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German Pages 260 [262] Year 1991
PhilosoP.hische Bibliothek · BoD
Paul Yorck von Wartenburg Bewußtseinsstellung und Geschichte Ein Fragment
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I.
GRAF PAUL YORCK VON WARTENBURG
Bewußtseinsstellung und Geschichte Ein Fragment
Mit einer Einleitung und einem Nachwart herausgegeben von
IRING FETSCHER
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 442
Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1028-9 ISBN eBook: 978-3-7873-26617
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INHALT UND ANALYTISCHE GLIEDERUNG•
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Vorwort des Herausgebers .......... ............ ... .... . ... .. . .... XIII Einleitung von I ring Fetscher .................................. XIX I. Leben und geistige Umwelt des Grafen Paul Y orck von Wartenburg . .. . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX li. Die Grundgedanken seiner Philosophie ........... XIX a) Der kritische Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI b) Transzendenz gegen Metaphysik ................ XXX c) Geschichtsphilosophie als Psychologie der Geschichte ........... .............. ... ............ XXXIII d) Graf Yorck und Wilhelm Dilthey, Übereinstimmung und Widerspruch ... XXXVIII Zur Datierung des Nachlaßfragmentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IL Zu dieser Ausgabe . . .. ................... ................... .......... .... LI
GRAF PAUL YORCK VON WARTENBURG [Bewußtseinsstellung und Geschichte] 187
Einleitung ............................................................................
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Der Wandel der Bewußtseinsstellungen und die Epochen der Geschichte der Philosophie .. . .. ............ 3 Mittelalterliche, ungeschichtliche Auffassung des historischen Wandels der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . 4 • Seitenangaben und -verweise beziehen sich hier auf die Seitenzählungvorliegender Auflage.
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Inhalt und analytische Gliederung
Herauslösung des christlichen Standpunkts wesentlicher Geschichtlichkeit durch die Reformation (Luther; vgl. 108, 148) .......................................... .
Die Prinzipien von Yorcks christlicher Geschichtsphilosophie .............................................................. . Primäre Gegebenheit: Selbstbewußtsein ............... . (Philosophik und Historik) .................................... . Selbst und Anderes - die gegensätzlichen Momente des Selbstbewußtseins ........................................... . Metaphysische und religiöse Position ................... . Die großen historischen Bewußtseinsstellungen ............. . a) Die jüdische Bewußtseinsstellung: Isolierung des willentlichen Dependenzverhältnisses ................... . Vergleich zwischen jüdischer und griechischer Weisheit ................................................................. . b) die christliche Bewußtseinsstellung ........................ . Psychologische Deutung des "als die Zeit erfüllt war" ....................................................................... . Prinzipielles: Primäre und historische Lebendigkeit Psychisch verschieden beanlagte typische Nationen ............................. . c) Die indische Bewußtseinsstellung (Dominanz des gestaltlosen V orstellens) ........................................ . d) Die griechische Bewußtseinsstellung (Dominanz der anschaulichen Seite des Vorstellens) ..................... . Exkurs: Das Raumproblem bei Kant (vgl. auch 100, 154) ........................................... . Der Gegensatz von antiker und moderner Bewußtseinsstellung .......................................................... . Prinzipielles: Die zentrale Unruhe der historischen Lebendigkeit: Manifestation der einheitlichen Lebensfülle nur in und durch psychische Vereinzelung möglich, daher notwendig inadäquat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt und analytische Gliederung
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Die griechische Bewußtseinsstellung (Fortsetzung) Ihre bleibende typische Bedeutung oo .. Das Raumproblem für sie zentral ooooooooooooooooooo Prinzipielles: Der Erkenntnisvorgang als lebendiges Verhalten oooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo Lebendigkeit und Christentum, Manifestation des Selbst am Anderen oooooOOoooooooooooooooooooooooooooooooooooooo Kooperanz der seelischen Funktionen Explikation der einen (Funktion) bedeutet Latenz der anderen Einzelwissenschaftliches und philosophisches Fragen Yorcks kritischer Standpunkt gegenüber aller Metaphysik Die psychischen Funktionen repräsentieren einander Die griechische Bewußtseinsstellung (Fortsetzung) Naturmilieu und griechische Bewußtseinsstellung OOOOOOOOoOoooOOooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo Prinzipielles: Philosophie repräsentiert historische Lebendigkeit Beteiligung des Willensam Vorstellen oooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo Äternität aller metaphysischer Position oo ooooo oooooooooooooooooooooo Psychische Freiheit Voraussetzung aller historischen Lebendigkeit Die griechische Logik - ontologisch 00000000000000000
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Psychologische Analyse des Raums und der Räumlichkeit (vgl. auch 46- 52 und 98- 101) ooooooooo Vorstellen doho Veräußerlichen, Projizieren im Gegensatz zur Empfindung oOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO Verräumlichung ist Voraussetzung des Sicherfassens ooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo 0
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Inhalt und analytische Gliederung
a) Die moderne Bewußtseinsstellung: Subjekt-Objekt ist als Ontologisierung der psychischen Gegebenheit zu verstehen .......................................................... . Neuzeitliche Philosophie ist Ontologisierung des Vorstelleus (nicht der Vorstellung) ..................... . Romantik ist eine Reaktion gegen die Gestaltlosigkeit der modernen Bewußtseinsstellung ............. . Hegels System versucht eine Vermittlung von Begriff und Idee, d.h. Konstruktionskeim und Gestalt ................................................................... . Die Rückverwandlung des (Kantschen) Schemas zur Idee ist eine "psychische Paganisierung" ........... . Alte und neue Dialektik (Gegensatz) .................. . Hegel: Substanz als vermittelt aufgefaßt .. . Lebensbewegung in Vorstellungsbewegung aufgelöst ......................... . These der Produktivität des Gegensätzlichen (vgl. auch 94) .................. . Prinzipielles: Alles Denken - Negation der Zeitlichkeit ................................................... . Gegensatz von Religion und Ethik .. Einheitlichkeit als essentiales Merkmal des Wissens (von Eleaten entdeckt) ................................................ . Kein Wissen ohne Gegenständlichkeit ................................................... . Kraftbegriff zentral für modernes Denken ......... . Alle Empfindung der Vorstellung subsumiert (Leibniz) ................................................................ . Für den Mechanismus ist Wille Wirklichkeitsgarant Die Romantik kennt Realität in und durch Empfindung (als Zutat) ............................................... . Hegel: Logifizierung der romantischen Phantasie Die formale Logik ist der Gesetzeskodex der Einzelwissenschaften ...................................................... .
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Inhalt und analytische Gliederung
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Kennzeichen des modernen Denkens: Dogma von der zentralen Erfaßbarkeit der Lebendigkeit durchs Vorstellen .. . . . . . . .. . .. . . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . Hegel: Erfüllung der ästhetischen Nebenströmung Dialektische Vermittlung von Bild und Bewegung (vgl. auch 79) .................... .............. ......... ........ ...... Reaktion der Empfindung gegen Mechanismus: Rousseau ......... .................... ........................ ............ Romantik: Syntheseversuch von Mechanismus und Idealismus ........... .............. ... . . .............. ..... ... . . . . . ..... Das Nebeneinander von Mechanismus und ästhetischem Idealismus (als Komplement) bleibt die Aporie des zeitgenössischen Denkens (Fechner und Lotze) .....................................................................
Psychologische Analyse des Raums und der Räumlichkeit (Fortsetzung) .. ...... ........ ...... .................. .......... Der Wille ist Effizient der Projektion ................ Der Gegensatz von Vorstellen und Empfinden (70) Wurzelhafte Verräumlichung im Bewußtsein ..... Kants Behandlung des Raumproblems (vgl. 46, 154) Entweltlichung des Bewußtseins durchs Christentum ......................................................................... Voraussetzung für Phänomenalität des Raums Descartes: Weltferne des modernen Denkens .. ..... Herauslösung des christlichen Prinzips: Leistung der Neuzeit: Reformation, Luther (vgl. 5, 148) ... Konstruktionsgedanke jetzt zentral, für den Nominalismus nur der Einzelne wirklich ..................... Raum jetzt: unbegrenzter Konstruktionsplatz .... Für Willensstandpunkt ist der Zweck das universale Bindungsmittel .............................................. In der Theologie: Gegensatz Rationalismus- Pietismus ..................................................................... In der Politik: Souveränität, Gesellschaft gegen Staat .......................................................................
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Inhalt und analytische Gliederung
In der Philologie: Individuum steht über der Geschichte als einer Rüstkammer für die Darstellung .................................................................. Rechtswissenschaft: römisches Recht, stoische Isolation des Einzelnen ......... ................... ............. Malerei: Hinter die Okularität zurück (Komposition) ........................................................................ Raffael: Nebenströmung, geniale Reminiszenz .... Für Mathematik: Raum, Feld der Kraftäußerung Leibniz: Raum als (Vorstellungs-)Produkt ........... Prinzipielles: Alles Denken ist Verräumlichen und damit Absehen von Empfindung ..... Erkenntnis ist Rücknahme der Projektion in die Empfindung ................... Das Verhältnis von Wollen und Vorstellen . . . . . . . . . . . . . . . . ...... ... .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . Der Zusammenhang von Rationalismus und Moralität . ............ .. ............. Antiker und moderner Nominalismus .................................................... Für die moderne Wissenschaft: jedes Konkretum ist ein Kompositum ............................................... Leibniz: Stoff ist gleich Kraft (Projektionsatom) ...................................................................... Logik wird Theologie (nicht mehr Ontologik) . . . . . Vorstellungskraft ist ein Weltelement ................. Reine Kontemplation auf dem Boden des modernen (konstruktiven) Bewußtseins ergibt Phänomenali-
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tät ··········································································· 128 Realitätsbeweis ist dann unmöglich, wenn vom Gefühl (Empfinden) abstrahiert wird ............. ..... 128 Kant: unzulängliche Behandlung des ontologischen Gottesbeweises; Kants Erkenntnistheorie hebt Erkenntnis überhaupt auf, an deren Stelle tritt bloße Applikabilität ............. ................... ........................ 130
Inhalt und analytische Gliederung
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Für die Antike ist das Anschauungsresultat das summum bonum, für die Moderne die Steigerung der Vorstellungsenergie ........ ................... ... .......... Kant löst Erkennen vom Wollen, Rousseauscher Einfluß (Reaktion des Gefühls) als Zutat ............ Religiosität der Moral (und umgekehrt) bei Kant Wissenschaftliche Form der Moral: Nomos ......... Kritik des (Kantschen) Autonomiebegriffs .......... Verdünnung der Bedeutung des Nous: Nominalismus gegen Realismus ............................................ Hobbes und Locke: sensation and reflexion ......... Kausalität ........ ... . ........ .. . . ...... ... ................ ............. Sinnlichkeit und Intellekt, Passivität und Spontaneität ...................................................................... Allein existence und unity keine Vergleichsresultate ......................................................................... Kants Lehre von der Zeit und das Problem der Zeitlichkeit überhaupt ................................................. Entstehung der Phänomenalität der Zeit ............ Zeitlichkeit ist unobjektivierbar .......................... Prinzipielles: Alles Wissen ist Verräumlichen ...... Verräumlichung ist "Manifestation des Anderen als eines das Selbst konstituierenden Momentes" .................. Denken ist Raumschaffen (vgl. 137) Christliche Dogmatik: vorstellungsmäßige Sicherung des religiösen Empfindungsinhaltes .................... Charakteristik der Reformation (vgl. 5) .............. Entstehung und Wert der Dogmen ...................... Innerer Grund der Anknüpfung an Paulus (das Problem der Renaissancen überhaupt) ................ Die Rolle und der Platz des Zufalls in der Geschichte ..................................................................
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Anhang: Von Yorck ausgeschiedene Manuskriptteile Metaphysik und lebendige Psyche ....................... 152
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Inhalt und analytische Gliederung
Wechsel des Organs der Manifestation der Lebendigkeit bezeichnet die historischen Epochen . . ..... 153 Kants Raumauffassung (vgl. 46, 100) .................. 154 Anmerkungen des Herausgebers ............................... 157 Literaturverzeichnis ................... ................... ..... ........ 185 Nachwort des Herausgebers ...... ................... ............. 189
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Als 1923 der Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg (1835-1897) erschien, war rler Name dieses eigentümlichen und tiefen Denkers der Welt so gut wie unbekannt. Außer seiner 1866 erschienenen Jugendarbeit "Die Katharsis des Aristoteles und der Oedipus Coloneus des Sophokles" war von dem Grafen nichts veröffentlicht worden; da enthüllte sich der Freund Diltheys auf einmal als ein durchaus ebenbürtiger, ja in der Exaktheit des Denkens und der Kompromißlosigkeit des Fragens vielleicht sogar überlegener Geist. Dieser Eindruck wurde bestätigt durch sein 1927 veröffentlichtes "Italienisches Tagebuch", das eine große Kraft der Vergegenwärtigung geschichtlicher Potenzen und desNacherlebens geschichtlicher Motive offenbart. Nur auf diese beiden Veröffentlichungen sich stützend, hat Fritz Kaufmann 1928 den Versuch unternommen, die Philosophie des Grafen Paul Yorck von Wartenburg systematisch zu rekonstruieren. Diese Arbeit mußte zwar in einigen Punkten zu Ergebnissen kommen, die von dem abweichen, was wir auf Grund des Kaufmann unzugänglichen Nachlasses heute wissen, dennoch bleibt Kaufmanns Versuch eine imponierende Leistung und eine interessante Deutung von Yorcks weltanschaulichen Grundüberzeugungen, die in den Briefen und im Tagebuch naturgemäß rückhaltloser und unmittelbarer zum Ausdruck kommen als inden-wohl als Vorarbeiten zu größeren Veröffentlichungen gedachten - Manuskripten. Die Vertrautheit mit den brieflich entwickelten Anschauungen kann deshalb auch dem Verständnis der nicht immer leicht zu lesenden philosophischen Fragmente dienen, und Kaufmanns Studie bedarf nur geringfügiger Korrekturen, um als Einleitung in Yorcks Denken bestehen bleiben zu können.
