Beleuchtung der Unterrichts- und Prüfungs-Ordnung der preußischen Real- und höheren Bürgerschulen [Reprint 2021 ed.] 9783112449202, 9783112449196


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Beleuchtung der Unterrichts- und Prüfungs-Ordnung der preußischen Real- und höheren Bürgerschulen [Reprint 2021 ed.]
 9783112449202, 9783112449196

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Beleuchtung

-er Unterrichts- und Prüfungs-Ordnung der

preußischen Real- und höheren Bürgerschulen

vom 6. October 1859 von

F. W. Looff, Herzoglich Sächsischer Schulrath.

Leipzig,

Verlag von Veit & Comp.

1861.

Obwohl nach dem Erscheinen der Realschulordnung am Ende des vorigen Jahres 1859 mehrfache ungünstige Kritiken über

dieselbe erschienen, auch Petitionen an die Vertreter des Landes

gegen dieselbe gerichtet wurden, so hat doch diese Angelegenheit in der letzten Session der zweiten Kammer wegen der Kürze der

Zeit nicht zur Berathung gelangen können. Es wird daher nicht

unangemessen sein, die neue Realschulordnung, und zwar haupt­ sächlich vom Standpunkte der praktischen Pädagogik aus, noch einmal zu beleuchten.

Schon die Einleitung der Prüfungs­

ordnung, in welcher die Realschulen in drei Klassen, in solche

erster und zweiter Ordnung und in höhere Bürgerschulen eingetheilt werden, erweckt die größten Bedenken, denn eine solche Eintheilung ist nicht nur dem gemeinen Manne unverständlich,

sondern ruft auch unter den bereits bestehenden und noch zu gründenden Realschulen einen Rangstreit, eine Eifersucht her­ vor, welche wenig geeignet sind, die Blüthe derselben und ihren Nutzen für den Staat zu fördern.

Die Realschulen, obwohl in einzelnen Anfängen schon der Zeit vor den Befreiungskriegen angehörend, sind im Wesent1*

4 lichen eine Schöpfung der Neuzeit; sie wurden durch das Be­

dürfniß einer Bildung hervorgerufen, welche den Anforderungen der Zeit Rechnung trägt.

Dies konnte weder durch die Volks­

oder Bürgerschulen geschehen, weil diese die Mathematik, die

Naturwissenschaften und neueren Sprachen entweder, gar nicht,

oder nur in einem sehr beschränkten Umfange lehren, noch durch die Gymnasien, welche, den Unterricht in den alten Sprachen

als Hauptaufgabe festhaltend, der Mathematik, den Naturwissen­ schaften, den neuern Sprachen und dem Zeichnen nur geringe

Zeit widmen konnten. Man lernte sogar auf den meisten Gym­

nasien in den unteren Kläffen weniger für den bürgerlichen Beruf, als in einer guten Bürgerschule; ja die Concessionen,

welche im 3. und 4. Decennium,unseres Jahrhunderts einzelne einsichtsvolle Gymnasial-Directoren den Realien gemacht hatten,

mußten später wieder zurückgenommen werden.

Dabei schlug

eine sehr große Zahl der Gymnasien die ebenso verkehrte als

beklagenswerthe Richtung ein, daß man die Grammatik, welche nur das Mittel zum höchsten Zweck und Ziele, der Kenntniß

des klassischen Alterthums sein soll,

zur Hauptaufgabe des

Unterrichts machte und dadurch den Nutzen, welchen eine wahrhaft klassische Bildung stets gewährt hat und immer gewähren wird,

bedeutend schmälerten Die von Jahr zu Jahr sich steigernde In­ dustrie und der vermehrte Verkehr machten daher für alle Die­ jenigen, welche sich nicht den Facultätswiffenschaften widmen

wollten, eine andere Art der Bildung nothwendig.

Man ver­

fiel zwar anfangs mehrfach in den Fehler, so rasch wie möglich

5 und möglichst Vielerlei zu lehren, was an Kenntnissen und

Fertigkeiten in den einzelnen Zweigen des bürgerlichen Berufes gebraucht werden kann, so daß man zu Anfang der dreißiger Jahre in den neuen Real- oder höheren Bürgerschulen den

buntscheckigsten Lehrplan finden konnte.

Neben Mathematik,

Physik, Chemie, Naturbeschreibung wurde Buchhaltung, Waarenkunde, Technologie gelehrt, — neben den Uebüngen im Zeichnen auch Modelliren, ja sogar Drechseln und Verfertigen von Ab­

güssen betrieben.

Die Schule mußte anfangs, oft gegen die

Ueberzeugung der Directoren und Lehrer, den Anforderungen

der sie gründenden Communen oder Corporationen nachgeben; multa, non multum, war eine kurze Zeit der Wahlspruch und

die Richtung vieler Realschulen. Allein durch das Abiturienten­ reglement vom Jahre 1832 wurde den Realschulen ein festerer Halt gegeben, indem denjenigen Schülern, welche mit dem Zeug­

nisse der Reife die Realschulen verließen, nicht nur der Eintritt in einzelne Zweige des Staatsdienstes, sondern auch das Vor­

recht des einjährigen Militairdienstes gestattet wurde. So mangelhaft das Reglement der Abiturientenprüfungen

für Realschulen von 1832 auch war, so hat es doch.das große

Verdienst gehabt, die Realschulen auf den einzig richtigen Weg

zu führen, nämlich, durch die Bildungselemente unserer Zeit der Jugend eine allgemeine Bildung zu geben, ohne den Umweg durch das Studium der alten Sprachen zu machen.

Die Real­

schulen reinigten sich auch bald von den der Bildung wenig förderlichen Lehrgegenständen, und je sorgfältiger in ihnen neben

6 einem tüchtigen Unterricht in der Mathematik und den Natur­

wissenschaften die deutsche und die neueren Sprachen als Unter­

richtsgegenstände behandelt wurden, um desto bedeutender waren auch ihre Leistungen. Die ihnen gewährten Vorrechte, besonders

die Berechtigung zum einjährigen Militärdienste, haben den Realschulen einen sehr großen Nutzen gewährt, indem sie ihre

oberen Klassen füllten.

Die Realschulen haben aber hundert­

fältig dies dem Staate vergolten, indem sie zu einer zeitgemäßen Bildung des höheren Bürgerstandes beitrugen und dem Staate eine sehr große Anzahl tüchtiger technischer Beamten lieferten, was

die einem ganz andern Ziele nachstrebenden Gymnasien in ihrer

Secunda und Tertia nicht vermochten.

