Begnadete Freiheit: Anselm Von Canterburys Freiheitstheorie 9783161543845, 9783161543852

English summary: What is freedom? Are humans free? And are God and human freedom compatible? These questions are raised

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Das Thema und Anliegen der Arbeit
1.1. Anselm von Canterburys Freiheitstheorie
1.2. Die gegenwärtige Diskussion der Freiheitsfrage
2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage
2.1. Der Beginn der modernen Forschung im 20. Jahrhundert (Bäumker und Lohmeyer)
2.2. Neuere Untersuchungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Kane und Briancesco)
2.3. Neuste Untersuchungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Goebel, Orazzo, Ekenberg, Rogers, Schick und Trego)
3. Der methodische Ansatz, die Hauptthese und der Aufbau der Arbeit
3.1. Das historische, philosophische und theologische Vorgehen
3.2. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit
3.3. Die Gliederung entsprechend der Gesamtarchitektur von Anselms Werk
II. Hauptteil: Historisch-systematische Interpretation von Anselms Freiheitstheorie
1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption
1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption
1.1.1. Das höchste Gute als letztes Ziel und erster Grund der Freiheit
1.1.2. Die Freiheit im gütigen Schöpfungshandeln des höchsten Wesens
1.1.3. Freiheit als implizite Eigenschaft des höchsten Wesens
1.1.4. Die Unendlichkeit der Freiheit in der Allgegenwart und Transzendenz des Schöpfers
1.1.5. Die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit der Freiheit Gottes in seiner Dreieinigkeit
1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption
1.2.1. Das gottebenbildlich geschaffene Wesen des Menschen
1.2.1.1. Der Gabecharakter alles Geschaffenen
1.2.1.2. Der Ort und Charakter des Menschen in der geschaffenen Natur
1.2.1.3. Der gottebenbildlich geschaffene Charakter des menschlichen Geistes
1.2.1.4. Die wesensgemäße Bestimmung des Menschen
1.2.1.5. Die personalen Lebensvollzüge des Glaubens, Liebens und Hoffens
1.2.2. Das vernunftbegabte Wollen, Wählen und Handeln des Menschen
1.2.2.1. Der vernunftbezogene Wille, seine affektive Grundorientierung und sein Gebrauch
1.2.2.2. Das freie Wahlvermögen des Willens und die Spektren realer Wahlmöglichkeiten
1.2.2.3. Das personal selbstbewirkte Handeln und seine letzte Voraussetzung
1.3. Zusammenfassung
2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs
2.0. Einleitung
2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs
2.1.1. Das Prinzip des Rechtseins (rectitudo)
2.1.2. Der Begriff der Wahrheit (rectitudo sola mente perceptibile)
2.1.3. Der Begriff der Gerechtigkeit (rectitudo propter se servata)
2.1.4. Der prinzipien-, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretische Deutungshorizont
2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)
2.2.1. Die Kritik der überlieferten Vorstellung von Freiheit indifferenter Wahl (potestas peccandi et non peccandi)
2.2.2. Die neue Definition von Freiheit als Vermögen der Gerechtigkeit (potestas servandi rectitudinem voluntatis propter ipsam rectitudinem)
2.2.3. Der indirekte Beweis der Natürlichkeit und die Gnadenbedingtheit dieser Freiheit
2.2.4. Die Unterscheidung von zwei Weisen menschlichen Freiseins
2.2.5. Die Reflexion der formalen Kriterien der Freiheit
2.2.6. Die Einteilung des Freiheitsbegriffs und sein Gebrauch
2.3. Zusammenfassung
3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens
3.0. Einleitung
3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse
3.1.1. Der originale, natürliche Ursprung der individuellen Verknechtung
3.1.2. Der personale, aktuale Ursprung der menschlichen Verknechtung
3.1.3. Der selbstursprüngliche, aktuale Ursprung des ersten Bösen
3.1.4. Die ontologische Grund- und Wesenlosigkeit des Bösen
3.1.5. Die göttliche Zulassung der Verknechtung unter das Böse
3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde
3.2.1. Die Perversion des gottebenbildlich geschaffenen freien Willens
3.2.2. Die Korruption der Freiheit
3.2.3. Die interne Unüberwindbarkeit der Knechtschaft
3.2.4. Die destruktive Dynamik der Knechtschaft
3.2.5. Die bleibende Verantwortlichkeit ohne qualitativ alternative Wahlmöglichkeit
3.2.6. Die Regierung, Verurteilung und Überwindung des Bösen durch Gott
3.3. Zusammenfassung
4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben
4.0. Einleitung
4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung
4.1.1. Die Freiheit und Notwendigkeit von Gottes Befreiungshandeln in Christus
4.1.2. Die Freiheit Jesu Christi (liber)
4.1.3. Das Befreiungshandeln Jesu Christi (liberator)
4.1.4. Die universale Wirkung von Jesu Christi freiwilliger, befreiender Selbsthingabe
4.1.5. Die konkrete Anteilgabe am Geist der Freiheit Jesu Christi
4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben
4.2.1. Die Befreiung zum rechten Wollen und Wählen
4.2.2. Die Befreiung zum aktualen Gebrauch der Freiheit
4.2.3. Die externe Unüberwindbarkeit der aktualen Freiheit
4.2.4. Die innere Dynamik der Vervollkommnung der Freiheit
4.2.5. Die bleibende Unvollkommenheit
4.3. Zusammenfassung
5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit
5.0. Einleitung
5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit
5.1.1. Die allgemeine Fassung des Dilemmas der Unvereinbarkeit
5.1.1.1. Der Begriff des göttlichen Vorauswissens (praescientia)
5.1.1.2. Das allgemeine Dilemma der Unvereinbarkeit
5.1.2. Die Lösung des Dilemmas durch den Aufweis der Vereinbarkeit
5.1.2.1. Die These des göttlichen Vorauswissens auch des zukünftig Kontingenten
5.1.2.2. Die Differenz zwischen Zwang und Notwendigkeit
5.1.2.3. Die Simultaneität von ewiger Unwandelbarkeit und zeitlicher Wandelbarkeit
5.1.2.4. Die Bestimmtheit und Bedingtheit der Freiheit und der freien Wahl
5.1.2.5. Die ewige Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens und das Problem des Bösen
5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit
5.2.1. Die verschärfte Fassung des Dilemmas
5.2.1.1. Der Begriff des göttlichen Vorausbestimmens (praedestinatio)
5.2.1.2. Das analoge, verschärfte Dilemma
5.2.2. Die Übertragung der vorangehenden Lösung
5.2.2.1. Die These der Übereinstimmung von Vorauswissen und Vorausbestimmen
5.2.2.2. Die Weiterführung der Argumentation
5.3. Zusammenfassung
6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption
6.0. Einleitung
6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit
6.1.1. Die biblisch-exegetischen, erfahrungsbezogenen und theologietypologischen Ursprünge
6.1.2. Die Begriffe der Gnade, Gerechtigkeit und Freiheit
6.1.3. Die soteriologisch zugespitzte Fassung des Dilemmas
6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit
6.2.1. Die umfassende gnadentheologische Grundlegung der Vereinbarkeit
6.2.1.1. Die befreiende Gabe des Rechtseins aus Gnade
6.2.1.2. Die heiligende Gabe der Gnade zur freien Bewahrung der Gabe des Rechtseins
6.2.2. Die gnadentheologisch begründete Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit
6.2.2.1. Die freiheitstheoretische Implikation biblischer Gnadenaussagen
6.2.2.2. Die gnadentheologische Voraussetzung biblischer Freiheitsaussagen
6.2.2.3. Die Erfahrung der Verantwortung unter der Bedingung unbedingter Gnade
6.2.2.4. Die Erfahrung der Ohnmacht unter der Voraussetzung bedingter Freiheit
6.2.2.5. Die radikal asymmetrische Relation von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit
6.3. Zusammenfassung
III. Schluss: Kritische Diskussion begnadeter Freiheit im Kontext
1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung
1.1. Eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexion
1.2. Ein modifizierter theologischer Kompatibilismus beziehungsweise Kompossibilismus
1.3. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit
2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie
2.1. Philosophiegeschichtliche und pragmatische Vorbehalte
2.2. Phänomenbezogene Kritik an Anselms Definition des Freiheitsbegriffs
2.3. Kritik an der Unterscheidung der zwei Weisen geschöpflichen Freiseins
2.4. Analytische Kritik an der Begründung der Vereinbarkeitsthese
3. Der Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion
3.1. Die Entfaltung eines inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Freiheitsbegriffs
3.2. Die Begründung der Vereinbarkeit von Gott und Freiheit
3.3. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption
4. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Quellentexte zu Anselm von Canterbury
Lateinische kritische Textausgaben
Übersetzungen
Weitere Quellentexte zu anderen Autoren
Weitere Literatur
Personenregister
Sachregister
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Begnadete Freiheit: Anselm Von Canterburys Freiheitstheorie
 9783161543845, 9783161543852

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Collegium Metaphysicum Herausgeber / Editors

Thomas Buchheim (München) · Friedrich Hermanni (Tübingen) Axel Hutter (München) · Christoph Schwöbel (Tübingen) Beirat / Advisory Board

Johannes Brachtendorf (Tübingen) · Jens Halfwassen (Heidelberg) Douglas Hedley (Cambridge) · Johannes Hübner (Halle) Anton Friedrich Koch (Heidelberg) · Friedrike Schick (Tübingen) Rolf Schönberger (Regensburg) · Eleonore Stump (St. Louis)

15

Katrin König

Begnadete Freiheit Anselm von Canterburys Freiheitstheorie

Mohr Siebeck

Katrin König, geboren 1982; Studium der Ev. Theologie und Philosophie; 2014 Promotion; seit 2013 Vikarin und seit 2015 Pfarrerin in der Evangelischen Landeskirche in Baden.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. e-ISBN PDF 978-3-16-154385-2 ISBN 978-3-16-154384-5 ISSN  2191-6683 (Collegium Metaphysicum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­ nalbiblio­g raphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abruf bar. © 2016  Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungs­beständiges Werkdruckpa­pier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Vorwort Am Anfang danke ich allen, die die Entstehung dieser Doktorarbeit auf vielerlei Weise unterstützt und begleitet haben. Ganz herzlich danke ich meinen Doktorvater Prof. Dr. Schwöbel für die horizonterweiternden Gespräche, für den vertrauensvollen Freiraum und für die unterstützende Begleitung während der Promotionszeit und darüber hinaus. Genauso danke ich meinem zweiten Betreuer und Gutachter Prof. Dr. Hermanni für die erkenntnisreichen Diskussionen und die wertschätzende, ermutigende Begleitung in dieser Zeit. Darüber hinaus danke ich auch Prof. Dr. Martin Lenz für wichtige philosophische Hinweise gerade in der Anfangszeit und Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Ingolf Dalferth für die guten, weiterführenden Gespräche in Zürich und Dubrovnik. Mein Dank gilt auch der Konrad-Adenauer-Stiftung für die finanzielle Unterstützung während der Promotionszeit sowie der Zimmermann-Stiftung der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen für die Unterstützung des Abschlusses der Arbeit. Insbesondere danke ich auch der DFG für die Druckkostenbeihilfe, durch die es möglich ist, dass die Arbeit in dieser Reihe erscheint. Dabei bedanke ich mich bei den Herausgebern von Collegium Metaphysicum für die Aufnahme in die Reihe und bei Frau Dr. Warnke-De Nobili und Frau Zech vom Mohr Siebeck Verlag für die gute und freundliche Zusammenarbeit. Ganz besonders danken möchte ich auch allen theologischen Weggefährtinnen und Weggefährten während der Zeit des Forschens und Schreibens für alle inhaltlichen Diskussionen und freundschaftlichen Gespräche, methodische ­H ilfen und sprachliche Korrekturen. Vielen Dank an Dr. Andrea Lassak, Pfr. Jeremias Gollnau, Johannes Schneider, Friedrike Rass, Jonathan Flämig, Dr. Kenneth Oakes, Katharina Krause, Pfr. Dr. Gerhard Bergner, Pfrin. Birgit Vogt, PD Dr. Martin Wendte, Pfr. Dr. Frank Dettinger, Miriam Kudella und viele mehr. Vor allem bin ich Christian König, meinem Mann, engsten Weggefährten und theologischen Gesprächspartner zutiefst dankbar für den großartigen Austausch und all die Ermutigung durch alle Höhen und Tiefen in dieser Zeit. Genauso danke ich meinen Eltern und Schwiegereltern und meiner ganzen Familie für ihre interessierte Anteilnahme und tatkräftige Unterstützung.

VI

Vorwort

Nicht zuletzt bin ich Pfr. i. R. Willi Sieper und seiner Frau Ruth dankbar für die besondere menschliche und geistliche Begleitung in diesem Lebensabschnitt. Sie haben mir ein Gespür dafür gegeben, was es heißt, in aller Angewiesenheit wirklich frei zu sein. Katrin König

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

I. Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1. Das Thema und Anliegen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1. Anselm von Canterburys Freiheitstheorie . . . . . . . . . . . 3 1.2. Die gegenwärtige Diskussion der Freiheitsfrage . . . . . . . . 7 2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage . . . . . . . . . . 11 2.1. Der Beginn der modernen Forschung im 20. Jahrhundert (Bäumker und Lohmeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.2. Neuere Untersuchungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Kane und Briancesco) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3. Neuste Untersuchungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Goebel, Orazzo, Ekenberg, Rogers, Schick und Trego) . . . 16 3. Der methodische Ansatz, die Hauptthese und der Auf bau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.1. Das historische, philosophische und theologische Vorgehen . . 23 3.2. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.3. Die Gliederung entsprechend der Gesamtarchitektur von Anselms Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

II. Hauptteil: Historisch-systematische Interpretation von Anselms Freiheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . .

. . 31

1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.1.1. Das höchste Gute als letztes Ziel und erster Grund der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

VIII

Inhaltsverzeichnis

1.1.2. Die Freiheit im gütigen Schöpfungshandeln des höchsten Wesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.1.3. Freiheit als implizite Eigenschaft des höchsten Wesens . 43 1.1.4. Die Unendlichkeit der Freiheit in der Allgegenwart und Transzendenz des Schöpfers . . . . . . . . . . . . . . 46 1.1.5. Die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit der Freiheit Gottes in seiner Dreieinigkeit . . . . . . . . . . 49 1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption . . 52 1.2.1. Das gottebenbildlich geschaffene Wesen des Menschen . 53 1.2.1.1. Der Gabecharakter alles Geschaffenen . . . . . . . 54 1.2.1.2. Der Ort und Charakter des Menschen in der geschaffenen Natur . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.2.1.3. Der gottebenbildlich geschaffene Charakter des menschlichen Geistes . . . . . . . . . . . . . . . 60 1.2.1.4. Die wesensgemäße Bestimmung des Menschen . . . 63 1.2.1.5. Die personalen Lebensvollzüge des Glaubens, Liebens und Hoffens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

1.2.2. Das vernunftbegabte Wollen, Wählen und Handeln des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1.2.2.1. Der vernunftbezogene Wille, seine affektive Grundorientierung und sein Gebrauch . . . . . . . 71 1.2.2.2. Das freie Wahlvermögen des Willens und die Spektren realer Wahlmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 77 1.2.2.3. Das personal selbstbewirkte Handeln und seine letzte Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

1.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs 84 2.1.1. Das Prinzip des Rechtseins (rectitudo) . . . . . . . . . . 85 2.1.2. Der Begriff der Wahrheit (rectitudo sola mente perceptibile) . 90 2.1.3. Der Begriff der Gerechtigkeit (rectitudo propter se servata) . 95 2.1.4. Der prinzipien-, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretische Deutungshorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.2.1. Die Kritik der überlieferten Vorstellung von Freiheit indifferenter Wahl (potestas peccandi et non peccandi) . . . 103 2.2.2. Die neue Definition von Freiheit als Vermögen der Gerechtigkeit (potestas servandi rectitudinem voluntatis propter ipsam rectitudinem) . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsverzeichnis

IX

2.2.3. Der indirekte Beweis der Natürlichkeit und die Gnadenbedingtheit dieser Freiheit . . . . . . . . . . . 111 2.2.4. Die Unterscheidung von zwei Weisen menschlichen Freiseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2.2.5. Die Reflexion der formalen Kriterien der Freiheit . . . 121 2.2.6. Die Einteilung des Freiheitsbegriffs und sein Gebrauch . 124 2.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3.1.1. Der originale, natürliche Ursprung der individuellen Verknechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3.1.2. Der personale, aktuale Ursprung der menschlichen Verknechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3.1.3. Der selbstursprüngliche, aktuale Ursprung des ersten Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3.1.4. Die ontologische Grund- und Wesenlosigkeit des Bösen 144 3.1.5. Die göttliche Zulassung der Verknechtung unter das Böse 148 3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.2.1. Die Perversion des gottebenbildlich geschaffenen freien Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3.2.2. Die Korruption der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . 156 3.2.3. Die interne Unüberwindbarkeit der Knechtschaft . . . . 159 3.2.4. Die destruktive Dynamik der Knechtschaft . . . . . . . 162 3.2.5. Die bleibende Verantwortlichkeit ohne qualitativ alternative Wahlmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . 166 3.2.6. Die Regierung, Verurteilung und Überwindung des Bösen durch Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben . . . . . . . . . 174 4.0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4.1.1. Die Freiheit und Notwendigkeit von Gottes Befreiungshandeln in Christus . . . . . . . . . . . . . 177 4.1.2. Die Freiheit Jesu Christi (liber) . . . . . . . . . . . . . 183 4.1.3. Das Befreiungshandeln Jesu Christi (liberator) . . . . . . 187

X

Inhaltsverzeichnis

4.1.4. Die universale Wirkung von Jesu Christi freiwilliger, befreiender Selbsthingabe . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.1.5. Die konkrete Anteilgabe am Geist der Freiheit Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 4.2.1. Die Befreiung zum rechten Wollen und Wählen . . . . 197 4.2.2. Die Befreiung zum aktualen Gebrauch der Freiheit . . . 200 4.2.3. Die externe Unüberwindbarkeit der aktualen Freiheit . 204 4.2.4. Die innere Dynamik der Vervollkommnung der Freiheit 207 4.2.5. Die bleibende Unvollkommenheit . . . . . . . . . . . 210 4.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit . . . . . . . . 215 5.0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5.1.1. Die allgemeine Fassung des Dilemmas der Unvereinbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5.1.1.1. Der Begriff des göttlichen Vorauswissens (praescientia) 219 5.1.1.2. Das allgemeine Dilemma der Unvereinbarkeit . . . . 221 5.1.2. Die Lösung des Dilemmas durch den Aufweis der Vereinbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5.1.2.1. Die These des göttlichen Vorauswissens auch des zukünftig Kontingenten . . . . . . . . . . . . . . 228 5.1.2.2. Die Differenz zwischen Zwang und Notwendigkeit . 232 5.1.2.3. Die Simultaneität von ewiger Unwandelbarkeit und zeitlicher Wandelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 238 5.1.2.4. Die Bestimmtheit und Bedingtheit der Freiheit und der freien Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 5.1.2.5. Die ewige Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens und das Problem des Bösen . . . . . . . . . . . . . 247

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5.2.1. Die verschärfte Fassung des Dilemmas . . . . . . . . . 252 5.2.1.1. Der Begriff des göttlichen Vorausbestimmens (praedestinatio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 5.2.1.2. Das analoge, verschärfte Dilemma . . . . . . . . . 256

5.2.2. Die Übertragung der vorangehenden Lösung . . . . . . 258 5.2.2.1. Die These der Übereinstimmung von Vorauswissen und Vorausbestimmen . . . . . . . . . . . . . . . 259 5.2.2.2. Die Weiterführung der Argumentation . . . . . . . 262

5.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

Inhaltsverzeichnis

XI

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 6.0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit . . 269 6.1.1. Die biblisch-exegetischen, erfahrungsbezogenen und theologietypologischen Ursprünge . . . . . . . . . . . 270 6.1.2. Die Begriffe der Gnade, Gerechtigkeit und Freiheit . . . 275 6.1.3. Die soteriologisch zugespitzte Fassung des Dilemmas . . 279 6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit . 281 6.2.1. Die umfassende gnadentheologische Grundlegung der Vereinbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 6.2.1.1. Die befreiende Gabe des Rechtseins aus Gnade . . . . 284 6.2.1.2. Die heiligende Gabe der Gnade zur freien Bewahrung der Gabe des Rechtseins . . . . . . . . . . . . . . 289

6.2.2. Die gnadentheologisch begründete Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 292 6.2.2.1. Die freiheitstheoretische Implikation biblischer Gnadenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 6.2.2.2. Die gnadentheologische Voraussetzung biblischer Freiheitsaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 6.2.2.3. Die Erfahrung der Verantwortung unter der Bedingung unbedingter Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . 301 6.2.2.4. Die Erfahrung der Ohnmacht unter der Voraussetzung bedingter Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 305 6.2.2.5. Die radikal asymmetrische Relation von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit . . . . . . . . . . . . . 308

6.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

III. Schluss: Kritische Diskussion begnadeter Freiheit im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung 317 1.1. Eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1.2. Ein modifizierter theologischer Kompatibilismus beziehungsweise Kompossibilismus . . . . . . . . . . . . . . 324 1.3. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie . . . . . . . 332 2.1. Philosophiegeschichtliche und pragmatische Vorbehalte . . . . 333 2.2. Phänomenbezogene Kritik an Anselms Definition des Freiheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

XII

Inhaltsverzeichnis

2.3. Kritik an der Unterscheidung der zwei Weisen geschöpflichen Freiseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 2.4. Analytische Kritik an der Begründung der Vereinbarkeitsthese 341 3. Der Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion . . . . . . . . . . . 345 3.1. Die Entfaltung eines inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Freiheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 3.2. Die Begründung der Vereinbarkeit von Gott und Freiheit . . . 348 3.3. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption 350 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Quellentexte zu Anselm von Canterbury . . . . . . . . . . . . . 358 Lateinische kritische Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . 358 Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Weitere Quellentexte zu anderen Autoren . . . . . . . . . . . . 359 Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

I.

Einleitung

1. Das Thema und Anliegen der Arbeit In dieser Arbeit wird Anselm von Canterburys Freiheitstheorie durch eine historisch-systematische Rekonstruktion interpretiert und vor dem Hintergrund der aktuellen Freiheitsdebatte diskutiert. Das Thema ist somit zugleich ein historisches, philosophisches und theologisches. Das Anliegen ist ein vermittelndes. Zum einen wird Anselms Freiheitstheorie mit ihren theologischen Konturen und Gehalten und philosophischen Argumentationen unter Berücksichtigung des geistesgeschichtlichen Kontexts des 11. und 12. Jahrhunderts dargestellt. Zum anderen wird am Schluss der Arbeit ihre Bedeutung im Kontext der Gegenwart kritisch diskutiert. Dadurch soll angeregt werden, neben den klassischen Topoi von Anselms Reflexion über Sein und Wesen Gottes im Proslogion1 und seiner Begründung der Notwendigkeit von Christi Erlösungshandeln in Cur Deus homo2 auch seinen durchaus originellen Beitrag zur Freiheitsfrage in De libertate arbitrii und De concordia stärker wahrzunehmen.3 Nicht zuletzt soll dies dazu beitragen, die Reichhaltigkeit und Gegenwartsrelevanz des oft unterschätzten biblisch-antiken und mittelalterlichen Freiheitsdenkens auch aus evangelischer Sicht systematisch-theologisch neu zu beachten.

1.1. Anselm von Canterburys Freiheitstheorie Anselms freiheitstheoretische Reflexionen nehmen im Gesamtzusammenhang seines Denkens eine zentrale Rolle ein. Dabei sind sie keineswegs auf die zwei explizit freiheitstheoretischen Schriften De libertate arbitrii und De concordia begrenzt.4 In der einen dieser Schriften, dem frühen zwischen 1080 und 1085 1 

Anselm von Canterbury, Proslogion, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 93–139: [im Folgenden: PL]. 2  Ders., Cur Deus homo, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 39–133: [im Folgenden: CDH]. 3  Ders., De libertate arbitrii, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 205–226: [im Folgenden: DLA]; Ders., De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 243–288: [im Folgenden: DC]. 4 Ebd.

4

1. Das Thema und Anliegen der Arbeit

n.  Chr. verfassten Dialog De libertate arbitrii, wird diskutiert, was Freiheit eigentlich ist und ob und inwiefern der Mensch angesichts der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken immer frei ist.5 In der anderen, dem letzten um 1107 oder 1108 n.  Chr. fertig gestellten dialogischen Traktat De concordia, wird das Dilemma diskutiert, dass Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln und menschliche Freiheit unvereinbar zu sein scheinen.6 Anselms freiheitstheoretische Reflexion setzt jedoch früher an und durchzieht weit mehrere als diese Schriften. Neben den sehr aufschlussreichen Äußerungen zur Freiheit in seinen frühen Gebeten und Briefen7 und dem philosophischen Fragment De potestate 8 thematisiert Anselm die schöpfungstheologischen Grundlagen seiner Freiheitskonzeption bereits im Monolo­ gion und Proslogion.9 In diesen beiden um 1076–1078 n.  Chr. entstandenen ge­ nuin theologischen Schriften ist nicht nur verschiedentlich die Rede von Freiheit. Es werden auch bereits die gottebenbildliche Geschaffenheit des Menschen und die maßgebliche Ausrichtung der Person auf Gott als höchstes Gutes in einem trinitarisch-heilsgeschichtlich akzentuierten Horizont dargestellt.10 Nicht weniger relevant für Anselms Freiheitstheorie ist der Dialog De veritate, der um 1080–1085 n.  Chr. zusammen mit De libertate arbitrii verfasst worden ist.11 In ihm werden in Relation zur Gottesfrage das Prinzip des Rechtseins und die Begriffe der Wahrheit und Gerechtigkeit analysiert, die für die Bestimmung des Freiheitsbegriffs maßgeblich sind, da sie sich wechselseitig definieren. Genauso eng verbunden mit der freiheitstheoretischen Diskussion in De libertate arbitrii ist der ebenfalls zeitnah entstandene Dialog De casu diaboli.12 Darin wird, wie später ähnlich auch in De conceptu virginali, anhand einer Analyse der ursprünglichen freiwilligen Selbstverkehrung des geschöpflichen Willens, die Frage nach dem Grund und den Folgen der ursprünglichen Korruption des 5 

DLA 1–14 (SI), 207,1–266,21. DC I,1-III,14 (SII), 245,1–288,19. 7  Siehe hierzu: Richard Southern, Saint Anselm. A Portrait in a Landscape, Cambridge 1990, 91 ff. und 166–173. Dort verweist er auf Ep.  17 und Ep.  119. 8  Siehe auch: Anselm von Canterbury, De Potestate et impotentia, possibilitate et impossibi­ litate, necessitate et libertate, in: Richard W. Southern; Franciscus S. Schmitt (Hg.), Memorials of St. Anselm (ABMA I) Oxford 1969, 334–351. [im Folgenden: DP (ABMA I)]. 9  ML 65–80 (SI), 75,18–87,13; PL 1–26 (SI), 93,2–122,2; insbes. PL 1 (SI), 97,3–100,19; PL 24–26 (SI), 117,24–12,2; So auch: Hansjürgen Verweyen, Einleitung, in: Anselm von Canterbury, De libertate arbitrii et alii tractatus. Freiheitsschriften (lat.-deutsch), übers. u. hg. v. Hansjürgen Verweyen, (FC 13), Freiburg 1994, 62–121,29–33. 10 Ebd. 11  Ders., De veritate, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 173–199: [im Folgenden: DV]. 12  Ders., De casu diaboli, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 231–276: [im Folgenden: DCD]. 6 

1.1. Anselm von Canterburys Freiheitstheorie

5

freien Willens erörtert.13 Nicht weniger wichtig sind die unmittelbar nachfolgenden freiheitstheoretischen Überlegungen in Cur Deus homo.14 In diesem um 1098–1100 n. Chr. verfassten Dialog und der dazugehörenden Meditatio redemp­ tionis humanae wird nämlich die in De libertate arbitrii aufgeworfene Frage nach der Rekonstitution der geschöpflichen Freiheit beziehungsweise der Befreiung aus der selbstverschuldeten Knechtschaft geklärt.15 Indem Christus dabei als die freie Person schlechthin und sein Erlösungshandeln als notwendig für die Befreiung der Menschheit gedeutet wird, wird zugleich ein Bogen geschlagen zu den grundlegenden gnadentheologischen Überlegungen in De concordia I.16 In diesem Gesamtzusammenhang soll Anselm von Canterburys Freiheitstheorie im Folgenden historisch-systematisch interpretiert und in Bezug auf ihre Gegenwartsbedeutung diskutiert werden. Am Rande werden dabei auch die von Anselm stark rezipierten biblischen Schriften und altkirchlichen Quellen, relevante Diskussionen um Freiheit und Gnade zu seiner Zeit und schließlich die frühen positiven Weiterführungen etwa bei Hugo von St. Victor und Bernhard von Clairveaux historisch berücksichtigt.17 Im Zentrum steht dabei das Anliegen, den theologischen Gehalt und die philosophischen Begründungen der Freiheitstheorie herauszuarbeiten. Dabei soll der philosophische Anspruch von Anselms Versuch ernst genommen werden, abgesehen von Absicherungen durch die anerkannten Autoritäten der Heiligen Schrift und der theologischen und philosophischen Tradition, das im christlichen Glauben gegebene Freiheitsverständnis allein mit der Vernunft (sola ratione) argumentativ begründet darzustellen.18 Zugleich soll aber auch der theologische Anspruch Anselms ernst 13  Ebd., vgl. Ders., De conceptu virginali et de originali peccato, in: Ders., S. Anselmi Cantua­ riensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 137–173: [im Folgenden: DCV]. 14  Ders., Cur Deus homo, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 38–133: [im Folgenden: CDH]; Ders., Meditatio redemptionis humanae, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  3, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 84–91: [im Folgenden: M III]. 15  Ebd., vgl. DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32; insbes. DLA 10 (SI), 222,10–19. 16  Ebd. vgl. DC III,1–14 (SII), 263,1–288,19. 17  Bernhard von Clairvaux, De gratia et libero arbitrio II,3-V,15 (Werke 1), 167,13– 177,17; Hugo von St. Victor, De sacramentis Christiane fidei, I,6 (Corpus Victorinum; Textus historici 1), 136,1–149,10. Die anderen historischen Quellen werden im Folgenden, soweit wie möglich, nach neuen kritischen Editionen zitiert. Dabei wird nach Namen und Titel des Werks zunächst der Abschnitt im Werk genannt, dann in Klammern die verwendete Edition des Werks, die im Literaturverzeichnis nachgesehen werden kann und schließlich die Seitenund Zeilenangaben in der zitierten Edition. Bei mittelalterlichen Autoren wird dabei teilweise der volle Name genannt, um Verwechslungen auszuschließen. Die Schreibweise der Namen orientiert sich dabei weitestgehend an derjenigen, die der vierten Auflage der RGG verwendet wird. 18 ML Prologus, SI, 7,2–8,26; PL Prooemium, SI, 93,2–94,12; Zur Diskussion siehe: John P. Clayton, The Otherness of Anselm, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 37 (1995), 125–143. und: Klaus von Stosch, Gottes Wesen denken?

6

1. Das Thema und Anliegen der Arbeit

genommen werden, dass es der Glaube ist, der nach Einsicht ( fides quaerens intel­ lectum) sucht.19 Schließlich äußert Anselm explizit, dass die freiheitstheoretischen Dialoge zum Studium der Heiligen Schrift verfasst sind (ad studium sacrae scripturae).20 Zudem ist unübersehbar, dass in ihnen biblische Aussagen, insbesondere aus der psalmistischen, johanneischen und paulinischen Theologie, eine leitmotivische Funktion haben und dass Probleme diskutiert werden, die sich aus der Lektüre biblischer Schriften ergeben.21 Nicht zuletzt betont er die kritische Überprüf barkeit der von ihm rational begründeten Lösungen am Maßstab der Heiligen Schrift.22 Schließlich zeichnet sich Anselms Freiheitstheorie inhaltlich durch eine deutliche Kritik an einem überlieferten, unter anderem von Origenes, aber auch Augustin und Julian von Eclanum vertretenen, ambivalenten Verständnis von Freiheit als „Vermögen zu sündigen oder nicht zu sündigen“ aus. Anselm entfaltet demgegenüber eine inhaltlich positiv bestimmte Definition von Freiheit als „Vermögen, das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren.“23 Auch wenn diese relationale Neudefinition von Freiheit als „potestas ser­ vandi rectitudo voluntatis propter seipsum“ ähnlich wie seine Formel des „id quod maius non cogitari potest“ und das Motiv der „satisfactio“ keine eigene Erfindung darstellt, sondern aus der Reflexion der biblischen sowie der altkirchlichen Quellen erwächst, zeugt die rationale Form dieser Neuentdeckung von erstaunlicher Originalität. So ist es bedeutsam, dass Anselm die Lösung des Dilemmas der scheinbaren Unvereinbarkeit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken und menschlicher Freiheit an diese neue relationale Definition von Freiheit und die entsprechende Unterscheidung verschiedener Arten des Freiseins knüpft.24 Damit ist von Anselm ein neues Modell entwickelt worden, nach dem Freiheit nicht mehr von einem unbestimmten liberum arbitrium her definiert wird, sondern vom Begriff des höchsten Guten und der göttlichen Gnade, über das Prinzip des Rechtseins und die Begriffe der Wahrheit und Gerechtigkeit.

Zur Rolle Anselms im aktuellen Streit um die Reichweite der Vernunft in der Fundamentaltheologie, in: Sola ratione. Anselm von Canterbury und die rationale Rekonstruktion des Glaubens, hg. v. Stephan Ernst; Thomas Franz, Würzburg 2009, 73–96. 19  Siehe auch: Paul Ricoeur, Fides quaerens intellctum. Antécedents bibliques?, in: Archivo di filosophia 58 (1990), 19–42. 20 DV Praefatio (SI), 173,2. 21  DC III,1 (SII), 263,4–264,5; Siehe hierzu auch: Réginald Grégoire, L’Utilisation de l’Écriture Sainte chez Anselme de Cantobéry, in: Revue d’asquétique et de mystique 39 (1963), 272–293. 22  EDIV 1 (SII), 8,19–9,8. und CDH I,18 (SII), 82,8f; DC III (SII), 271,20–272,27. 23  DLA 1–3 (SI), 207,1–212,23; DLA 13 (SI), 225,1–32. 24  Ebd., vgl. DC I,6 (SII), 255,30–257,27; Siehe auch: DLA 14 prior recensio (SI), 266, FN.

1.2. Die gegenwärtige Diskussion der Freiheitsfrage

7

1.2. Die gegenwärtige Diskussion der Freiheitsfrage Anselms Freiheitstheorie ist damit auch für die gegenwärtige Diskussion der Freiheitsfrage interessant. Sie soll deswegen nicht nur historisch untersucht werden, sondern auch systematisch betrachtet werden vor dem Hintergrund der aktuellen Freiheitsdiskussion, insbesondere in der analytischen Philosophie und Theologie. Die Freiheitsfrage wird gegenwärtig in zahlreichen Kontexten diskutiert. In wissenschaftlichen Diskussionen werden angesichts neurowissenschaftlicher Experimente philosophische und theologische Grundfragen aufgeworfen.25 In kirchlichen, theologischen Gesprächen wird kontrovers über die Frage nach dem Spektrum an freien Lebensgestaltungen, die dem christlichen Glauben entsprechen, diskutiert.26 Und in gesellschaftspolitischen Debatten wird angesichts globaler Krisen, selbst geschaffener Zwangsmechanismen und Überwachungstechniken um eine freiheitliche, pluralistische Gestaltung des gemeinsamen Lebens gerungen.27 Vor diesem Hintergrund stellt sich wieder neu die Frage nach dem Sinn und Wesen, Grund und Gebrauch dieses „Fundamentalprinzips“28 der Moderne und Spätmoderne sowie des christlichen Glaubens. In diesem Zusammenhang hat sich in der analytischen Philosophie und Theologie eine intensive, ausdifferenzierte Diskussion über Freiheit und Determinismus entwickelt, in der auch Anselms Freiheitstheorie diskutiert wird.29 Angesichts der komplexen Debattenlage und hermeneutischen Schwierigkeiten

25 Benjamin Libet, Do We Have Free Will?, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Robert Kane, Oxford 2002, 551–564; Friedrich Hermanni, Gott, Freiheit und Determinismus, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 50 (2008), 16–36; Matthias Petzoldt, Gehirn – Geist – Heiliger Geist. Muss der Glaube die Willensfreiheit verteidigen?, Hamburg 2008; Philip Clayton, In Quest of Freedom. The Emergence of Spirit in the Natural World. Frankfurt Templeton Lectures 2006, hg. v. Michael G. Parker; Thomas M. Schmidt, Göttingen 2009; Wolfgang Achtner, Willensfreiheit in: Theologie und Neurowissenschaft. Ein historisch-systematischer Wegweiser, Darmstadt 2010. 26  Siehe dazu: Hans C. Knuth (Hg.), Von der Freiheit. Besinnung auf einen Grundbegriff des Christentums, Hannover 2001; vgl. Eberhard Schockenhoff, Theologie der Freiheit, Herder 2007, Ders., Erlöste Freiheit. Worauf es im Christentum ankommt, Herder 2012. 27  Siehe: Markus Mühling (Hg.), Gezwungene Freiheit? Personale Freiheit im pluralistischen Europa, Göttingen (2. Aufl.) 2009. 28  Siehe hierzu: Christoph Schwöbel, Imago Libertatis, Freiheit des Menschen und Freiheit Gottes, in: Ders., Gott in Beziehung, Tübingen 2002, 227–256; Ders, Religiöser Pluralismus im 21. Jahrhundert Herausforderung für die Freiheit, in: Markus Mühling, (Hg.), Gezwungene Freiheit? Personale Freiheit im pluralistischen Europa, Göttingen (2. Aufl.) 2009, 23–46; Ders, Versprochene Freiheit – verantwortete Freiheit. Grundlagen und Praxis christlichen Lebens, in: Ders., Gott im Gespräch, Tübingen 2011, 235–252. 29  Siehe hierzu: William Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Robert H. Kane, Oxford (2. Aufl.) 2011, 34.

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1. Das Thema und Anliegen der Arbeit

verwundert es nicht, dass dabei höchst umstritten ist, wie sie analytisch charakterisiert werden kann und worin ihr Beitrag besteht.30 Betrachtet man die Konturen dieser Debatte in vereinfachter Form, so lassen sich drei beziehungsweise vier Grundpositionen mit je eigenen ontologischen Voraussetzungen und Begründungsproblemen erkennen.31 Zum einen wird von der Position eines harten, inkompatibilistischen Determinismus die Annahme menschlicher Freiheit aus dem Grund abgelehnt, dass sie mit einem umfassenden naturkausalen, metaphysischen oder theologischen Determinismus unvereinbar sei.32 Sie ist also mit einer deterministischen Ontologie, physikalistisch-naturalistischer, logisch-rationalistischer oder theistisch-fatalistischer Art verbunden. Dabei versuchen ihre Vertreter durch klassische Theorien oder auch eine entsprechende Deutung neurowissenschaftlicher Experimente die Bestreitung menschlicher Freiheit rational beziehungsweise empirisch zu begründen.33 Zum anderen wird von der Position eines inkompatibilistischen Libertarismus aus die Annahme eines umfassenden naturkausalen, metaphysischen oder theologischen Determinismus mit der Begründung abgelehnt, dass er mit menschlicher Freiheit unvereinbar sei.34 Diese Position ist also mit einer in­ deterministischen oder zumindest nicht-deterministischen Ontologie dualistischer oder gradualistischer Art verbunden. Ihre Verfechter versuchen das Vorhanden­sein alternativer Möglichkeiten und des So-und-anders-Könnens, Non-, Akteurs- oder Ereigniskausalität und moralische Verantwortlichkeit als Kriterien libertarischer Freiheit festzuhalten. Zudem wird versucht, diese durch den Verweis auf das subjektive Freiheitsgefühl oder auf Intuitionen sowie durch Gedanken aus der Quanten- und Relativitätstheorie oder der Theologie- und Philosophiegeschichte heraus zu plausibilisieren. Dabei geht es zentral um die argumentative Entkräftung von Einwänden, wie beispielsweise den der Verwechslung mit Zufall.35 Diese inkompatibilistischen Positionen können sich da30  Siehe:

Katherin A. Rogers, Anselm on Freedom, Oxford 2008, 1–205; Stan R. Tyvoll, Anselm’s Definition of Free Will. A Hierarchical Interpretation, in: American Catholic Philosophical Quaterly 80 (2006), 155–171; Thomas Ekenberg, Falling Freely: Anselm of Canterbury on the Will, Uppsala 2005, 127–157; Sandra Visser; Thomas Williams, Anselm, Oxford 2009, 171–191. 31  Siehe dazu: Robert Kane, Introduction: The Contours of Contemporary Free Will Debates, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Dems. Oxford 2002, 3–44; Ders., Introduction: The Contours of Contemporary Free Will Debates, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Ders., Oxford (2. Aufl.) 2011, 3–38; und Geert Keil, Willensfreiheit, Berlin (2. Aufl.) 2013. 32 Siehe: Derk Pereboom, Living Without Free Will, Cambridge 2001; Mark Bernstein, Fatalism, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Ders. Oxford 2002, 65–84. 33 Ebd. 34 Siehe hierzu: Geert Keil, Willensfreiheit, Berlin (2. Aufl.) 2013, 133–178. Robert Kane, Rethinking Free Will: New Perspectives on an Ancient Problem, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Dems, Oxford (2. Aufl.) 2011, 381–404. 35 Ebd.

1.2. Die gegenwärtige Diskussion der Freiheitsfrage

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bei beide auf das sog. Konsequenzargument stützen, auch wenn sie daraus gegensätzliche Konsequenzen ziehen.36 Schließlich wird demgegenüber von der Position eines Kompatibilismus aus die Annahme der Vereinbarkeit von Determinismus und bedingter Freiheit vertreten. Sie ist dabei mit einer deterministischen Ontologie dualistischer oder gradualistischer, logisch-rationalistischer oder prädestinationstheologischer Art verbunden.37 Zudem versuchen ihre Verteidiger, Charakterdetermination, rationale Begründetheit und die Abwesenheit von Zwang sowie Selbstbestimmung als hinreichende Kriterien beziehungsweise Voraussetzungen bedingter Freiheit durch eine konditionale Analyse des anders Könnens, den Verweis auf klassische philosophische oder theologische Konzeptionen und durch Einwände gegen das Konsequenzargument und libertarische Freiheitskriterien zu begründen.38 Daneben gibt es schließlich auch den Versuch, durch Differenzierung oder Kombination weitere Positionen zu entwickeln – unabhängig von einer definitiven Antwort auf die Frage, ob die Wirklichkeit deterministisch oder indeterministisch verfasst ist. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang etwa Thomas Buchheim, der für einen libertarischen Kompatibilismus argumentiert,39 die freiheitsskeptische Position des Impossibilismus von Galen Strawson, der dafür argumentiert, dass der Mensch in keinem Fall frei ist, das heißt weder unter der Bedingung des Determinismus noch unter der des Indeterminismus40, und von Linda Zagzebski, die die analytisch theologische Freiheitsdiskussion wesentlich mit angestoßen hat41. Im Rahmen dieser analytisch theologischen Freiheitsdiskussion wird Anselms Freiheitstheorie gegenwärtig, neben denen von Augustin, Boethius und 36 Siehe hierzu: Peter van Inwagen, Free Will Remains a Mystery, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Robert Kane, Oxford 2002, 158–180, vgl. Ders., A Promising Argument, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Robert Kane, Oxford (2.  Aufl.) 2011, 475–483. 37 Siehe hierzu beispielsweise: Harry G. Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, Berlin 2001; und: Susan Wolf, Freedom Within Reason, New York u. a. 1993; vgl. Michael McKenna, Contemporary Compatibilism: Mesh-Theories and Reasons-Response-Theories, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Robert H. Kane, Oxford (2. Aufl.) 2011, 175–198. 38 Ebd. 39 Thomas Buchheim, Libertarischer Kompatibilismus. Drei alternative Thesen auf dem Weg zu einem qualitativen Verständnis der menschlichen Freiheit in: Der freie und der unfreie Wille, hg. v. Friedrich Hermanni; Peter Koslowski, 33–79; Ders., (Hg.), Freiheit auf Basis von Natur?, Paderborn 2007; Ders., Unser Verlangen nach Freiheit, Hamburg 2006. 40 Galen Strawson, The Bounds of Freedom, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Robert Kane, Oxford 2002, 441–460. 41 Linda T. Zagzebski, The Dilemma of Freedom and Foreknowledge, Oxford 1991; Dies., Recent Work on Divine Foreknowledge and Free Will, in: The Oxford Handbook on Free Will, hg. v. Robert Kane, Oxford 2002, 45–64; und: Dies., Eternity and Fatalism, in: God, Eternity, and Time, hg. v. Christian Tapp; Edmund Runggaldier, Farnham, 2011, 65–80.

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1. Das Thema und Anliegen der Arbeit

Thomas von Aquin, William von Ockham und Louis de Molina, Johannes Calvin und Alfred N. Whitehead, neu rezipiert und diskutiert.42 Aufgrund seiner strittigen Zuordnung soll im Anschluss an die historisch-systematische Interpretation ein Vorschlag zur Klärung der analytischen Charakterisierung von Anselms Freiheitstheorie gemacht werden. Zudem besteht ein weiteres Anliegen dieser Arbeit darin, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Freiheitsdiskussion die religiösen Wurzeln gegenwärtiger Freiheitsvorstellungen geschichtlich aufzudecken, und zu überlegen, was Anselms Freiheitstheorie theologisch zu einer Thematisierung der im christlichen Glauben gegebenen Freiheit beitragen kann.

42  Siehe hierzu: Hasker, Divine Knowledge, 34; Rogers, Anselm on Freedom, 1–205; Tyvoll, Anselm’s Definition, 155–171; Ekenberg, Falling Freely, 127–157; Visser; Williams, Anselm, 171–191.

2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage Anselms Freiheitsverständnis findet nicht nur in der aktuellen freiheitstheoretischen Diskussion in der analytischen Philosophie und Theologie Aufmerksamkeit, sondern auch in der neueren, zunehmend international und interdisziplinär geprägten Anselmforschung. Während sich in der Anselmforschung im 20. Jahrhundert die Diskussion stark auf die Frage nach Anselms Methode1, auf die Deutung des so genannten ontologischen Gottesbeweises im Proslogion 2 und auf die Auseinandersetzung um die so genannte Satisfaktionstheorie in Cur Deus homo3 konzentrierte, werden in der neueren Forschung vermehrt auch andere Aspekte des Anselmschen Werks und seines historischen Kontexts untersucht, darunter neben der Sprachphilosophie und Logik4 und dem Wahrheitsverständnis5 insbesondere auch das Freiheitsverständnis. In der neueren und neusten Forschung zu Anselms Freiheitsverständnis lassen sich dabei bestimmte Entwicklungen und Tendenzen, Anknüpfungen und Abgrenzungen in der Fragestellung und Methodik erkennen. Sie sollen im Folgenden kurz dargestellt werden, weil die Arbeit diesen Interpretationen wichtige Einsichten und Impulse verdankt. Da die Literatur mittlerweile zu umfangreich geworden ist, um umfassend dargestellt werden zu können, orientiert sich die nachfolgende Darstellung des aktuellen Forschungsstands an den maßgeblichen Monographien zu 1 Karl Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, in: Ders. Gesamtausgabe – Akademische Werke 13, hg. v. Eberhard Jüngel; Ingolf U. Dalferth (3. Aufl.) Zürich 2002; Helmut Kohlenberger, Similitudo und ratio: Überlegungen zur Methode bei Anselm von Canterbury, Tübingen 1972. 2  Gillian R. Evans, Anselm and Talking about God, Oxford 1978; Siehe hierzu insbesondere auch: Ian Logan, Reading Anselm’s „Proslogion“, The History of Anselm’s Argument and its Significance Today, Farnham 2009. 3  Hans U. von Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik, Bd.   2 Fächer der Stile, Teil 1 Klerikale Stile, Einsiedeln 1969, 219–257; John McIntyre, Saint Anselm and His Critics. A Re-interpretation of the Cur Deus homo, Edinburgh 1954. 4  Desmond Paul Henry, The Logic of Saint Anselm, Oxford 1967 und Peter Boschung, From a Topical Point of View: Dialectic in Anselm’s De Grammatico, Zürich 2006. 5 Heinz Külling, Wahrheit als Richtigkeit, Eine Untersuchung zur Schrift „De veritate“ von Anselm von Canterbury 1984; Enders, Markus, Wahrheit und Notwendigkeit. Die Theorie der Wahrheit bei Anselm von Canterbury im Gesamtzusammenhang seines Denkens und unter besonderer Berücksichtigung seiner Antiken Quellen (Aristoteles, Cicero, Augustin, Boethius), Leiden u. a. 1998.

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2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage

Anselms Freiheitsverständnis, vorwiegend aus der deutsch-, englisch- und französischsprachigen Literatur.6

2.1. Der Beginn der modernen Forschung im 20. Jahrhundert (Bäumker und Lohmeyer) In der modernen Forschung seit dem Beginn im 20. Jahrhundert, hat Anselms Freiheitsverständnis, ähnlich wie bereits im 19. Jahrhundert, sowohl bei deutsch-, englisch- und französischsprachigen, evangelischen und katholischen Theologen, Philosophen und Historikern Interesse gefunden.7 Während im protestantischen Liberalismus scharfe und zum Teil auch sehr verzeichnende Kritik an Anselm geübt worden ist,8 sind zu Beginn des 20. Jahrhundert mit den Beiträgen unter anderem von Le Comte Domet de Vosges und Adam C. Welch, der neuscholastisch geprägten Interpretation von Rudolf Allers und der an der christlichen Mystik orientierten Deutung von Anselm Stolz grundlegende Gesamtdarstellungen entstanden.9 Zudem hat Anselms Denken durch die Studien von Romano Guardini10 und Karl Barth11 nicht unwesentliche Impulse zu kritischen Erneuerungsbewegungen in der katholischen und evangelischen Theologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert beigetragen.

6  Wegen mangelhafter Italienischkenntnisse und begrenzter Zeit werden aus der italienischsprachigen Forschung nur die Beiträge von Orazzo, Ogliari und Zoppi berücksichtigt werden. Hier sei jedoch verwiesen auf die ausführliche Rezeption und Diskussion der italienischsprachigen Forschung bei Eduardo Briancesco, Un Triptyche sur la liberté. La doctrine morale de Saint Anselme: „De Veritate“, „De libertate arbitrii“, „De casu diaboli“, Paris 1982, 199–229 und vor allem bei: Bernd Goebel, Rectitudo: Wahrheit und Freiheit bei Anselm von Canterbury. Eine philosophische Untersuchung seines Denkansatzes, Münster 2001. 7  Siehe beispielsweise: Johann Adam Möhler, Anselm Erzbischof von Canterbury. Ein Beitrag zur Kenntnis des religiös-sittlichen, öffentlich-kirchlichen und wissenschaftlichen Lebens im XI. und X Jh. in: Ders., Gesammelte Schriften und Aufsätze, Bd.  1, hg. v. J. I. Döllinger, Regensburg 1839, 32–176. Friedrich R. Hasse, Anselm von Canterbury, Bd.  1 Das Leben Anselms, Leipzig 1843; Ders., Anselm von Canterbury, Bd.  2 Die Lehre Anselms, Leipzig 1852; Charles de Remusat, Anselme de Cantobéry, Paris 1853; R. W. Church, Saint Anselm, London 1870; Siehe hierzu auch: Giles Gasper; Ian Logan, Anselm. A Portrait in Refraction, in: Saint Anselm of Canterbury and His Legacy, Toronto 2012, 19–20. 8 Adolf von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd.   3, Die Entwicklung des Kirchlichen Dogmas, II;III, Darmstadt (4. Aufl.) 1964, 388–410; Albrecht Ritschl, Die Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd.  I, Bonn (3. Aufl.) 1889, 31–47. 9  Le Comte Domet De Vosges, Saint Anselme, Paris 1901; Adam C. Welch, Anselm and His Work, New York 1901; Rudolf Allers, Anselm von Canterbury, Leben, Lehre, Werke, Wien 1936; Anselm Stolz, Anselm von Canterbury, München 1937. 10 Romano Guardini, Anselm von Canterbury und das Wesen der Theologie, in: Ders, Auf dem Wege, Wiesbaden 1923, 33–65, insbes. 55 f. 11  Barth, Fides quaerens intellectum, 9–174.

2.1. Der Beginn der modernen Forschung im 20. Jahrhundert (Bäumker und Lohmeyer)

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In diesem Kontext sind zwei wegweisende Monographien zu Anselms Freiheitsverständnis entstanden: die Arbeit des katholischen Theologen Franz Bäumker und der Beitrag des evangelischen Theologen Ernst Lohmeyer12 . Charakteristisch für diese ersten Untersuchungen ist die inhaltliche Fokussierung der Fragestellung auf den Begriff des Willens und der Wahlfreiheit, die methodische Konzentration auf wenige Quellentexte sowie die Bemühung um eine geschichtliche Einordnung im Verhältnis zu Augustin und eine kritische Wertung. In der 1912 erschienenen neuscholastisch geprägten Monographie von Bäumker über „Die Lehre Anselms von Canterbury über den Willen und seine Wahlfreiheit“13 wird nach einer Analyse von Anselms Willensbegriff14 sein Verständnis von Wahlfreiheit unter Rekurs auf die Hochscholastik und auf Kant als Indifferenzfreiheit im Sinne absoluter Selbstbestimmung gedeutet und theologisch eingebettet.15 Anselms Freiheitsdefinition wird dabei als zu eng und als unvereinbar mit „metaphysischer Freiheit“ kritisiert.16 Bäumker untersucht zwölf Begründungen der indifferentistisch gedeuteten Wahlfreiheit bei Anselm17 und hebt schließlich den Unterschied zu Augustin hervor.18 Trotz der Fraglichkeit seiner Interpretationshypothese hat Bäumker damit, aber auch durch seine Untersuchung zum Freiheits- und Gnadenverständnis von Honorius Augustodunensis, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des historischen Kontexts formuliert.19 Lohmeyer untersucht in seiner 1914 veröffentlichten Dissertation „Die Lehre vom Willen bei Anselm von Canterbury“20 aus hegelianisch und protestantisch geprägter Sicht ebenfalls zunächst Anselms Begriff des Willens, dann seinen Begriff der Freiheit und schließlich die geschichtliche Stellung im Verhältnis zu Augustin. Allerdings deutet er, im Unterschied zu Bäumker, Anselms Willenskonzeption als seelisches Vermögen zu konkretisierender Selbstbestimmung 21 und den Freiheitsbegriff als nicht indifferentistisch, sondern als „mit der Idee des sittlich Guten“ beziehungsweise der „Einheit mit dem göttlichen Willen“ 12 Franz Bäumker, Die Lehre Anselms von Canterbury über den Willen und seine Wahlfreiheit, in: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters Bd.  10, hg. v. Clemens Bäumker, Münster 1912, 1–79; Ernst Lohmeyer, Die Lehre vom Willen bei Anselm von Canterbury, Leipzig 1914. 13  Bäumker, Die Lehre Anselms, 1–78. 14  A.a.O., 1–11. 15  A.a.O. 12–23, 16  A.a.O., 12; 24–26. 17  A.a.O., 26–61. 18  A.a.O., 62–78. 19  Ders., Das Inevitabile des Honorius Augustodunensis und dessen Lehre über das Zusammenwirken von Wille und Gnade, in: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 13, hg. v. Clemens Baeumker, Münster 1914;6, 1–93. 20  Lohmeyer, Die Lehre vom Willen, 1–74. 21  A.a.O., 8–33; insbes. 9 ff.

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2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage

verbunden.22 Kritisiert wird jedoch die Unerreichbarkeit und Äußerlichkeit dieser Freiheit für das Subjekt, das die Gerechtigkeit nach Anselm nicht von sich aus ergreifen könne, sondern nur dann, wenn sie ihm gegeben werde, bewahren könne.23 Im Hinblick auf die geschichtliche Bedeutung werden die inhaltliche Übereinstimmung mit Augustin und die stärker logisch-begriffliche und innerlich-konkretere Fassung des Problems hervorgehoben.24 Dabei wird Anselms Freiheitstheorie insgesamt als ein erstes Moment im Prozess der Hervorhebung „des Prinzips der Subjektivität gegenüber der dogmatischen Metaphysik“ gedeutet.25

2.2. Neuere Untersuchungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Kane und Briancesco) In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wächst das Interesse an Anselms Person, Denken und historischer Verortung in einem solchen Ausmaß, dass Wolfgang Gombocz 1980 rückblickend von einer „Anselm Renaissance seit 1960“ spricht.26 Auch wenn der Begriff „Anselm Renaissance“ vielleicht etwas zu hoch gegriffen ist, erkennt man deutlich eine methodische und inhaltliche Präzisierung, Ausdifferenzierung sowie Internationalisierung der Forschung über den europäischen Kontext hinaus.27 Wichtige Grundlagen hierfür stellen die von Franciscus S. Schmitt erarbeitete, kritische, lateinische Edition des werks, einschließlich der Gebete, Meditationen und umfangreichen Gesamt­ Brief korrespondenz,28 sowie die ersten Übersetzungen in moderne europäische Sprachen dar.29 Aber auch Hans U. v. Balthasars ästhetische Anselmdeu22 

A.a.O., 34–56; insbes. 42. 44–49. 24  A.a.O., 57–70. 25  A.a.O., 71. 26  Wolfgang L. Gombocz, Anselm von Canterbury. Ein Forschungsbericht über die Anselm Renaissance seit 1960, in: Philosophisches Jahrbuch 87 (1980), 109–134. 27 Siehe herzu insbesondere die Beiträge der asiatischen Forscher Ingu und Yamazaki: Toru Ingu, Über die Gnade und die Willensfreiheit, in: Kwansei Gakuin University Annual Studies 10 (1961), 1–15; Hiroko Yamazaki, Theological Method in St. Anselm’s Theory of Freedom. Knowledge and the Sciences in Medieval Philosophy. Proceedings of the Eighth International Congress of Medieval Philosophy (S.I.E.P.M.) Helsinki, 24.-29. August 1987, hg. v. R. Työrinoja u. a., Helsinki u. a. 1990, 308–313; Ders., Anselm and the Problem of Evil, in: Anselm Studies II (1988), 343–350. 28  Franciscus S. Schmitt, Prolegomena seu ratio editionis, in: S. Anselmi Cantuariensis Ar­ chiepiscopi Opera Omnia Bd.  1–2, hg. v. Dems., Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984. 29 Siehe hierzu: Anselm von Canterbury, Monologion, übers. u. hg. v. Franciscus S. ­Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1964; Ders., Proslogion, übers.u. hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1962; Ders., Cur Deus Homo. Warum Gott Mensch geworden. Lateinisch – Deutsch, übers. u. hg. v. F.S. Schmitt, Darmstadt (5.  Aufl.) 1993; Ders., Über die Wahrheit (lat.-deutsch), übers., u. hg. v. Markus Enders, 23  A.a.O.,

2.2. Neuere Untersuchungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Kane und Briancesco)

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tung,30 John McIntyres Rehabilitierung der so genannten Satisfaktionstheorie,31 die philosophisch orientierte englische Gesamtdarstellung von Jasper Hopkins,32 die historisch ausgerichteten Beiträge von Robert Pouchet, Kurt Flasch und Stephan Ernst, und vor allem die historisch-biographischen Studien von Richard Southern haben eine differenziertere Diskussion des Anselmschen Denkens ermöglicht.33 Zu Anselms Freiheitsverständnis sind in dieser Zeit zwei maßgebliche Monographien von Stanley G. Kane34 und Eduardo Briancesco35 erschienen. Die 1981 von Kane veröffentlichte Monographie „Anselm’s Doctrine of Freedom and the Will“ stellt den ersten, einflussreichen, englischsprachigen Beitrag dar, in dem Anselms Freiheitstheorie als eine indeterministische Freiheitskonzeption gedeutet wird.36 Kane entfaltet nach einer Analyse von Anselms Willenskonzeptionen die These, Anselm verbinde einen Begriff von Freiheit an sich, der in Selbstvervollkommnung bestehe, mit einem Begriff von Freiheit unter den Bedingungen menschlicher Existenz, der im Vermögen der alternativen Wahl zwischen Sündigen und Nicht-Sündigen bestehe.37 An Anselms Freiheitsdefinition kritisiert er jedoch eine Hypostasierung von „richtig“ beziehungsweise „recht“ und den Determinationszusammenhang zwischen Hamburg 2001; Ders., De libertate arbitrii et alii tractatus. Freiheitsschriften. Lateinisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Hansjürgen Verweyen (FC), Freiburg 1994; Ders., Major Works, hg. v. Brian Davies, Oxford 1998; Ders., Prayers and Meditations, übers. und hg. v. Benedicta Ward, London 1986; Ders., The Letters of Anselm of Canterbury, Bd.  1–3, übers. u. hg. v. Walter Fröhlich, Kalamazoo 1990–4 und Ders., L’Oeuvre d’Anselme de Cantobéry Bd.  1–9, hg. v. Michel Corbin, Paris 1986–2004. 30  Hans U. von Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik, Bd.  2 Fächer der Stile, Teil 1 Klerikale Stile, Einsiedeln 1969, 219–257. 31 John McIntyre, Saint Anselm and His Critics. A Re-interpretation of the Cur Deus homo, Edinburgh 1954. 32  Jasper A. Hopkins, Companion to the Study of St. Anselm, Minneapolis 1972. 33 Robert Pouchet, La Rectitudo chez Saint Anselme. Un Itinéraire augustinien de l’âme à Dieu, Paris 1964; Kurt Flasch, Freiheit des Willens: 850–1150, in: Abendländische Freiheit vom 10.-14. Jahrhundert Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich. hg. v. J. Fried, Sigmaringen 1991, 17–47; Ders., Zum Begriff der Wahrheit bei Anselm von Canterbury, in: Philosophisches Jahrbuch 72 (1965), 322–352; Stephan Ernst, Ethische Vernunft und christlicher Glaube: der Prozess ihrer wechselseitigen Freisetzung in der Zeit von Anselm von Canterbury bis Wilhelm von Auxerre, Münster 1996; Richard W. Southern, Saint Anselm. A Portrait in a Landscape, Cambridge 1990; Ders., Anselm and His Biographer: A Study of Monastic Life and Thought 1059–1130, Cambridge 1963. 34  Stanley G. Kane, Anselm’s Doctrine of Freedom and the Will, New York u. a. 1981. 35 Eduardo Briancesco, Un Triptyche sur la liberté, la doctrine morale de Saint Anselm: „De Veritate“, „De libertate arbitrii“, „De casu diaboli“, Paris 1982. 36  Kane, Anselm’s Doctrine, 1–190; Siehe hierzu auch den früheren Aufsatz: Stanley G., Kane, Anselms Definition of Freedom, in: Religious Studies 9 (1973), 297–306. 37  Kane, Anselm’s Doctrine, 25–35; 57–59; 127; vgl. zu dieser Klassifikation: Mortimer J. Adler, The Idea of Freedom Bd.  1, New York 1958, 167–622, insbesondere 585–622; vor allem 593.

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2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage

Willensneigung und Willensakt.38 In Bezug die Gnadenthematik deutet er Anselms Ansatz schließlich als eine Quiescence-Konzeption, derzufolge der Mensch zwar ohne Gnade aus sich selbst heraus nicht effektiv Gutes wollen könne, aber aus sich selbst heraus wählen könne, Böses nicht zu wollen.39 Historisch und systematisch verortet Kane Anselms Freiheitstheorie als „orthodox katholisch“ und gemäßigt augustinisch beziehungsweise als indeterministisch und charakterisiert sie als Konzeption theonomer Freiheit.40 Scharfe Kritik erfährt seine Interpretation jedoch in dem 1983 erschienenen Aufsatz von Hopkins, „Anselm on freedom and the will. A Discussion of G. S. Kane’s Interpretations of Anselm“.41 Hopkins geht dabei auf die fünf Hauptthesen des Buches ein und analysiert minutiös, warum neben diversen Ungenauigkeiten alle fünf Hauptthesen falsch seien. Damit ist die Diskussion um die Interpretation von Anselms Freiheitsverständnis eröffnet. Eine eher texthermeneutisch und moraltheologisch orientierte Interpretation von Anselms Freiheitsverständnis trägt 1982 der argentinische Theologe Eduardo Briancesco mit „Un Triptyche sur la liberté, la doctrine morale de Saint Anselm“ bei.42 In dieser Monographie gelingt ihm durch die Betrachtung der Gesamtarchitektur und verschiedener Textebenen die Herausarbeitung der grundlegenden Bedeutung der Wahrheits- und Gerechtigkeitstheorie für die Freiheitstheorie, des natürlichen und moralischen Charakters von Anselms Freiheitsverständnis sowie der Entgegensetzung von Freiheit und Bösem.43 Zudem argumentiert er in kritischer Auseinandersetzung mit Pouchet, Rohmer und Fairweather, sowie Vanni-Rovighi, Delhaye und von Balthasar dafür, dass Anselms Moraltheologie sowohl metaphysischen als auch ethischen Charakter hat.44

2.3. Neuste Untersuchungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Goebel, Orazzo, Ekenberg, Rogers, Schick und Trego) Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Forschungslage noch einmal diversifiziert, spezifiziert und zugleich für die universitäre Lehre elementarisiert. Für erste Orientierungen in Anselms Werk sind Einführungen von Rolf Schönber38 

A.a.O., 64–69. Kane, Anselm’s Doctrine, 165–180. 40  A.a.O., 180–190. 41 Jasper Hopkins, Anselm on Freedom and the Will. A Discussion of G.S. Kane’s Interpretation of Anselm, in: Philosophy Research Archives 9 (1983), 471–493. 42  Briancesco, Un Triptyche sur la liberté, 1–229; vgl. auch den späteren Aufsatz zu De Concordia: Ders., Le dernier Anselme. Essai sur la structure du De Concordia, in: Anselm Studies 2 (1988), 559–596. 43 Ebd. 44  A.a.O., 201–229. 39 

2.3. Neuste Untersuchungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

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ger, Stefan Ernst und Brian Davies und Brian Leftow erschienen.45 Mit der analytisch-philosophisch orientierten Werkinterpretation von Sandra Visser und Thomas Williams, der transzendentalphilosophisch geprägten Darstellung von Hansjürgen Verweyen, den phänomenologisch akzentuierten Untersuchungen von Michel Corbin und der bemerkenswerten historischen Quellenanalyse Giles Gasper sind vier sehr verschiedene Ansätze zur Anselmdeutung entwickelt worden.46 Die Divergenz ebenso wie die Kombination von analytischen, transzendentalphilosophischen, phänomenologischen und historischen Deutungsansätzen findet sich auch in den neusten Untersuchungen zu Anselms Freiheitsverständnis von Goebel, Orazzo, Ekenberg, Rogers, Schick und Trego wieder.47 Zudem ist in diesen sechs neusten Studien zu Anselms Freiheitstheorie das Anliegen zu erkennen, sie mit modernen und zeitgenössischen philosophischen Freiheitsdiskursen in Verbindung zu bringen, insbesondere mit dem kantischen Verständnis von Freiheit als Autonomie beziehungsweise sittlicher Selbstbestimmung und der analytischen Freiheitsdiskussion.48 Bernd Goebel untersucht in seiner Habilitationsschrift von 2001 „Wahrheit und Freiheit bei Anselm von Canterbury. Eine philosophische Untersuchung seines Denkansatzes“ Anselms Wahrheits- und Freiheitstheorie in ihrem inneren Zusammenhang.49 Anselms Wahrheitstheorie wird dabei als ein theologi45 Rolf Schönberger, Anselm von Canterbury, München 2004; Stephan Ernst, Anselm von Canterbury, Münster 2011; Brian Davies; Brian Leftow, The Cambridge Companion to Anselm, Cambridge 2004. 46 Sandra Visser; Thomas Williams (Ed.), Anselm, Oxford 2009. Siehe auch: Dies., Anselm’s Account of Freedom, in: The Cambridge Companion to Anselm, hg. v. Brian Davies; Brian Leftow, Cambridge 2004, 179–203. Hansjürgen Verweyen, Anselm von Canterbury (1033–1109): Denker, Beter, Erzbischof, Regensburg 2009; Siehe auch: Ders., Einleitung, 7–58; Ders., Anthropologische Vermittlung der Offenbarung: Anselms „Monologion“, in: Fides quaerens intellectum: Beiträge zur Fundamentaltheologie (FS Max Seckler), 1992, 149–158. Michel Corbin, Espérer pour tous. Ètudes sur saint Anselme de Cantobéry, Paris 2006; Giles E.M. Gasper, Anselm of Canterbury and his Theological Inheritance, Aldershot 2004; Siehe auch: Ders., Thinking Afresh About Anselm of Canterbury, in: Archa Verbi 8 (2009), 174–180. 47 Bernd Goebel, Rectitudo. Wahrheit und Freiheit bei Anselm von Canterbury. Eine philosophische Untersuchung seines Denkansatzes, Münster 2001; Antonio Orazzo, Analogia Libertatis. La Libertà tra metafisica e storia in sant’ Anselmo, San Paolo 2003; Thomas Ekenberg, Falling Freely. Anselm of Canterbury on the Will, Uppsala 2005; Katherin A. Rogers, Anselm on Freedom, Oxford 2008; Benedikt Schick, Willensfreiheit bei Anselm von Canterbury. Die Frage nach der Freiheit als Teilproblem des Anselmschen Projekts „fides quaerens intellectum“, Saarbrücken 2008; Kristell Trego, L’Essence de la liberté. La Refondation de l’étique dans l’œuvre de Saint Anselme de Cantobéry, Paris 2010. 48 Ebd. 49  Goebel, Rectitudo, 15–506; Siehe auch: Ders., Anselm von Canterbury über Willensstärke und Willensschwäche, in: Recherches de théologie et philosophie médiévales 8 (2006), 89–121; Ders.; Vittorio Hösle, Reasons, Emotions and God’s Presence in Anselm of Canterburys Dialogue Cur Deus homo, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 87 (2005), 189–210.

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2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage

scher Idealismus gedeutet, in dem das bloß logische und das ontologische Wahrheitsverständnis „in ein normatives Wahrheitsverständnis aufgehoben“ werde.50 Vor diesem Hintergrund wird Anselms Freiheitstheorie in Analogie zu derjenigen von Kant als Theorie selbstbestimmter, sittlicher Gutheit interpretiert.51 Goebel erläutert dabei nicht nur detailliert den geschichtlichen Hintergrund der pelagianischen Kontroverse, sondern auch den des Willens-, Freiheits- und Gnadenverständnisses des frühen und späten Augustin.52 Anselms Freiheitsbegriff wird sodann als Begriff sittlicher Gutheit und Verantwortlichkeit gedeutet, der eine Selbstursächlichkeit des Willens, aber keine Ursachenlosigkeit einschließe, durch einen a-priorischen Beweis begründet werde und beim sittlich guten Menschen und beim sittlich schlechten Menschen verschieden sei.53 Nur der Wille des sittlich guten Menschen habe nach Anselm die Freiheit der Spontaneität und Selbstursächlichkeit, der Wille des sittlich schlechten Menschen dagegen sei aufgrund des fehlendes Maßes heteronom verfasst, so Goebel.54 Im Unterschied zu Kant sei die Autonomie des Menschen bei Anselm jedoch durch ihren Transzendenzbezug theonom begründet.55 Antonio Orazzo trägt mit seiner 2003 erschienenen Monographie „Analogia Libertatis. La libertà tra metafisica e storia in sant’ Anselmo“56 in Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Freiheitsbewusstsein der Postmoderne, das er als nihilistisch deutet, eine theologische Interpretation von Anselms Freiheitsverständnis bei. Dabei zeigt er die Verschränkung von metaphysischen und heilsgeschichtlichen Elementen auf und vertritt die These, dass nach Anselm Freiheit gnadenhaft in der göttlichen Wahrheit gründe.57 Begründet wird dieses Verständnis von Anselms Freiheitstheorie, indem als erstes das in De veritate grundgelegte Prinzip des Rechtseins erläutert wird 58 und sodann die in De liber­ tate arbitrii formulierte Definition der Freiheit als eine dynamische Konzeption inhaltlich positiv bestimmter Freiheit der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes gedeutet wird.59 Weiter wird drittens die Willenskonzeption und die freiheitstheoretische Reflexion des Problems der Sünde erläutert 60 und viertens Anselms Lösung des Problems der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vo50 

Goebel, Rectitudo: 33–212; insbes. 187–212. A.a.O., 213–506; insbes. 363–376. 52  A.a.O., 282–362. 53  A.a.O., 283–506; Siehe auch: 213–282. 54  A.a.O., 377–470; Siehe hierzu auch: Ders., Anselm von Canterbury über Willensstärke und Willensschwäche, 89–121. Hier werden weitere Differenzierungen und Charakterisierungen eingeführt. 55  A.a.O., 471; 503–506. 56 Antonio Orazzo, Analogia Libertatis, 5–178; Siehe auch: Ders., La Libertà come liberatione nella riflessione di Sant’Anselmo, in: Rassegna di teologia 42,3 (2001), 385–410. 57  Orazzo, Analogia Libertatis, 5–14. 58  A.a.O., 23–54. 59  A.a.O., 55–82; vgl. Ders., La Libertà, 385–410. 60  A.a.O., 83–106. 51 

2.3. Neuste Untersuchungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

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rauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln und menschlicher Freiheit im Vergleich mit Origenes kritisch diskutiert.61 Zuletzt wird mit kritischen Anmerkungen zur Methode und Satisfaktionstheorie in Cur Deus homo die Selbsthingabe Christi als Grund und Vorbild menschlicher Freiheit dargestellt.62 Thomas Ekenberg stellt in seiner 2005 erschienenen Dissertation „Falling Freely. Anselm of Canterbury on the Will“ zudem die These auf, Anselm verbinde eine intentionalistische, hierarchische Willenskonzeption mit einer rationalistischen Freiheitskonzeption und formuliere eine kompatibilistische Freiheitstheorie.63 Im Anschluss an eine Analyse der drei Schriften De veritate, De libertate arbitrii und De casu diaboli untersucht er Anselms Willens-, und Freiheitsbegriff vor dem Hintergrund von dessen Metaphysik, Ethik und Sprachphilosophie. Dabei betont er, bei Anselm sei das Moment der Wahl gegenüber dem der Intention beziehungsweise dem Wollen zurückgenommen64 und der Willensbegriff sei rationalistisch als Vermögen in Übereinstimmung mit der Vernunft das Richtige zu wollen bestimmt65 und mit dem Problem des Bösen verbunden.66 Entgegen der Tendenz Anselm als libertarischen Freiheitstheoretiker zu interpretieren weist Ekenberg schließlich auf, dass die Prinzipien alternativer Möglichkeiten und ultimativer Akteurskausalität bei Anselm keine entscheidende Rolle spielen, sondern Verantwortlichkeit anders begründet wird.67 Deswegen argumentiert er dafür, Anselms Freiheitskonzeption kompatibilistisch zu deuten, wobei er aber auch betont, dass das, was in der modernen Debatte als naturkausale Determiniertheit verstanden wird nicht mit dem gleichzusetzen ist, was Anselm als necessitas praecedens bezeichnet.68 Katherin Rogers vertritt in ihrem 2008 erschienenen und umstrittenen Buch „Anselm on Freedom“ hingegen die These, Anselm sei der erste systematische, libertarische Freiheitstheoretiker im Unterschied zu Augustins theologischem Kompatibilismus.69 Ausgehend von der Annahme, dass Anselm einen klassi61  A.a.O.,

107–148. 149–178. 63  Ekenberg, Falling Freely, 11–157; Siehe auch seinen Beitrag zur Differenz von Handlungs- und Willensfreiheit bei Anselm: Ders., Free will and Free Action in Anselm of Canterbury, in: History of Philosophy Quaterly 22,4 (2005), 301–318. 64  A.a.O., 69–73; 110–125. 65  A.a.O., 74–86. 66  A.a.O., 87–125. 67  A.a.O., 83–86; 110–125; 68  A.a.O., 129–157; insbes., 156–157. 69  Rogers, Anselm on Freedom, 1–205; vgl. auch ihre früheren Monographien zu Anselms Schöpfungsverständnis und Neuplatonismus: Dies, The Anselmian Approach to God and Creation, Lewiston 1997; Dies., The Neoplatonic Metaphysics and Epistemology of Anselm of Canterbury, Lewiston 1997; sowie über 20 Aufsätze zu Anselms Freiheitsverständnis, die hier aus Platzgründen leider nicht aufgeführt werden, zumal sie mit den in der Monographie vertretenen Thesen im Wesentlichen übereinstimmen. Zur Kritik an Rogers Interpretation siehe auch: Thomas Williams, Anselm on Freedom, in: Notre Dame Philosophical Reviews, 2009.02.11 (http:;;ndpr.nd.edu;review.cfm?id=15226 26.01.2010 10:57) 62  A.a.O.,

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2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage

schen Theismus und eine neuplatonische Privationstheorie des Bösen vertrete,70 deutet sie Anselms Willenskonzeption als eine eudaimonistische, hierarchische Konzeption freier Wahl.71 Zudem meint sie, nach Anselm sei Freiheit das „Vermögen Gerechtigkeit zu bewahren oder zu verwerfen“72 und impliziere die Prinzipen alternativer Möglichkeiten, ultimativer Akteurskausalität und Verantwortlichkeit.73 Dabei betont sie, dass nach Anselm Gott nicht Urheber des Bösen sei.74 In Bezug auf die Gnadenthematik argumentiert sie schließlich dafür, dass Anselm einen dritten Weg zwischen der augustinischen und der pelagianischen Position vertrete, demzufolge der Affekt zur Gerechtigkeit zwar allein durch die Gerechtigkeit rekonstituiert werde, es aber in der Freiheit des Menschen liege, sie zu gebrauchen und zu bewahren oder aufzugeben.75 Im Hinblick auf die Vorauswissens- und Prädestinationsproblematik deutet sie Anselms Ansatz schließlich als einen eternalistischen Lösungsansatz mit einer vierdimensionalen, eternalistischen Zeittheorie und einem nicht kausalen Verständnis des göttlichen Vorauswissens.76 Dadurch gelangt sie zu den Folgerungen, dass der Mensch nach Anselm ähnlich wie Gott a se frei sei und kausal auf Gott einwirken könne, und dass es Ereignisse gebe, die Gott nicht kontrolliere,77 zumal Gott im Unterschied zu den Geschöpfen nicht im libertarischen Sinne frei sei, sondern „nur“ frei, seinem Wesen gemäß das Beste zu wollen und zu tun.78 Schick formuliert in seiner 2008 erschienenen, kurzen Arbeit ebenfalls eine libertarische Interpretation von Anselms Freiheitstheorie.79 In einer Analyse von De libertate arbitrii werden die zentralen Momente von Anselms Freiheitsverständnis rekonstruiert.80 In Bezug auf die Vorauswissensproblematik werden das modaltheoretische und das zeit- und ewigkeitstheoretische Argument für die Vereinbarkeit pointiert diskutiert.81 Dabei wird die These vertreten, Anselm sei ein libertarischer Indeterminist, der die Offenheit der Zukunft betone.82 Nach einer kurzen Erläuterung von Anselms Diskussion der Prädestinationsund Hugh J. McCann, God, Sin and Rogers on Anselm, in: Faith and Philosophy 26 (2009) 420–431. 70  A.a.O., 30. 71  A.a.O., 70. 72  A.a.O., 59. 73  A.a.O., 4–6. 74  A.a.O., 109. 75  A.a.O., 128–129. 137. 76  A.a.O., 168–169. 77  A.a.O., 183. 78 A.a.O.,185–205. 79 Benedikt, Schick, Willensfreiheit bei Anselm von Canterbury. Die Frage nach der Freiheit als Teilproblem des Anselmschen Projekts „fides quaerens intellectum“, Saarbrücken 2008. 80  A.a.O., 7–37. 81  A.a.O., 38–55. 82  A.a.O., 45–48.

2.3. Neuste Untersuchungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

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problematik wird dessen Auffassung der Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit schließlich in Anlehnung an Rogers als ein nicht-pelagianischer Synergismus gedeutet.83 In der 2010 von Trego veröffentlichen Monographie „L’Essence de la liberté. La Refondation de l’Étique dans l’Oeuvre de Saint Anselme de Cantobéry“ wird Anselms Freiheitsverständnis schließlich philosophiegeschichtlich als ontologische Neubegründung der augustinischen Ethik gedeutet.84 Dabei argumentiert Trego mit zahlreichen geistesgeschichtlichen Kontextualisierungen dafür, dass Anselm, wie später Kant, den antiken Eudaimonismus kritisiere und einen theologisch bestimmten Gerechtigkeitsbegriff in den Mittelpunkt stelle.85 Zudem hebt er in Bezug auf Anselms Wirklichkeitsverständnis hervor, dass er von einer universalen Partizipationsstruktur ausgeht, mit der antiken Substanzontologie bricht und vom Primat der Qualität vor der Substanz sowie des Handelns vor dem Subjekt ausgeht. Dabei betont er, dass Anselm zwar von einer teleologischen Struktur der Wirklichkeit ausgeht, nicht aber vom Satz vom zureichenden Grund.86 So schreibt er Anselm einen ontologischen Indeterminismus zu. Schließlich wird herausgearbeitet, dass Anselm den Menschen als leib-seelisch verfasstes Bild des Seins deute,87 dass er den Willen stärker indeterministisch fasse als Augustin88 und Freiheit dementsprechend als eine bestimmte Freiheit verstehe, die nicht notwendig auf einer absoluten Wahl zwischen gut und böse basiere, diese aber auch nicht ausschließe.89 So wird Anselm als Vorläufer der später bei den Franziskanern und insbesondere bei Duns Scotus vertretenen Indifferenzfreiheit gedeutet.90 Im Folgenden wird Anselms Freiheitsverständnis in Auseinandersetzung mit diesen Deutungen interpretiert werden. Dabei sollen die verschiedenen methodischen Zugänge und zentralen Fragestellungen der Debatte aufgegriffen und diskutiert werden. Das heißt, es wird in der Interpretation sowohl historisch, philosophisch, als auch vor allem theologisch vorgegangen werden. Darüber hinaus soll am Schluss auf die Fragen eingegangen werden, inwiefern Anselms Freiheitsverständnis eine Konzeption theonomer Autonomie darstellt und wie 83  A.a.O.,

56–70. Trego, L’Essence de la liberté, 9–272; vgl. auch die Aufsätze: Ders., De la „loi de Dieu“ à la „volonté de Dieu“: l’etre et son devoir chez Anselme de Cantobéry, in: Revue de théologie et de philosophie 136 (2004), 113–129; Ders., Nature humaine ou acte de volonté?, in: Revue d’ètudes augustiniennes et patristiques 53 (2007;2), 295–313; Ders., „En personne“. La Tradition latine de la morale et l’emergence d’une interrogation éthique dans l’ œuvre de s. Anselme de Cantobéry, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 94 (2010), 421–450. 85  Ders., L’Essence de la liberté, 18–38, insbes. 18 und 35–38. 86  A.a.O., 40–155; insbes., 40; 41–55; 75; 86; 134ff; 150–155. 87  A.a.O., 157–192; insbes. 184 ff. 88  A.a.O., 193–126; insbes. 211–215. 89  A.a.O., 227–259. 90  A.a.O., 260–266. 84 

22

2. Die Verortung in der aktuellen Forschungslage

es in analytischen Kategorien beschrieben werden kann. So werden methodisch verschiedene Stränge der Forschung verbunden und inhaltlich soll die von Corbin, Orazzo und Gwozdz vorgeschlagene systematisch-theologische Interpretation fortgeführt werden. Dadurch soll die Diskussion um Anselms Freiheitstheorie weitergeführt werden.

3. Der methodische Ansatz, die Hauptthese und der Aufbau der Arbeit Zur historisch-systematischen Interpretation und kritischen Diskussion von Anselms Freiheitstheorie wird methodisch im Rahmen eines texthermeneutischen Ansatzes sowohl historisch, philosophisch als auch theologisch vorgegangen. Dabei wird die Hauptthese, dass Anselm eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit entwickelt, von den Quellentexten und ihrem inneren Zusammenhang her aufgezeigt. Entsprechend der Gesamtarchitektur von Anselms Freiheitstheorie wird der interpretatorische Hauptteil der Arbeit in sechs Kapitel unterteilt und der erörternde Schlussteil in drei Abschnitte.

3.1. Das historische, philosophische und theologische Vorgehen Methodisch sollen vor dem Hintergrund des Methodenpluralismus in der aktuellen Anselmforschung und ausgehend von einem texthermeneutischen Ansatz, historische, philosophische und theologische Methoden verbunden werden.1 Historisch wird insofern vorgegangen, als dass die von Schmitt erarbeitete kritische Edition des Gesamtwerks in Latein, als Textbasis genommen wird,2 und die Chronologie, die zeitgeschichtlichen Diskussionskontexte und historischen Quellen von Anselms Schriften mitberücksichtigt werden. Das heißt die Interpretation folgt weitestgehend der Chronologie der theoretischen Schriften Anselms, ohne jedoch eine werkgenetische Rekonstruktion zu sein.3 Gegen 1 

Siehe hierzu: Eileen C. Sweeney, Anselm und der Dialog, in: Klaus Jacobi (Hg.), Gespräche lesen: philosophische Dialoge im Mittelalter, Tübingen 1999, 101–124. 2  Das heißt im Folgenden wird nach der kritischen Edition von F.S. Schmitt zitiert. Die Übersetzungen orientieren sich an denen von von Schmitt, Enders und Verweyen, Ward und Fröhlich. Dort wo es sinnvoll erschien aber ausgehend vom lateinischen Text eigenständig anders übersetzt worden. Siehe hierzu: 0.2.2. Ein wichtiges Hilfsmittel ist zudem: Gillian R. Evans, A Concordance to the Works of Saint Anselm, Bd.  1–3; Millwood 1984. 3  Zur Chronologie der Texte, insbesondere der umstrittenen Datierung von De concordia siehe: Thomas Franz, Die Freiheit des Menschen und die Gnade Gottes. Zur Verhältnisbestimmung von Anthropologie und Theologie in „De concordia“, in: Stephan Ernst; Thomas Franz (Hg.), Sola ratione. Anselm von Canterbury und die rationale Rekonstruktion des Glaubens, Würzburg 2009, 229–234; Franciscus S. Schmitt, Prolegomena seu ratio editio­

24

3. Der methodische Ansatz, die Hauptthese und der Aufbau der Arbeit

eine werkgenetische und für eine systematische Interpretation spricht, dass es zwar deutliche Akzentverschiebungen, aber keine wesentlichen Brüche, Revisionen oder Inkonsistenzen in seiner Freiheitstheorie gibt. So sollen zeitgeschichtlichen Kontexte einbezogen werden, indem auf Diskussionen im Umfeld seines Schülerkreises und bei späteren Denkern seiner Zeit eingegangen wird.4 Außerdem werden die patristischen und antiken philosophischen Quellen, die Anselm vermutlich zur Verfügung standen, als geistesgeschichtlicher Hintergrund berücksichtigt werden.5 Der sozialgeschichtliche Kontext der libertas ec­ clesiae-Bewegung und des englischen Investiturstreits wird jedoch nicht explizit erläutert, da dies eine zu umfangreiche historische Untersuchung erfordern würde und der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem philosophischen und theologischen Gehalt von Anselms Freiheitstheorie liegt.6 nis, in: S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Vol.  1, hg. v. Dems., Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 40–131. 4  Das heißt, freiheitstheoretische Überlegungen von Anselms Lehrer Lanfrank und Anselms „Schülern“ Anselm von Laon, Honorius Augustodunensis und Gilbert Crispin sowie von etwas späteren Denkern wie Berhard von Clairveaux, Peter Abaelard und Hugo von St. Victor sowie von jüdischen und islamischen Denkern des Frühmittelalters sollen an entscheidenden Stellen in der Interpretation mitbeachtet werden. Siehe hierzu insbesondere: Southern, Saint Anselm, 166–381; John Marenbon, Medieval Philosophy. An Historical and Philosophical Introduction, London 2007; David Burrell, Freedom and Creation in the Three Traditions, Notre Dame (Indiana) 1993; Ders., Faith and Freedom. An Interfaith Perspective, Malden u. a. 2004; Ders., Towards a Christian-Jewish-Muslim Theology, Oxford 2011; Siehe hierzu auch: Julia Gauss, Anselm von Canterbury. Zur Begegnung und Auseinandersetzung der Religionen, in: Saeculum 17 (1966), 277–363; Dies., Anselm und die Islamfrage, in: Theologische Zeitschrift 19 (1963), 250–272. Zur Schilderung der re­ spekt­vollen Begegnung Anselms mit Muslimen auf seiner Reise durch Capua 1098 siehe: Eadmer, Vita Anselmi II,33 (L’œuvre 9), 339–340. 5  Gasper, Anselm and his Theological Inheritance, 1–209; insbes. 97–99; 201–209. Dadurch wird deutlich, wie sehr Anselms Freiheitstheorie, trotz spärlicher expliziter Zitate, vom altkirchlichen Erbe, insbesondere der Theologie Augustins geprägt ist, und auch in Auseinandersetzung mit antiken philosophischen Konzeptionen, insbesondere von Plato, Aristoteles, Cicero und insbesondere Boethius, entwickelt worden ist, sowie im Gespräch mit ostkirchlichen Denkern vor allem Origenes, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz. Ebd.; Siehe hierzu auch: Susanne Hausamann, Der umgeworfene Spiegel. Grundprobleme der Willensfreiheit in der orthodoxen Tradition des Ostens im Vergleich mit den Westkirchen, Neukirchen-Vluyn 2009. 6  Siehe hierzu jedoch: Southern, Saint Anselm, 277–364; Markus Enders, Nichts liebt Gott mehr als die Freiheit seiner Kirche. Anselm von Canterburys Verständnis der Kirche, kirchlicher Lebensformen und des Verhältnisses der kirchlichen und weltlichen Gewalt, in: Church as Politeia. The Political Selfunderstanding of Christianity, hg. v. u. a. Christoph Stumpf, Berlin 2004, 29–68; Rudolf Schieffer, Freiheit der Kirche: vom 9 bis zum 11. Jahrhundert, in: Abendländische Freiheit vom 10.-14. Jahrhundert Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich. hg. v. J. Fried, Siegmaringen 1991, 49–66; Brigitte Szabo-Bechstein, „Libertas ecclesiae“. Verbreitung und Wandel des Begriffs seit seiner Prägung durch Gregor VII, in: Abendländische Freiheit vom 10.–14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich. hg. v. J. Fried, Sigmaringen 1991, 107–151.

3.2. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit

25

Zugleich wird philosophisch vorgegangen werden, indem Anselms Definition des Freiheitsbegriffs vor dem Hintergrund der ihm bekannten aristotelischen Begriffslogik analysiert wird.7 Dabei werden auch seine Überlegungen zu Freiheit und dem Problem des Bösen im Zusammenhang mit ihren Anleihen aus der neuplatonischen Privationstheorie erläutert und seine Lösung zum Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit in ihrer argumentativen Struktur rekonstruiert. Schließlich sollen in der gesamten Interpretation die Gehalte und Strukturen seiner Argumente, der Sinn und die Funktion seiner Analogiebeispiele und die phänomenologischen Beschreibungen des Willens und verschiedener Weisen des Freiseins untersucht werden. Dies ermöglicht, Anselms Anspruch ernst zu nehmen, sein Freiheitsverständnis rational zu begründen und argumentativ zu entfalten und es damit nicht nur rhetorisch, narrativ oder metaphorisch zu plausibilisieren. Schließlich wird bei der Interpretation von Anselms Freiheitsverständnis auch theologisch vorgegangen, indem die trinitarisch-heilsgeschichtliche Gesamtstruktur beachtet, biblische Bezüge berücksichtigt und genuin theologische Gehalte nicht methodisch ausgeklammert werden.8 Vor allem wird methodisch nicht ausgehend von klassischen modernen Theorien der Auto­nomie des sittlichen Subjekts beziehungsweise der Selbstbestimmung der individuellen Person oder von analytischen Standardkonzeptionen kompatibilistischer beziehungsweise libertarischer Freiheit untersucht werden, ob oder inwiefern sie sich bei Anselm finden. Vielmehr soll ausgehend von Anselms Texten, Begriffen und Argumenten selbst sein Verständnis von Freiheit hermeneutisch freigelegt und erst am Schluss in seiner eigenen Charakteristik mit anderen Freiheitskonzeptionen ins Verhältnis gesetzt werden. Durch diese theologische Rekontextualisierung lassen sich auch bestimmte Schwierigkeiten, die Anselms Freiheitsdefinition und seine These der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit betreffen, klären.

3.2. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit Die Hauptthese der Arbeit lautet, dass Anselm eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit entwickelt, die analytisch als ein modifizierter theologischer Kompatibilismus beziehungsweise Kompossibilismus 7  Vgl. hierzu: Kane, Anselm’s Doctrine, 119–158; Goebel, Rectitudo, 365–502; Rogers, Anselm on Freedom, 55–124; Ekenberg, Falling Freely, 69–86; Trego, L’Essence de la liberté, 227–272. 8  Siehe: Michel Corbin, Espérer pour tous, 7–240; Ders., Necessité et liberté. Sens et structure de l’argument du Cur Deus homo d’Anselme de Cantobéry, in: Ders., La Liberté de Dieu. 4 Études sur l’oeuvre d’Anselme de Cantobéry, Paris 1980, 42–85; Orazzo, Analo­ gia libertatis, 5–178; Ders., La Libertà come liberatione, 385–410; Thomas Gwozdz, Anselm’s Theory of Freedom, in: The Saint Anselm Journal 7.1 (2009), 62–74.