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Vorwort des Herausgebers
Außer den beiden Nachlaßveröffentlichungen, die von der Gräfin Sigrid von der Schulenburg, einer langjährigen Freundin der Familie Yorck, betreut worden sind, lagen drei unveröffentlichte Manuskripte des Grafen vor. Zwei davon sind aus den gelegentlichen Bemerkungen im Briefwechsel bekannt. Es handelt sich um eine geschichtlicrh-psychologische Rekonstruktion des Heraklitischen Denkens (vgl. Briefwechsel, S. 230 usw.) und um eine Arbeit zur Schulreform, in der sich Yorck auch grundsätzlich zu Bildungsfragen geäußert hat (vgl. Briefwechsel, S. 99f.). Während der Aufsatz zur Schulreform auf der Yorckschen Besitzung in Klein-Oels verlorengegangen ist, blieb die Heraklit-Arbeit in einer für Wilhelm Dilthey gefertigten Abschrift von Schreiber-Hand erhalten. Außerdem aber fand sich- gleichfalls in einer Abschrift für Dilthey- ein umfangreiches Fragment, das die Grundgedanken der Yorckschen Philosophie der Geschichte enthält. Dieses Hauptfragment wird hiermit erstmals der Öffentlichkeit übergeben. Da die bisherige Nachlaßverwalterin, Gräfin von der Schulenburg, während des letzten Krieges in Klein-Oels gestorben war, wandte sich der Enkel des Grafen Yorck im Herbst 1951 mit der Frage, ob eine Veröffentlichung der Manuskripte von wissenschaftlichem Interesse sei, an Professor Eduard Spranger. So bekam auch ich im Januar 1952 die vorliegenden Blätter zum ersten Male zu Gesicht. Bei der ersten und zweiten Lektüre blieben freilich noch manche Zusammenhänge unklar, aber das Gefühl war doch schon deutlich, daß es sich hier um außerordentlich tiefe und auch für die gegenwärtige Philosophie wertvolle Gedankengänge handelt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft gewährte dann ein Assistentenstipendium, das mir die notwendige Muße zur Beschäftigung mit den Manuskripten ließ und mir gestattete, mich durch ausgedehnte Lektüre in die Gedankenwelt des Grafen einzuarbeiten. Der Enkel des Philosophen hatte die Güte, mir durch Erzählungen das Bild des Lebens in Klein-Oels zu verlebendigen und mir eine aufschlußreiche, als Manuskript für die Familie gedruckte, Briefsammlung "Klein-Oels 1816-1871" leihweise zu überlassen. Aus den Briefen des Philosophen, die in diesem VIII
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Bande wiedergegeben sind, habe ich die wichtigsten Stellen in meiner Einleitung und in den Anmerkungen zitiert. Es war geplant, den gesamten philosophischen Nachlaß des Graftm zugleich herauszugeben, aber die Anerkennung der Tatsache, daß in dem Hauptfragment in äußerster Konzentration die Grundgedanken Yorcks zusammengefaßt sind, und daß daneben die oft weitschweifigen und durch die Entwicklung der Altphilologie überholten Polemiken in der Heraklitarbeit nur den Eindruck der Geschlossenheit der Konzeption stören könnten, hat dazu geführt, daß zunächst lediglich das Hauptfragment erscheint. Sollte dieses - wie zu erwarten - auf ein entsprechend großes Interesse stoßen, wird auch der Heraklit in Bälde veröffentlicht werden können. (Publiziert 1959). Eine Anzahl von Stellen prinzipiellen Inhalts aus diesem Manuskript habe ich bereits in der Einleitung sowie in den Anmerkungen verwendet. Die Aufgabe des Herausgebers bestand in erster Linie in der Herstellung eines einigermaßen lesbaren Textes. Der Stil der Arbeit zeigt deutlich die Spuren einer sehr raschen Konzeption, eines Hervorsprudelns von oft nur notdürftig gegliederten Gedankenmassen, die dem Verständnis des unvorbereiteten Lesers erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Die Bearbeitung des Textes wurde mit dem Ziele vorgenommen, mit einem Minimum von Eingriffen ein Optimum an Lesbarkeit zu erzielen. Außerdem aber wurden alle vom Herausgeber angebrachten Veränderungen so gekennzeichnet, daß der ursprüngliche Text ohne weiteres rekonstruiert werden kann. Zusätze, die sich wegen der zuweilen lakonischen Kürze des Stiles als nötig erwiesen, sind kursiv gesetzt, einzelne Satzteile oder Nebensätze, die infolge einer Konstruktionsänderung wegfallen müssen, stehen in eckiger Klammer, während lange Perioden, die im Interesse der raschen Erfassung des Hauptgedankens zunächst überschlagen werden sollten, in runde Parenthesen gestellt sind. Daß es sich bei der mir vorliegenden Niederschrift um eine Kopie- nicht um ein Diktat- handelt, ging eindeutig aus den zahlreichen, nachträglich verbesserten typischen Abschreibefehlern hervor. Da jedoch nicht sicher IX
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Vorwort des Herausgebers
war, ob sämtliche Korrekturen nur Richtigstellungen der Abschrift sind, oder ob sie etwa zum Teil auf Hinweise Yorcks selbst zurückgehen, wurden in allen Fällen, wo es sich nicht um ganz belanglose Schreibfehler handelte, Durchstreichungen, Hinzufügungen usw. in Fußnoten ausdrücklich vermerkt. Die Orthographie wurde, nach dem Vorbild der beiden vorangehenden Veröffentlichungen, weitgehend der heutigen angepaßt. Yorck hat einmal von sich selbst gesagt: "Die lnnehaltung der thematischen Grenze (sei) das Schwierigste" (B, S.112). Die vorliegende Arbeit illustriert diese Aussage nur allzu deutlich. Es war deshalb auch nicht daran zu denken, den ungegliederten Text in Kapitel und Paragraphen aufzuteilen. Das hätte höchstens durch eine völlige Umgruppierung geschehen können, die aber das Prinzip der Manuskripttreue zu sehr verletzt hätte. Als Ersatz für diese nicht erfolgte Auflockerung des Textes wurde dem Ganzen eine detaillierte Inhaltsangabe vorangestellt, die die Orientierung erleichtern soll. Außerdem wurde der Versuch unternommen, in einer Einleitung einige Grundgedanken der Yorckschen Philosophie systematisch zu entwickeln. In dem kurzen biographischen Abnß wurde vor allem Wert auf eine Beleuchtung der geistigen Tradition gelegt, in deren Rahmen sich Yorcks Denken entfaltet. Die Anmerkungen des Herausgebers, die aus satztechnischen Gründen in den Anhang verwiesen wurden, enthalten Parallelstellen bei Yorck selbst oder auch im Werke Diltheys und in den Arbeiten anderer Zeitgenossen sowie Hinweise auf die von Yorck erwähnten Autoren. Zum Schluß bleibt mir noch die angenehme Pflicht, all denen, die beim Zustandekommen dieser Arbeit geholfen haben, meinen ergebensten Dank zu sagen. An erster Stelle dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg, Konsul der Bundesrepublik Deutschland in Lyon, für das mir erwiesene Vertrauen und die Erlaubnis zur Veröffentlichung, sodann Herrn Professor Dr. Eduard Sprangerfür seinen gütigen Rat und Beistand und schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, deren großzügigem Entgegenkommen der vorliegende Band zwiefach seine Entstehung verdankt. X
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Die hier erstmals vorgelegten Arbeiten Yorcks werden zweifellos dazu beitragen, die geistesgeschichtliche Stellung der Diltheyschen Lebensphilosophie näher zu bestimmen, darüber hinaus zeigen sie aber eineneigenwilligenprotestantischen Denker, der- seiner Zeit weit voraus- uns in vielen Punkten heute näher stehen mag als sein so viel berühmterer Freund. So ist es denn - ganz im Sinne Yorcks - nicht bloß antiquarisches Interesse, das zur Beschäftigung mit der Philosophie des Grafen führt, und wir dürfen hoffen, daß sich in fruchtbarer Auseinandersetzung und schöpferischer Aneignung die Lebendigkeit seines Denkens in der Gegenwart bewährt. Tübingen, Sommer 1955
Das wichtigste Nachlaßfragment des Grafen Paul Yorck von Wartenburg war seit vielen Jahren nicht mehr im Buchhandel vorrätig. Für die Beurteilung dieses eigenwilligen undtrotz seiner Freundschaft mit Wilhelm Dilthey - einsamen Denkers ist dieser Text jedoch unentbehrlich. Auch wenn ich meine Einleitung heute anders abfassen und die stilistischen Glättungen am Text des Fragmentes vermutlich anders vornehmen würde, es schien mir nicht angebracht, die Arbeit in veränderter Gestalt vorzulegen. In meinem dieser Ausgabe hin· zugefügten Nachwort gehe ich auf die inzwischen neu bekannt gewordenen Texte aus dem Yorck'schen Nachlaß und auf deren Bedeutung für das Verständnis seiner Philosophie wie seiner historischen Gestalt ein. Frankfurt a. M., Frühjahr 1991
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EINLEITUNG
I. Leben und geistige Umwelt des Grafen Paul Y orck v. Wartenburg (1835-1897)
Graf Paul Yorck v. Wartenburg wurde am l. März 1835 in Berlin als Enkel des Feldmarschalls Hans David Ludwig Yorck von Wartenburg geboren. Sein Vater, Hans Ludwig David Yorck, Dr. phil., Majoratsherr aufKlein-Oels in Schlesien, stand seit den zwanziger Jahren mit den geistig regen Kreisen der Berliner Spät-Romantiker in engem Kontakt und hatte sich besonders mit Ludwig Tieck befreundet, dessen wertvolle Bibliothek er nachmals für die Schloßbücherei von Klein-Oels erwarb. Die Mutter des Grafen, Bertha Johanna Auguste, geh. von Brause, die Tochter des hochkultivierten preußischen Generals von Brause, war schon durch ihr Elternhaus früh mit allen literarischen, philosophischen und theologischen Größen des damaligen Berlin bekannt geworden. Mit welcher Leichtigkeit sie sich in der Welt des Geistes bewegte, geht aus ihren Briefen hervor, in denen sie u.a. die Lektüre von Solger, Schleiermacher, Platon und Hegels Religionsphilosophie erwähnt (Kleinöls, S.159f.). Gesellschaftliche Beziehungen des elterlichen Paares zu Raumer, Steffens, Tieck, Savigny, Varnhagen von Ense, Schinkel, Bettina v. Arnim, Alexander v. Humboldt, Beyme, Grolmann usw. sind bezeugt. Mit Varnhagen von Ense stand Bertha von Klein-Oels aus in regem Briefwechsel und ließ sich durch ihn über die Berliner Ereignisse auf dem laufenden halten. Schon 1845, als Zehnjähriger, verlor Graf Paul seine Mutter, aber vier Jahre 1
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!ring Fetscher
später heiratete sein Vater wieder, und in der Familie dieser zweiten Frau, Nina, geb. von Olfers, sollte der Sohn später eine Art geistiger Heimat in Berlin finden. Nachdem das begabte Kind anfangs durch Hauslehrer erzogen worden war, wurde es 1851 auf das Magdalenen-Gymnasium in Breslau geschickt. Aus dem nächsten Jahre ist ein Brief des Knaben über Luthers Katechismuserklärungen erhalten: sie seien, sagt er, "gewiß für ihre Zeit vortrefflich gewesen, sind noch vortrefflich für ein gewisses Alter, oder eine gewisse Stufe der Bildung, aber für den, der selbst über das, was sie erklären sollen, nachdenkt, ... haben sie keine Bedeutung, und wir lernen sie nur aus einer gewissen Pietät ... Wohl jeder muß sich seinen Glauben selbst bilden, gelehrt kann er nicht werden, denn gerade das, worüber man unklar ist und eine Erklärung haben möchte, vermag niemand zu erklären." Der Vater antwortete hierauf zwar ermahnend, aber doch mit einer Ausführlichkeit, der man die Freude über die Aufgewecktheit des Jungen anmerkt: "Luthers christliche Überzeugungen sind ... das Endresultat einer 1500jährigen Ent- und Verwicklung. Gewiß sind seit den verflossenen 300 Jahren neue Resultate gewonnen worden, Du wirst aber auch mit ihnen nicht überall übereinstimmen. Glaube Du daher, mein Paul, Luthers Lehren und Deines Lehrers Erklärungen, nimm sie indessen immerhin auf Autorität an, zweifle an Deinem Zweifel und Deiner Erkenntnis" (Klein-Oels, S. 364f.). Ein Brief der hochbegabten Hedwig v. Olfers, der Mutter von Nina, die den Mittelpunkt der Berliner Olfersschen Wohnung bildete, schildert 1853 den Gymnasiasten: "Paul ist so recht für uns geschaffen, sein weiches, frommes Gemüt lernt man nur kennen, wenn man ihn oft und nahe sieht, denn er ist eigentlich etwas scheu und macht deswegen nicht leicht Freundschaft, hat er aber diese kleine jugendliche Zurückhaltung überwunden, so ist er zutraulich und hat ein glückliches abandon, was zur wahren Liebenswürdigkeit gehört, er philosophiert und diskutiert über Kunst und Religion und enthusiasmiert sich recht wie ein Sechzehnjähriger" (Klein-Oels, S. 384). Im Frühjahr 1854 bestand Graf Paul sein Abitur und 2
Einleitung
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erhielt als Belohnung eine Reise nach Frankreich geschenkt, die er durch seine Sparsamkeit bis nach Algier ausdehnen konnte. Im Sommersemester 1855 nahm er in Bonn das Studium der Rechtswissenschaft auf, wechselte aber schon im folgenden Semester die Universität, weil er - mit Rücksicht auf seine Gesundheit - an dem obligaten Bonner Corps-Studenten-Leben nicht teilnehmen wollte. In Breslau, wo er sein Studium fortsetzte, hörteer neben den Fachvorlesungen vor allem den Philosophen Braniß, der auch regelmäßig in KleinOels verkehrte, und trieb eifrig Sprachstudien. (Christlieb, Julius Braniß (1792-1874) gehört in den weiteren Zusammenhang des deutschen Idealismus. Seine teilweise originelle Geschichtsphilosophie ist der Regelsehen entfernt verwandt. Außer Hegel hat vor allem Schelling und Steffens auf Braniß' Denken eingewirkt. Schleiermachers Glaubenslehre hat er 1824 in einer kritischen Schrift behandelt.) Im Jahre 1857 unternahm Graf Paul zusammen mit seinem Vater seine erste Italien-Reise, an die er sich 34 Jahre später, als er seinerseits mit seinem ältesten Sohne Heinrich eine ähnliche Fahrt unternahm, noch genau erinnerte (vgl. das Italienische Tagebuch). Im Herbst 1858 legt Yorck das Auskultator-Examen ab und tritt als Freiwilliger in das 2. Garderegiment zu Fuß ein, um sein Militärjahr abzudienen. In dieser Zeit lernte er auch seine künftige Frau, Louise Rahel von Wildenbruch, die Tochter des preußischen Gesandten an der Hohen Pforte, kennen und verlobte sich bereits im März 1859. Durch seine Frau war Yorck sein ganzes Leben hindurch mit dem Schaffen des Dichters Ernst von Wildenbruch, seinem Schwager, verbunden, ohne es jedoch, wie die Äußerungen im Briefwechsel mit Dilthey erkennen lassen, aus verwandtschaftlichen Gefühlen heraus zu überschätzen. Nach der Hochzeit im Herbst 1860 läßt sich Yorck als Referendar in Breslau nieder, 1862 übersiedelt die Familie- inzwischen ist der älteste Sohn, Graf Heinrich (1861-1923}, geboren - nach Potsdam, wo sich Paul auf das Assessor-Examen vorbereitet. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Briefen an den Vater, in denen sich deutliche Keime von Y orcks späteren philosophischen 3
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Iring Fetscher
Überzeugungen zeigen und aus denen die Einheit seiner philosophischen, ästhetischen und politischen Ansichten hervorgeht. Dabei ist es vielleicht nur fruchtbar gewesen, daß die Ansichten von Vater und Sohn gerade im Prinzipiellen oft auseinandergingen. Der Bogen der Themen, die in diesen Briefen zur Sprache kommen, spannt sich weit: von der Religion bis zur Tagespolitik, aber immer wieder geht die Analyse von religiösen oder theologischen Fragen aus. Die willensmächtige Person Luthers wird gewürdigt und von der ganz andersartigen Persönlichkeit Goethes abgehoben. Die Lektüre von D. F. Strauß' Leben Jesu regt zu kritischen Bemerkungen an: "Die Widersinnigkeit ... liegt der ganzen Arbeit zugrunde, daß der Verfasser an etwas, was sich selbst als übernatürlich ausgibt, den natürlichen Maßstab anlegt, so daß er, was er beweisen will, ständig voraussetzt." Dagegen hält Yorck daran fest, daß der "richtige Standpunkt, der tatsächlich gegebene, lautet: "Christus ist. Seine Natur zu ergründen, ist Aufgabe der Theologie ... Vielleicht ist diese Wissenschaft wie eine Blume, welche auf dem Boden des wirklich gewordenen Mysteriums erblühend dasselbe entfaltet, aber doch immer als den dunklen Fruchtboden zugleich voraussetzt" (Brief vom 5. 7. 1862, K.lein-Oels S. 525). Am bemerkenswertesten aber sind Yorcks frühe Ausführungen über die christliche Kategorie "Person": "Ich bin Person! Nicht ich weiß mich als Person, denn ich weiß nicht, was Person ist, ja Person gar kein was, sonst würde ich darum wissen. Ist es nicht schon merkwürdig, das Wort Person 1 Welcher Sprache gehört es an 1 ..• Ich möchte sagen, es ist ein christliches Wort .... Es ist nebenbei wohl zu beachten, daß der Gedanke Gott bestimmt als das Absolute, also als ein Neutrum, während Gott im Glaubenlebt als der Gott, die Person. Nicht im Denken ist das Existieren; sobald ich das Existieren denke, so ist es nicht existieren; sondern wie alles Gedachte ein mögliches ... Also daß wirklich gedacht wird, liegt nicht mehr im Denken, wie daß wirklich ein Pferd ist, nicht im Begriffe des Pferdes liegt. Das "wirklich", also das "daß" im Gegensatz zum "was" ist wie (der) Charakter außerhalb des Denkens ... ein reines "daß", von dem ich nichts aussagen 4
