisiert, kanonisiert. So gerät die Institutionalisierung selbst zum Gegenstand. Diese Geste ist im Zusammenhang des Expanded Cinema von besonderer Brisanz, da die an Zeit und Raum gebundenen Aktionen oftmals das Signum singulärer Ereignisse tragen, hier aber über Bilddokumente und Beschreibungen zugänglich sind.5 Dieser Umstand soll nicht als Verfehlung der ‚eigentlichen‘ Aktionen verstanden werden; vielmehr stellen die Dokumentationen etwas Genuines dar.
Historiografie Das Expanded Cinema birgt nicht unmaßgeblich ein historiografisches Problem. Gemeint sind damit nicht dessen Historisierung und Kanonisierung, die in den letzten Jahren nicht zuletzt in genealogischen Bemühungen hinsichtlich zeitgenössischer Film- und Videoinstallationen im Galerie- und Museumsraum ihren Ausdruck fanden, um eine Kontinuität kinematographischer Aufführungspraktiken jenseits des traditionellen Dispositivs Kino zu behaupten, die mediale Ähnlichkeiten hervorhebt, dabei jedoch mitunter die institutionskritische Verve des Expanded Cinema unterschlägt. Stattdessen soll im Folgenden das Hauptaugenmerk auf einer basalen (und möglicherweise banalen) Komponente der Historiografie von Performances des Expanded Cinema liegen: der Uneinholbarkeit ihres Stattfindens und dem Verlust ihrer Stätte. Fußt die Filmwissenschaft entscheidend auf der Herausbildung des distinkten wissenschaftlichen Objekts ‚Film‘6, so finden freilich auch andere Gegenstände ihr Erkenntnisinteresse, wie die Geschichte und Theorie des Kinoraums: etwa historisch-kontrastierend in den Forschungen zu den Aufführungsmodalitäten im Frühen Kino, technikhistorisch zu den Entwicklungen kinematographischer Neu5
6
Dass sich das Expanded Cinema einer Institutionalisierung versperrt (hat), ist integraler Bestandteil seiner eigenen Konzeption: Ihre Form nämlich ist selbst Ausdruck einer institutionskritischen Haltung. In Bezug auf die Projekte Stan VanDerBeeks deutet dies Mark Bartlett an: „The ‚culture intercom‘ is an ‚experience‘ machine designed to invent and to produce collaboratively communication forms for a new society. It aims to counter the peculiar and dangerous unpredictability of human action on itself and the world, through ‚theatre‘. But, these culture intercom ‚theatres‘ are expanded cinemas which use, redesign and invent audio-visual technologies specificially for social ends, for inter-communication.“ Mark Bartlett: „Socialimagestics and the Visual Acupuncture of Stan Vanderbeek’s Expanded Cinema“, in: A.L. Rees/Duncan White/Steven Ball/David Curtis (Hg.), Expanded Cinema. Art, Performance, Film, London 2011, S. 50–61, hier S. 55. Zu wissenschaftshistorischen Perspektiven auf die anglo-amerikanische Filmwissenschaft vgl. Lee Grieveson/Haidee Wasson (Hg.): Inventing Film Studies, Durham, NC 2008.
Picture-languages 227 erungen wie CinemaScope oder 3D-Verfahren, ideologiekritisch im Zeichen der Apparatus-Debatte, kinophilosophisch und wissenschaftskritisch, um nur einige Ansätze zu nennen. Gemeinhin operieren jene Forschungen zum Kino – auch in den neueren Screen Studies7 – getrennt von denen zu Filmen. Aus filmwissenschaftlicher Perspektive scheint das Expanded Cinema eine spezifische Herausforderung darzustellen: Kinematographische Aktionen zeichnet eine singuläre Ereignishaftigkeit aus, die räumlichen und technischen Begebenheiten (die nicht das klassische Kino sein müssen) sind irreduzibler Teil der Arbeiten; und es sind mit KünstlerInnennamen versehene Aktionen: Eine Aufspaltung von Film und Kino in gesonderte Forschungsgegenstände wird schlechterdings unmöglich. Das Expanded Cinema markiert in vielen Fällen nicht unbedingt eine Expansion jenseits des Kinos8, sondern eine Expansion in den Aufführungsraum. Vulgo: Das Expanded Cinema ist exemplarisch etwas, das der Filmwissenschaft die Bedeutsamkeit der Vorführung ins Bewusstsein bringt: unter topischen, technischen, ästhetischen wie sozialen Aspekten. Anders als grosso modo beim Objekt Film ist die Vorführung jedoch etwas, das nicht unmittelbar verfügbar ist, sondern rekonstruiert werden muss, weil sie – anders als der Film – nicht reproduzierbar ist. Die Rekonstruktion als historiografischer Modus findet in Beschreibungen, Anekdoten und nicht zuletzt in Bilddokumenten ihre Materialien. Bei der Unwiederholbarkeit der Performances des Expanded Cinema liefern jene Materialien einen Ausschnitt des Ereignisses. Ist dies eine triviale Notiz aus der Perspektive einer kunsthistorischen Beschäftigung mit zeit- und raumabhängigen Arbeiten, tritt es aus filmwissenschaftlichem Blick in den Vordergrund – im Kontrast zur relativen Verfügbarkeit von Filmen.9 Vor allem Bilddokumente, die sich den räumlichen Anordnungen und Aktionen des Expanded Cinema widmen, sind Quellen der Rekonstruktion. In den allermeisten Fällen sind dies fotografische Materialien. Werden sie gemeinhin für eine Geschichtsschreibung des Expanded Cinema illustrativ verwendet, lassen sich die Abbildungen auch jenseits ihrer repräsentativen Dienstbarmachung wahrnehmen. Dies impliziert nicht, ihre Referenzialität zu suspendieren, sondern viel eher die Modi der Evidenz, die sie produzieren, zu untersuchen. Die konkrete Publikation von Bildern in Zeitschriften, Magazinen und Büchern ist dabei von Belang, denn hier zeigen sie sich in ihren institutionellen Rahmungen, von denen sie mit hervorgebracht werden. Nicht also die Rekonstruktion von Aktionen des Expanded Cinema, sondern die Medien ihrer Rekonstruierbarkeit geraten so in den Blick: nicht ihre Geschichte, sondern die Möglichkeiten ihrer Geschichtsschreibung. 7 8 9
Zum Feld der sogenannten Screen Studies vgl. z. B. Susan Lord/Janine Marchessault (Hg.): Fluid Screens, Expanded Cinema, Toronto 2007. Ein bekanntes Gegenbeispiel stellt etwa VALIE EXPORTs Tapp- und Tastkino (1968– 1971) dar. Diese Verfügbarkeit hat selbst etwas mit dem ‚Auszug‘ des Films aus dem klassischen Aufführungsort des Kinos und der Loslösung von analogen Trägermaterialien zu tun, nämlich der Habbarkeit von Videokassetten und DVDs.
228 Dennis Göttel
Realisierung und Konzeptualisierung Stan VanDerBeeks Movie-Drome zeichnet ein Spannungsverhältnis von Realisierung und Konzeptualisierung aus; ein historiografisches Unternehmen muss sein Fak tisches wie sein Geplantes erfassen. Zwischen 1963 und 1965 entsteht in der Landkommune im New Yorker Ort Stony Point VanDerBeeks Movie-Drome: Ein industriell vorgefertigter Getreidesilo sieht sich unweit von VanDerBeeks Wohnhaus zu einem Vorführraum von Filmen (in verschiedenen Formaten), Diaprojektionen, Filmstills, Computergrafiken u. a. umgenutzt. Mit mehreren Filmprojektoren und anderen Apparaten im Raum sind die Vorführungen multimediale Projektionen, zum Teil unter Einbezug von LivePerformances. Alle Darbietungen verstehen sich als work in progress. In dem für ungefähr 20 Personen konzipierten Raum gibt es keine Bestuhlung, die ZuschauerInnen liegen auf dem Boden. Als Projektionsfläche dient die komplette aluminiumbeschichtete und sich als Halbkugel erstreckende Innenseite des Silos. In einem angegliederten Studio wird Found Footage-Material zusammengestellt und bearbeitet.10 Die Titel der „prototype presentations“ geben Auskunft über die medienpädagogische und -politische Ausrichtung des Projekts: „‚Movie-Murals‘, ‚Ethos-Cinema‘, ‚Newsreel of Dreams‘, ‚Feedback‘, ‚Image libraries‘ […].“11 Ausgehend von der Diagnose, das 20. Jahrhundert sei bestimmt von einer Omnipräsenz von Techniken, Apparaten und massenmedialen Bildern, die jedoch drohten, irrationales und zerstörerisches Handeln hervorzubringen, weil die Menschheit ihre eigenen technischen Erfindungen nicht emotional durchdrungen habe,12 fordert VanDerBeek in dringlichem Tonfall Anstrengungen, den Menschen affektpolitisch zu adressieren. Seine Position ist also in keinster Weise technophob oder ikonoklastisch gegen die massenkulturellen Bilderarsenale der Moderne gerichtet, sondern einer aufklärerischen Tradition verhaftet, die jedoch entschieden um den Aspekt der Affekte erweitert ist („emotional experience“, „emotional-sociological“13). VanDerBeeks Affektpolitik ist konstitutiv mit den Multiprojektionen und der hohen Frequenz von Bildern verbunden: Sie sollen gewährleisten, dass die ZuschauerInnen nicht nur intelligibel, sondern intuitiv und unbewusst wahrnehmen; dies geht damit einher, dass jede/r Einzelne auf individuelle Weise den Bilderfluss zu realisieren hat.14 10 Zu ausführlichen Beschreibungen der Multiprojektionen im Movie-Drome vgl. z. B. Nan R. Piene: „Light Art“, in: Art in America, Mai/Juni (1967), S. 24–47, hier S. 44 oder: Gloria Sutton: „Stan VanDerBeek’s Movie-Drome: Networking the Subject“, in: Jeffery Shaw/Peter Weibel (Hg.): Future Cinema: The Cinematic Imaginary after Film, Ausst.Kat. Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, Cambridge Mass./London 2003, S. 136–143. 11 Stan VanDerBeek: „Culture: Intercom and Expanded Cinema“, in: Film Culture 40 (1966), S. 15–18, hier S. 16. Ich werde auch im Weiteren nach der Publikation des Manifests in Film Culture zitieren. 12 Vgl. ebd., S. 15. 13 Ebd., S. 15. 14 Vgl. ebd., S. 16 f.
Picture-languages 229 In Interviews, Texten und seinem Manifest „Culture: Intercom and Expanded Cinema“ gibt VanDerBeek Auskunft nicht nur über die politischen Implikationen seiner Arbeit als Künstler und des Movie-Drome im Besonderen, sondern auch über die utopisch anmutende Idee für den Bau weiterer, über die Welt verstreuter MovieDromes, die via Satellitentechnik miteinander verbunden15, lokal produzierte Filmprogramme untereinander austauschen und so einen cine-tele-technischen Verbund eingehen sollen: „[I]mages would not be stored on film but would come through the air, probably by means of TV transmission system to take images from anywhere we want them in the world [...]. [T]hen an artist-in-residence, who’s in charge of those images, could recall them, and manipulate them in any way he wants. World images and world ideas would be presented to a local audience that would be present at the moment the performance was being designed. The value of this would be that they would have a chance to see world images in some kind of capsulated form.“16
VanDerBeeks Ideen und Praktiken arbeiten mit Prämissen, die sich maßgeblich vom ideologiekritischen Impetus etwa des österreichischen Expanded Cinema unterscheiden, dem eine eher skopo-skeptische Note zu Eigen ist. Bei einem Podiumsgespräch im Rahmen des ‚New York Film Festival‘ im Jahr 1966, das in einer als Zeitung gestalteten Ausgabe, mit dem Titel „Expanded Arts“, der Filmzeitschrift Film Culture abgedruckt ist, bezieht VanDerBeek zur Bezeichnung ‚Expanded Cinema‘ Stellung – in weniger dispositivischer Hinsicht denn als Ausdruck einer anthropotechnologischen Umwälzung: „Expanded Cinema, as far as I’m concerned, is really... this metaphor of man, mobile man... what we’re talking about is suddenly discovering tremendous amount of communication consciousness and communication aesthetics and communication instinct. [...] We have just speeded up our whole sensitivities and our – which is what is happening to us now – sense organs are just expanding quite literally and we’re using the term ‚expanded cinema‘ as a simile to that effect.“17
Die Konzentration auf das Konzept von Kommunikation lässt sich als anderer Fokus auf seinen Movie-Drome begreifen, insofern die Arbeit das Medium Film benutzt, ohne damit in erster Linie eine Ideologiekritik am klassischen Kinodispositiv zu verbinden. Movie-Drome lässt vielmehr das Kino als Schauanordnung hinter sich,
15 Angaben über die genaue technische Umsetzbarkeit des Vorhabens bleiben aus, im Manifest umreißt VanDerBeek aber die Idee: „‚Intra-communitronics‘, or dialogues with other centers would be likely, and instant reference material via transmission television and telephone could be called for and received at 186,000 m.p.s.... from anywhere in the world.“ (Ebd., S. 17). 16 Interview mit VanDerBeek, Anm. 1 (1967), S. 73. 17 „Expanded Cinema: A Symposium N. Y. Film Festival 1966 (Panel)“, in: Film Culture, 43 (1966), S. 1 f., hier S. 1.
230 Dennis Göttel um den Film als globales Kommunikationsmedium zu funktionalisieren.18 Der Titel des Manifests „Culture: Intercom and Expanded Cinema“ evoziert die beiden grundsätzlichen Aspekte des Movie-Drome: zum einen den konkreten Ort der Vorführung, der sich in vielerlei Hinsicht vom Kino unterscheidet, zum anderen die medienkommunikative Netzwerkstruktur, die über den eigentlichen Aufführungsraum hinaus reicht. Letztlich verbindet sich mit dem einen Begriff der realisierte Teil des Movie-Drome, mit dem anderen die Unvollendetheit des Projekts.
Picture-language Das Ziel, das VanDerBeek mit dem Gesamtprojekt des Movie-Drome verfolgt, ist die Entwicklung einer „non-verbal international picture-language“19 durch Künstler Innen, die einer weltweiten Verständigung dienen soll. Sowohl Spuren der zeitgenössisch populären Kybernetik als auch ein hippieesker Duktus prägen VanDerBeeks Entwurf. Entscheidend ist, dass VanDerBeek der Film als äußerst angemessenes und entwickeltes audiovisuelles Medium zum Werkzeug einer solchen universellen Bildsprache taugt: Ihre Universalität wird nicht als bereits vorhanden behauptet, sondern soll sich erst in der inter-lokalen Kommunikation entwickeln; gleichwohl zeigt sich hier ein ontologisches Argument, insofern Film (vermeintlich) nicht im gleichen Maße wie Sprache und Schrift Übersetzungsleistungen beansprucht. Indes ist damit kein filmischer Purismus verbunden, denn es werden auch Video, TV und Computer explizit im Manifest genannt.20 Movie-Dromes sollen damit Labore für Erforschung und Entwicklung einer Bildsprache und darüber hinaus „storage centers“ genauso wie „life-theatres“21 sein: „Cinema will become a ‚performing‘ art... and image-library.“22 Mit dieser Maxime wird in zwei Räume interveniert: Die Kulturtechnik Kino wird nicht als bloßer Ort der Wiedergabe von Filmen verstanden und die Hervorhebung der „image-library“ stellt Movie-Drome in die Tradition der aufklärerischen Institution der Bibliothek (um indes in der konkreten Praxis jeder Bürgerlichkeit zu opponieren). 18 Mit einer solchen Konzeption des Expanded Cinema korrespondiert auch das Vorwort R. Buckminster Fullers von Gene Youngbloods Expanded Cinema, in dem es heißt: „Expanded Cinema is his [d. i. Youngblood] own name for the forward, omni-humanity educating function of man’s total communication system.“ R. Buckminster Fuller: „Introduction“, in: Gene Youngblood, Expanded Cinema, London 1970, S. 15–35, hier S. 34. Zum Konzept von Expanded Cinema bei Youngblood (auch in Verbindung zu VanDerBeek) vgl. Volker Pantenburg: „1970 and Beyond. Experimental Cinema and Installation Art“, in: Gertrud Koch/Volker Pantenburg/Simon Rothöhler (Hg.), Screen Dynamics. Mapping the Borders of Cinema, Wien 2012, S. 78–92, hier S. 78–80. Siehe auch den Aufsatz in vorliegendem Band in dt. Version. 19 Stan VanDerBeek (1966), Anm. 11, S. 16, vgl. auch S. 18. 20 Vgl. ebd., S. 17. 21 Ebd., S. 17. 22 Ebd., S. 18.
Picture-languages 231 Genießt der Begriff der „picture-language“ – dem ein Glaube an Bilder zu eigen ist, der sie nicht nur befähigt sieht, Affekte zu adressieren, sondern ihnen eine potentielle Universalität ihres Verstehens zuspricht – eine hervorgehobene Stellung in VanDerBeeks Konzept des Movie-Drome, ließen sich ihm die ‚Sprache‘ der Abbildungen, die Movie-Drome selbst zum Gegenstand haben, zur Seite stellen. Dies heißt nicht, dort die Verwirklichung von VanDerBeeks Bildbegriff zu entdecken. Werden die bildlichen Repräsentationen des Movie-Drome auf dessen Kommunizierbarkeit via Bilder hin befragt, dann gerät vielmehr der zeitgeschichtliche und institutionelle Aspekt der Abbildungen in den Blick. Die Verstehbarkeit dieser Bilder ist – und dies stellt den Kontrapunkt zu VanDerBeeks Theorem der Universalität dar – von spezifischem Bild-Wissen bedingt. Die Abbildungen helfen dem Projekt zu seiner Verbreitung – und in historiografischer Hinsicht supplementieren sie nicht Movie-Drome, sondern bringen es hervor. Daher soll hier nicht das audiovisuelle Material, das im Movie-Drome präsentiert wurde, Gegenstand werden, sondern die (Re-)Präsentationen des Movie-Drome selbst. Ein Wechsel des Mediums ist dabei evident: Es handelt sich um Bilder in Zeitschriften und Büchern. Auch wenn hier lediglich ein Ausschnitt von Bildmaterialien vorgestellt werden kann, lassen sich zwei Aspekte aufzeigen: Die einzelnen Abbildungen stellen jeweils nur Teilelemente des Movie-Drome dar; und hier als Serie verstanden, evozieren sie selbst das Spannungsverhältnis von dessen realisierten und nicht-realisierten Komponenten.
Hausherr (mit Hund) VanDerBeeks Movie-Drome sieht sich in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren in Fachmagazinen zum Film und Anthologien zur Multimediakunst weit verbreitet dokumentiert. Bemerkenswert ist, dass sich Darstellungen der Örtlichkeit und ihrer Umgebung in mindestens ebenso so großem Maße finden wie die des Inneren des Vorführraums. Das Ereignis des Movie-Drome ist nicht nur in seinen Multiprojektionen zu erfassen, sondern bezieht das gesamte Ensemble mit ein. Auffällig bei den Fotografien, die das Außen des Movie-Drome zeigen, ist das oftmalige Erscheinen auch VanDerBeeks darauf: prominent auf dem Cover einer Ausgabe von Film Culture etwa, die im Hintergrund das fertiggestellte Gebäude, im Vordergrund und in Nahaufnahme VanDerBeek selbst zeigt.23 Ein anderes Foto stellt eine Seitenansicht auf das Gebäude dar (Abb. 1): Das eigentliche Getreidesilo steht auf einer Holzkonstruktion, die an einen Hügel in bewaldeter Umgebung gebaut ist. Das Gebäude des Movie-Drome kommt hier im Kontrast von technoider Ästhetik der Aluminiumhülle des Silos und dessen häuslichem Unterbau (mit Holzfassade, Flügeltür, Sprossenfenster) zur Geltung. 23 Vgl. das Cover von Film Culture (1966), Anm. 11.
232 Dennis Göttel
Abb. 1: Stewart Kranz, Portrait of Stan VanDerBeek, o. J., Fotografie.
Das Foto zeichnet sich nicht allein durch die Abbildung des Movie-Drome aus, sondern hebt in der Bildmitte VanDerBeek als legeren Hausherrn hervor. Durch die alltägliche Szenerie – VanDerBeek ist auf seinen Hund konzentriert, der an seinen Beinen lehnt – erscheint die eigentliche Innovation des Kinobaus beinahe nebensächlich. Allein die verschlossenen Filmdosen auf dem Tisch erinnern beinahe unmerklich an den kinematographischen Anlass des Gebäudes. Darüber hinaus ist es auf der Fotografie dezidiert nicht das Städtische, sondern das Rurale, das ausgestellt wird – nicht jedoch in amoderner Charakteristik: Stattdessen wird die Stimmung des Lebens in der KünstlerInnenkommune auf dem Land24 aufgenommen und der Innovation des Movie-Drome etwas Hippieskes avant la lettre verliehen. Wenn VanDerBeek hier als eine Art Amateur des Kinobaus erscheint, dann spricht das Foto dies nicht pejorativ aus, sondern inszeniert es vielmehr als positiv sanktionierte Unkonventionalität.
24 Die Kommune in Stony Point trug den Namen „Gate Hill Co-op“ (oder: „The Land“), VanDerBeek wohnte in Nachbarschaft von John Cage und Merce Cunningham. Vgl. Gloria Sutton: „Stan VanDerBeek: Collage Experience“, in: Bill Arning (Hg.): Stan VanDerBeek: The Culture Intercom, Ausst.-Kat. Contemporary Arts Museum Houston, Houston 2011, S. 78–89, hier S. 85.
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Gruppenbild mit Andy Warhol, Annette Michelson und Kindern Eine Fotografie, ebenfalls in schwarz-weiß, zeigt großen Trubel um das Movie-Drome herum (Abb. 2); Anlass ist eine Vorführung im Rahmen des New York Film Festival 1966. Mit Omnibussen wird das Publikum nach Stony Point gebracht. Das schräg angeschnitten fotografierte Movie-Drome ist hier Schauplatz der New Yorker Bohème, in deren Menge sich auch VanDerBeek befindet. Doch ist es hier nicht der Filmkünstler, durch den sich das Foto auszeichnet, sondern die metropolitanen, filmaffinen BesucherInnen. Vor allem zwei Personen markieren das Spektrum filmischer Profession: Im Vordergrund der rechten Bildhälfte, im dünnen Rollkragenpullover und mit ernster Mine ist Annette Michelson zu sehen, einflussreiche Theoretikerin und Publizistin des experimentellen Kinos. Ganz im Hintergrund, und nur an der großen Sonnenbrille und seinem weißblonden Haar zu identifizieren, steht Andy Warhol. Beider Prominenz präsentiert die Vorführung als kulturelles Event. Konterkariert wird die Gruppe, die sich am Fuße des Gebäudes versammelt, durch eine Schar von Kindern, die auf dem Holzgerüst an der Außenwand des Movie-Drome herumtollt. Durch den gewählten Winkel nehmen die Aktivitäten der Kinder viel Raum auf dem Foto ein. Mit ihnen verbindet sich eine Ungezwungenheit des Ausflugs zum Movie-Drome, die der Ernsthaftigkeit der Bohème gegenübersteht. Eingebettet ist VanDerBeeks Projekt damit nicht nur in die filmkünstlerische Community, sondern wird als sozialer Raum inszeniert, der zum Spielplatz wird.
Abb. 2: Elliott Landy, At the Moviedrome [originale Bildbeschriftung], 1966, Fotografie, Scan aus Film Culture.
234 Dennis Göttel
Doppelseite und Fischaugenlinse Das Moment des Sozialen setzt sich mit einer Doppelseite – ebenfalls enthalten in der breiten Dokumentation von VanDerBeeks Projekt im Organ der amerikanischen Filmavantgarde, Film Culture – fort, auf der drei Fotografien aus dem Inneren des Movie-Drome abgebildet sind; in diesem Heft kommen sie ohne einen sie spezifisch begleitenden Text aus, was die Abbildungen besonders markant macht (Abb. 3). Während die obere Fotografie auf der linken Seite eine Nahaufnahme von VanDerBeek ist, die ihn mit einem kleinen Projektionsapparat in den Händen zeigt, ist auf dem unteren Bild der Holzboden des Baus zu sehen, auf dem – wie im Manifest explizit gewünscht – ZuschauerInnen liegen, mit den Füßen zur Mitte des Raums. Im Bildhintergrund steht ein Diaprojektor, VanDerBeek im rechten Vordergrund gibt dem Publikum Instruktionen. In der Bildmitte erkennbar ist der falltürartige Zugang. Die Differenzen zum herkömmlichen Kinobesuch sind auf diese Weise offensichtlich: keine Sitzmöbel und keine gesonderte Projektionskabine. Die rechte Hälfte der Heftdoppelseite ist ausgefüllt mit einem Foto, das während einer der Multiprojektionen gemacht ist. Schemenhaft sind ZuschauerInnen am unteren Bildrand auszumachen, deutlicher sind projizierte Filmbilder auf den einzelnen Platten der konvexen Aluminiumschicht des Raums zu sehen. Auffällig ist die Dominanz der sozialen Aspekte des Movie-Drome in den Abbildungen in Film Culture, wo nur ein Foto der Vorführsituation gewidmet ist; dieses bietet lediglich
Abb. 3: Elliott Landy, Festival visits Stan VanDerBeek’s Moviedrome/Stan VanDerBeek projects/ Stan VanDerBeek’s Moviedrome [originale Bildbeschriftungen], 1966, Fotografien, Scan einer Doppelseite aus Film Culture.
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Abb. 4: Stewart Kranz, VanDerBeek’s ‚Hemispherical Dome‘, o. J., Fotografie.
einen ungefähren Eindruck des Raums und der Ästhetik der Multiprojektionen. Durch diese Gewichtung bei den Abbildungen wird die extravagante ästhetische Präsentation, die das vermeintlich eigentliche Ereignis ist, marginalisiert. Eine Fotografie in Stewart Kranz’ Science & Technology in the Arts25 scheint dies kompensieren zu wollen (Abb. 4): Hier sind der gesamte Innenraum und dutzende projizierte Filmbilder während einer Vorführung erfasst. Doch gelingt dies erst mittels einer Fischaugenlinse, die der Geometrie des Raums, der Halbkugel, entspricht und diese gewölbt zeigen kann. Diese Fototechnik verzerrt so den Raum, vermittelt ihn jedoch mittels dieser Verzerrung erst. Jener Spezialeffekt zielt auf die Repräsentation der ästhetischen Wahrnehmung im Movie-Drome, die sich nicht nur an den Multiprojektionen bemisst, sondern auch am Format der Projektionsfläche. Im Text, der bei Kranz mit jener Abbildung erscheint, betont VanDerBeek die Differenzen des Mediums Film zu den räum lichen Gegebenheiten des klassischen Theaterraums: Der Film ermöglicht die Illusion des unbegrenzten Raums.26 Mit dem Verweis auf 360°-Projektionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts27 erscheint zudem das Rund des Movie-Drome jene räumlichen 25 Stewart Kranz: Science & Technology in the Arts. A Tour through the Realm of Science + Art, New York 1974, S. 238. 26 Vgl. ebd., S. 237. 27 Vgl. ebd., S. 238.
236 Dennis Göttel Qualitäten des Filmischen zu unterstützen und noch auszuweiten, wohingegen der klassische Kinoraum die Architektur des Theaters bloß imitiert. Beim Movie-Drome sind die Form des gesamten Raums und das Format der Projektionsfläche identisch: Die Projektionsfläche ist dem Raum nicht im Nachhinein eingefügt, beide sind untrennbar. Nicht nur die Differenz zum herkömmlichen Kinodispositiv ist für das Movie-Drome von Belang, sondern maßgeblich die Anlehnung an das Konzept und die Form von R. Buckminster Fullers „geodesic domes“.28 Wo bei jener Abbildung die besondere Fotolinse einen technischen Einsatz in der Dokumentierung schon sichtbar macht, erwirkt ein anderes Bild die Referenz zum Movie-Drome noch durch ein Hintenanstellen des Mediums Fotografie. Es handelt sich hierbei um eine Fotocollage von VanDerBeek selbst.
Kreisbild Das Manifest „Culture: Intercom and Expanded Cinema“ wird in drei Magazinen in beinahe gleichem Wortlaut, jedoch mit gänzlich verschiedenem Bildmaterial veröffentlicht: in Film Culture mit Zeichnungen VanDerBeeks, die in simpler Manier etwa cyborgartige Verkopplungen von Körpern und Bildschriftzeichen zeigen; maßgeblich von Bild- und Textarrangements, die das Layout von Zeitungen nachahmen29, und von ganzseitigen Fotocollagen sind die Versionen in Motive und The Tulane Drama Review geprägt.30 In letztgenannter Zeitschrift ist dem Manifest eine 28 VanDerBeek lernt Fuller in den späten 1940er-Jahren am Black Mountain College kennen und wird von dessen Arbeit, insbesondere der Entwicklung der kugelförmigen „geodesic domes“ inspiriert; ausführlicher zu diesem Verhältnis und zum weiteren Kontext von „Dome“-Dispositiven vgl. David McConville: „Cosmological Cinema: Pedagogy, Propaganda, Perturbations in Early Dome Theaters“, unter: http://www.academia. edu/396850/Cosmological_Cinema_Pedagogy_Propaganda_and_Perturbation_in_ Early_Dome_Theaters, hier S. 12 ff. und S. 17 (letzte Sichtung 08.10.2014). 29 Das Medium der Zeitung sieht Marshall McLuhan als Analogon zu VanDerBeeks Filmen: „The newspaper is also very much like the world of the delightful films of Stan Vanderbeek; the world of multi-screen projection is the world of the newspaper where umpteen news stories come at you without any connection and without connected themes. So, what the new film is doing is stripping off the story line in favor of this mosaic pattern of simultaneous projections, which is very much in accordance with electric technology.“ Marshall McLuhan: „The Invisible Environment: The Future of an Erosion“, in: Perspecta 11 (1967), S. 161–67, hier S. 166. Zum Motiv der Zeitung bei VanDerBeek vgl. auch: Jacob Proctor: „From the Ivory Tower to the Control Room“, in: Bill Arning (2011), Anm. 24, S. 99–107, hier S. 105 f. 30 Stan VanDerBeek: „Culture: Intercom and Expanded Cinema, a Proposal“, in: Motive 11 (1966), S. 13–23; ders.: „Culture: Intercom and Expanded Cinema: A Proposal and Manifesto”, in: The Tulane Drama Review 11/11 (1966), S. 38–48. Das zusammengestellte Material dort ist Werbungen, Bildern des Vietnamkriegs, Filmen VanDerBeeks, aber auch kinohistorischen, astronomischen, physikalischen, anatomischen, kunstgeschichtlichen oder anthropologischen Kontexten entnommen. Vgl. João Ribas: „Stan VanDerBeek’s ‚Industrial Metaphysical Revolution‘“, in: Bill Arning (2011), Anm. 24, S. 90–98, hier S. 94.
Picture-languages 237
Abb. 5: Stan VanDerBeek, Model of the Movie-Drome, 1967, Fotocollage.
kreisförmige Fotocollage vorangestellt. Sie ist im Zusammenhang der bildlichen Repräsentierbarkeit und Kommunizierbarkeit des Movie-Drome von besonderem Interesse, weil die Collage in ihrer Form in einem Ähnlichkeitsverhältnis zu seiner Raumanordnung steht. Ein Kreisbild gibt es auch in einem anderen Text VanDerBeeks, „Re:Vision“ in der Zeitschrift Perspecta.31 Es ist aus anderem Bildmaterial kompiliert und über die Bildbeschriftung explizit als bildliche Darstellung des Movie-Drome ausgewiesen (Abb. 5). Geprägt ist das Kreisbild von Bildern, die in zugeschnittenen Segmenten vom Rand des Kreises zulaufend zu dessen Zentrum montiert sind, was dazu führt, das Bild als dreidimensionale Kuppel wahrzunehmen. Hierzu trägt auch die Form der einzelnen Segmente bei, die alle die gleiche spitze Form besitzen und deren Schnitt- und Klebekanten deutlich hervorstechen. Die einzelnen Bildelemente jedoch evozieren unterschiedliche Blickrichtungen. In der linken Hälfte des Kreises 31 Stan VanDerBeek: „Re:Vision“, in: Perspecta 11 (1967), S. 113–119.
