Behandlungspflege 2020/21 9783748603054

Wer hat wann Anspruch auf Behandlungspflege? Nur wer die Rechtslage kennt, kann Ansprüche durchsetzen. Welche das sind,

130 89 12MB

German Pages 304 [305] Year 2020

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Behandlungspflege 2020/21
 9783748603054

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Ronald Richter

Behandlungspflege 2020 / 21 Kommentar und 61 Praxisfälle zu § 37 SGB V und den Richtlinien zur Verordnung Häuslicher Krankenpflege

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2020 Besuchen Sie uns im Internet: www.haeusliche-pflege.net Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Druck: QUBUS media GmbH, Hannover Foto Titelseite: Adobe Stock, AllebaziB Satz: Heidrun Herschel, Wunstorf

Ronald Richter

Behandlungspflege 2020 / 21 Kommentar und 61 Praxisfälle zu § 37 SGB V und den Richtlinien zur Verordnung Häuslicher Krankenpflege

Inhalt Vorwort10 Vorwort zur 5. Auflage 12 Kapitel 1:

Kapitel 2:

Inhalt

Kapitel 3:

4

Zum Umgang mit dem gesetzlichen Anspruch – Der Mythos der Wirtschaftlichkeit 1.1 Der gesetzliche Anspruch 1.2 Grundstruktur: Die Rechtsnormen-Pyramide 1.3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot Die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege 2.1 Der gesetzliche Anspruch 2.2 Die Arbeit mit diesem Buch 2.3 Arbeitserleichterung: Die häufigsten Ablehnungsgründe der Krankenkassen und die rechtliche Bewertung

13 14 18 21 25 25 29

30

Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist 33 3.1 Wird immer eine ärztliche Verordnung benötigt, um häusliche Krankenpflege abrechnen zu können? 35 3.2 Muss eine ärztliche Verordnung genehmigt werden? – Der Genehmigungsvorbehalt 38 3.3 Muss die Genehmigung der Krankenkasse innerhalb einer bestimmten Frist vorliegen oder gibt es eine Genehmigungsfiktion?44 3.4 Was tun, wenn die Genehmigung versagt wird? – Kann der Pflegedienst die erbrachten Leistungen abrechnen?48 3.5 Muss die 3-Tages-Vorlagefrist bei jeder neuen Verordnung eingehalten werden? 60 3.6 Die sog. vereinfachte Beantragung – was ist zu beachten? 63 3.7 Darf ein Pflegedienst mit einem Versorgungsvertrag im Bundesland A auch die Versorgung von Versicherten einer „ortsfremden AOK“ in seinem Einzugsgebiet übernehmen? Gilt die Zulassung für die häusliche Krankenpflege bundesweit und für alle Kassen? 65 3.8 Steht dem Pflegedienst ein Zinsanspruch zu, wenn die Krankenkassen nicht pünktlich zahlen? – Wenn ja, in welcher Höhe? 68

Was ist Behandlungspflege? 71 4.1 Wie wird der Pflegebegriff unterteilt? 72 4.2 Was sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen? 79 4.3 Welche Ansprüche der häuslichen Krankenpflege werden unterschieden? 84 4.4 Welche Voraussetzungen hat der Anspruch der Krankenhausvermeidungspflege?86 4.5 Wann ist Krankenhausbehandlung eigentlich geboten, aber nicht ausführbar? 88 4.6 Wann liegt eine Krankenhausvermeidungspflege vor? 89 4.7 Welchen Inhalt hat der Anspruch auf Krankenhaus­ vermeidungspflege nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V? 92 4.8 Welche Voraussetzungen bestehen bei der Sicherungspflege des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V? 95 4.9 Welche Voraussetzungen müssen für den Anspruch auf „Unterstützungspflege“ des § 37 Abs. 1a Satz 1 SGB V vorliegen?96 4.10 Für welche Dauer kann die Leistung der Unterstützungspflege verordnet werden? 100 4.11 Unterstützungspflege – Wann muss der Pflegegrad feststehen?103 4.12 Welche Voraussetzungen bestehen bei der Kurzzeitpflege des § 39c SGB V? 106 4.13 Die Ansprüche auf häusliche Krankenpflege im Überblick 109

Kapitel 5:

WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 113 5.1 Wo darf Behandlungspflege erbracht werden? – Gibt es einen Leistungsort? 113 5.2 Behandlungspflege in Wohngemeinschaften 117 5.3 Muss eine WfbM Pflegepersonal für die Behandlungspflege vorhalten? 119 5.4 Ist Behandlungspflege in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe möglich? 120 5.5 Ist einfache (einfachste) Behandlungspflege immer von stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe zu erbringen? 126 5.6 Ist einfache (einfachste) Behandlungspflege immer von Präsenzkräften in einer Wohngemeinschaft zu erbringen? 128

Behandlungspflege

Kapitel 4:

5

5.7 Ist die Behandlungspflege im Rahmen der für die Eingliederungshilfe bewilligten Fachleistungsstunden zu erbringen? 133 5.8 Ist Behandlungspflege auch in vollstationären Pflegeeinrichtungen möglich? 134 5.9 Ist die Behandlungspflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen möglich?136 5.10 Ist Behandlungspflege in Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege zu Lasten der Krankenkasse möglich? 138 5.11 Haben Wohnungslose einen Anspruch auf „häusliche“ Behandlungspflege? 139

Inhalt

Kapitel 6:

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Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie 6.1 Darf die HKP-Richtlinie den gesetzlichen Anspruch einschränken? – Gibt es eine „reine“ (allgemeine) Krankenbeobachtung? 6.2 Ist das Leistungsverzeichnis der HKP-Richtlinie abschließend?- Können Pflegedienste gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss klagen? 6.3 Wer darf verordnen? – Ist eine Verordnung häuslicher Krankenpflege durch einen Krankenhausarzt („das Krankenhaus“) möglich? 6.4 Wie hat die Verordnung zu erfolgen? 6.5 Hat die Verordnung eine festgelegte Dauer? – Muss es immer das Quartal sein? Darf die Erst-Verordnung 14 Tage überschreiten? 6.6 Darf die Krankenkasse eine ärztliche Verordnung befristen (also teilweise genehmigen und teilweise ablehnen)? 6.7 Gilt eine generelle Befristung der Ansprüche auf häusliche Krankenpflege auf 4 Wochen? 6.8 Müssen die Krankenunterlagen (Wund-, RRund andere Protokolle) nach Aufforderung an die Krankenkassen herausgegeben werden? – Das Ende des sog. „Umschlagsverfahren“! 6.9 Kann der Pflegedienst einen Aufwendungsersatz für die Übersendung von Kopien der Pflegedokumentation an den MDK verlangen? 6.10 Sind Änderung und rückwirkende Verordnung durch den Vertragsarzt zulässig?

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6.11 Hat die Krankenkasse ein Ermessen für die Genehmigung der ärztlich verordneten Behandlungspflege? 169 6.12 Hat der Pflegedienst eine Beratungspflicht gegenüber seinem versicherten Kunden zum Inhalt der ärztlichen Verordnungen? 170 6.13 Muss der ambulante Pflegedienst das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen der verordneten häuslichen Krankenpflege prüfen? 172 6.14 Wann verjähren Rückforderungsansprüche der Krankenkassen?174 Sind Angehörige oder Nachbarn zur Übernahme der häuslichen Krankenpflege verpflichtet? 7.1 Kann die Krankenkasse die Nachbarin zur häuslichen Krankenpflege verpflichten? 7.2 Muss die gewerblich tätige Haushaltshilfe die häusliche Krankenpflege mit erledigen?

177 177 182

Kapitel 8:

AUßERKLINISCHE AMBULANTE INTENSIVPFLEGE spezial 187 8.1  Intensivpflege – Was ist „reine“ Grundpflege? – Gelten zur Abgrenzung der Grund- und Behandlungspflege die „Drachenflieger“-Urteile I und II immer noch? 187 8.2 Ist für die Erbringung der außerklinischen ambulanten Intensivpflege eine Ergänzungsvereinbarung notwendig? 194 8.3 Ist eine 24-Stunden-Intensivpflege in einem angemieteten Zimmer einer Seniorenresidenz möglich?201 8.4 Ist die allgemeine Krankenbeobachtung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege verordnungsfähig? 203 8.5 Wer hat den Sicherstellungsauftrag für die intensive Behandlungspflege? 204 8.6 Ist dem Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten auf einen bestimmten Pflegedienst immer zu folgen? 206

Kapitel 9:

PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial 209 9.1 Welche Besonderheiten hat die psychiatrische häusliche Krankenpflege? 209 9.2 Muss eine ausreichende Behandlungsfähigkeit vorliegen?211 9.3 Erarbeitung der Pflegeakzeptanz 213 9.4 Wer darf APP verordnen? 215 9.5 Der Behandlungsplan 217 9.6 Bei welchen Diagnosen kann APP verordnet werden? 220

Behandlungspflege

Kapitel 7:

7

Inhalt

9.7 Vorzeitige Leistungsbeendigung 9.8 Die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung 9.9 Abgrenzung zur Soziotherapie 9.10 Gibt es einen allgemeinen Anspruch auf eine ambulante Palliativversorgung neben der „speziellen ambulanten Palliativversorgung (SAPV)“?

224 225 226

227

Kapitel 10: Die Anlage der HKP-Richtlinie 231 10.1 Muss der Pflegedienst die Prophylaxen – ohne entsprechende Verordnung und Bezahlung – leisten?232 10.2 Ist das An- und Ablegen des Gilchristverbandes häusliche Krankenpflege? 234 10.3 Ist das ärztlich verordnete An- und Ablegen eines Stützkorsetts von der Krankenkasse zu leisten? 236 10.4 Gehört der Verbandwechsel bei einem suprapubischen Katheter zur Behandlungspflege? 238 10.5 Wo werden chronische und schwer heilende Wunden therapiert? – Die neuen Regelungen zur Wundversorgung 239 10.6 Die „never ending“ story: Kompressionsstrümpfe und Behandlungspflege – Ab Kompressionsklasse I! 244 10.7 Kann Behandlungspflege zur Verabreichung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente verordnet werden? 248 10.8 Gehören die Kosten der notwendigen Begleitung eines Schulkindes zur häuslichen Krankenpflege oder zur Eingliederungshilfe? 249 10.9 Zur Abgrenzung der Hilfe bei der Inhalation von der Medikamentengabe 250 10.10 Zur Abgrenzung der Medikamentengabe vom Stellen der Medikamente 251 10.11 Zur dauerhaften Blutzuckermessung 254 Kapitel 11:

Die Zuzahlung des Versicherten

255

Kapitel 12: Private Krankenversicherung 259 12.1 Gelten die Voraussetzungen des § 37 SGB V auch in der privaten Krankenversicherung? 259 12.2 Gelten die personellen Voraussetzungen auch für Leistungen in der privaten Krankenversicherung? 261 Richtlinie 

8

265 Verzeichnis  277 Sachverzeichnis297 Der Autor 303

§Seite

§Seite

§ 1 § 1 Abs. 1 § 1 Abs. 2  § 1 Abs. 3  § 1 Abs. 4  § 1 Abs. 5  § 1 Abs. 6 § 1 Abs. 7 

§ 4 § 4 Abs. 1  § 4 Abs. 2  § 4 Abs. 3  § 4 Abs. 4  § 4 Abs. 5  § 4 Abs. 6  § 4 Abs. 7  § 4 Abs. 8  § 4 Abs. 9  § 4 Abs. 10  § 4 Abs. 11  § 4 Abs. 12  § 4 Abs. 13  § 4 Abs. 14 

209 211 211 213 212 215 217 220 221 223 224 224 226 226

§ 5 § 5 Abs. 1 § 5 Abs. 2 § 5 Abs. 3

155 156 160

§ 2 § 2 Abs. 1  § 2 Abs. 2  § 2 Abs. 3  § 2a  § 2a Abs. 1  § 2a Abs. 2  § 2b  § 2c  § 3 § 3 Abs. 1 § 3 Abs. 2 § 3 Abs. 3  § 3 Abs. 4  § 3 Abs. 5  § 3 Abs. 6  § 3 Abs. 7  § 3 Abs. 8 

228 116, 139 – 142 – 121, 139, 225 135, 137

37 37 84 87 89 94 95 96

153 152 183 147, 169 150, 168 _ 148 110

§ 6 § 6 Abs. 1  § 6 Abs. 2  § 6 Abs. 3 § 6 Abs. 4  § 6 Abs. 5  § 6 Abs. 6 

39, 49 40, 43 – – – 47, 49, 50, 51, 61

§ 7 § 7 Abs. 1 § 7 Abs. 2  § 7 Abs. 3  § 7 Abs. 4  § 7 Abs. 5 

171 153 153 171 112, 149, 150

Behandlungspflege

Regelungen der HKP-Richtlinie in Praxisfällen erläutert

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Vorwort Die Behandlungspflege und die Angebote der Pflegedienste befinden sich auf dem Weg der Spezialisierung. Neue personelle Anforderungen für bestimmte Angebote, der Durchbruch neuer Wohnformen, Diskussionen um einen individuellen Anspruch auf außerklinische häusliche Krankenpflege in der eigenen Häuslichkeit und Ablehnungs- und Befristungswellen einzelner Krankenkassen prägen das Bild.

Vorwort

Im Januar 2019 starteten Vincentz Network und RICHTERRECHTSANWÄLTE das gemeinsame Servicemodul „hp-widerspruch.de“. Das Servicemodul „hp-widerspruch.de“ soll bei Ablehnungen und Teil-Genehmigung der Verordnungen häuslicher Krankenpflege für die Versicherten, die beteiligten Sozialstationen und ambulanten Pflegedienste schnell Rechtssicherheit herstellen, ob die Ablehnung oder Teilgenehmigung rechtmäßig ist oder nicht. Dazu wird, nachdem die ärztliche Verordnung und das Ablehnungs- oder Teilbefristungsschreiben der Krankenkasse übersandt wurde sowie eine Vollmacht des Versicherten, geprüft, ob ein Widerspruch Aussicht auf Erfolg hat. Diese Prüfung ist kostenlos.

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Insgesamt wurden 2019 434 Widerspruchsverfahren geführt, von denen noch 88 in der Bearbeitung sind. 270 Widersprüche waren erfolgreich. 76 Widersprüche erledigten sich entweder durch einen Widerspruchsbescheid, die Rücknahme oder Erledigung des Widerspruchs, da der Versicherte verstarb oder die Angehörigen das Verfahren aus anderen Gründen nicht fortbetreiben wollten. Darüber hinaus führten weitere gut 100 Anfragen dazu, dass kein Widerspruch erhoben wurde, meist weil die Widerspruchsfrist von einem Monat längst abgelaufen war oder der behandelnde Arzt nach Befragung von seiner Verordnung Abstand nahm. Damit hat sich die Vermutung bestätigt, dass der Großteil der Ablehnungen und Teilbefristungen rechtswidrig ist. Wie im Rahmen des Servicemoduls festgestellt werden konnte, waren vier von fünf Ablehnungen rechtswidrig und wurden im Widerspruchsverfahren von den Krankenkassen selbst korrigiert. Von den 88 offenen Fällen sind inzwischen 24 an den zuständigen Sozialgerichten anhängig. In den letzten 12 Monaten rügten im Rahmen des Servicemoduls die Sozialgerichte in 26 Fällen eine Untätigkeit der Krankenkassen. Auffällig viele Widerspruchsverfahren wurden gegen die AOK Bayern geführt, insbesondere in Hinblick auf die Ablehnung der sogenannten einfachen Behandlungspflege in den Wohngemeinschaften sowie augenscheinlich einem internen Problem in der Direktion Augsburg. Bei einer anderen Krankenkasse konnte festgestellt werden, dass auf den Widerspruch stets binnen weniger Tage der Abhilfebescheid, also die Aufhebung der Ablehnung übermittelt wurde. Wie es aussieht, wurde die Ablehnung vermutlich ohne jede inhaltliche Begründung vorgenommen.

Die Feststellungen innerhalb des Servicemoduls haben Konsequenzen. Das Bundessozialgericht wird im Sommer 2020 über die anhängigen Revisionen der AOK Bayern hinsichtlich der einfachen Behandlungspflege in den Wohngemeinschaften entscheiden. Nachdem bereits die zuständigen Sozialgerichte und das LSG Bayern für die Versicherten entschieden haben, ist kaum denkbar, dass die Versicherten beim 3. Senat des BSG nicht durchdringen sollten. In Augsburg laufen Gespräche der beteiligten Sozialstationen und ambulanten Pflegedienste mit dem zuständigen Direktor, um die Zusammenarbeit in Fällen der ärztlich verordneten Krankenpflegeleistungen zu verbessern und Widerspruchsverfahren zu vermeiden. Schließlich wurde gegen die Krankenkasse, die augenscheinlich keine Argumente für die Ablehnung hatte, Ablehnung aber gleichwohl verschickte, das zuständige Sozialministerium als Aufsichtsbehörde eingeschaltet.

Neu sind folgende Kapitel: –– Die sog. vereinfachte Beantragung – Was ist zu beachten? (Kap. 3.6) –– Unterstützungspflege – Wann muss der Pflegegrad feststehen? (Kap. 4.11) –– Ist einfache Behandlungspflege immer von Präsenzkräften in einer WG zu erbringen? (Kap. 5.6) –– Ist die Behandlungspflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen möglich? (Kap. 5.9) –– Wer darf verordnen? – Ist eine Verordnung durch das Krankenhaus möglich? (Kap. 6.3) –– Hat die Krankenkasse ein Ermessen für die Genehmigung der ärztlich verordneten Behandlungspflege (Kap. 6.11) –– Ist für die Erbringung der außerklinischen ambulanten Intensivpflege eine Ergänzungsvereinbarung notwendig? (Kap. 8.2) –– Wer hat den Sicherstellungsauftrag für die Intensivpflege? (Kap. 8.5) –– Ist dem Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten auf einen bestimmten Pflegedienst immer zu folgen? (Kap. 8.6) –– Die neuen Regelungen für die psychiatrische häusliche Krankenpflege (Kap. 9.1 – 9.8) –– Die neuen Regelungen zur Wundversorgung (Kap. 10.5) –– Zur dauerhaften Blutzuckermessung (Kap. 10.11)

Behandlungspflege

Das Buch wurde insgesamt überarbeitet, alle Änderungen der HKP-Richtlinie, alle klarstellenden Urteile und der neue Bundes-Rahmenvertrag gem. 132a Abs. 1 SGB V wurden eingefügt; teilweise – um den Umfang in Grenzen zu halten – wurde inzwischen unstreitiges gestrichen. Für alle Ansprüche wurden ausführliche Prüfungsschemata entworfen, die eine Prüfung der konkreten Ansprüche erleichtern sollen. Dem Trend zur Spezialisierung folgend wurden folgende inhaltliche Schwerpunkte gebildet: –– Behandlungspflege in der Wohngemeinschaft (Kap. 5) –– Außerklinische ambulante Intensivpflege (Kap. 8) –– Psychiatrische häusliche Krankenpflege (Kap. 9)

11

Gesetzestext, Literatur und Rechtsprechung sind auf dem Stand vom 1.1.2020. Ich freue mich über Ihre Anregungen, Hinweise und möglicherweise neue Problemlagen. Sie erreichen mich unter RICHTERRECHTSANWÄLTE [email protected]

Hamburg, im Januar 2020 Ronald Richter

Vorwort

Vorwort zur 5. Auflage

12

Die Behandlungspflege kommt nicht zur Ruhe. § 37 SGB V wurde zwischenzeitlich vom Bundesgesetzgeber weiter konkretisiert und dabei sowohl die Unterstützungspflege (der neue Abs. 1a) und die Palliativversorgung (der neue Abs. 2a) eingefügt. Im April 2018 hat der Gemeinsame Bundesausschuss die HKP-Richtlinie weitgehend neu gefasst und dabei nicht nur die Dreiteilung der Ansprüche in Krankenhausvermeidungs-, Sicherungs- und Unterstützungspflege vorgenommen, sondern auch das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe ab Klasse I der Behandlungspflege zugeordnet. Dazu gibt es viele neue bedeutende Urteile hinsichtlich des Anlegens des Gilchristverbandes sowie der Orthesen, zur Behandlungspflege in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und vieles mehr. Anlass für uns, das Buch in der fünften Auflage komplett neu zu schreiben. Mit vielen Checklisten, vor allem aber mit konkret abgedruckten Ablehnungsschreiben der Krankenkassen soll die Bearbeitung der Verordnungen häuslicher Krankenpflege erleichtert werden. Der Umfang ist auf 60 Fälle erweitert, um weiter Orientierung und Rechtssicherheit zu geben. Sollte dies alles nicht helfen, so ist das Widerspruchsverfahren zu betreiben. Um dies rechtssicher und ressourcenschonend führen zu können, arbeiten die HÄUSLICHE PFLEGE und RICHTERRECHTSANWÄLTE Hand in Hand. Mit www.hpwiderspruch.de wollen wir ein Modul schaffen, das den betroffenen Versicherten, aber auch den ambulanten Pflegediensten hilfreich zur Seite steht. An diesem Buch hat wieder das bewährte Team zusammengearbeitet. Frau Sabrina Schmidt war für die Einarbeitung der Änderungen zuständig, die Textkontrolle hat meine Frau, Inka Richter, übernommen. Beiden danke ich sehr herzlich. Ebenso danke ich für die vielen Anregungen, die mich erreichten, besonders förderlich waren die gemeinsamen Veranstaltungen und die vielen Gespräche mit Andreas Heiber. Auch ihm danke ich sehr herzlich für die kollegiale Unterstützung. Gesetzestext, Literatur und Rechtsprechung sind auf dem Stand vom 30.04.2018. Ich freue mich über Ihre Anregungen, Hinweise und möglicherweise neue Problemlagen. Sie erreichen mich unter RICHTERRECHTSANWÄLTE [email protected]

Hamburg, im Juli 2018 Ronald Richter

Gesetzestext, Literatur und Rechtsprechung sind auf dem Stand vom 1.1.2020. Ich freue mich über Ihre Anregungen, Hinweise und möglicherweise neue Problemlagen. Sie erreichen mich unter RICHTERRECHTSANWÄLTE [email protected]

Hamburg, im Januar 2020 Ronald Richter

Vorwort

Vorwort zur 5. Auflage

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Die Behandlungspflege kommt nicht zur Ruhe. § 37 SGB V wurde zwischenzeitlich vom Bundesgesetzgeber weiter konkretisiert und dabei sowohl die Unterstützungspflege (der neue Abs. 1a) und die Palliativversorgung (der neue Abs. 2a) eingefügt. Im April 2018 hat der Gemeinsame Bundesausschuss die HKP-Richtlinie weitgehend neu gefasst und dabei nicht nur die Dreiteilung der Ansprüche in Krankenhausvermeidungs-, Sicherungs- und Unterstützungspflege vorgenommen, sondern auch das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe ab Klasse I der Behandlungspflege zugeordnet. Dazu gibt es viele neue bedeutende Urteile hinsichtlich des Anlegens des Gilchristverbandes sowie der Orthesen, zur Behandlungspflege in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und vieles mehr. Anlass für uns, das Buch in der fünften Auflage komplett neu zu schreiben. Mit vielen Checklisten, vor allem aber mit konkret abgedruckten Ablehnungsschreiben der Krankenkassen soll die Bearbeitung der Verordnungen häuslicher Krankenpflege erleichtert werden. Der Umfang ist auf 60 Fälle erweitert, um weiter Orientierung und Rechtssicherheit zu geben. Sollte dies alles nicht helfen, so ist das Widerspruchsverfahren zu betreiben. Um dies rechtssicher und ressourcenschonend führen zu können, arbeiten die HÄUSLICHE PFLEGE und RICHTERRECHTSANWÄLTE Hand in Hand. Mit www.hpwiderspruch.de wollen wir ein Modul schaffen, das den betroffenen Versicherten, aber auch den ambulanten Pflegediensten hilfreich zur Seite steht. An diesem Buch hat wieder das bewährte Team zusammengearbeitet. Frau Sabrina Schmidt war für die Einarbeitung der Änderungen zuständig, die Textkontrolle hat meine Frau, Inka Richter, übernommen. Beiden danke ich sehr herzlich. Ebenso danke ich für die vielen Anregungen, die mich erreichten, besonders förderlich waren die gemeinsamen Veranstaltungen und die vielen Gespräche mit Andreas Heiber. Auch ihm danke ich sehr herzlich für die kollegiale Unterstützung. Gesetzestext, Literatur und Rechtsprechung sind auf dem Stand vom 30.04.2018. Ich freue mich über Ihre Anregungen, Hinweise und möglicherweise neue Problemlagen. Sie erreichen mich unter RICHTERRECHTSANWÄLTE [email protected]

Hamburg, im Juli 2018 Ronald Richter

Kapitel 1:  Zum Umgang mit dem gesetzlichen Anspruch – Der Mythos der Wirtschaftlichkeit  INFO

Der Gesetzgeber hat den gesetzlichen Anspruch auf Häusliche Krankenpflege zwischenzeitlich in 9 Absätzen des § 37 SGB V [beziehen Sie die Absätze 1a und 2a mit ein!] geregelt, wobei im engeren Sinn noch § 39c SGB V hinzugezählt werden müsste. Die Anwendung scheint daher allein aufgrund der Masse an gesetzlichen Informationen und Regelungen vordergründig undurchschaubar, zumindest aber schwierig. Derart komplexe1 Systeme sind – will man sich dahinter nicht mit einem Aufstöhnen über die ausufernde Bürokratie verstecken – nicht gewollt. Die eigentliche Management-Aufgabe besteht darin, die bestehenden, klaren Grundsätze anzuwenden, die hinter jeder gesetzlichen Struktur liegenden Muster zu erkennen oder schlicht die Prüfung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu vereinfachen. Die tägliche Arbeit wird dadurch weiter erschwert, dass neben die gesetzlichen Normen weitere Regelungen, beispielsweise die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, Gemeinsame Rundschreiben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, Aussagen von Gutachterinnen und Gutachtern des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) und vieles mehr hinzutreten. Dazu kommt die Rechtsprechung der Instanzengerichte und des Bundessozialgerichts in Auslegungsfragen, die Konkretisierungen und Antworten liefern soll und dabei so manches Mal eine Frage löst und drei neue Fragen stellt. Dass das tägliche Geschäft – von regelmäßig auftretenden Ablehnungswellen der Krankenkassen in den nachfolgend erörterten Fragen abgesehen – trotzdem weitgehend reibungslos läuft und die Versicherten versorgt werden, grenzt dann fast schon an ein Wunder. Es sind weiterhin Rechtsfragen und Praxisprobleme offen und neue Fragen kommen ständig hinzu. Diesen Fragen wollen wir uns in diesem Buch stellen. 1 lateinisch cum plectilis = „zusammengeflochten“; Komplexität wird als Eigenschaft eines Systems, dessen ­Gesamtverhalten selbst dann nicht eindeutig beschrieben werden kann, wenn man vollständige Informationen besitzt, erklärt.

Behandlungspflege

Im Folgenden Abschnitt wollen wir die ersten Grundprinzipien kennen­ lernen, sodass die Bearbeitung der Verordnungen häuslicher Krankenpflege einem strengen logischen Aufbau folgt, der die Prüfung erleichtert und damit eine wichtige Management-Aufgabe der leitenden Pflegekräfte ist. Außerdem die Frage beantworten, warum sich einige immer wieder gehörte Ablehnungsgründe als Schein-Argumente oder Mythen darstellen.

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Kapitel 1:  Zum Umgang mit dem gesetzlichen Anspruch – Der Mythos der Wirtschaftlichkeit

1.1 Der gesetzliche Anspruch

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§ 37 SGB V: (1) 1Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. 2§ 10 der Werkstättenverordung bleibt unberührt. 8Die häusliche Krankenpflege umfaßt die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung. 4Der Anspruch besteht bis zu vier Wochen je Krankheitsfall. 5In begründeten Ausnahmefällen kann die Krankenkasse die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen, wenn der Medizinische Dienst (§ 275) festgestellt hat, daß dies aus den in Satz 1 genannten Gründen erforderlich ist. (1a) 1Versicherte erhalten an geeigneten Orten im Sinne von Absatz 1 Satz 1 wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, soweit keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 im Sinne des Elften Buches vorliegt, die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. 2Absatz 1 Satz 4 und 5 gilt entsprechend. (2) 1Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. 2§ 10 der Werkstättenverordnung bleibt unberührt. 3Der Anspruch nach Satz 1 besteht über die dort genannten Fälle hinaus ausnahmsweise auch für solche Versicherte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 43 des Elften Buches, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben. 4Die Satzung kann bestimmen, daß die Krankenkasse zusätzlich zur Behandlungspflege nach Satz 1 als häusliche Krankenpflege auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erbringt. 5Die Satzung kann dabei Dauer und Umfang der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach Satz 4 bestimmen. 6Leistungen nach den Sätzen 4 und 5 sind nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne des Elften Buches nicht zulässig. 7Versicherte, die nicht auf Dauer in Einrichtungen nach § 71 Abs. 2 oder 4 des Elften Buches aufgenommen sind, erhalten Leistungen nach Satz 1 und den Sätzen 4 bis 6 auch dann, wenn ihr Haushalt nicht mehr besteht und ihnen nur zur Durchführung der Behandlungspflege vorübergehender Aufenthalt in einer Einrichtung oder in einer anderen geeigneten Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. 8Versicherte erhalten in statio-

nären Einrichtungen im Sinne des § 43a des Elften Buches Leistungen nach Satz 1, wenn der Bedarf an Behandlungspflege eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert. (2a) 1Die häusliche Krankenpflege nach den Absätzen 1 und 2 umfasst auch die ambulante Palliativversorgung. 2Für Leistungen der ambulanten Palliativversorgung ist regelmäßig ein begründeter Ausnahmefall im Sinne von Absatz 1 Satz 5 anzunehmen. 3§ 37b Abs. 4 gilt für die häusliche Krankenpflege zur ambulanten Palliativversorgung entsprechend. (3) Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. (4) Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten. (5) Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 3 ergebenden Betrag, begrenzt auf die für die ersten 28 Kalendertage der Leistungsinanspruchnahme je Kalenderjahr anfallenden Kosten an die Krankenkasse. (6) Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in Richtlinien nach § 92 fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können.

Die Erbringung der Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung und (später) der sozialen Pflegeversicherung wird seit dem Inkrafttreten des Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15.6.18832 beherrscht durch das sog. Sachleistungsprinzip. Danach haben die Sozialleistungsträger – also auch die Krankenkassen – die gesetzlich geregelten Leistungen für die Versicherten, sieht man von den Ausnahmeregelungen für reine Geldleistungen ab, grundsätzlich als Natural- oder Sachleistungen zu gewähren und können sich nicht darauf beschränken, ihren Versicherten die Kosten der Inanspruchnahme medizinischer oder pflegerischer Leistungen zu erstatten. Diesem Grundsatz können auch die wenigen Ausnahmevorschriften, wie die allgemeine Kostenerstattungsregelung des § 13 SGB V, die Kostenerstattung der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 4 SGB V oder die Kostenerstattung in der Haushaltshilfe nach § 38 Abs. 4 SGB V nichts

2

RGBl. 1883, 73

Behandlungspflege

(7) 1Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in Richtlinien nach § 92 unter Berücksichtigung bestehender Therapieangebote das Nähere zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden. 2Die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden kann auch in spezialisierten Einrichtungen an einem geeigneten Ort außerhalb der Häuslichkeit von Versicherten erfolgen.

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Kapitel 1:  Zum Umgang mit dem gesetzlichen Anspruch – Der Mythos der Wirtschaftlichkeit

anhaben. Der Grundsatz hat zwischenzeitlich in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V ausdrücklich Eingang gefunden hat. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Kostenfreistellung – wenn also der ambulante Pflegedienst dem versicherten Kunden die Kosten einstweilen gestundet hat – sind sowohl § 37 Abs. 4 SGB als auch § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V. Diese Anspruchsgrundlagen können nebeneinander zur Anwendung kommen, da sie unterschiedliche Konstellationen betreffen.3 Beide setzen einen Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V voraus.

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Sachleistungsprinzip

Sachleistungsprinzip Arzt/Ärztin

Verordnung

Versicherter

§§ 27 – 43c SGB V

Krankenkasse

Realakt

Rahmenvertrag, §§ 124 – 140e SGB V

Leistungserbringer [email protected]

§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V: Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Entscheidend ist, dass der Sozialleistungsträger verpflichtet wird, (privatrechtlich organisierte) Dritte in die Erbringung der gesetzlichen Leistungen einzubinden, da die Sozialleistungsträger die Sach- und Dienstleistungen typischerweise nicht selbst erbringen können bzw. – von Ausnahmen abgesehen – nicht erbringen dürfen (Ausnahme in § 140 SGB V). Die Krankenkasse gewährt die Leistung, indem sie dem Versicherten eine Pflegekraft stellt.3 Damit entsteht die typische Dreiecksbeziehung zwischen Versicherten, Krankenkasse und Pflegedienst. Nach § 37 Abs. 4 SGB V sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen kann oder Grund besteht, davon abzusehen. Ist eine der beiden Alternativen erfüllt, wandelt sich der die Behandlungspflege betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um.4 Daneben besteht regelmäßig ein Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V. Danach wandelt sich der Sachleistungsanspruch in einen Kos3 4

BSG, Urt. v. 30.11.2017, B 3 KR 11/16 R. Grundlegend BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73.

5 BSG, Urt. v. 14.7.1977, 3 RK 60/75 = BSGE 44, 139 6 BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 14/02 R = BSGE 90, 150 7 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205 – Bewegungsübungen für bettlägerige Versicherte 8 BSG, Urt. v. 20.3.1996, 6 RKa 62/94 = BSGE 78, 70 9 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205; bestätigt: BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122 10 BSG, Urt. v. 26.1.2006, B 3 KR 4/05 R – Dauermessung des Blutzuckers

Behandlungspflege

tenerstattungs- bzw. Kostenfreistellungsanspruch um, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig von der Krankenkasse erbracht werden konnte, d. h. wenn ein Fall vorliegt, der es dem Versicherten unmöglich macht, den mit der Antragstellung beginnenden regelmäßigen Beschaffungsweg zu beschreiten oder wenn die Krankenkasse einen Antrag des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung häusliche Krankenpflege „zu Unrecht abgelehnt“ hat und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind, weil er sich gezwungen sieht, sich die Leistung über einen ambulanten Pflegedienst selbst zu beschaffen. Die Krankenkasse darf den Anspruch auf häusliche Krankenpflege, abgesehen vom Ausnahmefall des § 37 Abs. 4 SGB V, nicht durch Geldzahlungen abgelten.5 Zur Gewährung der häuslichen Krankenpflege beschäftigen die Krankenkassen eigene Pflegekräfte oder setzen auf vertraglicher Grundlage andere geeignete Personen, Einrichtungen oder Unternehmen ein (§ 132a Abs. 4). Der Abschluss des Rahmenvertrages über die Leistung umfassender häuslicher Krankenpflege kann davon abhängig gemacht werden, dass die Leitungskräfte des Leistungserbringers wie nach §§ 72, 71 SGB XI eine staatlich anerkannte Ausbildung für einen Pflegeberuf absolviert haben.6 Doch kann im Einzelfall auch etwas anderes vertraglich vereinbart werden, um andere therapeutische Leistungen für die Versicherten zur Verfügung zu stellen.7 Konkretisiert wird der gesetzliche Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege – wie alle anderen Leistungsansprüche der gesetzlich Krankenversicherten – durch eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege – HKP-Richtlinie). Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses haben normativen Charakter und sind als untergesetzliche Regelungen des Leistungserbringungsrechts verbindlich.8 Allerdings enthalten die HKP-Richtlinien keinen abschließenden Leistungskatalog („Anlage“ zur HKP-Richtlinie). Der Gemeinsame Bundesausschuss ist nicht dazu ermächtigt, entgegen höherrangigem Gesetzesrecht des SGB V notwendige Leistungen aus dem Leistungsspektrum des § 37 SGB V auszuschließen.9 Jede Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ist daher mit einer sog. Öffnungsklausel versehen. Die Versicherten haben daher auch Anspruch auf solche Leistungen der häuslichen Krankenpflege, die nicht in das Verzeichnis oder die Anlage der HKP-Richtlinie aufgenommen worden sind, aber den gesetzlich geregelten Anforderungen entsprechen, insbesondere medizinisch-pflegerisch notwendig und wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sind.10 Die von einigen Krankenkassen in diesem Zusammenhang immer wieder vorgebrachte sog. Geltungsanordnung des § 91 Abs. 6 SGB V greift dabei zu kurz.

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Kapitel 1:  Zum Umgang mit dem gesetzlichen Anspruch – Der Mythos der Wirtschaftlichkeit

§ 91 Abs. 6 SGB V: Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses […] sind für die Träger nach § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. Natürlich sind die Regelungen der HKP-Richtlinie für die Versicherten und die ambulanten Pflegedienste oder Sozialstationen verbindlich, doch dürfen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ungeachtet dieser Geltungsanordnung nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Da § 37 SGB V keine Einschränkung der ärztlichen Verordnungsmöglichkeiten kennt, dürfen die Richtlinien keine solchen Einschränkungen regeln.11 Wie dies rechtstheoretisch funktioniert, erläutert die sog. Rechtsnormen-Pyramide.

1.2 Grundstruktur: Die Rechtsnormen-Pyramide Die gesetzlichen Normen stehen nicht beziehungslos oder gleichrangig nebeneinander, sondern folgen einer strengen Struktur. Relevant sind dabei ohnehin nur Regelungen mit „Norm-Charakter“, da diese für und gegenüber jedermann und jederfrau gelten. Um ein möglichst widerspruchsfreies, einheitliches Rechtssystem zu gewährleisten, bedarf es einer Normenhierarchie, eines Systems der Über- bzw. Unterordnung verschiedener rechtlicher Regelungen. Lässt man zunächst einmal die überstaatlichen und zwischenstaatlichen Rechtsquellen außer Betracht, so verläuft die bundesstaatliche Rangordnung wie folgt: Bundesrecht – Landesrecht – autonomes Recht Daraus folgt, dass Bundesrecht dem Landesrecht vorgeht (Art. 31 GG ordnet dies mit den Worten an: „Bundesrecht bricht Landesrecht.“) und staatliches Recht dem autonomen Recht der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Die Krankenkassen sind als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ in dieses System eingebunden. Wichtig aber: Die Krankenkassen dürfen kein „eigenes Recht“ schaffen, wenn diese Regelungen gegen das staatliche Recht, etwa das SGB V verstoßen. Daher gilt immer das Bundesgesetz SGB V! Innerhalb der jeweiligen Rechtskreise verläuft die Rangordnungsreihe nun folgendermaßen: Verfassung – Gesetz – Verordnung – Satzung Auch die Überlegenheit der Verfassung (Bundes- oder Landesverfassung) gegenüber den niederrangigen Normen lässt sich dem Grundgesetz entnehmen (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG). Die Höherrangigkeit der Gesetze gegenüber den Verordnungen ergibt sich aus Art. 80 Abs. 1 GG, wonach jede Rechtsverordnung

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11 BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R; erläuternd: LSG Sachsen, Beschl. v. 13.11.2014, L 1 KR 260/14 B ER

eben einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Die Normenhierarchie wird auch im Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes verdeutlicht. Dieser Grundsatz besagt, dass das Parlamentsgesetz allen anderen Rechtsquellen (mit Ausnahme des Grundgesetzes) vorgeht, insbesondere den Rechtsverordnungen und Satzungen. Die Krankenkassen sind mithin in zweierlei Hinsicht verpflichtet, nämlich einerseits nicht vom Gesetz abzuweichen bzw. nicht gegen dieses zu handeln, andererseits enthält der Vorrang des Gesetzes aber auch das Gebot, das Gesetz zur Anwendung zu bringen. Im Schaubild markiert der Balken die Grenze: Alle unterhalb des Balken liegenden Mitteilungen sind reine Meinungsäußerungen, die ohne gesetzliche Anbindung oder Rechtsgrundlage keinerlei Wirkung entfalten. Rechtsnormen

 BEISPIEL 1 Die Satzung einer Krankenkasse enthält die Formulierung, dass für die sog. Sicherungspflege des § 37 Abs. 2 SGB V neben der Behandlungspflege auch die Grundpflege übernommen werden kann.

Behandlungspflege

[email protected]

Rechtsgrundlage für diese Leistung zugunsten des Versicherten ist dann § 37 Abs. 2 Satz 4 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Krankenkasse. Die gesetzliche Regelung in § 37 Abs. 2 Satz 4 SGB V eröffnet die Möglichkeit für die Krankenkasse, die Satzungsregelung zu erlassen.

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 BEISPIEL 2

Kapitel 1:  Zum Umgang mit dem gesetzlichen Anspruch – Der Mythos der Wirtschaftlichkeit

Die Satzung einer Krankenkasse enthält eine Formulierung, dass pflegerische Laien (Familienangehörige, Nachbarn) und nicht zugelassene Leistungserbringer für die Übernahme der notwendigen, ärztlich verordneten Leistungen der Behandlungspflege eine „Aufwandsentschädigung“ erhalten.

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Eine solche Regelung wäre als zu weitgehend rechtswidrig, sodass die Tätigkeit eines ambulanten Pflegedienstes nicht mit der Begründung der Übernahme durch Laien-Pflegekräfte oder nicht zugelassenen Leistungserbringern abgelehnt werden dürfte, da das SGB V keine so weitgehende Eröffnung für eine solche Vorgehensweise vorsieht. §§ 11, 27 SGB V zählen alle gesetzlichen Ansprüche eines Versicherten abschließend auf. Nicht dort geregelte Leistungen sind (gesetzlich) nicht vorgesehen und möglich. Das SGB V kennt (im Gegensatz zum § 37 SGB XI) ein „Pflegegeld“ nicht! Aber § 11 Abs. 6 SGB V ermöglicht den Krankenkassen durch eine Regelung in der Satzung zusätzliche vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht ausgeschlossene Leistungen in der fachlich gebotenen Qualität auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege anzubieten. Allerdings muss die Satzung insbesondere die Art, die Dauer und den Umfang der Leistung bestimmen; sie hat hinreichende Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung zu regeln. Eine allgemeine Regelung zur Übernahme aller ärztlich verordneten Leistungen steht der Krankenkasse nicht zu. Die AOK Rheinland/Hamburg beispielsweise hat in § 12e ihrer seit dem 1.1.2018 geltenden Satzung den Passus aufgenommen, dass in den über die in § 37 Abs. 1, 1a und 2 SGB V genannten Fällen hinaus die von einem Vertragsarzt verordnete häusliche Krankenpflege im Haushalt des Versicherten als erweiterte Satzungsleistung (§ 11 Abs. 6 SGB V) erbracht werden darf. Allerdings müssen folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Die Grundpflege, die Behandlungspflege und/oder die hauswirtschaftliche Versorgung müssen über eine selbstbeschaffte Ersatzkraft, insbesondere durch Angehörige, Nachbarn oder im Rahmen der Quartiershilfe, sichergestellt sein und es muss sich um einfachste, zeitlich nicht aufwendige, Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege handeln, die keiner besonderen medizinischen Sachkunde oder medizinischer Fertigkeiten bedürfen und daher ohne medizinische Vorkenntnisse von Laien erbracht werden können. Eine Inanspruchnahme eines Pflegedienstes (§ 132 a SGB V) ist möglich, allerdings nicht einsatzgleich mit der einfachen Behandlungspflege.

Das Schaubild verdeutlicht eine weitere Grundstruktur des Rechts: Von oben nach unten, also vom Grundgesetz (GG) über das von Bundestag und Bundesrat erlassene (formelle) Bundesgesetz (SGB V) bis zu den Regelungen in den Richtlinien zur Verordnung häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinie) werden die Regelungen konkreter, enthalten also detaillierte Informationen. Aber: Die darunter liegenden Regelungen dürfen die obere Norm nicht einschränken.  ACHTUNG Beachte: Die jeweils unteren Ebenen dürfen die höherrangigen Normen nur konkretisieren, nicht aber einschränken!

 BEISPIEL 3

1.3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot Natürlich steigen auch die Ausgaben der Krankenkassen für Behandlungspflege und häusliche Krankenpflege, wie alle anderen Ausgaben für Gesundheit, bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Dafür können viele Gründe, beispielsweise der demografische Aufbau unserer Bevölkerung, das DRG-System in den Krankenhäusern mit einem Abbau der durchschnittlichen „Verweildauern“ für jede Art der stationären Krankenhausversorgung oder die vom Gesetzgeber in den Pflegestärkungsgesetzen I – III12 energisch vorangetriebene Ambulantisierung der gesamten Pflege genannt werden.

12 dazu ausführlich: Richter, Die neue soziale Pflegeversicherung – PSG I – III, 2017

Behandlungspflege

Da der Begriff der „Behandlungspflege“ in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V offen benutzt wird und nur der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin eine Konkretisierung in Form der Behandlungsentscheidung [„zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung“] vornimmt, ist eine Ablehnung der Verordnung häuslicher Krankenpflege mit dem Hinweis, dass die vom Arzt bestimmte Verrichtung nicht in der Anlage der HKP-Richtlinie beschrieben wird, immer rechtswidrig. Die Anlage der HKP-Richtlinie dient lediglich der Orientierung. Zur Lösung der HKP-Richtlinie durch die sog. Öffnungsklausel kommen wir später.

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Schaubild N

Ausgaben für einzelne Leistungsbereiche der GKV 2018 in Mrd. Euro

Kapitel 1:  Zum Umgang mit dem gesetzlichen Anspruch – Der Mythos der Wirtschaftlichkeit

= 2,85 %

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[email protected]

Quelle: GKV-Spitzenverband

Im Verhältnis aber der anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt sich das Budget der häuslichen Krankenpflege weiterhin eher bescheiden aus und macht ledig 2,85 % der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Immerhin sind dies aber 6.440.000.000,00 € (6,44 Mrd €) und damit von der Höhe her vergleichbar mit knapp der Hälfte der Verwaltungsaufgaben der gesetzlichen Krankenkassen. Allerdings ist dies eine Steigerung von 2016 auf 2018 um 13 %. Daher ist auch das von einigen Sachbearbeitern der Krankenkassen zur Begründung von Ablehnungen, Befristungen oder Teilgenehmigungen herangezogene Wirtschaftlichkeitsgebot in diesem Zusammenhang völlig verfehlt und kann keine Ablehnung einer ärztlichen Verordnung rechtfertigen. Das in den §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot meint etwas völlig anderes als etwa der dem Sozialhilferecht entstammende Begriff der „Sparsamkeit“ und ist auch nicht im Zusammenhang mit der in § 71 SGB V geregelten Beitragssatzstabilität zu sehen. Auch wenn der Irrglaube oder Mythos kaum ausrotbar erscheint, Wirtschaftlichkeit hat nichts mit „Sparen bei den Leistungen“ zu tun und schon gar nichts mit dem Kampfbegriff der „Zwei-Klassen-Medizin“. Wirtschaftlichkeit meint lediglich einen Bezug zwischen Aufwand und Ertrag. Wir dürften uns einig sein, dass kaum eine andere medizinische Maßnahme eine so günstige „Aufwand-Ertrag“-Relation bietet wie die häusliche Krankenpflege. § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V: Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

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Behandlungspflege

Entscheidend ist innerhalb der Prüfung, welche Leistung der Arzt oder die Ärztin verordnen darf und welche die Krankenkasse des Versicherten finanzieren muss, die Zweckmäßigkeit. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen nicht alle möglichen Leistungen übernehmen, sondern nur die nachweisbar erfolgversprechenden Therapien. Geleistet wird also von den Krankenkassen innerhalb des Kanons der evidenzbasierten Medizin. Dabei soll die Förderung der Gesundheit der Versicherten (§ 1 Satz 1 SGB V) und die Therapiemöglichkeiten nach dem Stand der Wissenschaft mit Rücksicht auf den medizinischen Fortschritt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) vergütet werden. Die Begriffe der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit sind als unbestimmte Rechtsbegriffe voll gerichtlich überprüfbar.13

13 BSG, Urt. v. 24.11.1983, 8 RK 6/82

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Kapitel 2:  Die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege  INFO Wir lesen den Gesetzestext und lernen jetzt die Grundvoraussetzungen für die Verordnung häuslicher Krankenpflege kennen und stellen fest, dass diese zu 99,9 % gegeben sind, sodass die allermeisten Ablehnungen und alle Befristungen der Verordnungen häuslicher Krankenpflege durch die Krankenkassen rechtswidrig sind. Für die „Waffengleichheit“ stellen wir die 10 Hauptablehnungsgründe vor und zeigen, wo in diesem Buch die Argumente für deren Rechtswidrigkeit ausführlich erläutert werden.

Der gesetzliche Anspruch des Versicherten liest sich so klar und einfach, dass noch vor wenigen Jahren – meist bis zur Einführung der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung – die Leistungen entsprechend der ärztlichen Verordnung vom Pflegedienst oder der Sozialstation einfach ohne weitere Prüfungsschritte erbracht und zu den vereinbarten Sätzen mit den Krankenkassen abgerechnet wurden. Die leidgeprüfte Praxis jedoch weiß, dass heute hinter jeder Silbe des Gesetzestextes eine Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Krankenkassen lauern kann. Daher ist der erste Schritt zur Durchsetzung des gesetzlichen Anspruches regelmäßig bereits mit dem Lesen des Gesetzestextes getan. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V: Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, … als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.

Behandlungspflege

2.1 Der gesetzliche Anspruch

Die Grundvoraussetzungen der häuslichen Krankenpflege sind denkbar einfach zu prüfen: Anspruchsberechtigt können für alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nur Versicherte sein. Ferner setzt der Anspruch auf häusliche Krankenpflege das Vorliegen einer Krankheit voraus. Das Prüfungsschema zeigt das folgende Schaubild:

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Schaubild A – Teil 1

Voraussetzungen

Allgemeine Voraussetzungen

NEIN

Versicherteneigenschaft

Keine Leistung

JA NEIN

Diagnose des Arztes: „krank“

Keine Leistung

Kapitel 2:  Die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege

JA

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NEIN

Antrag auf Leistung bzw. Genehmigung

Schaubild A – Teil 2

Keine Leistung

[Bitte gleich JA an Schaubild A – Teil 1 anschließen] [email protected] Vorlage spätestens am 3. Werktag?

JA

1

NEIN

Zahlung bis zum Eingang der Ablehnung

Verordnung genehmigungsfähig? NEIN

JA

Zahlung ab Verordnungsbzw. Leistungsbeginn

Zahlung ab Eingang bei der Krankenkasse (bis zur Ablehnung)

[email protected]

2

[email protected]

Für die mit der Prüfung der Voraussetzungen zuständige Pflegefachkraft sind die Voraussetzungen mit einem Blick zu erfassen. Für den Nachweis der Versicherteneigenschaft reicht die Versicherungskarte des Kunden aus oder der Eintrag der Versicherungsnummer durch die verordnende Arztpraxis auf dem Verordnungsformular 12 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die Krankheit des Kunden wird durch die im ICD-10 Code verschlüsselten Diagnosen des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin für die Sachbearbeiter der Krankenkassen ausreichend begründet. Wie wir später noch erörtern werden, gilt ein weiter Krankheitsbegriff, umfasst also jede Erkrankung, die den allgemeinen Krankheitsbegriff erfüllt, neben den körperlichen auch die psychischen Erkrankungen.14 Der Nachweis dieser beiden Voraussetzungen findet sich auf dem Verordnungsformular 12 an folgenden Stellen: Nicht gesondert zu prüfen ist die Voraussetzung, dass häusliche Krankenpflege nur gewährt werden kann, wenn der Versicherte in ärztlicher Behandlung steht. Gemeint ist damit die ambulante Behandlung, die in der Regel durch an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärztinnen und Ärzte (§ 95 SGB V) er14 BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73

Nachweis der allgemeinen Voraussetzungen

folgt. Ohne ärztliche Tätigkeit in Form der ärztlichen Verordnung ist häusliche Krankenpflege ohnehin nicht denkbar, sodass kein eigener Prüfungsschritt erforderlich ist. Ausnahmsweise sind auch Stationsärzte in den Krankenhäusern für eine auf sieben Tage begrenzte Übergangszeit im Anschluss an die Krankenhausbehandlung zur Verordnung häuslicher Krankenpflege berechtigt, auch dies werden wir noch ausführlich besprechen. Die ambulante ärztliche Behandlung wird also von der häuslichen Krankenpflege begleitet, so wie bei der stationären Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) die pflegerische Betreuung zur medizinischen Behandlung hinzutritt.15 Der Leistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege setzt neben der ärztlichen Verordnung die Genehmigung der Verordnung durch die Krankenkasse des Versicherten voraus:

Behandlungspflege

Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung

§ 27 Abs. 3 Bundesmantelvertrag – Ärzte (BMV-Ä): Die von dem Versicherten durch Vorlage der ärztlichen Verordnung beantragte Leistung bedarf der Genehmigung der Krankenkasse. Über ihre Entscheidung hat die

15 BSG, Urt. v. 20.4.1988, 3/8 RK 16/86 = BSGE 63, 140

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Kapitel 2:  Die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege

Krankenkasse den behandelnden Vertragsarzt zu unterrichten, sofern die verordnete Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange gewährt wird.

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Eine Bindung der Krankenkasse an den Inhalt der Verordnung besteht, soweit die verordneten Maßnahmen erforderlich sind. Hat der Sachbearbeiter der Krankenkasse Zweifel an der Erforderlichkeit, so ist mit der Prüfung dieser medizinischen Frage der MDK zu beauftragen.16 Dieser prüft die Erforderlichkeit der verordneten Maßnahme. Auch zu dieser entscheidenden Stelle im Genehmigungsverfahren an späterer Stelle mehr. Der Antrag auf die Genehmigung der Verordnung häuslicher Krankenpflege an die Krankenkasse des Versicherten findet sich im oberen Teil der Rückseite des Verordnungsmusters 12 und ist vom Versicherten oder seinem Bevollmächtigten zu unterschreiben: Der gesetzliche Anspruch formuliert also lediglich drei positive Anspruchsvoraussetzungen – dazu kommt noch das negative Tatbestandsmerkmal des § 37 Abs. 3 SGB V („eine im Haushalt lebende Person“ – dazu später ausführlich mehr), mehr nicht! Und schon gar nicht steht im Gesetz die folgende Formulierung, die aber der herrschenden Praxis näher zu kommen scheint: „Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie … als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn der MDK oder die … [Bitte tragen Sie hier diejenige Krankenkasse ein, mit der Sie derzeit die meisten Probleme haben!] es will.“ Antrag auf Genehmigung [Rückseite]

16 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101

Praxistipp: Entscheidend ist das Ergebnis der Prüfung: Sind die genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt und trifft die negative Tatbestandsvoraussetzung zu, so hat der Versicherte einen Anspruch auf die ärztlich verordnete Leistung. Die Krankenkasse hat dann keinerlei Ermessen, ob sie die Leistung erbringen will oder nicht – SIE MUSS!

2.2 Die Arbeit mit diesem Buch

Folgende Fragen stehen weiterhin im Vordergrund: –– Wie kommt der Versicherte zu seinem gesetzlichen Anspruch? –– Können die Richtlinien zur Verordnung häuslicher Krankenpflege den gesetzlichen Anspruch des Versicherten verkürzen? –– Was ist Behandlungspflege? –– Darf der Krankenversicherungsträger selbst in die ärztliche Verordnung eingreifen? –– Darf der Krankenversicherungsträger die Herausgabe von Pflegedokumentationen oder anderen Unterlagen verlangen? –– Darf die Krankenkasse den Verordnungszeitraum generell verkürzen oder befristen? –– Muss eine Pflegeperson Behandlungspflege leisten? –– Kann ein Vertrag zwischen einem Pflegedienst und dem Krankenversicherungsträger den gesetzlichen Anspruch des Versicherten einschränken? –– Darf der Pflegedienst für seine Patienten das Widerspruchsverfahren durchführen?

Behandlungspflege

Im Folgenden sollen die Grundlagen der gesetzlichen Ansprüche auch im Lichte der Auslegung durch die Gerichte geklärt und in den systematischen Zusammenhang gestellt werden. Das Buch soll als Arbeitsbuch sowohl den Zusammenhang darstellen als auch Detailfragen aufklären helfen und so als Nachschlagewerk die tägliche praktische Arbeit erleichtern. Daher enthält der Fußnotentext auch vor allem Entscheidungen des Bundessozialgerichts und dabei vor allem solche, die Eingang in die amtliche Sammlung (Entscheidungen des Bundessozialgerichts – „BSGE“) gefunden haben und deshalb besondere Beachtung finden sollen, um Ihnen in den partnerschaftlichen Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen Argumente an die Hand zu geben.

Diese und andere Fragen sollen im Kontext der gesetzlichen Regelungen so praxisnah wie möglich beantwortet werden. Um jedoch das juristische Problembewusstsein zu schärfen, ist die direkte Mitarbeit am Gesetzes- oder Richtlinientext notwendig. Daher ein Ratschlag in eigener Sache: Bitte lesen Sie jeweils die konkrete Passage der behandelten Norm, auch wenn Sie meinen den Paragrafen bereits zu kennen. Dabei benutzen Sie bitte die jeweils aktuelle Gesetzesfassung. Ein alter Gesetzestext hat lediglich historischen Wert, auch wenn er mit Lesezeichen und Unterstreichungen versehen von früheren Mühen kündet. Sollten Sie

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Kapitel 2:  Die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege

die Gesetzestexte im Internet einsehen wollen, so nutzen Sie bitte die Seite „Gesetze-im-Internet“ des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz. Ähnliches gilt auch für die Urteile. Um das Auffinden zu erleichtern, sind sämtliche Urteile mit dem Datum und dem Aktenzeichen angegeben. Google findet dann regelmäßig einen Urteilsabdruck zum kostenlosen Download bzw. zumindest zur Ansicht.

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2.3 Arbeitserleichterung: Die häufigsten Ablehnungsgründe der Krankenkassen und die rechtliche Bewertung Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Krankenkassen erhalten inhaltliche Vorgaben („interne Dienstanweisungen“) für die Prüfung der ärztlichen Verordnungen häuslicher Krankenpflege. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, denn diese übliche Vorgehensweise garantiert eine effiziente Bearbeitung und eine gleichmäßige Entscheidungspraxis. Problematisch ist aber, dass die Vorgaben häufig „nicht ganz falsch“ (und damit die Entscheidungen rechtswidrig) sind, aber den Kern der gesetzlichen Vorgaben und höchstrichterlichen Entscheidungen nicht treffen. Viele anonymisierte Entscheidungsbeispiele in diesem Arbeitsbuch künden von den Problemen, die regelmäßig nicht auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung der konkreten Sachbearbeiterin beruhen, sondern auf (bewusst) falschen Vorgaben aus den Zentralen der Krankenkassen. Das nebenstehend abgedruckte Erläuterungsblatt aus dem Gebrauch einzelner Krankenkassen für die 10 wichtigsten Ablehnungsbegründungen zeigt die Probleme in der Praxis: In gebotener Kürze soll auf jeden Ablehnungsvorschlag unter Hinweis auf die ausführliche Behandlung in diesem Arbeitsbuch eingegangen werden. 1.1 „Die Verordnung wird verspätet eingereicht.“ Die Ablehnung ist nach der Rechtsprechung und insbesondere der Bundes-Rahmenempfehlung nur richtig, wenn die ärztliche Verordnung letztlich abgelehnt wird. Wird die Verordnung genehmigt, ist eine Ablehnung bzw. Nicht-Zahlung der Leistungen bis zur „verspäteten“ Vorlage der Verordnung vertrags- und rechtswidrig. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 3.4. 1.2 „Die Erstverordnung übersteigt einen Zeitraum von 14 Tagen.“ § 5 Abs. 1 Satz 2 HKPRichtlinie spricht in von „soll“, daher ist diese Ablehnungsanordnung viel zu restriktiv und damit rechtswidrig. Es kommt auf den Einzelfall an, den die Sachbearbeiterin prüfen muss. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 6.5. 1.3 „Es fehlt eine Begründung zur Durchführbarkeit.“ Die Frage, ob eine im Haushalt lebende Person die ärztlich für notwendig erachtete häusliche Krankenpflege erbringen kann, entscheidet der behandelnde Arzt bei der Verordnung. Insbeson-

dere die im erläuternden Text vorgenommene Erweiterung auf die „Pflegepersonen“ im Sinne des § 19 SGB XI ist rechtswidrig und verletzt die Versicherten in ihren Rechten. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 7.1. 1.4 „Es liegt Pflegebedürftigkeit vor.“ Die festgestellte Pflegebedürftigkeit mindestens des Pflegegrades 2 ist lediglich relevant für die sog. Unterstützungspflege des § 37 Abs. 1a SGB V. Daneben ist die Behandlungspflege verordnungsfähig. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 4.9. 2.1 „Es besteht keine medizinische Indikation für die Leistung/Maßnahme.“ Falsch und damit bereits im Ansatz rechtswidrig: Das Leistungsverzeichnis hat keine „untergesetzliche Rechtswirkung“, sondern dient allein der Beschreibung der Normalfälle. Alles andere legt der Gemeinsame Bundesausschuss mit der Öffnungsklausel des § 1 Abs. 4 HKP-Richtlinie in die Hände des behandelnden Arztes. Die generelle Verweigerung verstößt gegen die grundgesetzlich geschützten Grundrechte des Versicherten! Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 6.1. 2.2 „Dauer und Häufigkeit wurden geändert.“ und

2.4 „Der Anspruch auf Krankenhausvermeidungspflege besteht nicht/nicht mehr:“ Für die Verlängerung der Verordnung über 28 Tage hinaus sind – nach ärztlicher Verordnung – die Krankenkassen zuständig. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 6.7. 2.5 „Der Nachweis in Form eines Maßblattes bzw. der Wunddokumentation fehlt.“ Die sich aus diesen Hinweisen ergebende Forderung verstößt offensichtlich gegen die Geheimhaltungspflicht von Sozialdaten. Eine typische strafrechtliche Anstiftungshandlung. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 6.8.

Behandlungspflege

2.3 „Die Leistung ist kein Bestandteil der häuslichen Krankenpflege.“ Die Öffnungsklausel des § 1 Abs. 4 HKP-Richtlinie legt die grundgesetzlich geschützte Therapiefreiheit in die Hände des behandelnden Arztes. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 6.1.

2.6 „Der Medikamentenplan fehlt.“ siehe 2.1 – 2.3. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 10.10. 2.7 „Eine andere Leistung wird als ausreichend angesehen.“ siehe 2.3. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 10.6. 3.1 „Die Leistung/Maßnahme wird befristet.“ Für eine Nebenbestimmung eines Verwaltungsaktes, also eine Befristung, bedarf es einer gesetzlichen Regelung. Nur dann ist eine Befristung rechtmäßig. Ausführliche Beschreibung dazu: Kapitel 6.6.

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Kapitel 2:  Die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege

Informationen/Hinweise zu häuslicher Krankenpflege

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-TageVorlagefrist Warum darf ein Pflegedienst sofort mit der Versorgung beginnen?  INFO

Erfolgreiches und effizientes Verwaltungshandeln folgt immer einem bestimmten Schema oder einer Check-Liste, die im Qualitätshandbuch des Pflegedienstes oder der Sozialstation hinterlegt ist. Jede von der behandelnden Ärztin, dem behandelnden Arzt, dem Krankenhaus und vom versicherten Kunden selbst übergebene oder übersandte Verordnung häuslicher Krankenpflege wird zum Zwecke der Genehmigung zur späteren Abrechnung der erbrachten Leistungen bearbeitet: Zunächst werden – wie im Kap. 2.1 – beschrieben die allgemeinen Voraussetzungen geprüft. Nach der Prüfung des Versichertenstatus [siehe Kapital 2.1], erfolgt eine Sichtoder Plausibilitätsprüfung der ärztlichen Verordnung hinsichtlich der die häusliche Krankenpflege begründenden Diagnosen. Ein häufiger Fehler, der an dieser Stelle der Prüfung zutage tritt, ist die Übernahme der derzeitigen Haupt-Diagnose der Behandlung, die mitunter überhaupt nichts mit der Verordnung häuslicher Krankenpflege zu tun hat. Ein besonders schönes Beispiel will ich Ihnen nicht vorenthalten (vgl. vorstehendes Schaubild): Das Vorhandensein einer Hüftprothese rechtfertigt sicherlich allein nicht die ärztliche Verordnung von Augentropfen. In einem solchen Fall muss ein professionell arbeitender Pflegedienst die Arztpraxis darauf hinweisen, dass die verordnungsrelevanten Diagnosen (im neuen Verordnungsmuster nach dem ICD-10 Code

Behandlungspflege

Neben den allgemeinen Voraussetzungen, die wir in Kapitel 2 erläutert haben, nimmt der sog. Genehmigungsvorbehalt den wichtigsten Platz im Verwaltungsablauf der für die Abwicklung der Verordnungen häuslicher Krankenpflege zuständigen Pflegefachkraft ein. Von der exakten Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen hängt letztlich sowohl die Versorgung der versicherten Kunden als auch die Abrechnung und damit Finanzierung der erbrachten Leistungen ab. Dabei unterstützen die gesetzlichen Regelungen, die HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses und die Rechtsprechung die Position der Pflegedienste und Sozialstationen. Schließlich wollen wir prüfen, ob den Pflegediensten Verzugszinsen zustehen, wenn die Krankenkassen nicht pünktlich zahlen und – wenn ja – in welcher Höhe die Zinsen anzusetzen sind.

33

Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist 34

verschlüsselt) angegeben werden müssen. Im Beispielsfall sind augenscheinlich nur die Hauptdiagnosen eingefügt worden. Dabei ist der Pflegedienst nicht zu einer medizinischen Prüfung der ärztlichen Verordnung verpflichtet oder berechtigt. Es kommt allein auf eine Plausibilitätsprüfung der ärztlichen Abgaben auf Vollständigkeit und inhaltlicher Nachvollziehbarkeit an. Die Krankenkasse kann also dem Vergütungsanspruch des allein auf Basis einer ihm vorliegenden vertragsärztlichen Verordnung tätig gewordenen Pflegedienstes das – sich erst nach eingehender Prüfung durch den MDK zeigende – Fehlen der medizinischen Notwendigkeit der Leistung nur entgegenhalten, wenn für den Pflegedienst klar erkennbar war, dass die häusliche Krankenpflege nicht wie verordnet medizinisch notwendig sein konnte.17 Suchbild! Was ist falsch?

17 BSG, Urt. v. 20.4.2016, B 3 KR 17/15 R = BSGE 121, 119

3.1 Wird immer eine ärztliche Verordnung benötigt, um häusliche Krankenpflege abrechnen zu können?  BEISPIEL Praxisfall 1:18

Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB V häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe. Das Bundessozialgericht hatte für das Krankenversicherungsrecht die Konzeption entwickelt, dass der Leistungsanspruch des Versicherten nach § 27 SGB V lediglich als Rahmenrecht bestehe, das durch die individuelle Behandlungsentscheidung des Arztes und durch die untergesetzlichen Regelungen des Leistungserbringungsrecht konkretisiert wird.19 Diese Auffassung, dass dem Versicherten nach §§ 27 ff. SGB V lediglich ein Rahmenrecht, das der weiteren gestaltenden Konkretisierung bedarf, nicht aber ein gesetzlicher Leistungsanspruch zustehe, stützt sich auf die Komplexität des medizinisch-ärztlichen Behandlungsgeschehens. Aus dem subjektiv-öffentlichen Rahmenrecht entwickelt sich ein Leistungsanspruch erst, wenn nach Maßgabe des Leistungserbringungsrechts weitere Entscheidungen ergangen sind, insbesondere die verbindliche Verordnung durch einen Vertragsarzt der gesetzlichen Krankenkasse. An die Stelle der ärztlichen Entscheidung kann in den vorgesehenen gesetzlich bestimmten Fällen die Entscheidung der Krankenkasse (Bewilligung durch Sozialverwaltungsakt) treten.20 Der gesetzliche Anspruch des Versicherten besteht also vor der Verordnung durch den behandelnden Vertragsarzt lediglich darin, dass dieser aus dem Rahmen der möglichen Ansprüche, zusammengefasst in § 27 SGB V, den für die spezielle, konkret auf den Versicherten zugeschnittene Therapie erforderlichen Anspruch aussucht:

18 BSG, Urt. v. 16.12.1993, 4 RK 5/92 = BSGE 73, 271 19 BSG, Urt. v. 20.3.1996, 6 RKa 62/94 = BSGE 78, 70 20 BSG, Urt. v. 16.12.1993, 4 RK 5/92 = BSGE 73, 271

Behandlungspflege

Der Versicherte A lässt sich von einem Arzt behandeln, der nicht von den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen ist. Dieser stellt ein Privatrezept für häusliche Krankenpflege aus, die der A erbringen lässt. Die Rechnung reicht er später an seine gesetzliche Krankenkasse weiter. Muss diese zahlen?

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Arzt Medikamente

Krankenhauseinweisung

Heil-/Hilfsmittel

Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Häusliche Krankenpflege

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Der von den Krankenkassenverbänden zur kassenärztlichen Versorgung zugelassene (approbierte) Vertragsarzt ist dazu berufen, mit der Einleitung der aus seiner Sicht notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen mittels der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie erforderlichenfalls von häuslicher Krankenpflege den vom Gesetz als Rahmenrecht ausgestalteten Leistungsanspruch des Versicherten in fachlich-medizinischer Hinsicht zu konkretisieren. Er hat dabei einen weiten Entscheidungsspielraum, der nur durch die für ihn geltenden Bestimmungen des Leistungserbringungsrechts begrenzt wird. Wählt er eine bestimmte Behandlungsmethode, kann ihm die Krankenkasse nicht entgegenhalten, dass eine andere Vorgehensweise zweckmäßiger gewesen wäre. Insofern hat seine Entscheidung auch rechtliche Bedeutung, denn damit wird festgelegt, für welche konkrete Behandlung die Krankenkasse einzustehen hat.21 Von der Frage der rechtlichen Verbindlichkeit einer Konkretisierung des Rahmenrechts ist die Frage zu trennen, ob durch das Verhalten des behandelnden Arztes – die Verordnung ohne ausdrücklichen Hinweis auf den Genehmigungsvorbehalt der jeweiligen Krankenkasse – ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird, aus dem der Versicherte Rechte herleiten kann. Eine Verpflichtung der Krankenkasse, den Versicherten von den Kosten einer Behandlung freizustellen, kann sich auch daraus ergeben, dass der ärztliche Leistungserbringer die ihm kraft Zulassung übertragenen öffentlich-rechtlichen Informationspflichten gegenüber dem Versicherten nicht oder schlecht erfüllt und dadurch bewirkt hat, dass der Versicherte die vom ärztlichen Leistungserbringer veranlasste objektiv ungerechtfertigte Leistung in schutzwürdigem Vertrauen als Kassenleistung in Anspruch genommen hat.22 Ein derartiger Freistellungsanspruch beruht auf den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung und der Einstandspflicht der Krankenkasse für Maßnahmen und Entscheidungen der in ihrem Auftrag (§ 2 Abs. 2 Satz 2 SGB V) handelnden Leistungserbringer. Hat der Arzt gegenüber dem Versicherten zum Ausdruck gebracht, die von ihm durchgeführte oder veranlasste Behandlung werde im Rahmen des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung kostenfrei erbracht, muss die Krankenkasse sich dieses Verhalten zurechnen und die Leistung als Sachleistung gegen sich gelten lassen. Soweit die Leistungsvoraussetzungen tatsächlich nicht vorgelegen haben, kann sie sich auf eine mögliche Pflicht21 BSG, Urt. v. 9.6.1998, B 1 KR 18/96 R = BSGE 82, 158 22 BSG, Urt. v. 23.10.1996, 4 RK 2/96 = BSGE 79, 190

verletzung des Arztes nur diesem gegenüber berufen23 (vgl. § 106 SGB V). Lösung Praxisfall 1: Die Krankenkasse muss nicht zahlen, da keine (wirksame) Verordnung vorlag. Der Pflegedienst muss gegenüber seinem Kunden abrechnen. In § 2 HKP-Richtlinie werden die Grundzüge der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V zusammengefasst: § 2 Abs. 1 und 2 HKP-Richtlinie Die häusliche Krankenpflege beinhaltet – Maßnahmen der ärztlichen Behandlung, die dazu dienen, Krankheiten zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und die üblicherweise an Pflegefachkräfte/Pflegekräfte delegiert werden können (Behandlungspflege), –G  rundverrichtungen des täglichen Lebens (Grundpflege) und – Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Anforderungen einer eigenständigen Haushaltsführung allgemein notwendig sind (hauswirtschaftliche Versorgung). Ziele der Verordnung häuslicher Krankenpflege sind – der oder dem Versicherten das Verbleiben oder die möglichst frühzeitige Rückkehr in ihren oder seinen häuslichen Bereich zu erlauben (Krankenhausvermeidungspflege) oder

– Sicherstellung der Versorgung bei schwerer Krankheit oder akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung (Unterstützungspflege).

23 BSG, Urt. v. 23.4.1996, 1 RK 20/95 = BSGE 78, 154

Behandlungspflege

– ambulante ärztliche Behandlung zu ermöglichen und deren Ergebnis zu sichern (Sicherungspflege),

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3.2 Muss eine ärztliche Verordnung genehmigt werden? – Der Genehmigungsvorbehalt  BEISPIEL

Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Praxisfall 2:24

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V litt unter einem Zustand nach Embolie am linken Arm, einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom, einer cerebralen Durchblutungsstörung, einer koronaren Herzkrankheit sowie unter Vergesslichkeit. Am 23.6.20xx verordnete die Vertragsärztin, die bereits in den Vorquartalen Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu Lasten der Krankenkasse verordnet hatte, häusliche Krankenpflege für das 3. Quartal in Form von Medikamentenabgabe. In der Folgezeit erbrachte der Pflegedienst gegenüber V die verordneten Leistungen. Unter dem 9.9.20xx teilte das Abrechnungszentrum der Krankenkasse mit, dass eine Verordnung nicht eingegangen sei. Daraufhin übersandte der Pflegedienst eine Kopie der ausgefüllten Verordnung. Die Krankenkasse will die Leistungen ab 13.9.20xx (Eingang der Kopie der Verordnung) zahlen, nicht jedoch die erbrachten Leistungen vom 1.7. bis 12.9.20xx. Zu Recht?

Die gesetzlichen Krankenkassen berufen sich trotz der vorliegenden ärztlichen Verordnung auf ihre Prüfungskompetenz und lassen sich jede ärztliche Verordnung häuslicher Krankenpflege zur Genehmigung vorlegen (vgl. dazu die Gestaltung des Verordnungsformblattes Nr. 12). Fraglich ist aber, ob im Bereich der häuslichen Pflege nach § 37 SGB V überhaupt ein Fall des sogenannten Genehmigungsvorbehalts vorliegt oder die Kongruenz von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht bereits allein durch die ärztliche Verordnung hergestellt wird. Die Ansprüche auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1, 1a und 2 SGB V stehen nach ihrem Wortlaut nicht unter einem Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen. Ein solcher wird aus der Prüfung des negativen Tatbestandsmerkmals des § 37 Abs. 3 SGB V oder dem allgemeinen Antragsgebot des § 19 SGB IV abgeleitet, allerdings ohne zwingende juristische Argumentation.25 Zwei weitere Gründe sprechen juristisch jedenfalls gegen eine generelle Genehmigungsprüfung: Zum einen der Wortlaut des § 37 Abs. 1 Satz 5 SGB V. Dieser ordnet ausdrücklich eine Prüfung durch den MDK an, wenn die Krankenhausvermeidungspflege länger als vier Wochen dauern soll. Wäre nach dem Willen des Gesetzgebers jede einzelne ärztliche Verordnung der häuslichen Krankenpflege zu prüfen und zu genehmigen, dann hätte es dieser Regelung nicht bedurft! Zum 24 LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.08.2010, L 5 KR 105/09 25 siehe hierzu ausführlich Richter/Bohlken NZS 2000, Seite 236

§ 6 Abs. 1 HKP-Richtlinie Die von der oder dem Versicherten durch Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung beantragten Leistungen bedürfen der Genehmigung durch die Krankenkasse.

Behandlungspflege

anderen erfolgt die Prüfung des Tatbestandsmerkmals „erforderlich“ (vgl. den Wortlaut des § 37 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz SGB V) zwar auf einer objektiven Basis26 – mithin gilt nicht ausschließlich die subjektive Entscheidung des behandelnden Arztes27 – wie bei anderen leistungsrechtlichen Ansprüchen des SGB V auch, doch werden gewöhnlich lediglich Einzelfälle, bei denen ein „Anfangsverdacht“ eine weitere Sachaufklärung gebietet, geprüft. Gegen einen Genehmigungsvorbehalt der häuslichen Krankenpflege sprechen neben der Tatsache, dass eine Genehmigung über Jahre nicht gefordert wurde, vor allem auch praktische Gründe. Das BSG formuliert es so: „Die Mitwirkung der jeweiligen Krankenkasse bei der Leistungserbringung in der Form einer vorherigen Bewilligungsentscheidung ist angesichts der großen Zahl von Behandlungsfällen nicht praktikabel und deshalb in den die vertragsärztliche Versorgung regelnden Vorschriften nur ausnahmsweise vorgesehen. Im Regelfall kann die Krankenkasse vorschriftswidrige oder unwirtschaftliche Behandlungen daher nicht verhindern; ihre Einwirkungsmöglichkeit beschränkt sich auf die nachträgliche Überprüfung und gegebenenfalls den Rückgriff gegen den Arzt wegen der von diesem rechtswidrig verursachten Kosten.“28 Diese Aussagen bedeuten aber nicht, dass der Arzt anstelle der Krankenkasse oder als deren Vertreter über das rechtliche Bestehen von Leistungsansprüchen zu befinden oder gar hierüber Verwaltungsakte zu erlassen hätte. Das ist weder seine Aufgabe noch ist er dazu aufgrund seiner Ausbildung in der Lage.29 Mit der Verordnung von häuslicher Krankenpflege trifft der Vertragsarzt in der Praxis keine die Krankenkasse bindende Therapieentscheidung. Auch wenn die häusliche Krankenpflege nicht zu den Leistungen gehört, für die außer in Notfällen ausdrücklich eine vorherige Bewilligung durch die Krankenkasse zusätzlich zu der vertragsärztlichen Verordnung vorgeschrieben ist. Zusammengefasst: § 37 SGB V regelt kein Genehmigungsverfahren. Insbesondere ist dort in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V nicht formuliert: „Versicherte erhalten in Ihrem Haushalt … als häusliche Krankenpflege Behandlung, wenn die Krankenkasse dies genehmigt.“ Gleichwohl hat der Gemeinsame Bundesausschuss wohl als Rückgriff auf § 27 Abs. 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte ein Genehmigungsverfahren geregelt. § 6 Abs. 1 HKP Richtlinie formuliert:

Die Begründungen für die Durchführung des Genehmigungsverfahrens sind unterschiedlich. Regelmäßig wird das Genehmigungsverfahren als Ausfluss des Wirtschaftlichkeitsprinzips (§ 12 SGB V) dargestellt. Letztlich ist es aber nicht mehr 26 27 28 29

BSG, Beschl. v. 25.9.2007, GS 1/06; dazu: BSG, Beschl. v. 4.4.2006, B 1 KR 32/04 R BSG, Beschl. v. 3.8.2006, B 3 KR 1/06 S BSG, Urt. v. 9.6.1998, B 1 KR 18/96 R = BSGE 82, 158 BSG, Urt. v. 24.9.1996, 1 RK 26/95

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist 40

als das Misstrauen des Gemeinsamen Bundesausschusses den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten gegenüber und damit eine Prüfung der ureigenen ärztlichen Tätigkeit. Dabei wäre nach dem SGB V dann, wenn ein Vertragsarzt nicht medizinisch Indiziertes verschreiben bzw. verordnen würde, ein Regress nach § 106 SGB V möglich. Das Genehmigungsverfahren prüft insoweit nicht etwa die Tätigkeit des ambulanten Pflegedienstes, sondern allein die ärztliche Verordnung, also das ärztliche Handeln! Daher ist auch klar, dass nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenkassen die Genehmigung bzw. die Prüfung vornehmen, sondern allein der MDK. Dieser prüft nach § 275 SGB V auf Antrag der Krankenkasse. Die Krankenkassen selbst prüfen lediglich, ob der Versicherte noch bei der Kasse selbst versichert ist und ob ein Ausschlussgrund nach § 37 Abs. 3 SGB V vorliegt, also der Versicherte selbst oder ein im Haushalt lebender Angehöriger die Versorgung übernehmen kann. Die Prüfung medizinischer Fragen hat immer auf dem Weg der Vorlage der ärztlichen Verordnung beim zuständigen MDK zu erfolgen, wie § 6 Abs. 1 Satz 1 HPK-Richtlinie beschreibt: § 6 Abs. 2 Satz 1 HKP-Richtlinie Die Krankenkassen können im Rahmen des Genehmigungsverfahrens mit der Prüfung der verordneten Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung beauftragen. Dabei kommt den Krankenkassen keinerlei Ermessen zu, ob für die medizinische Prüfung der ärztlichen Verordnung der MDK eingeschaltet wird oder nicht. Das Genehmigungs- und Prüfungsverfahren für eine ärztliche Verordnung wird bundeseinheitlich für alle Krankenkassen in der Bundes-Rahmenempfehlung vom 10.12.2013 nach § 132a Abs. 1 SGB V konkretisiert. Diese Bundes-Rahmenempfehlung dient der einheitlichen Versorgung der Versicherten mit häuslicher Krankenpflege und geht daher allen „Einzel“-Rahmenverträgen der Pflegedienste und Sozialstationen nach § 132a Abs. 4 SGB V vor. Nach § 2 Abs. 2 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V sind ärztliche Verordnungen der häuslichen Krankenpflege unter Anwendung des § 275 Abs. 1 SGB V zu prüfen; wörtlich: § 2 Abs. 2 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V Die von der oder dem Versicherten eingereichte ärztliche Verordnung wird durch die Krankenkasse unter Berücksichtigung des § 275 Abs. 1 und 2 SGB V geprüft. Strikter als § 6 Abs. 2 Satz 1 HKP-Richtlinie formuliert der über die Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V anzuwendende, also die entscheidende rechtliche Wertung enthaltene § 275 Abs. 1 SGB V, der die Beratung und Begutachtung der Krankenkassen durch den MDK regelt. Eindeutig ist von einer „Ver-

pflichtung“ der Krankenkassen die Rede und von einer „gutachterlichen Stellungnahme“ des MDK. § 275 Abs. 1 SGB V: Die Krankenkassen sind … wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, … eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) einzuholen.

Behandlungspflege

Die Prüfung der Erforderlichkeit der ärztlichen Verordnung häuslicher Krankenpflege erfolgt immer über den MDK auf dem Wege einer gutachterlichen Stellungnahme. Auch wenn es hinsichtlich des Aufbaus und des Inhalts eines Behördengutachtens keine normativen Vorgaben gibt, so ist auch eine gutachterliche Stellungnahme in erster Linie ein Gutachten. Also ein begründetes Urteil eines Sachverständigen über eine Zweifelsfrage. Es enthält zwingend Darstellungen von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands. Ein Gutachten muss vollständig und nachvollziehbar sein und sollte möglichst auch für einen Nichtfachmann verständlich formuliert werden. Ein Gutachten enthält eine allgemein vertrauenswürdige Beurteilung eines Sachverhalts im Hinblick auf eine Fragestellung. Im Gegensatz zu einem Gutachten kann sich eine gutachterliche Stellungnahme auf die Kernpunkte der Beurteilung konzentrieren und muss nicht Befunde und Zustandekommen der Ergebnisse genau dokumentieren. Der Gutachter kann sich bei einer gutachtlichen Stellungnahme auf bereits vorliegende Untersuchungen beziehen, ohne diese im Detail prüfen zu müssen.

Genehmigungsvorbehalt?

[email protected]

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Ist das eine gutachterliche Stellungnahme?

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Die gutachterlichen Stellungnahmen werden dieser Anforderung häufig nicht gerecht, auch dann, wenn man in Hinblick auf die Vielzahl der Aufgaben des MDK einer milden Beurteilung zugeneigt ist. Ein besonders erschreckendes Beispiel des MDK Nord aus Oldenburg soll allerdings illustrieren, wie weit in diesem Bereich Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen: Die beteiligte Krankenkasse stellt die Frage, ob eine ärztlich verordnete Injektion auf Dauer medizinisch begründet ist. Darauf antwortet der MDK-Gutachter, der nicht einmal seine Qualifikation angibt, nur ausweichend. Da die Nachvollziehbarkeit und Vollständigkeit auf den ersten Blick fehlt, darf der Sachbearbeiter bei der Krankenkasse auf der Grundlage dieses „Schmier-Zettels“ keine Ablehnung der häuslichen Krankenpflege begründen, will er selbst nicht rechtswidrig handeln. Dies gilt auch dann, wenn man diese fragwürdige Begutachtungspraxis, die zu einem wenig überzeugenden fehlerhaftem Gutachten führt, jedoch den vermeintlichen Interessen oder Ansichten des Auftraggebers entgegenkommt, als Gefälligkeitsgutachten bezeichnen will. Eine solche Vorgehensweise hilft der Krankenkasse nicht, da sie im Wege des Amtsermittlungsgrundsatzes nach §§ 20, 21 SGB X ohnehin den Sachverhalt vollständig und nachvollziehbar aufklären muss. Hinzu kommt die Regelung des § 275 Abs. 5 SGB V, wonach der MDK nicht in die ärztliche Behandlung eingreifen darf.

§ 275 Abs. 5 SGB V: Die Ärzte des Medizinischen Dienstes sind bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Sie sind nicht berechtigt, in die ärztliche Behandlung einzugreifen. Will die Krankenkasse die ärztliche Verordnung nicht oder nicht in vollem Umfang genehmigen, so hat die Krankenkasse die verordnenden Ärzte zu informieren und die Gründe, die der MDK bei seiner Prüfung der Verordnung festgestellt hat, zu übermitteln. Gegebenenfalls ist daher bei der Ablehnung einer ärztlichen Verordnung eine Akteneinsicht zu beantragen, um die Ablehnungsgründe zu erfahren. Die Akteneinsicht steht zwar nicht ausdrücklich dem Versicherten selbst zu, in jedem Fall aber einem eingeschalteten anwaltlichen Vertreter. Ausdrücklich ist die Übermittlung der Gründe in § 6 Abs. 2 Satz 2 HKP-Richtlinie gegenüber dem behandelnden Vertragsarzt geregelt. § 6 Abs. 2 Satz 2 HKP-Richtlinie Werden verordnete Maßnahmen nicht oder nicht in vollem Umfang genehmigt, hat die Krankenkasse die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt über die Gründe zu informieren. Praxistipp: Besprechen Sie mit dem behandelnden Arzt, dass auch Sie die Gründe für eine Ablehnung der ärztlichen Verordnung durch die Krankenkassen erfahren.