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kann, das ich nicht denken kann, dessen Äußerungen ich nur im Leben erfahre, das ich selbst bin ... " (Brief vom 11. li. 1862, Klein-Oels, S. 524). Ich habe diese Briefstellen nur angeführt, um zu zeigen, wie früh schon Y orck - offensichtlich unter dem Einfluß der Schellingschen Spätphilosophie- eigentümlichephilosophische Anschauungen zu entwickeln begann und wie stark dabei immer schon religiöse Probleme im Vordergrund standen. Auch die in diesen Jahren veröffentlichte Katharsis-Studie (Die Katharsis des Aristoteles und der Oedipus Coloneus des Sophokles, Berlin 1866), ursprünglich eine Zulassungsarbeit zur VerwaltungsAssessor-Prüfung (! ), gibt eine vorwiegend religiöse Deutung des Sinnes der griechischen Tragödie, wo bei die griechische Welt als die "noch nicht christliche", unedöste verstanden wird. Im Sommer 1865 starb unerwartet plötzlich Yorcks Vater, und GrafPaul, der mit dreizehn Jahren seinen älteren Bruder Heinrich verloren hatte, mußte nun als Ältester die Leitung des Familienbesitzes Klein-Oels übernehmen. Als Nachfolger seines Vaters wird er zugleich erbliches Mitglied des preußischen Herrenhauses, in dem er sich - allerdings nur in den ersten Jahren -wiederholt als Berichterstatter in juristischen Fragen und als Diskussionsredner betätigt hat. Während des dänischen Feldzuges und im preußisch-österreichischenKriege diente Yorck als Offizier und zeichnete sich wiederholt aus. Bei der Bewirtschaftung der ausgedehnten Yorckschen Güter bewies er Talent und Weitblick, so daß es ihm- trotz aller zeitbedingten Schwierigkeiten - gelang, den Familienbesitz zu erhalten und zu mehren. Von dem regen geistigen Leben, das dabei in Klein-Oels herrschte, geben die Berichte verschiedener Korrespondenten in dem Sammelband KleinOels, ebenso wie die Erinnerungen von Hedwig v. Olfers eine anschauliche Vorstellung. Oft wird am Abend vorgelesen meist aus klassischer und romantischer deutscher Literatur -, gelegentlich finden kleine Liebhaberaufführungen statt, an denen sich Familienmitglieder als Akteure beteiligen. Bei einer Lesung mit verteilten Rollen übernahm der alte Hausfreund Braniß die Rolle des Nathan, zu der er in seiner Doppeleigen5
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schaft als (konvertierter) Israelit und Philosoph geradezu vorbestimmt erschien. Als Braniß 1869 emeritiert wurde, bot ihm Yorck das ihm gehörige Herrenhaus des Gutes Höckricht zum Wohnsitz an; aber dem eingefleischten Großstädter war der Landaufenthalt bald doch zu still und so kehrte Braniß nach Breslau zurück, wo er 1874 starb. Auch am preußisch-französischen Krieg nahm Yorck auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin in einem Feldregiment teil. Obgleich er sich auch hier wieder auszeichnete, finden wir in seinen Briefen weit mehr Hinweise auf Lektüre und Reflexionen als Schilderungen von Kämpfen. Vor Paris liest Yorck Pascal, den er in einem Brief an seine Frau mit Hamann vergleicht. Daneben vertieft er sich in Goethes Maximen und Reflexionen und beobachtet mit teilnahmsvollem Interesse seine Umgebung. Durch die Vermittlung seines Schwagers Geheimrat Abeken ist er auch Zeuge der Kaiserproklamation zu Versailles. Bis hierher führt die Briefsammlung Klein-Oels, über das weitere Leben unterrichtet der Briefwechsel mit Dilthey, aus dem freilich die privaten Mitteilungen gestrichen wurden, und das Italienische Tagebuch. Wir können uns vorstellen, daß Yorcks Leben nun im regelmäßigen Gleichmaß der täglichen Pflichten des Gutsherrn und der mannigfaltigen historischen und philosophischen Interessen verlief, von denen der Briefwechsel zeugt. Reger Verkehr herrschte zwischen der Universität Breslau und Klein-Oels, immer mehr wuchsen die Schätze der Schloßbibliothek an, häufige Reisen nach Berlin brachten die notwendige Verbindung mit der Welt des Geistes und der Gesellschaft der Hauptstadt. Im Jahre 1871 war Wilhelm Dilthey auf den Lehrstuhl von Braniß nach Breslau berufen worden, und in den folgenden Jahren kam es dann zu jener Begegnung mit Yorck, die für beide Denker so außerordentlich fruchtbar und wesentlich werden sollte. Es ist schwer zu sagen, welcher der beiden Freunde den anderen "mehr beeinflußt" hat, sicher ist nur, daß beide damals schon in ihren philosophischen Grundüberzeugungen gefestigt waren und sich in verwandtem Geiste begegneten. 6
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Von den Verhandlungen des Herrenhauses, dessen politische Bedeutungslosigkeit Yorck immer deutlicher wird (vgl. B, S.136), hielt er sich im Laufe der Zeit immer mehr zurück, seit 1879 ist er in der Rednerliste nicht mehr vermerkt~Von größeren Reiseplänen ist nur 1891 die Italienreise verwirklicht worden, Besuche der Pyrenäenhalbinsel und Englands blieben bloßes Projekt. Seine von Anfang an gefährdete Gesundheit fesselte Yorck mit zunehmendem Alter immer mehr an KleinOels. In seinen letzten Lebensjahren hat Yorck offenbar an zwei Werken gearbeitet: an einer historisch-psychologischen Rekonstruktion des Heraklitischen Denkens und an einer Darstellung seiner eigenen Auffassung vom ·wesen der geschichtlichen Entwicklung und ihrer Erkenntnis. Beide Arbeiten sind unvollendet geblieben und wurden von Yorck kurz vor seinem Tode als nicht druckreif bezeichnet. Am 12. September 1897 ist GrafPaul Yorck von Wartenburg aufKlein-Oels gestorben. Wilhelm Dilthey hat in einem Brief an den Sohn des Freundes in schönen und bewegten Worten dem Schmerz über den Verlust dieses großen Geistes Ausdruck gegeben: "Was soll ich von mir sagen 1 Seit nun fast einem Vierteljahrhundert habe ich mit ihrem teuren Vater in der innigsten Gemeinschaft aller Ideen gelebt. Er war die genialste größte Natur, die mir außer Helmholtz begegnet ist, aber mehr wog die Herrlichkeit seines Charakters. Allem was er berührte verlieh er Adel, Schönheit, Glanz, wenn er erschien, war es als gehe die Sonne auf. Ich kann mich noch nicht finden, mich dünkt, nichts Philosophisches wird künftig mich wieder mit dem alten Interesse erregen, da ich es mit ihm nicht mehr teilen kann. Welchen Wert soll, was ich noch schreiben könnte, für mich haben, da ich seine Beistimmung, seine Einwendungen, sein Urteil von jetzt ab niemals wieder vernehmen werde. Recht leidend wie ich bin, empfinde ich es als ob über dem Rest nun tiefe Schatten sich senken" (B, S. VI).
• VgL die bei Gründer (1970) wiedergegebenen Beiträge aus den Protokollen des Preußischen Herrenhauses aus den Jahren 1867-1876.
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II. Die Grundgedanken seiner Philosophie
a) Der kritische Ausgangspunkt Yorck hatte in starkem Maße das Gefühl, am Ende einer Geschichtsperiode zu stehen. "Unsere Zeit, schreibt er 1892 an Dilthey, hat etwas von dem Ende einer Epoche. Ein Zeichen dafür ist das Schwinden der elementaren Freude an der historischen Gegebenheit." Aber bei dieser Feststellung bleibt er nicht stehen, sein ganzes denkerisches Bemühen geht vielmehr darauf aus, diese Krise zu verstehen und sie durch "Selbstbesinnung" überwinden zu helfen. Wie für jeden großen Denker ist auch für Yorck die Philosophie kein Selbstzweck, vielmehr erscheint ihm "das Praktisch-werden-Können ... (als) der eigentliche Rechtsgrund aller Wissenschaft" (B, S. 42), und weiter schreibt er dem Freunde: "Die praktische Abzweckung unseres Standpunkts ist die pädagogische, im weitesten und tiefsten Wortsinne. Sie ist die Seele aller wahren Philosophie und die Wahrheit des Platon und Aristoteles." Umgekehrt erblickt Yorck in der herrschenden pädagogischen und vor allem auch politischen Praxis die notwendigen Folgen einer "Bewußtseinsstellung", wie sie rein und reflektiert in der zeitgenössischen Philosophie zumAusdruckkommt (vgl. S.107, 127, B, 98f.). Wie Dilthey sucht auch Yorck nach einer lebendigeren geisteswissenschaftlichen Psychologie, die zur Grundlage des Erfassens der historischen Wirklichkeit werden kann. Aber energischer als sein Freund drängt er über das bloße Verstehen hinaus zum Neubau, einem Neubau freilich, der wesentlich in und durch historisches Verstehen sich vollziehen soll. Denn mit dem Schwinden eines Verständnisses für geschichtliche Dimensionen hat die Gegenwart auch das innere Verhältnis zum Staat und seinem Leben verloren. Die Wiedergewinnung eines (bewußteren und reiferen) Verhältnisses zur Geschichte impliziert damit auch die Wiederherstellung des gestörten Verhältnisses der Menschen zum Staat und damit eine Gesundung der Politik.. 8
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Y orcks Gedankengang kann man in zwei Seiten zerlegen; einmal wird der Nachweis geführt, daß die in seiner Gegenwart herrschende "Bewußtseinsstellung" an ihr Ende gekommen ist, zum anderen sucht Yorck zu zeigen, daß allein eine bewußte Wiederaneignung des reformatorisch gereinigten Christentums eine lebendige Auffassung der lebendigen Geschichte ermöglichen kann. Bei seiner Beurteilung der Gegenwart geht Yorck davon aus, "daß das Zeitalter des Mechanismus: Galilei, Deseartes, Hobbes virtuell Gegenwart ist" (B, S. 68). Der Mechanismus ist für das moderne konstruierende Bewußtsein noch immer kennzeichnend und, was als "Gegenbewegung" sich ausgibt, stellt in Wahrheit nur eine "Nebenströmung" dar. Das gilt z.B. für die "sogenannte historische Schule", die Yorck "eine bloße Nebenströmung innerhalb desselben Flußbettes" nennt und die er richtiger als "ästhetisch-antiquarische" bezeichnen möchte. Ja die Romantik insgesamt erscheint als eine solche Nebenströmung, oder auch als bloß äußerliches "Komplement des Mechanismus': Es habe sich aber gezeigt, "daß das ästhetische Komplement der Mechanik bankrott gemacht hat" (B, S.l28). Während Dilthey sich immer als einen Nachfahren der deutschen Bewegung zu begreifen bestrebt ist, will Yorck auch mit der "deutsch-nationalen Nebenströmung" radikal brechen. Die Neufundierung der Geisteswissenschaften und vor allem die Wiederherstellung des gestörten Verhältnisses zur geschichtlichen Wirklichkeit erfordert - nach Yorck - eine viel tiefgreifandere Wendung. "Es muß eben von Neuern wieder einmal hinabgestiegen werden zum tiefen Quell des Bewußtseins um neues Lebenswasser zu schöpfen" (B, S.244). Diese Wendung, die sich in dem "tiefen Vergänglichkeitsgefühl" andeutet, das unsere Zeit erfaßt hat, soll durch "Selbstbesinnung" ins Bewußtsein gehoben und befördert werden. Durch Aufweis der Unfähigkeit der bislang herrschenden ,.Bewußtseinsstellung" zum Erfassen des lebendigen geschichtlichen Geistes und zur Herstellung des dauerhaften politischen Verbandes will Yorck die notwendige "Wendung" herbeiführen. Darin besteht sein pädagogisches Ziel. "Daß (aber) 9
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... radikal nur Pädagogik helfen kann, das wird immer mehr zum Allgemeingefühl" (B, S. 138). Der Mechanismus ist außerstande, Geschichtlichkeit (lebendigen Geist) zu erfassen. Konstruktion ist sein universales Bedürfnis und daher wird "Handlichkeit" als Ergebnis der Analyse erstrebt, die Gegebenheit in "Atome" zerlegt und nur "willentlich", durch "souveräne Aktivität" (S.155) wieder zusammengefügt. Jede Ganzheit, jedes Konkretum wird als ein Kompositum verstanden, aller Syndesmos, alle Bindung geht verloren und an seine Stelle tritt künstliche, äußerliche Synthese. Parallel mit der Entwicklung des konstruktiven Denkens entfaltet sich der neuzeitliche Nominalismus, der die objektive, anschauliche Gestaltlichkeit der Ideen und des voü.:; selbst zum formellen Schema verblassen läßt. Allein das Einzelne, Individuelle erscheint als Realität. Gegenüber diesem nominalistischen und individualistischen Denken begrüßt Yorck den Realismus von Schmoller und Gierke, der "die Realität der (juristischen) Gesamtperson gegen jede Fiktionslehre zu verfechten suchte" (K, S.81). Doch darf dieser von Yorck begrüßte Realismus keineswegs mit dem mittelalterlichenldeenrealismus verwechselt werden (K, S. 80), den Yorck gerade als eine Form der zur Erfassung des sich wandelnden Lebens unfähigen Gestaltsmetaphysik ablehnen mußte. Auch offenbart sich ja geschichtlichem Verstehen die Auflösung des mittelalterlichen Realismus zum Nominalismus als eine notwendige Zersetzung der überkommenen antiken Bewußtseinsstellung durch die mit ihr amalgamierte christliche. Wenn der Gedanke der Schöpfung ernstgenommen wurde, fiel der voü.:; als ein Inbegriff ewiger Wesenheiten fort. Im Gegensatz zu diesem alten Realismus basiert der Yorcksche nicht auf der Schau einer Ideenhierarchie, sondern auf dem Ionewerden des lebendigen konkreten Zusammenhangs, auf der gefühlten, unmittelbaren Erfahrung der "Zugehörigkeit" des Einzelnen zu Geschichte und geschichtlicher Gemeinschaft. "Historische Wirklichkeit (ist) Empfindungsrealität" (B, S. 113) und daher auch nur vom Empfinden her, durch das Empfinden aufzunehmen. Das heißt nicht, daß der Intellekt ausgeschaltet 10
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werden soll, sondern nur, daß ihm eine bloß vorbereitende, sichtende und klärende Aufgabe zufällt, während die eigentliche. und entscheidende "Aneignung" im Empfinden geschieht, für das allein "Person, Gemeinschaft, Charakter" wirklich sind. Die mechanistische Einstellung hat aber auch auf ihrem begrenzten Gebiete durchaus ihre Berechtigung: "Wo es sich um Willensdaten, um Wirklichkeit im engeren Sinne, populär gesprochen: um äußere Natur und Welt handelt, da ist die Konstruktion -der Provenienz (vom Willen) wegen - dem Objekte adäquat, aber schon wo es sich um die Erfassung des Somatischen handelt, das mit dem Psychischen eng verbunden ist, wird der ,Befund nicht nur reduziert, sondern alteriert" {B, S.179). Als durchgehende Lebenshaltung aber befriedigt der Mechanismus selbst zeitgenössische Denker, die von den Naturwissenschaften ausgehen, nicht mehr. So fügen "Fechner und Lotze, die letzten bedeutenden Systematiker, dem festgehaltenen Mechanismus ... als ein äußeres Komplement aus Gemütsbedürfnis den Rahmen des ästhetischen Idealismus hinzu" (S. 127, vgl. B, S. 70f.). Diese klare kritische Position Yorcks gegenüber seiner Zeit und sein hohes geschichtliches Einfühlungsvermögen wurden durch seine eigentümliche IutherischeChristlichkeit ermöglicht. Nur weil Yorck überzeugt war, in dem reformatorisch gereinigten Christentum eine "Bewußtseinsstellung" zu haben, die eine volle Erfassung des geschichtlichen Lebens ermöglicht, konnte er zugleich den historischen Wandel begreifen und dennoch gegenüber relativistischen Anfechtungen eine feste Stellung beziehen. Für Yorck ist das Christentum nicht allein ein historischer Gegenstand unter anderen, sondern zugleich auch "Leben", ja "des Lebens Leben" und als solches das Subjekt der Erfassung lebendiger Wirklichkeit par excellence. Auf diese reine und radikale Bewußtseinsstellung des Christentums drängt aber die gesamte Entwicklung hin, denn alle metaphysischen Versuche der "Äternisierung", der Flucht aus der Vergänglichkeit sind fehlgeschlagen und haben sich als illusorisch erwiesen. Gegenüber aller selbstherrlicher Metaphysik erkennt Yorck die befreiende Haltung christlicher Transzen11
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denz, die ein lebendiges Erfassen der sich wandelnden Empirie ermöglicht, weil sie keinen festen Halt mehr suchen muß, sondern einen jenseitigen immer schon besitzt. b) Transzendenz gegen Metaphysik Eine ablehnende Haltung gegenüber der Metaphysik ist im 19.Jahrhundert keine Seltenheit, aber Yorcks Ablehnung ist mit einem tiefen historisch-psychologischen Verstehen verbunden, das die verschiedenen Gestalten antiker und moderner Metaphysik als Ausprägungen des jeweiligen Lebensgefühls also aus ihren lebendigen Motiven heraus in ihrer Notwendigkeit - begreift. Am deutlichsten spricht Yorck das Motiv allen metaphysischen Verhaltens in seiner Heraklitarbeit aus: "Inmitten des Vergänglichkeitsgefühls sucht der Mensch einen unvergänglichen Haltbehufs Selbsterhaltung" (Heraklit, 13b). In dem vorliegenden Fragment kennzeichnet Yorck die Haltung des Metaphysikers sogar als "Selbstbehauptung", der die religiöse "Selbsthingabe" diametral entgegengesetzt ist (S. 44). Die Metaphysik erscheint als eine "Setzung der Willensenergie", Religion als ein "Resultat der Willensohnmacht, (als) Gefühlsbedürfnis". Ermöglicht wird aber die metaphysische Position durch die Struktur der "psychischen Lebendigkeit selbst", näher durch den eigentümlichen Charakter des Prozesses der Vorstellung (Ver-räumlichung). "Jeder Akt des Denkens, welches, so abstrakt es angenommen werden möge, als Vorstellung bildend in der Anschauung wurzelt, hebt aus der bewegten Lebendigkeit ein Bild oder einen Begriff absondernd heraus als ein Festes und relativ Bleibendes, und diese allgemeine Natur des Denkvorgangs ist der Ursprung, die psychische Möglichkeit aller Metaphysik. Die Konkurrenz (d.h. Beihilfe I.F.) des wertenden Wollens äternisiert den der Zeitlichkeit in dem Vorstellungsvorgange zeitweilig enthobenen Vorstellungsinhalt. Es ist aber jene Willenskonkurrenz, jene Wer12
