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German Pages 62 [64] Year 1845
U e be r
die fehlerhafte Ernährung der Kinder in Berlin, als eine Hauptursache der ungünstigen Gesundheitsund Sterblichkeits-Verhältnisse
derselben
it n (1 ¡i b e r
die dagegen anzuwendenden Maafsregeln.
V o Ii
Dr. Paul Maximilian Zettwach, weil, prakt. A r z t , erstem Assistenzarzt bei einem poliklinischen Institute der Universität, Arzt des Elisabeth-Kinder Hospitals ii. s. w. zu Berlin.
(Aus dessen handschriftlichem Nachlafs.)
(Besonders abgedruckt aus dem Magazin f ü r die gesammte Heilkunde Bd. LXIV. H f t . 2 . )
B e r l i n , !> e i
G.
K e i m e r
1845.
P n n c q i u s obsln.
S e r o m e d i c i n a paro I nr.
D ie auffallend g r o f s e Sterblichkeit der Kinder w a h r e n d des ersten Lebensjahres im Vergleich zu a n d e r e n L e b e n s altern ist zwar unstreitig zum Theil in unabänderlichen N a t u r gesetzen, zum Theil aber gewifs auch in Ursachen b e g r ü n det, d e r e n Beseitigung innerhalb des Bereichs der Möglichkeit liegt. Diese Ursachen aufzufinden und ihren v e r d e r b lichen Einflufs zu heben oder doch zu mindern, ist eine der wichtigsten, aber auch der schwierigsten Aufgaben d e r M e dicinal-Polizei. Durch a n g e m e s s e n e S o r g e f ü r eine richtige physische E r z i e h u n g der Kinder wird ein Haupttheil dieser A u f g a b e erfüllt. Die hierbei zu ü b e r w i n d e n d e n S c h w i e r i g keiten bestehen b e s o n d e r s d a r i n , dafs ü b e r die physische Erziehung der Kinder überhaupt richtige Grundsätze sehr w e n i g verbreitet sind und in dieser Beziehung mit u n z ä h ligen Vorurtheilen gekämpft w e r d e n m u f s , dafs f e r n e r d e r Behörde über die, meist unter der Obhut der Eltern o d e r deren Stellvertreter stehenden Kinder eine unmittelbare G e walt nicht überall zusteht, dafs daher die zu e r g r e i f e n d e n Maafsregeln nur zum Theil direkter Art sein k ö n n e n , und dafs eine Ueberwachung der A u s f ü h r u n g letzterer b e s o n ders innerhalb der Familien schwer zu bewerkstelligen ist. Hierin m a g es begründet s e i n , d a f s , obwohl wie in f r ü h e r e r so auch in neuester Zeit das physische W o h l der Kinder mehrfach Gegenstand öffentlicher Besprechung g e worden ist, und von verschiedenen Seiten Vorschläge zur Verbesserung der ungünstigen G e s u n d h e i t s - und Sterblichkeits-Vcrhälliiisse derselben gemacht w o r d e n sind, diese Vorschläge doch, wenigstens in Preufsen, bis j e t z t nur zu v e r hältnifsmäfsig geringen praktischen Resultaten geführt haben. i
*
4 Die Aufforderung, hier auf administrativem W e g e hülfreich einzugreifen, ist aber gegenwärtig um so dringender, als die neuesten statistischen Berechnungen gelehrt haben, dafs die Sterblichkeit der Kinder, besonders während des ersten Lebensjahres, im fortwährenden Steigen begriffen ist. H o f f m a n n * ) giebt nämlich in dieser Beziehung F o l gendes a n : Nach der Geburt starben in Berlin vor vollendetem ersten Lebensjahre: In d. Jahren In 13 8 — 10 24 11—13 29 14—19 1 30
80 Nimmt man nun als die normale Durchschnittszeit d e s Säugens 8 bis 10 Monate a n , so w a r e n von diesen 8 0 Kindern 13, also etwa zur rechten Zeit, eben so viele zu früh, und 54, also etwa 5, zu spät entwöhnt. Bei weitem schädlichcr, als die nicht rechtzeitige E n t -