Zustimmung § 182 BGB Einwilligung, § 183 BGB = vorherige Zustimmung

Genehmigung, § 184 BGB = nachträgliche Zustimmung

Behandlungspflege

Für die Kenner der rechtlichen Materie sei noch auf Folgendes hingewiesen: Das deutsche Zivilrecht trennt in einer Legaldefinition (einer Definition des Begriffes im Gesetz selbst, sodass eine weitere Auslegung nicht mehr möglich ist) die Zustimmung in den §§ 182 ff. BGB in zwei zeitlich unterschiedliche Sachverhalte:30

Da der Begriff „Genehmigung“ von den Krankenkassen nicht nur umgangssprachlich benutzt wird, sondern dieser Begriff auch Eingang in die Richtlinie gefunden hat, ist anzunehmen, dass immer nur die nachträgliche Zustimmung gemeint ist, da identische Begriffe in Gesetzen und untergesetzlichen Rechtsnormen nicht unterschiedliche Bedeutungen haben können (sog. Grundsatz der Einheit der 30 ausführlich: Castendiek, RsDE Band 51 (2002), Seite 25

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Rechtsordnung). Auf die gesetzliche Definition der Genehmigung sollte daher in der Verwaltungspraxis hingewiesen werden. Die Lösung für den Praxisfall 2: Ein Anspruch auf Vergütung erbrachter Leistungen der häuslichen Krankenpflege entsteht nur, wenn die Krankenkasse sie „genehmigt“ hat. Dabei handelt es sich nicht um eine Genehmigung i. S. d. § 184 BGB, sondern um die Auftragserteilung im konkreten Leistungsfall, die gleichzeitig den Umfang des Auftrages festlegt. Erst mit einer Genehmigung durch die Krankenkasse liegt ein wirksamer Auftrag vor, im Rahmen dessen der Pflegedienst tätig werden kann. Angesichts des Umstandes, dass Krankenkassen bestimmen können, in welchem Umfang sie Leistungserbringer zur Erfüllung ihrer Sachleistungsverpflichtung heranziehen, handelt derjenige, der außerhalb des erteilten Auftrags tätig wird, ohne rechtliche Grundlage und damit grundsätzlich ohne Anspruch auf eine Vergütung.31 Praxistipp: Jede Verordnung ist vorab per Fax an die jeweilige Krankenkasse zu schicken und im Original per Post hinterher. Der Einzelsendebericht ist bis zur Zahlung bzw. dem Eingang des Genehmigungsschreibens aufzubewahren. Zu diesem Thema später im Zusammenhang mit der 3-Tage-Frist mehr!

3.3 Muss die Genehmigung der Krankenkasse innerhalb einer bestimmten Frist vorliegen oder gibt es eine Genehmigungsfiktion?  BEISPIEL Praxisfall 3: V erhielt von seiner behandelnden Ärztin am 01.07.20xx eine Verordnung häuslicher Krankenpflege. Diese wurde von der von V gewählten Sozialstation sofort der Krankenkasse übermittelt. Den gesamten Juli 20xx hört die Sozialstation von der Krankenkasse nichts, auch bei V oder der behandelnden Ärztin gehen keine Schreiben der Krankenkasse ein. Am 10.08.20xx fordert die Krankenkasse weitere Unterlagen an, die dem MDK vorgelegt werden sollen. Die Sozialstation fragt sich, ob sie nun noch die Unterlagen nach Ablauf von fast sechs Wochen noch übersenden muss. Als die Sozialstation keine Übersendung vornimmt, lehnt die Krankenkasse die Genehmigung der ärztlichen Verordnung häuslicher Krankenpflege ab. Zu Recht?

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31 BSG, Urt. v. 24.9.2002, B 3 KR 2/02 R

§ 13 Abs. 3a Satz 5 und 6 SGB V: Kann die Krankenkasse Fristen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 … nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V beruht auf dem Patientenrechtegesetz vom 20.2.2013.33 Sie verfolgt das Ziel, Entscheidungsprozesse der Krankenkassen im Interesse der Patienten zu beschleunigen. Insoweit kommt der Vorschrift gegenüber einer zu langsam arbeitenden Krankenkasse Sanktionswirkung zu.34 Wie funktioniert die Genehmigungsfunktion?

Behandlungspflege

Das Gesetzespaket zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten brachte nicht nur Regelungen zum Behandlungs- und Arzthaftungsrecht, die in den §§ 630a bis 630h BGB neu geregelt wurden, sondern enthielt auch Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung. So wurden die gesetzlichen Krankenkassen allgemein verpflichtet, bei Leistungszusagen aller Art eine Prüfung und Entscheidung binnen drei Wochen, sollte das Einschalten des MDK erforderlich sein, binnen insgesamt fünf Wochen vorzunehmen. Die so gesetzten Fristen wurden im neuen § 13 Abs. 3a SGB V formuliert und betreffen für ambulante Pflegedienste vor allem die Verordnungen häuslicher Krankenpflege und damit die Leistungsansprüche der Kunden. Umfasst vom Beschleunigungsgebot sind alle Anträge auf Leistungen, die eine von der Krankenkasse innerhalb des Systems der SGB V geschuldete Leistung betrifft. § 13 Abs. 3a SGB V bezweckt allein die Beschleunigung der bürokratischen Bewilligungsverfahren bei den Krankenkassen. Die Regelung dient damit zum einen der schnellen Klärung von Leistungsansprüchen, zum anderen erhalten die Versicherten bei Vorliegen der von den Krankenkassen geprüften Anspruchsvoraussetzungen in kurzer Zeit ihre Leistung. Nach nicht rechtzeitiger Entscheidung der Krankenkasse können die Versicherten sich erforderliche Leistungen selbst beschaffen. Diese Ausnahme vom Sachleistungsprinzip stellt eine weitere Sanktionsmöglichkeit gegen die Krankenkasse dar, wenn diese nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Zeit entscheidet. Diese Regelung dient damit nicht nur der Beschleunigung der Bearbeitung der Leistungszusage, sondern bringt für die ambulanten Pflegedienste ein Mehr an Rechtssicherheit.32

§ 13 Abs. 3a Satz 1 bis 3 SGB V: Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach 32 BT-Drucksache 17/10488, Seite 32 33 BGBl. I 2013, Seite 277 34 LSG Bayern, Urt. v. 31.1.2017, L 5 KR 471/15

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Gemäß § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere eine des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten darüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Kann die Krankenkasse die Fristen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Werden keine hinreichenden Gründe mitgeteilt, gilt die Leistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V). Kann also über einen Leistungsantrag nicht innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme des MDK nach § 275 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeholt wurde, nicht innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang entschieden werden, muss die Krankenkasse dies den Versicherten mit nachvollziehbarer Begründung schriftlich mitteilen.35 Dabei kann sich die Krankenkasse regelmäßig nicht auf Gründe berufen, die in ihren eigenen Verantwortungsbereich fallen, insbesondere die Arbeitsüberlastung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auch wenn die Krankenkasse es für erforderlich hält, eine gutachterliche Stellungnahme des MDK einzuholen, hat sie den Versicherten darüber unverzüglich zu informieren, damit der Versicherte weiß, ob die Drei- oder die Fünfwochenfrist gilt. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes für die Verzögerung, so gilt die Leistung nach Ablauf der Frist automatisch als genehmigt. Die Krankenkasse kann nun nicht mehr die Leistung einfach ablehnen, sondern müsste diese (erneute) Ablehnung mit neuen Tatsachen begründen. Praxistipp: Bitte überwachen Sie im eigenen Interesse die Einhaltung der Drei- bzw. Fünfwochenfrist. Am leichtesten geht dies mit dem Nachweis der Übersendung der Verordnung per Fax. Sollte diese Frist ablaufen, so gilt der Antrag als nunmehr genehmigt. Beschaffen sich die leistungsberechtigten Versicherten nach Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten in 46

35 LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 21.9.2018, L9KR 110/18 B ER HKP

der entstandenen Höhe verpflichtet. Die Versicherten werden also so gestellt, als hätte die Krankenkasse die Sachleistung rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Dies ist im Bereich der häuslichen Krankenpflege nicht so entscheidend, da die Krankenkasse die Leistungen der häuslichen Krankenpflege ohnehin bis zur Ablehnung übernimmt, wenn ihr die Verordnung am dritten Werktag zugeleitet wird. Wichtig ist: Da faktisch das „Ja“ der Kasse zum Antrag fingiert wird, muss die ärztliche Verordnung inhaltlich so bestimmt sein, dass ein entsprechender förmlicher Verwaltungsakt im Sinne des § 33 SGB X hinreichend bestimmt wäre. Aus dem Antrag muss sich also ergeben, welche Behandlungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen, damit der Umfang der (fiktiven) Bewilligung feststeht.36 Für den Praxisfall 3 kann also festgestellt werden, dass die Krankenkasse nicht mehr berechtigt war, weitere Unterlagen einzufordern, da die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V bereits eingetreten war. Da Verordnungen häuslicher Krankenpflege regelmäßig hinreichend bestimmt sind, indem sowohl der Umfang der Verordnung als auch der zeitliche Ablauf und insbesondere die verordnete Verrichtung deutlich beschrieben sind, bedarf es keiner weiteren Genehmigung. Sollte sich die Krankenkasse weiterhin weigern, die Zahlung vorzunehmen, so kann der versicherte V. nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V die Kostenfreistellung verlangen, da V berechtigt war, sich die Leistungen über die Sozialstation selbst zu beschaffen. Nach Eintritt der Genehmigungsfiktion ist der Zugang der Ablehnungsentscheidung unerheblich, wenn darin nicht zugleich eine Aufhebungsentscheidung liegt.37 Eine Aufhebungsentscheidung müsste die Krankenkasse aber damit beSchaubild B Die gründen, dass sich entweder tatsächlich oder rechtlich etwas geändert hätte.

§ 6 Abs. 6 HKP-RL/ § 13 Abs. 3a SGB V

Behandlungspflege

§ 6 Abs. 6 HKP-RL/§ 13 Abs. 3a SGB V

Was passiert nach Ablauf von 3 Wochen? Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3a SGB V: Ausstellungsdatum

Versand/ Zugang VO

Ablehnung Krankenkasse

Mehr als 3 Wochen [email protected]

3

[email protected] 36 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 26.5.2014, L 16 KR 154/14 B ER – zur Hilfsmittelversorgung 37 BSG, Urt. v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40.

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Genehmigungsfiktion bleibt – wie bei Erteilung einer Genehmigung durch Verwaltungsakt – gegenüber dem Leistungsberechtigten unabhängig von der Rechtmäßigkeit der fingierten Genehmigung wirksam, solange und soweit sie nicht aufgehoben oder auf andere Weise erledigt ist, § 39 Abs. 2 SGB X.Da die Krankenkasse bis zur Ablehnung der Verordnung zahlen muss, gibt es keine Frist, innerhalb derer eine Genehmigung oder die Ablehnung vonseiten der Krankenkasse erteilt werden muss. Läuft daher der gesamte Verordnungszeitraum ab, so können Sie einfach monatlich abrechnen, auch wenn eine Genehmigung oder Ablehnung noch nicht vorliegt. Wird die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit von der Krankenkasse nicht oder nur schleppend aufgenommen, so steht die fehlende Genehmigung einem Vergütungsanspruch des Pflegedienstes nicht entgegen. Gleiches gilt natürlich auch für ein fehlendes „EDV“-Kennzeichen für Abrechnung.38  ACHTUNG Beachte: Auch ohne Genehmigung und Genehmigungsziffer können die erbrachten Leistungen abgerechnet werden. Einige Krankenkassen haben für diese Fälle sog. „Pseudo-Abrechnungsziffern“ vorgesehen. Bitte informieren Sie sich bei Ihrem Abrechnungsunternehmen oder bei Ihren Verbänden über diese Abrechnungsmöglichkeit. Zahlen die Krankenkasse oder die von diesen eingeschalteten Abrechnungszentren nicht, so befinden sich diese im Verzug und haben so insbesondere die Verzugszinsen und die Mahnpauschale des § 288 Abs. 5 BGB zu tragen.

3.4 Was tun, wenn die Genehmigung versagt wird? – Kann der Pflegedienst die erbrachten Leistungen abrechnen?  BEISPIEL Praxisfälle 4 – 6: 4: Die PDL X ist glücklich: Die Verordnungen vom 31.3. (Montag) konnten bereits am 1.4. bearbeitet, auf Vollständigkeit der Einträge überprüft, von den Versicherten unterschrieben und sofort auf den Postweg gebracht werden. Durch ein Versehen der Post wurde der Briefumschlag leider erst am 3.4. (Donnerstag) der Krankenkasse zugestellt.

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38 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.7.2010, L 11 KR 1960/09

5: wie 10, doch gibt die PDL den Briefumschlag am 2.4. ihrem „BuFDi“ mit, damit dieser den Umschlag direkt bei der Krankenkasse einwirft. Um sich auf das künftige Jura-Studium vorzubereiten, geht der „BuFDi“ mittwochs immer in die Kneipe „Zur letzten Instanz“. Um 23:30 Uhr bemerkt er den Umschlag in seiner Tasche, völlig geschockt wirft er den Umschlag um 23:50 Uhr (Gerichtsstempel) beim nahen Amtsgericht ein. Die Krankenkasse erhält die Verordnungen auf dem Behördenweg am 17.4. 6: wie 10, doch hat die PDL ab 1.4. Urlaub. Noch abends fliegt sie mit ihrem Freund nach London. Bei der Passkontrolle fällt ihr der Umschlag auf. Innerlich schon Abschied nehmend von ihrem schönen Arbeitsplatz gibt sie den Umschlag am 2.4. bei der deutschen Botschaft ab. Mit der Diplomatenpost erhält die Krankenkasse die Verordnungen am 8.5. Wann geht die Post der Krankenkasse rechtzeitig zu?

Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 HKP-Richtlinie, so haben wir bereits erörtert, sind die ärztlichen Verordnungen von der jeweiligen Krankenkasse des Versicherten zu genehmigen.

Ob die HKP-Richtlinie überhaupt geeignet ist, eine derartige Hürde zu Lasten des Versicherten aufzustellen, obwohl die gesetzliche Regelung des § 37 SGB V keine Genehmigungspflicht normiert, soll an dieser Stelle nicht behandelt werden, da die Praxis von einem Genehmigungsvorbehalt ausgeht. Entscheidend für die Bewertung der HKP-Richtlinie ist aber, dass die (für die Pflegebetriebe) negative Einführung eines untergesetzlichen Genehmigungsvorbehalts auf der anderen Seite durch einen enormen Zugewinn an Rechtssicherheit ausgeglichen wird. Der wichtigste Fall ist die Abrechnung der durch den Pflegedienst erbrachten Leistungen, wenn die Krankenkasse die Genehmigung der Verordnung – aus welchen Gründen auch immer – verweigert. Obwohl bereits vor der ersten Veröffentlichung der HKP-Richtlinie die Rechtslage eindeutig war, dass erbrachte Leistungen bis zur Bekanntgabe der Ablehnung auch abrechnungsfähig sind, verneinten einige Krankenkassen eine solche Abrechenbarkeit. Abenteuerlich die Begründungsversuche: Die Ablehnung der Verordnung zeige, dass auf die Leistung von Anfang an kein Anspruch bestand. Oder: Die Nicht-Abrechenbarkeit sei Ausdruck des Unternehmerrisikos. Dabei gilt: § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie Die Krankenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt verordneten und vom Pflege­

Behandlungspflege

§ 6 Abs. 1 HKP-Richtlinie Die von der oder dem Versicherten durch Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung beantragten Leistungen bedürfen der Genehmigung durch die Krankenkasse.

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

dienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 4 SGB V, wenn die Verordnung spätestens am dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag (Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind) der Krankenkasse vorgelegt wird. Das Nähere regeln die Partner der Rahmenempfehlungen nach § 132a Abs. 1 SGB V.

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Zunächst also die beruhigende Botschaft für alle Pflegedienste – bundesweit: Die Kosten der erbrachten Leistungen werden auch bei Ablehnung der ärztlichen Verordnung übernommen; und zwar nach dem klaren Wortlaut: einer jeden Verordnung, auch der Folgeverordnung für den gleichen Versicherten. Das „aber“ der Regelung, die Forderung, dass die Kostenübernahme davon abhängt, dass die Verordnung am dritten (in der ersten Zeit der HKP-Richtlinie waren es nur „zwei“ Arbeitstage) der Ausstellung folgenden Arbeitstag zugestellt wird, ist weniger dramatisch, als es auf den ersten Blick erscheint. Im Zeitalter von Fax und E-Mail dürfte eine Vorlage innerhalb von drei Arbeitstagen möglich sein. Dazu gibt es Hilfe durch eine unerklärlicherweise oftmals völlig unbekannte Regelung des allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts. Grundsatz des deutschen Sozialversicherungsrechts ist seine einfache Handhabung für den Versicherten und die Maßgabe, dass die Vorschriften des SGB im Zweifel dahin auszulegen sind, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 SGB I).39 Wichtig für die Anwendung dieser Drei-Tage-Regelung ist – wie bei der Anwendung von juristischen Regelungen allgemein – die Erfassung des genauen Wortlauts. Daher der entscheidende Teil des § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie nochmals: § 6 Abs. 6 Satz 1 HKP-Richtlinie Die Krankenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 4 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag (Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind) der Krankenkasse vorgelegt wird. Der Begriff des „Arbeitstages“ ist aber bisher nicht einheitlich gesetzlich definiert worden. Daher hatten einige Krankenkassen den Sonnabend mit hinzu gezählt. Die HKP-Richtlinie nimmt nun eine eigene Definition vor, damit eine einheitliche Rechtsanwendung gewährleistet ist. Daher erscheint nach dem Begriff Arbeitstag in der HKP-Richtlinie nun ein einheitlicher folgender Zusatz: Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind. Alles Weitere zum Verfahren zur Genehmigung regeln die Verbände der Leistungserbringer und der Krankenkassen in den Bundes-Rahmenempfehlungen

39 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101

nach § 132a Abs. 1 SGB V, die bundesweit und verbindlich für die Krankenkassen und die Pflegedienste gelten. § 6 Abs. 6 Satz 2 SGB V ordnet dies an: § 6 Abs. 6 Satz 2 HKP-Richtlinie Das Nähere regeln die Partner der Rahmenempfehlungen nach § 132a Abs. 1 SGB V. Die Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V zur Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege vom 10.12.2013 gilt derzeit in der Fassung vom 30.8.2019. Mit der Änderung wurde ein Inhaltsverzeichnis eingefügt, die Präambel und die Berufsbezeichnungen angepasst sowie mit § 3 Regelungen zur Dokumentation der Häuslichen Krankenpflege und mit § 4 zur außerklinischen ambulanten Intensivpflege eingefügt. § 2 Abs. 3 Satz 2 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V: Die Frist soll als gewahrt gelten, wenn die Verordnung als Fax oder als Datei der Krankenkasse vorliegt.  ACHTUNG Beachte: Jede ärztliche Verordnung häuslicher Krankenpflege ist den Krankenkassen unverzüglich, also so schnell wie möglich (oder „ohne schuldhaftes Zögern“ wie § 121 BGB diesen Begriff definiert) – per Fax oder zu übersenden. Dann ist die 3-Tages-Frist in jedem Fall gewahrt. Bei einer Übersendung per Fax ist als Nachweis ein Einzel-Sendebericht zu dokumentieren.

Das vorstehende Verfahren gilt auch dann, wenn einige Krankenkassen – aus welchem Grund auch immer – auf eine Übersendung per Fax verzichten wollen. Ein Verzicht auf die fristwahrende Übersendung per Fax sollte immer nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn die betreffende Krankenkasse schriftlich auf die Erhaltung der 3-Tage-Frist verzichtet, was aber kaum geschehen dürfte. Wird eine derartige Erklärung nicht abgegeben, so muss die Pflegekraft den Zugang der Verordnungen häuslicher Krankenpflege weiter per Fax oder E-Mail bei der Krankenkasse sicherstellen, um einer persönlichen Haftung für ausbleibende Zahlungen für erbrachte Leistungen des Pflegedienstes oder der Sozialstation zu entgehen.

Behandlungspflege

– auf elektronischem Weg („verschlüsselte“ E-Mail)

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Ohne vorheriges Fax?

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Praxistipp: Bitte versenden Sie Faxe und E-Mails so, dass Sie für jede Verordnung einen Einzel-Sendenachweis zur Akte nehmen können. Nur so können Sie später den Zugang nachweisen. Sammelfaxe hingegen reichen nicht aus. Bleibt zu klären, was vorab per Fax übersandt werden muss, nur die Vorderseite des Verordnungsformulars 12 oder Vorder- und Rückseite. Die Antwort auf diese Frage, was per Fax zu übersenden ist, gibt § 6 Abs. 6 Satz 1 HKP-Richlinie leicht erkennbar wörtlich. Damit die Frist gewahrt wird, muss die „Verordnung“ der Krankenkasse vorgelegt werden. Dabei besteht das Verordnungsformular aus 2 getrennten Verwaltungsvorgängen: Während die Vorderseite mit den Worten „Verordnung häuslicher Krankenpflege“ überschrieben ist, … … trägt die Rückseite die Überschrift „Antrag des Versicherten auf Genehmigung“ – wie wir bereits im Kapitel 2 gesehen haben. Wenn aber zur Fristwahrung lediglich die „Verordnung“ vorgelegt werden muss, keinesfalls aber die „Verordnung und der Antrag des Versicherten auf Genehmigung“, so ist grundsätzlich die Übersendung der Vorderseite des Formulars 12, also die ärztliche Verordnung ausreichend. Dieses Ergebnis macht aus zwei Gründen Sinn: Einerseits soll der Krankenkasse innerhalb der 3-Tages-Frist bekannt werden, welche Leistungen er-

bracht und welche Kosten entstehen werden und anderseits soll die Frist eingehalten sein, auch wenn der Versicherte noch keine Unterschrift unter den Antrag auf Genehmigung setzen konnte. Das Ergebnis schützt also die Pflegedienste und Sozialstationen und soll so auch die Verwaltungstätigkeit minimieren, die gerade bei der schnell einzuholenden Unterschrift des Versicherten, seiner Bevollmächtigten oder Betreuer, zu entfalten ist.

Vorab per Fax [vdek Vertrag Hamburg, Stand: 1.7.2015]

Behandlungspflege

Vorderseite des Formulars

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Daher ist unverständlich, wenn dieses eindeutige Ergebnis aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 6 Satz 1 HKP-Richtlinie durch einige Verbandsverträge nach § 132a Abs. 4 SGB V konterkariert wird. Als ein solches – für die beteiligten Sozialstationen nachteiliges – Vertragsmuster mag der Hamburger vdek-Vertrag der Wohlfahrtsverbände vom 1.7.2015 herhalten. Dieser regelt in § 3 Abs. 1 Satz 2, dass „beide Seiten der Verordnung“ per Fax übersandt werden müssen. Die Verhandler werden selbst angeben, welches Entkommen die Krankenkassen an anderer Stelle für diesen eindeutigen und vor allem bürokratischen Nachteil eingeräumt haben. Bei der weiteren Bearbeitung in der Praxis sind bereits denklogisch zwei Fälle zu unterscheiden, die völlig getrennt zu behandeln sind. Sind die ärztlich verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen grundsätzlich genehmigungsfähig, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, so zahlt die Krankenkasse den gesamten verordneten Zeitraum, unabhängig davon, ob die Drei-Tage-Frist zur Vorlage der Verordnung erfüllt wurde oder nicht. Durch § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie wird die Vergütung des Pflegedienstes für die erbrachten und medizinisch notwendigen Leistungen nicht beschränkt. Denn § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie begründet keine Ausschlussfrist, sofern die notwendige Leistung erbracht und die Verordnung erst später als am dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag (Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind) der Krankenkasse vorgelegt wird. Schaubild A – Teil 1

Voraussetzungen

Voraussetzungen

NEIN

Versicherteneigenschaft JA

NEIN

Diagnose des Arztes: „krank“

Keine Leistung

JA NEIN

Antrag auf Leistung bzw. Genehmigung

Schaubild A – Teil 2

Keine Leistung

[Bitte gleich JA an Schaubild A – Teil 1 anschließen] [email protected] Vorlage spätestens am 3. Werktag?

JA

1

NEIN

Zahlung bis zum Eingang der Ablehnung

Verordnung genehmigungsfähig? NEIN

JA

Zahlung ab Verordnungsbzw. Leistungsbeginn

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Keine Leistung

Zahlung ab Eingang bei der Krankenkasse (bis zur Ablehnung)

[email protected]

2

[email protected]

Die Begründung dafür ist denkbar einfach, denn die zu erbringenden Leistungen, die der Sicherung der ärztlichen Behandlung dienen sollen, müssen unverzüglich erbracht werden. Ausgehend davon wird auch die Leistung nicht erst ab der Beantragung bzw. der Entscheidung bzw. der Genehmigung über die Leistung erbracht, sondern ab dem Zeitpunkt der Verordnung. Denn sonst würde dies dazu führen, dass der betroffene Kunde bis zur Entscheidung über die Genehmigung ohne die verordneten medizinisch notwendigen Leistungen bleiben würde. Daher regelt § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie folgerichtig, dass bis zur Entscheidung über die Genehmigung die verordneten und vom Pflegedienst entsprechend erbrachten Leistungen auch dann vergütet werden, wenn sich bei Prüfung der Verordnung für die Krankenkasse nachträglich herausstellt, dass die Leistung nicht genehmigungsfähig war. Die Regelung des § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie ist daher eine Schutzvorschrift für den Pflegedienst und für die Versicherten, jedoch keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist für die vor der Vorlage der Verordnung zu erbringende Leistung. Eine Ausschlussfrist „würde sowohl dem Sinn als auch dem Zweck der HKP-Richtlinien und dem gesamten System der häuslichen Krankenpflege widersprechen. Dies würde sogar so weit führen, dass für die verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen, die medizinisch notwendig sind, im Gegensatz zu den tatsächlich nicht medizinisch notwendigen Leistungen eine Vergütung verwehrt würde.“40 Da auch nach dieser Entscheidung Krankenkassen noch immer derartige „Einsparungen“ auf Kosten der Pflegedienste und Sozialstationen vorgenommen haben, wurden die Verbände der Krankenkassen auf der Bundesebene aktiv. § 2 Abs. 4 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V regelt diese Fälle nun ausdrücklich zugunsten der Pflegedienste und Sozialstationen:

40 so wörtlich: SG Potsdam, Urt. v. 24.1.2008, S 3 KR 57/06

Behandlungspflege

Praxisfall: Frist von drei Tagen überschritten - Genehmigungsfähig

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§ 2 Abs. 4 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V: Kosten für genehmigte und vom Pflegedienst erbrachte Leistungen sind auch bei verfristeter Einreichung der Verordnung ab Verordnungsbeginn durch die Krankenkasse zu tragen.

Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Praxistipp: Halten Sie im eigenen Interesse einer möglichst störungsfreien Abwicklung der ärztlichen Verordnungen den Drei-Tage-Zeitraum möglichst auch dann ein, wenn die ärztlich verordnete Leistung ohne Frage genehmigungsfähig ist.

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Die erste Teil-Lösung der Praxisfälle 4 – 6 lautet also sehr juristisch: „Es kommt darauf an!“ – Nämlich, ob die verordneten Leistungen genehmigungsfähig waren oder nicht. Nichtzahlung wegen verspäteter Vorlage: RECHTSWIDRIG!

41 so auch LSG Bayern, Urt. v. 10.12.2009, L 4 KR 103/07 42 SG Düsseldorf, Urt. v. 15.1.2002, S 24 KN 170/00 KR

Behandlungspflege

Die Drei-Tage-Frist des § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie entfaltet ihre Wirkung also nur dann, wenn eine Leistung ärztlich verordnet wird, die aus welchen Gründen auch immer nicht genehmigt werden kann. Genehmigt die Krankenkasse die ärztliche Verordnung nicht, so übernimmt sie grundsätzlich gleichwohl die Kosten für die vom ambulanten Pflegedienst vertragsgemäß durchgeführten Verrichtungen. Der Vergütungsanspruch besteht jedoch nur von Beginn der Leistung an, wenn die Verordnung spätestens an dem 3. der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Innerhalb der Drei-Tage-Frist ist die Verordnung auch auf der Rückseite ausgefüllt und vom Versicherten bzw. einem Vertreter unterschrieben der Krankenkasse zuzuleiten. Der vom Kunden auf der Rückseite des Formulars 12 unterschriebene Antrag auf die Genehmigung der Verordnung häuslicher Krankenpflege ist rechtlich eine sog. einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung im Sinne der §§ 130 Abs. 1 Satz 1, 146 BGB. Es reicht also die rechtzeitige Absendung der vom Kunden unterschriebenen und im unteren Teil der „Rückseite des Formulars 12“ vom Pflegedienst ausgefüllten Verordnung mit der Post nicht, es kommt auf den Zugang bei der Krankenkasse an. Da in diesem kurzen 3-Tage-Zeitraum die Originalverordnung nicht der Krankenkasse sicher vorgelegt werden kann, ist wie oben beschrieben zu verfahren und die eigentliche Verordnung in jedem Fall vorab per Fax der Kasse zuzuleiten. Danach ist ebenfalls „in jedem Fall“ die Originalverordnung zu übersenden. Das vorherige Fax belegt nur den Eingang innerhalb der Drei-TageFrist und ersetzt das Original – insbesondere die Rückseite – nicht. Zusammengefasst erstreckt sich der Vertrauensschutz des § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie nur auf die Leistungen, die vom Vertragsarzt verordnet und bei der Krankenkasse beantragt wurden.41 Ist die Drei-Tage-Frist versäumt worden und wird die ärztliche Verordnung – aus welchen Gründen auch immer – nicht genehmigt, so ist gleichwohl eine Entschuldigung für die verspätete Übersendung möglich. Etwa dann, wenn im konkreten Fall eine Berufung der beklagten Krankenkasse auf eine verspätete Antragstellung als rechtsmissbräuchlich angesehen wurde, da die Fristversäumnis vom Pflegedienst nicht verschuldet worden sei.42 Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Antrag auf Genehmigung der häuslichen Krankenpflege vom Kunden beziehungsweise seinem gesetzlichen Vertreter verspätet unterzeichnet wurde, obwohl der Pflegedienst auf die baldige Unterzeichnung der Anträge hingewirkt hatte. Leitet der Pflegedienst dann unverzüglich nach der Unterschrift durch den Kunden den Antrag auf Genehmigung der häuslichen Krankenpflege der Krankenkasse zu, so war dem Pflegedienst eine frühere Beantragung nicht möglich gewesen, und zwar aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat. Die Fristversäumnis kann dem Pflegedienst daher nicht angelastet werden, sodass die Krankenkasse die Kostenzusage nicht unter Berufung auf die Versäumnis der Antragsfrist ablehnen darf.

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Aber auch wenn die Frist von drei Arbeitstagen zur Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung über häusliche Krankenpflege überschritten worden ist, hat die Krankenkasse vor ihrer Entscheidung über die Genehmigung erbrachte Leistungen unabhängig von deren medizinischer Notwendigkeit zu vergüten, jedoch beschränkt auf die Zeit ab Eingang der Verordnung.43

Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Praxisfall: Frist von drei Tagen überschritten – Nicht genehmigungsfähig

Zurück zu den Praxisfällen 4 – 6: Bitte überlegen Sie! Bei welcher Fallgestaltung wird der Regelung des § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie vollständig Genüge getan, wenn letztlich die Genehmigung der ärztlichen Verordnung häuslicher Krankenpflege abgelehnt wird? Bei welchem Praxisfall wird in einem Ablehnungsfall von Leistungsbeginn an gezahlt? Das wundersame Ergebnis ergibt sich aus § 16 SGB I. § 16 Abs. 1 und 2 SGB I: Anträge auf Sozialleistungen sind beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Sie werden auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen. Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, sind unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der in Satz 1 genannten Stellen eingegangen ist. Jeder Antrag ist an den zuständigen Leistungsträger zu richten, also an die Krankenkasse des Kunden. Er wird aber auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den

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43 BSG, Urt. v. 20.4.2016, B 3 KR 17/15 R = BSGE 121, 119

§ 2 Abs. 1 Satz 4 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V Ergeben sich aus der Verordnung nicht alle für die Leistungsentscheidung erforderlichen Informationen oder ist die Verordnung nicht eindeutig, unzureichend oder fehlerhaft ausgefüllt, wendet sich die Krankenkasse ausschließlich an die ausstellende Ärztin/an den ausstellenden Arzt oder ggf. an die Versicherte/den Versicherten zur diesbezüglichen Klärung. Zuständig für derartige Rückfragen ist nach der bundesweit für alle Krankenkassen geltenden vertraglichen Regelung an erster Stelle der behandelnde Arzt oder die Ärztin, an zweiter Stelle der Versicherte als Kunde, in keinem Fall aber der Pflegedienst. Die Lösung der Praxisfälle 4 – 6 lautete in den bisherigen Auflagen dieses Buches, nur in den Praxisfällen 5 und 6 ist die Übersendung in Hinblick auf § 16 SGB I rechtzeitig. Helfen die gesetzlichen Regelungen nicht weiter, so übernehmen dies die Gerichte. Den Praxisfall 4 hat inzwischen das SG Saarland44 zugunsten der PDL entschieden. Für den zeitlich langen Postlauf ist die PDL entschuldigt, da ihr 44 SG Saarland, Urt. v. 15.1.2007, S 24 KN 44/06 KR

Behandlungspflege

amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen, so wörtlich § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I. Mit Eingang des Antrags bei einer der genannten Stellen, die für eine unverzügliche Weiterleitung zu sorgen haben, gilt der Antrag gemäß § 16 Abs. 2 SGB I als gestellt. Auf den Eingang bei der zuständigen Krankenkasse kommt es dann nicht mehr an. Unstreitig ist, dass eine untergesetzliche Rechtsnorm wie die HKP-Richtlinie nicht ein formelles, also vom Bundestag erlassenes Gesetz einschränkend auslegen kann, sodass in keinem Fall die Geltung des § 16 SGB I durch die HKP-Richtlinie eingeschränkt werden kann. Daher wird zunächst kurioserweise in den Praxisfällen 5 und 6 (wenn davon ausgegangen wird, dass in der Praxis die Antragstellung auf den Pflegedienst übergeht!) dem § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie Genüge getan. Bei späterer Ablehnung der Genehmigung muss die Krankenkasse bis zum Bekanntwerden der Ablehnung die erbrachten Leistungen bezahlen. Im eigenen Interesse bitte ich Sie, nicht jede Verordnung nun über die deutschen Botschaften zustellen zu lassen, aber übertragen Sie die oben genannten Fälle auf diejenigen der Praxis. Da schickt die Krankenkasse A Verordnungen zurück, weil sie angeblich an eine andere Regionalstelle der A zu schicken sind. Falsch: § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I sagt, wer weiterleiten muss! Ebenso haben wir bereits erörtert, dass der Pflegedienst nicht für das Ausfüllen der Verordnung zuständig und verantwortlich ist, sodass eine Rücksendung, „da eine Diagnose fehlt“, nicht den gesetzlichen Regelungen entspricht. Auch diese häufige Form der Monierung haben die Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene längst abstellen wollen und eine diesbezügliche Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 4 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V aufgenommen.

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

dieses Versäumnis der Post nicht zugerechnet werden kann, sodass auch in solchen Fällen die Krankenkassen Zahlung zu leisten haben. Empfohlen aber ist der sichere Weg mit einem vorher versandten Fax. Pflegedienste berichten immer wieder, dass Krankenkassen die Ablehnung oder Kürzung der ärztlichen Verordnung zunächst telefonisch übermitteln. Ein Ablehnungs- oder Kürzungsbescheid kommt erst Tage oder sogar Wochen später. Eine solche Vorgehensweise ist zulässig, da ein Verwaltungsakt auch mündlich erlassen werden kann. § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X regeln: Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Praxistipp: Da eine telefonische Ablehnung oder Kürzung der ärztlichen Verordnung durch die Krankenkasse möglich ist, sollten organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, wie damit umzugehen ist.

3.5 Muss die 3-Tages-Vorlagefrist bei jeder neuen Verordnung eingehalten werden?  BEISPIEL Praxisfall 7:45 V wurde mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen geboren und verbrachte ihre ersten Lebensmonate bis zum 15.8.20xx im Krankenhaus. Der behandelnde Kinderarzt verordnete ihr ab der Krankenhausentlassung mit einer sog. Erstverordnung bis 4.9.20xx, für das restliche 3. Quartal bis 30.9.20xx, ab 1.10.20xx und ab 1.1.20xx Behandlungssicherungspflege im Umfang von 24 Stunden täglich zur Atmungskontrolle, zur Überwachung des Blutdrucks und der Ausscheidung sowie zum Absaugen. V wurde von ihrer Krankenkasse mit einer Ernährungspumpe, einer Absaugvorrichtung, einem Überwachungsmonitor mit EKG, einem Pulsoximeter und einem transportablen Sauerstoffgerät ausgestattet. Der Pflegedienst führte die häusliche Krankenpflege entsprechend den ärztlichen Verordnungen durch. Zunächst gewährte die Krankenkasse mit Bescheiden vom 6.12.20xx (Eingang am 8.12.20xx) und 15.2.20xx nach Einholung einer Stellungnahme

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45 BSG, Urt. v. 20.4.2016, B 3 KR 17/15 R = BSGE 121, 119

des MDK häusliche Krankenpflege im Umfang von lediglich drei Stunden täglich und lehnte später die Gewährung häuslicher Krankenpflege für die Zeit ab 1.4.2006 – mit zutreffenden, hier nicht relevanten Gründen – insgesamt ab. Die Krankenkasse zahlte die häusliche Krankenpflege lediglich für 3 Stunden täglich für die Zeiträume 15.8. bis 4.9.20xx und 10.10. bis 8.12.20xx. Für die gesamte Folgezeit – auch ab der neuen Verordnung vom 1.1.20xx – entfalle nach Ansicht der Krankenkasse jeder Vertrauensschutz, weil der Pflegedienst ab Zugang des Bescheids vom 6.12.2005 gewusst habe, dass die Krankenkasse Behandlungspflege nur im Umfang von drei Stunden täglich für gerechtfertigt halte.46 Die Verordnung ab 1.9.20xx sei der Krankenkasse – unstreitig – nicht innerhalb von drei Arbeitstagen vorgelegt worden. Die restlichen Zahlungsansprüche wurden zurückgewiesen. Handelt die Krankenkasse rechtmäßig?

§ 6 Abs. 6 Satz 1 HKP-Richtlinie Die Krankenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 4 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag (Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind) der Krankenkasse vorgelegt wird. Nach dieser Regelung kann die Krankenkasse dem Vergütungsanspruch des allein auf Basis einer ihm vorliegenden vertragsärztlichen Verordnung tätig gewordenen Pflegedienstes das – sich erst nach eingehender Prüfung durch den MDK zeigende – Fehlen der medizinischen Notwendigkeit der Leistung nur entgegenhalten, wenn für den Pflegedienst klar erkennbar war, dass die häusliche Krankenpflege nicht wie verordnet medizinisch notwendig sein konnte. Mit dieser Regelung wollte der Gemeinsame Bundesausschuss dem Pflegedienst das Risiko abnehmen, dass sich die vertragsärztlich verordnete Leistung bei der Prüfung im 46 so auch die Vorinstanz LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.6.2014, L 5 KR 98/12

Behandlungspflege

Wie wir in den vorstehenden Praxisfällen gesehen haben, kann sich der Pflegedienst nicht auf die Erbringung einer von der Krankenkasse zugunsten des Kunden genehmigten Sachleistung nach § 37 SGB V berufen. Durch die Bescheide der Krankenkasse vom 6.12.2005 und 15.2.2006 ist für die Zeit bis zum 31.3.2006 lediglich häusliche Krankenpflege im Umfang von drei Stunden täglich bewilligt worden. Für eine Vergütung von häuslicher Krankenpflege im Umfang von mehr als drei Stunden täglich kommt als Rechtsgrundlage allein die Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 1 HKP-Richtlinie in Betracht. Nochmals:

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist 62

Genehmigungsverfahren ganz oder teilweise als medizinisch nicht notwendig erweisen sollte, damit einerseits der versicherte Kunde für den Zeitraum, den das Genehmigungsverfahren einnimmt, nicht auf eigenes Risiko in Vorleistung treten muss, andererseits der Pflegedienst oder die Sozialstation von Anfang an – ebenso ohne finanzielles Risiko – zur Leistungserbringung bereit ist. Anhaltspunkte dafür, dass die häusliche Krankenpflege bis zum 8.12.20xx im Umfang von mehr als drei Stunden täglich medizinisch erkennbar nicht erforderlich sein könnte, gab es im vorliegenden Praxisfall 7 nicht. Der Sinn der Vertrauensschutzregelung § 6 Abs. 6 Satz 1 HKP-Richtlinie besteht in erster Linie darin, dass der Pflegedienst bis zur Entscheidung der Krankenkasse über die beantragte Genehmigung bei Vorliegen einer konkreten vertragsärztlichen Verordnung dagegen geschützt ist, dass die Krankenkasse nachträglich den Leistungsanspruch mangels medizinischer Erforderlichkeit oder wegen Unwirtschaftlichkeit verneint und damit dem Vergütungsanspruch die Grundlage entzieht.47 Dabei muss die Frist von drei Arbeitstagen im Sinn des § 6 Abs. 6 Satz 1 HKPRichtlinie bei kontinuierlich zu leistender Krankenpflege nur für die erste, den Vergütungsanspruch des Pflegedienstes auslösende vertragsärztliche Verordnung gewahrt sein. Bis zu dem Tag, an dem die Krankenkasse entscheidet, reicht es aus, wenn eine lückenlose Verordnungskette vorliegt, die den gesamten Zeitraum abdeckt. Die sehr kurze Frist von drei Arbeitstagen soll verhindern, dass schon längere Zeiträume verstrichen und hohe Kosten angefallen sind, bevor die Krankenkasse von dem Bedarf Kenntnis erhält. Eine vergleichbare Interessenlage besteht bis zur Entscheidung der Krankenkasse nicht; seit Kenntnis von der Bedarfslage hat sie es in der Hand, eine Entscheidung möglichst zeitnah herbeizuführen. Dauert eine Prüfung der Anspruchsberechtigung über das Ende der Erstverordnung hinaus an, erfasst der Vertrauensschutz in erweiternder Anwendung des § 6 Abs. 6 Satz 1 HKP-Richtlinie auch alle sich zeitlich unmittelbar anschließenden Folgeverordnungen, die der Krankenkasse im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidungen vorliegen. Vorgesetzt wird lediglich, dass es sich um einen gleichgelagerten Sachverhalt handelt und sich die Rechtslage zu den Anspruchsvoraussetzungen in dieser Zeit nicht geändert hat. Ob die Folgeverordnungen selbst innerhalb der Dreitagesfrist seit ihrer Ausstellung vorgelegt worden sind, kann nicht entscheidend sein. Der Pflegedienst hat daher im Praxisfall 7 Anspruch auf die vertragsgemäße Vergütung für 24 Stunden täglich geleistete häusliche Krankenpflege für den Zeitraum vom 15.8. bis zum 8.12.20xx. Für den Zeitraum über den 9.12.20xx kann der Pflegedienst keine Vergütung über die drei Stunden täglich beanspruchen.

47 BSG, Urt. v. 20.4.2016, B 3 KR 17/15 R = BSGE 121, 119

Praxisfall: Frist der Folgeverordnung versäumt

Die AOK Rheinland/Hamburg hat in den letzten Monaten das Verfahren zur Übermittlung von Verordnungen häuslicher Krankenpflege verschlanken wollen und will so im Sinne der Entbürokratisierung tätig werden. Seit Mitte Mai 2019 verzichtet die AOK Rheinland/Hamburg auf den Postversand des Originals der ErstVerordnung, wenn der Pflegedienst zuvor die Vorder- und Rückseite des Verordnungsformulars, also die Vorderseite = Verordnung häuslicher Krankenpflege und die Rückseite = Antrag auf Genehmigung, per Telefax übermittelt. Dann – und dies ist die Vereinfachung – benötigt die AOK Rheinland/Hamburg nicht mehr das Original, nachgeschickt per Post. Der Vorteil ist klar: Der Verordnungsvorgang muss nur einmal „in die Hand“ genommen werden! Jede Idee, die den bürokratischen Alltag von Pflegediensten erleichtert, ist positiv zu bewerten. Aber wie so oft ist aber „gut gemeint“ nicht automatisch „gut gemacht“. Für die Pflegedienste bedeutet eine solche Vorgehensweise von nur einer – wenn auch großen – Krankenkasse, dass verschiedene Bearbeitungsprozesse für verschiedene Kostenträger beachtet werden müssen. Dabei ist dann auch die Erst- und die Folgeverordnung zu unterscheiden. – Derartige Sonderregelungen stören den Ablauf einer bürointernen Standardprozedur! Dabei ist stets Folgendes zu bedenken: Die verbindliche Regelung des § 6 Abs. 6 der HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gibt den Pflegediensten nur dann Rechtssicherheit in Hinblick auf die Finanzierung der erbrachten Leistungen, wenn die ärztlichen Verordnung (also die Vorderseite) innerhalb von drei Werktagen nach der Ausstellung der jeweiligen Krankenkassen zuleitet wird. Der Pflegedienst kümmert sich um die Rückseite des Formulars, also den Antrag auf Genehmigung. Wird dieser zuerst ausgefüllt und unterschrieben, so können leicht einige Tage vergehen. Daher muss sichergestellt werden, dass es ausreicht, Vorder- und Rückseite gemeinsam per Fax zu versenden, und zwar ohne, dass es auf die Unterschrift des Versicherten ankommt. Sollte die jeweilige Krankenkasse auf der Unterschrift des Versicherten bestehen, so ist in jedem Fall die Vorderseite der Verordnung – wie bisher – vorab per

Behandlungspflege

3.6 Die sog. vereinfachte Beantragung – was ist zu beachten?

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Fax zu übersenden. Die bisherigen Veröffentlichungen zu der Frage „Unterschrift des Versicherten notwendig?“ sind uneinheitlich. Die Antwort auf die Frage, ob der Versicherte unterschreiben muss oder nicht, ist aber für die weitere Prozessbeschreibung des Ablaufs „Antrag auf Genehmigung der Verordnung Häuslicher Krankenpflege“ im Pflegedienst von entscheidender Bedeutung.

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Daher gibt es für das sog. vereinfachte Beantragungsverfahren zwei alternative Praxistipps für eine Standardprozedur im Pflegedienst: 1. Feststellung, ob die konkrete Krankenkasse ein sog. vereinfachtes Beantragungsverfahren zulässt. Praxistipp – weiterer Ablaufplan, wenn die Unterschrift des Versicherten benötigt wird: 2. Vorderseite des Formulars = Verordnung häuslicher Krankenpflege sofort nach Ausstellung und Übergabe durch den Arzt, den Kunden oder Angehörigen per Telefax an die jeweilige Krankenkasse senden. 3. Rückseite ausfüllen und dabei klären, ob der Verweis des Pflegedienstes auf die ärztliche Verordnung zulässig ist (ggf. der Stempel mit dem Text „wie verordnet“) oder nicht. 4. Unterschrift des Versicherten einholen. 5. Rückseite des Formulars = Antrag auf Genehmigung an die Krankenkasse faxen bzw. für die noch nicht entbürokratisierten Krankenkassen Original zur Post. Praxistipp – weiterer Ablaufplan, wenn eine Unterschrift des Versicherten entbehrlich ist: 2. Nach Übergabe der Verordnung durch den Arzt, den Kunde oder Angehörigen, Ausfüllen der Rückseite des Formulars = Antrag auf Genehmigung im Feld des Pflegedienstes (unterer Teil). 3. Fax der Vorder- und der Rückseite des Formulars an die Krankenkasse. Es ist zu hoffen, dass dieser Vorstoß der AOK Rheinland/Hamburg nur den Übergang zu einem einheitlichen digitalen Verfahren bedeutet. Sinnvoll (und technisch ohne Probleme möglich) wäre folgendes Verfahren, dass der behandelnde Arzt die ärztliche Verordnung aus seinem Computer verschlüsselt mittels Kennwort geschützter PDF an die Krankenkasse des Versicherten und eine Zweitschrift an den Pflegedienst schickt. Der Pflegedienst hat nichts mehr zu veranlassen und kann bis zur Ablehnung der Krankenkasse die Leistungen erbringen. Die Verbände der Leistungserbringer bleiben daher aufgefordert, eine derartige Regelung im Bundesrahmenvertrag nach § 132a Abs. 1 SGB V zu verhandeln. Als Übergangslösung ist ein allgemeines (alle Krankenkassen!) vereinfachtes Beantragungsverfahren ohne Unterschrift des Kunden wünschenswert. Praxistipp: Darf die „Rückseite“ des Verordnungsformulars von Seiten des ambulanten Pflegedienstes einfach mit einem Stempelabdruck ausgefüllt werden?

Die Zeitersparnis beim Pflegedienst und der Krankenkasse dürfte beachtlich sein. Die Kontrolle/Vergleich wg. möglicher Abweichungen entfällt. Die Bürokratiekosten werden geringer. Gleichwohl: Fragen Sie aktiv die Krankenkasse, ob Bedenken gegen die Verwendung bestehen oder nicht!

3.7 Darf ein Pflegedienst mit einem Versorgungsvertrag im Bundesland A auch die Versorgung von Versicherten einer „ortsfremden AOK“ in seinem Einzugsgebiet übernehmen? Gilt die Zulassung für die häusliche Krankenpflege bundesweit und für alle Kassen?  BEISPIEL Praxisfall 8:48

A erlitt bei seiner Geburt am 10.8.20xx eine cerebrale Blutung mit perinataler Asphyxie, Krampfanfällen, Abnoen und respiratorischer Insuffizienz. Er wurde bis zum 19.8.20xx beatmet und erhielt bis zum 16.9.20xx eine antiepileptische Therapie, in deren Anschluss bis zur Entlassung aus der stationären Behandlung am 1.10.20xx keine Krampfanfälle mehr beobachtet wurden. Die Klinikärzte befürworteten in einem Arztbrief vom 24.9.20xx die Unterstützung der Mutter durch einen 24-stündig anwesenden Pflegedienst, da eine kontinuierliche Beobachtung bezüglich neu auftretender Anfälle zwingend erforderlich und durch die Mutter alleine nicht zu gewährleisten sei. A wurde am 1.10.20xx gemeinsam mit seiner Mutter in eine 24 Stunden täglich durch einen Sozialarbeiter betreute Mutter-Kind-Wohnung in Berlin entlassen.

Behandlungspflege

Der klagende Pflegedienst erbringt im Raum Berlin häusliche Krankenpflegeleistungen und hatte u. a. mit der damaligen AOK Berlin und den im vdek zusammengeschlossenen Ersatzkassen, nicht aber mit der beklagten AOK XY einen Rahmenvertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V über die Erbringung häuslicher Krankenpflege abgeschlossen. Die AOK XY hatte mit keinem in Berlin ansässigen Krankenpflegeunternehmen einen Vertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V abgeschlossen.

Die AOK XY lehnt die Zahlung der erbrachten Leistungen der Krankenbeobachtung ab, da kein Vertrag mit dem Pflegedienst besteht.

48 BSG, Urt. v. 20.4.2016, B 3 KR 18/15 R

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Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Um die gar nicht so ungewöhnliche Konstellation zu illustrieren, eine schematische Darstellung: Der Pflegedienst hat seinen Sitz und den Rahmenvertrag gem. § 132a Abs. 4 SGB V mit der AOK Berlin und den Ersatzkassen in Berlin. Die pflegerische Versorgung findet in Berlin statt. Der über seine Mutter versicherte Säugling A ist bei der nicht in Berlin ansässigen AOK XY versichert. Mit dieser hat der Pflegedienst keinen Vertrag, da die AOK XY mit keinem Berliner Pflegedienst einen Vertrag hat.

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„Grenzüberschreitende Abrechnung

Die Voraussetzungen für das Entstehen eines öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruchs lagen für die Zahlungsforderung des Pflegedienstes mangels eines Versorgungs- und Vergütungsvertrags zwischen dem Pflegedienst und der AOK XY nicht vor. Verträge nach § 132a Abs. 4 SGB V werden zwischen einzelnen Krankenkassen und Pflegediensten oder auf Verbandsebene, d. h. durch einen Verband von Krankenkassen und einen Verband von Pflegediensten geschlossen, wenn diese zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen für ihre Mitglieder bevollmächtigt sind oder die auf Verbandsebene ausgehandelten Verträge akzeptieren. Hinzu kommt, dass die meisten Rahmenverträge nach § 132a Abs. 4 SGB V eine Vergütungsregelung der Versorgung mit spezieller Krankenbeobachtung für 24 Stunden täglich nicht vorsehen. Ohne generelle vertragliche Regelung wird – soweit diese Leistung vom Vertragsarzt verordnet wird und medizinisch erforderlich ist – eine Einzelvereinbarung abgeschlossen, in der sich die Höhe der Vergütung nach den im konkreten Einzelfall erforderlichen medizinischen (und ggf. pflegerischen) Leistungen richtet. Dies basiert darauf, dass bei dieser Leistung der Aufwand und die Anforderungen an die Leistungserbringung je nach Einzelfall ganz unterschiedlich sein können. Vielfach trägt auch die Pflegekasse oder der Versicherte selbst oder ein anderer Träger einen Teil der Kosten; diese sind dann an der Vereinbarung zu beteiligen. Gerade im Bereich dieser besonders zeitaufwendigen und damit teuren Leistung der häuslichen Krankenpflege können sich daher auch solche Leistungserbringer, die mit der Krankenkasse ihres Kunden einen gültigen Versorgungs- und Vergütungsvertrag geschlossen haben, nicht darauf verlas-

sen, dass die allein aufgrund der ärztlichen Verordnung erbrachte Leistung ohne Weiteres vergütet wird, wenn sich in dem Vergütungsvertrag keine Regelung zu dieser Leistung findet. Es sind dann vor der Leistungserbringung Absprachen mit der Krankenkasse erforderlich. Die Vertragspartner dieser Verträge halten die Nichteinigung in Bezug auf eine generelle Vergütung für die spezielle Krankenbeobachtung für 24 Stunden täglich offenbar für sachgerecht. Andernfalls könnten sie nach § 132a Abs. 4 Satz 7 SGB V den Vertragsinhalt durch eine von den Vertragspartnern zu bestimmende unabhängige Schiedsperson festlegen lassen. Gerade im Bereich der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden täglich kann daher eine Leistung nur dann dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügen, wenn sie auf einer konkreten Vergütungsvereinbarung beruht. Das wird nicht nur an der Komplexität der Leistung deutlich, sondern auch daran, dass bei nachträglicher Festsetzung einer angemessenen Vergütung unklar bleibt, ob diese an den üblichen Verträgen der Klägerin oder der Beklagten oder der Ortskrankenkasse am Wohnsitz des Versicherten zu bemessen ist. Daher werden im Praxisfall 8 die Kosten des Pflegedienstes nicht von der AOK XY übernommen. Anders als in der sozialen Pflegeversicherung, in der nach § 72 Abs. 2 Satz 2 SGB XI der Versorgungsvertrag gegenüber allen Pflegekassen im Inland gilt, gilt der abgeschlossene Rahmenvertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V nur zwischen den konkreten Vertragsparteien. Eine finanzielle Lösung hätte es im vorliegenden Fall über eine Abrechnung gegenüber dem Versicherten gegeben, der die Kosten nach § 37 Abs. 4 SGB V erstattet erhalten hätte.

Behandlungspflege

Praxistipp: Vor jedem Versorgungsbeginn ist zu prüfen, ob mit der betreffenden Krankenkasse ein Vertrag direkt oder über einen Verband besteht.

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3.8 Steht dem Pflegedienst ein Zinsanspruch zu, wenn die Krankenkassen nicht pünktlich zahlen? – Wenn ja, in welcher Höhe?

Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

 BEISPIEL Praxisfall 9:49 Führt man sich Praxisfall 13 und den Umstand vor Augen, dass ein Rechtstreit über die Zahlung häuslicher Krankenpflege über alle drei Instanzen mehr als 7 Jahre benötigen kann, so stellt sich die Frage der Verzinsung der erstrittenen Forderung. Der Pflegedienst erstritt letztlich rund 66.000 € und verlangte 9 % Zinsen über den Basiszinssatz. Zu Recht? Der Zinsanspruch auf Forderungen ist einheitlich für die gesamte Rechtsordnung im BGB geregelt. Die Regelungen des BGB werden über § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Pflegediensten und den Krankenkasse übertragen.

Zinsanspruch [Vertrag Schleswig-Holstein, Stand: 18.2.2013]

§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V: Für die Rechtsbeziehungen … gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. 68

49 BSG, Urt. v. 20.4.2016, B 3 KR 17/15 R = BSGE 121, 119

§ 288 BGB kennt zwei gesetzliche Zinssätze von 5 und 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, wovon der niedrigere gesetzliche Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gilt nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB für Verbraucher im Sinne des § 13 BGB, also etwa für den Kunden des Pflegedienstes, gilt. Der erhöhte Zinssatz von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ergibt sich daraus, dass der Vergütungsanspruch unmittelbar im Leistungserbringungsverhältnis zwischen dem Pflegedienst und der Krankenkasse entstanden ist und beide Beteiligten keine Verbraucher im Sinne des § 13 BGB, sondern Unternehmer im Sinne des § 14 BGB sind und es um eine „Entgeltforderung“ geht, § 288 Abs. 2 BGB. Können diese allgemeingültigen Reglungen des BGB ausgeschlossen werden, wenn die Vertragsparteien im Rahmenvertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V eine abweichende Regelung zu den Zinsen vereinbart haben? Was gilt, wenn – wie etwa im Rahmenvertrag nach § 132a SGB V Schleswig-Holstein – von den Vertragspartnern geregelt wurde, dass die Pflegedienste freiwillig auf 2/3 ihres gesetzlichen Zinsanspruches verzichten, obwohl die Krankenkasse vorsätzlich gegen die vertraglichen Zahlungsregelungen verstößt? Gibt es in einem solchen Fall nur die vertraglich vereinbarten 3 % Zinsen?

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Die ab dem 1.7.2016 in Kraft getretenen Absätze 5 und 6 des § 288 BGB gewähren dem mahnenden Pflegedienst zunächst eine Kostenpauschale in Höhe von 40,00 € zu berechnen. Damit soll pauschaliert der Aufwand für die notwendige Mahnung abgegolten werden. Nach § 288 Abs. 6 Satz 2 BGB50 ist eine vertragliche Vereinbarung, die den Anspruch auf die Pauschale ausschließt oder beschränkt, unwirksam, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Arbeitnehmers grob unbillig ist. Das ist nach § 288 Abs. 6 Satz 3 „im Zweifel“ der Fall, wenn die Pauschale nach 50 Die Regelungen wurden im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. EG Nr. L 200, Seite 35) eingefügt.

Behandlungspflege

§ 288 Abs. 5 und 6 BGB: (5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

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§ 288 Abs. 5 BGB ganz ausgeschlossen wird. Die Vermutung der Unbilligkeit wird kaum zu widerlegen sein.51  ACHTUNG

Kapitel 3:  Die Genehmigung der ärztlichen Verordnung und die 3-Tage-Vorlagefrist

Beachte:

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Ein Zinsanspruch setzt voraus, dass sich die Krankenkasse als Schuldnerin der Hauptforderung im Verzug befindet. Verzug wird durch den Ablauf einer Frist oder durch eine Mahnung hergestellt, § 291 BGB. Dazu muss die Rechnung geschrieben, verschickt sowie die Fälligkeit eingetreten sein.

Im Praxisfall 9 hat der Pflegedienst mithin Anspruch auf eine Verzinsung der erstrittenen Hauptforderung von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, wie sich aus der allgemeinen gesetzlichen Regelung § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V iVm § 288 Abs. 2 BGB ergibt.

51 statt vieler: Grüneberg in Palandt, BGB, § 288 Rz. 16

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?  INFO Nachdem wir die allgemeinen Grundlagen und das Genehmigungsverfahren geklärt haben, geht es jetzt um alle Fragen des Leistungsanspruchs Behandlungspflege. Zunächst wollen wir klären, was „Behandlungspflege“ juristisch eigentlich ist!

 BEISPIEL Praxisfall 10:52

Sie verrichtete weder die Arbeiten einer Haushaltshilfe noch wirkte sie als „Gesellschafterin“, also zur sozialen Betreuung. Ihr oblagen vielmehr die Versorgung von A mit ärztlich verordneten Medikamenten, ihre Beruhigung und Aufheiterung sowie die Anleitung bei häuslichen Tätigkeiten und der Versuch, mit A produktiv zu arbeiten, beispielsweise Bastelarbeiten und Handarbeiten zu verrichten, aber auch ihre Begleitung bei Arztbesuchen, Spaziergängen und Einkäufen. Muss die Krankenkasse die Kosten von M zahlen?

Obwohl der Begriff der Behandlungspflege vor allem die Abgrenzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur sozialen Pflegeversicherung vornimmt und somit zu den wichtigsten im Bereich des Rechts der Pflege gehört, ist er nicht im Gesetz selbst definiert worden. Ebenso bereitet stets die Definition des Begriffs Krankheit Schwierigkeiten, weil das SGB V auf eine (im Gesetz selbst geregelte) Legaldefinition verzichtet hat. Die ständige Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) und des Bundessozialgerichts (BSG) definiert Krankheit im Sinne der gesetzlichen Kran52 BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73

Behandlungspflege

A leidet an einer Gehirnerkrankung. Nach einer Bescheinigung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 20.5.20xx war bei ihr nach der Art und Schwere der Erkrankung eine Krankenhauspflege erforderlich, die jedoch „durch Hauspflege eingespart“ werden konnte. Eine in ihrem Haushalt lebende Person, die diese Pflege hätte ausführen können, stand nicht zur Verfügung. Auch konnte die Krankenkasse keine Krankenpflegefachkraft stellen. Der Betreuer der A beantragte deshalb am 25.5.20xx die Übernahme der Kosten für die von ihm beschaffte Pflegekraft, Frau M. M – eine ungelernte Kraft – war vom 26.5.20xx bis 28.9.20xx bei A tätig.

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Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

kenversicherung als einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat.53 Allerdings mit einer Einschränkung: Wenn keine Körperfunktion, sondern nur das Aussehen eines Menschen beeinträchtigt wird, muss eine entstellende Wirkung vorliegen, um als Krankheit eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse auslösen zu können. Ein regelwidriger Körperzustand ohne entstellende Wirkung und ohne wesentliche Funktionseinschränkung ist auch dann nicht als Krankheit zu werten, wenn er psychische Belastung für den Betroffenen darstellt, die ihrerseits zu einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung geführt haben.54 Zum Krankheitsbegriff gehören auch alle psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise Psychosen, Neurosen, Psychopathien und Psychosyndrome.55 Gleiches gilt auch für psychogene Erkrankungen sowie psychisch bedingte Sprachstörungen.56 Daher gehört in den Bereich der häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 SGB V auch fachpsychiatrische Krankenpflege, soweit sie von qualifiziertem Fachpersonal ausgeführt wird.57

4.1 Wie wird der Pflegebegriff unterteilt?  BEISPIEL Praxisfall 11:58 Wird die Sondenernährung zur Grundpflege gezählt, obwohl es sich nach pflegewissenschaftlichem Verständnis um eine Maßnahme der Behandlungspflege handelt, die zudem nur unter ständiger fachlicher Kontrolle durchgeführt werden darf? Warum? Der Pflegebegriff in seinen verschiedenen Ausprägungen ist grundlegend für die Unterscheidung der verschiedenen Ansprüche der häuslichen Krankenpflege gem. § 37 SGB V und der Sachleistung der sozialen Pflegeversicherung, § 36 SGB XI. Praxistipp: Während die Pflegewissenschaft von einem weitgehend einheitlichen Pflegebegriff ausgeht, unterscheidet der Gesetzgeber in den relevanten gesetzlichen Vorschriften verschiedene Pflegebegriffe. Es ist daher stets zu unterscheiden, ob der Pflegebegriff im pflegewissenschaftlichen Zusammenhang oder in rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung gebraucht wird.

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53 Diese gebräuchliche Formel zur Erläuterung des Begriffs der Krankheit geht auf ein Urteil des OLG Hamburg v. 1.3.1886, ArbVers. 1886, 214 zurück. RVA GE Nr. 2140 AN 1916, 341; BSG, Urt. v. 28.10.1960, 3 RK 29/59 = BSGE 13, 134 st. Rsp. 54 BSG, Urt. v. 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R = BSGE 93, 252 55 BSG, Urt. v. 12.11.1985, 3 RK 45/83 = BSGE 59, 116 56 BSG, Urt. v. 28.2.1980, 8a RK 13/79 = BSGE 50, 47 57 BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73 58 BT-Drucksache 12/5262, Seite 97

Weder Begriff der Behandlungspflege noch der Begriff der Grundpflege werden im SGB V oder im SGB XI definiert.59 Das BSG hat die Behandlungspflege dahingehend umschrieben, dass es sich um Hilfeleistungen handelt, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden (krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen) und typischerweise nicht von einem Arzt, sondern Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Der Zielrichtung nach müssen die Maßnahmen der Behandlung einer Erkrankung dienen; dazu reicht es aber bereits aus, wenn eine Verschlimmerung verhütet wird oder Beschwerden gelindert werden.60 Zum „warum“ werden einige weitere Praxisfälle angeführt, die über Jahre in der täglichen Praxis Probleme in der Abgrenzung der Grund- und Behandlungspflege bereitet haben, heute aber dank der klaren Rechtsprechung geklärt sind. Bitte lösen Sie die Fälle vor dem Weiterlesen selbst:  BEISPIEL Praxisfall 12 – 15: 12: Die Versicherte V bekommt von ihrem Hausarzt regelmäßig seit Jahren die Gabe von Insulin verordnet, weil V alters- und krankheitsbedingt allein dazu nicht in der Lage ist, muss die Leistung durch einen ambulanten Pflegedienst erbracht werden. Die Krankenkasse lehnt die Genehmigung der Verordnung ab, da die Insulingabe als Dauerleistung (über 6 Monate) der Grundpflege zuzuordnen ist.

14: V erhält Medikamentengabe verordnet. Die Krankenkasse lehnt ab, weil Maßnahmen der einfachen Behandlungspflege keiner Fachkraft bedürfen und daher der Grundpflege zuzuordnen seien. 15: V erhält eine Verordnung zur Insulingabe. Die Krankenkasse lehnt ab, da die Insulingabe Bestandteil der Katalogverrichtung „Nahrungsaufnahme“ ist und daher Teil der Grundpflege

Behandlungspflege

13: V bekommt immer wieder Salbenverbände verordnet. Die Krankenkasse lehnt die Verordnung ab, da die Maßnahmen bei chronischen Erkrankungen der Grundpflege zuzuordnen sind. Behandlungspflege komme nur bei akuten Erkrankungen infrage.

Umstritten sind weiterhin die prophylaktischen Maßnahmen in der Pflege: Gehören doch Maßnahmen, die dem Eintritt einer Erkrankung vorbeugen sollen, grundsätzlich auch zum Leistungsauftrag der Krankenversicherung. Solche prophylaktischen Leistungen sieht das Gesetz in immer stärkerem Maße als Leistung der Krankenversicherung vor (§§ 25, 26 SGB V). Bei dauerhaft bettlägerigen Versicherten gehört zur Mobilisierung die Folgen der Bettlägerigkeit und der damit verbundenen Immobilität so weit wie möglich zu verhindern, insbesondere 59 zur Entstehungsgeschichte vgl. BSG, Urt. v. 17.4.1996, 3 RK 28/95; Igl SGB 1999, Seite 111 60 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205

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Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

der Gefahr von Druckgeschwüren, Muskel- oder Knochenschwund und einer sog. Bettlungenentzündung vorzubeugen. Dies geschieht durch aktive Bewegung der Pflegebedürftigen, und wenn dies nicht möglich ist, durch passives Bewegen beim Umlagern oder bei den körperlichen Pflegemaßnahmen. Derartige passive Mobilisation ist integrierender Bestandteil der „Hilfe durch andere“ im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI und demzufolge nicht von der Leistungspflicht der Krankenkassen umfasst. Leistungen, die darüber hinausgehen und ärztlich verordnet werden, wie Bewegungsübungen, bleiben Bestandteil der Behandlungspflege.61 Allgemein werden hierunter krankheitsspezifische Hilfeleistungen verstanden, die nicht von Ärzten, sondern entweder von fachlich qualifizierten Krankenpflegekräften oder auch ohne besondere Fachkunde erbracht werden,62 etwa Injektionen, Spülungen, Einreibungen, Verbandswechsel oder die Verabreichung von Medikamenten. Über den Inhalt der Behandlungspflege63 bestand auch im Gesetzgebungsverfahren zur Pflegeversicherung64 keine klare Vorstellung, was sich auf die Praxis übertragen hat. Zum Praxisfall 10 führte das BSG aus: „Der Auffassung der Krankenkasse, es habe sich bei der von Frau M. verrichteten Tätigkeit nicht um Krankenpflege, sondern um eine andersartige Betreuung der A. gehandelt, kann nicht gefolgt werden. Die Krankenkasse übersieht dabei, dass die häusliche Krankenpflege keine besondere Art der Hilfeleistung ist, sondern lediglich eine in bestimmter Richtung ausgestaltete Krankenpflege darstellt.65 Sie erfolgt neben der ärztlichen Behandlung, die sie in derselben Weise ergänzen und sichern soll, wie das bei der Krankenhauspflege geschieht, an deren Stelle sie tritt. Es sind bei ihr mithin dieselben Pflegemaßnahmen durchzuführen, die sonst im Krankenhaus vorgenommen werden. Dazu gehören sowohl Hilfeleistungen medizinischer Art, wie beispielsweise die Verabreichung von Medikamenten, als auch die je nach Art und Schwere der Erkrankung im Einzelfall in unterschiedlicher Weise erforderlichen Maßnahmen der sog. Grundpflege, wie etwa Hilfeleistungen bei der Körperpflege.“ In einem Krankheitsfall wie dem der A. waren deshalb von der Krankenpflegeperson etwa dieselben Tätigkeiten zu verrichten, die das Pflegepersonal in psychiatrischen Krankenhäusern zu leisten hat. So jedenfalls das BSG bereits in den „Anfangsjahren“ der Behandlungspflege 1980. Noch heute besteht häufig die falsche Auffassung, dass nur die jenigen Tätigkeiten der Behandlungspflege zugeordnet werden können, die in der Anlage zur HKP-Richtlinie verzeichnet sind. Praxistipp: Die Therapiefreiheit der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes besteht auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege, sodass die Anlage zur HKPRichtlinie „beschreibend“, aber nicht begrenzend wirkt.

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61 62 63 64 65

BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205 BSG, Urt. v. v. 30.9.1993, 4 RK 1/92 = BSGE 73, 146 hierzu vor allem: Igl/Welti VSSR 1995, Seite 117; Vogel/Schaaf SGB 1997, Seite 560 vgl. BT-Drucksache 12/5262, Seite 90 vgl. BSG, Urt. v. 18.11.1969, 3 RK 74/66 = BSGE 30, 144; BSG, Urt. v. 14.7.1977, 3 RK 60/75 = BSGE 44, 139

§ 13 Abs. 2 SGB XI: Die Leistungen nach dem Fünften Buch einschließlich der Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 des Fünften Buches bleiben unberührt. Dies gilt auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, soweit diese im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 des Fünften Buches zu leisten sind.

Behandlungspflege

Auch im medizinisch-pflegewissenschaftlichen Schrifttum besteht kein Konsens darüber, welche Maßnahmen zur Behandlungspflege zu zählen sind. Die Praxis behilft sich zur Orientierung mit der Anlage zur HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 SGB V. Im Gegensatz dazu zählen zur Grundpflege pflegerische Leistungen nicht medizinischer Art für den menschlichen Grundbedarf, d. h. Hilfen zur Befriedigung körperlicher, seelischer oder geistiger Grundbedürfnisse, bei denen – im Unterschied zu den Maßnahmen der Behandlungspflege – nicht der Behandlungs- und Heilzweck im Vordergrund stehen und deren Ausführungen nicht von medizinischer Kunstfertigkeit und medizinischen Kenntnissen geprägt sind. Dagegen handelt es sich bei der Behandlungspflege um Maßnahmen, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Gesundheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen sollen, die Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, d. h. insbesondere das Erkennen und Heilen einer Krankheit, Verhütung ihrer Verschlimmerung oder Linderung der Krankheitsbeschwerden, zu erreichen. Es muss sich also um „krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen“ handeln.66 An der Leistungszuständigkeit der Krankenkasse für die Behandlungspflege ändert auch die Pflegebedürftigkeit des Versicherten nichts. Der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V ist grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Versicherte im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI pflegebedürftig ist und zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. Während mit der häuslichen Krankenpflege die Krankheit von Versicherten innerhalb des ärztlichen Therapieplans (mit-)behandelt wird, sind die Maßnahmen der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI dazu bestimmt, den pflegebedürftigen Versicherten Hilfe zu leisten und ihnen zu helfen, ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen (§§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V bleiben von der Pflegeversicherung daher unberührt (§ 13 Abs. 2 SGB XI).

Dabei wird die Trennungsanordnung des Gesetzgebers hinsichtlich der Leistungen des SGB V und des SGB XI sogar erweitert. Obwohl der Verrichtungsbezug der Feststellung des Pflegebedarfs und mithin § 15 Abs. 3 Satz 2 SGB XI a. F. weggefallen ist, wurde die Regelung zum Schutz der Ansprüche der Versicherten auf häusliche 66 so der vom Bundessozialgericht zuletzt immer wieder verwendete Begriff. vgl. BSG, Urt. v. 28.1.1999, B 3 KR 4/98 R = BSGE 83, 254; Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 9/04 R = BSGE 94, 192 – Medikamentengabe; Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205 – Bewegungsübungen

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Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege? 76

Krankenpflege nach § 37 SGB V in den § 13 Abs. 2 Satz 2 SGB XI übernommen. Daher bleiben auch krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, soweit diese im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V zu leisten sind, durch die Regelungen im SGB XI uneingeschränkt erhalten.67 Die Leistungen nach § 37 SGB V werden auch weiterhin in der häuslichen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht; in der vollstationären Versorgung – sollte nicht ein Fall des § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V, also ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege die auf Dauer voraussichtlich für mindestens sechs Monate, vorliegen – im Rahmen des § 43 SGB XI von der Pflegeversicherung. Demnach ruht allenfalls der Anspruch aus der sozialen Pflegeversicherung, soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht (§ 34 Abs. 2 Satz 1 SGB XI).68 Die Behandlungspflege wird durch die gleichzeitige Gewährung von Grundpflege als Leistung der sozialen Pflegeversicherung nicht ausgeschlossen.69 Allerdings schließt § 37 Abs. 2 Satz 6 SGB V für den Bereich der sog. Sicherungspflege die Gewährung von Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung aus, wenn Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI eingetreten ist. Im Verhältnis zwischen § 37 Abs. 2 SGB V und dem SGB XI verbleibt die Leistungspflicht für Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung somit bei der Pflegeversicherung, die Krankenkasse darf nur Behandlungspflege gewähren.70 Eine rechtliche Abgrenzung der Behandlungspflege von der Grundpflege kann daher nur vonseiten der Kriterien der Pflegeversicherung aus erfolgen. Nachdem der Begriff der „Grundpflege“ aber aus den §§ 14, 15 SGB XI getilgt wurde und insbesondere die Bezugnahme auf die 15 Verrichtungen der Bereiche der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 – 3 SGB XI) nicht mehr möglich ist, bleibt zur Beschreibung von Einzelheiten der Grundpflege die Anlage der HKPRichtlinie. Wie bereits erörtert zählen hierzu pflegerische Leistungen nichtmedizinischer Art für den menschlichen Grundbedarf, also Hilfen zur Befriedigung körperlicher, seelischer oder geistiger Grundbedürfnisse.71 Da die Krankenkassen nach § 12 SGB V verpflichtet sind, alle notwendigen Leistungen zu erbringen, ist auch die Grundpflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege des § 37 Abs. 1 und 1a SGB V jedoch nicht auf diesen Katalog beschränkt. Außerdem enthält § 37 SGB V keinerlei Einschränkung im Einzelfall, sodass die im Rang niedrigere HKPRichtlinie keine eigene abschließende Aufzählung regeln darf. Entscheidend ist die rechtliche Abgrenzung ohnehin nur für die Frage der Finanzierung und Abrechnung zwischen SGB XI und SGB V, ausschlaggebend dürfte letztlich der Anteil der medizinischen Indikation und Prägung sein. 67 68 69 70 71

BT-Drucks. 18/5926, Seite 110 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101 BSG, Urt. v. 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101 BSG, Urt. v. 30.9.1993, 4 RK 1/92 = BSGE 73, 146

Lösen wir mit unserem in der Praxis erworbenen Wissen die oben geschilderten Praxisfälle 12 – 15: Für die Abgrenzung von Grund- und Behandlungspflege ist das Kriterium der Dauer (Praxisfall 12) nicht geeignet, auch wenn § 14 Abs. 1 SGB XI eine Dauer von voraussichtlich 6 Monaten als Voraussetzung für einen Anspruch aus der Pflegeversicherung formuliert. Über den Inhalt der Behandlungspflege ist damit nichts gesagt. Entscheidend ist lediglich, dass die verordnete Verrichtung der „Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung“ dient.75

72 BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73; BSG, Urt. v. 20.4.1988, 3/8 RK 16/86 = BSGE 63, 140 73 so das Resümee von Udsching in: Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, Seite 691, in der Feststellung, dass Krankheit und Pflege auf identische oder zumindest vergleichbare Defizite in der Person des Versicherten abstellen. Die Krankenversicherung hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wieder herzustellen oder den Gesundheitszustand zu verbessern. Hieraus folgt, dass die Krankenversicherung alles daran zu setzen hat, Pflegebedürftigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen und selbst nach einem Eintritt sie wieder zu beseitigen (vgl. §§ 11 Abs. 2, 23 Abs. 1 Nr. 4 und 5 SGB XI). 74 BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R 75 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.7.2010, L 11 KR 1960/09

Behandlungspflege

Daher kann in der Praxis nur Folgendes gelten: Alle Tätigkeiten und Maßnahmen, die ärztlich verordnet werden, sind daher zunächst einmal Behandlungspflege. Grundvoraussetzung der Behandlungspflege ist nämlich stets, dass es sich um Maßnahmen handelt, die Bestandteil der ärztlichen Heilbehandlung und in diese eingebunden, also vom Arzt verordnet sind.72 Dabei stehen SGB XI und SGB V nicht beziehungslos nebeneinander, sondern haben leistungsrechtliche Schnittpunkte oder sogar Überschneidungen. Ihre Abgrenzung ist allerdings nicht nur im Einzelfall schwierig, sondern der Rechtsprechung schon vor Einführung der sozialen Pflegeversicherung – also zur kleinen Vorgängerlösung der §§ 53 ff. SGB V a. F. – schwergefallen.73 Die notwenige Abgrenzung dieser verschiedenen Leistungen ist daher umso dringlicher, um den zuständigen Kostenträger festzustellen und Doppelleistungen mehrerer Kostenträger zu verhindern. Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung (§ 13 Abs. 2 SGB XI). Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Die Hilfeleistungen umfassen Maßnahmen verschiedenster Art, insbesondere auch Kriseninterventionen. Auch die Beobachtung eines Versicherten durch eine medizinische Fachkraft wird grundsätzlich von dem Anspruch auf Behandlungspflege erfasst, wenn die medizinische Fachkraft wegen der Gefahr von ggf. lebensgefährdenden Komplikationen jederzeit einsatzbereit sein muss.74

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Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege? 78

In die gleiche Richtung geht die Argumentation im Praxisfall 13; chronische Erkrankungen von der Möglichkeit auf Behandlungspflege auszunehmen ist abenteuerlich. Liegt eine Erkrankung vor und dient die Verordnung der häuslichen Krankenpflege der „Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung“, so muss die Krankenkasse genehmigen und die Kosten des Pflegedienstes übernehmen.76Ob die Krankheit chronisch ist, ändert daran nichts. Chronische Krankheiten haben im Gegensatz zu akuten Erkrankungen keinen klar bestimmbaren Ausgangspunkt, sondern entwickeln sich langsam und schleichend. Sie bestehen über einen langen Zeitraum und lassen sich oft nicht kausal, sondern nur symptomatisch therapieren. Ebenso ist das Kriterium desjenigen, der die Maßnahme ausführen kann (Praxisfall 14), nicht geeignet Rechtsklarheit zu schaffen. Durch § 37 Abs. 3 SGB V (dazu unten mehr) sind Angehörige als Pflegelaien dazu angehalten Behandlungspflege zu leisten. Die Subsumtion einer nicht vom Arzt zu erbringenden Maßnahme der Krankenbehandlung unter den Begriff Behandlungspflege hängt nicht davon ab, ob sie ausschließlich von fachlich geschulten Pflegekräften oder auch von Laien erbracht werden kann.77 Eine solche Abgrenzung würde die gesetzlichen Ansprüche auf häusliche Krankenpflege leer laufen lassen. Umstrittener war – zum alten, bis 31.12.2016 geltenden Recht – lange Zeit Praxisfall 15, da hier die Abgrenzung systematisch vorgenommen wurde. Wurde die Insulingabe der Verrichtung „Nahrungsaufnahme“ des alten Verrichtungskatalogs des § 14 Abs. 4 Nr. 1 – 3 SGB XI a.F. zugeordnet, so blieb kein Raum für eine Zuordnung zur Behandlungspflege und damit zum Anspruch aus § 37 SGB V. Bisher half nur eine juristische Auslegung des fraglichen Begriffes „Nahrungsaufnahme“, nun also die Frage nach der Wortbedeutung. Die beteiligten Gerichte meinten es gut mit der Entscheidung, wonach bei einem an Diabetes leidenden Kind das Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Mahlzeiten zum „mundgerechten Zubereiten“ der Nahrung gehöre, weil dem Diabetiker eine Mahlzeit nur dann „munden“ könne, wenn sie mithilfe aufwendiger Vorbereitungen genau berechnet und zubereitet sei. Andernfalls werde das Kind durch die Nahrung in Lebensgefahr gebracht.78 Daher seien die Zeiten für die Blutzuckermessung und die Injektion des Insulins selbst zur Zuerkennung der Pflegestufe hinzuzuzählen. Die beteiligten Gerichte wollten damit verhindern, dass das versicherte Kind und seine Eltern weder häusliche Krankenpflege (wegen § 37 Abs. 3 SGB V) noch ein Pflegegeld erhalten. Diese Auslegung wurde allerdings den Vorgaben des Gesetzes nicht gerecht, weil sie sich von dem äußeren Ablauf der Pflegemaßnahmen löst und stattdessen auf die individuelle Bedeutung einzelner Hilfeleistungen abstellt.79 Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff löst dieses Problem nun in Modul 5 auf. Zur Zuerkennung des Pflegegrades werden seit dem 76 77 78 79

LSG Nordrhein-Westfalen. Urt. v. 28.4.2005, L 5 KR 105/04 BSG, Urt. v. 30.03.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101 SG Hamburg, Urt. v. 27.6.1996, 23 P 63/95; SG Münster, Urt. v. 17.6.1997, S 16/17/13 P 154/96 BSG, Urt. v. 19.2.1998, B 3 P 3/97 R = BSGE 82, 27

1.1.2017 auch die (subcutanen oder intramuskulären) Injektionen (Modul 5, Kriterium 2) und die Messung und Deutung von Körperzuständen (Modul 5, Kriterium 6), also die Blutzuckermessung, gezählt. Die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege bleibt nach § 13 Abs. 2 SGB XI unberührt.

4.2 Was sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen?  BEISPIEL Praxisfall 16:80 Der berühmte Kompressionsstrumpf-Fall

Die krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen (auch: verrichtungsbezogene Behandlungspflege) sind in § 15 Abs. 5 Satz 3 SGB XI als Maßnahmen der Behandlungspflege beschrieben. Es handelt sich um Pflegemaßnahmen, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Verrichtung in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten sechs Bereichen („Modulen“) ist oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. Der historische Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung (der Gesetzgeber folgte erst später) für die auf die Verrichtungen der Grundpflege bezogene Behandlungspflege war versichertenfreundlich gemeint. Behandlungspflegerische Maßnahmen, die von den Krankenkassen nicht übernommen werden, da eine im Haus80 BSG, Urt. v. 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R

Behandlungspflege

Der Hausarzt der Versicherten K. verordnete dieser am 1.4.20xx für die Dauer von drei Monaten Einreibungen und Anziehen von Gummistrümpfen der Klasse II und III [heute: Kompressionsstrümpfe ab Kl. I] zweimal täglich/siebenmal wöchentlich. Diese Leistungen wurden von der Krankenkasse übernommen. In der Folgezeit wurde die Verordnung verlängert. Mit Bescheid vom 20.10.20xx lehnte die Krankenkasse gegenüber der K. das verordnete An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen insgesamt ab. K. nahm auch weiterhin die ärztlich verordneten Leistungen in Anspruch; der Pflegedienst hat den hierauf entfallenden Vergütungsanspruch bis zum Abschluss des Verfahrens gestundet. Nach Auffassung der Krankenkasse sei das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen keine Leistung der Behandlungspflege, sondern zähle zur Grundpflege, die von der Pflegeversicherung zu erbringen sei. Zutreffend?