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3. Der methodische Ansatz, die Hauptthese und der Aufbau der Arbeit

charakterisiert werden kann und geschichtlich eine konstruktive Weiterführung des biblisch-augustinischen Erbes darstellt. Die Annahme, dass Anselm eine gnadentheologisch begründete Freiheitskonzeption formuliert, legt sich aus mehreren Gründen nah. Zum einen spricht dafür, dass schon in den theologisch-anthropologischen Grundlagen im Monologion und Proslogion in einem weiten schöpfungstheologischen Sinne betont wird, dass der Mensch alles, was er ist und hat, von Gott empfangen hat. Damit wird geschöpfliche Freiheit als Werk und Gabe von Gottes gnadenhaftem Schöpfungshandeln betrachtet.9 Zum anderen spricht dafür, dass in Cur Deus homo und der Meditatio redemptionis humanae in einem konkreten christologisch-soteriologischen Sinne hervorgehoben wird, dass der Mensch ohne das gnadenhafte Befreiungshandeln Christi nicht frei werden kann, wirklich seine geschöpfliche Freiheit zum Guten zu gebrauchen.10 Schließlich spricht für diese Annahme, dass in Anselms genuin gnadentheologischer Schrift De concordia unterstrichen wird, dass auch die Überlegungen zur natürlichen Freiheit in De libertate arbitrii in einem gnadentheologischen Horizont zu sehen sind und dass der Mensch nur aufgrund und mithilfe von Gottes vorausgehendem und nachfolgendem Gnadenhandeln wahrhaft frei werden und bleiben kann, seine geschöpfliche Freiheit zum Guten zu gebrauchen. So gilt sie aufgrund von Gottes gnadenhaftem Erlösungs- und Vollendungshandeln als eine Gabe, die einem von nichts und niemand mehr genommen werden kann.11 Die Konzeption von Freiheit, die Anselm in diesem gnadentheologischen Gesamthorizont entfaltet, kann meiner Ansicht nach als transautonom bezeichnet werden.12 Das bedeutet, dass sie nicht nur ethisch subjektbezogenen Charakter hat, sondern darüber hinaus religiösen, relationalen Charakter, da sie wesentlich in dem von Gott gegebenen Vermögen besteht, die innere Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen um ihrer selbst willen zu bewahren. Hierfür spricht, dass das höchste Gute im Monologion und Proslogion theologisch in Gott gesehen wird, und dass die wesensgemäße Zielbestimmung des Menschen nicht als selbst konstituiert, sondern als vom Schöpfer geschenkt gilt.13 Zudem spricht dafür, dass in De libertate arbitrii Freiheit nicht als ein selbstur9  ML 65–80 (SI), 75,18–87,13; PL 1–26 (SI), 93,2–122,2; insbes. PL 1 (SI), 97,3–100,19; PL 24–26 (SI), 117,24–12,2; 10 CDH I,1-II,22. (SII), 38,1–133,15; M III (SIII), 84,1–91,211; vgl.: Corbin, Espérer pour tous, 55–110; und Orazzo, Analogia libertatis, 149–178; Ders., La Libertà, 385–410. 11  DLA 1–14 (SI), 205,1–226,21; DC I,6 (SII), 255,30–257,27; Siehe hierzu insbesondere auch: Toru Ingu, Über die Gnade und die Willensfreiheit, in: Kwansei Gakuin University Annual Studies 10 (1961), 1–15; und Thomas Williams, „God Who Sows the Seed and Gives the Growth: Anselm’s Theology of the Holy Spirit“, in: Anglican Theological Review 89 (2007), 611–27. 12  Siehe zu diesem Begriff: Achtner, Willensfreiheit, 211–218; vgl.: Goebel, Rectitudo, 213–506; insbes. 363–376; 503–508. 13  ML 65–80 (SI), 75,18–87,13; PL 1–26 (SI), 93,2–122,2; insbes. PL 1 (SI), 97,3–100,19; PL 24–26 (SI), 117,24–12,2;

3.2. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit

27

sächliches Initiierungsvermögen gegenüber der Natur, sondern als ein responsives Bewahrungsvermögen in Beziehung zu Gott verstanden wird, und dass der Grundkonflikt der Freiheit nicht bloß als sittlicher Konflikt zwischen Handeln aus Einsicht in die Pflicht oder Handeln aus natürlichen Trieben gedeutet wird, sondern als ein religiöser Konflikt zwischen der Bewahrung der inneren Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen oder ihrer Aufgabe.14 Damit vertritt Anselm weder eine standard-libertarische noch eine standard-kompatiblistische Freiheitskonzeption. Weder gilt bei ihm eine selbstverursachte, willkürliche Wahl zwischen alternativen Möglichkeiten als freiheitskonstitutiv noch ein zwangloser, aufgrund des eigenen Charakters rational begründeter Willensakt bereits per se als aktual frei.15 Seine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit ist vielmehr vereinbar mit der Annahme der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken. Analytisch kann sie deswegen als ein theologischer Kompatibilismus beziehungsweise treffender noch als ein Kompossibilismus bezeichnet werden. Das bedeutet, dass nach Anselm Gott und menschliche Freiheit nicht nur als zwei vereinbare Größen gelten. Vielmehr zeichnet sich seine Konzeption durch die Annahme aus, dass die Möglichkeit ihrer Vereinbarkeit durch die Wirklichkeit von Gottes Freiheit bedingt ist. Das freie Wirken Gottes gilt nach Anselm als der unbedingte, schöpferische Grund der bedingten, geschöpflichen Freiheit des Menschen und ihrer Vereinbarkeit mit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch das freie und freimachende Wirken Gottes, sowie mit den von Gott frei geschaffenen, bedingten Gesetzen der Natur in Raum und Zeit. Diese These, dass der Mensch aufgrund des freien Wirkens Gottes frei sein kann in Übereinstimmung mit Gott, seinem eigenen Wesen und der geschaffenen Natur, wird von Anselm vom Monologion und Proslogion an bis hin zu De concor­ dia argumentativ begründet.16 Damit stellt Anselms Freiheitskonzeption geschichtlich keine Mäßigung, sondern ausgehend von einer Reflexion zentraler biblischer Aussagen eine kritische, weiterführende, rationale Neubegründung der Augustinischen Freiheits- und Gnadenlehre dar.17 Er integriert in seine Freiheitstheorie zum einen 14 

DLA 1–14 (SI), 205,1–226,21; DC III,7–10 (SII), 273,8–278,25. Diskussion siehe: Gasper, Anselm and his Theological Inheritance, 5–42; aber auch: Bäumker, Anselms Lehre, 68–78; Lohmeyer, Die Lehre vom Willen, 57–70; Goebel, Rectitudo, 283–362; Rogers, Anselm on Freedom, 30–54; Trego, L’Essence de la liberté, 227–266. 16  ML 1–80 (SI), 13,3–87,13; insbes. ML 65–80 (SI), 75,18–87,13; PL 1–26 (SI), 93,2– 122,2; insbes. PL 1 (SI), 97,3–100,19; PL 24–26 (SI), 117,24–12,2; DC I,1-III,14 (SII), 245,1– 288,19. 17  Zur Diskussion siehe: Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192; und Kane, Anselm’s Doctrine, 61–158; vgl. Ekenberg, Falling Freely, 127–152; Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 164–182., insbes. 180; und: Hopkins, Anselm on Freedom, und 471– 486; Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 297–316. 15 Zur

28

3. Der methodische Ansatz, die Hauptthese und der Aufbau der Arbeit

die frühe, neuplatonisch und schöpfungstheologisch geprägte Einsicht Augustins, dass der Mensch ursprünglich aufgrund des Missbrauchs seines gut geschaffenen, freien Willens- und Wahlvermögens für das Böse, dass er will und tut, selbst verantwortlich ist, und nicht, wie etwa im Manichäismus angenommen wird, aufgrund eines bösen Prinzips oder einer bösen Natur dazu gezwungen wird.18 Zugleich betont er aber auch dessen spätere, paulinisch inspirierte Einsicht, dass der Mensch nur aufgrund und mithilfe von Gottes vorausgehendem und nachfolgendem Gnadenhandeln wahrhaft frei sein kann, seine Freiheit zum Guten zu gebrauchen, und nicht, wie im Pelagianismus und Semipelagianismus angenommen wird, auch aus sich selbst oder der menschlichen Natur heraus.19 Kritisch folgert Anselm, dass Freiheit dann aber nicht unbestimmt oder ambivalent als „Vermögen zu sündigen oder nicht zu sündigen“ definiert werden kann, sondern eindeutig als „Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren“ zu verstehen ist.20 Indem Anselm den Begriff der Freiheit vom Prinzip des Rechtseins in Relation zum höchsten Guten und nicht vom liberum arbitrium her bestimmt, formuliert er eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit, die in ihrer rationalen Fassung theologie- und philosophiegeschichtlich eine Besonderheit darstellt.

3.3. Die Gliederung entsprechend der Gesamtarchitektur von Anselms Werk Der interpretatorische Hauptteil der Arbeit gliedert sich entsprechend der theologischen Gesamtarchitektur von Anselms Freiheitstheorie – und weitestgehend auch der Chronologie der freiheitstheoretisch relevanten Schriften – in sechs Kapitel. Im ersten Kapitel (1.) werden die im Monologion und Proslogion sowie in De concordia III,11–13 von Anselm formulierten trinitarisch akzentuierten schöpfungstheologischen Grundlagen seines Freiheitsverständnisses dargelegt.21 Im zweiten Kapitel (2.) wird erläutert, wie in De veritate und De libertate von Anselm das Wesen der Freiheit vor dem Hintergrund der Analyse des Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriffs definiert und erfahrungsbezogen beschrieben wird.22 Danach wird im dritten Kapitel (3.) auf Anselms Überlegungen zu Freiheit und dem Problem des Bösen in De casu diaboli und De conceptu virginali eingegangen.23 Anschließend wird im vierten Kapitel (4.) erläutert, wie in den zeitgleich entstandenen Texten Cur Deus homo, und vor allem der Meditatio re­ demptionis humanae, die Aufrichtung des Willens und die Verwirklichung der 18 

DLA 1–9 (SI), 207,1–221,32; DC III,1–14 (SII), 263,1–288,19. DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32; DC III,1–14 (SII), 263,1–288,19. 20  DLA 1–3 (SI), 207,1–212,23; DLA 13–14 (SI), 225,1–226,21. 21 ML Prol.-80; SI 5,1–87,13; PL Prooem.-26 (SI), 93,3–122,2. 22 DV Praef.-13 (SI), 173,1–199,29; DLA 1–14 (SI), 205,1–226,21. 23  DCD 1–28 (SI), 231,1–276,15; DCV 1–29 (SII), 137,1–173,7. 19 

3.3. Die Gliederung entsprechend der Gesamtarchitektur von Anselms Werk

29

Freiheit christologisch begründet wird.24 Im fünften Kapitel (5.) geht es sodann um die Lösung der Dilemmata der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit die er in seiner letzten Schrift De concordia I-II entwickelt.25 Schließlich wird im sechsten Kapitel (6.) untersucht, welche Lösung Anselm in De concordia III in Bezug auf das Dilemma der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Gnadenhandeln und menschlicher Freiheit formuliert.26 Dabei wird aufgezeigt, dass die gnadentheologische Lösung nicht nur den Abschluss, sondern auch die theologische Grundlegung und den Gesamthorizont seiner Freiheitstheorie darstellt. Im Schlussteil geht es um die kritische Diskussion der Bedeutung von Anselms Konzeption begnadeter Freiheit im Kontext der Gegenwart. Dazu wird zunächst (1.) der Frage nachgegangen, wie Anselms Freiheitstheorie aus Sicht der Gegenwart historisch, philosophisch und theologisch charakterisiert und verortet werden kann. Außerdem (2.) wird die Kritik, die im Kontext der modernen Forschung an Anselms Freiheitstheorie vorgebracht worden ist, exemplarisch diskutiert. Zuletzt (3.) wird ein Vorschlag formuliert, worin die bleibende beziehungsweise neu zu entdeckende Bedeutung von Anselms Freiheitstheorie gesehen werden kann.

24 CDH Praef.-II, 42,1–133,15; M III (SIII), 84–91; DIV 1–16 (SII), 3,1–35,18; DPSS 1–16 (SII), 177,1–219,29. 25  DC I,1-II,3 (SII), 245,1–262,22. 26  DC III,1–14 (SII), 263,1–288,19.

II.

Hauptteil: Historisch-systematische Interpretation von Anselms Freiheitstheorie

1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption Anselms Freiheitstheorie wird in den schöpfungstheologischen Überlegungen des Monologion und Proslogion grundgelegt.1 Sie beginnt mit der Frage nach dem Woher des Guten. Sie geht zuerst der Frage nach dem höchsten Guten, dem Grund von allem, was ist und gut ist nach.2 In der Reflexion des Daseins, des Wesens und unermesslichen Wertes des höchsten Guten wird zudem die Annahme begründet, dass Freiheit wesentlich Freiheit von Gott her und in Beziehung auf Gott hin ist.3 Das meint zum einen, dass nach Anselm Freiheit vor allem Gott in seiner Dreieinigkeit zukommt, als dem, der allein nur aus sich selbst heraus, in vollkommener, ewiger Übereinstimmung mit sich selbst existiert, unbegrenzt durch die von ihm selbst geschaffenen Gesetze der Wirklichkeit.4 Zum anderen bedeutet dies, dass so, wie Gott allein als unbedingt, beziehungsweise nur durch sich selbst bedingt frei gilt, umgekehrt alle anderen vernunftbegabten Wesen als von Gott her bedingt frei geschaffen gedeutet werden, sowie als frei im Rahmen der geschaffenen Gesetze der Wirklichkeit.5 Dass der Mensch sich selbst in diesem Rahmen als von Gott her bedingt frei geschaffen erkennen kann, wird schließlich durch Überlegungen zur trinitarisch gottebenbildlich geprägten Struktur des menschlichen Geistes, der wesensgemäßen Bestimmung des Menschen und der entsprechenden personalen Lebensvollzüge begründet.6 Dadurch wird eine qualitative, ontologische Differenz und Relation zwischen dem unbedingten, schöpferischen Freisein Gottes und dem bedingten geschöpflichen Freisein des Menschen markiert. Dass der Mensch unter dieser Bedingung sein Leben frei vollziehen kann, wird von Anselm schließlich durch Überlegungen zum personalen Wollen, Wählen und Handeln des Menschen ausgeführt und in späteren Schriften, insbesondere in De concordia, ergänzt.7

1 

ML 1–80 (SI), 75,18–87,13; PL 1–26 (SI), 93,2–122,2. ML 1–8 (SI), 13,1–24,6; vgl. PL 1–5 (SI), 97,1–104,17. 3  ML 1–80 (SI), 75,18–87,13; PL 1–26 (SI), 93,2–122,2. 4  ML 22 (SI), 49,26–40,5; vgl. DLA 1 (SI), 207,11–209,6; DLA 14 (SI), 226,3–7. 5 Ebd. 6  ML 64–80 (SI), 75,18–87,13; PL 24–26 (SI), 117,24–122,2. 7  DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19. 2 

34

1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

Diese schöpfungstheologischen Grundlagen von Anselms Freiheitskonzeption werden im Folgenden in zwei Schritten erläutert werden. Als Erstes (1.1.) werden die theologisch-ontologischen Grundlagen dargestellt. Im Anschluss daran werden als Zweites (1.2.) die anthropologischen Grundlagen erläutert, wobei zunächst (1.2.1.) auf seine Beschreibung des Wesens des Menschen eingegangen wird und danach (1.2.2.) auf seine Analyse der natürlichen geistigen Vermögen des vernunftbegabten Wollens und Wählens sowie des Handelns.

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption Mehrfach wird in De libertate arbitrii auf die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption verwiesen. Zu Beginn von De libertate arbitrii 1 wird die überlieferte, von Origenes aber auch von Augustin und seinen semipelagianischen Gegnern verwendete, ambivalente Definition von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ mit dem Argument abgelehnt, dass dann Gott und gute Engel nicht frei seien.8 Anselm fügt hinzu, dass es absurd sei, anzunehmen, dass Gott als das höchste Gute und höchste Wesen nicht vollkommen frei genannt werden könne. Vielmehr sei davon auszugehen, dass Gott im höchsten und eigentlichen Sinne frei sei.9 Zudem leitet Anselm die neue Definition des Freiheitsbegriffs in De libertate arbitrii 3 über die Frage nach dem Sinn der Freiheit, das heißt dem höchsten Guten und letzten Ziel, um dessen willen Gott sie dem Menschen ursprünglich gegeben hat, her.10 Schließlich wird in De libertate arbitrii 14 unterschieden, dass nur Gott an und für sich selbst auf weder geschaffene noch empfangene Weise frei ist, alle anderen vernunftbegabten Wesen hingegen von Gott her auf geschaffene und empfangene Weise.11 Damit wird auf die theologisch-ontologischen Grundlagen zurückverwiesen, die im Monologion und Proslogion ausführlich reflektiert werden. Da sie für die Freiheitskonzeption eine konstitutive und differenzierende Bedeutung haben, sollen im Folgenden die fünf freiheitstheoretisch bedeutsamen Aspekte dargestellt werden.12 8 

DLA 1 (SI), 207,11–13. Siehe: Ebd. 10  DLA 3 (SI), 211,2–212,23. 11  DLA 14 (SI), 226,6–8. 12  Siehe hierzu: Visser; Williams, Anselm, 59–148; Rogers, Anselm, 185–205; Corbin, Saint Anselme, 45–196; Goebel, Rectitudo, 97–212; Trego, L’Essence de la liberté, 40– 155; Siehe auch: Felix B.A. Asiedu, From Augustine to Anselm: the Influence of De Trinitate on the Monologion, Turnhout 2012; Verweyen, Anthropologische Vermittlung der Offenbarung, 149–158; Barth, Fides quaerens intellectum, 73–174; Ingolf Dalferth, Gott. Philosophisch-theologische Denkversuche, Tübingen 1992, 51–94; Jean-Luc Marion, L’Argument relève-t-il de l’ontologie?, in: Archivo di filosophia 58 (1990),43–69; Engelbert Recktenwald, Das id quo maius cogitari non potest als rectitudo. Anselm’s Gottesbeweis im Licht von De veritate, in: Anselm Studies 3 (1996), 135–159; Logan, Reading Anselm’s „Pros­ 9 

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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Dass heißt, als Erstes (1.1.1.) soll aufgezeigt werden, wie nach Monologion 1–4 und Proslogion 2–4 und 24–25 das summum bonum als der letzte Grund und höchste Bezugspunkt der Freiheit gesehen wird. Als Zweites (1.1.2.) wird erläutert, wie Monologion 5–14 zufolge sich die Freiheit des höchsten Wesens in seinem gütigen schöpferischen und providentiellen Handeln zeigt. Als drittes (1.1.3.) wird herausgearbeitet, dass Freiheit nach Monologion 15–17 und Proslogi­ on 5–22 in einem bestimmten Sinne auch und vor allem als eine Eigenschaft des höchsten Wesens gelten kann. Als Viertes (1.1.4.) soll zudem erläutert werden, in welchem Sinne sich nach Monologion und Proslogion 13–22 in der Allgegenwärtigkeit und Abwesenheit des höchsten Geistes die Unendlichkeit seiner Freiheit verdeutlicht. Als Fünftes (1.1.5.) wird schließlich dargelegt, inwiefern sich Monologion 29–63 und Proslogion 23 zufolge in der Dreieinigkeit des höchsten Wesens die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit der Freiheit Gottes zeigt.

1.1.1. Das höchste Gute als letztes Ziel und erster Grund der Freiheit Indem Anselm die Frage nach dem Wesen der Freiheit in De libertate arbitrii 3 über die Frage nach ihrem Sinn und Bezug zum höchsten Guten und letzen Ziel des Wollens herleitet, rekurriert er auf vorangehende Überlegungen zum höchsten Guten, die in Monologion 1–4 und 69–70 sowie Proslogion 1–4 und 24–26 formuliert worden sind.13 Markanter Weise ist im Zusammenhang der Erwägung des unermesslichen Wertes des höchsten Gutes und der Beschreibung des Genusses und der Liebe zu diesem höchsten Guten in Monologion 69– 70 und Proslogion 24–25 bereits erstmalig die Rede vom Freisein des Menschen. Und zwar wird in Monologion 69 das ewige, glückselige Leben im unverlierbaren Genuss des höchsten Guten antizipierend als ein Leben „frei von entweder Furcht vor oder von Leiden an der Unterwerfung durch Schaden und von Täuschung durch falsche Sicherheiten“ beschrieben.14 Das Leben im Genuss des höchsten Gutes, das frei von Furcht vor und Leiden an Übeln und von Täulogion“, 1–25; 85–202; Brian, Davies, Anselm and the Ontological Argument, in: The Cambridge Companion to Anselm, hg. v. Dems.; Brian Leftow, Cambridge, 2004, 157–178; Friedrich Hermanni, Metaphysik, Tübingen 2011, 43–66; insbes. 43–49; Peter Knauer, Anselms Geschöpflichkeitsbeweis, in: Zeitschrift für katholische Theologie 132 (2010), 165– 181; und insbesondere Lydia Schumacher, The Lost Legacy of Anselm’s Argument. Re-thinking the Purpose of the Proofs for the Existence of God, in: Modern Theology 27 (2011), 87–101. 13  Siehe: ML 1–4 (SI), 13,1–18,3; ML 69–70 (SI), 79,11–81,6; PL 1–4 (SI), 97,1–104,7; PL 24–26 (SI), 117,24–122,2. 14  ML 69 (SI), 79,29–80,2. Dort heißt es: „Wer auch immer, nämlich, während er lebt, entweder sich fürchtet oder daran leidet, dass er Schaden unterworfen wird, oder durch falsche Sicherheit getäuscht wird – wie lebt er, wenn nicht elend? Wenn jemand aber davon frei lebt, lebt er glückselig.“ („Quisquis enim, dum vivit, aut timendo aut patiendo molestis subiacet aut falsa securitate fallitur: quid nisi misere vivit? Si autem ab iis liber vivit beate vivit.“).

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

schung durch falsche Sicherheit ist, gilt dabei als Inbegriff des glückseligen Lebens. Umgekehrt gilt das Leben, das in Furcht vor und Leiden an Übeln und in Täuschung durch falsche Sicherheit gefangen ist, als Inbegriff des elenden Lebens.15 Damit wird Freiheit zunächst in Antizipation des eschatologischen Genusses des höchsten Gutes thematisiert, zum einen im Sinne negativer Freiheit von dem, was ein elendes Leben ausmacht und zum anderen im Sinne positiver Freiheit zu dem, was ein glückseliges Leben ausmacht. In ähnlicher Weise ist in Proslogion 25 im Zusammenhang der Erwägung des unvergleichlich großen Wertes des höchsten Gutes und der Freude, die mit seinem mehr als genügenden Genuss letztendlich verbunden ist, die Rede vom Freisein des Menschen. Dabei wird in einem sehr elementaren Sinn von der „Freiheit des Körpers“ (libertas corporis) gesprochen, die im ewigen, glückseligen Leben als unvergleichlich größer erachtet wird, als im irdischen Leben.16 In beiden Kontexten, in denen die willentliche Ausrichtung und die Liebe zum höchsten Guten thematisiert wird, ist jedoch nicht nur die Rede von Freiheit, sondern es wird am Ende des Monologion und am Ende des Proslogion bereits der Sache nach das beschrieben, was später in De libertate arbitrii 3 und 13 als Freiheit definiert wird.17 In Monologion 69–70 wird nämlich die bleibende, immer fortwährende Liebe zum höchsten Gut als etwas beschrieben, das gegeben und empfangen wird, und – solange es bewahrt wird – durch nichts und niemand wieder genommen werden kann.18 Damit wird Freiheit als ein responsives Treuevermögen zum höchsten Guten in den Blick genommen. In Proslogion 25 wird schließlich im Zusammenhang der Erwägung, dass alle erdenklichen, erstrebenswerten Güter in unvergleichlich größerer Weise in dem einen, einfachen höchsten Guten enthalten sind noch deutlicher das Wesen der Freiheit, ohne Nennung des Namens, beschrieben.19 Neben sinnlichen Gütern wie Schönheit, Leiblichkeit, Gesundheit, Sättigung, Trunkenheit und Wohlklang, werden dort nämlich geistige Güter wie Weisheit, Freundschaft, Übereinstimmung, Vermögen, Ehre und Reichtum und wahre Sicherheit, das heißt Gewissheit, als auf unermesslich größere Weise in dem einen, einfachen, höchsten Guten enthalten dargestellt.20 Interessanterweise wird dasjenige, was in geistigen Gütern in Antizipation des letztendlichen Genusses des höchsten Gutes erstrebt und erfahren wird, später als Freiheit bezeichnet.21 Damit wird in der Freiheit, auch wenn sie nicht explizit genannt wird, der Inbegriff aller geistigen Güter in ihrer Einheit und höchsten Vollendung gesehen. Zudem wird das We15 

Siehe: Ebd. PL 25 (SI), 118,20–23. 17 Siehe: ML 69–70 (SI), 79,11–81,6; PL 24–26 (SI), 117,24–122,2; vgl. DLA 3 (SI), 212,19–23; DLA 13 (SI), 225,1–32. 18  Siehe: ML 69–70 (SI), 79,11–81,6. 19  Siehe: PL 25 (SI), 118,20–119,19. 20  Siehe: Ebd. 21  Siehe: ML 25 (SI), 119,4–19; vgl. DLA 3 (SI), 212,19–23; DLA 13 (SI), 225,1–32. 16 

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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sen der Freiheit dadurch auch von Anfang an relational gefasst und qualitativ bestimmt, indem es in der vollkommenen Relationalität gesehen wird, im Sinne der vollkommenen Weisheit, Liebe, Übereinstimmung, Macht und wahren Gewissheit, aufgrund und durch Gott selbst, sowie mit sich selbst, und den anderen, um Gottes willen.22 So werden das höchste Gute und die in seinem Genuss enthaltene Freude zugleich als letztes Ziel der Freiheit erwogen.23 Zugleich wird am Beginn des Monologion und Proslogion das höchste Gute aber auch als letzter Grund von allem, was ist und gut ist und somit auch der Freiheit beschrieben. Dabei wird in Monologion 1–4 und Proslogion 1–4 die Frage gestellt, ob es überhaupt ein höchstes Gutes gibt. Durch ein ethisch-kosmologisches Argument neuplatonischer Provinienz beziehungsweise durch ein epistemologisch-ontologisches Argument augustinischer Herkunft wird sodann die Annahme begründet, dass es ein einziges höchstes Gutes, beziehungsweise etwas, „worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, notwendig wirklich, das heißt wahrhaft gibt.24 Dabei geht es nicht darum, zu beweisen, dass das höchste Gute beziehungsweise „das worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, genau auf dieselbe Weise, wie alles andere, das ist, existiert – bloß notwendig, wie Gaunilo und andere Kritiker meinen.25 Vielmehr geht es darum, zu beweisen, dass es schlechthin notwendig ist, dass ein höchstes Gutes ist, das allein einzigartig, wirklich, schlechthin notwendig existiert und Grund von allem anderen ist, das ist und gut ist.26 Dabei kann in diesem Rahmen die Gültigkeit und Schlüssigkeit der Argumentation nicht im Detail diskutiert werden.27 Freiheitstheoretisch be22  Siehe: PL 25 (SI), 118,4–12. Dort wird betont, dass Menschen im letztendlichen Genuss des höchsten Gutes, mehr noch als in jetziger Freundschaft (amicitia), „Gott mehr lieben werden als sich selbst, und sich gegenseitig gleich, wie sich selbst, und Gott jene mehr als jene sich selbst, weil sie Ihn und sich und einander durch Ihn und Er sich und sie durch sich selber“ lieben wird, dass sie mehr noch als in jetziger Übereinstimmung (concordia), „alle eines Willens sein werden, weil keiner von jenen sein wird, wenn nicht allein des Willens Gottes“, und dass mehr noch als in jetziger Macht (potestas) „alle ihres Willens allmächtig sein werden, wie Gott des seinen. Denn so, wie Gott durch sich selber kann, was er will, so werden jene durch Jenen können, was sie wollen, weil, so wie jene nicht anders wollen werden, als was Jener, so wird Jener wollen, was auch immer jene wollen, und was Jener will, wird nicht nicht sein können.“ 23  Siehe hierzu auch: Paul Gilbert, Création, péché et joie, in: Rivista di storia della filososofia 3 (1993), 497–512. 24  ML 1–4 (SI), 13,1–18,3; PL 1–4 (SI), 97,1–104,7; Siehe hierzu auch: Logan, Reading Anselm’s Proslogion, 7–24; Goebel, Rectitudo, 97–118. 25  Siehe: PL Sumptum, 124,1–139,12. 26  Siehe: ML 5–9 (SI), 18,4–24,20; PL 5 (SI), 104,9–17. 27  Siehe hierzu jedoch: Logan, Reading Anselm’s „Proslogion“, 85–202; Davies, Anselm and the Ontological Argument, 157–178; Hermanni, Metaphysik, 43–49; Knauer, Anselms Geschöpflichkeitsbeweis, 165–181; und Karl Barth, Fides quaerens intellectum, 73–174; Dalferth, Gott, 51–94; Marion, L’Argument relève-t-il de l’ontologie?, 43–69; Michel Henry, Hinführung zur Gottesfrage: Seinsbeweis oder Lebenserweis?, in: Ders., Radikale Lebensphänomenologie. Ausgewählte Studien zur Phänomenlogie, Freiburg; München

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

deutsam ist daran jedoch, dass die Annahme des einzigartigen, wirklichen, schlechthin notwendigen Seins eines einzigen, einen, höchsten Guten sowohl durch ein ethisch-kosmologisches als auch durch ein epistemologisch-ontologisches Argument rational begründet wird. Dadurch wird in rational verstehbarer Weise ein vorgängiger, unbedingter Grund allen Seins aufgewiesen. Zum einen wird dies durch das ethisch-kosmologische Argument in Monologion 1–4 begründet.28 Dabei wird ausgehend von der subjektiven Erfahrung der eigenen Intentionalität, das heißt dass man etwas anstrebt, das man als gut erachtet, argumentiert. Als erstes, wird durch die Reflexion auf die Möglichkeitsbedingung eines rational begründeten, vergleichenden Werturteils aufgewiesen, dass dieses notwendig einen Grund voraussetzt. Zweitens, wird durch die Reflexion des ontologischen Charakters dieses Grundes gezeigt, dass dieser nur als ein einheitlicher, das heißt als ein mit sich selbst identischer gedacht werden kann. Drittens wird durch die Reflexion auf den ontologischen Wert dieses einen mit sich selbst identischen Grundes herausgestellt, dass dieser höchst gut, das heißt das Beste, Größte, Höchste von allem sein muss. Schließlich wird viertens, durch die Reflexion auf die kosmologischen Implikationen der Annahme eines höchsten Guten aufzeigt, dass ein mit-sich-selbst-identischer, vollkommener Grund allein wirklich, wahrhaftig und schlechthin notwendig ist, das heißt, dass er in singulärer Weise allein durch sich selbst ist, was er ist und alles andere durch ihn.29 Durch dieses transzendentale Argument wird dem Denken seine erste unbedingte Voraussetzung reflexiv aufgezeigt. Zum anderen wird das singuläre Sein Gottes in Proslogion 2–4 durch das epistemisch-ontologische Argument in Form eines indirekten Beweises begründet. Dabei geht das Argument vom Hören des Wortes „das, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“ in seiner Negation aus, das heißt, von dem inneren Gedanken, dass Gott nicht existiert.30 Anschließend wird über das Verstehen des Sinns und der Bedeutung der negierten Formel im eigenen Bewusstsein beziehungsweise Intellekt argumentiert.31 Schließlich wird darüber hinaus dieser Gedanke transzendiert, bis hin zur annähernden analogen Er1992, 251–273; Recktenwald, Das id quo maius cogitari non potest als rectitude, 135–159; und Schumacher, The Lost Legacy of Anselm’s Argument, 87–101; sowie Corbin, Saint Anselme, 45–196. 28  ML 1–4 (SI), 13,1–18,3. 29  Ebd.; Asiedu erläutert in diese Zusammenhang die Analogie zwischen Anselms „drei Wegen“ im Monologion und den „fünf Wegen“ Thomas von Aquins. Siehe: Asiedu, From Augustine to Anselm, 151–208). Vgl. Visser;Williams, Anselm, 59–93; Verweyen, Anthro­pologische Vermittlung der Offenbarung, 149–150, Elmar Salmann, Korreflexive Vernunft und theonome Weisheit in der Logik von Monologion und Proslogion, in: L’attualià filosofica di Anselmo d’Aosta, hg. v. M. Hoegen, Rom 1990, 143–228; vgl. hierzu auch: Gilbert Crispin, Disputatio cum gentili IV (HBPhMA 1), 150–151. 30  PL 2 (SI), 101,5–8. 31  PL 2 (SI), 101,8–15.

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

39

kenntnis der Wirklichkeit des höchsten Wesens.32 Dabei wird nicht vorausgesetzt, dass Sein ein reales Prädikat ist, wie seit Kant häufig eingewendet wird.33 Mit dem fortschreitenden, sich selbst entfaltenden Argument wird vielmehr via negationis bewiesen, dass dann, wenn die Wirklichkeit des Wesens wahrhaft erkannt und nicht nur gehört und gedeutet wird, sie nicht als nur im Bewusstsein seiend, das heißt nicht als auch nicht sein könnend, gedacht werden kann.34 Aus diesem indirekten Beweis ergibt sich die epistemisch-ontologische Konsequenz, dass man dann, wenn sich einem der Sinn des Wortes, „worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“ erschlossen hat, dies nur als das eine, einzigartige, wirklich und schlechthin notwendig seiende Wesen denken kann, das allein durch sich selbst ist und alles andere durch es. Unmöglich kann man es dann auch als etwas denken, das so wie alles andere auch nicht sein oder nur im menschlichen Bewusstsein sein kann.35 Umgekehrt gilt damit gleichermaßen, dass man, solange man noch annehmen kann, dass das, „worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“ auch nicht sein kann, noch nicht annähernd analog die Wirklichkeit dessen, „worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“ erkannt hat, sondern nur den Wortlaut der Formel wahrnimmt und den gehörten Sinn deutet ohne das Wort wirklichkeitsgemäß zu verstehen.36 Nicht ohne Grund sind von Anselm beide Argumente für das einzigartige, wirkliche, schlechthin notwendige Sein und Wesen des einen höchsten Guten in Gebet und Meditation bedacht worden.37 Mit den Argumentationsgängen in Monologion 1–4 und Proslogion 1–4 wird von ihm somit rational zu begründen versucht, dass das höchste Gute der erste Grund von allem ist, was ist und gut ist, und somit auch der Freiheit. Freiheitstheoretisch bedeutsam ist dabei, dass in den Eingangs- und Abschlussüberlegungen des Monologion und Proslogion das höchste Gute zugleich als der erste Grund der Freiheit und als das letzte Ziel des Wollens erwogen wird, das auf singuläre Weise schlechthin notwendig ist.

32 

PL 2 (SI), 101,15–202,3. Siehe hierzu insbesondere: Goebel, Rectitudo, 113–152. Und: Corbin, Saint Anselme, 45–196. 34 Ebd. 35  Siehe PL 3 (SI), 102,5–103,11. Dass es um den Aufweis des einzigartigen Seins Gottes geht, wird in der Kritik von Gaunilo und später auch Kant nicht ausreichend beachtet. Siehe hierzu auch: Logan, Reading the Proslogion, 197–202 und Hermanni Metaphysik, 43–49. 36  PL 4 (SI), 103,13–104,7. Damit wird in der Annahme einer nominalistischen, nicht realistischen Begriffs- und Erkenntnistheorie die Bedingung der Möglichkeit der Bestreitung der Existenz Gottes gesehen. Zur affirmativen Verwendung dieser Formel im zeitgenössischen Religionsdialog siehe: Gilbert Crispin, Disputatio cum gentili II (HBPhMA 1), 141–147. 37  Siehe hierzu insbesondere: Schumacher, The Lost Legacy, 87–101; vgl. Dies., Divine Illumination, 74–84. 33 

40

1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

1.1.2. Die Freiheit im gütigen Schöpfungshandeln des höchsten Wesens Zudem thematisiert Anselm in der Herleitung und Einteilung des Freiheitsbegriffs in De libertate arbitrii 3 und 14 das höchste Gute als das vollkommen freie, allein aus Güte schöpferisch handelnde höchste Wesen.38 Damit rekurriert er auch auf die anschließenden Überlegungen in Monologion 5–14 und Proslogion 5, in denen die Freiheit im gütigen Schöpfungshandeln des höchsten Wesens aufgezeigt wird.39 Diese Überlegungen stellen insofern eine wichtige Voraussetzung der Freiheitskonzeption dar, als in ihnen die ontologische Differenz und Relation zwischen Schöpfer und Geschöpf schöpfungstheologisch begründet wird.40 Ohne diese kosmologisch-schöpfungstheologische Präzisierung bleibt nicht nur diffus, inwiefern die im höchsten Guten verankerte Freiheit in gleicher Weise im Menschen und in Gott ist. Vielmehr wird damit auch das Verhältnis beider als ein unlösbarer Konflikt gefasst und beides als unvereinbar oder nur symmetrisch aufteilbar verstanden.41 Durch den Aufweis, dass Gott und Mensch als Schöpfer und Geschöpf wesenhaft relational und ontologisch voneinander unterschieden und verschieden aufeinander bezogen sind, wird der Grund für die Annahme gelegt, dass auch die dem Schöpfer und dem Geschöpf wesensgemäße Freiheit relational und ontologisch verschieden sind und dass die Freiheit an sich nur dem Schöpfer zukommt.42 So haben diese kosmologisch-schöpfungstheologischen Überlegungen, die sich in ähnlich pointierter Weise auch bei dem zu Anselms Zeit lebenden jüdischen Denker Jehuda Halewi finden, zum einen die idolatriekritische Funktion, das Geschöpf von der Illusion zu befreien, Geschaffenes sei göttlich.43 Zum anderen verdeutlichen sie, ähnlich wie Augustin, in kritischer Abgrenzung gegenüber platonischen und neuplatonischen Demiurgmythen und Emanationsvorstellungen und entsprechenden Partizipationsauffassungen sowie gegenüber einer nezessitaristischen Deutung der aristotelischen Ansicht einer ersten unverursachten Ursache, dass die vollkommene Freiheit des höchsten Wesens in seinem freien, gütigen Schöpfungshandeln zu sehen ist.44 Und sie begründet in 38 

DLA 3 (SI), 212,19–23; DLA 14 (SI), 226,3–8. ML 5–14 (SI), 18,4–27,26; PL 5 (SI), 104,9–17. 40  Ebd.; vgl. DLA 14 (SI), 226,3–8. 41  So jedoch: Rogers, Anselm on Freedom, 108–124; vgl. hingegen zur Bedeutung der schöpfungstheologischen Differenz im jüdischen, christlichen und islamischen Denkens des Mittelalters: David Burell, Faith and Freedom, 1 ff.; 127–155. 42  ML 5–14 (SI), 18,4–27,26; PL 5 (SI), 104,9–17; DLA 14 (SI), 226,3–8. 43  Siehe hierzu: Barth, Fides quaerens intellectum, 84–85; 145.; vgl. Jehuda Halewi, Der Kusari I,63–79 (Cassel), 60–69. 44  Platon, Timaios (Opera 4), 27b-31b; Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 18a-19b; siehe hierzu zum einen: Rogers, Anselm and his Islamic Contemporaries on Di­ vine Necessity and Eternity, in: American Catholic Philosophical Quaterly 81 (2007), 373– 393. Rogers meint unter Bezug auf ML 33, Anselm vertrete, ähnlich wie Avicenna und Averroes sowie Al-Ghazali die Ansicht, dass Gott „notwendig“ die Welt schaffe, das heißt, dass die Schöpfung für ihn „unvermeidbar“ sei. Demgegenüber ist meines Erachtens einzu39 

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

41

kritischer Abgrenzung gegenüber dualistischen Spekulationen in gnostischen und manichäistischen Strömungen über einen dämonischen Demiurgen und die damit verbundene Ansicht, dass etwas, das ist, auch wesenhaft böse sein kann, die ebenfalls von Augustin betonte Annahme, dass alles, was wesenhaft ist, aufgrund der vollkommenen Güte des Schöpfers auch gut ist. In Proslogion 5 wird diese Überlegung in der Frage zugespitzt, „Aber was bist Du, wenn nicht das, was als das Höchste von allem durch sich bestehend, alles andere aus nichts geschaffen hat?“.45 In Monologion 5–14 wird die Erkenntnis des personalen Wesens des höchsten Gutes ausführlicher begründet.46 Dabei wird zunächst unter Rekurs auf das aus Platos Timaios bekannte Analogiebeispiel eines Künstlers verdeutlicht, dass nur die höchste Natur ihr Wesen und Sein allein „aus sich selbst und durch sich selbst“ ist (ex seipsum et per seipsum), alle anderen Naturen aber ihr Wesen und Sein aus ihr und durch sie, beziehungsweise „aus anderem und durch anderes“ haben (ex alio et per aliud).47 Allerdings wird diese ontologische Differenz und Beziehung weiter qualifiziert als eine durch Güte geprägte Schöpfungsrelation, in der sich die vollkommene Freiheit des Schöpfers zeigt. Dadurch wird die Ansicht widerlegt, dass es sich nur um eine durch willkürliche Macht geprägte Formungsrelation oder Ausflussrelation handelt. Dazu wird zum einen mit ersten implizit trinitarischen Andeutungen präzisiert, dass das höchste Wesen nicht in einem kausalen Sinne selbstschöpferisch ist. Es ist nach Anselm nicht durch sich selbst, aus nichts, aus etwas oder aus sich selbst. Das heißt es ist keine causa sui. Wesenheit, Sein und Seiendes verhalten sich seiner Auffassung nach im wenden, dass Anselm die Notwendigkeit der Schöpfung nur als eine dem Schöpfungsakt nachfolgende Notwendigkeit versteht und davon ausgeht, dass Gott nicht weniger vollkommen wäre, wenn er die Welt nicht geschaffen hätte und dass die Welt kontingent und im weisen, willentlich bewirkten Schöpfungsakt Gottes begründet ist. Siehe zum anderen: Brian Leftow, Anselm on the Necessity of the Incarnation, in: Religious Studies 31, 167–185. Leftow, argumentiert demgegenüber unter Rekurs auf CDH II,17, dass Anselm davon ausgeht, dass Gott die Welt nicht notwendig geschaffen hat, das heißt, dass er eine andere Welt hätte schaffen können, als er geschaffen hat, wenn er anders gewollt hätte. Siehe schließlich auch Kevin M. Staley, Divinity, Necessity and Freedom in Anselm of Canterbury, in: Saint Anselm. His Origins and Influence, hg. v. John R. Fortin, New York 2001, 85–95. Staley schlägt eine dritte Deutung alternativ zu einer nezessitaristischen und zu einer voluntaristischen Interpretation vor. Er betont, dass Gott von Ewigkeit her vorausweiß, dass er diese und keine andere Welt schaffen will, weil er es will. Diese letzte Deutung ist meines Erachtens interpretatorisch die Überzeugendste. Siehe hierzu auch: Ders., God’s Personal Freedom. A Response to Katherine Rogers, in: The Saint Anselm Journal 1, 9–16; und: Burell, Faith and Freedom, 145–155, der überzeugend den Kontrast der monotheistischen Schöpfungsvorstellungen bei Al-Ghazali, Maimonides und Thomas von Aquin zu neuplatonischen Emanationsvorstellungen hervorhebt. 45  PL 5 (SI), 104,11. 46  ML 5–14 (SI), 18,4–27,26. 47  ML 5–14 (SI), 18,4–27,26. vgl. Platon, Timaios (Opera 4), 27b-31b; vgl. Origenes, Die Homilien zum Buch Genesis I,12–17 (Werke 1;2), 49,9–63,31; Gregor von Nyssa, De creatione hominis I (GNO Suppl.), 5,9–21,12.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

höchsten Wesen ähnlich wie Licht, Leuchten und Leuchtendes.48 Zum anderen wird in Anlehnung an Überlegungen von Paulus in Röm 4,17 betont, dass das Universum, das heißt die Gesamtheit von allem, was von dem höchsten Wesen her ist, seinen Stoff nicht aus dem Wesen des höchsten Wesens selbst her hat, aber auch nicht aus etwas anderem, sondern nicht aus etwas, das heißt „aus nichts“ (ex nihilo).49 Damit wird das Geschaffene seinem Wesen nach weder als etwas Göttliches noch als etwas Widergöttliches gedeutet, sondern als etwas, das sein Sein und Wesen vollkommen der Güte des Schöpfers verdankt. Dies ist freiheitstheoretisch bedeutsam. Die Annahme, dass das höchste Wesen alles, was ist, allein durch seine freie Güte aus nichts geschaffen hat, und alles andere sein geschöpfliches Sein und Wesen ihm vollkommen verdankt, stellt nämlich die ontologische und relationale Grundlage einer elementaren freiheitstheoretischen Differenz dar. Und zwar begründet sie die Unterscheidung, dass allein das höchste Wesen auf ungeschaffene nicht empfangene Weise a se frei ist und alle anderen vernunftbegabten Wesen auf geschaffene, empfangene Weise ab alio frei sind.50 Dies wird jedoch in Monologion 9–14 noch weiter präzisiert. In zunehmend deutlicher trinitarisch akzentuierten Überlegungen wird näher bestimmt, dass die schöpferische Freiheit des höchsten Wesens eine die geschaffene Wirklichkeit vollkommen durch Weisheit und Güte bestimmende Macht ist.51 Dies wird zum einen weiter ausgeführt, indem in Anlehnung an biblische Schöpfungsaussagen spekulativ entfaltet wird, dass das höchste Wesen, von Ewigkeit her im Geist erkennt und spricht, was, wie beschaffen und auf welche Art und Weise etwas sein soll und es so, nach dem Bild des göttlichen Wortes, ins Sein gesprochen wird.52 Diese trinitarische Weiterführung der Überlegungen zum schöpferischen Handeln des höchsten Wesens bringen in freiheitstheoretisch bedeutsamer Weise zum Ausdruck, dass die göttliche Freiheit nicht nur formalen oder a-personalen, sondern inhaltlich positiv bestimmten und personalen beziehungsweise transpersonalen Charakter hat. Die unbedingte schöpferische Freiheit wird damit nämlich nicht nur darin gesehen, dass das höchste Wesen freiwillig allein aus seiner Macht heraus, ohne jeglichen Zwang, etwas aus nichts schafft. Sie wird vielmehr auch darin gesehen, dass dies aus vollkommener Weisheit durch das innere, hervorbringende Sprechen beziehungsweise Denken der Formen der Dinge durch das göttliche Wort im Geist frei gewirkt wird. Und sie wird darin gesehen, dass dies aus vollkommener Güte, allein durch den schöpferischen Liebeswillen in vollkommener Übereinstimmung mit dem eigenen We48 

ML 6 (SI), 18,18–20,19; insbes. 20,11–19. ML 7–8 (SI), 20,21–24,6. 50  DLA 14 (SI), 226,3–8. 51  ML 9–14 (SI), 24,8–27,26. 52  Ebd.; Siehe hierzu: Visser;Williams, Anselm, 123–132 und: Henry, Hinführung zur Gottesfrage: 267–273. 49 

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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sen frei getan wird.53 Zum anderen wird die Deutung der schöpferischen Freiheit des höchsten Wesens als die die geschaffene Wirklichkeit vollkommen durch Weisheit und Güte bestimmende Macht dadurch präzisiert, dass aufgezeigt wird, dass sie die bewahrende Allgegenwärtigkeit, fürsorgende Providenz und weise, machtvoll regierende Lenkung der Schöpfung auf das ihr bestimmte gute Ziel hin enthält.54 Anselms Annahme, dass das freie Schöpfungshandeln Gottes die geschaffene Wirklichkeit in diesem umfassenden Sinne vollkommen bestimmt, enthält dabei zwei freiheitstheoretisch eminent wichtige Implikationen. Zum einen ist mit der schöpfungstheologischen Beschreibung der ontologischen Differenz und Beziehung von Schöpfer und Geschöpf und ihrer je wesensgemäßen Freiheit auch eine metaphysische Voraussetzung thematisiert, ohne die der Aufweis der Vereinbarkeit von Gott und menschlicher Freiheit unmöglich wäre. Zum anderen wird durch die trinitarisch akzentuierten Präzisierungen angedeutet, dass der Grund von allem was ist, keine a-personale, neutrale oder gar böse oder bloß formale Ursache ist, sondern die freie Gnade des schöpferischen Handelns des höchsten Wesens.

1.1.3. Freiheit als implizite Eigenschaft des höchsten Wesens Ein interpretatorisches Problem ergibt sich jedoch daraus, dass zum einen in De libertate arbitrii 1 zentral mit der Freiheit Gottes argumentiert wird, Freiheit aber in Monologion 15–17 und Proslogion 5–23 nicht als eine der göttlichen Wesenseigenschaften genannt wird. Dies erstaunt umso mehr, als Anselm sie keineswegs minimalistisch fasst, sondern zahlreiche biblisch erwähnte Namen Gottes reflektiert.55 So werden in Monologion 15–17 dem höchsten Wesen in einem abso53  ML 10–12 (SI), 24,21–26,33; vgl. ML 39 (SI), 57,2–19, wo betont wird, dass nur die eine Wesenheit alleinige Schöpferin und alleinige Ursache von allem ist (una quae sola creatrix et solum principium est omnium) ML 57 (SI), 68,11–69,13, wo betont wird dass zugleich jede Person einzeln ganz ungeschaffen und Schöpfer ist (increatus et creator). Damit gilt das göttliche Schöpfungshandeln, in dem Sinne als (nachfolgend) notwendig, dass es wesensgemäß ist und wenn es gewollt wird, ist und in dem Sinne als nicht (vorausgehend) notwendig, dass es durch nichts und niemand erzwungen werden kann, das heißt weder als kontingent noch als schlechthin notwendig. Siehe hierzu insbesondere auch: Richard Campbell, The Nature of Theological Necesity, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salman (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 147–164; Michel Corbin, Necessité et liberté. Sens et structure de l’argument du Cur Deus homo d’Anselme de Cantobéry, in: Ders., La Liberté de Dieu. 4 Études sur l’oeuvre d’Anselme de Cantobéry, Paris 1980, 42–85; William J. Cour­t enay, Necessity and Freedom in Anselm’s Conception of God, in: Analecta Anselmiana 4,2 (1975), 39–64; Kevin Staley, Divinity, Necessity, and Freedom in Anselm of Canterbury, in: Saint Anselm – his Origins and Influence, hg. v. John R. Fortin New York 2001, 85–96. 54  ML 13–14 (SI), 27,1–26; vgl. ML 80 (SI), 86,15–87,13. 55 Siehe hierzu insbesondere: Visser; Williams, Anselm, 95–110; vgl. Brian Leftow, Anselm’s Perfect-Being Theology, in: The Cambridge Companion to Anselm, hg. v. Brian

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

luten Sinne die Vollkommenheiten der Lebendigkeit, Weisheit, Allmächtigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Seligkeit, Ewigkeit, Gutheit und Einheit zugesprochen, nicht aber Freiheit.56 Ähnlich werden in Proslogion 6–23 ausführlich die Eigenschaften der vollkommenen Wissendheit, der vollkommenen Macht, der vollkommenen Barmherzigkeit und der vollkommenen strafenden, schonenden und rettenden Gerechtigkeit sowie der vollkommenen, unermesslichen Güte und der Allgegenwärtigkeit und Entzogenheit reflektiert und darüber hinaus Wahrheit, Licht und Leben sowie Wohlklang, Duft, Genuss, Sanftheit, Schönheit, Einheit, Ewigkeit und Einzigkeit genannt, nicht aber Freiheit.57 So lässt sich kritisch fragen, inwiefern in De libertate arbitrii 1 Anselms Verweis auf die Freiheit Gottes, den auch Augustin gegen die von Origenes und Julian von Eclanum verwendete ambivalente Definition von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ vorbringt, überhaupt eine theologische Basis hat? 58 Könnte die göttliche Freiheit nicht auch einfach in absoluter Macht der göttlichen Willkür zu was auch immer gesehen werden? In diesem Sinne erweisen sich Anselms Überlegungen zu den Vollkommenheiten Gottes, insbesondere der Allmacht und Allgüte aber auch der Einheit aller Eigenschaften als freiheitstheoretisch grundlegend. Ähnlich wie auch ­Petrus Damiani in De divina omnipotentia, lehnt Anselm ein qualitativ unbestimmtes Verständnis der göttlichen Allmacht als dem göttlichen Wesen unangemessen ab.59 In Proslogion 7 wird dafür argumentiert, dass Gott in einem qualitativen, eindeutig positiv bestimmten Sinne allmächtig ist, obwohl beziehungsweise weil er vieles nicht kann.60 Dabei wird betont, dass die Allmacht des höchsten Wesens dadurch gerade nicht begrenzt oder gemindert wird, sondern sich als unendlich erweist, dass es nichts kann, was etwas Böses und somit ein Unvermögen beziehungsweise Ohnmacht ist. Dass Gott sich nicht korrumpieren kann, nicht lügen kann und nicht machen kann, dass Wahres falsch ist, und somit nicht bewirken kann, dass das, was getan ist, auch nicht getan sein kann, wird als Ausdruck seiner vollkommenen Allmacht gesehen, die jedes Un-

Davies; Brian Leftow, Cambridge 2004, 132–156; zu analogen Diskussionen in der jüdischen und islamischen Gotteslehre siehe: David B. Burrell, Unknowing the Unknowlable God. Ibn-Sina, Maimonides and Aquinas, Notre Dame (4. Aufl.) 2001, 51–70. 56  ML 15–17 (SI), 28,1–32,4. 57  PL 6–23 (SI), 104,16–117,22. 58  DLA 1 (SI), 207,1–13; Origenes, De principiis III,1 (TzF 24), 462,2–561,4; vgl. Ders., Commentarii in Epistulam ad Romanus VII;VIII (FC 2;4) 82,1–103,20; 144,4,-166,15; Augustin, Contra Julianum opus imperfectum, I,94–96 (CSEL 85,1), 106,48–112,49. 59 Vgl. Petrus Damiani, De divina omnipotentia 602D-608A; 612A-B (SC 191), 410,1– 432,65; 446,1–448,29. Siehe hierzu auch: Toivo J. Holopainen, Necessity in Early Medieval Thought: Peter Damian and Anselm of Canterbury, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salman (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 221–234. 60  PL 7 (SI), 105,8–106,2.

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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vermögen dieser Art ausschließt.61 Wenn er dies auch könnte, wäre seine Allmacht nach Anselm nicht vollkommen und unendlich, sondern auch unvermögend und endlich, was ein Widerspruch zur höchsten Vollkommenheit des göttlichen Wesens wäre.62 Dass die göttliche Allmacht dadurch bestimmt wird, dass sie als Allmacht im Guten unvergleichlich mächtiger ist, als jede Ohnmacht des Bösen und als alle widerstrebende Ungerechtigkeit ist freiheitstheoretisch zentral. Die in De libertate arbitrii 1–3 formulierte Kritik an der Ambivalenz und Unterbestimmtheit der überlieferten Freiheitsdefinition und die eindeutig, inhaltlich positiv bestimmte Definition von Freiheit beziehen sich nämlich auf ein derartiges qualitatives, inhaltlich eindeutig positiv bestimmtes Verständnis von Macht und Vermögen (potestas).63 Dabei gibt es nach Anselm auch keine unbestimmte Allmacht hinter dieser vollkommen guten Allmacht, die etwa mit der göttlichen Weisheit und Güte im Widerspruch stünde. Vielmehr wird die vollkommene Allmacht Gottes in Einheit mit seiner Weisheit und Güte und allen anderen Wesenseigenschaften als Allmacht der vollkommenen Selbstidentität gedacht. Diese vollkommene Selbstidentität Gottes deutet er in Proslogion 22 in Anlehnung an die in Ex. 6 erwähnte Selbstoffenbarung des Gottesnamens in dem Sinne, dass Gott allein ist, was er ist und wer er ist (Tu solus ergo, Domine, es quod es, et tu es qui es.).64 In De veritate 10 nennt er dies schließlich die höchste Wahrheit und das „Rechtsein“ (rectitudo).65 Damit ist aber mit dem Namen der vollkommenen Allmacht im Guten und der vollkommenen Selbstidentität auch schon das benannt, was in De libertate arbitrii 1–3 weiter als göttliche Freiheit beschrieben wird.66 In diesem Sinne kann Freiheit bei Anselm auch als eine nicht explizit genannte, aber implizit enthaltene Vollkommenheit des höchsten Wesens gelten. Dafür spricht zudem, dass im Rahmen der Überlegungen zur vollkommenen, unermesslichen Güte Gottes sowie ihrer Einheit mit der Barmherzigkeit und der strafenden, schonenden und rettenden Gerechtigkeit explizit die Rede davon ist, dass Gott in seiner unermesslichen Güte Sünder befreit (li­ beravit), indem er sie durch seine vollkommene Barmherzigkeit und rettende Gerechtigkeit gerecht macht, „obwohl die strafende beziehungsweise vergeltende Gerechtigkeit sie verurteilt.67 Die vollkommene Allmacht im Guten zeigt sich nach Anselm also zum einen darin, dass Gott gerecht Guten Gutes und Bösen Böses vergilt. Noch mehr zeigt sie sich seiner Auffassung nach aber darin, 61 Ebd.

62 Ebd. 63 

DLA 1–3 (SI), 207,1–212,20; vgl. DLA 14 (SI), 226,6–8. 22 (SI), 116,14–117,2. 65  DV 10 (SI), 189,30–190,33. 66 Ebd. 67  PL 9–11 (SI), 106,16–110,3; insbes. PL 9 (SI), 107,4–108,9; vgl. hierzu Pseudo-Dionysius Areopagita, Di divinis nominibus VI,1-VIII,9 (PTS 33), 190,3–207,5. 64  PL

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

dass Gott gerecht Bösen Gutes schenkt, indem er sie durch seine Barmherzigkeit gerecht macht und sie barmherzig und gerecht vom Bösen befreit.68 Damit wird die Freiheit Gottes nicht als Willkür verstanden, sondern als Ausdruck der vollkommenen Selbstidentität Gottes und seiner Allmacht im Guten.69 Da der Sinn aller göttlichen Wesenseigenschaften bei Anselm daran gemessen wird, ob er dem entspricht, „worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, wird auch der Sinn von Allmacht, Freiheit, Güte, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit an diesem Kriterium gemessen, ob er dem höchst vollkommenen Wesen angemessen ist. Damit unterliegt der Freiheitsbegriff, wie auch die anderen expliziten göttlichen Namen keiner unbestimmten Perfektionslogik, sondern der Kritik, ob der Sinn nicht noch zu unbestimmt und unqualifiziert ist, um annähernd angemessen vom höchsten Wesen ausgesagt werden zu können.70 Dies ist insofern freiheitstheoretisch relevant, als dass damit der Anspruch an den Freiheitsbegriff gestellt wird, auch analog in Bezug auf das höchste Wesen, verwendbar zu sein. Damit werden in den Überlegungen zu den göttlichen Wesenseigenschaften in Monologion 15–17 und Proslogion 5–23 die theologischen Grundlagen für den Versuch formuliert, einen Maximalbegriff von Freiheit zu definieren, der auch theologisch brauchbar ist. Das bedeutet, dass hier Kriterien entwickelt werden, auf die bei der Definition der größtmöglichen Freiheit in De libertate arbitrii wieder Bezug genommen wird.

1.1.4. Die Unendlichkeit der Freiheit in der Allgegenwart und Transzendenz des Schöpfers Von besonderer freiheitstheoretischer Bedeutung sind zudem die Überlegungen zur vollkommenen Gegenwart des Schöpfers in der Schöpfung und seiner vollkommenen Transzendenz in Monologion 18–28 und Proslogion 13–16. Dadurch wird die Unendlichkeit der göttlichen Freiheit im Gegenüber zur Endlichkeit der geschöpflichen Freiheit und der geschaffenen Gesetze von Raum und Zeit thematisiert.71 Bereits in Monologion 13–14 ist herausgestellt worden, dass alles 68 Ebd. 69 

Ähnlich auch Rogers, Anselm on Freedom, 185–205. Visser; Williams, Anselm, 95–110; vgl. Leftow, Anselm’s Perfect-Being Theology, 132–144; Ders., God and Necessity, Oxford 2012, 457–475; vgl. Rogers, Anselm on Freedom, 185–205; Siehe hierzu auch Kevin Staley, God’s Personal Freedom. A Response to Katherine Rogers, in: The Saint Anselm Journal 1, 9–16. 71  ML 18–28 (SI), 32,5–46,31; PL 13–16 (SI), 110,9–113,4; Siehe hierzu insbesondere: Brian Leftow, Time and Eternity, 183–216, insbes., 185–210; Christopher H. Conn, Anselmian Spacetime, in: The Heythrop Journal 52 (2011), 260–270; vgl. auch: Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; Dies., Anselm and his Islamic Contemporaries on Divine Necessity and Eternity, in: American Catholic Philosophical Quaterly 81 (2007), 373–393; Dies.: Anselmian Eternalism: in: The Presence of a Timeless God, in: Faith and Philosophy 24 (2007), 3–27. 70 

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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Geschaffene nur durch die erhaltende Gegenwart des höchsten Wesens Bestand hat und dass das höchste Wesen „in allem und durch alles ist und alles aus ihr, durch sie und in ihr“.72 In Anlehnung an zentrale Topoi des biblischen Weisheitsdenkens und der paulinischen Theologie sowie in Anlehnung an Ausführungen von Augustin und Boethius wird in Monologion 18–28 und Proslogion 13–16 schließlich die Allgegenwart und Abwesenheit des Schöpfers in der Schöpfung und damit die Unendlichkeit, das heißt Unbegrenzbarkeit der göttlichen Freiheit begründet.73 Dabei ist entscheidend, dass Anselm die durch Gott selbst bedingte Immanenz alles Geschaffenen in Gott denkt, ohne die schöpfungstheologische Differenz aufzuheben und die unbedingte Allgegenwart Gottes im Geschaffenen trotz beziehungsweise wegen seiner vollkommenen Transzendenz.74 In Monologion 18–28 wird dies zunächst indirekt begründet, indem zunächst die Annahme einer bloß raumzeitlich umgrenzten punktuellen Gegenwart als auch die Annahme der Abwesenheit als inkonsistent aufgewiesen werden. Sodann wird gezeigt, dass auch die Annahme der Allgegenwart Gottes unter den Bedingungen der Gesetze von Raum und Zeit widersprüchlich ist. Somit wird herausgestellt, dass sie nur nur unter der Bedingung der Unendlichkeit und Ewigkeit sowie Unbegrenztheit Gottes durch die Gesetze von Natur und Geschichte denkbar ist.75 Diese Allgegenwart der unendlichen Freiheit Gottes gilt dabei zugleich als Grund und Grenze der raumzeitlich umgrenzten, endlichen Freiheit der Geschöpfe, ohne selbst durch diese begrenzt zu werden. In Proslogi­ on 13–16 wird schließlich darüber hinaus noch die Singularität der Unendlichkeit, Ewigkeit und unbegrenzten Allgegenwart Gottes hervorgehoben. Im Unterschied dazu wird präzisiert, dass die Freiheit des Menschen raumzeitlich gebunden und nur auf den nächsten Moment bezogen ist.76 Schließlich führt die Einsicht in die eigene Endlichkeit und die Unendlichkeit Gottes in Proslogion 15 über sich hinaus, zu der Erkenntnis, dass Gott „größer ist, als gedacht werden kann“.77 In späteren freiheitstheoretischen Überlegungen in De conceptu virginali und De concordia I-II wird mehrfach hierauf Bezug genommen, weil die Unterscheidung und Beziehung von Unendlichem und Endlichem eine zentrale theologisch-ontologische Grundlage für den Aufweis der Vereinbarkeit von göttlicher 72 

ML 13–14 (SI), 27,1–26; insbes. 24–26. Augustin, De praesentia Dei 1–41 (MyGG I;14), 214,2–258,5; Boethius, Philosophiae Consolatio V,6,1–48 (CChr.SL 94), 100,16–105,156; Ders., Quomodo Trinitas IV (PhB 397), 16,54–20,98. 74 Siehe hierzu: Leftow, Time and Eternity, 183–216; Conn, Anselmian Spacetime, 260–270. 75  ML 18–28 (SI), 32,5–46,31. 76  PL 13–16 (SI), 110,9–113,4; siehe hierzu auch: Henry, Hinführung zur Gottesfrage, 267–273, der die Bedeutung dieses Abschnitts überzeugend herausstellt. 77  PL 15 (SI), 112,13–17. 73 

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

und menschlicher Freiheit bildet.78 Dadurch wird nämlich zum einen begründet, dass weder die endliche, raumzeitlich verfasste Freiheit des Menschen oder die Gesetze von Raum und Zeit die unendliche Freiheit des ewigen Schöpfers in seinem Vorauswissen und Vorausbestimmen begrenzen. Zum anderen wird dadurch begründet, dass genauso wenig die unendliche Freiheit des ewigen, vorauswissenden und vorausbestimmenden Schöpfers die endlich verfasste Freiheit des in Raum und Zeit lebenden Menschen oder die Gesetze von Raum und Zeit auf hebt, sondern vielmehr beides inkludiert und konstituiert.79 Schließlich wird dadurch auch die Unterscheidung und Verhältnisbestimmung von natürlichen, personalen und wunderbaren Ereignissen und ihrer je eigenen Art von natürlicher, personaler beziehungsweise göttlicher Kausalität begründet.80 Es wird nämlich festgehalten, dass natürliche, a-personale Ereignisse beziehungsweise Prozesse, wie etwa die Bewegung der Himmelskörper durch eine natürliche, a-personale Kausalität der geschaffenen Natur mit vorausgehender und nachfolgender Notwendigkeit verursacht werden.81 Davon unterschieden wird angenommen, dass personale Ereignisse beziehungsweise Handlungen, wie diverse kulturelle Tätigkeiten darüber hinaus auch durch die personale Kausalität vernunftbegabter Wesen, ihres Geistes und insbesondere auch ihres Willens mit nachfolgender Notwendigkeit bewirkt werden.82 Schließlich wird davon ausgegangen, dass beide Arten von Ereignissen und Kausalitäten vorgängig durch das wunderbare Ereignis der Schöpfung durch den göttlichen Willen so geschaffen und einander sinnvoll zugeordnet sind, dass der Schöpfer zum einen vermittels dieser relativ eigenständigen, geschaffenen Arten von Ereignissen und Kausalitäten indirekt und zum anderen ohne sie, direkt wundervoll in der Schöpfung unendlich frei handeln kann.83 Dies ist nicht zuletzt deswegen freiheitstheoretisch zentral, weil dadurch das antike, naturphilosophische Problem der Unvereinbarkeit von Freiheit und naturkausaler beziehungsweise quasi-göttlicher Determiniertheit derart radikal relativiert wird, dass es anders als noch bei Origenes und Augustin nicht einmal mehr eigens als Problem diskutiert wird.84 Es werden nämlich zum einen die Gesetze der Natur in Raum und Zeit als eine geschaffene, weder indeterministische noch deterministische, relative und kontingente natürliche Ordnung der Schöpfung gedeutet. Zudem wird natürliche Kausalität als auf den Bereich na78  ML 18–28 (SI), 32,5–46,31; PL 13–16 (SI), 110,9–113,4; vgl. DCV 11 (SII), 153,14– 154,11; DC I,1–6 (SI), 245,9–255,29. 79 DC I,1–6 (SI), 245,9–255,29; vgl. Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25. 80  DCV 11 (SII), 153,14–154,11. 81  Ebd.; vgl. DC I,1–6 (SI), 245,9–255,29; CDH II,17 (SII), 122,23–126,19. 82 Ebd. 83  DCV 11 (SII), 153,14–154,11. 84  Vgl. jedoch Origenes, De principiis III,1,1–9 (TzF 24), 462,1–491,13; Augustin, De civitate Dei, V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25.

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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türlicher Ereignisse beziehungsweise Prozesse begrenzt gedacht und als notwendige aber nicht hinreichende Voraussetzung personaler Ereignisse gesehen. Zum anderen wird menschliche Freiheit als geschaffene und somit relative, raumzeitlich verfasste, auch natürlich mitbedingte Freiheit gedeutet. So werden aufgrund der Annahme eines transzendenten und allgegenwärtigen Schöpfers Natur und menschliche Freiheit in nicht-dualistischer Weise als einander sinnvoll zugeordnete, ergänzende, geschaffene Aspekte gedeutet. Damit wird ein zentraler Grundsatz des neuzeitlichen und modernen Denkens, nämlich die Annahme, dass Natur und menschliche Freiheit auch zwei absolute, konkurrierende Größen darstellen können, von Anselm mit guten Gründen nicht geteilt.

1.1.5. Die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit der Freiheit Gottes in seiner Dreieinigkeit In Monologion 29–63 laufen schließlich, ähnlich wie die Proslogion 23, die freiheitstheoretisch grundlegenden theologisch-ontologischen Überlegungen auf eine Reflexion der Dreieinigkeit Gottes zu.85 Dabei wird in Anlehnung an biblische, insbesondere johanneische Aussagen, sowie an trinitätstheologische Gedanken in Gregor von Nazianzs Orationes und vor allem Augustins De Trini­ ate die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit der Freiheit Gottes in seiner Dreieinigkeit herausgestellt.86 Damit wird hervorgehoben, dass die Freiheit Gottes nicht von seiner wesenhaften Treue beziehungsweise Unwandelbarkeit und Liebe zu trennen ist. Zudem wird die göttliche Freiheit nicht in dem Sinne personal verstanden, dass die Freiheit des Vaters eine andere ist als die des Sohnes und wieder eine andere die des Heiligen Geistes. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Freiheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes

85  ML 29–63 (SI), 47,2–75,16; PL 23 (SI), 117,4–22; Siehe hierzu: auch: Ludwig Hödl, Das trinitätstheologische Fundamentalprinzip des Anselm von Canterbury, in: Recherches de théologie et philosophie médiévales 69 (2002;1), 172–214; und John Milbank, The Second Difference: for a Trinitaranism without Reserve, in: Modern Theology 2.3 (1986), 213–234, Milbanks These, Anselm sei „der Schuldige“, der die Personen der Substanz unterordne und damit geschichtlich den Weg zum Modalismus ebne, erweist sich als textlich nicht haltbar und inhaltlich falsch, da Anselm gerade den Substanzbegriff relativiert und verneint, dass es eine Substanz hinter den Personen gebe. Siehe: ML 79 (SI), 85,13–86,14; Siehe zur Kritik an Milbank auch: Thomas Williams, „God who Sows the Seed and Gives the Growth: Anselms Theology of the Holy Spirit“, in: Anglican Theological Review 89 (2007), 611–27; Ders.,; Visser, Anselm, 145–146 und: William E. Mann, Anselm on the Trinity, in: The Cambridge Companion to Anselm, hg. v. Brian Davies; Brian Leftow, Cambridge 2004, 257–278; Zu Problemen der Anselmschen Trinitätslehre siehe jedoch auch: Helmut K. Kohlenberger, Konsequenzen und Inkonsequenzen der Trinitätslehre in Anselms Monolo­ gion, in: Analecta Anselmiana 5 (1973), 149–178. 86  Gregor von Nazianz, Orationes theologicae II,1-V,33 (FC 22), 92,1–339,15; Augustin, De Trinitate IV,I,1-XXI,32 (CChr.SL 50), 159,1–209,85; siehe hierzu insbesondere auch: Asiedu, From Augustine to Anselm, 303–384.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

dieselbe wesenhafte, göttliche Freiheit ist, in zugleich relational beziehungsweise personal verschiedenen Formen.87 So wird trinitarisch-theologisch angedeutet, dass der Vater die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit des göttlichen Willens freiwillig um ihrer selbst willen bewahrt, indem er das Wort, das heißt den Sohn zeugt und zur Erlösung der Schöpfung sendet und den Geist haucht und zur Vollendung der Erlösung der Schöpfung sendet.88 Zudem wird darauf verwiesen, dass das Wort beziehungsweise der Sohn selbst die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit des göttlichen Willens freiwillig um ihrer selbst willen bewahrt, indem er gezeugt wird und mit dem Vater den Geist haucht und zur Erlösung der Schöpfung in die Inkarnation gesendet wird und diese Sendung ohne Zwang freiwillig in vollkommener Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters, das heißt in der Liebe des Geistes durch sich selbst vollbringt.89 Schließlich wird darauf hingewiesen, dass der Heilige Geist die vollkommene Selbstidentität und Heiligkeit des göttlichen Willens freiwillig um ihrer selbst willen bewahrt, indem er vom Vater und Sohn gehaucht wird und zur Vollendung der Erlösung der Schöpfung in die Welt gesendet wird, und diese Sendung ohne Zwang in vollkommener Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters und Sohnes durch sich selbst in Liebe vollbringt.90 Die trinitarisch-theologischen Reflexionen in Monologion 29–63, die später in der Epistola de incarnatione Verbi gegen Roscelins nominalistische Kritik, in Cur Deus homo gegenüber jüdischen und heidnischen beziehungsweise islamischen Einwänden und in De processione spiritus sancti gegenüber der orthodoxen Kritik am filioque weiter ausgeführt werden, begründen die freiheitstheoretische Annahme, dass die göttliche Freiheit nicht in unbestimmter, indifferenter absoluter Willkür bestehen kann.91 So wenig, wie es nach Anselm ein göttliches Wesen hinter oder über Gott in seiner Dreieinigkeit gibt, so wenig gibt es seiner Auffassung nach eine Freiheit hinter oder über der Freiheit der vollkommenen Selbstidentität und Heiligkeit Gottes, die sich in seinem schöpferischen, erlösenden und vervollkommnenden Handeln zeigt.92 Zudem ist in Anselms trinitätstheologischer Zuspitzung der theologisch-ontologischen Reflexion auch die Ablehnung einer nezessitarischen Deutung des schöpferischen Handelns des höchsten Wesens begründet.93 Da Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist ohne den Zwang irgendeines kosmisch-metaphysischen, ethisch-natur87 ML 45 (SI), 63,8–11; vgl. EDIV 6–16 (SII), 20,2–35,18; DPSS 2–16 (SII), 185,30– 219,29; insbes., DPSS 14–16 (SII), 212,10–219,29. 88  ML 29–64 (SI), 47,1–74,27; DPSS 14–16 (SII), 212,10–219,29. 89  ML 29–64 (SI), 47,1–74,27; vgl. CDH I,8–10 (SII), 58,7–67,20. 90  ML 29–64 (SI), 47,1–74,27; vgl. DPSS 14–16 (SII), 212,10–219,29. 91  DC I,4–5 (SII), 252,7–255,29. 92 Ebd. 93  Ebd.; CDH II,17 (SII), 122,23–126,19; ML 21–29 (SI), 36,5–48,5.

1.1. Die theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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rechtlichen oder modalen Gesetzes in untrennbarer Einheit des Wesens allein aus sich selbst heraus vollkommen frei wirkt, was er in seiner vollkommenen Selbstidentität und Heiligkeit wirken will, ist die Annahme eines ursprünglichen a-personalen nezessitierten Prinzips, durch das alles andere nezessitiert wird, ausgeschlossen.94 Dies ist deswegen freiheitstheoretisch bedeutsam, weil Gott durch die trinitarisch-theologischen Konkretionen nicht mit einer ersten a-personalen Ursache oder einem ersten a-personalen Ursachengefüge identifiziert wird, sondern das vollkommen freie Handeln Gottes in seiner Dreieinigkeit in personalen beziehungsweise transpersonalen Kategorien als eine höhere Art von inhaltlich positiv bestimmter Akteurskausalität gedeutet wird, mit der eine nachfolgende Notwendigkeit gesetzt wird.95 In den Überlegungen zur Freiwilligkeit des Erlösungshandelns Christi in Cur Deus homo und zur Vereinbarkeit von Gott und menschlicher Freiheit in De concordia wird schließlich auf genau diese theologisch-ontologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption Bezug genommen.96 Außerdem wird mit diesen trinitarisch-theologischen Reflexionen positiv angedeutet, dass die Freiheit an sich in dem Vermögen besteht, die Selbstidentität (rectitudo) des Willens um ihrer selbst willen zu bewahren. Sie wird von Anselm also in der Heiligkeit der Unwandelbarkeit und Treue des göttlichen Liebeswillens gesehen.97 Damit wird trinitätstheologisch begründet, in welchem Sinne die göttliche Freiheit eine ist, über die hinaus eine größere nicht gedacht werden kann. Der erste Grund beziehungsweise das letzte Ziel der ontologisch und relational verschiedenen menschlichen Freiheit wird damit inhaltlich positiv beschrieben. Demnach ist keine größere Freiheit denkbar als die Freiheit dessen, der vollkommen mit sich selbst identisch ist, weil er ist, der er ist und für uns sein wird, der er sein wird, und dessen Freiheit unwandelbar und treu in heiliger Liebe und liebender Heiligkeit besteht.98 Angesichts dieser unwandelbar heiligen Freiheit der göttlichen Liebe wird von Anselm auch angedeutet, wie unähnlich ihr die geschöpfliche Freiheit ist, die in ihrer Wandelbarkeit durch den eigenen Willen des Geschöpfs freiwillig der Treue, Liebe und Heiligkeit entleert und somit korrumpiert worden ist.99 Zugleich wird verdeutlicht, dass Gottes Dreieinigkeit und ihre wesenhafte Freiheit für das menschliche Erkenntnisvermögen derart „unermesslich“ (ineffabilis) ist, dass sie nicht „von Angesicht zu Angesicht“ durch ihre Eigentümlichkeit in ihrem Wesen erkannt werden kann, 94 Ebd. 95 

Ebd. vgl. Petrus Damiani, De divina omnipotentia 602D-608A (SC 191), 410,1–432,56. I,8–10 (SII), 58,7–67,20; DC I,4–5 (SII), 252,7–255,29; ML 29–64 (SI), 47,1– 74,27. 97  DV 10–13 (SI), 189,30–199,29; DLA 13–14 (SI), 225,1–226,8. 98  DLA 1 (SI), 207,1–209,6; DLA 14 (SI), 226,1–8. 99  PL 1 (SI), DLA 2–12 (SI), 209,7–224,32. 96  CDH

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

das heißt durch sich selbst wie sie in sich selbst ist, sondern nur der Ähnlichkeit zum gottebenbildlich geschaffenen Geist des Menschen nach, das heißt wie sie hierdurch, „wie durch einen Spiegel“ (velut speculum) „im Rätsel“ (in aenigmate) geschaut werden kann.100 Diese von 1Kor 13,12 angeregte Spekulation über die Unermesslichkeit der göttlichen Dreieinigkeit und zur „anthropologischen Vermittlung der Offenbarung“101 in Monologion 64–67, die sich ähnlich auch schon ganz am Ende von Augustins De Trinitate finden, markieren zugleich den Übergang zu den anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption.102

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption Im Anschluss an die theologisch-ontologischen Überlegungen in Monologion 1–63 folgen in Monologion 64–80 anthropologische Überlegungen, die nicht nur zur Klärung der erkenntnistheoretischen Frage nach der Möglichkeit und Art und Weise der Gotteserkenntnis beitragen, sondern auch für die Freiheitskonzeption grundlegend sind.103 In De libertate arbitrii und De concordia wird mehrfach explizit auf diese anthropologischen Grundlagen rekurriert. In allen nachfolgenden Schriften werden sie implizit vorausgesetzt, weiter begründet oder ausgeführt.104 Dabei wird zum einen auf das gottebenbildlich geschaffene Wesen des Menschen Bezug genommen.105 Auf dieser Grundlage kann sich der Mensch Anselm zufolge als ein frei und gut geschaffenes, vernunftbegabtes Wesen mit ihm eigentümlicher, wesensgemäßer Freiheit erkennen, die ihm dazu dient, seiner wesensgemäßen Bestimmung in verschiedenen personalen Lebensvollzügen freiwillig entsprechen zu können. Damit deutet Anselm die Freiheit des Menschen nicht nur als individuelle Freiheit, die einer menschlichen Person aufgrund ihrer individuellen Charaktereigentümlichkeit und Differenz zu anderen Personen zukommt. Er versteht sie zugleich auch als wesenhafte Freiheit, die vorgängig jeder menschlichen Person qua Mensch von Gott her zukommt.106 100  ML 65–67 (SI), 77,4–78,11; vgl. Pseudo-Dionysius Areropagita, De Mystica Theo­ logia IV-V (PTS 36), 148,1–150,9. 101 So Verweyen, Anthropologische Vermittlung der Offenbarung, 149–158. Siehe hierzu auch: Visser; Williams, Anselm, 111–122. 102 Vgl. Augustin, De Trinitate VIII,1-XI,18 (CChr.SL 50), 268,1–355,29. 103  ML 64–80 (SI), 74,28–87,13. 104  DLA 1–3 (SI), 207,1–212,22; DLA 14 (SI), 226,1–18 und DC III,11–14 (SII), 278,27– 288,19. 105  ML 31–36 (SI), 48,14–55,10; ML 64–80 (SI), 74,28–87,13. 106 Siehe hierzu insbesondere: Trego, „En personne“, 421–450; Georgi Kapriev, Menschliche Individualität und Personalität bei Anselm von Canterbury, in: Individuum und Individualität im Mittelalter, hg. v. J. A. Aertsen und A. Speer, Berlin; New York 1996, 355–370; Matteo Zoppi, La Veritá sull’uomo. L’Anthropologia di Anselmo d’Aosta, Rom 2001, 156–181.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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Zum anderen wird von Anselm das vernunftbegabte Wollen, Wählen und Handeln des Menschen erläutert, mit dem jeder Mensch von seiner wesensgemäßen Freiheit Gebrauch machen kann. Dabei entwickelt er ausgehend von den anthropologischen Grundbegriffen des Herzens, der Seele und des Geistes eine differenzierte intentionale Analyse des vernunftbegabten Willens, der Möglichkeitsspektren des freien Wahlvermögens des Willens und des entsprechenden Spielraums personal selbstbewirkter Handlungen und ihrer jeweiligen Voraussetzungen.107 Damit wird auch die spätere Unterscheidung und Verhältnisbestimmung von Wesens-, Denk-, Willens-, Wahl- und Handlungsfreiheit anthropologisch begründet.108 Diese anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption sollen im Folgenden in zwei Schritten dargelegt werden. Auch wenn nach Anselm beides eine untrennbare Einheit bildet, wird zunächst (1.2.1.) rekonstruiert, was im Monologion und im Proslogion als das Wesen des Menschen beschrieben wird und im Anschluss daran (1.2.2.), wie in diesen Texten sowie in De libertate arbitrii und De concordia das Wollen, Wählen und Handeln menschlicher Personen analysiert werden.

1.2.1. Das gottebenbildlich geschaffene Wesen des Menschen Anselm geht davon aus, dass es trotz der unhintergehbaren Individualität jeder menschlichen Person ein allen Menschen gemeinsames Wesen des Menschen gibt, an dem jede individuelle Person qua Mensch teilhat.109 Ausgehend von seiner Kritik an dem von Boethius entwickelten substanzontologischen Personbegriff und seiner relational-essenzontologischen Neudefinition der Person als „individuelle vernünftige Natur“ (individua rationali natura) hält er an der Untrennbarkeit von individuell-personalem und wahrhaftig-wesenhaftem Sein fest.110 So stellt es keinen Widerspruch zu seiner Thematisierung individueller Freiheit und Gewissensentscheidungen in den Briefen dar, wenn er in den theologischen Schriften die Freiheit des Menschen im Wesen jeder menschlichen 107 

ML 64–80 (SI), 74,28–87,13; DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19. DV 4–5 (SI), 180,20–183,7; DV 7–9 (SI), 185,6–189,28; DLA 3 (SI), 212,13–21; Siehe hierzu insbesondere auch: Ekenberg, Free Will and Free Action, 301–318; Eileen F. Serene, Anselmian Agency in the Lambeth Fragements. A Medieval Perspective in the Theory of Action, in: Anselm Studies 1 (1983), 143–156; Thomas A. Loscony, Will in St. Anselm: An Examination of his Biblical and Augustinian Origins, in: Spicilegium Beccense II (1984), 701–710. 109  ML 79 (SI), 85,11–86,14; DCV 1 (SII), 140,1–141,5; vgl. EDIV 1–16 (SII), 3,1–35,18. 110  Ebd.; vgl. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, II-III (PhB 397), 72,1–80,101, insbes. 74,1–75,9 vgl. Augustin, De Trinitate VII,IV,7–11 (CChr.SL 50), 255,1–265,117. Siehe hierzu auch: Corinna Schlapkohl, Persona est naturae rationabilis individua substantia. Boethius und die Debatte über den Personbegriff, Marburg 1999, 10–70; 94–96; 120–124; vgl. Maurice Nédoncelle, La Notion de personne dans l’oeuvre de saint Anselme, in: Spicilegium Beccense I (1959), 31–43; Trego, „En personne“, 421–450; 108 

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

Person verankert und nicht nur in der jeder menschlichen Person eigentümlichen Individualität.111 Ihr wesenhafter Charakter ist nach Anselm jeder menschlichen Person nicht weniger in ihrer Selbsterfahrung und Sozialität gegenwärtig und ihrer Selbstreflexion theoretisch zugänglich als ihr individueller Charakter. So arbeitet Anselm im Monologion und Proslogion fünf zentrale Aspekte des theoretisch erkennbaren Wesens heraus, an dem jedem Menschen von Gott Anteil gegeben ist.112 Diese sollen im Folgenden in ihrer freiheitstheoretischen Bedeutung erläutert werden. Als Erstes (1.2.1.1.) wird auf die anthropologische Beschreibung des immer wiederkehrenden Motivs des Gabecharakters alles geschaffenen Seins und Wesens eingegangen. Im Anschluss daran wird als Zweites (1.2.1.2.) die in Monolo­ gion 31 formulierte Beschreibung des Ortes und Charakters des Menschen im Gesamtzusammenhang der geschaffenen Natur erläutert. Als Drittes (1.2.1.3.) soll dargestellt werden, wie der damit verbundene Gedanke des gottebenbildlich geschaffenen Charakters des menschlichen Geistes in Monologion 67 und im Proslogion ausgeführt wird. Als Viertes (1.2.1.4.) wird Anselms Beschreibung der wesensgemäßen Bestimmung des Menschen in den letzten Kapiteln des Mono­ logion erörtert, die für sein Verständnis des Sinns der Freiheit maßgeblich ist. Schließlich soll als Fünftes (1.2.1.5.) erläutert werden, in welchem Sinne die personalen Lebensvollzüge des Glaubens, Liebens und Hoffens als das entsprechende Leben des Geistes beschrieben werden. 1.2.1.1. Der Gabecharakter alles Geschaffenen Im Monologion und Proslogion, aber auch in De libertate arbitrii, De casu diaboli und De concordia wird der Gabecharakter des Seins und Wesens als ontologisches Signum alles gut Geschaffenen herausgearbeitet. So wird in Monologion 1–14, im Proslogion und in De casu diaboli 1–3 und 12 dafür argumentiert, dass alles, was ist, außer dem höchsten Wesen selbst, sein Sein und Wesen von diesem her hat, beziehungsweise durch dieses und in ihm ist.113 Zudem wird in De libertate arbitrii 3, De casu diaboli 1 und De concordia III,1–3 mehrfach die paulinische Frage aus 1Kor. 4,7 „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ (Quid habes, quod non accepisti?) als allgemeiner schöpfungstheolo-

111 Siehe: Thomas M. Krüger, Persönlichkeitsausdruck und Persönlichkeitswahrnehmung im Zeitalter der Investiturkonflikte. Studien zu den Briefsammlungen Anselm von Canterburys, Hildesheim 2002; vgl. Kapriev, Menschliche Individualität und Personalität, 355–370. 112  ML 31–36 (SI), 48,14–55,10; ML 64–80 (SI), 74,28–87,13; PL 1–26 (SI), 97,1–122,2; Siehe hierzu auch: Goebel, Rectitudo, 232–273; Rogers, Anselm on Freedom, 108–124. 113  ML 1–14 (SI), 13,1–27,26; PL 1–26 (SI), 97,1–122,2; DCD 1–3 (SI), 233,1–240,13; DCD 12 (SI), 251,20–255,18; Siehe hierzu auch: Knauer, Anselms Geschöpflichkeitsbeweis, 165–181.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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gischer Grundsatz ausgedeutet und auf das Wesen vernunftbegabter Geschöpfe und ihre Vermögen bezogen.114 Die Begründung der Annahme, dass alles Geschaffene gegeben ist, ist deswegen freiheitstheoretisch grundlegend, weil damit das Charakteristikum geschöpflicher Freiheit auch anthropologisch herausgearbeitet wird. In der Einteilung des Freiheitsbegriffs in De libertate arbitrii 14 wird aufgrund der schöpfungstheologischen Differenz und Beziehung zwischen göttlicher Freiheit und geschöpflicher Freiheit festgehalten, dass geschöpfliche Freiheit sich gegenüber der göttlichen Freiheit dadurch auszeichnet, dass sie nicht a se ist, sondern „von Gott geschaffen und empfangen“ (a Deo facta et accepta).115 Dieser Gabecharakter geschöpflicher Freiheit ist für die Herleitung der Definition des Freiheitsbegriffs in De libertate arbitrii 3 zentral.116 Er entspricht dabei auch dem zuvor aufgezeigten Gabecharakter alles Geschaffenen Seins und Wesen, einschließlich der Vermögen der Geschöpfe. Somit hat er eine schöpfungstheologisch akzentuierte, anthropologische Grundlage. Auch alle anderen natürlichen Vermögen vernunftbegabter Lebewesen, wie etwa das sinnliche Wahrnehmungsvermögen, das geistige Denkvermögen und das Willens- und Wahlvermögen, aber auch andere geistige Vermögen, wie etwa das Vermögen des Bleibens im Guten beziehungsweise der Bewahrung des Guten, gelten als von Gott geschaffene und empfangene Vermögen, das heißt als Werk und Gabe Gottes (opus et donum Dei).117 So wird von Anselm in vermögenstheoretischen Reflexionen immer wieder auf den schöpfungstheologischen Grundsatz verwiesen, dass der Mensch kein Vermögen von sich aus hat, auch nicht das Vermögen, seine Vermögen zu gebrauchen, sondern alles, was er hat und kann, von Gott empfangen hat. Damit gelten menschliche Vermögen weder als selbstverursacht noch als unverursacht, sondern als von Gott gegeben. Die Annahme des Gabecharakters aller aktiv brauchbaren Vermögen ab alio stellt dabei die vermögenstheoretische Ausführung der Einsicht in die Geschöpflichkeit des eigenen Seins und Wesens dar. In Monologion 1–14 und De casu diaboli 1–12 wird nämlich aufgezeigt, dass alle geschaffenen Wesen auch ihr Sein und Wesen nicht sich selbst, sondern dem Schöpfer verdanken.118 Der schöpfungstheologische Grundsatz, dass der Mensch nichts hat, was er nicht von Gott empfangen hat, wird somit nicht nur auf seine Vermögen, sondern zuvor auch auf sein Sein und Wesen selbst bezogen. Indem argumentativ aufgezeigt wird, dass nichts und niemand anderes als Gott sein Sein und Wesen 114 

DLA 3 (SI), 211,19–20; DCD 1 (SI), 233,1–234,6; DC III,1–3 (SII), 263,10–267,5. DLA 14 (SI), 226,6–8. 116  DLA 3 (SI), 211,19–20. 117  Siehe hierzu: DCD 1–12 (SI), 233,1–255,18; vgl. DLA 3 (SI), 211,2–26; DC III,14 (SIII), 287,23–288,19. 118  ML 1–14 (SI), 13,1–27,26; DCD 1–12 (SI), 233,1–255,18. 115 

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

von sich her, durch sich selbst oder an sich hat, sondern anders als Gott auf eigentümliche, andere Weise von Gott her empfangen hat, wird das Proprium des Geschöpflichen relational und ontologisch bestimmt.119 In Anlehnung an die biblischen Genesiserzählungen wird angenommen, dass alles was von Gott geschaffen ist gut ist.120 Im Monologion wird dies ontologisch ausgedeutet und als Konsequenz die Identität von Sein und Gutsein angenommen. Dabei wird die Annahme, dass alles, was ist, auch gut ist, anders als in neuplatonischen Ontologien damit begründet, dass es allein durch die Güte des Schöpfers aus nichts frei geschaffen ist.121 Zudem wird der Gabecharakter alles Geschaffenen von Anselm derart universal gedacht, dass er in einem gewissen Sinne auch physische Übel wie Leid und Schmerz und religiös-moralische Übel einschließt. So wird davon ausgegangen, dass das Sein und Gutsein des Geschaffenen zwar in sich gut, aber in Relation zum Schöpfer prinzipiell weniger vollkommen ist, weil es wandelbar und somit in sich instabil ist.122 Diese schöpfungstheologische, anthropologische Grundannahme wird in späteren freiheitstheoretischen Überlegungen in drei Hinsichten aufgegriffen und weitergeführt. Zum einen wird in De libertate arbitrii 14 die von Gott geschaffene und empfangene Freiheit der Geschöpfe als eine wandelbare, in sich instabile, das heißt als eine normativ und zeitlich-geschichtlich verfasste Freiheit charakterisiert. Sie ist und wird entweder so gebraucht wie sie sein und gebraucht werden soll oder nicht. Ihre Beschaffenheit und ihr Gebrauch sind zudem entweder noch wandelbar oder bereits unwandelbar.123 Zum anderen wird in De libertate arbitrii, De casu diaboli und De conceptu virginali der Frage nachgegangen, wie und warum der geschöpfliche Wille sich trotz seiner ursprüngli-

119 Ebd.

120 Ebd.

121  Siehe: ML 5–14 (SI), 18,5–27,26; DCD 1–3 (SI), 233,1–240,13. Zum Motiv der Schaffung der Welt aus Güte bei Platon siehe jedoch: Platon, Timaios (Opera 4), 29e-30a. 122  ML 80 (SI), 86,16–87,13; DCD 27–28 (SI), 275,1–276,15; DC II,1–2 (SII), 260,6– 261,12; DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19; Siehe hierzu auch: Trego, Nature humaine ou acte de volonté?, 295–313; vgl. die Kontroverse zwischen Rogers, Anselm on Freedom, 108–124; Dies., Anselm against McCann on God and Sin: Further Discussion, in: Faith and Philosophy 28,4 (2011), 397–415 und Hugh J. McCann, God, Sin and Rogers on Anselm, in: Faith and Philosophy 26 (2009), 420–431; und die Rezension: Ders., Katherin Rogers: Anselm on Freedom, in: Faith and Philosophy 28,4 (2011), 456–459; Da Rogers in ihrer Interpretation wichtige Differenzierungen Anselms, wie etwa die ontologische Differenz und Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf übersieht, und die in Monologion 80 entwickelte Konzeption der vollkommenen Herrschaft des Schöpfers über alles von ihm Geschaffene nicht erfasst, konstruiert sie eine falsche Alternative zwischen ihrer Sicht und der Position von McCann, die meiner Ansicht keineswegs im Gegensatz zu Anselms Überlegungen steht. Siehe hierzu auch die nähere Diskussion in: 3. 123  DLA 14 (SI), 226,8–18; vgl. DLA 2–12 (SI), 209,7–224,32.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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chen Gerechtigkeit und Freiheit zum Guten, freiwillig selbst zur Ungerechtigkeit verkehren konnte.124 Schließlich wird in Cur Deus homo, der Meditatio redemptionis humanae und De concordia III, der schöpfungstheologische Grundsatz des Gabecharakters alles Geschaffenen gnadentheologisch weitergeführt. Dabei wird betont, dass der Mensch so, wie er sein geschöpfliches Sein und Freisein vollkommen Gottes gnadenhaftem Schöpfungshandeln verdankt, ähnlich auch die Befreiung aus seiner freiwilligen Selbstverknechtung zum aktualen Freiheitsgebrauch vollkommen Gottes gnadenhaftem Erlösungs- und Vollendungshandeln verdankt.125 Damit stellen die schöpfungstheologischen Überlegungen zum Gabecharakter von allem Geschaffenen im Monologion eine wichtige anthropologische Voraussetzung der späteren Reflexionen über die dem Menschen gegebene Freiheit dar.126 1.2.1.2. Der Ort und Charakter des Menschen in der geschaffenen Natur In De libertate arbitrii wird zudem auf den besonderen Ort und Charakter des Menschen im Gesamtzusammenhang der geschaffenen Natur Bezug genommen, der bereits in Monologion 31–36 erläutert wird.127 Dadurch wird neben der allgemeinen ontologischen Differenz zum göttlichen Sein des Schöpfers, die besondere relationale Bezogenheit des Menschen zum schöpferischen Wort Gottes angedeutet und sein besonderer Ort und Charakter im Verhältnis zu anderem Geschaffenem hervorgehoben. In De libertate arbitrii 5 und 13 wird durch den Vergleich der Struktur des personalen Wollens von Menschen und des rein naturhaften Wollens von Tieren begründet, warum Freiheit im eigentlichen Sinne nur vernunftbegabten Wesen zugeschrieben werden kann.128 Die Fähigkeit sich zu seinen naturhaften Trieben und Instinkten auch reflexiv zu verhalten und mit ihnen vernünftig umzugehen, gilt dabei als eine freiheitstheoretisch bedeutsame Auszeichnung des Menschen vor dem Tier.129 Wie viele Denker der Antike und der Mittelalters 124  DLA 2–12 (SI), 209,7–224,32; DCD 1–28 (SI), 233,1–276,15; DCV 1–12; 22–29 (SII), 139,1–155,11; 161,9–173,7; siehe hierzu auch die Ausführungen in: Kap. 3. 125  CDH I,1-II,22 (SII), 47,1–133,15; M III (SIII), 84,1–91,210; DC III,1–10 (SII), 263,1– 278,25; vgl. DLA Siehe hierzu auch Weiteres in: Kap. 4. 126  Anselms klare Beschreibung und Begründung der ontologischen Gegebenheitsstruktur alles Geschaffenen spricht meiner Ansicht gegen die Interpretation von Rogers, derzufolge das Geschöpf an der göttlichen Aseität partizipiere und wie ein erster Akteur auf Gott einwirke. Sie übersieht damit die von Anselm deutlich formulierte anthropologisch und freiheitstheoretisch grundlegende ontologische Differenz und Relation von Geschöpflichem und Göttlichem. Siehe hierzu: Rogers, Anselm on Freedom, 76–78; 108–124. 127  DLA 5 (SI), 214,14–217,6; insbes. 216,4–10; DLA 13 (SI), 225,2–32; insbes. 225,20– 24; vgl. ML 31–36 (SI), 48,14–55,10. 128  DLA 5 (SI), 216,4–10; DLA 13 (SI), 225,20–24; DLA 14; 226,3–5. 129  Ebd.; vgl. hierzu Goebels These, dass Anselm die Vorstellung eines reflexiven Willens mit dem Argument ausschließe, dass sie „ein in infinitum procedere eröffnet“ und Dreyers An-

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

verortet Anselm den Menschen damit zwischen rein animalischen Lebewesen, das heißt Tieren und reinen geistigen Lebewesen, das heißt Engeln.130 Dabei charakterisiert er ihn wesenhaft als leib-geistiges, vernunftbegabtes Lebewesen, das durch seine Geist- und Vernunftbegabtheit von den Tieren unterschieden und mit den Engeln verbunden und durch seine Leiblichkeit und Sinnlichkeit von den Engeln unterschieden und mit den Tieren verbunden ist.131 Warum und inwiefern der Mensch im Gesamtzusammenhang der geschaffenen Natur derart verortet und charakterisiert ist, wird in Monologion 31–36 durch eine Analyse der Gradualität alles geschaffenen natürlichen Seins begründet.132 Nachdem dafür argumentiert worden ist, dass alles durch das eine göttliche Wort geschaffen ist, wird aufgezeigt, dass dieses schöpferische Wort nicht ein ähnliches Abbild des Geschaffenen darstellt, sondern das wahre Bild der göttlichen Wahrheit. Es ist mit der höchsten Wahrheit selbst identisch. Durch es und nach seinem Bild ist alles Geschaffene als ein mehr oder weniger ähnliches Abbild gebildet.133 Dadurch wird alles Geschaffene als eine mehr oder weniger ähnliche Nachahmung des göttlichen Wortes gedeutet. Die Gradualität des Seins, vom bloßen Sein der unbelebten Natur, über lebende Naturen, nicht nahme einer Reflexivität des menschlichen Willens. (Goebel, Anselm von Canterbury über Willensstärke und Willensschwäche, 101–103 vgl. Mechthild Dreyer, Veritas – rectitudo – iustitia. Grundbegriffe ethischer Reflexion bei Anselm von Canterbury, in: Recherches de théologie et philosophie médievales 64,1 (1997), 82–83.) Goebel ist meiner Ansicht nach insofern zuzustimmen, dass es falsch wäre, Anselm als einen „Scotisten avant la lettre“ zu deuten und dass Dreyers Interpretation von Anselms Freiheitsbegriff in De concordia I,6 und De libertate arbitrii 5 korrekturbedürftig ist, da die Freiheit des Willens (libertas arbitrii) nach Anselm keineswegs in einem Vermögen zweiter Ordnung besteht, sich noch einmal neutral zu seinem Wollen verhalten zu können und damit etwas wollen oder nicht wollen, die recti­ tudo bewahren oder aufgeben zu können. Allerdings nimmt Anselm in De veritate und De li­ bertate arbitrii durchaus in einem einfacheren anthropologischen, das heißt willens- und handlungstheoretischen Sinn an, dass der menschliche Willensakt im Unterschied zu Willensakten von Tieren, ein reflexiver, das heißt rationaler und personaler Akt ist, der bevor er getan wird vermieden werden kann und nicht wie natürliche Akte aus vorausgehender, natürlicher Notwendigkeit erfolgt. Siehe hierzu: DV 4–5 (SI), 180,20–183,7; DV 9 (SI), 188,25–189,28; vgl. DLA 5 (SI), 216,4–10; DLA 13 (SI), 225,20–24. 130 vgl. Origenes, Die Homilien zum Buch Genesis I,13–17 (Werke 1;2), 52,17–63,31; Augustin, De civitate Dei XI,1-XII,28 (CChrSL 48), 321,1–385,33. 131  PL 25 (SI), 118,20–23; CDH II,3 (SII), 98,13–24; CDH II,7 (SII), 102,17–21; Auch wenn Anselm nicht direkt über das Verhältnis von Leib und Seele reflektiert, lässt sich aus diesen Textstellen erstens erkennen, dass er den Menschen als aus Seele und Leib bestehende Einheit deutet („totus, id est anima et corpore“), zweitens, dass er das Verhältnis des Verschiedenen, das heißt der Seele und Leibes im Menschen in Analogie zum Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in der Person Christi denkt (das heißt weder monistisch (weil nicht vermischt und nicht wandelbar) noch als dualistisch (weil nicht getrennt und nicht teilbar) und drittens, dass die vernunftbegabte Seele für relativ höherwertig erachtet wird, als der Leib, weil sie das eigentümliche orientierende und bewegende Lebensprinzip des Menschen ist. 132  ML 31–36 (SI), 48,14–55,10. 133  ML 31–33 (SI), 48,14–53,12.