238 Dennis Göttel dominieren Bilder von Innenräumen, die zentralperspektivisch erfasst sind, während in der rechten Kreishälfte verschiedene und weniger deutlich erkennbare Motive kompiliert sind, die das gesamte Ensemble multiperspektivisch machen. Besonders auffällig sind indes zwei von hinten zu sehende Männerkörper, die – da nicht durch Schnitte zerteilt – erst nachträglich auf das Kreisbild geklebt zu sein scheinen. Der eine Körper, in der linken Bildhälfte, ist eine anatomische Zeichnung, bei der Muskeln und Sehnen konturiert sind. In sehr ähnlicher Körperhaltung schließt der andere Körper den unteren Rand des Kreises ab: Es ist die Fotografie eines nackten Mannes mit leicht ausgestreckten Armen. Zitiert zu werden scheint Leonardo da Vincis Vitruvianischer Mensch (um 1490), bildliche Studie menschlicher Proportionen – und Emblem der Renaissance und der Verortung des Menschen in der Moderne. Vielsagend ist der Unterschied zu VanDerBeeks Collage: Hier ist der menschliche Körper im Verhältnis zum Kreis, der ihn umschließt, dezentriert: Er ist sowohl Teil des Bildensembles, steht ihm also nicht distanziert als Betrachter außen vor, ist aber nicht dessen Mittelpunkt. Seine Betrachterposition kann nicht die multiperspektivischen Bilder in ihrer Gänze erfassen: Er hat keine Übersicht. Die Gesamtheit der Anordnung der Collage setzt so bildperformativ zwei Aspekte des Movie-Drome um: Zum einen funktionieren das Kreisbild und die Situierung des Körpers darin symbolisch, insofern es VanDerBeeks Analyse vom Verhältnis des zeitgenössischen Menschen zur Omnipräsenz massenmedientechnischer Bilder im 20. Jahrhundert, in die der Mensch selbst integriert ist und zu denen er sich – hier ist der implizite Verweis auf die Renaissance bedeutsam – verhalten muss, aufnimmt: Nicht mehr anthropozentrisch ist hier das Verhältnis von Mensch und Welt, vielmehr ist der Mensch ein (wenn auch im Kreisbild hervorgehobener) Teil von Weltbildfragmenten. Zum anderen nimmt die kreisförmige Collage aber auch figürliche Elemente des tatsächlichen Movie-Drome auf; auf diesen Aspekt hin ist die Bildbeschriftung in Perspecta konzentriert: „Model of the Movie-drome made for Perspecta: projected images collaged inside a dome. Simultaneous projection from several sources would cover the interior of the Movie-drome with overlapping and split-screen images. Author proposes that viewers would recline.“32 In der Erklärung, die das Bild als „model“ des Innenraums des Movie-Drome ausweist, wird die Collage unmittelbar als Ausdruck der sich überlappenden Multiprojektionen gefasst – obgleich sie nicht Filmstills VanDerBeeks verwendet. In der Bildbeschriftung überlappen sich die Beschreibung des Bildes („collaged“) und die des Movie-Drome („projection“) – so dass sich schon die Frage stellt, wer hier zum Liegen aufgefordert wird: nur die Zuschauer Innen im Movie-Drome oder auch die BetrachterInnen der Collage? Entscheidend für diese Überschneidung ist, dass das Kreisbild die kuppelförmige Projektionsfläche evoziert. Als Modellbild auf der Heftseite ist es Resultat einer Übertragungsleistung vom Raum des Movie-Drome her, bei der es um die Erfassung der ästhetischen Prinzipien und nicht zuletzt der gewölbten Form der Projektionsfläche geht – ohne sie 32 Ebd., S. 118.
Picture-languages 239 indes im eigentlichen Sinne abzubilden. In der bildlichen Übertragung und der Vermittlung an die LeserInnen und BetrachterInnen versteckt sich dergestalt auch eine Idealisierung der tatsächlichen Multiprojektionen und ihrer Wahrnehmung im Movie-Drome: Denn erst mit der Collage – und nicht im fotografischen Abbild – werden die Multiprojektionen in der Kuppel erfasst: als bildliche Abstraktion. Doch in Differenz zur Wahrnehmung im Movie-Drome ereignet sich hier ein Überblick über das ganze Rund und sämtliche Bildelemente. Wo sich das collagierte Bild so von einer strikten, fotografisch-indexikalisch verstandenen Referenzialität des Movie-Drome verabschiedet, sind gerade seine Kreisform und der Effekt der Kuppelform im Besonderen erwähnenswert, denn in VanDerBeeks Kommentaren sind es wiederkehrende Figuren. Schon in seinem Briefverkehr mit einem Hersteller von Getreidesilos im Herbst 1964 treibt ihn die Frage um, ob die Form des Baus eine „true hemisphere“ ergibt.33 Dementsprechend will er sicherstellen, dass die Grundfläche der eines Kreises entspricht: „I want to be sure that the dome can be made to fit an exact 31 foot true circle … ???“34 Die Wichtigkeit von Kreis und Hemisphäre als Formen des Movie-Drome verbürgen eine Ausweitung der Filmprojektionsfläche, doch sind sie nicht zuletzt symbolisch motiviert: „Logically enough, movie screens have been changing their proportions – the wide-screen idea. Now the logical assumption is to take that screen and make a sphere out of it, just to see what happens when you do. I like to think it’s a replica of the universe.“35 Und in der bereits erwähnten Podiumsdiskussion verbindet VanDerBeek die Begriffe von Expanded Cinema und Culture Intercom über die Figur des Kreises: „I’m talking about an expanded cinema that quite literally circles [...] the world, in one form or other. In other words, communications systems that just aren’t peculiar [...], they are particular to each culture, they are not peculiar to the total world culture and I think that that sort of thing is something we’re coming into. [...] I have a term for it, I call it culture intercom, because I’ve got to somehow make logical steps with this process as I see it happening.“36
33 Stan VanDerBeek, Brief vom 25. September 1964 an die Firma Nemuth Steal Products in Schiller Park, Illinois, [S. 31/45], als Faksimile unter: http://www.stanvanderbeek. com/_PDF/moviedrome_final.pdf (letzte Sichtung 08.10.2014). 34 Ders., ebd., Brief vom 3. Oktober 1964 an die Firma Nemuth Steal Products in Schiller Park, Illinois, [S. 32/45]. 35 VanDerBeek (1967), Anm. 1, S. 73. Eric de Bruyn macht in der Form des Movie-Drome zudem ein „Schädeldach“ aus. Vgl. Eric de Bruyn: „Das erweiterte Feld des Kinos oder Übung im Umkreis eines Quadrats“, in: Michalka (2004), Anm. 3, S. 160–185, hier S. 173–175. 36 Expanded Cinema (1966), Anm. 17, S. 1.
240 Dennis Göttel Führt man jene Bemerkungen – technischer, ästhetischer, sozialer und symbolischer Art –, die die Möglichkeit einer universalen Kommunikation wieder unterstreichen, mit der Collage des Kreisbildes zusammen, wird dieses zu einem emblematischen Bild des Movie-Drome. Hält es eine referenzielle Beziehung zum tatsächlichen Gebäude aufrecht, öffnet es sich doch auch einem entscheidenden geometrischen Element des Movie-Drome, das nicht allein in der verwirklichten Bauform aufgeht, sondern eine darüber hinausreichende symbolische Funktion innerhalb des Gesamtkonzepts hat. Anders formuliert: Die Kreisfläche und der halbkugelförmige Bau des Vorführortes stehen selbst in einem symbolischen Verhältnis zum Gesamtprojekt, bezieht man die nicht umgesetzte Idee von vielen, über den Erdball verstreuten Movie-Dromes mit ein. Die Collage leistet daher eine implizite Verbindung zwischen dem materiell Verwirklichten und – über die Ostentation des Kreises – der Nichtverwirklichung des über den Globus expandierenden Projekts Movie-Drome.
Projektion und Abbildung Nicht nur bleibt das Gesamtprojekt unvollendet; vielmehr ergeben sich im Vorführort selbst so große technische Probleme, dass VanDerBeek ihn alsbald aufgibt: Zum einem interferieren die Geräusche der vielen Projektionsgeräte mit den Tonspuren der Filme, zum anderen erweist sich die materielle Beschaffenheit der Projektionsfläche – die Aluminiumhülle – als untauglich, weil sie reflektiert und so die Wahrnehmung der projizierten Bilder stört.37 Ließe sich diese Dysfunktionalität des Movie-Drome als bloße historiografische Fußnote schreiben, gewinnt sie im Kontext der Abbildungen an Wichtigkeit. Die Abbildungen evozieren nicht nur verschiedene Aspekte des Projekts – Autorschaft, Kunstprojekt, soziales Event, Kontrast zum Kinoraum, ästhetische und politische Charakteristika –, in ihnen scheint Movie-Drome überhaupt erst anhaltend zu gelingen. In der bildlichen Evidenz des Funktionierens erzählt die Bildgeschichte des Movie-Drome das Projekt anders, und ihr kommt damit eine eigene Geschichte zu, die – ob Fotografie oder Collage – schlechterdings nicht nur als Geschichte seiner Illustrierung geschrieben werden kann. Wo VanDerBeeks Programm einer universalen Bildersprache eine zukünftige globale Kommunikation verspricht, sprechen die Abbildungen des Movie-Drome die Vergänglichkeit des zeitgeschichtlichen Kontextes jener Utopie aus.
37 Vgl. Mark Bartlett (2011), Anm. 5, S. 52; vgl. auch: Fred Wellington: „Towards Understanding of ‚Subversion‘“, in: Film Culture 42 (1966), S. 13–24, hier S. 19.
Teil V
Transit- und transitorische Räume bewegter Betrachtung und bewegter Bilder
Doris Berger/Ursula Frohne
Casting Los Angeles Verortungen einer Stadt im Projektionsfeld des Films 1
„For me the main point is that reality is rich. We can respond to it more immediately and directly, in ways where there’s less displacement between representation and reality.“ Thom Andersen2 Architektur und Film haben strukturelle Gemeinsamkeiten, beide sind arbeitsteilige Künste. Der Name des Architekten oder des Filmemachers gilt zwar als Autorschaftsbeweis, die Arbeit kann jedoch in beiden Fällen nicht von einer einzelnen Person ausgeführt werden. Es sind synthetische Künste, die sich aus vielen einzelnen Kunstsparten, Handwerken und Praktiken zusammensetzen. Erwin Panofsky sieht bereits 1936 diese Parallelen, wenn er die Entstehung eines Filmes mit einer mittelalterlichen Kathedrale vergleicht.3 Martin Seel geht noch weiter, wenn er über die 1 2 3
Wir danken Anja Herrmann und Lilian Haberer für ihre wertvollen Hinweise. Siehe Steve Erickson: „The Reality of Film; Thom Andersen on ‚Los Angeles Plays Itself‘“, in: IndieWire, 27.07.2004, auch: http://www.indiewire.com/article/the_reality_of_ film_thom_anderson_on_los_angeles_plays_itself (letzte Sichtung 13.09.2015). „Die Rolle des Produzenten entspricht, mehr oder weniger, der des Bischofs oder Erzbischofs; die des Regisseurs jener des leitenden Baumeisters; die des Drehbuchautoren jener des scholastischen Beraters, der das ikonographische Programm aufstellt; und die der Darsteller, Kameraleute, Cutter, Toningenieure Maskenbildner und der verschiedenen Techniker der Rolle jener, deren Arbeit die äußere Realität des ganzen Werkes vorbereitet, von den Bildhauern, Glasmalern, Bronzegießern, Zimmerleuten und erfahrenen Maurern zurück bis zu den Steinbrechern und Holzfällern.“ Erwin Panofsky: „Stil und Medium im Film [1947]“, in: ders: Stil und Medium im Film & Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers, Frankfurt a. M. 1999, S. 19–57, hier S. 51. Dieser Text wurde in mehreren überarbeiteten Versionen publiziert. Die erste Fassung trug den Titel: „On Movies“, in: Bulletin of the Department of Art and Archaeology of Princeton University 6 (1936), S. 5–15. Siehe auch als historiographische Exegese von Panofskys Vortragsmanuskript: Regine Prange: „Stil und Medium. Panofsky ‚On Movies‘“, in: Erwin Panofsky. Beiträge des Symposions Hamburg 1992, (= Schriften des Warburg-Archivs im Kunstge-
244 Doris Berger/Ursula Frohne Raumteilung nachdenkt und die Hypothese aufstellt, dass sich der Bewegungsraum von Spielfilmen und der architektonische Raum ähneln. Es „ließe sich sagen, dass die filmische Fantasie von Haus aus eine architektonische und die architektonische im Herzen eine filmische ist.“4 Panofsky, der die spezifischen Möglichkeiten des Films in der Dynamisierung von Raum und Verräumlichung der Zeit sieht5, lässt sich mit Seels Dialektik der Raumteilung durchaus verbinden. So trifft es gleichermaßen für Film und Architektur zu, dass wir uns ständig von innen nach außen und von außen nach innen orientieren, unabhängig ob wir uns in einem Gebäude befinden oder einen Film ansehen.6 Die architektonischen Räume verlangen unsere Bewegung, während die filmischen Räume uns bewegen. Dabei beinhalten beide als ästhetische Figuren eine ikonische und eine symbolische Ebene, auf die sich imaginäre und emotionale Erfahrungsmomente übertragen. Diese von der Bewegung her gedachte Analogie zwischen Architektur und Film lässt sich mit den Raumtheorien Henri Lefèbvres und Michel de Certeaus durch die Konstitution von Wahrnehmung und Bewegung auf die Erfahrung des Urbanen hin erweitern. In ihren Lesarten wird (städtischer) Raum durch sein vielschichtiges Gefüge topologischer, sozialer Beziehungen sowie in der kinästhetischen Aneigung vergegenwärtigt und differiert somit grundlegend von der Vorstellung einer geschlossenen Entität. Diese Unterscheidung gilt insbesondere für die raumbildenden Prozesse in urbanen Kontexten. Denn das Gefüge einer Stadt lässt sich kaum als Ganzes über eine totalisierende, panoptische Perspektive – etwa in der Form eines Panoramas – vermitteln.7 Erst über die aneignende „Motorik der Fußgänger“ entsteht laut de Certeau eine „räumliche Realisierung des Ortes“, durch die sich Stadt in ihren operativen Zusammenhängen erschließt.8 Dreißig Jahre früher erkannte Lefèbvre schon, dass physische Handlungsabläufe und „intuitive Praktiken“ der Akteure für die Produktion und Reproduktion von städtischem Raum konstituierend sind. Dynamische Interaktionen mit den Umgebungen, ihren Aneignungen und Überformungen wertet auch de Certeau als schöpferische Prozesse, in denen Stadt als kollektiver Wahrnehmungsort und soziale Konfiguration zum Bedeutungsraum wird.9 Die urbanen Räume vollziehen sich sowohl in der Wahrnehmung als auch in
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schichtlichen Seminar der Universität Hamburg, Bd. 3) hg. von Bruno Reudenbach, Berlin 1994, S. 171–190. Martin Seel: „Architekturen des Films“, in: Gertrud Koch/Christian Voss (Hg.): „Es ist als ob“: Fiktionalität in Philosophie, Film- und Medienwissenschaften, München 2009, S. 151–161, hier S. 152. Panofsky (1999), Anm. 3, S. 25. Seel (2009), Anm. 4, S. 161. Vgl. Henri Lefèbvre: The Production of Space, Oxford 1991 [Production de l’espace, Paris 1999] und Michel de Certeau: Die Kunst des Handelns, Berlin 1988. Vgl. ebd., S. 188 f. Vgl. Julika Griem: „TEXT – SPEKTAKEL – PRAXIS. Begriffliche Konjunkturen kulturwissenschaftlicher Stadtforschung“, in: Martina Stercken/Ute Schneider (Hg.): Urbanität. Formen der Inszenierung in Texten, Karten und Bildern, Köln, Weimar, Wien 2016, S. 171– 191, hier S. 181. Den Hinweis auf diese Publikation verdanken wir Maria Engelskirchen.
Casting Los Angeles 245 der Bewegung, sind daher Schauplätze der menschlichen Praxisformen und zugleich deren Produkt. Insbesondere Lefèbvre vertritt die Auffassung von einer projektiven Herstellung der Räume. Sie gehen aus den sozialen Vollzügen hervor und verwirk lichen sich als Bewegungs- und Handlungskorrelate. Auch Gebäude sind nach diesem Raumverständnis weniger als statische Entitäten zu begreifen. Vielmehr werden sie von den heterogenen kulturellen Lebens- und Wahrnehmungsweisen geprägt und ihre Erscheinungsformen korrespondieren mit den topographischen Gegebenheiten durch wechselnde Blickpunkte. Seit der Moderne und ihrem Paradigma der Durchdringung, mit dem die Bauten transparent werden, gilt umso mehr, wie Christoph Asendorf formuliert: „ein Gebäude steht nicht mehr abgeschlossen und distanziert der Umwelt gegenüber, sondern ist mit ihr verzahnt, lässt die Zirkulation gleichsam durch sich hindurchströmen.“10 Über das dynamische Zusammenwirken von Architektur und topographischem Raum entstehen Oszillationsmomente, in denen Erinnerungs- und Vorstellungsbilder der Passanten und Bewohner – dem filmischen Wirkungsprinzip der suture vergleichbar – sich in die Wahrnehmung eintragen und den genius loci in atmosphärische Umgebungen verwandeln.11 Die Wahrnehmung selbst bildet in diesem Prozess die „Schnittstelle zwischen mobilen und immobilen kulturellen Praxen in Raum und Zeit“.12 In dem Zusammenspiel von topographisch-materiellen Ortsbezügen, operativen Vollzügen und fiktionalisierten Projektionen formiert sich schließlich die Identität von Städten als ein transitorisches Gebilde, das sich auf eine Poetik der Raumerfahrung hin öffnet und sich in der dynamischen „Produktion von Raum“ (Lefèbvre) Bahn bricht. Auf die primären Formen städtischer Ordnung überträgt sich dieses prozessuale Bewegungsmoment als eine spezifische „Wahrnehmungsbefindlichkeit“13, die in den vielgestaltigen Erscheinungsformen urbaner Szenarien und ihren Genrebildungen der literarischen Stoffe ebenso wie in den Visualisierungen der bildenden Kunst, der Fotografie und des Films verhandelt wird. Die ästhetische Überformung der Eindrücke und Vorstellungen von Städten wie auch ihre historischen, narratologischen und filmischen Reflexionen manifestieren sich in jenem komplexen Beziehungsgeflecht der affektiven Annäherungen, Aneignungen oder Repulsionen, die sich im Topos Stadt verdichten. Los Angeles verkörpert eine zum Topos gewordene Stadt, die wie kaum eine andere von der Bewegung automobilisierter Wahrnehmung geprägt ist und mit den 10 Christoph Asendorf: Knoten des zwischenmenschlichen Netzes. Über Architektur und Kommunikation, International Flusser Lecture, hg. v. Marcel René Marburger, Silvia Wagnermaier, Siegfried Zielinski, Köln 2007, S. 10. 11 Zum Wirkungsprinzip der Suture vgl. Noël Burch, Theory of Film Practice [1969], New York 1973. Hierzu auch Jean-Pierre Oudart, „La Suture, Teil 1 und Teil 2“, in: Cahiers du Cinéma, 212 (1969), S. 36–39 sowie 211(1969), S. 50–55. Siehe auch Kaja Silverman: „Suture [Excerpts]“, in: Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader, New York 1986, S. 219–235. 12 Tina Hedwig Kaiser: Aufnahmen der Durchquerung. Das Transitorische im Film, Bielefeld 2008, S. 17. 13 Ebd., S. 11.
246 Doris Berger/Ursula Frohne fiktionalen Szenarien Hollywoods identifiziert wird. Das Zusammenspiel von konkreten und imaginären Ortsbezügen des Films greift hier in einem doppelten Sinn, da die kulturelle Praxis der mobilisierten Wahrnehmung von Stadtlandschaft mit dem bewegten filmischen Raum in Eins fällt: Reale Gebäude, Straßen, Orte oder Aussichtspunkte evozieren die Narrative des Films und vermischen sich zu einer der „kinoesken Wahrnehmung“.14 In Diffusion mit den hier verorteten filmischen Bildwelten öffnet sich ein einzigartiger Raum der Möglichkeiten, in dem sich über die filmisch geprägte Wahrnehmung der Zeit- und Raumparameter die Stadt als eine Art „cinescape“ bewegter Blick- und Bildsphären fortlaufend neu entwirft.15
‚Cinescapes‘16 „Die Weltelemente werden in umfänglichen Laboratorien an Ort und Stelle gezeugt. Das Verfahren ist prompt. Man richtet die Stücke einzeln her und schafft sie an ihren Platz, wo sie geduldig stehen bleiben, bis man sie wieder abreißt; Organismen, die sich auf eigene Faust entwickeln wollen, sind sie nicht. Tischlereien, Glasereien, Bildhauer-Werkstätten besorgen das Nötige. Die Stoffe: Holz, Metall, Glas, Ton, sind Falsch. Auch richtige Dinge wären aus ihnen zu machen, aber vor dem Antlitz des Objektivs gelten die trügerischen eben so viel. Es ist objektiv.“ Siegfried Kracauer17 Diese Wechselwirkungen zwischen den im städtischen Terrain im Prozess des Umherschweifens gewonnenen Eindrücken und den „Durchquerungen“ des Raums in den Fahrtsequenzen des Films sind bekanntlich mit einem anderen Topos eng verknüpft, dem Topos der Mobilität, der für die urbanen Räume Nordamerikas ein zum Klischee gewordenes Charakteristikum ist.18 Einmal mehr offenbart sich die kulturelle Verwobenheit zwischen der subjektiven Wahrnehmungssituation des mobilen Passagiers in seiner täglichen Transfersituation und der filmischen Raum14 Ebd., S. 17. 15 Vgl. Richard Koeck: CineScapes. Cinematic Spaces in Architecture and Cities, London, New York 2013. 16 Vgl. ebd. 17 Siegfried Kracauer: „Kaliko-Welt. Die Ufa-Stadt zu Neubabelsberg“, in: Frankfurter Zeitung, 28.01.1926, publiziert in: ders.: Werke, Bd, 6.1., Frankfurt a. M. 2004, S. 191–197, hier S. 196. 18 Der Begriff “Durchquerung” dient Tina Hedwig Kaiser als Angelpunkt ihrer Studie zum Transitorischen des Films. Kaiser (2008), Anm. 12. Zum „mobilisierten Blick“ als (post-) moderne Erfahrung des städtischen Raums vgl. auch Martino Stierlis Überlegungen zur „‚Er-Fahrung’ der Stadt“ in seiner grundlegenden Untersuchung zu Robert Venturis und Denise Scott Browns sowie Steven Izenours paradigmatischem Buch Learning from Las Vegas (1972) in Martino Stierli: Las Vegas im Rückspiegel. Die Stadt in Theorie, Fotografie und Film, Zürich 2010, S. 148–189. Vgl. auch Kevin Vennemann: Sunset Boulevard. Vom Filmen, Bauen und Sterben in Los Angeles, Berlin 2012.
Casting Los Angeles 247 wahrnehmung in der Filmstadt Los Angeles, deren grenzenlose Ausdehnung ihren Bewohnern ein symbiotisches Verhältnis zu ihrem Auto abverlangt. Stundenlange Fahrten entlang des weitläufigen Straßengitters der Boulevards strukturieren den Lebensrhythmus der kalifornischen Metropolenregion, während Hollywoods Filmkultur auf den Erfahrungshorizont der Stadt ausstrahlt. Die Grenze, die im Film zwischen dem medial Imaginären und dem topographisch Realen verwischt, erweist sich auf unterschiedlichen Ebenen der Alltagserfahrung von Los Angeles als porös und durchlässig. Die proto-filmische Wahrnehmung des mobilisierten Blicks diffundiert mit den hyperrealen Bildwelten des Films zu einem allumfassenden Wahrnehmungsdispositiv in Los Angeles. Südkalifornien hat sich u. a. aufgrund des milden Klimas und der vorteilhaften Lichtverhältnisse Anfang des 20. Jahrhunderts als dominanter Produktionsort der Filmindustrie etabliert. 1909 siedelte sich die Selig Polyscope Company als erstes Produktionsstudio in Los Angeles (Edendale) an, weitere folgten gegen Mitte und Ende der 1910er-Jahre. Gleichzeitig veränderte sich die Stadt maßgeblich, von einem Wüstenstädtchen, das sich aus Farmland und Ölpumpanlagen zusammensetzte, zu einer modernistischen Metropole. Architekten ließen sich an der Westküste nieder und bauten jene modernen Gebäude, die wir heute als architektonische Meilensteine studieren. Von Frank Lloyd Wright, Richard Neutra und Rudolph Schindler, John Lautner, Gregory Ain, Raphael Soriano und Harwell Hamilton Harris über Pereira & Luckman bis zu Frank Gehry gibt es in dieser noch jungen Stadt wichtige architektonische Setzungen der Moderne (und Postmoderne).19 Die urbane Identität von Los Angeles setzt sich jedoch aus einer Vielzahl von Stilen zusammen, wie Arts & Crafts Häuser, Art Deco Architekturen, Tudor-Mansions, Villen im spanischen Kolonialstil, modernistische und postmodernistische Architekturen, Ranchstyle Häuser und gewöhnliche Strip Mall-Architekturen. Diese sind durch Freeways und endlos lange Straßenzüge, die wie weiße und rote „Auto-Licht-Adern“ wirken, miteinander verbunden. Einen Kern, um den sich das urbane Geflecht der Gebäude und Verkehrswege gruppiert, sucht man vergebens. Downtown Los Angeles, das etwa in dem gleichen Zeitraum wie die Innenstädte von New York und Chicago zwischen 1860 und 1914 erbaut wurde, weist wenig bauliche Besonderheiten auf und findet sich daher vergleichsweise selten als Postkartenmotiv.20 Dafür ist es die vom Klima der Küstenlage und von der Aura der geographischen Lage begünstigte, überaus breit ausgedehnte Pazifikmetropole, deren Begrenzungen das Meer im Westen und die Wüste im Osten sind und Filmemacher wie David Lynch davon schwärmen lässt, dass hier das goldene Zeitalter des Kinos noch immer lebendig sei, „in the smell of jasmine at night and the beautiful weather. And the light is inspiring and energizing. [...] It was the light that brought everybody to L.A. to make films 19 Als Überblick vgl. Thomas S. Hines: Architecture of the Sun. Los Angeles Modernism 19001970, New York 2010. 20 Vgl. André Corboz: Looking for a City in America: Down These Mean Streets a Man Must Go..., Santa Monica 1992, S. 46.
248 Doris Berger/Ursula Frohne in the early days.“21 Das inspirierende Moment des Lichts, das auf die Filmbranche zu Beginn des 20. Jahrhunderts magische Anziehungskraft ausübte, fungiert zusammen mit dem milden Klima der Westküste als ein „natürliches Medium“ der Wahrnehmung, das an der Entstehung des Topos von Los Angeles als Projektionsfigur eines quasi filmischen Lebensraums wesentlich Anteil hat. 22 Klima, Licht, Mobilität und filmisches Ambiente einer zur Kulisse gewordenen Stadtlandschaft bilden ein spezifisches räumliches Milieu, in dem gleichermaßen kulturelle, perzeptive und natürliche Medien (Licht, Luft, Temperatur) mit den technischen Wahrnehmungsmedien (Straßen, Boulevards, Fahrzeuge, Kinos) sowie den Verbreitungsmedien (Film, Billboards) zusammenwirken. Das schon von Marshall McLuhan erkannte Vermögen der natürlichen und technischen Medien, ein Environment eigener Art zu kreieren, ist für das filmisch-immersive Projektionsfeld von Los Angeles in besonderer Weise veranschlagen. In Anlehnung an Fredric Jamesons Überlegungen zu der komplexen, postmodernen Raumwirkung des bezeichnenderweise in Downtown Los Angeles verorteten Bonaventure Hotels ist die mit den Bildwelten des Films in ständigem Feedback verbundene Stadt als ein medialer „Hyperraum“ begreifbar, in dessen verführerische Sphäre man wie in eine Umgebung anderer Ordnung eintaucht und „die herkömmlicherweise zur Wahrnehmung von Perspektive und Volumen notwendige Distanz“ verliert, während die kognitive Selbstverortung in einer immersiven Raumerfahrung aufgeht.23 Der hohe Grad der Mediatisierung und die ortsspezifischen Architekturen der weitläufigen Metropole, von der Thom Andersen als Filmemacher sagt, dass die Stadt insgesamt zwar die meist fotografierte, aber die am wenigsten fotogene sei24, bietet ein weiträumiges Pool an Möglichkeiten künstlerischer Bezugnahmen. Künstlern und Filmemachern dienen die urbane Landschaft und Architektur von Los Angeles sowie ihre Mediatisierung als Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung mit der Stadt des Films und ihrer sowohl mystifizierenden als auch dokumentarisch rei21 David Lynch: Catching the Big Fish: Meditation, Consciousness, and Creativity, New York 2007, S. 31. Zitiert auch in: Hanjo Berressem: „1.909.537 autokino“, in: Ursula Frohne/Lilian Haberer (Hg.): Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst, München 2012, S. 297–321, hier S. 314. 22 Marshall McLuhan bezieht sich 1964 in seiner Schrift Die magischen Kanäle. Understanding Media auf die „synthetisch ausgeweiteten Räume der Moderne, die sich in Folge der Einführung des elektrischen Lichts ausbilden.” Vgl. Oliver Lerone Schultz: „Marshall McLuhan – Medien als Infrastrukturen und Archetypen“, in: Alice Lagaay/ David Lauer (Hg.): Medientheorien – eine philosophische Einführung, Frankfurt a. M., S. 31–68, Fußnote 127. 23 Fredric Jameson: „Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus“, in: Andreas Huyssen/Klaus Scherpe, Postmoderne – Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek 1986, S. 45–102, hier S. 88. Zitiert auch bei Christoph Asendorf: Entgrenzung und Allgegenwart. Die Moderne und das Problem der Distanz, München 2005, S. 180. 24 Vgl. die Äußerung in Thom Andersens Film Los Angeles Plays Itself (USA 2003, Regie/Produktion Drehbuch: Thom Andersen; Erzähler: Encke King; Kamera: Deborah Stratman; Schnitt: Yoo Seung-Hyun; Ton: Thor Moser, Craig Smith) Videomaster, 169 min.
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Abb. 1: Isabell Heimerdinger, The Cinema Apt., 1998.
fizierten Auftritte im Film. So spielt die urbane Topographie von Los Angeles eine wichtige Rolle für das filmische Denken von Ed Ruschas Fotografien sowie in der von Thom Andersen durchleuchteten Repräsentationspolitik der Stadt als legen därer Schauplatz in bekannten Spielfilmen ebenso wie in Independent- oder weniger bekannten Low-Budget-Produktionen. Die Stadt kann ebenso als pars pro toto in einer Einzelarchitektur präsent sein, worauf die bildende Künstlerin Dorit Margreiter in Aneignung menschenleerer modernistischer Gebäude anspielt, die vielfach als Filmset oder als Bühne der Bildwelten des Hollywood-Kinos dienen, während Karina Nimmerfall berühmte Bauten, die als spektakuläre Architekturen in bekannten Filmen auftreten, in installative Settings übersetzt oder Isabell Heimerdinger der allgegenwärtigen Einflusssphäre des Films im urbanen Raum nachspürt und den Abglanz der Sphären der Kino- und Filmwelten, der das profane Erscheinungsbild der gewöhnlichen Gebrauchsarchitekturen auratisch auflädt, fotografisch archiviert (Abb. 1). Wie sich in den folgenden Analysen dieser Beispiele zeigen wird, beschränken sich die ästhetischen Überformungen von Los Angeles nicht primär auf die Darstellungen der Stadt im Film. Vielmehr eignet sich die Metropole in einem fortlaufenden Feedback mit den epiphanischen Bildwelten Hollywoods die vom Film
250 Doris Berger/Ursula Frohne geprägten Sichtweisen der Stadt an.25 Palastartige Kinoarchitekturen und die Infra strukturen der Produktion vermischen sich mit dem „Bewegungsbewusstsein“26 einer von Mobilität bestimmten urbanen Praxis zu einem kulturellen Perzeptionsraum, der immer wieder „Ausgangspunkt für Reflexionen“ über diesen Ort ist, „der als paradigmatisch für Projektionen, Wünsche und Vorstellungen gilt“ und wie ein Amalgam kinemat(ograph)ischer Szenographien von der kulturellen Prägekraft des Films topologisch durchdrungen ist.27 Eine Vielzahl künstlerischer Konzepte beziehen sich auf diesen „Projektionshorizont“, vor dem sich die Stadt und der Film in einem Wechselverhältnis in- und aneinander ausbilden. Sie entdecken die filmischen Residuen in der urbanen Realität von Los Angeles oder beziehen sich auf die realen Orte, die über ikonische Filmszenen einen Zugang zum Imaginären eröffnen.28 Es ist kein Zufall, dass dieses Interesse der Kunst an den Verfransungen zwischen den filmischen und urbanen Räumen ab Mitte der 1990er-Jahre genau zu dem Zeitpunkt einsetzte, als die digitale Transformation des filmischen Mediums bereits in vollem Gange war und das Ende des analogen Projektionskinos zugunsten mobiler Screenings und Formate greifbar wurde. So restituiert sich die Ortsspezifik der Filmfabrik Hollywood, die im 20. Jahrhundert von der amerikanischen Westküste ausstrahlend eine cinematische Kultur von globalem Ausmaß steuerte, an der Schwelle zum digitalen Zeitalter im Projektionsfeld der Kunst ebenso wie in der Meta-Erzählung des filmischen Essays von Thom Andersen, der, wie der Titel Los Angeles Plays Itself (USA 2003) unterstreicht, das Verschmelzen der Stadt mit ihren wechselnden Rollen wie ein Chronist der „filmischen Entwirklichung“ vor Augen führt.29 25 Vgl. hierzu Thomas Elsaesser: The Persistence of Hollywood, New York/London 2012. 26 Den Begriff „Bewegungsbewusstsein“ bezieht Tina Hedwig Kaiser auf die Potenzialität des Films gegenüber den „Übersichtsfiktionen“ des Fernsehens. Kaiser (2008), Anm. 12, S. 10. 27 Jan Verwoert: „Imagining L.A. Silke Otto-Knapp – Ed Ruscha“, in: Doris Berger (Hg.): mit, in und zwischen den Räumen/within, alongside and between spaces, Ausst.-Kat., Kunstverein Wolfsburg, Frankfurt a. M. 2003, S. 24–30, hier S. 22. 28 Karl-Heinz Stierle verwendet den Begriff „Projektionshorizont“ in ders.: „,Histoire‘ und ‚discours‘ in Claude Simons Roman Les Corps Conducteurs“, in: Winfried Wehle (Hg.): Der Nouveau Roman. Wege der Forschung, Darmstadt 1980, hier S. 181. Vgl. auch Wolfram Nitsch: Sprache und Gewalt bei Claude Simon. Interpretation zu einem Romanwerk der sechziger Jahre, Tübingen 1992, S. 13, zitiert ebenso bei Kai Vöckler: Die Stadt und ihr Imaginäres. Raumbilder des Städtischen, Diss. Hochschule für Bildende Künste Braunschweig 2012, S. 188. http://opus.hbk-bs.de/files/130/V%C3%B6ckler_Dissertation_Druck.pdf (letzte Sichtung 30.03.2016). 29 Paul Virilio charakterisiert mit diesen Worten den mit den Technologien des Films erzeugten, artifiziellen Charakter von Hollywood und plädiert bereits 1984 für eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesem Phänomen: „Viel eher als das Las Vegas Venturis verdiente es Hollywood, Gegenstand einer Dissertation in der Urbanistik zu werden; denn nach den Theaterstädten der Antike und der italienischen Renaissance war es diese erste Cinecittà, die Stadt der lebenden und sich bewegenden Bilder, wo Dekor und Realität, die Pläne des Grundbuchamtes und die Plansequenzen, die Lebenden und die
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Every Building on the Sunset Strip30 Bereits die konzeptuellen Fotografieserien von Ed Ruscha greifen das so eng mit Los Angeles assoziierte filmische Wahrnehmungsdispositiv auf. Ed Ruschas Künstlerbücher, die meist die urbane Landschaft von Los Angeles zum Thema haben, repräsentieren den Look dieser Stadt zwischen 1963–1978 wie kaum eine andere Arbeit.31 Er referiert darin auf die Geographie, die Stadtentwicklung und ihre spezifische Ikonographie. Ruscha zählt heute zu einem der wichtigsten Künstler aus Los Angeles, der die Stadt zugleich als wiederkehrendes Thema in seiner Malerei, seinen Fotografien und Künstlerbüchern visualisiert. Seine Arbeit inspiriert folgende Vergleiche: „[E]sthetically speaking, L.A. is for Ruscha what ornithology is for the birds: a taxonomy to order and decode the culture which invisibly defines his life.“32 Frühzeitig begreift Ruscha Los Angeles als einen städtischen Raum „neuen Typs“, in dem Verkehrsflächen eine ebenso starke Relevanz haben wie die Gebäude.33 In Bezug auf die filmische Wahrnehmung von Los Angeles ist das zum Leporello gefaltete Buch Every Building on the Sunset Strip (1966) im Hinblick auf die lefèbvre’sche und de Certeau’sche Raumaneignung besonders bemerkenswert (Abb. 2). Bekanntlich fotografierte Ruscha vom Auto aus – wie der Titel beschreibt – jedes Gebäude am Sunset Strip von beiden Straßenseiten. Der Sunset Strip ist ein auf ca. zwei Meilen sich ausdehnender Abschnitt des 27 Meilen langen, sich vom Pazifik nach Downtown erstreckenden Sunset Boulevards. Mit seinen Musikclubs, Restaurants, Hotels, Filmagenturen, Filmindustrie-Gewerkschaften gilt der Sunset Strip als Amüsiermeile der Stadt und war in den 1960er-Jahren auch ein Ort der Gegenkultur. Ed Ruscha, der seit 1966 diesen Straßenzug immer wieder von neuem fotografiert (nun jedoch digital und in Farbe), sieht darin eine archäologische Studie eines urbanen und spezifisch kodierten Raumes in Los Angeles, den er in seinen Veränderungen aufnimmt. Damals verwendete er eine motorisierte Nikon, mit der er aus einem langsam fahrenden Pickup-Truck die Aufnahmen schoß. Die Kamera konnte drei Bilder pro Sekunde und bis zu 250 Aufnahmen machen. Ruscha montierte die einzelnen Fotos zu einem langen Straßenzug bzw. Panoramabild. Die Mitte des Blattes bleibt leer, oben und unten befinden sich zwei Bildbänder, die die nördliche und südliche Straßenseite des Sunset Strips wiedergeben. Hausnummern lebenden Toten bis zur ultimativen Konsequenz miteinander verschmolzen sind.“ Paul Virilio: „Die Auflösung des Stadtbildes“, in: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006, S. 261–273, hier S. 270 30 Edward Ruscha: Every Building on the Sunset Strip, 1966. Leporello, Softcover mit silberner Buchhülle, s/w Offsetdruck, gefaltet und geklebt, 14,3 x 17,8 x 1 cm (geschlossen), 760,7 cm (geöffnet). 31 Vgl. Edward Ruscha Editions 1959–1999. Catalogue Raisonné, Walker Art Center, Minneapolis 1999. 32 Carey Rickey: „Ed Ruscha, Geographer“, in: Flash Art, 5 (1982), S. 85. 33 Vgl. Asendorf (2007), Anm. 10, S. 8.