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halt lebende Person vorhanden ist (vgl. § 37 Abs. 3 SGB V), sollten wenigstens für die Einstufung in Leistungen der Pflegeversicherung mitgezählt werden.  BEISPIEL

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

Praxisfall 17:81 Zur Versorgung ihres neunjährigen Sohnes übernimmt die Mutter neben den grundpflegerischen Verrichtungen, die vom MDK nach altem Recht mit 40 Minuten in Ansatz gebracht werden, auch die krankheitsbedingten BZ-Kontrollen und die Insulingabe – beides mit einem Aufwand von rund 15 Minuten täglich. Wie war die Lösung nach (altem) bis zum 31.12.2016 geltenden Recht? Wie ist die Lösung nach dem SGB XI seit dem 1.1.2017? 1. Warum erhält der Sohn für die BZ-Kontrolle/Insulingabe keine häusliche Pflege nach § 37 SGB V durch einen ambulanten Pflegedienst? 2. Wurde so die Pflegestufe I (Hauswirtschaftlicher Bedarf von 60 Minuten täglich vorausgesetzt) nach altem Recht erreicht? 3. Wie werden die Verrichtungen nach neuem SGB XI gezählt? Bitte beantworten Sie die Fragen zur Abgrenzung der Leistungen der Kranken- von der Pflegeversicherung des Praxisfalls 23. Die schnelle Antwort finden Sie in der Fußnote.82 Um Probleme bei der Abgrenzung zwischen Leistungen des SGB XI und SGB V zu vermeiden, werden krankheitsspezifische Hilfeleistungen der Behandlungspflege nach § 15 Abs. 5 Satz 3 SGB XI auch dann bei der Einstufung in einen Pflegegrad berücksichtigt, wenn der Hilfebedarf zu Leistungen nach § 37 SGB V führt.83 Die krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen sind entweder –– aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer Pflegemaßnahme in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten Bereichen oder –– mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang erforderlich.84 Dies kann unter Umständen so weit gehen, dass eine Maßnahme der Behandlungspflege eine Maßnahme aus den sechs Bereichen vollständig ersetzt.85 Bei

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81 ständige Rechtsprechung seit BSG, Urt. v. 19.2.1998, B 3 P 3/97 R = BSGE 82, 27 82 Frage 1: Die Mutter lebt im Haushalt des versicherten Sohns, § 37 Abs. 3 SGB V. Da sie außerdem die benötigten Leistungen erbringen kann, erhält der Sohn diese Leistungen nicht von der Krankenkasse. Frage 2: Nein, da nicht mindestens 45 Minuten der Grundpflege erreicht werden (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 SGB XI a.F.). Frage 3: Die Neuregelung verbessert die Position des Sohnes: Die Injektionen und die Blutzucker-Kontrolle werden jetzt in Modul 5 gezählt und führen so zu einem (höheren) Pflegegrad. 83 dazu ausführlich Richter, RsDE Band 64 (2007), Seite 52 84 BSG, Urt. v. 27.8.1998, B 10 KR 4/97 R = BSGE 82, 276; BSG, Urt. v. 26.11.1998, B 3 P 20/97 R; BSG, Urt. v. 31.8.2000, B 3 P 14/99 R 85 BSG, Urt. v. 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R; BSG, Urt. v. 29.4.1999, B 3 P 13/98 R

86 BSG, Urt. v. 19.2.1998, B 3 P 3/97 R = BSGE 82, 27 87 BSG, Urt. v. 19.2.1998, B 3 P 3/97 R = BSGE 82,27 88 BSG, Urt. v. 17.6.2010, B 3 KR 7/09 R = BSGE 106, 173

Behandlungspflege

Erfüllung einer dieser Voraussetzungen ist der Aufwand für die Maßnahme der Behandlungspflege bei der Ermittlung des Gesamtbedarfs der Pflege mit einzubeziehen und kann sich somit auf den Grad der Pflegebedürftigkeit (§ 15 Abs. 3 SGB XI) auswirken. Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BSG für die Einbeziehung krankheitsspezifischer Hilfeleistungen in die Pflegeleistungen nach SGB XI war es, eine (begrenzte) Ausweitung des Pflegebedarfs im Rahmen der Pflegeversicherung zu ermöglichen. Im Urteil vom 19.2.199886 wird darauf hingewiesen, dass die volle Einbeziehung krankheitsspezifischer Pflegemaßnamen zum pflegerelevanten Hilfebedarf sogar eher dem Ziel der Pflegeversicherung, die häusliche Pflege zu fördern, entspreche. Die Versicherten müssten entweder aus der Pflegeversicherung oder der Krankenversicherung die erforderlichen Leistungen erhalten, um die elementare Lebensführung zu Hause sicherzustellen. Wegen der Regelung in § 37 Abs. 3 SGB V entlasteten sich aber einige Krankenkassen rechtswidrig vielfach zu Lasten der pflegenden Angehörigen, sodass eigentlich konsequenterweise diese krankheitsspezifischen Maßnahmen bei der Bemessung des Pflegebedarfs berücksichtigt werden müssten. Dabei hat das BSG zugleich ausgeführt, dass der Begriff der Behandlungspflege ohnehin inhaltlich nicht eindeutig zu definieren sei. Eine „sachgerechte Gesetzesauslegung“ erlaube es jedenfalls, Maßnahmen der Behandlungspflege im weitesten Sinne bei der Ermittlung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen, wobei die in der Entscheidung zunächst genannten Kriterien für die Einbeziehung (zeitlicher Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und Nichterforderlichkeit von Fachkunde) in der weiteren Rechtsprechung im oben dargestellten Sinne präzisiert worden sind. Ziel der Entscheidung (und der weiteren Rechtsprechung) war es also, Versicherten dadurch mehr Leistung aus der Pflegeversicherung einzuräumen. Der Begriff der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme ist also von der Rechtsprechung entwickelt und vom Gesetzgeber aufgegriffen worden. Die zeitliche Entwicklung: Danach sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen solche, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden.87 Verrichtungsbezogen sind solche krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen, wenn sie untrennbarer Bestandteil einer der in § 14 Abs. 2 SGB XI aufgeführten Verrichtungen sind oder mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in untrennbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang durchzuführen sind.88

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Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

Das BSG hat den Begriff der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme in einem Fall geprägt, in dem es um das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ging.89 Es hat die hierbei erforderliche Hilfe zunächst in die ausschließliche Zuständigkeit der Pflegeversicherung verwiesen. Daraufhin fügte der Gesetzgeber90 dem § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V den Halbsatz hinzu: „Der Anspruch umfasst das Anziehen und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse 2 auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist.“ Damit hat der Gesetzgeber diese verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme in Abkehr von der damaligen Rechtsprechung ausdrücklich der Leistungspflicht der GKV im Rahmen der Behandlungssicherungspflege unterworfen. Um aufgrund dieser doppelten Zuständigkeit für dieselben Leistungen Doppelleistungen zu vermeiden, hat die Rechtsprechung anschließend den Versicherten ein Wahlrecht zugestanden, ob sie die Maßnahme als Leistung der GKV im Rahmen der Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs. 2 SGB V) beanspruchen oder eine Berücksichtigung im Rahmen von Leistungen der Pflegeversicherung vorziehen. Die Rechtsprechung hat dieses Wahlrecht den Versicherten nicht nur im Hinblick auf das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, sondern bei allen verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zuerkannt.91 Das Wahlrecht der Versicherten hat der Gesetzgeber zum 01.04.200792 wieder beseitigt, die zu den Kompressionsstrümpfen getroffene Regelung gleichzeitig aber entsprechend der Rechtsprechung auf sämtliche verrichtungsbezogenen Maßnahmen der Behandlungspflege ausgeweitet.93 Eine Verrichtung der Behandlungspflege ist dann Bestandteil mit einer Pflegemaßnahme aus den sechs Bereichen des § 14 Abs. 2 SGB XI, wenn sie mit ihr untrennbar verbunden ist, wie dies etwa bei –– der Sondenernährung= Pflegemaßnahme der ‚Selbstversorgung‘ (Modul 4, Kriterium 13) + HKP-Richtlinie, Anlage Ziff. 25 oder –– der Stomaversorgung (Darmentleerung)= Pflegemaßnahme der ‚Selbstversorgung’ (Modul 4, Kriterium 12) + HKP-Richtlinie, Anlage Ziff. 28 der Fall ist.94 Ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Verrichtung reicht nur dann aus, wenn die gleichzeitige oder unmittelbar vorhergehende oder anschließende Durchführung der krankheitsspezifischen Maßnahme der Behandlungspflege objektiv erforderlich ist. Dies kann unter Umständen so weit gehen, dass eine Maßnahme

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89 90 91 92 93 94

BSG, Urt. v. 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2003, Seite 2190 BSG, Urt. v. IJ.3.2005, B 3 KR 9/04 R = BSGE 94, 192 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz v. 26.3.2007, BGBl I 2007, Seite 378 dazu BT-Drucksache 16/3100, Seiten 104 ff. BSG, Urt. v. 22.8.2001, B 3 P 23/00 R

der Behandlungspflege eine Pflegemaßnahme in den sechs Bereichen vollständig ersetzt.95 –– Hilfe beim Baden: Pflegebad anstelle eines normalen Bades und anschließende Hautbehandlung bei einem Patienten mit Neurodermitis.96 –– Hilfe beim An- und Auskleiden: An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen als zusätzlicher krankheitsbedingter Teil der Bekleidung.97 –– Hilfe beim Aufstehen: im Einzelfall morgendliches Abklopfen von Kindern mit Mukoviszidose im oder am Bett.98 –– Zur Hilfe bei der kontinuierlichen ambulanten Peritonealdialyse (CAPD).99 –– Zur Hilfe bei der Blasenentleerung durch Katheterisierung.100

Damit hat der Gesetzgeber für alle verrichtungsbezogenen Maßnahmen der Behandlungssicherungspflege eine Doppelzuständigkeit von Krankenkassen und Pflegekassen geschaffen. Diese Rechtsentwicklung lässt erkennen, dass der Gesetzgeber den Anspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V sogar bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XI möglichst ungeschmälert erhalten wissen will. Dies entspricht zum einen dem in § 31 SGB XI niedergelegten Grundsatz, dass die medizinische Rehabilitation gegenüber der Pflege Vorrang hat, und zum anderen dem Zweck der Regelungen der sozialen Pflegeversicherung, die Leistungen der GKV zu ergänzen, sie aber prinzipiell nicht – ganz oder teilweise – zu verdrängen. Dies wurde zuvor bereits für den Bereich der Hilfsmittel (§ 33 SGB V) und Pflegehilfsmittel (§ 40 SGB XI) grundlegend ausgeführt.103 Die Parallelität und Gleichrangigkeit der Ansprüche gegen die Krankenkasse und die Pflegekasse kommt auch in der Vorschrift des § 13 Abs. 2 SGB XI zum Ausdruck, wonach die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt bleiben. Klarstellend hat die Rechtsprechung im Folgenden zur Abgrenzung von 95 BSG, Urt. v. 26.11.1998, B 3 P 20/97 R 96 BSG, Urt. v. 26.11.1998, B 3 P 20/97 R 97 BSG, Urt. v. 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R 98 BSG, Urt. v. 27.8.1998, B 10 KR 4/97 R = BSGE 82, 276; BSG, Urt. v. 29.4_.1999, B 3 P 13/98 R 99 BSG, Urt. v. 12.11.2003, B 3 P 5/02 R 100 BSG, Urt. v. 22.8.2001, B 3 P 23/00 R 101 vgl. BSG, Urt. v. 27.8.1998, B 10 KR 4/97 R = BSGE 82, 276; BSG, Urt. v. 29.4.1999, B 3 P 13/98 R; BSG, Urt. v. 31.8.2000, B 3 P 14/99 R 102 BSG, Urt. v. 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R; BSG, Urt. v. 29.4.1999, B 3 P 13/98 R 103 BSG, Urt. v. = BSGE 99, 197

Behandlungspflege

Praxistipp: Ein nur rein zeitlicher Zusammenhang zwischen Maßnahmen der Behandlungspflege und Pflegemaßnahmen ist nicht ausreichend.101 Außerdem muss stets hervorgehoben werden, dass der zeitliche Zusammenhang nach objektiven Kriterien, insbesondere medizinischen Erkenntnissen, eine gleichzeitige Durchführung von pflegerischer und medizinischer Hilfeleistung erforderlich machen muss, es also nicht ausreicht, wenn Behandlungspflegemaßnahmen lediglich aus praktischen Gründen vom Betroffenen bzw. seinen Pflegepersonen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Pflegemaßnahme durchgeführt werden.102

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Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

krankheitsspezifischen verrichtungsbezogenen Pflegemaßnahmen den Begriff der „reinen Grundpflege“ geprägt. Die „reine Grundpflege“, bei der keine verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Leistungen erbracht werden, obliegt der Pflegekasse.104 Die Berücksichtigung der Pflegemaßnahmen zum Pflegegrad führt nach §§ 37 Abs. 2 Satz i SGB V, 15 Abs. 3 Satz 2 SGB XI nicht zu einem Leistungsausschluss dieser Leistungen gegenüber der Krankenkasse, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. Der Praxisfall 16 ist also leicht zu lösen. Die Ablehnung der Genehmigung der Verordnung von Kompressionstrümpfen ist rechtswidrig und verletzt die Versicherte und den Pflegedienst in seinen Rechten. Die Krankenkasse muss also zahlen.

4.3 Welche Ansprüche der häuslichen Krankenpflege werden unterschieden? Die Leistungsansprüche der Versicherten auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung werden im Gesetz selbst nur abstrakt beschrieben. Bisher konnten zur Unterstützung der ärztlichen Behandlung entweder die Krankenhausvermeidungspflege nach § 37 Abs. 1 SGB V oder die Sicherungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V im Rahmen des ärztlichen Behandlungsplans erbracht werden. Durch Einführung des § 37 Abs. 1a SGB V wurde nun ermöglicht, Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung auch unabhängig von der Behandlungspflege als Unterstützungspflege zu verordnen. Da diese Leistung nach § 37 Abs. 1a SGB V in der Zielsetzung und den Anspruchsvoraussetzungen wesentlich von der bisherigen Systematik der Krankenhausvermeidungspflege oder Sicherungspflege abweicht, wurden die Regelungen zur Krankenhausvermeidungspflege und Sicherungspflege – bisher geregelt in § 2 HKP-Richtlinie – in eine neu gefasste Gliederung überführt, welche die bisherigen Regelungen hierzu inhaltlich unverändert aufgreift: § 2 Abs. 3 HKP-Richtlinie Häusliche Krankenpflege umfasst, sofern dies im Einzelfall notwendig ist, –bei Krankenhausvermeidungspflege die Behandlungs- und Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung, – bei Sicherungspflege die notwendige Behandlungspflege sowie, sofern die Satzung der Krankenkasse dies vorsieht, die notwendige Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung und –b  ei Unterstützungspflege die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung.

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104 BSG, Urt. v. 17.6.2010, B 3 KR 7/09 R = BSGE 106, 173

Im Folgenden werden wir also die drei möglichen Ansprüche der häuslichen Krankenpflege zu untersuchen haben, die strikt zu trennen sind: – Die Krankenhausvermeidungspflege gemäß § 37 Abs. 1 SGB V, – die Sicherungspflege (auch: Behandlungspflege im engeren Sinn) des § 37 Abs. 2 SGB V und – die Unterstützungspflege nach § 37 Abs. 1a SGB V. Die spezifischen Regelungen zu den einzelnen Formen der häuslichen Krankenpflege werden in den §§ 2a bis 2c HKP-Richtlinie weiter ausgeführt. Die Aufteilung der verschiedenen Anspruchsalternativen sowie des negativen Tatbestandsmerkmals des § 37 Abs. 3 SGB V und die Tätigkeit des MDK soll anhand eines (realen) Praxisfalles vorgenommen werden. Da wir auf diesen immer wieder zurückkommen, ist der Sachverhalt länger als sonst in diesem Buch.  BEISPIEL Praxisfall 18:105 Der „Drachenflieger“-Fall

Nach zweijährigem Aufenthalt in einer Spezialklinik für Querschnittgelähmte wird X im elterlichen Haushalt durch einen ambulanten Pflegedienst, der die Behandlungspflege und die Grundpflege leistet, rund um die Uhr betreut, während er von seinen Eltern hauswirtschaftlich versorgt wird. Über zwei Jahre übernahm die Krankenkasse auf dem Wege der Sachleistung auf der Grundlage der Regelung des § 37 Abs. 1 SGB V die monatlichen Kosten für die häusliche Krankenpflege von mehr als 13.000,00 €. Die häusliche Krankenpflege war damit teurer als die stationäre Versorgung in der Spezialklinik, die monatlich rund 11.000,00 € gekostet hätte. Ab November 1993 gewährte die Krankenkasse nur noch „Sicherungspflege“ nach § 37 Abs. 2 SGB V. Die Kostenerstattung begrenzte sie dabei auf den Pflegesatz der Spezialklinik, der damals rund 370,00 € pro Tag betrug. Ab September 1994 reduzierte die Krankenkasse die Kostenerstattung auf 70 % des aktuellen Betrags (375,00 €), weil die Krankenversicherung im Rahmen des § 37 Abs. 2 SGB V nur die Kosten der Behandlungspflege, nicht aber die im Pflegesatz enthaltene Grundpflege zu leisten habe. Im November 1994 wurde die monatliche Kostenerstattung auf 2.400,00 € verringert. Die Krankenkasse berief sich auf ein Gutachten 105 BSG, Urt. v. 28.1.1999, B 3 KR 4/98 R = BSGE 83, 254

Behandlungspflege

Der junge Versicherte X war mit seinem Flugdrachen abgestürzt und seit diesem Unfall halsabwärts querschnittgelähmt. Er kann ohne technische Hilfe nicht atmen. Die Beatmung erfolgt durch einen implantierten Zwerchfellschrittmacher und durch ein Beatmungsgerät. Dabei müssen die Atemwege regelmäßig, auch nachts, abgesaugt werden, um sie von Sekretansammlungen freizuhalten.

85

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

des Medizinischen Dienstes, wonach die tägliche Pflege des X nur zu einem Sechstel (4 Stunden) aus Behandlungspflege, zu fünf Sechsteln (20 Stunden) aber aus Grundpflege bestehe, für die sie nicht aufzukommen habe. Nach Ansicht des MDK seien weder die reine Beobachtung der Atmung des X noch die der technischen Apparaturen sowie das Absaugen der Schleimabsonderungen der Behandlungspflege zuzuordnen. Nur ein Sechstel des vom X für Ende 1994 angegebenen monatlichen Pflegeaufwands von 14.450,00 €, also 2.408,33 € , sei demnach erstattungsfähig. X erhielt Leistungen der Pflegestufe III-Härtefall (vergleichbar Pflegegrad 5). Wie ist die Rechtslage?

Bitte versuchen Sie – vor dem Weiterlesen – an dieser Stelle den Fall zu lösen und anhand Ihrer Erfahrungen kurz schriftlich zu notieren, wer für die Pflege des X aufkommt. Die eigene gedankliche Beschäftigung mit der Rechtslage fördert das Verständnis der im Folgenden dargestellten Rechtsprobleme entscheidend. Wir werden auf den Fall immer wieder zurückkommen, sodass Sie Ihr Ergebnis anhand des Gelesenen ständig aktualisieren können.

4.4 Welche Voraussetzungen hat der Anspruch der Krankenhausvermeidungspflege? Der gesetzliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist trügerisch formuliert. Nur dann, wenn die zwei Anspruchsalternativen streng getrennt betrachtet werden, ergeben sich die gesetzlichen und die ungeschriebenen (systematischen) Voraussetzungen. Achten Sie, wenn Sie § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V nachlesen, exakt auf den Wortlaut. § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V: Versicherte erhalten … neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. Der Anspruch aus § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst also zwei verschiedene Anspruchsgruppen: –– die häusliche Krankenpflege wird gewährt, wenn Krankenhausbehandlung eigentlich geboten, aber nicht ausführbar ist oder –– die Krankenhausbehandlung vermieden oder – quasi als Unterfall der Vermeidung und von daher nicht gesondert zu zählen – verkürzt wird.

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§ 2a HKP-Richtlinie konkretisiert den Anspruch auf die Krankenhausvermeidungspflege weiter: § 2a HKP-Richtlinie Die Verordnung als Krankenhausvermeidungspflege ist nur zulässig, wenn die oder der Versicherte wegen einer Krankheit der ärztlichen Behandlung bedarf und diese Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans ist. Sie kann verordnet werden, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt: – Krankenhausbehandlung geboten aber nicht ausführbar ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn eine Versicherte oder ein Versicherter die Zustimmung zur Krankenhauseinweisung verweigert. – Dadurch Krankenhausbehandlung vermieden wird. Dies ist gegeben, wenn durch die Ergänzung der ambulanten ärztlichen Behandlung mit Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege die ansonsten erforderliche Krankenhausbehandlung ersetzt werden kann.

Der Rechtsanspruch des Versicherten auf die Krankenhausvermeidungspflege wird durch die Verordnung des Hausarztes, der damit das Rahmenrecht der gesetzlichen Ansprüche der Versicherten des § 27 SGB V konkretisiert, begründet. Daher besteht ebenso wie auf die Krankenhausbehandlung ein Rechtsanspruch auf die klinikvermeidende oder krankenhausaufenthaltsverkürzende Behandlungspflege. Dies gilt auch dann, wenn zwischenzeitlich die Krankenhausvermeidungspflege kaum noch verordnet bzw. genehmigt wird. Anders als die Praxis der Krankenkassen es vermuten lässt, hat der neu eingeführte § 37 Abs. 1a SGB V den Anspruch der Versicherten auf die Krankenhausvermeidungspflege nicht ersetzt, sondern erweitert. § 37 Abs. 1a Satz 1 SGB V: Versicherte erhalten an geeigneten Orten im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 1 (SGB V) wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, soweit keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 im Sinne des Elften Buches vorliegt, die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. Vor dem Hintergrund, dass Versicherte aufgrund schwerer Krankheit, wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach ambulanten Operationen oder nach einer ambulanten Kran-

Behandlungspflege

–D  adurch Krankenhausbehandlung verkürzt wird (vgl. § 7 Abs. 5 HKP-Richtlinie). Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung können im Rahmen der Krankenhausvermeidungspflege nur im Zusammenhang mit erforderlicher Behandlungspflege verordnet werden.

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kenhausbehandlung (beispielsweise einer Chemotherapie) einen – bislang nicht durch Kranken- und Pflegeversicherung gedeckten – Bedarf an grundpflegerischer und hauswirtschaftlicher Versorgung haben können, hat der Gesetzgeber diese gesetzliche Versorgungslücke geschlossen.106

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

4.5 Wann ist Krankenhausbehandlung eigentlich geboten, aber nicht ausführbar?

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Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist in der 1. Alternative des § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar. Zu Irritationen führt es dabei, dass der Gesetzgeber hier den Begriff „geboten“ benutzt, bei der Formulierung der Krankenhausbehandlung des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V jedoch den Begriff der „Erforderlichkeit“. Die bisher herrschende Meinung ging davon aus, dass im Bereich der Krankenhausvermeidungspflege die Krankenhausbehandlung nicht unbedingt „erforderlich“, wohl aber angezeigt und zweckmäßig erscheint.107 Die Unterscheidung durch den Gesetzgeber führt dazu, dass häusliche Krankenpflege als „geboten“ auch dann zu gewähren ist, wenn Krankenhausbehandlung nicht (unbedingt) erforderlich ist. Wichtig wäre eine Unterscheidung der möglichen Wortbedeutungen in den Fällen, in denen eine Krankenhausbehandlung nicht unbedingt erforderlich ist, etwa weil die Therapie durchgeführt und der Zustand des Patienten stabil ist, jedoch eine sehr intensive Betreuung (Beispiel könnte die palliativ-medizinische Versorgung während der Finalpflege sein) zu erfolgen hat. Zwischenzeitlich herrscht aber die Auffassung vor, dass der Begriff „geboten“ im § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V dem Begriff „erforderlich“ im § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V entspricht.108 Die Verwendung der unterschiedlichen Begriffe beruht nach Auffassung des BSG allein auf einer redaktionellen Nachlässigkeit im Gesetzgebungsverfahren.109 Erforderlich ist eine Krankenhausbehandlung, wenn die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden kann. Hierzu zählen die spezielle apparative Ausstattung, das geschulte Pflegepersonal sowie die Rufbereitschaft und jederzeitige Eingriffsmöglichkeit eines Arztes.110 Die 1. Alternative des § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist daher nur auf Notsituationen, beispielsweise Bettenmangel in allen verfügbaren Krankenhäusern oder Nichtgewährleistung der Transportfähigkeit des Versicherten, anzuwenden. Die HKP-Richtlinien nennen ein weiteres Beispiel:

106 BT-Drucksache 18/6586, Seite 100 107 so BSG, Urt. v. 18.11.1969, 3 RK 74/66 = BSGE 30, 144 108 BSG, Urt. v. 20.4.1988, 3/8 RK 16/86 = BSGE 63, 140 109 BSG, Urt. v. 28.1.1999, B 3 KR 4/98 R = BSGE 83, 254 110 BSG, Urt. v. 12.11.1985, 3 RK 45/83 = BSGE 59, 116

§ 2a Abs. 1 Satz 3 HKP-Richtlinie Häusliche Krankenpflege als Krankenhausvermeidungspflege kann verordnet werden, wenn Krankenhausbehandlung geboten aber nicht ausführbar ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn eine Versicherte oder ein Versicherter die Zustimmung zur Krankenhauseinweisung verweigert. Mit der strukturellen Neufassung wurde im bisherigen Richtlinientext die Voraussetzung, dass die Zustimmung „aus nachvollziehbaren Gründen“ erfolgen muss, gestrichen. So wurde im neuen § 2a Abs. 1 HKP-Richtlinie klargestellt, dass es für die Verordnung von Krankenhausvermeidungspflege nicht darauf ankommt, aus welchem Grund eine Patientin oder ein Patient einer erforderlichen Krankenhausbehandlung nicht zustimmt.

Nach der 2. Alternative des § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach dem weiten Wortlaut schon dann, wenn dadurch die Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird. Die Vermeidung und – als deren Unterfall – die Verkürzung der Krankenhausbehandlung als Voraussetzung für die Gewährung der häuslichen Krankenpflege der „Krankenhausvermeidungspflege“ ist allein kein taugliches Abgrenzungskriterium, weil auch durch die häusliche Krankenpflege als „Sicherungspflege“ nach § 37 Abs. 2 SGB V und ebenso durch medizinisch ausreichende ambulante Behandlung ganz allgemein letztlich Krankenhausbehandlung „vermieden“ wird. § 37 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB V ist dem Wortlaut nach zu weitgehend und deshalb einschränkend auszulegen.111 Der Gesetzgeber hatte hier die Absicht, mit der Schaffung des umfassenden Anspruchs auf häusliche Krankenpflege (Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung) es „dem Versicherten zu ermöglichen, frühzeitig in den häuslichen Bereich zurückzukehren“ (oder diesen gar nicht erst zu verlassen) und ihm „einen Anreiz zu geben, die teure Krankenhausbehandlung so weit wie möglich abzukürzen oder zu vermeiden“.112 Die ursprünglich zeitlich unbegrenzt vorgesehene Leistung ist aufgrund der Ausschussberatung im Hinblick auf die neu eingeführten Leistungen bei Pflegebedürftigkeit auf vier Wochen beschränkt worden mit der Möglichkeit, in begründeten Ausnahmefällen diese Dauer zu verlängern.113 Der gesetzgeberische Wille lässt sich somit in der Weise zusammenfassen, dass häusliche Krankenpflege auch dann angeboten werden sollte, wenn Krankenhausbehandlung medizinisch nicht (mehr) zweifelsfrei geboten ist, eine ambulante Behandlung vielmehr auch (noch oder nunmehr) ver111 BSG, Urt. v. 28.1.1999, B 3 KR 4/98 R = BSGE 83, 254 112 BT-Drucks. 11/2237, Seite 176 113 BT-Drucks. 11/3480, Seite 54

Behandlungspflege

4.6 Wann liegt eine Krankenhausvermeidungspflege vor?

89

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege? 90

tretbar erscheint. In jedem Fall war nur an akute Behandlungsfälle gedacht, nicht aber an Fälle einer dauerhaften Pflegebedürftigkeit, für die erstmals die eigenständigen Leistungen der häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 ff. SGB V a.F.) eingeführt worden sind, die die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung umfassen. Mit Einführung der Pflegeversicherung ist den Krankenkassen durch Einfügung des Satzes 4 in § 37 Abs. 2 SGB V ausdrücklich untersagt worden, Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit zu gewähren. Die Vorschrift bezieht sich zwar nur auf die sog. Sicherungspflege in § 37 Abs. 2 SGB V, während sich in § 37 Abs. 1 SGB V diese Einschränkung nicht findet. Das lässt sich aber zwanglos damit erklären, dass hier von vornherein nur akute Behandlungsfälle erfasst werden sollten.114 Aus der Möglichkeit, in Ausnahmefällen die Leistungsdauer von vier Wochen zu verlängern, darf nicht darauf geschlossen werden, dass auch die vollen Leistungen der Behandlungs- und Grundpflege sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung auf Dauer zulässig sein sollen. In § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist daher das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „akut“ einzulesen, die Vorschrift hätte dann folgenden Wortlaut: Versicherte erhalten in ihrem Haushalt oder ihrer Familie … neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist [1. Alternative], oder wenn akut notwendige Krankenhausbehandlung (sie) durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird [2. Alternative]. Wird also eine akut notwendige Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt, so besteht der Anspruch nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V auch dann, wenn der Versicherte als pflegebedürftig in die Pflegeversicherung eingestuft ist. Anspruchsinhalt der Krankenhausvermeidungspflege sind Fälle, in denen die Behandlungsziele ebenso oder besser (z. B. bei labiler psychischer Verfassung) durch ambulante ärztliche Behandlung und häusliche Krankenpflege erreicht werden können, oder Erkrankungen, die sich nicht in einem hoch akuten Stadium befinden.115 Ebenso liegt Krankenhausvermeidungspflege vor, wenn die Notwendigkeit des Klinikaufenthalts im gegenwärtigen Zeitpunkt zwar noch nicht gegeben ist, jedoch ohne häusliche Krankenpflege in absehbarer Zeit erforderlich wird,116 sowie immer dann, wenn durch häusliche Krankenpflege eine Abkürzung der Krankenhausbehandlung erreicht werden kann. Der Prüfungsablauf wird im folgenden Schaubild dargestellt:

114 BSG, Urt. v. 28.1.1999, B 3 KR 4/98 R = BSGE 83, 254 115 BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73 116 BSG, Urt. v. 20.4.1988, 3/8 RK 16/86 = BSGE 63, 140

Schaubild L – Teil 1

Voraussetzungen § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V

Voraussetzungen § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V

NEIN

Versicherteneigenschaft

Keine Leistung

JA NEIN

Diagnose des Arztes: „krank“

Keine Leistung

JA

Antrag auf Leistung bzw. Genehmigung

NEIN

Schaubild L – Teil 2 Keine Leistung

[Bitte gleichJAan Schaubild L – Teil 1 anschließen] KH-behandlung geboten, aber nicht ausführbar?

NEIN

[email protected]

KH-behandlung wird vermieden oder verkürzt?

NEIN

18

Keine Leistung

JA

„akute“ Behandlungsbedürftigkeit?

Keine Leistung

Genehmigung [email protected]

19

[email protected]

Behandlungspflege

JA

NEIN

91

4.7 Welchen Inhalt hat der Anspruch auf Krankenhausvermeidungspflege nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V?  BEISPIEL

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

Praxisfall 19:117 Die 1955 geborene Klägerin A zog sich bei einem Sturz eine Unterschenkelfraktur links zu, die stationär vom 23.12.20xx bis 4.3.20xx in der Klinik B versorgt wurde (osteosynthetische Versorgung mittels UTN am 25.12.20xx, Verlegung in die Medizinische Klinik am 9.1.20xx wegen erhöhter Nierenwerte, Rückverlegung auf die Chirurgie am 15.2.20xx). Am 11.4.20xx gingen bei der Krankenkasse Verordnungen der behandelnden Allgemeinärztin der A vom 14.3. und 8.4.20xx ein, wonach die Klägerin für 7 Tage in der Woche für 2 Stunden täglich eine Hilfe für die häusliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung benötigte (voraussichtlich 4 Wochen bzw. weitere 4 Wochen). Muss die Krankenkasse die Verordnungen genehmigen?

Zum Anspruch gehören inhaltlich die Behandlungspflege, die Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung und zwar auch nach Einstufung in die Pflegeversicherung, § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Dafür spricht zunächst der systematische Vergleich zum § 37 Abs. 2 Satz 4 SGB V. Für den Anspruch auf „Sicherungspflege“ wird die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung ausgeschlossen, sobald eine Einstufung in die Pflegeversicherung vorliegt. Eine solche Regelung findet sich in § 37 Abs. 1 SGB V nicht. Eine Doppelleistung wird durch die Regelung des § 34 Abs. 2 SGB XI verhindert: Hat der Versicherte einen Anspruch aus § 37 Abs. 1 SGB V, so ruhen die Ansprüche aus der Pflegeversicherung. Sind also alle geschriebenen und ungeschriebenen Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein Anspruch auf Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. Die Lösung des Praxisfalls 19 ist daher vorgezeichnet: Auch die Krankenhausvermeidungspflege § 37 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB V setzt voraus, dass sie die ärztliche Behandlung zu sichern imstande ist, denn sonst könnte dieser häuslichen Krankenpflege nicht die anspruchsbegründende Eigenschaft zukommen, dass gerade durch sie die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung nach § 37 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB V entfällt. Gerade darin also, dass die krankenhausvermeidende häusliche Krankenpflege die ärztliche Behandlung zu sichern vermag, liegt ihre Eigenschaft, den Klinikaufenthalt zu vermeiden. Der Anspruch auf 92

117 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 8.8.2006, L 11 KR 4313/04

die krankenhausvermeidende häusliche Krankenpflege wird allein dadurch bestimmt, dass sonst zur Sicherstellung der ärztlichen Behandlung eine „Pflege“ in der Klinik erforderlich wäre.118 Die Krankenkasse muss daher die Verordnungen nicht genehmigen, da keine Verrichtung der Behandlungspflege verordnet wurde.  BEISPIEL Praxisfall 19: – Zusatzfragen 1. Erhält A also überhaupt keine Leistungen, auch keine seiner sozialen Pflegeversicherung? 2. Springt notfalls der Träger der Sozialhilfe ein (wenn die sonstigen Voraussetzungen zur Bedürftigkeit vorliegen)?

§ 61a Abs. 1 SGB XII: Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten auf weisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Pflegebedürftige Personen im Sinne des Satzes 1 können körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen. § 61a Abs. 1 SGB XII enthält die Einschränkung, dass der Pflegebedarf prognostisch 6 Monate bestehen muss, nicht. Der Träger der Sozialhilfe zahlt also die erforderlichen Pflegemaßnahmen und die hauswirtschaftliche Versorgung, wenn eine finanzielle Bedürftigkeit gegeben ist. Die Krankenhausvermeidungspflege des § 37 Abs. 1 SGB V ist so umfassend wie die Pflege im Krankenhaus selbst. Daher umfasst sie die im Einzelfall erforderliche Behandlungspflege, die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung. Allerdings ist nicht notwendig, dass alle drei Bestandteile verordnet werden. Krankenhausvermeidungspflege ist auch dann zulässig, wenn lediglich Behandlungspflege erforderlich ist. Allerdings ist es nicht möglich, nur Grundpflege und 118 BSG, Urt. v. 20.4.1988, 3/8 RK 16/86 = BSGE 63, 140

Behandlungspflege

Die Lösungen der Praxisfall-19-Zusatzfragen liegen auf der Hand. Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sind überhaupt nur denkbar, wenn ein Grundpflegebedarf auf Dauer, für mindestens sechs Monate besteht; § 14 Abs. 1 SGB XI. Davon ist aber bei der Fallgestaltung nicht auszugehen. Sind die sonstigen Voraussetzungen der Sozialhilfe gegeben, übernimmt der Träger der Sozialhilfe die Kosten der notwendigen ambulanten Pflege in Form der notwendigen Pflegemaßnahmen und hauswirtschaftlichen Versorgung. Im Bereich der Sozialhilfe ist der Pflegebegriff nach § 61a Abs. 1 SGB XII erweitert um den Fall, dass der Hilfebedarf nicht auf Dauer, für mindestens sechs Monate, besteht.

93

hauswirtschaftliche Versorgung zu verordnen, die Behandlungspflege muss immer mit verordnet werden! Dies stellt jetzt die neue Formulierung des § 2a Abs. 2 HKP-Richtlinie ausdrücklich fest:

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

§ 2a Abs. 2 HKP-Richtlinie Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung können im Rahmen der Krankenhausvermeidungspflege nur im Zusammenhang mit erforderlicher Behandlungspflege verordnet werden.

94

Praxistipp: Stehen bei einer Kundin wie im Praxisfall 19 im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt die Pflegemaßnahmen aus den sechs Bereichen nach § 14 Abs. 2 SGB XI sowie die hauswirtschaftliche Versorgung im Vordergrund, etwa weil wegen eines beidseitigen Armbruchs eine eigene Versorgung nicht möglich ist, so kommt eine Verordnung der Krankenhausvermeidungspflege nur dann in Betracht, wenn auch behandlungspflegerische Verrichtungen notwendig sind. Ohne notwendige Behandlungspflege ist ein Anspruch nach § 37 Abs. 1a SGB V zu prüfen. Diese Fallkonstellation ist insbesondere bei denjenigen Kunden problematisch, bei denen eine Pflegestufe nicht vorliegt und mithin auch Leistungen der sozialen Pflegeversicherung ausfallen. Prüfen Sie gemeinsam mit dem behandelnden Arzt, ob beispielsweise eine Medikamentengabe in Form einer Heparin-Spritze notwendig ist. Der Praxisfall 18 – Drachenflieger soll in Hinblick auf die Krankenhausvermeidungspflege teilweise gelöst werden: –– § 37 Abs. 1 SGB V ist streng in seine beiden Alternativen zu trennen. –– § 37 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGB V setzt voraus, dass eine Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist. „Geboten“ meint inhaltlich das Gleiche wie „erforderlich“ in § 39 SGB V, sodass die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses (also die spezielle apparative Ausstattung, das geschulte Pflegepersonal sowie die Rufbereitschaft und jederzeitige Eingriffsmöglichkeit eines Arztes) durchgeführt werden kann. Die Versorgung des X zwei Jahre im elterlichen Haushalt zeigt aber, dass es auf die besonderen Mittel des Krankenhauses gerade nicht ankommt, also § 37 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGB V (–). –– § 37 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB V könnte vom Wortlaut her einschlägig sein. Wegen des weiten Wortlauts bedarf diese Alternative jedoch einer einschränkenden Korrektur. Diese wird durch das Einlesen des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals „akut“ erreicht. Daher hätte X nur dann einen Anspruch, wenn es sich um eine (akute) Erkrankung handelt, die akut einer Krankenhausbehandlung bedarf. Der Zustand des X ist aber stabil, sodass der Anspruch am Tatbestandsmerkmal „akut“ scheitert. § 37 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB V (–).

–– Teilergebnis: Ein Anspruch aus § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V liegt mithin nicht vor, die Krankenkasse war also ab November 1993 berechtigt, nur noch Leistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V zu genehmigen. (Dazu siehe unten.)

4.8 Welche Voraussetzungen bestehen bei der Sicherungspflege des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V? Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V haben die Versicherten Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Therapie erforderlich ist. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V: Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, … als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Dieser gesetzliche Anspruch wird durch die HKP-Richtlinie konkretisiert.

Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung können im Rahmen der Sicherungspflege nur im Zusammenhang mit erforderlicher Behandlungspflege verordnet werden, sofern die Satzung der Krankenkasse die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung vorsieht und bei der oder dem Versicherten keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 bis 5 gemäß den §§ 14 und 15 SGB XI vorliegt. Pflegemaßnahmen und hauswirtschaftliche Versorgung können die Versicherten nur verlangen, sofern die jeweilige Krankenkasse eine solche Leistung in die Satzung, die auch über Dauer und Umfang bestimmt (§ 37 Abs. 2 Satz 5 SGB V), aufgenommen hat und diese Leistungen als freiwillige Mehrleistung erbringt (§ 37 Abs. 2 Satz 4 SGB V). Nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI sind nach § 37 Abs. 2 Satz 6 SGB V Mehrleistungen der Sätze 4 und 5 zugunsten des Versicherten nicht mehr zulässig. Dabei ist aber auf Folgendes zu achten: Mit Einführung des SGB XI im Jahre 1994 sind die Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem SGB V unverändert geblieben, also nicht etwa eingeschränkt, sondern durch die Vorschriften des SGB XI nur ergänzt worden119. 119 BSG, Urt. v. 16.7.2014, B 3 KR 2/13 R

Behandlungspflege

§ 2b HKP-Richtlinie Sicherungspflege ist Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans und kann verordnet werden, wenn sich der oder die Versicherte wegen einer Krankheit in ambulanter vertragsärztlicher Versorgung befindet und diese nur mit Unterstützung durch Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege durchgeführt werden kann. In diesen Fällen ist häusliche Krankenpflege nur als Behandlungspflege verordnungsfähig.

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Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

4.9 Welche Voraussetzungen müssen für den Anspruch auf „Unterstützungspflege“ des § 37 Abs. 1a Satz 1 SGB V vorliegen? Versicherte haben aufgrund schwerer Krankheit, wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach ambulanten Operationen oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung einen – bis zum 31.12.2015 nicht durch Kranken- und Pflegeversicherung gedeckten – Anspruch auf grundpflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung. § 37 Abs. 1a Satz 1 SGB V: Versicherte erhalten an geeigneten Orten im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 1 (SGB V) wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, soweit keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 im Sinne des Elften Buches vorliegt, die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. Der Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht an geeigneten Orten, soweit keine Pflegebedürftigkeit nach den Pflegegraden 2, 3, 4 und 5 im Sinne des SGB XI gegeben ist. Pflegebedürftigkeit nach Pflegegrad 1 schließt den Anspruch nicht aus.120 Ein gleichzeitiger Bedarf an Behandlungssicherungspflege ist ausdrücklich nicht erforderlich.121 § 2c HKP-Richtlinie Häusliche Krankenpflege als Unterstützungspflege ist Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans und kann verordnet werden, wenn – eine schwere Krankheit oder eine akute Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung vorliegt und – die daraus resultierenden krankheits- oder behandlungsbedingten Beeinträchtigungen in einem Maß vorliegen, dass die oder der Versicherte sich nicht mehr selbstständig in den Bereichen Grundpflege und Hauswirtschaft versorgen kann und – der Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung nur für einen voraussichtlich vorübergehenden Zeitraum vorliegt und – keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 bis 5 gemäß §§ 14 und 15 SGB XI vorliegt. Die Leistung umfasst die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung entsprechend den Nummern 1 bis 5 des Leistungsverzeichnisses. Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung können nur zusam96

120 BT-Drucksache 18/9518, Seite 104 121 BT-Drucksache 18/6586, Seite 100

men mit Leistungen der Grundpflege verordnet werden. Leistungen der Grundpflege können auch ohne Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung verordnet werden. Die Verordnung von Unterstützungspflege setzt nicht notwendigerweise die gleichzeitige oder vorherige Verordnung von Behandlungspflege voraus. Leistungen nach § 37 Abs. 1a SGB V können nicht in Einrichtungen der Kurzzeitpflege erbracht werden. Der Anspruch umfasst nur den Bedarf einer grundpflegerischen und hauswirtschaftlichen Versorgung aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen der Versicherten wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, sodass aus kognitiven Beeinträchtigungen resultierende Bedarfe – von Ausnahmen abgesehen – nicht erfasst werden. Grund dafür ist, dass Leistungsverschiebungen im Hinblick auf die Abgrenzungen zwischen Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe mit dem neu begründeten Anspruch nicht verbunden sein sollen.122

Behandlungspflege

Was ist eine schwere Krankheit?

122 BT-Drucksache 18/6586, Seite 101

97

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege? 98

Hauswirtschaftliche Versorgung kann auch im Rahmen der Häuslichen Krankenpflege in Form der Unterstützungspflege nur verordnet werden, sofern auch die Grundpflege erforderlich ist. Ist ausschließlich ein Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung vorhanden, besteht grundsätzlich ein Anspruch nach § 38 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Leistungen der Grundpflege können auch ohne Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung verordnet werden. Die Leistungen nach § 37 Abs. 1a Satz 1 SGB V werden gewährt, wenn eine – akut vorliegende – schwere Erkrankung vorliegt oder eine Erkrankung sich akut verschlimmert. Was eine schwere Krankheit ist, wird in der Vorschrift nicht definiert. Der Begriff der „schweren Krankheit“ muss daher durch Auslegung der gesetzlichen Regelung gefunden werden. Da die wörtliche Auslegung an der Wortbedeutung nicht weiterführt, muss systematisch vorgegangen werden. Der Anspruch auf die sog. Unterstützungspflege des § 37 Abs. 1a Satz 1 SGB V ersetzt – anders als von vielen Krankenkassen vorgetragen wird – die Krankenhausvermeidungspflege nach § 37 Abs. 1 SGB V nicht. Deshalb ist die Gleichsetzung von „schwerer Krankheit“ und „Krankenhausbedürftigkeit“ immer falsch. Richtig ist, dass bei der Unterstützungspflege gerade keine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegt (ansonsten würde der Anspruch aus § 37 Abs. 1 SGB V oder gleich die Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V greifen), sodass liegt der Schweregrad der Krankheit in jedem Fall unter der für die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit anzusetzenden Schwelle liegt. Immerhin aber muss die Erkrankung noch so schwer sein, dass der Versicherte selbst mehr als nur kurzfristig nicht in der Lage sein darf, sich ohne fremde Hilfe selbst zu versorgen. Sinn der Regelung ist es, Versorgungslücken zu schließen. Daher kann es bei der Frage der Schwere der Erkrankung nicht „allein“ auf die abstrakten Auswirkungen der Erkrankung auf Körper- und Geistesfunktionen des Versicherten in typischen Krankheitskonstellationen ankommen. Vielmehr ist auch darauf abzustellen, wie sich die Erkrankung und die hierdurch bewirkten Funktionsbeeinträchtigungen aller Wahrscheinlichkeit nach auf die zur Bewältigung einer häuslichen Lebensführung erforderlichen Selbsthilfepotenziale des Versicherten auswirken. Hierbei kommt es mithin auf die konkreten gesundheitlichen Einschränkungen ebenso an wie auf die räumlichen, haustechnischen und örtlich-sozialen Kontextbedingungen des Lebens zu Hause.123 Nur so kann im Übrigen ein geläufiger Systemfehler in der Versorgung vermieden werden, dass nämlich der Kunde nur deshalb im Krankenhaus verbleibt, weil seine Versorgung in den eigenen Wänden weder durch ihn noch durch im Haushalt lebende Angehörige sichergestellt werden kann. Nicht erforderlich ist, dass dem Anspruch ein stationärer Krankenhausaufenthalt vorausgegangen sein muss. Dies deutet in zahlreichen Fällen zwar auf das Vorliegen einer entsprechend schweren Erkrankung hin, Leistungen sind bei einem entsprechenden Schweregrad der Erkrankung jedoch auch möglich nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung. 123 Luthe MedR 2016, 211

Praxistipp: Ist dem Kunden lediglich der Pflegegrad 1 zuerkannt worden, dann besteht der Anspruch auf die ärztlich verordnete Unterstützungspflege gegenüber der Krankenkasse. Von der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist die Frage zu welchem Zeitpunkt der Pflegegrad vorliegen muss. Im Zeitpunkt der ärztlichen Verordnung oder rückwirkend nach Begutachtung? Daraus ergeben sich folgende besondere Prüfungspunkte:

Behandlungspflege

So kann beispielsweise eine Chemotherapie den Anspruch auslösen, weil sie unstreitig mit einer schweren Erkrankung in Zusammenhang steht. Dies wird durch das Wort „insbesondere“ klagestellt, sodass die Leistung nicht an einen Krankenhausaufenthalt, eine ambulante Operation oder eine ambulante Krankenhausbehandlung gebunden ist, sondern auch bei vergleichbaren Fallkonstellationen verordnet werden kann. Allerdings sind auch hier stets die individuellen Krankheitsfolgen im Sinne verbleibender Selbsthilfepotenziale in die Entscheidung einzubeziehen, sodass es selbst im Falle einer zugrundeliegenden Krebserkrankung nicht zwangsläufig dazu kommen muss, dass der Anspruch verordnet werden kann. Dabei ist die Aufzählung der Behandlungssituationen nicht abschließend („insbesondere“), sodass auch andere im Gesetz nicht genannte Behandlungsarten oder Institutionen, wie etwa eingriffsintensive Facharztbesuche, zur Begründung des Anspruchs führen können. Leistungen als Folge einer akuten Verschlimmerung einer Krankheit setzen nicht voraus, dass es sich um eine schwere Krankheit im Sinne der vorgenannten Kriterien handelt. Erkennbarer Zweck dieses Regelungsmerkmals ist die nachhaltige Sicherstellung der bisherigen Behandlung, auch vor dem Hintergrund der bereits verausgabten Behandlungskosten, sodass auch leichte Erkrankungen im Falle einer Verschlimmerung anspruchsauslösend sein können. Allerdings muss die Verschlimmerung immer akut sein, das heißt, sie muss eingetreten sein. Die Abwendung einer lediglich drohenden Verschlimmerung, auch wenn sie nachweislich unmittelbar bevorsteht, ist nach dem Wortlaut nicht gedeckt. Wäre anderes gewollt, so hätte der Gesetzgeber eine andere Formulierung wählen müssen (vgl. etwa § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX – „Verhütung“). Stets muss auch eine Krankheit vorliegen, also ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

99

Schaubild C – Teil 1

Voraussetzungen § 37 Abs. 1a SGB V

Voraussetzungen des § 37 Abs. 1a SGB V

Versicherteneigenschaft

NEIN

Keine Leistung

JA

Diagnose des Arztes: „krank“

NEIN

Keine Leistung

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

JA

Antrag auf Leistung bzw. Genehmigung

NEIN

Schaubild C – Teil 2

Keine Leistung

JA

[Bitte gleich an Schaubild C – Teil 1 anschließen] NEIN

[email protected] Bedarf an Grundpflege und HWL?

Keine Leistung

4

JA

Beeinträchtigungen wg. schwerer Krankheit?

NEIN

Keine Leistung

JA

Pflegegrad 2 (oder höher) zuerkannt? NEIN

JA

Keine Leistung

Genehmigung [email protected]

5

[email protected]

4.10 Für welche Dauer kann die Leistung der Unterstützungspflege verordnet werden?

100

Der Anspruch auf bzw. der Beginn von Leistungen nach § 37 Abs. 1a SGB V entsteht grundsätzlich mit dem Tag, an dem aufgrund krankheitsbedingter Beeinträchtigungen, infolge einer stationären Krankenhausbehandlung, einer ambulanten Operation, einer ambulanten Krankenhausbehandlung oder in vergleichbaren Fallkonstellationen nach der Entlassung bzw. nach der Behandlung ein anderweitig nicht abzudeckender Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung entsteht. Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V besteht zunächst bis zu vier Wochen je Krankheitsfall. Ein neuer Krankheitsfall in diesem Sinne liegt insbesondere vor, wenn sich aufgrund einer neu aufgetretenen schweren Krankheit oder bei einer akuten Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit die Notwendigkeit einer – ggf. auch wiederholten – Krankenhausbehandlung, ambulanten Operation oder ambulanten Krankenhausbehandlung bzw. vergleichbaren Behandlung ergibt. In begründeten Ausnahmefällen kann die

Krankenkasse die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen, wenn der MDK festgestellt hat, dass dies erforderlich ist.  BEISPIEL Beispiel:124 A wird mit einem Unterstützungsbedarf aus der stationären Krankenhausbehandlung am 05.06. entlassen. Aufgrund einer Wundinfektion an der Operationsnarbe muss die Versicherte am 10.06. erneut stationär aufgenommen werden und wird am 15.06. entlassen. Ab dem 15.06. besteht ein Unterstützungsbedarf bei der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Eine entsprechende ärztliche Verordnung liegt vor. Lösung: Die erneute Krankenhausbehandlung gilt als neuer Krankheitsfall im Sinne des § 37 Abs. 1a SGB V. Die Versicherte hat Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V für grundsätzlich vier Wochen aufgrund ihrer schweren Erkrankung nach der stationären Krankenhausbehandlung. Die Leistung ist ab dem 15.06. daher grundsätzlich für 4 Wochen zu gewähren, somit bis zum 12.07. Dabei gilt die 4-wöchige Frist auch dann, wenn der Unterstützungsbedarf nur tageweise – beispielsweise dreimal in der Woche oder nach einer bestimmten Therapie – besteht. Besteht also der Unterstützungsbedarf über die 4 Wochen hinaus, ist zu unterscheiden, wie für die folgenden Zeiträume vorzugehen ist. Kommt es immer wieder zu einer Verschlechterung, so beginnt der volle Anspruch jeweils neu zu laufen:

Beispiel125: Ein Versicherter erhält ab dem 4.7.20xx wöchentlich eine Chemotherapie über 6 Monate. Nach jeder Chemotherapie-Behandlung verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Versicherten aufgrund schwerer Nebenwirkungen derart, dass er jeweils für den restlichen Tag der Unterstützung bei der Grundpflege und ggf. der hauswirtschaftlichen Versorgung bedarf. Der Arzt verordnet daher häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V jeweils für den Rest des Tages nach der Chemotherapie, somit an 2 Tagen in der Woche.

Behandlungspflege

 BEISPIEL

Lösung: Nach jeder Chemotherapie-Behandlung liegt bei dem Versicherten eine akute Verschlimmerung seiner Erkrankung aufgrund der schwe124 nachgebildetes Beispiel 10 aus: Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes v. 20.6.2016 zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) vom 10.12.2015 zur Haushaltshilfe, häuslichen Krankenpflege und Kurzzeitpflege, Seite 32 125 Beispiel 11 aus: Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes v. 20.6.2016 zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) vom 10.12.2015 zur Haushaltshilfe, häuslichen Krankenpflege und Kurzzeitpflege, Seite 33

101

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

ren Nebenwirkungen in Folge der Chemotherapie vor. Grundsätzlich löst daher jede Chemotherapie-Behandlung einen neuen Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 1a SGB V aus. Die übrigen Voraussetzungen müssen vorliegen.

Bezüglich der Dauer und der Verlängerungsoption durch den MDK gelten nach § 37 Abs. 1a Satz 2 SGB V die Sätze 4 und 5 des § 37 Abs. 1 SGB V entsprechend. Demnach besteht der Anspruch nach S. 1 wie bei der Krankenhausvermeidungspflege für längstens vier Wochen (28 Tage), kann jedoch nach Einschaltung des MDK verlängert werden, wenn die Verlängerung pflegerisch-medizinisch erforderlich ist (§ 275 Abs. 2 Nr. 4 SGB V), also der 4-Wochen-Zeitraum für einen Krankheitsfall nicht ausreicht. Auf die Verlängerung besteht bei häuslicher Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 und Abs. 1a SGB V kein unmittelbarer Rechtsanspruch. Die Verlängerung steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse („kann“). Bei der Ermessensausübung der Krankenkasse ist allerdings zu berücksichtigen, dass sowohl der Normzweck der häuslichen Krankenpflege als auch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) einem strikten Leistungsende nach vier Wochen entgegenstehen, weil die häusliche Krankenpflege gerade die in der Regel teurere Behandlung im Krankenhaus ersetzen soll. Das pflichtgemäße Ermessen wird jedenfalls durch die Krankenkasse nicht rechtmäßig ausgeübt, wenn die Verlängerungsoption erst nach einem Widerspruch des Versicherten bei einer Begrenzung des Anspruchs auf 28 Tage durch den MDK geprüft wird. Grundpflege

Die Dauer hat der behandelnde Arzt bei seiner Verordnung anzugeben:

102

Zu berücksichtigen ist, dass – wie § 37 Abs. 2a Satz 2 SGB V ausdrücklich regelt – für Leistungen der ambulanten Palliativversorgung regelmäßig ein begründeter Ausnahmefall im Sinne des § 37 Abs. 1 Satz 5 SGB V anzunehmen ist.

§ 37 Abs. 2a Satz 2 SGB V: Für Leistungen der ambulanten Palliativversorgung ist regelmäßig ein begründeter Ausnahmefall im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 5 SGB V anzunehmen.

Mit der Unterstützungspflege des § 37 Abs. 1a SGB V sollte das Leistungsangebot der häuslichen Krankenpflege dahingehend ergänzt werden, dass Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung nicht mehr nur im Zusammenhang mit der Behandlungspflege verordnet werden können, sondern insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, unabhängig von der Notwendigkeit der Behandlungspflege, zur Verfügung stehen, wenn der behandelnde Arzt dies verordnet. Voraussetzung ist daneben, dass keine Pflegebedürftigkeit mindestens nach Pflegegrad 2 im Sinne des § 15 SGB XI vorliegt. So soll der Versicherste, der aufgrund schwerer Krankheit, wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach ambulanten Operationen oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung (beispielsweise einer Chemotherapie) einen – bislang nicht durch die Kranken- und Pflegeversicherung gedeckten – Bedarf an grundpflegerischer und hauswirtschaftlicher Versorgung hat, diesen nicht selbst bezahlen oder vom Träger der Sozialhilfe erhalten. Regelmäßig kommen in diesen Fällen Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nicht in Betracht, weil der Bedarf für die körperbezogenen Pflegeleistungen meist nicht auf Dauer (6 Monate) besteht. Diese Lücke zwischen Pflege- und Krankenversicherung sollte § 37 Abs. 1a SGB V schließen. Der Anspruch soll allein körperliche Erkrankungen erfassen, so dass aus kognitiven Beeinträchtigungen resultierende Bedarfe grundsätzlich außen vor bleiben. Leistungsverschiebungen im Hinblick auf Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe sollen mit dem neu begründeten Anspruch nicht verbunden sein.126 So sinnvoll die Leistung ist, in der Praxis der Pflegedienste ist sie nur selten anzutreffen. Das Problem besteht dabei nicht nur wegen der Vergütung, die in vielen Bundesländern für diesen Bereich völlig unzureichend ist, sondern auch darin, dass das Zusammenspiel von SGB V und SGB XI auch in diesem Fall problematisch ist. Drei Problemfälle lassen sich– neben dem zumindest theoretisch möglichen Fall einer Genehmigung der ärztlichen Verordnung – unterscheiden:

126 BT-Drucks. 18/6586, S. 101.

Behandlungspflege

4.11 Unterstützungspflege – Wann muss der Pflegegrad feststehen?

103

Schaubild D

Unterstützungspflege, § 37 Abs. 1a SGB V

Unterstützungspflege, § 37 Abs. 1a SGB V

Problem: Wann muss mindestens PG 2 Vorliegen? 1. Fall: Widerspruch gegen Ablehnung 2. Fall: Widerspruch, Genehmigungsfiktion

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

3. Fall: (Genehmigung), Widerspruch gegen Rückzahlung

VO

1. Ablehnung KK

„3. Woche“ = Fiktion

2. Ablehnung KK

3. Rückforderung KK

[email protected]

[email protected]

Der erste Fall betrifft die Ablehnung einer ärztlichen Verordnung der Unterstützungspflege durch die Krankenkasse, ist also der Standardfall. Ist zu diesem Zeitpunkt nicht bereits zumindest Pflegegrad 2 festgestellt worden, so dass die Leistungen der Pflegeversicherung bestehen, dann muss der Pflegebedürftige, wenn er seine Versorgung sicherstellen will, in jedem Fall Widerspruch erheben. Im laufenden Widerspruchsverfahren wird regelmäßig rückwirkend Pflegegrad 2 zuerkannt. Dann kann der Pflegedienst nach § 36 SGB XI abrechnen. Das Widerspruchsverfahren wird ergebnislos beendet. Problematisch ist, dass der Pflegedienst zunächst bis zur Entscheidung über den Pflegegrad keine Abrechnungsbasis hat, also nicht weiß, was abgerechnet wird. Außerdem bestehen verschiedene Regelungen hinsichtlich der Dokumentation und Leistungserfassung von Leistungen, die gegenüber der Krankenversicherung sowie Leistungen, die gegenüber der Pflegeversicherung abgerechnet werden. Vor diesen Problemen können sich der Versicherte und der Pflegedienst nur durch eine Schnellbegutachtung nach § 18 Abs. 3 SGB XI schützen. Noch im Krankenhaus oder der Rehabilitationseinrichtung muss ein Antrag auf eine Schnelleinstufung gestellt werden. Dann gibt es innerhalb einer Woche das Ergebnis (meist schneller), ob zumindest Pflegegrad 2 besteht oder nicht. Praxistipp: Der Pflegedienst muss wissen, welche Leistung erbracht werden soll, wie die Leistung dokumentiert wird und was dafür abgerechnet werden kann. Daher muss Klarheit herrschen, ob Pflegegrad 2 besteht oder nicht. Ist dies nicht klar, sollte eine Leistungsübernahme unterbleiben. Der Sicherstellungsauftrag für die Versicherten liegt bei den Kranken- und Pflegekassen.

104

Der zweite Fall betrifft die „untätige“ Krankenkasse: Der Pflegedienst reicht eine ärztliche Verordnung der Unterstützungspflege ein und hört von der Krankenkasse – wie es öfter vorkommen soll – nichts. Dieser Fall ist für den Pflegebedürf-

tigen und den Pflegedienst günstig. Sind drei Wochen überschritten, nachdem die Krankenkasse nachweislich die ärztliche Verordnung erhalten hat (ein Fax-Sendeprotokoll hilft!), dann ist die ärztlich verordnete Leistung nach § 13 Abs. 3a SGB V fiktiv genehmigt. Von dieser fiktiven Genehmigung kann sich die Krankenkasse nur befreien, wenn sie einen Rücknahmebescheid mit entsprechender Begründung, was sich tatsächlich oder rechtlich geändert hat, erlässt. Dieser Bescheid unterbleibt aber regelmäßig. Praxistipp: Kommt die Ablehnung der Krankenkasse später als 21 Tage nach Erhalt der ärztlichen Verordnung, ist ein Widerspruch zu veranlassen mit Hinweis auf die Genehmigungsfiktion. Der dritte Fall sorgt regelmäßig für Aufregung, weil einige Krankenkassen dazu übergegangen waren, zunächst genehmigte Unterstützungsleistungen später wieder zurückzunehmen, wenn hinterher (allerdings rückwirkend) zumindest Pflegegrad 2 zuerkannt wurde. Im Wege der Abrechnungsprüfung sollte der Pflegedienst dann die angeblich unberechtigt erhaltene Leistung der Krankenkasse zurückzahlen.

Beispiel: Ein Versicherter erhält für den Zeitraum 2. – 29.3.20xx Unterstützungsleistungen ärztlich verordnet und von der Krankenkasse genehmigt. Der Pflegedienst rechnet für die – unstreitig – erbrachten Leistungen 1.078,00 € ab und die Krankenkasse zahlt. Monate später erhält der Versicherte den Pflegegrad 2 rückwirkend ab 1.3.20xx zuerkannt. Die Krankenkasse fordert im Rahmen einer „Abrechnungsprüfung“ 389,00 € (= gezahlte 1.078,00 € ./. 689,00 € als Budget nach § 36 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI) zurück. Muss der Pflegedienst zahlen?

Natürlich nicht! Welchen Rechtsgrund sollte die Krankenkasse angeben können? Die Genehmigung der Krankenkasse wirkt wie eine Garantie zur Übernahme der Kosten oder eine Schuldübernahme.

Behandlungspflege

 BEISPIEL

105

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

4.12 Welche Voraussetzungen bestehen bei der Kurzzeitpflege des § 39c SGB V? Sind im konkreten Einzelfall die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V nicht ausreichend, erbringt die Krankenkasse stationäre Leistungen der Kurzzeitpflege entsprechend § 42 SGB XI. Voraussetzung für eine Erbringung der Kurzzeitpflege durch die Krankenkassen ist, dass beim Versicherten ein Krankheitsbild vorliegt, das grundsätzlich zur Inanspruchnahme von Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V berechtigt, also eine schwere Krankheit oder akute Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach Krankenhausaufenthalt oder nach ambulanter Operation oder nach ambulanter Krankenhausbehandlung vorliegt. Entsprechend dieser Zielsetzung ist also immer zu prüfen, ob nicht durch Leistungen der Grundpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V ein Verbleiben in der Häuslichkeit ermöglicht werden kann; nur wenn dies nicht der Fall ist und ein besonderer Unterstützungsbedarf besteht, kommt Kurzzeitpflege in Betracht.127 Daher können Leistungen der Unterstützungspflege nach § 37 Abs. 1a SGB V nicht in Einrichtungen der Kurzzeitpflege erbracht werden, da bereits grundsätzlich ein Anspruch nach § 39c SGB V besteht. § 39c Satz 1 und 2 SGB V: Reichen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V bei schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, nicht aus, erbringt die Krankenkasse die erforderliche Kurzzeitpflege entsprechend § 42 des Elften Buches für eine Übergangszeit, wenn keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 im Sinne des Elften Buches festgestellt ist. Im Hinblick auf die Leistungsdauer und die Leistungshöhe gilt § 42 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Elften Buches entsprechend. Daher ist ebenso Voraussetzung, dass keine Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI des Pflegegrades 2 oder höher festgestellt wurde. Pflegebedürftige Versicherte mit diesen Pflegegraden können Kurzzeitpflege in unmittelbarer Anwendung des § 42 SGB XI von der Pflegekasse beanspruchen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers geht es in den Fällen, die § 39c SGB V erfassen soll, gerade darum, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden.128 Daraus ergibt sich folgendes Prüfungsschema mit den weiter zu prüfenden Voraussetzungen im Anspruch an die Prüfung des § 37 Abs. 1a SGB V.

106

127 BT-Drucksache 18/6586, Seite 102 128 BT-Drucksache 18/6586, Seite 102

Praxistipp: Ein spezieller Bedarf besteht insbesondere dann, wenn ein Versorgungsbedarf „Rund-um-die-Uhr“, also auch nachts besteht. Weiterhin wenn der Versorgungsbedarf unvorhergesehen und unplanbar zu jeder Tages- und Nachtzeit auftreten kann. Oder wenn der Kunde keine ausreichende personelle Unterstützung im häuslichen Umfeld erhält und daher auf den stationären Kontext abgewiesen ist. Schaubild F – Teil 1

Voraussetzungen § 39c SGB V

Voraussetzungen des § 39c SGB V

Versicherteneigenschaft

NEIN

Keine Leistung

JA

Diagnose des Arztes: „krank“

NEIN

Keine Leistung

JA

Antrag auf Leistung bzw. Genehmigung

NEIN

Schaubild F – Teil 2

Keine Leistung

JA [Bitte gleich an Schaubild F – Teil 1 anschließen] NEIN

Bedarf an Grundpflege und [email protected] HWL?

Keine Leistung

8

JA

Beeinträchtigungen wg. schwerer Krankheit?

NEIN

Keine Leistung

JA

Pflegegrad 2 (oder höher) zuerkannt?

JA

Schaubild F – Teil 3

Keine Leistung

Liegt ein spezieller Bedarf vor (oder NEIN [email protected] reichen ambulante Leistungen aus)? JA

Leistungen nach § 37 Abs. 1a SGB V 9

Genehmigung

[email protected]

[email protected]

Behandlungspflege

[Bitte gleichNEIN an Schaubild F – Teil 2 anschließen]

10

107

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

Raum für die Notwendigkeitsbescheinigung

Die Genehmigungsprüfung durch die jeweilige Krankenkasse wird beschleunigt und erleichtert, wenn der behandelnde Arzt oder der Stationsarzt im Krankenhaus den speziellen Bedarf beschreibt. Da eine Verordnung häuslicher Krankenpflege auf dem Muster 12 nicht vorgesehen ist, ist eine sog. ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung vorzulegen. Zu empfehlen ist gleichwohl die Verwendung des Musters 12, da dann alle benötigten Daten (insbesondere Versicherter, Versichertennummer, Diagnosen, Dauer) vorliegen. Ausreichend Platz für die Beschreibung der Notwendigkeit der Kurzzeitpflege besteht ebenfalls: Die Kurzzeitpflege durch die Krankenkasse soll nach § 39c Satz 1 SGB V nur für eine Übergangszeit erbracht werden. Diese Frist wird nach § 39c Satz 2 SGB V durch die Verweisung auf § 42 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XI konkretisiert. Es gelten demnach die Beschränkung auf acht Wochen pro Kalenderjahr und das Budget der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI, derzeit also € 1.612,00. Davon werden nur die dort genannten Aufwendungen (pflegebedingte Aufwendungen, Betreuung, medizinische Behandlungspflege) übernommen, also nicht die Investitionskosten. Die Budgeterhöhung durch die Verhinderungspflege nach § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB XI unterbleibt, da § 39c SGB V darauf nicht verweist. Aus der entsprechenden Anwendung des § 42 SGB XI folgt für den Versicherten im Ergebnis, dass er grundsätzlich nur eine Teilleistung erhält und ihm im Einzelfall eine finanzielle Eigenverantwortung abverlangt wird.129 Die Leistung kann in zugelassenen Pflegeeinrichtungen, die mit den Pflegekassen einen Versorgungsvertrag nach den §§ 71, 72 SGB XI abgeschlossen haben, erbracht werden oder in anderen geeigneten Einrichtungen, die dazu einen Rahmenvertrag nach § 132h SGB V mit den Krankenkassen vereinbart haben. Damit will der Gesetzgeber bestehende Strukturen nutzen.130 § 39c Satz 3 SGB V: Die Leistung kann in zugelassenen Einrichtungen nach dem Elften Buch oder in anderen geeigneten Einrichtungen erbracht werden.

108

129 BT-Drucksache 18/6586, Seite 102 130 BT-Drucksache 18/6586, Seite 103

Dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist aufgegeben, bis Ende des Jahres 2018 dem Deutschen Bundestag einen Bericht vorzulegen, im dem die Erfahrungen mit der Einführung des Anspruchs auf Leistungen nach § 39c SGB V wiedergegeben werden. Dieser Bericht soll den Personenkreis der Versicherten beschreiben, die diese neue Leistung in Anspruch nehmen, ferner auf den Aspekt der Schnittstelle des Anspruchs zur Kurzzeitpflege in der sozialen Pflegeversicherung, auf die Frage der Bedarfsdeckung und auf den Abschluss von Versorgungsverträgen nach § 132h SGB V eingehen.131 § 132h SGB V: Die Krankenkassen oder die Landesverbände der Krankenkassen können mit geeigneten Einrichtungen Verträge über die Erbringung von Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V schließen, soweit dies für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendig ist.

4.13 Die Ansprüche auf häusliche Krankenpflege im Überblick Die drei verschiedenen Ansprüche des § 37 SGB V auf Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs. 1 SGB V), Sicherungspflege (§ 37 Abs. 2 SGB V) und Unterstützungspflege (§ 37 Abs. 1a SGB V) haben als Voraussetzung lediglich die ärztliche Verordnung, aber unterschiedliche Leistungsinhalte und Leistungsdauern.



§37 Abs. 1 SGB V

§37 Abs. 1a SGB V

§37 Abs. 2 SGB V

Inhalt:

Behandlungspflege

Grundpflege, HWL

Behandlungspflege



Grundpflege, HWL

Dauer:

28 Tage

28 Tage

unbegrenzt

Behandlungspflege

§ 37 SGB V

Dabei kann die Leistungsdauer von 28 Tagen nach einem Gutachten des MDK verlängert werden (§§ 37 Abs. 1 Satz 5, 37 Abs. 1a Satz 2 SGB V), wenn dies pflegerischmedizinisch erforderlich ist. Um das Gutachten und die rechtzeitige Einholung hat sich die Krankenkasse zu kümmern, wenn der Verordnungszeitraum über 28 Tage hinausreicht. Der Anspruch auf Unterstützungspflege des § 37 Abs. 1a SGB V 131 BT-Drucksache 18/6586, Seite 103

109

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

wird durch den Anspruch auf Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V erweitert, wenn eine Pflege in der Häuslichkeit nicht ausreichend zur Versorgung des Versicherten ist. Praxistipp: Alle drei Ansprüche auf häusliche Krankenpflege bestehen nebeneinander. Falsch ist die Darstellung, dass durch die Regelung der Unterstützungspflege des § 37 Abs. 1a SGB V die Krankenhausvermeidungspflege des § 37 Abs. 1 SGB V nicht mehr möglich ist. Wäre dies so, dann hätte der Gesetzgeber den Anspruch aus dem Gesetz streichen müssen. Ebenso falsch ist die oft zitierte Gleichung [diese wird erst durch das „Ungleich“ rechtlich zutreffend]: § 37 Abs. 1 SGB V ≠ § 37 Abs. 2 SGB V + § 37 Abs. 1a SGB V Sicherungspflege (§ 37 Abs. 2 SGB V) wird verordnet, wenn lediglich Maßnahmen der Behandlungspflege das Ziel der ärztlichen Therapie sichern sollen. Ist zusätzlich Grundpflege (sowie ggf. zusätzlich hauswirtschaftliche Leistungen (HWL)) notwendig, kommt es darauf an, ob ein Krankenhausaufenthalt vermieden oder verkürzt werden kann. Wenn ja, wird Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs. 1 SGB V) verordnet, wenn nein die Unterstützungspflege des § 37 Abs. 1a SGB V. Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V kann neben der Unterstützungspflege nach § 37 Abs. 1a SGB V verordnet werden. § 3 Abs. 8 HKP-Richtlinie Leistungen der Sicherungspflege nach § 2b HKP-Richtlinie können parallel zur Unterstützungspflege nach § 2c HKP-Richtlinie verordnet werden, wenn neben dem Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung ein Bedarf an Behandlungspflege besteht und die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Standardprozedur: Verlegung aus dem Krankenhaus

110

Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich – wenn keine Krankenhausvermeidungspflege verordnet wird – folgende „Standard-Prozedur“ für den Pflegedienst bei Verlegung eines Kunden aus dem Krankenhaus: Als Erstes ist nach einer festgestellten Pflegebedürftigkeit zu fragen. Ist mindestens Pflegegrad 2 zuerkannt worden, wird die Grundpflege (und ggf. hauswirtschaftliche Versorgung) vor allem über die § 36 SGB XI erbracht bzw. die Kurzzeitpflege über § 42 SGB XI. Dabei ist unerheblich, ob der Pflegegrad schon vor der Krankenhausbehandlung vorlag oder dieser über eine Schnelleinstufung nach § 18 Abs. 3 Satz 3 SGB XI (vorläufig) zuerkannt wurde. Praxistipp: Vermeiden Sie – wenn möglich – ungeklärte Zustände, wie „PflegegradEinstufung ist beantragt“ oder „Einstufung läuft noch“. In derartigen Fällen ist dann nicht klar, ob nach Ihren Vergütungsvereinbarungen zum SGB V oder nach § 89 SGB XI abgerechnet werden kann.

§ 14 Abs. 7 Satz 3 und 4 ApoG: Bei der Entlassung von Patienten nach stationärer oder ambulanter Behandlung im Krankenhaus darf an diese die zur Überbrückung benötigte Menge an Arzneimitteln nur abgegeben werden, wenn im unmittelbaren Anschluss an die Behandlung ein Wochenende oder ein Feiertag folgt. Unbeschadet des Satzes 3 können an Patienten, für die die Verordnung häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 SGB V vorliegt, die zur Überbrückung benötigten Arzneimittel für längstens drei Tage abgegeben werden. Daneben kann das Krankenhaus im Rahmen des Entlassmanagements im Anschluss an die stationäre Behandlung (§ 39 Abs. 1a Satz 6, 1. Halbsatz SGB V) Häusliche Krankenpflege verordnen. Das Krankenhaus darf insoweit für die ersten sieben Tage nach Ende der stationären Behandlung die Versorgung mit Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie veranlassen (§ 39 Abs. 1a Satz 6, 2. Halbsatz und Satz 7 SGB V).

Behandlungspflege

Liegt nicht mindestens ein Pflegegrad 2 vor, so kann der Stationsarzt oder der behandelnde Hausarzt die Unterstützungspflege nach § 37 Abs. 1a SGB V bzw. – sollte häusliche Pflege nicht möglich sein – Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V verordnen. Ebenso ist darauf zu bestehen, dass die zur weiteren Versorgung benötigten Arzneimittel zumindest für das folgende Wochenende mitgegeben werden müssen. Die Abgabe durch die Krankenhausapotheke ist bei einer Verordnung häuslicher Krankenpflege völlig unproblematisch und entlastet den Pflegedienst von bürokratischen und hektischen Aktionen zur Besorgung der benötigten Medikamente.

111

Kapitel 4:  Was ist Behandlungspflege?

§ 7 Abs. 5 Satz 1 HKP-Richtlinie Soweit es für die Versorgung der oder des Versicherten unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus oder im unmittelbaren Anschluss an die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung erforderlich ist, kann das Krankenhaus (die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt) im Rahmen des Entlassmanagements wie eine Vertragsärztin oder ein Vertragsarzt häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen nach der Entlassung entsprechend dieser Richtlinie verordnen.

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Nach § 39 Abs. 1a Satz 6, 2. Halbsatz und Satz 7 SGB V dürfen die Krankenhausärzte nur für die ersten sieben Tage nach Ende der stationären Behandlung die Versorgung mit Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie veranlassen. Diese Regelung nimmt die HKP-Richtlinie in § 7 Abs. 5 auf. Sowohl dem Krankenhaus als auch den Verantwortlichen im Pflegedienst muss – davon geht der Gesetzgeber aus – diese Regelung bekannt sein. Wird daher die Verordnung über sieben Tage ausgestellt, so besteht über sieben Tage hinaus kein Vergütungsanspruch. Praxistipp: Die Regelung des § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie (Abrechnung bis zum Bekanntwerden) ist in einem solchen Fall nicht anzuwenden, da es sich nicht um eine „vereinbarte“ Vergütung nach § 132a Abs. 4 SGB V handelt. Die Vergütung ab dem 8. Tag nach Krankenhausentlassung ist nicht nur nicht vereinbart, sondern sogar gesetzlich ausgeschlossen. Daher unbedingt bei einer Verordnung aus dem Krankenhaus auf die sieben Tage Frist achten!

Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege?  INFO Nachdem wir die allgemeinen Grundlagen und die verschiedenen Ansprüche der häuslichen Krankenpflege geklärt haben, wenden wir uns nun einer weiteren Voraussetzung, dem Leistungsort zu. Hier gab es in den letzten Jahren weitreichende Änderungen und Öffnungen durch die Erweiterung örtlichen Leistungsvoraussetzung um den „geeigneten Ort“. Probleme werden derzeit in den Wohngemeinschaften und der Versorgung in vollstationären Einrichtungen konstruiert.

5.1 Wo darf Behandlungspflege erbracht werden? – Gibt es einen Leistungsort?  BEISPIEL

C benötigt häusliche Krankenpflege in Form von Katheterisierung, die viermal täglich vorgenommen werden muss. C lebt im Haushalt seiner Eltern und geht noch zur Schule. Morgens, am Nachmittag und Abend übernimmt die Mutter diese ärztlich verordnete Verrichtung. In der Schule soll die Katheterisierung von einem ambulanten Pflegedienst übernommen werde. Die Krankenkasse lehnt ab. Zu Recht? Der Anspruch auf Behandlungspflege bestand nach dem übereinstimmenden Wortlaut von § 37 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V schon immer im Haushalt des Versicherten oder seiner Familie sowie – nach der gesetzlichen Erweiterung – an anderen geeigneten Orten. Das Gesetz formuliert damit eine Anspruchsvoraussetzung und bestimmt die zulässigen Leistungsorte. Die Begrenzung hatte zur Folge, dass die Rechtsprechung sich zur Wahrung des Gesetzeszwecks genötigt sah, in bestimmten Ausnahmefällen auch weitere Orte als Leistungsorte zuzulassen, beispielsweise wenn medizinische Maßnahmen außerhalb der Familienwohnung anfielen, der Kunde sich aber sonst ständig in seinem Haushalt oder 132 BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R = BSGE 90, 143

Behandlungspflege

Praxisfall 20:132

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 114

der Familie aufhielt und dort seinen Lebensmittelpunkt hatte.133 Bedenken machten insoweit geltend, als dem Aufenthaltsort des Kunden damit jede Bedeutung abgesprochen worden war134 und man damit eventuell vermeidbare Mehrkosten, etwa durch Fahrkosten der Pflegekräfte, in Kauf genommen hatte. Das Problem wurde dadurch entschärft, indem neben Haushalt und Familie weitere geeignete Orte in den Leistungsbereich der häuslichen Krankenpflege einbezogen wurden. Damit sind zwei Lebensbereiche strikt zu trennen: Der Haushalt des Versicherten oder der seiner Familie einerseits und andererseits ein sonstiger geeigneter Ort. Falsch ist es also, bei der Definition des sonstigen geeigneten Ortes zu prüfen, ob es sich um einen Haushalt des Versicherten handelt. Geht man so vor, dann hätte es der gesetzlichen Erweiterung nicht bedurft. Der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V und der Bezeichnung der dort nach der Verwendung des Begriffs „insbesondere“ beispielhaft aufgeführten „geeigneten Orte“ lässt sich nicht die Beschränkung entnehmen, dass noch ein Mindestmaß eines eigenen Haushalts (oder ein Leben in der Familie) geführt wird. Gegen eine solche Auffassung sprechen die Gesetzesbegründung und der vom Gesetzgeber mit der Erweiterung des Anspruchs verfolgte Zweck. Auch dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich eine solche Einschränkung nicht entnehmen.135 Haushalt ist dabei der Ort der privaten alleinigen oder gemeinsamen (familienhaften) Lebens- und Wirtschaftsführung.136 Der Haushalt befindet sich an dem Ort, an dem oder von dem aus menschliche Grundbedürfnisse wie Ernährung, Kleidung, Körperpflege und Hygiene, Ruhe und Schlaf zumeist erfüllt werden, also regelmäßig in der Wohnung.137 Diese Merkmale lassen sich im Wesentlichen aus den Voraussetzungen zur Haushaltsaufnahme ableiten, die ein ortsgebundenes Zusammenleben sowie die Gewährung von Unterhalt und Fürsorge verlangt.138 Stets erfordert die Begründung eines Haushalts eine gewisse Dauer und Beständigkeit. Nur vorübergehendes Zusammenziehen von Personen mit eigenen Haushalten, etwa für einen Monat zur Pflege eines Kranken, begründet keinen gemeinsamen Haushalt, auch wenn es sich um Ehegatten handelt.139 Ein Haushalt liegt nur vor, wenn der Versicherte dort die üblichen Verrichtungen des täglichen Lebens vornehmen kann, insbesondere muss eine Kochund Waschgelegenheit vorhanden sein. Dabei reicht allerdings eine gemeinsame Nutzung von Küche und WC/Badezimmer mit anderen im Rahmen einer Wohngemeinschaft aus,140 über deren Zusammensetzung die Bewohner selbst ent-

133 BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R = BSGE 90, 143 – Insulin-Injektionen durch einen Pflegedienst in einer Kindertagesstätte oder Schule; BSG, Urt. v. 20.5.2003, B 1 KR 23/01 R – offengelassen für Umkleidungshilfe bei Bewegungsbädern außerhalb der Wohnung 134 BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R = BSGE 90, L4.3 135 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122 136 BSG, Urt. v. 23.3.1983, 3 RK 66/81 137 BSG, Urt. v. 1.9.2005, 3 KR 19/04 R – „häusliche wohnungsmäßige familienhafte Wirtschaftsführung“ 138 BSG, Urt. v. 15.3.1988, 4/11a RA 14/87 = BSGE 63, 79 139 BSG, Urt. v. 28.1.1977, 5 RKn 32/76 = BSGE 43, 170 140 SG Berlin, Urt. v. IJ.6.2002, S. 82 KR 719/01; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.6.2000, L 4 KR 4615/99

scheiden können.141 Eine Haushaltsführung setzt nicht voraus, dass die anfallenden Arbeiten eigenhändig verrichtet werden, sodass Hilfeleistungen Dritter die eigene Haushaltsführung nicht berühren. Allerdings muss der Versicherte in der Lage sein, auf die Haushaltsführung Einfluss zu nehmen und die jeweiligen Leistungen abzurufen.142 Daher kann ein Haushalt auch in einer therapeutischen Wohngemeinschaft143 oder einem Wohnheim oder einer ähnlichen Einrichtung, in der die häusliche Versorgung den Bewohnern überlassen ist, geführt werden.

Minderjährige, unverheiratete Kinder ohne eigenes Einkommen haben daher keinen eigenen Haushalt.145 Die Voraussetzung des Leistungsortes für die Erbringung häuslicher Krankenpflege ist auch dann gegeben, wenn sich der Kunde in seiner Familie aufhält, selbst wenn sich dort sein Haushalt nicht befindet oder ein eigener Haushalt nicht besteht. Nach der gesetzlichen Zielsetzung ist unter einer Familie nicht nur die sog. Kernfamilie („Vater, Mutter, Kinder“) zu verstehen, die verfassungsrechtlich geschützt wird (Art. 6 Abs. 1 GG). Vielmehr gehören zur Familie in diesem Sinne auch sonstige Verwandte und Verschwägerte nach den §§ 1589 und 1590 BGB sowie die Partner einer eingetragenen Partnerschaft, § 11 Abs. 1 LPartG. Der Kunde kann frei wählen, bei welchen Familienangehörigen er sich aufhalten will.146 Ausreichend ist die Aufnahme im Haushalt der Familie für die Dauer der Krankheit;147 während die Aufnahme bei „Fremden“, also Nicht-Familienangehörigen, keinen entsprechenden Anspruch begründet.148 Durch das GKV-WettbewerbsstärkungG wurde die Beschränkung des Anspruchs auf Haushalt und Familie des Versicherten aufgegeben, da sie sich im Hinblick auf die Vermeidung vorschneller stationärer Einweisungen als kontraproduktiv erwiesen hatte.149 Seit dem 1.4.2007 können Leistungen der häuslichen Krankenpflege auch an anderen „geeigneten Orten“ erbracht werden, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen, so die Aufzählung in § 37 141 BSG, Urt. v. 1.9.2005, B 3 KR 19/04 R 142 anders – diese Voraussetzung verlangen nicht: LSG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 5.5.2004, L 9 KR 79/01; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 5.2.2004, L 16 KR 4/03 143 SG Berlin, Urt. v. 23.7.2002, S. 82 KR 2539/01 144 BSG, Urt. v. 1.9.2005, B 3 KR 19/04 R 145 BSG, Urt. v. 10.7.1969, 7 RKg 17/66 = BSGE 30, 28 146 BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R = BSGE 90, 143 147 BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R = BSGE 90, 143 148 BSG, Urt. v. 23.3.1983, 3 RK 66/81 149 BT-Drucks. 16/3100, Seite 104

Behandlungspflege

Praxistipp: Bei der Prüfung der Frage, ob ein eigener Haushalt vorliegt, kommt es darauf an, wem Eigentum und Besitz an Wohnung und Hausrat zustehen und wer die Kosten des Haushalts, also der Lebens- und Wirtschaftsführung trägt. Maßgeblich ist im Wesentlichen, ob eine eigenständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich ist.144

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 116

Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V. Die Gesetzesbegründung führt aus, dass mit dieser Formulierung eine „vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs“ in Hinblick auf neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen verbunden sei.150 Eine Erweiterung über die bisher geltende Praxis kann jedoch nach den Ausführungen in der Gesetzesbegründung kaum festgestellt werden. Dies gilt insbesondere für die ausdrücklich genannten Kindergärten und Schulen, beides Orte, an denen sich die Versicherten temporär während eines vorübergehenden Verlassens des (Familien-)Haushalts aufhalten. Allerdings erhält die gesetzgeberische Anordnung, dass an diesen Orten häusliche Krankenpflege in jedem Fall verordnungsfähig ist, durch die verstärkten Bemühungen um die Inklusion junger Menschen mit Behinderungen ein erhebliches Gewicht. Daher ist Praxisfall 20 nach der Gesetzesänderung schnell zu lösen: Natürlich muss die Krankenkasse leisten. Die Rechtsprechung hatte aber auch längst entschieden, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege räumlich nicht auf den Haushalt des Versicherten oder den seiner Familie beschränkt ist und medizinisch erforderliche Maßnahmen, die bei einem vorübergehenden Aufenthalt außerhalb des eigenen Haushalts oder der Familie anfallen, nicht ausgeschlossen sind, wenn der Versicherte damit nicht den eigenen Haushalt oder der Familie aufgibt.151 Nach § 37 Abs. 6 SGB V hat der Gemeinsame Bundesausschuss in den HKPRichtlinien die geeigneten Orte festzulegen. § 1 Abs. 2 HKP-Richtlinie Häusliche Krankenpflege wird im Haushalt der oder des Versicherten oder ihrer oder seiner Familie erbracht. Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht auch an sonstigen geeigneten Orten, an denen sich die oder der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen – die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und – für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (z. B. im Hinblick auf hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung), wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes an diesem Ort notwendig ist. Orte im Sinne des Satz 2 können insbesondere Schulen, Kindergärten, betreute Wohnformen oder Arbeitsstätten sein. Ein Anspruch besteht auch für Versicherte, die nicht nach § 14 SGB XI pflegebedürftig sind, während ihres Aufenthalts in teilstationären Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes in der Einrichtung der Tages- oder Nachtpflege notwendig ist, sowie in Kurzzeitpflegeeinrichtungen.

150 BT-Drucks. 16/3100, Seite 104; Begründung des Ausschusses BT-Drucks. 16/4247, Seite 33 151 Für Schule und Kindergarten: BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R = BSGE 90, 143; für WfbM: BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 42/04 R

Entscheidend für die Leistungsgewährung ist, dass der Versicherte die Leistung an dem Ort aus medizinisch-pflegerischen Gründen erhalten muss und eine Rückkehr in den Haushalt oder die Familie nicht abgewartet werden kann. Mit dem Merkmal „regelmäßig wiederkehrend“ ist eine Dauerhaftigkeit oder bestimmte Dauer nicht verbunden, zur Erfüllung reicht beispielsweise der regelmäßige Aufenthalt in einer Einrichtung der Tages- oder Nachtpflege (§ 41 SGB XI) aus. Mit dem 1.1.2017 wurde der bisherige § 37 Abs. 6 Satz 2 SGB V a.F. gestrichen. Hintergrund hierfür ist die Neuausrichtung der Leistungen der Pflegeversicherung. Nach Auffassung des Gesetzgebers hat der Gemeinsame Bundesauschuss bei der Ausgestaltung der HKP-Richtlinie (nunmehr) sicherzustellen, dass die bisher als verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen gesondert aufgeführten Leistungen der Behandlungspflege in das Leistungsverzeichnis (Anlage) der HKP-Richtlinie aufgenommen werden.152

5.2 Behandlungspflege in Wohngemeinschaften  BEISPIEL Praxisfall 21:153

Ein eigener Haushalt liegt nach dem im vorherigen Kapitel Gesagten nicht vor, wenn der Versicherte vor allem zur Pflege untergebracht werden soll, weil er nicht mehr in der Lage ist, den Haushalt selbstständig zu führen und seinen Grundbedürfnissen Genüge zu tun.154 Eine eigenständige Haushaltsführung des Versicherten, bei der die wesentlichen Verrichtungen von diesem selbstständig erledigt wurden, ist vor allem bei intensiv pflegerisch versorgten Kunden meist nicht ersichtlich. Liegt allerdings ein eigener Haushalt nicht vor, so ist zu prüfen, ob ein „sonstiger geeigneter Ort“ vorliegt. Dieser muss – anders als einige Krankenkassen gern vortragen – nicht Haushalt oder haushaltsgleich sein. Durch die Neufassung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGBV mit Wirkung zum 01.04.2007 kann häusliche Krankenpflege neben dem Haushalt oder der Familie auch an einem anderen geeigneten 152 BT-Drucksache 18/5926, Seite 149 153 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 20.12.2013, L 4 KR 354/13 B ER 154 BSG, Urt. v. 12.5.1998, B 5/4 RA 6/97 R

Behandlungspflege

X ist ein Intensivpflege-Kunde mit einer – unstreitig – notwendigen 24-stündigen pflegerischen Versorgung. Er lebt in einer Wohngemeinschaft, damit seine Familie in einem privaten Rahmen tägliche Besuche durchführen kann. Die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege lehnte die Krankenkasse ab, da X mangels eigenverantwortlicher Wirtschaftsführung keinen Haushalt in der Wohngemeinschaft habe. Zu Recht?