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fühlende und fühlende Lebewesen bis hin zu vernunftlosen und vernunftbegabten lebendigen Sinneswesen, wird von Anselm somit nicht anthropozentrisch, sondern logozentrisch begründet. Dadurch gilt zum einen alles Geschaffene, einschließlich des bloß materiellen, anorganischen Seienden, in seinem Gesamtzusammenhang als wahres Abbild des göttlichen Wortes. Zum anderen gilt der Mensch im Gesamtzusammenhang alles Geschaffenen als besonders ähnliches wahres Bild des göttlichen Wortes. So wird in Monologion 31 argumentiert: Weil die höchste Natur auf ihre gewisse, einzigartige Weise nicht nur ist, sondern auch lebt und fühlt und vernünftig ist, so ist einleuchtend, dass, was irgendwie lebt, ihr ähnlicher ist, als das, was überhaupt nicht lebt, und das, was auf irgendeine Weise, wenn auch nur durch einen körperlichen Sinn, etwas erkennt, mehr, als was überhaupt nichts fühlt, und was vernunftbegabt ist, mehr, als was des Denkens nicht fähig ist.134

So gilt alles und jedes Seiende, in seinem mehr oder weniger gottähnlichen bildhaften Sein als ein mehr oder weniger deutliches Zeichen des Schöpfers, das auf die einzigartig seiende, lebende, fühlende und vernünftige Wahrheit des göttlichen Wortes verweist.135 Der besondere Ort und Charakter des Menschen im Gesamtzusammenhang der geschaffenen Natur wird somit nicht nur durch die graduellen, wesenhaften Differenzen zu Dingen, Pflanzen und Tieren begründet. Sie wird vielmehr auch damit begründet, dass der Mensch dadurch, dass er nicht nur wie Dinge ist, sondern auch wie Pflanzen lebt und wie Tiere, wahrnimmt und darüber hinaus auch vernunftbegabt ist, ein besonders deutliches Zeichen und ähnliches Bild des göttlichen Wortes darstellt.136 Dieses graduell höherstufige Sein des Menschen ist nach Anselm deswegen nicht in sich selbst begründet, weil es ein Werk des schöpferischen Logos ist. Daraus ergeben sich wichtige erkenntnis- und freiheitstheoretische Konsequenzen. Zum einen wird dadurch der freiheitstheoretisch bedeutsame Ort und Charakter des Menschen graduell und wesenhaft in Relation zu allem anderen Geschaffenen beschrieben und schöpfungstheologisch begründet. Damit wird es weder verabsolutiert noch nivelliert. Dabei wird herausgestellt, dass der Mensch sich vom Tier durch die prinzipielle Fähigkeit zu vernunftbegabter Selbstdistanzierung von bestimmten Wünschen und Neigungen unterscheidet. Zum anderen ist damit die erkenntnistheoretisch relevante ontologische Annahme verbunden, dass etwas als umso wahrer gilt, je mehr es im göttlichen Wort ist, das heißt es gilt als wahrer im göttlichen Wort als in sich selbst.137 Schließlich gilt damit gerade die Sprach- und Denkfähigkeit als besondere Auszeichnung des Menschen. Das heißt, die Möglichkeit der Selbsterkenntnis ist 134 

ML 31 (SI), 49,14–20. ML 31 (SI), 49,21–50,13. 136  ML 31 (SI), 48,14–50,13; vgl. Origenes, Die Homilien zum Buch Genesis I,13–17 (Werke 1;2), 52,17–63,31. 137  ML 36 (SI), 54,15–55,10. 135 

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

nach Anselm durch die Wirklichkeit des Von-Gott-erkannt-Seins begründet, da das Bild, das der Mensch durch das Denken und Sprechen seiner Selbst entdeckt, als um so wahrer gilt, je mehr es dem Bild entspricht, in dem es durch die Wahrheit des göttlichen Wortes geschaffen worden ist.138 1.2.1.3. Der gottebenbildlich geschaffene Charakter des menschlichen Geistes In Monologion 67 und im Proslogion wird weiter ausgeführt, worin genau der besondere bildliche, Gott ähnliche geschaffene Charakter des Menschen erkannt werden kann.139 Dabei wird in Anlehnung an Augustins Deutung von Gen. 1,26–27 in Confessiones 13 und De Trinitate 8–11 die trinitarische Struktur des menschlichen Geistes hervorgehoben.140 Im Anschluss an die Erkenntnis der Unermesslichkeit des Seins des dreieinigen Wesens Gottes wird erkenntnistheoretisch aufgezeigt, dass das dreieinige Wesen Gottes nicht erkannt werden kann, wie es in sich ist, sondern nur, wie es sich der Ähnlichkeit nach unserem Geist erschließt.141 Durch diese Betonung der „anthropologischen Vermittlung der Offenbarung“ und des analogen Charakters der Gotteserkenntnis und -rede wird die freiheitstheoretisch zentrale Annahme herausgearbeitet, dass der erste Grund und das letzte Ziel des menschlichen Wollens zwar direkt gegenwärtig aber nur indirekt erkennbar ist.142 So kommt dem gottebenbildlich und -ähnlich geschaffenen Charakter des menschlichen Geistes eine besondere freiheitstheoretische Bedeutung zu. Der gottebenbildlich geschaffene Charakter des menschlichen Geistes wird dabei nicht nur allgemein in der Vernunft- und Sprachbegabtheit des Menschen gesehen, sondern konkret in seiner trinitarischen Struktur beschrieben. In Mo­ nologion 67 wird in Bezug auf den vernünftigen Geist des Menschen argumentiert: Wenn dieser Geist allein aus allem, was geschaffen wurde, sich seiner erinnernd, erkennend und liebend sein kann, sehe ich nicht, warum zu verneinen ist, dass in ihm das wahre Bild jener Wesenheit ist, die durch Erinnerung ihrer selbst und Erkenntnis und

138  ML 32–36 (SI), 50,15–55,10. So heißt es in Monologion 36: „Daraus kann aufs offensichtlichste verstanden werden, dass vom menschlichen Wissen nicht verstanden werden kann, auf welche Weise dieser Geist das, was geschaffen worden ist, spricht oder weiß. Denn niemandem ist es zweifelhaft, dass die geschaffenen Substanzen in sich selbst sehr viel anders sind als in unserem Wissen. Denn in sich selbst sind sie durch ihr eigenes Wesen, in unserem wahren Wissen sind aber nicht ihre Wesenheiten, sondern Ähnlichkeiten eben dieser (simili­ tudines). Deswegen bleibt übrig, dass sie wahrer sind in sich selbst als in unserem Wissen, soviel wahrer sie irgendwo durch ihre Wesenheit sind als durch ihre Ähnlichkeit.“ 139  ML 67 (SI), 77,26–78,11; PL 1 (SI), 97,1–100,19. 140  Ebd.; vgl. Augustin, Confessiones XIII,XI,12 (CChr.SL 27) 247,1–248,20; Ders., De Trinitate VIII, Proem, 1-XI, XI, 18 (CChr.SL 50), 268,1–355, 29. 141  ML 67 (SI), 77,26.78,11; vgl. ML 36 (SI), 54,15–55,10; und PL 14–23 (SI), 111,6– 117,22. 142 Ebd.; Verweyen, Anthropologische Vermittlung der Offenbarung, 149–158.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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Liebe in unermesslicher Dreieinigkeit besteht. Oder gewiss erweist er sich von daher wahrer ein Bild jener zu sein, weil er jene erinnern, erkennen und lieben kann.143

Damit wird zum einen das Vermögen der Selbsterinnerung, Selbsterkenntnis und Selbstliebe als Bild Gottes gedeutet, der sich in seiner Dreieinigkeit in unermesslicher Weise seiner selbst erinnert, erkennt und liebt. Zum anderen wird damit das Vermögen der Gotteserinnerung, -erkenntnis und -liebe ähnlich wie bei Augustin als das deutlichere Bild Gottes im Menschen gedeutet.144 Der gott­ eben­bildliche Charakter des menschlichen Geistes wird von Anselm also nicht nur und keineswegs im höchsten Sinne in seiner selbstbezüglichen Struktur gesehen. Vielmehr wird es in seiner wesenhaften, relationalen Gottbezogenheit betrachtet. Aus diesem Grund wird die Struktur des gottebenbildlich geschaffenen Geistes des Menschen gerade nicht als eine primär selbstbezogene Aseität oder causa sui beschrieben, sondern als gegebene Relationalität, in der Gottesund Selbsterkenntnis untrennbar verbunden sind.145 Dabei wird dieser gottebenbildlich geschaffene Charakter des menschlichen Geistes zum einen ontologisch-anthropologisch als ein Signum gedeutet, das dem Menschen von Natur aus wesenhaft in unverlierbarer Weise zukommt. Zum anderen wird es religiös-ethisch als eine Gabe verstanden, die der Mensch willentlich ausprägen soll, aber auch korrumpieren kann und faktisch in der Sünde derart korrumpiert hat, dass er sie von sich aus nicht verwirklichen kann.146 Das Proslogion kann vor diesem Hintergrund als eine Argumentation dafür gedeutet werden, wie Gott als das höchste Gute erinnert, erkannt und geliebt werden kann, und wie damit auch die Erinnerung, Erkenntnis und Liebe seiner selbst als geschaffenes, korrumpiertes und erneuertes Bild Gottes gegeben ist.147 Dafür spricht nicht nur formal, dass es in Kap.  2 –13 zentral um das Denken beziehungsweise Erinnern (cogitare) des einzigartigen Seins und Wesens Gottes geht, in Kap.  14–23 um das Verstehen desselben (intelligere) und in Kap.  24–26 um die Liebe zu demselben (amare).148 Es spricht dafür weiter auch inhaltlich, dass vorab in Proslogion 1 die Bitte um Gottes Selbstoffenbarung mit dem Bekenntnis und Dank verbunden wird, dass Gott im Menschen sein Bild geschaf143 

144 

384.

ML 67 (SI), 78,1–4. Zu diesem Motiv bei Augustin siehe auch: Asiedu, From Augustine to Anselm, 303–

145 Anders hingegen: Rogers, Anselm on Freedom, 76–78; Selbst in der freiwilligen, diabolischen Selbstverkehrung des geschöpflichen Willens, auf die Rogers hier Bezug nimmt, wird dem geschöpflichen Willen von Anselm keine Aseitäts- oder causa sui-Struktur zugeschrieben. Siehe hierzu: DCD 1–3 (SI), 233,1–240,13. 146  ML 67–74 (SI), 78,1–83,8; insbes. ML 68 (SI), 87,14–16. 147  PL 1–26 (SI), 97,1–122,2; Siehe auch: PL Prooemium, SI, 93,1–94,13. hieraus meiner Ansicht nach nah, das unum argumentum nicht nur in Kap.  2 –3 oder 4 zu sehen, sondern in Kap.  1–26. Siehe hierzu auch: Schumacher, Divine Illumination, 66–84; vgl. Dies., The Lost Legacy, 87–101. 148  Ebd.; vgl. Logan, Reading Anselm’s „Proslogion“, 197–202.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

fen habe, damit er Gott erinnere, erkenne und liebe (quia creasti in me hanc ima­ ginem tuam, ut tui memor te cogitem te amem). Weiter spricht dafür, dass sie auch verbunden ist mit dem Bekenntnis und der Klage, dass dieses Bild durch Laster und Sünde derart zerstört und verdunkelt ist (abolita; offuscata), dass es nicht tun kann, wozu es gemacht ist, wenn Gott es nicht erneuert und wiederherstellt (ut non possit facere ad quod facta est, nisi tu renoves et reformes eam).149 Indem Anselm betont, dass die Gottebenbildlichkeit des Menschen sich vor allem in der Gotteserkenntnis und -liebe verwirklicht, deutet er an, dass der gottebenbildlich geschaffene Charakter des Menschen sich nicht nur in einem aktiven Leben der Machtausübung verwirklicht, sondern dass dieses im kontemplativen Leben gründet und dadurch religiös-ethisch qualifiziert wird. Dadurch wird der mit der Gottebenbildlichkeit verbundene Herrschaftsauftrag religiös-ethisch qualifiziert als gerechte Ausübung der gegebenen Vermögen und als Leben in freiwilliger, vernünftiger und selbstzweckhafter Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen gedeutet.150 Schließlich wird von Anselm damit anthropologisch betont, dass jede Person mit einem derart guten Charakter geschaffen ist. Weiter wird hervorgehoben, dass jede Person diesen guten, gottebenbildlich geschaffenen Charakter durch Sünde so korrumpiert hat, dass niemand dieses unverlierbare, natürliche, eingeprägte Bild von sich aus willentlich verwirklichen kann. Vielmehr wird herausgestellt, dass jeder vollkommen auf Gottes erneuerndes und wiederherstellendes Offenbarungs- und Gnadenhandeln angewiesen ist.151 Diese anthropologischen Überlegungen in Monologion 67 und Proslogion 1 werden in De libertate arbitrii, Cur Deus homo und De concordia in freiheitstheoretischer und trinitarisch-heilsgeschichtlicher Sicht weiter ausgeführt.152 Dabei zeigt sich ihre freiheitstheoretische Bedeutung vor allem darin, dass Freiheit, entsprechend dem guten, gottebenbildlich geschaffenen Charakter des Menschen, als ein Vermögen verstanden wird, das im Anfang inhaltlich positiv bestimmt auf das Gute ausgerichtet gewesen ist. So wird nicht von einem ursprünglichen, neutralen vorbewussten Zustand träumender Unschuld ausgegangen. Der ursprüngliche Zustand wird als ein bewusster, positiver, das heißt guter Zustand der freiwilligen Bewahrung der Gabe wahrer Gotteserkenntnis und gerechter Gottesliebe gedacht.153 Eine weitere wichtige Analogie zwischen Freiheit und Gottebenbildlichkeit wird von Anselm schließlich darin aufgezeigt, dass Freiheit – genauso wie der gottebenbildlich geschaffene Charakter des menschlichen Geistes – zum einen als ein gegebenes, unverlierbares natürliches Vermögen gedeutet wird, und dass 149 

PL 1 (SI), 100,12–15.

150 Ebd. 151 Ebd.

152  DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32; CDH I,4–6 (SII), 52,8–53,8; DC III,3 (SII), 265,26– 267,5. 153  DLA 3 (SI), 211,2–212,20; DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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sie zum anderen als ein gegebener, verlierbarer und faktisch durch die Sünde verlorener beziehungsweise in Christus wiedergegebener Vermögensgebrauch und -vollzug verstanden wird. Diese bei Anselm angedeutete Analogisierung von Freiheit und Gottebenbildlichkeit wird später von Bernhard von Clairveaux und Hugo von St. Victor aufgegriffen und weitergeführt.154 Dabei unterscheidet Bernhard aber anders als Anselm zwischen der unverlierbaren Gott­ eben­bildlichkeit (imago) und der verlierbaren und faktisch durch die Sünde verlore­nen Gottähnlichkeit (similitudo) des Menschen, die in Christus wiedergegeben und im Heiligen Geist vollendet wird. Dementsprechend wird freiheitstheoretisch unterschieden zwischen der unverlierbaren geschöpflichen Freiheit vom Zwang der Notwendigkeit zur freien Wahl (liberum arbitrium) und der verlorenen und in Christus gnadenhaft erlösten Freiheit von der Macht zur Sünde zur vernünftigen Wahl des Guten (liberum consilium), und der im Heiligen Geist vollendeten Freiheit vom Elend zum freien Wohlgefallen am Guten (liberum complacitum).155 1.2.1.4. Die wesensgemäße Bestimmung des Menschen In der Herleitung des Freiheitsbegriffs in De libertate arbitrii wird von Anselm zudem maßgeblich Bezug genommen auf die Bestimmung des Menschen, die seinem gottebenbildlich geschaffenen Wesen gemäß ist.156 Dahinter steht die Vorstellung, dass der Mensch wahrhaft frei ist, wenn er in Übereinstimmung mit seiner wesensgemäßen Bestimmung leben kann.157 Die Frage nach der wesensgemäßen Bestimmung des Menschen wird dabei bereits in Monologion 68 –74 sowie im Proslogion erörtert und später in De libertate arbitrii, Cur Deus homo und De concordia aufgegriffen.158 Dabei entwickelt Anselm in Anlehnung an die Überlegungen zum gottebenbildlich geschaffenen Charakter des Menschen eine dezidiert religiös-theologische, relationale Konzeption der wesensgemäßen Bestimmung des Menschen mit ethischen Implikationen. Sie zeichnet sich 154 

Bernhard von Clairvaux, De gratia et libero arbitrio V,13-X,35 (Werke 1), 175,18– 191,4; Hugo von St. Victor, De sacramentis Christiane fidei (Corpus Victorinum; Textus histori­ ci 1), 119,1–28; 124,8–127,17; Siehe zum Vergleich der Willens- und Freiheitskonzeptionen von Anselm und Hugo von St. Victor: Judith Dunthorne, Anselm and Hugh of St. Victor on Freedom and the Will, in: A Portrait in Refraction, in: Saint Anselm of Canterbury and His Legacy, hg. v. Giles Gasper; Ian Logan, Anselm, Toronto 2012, 144–132. 155  Bernhard von Clairvaux, De gratia et libero arbitrio V,13-X,35 (Werke 1), 175,18– 191,4; Siehe hierzu auch: Jean-Luc Marion, L’Image de la liberté, in: Saint Bernard et la philosophie (1993), 49–72. Allerdings lassen sich die zentralen Motive bereits bei Anselm und Augustin finden. 156  DLA 3 (SI), 211,2–212,20. 157  Siehe hierzu auch: Romano Guardini, Vom Sinn des Gehorchens, in: Auf dem Wege. Versuche, Mainz 1923, 19–31. Ähnlich wie Anselm betont Guardini hier: „Ein Mensch ist frei, wenn er ganz das ist, was er seinem Wesen nach sein soll. Freiheit ist die Weise, wie er ganz er selbst ist und zu allen Dingen im rechten Verhältnis steht.“ 158  ML 68–74 (SI), 78,12–83,8; DLA 3 (SI), 211,2–212,20; CDH II,1–4 (SII), 97,2–99,13; DC III,13 (SII), 285,7–287,21.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

also erstens dadurch aus, dass die wesensgemäße Bestimmung des Menschen nicht als etwas beliebig zu Wählendes oder selbst zu Konstituierendes gilt, sondern als etwas vom Schöpfer vorgängig Gegebenes und Empfangenes. In der Struktur des eigenen gottebenbildlich geschaffenen Charakters kann dies als Wahrheit entdeckt werden.159 So heißt es in Monologion 68: Deswegen ist nichts offensichtlicher, als dass das vernünftige Geschöpf dazu geschaffen ist, dass es die höchste Wesenheit über alle Güter liebe, so wie diese selbst das höchste Gute ist, ja vielmehr, dass es nichts mehr liebe als sie oder wegen ihr, weil jene durch sich selbst gut ist und nichts anderes gut ist, außer durch jene. Lieben aber kann es sie nicht, wenn es sich nicht bemüht, sich seiner zu erinnern und es zu erkennen. Es ist also klar, dass das vernünftige Geschöpf sein ganzes Können und Wollen verwenden soll, zum Erinnern, Erkennen und Lieben des höchsten Guten, wozu es, wie es selbst erkennt, sein Sein hat.160

Demnach wird die Bestimmung des Menschen von Anselm in der Erinnerung, Erkenntnis und Liebe des höchsten Guten gesehen, in der freiwilligen Bewahrung der Übereinstimmung mit der gegebenen höchsten Wahrheit und Gerechtigkeit um dieser selbst willen und der damit verbundenen Glückseligkeit. So wird dafür argumentiert, dass die Bestimmung des Menschen durch die Ausrichtung auf das höchste Gute wesensgemäß bestimmt ist.161 Dabei zeichnet diese sich zweitens dadurch aus, dass sie nicht nur ethisch als eine sittlich selbst zu verwirklichende oder zu verdienende Bestimmung gedeutet wird. Sie wird vorgängig religiös als eine von Gott gnadenhaft geschenkte, in Freiheit zu bewahrende Bestimmung zum ewigen glückseligen Leben in der Gottesliebe gedeutet. Das höchste Gute wird nicht nur als ein durch ethisches Handeln selbst zu verwirklichendes Gutes gedeutet. Gott selbst wird in seiner Dreieinigkeit als das höchste Gute verstanden. Dementsprechend wird die Bestimmung des Menschen als eine religiöse und nicht nur als eine sittliche aufgefasst.162 Dafür, dass Anselm die Bestimmung des Menschen primär als eine religiöse auffasst, spricht, dass sie in vollkommen verdankter Glückseligkeit gesehen wird und sie als etwas Überschüssiges, Relationales und responsiv Aktives gedeutet wird. So ist in Monologion 69–74 und in Proslogion 26 die Rede von der höchsten Glückseligkeit und vollen Freude, die höher ist als das Angenehme allen irdischen Glücks und als das Schmerzhafte allen irdischen Elends.163 Zudem wird sie dabei als eine vom höchsten Wesen den Geschöpfen frei geschenkte Glückseligkeit und Freude gedeutet.164 Schließlich wird herausgestellt, dass es 159  Zur

Bedeutung dieses Gedankens im interreligiösen Dialog zu Anselms Zeit siehe: Gilbert Crispin, Disputatio cum gentili II,2 (HBPhMA 1), 140–141. 160  ML 68 (SI), 87,1–9. 161  Ebd.; CDH II,1–4 (SII), 97,2–99,13; DC III,13 (SII), 285,7–287,21. 162  Vgl. jedoch Goebel, Rectitudo, 418 ff. 163  ML 69–74 (SI), 79,11–83,8; PL 26 (SI), 120,22–122,2. 164  Ebd.; vgl. DC III,13 (SII), 285,7–287,21.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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eine nicht zu verdienende, aber zu bewahrende Gabe des höchsten Guten ist.165 So wird von Anselm einerseits zugestanden, dass der Mensch seine wesensgemäße Bestimmung freiwillig erreichen oder auch freiwillig verfehlen kann. Andererseits wird eng begrenzt, was dabei am Menschen selbst liegt. Und zwar liegt Anselm zufolge nur das am Menschen, dass er die von Gott gegebene und empfangene Bestimmung freiwillig bewahrt, obwohl er sie auch aufgeben kann. Die Realisierung der Möglichkeit der freiwilligen Negation der wesensgemäßen Bestimmung wird dabei als selbstverschuldete Verfehlung des Geschöpfs gedeutet, nicht als Schicksal oder göttliches Dekret.166 Umgekehrt gilt die Realisierung der wesensgemäßen Bestimmung nicht als eigener Verdienst des Menschen. Sie gilt vielmehr als der freien Selbstoffenbarung und Selbstgabe Gottes vollkommen verdankt.167 Dabei formuliert Anselm in Monologion 73–74 einen strengen erkenntnistheoretischen Vorbehalt, indem er betont, dass nur allgemein erkannt werden könne, dass der Mensch notwendig gerechterweise entweder ewig in der Gottesliebe glückselig lebt oder in deren Entzug elend, nicht aber individuell, welche Personen sie erreichen oder entbehren.168 Im Rahmen dieses erkenntnistheoretischen Vorbehalts verweist er jedoch darauf, dass vertraut werden kann, dass die höchste liebende Wesenheit, in Bezug auf die, die sie geschaffen hat, damit sie in Liebe zu ihr ewig glückselig leben, unmöglich wollen kann, dass ihnen diese geschenkte Liebe wieder entzogen wird, obwohl sie diese in freiwillig antwortender Liebe bewahren.169 In diesem Sinne gilt die Freiheit des Menschen nach Anselm als integrales Moment der Möglichkeit in Übereinstimmung mit seiner wesensgemäßen Bestimmung zu leben. Dabei wird in der inhaltlichen Beschreibung der Bestimmung des Menschen als Bestimmung zum ewigen, glückseligen Leben in freiwilliger Liebesgemeinschaft mit Gott und anderem Geschaffenem von Anselm als Charakteristikum des Menschen berücksichtigt, dass dieser anders als ein Stein oder Esel seinem Wesen nach ein personales, vernunftbegabtes und freies Geschöpf ist, das die Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen vernünftig und freiwillig bewahren kann.170 Durch dieses religiös-theologische Verständnis der wesensgemäßen Bestimmung des Menschen wird die Freiheit des Menschen als ein notwendiges Mittel in Bezug auf die wesensgemäße Bestimmung zum ewigen, glückseligen Leben in der Gottesliebe gedeutet. Dies bedeutet eine Relativierung der Rolle der 165 

Ebd.; vgl. DLA 3 (SI), 211,2–212,20. Ebd.; vgl. CDH II,1–5 (SII), 97,2–100,28; DC III,13–14 (SII), 285,7–288,19. 167  Ebd.; vgl. DC III,3–4 (SII), 265,26–268,25; DC III,14 (SII), 287,23–288,19. 168  ML 73–74 (SI), 82,15–83,8; vgl. PL 9–11; 106,15–110,3. Dort wird analog betont, dass es für den Menschen unergründlich ist, warum Gott sich in seiner unermesslichen Güte einiger gerecht erlösend erbarmt und andere gerecht richtend straft. 169  ML 74 (SI), 83,5–8; vgl. PL 7 (SI), 105,8–106,2; PL 11 (SI), 109,8–110,3; und DLA 8 (SI), 220,11–221,15. 170  ML 68–74 (SI), 78,12–83,8; DLA 3 (SI), 211,2–212,20; CDH II,1–4 (SII), 97,2–99,13. 166 

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

Freiheit. Diese Relativierung besteht zum einen darin, dass die Freiheit des Menschen von seiner wesensgemäßen Bestimmung unterschieden wird. Damit wird zugleich die Ansicht verneint, der Mensch sei bloß zur Selbstbestimmung bestimmt. Zum anderen besteht die Relativierung darin, dass die Freiheit des Menschen nicht als ein initiatives Moment der Verwirklichung der wesensgemäßen Bestimmung gesehen wird, sondern als ein responsives Moment der Bewahrung der inneren Übereinstimmung mit der geschenkten Bestimmung. In diesem Sinne ist der Begriff der Freiheit aber in maßgeblicher Weise auf den der wesensgemäßen Bestimmung bezogen, da der Sinn der Freiheit in der Bewahrung der inneren Übereinstimmung mit der wesensgemäßen Bestimmung gesehen wird. Es besteht nach Anselm nämlich eine Analogie zwischen der freiwilligen Negation und selbstverschuldeten Verfehlung der wesensgemäßen Bestimmung und der freiwilligen Korruption der Freiheit und Selbstverknechtung unter die Sünde einerseits, und der Bewahrung der inneren Übereinstimmung mit der gegebenen wesensgemäßen Bestimmung und dem aktualen Gebrauch der inhaltlich positiv bestimmten Freiheit andererseits. 1.2.1.5. Die personalen Lebensvollzüge des Glaubens, Liebens und Hoffens In Monologion 74–78, im Proslogion und in De concordia III werden schließlich die personalen Lebensvollzüge thematisiert, die dem gottebenbildlich geschaffenen Charakter des menschlichen Geistes und der personalen Bestimmung des Menschen am meisten entsprechen und in denen der Mensch wesenhaft frei ist.171 Diese werden in Anlehnung an biblisch überlieferte Aussagen von Jesus und Paulus, ähnlich wie in Augustins Enchiridion und De doctrina christiana als Glauben, Lieben und Hoffen gedeutet. Dabei wird bei Anselm der Akzent stärker noch als bei Augustin auf das Lieben gesetzt.172 So, wie in Monologion 74 in Anspielung an das jesuanische Gebot der Gottesliebe und das jüdische Sch’ma Israel resumiert wird, dass jeder Mensch dazu bestimmt ist, nach dem höchsten Guten der ewigen, glückseligen Gottesliebe „mit ganzem Herzen (toto corde), mit ganzer Seele (tota anima) und mit ganzem Geist (tota mente) liebend und verlangend zu streben.“173 Dieses Motiv bildet zugleich den Ausgangspunkt der Überlegungen zu den personalen Lebensvollzügen des Hoffens, Glaubens und Liebens. Das Hoffen wird in diesem Zusammenhang in Monologion 75 als eine notwendige anthropologische Voraussetzung des wesens- und bestimmungsgemä171 

ML 74–78 (SI), 82,20–95,9. Augustin, Enchiridon I,1 – XXXIII,122 (CChr.SL 46), 49,1–114,7. 173  ML 74 (SI), 83,5–8. Siehe hierzu insbesondere die Ausführungen des frühmittelalterlichen jüdischen Denkers Bachya ibn Pakuda in „Die Pflichten des Herzens“. Die gesamte moralphilosophische Abhandlung zielt in 10 Stufen auf die Reinigung des Herzens zur vollkommenen Gottesliebe. Bachya ibn Pakuda The Duties of the Heart X,1–7 (Feldmann), 441–459. Siehe zu diesem Hinweis und zu weiteren Ausführungen auch: Heinrich und Marie Simon, Geschichte der jüdischen Philosophie, Leipzig 1999, 109–115. 172 vgl.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

67

ßen Strebens nach dem höchsten Guten beschrieben. Ihre Notwendigkeit wird quasi phänomenologisch damit begründet, dass die menschliche Seele diese Intention keineswegs ausüben kann, „wenn sie verzweifelt (desperet), das, was sie intendiert, erreichen zu können.“174 Die Beobachtung, dass die menschliche Seele nicht durch Verzweiflung, sondern nur in Hoffnung (spes) wesens- und bestimmungsgemäß Gott als das höchste Gute lieben kann, wird später in De concordia III,1 aufgegriffen, um das Dilemma der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Gnadenhandeln und menschlicher Freiheit typologisch zu beschreiben.175 Zudem wendet sich die Antwort an die Hochmütigen, die keiner Hoffnung bedürfen, weil sie meinen aus sich selbst heraus Gutes bewirken zu können, und auch an die Verzweifelten, die keine Hoffnung darauf haben, dass der Mensch frei sein kann, Gott zu lieben.176 Damit markiert die Hoffnung auf ewiges, glückseliges Leben in Gott bei Anselm einen personalen Lebensvollzug in freier zuversichtlicher Demut jenseits von Verzweiflung und Hochmut. In Monologion 76 wird weiter argumentiert, dass der personale Lebensvollzug des Hoffens wie auch der des Liebens notwendig den des Glaubens an Gott als höchstem Guten ( fides) voraussetzt.177 Dabei wird gleichfalls präzise beobachtet, dass der Mensch dies nicht wirklich intendieren kann, wenn er dem höchsten Wesen nicht glaubt oder gar misstraut oder sich selbst oder anderen mehr vertraut beziehungsweise anderes mehr glaubt.178 So entwickelt Anselm mit dem Begriff des „Glaubens in“ (credere in) einen personalen, dynamischen Begriff des Glaubens, der das Vertrauen, durch das man nach Gott strebt und das Fürwahr-Halten von dem, was zu diesem Streben nach Gott gehört integriert.179 Gehalt und Dynamik des Glaubens gelten deswegen gleichermaßen als notwendig, weil ausgeschlossen werden kann, dass der Mensch, der etwas anderes glaubt oder durch den Glauben nicht nach ihr strebt, in die höchste Wesenheit hineinglaubt.180 So wird dafür argumentiert, dass der Glaube in die höchste Wesenheit und der Glauben an sie gleichbedeutend seien, da man zeitlebens glaubend in ihr und zu ihr hin streben könne. Die Präferenz für die Rede vom Glauben in die höchste Wesenheit wird schließlich damit begründet, dass man letztendlich „nicht außer ihr bleiben, sondern in ihr verbleiben wird.“181 Dieses personale, dynamische Glaubensverständnis wird in Monologion 77 schließlich trinitarisch gefasst. Begründet wird dies folgenderweise:

174 

ML 75 (SI), 83,16. DC III,1 (SII), 264,6–13. 176 Ebd. 177  ML 76 (SI), 83,15–84,2. 178  ML 76 (SI), 83,16. 179  ML 76 (SI), 83,18–25. 180  ML 76 (SI), 83,25–84,2. 181 Ebd. 175 

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

Es ist also in gleicher Weise in den Vater und den Sohn und ihren Geist zu glauben, weil sowohl der Vater einzeln als auch der Sohn einzeln als auch ihr Geist einzeln die höchste Wesenheit ist, als auch zugleich Vater und Sohn mit seinem Geist die eine und selbe höchste Wesenheit sind, in die jeder Mensch glauben soll, weil sie das einzige Ziel ist, das in allen seinen Gedanken und Akten durch die Liebe intendiert werden soll.182

Diese trinitarische Glaubensformel gilt somit als Inbegriff sowohl des vertrauenden als auch des für-wahr-haltenden personalen und dynamischen Glaubens. In Monologion 77–78 wird schließlich dafür argumentiert, dass die Liebe eine notwendige Implikation und Folge des Glaubens darstellt.183 Der personale Lebensvollzug des Glaubens muss nach Anselm notwendig den des Liebens implizieren, weil er sonst nutzlos wäre. So heißt es in Monologion 77: Von daher ist offensichtlich, dass so, wie keiner in jene streben kann, wenn er jener nicht glaubt, so es keinem nützt, jener zu glauben, wenn er nicht in jene strebt.184

Dass der personale Lebensvollzug des Glaubens nicht nur notwendig denen des Hoffens und Liebens vorausgeht, sondern den des Liebens notwendig impliziert, wird in Monologion 78 unter Rekurs auf biblische Motive aus Jak 2,20 und 26 sowie Gal 5,6 sowie auf Analogiebeispiele aus Boethius’ Kommentar zu Aristoteles’ Kategorienschrift erläutert.185 Dabei wird zum einen in Anlehnung an Paulus hervorgehoben, dass der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist, lebendiger Glaube ist. Zum anderen wird in Anlehnung an Jakobus auch betont, dass der Glaube ohne die Liebe etwas Totes, das heißt etwas Müßiges und Unnützes ist.186 Begründet wird dies zum einen durch das Argument, dass „was die höchste Gerechtigkeit liebt, nichts Gerechtes verachten und nicht Ungerechtes zulassen kann“.187 Zum anderen wird es durch den Verweis auf die Wirksamkeit als eigentümliches Zeichen des Lebendigen plausibel gemacht. So wie alles Lebendige daran erkannt werde, dass es wirksam ist, sei der lebende Glaube daran erkennbar, dass er in der Liebe wirksam ist.188 Demnach wird der personale Lebensvollzug der Liebe von Anselm nicht nur als notwendige Implikation beziehungsweise Folge des lebenden Glaubens verstanden, sondern auch als Ausdruck und Zeichen seiner Lebendigkeit. Diese innere Verbindung der essentiellen personalen Lebensvollzüge des Hoffens, Glaubens und Liebens wird in den gnadentheologischen Überlegungen in De concordia III,6 aufgegriffen und weitergeführt.189

182 

ML 77 (SI), 84,4–14; vgl. PL 23 (SI), 117,3–22. ML 77–78 (SI), 84,6–85,9. 184  ML 77 (SI), 84,11–13. 185  ML 78 (SI), 84,15–85,9. 186  ML 78 (SI), 84,16–17. 187  ML 78 (SI), 84,17–22. 188  ML 78 (SI), 84,22–85,9. 189  DC III,6 (SII), 270,28–271,19. 183 

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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Freiheitstheoretisch bedeutsam ist dabei, dass zum einen der Gebrauch der dem Menschen wesensgemäßen Freiheit genau in diesen essentiellen, personalen Lebensvollzügen des Hoffens, Glaubens und Liebens gesehen wird. Zudem ist es für die Freiheitstheorie grundlegend, dass die Rekonstitution der aktualen Freiheit so beschrieben wird, dass in ihrer Genese in anthropologischer Sicht der Glaube vorangeht und die Liebe folgt, beides aber gnadenhaft durch den Heiligen Geist gewirkt wird. Wenn zudem in der Meditatio redemptionis humanae die Wirklichkeit der Freiheit in Christus schließlich als befreite Freiheit im Nexus des Glaubens, Liebens und Hoffens beschrieben wird, wird damit auf die anthropologischen Grundlagen des Monologion Bezug genommen.190 Dabei werden Glaube, Liebe und Hoffnung in dem Sinne als freiheitsrelevante personale Lebensvollzüge des Menschen verstanden, als sie sowohl essentiellen und als auch individuellen Charakter haben.191 Als essentiell werden sie von Anselm deswegen verstanden, weil sie dem vernunftbegabten Wesen und der wesensgemäßen Bestimmung jeder menschlichen Person qua Mensch entsprechen. Als individuell werden sie in dem Sinne verstanden, dass sie von jeder Person auf verschiedene, ihrem individuellen Charakter entsprechende Weise vollzogen werden.192 Da Anselm unter Person eine „individuelle vernünftige Natur“ (individua rationalis natura) versteht, ist Personalität nicht von Individualität, Rationalität und Wesenhaftigkeit zu trennen.193 Die Zurückweisung des substanzontologischen Personbegriffs und die relational-essenzontologische Neudefinition als „individuelle vernünftige Natur“ ermöglichen es, freiheitstheoretisch die wesenhafte Freiheit des Menschen immer auch als individuell verschieden ausgeprägte Freiheit zu denken.194 Indem das theoretisch erkennbare Wesen des Menschen als ein personal verfasstes Wesen beschrieben wird, das sich in den personalen, essentiellen Lebensvollzügen des Glaubens, Liebens und Hoffens ausdrückt, wird eine anthropologische Grundlage dafür formuliert, Freiheit personal zu denken. Dabei wird Freiheit von Anselm in dem Sinne personal gedacht, dass sie sowohl allgemein als wesenhafte Freiheit des Menschen als solchem als auch konkret als individuell verschiedene Freiheit jedes Einzelnen verstanden wird.

190 

M III (SIII), 90,159–91,211. ML 74–78 (SI), 82,20–95,9. 192  Ebd. vgl. DCV 1 (SII), 140,1–141,5; vgl. EDIV 1–16 (SII), 3,1–35,18. 193  Contra Eutychen et Nestorium, II-III (PhB 397), 74,1–75,9 vgl. Augustin, De Trinitate VII, IV, 7–11 (CChrSL 50), 255,1–265,117; siehe hierzu auch: Schlapkohl, Persona est naturae rationabilis individua substantia, 36–70; 120–123 und Nédoncelle, La Notion de personne, 31–43 sowie Trego, „En personne“, 421–450. 194  Siehe hierzu auch: Kapriev, Menschliche Individualität und Personalität, 355–370. 191 

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

1.2.2. Das vernunftbegabte Wollen, Wählen und Handeln des Menschen In Monologion 68 fügt Anselm hinzu, dass für den gottebenbildlich geschaffenen Menschen nichts erstrebenswerter ist, als „das ihm durch natürliche Vermögen eingeprägte Bild“ im Erinnern, Erkennen und Lieben des höchsten Gutes „durch willentliches Wirken (per voluntarium effectum) auszuprägen“.195 Darin ist impliziert, dass der Mensch sein Leben praktisch durch sein inneres vernunftgeleitetes Wollen und Wählen und entsprechende äußere Handlungen selbst frei vollziehen kann. Anselm zeigt zudem auf, dass sich dieser freie, individuell auch je verschiedene Lebensvollzug dadurch auszeichnet, dass er seinem Wesen nach ohne Zwang, freiwillig und spontan von menschlichen Personen selbstbestimmt und selbsttätig geschehen kann. Die anthropologischen Grundlagen dieses auch äußerlich wirksamen praktischen Freiheitsvollzugs werden im Monologion und Proslogion nur sehr rudimentär angedeutet. In De libertate arbitrii, De conceptu vir­ ginali und schließlich De concordia III,11–14 werden sie detaillierter ausgeführt.196 Charakteristisch ist dabei, dass von Anfang an die Komplementarität des Erkenntnis- und Willensvermögens und damit auch die Vernunftbezogenheit und Rationalität des menschlichen Willens betont wird. Und es ist charakteristisch, dass zum Ende hin immer stärker die Alternative der zwei möglichen affektiven Grundorientierungen des Willens ausgearbeitet wird.197 Dadurch wird immer stärker die Abhängigkeit des freien Wahlvermögens und seines realen Möglichkeitsspektrums von der affektiven Grundorientierung des Willens hervorge­ hoben.198 Schließlich werden dadurch die entsprechenden Handlungen des Menschen als personale, selbstbestimmt und selbsttätig bewirkte Akte gedeutet. Damit wird auch die Voraussetzung des jeweiligen Handlungsspielraums thematisiert.199 195 

ML 68 (SI), 87,14–20. ML 64–80 (SI), 74,28–87,13; PL 1–26 (SI), 97,1–122,2; DLA 2–12 (SI), 209,7–224,32; DCV 4 (SII), 143,25–144,3; DC III,11–14 (SII), 278,12–288,19. 197  DV 11–12; SI; 191,2–196,25; DLA 5 (SI), 214,24–215,20; DLA 7 (SI), 218,15–220,9; DCD 12 (SI), 252,30–253,3; DCV 4 (SII), 143,25–144,3; DC I,6 (SII), 225,31–257,27; DC III,11–14 (SII), 278,12–288,19. 198  ML 68 (SI), 78,21–79,9; DLA 5 (SI), SI, 224,15; DLA 12 (SI), 225,25–26; CDH II,1 (SII), 97,5–9; DC I,6 (SII), 225,31–257,27. 199  DV 5 (SI), 181,5–183,7; DV 8–9 (SI), 186,6–189,28; DP, 25,7–37,28; DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19; Siehe zu Anselms Analyse des menschlichen Wollens, Wählens und Handelns: Bäumker, Die Lehre Anselms, 1–25; Lohmeyer, Die Lehre vom Willen, 8–33; Kane, Anselm’s Doctrine, 13–118; Goebel, Rectitudo, 363–390; Ekenberg, Falling Freely, 69–126; Ders., Free will and Free Action, 301–318; Rogers, Anselm on Freedom, 55–86; Trego, L’Essence de la liberté, 193–226; Ders., Nature humaine ou acte de volonté?, 295– 313; Siehe auch: Vernon J. Bourke, Human Tendencies, Will and Freedom, in: L’Homme et son destin d’après les penseurs du Moyen Age. Actes du premier congrès international de philosophie médievale, Louvain; Brüssel, 28. Aug. – 4. Sept. 1958, Louvain; Paris 1960, 71–84; Loscony, Will in St. Anselm, 701–710; C. G. Normore, Picking and Choosing: Anselm and Ockham on Choice, in: Vivarium 36 (1998), 23–39; Serene, Anselmian Agen196 

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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Diese für Anselms Unterscheidung, Verhältnisbestimmung und Bewertung der menschlichen Willens-, Wahl- und Handlungsfreiheit maßgeblichen anthropologischen Grundlagen sollen im Folgenden in drei Schritten dargelegt werden. Zunächst (1.2.2.1.) wird Anselms Analyse des Willensphänomens in seinem Vernunft- und Triebbezug, sowie in seiner dreifachen Unterscheidung in Willensinstrument (instrumentum), affektive Grundorientierung des Willens­ instruments (affectio) und Gebrauch des affektiv konkret ausgerichteten Willens­ instruments (usus) erläutert. Danach wird (1.2.2.2.) seine Untersuchung des freien Wahlvermögens des Willens und seiner möglichen realen Wahlspektren dargestellt. Zuletzt wird (1.2.2.3.) seine Beschreibung des personal selbst bewirkten intentionalen Handelns von Menschen und die letzte Voraussetzung des jeweiligen Handlungsspielraums erörtert. 1.2.2.1. Der vernunftbezogene Wille, seine affektive Grundorientierung und sein Gebrauch Der Analyse des Willensvermögens kommt bei Anselm deswegen eine besondere freiheitstheoretische Bedeutung zu, weil das Herz (cor) und der Wille (vo­ luntas) als das subjektive Strebenszentrum des Geistes und der Seele der menschlichen Person gelten. Dies stellt den anthropologischen Ort der Freiheit dar.200 Anselm untersucht in seinen Willensanalysen zum einen den inneren und äußeren Vernunft- und Triebbezug des Willens. Zum anderen arbeitet er die dreifache Struktur des Willens als gegebenes Vermögensinstrument, affektive Grundorientierung und vielfältigen Gebrauch heraus. Dabei hält er daran fest, dass alle Vermögen aufgrund ihrer passiven Konstitution aktiv gebraucht werden können. Der Wille wird zunächst einmal als dasjenige geistige Vermögen verstanden, mit dem man etwas anstreben kann.201 Bereits im Monologion 68 und Proslogion 1 und 26 wird dabei auf den inneren und äußeren Vernunft- und Triebbezug des Willens verwiesen.202 Anders als in intellektualistischen aber auch voluntarischen Ansätzen werden Vernunft und Wille in einem komplementären Verhältnis gesehen. Der Vernunft wird im Hinblick auf die richtige Orientierung des Menschen der Primat zugeschrieben und dem Willen im Hinblick auf die entsprechende Bewegung.203 So gilt die Vernunft ohne entsprechendes Wollen als unwirksacy, 143–156; Stan R., Tyvoll, Anselm’s Definition of Free Will, in: American Catholic Philosophical Quaterly 80;2 (2006), 155–171; Zoppi, La Veritá sull’uomo, 156–181. 200  DC I,6 (SII), 225,31–257,27; DC III,4 (SII), 267,7–10; vgl. DV 12 (SII), 193,7–14; vgl. DLA 1 (SI), 208,14–28; DLA 13 (SI), 225,2–32. 201  ML 68 (SI), 78,13–79,9; PL 1 (SI), 87,3–100,19; insbes. 98,9–12; PL 26 (SI), 120,21– 122,2; insbes. 121,23–122,1. 202  ML 68 (SI), 78,13–79,9; vgl. CDH II,1 (SII), 97,2–98,5; PL 1 (SI), 98,9–12; PL 26 (SI), 121,23–122,1; vgl. DC III,7 (SII), 274,3–18. 203  ML 68 (SI), 78,13–79,9; DC III,11–13 (SII), 279,4–286,12; siehe hierzu auch: Kane,

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

mes, nutzloses Orientierungsvermögen und der Wille ohne Orientierung durch die Vernunft als blindes, maßloses Streben.204 In Monologion 68 wird diese komplementäre Zuordnung schöpfungstheologisch damit begründet, dass Gott den Willen so geschaffen habe, damit dieser unter Leitung des Geistes und „gemäß dem Urteilsvermögen der Vernunft“ (secundum verae discretionis iudicium [...] ra­tio­ ne discretionis) das Richtige richtig wolle.205 Zudem wird in Monologion 68 und in De veritate 12 die innere rationale, intentionale Struktur des menschlichen Willens thematisiert. Es wird angedeutet, dass man, wenn man will, immer „etwas (aliquid) wegen etwas (propter aliquid) will“. Dieses liebe man entweder um seiner selbst willen oder gebrauche es um etwas anderes willen.206 Dadurch wird zum einen herausgestellt, dass menschliches Wollen immer begründetes Wollen ist und sich immer nach dem Gegenstand und nach dem Grund sowie den Motiven des Wollens fragen lässt.207 Zusätzlich zur Betonung dieser inneren, rationalen Struktur des Willens wird zum anderen zwischen zwei Arten von Intentionalität unterschieden. In Anlehnung an Augustins Unterscheidung von Lieben und Genießen ( frui) einerseits und Gebrauchen (uti) andererseits und dessen idolatriekritischen Grundsatz, dass Gott allein um seiner selbst willen zu lieben und alles andere um Gottes willen zu gebrauchen sei,208 wird eine Unterscheidung getroffen. Etwas wird entweder selbstzweckhaft intendiert, das heißt „um seiner selbst willen“ geliebt und genossen (propter seipsum) oder „um etwas anderes willen“ intendiert, das heißt instrumentell gebraucht (propter aliud).209 Im Unterschied zu rationalistischen Willenskonzeptionen wird von Anselm jedoch das instinkthafte, sinnliche Begehren als integraler Aspekt des menschliAnselm’s Doctrine, 25–35. Allerdings ist die komplementäre, vermögenstheoretische Beschreibung des Willens- und Erkenntnisvermögens bei Anselm meiner Ansicht nach nicht mit einer Zurückweisung der trinitarischen Beschreibung der menschlichen Seele beziehungsweise des Geistes verbunden. Zu einer genaueren Interpretation der Verhältnisse siehe insbesondere: Goebel, Rectitudo, 250–256. 204  ML 68 (SI), 78,13–79,9; vgl. CDH II,1 (SII), 97,2–98,5; DC III,11 (SII), 279,4–6 und DCD II,1 (SII), 97,2–98,5; vgl. Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio VIII,24-IX,27 (Werke 1), 183,21–185,20. Zum Phänomen der Willensschwäche siehe auch: Goebel, Anselm von Canterbury über Willensstärke und Willensschwäche, 89–121; und: Risto Saarinen, Weakness of Will in Medieval Thought, Leiden 1994, 20–50, insbes. 43– 50. 205  ML 68 (SI), 78,13–79,9; DV 12 (SI), 193,33–194,27; vgl. DC III,13 (SII), 286,9–12. 206 Ebd. 207  Vgl. DV 12 (SI), 193,33–194,4. Dort heiß es zugespitzt: „Jeder Wille (voluntas), sofern er etwas will, will es um etwas willen (vult proper quid). Denn wie man betrachten muss, was er will (quid velit), so muss man auch sehen, warum er will (cur velit). Denn er muss nicht im größeren Maße angemessen sein im Wollen dessen, was er soll, als im Wollen dessen, weswegen er soll. Deshalb hat jeder Wille ein was und ein warum. Denn wir wollen überhaupt nichts, wenn es keinen Grund gibt, warum wir wollen.“ 208  Augustin, De civitate Dei XI,26–28; XIV,2–4 (CChr.SL 48), 345,1–349,32; 414,1– 419,65. 209  DV 12 (SI), 193,33–194,27.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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chen Willens gedeutet, zu dem sich der Mensch zwar anders als Tiere reflexiv verhalten kann, das er aber zeitlebens nicht abstreifen kann.210 Zudem wird in Prologion 1 und 26 analog das geistige, intelligible Begehren thematisiert. In Anlehnung an den psalmistischen Sprachgebrauch wird dabei die Gottesliebe insbesondere auch durch Begehrensmetaphorik ausgedrückt. Beispielsweise heißt es, dass die Seele nach dem Angesicht Gottes „lechzt“, „begehrt“, „verlangt“ und „strebt“ und dass nicht nur die „Seele“ nach der Freude der Gottesschau „hungern“, sondern gleichfalls das „Fleisch“ nach ihr dürsten und die ganze „Substanz“ sie „begehren“ soll.211 Dementsprechend wird in De concordia III,7 dasjenige Begehren des Willens problematisiert, das sich im Widerspruch zum Geist der Gottesliebe bewegt, wie etwa der Trieb des Zorns oder des Neides.212 Dass Anselm den menschlichen Willen in dieser Weise als einen vernunftbegabten Willen darstellt ist in zwei Hinsichten für die Freiheitskonzeption grundlegend. Zum einen wird damit die anthropologische Grundlage für die These formuliert, dass der Freiheitsgebrauch Wahrheitserkenntnis voraussetzt.213 Zum anderen wird durch diese Beschreibung der rationalen, intentionalen Struktur des menschlichen Willens die anthropologische Grundlage der Definition des Freiheitsbegriffs erläutert.214 Freiheitstheoretisch bedeutsam ist zudem Anselms dreifache Differenzierung der Willenskonzeption in das Willensinstrument (instrumentum), die zwei möglichen affektiven Grundausrichtungen des Willens (affectus; aptitudines) und den Gebrauch des affektiv ausgerichteten Willensinstruments (usus). Bereits in Mo­ nologion 68–70 ist die Rede vom natürlichen Vermögen und vom Akt des willentlichen Wirkens sowie von zwei möglichen alternativen affektiven Grundausrichtungen der Person. Diese zielt entweder auf die Bewahrung der Liebe des höchsten Guten oder auf etwas anderes.215 In De conceptu virginali 4 und De concordia III,11 wird diese angedeutete Differenzierung in Anlehnung an Augustins dreifache Differenzierung des Willens in Confessiones VIII weiter ausgeführt.216 Ähnlich wie von Augustin in Confessiones VIII zwischen dem einen 210  DLA 5 (SI), 216,4–11; DCD 7 (SI), 244,27–245,3; DC III,8 (SII), 274,-276,5; DC III,12 (SII), 284,9–285,5. 211  PL 1 (SI), 98,9–12; PL 26 (SI), 121,23–122,1; Siehe hierzu auch: James Gollnick, Flesh as Transformation Symbol in the Theology of Anselm of Canterbury, Lewiston 1985. 212  DC III,7 (SII), 274,3–18; DC III,13 (SII), 287,18–21. 213  Siehe: DC III,11 (SII), 280, 23–24; 282,5–283,2. 214  Vgl. DLA 13 (SI), 255,1–32 und DV 12 (SI), 193,33–194,4. Siehe hierzu auch: Rakus, Anselmian Libertas, 422–426. Rakus vertritt die These dass der Wille selbst nach Anselm Freiheit sei („The Anselmian Will is freedom“) Dabei übersieht er aber die Differenz zwischen dem Willensinstrument, dem Wahlvermögen und dem Freiheitsvermögen, sodass er nicht sieht, dass nach Anselm der Wille des Menschen nur Ort beziehungsweise Träger der Freiheit ist, nicht jedoch die Freiheit selbst. 215  ML 68–70 (SI), 78,12–81,6. 216  DCV 4 (SII), 143,25–144,3; DC III,11–14 (SII), 278,12–288,19; vgl. Augustin, Con­ fessiones VIII,5–12 (CChr.SL 27), 119,1–132,57.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

Willen, zwei entgegen gesetzten Strebensrichtungen und diversen Akten introspektiv unterschieden wird, wird in De conceptu virginali 4 willenstheoretisch zwischen dem seelischen Instrument, den Neigungen und dem aktualen Gebrauch des Willens unterschieden.217 In De concordia III,11 wird schließlich explizit darauf verwiesen, dass der Willensbegriff in dreifacher Weise äquivok verwendet wird. Zum Teil ist nur das Willensinstrument gemeint zum Teil sind aber die Neigungen, durch die das Willensinstrument bestimmt ausgerichtet wird, und zum Teil die Akte des affektiv ausgerichteten Willensinstruments gemeint.218 Dabei wird begrifflich und phänomenbezogen präzisiert, dass der Wille im Sinne des Willensinstruments eine anthropologische Konstante ist, die eine notwendige Möglichkeitsbedingung konkreter Willensakte darstellt. Indem der Wille als ein Instrument gedeutet wird, das eine Person zum Wollen gebrauchen kann, wird ausgeschlossen, dass er selbstzweckhaft ist. Vielmehr wird angenommen, dass eine Person sich zu ihrem inneren Willen ähnlich wie zu einem äußeren Mittel reflexiv verhalten kann.219 Dabei werden von Anselm drei charakteristische Merkmale des Willensinstruments hervorgehoben. Erstens wird die Einheit betont, indem davon ausgegangen wird, dass es nur eines ist (una sola est).220 Zweitens wird seine bleibende Selbstidentität unterstrichen, indem erwähnt wird, dass es „immer ein und dasselbe ist“ (una et eadem semper est).221 Drittens wird schließlich seine Vorreflexivität stark gemacht. Es wird verdeutlicht, dass es immer unmittelbar gegeben ist, „auch wenn man schläft“ (ut cum dormit).222 Dieses Willensinstrument wird von Anselm nicht als ein neutrales Vermögen betrachtet, sondern als eines, das immer durch seine zwei Grundneigungen und ihr Kräfteverhältnis eine bestimmte affektive Grundausrichtung hat. Entsprechend der zwei Aspekte des Guten (bonum), der Gerechtigkeit (iustitia) und dem Glück (beatitudo) 223 wird zwischen der Willensneigung zum Rechtsein (rectitudo) der Gerechtigkeit und der Willensneigung zum Angenehmen (commodum) des Glücks unterschieden.224 Alles, was man will, will man Anselm zufolge entweder um der Gerechtigkeit willen als etwas Rechtseiendes oder um des Glücks 217 Ebd.

218 Ebd.

219 DC III,11 (SII), 278,28–279,5; vgl. DLA 7 (SII), 218,24–219,16; vgl. hierzu auch: Gregor von Nyssa, De creatione hominis II (GNO Suppl.), 60,10–72,8. 220  DC III, 11; 280,25–281,2. Vgl. DLA 7 (SI), 219, 10–12; Anders hingegen Ekenberg, der von einer „two-wills theory“ spricht. Ekenberg, Falling freely, 110–125, so auch: Calvin G. Normore, Picking and Choosing. Anselm and Ockham on Choice, in: Vivarium 36 (1998), 23–31. 221  DC III,11 (SII), 280,4–5; vgl. DLA 7 (SI), 219, 10–12. 222  DC III,11 (SII), 279,15–280,10; vgl. DLA 7 (SI), 219,7–12; vgl. DCD 12 (SI), 252,23– 31. 223  DCD 12; 253,28–31.255,2–15. 224  DC III,11; 281,2–16.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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willen als etwas Angenehmes.225 Es wird von ihm aufgezeigt, dass der Wille je nach Kräfteverhältnis dieser beiden affektiven Grundneigungen (duabus affectio­ nibus) entweder primär auf die Gerechtigkeit und das ihr entsprechende Recht­ seiende ausgerichtet ist, und in diesem Rahmen auch auf Angenehmes, oder auf das Glück und nur das es verheißende Angenehme, abgesehen von der Gerechtigkeit.226 Ein prinzipieller Konflikt zwischen den zwei Neigungen wird genauso ausgeschlossen, wie ein absolutes Gleichgewicht oder eine wechselweise Wahl. So gilt der Wille immer entweder primär auf das Richtige der gegebenen Gerechtigkeit oder nur auf das Angenehme des zu erstrebenden Glücks ausgerichtet.227 Dabei wird dieser alternativen, affektiven Grundausrichtung des Willens eine eminent theologische Bedeutung zugeschrieben. Es wird schöpfungstheologisch argumentiert, die Neigung zum Rechtsein der Gerechtigkeit sei dem Geschöpf vom Schöpfer als die stärkere Neigung allein aus Gnade gegeben worden, damit es ihn vor allem liebe und ehre. Die Neigung zum Angenehmen des Glücks sei ihm mitgegeben worden, damit es ihm dabei auch wohl ergehe.228 In der Sünde ist diese Willensdisposition nach Anselm in von sich aus unabänder225  Wenn man hier eine Analogie zu hierarchischen Willenskonzeptionen in der analytischen Freiheitsdebatte ziehen möchte, wären meiner Ansicht nach sowohl die Neigung zum Angenehmen als auch die Neigung zum Glück als die zwei möglichen, letzten alternativen Volitionen zweiter Ordnung zu betrachten, die alle anderen Wünsche und Neigungen regulieren und von denen eine die dominierende ist. Damit würde Anselm auch dem Regressproblem entgehen. Anders hingegen Rogers und Tyvoll, die die Neigung zum Angenehmen als Wunsch beziehungsweise Wille erster Ordnung bezeichnen und nur die Neigung zur Gerechtigkeit als Volition zweiter Ordnung. Dabei wird meiner Ansicht nach jedoch übersehen, dass diesen beiden letzten Neigungen von Anselm eine regulative, alternativ orientierende Funktion zugeschrieben wird. Vgl. jedoch: Rogers, Anselm on Freedom, 69–72, Tyvoll, Anselm’s Definition of Free will, 155–166 und Visser; Willams, Anselm, 180 ff., die vorschlagen, beide Neigungen als Dispositionen (dispositions) zu beschreiben und die entsprechenden Akte als Volitionen (volitions). Siehe hierzu auch: Harry Frankfurt, Freedom of Will and the Concept of Person, in: Journal of Philosophy 68 (1971), 5–20. 226  DC III,11; 278,27–284,6. 227 Die Kantische Interpretation, die von Kane, Goebel und Brouwer diskutiert wird, wird meines Erachtens von Rogers zurecht kritisiert. Anselms Begriff des gesollten Rechtseins ist nämlich nicht mit Kants Pflichtbegriff identisch. Außerdem wird von ihm der Kontrast nicht nur als ethischer Konflikt zwischen Pflicht und Neigung gesehen, sondern in Anlehnung an Paulus als religiöser Konflikt zwischen geistlicher und fleischlicher Neigung und Existenzweise beschrieben. Vgl. Rogers, Anselm on Freedom, 66 ff. einerseits und Kane, Anselm’s Doctrine, 86 ff., Jeffrey Brouwer, Anselm on Ethics, in: The Cambridge Companion to Anselm, hg. v. Brian Davies; Brian Leftow, Cambridge 2004, 222–256 und Goebel, Rectitudo, 453 ff. andererseits. Allerdings ist die von Rogers vorgeschlagene eudaimonistische Interpretation noch weniger überzeugend. Anselm beschreibt nämlich eudaimonismuskritisch den Willen, der primär durch die Neigung zum Angenehmen auf das natürliche Glück ausgerichtet als einen verfehlten, wesensentfremdeten Willen. Demgegenüber betont er, dass der Wille wahrhaft und wesensgemäß will, der vor allem Gottes Gabe des Rechtseins liebt und in diesem Rahmen natürliches Glück. Vgl. aber Rogers, Anselm on Freedom, 68–72. 228  DC III,12–13 (SII), 284,9–287,21.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

licher Weise durch das Geschöpf in sich selbst verkehrt. Dies ist freiheitstheoretisch entscheidend. Durch diese affekttheoretischen Überlegungen verneint Anselm nämlich, dass der Wille aus einer unbestimmten Neutralitätsposition heraus wechselweise so oder anders wollen kann und betont, dass er immer auf bestimmte Weise will. Das heißt, nach Anselm ist der Wille des Menschen im Gefühl entweder durch Gottes Gnade so bestimmt, dass er auf gerechte Weise, in Übereinstimmung mit Gottes Willen will, oder er ist nur durch seinen eigenen Willen so bestimmt, dass er auf ungerechte Weise, im Widerspruch zum göttlichen Willen nur das Angenehme will, das er selbst will – tertium non da­ tur.229 Schließlich wird aufgezeigt, dass das Willensinstrument je nach affektiver Grundausrichtung verschieden gebraucht werden kann, um diverse Akte zu bewirken.230 Der Wille kann entweder im Rahmen des Glücksstrebens zum Wollen von diversem Angenehmem gebraucht werden oder im Rahmen der Bewahrung der gegebenen Gerechtigkeit zum Wollen von Diversem, das mit ihr übereinstimmt. Drei charakteristische Merkmale des aktualen Willensgebrauchs werden herausgearbeitet. Erstens wird seine Vernunftbezogenheit und Bewusstheit her­ vorgehoben. Es wird betont, dass ein Willensakt nur dann wirklich vollzogen werden kann, wenn an das Gewollte gedacht werde (quando cogitamus quod ­volumus).231 Zweitens wird seine kontextbezogene Vielfältigkeit (multiplex) aufgezeigt, indem differenziert wird, dass der Wille je nach Situation anders gebraucht wird.232 Drittens wird schließlich seine graduell verschiedene Stärke (magis vel minus fortis) betont. Es wird aufgezeigt, dass er mal mehr und mal weniger oder gar nicht handlungswirksam ist, je nachdem, ob man nur zulassend, zugestehend, zustimmend oder effektiv will.233 Die freiheitstheoretische Bedeutung dieser dreifachen Differenzierung des Willensvermögens besteht darin, dass eine ähnliche zweifache Differenzierung von instrumentum und usus auf das Freiheitsvermögen angewendet wird.234 Weiter wird durch die Betonung der zwei Grundneigungen und der zwei alternativen affektiven Grundausrichtungen des Willens die Idee eines neutralen, indifferenten liberum arbitrium des Willens anthropologisch ausgeschlossen.235

229 Dies wird auch von Ekenberg treffend gegenüber libertarischen Deutungen eingewendet. Siehe: Ekenberg, Falling Freely, 94–125. 230  DC III,11 (SII), 279,27–28; 280,18–24; 281,16–282,2; vgl. DLA 7 (SI), 218,26–219,16. 231 Ebd. 232 Ebd. 233  DPI; 37,28–39,34; vgl. CDH I,10 (SII), 65,20–66,13; DLA 7 (SI), 219,20–220,9. 234  DLA 3–4 (SI), 212,29–214,12; DLA 7 (SI), 218,15–220,9. 235  DLA 1 (SI), 207,11–13; DC III,11 (SII), 281,2–16.

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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1.2.2.2. Das freie Wahlvermögen des Willens und die Spektren realer Wahlmöglichkeiten Der Wille und sein Wahlvermögen werden von Anselm unterschieden, auch wenn die Begriffe arbitrium und voluntas gelegentlich synonym oder im Sinne eines pars pro toto verwendet werden.236 Maßgeblich wird vom freien Wahlvermögen des Willens (liberum arbitrium voluntatis) gesprochen.237 Dies legt die Deutung nahe, dass das Wahlvermögen in Relation zum affektiv ausgerichteten Willen als ein sekundäres, integriertes Vermögen verstanden wird.238 In Monologion 68 wird bereits angedeutet, dass dem Wahlvermögen eine Vermittlungsrolle zwischen Vernunft und Wille zukommt.239 Es wird dort herausgestellt, der Sinn alles Vernünftigen bestehe darin, dass etwas, so wie es mit der unterscheidenden Vernunft als „mehr oder weniger gut oder nicht gut“ beurteilt wird, dementsprechend auch „mehr oder weniger geliebt oder zurückgewiesen“ wird.240 Damit wird schöpfungstheologisch begründet, dass das freie Wahlvermögen dem menschlichen Willen ursprünglich zu der vermittelnden Orientierungsleistung gegeben ist, in Übereinstimmung mit dem Urteil der Vernunft das als gut Erkannte zu lieben, das für besser erachtete noch mehr zu lieben, und das als böse bewertete zu verachten.241 In De libertate arbitrii 3 wird weiter zwischen vier grundlegenden Wahlakten unterschieden. Wenn das Gewollte noch nicht gegeben ist, kann es entweder aus Liebe erwählt, ergriffen beziehungsweise empfangen werden (eligere, capere vel accipere) oder aus Verachtung verworfen beziehungsweise nicht empfangen werden (vitare vel non accipere).242 Wenn das Gewollte bereits gegeben ist, kann es entsprechend entweder aus Liebe bewahrt, beziehungsweise weiter gewollt werden (servare, perseverare, manere et pervelle) oder aus Verachtung aufgeben, verlassen beziehungsweise nicht bewahrt werden (deserere, non servare).243 Mit dieser 236  So etwa in: DLA 1 (SI), 207,3–209,6; DLA 5 (SI), 216,23–27; DLA 10 (SI), 222,5–9; DLA 11 (SI), 22,25–23,2. 237  DLA 5 (SI), SI, 224,15; DLA 12 (SI), 225,25–26; Siehe auch DC I,6 (SII), 257,27, hier werden nämlich Wille und Wahl distinkt erwähnt, wenn es heißt „et arbitrium liberum et vo­ luntas libera“. 238  Von einer Identität von Wille (will) und Wahl (choice) oder einer Vorordnung der freien Wahl vor dem Willen gehen hingegen zahlreiche libertarische Interpretationen aus, wie etwa Rogers, Tyvoll, aber auch Visser;Williams; Siehe hierzu: Rogers, Anselm on Freedom, 55–83; Tyvoll, Anselm’s Definition of Free Will, 155–171 und Visser; Williams, Anselm, 171–191; vgl. auch: Trego, L’Essence de la liberté, 193–226. 239  ML 68 (SI), 78,25–79,1; CDH II,1 (SII), 97,9–11; vgl. DC I,6 (SII), 257,13–17. 240  Ebd; vgl. Boethius, Philosophiae consolatio V,1,1–3,17 (CChr.SL 94), 88,1–92,50. Siehe hierzu auch: Paul LaChance, Boethius on Human Freedom, in: American Catholic Philosophical Quaterly 78 (2004), 313–315; Siehe hierzu auch: Gilbert Crispin, Disputatio cum gentilii I,1 (HBPhMA 1), 138–141. 241  Vgl. hierzu auch: DLA 3 (SI), 212,22–23. 242  DLA 3 (SI), 211,19–30; DCD 1–3 (SI), 233,3–237,19. 243  DLA 3 (SI), 212,1–18; DCD 3 (SI), 237,20–240,13.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

präzisen Differenzierung der vier elementaren Gebrauchsweisen des Wahlvermögens wird eine wichtige anthropologische Grundlage von Anselms Verständnis von Freiheit als einem responsiven Bewahrungsvermögen und nicht als einem initiativen Annahmevermögen deutlich.244 Das freie Wahlvermögen des Willens wird von Anselm als ein Vermögen gedeutet, mit dem jeweils im Rahmen eines bestimmten Spektrums an realen Wahlmöglichkeiten, das durch das Erkenntnisvermögen und die affektive Grundausrichtung des Willens bedingt ist, zwischen relativ alternativen Mitteln zum entsprechenden Ziel gewählt werden kann. Nur in einem Fall kann auch das Spektrum an realen Wahlmöglichkeiten selbst durch die Verkehrung der gegebenen affektiven Grundausrichtung des Willens in von sich aus irreversibler Weise zum Schlechteren verändert werden. In De libertate arbitrii und De concordia schließt Anselm nicht nur ausdrücklich aus, dass mit dem liberum arbitrium unter gleichen inneren und äußeren Bedingungen sowohl die eine als auch die andere von zwei qualitativ verschiedenen Alternativen gewählt werden kann.245 Er schließt sogar aus, dass unter verschiedenen inneren und äußeren Bedingungen bestimmte qualitativ verschiedene Alternativen gewählt werden können.246 Ein indifferentes, absolutes liberum ar­ bitrium, mit dem man sündigen und nicht sündigen kann, wird nämlich zum einen in De libertate arbitrii 1 und De concordia I,6 als Ausgangspunkt einer Definition von Freiheit zurückgewiesen.247 Außerdem wird in diesem Zusammenhang das paradigmatische Beispiel einer unumgehbaren Wahl zwischen der Aufgabe der Wahrheit um der Bewahrung des eigenen Lebens willen, oder der Bewahrung der Wahrheit trotz des dafür getötet Werdens, nicht als willkürliche Wahl mit einem indifferenten, freien Wahlvermögen verstanden. Sie gilt vielmehr als prädisponierte Wahl aufgrund der vorangehenden Erkenntnis der Wahrheit und willentlichen Bewahrung der Gerechtigkeit.248 Diese Wahl gilt dabei als nicht durch den Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit bewirkt. Sie gilt als nachfolgend notwendig, da das, was gewählt worden ist, nicht zugleich auch nicht gewählt worden sein kann, sondern dann, wenn es gewählt wird, so und nicht anders gewählt wird.249

244 

Vgl. DLA 3 (SI), 212,13–20. DLA 1 (SI), 207,11–209,6; vgl. DC I,6 (SII), 225,31–257,27. 246  DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32. In De casu diaboli 7 wird die Annahme dieser radikale Asymmetrie weiter anhand der Frage erläutert, „warum sich das vernünftige Geschöpf nicht von sich aus vom Bösen zum Guten wenden kann, so wie es dies vom Guten zum Bösen kann?“ („Cur non possit rationalis creatura per se de malo converti ad bonum, sicut potest de bono ad malum.“) Siehe: DCD 7 (SI), 245,4–18; so auch in: CDH I,20–23 (SII), 86,17–91,29; und DC III,2–3 (SI), 265,19–267,5. 247  DLA 1 (SI), 207,11–209,6; vgl. DC I,6 (SII), 225,31–257,27. 248  DC I,6 (SII), 257, 5–27; vgl. DLA 6 (SI), 84,18–86,20. 249  Ebd.; vgl. DLA 5 (SI), 214,14–215,32. 245 

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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Darüber hinaus wird zum anderen in De libertate arbitrii 10–12 und De concor­ dia III,3 dafür argumentiert, dass der Wille, der durch seine affektive Grundausrichtung primär nach dem Angenehmen des Glücks als höchstem Gut strebt, von sich aus unmöglich diese Zielorientierung ändern kann. Er kann nicht wählen, primär das Richtige der Gerechtigkeit als höchstes Gut um seiner selbst willen zu bewahren.250 Das Spektrum realer Wahlmöglichkeiten ist nach Anselm also für das Wahlvermögen eines Willens, dessen Charakter primär durch das Streben nach dem Angenehmen des Glücks bestimmt ist, auf relative, nicht qualitativ alternative Mittel zur Erreichung dieses letzten Ziels begrenzt. Der eine Fall, der in De libertate, De casu diaboli und De conceptu virginali geschildert wird, in dem eine andere Grundorientierung und Zielausrichtung des Willens gewählt wird, ist die der ungezwungenen, freiwilligen Selbstverkehrung zum Bösen.251 Diese eine Möglichkeit, dass das Wahlvermögen eines Willens entgegen seiner Prädisposition zum Guten zur Wahl von etwas damit Unvereinbarem missbraucht wird, stellt nach Anselm somit das Paradigma des ungezwungenen, freiwilligen Falls in die Sünde dar.252 Damit wird von ihm das Spektrum realer Wahlmöglichkeiten des liberum arbitrium des Willens je nach Willensdisposition radikal verschieden, asymmetrisch gefasst.253 Dadurch wird zugleich eine anthropologische Begründung für die freiheitstheoretisch zentrale Unterscheidung formuliert, dass eine Person, die ihre Freiheit aktual frei gebrauchen kann, diese auch zu einem unbrauchbaren Vermögen korrumpieren kann, und dass eine Person, die nur das bloße Vermögen der Freiheit hat, dieses aber unmöglich von sich aus auch gebrauchen kann.254 1.2.2.3. Das personal selbstbewirkte Handeln und seine letzte Voraussetzung Die Handlungen des Menschen werden schließlich im Monologion und Proslogion sowie in De veritate, De potestate und De concordia anthropologisch als personale, willentlich selbstbestimmte und bewirkte Akte beschrieben.255 Dabei versteht Anselm unter Handlungen zum einen allgemein alles Tun und Leiden einer Person, auch ihre inneren mentalen, kognitiven und willentlichen Akte. Zum anderen versteht er darunter in einem engeren Sinn die durch eine Person bewirkten äußeren Handlungen.256 In Anlehnung an Augustins Unterscheidung 250 DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32; DC III,2–3 (SI), 265,19–267,5; vgl. DCD 7 (SI), 245,4–18; und CDH I,20–23 (SII), 86,17–91,29. 251  DLA 2–7 (SI), 209,8–220,9; DCD 1–28 (SI), 233,1–276,15; DCV 1–12; 21–29 (SII), 139,1–155,11; 160,21–173,7. Siehe hierzu auch die weitere Diskussion in: 3. 252 Ebd. 253  Anders hingegen: Rogers, Anselm on Freedom, 55–83; Tyvoll, Anselm’s Definition of Free Will, 155–171; Visser; Williams, Anselm, 171–191. 254  DLA 7 (SI), 218,15–220,9; DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32. 255  DV 5 (SI), 181,5–183,7; DV 8–9 (SI), 186,6–189,28; DP, 25,7–37,28; DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19. 256  DV 5 (SI), 181,5–183,7; DV 8–9 (SI), 186,6–189,28; DP, 35,14–23.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

und Verhältnisbestimmung von innerem und äußerem Menschen werden die äußeren, leibhaftigen Handlungen als Werke der inneren, geistigen Akte, beispielsweise des Gebrauchs des Erinnerungs-, Erkenntnis- und Urteils- sowie Willens- und Wahlvermögens gedeutet.257 Dem entsprechend wird in De veritate die Auffassung entwickelt, dass Handlungen ihre ethische Qualität nicht in sich selbst haben, sondern von der Person aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Gesinnung zu verantworten sind.258 Dieser später von Abaelard weiterentwickelte intentionalistische Ansatz ist in Anselms Anthropologie also im Kern bereits enthalten.259 Dabei wird die Art der Abhängigkeit äußerer Handlungen von inneren, mentalen Akten akttheoretisch genau analysiert und gegenüber naturkausal notwendig bewirktem Verhalten, aber auch sich zufällig ereignendem Verhalten abgegrenzt. In De veritate 5 wird zum einen herausgearbeitet, dass sich personale, „nicht naturhafte Akte“ (actionis non naturalis) von a-personalen, „naturhaften Akten“ (actionis naturalis) dadurch unterscheiden, dass sie nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit hervorgehen. Sie werden demnach nicht, wie das Fallen eines Steins, naturkausal bewirkt, sondern von einer Person durch ihre inneren, kognitiven und willentlichen Akte hervorgebracht.260 Zum anderen werden damit personale Akte gleichfalls von sich zufällig ereignendem, willkürlichem Verhalten unterschieden, indem beschrieben wird, wie sie von der Person aufgrund der ihr gegebenen inneren Vermögen, mentalen Akte und charakterlichen Prädispositionen willentlich hervorgebracht werden. Durch die Herausarbeitung des inneren Zusammenhangs der Arten des inneren Wollens und äußeren Handelns in De veritate 8–9 und der Verwendung der organischen Metaphorik des „Früchte Tragens“ in De concordia III,6 werden personale Handlungen weiter gegenüber naturkausal notwendigen Wirkungen, aber auch zufälligen Ereignissen als selbstbewirkte Akte profiliert.261 Die von einer Person willentlich selbst hervorgebrachten Handlungen werden dabei in De concordia III,11 in dem Sinne als selbstbestimmt gedeutet, als dass der moralische Charakter der Handlungen durch den moralischen Charakter des Willens der Person bestimmt wird und diese sich durch die beiden Grundneigungen selbstbestimmt zum Handeln bewegt. Dabei gelten einzelne Handlungen jeweils als prinzipiell auch vermeidbar, bevor sie getan worden sind. Wenn sie getan werden, gelten sie jedoch als definitiv so und nicht anders getan und nicht wieder ungeschehen zu machen.262 Als unvermeidbar gilt, dass eine Person mit 257 

Ebd. vgl. Augustin, De Trinitate XII,III,3-XV,25 (CChr.SL 50), 357,1–380,4. DV 5 (SI), 181,5–183,7; DV 8–9 (SI), 186,6–189,28; 259 Vgl. Abaelard, Scito te ipsum I,11,1–14,4 (CChr.CM 190), 11,276–14,357. Siehe hierzu auch Stefan Ernst, Ethische Vernunft und christlicher Glaube, 27–79; vgl. Flasch, Freiheit des Willens, 42–47. 260  DV 5 (SI), 181,5–183,7. 261  DV 8–9 (SI), 186,6–189,28; DC III,6 (SII), 270,11–273,6. 262  DC III,11 (SII), 278,27–284,6. 258 

1.2. Die anthropologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

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einem Willens- und Wahlvermögen, deren Charakter durch die Bewahrung der gegebenen Gerechtigkeit bestimmt ist, auch freiwillig und ungezwungen gerechte Handlungen und Werke hervorbringt. Gleichfalls gilt als unvermeidbar, dass eine Person mit einem Willens- und Wahlvermögen, dessen Charakter durch das Streben nach mehr unrechtem Glück bestimmt ist, gleichfalls freiwillig und ungezwungen diverse ungerechte Handlungen und Werke bewirkt.263 In diesem Sinn kann man sagen, dass Anselm Personen als Akteure deutet, die ihre Handlungen selbstbestimmt verursachen.264 Allerdings werden Menschen von Anselm nur in einem begrenzten Rahmen gegenüber der Natur als erste Akteure ihrer eigenen Akte verstanden, nicht aber an sich als erste Urheber von etwas, das ist und gut ist. In De concordia III,11 wird die Beschreibung des selbstbestimmten und selbstbewirkten personalen Handelns des Menschen dementsprechend durch den Verweis ergänzt, dass letztendlich als erstes Gott alles bewirkt, der auch die Natur und den Willen des Menschen zum Guten geschaffen hat.265 Damit wird der Mensch gegenüber dem Schöpfer als ein zweiter, geschöpflicher Akteur seiner eigenen Handlungen gedeutet. Zudem wird in De concordia III,14 präzisiert, der Mensch könne gute und gerechte Handlungen nur aufgrund und mithilfe von Gottes Gnadenhandeln bewirken, ungerechte und nützliche Handlungen hingegen aus sich selbst heraus unter Gottes missfallendem Zulassen und gerechtem Strafen.266 Auch wenn sich die freiheitstheoretische Reflexion auf den Willen konzentriert, der den selbstbestimmten und -bewirkten Handlungen einer Person vorausgeht, sind diese handlungstheoretischen Überlegungen in zweierlei Hinsicht freiheitstheoretisch bedeutsam. Zum einen wird durch sie anthropologisch begründet, warum die Fokussierung auf die Freiheit des Willens auch ethisch sinnvoll ist. Zum anderen wird die freiheitstheoretisch bedeutsame relative Selbständigkeit des Geschöpfs an­ thro­ pologisch herausgearbeitet. Zu dieser gehört ungezwungenes und freiwilliges sowie spontanes, willentlich selbstbestimmtes und -bewirktes Handeln zentral dazu.

1.3. Zusammenfassung Durch die Analyse der im Monologion und Proslogion entfalteten schöpfungstheologischen Grundlagen von Anselms Freiheitstheorie ist aufgezeigt worden, in welchem Sinne, aus welchem Grund und mit welchen Argumenten darin Freiheit wesentlich als Freiheit von Gott her verstanden wird. 263 

Ebd.; DC III,14 (SII), 287,23–288,19.

264 Ebd. 265 Ebd.

266 Ebd.

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1. Freiheit von Gott. Die schöpfungstheologischen Grundlagen der Freiheitskonzeption

Dabei ist zum einen dargelegt worden, wie in den theologisch-ontologischen Überlegungen Freiheit an sich, das heißt unbedingte oder nur durch sich selbst bedingte Freiheit einzig als eine inhaltlich positiv bestimmte Eigenschaft des höchsten Wesens verstanden wird. Diese gilt als erster Grund und letztes Ziel der dadurch bedingten, ontologisch kategorial verschiedenen, menschlichen Freiheit. In dem Zusammenhang ist aufgezeigt worden, dass die von Anselm markierte ontologische Differenz und Beziehung zwischen dem einzigartigen, schöpferischen Sein Gottes a se einerseits und der von Gott geschaffenen und empfangen Freiheit der vernunftbegabten Geschöpfe andererseits grundlegende freiheitstheoretische Bedeutung hat. Dabei ist angedeutet worden, dass die göttliche Freiheit allein dem göttlichen Wesen gemäß als einzigartig, höchst vollkommen und notwendig a se seiend, schöpferisch und unendlich, sowie selbstidentisch und heilig beschrieben wird, während die geschöpflichen Freiheiten – dem Wesen vernunftbegabter Geschöpfe gemäß – als gemeinsam, instabil und wandelbar, von Gott geschaffen und empfangen, endlich und korrumpierbar gedeutet werden. Zum anderen ist erläutert worden, wie in den anthropologischen Überlegungen zum vernunftbegabten Wesen des Menschen und seinem praktisch vollziehbaren Wollen, Wählen und Handeln ausgehend vom Gedanken der gottebenbildlichen Geschaffenheit des Menschen beschrieben wird, wie die Vermögen des Wollens, Wählens und Handelns ursprünglich beschaffen und einander zugeordnet sind. Dabei ist dafür argumentiert worden, dass Anselm anthropologisch nicht davon ausgeht, dass die gottebenbildliche Geschaffenheit des Menschen auch Aseität impliziert. Zudem ist aufgezeigt worden, dass Anselm anthropologisch nicht nur zwischen drei verschiedenen Formen des Willens differenziert, sondern auch zwischen dem Willens- und Wahlvermögen. Damit versteht er das freie Wahlvermögen als ein sekundäres Vermögen des Willens, dessen Gebrauchsmöglichkeit durch die affektive Grundausrichtung des Willens bestimmt ist. Es ist kein unbestimmtes, indifferentes Vermögen. Schließlich ist nahe gelegt worden, dass Anselm den Menschen zwar als Urheber seiner eigenen Handlungen versteht, nicht aber als einen quasi-göttlichen ersten Akteur, der seinen Charakter allein durch sich selbst bestimmt, sondern als einen geschöpflichen zweiten Akteur, dessen ursprünglicher Charakter vor allem ganz durch das freie Handeln des Schöpfers bedingt und bestimmt ist.