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Abb. 2: Ed Ruscha, Every Building on the Sunset Strip, aufgestellt, Titelblatt und Schutzhülle sichtbar, 1966, The Whitney Museum of American Art, New York, 2004.
und kreuzende Straßennamen hat er nachträglich dazu gesetzt. Ruschas Interesse gilt den Fassaden und Oberflächen. Auf die Frage, ob er einen Lieblingsort am Sunset Strip habe, antwortete er: „I sure don’t. I like the whole thing as an entity. I am as interested in the ‚insignificant‘ things as the ‚significant things‘.“34 Seine Arbeit ist konzeptuell wie dokumentarisch und folgt einem populärkulturellen Ansatz, der keine Unterschiede zwischen „high and low“ macht. Das mittlerweile um Jahrzehnte ausgedehnte Projekt zeugt von einer städtischen Realität, die in Bewegung ist. Die Bewegung findet auf mehreren Ebenen statt: Zum einen ist sie in die Produktion der Fotografien eingeschrieben, die während einer Autofahrt aufgenommen wurden und der urbanen Wahrnehmung von Los Angeles entsprechen, einer Stadt, die nicht zu Fuß, sondern vom Auto aus erkundet wird. Anders als bei einem Spaziergang ist das Blickfeld während einer Autofahrt durch die Windschutzscheiben gerahmt. Ruschas Aufnahmen situieren sich in einer doppelten Kadrage – vom Autofenster über die Kameralinse. Neben der motorisierten räumlichen Bewegung gibt es auch ein Bewegungsmoment in der Zeitachse, zumal er den Sunset Boulevard über mehrere Jahrzehnte hinweg aufnimmt.35 Letztendlich liegt auch im 34 Ed Ruscha im Interview mit Doris Berger, in: dies (2003), Anm. 27, S. 32–45, hier S. 45. 35 Vgl. Alexandra Schwartz: Ed Ruscha’s Los Angeles, Cambridge Mass. 2010, S. 147. Auch der Hollywood Boulevard ist Teil von Ruschas visueller Stadtregistrierung geworden. Vgl. Ed Ruscha: Then & Now. Hollywood Boulevard 1973–2004, Göttingen 2005. Zudem fotografiert er in regelmäßigen Abständen mitunter auch die Straßenfronten von Melrose Avenue, Pacific Coast Highway und Santa Monica Boulevard. Ruschas „Street
Casting Los Angeles 253 Leporello ein Bewegungselement, das der Künstler in das Display der Fotografien eingebaut hat. Das Straßenpanorama muss zuerst ausgefaltet und dann sukzessive visuell abgetastet werden, denn die Länge sprengt das Blickfeld des betrachtenden Auges. Das Leporello wird ausgeklappt und aufgestellt zu einem filmstreifenähnlichen Objekt, das in den Betrachterraum ausgreift und über die Länge des Leporellos die filmische und mobile Erfahrung reproduziert. Aufgrund des zumeist gezeigten Displays dieser Arbeit, die auf einem Tisch entfaltet und stehend platziert wird, betont Ruschas Strip als Struktur die kulissenartige Erscheinung der Fassadenarchitekturen, die sich in der Materialität des Bildstreifens (strip) widerspiegelt und den provisorischen Charakter der illusionären Gebäudestrukturen aufgreift, die in den Filmstudios als variable Ortsbezüge eingesetzt werden. Ruscha reiht einem Filmemacher ähnlich die Bilder aneinander.36 Er erzeugt damit eine kinematographische Wahrnehmung der Fassaden des Sunset Strips. Obwohl Ruschas Arbeit auf Papier gedruckt ist und nicht auf eine Leinwand projiziert wird, entsteht beim Betrachten der Eindruck der Dynamisierung von Raum und Verräumlichung der Zeit, den Panofsky als spezifisches Moment der filmischen Ästhetik erkannte. Ruschas Arbeit ist filmisch angelegt und suggeriert einen kinematographischen Raum im Medium Fotografie. Sylvia Wolf bezeichnet diese Arbeit deshalb als ein „movie in still images“.37 Ruschas Formfindung wurde überdies zum Vorbild für Robert Venturis und Denise Scott Browns Rechercheprojekt über populäre Architekturen in den Vereinigten Staaten, das sich im mittlerweilen legendären Buch Learning from Las Vegas manifestierte.38 Wie Alexandra Schwartz zusammenfasst, liegt die Schärfe von Ruschas Kunst „in its ability both to offer a crystalline reflection of the time and place in which it was made, and yet to remain as expansive as a Santa Monica sunrise.“39
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of Los Angeles Archives“ wurde vom Getty Research Institute in Los Angeles angekauft, wo es seit 2012 zur Recherche öffentlich zur Verfügung steht. http://getty.edu/research/ special_collections/notable/ruscha.html (letzte Sichtung 30.03.2016). Für das Buch von 1966 hat Ruscha die Bilder noch händisch ausgeschnitten und zusammengeklebt. Mittlerweile fotografiert er digital und verwendet ein Stitching Programm zur nahtlosen Aneinanderreihung der Bilder. Sylvia Wolf: Ed Ruscha and Photography, Ausst.-Kat. Whitney Museum of American Art, New York, Göttingen 2004, hier S. 140. Ed Ruscha hat auch zwei Filme gemacht: Premium, 1971, 16 mm, Farbe, 24 min; Miracle, 1975, 16 mm, Farbe, 28 min. Schwartz meint sogar, dass die formale und narrative Struktur all seiner Bücher nah am Film liege, und Premium sei zudem nach Vorlage des Künstlerbuchs Crackers (1969) entstanden. Vgl. Schwartz (2010), Anm. 35, S. 293, Fußnote 46. Robert Venturi/Denise Scott Brown: Learning from Las Vegas. Cambridge Mass. 1972. Bzgl. Ruchas Einfluss vgl. ebenso: Hilar Stadler/Martino Stierli (Hg.): Las Vegas Studio. Images from the Archives von Robert Venturi und Denise Scott Brown. Museum im Bellpark, Kriens, Zürich 2008, S. 25–28. Schwartz (2010), Anm. 35, S. 252. Schwartz vergleicht in ihrem Buch Ed Ruscha’s Los Angeles eindrucksvoll Ruschas Ikonographie, Mediengebrauch und Künstlerhabitus mit der historischen, geographischen und kulturellen Situation in Los Angeles.
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Los Angeles Plays Itself40 „After all, Hollywood isn’t just a place, it’s also a metonym for the motion picture industry. But if you’re like me and you identify more with the city of Los Angeles than with the movie industry, it’s hard not to resent the idea of Hollywood, the idea of the movies as standing apart from and above the city.“41 Selbst in Los Angeles aufgewachsen, wirft der Filmemacher in Los Angeles Plays Itself einen persönlichen Blick auf die Rolle der Stadt, die ihr im Spielfilm zuteil wird.42 Anhand von Found-Footage-Montagen aus Hollywoodproduktionen, Independentfilmen und selbst gedrehten Aufnahmen erzählt eine Stimme aus dem Off wie die Stadt Los Angeles als Hintergrund, als Protagonist und als Filmsujet verschiedene Rollen spielt. Andersen bietet einen Einblick in die Gebrauchsweisen und Identitäten von Los Angeles im Film. Die Motivation für dieses Projekt entstand angeblich aus dem Ärgernis darüber, dass Hollywood Andersens Heimatstadt oft falsch repräsentiere. „Los Angeles is hard to get right, maybe because traditional public space has been largely occupied by the quasi-private space of moving vehicles. It’s elusive, just beyond the reach of an image. It’s not a city that spread outward from a center as motorized transportation supplanted walking, but a series of villages that grew together, linked from the beginning by railways and then motor roads.“43
Der Filmessay beginnt mit einem Establishing Shot in schwarz-weiß aus FoundFootage auf die glitzernden Lichter von Los Angeles (Abb. 3–4), um danach einen Straßenzug, eine Straße und schließlich ein fahrendes Auto zu zeigen. Die Straßen verändern sich mit jedem Cut und stellen verschiedene Straßenzüge und Motive vor. Los Angeles Plays Itself zeigt, wie Spielfilme nicht nur Fiktionen, sondern auch soziale, ökonomische und urbanistische Diskurse transportieren. Andersen fordert die BetrachterInnen auf, sich auf die dokumentarischen Qualitäten von fiktionalen Filmen einzulassen, so wie man umgekehrt dokumentarische Filme in ihren dramatischen Qualitäten wahrnehmen kann. Er setzt damit die Richtung für seine kritische Reflexion, die selber eine Mischung aus Dokumentarfilm und Found-Footage aus Spielfilmen ist. “Los Angeles is where the relation between reality and representation gets muddled.”, sagt die Stimme aus dem Off. Genau an dieser Schnittstelle 40 Vgl. Los Angeles Plays Itself (USA 2003) wie in Anm. 24. 41 Das Zitat stammt aus Los Angeles Plays Itself. Hinsichtlich des Drehbuchs vgl. https//filmkritik.antville.org/stories/1071484 (letzte Sichtung 30.03.2016). 42 Neben experimentellen Kurzfilmen (Melting, 1964-65, 16 mm, Farbe, Ton, 6 min; Olivia’s Place, 1966/74, 16 mm, Farbe, Ton, 6 min sowie --- -----, 1966-67, 16 mm, Farbe, Ton, 12 Min.) hat Andersen auch die beiden Dokumentationen The Thoughts That Once We Had, 2015, Reconversão, 2012, Red Hollywood, 1995, und Eadweard Muybridge. Zoopraxographer, 1975, gedreht. 43 Zitat aus Los Angeles Plays Itself.
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Abb. 3–4: Los Angeles Plays Itself (USA 2003, R: Thom Andersen), Filmstills.
zwischen Andersens realer und repräsentativer Wahrnehmung von Los Angeles verortet sich diese Arbeit. So bieten Los Angeles und Süd-Kalifornien den Hintergrund für alle möglichen Länder, in denen die Filme spielen: Lake Arrowhead wird als die Schweiz ausgegeben, das San Fernando Valley als das Ling Tal in China. Los Angeles spielt aber auch sich selbst, wenn Wahrzeichen eingebaut werden, die eindeutig mit dieser Stadt in Verbindung stehen.44 Zudem gibt es einzelne Gebäude, wie das Bradbury Building, Frank Lloyd Wrights Ennis House sowie Union Station,45 die sich entweder in Filmen selber spielen oder auch andere Orte darstellen.46 Nachdem Andersen seine Stadt als Hintergrund und als Charakter in Filmen untersucht hat, stellt er zum Schluss den Neorealismus aus Los Angeles dem glitzernden urbanen Look dieser Stadt vom Beginn an gegenüber.47 Viele der zitierten Filme in Los Angeles Plays 44 Dazu gehören das Hollywoodzeichen, der Walk of Fame und das Grauman’s Chinese Kino am Hollywood Boulevard, das Beverly Hills Hotel, das Rathaus und das Eastern Columbia Gebäude in Downtown, die mehrstöckigen Freeway-Brücken, die Betonkanäle des Los Angeles River, Pink’s Hot Dog Stand auf La Brea oder das Planetarium im Griffith Park. Informationen aus Los Angeles Plays Itself. 45 Bradbury Building: 1893 erbaut, seit 1943 in Filmen vertreten. Spielt neben sich selbst auch ein Hotel in Burma, ein Militärhospital in London oder eine pittoreske Ruine. Frank Lloyd Wrights Ennis House: erbaut 1924, seit 1933 in Filmen dargestellt. Spielt neben sich selbst ein Zuhause eines weiblichen Auto-Tycoons mit Studiosets als Interieurs, ein ,House on the Haunted Hill‘, eine psychiatrische Klinik oder ein futuristisches Wohnhaus. Union Station: erbaut 1939. Spielt neben sich selbst auch Zugstationen an unterschiedlichen Orten sowie einen Flughafen oder ein Polizeirevier, ist zudem ein beliebter Ort für Kidnapping-Szenen, Informationen aus Los Angeles Plays Itself. 46 Ebenso findet man im Film Counterimages von Los Angeles, wie etwa die verwahrloste Downtown-Region und das verwaiste Bradbury Building in Ridley Scotts Bladerunner (USA 1982), der ein dystopisches Bild der Stadt zeichnete, geprägt vom Überlegenskampf der Unterprivilegierten in einer post-ökologischen Gesellschaft. 47 Der Vorreiter war Kent MacKenzies Film The Exiles (USA 1961) über amerikanische Ureinwohner in Los Angeles. In den 1970er-Jahren wurde der neorealistische Stil (schwarz-weiß, sozialkritische Themen) hauptsächlich von afroamerikanischen Regisseuren wie Haile Gerima, Charles Burnett, Billy Woodberry weitergeführt.
256 Doris Berger/Ursula Frohne Itself gehören nicht zum populären Kanon, obwohl sie ein realistischeres Los Angeles zeigen, in dem Menschen auch zu Fuß gehen, mit dem Bus fahren und auch die Arbeiterklasse zum Stadtleben gehört. Andersen wirft damit ein letztes sozialkritisches Schlaglicht, bevor er seine Untersuchung durch die Film-, Stadt- und Sozialgeschichte im Rückgriff auf neorealistische Filmbeispiele von Los Angeles ausblendet. Ähnlich wie Found-Footage-Installationen im Kunstfeld richtet diese Arbeit „die Wahrnehmung auf die Konstruktions- und Wirkungsweisen filmischer Erzählstrukturen und ihrer kontextuellen Rahmenbedingungen.“48 So kommentiert er im Voice over seines Kompilationsfilms: „I know movies aren’t about places, they’re about stories. If we notice the location, we are not really watching the movie.“49 Ähnlich wie Lefèbvre betrachtet auch Andersen die Stadt als ein Œuvre.50 Nach Lefèbvre ist hiermit jedoch nicht ein abgeschlossenes Werk im Sinne eines „räumliche[n] Produkt[s]“ gemeint, sondern ein Prozess der Herstellung, der auf die Perspektive des Filmemachers bezogen die Einschreibungen und Markierungen bezeichnet, die weniger als „physisches Handeln“ denn als „Formen der Wahrnehmung und Deutung“ sich gestaltend auf die Stadt und ihre Exegese auswirken.51 Indem Andersen die in Los Angeles entstandenen Filme an die Orte und Architekturen ihrer Entstehung rückbindet, erscheint ein neuer Raum, der schon vor dem filmischen Raum existierte, in dem aber die unsichtbaren historischen Bedeutungen, die narrativen und fiktionalen Sedimentierungen, die in die Alltagswahrnehmung hinein unsichtbar bleiben, als textuelle Einschreibungen lesbar werden (Abb. 5–6). Die auf die Orte bezogenen, eingeblendeten Filmszenen fungieren als Akteure eines Parcours, bei dem die Spuren der dislozierten filmischen Szenen im städtischen Raum kartiert werden. Über die Lokalisierung des in Gebäuden, Stadtvierteln und Topographien eingelagerten „Fiktions-Koeffizienten“ wird Los Angeles als Palimpsest-Stadt vorgeführt.52 Mit Verweis auf das filmische Archiv werden Schauplätze aufgesucht, an denen die Filme vermeintlich spielten oder tatsächlich gedreht wurden, um in diesem Prozess den übergeordneten Bedeutungsraum der Erzählungen des Films zu vergegenwärtigen. Die Stadt fungiert gleichsam als ein Speicher des filmischen Gedächtnisses, insofern die wirkmächtige Anwesenheit von Hollywood an diesem Ort als eine Wirklichkeit durchdringende, gestaltende Präsenz erfahrbar wird.53 In Los Angeles Plays Itself avanciert der Film – dies führt Andersens 48 Ursula Frohne: „Cinema on Display: Film in installativen Konzepten“, in: Henry Keazor/Fabienne Liptay, et al. (Hg.): FilmKunst, Studien an den Grenzen der Künste und Medien, Marburg 2010, S. 57–86, hier S. 57. 49 Zitat aus Los Angeles Plays Itself. 50 Vgl. hierzu Griem (2016), Anm. 9, S. 180. 51 Vgl. ebd. 52 Pierre Huyghe verwendet den Begriff des „Fiktions-Koeffizienten“ in einem Interview mit Marie-France Rafael bezogen auf seine komplexen Raum- und Filmarbeiten, in denen er neue Ansätze künstlerischer Ortsspezifik erprobt. Vgl. Marie-France Rafael: Interview mit Pierre Huyghe (September 2011), in: dies.: Pierre Huyghe „on site“, Berlin 2012, S. 19–59, hier S. 25. 53 Vgl. ebd., S. 26.
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Abb. 5–6: Los Angeles Plays Itself (USA 2003, R: Thom Andersen), Filmstills.
Kartierung einschlägiger filmischer Momente auf die Geographie und Topologie des urbanen Raums umso deutlicher vor Augen – zum Äquivalent der urbanen Erfahrung. Dabei ist die Kompilation der Filmszenen in Los Angeles Plays Itself alles andere als illustrativ. Vielmehr zeigt die fiktionale „Blickbewegung“ der Filmzitate, wie sich die imaginären Bilder wie ein Screen der Projektionen und Vorstellungen über die Topographie der Stadt legen, der zwar „ein Mehr an Realität“ und Präsenz der Geschichte(n) erzeugt, aber zugleich, wie Paul Virilio für die Urbanistik von Los Angeles im Einflussfeld des Films vermerkt, von einer „Ästhetik des Verschwindens“ erfasst werde.54 Denn es wird in den Formen des „instabilen Bildes“, so nochmals Paul Virilio, „nur in seiner (kinematischen und kinematographischen) Flüchtigkeit gegenwärtig“ und lässt uns „einer regelrechten Zertrümmerung der Formen der Darstellung“ beiwohnen.55 Dieser ikonoklastische Zug der Instabilität des Bildlichen im Film bezeichnet zugleich die Grenzen filmischer Repräsentation, die niemals als Entsprechung für die spezifischen Orte, Gebäude oder Straßenzüge und Ereignisse einstehen kann, wie auch Andersen als Verlustmotiv einer über den Film erworbenen Identität beklagt: „This is the city. Los Angeles. I live here. Sometimes I think that gives me the right to criticize the way the movies depict my city. I know, it’s not easy. The city is big, [...] the image is small. It’s hard not to resent the idea of Hollywood, the idea of the movies as standing apart from and above the city. People blame all sorts of things on the movies. For me, it’s their betrayal of their native city. Maybe I’m wrong, but I blame them for the custom of abbreviating the city’s name to L.A.“56
Dem komprimierten Blickwinkel des Films ist es zuzuschreiben, dass sich der ureigene Charakter von Los Angeles verflüchtigt. Hinter den filmisch-reifizierten Bildern und 54 Siehe Paul Virilio: „Die Auflösung des Stadtbildes“, in: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006, S. 261–273, hier S. 270. 55 Ebd. 56 Zitat aus Los Angeles Plays Itself.
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Abb. 7–8: Los Angeles Plays Itself (USA 2003, R: Thom Andersen), Filmstills.
narrativen Einfärbungen der Filme verschwindet die Diversität der Orte, der Menschen, der Architekturen und der sozialen Lebenswirklichkeit, obwohl die Stadt diese Bildwelten selbst hervorbringt. Den ausschnitthaften Kadrierungen des Films und den verkürzenden Aneignungen Hollywoods entzieht sich das historisch-gewachsene Los Angeles, das allenfalls als Surrogat einer zur Chiffre gewordenen Wahrnehmung in den Projektionsbildern der Stadt aufscheint und wie das zum Akronym verkürzte L.A. nur mehr als Kürzel für die nicht-filmische Ortsspezifik von Los Angeles einsteht. Andersens semi-dokumentarische Studie führt die intime Liaison zwischen der Geschichte der Stadt und der des Films prägnant vor Augen, die hier ortsspezifisch in Erscheinung tritt: Über die Narrative der vorgefundenen Filmdokumente rekapituliert er die Geschichte(n) der Orte, an denen sie spielen. So wird der Raum der Stadt verzeitlicht und selbst zu einer sich abspielenden Situation. In kaleidoskop artiger Ausfächerung der Stile und der Genres, die Los Angeles filmisch aufgreifen, offenbaren sich die topologischen Bezüge zwischen Stadt, Film und Archiv, die den mythischen Ort der Fiktionsfabrik in Relation zu den konkreten Drehorten treten lässt und die mediatisierten Bilder in ein Verhältnis mit dem realen Lebensraum der Stadt.57 Die Auswahl und die Verortung der gezeigten Filmausschnitte gruppiert sich zu einer kartografischen Übersicht der Schauplätze, an denen bekannte Filme gedreht oder Gebäude filmisch porträtiert wurden. Es sind aber nicht allein die post-produzierten Bilder der glamourösen Filmkultur, die laut Andersen das Image von Los Angeles ausmachen. Ebenso präsent sind die Marker der Produktionsbedingungen des Films, die sich in das Porträt der Stadt eintragen: Schilder und Wegweiser, die den Film-Crews den Weg zum Shooting weisen oder Unbefugten den Zutritt verwehren, sind in Andersens Dokumentation ebenso bildwürdig wie Gebäude, die mit werbenden Annoncen auf ihr Potenzial als Drehorte aufmerksam machen (Abb. 7–8). Solche Zeichen, die von der Gemachtheit der Filme und den mit ihnen verbundenen Arbeitsprozessen zeugen, treten als Marker der Realität des Films im urbanen Leben von Los Angeles auf. Sie belegen die enge Verflochtenheit des Vorstellungsraums, 57 Zur topologischen Struktur des urbanen Raumes siehe Stephan Günzel (Hg.), Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften, Bielefeld 2007.
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Abb. 9: Isabell Heimerdinger, Working in Hollywood (Car), 1997, C-Print.
den jene fiktionalen Techniken produzieren, mit der konkreten Inbesitznahme von Straßenecken, Grundstücken oder Parkplätzen inmitten der Lebensrealität von Los Angeles. Andersens Dokumentation zeigt uns diese ganz andere Präsenzform des Films, die, anders als die ästhetischen Einlagerungen in den urbanen Raum, Film auch als Institution und Arbeitsplatz repräsentieren (Abb. 9). Dass Hollywood Teil der ökonomischen Basis von Los Angeles und für eine Vielzahl von Menschen Arbeitgeber ist, greift mindestens ebenso in die Alltagsvollzüge der Metropole ein, wie die imaginären Bildwelten des Films, „deren fortschrittlichste Technologien“ in Los Angeles „mehr als anderswo zusammengearbeitet [haben], um eine künstliche Raumzeit zu gestalten“, so Paul Virilio über das „,gespenstische‘ Wesen der Stadt“58. Die unscheinbaren Schilder und kryptisch formulierten Markierungen, die als abgekürzte Filmtitel Eingeweihten den Weg zum Drehort weisen, tauchen auch als Zeichen territorialer Ansprüche der Filmproduktionen auf, denn für die Dauer eines Shootings besetzen sie Straßen, Architekturen, öffentliche und private Gebäude, um sie gemäß der filmischen Logik des „,geteilten Raums‘“ in temporäre Kulissen zu verwandeln.59 Andersen fängt diese flüchtigen Hinweise auf die Übergangszonen zwischen den filmischen Räumen und der konkreten Lebenswelt in flanierenden Kamerafahrten ein und offenbart im Wechsel mit den Found-Footage-Szenen der Filmzitate die operativen Rahmenbedingungen jener fabrizierten „Weltelemente“, 58 Vgl. Virilio (2006), Anm. 29, S. 270 f. 59 Vgl. Seel (2009), Anm. 4, S. 155.
260 Doris Berger/Ursula Frohne die schon Siegfried Kracauer bei seinem Besuch der Produktionsstätten der UFA-Filmstadt Neubabelsberg in den 1920er-Jahren als die Ontologie und die Ökonomien einer auf Verfälschung der Orte und des Materials der Dinge zielenden filmischen Ästhetik beschrieb.60 Andersens assoziative Annäherung durchtrennt die Narrative der eingespielten Filmzitate zugunsten einer konstellierten Assemblage, in der sich die Stadt als Spiegelbild des Films offenbart. Die Konsistenz der Abb. 10: Robert Smithson, Yucatan Mirror Gebäude, der Architekturen, MiniDisplacements (1–9), 1969, neun ChromogenMalls und Industriebrachen, die drucke von Chromogen-Dias. Herkunft der Geschichten, Erinnerungen und Mythen werden im Projektionsfeld des Films fragwürdig und verbinden sich zu einer ‚site-fiction‘ anderer Ordnung. Die Found-Footage-Kompilation fügt Splitter eines allegorischen Zeitkristallbildes zu einem Porträt, dessen fragmentarische Struktur den Charakter der Stadt, statt diesen abzubilden, wie eine Leerstelle umkreist. Entscheidend für den Zusammenhalt der raschen Abb. 11: Los Angeles Plays Itself (USA 2003, Szenenwechsel, die zwischen den R: Thom Andersen), Filmstill. zitierten Filmdokumenten und Einspielungen dokumentarischer Footages vom urbanen Alltag in Los Angeles wechseln, ist hierbei die Erzählerstimme von Encke King, die der instabilen Transition der Bilderfolge als Rahmen dient und die Geschichte(n) des Films in Benennung ihrer Schauplätze in der Realität verortet. Die filmische Kartierung der Site-specificity von Los Angeles als Stadt, deren Vielzahl von Identitäten sich in den konkreten Orten ebenso offenbart wie in den zahllosen Mediatisierungen im Film, weist Parallelen zur Site- bzw. Non-siteDialektik der ortsspezifischen Arbeitsweisen Robert Smithsons auf (Abb. 10). Ebenso wie die Mediatisierungen der ortsgebundenen Realisierung von Spiral Jetty über Zeichnungen, Fotografien und den gleichnamigen Film nicht als Repräsentationen für das monumentale Land Art-Projekt einstehen, sondern als reale Präsentationen 60 Vgl. Kracauer (2004), Anm. 17.
Casting Los Angeles 261 und konkrete Ansichten dieses Werks Geltung besitzen, so fungieren die mit Los Angeles assoziierten Filme als Interpolationen des existierenden Ortes, die in Andersens Kompilationsfilm ebenso wie in den künstlerischen Bezugnahmen zur Entfaltung gebracht werden und – auch hierin den Spiegelanordnungen in Smithsons Non-sites vergleichbar – die filmisch ausgeblendete historische und soziale Realität der Stadt in das Blickfeld einbeziehen.61 Was aber ist, wenn Narration und Ort miteinander verschmelzen und durch den Ort eine inhaltliche Aussage vermittelt wird? Architektur im Film ist selten nur neutraler Dekor oder wie Hans Dieter Schaal ausdrückt: „Film architecture is never a silent shell, standing there indifferently, every facade, every building is involved and has something to say. Door and window are narrative elements, darkness and brightness, light and shade have a dramaturgic function.“62 Besonders auffällig ist der spezifische Einsatz von moderner Wohnhausarchitektur im Spielfilm (Abb. 11). Sie ist meist als negativ konnotiertes Element in die Diegese eingewoben, zumal in ihr Gauner und Schurken hausen bzw. darin verbotene Geschäfte oder Verbrechen stattfinden, wie Joseph Rosa bemerkt: „In recent Hollywood movies, modern domestic architecture has become identified almost exclusively with characters who are evil, unstable, selfish, obsessive, and driven by pleasures of the flesh. […] [F]ilmmakers of late have chosen modernist works as the site for murder, gangsterism, adultery, and a catalog of other illicit and otherwise unsavory behaviors. Bad guys may no longer wear black, but they do live in white-walled modern homes.“63
In der Abneigung gegenüber modernistischen Bauweisen herrscht vor allem jenes Argument vor, dass der Massengeschmack der Amerikaner keine modernen Architekturen für den privaten Wohnraum, sondern nur als Arbeitsraum akzeptiere. Darin spiegele sich die Angst wider, dass moderne Lebensentwürfe einen negativen Effekt auf die kleinbürgerliche Familienstruktur haben könnten.64 „One of the glories of Los Angeles is its modernist residential architecture, but Hollywood movies have almost systematically denigrated this heritage by casting many of these houses as residence of the movie villains. It began with The Damned Don’t Cry in 1950. Frank Sinatra’s Palms Spring retreat designed by Stuart Williams is the home of a local gangster boss. Then in 1955 a band of psycho kidnappers led by John Cassavetes holes up in a prototypically mid-century modern house in the Hollywood Hills.“ 65 61 Vgl. hierzu Samantha Schramm: Land Art. Ortskonzepte und mediale Vermittlung zwischen Site und Non-Site, Berlin 2014 und Philip Ursprung: „Robert Smithsons Hotel Palenque | Robert Smithson’s Hotel Palenque“, in: Daidalos, Architektur, Kunst, Kultur, 62 (1996), S. 148–153 . 62 Hans Dieter Schaal: Learning from Hollywood. Architecture and Film, Stuttgart/London 1996, S. 54. 63 Joseph Rosa: „Tearing down the house: modern homes in the movies“, in: Mark Lamster (Hg.): Architecture and Film, New York 2000, S. 159–167, hier S. 159. 64 Vgl. ebd., S. 160 f. 65 Zitat aus Andersens Film Los Angeles Plays Itself.