Dennoch wichen die

Lehrpläne der verschiedenen Realschulen von einander ab.

In

Städten, in welchen die Interessen des Handels und der In­ dustrie verwalteten, trug man den Anforderungen des Lebens,

soweit es unbeschadet einer gründlicheren, allgemeineren Bildung geschehen konnte, ebensowohl Rechnung, als in andern Städten,

deren Abiturienten sich vorzugsweise dem Beamtenstande wid­ meten, oder in denen die Realschule die einzige höhere Lehr­

anstalt w-r, diese localen Verhältnisse berücksichtigt wurden. In diesen letzteren wurde das Lateinische mit größerer Stunden­

zahl gelehrt, theils wegen der zu den Gymnasien übergehenden Schüler, theils weil der Staat von den Aspiranten des Post-, Forst-, Steuerfaches rc. die Kenntnisse eines Gymnasialse-

cundaners im Lateinischen forderte.

Jene, zu welchen die

Mehrzahl der Realschulen der Rheinprovinz gehörte, standen

7 hinsichtlich der allgemeinen Bildung durchaus nicht hinter diesen

zurück, zeichneten sich aber, weil ihnen durch das Lateinische die Zeit für die übrigen Lectionen nicht beschränkt wurde, durch

tüchtige Leistungen in den neueren Sprachen und zum Theil auch

in den Naturwissenschaften aus. Unter dem Ministerium Altenstein wurde eine solche in­ dividuelle Gestaltung der einzelnen Realschulen geduldet, und

denjenigen Realschulen, welche das Lateinische von ihrem Lehr­ plan ausgeschlossen hatten, die an die Abiturientenprüfung

geknüpften Vorrechte nicht geschmälert.

Allein schon unter dem.

Ministerium Eichhorn wurden sie mit dem Verluste des Vor­ rechtes der Abiturientenprüfung bedroht, wenn sie das Lateinische

nicht in ihren Lehrplan aufnehmen wollten.

Die Bedrängnisse,

welche darauf die Realschulen unter dem Ministerium Raumer

trafen, sind zu bekannt und durch die Kammerverhandlungen in

der vorletzten Session zu lebhaft in's Gedächtniß gerufen, als daß es hier nothwendig wäre, dieselben ausführlich zu schildern.

Nur erwähnen müßen wir, daß mit dem Hasse der kirchlichen

und politischen Reaction sich auch die Bornirtheit oder Charakter­

losigkeit einiger Philologen verband, um die Realschulen zu unterdrücken oder in ihrer Wirksamkeit einzuschränken. Ein solcher Druck hatte denn auch bei charakterlosen Männern das Ver­

lassen der bisher verfochtenen Sache und den Uebergang zur ministeriellen Ansicht zur Folge. Ein früherer Realschuldirecter,

welcher noch 1847 in Gotha einer der geistreichsten Vorkämpfer

des Realschulwesens gewesen, und nachdem er sich bekehrt,

8 Provinzialschulrath geworden, zeichnete sich dabei, ein zweiter

Saulus, durch Bedrängung der Realschulen aus und fügte zu

seinen Aufforderungen zur Umkehr noch die Martern 10—12 stündiger mündlicher Prüfungen der Abiturienten. Nachdem die Noth der Realschulen in der vorletzten Session

des Hauses der Abgeordneten zur Sprache gekommen und auch von dem jetzigen Cultusminister, Herrn v. Bethmann-Hollweg

anerkannt war, konnte man mit Recht erwarten, daß die neue Unterrichts- und Prüfungs-Ordnung den Realschulen im All­ gemeinen, zugleich aber auch den ganz verschiedenartigen In­

teressen, welche die einzelnen Provinzen des preußischen Staates nothwendig haben müssen, Rechnung tragen, — daß man nicht

die Realschulen in eine Uniform stecken würde, die nothwendig für viele Anstalten eine Zwangsjacke werden muß.

Dies ist

aber nach dem neuen Reglement durch § 2 geschehen, in welchem

es heißt:

„Zur ersten Ordnung können ferner diejenigen Realschulen nicht gezählt werden, die für die einzelnen Klassen eine geringere Cursusdauer haben, als in dem Abschnitt I § 1 bestimmt ist, und deren Lehrplan von dem im I. Abschnitte § 1 ausgestellten

soweit abweicht, daß z. B. ein Unterricht im Lateinischen gar nicht ertheilt, oder daß die Theilnahme daran, oder in andern

wissenschaftlichen Lehrgegenständen den Schülern freigestellt wird. Durch diese Bestimmung wurden 30 Realschulen in die

zweite Klasse hinabgestoßen, von denen viele hinsichtlich ihrer Leistungen, hinsichtlich der gründlichen allgemeinen Bildung,

9 welche sie bisher gewährt haben, nicht nur hinter den bevor­ zugten Anstalten zurückstanden, sondern sie auch zum Theil über­

trafen.

Die Zöglinge dieser Anstalten zweiter Klasse können

weder zu den höhern Studien für den Staatsbaudienst und das

Bergfach zugelassen werden, noch sind sie, wenn sie dem Militär­

dienste auf Avancement sich widmen, von der Ablegung der Portep^efähnrichs - Prüfung dispensirt.

Ferner unterscheiden

sich die Berechtigungen beider Arten von Anstalten noch dadurch, daß die Schüler der Realschulen zweiter Klasse nur durch das Zeugniß der Reife, die der Realschulen erster Klasse schon durch den einjährigen Besuch der Prima die Berechtigung zur Zu­

lassung zum Supernumerariat bei der Verwaltung der indirecten Steuern und als Applicanten für den Militärintendantur-Dienst

erlangen können.

Endlich wird die Zulassung zum einjährigen

freiwilligen Militärdienste bei den Realschulen erster Klasse von

einem halbjährigen Besuche der Secunda, bei denen 2ter Klasse von einem mindestens halbjährigen Besuche der Prima abhängig

gemacht. Die Realschulen erster Klasse erlangen hierdurch ein so

bedeutendes Uebergewicht über die zweiter Klasse, daß die letzteren, mögen dadurch auch die Interessen des Ortes und der Mehrzahl

der Schüler noch so sehr hintangesetzt werden, mit aller An­

strengung dahin streben müssen, zu Realschulen erster Klasse

erhoben zu werden.

Ja sie werden in ihrer Existenz bedroht,

indem die tüchtigeren Lehrkräfte, an denen überhaupt kein Ueberfluß ist, sich von ihnen weg und den Realschulen erster Klasse zu-

10 wenden, an welchen die Besoldungen höher normirt sind.

