Bildlichkeit als Potential in Konstellationen: Text und Bild zwischen autorisierenden Traditionen und aktuellen Intentionen (15. bis 17. Jahrhundert) 9783110926231, 9783110194432

When words and images form connections, the potential of their contents and their plausibility can be strengthened throu

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Bildlichkeit als Potential in Konstellationen: Text und Bild zwischen autorisierenden Traditionen und aktuellen Intentionen (15. bis 17. Jahrhundert)
 9783110926231, 9783110194432

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Wolfgang Harms Bildlichkeit als Potential in Konstellationen

W G DE

Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie - Vorträge -

herausgegeben vom Mediävistischen Institut der Universität Freiburg Schweiz Heft 15

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Wolfgang Harms

Bildlichkeit als Potential in Konstellationen Text und Bild zwischen autorisierenden Traditionen und aktuellen Intentionen (15. bis 17. Jahrhundert)

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Veröffentlicht mit Unterstützung des Hochschulrates Freiburg Schweiz

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-019443-2 ISSN 1420-4681 Bibliografische

Information

der Deutschen

Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Copyright 2007 by Walter de Gruyter G m b H & Co. K G , 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Satz: Martin Rohde, Mediävistisches Institut Universität Freiburg Schweiz Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. G m b H & Co. K G , Göttingen

Inhalt Harald Fricke - Begrüßung

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Wolfgang Harms - Bildlichkeit als Potential in Konstellationen. Text und Bild zwischen autorisierenden Traditionen und aktuellen Intentionen (15. bis 17. Jahrhundert)

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Abbildungen

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Curriculum vitae Wolfgang Harms

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Veröffentlichungen von Wolfgang Harms 1963-2006

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Begrüßung Lieber Herr Harms, verehrte Gäste von nah und fern, das ist für mich nun nicht nur ein besonders ehrenvoller Auftrag, einen langjährig geschätzten Kollegen wie Wolfgang Harms als Freiburger Gastprofessor einführen zu dürfen: Es ist mir auch eine herzliche Freude. Es führt uns allen nämlich wieder einmal vor Augen, was wir an der Wolfgang-Stammler-Gastprofessur haben. Gerade weil ich als Neugermanist selber nicht das geringste Verdienst am Zustandekommen dieser Einrichtung habe, möchte ich mir erlauben zu sagen: Unter den vielen guten Neuerungen unseres Mediävistischen Instituts war dies bestimmt eine der allerbesten, hier - an Wolfgang Stammlers letzter akademischer Wirkungsstätte - die jährlich wechselnde StammlerGastprofessur ins Leben zu rufen. Schon seit bald fünfzehn Jahren wird unser zahlenmäßig ja doch sehr begrenzter Lehrkörper so auf höchstem Niveau verstärkt - nicht allein mit großen Namen der germanistischen Mediävistik wie Walter Haug oder Alois Haas, Alois Wolf oder Burghart Wachinger, wie Nigel Palmer oder Michael Curschmann; sondern ebenso mit den besten Experten benachbarter Mittelalter-Disziplinen wie den Linguisten Stefan Sonderegger und Oskar Reichmann, dem Musikologen Walter Salmen, dem Romanisten Marc-Rene Jung oder dem Mittellateiner Paul Gerhard Schmidt; dazu im letzten Jahr dem Historiker Peter Johanek und nächstes Jahr dann Norbert Ott für die Geschichte der Buch-Illustration. Und daß mit Wolfgang Harms nun erneut ein großer Name des Faches für uns gewonnen werden konnte, weiß jeder Kenner. Freilich nicht nur ein führender Name der Altgermanistik: Herr Harms hat sich zwar seit seiner Dissertation (zur deutschen Literatur bis 1300) wie dann auch mit seiner Habilitationsschrift (zur mittelalterlichen Bildlichkeit des Weges) als Mediävist ersten Ranges ausgezeichnet; aber er hat sich niemals in einen solchen historischen Teilbereich einpferchen lassen. Genauso wenig dürfte man ihn jedoch auf das Etikett eines Frühneuzeit-Experten festlegen: Wenn vielen Fachgenossen beim Namen von Wolfgang Harms sofort das Stichwort 'Flugblatt' einfällt, so ist das zwar nicht falsch (niemand hat mehr zur Bestandssicherung, Erforschung und Würdigung dieser frühneuzeitlichen Bild-Text-Gat-



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tung beigetragen) - aber eine solche Festlegung wäre doch ganz schief. Herr Harms hat vielmehr in Forschung und Lehre (integriert und personifiziert in der bedeutenden Reihe seiner forschenden Schülerinnen und Schüler) immer die Gesamtentwicklung der europäischen Literatur· und Kulturgeschichte im Blick behalten. Schon von daher hatte es seine Folgerichtigkeit, daß er dann auch für eine ganze Reihe von Jahren zum Gesamtvorsitzenden der 'Germanistischen Kommission' in der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewählt wurde. In dieser Eigenschaft habe ich ihn zuerst persönlich kennen gelernt. Und ich vergesse nie - genauer, lieber Herr Harms: ich werde es Ihnen nie vergessen - , wie es damals auf der Reisensburg seinem besonnenen Einsatz (gegenüber lebhaften Bedenken konservativer Kommissionsmitglieder) zu danken war, daß Christian Wagenknecht und ich unser DFG-Symposion 'Zur Terminologie der Literaturwissenschaft' durchführen konnten. Und aus dem ist dann die Konzeptionsarbeit für das neue, letztes Jahr abgeschlossene 'Reallexikon' (als Neubearbeitung von Wolfgang Stammlers legendärem 'Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte') hervorgegangen. Natürlich hat Wolfgang Harms es sich nicht nehmen lassen, dafür dann selber mehrere Artikel beizusteuern und in durchaus lebhaften Diskussionen mit uns Herausgebern fertigzustellen. Nicht zufällig befindet sich darunter auch der Artikel zum Lemma 'Rezension': Zu den wichtigsten Verdiensten von Herrn Harms gehört nämlich, daß er als Mitbegründer und dauerhafter Herausgeber der Zeitschrift 'Arbitrium' das zeitweilig ganz darnieder liegende Rezensionswesen unseres Faches wieder auf die Beine gebracht und der seriösen fachinternen Kritik einen eigenen Ort verschafft hat. Überhaupt ist Wolfgang Harms alles andere als ein Quietist, wie mir alle bestätigen werden, die in der Arbeit mit ihm zu tun, und das heißt: sich mit ihm auseinanderzusetzen hatten. Sie kommen zwar jetzt aus München zu uns, lieber Herr Harms, und sind da schon seit langem daheim - aber ein kleines S-tück norddeutscher S-treitbarkeit haben Sie sich, glaube ich, doch immer im Herzen bewahrt. U n d so kommt, meine Damen und Herren, auch etwas Weiteres vom Besten mit nach Freiburg, was die germanistische Mediävistik bis heute auszeichnet: Streitkultur. Das war und ist jedenfalls meine Beobachtung, von den frühesten Tagen im Göttinger Oberseminar meines Lehrers Karl Stackmann bis zum Geburtstags-Symposion für Klaus Grubmüller vor wenigen Monaten auf Schloß Hirschberg oder bis zur Wolfram-Tagung vor weni-

_ 9— gen Wochen hier im Rathaus-Saal zu Freiburg: Bei den Neugermanisten gibt es entweder schöngeistige Kultur oder erbitterten Streit - das Tertium hingegen, die ebenso engagierte wie menschenfreundliche Streitkultur, hat ihr Zuhause im Mittelalter, historisch wie in unserer eigenen Fachentwicklung. Ich möchte Sie hier nun nicht weiter langweilen mit der Aufzählung von Buch- und Aufsatz-Titeln aus der schier endlosen Publikationsliste von Herrn Harms (einige der wichtigsten sind ja bereits in der Einladung zum heutigen Abend zusammengestellt). Sondern ich möchte nur noch eine Beobachtung hervorheben, die mir beim Durchsuchen unserer Gesamtdatei zum 'Reallexikon' auffiel: In nicht weniger als 21 verschiedenen Artikel-Bibliographien beruft man sich auf Referenzwerke von Harms - darunter sechzehnmal auf ihn als Herausgeber von Sammelbänden, und zwar zu ganz unterschiedlichen Themen. Dennoch ragt hier wie überhaupt ein Band heraus: 'Text und Bild, Bild und Text' - der Tagungsband zum gleichnamigen 'Germanistischen Symposion' der D F G , dieser zur Zeit bedeutendsten Tagungsreihe des ganzen Faches. Das Buch ist längst ein Klassiker des Fachs, ja eine Gründungsurkunde des ganzen interdisziplinären Forschungszweiges geworden. Und so ist es eben auch kein Zufall, daß - passend zum hiesigen Arbeitsschwerpunkt mittelalterlicher Text- und Bild-Beziehungen - unser Gast heute einen Eröffnungsvortrag aus eben jenem Gebiet halten wird. Lieber Herr Harms, ich darf Sie nunmehr bitten, selbst das Wort zu ergreifen! Harald

Fricke

Bildlichkeit als Potential in Konstellationen Text und Bild zwischen autorisierenden Traditionen und aktuellen Intentionen (15. bis 17. Jahrhundert) Die Darstellungen der Frau Welt, der schönen, körperlich anziehenden und schön gewandeten Dame, wenn man sie denn nur von vorn betrachtet, die aber einen Blick in ihre Substanz bietet, wenn man ihren Rücken sieht, in dem man dann allerlei Gewürm als Zeichen ihrer inneren Fäulnis erkennt, die Darstellungen einer solchen verführerischen Frau Welt im Wort und im Bild und in der Kombination aus beiden hat Wolfgang Stammler als genuine Aufgabe für die Literaturwissenschaften erkannt und hat sie in verbalen und in bildkünstlerischen Darstellungen vom frühen Mittelalter bis in die frühe Neuzeit beobachtet und erläutert.' Stammler hat damit - wie auf andere Weise etwa auch Johannes Bolte und Julius Schwietering - der germanistischen Literaturwissenschaft es als ein selbstverständliches, notwendiges Uberschreiten der Grenzen vom Wort zum Bild vorgeführt, was seither mit stärkeren theoretischen Fundierungen und mit Postulaten hinsichtlich systematisch eingesetzter Interdisziplinarität als differenzierte Aufgabe der Philologien, der Volkskunde und der Kunstgeschichte erkannt und praktiziert wird. 2 Nicht zuletzt hier am Ort durch Eckart Lutz und seine Mitarbeiter und Gäste ist der Entdeckung und Erklärung von

Ich habe den Wortlaut des Vortrags stellenweise erweitert, habe die dort genutzte Möglichkeit, eine Vielzahl von Bildern zu zeigen, durch deskriptive Einschübe zu ersetzen versucht, doch blieb bisweilen der Vortragscharakter erhalten. ι 2

W o l f g a n g Stammler: F r a u Welt. Eine mittelalterliche Allegorie. Freiburg/Schweiz 1959. Z w e i neuere Ansätze bei Christel Meier: Illustration und T e x t k o r p u s . Z u kommunikations- und ordnungsfunktionalen Aspekten der Bilder in den mittelalterlichen Enzyklopädiehandschriften. In: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), S. 1 7 1 - 1 9 3 , und Michael Curschmann: Wort - Schrift - Bild. Z u m Verhältnis von volkssprachigem Schrifttum und bildender Kunst v o m 12. bis zum 16. Jahrhundert. In: Walter Haug (Hg.): Mittelalter und frühe Neuzeit. Ubergänge, Umbrüche und Neuansätze. Tübingen 2000, S. 378-470.

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Bildkomplexen, die literarische komplexe Vorgaben umsetzen, mit Erfolg viel Aufmerksamkeit gewidmet worden.3 Ich setze nun nicht in der Freiburger Gegenwart, sondern noch einmal bei Wolfgang Stammler an. Mit Bezug auf das ,Frau Welt'-Thema stellt er lapidar fest: „Wie häufig in Spät- und Ubergangszeiten, finden Kontaminationen verschiedener Vorstellungen statt".4 Hieran werde ich mit einigen Beobachtungen und Thesen anknüpfen, die auf mehreren Bildfeldern Eigenarten der Frühen Neuzeit als Hintergrund für das breite Affinitäts- und Assoziationsspektrum von Bildlichkeit jenes Zeitraums betreffen. Und ich werde ausgehen vom Bildkomplex der ,Frau Welt', und dabei wiederum von der früher von mir erprobten Annahme, daß im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zwischen der innerverbalen, z.B. metaphorischen Bildlichkeit und der bildkünstlerisch geformten Bildlichkeit ein ungeregeltes Austauschverhältnis möglich ist.' Die hierbei enthaltenen dinglichen Elemente bieten ein Deutungspotential an, sind nicht von mimetischen Aufgaben bestimmt. Auf Probleme der Illustrierung oder nachträglichen Bebildung von vorgegebenen Texten gehe ich dabei nicht ein. Unter den letzten, spätesten Belegen, die Wolfgang Stammler in seiner ,Frau Welt'-Monographie vorführt, ist auch ein einzelnes illustriertes Flugblatt des 17. Jahrhunderts genannt, Seufftzer nach dem Guldinen Frieden (1645), etwa aus der Zeit, wie das hier abgebildete (Abb. 1), das sprachlich das Thema des falschen Scheins betont neben der

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Zuletzt in den beiden imponierenden Bänden „Literatur und Wandmalerei" mit den Untertiteln „Erscheinungsformen höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter" sowie „Konventionalität und Konversation", jeweils herausgegeben von Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali und Rene Wetzel. Tübingen 2002 und 2005. Stammler: Welt (wie Anm. 1), S. 64. Wolfgang Harms: Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges. München 1970; vgl. Heinz Meyer: Metaphern des Psaltertextes in den Illustrationen des Stuttgarter Bilderpsalters. In: Christel Meier/Uwe Ruberg (Hgg.): Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Wiesbaden 1980, S. 175-208. Abbildung 1: In disem Bild wirdt fürgestellt Mit ihrer Herrlichkeit die Welt, anonym, Kupferstich von Dominicus Custos, o. O. o. J. (Augsburg um 1610); Abbildung in: Die Einblattdrucke der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg. Hg. von Christina Hofmann-Randall. Erlangen 2003, S. 48; zum Thema vgl. William A. Coupe: The German illustrated broadsheet in the seventeenth century. Historical and iconographical studies. 2 Bände.

— i3 — bildlichen Placierung der Frau Welt inmitten einiger der von ihr gepflegten Laster. Mit der Terminologie meines Themas umschrieben, bringt das Blatt Frau Welt in eine Konstellation mit acht narrenhaft agierenden Lastern, wobei Frau Welt als zentrales Bild mit ihren Attributen der Macht - dem Reichsapfel auf dem Haupt und dem prächtigen Gewand - sowie der Vanitas - einer Wasserblase in der Rechten, einem Heubündel mit Krone zu Füßen und einem Pfawenschwantz unter der Schleppe - den Grundtenor ihrer Bildtrabanten bestimmt: Der falsche Schein, die Völlerei, die Ehrsucht, die Baucksorge (Luxuria), der doppelte Sinn (Heuchelei oder Täuschung) sowie drei Narren- und Gauklerfiguren werden von der Macht der Frau Welt geschützt, die wiederum die Gegenkräfte, wie Gesatz vnd Erbarkait, Kvnst vnd Verstand, ungenutzt in der Ecke stehen läßt. Dieses Flugblatt zeigt hier mit einer Motiverweiterung eine Spezifizierung dessen, was als Herrschaftsbereich verstanden werden soll. Eine Opposition eines Vertreters der spirituellen Welt gegenüber dieser Herrschaft der Frau Welt wird hier nicht mitformuliert. Es wird auch keine Ableitung oder Intentionsmarkierung mit Bezug auf eine bestimmte historische Situation vorgenommen. Derartige ikonologische Aufgaben bzw. Bildelemente gehören sonst durchaus zum Potential des illustrierten Flugblatts. Aber Stammler hat in diesem Bereich des illustrierten Flugblatts, einer publizistischen Sonderform, die regelmäßig Bild und Wort, dabei oft auch mehrere literarische Gattungen, zu einem Lesezusammenhang vereint, sein Thema nicht weiter verfolgt. Dieses Medium erlaubt in seinen bildlichen und verbalen Teilen viele Beobachtungen zum Vorgang der Aufnahme vorhandener Bildelemente oder Bildformeln in Bildkomplexe, die zu ihnen in ikonographisch oder funktional bedingter Affinität stehen. Derartige Abläufe können zu gegenseitiger Spezifizierung, Intensivierung, Modifizierung und Determinierung der beteiligten Bildelemente führen. Dieses kann auch beim Vergleich einzelner Entstehungsstufen eines Blatts (Entwurf des Bildes, Ausführung der Bild-Text-Relation; deren weitere Adaption) erkennbar werden, ohne daß man lediglich auf die Hypothese angewiesen bliebe, es liege eine bildliche oder metaphorische Quelle vor oder es habe ein bloßes Verpflanzen kulturellen Wissens vorgelegen.

Baden-Baden 1966/67, Bd. 1, S. 39-43 mit Abbildung 15, und Stammler: Welt (wie Anm. 1), S. 75.