262 Doris Berger/Ursula Frohne Genau diese Befürchtungen wurden jedoch seit den 1930er-Jahren durch den pejorativen Einsatz moderner Wohnarchitektur in Filmen geschürt. Obwohl diese Interpretation nichts mit dem utopischen Anspruch der ArchitektInnen oder dem Distinktionsbedürfnis der BewohnerInnen gemein hat, haben sich Klischees via Filmindustrie ins kollektive Gedächtnis eingeschlichen. So fragt Norman Klein zu recht: „What else can a history of collective memory be but a rigorous diary about unreliable documents?“66 Klein beschäftigt sich weniger mit der Bewertung existierender Gebäude, sondern mit den Imagos und Geschichten von zerstörten Gebäuden. Er erkundet das „social imaginary“, das sich mit der gebauten Umgebung bzw. mit zerstörten oder veränderten Orten beschäftigt.67 Kleins Psychogeographien des Vergessenen lassen sich aber auch auf existierende Architekturen übertragen, die durch die filmische Benutzung vielfach besetzt sind. „In a city where only a few buildings are more than a hundred years old, where most traces of the city’s history have been effaced, a place can become a historic landmark because it was once a movie location.“68
Besonders die Häuser von John Lautner, ein Schüler Frank Lloyd Wrights, der zwischen 1940 und 1994 in Los Angeles aktiv war, sind aufgrund ihrer ungewöhnlichen Raumlösungen und „kalifornischen Barockästhetik“69 begehrte Filmlocations.70 Allein das Sheats-Goldstein Haus (1963/1980–94) spielt in so unterschiedlichen Filmen wie Body Double (USA 1984, R: Brian De Palma), dem Pornovideo Unleashed (1996), Playing God (USA 1997, R: Andy Wilson), The Big Lebowski (USA 1998, R: Joel und Ethan Coen), Bandits (USA 2001, R: Barry Levinson) und Charlie’s Angels. Full Throttle (USA 2003, R: McG) eine Rolle.71
66 Norman Klein: The History of Forgetting. Los Angeles and the Erasure of Memory. London/ New York 1998, S. 8. 67 Ebd., S. 9. 68 Zitat aus Los Angeles Plays Itself. 69 „Lautner’s signature California baroque aesthetic – soaring interior spaces, curing forms, dramatic vistas – is ideally suited for translation to film, and his houses appear with unparalleled regularity in Hollywood productions. And in seemingly every case, they play host to less-than-savory characters.“ Rosa (2000), Anm. 61, S. 164. 70 Dies scheint auch auf das Display einen Einfluss genommen zu haben. So wurden in einer Ausstellung über Lautners Werk in Los Angeles die meisten Gebäude nicht nur anhand von Zeichnungen und Modellen präsentiert, sondern passenderweise auch durch Videoprojektionen, die jeweils eine Kamerafahrt durch ein Haus zeigten. Vgl. Nicholas Olsberg (Hg.): Between Earth and Heaven. The Architecture of John Lautner, Ausst.-Kat. UCLA Hammer Museum, Los Angeles, 2008. Zudem gab es ein Symposium über die Rolle moderner Architektur im Film, vgl. http://hammer.ucla.edu/programs/detail/program_id/78 (letzte Sichtung 30.03.2016). 71 Lautner Architektur in Filmen, vgl. http://www.johnlautner.org/wp/?p=32 (letzte Sichtung 30.03.2016).
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10104 Angelo View Drive72 Dieser Titel von Dorit Margreiters Filminstallation (2004) ist ebenso die Adresse des Sheats-Goldstein Hauses, das sich versteckt hinter riesengroßen Pflanzen in den Hügeln von Beverly Hills befindet (Abb. 12–13). Das über einen langen Zeitraum gebaute Haus, in dem auch die Möbel von Lautner gestaltet wurden, Abb. 12: Dorit Margreiter, 10104 Angelo View hinterlässt den Eindruck eines GeDrive, 2004, Filmstill. samtkunstwerkes. Ein Materialmix aus Beton, Glas und Holz sowie dramatisierende Fluchtpunkte und Ausblicke geben Lautners Architekturen einen unverkennbaren Stil, den Thomas Hines als „free form, modernist ‚expressionism‘“73 bezeichnet. Obwohl sich einige Elemente bewegen (Glasfronten) oder in Möbelstücke eingebaut sind (Fernseher), wirkt die Architektur monumental und zeichnet sich durch eine „virtually unmovable inflexibility“ aus.74 Dorit Abb. 13: Los Angeles Plays Itself (USA 2003, Margreiters Arbeit untersucht die R: Thom Andersen), Filmstill. maskulinen Attitüden dieser Architektur samt ihrer ideologischen Einschreibungen durch Filme und versucht diese umzuwerten. Ihr 16 mm-Film präsentiert zunächst Blicke und Perspektiven, die wir aus Architekturfotografien kennen. Es gibt keine Kamerabewegung, sondern es ist das Haus, das sich bewegt. Dies wird gleich zu Beginn sichtbar, als sich mit einem versmogten Blick auf Los Angeles plötzlich das Blickfeld – sprich die spitz aufeinander zulaufenden Glaswände – öffnet.75 ,Vorhang auf‘ für die Bühne, die dieses Haus bietet. Nach dem visuellen Abtasten der 72 Dorit Margreiter, 10104 Angelo View Drive, 2004, 16 mm, Farbe, ohne Ton, 6:56 Min, Loop. 73 Thomas S. Hines: „Regionalism and Expressionism. The Modernism of John Lautner“, in: ders.: Architecture of the Sun. Los Angeles Modernism 1900–1970, New York 2010, S. 609. 74 Ebd., S. 648. 75 Vgl. die umfassende Beschreibung der Arbeit des MUMOK Kurators. Matthias Michalka: „10104 Angelo View Drive“, in: Dorit Margreiter. 10104 Angelo View Drive, Ausst.-Kat., Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Köln 2004, S. 7–17, hier S. 9–13.
264 Doris Berger/Ursula Frohne Architektur und ihrer Umgebung, führen die Einstellungen immer mehr ins Innere des Hauses. Der Blick fällt auf Globen in allen Größen. Schnitte geben neue Einblicke in das Haus frei, in dem unterschiedliche Szenen mit Frauen in pornografischen Outfits zu sehen sind. Die feministische Performance-Gruppe Toxic Titties76 verströmt in diesem Haus einen „Camp-Glamour von Seventies-Science Fiction-Grusel-Trash“77-Filmen. Zudem verdeutlichen Nahaufnahmen von gealterten Büchern und Zeitschriften (von der Innenausstattung bis hin zu lesbischen Magazinen), dass hier eine Transformation von Dokumentation zu Performance stattgefunden hat. Die stilisierten Szenen spielen auf die filmische Einbettung dieses Hauses in The Big Lebowski an. Im Unterschied dazu ist hier jedoch die Geschlechterverteilung neu strukturiert: In diesem Haus residiert kein Pornoproduzent, sondern gastiert eine Performancegruppe, die zwar auf die Pornoindustrie anspielt, aber durch ihre Kostümierung und Handlungen diese Interpretation auch irritiert. Im Ausstellungsraum wird der Film auf einer quer durch den Raum schwebenden Leinwand projiziert.78 Der Projektionsapparat ist sichtbar und hörbar. Ein Lichtspot beleuchtet den Betontisch, aus dem ein Fernsehmonitor herausragt – ein Einrichtungsgegenstand des Hauses wird hier zum Filmset, auf dem der Abspann zu lesen ist. Projektionsleinwand und Betonattrappe wirken wie Einrichtungsgegenstände des Ausstellungsraumes, zu denen man sich zu unterschiedlichen Momenten des Films als BesucherIn verhält. Dorit Margreiter dirigiert mit dieser installativen Setzung die Wahrnehmung ihrer Filmlocation. Margreiters Filminstallation ist eine Dokumentation und Interpretation zugleich, die die soziokulturellen und medialen Einschreibungen dieses Hauses erfahrbar macht. Matthias Michalka bemerkt, dass diese Arbeit zeigt, „wie über das gesellschaftliche Bild- und Blickregime, das maßgeblich durch die Massenmedien Film und Fernsehen definiert wird, der Blick auf und der Umgang mit dieser Architektur determiniert ist.”79 Das Haus wird mit seinen formalen und inhaltlichen Besonderheiten zur Bühne, auf der alternative Modelle erprobt werden. Sabeth Buchmann sieht darin auch ein „kulturpolitisch
76 „Toxic Titties is a collaborative group of feminist artists working with performance, video, and film, bringing a subcultural phenomenon into the frame of conceptual art. Using pleasure and play, the group mutates with each performance to include a multiplicity of participants and embody queer perversions of cultural ideals. Through failure and excess, Toxic Titties simultaneously invokes and destabilizes collective identity formations.” Vgl. http://creatrixtiara.tumblr.com/post/2495112649/toxic-titties (letzte Sichtung 29.03.2016). 77 Sabeth Buchmann: „Augen auf die Welt“, in: Margreiter (2005), Anm. 74, S. 19–35, hier S. 31. Zur Beschreibung und Interpretation der Toxic Titties-Performance, vgl. S. 30–33. 78 Vgl. zur Installation der Arbeit im MUMOK Wien auch Lilian Haberer: „Modernereflexionen. Schwellenmomente architektonischer und filmischer Rahmungen in der kinematographischen Installation“, in: Frohne/dies. (2012), Anm. 21, S. 127–167, hier S. 162–166. 79 Michalka, in: Margreiter (2005), Anm. 74, S. 11.
Casting Los Angeles 265 ortsspezifisches Statement.“80 In diesem Zusammenhang lässt sich Maeve Connollys Diskussion des „site“ im Künstler-Kino produktiv machen. Connolly versteht darunter sowohl eine Filmlocation als auch einen Ort, der diskursiv und narrativ motiviert ist.81 Dorit Margreiters Arbeit stellt indessen nicht nur einen Ort dar, sondern auch einen Ort her. Die Künstlerin kreiert in einem stark kodifizierten Raum einen kinematographischen Raum, dem sie neue Einschreibungen hinzufügt und zur Schau und Diskussion stellt.
The Glass House Darüber hinaus führen Rauminstallationen mit wandfüllenden Projektionen zu neuen Raumerfahrungen, die, wie Gertrud Koch bemerkt, „nicht mehr durch das Kinodispositiv alleine beschreibbar sind. [...] Der Kinozuschauer [wird] wieder motorisch mobilisiert.“82 Entsprechend arbeitet Karina Nimmerfall in ihrem mehrteiligen Projekt The Glass House (2009–10) mit Versatzstücken unterschiedlicher moderner Bauten (Abb. 14). Ihr Ausgangsmaterial sind Bilder von Architekturen, die in Spielfilmen zum Einsatz gekommen sind, also ein durch den medialen Filter erfahrenes Material oder auch Architekturen zweiten Grades.83 Karina Nimmerfall erzeugt Architekturmodelle sowie Raum-Videoinstallationen, die sich aus den Kamerablicken auf und ideologischen Aufladungen von modernistischer Architektur zusammensetzen. In ihrem skulpturalen Architekturmodell The Glass House (Modern Contemporary) (2009) lassen sich Fragmente aus kalifornischen Wohnarchitekturen erkennen: Richard Neutras Lovell House (1927–29), das in L.A. Confidential (USA 1997, R: Curtis Hanson) mitspielte, John Lautners Jacobsen House (1947), das in Twilight (USA 1998, R: Robert Benton) zu sehen war, sowie seine Elrod Residence (1968), die im James Bond-Film Diamonds are Forever (UK/USA 1971, R: Guy Hamilton) eine wichtige Rolle einnahm. Die Künstlerin inkludiert aber auch ein Setdesign, das von Boyle, Horning, Pye, Grace und Kelvey konzipierte (und von Frank Lloyd Wright inspirierte) Van Damm House aus dem Hitchcock-Film North by Northwest (USA 1959). Zum einen sind die architektonischen Elemente des Modells aus den oben genannten Vorbildern inspiriert, und zum anderen sind Filmstills auf Transparentfilm in das Modell eingebaut, die fiktive Ein-, Aus- und Durchblicke geben. Auf einer Rückprojektionswand erscheint ein großformatiger Ausblick, der vom Hausinneren in die Wüstenlandschaft führt, 80 Buchmann, in: ebd., S. 35, Fußnote 27. 81 Maeve Connolly: The Place of Artists’ Cinema. Space, Site and Screen, Bristol/Chicago 2009, S. 31. 82 Gertrud Koch (Hg.): „Einleitung“, in: dies.: Umwidmungen. Architektonische und kinematographische Räume. Berlin 2005, S. 8–20, hier S.17. 83 Ausführlicher zu dieser mehrteiligen Arbeit vgl. Doris Berger: „Die Entleerung des Glashauses/Emptying the Glass House“, in: Karina Nimmerfall. The Glass House, Künstlerhaus Schloss Balmoral, Münsterschwarzach Abtei 2011, S. 2–16.
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Abb. 14: Karina Nimmerfall, The Glass House (Modern Contemporary), 2010, Installations ansicht, Kunstpalais Erlangen, 2010.
in der sich ein Sandsturm zusammenbraut, wie eine Animation suggeriert. Die aus modernen Bauten und Setdesigns zusammengesetzten Fragmente erzeugen zum einen eine neue Architektur und thematisieren zum anderen das Genre der GlashausArchitektur in ihrem Verhältnis von Innen- und Außenraum, von Transparenz und Opazität, die in der kalifornischen Küstenstadt einen eigenen Stil aufweist. Die filmische Raumwahrnehmung findet in dieser Arbeit in Form eines mehrstufigen Transfers statt: Gebaute Architektur wird in einen Film eingebettet, und die FilmArchitektur wird in Folge zu einer imaginären Architektur im Wahrnehmungsfeld der Kunst. Filmräume sind das Baumaterial für Karina Nimmerfall, die ihre Häuser aus medialen Repräsentationen konstruiert. Zugleich reflektieren ihre sowie die Projektionsräume von Margreiter und Ruscha darauf, dass Architektur und der urbane Raum von Los Angeles in vielfacher Hinsicht mediatisiert und als solche im kollektiven Gedächtnis verankert sind, da sie als Hauptdarsteller in legendären Filmen, (mittlerweile) historischen Fotografien und in zeitgenössischen kinematographischen Installationen figurieren. Die vielfältigen Rollen von Los Angeles im Film, die ‚erfahrene‘ Oberfläche eines Straßenzuges, oder die De/Konstruktion moderner Architekturen aus Filmen transportieren uns entlang des Sunset-Strips, den 10104 Angelo View Drive hoch hinauf in moderne Häuser aus Glas.
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Ästhetische (Über-)Formung „Dem entwirklichten Leben, das die Kraft des Selbstzeugnisses eingebüßt hat, vermag seine ästhetische Formung eine Art von Sprache zu erstatten [...]. Die Einheit des ästhetischen Gebildes, die Art, in der es die Gewichte verteilt und das Geschehen bindet, bringt die nichtssagende Welt zum Reden, verleiht den in ihr angeschlagenen Themen Bedeutung [...].“ Siegfried Kracauer84 Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat die historisch gewordene Filmstadt die prominenten Schauplätze und Produktionsorte des klassischen Erzählkinos über das weltumspannende System von Hollywoods Unterhaltungsindustrie popularisiert und die kalifornische Topographie mit ihren architektonischen und urbanen Besonderheiten zur Filmlandschaft par excellence erhoben (Abb. 15). Die künstlerischen Projekte suchen die diversen Orte auf, die als Filmsets dienten, manche noch existierend, andere, die im Maelstrom der Immobiliengeschäfte ausradiert und kapitalisiert wurden, überleben am Ende nur noch im Archiv der Filme. Die Fähigkeit der Stadt zur proteischen Neuerschaffung mag nicht zuletzt von der Geologie ihres Standorts affiziert sein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Los Angeles im unmittelbaren Einzugsgebiet der erdbebengefährdeten Sankt Andreas-Falte verortet ist. Das Transitorische der Leichtbau-Architekturen, deren Fassaden Ed Ruscha zur Zeit seiner fotografischen Aneignung des Sunset Strip an die Kulissenstädte des Films erinnerten, ist von dem ortsspezifisch Unbewussten dieser topographischen wie topologischen sublimen Bedingungen durchdrungen, wie mancher Katastrophenfilm, für den Los Angeles als Schauplatz figuriert, eher plakativ in Szene setzt.85 Angesichts dieser Frage nach der Zukunft einer Stadt, deren Lebensraum vielleicht weniger vom Erdbeben als von der spekulativen Gewalt einer entfesselten Immobilienindustrie gefährdet ist, übernehmen die Filme selbst – darüber scheint auch Andersen in seiner Dokumentation nicht ohne melancholischen Grundton zu reflektieren – die Gedächtnisfunktion für die verlorene Vielfalt des sozialen Lebensraums. Es sind die Filme, die in Los Angeles spielen oder dort produziert wurden, die in Andersens Kompilationsmontage ebenso wie in den künstlerischen Arbeiten als Zeitzeugen auftreten. Sie sind Träger der Erinnerung einer historischen Erfahrung von Stadt im Film und durch den Film hindurch. Anders als Godards Histoire(s) 84 Siegfried Kracauer: „Der Detektiv-Roman. Ein philosophischer Traktat (1922–1925)”, in: ders.: Schriften I. Frankfurt a. M. 1978, S. 103–204, hier S. 113–116. 85 Ed Ruscha äußert sich über die Kulissenwirkung der Gebäude am Sunset Boulevard: „All I was after was that store-front plane. It’s just like a Western town in a way. A store-front plane of a Western town is just paper, and everything behind it is just nothing.“ Zitiert bei David Bourdon, „Ruscha As Publisher (Or All Booked up)“, in: Art News 71/4 (1972), S. 32–36, wieder abgedruckt in Alexandra Schwartz (Hg.): Leave Any Information at the Signal. Writings, Interviews, Bits, Pages, Ed Ruscha, Cambridge Mass. 2002, S. 40–45, hier S. 43.
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Abb 15–16: Los Angeles Plays Itself (USA 2003, R: Thom Andersen), Filmstills.
du cinéma (1998) konzentriert sich Los Angeles Plays Itself weniger auf die Eigenbewegung des Films als historisches Medium, die Godard in komplexen Montagen zu einer ästhetischen Figur stilisiert. Andersen spürt indessen dem theatralen Grundton des filmischen Gedächtnisses der Stadt nach, die durch den Film zu dem geworden ist, worauf das Hollywoodsystem in selbstreflexiver Logik rekurriert. Hierin dokumentiert sich das transitorische Selbstverständnis der Metropole, deren wechselnde Rollen sich der Bewegungslogik des Films als kommerzielles Produkt anpassen.86 Der Kompilationsfilm, dessen Found-Footage-Zitate einen Zeitraum von nahezu einem Jahrhundert umspannen, holt die historischen Zusammenhänge zwischen Filmarbeit und Stadtentwicklung beinahe beiläufig ein. In den Zwischenräumen der filmischen Momente spiegelt sich das urbane Wissen des Films und macht in dieser Brechung die Entropien des Sozialen und der Kontexte sichtbar, die als geisterhafte Einlagerung des Vergangenen im Gegenwärtigen das transitorische Wahrnehmungsfeld der Stadt erweitern. Martino Stierli hat dieses Projektionsmotiv in seiner Studie zum artifiziellen Erscheinungsbild von Las Vegas treffend mit der Metaphorik eines im Rückspiegel gesehenen Bewegungsbildes verglichen.87 Durch die Ineinanderblendung der topographischen Wirklichkeit mit den Narrativen des Films offenbart sich das topologische Beziehungsgeflecht der Spielarten des Films. Es sind diese unsichtbaren Spuren des Films, die unscheinbaren Markierungen der Filmarbeit in der Stadtlandschaft und die ephemeren Projektionsbilder des Kinos gleichermaßen, die sich in dem heterotopen Erfahrungsraum von Los Angeles überlagern und den künstlerischen Recherchen zum Ausgangspunkt der Verhandlungen der filmischen Ortsspezifik von Los Angeles werden (Abb. 16). Mit Henri Lefèbvre und Michel de Certeau könnte man die künstlerischen Lektüren der Orte des Films als eine Wiederaneignung des urbanen Raums in seiner Geschichtlichkeit 86 Auf die Verbindung zwischen dem kreativen Aspekt des Kompilationsfilms und der Monopolisierung der Verbreitung der zitierten Filmsequenzen durch die Filmindustrie sowie die räumliche Thematik in Andersens Los Angeles Plays Itself geht Richard Misek ein: „Trespassing Hollywood: Property, Space, and the ‚Appropriation Film’“ in: October 153 (2015), S. 132–148. Ich danke Lilian Haberer für den Hinweis auf diesen Aufsatz. 87 Vgl. Stierli (2010), Anm. 18.
Casting Los Angeles 269 und seinen verdrängten Bedeutungen begreifen. Implizit deutet sich hierin auch ein ideologie- oder machtkritischer Diskurs an, den Lefèbvre in seiner Theorie der Stadt explizit verfolgte.88 Die wechselseitigen Übertragungsprozesse zwischen den filmischen Figurationen des Ortsbezugs und dem proto-filmischen Charakter der Stadtlandschaft offenbaren sich eben jene Momente, in denen sich das Reale des Films als „Extension der Wahrnehmung” und nicht zuletzt als Bedeutung stiftende „ästhetische Formung“ in kontinuierlichem Rekurs auf das filmische Gedächtnis der Stadt fortschreibt.89
88 Vgl. Henri Lefèbvre, Die Revolution der Städte, Berlin 2003, S. 45. 89 Kaiser (2008), Anm. 12, S. 15.
Annette Jael Lehmann
Gehen und Sehen Streifzüge zwischen Performance und Projektion
1. Ansätze. Einen Schritt zurück und einen vor „Feuer, Luft, Wasser, Erde sind im Menschen, aus ihnen besteht er. Vom Feuer hat er die Wärme, Atem von der Luft, vom Wasser Blut und von der Erde das Fleisch; in gleicher Weise auch vom Feuer die Sehkraft, von der Luft das Gehör, vom Wasser die Bewegung, von der Erde das Aufrechtgehen.“1 Diese Aussage der Heilkundigen und Mystikerin Hildegard von Bingen verortet das Gehen, den aufrechten menschlichen Gang, in einem mystisch-religiösen Kontext, der eine ursprüngliche Einheit des menschlichen Leibes mit den Elementen der Natur beschwört. Anders als bei der Vorstellung von Pilgerschaft, als Medium der Transformation und Begegnung mit dem Heiligen in der Wanderschaft, wird das Gehen hier vor allem in seiner materiellen Bedingtheit metaphorisiert. Im Gehen manifestieren sich die leibliche Verwurzelung des Menschen mit der Erde und eine animistische Verbundenheit mit ihrer irreduziblen Stofflichkeit. Sowohl in mys tischen und religiösen wie auch profanen Kontexten gilt der aufrechte Gang als anthropologische Grundkonstante mit einer konkreten Materialität von räumlichen und zeitlichen Parametern, die an körperliche Vollzüge und Wahrnehmungsprozesse gebunden sind. Die profane, alltägliche Praxis des Gehens ist der Ausgangspunkt einer Reihe von künstlerischen Arbeiten seit den 1960er-Jahren, die insbesondere in der Performance und Videokunst (zeitgleich mit der Revolution des Tanzes), aber auch in Land Art und Konzeptkunst zu finden sind. In gegenwärtigen Kunstrichtungen wie der Environmental Art, ein Sammelbegriff für künstlerische Praktiken, die sich auf die ästhetische Erkundung und Veränderung von natürlichen und städtischen 1
Hildegard von Bingen: Heilkraft der Natur. Physika, Stein am Rhein 2005, S. 27.
272 Annette Jael Lehmann Lebens- und Umgebungsräumen richten, kommt dem Gehen per se als elementarem körperlichem Akt und Bewegungsvollzug besondere Bedeutung zu. Das aisthetische Potenzial des Gehens als wahrnehmende Erkundung leiblicher Anwesenheit im Raum, die Raumkonstitution durch die eigene körpergebundene Bewegung sowie die Erfahrung leiblicher und atmosphärischer Präsenz werden in diesem Kontext oftmals durch Einsatz unterschiedlicher Medien wie Fotografie, Film oder Video begleitet. Anhand von zwei exemplarischen Fallstudien zu Arbeiten der Künstler Richard Long und Francis Alÿs soll das Verhältnis von (Landschafts-)Raum, Bewegungsvollzügen, Bildgenese und Medieneinsatz (Fotografie/Video) untersucht werden, wobei Projektionsprozesse auf unterschiedliche Weise eine besondere Rolle spielen. Bei den Beispielen handelt es sich um Richard Longs Fotografien (Bildbände) zu seinen Wanderungen (Walks), insbesondere seine frühe Arbeit A Line Made By Walking (1967), und einen Spaziergang (Paseo) von Francis Alÿs, in dessen Zusammenhang die Einkanal-Videoarbeit El Gringo (2003) entstand. Beide Künstler stellen die Bewegungsvollzüge ihres Körpers, insbesondere das Gehen, in das Zentrum ihrer jeweiligen ästhetischen Konzeption und Aktion, wobei das Spannungsverhältnis zwischen performativen Handlungsvollzügen und medialen Präsentationsformen sehr unterschiedlich profiliert wird. Gleichermaßen virulent wird hier wie dort das Verhältnis von Gehen und Sehen, die unterschiedlichen Modi und Möglichkeiten einer körperbezogenen Bilderzeugung und Raumwahrnehmung, für deren Verständnis auch der Begriff der Projektion eine besondere Rolle spielt. Insbesondere der inhärente Übertragungsaspekt dieses Begriffs kann über das Verhältnis zwischen körperlicher Bewegung, Bildgenese und medialer Rezeption Aufschluss geben.2 Dass im Begriff der Projektion vor allem der Akt raum-zeitlicher und medialer Übertragung profiliert wird, soll eine epistemologische Engführung in apparative und produktionstechnische Kontexte vermeiden. Die Untersuchung richtet sich nicht auf frei in und durch Räume flottierende Projektionen, ihre apparativen Dispositive und Ausstellungsdisplays. Foci sind hier vielmehr die wahrnehmungsspezifischen und wirkungsästhetischen Dimensionen einer Ästhetik der Projektion in Still- und Bewegtbildern. Die zentrale Frage lautet daher, wie werden Projektionen als ästhetische Strategie bei einer performativen Bildgenese und autonomen Bildraumwahrnehmung wirksam? Projektionen, so lautet die an den ausgewählten Beispielen zu entwickelnde Hypothese, dienen der Auflösung der Grenzen zwischen Bild- und Betrachterraum und ermöglichen den Betrachtern, den Bildraum als Teil des Realraums zu erfahren.
2
Vgl. Hans Belting: „Zur Ikonologie des Blicks”, in: Christoph Wulf/Jörg Zirfas (Hg.): Ikonologie des Performativen, München 2005, S. 50–58, hier S. 51.
Gehen und Sehen 273
2. Along Lines. Projektion als Bewegung ins Bild Ein junger Künstler nahm den Zug vom Londoner Bahnhof Waterloo und fuhr nach Südwesten. Als die Vorstädte aufhörten und Landschaft sichtbar wurde, stieg er aus, fand eine Wiese mit Gänseblümchen und lief so lange vor und zurück, bis das Gras niedergetreten war und sich ein Pfad, eine von der Sonne beschienene Linie herausbildete. Das Resultat dieser Aktion hielt er auf einem Foto fest und fuhr wieder zurück. So oder so ähnlich will es die Anekdote über Richard Longs frühe Arbeit A Line Made By Walking von 1967.3 Diese, wie viele der folgenden Arbeiten des Künstlers, ist auf den Bewegungsakt des Gehens und die Wanderschaft als Kunst fokussiert. Und nur in der, das Ereignis festhaltenden, Schwarz-Weiß-Fotografie erkennbar, ist eine gerade Linienspur aus frontalem Blickwinkel: das Resultat der Laufbewegung des Künstlers auf einem Rasen. Diese frühe Fotografie enthält entscheidende Parameter der Long�schen Ästhetik, da sie ein Szenario entwirft, in dem Bildgenese, Handlungsvollzüge, diskursive Rahmungen sowie Projektionsmöglichkeiten und imaginäre Prozesse in ein produktives Wechselspiel treten. Auch wenn in Longs Bericht dem Akt des Gehens und der Hervorbringung einer Linie quasi ein eigener autonomer ästhetischer Status zugesprochen wird, fungiert die fotografische Aufnahme in diesem wie in späteren Fällen zwar als singuläre, doch wieder neu und anders einholbare Erfahrungsform einer vergangenen Präsenz, über die sie als ein autonomes Bild Auskunft gibt. Longs Fotografien zeigen, wie im Gehen und Sehen Landschaftsbilder als arretierte Zeit-Raumerfahrungen generiert werden, die von der Referenz auf die Traditionen einer Naturerfahrung des Pittoresken oder Erhabenen distanziert sind. Longs Arbeiten kennzeichnet eine spannungsvolle Trennung zwischen den Sinneswahrnehmungen seiner Wanderungen und seinen fotografischen Aufnahmen: Denn Long behauptet sowohl den Originalitätsstatus seiner Wanderungen als ephemere Kunstform per se als auch den von seiner individuellen Erfahrung losgelösten, autonomen Status seiner fotografischen Bilder. Wie geht dies zusammen? Richard Long begleitet seine oftmals monatelangen Wanderungen in abgelegenen und unzugänglichen Regionen wie Wüsten, Mooren oder Hochgebirgen etwa in England, Bolivien, Nepal oder Afrika nicht nur mit fotografischen Arbeiten, sondern vor Ort auch immer wieder mit der Setzung von Linien und Spuren, mit Markierungen und geometrischen Formen aus natürlichen Materialien wie Steinen und Ästen. Seine Gegenstände sind die vorgefundenen Dinge aus der Landschaft, wie Schlamm und Steine, die er bei seinen Wanderungen erlebt, sieht und begreift. Und seine Arbeitsstrategie ist das Sammeln, Zusammentragen, das Verändern und Ordnen, ein haptisches Spuren-Hinterlassen in diesem Unterwegssein. Die künstlerische Praktik setzt flüchtige materielle Spuren, vergängliche zeitliche Abläufe in die Landschaft, aber auch an die Orte der Kunst wie Galerien und Museen, in denen Long Elemente wie Steinkreise und Holzstäbe verwendet oder auch aus Schlamm 3
Vgl. Dieter Roelstraete: Richard Long: A Line Made By Walking, London 2010, S. 14.
274 Annette Jael Lehmann
Richard Long, A Line Made By Walking, 1967, Fotografie und Text.
gestaltete Kreise auf Wänden entstehen lässt. Longs Arbeit besteht jedoch weniger im Gestalten und Ordnen von gefundenen Dingen oder aus dem Erschaffen von auf Dauer angelegten skulpturalen Werken. Die Bewegungsvollzüge seiner Arrangements, die Wanderungen, die Bewegungen durch Landschaftsräume per se, sind Zentrum seiner künstlerischen Praxis ebenso wie die fotografischen Aufnahmen, die in deren Kontexten entstehen und in Ausstellungen oder typografisch gestalteten Künstlerbüchern (es sind nicht weniger als 90!) gezeigt werden. Richard Long
Gehen und Sehen 275 (ebenso wie Hamish Fulton) trennt den Erfahrungsraum seiner solitären Wanderung von den Bildräumen seiner Fotografien radikal. Inwiefern impliziert gerade diese ästhetische Strategie, die vor allem durch seine spärlichen, jedoch apodiktischen Kommentare und Texte vermittelt wird, eine Öffnung der Bildgrenze für imaginäre Projektionen? Die ästhetischen Prämissen von Richard Longs Walks und seine Arbeit mit dem Medium Fotografie bzw. mit Ausstellungen und Bildbänden werfen eine Reihe von medienspezifischen Fragen auf. Wenn die Fotografien die Erfahrung der Wanderschaft und der Landschaft nicht adäquat wiederzugeben vermögen, wie Long behauptet, inwiefern fungieren seine fotografischen Aufnahmen dennoch als zweidimensionale Bühne für ein imaginäres Geschehen bzw. als Projektionsflächen für imaginäre Szenarien? Wie generiert Fotografie ein dynamisches Dispositiv, das die Einbildungskraft zu motivieren und Möglichkeitsspielräume der Blickpunkte der Betrachter zu aktualisieren vermag? Verwendet Long also eine Ästhetik der Fotografie mit einer gezielt projektiven und nicht indexikalischen wie auch ikonischen Wirksamkeit? Longs Projekte sind, gerade weil sie mit einer ausgefeilten Rhetorik der Simplizität in Publikationen und Ausstellungen vom Künstler präsentiert werden und so eine Strategie des Entzugs inszenieren, sowohl in produktions- wie rezeptionsästhetischer Hinsicht in hohem Maße durch Theatralität gekennzeichnet. Dies bezieht sich im geradezu „klassisch“ gewordenen Sinne auf die Involvierung des Künstlers wie der Betrachter. Richard Longs performativer Ansatz der Präsentation seiner Kunst ist jener Theatralität verpflichtet, die Michael Fried als Absorption bzw. Versunkenheit der Betrachter im Kontext der Minimal Art kritisiert hatte, um die Einbeziehung jener Betrachter durch die Strategie der Projektion noch zu erweitern. Interpretierte man die Vielzahl fotografischer Arbeiten und Bildbände seit A Line Made By Walking einzig als fotografische Dokumente eines Amalgams aus zeitgenössischer Konzeptkunst, Skulptur und/oder Earth- bzw. Land Art, so würden Longs Fotografien der Wanderungen vor allem als Relikt von Performances, die ganz der unsichtbaren Präsenz des Körpers verpflichtet sind, erscheinen. Longs Arbeit wäre einzig einer ästhetischen Strategie verpflichtet, der zufolge der Vollzug gegen die Referenz ausgespielt wird. „I suppose my work runs the whole gamut from being completely invisible and disappearing in seconds, like a water drawing, or dusty footprints, to a permanent work in a museum that maybe could last forever.”4 Trifft eine solche ambivalente Insistenz auf das Performative und die quasi Monumentalisierung im Museum tatsächlich zu? In der Tat finden sich bei Long immer wieder Kommentare, die ein tiefes ikonoklastisches Unbehagen an der Bildwerdung seiner solitären Wanderschaftserfahrungen nahelegen. Sie repetieren ein wesentliches Argument klassischer Bildkritik als Kritik des Statischen gegen die Faktizität von zeiträumlichen Bewegungsabläufen und die Erfahrungswerte transitorischer Spielräume; mit anderen Worten: Sie behaupten die Unmöglichkeit sinnlicher Präsenz in bildlich-medialer, insbesondere fotografischer, Repräsentation. Longs kritische Position korrespon4
Anne Seymour: Fragments of a Conversation [Interviews with Richard Long] VI, o. O. 1991, S. 104.