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs 2.0 Einleitung In De veritate und De libertate arbitrii werden im Anschluss an die theologisch-ontologischen und anthropologischen Überlegungen im Monologion und Proslogion zum einen das Prinzip des Rechtseins und die Begriffe der Wahrheit und der Gerechtigkeit analysiert. Zum anderen wird vor diesem Hintergrund der Begriff der Freiheit kritisch neu bestimmt.1 Diese kritische Neubestimmung des Wesens der Freiheit bildet den begrifflichen Kern von Anselms Freiheitstheorie. Dieser ist für ihr Verständnis maßgeblich. Er ist sowohl für die Begründung der These der Vereinbarkeit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Handeln und menschlicher Freiheit in De concordia zentral 2 als auch für die Beschreibung der Freiheit Christi in Cur Deus homo.3 Anselms Konzeption zeichnet sich dadurch aus, dass Freiheit ausgehend vom Verständnis des Rechtseins, der Wahrheit und der Gerechtigkeit als ein inhaltlich eindeutig positiv bestimmtes Vermögen definiert wird. In diesem begrifflich entfalteten prinzipien-, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretischen Horizont wird zunächst das überlieferte ambivalente Verständnis von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ kritisiert.4 Anschließend wird die inhaltlich eindeutig positiv bestimmte Wesensdefinition von Freiheit als „Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren“ hergeleitet, erfahrungsbezogen überprüft und in verschiedene Arten eingeteilt.5 Indem die wesenhafte Freiheit des Menschen darin gesehen wird, in freiwilliger Übereinstimmung mit seiner wesensgemäßen Bestimmung zur Liebe leben zu können, wird eine Konzeption transautonomer Freiheit entfaltet. Sie unterscheidet sich durch ihre relationale und inhaltlich positive Bestimmtheit sowohl von gegenwärtigen libertarischen als auch kompatibilistischen Konzeptionen.6 1 

DV 1–13 (SI), 176,2–199,29; DLA 1–14 (SI), 207,3–226,21. DC I-III (SII), 245,3–288,18, insbes. DC I,6 (SII), 255,31–256,27. 3  CDH I,1-II,22 (SII), 47,4–133,15. 4  DLA 1 (SI), 207,3–13. 5  DLA 2–14 (SI), 209,8–226,21. 6  Siehe: DLA 1 (SI), 207,7. Damit wird eine andere Interpretation vertreten, als die verbreitete libertarische Deutung (Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s In2 

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Dieser begriffliche Kern der Freiheitstheorie Anselms soll im Folgenden in zwei Schritten erläutert werden. Zunächst (2.1.) wird der in De veritate begrifflich entfaltete Verstehenshorizont des Freiheitsbegriffs dargestellt, indem das Prinzip des Rechtseins und die Begriffe der Wahrheit und Gerechtigkeit untersucht werden. Anschließend (2.2.) wird Anselms kritische Neubestimmung des Freiheitsbegriffs in De libertate arbitrii selbst analysiert.

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs Der Freiheitsbegriff wird in De libertate arbitrii vor dem Hintergrund der Analyse des Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriffs in De veritate definiert. Die Bestimmung der Begriffe der Wahrheit und Gerechtigkeit geht werkgenetisch und sachlogisch der Analyse des Freiheitsbegriffs voraus und bildet seinen Deutungshorizont.7 Textlich zeigt sich dies an Anselms Bemerkung über den Zusammenhang der Dialoge De veritate und De libertate arbitrii im Vorwort zu De veritate sowie in De concordia I,6.8 Inhaltlich wird es zudem daran deutlich, dass Wahrheit auch als eine notwendige epistemische Voraussetzung des Freiheitsgebrauchs gilt9 und dass Gerechtigkeit wiederum als eine religiös-ethische Form von Wahrheit verstanden wird,10 die zugleich den Sinn des Freiheitsvermögens darstellt.11 Schließlich zeigt es sich inhaltlich daran, dass Wahrheit und Gerechtigkeit wesenhaft auf das ihnen zugrunde liegende normativ-ontologische Prinzip des Rechtseins bezogen werden.12 Dadurch wird begrifflich ein theolo-

compatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192; und implizit schon: Baeumker, Anselms Lehre, 12–25; Kane, Anselm’s Doctrine, 61–158) als auch als die entgegengesetzte kompatibilistische Deutung (vgl. Ekenberg, Falling Freely, 127–152; Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 164–182., insbes. 180; und implizit schon: Hopkins, Anselm on Freedom, 471–486; Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 297–316). Es wird vorgeschlagen, die autonomietheoretische Deutung kritisch weiterzuführen (siehe hierzu insbesondere: Goebel, Rectitudo, 15–506; und Trego, L’Essence de la liberté, 7–272). Zur typologischen Unterscheidung von praeautonomer, autonomer und transautonomer Freiheit siehe: Achtner, Willensfreiheit, 208–213. 7  So auch insbesondere: Briancesco, Un Triptyche sur la Liberté, 20–24, der dies zum Auslegungsprinzip macht und Goebel, Rectitudo, 187–212, der den Zusammenhang von Anselms Wahrheits- und Freiheitsverständnis herausarbeitet. Siehe auch: Orazzo, La Libertà, 385. 8  Über die Zusammengehörigkeit von De veritate, De libertate arbitrii und De casu diaboli siehe: DV Praef. (SI), 173,2–174,7; DC I,6 (SII), 256,14–257,4. Über den Zusammenhang mit dem Monologion und Proslogion siehe weiter: Eadmer, Vita Anselmi I,19 (L’œuvre 9), 269– 272. 9  DC I,6 (SII), 257,5–27; DC III; 11 (SII), 280,23–24. 10  DV 12 (SI), 191,27–196,25. 11  DLA 3 (SI), 212,14–18. 12  DLA 3; (SI), 212,13–18; DLA 13 (SI), 225,10–27 und DV 11–12 (SI), 191,1–196,25.

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

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gisch-ontologischer, erkenntnistheoretischer und ethischer Deutungshorizont entfaltet. In ihm wird das Wesen der Freiheit inhaltlich positiv bestimmt.13 Um diesen Deutungshorizont zu rekonstruieren, soll im Folgenden dargestellt werden, wie die Begriffe des Rechtseins, der Wahrheit und Gerechtigkeit von Anselm bestimmt werden und wie ihr Verhältnis untereinander und zum Freiheitsbegriff beschrieben wird. Anselms eigener begriffslogischer Ordnung folgend wird zuerst (2.1.1.) das in De veritate 2 eingeführte Prinzip des Rechtseins (rectitudo) untersucht, sodann (2.1.2.) der insbesondere in De veritate 11 durch ihn definierte Begriff der Wahrheit (veritas) und schließlich (2.1.3.) der in De veritate 12 daran anschließend näher bestimmte Begriff der Gerechtigkeit (iustitia). Als Viertes (2.1.4.) bleibt zu klären, wie von Anselm das Verhältnis dieser Begriffe zueinander und ihre freiheitstheoretische Funktion verstanden wird.

2.1.1. Das Prinzip des Rechtseins (rectitudo) Das Prinzip des Rechtseins (rectitudo) ist für Anselm das grundlegende ontologische Prinzip richtiger Relationalität, durch das der Sinn des Wahrheits-, Gerechtigkeits- und auch Freiheitsbegriffs bestimmt wird. Durch dieses wird sowohl das Universum als geordnete Schöpfung in Relation zum Schöpfer angemessen dargestellt als auch der Geist und Wille Gottes in seiner Dreieinigkeit als höchstes Rechtsein in sich selbst.14 13  Siehe hierzu insbesondere auch: Robert Pouchet, La Rectitudo chez Saint Anselme. Un itinéraire augustinien de l’âme à Dieu, Paris 1964; H. Külling, Wahrheit als Richtigkeit. Eine Untersuchung zur Schrift ‚De veritate‘ von Anselm von Canterbury, Bern 1984; Markus Enders, Wahrheit und Notwendigkeit. Die Theorie der Wahrheit bei Anselm von Canterbury, Leiden 1999; Ders., Ist Anselms Wahrheitstheorie in sich konsistent? in: Sola Ratione. Anselm von Canterbury und die rationale Rekonstruktion des Glaubens, hg. v. Stephan Ernst und Thomas Franz, Würzburg 2009, 137–164; Goebel, Rectitudo, 33–502; Guido Löhrer, Ontologisch oder epistemisch? Anselm von Canterbury über die Begriffe Wahrheit und Richtigkeit, in: Recherches de théologie et philosophie médiévales 69,2 (2002), 296– 317; Stephan Ernst, Anselm von Canterbury, Münster 2011, 66–74; Mechthild Dreyer, Veritas – rectitudo – iustitia:. Grundbegriffe ethischer Reflexion bei Anselm von Canterbury, in: Recherches de théologie et philosophie médievales 64,1 (1997), 67–85; Eugene R. Fairweather, Truth, Justice and Moral Responsibility in the Thought of St. Anselm, in: L’Homme et son destin d’après les penseurs du moyen âge, Louvain 1960, 385–391; Kurt Flasch, Zum Begriff der Wahrheit bei Anselm von Canterbury, in: Philosophisches Jahrbuch 72 (1965), 322–352; Richard Campbell, Freedom as Keeping the Truth. The Anselmian Tradition, in: Anselm Studies 2 (1988), 297–317; Marilyn McCord Adams, Saint Anselm’s Theory of Truth, in: Documenti et studi sulla tradizione medievale 1 (1990), 353–372; Michel Corbin, Se tenir dans la vérité, in: Spicilegium Beccense II (1984), 649–665; Ders., L’Évênement de vérité. Lecture du De veritate d’Anselme de Cantobéry, in: L’inouï de Dieu. Six études christologiques, Paris 1980, 77–107. 14  Im Folgenden wird der lat. Terminis „rectitudo“ mit „Rechtsein“ übersetzt. Für diesen Hinweis danke ich Christian König. Rectitudo wird im Folgenden mit „Rechtsein“ übersetzt, weil damit zum Ausdruck gebracht werden kann, dass es sich nicht nur um einen Begriff, sondern um das ontologische Prinzip richtiger Relationalität handelt und weil damit Miss-

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Das Rechtsein gilt dabei als das zugleich höchste und offensichtlichste ontologische Prinzip. Es besteht in der dem Menschen qua Geschöpf von Gott gegebenen richtigen Relationalität. Diese ist dem im Glauben gegebenen Bewusstsein Gottes, seiner Selbst und seines Nächsten erschlossen. Dementsprechend wird bei der Erläuterung seines Sinns einfach auf die psalmistische Rede von denen verwiesen, die „rechten Herzens“ (recti cordi) sind.15 Das Rechtsein meint in diesem konkreten personalen Sinn ähnlich wie in Augustins De correptione et gratia und Gregor des Großen Moralia in Iob die von Gott gegebene Aufrichtigkeit eines Menschen, die sich in dem aus ihrem Glauben hervorgehenden Denken und Wollen, Erkennen und Lieben, zeigt. Dabei sind auch Parallelen zur platonischen Vorstellung der orthotes nicht zu übersehen sowie zu Vorstellungen des dem Willen des Schöpfers entsprechenden Richtigen bei jüdischen und islamischen Denkern zu Anselms Zeit.16 Ein Mensch wird von Anselm dann als verständnisse, die durch die Konnotationen der Worte „Angemessenheit“, „Richtigkeit“ oder „Rechtheit“ hervorgerufen werden, vermieden werden können. Gegen die von Lohmeyer vorgeschlagene Übersetzung mit „Angemessenheit“ spricht meiner Ansicht nach, dass „rectitudo“ gerade nicht nur ein Adäquationsverhältnis meint (siehe: Lohmeyer, Die Lehre vom Willen, 41). Gegen die von Külling und neuerdings von Löhrer vertretene Übersetzung mit „Richtigkeit“ spricht, wie schon von Goebel und Enders bemerkt, dass es vor dem Hintergrund der Bedeutung, die dieses Wort bei Hegel und Heidegger hat, das Missverständnis nahe legt, dass es bloß um eine formale Übereinstimmung von Gegenstand und Begriff geht, was bei Anselm aber gerade nicht gemeint ist. (Siehe hierzu: Külling, Wahrheit als Richtigkeit, 64–72; vgl. die Kritik von Goebel, Rectitudo, 65–72; 204–222; und Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 130–133; vgl. Löhrer, Ontologisch oder epistemisch?, 315–317). Gegen die von Verweyen, Goebel, Enders vertretene Übersetzung mit dem Kunstwort „Rechtheit“ spricht meiner Ansicht nach jedoch, wie auch Löhrer bemerkt, dass es eine eigenartige Substantivierung des Adjektivs „recht“ darstellt, die zum einen das Missverständnis nahe legt, es handle sich dabei um eine Hypostasierung (so etwa: Kane, Anselm’s definition, 303–304) und zum anderen das Missverständnis befördert, dass es sich dabei primär um eine äußere, rechtliche oder nur ethische, innere normative Relation handle. (Siehe hierzu: Goebel, Rectitudo, 65–72, insbes. 65–66; 204–222 und Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 128–133; Ders., Ist Anselms Wahrheitstheorie, 137–164; vgl. Löhrer, Ontologisch oder epistemisch?, 315–317). 15  DV 12 (SI), 196,19–24; vgl. DC III,2 (SII), 265,1–18. Zum Verweis auf Ps 32,11, Ps 93,14 und Ps 106,42 siehe insbesondere auch: Külling, Wahrheit als Richtigkeit, 255ff; und Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 532 ff. 16  DC III,6; SII 270,11–273,6; Augustin, De correptione et gratia VI,9; X,26–28 (CSEL 92), 226,1–227,34; 249,13–253,20, wo betont wird, dass Gott den Menschen in Rechtsein (recti­ tudo) geschaffen hat, der Mensch diese aber durch den Sündenfall verloren hat und nur durch die Gnade in Christus neu empfangen kann; und vgl. Gregor der Große, Moralia in Job, I,1–3 (CChr.SL 143), 25,1–27,27. Dabei wird Hiob als leidender Gerechter als Präfiguration Christi und Vorbild des christlichen Lebens und der Gemeinschaft der Glaubenden verstanden. Gleich zu Beginn wird erläutert, dass das in Hiob 1,1–3 thematisierte Rechtsein Hiobs („simplex et rectus“) historisch als seine einfache Aufrichtigkeit verstanden werden könne, christologisch als seine Christus ähnliche milde Gerechtigkeit, und ekklesiologisch als einfaches Leben im rechten Gottesglauben, der sich in der tätigen Liebe vollendet, nicht im Streben nach äußerer Ehre. Vgl. auch Platon, Timaios, 31a-b. Siehe zum altkirchlichen Verständnis von Rechtsein insbesondere auch: Pouchet, La Rectitudo, 19–52; Siehe aber auch: Goebel, Rectitudo, 217, der vor allem auch auf Hieronymus verweist; Zu ähnlichen Vorstel-

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

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recht und gerecht betrachtet, wenn er so lebt, wie er durch das göttliche Wort als Bild Gottes geschaffen und erneuert worden ist. Jemand gilt dann als recht, wenn er mit seiner wesenhaften Bestimmung und dem Willen Gottes übereinstimmt. In diesem konkreten, personalen Sinn meint Rechtsein damit wahre, verwirklichte Gottebenbildlichkeit. Sie besteht in der annähernden Übereinstimmung der Existenzweise mit ihrem Urbild im Geist Gottes.17 So kann nach Anselm das Rechtsein eines Menschen, wie auch das Rechtsein alles anderen Geschaffenen, immer nur ein von Gott geschenktes und unmöglich ein selbstkonstituiertes sein. Dementsprechend wird in De libertate arbitrii und De concordia betont, dass das Rechtsein im Unterschied zur Freiheit keine natürliche, wesenhafte Eigenschaft des Menschen sei, sondern eine gnadenhafte Gabe Gottes.18 In De libertate arbitrii und De casu diaboli wird hingegen aufgezeigt, dass der Versuch der Selbstkonstitution des eigenen Rechtseins notwendig scheitert und gerade zum irreversiblen Verlust des gegebenen Rechtseins führt.19 Da sich nach Anselm jede menschliche Person von Geburt an durch einen von sich aus unüberwindbaren Mangel an Rechtsein auszeichnet, gilt es zugleich als das am schwersten zu erkennende, höchste ontologische Prinzip.20 Dafür, dass Rechtsein von Anselm als höchstes, relationales ontologisches Prinzip verstanden wird und nicht als ein höchster, allgemeiner Begriff oder als ein Oberbegriff von Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit, spricht zum einen, dass es nicht an sich, sondern nur in Form verschiedener theoretischer und praktischer Instantiierungen definiert wird.21 Zum anderen spricht dafür, dass es als ein prinzipiierendes Prinzip konstitutive Bedeutung für die Definitionen des Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Freiheitsbegriffs hat.22 Schließlich spricht dafür, dass das Rechtsein an sich – im eigentlichen Sinne – allein dem höchsten lungen bei jüdischen und islamischen Denkern des Mittelalters, siehe: Burell, Faith and Freedom, 217–233. Siehe hierzu auch: Gilbert Crispin, Disputatio Iudei et Christiai I-II (HPhBMA 1), 35–65. Markanter Weise beginnt der Dialog damit, dass der jüdische Gesprächspartner die berechtigte Kritik formuliert, warum die Christen die Juden dafür verurteilten und verfolgten, dass diese sich bemühten weiter in Übereinstimmung mit dem im Gesetz offenbarten Willen Gottes recht zu leben. 17 ML 66–68 (SI), 77,5–79,9; PL 1 (SI), 97,3–100,19; insbes. 100,12–19; PL 26 (SI), 120,21–122,2. 18 DLA 2–4 (SI), 209,8–214,12; DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32; insbes. DC I,6 (SII), 255,31–257,27; insbes. 257,20–23; DC I,2–3 (SII), 264,26–267,5; vgl. CDH I, 20–25, SII, 86,17–96,20. 19  DLA 2–4 (SI), 209,8–214,12; DCD 1–28 (SI), 232,1–276,15. 20  DC III,7 (SII), 273,8–274,2; vgl. PL 1–5 (SI), 97,3–104,17; Siehe hierzu auch: Engelbert Recktenwald, Das id quo maius cogitari non potest als rectitudo. Anselm’s Gottesbeweis im Licht von De veritate, in: Anselm Studies 3 (1996), 135–159. 21  Siehe: DV 1–13 (SI), 176,3–199,29. Anders hingegen: Gottlieb Söhngen, Rectitudo bei Anselm von Canterbury als Oberbegriff von Wahrheit und Gerechtigkeit, in: Sola Ratione. (FS F.S. Schmitt), hg. v. Kohlenberger, Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, 71–77; Löhrer, Ontologisch oder epistemisch?, 296–317 und Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 504–505. 22 Ebd.

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Wesen in seiner Dreieinigkeit notwendig zukommt. Erst von daher kommt es in einem anderen normativen Sinne auch Geschaffenem zu.23 So wird in De veritate analysiert, in welchem Sinn und in welcher Form Rechtsein diversen geschaffenen Entitäten, wie etwa Aussagen, Gedanken, Willensakten, Handlungen, Sinneswahrnehmungen und Wesenheiten zukommen kann.24 Dabei wird von der schöpfungstheologischen Annahme ausgegangen, dass vom höchsten Geist alles durch das göttliche Wort weise mit einem inneren, wesensgemäßen Daseinsziel geschaffen worden ist und nur in ihm auch Bestand hat. So wird das Rechtsein als die ursprünglich gegebene Übereinstimmung von aktualer Existenzweise und bestimmtem Daseinsziel relational ontologisch gedeutet. Das Rechtsein diverser Entitäten hat nach Anselm also einen absolut bedingten ontologischen Sinn. Es hat einen durch die geschöpfliche Grundrelation bedingten Sinn, nicht nur einen durch sich selbst oder durch die Relation zu anderen geschaffenen Entitäten oder ihrem Gesamt bedingten Sinn.25 Aussagen, Gedanken, Willensakte, Handlungen, Sinneswahrnehmungen und Wesenheiten gelten als geschaffene Entitäten, deren Dasein und Daseinsziel vollkommen dem höchsten Wesen verdankt sind. Sie gelten genau dann als recht, wenn sie selbst dem entsprechen, als was und wozu sie geschaffen worden sind.26 Mit der Gabe, das heißt Verdanktheit des Daseins und Daseinsziels ist auch die Normativität beziehungsweise Schuldigkeit gegeben, auch so da sein zu sollen. Einen normativen Sinn hat das Rechtsein von Entitäten auch insofern, als ihr Dasein nach Anselm in der Schuldigkeit steht, so vollzogen zu werden wie es geschaffen und wozu es bestimmt ist. Dann gilt als recht, wenn es tut, was es tun soll ( facere quod debet).27 Das Rechtsein ist damit aber nicht nur ein normativer relationaler Terminus, sondern zugleich auch ein deskriptiver. In De veritate wird grundlegend zwischen natürlichem, a-personalem und nicht-natürlichem, personalem Rechtsein unterschieden.28 Während das Rechtsein von Aussagen und Gedanken sowie von Sinneswahrnehmungen, Willensakten, Handlungen und dem Wesen ohne Vernunftbegabung als natürliches Rechtsein verstanden wird, wird das Rechtsein der Akte und des Wesens vernunftbegabter Lebewesen als personales Rechtsein verstanden.29 Die Differenz zwischen dem natürlichen und dem personalen Rechtsein wird darin ge23  DV 12 (SI), 191,26–196,25; vgl. ML 25–29 (SI), 43,1–48,5 und vgl. PL 22–23 (SI), 116,15–117,22. 24  DV 1–13 (SI), 176,3–199,29; Siehe hierzu insbesondere: Külling, Wahrheit als Richtigkeit, 59–202; Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 73–287; sowie Goebel, Rectitudo, 33–186. 25  DV 1–13 (SI), 176,3–199,29; vgl. ML 1–14 (SI), 13,1–27,26. 26  DV 2–9 (SI), 177,5–189,28. 27  Ebd. vgl. ML 1–14 (SI), 13,1–27,26. 28  DV 8–9 (SI), 186,6–189,28. 29 Ebd.

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

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sehen, dass das natürliche Rechtsein eine Relation ist, an der etwas von Natur her, auf unverlierbare Weise teilhat, das personale Rechtsein hingegen eine Relation, an der etwas aus Gnade, auf freiwillig aufgebbare Weise wesenhaft teilhat.30 Das natürliche Rechtsein von Dingen und nicht vernünftigen Lebewesen gilt somit als durch die natürlichen Gesetze mit vorausgehender Notwendigkeit bestimmt. Das personale Rechtsein von vernunftbegabten Lebewesen und ihren Akten gilt hingegen als durch ihren Willen mit nachfolgender Notwendigkeit bestimmt.31 Indem angenommen wird, dass die Bewahrung oder Aufgabe des Rechtseins bei Personen durch ihren vernunftbegabten Willen bestimmt ist, wird es zugleich als ein höheres und instabileres Rechtsein verstanden.32 Dabei geht Anselm davon aus, dass sich das Rechtsein von geschaffenen Dingen und Personen nicht an sich zeigt, sondern in Form von Wahrheit und Gerechtigkeit. So wie ihm als dem höchsten relationalen, ontologischen Prinzip konstitutive Bedeutung für Wahrheit und Gerechtigkeit zukommt wird es in Form von Wahrheit und Gerechtigkeit expliziert.33 „Das höchste Rechtsein an sich“ (summa rectitudo a se) wird von Anselm in diesem Zusammenhang wie „die höchste Wahrheit an sich“ (summa veritas a se) und „die höchste Gerechtigkeit an sich“ (summa iustitia a se) als Prinzip der vollkommenen Selbstidentität Gottes in seiner Dreieinigkeit verstanden. Es fällt seiner Auffassung nach mit der göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit beziehungsweise dem vollkommenen göttlichen Erkennen und Lieben in eins.34 Als Differenz zum Rechtsein geschaffener Entitäten wird in De veritate 10 hervorgehoben, dass das Rechtsein des höchsten Wesens gerade nicht in einer bedingten, normativen Relationalität besteht, sondern in einer unbedingten, alles andere bedingenden Relationalität.35 Das höchste Rechtsein, das Rechtsein an sich, kommt nach Anselm nur dem einen schlechthin notwendigen, höchsten Wesen zu. Dieses allein ist, was es ist, weil es ist, was es ist. Und es allein wird sich erweisen als „der, der er ist, allein, weil er ist, der er ist“ (Tu solus ergo, domi­ ne, es quod es, et tu es qui es.).36 Damit versucht Anselm, den in Ex 3,14 erwähnten Namen Gottes ontologisch und trinitätstheologisch zu beschreiben.37 Dabei werden im Proslogion und Monologion sowie in De veritate 10–13 das vollkommene Erkennen Gottes, die 30 Ebd. 31 Ebd.

32 Ebd. 33 

DV 1–13 (SI), 176,3–199,29. DV 10 (SI), 189,31–190,33; vgl. ML 25–29 (SI), 43,1–48,5 und PL 22–23 (SI), 116,15– 117,22. Zur These, Wahrheit sei ein Identitätsbegriff in Bezug auf Gott, in Bezug auf alles andere ein Adäquationsbegriff siehe: Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 288–352; Ders., Ist Anselms Wahrheitstheorie, 149–164. 35  PL 22–23 (SI), 116,15–117,22. 36  Ebd., insbes. PL 22 (SI), 116,15. 37 Ebd. 34 

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

göttliche Allwissenheit und die Wahrheit sowie das vollkommene Lieben Gottes, die göttliche Allmacht und die Gerechtigkeit immer ausgehend von der Annahme des vollkommenen Rechtseins Gottes in sich selbst und in der unermesslichen Güte seiner vollkommenen Selbstidentität beschrieben.38 Damit gilt Gott in seiner Dreieinigkeit in einem wesenhaft anderen, unermesslich höheren Sinne als recht, wahr und gerecht als alles andere, das nur von ihm her, durch ihn und in ihm recht, wahr und gerecht sein kann. Anselm betont in diesem Zusammenhang, dass weder das eine Rechtsein Gottes an sich die diversen Arten und Formen des Rechtseins von Geschaffenem auf hebt noch die unhintergehbare Pluralität diverser recht seiender geschaffener Entitäten die höhere, konstitutive Einheit und Einzigkeit des göttlichen Rechtseins beeinträchtigt.39 Vielmehr garantiert nach Anselm das Rechtsein Gottes an sich das geschöpfliche Rechtsein in seiner jeweiligen Besonderheit, Verschiedenheit und Bezogenheit.40

2.1.2. Der Begriff der Wahrheit (rectitudo sola mente perceptibile) Genau bei diesem Problem, der Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit setzt die Analyse des Wahrheitsbegriffs in De veritate ein.41 Es entsteht in Anselms Sicht dadurch, dass zum einen geglaubt wird, dass Gott die Wahrheit ist (wie es etwa von Augustin in Anlehnung an Joh 14,6 betont wird) und die Wahrheit somit als eine unendliche und ewige verstanden wird (wie auch im Monologion argumentativ aufgezeigt wird) 42 und dass zum anderen erkannt wird, dass es Wahrheit in Vielem gibt.43 So wird etwa semantische, logische und erkenntnistheoretische Wahrheit von Bedeutungen, Aussagen und Gedanken erwähnt, wie sie in der aristotelisch-boethianischen Logik analysiert wird.44 Aber auch personale und ethische Wahrheit, wie sie in der johanneischen Theologie hervorgehoben wird45, ästhetische Wahrheit des inneren Sinns und Urteils 38 

DV 10–12 (SI), 189,30–196,25; vgl. ML 47–54 (SI), 63,1–66,29; PL 6–11 (SI), 104,18– 110,3; Siehe hierzu auch: Recktenwald, Das id quo maius cogitari non potest, 135–159. 39  DV 13 (SI), 196,27–199,29. 40 Ebd. 41  DV 1 (SI), 176,3–177,3; vgl. DV 13 (SI), 196,27–199,29. 42  DV 1 (SI), 176,3–177,3; vgl. ML 18 (SI), 32,6–33,23; ML 28 (SI), 33,11–22; ML 31–35 (SI), 48,14–54,13; vgl. PL 11 (SI), 109,15–16; PL 2 (SI), 101,2–3; PL 23 (SI), 117,6–10. Siehe hierzu auch: Schumacher, Divine Illumination, 58–65. Sie verweist insbesondere auch auf die Frühschriften De magistro und Soliloquia. 43  DV 1–13, SI, 176,3–199,29. 44  DV 2–3 (SI), 177,5–180,18; vgl. DG 3 (SI), 147,23–148,10; DG 5 (SI), 149,30–33; DG 8 (SI), 153,5–8; vgl. Aristoteles, Categoriae 5. 12 (Opera I), 4b. 14b; Ders., De interpretatione 9 (Opera I), 18a-19b; Boethius, In Categorias Aristotelis Commentarium (PL 64), 285D – 286A; Ders., In librum de interpretatione. Ed. prima (PL 64), 317C-D; Siehe zu diesen Quellenhinweisen auch detailliert: Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 115–142. 45 DV 4–5 (SI), 180,20–183,7; vgl. DLA 5 (SI), 214,24–215,20; DCD 2 (SI), 235,18– 236,9; CDH I,9 (SII), 61,4–14; Siehe hierzu auch Corbin, Se tenir dans la vérité, 649–665.

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

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sinnlicher Wahrnehmung, wie sie in der Erfahrung gegeben ist, sowie ontologische Wahrheit des Wesens, wie sie im platonisch-neuplatonischen aber auch augustinischen Denken beschrieben wird, werden erwähnt.46 Die Klärung der Frage, wie die Annahme einer ewigen Wahrheit und die Annahme vieler endlichen Wahrheiten vereinbar ist, betrifft direkt die Frage nach dem Wesen der Freiheit. Nach Anselm gilt Wahrheitserkenntnis als eine notwendige Voraussetzung des wahren Freiheitsgebrauchs, und Freiheit wird begrifflich als Freiheit in Wahrheit bestimmt.47 Dadurch wird der in der johanneischen Theologie zentrale Gedanke hervorgehoben, dass die Wahrheit frei macht. Dabei versucht Anselm, das freiheitstheoretisch wichtige Problem der Einheit und Vielheit von Wahrheit durch eine nicht-gegenständliche, relationale, rational-offenbarungsbezogene Theorie der Wahrheit als „allein mit dem Geist erkennbares Rechtsein“ zu lösen. So wird in De veritate 11 folgende Wesensdefinition der Wahrheit formuliert: Wir können also, wenn ich mich nicht täusche, definieren, dass die Wahrheit das mit dem Geist allein erfassbare Rechtsein ist (rectitudo sola mente percipi possunt).48

Mit dieser Definition wird zunächst davon ausgegangen, dass Wahrheit eine besondere Form von Rechtsein ist, das heißt, dass sie relational verfasst ist. Damit wird sie in Bezug auf alles Geschaffene als etwas Bedingtes, gnadenhaft Gegebenes, zeitlich und endlich Verfasstes und normativ Gesolltes verstanden. Nur in Bezug auf den Schöpfer wird sie als etwas Unbedingtes, Ewiges und Unendliches, in sich selbst Begründetes gedeutet.49 Indem Wahrheit relational als eine Form von Rechtsein aufgefasst wird, wird ein bloß gegenständliches Wahrheitsverständnis transzendiert. Darin unterscheidet sich Anselms Wahrheitsverständnis, ähnlich wie dasjenige von Augustin, gleichermaßen von so genannten realistischen Wahrheitstheorien, seien sie empiristischer, rationalistischer oder quasi-theologischer Spielart, als auch von bloß konstruktivistischen und nominalistischen Wahrheitsvorstellungen oder einem relativistischen Wahrheitsskeptizismus.50

46 

DV 7 (SI), 185,7–186,4. Augustin, De vera religione XXXVI,66-XLV,85 (CChr.SL 32), 230,1–243,44; Zum Bezug auf den platonischen Teilhabegedanken siehe: Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 119–121. 47  DC I,6 (SII), 257,5–27; vgl. DC III, 11 (SII), 280,23–24. Siehe hierzu auch: Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 309ff; 314–316. 48  DV 11 (SI), 191,19–20. 49  Siehe hierzu auch: Enders, Ist Anselms Wahrheitstheorie, 137–164. 50  Siehe hierzu die bemerkenswerte Analyse von Goebel, Rectitudo, 72–95; vgl. Barth, Fides quaerens intellectum, 43–53, insbes. 49–51 und Flasch, Zum Begriff der Wahrheit bei Anselm, 322–344, der die These vertritt Anselm entwerfe einen transzendental-subjektiven Wahrheitsbegriff; McCord Adams, Saint Anselm’s theory of truth, 353–372 und Corbin, Se tenir dans la vérité, 649–665; Ders., L’Évênement de Vérité. 77–107.

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Dass Wahrheit eine Form von Rechtsein ist, wird von Anselm in De veritate aufgezeigt. Es wird untersucht, worin jeweils die Wahrheit von Aussagen und Gedanken, von Willensakten und Handlungen sowie von Sinnesurteilen und dem Wesen besteht, und was die höchste Wahrheit selbst ist.51 In De veritate 2–3 wird das von Aristoteles geprägte und in der logica vetus überlieferte logische, adaequationstheoretische Verständnis von Wahrheit als bloße Richtigkeit, das heißt Übereinstimmung von Denken und Sache, als wahr, aber nicht hinreichend gedeutet und begründungstheoretisch weitergeführt.52 Zudem wird in De veritate 4–5 ein personalistisches, religiös-ethisches Verständnis von Wahrheit als Treue und Wahrhaftigkeit Gottes oder der Menschen, das sich aus einem bestimmten Verständnis biblischer Texte, insbesondere der psalmistischen und johanneischen Theologie, nahe legt, als wahr, aber nicht als das einzige verstanden und begründungstheoretisch weitergeführt.53 Schließlich wird auch in De veritate 6 ein empirisch-ästhetisches Wahrheitsverständnis, wie es in antiken Wahrnehmungstheorien verschiedentlich formuliert worden ist, als wahr, aber nicht umfassend betrachtet und begründungstheoretisch weitergeführt.54 Zuletzt wird in De veritate 7 auch das von Plato formulierte und bei verschiedenen neuplatonischen Denkern verbreitete, ontologischrationale, begriffliche Verständnis von Wahrheit als das intuitiv erkennbare Offenbarsein des Wesens der Dinge ebenfalls als wahr, aber nicht hinreichend gedeutet und begründungstheoretisch weitergeführt.55 Dabei wird verdeutlicht, dass Wahrheit nicht ein Prädikat oder eine Eigenschaft ist, die den Gegenständen oder dem Denken an sich inhäriert, sondern in der richtigen Relation des Rechtseins besteht. Sowohl für Aussagen und Gedanken, als auch für Willensakte und Handlungen sowie Sinnesurteile und das jeweilige Wesen gilt nach Anselm, dass sie dann als wahr erkannt werden können, wenn sie recht sind und tun, was sie tun sollen und wozu sie geschaffen und bestimmt sind. Damit gilt die gegebene und gesollte Relation des Rechtseins in Bezug auf alles Geschaffene als notwendige Möglichkeitsbedingung ihres jeweiligen Wahrseins. Durch diese Relationalität werden die logische, die personale und die ästhetische sowie die ontologische Wahrheit als relative, ab51 

DV 2–11 (SI), 177,5–190,33. 2–3 (SI), 177,5–180,18; vgl. Aristoteles, Categoriae 12 (Opera I), 14b; Ders., De interpretatione 9 (Opera I) 19b; Boethius, In Categorias Aristotelis Commentarium 1,IV (PL 64), 285D-286C. Siehe hierzu auch weiter: Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 208–237; vgl. Goebel, Rectitudo, 186–280. 53  DV 4–5 (SI), 180,21–183,7; vgl. Flasch, Zum Begriff der Wahrheit, 322–352. Flasch hebt diesen Aspekt der Anselmschen Wahrheitstheorie hervor, sieht jedoch nicht seine Relativierung und kritisiert deswegen meiner Ansicht nach zu Unrecht, dass Anselm ein personalistisches Wahrheitsverständnis vertrete. 54  DV 6 (SI), 183,9–185,5. 55  DV 7 (SI), 185,7–186,4; vgl. Augustin, De vera religione, XXXVI,66-XLV, 85 (CChr. SL 32), 230,1–243,44. 52  DV

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

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solut bedingte, endlich-zeitlich verfasste Wahrheiten verstanden, die eine unauf hebbare Vielfalt an Wahrem bilden. Dementsprechend wird betont, dass keine von ihnen an sich eine höchste, unbedingte oder gar eine alleinige Wahrheit ist. So wird in De veritate 10 argumentiert, dass in analoger Weise nur Gott selbst die höchste, unbedingte, unendliche und ewige Wahrheit genannt werden kann.56 Begründet wird dies ähnlich wie im Monologion und Proslogion damit, dass Gott allein an sich und durch sich selbst sein Rechtsein im Geist erkennt und durch ihn anderes überhaupt erst recht sein kann und mit der Vernunft als recht erkannt werden kann. Demnach ist Gott allein an und für sich Wahrheit und durch ihn kann anderes überhaupt erst wahr sein.57 Da Wahrheit nicht gegenständlich, prädikativ als eine Eigenschaft verstanden wird, die den Dingen, dem Erkennen oder dem Sein selbst inhäriert, sondern relational als Rechtsein, ist es möglich, zugleich eine unauf hebbare Vielfalt der eigenständigen Arten und Bereiche von Wahrheit und ein Prinzip des Rechtseins sowie eine höchste Wahrheit anzunehmen. Aufgrund dessen kann alles andere jeweils in seiner spezifischen Art und seinem konkreten Wirklichkeitsbereich wahr sein.58 Durch die Annahme einer höchsten göttlichen Wahrheit, die mit dem Rechtsein selbst identisch ist und die die allein unbedingte, in sich selbst begründete und alles andere bedingende und begründende Wahrheit ist, wird die unhintergehbare Vielheit der bedingten Wahrheitsphänomene begründet. Dabei wird davon ausgegangen, dass alles vernünftig erkennbare Endliche sein Sein und Wesen, seine spezifische, innere Zielbestimmung und sein Rechtsein und damit auch sein Wahrsein von der höchsten Wahrheit selbst empfängt und durch Teilhabe an ihrer Wahrheit in der richtigen Relation zu ihr wahr sein kann.59 Alle Wahrheit ist somit nicht aufgrund des wahren Urteils oder Gedankens, des wahren Wollens und Handelns oder des wahren Sinnesurteils oder aufgrund des jeweiligen wahren Wesens im vernünftig erkennbaren Endlichen präsent. Vielmehr ist sie dies aufgrund der Gegenwart der höchsten Wahrheit und des gegebenen und gesollten Rechtseins. Allerdings wird von Anselm eingeschränkt, dass nicht alles, was recht ist, auch wahr ist, sondern nur diejenigen Sachverhalte, die „allein mit dem Geist wahrgenommen werden können“ (sola mente percipi possunt).60 Indem Wahrheit nicht-gegenständlich als allein mit dem Geist wahrnehmbares Rechtsein verstanden wird, wird deutlich die Vorstellung des naiven Realismus zurückge56  DV 10 (SI), 189,31–190,5; vgl. Enders, der von attributiver Analogizität spricht gegenüber Goebel, der r für eine univoke Deutung eintritt. Siehe: Enders, Ist Anselms Wahrheitstheorie, 152–164. 57  DV 10 (SI), 189,31–190,5; DV 13 (SI), 196,27–199,29; vgl. ML 1–14 (SI), 13,3–27,26; PL 22 (SI), 116,15–117,2. 58 Ebd. 59 vgl. Flasch, Zum Begriff der Wahrheit, 329; 336–337. 60  DV 11 (SI), 191,19–24.

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

wiesen, dass Wahrheit in Gegenständen, gegenständlich gedachten Ideen, sprachlichen Zeichen oder Strukturen selbst verortet sei.61 Bereits in De veritate 6 wird angedeutet, dass sinnliche Anschauung nicht in sich wahrheitsfähig ist, sondern dies nur für das Wahrnehmungsurteil des inneren Sinns gilt. Deswegen könne sinnliche Anschauung nicht als solche, sondern nur als eine mit natürlicher Notwendigkeit geschehende Handlung wahr genannt werden.62 Diese Kritik der Wahrheitsfähigkeit von Rechtsein, das nur in der sinnlichen Anschauung gegeben ist, wird schließlich in De veritate 11 weitergeführt. Durch ihren Ausschluss wird die spezifische Differenz von Wahrheit gegenüber bloßem Rechtsein markiert.63 Dass das in Gegenständen sinnlich wahrnehmbare Rechtsein, wie etwa die Geradheit einer Linie, nicht als Wahrheit gilt, wird schließlich damit begründet, dass es nicht dem vernünftigen Urteil über wahr und falsch unterliegt. Es hat vorrationalen Charakter.64 Auch wenn Anselm keine bloß epistemische Wahrheitstheorie vertritt, vertritt er noch weniger ein bloß intuitionistisches oder empiristisches Wahrheitsverständnis. Schließlich wird Wahrheit seiner Auffassung nach ja gerade weder primär durch das erkennende Subjekt noch primär durch den Gegenstandsbezug begründet. Vielmehr wird Anselm zufolge die Wahrheit von beidem in ihrem Verhältnis durch die Schöpfungsrelation des Rechtseins konstituiert. Damit wird Wahrheit relational und rational-offenbarungsbezogen verstanden. Die so bestimmte Definition hat radikale erkenntnistheoretische Konsequenzen. Sie schließt nämlich alle empiristischen Erkenntnistheorien aus und behauptet, dass nur ein rein rational und geistig erkennbares Rechtsein mit der Wahrheit identisch ist.65 Dadurch wird per definitionem die relationale, offenbarungsbezogene Wahrheitstheorie mit einer rationalen Erkenntnistheorie verbunden, weil die Bedeutung von Wahrheit untrennbar mit der rein geistigen Erkennbarkeit des Rechtseins verbunden ist.66 61  So

auch: Goebel, Rectitudo, 72–95; vgl. McCord Adams, Saint Anselm’s theory of truth, 370–372. Und vor allem: Corbin, Se tenir dans la vérité, 649–665; Ders., L’Évênement de Vérité, 77–107. 62  DV 6 (SI), 183,10–185,5. 63  DV 11 (SI), 191,3–18. 64  DV 11 (SI), 191,3–24. 65 Ebd. 66  Siehe hierzu auch: Boethius, In Isagogen Porphyrii commentorum, ed. prima I,3 (CSEL 48), 7,5–9,22; vgl. Ders., In Isagogen Porphyrii commentorum ed. sec. I,1–12, (CSEL 48), 135,5– 169,5. Dort wird in Anlehnung an die platonische Erkenntnistheorie zwischen intellectibile, intellegibilia und naturalia unterschieden. Intellectibile gelten dabei als das, was allein durch Geist und Vernunft begriffen werden kann (est enim intellectibile quod unum atque idem per se in propria semper divinitate consistens nullis umquam sensibus sed sola tantum mente intellectuque capi­ tur“), als intelligibilia gelten durch Verstand erkennbare geistige und leib-geistige Wesenheiten, als naturalia gelten sinnlich erkennbare körperliche Wesen. Damit bezieht sich Anselm auf die Wahrheit, die nach Boethius unter Verweis auf die Griechen als Gegenstand der Theologie bezeichnet wird.

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

95

2.1.3. Der Begriff der Gerechtigkeit (rectitudo propter se servata) Gerechtigkeit wird in De veritate 12 als personale, religiös-ethische Form von Wahrheit verstanden und als die praktisch vollziehbare Form des Rechtseins, die primär im Willen präsent ist und um ihrer selbst willen bewahrt wird.67 Freiheitstheoretisch stellt Gerechtigkeit damit Grund und Ziel des Freiheitsgebrauchs in praktischer Hinsicht dar. Der Begriff der Gerechtigkeit hat dabei im gesamten Werk Anselms und insbesondere in seiner Freiheitstheorie eine Zentralstellung.68 Darin wird Gerechtigkeit, ähnlich wie in der Theologie der Psalmen und bei Paulus sowie in Anlehnung vor allem an Augustins Deutung des biblischen Gerechtigkeitsverständnisses, in einem genuin theologischen Sinn als von Gott gegebenes Rechtsein des Willens verstanden, das um seiner selbst willen bewahrt wird.69 Anders als in der Analyse des Wahrheitsbegriffs diskutiert Anselm im Rahmen der Definition des Gerechtigkeitsbegriffs nicht die später einflussreiche aristotelische Konzeption. Das in der „Nikomachischen Ethik“ formulierte Verständnis kommutativer und distributiver Gerechtigkeit ist ihm aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bekannt gewesen.70 Dennoch unterscheidet er den Gerechtigkeitsbegriff von einem äußerlichen und rechtlich-politischen Gerechtigkeitsverständnis. Der Gerechtigkeitsbegriff wird in De veritate 12 analysiert, indem sein Sinn von dem des Prinzips des Rechtseins und dem des Begriff der Wahrheit unterschieden und eine vollständige Definition hergeleitet wird, die seinen Gehalt beschreibt. Dabei wird kritisch überprüft, ob der entsprechende Begriffsumfang auch für einen analogen, theologischen Sprachgebrauch angemessen ist.71 Im Zuge dessen wird folgende Definition von Gerechtigkeit entfaltet:

67 

DV 12 (SI), 191,27–194,27. Monologion und Proslogion wird Gerechtigkeit als eine Wesenseigenschaft Gottes genannt und zur Beschreibung des heiligen Liebeswillens Gottes verwendet (ML 16 (SI), 30,1–31; PL 9–11 (SI), 106,16–109,24). In De libertate arbitrii wird er zur Charakterisierung des ursprünglichen Zustandes der vernunftbegabten Geschöpfe und zur Bestimmung der entsprechenden Freiheit verwendet (DCV 1–5 (SII), 140,2–147,5). In De casu diaboli und De conceptu virginali wird der Ursprung des Mangels an Gerechtigkeit in allen vernunftbegabten Geschöpfen analysiert, in Cur Deus homo das für die Rekonstitution der Gerechtigkeit notwendige, gnadenvolle, barmherzige und gerechte Erlösungshandeln Gottes in Christus (CDH I,12 (SII), 69,6–71,3). In De concordia III geht es schließlich nicht zuletzt auch um die Vereinbarkeit der Gerechtigkeit Gottes und der von ihm dem Menschen gegebenen Gerechtigkeit. 69  Crouse, The Augustinian Background, 111–119; vgl. Külling, Wahrheit als Richtigkeit, 254–258. 70 Vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachea E,1–9 (Opera II); 1129a-1134a. Siehe hierzu auch: Crouse, The Augustinian Background, 111–119; vgl. auch das tugendethische und rechtlich-politische Verständnis von Gerechtigkeit bei Al-Ghazali, Das Kriterium des Handelns, 147–148. 71  DV 12 (SI), 194,28–196,25. 68 Im

96

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Gerechtigkeit ist also Rechtsein des Willens, bewahrt um seiner selbst willen (rectitudo voluntatis propter se servata).72

Hergeleitet wird diese Definition, indem sukzessive das Besondere der Gerechtigkeit herausgearbeitet wird, durch das sie sich von Wahrheit und Rechtsein unterscheidet. Sie teilt nach Anselm mit der Wahrheit, dass sie relational betrachtet eine Form des geistig und vernünftig erkennbaren Rechtseins ist. So gilt alles, was gerecht ist, auch als wahr und als recht. Aber nicht alles, was recht ist und nicht alles, was wahr ist, gilt auch als gerecht.73 Dass Gerechtigkeit ihrem Wesen nach eine besondere, personale, religiös-ethische Form von Wahrheit ist, wird dabei zum einen aufgezeigt, indem indirekt begründet wird, dass es sich bei Gerechtigkeit um ein „Rechtsein des Willens“ (rectitudo voluntatis) handelt. Der personale Charakter von Gerechtigkeit wird verdeutlicht. Es wird geklärt, dass Gerechtigkeit nicht auch das natürliche, geistig erkennbare Rechtsein von etwas, das vorausgehend notwendig ist, umfasst, sondern nur das nicht-natürliche Rechtsein von jemandem, das personal jemandem mit vernunftbegabtem Willen spontan vollzogen wird. So wird argumentiert, dass unbelebte Dinge ohne einen Willen, wie etwa Steine, oder lebendige Sinneswesen mit rein instinkthaftem Willen, wie Tiere, nicht gerecht genannt werden können, auch wenn sie recht sind und recht tun. Dies hat seinen Grund darin, dass sie aus vorausgehender Notwendigkeit tun, was sie ohne Willen oder nur mit einem instinkthaften Willen gemäß der natürlichen Gesetze tun müssen. Sie können deswegen zwar recht, aber nicht gerecht genannt werden, weil sie nicht aus Einsicht und mit reflexiver Distanzierungsfähigkeit willentlich tun können, was sie tun sollen, und somit nicht wirklich verantwortlich sind.74 Damit können nur personale, vernunftbegabte Lebewesen auch als gerecht gelten.75 Der religiös-ethische Charakter von Gerechtigkeit wird darüber hinaus hervorgehoben. Es wird präzisiert, dass Gerechtigkeit nicht primär im Rechtsein des Erkennens oder im Rechtsein des Handelns vernunftbegabter Lebewesen gegeben ist, sondern im Rechtsein des Inneren der Person, im Herzen und Willen.76 Dies wird durch die Reflexion von Beispielen verdeutlicht. An ihnen wird aufgezeigt, dass weder eine Person, die nicht aus Einsicht, sondern quasi zufällig etwas tut, was sich dann als gut erweist, noch eine Person, die durch den Zwang eines Gesetzes erkennt und tut, was recht ist, ohne es freiwillig selbst zu wollen, im eigentlichen Sinn gerecht genannt werden können.77 Indem derart hervorgehoben wird, dass Gerechtigkeit im Rechtsein des Willens 72 

DV 12 (SI), 196, 9–10; vgl. DLA 3 (SI), 212,13–18; DC I,6 (SII), 256,14–18. Vgl. jedoch Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 501–554; insbes. 501–505. 74  DV 12 (SI), 192,6–21. 75  DV 12 (SI), 193,1–6. 76  DV 12 (SI), 193,7–14. 77  DV 12 (SI), 193,9–11. 73 

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

97

vernunftbegabter Lebewesen besteht, wird ein personales, religiös-ethisches Gerechtigkeitsverständnis entwickelt, das sich von rein ideellen und von rechtlich-politischen Konzeptionen der Gerechtigkeit unterscheidet.78 Mit dem Verweis auf das Rechtsein des Willens ist das Wesen der Gerechtigkeit nach Anselm aber noch nicht hinreichend erfasst. Es wäre dann nämlich denkbar, dass jemand, der recht will, um damit einen Nutzen oder Lohn zu erreichen, gerecht genannt werden kann und dass der Wille sein Rechtsein auch durch rechtes Wollen selbst konstituieren kann. Demgegenüber wird der liebes- und gnadentheologische Charakter von Gerechtigkeit hervorgehoben. Es wird begrifflich präzisiert, dass Gerechtigkeit Rechtsein des Willens ist, das „um seiner selbst willen bewahrt“ wird (propter se servata).79 Damit wird es von einem eudaimonistischen, utilitaristischen und heteronomen als auch von einem natürlichen, autonomen Gerechtigkeitsverständnis unterschieden. Es wird hervorgehoben, dass ein Wille nur dann wirklich gerecht genannt werden kann, wenn das Rechtsein um seiner selbst willen selbstzweckhaft gewollt wird. Nur dann, wenn es deswegen geliebt wird, weil es ihm von Gott gegeben ist, wird die gnadenhafte Gabe des Rechtseins responsiv bewahrt.80 Der liebestheologische Charakter der Gerechtigkeit wird anhand von Beispielen nahe gelegt. Es wird aufgezeigt, dass weder jemand, der auf instrumentelle Weise recht will, um damit einen Nutzen, Verdienst oder Anerkennung zu erreichen wirklich gerecht genannt werden kann.81 Noch kann jemand, der auf zwanghafte Weise recht will, wenn er heteronom dazu gezwungen wird,82 wirklich gerecht genannt werden. Beide wollen aus einem falschen Motiv heraus das Rechtsein. Nach Anselm gilt also nur derjenige als gerecht, der auch aus dem richtigen Motiv heraus Rechtsein will. Nur derjenige, der es selbstzweckhaft, um seiner selbst willen will liebt es wahrhaftig.83 Der gnadentheologische Charakter der Gerechtigkeit wird schließlich dadurch aufgezeigt, dass begründet wird, dass das Bewahren des Rechtseins um seiner selbst willen dem Geschöpf weder an sich als ein natürliches Vermögen unverlierbar innewohnt, noch autonom selbst generiert werden kann.84 Es wird betont, dass das Rechtsein des Willens etwas ist, das der Natur nach zuerst als Gabe empfangen und aufgrund dessen dann auch gewollt und gehabt, das heißt bewahrt wird, auch wenn es temporal betrachtet simultan geschieht.85 Indem das Rechtsein des Willens als gnadenhafte 78 

Ebd.; Siehe hierzu auch: Goebel, Rectitudo, 213–250. DV 12 (SI), 194,26–27. 80 Ebd. 81  DV 12 (SI), 193,28–194,13. 82  DV 12 (SI), 193,24–27. 83  DV 12 (SI), 194,14–22. 84  DV 12 (SI), 195,1–30. 85 Ebd. 79 

98

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Gabe Gottes gedeutet wird, die aber auch freiwillig bewahrt werden soll und kann, obwohl sie auch wieder aufgegeben und dann unmöglich wieder selbst generiert werden kann, wird eine gnadentheologische Alternative zu einem naturhaften sowie zu einem autonomen Gerechtigkeitsverständnis formuliert. Gerechtigkeit in diesem Sinn kann nach Anselm, ähnlich wie das Prinzip des Rechtseins und der Begriff der Wahrheit, auch von Gott analog ausgesagt werden. Dabei gilt Gott aber als der Einzige, der aus sich selbst heraus, durch sich selbst und an sich selbst vollkommen gerecht ist. Dies wird damit begründet, dass Gott allein zugleich auch der Grund der Gerechtigkeit und Urheber von allem Gerechten ist.86 Es wird zwar der Vorbehalt formuliert, dass kaum etwas im eigentlichen Sinn vom höchsten Wesen ausgesagt werden kann. Es wird auch eingeschränkt, dass aufgrund seiner Einfachheit die Distinktionen zwischen Wille, Rechtsein, Macht und Wesen nicht zutreffen, sondern alles eines ist.87 Trotzdem, so Anselm, werde die eben definierte Gerechtigkeit von niemandem angemessener ausgesagt als von Gott. Begründet wird dies damit, dass Gott im Unterschied zu allem anderen nicht nur Gerechtigkeit habe. Gott sei Gerechtigkeit an und für sich, wie er auch Wahrheit und Rechtsein an und für sich sei. In Gott werde Rechtsein an sich somit nicht von etwas oder jemand anderem bewahrt, sondern von sich selbst, nicht durch etwas anderes, sondern durch sich selbst und nicht für etwas anderes, sondern um ihrer selbst willen. Deshalb könne mit dem so definierten Gerechtigkeitsbegriff in analoger Weise, Gott die höchste Gerechtigkeit selbst genannt werden: das Rechtsein, das allein an und für sich ewig um seiner selbst willen bewahrt wird.88

2.1.4. Der prinzipien-, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretische Deutungshorizont Durch die Analyse der Begriffe der Wahrheit und Gerechtigkeit vermittels des Prinzips des Rechtseins wird in De veritate der prinzipien-, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretische Verstehenshorizont des Wesens der Freiheit begrifflich entfaltet. Durch das Prinzip des Rechtseins wird zunächst allgemein die theologisch-ontologische Voraussetzung von Freiheit, wie auch Wahrheit und Gerechtigkeit thematisiert. Durch den Begriff der Wahrheit wird dann konkreter die entsprechende epistemische Voraussetzung des Freiheitsgebrauchs erläutert. Durch den Begriff der Gerechtigkeit wird schließlich die entsprechende moralische Voraussetzung und Zielsetzung des Freiheitsgebrauchs dargestellt.89 86 

DV 12 (SI), 194,28–30. DV 12 (SI), 196,1–5. 88  DV 12, SI, 196,5–8; vgl. PL 9–11 (SI), 106,15–110,3. 89  Siehe hierzu: Visser; Williams, Anselm’s account of freedom. 180–181; siehe auch: Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 297–317, der den Unterschied betont zwischen Freiheit als höchstem Wert und Freiheit als relativem Wert in Bezug auf etwas anführt. 87 

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

99

Durch das Prinzip des Rechtseins wird die theologisch-ontologische Voraussetzung von Freiheit relational als Gabe und Norm verortet. Damit wird zugleich das Kriterium formuliert, dass das Wesen der Freiheit erst dann hinreichend erfasst ist, wenn sie – analog zu Wahrheit und Gerechtigkeit – als etwas relational Gegebenes und Bestimmtes verstanden wird. Indem durch das Prinzip des Rechtseins begründet wird, dass alles, was geschaffen ist, sein relational bestimmtes, je eigentümliches Sein und Rechtsein vom Schöpfer her empfangen hat, wird ausgeschlossen, dass die geschöpfliche Freiheit wesenhaft in bloßer Unbestimmtheit und in einem prinzipiellen „immer auch anders sein können“ besteht.90 Zugleich wird dadurch aber auch ein idolatriekritisches Korrektiv gegenüber heteronomer Bestimmtheit geschöpflicher Freiheit durch endliche Instanzen mit unendlichem Anspruch formuliert. Aus der Annahme des Gabecharakters folgt nach Anselm die Idee der Normativität. Dem Geber, dem man alles verdankt, schuldet man den rechten Umgang mit den Gaben. Dies stellt keineswegs einen naturalistischen Fehlschluss von einem natürlichen oder ideal gedachten Sein auf ein Sollen dar. Es handelt sich hier vielmehr um eine gnadentheologische Begründung des Sachverhaltes, dass alles, so wie es geschaffen ist auch gut ist und so und nicht anders sein soll als geschaffen.91 Die grundlegende Relationalität des Rechtseins orientiert bei Anselm damit auch das Freiheitsverständnis. Freiheit wird, wie alles andere auch, als eine verdankte Gabe verstanden, die mit der Norm verbunden ist, recht gebraucht zu werden. Es handelt sich somit bei Freiheit um etwas, das eine letzte positive Begründung in Gott hat. Dadurch ist sie weder bloß unbestimmt noch durch andere endliche Instanzen heteronom bestimmt. Allerdings wird von Anselm gleichfalls aufgezeigt, dass und in welchem Sinne es Freiheit auch ohne Rechtsein geben kann.92 Während Wahrheit und Gerechtigkeit nach Anselm notwendig durch Rechtsein bestimmt sind, gilt Freiheit als nicht-notwendiger Weise durch Rechtsein bestimmt. Damit wird eingeräumt, dass es Freiheit auch in Form der Negation ihres göttlichen Bestimmungsgrundes gibt, auch wenn betont wird, dass diese Freiheit ohne Rechtsein eine defiziente, in sich verkehrte Form von Freiheit ist.93 Damit wird ein Kriterium zur Unterscheidung von rechtem und unrechtem, wahrem und falschem Freisein formuliert. Durch den Begriff der Wahrheit wird das Prinzip des Rechtseins von Anselm in wahrheits- und erkenntnistheoretischer Hinsicht expliziert. Damit wird der konkretere, wahrheits- und erkenntnistheoretische Horizont des Freiheitsbegriffs dargestellt. Auch wenn Anselm keine rein epistemische, sondern eine rational-offenbarungsbezogene Wahrheitstheorie vertritt, sind die damit verbun90 

DLA 3 (SI), 211,2–12; vgl. DC I,6 (SI), 256,18–257,4. Siehe hierzu auch Goebel, Rectitudo, 223–332. 92  DLA 2–12 (SI), 209,8–224,32. 93  Ebd., vgl. DC III, 13 (SI), 287,3–8. 91 

100

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

denen erkenntnistheoretischen Implikationen für das Freiheitsverständnis wichtig. Zum einen wird mit Wahrheit eine notwendige epistemische Voraussetzung des rechten Freiheitsgebrauchs thematisiert. Zum anderen wird damit auch ein theoretisches Kriterium des wahren Freiheitsgebrauchs formuliert.94 Indem hervorgehoben wird, dass Wahrheitserkenntnis eine notwendige Voraussetzung des wahren, rechten Freiheitsgebrauchs darstellt, wird ausgeschlossen, dass es sich bei Freiheit nur um ein blindes, arbiträres oder instinkthaftes Wählen ohne vernünftige Einsicht in wahre Gründe handelt.95 Vielmehr wird aufgezeigt, dass nur aufgrund der vernünftigen Erkenntnis des Rechtseins etwas freiwillig recht gewollt werden kann.96 Die Wahrheitserkenntnis konstituiert und orientiert damit den Freiheitsgebrauch. Umgekehrt gilt nach Anselm auch, dass ein Mangel an Wahrheitserkenntnis zu einem irrationalen und verkehrten Freiheitsgebrauch führt.97 Das nicht-gegenständliche, rational- offenbarungsbezogene Wahrheitsverständnis und die entsprechende rationale Erkenntnistheorie führen dazu, dass auch Freiheit nicht unmittelbar gegenstandsbezogen gedacht, sondern relational in Bezug auf die nicht-gegenständlich erkennbare höchste Wahrheit verstanden wird. So wird Freiheit von Anselm ähnlich wie in der johanneischen Theologie, als ein Vermögen dazu verstanden, in der Wahrheit zu bleiben. Damit wird auch ein theoretisches Kriterium für den wahren Freiheitsgebrauch formuliert. Die Bewahrung der erkannten Wahrheit gilt als Ziel der Freiheit, das zwar freiwillig negiert werden kann, aber nur um den Preis der aus sich selbst heraus unabänderlichen Selbstkorruption.98 Indem Anselm Wahrheit als das zu bewahrende Ziel der Freiheit begreift, deutet er das als wahr Erkannte als theoretisches Kriterium der wahrhaft freien Wahl.99 Das freie Urteil gilt somit als umso freier, je mehr es durch Wahrheitserkenntnis bestimmt ist und als umso weniger frei, je weniger es durch die vernünftige Erkenntnis des Wahren bestimmt ist. So lässt sich festhalten, dass nach Anselm Freiheit umso größer ist, je größer die Wahrheitserkenntnis ist. Ähnliches lässt sich in Bezug auf das Verhältnis von Gerechtigkeit und Freiheit sagen. Gerechtigkeit stellt nach Anselm nicht nur eine besondere, praktische Form der Wahrheit und des Rechtseins dar, sondern wie Wahrheit auch Grund und Ziel gerechter Freiheit.100 Obwohl er keine rein philosophisch-ethische und erst recht keine rechtlich-politische Gerechtigkeitskonzeption entfaltet, sondern eine theologisch-ontologische, wird durch den Begriff der Gerech94  DC I,6 (SII), 257,5–27; DC III, 11 (SII), 280,23–24; siehe hierzu auch: Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 309 ff. 95 Ebd. 96 Ebd. 97  DV 4 (SI), 180,21–181,9; vgl. DCD 22–23 (SI), 269,10–270,25. 98  DC I,6 (SII), 257,5–27. 99 Ebd. 100  DV 12 (SI), 191,26–196,25; vgl. DC I,6 (SII), 256,18–257,2.

2.1. Der begrifflich entfaltete Deutungshorizont des Freiheitsbegriffs

101

tigkeit der gerechtigkeitstheoretische und ethische Horizont der Freiheit beschrieben. Zum einen wird die moralische Voraussetzung des gerechten Freiheitsgebrauchs und zum anderen ein praktisches Kriterium desselben beschrieben. Auch wenn es nach Anselm Freiheit mit Mangel an Gerechtigkeitsliebe gibt, so wie es Freiheit mit Mangel an Wahrheitserkenntnis gibt, wird Freiheit in ihrer höchsten und eigentlichen Form als Freiheit in Gerechtigkeit verstanden. Damit wird ähnlich wie in der paulinischen Theologie angedeutet, dass wahre Freiheit als religiös-ethisch qualifizierte, das heißt als inhaltlich positiv bestimmte Freiheit zu verstehen ist. Gerechtigkeit stellt nach Anselm somit keinen Gegensatz und auch nicht ein nur ein komplementäres Gegenüber zur Freiheit dar, sondern den notwendigen Grund und das Ziel ihrer wahren Verwirklichung. Zum einen wird es durch die Definition der Gerechtigkeit in De veritate möglich, in De libertate arbitrii das Wesen der Freiheit begrifflich zu analysieren.101 Zum anderen setzt nach Anselm der wahre, aktuale Gebrauch der Freiheit praktisch die Gerechtigkeit einer Person voraus.102 Somit sind mit der Gerechtigkeit auch das Ziel und das praktische Kriterium des wahren, aktualen Freiheitsgebrauchs genannt. In De libertate arbitrii wird zum einen die Größe der Freiheit an der Größe der Gerechtigkeit gemessen.103 Zum anderen wird zwischen Freiheit mit Gerechtigkeit und Freiheit ohne oder mit mangelnder Gerechtigkeit differenziert.104 Dabei werden die Gründe und Beschaffenheiten dieser beiden Arten des Freiseins analysiert.105 Demzufolge stellt Gerechtigkeit nach Anselm kein externes Ziel von Freiheit dar, sodass Freiheit nur ein Instrument zu einem fremden Zweck wäre. Da bereits das Wesen der Freiheit unter Bezug auf Gerechtigkeit definiert wird, gilt Gerechtigkeit nicht als ein äußeres Kriterium oder externes Ziel der Freiheit, sondern als inneres, wesensgemäßes ethisches Kriterium und Ziel der Freiheit. Anselm entwickelt eine personale, religiös-ethische Gerechtigkeitskonzeption und vertritt eine entsprechende theologische Liebesethik. Mit der Analyse des Gerechtigkeitsbegriffs wird auch näher bestimmt, dass die moralische Voraussetzung des wahren, aktualen Freiheitsgebrauchs weder eudaimonistischen oder utilitaristischen noch autonomietheoretischen, sondern gnadentheologischen Charakter hat.106 So wird durch die Überlegungen zum Prinzip des 101 

DV 12 (SI), 191,26–196,25; vgl. DLA 3 (SI), 211,2–212,23. DLA 2–12 (SI), 209,8–224,32; DC III, 13 (SI), 287,3–8. 103  DLA 1 (SI), 207,3–209,6; DLA 13 (SI), 225,1–32. 104  DLA 2–12 (SI), 209,8–224,32. 105  DLA 14 (SI), 226,8–21. 106  Vgl. jedoch die Kritik von Visser;Williams, Anselm, 193–211, insbes. 210–211, dass Anselm den Aspekt der Liebe übersehe und eine nicht-christliche Gehorsamsethik entwerfe. Diese Kritik ist meines Erachtens insofern unzutreffend, da der Begriff der Gerechtigkeit bei Anselm mit dem der rechten Liebe konvergiert, so wie auch der Begriff der Freiheit mit dem des Gottesgehorsams übereinstimmt. Die Entgegensetzung von Liebes- und Gehorsamsethik 102 

102

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Rechtseins und zu den Begriffen der Wahrheit und Gerechtigkeit in De veritate deutlich, dass die Frage nach der Freiheit im Horizont einer theologischen Ontologie, einer entsprechenden rationalen, offenbarungsbezogenen Erkenntnistheorie und gnadentheologisch basierten Liebesethik gestellt wird.

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium) Vor dem Hintergrund der in De veritate begrifflich entfalteten theologisch-ontologischen, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen wird in De libertate arbitrii den Fragen nachgegangen, was Freiheit sei (quid sit?) und ob und auf welche Weise der Mensch sie immer habe, angesichts der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes Gnadenhandeln, Vorausbestimmen und Vorauswissen?107 Die hier entfaltete Definition von Freiheit stellt also, wie die vorangehenden Definitionen von Wahrheit und Gerechtigkeit, den Versuch einer Wesensdefinition dar. Sie ist das begriffliche Zentrum der Freiheitstheorie. Dadurch, dass zunächst die überlieferte ambivalente Vorstellung von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ kritisiert wird108 und eine neue Definition Freiheit als „Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren“ hergeleitet, erfahrungsbezogen überprüft und eingeteilt wird,109 wird eine Konzeption transautonomer Freiheit entworfen. Sie unterscheidet sich sowohl von gegenwärtigen libertarischen als auch kompatibilistischen Konzeptionen.110 Transautonom bedeutet dabei, dass das Wesen der Freiheit nicht nur ethisch und subjektbezogen als Selbstgesetzgebung verstanden wird, sondern responsiv als Bewahrung der von Gott aus Gnade gegebenen Relationalität, das heißt, als freie Gottesliebe. Damit wird Freiheit nicht mehr minimal von einem ambivalenten freien Wahlvermögen her gedeutet, sondern maximal vom Begriff der Relation zum höchsten Guten sowie von der Vorstellung der Wirklichkeit des Reich Gottes her definiert. Mit greift deswegen für Anselms Konzeption nicht. Siehe hierzu auch: Daniel T. Rakus, The Dynamics of Love in Anselmian Ethics, in The Downside review 120 (2004), 237–254. 107  DV Präf. (SI), 173,1–174; DLA 1–14 (SI), 205,2–226,21; Siehe auch zur späteren Verbindung dieser zwei Dialoge in De concordia: DC I,6 (SII), 256,14–257,4. 108  DLA 1 (SI), 207,3–10. 109  DLA 2–14 (SI), 209,8–226,21. 110  Anders hingegen die verbreitete libertarische Deutung (Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192; und implizit schon: Bäumker, Anselms Lehre, 12–25 und Kane, Anselm’s doctrine, 61–158) als auch die dem Libertarismus entgegen gesetzte kompatibilistische Deutung (vgl. Ekenberg, Falling Freely, 127–152; Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 164–182, insbes. 180; und implizit schon: Hopkins, Anselm on Freedom, 471–486; Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 297–316.) Zur typologischen Unterscheidung von präautonomer, autonomer und transautonomer Freiheit siehe: Achtner, Willensfreiheit, 208–213.

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

103

diesem Grenzbegriff der Freiheit wird ein erster Ansatz zur Lösung des Pro­ blems der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gott und Freiheit formuliert.111 Dies soll im Folgenden in fünf Schritten dargestellt werden. Als Erstes (2.2.1.) wird dazu die in De libertate arbitrii 1–2 formulierte Kritik am überlieferten Freiheitsbegriff erläutert. Im Anschluss daran (2.2.2.) wird die in De libertate arbitrii 3–13 hergeleitete, erfahrungsbezogen überprüfte und begriffslogisch begründete positive Definition von Freiheit und freier Wahl dargelegt. Als Drittes (2.2.3.) soll dann die in De libertate arbitrii 14 formulierte Einteilung des Freiheitsbegriffs dargestellt werden. Als Viertes (2.2.4.) werden die nach De libertate arbitrii 2–3 und 13 im Begriff enthaltenen formalen Freiheitskriterien erörtert. Als letztes wird schließlich (2.2.5.) diskutiert, inwiefern dieser Begriff transautonomer Freiheit von Anselm mit analoger oder äquivoker Bedeutung verwendet wird.

2.2.1. Die Kritik der überlieferten Vorstellung von Freiheit indifferenter Wahl (potestas peccandi et non peccandi) In De libertate arbitrii 1 wird als erstes die verbreitete, ambivalente Vorstellung von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ (potestas peccan­ di et non peccandi) aufgegriffen, problematisiert und widerlegt.112 So heißt es dort: Besteht nämlich die Willensfreiheit, wie manche meinen, darin, „sündigen und nicht sündigen zu können“ (posse peccare et non peccare), und haben wir dieses Vermögen immer, wie brauchen wir dann manchmal die Gnade? Haben wir es aber nicht immer, warum wird uns dann zur Sünde angerechnet, wenn wir ohne freien Willen sündigen?113

Die Vorstellung, Freiheit bestehe in einem unbestimmten, indifferenten oder ambivalenten Wahlvermögen zwischen religiös-ethisch signifikanten Alternativen, ist sowohl in der patristischen Literatur, insbesondere bei griechischen Theologen, als auch bei anderen lateinischen Denkern zu Anselms Zeit verbreitet. Origenes verteidigt beispielsweise die so verstandene Willens- und Wahlfreiheit gegenüber dem in Teilen der Stoa und der Gnosis vertretenen Fatalismus. Bei Gregor von Nyssa wird sie zu einem integralen Moment der gottge-

111  Über den Zusammenhang von Reich Gottes, Freiheit des Willens und die Liebe zu Gott und zum nächsten wie zu sich selbst in Anselms Brief korrespondenz siehe insbesondere Anselms Brief an Helinand (Ep 101 (SIII), 232,1–234,79) und seinen Brief an Hugo den Eremiten (Ep 112 (SIII), 244,1–246,77). In diesem letzteren Brief wird zudem deutlich, wie sehr die Idee der Freiheit nach Anselm bereits in den letzten Kapiteln des Proslogion angelegt ist, das heißt in der Idee der Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen. 112  DLA 1, SI, 207,6–10. 113 Ebd.

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

wirkten Erneuerung der Gottähnlichkeit des Menschen (theosis).114 In der sogenannten semi-pelagianischen Kontroverse zwischen Augustin und Julian von Eclanum wird die indifferent verstandene Freiheit des liberum arbitrium von Julian von Eclanum als religiös-ethisch notwendig verteidigt und von Augustin als gnadentheologisch unmöglich zurückgewiesen beziehungsweise modifiziert.115 Auch nach der Verurteilung der semipelagianischen Auffassung auf der Synode von Orange (529) ist im christlichen Neuplatonismus versucht worden, das Verständnis von Freiheit als vernünftiger Wahl zwischen Alternativen zu reformulieren. So etwa bei Boethius und Johannes Scotus Eriugena.116 Sie bildet sogar die Standarddefinition von Freiheit in den Libri Carolini, die die Karolingische Renaissance maßgeblich geprägt haben.117 114 Siehe: Origenes, De principiis III,1,1–7 (TzF 24), 652,1–483,20; Ders., Commentarii in Epistulam ad Romanus VI,9 (FC 2;3), 266,23–284,17; (siehe hierzu auch: Eberhard Schockenhoff, Fest der Freiheit. Theologie des christlichen Handelns bei Origenes, Mainz 1990, 105–131) und Gregor von Nyssa, Oratio catechetica XXVII-XXIX; XXXIII-XL (SC 453), 266,1–282,22; 294,1–338,93; (siehe hierzu auch: Martin Laird: The Education of Desire. In: Re-thinking Gregory of Nyssa, hg. v. Sarah Coakley, Oxford 2003, 77–97). 115  Die Vorstellung von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ findet sich interessanter Weise sowohl bei Augustin (so auch Ekenberg, Falling Freely, 31 und Kane, Anselm’s Definition of Freedom, 297–300), als auch bei seinen Gegnern, insbesondere Julian von Eclanum (so insbesondere Goebel, Rectitudo, 297–335). Bei Augustin findet sich dieses Verständnis sowohl in antimanichäischen Frühschriften, wie etwa in De libero ar­ bitrio, wo es als Prinzip moralischer Verantwortlichkeit für das Böse angeführt wird (Siehe: Augustin, De libero arbitrio I,VII,17-XII,25 (CChr.SL 29), 222,52–228,71) aber auch in mittleren antipelagianischen Schriften wie etwa De spiritu et littera, wo es nicht mehr als ein neutrales geschöpfliches Vermögen bezeichnet wird, mit dem sich die Seele zum Glauben oder Unglauben wenden könne (Siehe: Augustin, De spiritu et littera XXXIII,58 (CSEL 60), 216,12–217,19.), als auch in späten antisemipelagianischen Schriften, wie etwa De correptione et gratia. (Siehe: Augustin, De correptione et gratia I,2 (CSEL 92), 219,19–220,24); Julian von Eclanum definierte Augustin zufolge die Freiheit des Willens genau als „das Vermögen zu sündigen oder nicht zu sündigen“ (Libertas arbitrii [...] in amittendi peccati et abstinendi a peccato possibilitate consistit.). Siehe: Augustin, Contra Iulianum Opus imperfectum I,76–80 (CSEL 85,1), 93,17–95,16; vgl. Ders., Contra Iulianum Opus imperfectum V,56–62 (CSEL 85,2), 262,16–281,2 und Ders., Contra Iulianum Opus imperfectum VI,11 (CSEL 85,2), 313,96–316,84 und verteidigt sie als Grund menschlicher Verantwortlichkeit gegen Augustins Gnadenlehre. Dieser kritisiert wiederum in späten Schriften die Annahme eines derart indifferenten libe­ rum arbitrium als mit Gottes Gnade unvereinbar. Augustin, De praedestinatione sanctorum IV,8 (PL 44), 965–966; Ders., De gratia et libero arbitrio I,1 (PL 44), 881–882). Zur Entwicklung von Augustin Freiheits- und Gnadenverständnis siehe: Jean Laporte, La Grâce chez augustin et dans l’augustinisme, Laval théologique et philosophique 55 (1999), 425–444. Zum jungen Augustin siehe weiter Volker H. Drecoll, Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, Tübingen 1999 und zur Entwicklung beim älteren Augustin siehe vor allem auch: Rebecca H. Weaver, Divine Grace and Human Agency: A Study of the Semi-Pelagian Controversy, Macon 1996. 116  Boethius, Philosophiae consolatio V,2,1–3,17 (CChr.SL 44), 90,1–92,50; Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione liber V,9-VIII,9 (insbes. VIII,8) (CChr.CM 50), 41,216–55,234. (insbes. 54,176–195). 117 Siehe hierzu insbesondere auch: Kurt Flasch, Freiheit des Willens, 850–1150, in: Abendländische Freiheit vom 10.-14. Jahrhundert Der Wirkungszusammenhang von Idee

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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Zu Anselms Zeit ist dieses Verständnis schließlich in monastischen Kreisen etwa von seinem Schüler Anselm von Laon und wenig später von Petrus Abaelard und Petrus Lombardus unter Berufung auf Augustin neu vertreten worden.118 Anselm greift also nicht nur eine altkirchliche Traditionslinie auf, sondern auch eine in seinem Umfeld virulente Problemstellung.119 Das Dilemma, das mit diesem überlieferten Verständnis von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ verbunden ist, wird dabei kurz und präzise umrissen als Problem der Unvereinbarkeit von menschlicher Freiheit und Verantwortlichkeit einerseits und göttlicher Gnade und Gerechtigkeit andererseits. Wenn Freiheit nämlich wirklich nur ein unbestimmtes, absolutes Wahlvermögen ist, ist entweder dann, wenn der Mensch immer „frei“ ist, Gottes Gnade nicht notwendig oder es ist dann, wenn der Mensch nicht immer „frei“ ist, dieser auch nicht für sein Tun verantwortlich und Gottes Richten ungerecht. Beide Konsequenzen werden von Anselm jedoch in gleicher Weise als theologisch unmöglich erachtet. Im Monologion und Proslogion sowie in De veritate ist nämlich argumentativ einerseits aufgezeigt worden, dass Gott notwendig vollkommen gerecht ist und vollkommen gerecht urteilt und der Mensch in seinem Tun frei verantwortlich ist. Ebenso ist gezeigt worden, dass der Mensch notwendig vollkommen auf Gottes Gnade angewiesen ist und Gott seine Gnade unbedingt frei schenkt.120 Anselm führt in De libertate arbitrii 1 noch weitere Argumente zur Kritik an121 und argumentiert dafür, dass das Vermögen zu sündigen „weder Freiheit noch Teil der Freiheit“ ist (nec libertas nec pars libertatis est potestas peccandi).122 Zum einen bringt Anselm das bereits von Augustin formulierte theologische Argument an, dass dann, wenn Freiheit das unbestimmte „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ wäre, Gott und gute Engel nicht in einem analogen Sinn auch frei genannt werden könnten.123 Diese Konsequenz ist nach Anselm jedoch deswegen absurd, weil Gott nach den Überlegungen des Monologion, und Wirklichkeit im europäischen Vergleich, hg. v. Johannes Fried, Sigmaringen 1991, 17– 47. 118 Siehe: Anselm von Laon, Sententie divine pagine (BGPhMA 18), 24–32; Ders. Senten­ tie Anselmi II (BGPhMA 18), 49–57. Er weist explizit Anselm von Canterburys Kritik am überlieferten Freiheitsverständnis zurück und definiert unter Berufung auf Augustin Freiheit wieder als „Vermögen zu sündigen oder nicht zu sündigen“, beziehungsweise als „Vermögen ohne Zwang zu gehorchen oder nicht zu gehorchen“, vgl. Abaelard, Scito te ipsum I,11,1– 14,4 (CChr.CM 190), 11,276–14,357 und Petrus Lombardus, Sententiae II, XXV,1–XXVIII,4 (SB IV), 461,1–491,26. 119  Siehe hierzu insbesondere: Southern, Saint Anselm, 166–194; 367–381. 120  ML 16 (SI), 30,1–31; PL 9–11 (SI), 106,16–109,24; DV 10 (SI), 189,30–190,30; DV 12 (SI), 195,31–196,25. 121  DLA 1 (SI), 207,11–209,6; siehe dazu auch: Kane, Anselm’s Definition of Freedom, 305; vgl. Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 298–301. 122  DLA 1 (SI), 208,11. 123  DLA 1 (SI), 207,11–208,13; vgl. Augustin, Contra Iulianum Opus imperfectum I,80–86 (CSEL 85,1), 94,18–99,22; vgl. auch Plotin, Enneaden VI,8,1–13 (Opera 3), 239,1–258,59.

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Proslogion und De veritate als vollkommen frei gilt, als vollkommen recht, wahr und gerecht sowie als letzter Grund allen Freiseins.124 Da damit die höchste Freiheit an sich als identisch mit der höchsten Wahrheit und Gerechtigkeit sowie dem Rechtsein Gottes an sich verstanden wird, kann sie nicht auch das Vermögen zur Lüge, Ungerechtigkeit und bloßen Willkür enthalten.125 Zum anderen wendet Anselm als sprachphilosophisches Argument gegen den Alternativvorschlag, für menschliche und göttliche Freiheit zwei verschiedene Definitionen zu formulieren, ein, die Definition müsse trotz wesenhafter Differenzen „gemäß dieses Namens“ (secundum hoc nomen) dieselbe sein.126 Dass der freie Wille Gottes wesenhaft anders sei als der freie Wille des Menschen zwinge nicht zu zwei unterschiedlichen Definitionen von Freiheit. Vielmehr lege die einheitliche Definition und theologisch analoge Verwendung des Wahrheitsund Gerechtigkeitsbegriff in De veritate nah, auch für den Freiheitsbegriff eine einheitliche, theologisch in analoger Weise verwendbare Definition zu finden, zumal wenn der Freiheitsbegriff auch in christologischen Kontexten brauchbar sein soll.127 Als drittes wird schließlich ein normatives Argument gegen das überlieferte Freiheitsverständnis angeführt. Inhaltlich ist es auch schon von Augustin in De correptione et gratia vorgebracht worden. Durch es wird begründet, inwiefern die neue Freiheit in Christus eine größere Freiheit ist als die natürliche Freiheit der ersten Menschen.128 Ähnlich wird von Anselm durch ein vergleichendes Werturteil indirekt begründet, dass die bestimmte Freiheit nicht sündigen zu wollen und zu können wider den ersten Anschein eine größere und bessere Freiheit darstellt als die unbestimmte Freiheit sündigen und nicht sündigen zu können.129 Die ambivalente Freiheit sündigen und nicht sündigen zu können wird von Anselm als eine geringere Freiheit gewertet, weil sie die Möglichkeit zur Selbstkorruption ent124 

DLA 1 (SI), 207,11–209,6. Siehe hierzu auch: Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 301–317; Kane, Anselm’s Definition of Freedom, 299–300. Zur Kritik daran siehe auch: Visser; Williams, Anselm’s Account of Freedom, 182. 126  DLA 1 (SI), 208,1–12. 127  DV 10 (SI), 189,30–190,30; DV 12 (SI), 195,31–196,25; vgl. CDH I,8–10 (SII), 60,11– 67,20. 128 Vgl. Augustin, De correptione et gratia XII,33–35 (CSEL 92), 259,37–263,36. Dort argumentiert Augustin, dass die erste Freiheit des Willens (prima libertas voluntatis) des geschaffenen Menschen eine geringere sei, weil sie nur in dem Vermögen bestehe, mithilfe der Gnade auch nicht sündigen (posse non peccare (et peccare)), sterben und das Gute aufgeben zu können. Die neuste Freiheit des Willens des glaubenden Menschen in Christus (novissima li­ bertas voluntatis) sei hingegen eine größere, weil sie in dem Vermögen bestehe, aufgrund und mithilfe der Gnade nicht sündigen, nicht sterben und das Gute nicht aufgeben zu können, (posse non peccare) sondern im Guten zu beharren. 129  Zur Kritik daran siehe: Visser; Williams, Anselm’s Account of Freedom, 183. Diese Textpassage spricht meiner Ansicht nach jedoch deutlich gegen eine klassisch libertarische Interpretation. 125  Ebd.;

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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halte und somit instabil und ambivalent sei.130 Dass derjenige, der so frei sei, dass er vom Rechtsein des nicht Sündigens nicht abgebracht werden könne, freier (liberior) sei, als derjenige, der auch von ihr abgebracht werden könne, wird damit begründet, dass jemand, der etwas, das der Freiheit angemessen und förderlich ist, unüberwindbar haben kann, freier ist als jemand, der auch etwas, das der Freiheit unangemessen und schädlich ist, wählen kann und somit seine Freiheit selbst korrumpieren kann.131 Durch diese Argumentation wird zugleich indirekt aufgezeigt, dass das Vermögen zu sündigen weder mit der Freiheit identisch noch Teil von ihr ist. Dadurch wird Freiheit als ein der Sünde eindeutig entgegengesetztes Vermögen verstanden132 und angedeutet, dass Sünde und Freiheit sich reziprok asymme­ trisch zueinander verhalten. Je größer das Vermögen zu sündigen ist, desto geringer das Vermögen der Freiheit und je größer das Vermögen der Freiheit ist, desto geringer das Vermögen zu sündigen. Die Kritik am überlieferten unbestimmten Freiheitsverständnis impliziert also ein negatives Verständnis von Freiheit als Freiheit von Sünde.133

2.2.2. Die neue Definition von Freiheit als Vermögen der Gerechtigkeit (potestas servandi rectitudinem voluntatis propter ipsam rectitudinem) In De libertate arbitrii 2–13 wird schließlich im Anschluss an die Kritik des überlieferten Freiheitsverständnisses eine neue, inhaltlich positiv bestimmte Definition von Freiheit hergeleitet, erfahrungsbezogen überprüft und begriffslogisch begründet. Damit greift Anselm eine andere Traditionslinie des biblischen und antiken sowie altkirchlichen Freiheitsdenkens auf. Er bezieht sich explizit auf den in der johanneischen Theologie formulierten Gedanken der freimachenden Wahrheit und des Freiseins als In-der-Wahrheit-Bleiben und auf den von Paulus betonten Gedanken der durch Christus geschenkten Freiheit der Gerechtigkeit des Glaubens, der in der Liebe tätig ist. Formale Ähnlichkeiten finden sich schließlich auch in Bezug auf Plotins Definition der Freiheit als „Wollen des Einen, das heißt des Guten um des Guten willen“. Allerdings divergieren die Auffassungen zu den Konstitutionsbedingungen und der inhaltlichen Ausgestaltung dieser Freiheit stark.134 Schließlich knüpft Anselm mit seiner neuen Definition von Freiheit an die vom älteren

130 

DLA 1 (SI), 208,12–28. Ebd.; vgl. auch Boethius, Philosophiae consolatio V,2,1–3,17 (CChr.SL 94), 90,1–92,50. 132  DLA 1 (SI), 209,4–6. 133  Anders hingegen Kane, der meint, das Vermögen zu sündigen oder nicht zu sündigen sei die Form, die Freiheit unter den Bedingungen menschlicher Existenz annehme. Siehe: Kane, Anselm’s Definition, 301; vgl. Normore, Picking and Choosing, 23–31. 134  Plotin, Enneaden VI,8,1–4 (Opera 3), 239,1–244,40. 131 

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Augustin immer deutlicher betonte Konzeption der wahren, neuen Freiheit in Christus und im Heiligen Geist an.135 Zu Anselms Zeit findet sie sich auch bei dem italienischen Lexikographen Papias.136 Zudem wird sie einerseits von Anselms Schüler Anselm von Laon kritisiert sowie später auch von Petrus Abaelard und Petrus Lombardus zurückgewiesen. Andererseits wird sie von Anselms Schüler Honorius Augustodunensis positiv rezipiert und später von Bernhard von Clairveaux und Hugo von St. Victor kritisch weitergeführt.137 Diese zu Anselms Zeit vermutlich insbesondere im südlichen Frankenreich um Troyes und Lyon vertretene Freiheitsauffassung bildet möglicherweise auch kulturhistorisch einen Gegensatz zu der im nördlichen Europa durch Alkuin sowie im angelsächsischen Bereich verbreiteten Auffassung von Freiheit als einem Vermögen unbestimmter Wahl zwischen gegensätzlichen Alternativen.138 In jedem Fall wird von Anselm eine inhaltlich positiv bestimmte Definition von Freiheit gegenüber dieser Freiheitsvorstellung hervorgehoben. 139 Bereits in der Herleitung des Freiheitsbegriffs wird deutlich, dass Anselm darauf zielt, eine Konzeption transautonomer Freiheit zu entfalten und einen orientierenden Grenzbegriff größtmöglicher, inhaltlich positiv bestimmter Freiheit zu entwickeln. So wird in De libertate arbitrii 3 folgende inhaltlich positiv bestimmte Definition von Freiheit und freier Wahl hergeleitet: Also ist die Freiheit des Willens (libertas arbitrii) das Vermögen, das Rechtsein des Willens um dieses Rechtseins selbst willen zu bewahren (potestas servandi rectitudinem volun­ tatis propter ipsam rectitudinem). [...] Ebenso klar ist damit, dass eine freie Wahl (liberum 135  Augustin, De natura et gratia, LVII, 67-LVIII,68 (CSEL 60), 283,16–258,5.; Ders., Contra duas epistolas pelagiaanorum III,IV,11 (CSEL 60), 497,4–498,12; Ders., De gratia et libero arbitrio, X,22-XII,44 (PL 44), 894–895; Ders., De correptione et gratia XII,33–35 (CSEL 92), 259,1–263,36. 136  Zu diesem Hinweis siehe: Goebel, Rectitudo, 483 f. und Trego, L’Essence de la liberté, 227–230. Ob Papias die Definition von Anselm her in die Glossaria aufnimmt, oder ob Anselm seine Definition einfach einem derartigen Lexikon entlehnt hat, ist historisch nicht mit Sicherheit zu klären, nur dass diese Definition im 11. und 12. Jahrhundert Verbreitung gefunden hat. 137  Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1199B-1200D; Ders., De libero arbitrio libellus III-V, (PL 172), 1224B-1225D; Bernhard von Clairvaux, De gratia et libero arbitrio II,3-V,15 (Werke 1), 167,13–177,17; Hugo von St. Victor, De sacramentis Christiane fidei, I,6 (Corpus Victorinum;Textus historici 1), 136,1–149,10. Zum Vergleich von Anselm und Hugo von St. Victor siehe insbesondere auch: Dunthorne, Anselm and Hugh of St. Victor, 114–132. 138  Zu dieser These siehe insbesondere Trego, L’Essence de la liberté, 227–230. Er begründet diese These dabei mit dem Verweis auf die Rezeptionsgeschichte des „Hypomnesti­ con“ und auf andere historische Studien. Zur Stützung bräuchte diese These noch eine ausführlichere historische Untersuchung. 139  Zu der These, dass nach Anselm Freiheit nicht primär in einer Wahl besteht siehe: Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 209. Rakus, Anselmian Libertas, 407; Anders hingegen: Kane, Anselm’s Doctrine, 154; Ders., Anselm’s Definition, 298; siehe hierzu kritisch: Hopkins, Anselm on Freedom, 482–483.