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tung kein Akt der Willkür, vielmehr ein Postulat der Lebendigkeit selbst" (Heraklit, 13b). An anderer Stelle wird der gleiche Gedanke noch klarer formuliert: "Das vorstellende Verhalten als solches ist ein Festhalten, eine Fixation, ein Herausheben und Absondern aus der zeitlich ablaufenden Zuständlichkeit. Hier liegt die psychische Wurzel aller Metaphysik, welche nur die willentliche Stabilisierung, Äternisierung der relativen Zeitlosigkeit jeder Vorstellung- abua't'~!Joll -ist" (Heraklit, 30a, Sperrungen von mir). Dieser Zusammenhang von Vorstellen, Verräumlichen und Metaphysik wird auch im vorliegenden Fragment immer wieder hervorgehoben (SS. 44, 64f., 129f., 174, 177 usf.), die Analyse der Raumvorstellungen und ihrer Geschichte steht hiermit in engstem Zusammenhang (SS. 76-82, 100-105, 128-131, 149, 176f. usw.). Metaphysisch ist für Yorck soviel wie "metapsychisch", d. h. absehend von dem lebendigen psychischen Motivationszusammenhang (vgl. B, S.196). Hierzu bemerkt Kaufmann "an dieser Doppelwortbildung ... wird sehr deutlich, was Yorck methodologisch unter Metaphysik versteht: das Verlassen psychischen Bodens; den Versuch, den Zusammenhang der Lebenswirklichkeit nicht aus den Grenzen des Lebens, sondern aus der Abstraktion, in Beschränkung auf eine Lebenskomponente und in einseitiger Auswirkung von deren Tendenz zu erfassen. Das ergibt, wo der Intellekt als Funktion des Willens auftritt thetische Konstruktion statt ursprünglichen Zusammenhangs" (K, S. 212). Der Inbegriff der Metaphysik ist für Yorck der Platonismus (B, S. 256), das moderne, nachchristliche Denken hat im Grunde alle metaphysische Gestaltlichkeit zerstört, jedenfalls nachdem die Reformation das "antik-christliche Amalgam" des Mittelalters zersetzt hatte. Die Tendenz der Neuzeit geht auf souveräne Konstruktion, nicht auf gestalthafte Anschauung. Solange der Konstruktionsgedanke mit der konkreten Praxis verbunden blieb, konnte er die Menschen auch "befriedigen", aber mit der Erhebung zur reinen Theorie und deren Isolierung ging das Wirklichkeitsgefühl (allein für Wille 13
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und Empfindung ist Wirklichkeit als Widerstand oder Empfindungsrealität) verloren. Im deutschen Idealismus, vor allem bei Hegel findet Y orck den Versuch, die verlorengegangene Realität durch eine Aufnahme der gestalthaften Anschaulichkeit des Denkens zurückzugewinnen, wozu freilich die spezifisch-modernen (dynamischen) Momente dieses Denkens in unüberbrückbarem Gegensatz stehen. Dieser Gegensatz wird durch die beiden Hauptbegriffe der Hegeischen Philosophie Begriff und Idee gekennzeichnet. Der begreifende Begriff (als Tun) entstammt der modernen Denkentwicklung, während die (gestalthafte und geschaute) Idee dem antiken Philosophieren entspringt. Die von Hegel behauptete Deckung bzw. Identifizierung beider muß -nach Yorck- wegen der grundsätzlich verschiedenen "Ver-haltung", der sie entspringen, scheitern. In der Tat gehe Hegel zumeist von der geschauten Gestalt aus, um erst nachträglich die dialektische Bewegung zu konstruieren, die diese Gestalten erzeugt hat (S. 125). Die christliche Bewußtseinsstellung (radikaler Transzendenz) hat ursprünglich durch ihre Weltfreiheit das moderne mechanistische konstruktivistische Bewußtsein ermöglicht. Dieses aber vermag, von seiner historischen (und psychischen) Wurzel losgelöst, die Menschen nicht zu befriedigen. "Ergänzungen" durch andere (ästhetische) Einstellungen, wie sie die Romantik und Hegel versucht haben, sind notwendig zum Scheitern verurteilt. Es bleibt bei einem bloß äußerlichen "Komplement". Metaphysik ist streng genommen nicht mehr möglich, weil sie der modernen Bewußtseinshaltung widerspricht. Für dieses souverän konstruierende Verhalten kann es keine gestalthaften Einheiten (von Staaten, Familien usw.) geben, sondern nur "handliche" Atome, deren Auftindung ein Postulat seines Vorgehens ist. Damit wird jeder geschichtlichstaatliche Verband in Frage gestellt und als Gegenkraft gegen die Atomisierung (Sandkörner) die diktatorische Gewalt (die "Faust") auf den Plan gerufen. Jetzt, nachdem sich das Daseinsgefühl nicht mehr im gestalthaften Schauen unmittelbar bejaht und wiederfindet, kann und muß das Leben selbst unmittelbar fühlend erfaßt 14
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werden. Das aber ist allein von einem "transzendenten Standpunkt" aus möglich, wie ihn das Christentum gewährt. Während "die Verräumlichung als eine radikale funktionelle Abstraktion von der Empfindung ... die Manifestation des Anderen als eines das Selbst konstituierenden Momentes" darstellt (S. 177), ist die Erfassung der lebendigen geschichtlichen Wirklichkeit umgekehrt eine Manifestation des Selbst als eines das Andere konstituierenden Momentes. Es zeigt sich nicht mehr das Andere als Moment des Selbst, sondern das Selbst als Moment des Anderen, das Andere wird als ein Selbst, als lebendig strukturierte Kraft (d.h. Gott wird als Person) unmittelbar erfahren. Der "Geist der Geschichte ... ist ... brüderlich und verwandt" (B, S.133).
c) Geschichtsphilosophie als Psychologie der Geschichte Wie Dilthey, nur mit größerer Bewußtheit und Radikalität, sucht Yorck nach einer "neuen Erkenntnistheorie" geschichtlichen Erkennans (B, S.180). Diese weist nach, "daß der Intellekt aus seinen Voraussetzungen und seiner Verhaltung ... nicht ausreichend ... zur Erklärung der gewiß somatisch bedingten, aber nicht somatisch gearteten Geschichtlichkeit, ... nicht ausreichend zum Ergreifen der Persönlichkeit ... in ihrer Lebendigkeit ... " ist (a.a.O.). Allein das "Leben (ist) das Organon für die Auffassung der geschichtlichen Lebendigkeit" (B, S. 167). Oder konkreter formuliert: "Das Erkenntnisorgan ist und bleibt der Mensch und die Erkenntnismittel sind in dem psychischen Capitale strukturierter Lebendigkeit beschlossen" (S. 223). "Trenne ich den lebendigen Vorgang" geschichtlichen Erkennens, "so kommen auf die eine Seite die psychischen Kategorien zu stehen, von denen man sagen könnte, daß sie an den Stoff herangebracht werden, wenn nicht der Stoff eigen Fleisch und Blut wäre" (a.a.O.). Die psychische Lebendigkeit des ganzen Menschen und das geschichtliche Leben erscheinen Yorck als "zugehörig" 15
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und "verwandt", allein diese Zugehörigkeit ermöglicht und garantiert echte und volle Erkenntnis. Der Ausgangspunkt ist daher immer die Analyse des "Selbstbefundes". Zugleich aber hat diese innere Verwandtschaft zur Folge, daß die hingebende Beschäftigung mit der Geschichte für den Forscher eine innere Bereicherung bedeutet. Wird das Selbst (scheinbar) "ausgelöscht und die Sache zum Reden gebracht", so ist "zugleich ... das Selbst in höchstem Grade lebendig gewesen, indem es die Sache erlebte" (B, S. 2). "Die Aneignung (geschichtlichen Lebens) ist zugleich eine erweiternde Entäußerung" (a.a.O., S. 223). In der Selbstbesinnung erfasse ich mich als historisch bestimmt. "Gerade so wie Natur bin ich Geschichte .. " Daraus aber folgt für Yorck, "daß Geschichte als Wissenschaft nur Psychologie der Geschichte sein kann" (B, S. 7lf.). Was als Vergangenes gewußt wird, aber in der Gegenwart nicht mehr lebt, ist nicht eigentlich geschichtlich, sondern von bloß "antiquarischem Interesse". "Ich möchte von meinem Stand- und Gesichtspunkte aus bemerken, daß die wissenschaftlich adäquate Darstellungsweise regressiv sein würde. Die Geschichtserkenntnis, welche von der eigenen Lebendigkeit aus sich rückwärts wendet zu dem der Erscheinung nach Vergangenen, der Kraft nach Aufbehaltenen würde in der Darstellung eine Analysis der Gegenwart der Vergangenheit vorausschicken und damit zugleich eine Kontrolle bieten für das Geschichtliche gegenüber dem Antiquarischen" (B, S.167).
Alle Erkenntnis, soweit sie in Urteilsform auftritt, ist für Yorck eine Beziehung von zwei Gliedern verschiedener psychischer Provenienz. Das wird in dem Heraklitmanuskript an dem Satz: "Die Linie ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten" erläutert. "Kürze und Länge sind Zeitbestimmungen. Die Strecke ist kurz, welche mit Blick oder Fuß zu durchmessen geringe Zeit erfordert." Die Zeitlichkeit aber entstammt nach Yorck dem Gefühl der Vergänglichkeit. "Die Linie aber ist eine okulare Bildlichkeit," (Heraklit. 58 b) entstammt also der Vorstellung. "Diese Beziehung aber zweier Positionen von verschiedener psychischer Provenienz ist ein 16
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Urteil" (a.a.O.). "Nicht im Subjekt ist das Prädikat, ebensowenig in dem Prädikate das Subjekt. Vielmehr Effekte der strukturierten Lebendigkeit sind beide und keines vor dem anderen. Die Bildung des okularen Bildes ist begleitet von einem Gefühls- oder Empfindungswerte und die konkrete Genesis in einen diskreten Bezug setzen, heißt Urteilen. Keine Aussage, welche der lebendigen Differenz ihrer Glieder ermangelt, ist ein Urteil" (Heraklit., 59a). Damit bleibt aber die urteilsmäßige Erkenntnis notwendig immer partikular, weil sie an die abstrakte Vereinzelung der psychischen Funktionen gebunden ist und eine einzelne Funktion nie adäquat (sondern höchstens symbolisch) die "Fülle der konkreten Lebendigkeit" wiederzugeben vermag. Die Lebendigkeit kann sich so nie "voll und ganz zum Ausdruck bringen" (S. 84). Eine Befriedigung aber gewährt derartiges partikulares Erkennen solange, als das "Einheitsgefühl" in der psychischen Besonderung sich findet. Wenn im Erkenntnisvorgang eine "Rücknahme der diskreten .Äußerlichkeit in die Einheit des Gefühls" (Heraklit., 30b) stattfindet, so wandelt sich die Erkenntnis mit dem Wandel des je bestimmenden historischen Verhaltens. Für die Griechen war z.B. das Gestaltgefühl die Art, wie sie ihre eigene Lebendigkeit erfaßten. Ihr "lebendiges Selbstbewußtsein" war plastischer Natur. Deshalb befriedigte sie auch eine Erkenntnis, in der ein Projektum auf ein innerlich empfundenes Gestaltverhältnis zurückgeführt wird. Faßt sich nun das lebendige Selbstbewußtsein nicht als Gestaltsgefühl, sondern als Zweckempfindung, so werden naturgemäß ganz andere Erkenntnisse als befriedigend erfahren. Drei Grundtypen historischer Lebendigkeit, geschichtlichen Selbstbewußtseins unterscheidet Yorck. Bei den Griechen (und etwas abweichend bei den Indern) ist das anschauendvorstellende Verhalten dasjenige, was als Betätigung des eigensten Wesens erfahren wird, worin sich die Menschen frei und befriedigt fühlen. Das Selbstgefühl ist anschauend-vorstellend. Bei den Römern (und wiederum abweichend bei den Juden) ist das historische Selbstgefühl willentlich bestimmt. Willens17
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setzungen und Zwecksbestimmungen werden als wesensverwandt erfaßt. Erkenntnis kommt zur Ruhe, wenn sie bei einem Zweckverbande angelangt ist. Während das zentrale Gefühl bei den Griechen gewissermaßen an die Schau der Gestaltlichkeit fixiert ist und bei den Römern an der Willensbestimmung und Zwecksatzung hängt, ist es endlich im Christentum "gegen sich (selbst) gewandt und damit frei von aller Gegebenheit" (S. 44). Damit ist die Sonderstellung des Christentums als Bewußtseinshaltung erklärt. Eine Haltung, die freilich rein erst durch die Luthersche Reformation herausgearbeitet wurde und in ihrer prinzipiellen Bedeutung von Y orck erstmaligerfaßt worden ist. Das (zentrale) Gefühl ist nicht mehr wie bei der griechischen oder römischen Bewußtseinsstellung wesenhaft (es zum Wesen machend, denn der Wesensbegriff entspringt ja erst bestimmtem Fühlen) auf ein anderes gerichtet (Vorstellen, Wollen), sondern auf sich selbst, es wird hinter die Ur-teilung des Selbstbewußtseins zurückgegangen. Die gesamte Lebendigkeit wird hiermit erstmalig erfaßbar, und zwar gerade dadurch, daß "in der Projektion der Empfindung eine radikale Selbstentäußerung stattfindet" (S. 134). Das heißt aber, daß allein von dieser vom Christentum herrührenden "Bewußtseinsstellung" aus ein lebendiges Erfassen der Geschichte, d. h. eine "philosophische Geschichte der Philosophie" (S. 33) möglich ist. Denn die Geschichte ist die lebendige Bewegung der menschlichen Gesamtpsyche in der Zeit. "Übergreifend, weil das Zentrum der Lebendigkeit (das zentrale Gefühl) essential bestimmend ist das Christentum. Es ist, soweit menschliches Bewußtsein in seiner gegebenen strukturellen Verfassung in Frage kommt, die tiefste und äußerste Möglichkeit historischer Bewußtseinsstellung. Hier findet in der Projektion der Empfindung eine radikale Selbstentäußerung statt, so daß die lebendige Verhaltung ... rein transzendenter Art ist" (S. 134). Hier wird "hinter das Zentrum aller Gegebenheit, hinter das Gefühl zurückgegangen ... auch dieses sofern es gegeben, damit aber das Leben selbst dem Anderen zuweisend" (S. 138). Die christliche Bewußtseinstellung ist die letzte psychisch mögliche und die 18
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historisch zuletzt auftretende - zugleich aber auch die einzige, welche "volle Erkenntnis" geschichtlicher Lebendigkeit ermöglicht (S. 43). Diese geschichtliche Erkenntnis verfährt aber nicht mehr in der Form des Urteils, sondern erlaßt die historische Lebendigkeit unmittelbar als "zugehörig". "Das rein Ontische wird erkannt mitte1st einer Übertragung des (innerseelischen) Zusammenhangs (auf den äußeren). Das Menschliche oder Historische bedarf einer solchen Übertragung nicht. Hierist das Verhältnisein unmittelbares. Ein Mensch wird dem anderen nie zur Sache" (B, S. 203). Aus unseren eigenen Motivationsmöglichkeiten heraus verstehen wir, unvermittelt die historische Person und ihre Taten, die vergleichende Methode kann dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen (gegen Dilthey B, S.193, 202 usw.). Yorck versteht alle geschichtlichen Gestaltungen aus ihren "Motiven" heraus, aus dem innerpsychischen Motivationszusammenhang, den man durch "Transposition" nach- und mitvollziehen kann. Will man das mit den etwas simplifizierenden Begriffen Basis und Überbau ausdrücken, so müßte man sagen: Basis ist das psychische Reich der Motive in seiner Entwicklung und Wandlung, Überbau alles, was als kulturelle Gestaltung und Organisationsform sich manifestiert. Die Äußerungen einer Zeit bilden so eine aus den Motiven heraus zu verstehende Einheit. "Alles Denken und Handeln (sind) Manifestationen einheitlichen Lebens. Es klingt paradox und ist doch wahr, daß z.B. die Strategie des 17.Jahrhunderts dependiert von dem Geiste, der in Galilei typisch Fleisch geworden" (B, S. 48). "Der locus des geschichtlichen Problems ist die Einheit der Motive, die in gleicher Weise die Handlung und den Gedanken bestimmen, so daß der Gedanke aus der Handlung klar wird und umgekehrt" (B, S.131). Ganz entsprechend heißt es auch in dem vorliegenden Fragment: "Erst dann wird z. B. die griechische Religion und Mythologie, Staatlichkeit und Staatswissenschaft, Kunst und Kunstlehre, Mechanik und Mathematik und insbesondere die griechische Philosophie begriffen sein, wenn ihrer aller Zusammenhang auf Grund der ihn bewirkenden besonderen Bewußtseins19
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stellung eingesehen, und damit in die komplexe Einheitlichkeit der Motive dieser Gestaltungen Einsicht gewonnen ist" (S. 56 bis 57). Wie alle anderen kulturellen Äußerungen ist daher auch die Philosophie ein "Ausdruck der Lebendigkeit" (Her ak Ii t., 31 a), sie ist genauer gesagt "die gedankliche Fassung der jeweiligen Lebendigkeit" (Heraklit., 6b), "die feinste, weil abstrakteste Marke der jeweiligen Bewußtseinsgestalt (S. 40), ein Wetterglas der psychischen Atmosphäre" (S. 57). Eine "philosophische Geschichte der Philosophie", wie sie Yorck zu geben versucht, erfaßt daher zugleich den Nerv des geschichtlichen Lebens (d.h. des Motivationszusammenhanges, aus dem die geschichtlichen Gestaltungen hervorgehen). "Eine philosophische Geschichte der Philosophie (ist) eine Herausstellung der lebendigen Denkanlässe, damit aber, weil Motive nur mittels der Lebendigkeit zu erfassen sind, eine Verlebendigung des früher Erlebten ... , wonach eine Geschichte der Philosophie selbst Philosophie ist, im Gegensatz zu einer literargeschichtlichen Darstellung philosophischer Systeme als selbständiger Entitäten" (Heraklit, 5b). "philosophieren aber ist leben" (S. 70) und eine philosophische Aneignung vergangener Denksysteme durch Rückgang auf ihre Denkanlässe ist damit echte Ver-lebendigung. Nur durch Ver-lebendigung aber kann Geschichte in ihrer eigentümlichen Wirklichkeit als Leben - erkannt werden. Dieses lebendige Erfassen geschichtlichen Lebens und geschichtsmächtiger Kraft ist das eigentliche und zentrale Anliegen der Philosophie des Grafen Paul Yorck von Wartenburg.