276 Annette Jael Lehmann diert dabei mit einem ikonoklastischen Gedanken von Maurice Merleau-Ponty, der beim Begriff des Sehens ansetzt, weil er von der grundsätzlichen Alterität des Gesehenen ausgeht, das sich jeglicher Vereinnahmung entziehe. Doch bei Richard Long geht es weniger um eine Krise des Sehens oder eine Bilderskepsis im Sinne der (vermeintlich) ikonoklastischen Tradition einer performativen Ästhetik, nicht um das defizitäre statische Bild als Gegenpol zu zeitlichen Ereignissen. Longs Rhetorik über Bilder und die Rhetorik seiner Bilder selbst richten sich vielmehr gegen eine spezifische Ästhetik der Repräsentation von Naturerfahrung; sie verweigern sich, die Lebendigkeit einer solchen Erfahrung in einem fixierbaren Objekt wie einer permanenten Skulptur oder einem symbolträchtigen Stillleben zu arretieren. Long bezieht sich auf eine Tradition künstlerischer Naturerfahrung, bei welcher der Künstler immer auch Zeuge für eine Unmittelbarkeit ist, die nicht vermittelt werden kann. Sein Naturbegriff steht daher Adornos Konzept des Nicht-Identischen nahe, das gerade ein durch Ausschließung erzeugtes Nicht-Identisches, ein verheißungsvoll Anderes, in Bezug auf die Natur ein ihrer Instrumentalisierung Entzogenes bezeichnet. Dies zu veranschaulichen, ist die paradoxe Aufgabe seines fotografischen Landschaftsbildes, in das jene Absenz mit eingelassen ist. Und gerade diese Referenz auf Figuren des klassischen Ikonoklasmus (das Bild als Mortifikation des Lebendigen, als ereignissubstitutives Souvenir) dient in Longs fotografischen Aufnahmen der Ermöglichung von imaginären Projektionen. Long inszeniert in Bild und Text somit implizit eine Bildkritik, die als Strategie der Resistenz einer simplifizierenden Vereinnahmung von Naturerfahrungen gelten kann. Paradoxerweise machen die Fotografien den Künstler dennoch zum zentralen Akteur, indem sie durch ihn auf das verweisen, was sie nicht zeigen können, nämlich den realen Vollzug einer Bewegung und ihren Umgebungsraum. Sie stellen vielmehr die Unmöglichkeit der medialen Reproduzierbarkeit und Substituierbarkeit aus, indem sie die Rhetorik des Dokumentarischen durchkreuzen (etwa das Weglassen von Authentizitätseffekten) und stattdessen mit fotografischen Ästhetisierungsstrategien (kompositorische Verfahren im Hinblick auf das Zusammenspiel von Farbe, Flächen, Formen sowie das Arrangement der Typografie) arbeiten und damit eine Partizipationsmöglichkeit an einem autonomen Bild anbieten, die von der Imagination seiner Betrachter wesentlich mitbestimmt wird. Und dies geschieht weniger durch die Präsentation von Skulpturen und den gezielten Einsatz von Zeichen und Symbolen, sondern vielmehr durch eine kontemplative Versenkung, eine Anschauungsweise, in deren Folge die visuelle Wirklichkeit des Bildes als eigene Erfahrung wahrgenommen werden kann. Immer wieder bewegt Richard Long sich wandernd in unterschiedlichsten Landschaften, legt er lange und definierte und undefinierte Strecken zurück. Seine Wanderungen fanden nicht nur in England statt, sondern auch in den Anden, der Sahara, führten zum Kilimandscharo und in die Mongolei. Immer wieder hinterlässt er dort Zeichen seiner Anwesenheit, wenn er im Kreise geht, Strecken hin und zurück in kurzer Distanz zurücklegt oder eben lange Wege beschreitet, die er später lakonisch beschreibt. Die vergänglichen Wegzeichen, die er hinterlässt, sind aufgerichtete Steine, aufeinander gelegte Fundstücke, Kreise oder Geraden. Diesen einfachen geo-
Gehen und Sehen 277 metrischen Gestalten könnten durchaus sinnträchtige Bedeutungsdimensionen anhaften. Der Kreis etwa mag als ein Symbol für Perfektion, Geschlossenheit, ja magische Schutzgebung fungieren. Doch Long tendiert zu einer minimalistischen Formverwendung, die puristisch verstanden werden will als reine Form ohne imaginäres Surplus. Nicht semiotische Formationen, nicht symbolische Restbestände, selbst wenn ihnen eine dekonstruktive Entschärfung anhaftet, sondern prozesshaft geformte Ordnungselemente, Spuren einer Erfahrungssedimentierung und deren Auflösung, veranschaulichen Longs skulpturale Arrangements. Seine skulpturalen Arrangements entstehen situativ, sind ephemere Hinterlassenschaften und gleichwohl doch Zeugnisse eines temporären Standorts auf einer Wanderschaft, die in ihren Umgebungsräumen wieder der Unsichtbarkeit überlassen werden.5 „My outdoor sculptures are places. / The material and the idea are of the place; / sculpture and place are one and the same. / The place is as far as the eye can see from the / sculpture. The place for a sculpture is found / by walking. Some works are a succession / of particular places along a walk.“6 Indem den fotografischen Aufnahmen gerade diese Platzierungen eingelassen und zugleich entzogen sind, werden Zustände verfügbar gemacht; autonome Aufnahmen, die weder präsentieren noch repräsentieren, sondern sich als das erweisen, was Roland Barthes als „reinen Ausschnitt mit sauberen Rändern, der seine ganze unbenannte Umgebung ins Nichts verweist und all das ins Wesen, ins Licht, ins Blickfeld rückt, was er in sein Feld aufnimmt“7, bezeichnet. Longs ikonoklastische Paradoxien sind letztlich Taktik und Tarnung einer ikonophilen Grundhaltung, die Handlungen von Bildern trennt, um sie neu zu vereinen. Es handelt sich bei Longs Ästhetik um die Subversion einer Trennung, die Hans Belting folgendermaßen bestimmt hat: „Gewöhnlich sind wir geneigt, Handlungen von Bildern zu trennen. Handlungen, mit ihrem Vollzugscharakter, unterscheiden wir von Bildern, mit ihrem Zustandscharakter.“8 Doch Richard Long führt mit seinen konzeptkünstlerischen Finessen und den minutiösen Ausführungen seiner geplanten (und auch kartografisch gezeichneten) Wegstrecken zunächst absichtsvoll in die Irre. So unternahm er eine Reihe von Wanderungen, auf denen er einem expliziten Konzept folgte und eine ganz konkrete Aufgabe erfüllte. Long trug von der englischen Ostküste einen Stein zur Westküste von Wales und umgekehrt; er wanderte von einer neolithischen Grabstätte im Südwesten Englands zur Iron Bridge in Mittelengland, der Wiege der industriellen Revolution oder er wanderte so lange, bis er die erste Wolke sah. Long selbst definierte diese Tätigkeiten lapidar folgendermaßen: „Art as a formal and holistic description of the real space and experience of landscape and its most elemental materials.“9 Diese Definition unterscheidet nicht zwischen einer künstlerischen und einer außerkünstlerischen Wirklichkeit und hat wesentliche Konsequenzen für das Verhältnis zwischen einem „Vollzugs- und Zustandscharakter“, 5 6 7 8 9
Vgl. Christine Buci-Glucksmann: Der kartografische Blick der Kunst, Berlin 1997, S. 163. Richard Long: Five, Six, Pick Up Sticks: Seven, Eight, Lay Them Straight, o. O. 1980, S. 3. Roland Barthes: „Diderot, Brecht, Eisenstein“, in: ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays II, Frankfurt am Main 1990, S. 95. Belting (2005), Anm. 2, S. 50–51. http://www.richardlong.org/Textworks/textworks11.html (letzte Sichtung 03.09.2014).
278 Annette Jael Lehmann wenn man nun die Betrachter ins Spiel bringt. Die Fotografien, Bildbände, Texte und Ausstellungen der Wanderschaft als eine Raum/Zeitkunst enthalten insofern ein starkes partizipatorisches Moment, als sie Projektionsmöglichkeiten anbieten, die nach den Prinzipien der Kontiguität und Metonymie funktionieren. Nicht die medialen, formalen, skulpturalen oder gattungsspezifischen Eigenschaften der Arbeiten stehen im Vordergrund, sondern die Möglichkeit der Transgression in die autonome Welt eines Bildbandes bzw. Bilderbuches; mit anderen Worten: die projektive Bewegung des Betrachters in das Bild hinein, eine transitorische Struktur gleichsam als Wandeln und Wandern im Bild. Wenn hier also Projektion als Prozess des Ins-Bild-Eingehens und damit als illusionistische Überwindung der Grenze von Vorstellung und Darstellung verstanden wird, wäre dies nicht weit von einem magischen Bildverständnis entfernt. Doch wichtiger als eine Spekulation über eine mögliche bildmagische Wirksamkeit ist hier, dass Projektion als phantasmatische Partizipation an einer Bildwirklichkeit, ästhetisch/diskursiv versiert vom Künstler, in Szene gesetzt wird. Projektion wirkt im „Idealfall“ als phantasmatische Partizipation. „Die Verlebendigung und Vergegenwärtigung des Bildes, sein ereignishafter Selbstvollzug, findet in der Ein-Bildung, d. h. im Eingehen ins Bild, in der geistigen Vereinigung mit dem Bild statt.“10 Dieses projektive Eingehen, das Longs Bilder anbieten, ist weniger objektzentriert, teleologisch oder immersiv, sondern ereignet sich vielmehr als ein widersprüchliches Oszillieren zwischen Imagination, Partizipation und Distanzerfahrung. Longs Landschaftsfotografien sind Projektionsflächen für eine Partizipation an imaginären Schauplätzen, aber auf widerspruchsvolle Weise. Denn sie sind ikonoklastisch als Sichtbarmachung der Abwesenheit realer Erfahrung und zugleich ikonophil als Projektionsflächen für die Anwesenheit von Betrachtern im Bild mit ihren Möglichkeiten eines Sehens mit anderen Augen. Jean-Luc Nancy beschreibt eine solche Paradoxie als distinktes Oszillieren: „Das Wort imago bezeichnete das Bildnis der Abwesenden, der Toten also, genauer der Vorfahren: die Toten, von denen her wir kommen, die Glieder eines Geflechts, in dem jeder von uns ein Haken ist. Die imago hakt in den Stoff ein. Den Haken des Todes entfernt sie nicht, sie tut mehr oder weniger zugleich. Sie webt, sie bildet Absenz. Sie repräsentiert Absenz nicht, sie erinnert nicht daran, sie symbolisiert sie nicht, obgleich auch immer davon etwas im Spiel ist. Im Wesentlichen präsentiert sie die Absenz. Die Abwesenden sind nicht da, sie sind nicht ‚im Bilde‘. Aber sie sind gebildet: ihre Absenz ist in unsere Präsenz eingeflochten. Der leere Platz des Abwesenden wie ein Platz, der nicht leer ist: das ist das Bild. Daß der Platz nicht leer ist, heißt noch nicht, daß er besetzt wäre, sondern zunächst ist er einfach nur Platz des Bildes, letztendlich also das Bild als Platz, als singulärer Platz dessen, was hier keinen Platz hat: der Platz einer Versetzung, womit wir wieder bei der Metapher wären. Das Bild ruft: ‚Platz! Platz für die Versetzung, Platz für die Übertragung!‘“11 10 Birgit Mersmann: „Das Bild als Spur. Transgressionen und Animationen“, in: Hans Belting (Hg.): Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007, S. 198– 216, hier S. 206. 11 Jean-Luc Nancy: „Distinktes Oszillieren“, in: Belting (2007), Anm. 10, S. 257–270, hier S. 261.
Gehen und Sehen 279 Long generiert Landschaftsbilder aus der Bewegung der Wanderschaft, in der Absenz und Präsenz verwoben sind und daher der von Nancy beschriebene Platz für das heikle Unterfangen der imaginären Projektion als wirksames ästhetisches Dispositiv entsteht. „I have made walks for many and various and precise reasons. I could choose a place or route to realize a particular idea for a walk, or because I know it from experience, or because I knew it from a map, or even because I didn’t know it (almost for no reason).“12 Wanderschaft ist eine offene Kunstform. „I may have precise, pre-planned ideas for a road walk. Alternatively, especially on a wilderness walk, I will encounter places and experiences which are new and not predictable, and my ideas could change along the way. I like to use both ways of working. Sometimes I go to familiar places like Dartmoor, specifically using my own experience and history for the work, and other times I could go to a very unknown (to me) place like Tierra del Fuego.“13
Die Ästhetik der Wanderschaft ist situativ – wahrnehmungs- und zugleich handlungsorientiert, auch wenn die Arbeit am und mit Material unterwegs auf die Produktion von Bildern (Bildbänden), Objekten und Ausstellungen an anderen Orten bezogen ist. Fotografien sind dabei ebenso eigenständige Artefakte wie Landkarten, auf denen er seine Routen festhält oder mit Pfeilen Windrichtungen andeutet. Seine typografisch versierten Texte markieren Eindrücke, indem sie scheinbar praktische Informationen zum Wetter und simple Beschreibungen dessen wiedergeben, was er getan hat. Sie sind Aufzeichnungen, jenseits einer kartografischen Inbesitznahme, eher Spurensammlungen, flüchtige Materialisierungen, die einen Status des NochNicht und Nicht-Mehr beanspruchen. Durch diese eigensinnige grafische Rhetorik und die (nahezu abwesende) Rhetorik der Fotografien selbst legt er autonome Bilder als Orte für Projektionen frei. Die angestrebte Lösung der fotografischen Aufnahme aus der Matrix von Referenzialität und paradoxaler Indexikalität betont nicht nur die Autonomie des Bildes, sondern auch den autonomen Blick des Künstlers selbst, dessen Blick sich nicht rekonstruieren lässt, weil wir als Betrachter immer außerhalb der Situation sind, in der seine Bilder entstehen. Dies macht deutlich, dass eine solche Projektion vor allem auch eine Strategie des Imaginären ist, bei der die Betrachter auf sich selbst zurückgeworfen sind, um die Grenzen zwischen Imagination und Imago, zwischen Einbildungskraft und Bild durchlässig zu machen. Auf diese Weise sucht Longs Bildproduktion selbst Sichtbarkeiten zu präsentieren. Die Fotografien von den Wanderungen können daher als autonome Aufnahmen mit arbiträren Ähnlichkeiten und Differenzen zu den Landschaften, die der Künstler durchquert hat, verstanden werden. Nicht von ungefähr sind Longs Aufnahmen fast immer menschenleere Szenerien; Landschaften, in denen sich das Zusammenspiel von Fläche und Farbe weit entfernt von den Mustern einer romantischen Selbstvergewisserung vollzieht, aber nah genug an die Möglichkeit heranführt, Bilder so zu kontemplieren, dass ihre Wirkung durch die Einbildungskraft unvorhersehbar ist. 12 Richard Long: Mirage, München 1997, S. 12. 13 Ebd., S. 13.
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3. Border Crossing. Projektion und Raumkonstitution Francis Alÿs’ künstlerische Arbeit hat sich in Bezug zu seinem unmittelbaren Lebensraum – den Spaziergängen von seinem Atelier in Mexico City aus – entwickelt. Immer wieder durchstreift der Künstler seine Wahlheimat und dokumentiert das alltägliche Leben, das er dort vorfindet: etwa Hunde, schlafende Obdachlose oder Menschen, die als Straßenhändler und Lasten schleppende Hilfsarbeiter arbeiten. Bei seinen Streifzügen ließ Alÿs einmal Farbe aus einer Dose tropfen, um Spuren seiner Route zu hinterlassen; ein anderes Mal schob er einen Eisblock durch die Stadt, bis dieser geschmolzen war und nur eine flüchtige, feuchte Spur hinterließ. Der Europäer, genauer gebürtige Belgier Alÿs, lässt sich immer neu auf seine fremd/ vertraute Umgebung ein und erschließt sie sich in Paseos, seinen Spaziergängen, in deren Zusammenhang Fotografien, Gemälde, Zeichnungen, Installationen und Videos entstehen. Sie geben Zeugnis von seinen flüchtigen und vergänglichen künstlerischen Impressionen, Aktionen und Interventionen und halten auf diese Weise Spuren seiner Bewegung durch den städtischen Raum fest. Ein häufiges Motiv in seinen Arbeiten ist die Begegnung mit Hunden, die im Stadtraum umherstreunen und dort ein Stück physischer Freiheit zu genießen scheinen und dabei nicht selten auch unvorhergesehene Begegnungen und Zwischenfälle provozieren können. In Alÿs’ künstlerischen Projekten entwickeln sich aus dem performativen Akt des Gehens Begegnungen und situative Ereignisse, die nicht selten in Grenzerfahrungen münden. Sie sind auch das Zentrum des Videos El Gringo, einer Einkanal-Video installation aus dem Jahr 2003. Bei Francis Alÿs� El Gringo sind der Einsatz und die Führung der Videokamera entscheidend für die Situation, ja die Sukzession von Ereignissen, die gezeigt werden: Sie ist der Akteur in einem Szenario, das situativ durch Bewegung und Begegnung bestimmt wird. Das Video inszeniert einen Akteur als bewegliches Objekt im Raum, der selbst unsichtbar bleibt, obwohl die unmittelbare Aktion und die leibliche Präsenz des Körpers hier ganz im Vordergrund der bildlichen Sequenzen stehen. Da die Kameraführung eine Verschränkung von Auge und apparativem Gefüge als Wahrnehmungsmodell suggeriert, wird der gezeigte Ort scheinbar unmittelbar durch die laufenden Bewegungen, die lineare Richtungsnahme und die dabei entstehenden Sichtachsen erfahren. Wir, die Betrachter, können in der Projektion ‚mitgehen‘, weil wir der Illusion von Unmittelbarkeit eines scheinbar amateurhaft inszenierten Videos erliegen, das durch die Konventionen einer pseudo-dokumentarischen Ästhetik eine suggestive Wirkung entfalten mag. Und mehr noch: Alÿs inszeniert dadurch, dass er die Kamera und die Figur, welche die Kamera führt, als Eindringlinge in eine fremde Umgebung platziert, eine fundamentale Irritation in das szenische Raumgefüge, die nicht asphaltierte Straße eines mexikanischen Dorfes. Dort ist die Bewegung des Gehens nicht selbstverständlich; sie erprobt sich gewissermaßen neu an einer Grenze zu einem fremden, unbestimmten Lebensraum, in dem keine Menschen zu sehen sind und nur Hunde mit ihrem aggressiv wirkenden Gebell auf einen fremden Eindringling reagieren. Diese Konstruktion eines Bewegungs- und Begegnungsraums in El
Gehen und Sehen 281 Gringo impliziert die Möglichkeit einer Schwellenerfahrung bzw. eines liminalen Stadiums. Das Schwellenhafte kann den Betrachtern als Oszillieren zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdbeobachtung spürbar werden. Bei dem Verweis auf das liminale Stadium geht es K. Ludwig Pfeiffer zufolge grundsätzlich „weniger um rituelles oder symbolisches Verhalten [...]. In ‚Mediengesellschaften‘ neuerer wie älterer Art spielt eher die Dehnbarkeit des Liminalen auf einer ganzen Skala elementar performativer Vollzüge [...] – kurz: der Vollzug und die Fabrikation von Erfahrung – die entscheidende Rolle.“14 Ausschlaggebend an diesem Ansatz ist also nicht, dass Wahrnehmungsprozesse ritual-analogen Phasen zugeordnet sind, sondern, dass sie als Übergangsstadien oder Grenzzustände innerhalb der räumlichen Gegebenheiten wirksam werden. Eine solche Liminalität ist für die gesamte Dauer des Videos charakteristisch. Alÿs kommt also den Modalitäten des räumlichen Sichtbarseins auf die Spur, indem er mit seiner Kamerabewegung ein spezifisches Strukturmoment verbindet, nämlich eine nicht-identifizierbare Ungewissheit und Ziellosigkeit. Es geht hier also weniger um eine zielgerichtete Bewegung, eine mimetische Abbildung oder ein identifizierendes Sehen, sondern um den Prozess des Sich-Zeigens von etwas in und sich nicht-intentional Ereignens aus einer Situation. Das Video strukturiert solchermaßen die Reduktion auf die jeweilige Situiertheit des Sehaktes und das Sehen als tätige, leibgebundene Bewegung. Die Sukzession des Videos fordert eine motorische und sensorische Aufmerksamkeit für die kontinuierliche Entstehung und Auflösung von raumzeitlichen Begegnungs- und Beziehungskonstellationen, auch wenn der Bewegungsverlauf szenisch und situativ organisiert ist. Dabei gehört es zum unhinterfragten Dispositiv des Mediums Video, dass einzelne Momentaufnahmen, Bewegungsstadien, bewegte Formationen und situative Begegnungen im Mitvollzug erneut aufgeführt werden. Diese Praxis des Sehens erweist sich dabei als Genese einer Sichtbarkeit, die mal kohärent, mal instabil, ja schließlich fragil in Szene gesetzt wird und so auf die Transitorik des Sichtbarseins der Welt in der ästhetischen Bildproduktion selbst verweist. Aus diesem Zusammenspiel von räumlich-medialen Dispositiven, Kinesis und visueller Wahrnehmung (den synkinästhetischen Prozessen) resultieren also Bildsequenzen, denen ein besonderer Status zukommt. Es handelt sich um leibgebundene Ereignisbilder, die auf ein liminales Raum-Zeit-Kontinuum projiziert werden. Bernhard Waldenfels hält dazu fest: „Letzten Endes ist der Leib Ausdruck eines Zur-Weltseins meines eigenen Körpers. Von hier aus ergibt sich die wichtige Unterscheidung zwischen einer Situationsräumlichkeit und einer Positionsräumlichkeit. Die Positionsräumlichkeit verweist auf Positionen, also auf Stellen im Raum, während die Situationsräumlichkeit mit einer Situation zusammenzudenken ist.“15 Die Raumkonzeption in El Gringo ist zunächst zentralperspektivisch ausgerichtet und topologisch 14 K. Ludwig Pfeiffer: Das Mediale und das Imaginäre. Dimensionen kulturanthropologischer Medientheorie, Frankfurt am Main 1999, S. 63 f. 15 Bernhard Waldenfels: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, Frankfurt am Main 2000, S. 115.
282 Annette Jael Lehmann zentriert. Erst durch eine Intervention, einen Akt der Störung – der vermeintliche Angriff eines der Tiere – wird die Kamera zu Boden gerissen, und es entsteht für einen Moment ein ungerichteter Raum, ein „omnidirektioneller Raum“, wie ihn Gilles Deleuze nennt, „der seine Winkel und Koordinaten verändert, seine Vertikalen und Horizontalen vertauscht.“16 Durch diesen Effekt der Störung der Videoaufzeichnung verändert Alÿs die räumlichen Koordinaten seiner Paseos in einer Weise, die den Raum selbst als fluides, bewegliches und temporäres Phänomen erfahrbar macht und zugleich die Dynamik der laufenden Bewegung auf die Erfahrung in einer zweidimensionalen Bildlichkeit rückprojiziert. Elisabeth Grosz hat in Architecture from the Outside. Essays on Virtual and Real Space (2001) herausgestellt, dass Räume ähnlich wie Zeit nur durch Hilfskonstruktionen des Denkens als statisch, fixierbar oder kontinuierlich erscheinen. Tatsächlich gilt: „Space, like time, is emergence and eruption, oriented not to the ordered, the controlled, the static but to the event, to movement or action.“17 Der Bildraum in El Gringo bildet sich in diesem Sinn aufgrund der spezifischen Konfigurationen der Ereignisse aus einem vorhandenen Territorium situativ heraus. So entsteht eine spezifische „Situationsräumlichkeit“18, die mit der leiblichen Präsenz der Kameraführung der „Positionsräumlichkeit“19 zusammenhängt und schließlich auch von ihr beendet wird. Alÿs’ Produktionsästhetik lässt sich als spezifische Engführung zwischen dem vermeintlich wirklichkeitsgetreuen, performativen Bewegungsvollzug und der artifiziellen Projektion eines medial konstruierten Bewegungsbildes auf den Punkt bringen. Doch in der rekursiven Wahrnehmung, dem Entdecken und Wissen um die inszenatorischen Verfahren der Bildkonstituierung verhandeln seine Aufnahmen nicht nur die eigene Bildwerdung und das eigene Bild-Sein, sondern den Status des Bewegungsbildes als medialem Konstrukt im Allgemeinen. Die Videoaufzeichnung oszilliert dergestalt zwischen ihrem quasi medienhistorisch begründeten/erstarrten Authentizitäts- und Wahrheitsanspruch und der eigenen Verfasstheit als Resultat einer hybriden produktionsästhetischen Verschränkung von performativen Praktiken, raumkonstitutiven Projektionstechniken und impliziten metareflexiven Repräsentationsstrategien. Sie evozieren exemplarisch die Parameter der gewohnten Wahrnehmungsmuster der Wirklichkeit – und der durchaus noch gängigen Rezeptionsweise des analogen Videobildes als Wirklichkeitsausschnitt –, um sie zugleich zu unterlaufen. Damit eröffnet Alÿs seinen Betrachtern die Möglichkeit, die eigene Wahrnehmungshaltung gegenüber jedweder, vor allem auch jeglicher sozialen Wirklichkeit als unabweislich gegeben zu überprüfen. Insofern führen seine Aufnahmen nicht nur implizit thematisch auf der Ebene des Dargestellten etwas vor Augen – sei es die Domestizierung der Gewalt in der bürgerlichen Gesellschaft, die desorientierte Vereinzelung des Menschen 16 Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt am Main 1997, S. 339. 17 Elisabeth Grosz: Architecture from the Outside. Essays on Virtual and Real Space, Cambridge Mass. 2001, S. 116. 18 Waldenfels (2000), Anm. 15, S. 155. 19 Ebd., S. 155.
Gehen und Sehen 283 oder ihre subtile Beschränkung und Unterdrückung in der globalen Gesellschaft des (Post-)Kapitalismus –, sondern eröffnen mit ihrer spezifischen produktionsästhe tischen Verfasstheit eine aisthetische Reflexionsmöglichkeit über den grundsätzlichen Status und das Verhältnis von Bildproduktion, Projektion, Imagination und Wirklichkeit. Denn die Ambiguität aus fiktiven ikonischen und indexikalischen Realitätsrelikten und wirklichkeitsaffinen Projektionen, die Alÿs’ Arbeit in besonderer Weise auszeichnet und die sich oszillierend in die ästhetische Betrachtung einlässt, stellt eine konsequente Annäherung autonomer Bilder an die soziale Wirklichkeit dar. Sie ermöglichen schließlich auch einen gewandelten Modus der Selbstkonstitution im Prozess einer raum-zeitlichen Verortung, und zwar im Vollzug einer Bewegung und zugleich im Bild dieser Bewegung. Rosalind Krauss hat ein solches Selbst mit Bezug auf Merleau-Ponty als „minimalistisches Subjekt“ bezeichnet und führt aus: „Weder altes cartesianisches Subjekt, noch traditionelles biografisches Subjekt, ist das minimalistische Subjekt [...] [, es ist vielmehr] ein radikal von den Bedingungen des räumlichen Feldes abhängiges Subjekt, ein Subjekt, das sich im Akt der Wahrnehmung konstituiert, aber immer nur vorläufig, von Augenblick zu Augenblick.“20
4. Nachsätze. Stock und Leine oder Faust in der Tasche Richard Longs Wanderungen und Francis Alÿs’ Paseos verweigern und entziehen sich Diskursivierungsversuchen und setzen stattdessen auf eine unausgesprochene Komplizenschaft zwischen Körper und Blick, Bild und Kontemplation, Imagination und Projektion. Ihre Bilder sind auch Schauplätze unmöglicher Begegnungen. Sie lösen damit ein Diktum von Ludwig Wittgenstein ein, der einmal in seinem Tagebuch festhielt: „Ein Bild kann Beziehungen darstellen, die es nicht gibt!“21 Und dies wird nicht durch ein Moment der ästhetischen Distanz und Reflexion erzielt, sondern durch eine präsentische Seherfahrung. Ein solches Sehen lässt Bilder entstehen, die wie die Schlagschatten in Dantes Jenseitswanderung wirken; sie sind die Indikatoren und Spuren von dessen Lebendigkeit. Die Rolle, die Diskursivierungen für einen Zugang zu ihrer Kunst spielen, ist also höchst ambivalent. Sie kann jedoch in einer Hinsicht affirmiert werden, wie es Jean-François Chevrier in einem anderen Kontext formuliert hat: „Der Kommentar ist keine nachträgliche Überlegung zu einem separaten (und vergangenen) Werk mehr. Er spiegelt nicht mehr die Autonomie der Kunst wieder. Der Kommentar ist eine Ko-Extension zum Werk, das weder verleugnet noch negiert wird. Werk und Kommentar sind in einem einzigen Wahrnehmungsraum gleichzeitig präsent, im Raum der Information.“22 20 Rosalind E. Krauss: „Die kulturelle Logik des spätkapitalistischen Museums“ [1990], in: Texte zur Kunst 2/6 (1992), S. 131–145, hier S. 140. 21 Ludwig Wittgenstein: Tagebücher 1914–1916, Frankfurt am Main 1960, S. 95. 22 Jean-François Chevrier: „Doppelte Lesart“, in: Walker Evans & Dan Graham, Ausst.-Kat.
284 Annette Jael Lehmann Was Chevrier als den „einen Raum“ der visuellen Information bezeichnet, ist vor allem der Raum der Ausstellung, den seine Besucher begehen und dort gelenkt werden durch die jeweilige kuratorische Praxis und ihren institutionellen Rahmen. Vergleichsweise voraussetzungslos und banal erscheinen das Gehen und auch der profane Spaziergang in unserer Alltagskultur. Sie werden als solche nicht von ästhetischen oder konzeptuellen Prinzipien geleitet, auch wenn uns (vermittels der Kunst?) bewusst werden könnte, dass sie besonders geeignet wären, Raumeindrücke und räumliche Bezüge unmittelbar zu vermitteln, da Raum letztlich nur durch die eigene körperliche Bewegung erfahrbar ist. Zweifelsohne, der Spaziergang, ein Wort das vom italienischen spaziare, sich räumlich ausbreiten, sich ergehen, entlehnt ist, dient der Erbauung, der Entspannung, der Erholung (ja sogar der Heilung) oder der beobachtenden und gedankenvollen Muße. Zwar kennen wir nicht mehr das aristokratische und gesellschaftlich höchst relevante Lustwandeln in Gärten oder Parks, gehen aber wegen der frischen Luft, wegen eines Familienrituals am Sonntag oder gegebenenfalls wegen der Kinder und Hunde, die wir in gewissenhafter Regelmäßigkeit ausführen müssen, spazieren. Unseren Spaziergängen haftet also zu Recht das Etikett kleinbürgerlicher Harmlosigkeit und symbolischer Insignifikanz an. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass in einer der symbolträchtigsten deutschen Tragödien, Goethes Faust 1, ein Spaziergang, genauer, der Osterspaziergang, eine Schlüsselszene europäischer Dramatik enthält. Als Faust nämlich den festtäglichen Frühlingsspaziergang unternimmt und sich unter das promenierende Volk mischt, offenbart er nichts anderes als sein inneres Zerrissensein zwischen körperlichen und geistigen Bedürfnissen, zwischen irdischen und himmlischen Ambitionen. Und nicht zuletzt nimmt von hier aus auch alles seine dramatische Wendung, denn ein seltsamer schwarzer Pudel folgt den beiden Spaziergängern...
Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster u. a., Rotterdam u. a. 1992, S. 39.