Sie

müssen daher, wenn dies noch nicht geschehen, den lateinischen

Unterricht in der geforderten Ausdehnung als einen für alle Schüler verbindlichen Lehrgegenstand in ihren Lehrplan auf­ nehmen, mag auch die große Mehrzahl der Schüler, welche sich dem Handel, der Industrie, den verschiedenen Zweigen der

Mechanik widmen, gar keinen Nutzen, davon haben.

Als ein

Fortschritt, als ein Act der Gerechtigkeit gegen die seither ge­

maßregelten Realschulen,

gegen den ganzen Nährstand des

preußischen Staates, dessen höherer Stufe sie die Bildung ge­

währen sollen, kann dies durchaus nicht betrachtet werden. Aber noch, einen andern Nachtheil müssen wir erwähnen.

Die längere Zeit, welche die gründliche, auf Realschulen zu gewinnende allgemeine Bildung erfordert, hat bisher schon

viele solche Schüler, die sich dem

niederen Baufache, der

Mechanik u. s. w. widmen, den Gewerbeschulen zugeführt. Dies wird bei der geforderten Ausdehnug des lateinischen Unterrichts

in den Realschulen noch mehr geschehen, denn der einseitige, nur auf Mathematik, Naturwissenschaften, Zeichnen und Modelliren

gerichtete Lehrplan der. preußischen Gewerbeschulen macht eine

raschere Erlangung des Vorrechtes zum einjährigen Militär­

dienste und eine frühere Aufnahme in das Gewerbeinstitut, endlich die Aneignung einer größeren Fertigkeit im Zeicknen möglich, leider aber auf Kosten der allgemeinen Bildung.

Mit Recht

kann man diese vom Herrn Handelsminister bevorzugten und

vom Staate dotirten Gewerbeschulen, in deren unterste Stufe

11 ein mittelmäßiger Quartaner einer Realschule eintreten kann,

einen Krebsschaden des jetzigen preußischen Unterrichtswesens

nennen, weil sie nur eine ganz einseitige Bildung erzielen, und zwar in einem Alter, in welchem der Unterricht in den Sprachen,

in der Geographie und Geschichte noch nicht als Nebensache be­

trachtet werden kann und darf. Das Reglement stellt endlich noch eine dritte Klasse von Real­ schulen auf: die höheren Bürgerschulen. Mit diesem Namen werden solche Realanstalten bezeichnet, welche die Tendenz der voll­ ständigen Realschulen verfolgen, aber eine geringere-Klassenzahl

haben. Auch diesen wird eine Abiturientenprüfung gestattet, wenn sie die fünf Klassen von Sexta bis Secunda einer vollständigen

Realschule umfassen und im Allgemeinen nach denselben Grund­

sätzen eingerichtet sind, welche die Instruction für Realschulen aufstellt. Das Zeugniß der Reife einer solchen Schule berechtigt

zur Aufnahme in die Prima einer vollständigen Realschule und verleihet außer den an den Besuch der Secunda einer Realschule

geknüpften Befugnissen das Recht auf Zulassung zum einjährigen freiwilligen Militärdienste.

Wie weit einfacher wäre die Ein-

theilung in Ober- und Unterrealschulen, oder in Realgymnasien und Realschulen gewesen, wie solche in andern Ländern besteht

und auch der Eintheilung der gelehrten Schulen in Gymnasien und Progymnasien analog ist.

Kleinere Städte, welche weder

die Fonds noch die Schülerzahl liefern können, die für eine Oberrealschule erforderlich ist, könnten mit einer Unterrealschule

sich begnügen, welche die Klassen Sexta bis Tertia enthielte.

12 Denn da nach I § 4 diese Klassen einer Realschule zugleich der Aufgabe genügen sollen, welche eine Mittelschule zu erfüllen hat,

und „erfahrungsm äßig aus Tertia eine große Anzahl von Schülern

abgeht, um in einen praktischen Lebensberuf einzutreten," so wird beiden unvollständigen Realschulen, d. h. den höheren Bürger­ schulen, am. zweckmäßigsten mit der Tertia der Abschluß gemacht werden können, indem für den Unterricht in der Secunda

weder eine große Anzahl von Schülern, noch die hinreichenden Lehrkräfte (namentlich für Chemie, neuere Sprachen, Linear­ zeichnen) und Lehrmittel (vollständige physikalische Apparate,

chemisches Laboratorium) vorhanden sein werden. Ehe wir zur Beurtheilung des allgemeinen Lehrplans über­ gehen, müssen wir noch erwähnen, daß die Erhebung der Real­

schulen zur zweiten oder ersten Klasse noch von einer Normirung

der Besoldungen der Lehrer abhängig gemacht ist, welche, so günstig sie auch scheinbar für die Lehrer ist, doch als ein Eingriff in die Selbstständigkeit und die Bermögensverhältnisse der Communen

betrachtet werden muß. Mit wenigen einzelnen Ausnahmen sind fast alle Realschulen von den städtischen Communen begründet,

entbehren daher in der großen Mehrzahl eigener Fonds; sie wer­ den theils durch das nicht unbedeutende Schulgeld, theils durch die Zuschüsse aus den Communalkassen erhalten. Daß die Leistungen

einer Schule nicht von der Höhe der Lehrerbesoldungen abhängig sind, daß die am dürftigsten dotirten Schulen, sowohl Gym­ nasien, als Realschulen, im Verhältniß ihrer Schülerzahl nicht weniger, sondern oft mehr tüchtige Schüler geliefert haben, als

13 die bestdoürten, die Ritterakademien gar nicht gerechnet, dürste eine genaue statistische Ermittelung gewiß Herausstellen.

Tas

Ministerium Raumer hat sich das nicht zu verkennende Ver­ dienst erworben, für Verbesserung der Lehrerbesoldungen an den

Gymnasien städtischen Patronats zu wirken, wenn gleich wir nicht mit der Art und Weise des Verfahrens uns einverstanden

erklären können.

Denn diese bestand einfach darin,

daß es

k hont portant der einzelnen Stadt die Alternative stellte, ent­

weder die Besoldung zu erhöhen, oder für ihr Gymnasium das

Vorrecht der Abiturientenprüfung zu verlieren.

Bei den durch

die neueste Prüfungsordnung in die zweite Klasse zurückversetzten Realschulen wird die Erhebung in die erste Klasse ebenfalls außer von der- vollständigen Accommodation an den vorgeschriebenen Lehrplan von der Erhöhung der Lehrerbesoldung abhängig ge­

macht.