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Auf einem religiösen Flugblatt 7 des Nürnberger Verlegers Paul Fürst, der als der ,Bildermann' unter den Verlegern seiner Zeit bezeichnet wurde, wird die Darstellung der Frau Welt in die vielteilige, im übrigen einem Holzschnitt von Heinrich Vogtherr d. J. (1540) folgende Darstellung des Todes des Gerechten und des Ungerechten (Matthäus 2 5 , 3 1 - 4 6 verbunden mit Lukas 1 6 , 1 9 - 3 1 ) eingegliedert und wird dabei um ein kontextgemäßes Attribut ergänzt: Als Hinweis auf die H a b sucht reicht die modisch gekleidete Frau Welt dem sterbenden U n gerechten einen prall gefüllten Geldsack. Sie ist dabei zusammen mit dem T o d und dem Teufel (nach der Exegese von Hiob 7,1) Teil der bildlichen Trabantengruppe auf Seiten des Ungerechten und damit Teil der Gegnerschaft derer, die den sterbenden Gerechten umstehen: Dort treten die drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe und H o f f n u n g auf, die im Kupferstich des Blatts mit den üblichen Attributen Kreuz, Kind und Anker versehen werden. Ein französisches Blatt von Jacques Granthomme (1603), das detailliertere Textverknüpfungen zwischen den einzelnen bildlichen Darstellungen und ihren Bedeutungen einsetzt, läßt sich als ,Quelle' von Fürsts Blatt ansehen. Mir ging es hier zugleich um den Hinweis auf Wanderungen von signifikativen Konstellationen oder auch nur Attributen im Rahmen der Verknüpfung des zunächst oft isoliert auftretenden Frau Welt-Motivs, hier dessen Eingliederung in die Trias von Welt, Tod und Teufel als Gegnerschaft der genannten drei Tugenden. Zur Situation des Blattes, das die biblische Szene vom Tod des reichen Mannes und dem T o d des armen Lazarus mit Weltgerichtsumschreibungen verknüpft, gehört der lutherische Bezug auf die Diskussion der Rechtfertigungslehren in der Reformationszeit, nicht jedoch ein spezieller Beitrag zu einer nur kurze Zeit aktuellen Thematik. Außerhalb der illustrierten Flugblätter und der Emblematik ist die Trias von Welt, T o d und Teufel auch in der Konfrontation mit dem Menschen als Wanderer des Lebensweges oder, was sich in der Sache überlagern kann, des Miles christianus, selbstverständlich häufig (etwa im Gesamtwerk des Aegidius Albertinus), in entfalteten Gestaltungen wie in knappem zitathaftem Einsatz. Es wäre müßig nach Quellen und kausalen Abhängigkeiten zu fragen, w o es sich um bildgebundenes 7

Abbildung und Kommentar in: Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Hg. von Wolfgang Harms. Bände I—IV, VI, VII. München 1980/Tübingen 2005, hier Bd. III, Nr. III,116; vgl. Eva-Maria Bangerter-Schmid: Erbauliche illustrierte Flugblätter aus den Jahren 15701670. Frankfurt a. M. u. a. 1986, S. 147.

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Grundwissen der Zeit handelt. Es geht hier um die Einbeziehung von Potentialen in bildgebundene Prozesse. Flugblätter sind in ihrer Situationsgebundenheit und in ihrer Tendenz zur Zuspitzung besonders beweglich im Mobilisieren und Zusammenführen von an anderem Ort vorgeprägten prägnanten Bildformeln, die vielgliedrig zu Konstellationen erweitert werden können. Frau Welt dient hier auf dem Blatt des in der Einschätzung von Bildwirkungen erfahrenen Paul Fürst der warnenden Explikation der Verführung durch die Welt im Rahmen des Appells, Werke der Nächstenliebe zu tun. Mit dem Einsatz der Frau Welt und der anderen geistlichen Feinde des Menschen, der als Miles christianus um sein Seelenheil kämpft, leistet Fürsts Blatt einen anschaulichen Beitrag zum Verstehen jenes Teils der lutherischen Rechtfertigungslehre, in dem (nach Römerbrief 5,18) auf die Bedeutung des Glaubens an die gerechte Barmherzigkeit hingewiesen wird, der auf den Tod des alten die Geburt des neuen Menschen folgen lasse. In anderen illustrierten Flugblättern kann die Frau Welt-Gestalt in andere bildliche Affinitäten und damit in andere Bedeutungs- und Funktionszusammenhänge eintreten und entsprechend in ihrem Aussehen und ihren Attributen gewandelt werden. So wird Frau Welt auf einem thematisch ähnlichen Blatt von 1609 als Begleiterin von Tod und Teufel geflügelt und mit Zeichen der weltlichen Macht, im übrigen aber nackt als Verführerin des Menschen dargestellt, der im Bild unbewaffnet, in Titel und Text aber als Miles christianus dargestellt wird. 8 Mit der Miles christianus-Έιύdfοrme 1 (nach Epheser 6 , 1 0 - 1 7 ) wird hier vorstellbar gemacht, um wen es auch auf dem Blatt Paul Fürsts geht: um den Menschen zwischen den widerstreitenden Tugenden und Lastern und letzten Endes um den Menschen im Kampf um sein Seelenheil. Bei der Betrachtung eines katholischen Blattes von 1609, das Frau Welt als Teil derselben Trias ganz ausdrücklich in Wort und Bild dem Miles christianus-Thema zuordnet, 9 wird der Betrachter der beim Flug-

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Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, III (wie Anm. 7), Nr. 111,105. Abbildung und Kommentar einer Version als ,Kleines Andachtsbild' (vor 1609) in: Illustrierte Flugblätter, IV (wie Anm. 7) 1987, Nr. IV,2; die großformatige Version von Johann Bussemacher (Köln 1609) abgebildet bei Andreas Wang: Der ,Miles Christianus' im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit. Bern u. a. 1975, Abb. 1, dazu S. 42ff.; Bernadette Schöller: Kölner Druckgraphik der Gegenreformation. Ein Beitrag zur Geschichte religiöser Bildpropaganda zur Zeit der Glaubenskämp-

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blatt geläufigen Verführung erliegen, daß nämlich, was immer als verlesenes Wort schon ans Ohr dringen könnte, das Auge mit seiner Reaktion auf den Reiz sichtbarer Phänomene dem Hören oder Lesen des Texts voraus ist. Danach folgt der Versuch, Gesehenes und Gehörtes oder Gelesenes auf eventuelle logische Beziehungsverhältnisse zu prüfen. Der Betrachter ist für unseren Zusammenhang fündig geworden, wenn er die stolz auftretende, uns und einem gewappneten Ritter ihre schöne Seite bietende, höfisch gekleidete Frau Welt bemerkt hat, vom Beitext identifiziert als mundus (masculinum), trotzdem unbeirrt ,Frau Welt'. Ihr regungsloser Kontrahent ist der Miles christianus, im Epheserbrief erstmals als Konstrukt von Waffen vorgestellt, die einer knappen Allegorese unterzogen werden, um dem Christen zu sagen, mit welchen Kräften oder Potenzen (etwa Glaube, Tapferkeit, Gerechtigkeit) er den Kampf gegen den Teufel und alles Böse dieser Welt aufzunehmen habe und mit Zuversicht aufnehmen solle. Seine Waffen einzeln und seine armatura insgesamt sind immer wieder mit den an der Bibel eingeübten und von dorther hochautorisierten Verfahrensweisen der Exegese mit nach dem vierfachen Schriftsinn gestuften Bedeutungen verbunden worden, vorherrschend aber, wie auch hier mit der ZielDarstellung des Himmlischen Jerusalem (oben links) markiert, nach dem anagogischen Sinn, der die Gewinnung des Seelenheils umfaßt. Neben Frau Welt tritt hier von links die Gesamtheit der Sünden kompakt in einer Personifikation dem Miles entgegen, der ihnen sein Schwert entgegenhält, das spiritus oder verbum Gottes repräsentiert. Von der anderen Seite nähern sich Tod und Teufel, die der christliche Ritter vor allem mit dem Schild des Glaubens abwehrt. Uberwunden hat er bereits die ihm zu Füßen hingestreckte Fleischeslust ( C a r o , mit Attributen jeder Art von Lebenslust). Des geistlichen Ritters insgesamt fünf Gegner wird man nicht als Addition klar getrennter Einzelteile, sondern als Vergegenwärtigung des Zusammenhangs aller Bedrohungen des spirituell ausgerichteten Lebens in dieser Welt zu verstehen haben. Unter diesen Fünfen steht die ,Frau Welt' zugleich als Teufelsdienerin und als Schwester von Caro wie als Verursacherin von sündigem Handeln und Verführerin zu einem Tod ohne gnädige Erlösung. Eine solche fe mit einem Katalog der Einblattdrucke des Verlages Johann Bussemacher. Köln 1992, S. 120 und 123. Eine vergleichbare Konfrontation des Miles christianus mit Frau Welt (links), Caro (unten) sowie Tod und Teufel (rechts) findet sich auf dem protestantischen Blatt, das der Dramatiker Kaspar Brülow in Straßburg verfaßte (verlegt 1634 bei Elias Hugwart; A b bildung und Kommentar demnächst in: Illustrierte Flugblätter, Bd. IX).

— ιγ — komplexe Zusammenführung vieler Vorstellungen aus unterschiedlichen Bild- und Wort-Traditionen könnte Stammler mit seinem zitierten Wort mitgemeint haben, auch wenn er dieses oder andere Flugblätter nicht weiter erwähnt. In der Konstellation dieses Miles christianus erhält Frau Welt eine bildimmanente, von einem langen auslegenden Text mitgestützte Rolle oder Position auf des Menschen anagogischem Weg zum .Himmlischen Jerusalem'. Dieses von katholischer Autorschaft geprägte gegenreformatorische Blatt, nach dem Stich von Hieronymus Wierix und mit anonymem Text in Köln 1609 von Johann Bussemacher publiziert, greift Möglichkeiten auf, die, in der Affinität von Frau Welt und anderen Gegnerschaften des Miles christianus als Potential angelegt, auch an anderen Orten mit anderen Akzentuierungen realisiert sind - aber ich verzichte hier auf Einordnungen auf einer temporal gegliederten Skala von ,schon' oder .noch nicht', aus der allzu leicht die Annahme eines Systemzwangs einer teleologisch-organologisch geordneten Entwicklungsreihe entstünde, wie sie der Praxis des immer neu ansetzenden Befragens von Realia oder Bildlichkeiten oder des Zusammenfindens der von Affinitäten der Bildkomplexe wie von Intentionen der Verfasser gesteuerten Bildteile nicht entspräche. Die Situationsbezogenheit des Mediums ..illustriertes Flugblatt' legt es nahe, das einzelne Werk, den einzelnen Lesezusammenhang von Text und Bild aus einer vom Blick aufs Publikum, von der Intention einer publikumsorientierten Botschaft geprägten Nutzung bildlich angelegten Potentials zu erklären, nicht als einen .Beleg' auf der postulierten Linie einer ,Biographie' eines Bildes oder Bildmotivs, der suggeriert, es würde nichts von dem, was einmal belegt ist, in Zukunft vergessen werden, als gäbe es eine sich beständig additiv erweiternde Thesaurierung von Deutungen und Handhabungen von Bildelementen oder Bildkonstellationen. Das innerbildliche (in Sprache oder Graphik aufgehobene) Potential steht dem Bild-Autor zu wirklicher Verfügung, nur daneben eventuell auch der Zugriff auf eine ihm nützlich erscheinende unmittelbare Vorlage. Die hier bisher in den Blick genommenen biblischen Bildlichkeitskomplexe (Epheserbrief 6,ioff.; Hiob i,7ff.; Matthäus 25,3iff.; Lukas 1 6 , 1 9 - 3 1 ) sind nicht etwa nur durch den Wortlaut der Bibeltexte wirksam geworden, sondern gerade auch durch die Wirkung ihrer Behandlung in verbaler Exegese und Bildillustration, von denen autoritative wie auch an andere Themen anschlußfähige Voraussetzungen für ihren Gebrauch im Flugblatt geschaffen werden. Das in der Regel kleingliedrige, zur Konzentration auf sehr wenige signifikative Bildelemente neigende Emblem hat ebenfalls mit diesen biblischen Bildfeldern operiert und selbst die auf Mehrgliedrigkeit an-



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gelegte Darstellung vom Miles christianus wiederholt verknappend variiert, so etwa bei Daniel Sudermann 1625 mit dem kämpfenden Miles, unter dessen drei Gegnern neben dem Teufel und der Fleischeslust Frau Welt mit den Attributen höfischer Pracht und weltlicher Macht erscheint.10 Biblische und andere sakrale Bildlichkeit erreicht in der Regel eine höhere Festigkeit als profane Bildlichkeit. Dieses gilt auch für die Festigkeit von vielen religiösen Bildthemen auf illustrierten Flugblättern, wie der Heiligen Dreifaltigkeit, der Geburt Christi, der Position Christi als Salvator Mundi, einzelner Heiliger u. a. Der Miles christianus dagegen konnte durch die Möglichkeiten seiner Deutung auf den einzelnen Christen und vor allem auf den Gotteskämpfer gegen Heiden (auch bei Kreuzzügen) sehr leicht in nicht-sakrale Zusammenhänge transponiert werden, in denen er in ikonologisch neue, einander bestimmende Themen- und Bildfelder geriet. Das steigerte sein Wirkungsspektrum, nahm ihm aber auch die formale Festigkeit vieler anderer Bilder biblischen Ursprungs. Auf dem folgenden Blatt wird nur unter anderem, aber an entscheidender Stelle mit der Darstellungs- und Deutungstradition des Miles christianus operiert. Es praktiziert eine auch den Augen erfaßbar gemachte Trabanten- oder Cluster-Bildung von heterogener Bildlichkeit, in der ein Element vom anderen in seinem Bedeutungspotential determiniert wird. Es setzt aufseiten seines Autors und dann auch aufseiten des Betrachters und Lesers ein hohes Maß an verbaler und graphischer Bildleseerfahrung voraus. Bildlichkeit des geistlichen Kampfes und der Verstrickung, der Göttin Gelegenheit und des einst von Fortuna gedrehten Rades geht ein Bildgeflecht ein, das für jeden der beteiligten Bildbereiche eine Erweiterung oder einen Traditionsbruch bedeuten kann, zugleich aber aus dem Durchschauen von Traditionen eine vielschichtige Darstellung und Wertung einer historischen Situation werden läßt." Ein hinreichend differenzierendes semiotisches Modell fand ich hierfür bisher nicht. Die Vorstellung einer Konstellation aus einoder mehrteiligen, als Potential bereitliegenden Bildern oder Bildkomplexen graphischen oder verbalen (oft biblischen) Ursprungs bei gleich-

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Daniel Sudermann: F u n f f z i g Schöner ausserlesner sinnreicher Figuren. 5. Teil. Frankfurt a. M. 1628; A b b . 8 bei Wang:,Miles Christianus' (wie A n m . 9), vgl. dort weitere Beispiele aus der Emblematik A b b . 4, 9, 1 2 u. ö. Abbildung 2. D a z u Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, II (wie A n m . 7), N r . 11,29; ferner Wolfgang Harms: Einige Funktionalisierungen von biblischen Texten auf historisch-politischen illustrierten Flugblättern der frühen Neuzeit. In: German Life and Letters 48 (1995), S. 264-276, hier 265-269.