10 wöhnung, ist die unter den Müttern der in Rede stehenden Stände sehr verbreitete Gewohnheit, den Kindern sehr bald nach der Geburt gleichzeitig mit der Muttermilch eine a n dere, künstliche, consistente Nahrung, Semmel-, Mehl-, Kartoffelbrei u . d g l . zu reichen, oder dieselben auch wohl an den Mahlzeiten der Erwachsenen vollständig Theil nehmen zu lassen. Als Grund hiervon hört man in der Regel anführen, dafs dies den Kindern zu ihrer Sättigung nöthig sei. Unter 77 Säuglingen fand ich nur 1 5 , also etwa bei welchen das Säugungsgeschäft in dieser Beziehung r i c h tig ausgeführt war, die übrigen 62 hatten sämmtlich neben der Mutterbrust eine mehr oder weniger unpassende, m e i stens höchst schädliche andere Nahrung erhalten. Es liegt in der Natur der Sache, dafs hier keine unredliche Absicht, sondern nur U n k c n n t n i f s des Richtigen zum Grunde liegen k a n n , was darin seine Bestätigung findet, dafs die Mehrzahl der Mütter der ärztlichen Belehrung willig Folge leistet. L e i d e r kommt aber diese Belehrung häufig für das Wohl der Kinder zu spät, da g e r a d e in der gedachten unpassenden Ernährung eine grofse Anzahl verheerender Krankheiten der Kinder begründet ist und dadurch oft tödtliche Leiden der V e r d a u u n g s o r g a n e , Abzehrung u. s. w . herbeigeführt w e r d e n , a u f w e i c h e ich unten naher zurückkommen werde. Unter den w o h l h a b e n d e r e n S t ä n d e n kommen a u f s e r e h e l i c h e Geburten verhältnifsmäfsig so selten vor, dafs dieselben hier füglich nicht berücksichtigt werden d ü r fen. Die e h e l i c h e n Kinder dieser Stände werden v e r hältnifsmäfsig weit seltener, als in den niederen Ständen, von den eigenen Müttern gesäugt. Dies ergiebt sich schon aus der grofsen Zahl der in Berlin jährlich vermietheten Ammen. Leider ist es mir nicht g e l u n g e n , in dieser B e ziehung bestimmte Zahlen-Verhältnisse zu ermitteln, da in den Registern des K. Polizei-Präsidii die Ammen ohne b e sondere Bezeichnung unter den übrigen Dienstboten mitgeführt werden. Jedoch lehrt die tägliche Erfahrung, dafs
11 die bereits i. J. 1825 v o n C a s p e r * ) gemachte Bemerkung: das Bedürfnifs nach Ammen in Berlin scheine in dem Mafse zuzunehmen, als gerade die Erfahrungen der Aerzte über die Nützlichkeit des Selbststillens sich vermehren, noch heute seine Richtigkeit hat. Der Grund hiervon liegt theils in der Scheu vor der mit mancherlei Entsagungen verknüpften Lebensweise, die das Säugen erfordert, theils in der, durch sociale Verhältnisse bedingten, relativen Unmöglichkeit, sich dieser Lebensweise zu unterziehen, in der Furcht vor dem Verluste gewisser körperlicher Vorzüge u. s. w., wozu noch kommt, dafs bei Wohlhabenden der Ernährungsweise der Kinder durch Ammen pecuniäre Rücksichten nicht entgegenstehen. Sehr häufig waltet dabei die vollkommenste Unkenntnifs über die Nachtheile ob, welche dem Säuglinge aus der Entziehung der Muttermilch erwachsen können. In den Fällen aber, wo von Müttern höherer Stände die Kinder auch wirklich selbst gesäugt w e r d e n , gedeihen dieselben doch sehr häufig nicht in erwünschter Weise. Seltener findet hier ein zu langes Stillen, viel öfter ein zu frühes Entwöhnen Statt, welches grofsentheils seinen Grund in Mangel an Milch, wie er bei schwächlichen, verzärtelten Constitutionen eintreten mufs, oder darin seinen Grund hat, dafs Frauen von zarter Körperbeschaffenheit durch das Säugungsgeschäft überhaupt leicht entkräftet und namentlich nervös ergriffen werden. Ganz besonders aber wird von den Frauen dieser Stände darin gefehlt, dafs sie diejenige gleichmäfsige und einfache Lebensweise nicht führen und diejenige geistige und körperliche Ruhe sich nicht zu b e wahren wissen, welche zur Erzeugung einer gesunden, an Nahrungsstoffen reichen Milch erforderlich ist, wobei dann auch nicht selten die gehörige Ordnung im Stillen verabsäumt wird. *)
Beiträge
zur
jiiedicinisclien Statistik
von Dr. J. L . C a s p e r .
und
Berlin 1825. S. 183.