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 118

Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen in Anspruch genommen werden. Nach der Gesetzesbegründung155 hat sich die Beschränkung der Leistung zur häuslichen Krankenpflege auf Haushalt und Familie des Versicherten im Hinblick auf das Ziel, vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden, als kontraproduktiv erwiesen. Die Neuregelung solle, so die weitere Gesetzesbegründung, durch vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffes bewirken, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht benachteiligt werden. Betreute Wohnformen, deren Bewohner ambulante Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung erhalten, sollen verbesserte Angebote für ambulant Pflegebedürftige darstellen; dem werde durch die Änderung Rechnung getragen. Darüber hinaus werde im Hinblick auf bestimmte, eng begrenzte Personengruppen durch die Erweiterung des Haushaltsbegriffs eine vorschnelle Einweisung in stationäre Einrichtungen verhindert. Ein „geeigneter Ort“ für die Leistung der häuslichen Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung sei jedenfalls dann nicht gegeben, wenn sich der Versicherte in einer Einrichtung befinde, in der er nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch die Einrichtung habe.156 Die Erbringung von häuslicher Krankenpflege ist auch in einem Heim im Sinne des jeweiligen Landes-Heimgesetzes zulässig.157 Wenn die vom Gesetzgeber beabsichtigte vorsichtige Erweiterung des Anspruchs auch auf sonstige geeignete Orte nicht weitgehend leerlaufen soll, müssen grundsätzlich auch die stationären Einrichtungen des jeweiligen Landes-Heimgesetzes einbezogen werden, in denen sich ein Versicherter auf unabsehbare Zeit aufhält und betreut wird, ohne noch anderswo zu leben und zu wohnen. Die Situation, dass es keinen anderen Lebensmittelpunkt gibt – wie in den Fällen von Schul- oder Kindergartenbesuchen – sollte durch die Neuregelung erfasst werden, und zwar für die Konstellation, dass in der vollstationären Einrichtung keine umfassende pflegerische Versorgung stattfindet und gesetzlich auch nicht geschuldet wird. Denn nur dadurch kann dem Sinn und Zweck der Vorschrift, durch (ambulante) häusliche Krankenpflege vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden, entsprochen werden. Bei den zu vermeidenden stationären Einweisungen kann es sich nur um Einweisungen in Einrichtungen handeln, in denen die Versicherten medizinische Behandlungspflege erhalten, wie Krankenhäuser, medizinische Rehabilitationseinrichtungen oder Pflegeheime. Die Aufnahme in andere Einrichtungen, die regelmäßig schon nicht auf ärztliche Veranlassung erfolgt, kann (und soll) nicht 155 BT-Drucks. 16/3100, Seite 104 156 vgl. hierzu BSG, Urt. v. 28.5.2003, B 3 KR 32/02 R; LSG Berlin, Urt. v. 5.5.2004, L 9 KR 759/01; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.12.2013, L 11 KR 4070/11 157 offengelassen noch in den Urteilen des LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 23.4.2009, L 8 SO 1/07; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 26.08.2010, L 8 SO 4/10 B ER; LSG Hamburg, Urt. v. 12.11.2009, L 1 B 202/09 ER KR und Urt. v. 24.4.2014, L 1 KR 24/12

durch die Erbringung ambulanter Leistungen der häuslichen Krankenpflege vermieden werden.158 X lebt im Praxisfall 21 an einem sonstigen geeigneten Ort, sodass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht.

5.3 Muss eine WfbM Pflegepersonal für die Behandlungspflege vorhalten?  BEISPIEL Praxisfall 22:159

Die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege lehnte die Krankenkasse ab, da der Träger der WfbM die medizinische Betreuung vorsehen müsse. Zu Recht? In Werkstätten für behinderte Menschen muss nach § 37 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB V grundsätzlich der erforderliche Krankenpflegebedarf durch vorzuhaltendes Pflegepersonal selbst sichergestellt werden. § 10 Abs. 1 Satz 1 WVO vom 21.8.1980160 verlangt zur pädagogischen, sozialen und medizinischen Betreuung in den Werkstätten entsprechende begleitende Dienste. Das bedeutet, dass im Regelfall der pflegerische Bedarf durch die Werkstätten selbst abgedeckt werden soll.161 Nach § 10 Abs. 2 WVO ist über die Anzahl der pflegerischen Fachkräfte mit dem zuständigen Rehabilitationsträger Einvernehmen herzustellen; die besondere ärztliche Betreuung muss vertraglich sichergestellt werden, § 10 Abs. 3 WVO. Ist dies aber nicht der Fall, so steht § 10 WVO einem Anspruch des Versicherten nach dieser Vorschrift nicht entgegen. Die HKP-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss sehen vor, dass die Krankenkassen im Einzelfall zu prüfen haben, ob ein Anspruch auf Behandlungspflege besteht.

Behandlungspflege

Der 1963 geborene K ist wegen eines Anfallsleidens in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig. Aufgrund der bei ihm bestehenden Diabetes mellitus muss er mittäglich Insulininjektionen erhalten, die er sich nicht selbst verabreichen kann.

§ 1 Abs. 7 Satz 1 HKP-Richtlinie Abweichend von Absatz 6 kann häusliche Krankenpflege in Werkstätten für behinderte Menschen verordnet werden, wenn die Intensität oder Häufigkeit der in der Werkstatt zu erbringenden Pflege so hoch ist, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der 158 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122 159 LSG Hessen, Urt. v. 17.12.2007, L 1 KR 110/06 160 BGBl. I 1980, Seite 1365 161 BT-Drucksache 16/4247, Seite 33 f.

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ärztlichen Behandlung gesichert werden kann und die Werkstatt für behinderte Menschen nicht aufgrund des § 10 der Werkstättenverordnung verpflichtet ist, die Leistung selbst zu erbringen.

Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege?

Im Praxisfall 22 hat die Krankenkasse die verordnete häusliche Krankenpflege zu zahlen.

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5.4 Ist Behandlungspflege in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe möglich?  BEISPIEL Praxisfall 23:162 Der 1942 geborene K steht unter gesetzlicher Betreuung und lebt in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen. Er ist dort, nachdem er bis zu seinem 67. Lebensjahr in einer Werkstatt gearbeitet und seit Langem in einer Wohngruppe der Einrichtung gelebt hat, nunmehr in einer neu gegründeten Wohngruppe für Senioren in der gleichen Einrichtung untergebracht, um eine ganztägige Betreuung zu gewährleisten. Die Kosten hierfür trägt der Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe. Der Kläger ist pflegebedürftig und leidet u. a. unter insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ II. Der behandelnde Arzt verordnet häusliche Krankenpflege zur Injektion von Insulin und für das Messen des Blutzuckerspiegels, zunächst wegen stark schwankender Werte, viermal täglich, später nur noch für zweimal tägliche Messungen und einmal tägliche Injektionen. Die Krankenkasse lehnt die Leistungen ab. Zu Recht? Seit dem 1.1.2017 bestimmt § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V, dass Versicherte in stationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen Behandlungspflege erhalten, wenn der Bedarf an Behandlungspflege eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert. § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V: Versicherte erhalten in stationären Einrichtungen im Sinne des § 43a SGB XI Leistungen nach Satz 1, wenn der Bedarf an Behandlungspflege eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert.

162 BSG, Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R

Der Grund für diese Klarstellung des Gesetzgebers war eine seit 10 Jahren andauernde Unsicherheit, ob in vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe Behandlungspflege zu Lasten der Krankenkassen von ambulanten Pflegediensten und Sozialstationen erbracht werden kann. Die HKP-Richtlinie ließ mit der Formulierung in § 1 Abs. 6 HKP-Richtlinie Raum für Auslegungen und Ermessensentscheidungen der Krankenkassen.

Ursprünglich hatte der Gemeinsame Bundesausschuss in seinem Beschlusstext den folgenden erläuternden Klammerzusatz vorgesehen: „(z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen oder Behinderteneinrichtungen).“163 Diese ausdrückliche Aufführung der Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen ist erst aufgrund der Genehmigungsprüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit gemäß § 94 SGB V gestrichen worden.164Von einer Beanstandung der ursprünglich vorgesehenen Regelung wurde nur unter der Auflage abgesehen, die Regelung bei nächster Gelegenheit so zu überarbeiten, dass Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nicht grundsätzlich von der Verordnung häuslicher Krankenpflege ausgeschlossen werden. Nach dem Regelungsgefüge, das sich aus § 37 SGB V in Verbindung mit den Normen der HKP-Richtlinie ergibt, besteht der Anspruch zunächst an allen geeigneten Orten, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen in Bezug auf den Aufenthaltsort ergeben sich – abgesehen von der Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse – nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (wie z. B. in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen). Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkasse zu prüfen. Einrichtungen der Eingliederungshilfe werden in den HKP-Richtlinien den Krankenhäusern und Pflegeheimen ausdrücklich nicht (mehr) gleichgestellt. In dieser Fassung ist die HKP-Richtlinie gesetzeskonform.165

163 G-BA, Tragende Gründe zum Beschluss vom 17.1.2008, Seite 9 [vgl. https://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/598/] 164 Bundesministerium für Gesundheit, Schreiben v. 20.3.2008 „Prüfung gem. § 94 SGB V“ 165 BSG, Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R

Behandlungspflege

§ 1 Abs. 6 Satz 1 und 2 HKP-Richtlinie Für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen), kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkassen zu prüfen.

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 122

Aus dem Wortlaut der § 37 Abs. 1a Satz 1, Abs. 1a und Abs. 2 Satz 1 SGB V lässt sich seit der Ausweitung des Anspruchs auf sonstige geeignete Orte nicht entnehmen, dass stationäre Einrichtungen etwa der Eingliederungshilfe dafür grundsätzlich nicht in Betracht kommen. Die dort enthaltene beispielhafte Aufzählung enthält für einen generellen Ausschluss keine Anhaltspunkte. Der verwendete Begriff der „betreuten Wohnformen“ ist gesetzlich nicht definiert. Die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit ambulanten Betreuungshilfen zu einer stationären Einrichtung sind inzwischen fließend. Daher werden in den Landesheimgesetzen neben stationären Einrichtungen regelmäßig auch andere Formen des betreuten Wohnens erfasst,166 und längst nicht alle Formen des betreuten Wohnens weisen eine größere Nähe zur eigenständigen Haushaltsführung auf als herkömmliche stationäre Einrichtungen. Eine eindeutige Zuordnung jeder Einrichtung entweder als stationäres Heim oder als ambulantes Angebot mit Betreuungshilfen wird durch die andauernde Entwicklung neuer Wohnformen zunehmend schwierig. Auch in betreuten Wohnformen haben Versicherte keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege, wenn sie bereits Anspruch auf die Maßnahme durch die Einrichtung bzw. den Betreuungsdienst haben, weil häusliche Krankenpflege dann nicht erforderlich ist. Gerade im Grenzbereich verschiedener Wohnformen ist es aber sachgerecht, nach dem Anspruch gegen die Einrichtung bzw. den Betreuungsdienst zu differenzieren und nicht dem Begriff „betreute Wohnformen“ eine Festlegung dahin zu entnehmen, dass in vollstationären Betreuungseinrichtungen keine häusliche Krankenpflege erbracht werden kann. Praxistipp: Ein Anspruch auf Behandlungspflege in vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe besteht dann nicht, wenn der Bewohner entweder nach den gesetzlichen Bestimmungen einen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung hat oder wenn ein vertraglicher Anspruch im jeweiligen Heimoder Einrichtungsvertrag vereinbart wurde. Es ist daher konsequent, den Anspruch auf häusliche Krankenpflege in ambulanten wie teil- und vollstationären Einrichtungen nur dann und insoweit zu beschränken, als nach den gesetzlichen Bestimmungen oder vertraglichen Vereinbarungen Anspruch auf die Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht. Der Gesetzgeber hat auf eine gesetzliche Festlegung der geeigneten Leistungsorte bewusst verzichtet. Er wollte damit im Hinblick auf die Vielzahl unterschiedlicher Einrichtungen jeglichen Eingriff in die bestehenden Strukturen der Einrichtungen und insbesondere in ihre Leistungspflichten im Hinblick auf die medizinische Behandlungspflege vermeiden. Die Leistungspflichten der vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe ergeben sich zugunsten der Bewohner aus zivilrechtlichen Verträgen mit der Einrichtung und gegenüber dem Träger der Sozialhilfe ausschließlich aus dem 166 dazu Weber NZS 2011, Seite 650

167 BSG, Urt. v. 28.10.2008, B 8 SO 22/17 R = BSGE 102, 1 168 zum Begriff BSG, Urt. 17.4.1996, 3 RK 28/95 169 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122

Behandlungspflege

SGB XII.167 Entscheidend für die Leistungspflichten der Einrichtungen zur Hilfe behinderter Menschen ist danach das in den Vereinbarungen nach den §§ 75 ff. SGB XII festgelegte Ziel und der Zweck der Einrichtung, ihr Aufgabenprofil, die vorgesehene sächliche und personelle Ausstattung sowie der zu betreuende Personenkreis. Ist Inhalt der vertraglichen Leistungen der Einrichtung Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX a.F.) zu leisten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, so gehören einfachste medizinische Maßnahmen dazu.168 Behandlungspflegerische Aufgaben, die für Versicherte im eigenen Haushalt praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden können und keine medizinische Fachkunde erfordern, wie die Einnahme von Medikamenten und das Blutdruckmessen, sind regelmäßig der Natur der Sache nach zum Aufgabenkreis der Einrichtung. Sie sind mit der Gewährung von Eingliederungshilfe durch den Träger der Sozialhilfe in einer stationären Einrichtung untrennbar verbunden und daher objektiv bereits Bestandteil der Eingliederungshilfe. Dies gilt auch für betreute Wohnformen, wenn dort nach Inhalt und Umfang vergleichbare Eingliederungsleistungen erbracht werden. Zum Erwerb lebenspraktischer Kenntnisse und Fähigkeiten gehört auch die Hilfe bei der Führung eines gesunden Lebens einschließlich der Vermittlung von Einsicht für gesundheitsförderliches Verhalten allgemein und speziell für die Notwendigkeit bestimmter medizinischer Maßnahmen.169 Bei den einfachsten Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege handelt es sich häufig, wie etwa beim An- und Ausziehen von Thrombosestrümpfen, um verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, die ohnehin sowohl dem Aufgabenbereich der Krankenversicherung als auch dem der Pflegeversicherung gleichermaßen zugeordnet und daher – soweit kein Fachpersonal erforderlich ist – auch bereits von der Pauschale nach § 43a SGB XI mitumfasst sind. Danach verläuft die Grenze der von einer Einrichtung geschuldeten Leistungen genau dort, wo diese vom Personal der Einrichtung der Eingliederungshilfe erbracht werden können und müssen. Muss die Einrichtung kein medizinisch ausgebildetes Personal vorhalten, sind regelmäßig aber nur einfachste Maßnahmen der Krankenpflege von der Einrichtung selbst zu erfüllen. Leistungspflichten, die nur von medizinisch ausgebildetem Fachpersonal erfüllt werden könnten, scheiden dann regelmäßig aus. Ist die Einrichtung hingegen nach ihrem Aufgabenprofil auf eine besondere Zielgruppe ausgerichtet, bei der ständig bestimmte behandlungspflegerische Maßnahmen erforderlich werden, und ist die Einrichtung deshalb entsprechend sächlich und personell auszustatten, hat sie diese behandlungspflegerischen Maßnahmen auch zu erbringen, weil ohne sie die Eingliederungsaufgabe im Hinblick auf

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 124

die Zielgruppe der Einrichtung nicht erreicht werden kann. Es ist daher – so wie es § 1 Abs. 6 Satz 2 HKP-Richtlinie vorgibt – im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Einrichtung die konkrete behandlungspflegerische Maßnahme nach ihrem Aufgabenprofil, der Ausrichtung auf eine bestimmte Bewohnerklientel und insbesondere aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung selbst zu erbringen hat. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe wird dadurch nicht betroffen, weil die sächliche und personelle Ausstattung dieser Einrichtungen für die Eingliederungsleistungen ohnehin vorzuhalten ist, die Gewährung von Eingliederungshilfe deutlich im Vordergrund steht und die Leistungen der Behandlungspflege dann untrennbarer Bestandteil der Eingliederungshilfe sind. Praxistipp: Das Bundessozialgericht170 hat einen – nicht abschließenden – Katalog der Leistungen der sog. einfachsten medizinischen Behandlungspflege aufgestellt, obwohl das SGB V nicht einmal den Begriff kennt. Genannt sind: – Medikamentengabe nach ärztlicher Anweisung, – Messen des Blutdrucks, – Messen des Blutzuckergehalts, – An- und Ausziehen von Thrombosestrümpfen, – An- und Ablegen einfach zu handhabender Stützverbände, – Einreiben mit Salben (soweit es sich nicht um schwierige Wundversorgung handelt) und – die Verabreichung von Bädern. Im Praxisfall 23 ist daher die Einrichtung der Eingliederungshilfe für die Behandlungspflege in Form der einfachsten Behandlungspflege zuständig. Die Leistungsverpflichtung folgt aus den Vereinbarungen nach § 75 SGB XII mit den Trägern der Eingliederungshilfe (Sozialhilfe). Hintergrund der Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V ist die zitierte Rechtsprechung des BSG, wonach in stationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen einfachste Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege von den Einrichtungen zu erbringen sind und sich etwaige weitergehende Leistungsverpflichtungen der Einrichtungen aus der Ausrichtung ihres Aufgabenprofils auf besondere Zielgruppen ergeben können.171 Mit der Neuregelung soll sichergestellt werden, dass die Krankenkassen auch dann für Versicherte, die einer ständigen Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft bedürfen, Leistungen der Behandlungspflege gewähren, wenn diese sonst möglicherweise von der Einrichtung zu erbringen wären. Demgegenüber sind Maßnahmen, die keine ständigen Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordern, nach wie vor von der Einrichtung zu erbringen, wenn es sich um einfachste Behandlungspflege handeln.172 170 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R 171 BT-Drucksache 18/10510, Seite 129 f. 172 BT-Drucksache 18/10510, Seite 130

Behandlungspflege in Einrichtungen der Eingliederungshilfe Behandlungspflege in Einrichtungen der Eingliederungshilfe BSG, Urt. v. 22.4.2015 – B 3 KR 16/14 R (ohne Regelung im Vertrag nach § 75 Abs. 3 SGB XII)

Maßnahmen der Behandlungspflege, die keine besondere Qualifikation voraussetzen (v.a. BZ-Messung, RR-Messung, Medigaben, Kompressionsstrümpfe)

Maßnahmen, die Personal der Einrichtung ohne pflegerische Qualifikation nicht erbringen kann (v.a. Injektionen (auch Insulin), Verbandwechsel)

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Daher ist der Praxisfall 23 anders zu bewerten, wenn Blutzuckermessung und Insulingabe nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Das Blutzuckermessen ist für sich allein gesehen zwar eine einfachste Behandlungsmaßnahme, welche von Einrichtungen der Eingliederungshilfe selbst zu erbringen ist, weil es grundsätzlich von jedem Erwachsenen ohne medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten durchgeführt werden kann und keine nennenswerten Infektions- oder Verletzungsgefahren birgt. Soweit jedoch die Blutzuckermessung und Insulingabe nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können und aus medizinischer Sicht wahrscheinlich ist, dass die Messung des Blutzuckers vom Versicherten auch zukünftig nicht mehr selbst durchgeführt werden kann, handelt es sich bei der Blutzuckermessung um eine Leistung, welche von der Krankenkasse gem. § 37 Abs. 2 SGB V und nicht von den Mitarbeitern der Einrichtung der Eingliederung zu erbringen ist.173 Die Revision der Krankenkasse gegen diese Entscheidung nahm das BSG nicht zur (abweichenden) Entscheidung an.174

173  LSG Saarland, Urt. v. 28.2.2018, L 2 KR 31/17. 174  BSG, Beschl. v. 6.12.2018, B 3 KR 34/18 B.

Behandlungspflege

[email protected]

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5.5 Ist einfache (einfachste) Behandlungspflege immer von stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe zu erbringen?  BEISPIEL

Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege?

Praxisfall 24:175

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Der 1955 geborene geistig behinderte K leidet u. a. an einem atypischen Autismus. Ein Grad der Behinderung von 100 wurde anerkannt. K lebt Behindertenwohnheim für geistig und mehrfach Behinderte. Zwischen dem Träger der Eingliederungshilfeeinrichtung und dem Träger der Sozialhilfe bestehen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII über in dem Wohnheim erbrachte Leistungen. Nach dem Heimvertrag ist der Kläger in den Leistungstyp Nr. 01 (Heimwohnen für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung) eingestuft. Betreuungsleistungen werden nach § 6 des Heimvertrages entsprechend der Leistungstypenbeschreibung Nr. 01 des Landesrahmenvertrages nach § 79 SGB XII erbracht. In § 8 Abs. 1 Satz 1 des Heimvertrages heißt es, die Einrichtung erbringe keine ärztlich verordneten Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Bei K wurde ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II diagnostiziert, der mit einer zweimal täglichen Injektion (Mischinsulin nach Dosisplan) therapiert wird. K ist aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht in der Lage, sich mit der nötigen Sorgfalt das Insulin selbst zu injizieren. Er lehnt auch die Durchführung der Blutzuckerkontrollen ab und empfindet das Spritzen von Insulin als äußerst unangenehm und als eine psychische Belastung. Dabei zeigt K erkennbar ein Abwehrverhalten. Die Krankenkasse lehnt die Leistungen ab. Zu Recht?

Nur in Einrichtungen, die aufgrund entsprechender Verträge auch medizinische Behandlungspflege zu erbringen haben, besteht für Versicherte ein entsprechender Anspruch gegen die Einrichtung „nach den gesetzlichen Bestimmungen“ im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 der HKP-Richtlinie. Anderenfalls kann die erforderliche häusliche Krankenpflege für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen grundsätzlich ärztlich verordnet und vom Pflegedienst erbracht werden. Nur einfachste Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind dann von der Einrichtung selbst zu erfüllen und von einer Verordnung ausgeschlossen.176 Bei der hier vorliegenden Fallkonstellation der Blutzuckermessungen und dem Spritzen von Insulin handelt es sich aber eben nicht um eine einfachste Maß175 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 28.1.2016, L 8 SO 385/12 176 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R

Behandlungspflege

nahme der Behandlungspflege, die in einem Haushalt grundsätzlich von jedem Erwachsenen erbracht werden kann und damit auch der Einrichtung obliegt. Zwar ist die Injektion eine behandlungspflegerische Maßnahme, die von erwachsenen Patienten regelmäßig selbst durchgeführt werden kann; hierfür sind aber erhebliche medizinische Kenntnisse erforderlich, die den Patienten, die die Injektionen selbst durchführen, zuvor vermittelt werden müssen. Dies ist bei K bereits aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht möglich. Er ist nicht in der Lage, sich mit der nötigen Sorgfalt das Insulin selbst zu injizieren. Da K das Spritzen von Insulin zudem als äußerst unangenehm und als eine psychische Belastung empfindet, wäre es auch nicht zumutbar, die Injektionen in einem Haushalt von anderen erwachsenen Personen durchführen zu lassen. Nichts anderes gilt dann auch für das Personal der Einrichtung. Das Messen des Blutzuckergehaltes gehört für Bewohner, die an insulinpflichtigem Diabetes mellitus leiden, grundsätzlich zu der von einer Einrichtung geschuldeten Unterstützung eines gesunden Lebens und ist daher untrennbarer Bestandteil der Eingliederungshilfe. Die Durchführung durch Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Einrichtung kommt jedoch wegen der in der Person des K liegenden Besonderheiten nicht in Betracht. Ihm kann die Einsicht in die Notwendigkeit des Blutzuckermessens sowie die Förderung von Eigenständigkeit und Mithilfe bei der Durchführung oder zumindest das Vermeiden von Abwehrreaktionen offensichtlich nicht vermittelt werden. Auch wenn die Maßnahme als solche keine medizinischen Fachkenntnisse oder Fertigkeiten voraussetzt, kann sie im Falle von K weder von anderen erwachsenen Personen in einem Haushalt noch dem Personal der Eingliederungseinrichtung erbracht werden. Bei dem in Gesundheitsfragen offensichtlich nicht einsichtsfähigen K müssen die Blutzuckerkontrollen kurz vor den Insulininjektionen erfolgen, um die genaue Dosis des zu injizierenden Insulins festzulegen. Die Blutzuckerkontrollen stehen für K damit auch zeitlich im Zusammenhang mit den von ihm als Belastung empfundenen Injektionen, da K die selbstständige Durchführung der Blutzuckerkontrollen ablehnt. Durch eine Blutzuckermessung würde deshalb das erforderliche Vertrauensverhältnis von K zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Eingliederungshilfe in unzumutbarer Weise gestört werden.177 Damit ist im Praxisfall 24 nicht nur die Insulinversorgung zu verordnen, sondern auch die damit im Zusammenhang stehenden Blutzuckermessungen. Die Krankenkasse ist insoweit leistungspflichtig. Praxistipp: Liegen in der Person des Hilfebedürftigen Besonderheiten vor, so sind dann auch einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe umfasst. Diese Leistungen können dann ärztlich verordnet und zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden.178

177 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 28.1.2016, L 8 SO 385/12 178 SG Aurich, Beschl. v. 25.7.2016, S 13 SO 47/16 ER

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5.6 Ist einfache (einfachste) Behandlungspflege immer von Präsenzkräften in einer Wohngemeinschaft zu erbringen?  BEISPIEL

Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege?

Praxisfall 25:179

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Die Z lebt seit März 2015 in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft „R.“ zusammen mit 11 weiteren Personen, welche nicht Familienangehörige der Z sind. In demselben Gebäude befindet sich eine weitere Wohngemeinschaft mit maximal 12 Bewohnern. Dem Aufenthalt in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft „R.“ liegen ein Mietvertrag, ein Betreuungsvertrag, ein Pflegevertrag, eine Gremiumsvereinbarung und eine Präsenzkraftvereinbarung zugrunde. Der Pflegedienst erbringt in der Wohngemeinschaft im Rahmen der 24-​stündigen Anwesenheit eines Mitarbeiters des Pflegedienstes Leistungen der psychosozialen Betreuung und Begleitung mit ständiger Erreichbarkeit einer Pflegefachkraft. Unter „Wahl eines gemeinsamen Dienstleisters“ ist geregelt, dass zur Ausnutzung von Synergieeffekten eine gemeinsame Organisation der Hauswirtschaft und der Betreuung erfolgt, dies jedoch hinsichtlich der pflegerischen Versorgung nicht gilt: Die Wahl eines Pflegedienstes für die pflegerische Versorgung bleibt jedem Bewohner selbst überlassen. Z erhält Leistungen nach dem Pflegegrad 3 in Form von Sachleistungen nach § 36 SGB XI bis zur Höchstgrenze, Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI in Höhe von monatlich 125,00 € und den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in Höhe von 214,00 €. Die monatlichen Gesamtabrechnungen für Pflegesachleistungen betrugen im Zeitraum vom 01.02.2019 bis 31.03.2019 2.691,08 € bzw. 2.982,92 €. Der den Höchstbetrag nach § 36 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI übersteigende Anteil wird vom Träger der Sozialhilfe übernommen. Mittels einer ärztlichen Verordnung erhält Z Behandlungspflege in Form der Medikamentengabe 3 x täglich/7 x wöchentlich mit der Diagnose „Demenz“ (ICD-​10 F03.G). Die Krankenkasse lehnte die Genehmigung der ärztlich verordneten Leistungen mit dem Hinweis ab, dass das BSG180 in zwei Entscheidungen festgestellt habe, dass selbst bei fehlendem medizinisch geschultem Personal die einfachste Behandlungspflege in jedem Fall durch das Präsenzpersonal sicher zu stellen sei. Daher würden künftig nur noch die Kosten für das Richten von Medikamenten in einen Wo179 LSG Bayern, Urt. v. 20.8.2019, L 5 KR 402/19, L 5 KR 403/19, L 5 KR 404/19. 180 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R

chendispenser übernommen. Ein im Betreuungsvertrag vereinbarter Ausschluss dieser Leistungen würde gegen das Verbot nachteiliger Vereinbarungen im Sinne des § 32 SGB I verstoßen und wäre damit nichtig.

Wohl kaum eine Entscheidung führte im vergangenen Jahr zu derart zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen und massiven Protesten der Betroffenen wie die Ablehnungen der Leistungen der sog. einfachsten Behandlungspflege in den Wohngemeinschaften durch die AOK Bayern. Ebenso ungewöhnlich war das klare Bekenntnis der politisch Verantwortlichen den Angehörigen und ambulanten Pflegediensten zur Seite zu stehen. Die Einwände der Krankenkasse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Versicherte hat einen Anspruch auf Erbringung einfachster medizinischer Behandlungspflege ohne medizinische Fachkenntnisse gegen die Wohngruppe bereits aus dem Betreuungsvertrag. Diese Leistungen sind damit durch den Wohngruppenzuschlag abgegolten. Die Wohngruppe entspricht insgesamt einer stationären Einrichtung, nur die Gestaltung der Verträge umgeht die Grundlagen des § 71 Abs. 2 SGB XI. Wenn eine Wohngruppe als ambulante Einrichtung qualifiziert werde, muss auch § 37 Abs. 3 SGB V gelten. Der vertragliche Ausschluss der Behandlungspflege in § 2 des Betreuungsvertrags ist nichtig. Die Ablehnung der ärztlich verordneten Leistungen der Behandlungspflege durch die Krankenkasse können bereits in Hinblick auf die von der Pflegekasse gewährten Ansprüche nachvollziehbar und widerspruchsfrei dargestellt werden. Die Pflegekasse hat die Wohngemeinschaft „R“ anerkannt und zahlt den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI. Der Gesetzgeber des SGB XI bezeichnet die „Person, die unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten“ verrichtet lediglich in der Gesetzesbegründung als „Präsenz“kraft.181 Im Gesetzestext findet sich dieser Begriff nicht, so dass fälschlicherweise der Eindruck entsteht, dass mit der gesetzlichen Regelung nur natürliche Personen (also: Menschen!) gemeint sind und daher nur ein konkreter Mensch bestellt werden kann. Der gesetzliche Wortlaut („Person“) ist aber gleichermaßen auf natürliche und juristische Personen zugeschnitten. Eine juristische Person kann durch eine natürliche Person vertreten werden, die eine Präsenz sicherstellen kann. Dies muss nach dem Gesetzeszweck ausreichend sein. Denn es ist nicht möglich, dass eine natürliche Person rund um die Uhr, ohne Urlaubs- und Krankheit, in einer Wohngruppe „präsent“ ist. Es ist nicht erkennbar, dass gesetzliche Anforderungen an zeitliche oder örtliche Umfänge gestellt werden.182 Die in § 38a SGB XI verlangten Moderations-, Verwaltungs-, Beratungstätigkeiten sind nur zum Teil zwingend (Moderation von Konflikten, Absprachen). 181 BT-Drucks. 17/9369, S 41, 18/2909, S. 41. 182 vgl. Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 13.2.2018, § 38a SGB XI, S. 173.

Behandlungspflege

Ist die Entscheidung der Krankenkasse rechtmäßig?

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 130

Verwaltungsaufgaben können auch vom Sitz des Pflegedienstes aus erledigt werden. Kommunikationswege wie Telefon, E-Mail, Skype, WhatsApp ermöglichen – neben regelmäßigen Präsenzstunden – eine ständige Erreichbarkeit. In der WG wohnen daher keine Personen, die im Rahmen der Laienpflege die Behandlungspflege übernehmen können, da dort keine pflegebereiten Angehörigen dort leben und die Mitbewohner der WG regelmäßig ebenfalls pflegebedürftig sind. Betreuer und Pflegepersonen, die sich zur Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten in der WG aufhalten, sind nicht kontinuierlich in den Wohn- und Lebensbereich eingebunden und können nicht mit Haushaltsangehörigen gleichgestellt werden. Aufgrund des Ausnahmecharakters des § 37 Abs. 3 SGB V verbietet sich eine Ausdehnung der Vorschrift.183 Die WG ist keine zugelassene stationäre Einrichtung nach § 71 Abs. 2 SGB XI, in welcher die Erbringung von Leistungen der medizinischen Behandlungspflege bereits im Leistungsspektrum enthalten ist, soweit kein besonders hoher Bedarf besteht (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB V, § 1 Abs. 6 S. 2 HKP-​RiLi). Die Pflegekasse gewährt den Bewohnern den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI sowie den Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI, also ambulante Leistungen. Die Bewohner der WG haben weder einen gesetzlichen noch vertragsrechtlichen Anspruch auf die Behandlungspflege in Form der einfachsten Behandlungspflege gegen die WG, die im Verhältnis zu einem Anspruch gegen die Krankenkasse vorrangig sind.184 In Abgrenzung zur Rechtsprechung185 in Bezug auf die Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII sind keine gesetzlichen Ansprüche auf die Erbringung einfachster Behandlungspflege gegen die WG ersichtlich. Im Bereich des ambulanten Wohnens gibt es weder ein Dreiecksverhältnis Nutzer – Einrichtung – Sozialhilfeträger noch gesetzliche Regelungen, die den Schluss zulassen, dass die Erbringung einfachster medizinischer Leistungen nach der Natur der Sache zum Aufgabenbereich der WG gehören. Einrichtungen zur Eingliederungshilfe haben den gesetzlichen Auftrag, Menschen Hilfe zur Wiedererlangung von Selbständigkeit zu gewähren. Erbringt der Träger der Sozialhilfe die Leistungen der Eingliederungshilfe in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, wird grundsätzlich der gesamte Bedarf des Hilfebedürftigen nach § 9 Abs. 1 SGB XII in der Einrichtung in einrichtungsspezifischer Weise befriedigt. Die Einrichtung übernimmt für den Hilfebedürftigen von dessen Aufnahme bis zur Entlassung die Gesamtverantwortung für seine tägliche Lebensführung. Darunter fallen auch Gesundheitsbelange wie Medikamenteneinnahme, deren Übernahme durch die Einrichtung gemäß §§ 55 S. 1, 75 ff. SGB XII vereinbart werden kann.186

183 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101. 184 BSG, Urt. v. 28.5.2003, B 3 KR 32/02 R. 185 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R. 186 vgl. zu der Fallgestaltung „Regelung im Rahmenvertrag“ LSG Berlin-​Brandenburg, Beschl. v. 24.2.2010 - L 9 KR 23/10 B ER.

187 so aber SG Bayreuth, Urt. v. 16.5.2018, S 8 KR 150/17. 188 vgl. BT-​Drucks. 18/2909 S. 42. 189 BSG, Urt. v. 18.02.2016 - B 3 P 5/14 R.

Behandlungspflege

Ebenso wenig bestehen vorrangige vertragsrechtliche Ansprüche der Bewohner gegen die WG. Weder aus einem der von Z abgeschlossenen Verträge, noch aus dem Gedanken der Gesamtverantwortung können Ansprüche gegen die WG hergeleitet werden. Der vertragliche Ausschluss in § 2 Nr. 1 Betreuungsvertrag ist zulässig und rechtswirksam. Er ist insbesondere nicht gemäß § 32 SGB I nichtig.187 Zweck des § 32 SGB I ist es, eine Beeinträchtigung des durch die Normen der Sozialgesetzbücher gewährten sozialen Schutzes durch nachteilige privatrechtliche Vereinbarungen zu verhindern. Sie hat demnach Schutzfunktion für den Versicherten. Es geht insbesondere darum, dass die Begünstigten die in den Sozialgesetzbüchern vorgesehenen Sozialleistungen nach den von dem jeweiligen Gesetz aufgestellten Voraussetzungen erhalten. § 32 SGB I gilt demnach bei Benachteiligung eines Sozialleistungsberechtigten im Hinblick auf seine gesetzlichen Rechte. Vorliegend wird allenfalls die Krankenkasse benachteiligt, indem Leistungen, die diese nach § 37 SGB V erbringen kann bzw. muss, ausdrücklich nicht Inhalt eines zivilrechtlichen Leistungsvertrages wurden. Dies ist von der Vertragsfreiheit und dem sozialrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Leistung gedeckt (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG, § 33 S. 2 SGB I). Die Bewohner der WG haben sich gerade darauf geeinigt, individuell benötigte Leistungen – wie die Wahl des Pflegedienstes und damit der Behandlungspflege – nicht gemeinschaftlich zu organisieren, sondern durch Einzelverträge abzuwickeln. Gegen die Ableitung von Ansprüchen auf einfachste behandlungspflegerische Tätigkeiten aus dem Betreuungsvertrag nach der Natur der Sache spricht zudem die mangelnde wirtschaftliche Abbildung dieser Leistungen in der Vergütungspauschale wie auch die Pflegerealität. Die Erbringung von behandlungspflegerischen Leistungen wäre im Rahmen des Rechtsgedankens des § 37 Abs. 3 SGB V nicht zumutbar. Nicht vorstellbar ist, wie eine Betreuungsperson es faktisch leisten sollte, bei mehreren Demenzkranken ggf. gleichzeitig vor den Mahlzeiten, und mehrmals pro Tag medizinisch erforderliche Maßnahmen wie etwa die Medikamentengabe, oder zusätzlich die Blutzuckermessen durchzuführen, auch wenn diese grundsätzlich einfach sind und keine medizinische Sachkunde erfordern. Dazu kommt, dass Demenzkranke pflegerische Maßnahmen zum Teil ablehnen. Auch aus der Bestellung der Präsenzkraft kann keine Individualansprüche einzelner WG-​Bewohner abgeleitet werden. Die Präsenzkraft wird durch den Wohngruppenzuschlag des § 38a SGB XI finanziert, den die Beigeladene den Bewohnern der WG gewährt, und übernimmt zusätzliche Aufgaben. Nach dem Willen des Gesetzgebers dient der Wohngruppenzuschlag der Abgeltung des zusätzlichen Aufwands, der durch die Selbstorganisation der Pflege mit Beiträgen der Bewohner oder ihres sozialen Umfelds entsteht.188 Der Aufgabenbereich einer Präsenzkraft ist damit von der pflegerischen Versorgung der Bewohner abzugrenzen.189 Eine Präsenzkraft wird von allen Bewohnern gemeinsam beauftragt und ist allen gleichermaßen in der Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet.

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege?

Unabhängig von einer tatsächlichen Überforderung einer Präsenzkraft mit der Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege für alle Bewohner der WG, hat diese nach der gesetzlichen Aufgabenzuteilung keine einer Sozialarbeiterin in einer Einrichtung nach dem SGB XII vergleichbare Pflichtenstellung.190 Aus der Konstruktion einer ambulanten Wohngruppe nach dem Baukastensystem unter (Aus-​) Nutzung der gespaltenen Finanzierungsverantwortung und der unterschiedlichen Finanzierungslogiken der Kranken- und Pflegekassen kann kein Anspruch der Bewohner auf Übernahme der HKP aus einer „Gesamtverantwortung“ der Wohngemeinschaft abgeleitet werden. Z hat sich im Praxisfall 25 – basierend auf den Notwendigkeiten der Pflegebedürftigkeit und im Ergebnis tatsächlich ähnlich einem stationären Setting – Einzelleistungen durch privatrechtliche Verträge eingekauft, die teilweise durch die Sozialversicherungsträger finanziert werden. Dies mag dazu führen, dass aufgrund des Bedarfsdeckungsprinzips des SGB V durch die Kranken- und Pflegekasse höhere Leistungen zu gewähren sind als bei der Wahl einer vollstationären Einrichtung nach § 43 SGB XI. Die Wohnform der selbst organisierten pflegerischen Versorgung auf der Grundlage eines Baukastensystems ist jedoch nicht nur erlaubt, sondern gewünscht und durch den Gesetzgeber mit Zuschlägen nach dem SGB XI gefördert. Daher gibt es keine gesetzliche Grundlage, um – zur Vermeidung der Kostenverschiebung auf die Krankenkassen oder im Rahmen eines Gleichbehandlungsgebots – eine faktische vollstationäre Pflegeeinrichtung anzunehmen191 und dadurch eine über Leistungspflichten aus den Einzelverträgen hinausgehende Gesamtverantwortung der ambulanten Wohngruppe zu fingieren. Da die AOK Bayern – ihr folgend nach Kenntnis des Autors nur die AOK Bremen/ Bremerhaven – flächendeckend die Genehmigung der sog. einfachen Behandlungspflege in den Wohngemeinschaften versagte, wurden vielfach die Presse und die politisch Verantwortlichen informiert. Nachdem aber selbst der Patienten- und Pflegebeauftragte der Bayerischen Staatsregierung die AOK Bayern nicht zur Einsicht bewegen konnte, ergriff dieser für die betroffenen Versicherten in den Wohngemeinschaften zu einem bisher nicht gekannten, drastischem Mittel. Die AOK Bayern wurde mit einem offenen Brief dazu aufgefordert „nicht das Menschliche aus den Augen zu verlieren“! – Inzwischen ist die Revision beim BSG192 anhängig, so dass die rechtlichen Fragen im 2. Halbjahr 2020 zugunsten der versicherten Bewohner in den WG geklärt sein dürften.

190 so bereits SG Nürnberg, Beschl. v. 18.2.2019, S 7 KR 1/19 ER; SG Landshut, Urt. v. 18.6.2019, S 4 KR 235/19, S 4 KR 9/19, S 4 KR 146/19. 191 so auch BSG, Urt. v. 30.11.2017, B 3 KR 11/16 R. 192 Revision anhängig zum BSG, u. a. unter Aktenzeichen B 3 KR 14/19 R.

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5.7 Ist die Behandlungspflege im Rahmen der für die Eingliederungshilfe bewilligten Fachleistungsstunden zu erbringen?  BEISPIEL Praxisfall 26:193

Aus den vorherigen Kapiteln wissen wir, dass die ambulanten oder stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe nur insoweit nach den gesetzlichen Bestimmungen zur Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege verpflichtet sind, wenn sie dazu aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung auch in der Lage sind.194 Entscheidend ist deswegen, ob die ärztlich verordneten Blutzuckermessungen und die Medikamentengaben nach Art und Umfang bereits zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören, die der Landkreis gewährt hat. Deswegen ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die Einrichtung nach ihrem Aufgabenprofil, ihrer Ausrichtung auf eine bestimmte Kunden- oder Bewohnerklientel und insbesondere aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung die fragliche Leistung selbst erbringen kann. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII wird nämlich nur dann nicht verletzt, wenn Leistungen der Eingliederungshilfe durch eine Einrichtung ohnehin vorzuhalten sind, die Gewährung der Eingliederungshilfe deutlich im Vordergrund steht und die Leistungen der Behandlungspflege untrennbarer Bestandteil der Eingliederungshilfe sind.

Behandlungspflege

S erhielt von seiner behandelnden Ärztin eine Jahres-Verordnung häusliche Krankenpflege unter anderem in Form von täglicher Blutzuckermessung und Insulininjektion, zweimal täglicher Medikamentengabe sowie wöchentlichem Richten der Medikamente und eine Injektion subcutan monatlich. S lebt in einer Wohnung, die ihm von der W GmbH, deren Allein-Gesellschafter A ist, vermietet worden ist. A erbringt in dieser Wohnung (auch) Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, die S durch den Landkreis im Umfang von ca. sechs Fachleistungsstunden in der Woche bewilligt worden sind. Die Krankenkasse bewilligte häusliche Krankenpflege nur hinsichtlich der Injektionen und lehnte Leistungen im Übrigen ab, da die Wohnstätte bzw. Werkstatt diese Leistungen zu übernehmen habe. Zu Recht?

§ 2 Abs. 1 SGB XII: Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderli193 LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.6.2017, L 1 KR 228/17 B ER 194 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege?

che Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

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Für einen engen Bezug der Blutzuckermessung und der Medikamentengabe zur Eingliederungshilfe spricht zwar grundsätzlich, dass die infrage stehenden Leistungen ihrem Inhalt nach einer allgemeinen Betreuungsleistung gleichstehen und keine vertieften medizinischen Kenntnisse verlangen. Aus der ärztlichen Verordnung ergibt sich, dass ein Mitarbeiter der Eingliederungshilfe zweimal am Tag bei dem Antragsteller in der Wohnung sein müsste, um Medikamente zu verabreichen und einmal den Blutzucker zu messen. Ferner müsste dieser einmal in der Woche den Wochenbedarf an den Medikamenten herrichten. Dafür reicht der bewilligte Umfang der Eingliederungshilfe indessen nicht aus. Sechs Fachleistungsstunden in der Woche geben nicht genügend Raum für zweimal am Tag stattfindende Besuche, in denen neben der Medikamentengabe noch weitere Leistungen erbracht werden sollen. Die Medikamentengabe gehört lediglich am Rande mit zur Eingliederungshilfe, sie ist nicht ihr zentraler Inhalt. Im Praxisfall 26 hat die Krankenkasse daher zu zahlen.

5.8 Ist Behandlungspflege auch in vollstationären Pflegeeinrichtungen möglich? Bei Einführung der 2. Stufe der Pflegeversicherung zum 01.07.1996 wurde um die Behandlungspflege hart gerungen. Der bis dahin geltende § 43 SGB XI wurde durch das 1. SGB XI-Änderungsgesetz noch einmal erheblich verändert. Während die ursprüngliche Fassung nur die Übernahme der pflegebedingten Aufwendungen betraf, sah der Änderungsentwurf der Regierungsparteien195 nach heftigen Auseinandersetzungen im Vorfeld des Entwurfes über die Zuständigkeit der Pflegeoder der Krankenkassen für die Behandlungspflege vor, dass diese Aufwendungen vom Budget der Pflegekassen gedeckt waren. Erst im Vermittlungsverfahren196 wurde die zeitliche Begrenzung (1.7.1996 bis 31.12.1999) im Hinblick auf die Aufwendungen für die medizinische Behandlungspflege eingefügt. Nach mehrfacher Verlängerung der zeitlichen Begrenzung der Einbeziehung der Aufwendungen der Behandlungspflege in den Leistungsanspruch des § 43 SGB XI wurde die Behandlungspflege auf Dauer zur Leistung der Pflegekassen im vollstationären Bereich. „Die Krankenkassen, die damit von zusätzlichen finanziellen Belastungen verschont werden, verbessern dafür im Gegenzug ihre Präventions- und Rehabilitationsleistungen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit“, führte der Regierungsentwurf aus.197 195 BT-Drucksache 13/3696, Seite 4 196 BT-Drucksache 13/4091, Seite 8 197 BT-Drucksache 16/3100, Seite 185

Eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten nimmt § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V vor auf Personen, die sich in einer vollstationären Pflegeeinrichtung befinden und Leistungen nach § 43 SGB XI erhalten, wenn sie für mindestens 6 Monate einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben. Wegen des Teilleistungscharakters, also der auf das jeweilige Budget begrenzten Kostenübernahme der Pflegeversicherung (im vollstationären Bereich vgl. § 43 SGB XI) verbleiben bei einem hohen Behandlungspflegebedarf den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sehr hohe Eigenanteile, die häufig eine Sozialhilfebedürftigkeit verursachen. Zweck der Neuregelung ist es daher, diese finanzielle Notlage zu mildern.198 Der Gesetzgeber wollte damit also nicht die Erlöse der vollstationären Pflegeeinrichtungen, etwa zur Refinanzierung des eingesetzten Pflegepersonals, steigern. Ein besonders hoher Pflegebedarf ist nach der Gesetzesbegründung insbesondere bei der Betreuung von Komapatienten und Dauerbeatmeten, die regelmäßig Pflege rund um die Uhr benötigen, gegeben.199 Der besonders hohe Pflegebedarf ist verrichtungsbezogen (quantitativ) und nicht diagnosebezogen zu definieren. § 1 Abs. 7 Sätze 2 und 3 HKP-Richtlinie Eine Verordnung von Behandlungspflege ist auch für Versicherte in Pflegeheimen zulässig, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben (§ 37 Absatz 2 Satz 3 SGB V). – Dies ist der Fall, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft erforderlich ist, insbesondere weil

– die Bedienung und Überwachung eines Beatmungsgerätes im Sinne der Nr. 8 der Anlage am Tag und in der Nacht erforderlich ist. Das Erfordernis der ständigen Interventionsbereitschaft einer Pflegefachkraft gemäß § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V i. V. m. § 1 Abs. 7 HKP-Richtlinie aus medizinischpflegerischen Gründen ist nicht an die Bedingung geknüpft, dass bei beatmungspflichtigen Bewohnern eine Trachealkanüle genutzt wird bzw. ein Tracheostoma vorhanden ist. So kann beispielsweise auch ohne ein Tracheostoma – abhängig von den Fähigkeits-/ Funktionsstörungen des Bewohners – im Rahmen eines speziellen Sekretmanagements oder bei Schluckstörungen zur Vermeidung von Aspirationen unvorhersehbar das Absaugen erforderlich sein, um lebensbedrohliche Situationen zu vermeiden. In einem solchen Fall kann ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege vorliegen. Gleiches gilt für nicht invasiv beatmete Bewohner, die krankheits-/ behandlungsbedingt mit den Beatmungsgeräten nicht umgehen und/oder die 198 BT-Drucksache 16/3100, Seite 105 199 BSG, Urt. v. 17.6.2010, B 3 KR 7/09 R = BSGE 106, 713

Behandlungspflege

– behandlungspflegerische Maßnahmen in ihrer Intensität oder Häufigkeit unvorhersehbar am Tag und in der Nacht erfolgen müssen oder

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege?

Beatmungsmaske nicht selbstständig an- oder ablegen können. Gleiches gilt für den Fall, dass der Bewohner bei Komplikationen sich nicht hinreichend selbst helfen kann.200 Praxistipp: Ausschlaggebend für die Beurteilung, ob ein besonders hoher Bedarf im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V i. V. m. § 1 Abs. 7 HKP-Richtlinie an Behandlungspflege gegeben ist, sind somit immer die konkreten Fähigkeits-/Funktionsstörungen des Bewohners. Diese Einschränkungen sind im Ergebnis nicht zwingend an die Bedingung geknüpft, dass eine Trachealkanüle genutzt wird bzw. ein Tracheostoma vorhanden ist. In allen Fällen ist immer eine ausführliche Prüfung des konkreten Einzelfalls erforderlich. Die ärztlich verordneten Leistungen werden in vollstationären Einrichtungen von (ambulanten) Leistungserbringern nach § 132a SGB V erbracht. Das Pflegeheim hat also die Wahl, ob es selbst die personellen und sachlichen Voraussetzungen für einen Rahmenvertrag nach § 132a SGB V erfüllt und diesen abschließt oder ob es einen Kooperationsvertrag mit einem (eigenen) ambulanten Pflegedienst eingeht.201

5.9 Ist die Behandlungspflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen möglich? Mit dem Pflegestärkungsgesetz III wurde § 37 Abs. 2 SGB V um einen Satz 8 ergänzt. Danach erhalten Versicherte in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne von § 43a SGB XI Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB V, wenn der Bedarf an Behandlungspflege ärztlich verordnet wird und eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert. Diese Neuregelung wurde durch den Gemeinsamen Bundesausschuss in der HKP-Richtlinie konkretisiert. Die Änderung trat mit dem 01.12.2018 in Kraft. § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB XII: Versicherte erhalten in stationären Einrichtungen im Sinne des § 43a des Elften Buches Leistungen nach Satz 1, wenn der Bedarf an Behandlungspflege eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert. Nach der bisher geltenden Fassung des § 1 Abs. 2 HKP-Richtlinie wird geregelt, an welchen Orten außerhalb des Haushalts oder der Familie des Versicherten häusli-

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200 vgl. Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 21.6.2017 (2017/335) 201 dazu ausführlich Richter Altenheim 9/2011, Seite 18

che Krankenpflege erbracht werden kann. Der Anspruch wird an einen regelmäßig wiederkehrenden Aufenthalt des Versicherten an den entsprechenden Ort geknüpft sowie daran, ob die verordneten Maßnahmen dort zuverlässig und unter geeigneten räumlichen Bedingungen durchgeführt werden können. In § 1 Abs. 7 HKP- Richtlinie ist die Verordnungsmöglichkeit von Behandlungspflege in Werkstätten für behinderte Menschen und Pflegeheimen nach § 43a SGB XI geregelt.

Voraussetzung für einen Anspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V ist ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, der eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft rund um die Uhr erfordert. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V202 – die insoweit der Rechtsprechung203 folgt – müssen Einrichtungen im Sinne von § 43a SGB XI die erforderlichen sogenannten „einfachsten“ Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege regelmäßig mit eigenem Personal erbringen. Sofern zum Zeitpunkt der Verordnung keine expliziten Hinweise vorliegen, dass die Einrichtung die Maßnahmen nicht mit eigenem Personal erbringen kann, kann die verordnende Ärztin/der verordnende Arzt davon ausgehen, dass die Einrichtung die einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege erbringt. Zu den sog. „einfachsten Maßnahmen“ der medizinischen Behandlungspflege gehören Leistungen, die für Versicherte im eigenen Haushalt grundsätzlich von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden könnten. Einfachste Maßnahmen sind somit solche, die ohne medizinische Vorkenntnisse und Fertigkeiten von Laien erbracht werden können und nicht mit nennenswerten Infektions- oder Verletzungsgefahren verbunden sind. Diese fallen damit regelmäßig 202 BT-Drucks. 18/10510 S. 129. 203 BSG, Urt. v. 22.04.2015, B 3 KR 16/14 R.

Behandlungspflege

§ 1 Abs. 7 Sätze 4 bis 8 HKP-Richtlinie Eine Verordnung von Behandlungspflege ist auch für Versicherte in vollstationären Einrichtungen oder Räumlichkeiten der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne von § 43a des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) zulässig, wenn ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege gemäß Satz 3 besteht. Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn der besonders hohe Bedarf an medizinischer Behandlungspflege abweichend von Satz 2 nur vorübergehend besteht, z. B. nach einem Krankenhausaufenthalt. Für Versicherte, bei denen der Bedarf an medizinischer Behandlungspflege keine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert, ist eine Erbringung von Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nur zulässig, wenn die Leistungserbringung nicht zu den Aufgaben der Einrichtung oder Räumlichkeit im Sinne von § 43a SGB XI gehört. Dies ist in dem Genehmigungsverfahren gemäß § 6 zu prüfen. Im Rahmen der häuslichen Krankenpflege sind einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege für Versicherte in Einrichtungen oder Räumlichkeiten im Sinne von § 43a SGB XI regelmäßig nicht verordnungsfähig.

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 138

in den Aufgabenbereich stationärer Einrichtungen der Behindertenhilfe. Insoweit besteht kein Anspruch auf häusliche Krankenpflege. Danach verläuft die Grenze der von einer Einrichtung geschuldeten Leistungen genau dort, wo diese vom Personal der Einrichtung der Eingliederungshilfe erbracht werden können und müssen. Dazu gehört beispielhaft die regelmäßige Gabe von Tabletten nach ärztlicher Anweisung, das Messen des Blutdrucks oder des Blutzuckergehalts, das An- und Ablegen einfach zu handhabender Stützverbände, das Einreiben mit Salben (soweit es sich nicht um schwierige Wundversorgung handelt), die Verabreichung von Bädern.204 Praxistipp: Keinesfalls gehören das Setzen von Spritzen, auch die Insulingabe, oder die Versorgung eines suprapubischen Katheters zur „einfachsten“ Behandlungspflege. Darüber hinaus müssen die Einrichtungen im Sinne von § 43a SGB XI auch weitergehende Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege mit eigenem Personal erbringen, sofern sich dies aus ihren Verträgen, ihrer Leistungsbeschreibung, ihrem Aufgabenspektrum auch unter Berücksichtigung ihrer Zielgruppe und ihrer sächlichen und personellen Ausstattung ergibt.205 Einrichtungen im Sinne von § 43a SGB XI sind jedoch nicht zur Erbringung von behandlungspflegerischen Maßnahmen verpflichtet, wenn insoweit ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege vorliegt, der die ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft im Sinne der gesetzlichen Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 8 SGB V erfordert. Praxistipp: In diesem Sinne sind auch stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe Orte zur Erbringung der häuslichen Krankenpflege durch ambulante Pflegedienste.

5.10 Ist Behandlungspflege in Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege zu Lasten der Krankenkasse möglich? Auch in Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege sowie der Kurzzeitpflege ist die Behandlungspflege – wie in vollstationären Pflegeeinrichtungen – in den gesetzlichen Leistungen enthalten, allerdings nur für Leistungsempfänger der Pflegeversicherung, die mindestens in Pflegegrad 2 eingestuft sind. Nicht pflegebedürftige Versicherte oder solche mit Pflegegrad 1 erhalten daher auch in Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege sowie der Kurzzeitpflege häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege, wie der Gemeinsame Bundesausschuss ausdrücklich festgestellt hat. 204 BSG, Urt. v. 25.02.2015, B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; BSG, Urt. v. 22.04.2015, B 3 KR 16/14 R. 205 BSG, Urt. v. 25.02.2015, B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; BSG, Urt. v. 22.04.2015, B 3 KR 16/14 R.

§ 1 Abs. 2 Satz 4 HKP-Richtlinie Ein Anspruch besteht auch für Versicherte, die nicht nach § 14 SGB XI pflegebedürftig sind, während ihres Aufenthalts in teilstationären Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes in der Einrichtung der Tages- und Nachtpflege notwendig ist sowie in Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Häusliche Krankenpflege ist allerdings nicht möglich in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen bereits ein Anspruch auf Behandlungspflege besteht. § 1 Abs. 6 Satz 1 und 2 HKP-Richtlinie Für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen), kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkassen zu prüfen.

5.11 Haben Wohnungslose einen Anspruch auf „häusliche“ Behandlungspflege?  BEISPIEL

A ist obdachlos. In einem Wohnheim, das A unregelmäßig zum Schlafen aufsucht, erhält A verordnete Verrichtungen der häuslichen Krankenpflege. Muss die Krankenkasse zahlen?

Versicherte, die keinen Haushalt haben und die nicht dauerhaft in einem Pflegeheim oder einer stationären Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 SGB XI aufgenommen wurden, also Wohnungslose, erhalten Leistungen nach § 37 Abs. 2 Satz 7 SGB V, wenn sie nur vorübergehend zum Zweck der Krankenbehandlung in einer der vorgenannten Einrichtung oder einer anderen geeigneten Unterkunft – insbesondere einem Wohnheim für Obdachlose – aufgenommen wurden. Diese Ausnahmevorschrift soll wohnungslose, aber krankenversicherte Personen in die ambulante Versorgung zurückführen und kostentreibende stationäre Behandlungen verhindern. Ziel der Regelung ist die Verhinderung eines stationären Krankenhausaufenthalts, wenn lediglich pflegerische Leistungen notwendig sind.206

206 dazu BT-Drucksache 15/1525, Seite 90

Behandlungspflege

Praxisfall 27:

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Kapitel 5:  WOHNGEMEINSCHAFT Spezial – Gibt es einen Leistungsort für die Behandlungspflege? 140

Kein sonstiger geeigneter Ort für die Erbringung der häuslichen Krankenpflege sind beispielsweise stationäre Rehabilitationseinrichtungen207 und Wohnheime im Sinne des HeimG208 allgemein immer dann, wenn die betreffende Einrichtung medizinische Behandlungspflege vertraglich bereits schuldet.209 Gleichzeitig kann der Umstand, dass eine Wohnform der Heimaufsicht nach dem jeweiligen landesrechtlichen Heimgesetz unterliegt, den Leistungsanspruch der Behandlungspflege nicht konkretisieren, da nicht sichergestellt ist, dass der jeweilige (Landes-) Gesetzgeber diese Folgewirkungen auf sozialrechtliche Leistungsansprüche im Sinne einer Eingrenzung des Schutzanspruchs des Heimbewohners berücksichtigen müsste.210 Ausdrücklich und klar regelt dies § 2 Abs. 4 WTG NRW: Die Feststellung, ob ein Angebot dem Geltungsbereich dieses Gesetzes unterfällt, lässt dessen Einordnung nach anderen Rechtsvorschriften unberührt. Dies gilt insbesondere auch für die leistungsrechtlichen Regelungen. Die Versicherten dürfen in der Einrichtung nicht auf Dauer aufgenommen worden sein, sondern nur vorübergehend zur Durchführung der Behandlungspflege. Das deutsche Sozialrecht bildet das Begriffspaar „vorübergehend – auf Dauer“; auf Dauer bedeutet gemeinhin (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI) einen Zeitraum von über 6 Monaten. Daher bedeutet „vorübergehend“ in diesem Zusammenhang „weniger als 6 Monate“. Geleistet werden Verrichtungen der Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung aber nur dann, wenn die Satzung der Krankenkasse dies vorsieht. Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf ambulante Palliativversorgung im Sinne des § 37 Abs. 2a Satz 1 SGB V. Weitere Kosten, beispielsweise solche der Verpflegung und Unterkunft, werden nicht übernommen.211 Im Praxisfall 27 hat die Krankenkasse daher die Leistungen zu zahlen.

207 SG Osnabrück, Beschl. v. 14.7.2011, S 13 KR 260/11 ER 208 so LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 23.4.2009, L 8 SO 1/07 209 BT-Drucksache 16/3100, Seite 104 210 LSG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2009, L 1 B 202/09 ER KR; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.2.2010, L 9 KR 23/10 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.8.2010, L 8 SO 1/10 B ER 211 BT-Drucksache 15/1525, Seite 90

Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie  INFO Die HKP-Richtlinie regelt die Verordnung häuslicher Krankenpflege, deren Dauer und deren Genehmigung durch die Krankenkassen sowie die Zusammenarbeit der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte mit den die häusliche Krankenpflege durchführenden ambulanten Pflegediensten und den Krankenhäusern. Außerdem konkretisiert die HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses den Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege.

6.1 Darf die HKP-Richtlinie den gesetzlichen Anspruch einschränken? – Gibt es eine „reine“ (allgemeine) Krankenbeobachtung?  BEISPIEL

Der 1982 geborene B erlitt nach seiner Geburt einen Herz- und Atemstillstand und ist seitdem schwerstbehindert. Es besteht eine ausgeprägte Hirnschädigung mit der Folge der Bewegungs-, Schluck- und Sprachunfähigkeit. Ferner liegt ein therapieresistentes Anfallsleiden vor mit wechselnder Häufigkeit und Schwere der Anfälle, deren Auftreten nicht voraussehbar ist. Verstärkt treten Infekte der oberen Luftwege auf, wobei es zu starken Verschleimungen kommt, die in Verbindung mit eingeschränkter Schluckmotorik zu bedrohlichen Hustenanfällen führen können. Wegen seines Gesundheitszustandes bedarf der Kläger ständiger Beobachtung durch eine medizinische Fachkraft, die jederzeit bei Verschlechterungen der Atmungsfunktion und bei Krampfanfällen einsatzbereit sein muss.

Behandlungspflege

Praxisfall 28:212

Für die Kosten der „reinen“ Krankenbeobachtung will die Krankenkasse nicht aufkommen, weil sie diese Maßnahme nicht als Behandlungspflege ansieht. Zu Recht?

212 BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R

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Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie 142

Was unter Behandlungspflege zu verstehen ist, konkretisiert die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (kurz: HKP-Richtlinie). Die derzeit geltende Grundfassung der HKP-Richtlinie vom 17.09.2009 wurde am 09.02.2010 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die letzte Änderung ist am 6.12.2019 in Kraft getreten. Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschusses die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten. Dabei beschränken die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses den gesetzlichen Leistungsanspruch des Versicherten nicht, sondern konkretisieren ihn auf den Behandlungseinzelfall. Da sich unmittelbar aus dem Gesetz selbst – siehe den Wortlaut der Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V – kein konkreter Leistungsanspruch ergibt, gestalten die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss das Leistungsrecht des Versicherten. Das Bundessozialgericht213qualifiziert die Richtlinien daher als untergesetzliche Rechtsnorm, mit der Konsequenz, dass sich sowohl die Krankenkassen als auch der MDK an die im Bundesanzeiger veröffentlichten Richtlinien halten müssen. „Untergesetzlich“ steht in diesem Fall dafür, dass eben nicht der Gesetzgeber (der Deutsche Bundestag!) ein Gesetz erlassen hat, sondern die Konkretisierung des Gesetzes an eine andere Stelle der Selbstverwaltung delegiert hat. Daher ist auch jede Richtlinie und damit auch die HKP-Richtlinie vor der Veröffentlichung im Bundesanzeiger dem zuständigen Bundesministerium für Gesundheit vorzulegen. Insgesamt setzt sich mit der Ausgestaltung und Beschreibung des Leistungsrechts der Versicherten durch ein Organ der Selbstverwaltung die Tendenz fort, dass sich der Gesetzgeber auf die (bequemere) Kontrollfunktion zurückzieht. Den rechtlichen Stellenwert der Richtlinien („untergesetzlich, daher darf die gesetzliche Grundlage nicht durch die Richtlinie eingeschränkt werden“) nimmt § 1 Abs. 4 HKP-Richtlinie auf: § 1 Abs. 4 HKP-Richtlinie Die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind grundsätzlich dem dieser Richtlinie als Anlage beigefügten Leistungsverzeichnis zu entnehmen. Dort nicht aufgeführte Maßnahmen sind grundsätzlich nicht als häusliche Krankenpflege verordnungs- und genehmigungsfähig. Nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V sind in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. Maßnahmen der ärztlichen Diagnostik und Therapie sind nicht als häusliche Krankenpflege verordnungsfähig und dürfen nicht von der Krankenkasse genehmigt werden. 213 BSG, Urt. v. 20.3.1996, 6 RKa 62/94

er § 1 Abs. 4 HKP-Richtlinie ist wie eine Checkliste zu lesen. Die im Leistungsverzeichnis der Anlage zur HKP-Richtlinie genannten Maßnahmen sind ohne weiteres verordnungsfähig. Zu ihrer Verordnung bedarf es durch den Arzt grundsätzlich keiner weiteren Begründung. Zur Klarstellung formuliert Satz 2, dass in der Anlage nicht aufgeführte Maßnahmen grundsätzlich (bedeutet juristisch: „weit reichende Ausnahmen sind möglich“) nicht verordnungsfähig sind. In der Anlage nicht aufgeführte Maßnahmen sind allerdings nach der Öffnungsklausel des Satzes 3 verordnungsfähig, wenn sie Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplanes, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und schließlich von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. Für die Verordnung nicht im Verzeichnis aufgeführter Maßnahmen ist daher eine medizinische Begründung des behandelnden Arztes erforderlich.

Die oft gelesene Ablehnung einer Verordnung häuslicher Krankenpflege in Hinblick auf eine verordnete Maßnahme, die nicht in der Anlage im Leistungsverzeichnis beschrieben ist, ist also immer falsch, soweit der behandelnde Arzt die Verordnung entsprechend begründen kann (und hat). Die Begründung kann im Antragsverfahren nachgeholt werden. Ebenso ist die Nennung einer ärztlich verordneten Maßnahme in der Liste der Hilfen zur Grundpflege, die der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnung häuslicher Krankenpflege beigefügt ist, kein Ausschlussgrund für die häusliche Krankenpflege und steht der Einstufung als Maßnahme der Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V nicht entgegen.214 Praxistipp – Merksatz: Der behandelnde Arzt entscheidet, welche Verrichtung zur Fortsetzung der ärztlichen Therapie notwendig ist. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen,215 ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen von der häuslichen Krankenpflege auszunehmen.216

Behandlungspflege

Praxistipp: Findet sich eine Verrichtung der ärztlichen Verordnung in der Anlage zur HKP-Richtlinie, so ist diese Verrichtung in jedem Fall verordnungsfähig und es sind lediglich die weiteren Voraussetzungen zu prüfen, etwa ob eine im Haushalt lebende Person in der Lage ist, die Versorgung zu übernehmen.

Die Lösung für den Praxisfall 28 lautet also: Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist allerdings nicht befugt, den in § 37 SGB V grundsätzlich offen formulierten gesetzlich Leistungsumfang einzuschränken und medizinisch notwendige Maßnahmen der 214 BSG, Urt. v. 16.7.2014, B 3 KR 2/13 R 215 so BSG, Urt. v. 30.9.1999, B 8 KN 9/98 KR R = BSGE 85, 36 216 BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R

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Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie 144

häuslichen Krankenpflege vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen.217 Dies bedeutet beispielsweise, dass ein Anspruch auf spezielle Krankenbeobachtung auch bestehen kann, wenn die vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorausgesetzten lebensbedrohlichen Zustände nicht täglich auftreten, sondern nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens ständig vorliegt und deshalb eine permanente Überwachung der Vitalfunktionen erforderlich ist. Ein Ausschluss der im Einzelfall gebotenen Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen Leistungen verstößt aber gegen höherrangiges Recht. Ebenso wenig, wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen von der häuslichen Krankenpflege auszunehmen. Die HKP-Richtlinien binden die Gerichte insoweit nicht. Krankenbeobachtung ist daher als häusliche Krankenpflege zu genehmigen, wenn der behandelnde Arzt die Verordnung begründet hat und dies wirtschaftlich ist, auch wenn die Verrichtung nicht in der Anlage zur HKPRichtlinie geregelt ist. Bezüglich einer „reinen“ oder allgemeinen Krankenbeobachtung bedeutet dies, dass eine ständige Überwachung als häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege nur gewährt werden kann, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten entsprechend dem in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesicherten Risiko die Notwendigkeit spezifisch medizinischer Leistungen durch einschlägig qualifizierte Fachkräfte – in Abgrenzung zu pflegerischer Betreuung, Alltagsassistenz oder allgemeiner Krankenbeobachtung – erforderlich macht.218

217 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R =BSGE 94, 205. 218 Vgl. auch SG Dresden, Beschl. v. 3.7.2019, S 47 KR 1602/19 ER.

6.2 Ist das Leistungsverzeichnis der HKPRichtlinie abschließend? – Können Pflegedienste gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss klagen?  BEISPIEL Praxisfall 29:219 Der Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen, dessen Rechtsnachfolge zum 1.1.2004 der Gemeinsame Bundesausschuss antrat, beschloss am 16.2.2000 Richtlinien über die Verordnung „häuslicher Krankenpflege“ nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V („HKP-Richtlinie I“). Diese Fassung der „HKP-Richtlinie I“ trat nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 14.5.2000 in Kraft. Streitig ist die abschließende Regelung in Nr. 3 „HKP-Richtlinie I“. Sie lautet: „Die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind dem dieser Richtlinie angefügten Leistungsverzeichnis (Anlage) zu entnehmen. Dort nicht aufgeführte Maßnahmen, insbesondere solche der ärztlichen Diagnostik und Therapie (z. B. venöse Blutentnahme, i.v. Injektionen), sind nicht als häusliche Krankenpflege verordnungsfähig und dürfen von der Krankenkasse nicht genehmigt werden.“

Die vom damaligen Bundesausschuss beschlossene „HKP-Richtlinie I“ ist ebenso wie die übrigen auf der Rechtsgrundlage des § 92 SGB V erlassenen Richtlinien nach der Rechtsprechung der mit dieser Frage befassten Senate des BSG eine untergesetzliche Rechtsnorm.220 § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ermächtigt den Gemeinsamen Bundesausschuss zum Erlass von Richtlinien auch über die „Verordnung häuslicher Krankenpflege“ im Hinblick auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten im Sinne des § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Einzelne Regelungen des Inhalts – wie im Praxisfall 15 die Nr. 3 Satz 2 „HKP-Richtlinie I“ – sind für die Normqualität dieser Vorschrift ohne Bedeutung. In der HKP-Richtlinie kann – wie in den anderen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses auch – prinzipiell ein normativ verbindlicher Katalog verord219 BSG, Urt. v. 31.5.2006, B 6 KA 69/04 R 220 ständige Rechtsprechung: BSG, Urt. v. 20.3.1996, 6 RKa 62/94 = BSGE 78, 70; BSG, Urt. v. 16.9.1997, 1 RK 32/95 = BSGE 81, 73; BSG, Urt. v. 18.3.1998, B 6 KA 37/96 R = BSGE 82, 41

Behandlungspflege

Einzelne Pflegedienste klagen gegen den Bundesausschuss mit dem Ziel der Feststellung der Unwirksamkeit der Krankenpflege-RL insgesamt bzw. der Regelung in Nr. 3. Werden sie erfolgreich sein?

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nungsfähiger Behandlungspflegeleistungen festgelegt werden. Einzelfestlegungen rechtfertigen allein kein Absehen von den generellen Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebots in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses. Vielmehr ist hierfür eine generelle Fehlerhaftigkeit der Richtlinien, d. h. ein Verstoß einzelner Bestimmungen gegen höherrangiges Recht, erforderlich. Der Umstand, dass der Gemeinsame Bundesausschuss hinsichtlich einzelner Behandlungspflegeverrichtungen den Leistungskatalog möglicherweise zu eng gefasst hat, stellt dessen Berechtigung zur Aufstellung eines solchen Leistungskatalogs zur Festlegung des Versorgungsstandards nicht infrage. Damit ist der allgemein anerkannte Grundsatz221 sichergestellt, dass sich das vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien normierte untergesetzliche Leistungs(erbringer) recht innerhalb der gesetzlichen Vorgaben des Leistungsrechts halten muss.222 Die Lösung des Praxisfalls 29 im gekürzten Wortlaut des BSG:223 Die Klagen einzelner Pflegedienste sind nicht zulässig. Diese werden durch die Regelungen der HKP-Richtlinien in eigenen rechtlich geschützten Belangen nicht betroffen. (Direkte) Adressaten der Regelungen des Leistungskatalogs sind nach der ausdrücklichen Bestimmung in Nr. 3 „HKP-Richtlinie I“ einerseits der die Maßnahme verordnende Vertragsarzt (Satz 1) sowie auf der anderen Seite die für den Versicherten zuständige Krankenkasse (Satz 2), die die verordneten Leistungen zu genehmigen, d. h. entsprechend § 15 Abs. 3 SGB V für den Versicherten einen Berechtigungsschein auszustellen hat. Darüber hinaus sind die Richtlinien auch für die Versicherten unmittelbar verbindlich, wie sich ausdrücklich aus § 91 Abs. 9 SGB V ergibt. Diese Norm hat die nichtärztlichen Leistungserbringer nicht gleichfalls kraft Gesetzes zu Adressaten der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss gemacht. Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass untergesetzliche Normen im Bereich des SGB V einzelne Leistungserbringer in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG auch dann beeinträchtigen können, wenn diese nicht Adressaten der Vorschriften sind. Das ist der Fall, wenn den Normen eine objektiv berufsregelnde Tendenz innewohnt, weil sie auf den durch Art. 12. Abs. 1 GG geschützten Anspruch der Leistungserbringer auf Teilhabe an fairem Wettbewerb – nicht auf Erfolg im Wettbewerb oder auf Sicherung von Erwerbsmöglichkeiten224 – einwirken. Eine solche für das Grundrecht auf Berufsfreiheit relevante Wirkung ist anzunehmen, wenn Leistungserbringer durch normative Regelungen entweder von der Marktteilnahme im Bereich des SGB V ausgeschlossen oder aber bei ihrer Betätigung in diesem Markt gegenüber anderen Anbietern ohne sachlichen Grund benachteiligt werden.225 Die einzelnen Pflegedienste können vergleichbare Beeinträchtigungen durch die von ihnen angegriffene Regelung in Nr. 3 Satz 2 „HKP-Richtlinie I“ nicht geltend machen. Die Festlegung eines Leistungskata221 siehe auch BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205 222 BSG, Urt. v. 20.3.1996, 6 RKa 62/94 = BSGE 78, 70; BSG, Urt. v. 30.9.1999, B 8 KN 9/98 KR R = BSGE 85, 36; BSG, Urt. v. 16.11.1999, B 1 KR 9/97 R = BSGE 85, 132 223 BSG, Urt. v. 31.5.2006, B 6 KA 69/04 R 224 vgl. BVerfG, Urt. v. 17.12.2002, 1 BvL 28, 29, 30/95 = BVerfGE 106, 275 225 BSG, Urt. v. 28.6.2001, B 3 P 9/00 R = BSGE 88, 215; BSG, Urt. v. 11.9.2002, B 6 KA 34/01 R = BSGE 90

logs der von den Krankenkassen zu finanzierenden Maßnahmen häuslicher Krankenpflege durch abschließende Auflistung der Art nach verordnungsfähiger Maßnahmen in der Anlage zu den Richtlinien hat keinen Ausschluss der Pflegedienste von der Teilhabe am Markt für Pflegeleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge.

6.3 Wer darf verordnen? – Ist eine Verordnung häuslicher Krankenpflege durch einen Krankenhausarzt („das Krankenhaus“) möglich?  BEISPIEL Praxisfall 30: R wird im Krankenhaus versorgt. An einem Freitag gegen 16:30 Uhr stellt der Stationsarzt eine „Spontanheilung“ fest, sodass R noch am Freitag entlassen werden kann. Die Hausärztin kann nicht mehr erreicht werden. Wer verordnet nun die notwendige häusliche Krankenpflege und wo bekommt R die benötigten Medikamente her?

Dieser Grundsatz in der Delegation ärztlicher Leistungen verhindert die weiteren Abwicklungsprobleme, wenn die Tätigkeit durch den Pflegedienst ohne entsprechende Verordnung aufgenommen wird. Bedenken Sie, welcher Aufwand am Montag entsteht, um die Einsätze für das Wochenende von der Krankenkasse der R finanziert zu erhalten, wenn eine Verordnung der Hausärztin mit Datum vom Montag vorgelegt wird.

Behandlungspflege

Praxistipp: Bitte nehmen Sie den haftungsrechtlichen Grundsatz, dass Behandlungspflege als strenge Vorbehaltsaufgabe nur mit einer ärztlichen Verordnung oder Anordnung von Pflegekräften erbracht werden kann, in der täglichen Praxis sehr ernst.

Daher gilt: Ohne ärztliche Verordnung können keine behandlungspflegerischen Leistungen erbracht werden! § 3 Abs. 4 Satz 1 HKP-Richtlinie erinnert an diesen Grundsatz. § 3 Abs. 4 Satz 1 HKP-Richtlinie Jede Maßnahme der häuslichen Krankenpflege setzt eine ärztliche Verordnung voraus. 147

Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie 148

Zur Verordnung häuslicher Krankenpflege sind die Vertragsärztinnen und -ärzte berufen. Gleiches gilt für sog. Instituts-Ambulanzen, die nach § 118 Abs. 1 SGB V ermächtigt wurden. Diese nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung teil, § 96 Abs. 3 und 4 SGB V.226 Die HKP-Richtlinie enthält in § 7 Abs. 5 die Verordnungsmöglichkeit in einem Sonderfall, immer dann, wenn sich der Versicherte im Krankenhaus aufhält. Der Hintergrund dieser Regelung ist § 11 Abs. 4 SGB V. Danach haben Versicherte einen Anspruch auf ein sog. Versorgungsmanagement, insbesondere beim Wechsel verschiedener Versorgungsformen (ambulante oder stationäre Versorgung). Zuständig für das in der Pflege Entlassungsmanagement genannte Versorgungsmanagement ist der jeweils abgebende Leistungserbringer, also regelmäßig das Krankenhaus. Die Pflegeeinrichtungen sind mit einzubeziehen. Daher sollen die weiterbehandelnden Vertragsärzte rechtzeitig vor der Entlassung aus dem Krankenhaus informiert werden. Die Kommunikation zwischen den ambulant versorgenden Vertragsärzten und den stationär tätigen Krankenhausärzten wird ausdrücklich angeordnet: § 3 Abs. 7 HKP-Richtlinie Hält die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege nach der Krankenhausentlassung für erforderlich und teilt dies der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt mit, soll die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt dies bei der Verordnung berücksichtigen. Diese Information über den Bedarf an häuslicher Krankenpflege ist notwendig, um die weitere ärztliche Versorgung lückenlos sicherzustellen. Ist eine solche lückenlose Verordnung nicht möglich, so kann auch die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt häusliche Krankenpflege verordnen und zwar für die Dauer bis zu 7 Kalendertagen. Damit soll insbesondere bei Entlassungen zum Wochenende jeder „Stress“ vermieden und eine nahtlose Weiterversorgung ermöglicht werden. Kernstücke des Entlassmanagements sind nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Erstellung eines Entlassplans, in dem die medizinisch unmittelbar erforderlichen Anschlussleistungen festgelegt werden,227 sowie die Verordnung von Arzneimitteln und anderen Leistungen im Sinne des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V durch das Krankenhaus im Anschluss an die stationäre Behandlung (§ 39 Abs. 1a Satz 6, 1. Halbsatz SGB V). Das Krankenhaus darf insoweit nach den Regeln der vertragsärztlichen Versorgung Arzneimittel mit dem kleinsten Packungskennzeichen nach der Packungsgrößenverordnung verordnen und für die ersten sieben Tage nach Ende der stationären Behandlung die Versorgung mit Verband-, Heilund Hilfsmitteln, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie veranlassen (§ 39 Abs. 1a Satz 6, 2. Halbsatz und Satz 7 SGB V). 226 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.7.2010, L 11 KR 1960/09 227 BT-Drucksache 18/4095, Seite 76

Für einen nahtlosen Übergang aus dem Krankenhaus in die ambulante Versorgung ist eine zügige Vorstellung der Patienten bei der behandelnden Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt zu gewährleisten. Unstreitig ist es aber bei Entlassungen nahe zum Wochenende oder zu gesetzlichen Feiertagen problematisch eine zeitnahe Anschlussversorgung durch die Hausärztin oder den Hausarzt zu organisieren. Um die direkte Versorgung der Patienten in der eigenen Häuslichkeit durch einen ambulanten Pflegedienst sicherzustellen, kann das Krankenhaus durch die Krankenhausärztin oder den Krankenhausarzt nach § 7 Abs. 5 Satz 1 der HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses im Rahmen des Entlassmanagements nach § 39 Abs. 1a SGB V häusliche Krankenpflege für bis zu sieben Kalendertage nach der Entlassung verordnen.

§ 7 Abs. 5 Satz 1 HKP-Richtlinie Soweit es für die Versorgung der oder des Versicherten unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus oder im unmittelbaren Anschluss an die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung erforderlich ist, kann das Krankenhaus (die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt) im Rahmen des Entlassmanagements wie eine Vertragsärztin oder ein Vertragsarzt häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen nach der Entlassung entsprechend dieser Richtlinie verordnen.

Aus der „Kann“-Formulierung in § 7 Abs. 5 Satz 1 HKP-Richtlinie wird vielfach rechtsirrig geschlossen, dass die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt ein Ermessen hinsichtlich der Verordnung häuslicher Krankenpflege besitzt. Da aber das Krankenhaus im Rahmen des Entlassmanagements verpflichtet ist, die weitere Versorgung der Patienten sicherzustellen, ist dann, wenn häusliche Krankenpflege notwendig ist und der behandelnde Hausarzt nicht unmittelbar erreicht werden kann, eine Verordnung „erforderlich“. Daher wird in diesen Fällen aus dem „kann“ ein „muss“. Wird die Verordnung verweigert und der Patient ohne sofortige Weiterversorgung durch den niedergelassenen Arzt entlassen, ist das Krankenhaus für die Folgen verantwortlich, da das Entlassmanagement insoweit mangelhaft ist. Grundsätzlich wäre das Krankenhaus seinem (entlassenen) Patienten gegenüber sogar schadensersatzpflichtig, wenn diesem Kosten für die Leistungen des Pflegedienst entstehen, die von der Krankenkasse aus formalen Gründen nicht übernommen werden. Ambulante Pflegedienste berichten immer wieder, dass zwar eine Verordnung vom Krankenhaus versprochen wurde, diese aber nach der Entlassung im Haus-

Behandlungspflege

Praxistipp: Da die Verordnungsermächtigung für die Krankenhausärztin oder den Krankenhausarzt auf sieben Tage begrenzt ist, ist eine darüberhinausgehende Verordnungsdauer irrelevant und führt auch dann nicht zu einem Vergütungsanspruch des Pflegedienstes, wenn das Krankenhaus länger verordnet hat. Also: Achtung!

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halt der Patienten nicht vorliegt. Wenn dann der behandelnde Arzt nicht erreichbar ist, kann der ambulante Pflegedienst nicht tätig werden. Die behandlungspflegerischen Leistungen stellen eine strenge Vorbehaltsaufgabe dar. Ohne ärztliche An- oder Verordnung ist eine Tätigkeit nicht möglich. Nach der reinen Lehre wären also diese Patienten wieder in das Krankenhaus zurückzuverlegen. Dass dies den Kunden aus ethischen Gründen nicht zugemutet werden soll, führt vielfach zu großen Problemen bei der weiteren Abwicklung der zu erbringenden Leistungen der häuslichen Krankenpflege und deren Abrechnung. Was ist zu tun? Zunächst ist sicherzustellen, welche Leistungen der häuslichen Krankenpflege überhaupt erbracht werden müssen. Dies wird im Rahmen der Rücksprache mit dem Krankenhaus geklärt werden können. Zudem ist der Kunde am Montag beim behandelnden Hausarzt vorzustellen bzw. dieser über die Verlegung aus dem Krankenhaus zu informieren. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat insoweit die Verpflichtung des Krankenhauses nochmals verstärkt und regelt in § 7 Abs. 5 Satz 2 der HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, dass die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt in geeigneter Weise im Rahmen des Entlassmanagements den weiter behandelnden Vertragsarzt über die getätigte Verordnung der häuslichen Krankenpflege so rechtzeitig zu informieren, dass das Ziel einer nahtlosen Anschlussversorgung ermöglicht wird. Wieder hat für Probleme und einen Schaden das Krankenhaus im Rahmen des Entlassmanagements aufzukommen. § 7 Abs. 5 Satz 2 HKP-Richtlinie Die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt hat in geeigneter Weise im Rahmen des Entlassmanagements die weiterbehandelnde Vertragsärztin oder den weiterbehandelnden Vertragsarzt über die getätigte Verordnung so rechtzeitig zu informieren, dass das Ziel einer nahtlosen Anschlussversorgung ermöglicht wird. Der Hausarzt muss sodann die ärztlich notwendigen Leistungen der häuslichen Krankenpflege am Montag rückwirkend ab dem Entlassungstag, vermutlich der Freitag, verordnen. Dabei stört die Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 2 der HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht. § 3 Abs. 5 Satz 2 HKP-Richtlinie Rückwirkende Verordnungen sind grundsätzlich nicht zulässig; Ausnahmefälle sind besonders zu begründen. Dort wird also offen formuliert, dass rückwirkende Verordnungen grundsätzlich nicht zulässig sein sollen; Ausnahmefälle sind besonders zu begründen. Es reicht der Hinweis des behandelnden Arztes, dass eine vorherige Krankenhausentlassung durch das Krankenhaus im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtung auf das Entlassmanagement fehlerhaft abgewickelt wurde. Ebenso reicht der Hinweis, dass der Arzt am Freitagnachmittag nicht erreichbar war und natürlich sind auch Fälle denkbar, in denen es um einen Praxisurlaub ging.