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zeitiger, von aktueller Intention bedingter Steuerung durch eine historische Situation mit ihren Hoffnungen und Mängeln mag als vorläufiges Beschreibungsmodell dienen. Dieses muß selbst beweglich bleiben, da sich Flugblatt-Bildlichkeit meistens nicht von einer einzigen Stelle aus, sondern in mehrfachem Ansatz lesen läßt, so daß mehr als ein Teil zeitweilig die Rolle der zentralen Bildlichkeit erhalten kann. In jedem Fall müßte die Historizität der Situation und der (mehrschichtigen) Wirkungsintention beachtet werden; eine Lösung vom Rahmen einer allgemeinen Epochenästhetik bliebe unangemessen. Jeder erste Satz über dieses Flugblatt von 1572, sei er deskriptiver, sei er deutender Art, setzt einen anderen, jeweils vertretbaren Akzent. Sage ich: das Geflecht aus gestochenen Bild- und Textelementen stammt von dem dalmatinischen Graphiker Martinus Rota, der von 1568 bis 1583 vorwiegend am Wiener Kaiserhof, in diesem Fall aber vorübergehend in Venedig tätig war, so ist schnell ein Teil der historischen Situation impliziert: Seit dem 7. Oktober 1571 feiern die Zentren der christlichen politischen Mächte enthusiastisch ihren unerwarteten Seesieg von Lepanto über die als übermächtig eingeschätzte türkische Flotte. Das Zentrum der Sieger bestand aus der 1 5 7 1 gegründeten Heiligen Liga, bestehend aus dem Papst, dem Dogen von Venedig und dem König von Spanien, Befehlshaber der Flotte war der Habsburger Juan d'Austria. Der Betrachter könnte auch von einer anderen Gruppierung ausgehen, durch die Zypern betont wird. Sage ich also: Oben am Rande ist das befestigte Famagusta auf Zypern dargestellt, so führt eine andere historische Linie zurück in heilsgeschichtliche Akzentuierungen. Zypern war 330 von Kaiser Konstantin dem römischen Reich angegliedert worden, der ja das Christentum als Staatsreligion eingeführt hatte. Erst am i. August 1571 wurde es von den Türken erobert, deren Spuren als Halbmonde auf den Türmen der Stadt zu sehen sind, auch durchzieht eine als feindselig charakterisierte Schlange die Stadt, während ein Türke sich hier vergeblich zu halten versucht und nach unten fällt. Kaiser Konstantin erhebt sich unten gerade aus dem Sarkophag, während seine Mutter, die Heilige Helena, mit dem Kreuz in der Hand als christliche Fides stilisiert, daran erinnert, daß sie im Jahr 327 Teile des Heiligen Kreuzes sowie das Kreuz des reumütigen Schachers nach Zypern gebracht habe. Es erscheint dann wie eine längst angelegte Konsequenz, daß nach der Schlacht von Lepanto das Christentum auf Zypern wieder einzog. Von jeder als zentral verstandenen Bildlichkeit kommen bei beiden ersten Leseversuchen logische Verbindungen in das vielgliedrige Feld aus Text und Bild. Sage ich aber: Das Bild ist von der Struktur eines Rades gegliedert, dessen Bewegung von der Chronos-Figur beherrscht

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ist, dann blickt man in zunächst schwer durchschaubare Verhältnisse, von denen Gegenwart und Zukunft bestimmt werden. Es zeigt sich an dem Rad und seiner Bewegung, daß ein Bildelement in seiner struktur-, auch handlungsstrukturbildenden Funktion übertragbar ist und einen neuen Gegenstandsbereich bzw. einen ikonologisch neuen Botschaftsinhalt überzeugend gliedern und seine Aussagefunktion bestimmen kann, die über die bloße Markierung der historischen Situation hinausgeht. Die Frage, ob sämtliche Bildlichkeitselemente gleichmäßig auf ein und dasselbe Sinnermittlungsverfahren, etwa nach dem Vorbild von Formen der Bibelexegese, bezogen sind, würde unangemessen auf vereinheitlichende Klärungen eingeengt sein. Die seit dem Mittelalter verbreitete, einfache Grundform zeigt Fortuna ein Rad drehend, an dem vier Herrscher in vier Phasen des Ablaufs von Herrschaftsergreifung bis Herrschaftsverlust gezeigt sind, oft mit den Beischriften regnabo, regno, regnavi, sum sine regno versehen." Dieser Bildtypus und das mit ihm implizierte Wissen von Herrschaft und Geschichtsabläufen sind auch ohne Begleittext allüberall in Europa verstehbar gewesen, konnten Funktionen erfüllen in sakralen wie in profanen, herrschaftsnahen wie in anderen Lebensbereichen. Dieses Blatt hier setzt dieses bildlich formulierte Grundwissen von dem Auf und Ab des Machtbesitzes voraus, variiert es aber. Tempus (Chronos), nicht Fortuna hat die Drehbewegung in Gang gesetzt, durch die der Türke links oben in die ikonologisch gewohnte Aufsteiger-Position geraten konnte. Doch die Bewegung ist inzwischen gestoppt und umgekehrt worden: die Körperhaltung der Tempus-Gestalt zeigt, daß sie die Kurbel jetzt zu sich her dreht und damit für einen Aufstieg jener Dreiergruppe rechts oben sorgt, die die Heilige Liga repräsentiert: eine Fides-Yigur für den Papst, flankiert von zwei ritterlich Gerüsteten, von denen der linke den venezianischen Markuslöwen im Schilde führt. Ihr gemeinsamer Ruf variiert die Epheserbriefallegorie vom Miles christianus: sie bekennen, sie hätten die armatura Domini bereits angelegt, zeigen sich also zu einem spirituell orientierten und autorisierten Kampf bereit. Ist diese Gruppe als positive aufsteigende Teil-Konstellation zu erkennen, so ist auf der Gegenseite der Türke, der bisher aufstieg, in einem Absturz begriffen, der gefördert wird von Tod und Sünde, die ihn, bezogen auf biblisch vorgegebene Bildlichkeit der .Verstrickung', an Stricken herabziehen. Mit Hilfe von abgewandelten und

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Frederick P. Pickering: Literatur und darstellende Kunst im Mittelalter. Berlin 1966, u. a. mit Abb. 1.

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kontaminierten Zitaten aus Hiob (i8,9ff.) und mehreren Stellen des neunten Psalms wird, die Graphik vorbereitend, mit Hilfe von Netzund Strick-Bildlichkeit beschreibend begründet, warum der Türke hier handlungsunfähig wird. Als Hauptgrund gelten seine Sünden, woraus eine der bildimmanenten heilsgeschichtlichen Einordnungen des hier dargestellten politisch-militärischen Geschehens resultiert. Wie raffiniert die eingestreuten Texte die bildgetragene Handlungslogik verstärken, kann ich hier nicht im Einzelnen verfolgen. Zitate aus der Antike von Euripides bis Cicero, vor allem aber aus Altem und Neuem Testament werden meist so umformuliert, daß sie inhaltlich und grammatisch in die Bildkonstellation passen. So wird aus einem prognostischen Wort der Sprüche Salomos (Proverbia 10,7) über die Wege der homines aktualisierend eine beflügelnde Aussage über die via nostra. Hier zitiertes ikonologisch gebundenes Wissen wird durch die kurzen Texte funktional ausgerichtet: Ein Tempus prope est erweist sich als zweifach in der Apokalypse belegt (Offenbarung 1,3 und 22,10); beide Bezüge rechtfertigen nicht nur die Tempusfigur, sondern geben dem gesamten Ablauf eine heilsgeschichtliche Dimension mit: der Türke ist als Antichrist erkannt und muß jetzt gestürzt werden. Die alte strukturbildende und aussageimplizierende Drehung des Fortuna-Rades wird, altes Bildwissen abrufend, in eine Bewegung gebracht, an der ursächlich auch Mächte außerhalb des Radmechanismus beteiligt sind: Sünde und Tod mit Stricken, der nach einem Nachfolger suchende politische Beschützer Konstantin, vor allem die Trias der heiligen Liga, die den Miles christianus-Gedanken verkörpert. Aber die sonst vorherrschende Verkürzung auf den anagogischen Sinn gilt hier nicht mehr. Weltliches politisches und heilsgeschichtlich akzentuiertes Handeln in der Welt werden hier zusammengesehen. Der Umgang mit Bildtraditionen und ihren Sinnfindungen ist den Bedürfnissen der historischen Situation unterworfen. Mit Hilfe eines weiten Spektrums des Bezugs auf reales politisches Geschehen bis zum Einsatz allegorischer Sinnebenen wird hier neuestes militärisches Geschehen in heilsgeschichtliche göttliche Planung eingeordnet und so mit verbindlichem Sinn versehen. Die Kombinatorik im Umgang mit bildhaltigen Bibelversen gruppiert auch die Miles cÄrwiM««5-Bildlichkeit mitsamt der in ihr mitformulierten christlichen Hoffnungen in ein neues Gefüge aus dargestellten aktuellen Bedrohungen und über das Tagesgeschehen hinausreichenden, heilsgeschichtlich fundierten Zukunftsvorstellungen ein. Die Komplexität dieser Variante auf Affinitäten von Rota Fortunae und Miles Christianus, Occasio und Verstrickung war offenbar einprägsam genug, um weiterverwendet werden zu können, wobei wieder das

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Gespür, in einer gewandelten historischen Situation eine besondere Funktion zu gewinnen, über die bloße Kenntnis einer ikonologischen Variationsmöglichkeit dominiert. In den Jahren um 1620 bis 1625 arbeitet man in einer für uns anonymen Runde von in verbalen Texten und Bildtexten höchst belesenen Heidelberger protestantischen Emigranten daran, die eigene bedrohte politische Situation intern mit tröstlichaffirmativen und zugleich nach außen streitbar-aggressiven Elementen zu bewältigen.' 3 Dabei wird also die sonst in der Regel allein auf die Gewinnung überzeitlicher und überindividueller Einsichten abzielende Emblematik, ein Sonderfall allegorischen Lesens und Verschlüsseins, als Form für hochautorisierte Angriffe in der Gegenwartspolitik eingesetzt, in der nicht selten heilsgeschichtliche Strukturen erkannt werden. Insgesamt verlangt die Form des Emblems eine Reduzierung der Menge an Bildteilen. Einiges bleibt in der Bildsprache der Fortunaradstruktur gleichartig besetzt, wie bei dem offenbar gut bekannten, eben vorgeführten illustrierten Flugblatt, anderes wird verändert, aber viele Positionen behalten ihre Wertigkeit (Abb. 3). Tempus dreht, die positive christliche Trias - nicht mehr mit der heiligen Liga identifiziert - steigt auf, nur ihr als Absteiger vorgeführter Gegner ist ein anderer: einst der Türke, hier aber der Jesuit (in Verbindung mit dem Spanier), w o h l vorwiegend in seiner Eigenschaft als Berater katholischer Herrscher angegriffen, insbesondere an den H ö f e n in Wien und in Spanien. O b e n in der emblematischen Pictura ist das, was der jetzt Absteigende einmal zu beherrschen meinte, verändert: es ist die Welt, die als Ganzes eine N a r renkappe trägt - die hier zitierte Vorlage reiche ich noch nach. Die gegenüber dem Lepanto-Blatt stark vereinfachte Graphik in der Straßburger Handschrift ist hier kaum mehr als ein stützender Fixpunkt für die breit ansetzenden exegetisch angelegten verbalen Aussagen, gegliedert in ein doppeltes Motto aus Bibelzitaten und eine ebenfalls zweige-

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Abbildung 3: Aquarellierte Zeichnung der Chronos-Rad-Pictura. Z u m anonymen ,Emblemata secreta'-Manuskript in Straßburg ( B N U , Ms. germ. 648) s. vorläufig Wolfgang Harms: Emblemata secreta. A n o n y m e emblematische Verständigungen über politische Ereignisse von 1620 bis 1630 unter pfälzisch-reformierten Autoren. In: Peter M. Daly/John Manning/Marc van Vaeck (Hgg.): Emblems from Alciato to the Tattoo. Turnhout 2002, S. 193210; wiederabgedruckt in: Kolloquialität der Literatur. H g . von Michael Schilling. Stuttgart/Leipzig 2006, S. 45-60, hier S. 5of. mit A b b . 5. Vgl. C o r nelia Remi: Emblemata secreta. Die Sau im Weinberg des Herren. Literarische Bewältigung politischer Aggression in einer Handschrift aus dem Dreißigjährigen Krieg. In: Akten des IVG-Kongresses Paris 2005, Sektion 14.



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teilte redeähnliche Subscriptio. Getadelt wird der Jesuit, weil er versucht habe, dem Spanier zum Besitz der Weltmonarchie zu verhelfen; triumphierend wird aber festgestellt, daß der Spanier statt der Welt nichts als eine Narrenkappe in die Hand bekommen habe. Bei dem Medienwechsel von dem öffentlich, wohl insbesondere in der Nähe des Kaiserhofs seinen Wirkungsbereich suchenden Flugblatt aus Venedig bzw. Wien bis hin zur emblematischen Handschrift, die sich an einen zurückgezogen lebenden Zirkel wendet, hat sich mit der historischen Situation und dem Wechsel der Genera einiges verändert: die Plakativität der Graphik und die hochdifferenzierte Verflechtung von Bild und Text sind reduziert, die Botschaft wird vom Bild nur gestützt, breit entfaltet wird sie allein von der viel umfangreicher gewordenen Textmenge, während eine gewisse Uneigentlichkeit der Darstellung von Personen in beiden Medien ähnlich mit einer Schärfe der Aussage, des Triumphs wie der Prognose, einhergeht. Die Radbewegung, der Beweger des Rades, die Inhaber der Auf- und der Abstiegspositionen sind alle nur von der einmaligen historischen Situation her zu verstehen, aus der und für die das Blatt besondere Aussage·, speziell Wertungsfunktionen erhält. Anhand der vielen, teils hochdifferenziert gestalteten Fortunaräder allein schon auf Flugblättern könnte man eine Geschichte der in Wort und Bild formulierten Fortunaradmotivik und mit ihr der Schicksals- oder Abhängigkeitsvorstellungen in der Frühen Neuzeit' 4 schreiben, Embleme, Buchtitelblätter, bildlose Texte, textarme Bilder kämen hinzu. So wie es eine Arbeit am Mythos gibt, ergäbe sich hierbei ein Einblick in die Arbeit am Bild und dabei ein Einblick in statische Vorstellungen und mehr noch in konkurrierende Vorstellungsprozesse der Zeit. Eine solche ,Geschichte' müßte aber von einer temporal gegliederten Reihung absehen, denn eine einmal gewonnene Gestaltung, wie das Tempus-Rad zum Lepanto-Sieg im Zeichen der Occasio, geht nicht einfach ins allgemein verfügbare ikonologische Material ein. Die immer wieder zitierbare Gemeinsamkeit der bildlichen Belege ist die Bildstruktur, das von einer Macht gedrehte Rad, das unterschiedliche Mächte oder Kräfte in ein in sich antagonistisches Gefüge und in einen Ablauf potentiell zyklischer Art einordnet. Die einzelnen Belege wären ihrerseits nicht statisch-formal zu ordnen, sondern als Teile einer Gestaltungskonkurrenz zu zeigen, die von Fall zu Fall einer funktionalen Interpretation zu unterwerfen sind. Die Fra14

Die Monographie von Gottfried Kirchner: Fortuna in Dichtung und Emblematik des Barock. Tradition und Bedeutungswandel eines Motivs. Stuttgart 1970, wäre entsprechend auszubauen.



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gen nach Prioritäten oder Vorlagen träten dabei zurück, teleologische Linearität wäre ein untaugliches Beschreibungsmuster. A b e r ein Schlüssel für das, was in der Zeit - gefürchtet oder erhofft - in Bewegung gerät, wäre ein nicht nur beiläufiges Ergebnis einer solchen frühneuzeitlichen Fortunarad-Geschichte in ihrer Funktionsbezogenheit. D i e B i l d - T e x t - K o m b i n a t i o n e n jener Straßburger Handschrift, in der kundige Heidelberger Emigranten neue Botschaften aus vorausgegangenen Deutungen und Deutungstraditionen erarbeiten, u.a. diese T e m pus-Rad-Darstellung, werde ich wiederholt in meine Fragestellungen im nächsten S o m m e r hier in Freiburg einbeziehen. H i e r sei jetzt noch nachgereicht die vernichtende Weltdarstellung, die die Handschrift dort, w o der Jesuit in Tateinheit mit dem Spanier nach Halt greift, als Bildformel zitiert. In der Handschrift verkürzt, im zitierten Flugblatt detailliert ausgeführt, blickt aus einer Narrenkappe eine Weltkarte den Betrachter an: Nichts als Narrheit sei in sämtlichen geographischen Gegenden zu finden, und das einzige Heilmittel gegen die derart erkrankte Welt sei dasselbe Medikament, das sich gegen den Wahnsinn bewährt hat, die N i e ß w u r z ( e l l e b o r u m ) . ' 5 D i e Emblemata secretaHandschrift zitiert hier ein kurz zuvor publiziertes Flugblatt, wodurch in die von Fortunarad-Afz/es christianus-Affinitäten getragene B i l d k o n stellation ein vernichtend wertendes Bildelement hinzutritt. ,Frau W e l t ' aber, die ebenfalls negative Wertungen impliziert, bleibt hier ausgeklammert. Dieses Muster von unterschiedlich genutzten Affinitäten, die zu neuen Kombinationen führen, denen oft unterschiedliche A k z e n t u ierungen oder Angriffsziele abgelesen werden können, könnten sich als Grundmodell für eine Funktionsgeschichte des Austauschs zwischen verbaler und bildkünstlerischer Bildlichkeit in der frühen Neuzeit bewähren. Ich habe es hier vermieden, von einem Durchspielen der Möglichkeiten des Fortunarades zu sprechen. Statt eines eventuell unverbindlich klingenden Spielens wäre eher von einem dringend benötigten Freiraum zu sprechen, in dem etwas, was weder in Gesetzesregeln gefaßt noch in Traktaten noch in Predigten als Tatsache oder als unstrittige Möglichkeit dargelegt werden könnte, vorstellbar gemacht und dadurch eher diskutierbar werden könnte. In diesem Sinne versetzt ein wohl von be-

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Nosce te ipsum, anonymer Kupferstich nach Jean de Gourmont (tätig bis 1587), o. O. o. J. (Anfang des 17. Jahrhunderts); Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe. Hg. von Wolfgang Harms, bearbeitet von Beate Rattay. Ausstellungskatalog Coburg 1983, Nr. 135.