d) GrafYorck und Wilhelm Dilthey, Übereinstimmung und Widerspruch Übereinstimmungen und Unterschiede der Positionen von Dilthey und Y orck werden am deutlichsten, wenn man beider Behandlung der neuzeitlichen Geistesgeschichte miteinander 20
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vergleicht. Dabei treten die Standpunkte vor allem bei der Bewertung der Reformatoren und bei der Beurteilung des deutschen Idealismus und der Romantik auseinander. Das Thema der neuzeitlichen Geistesgeschichte in ihrer Bezogenheit auf die jeweils herrschenden "Bewußtseinsstellungen" ist sowohl von Yorck wie von Dilthey behandelt worden. Bei Dilthey handelt es sich um eine Reihe von größeren Abhandlungen, unter anderem über "Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert" (1891/92), über "Das natürliche System der Geisteswissenschaft im 17. Jahrhundert" (1892/93) sowie weitere Arbeiten zur Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts. Von diesen Aufsätzen ist zweifellos die Anregung zu Y orcks eigenen und in wesentlichen Punkten abweichenden Formulierungen ausgegangen. In den Briefen vom 26. 10. 1891 und vom 8. 6. 1892 setzt sich Yorck mit den beiden Teilen der ersten Arbeit auseinander, und der große Brief vom 15. 12. 1892 enthält die zugespitztestepolemische Formulierung seiner abweichenden Wertung vor allem in bezug auf Luther und die übrigen Reformatoren. Die Frage der Priorität jedoch in denjenigen Punkten, die beide gemeinsam vertreten, wird wohl kaum je exakt beantwortet werden können, da die beiden Freunde seit dem Jahre 1877 in engem, meist mündlichem Gedankenaustausch standen. Nach den Formulierungen der Briefe zu schließen, handelt es sich jedoch wohl um eine ursprüngliche Verwandtschaft, die sich dann auch naturgemäß in einer wechselseitigen Übernahme der Terminologie zeigen konnte, ohne daß der eine oder der andere hierbei für sich die Priorität beansprucht haben würde. Daß Yorck selbst bereits an eigener Arbeit sich versucht hatte, scheint aus einem Satz im Brief vom 8. 6. 1892 hervorzugehen, in dem es heißt : , , ... wer einmal den Versuch unternommen hat, eine große historische Bewußtseinsstellung zu analysieren, der vermag die Schwierigkeit und die Kunst ihrer Überwindung zu ermessen ... " {B, S. 143). Daß er aber andererseits gerade durch Diltheys große Darstellung zu eigener Arbeit angeregt wurde, bestätigt er nicht nur im Brief vom 22. 7. 1891, sondern auch ausdrücklich in dem großen Schrei21
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ben zum "natürlichen System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert". Dort heißt es: "Eine Darstellung der Verschiedenheit (von Yorcks eigener Auffassung gegenüber derjenigen Diltheys) würde der umfangreichen Arbeit schrittweise folgen müssen, selbst eine erhebliche Arbeit sein" (B, S.152). Ohne sich streng an den Aufbau der Diltheyschen Studien zu halten, hat Yorck im vorliegenden Fragment diese hier als zu erheblich zurückgestellte Arbeit teilweise durchgeführt. Sehen wir uns Übereinstimmung und Widerspruch kurz an. Seine Abhandlung über "Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16.Jahrhundert", eröffnet Dilthey mit einer Skizzierung der drei Motive, die in der mittelalterlichen Metaphysik-Theologie verbunden waren: das (jüdisch-christliche) religiöse, das ästhetisch-wissenschaftliche der Griechen und die "Stellung des Willens", wie sie im Römerturn entwickelt worden war. Diltheys Formulierungen stimmen hier weithin mit denjenigen Yorcks überein. "Der Kern des religiösen Motivs ist das im Gemüt erfaßte Verhältnis zwischen der Menschenseele und dem lebendigen Gott" (GS li, 1). Ganz ähnlich faßt auch Yorck das Wesen der Religiosität als ein gefühltes Verhältnis zwischen der Person, die ich bin, und der göttlichen Person auf, allerdings betont Yorck dabei stets, daß es sich um ein "Abhängigkeitsverhältnis" handelt und um "Selbsthingabe" von seiten des Menschen, die dem ethischphilosophischen Willen zur Selbstbehauptung entgegengesetzt ist (vgl. T, S. 47, S.222; 44f. usw.). Vom "wissenschaftlichen Verhalten" der Griechen sagt Dilthey, daß es "den Zusatz des Ästhetischen habe, der gleichsam jeden Satz griechischer Denker tingiere (GS li, S. 7, vgl. damit Yorck, S. 60f.). In Hinblick auf Rom endlich heißt es: "Vom Rechte aus werden für den römischen Geist Willensherrschaft, Zweckmäßigkeit, Utilität und Regel zu Organen für das Gewahren und Begreifen schlechthin" (GS li, S.IO). Auch diese Charakterisierung des (ewigen) Römerturns finden wir bei Yorck namentlich in seinem Italienischen Tagebuch (T, S. 43, 50, 125 usw.; S. 43, 60, 180). 22
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Diese drei einander vielfach widersprechenden Motive bildeten zusammen die mittelalterliche (christliche) Metaphysik und traten zu Beginn des Zeitalters der Renaissance und der Reformation auseinander. Das reformierte Christentum ging "auf die religiöse Stellung des Bewußtseins in ihrer natürlichen freien Lebendigkeit zurück; Machiavelli erneute den römischen Herrschaftsgedanken; Grotius, Descartes, Spinoza auf der Grundlage der Stoa die Autonomie der sittlichen und wissenschaftlichen Vernunft" (GS II, S.16). Ganz entsprechend charakterisiert Yorck das mittelalterliche Denken als ein "christlich-antikes Amalgam", und zwar sowohl in der metaphysischen katholischen Dogmatik, die griechische Elemente aufgenommen hat, wie in der "Willensgestalt" der Kirche, die nicht ohne die römische Tradition zu denken ist (S. 35 und 139). So erscheint das Christentum für den mittelalterlichen Katholizismus nur als "Zutat" zu der natürlichen Gegebenheit, die dadurch nicht negiert, sondern lediglich "komplettiert" wird (S. 135, 166 Anm., T, S. 226f. usw.). Die Renaissance ist auch bei Y orck durch die Befreiung der Bestandteile dieses "Amalgams" gekennzeichnet, nur, daß es ihm in erster Linie auf die Herauslösung des spezifisch christlichen Momentes ankommt, nicht wie Dilthey auf das eines "allgemein religiösen". Im Gegensatz zu Dilthey setzt Yorck den Beginn der Renaissance etwa um das Jahr 1300 an (B, S. 83). Deutsche und romanische Mystik, Franziskaner und Dominikaner ebenso wie die nominalistischen Lehren von Occam und Duns Scotus sind ihm "Elemente derselben Bewegung", die für die neue Zeit bestimmend ist (B, S. 83, B, S.131; S. 35). Noch deutlicher werden die verschiedenen Standpunkte, wenn man die Wertungen in Betracht zieht, die bei Dilthey immer wieder zum Ausdruck kommen. So sieht Dilthey etwa ein "bleibendes unschätzbares Gut der Menschheit" in der Feststellung der großen Wahrheit von einem moralischen Grundgesetz des Willens, nach welchem dieser aus eigenen inneren Kräften zur Herrschaft über die Passionen zu gelangen vermag (GS II, S.18). Ein Urteil, dem sich Yorck keinesfalls angeschlossen haben würde. Überhaupt ist bei Dilthey die Hochschätzung 23
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von Renaissance und Humanismus ausgeprägter als seine wie wir sehen werden sehr eingeschränkte - Würdigung namentlich der Lutherschen Reformation. "Der Mensch ist nicht zum Brüten über Ursprung, Individualität, Schuld und Zukunft geboren (GS II, S.23)", heißt es polemisch gegen die Weltschmerzstimmung- aber doch wohl auch gegen gewisse Züge der reformatorischen Frömmigkeit. Die prinzipiellen Gegensätze treten jedoch erst im zweiten Teil der erwähnten Abhandlung zu Tage. Dilthey behandelt hier die Reformation "als ein hochwichtiges Glied in der Verkettung der geistigen Vorgänge des 16.Jahrhunderts ... ",um zu erkennen, "wie die Menschheit aus der theologischen Metaphysik des Mittelalters zu dem Werk des 17.Jahrhunderts, der Begründung der Herrschaft des Menschen über die Natur, der Autonomie des erkennenden und handelnden Menschen, der Ausbildung eines natürlichen Systems auf dem Gebiete von Recht und Staat, Kunst, Moral und Theologie entgegengeschritten ist" (GS II, S.41). Die Reformation ist ihm also wesentlich eine Etappe, eine Übergangsphase, deren Wert in der Vorbereitung des natürlichen Systems der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert - nicht in ihr selbst liegt. Für Yorck liegen die Verhältnisse von vornherein anders. Zwar untersucht auch er den Zusammenhang von Reformation und neuzeitlicher Geistesgeschichte, aber diese Entwicklung erscheint ihm keineswegs als eindeutiger "Fortschritt", weil über das in seiner Reinheit von Luther herausgearbeitete christliche Motiv grundsätzlich nicht hinausgegangen werden kann. Hier zeigt sich übrigens deutlich der oft schon festgestellte Zusammenhang zwischen historischer Erkenntnis und Bewertung der eigenen Gegenwart. In der Gegenwartsbewertung liegen denn auch letztlich die Wurzeln der Divergenzen zwischen den beiden Denkern. Dilthey bekämpft zwar wie Yorck den "Mechanismus" und "Materialismus" seiner Zeitgenossen, ihre Unfähigkeit, geistig-historische Gebilde lebendig aufzufassen, aber er meint, durch eine Fortsetzung der "deutschen Bewegung", durch ein Anknüpfen an Lessing, Kant, Schleiermacher usf. diejenige Geisteshaltung entwickeln
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zu können, die der Gegenwart nottut. Dilthey begreift seine Begründung der Geisteswissenschaften im geschichtlichen Zusammenhang des "objektiven Idealismus" und seiner eigentümlichen panentheistischen Frömmigkeit. "Nur auf dem StandpunktdesPantheismus ist (für Dilthey) eine Interpretation der Welt möglich, welche ihren Sinn vollständig erschöpft'' (GS IV, S. 260). Yorcks religiös fundierte Weltanschauung ist dagegen "personalistisch" und führt zu der Überzeugung, daß allein vom Standpunkt christlichen Transzendenzbewußtseins aus (Luther) die geschichtliche Realität in ihrer konkreten Fülle erfahren werden kann. Die unterschiedliche Bewertung der großen Reformatoren bei Dilthey und Yorck ist eine unmittelbare Folge dieser entgegengesetzten Ausgangspunkte. Für Dilthey ist ein Wertkriterium die Nähe oder Ferne zur Bewegung des "religiös-universalistischen Theismus" der Renaissance. Diesem "universalistischen Theismus" warf sich Luther entgegen, während ihn "Zwingli in gewissen Grenzen aufnahm" (GS II, S.42). Dementsprechend bringt Dilthey Zwingli die größte Wertschätzung entgegen. Bei Yorck heißt es andererseits, in Zwingli zeige sich lediglich die Reaktion einer nationalen Willensgestalt gegen die andere, während Luther als die "tiefste Gestalt" der Reformation bezeichnet wird (B, S.144, 153, T, S.100; S. 36). Dilthey trennt "Altes und Neues" bei Luther und erblickt in Luthers Paulinismus und Augustinismus ausdrücklich etwas Zeitbedingtes und Vergängliches. Gegen Diltheys Ablehnung der Lutherschen Rechtfertigungslehre richtet sich denn auch Yorck in seinem Brief vom 8. 6. 1892 und betont, daß "Luthers Grundstellungnahme einer Transzendenz gegenüber aller, auch stoischer Metaphysik ... als Aufgabe weit aktueller (sei) als der moralische Rationalismus" (B, S.144). Dilthey sucht seinerseits an Luther auf, "was ihn rückwärts mit der deutschen Mystik, vorwärts mit unserem transzendentalen Idealismus verbindet" (GS II, S. 55). Hier aber treffen auf einmal die Formulierungen Diltheys wieder mit denen Yorcks zusammen, wenn es heißt: "Er (Luther) erst hat den religiösen Prozeß ganz losgelöst von der Bildlichkeit des dogmatischen Denkens und der regimentalen 25
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Äußerlichkeit der Kirche" (GS li, S.58). Doch verstand Dilthey wohl unter dieser Loslösung von der griechischen Bildlichkeit einen Schritt zur Befreiung vom christlichen Dogma überhaupt, in Richtung auf einen "dogmenfreien" universellen Theismus, während Yorck die fundamentalen christlichen Dogmen als Ausdruck der lebendigen Ich-Du-Beziehung von personalem Gott und menschlichem Gemüt verstanden wissen wollte und ihnen dementsprechend bleibende Bedeutung zumaß (vgl. B, S. 153 f.). Diese in den jeweiligen religiösen Überzeugungen gegründeten Gegensätze interessieren uns hier vor allem wegen ihrer Bedeutung für das philosophische (und historische) Problem einer Fundierung der Geschichtswissenschaft. Beide Denker rechtfertigen ihre Position durch ihre Fruchtbarkeit für geschichtliches Erkennen. Wenn Dilthey (zustimmend) von einem "religiös universalen Panentheismus" spricht, "der nun auch Luthers positivistischem Tiefsinn gegenüber- sagen wir es heraus!- siegreich vorwärts dringt" (GS li, S. 77), so meint er damit in erster Linie einen Fortschritt zu größerem Geschichtsverständnis. "In der Geschichtlichkeit der einzelnen Religionen, insbesondere des Christentums", wird von diesem Standpunkt aus die Manifestation "eines Bewußtseinszusammenhanges" gesehen, "welcher ewig in derNaturder Menschen und der Dinge gegründet ist" (a.a.O.). "Der religiös-universalistische Theismus oder Pantheismus, von den Alten besonders von der in der römischen Stoa vorliegenden letzten und menschlich höchsten Form ihres Denkens getragen, war damals (zur Zeit Sebastian Francks) das höchste und freieste Element der europäischen Bildung (GS li, S.81). An dieser Wertung übt Yorck im Brief vom 8. 6. 1892 Kritik. "Ich kann wohl nachempfinden", schreibt er, "eine nationale Vorliebe für das Frohgefühl persönlicher Selbstherrlichkeit, wie es Zwinglis I.ebensodem ist. Aber anders steht es m.E. bei historischer Wertung- und Wertung für Historie (B, S.144)." Die "Wertung für Historie", das heißt die Beurteilung und Bewertung dieser "Bewußtseinsstellung" in bezug auf ihre Fähigkeit, lebendige Geschichtlichkeit zu erfassen. "Sie vinclizieren jenem 26