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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arbitrium) nichts anderes ist, als eine Wahl, die das Rechtsein des Willens um dieses Rechtseins selbst willen bewahren kann (potens servare rectitudinem voluntatis propter ipsam rectitudinem).140

Diese These, dass Freiheit ihrem Wesen nach ein Vermögen der Gerechtigkeit ist und somit in dem Vermögen der Gottesliebe und der darin gründenden Nächsten- und Selbstliebe besteht, wird schöpfungstheologisch hergeleitet unter Bezug auf die Freiheit der ersten Menschen vor aller Korruption.141 Dass Freiheit allgemein eine Art von Vermögen, Fähigkeit und Macht (potes­ tas) ist, kann als unstrittig vorausgesetzt werden.142 Als erstes wird durch Reflexion des spezifischen inneren Sinns und Ziels (ad quid) dieses Vermögens143 indirekt begründet, dass es dem Menschen ursprünglich nicht bloß zum Eigennutz gegeben ist, um damit erlangen zu können, was auch immer er will. So wird herausgestellt, dass es ihm ursprünglich dazu gegeben ist, dass er damit das Gute wollen kann, das er wollen soll und das zu wollen für ihn förderlich ist. Das heißt, es ist ihm „zum Rechtseins des Willens“ (ad rectitudinem voluntatis) gegeben.144 Damit wird Freiheit nicht über den Begriff des eigenen Willens als bloß selbstbezogenes, vormoralisches Besitzergreifungsvermögen verstanden. Es wird über den Verweis auf das höchste Gute als ein relational und normativ bestimmtes Vermögen zum Rechtsein des Willens begriffen. Es impliziert somit auch Wahrheitserkenntnis.145 Nicht zuletzt wird Freiheit dadurch als ein Vermögen verstanden, durch das der Mensch so wollen kann, wie es seiner Gottebenbildlichkeit und wesensgemäßen Bestimmung entspricht.146 Zudem wird durch die Überlegung, auf welche Weise (quomodo) dem Menschen ursprünglich das Rechtsein des Willens gegeben ist,147 via negationis aufgezeigt, dass Freiheit ursprünglich kein initiatives und kein aktiv oder passiv selbstkonstituierendes oder selbstnegierendes Vermögen ist, sondern ein responsives Vermögen zum Bewahren (servandi) des ursprünglich von Gott gegebenen 140 

DLA 3 (SI), 212, 19–23. DLA 3 (SI), 211,2–3; Siehe hierzu auch: Balthasar, La Concordantia, 30. 142  Dabei präzisiert Anselm später jedoch zum einen, dass alle geschöpflichen Vermögen von Gott her geschaffene, gegebene und empfangene Vermögen sind, nicht an und für sich seiende oder selbstkonstituierte Vermögen. Zum anderen differenziert er später zwischen dem bloßen Vermögensinstrument als anthropologischem Strukturelement und dem aktualen Vermögensgebrauch als einem menschlichen Akt. Dabei betont er, dass kein Vermögen an und für sich genügt, um zum Akt zu kommen. Somit gilt kein Vermögen an sich selbstverwirklichend. Siehe hierzu auch: Rakus, Anselmian Libertas, 418–421. 143  DLA 3 (SI), 211,5. Siehe hierzu auch: Visser; Williams, Anselm’s Account of Freedom, 182–184; vgl. Kane, Anselm’s doctrine, 72–87; der betont, dass Wesen, Sinn und Ziel bei Anselm identisch seien, und Hopkins, Anselm on Freedom, 475–477, der einwendet, dass beides verschieden ist; zur Teleologie in Anselms Freiheitskonzeption siehe insbesondere auch: Campbell, Freedom as Keeping the Truth, 297–317, insbes. 308. 144  DLA 3 (SI), 211,5–7. 145  DLA 3 (SI), 211,8–11; vgl. DV 12 (SI), 192,11–193,16. 146  DLA 8 (SI), 220,16–20. 147  DLA 3, SI, 211, 14–15. 141 

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Rechtseins des Willens.148 Es wird dafür argumentiert, dass der Mensch das Vermögen ursprünglich nicht gehabt hat, indem er das Rechtsein des Willens von sich aus ergriffen oder empfangen oder aufgegeben hat, sondern indem er die ursprüngliche Gabe bewahrt. Dadurch wird betont, dass Freiheit weder darin besteht, autonom das Rechtsein des Willens selbst zu setzen noch heteronom, es nachträglich zu empfangen noch praeautonom, es einfach aufzugeben. Es bestehe darin, transautonom, das heißt zugleich theonom und autonom, die ursprünglich von Gott gegebene, wesensgemäße, rechte Relationalität des Willens zu bewahren.149 Dieser Gedanke wird weitergeführt, indem auf die Frage, weswegen (propter quid) der Mensch ursprünglich dieses Vermögen des Bewahrens des Rechtseins des Willens gehabt hat,150 geantwortet wird, dass er es nicht gehabt hat, um damit etwas anderes zu wollen, sondern „um des Rechtseins selbst willen“ (prop­ ter ipsam rectitudinem).151 Dadurch wird ein bloß eudaimonistisches und utilitaristisches Freiheits- und Gerechtigkeitsverständnis zurückgewiesen.152 Es wird aufgezeigt, dass Freiheit wie Gerechtigkeit in der selbstzweckhaften Bewahrung des Rechtseins des Willens besteht und auf eine besondere Form personal und religiös-ethisch qualifizierter Wahrheit bezogen ist. Damit wird zugleich gnadentheologisch und liebesethisch hervorgehoben, dass Freiheit als Vermögen der Gerechtigkeit wesentlich in der rechten Liebe besteht. Sie besteht in der von Gott selbst gegebenen Liebe zu ihm selbst und der darin gründenden Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst, das heißt in freiwilliger Selbsthingabe.153 Von dieser inhaltlich positiv bestimmten Definition der Freiheit leitet sich nach Anselm nicht nur her, worin die Freiheit jeder menschlichen Person besteht. Was ein freies Willens- und Wahlvermögen und entsprechend auch freies Handeln ist, wird daraus auch ersichtlich.154 So wird in De libertate arbitrii 3 be148 

DLA 3 (SI), 211, 15–212,9. DLA 3 (SI), 211,13–212,9; vgl. DV 12 (SI), 193,17–196,29; insbes. 195,1–27. 150  DLA 3 (SI), 212,11. 151  DLA 3 (SI), 212,12. 152  DLA 3 (SI), 212,13–16. Anders hingegen: Rogers, Anselm on Freedom, 66–72. 153  DLA 3 (SI), 212,16–18; vgl. DV 12 (SI), 194,16–196,8; CDH II,1, SII, 97,14–16; Anders hingegen Goebel, Rectitudo, 452–463. Goebel deutet dies dahingehend, dass es Anselm um die Liebe seiner selbst um Gottes willen gehe. Dies scheint mir jedoch identisch zu sein mit der Liebe Gottes um seiner selbst willen. Zwar schließt die Liebe Gottes um seiner selbst willen auch die Nächsten- und Selbstliebe ein. Sie ist aber mehr als nur eine Begründung oder Motivation der Selbstliebe. Vgl. hierzu auch: Gilbert Crispin, Disputatio Iudaei II (HBPhMA 1), 57 und Bachya ibn Pakuda, The Duties of the Heart X,1–7 (Feldmann), 441– 459. Interessanter Weise betont der frühmittelalterliche jüdische Philosoph und Theologe Bachya ibn Pakuda in seinem moralphilosophischen Werk „Die Pflichten des Herzens“ in ähnlich starker Weise den Gedanken der Freiheit der Gottesliebe. 154 Siehe: Ogliari, St. Anselm’s „De libertate arbitrii“, 261–264, der betont, dass Anselm anders als Augustin nicht zwischen libertas und liberum arbitrium unterscheide. Vgl. Kane, Anselm’s Doctrine, 152–155; anders hingegen Rakus, Anselmian Libertas, 407–440, der betont, dass Anselm zwischen beidem unterscheide. 149 

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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tont, dass das freie Wahlvermögen nichts anderes ist als ein Wahlvermögen, mit dem das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahrt werden kann.155 Die Gültigkeit dieser positiven Definition von Freiheit wird in De libertate arbitrii 13 schließlich begriffslogisch begründet. Zuvor sind diverse Einwände gegen die Annahme widerlegt worden, dass es ein natürliches gegebenes Vermögen ist, das der Mensch immer hat, auch wenn er es nicht immer gebrauchen kann.156 So zeigt Anselm mithilfe der aristotelisch-boethianischen Begriffslehre auf, dass die entfaltete Definition weder zu viel noch zu wenig enthält, und somit klar und deutlich ist. Vollständig bestimmt ist der Begriff durch die Definition demnach durch die angemessene Angabe der Gattung und der spezifischen Unterschiede.157 Das bedeutet, durch den Begriff des „Vermögens“ (potestas) wird Freiheit der Gattung nach allgemein bestimmt. Durch die Begriffe des „Rechtseins des Willens“ (rectitudo voluntatis), des „Bewahrens“ (servandi) und des „um des Rechtseins selbst willen“ (propter ipsam rectitudinem) werden drei spezifische Differenzen herausgearbeitet. Durch sie wird Freiheit konkret bestimmt und von allen anderen Vermögen unterschieden. Diese Definition ist Anselm zufolge deshalb vollständig, weil alle Differenzen angegeben sind, durch die Freiheit von anderen Vermögen unterschieden ist. Sie enthält also weder zu viele noch zu wenige Elemente. Keine notwendigen Bestimmungen fehlen und keine überflüssigen sind in ihr enthalten.158 Den Einwand, dass die Definition unterbestimmt sei und sie beispielsweise auch die Kriterien der Ungezwungenheit oder der externen Unüberwindbarkeit enthalten müsse, weist Anselm mit dem Argument zurück, dass dies im Sinn der Definition bereits enthalten sei. Somit müssen sie nicht eigens erwähnt werden.159 Das Wesen der Freiheit ist für Anselm mit dieser neuen, inhaltlich positiv bestimmten Definition phänomenbezogen und in begrifflogisch angemessener Weise beschrieben.

2.2.3. Der indirekte Beweis der Natürlichkeit und die Gnadenbedingtheit dieser Freiheit In De libertate arbitrii 2–12 wird die Frage diskutiert, ob und inwiefern der Mensch diese Freiheit der rechten Liebe immer hat.160 Durch einen indirekten Beweis wird zum einen der Gedanke begründet, dass dem Menschen diese Freiheit nicht gegen seinen Willen genommen werden kann und dass er sie auf 155 

DLA 3 (SI), 212, 19–23. DLA 13 (SI), 225,1–32. 157  Ebd.; vgl. Boethius, Liber de diffinitione (PL 64), 891B-910C; Ders. Topicorum Aristo­ telis Interpretatio VI,1–6 (insbes. VI,1) (PL 64), 969C-988C (insbes. 969C-970C). 158  DLA 13 (SI), 225,10–14; 24–28. 159 Ebd. 160  DLA 2–12 (SI), 209,8–224,32. 156 

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

gewisse Weise immer hat, auch dann, wenn er sie nicht gebrauchen kann.161 Zum anderen wird angedeutet, dass das Haben und der rechte Gebrauch dieser Freiheit vollkommen durch Gottes freies Gnadenhandeln bedingt sind.162 Während das unbestimmte Verständnis von Freiheit als unbedingtes, indifferentes Vermögen kontradiktorischer Wahl nach Anselm in das Dilemma der Unvereinbarkeit von menschlicher Freiheit und Verantwortlichkeit einerseits und göttlichem Gnadenhandeln andererseits führt, ist der neue, inhaltlich positiv bestimmte Grenzbegriff der Freiheit mit der These verbunden, dass der Mensch sowohl immer frei und für sein Tun verantwortlich ist, als auch immer vollkommen auf Gottes freies Gnadenhandeln angewiesen.163 Damit versucht Anselm vor dem Hintergrund der kritischen Neubestimmung des Freiheitsbegriffs ein Argument zur Lösung des Problems der Vereinbarkeit von Freiheit, Natur und Gnade zu entwickeln, das nicht nur den pelagianischen und semipelagianischen Streit, sondern auch diverse nachfolgende Kontroversen geprägt hat.164 Dass die Freiheit der rechten Liebe dem Menschen von Gott als ein natürliches Vermögen gegeben ist, das er in unverlierbarer Weise hat, auch wenn er es nicht immer aktual gebrauchen kann, wird in De libertate arbitrii 2–9 durch einen indirekten Beweis begründet.165 Durch dieses Argument wird aufgezeigt, dass diese Freiheit zur anthropologischen Struktur des menschlichen Personseins gehört, auch wenn sie nicht immer realisiert ist und ausagiert wird und unter bestimmten Bedingungen unmöglich von sich aus verwirklicht werden kann. Die Natürlichkeit der Freiheit wird indirekt begründet. Es wird via negationis aufgezeigt, dass die dem Menschen ursprünglich von Gott gegebene Freiheit ihm weder von jemand oder etwas anderem genommen werden kann, noch er sie sich selbst nehmen kann. Die Annahme, dass die transautonome Freiheit rechter Liebe dem Menschen durch jemand oder etwas anderes fremdbestimmt genommen werden kann, wird sowohl im Hinblick auf die Natur beziehungsweise das Wesen des Menschen als auch im Hinblick auf sein Personsein und sein Gottbezogensein widerlegt. Dazu werden denkbare prinzipielle Heteronomien des Menschen vor der Sünde, im Sündenfall, nach dem Sündenfall sowie in der Sünde diskutiert und zum anderen Vorstellungen von praktisch notwendigen Heteronomien für Personen in der Gerechtigkeit des Glaubens, in der Versuchung und im Scheitern widerlegt. 161 

DLA 2–9 (SI), 209,8–221,32. DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32. 163  DLA 1 (SI), 207,4–12; vgl. DLA 14 (SI), 226,FN Prior recensio. 164  Siehe hierzu auch: Laporte, La Grâce chez augustin, 425–444 und Southern, Saint Anselm, 376–382; vgl. Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1196B-1222D; Ders., De libero arbitrio libellus III-V (PL 172), 1224B-1225D. 165  Vgl. DCD 28 (SI), 263,26–29; DC I,6 (SII), 256,24–257,2; Siehe hierzu auch: Goe­ bel, Rectitudo, 391–398. 162 

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

113

So wird in De libertate arbitrii 2 als erstes die Annahme widerlegt, dass der Mensch ursprünglich fremdbestimmt aus einer vorausgehenden Notwendigkeit (non ex necessitate) zur Sünde gezwungen worden ist oder es aus dem Grund seines Freisein (non per hoc unde liberum erat) getan hat. Dadurch wird indirekt aufgezeigt, dass er das Rechtsein des Willens durch das dieser Freiheit entgegen gesetzte Vermögen zu sündigen (per potestatem peccandi), spontan (sponte) und durch freie Wahl (per liberum arbitrium) selbst aufgegeben hat.166 In diesem Sinne gilt der Mensch vor jeder Sünde als wesenhaft frei. Zudem gilt der Sündenfall nicht als ein fremdbestimmt erzwungenes, vorausgehend notwendiges Ereignis. Es gilt als ein trotz der Freiheit der rechten Liebe selbstbestimmt vollzogener freier Akt des Menschen, der ihm mit seinen Folgen zurechenbar ist. Somit hebt nach Anselm auch die nachfolgend notwendige Fremdbestimmung durch die Sünde die wesenhafte Freiheit nicht auf, da es keine heteronom initiierte Knechtschaft unter die Sünde ist, sondern eine selbstverschuldete. Der Mensch ist durch nichts anderes als nur durch seine spontane freie Wahl selbstbestimmt in diese Knechtschaft geraten.167 Zudem wird in De libertate arbitrii 5–6 ausgeführt, dass keine gerecht gemachte Person, auch nicht in der extremsten Anfechtungs- und Versuchungs­situa­ tion, durch eine vorausgehende Notwendigkeit fremdbestimmt zum Bösen gezwungen werden kann (nulla tenatione cogat). Nur dann erliegt sie dem Versucher, wenn sie das Böse auch selbst freiwillig (non invitus) und willentlich (volens) vollzieht.168 Sie gilt somit vor der Versuchung als wirklich freie Person. Sie gilt aber auch in der Versuchung als frei, trotz der scheinbar unüberwindbaren Schwierigkeit, am Guten festzuhalten. Selbst dann, wenn sie der Versuchung zum Bösen erlegen ist, gilt sie nach Anselm als frei, weil sie nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit fremdbestimmt, sondern aus sich selbst heraus freiwillig eingewilligt hat. Somit muss sie selbstverschuldet nachfolgend notwendig selbst auch freiwillig und willentlich Böses wirken. Die transautonome Freiheit der rechten Liebe gilt als prinzipiell nicht heteronom auf hebbar. Dies hat seinen Grund nach Anselm darin, dass der Mensch weder seinem Wesen nach aus einem ursprünglichen schicksalhaften Zwang zum Bösen fremdbestimmt wird noch zufällig ungerecht geworden ist. Als gerecht gemachte Person kann er weder durch einen Versucher fremdbestimmt zum Bösen gezwungen werden, noch unbeteiligt Böses tun. Es lässt sich jedoch einwenden, dass vielleicht der Mensch diese Freiheit selbst autonom auf heben kann. Schließlich kann er nur aus sich selbst heraus das Rechtsein des Willens aufgeben. Auch diese Möglichkeit wird von Anselm in 166 

DLA 2 (SI), 209,11–21; 209,27–210,10. 2 (SI), 209,22–26; 210,11–21. Siehe hierzu auch die weiteren Ausführungen in Kap.  4. 168  DLA 5–6 (SI), 214,14–218,13. 167  DLA

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

De libertate arbitrii 3–4 und 7 im Hinblick auf das Wesen des Menschen und sein individuelles Personsein mit erfahrungsbasierten Argumenten entkräftet.169 In De libertate arbitrii 3–4 wird durch das Analogiebeispiel, dass jemand etwas nicht sehen kann, aufgezeigt, dass der Mensch auch dann noch seinem Wesen nach die Freiheit der rechten Liebe hat, wenn er freiwillig und autonom das Rechtsein des Willens aufgegeben hat und de facto nicht mehr bewahren kann, was er nicht hat und was er nicht von sich aus wieder erlangen kann.170 Der Grund dafür, dass jemand einen Berg oder das Licht nicht sehen kann, liegt nach Anselm nicht notwendiger Weise darin, dass er kein Sehvermögen hat. Er kann auch darin bestehen, dass er es zwar hat, aber nicht zum Sehen gebrauchen kann, weil es korrumpiert ist, weil der Gegenstand abwesend ist, weil der Seh­ akt durch etwas gehindert wird oder weil ein notwendiges Hilfsmittel fehlt. Ähnlich verhält es sich nach Anselm auch, wenn jemand nicht freiwillig recht lieben kann.171 In jedem Fall ist festzuhalten, dass das Vermögen transautonomer Freiheit zwar autonom vollkommen korrumpiert werden kann, sodass es, soweit es am Menschen selbst liegt, unmöglich noch von sich aus gebraucht werden kann. Es kann aber nicht ganz aufgehoben werden, sodass damit das Schöpfungs- und Bewahrungshandeln Gottes quasi zerstört werden würde. Dies wird in De libertate arbitrii 7 weitergeführt. Durch das Analogiebeispiel, dass jemand zwar die Kraft hat einen Stier zu bändigen, nicht aber die Kraft einen Widder zu halten, wird aufgezeigt, dass die Schwäche bei Personen, die ihre Freiheit der rechten Liebe nicht gebrauchen können, nicht im Vermögen selbst liegt, sondern im Unvermögen, sie zu gebrauchen.172 Jemandem, der einen kleinen Widder nicht halten kann, obwohl er einen starken Stier bändigen kann, fehlt nicht generell das Vermögen zum Festhalten, sondern er kann es nur nicht gebrauchen. So kann nach Anselm auch eine Person, die nicht freiwillig recht lieben kann, dies nicht deswegen nicht, weil sie nicht potentiell das Vermögen dazu hat, sondern weil sie unfähig ist, es aktual zu gebrauchen.173 Dadurch versucht Anselm aufzuzeigen, dass Personen, die autonom nicht recht lieben wollen und können, dadurch zwar wirklich vollkommen unfähig sind, das Vermögen der Freiheit rechter Liebe aktual zu gebrauchen, ihnen aber nicht 169 

DLA 3–4 (SI), 212,24–214,12; DLA 7 (SI), 217,8–220,9. DLA 3–4 (SI), 212,24–214,12. 171 Ebd. 172  DLA 7 (SI), 217,8–220,9; Kritisiert worden ist dieses Analogiebeispiel u. a. von Hopkins und Brown. Der Hauptkritikpunkt besteht darin, dass Anselm damit das Rechtsein des Willens hypostasiere und vergegenständlicht denke. Siehe: Jasper Hopkins, A Companion to the Study of St. Anselm, Minneapolis 1972, 145ff; Robert Brown, Some Problems with Anselm’s View of Human Will, in: Anselm Studies 2 (1988), 335. Zur Verteidigung Anselms muss jedoch gesagt werden, dass es sich nur um ein Analogiebeispiel handelt, das auf geistige Überzeugungskraft zielt. Zur kritischen Auseinandersetzung mit der Kritik siehe auch: Ekenberg, Falling Freely, 43. 173 Ebd. 170 

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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an sich das Vermögen dazu fehlt. Somit kann das Vermögen transautonomer Freiheit auch nicht durch den Menschen selbst autonom aufgehoben werden. Als Letztes ließe sich einwenden, dass diese transautonome Freiheit der rechten Liebe vielleicht aber durch Gott selbst, durch eine heteronome Theonomie, aufgehoben werden könne. Auch diese dritte Möglichkeit wird von Anselm in De libertate arbitrii 8 mit einem Argument widerlegt.174 Dass auch Gott das freiwillig um seiner selbst willen bewahrte Rechtsein des Willens nicht auf heben kann, wird indirekt durch eine reductio ad absurdum der gegenteiligen Annahme begründet.175 Dabei geht Anselm zum einen von der erörterten Definition der Freiheit aus, dass jemand genau dann das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren will, wenn er bewahren will, „was Gott ihn wollen will“ (quod Deus vult illum velle). Zum anderen geht er von der Disjunktion aus, dass Gott, wenn er jemandem das Rechtsein des Willens nimmt, dies entweder willentlich oder nicht-willentlich tut. Die zweite Alternative, dass er es nicht-willentlich tut, ist nach Anselm deswegen unmöglich, weil nichts nicht-willentlich wirksam gewollt werden kann. Die erste Alternative, dass er es willentlich tut, ist nach Anselm aber gleichfalls unmöglich, weil er dann zugleich wollen und nicht wollen würde, dass jemand will, was er ihn wollen will. Einen derart in sich selbst widersprüchlichen, unbestimmten und willkürlichen Willen in Gott anzunehmen, ist jedoch unvereinbar mit der Annahme, dass Gott ist, der er ist, dass er ewig, vollkommen mit sich selbst identisch, wahr und gerecht ist.176 Deshalb, so Anselm, sei nichts unmöglicher (nihil magis impos­ sibilie), als dass Gott, der die Liebe selbst und Grund aller rechten Liebe sei, aktiv bewirke, dass ein Mensch gegen seinen Willen auf hört ihn zu lieben. Deswegen sage man nur in einem uneigentlichen Sinne, Gott wolle, dass ein Mensch die ihm gegebene Liebe wieder aufgebe. Man sage es in dem Sinne, dass Gott es manchmal zulässt und nicht verhindert, niemals aber in dem Sinne, dass er es selbst direkt aktiv bewirkt.177 So gelangt Anselm in De libertate arbitrii 9 zu dem Schluss, „nichts ist freier als ein rechter Wille“ (nihil liberius recta voluntate).178 Indem die Annahme widerlegt worden ist, dass die transautonome Freiheit rechter Liebe dem Menschen durch irgendetwas oder irgendjemanden gegen seinen Willen genommen werden kann, ist via negationis die Unüberwindbarkeit, Stärke und Natürlichkeit dieser Freiheit begründet worden. Dadurch unterscheidet sich Anselms Freiheitskonzeption systematisch von deterministischen Bestreitungen menschlicher Freiheit, wie sie etwa in manichäistischen, gnostischen, zum Teil auch in stoischen, 174 

DLA 8 (SI), 220,12–221,15.

175 Ebd. 176 

Ebd.; vgl. PL 7 (SI), 105,8–106,2; und DV 12 (SI), 196,1–8. DLA 8 (SI), 221,8–13. 178  DLA 9 (SI), 221,18–32; vgl. DC I,6 (SII), 255,31–257,27; vgl. DV Praef. (SI), 173,10– 15; und DC III,4 (SII), 267,7–268,25. 177 

116

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

sowie in bestimmten augustinistischen Richtungen vertreten worden sind.179 Zugleich gilt diese natürliche Freiheit als vollkommen dem freien Gnadenhandeln Gottes verdankt. Die vollkommene Gnadenbedingtheit dieser natürlichen, unüberwindbar starken Freiheit wird in De libertate arbitrii 10–12 angedeutet, nicht aber argumentativ aufgezeigt, wie Anselm selbst im Vorwort zu De veritate, sowie in De concordia I,6 und III,4 bemerkt, und darum nachträglich um eine gnadentheologische Begründung ergänzt.180 Dass der Mensch, obwohl er immer frei ist, um recht lieben zu können, zugleich notwendig auf Gottes Gnade angewiesen ist, um wirklich frei recht lieben zu können, wird in De libertate arbitrii 10 angedeutet.181 Es wird dort nämlich betont, dass der Mensch das Rechtsein des Willens, ohne das er von seiner Freiheit der rechten Liebe nicht wirklich Gebrauch machen kann, unmöglich von sich aus wiedererlangen kann, wenn er es aufgegeben hat. Nur durch die Gabe der freien Gnade kann er sie von Gott neu empfangen.182 Dass der Mensch sich, wie in Ps 77,39 und Joh 8,24 betont wird, unmöglich aus der selbstverschuldeten Knechtschaft unter die Sünde wieder selbst befreien kann,183 wird durch die Analogie zur Unmöglichkeit der ursprünglichen Selbstkonstituierung des Rechtseins begründet. Es wird argumentiert, dass der Mensch, so wie er ursprünglich sein Rechtsein unmöglich selbstschöpferisch konstituieren konnte, sondern vom Schöpfer empfangen hat, er als sündiges Geschöpf, das sein von Gott ursprünglich gegebenes Rechtsein freiwillig aufgegeben hat, dieses unmöglich selbsterlösend rekonstituieren kann. Es kann nur vom ursprünglichen Geber neu empfangen werden.184 Um hervorzuheben, dass es wirklich unmöglich und nicht nur schwierig ist, sich aus der selbstverschuldeten Knechtschaft unter die Sünde selbst zu befreien und man nur durch Gottes freie Gnade daraus befreit werden kann, vergleicht er die gnadenhafte Befreiung mit einer Totenauferweckung

179 Vgl. Gottschalk, Responsa VI-VII (SSL 20), 146,16–158,28; Allerdings ist hier zu präzisieren, dass Gottschalk nicht bestreitet, dass der Mensch ein freies Wahlvermögen hat. Vielmehr argumentiert er im Rahmen seiner Lehre von der doppelten Prädestination ausgehend von Augustins Definition des freien Willens als einem Vermögen zum Guten und zum Bösen dagegen, dass der freie Wille von Natur aus zum Guten brauchbar ist. vgl. hierzu auch Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1196B-1200D; Siehe zu Fatalismusargumenten in der Stoa auch: Susanne Bobzien, Determinism and Freedom on Stoic Philosophy, Oxford 1998, 44–58. 180–233, die maßgebliche Denker wie beispielsweise Chrysipp aber als Kompatibilisten deutet. 180  DC I,6 (SII), 255,31–257,27; vgl. DV Praef. (SI), 173,10–15; und DC III,4 (SII), 267,7– 268,25. 181  DLA 10 (SI), 222,1–23. 182 Ebd. 183  DLA 10 (SI), 222,9–10. 184  DLA 10 (SI), 222,10–12.

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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und bezeichnet sie als „größeres Wunder“, als etwas, das allein durch Gott bewirkt werden kann.185 Die Überlegungen zur Unmöglichkeit der Selbstkonstitution und der Selbstrekonstitution des für den aktualen Gebrauch der Freiheit notwendigen Rechtseins des Willens deuten somit die vollkommene Gnadenverwiesenheit der natürlichen Freiheit an, die später in Cur Deus homo und De concordia III argumentativ aufgezeigt wird.186 Damit unterscheidet sich Anselms Freiheitskonzeption von Beginn an systematisch von pelagianischen und semipelagianischen Konzeptionen, die zu seiner Zeit zum Teil auch unter dem Namen Augustins kursierten. Sie unterscheidet sich aber auch von asketisch motivierten Verteidigungen der Bedeutung der freien Wahl, wie sie etwa durch die Schriften Cassians und in den Libri Carolini verbreitet waren. Schließlich unterscheidet sie sich auch von neuplatonisch geprägten „Verteidigungen“ menschlicher Wahlfreiheit gegenüber der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Handeln, wie sie sich etwa in den Schriften von Boethius und Johannes Scotus Eriugena finden.187

2.2.4. Die Unterscheidung von zwei Weisen menschlichen Freiseins Die Doppelthese, dass der Mensch sowohl immer frei ist, das von Gott gegebene Rechtsein um seiner selbst willen zu bewahren, als auch, dass er dies unmöglich ohne Gottes freie Gnade von sich aus verwirklich kann, führt dazu, dass zwischen zwei Weisen menschlichen Freiseins unterschieden wird.188 Diese Unterscheidung wird in De libertate arbitrii 3–4 und 7 angedeutet. Später wird sie zum einen in De casu diaboli, der Meditatio I und De conceptu virginali und zum anderen in Cur Deus homo, der Meditatio III und De concordia III,3 weiter ausgeführt.189 Damit greift Anselm implizit Augustins Unterscheidung aus De correp­ tione et gratia auf: Dieser unterscheidet zwischen der ersten von Gott geschaffe185 

DLA 10 (SI), 222,2–3; 13–19. CDH I,11–25 (SII), 68,1–96,20; DC III, 1–14 (SII), 263,4–288,19. 187  Johannes Cassianus, Collationes XIII,XII,7–8 (CSEL 13), 380,19–381,12; Boethius, Consolatio philosophiae V,2,1–3,17 (CChr.SL 94), 90,1–92,50; Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione liber V,9-VIII,9 (insbes. VIII,8) (CChr.CM 50), 41,216–55,234. (insbes. 54,176–195). 188  Siehe hierzu auch: Goebel, Rectitudo, 391–502. Goebel unterscheidet bei Anselm auch zwei Seinsweisens der Freiheit. Allerdings deutet er sie in einem ethischen Verstehenshorizont als Freiheit des sittlich guten Menschen und als Freiheit des sittlich schlechten Menschen. Vgl.: Ders., Anselm von Canterbury, 89–121. Auch Kane differenziert zwischen zwei Formen und Begriffen der Freiheit, die er „Freiheit der Selbstvervollkommnung“ und „Freiheit der Selbstbestimmung“ nennt. Siehe dazu: Kane, Anselm’s Definition, 304–6. Ekenberg begründet schließlich bei Anselm eine Unterscheidung von Handlungs- und Willensfreiheit. Siehe: Thomas Ekenberg, Free Will and Free Action in Anselm of Canterbury, in: History of Philosophy Quaterly 22 (2005), 301–17. 189  DLA 3–4 (SI), 212,24–214,12; DLA 7 (SI), 217,8–220,9; DC III, 1–14 (SII), 263,4– 288,19. 186 

118

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

nen, natürlichen Freiheit Adams und Evas (prima libertas voluntatis) und der neusten, gnadenhaften Freiheit Christi (novissima libertas voluntatis). Die erste hat auch das Vermögen nicht zu sündigen enthalten. Trotz ihr hat sich der Mensch selbstverschuldet in die Knechtschaft unter die Sünde gebracht, in der er nicht mehr nicht sündigen kann. Die zweite schenkt Gott dem Menschen im Glauben. Durch sie erhält er das Vermögen, nicht mehr zu sündigen, das im ewigen, glückseligen Leben derart vollkommen ist, dass er nicht mehr sündigen kann.190 Dabei modifiziert Anselm diese Unterscheidung. Er integriert sie in eine einheitliche Konzeption natürlicher und gnadenverdankter Freiheit. Diese unterteilt er schließlich durch eine normative, qualitative Differenz, die soterio­ logisch bedingt ist und die in vermögens- und modaltheoretischen Begriffen erläutert wird. In gewisser Weise minimalisiert und radikalisiert er damit ­Augustins vier-Stadien-Lehre. Er nimmt nicht an, dass der Mensch vor dem Fall, nach dem Fall, in der Erlösung und in der Vollendung jeweils eine andere Freiheit hat. Er betont, dass er entweder in der Ungerechtigkeit der Sünde nur potentiell frei ist oder in der Gerechtigkeit auch aktual frei ist. Damit verneint er entschieden die Neutralität des freien Wahlvermögens auch im Zustand vor dem Sündenfall. Der Sündenfall erklärt sich damit auch nicht aus einer Wahl aus Indifferenz heraus, sondern wird wirklich als ein Fall, als eine Verkehrung des Willens von seiner Ausrichtung auf das Gute zu einer Ausrichtung auf ungerechtes Glück verstanden.191 In De libertate arbitrii 3–4 wird zunächst durch das Analogiebeispiel, dass jemand zwar ein Sehvermögen hat, trotzdem etwas aber nicht tatsächlich sehen kann, verdeutlicht, dass eine Differenz dazwischen besteht, bloß das Vermögen der Freiheit zu haben, oder das Vermögen der Freiheit wirklich gebrauchen zu können. Daraus folgt, dass man aus der Wahrnehmung, dass jemand etwas wirklich nicht kann, nicht darauf zurück schließen kann, dass er es unter keinen Umständen kann.192 Diese vermögens- und modaltheoretische Unterscheidung zwischen möglichem und wirklichem Können, zwischen dem bloßen Vermögensinstrument (instrumentum) und dem Gebrauch des Vermögensinstruments (usus sive opus) wird unter Rekurs auf die von Boethius überlieferte Ursachenlehre Ciceros erläutert.193 Es wird nicht nur betont, dass kein Vermögen an sich 190 

Augustin, De correptione et gratia, XI,29-XII,34 (CSEL 92), 253,21–261,34. Mehr hierzu in Kap.  3. 192  DLA 3–4 (SI), 212,24–214,12. 193 In De potestate et impotentia unterscheidet Anselm in Anlehnung an Ciceros Ursachenlehre selbst zwischen vier Arten von Ursachen. Demnach gibt es erstens (1.) direkte allein aus sich selbst heraus wirksame Ursachen (z.B. Weisheit, die einen Menschen weise macht). Zweitens (2.) gibt es indirekte mit Hilfe anderer aus sich selbst heraus wirksame Ursachen (z.B. ein Handwerker, der mit Werkzeugen ein Haus baut). Beides entspricht dem, was Aristoteles als Wirkursachen bezeichnet. Drittens (3.) gibt es direkte aber nicht aus sich selbst heraus wirksame Ursachen (z.B. Eisen aus dem ein Schwert gemacht wird). Viertens (4.) gibt es schließlich indirekte, mit Hilfe anderer und nicht aus sich selbst heraus wirksame Ursa191 

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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selbst genügt, um zum Akt zu kommen. Es wird auch auf die Notwendigkeit einer Zielursache und die Anwesenheit von helfenden oder die Abwesenheit von verhindernden mittleren Ursachen verwiesen. Dadurch werden mehrere notwendige Möglichkeitsbedingungen für die Verwirklichung eines Vermögens zum Akt hervorgehoben.194 Zugleich wird damit angedeutet, dass das Freisein mit mangelndem Rechtsein nur den potentiellen Charakter eines Vermögens hat, das bloß hypothetisch verwirklicht und aktual wirksam gebraucht werden kann. De facto kann es aber, soweit es am Menschen selbst liegt, unmöglich von sich aus auch aktual gebraucht werden. Das rechte Freisein wird dadurch als ein qualitativ größeres Freisein gedeutet, dass es wirklich auch aktual gebraucht werden kann. In De libertate arbitrii 7 wird weiter anhand des bereits erwähnten Beispiels von jemandem, der zwar einen starken Stier bezwingen kann nicht aber einen schwächeren Widder, präzisiert, dass nur das bloße Vermögen unüberwindbar gegeben ist. Der aktuale Vermögensgebrauch sei jedoch nur aufgrund und mithilfe des Rechtseins gegeben. Er könne entsprechend mehr oder weniger stark sein.195 Demnach scheint nur die Möglichkeit der Freiheit allen Personen immer natürlich gegeben zu sein. Die Wirklichkeit der Freiheit aber könne nur aufgrund und mithilfe von Gottes Gnadenhandeln realisiert werden. In De li­ bertate arbitrii liegt der Schwerpunkt der Argumentation darauf, zu zeigen, dass auch der Mensch, der Knecht der Sünde ist, potentiell frei ist. In De concordia III,13 wird hingegen der Akzent darauf gelegt, zu zeigen, dass der Mensch, der als Knecht der Sünde nur potentiell frei ist, ohne das Rechtsein des Willens nicht wirklich frei ist. So heißt es dort: Das Willensinstrument aber, wenn es spontan Ungerechtigkeit getan hat, bleibt nach dem Verlassen der Gerechtigkeit, soweit es an ihm liegt, notwendig ungerecht und Magd der Ungerechtigkeit (ancilla iniustitiae); weil durch sich kann es nicht zur Gerechtigkeit zurückkehren, ohne die es niemals frei ist (sine qua numquam libera est); weil die natürliche Freiheit ohne sie müßig ist (quia naturalis libertas arbitrii sine illa otiosa est).196

So kann man überlegen, ob Anselm in seiner Spätschrift De concordia die frühen Thesen aus De libertate arbitrii revidiert und seine Freiheitstheorie aufgrund der hamartiologischen Überlegungen in De casu diaboli und De conceptu virginali und seinen christologisch-soteriologischen Überlegungen in Cur Deus homo gna-

chen. Dass als Beispiel für (1.) die Weisheit genannt wird, spricht auch dafür, dass die Rechtheit ebenfalls als eine direkte Wirkursache gedeutet werden kann. Siehe dazu: Anselm, De potestate et impotentia (s.o. Anm.  16), 40–2. Boethius, In Topica Ciceronis Commentarium V (PL 64), 1145C-1156A. Vgl. auch DCD 3 (SI), 236,24–240,2. 194  DLA 3–4 (SI), 212,24–214,12. 195  DLA 7 (SI), 218,15–220,9. 196  DC III,13 (SII), 287,4–6.

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

dentheologisch modifiziert.197 Gegen diese Deutungsmöglichkeit spricht meiner Ansicht nach zum einen, dass in den späten Überlegungen in De concordia zwar ein stärker gnadentheologischer Akzent gesetzt wird. Dieser bildet jedoch keinen Widerspruch zu den frühen freiheitstheoretischen Überlegungen in De libertate arbitrii. Er setzt diese vielmehr voraus, bestätigt und ergänzt sie. Weiter spricht für die Kontinuität, dass die gnadentheologische Begründung menschlicher Freiheit bereits in De libertate arbitrii angelegt und implizit vorausgesetzt ist. So wird nämlich in De libertate arbitrii 10–12 die potentielle Freiheit des bloßen Vermögens mit der Knechtschaft unter die Sünde identifiziert. Für die aktuale Freiheit des Vermögensgebrauchs wird die Befreiung aus der Knechtschaft unter die Sünde durch Gottes Gnadenhandeln vorausgesetzt. Wer nur potentiell frei ist, recht zu lieben, wird demnach in Anlehnung an die johanneische und paulinische Theologie als „Magd der Ungerechtigkeit“ und als „Knecht der Sünde“ bezeichnet.198 Die Knechtschaft unter die Sünde gilt als freiwillig, selbst gewollt und selbstverschuldet sowie als von sich aus unüberwindbar.199 Es wird betont, dass durch die dem Sündenfall nachfolgend notwendige Knechtschaft unter die Sünde zwar nicht das bloße Vermögen der Freiheit der rechten Liebe aufgehoben wird, dass es aber derart korrumpiert wird, dass der Mensch dieses Vermögen, soweit es an ihm liegt, unmöglich mehr gebrauchen kann.200 Das bloß potentielle Freisein in der Knechtschaft unter die Sünde besteht nach Anselm somit in der Unfähigkeit, wirklich frei recht zu lieben. Die aktuale Freiheit des wirklichen Gebrauchs des Vermögens freiwilliger, rechter Liebe gilt nach De libertate arbitrii als vollkommen der freien Gnade Gottes verdankt. Nur diese Gabe könne dem Willen das freiwillig aufgegebene Rechtsein wiedergeben und den Menschen aus der Knechtschaft unter die Sünde befreien.201 In De libertate arbitrii wird über das Verhältnis dieser beiden Arten menschlichen Freiseins weiter nachgedacht. Dabei wird argumentiert, dass der Mensch immer ein „Freier“ genannt werden kann, auch dann, wenn er als Knecht der Sünde seine Freiheit der rechten Liebe nicht gebrauchen kann.202 Der Grund dafür besteht nach Anselm darin, dass der Mensch dann, wenn ihm das Rechtsein gegeben ist, durch keine Macht wieder davon losgerissen werden kann.203 „Knecht“ hingegen kann der Mensch Anselm zufolge nicht immer genannt werden, obwohl er dann, wenn er das Rechtsein freiwillig aufgegeben hat, es unmöglich von sich aus wiedererlangen kann.204 Er kann des197  Vgl. hierzu die Diskussion bei: Verweyen, Einleitung, 50–54; Schick, Willensfreiheit, 60–70. 198  DLA 10 (SI), 222,10; 20–23. 199  DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32. 200  DLA 11 (SI), 222,26–223,13. 201  DLA 10 (SI), 222,2–18. 202  DLA 12 (SI), 223,15–224,22. 203 Ebd. 204 Ebd.

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

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wegen nicht immer als Knecht bezeichnet werden, weil er dann, wenn ihm das Rechtsein des Willens gegeben ist, kein Knecht ist.205 So wie der Mensch von Gott geschaffen ist und so, wie er im Glauben hofft, im ewigen glückseligen Leben wieder zu sein, ist er nur ein durch Gott Freier und nicht auch ein Knecht der Sünde. Die Doppelbestimmung, dass der Mensch zugleich Freier und Knecht ist, gilt nach Anselm demnach nur für das geschichtliche Leben, nicht für das ursprüngliche geschaffene und das letztendlich vollendete Dasein.206 Der Mensch, dem das Rechtsein in der Sünde fehlt, wird primär als Knecht gedeutet, der auch potentiell frei ist. Der Mensch, dem das Rechtsein von Gott aus Gnade wiedergegeben ist, wird hingegen primär als Freier und Befreiter verstanden, der aber aufgrund der Unvollkommenheit seiner Bewahrung des Rechtseins zeitlebens auch noch immer wieder Knecht der Sünde ist und bleibend auf Gottes nachfolgende Gnade angewiesen ist.207

2.2.5. Die Reflexion der formalen Kriterien der Freiheit Die gnadenbedingte, natürliche Freiheit zum rechten Lieben zeichnet sich nach Anselm durch bestimmte formale Kriterien aus. So werden in De libertate arbitrii 2 und 5 Ungezwungenheit (non cogente) und Spontaneität (sponte) sowie Freiwilligkeit (non invitus) und Willentlichkeit (volens) als zwei je zusammengehörende formale Kriterien transautonomer Freiheit genannt.208 In De libertate arbitrii 13 wird zudem erläutert, dass sie im inhaltlich positiv bestimmten Freiheitsbegriff notwendig enthalten sind und somit nicht eigens in die Definition aufgenommen werden müssen. 209 Sie gelten sowohl für den aktualen Gebrauch der Freiheit, als auch für das von sich selbst aus unmöglich brauchbare, potentielle Vermögen der Freiheit. Dabei stellen sie keine zufällige Kriteriensammlung dar. Die zwei je zweifachen formalen Kriterien der Zwanglosigkeit und Spontaneität sowie der Freiwilligkeit und Willentlichkeit präzisieren, inwiefern die transautonome Freiheit zum einen im Hinblick auf das Wesen des Menschen und zum anderen im Hinblick auf jemanden als individuelle, handelnde Person unüberwindbar ist (cui nulla vis aliena potest auferre suam rectitudinem) 210. Der Wil205 Ebd. 206 

DLA 12 (SI), 223,18–25. DLA 12 (SI), 224,6–22. 208  DLA 13 (SI), 225,4–12; für diesen Hinweis danke ich besonders Prof. Brian Leftow, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass in Anselms Definition des Freiheitsbegriffs formale Kriterien, die in libertarischen Freiheitstheorien aufgegriffen werden, in gewisser Weise enthalten sind. Siehe hierzu auch: Visser; Wiliams, Anselm, 171–191. Inwiefern diese formalen Kriterien wirklich denen libertarischer Freiheitstheorien gleichen ist meines Erachtens jedoch kritisch zu diskutieren. Siehe zu dieser Position jedoch: Rogers, Anselms on Freedom, 73–86. 209  DLA 13 (SI), 225,4–14. Ogliari, St. Anselm’s De liberate arbitrii, 264–265. 210  DLA 9 (SI), 221,18–19. 207 

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2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

le eines Menschen gilt nach Anselm genau dann als frei, wenn der Mensch nicht prinzipiell wesenhaft oder konkret als individuell handelnde Person zu etwas gezwungen wird, was er nicht auch selbst ungezwungen und spontan will und er nicht auch selbst freiwillig und willentlich tut. Somit gelten Zwanglosigkeit und Spontaneität, Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit als die notwendigen und zusammen hinreichenden formalen Kriterien der unüberwindbaren, wesensgemäßen Freiheit des Menschen. Das erste, doppelte Kriterium der Ungezwungenheit und Spontaneität (non cogente sed sponte) wird in De libertate arbitrii 2 in Bezug auf die Natur des Menschen erläutert.211 An ihm wird geprüft, ob der ursprüngliche Sündenfall des Menschen überhaupt als frei vollzogen gelten kann. Ähnlich wird an ihm auch in Cur Deus homo I,8–10 überprüft, ob das Erlösungshandeln Christi als frei gelten kann.212 Das Kriterium der Ungezwungenheit und Spontaneität besagt dabei, dass ein Akt dann und nur dann als frei gelten kann, wenn er nicht durch den Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit, sondern aus eigenem Antrieb spontan bewirkt wird. Dieses Kriterium trifft nach Anselm auf das Wesen des Menschen prinzipiell zu. Als vernunftbegabtes Lebewesen kann er sich, anders als Dinge und Tiere, nicht nur rein natur- und instinkthaft aus dem Zwang der vorausgehenden Notwendigkeit natürlicher Gesetze heraus verhalten wie er muss. Er kann auch aus eigenem Antrieb spontan handeln.213 So kann er sich beispielsweise aus Einsicht in gute Gründe intrinsisch affektiv motiviert und selbstbestimmt bewegen. Dementsprechend kann er bestimmte Handlungen begründet tun oder unterlassen und bestimmte alternative Möglichkeiten begründet verwirklichen oder vermeiden, bevor er sie begonnen hat. Entsprechend gelten nach De libertate ar­ bitrii 2 der Sündenfall der ersten Menschen und nach Cur Deus homo I,8–9 Christi Erlösungshandeln deswegen als frei, weil diese Akte jeweils ungezwungen und spontan vollzogen worden sind.214 So gilt auch die Natur beziehungsweise das Wesen des Menschen deswegen als prinzipiell frei, weil der Mensch qua Mensch seinem vernunftbegabten Wesen gemäß ungezwungen und spontan wollen kann, auch wenn es de facto viele Situationen gibt, in denen Personen daran gehindert werden, ihrem menschlichen Wesen gemäß ungezwungen und spontan zu handeln. Dies bestätigt aber insofern Anselms Kriterium, als man in derartigen Fällen kritisch von Unfreiheit oder eingeschränkter Freiheit spricht. Das Kriterium der Ungezwungenheit ist jedoch nicht identisch mit dem Vorhandensein alternativer Wahlmöglichkeiten.215 In einem bestimmten Sinn ent211 

DLA 2 (SI), 209,8–210,21. CDH I,1–8 (SII), 60,15–67,20. 213  DLA 5 (SI), 216,6–12; vgl. DV 12 (SI), 192,11–194,34 und ML 31 (SI), 49,1–50,7. 214  DLA 2 (SI), 209,8–210,21; CDH I,1–8 (SII), 60,15–67,20. 215  Anders hingegen Rogers, Anselm on Freedom, 73–86; vgl. Visser; Wiliams, Anselm, 171–191. 212 

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

123

hält dieses Kriterium nach De libertate arbitrii und De casu diaboli zwar einmalig in asymmetrischer Weise die qualitativ alternative Möglichkeit der Wahl der Sünde. Es enthält aber nicht auch anschließend die bleibende Möglichkeit, wiederum qualitativ alternativ das Gute wählen zu können.216 Das permanente Vorhandensein qualitativ alternativer Wahlmöglichkeiten ist nach Anselm im absoluten Sinne kein sinnvolles Freiheitskriterium. Auch in einem relativen, asymmetrischen Sinn ist es bei Anselm kein notwendiges Freiheitskriterium. Es ist nur ein kontingentes Merkmal geschöpflicher Freiheit in seinem geschichtlichen Leben, nicht aber im ewigen Leben.217 Gleichfalls ist das Kriterium der Spontaneität nicht mit Unbestimmtheit, Nichtnotwendigkeit oder Willkür identisch – im Gegenteil. Das, was aus eigenem Antrieb spontan gewollt wird, wird nach Anselm notwendig jeweils auf bestimmte Weise und mit nachfolgender Notwendigkeit gewollt. Es wird intrinsisch durch Einsicht in gute Gründe und durch bestimmte Affekte motiviert. Das, was derart selbstbestimmt gewollt wird, wird nach Anselm, wenn es gewollt wird, notwendig so und nicht anders gewollt, wie es gewollt wird. Es kann dann nicht mehr auch nicht oder anders gewollt werden, als es gewollt wird.218 In diesem Sinne ist die Ungezwungenheit und Spontaneität von Akten mit deren innerer Bestimmtheit und nachfolgender Notwendigkeit verbunden. Das zweite doppelte Kriterium der Freiwilligkeit und Willentlichkeit (non invitus sed volens) wird in De libertate arbitrii 5–6 im Hinblick auf die Freiheit des handlungswirksamen Wollens und Wählens von individuellen Personen in konkreten Extremsituationen der Versuchung zum Bösen erläutert.219 Dabei wird betont, dass eine Person genau dann frei ist, wenn sie auch freiwillig und willentlich will, was sie will und es nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit heraus ohne Beteiligung ihres eigenen Willens tut. In diesem Zusammenhang versucht Anselm durch die Reflexion eines exemplarischen Beispiels generalisierend aufzuzeigen, dass Versuchungen zum Bösen niemals einen Zwang zum Bösen ausüben oder eine Notwendigkeit der alternativen Wahl des Bösen darstellen. Sie sind seiner Auffassung nach immer nur eine Schwierigkeit weiter am Guten festzuhalten, die wegen ihrer scheinbaren Unüberwindbarkeit subjektiv als Unmöglichkeit erscheint. Dass der Mensch das Böse, zu dem er versucht wird, frei tut, begründet Anselm schließlich zum einen damit, dass man nicht handlungswirksam wollen kann, wenn man nicht wollen will (quia velle non potest nolens velle) und damit, dass jeder, der will, selbst sein Wollen will (omnis volens ipsum suum velle vult).220 Zum anderen plausibilisiert er dies in De libertate arbitrii 5 und De concordia I,6 durch das Beispiel einer 216 

DLA 5 (SI), 216,6–12; vgl. DCD 14 (SI), 258,6–259,4. DLA 14 (SI), 226,9–21. 218  DC I,3 (SII), 250,13–252,5. 219  DLA 5 (SI), 214,14–217,6. 220  DLA 5 (SI), 214, 18–23. 217 

124

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

unausweichlichen freien Wahl zwischen einer Lüge, durch die das eigene Leben gerettet werden kann, und dem Festhalten an der Wahrheit, durch das man den Tod erleidet.221 Eine Person ist nach Anselm also für einen Akt verantwortlich, insofern sie ihn selbst freiwillig und willentlich handelnd verursacht hat und somit sein Urheber ist. Würde ein Akt ohne die aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit ohne willentliche Beteiligung einer handelnden Person heraus bewirkt, wäre es eben nicht ihr Akt. Allerdings wird dieses Kriterium der Freiwilligkeit und Willentlichkeit von Anselm nicht im Sinne absoluter Ak­teurs­ kausalität verstanden.222 Es ist nach Anselm nämlich weder notwendig noch überhaupt möglich, dass der Mensch wie ein erster unbewegter Beweger allein aus sich selbst heraus agiert. Vielmehr ist es ausreichend, dass er als Geschöpf frei ist, indem er das, was er als handelnde Person tut, freiwillig und auch willentlich selbst tut.223 So ist auch dieses zweite doppelte Kriterium personaler Freiheit sowohl mit dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit als auch mit vollkommener Unbestimmtheit unvereinbar, und mit der Bestimmtheit und nachfolgenden Notwendigkeit frei bewirkter Handlungen verbunden.

2.2.6. Die Einteilung des Freiheitsbegriffs und sein Gebrauch In De libertate arbitrii 14 wird im Anschluss an die Definition eine Einteilung des Freiheitsbegriffs formuliert.224 Dies ist nicht nur als ein Anhang zu verstehen, um formal den Kunstregeln der antiken Sprachphilosophie und Logik zu entsprechen. Die Einteilung, die den Regeln der neuplatonisch-boethianischen Begriffslehre folgt,225 ist vielmehr auch inhaltlich zentral. Durch sie werden wesentliche Differenzen verschiedener Arten und Weisen des Freiseins aufgezeigt. Ihnen entsprechend wird der Freiheitsbegriff mit verschiedenen Bedeutungen verwendet. So wird in der Einteilung des Freiheitsbegriffs zum einen die grundlegende schöpfungstheologische, relationale und ontologische Differenz zwischen göttlicher und geschöpflicher Freiheit thematisiert, zum anderen die soteriologische, qualitative, normative Differenz innerhalb geschöpflicher Freiheit zwi221  DLA 5 (SI), 214,27–215,32; vgl. DC I,6 (SII), 257,5–27; siehe hierzu auch: Orazzo, La Libertà, 398–401; vgl. Yamazaki, Theological Method, 308–311; Siehe auch: Visser; Williams, Anselm’s Account, 186–194. Sie verweisen auf DCD 5 und 12–14. Allerdings ist fraglich, ob es sich hier um denselben Gegenstand handelt. So auch: Hopkins, Anselm on Freedom, 477–482. 222  Anders hingegen Rogers, Anselms on Freedom, 73–86; vgl. Visser; Wiliams, Anselm, 171–191; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113. 223  DC III,11 (SII), 283,21–284,8. 224  DLA 14 (SI), 226,2–21. 225  DLA 14 (SI), 226,2–21; vgl. Boethius, Liber de divisione (PL 64), 875D-910C.

2.2. Der Begriffs der Freiheit (libertas) und der freien Wahl (liberum arbitrium)

125

schen brauchbarer Freiheit mit Rechtsein und unbrauchbarer Freiheit ohne Rechtsein und schließlich die weitere eschatologische, quantitative und durative Differenz zwischen der Wandelbarkeit und Unwandelbarkeit des Rechtseins der Freiheit oder seines Mangels. Als erstes wird die Differenz zwischen göttlicher und geschöpflicher Freiheit markiert, indem es heißt: Auch wenn sie [die Freiheit (Anm. d. Verf.)] nach ihrer Definition allen vernünftigen Wesen gemeinsam ist, unterscheidet sich jedoch sehr diejenige Gottes von derjenigen der vernünftigen Geschöpfe [...]. Die eine ist die Willensfreiheit, die an sich (a se) ist, die weder geschaffen noch von einem anderen empfangen ist (nec facta est nec ab alio accepta), die allein Gottes ist (quae est solius dei); die andere ist die, die von Gott (a Deo) geschaffen und empfangen ist ( facta et accepta), die den Engeln und Menschen zukommt [...].226

Die Unterscheidung zwischen göttlicher und geschöpflicher Freiheit basiert also auf einer relationalen ontologischen Differenz und ist schöpfungstheologisch begründet. Sie bezieht sich nämlich auf die schöpfungstheologischen Überlegungen im Monologion und Proslogion zurück.227 So wird die dort theologisch-ontologisch und anthropologisch begründete Differenz zwischen dem singulären, schöpferischen Sein und Wesen Gottes a se und dem vielfältigen von Gott geschaffenen und empfangenen Seienden freiheitstheoretisch ausgeführt. Entscheidend ist dabei, dass nur dem göttlichen Freisein Aseität zugeschrieben wird (quae est solius Dei), allem geschöpflichen Freisein hingegen Gegebensein und Verdanktheit.228 Innerhalb der geschöpflichen Freiheit wird als Zweites zwischen rechter, zum Guten wirklich brauchbarer Freiheit und unrechter, zum Guten unbrauchbarer oder nur hypothetisch auch wirklich zum Guten brauchbarer Freiheit unterschieden: Bei der geschaffenen oder empfangenen Freiheit ist unterschieden, die, die das Rechtsein hat, das sie bewahrt (habens rectitudinem quam servet) und die, die es entbehrt (ca­ rens).229

Diese zweite Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Arten und Weisen geschöpflichen Freiseins basiert auf einer qualitativen, normativen Differenz und ist soteriologisch und gnadentheologisch bedingt. Sie wird in den prinzipien-, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen in De veritate begründet, in De libertate arbitrii 2–12 erläutert und in De casu diaboli, Cur Deus 226 

DLA 14 (SI), 226,2–21; vgl. DLA 1 (SI), 208, 3–5. ML 1–6 (SI), 13,3–20,19; ML 22 (SI), 39,26–40,2; ML 49–53 (SI), 64,15–66,13; vgl. auch DCD 1 (SI), 233,6–234,5; EDIV 13 (SII), 31,6 ff. 228  Anders jedoch: Rogers, Anselm on Freedom, 183 ff. 229  DLA 14 (SI), 266,8–9; vgl. Visser; Williams, Anselm’s account of freedom, 190. Sie argumentieren dafür, dass nicht Freiheit an sich das Prinzip alternativer Möglichkeiten benötige, geschöpfliche Freiheit sie aber habe, auch wenn Akteurskausalität das wichtigere Moment sei. Siehe hierzu auch Rakus, Anselmian Libertas, 411–414. 227 

126

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

homo, De conceptu virginali und De concordia III weiter ausgeführt.230 Durch sie wird verdeutlicht, dass die geschöpfliche Freiheit, die aufgrund und mithilfe von Gottes freier Gnade durch Rechtsein bestimmt ist, eine qualitativ höhere Freiheit ist, als die, die durch einen selbstverschuldeten Mangel an Rechtsein unbestimmt ist. Nur erstere dient wirklich der Gerechtigkeit. Als drittes wird schließlich bei diesen zwei Weisen geschöpflichen Freiseins zwischen der Wandelbarkeit und Unwandelbarkeit der Beschaffenheit des jeweiligen Zustands unterschieden: 231 Sie hat [das Rechtsein (Anm. d. Verf.)] anders wenn abtrennbar (separabiliter), anders wenn unabtrennbar (inseparabiliter). [...] Jene aber, die das Rechtsein entbehrt, anders, wenn nichtwiderherstellbar (irrecuperabiliter) anders wenn widerherstellbar (recuperabili­ ter).232

Die Unterscheidung zwischen der Verlierbarkeit (separabiliter) und Unverlierbarkeit (inseparabiliter) der Gabe des Rechtseins und der Widergutmachbarkeit (re­ cuperabiliter) und Nichtwidergutmachbarkeit (irrecuperabiliter) des Mangels an Rechtsein hat schließlich quantitativen, durativen Charakter und ist eschatologisch bedingt. Dadurch wird verdeutlicht, dass sich die Art und Weise des Freiseins im geschichtlichen Leben in der Zeit, von derjenigen im ewigen Leben nur durch die Wandelbarkeit oder Nichtwandelbarkeit ihrer Qualität, das heißt durch ihre Unvollkommenheit oder Vollkommenheit unterscheidet. Dies ist nicht zuletzt für die Lösung des Vorauswissens- und Prädestinationsdilemmas in De concordia I-II wichtig.233 Diese Einteilung des Freiheitsbegriffs ist inhaltlich für die Freiheitstheorie bedeutsam. Der Freiheitsbegriff wird entsprechend dem ontologisch und rela­ tio­nal anderen Freisein Gottes und der Geschöpfe, dem normativ, qualitativ anderen Freisein der sündigen und der gerechten Engel und Menschen und dem quantitativ, durativ anderen Freisein unvollkommen und vollkommen sündiger oder gerechter Engel und Menschen zwar im gleichen Sinn, aber mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. Da sowohl Gott als auch alle vernunftbegabten Geschöpfe, sündige wie gerechte, lebende wie verstorbene, in dem Sinne als frei gelten, dass sie das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren können, kann man in gewisser Weise einen univoken Sinn des Freiheitsbegriffs bei Anselm konstatieren.234 Trotz dieses durch die univoke Definition gegebenen einheitlichen Sinns,

230  DV

1–13 (SI), 176,3–199,29; DLA 2–12 (SI), 209,8–224,32; DCD 1–28 (SI), 233,3– 276,15; DCV 1–29 (SII), 139,2–173,7; CDH I,1-II,22 (SII), 47,4–133,15; und insbes. DC III,13 (SII), 287,3–8. Siehe hierzu auch: Orazzo, La Libertà, 404–407. 231  DLA 14 (SI), 226,8–9. 232  DLA 14 (SI), 226,9–10; 14–15. 233  Siehe dazu auch: DLA 14 (SI), 226, FN Prior recensio. 234  DLA 1 (SI), 207,11–208,12.

2.3. Zusammenfassung

127

spricht jedoch einiges dafür, dass Anselm ihn, der Einteilung entsprechend, mit äquivoker oder analoger Bedeutung verwendet. Dafür spricht zum einen, dass Anselm in De libertate arbitrii und De concordia III,11–14 bemerkt, dass der Willensbegriff in drei Hinsichten äquivok verwendet wird: in Bezug auf das Willensinstrument, die Willensneigung und den Willensgebrauch. Ähnlich verwendet er auch den Freiheitsbegriff in zwei Hinsichten äquivok. Er gebraucht ihn in Bezug auf das bloße Freiheitsvermögen im Sinn potentieller Freiheit. In Bezug auf den Freiheitsgebrauch verwendet er ihn im Sinn aktualer Freiheit.235 Zum anderen spricht für den analogen Gebrauch, dass im Monologion mit sprachphilosophischen, erkenntnistheoretischen und theologisch-ontologischen Argumenten begründet wird, dass alle Gotteserkenntnis und alle Gottesrede nur analogen, indirekten Charakter hat, und dass davon ausgegangen wird, dass Gott auf unermesslich vollkommenere Weise frei ist, als der Mensch.236 Schließlich spricht dafür, dass Anselm in De veritate auch in Bezug auf den Wahrheitsund Gerechtigkeitsbegriff sowie den Vermögensbegriff betont, dass er in Bezug auf Gott analog gebraucht werde.237 Das heißt, in Bezug auf Geschöpfe meint Freiheit ein bedingtes, endliches, wandelbares Vermögen zur Bewahrung der Gottesliebe. In Bezug auf Gott meint es hingegen ein unbedingtes, alles andere bedingendes, unendliches, unwandelbares Vermögen der Bewahrung der vollkommen Liebe.

2.3. Zusammenfassung Anhand der Analyse von De veritate und De libertate arbitrii ist aufgezeigt worden, dass Anselm vor dem Hintergrund der prinzipien-, wahrheits- und gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen die überlieferte Vorstellung von Freiheit als einem unbedingten, indifferenten Wahlvermögen zwischen sündigen und nicht sündigen zurückweist und eine neue, eindeutig positiv bestimmte, relationale Definition von Freiheit als Vermögen der selbstzweckhaften Bewahrung des empfangenen Rechtseins des Willens entwickelt. Dabei ist zum einen herausgestellt worden, dass das Rechtsein das grundlegende ontologische Prinzip richtiger Relationalität darstellt, das durch die Begriffe der Wahrheit und Gerechtigkeit expliziert wird. Es stellt den Verstehenshorizont des Begriffs der Freiheit dar.

235 

DLA 218,26–220,5; DC III,11–12 (SII), 278,27–285,5; insbes. DC III,11 (SII), 279,13. ML 66–67 (SI), 77,5–78,11. 237  DV 10–12 (SI), 189,31–196,25; zur weiteren, detaillierten Diskussion zur univoken oder äquivoken oder analogen Begriffsverwendung bei Anselm, insbesondere bezüglich des Wahrheitsbegriffs, siehe: Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 484–490; 557–584. 236 

128

2. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bestimmung des Freiheitsbegriffs

Indem Anselm den Begriff der Freiheit ausgehend von einem rational-offenbarungsbezogenen Verständnis der Wahrheit und einem liebesethischen Verständnis der Gerechtigkeit expliziert, verbindet er den in der johanneischen Theologie zentralen Gedanken der frei machenden Wahrheit und den von Paulus betonten Gedanken der aus Sünde, Gesetz und Tod befreiten Freiheit zur Gerechtigkeit. Damit ist deutlich geworden, dass Anselm einen inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Begriff von wahrheits- und gerechtigkeitsbasierter Freiheit sucht und nicht nur formale Kriterien negativer oder indifferenter Freiheit. Zum anderen ist hervorgehoben worden, dass Anselm seine neue, inhaltlich positiv bestimmte, relationale Definition von Freiheit vor dem Hintergrund der Kritik am überlieferten Verständnis von Freiheit als einer unbedingten, indifferenten Wahl zu sündigen oder nicht zu sündigen formuliert. Geistesgeschichtlich betrachtet kritisiert er damit den Versuch, den Begriff der Freiheit über das unbestimmte Vermögen einer Wahl zwischen Alternativen zu definieren, wie es sich insbesondere bei neuplatonisch geprägten Theologen wie Origenes, Boethius und Johannes Scotus Eriugena findet und zu Anselms Zeit unter dem Namen Augustins verbreitet gewesen ist. Demgegenüber entwickelt Anselm seine inhaltlich eindeutig positiv bestimmte Definition transautonomer Freiheit vom Sinn und Ziel des von Gott gegebenen Freiheitsgebrauchs her – der selbstzweckhaften Bewahrung der richtigen Bezogenheit auf Gott als das höchste Gute. Dabei ist entscheidend, dass er davon ausgeht, dass diese inhaltlich positiv bestimmte Freiheit rechter Liebe dem Menschen zwar als Geschöpf immer gegeben ist, aber nur im Glauben aufgrund von Gottes Gnade wirklich brauchbar ist. Durch die Betonung der Bedingtheit und des responsiven Charakters geschöpflicher Freiheit und der Unterscheidung von zwei Arten des menschlichen Freiseins zeigt er theologisch auf, dass mit dieser neuen, relationalen Definition von Freiheit sowohl daran festgehalten werden kann, dass der Mensch in einem potentiellen Sinne immer frei und verantwortlich ist, auch im Zustand der Sünde, als auch, dass der Mensch die Freiheit nur aufgrund und mithilfe von Gottes freier Gnade im Glauben aktual gebrauchen kann. So deutet Anselm an, wie ausgehend von einer inhaltlich positiv bestimmen Konzeption relationaler, wesensgemäßer Freiheit die bedingte Freiheit des Menschen sowohl mit immer gegebener, bedingter Verantwortlichkeit als auch mit der unbedingten Gabe der Gnade des Rechtseins vereinbar sein kann. Insofern Freiheit ihr Ziel in der selbstzweckhaften Bewahrung der wesensgemäßen Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen hat, ist die Gabe dieser Liebe nach Anselm schließlich der Freiheit des Menschen nicht abträglich, sondern vielmehr konstitutiv für ihre Verwirklichung. Dadurch kann Anselm auch unterscheiden, dass die formalen Kriterien von Freiheit – die Abwesenheit von Zwang, Freiwilligkeit, Spontaneität und Selbstbestimmung – in gewisser Weise

2.3. Zusammenfassung

129

immer gelten, dass die inhaltlich positive Bestimmung der dem Menschen wesensgemäßen Freiheit sich aber nur unter der Bedingung der Gnade verwirklicht.

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens 3.0. Einleitung Die Frage nach der Freiheit ist bei Anselm aufs engste verbunden mit der Frage nach dem Bösen, vor allem in seiner religiös-moralischen Gestalt der Unwahrheit, Ungerechtigkeit und Sünde. Dabei geht er dem Problem der Dialektik der Freiheit nach. Er untersucht, wie Freiheit durch einen freiwilligen Akt zur Unbrauchbarkeit korrumpiert werden kann. In De libertate arbitrii wird dafür argumentiert, dass der Mensch immer frei ist, das gegebene Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren, dass er diese Freiheit jedoch unter der Bedingung der Sünde, soweit es an ihm liegt, unmöglich gebrauchen kann.1 So wird der Mensch, der Gott verkennt, zugleich als Knecht der Sünde und als frei (et servus et liber) bezeichnet. Von daher stellt sich die Frage, in welchem Sinne der unter die Ungerechtigkeit verknechtete Mensch als frei gelten kann. In De casu diaboli und De conceptu virginali wird darüber hinaus Ursprung und Phänomen der Verknechtung unter das Böse am Beispiel des diabolischen und menschlichen Sündenfalls analysiert.2 Im Rahmen der Untersuchung von Ursprung und Phänomen des Bösen entwickelt Anselm schließlich die freiheitstheoretische Konzeption des verknechteten freien Willens (servum liberum arbitri­ um). Damit geht er auf ethisch-theologische Probleme ein, die sich angesichts der Mehrdeutigkeit des altkirchlichen Erbes, insbesondere Augustins, in Bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Bösem neu gestellt haben.3 Durch die Konzeption des verknechteten freien Wahlvermögens (servum liberum arbitrium) wird versucht, das Verhältnis von Freiheit und Bösem weder rein deterministisch noch rein indeterministisch zu klären.4 Schließlich wird ange1 

DLA 1–14 (SI), 207,1–226,21. 1–28 (SI), 233,1–276,15; DCV 1–12; 22–28 (SII), 139,1–155,11; 161,10–173,7; Vgl. auch DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19. 3 E 97 (SIII), 224,1–228,90; Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1200D-1218B; Anselm von Laon, Sententiae Anselmi (BGPhM 18), 62–78; Bernhard von Clairveaux De gratia et libero arbitrio VIII,24–27; XI,36-XII,41 (Werke 1), 183,21–185,20; 191,13–196,20. 4  Siehe hierzu: Goebel, Rectitudo, 274–280; 481–496; Ekenberg, Falling Freely, 47–107; Rogers, Anselm on Freedom, 78–107; Trego, L’Essence de la liberté, 211–243 und Visser;Williams, Anselm, 243–249. Siehe insbesondere auch: Daniel Dehme, The „Origin“ of 2 DCD

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

131

nommen, dass der Ursprung des Bösen weder in Gott noch in der Freiheit des Menschen liegt. Im Folgenden soll näher erläutert werden, wie Anselm ausgehend von dem Gedanken des verknechteten freien Wahlvermögens Freiheit und Böses in ihrem Verhältnis versteht. Dazu soll als Erstes (3.1.) dargestellt werden, wie er die ursprüngliche Verknechtung des freien Willens unter das Böse analysiert. Zweitens (3.2.) soll erläutert werden, wie von ihm die nachfolgende Knechtschaft des freien Willens unter die Sünde beschrieben wird.

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse In De libertate arbitrii, De casu diaboli und De conceptu virginali diskutiert Anselm mehrfach die Frage nach dem Ursprung des Bösen in der Schöpfung.5 Dabei spitzt er diese Frage freiheitstheoretisch zu, als Frage nach dem Ursprung der Verknechtung des freien Willens unter das Böse der Ungerechtigkeit. Besonders virulent ist dabei vor dem Hintergrund der Mehrdeutigkeiten des augustinischen Erbes die Frage, wie sich Freiheit und der Ursprung des Bösen zueinander verhalten und ob dieser deterministisch oder indeterministisch aufzufassen ist. In diesem Zusammenhang formuliert Anselm die These, dass das Böse ursprünglich entgegen der Gabe der Freiheit ohne den Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit von den ersten Geschöpfen freiwillig und selbstursächlich realisiert worden ist. Der Ursprung des Bösen wird weder in der Freiheit noch in der Notwendigkeit gesehen. Damit entwickelt er eine Konzeption, der zufolge der Ursprung der Verknechtung des freien Willens unter das Böse weder rein deterministisch Evil According to Anselm of Canterbury, in: The Heythrop Journal 43 (2002), 170–184 und Stephan Ernst, Selbstwiderspruch der Freiheit. Anselms Lehre von der Ursünde in seiner Schrift „De casu diaboli“, in: Ders., Thomas Franz (Hg.), Sola ratione. Anselm von Canterbury und die rationale Rekonstruktion des Glaubens, Würzburg 2009, 205–228. Siehe weiter: Evans, Gillian R., Why the Fall of Satan?, in: Recherches de théologie et philosophie médiévales 45 (1978), 131–146; W. F., Ewbank, Anselm on Sin and Atonement, Church Quaterly Review 146 (1948), 61–67; Paul Gilbert, Création, péché et joie, in: Rivista di storia della filosofia 48 (1993), 497–511; Matthews W. Grant, Anselm, God and the Act of Sin. Interpretive Difficulties, in: The Saint Anselm Journal 5.2 (2008), 9–23; Kristell Trego, Nature humaine ou acte de volonté?, in: Revue d’études augustiniennes et patristiques 53 (2007), 295–31 und Hiroko Yamazaki, Anselm and the Problem of Evil, in: Anselm Studies II (1988), 343–350. Siehe auch die Kontroverse zwischen McCann und Rogers: Hugh J. McCann, God, Sin and Rogers on Anselm, in: Faith and Philosophy 26 (2009), 420–431; Ders., Review: Katherin Rogers: Anselm on Freedom, in: Faith and Philosophy 28,4 (2011), 456–459. und Katherin Rogers, Anselm against McCann on God and Sin: Further Discussion, in: Faith and Philosophy 28,4 (2011), 397–415. 5  DLA 1–14 (SI), 207,1–226,21; DCD 1–28 (SI), 233,1–276,15 und DCV 1–12; 22–28 (SII), 139,1–155,11; 161,10–173,7. Vgl. hierzu auch DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19.

132

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

noch rein indeterministisch zu deuten ist. Zugleich wird dabei in Frage gestellt, dass das Böse der Ungerechtigkeit an sich ontisch begründet und wesenhaft seiend ist oder nur in individuellen bösen Akten besteht. Schließlich wird die geschöpfliche Verantwortlichkeit betont. Es wird dafür argumentiert, dass Gott nicht als Urheber der ursprünglichen Verknechtung bezeichnet werden kann. Das Geschöpf sei selbstverantwortlich für alles, was es freiwillig und selbstbestimmt will und wirkt. Im Folgenden sollen näher die fünf Argumente darstellt werden, mit denen Anselm in De libertate arbitrii, De casu diaboli und De conceptu virginali die Selbst­ ursprüng­lichkeit der Verknechtung des freien Willens unter das Böse aufzeigt. Als Erstes (3.1.1.) wird darauf eingegangen werden, wie er begründet, dass die individuelle Realisierung der Verknechtung des freien Willens bei menschlichen Personen von ihrem natürlichen Ursprung her einen originalen und natürlichen Ursprung hat. Als Zweites (3.1.2.) soll dargelegt werden, wie er weiter dafür argumentiert, dass die Verknechtung des menschlichen freien Willens einen personalen, aktualen Ursprung in der freiwilligen Aufgabe der Gottesliebe der ersten Menschen hat. Als Drittes (3.1.3.) wird schließlich weiter erläutert, wie Anselm darüber hinaus den ersten Ursprung des Bösen als einen selbstursprünglichen, aktualen Ursprung deutet. Dabei soll als Viertes (3.1.4.) aufgezeigt werden, wie er via negationis die ontologische Grund- und Wesenlosigkeit des Bösen begründet und die relationale Realität des Bösen aufzeigt. Als Letztes (3.1.5) soll schließlich erörtert werden, wie Anselm die göttliche Zulassung des Bösen versteht. Dabei soll untersucht werden, mit welchem Argument er sich dagegen wendet, Gott als Urheber des Bösen zu bezeichnen oder das Böse als unabhängig von Gott Seiendes zu deuten.

3.1.1. Der originale, natürliche Ursprung der individuellen Verknechtung In De libertate arbitrii 10–12 wird angedeutet, dass jeder Mensch natürlicher Weise zugleich frei und verknechtet ist.6 Demnach findet sich jede menschliche Person ursprünglich mit einem verknechteten, freien Willen (servum liberum ar­ bitrium) vor. Sie ist damit auch individuell unvermögend, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. Menschen gelten nicht als von sich aus natürlich fähig, ihren je eigenen Willen in Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen gerecht zu gebrauchen. Sie gelten nur als fähig, zu wollen, wählen und tun, was sie jeweils individuell zur Erreichung des eigenen Glücks wollen. In De conceptu virginali wird der Frage nachgegangen, welchen Ursprung diese universale, individuelle Verknechtung der gut geschaffenen freien Menschen unter das ungerechte Glücksstreben hat.7 So formuliert Anselm dort ein Argument, mit dem er aufzeigt, dass die je individuelle Realisierung der Verknech6  7 

DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32. DCV 1–11 (SII), 140,1–154,22; DCV 22–29 (SII), 161,9–173,7.

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

133

tung des freien Willens von menschlichen Personen einen originalen, natürlichen Ursprung hat.8 Die Antwort, die Anselm skizziert, zeichnet sich dabei zum einen dadurch aus, dass der Ursprung der universalen, individuellen Verknechtung als natürlich bedingt und jeweils individuell realisiert verstanden wird, nicht als jeweils in individuellen bösen Akten selbst verursacht.9 Zum anderen ist sie dadurch charakterisiert, dass der natürliche Ursprung der individuellen Verknechtung unter das Böse als ein originaler, personal bedingter, geschichtlicher Ursprung gedeutet wird, nicht als ein wesenhaft gegebener, ontologischer Ursprung.10 Damit greift Anselm einen wichtigen Punkt der frühen Kontroverse zwischen Augustin und Pelagius auf. In Anlehnung an Augustin argumentiert er dafür, dass der Ursprung der individuellen Ungerechtigkeit nicht – wie Pelagius Augustin zufolge meint – mit individuellen bösen Akten erklärt werden kann, und nicht – wie im Manichäismus angenommen wird – in einer wesenhaft bösen Natur des Menschen gesehen werden kann, sondern in einer natürlichen Verknechtung, die einen personalen Ursprung hat.11 So heißt es in De conceptu virginali 23: Allerdings, dass die Gerechtigkeit, die sie haben sollen, nicht in jenen [Kindern (Anm. d. Verf.)] ist, macht nicht der persönliche Wille jener, wie in Adam, sondern ein natürlicher Mangel (egestas naturalis), den die Natur selbst von Adam empfangen hat. [...] Aus dem Grund, dass die Natur in Personen subsistiert und Personen nicht ohne Natur sind, macht die Natur die Personen der Kinder zu Sündern ( facit natura personas infantum pec­ catrices). [...] Jener [Adam (Anm. d. Verf.)] hat durch seinen eigenen Willen gesündigt, jene sündigen durch natürliche Notwendigkeit (illi naturali peccant necssitate), die der eigene und persönliche Wille von jenem erworben hat.12

So betont Anselm erstens, dass der Ursprung der Verknechtung des freien Willens unter das Böse bei natürlich geborenen Menschen anders zu verstehen ist, als bei den ersten menschlichen Personen.13 Er deutet die biblische Sündenfallerzählung nicht als Symbol in Analogie zur je eigenen Verknechung. Er versteht sie als Aitiologie der menschheitsgeschichtlichen Verknechtung, in die jeder Einzelne natürlicher Weise hineingeboren wird. 8 

DCV 1–29 (SII), 140,1–173,7. DCV 23 (SII), 162,24–166,6; DCV 3 (SII), 142,12–143,21; DCV 7 (SII), 147,24–149,13 und DCV 10 (SII), 151,5–152,27. Siehe. hierzu auch: Trego, Le Péché originel, 299 und Visser; Williams, Anselm, 246. 10  DCV 1 (SII), 140,8–141,2; DCV 4 (SII), 143,23–145,31; DCV 7 (SII), 147,24–149,13; DCV 10 (SII), 151,5–152,27; vgl. Trego, Le Péché originel, 296–311. 11  Augustin, Contra duas epistolas Pelagianorum I,I,1-II,X,23 (CSEL 60), 423,1–485,16. Ders, De natura et gratia, I,1-LXX,84 (CSEL 60), 233,1–299,5. Siehe hierzu auch: Trego, Le Péché originel, 296–311. Er vertritt die Ansicht, dass Anselm einen Mittelweg zwischen Augustin und Pelagius entwickle. Vgl. hierzu auch: Visser; Williams, Anselm, 243–249. 12 DCV 23 (SII), 165,15–28; siehe auch die Gesamtargumentation in: DCV 23 (SII), 162,24–166,6. 13  DCV 23 (SII), 162,24–166,6. 9 

134

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

Dies hat eine entscheidende freiheitstheoretische Konsequenz.14 Anselm lehnt damit die Vorstellung ab, dass jeder einzelne Mensch die Verknechtung jeweils durch seinen eigentümlichen freien Willen selbst verursacht. Demgegenüber betont er, dass die Verknechtung einzelner menschlicher Personen nicht jeweils selbstursächlich oder gar selbstursprünglich ist. Sie werde durch die korrumpierte menschliche Natur, an der jede menschliche Person teilhat, bedingt und jeweils durch den natürlichen Urspruch des menschlichen Personenseins vermittelt.15 Damit gilt der freie Wille in allen menschlichen Personen als von ­ihrem natürlichen Ursprung her gleich stark verknechtet und nicht als mehr oder weniger stark verknechtet. Dementsprechend unterscheidet Anselm, dass menschliche Personen die Verknechtung nicht jeweils durch ihre eigenen formal freien Willensakte selbst verursachen, sondern nur jeweils auch individuell realisieren. In diesem Sinne werden umkehrt wie bei den ersten Menschen die personalen Willensakte nur als Konsequenz der originalen Ungerechtigkeit der menschlichen Natur in ihnen verstanden.16 Durch ihre spontanen und ungezwungen, freiwilligen und selbstbestimmten Willens- und Wahlakte realisieren sie ihr Wesen somit notwendig ohne die Gabe des Rechtseins des Willens. Anselm geht weiter davon aus, dass es in jeder menschlichen Person von ihrem natürlichen Ursprung her eine natürliche Notwendigkeit (necessitas) zur zukünftigen personalen, aktualen Realisierung des Bösen gibt. Diese könne nur durch eine besondere, gerecht machende Gnade Gottes aufgehoben werden.17 Dabei betont er, dass ein Mensch erst dann als Person die Verknechtung auch individuell realisiert, wenn er eine vernunftbegabte Seele hat und seinen vernunftbegabten Willen verantwortlich gebrauchen kann.18 Dementsprechend wird hervorgehoben, dass Menschen nicht seit ihrer Empfängnis real bereits ein verknechtetes freies Willens- und Wahlvermögen haben. Vielmehr gilt nach Anselm, dass sie mit ihrer natürlichen Empfängnis, durch die sie ihr Menschsein empfangen, auch die Notwendigkeit empfangen, später – wenn sie eine vernunftbegabte Seele entwickeln – mit ihrem freien Willens- und Wahlvermögen nur unrecht wollen zu können.19 Dies veranschaulicht Anselm, indem er die Notwendigkeit für zukünftiges sündigen mit 14  Dies hat nämlich eine anti-pelagianische Pointe. Zur symbolischen Deutung der biblischen Sündenfallerzählung bei Pelagius siehe auch: Gisbert Greshake, Gnade als konkrete Freiheit. Eine Untersuchung zur Gnadenlehre des Pelagius, Mainz 1972, 81–93. 15  Dies spricht meiner Ansicht nach gegen die Deutung, dass nach Anselm der Mensch als Mensch Sünder sei. So jedoch, Odon Lottin, der die Auffassung vertritt, dass Anselm im Unterschied zu Augustins traduzianistischem Erbsündeverständnis aufgrund seines Begriffsrealismus davon ausgehe, dass der Mensch als Mensch Sünder sei. Siehe hierzu: Odon Lottin, Psychologie et morale aux XIIe et XIIIe siècles Bd.  I V,3,I Problèmes de la morale, Louvain 1954, 12–14. 16  DCV 3 (SII), 142,12–143,21; DCV 7 (SII), 147,24–149,13. 17  DCV 7 (SII), 147,24–149,13. 18  DCV 3 (SII), 142,12–143,21. 19  DCV 23 (SII), 162,24–166,6; so auch: Trego, Le Péché originel, 296–297.

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

135

einem Samen vergleicht, der notwendig zukünftig auf keimt.20 Indem Anselm die zukünftige, individuelle Realisierung der Verknechtung als vorausgehend notwendig bezeichnet, lehnt er deutlich ein indeterministisches Verständnis des menschlichen Willens- und Wahlvermögens ab.21 Der individuelle Wille menschlicher Personen gilt nicht als eine neutrale, absolut indifferente Instanz, sondern als ein ursprünglich verknechtetes freies Willens- und Wahlvermögen. Kein Mensch kann von sich aus die Freiheit der Gerechtigkeit gebrauchen, die in ihm von Natur aus unbrauchbar ist, solange sie nicht durch eine besondere Gnade erneuert wird. Er muss unrecht nach natürlichem Glück streben. Zudem hebt Anselm dabei sehr deutlich den Gedanken hervor, dass Menschen – obwohl sie individuell nicht das Vermögen haben, alternativ die Gerechtigkeit zu lieben, die ihnen natürlicher Weise fehlt – trotzdem verantwortlich sind für alles Böse, das sie selbst mit ihrem verknechteten freien Willensund Wahlvermögen bewirken.22 Dabei trifft Anselm jedoch eine zentrale Unterscheidung. Er betont, dass menschliche Personen zunächst nicht individuell für die Verknechtung verantwortlich sind. Da sie diese nicht individuell selbst verursacht haben, tragen sie auch keine individuelle Schuld dafür.23 Da sie durch ihren natürlichen Ursprung die korrumpierte menschliche Natur jedoch auch in sich haben, tragen sie zugleich auch originale Mitschuld. Darüber hinaus tragen sie auch individuelle Schuld für alles, was sie individuell durch ihre eigenen unrechten Willens- und Wahlakte realisieren.24 Zugleich stellt Anselm heraus, dass der natürliche Ursprung der Verknechtung des freien Willens nicht ontologisch zu verstehen ist, als sei es ein essentiell oder physisch bedingter natürlicher Ursprung.25 In Anlehnung an den paulinischen Gedanken aus Röm 5 macht er die These stark, dass der natürliche Ursprung als ein originaler, personal und aktual bedingter, natürlicher Ursprung zu verstehen ist.26 Mit seiner Definition der originalen Ungerechtigkeit hat Anselm bereits entfaltet, dass sie in dem Sinne original sei, dass sie den Ursprung des menschlichen Personseins betreffe, nicht aber in dem Sinne, dass sie den Ursprung der menschlichen Natur betreffe.27 So betont Anselm immer wieder, dass Menschen nicht qua Menschen von Natur aus wesenhaft ein verknechtetes freies Willens- und Wahlvermögen ha20 

DCV 23 (SII), 162,24–166,6. DCV 22–23 (SII), 161,9–166,6. So auch: Trego, Le Péché originel, 300–311. 22  DCV 1 (SII), 140,8–141,2. 23  DCV 22 (SII), 161,9–162,23. 24  DCV 23 (SII), 162,24–166,6. 25  DCV 1 (SII), 140,8–141,2; DCV 4 (SII), 143,23–145,31; DCV 7 (SII), 147,24–149,13 und DCV 10 (SII), 151,5–152,27. 26  DCV 4 (SII), 143,23–145,31; DCV 7 (SII), 147,24–149,13. Vgl. Trego, Le Péché originel, 299–308 der von einer „Denaturalisierung“ der Erbsündenlehre bei Anselm spricht und die Bedeutung des Aktes hervorhebt. 27  DCV 1 (SII), 140,8–141,2. 21 

136

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

ben. Vielmehr haben sie seiner Auffassung nach nur qua Menschen, die an der Sünde der ersten Menschen teilhaben, ein verknechtetes freies Wahlvermögen.28 Es wird daran festgehalten, dass die Natur jedes Menschen wesenhaft gut geschaffen ist. Sie bleibt es auch, wenn sie durch die ursprüngliche Sünde korrumpiert ist, sodass sie entgegen ihrem wesenhaften Sein und ihrer Bestimmung nicht tun kann, wozu sie geschaffen ist. Damit kann kein Mensch als wesenhaft böse oder wesenhaft ungerecht und vollkommen unfrei bezeichnet werden. Keine Person und kein Willens- und Wahlvermögen gilt dem essentiellen Charakter nach als zum Bösen prädeterminiert. So präzisiert Anselm schließlich, dass die originale Verknechtung, die von Mensch zu Mensch weitergegeben wird, nichts ist, als nur der Mangel an gesollter Gerechtigkeit im vernunftbegabten Willen.29 Damit schließt er auch entgegen bestimmten Tendenzen im Manichäismus und christlichen Neuplatonismus aus, dass die Ungerechtigkeit wesentlich in den natürlichen Trieben, in Fortpflanzungsakten, in der leiblichen Verfasstheit oder natürlichen Substanzen verortet sei.30 Sehr deutlich führt Anselm derartige substantielle Deutungen des natürlichen Ursprungs der individuellen Verknechtung ad absurdum. Demgegenüber betont er, es sei jeweils ein relationaler Mangel der ganzen menschlichen Person. So habe niemand in sich von Natur aus die Gerechtigkeit, die Gott dem Menschen bei seiner Schöpfung gegeben habe und die die Menschen immer hätten bewahren können und sollen.31 Dadurch wird auch die Annahme eines ontologischen oder theologischen Determinismus zum Bösen ausgeschlossen. Es wird betont, dass auch die korrumpierte Natur wesenhaft gut geschaffen bleibt.

3.1.2. Der personale, aktuale Ursprung der menschlichen Verknechtung In De libertate arbitrii und De conceptu virginali formuliert Anselm darüber hinaus Argumente dafür, dass die Verknechtung des freien Willens- und Wahlvermögens des Menschen selbst einen ersten personalen, aktualen Ursprung hat.32 So untersucht er ausgehend von den biblischen Erzählungen von Schöpfung und Fall des Menschen den ersten geschichtlich denkbaren Ursprung der menschlichen Verknechtung. Dabei geht er der Frage nach, wie die Einwilligung der ersten Menschen in die Versuchung zum Bösen freiheitstheoretisch zu verstehen ist. Es stellt sich nämlich das Problem, inwiefern diese verknechtende Einwilligung als eine ursprünglich freiwillige oder notwendige zu deuten ist beziehungsweise als eine ursprünglich determinierte oder indeterminierte. 28 

DCV 10 (SII), 151,5–152,27; DCV 23 (SII), 162,24–166,6. DCV 4 (SII), 143,23–145,31. 30 Ebd. 31  DCV 4 (SII), 143,23–145,31; DCV 23 (SII), 162,24–166,6. 32  DLA 1–12 (SI), 207,1–224,32. 29 

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

137

Anselm wendet sich gegen die Alternative, dass die ursprüngliche menschliche Verknechtung entweder aus Freiheit oder aus Notwendigkeit geschehen sei. Demgegenüber formuliert er die These, dass die ersten Menschen ursprünglich die Gabe des Rechtseins des Willens weder aus Freiheit noch aus Notwendigkeit aufgegeben haben, sondern durch das der Freiheit entgegengesetzte Vermögen zu sündigen und durch den falschen Gebrauch ihres freien Willens- und Wahlvermögens.33 So heißt es in De libertate arbitrii 2: So wird er gerecht zur Verantwortung gezogen (iuste reprehenditur), weil er mit diesem [freien Wahlvermögen (Anm. d. Verf.)] die Freiheit des Willens hatte und so nicht aus Zwang oder irgendeiner Notwendigkeit (non aliqua re cogente, non aliqua necessitate), sondern spontan (sponte) gesündigt hat. Er hat nämlich durch sein Wahlvermögen (per libe­ rum arbitrium) gesündigt, das frei gewesen ist, jedoch nicht durch das, durch welches er frei gewesen ist (non per hoc unde libera erat), das heißt durch das Vermögen, das nicht sündigen und der Sünde nicht dienstbar werden konnte, sondern durch das Vermögen zu sündigen (per potestatem [...] peccandi), das er hatte, das weder zur Freiheit des nicht Sündigens hilft, noch zur Knechtschaft unter die Sünde zwingt.34

Indem Anselm verneint, dass die ersten Menschen aus Freiheit die Gabe der Gottesliebe aufgegeben haben, bestreitet er, dass Freiheit der Grund der Sünde sei und Gott um der Freiheit des Menschen willen die Realisierung der Sünde zugelassen hat.35 Demgegenüber betont er, dass der Mensch wahrhaft frei geblieben wäre, wenn er nie gesündigt hätte.36 Dass Freiheit nicht Ursprung der Verknechtung ist und die Realisierung der alternativen Möglichkeit der Ungerechtigkeit nicht für das Freisein des Menschen wesentlich ist, legt sich bei Anselm auch schon aus dem Grund nah, dass es einen Selbstwiderspruch darstellen würde anzunehmen, dass das Vermögen zur selbstzweckhaften Bewahrung des Rechtseins des Willens identisch ist mit dem Vermögen zur Aufgabe der Gabe der Gerechtigkeit.37 Von der Bestimmtheit des Begriffs und Phänomens der Freiheit her kann ausgeschlossen werden, dass in ihr der Ursprung der Verknechtung liegt. Dadurch unterscheidet sich Anselms Konzeption von gegenwärtig vertretenen Konzeptionen der so genannten free-will-defense.38 Zugleich weist Anselm aber mit verschiedenen Argumenten auch die deterministische Alternative zurück, dass die ersten Menschen die richtige Relationalität aus Notwendigkeit (ex necessitate) aufgegeben haben.39 Dass die ersten Menschen ursprünglich nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwen33 

So auch: Dehme, The Origin of Evil, 171–173; vgl. weiter Goebel, Rectitudo, 275–280. DLA 2 (SI), 210,4–10. 35  Anders hingegen Rogers, Anselm, 81–82 und Dies., Anselm on Free Will and the (possibly fortunately) Fall, in: The Saint Anselm Journal 5.2 (2008), 1–8. 36  DCV 23 (SII), 162,24–166,6. 37  DLA 1–3 (SI), 207,1–212,24. 38  Vgl. jedoch Rogers, Anselm, 81–82 und Dies., Anselm on Free Will, 1–8. 39  DLA 2 (SI), 209,8–210,10. 34 

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

digkeit heraus gesündigt haben, begründet er, indem er in Frage kommende Notwendigkeiten untersucht und entkräftet. So betont Anselm zum einen, dass in ihnen keine subjektive Notwendigkeit zum Sündigen angelegt gewesen ist, da sie von Gott wesenhaft gut und gerecht geschaffen worden sind, damit sie ewig glückselig in der Gottesliebe leben könnten.40 Zum anderen hebt er hervor, dass die Versuchung zum Bösen keinen Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit dargestellt hat, da angenommen werden kann, dass die ersten Menschen ihr hätten widerstehen können und sollen.41 Versuchungen deutet Anselm somit anders als später Bernhard von Clairveaux immer nur als Schwierigkeiten die Gottesliebe zu bewahren, nicht jedoch als Unmöglichkeiten.42 So begründet Anselm als Drittes auch, dass man keine ontologische vorausgehende Notwendigkeit zum Bösen annehmen kann, weil das Böse der Ungerechtigkeit nichts ist als ein „Nicht-in-der-Wahrheit-Bleiben“.43 Schließlich wird dadurch auch ausgeschlossen, dass es eine theologische vorausgehende Notwendigkeit zum Bösen gibt. Es wäre nach Anselm unvereinbar mit der Güte Gottes, wenn man annähme, dass er Menschen schaffe, um sie zu verderben.44 Außerdem wäre es widersprüchlich, anzunehmen, Gott bewirke willentlich, dass jemand nicht mehr weiter in Übereinstimmung mit seinem Willen wolle, das heißt, dass jemand, der ihn liebt, auf hört ihn zu lieben.45 Damit kann nach Anselm ausgeschlossen werden, dass sich die ersten Menschen ursprünglich aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit heraus unter das Böse verknechtet haben. So stellt Anselm alternativ die These auf, dass sie entgegen der Gabe der Freiheit ohne vorausgehende Notwendigkeit durch das Vermögen zu sündigen und durch den falschen Gebrauch ihres freien Wahlvermögens die Gabe des Rechtseins aufgegeben haben und somit selbstverantwortlich sind für den Fall und alle seine Konsequenzen. Indem er herausstellt, dass sie durch das der Freiheit entgegen gesetzte Vermögen zu sündigen (potestas peccandi) das Rechtsein des Willens aufgegeben haben, betont er, dass die Verknechtung einen kontingenten, personalen Ursprung in Akten der ersten Menschen hat.46 Das Vermögen zu sündigen stellt weder eine Hilfe zur Bewahrung der richtigen Relationalität

40 

DLA 1–3 (SI), 207,1–212,24. DLA 2 (SI), 209,8–210,21; DLA 5–6 (SI), 214,14–218,13. 42 Vgl. Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio XI,36-XII,41 (Werke 1), 191,13–196,20. 43  DV 4–5 (SI), 180,20–183,7; vgl. DCD 16 (SI), 259,15–262,6; DCV 3–6 (SII), 142,12– 147,22. 44  ML 71 (SI), 81,8–82,3; vgl. DC I,1-III,14 (SII), 245,3–288,19; insbes. DC II,1–3 (SI), 260,6–262,22. 45  DLA 8 (SI), 220,11–221,15. 46  DLA 2 (SI), 209,27–210,10. 41 

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

139

dar, noch eine Notwendigkeit zu ihrer Aufgabe.47 Die alternative Möglichkeit des Bösen ist nur dazu gegeben, damit der Mensch sie aus Freiheit vermeiden und dadurch überwinden sollte. Da er das Vermögen zu sündigen nicht hätte realisieren müssen und nicht hätte realisieren sollen, ist ihm der Sündenfall ganz zuzurechnen.48 Weiter begründet Anselm, dass der Mensch deswegen ganz für die Verknechtung unter das Böse selbst verantwortlich ist, weil er sie zwar nicht aus der Freiheit der Gottesliebe, aber auch nicht aus Notwendigkeit, sondern formal frei durch den falschen Gebrauch seines freien Wahlvermögens (per liberum ar­ bitrium) verursacht hat.49 Die Aufgabe des Rechtseins kann nach Anselm trotz Versuchung als von den ersten Menschen selbst verursacht bezeichnet werden, weil sie durch ihren eigenen Willensakt freiwillig und spontan, ungezwungen und selbstbestimmt verursacht worden ist.50 Nur Akte, die von jemandem selbst spontan ungezwungen, freiwillig und selbstbestimmt gewollt werden, gelten als formal frei und als ganz zurechenbar.51 Und dies lässt sich Anselm zufolge in Bezug auf die Aufgabe des Rechtseins bei den ersten Menschen annehmen. Allerdings geht er davon aus, dass die ersten Menschen nicht selbst Ursprung des Bösen sind, sondern dieses bereits vor ihnen real gewesen ist. Ihr personaler, formal freier Willensakt wird jedoch als conditio sine qua non der Realisierung des Bösen auf der Erde gesehen.52 Da das Böse ohne diesen selbstursächlichen Willensakt nicht in der Menschheit realisiert worden wäre, liegt in diesem sich selbst verkehrenden Willens- und Wahlakt der ersten Menschen nach Anselm der personale, aktuale Ursprung der menschlichen Verknechtung unter die Sünde. Damit wird der Ursprung der menschlichen Verknechtung nicht indeterministisch gedeutet. Es wird betont, dass das freie Wahlvermögen in den ersten Menschen ursprünglich nicht neutral und absolut indifferent gegenüber gut und böse gewesen ist. Es sei wie der Wille und die Freiheit selbst gut geschaffen und durch die Gabe der Gerechtigkeit eindeutig bestimmt und auf das höchste Gute ausgerichtet gewesen.53 In diesem Sinne stellt der Sündenfall nach Anselm wirklich einen Fall dar, in dem der Mensch seinen ursprünglich gerecht geschaffenen Charakter zur Ungerechtigkeit korrumpiert und pervertiert hat. Indem er die Annahme bestreitet, dass die dem Menschen ursprünglich von Gott gegebene Freiheit die Ursache für seine freiwillige Einwilligung in die Versuchung zum Bösen gewesen ist, geht er deutlich über den Ansatz hinaus, den Augustin in De libero arbitrio gegenüber dem manichäischen Determinismus 47 

DLA 2 (SI), 210,6–10. DLA 2–9 (SI), 209,8–224,32. 49  DLA 2 (SI), 209,27–210,10. 50 Ebd. 51  Ebd.; DLA 5–6 (SI),214,14–218,13. 52  DCV 23 (SII), 162,24–166,6. 53  ML 67–80 (SI), 77,26–87,13; PL 1 (SI), 97,3–100,19; PL 26 (SI), 210,21–122,2; DLA 1–3 (SI), 207,1–212,24. 48 

140

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

entwickelt.54 Er übernimmt zwar die von Augustin formulierte Kritik an der Annahme eines ontologischen Determinismus zum Bösen, hebt aber zugleich stärker hervor, dass Freiheit und Sünde ursprünglich in einem Gegensatz stehen.