— 25 — drängten Hussitenanhängern um 1450/70 formuliertes Blatt'6 die Tugend der Geduld, die den Heiligen zum Sieg über jede Anfechtung und jede Macht der Laster verhilft, in die ikonologische Rolle der sonst allgewaltig drehenden Fortuna. Wer außer ihr könnte denn auch in einem Weltzustand helfen, in dem die Spitze der Macht, der obere Rand des stillstehenden Rades, von einem fuchsgestaltigen Papst erklommen worden ist, einer Kombination aus höchster geistlicher und weltlicher Macht sowie der Fertigkeit, alle bewährten Werte oder Tugenden außer Kraft zu setzen. Mit vorwiegend innerikonologischen Mitteln wird dem Publikum empfohlen, die Partei der entkräftet unten am Rad daniederliegenden Demut zu ergreifen, die durch ihre Ähnlichkeiten mit dem Christus der Pietä dem derzeit Herrschenden, dem Papst in Fuchsgestalt, herausfordernd positiv gegenübergestellt ist. Im oberen Teil der Radstruktur sind Laster dem Herrschaftsbereich zugeordnet, von denen Avaritia und Invidia nach dem Muster der Psychomachie beritten dargestellt werden. Zwei weitere Tiere, ein Bär und ein Wolf, ordnen sich dem Fuchs wie Vasallen zu und legen dem Betrachter eine Lastermit Ordenskritik nahe. Die Fortunarad-Ikonologie öffnet sich hier Teilbereichen der tierepischen Satire und des Kampfes zwischen Tugenden und Lastern im Stile des Prudentius, schafft damit aus verschiedenen Bedeutungs- und Funktionsbereichen eine neue Konstellation, deren Verständnis auch der Stützung durch bildorientierte Worte bedarf. Während bei den zuvor behandelten Blättern am Fortunarad der Wechsel zwischen Oben und Unten als eine Möglichkeit der Kontrastierung von positiver und negativer Vertikalsymbolik für die Lasterkritik genutzt wurde, kann diese auch zurücktreten, eventuell nur latent wirksam werden, wenn Chancen politischer Entwicklungen abgewogen werden sollen. Auf einem Blatt von 1513, 1 7 das Pamphilus Gengenbach

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S. die farbige Abbildung und Erläuterungen bei Wolfgang Harms: Reinhart Fuchs als Papst und Antichrist auf dem Rad der Fortuna. In: Frühmittelalterliche Studien 6 (1972), S. 418-440; vgl. Konrad Hoffmann: Typologie, Exemplarik und reformatorische Bildsatire. In: Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Hg. von Josef Nolte u. a. Stuttgart 1978, S. 189-210. Mit geduld bab ich gewart lang zeyt (Initium). Erläuterungen bei Wolfgang Harms: Bemerkungen zum Verhältnis von Bildlichkeit und historischer Situation. Ein Glücksrad-Flugblatt zur Politik Kaiser Maximilians I. im Jahr 1513. In: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters. Hg. von Klaus Grubmüller u. a. München 1984, S. 336-353, dazu dort Abb. 1.



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zugeschrieben werden konnte,18 wird die starke Position der Eidgenossen vor der Schlacht von Novara darstellt. Dieser Situationsbezug bestimmt die Funktion aller bildlichen Details. Der Autor gewinnt hier die Möglichkeit, den Kaiser Maximilian I. als eine nicht dominierende politische Kraft darzustellen, der zwar aufsteigen könnte, hierfür aber die Schweizer Landsknechte benötigte. Die obere Position am Fortunarad wird hier als befristet vakant dargestellt, indem an ihr nur ein Stundenglas erscheint: Der Gallische Hahn ist im Begriff, die Höhe zu verlassen, der Habsburgische Pfau (aus dem Pfauenstoß des habsburgischen Zimiers) sie zu erklimmen. Die Person, die diese Position erreichen wird, ist derzeit unten am Rade ohne herrschaftlichen Glanz dargestellt. In ihr ist Maximilian zu erkennen, der von sich sagt, daß er die (Glücks-?) Kugel antreibt und sich Gedanken darüber macht, was ihm das glückrad noch bescheren wird. In der Gegenwart wird er aber eindeutig als erniedrigt und als von Machtverlust betroffen dargestellt: Er bewegt sich auf Schmutzschuhen, die Krone fällt ihm vom Kopf. Gegenüber den dargestellten und gedeuteten vielgliedrigen Bewegungen im oberen Teil des Blattes bringt der stärker in einem Redezusammenhang geprägte untere Teil eine gewisse Festigkeit in die gesamte Konstellation aus Bild und Text und damit in die situationsorientierte Botschaft des Blatts. Der Kommentar des (Wald-) Bruders betont, daß das zeytlich glück vergencklich ist, gibt dabei aber keine sichere Prognose für den Machtgewinn des Kaisers. Dennoch erhält durch die bildliche Darstellung des Textautors, der als eine geistliche und politische Autoritätsgestalt erkannt worden sein dürfte, der weitaus differenzierter als der Textteil angelegte Bildteil des Blattes eine Festigkeit oder Einheitlichkeit, „die die Spannung zwischen Wort, Schrift und Bild weitgehend aufhebt".' 9 Daher kann für die Verbindung von Maximilian und dem Haus Habsburg einerseits, den Schweizer Landsknechten andererseits doch eine positive Zukunftserwartung abgelesen werden. Die Drehung des Rades und die Plazierung des Stundenglases verlieren in dieser Konstellation ihre bedrohlichen Aussagemöglichkeiten. Die Thematisierung der Abhängigkeit des Kaisers von den Schweizer Landsknechten vermag die anonyme Bildpublizistik mit ihren Möglichkeiten der Anspielung leichter vorzunehmen als andere öffentlich

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Die Identifizierung gelang Frieder Schanze: Zu drei Nürnberger Einblattdrucken des frühen 16. Jahrhunderts. Gutenberg-Jahrbuch 1992, S. 134-145. Nach der Charakterisierung einer in großen Teilen vergleichbaren Situation bei Curschmann: Wort (wie Anm. 2), S. 454.



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zugängliche Publikationen. Analoges gelingt auch, wenn 1621 2 0 ein Herrscher, der wie andere als von Gottes Gnaden eingesetzt (und daher als öffentlicher Kritik entzogen) gilt, seinem Kurfürstenrang auch noch eine Königskrone hinzufügte und, der superbia wie der luxuria und der gula zugetan, seine Untertanen und Territorien schröpfte - w o gäbe es den literarischen Ort, dieses so deutlich vor Augen zu führen und anzuprangern? Im Flugblatt findet sich der Freiraum auch zur unmittelbaren, situationsbezogenen Herrscherkritik; in seiner Anonymität führt es vor Augen, was in der Konstruktion des Bildes und dem rechtfertigenden Wort möglich ist: Friedrich V. von der Pfalz ist am Fortunarad nach oben getragen worden, aber nicht von einer gottgelenkten Fortuna, sondern von seinen nach Kräften die Kurbel drehenden Pfälzer Hofbeamten Ludwig Camerarius und Johannes Scultetus, von denen der Mechanismus des Rades nicht so ganz unter Kontrolle gehalten werden konnte, denn durch das Weiterdrehen (ihrer Politik) stürzt der König und fällt ins Meer, und da wird die Bildkonstellation der Radkonstruktion von der Historizität der Situation eingeholt: Holländische Fischer retten ihn, reformierte Glaubensbrüder, zu denen er in die N i e derlande geflohen ist. Aber daß ein lebender Monarch dem Publikum in einer Weise vor Augen geführt wird, die ihn der Beurteilung, A b w e r tung, ja dem Spott eines jeden Betrachters aussetzt, das gelingt mit dem Zitieren der Drehung des Fortunarades, die überall ihre bezwingende Logik behält und immer neue Inhalte aufnimmt. Kein anderer christlicher Monarch der Zeit ist publizistisch so zum Verurteilen freigegeben worden wie der Pfälzer Kurfürst und König von Böhmen am sich drehenden Rad dank dessen impliziter Bildlogik. U n d umgekehrt konnte das rhetorisch aufgebaute Vertrauen auf die Verbindlichkeit eines Herrscherlobs sogar die im Bild vom Fortunarad angelegten Unsicherheiten außer Kraft setzen. Etwa zur selben Zeit erhält Kaiser Ferdinand II. anläßlich seiner Frankfurter Kaiserkrönung ein Casual-Flugblatt, das ihn in der Pose eines Steuermanns ausdrücklich am Rad der Fortuna zeigt. 2 ' Die Sorge um den Ausgang der böhmi-

20 Deß gwesten Pfaltzgrafen Glück vnd Vnglück. Anonym, Kupferstich o. O. 1621. Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter Coburg (wie Anm. 15), Nr. 79; vgl. Der Winterkönig Friedrich V. Der letzte Kurfürst aus der oberen Pfalz. Hg. von Peter Wolf u. a. Ausstellungskatalog Amberg. Augsburg 2003. Einleitung S. 12-15. 21 Abbildung 4: Rota fortunae regia, Kupferstich von Tobias Bidenharter, o. O. Anfang 1620; Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, II (wie Anm. 7), Nr. 11,162.



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sehen Rebellion hat hier dazu geführt, den politisch wenig tatkräftigen Kaiser als unbeirrbaren Lenker des Schicksals vor Augen zu führen, der fest und sicher Kurs zu halten vermag. So weit hatte es ikonologisch am Fortunarad bis dahin noch kein Sterblicher gebracht. Ich versuche hier heute - eingeschränkt auf die von Bild und Text getragenen Formen Emblem und illustriertes Flugblatt - etwas von den Möglichkeiten zu zeigen, die in der von Vielfalt und Heterogenität bestimmten Epoche von etwa 1480 bis etwa 1720, also der kaum auf klare Grenzen festzulegenden Frühen Neuzeit zu beobachten sind. Dabei gehe ich nicht auf das kühne Ziel zu, die Frühe Neuzeit auf Spezifika festzulegen." Vielmehr stehe ich bei dem Versuch, nur einige Möglichkeiten des gleichzeitigen Einsatzes von Text und Bild zu bestimmen, bei dem in der Frühen Neuzeit, zumal im situationsbezogenen illustrierten Flugblatt, eine Neigung zur Bewegung in den Inhalten wie in deren Darstellungsformen zu beobachten ist. Gleichzeitig mit der entstandenen Unfestigkeit werden aber auch differenziertere Aussagen der Bildlichkeitskonstellationen möglich. Bei der Konzentration auf Flugblatt und Emblem wären noch mehr Kontextualisierungen zu beachten, als ich es hier heute zu tun vermag, doch könnte vielleicht schon deutlich werden, daß vertraute literaturwissenschaftliche Ordnungen, etwa gattungspoetische Schemata, zu überschreiten sind. Diskursive Zusammenhänge ergeben hier oft die nötige Kontextualisierung. Im folgenden Beispiel sind vor allem theologische Erfahrungen zu vergegenwärtigen. Bild und Exegese des siebenarmigen Leuchters sprechen in der Frühen Neuzeit in aller Klarheit und Selbstverständlichkeit von Gottes alttestamentlichem Bund mit dem Volk Israel; in der Gegenwart kann dieses Bild dann typologisch auf eine Erfüllung dessen hinweisen, was mit dem alttestamentlichen Bund präfiguriert worden war. Diese F o r m der typologischen Geschichtsordnung ist vor- und nachreformatorisch überall als überzeugende Aussagemöglichkeit akzeptiert, selbst dort, w o auf Seiten von Reformatoren eine Reserve gegenüber der Bibelallegorese angemeldet worden ist. Mit diesem Flugblatt von 163 ο 2 ' wird

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Ich beziehe mich hier auf meine Überlegungen: Zur Problematik der Festlegung von Epochensignaturen aus literaturwissenschaftlicher Sicht. Konkurrenzen von Heterogenem im Zeitraum der Frühen Neuzeit. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 49 (2002). Heft 3: Epochen. Hg. von Peter Strohschneider u. a., S. 278-293. Abbildung 5: Eigentliche abbildung deß Leuchters wahrer Religion, Kupferstich von Paul Fürst, Nürnberg 1649 (oder später); die erste Version mit

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mitten im Dreißigjährigen Krieg in einer Phase, in der sich noch keine militärisch-politische Überlegenheit protestantischer Mächte abzeichnet, mit Hilfe dieser gerade auch im Katholizismus akzeptierten typologischen Denkweise eines der schärfsten antikatholischen Beispiele der Bildpublizistik in vielen Auflagen herausgebracht: Die Steigerung und Erfüllung dessen, was Aaron als Priester für die Religion und Moses als politischer Führer für das Volk der Israeliten getan haben, zeigt sich hier in der Weise, daß Luther in der Rolle Aarons und der sächsische Kurfürst Johann der Beständige in der Rolle des Moses in der Reformationszeit das Maß setzen. Was es zuvor in Deutschland sonst noch für Versuche einer angemessenen Erzeugung eines Pakts zwischen Gott und seinem Christenvolk gegeben hat, ist nur an ruinösen, brüchigen Resten unterhalb des Leuchters zu erkennen. Festigkeit beansprucht aber dieser typologisch gedeutete siebenarmige Leuchter, weil er die Confessio Augustana von 1530 verkörpert, deren einzelne Paragraphen auf den Medaillons des Leuchters durch bildliche Abbreviaturen vergegenwärtigt sind und deren 100-Jahr-Jubiläum jetzt von den Lutheranern herausfordernd und affirmativ gefeiert wird. Die Usurpation der typologischen Denkform durch die neue Konfession für die Begründung ihres Anspruchs, allein die wahre Kirche fortzusetzen, fand publizistisch nie eine Entkräftung. Die im außertheologischen Bereich relativ wenig schlagkräftige katholische Bildpublizistik setzte stärker auf Verwendungen des alten auf Gegensätzen aufgebauten Systems der Tugenden und Laster, indem sie die Gegner als Anhänger von Lastern hinstellte. Auf der protestantischen Seite konnte sich zusätzlich mit dem Bild des Leuchters die publizistisch vielfältig eingesetzte Bildlichkeit des Lichts, der leuchtenden Kerze oder allgemein der Helligkeit verbinden, die, gestützt auf biblische und spätere gnostische Metaphorik, als Zeichen der Wahrheit gegenüber dem Dunkel ihrer Gegner oder Verhinderer in Wort und Bild eingesetzt wurde."4 Eng mit dieser Wertigkeit von Hellem und Dunklem verbunden konnten lutherische und

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Kupferstich und Radierung von Jacob von der Heyden erschien 1630; dazu Kommentare in: Illustrierte Flugblätter Coburg (wie Anm. 15), Nr. 48, sowie Illustrierte Flugblätter, II (wie Anm. 7), Nr. 2 1 3 . Hans Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit. In: Studium Generale 10 (1957), S. 432-447; Kurt Goldammer: Lichtsymbolik in philosophischer Weltanschauung, Mystik und Theosophie vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. In: Studium Generale 13 (i960), S. 670-682.

— 30 — katholische Lehre, Leben und Tod, Licht und Schatten kontrastierend auf einem der Jubelblätter von 1 6 1 7 gegenübergestellt werden/ 5 Die Darstellung des siebenarmigen Leuchters auf dem Flugblatt zum Confessio Augustana-Jubiläum von 1630 fußt primär auf einem Gegenstand des Alten Testaments, der seit langem durch exegetische Traditionen als festes Zeichen des alten Bundes mit dem Volk Israel vertraut ist. Nicht durch spezielle ikonologische Ausprägungen der Leuchterdarstellung, sondern durch aktualisierende Attribute und Herstellung einer historischen Situation gibt das Flugblatt dem Leuchter seine besondere Funktion, nämlich der Reformation, speziell dem Augsburger Bekenntnis seinen festen heilsgeschichtlichen Ort als fortsetzende Vollendung des alten im neuen Bund, als typologische Erfüllung in der reformatorischen Gegenwart. Auch weniger konkrete Gegenständlichkeit des biblischen Texts, nämlich die Dinglichkeit in Metaphern und Gleichnissen, kann die Bedeutung und die Anschlußfähigkeit ikonologischer Ausformungen in Bild und Text bestimmen. Die Vorstellung vom Wolf im Schafskleid (-pelz) ist besonders durch die Warnung in Matthäus 7,15 bekannt (Sehet euch fur / fur den falschen Propheten / die in Schafskleidern zu euch komen / Jnwendig aber sind sie reissende Wolffe), doch gibt es bereits in der Bibel Variationen auf dieselbe Bildlichkeit, so u. a. die Entsendung von Schafen unter die Wölfe (Matthäus 10,16; Lukas 10,3), von pflichtvergessenen Hirten, wenn der Wolf sich den Schafen nähert (Johannes 10,12). Diese hochautorisierte biblische Bildlichkeit hat konkrete Vorstellungen erzeugt, die durch Exegese verschieden appliziert wurden, und sie wurde auch durch antike sprachliche Bilder variierend begleitet (u. a. Cicero, Philippica III, 11,27; Plautus, Pseudolus 140). Vom hohen Mittelalter bis in die Reformationszeit ist das Spektrum der Warnungen vor dem trickreichen gefährlichen Gegner über das Bild vom Wolf im Schafspelz immer wieder erweitert worden. 24 Dennoch konnte diese Bildlichkeit in der scharfen frühen protestantischen Reformationspole-

2 5 Martinus Lutherus SS. Theologiae D. Redivivus, anonyme Radierung, o. O. (1618), Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, II (wie Anm. 7), Nr. 11,130. Dazu Ruth Kastner: Geistlicher Rauffhandel. Form und Funktion der illustrierten Flugblätter zum Reformationsjubiläum 1 6 1 7 in ihrem historischen und publizistischen Kontext. Frankfurt a. M./Bern 1982, S. 325ff. und 359f. 26 Beispiele finden sich bei Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 4 Bände. Freiburg/Br. u. a. 1973, I V , 1 1 5 7 ! .