Eva Ehninger
360° Landschaftsprojektionen und ihr bildkritisches Potenzial
„It appears that abstraction and nature are merging in art, and that the synthesizer is the camera.“ Robert Smithson, Art through the Camera’s Eye (1971) 1969 produzierte Walter De Maria eine filmische Arbeit, deren Titel wie die Anleitung zu einer Zeichenübung klingt: Two Lines Three Circles on the Desert.1 Tatsächlich ging dem Film ab 1961 eine intensive zeichnerische Vorarbeit voraus. Aus diesen Zeichnungen geht hervor, dass De Maria zunächst mit zwei drei bis vier Meter hohen Mauern, die in einem Abstand von zweieinhalb bis vier Metern zueinander errichtet werden sollten, einen Weg durch die Wüste definieren wollte.2 Die Ausrichtung dieses Durchgangs von einer Meile Länge wäre arbiträr, würde er nicht zwei bestehende Orte miteinander verbinden, und sollte zu keinem Ziel führen. Ähnlich 1
2
Wassily Kandinsky hatte 1926 in seiner Funktion als Lehrer am Bauhaus das Handbuch Punkt und Linie zur Fläche herausgegeben, in dem er detailliert beschreibt, wie derartige grafische Gestaltungselemente auf einer Grundfläche durch ihre unterschiedliche formale Gewichtung räumliche Beziehungen eingehen und einen Wahrnehmungsprozess auslösen. Wassily Kandinsky: Punkt und Linie zur Fläche, hg. v. Max Bill, Bern 1955. Michael Snow, dessen Film La Région Centrale (CA 1971) in diesem Essay diskutiert wird, nennt Kandinskys Texte als einflussreiche Quelle für seine künstlerische Entwicklung: „I had a wonderful teacher […] who encouraged my painting and suggested things for me to see and books to read (e.g. Mondrian and Kandinsky’s writings).“ Willie Varela: „Canada’s Multimedia Master: An E-Mail-Interview with Michael Snow“, in: Journal of Film and Video 57/1–2 (2005), S. 23–32, hier S. 23. De Maria beschreibt in seinem Artikel zur 1977 fertiggestellten Installation The Lightning Field diese Zeichnungen als seine erste künstlerische Auseinandersetzung mit dem Naturraum: „The earliest manifestation of land art was represented in the drawings and plans for the Mile-Long Parallel Walls in the Desert, 1961–1963.“ Walter De Maria: „Some Facts, Notes, Data, Information, Statistics and Statements“, in: Artforum 18/8 (1980), S. 52–59, hier S. 58.
286 Eva Ehninger abstrakt wie das geplante Bauprojekt sind auch die zugehörigen Zeichnungen; eine Mehrzahl von ihnen zeigt lediglich zwei parallele Bleistiftstriche auf einem ansonsten leeren Blatt Papier. 1968 führte De Maria dieses Konzept als ephemere Studie in der Mojave-Wüste im Südwesten der USA aus. Mit Mile-Long Parallel Drawing realisierte er die geplanten parallelen Wände als Kreidezeichnung auf dem Wüstenboden. Welche Konsequenzen hat diese Projektion der beiden Bleistiftgeraden in die Horizontale und das Ersetzen der zeichnerischen Grundfläche durch eine horizontale Bodenfläche, auf der man sich bewegen kann? Robert Morris zufolge, der 1975 in seinem Essay für Artforum eine erste kritische Einordnung der Land Art-Projekte anbietet, motiviert diese Übertragung von der Vertikalen in die Horizontale eine Reflexion einer menschlichen Wahrnehmungskonvention, die das Gesehene zwangsläufig auf eine vertikale Ebene projiziert. Jede visuelle Erfahrung, so Morris, werde auf diese gedachte Fläche transferiert, die zwischen dem Betrachter und der Welt aufgespannt sei. Der Kunst des 20. Jahrhunderts wirft er vor, diese cartesianische Projektion der Welt weiterhin zu konservieren.3 In den Installationen der Land Art hingegen sei diese Konvention bildhafter Wahrnehmung aufgesprengt. Die Markierungen auf dem Wüstenboden würden sich zwar faktisch in den Raum hinein erstrecken, seien aber gleichzeitig im Feld der Wahrnehmung verortet. Sie vermittelten zwischen dem vertikal aufragenden Wahrnehmungsfeld und dem unendlich sich ausbreitenden Naturraum.4 De Marias pfeilgerader Weg wirkt beinahe wie eine Karikatur der althergebrachten perspektivischen Darstellung des illusionistischen Bildraumes mit Hilfe eines sich durch ihn windenden Pfades oder Flusses. Die Möglichkeit, den Weg durch den Wüstenraum zu beschreiten, seine Konzeption durch zwei parallele Geraden körperlich zu erfahren, sein physisches Ende zu erreichen und zurückblickend eine spiegelbildliche Projektion desselben Weges zu sehen, erlaubt – folgt man Morris’ These – eine Reflexion der bildlich geprägten Konvention menschlicher Wahrnehmung. 3
4
„All twentieth-century art seems compelled by a type of Cartesian projection which will net every visual experience by a vertical plane interposed between the viewer and the world. We expect to encounter objects which will block our vision at a relatively close range. Seeing is directed straight out, 90° to the wall or at an object never far from a wall. The pervasive spatial context is one of room space with its strongly accentuated divisions between vertical and horizontal […].“ Robert Morris: „Aligned With Nazca“, in: Artforum 14/2 (1975), S. 26–39, hier S. 33. Allan Kaprow vollzieht in einem Kommentar zu Morris’ früheren Schriften den naheliegenden Analogieschluß zwischen der gedachten Projektionsfläche und der durch die Raumstruktur vorgegebenen Wandfläche: „Most humans, it seems, still put up fences around their acts and thoughts […] for they have no other way of deliminating them. […] our cultural training has been so deeply ingrained that we have simply carried a mental rectangle with us to drop around whatever we are doing. […] It will be a while before anyone will be able to work equally with or without geometry as a defining mechanism.“ Allan Kaprow: „The Shape of the Art Environment“, in: Artforum 6/10 (1968), S. 32–33, hier S. 32. „The lines are both markings and constructed excavations which nominally occupy the horizontal but are located within a perceptual vertical as well. […] the flat and the spatial are mediated. […] the lines work towards this mediation.“ Morris (1975), Anm. 3, S. 38.
360° 287 De Marias Werk endet allerdings an dieser Stelle nicht. Er nutzt die Kreidezeichnung auf dem Wüstenboden zusätzlich für eine filmische Evaluation der räumlichen Projektion einer Zeichnung und der Auswirkungen dieser Projektion auf den individuellen Wahrnehmungsprozess. Two Lines Three Circles on the Desert beginnt mit einer statischen Rückenansicht des Künstlers, der zwischen den parallelen weißen Linien Abb. 1 : Walter De Maria, Two Lines steht, die am Horizont zusammenlaufen Three Circles on the Desert, 1969, Filmstill, (Abb. 1).5 Dann beginnen zwei ineinander Gerry Schum, Fernsehgalerie – Land Art, verschränkte, aber voneinander unabhän- Erstausstrahlung 15.04.1969. gige Bewegungsabläufe. De Maria entfernt sich zügigen Schrittes vom Kamerastandort, während die Kamera sich dreimal horizontal rechtsdrehend langsam um ihre eigene Achse bewegt. Wenn sie nach ihrer dritten Drehung wieder in der zentralen Einstellung auf den in die Landschaft fluchtenden ‚Weg‘ zum Stillstand kommt, ist De Maria in der Ferne nicht mehr zu sehen. Das kritische Potenzial der Kreidemarkierung bezüglich einer durch das Dispositiv des Bildes geprägten Wahrnehmungskonstruktion wird durch den Transfer in das filmische Medium – die gedachte Projektion ist durch ihre Verfilmung verdoppelt ins Bild gesetzt – noch geschärft. Zwei filmspezifische Qualitäten sind dafür verantwortlich. Erstens bildet die Fahrt der Kamera entlang des Kreises nicht nur ihre eigene, zirkuläre Form ab, sondern auch den sie umgebenden aber von ihrem Standpunkt differenzierten Naturraum. Die Drehung um 360°, die zudem dreimal wiederholt wird, vermittelt den Anspruch einer vollständigen Dokumentation der Umgebung. Allerdings limitiert die Kadrierung des Kamerabildes den Landschafts5
Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass De Marias Film in der Literatur unterschiedlich betitelt ist. Er wird entweder Two Lines Three Circles on the Desert oder Two Lines Three Circles in the Desert genannt. Die erste Version findet sich im Inhaltsverzeichnis der Fernsehgalerie – Land Art von Gerry Schum, für die der Film ursprünglich produziert wurde. Sie zeigt den zeichnerischen Impetus des Werkes an: Der Wüstenboden ist Untergrund, auf dem die geometrischen Formen aufgetragen werden. Die zweite Bezeichnung hingegen versteht die Wüste als Ort, in dem man sich aufhält. Für die Dokumentation der Fernsehausstellung siehe Gerry Schum/Ursula Schum-Evers (Hg): Land Art. Long, Flanagan, Oppenheim, Smithson, Boezem, Dibbets, De Maria, Heizer, Hannover 1970. Für eine kritische Aufarbeitung dieses Projekts, das insbesondere durch seine Platzierung im öffentlichen Fernsehen besticht, siehe Christiane Fricke: „Dies alles Herzchen wird einmal Dir gehören.“ Die Fernsehgalerie Gerry Schum, 1968–1970 und die Produktionen der Videogalerie Schum, 1970–73 (= Europäische Hochschulschriften, Bd. 269), Frankfurt am Main 1996. Zum Fernsehen, das durch seine Einbindung in private räumliche Kontexte ein besonderes kritisches Potenzial für die Kunst der 1970er-Jahre darstellte, siehe Anna McCarthy: „From Screen to Site: Television’s Material Culture, and Its Place“, in: October 98 (2001), S. 93–111.
288 Eva Ehninger ausschnitt. Die entlang des Kreises aufgenommene, schwarz-weiße Wüstenlandschaft wirkt durch diese Beschränkung auf das Rechteck der Kamera wie ein Panoramabild, das durch den Bildausschnitt gezogen wird.6 Einem Überblick über den gegebenen Raum und einer Vorstellung von seiner dreidimensionalen Ausdehnung wirkt die Filmtechnik somit selbst entgegen. Nur in jenen Momenten, in denen die Kamera wieder an ihren Ausgangspunkt gelangt und den sich entfernenden Künstler aufnimmt, springt die Ausdehnung der abgebildeten Wüste als solche ins Auge. Dann lässt sich der gesehene Raum kurzfristig zwischen dem Kamerastandort und dem Endpunkt der Geraden aufspannen.7 Morris’ Vorstellung von der immanenten Reflexion der Wahrnehmungskonvention durch eine gleichzeitige horizontale und vertikale Ausrichtung der Land Art ist in De Marias filmischer Arbeit nachvollziehbar: Das bewegte Bild gibt den Anschein der 360°-Dokumentation eines realen Tiefenraumes, setzt aber gleichzeitig seine Projektion auf eine Wandfläche in Szene. Ein zweites filmisches Charakteristikum, das die in den Land Art-Installationen immanente Reflexion bildlicher Wahrnehmungskonventionen als solche thematisiert, ist die statische Verortung des Filmzuschauers vor der Leinwand bei seiner gleichzeitigen illusionistischen Einbindung in den filmisch konstruierten Raum. Grundsätzlich sind im Film Bewegung und Perspektivwechsel vollständig an die technischen Möglichkeiten der Kamera – ihre Führung, Kadrierung und den Filmschnitt – gebunden. Sie beruhen auf keiner körperlichen Aktivität des Zuschauers.8 6
Derartige Panoramen, die vor den Publikumsrängen entlang einer Wandfläche abgerollt wurden, waren im 19. Jahrhundert ein verbreitetes Format. Zur Geschichte des Panoramas siehe Albrecht Koschorke: „Das Panorama – Anfänge der Modernen Sehmotorik“, in: Harro Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens – Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst (= Mediengeschichte des Films, Bd. 1), München 1996, S. 149–169. In den U.S.A. wurde dieses sogenannte ,moving panorama‘ ab 1828 immer beliebter, denn es löste die Problematik des 360°-Panoramas, das an spezifischen Orten fest installiert war und deshalb nur für ein limitiertes urbanes Publikum zugänglich war. Scott MacDonald: The Garden in the Machine. A Field Guide to Independent Film about Place, Berkeley 2001, S. 15. Analogien zwischen dem ,moving panorama‘ und dem modernen ,motion picture‘ wurden seit den 1960er-Jahren regelmäßig wahrgenommen. Siehe z. B. Charlotte Willard: „Panoramas, the First Movies“, in: Art in America 47/4 (1959), S. 64–69; Barbara Novak: Nature and Culture: American Landscape Painting, 1825–1875, New York 1980, S. 20; Ellwood C. Parry: The Art of Thomas Cole: Ambition and Imagination, Newark 1988, S. 124 f. 7 Die Wahrnehmung wechselt – um das Filmvokabular zu nutzen – zwischen ‚travelling shot‘ und Schwenk hin und her. 8 Der Zuschauer ist einerseits in den filmischen Raum eingewoben. Die Bewegung der Kamera, die Rahmung der Einzelbilder, der Schnitt und die dadurch entstehenden räumlichen Brechungen produzieren eine Leerstelle, die er einnimmt. Im Prozess der Realisierung des filmischen Raumes wird er so selbst zum Subjekt und ist in dem Moment, in dem er diese Stelle besetzt, ‚blind‘ für die illusionistische Konstruktion filmischer Realität. Andererseits bleibt der Film aber immer als ‚Bild‘ erkennbar – als rechteckige Lichtprojektion auf einer zweidimensionalen Leinwand, die es zu betrachten gilt. Stephen Heath nennt diese Ambiguität der filmischen Wahrnehmung in seinem Artikel „Narrative Space“ den „in-between status of film“: „Film gives simultaneously the effect of
360° 289 Diese Spannung zwischen illusionistischer Bewegung und realer Statik ist in De Marias Film durch den 360°-Schwenk regelrecht in Szene gesetzt: Der Standpunkt des Zuschauers wird auf der Fläche des durch die kreisende Kamera definierten und gleichzeitig aus dem von ihr produzierten Bild ausgesparten Kreises verortet. Der Zuschauer ist nicht in der Lage, den Standort zu wechseln und sich – wie De Maria selbst – den Raum in der Bewegung entlang der Geraden zu erschließen. Er ist auf die zirkuläre Fahrt der Kamera angewiesen und vollzieht ihre auf diesen Standort limitierte Bilderfolge nach. Man ist konfrontiert mit der zweidimensionalen Projektion der vom Künstler vorgeführten Übung der Raumwahrnehmung, kann aber nicht daran teilnehmen, obwohl der 360°-Schwenk den individuellen Zuschauer konzeptuell so eng wie nur möglich in die filmische Raumproduktion einbindet. Die Fiktion des filmischen Raumes wird gerade im scheinbar objektiven Abbildungscharakter des Schwenks überdeutlich. Während man konventionell mit einem Panoramabild die Dokumentation einer Landschaft verbindet, ist das real produzierte und filmisch abgebildete Panorama der entleerten Wüstenlandschaft in erster Linie visuell überfordernd. Denn das entmaterialisierte Licht-Bild, das auf die Leinwand geworfen wird, bewegt sich. Es erlaubt dadurch gerade keine Distanz zum Gesehenen und keine Festlegung auf eine allgemeingültige Perspektive. Es führt weniger zu einer Erschließung der amorphen Wüstenlandschaft, als vielmehr zur Dynamisierung und Reflexion der eigenen Wahrnehmungsleistung. Die von Morris kritisch als bildliche Norm beschriebene Projektion des gesehenen Raumes auf eine vertikale Fläche wird hier mit filmischen Mitteln sowohl als Konvention entlarvt als auch verunmöglicht. Ich möchte im Folgenden mein Augenmerk auf jenes Phänomen in den fil mischen Arbeiten der Land Art-Künstler richten, das der zweidimensionalen Projektion des Naturraums im Bild mit aller Kraft zuwiderläuft: den 360°-Schwenk. Mich interessiert dabei, inwiefern die Projektion dieser Bewegung um die eigene Achse, die häufig mit der Achse des Zuschauers zusammenfällt, die in den Außenrauminstallationen immanente Kritik bildhaft geprägter Wahrnehmungskonventionen auch im abgedunkelten Galerieraum verankert.9 Zudem erlaubt die Konzentration auf
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an actual happening and of a picture.“ Stephen Heath: „Narrative Space”, in: Screen 17/3 (1976), S. 68–112, hier S. 87. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem ideologischen Gewicht von ‚screen‘ und ‚frame‘ siehe auch ders.: „On screen, in frame: film and ideology“, in: Quarterly Review of Film Studies, 1/3 (1976), S. 251–265. Das Konzept der ‚suture‘, die den Zuschauer in das Filmgeschehen einnäht, ohne dass er eine aktive Rolle einnehmen kann, wurde 1969 von Jean-Pierre Oudart erstmals aus der Psychoanalyse auf die Filmtheorie übertragen. Jean-Pierre Oudart: „La Suture“, in: Cahiers du cinéma 211 (1969), S. 36–39. Heath kommentierte diesen Ansatz ausführlich für die englischsprachige Filmwissenschaft. Stephen Heath: „Notes on Suture“, in: Screen 28/4 (1977/78), S. 48–76. Es geht mir also weniger darum, den weiterhin nicht beigelegten Streit um den Status der filmischen Arbeiten in der Land Art weiter auszufechten, wobei mein Argument, dass die filmischen Arbeiten medienspezifisch eine ähnliche Bildkritik vorführen wie die Land Art-Installationen selbst, für ihre konzeptuelle und ästhetische Selbständigkeit und gegen den reinen Dokumentationsstatus spricht. Auch die These, die im Außenraum realisierten Installationen hätten selbst para-cinematische Merkmale und lösten
290 Eva Ehninger das filmische Gestaltungsmittel des Schwenks den Vergleich mit Arbeiten anderer Künstler des Post-Minimalismus und relativiert damit die Einordnung der Filme De Marias, Robert Smithsons oder Nancy Holts in die Kategorie der Land Art. Die filmisch formulierte Kritik an konventionellen Wahrnehmungsmechanismen mit Hilfe der Landschaft als Standort und Motiv verbindet eine ganze Reihe von Künstlern der späten 1960er und frühen 1970er-Jahre.10
Panorama auf der Horizontalen und Vertikalen: Die Dokumentation visuellen Scheiterns Die Vorstellung, dass der 360°-Schwenk die filmische Raumdarstellung unterläuft anstatt sie zu stützen, mag zunächst kontra-intuitiv erscheinen. Im klassischen Erzählkino wird aber der scheinbar bruchlose illusionistische Filmraum gerade mit Hilfe von invasiven Gestaltungsmitteln konstruiert – insbesondere dem Schnitt. Der ungeschnittene dokumentarische Schwenk um die eigene Achse macht hingegen die Parameter der filmischen Aufzeichnung ebenso wie die in der Apparatur angelegten Limitierungen sichtbar. Ohne den Schnitt kann die Kamera den Raum nicht in seiner Gesamtheit (re-)konstruieren.11 Ihr Scheitern wird zum Scheitern des Publikums – und zum Faszinosum für Künstler wie beispielsweise Robert Smithson. filmisch informierte Wahrnehmungsprozesse aus, möchte ich in diesem Rahmen nicht weiter verfolgen. Diesem Argument bin ich in meinem Artikel „Die Land Art als Film. Parallelen der Raumkonstruktion in Land Art und Film bei Walter De Maria und Robert Smithson“, in: ZÄK 55/1 (2010), S. 109–127 im Rahmen einer parallelen Analyse beider Medien nachgegangen; siehe auch: Eva Ehninger: Vom Farbfeld zur Land Art. Ortsgebundenheit in der amerikanischen Kunst, 1950–70, München 2013. 10 Den kritischen Impetus des post-minimalistischen Raumverständnisses gegenüber zentralperspektivischen Wahrnehmungskonventionen formuliert Eric de Bruyn in „Topological Pathways of Post-Minimalism“, in: Grey Room 25 (2006), S. 32–63, hier S. 34: „In such a topological space no fixed boundaries and no central position of focus are available to the observer.“ De Bruyn entwickelt seine Definition im Rahmen einer Analyse von Dan Grahams Arbeiten, die auch in diesem Essay eine Rolle spielen werden. 11 Die vermeintliche Reduktion auf Faktizität und der Verzicht auf einen gestalterischen Impetus führen die Kontingenz der produzierten ,Dokumentation‘ um so deutlicher vor Augen. Martino Stierli diskutiert diese „Rhetorik der Objektivität“, die er mit dem Begriff des „deadpanning“ fasst, in einer Analyse von Ed Ruschas Fotocollage Every Building on the Sunset Strip (1966). Hier führt die Collage von Einzelfotografien zu einem Film-ähnlichen ‚strip‘ eine vielschichtige Kritik am dokumentarischen Anspruch der Fotografie vor. Vgl. Martino Stierli: Las Vegas im Rückspiegel. Die Stadt in Theorie, Fotografie und Film, Zürich 2010, S. 135–140. Vgl. Gregor Stemmrich wiederum erkennt eine Parallele zwischen Ruschas Überführung einzelner ‚Stills‘ in den Eindruck eines Films und Robert Smithsons Beschreibungen der Realität als Kinoerfahrung, beispielsweise in dessen Artikel „The Monuments of Passaic“ (1967). Gregor Stemmrich: „Bilder, die nicht laufen wollen. Zum Spannungsfeld des Kinematographischen und Fotografischen bei Jeff Wall“, in: Ursula Frohne/Lilian Haberer (Hg.): Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst, München 2012, S. 515–540, hier S. 524.
360° 291 Smithson drehte die Filmskizze Swamp 1971 gemeinsam mit seiner Frau Nancy Holt in einem Sumpf im Bundesstaat New Jersey, nicht weit von New York City. In dem 6-minütigen Film trägt Holt auf Augenhöhe eine Kamera durch das sumpfige Marschland. Ihre Bewegungen folgen den mündlichen Anweisungen Smithsons, der sie auffordert, sich einen Weg durch die dicht mit übermannshohen Gräsern bewachsene Sumpflandschaft zu bahnen. Holt, die durch die Kamera vor ihren Augen noch zusätzlich behindert ist, verliert schnell die Orientierung. Ihr suchender, umherirrender Blick wird direkt abgebildet – es ist gleichzeitig der Blick des Filmzuschauers. Holts Frustration und Verunsicherung über die Verunklärung ihrer Sicht spiegelt sich nicht nur in den Kommentaren auf der Tonspur, sondern auch in ihren hektischen Kopf- beziehungsweise Kamerabewegungen, ihrer Drehung um die eigene Körperachse.12 In extremer Nahsicht fängt sie die Vegetation des Sumpfes ein; die vertikal aufragenden Gräser ergeben dabei ein abstraktes Muster, ihr dichtes Geflecht ist nicht zu umgehen, es verstellt ständig Weg und Sicht. Auch als Holt am Ende des Films eine kleine Lichtung erreicht, stellt sich kein Überblick über ihre räumliche Situierung ein, denn Smithson weist sie an, die Kamera auf das Marschland unterhalb der Horizontlinie zu richten. Ohne die Option der Distanznahme bleibt Holts visuelle Erschließung des Naturraums partiell und fragmentarisch. Swamp demonstriert eine Relati vierung der Erkenntnisfunktion des Blickes (Abb. 2). Die visuelle Wahrnehmung ist überfordert vom vorgestellten Naturraum, denn sie kann ihn trotz verbaler Anleitung und der mechanisch-objektiven Bildübertragung durch die Kamera nicht in seiner Vollständigkeit erfassen. Die visuelle Distanz, die als konstitutives Charakteristikum für das menschliche Sehen gilt, kann nicht aufgebaut werden, denn das Publikum ist an Holts hilflose, suchende Drehung um sich selbst gebunden. Trotz seiner geographischen Distanz zum tatsächlichen Geschehen bleibt der Filmzuschauer in der Perspektive des Teilnehmenden verhaftet. Swamp ging nicht aus einer zuvor reali- Abb. 2: Nancy Holt/Robert Smithson, sierten Land Art-Installation hervor.13 Das Swamp, 1971, Filmstill. 12 Inwieweit Holt eine vollständige 360°-Drehung vorführt, ist schwer nachvollziehbar, da ihre schnellen Bewegungen eine häufig unscharfe Bildgebung zur Folge haben. Auffällig ist aber, dass Smithson zu keinem Zeitpunkt im Kamerabild erscheint, obwohl Holt sich seiner Stimme zuzuwenden scheint. 13 Gemeinsam mit der Skizzenhaftigkeit des Films ist diese fehlende Anbindung an eine Installation möglichweise verantwortlich für das relative Desinteresse, das dieser Arbeit bislang seitens der Forschung zuteil wurde. Lediglich in dem kürzlich publizierten Katalog zur ersten Holt-Retrospektive wird dem Film etwas Aufmerksamkeit zuteil. Siehe Pamela M. Lee: „Art as a Social System: Nancy Holt and the Second-Order Observer,“ in: Alena J. Williams (Hg.): Nancy Holt. Sightlines, Ausst.-Kat. Graham Foundation for
292 Eva Ehninger Gestaltungsmittel des 360°-Schwenks zum konzeptuellen Aufrufen eines panoramischen Überblicks und seines gleichzeitigen Scheiterns findet sich aber auch in Smithsons Film zu seinem wohl bekanntesten Land Art-Projekt, der Spiral Jetty, der ein Jahr zuvor entstand. Nachdem im ersten Teil des Spiral Jetty-Films das Making-of der Spirale relativ konventionell dokumentiert wird14, wechselt später die Perspektive vom Boden in die Luft. Alle folgenden Einstellungen werden aus dem Hubschrauber gefilmt. Zunächst folgt die Kamerabewegung der Drehung der Spirale gegen den Uhrzeigersinn und zeigt deren Form in verschiedenen Ausschnitten, indem sie mehrmals heran- und hinauszoomt. Währenddessen nennt Smithson in monotoner Stimme diejenigen Elemente, die sich vor dem Besucher bei seinem Gang entlang der Spirale in jeder Himmelsrichtung ausbreiten: „mud, salt crystals, rocks, water“. Diese Litanei setzt der Künstler selbst um, indem er sich von hinten filmen lässt, während er die Spiral Jetty abschreitet. Die Kamera ist zu jedem Zeitpunkt im Rücken des Künstlers, sie nimmt erst in jenem Moment Abstand, in dem Smithson den Mittelpunkt der Spirale erreicht hat.15 Die eben vorgeführte Bewegung wiederholt sich daraufhin noch einmal ohne den Protagonisten und in entgegengesetzter Richtung. Zunächst folgt der Hubschrauber dem Verlauf der Spirale, doch die Bewegungen der Kamera werden nach und nach immer unkontrollierter, schneller und unvorhersehbarer. Schnell verliert man die Orientierung, und es ist nicht mehr nachvollziehbar, über welchen Punkt der Spirale die Kamera hinweggleitet. Sie zoomt hinein und hinaus, dreht sich um die eigene Achse und erreicht damit eine größtmögliche Verunklärung der räumlichen Gegebenheiten. Unterstützt wird diese Orientierungslosigkeit des Filmpublikums dadurch, dass das gleißende Sonnenlicht die Horizontlinie verschwinden lässt und die spiegelnde Wasseroberfläche vom Himmel nicht mehr zu unterscheiden ist (Abb. 3).16 Smithson führt mit Spirale und Film zwei gegensätzliche Raumerfahrungen vor: Die Perspektive des Besuchers auf der Spiral Jetty ist erstens horizontal ausgerichtet und zweitens ungebrochen, ihr bietet sich in dreimaliger Wiederholung das PanoraAdvanced Studies in the Fine Arts, Chicago, Berkeley 2012, S. 39–57. 14 Smithson verzichtet allerdings auf ein erklärendes Voice over und lässt stattdessen die Handlungen des Protagonisten und die Arbeit der schweren Maschinen für sich selbst sprechen. Außerdem sind kurze filmische Sequenzen sowie abgefilmtes Bildmaterial collageartig in diesen ersten Abschnitt eingefügt. Für eine detaillierte Beschreibung siehe Eva Schmidt: Zwischen Kino, Landschaft und Museum – Erfahrung und Fiktion im Werk von Robert Smithson (1938–1973), Frankfurt am Main 1995, S. 75–80. 15 Mit dieser Szene zitiert Smithson einen Hollywood-Klassiker. Er imitiert Cary Grants Verfolgung durch ein Flugzeug in Alfred Hitchcocks North by Northwest (1959). Smithson scheint mit seiner Litanei auch auf den Titel dieses Filmes anzuspielen. Ein Abdruck seines „Gedichtes“ findet sich in seinem Text zur Spiral Jetty (1972), in: Robert Smithson. The Collected Writings, hg. v. Jack Flam, Berkeley u. a. 1996, S. 143–153, hier S. 149. 16 Smithson schreibt diesbezüglich: „The sites in films are not to be located or trusted. All is out of proportion. Scale inflates or deflates into uneasy dimensions. We wander between the towering and the bottomless.“ Robert Smithson: „A Cinematic Atopia“ (1971), in: Flam (1996), Anm. 15, S. 138–142, S. 141.
360° 293
Abb. 3: Robert Smithson, Spiral Jetty, 1970, Filmstill.
ma einer öden Wüstenlandschaft. Diejenige, welche die Kamera produziert, ist zumeist vertikal ausgerichtet, ihre Größenverhältnisse sind durch die stete Verwendung des Zooms verunklärt, und sie ist radikal fragmentiert. Gerade durch diesen Gegensatz wird aber evident, dass Smithson die filmischen Mittel des Schnitts, Zooms, Ausschnitts und der Kamerafahrt nutzt, um die multiperspektivische Raumerfahrung, die er für den Besucher seiner Außenrauminstallation antizipiert, nicht nur im filmischen Medium, sondern mit filmspezifischen Techniken, darzustellen.17 Auch ohne eine eigenständige, separat betret- und betrachtbare Land Art-Installation kann Swamp in ähnlicher Weise als filmische Auseinandersetzung mit dem Wahrnehmungsprozess auf der Ebene verstanden werden. Im Spiral Jetty-Film kippt die Ebene der Landschaft durch die eingenommene Vogelperspektive in die Vertikale und verwandelt den spiralförmigen Pfad in eine geometrische Form auf der spiegelnden Grundfläche des Salzsees. In Swamp ist hingegen der Blick der Besucherin und des Publikums durch das vertikale Muster des Schilfes verstellt, das die gesamte ,Bildfläche‘ ausfüllt. 17 Wie eng für Smithson die Beziehung seiner Installation am Ufer des großen Salzsees zu ihrer filmischen Umsetzung war, wird an einem nicht realisierten Vorhaben deutlich, das der Künstler 1971 in einigen Skizzen festgehalten hat. Smithson plante einen Schauraum eigens für den parallel zur Installation entstandenen Film. Das unterirdische Kino sollte in direkter Nachbarschaft zur Steinspirale realisiert werden. Der Film war für Smithson somit ein der monumentalen Steinspirale ebenbürtiges Parallelprojekt, die Wahrnehmungsprozesse auf der Installation wurden im filmischen Medium reflektiert.
294 Eva Ehninger Während bei De Maria die ruhige Kamerafahrt entlang des Wüstenpanoramas und der wiederholte Referenzpunkt der Geraden dem Betrachter eine zumindest kurzfristige Rekonstruktion der Raumsituation erlauben, nutzt Smithson die erratisch kreisende Kamera, um eine Wiederherstellung des betrachteten Raums unmöglich zu machen und durch Einzelimpressionen zu ersetzen, die sich nicht zu einem Gesamteindruck zusammensetzen lassen.18 Im Film zur Spiral Jetty ist es die Vogelperspektive und in Swamp die extreme Nahsicht der Kamera, die einen horizontal sich erstreckenden Naturraum – Wüste und Sumpf – als abstraktes ,Bild‘ erscheinen lassen: Abstraktion und Natur treffen sich, wie Smithson selbst formuliert, in der filmischen Bildkritik und der Auflösung einer verbindlichen Perspektive.19
Vor der Leinwand und im Zentrum des Kreises: Die Verortung des Zuschauers Während Smithson auf den Spiral Jetty-Film, der noch Zitate großer Hollywoodklassiker und Möglichkeiten narrativer Zusammenhänge bietet, mit Swamp eine rein konzeptuelle Wahrnehmungsübung folgen lässt, geht De Maria den umgekehrten Weg. Er produziert nach der anfangs besprochenen filmischen Bearbeitung seiner Kreidezeichnung in der Wüste eine filmische Arbeit, in der er intensiv mit Versatzstücken aus dem klassischen Erzählkino arbeitet: Hard Core (1969).20 Beide Künstler formulieren in ihren Filmen eine Kritik am Erzählkino und seinen für den visuellen Konsum produzierten Illusionsräumen.21 In De Marias Hard Core ist diese 18 Eine derartige filmische Appropriation des Panoramas mit Hilfe des 360°-Schwenks verdeutlicht umgekehrt die schon im Panorama des 19. Jahrhunderts angelegte Reflexion von Wahrnehmungskonventionen. Das Panorama erlaubte zwar vermeintlich einen vollständigen Überblick über die dargestellte Stadtansicht oder Landschaft, tatsächlich basierte seine Autorität aber gerade auf den Grenzen subjektiven Sehens, denn es war nur fragmentarisch konsumierbar und musste kognitiv aus Einzelbildern zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Siehe Jonathan Crary: „Géricault, the Panorama, and Sites of Reality in the Early Nineteenth Century“, in: Grey Room 9 (2002), S. 5–25. 19 Vgl. Robert Smithson: „Art through the camera’s eye“ (1971), in: Flam (1996), Anm. 15, S. 371–375, hier S. 374. 20 Beide Künstler produzieren ihre zweiten Filme unabhängig von einer Außenrauminstallation und in Eigenregie. Das ist für De Maria ungewöhnlicher als für Smithson, der schon früher mit dem filmischen Medium experimentiert hatte, z. B. für die Dokumentation seines Schüttwerks Asphalt Rundown (1969). 21 Smithson äußert seine Frustration über die Massenproduktion Hollywoods 1971 in seinem Text „A Cinematic Atopia“ (1971): „A notion of the abstractness of films crosses my mind, only to be swallowed up in a morass of Hollywood garbage. A pure film of lights and darks slips into a dim landscape of countless westerns. Some sagebrush here, a little cactus there, trails and hoofbeats going nowhere. The thought of a film with a ‚story‘ makes me listless. How many stories have I seen on the screen? All those ‚characters‘ carrying out dumb tasks. Actors doing exciting things. It’s enough to put one into a permanent coma.“ Flam (1996), Anm. 15, S. 138. Vgl. auch Anm. 16.