Hierdurch aber werden manche Schulen, wie z. B. die

des Halleschen Waisenhauses, die wegen ihrer Leistungen stets den Rang der Schulen erster Ordnung verdient haben, allein

wegen des Geldpunktes in der zweiten Ordnung zurückgehalten,

so daß ihre Abiturienten von dem höheren Baudienste und dem Bergfache ausgeschlossen werden.

Eine Ermuthigung für die

Lehrer und Schüler einer solchen Anstalt kann dies wahrlich nicht genannt werden.

Aber auch die Communen werden wenig zur Darbringung der geforderten Opfer ermuthigt. Ungeachtet der hohen Staats­

steuer haben viele Städte die bedeutendsten Opfer für ihr Schul­ wesen und namentlich auch für die bisher wenig begünstigten

14 Realschulen gebracht.

Städte ohne bedeutendes Communal-

vermögen haben, da die umliegenden Kreise, denen die Realschulen ja auch großen Nutzen gewähren, zu Beiträgen nicht herange­

zogen werden können, dies nur ausführen können durch Erhe­ bung von Communalsteuern, die an manchen Orten höher sind als die Staatssteuern.

Solchen Städten werden nun neue, oft

kaum erschwingliche Opfer zugemuthet, ohne daß ihnen der ge­

ringste Einfluß auf den Lehrplan gestaltet wird. Wenn- sie aber auch diese Opfer bringen, so erhalten sie nicht einmal eine

Garantie dafür, daß die Zukunft ihrer Realschulen eine gesicherte sei.

Denn bei den hohen Anforderungen, welchen, wie die Be­

trachtung des Lehrplans ergeben wird, nur unter den günstigsten

Umständen genügt werden kann, hängt das Verbleien der einzelnen Realanstalten in der betreffenden Rangklasse lediglich von der größeren oder geringeren Humanität der königlichen

Revisoren ab. Diese sind aber mit wenigen Ausnahmen Philo­ logen oder Theologen, wie denn auch das Referat im Cultus­

ministerium für Gymnasien und. Realschulen nicht getrennt,

sondern demselben Rathe, und zwar einem Philologen über­

tragen ist.

Der § 1 des I. Abschnittes des Reglements giebt den allge­ meinen Lehrplan der Realschulen und zwar, wie ihn die der ersten Klasse vollständig zur Ausführung bringen soll.

Die Religion ist in den beiden untern Klassen mit je

drei, in den vier oberen mit je zwei Lehrstunden bedacht.

Hier-

15 gegen möchte gesagt werden können, daß auch zwei Lehrstunden

in den untern Klassen ausreichen, wenn an das Gedächtniß der Schüler hinsichtlich des'Memorirens der Gesangbuchslieder und

Bibelverse nicht zu große Ansprüche gemacht werden.

Ist nicht

die ganze Schule von einem wahrhaft sittlichen und daher auch

religiösen Geiste beseelt, so wird auch eine noch so große Zahl von Religionsstunden in den Schülern nicht den religiösen Sinn erzeugen.

Entschieden aber müssen wir uns dagegen erklären,

daß die Religion zum Prüfungsgegenstande bei der Abiturienten­

prüfung gemacht werde.

Die Oberbehörde hat hinreichende

Gelegenheit, durch die Revisionen der Anstalten sich von der Be­ schaffenheit und den Erfolgen des Religionsunterrichtes in Kenntniß zu setzen.

Eine Prüfung der Abiturienten in der

Religion scheint uns daher ganz zweckwidrig zu sein, denn die

Religion ist nicht Gegenstand des Wissens allein, sondern auch des Gefühles und des Glaubens.

Für deutsche und lateinische Sprache sind in Sexta4u.

8, in Quinta 4 u. 6, in Quarta 3 u. 6, in Tertia 3 u. 5, in Secunda 3 u. 4, in Prima je 3 Lehrstunden angesetzt.

Daß

4 deutsche Stunden für 9 bis 10jährige Knaben in der Sexta vollkommen unzureichend sind, besonders in Gegenden, in welchen

der deutsche Unterricht durch den Volksdialect erschwert wird, weiß jeder Praktiker.

Auch scheint im Reglement durch die

Klammer, welche die deutschen und lateinischen Stunden umfaßt, die Gestattung einer Abänderung angedeutet zu sein.

Sechs

lateinische Stunden für Sexta und Quinta, vier für Quarta,

16 drei für jede der drei oberen Klassen, geben wir für solche

Realschulen zu, für welche das Lateinische ein Bedürfniß ist. Allein auf allen Realschulen ohne Ausnahme müßte in den drei oberen Klassen Dispensation vom Lateinischen für alle diejenigen Schüler stattfinden, welche einem rein industriellen

oder technischen Berufe sich zuwendend, dieses Unterrichts nicht weiter bedürfen, dagegen eine bedeutendere Ausbildung im Zeichnen nöthig haben.

Denn die zweckmäßige Ausbildung

dieser jungen Leute muß für die Realschulen immer die Haupt­ sache sein und darf durch die Ausbildung derjenigen, welche sich

der Beamtenlaufbahn zuwenden wollen, nicht in den Hintergrund

gedrängt werden.

Für den zukünftigen Post-, Forst-, Steuer­

beamten und Apotheker sind die im Reglement angesetzten zwei

wöchentlichen Zeichenstunden in jeder Klasse ausreichend, für den Architecten, Ingenieur, Maschinenbauer aber durchaus nicht. Den Bedürfnissen der einen und andern kann aber genügt werden, wenn mit der Versetzung nach Tertia, Dispensation

vom Lateinischen gestattet wird.

Werden dann die lateinischen

Lehrstunden in den drei oberen Klassen in denselben Tagesstunden

gehalten, so können die vom Lateinischen dispensirten Schüler zu derselben Zeit Zeichenunterricht erhalten, und zwar in den-

lenigen Zweigen des Zeichenunterrichts, (Situations-MaschinenBauzeichnen) welche für ihren zukünftigen Beruf nothwen­

dig sind.

Mit den im Deutschen im Prüfungsreglement gestellten An­ forderungen kann man sich vollkommen einverstanden erklären,

17 ebenso im Lateinischen mit der Forderung, daß der Abiturient

Stellen aus Cäsar, Sallust, Livius, die in sprachlicher und sachlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten haben, tn’S

Deutsche übersetzen könne.

Dagegen müssen wir uns gegen die

Anforderung aussprechen, daß der Abiturient Stellen aus Ovid

und Virgil übersetze und das epische und elegische Versmaß

(also auch die ganze Prosodie) kenne.