— 3i — mik mit Überraschungseffekten eingesetzt worden, die weiterhin ihre Basis im Bibelwort behielten. Ein anonymes, wohl um 1525 im Raum Basel entstandenes, nur als Fragment erhaltenes Flugblatt (Abb. 6)27 setzt diese Bildlichkeit ein, um die Wölfe, die den gelehrten Bibelexegeten entsprechen, als besiegbare Feinde der Schafe, die die ungelehrten gläubigen Bibelleser bedeuten, hinzustellen. Auf dem Bilde treiben Schafe, die unterstützt werden von den vier Evangelisten und von Petrus, Paulus, Moses und Jesaias, mit Waffengewalt die Wölfe in aufgestellte Fangnetze. Unter den unbewaffneten Wölfen sind die Amtszeichen von Papst, Kardinal und Bischof zu erkennen. Sie erscheinen nicht konkret als Wölfe im Schafspelz, sondern als betrügerische, die Bibelexegese usurpierende Kleriker, die mit der Metapher vom heuchlerisch seinen Vorteil suchenden Wolf im Schafspelz treffend beschreibbar sind. Auf diese Weise arbeitet das Blatt daran, die Umkehrung der Verhältnisse in der Gemeinde vorzubereiten: Der einfache (protestantische) Gläubige ist zur kompetenten Bibellektüre ohne Anleitung durch Kleriker imstande. Ein Blatt von etwa 1520 läßt Wölfe mit den Amtszeichen von Papst und Kardinal in eine um den Kruzifixus gescharte Schafherde einbrechen und zeigt, wie der Papst bereits ein Schaf in den Zähnen davonträgt, woran ihn jedoch Luther zu hindern sucht. Ein wohl Nürnberger Blatt von etwa 1525/1545 zeigt einen Teil des neu zusammenwachsenden Bildfeldes: die Jagd auf Mönche und katholische Geistliche, jedoch ohne Beteiligung von Schafen. Zugrunde liegt bei diesen ikonologischen Entfaltungen und Zuspitzungen die nie bezweifelte, oft (z. B. auch in Fabeln) bestätigte Wehrlosigkeit des Schafs und Gefährlichkeit des Wolfs. Das Blatt aus dem Basler Raum setzt das weiterentwickelte Vorwissen insofern mit besonderem Überraschungseffekt (und zunächst erschwerter Plausibilität) ein, wenn es Wölfe als schwächere, von Schafen gejagte Tiere darstellt: Es geht um einen Appellcharakter, der

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Abbildung 6: Das yetz vil vnradts ist jm land, anonym, Holzschnitt, o. O. o. J. (um 1520/30); Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, V I (wie Anm. 7), Nr. VI,154; vgl. dort auch 11,63 u n d 295 sowie IV,66; Hermann Wäscher: Das deutsche illustrierte Flugblatt von den Anfängen bis zu den Befreiungskriegen. Band 1. Dresden 1955, Nr. 14: der Papst und ein Kardinal fressen ihre gläubigen Schafe, die Luther zu schützen sucht, der wiederum von den Aposteln Petrus und Paulus Beistand erhält (um 1520); Harry Oelke: Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter. Berlin/New Y o r k 1992, Abb. 15: Jagd auf Mönche und Pfaffen; o. O. o. J. (Nürnberg um 1525/um 1545).



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traditionelle Hierarchien als umkehrbar hinstellen soll. Die zugrunde liegende biblische Bildlichkeit muß gewußt werden, damit ihre Umkehrung konkret vorgestellt werden kann. Eine längere Einübung speziell in diesen ikonologischen Umsturz hatte es nicht gegeben. Altetablierte Bildvorstellungen können auch ohne Einbeziehung alter Zeiträume in eine gegenwartsbezogene Argumentation einbezogen werden. Bei einem in Deutschland und in den Niederlanden um 1620/25 verbreiteten Blatt' 8 müßte man als Kommentator sogar zögern, ob es angebracht sei, auf die gesamte Tradition abendländischer Schiffsmetaphorik hinzuweisen, 29 etwa auf Staatsschiffmetaphorik in der frühgriechischen Lyrik und auf frühe Schiffsmetaphorik für die Bezeichnung von christlicher Sakralarchitektur. Heute erreichbares Wissen dient nicht ohne weiteres der Annäherung an einen fürs Funktionieren des Blattes tatsächlich vorausgesetzten Wissensstand. In der historischen Situation gegenwärtig ist aber in jedem Fall der Anspruch, daß die christliche Kirche sich wiederholt als sicheren Ort mitten in den Gefahren der Welt, etwa als Schiff auf stürmischer See, verstanden hat. Aber was ist hier daraus geworden, wenn man allein schon dem übermächtig als Blickfang die erste Botschaft des Blattes übernehmenden Bildteil folgt? Als Schiff dient ein Vertreter aus dem Bereich teuflischen Getiers, wie es Würmer, Kröten und Fledermäuse auch hätten leisten können, hier ein alle Proportionen sprengender großer Käfer, der den Papst und seine Kirche übers Meer transportiert. Die Richtung wird wesentlich vom Wind bestimmt, der aber stammt aus Blasebälgen des Teufels. Dieses ist nicht eine endgültige Pervertierung der Vorstellung vom Schiff der intakten christlichen Kirche, hier verdrängt nicht ein Bild das andere beim künftigen Umgang mit dem ikonologischen Potential für das Thema Kirche. Hier wird, auf eine historische Situation bezogen, eine Konstellation geschaffen aus einer Kombination von einer Bildlichkeit, die der Angegriffene positiv für sich beansprucht hatte, mit einer unbezweifelt teuflischen Insektenbildlichkeit, und die

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Die letzte fart der Bapstischen Galeien, anonym, Radierung, o. O. o. J. (um 1600), Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, II (wie Anm. 7), Nr. 11,62. Ewald M. Vetter: sant peters schifflin. In: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 9 (1969), S. 7-34; Karl Rahner: Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter. Salzburg 1964, S. 375-405; Dietrich Schmidtke: Geistliche Schiffahrt. Zum Thema des Schiffes der Buße im Spätmittelalter. In: P B B 91 (Tübingen 1969), S. 357-385, P B B 92 (Tübingen 1970), S. 1 1 5 - 1 7 7 .



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daraus resultierende destruktive Wirkung bewährt sich bei dem Erfolg dieses Blattes in seiner Zeit, bleibt aber nicht darüber hinaus lebendig. Die traditionelle Schiffs- oder Schiffahrts-Bildlichkeit kann mit Hervorhebung anderer Konstanten, Hinzufügung neuer Attribute und positiver religiöser Zielsetzung im Flugblatt wie im Emblem auch völlig anders eingesetzt werden. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts verlegt der Nürnberger Paul Fürst ein Blatt, das die Schiffahrt des menschlichen Lebens darstellt und einer traditionellen, Zug um Zug ausgeführten Allegorese unterzieht.'0 Die vielstrophige Aussage empfiehlt dem Gläubigen, an die Erlösung durch Christus zu denken und Glaube, Liebe und Hoffnung zu verwirklichen; hier findet sich nicht die Spur von einem Autoritätsverlust der Allegorese oder von einer Tendenz zur freien oder beliebigen Setzung von Bedeutungen. Das Blatt betont zwar Luthers Glaubensverständnis, nimmt aber daneben kryptocalvinistische und altkirchlich-katholische Standpunkte mit auf, setzt wohl insgesamt die Nürnberger um Ausgleich bemühte Reformorthodoxie als Situation voraus. Der Verleger Fürst ist, zumal auch bei reflexions ärmeren Texten zu Themen der praxis pietatis, dafür bekannt, daß er seine illustrierten Flugblätter auf einen Leserkreis zuschnitt, der nicht an theologischem Streit, sondern an einem irenisch-urchristlichen Konsens interessiert war. 3 ' Bei Fürst wie bei anderen Verlegern zuvor kam es zu dem zunächst paradox wirkenden Phänomen, daß mitten in den konfessionellen und politischen Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges und danach in der religiösen Bildpublizistik jene Blätter überwogen, die keiner Konfession zuzuordnen sind. Dieses Ziel führte zum Rückgriff auf möglichst keinen Veränderungen unterworfene, Festigkeit garantierende Bild- und Wortformeln. Dieses gilt auch für die allgemeinen Einsichten in eine christliche Lebensführung, die Fürst auf illustrierten Flugblättern vermittelte, die mit einem sogleich hinzugefügten (gestochenen) Rahmen für die langanhaltend lebensbegleitende Lektüre als Wandschmuck gedacht waren.32 Eine Zeit, in der eine Pluralisierung der Standpunkte mit einer Vermehrung der Glieder der Darstellung einhergehen konnte, kennt also zugleich die Gegenbewegung

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Passions-Schiff / Auf welchem alle Christen [...], anonym, Kupferstich, Nürnberg o. J. (Mitte des 17. Jahrhunderts), Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, III (wie Anm. 7), Nr. III,109. S. Eva-Maria Bangerter-Schmid: Erbauliche illustrierte Flugblätter (wie Anm. 7). Beispiele in Illustrierte Flugblätter, III (wie Anm. 7), N r . I I I , 1 2 1 , 123, 130, auch 126 (mit Memento mori-Thematik).

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zur Autoritätssicherung und zur Reduzierung komplex gewordener Darstellungsmittel. Das illustrierte Flugblatt der Frühen Neuzeit, das mit seinen Inhalten und mit den eingesetzten bildlichen Mitteln oft Grenzen überschreitet, kennt bei dem unterschiedlichen Umgang der Autoren mit ihnen Verfügbarem - das nicht immer vollkonturierte Traditionen vergegenwärtigt - manche Brüche, die offenbar tolerabel waren und auch über neu verknüpfte Bildlichkeiten, Bildformeln und Bildcluster Konstellationen entstehen ließen, mit deren Hilfe bisher getrennte Inhaltsbereiche zu neuen Zusammensetzungen gefügt und dabei dynamisch aus einer Statik gelöst werden konnten. Wie der Miles christianus am Fortunarad beweglich in andere Wirkungsfelder und Determinanten eingefügt ist, als wenn er statisch der Frau Welt gegenübersteht, so übernimmt eine Caritas-Darstellung mit Kindern in der Mitte der beiden anderen neutestamentlichen Tugenden eine andere Funktion, als wenn eine Caritas mit der Frau Welt konfrontiert wird. Die antike Venus als Liebesgöttin kann der Caritas-Ikonologie angenähert werden, sie kann aber auch von anderen Akzentuierungen der sinnlichen Erotik stärker in der antiken Tradition der Liebesgöttin eingeordnet bleiben. Bei derartigen Bewegungen der Annäherung und Abstoßung von Bildlichkeit wird die Statik annähernd stabiler Gleichsetzung von Bildlichkeit und Bedeutung einer Beweglichkeit ausgesetzt, die vielleicht nicht immer zu sagen erlaubt, der Sinn werde frei verfügbar," doch ist es tatsächlich angebracht, auf der Seite des Autors, der alte Bildlichkeiten kombiniert und ihnen neue Trabantenbildlichkeiten hinzufügt, ein stark gestiegenes Maß an freier Setzung festzustellen. Das alles kann mit einem fortgesetzten Wissen älterer Bedeutungen, älterer Gattungsfunktionen und älteren Funktionskonventionen einhergehen, doch kann man diesen nicht ohne weiteres das Vorherrschen von fragloser Kontinuität unterstellen.

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S. Michael Curschmann: Wolfgang Stammler und die Folgen: Wort und Bild als interdisziplinäres Forschungsthema in internationalem Rahmen. In: Das Mittelalter und die Germanisten. Zur neueren Methodengeschichte der Germanischen Philologie. Freiburger Colloquium 1997. Hg. von Eckart Conrad Lutz. Freiburg/Schweiz 1998, S. 1 1 5 - 1 3 7 , hier S. 136.

— 35 — Der Einblattdruck Mein hertz leidet schmertz von etwa 148ο 34 stellt in der Mitte eine Dame dar, die nur mit einer Kopfbedeckung, Schuhen und einem um die Schultern gelegten schmalen Tuch bekleidet ist. V o r ihr kniet ein junger Mann, dessen an die Dame gerichteten Anreden in ihren dinglichen Teilen bildlich konkretisiert werden: Uber die genannte Graphik sind daher 18 Herzen verteilt, die sehr konkret das Objekt von Malträtierungen sind. Hier zeigt sich in graphischer und verbaler Bildlichkeit, daß die Autoren sich in der Metaphorik der Darstellung des Minneleids auskennen; zu geläufigen Metaphern des Minneleids treten einige kühne neue. Der Mann beklagt, daß sein H e r z von einer Zange gezwickt, von einer Presse gedrückt, von einem Spieß durchstochen sei, daß die Dame ihn an einer Angel gefangen halte, ihm sein Herz mit einem Messer zerschneide und es ihm mit einem Pfeil durchschossen habe, daß sie sein Herz in einem Salzfaß verschlossen halte, es an einem Feuer entzünde und auf einen Rost gelegt habe, sie bereite ihm aber dennoch Freude und Trost, bekennt er, und geht schließlich zu der Artikulation von H o f f n u n g über: Ο freulein hübsch und fein Erlös mich aus der ρ ein und schleus mich in die arm dein. Das Blatt erzeugt ein geschlossenes Bildfeld, in dem jede besondere Metapher weitere Nuancierungen zur zentralen Thematik beisteuert; eine bestimmte historische Situation wird nicht vorausgesetzt. Es ist erwägenswert, daß es als Zusammenführung von Einzelbildern zu einem Komplex der Leidvergegenwärtigung in Analogie zu dem Bildkomplex der arma Christi entstanden ist oder gesehen worden ist. Das Leid, das die Minne und wie sie auch die Geliebte hervorruft, wird durch kon-

34 S. Wolfgang Brückner: Populäre Druckgraphik Europas. Deutschland vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. München 1975. Farbige Abb. 18 (nach dem einzigen Berliner Exemplar) mit S. 127; der (Regensburger?) Holzschneider und Drucker gibt seinen Namen mit Casper an. Zuletzt hierzu: Jahreszeiten der Gefühle. Das Gothaer Liebespaar und die Minne im Spätmittelalter. Hg. von Allmuth Schuttwolf. Ausstellungskatalog Gotha. Ostfildern-Ruit 1998, S. H9f. Dieses Blatt kann die Hinweise ergänzen, mit denen Gisela Ecker: Einblattdrucke von den Anfängen bis 1555. Untersuchungen zu einer Publikationsform literarischer Texte. 2 Bände. Göppingen 1981, I, S. 56f., die in der Publizistik-Wissenschaft voreilig aufgestellte Annahme zurückweist, derartige frühe, in Holz geschnittene Blätter seien zu den Massenmedien zu zählen.

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kretisierte Metaphern im Umgang mit dem jeweils rot kolorierten Herzen faßbar gemacht. Dieses Verfahren der Verlagerung von Affekten und seelischen Vorgängen in das körperhaft vorgestellte Herz wird weiterhin, ohne daß eine lineare Entwicklung anzusetzen wäre, in verschiedenen Gattungen praktiziert. Etwa in den Emblembüchern von Herman Hugo, Antonie Wierix, Benedict van Haeften, Francesco Pona, Daniel Cramer, Johann Mannich und anderen werden durch den Ausbau zumal der räumlichen Vorstellungsmöglichkeiten mit Hilfe der Herz-Bildlichkeit vielgliedrige Konstellationen geschaffen, durch die Erkenntnisse über innere Vorgänge in der Psyche, der Seele oder allgemein im Affektbereich noch differenzierter konkretisiert vorstellbar gemacht werden, z. B. Purifikationsvorgänge über konkret dargestellte Vorgänge beim Schmieden oder beim Säubern des Hauses.35 Während das Blatt von 1480 die gesamte Herz-Bildlichkeit weltlichem Liebesschmerz widmet, herrschen in den genannten Emblembüchern späterer Zeit religiöse Zielsetzungen vor, für die mystische Bildtraditionen und neue Bilderfindungen eingesetzt werden. Man machte es sich sachfremd zu einfach, wollte man eine verbindliche sakrale Ikonographie lediglich der Gegenreformation zuschreiben und bei profaner Thematik der Emblematik generell eine letztlich willkürliche Sinngebung konstatieren; die Praxis der Emblematik kennt solche Grenzziehungen nicht. Etwa zur selben Zeit (um 1475) rahmt ein anonymes Blatt, das mit Recht in den Bereich der Wirkung von Motivkombinationen um Frau Welt, Tod und Heil eingeordnet wurde,36 seine Minne-Darstellung durch Vergegenwärtigungen der Kirchenväter Gregor, Augustinus, Hieronymus und Ambrosius sowie durch Bernhard von Clairvaux, Moses, einen Philosophen und den Verfasser der Experiencia Jurisconsultorum, die vor der lasterhaften Welt und besonders vor Caro warnen. Vor dem so verkörperten Hintergrund moralischer Maßstäbe warnt der Text vor der sinnlichen Liebe. Die bildliche Darstellung

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Ein früher Überblick bei Karl-August Wirth: Religiöse Herzemblematik. In: Das Herz. Band 2: Im Umkreis der Kunst. Biberach an der Riss 1966, S. 63-105. Wilhelm Ludwig Schreiber: Einzel-Formschnitte des 15. Jahrhunderts im Museum zu Weimar. Straßburg 1925, Nr. 14; Goethe als Sammler. Kunst aus dem Haus am Frauenplan in Weimar. Ausstellungskatalog. Hg. von Helmut Apel u. a. Zürich 1989. S. 68f. (mit farbiger Abbildung); zur Einordnung des Bildkomplexes Christian Kiening/Florian Eichberger: Contemptus mundi in Vers und Bild am Ende des Mittelalters. In: Z f d A 123 (1994), S. 409-457, hier 449^

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stimmt weitgehend mit dem beschreibenden Teil des Texts überein, der Amor und Mors einander naherückt: Nackt, blind, unruhig ist die Liebe, sie kann Wunden zufügen und heilen, listig und behende sein, sie kann Männer in die Hölle bringen und endet selbst pitter. Zu ihren Füßen steht ein Salbgefäß mit der Inschrift Finis amoris, unter diesem als Zeichen von Ende und Verdammnis der Höllenrachen mit Schwert und Totenkopf. In einer Hinsicht weicht das Bild von diesem Text und von bildlichen Traditionen ab: Die Liebe ist nach dem Typus des mit Pfeil und Bogen schießenden Amor dargestellt, ist aber eine nackte weibliche geflügelte Figur, die mit amor carnalis untertitelt ist. Das amor carnalis-Blatt enthält Markierungen literarischer und ikonologischer Traditionskenntnis, dürfte aber seine Betrachter mit dem Traditionsbruch eines weiblichen pfeilschießenden Amor überrascht haben, auch wenn dieser über sprachliche Variationen, die eine sagitta Veneris kennen, sowie über eine frühe Gestaltung der Affinität von Frau Welt, Lastern wie Luxuria und Superbia, einer pfeilschießenden Venus und dem Tod schon gelegentlich in den Bereich des Möglichen gerückt war. 37 Der weibliche Bogenschütze Amor des Blatts repräsentiert eine potentiell entstehende Tradition; doch dieses ikonologische Potential ist ungenutzt geblieben. Selbst der Besitzer dieses Unikats, Johann Wolfgang Goethe, zeigt in seinem Oeuvre keine Umsetzung in seine Metaphorik. Ohne Rückgriff auf alte, autoritätssteigernde Traditionen können auch einzelne Metaphern oder auf Bildlichkeit gestützte Sprichwörter und Redensarten 58 über die ihnen immanente Dinglichkeit dann, wenn 37

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S. Rüdiger Schnell: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur. Bern/München 1985, S. 264, mit Hinweis auf Guido de Columnis, w o er vom ,Pfeil der Begierde' nur in Bezug auf Achills Liebe zu Polixena, nicht in Bezug auf die Macht der Liebe schlechthin spricht, sowie S. 406, mit Zitaten aus einem erotischen Carmen, das mit der sagitta Veneris allgemein das Aufbrechen sexueller Begierde markiert. Den Hinweis auf die pfeilschießende, mit Lastern verbundene und durch Attribute der Venus markierte Figure mundi, der Mitte des 14. Jahrhunderts verdanke ich Eckart Conrad Lutz und der Darstellung in seinem Werk: Spiritualis fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein ,Ring'. Sigmaringen 1990, S. 285 mit Abb. 35. Z u r Steigerung der Plausibilität von illustrierten Flugblättern durch die Aufnahme und Variation der Bildlichkeit von Sprichwörtern s. Dietmar Peil: Das Sprichwort im illustrierten Flugblatt. In: Das illustrierte Flugblatt in der Kultur der Frühen Neuzeit. Wolfenbütteler Arbeitsgespräch 1997. Hg. von Wolfgang Harms und Michael Schilling. Frankfurt a. M. u. a.