360° 295 Kritik in erster Linie dadurch erreicht, dass der Zuschauer strukturell im Filmraum verortet wird, aber gleichzeitig mit der fehlenden Logik dieses Raumes konfrontiert ist – sowohl was die räumliche als auch was die narrative Konstruktion angeht. Wichtigstes formales Gestaltungsmittel für diese ,surreale‘ Raumstruktur ist wiederum der 360°-Schwenk. Wollte man Hard Core einem konventionellen Filmgenre zurechnen, so müsste man ihn als Western bezeichnen, denn auf der Narrationsebene zitiert der 28-minütige Streifen eine High Noon-Szene. In der öden Weite des amerikanischen Westens stehen sich schweigend zwei Cowboys gegenüber, die Sonne brennt vom Himmel, der Wind pfeift, dann werden die Colts gezogen. Der Handlungsraum wird zu keinem Zeitpunkt in seiner Gesamtheit präsentiert, stattdessen besteht der Film zum größten Teil aus einer Panoramaaufnahme der umgebenden Wüste aus der Perspektive der Protagonisten. Da der Film mit dieser Einstellung auf die Landschaft beginnt, begreift das Publikum sie zunächst als die eigene. Indem sich die Kamera auf Augenhöhe sehr langsam im Uhrzeigersinn horizontal um die eigene Achse dreht, tastet sie die Umgebung ab und zeigt die enorme, vollkommen flache und vegetationslose Ausdehnung der Wüste, die am Horizont von einer weit entfernten Bergkette begrenzt wird. Erst nach drei Minuten erfolgt eine erste Einstellung auf die Füße des Cowboys, welche die langsame Kreisbewegung der Kamera nachvollziehen. Der zuvor vorgestellte Ausblick auf die umgebende Wüstenlandschaft wird so in der Körperbewegung dieser Person verankert. Wenn die Kamera nur sieben Sekunden später ihre Kreisbewegung wieder aufnimmt, ist unklar, ob sie am selben Ort wieder ansetzt. Nach einer Drehung um 360°, so die Erwartung, wird sich die Landschaft wiederholen, werden die Bergkuppen am Horizont vertraut aussehen, wird die Distanz zu ihnen berechenbar werden und die Umgebung damit Abb. 4: Walter De Maria, Hard Core, 1969, logisch zu erschließen sein. Aber ob- Filmstill. wohl die stete Wiederaufnahme der kreisenden Kameraführung suggeriert, dass die Umgebung in ihrer Vollständigkeit aufgezeichnet wird, ergibt sich kein geschlossenes Bild. Stattdessen erscheint der Ausblick auf den Horizont in der Reihung der entfernten Gebirgszüge endlos fortsetzbar, und die Landschaft wird ins Unermessliche geöffnet (Abb. 4). De Maria erreicht diese scheinbare Ausstülpung des Wüstenraumes mit den einfachsten Mitteln des filmischen Mediums. Er nutzt den Schnitt auf die beiden Protagonisten, um die Perspektive zu wechseln, und setzt so seine kreisende Kamerafahrt jeweils an einer anderen Stelle in der Wüste fort. Die Blickrichtungen der Protagonisten überkreuzen sich in keinem Moment, da die Männer nie in einem gemeinsamen Raum gezeigt werden. Ihre Nähe ist mit Hilfe des Schnittes lediglich
296 Eva Ehninger konstruiert, und dem Zuschauer wird damit gleichzeitig vor Augen geführt, dass diese Verbindung nicht real ist. Formal legt De Maria die Konstruktion des filmischen Raumes dadurch offen, dass die beiden ineinander geschnittenen Filmrollen verschiedene Qualitäten haben: Die eine ist rotstichiger als die andere. Auf der narrativen Ebene hebt er die Illusion einer räumlichen Verbindung der Protagonisten dadurch auf, dass in der abschließenden Shoot-out-Szene alle Schüsse ihr Ziel verfehlen, obwohl die Umgebung keinerlei Schutz bietet und die beiden Männer als veritable Zielscheiben fungieren müssten.22 Ausserdem macht De Maria sich die Begrenztheit der Kadrierung zunutze, um die scheinbare Grenzenlosigkeit der Landschaft zu konstruieren. Gerade weil sich dem Zuschauer nicht die Möglichkeit des Vergleiches bietet, sondern sein Blick an die sture Passierfahrt der Kamera und den jeweiligen von ihr dargebotenen Landschaftsausschnitt gebunden ist, muss er sich auf sein visuelles Gedächtnis verlassen, um Landschaftsmerkmale wiederzuerkennen und sein Bild der Umgebung zu vervollständigen. Es stellt sich zunächst Zweifel an den eigenen visuellen Fähigkeiten ein, den scheinbar dokumentierten Naturraum zu erschließen, bevor dieser sich als filmisch konstruierter, künstlicher Raum entpuppt. De Marias Entscheidung für den Einsatz filmischer Gestaltungsmittel lässt sich kaum an die angedeutete Narration der Konfrontation zweier Westernhelden zurückbinden. Diese Handlung existiert lediglich als fragmentarisches Zitat des Western-Genres, als ein ironischer Verweis auf dessen narrativen Kern, den ‚hard core‘. Sie tritt in den Hintergrund gegenüber der filmischen Auseinandersetzung mit dem Wüstenraum.23 In der Position des anonymen Cowboys ist der Betrachter nicht mit einem anderen Menschen konfrontiert, sondern mit der öden Umgebung, die in ihrer gewaltigen Ausdehnung nicht mehr rational begreifbar ist. Der High-NoonMoment ist ein individueller: die Kapitulation vor einem Naturraum, den man sich nicht visuell erschließen kann. Der verdoppelte, ineinander geschnittene und auf 22 Der Film wird heute als Videoinstallation in Endlosschleife präsentiert (MMK Frankfurt, 2006). Dabei gehen die kurzen narrativen Einschübe meist verloren, weil die Besucher sich oft nur wenige Minuten in dem abgedunkelten Raum aufhalten. Dass De Maria selbst eine kinematographische Präsentationsform vorzog, geht aus seiner Korrespondenz mit dem italienischen Kunstsammler Giuseppe Panza hervor, der eine Kopie des Filmes kaufte. In einem Brief vom 14. August 1971 schrieb De Maria dem italieni schen Sammler: „I hope that you might find it possible to construct a screening room, whereby people might be able to see and hear the film…just as they might spend 20 minutes looking at Rothko’s paintings.“ Getty Research Institute, Los Angeles, Giuseppe Panza Papers (940004, 106/3). 23 Am 22. Juli 1969 schreibt De Maria dem New Yorker Galeristen Richard Bellamy, dass er mit Hard Core „the greatest shoot out scene in the world“ schaffen möchte. „One muinite (sic) of ‚Drawing‘ scenes…and shoot out…this to be spliced in with Heizer shots to create the greatest shoot out scene in the world.“ The Museum of Modern Art Archives, New York, Richard Bellamy Papers (Bellamy III. H. 4). De Maria bezieht den Begriff „shoot out“ somit nicht nur auf die narrative Ebene, sondern auch auf deren filmische Umsetzung – er setzt neben dem Duell der beiden Cowboys gleichzeitig den „shoot out“ zweier Kameras in Szene.
360° 297 die Leinwand projizierte 360°-Schwenk zeichnet weniger die Landschaft auf als vielmehr das Scheitern der individuellen Wahrnehmung an ihr.24
Die Landschaft als Expanded Cinema? Die Gegenüberstellung zweier Figuren, die beide einen Kamerastandpunkt einnehmen und jeweils im 360°-Schwenk ihren Standort aufzeichnen, nutzt auch Dan Graham für die komplexe Raumkonstruktion einiger seiner filmischen Arbeiten. In Helix/Spiral (1973) beispielsweise führt eine Person ihre Kamera in einer Helixspirale um ihren Körper, während die Kamera die Umgebung aufzeichnet. Eine zweite Person bewegt sich spiralförmig auf der Ebene um die Figur herum und filmt deren Aktivität aus sich stetig wandelnder Perspektive. Die Arbeit, die im Außenraum gefilmt wurde, ist im Galerieraum als Doppelprojektion an zwei einander gegenüberliegenden Wänden zu sehen – ein entscheidender Unterschied zu den zuvor besprochenen Filmen, die ihr Publikum vor der Einzelprojektion positionieren. Außerdem ist im Gegensatz zu De Marias Hard Core die räumliche Beziehung der beiden Kameras zueinander offengelegt, denn die beiden Figuren filmen sich zumindest fragmentarisch gegenseitig. Dadurch – sowie durch die Verortung der Zuschauer zwischen den beiden Projektionen – ist der Galerieraum aufgewertet zur realen Größe.25 Den bei weitem größten Bildanteil in diesen beiden Filmprojektionen hat allerdings die Landschaft inne – in diesem Fall ein offenes Feld, das im Hintergrund von 24 Für Kaprow, der mit Bezug auf Morris die geometrische Raumstruktur als Parameter einer durch die Bildprojektion geprägten Wahrnehmungskonvention nannte, ist der Besucher (spectator) die andere wichtige Komponente des „art environment“. Auch das Publikum ist Kaprow zufolge abhängig von den strukturellen Vorgaben des rechteckigen Raumes: „[…] they will govern their walking by a nearly conscious alignment with the art object’s axial ties to the gallery. […] Any casual meanderings on their part will thus be the formal equivalent within the exhibition floor area of, say, Pollock’s drips within the canvas area. The rectangle maintains its primacy in all cases.“ Kaprow (1968), Anm. 3, S. 33. Beide Konventionen des „art environment“ werden thematisiert und unterlaufen durch die Projektion der Landschaft auf die Wand und die doppelte Verortung des Besuchers sowohl im konstruierten Filmraum als auch im rechteckigen Galerieraum. 25 Diese Arbeit von Graham geht aus zwei früheren Filmprojekten von ihm hervor, die beide mit ähnlichen Kameraführungen arbeiten. In Two Correlated Relations (1969) bewegen sich zwei filmende Performer in Spiralform umeinander, während sie versuchen, sich zu keinem Moment aus den Augen zu lassen. In Body Press (1970–72) stehen zwei nackte Protagonisten jeweils mit einer Kamera ausgestattet mit dem Rücken zueinander in einem eigens dafür gebauten zylindrischen Raum, dessen Innenwände verspiegelt sind. Sie filmen ihre Spiegelbilder, während sie die Kameras in einer Helixform um ihre Körper bewegen und jeweils im Rücken miteinander austauschen. Diese beiden Arbeiten werden in der Literatur ausführlich beschrieben, während Helix/Spiral als Folgewerk wenig Aufmerksamkeit erhält. Die Tatsache, dass sie als einzige Arbeit im Außenraum realisiert wurde, ist bis jetzt nicht als ein besonderes Merkmal diskutiert worden.
298 Eva Ehninger Abb. 5: Dan Graham, Helix/Spiral, 1973, Filmstill.
Industrieanlagen, einer Landstraße und Wäldern eingefriedet ist. Wie in den zuvor diskutierten Arbeiten ist der Zuschauer in dem rotierenden Landschaftspanorama auf die fragmentarischen Aufnahmen der mit Kameras ausgestatteten Protagonisten angewiesen, um sich in Beziehung zu ihnen zu setzen und sich gleichzeitig räumlich verorten zu können (Abb. 5). Die Suche nach dem eigenen Standort wird umso drängender, weil die räumlichen Limitierungen und Regeln des White Cube im Außenraum nicht gelten. Potenziell ist die Spiralbewegung der lateral sich bewegenden Kamera unendlich fortsetzbar.26 Ein zumindest kurzfristiges Aufspannen des Naturraums, wie es De Marias Two Lines Three Circles on the Desert durch die dreimalige Rückbindung des Schwenks an die in den Raum fluchtende Gerade vorgeführt wurde, ist hier nicht möglich, weil die beiden Kameras sich gegenläufig spiralförmig bewegen. Helix und Spirale sind sich formal zu ähnlich, um den Raum, den sie beschreiben, gegenseitig abbilden zu können. Grahams Helix/Spiral (1973) weist durch seine gesteigerte Komplexität sowohl was die Filmproduktion als auch was die Installation der Projektionen angeht auf eine Verbindung der hier zur Diskussion stehenden Landschafts-Filme zur Praxis des Expanded Cinema hin, auf die ich abschließend im Rahmen der Diskussion einer Arbeit von Michael Snow eingehen möchte. Snows Film Wavelength (1967) gilt schon früh als einer der entscheidenden Filme des strukturalistischen Avantgardekinos. Der 45-minütige Zoom durch sein Atelier auf ein an der Wand befestigtes Foto wird als grundsätzliche Kritik am Erzählkino 26 Morris’ anfangs erwähnte Beobachtung, dass der räumliche Kontext für eine bildlich informierte Wahrnehmungskonvention der quadratische Innenraum „with its strongly accentuated divisions between the vertical and the horizontal“ ist, erhält hier noch einmal neues Gewicht. Morris (1975), Anm. 3, S. 33. Grahams Performance findet unter freiem Himmel statt, ohne diese räumlichen Parameter, die eine Projektion des Gesehenen auf eine imaginäre Vertikale vereinfachen würden. Für die Installation ist die räumliche Struktur des abgedunkelten Galerieraumes unabdingbar.
360° 299 und seiner strukturellen und narrativen Illusion verstanden.27 Snows ‚Motiv‘ in diesem Film ist – und das wird deutlich weniger häufig kommentiert – eine Landschaft: Das Foto an der Atelierwand zeigt ein Meerstück. Auch Snows Région Centrale (1971) kann als ein Landschaftsportrait gelten. Die Kamera, mit der dieser Film aufgenommen wurde, war eine Spezialanfertigung: Mit Hilfe mehrerer Achsen, die auf einer gemeinsamen Halterung installiert sind, kann sie unterschiedliche Bewegungen gleichzeitig ausführen. Computergesteuert lassen sich vertikale und horizontale Bewegung sowie Rotationen mit Zoom und Geschwindigkeitsveränderungen koppeln.28 Snow fand die für seine Zwecke hergestellte Apparatur derart faszinierend, dass er sie zunächst als eigenständiges Objekt im Galerieraum installierte. De La (1969/1971) zeichnet die Bewegung der Besucher auf, die sie als allansichtige Skulptur umschreiten. Die von der Kamera produzierten Videos werden direkt auf vier in den Raumecken installierte Monitore übertragen, während die Apparatur selbst ausgespart bleibt; sie ist auf den von ihr aufgezeichneten Bildern nie zu sehen. Aber auch der Besucher steht nicht im Fokus ihrer Dokumentation, vielmehr wird durch die zuvor programmierte Kamerafahrt ein chaotisches ,Abbild‘ des Galerieraumes und der Handlungen, die sich in ihm vollziehen, produziert und auf vier Monitoren gleichzeitig angeboten.29 Das Filmprojekt La Région Centrale, für das die Kamera ursprünglich entwickelt worden war, wurde 1971 in einer einsamen Berggegend im nördlichen Quebec realisiert.30 Hier dokumentierte die Kamera selbständig von ihrem erhöhten Standpunkt aus die umgebende Landschaft. Das Bild, das sie produzierte, hat jedoch weder mit dem idealen Panoramablick noch mit einer wissenschaftlichen Dokumentation viel gemein. Es zeichnet den chaotischen Prozess einer räumlichen Aneignung nach, der nie abgeschlossen sein kann und in erster Linie sich selbst als visuelle Arbeit portraitiert (Abb. 6).31 27 Vgl. Annette Michelson: „Toward Snow“, in: Artforum 9/10 (1971), S. 30–39; Bart Testa: „An Axiomatic Cinema: Michael Snow’s Films“, in: Presence and Absence. The Films of Michael Snow 1956–1991, hg. v. Jim Shedden, Ontario 1995, S. 26–83. 28 Mögliche Formen, die entstehen sind beispielsweise Rollbewegungen, Drehungen, Kreise, Kreise innerhalb von Kreisen, Doppelkreise, Bögen, Schleifen, Zickzack-Formen, Möbiusbänder, etc. 29 Der Besucher ist dadurch doppelt aktiviert: Der Sucher folgt nicht ihm, sondern stattdessen folgt er der ‚Geste‘ der Kamera und holt sich damit zwangsläufig selbst zurück ins vierfach übertragene Bild. Das instantane Videofeedback der eigenen Handlung führt zu ihrer Reflexion; in diesem Fall der Reflexion der eigenen Verortung, der Wahl der Perspektive und dem uneingelösten Anspruch auf ein visuelles Verständnis für die Gesamtsituation. De Bruyn zufolge war diese Funktion des „instant feedback“ in den späten 1960ern auch in der Wissenschaft ein verbreitetes Instrument, um vorgefasste, konditionierte Vorstellungen in einer Gruppensituation aufzudecken und zur Disposition zu stellen. Vgl. De Bruyn (2006), Anm. 10, S. 53. 30 Der Kamerastandort konnte nur per Hubschrauber erreicht werden, ein interessanter Umstand, wenn man bedenkt, dass Smithson diese Perspektive wählte, um die Spiral Jetty filmisch zu präsentieren. 31 Es ist dabei entscheidend, dass dieser Film, im Gegensatz zu den von der Kamera in De La produzierten Videofeedbacks, als Einzelprojektion im abgedunkelten Kinoraum, z. B. in
300 Eva Ehninger
Abb. 6: Michael Snow, La Région Centrale, 1971, Produktionsfotografie.
Die entleerte Landschaft ist dabei das entscheidende Motiv – ihr Bild schwankt aufgrund der Kameraführung zwischen Abstraktion und Repräsentation, und das Wissen um ihre Dreidimensionalität wird durch den ständig wiederholten 360°-Schwenk und seine zweidimensionale Projektion auf die verdunkelte Galeriewand reflektiert.32 Heute ist der Begriff des Expanded Cinema üblicherweise künstlerischen Praktiken der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre vorbehalten, deren Grundlage zwar weiterhin das Dispositiv des Filmes als bewegtem, substanzlosem Bild ist, die aber über die Projektion eines Lichtbildes auf eine Wand im abgedunkelten Raum hinausgehen.33 den Anthology Film Archives in New York gezeigt wurde. Wieder findet sich der Zuschauer einerseits im Zentrum des Filmes, denn die Welt scheint sich um ihn zu drehen – die Kamera ist niemals sichtbar. Gleichzeitig ist er sich seiner Position vor der erleuchteten Leinwand immer bewusst. Der „in-between status of film“, wie ihn Heath beschreibt, wird als solcher thematisch, Heath (1976), Anm. 8, S. 87. Die projizierte visuelle Arbeit wird von Alain Fleischer passend als Performance der Kamera beschrieben: „[T]he landscape has practically nothing to offer the eye: there is not a single event, not a single picturesque detail in this madly barren expanse. So the camera, agitated and gesticulating, does the show itself, by and for itself. It must have given an incredible performance during the shooting […].“ Alain Fleischer: „Michael Snow’s Cinemachine“, in: Michael Snow. Panoramique. Photoraphic Works & Films, 1962–1999, Ausst.-Kat. Société des Expositions du Palais des Beaux-Arts de Bruxelles, Brüssel 1999, S. 50–64, S. 54. 32 Während in De La die Bewegung um 360° und das direkte Feedback ihrer Aufnahmen auf vier Monitoren an eine Überwachungssituation erinnert und Parallelen zu den zeitgleich entstandenen Corridors von Bruce Nauman aufzeigt, führt das mit derselben Technik hergestellte Bild der Natur zu ihrer Abstraktion; die Bedrohlichkeit weicht der visuellen Analysearbeit. 33 In diese notorisch offene Kategorie fallen Performances von Carolee Schneemann, die das Kino als eigenständige Entität vollständig auflösen zugunsten eines dreidimensiona-
360° 301 Installative Anteile gibt es bei einem Großteil der mit der Land Art verbundenen Filmprojekte tatsächlich nicht – sieht man einmal von der spezifischen Ausstattung des eigens für den Spiral Jetty-Film geplanten Aufführungsraumes ab. Sie positionieren ihr Publikum vor einer Einfachprojektion und die gewünschten Aufführungsorte sind darauf ausgelegt, dass man die gesamte Länge des Filmes dort verbringt. Stellt man jedoch die für das Expanded Cinema ebenso entscheidende Frage nach der Reflexion von Wahrnehmungskonventionen in den Vordergrund, so lässt sich argumentieren, dass diese in den hier diskutierten Filmen in erster Linie durch das gewählte Motiv – die Landschaft – erreicht wird. Die Arbeiten schließen damit an eine lange Tradition künstlerischer Raumillusion und ihrer gleichzeitigen Reflexion an.34 Durch den Film und seine medienspezifischen Gestaltungsoptionen, insbesondere durch die Tatsache, dass er mit Hilfe von Bewegung einen Raum dreidimensional dokumentieren kann, diese Aufzeichnung dann aber zweidimensional ins Bild gesetzt wird, kann das bildkritische Potenzial der Landschaft als zweidimensional wahrgenommener Naturraum gesteigert werden in eine Kritik dieser am Bild gelen Aufführungsortes, ebenso wie „para-cinematische“ Projekte, in denen das filmische Medium direkt in Frage gestellt und Qualitäten des Cinematischen außerhalb des Filmprojektors gesucht werden. Den Versuch einer Definition macht z. B. Michael O’Pray: „Expanded Cinema and the New Romantic Film Movement of the 1980s“, in: A. L. Rees u. a. (Hg.): Expanded Cinema: Art, Performance, Film, London 2011, S. 62–71, hier S. 62: „I will use ‚expanded‘ to include any film which utilises some other element besides a single screen; thus it will include the traditional sense of expanded cinema as any form of multi-screen-projection work, and films in which a person or object interacts in some non-trivial way with the film(s), thus covering performance-related film as well as installation work.“ 34 Für die Entwicklung der perspektivischen Raumkonstruktion durch die niederländische und die italienische Renaissance war das Genre der Landschaftsmalerei entscheidend. Zur Korrelation von Landschaftsmotiv und Perspektive siehe z. B. Millard Meiss, der Jan van Eyck und den Meister von Flémalle als Vorreiter dieser Entwicklung bestimmt und ihren Einfluss in den Arbeiten italienischer Meister wie Fra Filippo Lippi, Domenico Veneziano, Piero della Francesca und Mantegna nachweist. Millard Meiss: „Jan van Eyck and the Italian Renaissance“ und „‚Highlands‘ in the Lowlands: Jan van Eyck, the Master of Flémalle and the Franco-Italian Tradition“, in: ders. (Hg.): The Painter’s Choice. Problems in the Interpretation of Renaissance Art, New York 1976, S. 19–35 und S. 36–59. Die wichtige Rolle der Landschaftsdarstellung für die Entwicklung der perspektivischen Raumkonstruktion vermerken auch Erwin Panofsky: „Die Perspektive als ‚Symbolische Form‘ (1924)“, in: Karen Michels/Martin Warnke (Hg.): Erwin Panofsky. Deutschsprachige Aufsätze, Bd. II, Berlin 1998, S. 644–757 und Gottfried Boehm: Studien zur Perspektivität. Philosophie und Kunst der Frühen Neuzeit, Heidelberg 1969. Gleichzeitig kommt der Landschaftsmalerei auch beim Übergang der Malerei der klassischen Moderne in die Abstraktion eine führende Rolle zu. Beispielsweise durch Paul Cézanne oder Piet Mondrian, die sich beide im Motiv der Landschaft mit der Konstruktion bzw. Dekonstruktion des Bildraums auseinandersetzten. Siehe z. B. Pavel Machotka: Cézanne: Landscape into Art, London/New Haven 1996; Regine Prange: Das Ikonoklastische Bild. Piet Mondrian und die Selbstkritik der Malerei, München 2006; Werner Busch/ Oliver Jehle (Hg.): Vermessen: Landschaft und Ungegenständlichkeit, Berlin 2007.
302 Eva Ehninger schulten, perspektivisch auf einen Standpunkt festgelegten Wahrnehmungsoption.35 Diese Kritik wird erst deutlich in der Spannung zwischen kreisendem Landschaftsbild und der Stillstellung vor der erleuchteten Leinwand. Dass dieses Potenzial der Landschaft in der Filmprojektion nicht nur für Künstler, die in der Landschaft installative Arbeiten realisiert hatten, attraktiv war, sondern auch für Künstler, die aus anderen Bereichen der künstlerischen Avantgarde kamen, verdeutlichen die Projekte von Graham und Snow.36 Durch ihre filmischen Experimente verbindet sich die von den Land Art-Künstlern geleistete Expansion filmischer Wahrnehmungskritik in den Außenraum mit dem zeitgenössischen Filmdiskurs. Gleichzeitig zeigt die Einbindung ihrer Arbeiten in den größeren Kontext des Expanded Cinema, dass die Überlagerung von filmischer und körperlicher Erfahrung ein gemeinsames Ziel vieler post-minimalistischer Künstler war, das in mehreren Medien parallel verhandelt wurde. Der Landschaftsraum und der Standort seines Besuchers bzw. die Perspektive seines Betrachters sind das Motiv, an dem die Aktivierung des Publikums im Rahmen einer avancierten Kritik an ihrer konventionellen, bildlich geprägten Raumwahrnehmung betrieben wurde; dabei blieben Anteile des Bildhaften durchaus erhalten.37 De Marias Zeichnung auf der Bodenfläche des Wüstenraumes vermittelt zwischen der Konvention einer vertikalen Projektion der gesehenen Landschaft und der Anleitung zum räumlichen Abschreiten eben dieses projizierten Raumes. Seine filmische ,Dokumentation‘ der Zeichnung, ihres Ausführungsortes und ihrer Funktion vermittelt zwischen der konventionell statischen Wahrnehmung eines projizierten Filmbildes und der strukturell in ihm angelegten Teilnahme des Publikums an der Bewegung der Kamera.
35 Vgl. Duncan White: „Degree Zero: Narrative and the Contextual Image,“ in: Rees (2011), Anm. 33, S. 110–124, hier S. 110 f. 36 Die Beobachtung, dass das filmische Medium als „a sort of lingua franca for the avantgarde“ fungierte, macht Bruce Jenkins in „The ‚Other‘ Cinema: American Avant-Garde Film of the 1960s“, in: Kerry Brougher (Hg.): Art and Film since 1945: Hall of Mirrors, Ausst.-Kat. LACMA, Los Angeles 1996, S. 188–216, hier S. 202. 37 In einem Interview mit Paul Cummings von 1972 beschreibt De Maria Hard Core folgendermaßen: „(…) it’s much more successful than landscape painting because it has all the qualities of landscape painting but it moves very slowly, the landscape keeps changing (…).“ Paul Cummings: Oral History – Interview with Walter De Maria, 1972 Oct. 4, Archives of American Art, Smithsonian Institution.
Abbildungsverzeichnis
Einleitung Abb. 1: Schattenspiel mit Menschen, in: Samuel van Hoogstraten: Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst, Rotterdam 1678, aus: Ich sehe was, was Du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten, Ausst.-Kat. Museum Ludwig/Agfa PhotoHistorama, Köln, Göttingen 2002, S. 24. Abb. 2: Dan Graham, Cinema 81, 1982, Architekturmodell, Schaumstoffkern, Holz, Einwegspiegelglas, Plexiglas, Super-8-Projektor, Super-8-Film, aus: Bild für Bild, Ausst.-Kat Museum Ostwall, Dortmund 2010, S. 118. Copyright: Dan Graham und Centre Georges Pompidou, Paris. Abb. 3 a–c: Ana Torfs, Ausstellungsansichten von ALBUM/TRACKS A, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2010. Copyright: 3 a, b: Ana Torfs; 3 c: Achim Kukulies. Abb. 4 a–d: Ana Torfs, Ausstellungsansichten von ALBUM/TRACKS A, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2010. Copyright: Ana Torfs. Abb. 5: Janet Cardiff/George Bures Miller, Alter Bahnhof Video Walk, video walk, 26 min., Farbe, produziert für die dOCUMENTA (13), Kassel 2012. Copyright: Janet Cardiff/George Bures Miller. Courtesy: Janet Cardiff/George Bures Miller; Luhring Augustine, New York.
Teil I Alexander Streitberger: Projektionsapparatur und Produktionskontext Abb. 1: Simon Starling, Wilhelm Noack oHG, 2006, Installationsansicht, Presenta tion House Gallery, Vancouver, 2007, loop machine (eigene Konstruktion), 35 mm-Film-Projektor, schwarz-weiß, Ton, 4 min., Höhe 407 cm, Durchmesser 192 cm, Dimensionen der Projektion variabel. Copyright: Simon Starling, 2006. Courtesy: neugerriemschneider, Berlin.
304 Abbildungsverzeichnis Abb. 2: Michel François, Studio, 2009, Theaterstrahler, Diaprojektor, Fotografie, Spiegel, Installationsansicht, Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (SMAK), Gent, 2009, Foto: Alexander Streitberger. Copyright: Michel François. Abb. 3: Michel François, Studio, 2009, Theaterstrahler, Diaprojektor, Fotografie, Spiegel, Installationsansicht, Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (SMAK), Gent, 2009, Foto: Alexander Streitberger. Copyright: Michel François. Abb. 4: Michel François, Théâtre des opérations, 2004, Installationsansicht, aus: Michel François. Plans d’évasion, Ausst.-Kat., Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (SMAK), Gent, Amsterdam 2010, S. 238. Copyright: Michel François.
Miriam Lowack: Erinnerungsräume: Projektionen von Gegenwart und Vergangenheit Deimantas Narkevičius, The Dud Effect, 2008, Filmstills, 16 mm-Film übertragen auf HD Video, schwarz-weiß und Farbe, Ton, 15:40 min. Courtesy: gb agency, Paris; Galerie Barbara Weiss, Berlin und Deimantas Narkevičius.
Brigid Doherty: Rilke’s Magic Lantern Fig. 1: Auguste Rodin, Eve, 1881, gelatin-silver print by Eugène Druet, undated, 40 x 30 cm, Musée Rodin, Paris, Ph. 946. Copyright: Musée Rodin, Paris. Fig. 2: View of the Rodin exhibition, Städtisches Museum, Leipzig, 1904, photo graphy by Kunsthandlung Ernst, ca. November 1904, 16,8 x 11, 9 cm, Musée Rodin, Paris, Ph. 1676. Copyright: Musée Rodin, Paris. Fig. 3, 4: Rainer Maria Rilke, Rede über A. Rodin, 1905, manuscript, Rilke Ms_D_20/Ms_D_21, p. XIII and p. XIV, Schweizerisches Rilke-Archiv, Schweizerisches Literaturarchiv, Schweizerische Nationalbibliothek, Bern. Copyright: Rilke-Archiv. Fig. 5: Auguste Rodin, Monument to Balzac, gelatin-silver print by Eugène Druet, ca. 1897, 29,6 x 39 cm, Musée Rodin, Paris, Ph. 379. Copyright: Musée Rodin, Paris. Fig. 6: Auguste Rodin, Balzac, First Study of Nude “F” (also called the “Athlete”), 1895–1896, Musée Rodin, Paris, S. 2274. Photographer: Christian Baraja, Musée Rodin, Paris. Copyright: Musée Rodin, Paris.
Abbildungsverzeichnis 305 Fig. 7: Auguste Rodin, Balzac, Study for Robe, 1897, plaster, Musée Rodin, Paris, S. 2274. Copyright: Musée Rodin, Paris. Fig. 8: Auguste Rodin, Balzac, Study for Robe, 1897, salt print by D. Freuler, undated, Musée Rodin, Paris, Ph. 1209. Copyright: Musée Rodin, Paris.
Annette Urban: Zwischen Foto- und Filmstudio Abb. 1: Cindy Sherman, Untitled (Art News cover), 1983, chromogenic color print, 50,8 x 40,6 cm, 38,7 x 26,7 cm, 58,4 x 45,7 cm (Papier-/Bild-/Rahmengröße), Auflage von 125 plus 25 AP, (MP# CS-E-57). Courtesy: Cindy Sherman und Metro Pictures. Abb. 2: Laurie Simmons, The Music of Regret I, 1994, Silbergelatine-Abzug, 59,7 x 39,4 cm, aus: Jan Howard: Laurie Simmons. The Music of Regret, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art, Baltimore 1997, S. 64. Abb. 3: Laurie Simmons, Worgelt Study, 1977, silver-dye bleach print (Cibachrome), 8,2 x 12,3 cm, Auflage von 7, aus: ebd., S. 23. Abb. 4: Laurie Simmons, Woman with Chalk Line, 1976, Schwarz-Weiß-Fotografie, 13,5 x 21 cm, Auflage von 10, aus: Douglas Eklund: The Pictures Generation 1974– 1984, Ausst.-Kat. Metropolitan Museum of Art [u. a.], New York 2009, S. 176. Abb. 5: Laurie Simmons, Woman/Interior VIII, 1976, Schwarz-Weiß-Fotografie, 13,5 x 21 cm, Auflage von 10, aus: ebd. Abb. 6: Laurie Simmons, Yellow Bathroom, 1983 (Abzug 1997), silver-dye bleach print (Ilfochrome), 101,5 x 74,2 cm, Ed. 2/5, aus: Jan Howard: Laurie Simmons. The Music of Regret, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art, Baltimore 1997, S. 39. Abb. 7: Laurie Simmons, Tourism: Parthenon, 1984 (Abzug 1997), silver-dye bleach print (Ilfochrome), 101,5 x 152,4 cm, Sammlung F. C. Gundlach Hamburg, aus: ebd., S. 40. Abb. 8: Laurie Simmons, Music of Regret III, 1994, Silbergelatine-Abzug, 152,4 x 101,5 cm, Auflage von 5, Collection Alison and Alan Schwartz, Toronto, aus: ebd., S. 108. Abb. 9: Laurie Simmons, Clothes Make the Man, 1990–1992, Installationsansicht Daniel Weinberg Gallery, Los Angeles, 1992, aus: Kate Linker/Laurie Simmons: Laurie Simmons. Walking, talking, lying, New York 2005, S. 106.