Slaatsaizncikimde
12 In den wohlhabenderen Ständen wird der Mangel der Muttermilch in der Regel durch Ammenmilch, in den ä r m e r e n Klassen durch das künstliche Auffüttern (Päppeln) ersetzt. Die A m m e n m i l c h ist z w a r allerdings der b e s t e E r satz für die Muttermilch, j e d o c h selten von gleicher G e deihlichkeit f ü r das Kind. Die Sterblichkeit der von den eigenen Müttern gestillten Kinder verhält sich zur S t e r b lichkeit der von Ammen gesäugten Kinder wie 3 : 5 * ) . Damit die Milch einer Amme dem Kinde zuträglich sei, mufs letztere gewisse Eigenschaften b e s i t z e n , welche schwer in einer Person vereinigt angetroffen w e r d e n . Die A n f o r d e O © r u n g e n , welche man an eine gute Amme zu machen b e rechtigt ist, sind im Wesentlichen f o l g e n d e : Das Kind der Amme mufs vollkommen gesund und wohlgenährt sein. Sie selbst mufs eine moralisch gute, nicht leichtsinnige P e r s o n , von ruhigem Temperament und sanftem Charakter, b e s o n ders nicht den Leidenschaften des Zorns, Trunks und der geschlechtlichen Ausschweifung e r g e b e n sein, Umstände, welche nur durch die genausten Erkundigungen ü b e r das f r ü h e r e L e b e n der Amme und in der Mehrzahl der Fälle s e h r schwierig zu ermitteln sind. Die Amme mufs sich f e r n e r in einem Alter von 2 0 bis 3 0 J a h r e n befinden, u n gefähr zu gleicher Zeit niedergekommen sein, wie die Mutter des zu stillenden K i n d e s , gehörig ausgebildete Brüste u n d Brustwarzen besitzen und namentlich nicht an d e n j e n i gen Krankheiten l e i d e n , welche bereits oben als H i n d e r nisse des Säugens bezeichnet sind. Von dem gröfsten B e lange ist die Beschaffenheit der Milch der Amme. Ob diese eine gute s e i , ist nicht leicht zu b e s t i m m e n , und b e s o n ders sind die Prüfungsmethoden älterer A e r z t e nach G e r u c h , Geschmack, Consistenz, F a r b e u . s . w . , welche auch jetzt noch die fast allein üblichen sind, sehr trügerisch und unzureichend. In n e u e r e r Zeit hat man sich bemüht, durch '")
C a s p c r I. c. S. 1S5.
13 chemische und mikroskopische Hülfsmittel e i n e w e n i g e r t r ü g liche P r ü f u n g d e r Ammenmilch D'Arcet*)
anzustellen.
fand z u e r s t bei U n t e r s u c h u n g d e r
milch, dafs d i e j e n i g e n Kühe, w e l c h e in Ställen
Kuh-
eingeschlos-
sen l e b e n , fast stets eine s a u r e o d e r n u r s e h r w e n i g alkalisch r e a g i r e n d e Milch l i e f e r n , w ä h r e n d d i e j e n i g e n , w e l c h e im F r e i e n u n d auf g u t e n W e i d e p l ä t z e n l e b e n , e i n e s e h r alkalische Milch g e b e n .
gewöhnlich
Bei d e r U n t e r s u c h u n g
v o n A m m e n , w e l c h e von d ' A r c e t b e g o n n e n u n d von
Pe-
t i t f o r t g e s e t z t w u r d e , e r g a b sich, dafs die Milch d e r m e i sten A m m e n alkalisch r e a g i r t , dafs a b e r die s a u r e B e s c h a f f e n h e i t d e r Milch m a n c h e r A m m e n eine s e h r m ä c h t i g e K r a n k h e i t s - u n d S t e r b l i c h k e i t s - U r s a c h e für die K i n d e r sei. Kinder
derjenigen Ammen,
Die
die alkalische Milch l i e f e r t e n ,
e r b r a c h e n sich niemals o d e r w e n i g s t e n s s e h r s e l t e n ,
ver-
dauten vollkommen gut u. s. w., w a h r e n d d i e j e n i g e n , w e l c h e s a u r e o d e r sehr s c h w a c h alkalisch r e a g i r e n d e Milch men,
beka-
dieselbe fast unmittelbar in g r ö f s e r e n o d e r k l e i n e r e n
Klumpen a u s b r a c h e n . Schneemann,
Hiermit ü b e r e i n s t i m m e n d erklärte D r .
dafs nach s e i n e n B e o b a c h t u n g e n die Milch
sehr gesunder Ammen
stets
eine alkalische Reaction
ge-
z e i g t h a b e u n d n u r bei so b e s c h a f f e n e r Milch die S ä u g l i n g e vortrefflich g e d i e h e n
seien.
Ganz
habe
besten
Kühe auf d e n
die Milch
Meiereien.
der
Dagegen
dieselbe Beschaffenheit holländischen
h a b e sich A m m e n m i l c h , w e l c h e
Lakmuspapier röthete,
das
fast o h n e A u s n a h m e nachtheilig f ü r
die Kinder e r w i e s e n , Durchfall, W u n d s e i n u n d a n d e r e K r a n k heiten
e r z e u g t und
diese nachtheiligen E i g e n s c h a f t e n
d a d u r c h v e r l o r e n , dafs die A m m e n veranlafst w u r d e n , z u g s w e i s e alkanische G e l r ä n k e zu sich z u n e h m e n . Beobachter, wie: stets alkalisch.
*}
Hevuc
Andere
f a n d e n die Milch
Ich selbst habe die Milch von e t w a 3 0 S ä u -
mcilicnlc.
Seite 145.
D o n n e und S i m o n ,
nur vor-
/•'