Denn wenn der Schüler

wirklich dahin gebracht wird, einzelne Stellen zu übersetzen, so macht ihm das nur Qual, bringt ihm aber gar keinen Nutzen. Bei drei wöchentlichen Lehrstunden in Prima könnte höchstens

eine für die poetische Lectüre verwendet werden, in der es zu

einem geläufigen Uebersetzen nimmermehr gebracht wird.

Es

wird daher die Zeit, welche ohnedies nur sehr karg zugemesien

ist, zersplittert und verschwendet.

Für die Realschulen aber ist

der lateinische Unterricht nicht, wie für die Gymnasien, sich

selbst der Zweck, sondern nur ein Mittel zur Erreichung des zur Zeit noch für nothwendig gehaltenen Zweckes, lateinisch ge­ schriebene Compendien, Pharmakopöen, Rechtsbücher u. s. w.

zu verstehen. Denn die formelle Bildung, welche man gewöhn­

lich als den Hauptgrund für Beibehaltung des Lateinischen auf­ stellt, wird ebenso gut durch einen tüchtigen Unterricht in der

deutschen, englischen und französischen Sp.rache erreicht.

Deß­

halb sollte für Realschulen eine.besondere Chrestomathie zu­ sammengestelltwerden, welche neben einer Auswahl der klassi­ schen Prosa auch eine Auswahl von passenden Stücken des corpus Juris u. s. w. enthielte.

Die Uebungen im Uebersetzen 2

18 aus dem Deutschen in's Lateinische sollten sich endlich nur auf die drei nntern Klassen beschränken, wo sie zur Einübung der

Grammatik nothwendig sind, in den drei oberen Klassen aber

gänzlich wegfallen. Ob es ferner im Interesse des Staates liegt, zum Militair-

dienst auf Avancement, zu dem höheren Berg- und Baufache

und den der Prima reservirten Zweigen des Staatsdienstes nur

solche Schüler zuzulassen, welche den Anforderungen im Lateini­ schen genügen, dagegen eine geringere Ausbildung im Zeichnen

erlangthaben, möchtewohl heut zu Tagenur von Stubengelehrten, nicht aber von Männern, welche die Bedürfnisse jener Fächer kennen, behauptet werden.

Ueberhaupt muß es, da wegen der

Alternative zwischen Latein und einem genügenden Zeichenunter­

richte der Letztere hier schon zur Sprache gekommen, erwähnt

werden, daß gerade im Zeichnen die Mehrzahl der preußischen

Realschulen den Anforderungen, welche man an eine Realschule stellen muß, nicht genügt.

Man hat viel zu wenig Wichtigkeit

auf das Bildunsmittel gelegt, welches ein tüchtiger, nicht nach

dem hergebrachten Schlendrian ertheilter Zeichenunterricht ge­ währt.

Die Zeichenlehrer sind für viele Anstalten eine crux,

denn viele besitzen weder eine genügende wissenschaftliche Bildung, um in die einzelnen Unterrichtszweige (Botanik, Mechanik,

Physik, Geographie) eingreisen zu können, noch vermögen sie den Unterricht methodisch zu handhaben, oft haben sie sogar mit

der Disciplin zu Kämpfen. Selten ist der Zeichenlehrer für alle

Zweige des. Zeichenunterrichts befähigt, was für die meisten

19 Realschulen unbedingt nothwendig ist, da nur wenige Anstalten hinreichende Fonds besitzen, zwei Zeichenlehrer auskömmlich zu

besolden.

Schon der Umstand, daß der Zeichenlehrer unter

dem jüngsten wissenschaftlichen Lehrer rangirt und eine geringere

Besoldung bezieht, trägt dazu bei, daß auch die Schüler nicht den gehörigen Werth darauf legen. In dieser Beziehung stehen

die Leistungen der preußischen Realschulen hinter denen der süd­ deutschen, namentlich der österreichischen, zurück, denn letztere, welche hinsichtlich ihrer sonstigen Leistungen auf weit niedrigerer

Stufe stehen, wirken hauptsächlich nur durch die tüchtigen Leistungen im Zeichnen fördernd auf die Industrie. Vor Jahren

hieß es: „Wer tüchtig lesen, schreiben und rechnen kann, kommt damit durch die ganze Welt," — und eine gute Handschrift hat

oft das Glück eines Mannes begründet. selbe vom Zeichnen sagen.

Jetzt kann man das­

Die Realschulen dürfen hierin nicht

zurückbleiben und eine tüchtige Ausbildung darin den technischen

Anstalten allein überlassen.

Das Französische ist in dem Lehrplane mit 5 wöchent­

lichen Stunden in Quinta unb Quarta, mit 4 in jeder der drei oberen Klassen, — das Englische mit 4 Stunden in Tertia,

mit je drei Stunden in Secunda und Prima bedacht. Soll den Anforderungen des Reglements: „grammatische und lexiealische

Sicherheit des Verständnisses, entsprechende Fertigkeit im Uebersetzen ausgewählter Stellen aus prosaischen und poetischen Wer­

ken der klassischen Periode', — Fähigkeit, über ein leichtes Thema einen Aufsatz zu schreiben und ein Dictat aus dem Deut2* .

20 schen ohne grobe Germanismen und erhebliche Verstöße gegen

die Grammatik zu übersetzen, genügt werden, so müssen dem

Französischen in Quinta und Quarta 6 Stunden, dem Eng­ lischen in jeder der drei oberen Klassen 4 Stunden wöchentlich

zugetheilt werden.

Und auch dann kann das Geforderte nur

erreicht werden, wenn die Bedingung der Vermeidung grober

Germanismen und erheblicher Verstöße gegen die Grammatik

in der nachsichtigsten Weise, namentlich bei den Clausur-Arbei­ ten aufgefaßt wird, und dieselbe nachsichtige Beurtheilungsweise

sich auf die Fertigkeit im mündlichen Gebrauche der französischen und englischen Sprache erstreckt.

Denn eine erhebliche Fertig­

keit im Sprechen wird die Realschule nur da erzielen, wo sie

voln Elternhause unterstützt wird, weßhalb auch die Realschulen

in der Rheinprovinz hierin bedeutendere Resultate erzielen, als die der östlichen Provinzen.

Tie Schule darf aber auch auf

die Leistungen ihrer Schüler im Sprechen keinen zu großen

Werth legen, wenn sie nur annäherungsweise die übrigen Be­

dingungen erfüllt.