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diese vor Augen geführt wird, einer gezielten Deutung unterworfen werden und damit in das Reservoir von Bild-Text-Kombinationen aufgenommen werden. Uberhaupt ist die Kombinatorik von komplexen oder auch kleinteiligen Bild- und Text-Traditionen, vom Phänotyp ihrer Bedeutungsträger wie vom Mosaik ihrer Bedeutungsmöglichkeiten her ein hervorragender Faktor aller Prozesse, die ein Wort oder ein Bild in Bewegung setzen können. Mehrfache Traditionsbindungen setzt der Text eines Blattes ein,59 dessen überzeitliches, auch auf keine enge historische Situation bezogenes Thema von einem Lied des Jesuiten Friedrich Spee in seinem g ü l denen Tugendbuch' von 1649 vorbestimmt ist, während die vorliegende Fassung von dem Lutheraner Georg Philipp Harsdörffer die Intention, die Suche des Ichs nach Glaubensgewißheit dem einzelnen Christen nahezulegen, vor allem durch Erweiterungen der Bildlichkeit verstärkt, so durch eine Uhr und durch eine Sonnenblume (beide auch in die Graphik aufgenommen) als Vorbild für die ständige Hinwendung zum Schöpfer. Zentrale Bildlichkeit ist in beiden Versionen der Pulsschlag, an dem der Mensch in seinem eigenen Körper die Mahnung ablesen soll, an sich und an allen Lebewesen seinen beständigen Bezug zu Gott zu erkennen. Der Anschluß an das Gloria und die gregorianische Choralmesse und zugleich an Luthers normsetzende Aufnahme siebenzeiliger Volksliedstrophik im Gemeindelied verbinden sich, vor allem ist für die Versionen beider Konfessionen die allegorische Deutung Grundlage und Zielsetzung der Gesamtkomposition: Eine gottzugewandte, auf 1998, S. 11-34. Eine speziellere Wirkung der Dinglichkeit in biblischer Bildlichkeit über die Stationen der Deutung durch Bild und Wort bis zum Emblem und zum Flugblatt wird dargelegt von Jean Michel Massing: Casting Flowers to Swine. From the Proverbial to the Emblematical Pig. In: Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik. Akten des 5. internationalen Kongresses der Society for Emblem Studies. Hg. von Wolfgang Harms, Dietmar Peil und Michael Waltenberger. 2 Bände. Frankfurt a. M. u. a. 2002, Bd. II, S. 657-677; vgl. ferner Andreas Bässler: Sprichwortbild und Sprichwortschwank. Zum illustrativen und narrativen Potential von Metaphern in der deutschsprachigen Literatur um 1500. Berlin/New York 2003. 39 Abbildung 7: Pvlsilogivm spintvale Das ist: Geistliche Pulßkundigung, anonym, Kupferstich, 16 Kirchenliedstrophen von Georg Philipp Harsdörffer, verlegt von Paul Fürst Nürnberg 1651; dazu Illustrierte Flugblätter, III (wie Anm. 7), Nr. 111,88. Zur Bildlichkeitskombinatorik bei Spee vgl. Cornelia Remi: Philomela mediatrix. Friedrich Spees Trutznachtigall zwischen poetischer Theologie und geistlicher Poetik. Frankfurt a. M., u. a. 2006.

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contemplatio ausgerichtete Welt wird der vom Teufel beherrschten, von Lastern bevölkerten Weltkugel gegenübergestellt, und der Text führt den Christen ohne konfessionelle Einseitigkeit auf die rechte Entscheidung zu. Der Pulsschlag wird als von Bild-Traditionen freie Grundlage für die menschliche körperliche Selbstwahrnehmung genommen, um dann in der weiteren Bild- und Formensprache die Autoritätssteigerung durch Traditionsanbindung zu gewinnen. Kleinteilig ist der Anschluß an eine viel jüngere Traditionsbindung beim Blatt vom Krebs als Träger der Weltkugel.40 Diese kann als Formel für das Weltganze keine alte ikonologische Tradition voraussetzen, da die Kenntnis der Gestalt der Erde es nicht vor der frühen Neuzeit (Martin Behaims Globus) ermöglichte. Wer die Weltkugel auf eine unsichere Basis stellt, weiß der Welt nichts Gutes zu prognostizieren. Wer als Basis einen Krebs wählt, kombiniert verschiedene bildliche Vorformen der Unsicherheit. Seine sprichwörtliche Rückwärtsbewegung verbindet mit der Welt, sie werde von Hoffnungslosigkeit getragen, verliere ihr Ziel. Dieses wird seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in Nürnberg und Prag variierend zunächst in Epigrammen formuliert. Joachim Camerarius d. J., der sich auf ein Epigramm des Würzburger Geistlichen Lorenz Truchseß bezieht, entwirft hierzu um 1583 die BildText-Formel eines Emblems, das zunächst in seinen handschriftlichen, dann auch in seinen neukonzipierten gedruckten Emblemen erscheint und 1605, verkürzt zu einer emblematischen Medaille, in Altdorf Gegenstand einer akademischen Rede wird. 1613 wird es in Gabriel Rollenhagens Emblemen unter dem Motto Hodie sie vertitur orbis aufgegriffen und wenig später großformatig in die Ausmalung des Nürnberger Rathauses umgesetzt4' und dann auch zur Grundlage jenes illustrierten Flugblatts gemacht, das aus Augsburger Sicht die konfessionell und politisch hoffnungslose Lage der Zeit formuliert. Die Aussage der Kombination von Krebsgang und Welt bedurfte dabei nicht unbedingt einer zeitgenössischen Erläuterung, die historische Situation bot hinreichende Ubertragungsmöglichkeiten. Zu ihnen gehört auch die Va-

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Der Welt schneller Lauf vnd Leb, anonym, Kupferstich, verlegt von Hans Jörg Mannasser, Augsburg o. J . (um 1620/1630); s. Illustrierte Flugblätter, I (wie Anm. 7), Nr. 1,56. Frederick John Stopp: The Emblems of the Altdorf Academy. Medals and Medal Orations 1577-1626. London 1974, S. 169 mit Abb. S. 168; Peter Isselburg/Georg Rem: Emblemata politica, 2. Auflage Nürnberg 1640. Nachdruck Bern/Frankfurt a. Μ. 1982. Hg. von Wolfgang Harms, Einleitung, S. 2J*-27 : : \

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riation in der schon genannten Handschrift Heidelberger Emigranten, die emblematisch ihre jesuitischen Gegner als Lenker des Krebsgangs der Welt darstellen. Die frühe Neuzeit übernahm aus dem Mittelalter ein ungewöhnlich offenes Ikonologieschema, dessen Festigkeit in dem strikten Dualismus von Gut und Böse lag: Die in der Regel menschlichen Gestalten der Tugenden und Laster, die seit der ,Psychomachie' des Prudentius 42 ein immer wieder erweiterbares Aufeinandertreffen von Vertretern oder meist Vertreterinnen des Guten und des Bösen darstellbar machte. Die einzelnen Personifikationen konnten mit einer Veränderung oder E r weiterung ihrer Attribute und Gebärden, auch durch neue Konstellationen der Gegner oder der Kampfgruppierungen neue Akzente oder leichte Bedeutungsveränderungen erfahren. Dabei waren es die dinglichen Attribute, die immer wieder neu durch Allegoresen den einzelnen Figuren neue Teilbedeutungen oder neue Affinitäten zu anderen T u genden oder Lastern geben konnten. Die Situationsbezogenheit und mit ihr die Ausrichtung auf bestimmte Publikumserwartungen legten es dem illustrierten Flugblatt nahe, aus den ikonologischen Erfahrungen, in denen sich ,Psychomachie'-Variationen mit den - in sich auf Polyvalenz ausgelegten - Angeboten von Ikonologie in der jüngeren Tradition Cesare Ripas 43 verbanden, neue Konstellationen an den oder um die

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S. Adolf Katzenellenbogen: Allegories of the virtues and vices in medieval art. From early Christian times to the thirteenth century (1939), Nachdruck Nendeln 1968; Michael Curschmann: Texte - Bilder - Strukturen. Der Hortus deliciarum und die frühmittelhochdeutsche Geistlichendichtung. In: DVjs 55 (1989), S. 379-418; Michaela Bautz: Virtutes. Studien zu Funktion und Ikonographie im Mittelalter und im 16. Jahrhundert. Berlin 1999. Ein Beispiel für das Unterschätzen der Festigkeit der Verbindung von komplexer Personifikationsbildlichkeit und traditioneller Bedeutung findet sich bei Margit Kern: So schneyt nymer das Schwerte mein - Iustitia divina und iustitia humana im Zeitalter der Reformation. In: Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes. Hg. von Frank Büttner und Gabriele Wimböck. Münster 2004, S. 43-71, am Beispiel einer Iustitia- (angeblich Patientia-) Bronzeplakette von Hans Peißer (um 1550). Cesare Ripas Iconologia, zunächst ohne Graphiken Rom 1593, illustriert zuerst Rom 1603 (Nachdruck Hildesheim/New York 1970. Hg. von Erna Mandowsky) erreichte mit seiner resümierenden Vermittlung antiker, mittelalterlicher und auch frühneuzeitlicher Gestaltungs- und Deutungsmöglichkeiten von Personifikationen den Status eines europäischen Handbuchs, trug dabei durch sein Prinzip, meist mehrere Gestaltungsmöglichkeiten anzubieten, durchaus zu einer Beweglichkeit und Variabilität in der



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Personifikationen zu erproben. Dieses gilt etwa für einen so vielgliedrigen Kontext einer Personifikation, wie oben bei der Darstellung der Geduld an einem Rad, das Elemente der Fortuna-Ikonologie in den neuen Bildzusammenhang bringt. Die Personifikation als Sonderform der Allegorie erhält aber über die variable Ausstattung mit einzelnen dinglichen Attributen, die allegorisch gedeutet werden können, ihre Lebendigkeit und funktionale Vielfalt. Diese wird noch gesteigert, wenn in der Technik der Groteske eine Personifikation aus Körperteilen mehrerer verschiedener Wesen konstruiert wird, etwa in der weit figur in einem negativen Sinne 44 als einem Monstrum oder als Darstellung der Schrecken des Krieges: 45 Zusammengesetzt wird dieses von Kopf bis Schwanz aus Teilen von allegorisch längst zuvor gedeuteten schrecklichen, auch teuflischen Tieren, doch hat - so betont der Text - den fürchterlichsten Körperteil der Mensch beigesteuert, den waffentragenden Arm. Die Technik ist seit langem immer wieder für die Formulierung komplexer Aussagen eingesetzt worden, so eine männliche Inkarnation von mehreren Lastern aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, wohl dominiert von Superbia und Gula.46 Deren weitere Folgen sind dann an den Attributen ablesbar, von zwei verschiedenen tierischen Füßen aufwärts über viel Gepäck, das zur Befriedigung der Gula dient in Gestalt von Würsten und Braten, und der Text gibt zu erkennen: Innen ist diese Gestalt noch tausendmal greulicher als außen. Die Differenzierung dessen, wofür die Personifikation steht, wird über Attribute mit ähnlichem Effekt vorgenommen,

Ikonologie bei. Die Entfaltungen des Grundtypus der Personifikation können außer in der Variation beweglicher Attribute auch in der Allegorese einzelner Körperteile und deren Verbindungen zu weiteren Personendarstellungen ansetzen. Ein aufschlußreiches Beispiel dazu bei Reinhard Schwarz: Die Bettlerhand des Glaubens. Ein illustrierter Einblattdruck des Matthias Flacius Illyricus, Regensburg 1561/62. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 69 (2000), S. 97-120. 44 Michael Curschmann: Facies peccatorum - Vir bonus: Bild-Text-Formeln zwischen Hochmittelalter und früher Neuzeit. In: Poesis et pictura. Studien zum Verhältnis von Text und Bild in Handschriften und alten Drucken. Festschrift für Dieter Wuttke. Baden-Baden 1989. S. 157-189, u. a. S. I76f. 45 Abbildung des vnbarmhertzigen [...] Thiers, anonym, Radierung, o. O. o. J. (um 1630/1640); s. Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, II (wie Anm. 7), Nr. 11,176. 46 Wann Gott die Welt hart straaffen wil (Initium), anonym, Holzschnitt, o. O. o. J. (um 1555-1563); s. Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, VI (wie Anm. 7), Nr. VI,103.

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wie die Personifikation der Frau Welt, die ich zu Anfang auf einem Flugblatt zeigte, w o es Konkretisierungen weiterer Laster waren, durch die sie in neue Kontexte gestellt wurde. Der Kampf der Personifikationen von Tugenden und Lastern konnte in Europa, gestützt auf diese ikonologischen Erfahrungen sowie auf die Entfaltungen der K a m p f metaphorik in erbaulicher Literatur, zum vielgliedrigen Bildfeld des ,Geistlichen Krieges' erweitert werden. 47 Auch dort, w o das figurenreiche Feldschlacht-Schema der ursprünglichen ,Psychomachie' beibehalten wird, ist eine situationsbezogene Differenzierung durch Variation und Ergänzung praktizierbar gewesen. U m Ende 1 6 3 1 / 1 6 3 2 nimmt ein anonymes illustriertes Flugblatt 48 den Kampf von Tugenden und Lastern - wohl auch mit Rückgriff auf Vermittlungen der Etymachie-Ikonologie - als Modell f ü r eine Gustav Adolf von Schweden verherrlichende Darstellung seiner Leistungen und Ziele mit stark wertender Konfrontation von Freund und Feind. Der Schwedenkönig, der an der Spitze der Tugenden auf einem L ö w e n in den Kampf reitet, wird durch Beischriften aus verkürzten Epheserbriefzitaten neben seinen Waffen als Inkarnation des Miles christianus gewertet. Ihm entgegen reitet Tilly auf einem Wolf im Schafspelz; die biblische Bildlichkeit für Heuchler wird v o m Text auch mit der Fabel von Wolf und Schaf verbunden. Mit den biblischen Konstellationen, von denen das Blatt die beiden Protagonisten begleitet sein läßt, überträgt es den alten ikonologieimmanenten Dualismus wertend auf die historische Gegenwart. 49

47 S. etwa Malcolm Jones: English Broadsides I. In: Print Quarterly 18 (2001), S. 149-163, hier S. 154 und ι J7L mit Abbildung 142 (The Spiritual Warfare, 1623). Die Ausweitungen aller meiner Überlegungen auf derartige Verflechtungen europäischer Bild-Text-Verhältnisse wäre nötig. 48 Tugendt vnd Laster Kampff, anonym, Kupferstich, o. O. o. J. (Ende 1631/1632); s. Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, IV (wie Anm. 7), Nr. IV,206, dazu Wang: Miles christianus (wie Anm. 9), S. i86f. und i66ff., und Michael Schilling: Allegorie und Satire auf illustrierten Flugblättern des Barock. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hg. von Walter Haug. Stuttgart 1979. S. 405-418, bes. 409^ 49 S. Wolfgang Harms: Kampf- und Kriegsbereitschaft in heilsgeschichtlichen Bezügen auf illustrierten Flugblättern von etwa 1570 bis 1632. In: Konfessionsfundamentalismus in Europa um 1600. Was waren seine Ursachen, was die Bedingungen seiner Überwindung? Hg. von Heinz Schilling, Berlin 2007.