306 Abbildungsverzeichnis Abb. 10: Laurie Simmons, Music of Regret IV, 1994, Silbergelatine-Abzug, 213,3 x 213,3 cm, aus: Jan Howard: Laurie Simmons. The Music of Regret, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art, Baltimore 1997, S. 109. Abb. 11 a, b, c: The Music Of Regret (USA 2006, R: Laurie Simmons), Episode 2, 35 mm-Film (übertragen auf HD CAM), Farbe, Ton, 40 min., Filmstills. ,A minimusical in three acts‘, Darsteller: Meryl Streep, Adam Guettel und die Alvin Ailey II dancers. Regie: Laurie Simmons, Kamera: Ed Lachman ASC, Musik: Michael Rohatyn, Text von Laurie Simmons, produziert von Jeanne Greenberg Rohatyn, Donald Rosenfeld, Salon 94, und Performa von RoseLee Goldberg, a) aus: Ingvild Goetz (Hg.): Imagination becomes reality, Part V ‚Fantasy and fiction‘, [Hamburg] 2006, S. 168, b, c) http://www.lauriesimmons.net (letzte Sichtung 25.03.2014). Abb. 12 a, b: Laurie Simmons, The Umbrellas of Cherbourg, 1996, Mixed-Media-Installation, ortsbezogene Maße, Installationsansicht Postmasters Gallery, New York, 1996, a) aus: Kate Linker/Laurie Simmons: Laurie Simmons. Walking, talking, lying, New York 2005, S. 147, b) aus: Jan Howard: Laurie Simmons. The Music of Regret, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art, Baltimore 1997, S. 66. Abb. 13: Les Parapluies De Cherbourg (F/D 1964, R: Jacques Demy), 35 mmFilm, Farbe, Ton, 91 min. Filmstills aus: DVD, Leipzig: Arthaus 2010. Abb. 14: Laurie Simmons, Black Bathroom (View through Window/March 26, 1997), 1997, cibachrome print, 101,6 x 71,1 cm, aus: Jan Howard: Laurie Simmons. The Music of Regret, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art, Baltimore 1997, S. 110. Abb. 15: Cindy Sherman, Untitled [#71], 1980, chromogenic color print, 40,6 x 60,9 cm, Auflage von 5, (MP# CS--71). Courtesy: Cindy Sherman und Metro Pictures. Abb. 16: Cindy Sherman, Untitled Film Still, 1978, Silbergelatine-Abzug, 76,2 x 101,5 cm, Auflage von 3, (MP# CS--21-A). Courtesy: Cindy Sherman und Metro Pictures. Abb. 17: Cindy Sherman, Untitled [#74], 1980, chromogenic color print, 40,6 x 61 cm, 68,9 x 89,5 cm (Bild-/Rahmengröße), Auflage von 5, (MP# CS--74). Courtesy: Cindy Sherman und Metro Pictures. Abb. 18: Installationansicht von Cindy Shermans photo-mural Untitled, 2010, Museum of Modern Art, New York, 2012. Copyright: The Museum of Modern Art, New York, Cat. n.: IN2187.1., 2014. Digital image: The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence, Foto: Thomas Griesel.
Abbildungsverzeichnis 307 Abb. 19: Laurie Simmons, Self Portrait, Ausschnitt aus New York Times Magazine, fashion shoot „The Perfect Companion“, 1994, aus: Jan Howard: Laurie Simmons. The Music of Regret, Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art, Baltimore 1997, S. 120.
Teil II Nina Steinmüller: „To ferry images of presence and absence“ Abb. 1: James Coleman, Charon (MIT Project), 1989, projected images with synchronized audio narration, 21 min. Foto: Courtesy of James Coleman. Copyright: James Coleman. Abb. 2: Douglas Gordon, 24 Hour Psycho, 1993, Videoinstallation, Installationsansicht Kunstmuseum Wolfsburg, 2007. Foto: Nina Steinmüller, 2007. Courtesy: Douglas Gordon und Kunstmuseum Wolfsburg. Copyright: VG Bildkunst, Bonn 2014. Abb. 3: Douglas Gordon, 10ms-1, 1994, Videoinstallation, Dimensionen variabel, Installationsansicht Blood, Sweat and Tears, Dox, Prag 2009. Foto: Studio lost but found/Frederik Pedersen. Courtesy: Studio lost but found, Berlin. Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2013.
David Campany: In the light of the Lumières Fig. 1: Louis and Auguste Lumière, Arrivée des congressistes à Neuville-sur-Saône [The Photographic Congress arrives in Neuville-sur-Saône], 1895, filmstill, 35 mm film, b/w, 0’45’’, silent. Copyright: British Film Institute. Fig. 2: Mark Lewis, North Circular, 2000, filmstill, 35 mm film (CinemaScope) transferred to HD, silent, 4’. Copyright: Mark Lewis. Fig. 3: Jean-Baptiste Siméon Chardin, Portrait of the Son of M. Godefroy, Jeweller, Watching a Top Spin, 1738, oil on canvas, 29.9 x 26.38 ins. Copyright: Musée du Louvre, Paris. Fig. 4: Mark Lewis, Windfarm, 2001, installation view, Kunsthalle Bern, 2002, 35 mm film transferred to DVD, colour, silent, 4�. Copyright: Mark Lewis. Fig. 5: Mark Lewis, Cinema Museum, 2008, filmstill, super 16 mm film transferred to HD, colour, sound, 35’43’’. Copyright: Mark Lewis. Fig. 6: Mark Lewis, Rear Projection: Molly Parker, 2006, filmstills, 35 mm film transferred to HD, colour, silent, 3’54’’. Copyright: Mark Lewis.
308 Abbildungsverzeichnis
Teil III Floris Paalman: Revolving Rotterdam Fig. 1: The City That Never Rests (NL 1928, C: Andor von Barsy), filmstill, 35 mm film, b/w, 57�, restored copy by EYE, 2011, collection: Stadsarchief Rotterdam, arch. nr. BB-0928. Fig. 2: Leen van der Vlugt, Theater Soesman, 1922, photograph of cinema, 1923 (unknown photographer), collection: Spaarnestad Photo, Het Leven, arch. nr. SFA022826928. Fig. 3: Polygoon, Wegenfilm, Holland op z‘n Smalst, 1926, filmstill, 35 mm film, b/w, 21’28’’, collection: Nederlands Instituut voor Beeld en Geluid, arch. nr. 826, 26-05 (wknr.), TDP 1036 (digital copy). Fig. 4: Alexander Bos et al (ed.), De Stad Der Toekomst, De Toekomst Der Stad, Rotterdam 1946, pp. 56–57. Fig. 5: Adviesbureau Stadsplan Rotterdam, Het Nieuwe Hart van Rotterdam: Toelichting op het Basisplan voor den herbouw van de binnenstad van Rotterdam, Rotterdam 1946, pp. 4–5. Fig. 6: Rondrit Wederopbouw, ca. 1951, photographer unknown, in: De stad aan de man gebracht, p. 36, Voorlichting Bestuursdienst Rotterdam (1996). Fig. 7: Kees Molkenboer, photograph of mayor Thomassen being interviewed in the cable lift at the C70, June 1970, published in: De stad aan de man gebracht, p. 17, Voorlichting Bestuursdienst Rotterdam (1996). Fig. 8: Ben van Berkel, Erasmusbrug, 1996. Photography by Marco de Nood, 2004. Postcard for the campaign Rotterdam MediaCity, 2004, Development Corporation City of Rotterdam (OBR), Rotterdam Film Fund, IFFR.
Lilian Haberer: Screen als Membran Abb. 1a–d, 2a–d, 3a–c, 4a–c, 5, 6a–d, 7a–c, 8a–b: Meshes of the Afternoon (USA 1943, R: Maya Deren/Alexander Hammid), Filmstills, schwarz-weiß, ohne Ton, 14 min., aus: DVD Maya Deren: Experimental Films, Black & White, Collector�s Edition, Full Screen, NTSC, 2002.
Abbildungsverzeichnis 309 Abb. 9a–d, 10a–f: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Filmstills, 35 mm-Film, schwarz-weiß, ohne Ton, 8 min., Copyright: Dorit Margreiter. Courtesy: Dorit Margreiter und Krobath Wien | Berlin. Abb. 11: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Installationsansicht, Architektur: GABU heindl architecture, Copyright: Dorit Margreiter. Courtesy: Dorit Margreiter und Krobath Wien | Berlin. Abb. 12: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Modell der Installation, Architektur und Modell: GABU heindl architecture, Copyright: Dorit Margreiter. Courtesy Dorit Margreiter und Krobath Wien | Berlin, Foto: Hertha Hurnaus. Abb. 13: Dorit Margreiter, Pavilion, 2009, Modell der Installation, Installationsansicht Dorit Margreiter. Description, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 2011. Copyright: Dorit Margreiter. Courtesy Dorit Margreiter und Krobath Wien | Berlin, Foto: Hannes Böck.
Teil IV Volker Pantenburg: 1970/2010 Abb. 1: Stan VanDerBeek, Movie-Drome, 1963, Innenansicht. Copyright: Sara VanDerBeek Collection. Abb. 2: Peter Kubelka, The Invisible Cinema, 1970. Courtesy: Anthology Film Archives. Copyright: Stills Collection. Abb. 3: Eureka (USA 1974, R: Ernie Gehr), Filmstill, 16 mm-Film, schwarz-weiß, ohne Ton, 31 min. Copyright: Österreichisches Filmmuseum, Stills Collection. Abb. 4: Douglas Gordon, 24 Hour Psycho, 1993, Videoinstallation, Dimensionen variabel, Installationsansicht Akademie der bildenden Künste Wien, 1996. Foto: Angelika Krinzinger. Copyright: Studio lost but found/VG Bild-Kunst, Bonn 2014.
Maxa Zoller: The Cinematic Body Abb. 1: Malcolm Le Grice, Castle 1, 1966, Filminstallation, Installationsansicht DESTE Foundation for Contemporary Art, Athen 2014. Courtesy: Malcolm Le Grice. Abb. 2: Malcolm Le Grice, Castle 1, 1966, Filmstill, schwarz-weiß, Courtesy: Malcolm Le Grice.
310 Abbildungsverzeichnis Abb. 3: Karen Mirza/Brad Butler, The Museum of Non Participation, 2009, Fotografie. Courtesy: Karen Mirza/Brad Butler, Waterside Contemporary, galleri NON. Abb. 4: Karen Mirza/Brad Butler, What will the next revolution look like?, The Museum of Non Participation, Performance Lecture Intervention, Waterside Project Space, London, April 2010. Courtesy: Karen Mirza/Brad Butler, Waterside Contemporary, galleri NON.
Dennis Göttel: Picture-languages Abb. 1: Stewart Kranz, Portrait of Stan VanDerBeek, o. J., Schwarz-Weiß-Fotografie, aus: Stewart Kranz: Science & Technology in the Arts. A Tour through the Realm of Science/Art, New York u. a., 1974, S. 237. Abb. 2: Elliott Landy, At the Moviedrome [originale Bildbeschriftung], 1966, Schwarz-Weiß-Fotografie, aus: „A portfolio of photographs from N.Y. Film Festival“ in: Film Culture 42 (1966), o.S. Abb. 3: Elliott Landy, Festival visits Stan VanDerBeek’s Moviedrome/Stan VanDerBeek projects/Stan VanDerBeek’s Moviedrome [originale Bildbeschriftungen], 1966, Fotografien, aus: „A portfolio of photographs from N.Y. Film Festival“ in: Film Culture 42 (1966), o.S. Abb. 4: Stewart Kranz, VanDerBeek’s ‚Hemispherical Dome‘, o. J., Fotografie, aus: Stewart Kranz: Science & Technology in the Arts. A Tour through the Realm of Science/ Art. New York u. a., 1974, S. 238. Abb. 5: Stan VanDerBeek, Model of the Movie-drome, 1967, Fotocollage aus: Stan VanDerBeek: „Re:Vision“, in: Perspecta, 11 (1967), S. 113–119, hier S. 118.
Teil V Doris Berger/Ursula Frohne: Casting Los Angeles Abb. 1: Isabell Heimerdinger, The Cinema Apt., 1998, C-Print. Copyright: Isabell Heimerdinger. Abb. 2: Ed Ruscha, Every Building on the Sunset Strip, aufgestellt, Titelblatt und Schutzhülle sichtbar, 1966, The Whitney Museum of American Art, New York, 2004, aus: Ed Ruscha and Photography, Ausst. Kat., The Whitney Museum of American Art, New York, Göttingen 2004, S. 141.
Abbildungsverzeichnis Abb. 3–8, 11, 13, 15–16: Los Angeles Plays Itself (USA 2003, R: Thom Andersen), Filmstills. Produktion/Drehbuch: Thom Andersen, Erzähler: Encke King; Kamera: Deborah Stratman; Schnitt: Yoo Seung-Hyun; Ton: Thor Moser, Craig Smith) Videomaster, 169 min. Copyright und Courtesy: Thom Andersen, Film Footage Shots: Deborah Stratman. Abb. 9: Isabell Heimerdinger, Working in Hollywood (Car), 1997, C-Print, aus: Isabell Heimerdinger. Act One, Ausst.-Kat., hg. v. Renate Wiehager anlässlich der Ausstellung Wie passen vier Elefanten in einen roten VW?, Villa Merkel, Bahnwärterhäuschen, Esslingen 2000, o.S. Copyright: Isabell Heimerdinger. Abb. 10: Robert Smithson, Yucatan Mirror Displacements (1–9), 1969, neun Chromogendrucke von Chromogen-Dias, je 61 x 61 cm. The Solomon Guggenheim Museum, New York. Estate of Robert Smithson/Licensed by VAGA, New York, NY. Abb. 12: Dorit Margreiter, 10104 Angelo View Drive, 2004, Filmstill. 16 mm-Film, Farbe, ohne Ton, 6:56 min, aus: http://www.doritmargreiter.net (letzte Sichtung 30.03.2016). Copyright: Dorit Margreiter. Abb. 14: Karina Nimmerfall, The Glass House (Modern Contemporary), 2010, Installationsansicht, Kunstpalais Erlangen, 2010. Skulpturale Installation, Mixed Media, Foto: Erich Malter, Copyright und Courtesy: Karina Nimmerfall.
Annette Jael Lehmann: Gehen und Sehen Richard Long, A Line Made By Walking, 1967, Fotografie und Text, gerahmt, aus: Richard Long: Walking in Circles, Ausst.-Kat. Hayward Gallery, London 1991, S. 26. Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2014.
Eva Ehninger: 360° Abb. 1: Walter De Maria, Two Lines Three Circles on the Desert, 1969, Filmstill, 16 mm-Film, schwarz-weiß, Ton, 4:45 min., Gerry Schum, Fernsehgalerie – Land Art, Erstausstrahlung 15.04.1969. Copyright: RBB, Berlin. Abb. 2: Nancy Holt/Robert Smithson, Swamp, 1971, Filmstill aus digitalisierter Version des 16 mm-Films, Farbe, Ton, 6 min. Copyright: Electronic Arts Intermix, New York. Abb. 3: Robert Smithson, Spiral Jetty, 1970, Still aus einem Video des 16 mm-Films, Farbe, Ton, 35 min. Copyright: Electronic Arts Intermix, New York.
311
312 Abbildungsverzeichnis Abb. 4: Walter De Maria, Hard Core, 1969, Filmstill aus digitalisierter Version des 16 mm-Films, Farbe, Ton, 28 min. Copyright: Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main. Abb. 5: Dan Graham, Helix/Spiral, 1973, Filmstill, zwei 8 mm-Filme, auf 16 mm vergrößert, simultan projiziert, Farbe, ohne Ton, 3 min. Copyright: Dan Graham. Abb. 6: Michael Snow, La Région Centrale, 1971, schwarz-weiß, Ton, 3 h, Produktionsfotografie. Copyright: Collection Cinémathèque royale de Belgique.
Kurzbiographien
Doris Berger ist Ausstellungskuratorin am Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles. Davor war sie Kuratorin am Skirball Cultural Center Los Angeles (2012–2015); Postdoctoral Fellow am Getty Research Institute in Los Angeles (2011–2012), Stipendiatin des Graduiertenkollegs “interart” an der FU-Berlin (2006–2007). Bis 2004 war sie Direktorin des Kunstvereins Wolfsburg. Lehrtätigkeiten an Universitäten in Berlin, Braunschweig, Wien. Videoprojekt: Here and There: Artistic Exchange between California and Germany in the 1970s (2012). Publikationen (Auswahl): “The Moving Canvas: Hans Richter’s Artistic Practice in the 1940s”, in: Timothy O. Benson (Hg.), Hans Richter. Encounters, Los Angeles 2013, S. 138-153; Projected Art History: Biopics, Celebrity Culture, and the Popularizing of American Art, London/New York 2014; Light & Noir: Exiles and Émigrés in Hollywood, 1933–1950, Los Angeles 2015. David Campany is a writer, curator and artist. He is the author of several books including Art and Photography (2003), Gasoline (2013) and the recent Walker Evans: the magazine work (2014). In addition, Photography and Cinema (2008) won the Kraszna-Krausz Award for Best Book on the Moving Image, while his study Jeff Wall: Picture for Women (2012) earned him the ICP Infinity Award for Writing. He has published over a hundred and fifty essays on subjects as diverse as forensic photography, film stills, photojournalism, surrealism, conceptual art and architectural photography. He has written for Aperture, Frieze, Source, Photoworks, Art Review, Oxford Art Journal and FOAM magazine, and he is on the editorial boards of Philosophy of Photography and Photography and Culture. David has also curated several exhibitions including two of the work of Victor Burgin at Ambika P3 and Richard Saltoun Gallery (2013) and “Mark Neville: Deeds Not Words” for The Photographers’ Gallery, London (2013). In 2010 he co-curated “Anonymes: Unnamed America in Photography and Film,” the inaugural show at Le Bal, Paris. With Aperture he published The Open Road: Photography and the American Road Trip (New York 2014), winner of the Alice Award 2015, to accompany a major touring exhibition. David teaches at the University of Westminster. Brigid Doherty holds a joint appointment in German and Art & Archaeology at Princeton University, where she is also Associated Faculty in the School of Architecture, and Director of the Program in European Cultural Studies. Until 2003, she was Associate Professor in the Department of the History of Art and the Humanities Center at The Johns Hopkins University. In 2005, she was the Research
314 Kurzbiographien Forum Visiting Professor in Modern and Contemporary Art at the Courtauld Institute of Art. In 2006–07, she was a Fellow at the Radcliffe Institute at Harvard University and an Affiliate Scholar at the Boston Psychoanalytic Society and Institute. In 2008, she was a participant in Manifesta 7, the European Biennial of Contemporary Art, for which she created the exhibition project “Learning Things.” In 2011, she was a Fellow at the Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin. She is co-editor of The Work of Art in the Age of Its Technological Reproducibility and Other Writings on Media (2008). Eva Ehninger ist seit 2015 Laurenz-Professorin für Zeitgenössische Kunst an der Universität Basel. Von 2011–2015 war sie wiss. Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigt sie sich mit Normen fotografischer Repräsentation. Lehraufträge an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, HFK Bremen, Jawaharlal Nehru University, New Delhi. Förderung durch die Studienstiftung des deutschen Volkes (2002–2010), Fulbright Commission (2003–2004), Getty Research Institute, Los Angeles (2009), Max Weber Stiftung (2015). Publikationen (Auswahl): Vom Farbfeld zur Land Art. Ortsgebundenheit in der amerikanischen Kunst, 1950–70, München 2013; „What’s Happening? Allan Kaprow and Claes Oldenburg argue about Art and Life“, in: Getty Research Journal 6 (2014), S. 195–202; „Mobile Criticism. Mike Kelleys passiv-aggressive Institutionskritik“, in: kritische berichte 2 (2014), S. 46–57; Co-Herausgeberschaft: Theorie² Potenzial und Potenzierung künstlerischer Theorie, Bern 2014. Ursula Frohnes Forschung umfasst Schwerpunkte in der amerikanischen Künstlerund Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in der Theorie und Ästhetik der technischen Medien und widmet sich den Wechselwirkungen zwischen zeitgenössischer Kunst und visueller Kultur sowie dem Verhältnis zwischen Kunst und Politik. Als Kuratorin war sie in der Aufbauphase des Museums für Neue Kunst | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe tätig (1995– 2001). Sie lehrte als Gastdozentin an der Brown University in Providence, RI und als Professorin an der International University Bremen. An der Universität zu Köln war sie seit 2006 Professorin für Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts und erhielt 2014 den Leo-Spitzer-Preis der Universität zu Köln für exzellente Forschung. 2015 folgte sie einem Ruf an die Westfälische WilhelmsUniversität Münster. Dennis Göttel ist seit 2015 Postdoc-Stipendiat am IGL, Leuphana Universität, Lüneburg. Von 2013–2015 war er wiss. Mitarbeiter an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. 2010–2012 war er Junior Fellow am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie an der BauhausUniversität Weimar. 2007–2010 war er Fellow am Initiativkolleg Sinne – Technik – Inszenierung: Medien und Wahrnehmung an der Universität Wien. Er
Kurzbiographien 315 studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Germanistik und Politologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Forschungsschwerpunkte: Screen Studies; Epistemologie der Filmwissenschaft; Verhältnisse von Fotografie und Film; Production Studies; Geschichte und Theorie des Flipperautomaten. Das Wörterbuch kinematografischer Objekte (hg. zusammen mit Marius Böttcher, Friederike Horstmann u. a.) erschien 2014 im August Verlag. Lilian Haberer ist seit Ende 2007 wiss. Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin des DFG-Forschungsprojektes Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik am Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln und unterrichtet dort auch seit 2011 Kunstgeschichte. Sie arbeitet zu Theorien des Raums, Modells und des Urbanen sowie zur Video-, Film- und Projektionskunst, zur Installation und Architektur der Moderne und Gegenwart. Ihre Promotion erfolgte 2004 zum Prinzip Raumbildung. Parallele Strukturen im Werk von Liam Gillick (Nürnberg 2006). 2012 gab sie mit Ursula Frohne den Band Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst heraus (München 2012), Display|Dispositiv. Ästhetische Ordnungen, hg. mit Ursula Frohne und Annette Urban, erscheint 2016. In ihrem Habilitationsprojekt befasst sie sich mit Modernereflexionen und architektonischen Konfigurationen in installativen Räumen der Gegenwartskunst. Annette Jael Lehmann ist seit 2007 Professorin für Visual Culture und Theater an der Freien Universität Berlin. Sie promovierte 1996 an der FU Berlin und war zwischen 1995 und 1998 Gastprofessorin in den USA an der University of California (UCLA) und der University of Southern California (USC), Los Angeles, sowie im Critical Studies Department am California Institut of the Arts, Valentia. 1999–2005 war sie wiss. Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und im interdisziplinären Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ an der FU Berlin, danach Geschäftsführerin am dortigen Zentrum für Interdisziplinäre Kunstwissenschaften und Ästhetik. Zahlreiche Veröffentlichungen zu ihren Forschungsschwerpunkten: Ästhetik der Modernen und Zeitgenössischen Kunst; Kunst und Neue Medien, Performance- sowie Environmental Studies. Sie wurde für ihre kunstkomparativen und kulturwissenschaftlichen Arbeiten unter anderem mit dem 1. Preis der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet (2002) und erhielt ein Fellowship am renommierten Rothermere American Institute der University of Oxford (Frühjahr/Sommer 2004). Miriam Lowack studierte Kunstgeschichte, Philosophie sowie Deutsche Sprache und Philologie in Köln und promoviert über Vergegenwärtigungspraktiken im Werk des litauischen Künstlers Deimantas Narkevičius. Am Museum Ludwig in Köln war sie 2010 an der Vorbereitung des Ausstellungsprojekts „Bilder in Bewegung“ beteiligt. Danach wurde sie wiss. Mitarbeiterin im DFG-Forschungsprojekt „Reflexionsräume Kinematographischer Ästhetik“ an der Universität zu Köln. Seit 2012
316 Kurzbiographien ist sie Projektleiterin des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojektes „Videoarchiv“ am Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen und ist dort als Kuratorin im Bereich Videokunst tätig. Ihr Forschungsinteresse richtet sich insbesondere auf den künstlerischen Umgang mit Geschichte und Erinnerung sowie die Ausstellungsgeschichte und -parameter audiovisueller Künste. Floris Paalman (NL, 1975), is a researcher and documentary filmmaker, curator of the film programme “Rotterdam Classics” (City Archive Rotterdam), and lecturer at the Department of Media Studies, University of Amsterdam (UvA). He teaches film analysis, research methods, and media history, and lectures about the cinematic city. He obtained his PhD from the UvA with his thesis Cinematic Rotterdam: The Times and Tides of a Modern City (Rotterdam 2011). He has written articles on architecture and cinema, including subjects such as housing, the avant-garde, educational, and industrial films. He holds degrees in cultural anthropology (UvA), filmmaking and fine arts (Rietveld Academy Amsterdam, Piet Zwart Institute Rotterdam). He has previously worked as a researcher in the field of architecture and he has made film essays on the relationship between man and the (urban) environment. Volker Pantenburg ist Juniorprofessor für Bildtheorie mit dem Schwerpunkt Bewegtbildforschung an der Bauhaus-Universität Weimar. Von 2010 bis 2012 leitete er als Juniordirektor des IKKM (Internationales Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie) in Weimar ein Promotionsprogramm zu „Kinematographischen Objekten“. Buchpublikationen unter anderem: Film als Theorie. Bildforschung bei Harun Farocki und Jean-Luc Godard (2006), Ränder des Kinos. Godard – Wiseman – Benning – Costa (2010), Screen Dynamics. Mapping the Borders of Cinema (Mitherausgeber, 2012), Wörterbuch kinematografischer Objekte (Mitherausgeber, 2014) und Cinematographic Objects. Things and Operations (Hg., 2015). Sein Buch über Harun Farocki und Jean-Luc Godard ist 2015 bei Amsterdam University Press in englischer Übersetzung erschienen. Nina Steinmüller, Studium der Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam und Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2009–2011 Stipendiatin und Mitarbeiterin des Graduiertenkollegs „Bild und Zeit“ bei eikones, NFS Bildkritik, Universität Basel. 2012 Forschungsstipendiatin der FAG – Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel. Arbeitet an einer Dissertation zur Zeitlichkeit des Films in der zeitgenössischen Kunst. Veröffentlichungen: BildBewegungen / ImageMovements, Paderborn 2013 (hg. mit Pirkko Rathgeber), „Filmischer Raum und technisches Kalkül: Entwürfe von Landschaft im experimentellen Film und in der Gegenwartskunst“, in: kunsttexte 2 (2011), 11 S., online unter www.kunsttexte.de.
Kurzbiographien 317 Alexander Streitberger, geb. 1971 in Heilbronn, Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Bamberg, Heidelberg, Paris und Köln. 2002 Promotion mit einer Dissertation zur Sprachreflexion in der Kunst des 20. Jahrhunderts, veröffentlicht 2004 bei Reimer (Berlin) unter dem Titel „Ausdruck – Modell – Diskurs. Sprachreflexion in der Kunst des 20. Jahrhunderts“. 2002 bis 2005 wiss. Assistent am Kunsthistorischen Institut der Universität Heidelberg. Seit 2005 Professor für moderne und zeitgenössische Kunst am Département d’archéologie et d’histoire de l’art der Université catholique de Louvain. Seit 2008 Direktor des Lieven Gevaert Research Centre for Photography (Leuven/Louvain-la-Neuve) und Herausgeber der Buchreihe des Zentrums. Seit 2012 leitet er das FNRS-geförderte Forschungsprojekt „Photofilmic Images in Contemporary Art und Visual Culture“. Neuere Veröffentlichungen zu Kunst und Fotografie schließen ein: Shifting Places. Peter Downsbrough, The Photographs, Leuven 2011; Heterogeneous Objects. Intermedia and Photography after Modernism, Leuven 2013. Annette Urban, seit 2010 Juniorprofessorin für Kunstgeschichte der Moderne mit Schwerpunkt Fotografie/Neue Medien am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum, zuvor von 2008–2010 wiss. Mitarbeiterin an der Universität Bremen sowie von 2009–2010 Wiss. Mitarbeiterin, dann assoziierte Wissenschaftlerin des DFG-Forschungsprojekts Reflexionsräume kinematographischer Ästhetik (2009–2012), geleitet von Ursula Frohne, Universität zu Köln, verantwortlich für das Teilprojekt zur inszenierten cinematischen Fotografie, aus dem eine Habilitationsschrift hervorgeht. Forschungsschwerpunkte: Kunst und Öffentlichkeit, Grenzbeziehungen zwischen Fotografie und Film, Raumdispositive Stadt und Landschaft, Kunst über/als Architektur. Aktuelle Publikationen: Interventionen im public/private space. Die Situationistische Internationale und Dan Graham, Berlin 2013, Display|Dispositiv. Ästhetische Ordnungen, hg. mit Ursula Frohne und Lilian Haberer, erscheint 2016 im Fink Verlag. Maxa Zoller ist Filmkuratorin und Kritikerin. Sie lebt in Kairo und promovierte 2007 am Birkbeck College in London, wo sie anschließend am Goldsmiths College und am Sotheby’s Institute of Art als Dozentin für „Moving Image Art“ lehrte. Ihre Forschungen, die das Verhältnis des projizierten Bildes zum Körper und zum gesellschaftlich-ideologischen Rahmen untersuchen, speisen sich aus ihrem Interesse an Post-Sozialismus und Feminismus. Zoller war Kuratorin des Filmraums no.w.here in London, an dem sie 2012 die erste Ausgabe der „no.w.here summer school“ leitete. Zu ihren zahlreichen Experimentalfilmprogrammen gehören unter anderem „Das Volk fordert den Sturz des Bildes“ im Rahmen der Werkleitz Biennale (2013), „Becoming Voice“ in der South London Gallery (2012) und „Generation Berlin Wall: Films from West Berlin and East Germany in the 1980s“ an der Tate Modern (2009). Sie kuratierte die Ausstellung „All that Remains… The Teenagers of Socialism“ im Londoner Waterside Project Space (2009) und arbeitete 2014 an der Konzeption einer Ausstellung über Anthony
318 Kurzbiographien McCall am EYE Film Museum in Amsterdam. 2015 wurde sie als Filmkuratorin der Art Basel berufen. Sie schreibt regelmäßig Beiträge für Ausstellungskataloge (Eye Film Museum, Amsterdam; mumok, Wien; Fondació Joan Miró, Barcelona), Kunstzeitschriften (Art Monthly) und akademische Publikationen.
Image Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Mai 2018, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0
Goda Plaum Bildnerisches Denken Eine Theorie der Bilderfahrung August 2016, ca. 320 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3331-3
Judith Siegmund (Hg.) Wie verändert sich Kunst, wenn man sie als Forschung versteht? Juni 2016, 220 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3216-3
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Image Franziska Stöhr endlos Zur Geschichte des Film- und Videoloops im Zusammenspiel von Technik, Kunst und Ausstellung April 2016, 432 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 48,99 €, ISBN 978-3-8376-3209-5
Natalie Lettner Bilder des Bösen? Teufel, Schlange und Monster in der zeitgenössischen Kunst 2015, 498 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3164-7
Mélanie-Chantal Deiss »Deeply Superficial« Andy Warhols Amerika-Images der 1950er und 1960er als Kulturkritik 2015, 332 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3172-2
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Susi K. Frank, Sabine Hänsgen (Hg.) Bildformeln Visuelle Erinnerungskulturen in Osteuropa September 2016, ca. 350 Seiten, kart., ca. 38,99 €, ISBN 978-3-8376-2717-6
Franziska Koch Die »chinesische Avantgarde« und das Dispositiv der Ausstellung Konstruktionen chinesischer Gegenwartskunst im Spannungsfeld der Globalisierung August 2016, 750 Seiten, kart., zahlr. Abb., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-2617-9
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Ivana Pilic, Anne Wiederhold Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft – Transkulturelle Handlungsstrategien am Beispiel der Brunnenpassage Wien Art Practices in the Migration Society – Transcultural Strategies in Action at Brunnenpassage in Vienna 2015, 260 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3191-3
Julia Burbulla Kunstgeschichte nach dem Spatial Turn Eine Wiederentdeckung mit Kant, Panofsky und Dorner 2015, 378 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2715-2
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Begeisterung und Blasphemie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2015 Dezember 2015, 304 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-3162-3 E-Book: 14,99 €, ISBN 978-3-8394-3162-7 Begeisterung und Verdammung, Zivilisierung und Verwilderung liegen nah beieinander. In Heft 2/2015 der ZfK schildern die Beiträger_innen ihre Erlebnisse mit erregenden Zuständen und verletzenden Ereignissen. Die Kultivierung von »anderen Zuständen« der Trance bei Kölner Karnevalisten und italienischen Neo-Faschisten sowie begeisternde Erfahrungen im madagassischen Heavy Metal werden ebenso untersucht wie die Begegnung mit Fremdem in religiösen Feiern, im globalen Kunstbetrieb und bei kolonialen Expeditionen. Der Debattenteil widmet sich der Frage, wie wir in Europa mit Blasphemie-Vorwürfen umgehen – und diskutiert hierfür die Arbeit der französischen Ethnologin Jeanne Favret-Saada. Lust auf mehr? Die ZfK erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 18 Ausgaben vor. Die ZfK kann – als print oder E-Journal – auch im Jahresabonnement für den Preis von 20,00 € bezogen werden. Der Preis für ein Jahresabonnement des Bundles (inkl. Versand) beträgt 25,00 €. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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