Es sind Beispiele genug vorhanden, daß

junge Engländer und Franzosen, welche deutsche Realschulen besuchten, in der grammatischen Richtigkeit der schriftlichen Ar­

beiten von den deutschen Schülern übertroffen wurden; ebenso

kann erwähnt werden, daß nicht wenige französische und eng­ lische Handlungshäuser Deutsche, und zwar ehemalige Real­

schüler, als Correspondenten in der englischen und französischen

Sprache angestellt haben.

3 ft ein, den norddeutschen Real­

schulen nicht abzusprechender, tüchtiger grammatischer Grund ge-

21

legt, so findet sich, wenn die Nothwendigkeit es fordert, die Ge­ läufigkeit im Sprechen der fremden Sprache in kurzer Zeit. Geographie und Geschichte sind in Sexta und Quinta

mit 3, in Quarta und Tertia mit 4, in Secunda und Prima mit

3 Stunden wöchentlich bedacht. In der Sexta kann der geschicht­

liche Unterricht füglich wegfallen, wenn bei 6 deutschen Lehrstun­ den die Lesestücke so gewählt werden, daß die dem Knabenalter

faßlichen Ereignisse und Biographien gelesen und mündlich und schriftlich von den Schülern nacherzählt werden.

Für den geo­

graphischen Unterricht sind in der Sexta 2 Stunden ausreichend.

Dagegen sind 3 Stunden für Geographie und Geschichte in Quinta unzureichend, denn für die Geographie, in welcher die in der Sexta begonnene Topik beendigt werden muß, sind eben­ sowohl 2 Stunden nothwendig, als für die Geschichte, in wel­ cher in dieser Klasse ein Ueberblick über die Hauptbegebenheiten

der alten, mittleren und neueren Zeit zu geben ist, 2 Lehrstun­ den erforderlich sind.

Einstündige Lectionen können keinen Er­

folg haben und sind daher lieber aus dem Lehrplan ganz wegzu­

lassen.

Aus diesem Grunde kann in Secunda und Prima der

geographische Unterricht ebenfalls nicht auf eine Stunde be­ schränkt werden, weil in der Secunda neben der Repetition der

frühern Curse (Sexta und Quinta Topik, Quarta* unb Tertia politische Geographie) die physikalische und das Wichtigste aus

der Handelsgeographie gelehrt werden muß und dieser Unterricht hier zugleich Gelegenheit bieten kann, das' in der Botanik und

Zoologie in den früheren Klassen Gelernte zu wiederholen und

22 zu erweitern. In Prima müssen ebenfalls neben zwei Geschichts­

stunden 2 Stunden für die mathematische Geographie und die Elemente der Astronomie verwendet werden, die hier, soweit es

die Kenntnisse der Schüler zulassen, mit mathematischer Be­ gründung gelehrt werden müssen.

Hierbei muß den Schülern

Gelegenheit gegeben werden, den Gebrauch der nothwendigsten

Instrumente kennen zu lernen. In den Naturwissenschaften (Botanik, Zoologie, Mi­

neralogie, Physik, Chemie) sind von Sexta bis Tertia je 2 Stunden, in Secunda und Prima je 6 Stunden angesetzt.

Allein da nach §. 4, Absatz 2 des ersten Abschnitts, des Regle­

ments die Klassen Sexta bis Tertia einschließlich zugleich der Aufgabe genügen sollen, welche eine Mittelschule zu erfüllen hat,

also die Tertia den vielen Schülern, „welche erfahrungsmäßig

aus dieser Klasse abgehen, um in einen praktischen Lebensberuf einzutreten, so viel es möglich ist, einen Abschluß der Bildung geben soll", so müssen in Tertia wenigstens zwei Stunden für einen elementaren Cursus der Physik verwendet werden.

Denn

das Reglement verlangt von dem abgehenden Tertianer in der

Naturkunde: „Kenntniß der wichtigeren am Ort und in der Umgegend vorkommenden Naturproducte, so wie der in den Gesichtskreis des Schülers fallenden Naturerscheinungen und ihrer Gründe,

verbunden mit einer durch vielfache Uebung erworbenen Geschick­

lichkeit im Beobachten, sowie im mündlichen und schriftlichen

Referiren über das Beobachtete."

23

Werden daher in Sexta, Quinta und Quarta je 2 wöchent­ liche Lehrstunden, im Sommer für Botanik, im Winter für

Zoologie verwendet (die Mineralogie kann nur, mit dem Unter­ richt in der Chemie verbunden, in der Prima gelehrt werden),

so kann der Unterricht in der Naturbeschreibung unmöglich schon in der Tertia ausfallen, und es müssen in dieser Klasse noth­ wendig 4 Stunden für Naturwissenschaften, nämlich 2 für Phy­ sik und 2 für Naturbeschreibung angesetzt werden.

Dagegen

können in Secunda und Erima statt 6 Stunden 5 (2 Physik,

3 Chemie) ausreichen, wenn die Arbeiten der Schüler im chemi­ schen Laboratorium außerhalb der Zeit der Lehrstunden fallen.

Zweckwidrig halten wir die Anfertigung schriftlicher Arbei­

ten über Physik und Chemie in der Abiturientenprüfung, beson­ ders in der Ausdehnung, welche das Reglement fordert.

In

fünf Stunden soll mit Einschluß der Reinschrift die Lösung 1) einer Aufgabe aus der angewandten Mathematik (Statik

oder Mechanik), 2) einer physikalischen Aufgabe (Optik oder Wärmelehre), 3) eine Aufgabe aus der Chemie bewirkt werden. „Letztere", wird bemerkt, „darf nicht zu einer Relation über

einen Abschnitt des Systems veranlassen, sondern ist so zu wäh­ len, daß sie Gelegenheit giebt, Kenntnisse aus verschiedenen

Theilen der Chemie und Sicherheit in stöchiometrischen Rech­ nungen zu zeigen." Jeder praktische Schulmann wird uns beistimmen, daß ein

Schüler unmöglich in 5 Stunden drei ganz verschiedenartige

24 Aufgaben von mir einiger Erheblichkeit lösen kann, es sei denn,

daß der Lehrer im Unterrichte die betreffenden Abschnitte so ein­ geübt habe, daß die Auflösungen ohne Nachdenken aus dem Ge­

dächtnisse niedergeschrieben werden können.

Die schriftlichen

Prüfungsarbeiten in den Naturwissenschaften können

füglich

ganz wegfallen oder sind höchstens auf die Lösung einer Aufgabe zu beschränken, da die mündliche Prüfung Gelegenheit genug

giebt, die Kenntnisse der Schüler kennen zu lernen.