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Standpunkt bei Ihrer Besprechung Francks die Bedeutung eines Organs für Geschichtsauffassung. Ich kann auch den Begriff der Geschichte nicht finden bei einem ethischen Nominalismus, dem alles Geschehen nur ein Paradigma" (a.a.O.). Yorck, der übrigens offenbar die von Dilthey herausgestellte Seite der religiösen Bewegung nicht recht zu Gesicht bekommt, faßt Zwingli unter der Kategorie des "ethischen Nominalismus" (von Nomos, den Yorck mit "nomen" etymologisch zusammenbringt; vgl. B, S.153, K, S. 85 usw.). Aller ethischen Willenstellung aber kommt die geschichtliche Wirklichkeit schon deshalb nicht zur Erfahrung, weil sie alle Energie an die Behauptung und Isolierung des Selbst setzt, während Person und Geschichte nur in der zentralen Bezogenheit auf das sich öffnende Gemüt (Gefühl) zum Wirken zu kommen vermag. Die Haltung, die sich so als fähig erweist, zum Organ für Geschichtsauffassung zu werden, ist zugleich die, welche geschichtsbildend wirkt.Luther muß als "geschichtliches Motiv", als "historische Kraft" verstanden werden und soll und muß "der Gegenwart präsenter sein als Kant", "wenn sie eine historische Zukunft in sich tragen" will (B, S.145). Yorcks Einwand wurzelt also letztlich darin, daß er ein anderes "Organon" für die Erfassung der Geschichtlichkeit annimmt als Dilthey, was letzterem offenbar nicht ganz klar geworden ist. In seiner Antwort schreibt Dilthey: "Das aber bleibt ja letzte Differenz: die Positivität des Christentums, dann der lutherischen Glaubensform ist mir für sich kein letztes Datum; auch die Transposition des Gem'Uts hat mir die Begründung des Rechtes nicht in dem bloßen religiösen Erlebnis der einzelnen Person; dessen Zeugniskraft reicht nicht über das Individuum hinaus', dasselbe kann sich geltend machen; aber gerade darin liegt die Schwierigkeit einer solchen Kraftprobe, weil die Mitmenschen, für welche man doch einmal schreiben muß, dem religiösen Erlebnis wenig Neigung und Anerkennung entgegenbringen" (B, S.146). Darauf könnte man antworten Y orck versuche in seinem vorliegenden Fragment gerade den Nachweis zu bringen, daß das reformatorische Christentum nicht nur "positiv" gültige Wahrheit ist, sondern 27
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auch die Voraussetzung der geschichtlichen Erkenntnis durch seine rein transzendente, alle Metaphysik überflüssig machende "Bewußtseinsstellung" liefert. Der gleiche Gegensatz entzündet sich an den der Reformationszeit gewidmeten Abschnitten des "natürlichen Systems der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert''. Auch hier heißt es wieder bei Dilthey: "Ich leugne durchaus, daß der Kern der reformatorischen Religiösität in der Erneuerung der paulinischen Lehre der Rechtfertigung durch den Glauben enthalten ist" (GS II, S. 211), "die reformatorische Religiosität (ist) über das auf allen früheren Stufen des Christentums Gegebene hinausgegangen". Wesentlich und sympathisch an Luther erscheint ihm dessen "germanische Aktivität" (a. a. 0., S. 215), seine Berufsethik und die durch die Ablehnung der frommen Werke bewirkteHeiligung des gesamtenAlltagslebens. Wiederum wird Zwingli besonders herausgestrichen, denn "männlicher, gesunder, einfacher hat kein Mensch des Reformationszeitalters das Christentum aufgefaßt" (a. a. 0., S. 226). Fassen wir zum Schluß noch einmal die Punkte der Divergenz zusammen: 1. Dilthey begreift Lu ther als Verbindungsglied zwischen deutscher Mystik und transzendentalem Idealismus. Dementsprechend schätzt er an ihm weniger die Erneuerung der Dogmatik und der paulinischen Rechtfertigungslehre als vielmehr den Befreier von religiöser Abhängigkeit, der dem selbständigen religiösen Fühlen und dem "modernen Idealismus" den Weg bereitet hat. 2. Höher als Luther steht ihm - in vieler Hinsicht Zwingli, dessen Nähe zum "religiös Universalistischen Theismus oder Panentheismus" er lobt und dessen" volleres, allseitigeres, religiös-sittliches Lebensideal" er gegenüber Luther rühmend hervorhebt (GS II, S. 69). 3. Nicht ganz klar dagegen wird, worin Dilthey damals das spezifische Organon der Geschichtserfassung erblickt, abgesehen von der Dilthey und Yorck gemeinsamen These, daß "nur Leben Leben zu erfassen vermag". Gegenüber dem Christentum wird bei Dilthey auf einen "universalistischen 28
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Theismus" rekurriert, d.h. auf eine mit dem Wesen der Menschennatur gegebene Religiosität, die erst die verschiedenen religiösen Gestaltungen "in ihrer Geschichtlichkeit" erkennen lasse. Hier trennen sich die Wege Yorcks am radikalsten von Dilthey; denn, was diesem als die Voraussetzung der Erkenntnis von Geschichtlichkeit erschien, ist ja gerade ein ü hergeschichtlicher Standpunkt, "ein religiös Universelles" (B, S.l46), eine allgemeine Anthropologie. Zwar hat nun auch Y orck eine solche Anthropologie (oder Psychologie) im Ansatz entwickelt, aber das Entscheidende ist ihm doch, daß sich der Mensch, der sich in seinem zentralen Fühlen zur Geschichte verhält, damit selbst in und nicht ü her der Geschichte steht, daß das die Geschichte bewegende Motiv zugleich in und durch das Gemüt (das Gefühl) der Person wirkt. Nur der christliche Mensch, der in vollkommenem Vertrauen auf Gott lebt, vermag so radikal auf alle selbstherrlichen Konstruktionen der metaphysischen Selbstsicherung zu verzichten, daß er sich dem Walten der geschichtlichen Kräfte öffnen kann, ohne Gefahr ihnen zu erliegen. Im religiösen Gemüt aber ist zugleich selbst die schlechthinnige "geschichtliche Kraft" lebendig. Kräfte sind für Yorck nicht Wesenheiten, die in und durch die Menschen hindurchwirken, sondern die Person (z.B. Luthers) selbst ist in ihrem Wesen eine solche Kraft, und in dieser Kraft liegt ihr Wesen. Gegen Diltheys "objektiven Idealismus" stellt Yorck nicht etwa einen subjektiven, sondern einen "religiösen Personalismus" (und "christlichen Empirismus"), der in das von Dilthey entworfene Schema der Weltanschauungen nicht paßt.
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ZUR DATIERUNG DES NACHLASSFRAGMENTES
Anhaltspunkte zur Datierung der beiden abschriftlich erhaltenen Fragmente ergeben sich aus dem Briefwechsel Yorcks mit Dilthey. Immer wieder hat Dilthey den Freund gemahnt, doch endlich seine Gedanken zu Papier zu bringen "und sie den Freunden und der Welt zu genießen zu geben" (B, S.52). Deutliche Hinweise auf eigene Arbeiten Y orcks finden sich nur in den Briefen vom 17. 12. 1890, wo es sich jedoch um die :n Arbeit zur Schulreform handelt, vom 9. 2. 1892, vom 30. 11. 1896, vom 8. 3. 1897 und vom 1. 7. des gleichen Jahres. Bei dem Brief vom 9. 2. 1892 möchte ich annehmen, daß auf die Arbeiten am vorliegenden Fragment angespielt wird, in dem die Raumfrage .eine sehr große Rolle spielt. Der Satz "die Raumfrage führte mich zu Stumpf ... " (B, S. 138) deutet darauf hin, daß sich Yorck damals schon mit dem Problem beschäftigte. Erst über vier Jahre später wird wieder ausdrücklich eigene Arbeit erwähnt. Aber die dazwischenliegenden Briefe zeigen inhaltlich mit Themen des vorliegenden Fragmentes so viel Übereinstimmungen, daß angenommen werden kann, es sei zumindest an dem begonnenen Manuskript weitergedacht worden (vgl. besonders die Briefe vom 15. 12. 1894 und vom 21. 10. 1895). Bei der Ende 1896 erwähnten Arbeit handelt es sich - wie aus der Antwort Diltheys zu entnehmen ist- um den "Heraklit". Daß Yorck sich mit diesem Thema beschäftigt, wird auch aus dem Brief vom 8. 3. 1897 deutlich, in dem es heißt: "Warum war Heraklit für die Stoa verwertbar 1 Wie konnte z. B. Sextus Heraklits Fragmente mit stoischem Referate umfüllen 1 stoisch alterieren 1" Das sind aber genau die Fragen, die Yorck in seiner Heraklit-Arbeit zu beantworten sucht. Wenn Yorck jedoch am 1. Juli des gleichen Jahres dem Freunde schreibt: "Ich wollte Ihnen eine, wenn
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Zur Datierung des Nachlaßfragmentes
noch nicht beendete, so doch dem Ende sich nahende Arbeit '·orlesen, die doch den Umfang eines Büchleins erreicht hat. Gerade an dem Punkte wesentlicher Ausführung brach ich zusammen" {B, S. 243f.), dann ist nicht so sicher zu sagen, daß es sich hier um den "Heraklit" handelt, wie die Herausgeberin (S. 270) meint. Im gleichen Brief heißt es nämlich:· "Immer mehr wird mir klar, daß mit der Kritik des Raumproblems Ernst zu machen ist ... Kant hierfür ganz bedeutungslos ... " {B, 8.244). Daraus muß geschlossen'werden, daß sich Yorck entweder in der erwähnten Arbeit (die dann unser Manuskript wäre) bereits mit dem Problem des Raums (das ihn ja mindestens seit 1892 schon beschäftigte) befaßt hat, oder jedenfalls in den folgenden letzten beiden Monaten seines Lebens sich diesem Thema vorwiegend gewidmet hat. Andererseits träfe der Hinweis auf das Abbrechen am entscheidenden Punkt viel besser auf das vorliegende Manuskript zu als auf die HeraklitArbeit, die zwar ebenfalls nicht ganz vollendet, aber doch weit gerundeter und geschlossener ist. Da Yorck schon diesen letzten Brief vom l.Juli mit Rücksicht auf seine Herzkrankheit abbrechen mußte, und da in der Familie überliefert ist, wie schwer er in den letzten Wochen seines Lebens gelitten hat, ist es denkbar, daß die Arbeit an beiden Manuskripten schon im Juli eingestellt werden mußte, dann aber könnte sich Yorcks Hinweis nur auf unser Fragment beziehen. Als Ergebnis stellen wir fest: Beide Nachlaßfragmente sind in den letzten Monaten von Yorcks Leben - namentlich im Jahre 1897 -entstanden. Der Problemkreis des vorliegenden Manuskriptes hat Yorck aber schon seit Jahren beschäftigt, wie aus den thematischen Übereinstimmungen zwischen diesem Fragment und den Briefen seit 1892 hervorgeht. Die Arbeit am Heraklitfragment wurde später aufgenommen und von Ende 1896 an in raschem Wurffast zu Ende gebracht. Bei der von vornherein begrenzten Fragestellung dieser Studie war das auch viel leichter möglich als bei der umfassenderen und prinzipielleren Arbeit an dem vorliegenden Manuskript. Die Hinweise auf das Raumproblem in den letzten Briefen machen es jedoch wahrscheinlich, daß auch die Arbeit an unserem Fragment noch in den letzten Monaten fortgeführt wurde.
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ZU DIESER AUSGABE
Das von Schreiberhand mit Feder angefertigte Manuskript ist auf 109 doppelt beschriebenen Bogen (Wasserzeichen: Papierfabrik Sagrau Normal 3•) und einem zusätzlichen Bogen (Anhang) niedergelegt. Links ist ein 7 bis 8 cm breiter Rand gelassen, auf dem verschiedentlich sachliche Randbemerkungen von gleicher Hand hinzugesetzt sind. Diese Randbemerkungen sind im Druck am unteren Zeilenrand mit entsprechenden Verweisen angeführt. Es bedeuten ferner: 1. Kursiv: Zusätze des Herausgebers zum Text des Ms. 2. Runde Klammern: Nebensätze, die zur leichteren Lesbarkeit zunächst überschlagen werden können. 3. Eckige Klammern: Worte und Satzteile, die infolge der vom Bearbeiter vorgenommenen Veränderungen in Wegfall kommen müssen. 4. • verweist auf Textvarianten und Korrekturen bzw. auf bereits im Ms. vorhandene Anmerkungen Yorcks. 5. 4 verweist auf Anmerkungen des Herausgebers im Anhang. Die am unteren äußeren Kolumnenrand befindliche Seitenzählung ist die der 1. Auflage (Max Niemeyer Verlag, 1956). Dort, wo der Seiten-/Zeilenlauf der vorliegenden Ausgabe von jener abweicht, sind die damaligen Seitenzahlen als Marginalien im Bundsteg wiedergegeben. Die Seitenverweise in Einleitung, Text und Anmerkungen beziehen sich auf die Seitenzählung der 1. Auflage. Die oben im Kolumnentitel innenstehenden Blattzahlen sind die des Yorck'schen Manuskriptes. Der Abschnitt ,Zitierte Werke' (S. 29/30) ist im neuen Literaturverzeichnis aufgegangen; der Text des Absatzes unter der Überschrift ,Zustand des Manuskriptes' und der Absatz, ,Zeichen' sind nach obiger Überschrift hier den weiteren Erklä-
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Zu dieser Ausgabe
rungen vorangestellt. Die ehedem auf den Seiten 187-192 nachgestellte ,Inhaltsübersicht (Aufbau des Yorck'schen Fragmentes)' ist eingegliedert den Seiten V- XII dieser Ausgabe.
GRAF PAUL YORCK VON WARTENBURG [Bewußtseinsstellung und Geschichte]
la-lb
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[Fragment aus dem philosophischen Nachlaß]
1"' Selbstbesinnung eröffnet Epochen der Philosophie [inaugurierend], so Sokrates, so Descartes. Sie bedeutet die Reaktion der Lebendigkeit gegen eine Denkweise, welche den Erkenntnisanforderungen nicht genügt. Im Rückgang auf die Fülle der Lebendigkeit vollzieht sich philosophischer Fortschritt. Insofern ist Philosophie in eminentem Verstande empirischer Art, indem [zur Geltung gebracht wird] eine neue Seite des Selbstbefundes1 durch sie zur Geltung gebracht wird. Die Haltung ist hiernach eine verschiedene und die allgemeine Aufgabe, das allgemeine Motiv der Philosophie, welches in dem totalen und radikalen Erkennenwollen besteht, bleibt zwar immer das nämliche, wird aber verschieden artikuliert. Anders ist die Stellung und, als"' davon abhängig, die Methode eines Demokrit und eines Platon, eines Locke und eines Schelling. Diese augenfällige Verschiedenheit des Ausgangspunktes und des Verfahrens in einen erkennbaren Konnex zu bringen, ist das Problem einer philosophischen Geschichte der Philosophie. Dieses Problem, welches selbst seine Geschichte hat, (denn von dem griechischen Denken ist es nicht gestellt worden, wie es denn einer besonderen Bewußtseinsstellung, welche nicht mehr die griechische war, seinen Ursprung verdankt,) ist auf verschiedene Weise je nach der Verschiedenheit der Denkrichtung in Angriff genommen 1 b worden b. Dem von der kirchlichen Idee bestimmten Denken erschien der geschichtliche Zusammenhang der Erkenntnisversuche als
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b
Statt "als" durchgestrichen: ,,was." Hinter "worden" durchgestrichen: "ist."