— 43 — Das Tugendt vnd Laster Kampff-Rlztt ist, wie bei illustrierten Flugblättern üblich, situationsbezogen angelegt und entsprechend zu beziehen. Die Situation ist von der Gegnerschaft Gustav Adolfs und Tillys als Heerführer und von der im Text wie von der Hintergrundbildlichkeit markierten N o t und neuen H o f f n u n g der Exulanten bestimmt, wobei wohl in erster Linie an Ereignisse in Augsburg zu denken ist. Neben diesem vor allem historisch bestimmten Situationsbegriff vermag die Vorstellung einer Konstellation an den Kern des Blattes heranzuführen. Man kann mehr als eine zentrale Bildlichkeit ansetzen, um die man dann Trabantenbildlichkeit gruppiert sieht, doch besteht bei jedem neuem wort- und bildbezogenen Lese- und Verstehensakt die Möglichkeit, einen anderen Bestandteil der Bildlichkeit als zentral oder dominant anzusetzen und die übrigen Teile nebengeordnet zu sehen. Ein Teil kann gegenüber einem weiteren Teil bedeutungsdeterminierend, -aktualisierend und -akzentuierend wirken. Geht man von dem Sympathieträger Gustav Adolf aus, der vom L ö w e n her (Löwe aus Mitternacht), durch Umschreibungen im Text und nicht zuletzt von den seit 1629 bereits üblich gewordenen'" Stilisierungen als Miles christianus erkennbar gemacht wird, so legt es das kulturelle Bildwissen nahe, als Gegner dieses hier als zentralen Ausgangspunkt gewählten Miles christianus Verkörperungen des Bösen, etwa Tod, Teufel, Frau Welt (und oder statt ihrer Caro) und die Inkarnation der Sünden zu erwarten. Diese Erwartung überträgt sich zunächst auf den unmittelbaren Gegner Tilly, der aber hier wider die ikonologische Erfahrung zugleich an dem kulturell erfahrbaren Bildfeld des Wolfs im Schafspelz Anteil hat, das der Text zum Ausgang nimmt, um Tilly mit Betrug, Verkehrung aller Werte und falscher Prophetie in enge Verbindung zu bringen. Beide Bildfelder sind im Laufe der Zeit aus bekannter BibelBildlichkeit entwickelt worden, die Stringenz beanspruchen kann. Mit ihrer Anwendung beginnt die Parteilichkeit, die bei jedem bildgebundenen Argumentationsschritt auf Evidenz und auf Distanz zur Willkür bedacht sein muß. Wählt man die Thematisierung des Kampfes zwischen den Tugenden und Lastern zum zentralen Bildfeld und Ausgang der Bildlichkeits-Deutung, so muß man angesichts des hohen Variationsgrades gegenüber der ,Psychomachie' mit der Sonderwirkung von Trabantenbildlichkeit und auch von weiteren untergeordneten Attributen rechnen. Im Gegensatz zu den meist bewaffneten, oft gerüsteten Kämpferinnen der ,Psychomachie' reiten hinter der Trias weltlicher

50 S. Wang: Miles christianus (wie Anm. 9), S. 179-194.

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Fürsten (Schweden, Sachsen, Pommern oder Brandenburg) die Tugenden ohne Waffen mit ihren üblichen Attributen: außer Glaube, Liebe und Hoffnung auch Stärke, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Vorsichtigkeit und Religion, unterstützt vom Erzengel mit dem Flammenschwert. Auf der Gegenseite wird die zugrundeliegende Konstellation des Aufeinanderpralls der Werte und Unwerte mit ikonologischen Erfahrungen aus dem Etymachie-Traktat und zugleich mit anderen abwertenden Bildern angereichert: Tilly, nach ihm der Bayernherzog auf dem Bären (nach der klanggestützten Etymologie von Bayern aus ,Bär') und Pappenheim (auf der Confect Sau nach dem zum Schmähwort gewordenen Verzehren des sächsischen Confects) werden von weiteren Reitern gefolgt, die sich gegenseitig durch ihre als Konstellation aufzufassende Nachbarschaft, darunter auch durch ihre signifikanten Reittiere disqualifizieren. Der Papst reitet auf dem Pfau ( H o f f a r h t , sie!), der Jesuit auf einem Hund (Geitz) und der Neid als weibliche Invidia - etwas der Caro angenähert - ebenfalls auf einem Hund; die Tiere der dann folgenden Geistlichen verweisen auf nicht immer genau zu trennende Laster (Fuchs für die List und Schmeichelei, Esel für Faulheit), danach die wechselseitig einander disqualifizierende Gruppe von Türke (Tyraney), Verzweiflung (Kätzerey) mit mehreren berittenen Geistlichen, begleitet von einzelnen Teufelsgestalten. Man könnte auch von einem zwar kleinen, aber zentralen und von verbreitetem Wissen und Verstehen getragenen ambivalenten Bildelement das Bild-Text-Lesen ausgehen lassen: Fortuna treibt im Hintergrund mit ihrem Segel in ihrer Muschel auf geflügelter Kugel stehend auf die um Rettung bittenden Exules am Ufer zu. Dann ließe sich der gesamte Kampf von Tugenden und Lastern sowie politischen und kirchlichen Mächten als ein notwendiges Befreiungsgeschehen in einer bestimmten historischen Situation (wohl nach dem Restitutionsedikt) lesen. Bei einer solchen Lektüre, wie sie auch schon oben zum FortunaChronos-Blatt in der historischen Situation von Lepanto bei größeren Überschneidungen oder besser zu Konstellationen eingearbeiteten Bildkomplexen unternommen worden ist, geht es nicht um den Nachweis von starren Richtigkeiten, d. h. von eindeutig auf einzelne Inhalte festgelegten Deutungsinhalten, sondern es geht um das Erkennen von Potentialen, die oft mehrdeutig im einzelnen Bildelement oder gesteigert im kombinatorischen Zuordnen mehrerer Bildelemente liegen und aktiviert und durch entstandene Konstellationen umakzentuiert werden können. Gegenüber dem Emblem, das nur sehr wenige Bildelemente deuten und in neue Konstellationen rücken kann und darüber hinaus sehr viel seltener von einer bestimmten historischen Situation geprägt

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oder herausgefordert ist, vermag das illustrierte Flugblatt mit einer auf Graphik und Text oft verteilten bildgebundenen Darstellung komplexer Art eine Vielzahl von Bildkonventionen oder von Bildpotentialen zu kombinieren. Dadurch wurden meist nicht punktuell Einzelheiten des kulturellen Bildwissens unverändert aufgenommen, sondern mit Bildund Attribut-Verknüpfungen Prozesse in Gang gebracht, in denen Bildaffinitäten erkannt und zu Aussageaffinitäten eingesetzt werden, die neue Vorstellungen erzeugen und diese in der Regel mit alten Verfahrensweisen plausibel machen können: In diesem Sinne ist Tilly als Wolf im Schafspelz und Gegner des Miles christianus Gegenstand des Verurteilungspotentials zweier bibelgestützter Bildkomplexe zugleich, zu denen weitere Bildelemente als Trabantenbildlichkeit hinzugefügt werden. Beim Einsatz der Fortunaradstruktur zum Sieg bei Lepanto zeigt die alte Bildlogik des Rades zwar noch etwas von der Suggestivität des Aufstiegs des Türken, doch im Verkehren der Radbewegung wird die Ungeheuerlichkeit erkennbar, die durch das Zusammenwirken von Chronos (als heilgeschichtlich geordneter Zeit) und heiliger Liga (aus Papst in Fides-Gestalt, Venedig als Ritter mit dem Markuslöwen und Spanien als Miles christianus) als politischer Macht und von ihr repräsentierten Zielen und Werten der Christenheit die Radbewegung umzukehren vermochte; die Aufhebung einer Bildlogik stärkt den Eindruck von Überlegenheit der bildlich dargestellten Gegenkräfte. Ein derartig dynamischer Einsatz von Bildlichkeit vermag historische Situationen als Teil von Prozessen darzustellen. Und umgekehrt wird bei einer solchen Darstellung die in manchen Werken thesaurusartig angesammelte Menge der einzelnen Deutungsergebnisse und Bedeutungen mehrerer Epochen (u.a. Filippo Picinelli, Mondo simbolico. Mailand 1653, lateinisch Köln 1681) als Teil oder Ausgangspunkt von bildlichen Prozessen eingesetzt, in denen der systematische Ort der Auffindung im Thesaurus nicht mehr zu erkennen ist oder seine Wirkung auf die aktuelle Funktion der zum Teil eines Komplexes oder zur Trabantenbildlichkeit einer zentralen Bildlichkeit gewordenen Kombination von Bild und Einzelbedeutung kaum noch zu ermitteln ist. Nicht die Rückführung einzelner Bildlichkeiten auf ihre Traditionsanfänge oder auf ihren systematischen Ort in einem Ordnungssystem war das Ziel, das ich mit meinen Beispielen verfolgte, sondern ein Bewußtmachen, daß sie zu einem Potential gehören, das mit mehr oder minder enger Traditionsanbindung in neue Bildzusammenhänge überführt werden und dort neue Vorstellungs- und Aussageprozesse stützen kann, ohne dabei vorrangig auf Einsinnigkeit oder gar feste Bewahrung früher Bedeutungen festgelegt zu sein. Bewegungen im Bereich der

-46Bedeutung bis hin zur Mehrdeutigkeit können zum Kalkül des oder der Autoren gehören, können aber auch durch eine Veränderung der historischen Situation und damit der vorausgesetzten Lese- und Verstehenserwartung bedingt sein.'1 Das Flugblatt bringt auch materielle Besonderheiten für die sachlichen Bedingungen seiner Rezeption mit sich, die die Wirkung seiner Bildlichkeit auf ungewohnte Weise potenzieren. Sie erweitern die Wirkung mehr mit performativen Mitteln als mit Erweiterungen nach Art eines sensus duplex. Blätter, die ein Labyrinth als Bildstruktur und zugleich als Anordnung ihres Texts einsetzen, zwingen den Leser, entweder das Blatt ständig hin und her zu wenden oder es auf einen Lesetisch zu legen, um den er herumgehen kann, um die einzelnen Richtungsänderungen mitvollziehen zu können. Die erzwungene Bewegung beim Leseakt kann eine Erfahrung im Bereich des Themas aufbauen, die dann die Aussagen des Blattes stützt, etwa die Einsicht in die Unregelmäßigkeiten der Welt oder mit ihnen verbunden die windungsreiche Anlage des Lebensweges.52 Eine ähnliche Kongruenz von Bewegung beim Betrachtungs- und Leseakt und der schließlich erzielten Einsicht kann auch der Umgang mit Blättern mit Wendeköpfen erzeugen, die an einem Körper je nach Perspektive einen frühen und einen späten oder einen frischen und einen von Vergänglichkeit gezeichneten Zustand einer Person oder des Menschen zeigen. Dieses geschieht besonders eindrucksvoll in der Kombination von mehrsprachigem Text und Bild in einem männlichen und weiblichen Doppelkopf-Doppelporträt. 53 Jeweils an ein und demselben Kopf markieren Attribute einerseits der Vitalität, Luxuria und Superbia und andererseits der Hinfälligkeit und

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S. etwa H e i m o Reinitzer: Aktualisierte Tradition. Ü b e r Schwierigkeiten beim Lesen von Bildern. In: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters. H g . von Klaus Grubmüller u. a. München 1984, S. 3 5 4 - 4 0 1 , zum Zuordnungspotential der Löwenbildlichkeit um 1 6 1 8 / 1 6 3 2 . S. z. B. die Labyrinth-Flugblätter in: Illustrierte Flugblätter, I I I (wie A n m . 7), N r . III,i68, w o sich der normale Leseweg als Irrweg erweist, ebenda N r . 111,4, w o das Blatt eine quaestio in der Welt mit dem Ziel der Erlösung anstrebt, ebenda I, N r . 1,47, w o das Labyrinth die Verwirrtheit der Welt spiegelt, ebenda N r . 1 , 1 5 a, w o in der labyrinthischen Welt das Seelenheil durch konfessionelle Gegensätze bedroht wird. Abbildung 8: Ach Gott wie ists so bald gethon (Initium), anonym, K u p f e r stich, o. O . o. J . (um 1630/1650) - dazu Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, III (wie A n m . 7), N r . I I I , 1 2 2 .

— 47 — Vanitas Phasen eines Lebens, die man durch die Drehung des Blattes als Abfolge wahrnehmen soll. Zu diesen besonderen F o r m e n , die dem Flugblatt nicht durch K o m binatorik von ikonologischen Traditionen, sondern durch das Herstellen eines besonderen Betrachter- und Leserverhaltens und dadurch erzeugter Perspektivenvielfalt zu neuer Uberzeugungskraft verhelfen, gehören auch Klappbilder. Sie geben der Flugblattgraphik zwei Ebenen, darunter eine im Normalzustand verborgene, die aber in einem konkreten „Entlarvungs"-Akt durch einen Klappmechanismus sichtbar gemacht werden. Dieser A k t ist für unterschiedlichste Themenbereiche eingesetzt worden. Dann wird an Papst Alexander V I . ein O b e r k ö r p e r und Gesicht eines Teufels entlarvt, 54 oder man kann ein geschlossenes großes Weinfaß, nachdem man seinen Deckel hochgeklappt hat, als Versteck eines Liebespaars e r k e n n e n . " Das Hindurchdringen von einer deskriptiven oder mimetischen Schicht zu einer Sinnschicht konnte mit Hilfe der Materialität des Flugblatts auf einen kurzen Augenblick der Überraschung verkürzt werden. Die Darstellung zweier Ordensgeistlicher, eines Jesuiten und eines Dominikaners,' 6 hätte noch als hintergrundlose und wertungsfreie Konkretisierung auf dem Felde der K o s tümkunde mißverstanden werden können. D o c h bezieht sich der T e x t auf die technische Möglichkeit, die Abbildung in buchstäblich zwei Schichten wahrzunehmen. H e b t man die Papierschicht, die die K ö p f e zeigt, an, so deckt man auf, was das Blatt dem Anschein nach verschleiern will: die gefährliche Tiernatur der Mitglieder dieser Orden. D e r J e suit erscheint nunmehr mit einem Hundekopf, der D o m i n i k a n e r mit dem K o p f eines Wolfs, der ein L a m m zwischen den Zähnen hält. Die Verstellungskunst der Jesuiten ist das eigentliche Ziel des Angriffs, damit verbunden die Verdächtigung des katholischen Klerus, nach dem Bibelwort sich als falsche Propheten wie reißende W ö l f e in Schafskleidern zu verhalten. Dieses Bibelwort findet also einen weiteren Bildzusammenhang im Rahmen einer abermals variierten Polemik gegen O r -

54 Dv Pape Alexandre sixiesme, anonym, Holzschnitt, o. O. o. J. (nach 1566); Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, II (wie Anm. 7), Nr. 11,13. 5 5 Der Wirt. Heut wird werden ein sehr gros fest, anonym, Kupferstich, o. O. o. J. (Anfang 17. Jahrhundert); Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, I (wie Anm. 7), Nr. Ι,ιοο. 5 6 Der Jesuitter / sampt jhrer Gesellschaft / Treuw vnd Redligkeit, anonym, Radierung, o. O. 1632; Abbildung und Kommentar in: Illustrierte Flugblätter, II (wie Anm. 7), Nr. 11,295.

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densgeistliche. Hier sind es besondere technische Möglichkeiten des Flugblatts, durch eine Artikulation auf - ganz konkret - zwei Ebenen die Verständigung mit dem intendierten Betrachter zu erreichen. Das kann zur Stärkung von Anhängern der eigenen Seite, kann auch zur Erschütterung der Auffassungen der Gegenseite führen. Gemeinsam ist diesem besonderen Verfahren wie dem Einsatz doppelbödigen Sprechens oder uneigentlicher Formulierung eines nicht nur einfachen Sinnes auf normalen Flugblättern oder auf Emblemen, daß nicht feste Konstanten wiederholt oder statisch weitergegeben werden, sondern daß Bewährtes variabel in neue Zusammenhänge überführt wird und dann in neuen Konstellationen andere, auch anders herangetragene Aussagen ermöglicht. Bei meinen Versuchen, Beobachtungen zu bildgetragenen Prozessen und Botschaften in der Frühen Neuzeit vorzuführen, habe ich von einer Systematisierung etwa nach Phänomentypen oder nach Typen der Herstellung komplexer Bildlichkeit abgesehen. Diese wäre allzu leicht in die formale Nähe zu einem „Motif Index" geraten, der über der Auflistung von Ähnlichkeiten deren historische situative Bedingtheiten und mit ihnen die Variabilität der Funktionen aus dem Blick verlöre. 57 Die von mir gewählten Beispiele repräsentieren nicht alle Möglichkeiten der Bildaffinitäten und der Entstehung komplexer Bildlichkeit der Frühen Neuzeit, vermögen aber durch die Konzentration auf Flugblatt und Emblem einige Besonderheiten ins Gespräch zu bringen, wie sie bei einer Beschränkung auf die Tafelmalerei oder auf die Bibelexegese - um nur zwei andere Wirkungs- und Entfaltungsbereiche der Ikonologie zu nennen - wohl nicht zu diesen Ergebnissen führen würden. Im Freiburger Seminar habe ich als dritten Bereich auch das frühneuzeitliche Buchtitelblatt mit seinen Kombinationen von Bild und Text im Dienst der Vermittlung zwischen Buch (auch Verleger oder Autor) und Leser hinzugezogen. Aber selbst hier, wo es schließlich auch um die Vermittlung von Wissensinhalten (nämlich des jeweiligen Buches) geht, ist das, was in der Frühen Neuzeit in Kombinationen aus Text und Bild artikuliert wird, kein Transport eines Wissens, das identisch bliebe, wenn man es nur im Wort oder nur im Bild magazinierte und abrufbereit hielte. Jede historische Situation einer solchen bildgetragenen Vermittlung, sei sie vorwiegend politisch oder religiös, regional oder konfessionell, ständisch oder epistemologisch akzentuiert, macht jede Sache anders

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Stith Thompson: Motif-Index of Folk Literature, 6 Bände, ι . Auflage Bloomington/London 1966.