Sollen

schriftliche Arbeiten bei den Abiturientenprüfungen angefertigt werden, so müssen von den Schülern auch regelmäßig schrift­ physikalische und

liche

chemische Arbeiten

geliefert werden,

was bei den gesteigerten Forderungen in allen Fächern zur Ueberbürdung wird.

Derjenige Lehrer der Naturwissenschaften

wird sich das größte Verdienst um seine Schüler erwerben, welcher sich bemüht, die Elemente der Naturwissenschaften, denn

von diesen kann immer nur die Rede sein, zum bleibenden geisti­

gen Eigenthum seiner Schüler zu machen und ihnen Liebe für diese Wissenschaft und Lust zur Selbstthätigkeit einzuflößen.

Dies ist weit schwieriger, als die Schüler durch Examenkunst­

stücke glänzen zu lassen.

Für Mathematik und Rechnen sind in Sexta 5, Quinta 3, Quarta 6, Tertia 6, Secunda 5, Prima 5 Lehrstunden an­

gesetzt.

Da der Unterricht in der eigentlichen Mathematik, d. h.

in der Geometrie und Arithmetik, bei Kindern unter 12 Jahren

nutzlos ist, folglich erst in der Quarta beginnen kann, so reichen in Sexta 4, in Quinta die 3 angesetzten Lehrstunden für das

25 praktische Rechnen aus; in den übrigen Klassen können die im

Reglement angegebenen Lehrstunden als genügend betrachtet

werden.

In den an die Abiturienten gestellten Anforderungen

würden wir statt der Elemente der beschreibenden Geometrie der

zur Begründung der mathematischen Geographie nothwendigen

sphärischen Trigonometrie den Vorzug geben.

Denn letztere

erfordert als ein Appendix der ebenen Trigonometrie nur geringen Zeitaufwand, während der Unterricht in der descriptiven Geome­

trie nur dann Nutzen hat, wenn er in einer größeren Stunden­ zahl gegeben werden kann.

Die descriptive Geometrie ist daher

füglich den technischen Lehranstalten zu überlassen.

Auch der

Lehrer der Mathematik kann das: „non multa, sed multum“ nicht genug beherzigen. Bei den schriftlichen Abiturientenarbeiten halten wir die

Auflösung von 4 mathematischen Aufgaben: a. aus dem Gebiete der Gleichungen zweiten Grades b. aus dem Gebiete der Planimetrie und der analytischen

Geometrie

c. aus der ebenen Trigonometrie

d. aus der Stereometrie oder den Kegelschnitten in einem Vormittage von fünf Stunden, einschließlich der

Reinschrift, für gang unzweckmäßig, da auch hier höchstens ganz

leichte Aufgaben oder Rechenexempel

gelöst werden können.

Eine geometrische und eine arithmetische Aufgabe, so gewählt, daß sie den Schülern Gelegenheit geben, ihre Kenntnisse in den

26 verschiedenen auf der Schule gelehrten Zweigen der Mathematik zu zeigen, würden unbedingt vorzuziehen sein.

Der Schreibunterrichl endlich ist in Sexta mit 3, in Quinta mit 2, in Quarta mit zwei Stunden bedacht. An einer

Realschule erscheinen uns in Sexta 4 Schreibstunden nothwen­ dig, und in den drei oberen Klassen kann nur dann der Schreib­ unterricht ganz ausfallen, wenn in allen Lectionen auf eine gute und correcte Handschrift gesehen und monatlich eine Stunde zur Anfertigung kalligraphischer Probeschriften unter Aufsicht des Schreiblehrers verwendet wird.

Stellen wir die von uns, unter Beibehaltung des Lateini­ schen als verbindlichen Lehrgegenstandes in den drei untern, als

alternirend mit dem Linearzeichenunterricht in den drei obern

Klassen nothwendig erachteten Abänderungen des Lehrplanes

zusammen, so wird derselbe sich folgendermaßen gestalten.

27 Lehrgegenstand

CI. VI V

1. Religion 2. Deutsche Sprache . 3. a) Latein b) Linearzeichnen für die vom La­ teinischen dispensirten Schüler 4. Französisch 5. Englisch 6. Geographie 7. Geschichte 8. Naturwissenschaft. a) Botanik und Zoologie b) Physik und Mechanik c) Chemie mit Mineralogie 9. Mathematik, a) praktisches Rechnen b) Arithmetik c) Geometrie 10. Schönschreiben 11. (Freihand-) Zeichnen f. alle Schüler

2 6 6

2 5 6

IV III II

2 4 4

2 3

2 3

2 3

A A A

— — — 13) UJ — 6 6 4 4 — — — 4 4 2 2 2 2 2 — 2 2 2 2 2 — — 4 — — 4 2

Sa.

13 J 4 4 2 2

12 24 25 9 24 12 12 10

2 2 2 — — 8 6 — — 2 2 2 6 — — — 3 3 3 2 2 — — 11 — 2 2 2 2 8 — 2 2 3 3 10 2 2 — — — 8 2 2 2 2 2 12

Zahl der wöchentlichen Lehrstunden 28 32 32 32 32 32

Für Realschulen, denen es gestattet würde, das Lateinische ganz aus ihrem Lehrplane auszuschließen, würde der Lehrplan folgender sein:

28

Lehrgegenftand

CI. VI V IV III II

Religion Deutsche Sprache Französische Sprache Englische Sprache Geographie Geschichte Naturwissenschaft. a) Botanik und Zoologie b) Physik c) Chemie 8. Mathematik a) praktisches Rechnen b) Arithmetik c) Geometrie 9 Schreiben 10. Zeichnen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7

2 2 6 6 4 4 — 2 2 — 2

2 4 4 4 2 2

2 4 4 4 2 2

2 3 4 4 2 2

I Sa. 2 12 3 26 4 24 4 16 2 12 2 10

2 2 2 — 8 — — 2 3 3 8 — — — 3 3 6 3 2 2 — — 11 — 2 2 2 2 8 — 2 2 3 3 10 3 2 — — — 8 4 4 4 4 4 22 Zahl der wöchentlichen Lehrstunden 26 28 32 | 32 | 32 32

2 — — 4 — — 4 2

Für die Realschulen solcher Städte, in welchen auch Gym­

nasien bestehen, würde der das Latein ausschließende Lehrplan

unbedingt den Vorzug verdienen. Denn er gewährt den großen Vortheil, daß die große Zahl der Lehrobjecte wenigstens um eins

vermindert wird, daß in Sexta und Quinta die 9- und lOjährigen Knaben statt 30 und 31 im Reglement angesetzter Lehr­ stunden nur 26 und 28 wöchentlich erhalten, daß die aus Tertia

unmittelbar zu einem bürgerlichen Berufe übergehenden Schüler

bereits einen umfassenden Unterricht in der deutschen, französi­ schen und englischen Sprache, namentlich aber auch im Zeichnen

erlangt haben.