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2a
ein Wertsverhältnis der größeren oder geringeren Annäherung an die offenbarte Wahrheit, so daß sich ein historisches Wahrheitsbild ergab, dessen geschichtlicher Stoff der inneren Geschichtlichkeit ermangelte. Dieser hierarchische Wahrheitsverband der Erkenntnis stellt sich dar als Applikation der zum Schema verbJaßten antiken kosmischen Idee auf die Geschichtlichkeit. Wie die Historie im allgemeinen mitteist der (wie natürlich primären so insbesondere) dem antiken Denken entnommenen Vorstellungsweise unter dem Bilde eines der zufälligen Wandelbarkeit übergeordneten, sie normierenden ordo aufgefaßt wird, (eine Anschauungsweise, welche die griechische Gestalt mit dem römischen Rechtsbegriff zu dem Gedanken des Reichs2 verbindet,) so wurde die auf das Erkennen gerichtete Seite des geschichtlichen Verhaltens in den entsprechenden Verband der Wertslokalisation gestellt, ein historisches Analogon der intellektuellen und ontischen Lokalisation Aristotelischer Systematik3 • Ein historischer Kosmos wird als allumfassende Entelechie hingestellt und die geschichtliche Bewegung wie die psychische innerhalb der griechischen Weltgestalt fluktuiert innerhalb 2a der äternen Ordnung, so daß die Geschichtlichkeit allgemein gefaßt ihre Endschaft mit dem Eintritte derselben erreicht. Von diesem Standpunkte aus gab es eigentlich nur Vorgeschichte\ welche rückwärts konstruiert als eine fortschreitende Annäherung an den Idealzustand gefaßt wurde. Sie ist das Machwerk des historischen Demiurgen, dessen ne6vota die Stufen der Wahrheitsoffenbarung abmißt. Nach der Wahrheitsvollendung, welche, eine Synkrasis der Gräzität und Latinität, in eins als Institution und als Erkenntnis gefaßt wird, gibt es nur noch eine Geschichte für den Einzelnen, deren Inhalt die Verhältnisbestimmung zu der geschichtlichen ovala, zu der wahrgewordenen Geschichtlichkeit bildet. Es ist ersichtlich, daß die Geschichte hiermit Natur geworden ist 5 , jedoch nicht ohne daß die Unvereinbarkeit der Elemente dieser historischen Gestalt als lebendiger Pulsschlag der Zeit sich fühlbar gemacht hätte. Denn wesenhaft geschichtlich ist der christliche Standpunkt, weil absolute Lebendigkeit und daher jeglicher Gestaltung optischer oder 34
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juridischer Natur inadaequat 6 • Diese Unvergleichbarkeit", psychisch gegründet und darum unüberwindbar, ist das mittelalterliche Lebensferment. Ikonoklastisch 7 sind die tiefen oppositionellen Regungen nicht minder der Ordensstifter 2b und der Mystiker wie der Nominalisten. Diese Synthesis des vorchristlichen und des christlichen Bewußtseins aber ist andererseits die charakteristische Physiognomie des Mittelalters und darin originiert der Zauber seines Wesens. Der Versuch der Gestaltung des Formlosen, der Rationalisierung des Gemüts wie umgekehrt der Flüssigmachung, Beseelung des Ontischen, Mystifikation der ratio, sowie die Tatsache daß der Verstand, dem mit der natürlichen Welt Grundlage und Kontrollinstanz (ein konstitutiver Faktor), genommen wurde, sich selbst zum Rätsel, zum Mysterium wird, dies magische Verhalten kann als der Geist mittelalterlicher Zeit ausgesprochen werden. Die Diskrepanz der Glieder dieser Synthesis, nie nichtb vorhanden, sprengte nun gleich dem erstarkten Kerne einer Pflanze die Bande der Bewußtseinsgestalt, ein lebendiger Akt, dessen Eintritt aus den Motiven verstanden, nicht aber deduziert werden kann. Diese neue Bewußtseinsphase heißt der Eintritt der modernen Geschichte. Den darin befaßten verschiedenen Strebungen gemeinsam ist die Ikonoklasie. Eine tiefe Tragik enthält die Wendung des Bewußtseins, welches von der physischen Gegebenheit historischer Weltgestalt abzulassen, den Glauben zu wechseln genötigt ist. Das gebundene Bewußtsein löst sich, vollzieht ein weiteres Urteil, wie denn die 3" kritischen Epochen der Geschichte nichts anderes als Stellungsänderungen des Bewußtseins sind, deren formale Seite sich als ein analytischer Akt, als reale Urteilung darstellt 8 • Den um jene Zeitwende Lebenden muß zumute gewesen sein, als ob der Boden unter ihren Füßen wiche, und die Erwartung des nahen Endes, welche die europäische Menschheit durchzitterte, war die naturgemäße Projektion der totalen • Vielleicht statt: "Unvereinbarkeit". b Statt "nicht" durchgestrichen: "recht".
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Entwertung der allein hergebrachten Bewußtseinsgestalt. Die Menschheit, insofern sie historisch geartet ist, fühlte sich an den Anfang gestellt, außer Verband und vereinzelt. Alle göttliche Gestalt des Imperiums, der Hierarchie, der Dogmatik, der Systematik war mit dem sie tragenden Bewußtsein versunken, eine historische Götterdämmerung eingetreten. Diese allgemeine Negativität gegenüber der geschichtlichen Glaubensgestalt umspannt die Differenzen der Renaissance und der Reformation und bestimmt, unbeschadet der aus jener Differenz resultierenden Verschiedenheit, die geschichtliche Stellung und damit die Auffassung der Geschichte, insbesondere der Geschichte der Erkenntnis. Wie denn die Auffassung dieser Seite des geschichtlichen Lebens aus der Ansicht von der Geschichte überhaupt abfolgt, welche ihrerseits durch die besondere jeweilige Bewußt- 3b seinsstellungbedingt ist. Es ist daher erforderlich, die Bewußtseinszuständlichkeit zu skizzieren, um Einsicht in die Stellung zur Geschichte , um Wertung des Geschichtlichen zu gewinnen. Denn Geschichte ist nicht von der Selbständigkeit des Natürlichen, sondern gerade insofern sie geschichtlich ist, gerade ihre Historizität als Ferment der Lebendigkeit, ist hineinbezogen in die historische Bewußtseinsaktualität historischer Contraposto a 9 • Der Grundzug nun des modernen Bewußtseins ist nach der theoretischen Seite als Voraussetzungslosigkeit zu bestimmen, eine Folge der Zersetzung jeder Glaubensgestalt. Hier ist die Geburtsstätte der Kritik, welche in eminentem Sinne eine moderne Erscheinung, nicht eine optisch kontemplative Tätigkeit, da die Bildlichkeit der Opsis hinweggefallen, sondern ein schöpferisches Verhalten ist. Diese Stellung, auf die Zentralität des Menschen bezogen, ist das Wesen der Reformation, insbesondere der tiefsten Gestalt derselben, das Wesen Luthers. Wäre nicht nach der Gegebenheit des Bewußtseins (, welche nur die Phantasie überfliegen zu können meint, indem sie Provenienzen dieses empirischen Befundes, sie isolierend und verabsolutierend, heraushebt,) die christliche Bewußtseins• Die letzten beiden Worte am unteren Ra.nde ergänzt.
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stellung die extreme oder die intimste, eine neue Religion hätte entstehen können, während nunmehr die tiefste mögliche Abstraktion von der Gegebenheit erreichbar war und erreicht wurde, indem das bisher gestaltlieh 4" gebundene Element in seiner reinen Natur als radikale Kraft heraustrat. Als hinter allem Wissen(, welches in den ontischen Formen antiker Hinterlassenschaft hinfällig geworden war, gerade irrfolge der immanenten Kritik des wesentlich unirdischen christlichen Standpunktes,) liegend ergab sich die Glaubensstellung, aber eines kritischen und virtuellen Glaubens als eines Verhältnisses nicht mehr zu irgend einer Vorstellungsgegebenheit, sondern als eines lebendigen Absehens von aller Gegebenheit, ein tatsächliches hinter sich Zurück, ein von sich Absehen, ein Mystizismus der Kraft. ["Nur ein aktives Verhalten vermag hinter das Leben zu kommen, während die substanziale Abstraktion des Buddhismus wie auch der Stoa den Umkreis der Gegebenheit ebensowenig verlassen wie die Punktualität des Zentrums die Peripherie. Es zeugt von einer totalen Verkennung der christlichen Bewußtseinsstellung, wenn die Gleichheit einzelner Vorschriften, insbesondere ethischer Verhaltensmaßregeln zu der Annahme wesentlicher Ähnlichkeit buddhistischen und christlichen religiösen Verhaltens veranlaßt, ein Irrtum, der durch die mangelnde psychologische Analysis der Lehr- und Gemeingestalt dfls Christentums wie andererseits durch Außerachtlassung der Erkenntnisregel, daß historische Mächte nicht optisch, 4b sondernb durch den Rückgang von der Wirkung auf die Ursache, mittels psychischen Experiments, erreichbar sind, befördert wird10 • Wir haben es hier nicht mit dem Christentum als Religion zu tun, sondern mit ihm als Bewußtseinsverfassung, welche Betrachtungsweise nur deshalb scharf zu betonen ist, weil bisher neben der religiösen Bedeutung nur die kulturelle Seite nicht ohne Unsicherheit und Unbestimmtheit des Ergebnisses hervorgehoben worden ist. Nur Schelling a Am Rande durchgestrichen: "Anmerkung." b Am Rande durchgestrichen: "Fortsetzung der Anmerkung."
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hat in großartiger Weise den zu wenig gekannten Versuch gemacht, die christliche Bewußtseinsstellung zu bestimmen, allerdings - und dies erklärt die wissenschaftliche Fruchtlosigkeit seines tiefsinnigen Bemühens -von metaphysischen Daten aus in Form einer Konstruktion.] 11 a Eine kritische Philosophie aber gelangt mit der Einsicht in die Provenienz des an sich Ersten zu dem Verzicht auf ein gedankliches Zurückgehen hinter die empirische Gegebenheit des Selbstbewußtseins und eine[r] b Konstruktion der primären Einheitlichkeit aus (durch Abstraktion gewonnenen) Teilinhalten. Empirisch in ihrem Ausgangspunkte, ist sie experimentell in ihrer Methode und neben einer größeren menschlichen Aufgabe ist ihr Verhältnis zu den Einzelwissenschaften das des Gewissens. Es wird daher der Umkreis der Gegebenheit auch bei der philosophischen Betrachtung der Christlichkeit nicht zu überschreiten sein, 5" aber bei der zentralen Tiefe dieser Bewußtseinsstellung die ganze Wesentlichkeit des Bewußtseins in Betracht zu ziehen sein, auch wenn (wie an dieser einleitenden Stelle und bei dem besonderen Zwecke der Betrachtung) nur umrißweise verfahren werden kann.Die primäre und ausschließliche Gegebenheit ist Selbstbewußtsein und zwar, wenngleich dirimiert in Selbst und Anderes, Seele und Leib, Ich und Welt, Inneres und Äußeres, doch als Gegensätzlichkeit und Gegliedertheit in eins. Es erfährt sich aber das Selbstbewußtsein in dem Spiel und Widerspiel dieser seiner konstitutiven Faktoren, d.h. als ein Lebendiges. Die Lebendigkeit ist die Grundverfassung, welcher die Momente des Seins (Sein ist ein Lebensergebnis) 012 und der Kraft zu Grunde liegen. Dies lebendige Verhalten ist der Typus allen Experiments, welches eine kunstvolle und unter den Gesichtspunkt einer bestimmten Absichtlichkeit gestellte Projektion des primären eigenen Verhaltens ist, wie auch die Duplizität der experimentellen Faktoren der Zwiespältigkeit des Bewußta Am Rande durchgestrichen: "Fortsetzung des Textes". b "r" dazugeflickt. c Klammern bei Yorck am Rande neben der Zeile: "die Monate des Seins ... "
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seins entspringt. Spontaneität und Dependenz sind die Grundcharaktere des Bewußtseins, konstitutiv in dem Bereiche der somatischen wie der psychischen Artikulation, wie denn weder [ein] Sehen und körperliches Empfinden noch [ein] Vorstellen, Wollen oder Fühlen ohne Gegenständlichkeit vorhanden wäre. Nun aber bewegt sich unser Denken in Bewußtseinsresultaten. Die vollzogene Diremption ist [jener] die Voraussetzung derselben. Es bedarf daher 5b des Zurücktuns des Schritts der Abstraktion, um Einsicht zu gewinnen in das reale Verhältnis, welches die tiefste und lebendigste der Iogisehen Kategorien, die der Wechselwirkung, widerspiegelt. Wir müssen das Experiment des Lebens, wenn auch kontemplativ in umgekehrter Richtung wiederholen, um die Bedingungsverhältnisse der Lebensresultate zu erkennen, wie denn dies die Richtung ist, welche sich uns als die der Wissenschaft überhaupt darstellen wird, auch da, wo sie Metaphysik (, d. h. nicht nur die Haltung des Erkenntnissuchenden, sondern die analytischen Bestände ethisch formulierend) wara. So muß das Denken hinter sich selbst zu kommen suchen, mitte1st der Analysis seiner Bestandteile, durch Zerlegung in die konkurrierenden Faktoren, ohne deren Kooperanz ich das zu untersuchende Verhalten nicht erfahre, nicht so, daß ihre Konkordanz aus der Übereinstimmung bei allen beobachteten Fällen als erforderlich erschlossen würde, sondern daß das Selbstexperiment die psychische Unvermeidlichkeit, den Sitz aller Notwendigkeit aufweist. Die Analysis auf Grund der Selbstbeobachtung, das aktive Verhalten, welches seiner Richtung nach Einkehr ist, seiner Artung nach Trennung, ist das philosophische und ist es trotz der Verschiedenheit der Stellungnahme des Erkennenwollenden stets gewesen, wenn auch die Verhaltung selbst nicht zur Erkenntnis gebracht worden ist. Diesem rückblickenden (, Rückhalt und Kontrolle an der psychischen Ausführbarkeit findenden,) Verfahren stellt sich, wenn es zu Ende geführt wird, die ganze Tiefe und Verzweigt• Von ,.auch da" an am Rande in Klammern ergänzt.
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heit des Bedingungskomplexes dar und damit 6 a der Einblick in das Verhältnis der Abhängigkeit der einzelnen Funktionen. Selbst ein lebendiges Verhalten und nur dadurch fähig, Leben zu erfassen, setzt es aber eine bestimmte Bewußtseinsstellung voraus13 , wird innerhalb des generellen Rahmens psychischer Gegebenheit verschieden geartet sein bei Verschiedenheit der Bewußtseinsgestaltung und in seiner Differenzierung sich aus jener erklären lassen. Denn Philosophieren ist eine Äußerung der Lebendigkeit und zwar, wie ersichtlich sein wird, die feinste weil abstrakteste Marke der jeweiligen Bewußtseinsgestalt. Es kann hier nur angedeutet werden, wie hiernach neben die Philosophik, welche das von dem allgemeinen Erkenntniszwecke diktierte Verfahren darstellt, eine geschichtliche Betrachtung, eine philosophische Historik, sich stellt, welche, einesteils von negativer Art, den Umkreis der psychischen Möglichkeit der Bewußtseinsstellungen, (und damit der philosophischen Voraussetzungen und Standpunkte, eine Art von Philosophie der Geschichte, gleichsam eine natürliche Geschichte, eine Psychologie der Geschichte,) anderenteils eine Geschichte der Philosophie (, d.h. eine Darstellung der historisch gewordenen philosophischen Einzelmotive als Äußerung bestimmter Bewußtseinsstellungen) zum Inhalte hat, und die darstellt, wie diese Trennungen [zur Einigung gelangen] in der Erkenntnis der inneren 6 b Geschichtlichkeit des Selbstbewußtseins zur Einigung gelangen14 • Es kann dies hier nicht weiter verfolgt werden, wo das Wesen des Selbstbewußtseins kurz dargestellt werden soll, um die Stellung des Christentums und demzufolge der Reformation innerhalb desselben verständlich zu machen. Beobachtung und Selbstexperiment der durch die psychische Konnexität beschränkten Möglichkeit des Experimentierens, vorzüglich die Beobachtung des Experiments des Lebens selbst, bringt, wie gesagt, die Einheitlichkeit der artikulierten Bewußtheit wie andererseits die konstitutionelle Differenziertheit desselben zur Erkenntnis. Und der Erkenntnisvorgangerweist sich als in dem Verhältnis der Kontraerität stehend zu dem Lebensvorgange. Da aber jener selbst ein 40
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lebendiges Verhalten ist, so ist damit das Leben gegen sich selbst gekehrt, das heißt der Vorgang ist der der Reflexion. Ziel und Absicht ist die Vereinhaitlichung der Differenziertheit, Haltung und Mittel die Abstraktion, die Haltung hiernach im Ansatze eine ethische, woraus sich die ethische Seite des Rationalismus erklärt. Die primäre Lebendigkeit zeigt sich der Beobachtung als eine zwiefache Diremption in die Gegensätzlichkeit und in die Verschiedenheit, so daß jener Charakter der Gegensätzlichkeit die Glieder der Artikulation bestimmend durchzieht. Das letzte fundamentale Datum der Gegebenheit, von dem gedanklich nicht mehr anders als rein formal abgesehen werden kann, 7 a das Lebensgefühl, ist durch den Gegensatz von" Selbst und Anderem bestimmt. Nur mitteist des Anderen ist das Selbst, wie b nur mitteist des Selbst der Andere iBt, ein fundamentales Verhältnis, welches nur ein dem Begriffe nach metaphysisch tingiertes Denken zerreißt, indem P-B Bedingungsverhältnisse als Konstruktionsmomente anBieht [ansehend] und eines der Glieder dem anderen 1lberordnet [überordnend]. Mit diesem Charakter der Zwiespältigkeitc soll übrigens nicht das Wesen des Bewußtseins oder da8 der Gefühlsseite desselben angegeben, vielmehr nur eine Beschreibung der charakteristischen Züge desselben gegeben sein. Denn die Frage nach dem Wesen des Bewußtseins oder des Gefühls ist an sich eine unkritische Hypertrophie, da die Kategorie des Wesens, diese tiefste logische Bestimmung, BelbBt erBt aus der Gefühlsseite des Bewußtseins deriviert istl 5 • Es ist aber diese Bewußtseinsseite nicht ohne die psychophysische Artikulation Erfahrnis. Vielmehr erfahre ich mich in eins einheitlich und gegensätzlich, so in eins fühlend, denkend, wollend oder nach der physischen Seite empfindend, sehend, begehrendd. Die Trennung von Selbst und Anderem, Ich und Welt, Seele und Leib ist eine so frühe, ja so sehr gleichsam der erste Akt der Lebendigkeit, daß a "Von" durchgestrichen und durch "des" ersetzt. b Nach: "wie," durChgestrichen: "das Selbst." c Statt: ,.Zwiespältigkeit," durchgestrichen: ,.Gleichgültigkeit." d Vor "begehrend" dul'chgestrichen: "wollen."