3.1.3. Der selbstursprüngliche, aktuale Ursprung des ersten Bösen Während Anselm in De libertate arbitrii primär den Zusammenhang von Freiheit und dem menschlichen Bösen untersucht, geht er in dem nachfolgenden Dialog De casu diaboli einen Schritt weiter. Er untersucht nämlich in prinzipieller Hinsicht den Ursprung des Bösen am Fall des Versuchers selbst, der in einigen biblischen Texten wie etwa Ez 28,13–19, Jes 14,12, Lk 10,17 und vor allem Joh 8,44 erwähnt wird und bei verschiedenen altkirchlichen Theologen – insbesondere von Augustin in De Genesis ad litteram XI und De civitate Dei – theologisch reflektiert worden ist.55 Der angelologische beziehungsweise dämonologische Diskussionsansatz dient bei diesen Denkern zum einen dazu, nicht die falsche Alternative aufzustellen, dass der erste Urheber des Bösen entweder in Gott, dem vollkommenem Schöpfer, oder im Menschen, dem Geschöpf, das in die Verführung zum Bösen eingewilligt hat, zu suchen ist. Zum anderen dient er dazu, den ersten Ursprung des Bösen gleichfalls in ethisch-theologischer Hinsicht analysieren zu können und die Aporien, in die eine rein privationstheoretische, ontologische Untersuchung führen würde, zu vermeiden.56 So formuliert Anselm in De casu diaboli ein Argument dafür, dass der erste Ursprung des Bösen in einem selbstursprünglichen Willensakt eines vernunftbegabten rein geistigen Geschöpfs besteht und nicht in Gott oder in einem ontologischen Determinismus zum Bösen, das heißt in einem ontologischen Prinzip des Bösen.57 Dabei wird die in De libertate arbitrii in Bezug auf das menschliche Böse entwickelte These, dass die Gabe der Freiheit der Gottesliebe Bedingung der Verantwortlichkeit für das freiwillig selbst bewirkte Böse ist, nicht aber Grund oder Ursache des freiwillig selbst bewirkten Bösen selbst, auf das diabolische Böse ausgeweitet. So wird sie auf ihre allgemeine Gültigkeit hin überprüft.58 Nicht 54 

Augustin, De libero arbitrio III,I,1-XXV,267 (CChrSL 29), 274,1–321,77. Augustin, De Genesi ad litteram XI,2–29 (CSEL 28,1), 335,23–263,19; Ders., De civi­ tate Dei XI,9–15. XII,1–9 (CChr.SL 48), 328,1–336,26. 355,1–364,72; wo die grundlose Abwendung des bösen Engels von der rechten Gottesliebe als Ursprung der des Reichs des Bösen gedeutet wird, dass sich durch Selbstliebe statt Gottesliebe auszeichnet und durch fleischliches statt geistliches Leben. Vgl. zu diesem Motiv auch: Gregor von Nyssa, Oratio catechetica, V-VIII (SC 453), 168,104–186,55. 56 Vgl. Dehme, The Origin of Evil, 177–180. 57  DCD 1–28 (SI), 233,1–276,15. 58  DCD 1–6 (SI), 233,1–244,6. 55 

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

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zuletzt wird dadurch herausgestellt, dass der erste Ursprung des Bösen nicht Ursprung der Realisierung der Freiheit ist, sondern Ursprung der Knechtschaft unter die Macht der Sünde und der Korruption der Freiheit, in die dann auch die Menschen von Anfang an freiwillig selbst eingewilligt haben.59 In De casu diaboli 2–6, 12–14, 21–25 und 27 wird in vier Schritten die Selbstursprünglichkeit der Verknechtung vernunftbegabter Geschöpfe unter das Böse aufgezeigt.60 Dieser Argumentation soll im Folgenden nachgegangen werden. In De casu diaboli 2–6 wird als erstes mit einem gnadentheologischen Argument die Annahme widerlegt, dass Gott der Urheber des Bösen sei, weil er dem abgefallenen Engel – anders als denen, die im Guten geblieben sind – nicht die Gabe der Beharrlichkeit im Guten (perseverantia), gegeben habe, ohne die er nicht im Guten bleiben konnte.61 Dabei wird mit einer Analyse des Phänomens der Gabe aufgezeigt, auch dann, wenn die Ursache des Empfangens einer Gabe immer darin bestehe, dass sie gegeben werde, folge daraus nicht, dass die Ursache für das Nicht-Empfangen einer Gabe notwendiger Weise darin liegt, dass sie nicht gegeben wird. Anselm argumentiert dafür, dass der gefallene Engel die Gabe der Beharrlichkeit im Guten deswegen nicht empfangen habe, „weil er sie nicht weitergewollt habe“ (quia non pervolui),62 obwohl Gott ihm den Willen und das Vermögen dazu gegeben hatte, sie zu empfangen und den Willen, mit dem er sie anfänglich bewahren konnte und wollte. Und zwar habe er die Gabe der Freiheit deswegen nicht weitergewollt, weil er sie – wie ein gieriger Geizhals – spontan (sponte) loslassen wollte, um etwas anderes, das er auch wollen konnte aber nicht wollen sollte, mehr wollen zu können. Darum wollte er sie nicht mehr um ihrer selbst willen festhalten. Das bedeutet, er wollte Gott nicht wirklich weiter um seiner selbst willen lieben.63 59  Anders hingegen: Visser;Williams, 178–187; Rogers, Anselm, 73–107. Sie beziehen sich zur Begründung ihrer These, Anselm vertrete eine libertarische Freiheitstheorie insbesondere auf DCD. Dies ist meiner Ansicht nach jedoch nicht unproblematisch, da es in den von Ihnen zitierten Textpassagen nicht um eine Analyse des Phänomens der Freiheit geht, sondern im Gegenteil um eine Analyse des der Freiheit entgegengesetzten Phänomens des Bösen, beziehungsweise des Ursprungs der freiheitskorrumpierenden Verknechtung unter das Böse. Es ist jedoch nicht selten, dass in Interpretationen das, was Anselm als Verknechtung bezeichnet, mit Freiheit identifiziert wird. Zur Kritik hieran siehe auch: Ekenberg, Falling Freely, 47; 97–103. 60  DCD 1–6 (SI), 233,1–244,6; DCD 12–14 (SI), 251,20–259,4. DCD 21–25 (SI), 266,14– 273,32 und DCD 27–28 (SI), 275,1–276,15; vgl. die Gliederung bei Dehme, The Origin of Evil, 171–180 der stärker die Zäsur bei DCD 27 betont. 61  DCD 2–6 (SI), 235,18–244,6; auch wenn das Wort „Freiheit“ in DCD nicht verwendet wird, entspricht der Begriff der Gabe der Beharrlichkeit im Guten (perseverantia) dem der Freiheit (libertas). Siehe zu diesem Problem auch: Ekenberg, Falling Freely, 67–68. 62  DCD 3 (SI), 238,31 vgl. dazu weiter Augustin, De Genesi ad litteram XI,2–29 (CChr. SL 28,1), 335,22–362,19; Ders., De civitate Dei, XII,6–9 (CChr.SL 48), 359,1–364,72. 63  Siehe hierzu auch: Yamazaki, Anselm and the Problem of Evil, 343–345. Yamazaki

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

Weiter führt Anselm aus, dass er auf die Weise sündigte, dass er nicht weiter sich an dem von Gott gegebenen und empfangenen Guten genügen lassen wollte. Vielmehr wollte er – wie ein neidischer Hochmütiger – darüber hinaus nicht gesolltes Angenehmes aus eigentümlichem, niemandem untergeordnetem Willen. Damit wollte er göttergleich, Gott ähnlich und sogar größer als Gott sein.64 Dabei hätte er aber wissen müssen, dass dies unmöglich ist. So argumentiert Anselm, dass nicht Gott, sondern der gefallene Engel für dieses ungerechte Begehren verantwortlich ist, weil er selbst es spontan und aus eigentümlichem Willen heraus gewollt habe, obwohl ihm von Gott das Vermögen und der Wille dazu gegeben worden sei, die Gabe der Freiheit der Beharrlichkeit im Guten zu empfangen und zu bewahren.65 Als zweites wird in De casu diaboli 12–14 weiter mit einem willenstheoretischen Argument die Annahme widerlegt, dass der Charakter des Satans zuvor derart determiniert gewesen ist, dass er seinem wesenhaften Charakter gemäß aus seinem „eigentümlichen Willen“ (propria voluntas) heraus, vorausgehend notwendig sündigen musste.66 Dabei wird durch die Beschreibung der Schöpfung des Willens, der sich dann selbst zum Bösen verkehrt hat, verdeutlicht, dass der eigentümliche Wille des Bösen seinen Ursprung nicht in dem Charakter seines geschaffenen Wesens oder seiner geschaffenen Willensdisposition hat. Er habe ihn durch seinen Akt der Negation der Gabe der Gottesliebe freiwillig, selbstbestimmt bewirkt. Es handelt sich bei der eigentümlichen, diabolischen Willensverkehrung nach Anselm also nicht um Böses, das dem wesenhaften Charakter gemäß vorausgehend notwendig verwirklicht werden musste. Vielmehr handelt es sich seiner Auffassung nach um freiwillig selbst verwirklichtes Böses, das vor seiner Realisierung auch hätte vermieden werden können, da auch dem Bösen ursprünglich von Gott das Vermögen und der Wille zum Guten gegeben worden ist. So empfing auch der diabolische Wille Anselm zufolge anfänglich, wie alle anderen auch, sowohl eine Willensneigung zur Gerechtigkeit des Rechtseins als auch eine Willensneigung zum Angenehmen des Glücks.67 Durch die Gabe der Willensneigung zur Gerechtigkeit hätte er gerecht bleiben können und sollen. Dementsprechend gilt er auch als verantwortlich für ihre Aufgabe. Durch die Gabe der Willensneigung zum Angenehmen konnte er aus sich heraus seinen eigenen Willen und Charakter zur Ungerechtigkeit verkehren – sollte es aber

argumentiert dafür, dass nach Anselm das Motiv der conversio ad quod non debet entscheidend ist für die Deutung des Ursprungs des Bösen und dass sich der Gedanke der aversio daher erkläre. 64  DCD 4 (SI), 240,15–242,23. 65  DCD 5–6 (SI), 240, 25–244,6. 66  DCD 12–14 (SI), 251,20–259,4. 67  DCD 13 (SI), 255,20–258,3.

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

143

nicht. Er fiel demnach, indem er sich selbst etwas geben, beziehungsweise etwas nehmen wollte, was er nicht zuvor aus Gottes Gnade empfangen hatte. Als drittes wird dann in De casu diaboli 21–25 ein erkenntnistheoretisches Argument formuliert. Mit ihm wird begründet, dass der freiwillige, selbstbestimmte Wahlakt der Selbstverkehrung dem Satan als intellegible Tat zuzurechnen ist, obwohl er ihre notwendigen Konsequenzen nicht theoretisch vorauswissen konnte.68 Der Mangel an theoretischem Wissen um die zukünftig notwendigen Folgen des Wollens des Nichtgesollten, das heißt um Gottes gerecht richtendes, strafendes Handeln und die nachfolgend notwendige Charakterdetermination zum Bösen, hebt nach Anselm nicht die Verantwortung für den Wahlakt auf. Sie tut es deswegen nicht, weil der Satan wusste, dass das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen, aus Liebe zu Gott bewahrt werden sollte. Er hatte somit normatives Wissen um das Verbot, es nicht nur um etwas anderes willen – etwa aus Angst vor Strafe oder Erwartung von Lohn – zu wollen oder es aufzugeben.69 Der freiwillige, selbstbestimmte Akt der Selbstverkehrung gilt nach Anselm also deswegen als voll zurechenbare intellegible Tat, weil er im praktischen, normativen Wissen vollzogen worden ist, dass er nicht vollzogen werden sollte.70 Die Selbsttäuschung bestand demnach nicht in einer normativen Täuschung oder Unwissenheit, dass es vielleicht doch nicht etwas nicht Gesolltes ist. Sie bestand Anselms Auffassung nach in der theoretischen Täuschung, dass das Wollen des Nicht-Gesollten vielleicht auch nicht gerecht bestraft werden würde, das heißt in einer falschen Folgeneinschätzung. Da er in diesem Sinne wissentlich aus einem falschen Motiv heraus gewollt hat, was er nicht wollen sollte, ist der Akt nach Anselm dem gefallenen Engel voll zurechenbar. So wird schließlich als letztes in De casu diaboli 27 mit einem privationstheoretischen Argument aufgezeigt, dass es keinen vorgängigen ontologischen Ursprung des Bösen gibt. Damit wird hervorgehoben, dass dem diabolischen Akt kein notwendiger ontologischer Grund vorausgeht und keine andere fremde Ursache ihn erzwingt.71 Zugleich wird dadurch die These begründet, dass die Verknechtung unter das Böse selbstursprünglich ist und dass der erste Ursprung der Realisierung des Bösen allein dem ersten vernunftbegabten Geschöpf, das sich durch seinen eigenen Akt selbst zum Bösen verkehrt hat, zuzurechnen ist. Das Böse ist demnach vollkommen parasitär auf wesenhaft gut geschaffene Personalität bezogen, da es nur insofern im ontologischen Sinne „etwas“ ist, als sich der Wille eines vernunftbegabten Geschöpfs freiwillig selbst durch es bestimmt. 68 

DCD 21–25 (SI), 266,14–273,32. DCD 23–24 (SI), 269,27–272,11; so auch: Evans, Why the Fall, 138. 70  DCD 22 (SI), 269,10–25; vgl. jedoch Ekenberg, Falling Freely, 61–65. 71  DCD 27 (SI), 275,1–33; siehe zu diesem Kapitel insbesondere auch: Dehme, The Origin of Evil, 177–180. 69 

144

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

An sich ist es jedoch „nichts“.72 Die Frage, „Woher kommt das Böse?“ (unde venit malum) kann nach Anselm nicht über den ersten selbstursprünglichen Willensakt hinaus ontologisch weitergeführt werden. Dies begründet er damit, dass das Böse an sich kein Sein und Wesen hat und „nichts weder irgendwoher kommt noch irgendwohin geht“ (nihil nec venit nec recedit).73 Gegen die Annahme eines vorgängigen ontologischen Determinismus zum Bösen spricht nach Anselm, dass dem diabolischen Willen „keine Ursache vorausging, außer dass er wollen konnte.“74 Da er aber nicht wollen musste, was er wollen konnte aber nicht wollen sollte, liegt der erste Ursprung des Bösen allein darin, dass er wollte, „weil er wollte“ (voluit [...] quia voliut).75 Der erste Ursprung des Bösen wird von Anselm damit in dem selbstursprünglichen Willensakt des vernunftbegabten Geschöpfs gesehen, der sich selbst „Wirkursache und Wirkung“ (efficiens causa et effectum) ist.76 Auch wenn der diabolische Wille selbst nicht im strengen Sinne als causa sui bezeichnet wird, gilt sein selbstursprüngliches Wollen, mit dem er wirkt, was er nicht von Gott empfangen hat, als der erste aktuale, selbstursprüngliche Ursprung der Realität des Bösen und der Verknechtung vernunftbegabter Geschöpfe unter die Gottesverachtung und die entsprechende Korruption ihres gottebenbildlich geschaffenen Wesens.77

3.1.4. Die ontologische Grund- und Wesenlosigkeit des Bösen Mit der These der jeweiligen Selbstursprünglichkeit der Verknechtung des freien Willens- und Wahlvermögens unter das Böse ist bei Anselm die Kritik an der Annahme verbunden, dass das Böse der Ungerechtigkeit ontologisch wesenhaft und substanzhaft etwas sei. So formuliert er in De casu diaboli 1, 7–11, 19–20 und 28 eine Argumentation, um aufzuzeigen, dass die Annahme eines ontologischen Grundes und Wesens des Bösen das Denken in unauflösbare Widersprüche verstrickt. Deswegen sei es vernünftiger, von der ontologischen Grund- und Wesenlosigkeit des Bösen auszugehen.78 Dadurch wird indirekt die These begründet, dass das Böse nichts ist, als ein Mangel an gesolltem Guten und ein Nicht-in-der-Wahrheit-Bleiben. Dabei präzisiert Anselm, dass es hierbei nur um den Aufweis der ontologischen Grund- und Wesenlosigkeit des genuin Bösen der Ungerechtigkeit und Sünde

72 Ebd. 73 

DCD 27 (SI), 275,8–9. DCD 27 (SI), 275,10–31. 75  DCD 27 (SI), 275,31. 76  DCD 27 (SI), 275,31–33. 77  Siehe hierzu auch: Friedrich Hermanni, Das Böse und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundlegung, Gütersloh 2002, 63–80. 78  DCD 1 (SI), 233,3–234,16; DCD 7–11 (SI), 244,8–251,18; DCD 19–20 (SI), 264,2– 266,12; DCD 28 (SI),276,2–15. 74 

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

145

geht, nicht jedoch um das Übel des Leidens.79 Vielmehr betont er, dass nicht sinnvoll bestritten werden kann, dass die Übel des Schmerzes und des Unangenehmen durchaus im ontologischen Sinne „etwas“ sind und in ihnen real etwas Böses erfahren wird.80 So greift er die privationstheoretische Deutung des Bösen auf, die sich bei neuplatonischen Denkern wie Augustin und Gregor von Nyssa findet.81 Anselm führt sie aber in Anlehnung an die johanneischen Theologie, insbesondere die Aussage in Joh 8,44 dahingehend weiter, dass er aufzeigt, dass das genuin Böse durch das Nicht-in-der-Wahrheit-Bleiben realisiert wird.82 Freiheitstheoretisch wird damit nahe gelegt, dass die Verknechtung unter die Macht der Sünde in einer Verknechtung unter eine die Gottesliebe negierende, quasi seiende Macht von Nichtigem besteht. Konsequent zeigt Anselm auf, dass der selbstursprüngliche böse Willensakt als unhintergehbarer Ursprung der Verknechtung unter das Böse vom Bösen selbst unterschieden ist. Der diabolische Wille und seine selbstursprüngliche, aktuale Verkehrung zum Bösen sind demnach nicht mit dem Bösen selbst identisch. Begründet wird diese Unterscheidung damit, dass der diabolische Wille und sein Akt, insofern er wesenhaft ist, gut ist. Aber insofern er böse vollzogen wird, widerspreche er seinem geschöpflichen Wesen und sei ungerecht. Diese Unterscheidung gilt nach Anselm auch für den unter das Böse verknechteten freien Willen von menschlichen Personen. Insofern sie sind, sind sie gut. Insofern sie ungerecht sind, sind sie Schuldner der gesollten Gerechtigkeit. So zeigt Anselm auf, dass man über die selbstursprüngliche, aktuale Realisierung der Verknechtung unter das Böse durch vernunftbegabte Geschöpfe hinaus nicht weiter annehmen kann, dass das Böse, ähnlich wie Gott, etwas an sich Seiendes sei. Gegen eine derartige Hypostasierung und Deifizierung des Bösen und einen entsprechenden ontologischen und theologischen Dualismus formuliert Anselm in De casu diaboli 1–28 folgende Argumentation: Als erstes wird in De casu diaboli 1 ein schöpfungstheologisches sowie privationstheoretisches Argument dafür formuliert, dass das Böse nicht etwas wesenhaft Seiendes ist, was an sich ist oder von Gott bewirkt wird.83 In Anlehnung an die schöpfungstheologischen Überlegungen im Monologion wird dabei zum einen herausgestellt, dass für alle Wesen außer Gott gilt, dass sie, „so wie sie an sich nur nichts haben, sie so von jenem nur etwas haben“, weil „Gott allein an 79 

DCD 26 (SI), 274,8–15. Ebd., vgl. DCD 12 (SI), 255,2–16. 81 Vgl. Augustin, De libero arbitrio III,X,29-XVI,46 (CChr.SL 29), 292,1–303,49. vgl. Gregor von Nyssa, Oratio catechetica V (SC 453), 168,104–170,122. Zu Augustins „Ausarbeitung der Privationslehre“ siehe auch: Hermanni, Das Böse und die Theodizee, 31–62. 82  DCD 1–28 (SI), 233,1–276,15; vgl. DV 4–5 (SI), 180,19–182,183, insbes. DV 4 (SI), 180,21–23; siehe hierzu auch: Ekenberg, Falling Freely, 49. 83  DCD 1 (SI), 233,1–235,16; vgl. DCD 28 (SI), 276,1–15. So auch: Dehme, The Origin of Evil, 173. 80 

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

sich hat, was auch immer er hat“.84 Deswegen gilt nach Anselm für alle Geschöpfe, selbst den Satan, „dass er nichts hat, was er nicht von Gott empfangen hat“. Das heißt er ist Geschöpf.85 Damit wird verdeutlicht, dass das zu untersuchende Phänomen des Bösen ein innergeschöpfliches, widergöttliches Phänomen darstellt und nicht etwa eine vom Schöpfer vollkommen unabhängige, quasi-göttliche Gegenmacht.86 Zum anderen wird die im jüdischen und im christlichen Neuplatonismus vertretene Auffassung, dass von Gott alles sehr gut geschaffen ist und dass alles, was vom höchsten Guten her ist, ist und gut ist, folgender Weise begründet: Vom höchsten Gut (summum bonum) her ist nur Gutes und alles Gute ist vom höchsten Guten her. So ist auch vom höchsten Wesen (summa essentia) nur wesenhaft Seiendes und alles wesenhaft Seiende ist nur vom höchsten Wesen her. Da nun das höchste Gut das höchste Wesen ist, folgt daraus, dass alles Gute wesenhaft ist und alles wesenhaft Seiende gut. Also ist nichts (nihil) und nicht sein (non esse), so wie es nicht wesenhaft ist, auch nicht gut. Deswegen ist nichts und nicht sein nicht von jenem, von dem nur das Gute und Wesenhafte ist.87

Diese Identität von wesenhaftem Sein (essentia) und Gutsein (bonum), sowie umkehrt von nichts (nihil), beziehungsweise nicht wesenhaft sein (non esse) und nicht gut beziehungsweise ein Übel (malum) sein, wird unter Rekurs auf das höchste Wesen relational begründet.88 Diese Annahme, dass das Böse an sich nichts ist, das heißt nichts an sich wesenhaft Seiendes und nichts von Gott als höchstem Guten her wesenhaft Seiendes, steht dabei Anselm zufolge nicht im Widerspruch zu jenen biblischen Aussagen, etwa aus Jes 45,7, Hiob und den Evangelien. Ihnen zufolge bewirkt Gott als Schöpfer von allem in dem Sinn Böses, dass er wirkt, dass etwas nicht mehr ist und dass er in Versuchung führt. Keineswegs wird in ihnen Anselm zufolge aber angenommen, dass das Böse selbst etwas wesenhaft Seiendes ist.89 Als zweites wird in De casu diaboli 7–11 und 19–20 weiter argumentiert, dass das Böse, obwohl es an sich nichts ist, und nichts, was von Gott her wesenhaft ist und gut ist, dennoch selbstursprünglich durch den freiwilligen unrechten Willensgebrauch vernunftbegabter Geschöpfe aktual realisiert wird und von Gott missfallend zugelassen wird.90 Dabei wird zunächst in De casu diaboli 7–11 mit einem akttheoretischen Argument die These begründet, dass das Böse an sich nichts ist. Etwas Böses werde nur durch einen freiwilligen, selbstbestimmten Willensakt der Negation der Gabe der Gottesliebe, als Mangel an Gerech84 

DCD 1 (SI), 233,13–18; Vgl. ML 1–6 (SI), 13,3–20,19. DCD 1 (SI), 233,3–11. 86 Vgl. Augustin, De libero arbitrio I,1,1–7,18 (CChr.SL 29), 211,1–215,45. 87  DCD 1 (SI), 234,29–235,5. 88  DCD 1 (SI), 233,19–235,16. 89 Ebd. 90 DCD 7–11 (SI), 244,8–251,18; DCD 15–16 (SI), 259,6–262,6; DCD 19–20 (SI), 264,2–266,12. 85 

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

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tigkeit im Willen des vernunftbegabten Geschöpfs realisiert.91 Die freiwillige und selbstbestimmte Willensverkehrung zum Bösen und der böse gewordene Wille sind demnach nicht mit dem Bösen selbst identisch. Sie gelten als etwas wesenhaft gut Seiendes, durch das jedoch das nicht an sich seiende Böse als Beraubung beziehungsweise als „Mangel an Gutem“ (privatio boni) realisiert wird.92 Dabei wird gegenüber einer rein privationstheoretischen Deutung des Bösen kritisch angemerkt, dass die Verknechtung unter das Böse nicht die Wirkung von nichts sein kann, sondern nur von „etwas quasi-Seiendem“ (quasi-aliquid).93 Durch das Nicht-in-der-Wahrheit-Bleiben wird nach Anselm vielmehr eine quasi-Realität konstruiert.94 Dementsprechend wird schließlich in De casu diaboli 19–20 mit einem begrifflichen Argument präzisiert, dass der freie Wille des sich selbst verknechtenden Geschöpfs, insofern er ist, gut ist, da er das Werk Gottes ist. Insofern er ungerecht will, ist er jedoch böse und ein eigenes, von Gott nur missbilligend zugelassenenes Werk des geschöpflichen Willens.95 Dadurch wird begrifflich konkretisiert, dass nichts etwas Böses genannt werden kann, als nur ein böser Wille und das durch ihn freiwillig und selbstbestimmt Bewirkte.96 Demnach gilt der freiwillige und selbstbestimmte Willensakt der Negation von Gottes Gabe der Gerechtigkeit und der dadurch selbst verschuldete Mangel an Gerechtigkeit mit all seinen Folgen als Inbegriff des aktualisierten, realen Bösen. Dieses korrumpiert nach Anselm die Freiheit zur Unbrauchbarkeit, hebt sie aber nicht auf. Schließlich wird in De casu diaboli 26 und 28 überlegt, wie es vereinbar ist, dass das Böse der Ungerechtigkeit an sich und im sich verkehrenden und bösen Willen zum einen als nichts wesenhaft Seiendes bezeichnet werden kann und dass zum anderen zugleich der böse Willensgebrauch und seine Folgen als ein aktual reales Phänomen beschrieben werden können.97 Anhand der zwei Beispiele des „Fehlens von Zaumzeug bei einem durchgehenden Pferd“ und des „Ausfalls des Steuers bei einem verunglückenden Schiff “ wird in De casu diabo­ li 26 veranschaulicht, dass das Übel des Mangels an Gerechtigkeit an sich nichts positiv Seiendes bewirkt, sondern nur conditio sine qua non der nachfolgenden Übel ist.98 Deswegen kann nach Anselm der Mangel an Rechtsein im Willen 91 

DCD 7–11 (SI), 244,8–251,18. DCD 8 (SI), 245,20–246,17. 93  DCD 9–11 (SI), 246,19–251,18. 94  DCD 11; (SI), 248,2–251,18; vgl. Ep 97 (SIII), 224,1–228,90. Dementsprechend wird auch sprachphilosophisch weiter erläutert, dass das Wort „Nichts“ der Form des Redens nach etwas bedeutet, das aufgehoben wird, und der Sache nach nichts wahrhaft Seiendes ist, sondern nur der Mangel von gesolltem Guten. Siehe hierzu auch: Evans, Why the Fall of Satan?, 131–134; vgl. hingegen: Dehme, The Origin of Evil, 173–180, der dieses Motiv stark betont. 95  DCD 19–20 (SI), 264,2–266,12. 96  DCD 19 (SI), 264,2–18. 97  DCD 26 (SI), 274,1–30; DCD 28 (SI), 276,1–15. 98  DCD 26 (SI), 274,16–24; vgl. hierzu die analoge Diskussion in DCV 5 (SII), 146,1– 147,5. 92 

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

des vernunftbegabten Geschöpfs selbst nicht im eigentlichen Sinn als Grund oder Ursache des Bösen gelten. Vielmehr gilt er nur als folgenreiche Folge des vorausgehenden, freiwilligen und selbstbestimmten Willensakts der Negation der Gabe der Gottesliebe.99 So wird in De casu diaboli 28 die Unterscheidung aufgezeigt, dass das Böse der Ungerechtigkeit und Sünde an sich ontologisch grund- und wesenlos ist. Nur durch einen selbstursprünglichen Willensakt der vernunftbegabten Geschöpfe entgegen dem göttlichen Liebeswillen gewinnt es Realität.100 Dabei heißt es, dass das Vermögen zur Sünde und der Wille, der sündigt, insofern sie sind, ihrem wesenhaften Sein nach gut sind, insofern sie ungerecht gebraucht werden, aber ihrem vollzogenen Akt nach böse und nichtig sind.101 Durch diese Unterscheidung von wesenhaftem Sein und vollzogenem Akt wird es möglich, sowohl schöpfungstheologisch an der Annahme festzuhalten, dass alle Geschöpfe wesenhaft gut und frei geschaffen sind, als auch hamartiologisch ihre aktual realisierte Verknechtung und Korruption unter das Böse der Beraubung aufzuzeigen. Zugleich wird durch diese Modifikation der privationstheoretischen Deutung des Bösen deutlich, warum das Böse nicht zum Begriff der Freiheit gehört und die Wirklichkeit der Freiheit real korrumpiert. Nicht ohne Grund wird sie in der Willensanalyse in De concordia III,13–14 aufgegriffen, um einen Ansatz zur Lösung des Problems der scheinbaren Unvereinbarkeit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln einerseits sowie menschlicher Freiheit andererseits zu formulieren.102

3.1.5. Die göttliche Zulassung der Verknechtung unter das Böse Zuletzt formuliert Anselm eine Kritik der Annahme, dass Gott Ursprung oder Urheber des genuin Bösen genannt werden kann. Entgegen der Annahme, dass Gott, ähnlich wie ein menschlicher Tyrann, Menschen ungerecht verknechte, betont Anselm, dass Gott in seiner vollkommenen Güte nur missfallend zulasse, nicht aber bewirke, dass Geschöpfe selbstursprünglich Böses bewirken. Damit wendet Anselm sich gegen die Annahme eines theologischen Dualismus und Determinismus zum Bösen, wie er sich aus einer bestimmten Interpretation der augustinischen Prädestinationslehre nahe legt.103 Die These, dass von Gott nur 99 

DCD 26 (SI), 16–30. DCD 28 (SI), 276,2–8. 101 Ebd. 102  vgl. DC III,13–14 (SII), 285,7–288,19. 103  Siehe insbesondere die Kontroverse zwischen: McCann, God, Sin and Rogers, 420– 431; Ders., Review: Katherin Rogers, 456–459; Ders.,The Author of Sin?, in: Faith and Philosphy 22 (2005), 144–159 und Rogers, God is not the Author of Sin: An Anselmian Response to McCann, in: Faith and Philosophy 24 (2007), 300–310; Dies., Anselm Against McCann on God and Sin, 397–415. Rogers versucht bei Anselm nachzuweisen, dass Gott 100 

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

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gesagt werden kann, dass er die Ungerechtigkeit missfallend zulasse, nicht aber, dass er sie willentlich bewirke, begründet Anselm in den „Philosophischen Fragmenten“ De potestate et impotentia. Dort arbeitet er durch eine logisch-semantische Analyse des biblischen Sprachgebrauchs die Differenz zwischen zulassendem und effektivem Wollen heraus. Diese Differenzierung wird in verschiedenen Argumentationen in De libertate arbitrii, De casu diaboli und De concor­ dia angewendet.104 In den „Philosophischen Fragmenten“ wird analysiert, dass in verschiedenen biblischen Aussagen nicht immer mit gleicher Bedeutung von Gottes Wollen die Rede ist, sondern drei verschiedene Bedeutungen unterschieden werden können. Zum einen könne die Aussage, „dass Gott etwas will“ bedeuten, dass Gott etwas effektiv will (efficiens). Er verwirklicht etwas direkt, so wie es in Ps 113,11 heißt, dass Gott alles, was er will, tut, oder bei Paulus in Röm 9,18, dass Gott sich dessen erbarmt, wessen er will.105 Zum anderen könne sie aber auch bedeuten, dass Gott etwas nur zulassend (permittens) will. Das meint, dass Gott nicht direkt verhindert, sondern indirekt zulässt, dass ein Geschöpf sich zum Bösen verführen lässt und etwas tut, was ihm missfällt, so wie es etwa bei Paulus in Röm 9,18 heißt, dass Gott verhärtet und verstockt, wen er will.106 Schließlich kann sie als Drittes aber auch bedeuten, dass Gott etwas zustimmend (appro­ bans) will. Das bedeutet, dass Gott Gefallen an etwas hat, was jemand will und tut, so wie es etwa in 1Tim 2,4 heißt, Gott wolle, dass alle Menschen gerettet werden.107 Diese vom biblischen Sprachgebrauch her gewonnen elementaren Bedeutungsunterscheidungen werden in De libertate arbitrii, De casu diaboli und De concordia für eine Klärung des Problems herangezogen, in welchem Sinn gesagt werden kann, dass Gott die freiwillige Verknechtung des Menschen unter das Böse will, beziehungsweise dass er sie nicht will.108 Zugleich dient diese Präzisierung dazu, die These zu begründen, dass Gott nicht Urheber oder Ursprung nicht Ursache des Bösen sei, sondern der (libertarisch) gedeutete freie Wille des Menschen die erste, ultimative Ursache des Bösen sei. Dem ist meiner Ansicht nach insofern zuzustimmen, als Anselm in der Tat in DLA 8 argumentiert, dass Gott unmöglich bewirke, dass ein Mensch die innere Übereinstimmung mit ihm aufgebe. Allerdings übersieht Rogers, das von Anselm gleichfalls betonte Motiv des der freiwilligen Sünde nachfolgenden gerechten Richtens und Verurteilens des Bösen und Anselms Festhalten daran, dass Gott der alleinige Schöpfer von allem ist, was ist, auch des Wollens. In diesem Sinne stimmt die von Rogers kritisierte Position McCanns meiner Ansicht nach mehr mit der Konzeption Anselms überein als ihr eigener sog. Anselmianismus. Siehe: DLA 8 (SI), 220,11–221,15. 104  DPI I (ABMA 1), 334,1,-336,10; vgl. DLA 8 (SI), 220,11–221,15; DCD 1 (SI), 233,3– 235,16; DCD 28 (SI), 276,1–15; DC II,1–2 (SII), 260,6–261,12; DC III,14 (SII), 287,23– 288,19. 105  DPI I (ABMA 1), 335,25–27. 106  DPI I (ABMA 1), 335,28–35. 107  DPI I (ABMA 1), 335,36–336,5. 108  DLA 8 (SI), 220,11–221,15; DCD 1 (SI), 233,3–235,16; DCD 28 (SI), 276,1–15; DC II,1–2 (SII), 260,6–261,12; DC III,14; (SII), 287,23–288,19.

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

der Verknechtung unter das Böse genannt werden kann, obwohl gilt, dass Gott Schöpfer und Herrscher von allem ist, und nichts geschehen kann, was er nicht zulässt. So werden in De libertate arbitrii 8, De casu diaboli 1–29 und De concordia II,1–3 und III,13–14 Argumente zur Widerlegung der Annahme formuliert, dass Gott die Verknechtung des freien Willens unter das Böse effektiv will und selbst direkt bewirkt.109 Durch die Begründung der These, dass Gott nicht effektiv wollen kann, dass jemand will, wovon Gott nicht will, dass er es so will, wird dabei ein intern dualistischer Ansatz zurückgewiesen, demzufolge Gott selbst zwiespältig und auch Ursprung und Urheber der Verknechtung unter das Böse wäre.110 Anselm zufolge kann nur in dem Sinne gesagt werden, dass Gott das Böse will, dass er missfallend zulässt, dass sich die vernunftbegabten Geschöpfe durch ihre freiwilligen und selbstbestimmten Willensakte entgegen dem effektiven Liebeswillen Gottes unter das Böse verknechten und dass er dementsprechend durch sein gerechtes Richten das Böse verurteilt und ordnet. Dediziert verneint wird damit die Auffassung, dass Gott die Verknechtung des geschöpflichen freien Willens unter das Böse selbst initiierend bewirkt, etwa indem er die Wirklichkeit derart geschaffen habe, dass die ersten vernunftbegabten Geschöpfe sich unter das Böse verknechten mussten.111 Zugleich wird damit auch die extern dualistische Vorstellung zurückgewiesen, dass Gott nicht Schöpfer und Herrscher von allem ist, sondern das Böse etwas wesenhaft Seiendes, Machtvolles wäre, das gegenüber Gottes vollkommener Allmacht und Güte nicht bloß ein ohnmächtiger, nichtiger Mangel an Gutem wäre.112 Damit wird auch festgehalten, dass das Böse keinen Ursprung außerhalb der Ordnung der Schöpfung hat, sondern in ihr. Die begriffliche Unterscheidung zwischen Gottes zulassendem und bewirkendem Wollen ermöglicht es Anselm, an der Annahme der Einheit und Allwirksamkeit des göttlichen Willens festzuhalten. So wird dafür argumentiert, dass Gott als Schöpfer und Herrscher von allem gilt und ohne sein zulassendes Wollen nichts geschehen kann. Zugleich wird begründet, dass Gott aber nicht Ursprung oder Urheber des Bösen genannt werden kann, als ob er das Böse effektiv wolle oder direkt bewirke. Vielmehr gilt das Böse als etwas, das die vernunftbegabten Geschöpfe ursprünglich durch ihren eigenen Willen entgegen Gottes effektivem Liebeswillen freiwillig und selbstbestimmt realisiert haben und auch individuell immer weiter realisieren müssen, wenn Gottes sie nicht aus Gnade davon befreit. Damit hat die Unterscheidung zwischen dem 109  DLA 8 (SI), 220,11–221,15; DCD 1 (SI), 233,3–235,16; DCD 28 (SI), 276,1–15; DC II,1–2 (SII), 260,6–261,12; DC III,14 (SII), 287,23–288,19. 110  DLA 8 (SI), 220,11–221,15. 111  DCD 1 (SI), 233,3–235,16. 112  DCD 28 (SI), 276,1–15.

3.1. Die Analyse der ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse

151

von Gott Bewirkten und dem von Gott Zugelassenen eine zweifache antidualistische Pointe. Sie wendet sich gegen die Annahme eines internen Dualismus in Gott und gegen die Vorstellung eines externen Dualismus zwischen Gott und einem quasi-göttlichen Prinzip des Bösen. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass in De concordia II,2 ähnlich wie in De casu diaboli zum einen betont wird, dass Gott als gütiger Schöpfer und allmächtiger Herrscher alles vorausbestimmt, sowohl das Gute als auch das Böse. Und sie wird daran deutlich, dass zum anderen unterschieden wird, dass Gott nicht Ursprung oder Urheber des Bösen ist, von dem er missfallend zulässt, dass vernunftbegabte Geschöpfe es aktual realisieren. Dementsprechend wird präzisiert, dass Gott im eigentlichen Sinn der Grund und Urheber von allem Guten ist, das er effektiv will und direkt bewirkt oder zustimmend will und indirekt bewirkt.113 Somit ermöglicht die Unterscheidung zwischen dem von Gott Bewirkten und dem von Gott Zugelassenen nicht nur eine argumentative Kritik dualistischer Ontologien, sondern auch eine Relativierung deterministischer und indeterministischer Ansätze. Die in De casu diaboli entfaltete These, dass Gott als Schöpfer und Herrscher von allem nicht auch Ursprung und Urheber des Bösen ist, impliziert nämlich die Kritik eines theologischen oder ontologischen Determinismus. Dieser ist nicht nur in manichäischen, gnostischen Strömungen und antiken Schicksalsvorstellungen vertreten worden, sondern legt sich auch aus einem bestimmten Verständnis der doppelten Prädestination nahe, das im 9. Jahrhundert Gottschalk zugeschrieben worden ist.114 Entgegen einem theologischen Determinismus zum Bösen argumentiert Anselm in De libertate arbitrii und De casu diaboli dafür, dass die Verknechtung des Menschen unter das Böse selbstursprünglich aktual realisiert worden ist, ohne dass es vorausgehend notwendig gewesen wäre. Ontologisch wird es dabei nur als ein Mangel an gesolltem Guten im vernunftbegabten Willen betrachtet.115 Dennoch übernimmt Anselm die in deterministischen Konzeptionen betonte Annahme, dass das Böse den vernunftbegabten Willen eines Geschöpfs dann, wenn es selbst freiwillig und selbstbestimmt Böses will, derart ganz bestimmt, dass es nachfolgend notwendig nur noch unrecht wollen kann. In welchem Sinn Anselm davon ausgeht, dass durch die ursprüngliche Verknechtung des freien Willens unter die Sünde eine nachfolgend notwendige Knechtschaft unter das Böse bewirkt wird, durch die alle Menschen original und natürlich entgegen ihrem geschaffenen Wesen fremdbestimmt sind, wird im nächsten Kapitel näher erläutert werden. 113 

DCD 1 (SI), 233,3–235,16; DCD 28 (SI), 276,1–15 und DC II,1–2 (SII), 260,6–261,12. 1–28 (SI), 233,3–276,15; siehe hierzu: Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione, IV,4-V,9 (CCCM 50), 29,93–41,235. 115  DCD 1 (SI), 233,3–235,16; vgl. DLA 1–12 (SI), 207,3–224,32. 114  DCD

152

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

Durch die Überlegungen zur individuellen Realisierung der Verknechtung in De conceptu virginali ist von Anselm jedoch bereits die Ansicht eines Indeterminismus zurückgewiesen worden.116 Er hält zwar an der indeterministischen Einsicht fest, dass die ursprüngliche Verknechtung deswegen als ein freier und zurechenbarer Akt gilt, weil er nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit heraus geschehen ist, sondern freiwillig und selbstbestimmt vom vernunftbegabten Geschöpf bewirkt worden ist. Zugleich unterscheidet er jedoch, dass nachfolgend notwendig jede menschliche Person von ihrem natürlichen Ursprung her mit einer korrumpierten menschlichen Natur zur Welt kommt. Somit hat sie zwar in sich das Vermögen der Freiheit, kann dieses Vermögen der Freiheit aber nicht von Natur aus oder aus sich selbst heraus recht gebrauchen.117 Damit wird ausgeschlossen, dass der Wille einer menschlichen Person ursprünglich derart neutral und absolut indifferent ist, dass sie sich durch ihn selbst individuell wechselweise zur Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit bestimmen kann. Jeder individuelle Wille einer Person gilt demnach als derart durch die korrumpierte menschliche Natur bestimmt, dass er zwar wesenhaft gut und frei geschaffen ist, zugleich aber auch derart verknechtet, dass er unmöglich von sich aus aktual frei zum Guten gebraucht werden kann.118

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde In De libertate arbitrii, De casu diaboli und De conceptu virginali wird von Anselm zugleich hervorgehoben, dass der Mensch nach seiner ursprünglichen Verknechtung des freien Willens unter das Böse – so weit es an ihm liegt – notwendig Knecht der Sünde ist.119 Dabei wird in Anlehnung an die Aussage aus Ps 78,39 (Vg 77,39), dass „der Geist dahingeht und nicht wieder zurückkehrt“ (spiritus vadens et non rediens) und den in Joh 8,34 formulierten Gedanken, dass „wer Sünde tut, Knecht der Sünde ist“ (qui facit peccatum, servus est peccati) sowie diverse Motive aus der augustinischen Sünden- und Freiheitslehre diskutiert, in welchem Sinn der Mensch in der Knechtschaft unter die Sünde frei ist.120 Vor diesem Hintergrund argumentiert Anselm dafür, dass der Mensch als Knecht der Sünde wesenhaft eine formale, potentielle Freiheit hat, die er aber von sich aus unmöglich aktual zum Guten gebrauchen kann. So entwickelt er die These, 116 

DCV 1–11 (SII), 139,2–154,22. DCV 22–29 (SII), 161,9–173,7. 118 Ebd. 119  DLA 3–4 (SI), 210,23–213,25; DLA 7 (SI), 218,15–220,9; DLA 10–12 (SI), 222,2– 224,32; DCD 7 (SI), 245,4–18; DCD 17 (SI), 262,8–19; DCV 22–29 (SII), 161,9–173,7. 120  DLA 10 (SI), 222,2–23; vgl. Augustin, De natura et gratia XIX,21- LVIII,68 (CSEL 60), 246,6–285,5; Contra Julian opus imperfectum III,1–216 (CSEL 85,1), 351,1–506,28; Ders., De peccatorum meritis et remissione I,I,1-XXXIX,70 (CSEL 60), 3,1–71,9. 117 

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde

153

dass die Realisierung des Bösen eine nachfolgend notwendige Knechtschaft unter das Böse bedingt. In dieser ist der vernunftbegabte Wille derart pervertiert und seine Freiheit zu einem bloß formalen, potentiellen Vermögen korrumpiert, sodass sie nicht mehr wirklich zur Gerechtigkeit gebraucht werden kann. Damit wendet sich Anselm zum einen gegen die in verschiedenen pelagianischen und semipelagianischen Konzeptionen vertretene Annahme, dass der Mensch seine Freiheit trotz Mangels an gesollter Gerechtigkeit – zumindest im Ansatz – auch von sich aus aktual zur Gerechtigkeit gebrauchen könne. Zugleich wird damit aber auch die Ansicht zurückgewiesen, dass die Freiheit des Menschen durch die Knechtschaft unter das Böse aufgehoben werde und Menschen nicht Personen blieben, die weiter verantwortlich sind für das, was sie freiwillig und selbstbestimmt wollen und tun. Im Folgenden soll nun in sechs Schritten erläutert werden, wie Anselm in De libertate arbitrii und De casu diaboli das durch die ursprüngliche freiwillige Selbstverknechtung bedingte Folgephänomen des unbrauchbaren Freiseins in der Knechtschaft unter die Sünde beschreibt. Als Erstes (3.2.1.) wird erläutert, wie in De libertate arbitrii die Schwäche und Verkehrtheit der natürlichen Vermögen beschrieben wird. Zweitens (3.2.2.) wird die entsprechende Analyse der zur Unbrauchbarkeit korrumpierten Freiheit rekonstruiert. Drittens (3.2.3.) wird darauf eingegangen, wie Anselm die interne Unüberwindbarkeit des Mangels an Gutem als Prinzip der Knechtschaft erörtert. Als Viertes (3.2.4.) wird erläutert, wie in De casu diaboli die Dynamik der Destruktion verstanden wird. Als Fünftes (3.2.5.) wird untersucht, wie Anselm in De libertate arbitrii und De casu diaboli die bleibende Verantwortlichkeit begründet. Als Letztes wird schließlich (3.2.6.) diskutiert, wie in beiden Texten die Frage nach der Regierung, Verurteilung und Überwindung des Bösen durch Gott beantwortet wird.

3.2.1. Die Perversion des gottebenbildlich geschaffenen freien Willens In De libertate arbitrii und De casu diaboli wird, ähnlich wie bereits im Proslogion, die Korruption der Gottebenbildlichkeit des Menschen und somit seiner natürlichen Vermögen in der Knechtschaft unter die Sünde aufgewiesen.121 Dabei wird herausgestellt: so, wie Menschen jeweils als ganze Personen von Gott wesenhaft gut geschaffen sind und als ganze Personen sich ursprünglich unter die Sünde verknechtet haben, so sind sie – soweit es an ihnen liegt – jeweils als ganze Person, mit Leib, Seele und Geist, in ihrer Relationalität Knechte der Sünde. Die Knechtschaft unter die Sünde zeigt sich nach Anselm insbesondere darin, dass der Mensch zwar weiter als wesenhaft gottebenbildlich geschaffen und mit den natürlichen geistigen Vermögen des Bewusstseins, Erkennens und 121  DLA

3–4 (SI), 210,23–213,25; DLA 7 (SI), 218,15–220,9; DLA 10–12 (SI), 222,2– 224,32; DCD 7 (SI), 245,4–18; DCD 17 (SI), 262,8–19.

154

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

Wollens begabt gilt. Realiter kann er seine Gottebenbildlichkeit aber nicht von Natur aus oder aus sich heraus selbst verwirklichen. Er kann sein Erinnerungs-, Erkenntnis- und Willensvermögen Anselm zufolge nämlich nicht schon bloß an sich zum Gedenken, Erkennen und Lieben Gottes effektiv gebrauchen. Als ein Symptom der Korruption der Gottebenbildlichkeit und der natürlichen geistigen Vermögen des Menschen in der Knechtschaft unter die Sünde nennt Anselm die animalische Verrohung.122 Dabei verweist er auf das Phänomen, dass Menschen sich entgegen der sie wesenhaft auszeichnenden besonderen Vernunftbegabung wie Tiere animalisch verhalten und sich ganz durch ihre Triebe und Instinkte bestimmen lassen.123 Diese dem gottebenbildlich geschaffenen Wesen des Menschen widersprechende Bestimmtheit gilt dabei jedoch nur als Symptom, nicht als Kern der Knechtschaft unter das Böse.124 Dass der Mensch von Geburt an Knecht der Sünde ist, zeigt sich nach Anselm insbesondere daran, dass er – soweit es an ihm liegt – seinen Willen nicht gemäß seiner gottebenbildlichen Geschaffenheit gebrauchen kann. So heißt es in Proslogion 1: Ich bekenne, Herr, und danke dir, dass du in mir dein Bild geschaffen hast (creasti in me imaginem tuam), damit ich deiner mich erinnere, dich erkenne und liebe. Aber es ist so zerstört (abolita) durch die Abnützung (attritio) der Laster und so verdunkelt (offuscata) durch den Rauch der Sünden, dass es nicht tun kann, wozu es gemacht ist, wenn du es nicht erneuerst und wiederherstellst (ut non possit facere, ad quod facta est, nisi tu renoves et reformes eam).125

Damit deutet Anselm an, dass die Korruption der Gottebenbildlichkeit des Menschen insbesondere darin besteht, dass er seine geistigen Vermögen des Erinnerns, Erkennens und Wollens nicht natürlich von sich aus seinem geschaffenen Wesen gemäß gebrauchen kann. Nicht zuletzt zeigt sich die Korruption der Gottebenbildlichkeit in der Knechtschaft unter die Sünde darin, dass der Mensch, der sich von Natur aus über das höchste Wesen und höchste Gute täuscht, Gott nicht als Gott lieben kann, sondern ihn von sich aus verachtet oder gebrauchen will und sich selbst oder etwas anderes mehr liebt.126 So wie die Korruption des Erkenntnisvermögen nicht nur darin gesehen wird, dass es von Natur aus schwach, sondern unbrauchbar zur Gottes- und Wahrheitserkenntnis ist, so wird auch die Korruption des Willensvermögens in De libertate arbitrii nicht nur als Schwäche beschrieben, sondern vielmehr als aktuale Unbrauchbarkeit zur Gottes- und Gerechtigkeitsliebe.127 In De concordia wird herausgestellt, dass der Wille in der Knechtschaft unter das Böse derart korrumpiert ist, dass er von sich aus nicht so gebraucht werden kann, wie und 122 

DC III,13 (SI), 286,9–27.

123 Ebd. 124 Vgl.

Goebel, Rectitudo, 275. PL 1 (SI), 100,12–15. 126  PL 26 (SI), 121,14–122,2. 127  DLA 10–12 (SII), 222,2–224,32. 125 

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde

155

wozu er wesenhaft von Gott geschaffen ist.128 Er wird von Anselm als derart schwach und verkehrt beschrieben, dass er primär und exklusiv durch die affektive Neigung zum Angenehmen des natürlichen Glücks ausgerichtet ist und ihm die affektive Neigung zur Gerechtigkeit des von Gott gegebenen Rechtseins fehlt. Dies wird von Anselm nicht nur als Defizit gedeutet, demzufolge dem Menschen in der Knechtschaft unter das Böse das rechte Maß in seinem Glücksstreben fehlt. Es wird grundlegender als eine Fehlorientierung verstanden, durch die er in seinem natürlichen Glücksstreben seine wesensgemäße Bestimmung zur Gottesliebe und darin wurzelnden Nächsten- und Selbstliebe verfehlt.129 Demnach hat der Mensch auch als Knecht der Sünde ein Willensvermögen und kann es gebrauchen. Damit kann er für sich selbst und andere um des natürlichen Glücks willen diverses Angenehmes ohne Rechtsein wählen und auch Gott dafür gebrauchen wollen.130 Er kann es aber nicht aktual gebrauchen, um die Gerechtigkeit Gottes und Gott selbst als das summum bonum um seiner selbst willen zu lieben und um Gottes willen auch seinen Nächsten wie sich selbst recht zu lieben. Dabei unterstreicht Anselm, dass die Korruption des Willens nicht ontologisch als eine wesenhafte Verkehrung des gottebenbildlich geschaffenen Willensinstrumentes selbst zu verstehen ist. Vielmehr deutet er sie relational und affekttheoretisch als eine Verkehrung der affektiven Grundausrichtung des Willens und aktual als Unvermögen, den verkehrt ausgerichteten Willen wesensgemäß in Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen zu gebrauchen.131 Indem betont wird, dass die affektive und aktuale Korruption der affektiven Willensausrichtung und des entsprechenden Willensgebrauchs inhaltlich darin besteht, nur noch ohne die Gabe des Rechtseins nach natürlichem Glück zu streben, wird hervorgehoben, dass der Mensch als Knecht der Sünde sein Leben nur entgegen der wesensgemäßen richtigen Relationalität vollziehen kann. Er kann nicht wollen, was er von Gott her wollen soll und was ihm genügen würde. Er muss immer mehr davon wollen, was er selbst abgesehen vom göttlichen Willen will. Diese Verkehrung und Schwächung des Willens betrifft nach Anselm in gleicher Weise das freie Wahlvermögen des Willens. Das verknechtete freie Wahlvermögen ist seiner Auffassung nach nämlich derart korrumpiert, dass es – entsprechend der affektiven Grundausrichtung des Willens – nur gebraucht werden kann, um abgesehen von der Gabe des Rechtseins zwischen alternativem Angenehmem zu wählen.132 Das verknechetete freie Wahlvermögen gilt als derart 128 

DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19. Vgl. jedoch: Goebel, Anselm von Canterbury über Willensschwäche, 94; 110–111. 130 Vgl. Ernst, Selbstwiderspruch der Freiheit, 118. 131  DC III,11–14 (SII), 278,27–288,19. 132  DC III,13 (SII), 286,16–27. 129 

156

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

korrumpiert, dass es nicht dazu gebraucht werden kann, wozu es wesenhaft geschaffen ist. Es kann nicht dazu gebraucht werden, um wesensgemäß, vernunft- und geistbestimmt das Wahre- und Gerechte zu erwählen und das Falsche und Ungerechte zu verwerfen. Im Rahmen des unrechten Glücksstrebens kann es nur dazu gebraucht werden, als nützlich und angenehm erachtete Möglichkeiten zu erwählen und Alternativen, die für nachteilig oder unangenehm gehalten werden, zu verwerfen. Die Korruption des verknechteten freien Wahlvermögens wird somit ebenfalls nicht nur als eine Schwäche gedeutet, wider bessere Einsicht Schlechteres zu wählen.133 Sie wird – wie die Korruption des Willens selbst – als eine Verkehrung beschrieben, der zufolge nur entgegen der wesensgemäßen Bestimmung gewählt werden kann. Die Verknechtung des freien Wahlvermögen wird somit darin gesehen, dass nur in Übereinstimmung mit der eigenen Willensneigung zum natürlichen Glück, entgegen der wesensgemäßen ursprünglich gegebenen Bestimmung zur Gottesliebe und der darin wurzelnden Nächsten- und Selbstliebe, gewählt werden kann.134 Die Korruption des gottebenbildlich geschaffenen und unter das Böse verknechteten freien Willens- und Wahlvermögens, wird also in Anlehnung an Paulus und Augustin als eine Zwiespältigkeit des eigenen Willens beschrieben. Ihr zufolge bewirkt man das Ungerechte, das man wesenhaft nicht will, trotzdem willentlich. Das Gerechte, das man wesenhaft will, tut man nicht.135 In diesem Sinne gilt das Willens- und Wahlvermögen als derart korrumpiert, dass es zur Gerechtigkeit und Glückseligkeit unbrauchbar ist, in der und zu der es gottebenbildlich geschaffen worden ist.

3.2.2. Die Korruption der Freiheit Die Korruption der Freiheit in der Knechtschaft unter die Sünde wird in De libertate arbitrii ähnlich beschrieben wie die Korruption des gottebenbildlich geschaffenen Willens- und Wahlvermögens.136 In Bezug auf die Korruption des Vermögens, das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren, hebt Anselm nämlich die gleiche Differenz hervor, dass der Mensch es zwar von Natur aus wesenhaft hat, aber unmöglich von sich aus aktual gebrauchen kann.137 Durch diese Distinktion zwischen dem natürlich gegebenen Vermögensinstrument der Freiheit (instrumentum) und dem natürlichen Unvermögen, es aktual zu gebrauchen (usus sive opus) entwickelt Anselm die These, dass die Freiheit des Menschen in der Knechtschaft unter die Sünde derart korrumpiert ist, dass er nur auf potentielle, formale und aktual unbrauchbare Weise frei ist. 133 

Vgl. jedoch Goebel, Anselm von Canterbury, 89–105. DC III,13 (SII), 286,28–287,21. 135 Vgl. Augustin, Confessiones VIII,8,19–11,27 (CChr.SL 29), 125,1–130,50; Ders., Ad Simplicianum I,1,11–14 (CChrSL 44), 15,188–18,250. 136  DLA 2–12 (SI), 209,8–224,32. 137  DLA 3–4 (SI), 210,3–214,12; DLA 7 (SI), 218,15–220,9. 134 

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde

157

Damit wendet er sich zum einen gegen eine relativierende Deutung der Korruption als bloßer Krankheit oder Schwächung der Freiheit des Willens in der Sünde, wie sie in pelagianischen oder semi-pelagianischen Ansätzen vertreten worden ist. Zum anderen richtet er sich gegen eine verabsolutierende Deutung der Korruption als Auf hebung der Freiheit des Willens in der Sünde, wie sie etwa von Gottschalk vorgebracht worden ist.138 In De libertate arbitrii 3–4 wird durch das Analogiebeispiel der Korruption des Sehvermögens verdeutlicht, dass das Vermögen der Freiheit ohne Rechtsein derart korrumpiert ist, dass es nicht von sich aus realisiert und aktual gebraucht werden kann.139 Dieses Analogiebeispiel legt sich dabei aus der biblischen Überlieferung her nah, aus der Beschreibung der Gottverschlossenheit der Menschen, in Jes 6,9–10 und Jesu Begründung seiner gleichnishaften Rede vom Reich Gottes etwa in Mt 13,13–17. Dabei wird von Anselm in Anlehnung an diese biblischen Beschreibungen der menschlichen Gottverschlossenheit zum einen betont, dass der Grund dafür, das jemand etwas nicht sehen kann, nicht notwendiger Weise darin liegt, dass er oder sie kein Sehvermögen besitzt. Es könne auch darin liegen, dass jemand obwohl er ein Sehvermögen hat, nicht sehen kann, weil weitere notwendige Bedingungen zum Sehen fehlen.140 Sodann wird die Analogie aufgezeigt, dass der Grund für das Unvermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren nicht notwendiger Weise darin liegt, dass er das Vermögen der Freiheit nicht hat.141 Vielmehr kann er Anselm zufolge darin gesehen werden, dass jemand, obwohl er das Vermögen der Freiheit hat, es nicht gebrauchen kann, weil notwendige Bedingungen zum Freiheitsgebrauch fehlen. Damit wird angedeutet, dass die Korruption der Freiheit in der Knechtschaft unter die Sünde darin besteht, dass sie nicht aktual gebraucht werden kann.142 In De libertate arbitrii 7 wird durch das Analogiebeispiel des Sehaktes sowie durch ein anderes Analogiebeispiel weiter aufzuzeigen versucht, dass die potentielle Freiheit in der Sünde ein unbrauchbares unverwirklichbares Vermögen darstellt.143 Dabei wird aufgrund der Distinktion zwischen bloßem Vermögensinstrument und Gebrauch des Vermögensinstruments dafür argumentiert, dass der freie Wille in der Knechtschaft unter die Sünde derart korrumpiert ist, dass er nur noch als wesenhaftes Vermögen der Möglichkeit nach gegeben ist, in Wirklichkeit aber aktual nicht zur Gerechtigkeit gebraucht werden kann.144 138  Gottschalk, Responsa VI (SSL 20), 146,16–158,28; vgl. Johannes Cassianus, Col­ lationes XIII,XVIII,1–3 (CSEL 13), 384,17–385,24. 139  DLA 3–4 (SI), 210,3–214,12. 140  DLA 3 (SI), 212,24–213,25. 141  DLA 3 (SI), 213,27–214,12. 142  DC III,13 (SII), 286,9–287,21. 143  DLA 7 (SI), 218,15–23. 144 Vgl. Goebel, Rectitudo, 484–486. Goebel betont, dass es ein wirkliches, untätiges Vermögen ist, das aber nur der Möglichkeit nach zur sittlichen Gutheit gebraucht werden könne.

158

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

Durch diese Deutung der Korruption der Freiheit zu einem bloß potentiellen, aktual unbrauchbaren Vermögen wird zum einen betont, dass die Freiheit des Menschen durch den Mangel an Rechtsein nicht als solche aufgehoben wird, sondern ein unverlierbares, natürliches Merkmal des vernunftbegabten Geschöpfs bleibt.145 Die Freiheit gilt als ein anthropologisches Wesensmerkmal des Menschen. Sie kann auch durch einen in sich verkehrten Willensgebrauch und fehlenden Freiheitsgebrauch nicht aufgehoben werden. Indem betont wird, dass die Freiheit anders als die Gabe des Rechtseins und der Gerechtigkeit dem Vernunftwesen immer innewohne, wird hervorgehoben, dass ein Sünder ein verknechtetes Geschöpf ist. In De libertate arbitrii 3 wird dementsprechend in Bezug auf die ersten Menschen festgehalten, dass sie, obwohl sie sich zu Knechten der Sünde machten, nicht die natürliche Freiheit des Willens und der Wahl in sich zerstören konnten. Sie konnten nur bewirken, dass sie die Freiheit ohne eine andere Gnade nicht mehr gebrauchen konnten.146 Die zu Beginn des Dialogs gestellte Frage, ob der Mensch immer frei sei, wird damit eindeutig positiv beantwortet. Der Gegensatz der Freiheit wird nicht einfach als Unfreiheit bestimmt, sondern hamartiologisch als Knechtschaft. Zum anderen wird durch die These der Korruption der Freiheit aber auch aufgezeigt, dass sie wirklich zur Unbrauchbarkeit korrumpiert wird und nicht etwa unbeschadet bleibt oder sogar vergrößert wird.147 Dass der Mensch in der Sünde weniger frei ist als vor der Sünde wird bereits in De libertate arbitrii 2 in Anlehnung an Joh 8,24 durch den Begriff „Knecht der Sünde“ (servus peccati) zum Ausdruck gebracht.148 Indem die Korruption der Freiheit in der Sünde als Unvermögen beschrieben wird, die Freiheit zu verwirklichen beziehungsweise zu gebrauchen, wird sie im Akt und Vollzug der Freiheit verortet, nicht in ihrem Wesen. Im Hinblick auf die Bewertung der Korrumpiertheit und Einschränkung der Freiheit durch das Unvermögen von der Freiheit Gebrauch zu machen lässt sich beim späten Anselm zudem eine Akzentverschiebung erkennen. Während in De libertate arbitrii dafür argumentiert wird, dass der Mensch in der Sünde mit seiner bleibenden, unverwirklichbaren Möglichkeit der Freiheit „frei“ ist, wird in De concordia III,13 dafür argumentiert, dass der Mensch ohne Gerechtigkeit Magd der Ungerechtigkeit ist. Begründet wird dies damit, dass er ohne die Gerechtigkeit niemals frei ist, da die natürliche Freiheit des Willens ohne die Gerechtigkeit nutzlos und unfähig sei. (quantum in ipsa est necessitate iniusta et ancilla iniustitiae quia per se redire nequit ad iustitiam, sine qua numquam liberam est, quia naturalis libertas arbitrii sine illa otiosa est).149 Der defizitäre Charakter des nur 145 

DLA 10 (SI), 222,25–223,13. DLA 2 (SI), 210,2–10. 147  DLA 2 (SI), 209,22–30. 148 Ebd. 149  DC III,13 (SII), 287,3–6. 146 

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde

159

formalen und potentiellen Freiseins in der Sünde wird von Anselm somit zunehmend unterstrichen. Die Freiheit in der Sünde wird dabei nicht nur aufgrund des Unvermögens einer Wahl der alternativen Möglichkeit der Gerechtigkeit als korrumpiert beschrieben, sondern vorgängig aufgrund des Unvermögens, von der Freiheit der Gerechtigkeit wirklich Gebrauch zu machen. So wird in De libertate arbitrii 11–12 eine Doppelbestimmung des Menschen in der Sünde entwickelt. Demnach gilt der Wille des Menschen in der Sünde zugleich als potentiell und formal frei und als unter die Sünde verknechtet. Die Korruption der bleibenden, unverwirklichbaren Möglichkeit der Freiheit wird dabei als Ausdruck der Knechtschaft unter die Sünde gedeutet. In De libertate arbitrii 11 wird unter Rekurs auf die zuvor aufgezeigten Unterscheidungen festgehalten, dass jemand, dem die richtige Ausrichtung des Willens fehle, „ohne Widerspruch sowohl Knecht als auch Freier“ sei (sine repugnantia et servus est et liber).150 Dass ohne Widerspruch beides vom Menschen, der den Grund und Sinn des Daseins negiert, ausgesagt werden kann, hat somit seinen Grund in den präzisierenden Beschreibungen der Freiheit in der Sünde als bloß potentieller Freiheit und der Knechtschaft unter die Sünde als einer solchen, die das Vermögen, die Freiheit zu gebrauchen auf hebt, nicht aber das Vermögen der Freiheit selbst. So ist Freiheit unter der Bedingung der Knechtschaft unter die Sünde als bleibende, unverwirklichbare Möglichkeit denkbar. Zugleich wird von Anselm nämlich betont, dass das verknechtete freie Willens- und Wahlvermögen trotz der Korruption formal frei bleibt. Auch in der Knechtschaft unter das Böse kann prinzipiell weiter spontan und ungezwungen, freiwillig und selbstbestimmt gewollt, gewählt und gehandelt werden. Auch der Wille, der Knecht der Neigung zum Angenehmen des natürlichen Glücks ist, will nach Anselm das, was er unrecht will, spontan aus eigenem Antrieb und nicht aus einem äußeren Zwang heraus, freiwillig und nicht in jedem Fall fremdbestimmt.151

3.2.3. Die interne Unüberwindbarkeit der Knechtschaft In De libertate arbitrii 10–12 wird weiter diskutiert, auf welche Weise eine Person, die nur das Vermögen der Freiheit hat, es aber von sich aus nicht auch aktual gebrauchen kann, eine verknechtete freie Person ist.152 Dabei wird dafür argumentiert, dass der Mensch, der Sünde tut, derart Knecht der Sünde ist, dass er, nachdem er gesündigt hat, nachfolgend notwendig immer weiter sündigen muss und unmöglich wieder durch sein eigenes Wollen und Wählen das Rechtsein und den aktualen Gebrauch der Freiheit erlangen kann. Dadurch wird he150 

DLA 11 (SII), 223,3–11. hierzu auch: Goebel, Rectitudo, 481–482; vgl. Ders., Anselm von Canterbury über Willensstärke, 94. Dort formuliert er die These, Anselm vertrete in Bezug auf den moralisch schlechten Menschen eine „intellektualistisch-deterministische Handlungstheorie“. 152  DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32; vgl. DCD 7 (SI),245,4–18; DCD 17 (SI),262,8–19. 151  Siehe

160

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

rausgestellt, dass die Knechtschaft unter die Ungerechtigkeit wesentlich ihre interne Unüberwindbarkeit einschließt. Entgegen einer indeterministischen Deutung wird von Anselm dafür argumentiert, dass wer sündigt, nicht nur notwendig in eine intern überwindbare, vorübergehende Gefangenschaft gerät, sondern vielmehr in eine intern unüberwindbare, nachfolgend notwendig fortdauernde Knechtschaft. So heißt es in De libertate arbitrii 10: Wenn aber der freie Wille das Rechtsein durch die Schwierigkeit es zu bewahren verlässt, so dient er danach der Sünde durch die Unmöglichkeit, es durch sich selbst wiederzuerlangen. (per impossibilitatem per se recuperandi) 153

Dabei wird in Anlehnung an Aussagen aus der johanneischen und psalmistischen Theologie hervorgehoben, dass, wer sündigt, derart dauerhaft Knecht der Sünde wird, dass er unwiederbringlich den Geist verliert, ohne den er unmöglich frei von Sünde sein kann.154 Dass die Knechtschaft unter die Sünde eine nachfolgend notwendig fortdauernde Knechtschaft darstellt, begründet Anselm weiter damit, dass in der Knechtschaft nicht die Möglichkeit gegeben ist, sie wieder selbst überwinden zu können.155 Er argumentiert, dass der verknechtete freie Wille unmöglich das Rechtsein durch sich selbst wiedererlangen kann, da er es auch im Anfang unmöglich aus sich selbst heraus haben konnte, sondern vom Schöpfer empfangen hat, und da er es ohne vorausgehende Notwendigkeit freiwillig und selbstbestimmt aufgegeben hat. So entbehrt er es durch seine eigene Schuld.156 Anselm hebt hervor, dass der freie Wille durch die Sünde auf nachfolgend notwendige Weise dauerhaft verknechtet ist. Dadurch weist er die indeterministische Annahme zurück, dass der freie Wille nur derart vorübergehend im Bösen gefangen ist, dass er trotzdem die Möglichkeit hat, die Knechtschaft durch eine alternative Wahl der Gerechtigkeit selbst zu überwinden.157 Die Auffassung, dass der Wille des Menschen derart unbestimmt frei ist, dass er immer sündigen und nicht sündigen kann, verkennt nach Anselm somit, dass der freie Wille nachfolgend notwendig durch die Knechtschaft unter die Sünde bestimmt wird. Die Auffassung, dass es sich bei der Knechtschaft unter die Sünde um eine nicht selbst wieder auf hebbare Knechtschaft handelt, ist dabei von unmittelbarer gnadentheologischer Bedeutung. Theologisch wird mit dem Aufweis der Unmöglichkeit einer internen Überwindung der Knechtschaft unter das Böse – ähnlich wie beim späten Augustin – zugleich auch indirekt die vollkommene Gnadenbedingtheit der Freiheit begründet.158 In De libertate arbitrii 10 wird be153 

DLA 10 (SI), 222,7–9. DLA 10 (SI), 222,9–10. 155  DLA 10 (SI), 222,10–19. 156 Ebd. 157  Ebd.; so auch Rogers, Anselm on Freedom, 78. 158 Vgl. Augustin, Ad Simplicianum I,2,3–22 (CChr.SL 40), 25,49–56,816. 154 

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde

161

reits angedeutet, dass der verknechtete freie Wille nicht befreit werden kann, außer durch Gottes neue gnadenhafte Gabe des Rechtseins. Es wird dort per analogiam argumentiert, dass der Mensch – so wie er ursprünglich nur recht sein konnte, weil Gott ihn aus Gnade recht geschaffen hat – nach der freiwilligen Aufgabe des Rechtseins es erst recht nur dann wiedererlangen kann, wenn Gott es ihm aus noch größerer Gnade wieder gibt.159 So impliziert die Annahme der internen Unüberwindbarkeit der Knechtschaft nach Anselm nicht, dass sie überhaupt nicht überwunden werden kann, sondern nur, dass sie allein durch Gottes Gnade überwunden werden kann. So wird in De libertate arbitrii 11 darauf verwiesen, dass die Knechtschaft unter die Sünde derart ist, dass jemand aus ihr „nur durch einen anderen“ (non nisi per alium) befreit werden kann.160 Dementsprechend wird diese Argumentation später in christologisch-soteriologischen und gnadentheologischen Reflexionen in Cur Deus homo I,20–25 sowie De concordia III,3 aufgegriffen und weitergeführt.161 Dabei wird sie dazu gebraucht, um via negationis eine Begründung für die soteriologische Notwendigkeit von Christi befreiendem Erlösungshandeln beziehungsweise von Gottes vorausgehendem und nachfolgendem Gnadenhandeln zu formulieren.162 So entspricht auch Anselms frühe freiheitstheoretische Kritik an einer indeterministischen Relativierung der Knechtschaft seiner späten gnadentheologischen Kritik an einer ethischen Relativierung der Befreiung aus der Knechtschaft. Nicht zuletzt wird von Anselm in De libertate arbitrii 12 verdeutlicht, dass die interne Unüberwindbarkeit der Knechtschaft subjektiv in dem Unvermögen nicht zu sündigen (impotentia non peccandi) besteht und erfahren wird als Ohnmacht, durch die man nicht nicht sündigen kann (non posse non peccare).163 Mit der freiwilligen und selbstbestimmten Aufgabe des Rechtseins hat der Mensch Anselm zufolge nämlich die affektive Willensneigung zur Gerechtigkeit des Rechtseins verloren. So kann er, soweit es an ihm liegt, nur noch unrecht nach dem Angenehmen des natürlichen Glücks als höchstem Guten streben.164 Er kann nicht mehr die Gerechtigkeit wollen, weil Gott will, dass er sie will. Er kann nur noch entgegen dem göttlichen Liebeswillen Angenehmes wollen, nur weil er selbst es will. So ist er unvermögend, nicht zu sündigen. Deswegen nennt Anselm ihn auch „Magd der Ungerechtigkeit“.165 Da der Mensch als Knecht der Sünde alles was er will nur noch aus einem falschen Motiv und mit einem falschen Ziel wollen kann, ist er Anselm zufolge 159 

DLA 10 (SI), 222,10–19. DLA 11 (SI), 223,7–8. 161  CDH I,20–25 (SII), 86,17–96,20; DC III,3 (SI), 265,26–267,5. 162 Ebd. 163  DLA 12 (SI), 223,15–224,32. 164  Vgl. DC III,13–14 (SII), 285,7–288,19. 165  DC III,13 (SII), 287,5. 160 

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

nicht nur teilweise oder relativ unvermögend, nicht zu sündigen, sondern vollkommen. In Anlehnung an Augustin hebt er hervor, dass der verknechtete Mensch durch diese vollkommene Ohnmacht nur sündigen kann.166 Dabei verdeutlicht er, dass es sich bei der Ohnmacht, durch die der Mensch nicht nicht sündigen kann, nicht nur um einen Teilaspekt seines Lebensvollzugs in der Sünde handelt. Es handelt sich vielmehr um die Grundbestimmung, durch sie er sich auch ganz als Knecht der Sünde erfährt.167 Das Unvermögen des freien Willens in der Sünde wird damit nicht nur als ein Handeln wider bessere Einsicht gedeutet. Es gilt als ein verknechtetes freies Wollen ohne wahre Einsicht.168 Dass der Mensch in der Knechtschaft unter die Sünde vollkommen unvermögend ist, anders als unrecht zu wollen, bedeutet nach Anselm jedoch nicht, dass sein Wille nicht zugleich auf formale und potentielle, aber zum Guten unbrauchbare Weise frei ist, das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren zu können, wenn es ihm gegeben würde. Dies verdeutlicht er durch das Beispiel, dass jemand, auch wenn er in vollkommener Dunkelheit nichts sehen kann, dennoch das Vermögen hat, etwas zu sehen, wenn es Licht gibt.169 So argumentiert Anselm dafür, dass der Mensch von seinem natürlichen Ursprung her einen derart verknechteten freien Willen hat, dass er weder seine Freiheit noch seine Knechtschaft von sich aus auf heben kann.170

3.2.4. Die destruktive Dynamik der Knechtschaft Anselm beschreibt die intern unüberwindbare Knechtschaft des freien Willens unter die Sünde als eine solche, die einer Dynamik der Destruktion unterliegt. In De libertate arbitrii deutet er die Knechtschaft zunächst nur negativ, als von sich aus unabänderliches Unvermögen nicht zu sündigen.171 In De casu diaboli und De concordia III führt er dann jedoch positiv aus, wie der verknechtete freie Wille des Menschen das Vermögen zu sündigen aktual realisiert und sich darin radikalisiert. Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass der Mensch immer weniger von seiner Freiheit zum Guten Gebrauch machen kann und seinen verknechteten freien Willen immer mehr zum Bösen missbraucht. Anselm kennt drei Stufen der Maximierung des verknechteten freien Wollens: als Erstes, nicht Gutes um des Guten selbst willen zu wollen, als Zweites, Gutes unrecht zu wollen, um ohne Gerechtigkeit nicht gegebenes Glück zu 166 DLA 12 (SI), 223,26–224,1; vgl. Augustin, De dono perseverantiae VII,13 (PL 45), 1001. 167 Ebd. 168  Anders jedoch Goebel, Rectitudo, 473; Ders., Anselm von Canterbury über Willensschwäche, 89.108–112.; vgl. Ernst, Selbstwiderspruch der Freiheit, 220–222; vgl. Saarinen, Weakness of Will, 43–51. 169  DLA 12 (SI), 224,6–22. 170  DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32. 171  DLA 10–12 (SI), 222,25–224,32.

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde

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erlangen, und als Drittes, Gutes unrecht zu wollen, aus Verachtung beziehungsweise Hass auf das Gute. Die erste Stufe kann als der freiwillige Anfang der Knechtschaft bezeichnet werden, die zweite als ihr elender Vollzug und die dritte als ihr tödliches Ende.172 Dadurch legt sich nahe, dass Anselm die Korruption der Gottebenbildlichkeit und Freiheit des Menschen nicht nur als eine zunehmende Schwächung im freiwilligen Wollen von Gutem versteht, sondern auch als eine zunehmende Stärkung im bösen Wollen. Die Knechtschaft unter die Sünde beginnt nach Anselm dabei immer mit dem scheinbar geringen Defizit, nicht Gutes um des Guten selbst willen zu wollen. So wird in De casu diaboli 2–4 hervorgehoben, dass die ursprüngliche Verkehrung des Willens vom Empfangen und Schenken zum Rauben und Besitzenwollen mit einem Mangel an Liebe zu Gott als höchstem Guten beginnt. Dabei argumentiert Anselm, dass nicht einmal der diabolische Wille sich ursprünglich verkehrt, indem er direkt das Böse selbst oder etwas Böses um des Bösen selbst willen will.173 Selbst der bösest denkbare Wille wird durch nichts anderes böse, als dass er freiwillig darin nachlässt, das höchste Gute um seiner selbst willen zu lieben, weil er meint, dass es nicht genügt, Gott um seiner selbst willen zu lieben. Die Annahme, dass es nicht genügt, alles von Gott zu empfangen und Gott allein über alles zu lieben, beziehungsweise die Vermutung, dass es mehr als die Fülle des von Gott gegebenen Guten geben könnte sowie der entsprechende Mangel an gutem Wollen gilt als der unscheinbare Anfang des diabolisch bösen Wollens.174 Indem Anselm den Anfang des Bösen als Mangel an gutem Wollen beschreibt, stellt er die Subtilität der Sünde heraus. Sie vermutet einerseits einen Mangel, wo es keinen geben kann. Andererseits vermutet sie dort mehr, wo es gar nicht mehr geben kann. Aus dem sich verknechtenden freien Wollen, das sich dem freien Geben Gottes verschließt, folgt nach Anselm zunächst das verknechtete freie Wollen, mit dem man selbst etwas Gutes um eines weniger Guten willen will. Anselm beschreibt also das böse Wollen als ein solches, mit dem zweideutig etwas Angenehmes um des natürlichen Glücks willen gewollt wird, abgesehen von der von Gott gegebenen Gerechtigkeit. Diese Analyse des bösen Wollens beinhaltet eine Kritik antiker Eudaimonismuskonzeptionen.175 Auch wenn Anselm keine direkten Kenntnisse der aristo172 

DLA 5 (SI), 214,14–215,20; vgl. DC I,6 (SI), 257,5–27. DCD 2–4 (SI), 235,18–242,22; vgl. DLA 5 (SI), 214,14–215,20. 174 Ebd. 175 Ähnlich auch: Goebel, Rectitudo, 453–466. Anders hingegen: Rogers, Anselm on Freedom, 68–72. Siehe hierzu auch: Trego, L’Essence de la liberté, 18–38 und Ders., Commodum, Le bonheur selon Saint Anselm, in: Revue Philosophiques de Louvain (201;1) 2012, 104–123. 173 

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telischen Ethik hatte und unklar ist, in wie weit ihm andere spätantike Ansätze wie etwa die der Stoa und des Neuplatonismus durch Boethius bekannt gewesen sind, ist bei ihm die Ansicht erkennbar, dass der freie Wille einer Person auch dann unter das Böse verknechtet ist und einer Dynamik zum Ungerechteren unterliegt, wenn das höchste Gute im Glück eines weisen und gerechten, das heißt tugendhaften Lebens gesehen wird.176 Der Wille, der etwas anderes als Gott und das von ihm Gegebene als das höchste Gute liebt, will nach Anselm nämlich weder weise noch gerecht, weil er sich täuscht und weniger Gutes mehr als das wahre höchste Gute will. So wird der Wille, der etwas Angenehmes um des natürlichen Glücks willen – auch abgesehen von der von Gott gegebenen Gerechtigkeit – will, als der Inbegriff des bösen Willens gedeutet, der in seinem Glücksstreben letztendlich immer elender wird. In De concordia III,12–13 wird hervorgehoben, dass der freie Wille, der in sein unrechtes Glücksstreben verknechtet ist, immer elender wird, je mehr er unrecht nach dem Angenehmen des unrechten Glücks strebt, weil er immer mehr will, was ihm nicht gegeben ist und nicht wirklich zum Guten dient.177 So stellt Anselm die Differenz heraus, dass der verknechtete freie Wille deswegen immer elender wird, weil er im Gegensatz zum wahrhaft freien, aufrechten Willen sich nicht glückselig an dem genügen lassen kann, was ihm von Gott gerecht gegeben wird, sondern er elend immer mehr unrecht nach dem begehren muss, was ihm nicht gegeben ist.178 Metaphorisch wird diese Radikalisierung der Knechtschaft in De concordia III,8 als ein selbstverschuldetes Versinken von Sünde zu Sünde in einen Abgrund der Sünde beschrieben. So heißt es dort über jemanden, der willentlich sündigt, in Anlehnung an Ps 78,39 (Vg 77,39): Weil nämlich der Mensch Geist ist, der geht und nicht zurückkehrt, nachdem er freiwillig gefallen ist, wie nun von den willentlichen Sünden die Rede ist, so kann er auf keine Weise wieder aufstehen, wenn nicht die Gnade ihn wieder auf hebt, sondern versinkt durch sein Verdienst von Sünde in Sünde bis in einen Abgrund von Sünde ohne Boden, dass heißt von unvorstellbarer Tiefe, wenn er nicht von der Gnade zurückgehalten wird [...] 179

Damit wird die Dynamik der intern unüberwindbaren Knechtschaft unter die Sünde als ein Fortschritt im Bösen ad infinitum gedeutet. Die interne Unüberwindbarkeit der Knechtschaft wird dadurch nicht bloß statisch als eine Verhinderung der Realisierung des Guten verstanden, sondern dynamisch als eine Zunahme der Realisierung des Bösen.180 Das Bild vom haltlosen Abstürzen von Sünde zu Sünde wird von Anselm schließlich noch weitergeführt, indem das 176 

DC III 12–13 (SII), 284,9–287,21. DC III 13 (SII), 286,9–287,21. 178  Ebd.; vgl. DCD 6 (SI), 243,16–244,6. 179  DC III,8 (SII), 275,10–14. 180 Ebd. 177 

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Motiv des unvorstellbar tiefen Abgrunds der Sünde als die letzte Konsequenz der Knechtschaft ausgedeutet wird. In De concordia III,8 beschreibt er, dass die Radikalisierung im Bösen so stark ist, „dass auch das Gute für jenen zum Hass verkehrt wird, (ita ut etiam bonum illi vertatur in odium) und ihm das zum Tode ist (et sit ei in mortem).“181 Damit wird angedeutet, dass die letzte Konsequenz der intern unüberwindbaren Dynamik der Knechtschaft unter das Böse darin besteht, dass das Gute selbst gehasst und das Böse geliebt wird. Der Moment, in dem das Gute selbst gehasst wird, wird dabei zugleich als der Moment des umfassenden Todes verstanden. Die neuplatonisch geprägte Annahme, dass immer, auch im bösen Wollen etwas Gutes aus einem falschen Grund und Motiv gewollt wird, wird damit zugleich bekräftigt und überschritten.182 Indem eine Person das höchste Gute nicht nur unzureichend liebt, sondern hasst, korrumpiert sie Anselm zufolge selbst ihr eigenes Wesen. Sie hat sich dem Grund und Ziel ihres Seins ganz verschlossen und sich ganz dagegen gewandt, was sie wesenhaft ist. Damit hebt Anselm in Anlehnung an Paulus hervor, dass die Dynamik der intern unüberwindbaren Knechtschaft unter das Böse der Sünde nicht nur eine unauf haltsame Dynamik des Elends, sondern sogar eine destruktive Dynamik zum Tode darstellt.183 Diesen Tod deutet Anselm nicht als einen endlichen Tod, der mit dem geschichtlich-irdischen Leben endet, sondern als einen ewigen Tod im Hass auf die Liebe, beziehungsweise als ein unendliches unglückseliges Leben, das nicht in der Liebe lebt.184 Dieser wird jedoch nicht als ein bloß jenseitiger ewiger Tod verstanden, sondern als einer, der bereits das geschichtlich-irdische Leben des verknechteten freien Menschen als sein selbstgesetztes Ziel bestimmt.185 Damit wird von Anselm aufgezeigt, inwiefern der verknechtete freie Wille immer weniger zum Guten gebraucht werden kann und immer mehr zum Bösen missbraucht werden muss. In diesem Sinne kann seine Beschreibung der inneren Dynamik der intern unüberwindbaren Knechtschaft unter das Böse als Idee eines destruktiven Nexus von Sünde, Elend und Tod gedeutet werden.

181 

DC III,8 (SII), 275,14–15. Boethius, Philosophiae Consolatio III,1,1–12,38 (CChr.SL 94), 37,1–64,58. 183  DC III,8 (SII), 275,10–15. Der wahre Tod wird deswegen auch nicht im natürlichen Tod des Menschen gesehen, sondern im Verlust des eigenen Wesens durch den Hass auf Gott als das höchste Gute sowie der damit verbundenen Verachtung des Nächsten. Siehe hierzu auch: ML 71–74 (SI), 81,8–83,8. 184 Ebd. 185  DLA 10 (SI), 222,13–23. 182 Vgl.

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

3.2.5. Die bleibende Verantwortlichkeit ohne qualitativ alternative Wahlmöglichkeit Von Anselm wird weiter die Frage diskutiert, ob und inwiefern der verknechtete freie Mensch im Nexus von Sünde, Elend und Tod bleibend verantwortlich ist. Dabei wird mehrfach auf den Einwand eingegangen, dass jemand dann, wenn er von sich aus nicht mehr anders könne, als unrecht nach Glück zu streben, er auch nicht mehr verantwortlich sei, sondern schicksalhaft einer destruktiven Dynamik unterliege.186 Demgegenüber formuliert Anselm Argumente dafür, dass eine Person bleibend verantwortlich ist für alles, was sie mit ihrem verknechteten freien Willen will und tut, auch wenn sie nicht mehr von sich aus alternativ das wahre höchste Gute erkennen und lieben kann.187 Damit deutet er die unauf haltsame Dynamik zum Ungerechteren als eine selbstverschuldete Anhäufung von Schuld. An diesem Punkt zeigt sich am deutlichsten, dass Anselm Freiheit und Verantwortlichkeit nicht mit dem Vermögen identifiziert, qualitativ anders wollen und wählen zu können, sondern vorgängig in der Bewahrung der Gabe der Gerechtigkeit und Freiheit sieht.188 So formuliert er zwei Begründungen der bleibenden Freiheit und Verantwortlichkeit in der Knechtschaft unter die Sünde. Zum einen argumentiert Anselm in De libertate arbitrii 10–12, Cur Deus homo I,24 und De concordia III,7 subjektbezogen. Er stellt heraus, dass der Mensch bleibend frei und verantwortlich ist, obwohl er faktisch unvermögend ist, alternativ die Gerechtigkeit zu wählen. Der Grund dafür wird darin gesehen, dass es ein selbstverschuldetes Unvermögen ist und kein ursprünglich geschaffenes oder vorausgehend notwendiges Defizit.189 So wird in De libertate arbitrii 10–12 betont, dass der verknechtete Wille des Menschen aus dem Grund zugleich auch ein bleibend freier Wille ist, dass er nicht gegen seinen Willen vom Rechtsein losgerissen werden kann, sondern dann, wenn er recht ist, auch das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren kann.190 Trotz der internen Unüberwindbarkeit der Knechtschaft unter das Böse gilt der Mensch deswegen nach Anselm weiter als potentiell und formal frei, weil sein rechter Freiheitsgebrauch extern unüberwindbar wäre. Damit legt sich die Deutung nahe, dass der Mensch deswegen als bleibend ver186 CDH I,24 (SII), 92,8–9; DC III,7 (SII), 273,8–12; vgl. DLA 10–12 (SI), 222,25– 224,32. 187  Vgl. zur Kritik, dass Anselm das von Augustin hinterlassene Problem der Verantwortlichkeit nicht befriedigend löse: Goebel, Rectitudo, 493–496; Ekenberg, Falling Freely, 83–85 und Trego, Le Péché originel, 296–301. 188  Anders hingegen Rogers, Anselm, 73–74. So an diesem Punkt auch: Ekenberg, Falling Freely, 87–93. 189  DLA 10–12 (SI), 222,25–224,32; CDH I,24 (SII), 92,2–94,23; DC III,7 (SII), 273,8– 274,2. 190  DLA 11 (SI), 223,3–11; DLA 12 (SI), 224,1–5.