Alle Schüler einer solchen Anstalt können beim

Wegfall der lateinischen Arbeiten ihren Fleiß mehr concentriren.

29

Ihre allgemeine Bildung wird hinter der der lateinischen-Real­ schulen nicht zurückstehen, wenn nur für den Unterricht in der

deutschen, französischen und englischen Sprache tüchtige Lehrer

vorhanden sind.

Dies beweisen die deutschen Arbeiten der

Abiturienten solcher Realschulen, welche das Latein bisher aus­ geschlossen oder von diesem Unterricht dispensirt haben.'

Aber auch nach diesen modificirten Lehrplänen wird es nur-

möglich sein, den im Abiturienten-Prüfungs-Reglement gestellten

Anforderungen zu genügen, wenn, wie das Reglement es auch andeutet, nicht auf die Quantität der im Gedächtniß aufge­

speicherten Kenntnisse, sondern auf die wahre geistige Entwickelung der Schüler gesehen wird.

Die Summa der Anforderungen,

welche an die Abiturienten der Realschulen erster Klaffe gestellt

werden, ist weit größer, als bei den Gymnasien, weßhalb nicht

genug vor einer übermäßigen Anstrengung, vor einer Ueberbürdung der Schüler gewarnt werden kann.

Man denke sich, daß

die Schüler der oberen Klassen außer den 32 wöchentlichen Lehrstunden zu Hause deutsche Ausarbeitungen,

lateinische,

französische, englische Scripta, mathematische und naturwiffen-

schaftliche Arbeiten anfertigen, sich zu jeder sprachlichen Lection präpariren, grammatische und lexicalische Pensa memoriren, für

die mathematischen, naturwissenschaftlichen, geographischen und geschichtlichen Stunden Repetitionen anstellen sollen, daß außer­ dem noch Gesang- und Turnunterricht, für manche Schüler auch

Musikunterricht, (das Baden im Sommer gar nicht gerechnet) Zeit hinwegnehmen, und man wird fragen: wie ist dies für

30 einen Jüngling von 14—18 Jahren ohne Gefährdung der körper­

lichen, und auch einer gesunden geistigen Entwickelung möglich? Während man für die Gymnasien, um eine gründliche klassische Bildung zu erzielen, die Anforderungen in der Mathematik, den

Naturwissenschaften u. s. w. reducirt hat, werden bei den Real­

schulen die Anforderungen bis zur Grenze des Unmöglichen ge­ steigert, als wenn Lorinser nur für die Schüler der Gymnasien

und nicht auch für die der Realschulen gekämpft hätte.

Man

wird aber auch erkennen, daß ein Realschuldirector sehr viel

Umsicht und Erfahrung haben muß, um zu verhindern, daß seine Schule für die ihr anvertraute Jugend eine Quälanstalt

werde. .Der Director hat den Eifer seiner Lehrer zu zügeln, von denen ein Jeder die Schüler in seinem Fache glänzen lassen will;

er muß dies selbst auf die Gefahr hin thun, daß bei den Prü­

fungen und Revisionen nicht überall den Anforderungen genügt

werde.

Er muß mit aller Macht dahin wirken, daß der größere

Theil des Lernstoffes während des Unterrichts selbst erlernt und

nicht dem häuslichen Fleiße allein überlassen werde. -Noch größer werden aber die Schwierigkeiten, wenn nicht alle Lehrer der

Anstalt diese Ueberzeugung gewinnen, wenn nicht alle Lehrer

befähigt sind, in der jedem Lehrgegenstande knapp zugemessenen Zeit das Erforderliche zu leisten.

Denn leider hat der preußi­

sche Staat bisher nur wenig sirr die Ausbildung der Lehrer an Realschulen gethan.

Lehrer der Mathematik und Naturwissen­

schaften können wohl auf unseren Universitäten gebildet werden,

obwohl auch hier noch Manches zu wünschen übrig bleibt; Lehrer

31 der neueren Sprachen aber nicht.

Hierzu wäre es erforderlich,

daß an jeder Universität eine Professur für französische, eine

andere für englische Sprache und Literatur gegründet würde, wie auf den französischen Universitäten solche für deutsche Sprache

und Literatur bestehen und mit deutschen Gelehrten besetzt sind. Ferner müßten, wie dies bereits für junge Künstler geschehen,

für die Ausbildung der Sprachlehrer Reisestipendien gegründet

werden, damit sie durch einen längeren Aufenthalt in England

und Frankreich die richtige Aussprache und die Fertigkeit im Sprechen erlangen können.

Vor Allem aber ist die Gründung

eines Seminares für Zeichenlehrer nothwendig, damit die Real­ schulen in Zukunft Lehrer dieses Faches erhalten, welche hinsicht­

lich ihrer Bildung (ebenso aber auch in ihrer Besoldung) den übrigen Lehrern gleich stehen.

Nur in Berlin, wo die Kunst-

und Bauakademie, das Gewerbeinstitut und die Universität mit ihren Kräften zu deren Ausbildung sich vereinigen können, ist

die Gründung eines solchen Seminares ohne bedeutenden Kosten­

aufwand möglich.

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Aus unserm früheren Verlage kann durch alle Buchhandlungen bezogen werden:

Rönne, Ludw. von, Das Unterrichts-Wesen des Preußischen Staates; eine systematisch geordnete Sammlung aller auf dasselbe Bezug haben­ den gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der in der Gesetzsamm­ lung für die Preußischen Staaten, in den v. Kamptz'schen Annalen für die innere Staatsverwaltung, in den v. Kamptz'schen Jahrbüchern für die Preußische Gesetzgebung, Nechtswissenschaft und Rechtsver­ waltung, und in deren Fortsetzungen durch die Ministerial-Blätter, sowie in anderen Quellen-Sammlungen enthaltenen Verordnungen und Nescripte, in ihrem organischen Zusammenhänge mit der früheren Gesetzgebung, dargestellt unter Benutzung der im Justiz-Ministerium ausgearbeiteten „revidirten Entwürfe der Provinzialrechte." I.Band: Allgemeiner Theil. Privat-Unterricht. Volksschulwesen. II. Band: Höhere Schulen. Universitäten. Sonstige Kultur-Anstalten. lOSBogen. gr. 8. Broch. Herabgesetzter Preis für beide Bände zusammen Rthlr. 4.

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