Problematisch für den ambulanten Pflegedienst sind die Gesamtabwicklung und die Feststellung, dass leider damit einhergehende Kosten nicht übernommen werden. Ob die gute Tat an anderer Stelle honoriert wird, bleibt abzuwarten. Somit sind wieder einige Praxisprobleme gelöst worden, die eigentlich bei einer richtigen Anwendung sozialrechtlicher Vorschriften auch von den Rechtsanwendern bei den Krankenkassen von allein so hätten entschieden werden können. Schließlich verpflichtet § 2 Abs. 2 SGB I die Sozialversicherungsträger und mithin auch die Krankenkassen bei der Auslegung von Vorschriften, diejenige zu wählen, bei der besonders viele Rechte beim Versicherten ankommen. Die Beschränkungen des Verordnungsrechts sind darin begründet, dass das Entlassmanagement nur einen nahtlosen Übergang in die ambulante Weiterbehandlung sicherstellen, nicht aber die Federführung der vertragsärztlichen Versorgung ablösen soll. Mit der Anlehnung an die Packungsgrößenverordnung sollte zudem verhindert werden, dass unter verschiedenen Arzneimitteln mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen eine erneute Auswahl der tatsächlichen Größe der Packung getroffen werden muss.228 Die Möglichkeit zur Verordnung häuslicher Krankenpflege korrespondiert mit der Regelung in § 14 Abs. 7 Apothekengesetz (ApoG). Danach ist das Krankenhaus berechtigt und verpflichtet, den Patienten die für das auf den Entlassungstag folgende Wochenende oder einen auf den Entlassungstag folgenden Feiertag benötigten Medikamente mitzugeben. Die Mitgabe ist auf 3 Tage begrenzt. Die Lösung des Praxisfalls 30 ist also: Das Krankenhaus hat in diesem Fall die häusliche Krankenpflege bis zum folgenden Mittwoch zu verordnen und die Medikamente für die folgenden drei Tage mitzugeben. Unterbleibt dies, wird gegen § 11 Abs. 4 SGB V verstoßen. Praxistipp: Besprechen und regeln Sie im regionalen Umfeld in den regelmäßigen Konferenzen für das Entlassungsmanagement mit den Krankenhäusern und den behandelnden Ärzten, wie diese gesetzlich garantierten Ansprüche der Versicherten in der Praxis umgesetzt werden.

228 BT-Drucksache 18/5123, Seite 119

Behandlungspflege

Praxistipp: Die rückwirkende Verordnung ist stets vom behandelnden Arzt zu begründen. Ausführliche Begründungspflichten bestehen nicht. Es reicht ein Stichwort, warum rückwirkend verordnet wurde.

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6.4 Wie hat die Verordnung zu erfolgen?  BEISPIEL

Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

Praxisfall 31: Jeweils zum Quartalswechsel sendet der ambulante Pflegedienst eine mit den Versicherungskarten der Kunden ausgestattete Pflegekraft in die umliegenden Arztpraxen, um dort die ärztlichen Verordnungen für das kommende Quartal im Auftrag der Kunden abzuholen. Entspricht dieses Vorgehen der HKP-Richtlinie?

Die ärztliche Verordnung hat auf dem abgestimmten Vordruck zu erfolgen. Anzugeben sind insbesondere die verordnungsfähigen Diagnosen (seit 1.10.2017 in Form der ICD-Ziffern = Internationale Klassifikation der Krankheiten). Weiterhin sind die zu erbringenden Leistungen und die Häufigkeit sowie Dauer anzugeben. § 3 Abs. 2 HKP-Richtlinie Die ärztliche Verordnung erfolgt auf dem vereinbarten Vordruck („Verordnung häuslicher Krankenpflege“). Die Ärztin oder der Arzt hat auf dem Verordnungsvordruck insbesondere – die verordnungsrelevante(n) Diagnose(n) als medizinische Begründung für die häusliche Krankenpflege, – die zu erbringenden Leistungen sowie – deren Beginn, Häufigkeit und Dauer anzugeben. Nur teilweise ausgefüllte Vordrucke werden von den Mitarbeitern der Krankenkassen regelmäßig moniert. Praxistipp: Kontrollieren Sie die ärztlichen Eintragungen der Verordnung. Der ambulante Pflegedienst ist dazu zwar weder nach der HKP-Richtlinie noch nach dem SGB V verpflichtet. Die richtige und vollständige Verordnung obliegt danach allein dem Arzt. Gleichwohl sparen Sie sich mit der Kontrolle viel Zeit und einen umfangreichen Schriftverkehr. Als weitere Voraussetzung normiert § 3 Abs. 1 HKP-Richtlinie, dass sich der verordnende Vertragsarzt vom Zustand des Versicherten und der Notwendigkeit der häuslichen Krankenpflege persönlich überzeugt hat bzw. dass ihm dies bekannt ist.

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§ 3 Abs. 1 HKP-Richtlinie Voraussetzung für die Verordnung häuslicher Krankenpflege ist, dass sich die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt von dem Zustand der oder des Kranken und der Notwendigkeit häuslicher Krankenpflege persönlich überzeugt hat oder dass ihr oder ihm beides aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Dabei ist vor allem die Kommunikation zwischen Pflegedienst und behandelndem Arzt zu dokumentieren. Praxistipp: Auch diese Voraussetzung ist natürlich an den verordneten Arzt gerichtet. Gleichwohl trifft auch den Pflegedienst diese Pflicht zur Kommunikation. Denken Sie an die Transparenzfrage 25 der PTVA [Ob bei behandlungspflegerischem Bedarf eine aktive Kommunikation mit dem Arzt nachvollziehbar ist?].

§ 7 Abs. 2 HKP-Richtlinie Der Pflegedienst berichtet der behandelnden Vertragsärztin oder dem behandelnden Vertragsarzt bei Veränderung in der häuslichen Pflegesituation, insbesondere aufgrund der häuslichen Krankenpflege, oder nach Aufforderung durch die Ärztin oder den Arzt, gegebenenfalls auch unter Übermittlung von Auszügen aus der Pflegedokumentation. Die Ärztin oder der Arzt entscheidet über die erforderlichen Maßnahmen, die sich daraus ergeben. Und andersherum informiert der Vertragsarzt … § 7 Abs. 3 HKP-Richtlinie Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt informiert den Pflegedienst über neue pflegerelevante Befunde.

Behandlungspflege

Zur Lösung des Praxisfalles 31: Den Bestimmungen der HKP-Richtlinie wird genügt, wenn der behandelnde Arzt den Zustand des Versicherten aus der laufenden Behandlung kennt! liegt ein solcher Fall vor, dann kann der Pflegedienst im Auftrag des Kunden die ärztliche Verordnung abholen. Um die Kommunikation zwischen Pflegedienst und verordnenden Vertragsärzten konkreter zu fassen, regelt die HKP-Richtlinie wechselseitige Pflichten.

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6.5 Hat die Verordnung eine festgelegte Dauer? – Muss es immer das Quartal sein? Darf die Erst-Verordnung 14 Tage überschreiten?

Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

 BEISPIEL

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Praxisfall 32: Abwandlung zum Praxisfall 34. Kann lediglich für ein Quartal, also für jeweils drei Monate verordnet werden?

Die häusliche Krankenpflege ist – diese Selbstverständlichkeit darf auch an dieser Stelle ausgesprochen werden – eine Gemeinschaftsaufgabe der behandelnden Vertragsärztin oder des Vertragsarztes mit den Pflegekräften des ambulanten Pflegedienstes oder einer Sozialstation. Die von den Pflegekräften im Haushalt des Versicherten ausgeführte Behandlungspflege ist Teil der ärztlichen Therapie und in den Behandlungsplan eingebunden, wie § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ausdrücklich anordnet. Daher kommt es (auch für die Transparenzprüfung des Pflegedienstes) darauf an, dass eine Kommunikation zwischen dem behandelnden Arzt und dem Pflegedienst stattfindet und diese Kommunikation auch entsprechend dokumentiert wird. Völlig unzureichend ist daher – auch nach ärztlichem Standesrecht – wenn lediglich jedes Quartal die nächste Verordnung abgeholt wird. Vielmehr soll sich die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt über die Durchführung und auch den Erfolg der verordneten Maßnahmen vergewissern. Wie dies durchgeführt wird – etwa durch einen wohl mehr theoretisch möglichen Hausbesuch, die Untersuchung des Versicherten in der Praxis oder im Gespräch mit den Pflegekräften – bleibt der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt überlassen. Um aber ein Mindestmaß an Kommunikation vorzusehen, soll die Erstverordnung nur für einen Zeitraum von 14 Tagen ausgestellt werden. Die Auffassung, dass die Erstverordnung 14 Tage nicht überschreiten darf, ist bereits am Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2 HKP-Richtlinie als rechtswidrig zu beurteilen. Der Begriff „soll“ gibt dem behandelnden Arzt eine Orientierung, Richtschnur oder – juristischer – räumt diesem ein Ermessen für seine medizinische Entscheidung ein. Geht dieser davon aus, dass ein medizinisch-pflegerischer Bedarf besteht, kann selbstverständlich über einen Zeitraum von 14 Tagen auch in der Erstverordnung häusliche Krankenpflege verordnet werden.

§ 5 Abs. 1 HKP-Richtlinie Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt hat sich über den Erfolg der verordneten Maßnahmen zu vergewissern. Um dies sicherzustellen, soll insbesondere die Erstverordnung einen Zeitraum bis zu 14 Tagen nicht überschreiten. Die Folgeverordnung ist in der zeitlichen Dauer nicht beschränkt. Es ist Zeit, mit dem Märchen aufzuräumen, dass Verordnungen immer an ein bestimmtes Quartal gebunden sind. Vor allem die Dauerverordnungen wie die berühmte Insulingabe, die Medikamenten-Gabe oder -überwachung bei Demenzerkrankten sind auch als Jahresverordnungen vorstellbar. Eine längerfristige Verordnung hätte Vorteile für alle Seiten, da der Verwaltungsaufwand vermindert werden könnte. Dabei geht es für den Versicherten auch um eine finanzielle Entlastung in Hinblick auf die quartalsweise zu entrichtende Praxisgebühr. Der Zeitraum für eine solche Dauerverordnung wird vom behandelnden Arzt des Kunden festgelegt und unterliegt nicht einer Ermessensentscheidung der jeweiligen Krankenkasse, ob der Zeitraum aus betriebsinternen Gründen genehm

Behandlungspflege

Erstverordnung

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Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

ist. Für die Befristung – oder die Teil-Ablehnung – einer ärztlichen Verordnung wird immer ein sachlicher Grund benötigt. Um eine nahtlose Verordnungskette bilden zu können, ist die Folgeverordnung in den letzten 3 Werktagen vor Ablauf des verordneten Zeitraums auszustellen. Gilt also eine Verordnung für das erste Quartal, so wird auch die Folgeverordnung im ablaufenden 1. Quartal für das 2. Quartal ausgestellt.

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§ 5 Abs. 2 HKP-Richtlinie Ist aus dem Zustand der oder des Versicherten erkennbar, dass der zunächst verordnete Zeitraum nicht ausreicht, kann die Folgeverordnung auch für eine längere Dauer ausgestellt werden, wenn in der Folgeverordnung die Notwendigkeit begründet wird. Die Folgeverordnung ist in den letzten drei Arbeitstagen (Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind) vor Ablauf des verordneten Zeitraums auszustellen. Praxisfall 32 wird durch die klaren Regelungen der HKP-Richtlinie gelöst. Eine Bindung an ein Quartal oder einen starren Drei-Monats-Zeitraum ist nicht vorgesehen. Befristung: BEK wünscht anderen Zeitraum – zulässig?

Bedeutet die Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 2 HKP-Richtlinie aber, dass der behandelnde Arzt die Folgeverordnung nur in den letzten drei Arbeitstagen vor Ablauf des verordneten Zeitraums ausstellen darf und eine außerhalb dieses Zeitraums ausgestellte Verordnung unzulässig ist? Schon die Frage löst Kopfschütteln aus – aber genau diese Begründung hatte sich die BARMER ausgedacht und viele Pflegedienste und Ärzte verunsichert. Verunsicherung war vermutlich das alleinige Ziel, denn natürlich ist § 5 Abs. 2 Satz 2 HKP-Richtlinie als Ermächtigung für die behandelnden Ärzte zu verstehen. Diese dürfen oder sollen die Verordnung vor Ablauf des verordneten Zeitraums ausstellen.

6.6 Darf die Krankenkasse eine ärztliche Verordnung befristen (also teilweise genehmigen und teilweise ablehnen)?  BEISPIEL Praxisfall 33:

Nur damit keine Missverständnisse entstehen – die Fallbeschreibung des Praxisfalls 33 soll nicht „die Krankenkassen“ diffamieren, sondern lediglich zur Erläuterung des tatsächlichen Problems dienen, vor dem viele verantwortliche Pflegekräfte täglich stehen: Wie kann es sein, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts, also quasi der Staat, sich dermaßen rechtswidrig verhalten können, ohne dass Aufsichtsbehörden einschreiten und dem strategisch gesteuerten Rechtsbruch Einhalt gebieten? Seit zwei Jahren229 erzählt die DAK ihren Versicherten das „Märchen von den älteren Mietnomaden“ und „Dauer-Umziehern“ und begrenzt die ärztlichen Verordnungen auf wenige Monate, um Ärzte und Pflegedienste, natürlich auch die eigene Verwaltung bürokratisch zu belasten und Versicherte mit Zuzahlungen zu belasten. Begründung für die Befristung: – wörtlich – „weil jederzeit eine Änderung der Wohnsituation eintreten kann.“ Ein Verwaltungsakt, also auch die (Teil-)Ablehnung der Genehmigung der Verordnung häuslicher Krankenpflege kann mit einer Nebenbestimmung versehen 229 vgl. dazu schon Lückhoff, Häusliche Pflege Heft 4/2017, Seite 64

Behandlungspflege

A erhält von ihrer behandelnden Ärztin eine Verordnung für den JahresZeitraum 1.1. bis 31.12.20xx. Darf die Krankenkasse die Genehmigung zeitlich auf ein halbes Jahr befristen, da nach Auffassung einer Krankenkasse – Achtung dies ist KEINE Satire! – ältere Menschen dazu neigen, häufig den Wohnsitz und die Wohnsituation zu wechseln?

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werden, wenn dies durch eine Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn dadurch die gesetzlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes erst erfüllt werden. Eine Nebenbestimmung, die nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden kann, ist nach § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X die Befristung.

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§ 32 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGB X: Ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, darf mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, daß die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Unbeschadet des Absatzes 1 darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden mit 1. einer Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt (Befristung), … Das Märchen von den „Mietnomaden“ und den „Dauer-Umziehern“

Bei einer Befristung beginnt (aufschiebende Befristung) oder endet (auflösende Befristung) die mit dem Verwaltungsakt erstrebte Rechtsfolge (hier die Genehmigung der Verordnung häuslicher Krankenpflege) zu einem bestimmten Zeitpunkt, von dessen Eintritt die Krankenkasse bei Erlass des Verwaltungsaktes ausgeht.230

Behandlungspflege

Dauerthema: Befristung

Praxistipp: Im Zeitpunkt der Befristungsentscheidung muss die Krankenkasse davon ausgehen, dass der Befristungsgrund eintritt [im Praxisfall 33: also eine Veränderung der Wohnsituation eintritt oder konkret droht]. Diese Feststellung muss in der Verwaltungsakte niedergelegt werden.

230 BT-Drucksache 7/910, Seite 57 [zum wortgleichen § 36 VwVfG]

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Der Verwaltungsakt erledigt sich mit Ablauf der Frist, also durch Zeitablauf (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Nach Ablauf der Frist kommt eine Aufhebung der Befristung nicht (mehr) in Betracht. Das eingeleitete Verwaltungsverfahren auf Genehmigung der ärztlichen Verordnung endet mit Erlass eines Bewilligungsbescheides auch dann, wenn nur eine befristete Bewilligung ergangen ist. Daher ist bei einer Befristung stets das Widerspruchsverfahren zu betreiben und nicht auf „Nach-Genehmigung“ oder „Fristverlängerung“ zu hoffen. So wäre die Befristung der Techniker Krankenkasse rechtmäßig und damit zulässig, wenn im konkreten Fall eine „kontinuierliche ärztliche Qualitätssicherung“ notwendig ist, etwa weil gegen den verordnenden Arzt in den letzten Quartalen Sanktionen angedroht oder Regresse festgesetzt wurden. Auch müsste die tk konkret benennen, welche Maßnahmen im Vorfeld nicht gegriffen haben. Ein Grund für eine Befristung ist aber die pauschale Kritik an der Verordnungspraxis der Ärztinnen und Ärzte nicht. Praxistipp: Teil-Ablehnungen durch Befristungen von Verordnungen häuslicher Krankenpflege sind in der Regel rechtswidrig; das Verwaltungsverfahren aber beendet. Daher bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder zum Ablaufdatum eine neue Verordnung ausstellen lassen oder den Widerspruch durch den Versicherten empfehlen. Im Praxisfall 33 ist kein Rechtsgrund für die Befristung erkennbar, daher ist ein solches Verwaltungshandeln eklatant rechtswidrig. Zu bedenken ist stets, dass jede Verordnung einen bürokratischen Ablauf in den Arztpraxen, beim ambulanten Pflegedienst, in den Krankenkassen auslöst und nicht zuletzt das Budget der Versicherten belastet wird. Schließlich muss nach § 61 Satz 3 SGB V für jede Verordnung häuslicher Krankenpflege ein Eigenanteil von 10,00 € gezahlt werden.

6.7 Gilt eine generelle Befristung der Ansprüche auf häusliche Krankenpflege auf 4 Wochen? Während die Krankenhausvermeidungspflege gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V grundsätzlich auf einen Zeitraum von bis zu 28 Tagen befristet ist, kennt die Sicherungspflege des § 37 Abs. 2 SGB V eine Befristung nicht. § 5 Abs. 3 Satz 1 – 3 HKP-Richtlinie Ein Anspruch der oder des Versicherten auf Krankenhausvermeidungspflege sowie Unterstützungspflege besteht bis zu vier Wochen. In begründeten Ausnahmefällen kann Krankenhausvermeidungspflege sowie Unterstützungspflege über diesen Zeitraum hinaus verordnet werden. Dies bedarf der Bewilligung durch die Krankenkasse nach Feststellung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, dass die längere Dauer der häuslichen Krankenpflege zur Vermeidung von Krankenhaus-

behandlung erforderlich ist oder bei der Unterstützungspflege nur durch Leistungen nach § 2c ein Verbleib in der Häuslichkeit gewährleistet ist und weiterhin keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 bis 5 im Sinne des SGB XI vorliegt.

Lösen wir Praxisfall 18 [den Drachenfliegerfall] weiter: § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V setzt voraus, dass Behandlungspflege zur Sicherung der ärztlichen Therapie notwendig ist. Die Voraussetzung liegt unstreitig durch die ärztliche Verordnung vor. Der daraus folgende Pflegeanspruch ist jedoch auf die Pflichtleistung der Behandlungspflege beschränkt. Die Krankenkassen können zwar zusätzlich Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Satzungsleistungen gewähren, dies allerdings nicht bei Versicherten, die Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit aus der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) beanspruchen können. Dieser Personenkreis wird insoweit auf die soziale Pflegeversicherung verwiesen, in deren Aufgabenbereich die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung Pflegebedürftiger fällt. Da X zum Kreis der Schwerstpflegebedürftigen gehört und Leistungen nach der Pflegestufe III von der Pflegekasse bezieht, scheidet schon aus diesem Grund ein Anspruch auf Gewährung von Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung gegen die Beklagte aus, ohne dass es darauf ankommt festzustellen, ob die Beklagte diese Leistung in ihrer Satzung vorgesehen hat. Die Krankenkasse hat daher die behandlungspflegerischen Maßnahmen zu übernehmen. Was zur Behandlungspflege zu zählen ist, regeln für die Krankenkasse unmittelbar die Richtlinien zur Verordnung häuslicher Krankenpflege. Das Absaugen der Beatmungswege ist in der Anlage Nr. 6 der Behandlungspflege zu-

Behandlungspflege

Der verordnende Vertragsarzt allein entscheidet, welcher Zeitraum „bis zu 4 Wochen je Krankheitsfall“ notwendig ist. Erst über den Vier-Wochen-Zeitraum hinaus, also für den Verlängerungszeitraum, ist eine Entscheidung des MDK notwendig. Anders, als es manchmal scheint, hat im ersten vierwöchigen Zeitraum der MDK kein generelles Recht zur Überprüfung der Verordnungstätigkeit der Vertragsärzte. Allerdings können die Krankenkassen den MDK nach § 275 Abs. 2 Nr. 4 SGB V einschalten; dort heißt es, dass die Krankenkassen durch den medizinischen Prüfdienst prüfen zu lassen haben, ob und für welchen Zeitraum häusliche Krankenpflege länger als 4 Wochen erforderlich ist. Ebenso wie in den Fällen der Verordnung nach § 37 Abs. 2 SGB V – also im Bereich der Sicherungspflege – ist eine Überprüfung nur dann anzuordnen, wenn es nach der Art, Dauer oder Schwere der Erkrankung geboten ist, § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Die Überprüfung durch den MDK muss dem Versicherten bekannt gemacht werden, und dieser hat die Möglichkeit, in einem separaten Verwaltungsverfahren mittels Widerspruch die Ermessensausübung überprüfen zu lassen.

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Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

geordnet; die Überwachung des Beatmungsgerätes in Nr. 8. Daher sind auch diese Maßnahmen zu berücksichtigen. Die Beurteilung der Aufteilung zwischen Grund- und Behandlungspflege hat gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V der MDK mittels gutachterlicher Stellungnahme vorzuschlagen.

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6.8 Müssen die Krankenunterlagen (Wund-, RRund andere Protokolle) nach Aufforderung an die Krankenkassen herausgegeben werden? – Das Ende des sog. „Umschlagsverfahren“!  BEISPIEL Praxisfall 34: Auf die Abrechnung der erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege reagiert die Krankenkasse mit der Forderung an den Pflegedienst, dass die komplette Pflegedokumentation einschließlich der Arztberichte zur Einsichtnahme zu übersenden sei. Vorher würde keine Zahlung erfolgen. Ist die Forderung rechtmäßig?

Der Krankenkasse steht kein eigenständiges Recht auf Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen zu, sie darf daher weder die ganze Pflegedokumentation noch einzelne Angaben anfordern. Bei Zweifeln an der sachlichen Richtigkeit der Abrechnung des Pflegedienstes kann die Krankenkasse nach § 275 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine gutachterliche Stellungnahme des MDK einholen, der die dazu erforderlichen Behandlungsunterlagen einsehen kann und der Krankenkasse das Ergebnis der Begutachtung mitzuteilen hat.231Die Herausgabe der Patientendaten – gleich welcher Art – ohne vorherige Genehmigung des Versicherten ist ein Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen (§§ 67 bis 85a SGB X, Art. 6 DSGVO). Daher darf die Krankenkasse die Behandlungsunterlagen oder Teile davon weder anfordern noch durch ihre „Pflegefachkräfte im Außendienst“ kontrollieren lassen, ohne dass der Versicherte über seinen Datenschutz aufgeklärt worden ist und schriftlich seine Entbindung von der Schweigepflicht mitgeteilt hat. Schon gar nicht darf die Krankenkasse die Zahlung der erbrachten Leistungen unter Hinweis auf ein angebliches Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB verweigern. Bei einer formal ordnungsgemäßen Abrechnung ist die Krankenkasse ver231 BSG, Urt. v. 23.7.2002, B 3 KR 64/01 R = BSGE 90, 1

pflichtet, innerhalb der vertraglichen Fälligkeitsfrist zu zahlen, unabhängig von einer laufenden Prüfung durch den MDK.232 Die Forderung in Praxisfall 34 ist also nicht rechtmäßig. Die Einsichtnahme steht nur dem MDK zu. Wird die Übersendung an die Krankenkassen „zu Händen des MDK“ verlangt und öffnet ein Mitarbeiter der Krankenkasse den verschlossenen Umschlag, liegt nicht nur ein datenschutzrechtlich relevantes Fehlverhalten, sondern eine Straftat in Form der Verletzung des Briefgeheimnisses vor.

Hat der MDK für Krankenkassen gutachterliche Stellungnahmen abzugeben oder Prüfungen durchzuführen, für die er bei den Krankenkassen nicht vorhandene medizinische Unterlagen (Sozialdaten) benötigt, sind diese von den Leistungserbringern unmittelbar dem MDK zu übermitteln (§ 276 Abs. 2 SGB V). Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte früher den Anforderungen von geschützten Sozialdaten durch die Krankenkassen nicht widersprochen,233 wenn diese Unterlagen an die Krankenkasse selbst zur Weiterleitung an den MDK in einem gesonderten, verschlossenen Umschlag übersandt wurden, der mit der Anschrift des MDK sowie einem Vermerk „ärztliche Unterlagen – nur vom MDK zu öffnen“ versehen ist (sog. Umschlagsverfahren). Damit sollte in Anbetracht des verfassungs- und strafrechtlichen Schutzes des Postgeheimnisses eine unzulässige Einsichtnahme in die so übersandten Unterlagen durch eine Krankenkasse ausgeschlossen sein. Allerdings musste im 20. Tätigkeitsbericht234dazu festgestellt werden, dass die datenschutzrechtlichen Vorgaben in der Praxis jedoch häufig unbeachtet blieben. Dieser „Good Will“ gegenüber den Krankenkassen in der datenschutzrechtlichen Behandlung führte daher nicht zum Erfolg, sondern zu einer weiteren Fehlentwicklung. Zwischenzeitlich durchgeführte Kontrollen der Bundesbeauftragten mussten diese Feststellung leider erneut bestätigen.235 Bei diesen Kontrollen war zudem aufgefallen, dass vom MDK in einem verschlossenen Umschlag erhaltene Unterlagen an die Krankenkasse zur dortigen Ablage offen zurückgegeben wurden und so spätestens zu diesem Zeitpunkt die Krankenkasse Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen erhielten. Daher wurde der „Good Will“ beendet und eine strikte Gesetzesanwendung angemahnt: Sozialdaten sind nach § 276 Abs. 2 SGB V unmittelbar an den MDK zu übermitteln, soweit dies für die gutachterliche Stellungnahme und Prüfung erforderlich ist; der MDK muss sicherstellen, dass die Sozialdaten nur Personen zugänglich sind, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben 232 BSG, Urt. v. 28.5.2003, B 3 KR 10/02 R 233 vgl. 18. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz 1999–2000 vom 13.3.2001, BT-Drucksache 14/5555, Nr. 21.3 234 20. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz 2003–2004 vom 19.4.2005, BT-Drucksache 15/5252, Nr. 17.1.5 235 25. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz 2013–2014 vom 17.6.2015, BT-Drucksache 18/5300, Nr. 13.8

Behandlungspflege

§ 202 Abs. 1 StGB formuliert unmissverständlich: Wer unbefugt einen verschlossenen Brief…, der nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist, öffnet … wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft.

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Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

benötigen (§ 276 Abs. 2 Satz 6 SGB V). Die Bedeutung des Begriffes „unmittelbar“ liegt auf der Hand und schließt im Gegensatz zu „mittelbar“ die Einbeziehung Dritter aus. Deshalb kommt eine Übermittlung von Sozialdaten zwischen Leistungserbringern und MDK nur auf direktem (Post-)Weg und ohne Einschaltung der Krankenkassen in Betracht. Weiter dürfen die Unterlagen auch zu einem späteren Zeitpunkt vom MDK nicht den Krankenkassen zugeleitet bzw. von ihnen zur Kenntnis genommen werden. Der Bundesgesetzgeber hat auf diese Kritik reagiert und § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V entsprechend gefasst. § 276 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V: Der Medizinische Dienst darf Sozialdaten erheben und speichern sowie einem anderen Medizinischen Dienst übermitteln, soweit dies für die Prüfungen, Beratungen und gutachtlichen Stellungnahmen nach § 275 SGB V erforderlich ist. Haben die Krankenkassen oder der Medizinische Dienst für eine gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung nach § 275 Absatz 1 bis 3 SGB V erforderliche versichertenbezogene Daten bei den Leistungserbringern angefordert, so sind die Leistungserbringer verpflichtet, diese Daten unmittelbar an den Medizinischen Dienst zu übermitteln.

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236 vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (BT-Drucksache 18/6216) vom 16.10.2015, BT-Drucksache 18/6413, Seite 2

Nach der aktuellen Fassung von § 276 Abs. 2 SGB V sind die Leistungserbringer verpflichtet, „diese Daten unmittelbar an den Medizinischen Dienst (MDK) zu übermitteln“. Aufgrund der eindeutigen Gesetzesformulierung ist das Umschlagsverfahren seitdem nicht mehr zulässig. Die zunächst eingeräumte Übergangsfrist zur Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung, um Behinderungen im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Leistungsanträgen von Versicherten zu verhindern, ist inzwischen abgelaufen. In diesem Zeitraum hatte die Bundesbeauftragte bei einer datenschutzkonformen Durchführung des Umschlagverfahrens von Beanstandungen gemäß § 81 Abs. 2 SGB X i. V. mit § 16 Abs. 1 BDSG, Art. 58 DSGVO abzusehen. Verstöße gegen eine datenschutzkonforme Durchführung des Umschlagverfahrens, etwa wenn im Rahmen von Kontrollen in den Geschäftsstellen der Krankenkassen geöffnete, an den MDK gerichtete Umschläge und Unterlagen vorgefunden wurden, sollten immer konsequent beanstandet werden.236 Die förmliche Beanstandung durch die Bundesbeauftragte löst zwar ein umfassendes Prüfungsverfahren aus, das dazu führen kann, dass die Bundesregierung informiert wird (§ 16 Abs. 1 Satz 2) oder die Problematik im Tätigkeitsbericht nach § 15 Satz 2 BDSG, Art. 59 DSGVO dargelegt wird, der dem Bundestag alle zwei Jahre vorzulegen ist, ist aber insgesamt eher folgenlos. Sanktionsmöglichkeiten stehen der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit aber nicht zur Verfügung. Verstöße der bundesunmittelbaren Krankenkassen gegen Rechtsvorschriften können vom Bundesversicherungsamt – neben der Anwendung von Aufsichtsmitteln nach § 89 SGB IV – auch durch die Verhängung einer Geldbuße geahndet werden.

Behandlungspflege

Weiterleitungsbogen „MiMa“

Praxistipp: Das Umschlagsverfahren wurde durch das „Mitteilungsmanagement (MIMa)“ abgelöst! Für die Übermittlung der Unterlagen erhalten die Leistungserbringer von der Krankenkasse einen sog. Weiterleitungsbogen, der bereits von der Krankenkasse vollständig ausgefüllt ist. Dieses verbindliche Formular enthält unter anderem

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die Anschrift des MDK, eine eindeutige Vorgangsnummer (Aktenzeichen) und die Daten des Kunden oder Patienten. Die Leistungserbringer fügen dem Weiterleitungsbogen lediglich die angeforderten Unterlagen in Kopie bei und schicken diese direkt an den MDK – nicht mehr wie bisher in einem separaten Umschlag an die Krankenkasse. Für den Versand stellen die Krankenkassen weiterhin einen Freiumschlag zur Verfügung. Neben dem Weiterleitungsbogen informiert ein Anschreiben der Krankenkasse den Leistungserbringer über den Grund für die Begutachtung durch den MDK.

6.9 Kann der Pflegedienst einen Aufwendungsersatz für die Übersendung von Kopien der Pflegedokumentation an den MDK verlangen?  BEISPIEL Praxisfall 35:237 Der Pflegedienst B betreute die Versicherte J, die unter Varicosis beider Beine, Vorhofinsuffizienz, Tachyarrythmia absoluta und Fußmykose beiderseits litt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Dr. K., verordnete der J u. a. zweimal tägliche Medikamentengabe, zweimal tägliche Einreibungen der Füße, zweimal tägliches An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen. Die Krankenkasse holte daraufhin eine Stellungnahme des MDK ein. Der MDK stimmte einer Verlängerung der Einreibungen zunächst zu. In der Stellungnahme heißt es wörtlich: „Bis dahin: Fotodokumentation, ärztlicher Befundbericht mit Stellungnahme, ob akute oder chronische Erkrankung“. Die Krankenkasse bat den Pflegedienst B daraufhin um Übersendung einer Fotodokumentation. B übersandte eine Fotodokumentation an den MDK und berechnete der Krankenkasse am selben Tag für drei Hochglanzabzüge DIN A 4 à 3,50 €

10,50 Euro

Kostenpauschale für Fototermin

10,85 Euro

Portokosten und Versandpauschale

2,44 Euro

Insgesamt

23,79 Euro

Muss die Krankenkasse zahlen?

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237 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.5.2010, L 1 KR 1/09

Behandlungspflege

Alle Verträge nach § 132a SGB V enthalten die Verpflichtung der Leistungserbringer, ein geeignetes Pflegedokumentationssystem vorzuhalten. Beschreibend regelt Ziffer 3.2.1.2 der Maßstäbe und Grundsätze in der ambulanten Pflege nach § 113 SGB XI den Inhalt der Pflegedokumentation. Diese ist sachgerecht und kontinuierlich zu führen. Eine Regelung für die besondere Vergütung einer Fotodokumentation ist in den Vereinbarungen nach § 132a SGB V und den Vergütungsvereinbarungen regelmäßig nicht enthalten. Ein Anspruch des Pflegedienstes ergibt sich ebenso wenig aus § 21 Abs. 3 Satz 4 SGB X i.V.m. dem JVEG. Danach erhalten Zeugen, Sachverständige oder Dritte auf Antrag in entsprechender Anwendung des JVEG eine Entschädigung oder Vergütung, falls die Behörde sie herangezogen hat. Der Pflegedienst ist nicht Dritter im Sinne dieser Vorschrift, sondern als Leistungserbringer Vertragspartner der Krankenkassen. Auch ein Auftrag im Sinne des § 662 BGB liegt nicht vor. Der Auftrag ist ein Schuldvertrag, in dem sich der Beauftragte verpflichtet, ein Geschäft des Auftraggebers unentgeltlich für diesen zu besorgen. Nach § 670 BGB ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet, wenn der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. § 670 BGB gibt einen Wertersatzanspruch. Eine Erstattung ist nicht gegeben, wenn die Aufwendung darauf zurückzuführen ist, dass der Beauftragte mit der Geschäftsbesorgung ein eigenes Geschäft verbunden hat. Juristisch fraglich ist bereits, ob überhaupt ein Auftrag vorlag, denn der MDK hat um die „Übersendung“ und nicht um die „Anfertigung“ einer Fotodokumentation gebeten. Es besteht hier auch kein Anspruch nach §§ 812 ff. BGB. Das BSG238 hat bei Streitigkeiten über die Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege die entsprechende Geltung des Bereicherungsrechts in Fällen angenommen, in denen die Krankenkasse die Leistungserbringung durch Zahlung von Teilbeträgen dem Grunde nach anerkannt hat. Im vorliegenden Fall hat der Pflegedienst die Übersendung aber nicht ohne Rechtsgrund im Sinne des § 812 BGB erbracht, weil er aufgrund der vertraglichen Vereinbarung zu einer sachgerechten Pflegedokumentation verpflichtet ist. Im Praxisfall 35 wird ein Aufwendungsersatz also nicht erstattet. Die Krankenkasse muss für die Anfertigung der Fotodokumentation nicht zahlen. Praxistipp: Die Festlegung der Vergütung ist grundsätzlich Verhandlungssache der Beteiligten. § 132a Abs. 1 Satz 4 Nr. 6 SGB V bestimmt dazu ausdrücklich, dass in der Bundes-Rahmenempfehlung auch die Grundsätze der Vergütungen und ihrer Strukturen zu regeln sind. Über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege, über die Preise und deren Abrechnungen schließen die Krankenkassen dementsprechend Verträge mit den Leistungserbringern. Die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten durch vertragliche Vereinbarungen mit den Leistungsanbietern zwingt diese 238 BSG, Urt. v. 25.9.2001, B 3 KR 15/00 R; Urt. v.13.5.2004, B 3 KR 2/03 R; Urt. v. 10.4.2008, B 3 KR 5/07 R

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Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

dazu, ihre Leistungen marktgerecht anzubieten und versetzt die Krankenkassen in die Lage, die Vergütungen nach Maßgabe des Wirtschaftlichkeitsgebotes auszuhandeln und eine preisgünstige Versorgung sicherzustellen. In den Verträgen nach § 132a SGB V ist daher eine Regelung für den Aufwendungsersatz zu verhandeln und aufzunehmen.

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6.10 Sind Änderung und rückwirkende Verordnung durch den Vertragsarzt zulässig?  BEISPIEL Praxisfall 36: Die Vertragsärztin J hat in ihrer Praxis ein Computer-Problem. So können in der Zeit vom 25.3.20xx – 3.4.20xx keine Verordnungen auf dem Formblatt 12a der häuslichen Krankenpflege ausgestellt werden, da die Versichertenkarten nicht eingelesen werden können. Am 4.4.20xx werden die Verordnungen rückwirkend ab dem 1.4.20xx ausgestellt und mit einer von J unterschriebenen Erklärung versehen. Müssen die Krankenkassen den Zeitraum vom 1. – 4.4.20xx zahlen?

Kaum zu glauben, aber tatsächlich wurde im konkreten Fall unserer Beratungspraxis, dem der Praxisfall 36 nachgebildet ist, in sieben Fällen erst nach Erhebung der Zahlungsklage gezahlt. Dabei regelt die HKP-Richtlinie derartige Streitfälle einheitlich und praxisgerecht: § 3 Abs. 5 HKP-Richtlinie Änderungen und Ergänzungen der Verordnung bedürfen der erneuten Unterschrift der Ärztin oder des Arztes mit Stempel und Datumsangabe. Rückwirkende Verordnungen sind grundsätzlich nicht zulässig; Ausnahmefälle sind besonders zu begründen. Dabei ist zu beachten, dass bereits der unbestimmte Rechtsbegriff „grundsätzlich“ nicht eine Verstärkung der Verneinung, sondern „Ausnahmen möglich“ bedeutet. Dies wird durch den letzten Halbsatz nochmals verstärkt und hervorgehoben. Die Ausnahmen müssen – wie im Praxisfall 36 – lediglich vom Arzt begründet werden. An die denkbaren Fallkonstellationen sind keine übertriebenen Anforderungen zu stellen; glaubwürdige Vorkommnisse (z. B. Computerausfall beim Arzt) reichen als Begründung aus, Notfälle sowieso. Gleichfalls lösen wir mit dem Wissen aus der Rechtsprechung den Praxisfall 18 [den Drachenfliegerfall] im letzten Teilschritt:

Falsch ist mit Sicherheit die Ansicht des MDK, dass weder die reine Beobachtung der Atmung des X noch die der technischen Apparaturen der Behandlungspflege zuzuordnen sei, ebenso das Absaugen der Schleimabsonderungen. Das Gegenteil ist richtig. Die Beobachtung des Beatmungsgerätes ist nach Ziff. 8 der Anlage der HKP-Richtlinie, das Absaugen ist nach Ziff. 6 der Anlage der HKP-Richtlinie und die Kontrolle der Vitalfunktionen ist nach Ziff. 24 HKP-Richtlinie eindeutig Behandlungspflege. Dazu kommen die Zeit der – noch exakt zu erhebenden – verrichtungsbezogenen Behandlungspflege sowie die Hälfte des Zeitaufwandes für die neu geschaffene „reine“ Behandlungspflege. Zunächst ist aber weiter zu ermitteln.

6.11 Hat die Krankenkasse ein Ermessen für die Genehmigung der ärztlich verordneten Behandlungspflege?  Natürlich nicht, ist die einzig richtige, „rechtmäßige“ Antwort auf diese Frage. Sind die Voraussetzungen des § 37 SGB V erfüllt, hat der Versicherte einen Rechtsanspruch auf die ärztlich verordneten Leistungen. Für Irritationen sorgte allerdings die Regelung des § 3 Abs. 4 Satz 2 HKP-Richtlinie, die mit der Änderung vom 15.8.2019 (in Kraft seit dem 6.12.2019) eingefügt wurde.

Der Gemeinsame Bundesausschuss räumte denn auch in den veröffentlichten tragenden Gründen jedes mögliche Missverständnis aus. Wörtlich: „Der neu eingefügte § 3 Abs. 4 HKP-Richtlinie dient der Klarstellung der Rechtslage. In der Praxis kommt es vermehrt zu Verordnungsanforderungen seitens der Leistungserbringer, z.B. für Verbandsmittel, die von der eigentlichen Verordnung der Ärztin/des Arztes abweichen. Der Einsatz von entsprechenden Verbandsmaterialien hängt von der medizinischen Notwendigkeit ab. Dabei ist das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Ziel ist eine bessere Versorgung chronischer und schwer heilender Wunden. Dafür bedarf es einer entsprechenden Verständigung aller Beteiligten, wobei die medizinische Verantwortung bei der Ärztin/bei dem Arzt liegt. Kosten, die in Verbindung mit einer Abweichung von der Verordnung für Verbandsmittel entstehen, gehen nicht zu Lasten der Vertragsärztin/des Vertragsarztes, sondern zu Lasten des Leistungserbringers. Das Nähere zur Verordnung von Verbandsmaterialien wird in der Arzneimittel-Richtlinie geregelt.“ Der neu eingefügte § 3 Abs. 4 HKP-Richtlinie ist daher im Zusammenhang mit den neu gefassten Regelungen zur Wundversorgung zu sehen, gleichwohl ein Grund die Frage der Wirkung einer Genehmigung der Krankenkassen nochmals zu beleuchten.

Behandlungspflege

§ 3 Abs. 4 Satz 2 HKP-Richtlinie Die Leistungserbringer, welche im Rahmen der häuslichen Krankenpflege die Maßnahmen durchführen, sind zunächst an die Verordnung und bei Vorliegen der Genehmigung an diese gebunden.

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Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

Ein Anspruch des Pflegedienstes für die Versorgung des Versicherten gegenüber der Krankenkasse kann sich nur auf vertraglicher Basis ergeben. Der Rahmenvertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V zwischen dem Pflegedienst und der Krankenkasse allein reicht jedoch für einen konkreten Zahlungsanspruch für die erbrachten Leistungen gegenüber einem Versicherten nicht aus, weil er lediglich einen Rahmen für die auf längere Dauer angelegte rechtliche Beziehung zwischen dem Pflegedienst und der Krankenkasse darstellt. Ein Anspruch auf Vergütung erbrachter Leistungen der häuslichen Krankenpflege entsteht nur, wenn die Krankenkasse sie „genehmigt“ hat. Dabei handelt es sich nicht um eine Genehmigung i.S.d. § 184 BGB, sondern um die Auftragserteilung im konkreten Leistungsfall, die gleichzeitig den Umfang des Auftrages festlegt.239 Erst mit einer Genehmigung durch die Krankenkasse liegt ein wirksamer Auftrag vor, im Rahmen dessen ein Pflegedienst tätig werden kann. Angesichts des Umstandes, dass Krankenkassen bestimmen können, in welchem Umfang sie Leistungserbringer zur Erfüllung ihrer Sachleistungsverpflichtung heranziehen, handelt derjenige, der außerhalb des erteilten Auftrags tätig wird, ohne rechtliche Grundlage und damit grundsätzlich ohne Anspruch auf eine Vergütung. Der Pflegedienst ist durch § 6 Abs. 6 HKP-Richtlinie hinreichend gesichert, indem die Krankenkasse bis zur Ablehnung die Kosten der ärztlich verordneten Leistungen zu übernehmen hat, wenn die geregelten Voraussetzungen vorliegen.

6.12 Hat der Pflegedienst eine Beratungspflicht gegenüber seinem versicherten Kunden zum Inhalt der ärztlichen Verordnungen?  BEISPIEL Praxisfall 37: S erhält von ihrem behandelnden Arzt eine Verordnung häuslicher Krankenpflege in Form der Einreibungen. Die Einreibung soll mit Flammazine erfolgen. Die Krankenkasse lehnt die Genehmigung ab, da die verordnete medizinische Einreibung nur für Verbrennungen zugelassen sei. Eine Zahlung bis zur Ablehnung könne nicht erfolgen, da sowohl der behandelnde Arzt als auch der Pflegedienst eine Beratungspflicht gegenüber dem Versicherten haben. Zutreffend? Die gegenseitigen Pflichten in der Zusammenarbeit zwischen dem behandelnden Vertragsarzt oder der behandelnden Vertragsärztin und dem Pflegedienst regelt der § 7 Abs. 2 bis 4 HKP-Richtlinie. Der Pflegedienst informiert über Veränderun-

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239 BSG, Urt. v. 24.9.2002, B 3 KR 2/02 R.

gen im Gesundheitszustand, die aktuelle häusliche Pflegesituation und die Gesamtentwicklung des Versicherten. Im Gegenzug hat der Arzt den Pflegedienst über neue pflegerelevante Befunde zu informieren und schließlich ist der behandelnde Arzt verpflichtet, die Pflegedokumentation einzusehen, diese auszuwerten und bei Bedarf Anordnungen darin zu vermerken. Die Pflegedokumentation ist daher auch Kommunikationsmedium. Hat etwa ein behandelnder Arzt telefonische Anordnungen gegeben, so sind diese in der Pflegedokumentation abzuzeichnen. Die oft gehörte Weigerung der Ärzte, in Pflegedokumentationen des Pflegedienstes Eintragungen zu machen, da eine eigene ärztliche Dokumentation geführt würde, hat nicht nur keine Grundlage – im Gegenteil: Der Vertragsarzt ist zu Eintragungen der Pflegedokumentation des Pflegedienstes verpflichtet. § 7 Abs. 4 HKP-Richtlinie Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt soll bei Gelegenheit des Hausbesuches die Pflegedokumentation einsehen, diese für ihre oder seine Entscheidungen auswerten und bei Bedarf Anordnungen darin vermerken.

Praxistipp: Natürlich ist jeder Pflegedienst auf die ärztlichen Verordnungen und entsprechende Zuweisungen angewiesen. Gleichwohl sollten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenkasse darauf hingewiesen werden, dass nach der untergesetzlichen Rechtsnorm des Gemeinsamen Bundesausschusses – genannt HKP-Richtlinie – die Koordination der Zusammenarbeit und zwar insbesondere in Fragen, die die ärztliche Verordnung betreffen, allein beim Vertragsarzt liegt. Dieser ist anzusprechen und nicht der Pflegedienst. § 7 Abs. 1 HKP-Richtlinie Zur Sicherstellung der Leistungserbringung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege wirkt die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt mit dem Pflegedienst und der Krankenkasse der oder des Versicherten eng zusammen. Die Koordination der Zusammenarbeit liegt bei der behandelnden Vertragsärztin oder dem behandelnden Vertragsarzt.

Behandlungspflege

Nun findet die Kommunikation nicht nur zwischen dem Pflegedienst und dem Vertragsarzt statt. Einzubeziehen ist immer auch die Krankenkasse des Versicherten. Die Koordination der Kommunikation und der Zusammenarbeit aller drei Partner liegt dabei allein beim Vertragsarzt. § 7 Abs. 1 HKP-Richtlinie ordnet dies ausdrücklich an.

Der Praxisfall 37 löst sich durch die Feststellung auf, dass einen Pflegedienst keine Beratungspflichten treffen. Zuständig sind vor allem der behandelnde Vertragsarzt und die Krankenkasse des Versicherten. 171

6.13 Muss der ambulante Pflegedienst das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen der verordneten häuslichen Krankenpflege prüfen?

Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

 BEISPIEL

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Praxisfall 38: Wieder ein Fall aus unserer jüngsten Beratungspraxis: Der behandelnde Vertragsarzt D verordnet dem Versicherten T über einen Zeitraum von 4 Jahren das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse 2. Bei einer Abrechnungsprüfung stellt die Krankenkasse fest, dass für den gleichen Zeitraum das Hilfsmittelrezept folgenden Wortlaut ausweist: „Kompressionsstrumpfhose, Kl. 1“; diese hatte das Sanitätshaus auch ausgeliefert. Der Pflegedienst hatte die Verrichtung erbracht und abgerechnet. Nun fordert die Krankenkasse die gezahlten Einsätze, knapp € 10.000,00, zurück, da häusliche Krankenpflege nicht vorlag. Unstreitig ist, dass die gelieferten Kompressionsstrumpfhosen eindeutig als solche der „Klasse 1“ gekennzeichnet waren. Muss der Pflegedienst das Entgelt für die geleisteten Einsätze zurückzahlen?

Die Leistungsvoraussetzungen der häuslichen Krankenpflege sind: –– Die Versicherteneigenschaft des T – nachgewiesen durch die Versicherungskarte zur Ausstellung der ärztlichen Verordnung. –– T ist krank – nachgewiesen durch die ärztliche Diagnose und indiziert durch die ärztliche Verordnung der häuslichen Krankenpflege. –– Die Leistung wird auf Antrag gewährt, wie die Rückseite des Formulars zur Verordnung ausweist. Der Antrag wurde gestellt. –– Die Leistung muss von der Krankenkasse genehmigt worden sein – auch eine solche Genehmigung liegt (vermeintlich) vor. Wenn aber diese allgemeinen Leistungsvoraussetzungen vorliegen, was kann der Pflegedienst dann noch prüfen? Der Pflegedienst muss sich – ebenso wie die Krankenkasse – vertragstreu verhalten, also das im Vertrag nach § 132a SGB V Vereinbarte leisten bzw. gegen sich gelten lassen. Im Vertrag nach § 132a SGB V wird auf die HKP-Richtlinie Bezug genommen, wonach – was in der Pflegebranche wegen der verschiedenen Fassungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V auch bestens bekannt ist – das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe erst ab Klasse 2 überhaupt Behandlungspflege ist. Das

Aber Achtung! Nach der Änderung der Ziffern 31 und 4 der Anlage der HKP-Richtlinie würde der Praxisfall 38 heute anders ausgehen. Solange ein therapeutischer Nutzen für den Kunden nachgewiesen ist, können seit dem April 2018 auch Kompressionstrümpfe der Kompressionsklasse I mit einem Kompressionsdruck von 18 bis 21 mmHg als Hilfsmittel und deren An- und Ausziehen als Behandlungspflege verordnet werden.

240 BSG, Urt. v. 22.7.2004, B 3 KR 21/03 R = BSGE 93, 137

Behandlungspflege

An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Klasse 1 könnte als Teil der grundpflegerischen Hilfe beim An- und Ausziehen gewertet werden. So liegt es hier. Denn der Pflegedienst hat keine Leistungen der Behandlungspflege erbracht, da zum damaligen Zeitpunkt das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Klasse 1 keine Behandlungspflege darstelle. Ein vertraglicher Vergütungsanspruch des Pflegedienstes ist deshalb nicht entstanden. Die historische Lösung des Praxisfalls 38 ist bitter: Das von der Krankenkasse geltend gemachte Rückforderungsbegehren findet seine Rechtsgrundlage im öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind.240 Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB), dem der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar ist, als beide Ansprüche als Ausdruck eines althergebrachten Rechtsgrundsatzes dem Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung dienen. Allerdings ist auch im Zivilrecht nicht ausdrücklich geregelt, wann eine Bereicherung ungerechtfertigt ist. Es lässt sich deshalb keine einheitliche Formel für das Vorliegen oder Fehlen eines die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Grundes aufstellen. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht besteht, grundsätzlich zurückgefordert werden können. Der Pflegedienst ist daher zumindest dem Grunde nach zur Rückzahlung verpflichtet. Ob der Pflegedienst seinerseits Regress vom behandelnden Arzt verlangen kann (oder will!), ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.

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6.14 Wann verjähren Rückforderungsansprüche der Krankenkassen?  BEISPIEL

Kapitel 6:  Die Konkretisierung der häuslichen Krankenpflege durch die HKP-Richtlinie

Praxisfall 39:241

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Die Krankenkasse rechnet im Jahr 2011 laufende Rechnungen mit (fahrlässig) fehlerhaften Abrechnungen der häuslichen Krankenpflege der Abrechnungsjahre 2006 – 2009 auf. In dem Vertrag nach § 132a SGB V hat die Krankenkasse mit dem Pflegedienst vereinbart, dass die Verjährung für den Erstattungsanspruch der Krankenkasse nach einem Jahr eintritt. Handelt die Krankenkasse mit der Aufrechnung rechtmäßig? Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch unterliegt in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 SGB I, der Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips im Sozialrecht ist, einer vierjährigen Verjährungsfrist.242 Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt gem. § 45 Abs. 1 SGB I (alternativ gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. § 199 Abs. 1 BGB) mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch, hier also der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, entstanden ist. Für den Praxisfall 39 gilt zunächst: Da hinsichtlich der hier streitigen Behandlungsfälle bereits im Kalenderjahr 2006 die entsprechenden Rechnungen übermittelt und von der Krankenkasse auch ausgeglichen wurden, wäre ein öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch bereits im Kalenderjahr 2006 mit der jeweiligen Zahlung der Krankenkasse entstanden. Die vierjährige Verjährungsfrist ist somit zum 01.01.2007 an- und zum 31.12.2010 abgelaufen. Mit den Abrechnungen des Jahres 2006 darf daher nicht mehr aufgerechnet werden, wenn sich der Pflegedienst darauf beruft. Die regelmäßige, gesetzliche Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 BGB kann vertraglich dahingehend abbedungen, also verkürzt werden, dass der Vergütungsanspruch des Pflegedienstes und der Erstattungsanspruch der Krankenkasse jeweils nach einem Jahr verjähren.243 Dabei kann die Krankenkasse nicht einwenden, dass die verkürzte Verjährung nur die sachliche und rechnerische Prüfung betreffe, der Bereicherungsanspruch wegen eines Vertragsverstoßes dagegen dem allgemeinen Verjährungsrecht unterliege. Die Auffassung geht insoweit fehl, als die Feststellung einer sachlichen Unrichtigkeit nicht von der Feststellung eines Vertragsverstoßes zu trennen ist. In Abgrenzung zur rechnerischen Überprüfung soll doch gerade mit der sachlichen Überprüfung die Rechnung inhaltlich überprüft 241 SG Potsdam, Urt. v. 8.2.2008, S 7 KR 40/07 242 BSG, Urt. v. 22.7.2004, B 3 KR 21/03 R = BSGE 93, 137; Urt. v. 12.5.2005, B 3 KR 32/04 R 243 SG Cottbus, Urt. v. 24.52007, S 18 KR 384/04

werden, insbesondere, ob die der Rechnung zugrunde liegende Leistung vertragsgemäß erbracht wurde. Daher kann eine Rechnung nur dann sachlich unrichtig sein, wenn ein vertragswidriges Verhalten vorliegt. Folge einer sachlich unrichtigen Rechnung ist dann, dass insoweit ein Vertragsverstoß vorliegt und ein Erstattungsanspruch (nach § 812 BGB) besteht. Die Parteien des Vertrages nach § 132a SGB V haben offensichtlich bezüglich der Geltendmachung von Forderungen und jeglicher Rückabwicklung einen „schnellen Schlussstrich“ gewollt. Im Praxisfall 39 ist daher eine Aufrechnung (wegen der Abrechnungsjahre 2006 – 2009) überhaupt nicht mehr möglich, da Rückforderungsansprüche aus diesen Jahren wegen der vertraglich abgekürzten Verjährung bereits verjährt sind. Daher müssen keine Rückzahlungen vorgenommen werden.

Behandlungspflege

Praxistipp: Prüfen Sie Ihren Vertrag nach § 132a SGB V auf solche vertraglichen Ausschlussfristen. Sollte der Vertrag keine enthalten, so ist bei der nächsten Verhandlung die Vereinbarung entsprechend zu ergänzen.

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Kapitel 7:  Sind Angehörige oder Nachbarn zur Übernahme der häuslichen Krankenpflege verpflichtet?  INFO Die negative Tatbestandsvoraussetzung des § 37 Abs. 3 SGB V bewegt wieder in einem verstärkten Maße die Auseinandersetzungen zwischen den Versicherten und ihren Krankenkassen. Insbesondere die in den MDKGutachten zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit genannten Pflegepersonen werden – teilweise rüde – von bestimmten Krankenkassen gedrängt, auch die verordneten Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu übernehmen. Wie wir sehen werden, völlig zu Unrecht!

7.1 Kann die Krankenkasse die Nachbarin zur häuslichen Krankenpflege verpflichten?  BEISPIEL

Der 1909 geborene C ist schwerpflegebedürftig und erhält von seiner Pflegekasse sog. Kombinationsleistungen nach Pflegestufe II. Soweit die Pflege nicht durch den Pflegedienst erfolgt, wird C durch seine im selben Haus, aber in einer separaten Wohnung lebende Tochter T gepflegt, die auch noch ihre pflegebedürftige Mutter versorgt. Die Tochter hat zunächst C Insulininjektionen verabreicht. Der Hausarzt des Klägers verordnete für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.20xx wegen diverser Krankheiten häusliche Krankenpflege in der Form von einmal täglichen Salbeneinreibungen im Genitalbereich, Insulininjektionen sowie Blutzucker- und Blutdruckkontrollen.

Behandlungspflege

Praxisfall 40:244

Die Krankenkasse lehnte die Gewährung der verordneten Maßnahmen ab, weil der Einsatz von geschultem Krankenpflegepersonal nicht erforderlich sei. Es handele sich um Leistungen der Grundpflege, für die eine Kostenübernahme bzw. -beteiligung nicht erfolgen könne. C machte hiergegen geltend, T könne die benötigten Leistungen nicht mehr erbringen; das Verhältnis zu ihr sei angespannt. Muss die Krankenkasse die Rechnung des Pflegedienstes zahlen? 244 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101

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Kapitel 7:  Sind Angehörige oder Nachbarn zur Übernahme der häuslichen Krankenpflege verpflichtet?

Problem: Modul 5 + § 37 SGB V

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Bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der Zuerkennung eines Pflegegrades wird immer auch abgefragt, ob es Pflegepersonen gibt, die den Pflegebedürftigen unterstützen, ggf. teilweise die Pflege übernehmen und so zur Sicherstellung der benötigten Leistungen beitragen können. Pflegepersonen im Sinne des § 19 SGB XI sind diejenigen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung pflegen. Klassischer Weise sind damit die Ehepartner, die Lebenspartner, die Kinder, die Enkel, die Nachbarn und Freunde des Pflegebedürftigen gemeint – Pflegepersonen, weil diese unentgeltlich die Pflege übernehmen. Die Unentgeltlichkeit wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass sie möglicherweise Teile des gezahlten Pflegegeldes nach § 37 SGB XI vom Pflegebedürftigen erhalten oder eine sonstige Anerkennung. Keine Pflegepersonen sind damit etwa die erwerbsmäßig tätigen „osteuropäischen“ Pflegekräfte und selbstverständlich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ambulanten Dienste oder der Sozialstationen.

§ 19 Satz 1 SGB XI: Pflegepersonen im Sinne dieses Buches sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI in seiner häuslichen Umgebung pflegen. Nur in einem denkbaren Fall ist zu überlegen, ob eine Pflegeperson auch die häusliche Krankenpflege, also die Leistungen der Behandlungspflege übernehmen müsste. Nach § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken im erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. § 37 Abs. 3 SGB V: Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

1. Lebt die Pflegeperson im Haushalt? Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege ist nur dann ausgeschlossen, wenn eine im Haushalt lebende Person in der Lage ist, die Pflege zu übernehmen. Die negative Anspruchsvoraussetzung verlangt, dass die mögliche Pflegeperson im Haushalt lebt, d. h. in die häusliche Gemeinschaft des Versicherten aufgenommen ist. Jede Erweiterung des Haushaltes, etwa die Einbeziehung der in der Nähe wohnenden Tochter, da sich diese täglich mehrere Stunden im Haushalt ihres Schwiegervaters zur Pflege aufhält, ist untersagt. Ebenso besteht ein getrennter Haushalt, wenn Pflegeperson und der zu Pflegende in räumlich getrennten Einliegerwohnungen innerhalb eines Hauses leben. Es bleibt daher bei der klassischen Konstellation: Die Eltern pflegen ihr im Haushalt lebendes Kind sowie die Ehegatten pflegen sich untereinander. Nochmals: Die Krankenkasse kann nicht bei der Nachbarin anrufen, um diese zu überreden, die Medikamente für ihre kranke Nachbarin zu stellen, zu überwachen oder zu geben. Für ein solches Tätigwerden gibt es keinen Rechtsgrund, insbesondere nicht einen aus § 37 Abs. 3 SGB V. Dass insoweit für den Träger der Sozialhilfe etwas anderes gilt, kann nicht zur Begründung für die Krankenkasse herangezogen werden. Da im Praxisfall 40 kein gemeinsamer Haushalt besteht, muss die Krankenkasse die ärztliche Verordnung genehmigen.

Behandlungspflege

Das bedeutet, dass alle Pflegepersonen, die nicht im Haushalt des Pflegebedürftigen wohnen, für die Anwendung des § 37 Abs. 3 SGB V nicht infrage kommen. Zwar behaupten dann einige überambitionierte Sachbearbeiter der Krankenkassen, dass eine häusliche Krankenpflege auch anlässlich eines Besuches etwa zur Körperpflege erledigt werden kann. Doch ist dieser Fall gesetzlich eben nicht geregelt. Negative Tatbestandsvoraussetzungen – so sagt der Jurist – wie der § 37 Abs. 3 SGB V dürfen nicht erweitert, also über den Haushalt hinaus ausgelegt werden. Daher gilt für die Anwendung der negativen Tatbestandsvoraussetzung des § 37 Abs. 3 SGB V folgendes Prüfungsschema:

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Kapitel 7:  Sind Angehörige oder Nachbarn zur Übernahme der häuslichen Krankenpflege verpflichtet?

Amtsermittlung?

180

Dabei muss aus der ärztlichen Verordnung auch nicht hervorgehen, ob eine Pflegeperson am Sonntag zum Kaffeetrinken vorbeischaut und dabei die Kompressionsstrümpfe anziehen kann … 2. Lebt die Pflegeperson im Haushalt, so ist zu fragen, ob sie tatsächlich auch im erforderlichen Umfang die Behandlungspflege erbringen kann. Ist sie in der Lage, eine Spritze aufzuziehen, die Einstichstelle zu säubern und die Spritze oder Injektion zu geben? Hat sie die Kraft, die Kompressionsstrümpfe anzuziehen? Kann sie eine Wundversorgung wirklich vornehmen? Kann die Pflegeperson dies nicht oder traut sie es sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht zu, so besteht der Anspruch gegenüber der Krankenkasse. Ist aber eine teilweise Übernahme der Pflege – beispielsweise einzelne Verrichtungen – möglich, so mindert sich der Anspruch des Versicherten gegenüber der Krankenkasse entsprechend.

245 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101 246 BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73 247 BSG, Urt. v. 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R = BSGE 90, 143 248 BSG, Urt. v. 14.7.1977, 3 RK 60/75 = BSGE 44, 139

Behandlungspflege

3. Lebt die Pflegeperson im Haushalt und kann die Pflege im erforderlichen Umfang erbringen, so ist zu fragen, ob sie „aktiv pflegebereit“ ist. Diese Einschränkung, dass der Leistungsausschluss des § 37 Abs. 3 SGB V erst dann eingreift, wenn die betroffenen Versicherten bereit sind, sich pflegen zu lassen und die Haushaltsangehörigen die Pflege auch erbringen wollen, ist wegen der Intensität des Eingriffs zahlreicher Pflegemaßnahmen in die Intimsphäre nach Art. 1 Abs. 1 GG unverzichtbar. Anderenfalls enthält § 37 Abs. 3 SGB V eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung von Versicherten mit Haushaltsangehörigen gegenüber Alleinstehenden. Daher wäre ohne Korrektur der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verletzt.245 Der Haushaltsangehörige „kann“ nicht pflegen, wenn dies dem Versicherten, etwa bei Störungen in den Beziehungen, oder dem Haushaltsangehörigen wegen Schädigung eigener gerechtfertigter Interessen nicht zumutbar ist. Natürlich ist niemand außerhalb eines gewissen Rahmens zur Hilfe verpflichtet. Daher ist keine Begründung für die Ablehnung erforderlich, wenn es um das Setzen von Injektionen, das Kleben von Betäubungsmittelpflastern und Ähnliches geht. Nur im einfachsten Behandlungspflegebereich wie der Medikamentengabe, dem Ausziehen der Kompressionsstrümpfe ist eine nachvollziehbare Begründung notwendig. Nachvollziehbar ist allerdings eine Begründung schon dann, wenn anderweitig eine Pflege eines anderen kranken oder pflegebedürftigen Familienmitgliedes oder etwa eines Kindes erledigt wird. Die im Haushalt lebende Person kann pflegen und versorgen, wenn sie dazu geeignet und die Pflege zumutbar ist. Eine spezielle Ausbildung wird nicht verlangt, soweit nicht Art und Schwere der Erkrankung eine bestimmte Qualifikation voraussetzen.246 Der fehlenden Pflegebefähigung steht die Unzumutbarkeit gleich, die durch eine Interessenabwägung zu prüfen ist. Die Pflege kann der im Haushalt lebenden Person nicht zugemutet werden, wenn sie zu einer Schädigung eigener gerechtfertigter Interessen führt, so kann weder die vollständige noch die teilweise Aufgabe des Arbeitsplatzes verlangt werden.247 Die Pflege muss auch nach Art und Umfang zumutbar sein; bejaht wurde dies für die Hilfeleistung einer Ehefrau bei der Heimdialyse.248

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7.2 Muss die gewerblich tätige Haushaltshilfe die häusliche Krankenpflege mit erledigen?  BEISPIEL

Kapitel 7:  Sind Angehörige oder Nachbarn zur Übernahme der häuslichen Krankenpflege verpflichtet?

Praxisfall 41:

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Die Kinder des dementen F haben für die Grundpflege und die soziale 24-stündige Betreuung eine tschechische Haushaltshilfe eingestellt, die für 12 Wochen im Einfamilienhaus von F wohnt. Die Medikamentengabe soll die nahe Sozialstation übernehmen. Die Krankenkasse lehnt dies in Hinblick auf § 37 Abs. 3 SGB V ab. Zutreffend? Bei der negativen Anspruchsvoraussetzung des § 37 Abs. 3 SGB V handelt sich um eine konkrete Ausgestaltung des Vorrangs der Eigenhilfe vor der Inanspruchnahme von Hilfe durch die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten. Die Vorschrift knüpft hierbei an familienrechtliche Fürsorge- und Unterhaltspflichten sowie an sittliche Beistandspflichten unter zusammenlebenden Haushaltsangehörigen außerhalb des Familienverbundes im engeren Sinne an.249 Die Pflegeperson muss also nicht mit dem Versicherten verwandt sein, sie muss aber dem Haushalt angehören und darf sich dort nicht nur vorübergehend aufhalten.250 Ein besuchsweiser Aufenthalt genügt daher nicht. Von rechtlicher Bedeutung dürfte sein, dass es im Zivilrecht außerhalb der Verpflichtung unter Ehegatten und in eingetragenen Partnerschaften keine tatsächlichen Unterstützungsverpflichtungen auf Dauer für die Angehörigen gibt. Unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung basiert gerade auf der freiwilligen Übernahme von Aufgaben der Solidargemeinschaft. Auf dieser Freiwilligkeit ist das subsidiär ausgelegte Sicherungssystem ausgerichtet. Jede Erweiterung des Haushaltsbegriffes mittels einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist abzulehnen; dies verbietet bereits der Ausnahmecharakter der Vorschrift, die nicht über ihren Wortlaut hinaus ausgelegt werden kann.251 Ebenso wie die parallele Regelung in § 38 Abs. 3 SGB V zur Haushaltshilfe ist die negative Tatbestandsvoraussetzung des § 37 Abs. 3 SGB V ein besonders prägnantes Beispiel für jene Fälle, in denen Leistungen der Krankenpflege nicht von der Krankenkasse erbracht werden, sondern nach dem allgemeinen Grundsatz des § 1 Satz 2 SGB V in der Eigenverantwortung der Versicherten verbleiben.

249 vgl. BVerfG, Urt. v. 17.11.1992, 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234 250 BSG, Urt. v. 22.4.1987, 8 RK 22/85 251 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101

§ 1 Satz 1 und 2 SGB V: Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Das umfasst auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten.

§ 3 Abs. 3 HKP-Richtlinie Kann eine im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person die erforderliche(n) Maßnahme(n) durchführen und ist dies der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt bekannt, hat die Verordnung zu unterbleiben. Sofern die im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person Teilbereiche der häuslichen Krankenpflege durchführen kann, hat die Verordnung für diese Teilbereiche zu unterbleiben. Kann eine im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person nach Einschätzung der Ärztin oder des Arztes die erforderliche(n) Maßnahme(n) oder Teilbereiche nicht übernehmen, ist dies auf der Verordnung entsprechend anzugeben. Kann die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt nicht eindeutig beurteilen, ob eine im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person die erforderliche(n) Maßnahme(n) oder Teilbereiche erbringen kann, ist dies auf der Verordnung entsprechend anzugeben.

252 BSG, Urt. v. 26.3.1980, 3 RK 47/79 = BSGE 50, 73 253 BSG, Urt. v. 28.1.1977, 5 RKn 32/76 = BSGE 43, 170

Behandlungspflege

Im Praxisfall 41 liegt kein Fall des § 37 Abs. 3 SGB V vor. Die Pflegekraft hält sich nur vorübergehend bei F auf; sie wird daher für den Zeitraum nicht in den Haushalt aufgenommen. Die Pflegeperson muss objektiv in der Lage sein, die ärztlich verordneten oder angeordneten Verrichtungen zu übernehmen. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Sicherung des ärztlichen Behandlungsziels den Ausschlag gibt, nicht aber die Entlastung der Solidargemeinschaft durch die kostenlose oder kostengünstige Hilfe Dritter. Die Übernahme der Pflege durch den Angehörigen kann nicht mit einer fehlenden Ausbildung verweigert werden, weil eine spezielle Ausbildung nicht verlangt wird, soweit nicht Art und Schwere der Erkrankung eine bestimmte Qualifikation voraussetzen.252 Die Pflege kann der im Haushalt lebenden Person nicht zugemutet werden, wenn sie zu einer Schädigung eigener Interessen führt. Die Pflege muss auch nach Art und Umfang zumutbar sein. Daher wird vom Angehörigen eine gewisse Mitwirkungspflicht verlangt. Nicht verlangt wird, dass die Berufstätigkeit, eine Berufs- oder Schulausbildung eingeschränkt oder gar beendet wird. Weitere Gründe für die Unzumutbarkeit können sein: schlechter Gesundheitszustand, Alter, Umfang der Pflege.253 Die Prüfungspflicht für das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung wurde den Vertragsärzten aufgebürdet.

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Kapitel 7:  Sind Angehörige oder Nachbarn zur Übernahme der häuslichen Krankenpflege verpflichtet? 184

Zusammengefasst: Bei dieser Prüfung ist stets zu beachten, dass der Leistungsausschluss nicht schon dann eingreift, wenn die Hilfe durch Haushaltsangehörige geleistet werden könnte, sondern erst dann, wenn tatsächlich auch Hilfe geleistet wird. § 37 Abs. 3 SGB V greift nur ein, wenn sowohl der zu Pflegende subjektiv bereit ist, sich von dem Angehörigen pflegen zu lassen, als auch der pflegende Angehörige mit der Durchführung der Pflege einverstanden ist. Im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs zahlreicher pflegerischer Maßnahmen in Intimbereiche lässt nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ein Einverständnis auf beiden Seiten, also die aktive wie auch die passive Pflegebereitschaft, als unverzichtbar erscheinen. Nur mit dieser Einschränkung wird die Vorschrift auch der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 3 GG gerecht. Andernfalls enthielte die Regelung nämlich eine Differenzierung zwischen allein lebenden Pflegebedürftigen, denen ohne Weiteres Behandlungspflege zu gewähren wäre, und Pflegebedürftigen mit nicht zur Pflege bereiten Angehörigen, die auch bei zwingender medizinischer Erforderlichkeit ohne pflegerische Versorgung bleiben müssten.254 Allerdings kann etwa für den Elternteil eines minderjährigen Versicherten die Erledigung von einfachen Verrichtungen der häuslichen Krankenpflege – etwa die BZ-Messung – zur Nachtzeit wegen der Beanspruchung durch insgesamt drei pflegebedürftige Kinder unzumutbar sein.255 Daher gilt für den Leistungsausschluss nach § 37 Abs. 3 SGB V Folgendes: Um die aktive Pflegebereitschaft zu erhöhen, hält das BSG256 es für erwägenswert zur Entlastung der Solidargemeinschaft die Bereitschaft von Angehörigen und anderen nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen zur Vornahme von Behandlungspflege dadurch zu fördern, dass sie beim Pflegegeld der Pflegeversicherung bedarfserhöhend berücksichtigt oder durch ein eigenständiges krankenversicherungsrechtliches Pflegegeld abgegolten wird. Ohne eine Gesetzesänderung ist es den Leistungsträgern jedoch untersagt eine solche Leistung einzuführen. Der Appell des obersten deutschen Sozialgerichts hat allerdings auch 18 Jahre später keinen Widerhall in der Gesundheits- und Sozialpolitik gefunden. Das Schaubild zeigt den Prüfungsprozess der allgemeinen Voraussetzungen unter Einbeziehung der negativen Tatbestandsvoraussetzung des § 37 Abs. 3 SGB V. Anstelle des „gepunkteten Pfeils“ an dieser Stelle bitte gedanklich die speziellen Voraussetzungen der einzelnen Ansprüche § 37 Abs. 1, Abs. 1a und Abs. 2 Satz 1 SGB V einfügen.

254 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101 255 LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 10.3.2014, L 5 KR 5/14 B ER 256 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101

Schaubild K – Teil 1

Voraussetzungen mit negativer Tatbestandsvoraussetzung

Negative Voraussetzung des § 37 SGB V

Versicherteneigenschaft

NEIN

Keine Leistung

JA

Diagnose des Arztes: „krank“

NEIN

Keine Leistung

JA

Antrag auf Leistung bzw. Genehmigung

NEIN

Schaubild K – Teil 2 Keine Leistung

JA

[Bitte gleich an Schaubild K – Teil 1 anschließen] [email protected] Lebt eine Person im Haushalt?

JA

Kann Pflege im erforderlichen Umfang erbracht werden?

16

NEIN

NEIN

Genehmigung

JA

Besteht aktive (passive beim Versicherten) Pflegebereitschaft? Keine Leistung [email protected]

17

Für den Praxisfall 41 gilt, dass § 37 Abs. 3 SGB V als Ausnahmevorschrift nicht über ihren Wortlaut hinaus zu Lasten der Versicherten weit ausgelegt werden kann.257 Der Gesetzgeber hat den von der Rechtsprechung entwickelten Subsidiaritätsgedanken aufgegriffen und zugleich auf die im Wortlaut der Vorschrift festgelegten Voraussetzungen beschränkt. Dies schließt einen Rückgriff auf die allgemeine familienrechtliche Solidarpflicht zum Zwecke der Ausweitung der in § 37 Abs. 3 SGB V enthaltenen Ausnahmeregelung aus. Vorschriften des SGB sind im Zweifel dahin auszulegen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 SGB I). Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Sicherung des ärztlichen Behandlungsziels den Ausschlag gibt, nicht aber die Entlastung der Solidargemeinschaft durch die kostenlose oder kostengünstige Hilfe Dritter. Deshalb ist § 37 Abs. 3 SGB V sogar hinter seinem Wortlaut zurückbleibend dahingehend auszulegen, dass der Leistungsausschluss nicht schon dann eingreift, wenn die Hilfe durch Haushaltsangehörige geleistet werden könnte, sondern erst dann, wenn tatsächlich auch Hilfe geleistet wird.

257 so bereits BSG, Urt. v. 14.7.1977, 3 RK 60/75 = BSGE 44, 139

Behandlungspflege

JA

NEIN

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Kapitel 7:  Sind Angehörige oder Nachbarn zur Übernahme der häuslichen Krankenpflege verpflichtet?

Praxistipp: Ein Leistungsausschluss nach § 37 Abs. 3 SGB V besteht daher nur, wenn sowohl der zu Pflegende bereit ist, sich von dem Angehörigen pflegen zu lassen, als auch der pflegende Angehörige mit der Durchführung der Pflege einverstanden ist.258 Es kann nur die tatsächlich geleistete Hilfe berücksichtigt werden, nicht aber die, die nur erwartet werden könnte. Es müssen also der zu Pflegende bereit und der Haushaltsangehörige bereit sein, sich vom Angehörigen pflegen zu lassen bzw. den Angehörigen zu pflegen, und die Pflegeperson muss dies auch können und es tun.259

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258 BSG, Urt. v. 30.3.2000, B 3 KR 23/99 R = BSGE 86, 101 259 SG Rostock, Urt. v. 2.12.2015, S15 KR 253/15 ER

Kapitel 8:  AUßERKLINISCHE AMBULANTE INTENSIVPFLEGE spezial  INFO Wohl kaum ein Bereich innerhalb der Erbringung Häuslicher Krankenpflege hat sich in den vergangenen Jahren so rasant entwickelt wie die außerklinische ambulante Intensivpflege. Noch nicht absehbar sind die kommenden gesetzlichen Änderungen in ihrer endgültigen Fassung, doch wird als weitere Versorgungsalternative die Erbringung in vollstationären Einrichtungen nach § 43 SGB XI in stärkeren Maßen hinzutreten.

8.1  Intensivpflege – Was ist „reine“ Grundpflege? – Gelten zur Abgrenzung der Grund- und Behandlungspflege die „Drachenflieger“Urteile I und II immer noch?  BEISPIEL

Der 1956 geborene Y ist in den Pflegegrad 5 übergeleitet worden und rund um die Uhr beatmungspflichtig; er erhält 1,5 bis 2 Liter Sauerstoff pro Minute, wird über eine PEG-Sonde ernährt, benötigt eine spezielle Lagerung sowie Vibraxmassagen zur Pneumonieprophylaxe und muss regelmäßig oral und nasal abgesaugt werden. Wegen der Beatmungspflege und des Risikos plötzlich auftretender Komplikationen ist die kontinuierliche Anwesenheit einer qualifizierten Krankenpflege-Fachkraft erforderlich. Das ursprüngliche Pflegegutachten des MDK hatte einen durchschnittlichen täglichen Hilfebedarf bei der Grundpflege von 246 Minuten und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung von mindestens 60 Minuten ergeben. Y wird in seiner Wohnung betreut und gepflegt. Sämtliche Maßnahmen der Krankenbeobachtung (täglich rund um die Uhr = 1440 Minuten), der sonstigen medizinischen Behandlungspflege (täglich durchschnittlich 373 Minuten gemäß MDK-Gutachten) und der Grundpflege (täglich durchschnittlich 246 Minuten) werden von Fachkräften einer Sozialstation im Dreischichtendienst durchgeführt. Die hauswirtschaftliche Versorgung erfolgt durch die Ehefrau, die als Lehrerin berufstätig ist. Die Kranken260 BSG, Urt. v. 17.6.2010, B 3 KR 7/09 R = BSGE 106, 173 – Drachenflieger II

Behandlungspflege

Praxisfall 42:260

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Kapitel 8:  AUßERKLINISCHE AMBULANTE INTENSIVPFLEGE spezial

kasse bewilligte häusliche Krankenpflege täglich für 19 Stunden. Ist dies rechtmäßig?

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Die wirtschaftliche Dimension für den Betroffenen, seine Angehörigen und den Träger der Sozialhilfe sind klar: Nach der Entscheidung der Krankenkasse von Y – die auf der Linie des BSG im Drachenflieger-Urteil I liegt – sind täglich 5 Stunden zu finanzieren, also 152,1 Stunden (Faktor 30,42) monatlich, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Das monatliche Budget beträgt – einen Stundensatz zum leichten Rechnen von € 32,00/h vorausgesetzt – € 4.867,20. Davon trägt die Pflegekasse derzeit € 1.995,00, sodass € 2.872,20 zu finanzieren bleiben. Der 3. Senat des BSG hat mit Urteil vom 17.06.2010261 seine bisherige Rechtsprechung zum Zusammentreffen und zur finanziellen Abgrenzung der medizinischen Behandlungspflege und der Grundpflege modifiziert. In seinem ersten sog. „Drachenflieger“-Urteil262 hatte das BSG entschieden, dass während der Erbringung der Hilfe bei der Grundpflege die Behandlungspflege im Regelfall in den Hintergrund tritt, sodass es gerechtfertigt sei, den Kostenaufwand für diese Zeiten allein der sozialen Pflegeversicherung zuzurechnen und diese Zeiten vom Anspruch des Versicherten auf 24-stündige Behandlungspflege abzuziehen.263 Ist häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege rund um die Uhr erforderlich und zusätzlich grundpflegerische Leistungen, so sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden: –– Ein Versicherter nimmt nur die Behandlungspflege, also die ärztlich verordnete Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, als Sachleistung in Anspruch und die Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung werden durch Angehörige erledigt. In dieser Konstellation ist der der Höhe nach nicht beschränkte Anspruch aus § 37 Abs. 2 SGB V ohne Abzüge zu erfüllen und dem Versicherten steht zusätzlich das volle Pflegegeld nach § 37 SGB XI zu. Der Pflegebedürftige hat in solchen Fällen die freie Wahl zwischen Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI und dem Pflegegeld nach § 37 SGB XI. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, mit Rücksicht auf das Wirtschaftlichkeitsgebot Pflegesachleistungen in Anspruch zu nehmen, nur weil er die gleichzeitig erforderliche Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V als Sachleistung erhält und deshalb eine Fachkraft bereitsteht, die auch die Pflegesachleistungen – zumindest theoretisch – erbringen könnte.264

261 BSG, Urt. v. 17.6.2010, B 3 KR 7/09 R = BSGE 106, 173 262 BSG, Urt. v. 28.1.1999, B 3 KR 4/98 R = BSGE 83, 254 – Drachenflieger I 263 bestätigt durch BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R 264 BVerfG (2. Kammer), Beschl. v. 10.03.2008, 1 BvR 2925/07; ebenso: LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 12.11.2008, L 5 B 476/08 KR ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 20.01.2010, L 4 KR 332/07; LSG Hessen, Urt. v. 09.12.2010, L 1 KR 187/10 und L 1 KR 189/10

Was aber gilt für den Fall der gleichzeitigen Erbringung der Leistungen durch dieselbe Fachkraft? Das BSG führt zur Modifizierung der ursprünglichen Rechtsprechung wörtlich aus: „Die Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 37 Abs. 2 SGB V und aus der sozialen Pflegeversicherung nach § 36 SGB XI stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die noch dem Drachenflieger-Urteil zugrunde liegende Annahme, während der Erbringung der Hilfe bei der Grundpflege trete die Behandlungspflege im Regelfall in den Hintergrund, sodass es gerechtfertigt sei, den Kostenaufwand für diese Zeiten allein der sozialen Pflegeversicherung zuzurechnen, vertritt der Senat nicht mehr, weil die gesetzlichen Änderungen belegen, dass die gesetzliche Krankenversicherung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers an den pflegebedingten Aufwendungen insbesondere bei Fällen der Rund-um-die-Uhr-Betreuung stärker beteiligt sein soll.“ Allerdings musste nach der Vorstellung des BSG weiterhin gerechnet werden. Zur Abgrenzung beider Bereiche soll folgendermaßen vorgegangen werden: Es ist zunächst von dem im MDK-Gutachten festgestellten Gesamtumfang aller Hilfeleistungen bei der Grundpflege die von der Pflegekasse geschuldete „reine“ [in der Abgrenzung zur sog. verrichtungsbezogenen]265 Grundpflege zu trennen und zeitlich zu erfassen; die hauswirtschaftliche Versorgung spielt in der Regel keine Rolle, weil sie nicht von der Pflegefachkraft, sondern von einem Dritten erbracht wird. „Reine“ Grundpflege sind die nicht im Zusammenhang mit der Behandlungspflege erbrachten Leistungen insbesondere der Selbstversorgung (Modul 4 nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 SGB XI). Der so ermittelte Zeitwert ist aber nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte vom Anspruch auf die ärztlich verordnete, rund um die Uhr erforderliche Behandlungspflege (einschließlich der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen) abzuziehen, weil während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege – auch als Krankenbeobachtung – stattfindet und beide Leistungsbereiche gleichrangig nebeneinanderstehen. Aus der Differenz zwischen dem verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege und der Hälfte des zeitlichen Umfangs der „reinen“ Grundpflege ergibt sich der zeitliche Umfang der häuslichen Krankenpflege, für den die Krankenkasse einzutreten hat. Die Pflegekasse hat die Kosten der Hälfte des Zeitaufwands der „reinen“ Grundpflege zu tragen, jedoch begrenzt auf den Höchstbetrag für die Sachleistungen des dem Versicherten zuerkannten Pflegegrades. Reicht der Höchstbetrag zur Abdeckung dieser Kosten nicht aus, hat der Versicherte den verbleibenden Rest aus eigenen Mitteln aufzubringen; notfalls ist der Träger der Sozialhilfe eintrittspflichtig. 265 dazu ausführlich: Richter, RsDE Band 64 (2007), Seite 52

Behandlungspflege

–– Sowohl die Behandlungspflege als auch die Grundpflege wird durch professionelle Pflegekräfte als Sachleistung erbracht (auf die hauswirtschaftliche Versorgung kommt es eigenständig nicht an).

189

verrichtungsbezogene Grundpflege

100 %

Kapitel 8:  AUßERKLINISCHE AMBULANTE INTENSIVPFLEGE spezial

… von der Krankenkasse als Behandlungspflege zu vergüten.