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antwortlich gilt, weil er bleibend natürlich frei ist und weil die Korruption der Freiheit willentlich vollzogen wird.191 Dadurch wird das Unvermögen, nicht zu sündigen, als ein ursprünglich freiwillig und selbstbestimmt bewirktes, das heißt als ein selbstverschuldetes Unvermögen gedeutet. Dieser Gedanke wird in Cur Deus homo I,24 und De concordia III,7 hamartiologisch weitergeführt und auf die These zugespitzt, dass das natürliche Unvermögen, nicht zu sündigen, den Menschen deswegen nicht entschuldigt, weil es ursprünglich selbstverschuldet ist.192 Dabei geht Anselm davon aus, dass das Unvermögen, die Freiheit zur alternativen Wahl der Gerechtigkeit zu gebrauchen, den Menschen dann entschuldigen würde, wenn es ein geschaffenes, natürliches Unvermögen wäre und nicht ein ursprünglich freiwillig und selbstbestimmt bewirktes Unvermögen.193 Wie es als ein selbstverschuldetes Unvermögen verstanden werden kann, wird von Anselm durch das Beispiel eines Arbeiters bildlich veranschaulicht. Demnach kann das Unvermögen zur Gerechtigkeit ähnlich verstanden werden, wie das Unvermögen eines Arbeiters, dem eine Arbeit aufgetragen worden ist mit der Anweisung, sich dabei nicht in eine Grube zu begeben und mit der Warnung, dass sie derart tief sei, dass er nicht mehr herauskommen würde. Wenn dieser sich dann aber entgegen der Anweisung und Warnung in die Grube begibt, kann er weder wieder herauskommen noch die ihm aufgetragene Arbeit ausführen.194 Anselm zieht hier die Analogie, dass das Unvermögen die durch die ursprüngliche Ungerechtigkeit entstandene Schuld wieder gut zu machen und das Unvermögen zur Gerechtigkeit den Menschen nicht entschuldigt, so wie das Unvermögen, selbst wieder aus der Grube herauszukommen und das Unvermögen, die Arbeit auszuführen, den Arbeiter nicht entschuldigt. In Cur Deus homo I,24 wird hamartiologisch weiter ausgeführt, dass der Mensch für ein doppeltes Unvermögen verantwortlich ist.195 Unter Bezug auf das Beispiel wird argumentiert, dass der Mensch sowohl dafür verantwortlich ist, dass er nicht tun kann, was er tun können soll, als auch dafür, dass er nicht anders als wollen kann, was er nicht wollen soll.196 In De concordia III,7 wird dieser Gedanke noch in Bezug auf das Unvermögen des Menschen weitergeführt, von sich aus das Wort Gottes aufzunehmen, ohne dass Gott ihm zuvor die Gnade dazu schenkt.197 Auch in diesem gnadentheologischen Zusammenhang argumentiert Anselm subjektbezogen, dass das Unvermögen, von sich aus das Rechtsein wiederzuerlangen, den Menschen nicht entschuldigt, weil es ein 191 Ebd. 192 

CDH I,24 (SII), 92,2–94,23; DC III,7 (SII), 273,8–274,2. Vgl. DCV 2 (SII), 144,1–4. 194  CDH I,24 (SII), 92,10–17. 195  CDH I,24 (SII), 92,18–94,23. 196 Ebd. 197  DC III,7 (SII), 273,8–274,2. 193 

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

selbstverschuldetes Unvermögen ist. So spitzt er die hamartiologischen Überlegungen auf die These zu, dass ein Unvermögen, das aus Schuld hervorgeht, den, der das Unvermögen hat, nicht entschuldigt, solange die Schuld bleibt.198

Bereits in De libertate arbitrii 11–12 wird dafür argumentiert, dass der Mensch für die Knechtschaft unter die Sünde bleibend selbst verantwortlich ist und in Cur Deus homo I,24 wird verdeutlicht, dass auch das Unvermögen zur internen Überwindung der Knechtschaft ein selbstverschuldetes, zu verantwortendes Unvermögen ist. Im Anschluss an diese Überlegungen wird in De concordia III,7 schließlich die Annahme begründet, dass das Unvermögen ohne die Gabe der Gnade anders als ungerecht zu wollen konsequenter Weise auch ein selbstverschuldetes, zu verantwortendes Unvermögen ist. Damit wendet sich Anselm dreifach gegen die Annahme, dass das Unvermögen, anders als unrecht wollen zu können, die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen aufhebt.199 Er argumentiert im Gegenteil dafür, dass der Mensch auch dann, wenn er nicht anders als ungerecht wollen kann, für dieses ungerechte Wollen und alle seine Konsequenzen verantwortlich ist, weil es ein selbstverschuldetes Unvermögen ist. Zudem begründet Anselm die bleibende Verantwortlichkeit in De casu diabo­ li 16 normativ mit der Annahme, dass das Sollen trotz Unvermögen seine Gültigkeit behält. Das Sollen der Gerechtigkeit wird von ihm theologisch begründet, durch den Verweis auf die Gabe (donum) der Gerechtigkeit.200 Das Geschöpf steht demnach immer unter dem Anspruch, gerecht sein zu sollen, weil ihm ursprünglich vom Schöpfer die Gabe der Gerechtigkeit in der Weise zugesprochen worden ist, dass es sie mit seinem freien Willen immer hätte bewahren können. Dabei betont Anselm, dass der Sollensanspruch nur durch die ursprüngliche Gabe konstituiert wird, durch die sowohl der Wille, sie zu bewahren, als auch das Vermögen, sie bewahren zu können, als auch das Gebot, sie bewahren zu sollen, mitgegeben worden sind. Durch die freiwillige Verknechtung unter die Sünde verliert der Mensch nach Anselm nur das Vermögen, sie wirklich bewahren zu wollen und zu können, hebt jedoch nicht den Anspruch auf, die Gabe bewahren zu sollen, sondern der Mensch wird „Schuldner der Gerechtigkeit“.201 So deutet Anselm die bleibende Gültigkeit des gerecht sein Sollens als eine „schöne Spur“ (vestigia pulchra) der verlorenen Gabe der Gerechtigkeit, die trotz aller Schuld und allem Unvermögen ein Zeichen der „natürlichen Würde“ (na­

198 

DC III,7 (SII), 273,12–13. Rogers, Anselm on Freedom, 73–82. 200  DCD 16 (SI), 259,15–262,6. 201  DCD 16 (SI), 259,23–27. 199 Vgl.

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turalem dignitatem) darstellt.202 Dadurch wird herausgestellt, dass die bleibende Gültigkeit des Sollens zwar die bleibende Verantwortlichkeit und Freiheit trotz des Unvermögens, das gesollte Gute zu wollen, begründet, nicht aber Grund oder Ursache der Schuld und des Unvermögens selbst ist. Dadurch deutet Anselm die intern unüberwindbare Dynamik der Destruktion als Anhäufung von Schuld, beziehungsweise als Prozess, in dem der Mensch durch sein eigenes Verdienst mit seinem unrechten Wollen und Tun Schuld für Schuld anhäuft, ohne das Vermögen, sie wieder gut machen zu können.

3.2.6. Die Regierung, Verurteilung und Überwindung des Bösen durch Gott Schließlich geht Anselm in nahezu allen Schriften immer wieder auf die Frage nach der Regierung, Verurteilung und Überwindung des Bösen durch Gott ein.203 Dabei wird nicht nur überlegt, warum Gott – obwohl er Schöpfer und Erhalter von allem ist – nicht auch Urheber des Bösen ist, welches er seine Geschöpfe missfallend tun lässt. Es wird auch reflektiert, inwiefern Gott als Herrscher, Richter, Erlöser und Vollender von allem, auch alles Böse regiert, verurteilt und überwindet.204 Die Annahme, dass die göttliche Zulassung des Bösen keinen Widerspruch zur göttlichen Vollkommenheit darstellt, begründet Anselm in dem Zusammenhang damit, dass das Böse keine Macht hat, die Realisierung von Gottes Liebeswillen und Heilsplan aufzuhalten. Vielmehr wird es am Ende als vollkommen ohnmächtig erwiesen werden. Dies impliziert freiheitstheoretisch, dass die Knechtschaft unter die Sünde nicht als eine solche gedeutet werden kann, die sich unabhängig von Gott selbst vollzieht, die seiner vollkommenen Macht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit entzogen ist und die der gnadenvollen Realisierung des göttlichen Heilsplans wirklich etwas entgegensetzen kann. Sie wird von Anselm als eine Knechtschaft beschrieben, die sich im Herrschaftsbereich Gottes vollzieht und in der sich die Geschöpfe dem göttlichen Liebeswillen und ihrer wesensgemäßen Bestimmung vorläufig freiwillig und selbstbestimmt widersetzen können. Dass Gott über alles, einschließlich der von ihm missfallend zugelassenen Verknechtung unter das Böse vollkommen mächtig, weise, gütig und gerecht regiert, wird bereits in Überlegungen in Monologion 80 angedeutet.205 Dort wird darüber reflektiert, dass Gott in seiner Dreieinigkeit über alles herrscht und alles regiert. Dabei heißt es mit pneumatologischer Akzentsetzung, dass der „vollkommen gute und vollkommen mächtige Geist“ (summe bonus et summe potens spiritus) „über alles herrscht und alles lenkt“ (dominatur omnibus et regit om­ 202 

DCD 16 (SI), 259,28–260,26. ML 80 (SI), 86,16–87,13. 204 Ebd. 205  ML 80 (SI), 86,16–87,13. 203 

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3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

nia).206 Begründet wird dieser Gedanke, indem aufgezeigt wird, dass die Annahme, Gott schaffe und bewahre als gütiger Schöpfer alles durch seine vollkommen gute und weise Allmacht, beinhaltet, dass Gott auch als der vollkommen mächtige Herr und vollkommen weise Lenker über alles herrscht und alles lenkt. Die gegenteilige Annahme erweist sich nach Anselm nämlich als selbstwidersprüchlich. So zeigt er auf, dass es einen Widerspruch darstellen würde, zugleich anzunehmen, dass das, was allein durch die vollkommen gute und vollkommen weise Allmacht des Schöpfers da ist, nicht auch zugleich dadurch regiert und gelenkt werde. Die Annahme, dass es entweder „von einem anderen, der weniger mächtig, gut und weise “ ist (ab alio minus potente minusve bono vel sapiente) regiert wird oder „durch keinen vollkommenen Grund beziehungsweise keine vollkommene Vernunft, sondern „nur durch den ungeordnete Wandel der Zufälle“ (sola casuum inordinata volubilitate) gelenkt wird, erweist sich nach Anselm also als selbstwidersprüchlich.207 Damit steht sowohl eine Bestreitung als auch eine Relativierung der göttlichen Allmacht angesichts des Bösen in der Schöpfung nach Anselm im Widerspruch zur Annahme, dass Gott in seiner Dreieinigkeit der gütige Schöpfer von allem ist.208 So geht Anselm auch in den nachfolgenden Schriften nicht von einer Selbsteinschränkung der göttlichen Allmacht aus. Vielmehr bildet die Annahme der Unbegrenztheit der vollkommen guten und vollkommen weisen Allmacht Gottes in De concordia eine wichtige Voraussetzung für seinen Ansatz zur Lösung des Problems der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gott und Freiheit.209 Zudem hebt Anselm hervor, dass die dem Akt der freiwilligen und selbstbestimmten Verknechtung nachfolgend notwendige Knechtschaft unter die Sünde nicht nur als eine innere Dynamik des Bösen zu deuten ist. In Bezug auf Gott sei sie auch als Verwirklichung des gerechtes Urteils beziehungsweise als göttliche Strafe zu deuten, durch die das Böse dem gerechten göttlichen Willen untergeordnet und in sich begrenzt wird.210 Dadurch macht Anselm die Annahme stark, dass nicht nur der Ursprung, sondern auch die Entfaltung des Bösen als ein Phänomen innerhalb der Schöpfung zu verstehen ist. Das göttliche Urteil und die gerechte Strafe über das Böse bewirkt dabei Anselm zufolge, dass 206 

ML 80 (SI), 86,23–87,1. ML 80 (SI), 87,1–13. 208  Ebd.; vgl. Rogers, Anselm, 82; 92; 101; 122; Rogers vertritt dort hingegen die Deutung, Anselm gehe davon aus, dass „Gott Wesen geschaffen habe, die er nicht kontrollieren könne“. Schließlich schreibt sie Anselm auch die Auffassung zu, „dass der Mensch zu seinem eigenen Wesen beitrage“, dass er auf Gott kausal einwirke, und auch „Gottes Natur verursache“. Dadurch bestätigt sie in gewisser Weise Anselms These, dass man Gottes Allmacht nicht konsistent in Frage stellen kann, ohne nicht auch zugleich Gott als dreieinigen Schöpfer zu bestreiten. 209  DC I,7 (SII), 257,29–260; DC II,1–3 (SII), 260,6–262,22 und DC III,14 (SI), 287,23– 288,19. 210  CDH I,12 (SII), 69,6–71,3; vgl. DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32. 207 

3.2. Die Beschreibung des verknechteten, potentiellen Freiseins im Nexus der Sünde

171

alles Böse durch Gerechtigkeit in die Schöpfung eingeordnet bleibt und sich nicht als vollkommen unabhängige Macht unbegrenzt selbst entfalten kann. Dieses aus der alttestamentlichen Gerichtsprophetie sowie dem Hiobbuch entlehnte Motiv der Begrenzung und Ordnung des Bösen durch Gottes strafende beziehungsweise vergeltende Gerechtigkeit wird dabei bereits in Proslogion 9–11 im Zusammenhang der Reflexion der göttlichen Wesenseigenschaften thematisiert.211 Im Folgenden dient es zur Kritik an einem indeterministischen Freiheitsverständnis sowie an der überlieferten Loskauf- beziehungsweise Täuschungstheorie.212 Dabei wird zum einen hervorgehoben, dass die dem ersten Sündenakt nachfolgende Notwendigkeit der Knechtschaft unter die Sünde und die entsprechende Korruption der Freiheit und Verkehrung des Willens eine durch Gottes richtende Gerechtigkeit bedingte Notwendigkeit ist.213 Zum anderen wird dadurch betont, dass die nachfolgend notwendige Knechtschaft unter das Böse gerade nicht ein neues Rechtverhältnis konstituiert. Sie sei als ein radikales Unrechtsverhältnis aufzufassen, das trotz allem Mangel an Gerechtigkeit der göttlichen Gerechtigkeit untergeordnet bleibt.214 Anders als Boethius in der Consolatio philosophiae bleibt Anselm jedoch nicht bei dem Gedanken stehen, dass das Böse durch Gerechtigkeit vergolten und geordnet werde.215 Vielmehr führt er ihn weiter, indem er dafür argumentiert, dass das Böse durch Gottes rettende Gerechtigkeit und Güte überwunden wird. Bereits in Proslogion 9–11 findet sich der Gedanke, dass Gottes Gerechtigkeit derart vollkommen ist, dass sie nicht nur Böses mit Bösem und Gutes mit Gutem vergilt, sondern vielmehr auch aus unermesslicher Güte Böses geduldig schont und barmherzig überwindet. So heißt es in Proslogion 9: O Unermesslichkeit der Güte Gottes, mit welchem Gefühl bist du von den Sündern zu lieben! Denn die Gerechten rettest du durch die Gerechtigkeit, die sie begleitet. Jene befreist du wahrhaft trotz der Gerechtigkeit, die sie verurteilt.216

Dabei wird hervorgehoben, dass Gottes Gerechtigkeit als derart vollkommen und machtvoll zu denken ist, dass sie nicht nur aus Nichtguten, sondern auch aus Bösen Gute machen kann ( facias bonos de malis).217 So steht bei Anselm von Anfang an die Annahme der Überwindung des Bösen durch das Gute im Blickpunkt. Dementsprechend wird nicht nur in Proslogion 26 die Fülle des höchsten Guten in eschatologischer Perspektive als eine solche beschrieben, von der begründet zu hoffen ist, dass sie letztendlich alles in allem sein wird und von allem 211 

PL 9–11 (SI), 106,15–110,3. DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32; CDH I,7 (SI), 55,11–59,5. 213  DLA 10–12 (SI), 222,1–224,32. 214  CDH I,7 (SI), 55,11–59,5. 215 vgl. Boethius, Philosophiae consolatio, V,6,33–48 (CChr.SL 94), 104,110–105,156. 216  PL 9 (SI), 107,23–24. 217  PL 10 (SI), 108,22–109,6. 212 

172

3. Freiheit und das Problem des Bösen. Die Verknechtung des freien Wahlvermögens

Bösen frei machen wird.218 Vielmehr wird auch in De libertate arbitrii, Cur Deus homo und De concordia III ausgeführt, wie die Überwindung des Bösen durch Gott freiheitstheoretisch verstanden werden kann.219 Dabei wird in verschiedenen Argumentationsgängen die Annahme begründet, dass das Böse gegenüber der vollkommenen Güte Gottes keine Macht an sich hat, durch die es die Realisierung des göttlichen Heilsplans und Liebeswillens verhindern könnte. Indem das Böse als ein innergeschöpfliches, widergöttliches Phänomen gedeutet wird, von dem begründet gehofft werden kann, dass es durch die göttliche Güte überwunden werden kann, wird die Knechtschaft unter die Sünde als eine verstanden, aus der der Mensch durch Gottes Gnade befreit werden kann.220 So wird das Motiv der Überwindung des Bösen von Anselm konzeptionell mit dem der Befreiung aus der Knechtschaft unter die Sünde verbunden. Beide Aspekte bilden eine Analogie: so, wie ontologisch aufgezeigt werden kann, dass das Böse dem Guten nichts wesenhaft Seiendes entgegensetzten kann, so kann freiheitstheoretisch auch angenommen werden, dass die Knechtschaft unter das Böse sich der befreienden Gnade letztendlich nicht widersetzen kann.221

3.3. Zusammenfassung Als freiheitstheoretisch bedeutsam lässt sich festhalten, dass Anselm Freiheit und Böses in einem konträren Verhältnis sieht. Zum einen wurde nämlich deutlich, dass von ihm die schöpferische Gabe der Freiheit zur Gerechtigkeit nicht als Grund für die freiwillige Realisierung des Bösen verstanden wird. Sie wird vielmehr als Grund für die Verantwortlichkeit für die freiwillige Realisierung des Bösen entgegen der gnadenvollen Gabe der Freiheit und Gerechtigkeit betrachtet. Zum anderen ist gezeigt worden, dass er das Böse nicht als etwas versteht, das für den aktualen Freiheitsgebrauch notwendig oder hilfreich ist. Es gilt als Alternative, unter die sich die ersten Geschöpfe freiwillig verknechtet haben, obwohl sie hätte überwunden werden sollen und können. Zudem kann gesagt werden, dass Anselm anthropologisch die Verknechtung des freien Willens unter das Böse als Korruption der ganzen Person deutet. Es wurde nämlich aufgezeigt, dass er sich konzeptionell von einem Ansatz unterscheidet, demzufolge die Verknechtung essentialistisch als wesenhafter Wandel der menschlichen Natur gedeutet wird, wodurch dann auch die menschliche Freiheit und Verantwortlichkeit und damit in letzter Konsequenz auch das Per218 

PL 25–26 (SI), 118,11–122,2. DLA 10 (SI), 222,10–19; CDH I,1-II, 4 (SII), 7,4–133,15 und DC III,1–14 (SI), 263,3– 288,19. 220 Ebd. 221  CDH II,14–15 (SII), 113,20–115,4; CDH II,19–21 (SII), 129,28–132,28; DC III,1–14 (SI), 263,3–288,19. 219 

3.3. Zusammenfassung

173

sonsein des Menschen aufgehoben werden würden. Und es wurde deutlich, dass er sich auch von einer Position abgrenzt, bei der die Verknechtung akttheoretisch nur für eine von sich aus überwindbare Schwäche der eigenen natürlichen geistigen Vermögen gehalten wird. Schließlich kann drittens festgehalten werden, dass Anselm theologisch-ontologisch in seiner Konzeption des verknechteten freien Wahlvermögens deterministische und indeterministische Elemente verbindet. Es wurde nämlich gezeigt, dass er sich sowohl gegenüber rein indeterministischen als auch von rein deterministischen Freiheits- und Wirklichkeitsverständnissen abgrenzt. Anders als in rein indeterministischen Konzeptionen wird von Anselm nämlich eine ursprüngliche Indifferenz des Willens bestritten. Demgegenüber wird eine ursprüngliche, mit der Schöpfung gegebene Ausrichtung auf das höchste Gute angenommen und eine Verkehrung dieser Ausrichtung, die allen Nachkommen vorgegeben ist. Dadurch radikalisiert er den Ansatz Augustins. Zudem betont er im Unterschied zu einem reinen Indeterminismus, dass die Knechtschaft den freien Willen nachfolgend notwendig so bestimmt, dass Menschen trotzdem verantwortlich bleiben, auch wenn sie real nicht mehr alternativ die Gerechtigkeit um ihrer selbst willen wollen können. Von rein deterministischen Ansätzen unterscheidet er sich hingegen, da er die Annahme widerlegt, dass die Realisierung des Bösen vorausgehend notwendig ist. Dies tut er zum einen, indem er durch den privationstheoretischen Aufweis der ontologischen Grund- und Wesenlosigkeit des Bösen einen ontologischen Determinismus zum Bösen zurückweist. Zum anderen tut er dies, indem er mit theologischen Argumenten für die Annahme, dass Gott zwar als gütiger Schöpfer von allem auch das Böse zulässt, es aber auch regiert, richtet und überwindet, und nicht Urheber des Bösen genannt werden kann, einen theologischen Fatalismus zum Bösen kritisiert. Geschichtlich geht Anselm damit über neuplatonische Ansätze, wie etwa von Origenes, Boethius, Johannes Scotus Eriugena hinaus. Er versucht, die Mehrdeutigkeiten des Erbes Augustins durch eine rationale Neukonzeption zu lösen.

4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben 4.0. Einleitung Aktual frei werden Menschen Anselm zufolge durch Christus und in Christus.1 Diese Verschränkung freiheitstheoretischer und christologisch-soteriologischer Gedanken ist in den neusten Arbeiten zu Anselms Christologie herausgearbeitet worden. Sie wird jedoch in fast allen Monographien zu Anselms Freiheitsverständnis ausgeklammert.2 Diese Ausklammerung ist meiner Ansicht nach aber sowohl in historischer als auch systematischer Hinsicht problematisch. Historisch unzutreffend ist daran meiner Ansicht nach, dass Anselms Freiheitsverständnis dadurch in eine rein metaphysische oder sogar in eine pelagianisierende Denklinie eingezeichnet wird. Seine Verwurzelung im biblischen und augustinischen Freiheitsverständnis wird nicht beachtet. Sie legt sich aber von den Texten selbst, ihren Quellen und ihrem Entstehungskontext her nah.3 Systematisch wird Anselms Freiheitsverständnis dadurch meiner Meinung nach zu Unrecht auf eine rein philosophische Konzeption natürlicher Freiheit reduziert. Die religiöse und theologische Dimension wird nicht wahrgenommen, obwohl von Anselm Christus explizit die „Ursache der Freiheit“ (causa libertatis) genannt wird und die Erlösung durch ihn als „Befreiung“ (liberatio) bezeichnet wird.4

1 

CDH SII, 39,1–133,15; M III (SII), 84,3–89,158; DC III,10–14 (SI), 278,12–288,19. Zur Herausarbeitung des freiheitstheoretischen Aspekts in neueren Arbeiten zu Anselms Christologie siehe: John McIntyre, St. Anselm and his Critics: a Reinterpretation of the Cur Deus homo, Edinburgh 1954; Gerhard Gäde, Eine andere Barmherzigkeit. Zum Verständnis der Erlösungslehre Anselms von Canterbury, Freiburg (Schweiz) 1989; Georg Plasger, Die Not-Wendigkeit der Gerechtigkeit. Eine Interpretation zu Cur Deus homo von Anselm von Canterbury, Münster 1993 und insbesondere aber die neusten Monographien von Michel Corbin, La Liberté du Fils, in: Espérer pour tous. Ètudes sur Saint Anselme de Cantobéry, Paris 2006, 55–110 und Daniel Dehme, The Christology of Anselm of Canterbury, Ashgate 2003. Eine Ausnahme zur Ausklammerung des christologischen Aspekts in den Monographien zu Anselms Freiheitsverständnis ist: Antonio Orazzo, Analogia Libertatis. La libertà tra metafisica e storia in sant’ Anselmo, San Paolo 2003. 3  Siehe hierzu insbesondere: Southern, Saint Anselm, A Potrait in a Landscape, Cambridge 1990, 167–174.; 277–329; Giles E.M. Gasper, Anselm of Canterbury and his Theological Inheritance, Aldershot 2004, 1–42; 144–173. 4  M III (SIII), 84,13–16; 88,129–131; CDH I,5–6 (SII), 52,12–93,8. 2 

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

175

Im vierten Kapitel wird deswegen seine Analyse der Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben im Zusammenhang mit ihrer trinitarisch-christologischen Begründung dargestellt. Textgrundlage hierfür sind hauptsächlich Cur Deus homo, die dazu verfasste Meditatio redemptionis humanae sowie De concordia I.5 In Cur Deus homo wird die Notwendigkeit des Christusereignisses für die Befreiung des Menschen rein argumentativ zu begründen versucht. In der Meditatio redemptionis humanae wird zum einen die Argumentation komprimiert wiederholt und zum anderen die subjektive Seite des Befreiungsgeschehens ausgedeutet. In De concordia I,6 und III wird schließlich im Kontext gnadentheologischer Überlegungen die im Glauben gegebene aktuale Freiheit beschrieben. Aus dem inneren Zusammenhang dieser drei Texte legt sich nah, dass Anselm davon ausgeht, der Mensch werde durch Christus dazu befreit, seine Freiheit aktual zu gebrauchen. Dies soll im Folgenden aufgezeigt werden, indem zum einen (4.1.) Anselms trinitarisch-christologische Begründung der aktualen Freiheit im Glauben erläutert wird und zum anderen (4.2.) seine Beschreibung des befreiten aktualen Gebrauchs der Freiheit in der neu gegebenen Gerechtigkeit beschrieben wird.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung In Cur Deus homo, der Meditatio redemptionis humanae und De concordia III,6–10 formuliert Anselm schließlich eine christologische Begründung der befreiten Freiheit im Glauben.6 Dadurch wird im trinitarischen Horizont der bereits in De libertate arbitrii 3 und 10 angedeutete Gedanke ausgeführt, dass der Mensch, der die Freiheit der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und seiner eigenen wesensgemäßen Zielbestimmung freiwillig aufgegeben und sich selbst unter das Gegenteil verknechtet hat, sie unmöglich wiedererlangen kann, wenn sie ihm nicht von Gott gnadenhaft neu gegeben wird.7 So wird ein Argument dafür entwickelt, dass Gottes Gnadenhandeln in Christus notwendig ist, um den Menschen zu erlösen und um ihn aus der Verknechtung der Sünde zu befreien und seine ursprüngliche Natur zu erneuern.8 Davon ausgehend, dass die5  M III (SIII), 84,2–89,157; CDH I,1-II,22 (SII), 39,1–133,15; DC III,6–10 (SII), 270,11– 278,25; zur Struktur von Cur Deus homo und der Meditatio redemptionis humanae siehe insbesondere die Analysen von: Klaus Kienzler, Zur Struktur von Cur Deus homo, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21–23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salmann, Rom 1999, 597–608 und Denis J. Billy, Anselm of Canterburys Meditatio redemptionis humanae: a Structural Analysis, in: Studia moralia 42 (2004), 391–410. 6  M III (SII), 84,2–89,157; CDH I,1-II,22 (SII), 39,1–133,15; DC III,6–10 (SII), 270,11– 278,25. 7  DLA 3 (SI), 211,23–26; DLA 10 (SI), 222,1–23. 8  CDH I,1-II,22 (SII), 39,1–133,15; vgl. M III (SII), 86,63–88,128.

176

4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

se Befreiung zur wahren Freiheit in Christus ein wahres Ereignis in der Geschichte ist, wird von Anselm versucht, dies im christlichen Glauben denkend nachzuvollziehen und im philosophischen und interreligiösen Dialog gegenüber kritischen Einwänden von Juden, Muslimen und Vertretern säkularer Schulen argumentativ mitzuteilen.9 Im Kontext der modernen Christologie lassen sich dabei zwei Interpretationslinien erkennen. In einer Interpretationslinie, die insbesondere in der älteren, dogmengeschichtlichen Forschung vertreten worden ist, ist im Bewusstsein historischer Kontextgebundenheit des Denkens versucht worden, dieses Argument aus dem historischen Kontext feudaler Sozialstrukturen kirchlicher Bußpraxis abzuleiten und geschichtlich einzuordnen.10 In einer anderen Interpretationslinie, die insbesondere in einigen neueren philosophischen und theologischen Deutungen stark gemacht wird, wird hingegen darüber hinaus versucht, textbasiert den philosophischen und theologischen Gehalt und die Struktur der Argumentation herauszuarbeiten und zu analysieren.11 Im Folgenden sollen dieser zweiten Interpretationslinie folgend der theologische Gehalt und die Struktur des Arguments herausgearbeitet werden, um es für das gegenwärtige Denken und interne Kritik zugänglich zu machen, sowie Fehldeutungen aufzuzeigen.12 In Anselms christologischer Begründung der befreiten Freiheit im Glauben sind meiner Ansicht nach fünf Elemente zentral, die nun sukzessive rekonstru9  M III, SII, 84,3–12; Siehe hierzu: Julia Gauss, Anselm von Canterbury. Zur Begegnung und Auseinandersetzung der Religionen, in: Saeculum 17 (1966), 277–363; Dies., Anselm und die Islamfrage, in: Theologische Zeitschrift 19 (1963), 250–272; Siehe hierzu insbesondere auch: Southern, Saint Anselm, 198–205. 10  Siehe: Albrecht Ritschl, Die Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd.  1, Bonn (3. Aufl.) 1889, 31–47; Adolf von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd.  3. Die Entwicklung des Kirchlichen Dogmas, II;III, Darmstadt (4. Aufl.), 1964, 388–410; Gustav Aulén, Christus Victor: An Historical Study of the 3 Main Types of the Idea of Atonement, London 1970; Gisbert Greshake, Erlösung und Freiheit. Zur Neuinterpretation der Erlösungslehre Anselm von Canterburys, in: Theologische Quartalschrift 153 (1973), 323– 345. 11  Siehe hierzu: Karl Barth, Unterricht in der christlichen Religion, Bd.  3. Die Lehre von der Versöhnung;Die Lehre von der Erlösung 1925;1926, in: Ders., Gesamtausgabe Akademische Werke, hg. v. Hinrich Stoevesandt, Zürich 2003, 123–127 und Hans U. von Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik, Bd.  2 . Fächer der Stile, Teil 1 Klerikale Stile, Einsiedeln 1969, 219–257; Ders., Theo-Dramatik, Bd.  3, Die Handlung, Einsiedeln 1980, 235–241; Plasger, Die Not-Wendigkeit der Gerechtigkeit, 145–154; Hans-Martin Rieger, Der Gottesdienst des Gekreuzigten. Zum systematisch-theologischen Problemniveau von Anselms Cur Deus homo, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 47 (2005), 173–197 und Flora A. Keshgegian, The Scandal of the Cross: Revisiting Anselm and His Feminist Critics, in: Anglican Theological Review 82 (2000), 475–492. Siehe insbesondere auch: Corbin, La Liberté du fils, 55–109 und Dehme, The Christology of Anselm, 236–248. 12  Siehe hierzu auch: Southern, Saint Anselm, 221–227; McIntyre, St. Anselm and his critics, 186–205; und Rieger, Der Gottesdienst des Gekreuzigten, 186–197.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

177

iert werden sollen. Als Erstes (4.1.1.) wird untersucht, in welchem Sinne Anselm Gottes Befreiungshandeln als frei und in welchem Sinne als notwendig darstellt. Im Anschluss daran wird als Zweites (4.1.2.) sein Verständnis der Freiheit Christi dargestellt, durch das die Bedeutung des Lebens Jesu hervorgehoben wird und das für seine Deutung von Christus als „Vorbild der Freiheit“ (exemplum libertatis) und als vollkommen Freier entscheidend ist. Sodann soll als Drittes (4.1.3.) Anselms Interpretation von Christi Befreiungshandeln analysiert werden, durch das die Bedeutung seines Todes betont und Christus als „Ursache der Freiheit“ und als Befreier (causa libertatis sive liberator) dargestellt wird. Als Viertes (4.1.4.) wird dann untersucht, wie Anselm die Wirkung dieser freiwilligen, befreienden Selbsthingabe Christi inklusiv als universale Wirkung deutet. Schließlich soll fünftens (4.1.5.) rekonstruiert werden, wie die Anteilgabe an der Befreiung pneumatologisch und ekklesiologisch als konkrete, wort- und zeichenhaft vermittelte Anteilgabe am Geist der Freiheit Christi verstanden wird.

4.1.1. Die Freiheit und Notwendigkeit von Gottes Befreiungshandeln in Christus In Cur Deus homo und in der Meditatio redemptionis humanae geht Anselm der Frage nach, in welchem Sinne Gottes befreiendes Erlösungshandeln in Christus als notwendig und in welchem Sinne als frei verstanden werden kann.13 In beiden Schriften wird schließlich dafür argumentiert, dass es in einem bestimmten Sinne vollkommen frei und in einem bestimmten Sinne notwendig ist.14 Dabei wird die Auffassung entwickelt, dass Gott in seiner Dreieinigkeit aus vollkommener Freiheit mit nachfolgender Notwendigkeit die Menschheit durch das freie Wirken des inkarnierten göttlichen Wortes befreit. Die christologische Begründung der aktualen Freiheit im Glauben wird dadurch trinitätstheologisch grundgelegt und sowohl ein theologischer Determinismus als auch ein Indeterminismus zurückgewiesen. Dass Gott aus vollkommener Freiheit die Menschheit durch Christus befreit, wird von Anselm zum einen via negationis begründet, indem widerlegt wird, 13 Nach

Cur Deus homo I,1 besteht die Grundfrage des gesamten Dialogs darin, aus welchem Grund oder aus welcher Notwendigkeit Gott Mensch geworden ist (qua [...] ratione vel necessitate deus homo factus sit)? und in der Meditatio redemptionis humauae wird die Frage, ob etwa irgendeine Notwendigkeit es erzwinge, dass der Höchste sich so erniedrige und der Allmächtige sich so mühe, um etwas zu tun (An aliqua necessitate coegit ut altissimus sic se humi­ liaret, et omnipotens ad faciendum aliquid tantum laboraret.)? eindeutig verneint. Siehe: CDH I,1 (SII), 47,11–48,5 und M III (SII), 86,59–63. Siehe hierzu auch: William J. Courtenay, Necessity and Freedom in Anselm’s Conception of God, in: Analecta Anselmiana 4.2 (1975), 39–64; Michel Corbin, Necessité et liberté. Sens et structure de l’argument du Cur Deus homo d’Anselme de Cantobéry, in: Ders., La Liberté de Dieu. 4 Études sur l’oeuvre d’Anselme de Cantobéry, Paris 1980, 42–85. Und von Balthasar, Herrlichkeit, 232. 14  CDH II,5 (SII), 99,15–100,5.; CDH II,17 (SII), 122,23–124,2.; M III; 86,59–68.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

dass er dies aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit tut. Zum anderen wird dies positiv begründet, indem ausgeführt wird, dass Gottes Freiheit seinem vollkommenen Wesen gemäße Freiheit ist, die gerade in dem Vermögen besteht, sein Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren zu können. Sie wird also darin gesehen, allein aus sich selbst heraus auf wesensgemäße, vollkommene Weise seine ursprüngliche Schöpfungsintention der ewigen Liebesgemeinschaft trotz der Sünde der Menschen verwirklichen zu können.15 So weist Anselm in Cur Deus homo II,5–7 und II,5 und 17 und der Meditatio redemptionis humanae die Annahme eines übergeordneten Notwendigkeitszusammenhangs zurück.16 Er weist ihn sowohl in modallogischer und kosmologischer als auch in ethischer oder rechtlicher sowie in theologischer Form zurück. Er argumentiert dafür, dass Gott den Menschen weder aus einer äußeren noch aus einer inneren zwingenden, vorausgehenden Notwendigkeit heraus befreien müsse.17 Dass Gott den Menschen nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden logischen oder kosmologischen Notwendigkeit befreien müsse, wird dabei durch den Verweis auf die Überordnung des göttlichen Willens über die Modalitäten begründet.18 Dass Gott auch nicht durch eine vorausgehende ethische oder juridische Notwendigkeit, etwa durch eine Verpflichtung gezwungen ist, den Menschen zu befreien, erläutert Anselm ausführlich durch einen Einwand gegen die von Origenes, Gregor von Nyssa, Augustin sowie Gilbert Crispin vertretene Loskauftheorie. Ihr zufolge hatte der Teufel Rechte über den Menschen in der Knechtschaft unter der Sünde. Aus ihnen musste er durch Christus

15  Siehe hierzu auch: Deme, The Christology, 91–97; Plasger, Die Notwendigkeit, 155– 164. Zu dem philosophischen Einwand zu Anselms Zeit, dass die Inkarnation mit der Vollkommenheit und Unwandelbarkeit Gottes unvereinbar sei siehe: Gilbert Crispin, Disputa­ tio cum gentili VI (HBPhMA 1), 172–177. 16  CDH II,5 (SII), 99,15–100,5; CDH II,17 (SII), 122,23–124,2; M III (SII), 86,59–68; 17  vgl. Leftow, der von einer deontischen Notwendigkeit der Inkarnation spricht: Siehe: Brian Leftow, The Necessity of the Incarnation, in: Religious Studies 31 (1995), 167–185. 18  Die Modalitäten der Notwendigkeit und Unmöglichkeit sind Anselm zufolge derart dem Willen Gottes untergeordnet, dass das, was Gott wolle notwendig sei und das, was Gott nicht wolle unmöglich sei. Da der Wille Gottes, durch den alles ist, was ist, immer gut sei, sei er, alles, was er tue allein aus Güte. Siehe: CDH II,17; 122,23–124,2; M III (SII), 86,59– 63; zu den Modalbegriffen bei Anselm siehe auch: Simo Knuutila, Anselm on Modality, in: The Cambridge Companion to Anselm, hg. v. Brian Davies; Brian Leftow, Cambridge 2004, 111–131; vgl. Toivo J. Holopainen, Necessity in Early Medieval Thought: Peter Damian and Anselm of Canterbury, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salmann (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 221–234; Richard Campbell, The Nature of Theological Necessity, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salmann (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 221–234.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

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herausgelöst werden. Anselms Einwand lautet, „dass Gott keinem Geschöpf etwas schulde“.19 Schließlich wendet Anselm auch gegen die Annahme einer inneren, theologischen Notwendigkeit, der zufolge Gott aus innerer Versöhnungsbedürftigkeit den Menschen befreien müsse, ein, dass der Mensch versöhnungsbedürftig ist und nicht Gott, da Gott a se ist und nichts weiteres bedarf.20 Also geht nach Anselm dem Gnadenwillen Gottes in keiner Hinsicht eine zwingende Notwendigkeit voraus. Er entspringt vielmehr der freien Güte.21 In ähnlicher Weise wird in De concordia I gegen die Annahme eines theologischen Determinismus eingewendet, dass Gott das, was er tut, aus der Freiheit seines vollkommenen Rechtseins tut und nicht aus Notwendigkeit tun muss.22 Demnach lässt sich Anselm zufolge kein äußerer Grund für Gottes gnadenvolles Erlösungshandeln annehmen, sondern nur seine unermessliche Güte und Gerechtigkeit. Dass die Freiheit, aus der Gott die Menschheit in Christus befreit, eine seinem vollkommenen Wesen gemäße Freiheit ist, wird in Cur Deus homo II,1–4 positiv entfaltet. Dabei wird betont, dass Gottes Freiheit darin besteht, seine ursprüngliche freie Schöpfungsintention der ewigen Liebesgemeinschaft trotz der Sünde der Menschen allein aus seiner Güte durch gerechteste Barmherzigkeit wirklich verwirklichen zu können.23 Durch den Verweis darauf, dass Gott frei ist, seine ursprüngliche freie Schöpfungsintention wesensgemäß zu verwirklichen, zeigt Anselm auf, dass ihre Verwirklichung durch nichts verhindert werden kann und Gott durch nichts gezwungen werden kann, gegen seinen Willen seine freie Schöpfung unvollendet vergehen zu lassen.24 So kann der von Anselm in Cur Deus homo I,9 erwähnte ewige, freie Entschluss Gottes in seiner Dreieinigkeit, die Schöpfung trotz der Sünde des Menschen durch Versöhnung zu vollenden, als Ausdruck des Rechtseins und der Freiheit Gottes gedeutet werden.25 In seinem Befreiungshandeln ist Gott nach Anselm also vollkommen 19  CDH II,6–7 (SII), 101,2–102,22; M III (SII), 85,30–86,63. Zum Verhältnis Anselms’ zu altkirchlichen Christologien, siehe insbesondere die differenzierte historische Analyse von: Gasper, Anselm of Canterbury, 144–173. und Ders, Anselm’s Cur Deus homo and Athanasius’ De Incarnatione: Some Questions of Comparison, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salman (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 221–234; Richard Campbell, The Nature of Theological Necessity, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salmann (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 147–164. 20  CDH II,5 (SII), 100,16–20; M III (SII), 86,64–68. 21  Es stellt also gewissermaßen eine Ironie der Interpretationsgeschichte dar, dass gerade Anselms Christologie und Soteriologie dafür kritisiert wird, Gott einem Notwendigkeitszusammenhang unterzuordnen oder Gott zum Objekt der Erlösung zu machen. Siehe hierzu: Plasger, Die Not-wendigkeit, 1–40. 22  DC I,6 (SII), 252,7–19. 23  CDH II,1–4 (SII), 97,3–99,13. 24 Ebd. 25  CDH I,9 SII, 62,19–27.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

frei, seine ursprüngliche Schöpfungsintention allein aus Gnade seinem Wesen gemäß verwirklichen zu können. Dass Gott die Menschheit zugleich mit nachfolgender Notwendigkeit in Christus befreit, wird dementsprechend durch den gesamten Argumentationsgang von Cur Deus homo mit notwendigen Gründen (rationes necessariae) nachzuweisen versucht.26 Zum einen wird es in Cur Deus homo I,11–25 durch den indirekten Aufweis begründet, dass es kein willkürliches, zufälliges Geschehen ist, sondern es für den Menschen keine alternative Möglichkeit der Erlösung und Befreiung gibt.27 Zum anderen wird es in Cur Deus homo II,6–20 durch die positive Ausführung direkt begründet, dass es ein dem freien Gnadenwillen Gottes nachfolgend notwendiges Ereignis ist, „dessen Barmherzigkeit gerechter ist als gedacht werden kann“ (misericordia iustius quam cogitari potest).28 Die Annahme, dass Gottes Befreiungshandeln in Christus ein indeterminiertes, ein zufälliges oder willkürliches Ereignis ist, zu dem es reale alternative Möglichkeiten gebe, weist Anselm in Cur Deus homo I,11–25 zurück, indem er drei alternative Möglichkeiten, die aus der Sicht nichtchristlicher monotheistischer Religionen und Philosophien aber auch innerchristlich plausibel erscheinen können, darstellt und argumentativ widerlegt.29 Als erstes kritisiert er in Cur Deus homo I,11–13 die Möglichkeit der Befreiung durch einen bloßen willentlichen Barmherzigkeitsakt (sola misericordia). Er formuliert das Argument, ein derartiger willkürlicher Akt sei mit der Gerechtigkeit und Freiheit Gottes unvereinbar, weil Gott dadurch das Böse nicht mehr ordnen würde, sondern den Ungerechten freier sein lasse als den Gerechten.30 Die bloße barmherzige Gerechtsprechung der Ungerechtigkeit würde Anselm zufolge also die Ungerechtigkeit nicht durch Gerechtigkeit überwinden. Sie gäbe die Ungerechtigkeit bloß fälschlich für die wahre Gerechtigkeit aus. Damit trüge sie aber ungerecht zu einer Ausweitung der Ungerechtigkeit bei. Da26  Zur Anselms Klärung der Modalbegriffe unter Rekurs auf Aristoteles’ Unterscheidung von zwingender, vorausgehender Notwendigkeit (necessitas praecedens) und nicht zwingender, nachfolgender Notwendigkeit (necessitas subsequens) siehe: CDH II,17 (SII), 122,23–126,19. Siehe hierzu auch: Knuutila, Anselm on Modality, 111–131; vgl. Holopainen, Necessity in Early Medieval Thought, 221–234 und Campbell, The Nature of Theological Necessity, 221–234. 27  CDH I,11–25 (SII), 53,2–96,20. 28  CDH II,6–20 (SII), 101,2–132,6. 29  Hier besteht meiner Ansicht nach eine der Hauptschwächen der juridischen Interpretation, die meint, Anselm vertrete hier das Rechtsaxiom „poena aut satisfactio“. Dadurch wird die Argumentationsstruktur verkannt, der zufolge es nicht diese zwei sondern vier Alternativen gibt (1. sola misericordia, 2. poena, 3. satisfactio per seipsum und 4. satisfactio per Christum), von denen die ersten drei zugunsten der christologischen Möglichkeit zurückgewiesen werden. Siehe hierzu: Plasger, Die Not-wendigkeit, 106–126. Er kritisiert zwar die ältere juridische Deutung, verweist aber nicht darauf, dass dieses so genannte Axiom gar nicht der Argumentationsstruktur entspricht. Siehe hierzu hingegen: Kienzler, Zur Struktur, 597– 608., insbes. 600–601 und Rieger, Der Gottesdienst, 173–185. 30  CDH I,11–13 (SII), 68,2–71,26.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

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durch würde der Mensch aber auch nicht aus der Knechtschaft unter die Sünde befreit. Die verknechtete, potentielle Freiheit würde für die wahre Freiheit ausgegeben. Dies ist Anselm zufolge jedoch mit der Vollkommenheit Gottes unvereinbar. Als zweites bestreitet er in Cur Deus homo I,14–18 die Möglichkeit ewiger Strafe (poena). Er bringt das Argument vor, dass dies mit Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen der vollkommenen Zahl seliger Geschöpfe unvereinbar ist, da Gott irren würde, wenn alle ungerechten Geschöpfe ewige Strafe leiden würden und nicht alle Vorausgewussten und Vorausbestimmten Seligen wirklich selig werden würden.31 Die Überlegungen zur vollkommenen Zahl der vorausbestimmten Engel und Menschen, werden nicht selten als mythologischer Exkurs missverstanden.32 Sie dienen aber zum Aufweis der These, dass es mit dem unfehlbaren, göttlichen Vorauswissen der ewig glückselig in Liebesgemeinschaft mit ihm lebenden Geschöpfe unvereinbar ist, anzunehmen, Gott ordne die Ungerechtigkeit nur durch seine vergeltende Gerechtigkeit, wie etwa Boethius am Ende der Philosophiae consolatio annimmt.33 Als drittes wird in Cur Deus homo I,19–25 schließlich die Möglichkeit widerlegt, dass der Mensch selber genug tun (satisfactio) kann zu seiner Befreiung aus der Knechtschaft unter die Sünde. Es wird aufgezeigt, dass der Mensch unmöglich, auch nicht durch Reue, Buße und gute Taten, Gott freiwillig eine so große Gabe geben kann, dass dadurch der durch die Sünde verursachte unendliche Schaden in der Gottesbeziehung und der Mangel an gesollter Gerechtigkeit wieder gut gemacht werden kann.34 Gegenüber der Annahme, dass der Mensch sich durch ethische oder religiöse Akte selbst aus der Knechtschaft unter das Böse befreien kann, wendet Anselm zum einen kritisch ein, dass der Mensch als Knecht der Sünde kein ausreichendes Vermögen dazu hat. Zum anderen bemerkt er, dass er Gott nichts geben kann, weil er alles, was er ist und hat, von Gott empfangen hat und nichts von sich selbst aus hat.35 Zudem wendet er ein, dass der Mensch auch nicht durch ein anderes Geschöpf befreit werden könne. Dann wäre der Mensch nämlich einem anderen als Gott zu höchstem Dank verpflichtet. Er würde Knecht eines anderen Geschöpfs werden.36 31 

CDH I,14–18 (SII), 72, 2–84,3. So etwa bei Hans Blumenberg. Siehe hierzu: Bernd Goebel, The Myth of the Eleventh Century. Hans Blumenberg’s Anselm, in: A Portrait in Refraction, in: Saint Anselm of Canterbury and His Legacy, hg. v. Giles Gasper; Ian Logan, Anselm, Toronto 2012, 311–317. 33 vgl. Boethius, Philosophiae consolatio V,6,44–48 (CChr.SL 94), 105,145–156. 34  CDH I,19–25 (SII), 84,6–96,29. 35 Ebd. 36  Zur Verwendung dieses Arguments im interreligiösen Dialog siehe: Gilbert Crispin, Disputatio Judaei, III (HBPhMA 1), 78–81. Vgl. auch Al-Ghazali, Das Kriterium des Handelns, 136–183, insbes. 137. Al-Ghazali unterscheidet zwei Arten, wie der Mensch die Summe aller Tugenden und damit die Glückseligkeit erlangen kann. Das heißt, er argumentiert, dass sie zum einen auf dem Weg der Bildung erworben werden könne und zum anderen durch göttliche Güte zuteil werden könne, ohne Lehrer, wie etwa bei Jesus, Maria und Jo32 

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

Indem die drei alternativen Möglichkeiten der Befreiung durch einen willkürlichen, ungerechten Gnadenakt Gottes, der Nichtbefreiung durch ewige Strafe, und der ethisch-religiösen Selbstbefreiung argumentativ widerlegt werden, wird indirekt begründet, dass nur die vierte Möglichkeit – die Befreiung durch Christus übrig bleibt. Dass Gottes Befreiungshandeln in Christus ein seinem Willen nachfolgend notwendiges Ereignis ist, dessen Barmherzigkeit so groß und gerecht ist, dass sie größer und gerechter nicht gedacht werden kann, wird in Cur Deus homo II,6– 20 dementsprechend direkt durch eine positive Ausführung begründet. Dabei präzisiert Anselm in Cur Deus homo II,17 unter Rekurs auf die von Aristoteles formulierte Unterscheidung von vorausgehender und nachfolgender Notwendigkeit, dass Gottes Befreiungshandeln in Christus nachfolgend notwendig ist und dass diese Notwendigkeit die Unwandelbarkeit und Unauf haltsamkeit des göttlichen Gnadenwillens ausdrückt.37 Hierin zeigt sich schließlich Anselms Auffassung der Identität der Freiheit und der nachfolgenden Notwendigkeit von Gottes Befreiungshandeln. Auch die damit verbundene Annahme, dass Gottes Gnade eine unverfügbare, nicht aber eine willkürliche Gabe ist wird dadurch deutlich.38 Vollkommen frei ist Gottes Befreiungshandeln in Christus Anselm zufolge also in dem Sinn, dass es durch keine vorausgehende Notwendigkeit erzwungen wird und dass es allein aus Gottes Gnadenwillen frei hervorgeht. Zugleich notwendig ist es deswegen in dem Sinn, dass es kein willkürliches, zufälliges Geschehen ist, sondern dem freien Gnadenwillen Gottes nachfolgend notwendig für die Erlösung, Befreiung und Vollendung der Menschheit. So wird in Cur Deus homo II,6–20 die indeterministische Annahme zurückgewiesen, Gottes gnadenvolles Befreiungshandeln in Christus stelle nur eine kontingente Möglichkeit dar, die zugleich auch anders sein könnte. Entgegen der Annahme, es handle sich bei der Fleischwerdung des göttlichen Wortes nur um ein mögliches, unbestimmtes Ereignis, wird aufgezeigt, dass die freie Hingabe Christi mit der vollkommenen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes übereinstimmt, sodass darüber hinaus keine größere gedacht werden kann. hannes dem Täufer. Insgesamt schätzt er die Möglichkeit der Selbstverbesserung des eigenen Charakters deutlich optimistischer ein als Anselm. Siehe hierzu auch: Al-Ghazali, Das Kriterium des Handelns, 139–142. 37 CDH II,17 (SII), 122,23–126,19; vgl. Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 18a-19b. Siehe hierzu auch: Leftow, Anselm on the Necessity of the Incarnation, 167–185 und David Brown, Anselm on Atonement, in: Brian Davies; Brian Leftow (Hg.), The Cambridge Companion to Anselm, Cambridge 2004, 279–302. Zum Zusammenhang von rationaler und emotionaler Ebene in der Gesamtargumentation siehe auch: Bernd Goebel; Hösle, Reasons, Emotions and God’s Presence in Anselm of Canterbury’s Dialogue Cur Deus homo, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 87 (2005), 189–210. 38 Zum Einwand, dass das christliche Gnadenverständnis göttliche Willkür unterstelle siehe: Gilbert Crispin, Disputatio cum gentili VII (HBPhMA 1), 176–181.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

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4.1.2. Die Freiheit Jesu Christi (liber) Sowohl in Cur Deus homo als auch in der Meditatio redemptionis humanae reflektiert Anselm in besonderer Weise die Freiheit Christi. Dabei geht er zum einen in Cur Deus homo I,8–10 auf den Einwand ein, dass Christus nicht freiwillig, sondern aus Zwang oder Nötigung durch den Vater für die Erlösung der Menschheit gestorben zu sein scheint.39 Zum anderen beschäftigt er sich in Cur Deus homo II,10 mit dem Problem, inwiefern Christus sündigen konnte oder nicht sündigen konnte und inwiefern die Freiheit Christi die Möglichkeit der alternativen Wahl der Sünde oder die Notwendigkeit des Leidens um der Gerechtigkeit willen beinhaltet oder nicht.40 Dies ist freiheitstheoretisch zentral, da Christus als die freie Person schlechthin gilt. Der Einwand, dass Christus nicht freiwillig, sondern aus Zwang oder Nötigung durch den Vater für die Erlösung der Menschheit gestorben zu sein scheint, wird in Cur Deus homo I,8–10 mit dem Einwand verknüpft, was für eine Gerechtigkeit es sei, einen unschuldigen Gerechten für schuldige Ungerechte zu opfern.41 Gegenüber einer instrumentellen Opferlogik, der zufolge der Sohn ohne oder gegen seinen freien Willen von Gott, dem Vater ungerechter Weise gewaltsam als Erlösungsinstrument gebraucht wird, argumentiert Anselm, dass der Sohn selber freiwillig aus Liebe zu Gott, dem Vater, und zur Menschheit den Tod in Kauf genommen habe, um die Menschheit zu erlösen und zu befreien.42 Die Freiheit Christi ist dabei für Anselm sowohl in trinitätstheologischer als auch soteriologischer und ethischer Hinsicht bedeutsam. Er reflektiert die Freiheit Jesu Christi primär trinitätstheologisch als Freiheit des inkarnierten Sohnes in Beziehung zu Gott, dem Vater, und in diesem Rahmen christologisch als Freiheit vor allem gemäß der göttlichen, damit aber auch gemäß der menschlichen Natur in seiner Person.43 Anselm verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Sohn selber, zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geist ewig entschieden habe, die Welt nicht anders als durch seinen Tod zu erlösen und zu befreien.44 Dementsprechend wird freiheitstheoretisch ausgeführt, dass Christus als das inkarnierte Wort und Bild Gottes in seinem irdischen Leben in Relation zu Gott, seinem Vater, zugleich vollkommen frei und gehorsam gewesen ist. Das 39 CDH I, 8–10 (SII), 59,5–67,20; CDH II,5 (SII), 99,15–100,29; CDH II,17 (SII), 122,23–126,19; vgl. hierzu auch: Gilbert Crispin, Disputatio Iudaei IV (BHPhMA 1), 106– 111. 40  CDH II,10 (SII), 106,10–108,27. 41  CDH I,8–10 (SII), 59,7–67,20. 42  Ebd. Siehe hierzu auch: von Balthasar, Herrlichkeit, 253–255. So betont Anselm nicht weniger als später Abaelard, dass das Erlösungshandeln ein Liebeshandeln ist. Die Entgegenstellung beider ist deswegen an diesem Punkt wenig überzeugend. Siehe hierzu auch: Keshgegian, The Scandal of the Cross, 475–492. 43 Ebd. 44  CDH I,9 (SII), 61,4–64,11.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

bedeutet, dass er zum einen zu nichts vom Vater genötigt oder gezwungen worden ist, sondern alles, was er getan und gelitten hat, selber freiwillig getan und erlitten hat. Weiter bedeutet es, dass er zum anderen alles, was er freiwillig getan und erlitten hat in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und seiner eigenen wesensgemäßen Zielbestimmung getan und erlitten hat. Das bedeutet, er hat es aus Freiheit im Gehorsam getan und erlitten.45 Christus ist nicht unfreiwillig und nicht in vom Vater gewaltsam erzwungener Weise gestorben. Er hat selber freiwillig, spontan und ungezwungen und sogar unerfordert (sine omni exactione) um der Liebe zum Vater und zur Menschheit willen den eigenen Tod in Kauf genommen. Diese Annahme begründet Anselm damit, dass Christus wegen seiner Sündlosigkeit dem Vater nichts wieder gutzumachen schuldet und er nicht hätte sterben müssen, wenn er es nicht freiwillig gewollt hätte.46 Was Christus getan hat, hat er demnach aus spontaner Güte und aus Einsicht in den Willen des Vaters und die Erlösungsbedürftigkeit der Menschheit selber gewollt, nicht aus einem vom Vater ausgehenden Gehorsamszwang. So heißt es auch in der Meditatio redemptionis humanae über Jesu Passion, dass sie „aus keiner Notwendigkeit, sondern allein aus freiem Willen“ geschehen ist (ulla necessitate, sed sola libera voluntate).47 Darüber hinaus wird von Anselm hervorgehoben, dass Christus in dem Sinne vollkommen frei gewesen ist, dass er frei von Sünde und der daraus folgenden Notwendigkeit des Todes gewesen ist und in allem die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, des Vaters, und seiner eigenen Identität um ihrer selbst willen wirklich bewahren konnte.48 Diese Freiheit charakterisiert nach Anselm geradezu das irdische Leben der Person Jesu Christi. So wird sie in Cur Deus homo II,8–13 in Bezug auf alle Momente seines irdischen Lebens realisiert, angefangen von der Inkarnation, über das Leben bis hin zum Leiden und Sterben sowie seiner Auferweckung und Erhöhung. So wird auch entsprechendes Gewicht auf die Sündlosigkeit seines Anfangs gelegt, auf die durch den Heiligen Geist gewirkte Annahme der menschlichen Natur in ihrer ursprünglichen Geschaffenheit aus Maria und ihre Vereinigung mit dem göttlichen Logos und zu einer Person.49 Dabei betont Anselm, dass er aufgrund seiner vollkommenen 45 Ebd.

46  CDH

II,10 (SII), 106,10–108,27. Siehe hierzu: von Balthasar, Theodramatik, 239; vgl. Ritschls Kritik, dass „die persönliche Freiwilligkeit und Exemption vom Pflichtbegriff miteinander unvereinbar“ sei, (Ritschl, Die Lehre, 45). Siehe demgegenüber insbesondere: Corbin, La Liberté du fils, 69–74 und Plasger, Die Not-wendigkeit, 126–145. 47  M III (SII), 87,103–88,105. 48  CDH II,8–13 (SII), 102,26–113,18. 49  CDH II,8–10 (SII), 102,26–108,27; vgl. insbesondere auch die Überlegungen in: DCV 13–20 (SII), 155,13–160, 20, wo begründet wird, wie das göttliche Wort die menschliche Natur ohne Sünde in seine Person aufnehmen konnte. Siehe hierzu auch: Visser; Williams, Anselm, 232–239. Zur Bedeutung des Heiligen Geistes im Inkarnationsgeschehen siehe: Dehme, The Christology, 140–148. Siehe hierzu auch die Epistola de incarnatione verbi, wo Anselm gegenüber Roscelin die Vereinbarkeit von Trinitäts- und Inkarnationslehre begrün-

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

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Menschlichkeit am Leiden und an der Schwachheit des Menschen teilhat, wegen seiner Freiheit von der Sünde und zugleich vollkommenen Göttlichkeit aber nicht an der Schuldigkeit, Unwissenheit, Korruption, Sterblichkeit und Unglückseligkeit.50 Vielmehr kann und will der inkarnierte Sohn nach Anselm in seinem irdischen Leben in allem den Willen des Vaters erkennen und aus Liebe zum ihm tun, was und wie dieser will.51 Diese trinitätstheologisch begründete Freiheit der freiwilligen Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, des Vaters, zeigt sich nach Anselm im Leben und Reden Jesu, in seinem Umgang mit den Menschen sowie in dem Bewusstsein, nicht gekommen zu sein, um nur den eigenen Willen zu verwirklichen, sondern vor allem, um den Willen des Vaters zu tun.52 Dabei hebt Anselm hervor, dass Christus diesen rechten Willen zur Wahrheit und Gerechtigkeit „nicht aus der Menschheit, sondern aus der Gottheit“53 hatte. Im Unterschied zu griechischen Theologen wie etwa Maximus Confessor geht er jedoch nicht weiter auf die Frage ein, ob und inwiefern von einem oder von zwei Willen in Christus zu sprechen sei.54 Diese christologische Frage des monenergistisch-monotheletischen Streits beziehungsweise des 6. Ökumenischen Konzils von Konstantinopel 680/681 n. Chr. tritt zugunsten der trinitätstheologischen Betonung der bewussten und freiwilligen Übereinstimmung des inkarnierten Sohnes mit dem Willen Gottes, des Vaters, in den Hintergrund. Dabei betont Anselm, dass Christus nicht nur im Leben, sondern insbesondere auch im Leiden und Sterben von dieser Freiheit Gebrauch gemacht hat. Im freiwilligen Leiden und Sterben Christi zeigt sich seiner Auffassung nach, dass er unüberwindbar frei gewesen ist, die Übereinstimmung des Willens mit der Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes mehr zu lieben als das Angenehme des natürlichen Glücks. Das Leiden und Sterben Christi wird von Anselm dadurch als Akt der Freiheit gedeutet, dass betont wird, dass er sein Leiden und Sterben nicht direkt, um ihrer selbst willen will, sondern nur indirekt, um der Bewahrung der vollkommenen Gottes- und Nächstenliebe willen in Kauf nimmt. So betont er auch in trinitarischer Sicht, dass der Vater nicht am Leiden und Sterben des Sohnes selbst Gefallen findet, sondern nur daran, dass der Sohn aus Liebe zu ihm und zur Menschheit lieber Leiden und Sterben will, als diese

det: DIV (SII), 281,3–290,30. Zur Bedeutung der Frage der sündlosen Annahme der menschlichen Natur in die Person des göttlichen Wortes im jüdisch-christlichen Dialog siehe insbesondere auch: Gilbert Crispin, Disputatio Iudei III (HBPhMA 1), 64–71. 50  CDH II, 10–13 (SII), 106,10–113,18. 51  CDH, I,9–10 (SII), 62,5–66,25. 52  CDH I,10–11 (SII), 64,14–69,4. 53  CDH II,11 (SII), 111,26–112,4; siehe hierzu auch: Dehme, The Christology, 149–165. 54  Siehe hierzu insbesondere: Susanne Hausamann, Der umgeworfene Spiegel. Grundprobleme der Willensfreiheit in der orthodoxen Tradition des Ostens im Vergleich mit den Westkirchen, Neukirchen-Vluyn 2009, 85–102.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

Liebe aufzugeben.55 Unter Bezug auf die wechselseitige Liebe des Vaters und des Sohnes hebt Anselm deshalb hervor, dass diese Liebe den Sohn zur freiwilligen Selbsthingabe um der Befreiung der Menschheit willen gezogen, nicht aber gezwungen habe.56 Die Freiheit der Person Christi basiert nach Anselm also primär auf der freiwilligen Übereinstimmung und nicht auf der Wahl qualitativ alternativer Möglichkeiten. In Cur Deus homo II,10 wird die damit verbundene Frage diskutiert, auf welche Weise Christus sündigen kann oder nicht sündigen kann. Für die Deutung der Freiheit Christi ist daran zentral, dass eine differenzierte Antwort auf die Frage nach den alternativen Wahl- und Handlungsmöglichkeiten gegeben wird. Von Christus kann Anselm zufolge in einem hypothetischen Sinn gesagt werden, dass er hätte sündigen können, nämlich dann, wenn er es gewollt hätte.57 Da er es aber nicht wollte und nicht gegen seinen Willen wollen konnte, kann man Anselm zufolge gleichfalls sagen, dass er es nicht konnte.58 Das Vermögen, die alternative Möglichkeit der Sünde zu wählen, wird also in Relation zum wesenhaft sündlosen Charakter der Person Christi gedeutet. Da der Wille Christi durch seine Einheit mit dem Vater und durch seine Willensneigung zur Gerechtigkeit konkret bestimmt ist, kann er ihn faktisch nicht anders als in Übereinstimmung mit dem Vater und sich selbst zur Gerechtigkeit gebrauchen. Die Möglichkeit der alternativen Wahl der Ungerechtigkeit ist in Christus also nur eine hypothetische und durch ihre dauerhafte willentliche Negation irreale Möglichkeit. Diese ist aber insofern von Bedeutung, weil sie darauf verweist, dass Christi Wollen der Gerechtigkeit von seinem Willen abhängt und nicht von einer vorausgehenden, zwingenden Notwendigkeit. In ähnlicher Weise diskutiert Anselm in Cur Deus homo II,16–18 die Frage, inwiefern man sagen kann, dass Christus leiden musste oder, dass er nicht leiden musste.59 Dabei argumentiert er dafür, dass Christus nicht an sich oder durch irgendeine vorausgehende Notwendigkeit leiden musste, aber dass er in dem Sinne leiden musste, dass er aus freier Macht heraus unabänderlich lieber leiden und sein Leben hingeben wollte, um die Wahrheit und Gerechtigkeit zu bewahren, als das Leiden und Sterben zu vermeiden und die Menschheit nicht durch Liebe aus der Knechtschaft unter das Böse zu befreien.60 Er konnte somit nicht anders wollen, weil er war, der er war, und weil das, was Gott will, nicht nicht sein kann.

55 

CDH, I,10, SII, 66,14–26. hierzu: Corbin: La Liberté du fils, 89–99 und Dehme, The Christology, 121–

56  Siehe

139.

57  CDH 58 Ebd. 59 

60 

II,10 (SII), 106,10–107,27.

CDH II,16–18 (SII), 120,1–129,26. CDH II,16 (SII), 120,1–122,21.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

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So stellt Anselm mit Verweis auf die freiwillige Selbsthingabe in Anlehnung an Jes. 53,7 heraus, dass Christus durch keine Notwendigkeit sterben musste. Er habe aus eigenem Vermögen und Freiheit, aus Liebe zum Vater und zur Menschheit, freiwillig und unabänderlich an der Wahrheit und Gerechtigkeit festgehalten – auch um den Preis der Hingabe des eigenen irdischen Lebens.61 Darin, dass er lieber um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen leiden und getötet werden wollte, als diesen rechten Willen um der Bewahrung seines eigenen, irdischen Lebens willen aufzugeben, erweist sich Christus nach Anselm als der vollkommen Freie und als das Beispiel der Gerechtigkeit und Freiheit (exemplum libertatis).62 Allerdings differenziert er, dass Christus diese Freiheit aus sich selbst heraus hat, während alle anderen Menschen sie nur aus seinem Geist empfangen können. Dies ist freiheitstheoretisch entscheidend. Dadurch wird verdeutlicht, inwiefern Christus als die Freiheit in Person die gleiche Freiheit hat, wie alle anderen, wie er aber auch auf höhere Weise frei ist als alle anderen Menschen.

4.1.3. Das Befreiungshandeln Jesu Christi (liberator) Christus wird nicht nur in einem ethischen Sinn als Grund der Freiheit des Menschen gedeutet, dass er als der vollkommen Freie und Gerechte dem Menschen ein Vorbild der Freiheit und Gerechtigkeit gibt. Er wird vielmehr auch in dem soteriologischen Sinn als die Ursache der Freiheit (causa libertatis) verstanden, dass er aus Freiheit den Menschen von der Selbstverknechtung unter die Sünde zur Freiheit im Glauben befreit. Die Befreiung (liberatio), Erlösung und Versöhnung (salvatio, redemptio, reconciliatio) des Menschen werden dabei sowohl in Cur Deus homo als auch in der Meditatio redemptionis humanae als ein und dasselbe Werk Christi angesehen und ihre Begriffe synonym verwendet.63 Zum einen wird in Cur Deus homo II,6–9 dafür argumentiert, dass nur Christus zur Befreiung der Menschheit aus dem Nexus von Sünde, Schuld und Tod genug tun konnte, auch wenn es viele andere Vorbilder der Gerechtigkeit und Freiheit gebe.64 Sodann wird im Kontrast zu der aufgezeigten Unfähigkeit aller anderen Personen in Cur Deus homo II,10–15 aufgezeigt, dass Christus den Schaden und Mangel nicht nur wieder gut machen konnte, sondern unendlich viel mehr (plus in infinitum) getan hat. Seine freiwillige, aktive Passion um der Gerechtigkeit willen sei eine unendlich und unvergleichlich große Gabe der Gerechtigkeit. 65 61 

CDH II,17 (SII), 122,23–126,19. II,11 (SII), 111,26–112,4; CDH II,18; 127,12–22; M III (SII), 87,93–99. Siehe hierzu auch: Dehme, The Christology, 204. 63  CDH I,6 (SII), 53,2–55,9; M III (SII), 84,3–16; 88,129–131. 64  CDH II,6–9 (SII), 105,2–106,8. 65 CDH II,10–15 (SII), 106,8–116,12; anders hingegen Plasger, Die Not-wendigkeit, 107–126. 62  CDH

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

In Cur Deus homo II,6–9 wird vor dem Hintergrund der nizänisch-chalkedonensischen Christologie und unter Rekurs auf die in Cur Deus homo I,20–25 entwickelten Kriterien für eine mögliche und notwendige Wiedergutmachung ein Argument dafür formuliert, dass nur Christus zur Befreiung der Menschheit genug leisten konnte. Die einzigartige Stellung Christi wird damit begründet, dass nur der Mensch den Schaden und Mangel in seiner Gottesbeziehung wieder gutmachen müsse, aber nur Gott selbst ihn wieder gut machen könne. Also könne nur eine Person, die zugleich vollkommen Gott und vollkommen Mensch ist, die Beziehung zwischen Gott und Mensch wieder gut machen.66 Die nizänisch-chalkedonensische Christologie gewinnt bei Anselm also Bedeutung für die soteriologische These, dass nur Christus Erlöser und Befreier der Menschheit sein kann.67 Im Anschluss an diesen Aufweis, dass niemand – außer einer Person, die zugleich vollkommen Gott und vollkommen Mensch ist – zur Wiederherstellung der Beziehung und für die Befreiung der Menschheit aus dem Sünden-, Schuldund Todesnexus genug tun könnte, wird in Cur Deus homo II,10–15 aufgezeigt, dass Christus dies mehr als kann, indem er aus Freiheit durch seine Gerechtigkeit den durch die erste Sünde entstandenen Schaden und Mangel in der Beziehung des Menschen zu Gott mehr als wieder gut macht. Der dabei verwendete Begriff der Wiedergutmachung (satisfactio) ist dabei zu Anselms Zeit auch in rechtlichen und ökonomischen Bereichen verwendet worden.68 Die Wiedergutmachung (satisfactio) durch Christus wird von Anselm aber nicht, wie in rechtlichen und ökonomischen Kontexten, nur als äquivalente Einlösung einer geforderten Leistung verstanden, die einen verursachten Schaden und Mangel ausgleicht. Vielmehr wird sie theologisch als ungeforderte, freiwillig stellvertretende Selbsthingabe aus Gerechtigkeitsliebe verstanden, die unendlich viel mehr wiegt als die Schuld der Menschheit und die den Schaden und Mangel in der Gottbezogenheit des Menschen mehr als wieder gut macht.69 Die Gabe, die Christus mit seinem Leben und Sterben um der Gerechtigkeit willen gibt, ist nach Anselm unendlich viel größer als alle Schuld und als alle erforderliche Wiedergutmachung. Sowohl in Cur Deus homo II,10–15 als auch in der Meditatio redemptionis huma­ nae wird dies durch das Überschussmotiv (plus in infinitum) zum Ausdruck gebracht. So heißt es in Cur Deus homo II,10–15, dass die freiwillige Selbsthingabe 66  CDH II,6–9 (SII), 105,2–106,8; vgl. CDH I,20–25 (SII), 96,20; vgl. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, VII (PhB 397), 102,1–108,103. Siehe hierzu auch: Gäde, Eine andere Barmherzigkeit, 199–212. 67  Siehe hierzu: Balthasar, Herrlichkeit, 237–238; Ders., Theodramatik, 239–240. 68  CDH II,10–15 (SII), 106,8–116,12; Siehe hierzu: Visser; Williams, Anselm, 225. 69  CDH II,15 (SII), 115,6–116,6; ein Grund hierfür dürfte in dem anderen Gerechtigkeitsverständnis liegen, dass nicht nur auf kommutative und distributive Gerechtigkeit zielt und auch nicht auf strafende Gerechtigkeit, sondern auf gerecht machende Gerechtigkeit und richtige Relationalität. Siehe hierzu: Gwozdz, Anselm’s Theory of Freedom, 65.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

189

Christi aus Liebe um der Versöhnung willen noch unendlich viel mehr (plus in infinitum) vermag, als die Menge und Schwere aller Sünde aufzuwiegen.70 Ihre Güte überwiegt (praevalet) nach Anselm die Schlechtigkeit und Schuld aller Ungerechtigkeit unendlich und unvergleichlich (incomparabiliter) und wird als „Überfluss seiner Fülle“ (exundantiae suae plenitudines) bezeichnet.71 In der Me­ ditatio redemptionis humanae heißt es zudem, Christi freiwillige Selbsthingabe um der Bewahrung der Gerechtigkeit willen „übersteige“ (superaret) „alle Wesenheit, die nicht Gott ist“, „alle von den Sündern zu leistende Wiedergutmachung“ und „die Menge und Schwere aller Sünde“.72 Wieder wird es damit begründet, dass die Gerechtigkeit in Jesu Leben unendlich viel größer sei, als die Ungerechtigkeit und die zu leistende Wiedergutmachung der gesamten Menschheit.73 Die Wiedergutmachung wird von Anselm also gnadentheologisch als etwas unvergleichlich Überragendes und unendlich Überschüssiges gedacht. Sie wird nicht nach einem Äquivalenz- oder Kompensationsprinzip als Ausgleich des durch die Sünde entstandenen Mangels vorgestellt. Sie wird gnadentheologisch als eine Gabe beschrieben, die jeden durch die Sünde verschuldeten Mangel mehr als ausgleicht.74 So ist es nach Anselm diese unendliche, freie Gabe seiner Gerechtigkeit, durch die Christus – insbesondere durch sein freiwilliges Leiden und Sterben am Kreuz – den Sünden-, Schuld- und Todesnexus gnadenhaft auf bricht und für den Menschen einen neuen Anfang in seiner Gerechtigkeit setzt. Indem Christi Leiden und Sterben am Kreuz um der Gerechtigkeit willen als Kulminationspunkt seines mehr als genug tuenden Befreiungshandelns gedeutet wird, wird seine Passion als aktive Passion um eines höheren Zieles willen gedeutet. Jesu befreiende Passion wird von Anselm nicht im Sinne einer satispassio passivisch und selbstzweckhaft als ausreichendes Leiden oder als Erleiden des göttlichen Zorns über die Sünde gedeutet, das Gott qua Leiden gefallen habe. Anselm betont im Gegenteil, dass Gott nicht das Leiden seines Sohnes selbst gefalle, sondern nur, dass der Sohn ihn und die Einheit und Übereinstimmung mit ihm und die Menschheit so sehr liebe, dass er lieber sich von den Menschen 70 

CDH II,14 (SII), 114,31. CDH II,14 (SII), 20–115,4; vgl. CDH II,18 (SII), 127, 12–16. Dort heißt es, dass nichts, das nicht Gott ist, mit dieser Gabe vergleichbar ist (cui quidquid deus non est comparai non potest). Siehe auch: CDH II,19 (SII), 130,28–131,2. 72  M III (SII), 87,84–93. 73 Ebd. 74  Siehe hierzu insbesondere: Corbin, La Liberté du fils, 69–89. Und Joseph Houston, Was the Anselm of the Cur Deus homo a Retributivist?, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salmann (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 621–639; vgl. Leftows Deutung und analytische Rekonstruktion von Anselms Argument in: Brian Leftow, Anselm on the Cost of Salvation, in: Medieval Philosophy and Theology 6 (1997), 73–92; vgl. Visser; Williams, Anselm, 213–239; Rieger, Der Gottesdienst, 189–193. 71 

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

töten lassen wolle als diese Gerechtigkeit, Wahrheit und Freiheit aufzugeben.75 Nur um dieser Liebe willen stimmt nach Anselm der Vater dem Sohn zu seinem freiwilligen Leiden und Sterben zu. Nur aus diesem Grund lässt Gott nach Anselm die befreiende Passion Christi überhaupt zu. So wird abschließend in Cur Deus homo II,20 die Barmherzigkeit dieses einzigartigen, mehr als genug tuenden Befreiungshandelns als so vollkommen bezeichnet, dass sie „weder größer noch gerechter gedacht werden kann“.76 In diesem Sinne wird Christus von Anselm als „Ursache der Freiheit“ (causa libertatis) bezeichnet.77 Freiheitstheoretisch bedeutsam ist dies, da dadurch verdeutlicht wird, wie Gott aus Freiheit in Christus die menschliche Freiheit frei rekonstituiert.

4.1.4. Die universale Wirkung von Jesu Christi freiwilliger, befreiender Selbsthingabe Dieses alles mehr als wieder gutmachende Befreiungshandeln Christi wird von Anselm inklusiv als universal wirksames Befreiungsgeschehen gedeutet. Ausgehend von den christologischen Überlegungen zur vollkommenen Menschlichkeit Christi und zur angenommenen menschlichen Natur in seiner Person und vom gnadentheologischen Motiv seiner alles übersteigenden, unvergleichlich großen Gabe wird in Cur Deus homo II,7–19 die Wirkung von Christi Befreiungshandeln in ontologischer und menschheitsgeschichtlicher Perspektive entfaltet. Anselm argumentiert dafür, dass seine unendlich große Gabe der Gerechtigkeit nicht nur partikular begrenzt einige Menschen, die Christus zeitlich unmittelbar nachfolgend gelebt haben, gerecht und frei gemacht hat. Sie habe in seiner Person den unter die Sünde verknechteten Menschen frei gemacht, und wirke in der gesamten Menschheit befreiend. In Cur Deus homo II,7–14 führt Anselm zum einen in ontologischer Hinsicht aus, dass in Christus der Mensch qua Mensch von dem Nexus der Knechtschaft unter Sünde-, Schuld- und Tod befreit wird. Er begründet dies in Cur Deus homo II,7–9 damit, dass das in seiner Person angenommene Menschsein mit dem aller anderen Menschen identisch ist.78 Der eine Unterschied bestehe darin, dass er sich nicht wie alle anderen freiwillig unter die Macht von Sünde, Schuld und 75 

CDH I,10 (SII), 65,20–66,26. CDH II,20; 31,27–29; vgl. CDH I,25 (SII), 94,27–28, wo die göttliche Barmherzigkeit als „über alles menschliche Verstehen hinaus“ (supra intellectum humanum) bezeichnet wird. Siehe hierzu insbesondere: Gäde, Eine andere Barmherzigkeit, 267–282. Und zum Zusammenhang mit der im Proslogion formulierten Denkregel des id quo maius non cogitari potest: Ders., Eine andere Barmherzigkeit, 72–81. 77  M III, SII, 84,13–16; 88,129–131. 78  CDH II,8 (SII), 102,24–104,28. (Dabei ist es soteriologisch bedeutsam, dass es keine Neuschöpfung des Menschen ist, sondern die Annahme der menschlichen Natur, wie sie in den ersten Menschen geschaffen ist (natura assumpta). Darum wird Christus von Anselm auch als der neue Adam gedacht; vgl. DCV 17 (SII), 158,6–159,9. 76 

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

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Tod verknechtet hat, sondern aus Freiheit die Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen und damit die Wahrheit und Gerechtigkeit bewahrt hat.79 In der Person Christi ist Anselm zufolge also der Mensch freiwillig aktual frei geblieben und hat seine Freiheit so gebraucht, dass er vor Gott freiwillig mehr als genug getan hat. Da in Christus der Mensch die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und seiner eigenen wesensgemäßen Zielbestimmung nicht aufgegeben hat, erlebt der Mensch in Christus zwar alle menschliche Schwächen und Leiden aber nicht die dem der Sünde notwendig nachfolgenden Nexus aus Schuld, Todesverfallenheit, Elendigkeit und Unwissenheit.80 In Cur Deus homo II,10–14 erläutert Anselm sukzessive, dass der Mensch Christus aus Freiheit von der Knechtschaft unter die Sünde frei geblieben ist. So sei in ihm die menschliche Natur aus dem Nexus der Knechtschaft unter die Sünde zu einem neuen Nexus der Freiheit im Glauben befreit und zum Guten erneuert worden. Die ursprüngliche Sünde, die nach Anselm jeder Mensch als Mensch mit den ersten Menschen teilt und auch als Individuum selbst mitvollzieht, gilt als durch Christi Gerechtigkeit überwogen und vergeben. In Cur Deus homo II,14–16 wird die Wirkung von Christi Befreiungshandeln zudem in menschheitsgeschichtlicher Perspektive beschrieben.81 Ausgehend von dem gnadentheologischen Überschussmotiv aus Cur Deus homo II,14 wird gegenüber möglichen Einwänden dafür argumentiert, dass Christi Gabe der Gerechtigkeit die Vielzahl und Schwere aller Sünden derart überwiegt, dass sie auch die schwerste, unwissend begangene Sünde überwiegt und die erste, alle nachfolgenden Sünden bewirkende Sünde übertrifft. Durch Christus können „alle Schulden aller Menschen“ (omnibus omnium hominum debitis) überwogen werden.82 Auch alle personale Ungerechtigkeit kann Anselm zufolge durch Christi Befreiungshandeln unendlich überwogen werden. In Cur Deus homo II,15 wird gegen den möglichen Einwand, dass vielleicht die Tötung Jesu selbst eine nicht wieder gutzumachende Tat sei, betont, dass Christi Gabe der Gerechtigkeit so viel größer sei als auch diese schwerste Sünde gegen seine Person, dass diese mit allen anderen noch so schweren Sünden der Welt durch seine unendlich große und gerechte Barmherzigkeit aufgehoben worden sei.83 So begründet Anselm mit der universalen Wirkung von Christi Befreiungshandeln die Annahme, dass viele von denen, die Christus getötet haben, und unzählige Andere durch ihn erlöst werden.84 Die inklusive Universalität der Wirkung von Christi befreiender Gabe der Gerechtigkeit wird in Cur Deus homo II,16 dahingehend weitergeführt, dass 79 

CDH II,7–9 (SII), 101,23–106,8. CDH II,10–14 (SII), 106,10–115,4. 81  CDH II,14 (SII), 113,20–122,21. 82  CDH II,14–16 (SII), 113,20–122,21; CDH II,18; 127,12–16. 83  CDH II,15 (SII), 115,6–116,12. 84  CDH II,15 (SII), 115,24–116,7. 80 

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

begründet wird, dass sie nicht nur für zur Zeit Jesu räumlich und zeitlich Anwesende wirksam ist, sondern für alle, auch für die dem Raum und der Zeit nach Abwesenden.85 In diesem Zusammenhang formuliert Anselm ein Argument dafür, dass zu jeder Zeit jemand in dem neuen, durch Christus eröffneten Nexus der Freiheit in seiner Gerechtigkeit lebe. Er argumentiert, dass es keine Zeit gibt, in der nicht die Absicht Gottes (in­ tentio Dei), mit der er den Menschen schaffe, durch sein Wort in jemandem verwirklicht werde.86 Gegen die gegenteilige Annahme, dass zu irgendeiner Zeit niemand in Versöhnung und befreiter Freiheit gelebt habe, führt Anselm an, dass sie zu der selbstwidersprüchlichen Konsequenz führe, dass Gott dann in einem Moment die vergebliche Existenz der Menschheit und Schöpfung zugelassen hätte. Diese Konsequenz der Zulassung der vergeblichen Existenz der Menschheit ist nach Anselm insofern selbstwidersprüchlich, als dass Gott dann zugleich seine Schöpfungsabsicht der ewigen Liebesgemeinschaft verwirklichen und nicht verwirklichen würde. Dies spricht nach Anselm dafür, dass im Gegenteil Gottes Schöpfungsabsicht zu jeder Zeit aus Freiheit durch den Sohn in der Menschheit und in der Schöpfung verwirklicht werde. Es gebe keine Zeit, in der nicht jemand in versöhnter Freiheit lebe.87 Interessanterweise nimmt Anselm somit an, dass Christi Befreiungshandeln auch für die Zeit vor seinem geschichtlichen Ereignis und somit auch außerhalb der christlichen Kultur wirksam ist. Er führt dies am Beispiel von Adam und Eva, anderen Gerechten, sowie Maria, der Mutter Jesu aus. In Bezug auf die ersten geschaffenen Menschen und Urheber der universalen Selbstverknechtung unter die Sünde äußert er im Anschluss an das eben erläuterte Argument, „Von daher ist nicht zu bezweifeln, dass Adam und Eva zu dieser Erlösung dazugehört haben, auch wenn die göttliche Autorität dies nicht offen ausspricht.“.88 Im Bewusstsein, dass dieser Gedanke nicht in biblischen Texten explizit geäußert wird, sieht er ihn dennoch als Konsequenz der Annahme der allumfassenden Wirksamkeit von Christi Befreiungshandeln. In Bezug auf Maria argumentiert Anselm zudem, dass sie Christus nur dadurch ohne Sünde empfangen und zur Welt bringen konnte, dass sie durch seine im Tod vollbrachte freie Gabe der Gerechtigkeit gerecht gemacht worden ist, da sie nicht aus sich selbst aus dem Nexus der ursprünglichen Sünde herausgenommen worden sein konnte.89 Durch diese Argumentation begründet Anselm also die inklusive Annahme, dass Christi Befreiungshandeln derart universal wirksam ist, dass kein noch so ungerechter und unfreier Mensch nicht durch ihn gerecht

85 

CDH II,16 (SII), 118,5–6. CDH II,16 (SII), 119,3–19. 87  Ebd. Siehe hierzu: vgl. Visser; Williams, Anselm, 228–232. 88  CDH II,16 (SII), 119,18–19. 89  CDH II,16; SII,122,1–7; siehe hierzu auch: Deme, The Christology, 166–174. 86 

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

193

und frei gemacht werden könne und kein noch so gerechter und freier Mensch nicht erst durch ihn gerecht und frei gemacht werden müsse.90

4.1.5. Die konkrete Anteilgabe am Geist der Freiheit Jesu Christi Die Frage nach der konkreten Anteilgabe am Geist der Freiheit Christi wird in Cur Deus homo nur andeutungsweise beantwortet mit dem Verweis, dass es in biblischen Texten nachzulesen sei, „wie man an einer solchen großen Gnade Anteil bekommen“ (ad tantae gratiae participationem accendendum) und in ihr leben kann.91 Dafür wird sie aber in der dazugehörigen Meditatio redemptionis humanae sowie in De concordia III,6–8 ausgeführt.92 Die dort gegebene Antwort ist pneumatologisch akzentuiert. Es wird nämlich von Anselm betont, dass dem Menschen durch den Heiligen Geist im Vertrauen sowie in der Erkenntnis und Liebe zu Christus Anteil an seiner Freiheit gegeben wird.93 Neben diesem inneren Aspekt thematisiert er entsprechende äußere, sinnliche Mittel, durch die Gott Menschen befreit und im Geist an der Freiheit des Sohnes Anteil gibt: die kommunikative und sakramentale Praxis der christlichen Kirche. In der Meditatio redemptionis humanae wird betont, dass der Mensch konkret gerecht und frei wird, indem Christus in ihm Glauben wirkt, dadurch dass er Anteil an seiner Freiheit und Gerechtigkeit bekommt. So heißt es dort in Bezug auf Christus: Du hast mich zum Christen gemacht, nach deinem Namen gerufen, wodurch auch ich vertraue und du mich unter deinen Erlösten erkennst. Und du hast mich aufgerichtet und erhoben, dich zu erkennen und zu lieben. Du hast mich vertrauend gemacht in das Heil meines Lebens, wofür du dein Leben gegeben hast und mir deine ewige Herrlichkeit versprochen hast, wenn ich dir nachfolge.94

Dabei wird der relationale und personale Charakter des gegebenen Glaubens hervorgehoben. Es wird betont, dass dieser im Vertrauen (confidentia; fiducia) zu Gott besteht. Im Vertrauen strebt der Mensch danach, Gott zu erkennen, lebt in der tätigen Liebe und hofft auf ewiges Leben in Gott.95 Zudem wird die Aktivität Christi dadurch unterstrichen, dass er als der Anteilgebende, das heißt, als 90  Siehe hierzu: Peter Hünermann, Anselm’s Cur Deus homo. Eine Hilfe für den heutigen Dialog zwischen den Abrahamitischen Religionen?, in: Cur Deus homo. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale, Roma 21.-23 maggio 1998, hg. v. Paul Gilbert; Helmut Kohlenberger; Elmar Salmann (Studia Anselmiana 128) Rom 1999, 767. 91  CDH II,19 (SII), 131,3–9, insbes. 8–9. 92  M III (SII), 88,129–91,211; DC III,6–8 (SII), 270,11–276,5. 93  Ebd. vgl. Gäde, Eine andere Barmherzigkeit, 248–266. Er versucht es anhand von Cur Deus homo als Anteilgabe am Verdienst Christi zu deuten, lässt aber offen, wie dies bei Anselm konkret gedacht wird. 94  M III (SII), 90,182–91,188. 95  Vgl. CDH II,19 (SII), 131,3–6. Hier heißt es in Bezug auf die Einsicht in den Überfluss der Fülle Christi: „Ich jedenfalls empfange daraus ein solches Vertrauen ( fiduciam), dass ich nicht mehr sagen kann, mit welcher Freude mein Herz jubelt.“

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

der Rufende, Aufrichtende und Erhöhende sowie als der Vertrauen Schenkende bezeichnet wird. Der Mensch wird dementsprechend als der Anteilempfangende, das bedeutet, als der Hörende, Aufgerichtete und Erhöhte sowie als der Vertrauende beschrieben. Anselm geht davon aus, dass Christus durch seinen Geist wirkt und dass der Heilige Geist verwirklicht, was Christus will.96 So beschreibt Anselm auch in De concordia III,6 die konkrete Anteilgabe am Geist der Freiheit Christi pneumatologisch als durch den Heiligen Geist gewirktes Wachstum und als Neuorientierung der ganzen Person auf Gott hin.97 Dies beschreibt er unter Bezug auf äußere sinnliche Mittel der kommunikativen und sakramentalen Praxis der christlichen Kirche.98 Zum einen wird das Rufen, Aufrichten und Erhöhen und sowie Vertrauen Stiften als durch die kommunikative Praxis des Predigens, Hörens, Verstehens, Glaubens und willentlichen Tuns des Wortes Gottes gnadenhaft gewirkt gedacht.99 Diese kommunikative Praxis der Kirche wird von Anselm in dem Sinn als ein sinnliches Mittel der Anteilgabe an der Freiheit Christi durch den Geist verstanden, als dass in ihr Worte Christi, die in biblischen Texten enthalten sind, wie „Samen“ der Übereinstimmung mitgeteilt werden.100 Diese Worte entfalten Anselm zufolge durch das Wirken des Geistes in den hörenden Menschen ihre Wirkung. So können diese sie verstehen, glauben und ihnen willentlich entsprechen sowie frei werden, diese Übereinstimmung des Willens um ihrer selbst willen zu bewahren. Der Heilige Geist wirkt, dass Menschen das göttliche Wort nicht mehr nur hören, ohne es verstehen zu können, sondern dass sie es sowohl hören als auch verstehen können. Zum anderen wird von Anselm hervorgehoben, dass dem Menschen durch die sinnlichen Zeichen der sakramentalen Praxis der Kirche am Geist der Freiheit Christi leibhaftig Anteil gegeben wird. In De concordia III,8 und in der Meditatio redemptionis humanae thematisiert Anselm die gerecht und frei machende Bedeutung der Taufe und des Abendmahls sowie andeutungsweise der Buße.101 96  Dehme, The Christology, 140–148; Siehe auch: Thomas Williams, „God who Sows the Seed and Gives the Growth: Anselm’s Theology of the Holy Spirit“, in: Anglican Theological Review 89 (2007), 611–27 gegenüber Milbank, The second difference, 214–215. 97  DC III,6 (SII), 271,16–28. 98  Siehe zu Anselms Ekklesiologie und seiner Betonung der unsichtbaren Kirche: Markus Enders, „Nichts liebt Gott mehr in dieser Welt als die Freiheit seiner Kirche“. Anselm von Canterburys Verständnis der Kirche, kirchlicher Lebensformen und des Verhältnisses der kirchlichen zur weltlichen Gewalt, in: Church as Politeia. The Political Selfunderstanding of Christianity, hg. v. u. a. Christoph Stumpf, Berlin 2004, 29–68. 99  DC III,6 (SII), 270,11–273,6. 100 Siehe hierzu auch: Augustin, Confessiones XIII,17,21–19,24. 24,35–27,42 (CChr.SL 27), 253,12–256,39. 262,55–267,12; vgl. Johannes Cassianus, Collationes XIII,I,1-III,6 (CSEL 13), 362,13–365,6. Siehe zur weiteren Verwendung dieses Analogiebeispiels in der Anselm bekannten altkirchlichen Literatur auch: Gasper, Anselm of Canterbury, 111 ff. 101  DC III,8 (SII), 274,19–275,8; M III (SII), 90,182–91,188.