— 49 — befragbar oder hierarchisiert die Fragen und Assoziationen, die sich an die Sache anschließen, anders. Und jede Sache bietet jeweils andere Möglichkeiten des Befragens, je nach dem, welche Eigenschaften im Bild oder im Wort benannt oder in die Erinnerung gebracht werden und welches Wissen, welche Erwartungen und welche daraus folgenden Perspektivierungen das tatsächliche Publikum mitbringt. Erwähnt oder zeigt man den rötlichen Brustfleck des Pelikans, so kann man in der naturkundlichen Tradition des Aristoteles wie auch des Albertus Magnus stehen. Obwohl der Naturkundler Albertus wußte, daß der rote Fleck nicht auf das Aufhacken der Brust zurückzuführen sei, das für das Ernähren der Jungen nötig wäre, ließ er es zu, daß es weiterhin als konkreter Ausgangspunkt für die Allegorese dieses Dinges der Natur genutzt werde; es konnte zur Basis einer Allegorese und damit auch eines Emblems werden oder eines Emblemzitats auf illustrierten Flugblättern (z. B. wiederholt zu Gustav Adolf von Schweden). Die Präselektion exegesefähiger Teile eines Dinges der Natur konnte den Vorrang vor der Empirie behalten. A m Pelikan zeigt Mitte des 16. Jahrhunderts Konrad Gessner seinen gesicherten Empiriezuwachs von der besten Seite, so daß die allegorische Lesbarkeit eigentlich keine Chance hätte; dennoch stellt Gessner wie zu jedem Tier auch beim Pelikan systematisch alle bis dahin vorliegenden allegorischen Deutungen und metaphorischen Verwendungen zusammen, läßt also die Konkurrenz von Empirie und Deutung im selben Werk (nicht in dessen volkssprachiger Übersetzung) voll bestehen. Die frühneuzeitliche Kultur hielt sich auch sonst konkurrierende Traditionen zur Verfügung, ohne gezwungen zu sein, sich endgültig einer anzuschließen. Hier wird, wie so oft in der Frühen Neuzeit, eine potenzierte Interdependenz von Perspektive und Gegenstandskonstituierung erkennbar. Der Pelikan konnte bei dem Lutheraner Gabriel Rollenhagen ein an dem Opfertod Christi orientiertes Muster für den Fürsten ergeben, der sich für sein Volk aufzuopfern habe. Das Bild ist aber mannigfaltig auch für moralische Opferbereitschaft im Alltag variiert worden. Die ,Lektüre' des Pelikan konnte, mußte aber nicht aus dem Zusammenhang einer .Lektüre' von Gottes zweitem Buch neben der Bibel, dem Buch der Natur, gewonnen werden. Dabei verfuhren die konfessionellen Lager in Deutschland durchaus uneinheitlich. In allen Konfessionen konnte neben einer deskriptiven Bestandsaufnahme die Suche nach alten Ergebnissen und neuen Möglichkeiten der Gewinnung spiritueller Naturdeutung einhergehen. Die Bücher, die dabei entstanden, waren gut geeignet, Leser auch in anderen konfessionellen Lagen zu finden, wie um die Mitte des 17. Jahrhunderts

— 50 — von den Hauptpredigern Nürnbergs bekannt ist, daß sie in ihren privaten Bücherschränken zum Vorbereiten ihrer Bibelexegese katholische Handbücher und Predigtsammlungen in Griffweite hatten. Von der religiösen Voraussetzung, von der Annahme einer gottgeschaffenen Welt her, wie vom Vertrauen auf die Befragbarkeit dieser Welt hinsichtlich verläßlicher Botschaften stehen Spee und Harsdörffer bei ihrer Deutung des Pulsschlages dieser naturwissenschaftlich gegründeten Behandlung der Natur nahe. Kennzeichnend für die Frühe Neuzeit bleibt es, daß die Fronten des Wissens nicht fest sind, daß alle Vorgänge im Bereich des Verpflanzens und Vermehrens von Wissen, das von Bild und Text kombiniert artikuliert wird, nicht von Statik, sondern von einer Dynamik geprägt sind, die nicht immer frei von Rückkehrbewegungen geblieben ist. So konnte gerade die um Wittenberg konzentrierte lutherische Orthodoxie der Jahrzehnte um 1600 für die Verbindung von Naturbeschreibung und Naturdeutung den Rückhalt für eine protestantische Emblematik bieten, die die Naturallegorese nicht als Thesaurierung alter Ergebnisse, sondern als nach wie vor zu erneuernde Aufgabe verstand (z. B. Johannes Cogeler: Imagines elegantissimae. Wittenberg 1558/1564, und Wolfgang Franzius: Historia animalium sacra. Amsterdam 1648, zuerst 1613). Damit ist jene Vermutung, daß lediglich die Gegenreformation mit nicht frei gesetzten, sondern verbindlich fundierten Ergebnissen emblematischer Deutungsakte rechnete, nicht haltbar. Joachim Camerarius d. J. zeigt mit der annähernden Gleichzeitigkeit der Konzipierung und Ausführung seines handschriftlichen und seines gedruckten Emblemwerks der Jahre 1583/1595, daß ein über alle Deskriptions- und Deutungsmöglichkeiten verfügender lutherischer Naturwissenschaftler sich nicht damit begnügte, als Humanist nur weltliche (und insofern angeblich frei gesetzte) oder nur durch Allegorese gewonnene (und insofern den weltlichen angeblich ferne) emblematische Weltdeutungen vorzulegen. Er nahm das Potential der Deutungstraditionen und der Verfahrensweisen als konkurrierende Möglichkeiten wahr, setzte wie Gessner sein kräftig expandiertes empirisches Wissen zusammen mit seinem Vertrauen auf die Ergiebigkeit und Verbindlichkeit allegorisch gewonnener Deutungsergebnisse ein.'8 An seinem Beispiel ist erkennbar, daß bei einem Versuch, neue Empirie mit alten Deutungsverfahren zu verbinden, die Erschütterung alter Autorität nicht das Ziel sein mußte, daß aber dennoch bei einer 58 Joachim Camerarius d. J.: Die handschriftlichen Embleme. Symbola et emblemata tarn moralia quam sacra (1587). Mit Einleitung und Kommentar. Hg. von Wolfgang Harms und Gilbert Heß. Tübingen 2007.

— ji — solchen Pluralisierung der Inhalte und Artikulationen von Erkenntnissen eine Bewegung die Folge war, deren Spätfolgen nicht immer schon absehbar sein konnten. Das Emblem war in der Regel stärker auf Festigkeit seiner Botschaften ausgerichtet, während das illustrierte Flugblatt den Herausforderungen und den Bedingungen einer Situation ausgesetzt war, in der es konzipiert und für die es intendiert worden ist. Jeder neu hergestellte Kontext, sei es der Kontext der Erwartungen und Hoffnungen, sei es der innertextliche Kontext von bild- und wortgebundenen Trägern der neuen Aussage, bringt für eine Sache, und sei mit ihr auch noch so oft ein bestimmter Bedeutungsinhalt bereits verbunden gewesen, die Möglichkeit mit sich, an der Gewinnung einer neuartigen Aussage oder einer neuen Nuancierung einer Aussagebündelung mitzuwirken. Das Flugblatt konnte auf verschiedene Weise an den Prozessen beteiligt sein, über die die Frühe Neuzeit sich in der Welt orientierte: A m Lesen von Dingen und Ereignissen, die mit der Autorität der allegorischen Exegese Bedeutungsdimensionen hatten oder erhielten, am Lesen in der Natur, das nebeneinander von Exegese geprägt antike, biblische oder spätere spirituelle oder profane Deutungsergebnisse vermitteln konnte oder als Vermittlung von Gottes Warnungen oder Appellen gelten konnte, wie etwa auf Blättern über die neuesten Nordlicht- oder Kometenerscheinungen als Warnzeichen Gottes. Oder es konnte um ein Lesen nach der gänzlich unallegorischen Signaturenlehre gehen, nach der phänotypisch Ähnliches auf Ähnliches zu wirken vermag.' 9 Man kann für die Frühe Neuzeit am Beispiel ihrer Bildlichkeit, ihrer Deutungsprozesse und ihrer transportierten Deutungsergebnisse wohl ebenso häufig nachweisen, daß sie Auffassungen, Verfahrensweisen und Ergebnisse des Mittelalters und der Antike kontinuierlich ohne Bruch fortsetze und daß sie mit Inhalten und Verfahren beider großen Zeiträume breche. Diese Einsicht führte kürzlich in der Emblemforschung zu der Behauptung, es sei belanglos, wenn man für eine emblematische Deutung nachweise, daß sie aus dem hohen Mittelalter stamme, entscheidend sei das Verstehen der Leser und Betrachter der Gegenwart. Die letztere Behauptung ist nicht falsch, baut aber eine unsachgemäße 59

S. Friedrich Ohly: Zur Signaturenlehre der Frühen Neuzeit. Bemerkungen zur mittelalterlichen Vorgeschichte und zur Eigenart einer epochalen Denkform in Wissenschaft, Literatur und Kunst. Hg. von U w e Ruberg und Dietmar Peil. Stuttgart/Leipzig 1999; Joachim Küpper: Die entfesselte Signifikanz. Quevedos Suenos, eine Satire auf den Diskurs der SpätRenaissance. Egelsbach u. a. 1992, zur Vielheit von Ähnlichkeiten S. 8 - 1 5 .



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Alternative auf, verzichtet nämlich auf die interessante Frage, ob es nicht Situationen gebe, in denen gerade das mehr oder minder genau gewußte Alter oder gar die spirituelle Herkunft einer Bedeutung die erhoffte Verläßlichkeit der Aussagestärke - auch in profanen Zusammenhängen - zu garantieren vermöchte. Und die Antwort hierauf gibt Wichtiges über Funktionsbereiche abgerufener Bedeutungen frühneuzeitlicher Bildlichkeit zu erkennen. Von Wolfgang Stammler konnte ich sein für die Frühe Neuzeit und schon für das späte Mittelalter ergiebiges Wort von den „Kontaminationen verschiedener Vorstellungen" aufgreifen und auf den Umgang mit Bildlichkeitstraditionen genereller ausdehnen. Es wurden Kontaminationen verschiedener Traditionen von Bedeutungen und von Verfahrensweisen der Bedeutungsgewinnung erkennbar. In einem Werk oder einem Flugblatt können nebeneinander Bedeutungen aus verschiedenen Traditionen und neuerstellte Bedeutungen plausibel wirksam sein. Eine Gemengelage dieser Art, wie sie für das Flugblatt nicht selten ist, mußte nicht irritierend wirken, konnte als Symbiose funktionieren. Über derartige Phänomene von Konkurrenz und Pluralisierung bahnten sich stärker als über plötzliche, dem ersten Anschein nach alles umfassende Zäsuren epochale Veränderungen, etwa die Verabschiedung mittelalterlicher Denkformen an. Auch aufs Mittelalter ausgedehnt wird man mit flächendeckenden Hypothesen zur umfassenden Gültigkeit von Traditionen zurückhaltend sein müssen. Bei nur verbalen Werken wird man nicht jede Mehrdeutigkeit auf Ergebnisse oder Verfahrensweisen nach der biblischen Exegese, zumal mit dem Ziel vollständiger, vielfach gestufter Sinnfindung, zurückführen können, im Gegenteil, es herrschen gelegentliche Zitate von anderweit vorausgegangenen Allegoreseergebnissen vor; nur so bringt der Pelikan einen spirituellen Hintergrund in das Anfortas-Geschehen im ,Parzival', aber man wird nicht jeden erzählerisch erstellten sensus duplex in Wolframs Werk aus dem Verfahren oder den Ergebnissen der Allegorese ableiten wollen. Die bewährte literarische Möglichkeit, in Form des integumentum poetischen Texten Sinnschichten einzufügen, ist schon in heidnisch-profaner Literatur erprobt worden und ist - mit oder ohne Bezug auf die Antike und mit oder ohne Bezug auf die Bibel und ihre Exegese - auch in mittelalterlicher Literatur gepflegt worden. Wenn Durant Wayne Robertson 00 damit Erfolg hatte, für Chaucers Texte eine generelle allegorische Lesbar-

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Durant Wayne Robertson: A Preface to Chaucer. Studies in Medieval Perspectives, Princeton 1962.

— 53 — keit zu verfechten, so will ich mich nicht speziell in die ChaucerForschung einmischen, aber weder für das hohe noch für das späte Mittelalter sehe ich in seinem Ansatz ein ergiebiges Modell für den U m gang mit komplexen Erzählwerken 6 ' noch generell für die Bildlichkeit in Text-Bild-Kombinationen, zumal wenn sie über den fest umgrenzten sakralen Bereich hinausführt. Bei den von mir hier besonders beachteten Kombinationen von Text-Bild-Verbindungen wurden in der Frühen Neuzeit, einem Zeitalter der Umbrüche, Konkurrenzen und Bewegungen, Antworten auf Veränderungen in den vorgefundenen, mit Antworten zu versehenden historischen Situationen gesucht. Neben den weiterbestehenden festen, einfachen Verhältnissen zwischen Bildlichkeit und Aussagefunktion waren Phänomene der Pluralisierung zu beobachten: Das einzelne Bildelement kann in den Wirkungsbereich von einem oder mehreren weiteren Bildelementen zu komplexen Konstellationen zusammentreten, deren Elemente sämtlich ein Potential mitbringen, das aber im Dienste der Aussage für eine spezielle Situation nur in Selektion aktiviert wird. Der Miles christians im Chronos-Rad-Blatt zur Situation von Lepanto ist nur ein Bildelement in einer kleinen Konstellation inmitten einer komplexen großen Konstellation, die Verstehens- und W i r kungsmöglichkeiten des Blatts den Rahmen gibt, die aber auch umgekehrt von ihm her erschlossen werden kann: Er trägt mit zu der Appellstruktur des Blattes bei, sich, gestützt auf heilsgeschichtliche Einordnungen, der künftigen Verteidigung gegen die Ungläubigen zu widmen. Oder anders zurückgeblickt: Frau Welt kann in sich die Funktion der Bildlichkeit der Giro-Personifikation aufnehmen, wenn sie als verführerische Nackte erscheint, sie benötigt eine Caro wie auch Tod und Teufel aber zusätzlich neben sich, wenn sie zentral als verführerische Verkörperung weltlicher Macht dem Miles christianus gegenübertreten soll. Das illustrierte Flugblatt der Frühen Neuzeit hat komplexe Konstellationen durch Auswahl aus vorhandener und neuer Bildlichkeit geschaffen. Es erreicht mit solchen Pluralisierungen situationsbezogen

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Auch wenn Dante seinen Sohn Pietro die Divina Commedia strikt nach dem vierfachen Schriftsinn kommentierend befragen ließ, so konnte sein Sohn Jacopo seinem Kommentar lediglich die Frage nach dem Literalsinn zugrundelegen. Es ging Dante wohl - ich beziehe mich hier auf ein Gespräch mit Karlheinz Stierle im Juni 2006 - um den Nachweis, daß sein Werk kommentarwürdig sei und sich damit eine hochrangige Rezeption sichere, nicht um die Bevorzugung einer einheitlichen bestimmten Verstehensmöglichkeit.

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differenzierte Aussagemöglichkeiten, zeigt dabei aber die Bildlichkeit so sehr in Bewegung, daß man erwägen könnte, daß diese Veränderungen für manchen Zeitgenossen auch einen Verlust an einfacher, sicher erscheinender Artikulation bedeutet haben könnten. Die aktuelle Aussagepotenz der mehrgliedrigen Konstellationen einzuschätzen, dürfte wohl nur dem im Lesen und Verstehen von Bildlichkeit erfahrenen Zeitgenossen möglich gewesen sein. Eine strikte Trennung nach religiösem und weltlichem Bereich der Inhalte, der Aussageträger und der Adressaten ist beim illustrierten Flugblatt gar nicht und beim Emblem nicht mehr regelmäßig vorhanden. Die zur Verfügung stehenden und die neu hinzukommenden Bildlichkeitsteile haben sich in beiden Bereichen, nicht zuletzt in deren Mischungserscheinungen des Alltags zu bewähren. Und dort wiederum könnten Pluralisierungserscheinungen der Vermittlung und der bildimmanenten Argumentation doch die Erreichbarkeit der einzelnen Teile des Publikums auch gesteigert haben.

Abbildungen

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