190

„reine“ Grundpflege

50 %

50 %

… von der Pflegekasse im Rahmen der Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen -> Leistung nach § 36 SGB XI

Dazu gibt das Bundessozialgericht zur Lösung des Praxisfalls 42 folgende Rechenbeispiele an: Wenn von einem im MDK-Gutachten festgestellten täglichen Grundpflegebedarf von 246 Minuten ein Anteil von 126 Minuten auf verrichtungsbezogene Behandlungspflegemaßnahmen entfiele, verblieben an „reiner“ Grundpflege noch 120 Minuten. Davon wäre die Hälfte, also 60 Minuten, vom zeitlichen Umfang der verordneten häuslichen Krankenpflege von 1440 Minuten (24 Stunden) abzuziehen, wo­ raus sich eine Differenz von 1380 Minuten (23 Stunden) ergibt. Die Krankenkasse hätte die Pflege demgemäß für täglich 1380 Minuten zu übernehmen. Die Pflegekasse würde die Pflegekosten für täglich 60 Minuten tragen. Daraus errechnete sich für die Pflegekasse ein Monatsbetrag von 907,50 € (30 Tage x 1 Stunde x Stundensatz von 30,25 €); der Versicherte hätte keine Eigenbeteiligung zu tragen. Entfiele aber auf die verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen indes nur ein Anteil von 36 Minuten, verblieben an „reiner“ Grundpflege noch 210 Minuten. Die Hälfte davon, also 105 Minuten, wäre vom Tagesumfang von 1440 Minuten abzuziehen, sodass für die Krankenkasse 1335 Minuten an Pflege zu finanzieren wären. Die Pflegekasse hätte die Pflegekosten für 105 Minuten zu übernehmen, woraus sich ein Monatsbetrag von rund 1588,00 € ergibt. In diesem Falle greift aber die „Deckelung“ des Sachleistungsanspruchs nach § 36 Abs. 3 SGB XI von damals 1510,00 € in der Pflegestufe III; deshalb hätte der Versicherte einen monatlichen Eigenanteil von rund 78,00 € aufzubringen. Beim heutigen Budget nach Pflegegrad 5 entstünde auch in dieser Alternative kein Eigenanteil. Auch diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Hinblick auf die Erbringung von 24-Stundenpflege und die Anrechnung der Grundpflege auf die Behandlungspflege ist zu kritisieren. Das Landessozialgericht Hessen266 hat dies bereits getan. Beide Leistungen – die Grundpflege als Leistung der sozialen Pflegeversicherung und die Behandlungspflege als Leistung der gesetzlichen Kran266 LSG Hessen, Urt. v. 9.12.2010, L 1 KR 187/10 sowie L 1 KR 189/10

267 so bereits LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.10.2008, L 1 B 346/08 KR ER

Behandlungspflege

kenkassen – bestehen nebeneinander auch dann, wenn die Leistungserbringung zeitlich zusammenfällt. So aber tritt zumindest im Ergebnis die Behandlungspflege auch weiterhin bei gleichzeitiger Erbringung mit der Grundpflege in den Hintergrund, kann in jedem Fall insoweit nach Auffassung des BSG nicht gegenüber der Krankenkasse des Versicherten abgerechnet werden. Nur der Umfang des zeitlichen Abzugs hat sich verringert. Zunächst werden die auch bei der Grundpflege erhobenen Zeiten der verrichtungsbezogenen Behandlungspflege allein der Behandlungspflege zugeschlagen und die so entstehende „reine“ Grundpflege nur zur Hälfte von der Behandlungspflege abgezogen. Wie der 3. Senat darauf kommt, bleibt sein Geheimnis. Die hälftige Anrechnung soll sich aus der „Gleichrangigkeit“ von Grund- und Behandlungspflege ergeben. Diese Erkenntnis dürfte allerdings weder ein Rechtssatz zur Auslegung des einfachen Rechts, noch eine allgemeinkundige Tatsache sein. Richtig ist vielmehr, dass eine professionell erbrachte Pflegeleistung, die eine besondere (formale) Qualifikation voraussetzt, wie regelmäßig die Behandlungspflege, vergütet werden muss, auch wenn dabei „reine“ Grundpflegeleistungen mit erbracht werden.267 Vor allem aber ist diese Lösung des BSG weder verfahrensökonomisch noch wirtschaftlich, sondern führt zu hohem Beratungsaufwand und Verunsicherung der Betroffenen. Die einzig logische Lösung ist die Aufhebung der Unterscheidung verschiedener Fallgruppen, die Gleichbehandlung aller Versicherten. Wird 24-stündige Behandlungspflege ärztlich verordnet, so ist diese zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen und von dieser zu finanzieren, egal ob Grundpflege daneben von den Angehörigen oder den professionellen Pflegekräften erbracht wird. Da insoweit keine Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI abgerechnet werden (können), erhalten alle diese Pflegebedürftigen ein Pflegegeld nach § 37 SGB XI. Umso mehr zu kritisieren ist, dass der Gesetzgeber selbst nun diese verfehlte, weil er nicht aus dem Gesetz herleitbare Rechtsprechung aufgenommen hat. Um auch zukünftig eine Aufteilung der Zeiten, in denen „reine“ Grundpflege erbracht und zugleich auch medizinische Behandlungspflege (Krankenbeobachtung) durchgeführt wird, vornehmen zu können, wurden die §§ 17 Abs. 1b und 18 Abs. 1a SGB XI geschaffen. In Fällen einer rund um die Uhr erforderlichen intensivpflegerischen ambulanten Versorgung sind die Kosten für diese Zeiten zu gleichen Teilen von der Kranken- und Pflegekasse zu übernehmen. Dabei kann das MDK-Gutachten nicht mehr für eine zeitbezogene Aufteilung der Kostenträgerschaft herangezogen werden, da der Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht mehr zeitorientiert ausgerichtet ist. Zur Umsetzung der Vorgaben des BSG in seinen Drachenflieger-Urteilen wurde daher ohne jede wirkliche Notwendigkeit der Spitzenverband Bund der Pflegekassen verpflichtet, auf pflegefachlicher Grundlage Richtlinien zu entwickeln, mit denen eine pauschale und/oder einzelfallbezogene

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Feststellung des Zeit- und damit des Kostenanteils der Pflegeversicherung möglich ist. Bei der Entwicklung der Richtlinien war darauf zu achten, dass die bisherige leistungsrechtliche Zuordnung von Maßnahmen zur Pflegeversicherung und Krankenversicherung unverändert bleibt. Da der Begriff der Grundpflege im Pflegeversicherungsrecht künftig entfällt, ist der Zeitanteil für körperbezogene Pflegemaßnahmen festzustellen. Diese umfassen insbesondere die bisherigen Maßnahmen der Grundpflege. Die Kostenabgrenzungsrichtlinie268 gilt für ambulant versorgte Pflegebedürftige, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V beziehen.269 Der Begriff der „Personen mit besonders hohem Bedarf behandlungspflegerischen Leistungen“ wird in der HKP-Richtlinie unter anderem dadurch beschrieben, dass die „ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft“ erforderlich ist. Ein solcher vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft kann auch dann vorliegen, wenn die Verordnung für häusliche Krankenpflege weniger als 24 Stunden täglich umfasst, aber ständig ungeplant eine pflegerische Intervention erforderlich sein könnte. Die „Intensivpflege“ wird durch Ziff. 3 im Geltungsbereich der Kostenabgrenzungs-Richtlinie definiert. Ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege liegt vor, wenn rund um die Uhr, also 24 Stunden am Tag, die Anwesenheit/Interventionsbereitschaft einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft und zur Durchführung der notwendigen behandlungspflegerischen Maßnahmen erforderlich ist, da wegen der Schwere und Dauer der Erkrankung akute gesundheits- oder lebensgefährdende Veränderungen der Vitalfunktionen mit der Notwendigkeit zur sofortigen medizinischen Intervention zu unvorhersehbaren Zeiten wiederkehrend eintreten können. Einem 24-Stunden-Bedarf in diesem Sinne steht nichts entgegen, wenn die Versorgung stundenweise anderweitig, etwa durch Angehörige, übernommen wird. Vor dem Hintergrund, dass die Regelungen der §§ 14, 15 SGB XI keine zeitorientierte und verrichtungsbezogene Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit mehr vorsehen, wird der durch die Pflegeversicherung zu tragende Anteil pauschal festgelegt. Dabei wird jedem Pflegegrad ein bestimmter Minutenwert zugeordnet, für den die Pflegeversicherung aufzukommen hat. Grundlage hierfür sind die den Kranken- und Pflegekassen in 2016 vorliegenden Daten („Bestandsfälle“) bezogen auf die Zeitaufwände der „reinen“ Grundpflege unter Berücksichtigung der jeweils zuerkannten Pflegestufe. Die ermittelten Minutenwerte entsprechen den Zeitanteilen, die nach dem bis 31.12.2016 gültigen Verfahren vom 268 Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Kostenabgrenzung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben nach § 17 Abs. 1b SGB XI vom 16.12.2016 269 BT-Drucksache 18/9083, Seite 33

verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege abzuziehen waren. Unter Beachtung der Überleitungsregelung nach § 140 Abs. 2 SGB XI wurden die ermittelten Zeitanteile der „reinen“ Grundpflege je Pflegestufe auf die Systematik der Pflegegrade übertragen. Anschließend wurden je Pflegegrad Mittelwerte errechnet. Durch das so entwickelte Verfahren soll sichergestellt werden, dass die bisherige leistungsrechtliche Zuordnung von Maßnahmen zwischen Krankenund Pflegeversicherung unverändert bleibt. Zudem werden die Vorgaben des BSG zur Kostenaufteilung in Fällen der über 24 Stunden täglich erforderlichen häuslichen Krankenpflege weiterhin umgesetzt und auf die im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs eingeführten Pflegegrade übertragen. Ziff. 6 Kostenabgrenzungs-RiLi 37

Pflegegrad 3

76

Pflegegrad 4

104

Pflegegrad 5

141

Folgende pauschale Minutenwerte sind nach Ziff. 6 Kostenabgrenzungs-Richtlinie für die Feststellung des Zeitanteils für den die Pflegeversicherung die Kosten zu tragen hat zugrunde zu legen: Nach § 17 Abs. 1b Sätze 4 und 5 SGB XI hat der Spitzenverband Bund die Richtlinie evaluieren zu lassen. Die Ergebnisse dieser Evaluation sind bis zum 31.12.2018 zu veröffentlichen. Es ist zu hoffen, dass dann dieser Irrweg, der mit den Drachenflieger-Urteilen begonnen wurde, endlich verlassen wird. Zu groß sind die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine schematische Anwendung der Abgrenzung durch die Feststellungen des MDK oder der „Kostenabgrenzungs-Richtlinie“. Die Sicherungspflege des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V kennt eine zeitliche Beschränkung nicht. Eine Verfügung der Krankenkasse über den zeitlichen Rahmen der ärztlichen Verordnung würde auch verfassungsrechtliche Schutzrechte berühren. Verfassungsrechtlich ist geklärt, dass Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung und seiner fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung im Einzelfall auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sind. Zwar folgt aus diesen Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen. Die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich jedoch an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Insofern können diese Grundrechte in beson-

Behandlungspflege

Pauschale Minutenwerte: Pflegegrad 2

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ders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten.270 Eine Einschränkung des gesetzlich unbeschränkten Anspruchs auf Behandlungspflege mittels einer Anwendung des „Richterrechts im Sinne der Drachenflieger-Rechtsprechung“ oder durch eine demokratisch nicht legitimierte Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes widersprechen den Verfassungsprinzipien evident, da das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit unmittelbar berührt wäre. Eine nur 21-stündige Behandlungspflege würde bei einem Versicherten, der medizinisch auf eine 24-stündige Beobachtung der Beatmung angewiesen ist, zur Gefahr des Erstickungstods führen. Darüber ist eine Anspruchskonkurrenz zwischen der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung nicht gegeben und muss daher nicht „gelöst“ werden. Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V bleibt von den Leistungen der Pflegeversicherung unberührt, § 13 Abs. 2 SGB XI. Demnach ist § 37 SGB V so anzuwenden, als ob es die Leistungen der Pflegeversicherung nicht gäbe.271 Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen.272 Nach der Kostenerstattungs-Richtlinie hat die Krankenkasse im Praxisfall 42 21 Stunden und 39 Minuten der Behandlungspflege zu übernehmen (24 Stunden ./. 141 Minuten). Bei richtiger Rechtsanwendung muss die Krankenkasse die ärztlich verordneten 24 Stunden täglich für die Behandlungspflege genehmigen.

8.2 Ist für die Erbringung der außerklinischen ambulanten Intensivpflege eine Ergänzungsvereinbarung notwendig? Die Vertragsparteien auf Bundesebene, also für die Leistungserbringer alle Verbände der Wohlfahrtspflege sowie alle Verbände der privat gewerblichen Anbieter einerseits und andererseits der GKV-Spitzenverband, haben die Bundes-Rahmenempfehlung am 30.8.2019 ergänzt und mit § 4 – Außerklinische ambulante Intensivpflege Regelungen geschaffen, um insbesondere die personellen Anforderungen für die Qualität der Leistungserbringung zu vereinbaren. In diesem Zuge wurde in § 4 Abs. 1 Bundes-Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V vereinbart, dass für die Versorgung von Versicherten ein bestehender Vertrag für das jeweilige Bundesland nach § 132a Abs. 4 SGB V und eine Ergänzung Voraussetzung ist. Eine Ergänzungsvereinbarung ist dann nicht erforderlich, wenn sich die Vertragspartner auf entsprechende Regelungen bereits im Versor270 BVerfG, Beschl. v. 26.2.2013, 1 BvR 2045/12 = NJW 2013, 1664 271 dazu SG München, Urt. v. 14.4.2016, S 15 KR 1383/15 272 BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, 2 BvL 8/77 = BVerfGE 49, 89; BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993, 1 BvR 1213/85 = BVerfGE 88, 103

Behandlungspflege

gungsvertrag gemäß § 132a Abs. 4 SGB V verständigt haben bzw. verständigen. Die Ergänzungsvereinbarung regelt die Versorgung von beatmungspflichtigen und nicht beatmungspflichtigen Versicherten, die auf Grund eines besonders hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege oder einer Bedrohung ihrer Vitalfunktionen einer ununterbrochenen Anwesenheit einer Pflegefachkraft bedürfen und Anspruch auf die entsprechenden Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß der HKP-Richtlinie haben. Dies betrifft die Versorgung von beatmungspflichtigen und nicht beatmungspflichtigen Versicherten, bei denen wegen Art, Schwere und Dauer der Erkrankung akute gesundheits- oder lebensgefährdende Veränderungen der Vitalfunktionen mit der Notwendigkeit zur sofortigen medizinischen Intervention zu unvorhersehbaren Zeiten wiederkehrend eintreten können. Hierbei handelt es sich um Versicherte, die kontinuierlich der Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen bedürfen und gegebenenfalls um Versicherte mit Veränderungen der Vitalfunktion Atmung, wenn sie kontinuierlich bzw. zeitweise beatmet werden. Die besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen sind zu berücksichtigen, insbesondere durch einschlägige pädiatrische Qualifikationen bzw. Zusatzqualifikationen entsprechend der nachfolgenden Regelungen. Die Versorgung wird grundsätzlich durch sozialversicherungspflichtige Pflegefachkräfte sichergestellt. Der Einsatz von geringfügig Beschäftigten sollte nicht mehr als 20 % des Versorgungsumfanges betragen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, sofern die Pflegefachkräfte Eigentümerinnen oder Eigentümer oder Gesellschafterinnen oder Gesellschafter des ambulanten Pflegedienstes sind und sich ihr Tätigkeitsschwerpunkt auf den ambulanten Pflegedienst bezieht. Ausgenommen von dieser Regelung sind Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen sowie Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte. Als spezifische Voraussetzungen zur Versorgung von beatmungspflichtigen Versicherten gelten folgende Regelungen: Der Pflegedienst verfügt für die Versorgung von beatmungspflichtigen Versicherten über eine sozialversicherungspflichtig beschäftigte verantwortliche Pflegefachkraft (eine Teilzeitbeschäftigung der verantwortlichen Pflegefachkraft im Mindestumfang von 50 % einer Vollzeittätigkeit ist grundsätzlich möglich), die folgende Voraussetzungen erfüllt: Abgeschlossene Ausbildung als –– Gesundheits- und Krankenpfleger/-in oder –– Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in oder –– Altenpfleger/-in nach dem Altenpflegegesetz vom 25.08.2003 oder –– Altenpfleger/-in mit einer dreijährigen Ausbildung nach Landesrecht.

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Neben der nachstehend beschriebenen Weiterbildung muss zusätzlich eine der folgenden Qualifikationen nachgewiesen werden: –– Atmungstherapeut/-in mit pflegerischer Ausbildung oder –– Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-in für Anästhesie- /Intensivpflege oder –– Einschlägige Berufserfahrung im Beatmungsbereich auf lntensivstationen oder Intermediate Care-Stationen oder in der außerklinischen Beatmung oder einer Weaningeinheit über mindestens zwei Jahre hauptberuflich (mindestens 19,25 Wochenstunden) innerhalb der letzten fünf Jahre oder –– Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-in für pädiatrische Intensivpflege/ Anästhesie oder –– Einschlägige Berufserfahrung in der pädiatrischen Intensivpflege (z. B. auf neonatologischen Intensivstationen, Intermediate Care-Stationen für Kinder, interdisziplinären pädiatrischen Intensivstation oder in der außerklinischen pädiatrischen Intensivversorgung) über mindestens zwei Jahre hauptberuflich (mindestens 19,25 Wochenstunden) innerhalb der letzten fünf Jahre. Die Rahmenfrist von fünf Jahren verlängert sich um Zeiten, in denen die verantwortliche Pflegefachkraft –– wegen der Betreuung oder Erziehung eines Kindes nicht erwerbstätig war, –– als Pflegeperson nach § 19 SGB XI eine pflegebedürftige Person wenigstens 10 Stunden wöchentlich gepflegt hat, höchstens jedoch auf acht Jahre mit der Maßgabe, dass mindestens ein Jahr der Berufserfahrung innerhalb der letzten vier Jahre nachgewiesen werden kann. Wird lediglich eine einschlägige Berufserfahrung nachgewiesen, muss zusätzlich ein erfolgreicher Abschluss einer anerkannten Zusatzqualifikation über mindestens 200 Zeitstunden (140 Zeitstunden Theorie, mindestens 60 Zeitstunden Praktikum) nachgewiesen werden. Die Inhalte der theoretischen Schulung orientieren sich curricular an Weiterbildungen von Fachgesellschaften, z. B. „Pflegeexperte für außerklinische Beatmung“ /„Pflegeexperte für pädiatrische außerklinische Intensivpflege“ und haben die Besonderheiten für alle Altersgruppen (Pädiatrie, Erwachsene, Geriatrie) zu berücksichtigen. Die Zusatzqualifikation kann unter den nachfolgend genannten Bedingungen sowohl vollständig altersspezifisch als auch vollständig generalistisch erfolgen. Die Zusatzqualifikation umfasst mindestens folgende Inhalte: Theoretischer Anteil (140 Zeitstunden = 186 Unterrichtseinheiten á 45 Minuten): –– 70 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf den medizinisch-therapeutischen Themenblock; davon sind 14 UE zur Vertiefung der altersspezifischen oder generalistischen Ausbildungsinhalte vorgesehen, insbesondere mit folgenden Inhalten: Berücksichtigung von möglichen Krisen- und Belastungs-

––

–– ––

Im praktischer Anteil von den mindestens 60 Zeitstunden Praktikum unter fachlicher Anleitung sind mindestens 2/3 der Zeitstunden in einem Weaningzentrum, in einer Einrichtung der intensivmedizinischen Rehabilitation oder einem Zentrum für außerklinische Beatmung oder auf einer internistischen oder interdisziplinären (Kinder-) Intensivstation zu absolvieren. Das Praktikum kann nicht auf einer rein operativen (Kinder-) Intensivstation durchgeführt werden. Maximal 1/3 der Zeitstunden können auch in einer Einrichtung für außerklinische Beatmungspflege absolviert werden (Wohngemeinschaft/organisierte Wohneinheit/betreutes Wohnen, stationäre Pflegeeinrichtung, außerklinische (Kinder-) Intensivkrankenpflege), die jedoch nicht zum Unternehmen/zur Unternehmensgemeinschaft des Kursteilnehmers gehören darf. Im Falle einer altersspezifischen Schwerpunktsetzung (z. B. in der Pädiatrie) ist dies im Rahmen des Praktikums zu berücksichtigen. Soweit die verantwortliche Pflegefachkraft die Voraussetzungen zur Qualifikation und/oder Weiterbildung nicht erfüllt, kann der Pflegedienst auch andere Pflegefachkräfte im Sinne einer Fachbereichsleitung benennen, welche die Voraussetzungen, mit Ausnahme der 460-stündigen Qualifikation zur verantwortlichen Pflegefachkraft, erfüllen müssen. Diese übernehmen intern die fachliche Verantwortung und Aufsicht für die beschriebenen Leistungen der außerklinischen ambulanten Intensivpflege. In Fällen der vorübergehenden Verhinderung

Behandlungspflege

––

situationen, spezielle Krankheitslehre (z. B. Pulmologie, Kardiologie, Neurologie, Pädiatrie), Sauerstofflangzeittherapie, Grundlagen der Beatmung einschließlich Gerätekunde und Besonderheiten der Heimbeatmung sowie Beatmungszugängen (einschließlich Kanülenmanagement), Versorgung bei Weaningversagen nach Langzeitintensivtherapie (Langzeitweaning/Prognose) 48 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf den pflegerischen Block; davon sind 8 UE zur Vertiefung der altersspezifischen oder generalistischen Ausbildungsinhalte vorgesehen, insbesondere mit folgenden Inhalten: pflegerische Besonderheiten in der Neurologie und Palliativversorgung, Sekretmanagement, Ernährung, Schmerzmanagement, atemtherapeutische Maßnahmen, Hygiene, Notfallmanagement, Qualitäts- und Risikomanagement, rechtliche Aspekte (z. B. Patientenverfügung, Medizinproduktegesetz) 40 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf den psychosozialen Themenblock; davon sind 8 UE zur Vertiefung der altersspezifischen oder generalistischen Ausbildungsinhalte vorgesehen, insbesondere mit folgenden Inhalten: Gesprächsführung, Ethik, Stressmanagement und Konfliktmanagement, Überleitungsmanagement, professionelles Rollenverständnis, Personal- und Organisationsentwicklung, Copingstrategien, Angehörigenintegration 10 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf die vorgesehene Schwerpunktsetzung der Kursorganisatoren 18 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf die Facharbeit am Ende des Kurses.

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Kapitel 8:  AUßERKLINISCHE AMBULANTE INTENSIVPFLEGE spezial 198

der fachlichen Leitung übernimmt eine Pflegefachkraft die Vertretung, die die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt. Die vorübergehende Vertretung muss – entsprechend den getroffenen Regelungen in dem Vertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V - gegenüber der vertragsschließenden Krankenkasse angezeigt werden. Die fachliche Leitung ist spätestens zu Beginn des siebten Monats der Verhinderung durch eine entsprechend qualifizierte Pflegefachkraft sicherzustellen; sollte das nachweislich nicht möglich sein, verständigen sich Pflegedienst und Krankenkasse auf eine geeignete Übergangsregelung. Die Anzahl der zu beschäftigenden verantwortlichen Pflegefachkräfte ist unter Berücksichtigung des medizinischen und pflegerischen Stands der Erkenntnisse in der Vereinbarung nach § 132a Abs. 4 SGB V festzulegen und bei der Vergütung zu beachten. Als Orientierungswert kann in der 24-Stunden-Pflege unter Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten ein Verhältnis von 1:12, wie es in aktuellen Leitlinien enthalten ist, herangezogen werden. Alle Pflegefachkräfte, die eigenverantwortlich die fachpflegerische Versorgung bei beatmeten Versicherten übernehmen, müssen neben einer Ausbildung als –– Gesundheits- und Krankenpfleger/-in oder –– Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in oder –– Altenpfleger/-in nach dem Altenpflegegesetz vom 25.08.2003 oder –– Altenpfleger/- in mit einer dreijährigen Ausbildung nach Landesrecht, eine der folgenden Voraussetzungen bzw. Qualifikationen aufweisen: –– Atmungstherapeut/-in oder –– Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-in für Anästhesie- und Intensivpflege oder –– einschlägige Berufserfahrung im Beatmungsbereich über mindestens ein Jahr hauptberuflich (mindestens 19,25 Wochenstunden) innerhalb der letzten fünf Jahre oder –– Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-in für pädiatrische Intensivpflege/ Anästhesie oder –– einschlägige Berufserfahrung in der pädiatrischen Intensivpflege bei beatmungspflichtigen Kindern mindestens ein Jahr hauptberuflich (mindestens 19,25 Wochenstunden) innerhalb der letzten fünf Jahre (z. B. auf neonatologischen Intensivstationen, Intermediate Care-Stationen für Kinder, interdisziplinären pädiatrischen Intensivstationen oder in der außerklinischen pädiatrischen Intensivversorgung). Alternativ zur Berufserfahrung kann ein erfolgreicher Abschluss einer anerkannten und berufsbegleitenden Zusatzqualifikation über mindestens 120 Zeitstunden (40 Zeitstunden Theorie, 80 Zeitstunden Praktikum) nachgewiesen werden. Die Inhalte der theoretischen Schulung orientieren sich curricular an Weiterbildungen von Fachgesellschaften, z. B. „Pflegefachkraft für außerklinische Beatmung“/„Pflegefachkraft für außerklinische pädiatrische Beatmung“ und haben

die Besonderheiten für alle Altersgruppen (Pädiatrie, Erwachsene, Geriatrie) zu berücksichtigen. Diese Zusatzqualifikation kann unter den nachfolgend genannten Bedingungen sowohl vollständig altersspezifisch als auch vollständig generalistisch erfolgen. Die Zusatzqualifikation umfasst mindestens folgende Inhalte, wobei von der Gesamtstundenzahl mindestens 50 % in Präsenzphasen vermittelt werden sollen.

Das Praktikum umfasst 40 Zeitstunden in einer (pädiatrischen) außerklinischen Beatmungspflegeinstitution (Wohngemeinschaft/organisierte Wohneinheit, häusliche Beatmungspflege (1:1), betreutes Wohnen oder stationäre Pflegeeinrichtung) und 40 Zeitstunden in einem Beatmungs- oder Weaningzentrum oder in einer Klinik, die über eine internistische (Kinder-) Intensivstation oder eine Weaningstation verfügt, oder die alternativ eine interdisziplinäre (Kinder-) Intensivstation betreibt. Das Praktikum kann nicht auf einer rein operativen (Kinder-) Intensivstation durchgeführt werden. Für den Fall einer altersspezifischen Schwerpunktsetzung (z. B. in der Pädiatrie) ist dies im Rahmen des Praktikums zu berücksichtigen. Für neu eingestellte sowie für alle bereits beschäftigten Pflegefachkräfte mit abgeschlossener dreijähriger Ausbildung, die nicht über eine der genannten Qualifikationen verfügen, hat der Pflegedienst die Berufserfahrung auf Anforderung entsprechend nachzuweisen. Sofern diese nicht gegeben ist, hat der Pflegedienst die betreffenden Pflegefachkräfte mit der Aufnahme der intensivpflegerischen Betreuung zur berufsbegleitenden Fortbildung anzumelden und deren Abschluss in-

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Theoretischer Anteil (mindestens 40 Zeitstunden = 53 Unterrichtseinheiten á 45 Minuten): –– 22 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf den medizinisch-therapeutischen Themenblock insbesondere mit folgenden Inhalten: spezielle Krankheitslehre (z. B. Pulmologie, Kardiologie, Neurologie, Pädiatrie), Sauerstofftherapie, Grundlagen der Beatmung einschließlich Gerätekunde und Besonderheiten der Heimbeatmung sowie Beatmungszugängen (einschließlich Kanülenmanagement), –– 20 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf den pflegerischen Themenblock, insbesondere mit folgenden Inhalten: pflegerische Besonderheiten in der Neurologie und Palliativversorgung, Sekretmanagement, Ernährung, Schmerzmanagement, atemtherapeutische Maßnahmen, Hygiene, Notfallmanagement, rechtliche Aspekte (z. B. Patientenverfügung, Medizinproduktegesetz), –– 6 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf den psychosozialen Themenblock, insbesondere mit folgenden Inhalten: Ethik, Überleitungsmanagement, Angehörigenintegration, Copingstrategien, –– 5 Unterrichtseinheiten (UE) entfallen auf die vorgesehene altersspezifische oder generalistische Schwerpunktsetzung.

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nerhalb von sechs Monaten nachzuweisen. Bei der Versorgung eines Versicherten können nicht mehrere Pflegefachkräfte ohne entsprechende Qualifikation gleichzeitig in einem Pflegeteam eingesetzt werden. Im Übrigen ist für diese Pflegefachkräfte ab Tätigkeitsbeginn sicherzustellen, dass diese mindestens eine dem Krankheitsbild entsprechende spezifische Einweisung und strukturierte Einarbeitung erhalten haben. Alle Pflegefachkräfte müssen über eine entsprechende spezifische Einweisung und strukturierte Einarbeitung verfügen. Der Träger des Pflegedienstes ist verpflichtet, die fachliche Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegedienstes, die Leistungen nach diesem Paragrafen erbringen, durch spezifische, interne und/oder externe Fortbildung je Kalenderjahr zu gewährleisten. Die Fortbildungsmaßnahmen sollen die besonderen Belange der Versorgung von beatmungspflichtigen Versicherten ausreichend berücksichtigen. Dazu zählen insbesondere die folgenden Themengebiete: –– spezielle Überwachung des Gesundheitszustandes, –– Pflege des Tracheostomas, Kanülenwechsel, –– Sekretmanagement, –– Beatmungsgeräte und Therapieformen, –– Umgang mit enteraler und parenteraler Ernährung, –– Umgang mit Inhalations- und Absauggeräten, –– Wirkung/Nebenwirkung von Medikamenten, –– Bewertung von Vitalparametern (bspw. Herz-Kreislauf-Monitoring), –– notwendige Interventionen, bspw. bei Stoffwechselentgleisung, Atmungsund Kreislaufversagen, –– Einleitung, Durchführung von Notfallmaßnahmen, –– spezielle Hygienemaßnahmen. Die Fortbildungsverpflichtung entfällt für jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Kalenderjahre, in der die Zusatzqualifikation erworben wird. Spezifische Voraussetzungen zur Versorgung von nichtbeatmungspflichtigen Versicherten Zur Versorgung von nichtbeatmungspflichtigen Versicherten muss die verantwortliche Pflegefachkraft nachfolgende Voraussetzungen erfüllen: Abgeschlossene Ausbildung als –– Gesundheits- und Krankenpfleger/-in oder –– Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in oder –– Altenpfleger/-in nach dem Altenpflegegesetz vom 25.08.2003 oder –– Altenpfleger/- in mit einer dreijährigen Ausbildung nach Landesrecht.

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Neben der vorstehend beschriebenen Weiterbildung muss die verantwortliche Pflegefachkraft zusätzlich über spezifische Kenntnisse zum jeweiligen Krankheitsbild verfügen, so dass sie die übrigen an der Versorgung beteiligten Pflegefachkräfte entsprechend einweisen und einarbeiten kann.

Alle Pflegefachkräfte, die eigenverantwortlich die fachpflegerische Versorgung bei nichtbeatmeten Versicherten übernehmen, müssen neben einer Ausbildung als –– Gesundheits- und Krankenpfleger/-in oder –– Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in oder –– Altenpfleger/-in nach dem Altenpflegegesetz vom 25.08.2003 oder –– Altenpfleger/- in mit einer dreijährigen Ausbildung nach Landesrecht, zusätzlich mindestens über eine dem Krankheitsbild entsprechende spezifische Einweisung und strukturierte Einarbeitung verfügen. Für Pflegedienste, die bereits auf der Grundlage vertraglicher Regelungen beatmungspflichtige Intensivpflegepatientinnen oder -patienten versorgen oder versorgt haben, aber nicht die Voraussetzungen nach § 4 Bundes-Rahmenvereinbarung nach § 132a Abs. 1 SGB V erfüllen, sind in den Verträgen nach § 132a Abs. 4 SGB V, die vor Inkrafttreten dieser Rahmenempfehlungen geschlossen worden sind, Übergangsregelungen zur Anpassung an die Rahmenempfehlungen zu vereinbaren. Dabei darf ein Übergangszeitraum für die erforderlichen strukturellen Anpassungen des Pflegedienstes von vier Jahren nach Inkrafttreten der BundesRahmenempfehlungen nicht überschritten werden. Die Übergangsfrist läuft damit mit dem 30.8.2023 ab.

8.3 Ist eine 24-Stunden-Intensivpflege in einem angemieteten Zimmer einer Seniorenresidenz möglich?

Praxisfall 43:273 V erlitt am 22.6.20xx einen Hinterwandinfarkt mit nachfolgendem hypoxischem Hirnschaden und apallischem Syndrom mit maschineller Beatmungsnotwendigkeit, Dilationstracheotomie und PEG-Anlage. Er wurde bis zum 4.9.20xx in einer Klinik stationär behandelt. Die Tochter des V schloss sodann für V einen Mietvertrag über ein Zimmer mit Gemeinschaftsräumen (Küche und Bad) in der Seniorenresidenz S (sog „ServiceWohnen“). Dabei handelt es sich um ein Zweizimmer-Appartement, wobei das zweite Zimmer von einem anderen intensivpflegebedürftigen Bewohner bewohnt wurde. Die Ehefrau des Versicherten blieb in der zuvor gemeinsam bewohnten Wohnung.

273 LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.11.2015, L 5 KR 5/15; bestätigt: BSG, Urt. 30.11.2017, B 3 KR 11/16 R

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 BEISPIEL

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Die Krankenkasse lehnte die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege ab, da das betreute Wohnen einen heimähnlichen Charakter aufweise. Ist dies rechtmäßig? Der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V lässt sich nicht die Beschränkung entnehmen, häusliche Krankenpflege könne nur beansprucht werden, wenn noch ein Mindestmaß eines eigenen Haushalts geführt wird.274 Dies entspricht dem Zweck der Ausweitung des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege auf sonstige geeignete Orte, Lücken im Zwischenbereich von ambulanter und stationärer Verordnung zu vermeiden. Etwas anderes könnte sich nur ergeben, wenn V einen Anspruch gegen die Seniorenresidenz auf Bereitstellung der häuslichen Krankenpflege aus dem Mietvertrag ableiten könnte. Die Seniorenresidenz ist als Vermieterin des betreuten Wohnens auch keine stationäre Pflegeeinrichtung im Sinne des §§ 72, 71 SGB XI. Sie hat keinen entsprechenden Versorgungsvertrag abgeschlossen und die Pflege des die Leistung erbringenden ambulanten Pflegedienstes steht nicht unter ständiger Verantwortung einer von der Seniorenresidenz beschäftigten Pflegekraft. Die Seniorenresidenz verstieß als Vermietung im Rahmen des sog. Service-Wohnens auch nicht gegen die Vorschriften des LWTG-Rheinland-Pfalz. Nach § 3 LWTG unterliegen Einrichtungen des Wohnens mit allgemeinen Unterstützungsleistungen (Service-Wohnen) nicht dem Geltungsbereich des LWTG, wenn die Mieterinnen und Mieter von abgeschlossenem Wohnraum vertraglich nur verpflichtet sind, allgemeine Unterstützungsleistungen wie die Vermittlung von Dienst- oder Pflegeleistungen, Hausmeisterdienste oder Notrufeinrichtungen von einer bestimmten Anbieterin oder einem bestimmten Anbieter in Anspruch zu nehmen und darüber hinaus alle weitergehenden Unterstützungsleistungen und deren Anbieterinnen und Anbieter frei wählen können. Solange V, der einen abgeschlossenen Wohnraum gemietet hat, seine Unterstützungsleistungen und deren Anbieterinnen und Anbieter frei wählen kann, kommt das LWTG nicht zur Anwendung. Praxistipp: Für die Frage der Gewährung häuslicher Krankenpflege kommt es auf die heimrechtlichen Regelungen des jeweiligen Bundeslandes nicht an. Die Anwendung des Landes-Heimgesetzes bedeutet nur, dass die zuständige Heimaufsicht gesetzlich geregelte Kontrollrechte hat und der Träger der Einrichtung seine Tätigkeit anzeigen muss. Vielfach wird in derartigen Fällen übersehen, dass der Wunsch, gerade nicht in einem vollstationären Pflegeheim untergebracht zu werden, eine verfassungsrechtliche Dimension hat. Das Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ist auch leistungsrechtlich grundsätzlich zu beachten.275 Daher hat die Krankenkasse im Praxisfall 43 zu leisten. 202

274 BSG, Urt. v. 25.2.2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122; Urt. v. 22.4.2015, B 3 KR 16/14 R 275 BSG, Urt. v. 30.11.2017, B 3 KR 11/16 R

8.4 Ist die allgemeine Krankenbeobachtung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege verordnungsfähig?  BEISPIEL Praxisfall 44:276

Unstreitig bei diesem Sachverhalt war von Anfang an, dass eine spezielle Krankenbeobachtung, die eine ständige Beobachtung voraussetzt, da mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich mit den entsprechenden lebensbedrohlichen Zuständen zu rechnen ist (Ziff. 24 der Anlage der HKP-Richtlinie), nicht vorliegt. Aber auch nur alle drei Tage auftretende Verlegungen der Atemwege, akute respiratorische Insuffizienz oder gar Atemstillstände sind akut lebensbedrohliche Zustände, welche eine sofortige Freimachung des Luftweges (Absaugen der Luftwege, ggf. Intubation, Beatmung und ggf. Herz-Lungen-Wiederbelebung) notwendig machen. Auch ist klar, dass bei X zweifelsohne ein hoher grundpflegerischer sowie Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf besteht. Häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist jedoch nicht auf die Form der speziellen Krankenbeobachtung beschränkt. Auch die allgemeine Krankenbeobachtung kann eine Leistung der häuslichen Krankenpflege sein, wenn ärztliche oder pflegerische Maßnahmen zur Abwendung von Krankheitsverschlimmerungen eventuell erforderlich, aber konkret nicht voraussehbar sind.277 Der X muss auch dann Anspruch auf Leistungen in Form einer allgemeinen Krankenbeobachtung haben, wenn die lebensbedrohlichen Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht täglich auftreten. Im 276 SG Chemnitz, Beschl. v. 31.8.2016, S 10 KR 237/16 ER 277 BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R

Behandlungspflege

Die behandelnde Ärztin verordnete der X für das II. und III. Quartal 20xx häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege als 24-StundenIntensivpflege. Als Diagnosen wurden genannt: Störung des Aminosäurestoffwechsels, Intelligenzminderung, umschriebene Entwicklungsstörung, Osteoporose mit pathologischer Fraktur. X leidet etwa alle drei Tage an intermittierend auftretenden okulogyren Anfällen. Nach solchen Anfällen komme es oft zu einem Erschöpfungszustand. Atemstillstände oder Ateminsuffizienzen gehörten aber nicht zu diesem Krankheitsbild. Allerdings kommt es immer wieder zu „unerklärbaren Asthmaanfällen“. Schwere Asthmaanfälle werden dann durch das Notarztsystem zu versorgt. Die Krankenkasse lehnte die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege ab, da keine spezielle Krankenbeobachtung notwendig sei. Allgemeine Krankenbeobachtung sei Bestandteil der grundpflegerischen Versorgung im Rahmen des zuerkannten Pflegegrades 4. Ist dies rechtmäßig?

203

Praxisfall 44 ist die ständige allgemeine Krankenbeobachtung erforderlich, verbunden mit der Durchführung der nach Lage der Dinge jeweils gebotenen konkreten Maßnahmen.

Kapitel 8:  AUßERKLINISCHE AMBULANTE INTENSIVPFLEGE spezial

8.5 Wer hat den Sicherstellungsauftrag für die intensive Behandlungspflege?  BEISPIEL Praxisfall 45:278 Die D leidet unstreitig an einer Tracheomalazie und einer Laryngomalazie bei Zustand einer omegaförmigen Glottis, einem Zustand nach Reanimation und einer Tracheostoma-​Versorgung. Nach einem Rettungsdiensteinsatz ist bei der knapp 2-jährigen D eine Tracheostomie durchgeführt worden, die D ist aktuell mit einer ungeblockten Kanüle versorgt. Nach den Feststellungen im Pflegegutachten des MDK bestehen häufige Sättigungsabfälle (Sauerstoff), wobei die D häufig hinsichtlich der Tracheostoma-​Versorgung abgesaugt werden muss, auch im Schlaf. Die Überwachung der Atemsituation und eine Kontrolle der Grenzwerteinstellung über 24 Stunden ebenso wie ein endotracheales Absaugen sind nach Bedarf erforderlich. D lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter und den Brüdern. Die Bedarfsgemeinschaft bezieht Leistungen nach dem SGB II. Die AOK Hessen schloss zunächst eine Einzelvereinbarung über die beatmungspflegerische und intensivpflegerische Versorgung in der Häuslichkeit mit der F. GmbH. Der zunächst vereinbarte Stundensatz von 32,70 € wurde im 1. Nachtrag zur Einzelvereinbarung mit Wirkung ab 1.1.2019 auf eine Vergütung der vereinbarten Leistungen (24 Stunden Behandlungspflege täglich) von 33,50 € pro Stunde erhöht. Mit Schreiben vom 13.10.2019 teilte der Krankenpflegedienst, F. GmbH, der Krankenkasse mit, dass mit dem 14.10.2019 um 18:00 Uhr die Versorgung der D eingestellt werden müsse, der Pflegedienst H. GmbH bereit sei, die Versorgung der D, nahtlos weiterzuführen und sicherzustellen. Der neue Pflegedienst H. GmbH teilte der Krankenkasse mit Schreiben vom 14.10.2019 mit, er sei auf Wunsch der Angehörigen der D ab dem 15.10.2019 mit der Intensivbetreuung und -pflege der D bis zu 24 Stunden täglich beauftragt worden. Der Betrag für die Kinderversorgung zur häuslichen Krankenpflege betrage 38,50 € als Basissatz pro Stunde. Die Krankenkasse teilte der D daraufhin mit, es sei ein Einzel-​Vertrag mit dem Leistungserbringer erforderlich, so dass nur bei Abschluss einer Ein204

278 SG Kassel, Beschl. v. 29.10.2019, S 7 KR 31/19 R.

Es ist allein Aufgabe der Krankenkasse, die angemessene Versorgung mit Leistungen der Krankenpflege sicherzustellen. Im Sachleistungssystem des SGB V trägt nach § 2 Abs. 2 SGB V die Krankenkasse die Leistungsverantwortung und nicht die Versicherte oder deren Angehörige. Es ist die Aufgabe der Krankenkasse sicherzustellen, dass die Behandlungspflegeleistungen in dem verordneten Umfang für die Versicherte erbracht werden.279 Allerdings gibt § 37 Abs. 4 SGB V den Versicherten eine Möglichkeit, für häusliche Krankenpflege Kostenerstattung zu verlangen, wobei die Erstattung auf die angemessenen Kosten beschränkt ist. Die Krankenkasse kann dann die Sachleistung im Sinne der Vorschrift nicht erbringen, wenn ihr die entsprechenden Kapazitäten fehlen, sie also nicht ausreichend Pflegekräfte zur Verfügung hat, die ihr gegenüber vertraglich gebunden sind. Ein solcher Mangel kann vor allem wegen der örtlichen Verhältnisse oder wegen der Spezialität der Erkrankung im Einzelfall auftreten. Hierbei setzt § 37 Abs. 4 SGB V für selbstbeschaffte Pflegekräfte jedoch nicht voraus, dass die selbstbeschaffte Kraft bestimmte formale Voraussetzungen erfüllt, wie für von der Kasse gestellte Pflegekräfte. Sie muss deshalb weder eine bestimmte Ausbildung absolviert, noch eine entsprechende Pflege bereits vorher durchgeführt haben. Allerdings wird man zu fordern haben, dass die selbstbeschaffte Kraft die persönliche Eignung für die fachgerechte Pflege des Versicherten mitbringt. Dies bedeutet, dass sie in der Lage sein muss, die für die Behandlung des konkreten Krankheitsfalles notwendigen Maßnahmen durchzuführen, sofern sie Behandlungspflege leistet. Für die Leistungen der Grundpflege wird sie zumindest in der Lage sein müssen, durch Pflegemaßnahmen die Krankheit nicht negativ zu beeinflussen und den Grundbedürfnissen des Versicherten gerecht zu werden. Insbesondere kann die Krankenkasse die Erstattung von Kosten nicht mit der Begründung verweigern, der Versicherte habe sich keinen geeigneten Pflegedienst gesucht, wenn sie selbst die Leistung nicht stellen kann und auf Nachfrage oder bei offensichtlichem Beratungsbedarf ihren Beratungspflichten (§ 14 SGB I) nicht ausreichend nachgekommen ist. Im Praxisfall 45 hat daher die Krankenkasse die Leistungen (zumindest vorübergehend) zu einem Stundensatz von 38,50 € zu vergüten. 279 LSG Berlin-​Brandenburg, Urt. v. 29.3.2019, L 1 KR 466/17.

Behandlungspflege

zelfallvereinbarung die Abrechnung der Kosten erfolgen könne. Die Krankenkasse wies ausdrücklich darauf hin, dass eine Versorgung erst dann aufgenommen werden könne, wenn eine Einzelvereinbarung mit ihr abgeschlossen sei, da nur dann eine Vergütung möglich sei. Dem bisherigen Pflegedienst, F. GmbH, bestätigte die Krankenkasse die Mitteilung der Kündigung, wies aber darauf hin, dass aufgrund der bestehenden Einzelvereinbarung die Versorgung der Versicherten vertraglich geregelt und eine darin enthaltene Kündigungsfrist zu beachten sei, welche erst zum 31.1.2020 ende. Dies sei vom Pflegedienst zu beachten. Dem neuen Pflegedienst teilte die Krankenkasse mit, dass ein Stundensatz iHv 33,00 € angeboten werde. Weitere Aktivitäten unternahm die AOK Hessen nicht. Wie ist zu entscheiden?

205

8.6 Ist dem Wunsch- und Wahlrecht des Versicherten auf einen bestimmten Pflegedienst immer zu folgen?  BEISPIEL

Kapitel 8:  AUßERKLINISCHE AMBULANTE INTENSIVPFLEGE spezial

Praxisfall 46:280 Die 12-jährige F erhält – bei Vorliegen eines Zustandes nach hypoxisch ischämischer Enzephalopathie infolge eines Ertrinkungsunfalls, einer symptomatisch fokalen Epilepsie, eines Tracheostoma mit Bildung von multiplen endotrachealen Granulationen, eines Zustandes nach zweimaliger Granulom-​Abtragung, eines Verdachts auf Tracheomalazie, einer chronischen Subluxation der rechten Hüfte sowie eines Zustandes nach einer Spontanfraktur der rechten Tibia und Fulbula – ärztlich verordnete und von der Krankenkasse genehmigte Behandlungspflege im Umfang von 50 Stunden pro Woche und für die ambulant intensiv-​pflegerische Versorgung im Rahmen der Schulbegleitung und bei Bedarf der Häuslichkeit zu. Bisher erbrachte der Pflegedienst „Kinder- und Jugendklinik E“ die intensiv-​pflegerische häusliche Krankenpflege für die F zu einem Stundensatz i.H.v. 45 €. Der kündigte die Vergütungsvereinbarung gem. § 132a Abs. 4 SGB V und informierte die F. Der Pflegedienst stellte klar, dass er bereit sei, die F im Rahmen der intensiv-​pflegerischen häuslichen Krankenpflege weiter zu versorgen, sofern die Krankenkasse eine Kostenzusage für einen Stundensatz i.H.v. 51,30 € gebe. Die Krankenkasse teilte der F mit, dass zur erforderlichen Leistungserbringung N GmbH sowie die Intensivpflege M. UG zur Verfügung stünden. Muss die F den Pflegedienst wechseln?

Das Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten aus § 33 Satz 2 SGB I ist stets leistungsrechtlich zu berücksichtigen und es korrespondiert mit dem verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Selbstbestimmungsrecht.281 Allerdings darf nicht verkannt werden, dass der Wunsch angemessen sein muss, was dann der Fall ist, wenn die Berücksichtigung des Wunsches zu einer Entscheidung führt, die sich in dem rechtlich vorgegebenen Rahmen der inhaltlichen Ausgestaltung des jeweiligen Rechts oder der jeweiligen Pflicht hält und den berechtigten Interessen des Verwaltungsträgers nicht widerspricht. Hierbei sind die Belange des Leistungsträgers, die Interessen der Allgemeinheit, insbesondere die der Versichertengemeinschaft, gegen die Belange des Betroffenen 206

280 SG Münster, Beschl. v. 21.6.2019, S 17 KR 1206/19 ER. 281 BSG, Urt. v. 30.11.2017, B 3 KR 11/16 R.

Behandlungspflege

abzuwägen. Ein Gesichtspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit eines Wunsches sind die entstehenden Mehrkosten, wobei sich die Frage, wann diese so erheblich sind, dass sie die Verwaltung berechtigen, die Erfüllung eines Wunsches abzulehnen, nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles beurteilen lässt und hierbei insbesondere wesentlich ist, ob mit Blick auf die von den Verwaltungsträgern stets zu beachtenden Gebote der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 68 SGB IV sowie § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V) zwischen den Mehrkosten und den Vorteilen für den Betroffenen ein ausgewogenes Verhältnis besteht. Im Praxisfall 46 ist ein solches ausgewogenes Verhältnis zwischen den für die weitere Versorgung der F durch den Pflegedienst „Kinder- und Jugendklinik E“ entstehenden Mehrkosten einerseits und den für die F sich aus dieser Versorgung ggf. ergebenden Vorteilen inhaltlich zu belegen, ansonsten ist dem Wunschund Wahlrecht der Vorrang zu versagen.

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Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial  INFO Angesichts inhaltlicher Überschneidungen aufgrund vieler ähnlich gelagerter Versorgungsprobleme und Regelungsbedarfe wurden die Beratungen zur Überarbeitung der Soziotherapie-Richtlinie in den vergangenen Jahren gemeinsam geführt. Dabei zeigte eine systematische Recherche der aktuellen Studienlage zur psychiatrischen häuslichen Krankenpflege im Gemeinsamen Bundesausschuss eine nur wenig hinreichende Datenlage. Daher wurde im Februar 2016 ein Expertengespräch zu diesem Thema durchgeführt,282 dessen Anregungen in die Änderungen der in § 4 HKP-Richtlinie geregelten Besonderheiten der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege und die unter Nr. 27a der Anlage enthaltenen Ausführungen und Diagnosen für die Verordnung von zur psychiatrischen häuslichen Krankenpflege aufgenommen wurden.

Für die Verordnung von Leistungen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege gelten einige Besonderheiten. Die psychiatrische häusliche Krankenpflege soll dazu beitragen, stationäre Klinikaufenthalte zu vermeiden. § 4 Abs. 1 HKP-Richtlinie Für die Verordnung von Leistungen nach Nr. 27a des Verzeichnisses verordnungsfähiger Leistungen (psychiatrische Krankenpflege) gelten nachfolgende Besonderheiten. Die psychiatrische häusliche Krankenpflege wird auch als ambulante psychiatrische Pflege (mit der pflegetypischen Abkürzung: APP) bezeichnet. Die psychiatrische häusliche Krankenpflege ist aufsuchend tätig und damit Verbindungsglied zu anderen Leistungserbringern, insbesondere zu Ärzten, Therapeuten, Tageskliniken, anderen psychosozialen Diensten und Angeboten in der Gemeinde sowie Beratungsstellen. Die Häufigkeit der Besuche orientiert sich an dem Bedarf der Versicherten und kann von mehrmals täglich bis einmal monatlich variieren. Die Anlage der HKP282 Die Dokumentation des Expertengesprächs ist im Kapitel 6 der tragenden Gründe zum Beschluss über die Änderung der HKP-Richtlinie vom 19.7.2018 veröffentlicht.

Behandlungspflege

9.1 Welche Besonderheiten hat die psychiatrische häusliche Krankenpflege?

209

Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

Richtlinie nennt in Ziffer 27a als Orientierungsrahmen bis zu 14 Einheiten pro Woche mit abnehmender Tendenz. Die Anlage der HKP-Richtlinie gibt eine zeitliche Begrenzung auf 4 Monate an, die jedoch keine Verankerung in § 37 Abs. 2 SGB V findet und der daher keine ausschließende rechtliche Bedeutung zukommt.283 Ansprüche auf psychiatrische häusliche Krankenpflege sind daher grundsätzlich zeitlich unbefristet möglich – im Gegenteil zur Soziotherapie. Als Verrichtungen nennt die HKP-Richtlinie das Erarbeiten der Pflegeakzeptanz (Beziehungsaufbau), das Durchführen von Maßnahmen zur Bewältigung von Krisensituationen und das Entwickeln kompensatorischer Hilfen. Die Aufgaben werden umschrieben mit: –– professionelle, tragfähige Beziehung aufbauen; –– feststellen, beobachten und dokumentieren des Hilfebedarfs und dessen Entwicklung (Pflegeprozess); –– bei der Bewältigung von Alltagsanforderungen helfen (z. B. beim Einkaufen, Kochen, Körperpflege); –– stützende Tagesstruktur schaffen; –– wahrnehmen und beobachten von Krankheitszustand und -entwicklung; –– ärztliche Behandlung unterstützen; –– durch Gespräche die eigene Verantwortlichkeit der Patienten stützen und fördern; –– einen bewussten, aktiven Umgang mit der Krankheit/Beeinträchtigung durch Information und Beratung fördern; –– Krisensituationen erkennen (z. B. Suizidalität, familiäre Probleme); –– frühzeitige Krisenintervention (z. B. engmaschige Betreuungs- und Gesprächsangebote, Entspannungsübungen); –– die Angehörigen und das soziale Umfeld aktiv einbeziehen, beraten und unterstützen; –– Koordination und Vermittlung von Hilfen; –– eigenverantwortlichen Umgang mit Medikamenten und die Compliance fördern; –– Wirkung und Nebenwirkungen der Medikamente erkennen; –– praktische Unterstützung der Patienten zur Erreichung ihrer Ziele. Der eingefügte § 4 Abs. 2 HKP-Richtlinie soll die Besonderheit der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege hervorzuheben. Die psychiatrische häusliche Krankenpflege soll dazu beitragen, dass die oder der Versicherte mit einer schweren psychischen Störung im Rahmen ihrer oder seiner Möglichkeiten in der gewohnten häuslichen Umgebung leben kann. Bezugspunkt ist demnach das aufgrund der vorliegenden psychischen Erkrankung bestmöglich erreichbare Funktionsniveau.

210

283 so bereits SG Köln, Urt. v. 21.1.2003, S 9 KR 28/02

§ 4 Abs. 2 HKP-Richtlinie In Konkretisierung der in § 2 dieser Richtlinie formulierten Ziele ist das ergänzende Ziel der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege, dazu beizutragen, dass Versicherte soweit stabilisiert werden, dass sie ihr Leben im Alltag im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbständig bewältigen und koordinieren sowie Therapiemaßnahmen in Anspruch nehmen können. Dabei ist das soziale Umfeld zu berücksichtigen.

9.2 Muss eine ausreichende Behandlungsfähigkeit vorliegen?  BEISPIEL

Die 1971 geborene A ist an einer Agoraphobie mit Panikattacken bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung sowie Tranquilizer-Entzug erkrankt. Sie befindet sich in psychiatrischer Behandlung und erhält seit Juli 20xx in unterschiedlicher Frequenz psychiatrische häusliche Krankenpflege. Zwischenzeitlich erfolgte Überprüfungen der medizinischen Notwendigkeit mit der Einholung von Stellungnahmen des behandelnden Psychiaters Dr. L., des psychiatrischen Krankenpflegers, der Einsicht in die Pflege-Dokumentation sowie der Anhörung des MDK führten jeweils zur weiteren Bewilligung der APP. Die Krankenkasse lehnte die Verordnung APP mit verhaltenstherapeutischen Übungen (1 x täglich/7 x wöchentlich) ab, weil eine ausreichende Behandlungsfähigkeit offensichtlich nicht vorliege, die angegebenen Diagnosen im Leistungsverzeichnis nicht aufgeführt seien und die Höchstbehandlungsdauer bei Weitem überschritten sei. Zu Recht? Die HKP-Richtlinie schreibt als besondere Voraussetzung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege die Behandlungsfähigkeit vor § 4 Abs. 3 HKP-Richtlinie Voraussetzung für die Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen Krankenpflege ist, dass die oder der Versicherte über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit verfügt, um im Pflegeprozess die in Absatz 8 Satz 1 genannten Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflussen zu können, und zu erwarten ist, dass das mit der Behandlung verfolgte Therapieziel von der oder dem Versicherten manifest umgesetzt werden kann.

284 SG Düsseldorf, Beschl. v. 19.9.2005, S 8 KR 225/05 ER

Behandlungspflege

Praxisfall 47:284

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Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

Behandlungsfähigkeit liegt nicht nur im Falle der Aussicht auf eine Besserung und ggf. Heilung der Erkrankung, sondern bereits dann vor, wenn ohne die erforderliche Behandlung eine Verschlechterung eintreten wird. Der weitergehenden Bewilligung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege in Praxisfall 47 steht die besondere Voraussetzung der Behandlungsfähigkeit nicht entgegen. Denn selbst bei sachgerechter Auslegung der HKP-Richtlinie durch die Krankenkasse kann die Anwendung von Richtlinien nicht dazu führen, dass eine medizinisch notwendige und vom Gesetzgeber vorgesehene medizinische Behandlung begrenzt oder ausgeschlossen wird.285 Die Behandlungsfähigkeit ist gegeben und eine zeitliche Befristung für den Anspruch wurde gesetzlich nicht geregelt. Die weiteren Leistungsinhalte regelt der eingefügte § 4 Abs. 5 HKP-Richtlinie und erweitert die bisherige Formulierung in § 4 Abs. 3 Satz 2 HKP-Richtlinie (alte Fassung). Statt dem bisherigen Begriff der „Angehörigen“ wird nun der treffendere Begriff der „relevanten Bezugspersonen“ verwendet. Die Anleitung oder der Einbezug relevanter Bezugspersonen dient dazu, deren Ressourcen zur Unterstützung der Versicherten oder des Versicherten zu stärken. Damit ist kein eigenständiger Leistungsanspruch von relevanten Bezugspersonen verbunden. Mit „relevant“ sind in diesem Zusammenhang Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld der Patientin oder des Patienten gemeint. Solche relevanten Bezugspersonen können insbesondere Eltern, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner, Geschwister und Kinder oder sonstige Personen sein, die unmittelbar und regelmäßig mit der Krankheit der Patientin oder des Patienten bzw. der Umsetzung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege befasst sind. § 4 Abs. 5 HKP-Richtlinie Im Rahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege sind die relevanten Bezugspersonen der oder des Versicherten einzubeziehen und im Umgang mit deren oder dessen Erkrankung anzuleiten, soweit dies im Einzelfall notwendig und erwünscht ist. Zudem soll die Pflege in den (gemeinde-)psychiatrischen Verbund oder anderer vernetzter Behandlungsstrukturen eingebunden, das Umfeld beteiligt und die soziale Integration gewährleistet werden. Weiter wird konkretisiert, dass die psychiatrische häusliche Krankenpflege nach Möglichkeit in einer vernetzten Versorgungsstruktur erbracht werden soll, um eine optimale, differentialtherapeutisch abgewogene Behandlung zu gewährleisten. Zudem können durch sektorenübergreifendes Zusammenwirken der ärztlichmedizinisch-therapeutischen Versorgung und des Hilfesystems, wie es durch weitere Leistungserbringer des psychosozialen Bereiches gegeben ist, synergistische Effekte genutzt werden.

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285 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205

9.3 Erarbeitung der Pflegeakzeptanz Die Erst-Verordnung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege kann dem Beziehungsaufbau zum Versicherten, das Erarbeiten der Pflegeakzeptanz, dienen. Kann die Pflegeakzeptanz bei der ersten Verordnung nicht eingeschätzt werden, so ist zunächst ein Zeitraum von 14 Tagen zu verordnen. Zeichnet sich eine Compliance nicht ab, so ist nach einer einmaligen Verlängerung der Erst-Verordnung um weitere 14 Tage eine weitere Verordnung von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege nicht möglich. Der behandelnde Vertragsarzt wird nach anderen Möglichkeiten zur Therapieführung suchen und ggf. eine stationäre Versorgungsform wählen.

Mit Blick auf die Dauer der Erstverordnung ergeben sich folgende mögliche Konstellationen: 1. Wenn der verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt zum Zeitpunkt der Erstverordnung eine Einschätzung möglich ist, dass die oder der Versicherte über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit verfügt, um im Pflegeprozess die in § 4 Abs. 8 Satz 1 HKP-Richtlinie genannten Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflussen zu können, und zu erwarten ist, dass das mit der Behandlung verfolgte Therapieziel von der oder dem Versicherten umgesetzt werden kann (vgl. § 4 Abs. 3 HKP-Richtlinie), ist die Dauer der Erstverordnung im Einzelfall und abhängig vom Bedarf der oder des Versicherten zu bestimmen. 2. Ist der verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt eine Einschätzung, ob die in § 4 Abs. 3 HKP-Richtlinie genannten Voraussetzungen vorliegen, zum Zeitpunkt der Erstverordnung nicht möglich, ist die Erstverordnung zunächst auf 14 Tage beschränkt. Hierbei soll eingeschätzt werden, ob die Erarbeitung

Behandlungspflege

§ 4 Abs. 4 HKP-Richtlinie Können die in Absatz 3 genannten Voraussetzungen zum Zeitpunkt der erstmaligen Verordnung durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt eingeschätzt werden, kann die psychiatrische häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen verordnet werden. Die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt hat sich über den Erfolg der verordneten Maßnahmen zu vergewissern. Können die in Absatz 3 genannten Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Verordnung durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt nicht eingeschätzt werden, ist eine Erstverordnung nur bis zu 14 Tagen möglich. Ist in dem Zeitraum nach Satz 3 eine diesbezügliche Einschätzung abschließend noch nicht möglich, kann eine Folgeverordnung für weitere 14 Tage ausgestellt werden. Zeichnet sich in diesem Zeitraum ab, dass Pflegeakzeptanz und Beziehungsaufbau nicht erreicht werden können, ist eine (erneute) Folgeverordnung nicht möglich.

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Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

der Pflegeakzeptanz und der Beziehungsaufbau generell möglich ist. Hier hat die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt die Möglichkeit der Kontrolle und Überprüfung, ob diese Leistung für die Patientin oder den Patienten zielführend ist.

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Kommt die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt nach diesen 14 Tagen zu dem Ergebnis, dass durch die psychiatrische häusliche Krankenpflege die in § 4 Abs. 3 HKP-Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllt werden, kann eine Folgeverordnung für einen längeren Zeitraum ausgestellt werden. Kommt die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt nach 14 Tagen zu dem Ergebnis, dass durch die psychiatrische häusliche Krankenpflege die Fähigkeitsstörungen nicht positiv beeinflusst werden können und dass mit der Behandlung verfolgte Therapieziel nicht umgesetzt werden kann, ist eine weitere Folgeverordnung nicht möglich. Für spätere Verordnungen kann das Vorliegen der Voraussetzungen erneut geprüft werden. Kommt die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt zu dem Ergebnis, dass eine abschließende Einschätzung, ob die in § 4 Abs. 3 HKP-Richtlinie genannten Voraussetzungen vorliegen, nach 14 Tagen noch nicht möglich ist, kann eine Folgeverordnung für weitere 14 Tage ausgestellt werden. Da in diesen Konstellationen noch nicht abschließend geklärt werden konnte, ob die psychiatrische häusliche Krankenpflege als Leistung überhaupt zielführend ist, ist der Verordnungszeitraum begrenzt. In dieser Zeit soll eruiert werden, ob die psychiatrische häusliche Krankenpflege die Fähigkeitsstörungen positiv beeinflussen und mit der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege die Therapieziele erreicht werden können. Kommt die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt nach diesen 14 Tagen zu dem Ergebnis, dass durch die psychiatrische häusliche Krankenpflege die in § 4 Abs. 3 HKP-Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllt werden, kann eine Folgeverordnung für einen längeren Zeitraum ausgestellt werden. Kommt die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt nach diesen 14 Tagen zu dem Ergebnis, dass durch die psychiatrische häusliche Krankenpflege die Fähigkeitsstörungen nicht positiv beeinflusst werden können und dass mit der Behandlung verfolgte Therapieziel nicht umgesetzt werden kann, ist eine weitere Folgeverordnung nicht möglich. Die Verordnungsdauer insgesamt wird nicht in § 4 Abs. 4 HKP-Richtlinie geregelt, sondern wie bisher in der Spalte „Dauer und Häufigkeit der Maßnahme“ unter Nr. 27a des Leistungsverzeichnisses.

9.4 Wer darf APP verordnen? Die Verordnung psychiatrischer häuslicher Krankenpflege erfolgt durch bzw. unter vorheriger Diagnosesicherung der Vertragsärzte mit den Fachgebieten Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin oder Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie. Eine Verordnung ist auch durch psychiatrische Institutsambulanzen nach § 118 SGB V möglich. § 4 Abs. 6 HKP-Richtlinie Folgende Vertragsärztinnen und Vertragsärzte dürfen Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege verordnen: – Fachärztin oder Facharzt für Nervenheilkunde, – Fachärztin oder Facharzt für Neurologie, – Fachärztin oder Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, – Fachärztin oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,

Die in der Richtlinie verwendeten Weiterbildungsbezeichnungen richten sich nach der (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer 2003 in der Fassung vom 23. Oktober 2015 und schließen auch die Ärztinnen und Ärzte ein, welche eine entsprechende Bezeichnung nach altem Recht in den jeweiligen Bundesländern führen. Eine Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege kann ferner erfolgen durch psychiatrische Institutsambulanzen nach § 118 SGB V. Abweichend von Satz 1 kann die Verordnung durch die Hausärztin oder den Hausarzt sowie eine Fachärztin oder einen Facharzt mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie erfolgen. Dies erfordert eine vorherige Diagnosesicherung durch eine Ärztin oder einen Arzt der in Satz 1 genannten Fachgebiete, die nicht älter als vier Monate ist. Der Gesamtverordnungszeitraum durch diese Ärztinnen und Ärzte sollte sechs Wochen nicht überschreiten. Die abweichende Verordnungsmöglichkeit nach Satz 4 besteht für Verordnungen von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege nach Absatz 10 mit der Maßgabe, dass der Verordnungszeitraum von insgesamt sechs Wochen nicht überschritten werden darf.

Behandlungspflege

–Fachärztin oder Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (in therapeutisch begründeten Fällen in der Übergangsphase ab dem 18. Lebensjahr bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs).

Als weitere verordnungsberechtigte Arztgruppe neben den Hausärztinnen und Hausärzten werden Fachärztinnen und Fachärzte mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie benannt. Damit wird die Verordnung durch die Fachärztinnen und Fachärzte mit Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie den Verordnungsmöglichkeiten der Hausärztinnen und Hausärzte gleichgestellt. Wie bei den Hausärztinnen und Hausärzten können nunmehr Verordnungen durch die Fachärztinnen und Fachärzte mit Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie nur unter Diagnosesicherung durch die im § 4 Abs. 6 HKP-Richtlinie genannten Fachärztinnen und Fach-

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Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial 216

ärzte erfolgen. Damit soll die Qualität hinsichtlich der fachspezifischen Diagnosesicherung im Kontext der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege gestärkt werden. Aus diesem Grund wird ferner vorgesehen, dass bei Verordnung durch Hausärztinnen und Hausärzte sowie Fachärztinnen und Fachärzte mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie die Diagnosestellung durch die Fachärztin oder den Facharzt nicht länger als vier Monate zurückliegen darf. Die Dauer der Verordnung durch die Hausärztinnen und Hausärzte sowie Fachärztinnen und Fachärzte mit Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie im Rahmen der Regelindikation nach Absatz 9 sollte insgesamt sechs Wochen nicht überschreiten. Dadurch soll gewährleistet werden, dass sich die Patientinnen und Patienten nach Möglichkeit in die fachärztliche Behandlung begeben und die psychiatrische häusliche Krankenpflege durch Fachärztinnen und Fachärzte verordnet wird. Somit wird sichergestellt, dass die Versorgung den fachlichen Anforderungen entspricht. Durch die Einfügung des Begriffes „sollte“ wird dennoch ermöglicht, dass Hausärztinnen und Hausärzte sowie Fachärztinnen und Fachärzte mit der Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie im Rahmen der Regelindikation nach § 4 Abs. 9 HKP-Richtlinie in Einzelfällen auch länger als sechs Wochen psychiatrische häusliche Krankenpflege verordnen können. Abweichend davon können Hausärztinnen und Hausärzte sowie Fachärztinnen und Fachärzte mit der Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie bei Indikationen der Öffnungsklausel nach § 4 Abs. 10 HKP-Richtlinie bis zu einer Dauer von sechs Wochen insgesamt verordnen. Diese strikte Begrenzung des Gesamtverordnungszeitraums ist damit begründet, dass insbesondere bei Indikationen der Öffnungsklausel eine individuelle fachärztliche Einzelfallbetrachtung auch dahingehend erforderlich ist, ob Kontraindikationen für die psychiatrische häusliche Krankenpflege vorliegen bzw. eine andere Versorgung zielführender ist. Die Regelung soll insbesondere eine Überbrückung beim Wechsel zwischen den Versorgungssektoren ermöglichen.

9.5 Der Behandlungsplan Weitere Voraussetzung der APP ist ein vom behandelnden Arzt erstellter Behandlungsplan mit den Bestandteilen: –– Indikation, –– Fähigkeitsstörungen, –– Zielsetzung der Behandlung, –– Behandlungsfrequenz und -dauer.

Mithilfe des ärztlichen Behandlungsplanes können die verschiedenen gesetzlichen Ansprüche der Behandlungspflege und der Eingliederungshilfe des Trägers der Sozialhilfe unterschieden werden. Regelmäßig ist streitig, ob die Betreuung des Versicherten durch den Pflegedienst noch im Rahmen einer zielgerichteten ärztlichen Behandlung stattfindet – mit der Folge des Eingreifens des § 37 Abs. 2 SGB V – oder ob es sich wegen des nicht beeinflussbaren Dauerzustandes um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe im Sinne der §§ 54, 55 SGB XII handelt. Diese bei psychiatrischen Dauerkranken außerordentlich schwierige Abgrenzung ist in den meisten Fällen offen. Zwar kann bei Dauererkrankungen, die jahrelang ohne nennenswerten Erfolg behandelt worden sind, vermutet werden, dass das Leiden keiner Krankenbehandlung mehr zugänglich ist.286 Für eine andauernde Krankenbehandlung wiederum sprechen pflegerische Maßnahmen, die im Rahmen eines definierten und strukturierten ärztlichen Behandlungsplans erbracht werden; im Gegensatz zu solchen, die im Wesentlichen von den Pflegekräften eigenverantwortlich und selbst geplant erbracht werden und daher eher der psychosozialen Betreuung zuzurechnen sind. Zu beachten ist dabei, dass zu den Zielen einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V auch die Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit zählt und nach dessen Satz 3 den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen ist. Insoweit ist es irrelevant, wenn das Grundleiden keiner Besserung zugänglich ist, da es ausreicht, wenn eine Behandlung zur Verbesserung der Symptomatik oder der Verhütung ihrer Verschlimmerung stattfindet. Und wenn auch das Berücksichtigungsgebot des § 27 Abs. 1 Satz 3 SGB V eher pro286 für stationäre Behandlung: BSG, Urt. v. 22.5.1985, 1 RS 1/84 = BSGE 58, 110; BGH, Urt. v. 9.5.2000, VI ZR 173/99

Behandlungspflege

§ 4 Abs. 7 HKP-Richtlinie Bestandteil der Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen Krankenpflege ist der von der Ärztin oder dem Arzt erstellte Behandlungsplan, der die Indikation, die Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen), die Zielsetzung der Behandlung und die Behandlungsschritte (Behandlungsfrequenzen und -dauer) umfasst. Der Krankenkasse ist der Behandlungsplan vorzulegen. Der Behandlungsplan ist bei Änderungen (zum Beispiel des Bedarfs, des klinischen Status, der relevanten Kontextfaktoren) zu aktualisieren und vorzulegen.

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grammatischen Charakter hat, kann jedenfalls die bloße Zeitdauer der erforderlichen Pflege bei chronischen psychischen Erkrankungen nicht als Argument gegen die Annahme einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V angeführt werden.287

Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

Behandlungsbedürftig und arbeitsunfähig?

218

287 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.2.2002, L 5 B 3/02 KR ER

Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist dabei als regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat zu verstehen.288Es reicht auch für die psychiatrische häusliche Krankenpflege aus, wenn ein Zustand diagnostiziert wird. Besteht Behandlungsbedürftigkeit, so muss nicht zugleich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegen, etwa wenn der Kunde noch versucht ein „normales“ Leben – trotz Behandlungsbedürftigkeit – weitgehend zu erhalten. Die vertretene Auffassung der Krankenkasse ist daher rechtswidrig. Insgesamt ergeben sich also folgendes Prüfungsschema der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege mit den Voraussetzungen, die – neben den allgemeinen Voraussetzungen – für den Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorliegen müssen:

Voraussetzungen psychiatrische häusliche Krankenpflege

Voraussetzungen psychatrische häusliche Krankenpflege

NEIN

Versicherteneigenschaft

Keine Leistung

JA

Diagnose des Arztes: „Regelindikation“

Öffnungsklausel, § 4 Abs. 10 HKP-RL

NEIN

JA

JA

Antrag auf Leistung bzw. Genehmigung

Keine Leistung

[email protected] NEIN

Nicht einschätzbar

Genehmigung max. 14 Tage

20

Keine Leistung „behandlungsfähig“ JA

Nicht einschätzbar

Genehmigung weitere 14 Tage Genehmigung

[email protected]

NEIN Nicht einschätzbar

NEIN

„behandlungsfähig“ JA

Behandlungspflege

JA

Schaubild M – Teil 2

NEIN

JA [Bitte gleich an Schaubild M – Teil 1 anschließen]

„behandlungsfähig“

NEIN

21

288 Diese gebräuchliche Formel zur Erläuterung des Begriffs der Krankheit geht auf ein Urteil des OLG Hamburg v. 1.3.1886, ArbVers. 1886, 214 zurück. RVA GE Nr. 2140 AN 1916, 341; BSG, Urt. v. 28.10.1960, 3 RK 29/59 = BSGE 13, 134 st. Rsp.

219

Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

9.6 Bei welchen Diagnosen kann APP verordnet werden?

220

§ 4 Abs. 8 HKP-Richtlinie Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege sind für Indikationen nach den Absätzen 9 und 10 verordnungsfähig, wenn eine oder mehrere der folgenden Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) in einem Maß vorliegen, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann und diese Beeinträchtigungen durch die psychiatrische häusliche Krankenpflege positiv beeinflusst werden können: – Störungen des Antriebs, der Ausdauer oder der Belastbarkeit in Verbindung mit der Unfähigkeit der Tagesstrukturierung, der Einschränkung des planenden Denkens oder des Realitätsbezugs, –E  inbußen bei –– der Kontaktfähigkeit, –– den kognitiven Fähigkeiten, wie Konzentration, Merkfähigkeit, Lernleistung und problemlösendes Denken, –– dem Zugang zur eigenen Krankheitssymptomatik oder –– dem Erkennen und Überwinden von Konfliktsituationen und Krisen. Zur Bestimmung der Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) und deren Ausmaß ist nach Maßgabe der Absätze 9 und 10 die GAF-Skala heranzuziehen und der GAF-Wert auf der Verordnung anzugeben. Kontraindikationen schließen die Verordnung von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege aus (zum Beispiel Gefahr der iatrogenen Chronifizierung). Im Text der HKP-Richtlinie werden nun die Voraussetzungen für die Verordnung von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege abgebildet, die bisher am Ende der Spalte „Bemerkung“ unter Nummer 27a des Leistungsverzeichnisses enthalten waren. Dabei wurde klargestellt, dass Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege nur verordnungsfähig sind, wenn durch die psychiatrische häusliche Krankenpflege die genannten Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflusst werden können und damit ein Verbleib in der Häuslichkeit ermöglicht werden kann; dies schließt eine intermittierende stationäre Maßnahme nicht aus. Ist im Vorfeld erkennbar, dass die Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege keinen positiven Einfluss auf die Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) haben, kann psychiatrische häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Zur Operationalisierung der Bestimmung der Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) und deren Ausmaß wird nun die Anwendung der GAF-Skala vorgesehen. Die GAF-Skala (Global Assessment of Functioning) ist eine international wissenschaftlich anerkannte Klassifikation zur Beschreibung der

psychischen, sozialen und beruflichen Funktionen von psychisch erkrankten Menschen. Als valides Instrument sollte die GAF-Skala daher zur Abschätzung des Ausmaßes der Beeinträchtigung der Aktivität herangezogenen werden. Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund von körperlichen (oder umgebungsbedingten) Einschränkungen werden nicht in die GAF-Skala einbezogen. Als alleiniges Instrument zur Bestimmung der Beeinträchtigung der Aktivität oder Aktivitäten ist die GAF-Skala aber nicht geeignet. In Verbindung mit der Gesamteinschätzung durch die Fachärztin oder den Facharzt ist sie ergänzend heranzuziehen. In der Expertenanhörung des Gemeinsamen Bundesausschusses wurde ein Wert von 50 bis 41 auf der GAF-Skala genannt, bei dem die Einschränkungen der Fähigkeitsstörungen so gravierend sind, dass eine psychiatrische häusliche Krankenpflege grundsätzlich sinnvoll sein kann. Mit der Einführung der GAF-Skala sind keine Leistungseinschränkungen verbunden; vielmehr dient sie einer besseren Bestimmbarkeit der Funktionseinschränkungen. Kontraindikationen schließen eine Verordnung von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege aus. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch die Versorgung oder eine zu lange Dauer der Versorgung eine Besserung der Krankheitssymptome verzögert oder sogar verhindert wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ressourcen der Patientin oder des Patienten i. S. des Selbsthilfepotentials unbeachtet bleiben (iatrogene Chronifizierung).

Die Voraussetzungen für eine Versorgung mit psychiatrischer häuslicher Krankenpflege im Rahmen der unter Nr. 27a des Leistungsverzeichnisses genannten Diagnosen (Regelindikationen) legen für die Anwendung der GAF-Skala einen Orientierungswert von 40 (höchstens ≤ 50) auf der GAF-Skala fest. Bei Werten zwischen 41 und 50 unterliegt es der fachlichen Einschätzung des Arztes, ob eine Versorgung mit psychiatrischer häuslicher Krankenpflege angezeigt ist. Dies bedeutet, dass bei einem GAF-Wert von über 50 psychiatrische häusliche Krankenpflege nicht verordnet bzw. erbracht werden kann. Des Weiteren wird auch zur Indikationsstellung der Soziotherapie die GAFSkala mit einem Orientierungswert von 40 (höchstens ≤ 50) im Rahmen der Verordnung im Regelfall herangezogen. Aufgrund der inhaltlichen Nähe der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege zur Soziotherapie wurden beide Richtlinien mit Blick auf die Indikationsstellung harmonisiert. Psychiatrische häusliche Krankenpflege ist nach Ziff. 27a der Anlage nur verordnungsfähig bei folgenden Diagnosegruppen nach ICD-10:

Behandlungspflege

§ 4 Abs. 9 HKP-Richtlinie Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege sind im Rahmen der Regelindikation nur verordnungsfähig bei den in Nummer 27a des Leistungsverzeichnisses genannten Diagnosen. Dabei gilt bei den in der Bemerkungsspalte genannten Diagnosen (Regelindikation) ein Orientierungswert im Rahmen der GAF-Skala von 40 (höchstens ≤ 50). Dies muss aus der Verordnung hervorgehen.

221

Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial 222

F00.1 Demenz bei Alzheimer-Krankheit, mit spätem Beginn (Typ 1) F01.0 Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn F01.1 Multiinfarkt-Demenz F01.2 Subkortikale vaskuläre Demenz F02.0 Demenz bei Pick-Krankheit F02.1 Demenz bei Creuztfeldt-Jakob-Krankheit F02.2 Demenz bei Chorea Huntington F02.3 Demenz bei primärem Parkinson-Syndrom F02.4 Demenz bei HIV-Krankheit F02.8 Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheitsbildern F04.– Organisches amnestisches Syndrom, nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingt F05.1 Delir bei Demenz F06.0 Organische Halluzinose F06.1 Organische katatone Störung F06.2 Organische wahnhafte Störung F06.3 Organische affektive Störung F06.4 Organische Angststörung F06.5 Organische dissoziative Störung F06.6 Organische emotional labile Störung F07.0 Organische Persönlichkeitsstörung F07.1 Postenzephalitisches Syndrom F07.2 Organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma F20.– Schizophrenie F21.– Schizotype Störung F22.– Anhaltende wahnhafte Störung F24.– Induzierte wahnhafte Störung F25.– Schizoaffektive Störung F30.– Manische Episode F31.– Bipolare affektive Störung mit Ausnahme von: F31.7 bis F31.9 F32.– Depressive Episode mit Ausnahme von: F32.0, F32.1 und F32.9 F33.– Rezidivierende depressive Störung mit Ausnahme von: F33.0, F33.4, F33.8 und F33.9 F41.0 Panikstörung, auch wenn sie auf sozialen Phobien beruht F41.1 Generalisierte Angststörung F42.1 Vorwiegende Zwangshandlungen F42.2 Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F53.1 Schwere psychische Verhaltensstörung im Wochenbett F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Da abhängig vom Einzelfall psychiatrische häusliche Krankenpflege auch bei anderen psychischen Erkrankungen aus dem Bereich F00 bis F99 erforderlich sein kann, wird – in Analogie zur Soziotherapie-Richtlinie – in § 4 Abs. 10 HKP-Richtlinie eine Öffnungsklausel für weitere Diagnosen eingeführt. Dabei ist im Rahmen der Verordnung besonders darauf zu achten, dass Kontraindikationen – insbesondere mit Blick auf eine Chronifizierung des Krankheitsbildes – ausgeschlossen werden. Danach kann bei psychisch schwer Erkrankten aus dem Diagnosebereich F00 bis F99 psychiatrische häusliche Krankenpflege im Einzelfall verordnet werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: –– Es liegen Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) in einem Maß vor, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann. Dies spiegelt sich in einem GAF-Wert von kleiner gleich 40 wider. –– Die oder der Versicherte verfügt über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit, um im Pflegeprozess die Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflussen zu können. Es ist zu erwarten, dass die mit der Behandlung verfolgten Therapieziele von der oder dem Versicherten erreicht werden können. –– Es ist absehbar, dass die psychiatrischen häuslichen Krankenpflege dazu beitragen kann, dass die oder der Versicherte im Rahmen ihrer/seiner Möglichkeiten das Leben im Alltag selbstständig bewältigen und koordinieren sowie Therapiemaßnahmen in Anspruch nehmen kann. Die vorgenannten Anspruchsvoraussetzungen zur Verordnung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege außerhalb der Regelindikationen im Einzelfall müssen aus der Verordnung nachvollziehbar hervorgehen. Im Übrigen gilt mit Blick auf den Leistungsinhalt und -umfang die Nummer 27a des Leistungsverzeichnisses.

Behandlungspflege

Praxistipp: Immer daran denken: Selbst bei sachgerechter Auslegung der HKP-Richtlinie durch die Krankenkasse kann die Anwendung von Richtlinien nicht dazu führen, dass eine medizinisch notwendige und vom Gesetzgeber vorgesehene medizinische Behandlung begrenzt oder ausgeschlossen wird.289 Daher ist grundsätzlich – mit ärztlicher Begründung – eine APP auch bei anderen Diagnosen möglich!

§ 4 Abs. 10 HKP-Richtlinie Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege können für schwer psychisch erkrankte Menschen mit Diagnosen aus dem Bereich F00 bis F99, die nicht in der Bemerkungsspalte in Nummer 27a des Leistungsverzeichnisses genannt sind, in begründeten Einzelfällen verordnet werden, wenn folgende Voraussetzungen aus der Verordnung hervorgehen: 289 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205

223

– Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) liegen in einem Maß vor, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann, bei einem GAF-Wert von ≤ 40, und

Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

– die oder der Versicherte verfügt über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit, um im Pflegeprozess die in Absatz 8 Satz 1 genannten Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflussen und die mit der Behandlung verfolgten Therapieziele erreichen zu können.

9.7 Vorzeitige Leistungsbeendigung Die Therapieziele der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege müssen in einem begrenzten Zeitraum erreichbar sein. Die psychiatrische häusliche Krankenpflege kann nur solange verordnet werden, wie mindestens ein Therapieziel aus fachlicher Sicht noch erreicht werden kann. Wenn die Therapieziele bereits vor Ablauf der Verordnung erreicht werden, ist die psychiatrische häusliche Krankenpflege zu beenden und die Krankenkasse umgehend zu informieren. Leistungen der psychiatrischen Krankenpflege sind zu beenden, wenn die Durchführung der Leistung aufgrund der mangelnden Mitwirkung der oder des Versicherten nicht möglich ist (beispielsweise wenn der Pflegedienst wiederholt nicht in die Wohnung gelassen wird). § 4 Abs. 11 HKP-Richtlinie Wurden die Therapieziele vor Ablauf des Verordnungszeitraums erreicht, endet der Anspruch auf psychiatrische häusliche Krankenpflege. Sind die Therapieziele nicht mehr mit den Möglichkeiten der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege erreichbar oder fehlt anhaltend die Mitwirkung der oder des Versicherten, ist die Maßnahme der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege zu beenden. Die Änderungen der Pflegesituation bzw. eine mangelnde Mitwirkung sind vom ambulanten Pflegedienst an den behandelnden Arzt weiterzugeben. Dieser informiert die Krankenkasse. § 4 Abs. 12 HKP-Richtlinie Hinweise nach Absatz 11 oder weitere Hinweise zur veränderten Pflegesituation sind der verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt gemäß § 7 Absatz 2 mitzuteilen. Die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt informiert nach Rücksprache mit der Patientin oder dem Patienten die Krankenkasse.

224

9.8 Die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung Nach § 39 Abs. 1 Satz 4 SGB V handelt es sich bei der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld um eine Krankenhausbehandlung, die eine psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld durch mobile ärztlich geleitete multiprofessionelle Behandlungsteams beinhaltet. Nach § 39 Abs. 1 Satz 5 SGB V entspricht die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld hinsichtlich Inhalt sowie der Flexibilität und Komplexität der Behandlung einer vollstationären Behandlung im Krankenhaus. Gemäß § 39 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 115d SGB V sind alle medizinisch notwendigen Leistungen im Rahmen der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld durch das behandelnde Krankenhaus zu erbringen.

Leistungen der häuslichen Krankenpflege werden insbesondere gewährt, wenn eine Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist oder wenn durch sie eine Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt werden kann oder wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die häusliche Krankenpflege steht damit im engen Zusammenhang mit einer behandlungsbedürftigen Erkrankung. Die Krankenhausbehandlung, wozu auch die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld gehört, umfasst auch die medizinisch notwendige Erbringung der Krankenpflege. Diese ist somit bereits Bestandteil der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld und daher gemäß § 39 Absatz 1 Satz 3 SGB V Aufgabe des Krankenhauses. Daraus folgt, dass für den Zeitraum einer stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld das erbringende Krankenhaus die Krankenpflege sicherzustellen hat. Gemäß § 115d Abs. 1 Satz 3 SGB V kann das Krankenhaus in geeigneten Fällen, insbesondere, wenn dies der Behandlungskontinuität dient oder aus Gründen der Wohnortnähe sachgerecht ist, Leistungserbringer, die an der ambulanten psychiatrischen Versorgung teilnehmen, mit der Durchführung von Teilen der Behandlung zu Lasten des Krankenhausbudgets beauftragen. Folglich ist die Verordnung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege neben einer stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung ausgeschlossen. In diesem Zeitraum ist das Krankenhaus für die notwendige Krankenpflege zuständig. Das betrifft sowohl die somatische als auch die psychiatrische häusliche Krankenpflege.

Behandlungspflege

§ 1 Abs. 6 Satz 3 HKP-Richtlinie Häusliche Krankenpflege kann für den Zeitraum einer stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung nicht verordnet werden.

225

9.9 Abgrenzung zur Soziotherapie

Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

§ 4 Abs. 13 und 14 HKP-Richtlinie Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege und die Leistungen der Soziotherapie können – sofern die jeweiligen individuellen Verordnungsvoraussetzungen erfüllt sind – für nacheinander folgende Zeiträume verordnet werden.

226

Für denselben Zeitraum ist die Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege neben inhaltlich gleichen Leistungen der Soziotherapie ausgeschlossen. Die Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege neben Leistungen der Soziotherapie ist für denselben Zeitraum möglich, wenn sich diese Leistungen aufgrund ihrer jeweils spezifischen Zielsetzung ergänzen (vgl. hierzu Soziotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses). Sowohl im Behandlungsplan der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege als auch im soziotherapeutischen Betreuungsplan sind die Notwendigkeit, die Dauer sowie die Abgrenzung der Leistungen zueinander darzulegen. Die Verordnung inhaltsgleicher Leistungen ist nicht zulässig. § 37a Abs. 1 Satz 2 SGB V definiert die Soziotherapie folgendermaßen: Es soll die Koordination von verordneten Leistungen sowie die Anleitung und Motivation zu deren Inanspruchnahme geleistet werden. Diese ergänzenden Betreuungsleistungen sind unmittelbar auf ärztliche Zwecke ausgerichtet. Die Bezeichnung „Soziotherapie“ ist daher wenig zweckmäßig, da sie eher eine Behandlung („Therapie“) mit dem Ziel der gesellschaftlichen Eingliederung erwarten lässt als das genannte Ziel der Regelung. Ziel der Soziotherapie ist, dass der Versicherte die erforderlichen (ärztlichen) Leistungen akzeptiert und selbstständig in Anspruch nimmt. Dies soll durch Motivierungsarbeit und strukturierte Trainingsmaßnahmen geschehen, die helfen psychosoziale Defizite abzubauen. Damit ist die auszuführende Tätigkeit lediglich eine koordinierende und begleitende Unterstützung auch Handlungsanleitung für schwer psychisch Kranke auf der Grundlage der definierten Therapieziele. Dabei können die Therapieziele auch in Teilzielen oder schrittweise erreicht werden. Die Soziotherapie ist so der Grundbaustein eines integrierten Behandlungskonzepts im Rahmen der ärztlichen Therapie, um eine Krankenhausbehandlung zu vermeiden, zu verkürzen oder – wenn diese geboten, aber nicht durchführbar ist – zu ersetzen. § 37a Abs. 1 SGB V ist erkennbar den Regelungen über die Krankenhausvermeidungspflege des § 37 Abs. 1 SGB V nachgebildet worden. Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ wird dadurch weiter umgesetzt. Die Durchführung der Soziotherapie setzt einen mit dem verordnenden Arzt und dem Patienten abgestimmten und vom soziotherapeutischen Leistungserbringer zu erstellenden soziotherapeutischen Betreuungsplan voraus, mit dessen Hilfe die verschiedenen Elemente (z. B. Hilfsmittel, Medikamente) und Ziele des ärztlichen Behandlungsplanes erreicht werden sollen. Die einzelnen Behandlungsteilbereiche werden vom jeweils zuständigen Leistungserbringer durchgeführt.