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diese 7b Provenienzen als absolute Selbständigkeiten erscheinen und ihre Verhältnisbestimmung von hier aus gesucht wird. Nur eine aitiologische Betrachtung vermag, auch den ersten Schritt lebendiger Urteilung noch zurücktuend, die Dependenz der relativ selbständigen konstitutiven Momente zu ergreifen. Die moderne Physiologie1e hat auf der Grundlage Kants zu der Selbstbesinnung wesentlich beigetragen, indem sie, in Erweiterung des antiken Subjektivismus, nach welchem nur Begehren und Empfinden als von subjektiver Provenienz angesehen wurden, die gesamte Prädikatur der äußeren Gegebenheit der Subjektivität zugewiesen hat, auf der anderen Seite nur ein Ding an sich als Veranlassung, Reiz stehen lassend, zu dieser letzten Duplizität genötigt durch ihren experimentellen Charakter. [Während] Die philosophische Betrachtung erkennt dagegen in diesemBeziehungspunkte ein konstitutives Element des Bewußtseins [erkennt], welches nur ein ethisch und asomit im Gegensatze verbleibendes Denken und Besinnen abstrakt verselbständlicht, aitiologische Betrachtung aber, welche hinter die Projektion (,welche Wesen des Vorstellens ist,) blickt, als ein Moment der Gegensätzlichkeit faßt, welche der letzte Charakter des Bewußtseins ist. Wir werden an späterer Stelle anzuführen haben, wie z. B. Helmholtz die Widerständlichkeit als Voraussetzung der Gestaltsmathematik nachgewiesen hat 8 a und als eine philosophische Aufgabe den Einzelwissenschaften gegenüberdie Aufdeckung der Kooperation aller oder mehrerer Bewußtseinsfaktoren bei Bildung der abstrakten Voraussetzungen der besonderen Wissenschaften auf Grund psychologischer Analysis bezeichnete [nachweisen] b, wo sich dann wiederum das Verhältnis dieser zu jenen b als ein konträres erweisen wird. Denn Abstraktion in fortschreitendem Maße und damit Arbeitsteilung ist die Art der Einzelwissenschaften, während Philosophie von jeher kombinatorisch war, wenn sie aber kritisch geklärt und darum empirisch im höchsten Verstande regressiv wird, die Lebensklimax zurücklegt und die a Endung ,,es'' von ethisches durchgestrichen, ,,und'' darübergeschrieben. "nachweisen" und .,dieser zu jenen" darübergeschrieben.
b
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bedingende Einheit als Grund der Ramifikation ergreift und aufzeigt. So geht sie zurück hinter die primäre Gegensätzlichkeit, und dies Streben ist immer das ihre gewesen, nur die Art ist - wie schon erwähnt - je nach der Bewußtseinsstellung eine verschiedene gewesen. So hat sie lebendig hinter das Leben kommen wollen, hat des Lebens Leben sein wollen, ohne doch vor der christlichen Bewußtseinsstellung den Grad der Lebendigkeit zu erreichen, welcher partikularer Bewußtseinsbindung, das bedeutet aller dogmatischen Haltung, ein Ende bereitet und damit a die volle Erkenntnis ermöglicht. Während die Okularität das griechische Denken bestimmt, woraus sich als Zentralbegriff jenes Philosophierens der der Substanz17 ergibt, der sich in diebUnterschiede von Form und Materie entfaltet, während die innere Opsis die Bindungsverhältnisse des Erkennens (,die der tiefsinnigste Sb der Denker, Platon, aufdeckt,) zu Ideen verschönt, eine Denkweise, welche bestimmend bleibt auch für Aristoteles, dem trotz der Blutlosigkeit der infolge der Abstraktion des Intellektuellen von dem ästhetischen Gefühle zu Schemen gewordenen Ideen (darum ist Aristoteles der erste Wissenschaftler und nicht mehr ganzer Philosoph) doch die ontologische Glaubensstellung bleibt. Während diese Großen den Kosmos finden, weil sie an ihn glauben, gleichsam durch Anschauung gebunden, während die ihnen folgenden griechischen Denker, und zwar nicht minder die Skeptiker wie die Dogmatiker (, was an seinem Orte nachzuweisen sein wird-) ontisch voreingenommen bleiben, obschon mit verändertem Lebensgefühl der kosmische Syndesmos ihnen unglaubwürdig geworden ist, während die römische Gedankenarbeit unter dem Banne eines gleichsam isolierten Wollens stand (-hier wie dort eine reale Dogmatik- eine präjudizielle Bewußtseinsbestimmtheit, welche das Denken richtete) , ist mit dem Christentum eine wesentlich transzendente Bewußtseinsstellung gewonnen und zwar von dem Grundfaktor, dem Gefühle aus. Die Stellung ist anstelle der metaphysischen eine transzendente. Denn das Gefühl, die a "und" später darübergeschrieben, nach "damit" "ist" durchgestrichen. b
"die" darübergeschrieben, "dem" durchgestrichen.
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9a-9b
zentrale Seite der Lebendigkeit, ist hier in sich, ja gegen sich gewandt und damit frei von aller Gegebenheit. 9a Alle Metaphysik ist eine Äternisierung eines Bewußtseinsmoments, eine willentlich fixierte Position innerhalb des Bewußtseins, um von hier aus Stellung zu nehmen zu der gesamten übrigen Gegebenheit, eine Ausscheidung eines Bewußtseinselements, welches, der Relativität enthoben, isoliert wird18 • Der Akt der metaphysischen Position ist sonach eine Urteilung, insofern die psychische Konnexität sich expliziert, und darum ein lebendiges Verhalten, wie denn alle Lebendigkeit eine Urteilung ist , aber er ist weiterhin (, und hierin erweist sich der nicht nur wie bei jedem Erkenntnisakte motivierende, sondern normierende Einfluß des Willens,) eine Zerreißung des Urteilsverbandes, indem von der Bewußtseinsprovenienz abstrahiert, die Prädikatur verabsolutiert wird, endlich aber ist er eine Veräußerlichung, eine Verselbständlichunga der Prädikatur mitteist optischer Projektion, Vorstellung, emu-r~p'fJ, sodaß sich das Resultat substanzieller Bestimmtheit als Niederschlag der Kooperation des Vorstellens und Wollene ergibt. Gerade dies Moment der optischen Neutralisierung, der psychischen Ferne ist es, welches den Konflikt zwischen Philosophie und Religion motiviert hat und die sich wiederholenden Vorwürfe resp. Anklagen des Atheismus der Philosophen erkläi'lich macht. Denn es ist die metaphysische und die religiöse Position eine sowohl der psychischen Provenienz nach ver 9 bschierlene als auch gegensätzliche. Dort eine Setzung der Willensenergie hinaus in den durch Abstraktion gleichsam leeren Vorstellungsraum, (ein Typus der Dinglichkeit,) hier Resultat der Willensohnmacht, Gefühlsbedürfnis, raumlos nahe Persönlichkeitb. Während nun aber die Gegensätzlichkeit der willentlichen Haltung hier Selbstbehauptung -Ethik -, dort Selbsthingabe-Religion- das Verhältnis der Philosophie als Metaphysik und der Religion zu einem gegensätzlichen macht und a "Verselbständlichkeit"- verbessert in Verselbständlichung. b Mit Bleistift am Rande "Schleiennacher", vermutlich von Sigrid v. d. Schulenburg.
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Bewußtseinsstellungen der Epochen
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den immanenten Widerspruch jeder natürlichen Religion als rationalen Systems konstituiert, so greift andererseits die Inkommensurabilität des Gefühls und der Vorstellung, insbesondere der Anschauung, in das Gebiet der Religion selbst ein. Zwar ist Religiosität als solche Handlung, Kultus, tatsächlicher und direkter Ausdruck der Gemütsbewegung, aber das Gemüt, das allerpersönlichste, ist persönlich gerichtet, und so ist die Gottesvorstellung, d.h. die Vorstellung des persönlichen Gottes, ein primäres Datum aller Religiosität. Und es ist diese Vorstellung, weil und insofern sie Gemütsergebnis und - Forderung ist, ebenso wenig oder nicht anders anthropopathisch als die Dinglichkeit des Vorstellungsinhalts. Insofern nun aber und in dem Grade als der Gemütsrapport zum selbständigen, selbstwertigen Vorstellungsinhalt gemacht wird, (-Niederschlag des kulturellen Lebens zur Lehre-) 10a wozu die sinnliche Natur des Menschen und insbesondere das Mitteilungsbedürfnis veranlaßt, tritt die Inkommensurabilität von Gefühl und Vorstellung ein und damit das kritische Moment. Hier ist der Sitz des Gedankens des Symbols, welches die Kluft zwischen Fühlen und Vorstellen überbrücken soll, eine Synthesis ernstester Art und tiefen psychischen Grundes, welche im allgemeinen durch die Analogie zwischen Denken und Fühlen ermöglicht und gerechtfertigt wird 19 • Soweit das religiöse Verhalten der vorchristlichen Menschheit bekannt ist, ist es ausschließlich das jüdische religiöse Verhalten, welches der Aesthetisierung und damit Intellektualisierung der religiösen Daten widerstrebt hat. In dieser inneren Bilderlosigkeit spricht sich der großartige abstrakte Ernst dieser Bewußtseinsgestalt aus, welche den primären Grund aller Religiosität, das willentliche Dependenzverhältnis20 in abstrakter Reinheit konserviert ohne Artikulation durch die Sinnlichkeit, aber auch ohne Erfüllung des Gemüts Willen steht hier [stehend] gegen Willen [Wollen,] und das Verhältnis ist sonach das des Vertrags, hiermit aber zugleich [die] auch von starrer psychischer Einseitigkeit. Wie denn das religiöse Moment gleichsam gegenständlich fest, nicht eingegangen ist in die Intellektualität und sich in prohibitiven 45
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Bewußtseinsstellungen der Epochen
lOb-lla
Normen erschöpft hat, woraus sich der Verbalismus jüdischer Wissenschaft erklärt. Während in dem griechischen Kultus die Synthesis wirksam ist, welche in der lOb Idee des Kosmos21 manifest wird, während hier in der empfundenen und geglaubten realen Gestaltung der Fruchtboden und Hintergrund der Wissenschaft (, die eine Wirklichkeit, wie voraussetzt so ist,) gegeben ist, findet dort ein abstrakter moralischer Prozeß statt, dessen Niederschlag der Dekalog, von rein negativer Kraft, die Duplizität voraussetzend, weltfremd, aber nicht weltfrei ist. Und wie der charakteristische Ausdruck der religiösen, d. h. der radikalsten psychischen Verfassung sich als ein Resultat langer Entwicklung einstellt, wie aus der Fülle der Wirkung Licht auf die Ursache fällt, (welche lebendigem Erkenntnisverhalten aus jener klar wird,) so zeigt sich die Wurzel jüdischer Bewußtseinsstellung in dem Wortsein Gottes, in der J.6yo~-Lehre des Philo, welcher die Sichtbarkeit und Sichtlichkeit des kosmischen Verhältnisses allegorisierend in verbalem Magismus auflöst22. Es ist bemerkt worden, daß die langjährige Landlosigkeit der Exilierten die Bodenlosigkeit des jüdischen Gottesbewußtseins zur Folge gehabt habe. Doch wirken derartige Ereignisse in solcher Weise nur bei Vorhandensein der psychischen Voraussetzungen23. Die Sage, welche historischen Wert trotz mangelnder historischer Wirklichkeit oder Beglaubtheit hat, läßt die Israeliten von vornherein nicht als autochthon auftreten, sondern das Land ihrer Wohnsitze erobern, läßt sie zur Einheit gebunden werden durch einen Willen, nicht durch ein natürliches Band. Aus der Uniformität 11 aderWüste bringen sie [mit] die Gestaltlosigkeit ihres Gottes mit. Und gerade diese, nicht erst kausierte, sondern originale Stellung zu Gott und Natur, diese Naturlosigkeit des nicht sichtbar, nur laut werdenden Gottes gewährt dem Jehovah die Universalität der Applikabilität (daher der Erfolg der jüdischen Propaganda in dem imperialistischen Rom.)• und seine reine Moralität, welche Abstraktion von jeder natürlichen Bedingtheit ist, • Inhalt der Klammer als Fußnote angeführt.
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macht ihn fähig, der Anknüpfungspunkt für das christliche Bewußtsein zu sein. Nicht wie angenommen zu werden pflegt, ist es das monotheistische Moment, welches die Universalität zur Folge hat; denn diese Bestimmung ist nur ein formales Ergebnis (ethischer Provenienz,) der von der Verschiedentlichkeit sinnlich vermittelter Machterfahrnis (, Willensbegrenztheit) abstrahierenden Konzentration des Selbstbewußtseins und daher negativer Natur. Sondern von dem Wesen, dem Inhalte der Gottheit hängt ihre Propagationskraft ab. Ist doch der israelitische Gott nicht einmal der p611or; fJe6r;, vielmehr der allein würdige Gott, der allein wahre. Und zwar ist das Kriterium seiner Wahrheit, der Rechtsgrund seines Machtanspruchs die Moralität des Gesetzes, wenngleich, wie nicht anders möglich, das religiöse Verhalten das Gesetz nach Inhalt und Form sowie in seiner verbindlichen Kraft auf den Willen Gottes zurückführt und gründet. Das eben ist das auszeichnende dieser religiösen Stellung, daß eine Urteilung des natürlicher Weise ungebrochenen Willens, ein Reflex desselben statt hat. 11 b Auch die substanziellen Momente der Lustration werden in Abhängigkeit gestellt von der gesetzlichen Willensbestimmtheit. Aber die Willensbestimmtheit ist eine der Form nach äußerliche und eine partiale. Wenn Religion Gottesempfindung ist, so liegt hier innerhalb der Religiosität die stärkste Veräußerlichung vor. Die Moralität steht als Bindeglied zwischen Gott und dem Menschen, welcher seine Selbständigkeit festhält, die tiefste Marke der Tenazität des jüdischen Wesens. Das Wort24 steht zwischen Gott und dem Geschöpf, und weil es verselbständlicht ist, in sich selbst Wert und Sinn hat, (so daß in dem Worte über das Wort Machen die jüdische Theologie besteht,) beschränkt es die Lebendigkeit der Gotteserfahrung. Gerade der Charakter moralischer Rationalität, welcher dem Dekalog universale Gültigkeit verleiht, begründet das antinomische Verhältnis des Gesetzes zu reiner Religiosität. Und die Verselbständlichung der sittlichen Norm, der Umstand, daß als starre Gegenständlichkeit das Wort dem Leben gegenüber47
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steht, weder im ontologischen noch psychologischen Kontakte, sondern als abstrakte Willensposition, bringt die unterschiedslose Schätzung der psychisch verschiedenwertigen Vorschriften zuwege, da die Unterscheidung des Wesentlichen und Unwesentlichen dem lebendigen Fühlen entwächst. Die p.eaOTTJ~ des Gesetzes war wegen seiner transzendentalen Natur ein psychisches uaTaneTaap.a"'. Der Charakter des 12"' Verbotes nun, die abstrakte Rationalität der Moral konnte ebensowenig wie der logische Rationalismus gestaltbildend sein. Und so ergibt sich aus solcher Bewußtseinsstellung die Natur der jüdischen Geschichte als einer Leidensgeschichte. Tätig allein und allein historisch ist der jüdische Gott. Die Geschichtlichkeit, welche unter den vorchristlichen Religionen das jüdische Bewußtsein auszeichnet, ist in Gott konzentriert. Bei ihm ist Gegenwart, Aktualität; dem Religiösen bleibt allein Zukunft, Hoffnung, Erwartung. Damit ist der psychische Zusammenhang zwischen impulsiven Motiven und Handlungen unterbrochen. Der Religiöse hat nur sich moralisch und kulturell zu adaptieren, um damit die göttliche Aktion zu provozieren. Eine moralische Substanzialität, welche die Aktivität (nicht negiert wie das indische Bewußtsein, aber) außer sich läßt. Diese Stellung konstituiert den Widerspruch der religiösen Zuständlichkeit und des weltgerichteten Handeins einzelner großer Persönlichkeiten. Hierin originiert der Gegensatz zwischen Priestertum und Königtum, der sich vertieft zu dem Gegensatz der Priester und der Propheten, welche unter dem Einflusse des Leidens auf eine b innere Aktivität dringen, wie sie Träger derselben sind. Diese psychische Wendung, ein Extrem innerhalb der jüdischen Bewußtseinsstellung, 12b wenn schon als Gegensatz in ihr beschlossen, eröffnet den • 11 b Aus der Bewußtseinstellung erklären sich und wären zu erklären wie Art und Verhältnis aller historischen Selbstbetätigung insofern 12• sie nicht willkürlich ist., so auch die wesentlichen Charaktere des Kultus. Das Experiment der Selbsttransposition des Nacherlebnisses grenzt das Gebiet konstituierender [konstitutioneller] Motive gegen das dos uvp{Je{J1JI