Die Abgrenzung zwischen der Soziotherapie des § 37a SGB V und der fachpsychiatrischen häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 SGB V ist folgendermaßen vorzunehmen: Bei der Soziotherapie sind sowohl die Indikationsstellung als auch die sonstigen Leistungsvoraussetzungen sehr viel enger gestaltet. Außerdem ist die Soziotherapie allein auf die Krankenhausvermeidung hin verordnungsfähig. Insoweit dürfte die Soziotherapie lex specialis zur häuslichen Krankenpflege sein und dieser insoweit vorgehen. Wird allerdings das Therapieziel des Arztes nur unterstützt und ein Krankenhausaufenthalt nicht vermieden (weil nicht notwendig), so ist fachpsychiatrische häusliche Krankenpflege im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB V möglich.

9.10 Gibt es einen allgemeinen Anspruch auf eine ambulante Palliativversorgung neben der „speziellen ambulanten Palliativversorgung (SAPV)“?  BEISPIEL

Bei Y bestand eine kardiale Globaldekompensation bei progredienter Raumforderung des rechten Vorhofes/DD Thrombus, eine koronare 3-Gefäßerkrankung mit hochgradiger, nicht bypassgeschützter RCA-Stenose, eine Tachyarrhytmia absoluta mit großer Raumforderung, eine Niereninsuffizienz im Stadium IV, eine Depression sowie ein Zustand nach mehreren Operationen (1995: thorakales Aortenaneurysma; 2006: Nierenbeckenkarzinom; 2007: Harnblasenkarzinom). Als sich aufgrund einer Echokardiographie während einer Krankenhausbehandlung der Verdacht auf ein Vorhofmyxom rechts ergab, lehnte Y nach Aufklärung über mögliche Risiken und Komplikationen eine weitere Diagnostik, z.B. durch transösophageale Echokardiographie, ab. Der ambulante Pflegedienst erbrachte – mit Unterbrechungen durch Krankenhausbehandlungen – vom 23.08.20xx bis zum Tod des Y am 13.02.20xx ärztlich verordnete Leistungen vor allem in Form einer weiteren medikamentösen, palliativen Therapie.

Behandlungspflege

Praxisfall 48:290

Die Palliativpflege des Y erfolgte zunächst vom 23.08. bis 03.12.20xx im Rahmen der „Allgemeinen ambulanten Palliativversorgung“ (AAPV) und vom 20.12.20xx bis zum Tod des Y im Rahmen der „Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung“ (SAPV). 290 SG Aachen, Urt. v. 20.8.2013, S 13 KR 271/12

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Kapitel 9:  PSYCHIATRISCHE HÄUSLICHE KRANKENPFLEGE spezial

Die Krankenkasse will Leistungen nur im Rahmen der SAPV gewären, nicht als häusliche Krankenpflege. Zu Recht?

Dem Versicherten Y kann es gleichgültig sein, ob die für ihn erbrachten Leistungen vom ausführenden Pflegedienst als allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) im Rahmen häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V erbracht und damit direkt mit den Krankenkassen abgerechnet werden oder im Rahmen der speziellen ambulanten Palliativversorgung (SAPV) nach § 37b SGB V geleistet und über ein Palliativ-Care-Team und damit über die Mittel der kassenärztlichen Vereinigung finanziert werden. Der Unterschied für den Leistungserbringer, den ambulanten Pflegedienst, ist gewaltig. Um die sich aus dieser Abrechnungsproblematik ergebenden Schwierigkeiten jedenfalls für den Versicherten zu lösen, stellt § 37 Abs. 2a Satz 1 SGB V inzwischen klar, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege gem. § 37 Abs. 1 und 2 SGB V auch die ambulante Palliativversorgung umfasst, sofern kein Anspruch auf spezielle ambulante Palliativversorgung nach § 37b SGB V besteht.291 § 37 Abs. 2a Satz 1 und 2 SGB V: Die häusliche Krankenpflege nach den Absätzen 1 und 2 umfasst auch die ambulante Palliativversorgung. Für Leistungen der ambulanten Palliativversorgung ist regelmäßig ein begründeter Ausnahmefall im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 5 SGB V anzunehmen. Angesichts des Umstandes, dass die allgemeine Palliativversorgung oftmals über mehrere Wochen bis Monate notwendig ist und zudem die grundpflegerischen Bedarfe abgedeckt werden sollen, regelt § 37 Abs. 2a Satz 2 SGB V, dass die Leistungen der ambulanten Palliativversorgung regelmäßig einen begründeten Ausnahmefall im Sinne des § 37 Abs. 1 Satz 5 SGB V darstellen. Diese gesetzgeberische Anordnung hat zwischenzeitlich auch der Gemeinsame Bundesausschuss für die ärztlichen Verordnungen nachvollzogen: § 1 Abs. 1 Satz 2 HKP-Richtlinie Diese [Die Verordnung] kann sowohl kurativ als auch palliativ indiziert sein. Mit der Leistung nach Nr. 24a der Anlage der HKP-Richtlinie wurde das bisher bereits bestehende Leistungsangebot um eine Komplexleistung Symptomkontrolle bei Palliativpatientinnen und -patienten erweitert. Ziel der Erweiterung ist es in der ärztlichen und pflegerischen Regelversorgung den Hospiz- und Palliativgedanken stärker zu verankern und die ambulante Palliativversorgung weiter zu stärken. Die Komplexleistung fasst nicht nur die verordnungsfähigen Einzelleistungen der HKP-Richtlinie zu einer Leistung zusammen, sondern erfasst mit der

228

291 BT-Drucksache 18/5170, Seite 24

Die Komplexleistung soll sicherstellen, dass in der häuslichen Versorgung in diesen besonderen individuellen Versorgungssituationen die notwendige Flexibilität gewährleistet ist. Die im Einzelfall erforderlichen und verordnungsfähigen Leistungen ergeben sich dabei nicht aus der Lebenserwartung der Patientinnen und Patienten, sondern aus der Intensität des behandlungspflegerischen Versorgungsbedarfes. Für Palliativpatienten in der letzten Lebensphase ist ein dynamisches Symptomgeschehen typisch. Bei diesen Patienten steht die Verbesserung der Symptomatik und Lebensqualität im Vordergrund. Die Lebenserwartung ist bei diesen Patienten voraussichtlich auf Tage bis wenige Wochen limitiert. Dabei hebt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Stellungnahme für das Bundesministerium für Gesundheit den lediglich beschreibenden und nicht einschränkenden Charakter der „Bemerkungsspalte“ hervor:292 „Dabei sind durch die/den verordnende/n Ärztin/Arzt die in der Bemerkungsspalte genannten Beurteilungskriterien nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Die Ärztin/der Arzt entscheidet im Einzelfall, ob –– nach ihrer/seiner fachlichen Einschätzung die Lebenserwartung begrenzt ist und unter anderem die Verbesserung von Symptomatik und Lebensqualität im Vordergrund stehen und –– nur durch die Symptomkontrolle in enger Abstimmung mit ihr/ihm der Verbleib in der Häuslichkeit gewährleistet werden kann und die übrigen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht ausreichen.“ Selbstverständlich stehen die weiteren Leistungen der häuslichen Krankenpflege allen Palliativpatientien, also allen schwerstkranken und sterbenden Versicherten, die an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden, zur Verfügung. Insoweit ist die Definition von Palliativpatienten in der HKP-Richtlinie identisch mit der Definition der SAPV-Richtlinie. Die Abgrenzung zur SAPV ergibt sich ausschließlich anhand des jeweiligen Versorgungsbedarfes, der nach § 37b SGBV u. a. ein komplexes Symptomgeschehen erfordert. Im Paxisfall 48 ist die Ablehnung der Krankenkasse rechtswidrig. 292 Ergänzende Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschuss vom 3.7.2017 zum Beschluss vom 16.3.2017; verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-4485/2017-03-16_HKP-RL_Palliativversorgung_G-BA. pdf

Behandlungspflege

umfassenden Symptomkontrolle die behandlungspflegerischen Leistungen, die typischerweise bei Palliativpatientinnen und -patienten in ihrer letzten Lebensphase aufgrund individueller Verläufe und dynamischer Prozesse notwendig sind und ein hohes Maß an Flexibilität erfordern. Hierzu gehört die Symptomkontrolle –– insbesondere bei Schmerzsymptomatik, Übelkeit, Erbrechen, pulmonalen oder kardialen Symptomen, Obstipation, –– die Wundkontrolle und -behandlung bei exulzerierenden Wunden, –– die Krisenintervention, z.B. bei Krampfanfällen, Blutungen, akuten Angstzuständen.

229

Kapitel 10:  Die Anlage der HKPRichtlinie  INFO

Kleine Wiederholung: Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie etc. als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Der verordnende Arzt bestimmt daher in seiner Therapieentscheidung, welche Leistungen notwendig sind, um wirtschaftlich und medizinisch angemessen die Versorgung zu übernehmen und die Therapie sicherzustellen. Dabei wird der ärztliche Verordnungsrahmen durch die HKP-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses lediglich konkretisiert. Eine Einschränkung der Regelung des bewusst offen geregelten § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V steht dem Gemeinsamen Bundesausschuss nicht zu. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhaltes und seiner Grenzen zu bestimmen,293 ist dieser befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen von der häuslichen Krankenpflege auszunehmen.294 Die in der Anlage, dem Verzeichnis der verordnungsfähigen Maßnahmen, getroffenen Aussagen zur Dauer der Verordnung und zur Häufigkeit der Verrichtungen stellen lediglich Empfehlungen für den Regelfall dar, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann. Dies sagt ausdrücklich der Eingangstext zur Anlage. Anlage zur HKP-Richtlinie – Vorbemerkung Satz 3 Im folgenden Verzeichnis werden bei den verordnungsfähigen Maßnahmen soweit möglich Aussagen zur Dauer der Verordnung und zur Häufigkeit der Verrichtungen angegeben. Dies sind Empfehlungen für den Regelfall, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann. Abweichungen können insbesondere in Betracht kommen auf Grund von Art und Schwere des Krankheitsbildes, der individuellen Fähigkeiten und Aufnahmemöglichkeiten des Umfeldes.

293 BSG, Urt. v. 30.9.1999, B 8 KN 9/98 KR R = BSGE 85, 36 294 BSG, Urt. v. 16.7.2014, B 3 KR 2/13 R; BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R

Behandlungspflege

Die Anlage zur HKP-Richtlinie ist weder abschließend noch hat sie einen einschränkenden Charakter. Die Anlage ist nicht untergesetzlicher Bestandteil der Richtlinien-Regelung, sondern dient lediglich zur Beschreibung der Leistung. Ablehnungen allein unter Hinweis auf die Anlage der HKP-Richtlinie erfolgen stets völlig zu Unrecht!

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Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

Abweichungen können insbesondere in Betracht kommen aufgrund von Art und Schwere des Krankheitsbildes, der individuellen Fähigkeiten und Aufnahmemöglichkeiten des Umfeldes. Wichtig ist allerdings: Bei jeder Abweichung von den Empfehlungen der Anlage hat der verordnende Arzt eine entsprechende Begründung anzugeben. So ist ausdrücklich festgelegt, dass bei der Pflege von Kindern erforderlichenfalls Maßnahmen schrittweise zu vermitteln und häufiger zu wiederholen sind. Die Verrichtungen sind unabhängig davon verordnungsfähig, ob es sich um somatische, psychische oder psychosomatische Krankheiten handelt. Ebenso gilt, dass kein Unterschied zu machen ist bei der Frage, ob es sich um chronische oder akute Erkrankungen handelt. Entscheidend ist lediglich, dass sich eine zur Behandlung anstehende chronische Erkrankung in einem akuten Stadium befindet. Praxistipp: Das Leistungsverzeichnis wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss ständig fortentwickelt. Daher ist immer wieder ein Kontrollblick erforderlich und bei Änderungen auch die behandelnden Ärzte, mit denen der ambulante Pflegedienst zusammenarbeitet, zu informieren. Aktuelle Informationen finden Sie auf der informativen Homepage des Gemeinsamen Bundesausschusses: www.g-ba.de.

10.1 Muss der Pflegedienst die Prophylaxen – ohne entsprechende Verordnung und Bezahlung – leisten? Die Anlage der HKP-Richtlinie regelt zu den Prophylaxen im Eingang zu den Leistungen der Behandlungspflege wörtlich: Anlage zur HKP-Richtlinie – Leistungen der Behandlungspflege Pflegerische Prophylaxen, Lagern und Hilfen bei der Mobilität sind Bestandteil der verordneten Leistung in dem Umfang, wie sie zur Wirksamkeit der verordneten Leistung notwendig sind, auch, wenn die Häufigkeit, in der sie nach Maßgabe der individuellen Pflegesituation erbracht werden müssen, von der Frequenz der verordneten Leistungen abweicht.

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Bedeutet dies, dass pflegerische Prophylaxen erbracht werden müssen, auch, wenn ansonsten keine behandlungspflegerischen Leistungen verordnet und damit notwendig sind? Bedeutet dies im Extremfall, dass eine Verordnung von einmal wöchentlich „Medikamente stellen“ einen Prophylaxebedarf von dreimal täglich auslöst? Natürlich nicht. Zunächst ist abzugrenzen: Das Lagern und die Hilfen bei der Mobilität sind wohl regelmäßig Verrichtungen der Grundpflege, also nach

Wunsch und Wahl des versicherten Kunden gegenüber der sozialen Pflegeversicherung bzw. nach Aufbrauchen des Budgets gegenüber dem Versicherten selbst bzw. dem Träger der Sozialhilfe abzurechnen. Bei der Prophylaxe stellt sich zunächst auch hier wieder die Abgrenzungsfrage zwischen der Grund- und der Behandlungspflege. Das BSG295 hat prophylaktische Bewegungsübungen abgegrenzt: Geht es darum, die Folgen der Bettlägerigkeit und damit verbundene Immobilität soweit wie möglich zu verhindern, insbesondere der Gefahr von Druckgeschwüren, Muskelschwund, Knochenschwund und einer sog. Bettlungenentzündung vorzubeugen, so ist diese passive Mobilisation integrierter Bestandteil der Grundpflege nach dem SGB XI und deshalb nicht von der Krankenkasse zu leisten. Gehen die verordneten notwendigen Leistungen der Mobilisierung jedoch über diesen Rahmen hinaus, dienen sie insbesondere der Behandlung von Krankheitsfolgen, so sind sie als Teil der Behandlung von der Krankenkasse zu tragen. Prophylaxen in Form der Behandlungspflege sind daher immer nur dann zu leisten, wenn sie ärztlich verordnet werden. Liegt keine ärztliche Verordnung vor, so können Prophylaxen nur in passiver Form eine Grundpflege darstellen. Da in der sozialen Pflegeversicherung der Versicherte seine Leistungen selbst auswählt, ist der Pflegedienst nicht verpflichtet, derartige Verrichtungen zu erbringen, wenn der versicherte Kunde dies nicht wählt.

Checkliste: Prophylaxen 1. Erhebung und Risikoeinschätzung Die pflegerischen Prophylaxen sind Gegenstand der Erhebung bestimmter Risiken bei der Pflegeplanung. Wird ein entsprechendes Risiko (z. B. Dekubitus) festgestellt, so ist der Kunde bzw. seine Angehörigen aufzuklären und pflegefachlich zu beraten. Wählt der versicherte Kunde – trotz Beratung – die vorgeschlagene Verrichtung nicht, obwohl die Pflegekraft dies für erforderlich hält, so ist die Entscheidung zu dokumentieren und auch die weitere Veranlassung (Informationen an Angehörige, Hausarzt etc.). Die Risikoerhebung ist regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren.

295 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 35/04 R = BSGE 94, 205

Behandlungspflege

Praxistipp: Bitte achten Sie darauf, dass nach den neuen Maßnahmen und Grundsätzen von Ihnen erforderlich gehaltene Verrichtungen und ausdrücklich Prophylaxen dem Versicherten vorgeschlagen und dieser Vorschlag dokumentiert werden muss. Dabei dokumentieren Sie im eigenen Interesse auch, dass der Kunde Ihren Vorschlag abgelehnt hat. Ebenfalls zu dokumentieren ist, was Sie dann veranlasst haben (Information der Angehörigen, des Hausarztes etc.).

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Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

2. Prophylaxe als Teil der Grundpflege? Viele Verrichtungen, die pflegerisch als Prophylaxe bezeichnet werden, sind Bestandteil einer Verrichtung der Grundpflege. Bespiele sind das Lagern, passive Bewegungsübungen u. Ä. Liegt eine derartige Verrichtung vor, so muss der pflegebedürftige Kunde die Verrichtung wählen, damit der ambulante Pflegedienst sie ausführen und abrechnen kann. Wählt der Kunde die Verrichtung nicht, siehe 1. 3. Prophylaxe ist Behandlungspflege Stellt sich die Prophylaxe als Behandlungspflege dar, so hat der ambulante Pflegedienst sie nur zu erbringen, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. Ohne ärztliche Verordnung darf Behandlungspflege nicht ausgeführt werden.

10.2 Ist das An- und Ablegen des Gilchristverbandes häusliche Krankenpflege?  BEISPIEL Praxisfall 49:296 V lebt allein. Ihr wurde, nachdem sie – bei bestehender Rechtshändigkeit – eine Luxation des rechten Schultergelenks erlitten hatte und deshalb stationär behandelt worden war, von ihrer behandelnden Hausärztin das zweimal tägliche Anlegen von stützenden/stabilisierenden Verbänden, 14-mal wöchentlich, sowie im selben Umfang die hauswirtschaftliche Versorgung, verordnet. Die Krankenkasse lehnt die Genehmigung der Verordnung ab und trägt vor, dass der Gilchristverband eine konfektionierte Bandage sei. Nach den Richtlinien über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege sei das An- und Ablegen konfektionierter Bandagen Bestandteil der allgemeinen Körperpflege und beim An- und/oder Auskleiden mit zu erbringen. Handelt die Krankenkasse rechtmäßig?

Bei einem Gilchristverband handelt es sich um einen in der Regel in vier Größen erhältlichen Fertigverband für die posttraumatische und postoperative Immobilisierung des Schulter- und Armbereichs mit Stützung des Unterarms, mit dem eine Immobilisierung ohne Kompression des fixierten Armes möglich ist. Das Anlegen des Fertigverbandes ist weder einem Verbandswechsel, der der Versorgung offener Wunden dient, noch – mangels Kompressionswirkung – dem Anlegen ei234

296 BSG, Urt. v. 16.7.2014, B 3 KR 2/13 R

297 BSG, Urt. v. 16.7.2014, B 3 KR 2/13 R

Behandlungspflege

nes Kompressionsstrumpfes vergleichbar. Dies deckt sich auch mit der Einschätzung des Gemeinsamen Bundesausschusses im Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege. Dieser hat als Leistung der Behandlungspflege unter Nr. 31 – Verbände – das Anlegen und Wechseln von Wundverbänden, Wundheilungskontrolle, Desinfektion und Reinigung (auch Wundreinigungsbad), Spülen von Wundfisteln, Versorgung von Wunden unter aseptischen Bedingungen aufgeführt, ferner das Anlegen eines Kompressionsverbandes, insoweit Kompressionsstrümpfe ab Kompressionsklasse I und das Anlegen von stützenden und stabilisierenden Verbänden, diese zur unterstützenden Funktionssicherung der Gelenke z.B. bei Distorsion, Kontusion, Erguss. Dass von Letzterem nicht alle der Stabilisierung dienenden bzw. stützenden Hilfsmittel erfasst werden sollten, ergibt sich aus der Nr. 4 der in der Anlage zu den Krankenpflegerichtlinien aufgeführten Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, in welcher unter dem Unterpunkt An- und/oder Auskleiden nicht nur das An- und Ausziehen individueller Kleidung aufgeführt wird, sondern auch von Stützstrümpfen, Antithrombosestrümpfen, von konfektionierten, teilkonfektionierten, maßgefertigten Bandagen, von Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse I, das An- und Ablegen von Prothesen, von Orthesen, von Stützkorsetts, von Bruchbändern etc. aufgeführt ist. Fraglich ist daher, ob nicht jedes An- und Ablegen von Hilfsmitteln und auch nicht jedes Wechseln von Verbänden als Behandlungspflege anzusehen ist, sondern nur die Pflegemaßnahmen, die einen spezifischen Bezug zu der zu behandelnden Erkrankung aufweisen. Ist daher allein die Ruhigstellung des Schultergelenkes durch den mit einer konfektionierten Bandage vergleichbaren Gilchristverband ausreichend? Zwar ist das An- und Ablegen des Gilchristverbandes morgens und abends im Zusammenhang mit dem An- und Auskleiden sowie der Körperpflege, also Verrichtungen der Grundpflege, erforderlich. Zweck der Verordnung des Gilchristverbandes ist jedoch die Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung durch Ruhigstellung des verletzten Armes für einen gewissen Zeitraum. Diese Ruhigstellung ist in dem vom Arzt angeordneten zeitlichen Umfang sicherzustellen, und damit kommt dem An- und Ablegen des Verbandes auch die Funktion einer medizinischen Krankenpflegemaßnahme zu, die in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen fällt, weil ohne das An- und Ablegen des Gilchristverbandes elementare Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden können. Die Nennung dieser Maßnahme in der Liste der Hilfen zur Grundpflege, die der Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege beigefügt ist, steht der Einstufung als Maßnahme der Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V nicht entgegen.297 Im Praxisfall 49 liegt daher eine verordnungsfähige Behandlungspflege vor. Das zweimal tägliche An- und Ablegen des Gilchristverbandes ist daher zu genehmigen; die Ablehnung der Krankenkass ist daher rechtswidrig und verletzt die V in ihren Rechten.

235

10.3 Ist das ärztlich verordnete An- und Ablegen eines Stützkorsetts von der Krankenkasse zu leisten?  BEISPIEL

Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

Praxisfall 50:298

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Der behandelnde Arzt verordnet M das An- und Ablegen eines Stützkorsetts wegen einer fortgeschrittenen degenerativen Skoliose der Wirbelsäule, einer progredienten Osteoporose mit erhöhter Frakturgefahr, eines Cervicalsyndroms mit Facettensymptomatik und Cervicocephalgie. Die Krankenkasse lehnt häusliche Krankenpflege ab – rechtmäßig? Zur Wiederholung: Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Dieser Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind nach § 15 Abs. 5 Satz 3 SGB XI Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. Bei den grundpflegerischen Maßnahmen kommt es infolgedessen zu Überschneidungen, wenn diese zugleich krankheitsspezifisch sind und der Behandlungssicherung dienen.299 Das An- und Ablegen eines Stützkorsetts zur Verhütung der Verschlimmerung einer Wirbelsäulenerkrankung ist eine solche krankheitsspezifische verrichtungsbezogene Pflegemaßnahme, die im Rahmen der Behandlungspflege von der Krankenkasse zu leisten ist.300 Beruht das Tragen des Stützkorsetts ursächlich auf einer diagnostizierten Erkrankung, so soll regelmäßig eine Verschlimmerung der Wirbelsäulenerkrankung verhütet werden und die Krankheitsbeschwerden gelindert. Dies wird in den meisten Fällen indiziert, wenn die Krankenkasse die Anschaffungskosten für das Stützkorsett übernommen hat. Das An- und Ausziehen des Stützkorsetts ist untrennbarer Bestandteil sowohl der Körperpflege beim Waschen/Duschen/Baden als auch im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden. Das An- und Ausziehen sowie eine elementare Körperpflege sind unabdingbare Grundbedürfnisse. 298 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 17.10.2017, L 16 KR 62/17 299 BSG, Urt. v. 16.7.2014, B 3 KR 2/13 R 300 so bereits: SG Aachen, Urt. v. 13.9.2011, S 13 KN 70/11 KR; andere Auffassung: SG Magdeburg, Urt. v. 23.9.2011, S 22 KR 341/08

Die von einigen Krankenkassen vertretene Auffassung, das An- und Ablegen des Stützkorsetts unterfällt dem üblichen An- und Auskleiden im Rahmen der Körperpflege und sei daher der Grundpflege zuzuordnen mit der Folge, dass eine Leistung der häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V nicht gewährt werden könne, greift zu kurz. Dabei müsste zunächst eine Begründung angegeben werden, warum das Anlegen eines Stützkorsetts grundsätzlich dem üblichen An- und Auskleiden entsprechen soll. Die erforderlichen Abläufe zum Anlegen des Stützkorsetts werden bei dieser Argumentation nicht betrachtet, sodass auch der Zeitaufwand im Vergleich zum Anziehen von Alltagskleidung nicht beleuchtet wird. Insbesondere ist der benötigte Zeitaufwand zum Anlegen des Stützkorsetts nicht mit dem erforderlichen Aufwand für das Anziehen von handelsüblicher Miederware vergleichbar. Das liegt schon in dem Umstand begründet, dass ein Korselett im Bereich der Miederware allenfalls formend, aber nicht stützend wirkt. Zum Aufbau der Stützfunktion ist eine wesentlich höhere Kompression erforderlich mit der Folge, dass zum Anlegen eines Stützkorsetts sehr viel mehr Kraft aufgewandt werden muss. Mit ähnlicher Begründung wurde die Techniker Krankenkasse zur Kostenübernahme von Behandlungspflege für das 2 x tägliche Anlegen einer Knieorthese verurteilt. Das An- und Ablegen der Orthese ist regelmäßig eine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, die von der Krankenkasse zu finanzieren ist. Der Gesetzgeber hat für alle verrichtungsbezogenen Maßnahmen der Behandlungssicherungspflege eine Doppelzuständigkeit von Krankenkasse und Pflegekassen geschaffen. Ist also das Anlegen der Orthese krankheitsbedingt, etwa weil die Knieorthese nach einer Knie-TEP-Operation zur dynamischen Redression getragen werden soll, so muss die ärztliche Verordnung genehmigt werden. Die Knieorthese dient dann zur Behandlung der Arthrose und ist damit krankheitsbedingt. Das Tragen der Orthese soll dazu beitragen, die Krankheit zu heilen bzw. ihre Verschlimmerung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern und ist damit zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich. Daher hat die Krankenkasse die Kosten hierfür zu übernehmen.301

301 vgl. SG München, Gerichtsbescheid v. 18.7.2018, S 39 KR 607/18.

Behandlungspflege

Praxistipp: Prüfen Sie, ob die Krankenkasse die Anschaffungskosten des Stützkorsetts übernommen hat. Dann wurde von der Krankenkasse die „Krankheitsbezogenheit“ bereits geprüft und bejaht.

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10.4 Gehört der Verbandwechsel bei einem suprapubischen Katheter zur Behandlungspflege?  BEISPIEL

Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

Praxisfall 51:302

238

Auf die Verordnung häuslicher Krankenpflege zum Verbandwechsel bei einem suprapubischen Katheter teilt die Krankenkasse nach Stellungnahme des MDK mit: „Der Verbandwechsel bei einem suprapubischen Katheter kann im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nur übernommen werden, wenn eine Wunde vorhanden sei, die behandlungsbedürftig sei. Ansonsten gehört der Verbandwechsel zur Grundpflege.“ Der zuständige Pflegedienst bestätigt jedoch seine gute Pflege und teilt mit, dass keine entzündete Wunde vorliege und die Einstichstelle reizlos sei. Wie ist die Rechtslage?

In dem als Anlage zu den HKP-Richtlinien erlassenen Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege ist unter Ziffer 22 des Leistungsverzeichnisses die Versorgung eines suprapubischen Katheters genannt. Diese Versorgung umfasst ausweislich der Leistungsbeschreibung den Verbandwechsel der Katheteraustrittstelle einschließlich Pflasterverband und einschließlich Reinigung des Katheters, Desinfektion der Wunde, ggf. Wundversorgung und Anwendung ärztlich verordneter Medikamente. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Ziffer 22 gehört also der Verbandwechsel der Katheteraustrittstelle einschließlich Pflasterverband und einschließlich Reinigung des Katheters „zu den verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege“. Eine einschränkende Auslegung, dass der Verbandwechsel nur bei akut entzündlichen Veränderungen der Katheteraustrittsstelle dazugehört, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht. Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus dem systematischen Zusammenhang. Zwar verweist Ziffer 22 in der Spalte „Bemerkung“ auf Ziffer 28. Diese lautet „Stomabehandlung – Desinfektion der Wunde, Wundversorgung, Behandlung mit ärztlich verordneten Medikamenten, Verbandwechsel und Pflege von künstlich geschaffenen Ausgängen (z. B. Urstoma, Anus praeter) bei akuten entzündlichen Veränderungen mit Läsionen der Haut“. In Ziffer 22 ist anders als in Ziffer 28 ausdrücklich auch der Pflasterverband dem Verbandwechsel zugeordnet. In der Ziffer 28 befindet sich zudem der Zusatz „bei akuten entzündlichen Veränderungen mit Läsionen der Haut“ bereits 302 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 22.12.2010, L 1 KR 81/10

ausdrücklich in der Leistungsbeschreibung. Ein Hinweis in Ziffer 22 darauf, dass eine Versorgung des suprapubischen Katheters durch Verbandwechsel nur unter den Voraussetzungen der Ziffer 28 des Leistungsverzeichnisses verordnungsfähig ist, fehlt jedoch. Der Hinweis auf die Ziffer 28 in der Spalte „Bemerkung“ der Ziffer 22 führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar werden in der Spalte „Bemerkung“ auch Erläuterungen zu der Ausgestaltung der verordnungsfähigen Leitungen gegeben. Durch den schlichten Hinweis „siehe Stomabehandlung Ziffer 28“ kann jedoch der Leistungsumfang der Ziffer 22 nicht eingeschränkt werden. Vielmehr handelt es sich lediglich um einen Hinweis auf eine vergleichbare Leistung. Anderenfalls wäre bei jeder Ziffer, bei der ein entsprechender Hinweis unter der Rubrik „Bemerkung“ aufgeführt ist, der Tatbestand der dort genannten Ziffer als Voraussetzung für die Verordnungsfähigkeit mitzuprüfen. Dies widerspräche jedoch dem Sinn der „Leistungsbeschreibung“.303 Im Praxisfall 51 muss die Krankenkasse also zahlen.

Mit dem am 4.4.2017 eingeführten § 37 Abs. 7 SGB V soll die Wundversorgung gestärkt werden.304 Der Gemeinsame Bundesausschuss hat daher die Wundversorgung insgesamt neu geregelt. Die Änderungen zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden traten am 6.12.2019 in Kraft. Dabei sollte geprüft werden, ob die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden auch in spezialisierten Einrichtungen außerhalb der Häuslichkeit als Leistung der Behandlungspflege erfolgen kann. § 37 Abs. 7 SGB V: Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in Richtlinien nach § 92 SGB V unter Berücksichtigung bestehender Therapieangebote das Nähere zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden. Die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden kann auch in spezialisierten Einrichtungen an einem geeigneten Ort außerhalb der Häuslichkeit von Versicherten erfolgen.

Behandlungspflege

10.5 Wo werden chronische und schwer heilende Wunden therapiert? – Die neuen Regelungen zur Wundversorgung

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat nun die präzisierenden Regelungen beschlossen mit dem Ziel, den Patientinnen und Patienten zu ermöglichen, länger in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben und durch die Stärkung der ambulanten Wundversorgung Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Die Struktur des Leistungsverzeichnisses – also der Anlage zur HKP-Richtlinie – wird im Vergleich zur 303 BT-Drucksache 13/3696, Seite 4 304 BT-Drucksache 18/10186, Seite 28

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Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

bisherigen Regelung zur Wundversorgung in den Ziffern 12 und 31 bis 31c neu gegliedert, um die Wundversorgung von den nicht wundspezifischen Leistungen zu trennen. Zudem wird die Wundversorgung in gesonderte Ziffern entsprechend der Wundart unterteilt (akut: Ziff. 31; chronisch: Ziff. 31a). Die Kompressionsstrümpfe und -verbände finden sich in Ziff. 31b, das An- und Ablegen von stützenden und stabilisierenden Verbänden in Ziff. 31c – ohne inhaltliche Änderungen.

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Praxistipp: Die Änderungen sind jetzt von den Vertragspartnern in den Vergütungsvereinbarungen nach § 132a Absatz 1 SGB V zu verhandeln und umzusetzen. Die jeweiligen Leistungsbeschreibungen zur Wundversorgung wurden unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse überarbeitet. Dabei wurden insbesondere folgende Anpassungen vorgenommen: –– Unterteilung der Leistung für akute oder chronische und schwer heilende Wunden, –– in den jeweiligen Leistungsbeschreibungen wird die Zielsetzung der Behandlung konkretisiert, –– die enge Abstimmung des Leistungserbringers mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt wird vorgegeben, um die interprofessionelle Zusammenarbeit zu stärken, sowie –– die Vorgaben zur Dokumentation und Beurteilung des Therapieverlaufes werden konkretisiert, –– zudem wird die Abpolsterung zum Beispiel als Leistungsbestandteil bei der Behandlung des diabetischen Fußsyndroms ermöglicht. Der Gemeinsame Bundesausschuss geht aufgrund der bisherigen Regelung in Ziff. 12 davon aus, dass auch jetzt schon im Rahmen der Wundversorgung eine Wunddokumentation der insbesondere für eine Verlaufsbeurteilung wichtigen Kriterien wie Wundart, Gewebeart, Länge, Breite und Tiefe der Wunde, Wundtaschen, Exsudat, Geruch, Wundrand, Wundumgebung, Schmerzen, Entzündungszeichen sowie ggf. eine Fotodokumentation stattfindet. Diese Kriterien werden in die Ziff. 31 und 31a übertragen. Dabei kann auch eine Fotodokumentation der Wunde geführt werden, um den Heilungsverlauf besser beurteilen zu können. Durch diese Regelungen sollen Heilungsverläufe unter laufender Therapie, insbesondere für die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt besser nachvollzogen werden können. Auf Grundlage der Wund- und ggf. Fotodokumentation, der weiteren Informationen aus der Pflegedokumentation und ggf. dem dokumentierten Positionswechsel soll die Ärztin oder der Arzt prognostisch einschätzen, ob die verordnete Therapie erfolgreich ist und unter ambulanten Bedingungen zum Ziel führen kann. Zu diesem Zweck soll die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt vor Ausstellung einer Folgeverordnung die entsprechenden Dokumente einsehen und die darin enthaltenen Informationen auswerten.

Ein Dekubitus besteht nicht erst, wenn mindestens ein oberflächlicher Hautdefekt vorliegt. Vielmehr besteht der Grad 1 bereits bei nicht wegdrückbarer Rötung intakter Haut. Ziel ist die Heilung des Dekubitus oder die Vermeidung einer Verschlimmerung. Die Verordnungsfähigkeit des Positionswechsels wurde daher an diese Zielsetzung angepasst und im Rahmen einer separaten Ziffer im Leistungsverzeichnis bereits ab Dekubitus Grad 1 geregelt. Die bisher in der Ziff. 12 geregelte Wundversorgung zur Dekubitusbehandlung wurde nun in den neuen Ziffern des Leistungsverzeichnisses 31 und 31a aufgenommen. Sofern eine Wundversorgung des Dekubitus notwendig ist, ist die Leistung des Positionswechsels zur Dekubitusbehandlung nur in Kombination mit der Ziffer 31 oder 31a verordnungsfähig. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass bei Vorliegen eines Dekubitus mit Bedarf einer Wundversorgung der Therapieerfolg der Druckentlastung durch eine adäquate Wundversorgung unterstützt wird. Der Positionswechsel erfolgt in individuell festzulegenden Zeitabständen zur weitestgehend vollständigen Druckentlastung der betroffenen Stelle. Um eine Verschlimmerung des Dekubitus zu vermeiden, ist eine enge Kontrolle durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt notwendig, ob die bisher erbrachten Maßnahmen geeignet sind, das Fortschreiten des Dekubitus zu verhindern und eine Heilung zu ermöglichen. Angehörige oder andere Personen in der Häuslichkeit sollen – auch unter Bezugnahme der Leistung Anleitung nach Nr. 7 des Leistungsverzeichnisses – den erforderlichen Positionswechsel selbstständig übernehmen, soweit das möglich ist. Diese Regelung wurde aus der bestehenden Leistung Dekubitusbehandlung nach Ziff. 12 übernommen. Es besteht weitgehend Einigkeit, Wunden dann als chronisch zu bezeichnen, wenn diese innerhalb von vier bis zwölf Wochen nach Wundentstehung – hier spielen Wundart und Kontextfaktoren eine bedeutende Rolle – unter fachgerechter Therapie keine Heilungstendenzen zeigen. Die Prävalenz von Patientinnen und Patienten mit chronischen Wunden in Deutschland beträgt ca. 0,4%. Häufig leiden Patientinnen und Patienten mit solchen Erkrankungen unter großer Krankheitslast und die Versorgung erfordert einen hohen medizinischen und vor allem pflegerischen Aufwand. Ziel der durch § 37 Abs. 7 SGB V initiierten Neuregelungen ist die Stärkung der Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden.

Behandlungspflege

Ziff. 12 – Positionswechsel zur Dekubitusbehandlung

Ziff. 31 – Wundversorgung einer akuten Wunde Die Verordnung der Häuslichen Krankenpflege nach Ziff. 31 beinhaltet ausschließlich die Behandlungspflege für behandlungsbedürftige akute Wunden, bei der ein Wundverband indiziert ist. Akute behandlungsbedürftige Wunden zeichnen sich durch einen äußeren oder inneren Substanzdefekt eines Gewebes mit Verlust des Gewebezusammenhangs aus, die voraussichtlich innerhalb von maximal zwölf Wochen komplikationslos abheilen. Beispiele können sein:

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Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

–– mechanisch (Schürf-, Stich-, Schnitt-, Riss-, Quetsch-, Biss-, Schusswunden), –– Ablederung, Amputation, –– thermisch (Verbrennungen bis Grad 2a, Erfrierungen), –– Sinus pilonidalis. Bei einem Großteil der Patientinnen und Patienten ist davon auszugehen, dass diese Wunden einen unkomplizierten Heilungsverlauf nehmen. Die Versorgung dieser Wunden ist in der Regel durch Pflegefachkräfte möglich; eine darüberhinausgehende Qualifikation ist grundsätzlich nicht erforderlich. Zeigt eine Wunde innerhalb von maximal zwölf Wochen nach Wundentstehung unter fachgerechter Therapie keine Heilungstendenzen, ist die Verordnung der Ziff. 31a zu prüfen.

Ziff. 31a – Wundversorgung einer chronischen und schwer heilenden Wunde Die Ziff. 31a kann verordnet werden, wenn eine behandlungsbedürftige Wunde, bei der ein Wundverband indiziert ist, voraussichtlich nicht innerhalb von maximal zwölf Wochen nach Wundentstehung unter fachgerechter Therapie Heilungstendenzen zeigt. Chronische und schwer heilende Wunden können insbesondere sein: –– Diabetisches Fußsyndrom, –– Dekubitus, –– Ulcus Cruris venosum, arteriosum, mixtum, –– Schwere Verbrennungen. Ist bei einer neu aufgetretenen Wunde hinreichend deutlich, dass die Wunde nicht innerhalb von zwölf Wochen abheilen wird und eine Entwicklung zu einer chronischen und schwer heilende Wunde trotz leitliniengerechter Therapie nicht abgewendet werden kann, können Leistungen nach Ziff. 31a verordnet werden. Eine vorherige Verordnung von Leistungen nach Ziff. 31 ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Spezialisierte Leistungserbringer

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Die Anforderungen an die Wundversorgung bei chronischen und schwer heilenden Wunden sind so hoch, dass eine Versorgung durch einen nicht spezialisierten Leistungserbringer grundsätzlich nicht ausreichend ist, um den Behandlungserfolg – die Heilung oder die Vermeidung einer Verschlimmerung der Wunde – zu sichern, da die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden regelmäßig eine besondere pflegefachliche Kompetenz voraussetzt, die die Wundversorgung von akuten Wunden gemäß Ziff. 31 übersteigt. Die fachlichen Anforderungen sind daher nur gewährleistet, wenn die durchführenden Pflegefachkräfte entsprechende wundspezifische Weiterbildungen haben.

Deshalb soll für die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden ein spezialisierter Leistungserbringer erforderlich sein. Um einen spezialisierten Leistungserbringer handelt es sich, wenn dieser insbesondere besonders qualifizierte Pflegefachkräfte zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden vorhält (beispielsweise Pflegefachkräfte mit einer besonderen Zusatzqualifikation zur Wundversorgung). Das Nähere zu den besonderen strukturellen Anforderungen an die Leistungserbringung sind im Rahmen Vereinbarungen nach § 132a Absatz 4 SGB V zu regeln.

Ferner wird in Ziff. 31a geregelt, dass wenn im Rahmen der häuslichen Krankenpflege ein spezialisierter Leistungserbringer an der Versorgung beteiligt ist, die Wundversorgung ausschließlich durch diesen Leistungserbringer zu erfolgen hat. Dadurch sollen Versorgungsbrüche ausgeschossen und die Versorgung aus einer Hand gewährleistet werden. Die übrigen Leistungen der häuslichen Krankenpflege, die nicht die Wundversorgung betreffen, können auch durch andere Pflegedienste erbracht werden. Voraussetzung ist, dass ein enger Informationsaustausch und eine enge Abstimmung der beteiligten Pflegedienste /Leistungserbringer untereinander als auch mit der verordnenden Ärztin oder mit dem verordnenden Arzt erfolgt. Die Beteiligten haben dies sicherzustellen, um das bestmögliche Versorgungsniveau zu ermöglichen. Die Öffnung des Leistungsortes in § 37 Abs. 7 SGB V wird durch diese Regelung nur moderat vorgenommen, ohne dass das dort verankerte Prinzip der Häuslichkeit grundsätzlich in Frage gestellt wird. Mit der Öffnung des Leistungsortes soll es entsprechenden Einrichtungen, die auf die pflegerische Versorgung von chronischen Wunden spezialisiert sind, ermöglicht werden, die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege im Bereich der Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden in den Einrichtungen zu erbringen. Damit soll die Wundversorgung gestärkt werden. Wunden können unterschiedliche Ursachen haben und sowohl akut in Folge einer Verletzung als auch in chronischer Form auftreten. In Deutschland leben drei bis vier Millionen Menschen mit chronischen Wunden. Diese sind häufig die Folge von Gefäßerkrankungen, Diabetes, Bettlägerigkeit, postoperativen Wundheilungsstörungen sowie schweren traumatischen Verletzungen. Vor allem ältere Patientinnen und Patienten sind häufiger betroffen. Versicherte bedürfen einer Wundbehandlung, die dem aktuellen Stand der Versorgung entspricht und individuell angepasst ist. Der Versorgung von chronischen

Behandlungspflege

Praxistipp: Durch die Einfügung des Begriffes „soll“ wird dennoch ermöglicht, dass im Einzelfall auch nicht spezialisierte Pflegedienste die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden entsprechend Ziff. 31a versorgen können, wenn kein auf die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden spezialisierter Pflegedienst die Versorgung übernehmen kann. Sollte die Versorgung nach Ziff. 31a durch einen nicht spezialisierten Pflegedienst erfolgen, sind kürzere Verordnungszeiten und eine engmaschige Kontrolle sinnvoll.

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Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

und schwer heilenden Wunden kommt insoweit eine besondere Bedeutung zu. Sie erfordert ein hohes Maß an fachlicher und vor allem auch hygienischer Kompetenz. Um die aktuellen Entwicklungen in der Wundversorgung abzubilden, hat der Gemeinsame Bundesausschuss das Weitere in der HKP-Richtlinie zu regeln. Die Krankenkassen haben auf eine möglichst flächendeckende Versorgung hinzuwirken. Dabei dient die Stärkung der ambulanten Wundversorgung der Vermeidung von Krankenhausaufenthalten. Vor allem älteren Patientinnen und Patienten soll ermöglicht werden, länger in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. In diesem Zusammenhang sind auch neue Wege der Versorgung zu berücksichtigen. Im Bereich der Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden gibt es gute funktionierende Modelle. So können im Einzelfall beispielsweise spezialisierte Einrichtungen wie Wundzentren, in denen eine besondere Versorgung angeboten wird, geeignet sein, diesen besonderen Versorgungsbedarf zu decken. Aber auch ambulante Pflegedienste, die sich auf die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden spezialisiert haben, können diese Leistungen erbringen.

10.6 Die „never ending“ story: Kompressionsstrümpfe und Behandlungspflege – Ab Kompressionsklasse I!  BEISPIEL Praxisfall 52: A lebt allein und erhält eine Verordnung häuslicher Krankenpflege zum An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfe der Kompressionsklasse I. Die Krankenkasse lehnt ab, da das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe zur Grundpflege gehörten und damit über den Pflegegrad 2 des A zu finanzieren sind. Wie ist die Rechtslage? Eine wirkliche Revolution bietet der Beschluss des Gemeinsamen Bundes­ ausschusses!305 Nachdem die Kompressionsstrümpfe ab Kompressionsklasse II es bereits in den Gesetzestext des § 37 Abs. 2 SGB V geschafft hatten und Rückzahlungsverlangen für „unerkannt“ falsch gelieferte Kompressionsstrümpfe erhoben wurden, ist jetzt als Behandlungspflege auch das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe mit Kompressionsklasse I möglich. Zur Begründung führt der Gemeinsame Bundesausschuss aus:

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305 veröffentlicht im Bundesanzeiger v. 4.4.2018

Die grundpflegerische Leistung des An- und/oder Auskleidens umfasste bislang auch das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse I. Diese Leistung entfällt, da das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse I nunmehr im Rahmen der Behandlungspflege verordnet werden kann. Die Bezugnahme zur Leistungsziffer 31 in der Bemerkungsspalte der Anlage der HKP-Richtlinie zur Leistungsziffer 4 wurde dementsprechend angepasst. Um die Verwechselung von Stützstrümpfen und Antithrombosestrümpfen mit Kompressionsstrümpfen zu vermeiden, wurden die Begriffe Stützstrümpfe und Antithrombosestrümpfe gestrichen und die Begriffe Strümpfe oder Strumpfhosen eingefügt. Von den Begriffen Strümpfe oder Strumpfhosen sind auch nicht ärztlich verordnete Stützstrümpfe oder Antithrombosestrümpfe umfasst. Im Praxisfall 52 ist eine Ablehnung der Krankenkasse nach der neusten Beschlussfassung des Gemeinsamen Bundesausschuss rechtswidrig. 306 Gemeinsamer Bundesausschuss, Tragende Gründe v. 21.12.2017 [abzurufen unter: www.g-ba.de/downloads/40-268-4759/2017-12-21_HKP-RL_Unterstuezungspflege-Kompressionstherapie_TrG.pdf]

Behandlungspflege

„Kompressionstrümpfe der Kompressionsklasse I mit einem Kompressionsdruck von 18 bis 21 mmHg sind im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes nach § 139 SGB V gelistet. Gemäß dem Hilfsmittelverzeichnis soll die verordnete Kompressionsklasse so hoch sein, dass die Kompressionsstrümpfe das behandelte Krankheitsbild kompensieren. Ältere Patientinnen und Patienten haben häufig eine Kombination mehrerer Krankheiten und tolerieren Kompressionstrümpfe einer höheren Kompressionsklasse schlecht. Die Gründe hierfür können z.B. in einer bestehenden arteriellen Durchblutungsstörung liegen, die mit orthopädischen oder neurologischen Krankheitsbildern korreliert. Ein durch Kompressionsstrümpfe höherer Klassen erzeugter Druck kann bei diesen Patientinnen und Patienten beispielsweise zu Schmerzen im Gelenkbereich führen. In der Mehrzahl der Fälle müssen diese Patientinnen und Patienten entweder Anziehhilfen benutzen, oder Hilfspersonen unterstützen oder übernehmen das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe. Ziel der Kompressionstherapie ist die Besserung des klinischen Befundes. So kann bei einer Varikose ohne ausgeprägte Ödembildung auch eine Kompressionsklasse I zur Beseitigung der Beschwerden führen, während bei fortgeschrittenem Ödem und Hautveränderungen eher eine höhere Kompressionsklasse erforderlich ist.“306 Damit finden Patientinnen und Patienten Berücksichtigung, die z.B. in ihrer Motorik, Geschicklichkeit, Kraft und Beweglichkeit – häufig bedingt durch eine Kombination verschiedener z. B. neurologischer oder orthopädischer Erkrankungen und Defiziten – erheblich eingeschränkt sind. Aus der Verordnung muss hervorgehen, dass der Patient oder die Patientin selbst oder durch die Unterstützung einer im Haushalt lebenden Person nicht mehr in der Lage ist, die Kompressionsstrümpfe der Klasse I selbstständig an- und auszuziehen.

245

Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

Dabei entscheidend allein der behandelnde Arzt über seine Therapie, die Frequenz der Verrichtungen und die Wirksamkeit der gewählten Heilmittel. Eine Änderung der Therapie steht der Krankenkasse nicht zu. Bei den Kompressionsverbänden werden Wechselverbände und Dauerverbände unterschieden. Der Wechselverband wird über Nacht entfernt und morgens wieder neu angelegt. Dauerverbände verbleiben mehrere Tage, bis zu einer Woche. Es können adhäsive bzw. kohäsive Binden verwendet werden, die ein Verrutschen des Verbandes effektiv verhindern. Eine adäquate Polsterung von Knochenvorsprüngen und Schienbeinkante sowie die korrekte Anlagetechnik sind besonders wichtig, um Druckschäden zu vermeiden. Beide Arten von Verbänden sind nicht einfach austauschbar, sondern jeweils bestimmten Therapien zuzuordnen. In diese darf nicht einmal der MDK eingreifen (§ 275 Abs. 5 SGB V).

246

Ebenso kann zeitliche Verordnungsdauer nicht von der ärztlichen Verordnung des Heilmittels abhängig gemacht werden, indem die Genehmigung der Verordnung Häuslicher Krankenpflege bis zur (rechtzeitigen) erneuten Verordnung des Heilmittels „Kompressionsstrümpfe“ abgelehnt wird. Dabei obliegt es dem Pflegedienst nicht die Kompressionswirkung von ärztlich verordneten Kompressionsstrümpfen zu überprüfen. Diese haben auch kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ oder ein fixes „Verfallsdatum“.307 Ein Schadensersatzanspruch der Krankenkasse kann daher nicht deswegen erhoben werden, weil nach 6 Monaten kein weiteres ärztliches Heilmittelrezept bei der Krankenkasse eingegangen ist und damit die verwendeten Kompressionsstrümpfe (angeblich) unbrauchbar waren.

Behandlungspflege

Verknüpfung mit Hilfsmittel?

307 SG Gelsenkirchen, Urt. v., S 45 KR 230/15

247

10.7 Kann Behandlungspflege zur Verabreichung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente verordnet werden?  BEISPIEL

Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

Praxisfall 53:308

248

V leidet an Altersgebrechlichkeit, Appetitlosigkeit und Gehstörungen. Zur Behebung altersbedingter Mangelerscheinungen verordnete ihr Hausarzt zwei apothekenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Vitaminpräparate (B 12 und Folsäure = B 9) auf Privatrezept. Beide Medikamente sollten einmal wöchentlich per intramuskulärer Injektion verabreicht werden. Da V und ihr Ehemann hierzu nicht in der Lage waren, verordnete der Hausarzt durch Kassenrezept häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung in Form einmal wöchentlich zu verabreichender Medikamente mittels intramuskulärer Injektionen. Dem Leistungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V steht nicht entgegen, dass die intramuskulär verabreichten Vitaminpräparate bei Erwachsenen nicht verschreibungspflichtig sind und die Versicherte sich diese Arzneimittel deshalb auf eigene Kosten beschaffen musste. Der Umfang der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu leistenden häuslichen Behandlungspflege ist nicht durch die Neuregelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V zum 1.1.2004 beschränkt worden. Bereits der Wortlaut des § 37 SGB V gibt für die vielfach geäußerte gegenteilige Ansicht der Krankenkasse nichts her. Seit der Neufassung des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich nicht mehr von der Medikamentenversorgung umfasst. Dies bedeutet jedoch nur, dass die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel selbst aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen wurden. Nach der Begründung309 sollten mit dieser Einschränkung der Versorgung die Ausgaben der GKV gesenkt werden. Von Folgeänderungen in anderen Leistungsbereichen wie der häuslichen Krankenpflege ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Grundsätzlich kann die Krankenkasse ihre Rechtsauffassung auch nicht auf die Bestimmungen der HKP-Richtlinie stützen. Ziffer 18 der Anlage (ähnlich auch Ziffer 26) meint nicht, dass die Verordnung häuslicher Krankenpflege zum Zwecke der Medikamentengabe nur zum Verabreichen von auf Kassenrezept verordneten Medikamenten zugelassen sei. Wenn der Gesetzgeber die Verabreichung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch einen Pflegedienst aus dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung bei der häuslichen 308 BSG, Urt. v. 25.8.2009, B 3 KR 25/08 R 309 BT-Drucksache 15/1525, Seite 75

Krankenpflege hätte ausklammern wollen, hätte dies einer ausdrücklichen Regelung im Gesetz bedurft. Im Praxisfall 56 muss die Krankenkasse daher zahlen.

10.8 Gehören die Kosten der notwendigen Begleitung eines Schulkindes zur häuslichen Krankenpflege oder zur Eingliederungshilfe?  BEISPIEL Praxisfall 54:310

Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden.311 In diesem Zusammenhang verkennt die Krankenkasse augenscheinlich, dass gerade die Beobachtung die hier notwendige Maßnahme der Behandlungssicherungspflege darstellt. Die Lösung zu Praxisfall 54: Entgegen der Auffassung der Krankenkasse benötigt A keinen Schulbegleiter als Integrationshelfer. Nachdem sich dem Gericht aus den Akten vermittelten Sachverhalt kommt die Antragstellerin mit der Beschulungssituation an sich problemlos klar. Anders als in den normalerweise zugrunde liegenden Sachverhalten312 ist A den Anforderungen des Schulalltags – wie beispielsweise An- und Ausziehen, Ranzen aus- und einpacken, Wahrung einer 310 SG Fulda, Beschl. v. 10.2.2011, S 7 SO 74/10 ER 311 BSG, Urt. v. 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R 312 vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.6.2007, L 7 SO 414/07; LSG Thüringen, Beschl. v. 30.9.2008, L 8 SO 801/08 ER

Behandlungspflege

A leidet an dem sog. Undine-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine meist angeborene Störung der zentralen Atemregulation mit periodischem Atemstillstand. Wahrscheinlich in Folge einer Störung der zentralen CO2-Rezeptorsensitivität reagiert der Kranke nicht oder nicht ausreichend auf eine zu niedrige Sauerstoffsättigung des Blutes und/oder einen Kohlendioxidanstieg im Blut. Die behandelnden Ärzte verordnen für die Dauer des Schulbesuchs häusliche Krankenpflege in Form der Beobachtung der Vitalfunktionen, während die Krankenkasse einwendet, dass A neben der Beobachtung keine pflegerischen Maßnahmen bedürfe.

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Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

für die Beschulung einer Klasse notwendigen Disziplin etc. … – gewachsen. Der Bedarf A bezieht sich auf die Beobachtung ihrer körperlichen Situation und eine gegebenenfalls notwendig werdende Intervention. Dieser Bedarf ist nicht schulgebunden, sondern krankheitsbedingt; er bestünde in gleicher Weise, wenn sich die Antragstellerin an Stelle des Schulbesuchs sich während dieser Zeit an einem anderen Ort aufhalten würde.

10.9 Zur Abgrenzung der Hilfe bei der Inhalation von der Medikamentengabe  BEISPIEL Praxisfall 55:313 B leidet an Oligophrenie mit Verhaltensauffälligkeiten sowie unter einem Asthma bronchiale. Wegen des Asthma bronchiale verordnen ihm die behandelnden Ärzte auf dem Verordnungsblatt über häusliche Krankenpflege unter der Rubrik „Medikamentenabgabe“: „Formotop 12, Cyclocaps Budesonid Inhalation“ jeweils zweimal täglich und siebenmal wöchentlich. Der Pflegedienst C rechnet nach dem Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege als Anlage der HKP-Richtlinie seine Tätigkeit als Inhalation ab (die nach der örtlich geltenden Vergütungsvereinbarung preislich höher bewertet wird). Nachdem die Krankenkasse nur die genehmigte Medikamentengabe erstattet hat, teilt C mit, dass es sich bei den ärztlich verordneten Medikamenten zur Inhalation Formotop 12 und Cyclocaps Budesonid nicht um Dosier-Aerosole, sondern um Pulver-Inhalationen handele. Daher komme nicht Ziffer 26 „Medikamentenabgabe“ der HKP-Richtlinie zur Anwendung, sondern Ziffer 17 „Inhalationen“. Ist dies zutreffend?

Anlage zur HKP-Richtlinie – Ziffer 17 Inhalation: Anwendung von ärztlich verordneten Medikamenten, die mittels verordneter Inhalationshilfen (gemäß Hilfsmittelverzeichnis) als Aerosol oder als Pulver über die Atemwege inhaliert werden. Im Praxisfall 55 bedurfte es auch bei der für die Verabreichung der verordneten Medikamente (Formotop 12 und Cyclocaps Budesonit) keiner gesonderten „Applikationshilfe“, da Bestandteile der genannten Medikamente bereits ein Cyclohaler bzw. ein Pulverinhalator war. Es handelt sich um eine Medikamentengabe dann, 250

313 LSG Bayern, Urt. v. 21.5.2010, L 4 KR 307/08

10.10  Zur Abgrenzung der Medikamentengabe vom Stellen der Medikamente Mit der Änderung zum 01.06.2017 hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Hinweise aus der Praxis aufgenommen, dass die Bezeichnung der Nummer 26 der Anlage der HKP-Richtlinie „Medikamentengabe“ missverständlich sei. Durch die neue Gliederung wird klargestellt, dass die Leistung der Medikamentengabe einerseits das Richten der Medikamente und andererseits das Verabreichen der Medikamente umfasst. Die Änderung der Bezeichnung der Leistungsnummer 26 von „Medikamentengabe“ in „Medikamente“ soll dabei ebenfalls verdeutlichen, dass es sich einerseits beim Richten und andererseits beim Verabreichen von Medikamenten um zwei getrennte, unterschiedliche Leistungsinhalte handelt.

Behandlungspflege

wenn das Medikament in Form eines Aerosols über ein Dosier-Aerosol oder mittels eines sog. Halers verabreicht wird. Bei einem Dosier-Aerosol wird eine genau dosierte Menge des Medikamentes mit Hilfe eines Treibmittels verabreicht. Der Patient bzw. die Pflegeperson löst einen Sprühstoß aus, indem ein Knopf gedrückt wird und gleichzeitig über die Düse, die sich im Mund befindet, tief eingeatmet wird. Das Medikament wird mittels eines einzigen Atemzuges aufgenommen, wobei bei manchem Medikament dieser Vorgang zweimal wiederholt werden muss. Bei der Pulverinhalation befindet sich das Medikament bereits dosiert in einer Kapsel oder in einem Vorratsbehälter. Das Medikament wird dann mittels eines sog. Halers verabreicht, wobei der Patient diesen Haler, ebenso wie das Dosier-Aerosol in den Mund nimmt, dann aber keinen Auslöser für einen Sprühstoß bedienen muss, sondern das Medikament mittels tiefer Atmung inhaliert, praktisch ansaugt. Das Cyclocaps Budesonid wird mittels des Cyclohalers ebenso verabreicht. Sämtliche verschriebenen Medikamente werden durch einen einzigen Atemzug (durch Ansaugen) pro Anwendung verabreicht. Demgegenüber versteht man unter einer „Inhalation“ mittels verordneter Inhalationshilfe eine Inhalationsbehandlung, bei der ein kontinuierlicher Aerosolstrom erzeugt wird mittels spezieller Geräte – Düsenvernebler, Ultraschallvernebler, Überdruckinhalationsgeräte. Hierbei wird das Medikament in flüssiger Form in das Gerät eingebracht und vom Patienten über ein Mundstück oder eine Nasen- oder Mundmaske inhaliert, wobei der Inhalationsvorgang eine längere Zeitspanne in Anspruch nimmt, in der Regel 5 bis 10 Minuten, währenddessen der Patient über das Mundstück, bzw. die Maske ein- und ausatmet. Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass im Praxisfall 55 der zeitliche Aufwand für die Pflegeperson bei einer Inhalation mittels verordneter Inhalationshilfe im Sinne des Verzeichnisses der verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege deutlich höher ist als bei einer Medikamentenverabreichung mittels eines Dosier-Aerosols oder eines spezifischen Halers oder Novolizers.

251

Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

Daher muss auch klargestellt werden, dass zum Verabreichen der ärztlich verordneten Medikamente auch die notwendige Vorbereitung (zum Beispiel die Dosierung von Tropfen) gehört. Dieser in der Spalte „Bemerkung“ eingefügte Hinweis wird in der Praxis allerdings zu Problemen führen. Die Formulierung ist sprachlich verunglückt, da sie nicht klarstellt, dass es nur um solche Darreichungsformen von Medikamenten geht, die erst kurz vor der Verabreichung dosiert werden müssen und daher regelmäßig nicht gestellt werden. Darreichungsformen wie beispielsweise Tropfen können nicht gestellt werden. Anlage zur HKP-Richtlinie – Ziffer 26, Bemerkung Das Verabreichen beinhaltet auch die notwendige Vorbereitung der Medikamente. Die Anlage der HPK-Richtlinie (die keine Normqualität besitzt, aber trotzdem wahrgenommen werden muss, da sie den Regelfall beschreibt) regelt so das Zusammentreffen von Medikamenten-Gabe und -Stellen. Wird daher das Stellen der Medikamente für die Gabe durch den Pflegedienst vorgenommen, so ist das Stellen nicht gesondert abrechenbar. Etwas anderes gilt nur, wenn der Pflegedienst die Medikamente nicht nur für die eigenen „Medikamentengabe“-Einsätze stellt.  BEISPIEL Beispiel: 1 x wöchentlich stellt der Pflegedienst ärztlich verordnet die Medikamente für die 3 x tägliche Medigabe. Davon gibt der Pflegedienst nur 1 x täglich (mittags) die zuvor gestellten Medikamente, morgens und abends verabreichen die Angehörigen die vom Pflegedienst gestellten Medikamente. In einem solchen Fall ist das 1 x wöchentliche Stellen der Medikamente neben der 1 x täglichen Medikamentengabe für den Pflegedienst gegenüber der Krankenkasse abzurechnen.

Grundlage für die Erbringung der Medikamentengabe im Rahmen der häuslichen Krankenpflege ist stets die ärztliche Verordnung. Die Durchführungsverantwortung liegt dann beim Pflegedienst und schließt die sach- und fachgerechte Durchführung und die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ein. Praxistipp: Bitte prüfen Sie Ihren Rahmenvertrag nach § 132a SGB V zur Frage, welche Qualifikation das Personal zum Stellen der Medikamente und zur Gabe der Medikamente haben muss.

252

In der entsprechenden Bemerkungsspalte wurde aufgenommen, dass der Medikationsplan (§ 31a SGB V) auch gegenüber dem Pflegedienst die Transparenz über die verordneten und vom Patienten anzuwendenden Medikamente beschreibt.

Medikationsplan, § 31a SGB V

Praxistipp: Da die Versicherten einen Rechtsanspruch auf Erteilung des Medikationsplans haben, sollte dieser – insbesondere hinsichtlich der Frequenz – für die Tourenplanung herangezogen und ausgewertet werden. Die Begründung des Beschlusstextes hebt hervor, dass der Medikationsplan insbesondere herangezogen werden soll, um weitere Informationen, wie die Dosierung, die Art und der Zeitpunkt der Einnahme oder sonstige Einnahmevorgaben auszuwerten und damit auch der Leistungserbringung zugrunde gelegt werden.

Behandlungspflege

Praxistipp: Von den Änderungen in der Anlage der HKP-Richtlinie ist die Regelung in den Vergütungsvereinbarungen des Rahmenvertrags nach § 132a SGB V zu trennen. Die Verhandlungen darüber werden entscheiden, ob es für das Richten und die Gabe der Medikamente unterschiedliche Vergütungen geben soll. Entscheidend dürfte es sein, welche Qualifikation des Personals benötigt wird.

253

10.11   Zur dauerhaften Blutzuckermessung  BEISPIEL

Kapitel 10:  Die Anlage der HKP-Richtlinie

Praxisfall 56:314

254

Ein 1936 geborener Mann litt unter anderem an Diabetes mellitus vom Typ 2. Die Insulin-Einstellung erfolgte bereits im Dezember 20xx. Da der Versicherte Auffassungs- und Umstellungsschwierigkeiten hatte, schwankende BZ-Werte auftraten, verordnete sein Arzt die häusliche Krankenpflege in Form von Blutzuckermessungen und Insulin-Injektionen zweimal täglich sowie Herrichten der Medikamentengabe einmal wöchentlich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr. Die Krankenkasse genehmigte die Insulin-Injektionen und das Richten der Medikamente. Die Kostenübernahme für die Blutzuckermessungen wurde abgelehnt, da lediglich routinemäßige Dauermessungen vorzunehmen seien. Der Pflegedienst leistete weiter, so dass letztlich eine Forderung in Höhe von rund 3.400,00 € zu finanzieren war. Muss die Krankenkasse zahlen? Die Blutzuckermessung ist grundsätzlich auf die Erst- oder Neueinstellung des Diabetes oder eine sogenannte Intensivierte Insulintherapie beschränkt. Ausnahmsweise kann sie jedoch auch bei einer konventionellen Insulintherapie verordnet werden, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Blutzuckermessungen und die erforderliche Insulingabe selbst korrekt vorzunehmen. Nach der Öffnungsklausel des § 1 Abs. 4 Satz 3 HKP-Richtlinie sind in begründeten Ausnahmefällen auch nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege verordnungs- und genehmigungsfähig. Voraussetzung sei, dass sie als Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplanes im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich seien und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. Entgegen der Auffassung der Krankenkasse im Praxisfall 56 können daher Blutzuckermessungen auch dann verordnungsfähig sein, wenn es sich weder um eine Erst- oder Neueinstellung des Diabetes noch um eine sogenannte Intensivierte Insulintherapie handelt. Ein solcher Ausnahmefall liegt dann vor, wenn die Blutzuckerwerte erheblich schwanken, so dass es sich nicht um eine routinemäßige Dauermessung des Blutzuckerwertes handelt. Dem Versicherten wurde deshalb nicht nach einem starren Schema, sondern nach dem jeweils aktuell ermittelten Blutzuckerwert das in der Dosis angepasste Kombinationsinsulin gespritzt. Der in seiner geistigen Leistungsfähigkeit eingeschränkte Versicherte war mit der täglich schwankenden Insulingabe überfordert. Ohne die Kontrolle des Pflegedienstes hätte ein zu hohes Risiko für Blutzucker-Fehlmessungen und Insulin-Fehldosierungen bestanden. 314 LSG Hessen, Urt. v. 26.3.2019, L 8 KR 443/17.

Kapitel 11:  Die Zuzahlung des Versicherten  INFO

Die Versicherten sollen auch bei der häuslichen Krankenpflege eine angemessene Beteiligung an ihren Krankheitskosten tragen.315 Der Gesetzgeber erhofft sich dadurch eine Steuerungswirkung, die zu Nachfragerückgängen,316 also zu einer selteneren Inanspruchnahme ärztlicher oder nicht-ärztlicher Leistungen führen soll. Der § 37 Abs. 5 SGB V regelt, dass Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, Zuzahlungen nach § 61 Satz 3 SGB V zu leisten haben, begrenzt allerdings auf die ersten 28 Kalendertage der Leistungsinanspruchnahme je Kalenderjahr. Allerdings sind die Versicherten in mehrfacher Weise vor Überforderung geschützt. Grundsätzlich soll niemand mehr als 2 % seines Bruttoeinkommens im Kalenderjahr als Zuzahlung leisten müssen, für chronisch Kranke gilt eine besondere Belastungsobergrenze von 1 % des Bruttoeinkommens. Zum Schutz der Familien sind Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr generell von allen Zuzahlungen befreit. Das monatliche Bruttoeinkommen umfasst alle finanziellen Einnahmen des Versicherten und seiner Familienangehörigen, die zur Bestreitung des Lebensunterhalts dienen können,317 also neben dem Erwerbseinkommen auch Renten, Kapitalerträge, Erträge aus Vermietung und Verpachtung sowie Spekulationsgewinne. Bei häuslicher Krankenpflege beträgt die Zuzahlung nach § 61 Satz 3 SGB V 10 % der Kosten sowie 10,00 € je Verordnung. Die prozentuale Kostentragungspflicht ist durch § 37 Abs. 5 SGB V auf die ersten 28 Kalendertage der Inanspruchnahme je Kalenderjahr begrenzt. Durch die Zuzahlung von 10,00 € je Verordnung, bekommt die Dauer der Verordnung auch für den Versicherten nun eine ganz andere Bedeutung als bisher. Bedeutete bisher eine kurze Verordnungsdauer, vor allem für den Pflegedienst oder die Sozialstation einen erhöhten Verwaltungsaufwand, so bedeutet nun eine kürzere Verordnungsdauer eine höhere Zuzahlungsverpflichtung für den Versicherten. Die prozentuale Zuzahlungsverpflichtung von 10 % der Kosten für die ersten 28 Tage enthält nur auf den ersten Blick eine klare Regelung.

315 BT-Drucksache 15/1525, Seite 71 316 BT-Drucksache 15/1525, Seite 72 317 BT-Drucksache 15/1525, Seite 72

Behandlungspflege

Die Versicherten sind in beschränktem Masse an der Finanzierung der Häuslichen Krankenpflege beteiligt.

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 BEISPIEL Praxisfall 57 – 59:

Kapitel 11:  Die Zuzahlung des Versicherten

57: Ein Versicherter erhält am 01.04. erstmalig eine Verordnung nach § 37 Abs. 1 SGB V, also eine Krankenhausvermeidungspflege von 14 Tagen Dauer. Der Pflegedienst stellt für eine umfassende Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Leistungen € 720,00 in Rechnung. Wie hoch ist die Zuzahlung?

256

58: Der Beatmungspatient T erhält seit Jahren häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V. 12 Stunden Behandlungspflege rechnet der Pflegedienst täglich ab (12 x € 25,00 = € 300,00 pro Tag). Der Abrechnung liegt eine Jahresverordnung zugrunde. 59: Die Versicherte V erhält häusliche Krankenpflege in Form des 1 x wöchentlichen Stellens der Medikamente, dafür darf der Dienst (inklusive Einsatz oder Fahrtpauschale) € 10,00 abrechnen. Die Verordnungen werden quartalsweise ausgestellt.

Im Praxisfall 57 ist klar, dass der Versicherte € 72,00 (10 % von € 720,00) zzgl. € 10,00 für die Verordnung als Zuzahlung zu leisten hat. Im Praxisfall 58 beträgt die rechnerische Zuzahlungsverpflichtung € 840,00 (10 % von € 300,00 x 28). Hier ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob nicht eine Befreiung nach § 62 SGB V vorliegt. Eine derartige Bescheinigung stellt bei Erreichen der Belastungsgrenze die Krankenkasse des Versicherten aus. Zusätzlich zu den € 840,00 kommt noch die Zuzahlung für die Jahresverordnung in Höhe von € 10,00. Schwieriger ist der Praxisfall 59 zu entscheiden. Hier ist zu fragen, ob die 28-Tage-Grenze für das Kalenderjahr gilt, also bei einer andauernden häuslichen Krankenpflege, die am 01.01. eines Jahres besteht, bereits am 28.01. ausläuft, dann würde die V neben den € 40,00 für die 4 Quartalsverordnungen (jeweils € 10,00) noch € 4,00 zuzahlen müssen (10 % von € 10,00 x 4 Wochen) oder, ob sich die 28 auf die Tage der Einsätze beziehen, bei einer 1 x wöchentlichen Leistungen also die Zuzahlungspflicht bis zur 28. Woche reicht, also noch im Juli besteht. Die V müsste dann in unserem Praxisfall 59 € 28,00 zuzahlen. Leider ist wieder mal der Gesetzestext nicht eindeutig. Die Begrenzung wird wörtlich „auf die für die ersten 28 Kalendertage der Leistungsinanspruchnahme je Kalenderjahr anfallenden Kosten“ ausgesprochen. Sind also die ersten Kalendertage bis zum 28.01. oder die Tage der Leistungsinanspruchnahme je Kalenderjahr gemeint? Klarer ist die Gesetzesbegründung.318 Dort heißt es eindeutig: „Zudem ist die Zuzahlung auf 10 von 100 der Kosten für die für die ersten 28 Tage im Kalenderjahr entfallenden Kosten beschränkt.“ 318 BT-Drucksache 15/1525, Seite 90

Behandlungspflege

Diese Aussage ist ganz eindeutig. Gemeint sind 10 % der Kosten, die in den ersten 28 Tagen im Kalenderjahr anfallen. Sinn und Zweck der Regelung ist auch eine einfache Handhabe, sodass der Versicherte nicht im Juli noch mit einer Zuzahlung belastet werden soll. Es wird ein ausschnittartiger Zeitraum betrachtet, mehr nicht. Sonst müsste man auch Ausgleichsmechanismen finden für Fälle, in denen in den ersten Tagen der Inanspruchnahme häuslicher Krankenpflege ein Weniger an Leistungen in Anspruch genommen wird, das dann allmählich oder sprunghaft steigt. Die Zuzahlung ist an die Krankenkasse zu leisten.

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Kapitel 12:  Private Krankenversicherung  INFO Die private Krankenversicherung folgt eigenen, zivilrechtlichen Regelungen. Daher ist zu fragen, die Regelungen zur Häuslichen Krankenpflege der gesetzlichen Krankenversicherung übertragen werden können.

12.1 Gelten die Voraussetzungen des § 37 SGB V auch in der privaten Krankenversicherung?  BEISPIEL Praxisfall 60:319

Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich für privat Krankenversicherte nicht aus den gesetzlichen Regelungen des SGB V, sondern aus dem Versicherungsvertrag, den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen, den diese ergänzenden Tarifen mit Tarifbedingungen sowie aus gesetzlichen Vorschriften.320 Gemäß § 1 Teil I Abs. 1 MB/KK bietet der Versicherer Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Er erbringt, sofern konkret vereinbart, damit unmittelbar zusammenhängende zusätzliche Dienstleistungen. Im Versicherungsfall erbringt der Versicherer in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (§ 192 VVG). Heilbehandlung ist jede ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes oder eines sonstigen Behandlers von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung oder Linderung einer Krankheit abzielt. 319 OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.11.2011, 16 U 43/11 320 BGH, Urt. v. 17.3.1999, IV ZR 137/98

Behandlungspflege

A fordert eine Kostenerstattung aus ihrer privaten Krankheitskostenversicherung wegen der monatlich angefallenen Kosten für die dreimal tägliche Arzneimittelgabe durch den Pflegedienst des Wohnstifts, in dem A im sog. betreuten Wohnen lebt. Gilt § 37 SGB V auch für eine private Krankenversicherung; muss diese also zahlen?

259

Kapitel 12:  Private Krankenversicherung 260

Medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne einer ärztlichen Tätigkeit im Sinne der oben angeführten Definition ist die Untersuchung der Klägerin zwecks Beobachtung des Krankheitsverlaufs und das Verschreiben von Medikamenten. Gemäß § 4 Teil I Abs. 1 MB/KK ergeben sich Art und Höhe der Versicherungsleistungen aus dem Tarif mit Tarifbedingungen. Gemäß § 4 Teil I Abs. 3 MB/KK müssen Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel verordnet, Arzneimittel außerdem aus der Apotheke bezogen werden. Nach den in § 4 Teil I Abs. 1 MB/KK in Bezug genommenen Tarifbedingungen werden Aufwendungen für ambulante Heilbehandlung und für Arzneimittel mit den tariflichen Sätzen erstattet (Nr. 2.1 der Tarifbedingungen) und sind bei medizinisch notwendiger Heilbehandlung die Aufwendungen für Arzneimittel erstattungsfähig (Nr. 3 d der Tarifbedingungen). Für die Auslegung von Versicherungsbedingungen ist maßgeblich die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Versicherungsnehmers in dem betreffenden Versicherungszweig ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und verständig würdigt.321 Wenn bei medizinisch notwendiger Heilbehandlung die Aufwendungen für Arzneimittel erstattungsfähig sind, dann sind das nach dem Wortlaut die Kosten des Arzneimittels als solchem und nicht Kosten, die mit der Einnahme des Arzneimittels verbunden sind. Dies entspricht auch der Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Es entspricht dem allgemeinen Sprachverständnis, dass Arzneimittel vom Arzt verschrieben, in der Apotheke gekauft und – nach Anweisung des Arztes oder nach den Vorgaben des Beipackzettels – vom Versicherungsnehmer selbstständig eingenommen werden. Es handelt sich dabei um eine Tätigkeit, die vom Versicherungsnehmer grundsätzlich ganz selbstverständlich ohne fachliche Hilfe vorgenommen wird. Es ist ferner sozialüblich und entspricht deshalb ebenso dem normalen Sprachverständnis, dass, wenn der Versicherungsnehmer die Einnahme nicht mehr selbst vornehmen kann, Mitbewohner des Haushalts Hilfestellung leisten. Hieraus folgt zugleich, dass es sich bei der Medikamenteneinnahme – bzw. der Medikamentengabe – nicht um eine ambulante Heilbehandlung im Sinne von Nr. 2.1 der Tarifbedingungen handelt. Die Versicherungsbedingungen in Verbindung mit den Tarifbedingungen enthalten keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen einer geistigen oder körperlichen Erkrankung die Medikamenteneinnahme nicht selbst vornehmen kann und ihm in seinem Haushalt keine Personen zur Verfügung stehen, die ihm hierbei kostenfrei Hilfestellung geben. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass gesetzlich Krankenversicherte gemäß § 37 SGB V Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege haben, wobei die Behandlungspflege die Medikamentengabe umfasst. Hinzu kommt, dass, wer eine private Krankenversicherung abschließt, nicht erwarten kann, dass er damit so versichert ist, wie er es als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse wäre. Dem stehen grundlegende Strukturunterschiede zwi321 BGH, Urt. v. 19.5.2004, IV ZR 29/03

schen dem System der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung von vornherein entgegen.322 Versäumen Sie daher nicht die Kunden darüber aufzuklären, dass das Märchen „private Versicherung sei besser“ eben ein Märchen ist! A kann deshalb im Praxisfall 60 keine Gleichstellung mit einem in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten beanspruchen. Insbesondere wird A durch diese gegenüber § 37 SGB V einschränkende Regelung auch nicht im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.323

12.2 Gelten die personellen Voraussetzungen auch für Leistungen in der privaten Krankenversicherung?  BEISPIEL

K betreibt einen ambulanten Pflegedienst und macht gegen B restliche Vergütungsansprüche aus einem Vertrag über ambulante Pflegeleistungen geltend. B ist die Mutter des am 2.5.20xx geborenen N, der auf Grund einer rechtsseitigen Zwerchfellhernie intensiver medizinischer Pflege bedarf. Die B und N sind bei der I. Krankenversicherung aG privat versichert. Diese erkannte die medizinische Notwendigkeit der häuslichen Intensivund Behandlungspflege auf der Grundlage eines Stundensatzes von 35,00 € an. Den Leistungen lag ein „Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen“ für N zugrunde. Unter der Überschrift „Allgemeines“ wird darin ausgeführt: „Der Pflegedienst erbringt für den Kunden – Leistungen der Krankenkassen nach SGB V (nur nach Verordnung) – Leistungen nach Vereinbarung. Der Pflegedienst ist durch Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI zugelassen und kann entsprechend mit den Pflegekassen abrechnen. Der Pflegedienst hat einen Vertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V abgeschlossen und kann entsprechend mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen.“

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Praxisfall 61:324

Hinsichtlich der Vergütungsregelung enthält der Vertrag unter Nummer 1. folgende Regelung:

322 BGH, Urt. 22.5.1991, IV ZR 232/90 323 BGH, Urt. 19.5.2004, IV ZR 29/03 324 BGH, Urt. v. 8.10.2015, III ZR 93/15

261

Kapitel 12:  Private Krankenversicherung 262

– „Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung – soweit bewilligt – und der Pflegeversicherung oder anderer Sozialleistungsträger werden vom Pflegedienst unmittelbar mit diesen abgerechnet. Daher arbeiten bei K ausschließlich festangestellte examinierte Kinderkrankenpflegefachkräfte, welche kontinuierlich durch Fortbildungen weitergebildet werden. … Nicht bewilligte Leistungen der Krankenversicherung, die der Kunde auf der Grundlage einer ärztlichen Versorgung dennoch in Anspruch nimmt, hat er selbst zu bezahlen. Dabei wird die zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und dem Pflegedienst vertraglich vereinbarte Vergütung abgerechnet.“ B hat die (unstreitig) erbrachten 1.800,5 Pflegestunden der in Deutschland nicht anerkannten, in Bulgarien ausgebildeten Kinderkrankenschwester S (insgesamt 63.017,50 €) nicht gezahlt. Muss B zahlen? Während das Berufungsgericht325 noch den Zahlungsanspruch des K bestätigte, sieht der BGH keinen Vergütungsanspruch, soweit die eingesetzten Pflegekräfte nicht über die in dem Pflegevertrag vorausgesetzte Qualifikation verfügten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden. In der gesetzlichen Krankenversicherung führt das Unterschreiten der nach dem Pflegevertrag vereinbarten Qualifikation nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen des Sozialrechts auch dann zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden.326 Dieser „streng formalen Betrachtungsweise“ liegt die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Vertragsarztrecht und zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde, wonach Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems zu gewährleisten haben, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Das wird dadurch erreicht, dass dem Leistungserbringer für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden und für den Versicherten geeignet und nützlich sind.327 Um eine den praktischen Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle zu gewährleisten, können die Krankenkassen auf formalen Ausbildungs- und Weiterbildungsqualifikationen bestehen mit der Folge, dass die Abrechenbarkeit von Leistungen streng an die formale Qualifikation des Personals anknüpft,328 wobei die vertragliche Vereinbarung mit dem Leistungserbringer maßgeblich ist. Dementsprechend schei325 OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.3.2015, 7 U 85/14 326 LSG Sachsen, Urt. v. 18.12.2009, L 1 KR 89/06; BGH, Beschl.v. 16.6.2014, 4 StR 21/14 327 BSG, Urt. v. 17.3.2005, B 3 KR 2/05 R = BSGE 94, 213 328 BSG, Urt. v. 7.12.2006, B 3 KR 5/06 R = BSGE 98, 12

det ein Vergütungsanspruch aus, wenn Pflegeleistungen durch Personal erbracht werden, welches nicht über die vertraglich vorausgesetzte Qualifikation verfügt. Ob diese Grundsätze generell auch auf Pflegeverträge mit privat Versicherten anzuwenden sind, ist noch nicht von der Rechtsprechung entschieden worden. Im Praxisfall 60 aber haben die Parteien die sozialrechtlichen Abrechnungsgrundsätze durch Bezugnahme zur Grundlage ihrer privatrechtlichen Leistungsbeziehung gemacht und damit die „streng formale Betrachtungsweise“ der gesetzlichen Krankenversicherung auch für die Abrechenbarkeit der erbrachten Pflegeleistungen als maßgebend erachtet. Dass die Abrechenbarkeit der erbrachten Pflegeleistungen in diesem Fall nach den Grundsätzen des Sozialrechts zu beurteilen ist, ergibt sich aus Folgendem: Das gesamte Vertragswerk verweist hinsichtlich der Leistungserbringung und der Vergütungsregelung auf die Bestimmungen des SGB V. Dabei wird hervorgehoben, dass die Klägerin mit den gesetzlichen Krankenkassen einen Vertrag nach § 132a Abs. 4 SGB V geschlossen hat und „entsprechend“ abrechnen könne (die Vorschrift nennt als Regelungsgegenstände eines derartigen Vertrags „die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege sowie die Preise und deren Abrechnung“). Für Leistungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, die der Versicherte selbst zu bezahlen hatte, sollte die „zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und dem Pflegedienst vertraglich vereinbarte Vergütung abgerechnet“ werden.

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Praxistipp: Der Praxisfall 61 zeigt wie wichtig es ist auf die Formulierung der verwendeten Verträge besondere Mühe zu verwenden. Mit einem „speziellen“ Privat-Pflegevertrag hätte die Zahlung durchgesetzt werden können.

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Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege-Richtlinie) in der Fassung vom 17. September 2009 veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz. Nr. 21a vom 9. Februar 2010 in Kraft getreten am 10. Februar 2010 zuletzt geändert am 15. August 2019 veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 05.12.2019 B4 in Kraft getreten am 6. Dezember 2019



§ 1 Grundlagen § 2 Inhalte, Ziele und Umfang der häuslichen Krankenpflege § 2a Krankenhausvermeidungspflege § 2b Sicherungspflege § 2c Unterstützungspflege § 3 Verordnung der häuslichen Krankenpflege § 4 Besonderheiten der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege § 5 Dauer der Verordnung häuslicher Krankenpflege § 6 Genehmigung von häuslicher Krankenpflege § 7 Zusammenarbeit zwischen Vertragsärztin/Vertragsarzt, Krankenhäusern und Pflegediensten § 8 Information der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte

Anlage zur Häusliche Krankenpflege-Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 und Absatz 7 SGB V

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Inhalt

Sachverzeichnis

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Diese Richtlinie regelt die Verordnung häuslicher Krankenpflege, deren Dauer und deren Genehmigung durch die Krankenkassen sowie die Zusammenarbeit der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte mit den die häusliche Krankenpflege durchführenden ambulanten Pflegediensten und den Krankenhäusern.

Richtlinie

§ 1 Grundlagen

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(1) 1Die Verordnung häuslicher Krankenpflege durch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte erfolgt bei medizinischer Notwendigkeit. 2Diese kann sowohl kurativ als auch palliativ indiziert sein. 3Dabei sind der Eigenverantwortungsbereich der oder des Versicherten (siehe Absatz 5) sowie die besonderen Belange kranker Kinder und wirtschaftliche Versorgungsalternativen zu berücksichtigen. 4So kann z. B. die Verordnung eines teuren Arznei-, Verband- oder Hilfsmittels wirtschaftlich sein, wenn der finanzielle Aufwand für diese Maßnahmen bei gleicher Wirksamkeit geringer ist als der für die sonst notwendigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege. (2) 1Häusliche Krankenpflege wird im Haushalt der oder des Versicherten oder ihrer oder seiner Familie erbracht. 2Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht auch an sonstigen geeigneten Orten, an denen sich die oder der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen –– die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und –– für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (z. B. im Hinblick auf hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung), wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes an diesem Ort notwendig ist. 3Orte im Sinne des Satz 2 können insbesondere Schulen, Kindergärten, betreute Wohnformen oder Arbeitsstätten sein. 4Ein Anspruch besteht auch für Versicherte, die nicht nach § 14 SGB XI pflegebedürftig sind, während ihres Aufenthalts in teilstationären Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes in der Einrichtung der Tages- oder Nachtpflege notwendig ist sowie in Kurzzeitpflegeeinrichtungen (siehe auch Absatz 6). (3) 1Die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden soll vorrangig im Haushalt der oder des Versicherten gemäß Absatz 2 erfolgen.2Kann die Versorgung der chronischen und schwer heilenden Wunde aufgrund der Komplexität der Wundversorgung oder den Gegebenheiten in der Häuslichkeit voraussichtlich nicht im Haushalt der oder des Versicherten erfolgen, soll die Wundversorgung durch spezialisierte Einrichtungen außerhalb der Häuslichkeit erfolgen. 3Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. 4Für die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden nach Satz 1 und 2 ist die Leistung nach Nr. 31a zu verordnen.1 1

Wenn die behandelnde Vertragsärztin oder der behandelnde Vertragsarzt z. B. eine i. v. Injektion an Pflegefachkräfte/Pflegekräfte delegiert, trägt sie oder er die Verantwortung für die Durchführung und die Vergütung

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(4) 1Die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind grundsätzlich dem dieser Richtlinie als Anlage beigefügten Leistungsverzeichnis zu entnehmen. 2Dort nicht aufgeführte Maßnahmen sind grundsätzlich nicht als häusliche Krankenpflege verordnungs- und genehmigungsfähig. 3Nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V sind in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. 4Maßnahmen der ärztlichen Diagnostik und Therapie sind nicht als häusliche Krankenpflege verordnungsfähig und dürfen nicht von der Krankenkasse genehmigt werden. (5) 1Die oder der Versicherte hat nur dann einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege, wenn und soweit sie oder er die erforderliche(n) Verrichtung(en) nicht selbst durchführen oder eine im Haushalt lebende Person die Versicherte oder den Versicherten in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. (6) 1Für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen), kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. 2Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkassen zu prüfen. 3Häusliche Krankenpflege kann für den Zeitraum einer stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung nicht verordnet werden. (7) 1Abweichend von Absatz 6 kann häusliche Krankenpflege in Werkstätten für behinderte Menschen verordnet werden, wenn die Intensität oder Häufigkeit der in der Werkstatt zu erbringenden Pflege so hoch ist, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung gesichert werden kann und die Werkstatt für behinderte Menschen nicht auf Grund des § 10 der Werkstättenverordnung verpflichtet ist, die Leistung selbst zu erbringen. 2Eine Verordnung von Behandlungspflege ist auch für Versicherte in Pflegeheimen zulässig, die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben (§ 37 Absatz 2 Satz 3 SGB V). 3Dies ist der Fall, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft erforderlich ist, insbesondere weil –– behandlungspflegerische Maßnahmen in ihrer Intensität oder Häufigkeit unvorhersehbar am Tag und in der Nacht erfolgen müssen oder –– die Bedienung und Überwachung eines Beatmungsgerätes im Sinne der Nr. 8 der Anlage am Tag und in der Nacht erforderlich ist. 4Eine Verordnung von Behandlungspflege ist auch für Versicherte in vollstationären Einrichtungen oder Räumlichkeiten der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne von § 43a des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) zulässig, wenn ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege gemäß Satz 3 be-

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steht. 5Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn der besonders hohe Bedarf an medizinischer Behandlungspflege abweichend von Satz 2 nur vorübergehend besteht, z. B. nach einem Krankenhausaufenthalt. 6Für Versicherte, bei denender Bedarf an medizinischer Behandlungspflege keine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert, ist eine Erbringung von Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nur zulässig, wenn die Leistungserbringung nicht zu den Aufgaben der Einrichtung oder Räumlichkeit im Sinne von § 43a SGB XI gehört.7Dies ist in dem Genehmigungsverfahren gemäß § 6 zu prüfen. 8Im Rahmen der häuslichen Krankenpflege sind einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege für Versicherte in Einrichtungen oder Räumlichkeiten im Sinne von § 43a SGB XI regelmäßig nicht verordnungsfähig. § 2 Inhalte, Ziele und Umfang der häuslichen Krankenpflege (1) Die häusliche Krankenpflege beinhaltet –– Maßnahmen der ärztlichen Behandlung, die dazu dienen, Krankheiten zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und die üblicherweise an Pflegefachkräfte/Pflegekräfte delegiert werden können (Behandlungspflege), –– Grundverrichtungen des täglichen Lebens (Grundpflege) und –– Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Anforderungen einer eigenständigen Haushaltsführung allgemein notwendig sind (hauswirtschaftliche Versorgung). (2) Ziele der Verordnung häuslicher Krankenpflege sind –– der oder dem Versicherten das Verbleiben oder die möglichst frühzeitige Rückkehr in ihren oder seinen häuslichen Bereich zu erlauben (Krankenhausvermeidungspflege) oder –– ambulante ärztliche Behandlung zu ermöglichen und deren Ergebnis zu sichern (Sicherungspflege), –– Sicherstellung der Versorgung bei schwerer Krankheit oder akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung (Unterstützungspflege). (3) Häusliche Krankenpflege umfasst, sofern dies im Einzelfall notwendig ist, –– bei Krankenhausvermeidungspflege die Behandlungs-und Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung, –– bei Sicherungspflege die notwendige Behandlungspflege sowie, sofern die Satzung der Krankenkasse dies vorsieht, die notwendige Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung und –– bei Unterstützungspflege die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. § 2a Krankenhausvermeidungspflege

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(1) 1Die Verordnung als Krankenhausvermeidungspflege ist nur zulässig, wenn die oder der Versicherte wegen einer Krankheit der ärztlichen Behandlung bedarf

und diese Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans ist. 2Sie kann verordnet werden, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt: –– Krankenhausbehandlung geboten aber nicht ausführbar ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn eine Versicherte oder ein Versicherter die Zustimmung zur Krankenhauseinweisung verweigert. –– Dadurch Krankenhausbehandlung vermieden wird. Dies ist gegeben, wenn durch die Ergänzung der ambulanten ärztlichen Behandlung mit Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege die ansonsten erforderliche Krankenhausbehandlung ersetzt werden kann. –– Dadurch Krankenhausbehandlung verkürzt wird (vgl. § 7 Absatz 5). (2) Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung können im Rahmen der Krankenhausvermeidungspflege nur im Zusammenhang mit erforderlicher Behandlungspflege verordnet werden. § 2b Sicherungspflege

§ 2c Unterstützungspflege (1) Häusliche Krankenpflege als Unterstützungspflege ist Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans und kann verordnet werden, wenn –– eine schwere Krankheit oder eine akute Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung vorliegt und –– die dadurch resultierenden krankheits- oder behandlungsbedingten Beeinträchtigungen in einem Maß vorliegen, dass die oder der Versicherte sich nicht mehr selbstständig in den Bereichen Grundpflege und Hauswirtschaft versorgen kann und –– der Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung nur für einen voraussichtlich vorübergehenden Zeitraum vorliegt und –– keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 bis 5 gemäß den §§ 14 und 15 SGB XI vorliegt. 1 (2) Die Leistung umfasst die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung entsprechend den Nummern 1

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(1) 1Sicherungspflege ist Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans und kann verordnet werden, wenn sich der oder die Versicherte wegen einer Krankheit in ambulanter vertragsärztlicher Versorgung befindet und diese nur mit Unterstützung durch Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege durchgeführt werden kann. 2In diesen Fällen ist häusliche Krankenpflege nur als Behandlungspflege verordnungsfähig. (2) Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung können im Rahmen der Sicherungspflege nur im Zusammenhang mit erforderlicher Behandlungspflege verordnet werden, sofern die Satzung der Krankenkasse die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung vorsieht und bei der oder dem Versicherten keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 bis 5 gemäß den §§ 14 und 15 SGB XI vorliegt.

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bis 5 des Leistungsverzeichnisses. 2Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung können nur zusammen mit Leistungen der Grundpflege verordnet werden. 3Leistungen der Grundpflege können auch ohne Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung verordnet werden. 4Die Verordnung von Unterstützungspflege setzt nicht notwendigerweise die gleichzeitige oder vorherige Verordnung von Behandlungspflege voraus. 5Leistungen nach § 37 Absatz 1a SGB V können nicht in Einrichtungen der Kurzzeitpflege erbracht werden.

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§ 3 Verordnung der häuslichen Krankenpflege

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(1) 1Voraussetzung für die Verordnung häuslicher Krankenpflege ist, dass sich die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt von dem Zustand der oder des Kranken und der Notwendigkeit häuslicher Krankenpflege persönlich überzeugt hat oder dass ihr oder ihm beides aus der laufenden Behandlung bekannt ist. 2Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzte können häusliche Krankenpflege im Rahmen der Entlassung aus dem Krankenhaus nach Maßgabe von § 7 Absatz 5 verordnen. (2) 1Die ärztliche Verordnung erfolgt auf dem vereinbarten Vordruck (Verordnung häuslicher Krankenpflege). 2Die Ärztin oder der Arzt hat auf dem Verordnungsvordruck insbesondere –– die verordnungsrelevante(n) Diagnose(n) als medizinische Begründung für die häusliche Krankenpflege, –– die zu erbringenden Leistungen sowie –– deren Beginn, Häufigkeit und Dauer anzugeben. (3) 1Kann eine im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person die erforderliche(n) Maßnahme(n) durchführen und ist dies der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt bekannt, hat die Verordnung zu unterbleiben. 2Sofern die im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person Teilbereiche der häuslichen Krankenpflege durchführen kann, hat die Verordnung für diese Teilbereiche zu unterbleiben. 3Kann eine im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person nach Einschätzung der Ärztin oder des Arztes die erforderliche(n) Maßnahme(n) oder Teilbereiche nicht übernehmen, ist dies auf der Verordnung entsprechend anzugeben. 4Kann die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt nicht eindeutig beurteilen, ob eine im Haushalt der oder des Versicherten lebende Person die erforderliche(n) Maßnahme(n) oder Teilbereiche erbringen kann, ist dies auf der Verordnung entsprechend anzugeben. (4) 1Jede Maßnahme der häuslichen Krankenpflege setzt eine ärztliche Verordnung voraus. 2Die Leistungserbringer, welche im Rahmen der häuslichen Krankenpflege die Maßnahmen durchführen, sind zunächst an die Verordnung und bei Vorliegen der Genehmigung an diese gebunden. (5) 1Änderungen und Ergänzungen der Verordnung bedürfen der erneuten Unterschrift der Ärztin oder des Arztes mit Stempel und Datumsangabe. 2Rückwirkende Verordnungen sind grundsätzlich nicht zulässig; Ausnahmefälle sind besonders zu begründen.

(6) Sind einzelne Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege ganz oder teilweise nicht mehr notwendig, teilt die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt dies unverzüglich der Krankenkasse mit. (7) Hält die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege nach der Krankenhausentlassung für erforderlich und teilt dies der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt mit, soll die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt dies bei der Verordnung berücksichtigen. (8) Leistungen der Sicherungspflege nach § 2b können parallel zur Unterstützungspflege nach § 2c verordnet werden, wenn neben dem Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung ein Bedarf an Behandlungspflege besteht und die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.

(1) Für die Verordnung von Leistungen nach Nr. 27a des Verzeichnisses verordnungsfähiger Leistungen (psychiatrische häusliche Krankenpflege) gelten nachfolgende Besonderheiten. (2) 1In Konkretisierung der in § 2 dieser Richtlinie formulierten Ziele ist das ergänzende Ziel der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege, dazu beizutragen, dass Versicherte soweit stabilisiert werden, dass sie ihr Leben im Alltag im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbständig bewältigen und koordinieren sowie Therapiemaßnahmen in Anspruch nehmen können. 2Dabei ist das soziale Umfeld zu berücksichtigen. (3) Voraussetzung für die Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege ist, dass die oder der Versicherte über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit verfügt, um im Pflegeprozess die in Absatz 8 Satz 1 genannten Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflussen zu können, und zu erwarten ist, dass das mit der Behandlung verfolgte Therapieziel von der oder dem Versicherten umgesetzt werden kann. (4) 1Können die in Absatz 3 genannten Voraussetzungen zum Zeitpunkt der erstmaligenVerordnung durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt eingeschätzt werden, kann die psychiatrische häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen verordnet werden. 2Die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt hat sich über den Erfolg der verordneten Maßnahmen zu vergewissern. 3Können die in Absatz 3 genannten Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Verordnung durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt nicht eingeschätzt werden, ist eine Erstverordnung nur bis zu 14 Tagen möglich. 4Ist in dem Zeitraum nach Satz 3 eine diesbezügliche Einschätzung abschließend noch nicht möglich, kann eine Folgeverordnung für weitere 14 Tage ausgestellt werden. 5Zeichnet sich in diesem Zeitraum ab, dass Pflegeakzeptanz und Beziehungsaufbau nicht erreicht werden können, ist eine (erneute) Folgeverordnung nicht möglich. (5) 1Im Rahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege sind die relevanten Bezugspersonen der oder des Versicherten einzubeziehen und im Umgang

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§ 4 Besonderheiten der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege

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Richtlinie 272

mit deren oder dessen Erkrankung anzuleiten, soweit dies im Einzelfall notwendig und erwünscht ist. 2Zudem soll die Pflege in den (gemeinde-)psychiatrischen Verbund oder anderer vernetzter Behandlungsstrukturen eingebunden, das Umfeld beteiligt und die soziale Integration gewährleistet werden. (6) 1Folgende Vertragsärztinnen und Vertragsärzte dürfen Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege verordnen: –– Fachärztin oder Facharzt für Nervenheilkunde, –– Fachärztin oder Facharzt für Neurologie, –– Fachärztin oder Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, –– Fachärztin oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, –– Fachärztin oder Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (in therapeutisch begründeten Fällen in der Übergangsphase ab dem 18. Lebensjahr bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs). 2Die in der Richtlinie verwendeten Weiterbildungsbezeichnungen richten sich nach der (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer 2003 in der Fassung vom 23. Oktober 2015 und schließen auch die Ärztinnen und Ärzte ein, welche eine entsprechende Bezeichnung nach altem Recht in den jeweiligen Bundesländern führen. 3Eine Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege kann ferner erfolgen durch psychiatrische Institutsambulanzen nach § 118 SGB V. 4Abweichend von Satz 1 kann die Verordnung durch die Hausärztin oder den Hausarzt sowie eine Fachärztin oder einen Facharzt mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie erfolgen. 5Dies erfordert eine vorherige Diagnosesicherung durch eine Ärztin oder einen Arzt der in Satz 1 genannten Fachgebiete, die nicht älter als vier Monate ist. 6Der Gesamtverordnungszeitraum durch diese Ärztinnen und Ärzte sollte sechs Wochen nicht überschreiten. 7Die abweichende Verordnungsmöglichkeit nach Satz 4 besteht für Verordnungen von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege nach Absatz 10 mit der Maßgabe, dass der Verordnungszeitraum von insgesamt sechs Wochen nicht überschritten werden darf. (7) 1Bestandteil der Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege ist der von der Ärztin oder dem Arzt erstellte Behandlungsplan, der die Indikation, die Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen), die Zielsetzung der Behandlung und die Behandlungsschritte (Behandlungsmaßnahmen, -frequenzen und -dauer) umfasst. 2Der Krankenkasse ist der Behandlungsplan vorzulegen. 3Der Behandlungsplan ist bei Änderungen (zum Beispiel des Bedarfs, des klinischen Status, der relevanten Kontextfaktoren) zu aktualisieren und vorzulegen. (8) 1Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege sind für Indikationen nach den Absätzen 9 und 10 verordnungsfähig, wenn eine oder mehrere der folgenden Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) in einem Maß vorliegen, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann und diese Beeinträchtigungen durch die psychiatrische häusliche Krankenpflege positiv beeinflusst werden können:

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Global Assessment of Functioning Scale in: DSM-IV-TR (Text Revision) von 2000, in deutscher Fassung von 2003, S. 24 f.

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–– Störungen des Antriebs, der Ausdauer oder der Belastbarkeit in Verbindung mit der Unfähigkeit der Tagesstrukturierung, der Einschränkung des planenden Denkens oder des Realitätsbezugs, –– Einbußen bei –– der Kontaktfähigkeit, –– den kognitiven Fähigkeiten, wie Konzentration, Merkfähigkeit, Lernleistung und problemlösendes Denken, –– dem Zugang zur eigenen Krankheitssymptomatik oder –– dem Erkennen und Überwinden von Konfliktsituationen und Krisen. 2Zur Bestimmung der Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) und deren Ausmaß ist nach Maßgabe der Absätze 9 und 10 die GAF-Skala2 heranzuziehen und der GAF-Wert auf der Verordnung anzugeben. 3Kontraindikationen schließen die Verordnung von psychiatrischer häuslicher Krankenpflege aus (zum Beispiel Gefahr der iatrogenen Chronifizierung). (9) 1Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege sind im Rahmen der Regelindikation nur verordnungsfähig bei den in Nummer 27a des Leistungsverzeichnisses genannten Diagnosen. 2Dabei gilt bei den in der Bemerkungsspalte genannten Diagnosen (Regelindikation) ein Orientierungswert im Rahmen der GAF-Skala2 von 40 (höchstens ≤ 50). 3Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. (10) Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege können für schwer psychisch erkrankte Menschen mit Diagnosen aus dem Bereich F00 bis F99, die nicht in der Bemerkungsspalte in Nummer 27a des Leistungsverzeichnisses genannt sind, in begründeten Einzelfällen verordnet werden, wenn folgende Voraussetzungen aus der Verordnung hervorgehen: –– Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) liegen in einem Maß vor, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann, bei einem GAF-Wert von ≤ 40, und –– die oder der Versicherte verfügt über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit, um im Pflegeprozess die in Absatz 8 Satz 1 genannten Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflussen und die mit der Behandlung verfolgten Therapieziele erreichen zu können. (11) 1Wurden die Therapieziele vor Ablauf des Verordnungszeitraums erreicht, endet der Anspruch auf psychiatrische häusliche Krankenpflege. 2Sind die Therapieziele nicht mehr mit den Möglichkeiten der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege erreichbar oder fehlt anhaltend die Mitwirkung der oder des Versicherten, ist die Maßnahme der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege zu beenden. (12) 1Hinweise nach Absatz 11 oder weitere Hinweise zur veränderten Pflegesituation sindder verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt gemäß § 7 Absatz 2 mitzuteilen. 2Die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt informiert nach Rücksprache mit der Patientin oder dem Patienten die Krankenkasse.

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(13) Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege und die Leistungen der Soziotherapie können – sofern die jeweiligen individuellen Verordnungsvoraussetzungen erfüllt sind – für nacheinander folgende Zeiträume verordnet werden. (14) 1Für denselben Zeitraum ist die Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege neben inhaltlich gleichen Leistungen der Soziotherapie ausgeschlossen. 2Die Verordnung von Maßnahmen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege neben Leistungen der Soziotherapie ist für denselben Zeitraum möglich, wenn sich diese Leistungen aufgrund ihrer jeweils spezifischen Zielsetzung ergänzen (vgl. hierzu Soziotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses). 3Sowohl im Behandlungsplan der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege als auch im soziotherapeutischen Betreuungsplan sind die Notwendigkeit, die Dauer sowie die Abgrenzung der Leistungen zueinander darzulegen. 4Die Verordnung inhaltsgleicher Leistungen ist nicht zulässig. (1) 1Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt hat sich über den Erfolg der verordneten Maßnahmen zu vergewissern. 2Um dies sicherzustellen, soll insbesondere die Erstverordnung einen Zeitraum bis zu 14 Tagen nicht überschreiten. (2) 1Ist aus dem Zustand der oder des Versicherten erkennbar, dass der zunächst verordnete Zeitraum nicht ausreicht, kann die Folgeverordnung auch für eine längere Dauer ausgestellt werden, wenn in der Folgeverordnung die Notwendigkeit begründet wird. 2Die Folgeverordnung ist in den letzten drei Arbeitstagen (Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind) vor Ablauf des verordneten Zeitraums auszustellen. (3) 1Ein Anspruch der oder des Versicherten auf Krankenhausvermeidungspflege sowie Unterstützungspflege besteht bis zu vier Wochen. 2In begründeten Ausnahmefällen kann Krankenhausvermeidungspflege sowie Unterstützungspflege über diesen Zeitraum hinaus verordnet werden. 3Dies bedarf der Bewilligung durch die Krankenkasse nach Feststellung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, dass die längere Dauer der Krankenhausvermeidungspflege zur Vermeidung von Krankenhausbehandlung erforderlich ist oder bei der Unterstützungspflege nur durch Leistungen nach § 2c ein Verbleib in der Häuslichkeit gewährleistet ist und weiterhin keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2 bis 5 im Sinne des SGB XI vorliegt. 4Für Leistungen der ambulanten Palliativversorgung ist regelmäßig ein begründeter Ausnahmefall im Sinne von § 37 Absatz 1 Satz 5 SGB V anzunehmen. § 6 Genehmigung von häuslicher Krankenpflege

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(1) Die von der oder dem Versicherten durch Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung beantragten Leistungen bedürfen der Genehmigung durch die Krankenkasse. (2) 1Die Krankenkassen können im Rahmen des Genehmigungsverfahrens mit der Prüfung der verordneten Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung beauftragen. 2Werden verordnete Maß-

nahmen nicht oder nicht in vollem Umfang genehmigt, hat die Krankenkasse die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt über die Gründe zu informieren. (3) Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege dürfen von den Krankenkassen nur genehmigt werden, soweit sie weder von der oder dem Versicherten selbst noch von einer in ihrem oder seinem Haushalt lebenden Person durchgeführt werden können. (4) Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung im Rahmen der Sicherungspflege können von der Krankenkasse nur genehmigt werden, wenn die Satzung der Krankenkasse dies vorsieht. (5) Bezieht die oder der Versicherte Leistungen der Pflegeversicherung, darf die Krankenkasse die Kosten für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung als Sicherungspflege nicht übernehmen. (6) 1Die Krankenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Absatz 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag (Montag bis Freitag, wenn diese nicht gesetzliche Feiertage sind) der Krankenkasse vorgelegt wird. 2Das Nähere regeln die Partner der Rahmenempfehlungen nach § 132a Absatz 1 SGB V.

(1) 1Zur Sicherstellung der Leistungserbringung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege wirkt die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt mit dem Pflegedienst und der Krankenkasse der oder des Versicherten eng zusammen. 2Die Koordination der Zusammenarbeit liegt bei der behandelnden Vertragsärztin oder dem behandelnden Vertragsarzt. (2) 1Der Pflegedienst berichtet der behandelnden Vertragsärztin oder dem behandelnden Vertragsarzt bei Veränderung in der häuslichen Pflegesituation, insbesondere aufgrund derhäuslichen Krankenpflege, oder nach Aufforderung durch die Ärztin oder den Arzt, gegebenenfalls auch unter Übermittlung von Auszügen aus der Pflegedokumentation. 2Die Ärztin oder der Arzt entscheidet über die erforderlichen Maßnahmen, die sich daraus ergeben. (3) Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt informiert den Pflegedienst über neue pflege-relevante Befunde. (4) Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt soll bei Gelegenheit des Hausbesuches die Pflegedokumentation einsehen, diese für ihre oder seine Entscheidungen auswerten und bei Bedarf Anordnungen darin vermerken. (5) 1Soweit es für die Versorgung der oder des Versicherten unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus oder im unmittelbaren Anschluss an die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung erforderlich ist, kann das Krankenhaus (die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt) im Rahmen des Entlassmanagements wie eine Vertragsärztin oder ein Vertragsarzt häusliche Krankenpflege

Behandlungspflege

§ 7 Zusammenarbeit zwischen Vertragsärztin/Vertragsarzt, Krankenhäusern und Pflegediensten

275

Richtlinie 276

für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen nach der Entlassung entsprechend dieser Richtlinie verordnen. 2Die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt hat in geeigneter Weise im Rahmen des Entlassmanagements die weiterbehandelnde Vertragsärztin oder den weiterbehandelnden Vertragsarzt über die getätigte Verordnung so rechtzeitig zu informieren, dass das Ziel einer nahtlosen Anschlussversorgung ermöglicht wird. 3§ 11 Absatz 4 SGB V bleibt unberührt. 4Die Regelungen dieses Paragraphengelten entsprechend für Ärztinnen und Ärzte in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation bei Leistungen nach § 40 Absatz 2 und § 41 SGB V. § 8 Information der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen informieren die Kassenärztlichen Vereinigungen über den Inhalt der Satzungsbestimmungen der Krankenkassen zur häuslichen Krankenpflege soweit sie Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Rahmen der Sicherungspflege übernehmen.

Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege (Leistungsverzeichnis) Anlage zur Häusliche Krankenpflege-Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 und Absatz 7 SGB V

Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege, Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung) können von der Krankenkasse nur genehmigt werden, soweit sie weder von der oder dem Versicherten selbst noch von in ihrem oder seinem Haushalt lebenden Personen durchgeführt werden können (vgl. § 1 Absatz 5 der Richtlinie). Alle Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung des folgenden Verzeichnisses sind ausschließlich im Rahmen der Krankenhausvermeidungspflege nach § 37 Absatz 1 SGB V, der Unterstützungspflege nach § 37 Absatz 1a SGB V oder als Satzungsleistung zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung nach § 37 Absatz 2 SGB V verordnungsfähig. 1Im folgenden Verzeichnis werden bei den verordnungsfähigen Maßnahmen soweit möglich Aussagen zur Dauer der Verordnung und zur Häufigkeit der Verrichtungen angegeben. 2Dies sind Empfehlungen für den Regelfall, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann. 3Abweichungen können insbesondere in Betracht kommen auf Grund von Art und Schwere des Krankheitsbildes, der individuellen Fähigkeiten und Aufnahmemöglichkeiten des Umfeldes. 4Insbesondere bei der Pflege von Kindern kann es erforderlich sein, die Maßnahmen schrittweise zu vermitteln und häufiger zu wiederholen. 1Die Leistungen sind unabhängig davon verordnungsfähig, ob es sich um somatische, psychische oder psychosomatische Krankheiten handelt. 2Bei der Verordnung sind wegen der Krankheitsursache unterschiedliche Verordnungsdauern zu bedenken. 3Sofern sich zukünftig weiterer Versorgungsbedarf ergibt, wird das Leistungsverzeichnis fortgeschrieben. Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung 1Pflegerische

Prophylaxen, Lagern und Hilfen bei der Mobilität sind Bestandteil der verordneten Leistungen in dem Umfang, wie sie zur Wirksamkeit der verordneten Leistungen notwendig sind, auch wenn die Häufigkeit, in der sie nach Maßgabe der individuellen Pflegesituation erbracht werden müssen, von der Frequenz der verordneten Pflegeleistungen abweichen. 2Die allgemeine Krankenbeobachtung ist Bestandteil jeder einzelnen Leistung der häuslichen Krankenpflege und von daher nicht gesondert verordnungsfähig.

Behandlungspflege

Vorbemerkungen

277

Richtlinie

Nr.

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

1.

Anleitung bei der Grundpflege in der Häuslichkeit Beratung und Kontrolle der Patientin oder des Patienten, Angehöriger oder anderer Personen in der Häuslichkeit bei Unfähigkeit zur Durchführung der Maßnahmen und vorhandenem Lernpotential (z. B. bei den Grundverrichtungen des täglichen Lebens, wie Lagern, Körperpflege).

Die Patientin oder der Patient, eine Angehörige oder ein Angehöriger oder eine andere Person wird – in der Durchführung einer Maßnahme angeleitet bzw. unterstützt und – im Hinblick auf das Beherrschen einer Maßnahme kontrolliert, um die Maßnahme dauerhaft selbst durchführen oder dauerhaft Hilfestellung bei der eigenständigen Durchführung der Maßnahme geben zu können.

2.

Ausscheidungen: – siehe Stomabehandlung (Nr. 28) Ausscheidungen, Hilfe beim Ausscheiden und der Beseitigung von Urin, Stuhl, Schweiß, Sputum und auch Mageninhalt, z. B.: – Verwendung von Inkontinenzprodukten (z. B. Vorlagen, Condomurinal), – s iehe Einlauf, Klistier, Digitale End– Reinigung des Harnröhrenkatheters (Reidarmausräumung (Nr. 14) nigung des Katheters und der Harnröhrenöffnung, ggf. Abstöpseln in zeitlich festgelegten Intervallen), – Das Abklemmen des Dauerkatheter– Wechsel des Katheterbeutels, schlauchs zur Steigerung der Blasenkapa– Reinigung und Versorgung des Urostoma, zität ist Bestandteil der Leistung. – siehe Trachealkanüle, Wechsel und Pflege – Reinigung und Versorgung des Anusder (Nr. 29) praeter, – siehe PEG, Versorgung bei (Nr. 27) – siehe Katheter, Versorgung eines suprapubischen (Nr. 22) Kontinenztraining, Toilettentraining (Aufsuchen der Toilette nach einem festen Zeitplan). Die Uhrzeiten sind in einem Erfassungsbogen zu dokumentieren. – der Harnblase. Die Blasenentleerungszeiten sind im Abstand zur Einnahme von Flüssigkeit je nach Gewohnheit der Patientin oder des Patienten einzupendeln, anfänglich mindestens zweistündlich. Angestrebt wird eine viermalige Blasenentleerung pro Tag. – des Enddarms. Die Darmentleerungszeiten sind je nach Gewohnheit der Patientin oder des Patienten einzupendeln.

278

gegebenenfalls einschließlich – pflegerische Prophylaxen (pflegerische Maßnahmen zur Vorbeugung von z. B. Kontrakturen, Obstipation, Parotitis, Pneumonie, Soor, Thrombose, Hornhautaustrocknung, Intertrigo), – Dekubitusprophylaxe wenn Hautdefekt noch nicht besteht (z. B. wirksame Druck­ entlastung, Hautpflege, ausreichende Flüssigkeitszufuhr), – Lagern (Flachlagerung, Oberkörperhochlagerung, Bauchlagerung, Beintieflagerung, Beinhochlagerung oder Seitenlagerung (30, 90, 135 Grad), ggf. unter Verwendung von Lagerungshilfsmitteln),

Ist aus medizinischer Sicht eine besondere Lagerungsform erforderlich, ist dies auf der Verordnung einer anderen Leistung anzugeben.

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen Anleitung bis zu 5 x verordnungsfähig

Nr.

Leistungsbeschreibung

2.

– Mobilität, Hilfe zur Verbesserung der (im Rahmen der aktivierenden Pflege z. B.: Aufstehen aus liegender oder sitzender Position in Form von Aufrichten bis zum Stand, Gehen und Stehen, Treppensteigen, Transfer/Umsetzen, Hinsetzen und Hinlegen, Betten einer immobilen Patientin oder eines immobilen Patienten, Lagern, allgemeine Bewegungsübungen).

3.

Ernährung beinhaltet: – Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, Hilfe bei siehe PEG, Versorgung bei (Nr. 27) – Sondennahrung, Verabreichen von, über Magensonde, Katheter-Jejunostomie siehe Medikamentengabe (Nr. 26) (z. B. Witzel-Fistel), perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) mittels Spritze, Schwerkraft oder Pumpe, Überprüfung der Lage der Sonde, Spülen der Sonde nach Applikation, ggf. Reinigung des verwendeten Mehrfachsystems,

4.

Körperpflege beinhaltet: – Duschen, Baden, Waschen (auch von Augen, Ohren, Nase), Mund-, Zahn-, Lippen- und Hautpflege, Rasur, Haar- und Nagelpflege,

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Ist aus medizinischer Sicht eine besondere Lagerungsform erforderlich, ist dies auf der Verordnung einer anderen Leistung anzugeben.

Behandlungspflege

gegebenenfalls einschließlich – pflegerische Prophylaxen (pflegerische Leistungen zur Vorbeugung von z. B. Kontraktur, Obstipation, Parotitis, Pneumonie, Soor, Thrombose, Hornhautaustrocknung, Intertrigo), – Dekubitusprophylaxe wenn Hautdefekt noch nicht besteht (z. B. wirksame Druck­ entlastung, Hautpflege, ausreichende Flüssigkeitszufuhr), – Lagern (Flachlagerung, Oberkörperhochlagerung, Bauchlagerung, Beintieflagerung, Beinhochlagerung oder Seitenlagerung (30, 90, 135 Grad), ggf. unter Verwendung von Lagerungshilfsmitteln), – Mobilität, Hilfe zur Verbesserung der (im Rahmen der aktivierenden Pflege z. B.: Aufstehen aus liegender oder sitzender Position in Form von Aufrichten bis zum Stand, Gehen und Stehen, Treppensteigen, Transfer/Umsetzen, Hinsetzen und Hinlegen, Betten einer immobilen Patientin oder eines immobilen Patienten, Lagern, allgemeine Bewegungsübungen).

Bemerkung

–K  osmetische Maßnahmen im Sinne der Schönheitspflege sind keine Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege. –D  ie Hornhautpflege mit künstlicher Tränenflüssigkeit, z. B. bei fehlendem Lidschluss soweit keine Augenerkrankung vorliegt, ist eine prophylaktische Maßnahme. –G  abe von Augentropfen/-salben siehe Medikamentengabe (Nr. 26).

279

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

4.

– ggf. Pflege einer Augenprothese, – ggf. Mundpflege als Prophylaxe bei abwehrgeschwächten und/oder im Allgemeinzustand stark reduzierten Patientinnen oder Patienten, – An- und/oder Auskleiden (Vorbereiten individueller Kleidung, Hilfe beim An- und Ausziehen der Kleidung, von Strümpfen, von Strumpfhosen, von konfektionierten/ teilkonfektionierten/maßgefertigten Bandagen, das An- und Ablegen von Prothesen, von Orthesen, von Stützkorsetts, von Bruchbändern etc.), gegebenenfalls einschließlich – pflegerische Prophylaxen (pflegerische Maßnahmen zur Vorbeugung von z. B. Kontraktur, Obstipation, Parotitis, Pneumonie, Soor, Thrombose, Hornhautaustrocknung, Intertrigo), – Dekubitusprophylaxe wenn Hautdefekt noch nicht besteht (z. B. wirksame Druckentlastung, Hautpflege, ausreichende Flüssigkeitszufuhr), – Lagern (Flachlagerung, Oberkörperhochlagerung, Bauchlagerung, Beintieflagerung, Beinhochlagerung oder Seitenlagerung (30, 90, 135 Grad), ggf. unter Verwendung von Lagerungshilfsmitteln), – Mobilität, Hilfe zur Verbesserung der (im Rahmen der aktivierenden Pflege z. B.: Aufstehen aus liegender oder sitzender Position in Form von Aufrichten bis zum Stand, Gehen und Stehen, Treppensteigen, Transfer/Umsetzen, Hinsetzen und Hinlegen, Betten einer immobilen Patientin oder eines immobilen Patienten, Lagern, allgemeine Bewegungsübungen). Hauswirtschaftliche Versorgung beinhaltet: Besorgungen (auch von Arzneimitteln), Bettwäsche wechseln, Einkaufen, Heizen, Geschirr spülen, Müllentsorgung, Mahlzeitenzubereitung (auch Diät), Wäschepflege, Reinigung der Wohnung (Unterhalts- ggf. Grundreinigung).

– Die Augenspülung ist eine ärztliche Leistung.

Richtlinie

Nr.

5.

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

– Zu Kompressionsstrümpfen ab Klasse I siehe Verbände (Nr. 31).

Ist aus medizinischer Sicht eine besondere Lagerungsform erforderlich, ist dies auf der Verordnung einer anderen Leistung anzugeben.

Leistungen der Behandlungspflege Pflegerische Prophylaxen, Lagern und Hilfen bei der Mobilität sind Bestandteil der verordneten Leistungen in dem Umfang, wie sie zur Wirksamkeit der verordneten Leistungen notwendig sind, auch wenn die Häufigkeit, in der sie nach Maßgabe der individuellen Pflegesituation erbracht werden müssen, von der Frequenz der verordneten Pflegeleistungen abweicht. Die allgemeine Krankenbeobachtung ist Bestandteil jeder einzelnen Leistung der häuslichen Krankenpflege und von daher nicht gesondert verordnungsfähig.

280

Leistungsbeschreibung

6.

Absaugen – Absaugen der oberen Luftwege Bei hochgradiger Einschränkung der Fähigkeit zum Abhusten/der bronchialen Selbstreinigungsmechanismen z. B. bei schwerer Emphysembronchitis, Aids, Mukoviszidose, beatmete Patientinnen oder Patienten. – Bronchialtoilette (Bronchiallavage) Therapeutische Spülung der Bronchien bei intubierten/tracheotomierten Patientinnen oder Patienten, z. B. mit physiologischer Kochsalzlösung, ggf. unter Zusatz von Sekretolytika.

7.

Anleitung bei der Behandlungspflege Beratung und Kontrolle der Patientin oder des Patienten, Angehöriger oder anderer Personen in der Häuslichkeit bei Unfähigkeit zur Durchführung der Maßnahmen und vorhandenem Lernpotential (z. B. Blutzuckerkontrolle).

8.

Beatmungsgerät, Bedienung und Überwachung – Anpassung und Überprüfung der Einstellungen des Beatmungsgerätes an Vitalparameter (z. B. Atemgase, Herzfrequenz, Blutdruck) auf Anordnung der Ärztin oder des Arztes bei beatmungspflichtigen Erkrankungen (z. B. hohe Querschnittslähmung, Zustand nach Schädel-Hirntrauma); Überprüfung der Funktionen des Beatmungsgerätes, ggf. Austausch bestimmter Teile des Gerätes (z. B. Beatmungsschläuche, Kaskaden, O2-Zellen).

9.

Blasenspülung

10.

11.

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Die Patientin oder der Patient, eine Angehörige oder ein Angehöriger oder eine andere Person wird – in der Durchführung einer Maßnahme angeleitet bzw. unterstützt und – im Hinblick auf das Beherrschen einer Maßnahme kontrolliert, um die Maßnahme dauerhaft selbst durchführen oder dauerhaft Hilfestellung bei der eigenständigen Durchführung der Maßnahme geben zu können.

Bis zu 10 x ­Anleitung verordnungsfähig

Blasenspülungen sind nur verordnungsfähig Bis zu 3 Tage bei durchflussbehinderten Dauerkathetern infolge Pyurie oder Blutkoageln. Einbringen einer Lösung unter sterilen Kau- Bei Blasenspülungen sind Blaseninstillatelen mittels Blasenspritze oder Spülsystem tionen Bestandteil der Leistung und nicht durch einen Dauerkatheter in die Harnblase, gesondert verordnungsfähig. siehe Instillation (Nr. 20) Beurteilen der Spülflüssigkeit. Bis zu 7 Tage 24-h-Blutdruckmessungen mittels DauerBlutdruckmessung messgerät sind keine Leistung der häuslichen Krankenpflege. Die Häufigkeit der Blutdruckmessung erfolgt bei Erst- und Neueinstellung eines nach Maßgabe des ärztlichen Behandlungs­Hypertonus. planes in Abhängigkeit der ärztlich verordneten Medikamententherapie. Blutzuckermessung Ermittlung und Bewertung des Blutzuckergehaltes kapillaren Blutes mittels Testgerät (z.B. Glucometer)

Routinemäßige Dauermessungen sind nur zur Fortsetzung der sog. Intensivierten Insulintherapie verordnungsfähig Bei der Folgeverordnung ist der HbA 1c-Wert zu berücksichtigen.

Behandlungspflege

Nr.

281

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

11.

– bei Erst- und Neueinstellung eines Diabetes (insulin- oder tablettenpflichtig) – bei Fortsetzung der sog. Intensivierten Insulintherapie

Nur verordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit – einer so hochgradigen Einschränkung der Sehfähigkeit, dass es ihnen unmöglich ist, das kapillare Blut zu entnehmen, auf den Teststreifen zu bringen und das Messergebnis abzulesen oder – einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie das kapillare Blut nicht entnehmen und auf den Teststreifen bringen können oder – einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, das kapillare Blut entnehmen und auf den Teststreifen bringen zu können (z. B. moribunde Patientinnen oder Patienten) oder – e iner starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der Diagnostik nicht sichergestellt ist oder – e ntwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit, die Leistung zu erlernen oder selbständig durchzuführen. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. Bis zu 4 Wo. Die Häufigkeit der Blutzuckermessung erBis zu 3 x tägl. folgt nach Maßgabe des ärztlichen Behandlungsplanes in Abhängigkeit der ärztlich verordneten Medikamententherapie.

12.

Positionswechsel zur Dekubitusbehandlung Ab Dekubitus Grad 1 (nicht wegdrückbare Hautrötung): Positionswechsel in individuell festzulegenden Zeitabständen zur weitestgehend vollständigen Druckentlastung der betroffenen Stelle.

Ziel ist die Heilung des Dekubitus oder die Vermeidung einer Verschlimmerung. Die Leistung ist ab Dekubitus Grad 1 (nicht wegdrückbare Hautrötung) verordnungsfähig. Sofern eine Wundversorgung notwendig ist, ist die Leistung nur in Kombination mit der Nr. 31 oder Nr. 31a verordnungsfähig. Die Angehörigen oder andere Personen in der Häuslichkeit sollen durch Anleitung (Nr. 7) dazu befähigt werden, soweit möglich die Lagerung selbstständig übernehmen zu können. Vor der Verordnung ist zu prüfen, ob die Lagerung durch Hilfsmittel unterstützt werden kann (Lagerungshilfen und Hilfsmittel gegen Dekubitus). Bei der Verordnung ist die Lokalisation, Länge, Breite, Tiefe und soweit möglich der Grad des Dekubitus anzugeben. Die bereits vorhandene technische Ausstattung oder vorhandene Hilfsmittel zur Druckentlastung sind soweit bekannt auf der Verordnung zu nennen. Der Positionswechsel ist durch den Pflegedienst in der Dokumentation festzuhalten (insbesondere Zeiten, Lagerungspositionen). Vor der Folgeverordnung hat die Ärztin oder der Arzt den dokumentierten Positionswechsel sowie gegebenenfalls das Wundprotokoll, gegebenenfalls die Fotodokumentation (siehe Nr. 31 und 31a) und weitere Informationen aus der Pflegedokumentation auszuwerten und prognostisch einzuschätzen, ob die Leistung erfolgreich ist, gegebenenfalls angepasst werden muss und unter ambulanten Bedingungen zum Ziel führen kann.

Richtlinie

Nr.

282

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Dekubitus Grad 1: Erstverordnung sowie Folgeverordnungen für jeweils bis zu 7 Tage. Ab Dekubitus Grad 2: Erstverordnung sowie Folgeverordnungen jeweils bis zu 4 Wochen.

Nr.

Leistungsbeschreibung

13.

Drainagen, Überprüfen, Versorgen Überprüfen von Lage, Sekretfluss sowie von Laschen, Wechseln des Sekretbehälters.

14.

15.

Einlauf/Klistier/Klysma/digitale Enddarmausräumung

bei Obstipation, die nicht anders zu behandeln ist. Flüssigkeitsbilanzierung Messung der Ein- und Ausfuhr von Flüssigkeiten mit kalibrieten Gefäßen, ggf. inkl. Gewichtskontrolle, ggf. inkl. Messung von Beinund Bauchumfang zur Kontrolle des Flüssigkeitshaushaltes bei dessen beginnender Dekompensation.

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen 1-2 x tägl.

Das dafür erforderliche Mittel ist nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig; Ausnahme: bei Tumorleiden, bei Megakolon, bei Divertikulose, bei Divertikulitis, bei neurogenen Darmlähmungen, bei phosphatbindender Medikation bei chronischer Niereninsuffizienz, vor diagnostischen Eingriffen.

Einlauf/Klistier/Klysma bis zu 2 x wöchentlich digitale Enddarmausräumung als einmalige Leistung

1 x tägl., Routinemäßige Flüssigkeitsbilanzen sind bis zu 3 Tage nicht verordnungsfähig. Diese Leistung erstreckt sich jeweils über 24 Stunden und ist als eine Leistung anzusehen. Ergebnisse sind gemäß ärztlichem Behandlungsplan zu würdigen, Verlaufsprotokolle sind immer zu führen und durch die Ärztin oder den Arzt auszuwerten. Sie ist nur gesondert verordnungsfähig, wenn keine Hilfe bei der Nahrungsaufnahme und/oder beim Ausscheiden erbracht wird.

16.

– Legen, Anhängen, Wechseln, sowie abschließendes Entfernen einer ärztlich verordneten S.c. Infusion zur Flüssigkeitssubstitution, – Kontrolle von Laufgeschwindigkeit und Füllmenge, – Überprüfung der Injektionsstelle beim Anlegen, Wechseln oder Entfernen der Infusion auf Zeichen einer Ödembildung, Schwellung oder Rötung.

Verlaufsbogen erforderlich. Die i. v. Medikamentengabe, die venöse Blutentnahme sowie die arterielle und intrathekale Infusion sind keine Leistungen der häuslichen Krankenpflege.

Dauer und Menge der Dosierung streng nach Maßgabe der Verordnung des Präparates

Bis zu 7 Tage Auf der Verordnung ist der Infusionstyp, die Menge und die Dauer der Infusion anzugeben. Indikation: Mittelschwere Exsikkose bei negativer Flüssigkeitsbilanz (bei akuter Erkrankung oder Verschlimmerung der Erkrankung z.B. bei Fieber, Diarrhoe), mit einhergehendem Unvermögen oralen Ausgleichs und potenzieller Reversibilität insbesondere bei geriatrischen Patienten. Als Kontraindikationen sind insbesondere zu beachten: – Schwere Dehydratation – Dekompensierte Herzinsuffizienz – Dekompensierte Niereninsuffizienz – Koagulopathien – Kreislaufschock – Langfristiger Flüssigkeitsbedarf – Finale Sterbephase – zur ausschließlichen Erleichterung der Pflege – Ungenügende Durchführbarkeit aufgrund der Compliance des Patienten/der Patientin oder der häuslichen Bedingungen in Bezug auf die Infusionstherapie

Behandlungspflege

Infusionen, i. v. Wechseln und erneutes Anhängen der ärztlich verordneten Infusion bei ärztlich gelegtem peripheren oder zentralen i. v.-Zugang oder des ärztlich punktierten Port-a-cath zur Flüssigkeitssubstitution oder parenteralen Ernährung, Kontrolle der Laufgeschwindigkeit (ggf. per Infusionsgerät) und der Füllmenge, Durchspülen des Zuganges nach erfolgter Infusionsgabe, Verschluss des Zuganges. 16a Infusionen, S.c.

Bemerkung

283

Nr.

Leistungsbeschreibung

17.

Inhalation Anwendung von ärztlich verordneten Medikamenten, die mittels verordneter Inhalationshilfen (gemäß Hilfsmittelverzeichnis) als Aerosol oder als Pulver über die Atemwege inhaliert werden.

Richtlinie

18.

284

Injektionen – i. v. – i. m. Aufziehen, Dosieren und Einbringen von ärztlich verordneten Medikamenten. – S. c. Aufziehen, Dosieren und Einbringen von ärztlich verordneten Medikamenten.

19.

Injektion, Richten von Richten von Injektionen zur Selbstapplikation.

20.

Instillation Tropfenweises Einbringen von ärztlich verordneten flüssigen Medikamenten in den Organismus (Hohlorgane, Körperhöhlen, Körperöffnungen).

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen Dauer und Menge der Dosierung streng nach Maßgabe der Verordnung des Präparates.

Die i. v. Injektion ist eine ärztliche Leistung.

Die S. c. Injektion ist nur verordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit – einer so hochgradigen Einschränkung der Sehfähigkeit, dass es ihnen unmöglich ist, die Injektion aufzuziehen, zu dosieren und fachgerecht zu injizieren oder – einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Injektionen nicht aufziehen, dosieren und fachgerecht injizieren können oder – einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, die Injektion aufzuziehen, zu dosieren und fachgerecht zu injizieren (z. B. moribunde Patientinnen und Patienten) oder – einer starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der medikamentösen Therapie nicht sichergestellt ist oder – entwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit, die Leistung zu erlernen oder selbständig durchzuführen. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. Insbesondere bei Insulin- und Heparininjektionen ist vor der Verordnung dieser Leistung zu prüfen, ob eine eigenständige Durchführung mit Hilfe eines optimalen PEN/ Fertigspritze (Selbstapplikationshilfe) – ggf. auch nach Anleitung – möglich ist. Das Richten der Injektion ist nur verordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit einer so hochgradigen Einschränkung der Sehfähigkeit, dass es ihnen unmöglich ist, die Medikamente zu unterscheiden oder die Dosis festzulegen. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. Siehe Medikamentengabe (Nr. 26) Bei Blaseninstillationen sind Blasenspülungen Bestandteil der Leistung und nicht gesondert verordnungsfähig. siehe Blasenspülung (Nr. 9)

Dauer und Menge der Dosierung streng nach Maßgabe der Verordnung des Präparates

Leistungsbeschreibung

21.

Kälteträger, Auflegen von Das Auflegen eines Kälteträgers ist nur verBei akuten posttraumatischen Zuständen, akuten entzündlichen Gelenkerkrankungen, ordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit postoperativen Zuständen. – einer so hochgradigen Einschränkung der Sehfähigkeit, dass es ihnen unmöglich ist, den Kälteträger vorzubereiten oder – einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie den Kälteträger nicht vorbereiten und nicht an den Ort seiner Bestimmung führen können oder – einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, den Kälteträger bereiten und an den Ort seiner Bestimmung bringen zu können (z. B. moribunde Patientinnen und Patienten) oder – e iner starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der Therapie nicht sichergestellt ist oder – e ntwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit, die Leistung zu erlernen oder selbständig durchzuführen. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. Das dafür erforderliche Mittel ist nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig (siehe § 34 SGB V). siehe Ausscheidung (Nr. 2) Katheter, Versorgung eines suprapubischen siehe Stomabehandlung (Nr. 28) Verbandwechsel der Katheteraustrittstelle Das Abklemmen des Dauerkathetereinschließlich Pflasterverband und einschlauchs zur Erhaltung und Steigerung der schließlich Reinigung des Katheters, Desinfektion der Wunde, ggf. Wundversorgung Blasenkapazität ist Bestandteil der Leistung. und Anwendung ärztlich verordneter Medi- Die Abdeckung oder der Wechsel der Abdeckung ist auch ohne Entzündungen mit kamente Läsionen der Haut verordnungsfähig, wenn – nach Neuanlage, – bei Entzündungen mit Läsionen der Haut damit insbesondere durch erhebliche Schädigungen mentaler Funktionen (z.B. Kognian der Katheteraustrittsstelle. tion, Gedächtnis, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Orientierung, psychomotorische Unruhe) bedingte gesundheitsgefährdende Handlungen des Patienten an der Katheteraustrittsstelle oder dem Katheter wirksam verhindert werden können. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. Die Katheterisierung mit dem Ziel der RestKatheterisierung der Harnblase zur Abharnbestimmung sowie das Einlegen und leitung des Urins Wechseln eines suprapubischen Katheters Einlegen, Entfernen oder Wechseln eines transurethralen Dauerkatheters in die Harn- sind ärztliche Leistungen, siehe Ausscheidungen (Nr. 2). blase.

22.

23.

Einbringen eines transurethralen Einmalkatheters in die Harnblase zur Schulung von Patientinnen und Patienten in der sachgerechten Anwendung des Einmalkatheters.

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen 1- 3 Tage

nach Neu­ anlage für bis zu 14 Tage

Behandlungspflege

Nr.

Dauerkatheterwechsel alle 3-4 Wochen

max. 5 Tage Die Schulungskatheterisierung ist bei Patientinnen und Patienten verordnungsfähig, die im Rahmen der vorhergehenden Behandlung nicht ausreichend geschult wurden und die Fähigkeit besitzen, die Selbstkatheterisierung zu erlernen.

285

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

23.

Intermittierende transurethrale Einmalkatheterisierung bei neurogener Blasenentleerungsstörung oder myogener chronischer Restharnbildung.

Die intermittierende transurethrale Einmalkatheterisierung ist verordnungsfähig, wenn eine andere Methode der Harnableitung nicht zu besseren Ergebnissen führt bei Patientinnen und Patienten, die wegen – einer so erheblichen Einschränkung der Grob- oder Feinmotorik oder eingeschränkter Sehfähigkeit oder – einer so starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder eines Realitätsverlusts oder – entwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit die Katheterisierung nicht erlernen oder nicht selbständig durchführen können. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen.

24.

Krankenbeobachtung, spezielle – kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch- pflegerischen Maßnahmen – Dokumentation der Vitalfunktionen wie: Puls, Blutdruck, Temperatur, Haut, Schleimhaut einschließlich aller in diesem Zeitraum anfallenden pflegerischen Maßnahmen.

Richtlinie

Nr.

Die Leistung ist verordnungsfähig, – wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können oder – wenn über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden festgestellt werden soll, ob die ärztliche Behandlung zu Hause sichergestellt werden kann oder ob Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Die Verordnung ist nur begründet, wenn aufgrund schwerwiegender akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich ist und erst aufgrund des über den gesamten Betrachtungszeitraum zu führenden Verlaufsprotokolls die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder des Verbleibs zu Hause getroffen werden kann. Die spezielle Krankenbeobachtung setzt die permanente Anwesenheit der Pflegekraft über den gesamten Versorgungszeitraum voraus. Zur speziellen Krankenbeobachtung gehören auch die dauernde Erreichbarkeit der Ärztin oder des Arztes und die laufende Information der Ärztin oder des Arztes über Veränderungen der Vitalzeichen. Die allgemeine Krankenbeobachtung ist Bestandteil jeder pflegerischen Leistung.

286

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Klärung, ob Krankenhausbehandlung erforderlich ist: 1 x pro Verordnung

Leistungsbeschreibung

24a Symptomkontrolle bei Palliativpatientinnen oder Palliativpatienten Symptomkontrolle bei Palliativpatientinnen oder Palliativpatienten in enger Abstimmung mit der verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt – insbesondere bei Schmerzsymptomatik, Übelkeit, Erbrechen, pulmonalen oder kardialen Symptomen, Obstipation – Wundkontrolle und -behandlung bei exulzerierenden Wunden – Krisenintervention, z.B. bei Krampfanfällen, Blutungen, akuten Angstzuständen Die Leistung Nr. 24a umfasst neben der Symptomkontrolle alle notwendigen behandlungspflegerischen Leistungen entsprechend den Vorgaben dieses Leistungsverzeichnisses.

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Diese Leistung ist für die Behandlung von schwerstkranken und sterbenden Patientinnen oder Patienten in jedem Alter verordnungsfähig, die an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch nach fachlicher Einschätzung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes die Lebenserwartung auf Tage, Wochen oder Monate limitiert ist und unter anderem die Verbesserung von Symptomatik und Lebensqualität im Vordergrund stehen.

Erstverordnung und Folgeverordnungen bis zu 14 Tage. Folgeverordnungen sind bedarfsabhängig auch über die ursprüngliche Lebenszeitprognose hinaus möglich.

Eine Erkrankung ist nicht heilbar, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der Medizin Behandlungsmaßnahmen nicht zur Beseitigung dieser Erkrankung führen können. Sie ist fortschreitend, wenn ihrem Verlauf trotz medizinischer Maßnahmen nach dem allgemein anerkannten Stand der Medizin nicht nachhaltig entgegengewirkt werden kann. Diese Leistung ist verordnungsfähig, wenn bei Palliativpatientinnen oder Palliativpatienten in den letzten Tagen, Wochen oder Monaten vor dem Lebensende nur durch die Symptomkontrolle entsprechend der vorliegenden Leistungsziffer in enger Abstimmung mit der verordnenden Ärztin oder dem verordnenden Arzt der Verbleib in der Häuslichkeit gewährleistet werden kann und die übrigen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht ausreichen. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Leistung auch bei einer länger prognostizierten Lebenserwartung verordnungsfähig, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt werden. Ziel dieser Leistung ist die Sicherstellung der ärztlichen Behandlung in der Häuslichkeit bei sterbenden Menschen mit einem palliativen Versorgungsbedarf, der nicht die spezialisierte palliativmedizinische und palliativpflegerische Versorgung im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gemäß § 37b SGB V erfordert.

Behandlungspflege

Nr.

287

Nr.

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Richtlinie

Der grundsätzliche Anspruch einer Patientin oder eines Patienten auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) gemäß § 37b SGB V wird durch die Verordnung der Nummer 24a nicht berührt. Die Nummer 24a ist jedoch nicht bei Patientinnen oder Patienten verordnungsfähig, die eine SAPVVollversorgung oder eine additiv unterstützende palliativ-pflegerische Teilversorgung erhalten, in der die palliativpflegerische Versorgung vollständig durch das SAPV-Team erbracht wird (siehe auch § 5 Absatz 2 der Richtlinie zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPVRL) des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 14. SGB V). Die Leistung der Symptomkontrolle umfasst sowohl das Erkennen, das Erfassen als auch das Behandeln von Krankheitszeichen und Begleiterscheinungen. Die notwendigen behandlungspflegerischen Maßnahmen, die zum Zeitpunkt der Verordnung bekannt sind, sind auf der Verordnung anzugeben. Die im Leistungsverzeichnis festgelegten Empfehlungen zu Dauer und Häufigkeit der Maßnahme von Leistungen sind im Rahmen der Verordnung der Leistungsziffer Nummer 24a nicht zu beachten. Sofern durch Patientinnen oder Patienten gewünscht, sollen diese bei der Organisation einer ergänzenden psychosozialen Begleitung z.B. durch einen ambulanten Hospizdienst oder Kinderhospizdienst unterstützt werden. Sofern ein ambulanter Hospizdienst eingebunden ist, ist der erforderliche Informationsaustausch unter den Beteiligten sicherzustellen. 25.

26.

Magensonde, Legen und Wechseln Legen und Wechseln einer Verweilsonde durch die Nase/den Mund zur Ableitung des Magensaftes oder zur Sicherstellung der enteralen Ernährung, wenn die normale Nahrungsaufnahme nicht mehr möglich ist.

siehe Ernährung (Nr. 3) siehe Ausscheidungen (Nr. 2)

Medikamente (außer Injektionen, Infusi- Diese Leistung ist nur verordnungsfähig bei onen, Instillationen, Inhalationen) Patientinnen und Patienten mit – einer so hochgradigen Einschränkung der Sehfähigkeit, dass es ihnen unmöglich ist, die Medikamente zu unterscheiden oder die Dosis festzulegen oder

Dauer und Menge der Dosierung streng nach Maßgabe der Verordnung des Präparates. Bei Folgeverordnungen ärztliche Begründung.

288

Leistungsbeschreibung

26.

Bemerkung

– einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Medikamente nicht an den Ort ihrer Bestimmung führen können oder – einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, die Medikamente an den Ort ihrer Bestimmung bringen zu können (z. B. moribunde Patientinnen oder Patienten) oder – einer so starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der medikamentösen Therapie nicht sichergestellt ist oder – entwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit, die Leistung zu erlernen oder selbständig durchzuführen.

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen Bei Folgeverordnungen ist die Angabe des Lokalbefunds erforderlich.

Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. Pflegedienste müssen vorliegende Informationen über die Dosierung, Art und Zeitpunkt der Einnahme oder sonstige Anwendungshinweise (vor dem Essen etc.) berücksichtigen. Entsprechende Informationen sind den ärztlichen Verordnungen und gegebenenfalls einem ärztlich ausgestellten Medikationsplan zu entnehmen. 1. Richten von ärztlich verordneten Medikamenten, wie z. B. Tabletten, für von der Ärztin oder vom Arzt bestimmte Zeiträume 2. Verabreichen von ärztlich verordneten Medikamenten, (z. B. Tabletten, Augen-, Ohren- und Nasentropfen, Salben, Tinkturen, Lösungen, Aerosole, Suppositorien) für von der Ärztin oder vom Arzt bestimmte Zeiträume, – über den Magen-Darmtrakt (auch über Magensonde), – über die Atemwege, – über die Haut und Schleimhaut, – als Einreibungen bei akuten posttraumatischen Zuständen, akuten entzündlichen Gelenkerkrankungen, akuten wirbelsäulenbedingten Symptomen, akuten dermatologischen Erkrankungen, – als Bad zur Behandlung von Hautkrankheiten mit ärztlich verordneten medizinischen Zusätzen zur Linderung oder Heilung bei dermatologischen Krankheitsbildern und die gegebenenfalls erforderliche Nachbehandlung (z. B. Einreibung mit ärztlich verordneten Salben), – zur Behandlung des Mundes, lokale Behandlung der Mundhöhle und der Lippen mit ärztlich verordneten Medikamenten, – zur Behandlung des Auges, insbesondere bei Infektionen, Verletzungen, postoperativen Zuständen, Glaukom.

Das Richten der Arzneimittel erfolgt in der Regel wöchentlich (mit Ausnahme flüssiger Medikamente wie Säfte und Tropfen) und umfasst auch die Kontrolle, ob die Medikamente regelmäßig eingenommen wurden. Das Verabreichen beinhaltet auch die notwendige Vorbereitung der Medikamente. Die Ohrenspülung ist eine ärztliche Tätigkeit.

Behandlungspflege

Nr.

siehe Körperpflege (Nr. 4)

Auch Hornhautbehandlung mittels künstlicher Tränenflüssigkeit aufgrund augenärztlicher Diagnostik.

289

Richtlinie

Nr.

290

Leistungsbeschreibung

26a Durchführen der Sanierung von MRSATrägern mit gesicherter Diagnose Durchführung Sanierung/Eradikation nach ärztlichem Sanierungsplan gemäß Verordnung. Dazu können bei Bedarf insbesondere gehören: – Applikation einer antibakteriellen Nasensalbe oder eines antiseptischen Gels – Mund- und Rachenspülung mit einer antiseptischen Lösung – Dekontamination von Haut und Haaren mit antiseptischen Substanzen – In Verbindung mit den MRSA Sanierungsmaßnahmen als begleitende Maßnahmen Textilien, die mit Haut oder Schleimhaut Kontakt haben, täglich wechseln und Gegenstände, die mit Haut oder Schleimhaut Kontakt haben, täglich desinfizieren in besonders gelagerten Ausnahmefällen, in denen ausnahmsweise der regelhaft gegebene Anspruch auf Erbringung dieser Leistungen nach dem SGB XI nicht gegeben ist. Die Voraussetzungen des § 6 Absatz 5 der Richtlinie werden abschließend im Verfahren nach § 6 geprüft.

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Die Leistung ist verordnungsfähig im Rahmen der vertragsärztlich abrechenbaren Behandlung und Betreuung von Trägern mit dem Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA).

Dauer nach Maßgabe des ärztlichen Sanierungsplans (5 bis 7 Tage).

– Wird die Eradikationstherapie im Krankenhaus begonnen, kann eine Verordnung zur Sicherung der Nahtlosigkeit der Sanierung zudem unter den Voraussetzungen des § 7 Absatz 5 erfolgen. – Die Leistung ist auch verordnungsfähig im Rahmen einer Eradikationstherapie im Vorfeld von geplanten invasiv-diagnostischen, interventionellen oder operativen Eingriffen, wenn die MRSA-Kolonisation im Krankenhaus festgestellt wurde. Bezüglich der Verwendung von Übergabebögen wird auf die jeweils aktuellen Empfehlungen maßgeblicher Fachorganisationen/ Netzwerke verwiesen. Die begleitenden Maßnahmen des Wäschewechsels und der Desinfektion sind regelhaft Leistungen, die im Bereich der pflegerischen Grundversorgung und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach SGB XI erbracht werden. Deshalb besteht ein Regelungsbedarf im Bereich der häuslichen Krankenpflege nur für besonders gelagerte Ausnahmefälle, in denen entgegen der Regel ein Anspruch aus dem SGB XI nicht besteht. Diese besondere Voraussetzung (§ 6 Absatz 5 der Richtlinie) wird abschließend im Verfahren nach § 6 geprüft. In Bezug auf die bei der Durchführung der Leistungen zu beachtenden Anforderungen insbesondere an die Hygiene im Haushalt, an den Umgang mit Textilien und Gegenständen, die mit der Haut oder Schleimhaut der Patientin oder des Patienten in Kontakt kommen, an die Händehygiene sowie an organisatorische Maßnahmen der Versorgung wird auf die jeweils aktuellen Empfehlungen maßgeblicher Fachorganisationen/Netzwerke verwiesen. Die Verordnung setzt voraus, dass die Patientin bzw. der Patient aufgrund von körperlichen oder geistigen Einschränkungen oder entwicklungsbedingt noch nicht vorhandenen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, die im Rahmen der MRSA-Sanierungsbehandlung erforderlichen Maßnahmen mit ärztlicher Einleitung, Anleitung bzw. Überwachung selbst durchzuführen.

Neue Erstverordnung nach frustraner Sanierung möglich. Dabei sind im Vorfeld die Gründe des Misserfolgs zu eruieren.

Leistungsbeschreibung

27.

Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG), Versorgung bei Wechsel der Schutzauflage bei PEG, Kontrolle der Fixierung und Durchgängigkeit, einschließlich Reinigung der Sonde, Desinfektion der Wunde, ggf. Wundversorgung und Anwendung ärztlich verordneter Medikamente.

27a Psychiatrische häusliche Krankenpflege

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

siehe Ernährung (Nr. 3)

Regelmäßige Arzt-Patienten-Kontakte im Rahmen der fachärztlichen Behandlung sollen fortgesetzt werden. Nur verordnungs– Erarbeiten der Pflegeakzeptanz (Beziefähig bei folgenden Diagnosen: hungsaufbau), F00.1 Demenz bei Alzheimer-Krankheit, mit – Durchführen von Maßnahmen zur Bewäl- spätem Beginn (Typ 1) F01.0 Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn tigung von Krisensituationen, F01.1 Multiinfarkt-Demenz – Training von Fähigkeiten und Fertigkei- F01.2 Subkortikale vaskuläre Demenz F02.0 Demenz bei Pick-Krankheit ten zum eigenverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung beziehungsweise Ent- F02.1 Demenz bei Creuztfeldt-Jakob-Krankwickeln von kompensatorischen Hilfen bei heit F02.2 Demenz bei Chorea Huntington krankheitsbedingten Beeinträchtigungen F02.3 Demenz bei primärem Parkinsonder Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen), Syndrom F02.4 Demenz bei HIV-Krankheit – Unterstützung zur Kontaktaufnahme zu F02.8 Demenz bei andernorts klassifizierten anderen an der Versorgung beteiligten Krankheitsbildern Einrichtungen. F04.-Organisches amnestisches Syndrom, nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingt F05.1 Delir bei Demenz F06.0 Organische Halluzinose F06.1 Organische katatone Störung F06.2 Organische wahnhafte Störung F06.3 Organische affektive Störung F06.4 Organische Angststörung F06.5 Organische dissoziative Störung F06.6 Organische emotional labile Störung F07.0 Organische Persönlichkeitsstörung F07.1 Postenzephalitisches Syndrom F07.2 Organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma F20.-Schizophrenie F21.-Schizotype Störung F22.-Anhaltende wahnhafte Störung F24.-Induzierte wahnhafte Störung F25.-Schizoaffektive Störung F30.-Manische Episode F31.-Bipolare affektive Störung mit Ausnahme von: F31.7 bis F31.9 F32.-Depressive Episode mit Ausnahme von: F32.0, F32.1 und F32.9 F33.-Rezidivierende depressive Störung mit Ausnahme von: F33.0, F33.4, F33.8 und F33.9 F41.0 Panikstörung, auch wenn sie auf sozialen Phobien beruht F41.1 Generalisierte Angststörung F42.1 Vorwiegende Zwangshandlungen

Ist ein Verordnungszeitraum von insgesamt mehr als 4 Monaten erforderlich (Verlängerung), ist dies zu begründen und im Behandlungsplan darzulegen, inwieweit die psychiatrische häusliche Krankenpflege weiterhin auf die Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv einwirken, die Versicherte oder den Versicherten stabilisieren und die Zielsetzung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege erreicht werden kann. Verordnungsfähig sind bis zu 14 Einheiten pro Woche.

Behandlungspflege

Nr.

291

Nr.

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

F42.2 Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F53.1 Schwere psychische Verhaltensstörung im Wochenbett F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Richtlinie

In begründeten Einzelfällen bei Diagnosen nach F00 bis F99, wenn folgende Voraussetzungen aus der Verordnung hervorgehen: –B  eeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) liegen in einem Maß vor, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann, bei einem GAF-Wert von ≤ 40, und – die oder der Versicherte verfügt über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit, um im Pflegeprozess die in § 4 Absatz 8 Satz 1 genannten Beeinträchtigungen der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen) positiv beeinflussen und die mit der Behandlung verfolgten Therapieziele erreichen zu können. 28. Stomabehandlung Desinfektion der Wunde, Wundversorgung, Behandlung mit ärztlich verordneten Medikamenten, Verbandwechsel und Pflege von künstlich geschaffenen Ausgängen (z. B. Urostoma, Anus-praeter) bei akuten entzündlichen Veränderungen mit Läsionen der Haut. 29. Trachealkanüle, Wechsel und Pflege der Herausnahme der liegenden Trachealkanüle, Reinigung und Pflege, ggf. Behandlung des Stomas, Einsetzen und Fixieren der neuen Trachealkanüle, Reinigung der entnommenen Trachealkanüle. 30.

31.

292

Bei Anus-praeter und Urostoma siehe Ausscheidungen (Nr. 2) siehe Katheter, Versorgung eines suprapubischen (Nr. 22) siehe PEG, Versorgung bei (Nr. 27) Bei Trachostoma siehe Trachealkanüle, Wechsel und Pflege (Nr. 29)

Der Wechsel einer Trachealkanüle umfasst auch den Wechsel einer Sprechkanüle gegen eine Dauerkanüle und umgekehrt. Siehe Absaugen (Nr. 6).

Venenkatheter, Pflege des ­zentralen Verbandwechsel der Punktionsstelle grund- Die notwendige Inspektion der Punktionsstelle ist Bestandteil der allgemeinen Kransätzlich mit Transparentverband, Verbandwechsel des zentralen Venenkatheters, Beur- kenbeobachtung. teilung der Einstichstelle (einschließlich i. v. Porth-a-cath). Die Leistung ist verordnungsfähig, wenn eine Wundversorgung einer akuten Wunde behandlungsbedürftige akute Wunde vorAnlegen, Wechseln von Verbänden, Wundheilungskontrolle, Desinfektion und Reini- liegt, bei der ein Wundverband indiziert ist. Eine akute Wunde tritt nach einer Verletgung, Spülen von Wundfisteln, Versorgung zung der Hautoberfläche unterschiedlicher von Wunden unter aseptischen BedingunTiefenausprägung auf, die voraussichtlich gen. innerhalb von maximal 12 Wochen komplikationslos abheilt. Ziel ist die Wundheilung. Bei der Verordnung sind die Wundart, Lokalisation, Länge, Breite, Tiefe und soweit möglich der Grad der Wunde sowie die zu verwendenden Verbandmaterialien anzugeben. Die Wechselintervalle der Wundverbände sind abhängig von der Wundsituation und den verwendeten Verbandmaterialien anzugeben.

1-2 x wöchentlich bei Transparentverband

Erstverordnung sowie Folgeverordnungen jeweils bis zu 4 Wochen.

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

31a

Wundversorgung einer chronischen und schwer heilenden Wunde In enger Abstimmung mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt Anlegen, Wechseln von Verbänden, Wundheilungskontrolle, Desinfektion und Reinigung, Spülen von Wundfisteln, Versorgung von Wunden unter aseptischen Bedingungen einschließlich einer bedarfsweisen Anleitung zu krankheits-und wundspezifischen Maßnahmen.

Die Leistung ist verordnungsfähig, wenn eine behandlungsbedürftige chronische Wunde vorliegt, bei der ein Wundverband indiziert ist. Eine chronische Wunde heilt voraussichtlich nicht komplikationslos innerhalb von maximal 12 Wochen unter fachgerechter Therapie ab. Die Verordnung dieser Leistung setzt nicht voraus, dass zuvor Leistungen der Nummer 31 verordnet wurden. Ziel ist die Wundheilung. Ziel kann auch die Vermeidung einer Verschlimmerung sowie eine Symptomlinderung sein, wenn eine Wundheilung aufgrund der individuellen Situation wahrscheinlich ausgeschlossen werden kann. Die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden nach dieser Nummer soll von einem Leistungserbringer, der sich auf die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden spezialisiert hat, erfolgen. Um einen spezialisierten Leistungserbringer handelt es sich, wenn dieser u.a. besonders qualifizierte Pflegefachkräfte zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden vorhält (beispielsweise Pflegefachkräfte mit einer besonderen Zusatzqualifikation zur Wundversorgung). Damit die verordneten Maßnahmen der Wundversorgung durch den spezialisierten Leistungserbringer zuverlässig durchgeführt werden können, müssen außerdem geeignete Voraussetzungen vorliegen (z. B. geeignete hygienische Bedingungen, enger Austausch mit Ärztinnen und Ärzten). Wird die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden durch einen spezialisierten Leistungserbringer erbracht, erfolgt die Wundversorgung für die Zeit des medizinisch notwendigen spezialisierten Versorgungsbedarfs nur durch diesen Leistungserbringer. Sind neben der Wundversorgung weitere pflegerische Maßnahmen erforderlich, die durch andere Pflegedienste erbracht werden, sind ein enger Informationsaustausch und Abstimmungen der beteiligten Leistungserbringer untereinander unter Einbeziehung der verordnenden Ärztin oder des verordnenden Arztes sicherzustellen. Bei der Verordnung sind die Wundart, Lokalisation, Länge, Breite, Tiefe und soweit möglich der Grad der Wunde sowie die zu verwendenden Verbandmaterialien anzugeben. Die Wechselintervalle der Wundverbände sind abhängig von der Wundsituation und den verwendeten Verbandmaterialien anzugeben.

Erstverordnung sowie Folgeverordnungen jeweils bis zu 4 Wochen.

Behandlungspflege

Nr.

293

Nr.

Leistungsbeschreibung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Richtlinie

Insbesondere bei einem Ulcus cruris venosum ist die ergänzende Kompressionstherapie (Nr. 31b) erforderlich, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Das Anlegen und das Wechseln von Wundverbänden bei chronischen Wunden erfolgt begleitend/ergänzend zur Therapie der der chronischen Wunde zugrundeliegenden Erkrankung. Das Überprüfen von Drainagen (Nr. 13) ist Bestandteil der Leistung und nicht gesondert verordnungsfähig. Wundschnellverbände (Heftpflaster, Sprühverband) sind keine Leistung der häuslichen Krankenpflege. Bestandteil der Leistung und somit nicht gesondert verordnungsfähig ist die bedarfsweise Anleitung zu krankheits- und wundspezifischen Maßnahmen, insbesondere der Druckentlastung und Bewegungsförderung, sowie zum Umgang mit wund- und therapiebedingten Beeinträchtigungen, insbesondere Schmerzen, Wundgeruch und Kompression. Vor der Folgeverordnung hat die Ärztin oder der Arzt gegebenenfalls den dokumentierten Positionswechsel (Nr. 12) sowie die Wunddokumentation, gegebenenfalls die Fotodokumentation und weitere Informationen aus der Pflegedokumentation auszuwerten und prognostisch einzuschätzen, ob die Therapie erfolgreich ist, gegebenenfalls angepasst werden muss und unter ambulanten Bedingungen zum Ziel führen kann. Durch den Leistungserbringer ist eine Wunddokumentation (z.B. Wundart, Gewebeart, Länge, Breite und Tiefe der Wunde, Wundtaschen, Exsudat, Geruch, Wundrand, Wundumgebung, Schmerzen, Entzündungszeichen) und gegebenenfalls zusätzlich eine Fotodokumentation zu führen. Insbesondere bei neu auftretenden Entzündungszeichen, Schmerzen oder Verschlechterungen des Wundzustandesist umgehend die Ärztin oder der Arzt zu informieren. 31b

An- oder Ausziehen von ärztlich verordneten Kompressionsstrümpfen/ -strumpfhosen der Kompressionsklassen I bis IV Anlegen oder Abnehmen eines Kompressionsverbandes

294

Bemerkung

Jeweils 1 x Ziel ist die Wundheilung (z.B. Ulcus cruris täglich. venosum, mixtum), Unterstützung des venösen Rückflusses, Unterstützung des Lymphabflusses. Erfasst von dieser Leistungsnummer sind aus schließlich ärztlich verordnete Kompressionsstrümpfe/-strumpfhosen, wenn die Kompressionstherapie Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans ist. Sofern im Zusammenhang mit dem Anlegen und Wechseln von Wundverbänden eine Kompressionsbehandlung erforderlich ist, ist dies auf der Verordnung anzugeben.

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Das Anlegen eines Kompressionsverbandes ist verordnungsfähig, wenn aus medizinischen bzw. anatomischen Gründen angepasste Kompressionsstrümpfe nicht möglich sind. Das An- oder Ausziehen von Kompressionsstrümpfen/Kompressionsstrumpfhosen sowie das Abnehmen eines Kompressionsverbandes ist nur verordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit – e iner so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen nicht fachgerecht an- oder ausziehen können bzw. den Kompressionsverband nicht fachgerecht abnehmen können oder – e iner so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, die Kompressionsstrümpfe/ Kompressionsstrumpfhosen fachgerecht an- oder ausziehen bzw. den Kompressionsverband fachgerecht abnehmen zu können (z. B. moribunde Patientinnen oder Patienten) oder – e iner starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der Therapie nicht sichergestellt ist oder – e ntwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit, die Leistung zu erlernen oder selbstständig durchzuführen. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen. Zur Ermöglichung eines selbständigen Anund Ausziehens von Kompressionsstrümpfen/Kompressionstrumpfhosen ist jeweils die Verordnung von Anziehhilfen in Betracht zu ziehen. Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen/Kompressionsverbände sind in der Regel bei mobilen Patientinnen und Patienten indiziert. Der Einsatz bei immobilen Patientinnen und Patienten kann insbesondere notwendig sein bei Narben/ Verbrennungen, Ulcus cruris venosum (bei dafür geeigneten Materialien zur Kompressionsbehandlung) und bei Stauungszuständen in Folge von Immobilität. Der dauerhafte Einsatz (länger als nur tagsüber) von Kompressionsstrümpfen/Kompressionsstrumpfhosen/Kompressionsverbänden kann insbesondere notwendig sein bei Narben/Verbrennungen und Ulcus cruris venosum (bei dafür geeigneten Materialien zur Kompressionsbehandlung).

Behandlungspflege

Nr.

295

Richtlinie

Nr.

Leistungsbeschreibung

Bemerkung

31c

An- und Ablegen von stützenden und stabilisierenden Verbänden zur unterstützenden Funktionssicherung der Gelenke z. B. bei Distorsion, Kontusion, Erguss

Das An- oder Ablegen von stützenden und stabilisierenden Verbänden ist nur verordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit – einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die stützenden und stabilisierenden Verbände nicht fachgerecht an- oder ablegen können oder – einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, die stützenden oder stabilisierenden Verbände selbstständig an- und abzulegen (z. B. moribunde Patientinnen oder Patienten) oder – einer starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der Therapie nicht sichergestellt ist oder – entwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit, die Leistung zu erlernen oder selbstständig durchzuführen. Dies muss aus der Verordnung hervorgehen.

296

Dauer und ­Häufigkeit der Maßnahmen

Sachverzeichnis Absaugen Aktivierung 

Nr. 6 Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Anleitung in der Häuslichkeit − bei der Behandlungspflege  An- und Auskleiden  Anus-praeter, Wechsel des Beutels  Arzneien, Verabreichen von  Atemübungen  Atemwege, Versorgung der  Atmungskontrolle  Augenpflege, auch einer Augenprothese   Augenspülung  Ausscheidungen, Hilfe bei    

Baden  Bäder, dermatologisch erforderliche  Bandagen, An- und Ablegen    Beatmungsgerät, Bedienung und  Bewegungsübungen  Blasenentleerung  Blasenspülung   Blutdruckmessung  Blutentnahme, venös  Blutzuckermessung  Bronchialtoilette/Bronchiallavage 

Darmentleerung   Dekubitusbehandlung (Positionswechsel)  Dekubitusprophylaxe  

Nr. 1 Nr. 7 Siehe Körperpflege (Nr. 4) Siehe Ausscheidungen (Nr. 2) Siehe Medikamentengabe (Nr. 26) Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Siehe Absaugen (Nr. 6) Siehe Krankenbeobachtung, spezielle (Nr. 24) Siehe Körperpflege (Nr. 4) Siehe Medikamentengabe (Nr. 26) Siehe Körperpflege (Nr. 4) Nr. 2 Siehe Stomabehandlung (Nr. 28) Siehe Einlauf, Klistier (Nr. 14 siehe Katheterisierung der Harnblase (Nr. 23)

Siehe Körperpflege (Nr. 4) Siehe Medikamentengabe (Nr. 26) Siehe Körperpflege (Nr. 4 Siehe An- und Ablegen von stützenden und stabilisierenden Verbänden (Nr. 31c) Nr. 8 Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Siehe Ausscheidungen (Nr. 2) Nr. 9 Siehe Instillation (Nr. 20) Nr. 10

Behandlungspflege

− bei der Grundpflege 

Siehe Infusionen i. v. (Nr. 16) Nr. 11 siehe Absaugen (Nr. 6)

Siehe Ausscheidungen (Nr. 2) Siehe Einlauf/ Klistier (Nr. 14) Nr. 12 Siehe Beschreibung Grundpflege

297

Drainagen, Überprüfen von     Duschen 

Nr. 13 Siehe Wundversorgung einer akuten Wunde (Nr. 31) Siehe Wundversorgung einer chronischen und schwer heilenden Wunde (Nr 31a) Siehe Körperpflege (Nr. 4)

Einlauf/Klistier/Klysma/digitale Enddarmausräumung  Einmalkatheter, transurethral 

Siehe Katheterisierung der Harnblase (Nr. 23)

Richtlinie

Einreibung, medizinische 

Siehe Medikamentengabe (Nr. 26)

Eisbeutel, Auflegen von 

Siehe Kälteträger (Nr. 21)

Enddarmausräumung, digitale 

Nr. 14

Ernährung 

Nr. 3

Flüssigkeitsbilanzierung 

Gehen, Hilfe bei 

Nr. 15

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Hauswirtschaftliche Versorgung 

Nr. 5

Hautkontrolle  Hornhautaustrocknung, Prophylaxe gegen 

Siehe Krankenbeobachtung, spezielle (Nr. 24) Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Infusionen, i. v. 

Nr. 16

Infusionen, S. c 

Siehe Infusionen (Nr. 16a)

Inhalation 

Nr. 17

Injektionen i. m. 

Nr. 18

Injektionen/Infusion intrathekal 

Siehe Infusionen (Nr. 16)

Injektionen i. v. 

Siehe Injektionen (Nr. 18)

Injektionen S. c. 

Nr. 18

Injektionen, Richten von  

Nr. 19 Siehe Medikamentengabe (Nr. 26)

Inkontinenzversorgung

Siehe Ausscheidungen (Nr. 2)

Intermittierender transurethraler Einmalkatheterismus  Intertrigoprophylaxe  Instillation  

Kälteträger, Auflegen von  Kämmen  Katheter, Versorgung eines suprapubischen 

298

Nr. 14

Siehe Katheterisierung der Harnblase (Nr. 23)

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Nr. 20 Siehe Blasenspülung (Nr. 9)

Nr. 21 Siehe Körperpflege (Nr. 4) Nr. 22

Katheterisierung der Harnblase  

Nr. 23 Siehe Ausscheidungen (Nr. 2)

Körperpflege  

Nr. 4 Siehe Medikamentengabe (Nr. 26)

Körpertemperaturkontrolle 

Siehe Krankenbeobachtung, spezielle (Nr. 24)

Kompressionsstrümpfe/ -verband     

Siehe Körperpflege (Nr. 4) Siehe An- oder Ausziehen von ärztlich verordneten Kompressionsstrümpfen/-strumpfhosen der Kompressionsklassen I bis IV Anlegen oder Abnehmen eines Kompressionsverbandes (Nr. 31b)

Kontinenztraining, Toilettentraining 

Siehe Ausscheidungen (Nr. 2)

Kontrakturprophylaxe 

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Krankenbeobachtung, allgemeine 

Siehe Beschreibung Grundpflege/ Behandlungspflege

Krankenbeobachtung, spezielle 

Nr. 24

Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen der  Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen), Entwickeln von kompensatorischen Hilfen bei 

Siehe Psychiatrische Krankenpflege (Nr. 27a)

Krisensituationen, Durchführung von  Maßnahmen zur Bewältigung von

Siehe Psychiatrische Krankenpflege (Nr. 27a)

Künstliche Ernährung  

Lagern  Lippenpflege  Magensonde, Legen und Wechseln 

Siehe Ernährung (Nr. 3) Siehe Infusionen i. v. (Nr. 16)

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Siehe Körperpflege (Nr. 4) Nr. 25

Siehe Ernährung (Nr. 3)

Medikamentengabe 

Nr. 26

Mobilisation 

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Mobilität, Hilfe bei 

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Methicillin-resistenter  Staphylococcus aureus (MRSA) Mundpflege  

Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr  Nasentropfen/-salbe 

Siehe Sanierung von MRSA-Trägern (Nr. 26a)

Behandlungspflege

Siehe Ausscheidungen (Nr. 2)

Siehe Körperpflege (Nr. 4) Siehe Medikamentengabe (Nr. 26)

Siehe Ernährung (Nr. 3) Siehe Medikamentengabe (Nr. 26)

299

Obstipationsprophylaxe 

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Ohrentropfen/ -spülung 

Siehe Medikamentengabe (Nr. 26)

Orthesen, An- und ablegen 

Siehe Körperpflege (Nr. 4)

Symptomkontrolle bei Palliativpatientinnen oder Palliativpatienten 

Richtlinie

Parenterale Ernährung 

Siehe Infusionen i. v. (Nr. 16)

Parotitisprophylaxe 

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege

Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG),  Versorgung bei

Nr. 27

Pflegeakzeptanz, Erarbeiten der (Beziehungsaufbau) Pneumonieprophylaxe  Port-a-cath  Prophylaxen, pflegerische   Prothesen, An- und Ablegen  Pulskontrolle  Psychiatrische ambulante Krankenpflege 

Rasieren  Reaktivierung/ Bewegungsübungen  Sauerstoff, Verabreichen von  Sondennahrung, Verabreichen von    Soorprophylaxe  Stomabehandlung      Stützkorsett/-strümpfe , An- und Ablegen 

Temperatur, Messung der  Thermotherapeutische Maßnahmen  Thromboseprophylaxe  Trachealkanüle, Wechsel und Pflege der 

300

Nr. 24a

Siehe Psychiatrische Krankenpflege (Nr. 27a)

Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Siehe Infusionen i. v. (Nr. 16) Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Siehe Dekubitusbehandlung (Nr. 12) Siehe Körperpflege (Nr. 4) Siehe Krankenbeobachtung, spezielle (Nr. 24) Nr. 27a

Siehe Körperpflege (Nr. 4) Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Siehe Beatmungsgerät, Bedienen und (Nr. 8) Siehe Ernährung (Nr. 3) Siehe PEG, Versorgung bei (Nr. 27) Siehe Medikamentengabe (Nr. 26) Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Nr. 28 Siehe Ausscheidungen (Nr. 2) Siehe Katheter, Versorgung eines suprapubischen (Nr. 22) Siehe PEG, Versorgung bei (Nr. 27) Siehe Trachealkanüle, Wechsel und Pflege (Nr. 29) Siehe Körperpflege (Nr. 4)

Siehe Krankenbeobachtung, spezielle (Nr. 24) Siehe Kälteträger (Nr. 21) Siehe Beschreibung Grundpflege/Behandlungspflege Nr. 29

Überwachen und Bedienung med. Geräte 

Siehe Beatmungsgerät, Bedienen (Nr. 8)

Urinal anlegen und Entfernen 

Siehe Ausscheidungen (Nr. 2)

Venenkatheter, Pflege des zentralen  Vitalzeichenkontrolle 

Nr. 30 Siehe Krankenbeobachtung, spezielle (Nr. 24)

Waschen 

Siehe Wundversorgung einer akuten Wunde (Nr. 31) Siehe Wundversorgung einer chronischen und schwer heilenden Wunde (Nr. 31a) Siehe Drainagen, Überprüfen von (Nr. 13) Siehe Wundversorgung einer akuten Wunde (Nr. 31) Siehe Wundversorgung einer chronischen und schwer heilenden Wunde (Nr. 31a)

Wundversorgung einer akuten Wunde  Wundversorgung einer chronischen und schwer heilenden Wunde 

Zahnpflege 

Siehe Nr. 31 Siehe Nr. 31a

Siehe Körperpflege (Nr. 4)

Behandlungspflege

Wund- und Fisteldrainagen     Wundschnellverbände   

siehe Körperpflege (Nr. 4)

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Der Autor Ronald Richter, Prof. für Sozialrecht, Rechtsanwalt seit 1993, gründete 2005 RICHTERRECHTSANWÄLTE mit Büros in Hamburg, München und Köln. Er war 14 Jahre Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), ist stellvertretender Vorsitzender des Gesetzgebungsausschusses für Sozialrecht im DAV, Aufsichtsratsvorsitzender der Innovest AG, Hamburg und Mitglied des Aufsichtsrates der Ev.-Luth. Diakonissenanstalt zu Flensburg. Er ist Autor und Herausgeber vieler Publikationen zum Heim-, Sozialversicherungs-, Senioren- und Wirtschaftsrecht.

Behandlungspflege

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...weitere Titel für die Häusliche Pflege

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