4.1. Die Analyse der Befreiung zur Freiheit durch Gottes Menschwerdung

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Die Taufe wird als das gerechtigkeits- und freiheitskonstitutive Sakrament gedeutet, da in ihr die Gnade des christlichen Glaubens gegeben wird.102 Dies wird von Anselm damit begründet, dass in der Taufe die ursprüngliche Ungerechtigkeit, mit der der Mensch geboren wird, sowie der Schuldcharakter der daraus folgenden Unfähigkeit und Korruption aufgehoben werden. Dadurch wird der Mensch aus dem Sünden-, Schuld- und Todesnexus befreit. Er bekommt Anteil an dem in Christus eröffneten Nexus des Glaubens, Liebens und Hoffens auf ewiges Lebens. Durch die Taufe wird nach Anselm also bewirkt, dass dem Menschen keine zuvor begangene und keine danach unwillentlich begangene Sünde mehr vor Gott als Schuld zugerechnet wird. Dies gilt auch wenn die noch zum aufgebrochenen Nexus gehörenden Korruptionen, Unfähigkeiten und Übel, die an sich keine Sünden sind, bleiben.103 Während nach Anselm durch die Taufe der einzelne Mensch in den in Christus eröffneten Nexus des Glaubens, Liebens und Hoffens konstitutiv hinein genommen wird, wird ihm durch das Abendmahl gemeinschaftlich, effektiv verändernd am Geist der Freiheit Christi weiter Anteil gegeben. Anselm betont in der Meditatio redemptionis humanae in poetisch kraftvoller Sprache, dass der Mensch die Einsicht in die Befreiung durch Christus in seinem Inneren „essen, wieder und wieder kauen, einsaugen und durchschmecken“ solle, „sooft sein Mund Fleisch und Blut seines Erlösers empfange“.104 Das Genießen der Einsicht in die Befreiung durch Christus im Glauben in Verbindung mit dem Genuss des Abendmahls wird als das Mittel bezeichnet, durch das der Mensch vermögend wird, die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und seiner eigenen wesensgemäßen Zielbestimmung zu bewahren, weil der Mensch durch es „in Christus bleibt und Christus in ihm“.105 Demnach geht er davon aus, dass Menschen nicht nur durch Gottes Gnadenhandeln in der Taufe von der originalen, natürlichen Verknechtung unter die Sünde befreit werden, sondern auch durch das Wirken des Heiligen Geistes immer weiter personal gerecht gemacht werden.106 In diesem Sinne wird die Anteilgabe am neuen Nexus der Freiheit Christi von Anselm als durch den Heiligen Geist im Glauben gewirkte Freiheit gedacht, die in der kommunikativen und sakramentalen Praxis der Kirche sinnlich zeichenhaft vermittelt wird. Sie gilt dabei als ein Ereignis, dass zwar vermittels von Wort und Zeichen menschlich vermittelt wird, aber allein durch Gott bewirkt wird. In De libertate arbitrii und De conceptu virginali wird betont, 102  Siehe hierzu auch: Decorte, Kurze Geschichte, 133. Decorte betont, dass durch die Taufe das Vermögen gegeben wird, die gegebene Gerechtigkeit zu bewahren, aber noch nicht das Vermögen aufgehoben ist, die gegebene Gerechtigkeit wieder aufzugeben. 103  Ebd.; DCV 29 (SII), 172–173. Zur Andeutung auf die Buße siehe zudem: M III, SII, 88,122–128. 104 James Gollnick, Flesh as Transformation Symbol in the Theology of Anselm of Canterbury, Lewiston 1985, 159–207. 105  M III (SIII), 89,132–136; vgl. M III (SIII), 91,196. 106  DCV 1 (SII), 141,4–5.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

dass die Befreiung des verknechteten freien Wahlvermögens, anders als natürliche und personale Ereignisse, allein von Gott aus Freiheit frei gewirkt wird.107

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben In De libertate arbitrii, Cur Deus homo und der Meditatio redemptionis humanae sowie De concordia wird verschiedentlich auch der durch Christus befreite Freiheitsgebrauch beschrieben.108 Die an Christus zu erkennende und durch Christus begründete Freiheit wird dabei als die wahre Verwirklichung der Freiheit verstanden, die dem Menschen ursprünglich gegeben ist, die er freiwillig korrumpiert hat und die im Glauben neu verwirklicht wird. Die Freiheit, an der dem Menschen im Glauben Anteil gegeben wird, wird von Anselm also als keine andere als die natürliche, geschaffene Freiheit des Menschen verstanden, aber als eine andere Art und Weise des Freiheitsgebrauchs als derjenige vor und in der Sünde. In De libertate arbitrii wird bereits mehrfach indirekt auf den aktualen Freiheitsgebrauch hingewiesen, auf die Kontinuität zur geschöpflichen Freiheit und die Diskontinuität zur Korruption dieser natürlichen Freiheit durch das Böse.109 In den christologischen Überlegungen in Cur Deus homo und vor allem in der Meditatio redemptionis humanae wird diese Art und Weise des Freiseins dann explizit in Bezug auf das Beispiel Christi beschrieben.110 Schließlich wird in den gnadentheologischen und anthropologischen Reflexionen in De concordia III der aktuale Freiheitsgebrauch detailliert analysiert.111 Dabei werden von Anselm sukzessive fünf Merkmale herausgearbeitet, durch die sich der im Glauben neu gegebene aktuale Freiheitsgebrauch auszeichnet. Betrachtet man seine Beschreibung des aktualen Gebrauchs der Freiheit, wird deutlich, dass es sich nicht nur um eine rein ethische Konzeption von Freiheit als sittlicher Gutheit handelt, sondern dass diese religiös eingebettet ist.112 107 

DLA 10 (SI), 222,2–19; DCV 11 (SII), 153,16–154,16. 1–13 (SI), 207,3–226,21; M III (SIII), 84,2–89,157; CDH I,1-II,22 (SII), 39,1– 133,15; DC III,6–10 (SII), 270,11–278,25. 109  DLA 7 (SI), 218,15–220,9; DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32. 110 CDH I, 8–10 (SII), 59,5–67,20; CDH II,5 (SII), 99,15–100,29; CDH II,17 (SII), 122,23–126,19; M III (SIII), 84,2–89,157. 111  DC III,6–10 (SII), 270,11–278,25. 112  Siehe hierzu auch: Goebel, Rectitudo, 391–502. Goebel unterscheidet bei Anselm auch zwei Seinsweisen der Freiheit und zwar die Freiheit des sittlich guten Menschen und die Freiheit des sittlich schlechten Menschen. Vgl.: Ders., Anselm, 89–121. Auch Kane differenziert zwischen zwei Formen und Begriffen der Freiheit, die er in Anlehnung an Adler „Freiheit der Selbstvervollkommnung“ und „Freiheit der Selbstbestimmung“ nennt. Siehe: Kane, Anselm’s Definition, 304–6. Ekenberg begründet schließlich bei Anselm eine Unterscheidung von Handlungs- und Willensfreiheit. Siehe: Thomas Ekenberg, Free Will and Free Action, 301–17. 108  DLA

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

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Im Folgenden wird rekonstruiert, wie Anselm in den eben genannten Texten den aktualen Freiheitsgebrauch mit seinen charakteristischen Merkmalen analysiert. Als Erstes (4.2.1.) wird dargestellt, wie in der empfangenen Neuausrichtung der Seele auf das wahre, höchste Gute ein notwendiges Merkmal des aktualen Freiheitsgebrauchs gesehen wird. Im Anschluss daran wird zweitens (4.2.2.) erläutert, wie dementsprechend davon ausgegangen wird, dass mit dieser empfangenen Neuausrichtung auch das Vermögen aktualisiert wird, das freie Wahlvermögen richtig zu gebrauchen. Drittens (4.2.3.) wird darauf eingegangen, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem Prinzip der externen Unüberwindbarkeit zugeschrieben wird. Schließlich soll die Spannung herausgearbeitet werden, in der Anselm zufolge im Glauben von der Freiheit Gebrauch gemacht wird. Dazu soll viertens (4.2.4.) erläutert werden, wie von ihm die innere Dynamik der Vervollkommnung in der freiwilligen Gottes- und Nächstenliebe als wachsende Bestimmtheit der Freiheit verstanden wird. Als Fünftes (4.2.5.) wird schließlich ausgeführt, wie von Anselm im Kontrast dazu die bleibende Gefährdung und Unvollkommenheit des aktualen Freiheitsgebrauchs beschrieben werden.

4.2.1. Die Befreiung zum rechten Wollen und Wählen In verschiedenen Texten formuliert Anselm Argumente dafür, dass die Befreiung zum rechten Wollen und Wählen ganz und allein von Gott gegeben und somit nur durch die recht machende Gabe des Heiligen Geistes und nicht auch selbst durch einen freien Wahlakt konstituiert wird. Zugleich argumentiert er aber dafür, dass der Heilige Geist den Willen durch die Gabe des Rechtseins derart effektiv auf Gott neu ausrichtet, dass er aufgrund und mithilfe der Gnade ohne Zwang auch freiwillig, spontan und selbstbestimmt recht wollen und wählen kann. Damit greift Anselm nicht nur die Kontroverse des älteren Augustin mit Johannes Cassian, Prosper von Aquitanien und anderen über die Frage auf, ob der Anfang des Glaubens in Gott oder im Menschen liegt.113 Vielmehr versucht er zugleich auch eine Möglichkeit zu zeigen, wie die theonome und autonome Bestimmung des rechten Wollens im Glauben zusammengedacht werden können.114 Dass die Befreiung zum rechten Wollen und Wählen allein und ganz von Gott gewirkt wird, deutet Anselm bereits in De libertate arbitrii 10–12 an. Dort heißt es, dass der Mensch nur durch eine besondere Gnade Gottes aus der

113  Augustin, De praedestinatione sanctorum, I,1-VII,16 (PL 44), 959–973; siehe hierzu auch: Laporte, La Grace chez Augustin 425–444; Weaver, Divine Grace and Human Agency, 37–234. 114  Siehe hierzu: auch: Kane, Anselm’s Doctrine, 191–190; vgl. Goebel, Rectitudo, 503– 504.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

Knechtschaft unter das Böse befreit werden und die Gabe des Rechtseins neu empfangen kann.115 In De concordia III,3 wird dies auf die These zugespitzt: dass kein Geschöpf dieses Rechtsein empfangen kann, außer durch Gnade“ (nullam cre­ aturam hanc adipisci posse rectitudinem nisi per gratiam) oder: dass die Gnade allein den Menschen rettet, während sein freies Wahlvermögen nichts tut. (ut gratia sola possit homi­ nem salvare nihil eius liberi arbitrio agente) 116

Begründet wird diese These damit, dass der Mensch nur unter der Bedingung recht wollen kann, dass der Wille recht ist, und dass er auf keine Weise, sei es durch aktives Wollen oder passives Nichtwollen das Rechtsein aus sich haben oder von einem anderen Geschöpf empfangen kann.117 Dabei wird bereits in De veritate 12 hervorgehoben, dass das Empfangen des Rechtseins der Sache nach Grund für das Haben, Wollen und Bewahren derselben ist, auch wenn es sich der Zeit nach zugleich ereignet.118 Begründet wird dies damit, dass niemand recht wollen kann, dessen Wille nicht vorgängig recht ist.119 Folglich kann nicht das rechte Wollen das Rechtsein des Willens konstituieren. Nur das Rechtsein des Willens kann den rechten Gebrauch des Willens ermöglichen. Rechtsein kann das freie Willens- und Wahlvermögen Anselm zufolge aber nur dann, wenn ihm dies durch Gottes freies Gnadenhandeln gegeben wird.120 Dabei zieht Anselm mehrfach die Analogie, dass der Mensch, so wie er sich nicht selbst schaffen konnte, sondern alles, was er ist und hat, von Gott empfangen hat, er sich erst recht nicht selbst erneuern und aus der Knechtschaft unter das Böse befreien kann, sondern die Befreiung zum neuen Rechtsein nur ganz von Gott empfangen kann.121 Die Annahme, dass der Anfang der Befreiung allein von Gottes freier Gnade ausgehen kann, legt sich zudem bereits daraus nah, dass die Knechtschaft als eine solche beschrieben wird, in der das freie Willens- und Wahlvermögen auf intern un-

115 

DLA 10 (SI), 222,2–23; vgl. DLA 3 (SI), 211, 19–26. DC III,3 (SII), 266,8–20. 117  Mehr dazu in Kap.  6. 118  DV 12 (SI), 195,1–27. 119  Ebd. vgl. hingegen Verweyen und Ernst, die an dieser Stelle von einer Modifikation des Anselmschen Denkens ausgehen: Thomas Franz, Die Freiheit des Menschen und die Gnade Gottes. Zur Verhältnisbestimmung von Anthropologie und Theologie in „De concordia“, in: Stephan Ernst; Thomas Franz (Hg.), Sola ratione. Anselm von Canterbury und die rationale Rekonstruktion des Glaubens, Würzburg 2009, 242; und Verweyen, Einleitung, 51. 120  Mehr dazu in Kap.  5. Siehe hierzu auch: Marianne Djuth, Anselm’s Augustinianism and the Initium bonae voluntatis, in: Les philosophies morales et politiques au Moyen Âge, Bd.  2 , hg. v. Bernardo C. Bazán u. a., New York 1995, 844–860; Franz, Die Freiheit des Menschen, 229–248; Toru Ingu, Über die Gnade und die Willensfreiheit, in: Kwansei Gakuin University Annual Studies 10 (1961), 1–15. 121  DLA 10 (SI), 222,9–19. 116 

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

199

überwindbare Weise verknechtet und korrumpiert ist. So ist es vollkommen unbrauchbar zum Wollen der Gerechtigkeit.122 So widerlegt Anselm in Cur Deus homo I,20 die Annahme, dass der Mensch sich selbst durch einen freien Willens- und Wahlakt aus der Knechtschaft unter die Ungerechtigkeit befreien könne und nicht vollkommen auf Gottes freies Gnadenhandeln in Christus angewiesen sei.123 So wie hier zurückgewiesen wird, dass der Anfang des Glaubens in einem freien Willens- und Wahlakt des verknechteten Menschen liegen könne, wird in De concordia III,3–4 positiv ausgeführt, dass der Anfang des neuen Rechtseins ganz und allein durch Gottes freie Gnade geschenkt wird.124 Es gilt als passiv rekonstituiert. Die in Cur Deus homo begründete soteriologische Notwendigkeit von Gottes befreiendem Gnadenhandeln in Christus findet ihre sachliche Fortführung somit in De concordia III, in der gnadentheologischen Begründung der Befreiung zum rechten Wollen und Wählen. Zugleich argumentiert Anselm aber auch dafür, dass Gott das verknechtete freie Willens- und Wahlvermögen durch seine besondere Gnade derart effektiv aus der Knechtschaft unter die Sünde zum rechten Wollen und Wählen befreit, dass es aufgrund und mithilfe von Gottes Gnade ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt zum rechten Wollen und Wählen im Geist Christi gebraucht werden kann.125 Die These, dass die Befreiung zum rechten Wollen und Wählen allein und ganz durch Gottes Gnade gewirkt wird, hebt demnach nicht die Annahme auf, dass der Mensch jeweils als eigenständige Person selbst frei will, wählt und wirkt, und nachfolgend aktiv respondiert. Sie stellt im Gegenteil eine Begründung dafür dar, dass der Mensch aufgrund und mithilfe von Gottes besonderer Gnade wieder selbst seinem gottebenbildlich geschaffenen Wesen und seiner Bestimmung gemäß wahrhaft frei wollen und wählen kann.126 Demnach besteht die gnadenvolle Befreiung nicht in einer Befreiung vom eigenen freien Wollen und Wählen. Vielmehr besteht sie Anselm zufolge in der Befreiung von der Verknechtung des eigenen freien Wollens und Wählens unter die Sünde zum wahrhaft wesensgemäßen, eigenen freien Wollen, Wählen und Wirken des Rechten im Geist Christi.127 So hebt Anselm des Weiteren hervor, dass der von der Knechtschaft befreite Mensch keineswegs durch die Gnade zum rechten Wollen gezwungen oder durch den Heiligen Geist fremdbestimmt wird. Demgegenüber betont er, dass der Wille durch die gnadenvolle Gabe des Rechtseins affektiv derart auf das höchste Gute ausgerichtet wird, dass er sich 122 

DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32. CDH I,20 (SII), 86,17–88,10. 124  DC III, 3–4 (SII), 265,26–268,25. 125 Ebd. 126 Ebd. 127 Ebd. 123 

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

durch die neu empfangene Neigung zur Gerechtigkeit selbst so bewegen kann, dass er diese Gabe freiwillig um ihrer selbst willen bewahren will und kann. Entsprechend wird die befreiende Gnade nicht als Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit zur Gerechtigkeit gedeutet, sondern als eine dem Empfang der Gabe nachfolgend notwendige, freiwillige und aktive Antwort des Menschen auf den Zug der göttlichen Liebe.128 Dass die Gabe des Rechtseins keinen Zwang auf den Willen des Menschen ausübt, sondern ihn nur freiwillig der göttlichen Liebe folgen lässt, wird von Anselm schließlich pneumatologisch begründet. So zeigt er in De concordia III,6 durch das Analogiebeispiel des Wachstums von Samen auf, dass der Heilige Geist derart effektiv im Geist und Herzen des Menschen wirkt, dass dieser frei wird, selbst seinem eigenen gut geschaffenen Wesen und seiner Bestimmung gemäß freiwillig, spontan und selbstbestimmt recht glauben und wollen zu können.129 Demnach wird das freie Willens- und Wahlvermögen durch das Wirken des Heiligen Geistes nicht fremdbestimmt zu etwas, was seinem eigenen Wesen und seiner wesensgemäßen Bestimmung widerspräche. Es wird so bestimmt, dass der Mensch es im Glauben so gebrauchen kann, wie es seinem gottebenbildlich geschaffenen Wesen und seiner Bestimmung zur ewigen, glückseligen Gottesliebe entspricht.130 Dies deutet Anselm jedoch nicht in dem Sinne, dass die Gnade nur die Natur vollendet. Er betont, dass die Gnade die Natur von ihrer Korruption durch die Knechtschaft unter das Böse befreit und erneuert, sodass sie wieder ihrem gut geschaffenen Wesen gemäß tun kann, wozu sie geschaffen ist.131 So kann man sagen, dass Anselm zufolge der Heilige Geist im Menschen die Gnade bewirkt, dass dieser in sich die Gabe der Gottesliebe als Grund und Kern seines selbstbestimmten rechten Wollens und Wählens entdeckt. Damit gelten Theonomie und Autonomie nicht als gegensätzliche Bestimmungen des menschlichen Willens.

4.2.2. Die Befreiung zum aktualen Gebrauch der Freiheit Die Befreiung zum aktualen Freiheitsgebrauch wird von Anselm – ähnlich wie die Befreiung zum rechten freien Wollen und Wählen – als eine solche beschrieben, die allein und ganz von Gott bewirkt wird ohne positiven Beitrag des verknechteten freien Willens- und Wahlvermögens. Deswegen kann es nachfolgend auch vom Menschen selbst aufgrund und mithilfe der Gnade ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt bewahrt werden. Dadurch wird eine Deutung des befreienden Gnadenhandelns vorgeschlagen, der zufolge der Mensch durch das Wirken des Heiligen Geistes zur Freiheit befreit wird. Er wird nicht etwa der Freiheit beraubt oder in seinem Freiheitsgebrauch einge128 Ebd. 129 

DC III,6 (SII), 270,11–273,6. Ebd.; siehe hierzu auch: Williams, God who Sows the Seed, 611–627. 131  DLA 10 (SI), 222,9–19. 130 

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

201

schränkt oder neu verknechtet. So führt Anselm den von Augustin im Enchiri­ dion und in De correptione et gratia formulierten Gedanken systematisch fort, dass die begnadete, neuste Freiheit im Geist Christi (novissima libertas voluntatis) die wahre Verwirklichung der menschlichen Freiheit ist.132 Dass die natürliche Freiheit des Menschen allein und ganz durch Gottes besonderes Gnadenhandeln rekonstituiert wird, sodass sie nicht mehr wie in der Knechtschaft unter das Böse derart korrumpiert ist, dass sie nicht zur Gerechtigkeit gebraucht werden kann, begründet Anselm verschiedentlich. So wird zum einen in De libertate arbitrii 3–4 und 12 durch das Analogiebeispiel eines Sehaktes verdeutlicht, dass der Mensch das Vermögen der Freiheit, das er natürlicher Weise immer hat, nicht selbst realisieren kann und nicht allein von sich aus gebrauchen kann, wenn ihm nicht von Gott die besondere Gnade dazu gegeben wird.133 Die Korruption der Freiheit zu einem unbrauchbaren, nutzlosen Vermögen in der Knechtschaft unter der Ungerechtigkeit wird dementsprechend als eine intern irreversible Korruption gedeutet. Der Übergang vom potentiellen Freisein in der Sünde zum aktualen Freisein in der von Gott gegebenen Gerechtigkeit wird von Anselm nicht im Sinne einer sich selbst aktualisierenden Potenz gedeutet. Das Vermögen der Freiheit stellt seiner Auffassung nach gerade keine Potenz dar, die sich von sich aus aktualisiert. Sie gilt als ein Vermögen, das nur dann verwirklicht werden kann, wenn alle notwendigen Möglichkeitsbedingungen und damit auch die Gabe des Rechtseins und die göttliche Wahrheit und Gerechtigkeit gegenwärtig sind.134 So kann der Grund zur Verwirklichung der Freiheit in Anselms Sicht nicht darin liegen, dass der Mensch natürlicher Weise das Vermögen der Freiheit hat, das er dann mithilfe der Gnade selbst verwirklichen kann. Die Knechtschaft unter die Sünde stellt seiner Auffassung nach schließlich eine solche dar, aus der sich der Mensch nicht dank seiner natürlichen Freiheit selbst emanzipieren kann. Zum anderen wird in De casu diaboli 2 weiter ausgeführt, dass Gottes Geben der Gabe der Beharrlichkeit im Guten der Grund und die Ursache für das Empfangen und nachfolgende Haben dieser Gabe ist (datio est causa acceptionis). Es könne nur gehabt werden, weil es empfangen worden ist und es könne nur empfangen werden kann, weil Gott es gegeben hat (accepit quia deus dedit).135 Die These, dass das göttliche Geben der Gabe Grund und Ursache für das geschöpfliche Empfangen der Gabe ist, wird dabei sowohl in Bezug auf die schöpferische als auch erlösende Gabe der Bewahrung des Rechtseins bezogen. Im Unterschied zu Augustin betont Anselm stärker, dass die von Gott durch sein gnadenvolles Schöpfungshandeln gegebene Freiheit dieselbe ist, wie die, zu deren Ge132  Augustin, Echiridion XXVIII,106-XXXIII,122 (CChr.SL 46), 106,28–114,7; Ders., De correptione et gratia, X,26-XII,34 (CSEL 92), 249,13–261,32. 133  DLA 3–4 (SI), 212,24–214,12; DLA 12 (SI), SI, 224,6–22. 134  DLA 3–4 (SI), 212,24–214,12; DLA 12 (SI), SI, 224,6–22. 135  DCD 2 (SI), 235,20–25.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

brauch Gott durch sein gnadenvolles Erlösungshandeln befreit.136 Zugleich hält er jedoch mit Augustin daran fest, dass Gottes Gnade ganz und allein die Befreiung zum wahren Freisein bewirkt. Demnach wird in Gottes freier Gabe der Gerechtigkeit der ganze und alleinige Grund dafür gesehen, dass die Korrup­ tion der Freiheit aufgehoben wird und sie aktual zur Bewahrung der gegebenen Gerechtigkeit gebraucht werden kann. Der aktuale Freiheitsgebrauch basiert nach Anselm somit ganz auf dem freien Geschenk der göttlichen Gnade. Sie hat einen konstitutiven Bezugspunkt außer ihrer selbst. Indem Anselm annimmt, dass die Befreiung zum aktualen Freiheitsgebrauch ganz von Gottes freiem Gnadenhandeln abhängt, denkt er den aktualen Freiheitsgebrauch als vorgängig durch die Gnade bestimmt. Die Determiniertheit des aktualen Freiheitsgebrauchs durch die freie Gabe der göttlichen Gnade bedeutet jedoch keinen Zwang. Sie schließt die Freiwilligkeit, Spontaneität und Selbstbestimmtheit des menschlichen Wollens und Wählens ein. Sie macht damit die Freiheit des Menschen zu dem, was sie wesenhaft ist. Die Bestimmtheit des aktualen Freiheitsgebrauchs durch das notwendige Vorausgehen der freien Gnadengabe impliziert nach Anselm keinen Zwang, der die Freiwilligkeit, Spontaneität und Selbstbestimmtheit des eigenen Wollens und Wählens von Menschen auf heben würde. Das wird zum einen dran deutlich, dass er in De libertate arbitrii 12 betont, der Mensch könne dann, wenn ihm aus Gnade die Gabe des Rechtseins gegeben werde, auch das Vermögen der Freiheit aktual gebrauchen. So könne er ohne Zwang selbst das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen wirklich bewahren.137 Zum anderen zeigt es sich daran, dass in De concordia I,4 gegen die Annahme eines theologischen Determinismus eingewendet wird, dass Gott das Gute, das er allein bewirkt, nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit heraus bewirken muss, sondern aus der Freiheit seines Willens wirkt.138 Demnach hat die Befreiung der Freiheit ihren Grund in der göttlichen Freiheit und nicht in einem vorausgehend notwendigen Prinzip. Dadurch wird gegen die Annahme argumentiert, dass der Mensch durch Gottes freie Gabe der Gnade zum aktualen Freiheitsgebrauch gezwungen wird. Dass die Gabe der Gnade, obwohl sie vorausgehend notwendig ist, um die Freiheit aktual gebrauchen zu können, nicht mit dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit identisch ist, begründet Anselm weiter durch die Annahme der Simultaneität von der ewigen, befreienden Gnadengabe Gottes und dem zeitlichen, aktualen Freiheitsgebrauch des befreiten Menschen.139 Demnach wird die befreiende Gnade so verstanden, dass sie mit ihrer Gabe nachfolgend notwendig ist. Es wird also 136 

Augustin, De correptione et gratia X,26-XII,34 (CSEL 92), 249,13–261,32. DLA 12 (SI), 223,15–224,32. 138  DLA 4 (SI), 252,7–22. 139  DC I,4–5 (SII), 252,7–255,29. 137 

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

203

angenommen, dass, bevor sie gegeben worden ist, es nicht in einem absoluten Sinne vorausgehend notwendig ist, dass sie von Gott gegeben werden wird. Aber dann, wenn sie gegeben werde, sei es nachfolgend notwendig, dass sie gegeben wird.140 Entscheidend ist jedoch: es wird verneint, dass die befreiende Gnade als ein Zwang zu verstehen ist, der das Freisein des Menschen formal auf hebt. Es wird betont, dass das Bestimmtsein des Menschen durch die Gabe der Gnade seine Spontaneität, Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit einschließt und keineswegs auf hebt oder einschränkt. In De veritate und De libertate arbitrii wird begrifflich aufgezeigt, dass ein gerechter und inhaltlich positiv bestimmter freier Akt notwendig immer auch ein spontaner, freiwilliger und selbstbestimmter Akt ist.141 So kann man sagen, dass nach Anselm die gnadenhafte Befreiung zum aktualen Freiheitsgebrauch Menschen zu einer aktiven, freiwilligen, spontanen und selbstbestimmten Liebe zu Gott und damit auch zum Nächsten wie zu sich selbst befähigt. Dass die Gabe der Gnade den Menschen befähigt, die Freiheit, zu der er befreit wird, selbst mit Hilfe der Gnade spontan, freiwillig und selbstbestimmt zu gebrauchen, wird in De concordia III,4 zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es, die freie Gnade helfe dem freien Wollen und Wählen des Menschen auf vielerlei Weise, dass er selbst das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren kann.142 Konzeptionell wird damit die passive Konstitution des aktualen Freiheitsgebrauchs untrennbar mit der nachfolgenden aktiven, freien Antwort der Menschen verbunden. Dies verdeutlicht Anselm in De con­ cordia III,6 anhand des Analogiebeispiels der wachsenden Saat.143 Dabei stellt er heraus, dass die Freiheit des Menschen durch das Wirken des Heiligen Geistes derart erneuert wird, dass der Mensch aus Gnade durch eigene vernünftige Einsicht von ihr Gebrauch machen kann.144 Der Mensch kann Anselm zufolge dann von der Freiheit guten Gebrauch machen, wenn ihm zuvor das Wort Gottes verkündigt wird und er es hört und versteht. Dadurch wird das Samenkorn des Rechtseins in sein Herz aufgenommen und vom Heiligen Geist wird ihm die Gabe des Rechtseins geschenkt. Er wird dazu befähigt, dass er diese Gabe im Glauben auch wollen und bewahren kann und dass das Samenkorn des Rechtseins in seinem Herzen wächst und Früchte trägt.145 So ersetzt die Gnade nicht die Freiheit. Vielmehr kann Anselm zufolge der Mensch aus Gnade im Glauben von der Freiheit zur Gerechtigkeit ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt Gebrauch machen.

140 

Ebd.; Mehr dazu in Kap.  5. DV 12 (SI), 191,27–196,25; DLA 13 (SI), 225,2–32. 142  DC III,4 (SII), 267,7–19. 143  DC III,6 (SII), 270,11–273,6. 144 Ebd. 145 Ebd. 141 

204

4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

4.2.3. Die externe Unüberwindbarkeit der aktualen Freiheit Der Gebrauch der Freiheit des befreiten Willens- und Wahlvermögens ist nach Anselm extern unüberwindbar. Dies macht die Größe der durch Christus gegebenen Freiheit aus. In De libertate arbitrii finden sich Argumente, die nahe legen, dass auch der aus Gnade erneuerte Freiheitsgebrauch als extern unüberwindbar gilt. Die externe Unüberwindbarkeit des Rechtseins wird implizit als Merkmal des aktualen Freiheitsgebrauchs angeführt.146 Zudem wird in De concordia I,6 und III,4 argumentiert, dass die befreite Freiheit aufgrund und mithilfe der Gnade Gottes noch viel weniger überwindbar ist, als die Freiheit, mit der die Menschen von Gott geschaffen werden.147 Anders als der ältere Augustin lässt Anselm dabei aber offen, inwiefern man sagen kann, dass die Gnade derart unwiderstehlich wirkt, dass der befreite Freiheitsgebrauch nicht nur extern, sondern auch intern unüberwindbar ist. Zudem betont er im Unterschied zu Augustin, dass die geschöpfliche Freiheit immer dieselbe ist und nur durch die Art und Weise des Freiseins sich geschaffene, verknechtete und befreite sowie vollendete Freiheit unterscheiden.148 Durch die These der externen Unüberwindbarkeit des aktualen Freiheitsgebrauchs aus Gnade hebt Anselm jedoch hervor, dass der aktuale Freiheitsgebrauch in Kontinuität zur guten Geschaffenheit der Freiheit steht und in Diskontinuität zur internen Unüberwindbarkeit des unbrauchbaren Freiheitsvermögens in der Knechtschaft unter die Ungerechtigkeit. In De libertate arbitrii wird bereits freiheitstheoretisch gegen die Annahme argumentiert, dass der rechte Wille durch irgendetwas gezwungen werden kann, seine Freiheit der Gottesliebe aufzugeben.149 Auch wenn es primär um die gut geschaffene Freiheit und ihre freiwillige Korruption geht, nimmt Anselm eine gewisse Analogie zwischen der gut geschaffenen Freiheit der ersten Menschen und der zum Guten erneuerten Freiheit der aus Gnade gerecht gemachten Menschen an. So gelangt er zu der Folgerung, dass „nichts freier ist als der rechte Wille, dem keine fremde Macht seine richtige Ausrichtung nehmen kann“ (nihil liberius recta voluntate, cui nulla vis aliena potest auferre suam rectitudi­ nem.) 150 Und er hält fest, dass die externe Unüberwindbarkeit des Rechtseins des Willens ein Wesensmerkmal der Freiheit des Menschen darstellt. Der Mensch gilt demnach insofern als frei, als er durch nichts und niemanden ande-

146 

DLA 2; 209,8–210,21; DLA 5–6 (SI), 214,14–218,13; DLA 8–9 (SI), 220,11–221,32. DC I,6 (SII), 256,20–257,2; DC III,4 (SII), 267,7–268,25. 148 Vgl. Augustin, De correptione et gratia XII,33–34 (CSEL 92), 259,37–261,32. Zur Stadienlehre bei Augustin siehe insbesondere auch: Jonas, Augustin und das paulinische Freiheitsproblem, 23–38 und Drecoll, Die Gnadenlehre Augustins, 147–164. 187–199. 149 DLA 2 (SI), 209,8–210,21; DLA 5–6 (SI), 214,14–218,13; DLA 8–9 (SI), 220,11– 221,32; siehe hierzu auch: Gwozdz, Anselm’s Theory of Freedom, 70–72. 150  DLA 9 (SI), 221,18–19. 147 

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

205

ren von der freien, selbstzweckhaften Bewahrung des Rechtseins abgebracht werden kann. In De concordia III wird jedoch präzisiert, dass die Freiheit nicht per se extern unüberwindbar ist, sondern dass der aktuale Freiheitsgebrauch nur aufgrund und mithilfe von Gottes Gnade unüberwindbar ist. Dabei werden die Überlegungen zur externen Unüberwindbarkeit des aktualen Freiheitsgebrauchs aus De libertate arbitrii aufgegriffen und gnadentheologisch reinterpretiert. So greift Anselm in De concordia I,6 die Argumentation und das damit verbundene Fallbeispiel dafür auf, dass ein rechter Wille durch nichts und niemanden anderen von seiner Freiheit zur Gerechtigkeitsliebe abgebracht werden kann.151 Er präzisiert zum einen, dass nichts dem Menschen das Rechtsein des Willens nehmen kann, „solange er diese Freiheit gebrauchen will“ (quamdiu hac libertate voluerit uti).152 Zum anderen ergänzt er in Bezug auf das Fallbeispiel einer Wahl zwischen der Bewahrung der Wahrheit auch um den Preis getötet zu werden und der Bewahrung des eigenen Lebens um den Preis der Lüge, es sei so zu verstehen, dass die Person zuvor einen rechten Willen habe und „in ihrem Herzen habe, dass sie an der Wahrheit festhalte, weil sie erkennt, dass es recht ist die Wahrheit zu lieben.“ (habet aliquis in corde ut veritatem teneat, quia intelligit rectum esse amare veritatem).153 Dadurch wird die enge Verbindung des extern unüberwindbaren Freiheitsgebrauchs und der Gnade angedeutet. In De concordia III,4 wird schließlich dafür argumentiert, dass die befreite Freiheit im Glauben nicht an und für sich ein qualitativ höheres Freisein sei als das, mit dem der Mensch von Gott geschaffen ist. Der Mensch könne im Glauben nur aufgrund und mithilfe der Gnade Gottes aus Freiheit das Rechtsein des Willens auf extern unüberwindbare Weise um seiner selbst willen bewahren.154 Obwohl die externe Unüberwindbarkeit ein Wesensmerkmal der Freiheit darstellt, ist sie nach Anselm also nicht selbst der Grund, warum dem aus Gnade gerecht gemachten Menschen seine Freiheit nicht mehr von einem anderen genommen werden kann. Anselm merkt kritisch an, dass er in De libertate arbitrii nicht erläutert habe, auf wie vielfältige Weise die Gnade dem freien Willensund Wahlvermögen, dem sie das Rechtsein gegeben hat, danach auch helfe, das 151  DLA

5–6 (SI), 214,14–218,13; DLA 8–9 (SI), 220,11–221,32; DC I,6 (SII), 256,20– 257,2. Im Kern stimmen die Argumentationen in De libertate arbitrii und in De concordia überein. Allerdings fällt auf, dass die spätere Darstellung in De concordia zum einen die frühere Version in De libertate arbitrii noch einmal kommentierend deutet und das Argument dichter, allerdings auch erläuterungsbedürftiger formuliert. Vgl. auch ML 74 (SI), 82,20–83,7, wo dieser Gedanke erstmals in einer theoretischen Schrift formuliert wird, und DCD 18 (SI), 263,26–31, wo im Zusammenhang der Frage nach dem Ursprung des Bösen auf den Gedanken eingegangen wird, dass Gott nicht Wirkursache des Bösen sein kann. Siehe hierzu auch: Goebel, Rectitudo, 391–398. 152  DC I,6 (SII), 256,16–22. 153  DC I,6 (SII), 257,5–10. 154  DC III,4 (SII), 267,7–268,25.

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4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

Empfangene auch in Anfechtungen und Versuchungen zum Bösen zu bewahren.155 Im Folgenden argumentiert er dafür, dass der Grund für die externe Unüberwindbarkeit des aktualen Freiheitsgebrauchs nicht im freien Wollen und Wählen selbst liegt, sondern in Gottes Gnadengabe. Es heißt dort: Wie also niemand das Rechtsein empfängt, wenn nicht die Gnade zuvorkommt (nisi gratia praeveniente), so bewahrt auch niemand es, wenn nicht dieselbe Gnade nachfolgt. (nisi gratia subsequente) Auch wenn es durch das freie Wählen bewahrt wird, ist es dennoch nicht so sehr dem freien Wahlvermögen zuzurechnen, sondern vielmehr der Gnade, wenn dieses Rechtsein bewahrt wird, weil das freie Wahlvermögen es nur durch die vorausgehende und nachfolgende Gnade (gratiam praevenientem et subsequentem) hat und bewahrt.156

Dadurch differenziert Anselm, dass der aktuale Freiheitsgebrauch im Glauben durch das freie Wollen und Wählen aufgrund und mithilfe von Gottes Gnade extern unüberwindbar ist. Inwiefern der befreite Freiheitsgebrauch auch intern unüberwindbar ist, lässt Anselm an dieser Stelle offen. Er deutet vielmehr zwei Möglichkeiten an. Zum einen hebt er hervor, dass „die Gnade so ihrer eigenen Gabe nachfolgt,“ dass sie „niemals auf höre zu schenken, es sei denn, der freie Wille wolle etwas anderes als das empfangene Rechtsein“.157 Damit geht er davon aus, dass das Nachfolgen der Gnade weiterhin durch den falschen Gebrauch des freien Willens- und Wahlvermögens zum versiegen gebracht werden kann. Veranschaulicht wird dies durch das Beispiel eines Trinkers, der nach einer Zeit der Abstinenz wieder zu trinken beginnt.158 Allerdings betont Anselm in diesem Zusammenhang auch, dass die Gnade dem freien Willens- und Wahlvermögen eines Menschen, der versucht wird, das empfangene Rechtsein des Willens wieder aufzugeben, sowohl hilft, „indem sie die bedrängende Kraft der Versuchung vermindert oder auf hebt“, als auch, „indem sie den Affekt zu eben diesem Rechtsein vermehrt“ (augendo affectum eiusdem rectitudinis).159 Anselm betont, alles, was dem freien Willens- und Wahlvermögen in irgendeiner Weise zum Rechtsein helfe, sei „ganz der Gnade zuzuschreiben“ (totum gratiae imputandum est).160 Da er davon ausgeht, dass die Gnade sowohl äußerlich als auch innerlich wirksam hilft, dass durch das freie Willens- und Wahlvermögen 155 

DC III,4 (SII), 267,7–15. DC III,4 (SII), 267,15–19. 157  DC III,4 (SII), 268,1–3. Anselm enthält sich einer Aussage darüber, ob und inwiefern die Gnade unwiderstehlich wirkt, betont aber, dass die Gnade den Menschen so frei macht, dass er durch nichts und niemanden gezwungen werden kann, das Rechtsein des Willens aufzugeben. Dies spricht meiner Ansicht nach gegen die Ansicht von Rogers, dass sich Anselm durch die Bestreitung der Unwiderstehlichkeit der Gnade systematisch von Augustins kompatibilistischer Konzeption unterscheide. Vgl. jedoch: Rogers, Anselm on Freedom, 1–8. 158  DC III,4 (SII), 268,1–7. 159  DC III,4 (SII), 268,7–10. 160  DC III,4 (SII), 268,10–12. 156 

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

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aus Freiheit das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahrt werden kann, gelangt er schließlich zu dem Schluss, dass die Gnade in Menschen durchaus so wirken kann, dass sie ganz gerecht werden.161 Damit zeigt er nicht zuletzt auf, dass es keinen Widerspruch darstellt, anzunehmen, dass Gottes Gnade so wirken kann und dass der Mensch durch sein liberum arbitrium aufgrund und mithilfe dieser Gnade von seiner Freiheit auf extern unüberwindbare Weise aktual Gebrauch machen kann.

4.2.4. Die innere Dynamik der Vervollkommnung der Freiheit Zudem geht Anselm davon aus, dass die Freiheit umso größer wird, desto mehr der Mensch durch Gottes gnadenvolle Gabe des Rechtseins bestimmt wird.162 Damit nimmt er zum einen an, dass sich die weitere Gabe der Gnade und der bleibende aktuale Freiheitsgebrauch so verhalten, dass der Mensch umso freier wird, desto mehr er ganz durch die besondere Gnade bestimmt wird. Zum anderen präzisiert er damit, dass das Wachstum der Freiheit nicht in einer äußeren Zunahme an unbestimmten, alternativen Wahlmöglichkeiten besteht. Es bestehe vielmehr in der inneren Ausprägung der Beharrlichkeit (perseverantia) immer mehr nur noch aus Liebe zu Gott und darum auch zum Nächsten wie sich selbst recht zu wollen, zu wählen und zu wirken.163 Die Relation von größerer Gnade und größerer Freiheit wird in De concordia III,3–4 herausgestellt. Entscheidend ist dabei, dass nach Anselm die weitere Gabe nicht aufgrund der menschlichen Bewahrung der ersten Gnade gegeben wird, sondern aufgrund Gottes erster Gabe der Gnade. So wird in De concordia III,3 die „Vermehrung der empfangenen Gerechtigkeit“ (augmentum acceptae ius­ titiae) als „Frucht der ursprünglichen Gnade“ ( fructus primae gratiae) bezeichnet sowie in Anspielung auf die johanneische Theologie als „Gnade für Gnade“ (gratia pro gratia).164 Anselm betont also, dass der Mensch aufgrund und mithilfe von Gottes Gnadenhandeln durch den aktualen Gebrauch der Freiheit immer mehr Gutes wollen und bewirken kann. Dabei entwickelt er zudem die These, dass die guten, verdienstlichen Akte und Werke nicht dem freien Wollen und Wählen des Menschen zuzuschreiben sind, durch das sie aus Freiheit bewirkt werden. Sie verdanken sich ganz der Gnade Gottes, aufgrund und mithilfe derer allein sie vom Menschen aus Freiheit durch das rechte Wollen und Wählen bewirkt werden können. Dadurch bindet Anselm den Gedanken wachsender Freiheit konsequent an den Gedanken der vorgängigen Gabe der Gnade zurück. Es wird nicht ausgeschlossen, dass 161 

DC III,4 (SII), 268,13–25. ML 64–9 (SI), 74,30–85,9; PL 1 (SI), 97,4–100,19; PL 14–17 (SI), 111,8–113,4; PL 26 (SI), 120,23–122,2; DLA 1 (SI), 208,14–209,6; DC III,3–8 (SII), 265,26–276,5. 163 Vgl. Augustin, De dono perseverantiae I,1-VI,10 (PL 45), 993–999. 164  DC III,3 (SII), 267,1–5. 162 

208

4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

es verdienstliche gute Akte und Werke des Menschen gibt. Er wird aber ausgeschlossen, dass man sie dem Menschen zuschreiben kann, als ob er sie selbstursprünglich bewirkt hätte und nicht zuvor aus Gnade empfangen hätte, sie wollen und wirken zu können.165 Zur Begründung verweist er untypischer Weise nur auf die paulinische Aussage aus Röm 9,16, „dass es nicht am Wollenden liegt, dass er will, und nicht am Laufenden, dass er läuft, sondern an Gott, der sich erbarmt,“ und die Frage aus 1Kor 4,7 „Was hast du, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“166 Damit wird festgehalten, dass Gott der erste und ganze, vollkommene Ursprung alles Guten ist, auch des Guten, das der Mensch durch den aktualen Gebrauch seiner Freiheit bewirkt. Es gibt nichts Gutes, das nicht auf Gott als seinen Ursprung zurückzuführen ist. Indem Anselm dieses Motiv aus der paulinischen Theologie aufgreift, wendet er sich gegen die etwa aus den Schriften Cassians in monastischen Kreisen verbreitete Ansicht, dass ein Wachstum an freiwillig bewirktem Gutem zumindest teilweise auch der jeweiligen Person selbst als ihr eigenes Verdienst zuzuschreiben ist.167 Wie später noch ausgeführt werden wird, bestreitet Anselm mit der Annahme der Relation von größerer Gnade und größerer Freiheit die Ansicht, gute Akte und Werke seien nur dem Menschen zuzuschreiben, der sie aus Freiheit durch rechtes freies Wollen und Wählen selbst bewirke. Genauso bestreitet er damit die Auffassung, gute Akte und Werke seien teils dem Menschen und teils der Gnade zuzuschreiben. Demgegenüber betont er, dass alles Gute, das aufgrund und mithilfe von Gottes Gnade aus Freiheit durch rechtes Wollen und Wählen von Menschen bewirkt wird, ganz der Gnade Gottes zuzuschreiben ist, weil sie der erste und vollkommene Ursprung alles Guten ist. Zum anderen begründet Anselm die Ansicht, dass das begnadete Wachstum an Freiheit nicht als eine äußere Dynamik zunehmender unbestimmter Wahlmöglichkeiten zu verstehen ist, sondern als eine innere Dynamik wachsender Bestimmtheit der Freiheit durch die Gabe der Gnade.168 In De libertate arbitrii 1 wird bereits im Rahmen der Frage nach dem Wesen der Freiheit diskutiert, wer

165  Vgl. Goebel, der statt dem gnadentheologischen Rückbezug den Verdienstgedanken hervorhebt und die These vertritt, der sekundär gute Wille sei relativ selbstursprünglich und mache in gewissem Sinne sich selbst gut. Der sittlich gute Mensch könne deswegen seiner Ansicht nach durch eine indeterministische und voluntaristische Handlungstheorie gedeutet werden. Siehe: Goebel, Anselm von Canterbury über Willensstärke und Willensschwäche, 114–115. 166  DC III,3 (SII), 267,3–5. 167 Vgl. Johannes Cassianus, Institutiones XIII,XI,1-XIII,1 (CSEL 13), 375,23–383,9. 168  DLA 1 (SI), 208,14–209,6; DC III,6 (SII), 270,11–273,6. vgl. Augustin, De dono per­ severantiae II,2. XX,52-XXI,55 (PL 45), 995–996. 1025–1028.

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

209

freier sei: jemand, der die richtige Ausrichtung des Willens auch aufgeben könne, oder jemand, der sie nicht aufgeben könne, weil er es nicht wolle?169 Bei rein formaler Betrachtung scheint es zunächst so, dass derjenige, der sowohl das Eine als auch das Andere wollen könne, freier sei als derjenige, der nur das Gute und Richtige wollen könne. Es wird aber durch ein vergleichendes Werturteil aufgezeigt, dass bei inhaltlicher Beurteilung derjenige freier ist, der nur das Gute und Förderliche wollen kann, als derjenige, der gleichfalls auch das Ungerechte und Schädliche wollen kann.170 Man kann deshalb sogar sagen, dass für Anselm mit der Größe der Freiheit die Relevanz alternativer Wahlmöglichkeiten abnimmt. Da der aktuale Gebrauch der Freiheit als extern unüberwindbar gilt, wird davon ausgegangen, dass er bei innerer Bewahrung der richtigen Ausrichtung des Willens beständiger wird. Dies führt zu der Auffassung, je mehr jemand aufgrund und mithilfe der Gnade von seiner Freiheit des rechten Wollens und Wählens Gebrauch machen kann, desto unwesentlicher, überflüssiger und abträglicher erscheint die alternative Möglichkeit der Wahl von Ungerechtem. Der Freiheitsgebrauch des Menschen gilt demnach als umso vollkommener, je beständiger nur das aus Gnade Empfangene gewollt wird. Je unbeständiger das Bestimmtsein durch Gnade ist und je mehr auch alternativ Ungerechtes gewollt wird, desto unvollkommener gilt der aktuale Freiheitsgebrauch noch. So kann man sagen, dass nach Anselm die Freiheit umso geringer ist, desto unbestimmter sie ist und desto leichter sie noch dazu bewegt werden kann, die alternative Möglichkeit der Ungerechtigkeit zu wählen, und umso größer, je mehr sie aus Gnade durch Gnade zum Wollen des Guten bestimmt ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in De libertate arbitrii 14 gesagt wird, dass sich die vollkommene aktuale Freiheit von Geschöpfen dadurch auszeichnet, dass das Rechtsein des Willens unwandelbar und unabtrennbar (inseperabi­ liter) festgehalten wird.171 Die vollkommene Freiheit ist dadurch durch vollkommene Bestimmtheit durch die Gnade des Rechtseins bestimmt. Am Ende von De concordia III,6 beschreibt Anselm zudem anhand des Analogiebeispiels der wachsenden Saat das Wachstum der Freiheit inhaltlich als gnadengewirkten Prozess fortschreitender Hinwendung zu Gott. So deutet er die Bitte aus Ps 85,5 beziehungsweise 84,55 „converte nos Deus“, die auch im liturgischen Abendgebet der Kirche gesprochen wird172 , nicht nur als Bitte um die initiierende Gabe des Glaubens, sondern zugleich auch als Bitte um die kontinuierliche Vollendung des gegebenen Glaubens und der entsprechenden Freiheit.173 So besteht die innere Dynamik des Wachstums der Freiheit nach Anselm auch nicht in einer wachsenden Unabhängigkeit von der Gnade Gottes, sondern in einer aus Gnade 169 

DLA 1 (SI), 208,14–16. DLA 1 (SI), 208,17–27. 171  DLA 14 (SI), 226,9–14. 172  Zu diesem Hinweis siehe: Verweyen, Freiheitsschriften, 320–321. 173  DC III,6 (SII), 272,17–27. 170 

210

4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

wachsenden freiwilligen Übereinstimmung mit dem von Gott aus Liebe Gewollten und Gewirkten. Damit wird sie als eine vollkommen verdankte Dynamik der relationalen Vervollkommnung in der Liebe zu Gott und darum auch zum Nächsten wie zu sich selbst gedeutet. Aus eben diesem Grund bilden für Anselm auch die Freiheit des Menschen im Geist Christi und der freiwillige Gottesgehorsam keinen Gegensatz. Da der Mensch als umso freier gilt, je beständiger und mehr er aufgrund und mithilfe von Gottes besonderer Gnade aus Freiheit in Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen wollen, wählen und wirken kann, konvergieren der aktuale Freiheitsgebrauch und das freiwillige Hören, Verstehen und Wollen des von Gott Gewollten.174

4.2.5. Die bleibende Unvollkommenheit Zugleich wird in De concordia 8–9 betont, dass diese extern unüberwindbare, wachsende Freiheit innergeschichtlich und zeitlebens immer eine unvollkommene und gefährdete Freiheit bleibt.175 Durch diesen eschatologischen Vorbehalt wird zugleich die Illusion der Vollkommenheit und absoluten Stabilität der Freiheit kritisiert und die Hoffnung auf ihre eschatologische Verwirklichung formuliert. In De libertate arbitrii 14 wird dieser eschatologische Vorbehalt bereits angedeutet, indem die Differenz aufgezeigt wird zwischen dem geschichtlich-zeitlichen Freisein, bei dem die Gabe des Rechtseins noch in trennbarer, aufgebbarer Weise (separabiliter) bewahrt wird, und dem eschatologisch-ewigen Freisein, bei dem dieses in abtrennbarer, unaufgebbarer Weise (inseparabiliter) bewahrt wird.176 Die Annahme, dass beim Menschen erst mit dem leiblichen Tod die Instabilität der Freiheit vollkommen aufgehoben wird und erst im ewigen Leben vollkommene Freiheit möglich ist, dient dabei ähnlich wie bei Augustin als kritisches Korrektiv gegenüber einer Selbsttäuschung über die eigene Heiligkeit.177 In De concordia 8–9 wird dafür argumentiert, dass auch im Glauben nur in unvollkommener Weise aufgrund und mithilfe von Gottes Gnade von der Freiheit des rechten freiwilligen Wollens und Wählens Gebrauch gemacht werden kann. Dass der aktuale Freiheitsgebrauch im Glauben zeitlebens unvollkommen bleibe, begründet Anselm in De concordia 8 mit der Art und Weise, wie dem Menschen konkret durch die Taufe an der Gnade Christi Anteil gegeben 174 

Siehe hierzu auch: Barth, Fides quaerens intellectum, 55 f.. DC III,8–9 (SII), 274,19–278,10. 176  DLA 14 (SI), 226,9–14. 177 Vgl. Augustin, De peccatorum meritis et remissione II,I,1-VXIV,38 (CSEL 60), 71,11– 111,9; Ders., Contra duas epistolas Pelagianorum III,V,14 (CSEL 60), 501,24–503,18; vgl. hierzu auch die Betonung der bleibenden Unvollkommenheit und Schwachheit des Menschen im Glauben bei Abaelard: Petrus Abaelard, Commentarius in Romanos III (VI,19) (CChr. CM 11), 185,1–35. 175 

4.2. Die Beschreibung des befreiten, aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben

211

wird.178 Es wird betont, in der Taufe werde alle Schuld an der Ohnmacht und der Verkehrtheit des Menschen, die durch die Ursünde verursacht ist, vergeben. Die Ohnmacht und Verkehrtheit und Übel selbst würden aber nicht unmittelbar aufgehoben. Dadurch wird ein Kontrast aufgezeigt zwischen der konstitutiven Rekonstitution der Beziehung des Menschen zu Gott durch die Taufe einerseits und seiner vorerst noch bleibenden ohnmächtigen, korrupten und elenden Beschaffenheit andererseits.179 In diesem Zusammenhang wird differenziert, dass Korruption und Begehren nicht an sich Sünde seien, sondern nur Übel, die als Strafe der Sünde nachfolgen.180 Da mit der Taufe zunächst nur ihr Schuldcharakter getilgt wird, bleibt der Mensch Anselms Auffassung nach auch im Nexus des Glaubens, Liebens und Hoffens noch schwach und sein Freiheitsgebrauch unvollkommen. In De concordia 9 wird diesem Problem weiter nachgegangen und nach möglichen Gründen dieser bleibenden Unvollkommenheit gefragt. Als erstes wird via negationis argumentiert, wenn der Mensch sofort vollkommen werden würde, fielen der Sinn und die Wirkung des Glaubens und Hoffens weg. Der Mensch könne aber nicht ohne sie selig werden.181 Deswegen stellt die bleibende Unvollkommenheit des aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben in Anselms Augen keine Ungerechtigkeit oder Sünde dar. Durch die bleibende Unvollkommenheit gewinnt der Glaube an Bedeutung. Der noch unvollkommen Liebende muss ganz in Gottes Gnade vertrauen. Er wird vollkommener, indem er „in Gott hineinglaubt“.182 Als weiterer Grund für die bleibende Unvollkommenheit des Freiheitsgebrauchs wird auf den Generationenzusammenhang verwiesen. Würde sämtliches Begehren unmittelbar mit der Taufe aufgehoben, würde die natürliche Generationenfolge zerstört. Sie ist jedoch in Anselms Sicht notwendig für die Vervollkommnung der zur Seligkeit Bestimmten. Die bleibende Unvollkommenheit des Freiheitsgebrauchs dient also zur natürlichen Fortsetzung der Generationenfolge und somit auch der Verwirklichung der von Gott vorausgewussten und vorausbestimmten vollkommenen Zahl der Seligen.183 Als ein dritter Grund wird schließlich angeführt, dass die bleibende Unvollkommenheit keinen ewigen Schaden verursacht. Durch das Analogiebeispiel eines vermittelten königlichen Strafnachlasses wird verdeutlicht, dass die Korruption, Begehrlichkeit und Sterblichkeit, die sich der Mensch vor seiner Erlösung zugezogen hat, durch die Erlösung angesichts der Herrlichkeit des ewigen

178 

DC III,8 (SII), 274,19–275,8.

179 Ebd. 180 

DC III,8 (SII), 275,2–8. DC III,9 (SII), 276,7–26; vgl. ML 75–78 (SI), 83,11–85,9. 182  ML 76 (SI), 83,16–84,2. 183  DC III,9 (SII), 276,7–277,10. 181 

212

4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

Lebens nicht mehr ins Gewicht fallen.184 Die Sündlosigkeit der bleibenden Unvollkommenheit des aktualen Freiheitsgebrauchs im Glauben wird von Anselm jedoch untrennbar an das Sein in Christus gebunden. Der von Paulus in Röm. 7 eindrücklich beschriebene Konflikt zwischen geistlichem Leben und fleischlichem Begehren wird von Anselm, wie von Augustin, auch und gerade als Konflikt des glaubenden Menschen gedeutet.185 So wird in De concordia III,7 das Phänomen der Willensschwäche und des Willenskonflikts unter Rekurs auf Gedanken der paulinischen Theologie sowie der Bergpredigt diskutiert.186 Dabei hält Anselm zwei scheinbar konträre Gedanken fest. Zum einen betont er in Anlehnung an die Bergpredigt Jesu, dass bereits falsches willentliches Begehren und Affekte wie Zorn als Sünde gelten, auch wenn sie nicht effektiv gewollt und somit nicht in die Tat umgesetzt werden.187 Zum anderen hebt er unter Rekurs auf den paulinischen Gedanken aus Röm 8,1 hervor, dass für die, die in Christus sind und so dem fleischlichen Begehren nicht willentlich zustimmen (non voluntate consentiunt), das Fühlen des Begehrens nichts Verdammungswürdiges ist, während für die, die nicht in Christus sind, bereits das Wollen verdammungswürdig sei, selbst wenn es nicht verwirklicht werde.188 Diese Erörterung des Konflikts zwischen geistlichem Leben und fleischlichem Begehren, das dem Geist widerspricht, verdeutlicht bereits Anselms Annahme der bleibenden Gefährdung des aktualen Freiheitsgebrauchs. Wie in De libertate arbitrii 14 angedeutet, zeichnet sich das zeitlich-geschichtliche Freisein dadurch aus, dass nicht auszuschließen ist, dass die Gnade des Rechtseins auch noch freiwillig wieder aufgegeben werden kann.189 So stellt Anselm Augustins Annahme, dass der Mensch im Glauben frei wird, nicht sündigen zu können (non posse peccare) unter einen eschatologischen Vorbehalt.190 In De concordia III,8 wird beispielsweise betont, dass der Mensch dann, wenn er willentlich sündigt und spontan fällt, sich auf keine Weise wieder erheben kann, wenn er nicht durch die Gnade wieder aufgehoben und durch Erbarmen davon zurückgehalten wird, sondern sich durch sein eigenes Verdienst von Sünde zu Sünde stürzt bis in einen bodenlosen Abgrund der Sünde (abyssum peccatorum sine fundo).191 184 

DC III,9 (SII), 277,11–29. Augustin, Ad Simplicianum I,1,11–14 (CChr.SL 44), 15,107–8,250; vgl. Ders., De natura et gratia, LII,60-LV,65 (CSEL 60), 277,6–282,28. Siehe hierzu insbesondere auch: Jonas, Augustin und das paulinische Freiheitsproblem, 39–107, der die Bedeutung von Röm 7 für das christliche Freiheitsproblem und den Kern des Streits zwischen Augustin und Pela­ gius hervorhebt. 186  DC III,7 (SII), 274,3–18; siehe hierzu auch: Goebel, Anselm von Canterbury über Willensstärke und Willensschwäche, 89–121. 187  DC III,7 (SII), 274,3–11. 188  DC III,7 (SII), 274,11–18; siehe hierzu auch: DC III,11 (SII), 284,22–285,5. 189  DLA 14 (SI), 226,9–14. 190  Vgl. PL 26 (SI), 121,14–122,2. 191  DC III,8 (SII), 275,9–15; vgl. DLA 5–6 (SI), 214,14–218,13. 185 Vgl.

4.3. Zusammenfassung

213

Dementsprechend deutet Anselm die letzte Vervollkommnung der Freiheit im ewigen Leben nicht als innere Konsequenz ihres rechten Gebrauchs, sondern als Gabe für die Gnade, die um der Gnade willen gegeben worden ist. Bereits im Monologion 69 und Proslogion 26 wird die vollkommene und stabile Freiheit als eine eschatologische Gabe beschrieben, die mit der Seligkeit des ewigen Lebens einhergeht.192 Dort wird diejenige Seele als ewig glückselig lebend beschrieben, die frei lebt von der Last der Furcht oder des Leidens und der Täuschung durch falsche Sicherheit.193 So wird bereits bei der ersten Erwähnung des freien Lebens im Monologion und Proslogion Freiheit in eschatologischer Perspektive thematisiert, da die Freiheit von Furcht, Leid und falscher Sicherheit kein innergeschichtlich zu erreichender Zustand ist. Davon ausgehend ist auch der von Anselm betonte eschatologische Vorbehalt zu verstehen, dass jeder Mensch zeitlebens aufgrund und mithilfe der freien Gnade Gottes auch nur unvollkommen von seiner Freiheit des freien, rechten Wollens und Wählens Gebrauch machen kann und die letzte Vervollkommnung dieser Freiheit im ewigen Leben nur im Vertrauen auf Gottes unermessliche Gnade demütig erhoffen kann.194

4.3. Zusammenfassung Durch die Rekonstruktion von Anselms Reflexion der Befreiung zum aktualen Freiheitsgebrauch ist gezeigt worden, was für eine zentrale Bedeutung sie für Anselms gesamte Freiheitstheorie hat. Zum einen ist erläutert worden, wie Anselm eine christologisch-soteriologische Antwort auf die Frage formuliert, wie der Mensch aus der selbstverschuldeten Knechtschaft unter die Sünde befreit werden kann. Indem er in seiner Analyse der Befreiung zur Freiheit dafür argumentiert, dass Gott die Befreiung der Menschheit zur wahren Freiheit aus vollkommener Freiheit mit nachfolgender Notwendigkeit freiwillig aus Gnade bewirkt, skizziert er auch hier einen Weg zwischen einem theologischen Determinismus und Indeterminismus. Zudem ist gegenüber einer älteren, populären, verzeichnenden Interpretation von Cur Deus homo herausgearbeitet worden, dass die Argumentation darauf basiert, dass Christus aus sich selbst heraus, aus Liebe zum Vater und zur Menschheit in vollkommener Freiheit freiwillig die Menschheit so befreit hat, wie er sie befreit hat. Christus gilt nach Anselm als der vollkommen Freie überhaupt, da er ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt das Rechtsein des Willens, die Wahrheit und Gerechtigkeit um ihrer selbst willen bewahrt 192 

ML 69 (SI), 79,12–80,6; insbes. 79,28–80,6.

193 Ebd.

194  Siehe

hierzu auch: John R., Fortin, Saint Anselm and the four last things, in: The American Benedictine Review 61 (2010), 183–203.

214

4. Freiheit und Christus. Die Befreiung zur aktualen Freiheit im Glauben

hat, auch um den Preis, dass er von den unter die Sünde verknechteten Menschen getötet worden ist. Die Befreiung des Menschen durch Christi freiwilligen Tod um der aktiven Bewahrung der Gerechtigkeit willen wird von Anselm zudem nicht als passives Strafleiden verstanden und nicht als bloß äquivalente Wiedergutmachung des durch die Sünde des Menschen entstandenen Schadens in der Gottesbeziehung, sondern als unendlich größere, unermessliche Gnadengabe, die die Schuld aller Menschen unendlich überwiegt. Vor diesem Hintergrund ist auch verstehbar, warum Anselm inklusiv von einer universalen Wirksamkeit des singulären befreienden Erlösungshandeln Christi ausgeht und die konkrete Anteilgabe an der Freiheit Christi gnadentheologisch erläutert. Durch diese Argumentation zeigt sich meiner Ansicht nach, dass Anselm davon ausgeht, dass die Befreiung des Menschen zur wahren Freiheit allein und ganz von Gottes freiem Wirken ausgeht und in Christus vollkommen frei verwirklicht worden ist. Zum anderen ist dargestellt worden, wie Anselm den befreiten Freiheitsgebrauch in Christus beschreibt und auch hierbei einen Weg zwischen einem theologischen Determinismus und Indeterminismus aufzeigt. Er argumentiert nämlich dafür, dass der Mensch nur aufgrund und mithilfe Gottes besonderer, freier Gnade aktual von seiner Freiheit Gebrauch machen kann, bleibend das Gute zu wollen, dass er es aber aufgrund und mithilfe von Gottes freier Gnade ohne Zwang wirklich kann. Als zentrales Element von Anselms Beschreibung des wahren, erneuerten Freiseins im Geiste Christi ist dabei sein Gedanke hervorgehoben worden, dass die Freiheit passiv rekonstituiert wird und nachfolgend aktiv gebraucht werden kann. Weiter ist darauf verwiesen worden, dass für Anselm die externe Überwindbarkeit dieses erneuerten, aktualen Freiheits­ gebrauchs die charakteristische Stärke der Freiheit in Christus ausmacht. Schließlich ist herausgearbeitet worden, dass Anselm sowohl von einer Dynamik wachsender Freiheit im Glauben ausgeht als auch von der bleibenden Unvollkommenheit des Freiheitsgebrauchs. Mit diesen Elementen beschreibt er die konkrete Gestalt der Freiheit im Geist Christi und hebt zugleich hervor, dass diese erneuerte Freiheit keine andere ist als die geschöpfliche Freiheit, die dem Wesen des Menschen entspricht und in der er mit seiner wesensgemäßen Bestimmung wirklich in Übereinstimmung bleiben kann.

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit 5.0. Einleitung Die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit stellt für Anselm, wie für andere christliche, jüdische und islamische sowie säkulare Denker seiner Zeit ein philosophisch-theologisches Problem ersten Ranges dar.1 Gerade vor dem Hintergrund der Prädestinationskontroversen des 9. Jahrhunderts hat sich in der christlichen Theologie verstärkt die Frage gestellt, wie Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln und menschliche Freiheit vereinbar sein können. So bemerkt Anselm, dass auch dann, wenn die Vereinbarkeit geglaubt wird, die Reflexion immer wieder an den Punkt führt, wo sie unvereinbar zu sein scheinen. Daher sieht man in dieser Frage einige sich so nach der einen Seite hin neigen und die andere außer Acht lassen, dass sie in einer Woge des Unglaubens untergehen. Viele befinden sich in großer Not, wie in entgegen gesetzten Winden, die den, der ihnen standzuhalten sucht, mächtig hin und her schütteln.2

Zudem gesteht er ein, dass er selber in dieser Frage lange „hin und her geschwankt“ sei.3 In der letzten um 1107/1108 erschienen Schrift De concordia I-II entwickelt Anselm schließlich eine Argumentation für die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit, die Augustins An1 Zur Diskussion der Frage der Vereinbarkeit von Gottes Allmacht und menschlicher Freiheit im islamischen Kalam sowie bei anderen jüdischen und anderen christlichen Denkern des frühen Mittelalters siehe: Marenbon, Medieval Philosophy, 60–70; 93–95; Tamar Rudavsky, Divine Omniscience and Omnipotence in Medieval Philosophy: Islamic, Jewish and Christian perspectives, Dordrecht u. a. 1995; Katherin Rogers, Anselm and his Islamic Contemporaries on Divine Necessity and Eternity, in: American Catholic Philosophical Quaterly 81 (2007), 373–393; Hausammann, Der umgeworfene Spiegel, 85–122 (insbes. 108–122). Zur christlich-theologischen Diskussion des Problems in Anselms unmittelbarem Umfeld siehe insbesondere: Flasch, Freiheit des Willens, 17–47; Southern, Saint Anselm, 371–381; Southern weist auf den engen Zusammenhang von Anselms De concordia und das Inevitabile und De libero arbitrio von Honorius Augustodunensis hin. Honorius Augustodunensis, Inevilabile (PL 172), 1197B-1222C; Ders., De libero arbitrio (PL 172), 1223A-1230C; vgl. hierzu auch: Anselm von Laon, Sententie divine pagine (BGPhMA 18), 27–32. 2  DCD 21 (SI), 266,29–267,4. 3  DC III,14 (SII), 288,14–19.

216

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

satz aus De civitate Dei V,8–11 fortführt. Sie ist von zentraler, systematischer Bedeutung für seine Freiheitstheorie.4 Mit der Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen einerseits und menschlicher Freiheit andererseits zeigt Anselm auf, wie deterministische und freiheitstheoretische Momente so zusammen gedacht werden können, dass davon ausgegangen werden kann, dass die Wirklichkeit vollkommen durch Gottes Vorauswissen und Prädestination bestimmt ist und dass darin eingeschlossen ist, dass der Mensch immer auf bestimmte Weise frei ist. Damit skizziert Anselm eine Lösung des zweifachen Dilemmas, die sich sowohl von einem theologischen und metaphysischen Fatalismus unterscheidet als auch von einem freiheitstheoretischen Indeterminismus.5 Er formuliert eine Begründung dafür, dass Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen das durch menschliche Freiheit zukünftig Bewirkte enthalten kann, ohne dadurch begrenzt zu werden, und dass menschliche Freiheit Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen notwendig voraussetzt und dass sie dadurch nicht negiert, sondern überhaupt erst verwirklicht wird.6 Diese Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit soll im Folgenden in zwei Schritten dargestellt werden. Als Erstes (5.1.) soll Anselms Analyse des allgemeinen Dilemmas der Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit und seine Entwicklung des inklusionstheoretischen Lösungsansatzes in De concordia I erläutert werden. Anschließend soll als Zweites (5.2.) seine Diskussion des verschärften Dilemmas der Unvereinbarkeit von göttlicher Prädestination und menschlicher Freiheit und die Anwendung des inklusionstheoretischen Lösungsansatzes in De concordia II erörtert werden. Beide Probleme sind bei Anselm derart verbunden, dass sie zwei Aspekte eines Gesamtproblems darstellen. Es wird eine Gesamtlösung entwickelt und alles auf die Gnadenthematik hin bezogen und von ihr her verstanden.7 Deswegen sollen die beiden Aspekte im Folgenden in ihrem Gesamtzusammenhang nacheinander dargestellt werden.

4 DC I,1-III,14 (SII), 245,1–288,19; siehe hierzu auch: Eadmer, Vita Anselmi II,64 (L’œuvre 9), 363. 5  Vgl. anders: Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; Dies., „The Necessity of the Present and Anselm’s Eternalist Response to the Problem of Theological Fatalism“, in: Religious Studies 43 (2007), 25–47. 6  Siehe hierzu: William Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 41–43; Hermanni, Gott, Freiheit und Determinismus, 16ff; Brian Leftow, Time and Eternity, Ithaca 1991, 183–266; Rogers, Anselm on Freedom, 125–145. 7  Siehe hierzu insbesondere folgende Querverweise: DC I,7 (SII), 259,23–29; vgl. DC III,14 (SII), 287,23–288,10. DC II,1 (SII), 260,6–15; vgl. DC I,1 (SII), 245,9–11; DC I,5 (SII), 253,24–28 und DC II,1 (SII), 260,20–22.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

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5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit Erste Überlegungen zu Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen finden sich bei Anselm bereits in Monologion 9–14 und 29–36. Das Problem ihrer Vereinbarkeit mit menschlicher Freiheit führt in De libertate arbitrii zu der doppelten Frage, was Freiheit eigentlich ist und inwiefern der Mensch immer frei ist.8 In De casu diaboli 21 wird es als „die berühmteste Frage“ ( famosissimae quaestionis) in Anlehnung an Boethius Betonung der Ewigkeit des göttlichen Vorauswissens kurz erörtert.9 In Cur Deus homo II,5 und 17 wird es unter Rekurs auf Aristoteles Unterscheidung von zwei Arten von Notwendigkeit in Bezug auf die freiwillige Verknechtung unter die Sünde und Christi Befreiungshandeln weiter diskutiert.10 In De concordia I geht er schließlich eine systematische Klärung der Frage der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit an. Dabei diskutiert er sie im engen Zusammenhang mit den Fragen der Vereinbarkeit von göttlicher Prädestination und menschlicher Freiheit beziehungsweise von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit.11 Die Vorauswissensfrage bildet das erste, allgemeine Teilproblem der Gesamtfrage, wie menschliche Freiheit und die vollkommene Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes Erkennen, Wollen und Handeln vereinbar sein können. Somit wird die Vorauswissensfrage von Anselm nicht isoliert betrachtet oder nur im Rahmen einer allgemeinen Providenzlehre diskutiert. Sie wird ähnlich wie in den Prädestinationskontroversen des 9. Jahrhunderts im Gesamtzusammenhang eines christlich-theologischen Wirklichkeitsverständnisses reflektiert.12 Zunächst greift Anselm das seit der Antike viel diskutierte Dilemma der 8  DLA

1 (SI), 207,4–6. Einer früheren Version von De libertate arbitrii zufolge, enthielt dieser Dialog noch weiterführende Überlegungen zu Gottes Gnadenhandeln, Vorausbestimmen und Vorauswissen und menschlicher Freiheit. Bei der Überarbeitung ist jedoch die Bitte des Schülers nach einer rational und nicht nur durch Autoritäten begründeten Lösung entfallen, ebenso die Bemerkung des Lehrers, dass die Frage nach Vorauswissen und Vorausbestimmen ähnlich und gleichfalls schwerer seien als die Frage der Gnade. Siehe: DLA 14 (SI), 226,21; Prior recensio. 9  DCD 21 (SI), 266,29–267,4; vgl. Boethius, Philosophiae consolatio V,6,5–43 (CChr.SL 94), 101,10–105.144. 10  Siehe insbesondere: CDH II,5 (SII), 100,16–28; CDH II,17 (SII), 122,23–126,19; vgl. Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 18a – 19b. 11  Siehe hierzu auch: Bäumker, Die Lehre Anselms von Canterbury, 60–68; Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; Hans U. v. Balthasar, La Concordantia libertatis chez saint Anselme, in: Du moyen âge au siècle des lumières (FS H. de Lubac 2), Paris 1964, 29–45; Eduardo Briancesco, Le Dernier Anselme. Essai sur la structure du De concordia, in: Anselm Studies 2 (1988), 559–596; Thomas Franz, Die Freiheit des Menschen und die Gnade Gottes. Zur Verhältnisbestimmung von Anthropologie und Theologie in „De concordia“, in: Sola ratione. Anselm von Canterbury und die rationale Rekonstruktion des Glaubens, hg. v. Stephan Ernst; Thomas Franz, Würzburg 2009, 229–248. 12  Siehe hierzu: Gillian R. Evans, The Grammar of Predestination in the Ninth Century, in: Journal of Theological Studies 33 (1982), 134–145; David Ganz, The Debate on Predestiation, in: Margaret T. Gibson; Janet L. Nelson (Hg.), Charles the Bald: Court and Kin-

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Unvereinbarkeit von Willens- und Wahlfreiheit und der Notwendigkeit des vorausgewussten Zukünftigen auf. Demgegenüber formuliert er eine Begründung der Vereinbarkeit von Beidem. Durch diese wird das Dilemma als ein Scheindilemma erwiesen. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden. Zuerst (5.1.1.) wird untersucht, wie Anselm das allgemeine Dilemma der Unvereinbarkeit fasst. Anschließend wird analysiert (5.1.2.), wie er durch den argumentativen Aufweis der Vereinbarkeit eine Lösung des Dilemmas entwickelt.

5.1.1. Die allgemeine Fassung des Dilemmas der Unvereinbarkeit Das Dilemma der Unvereinbarkeit von Vorauswissen und Freiheit greift Anselm aus den antiken Diskussionen um Freiheit und Notwendigkeit beziehungsweise Vorsehung auf, wie sie sich etwa bei Aristoteles und Boethius sowie Origenes und vor allem Augustin finden.13 Anselms Fassung des Problems zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass die Ewigkeit des unfehlbaren, göttlichen Vorauswissens nicht als Lösung, sondern als ein Teil des Problems wahrgenommen wird. Und sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Begriff des göttlichen Vorauswissens nicht nur allgemein providentiell verstanden wird. In Anlehnung an den paulinischen Gedanken des ewigen Ratschlusses Gottes aus Röm 8,29–30 wird er insbesondere auch in seiner soteriologischen Zuspitzung ernst genommen. Zum anderen ist Anselms Analyse des Problems dadurch charakterisiert, dass er es als ein wechselseitiges Dilemma auffasst und nicht nur als einen zu entkräftenden fatalistischen Einwand gegen menschliche Freiheit.14 Dies ist entscheidend für das Verständnis seines Lösungsansatzes. Auch wenn Anselm gleich zu Beginn in De concordia I die These aufstellt, dass es sich bei der Unvereinbarkeit von göttlichem Vorauswissen und menschlicher Freiheit um ein Scheindilemma handelt, das auf einem Scheinwiderspruch basiert, nimmt er das scheinbare Dilemma ernst, dass sich Gottes Vorauswissen und menschliche Freiheit prima facie gegenseitig in Frage stellen. So soll nun vorab Anselms allgemeine Fassung des Dilemmas weiter untersucht werden, indem als erstes (5.1.1.1.) sein Begriff des göttlichen Vorauswissens (praescientia) erläutert wird und als zweites (5.1.1.2.) dom, Hampshire 1990, 283–302; vgl. Trego, L’Essence de la liberté, 247–254; Siehe auch: Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1197B-1222C; Ders., De libero arbitrio (PL 172), 1223A-1230C. 13  Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 18a-19b; Boethius, Philosophiae Consolatio V,3,1–6,48 (CChr.SL 94), 91,1–105,156; Origenes, De principiis III,1,1–17 (TzF 24), 642,1– 531,9; Ders., Commentarii in Epistulam ad Romanos VII,7–8 (FC 2,4), 82,25–102,20; Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,11–142,25; Ders., De libero arbitrio III,1,1–4,9 (CChr.SL 29), 274,1–281,48. 14  Vgl. demgegenüber: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 93–104; und Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; Dies., The Necessity of the Present, 25–47.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

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analysiert wird, wie er das scheinbare Dilemma der Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit formuliert. 5.1.1.1. Der Begriff des göttlichen Vorauswissens (praescientia) Unter Gottes Vorauswissen (praescientia) versteht Anselm allgemein Gottes vorgängiges Wissen des für uns Zukünftigen – auch des für uns kontingenten Zukünftigen.15 Es ist somit ein Aspekt des göttlichen Erkennens beziehungsweise der göttlichen Allwissenheit. Als solches ist es nach Anselm unendlich vollkommener als das zeitliche, den Dingen nachfolgende, unvollkommene Erkennen des Menschen. Dementsprechend wird in Monologion 36 der erkenntnistheoretische Vorbehalt formuliert, der Mensch könne unmöglich erkennen, wie Gott vorauswisse.16 Erkennbar sei nur, dass Gott alles für uns Zukünftige ewig, wirksam sowie vollkommen, das heißt unfehlbar vorauswisse. So entwickelt Anselm unter diesem erkenntnistheoretischen Vorbehalt eine Deutung des göttlichen Vorauswissens. Ausgehend von trinitätstheologischen Überlegungen betont er dessen Ewigkeit und Vollkommenheit sowie Heilsbedeutung.17 Durch diese theologische Zuspitzung unterscheidet sich seine Deutung des göttlichen Vorauswissens von anderen, die im Rahmen einer allgemeinen Vorsehungslehre formuliert sind.18 Nach Monologion 9–14 und 29–36 gründet Gottes Vorauswissen alles Geschaffenen in seinem ewigen Erkennen seiner selbst in seiner Dreieinigkeit und ereignet sich als Gottes ewiges Voraussprechen aller Dinge durch sein Wort in seinem Geist.19 Der Gedanke des göttlichen Vorauswissens expliziert allgemein die Vernünftigkeit und Weisheit von Gottes schöpferischem und bewahrendem Handeln. Dabei wird es trinitätstheologisch als ein ewiges Voraussprechen und Vorauserkennen der zu schaffenden Dinge durch das Wort, beziehungsweise im Geist Gottes beschrieben. Es wird als ein schöpferisches „Ins-Sein-Sprechen“ sowie als ein bewahrendes „Im-Sein-Erkennen“ bezeichnet.20 So heißt es in Monologion 9: 15 

DC I,3 (SII), 250, 28–31; DCD 21; 267,7–12. 36 (SI), 54,15–55,10; vgl. Boethius, Philosophiae Consolatio V,4,1–5,12 (CChr.SL 94), 95,1–100,51. 17  ML 10 (SI), 24,24–29; DC I,7 (SII), 257,29–258,4; 259,17–20; So auch; Leon Baudry, La Préscience divine chez Saint Anselme, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen-Âge 15;17 (1940–2), 223–237. 18 vgl. Boethius, Philosophiae Consolatio V,3,1–6,48 (CChr.SL 94), 91,1–105,156; Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25. 19  ML 9–14 (SI), 24,10–27,26; ML 29–36 (SI), 47,2–55,10. 20  ML 9–14 (SI), 24,7–27,26; ML 29–36 (SI), 47,2–55,10. In Analogie zu einem Künstler, der vor dem Schaffen seines Werkes, dieses zuvor innerlich in seinem Geist gedanklich spricht und denkt, verdeutlicht Anselm, dass Gott alle zu schaffenden Dinge vorausweiß, indem er sie vorausspricht und sie in ihrer Wesenheit schauend erkennt, und dass er sie gemäß diesem Voraussprechen verwirkliche und als Verwirklichte in ihrer Relation zum ursprünglich gesprochenen Wesen bleibend erkenne. Als Differenz zum Künstler wird jedoch hervor16  ML

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Denn auf keine Weise kann etwas vernünftig von jemandem gemacht werden, wenn nicht im Denken dessen, der es macht, gleichsam eine Art Exempel des zu machenden Dinges vorausgeht, oder besser, eine Form oder Ähnlichkeit oder Regel. Es ist somit offensichtlich, dass bevor das Universum wurde (priusquam fierent universa), im Denken der höchsten Natur feststand, was (quid) oder wie beschaffen (qualia) oder auf welche Weise (quomodo) es zukünftig sein würde.21

Durch die Bemerkung „bevor das Universum wurde“ (priusquam fierent universa) wird verdeutlicht, dass es sich nach Anselm um ein überzeitliches, ewiges Erkennen handelt. Gottes Vorauswissen ist also in dem Sinne ewig, dass es dem Sein und Werden alles Geschaffenen, auch der Zeit, vorausgeht.22 Da das „voraus“ nach Anselm gerade kein zeitliches, sondern ewiges „voraus“ bedeutet, schließt es jedoch nicht aus, dass es mit dem Sein und Werden alles Geschaffenen kopräsent ist.23 Es beinhaltet vielmehr, dass alles Zeitliche, auch das für uns zukünftig Kontingente, Gott ewig gegenwärtig ist. Dies wird von Anselm dadurch begründet, dass Gott trotz seiner Transzendenz in seiner Schöpfung allgegenwärtig ist und dass alles Geschaffene durch ihn, in ihm und auf ihn hin ist und in seinem Sein erhalten wird.24 Somit erkenne Gott auch das Zukünftige als Zukünftiges auf ewig gegenwärtige Weise.25 Gottes ewiges Vorauswissen wird von Anselm als vollkommen verstanden. Gott wird in Proslogion 6 „in höchster Weise wahrnehmend und in höchstem Maße alles erkennend“, das heißt allwissend (summe sensibilis quo summe omnia cognoscis) genannt.26 Expliziert wird die Vollkommenheit des göttlichen Vorauswissens, indem ausgeführt wird, dass es unwandelbar, unfehlbar und unbegrenzt ist. Unwandelbar ist es nach Anselm, weil es ewig ist.27 Deswegen hat es seiner Sicht nach auch vorausbestimmenden, das heißt im voraus festsetzenden Charakter.28 Die Unfehlbarkeit wird wahrheitstheoretisch damit begründet, gehoben, dass Gottes Vorauswissen der Dinge die erste, einzige und hinreichende Ursache ihrer Verwirklichung und Vollendung sei. Das heißt, dass die Dinge nur sind, weil Gott sie zuvor ins Sein gesprochen und erkannt hat. vgl. Plato, Timaios (Opera 4), 27b-31b. 21  ML 9 (SI), 24,12–16. 22  DCD 21 (SI), 267,7–11; DC I,5 (SII), 253,28–254,15. 23  ML 20–24 (SI), 35,7–42,29; Siehe hierzu auch die Auseinandersetzung zwischen Leftow und Rogers darüber, ob Anselm ein eternalistisches oder präsentistisches Zeit- und Ewigkeitsverständnis habe: Leftow, Time and Eternity, New York 1991, 183–216; vgl. Katherin Rogers, Anselmian Eternalism: in: The Presence of a Timeless God, in: Faith and Philosophy 24 (2007), 3–27 Brian Leftow, Anselmian Presentism, in: Faith and Philosophy 26.3 (2009), 297–319; Katherin Rogers: ,Back to Eternalism: a Response to Leftow’s „Anselmian Presentism“’ in: Faith and Philosophy 26 (2009), 320–338; Weiteres dazu in: 5.1.2.1.-2. 24  ML 14 (SI), 27,17–26. 25  DC I,5 (SII), 255,15–29; vgl. Boethius, Philosophiae Consolatio V,6,1–48 (CChr.SL 94), 100,17–105,156. 26  PL 6 (SI), 105,1–6. 27  ML 9 (SI), 24,8–20; vgl. DC I,5 (SII), 253,17–255,29. 28 ML 9 (SI), 24,14–16. Über das Verhältnis von Vorauswissen und Vorausbestimmen siehe auch: Trego, L’Essence de la liberté, 247–254.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

221

dass Gott die höchste Wahrheit ist und nur wahr erkennt.29 Gott erkenne deshalb nur wahr, weil im Unterschied zum menschlichen Erkennen die Wahrheit des göttlichen Erkennens nicht durch das Erkannte beziehungsweise die Übereinstimmung mit den Dingen bedingt ist. Es bedingt die Wahrheit der Dinge und deren Übereinstimmung mit der göttlichen Wahrheit.30 Daraus ergibt sich, dass das von Gott Vorausgewusste notwendig wirklich wird.31 Unbegrenzt ist Gottes Vorauswissen nach Anselm zudem darin, dass es nichts gibt, was nicht von Gott vorausgewusst wird. Gott erkennt das Sein aller Dinge in ihrer Relation zur ewigen Wahrheit, ihr Wesen und Werden, ihre Beschaffenheit sowie die Art und Weise ihres Seinsvollzugs und somit auch ihre Mangelhaftigkeit und Verkehrung.32 Dementsprechend wird schließlich in De concordia I,5 in Anlehnung an psalmistische Aussagen, dass Gott seine Gerechten erkennt und in Anlehnung an den paulinischen Gedanken, dass Gott die zur Heiligkeit Vorausbestimmten ewig vorauserkennt betont, dass Gott insbesondere die Glaubenden vorauserkennt, die er aus Gnade vorausbestimmt, beruft, rechtfertigt und verherrlicht dem Bild Christi ähnlich zu werden und heilig zu leben.33 So spricht Anselm von Gottes Vorauswissen nicht nur im Rahmen einer allgemeinen Providenzlehre, derzufolge Gott als Schöpfer und Bewahrer auch alles, was geschieht, fürsorglich voraussieht.34 Vielmehr spricht er ausgehend von den trinitätstheologischen Überlegungen im Monologion in einem soteriologisch zugespitzten Sinn gerade auch von Gottes ewigem, vollkommenem Vorauswissen derer, die er aus Gnade zur Heiligkeit in Christus vorausbestimmt, beruft, rechtfertigt und verherrlicht.35 5.1.1.2. Das allgemeine Dilemma der Unvereinbarkeit In De concordia I,1 geht Anselm darauf ein, dass Gottes Vorauswissen des für uns Zukünftigen und menschliche Freiheit prima facie unvereinbar zu sein scheinen. Damit greift er ein seit der Antike viel diskutiertes Problem auf und stellt es in seiner philosophisch-theologischen Dilemmastruktur dar.36 Das grundlegende 29  ML 18 (SI), 33,9–23; vgl. DV 1 (SI), 176,3–177,3; vgl. DC I,3 (SII), 251,28–252,1; Siehe hierzu insbesondere auch: Baudry, La Préscience divine, 234–236. 30  DV 13 (SI), 196,27–199,29. 31  DC I,1 (SII), 245,9–10. 32  CDH II,5 (SII), 100,18–20; DC I,7; 257,29–260,2. 33  DC I,5 (SII), 253,24–254,13. 34  Ebd; vgl. Boethius, Philosophiae Consolatio V,4,1–5,12 (CChr.SL 94), 95,1–100,51; Augustin, De civitate Dei V, 8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25. 35  So auch: Augustin, De correptione et gratia VII,14 (CSEL 92), 233,14–235,35; Ders., De praedestinatione sanctorum X,19-XV, 30 (PL 44), 974–982. 36  Sowohl in den maßgeblichen Monographien als auch in neuen Aufsätzen sieht man sehr unterschiedliche Interpretationen oder Ausklammerungen von Anselms Formulierung des Problems der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen (und Gnadenhandeln) und menschlicher Freiheit. Als logisch-ontologisches Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit aufgefasst wird es von: Loh-

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Dilemma besteht darin, dass man scheinbar entweder zugunsten des Glaubens an Gottes Vorauswissen die Erfahrung menschlicher Freiheit bestreiten muss oder zugunsten der Verteidigung menschlicher Freiheit das Vertrauen in Gottes Vorauswissen verneinen oder zumindest relativieren muss. Worin das Dilemma besteht, wird in De concordia I,1 in wenigen Zeilen so umrissen: Es scheint aber, dass Gottes Vorauswissen (praescientia Dei) und ein freier Wille unvereinbar sind, denn was Gott vorausweiß, das muss sich notwendig zukünftig ereignen, was aber durch freien Willen geschieht, ereignet sich aus keiner Notwendigkeit. Besteht aber dieser Widerspruch, so kann unmöglich zugleich das alles vorausschauende Vorauswissen Gottes sein und sich etwas durch Willensfreiheit ereignen.37

Indem Anselm das Problem doppelseitig als Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit beschreibt, das heißt als einen Widerspruch, fasst er es als Dilemma mit einer wechselseitigen Struktur auf.38 Er versteht das Problem somit nicht nur als einen zu entkräftenden Einwand gegen menschliche Freiheit.39 Dass Gottes Vorauswissen und menschliche Freiheit unvereinbar zu sein scheinen, meint nach Anselm vielmehr, dass sie einander zu widerstreiten und sich gegenseitig in Frage zu stellen scheinen. Gottes Vorauswissen scheint menschliche Freiheit genauso aufzuheben, wie menschliche Freiheit Gottes Vomeyer, Die Lehre vom Willen, 50–56. Als ein naturphilosophisch-metaphysisches Problem gedeutet wird es von Tyvoll, wobei er gegenüber Hopkins betont, Anselm vertrete einen Inkompatibilismus zwischen freiem Wahlvermögen und naturkausalem Determinismus, wie van Inwagen ihn definiert. Siehe: Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113. Weitestgehend ausgeklammert wird die Problematik bei Goebel, Kane und Ekenberg. Dabei untersucht Kane jedoch die Gnadenproblematik und deutet Anselms Freiheitsverständnis als libertarisch. Siehe: Kane, Anselm’s Doctrine of Freedom, 160–169; Ekenberg argumentiert hingegen – ohne Analyse der Problemstellung in De concordia I+II – für eine kompatibilistische Deutung. Siehe: Ekenberg, Falling Freely, 127–152. Als ein zu entkräftender determinis­ tischer oder fatalistischer Einwand gegen menschliche Wahlfreiheit gedeutet wird er von Bäumker, Die Lehre Anselms von Canterbury, 60–68; Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 93–104; Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; vgl. Dies., „The Necessity of the Present and Anselm’s Eternalist Response to the Problem of Theological Fatalism“, 25– 47. Als genuin theologisches Problem mit Dilemmastruktur gesehen wird es hingegen von: Orazzo, Analogia Libertatis, 107–148; Holopainen, Future Contigents in the Eleventh Century, 103–105; Baudry, La Préscience divine chez Saint Anselme, 223–224 und Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 208–214. Diese vierte Deutung halte ich für die textlich überzeugenste und sowohl historisch als auch systematisch treffenste und versuche dewegen, sie im Folgenden fortzuführen. 37  DC I,1 (SII), 245,9–11. 38  Siehe hierzu: Orazzo, Analogia Libertatis, 107–148; Holopainen, Future Contigents in the Eleventh Century, 103–105; Baudry, La Préscience divine chez Saint Anselme, 223– 224. Und insbesondere die formal-logische Refomulierung von Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 208–214. 39  So jedoch: Bäumker, Die Lehre Anselms von Canterbury, 60–68; Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge and Future Contingency, 93–104., Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; vgl. Dies., The Necessity of the Present, 25–47.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

223

rauswissen in Frage zu stellen scheint. Die Dilemmaform des Problems verweist implizit auf zwei gegensätzliche Positionen. Beide vertreten die These der Unvereinbarkeit. Die eine Position negiert dabei die Vereinbarkeit und bestreitet zugunsten des Glaubens an Gottes Vorauswissen die Erfahrung menschlicher Freiheit. Sie kann deswegen als ein theologischer Fatalismus bezeichnet werden.40 Historisch ist sie seit der Antike vielfältig vertreten worden, etwa in religiösen Schicksalsvorstellungen. Sie ist auch in Teilen der Stoa philosophisch begründet worden. Im Rahmen eines bestimmten Prädestinationsglaubens, wie er im 9. Jahrhundert durch Gottschalk formuliert worden ist, wird sie zu Anselms Zeit neu belebt. Auch von Anselms Schüler Honorius Augustodunensis wird sie diskutiert.41 Die andere, entgegengesetzte Position verneint ebenso die Vereinbarkeit und relativiert zugunsten der Verteidigung menschlicher Freiheit Gottes Vorauswissen. Sie kann als freiheitstheoretischer Indeterminismus beschrieben werden.42 Historisch findet sie sich gleichfalls in verschiedenen Formen seit der Antike, etwa bei Ciceros Fatalismuskritik, in Ansätzen auch bei Origenes sowie bei Kritikern der Lehre einer doppelten Prädestination, wie etwa im 9. Jahrhundert bei Johannes Scotus Eriugena.43 Sowohl aus der einen als auch aus der anderen Perspektive könnte das von Anselm zitierte Argument zur Begründung der Unvereinbarkeitsthese formuliert werden. In Normalform lässt es sich in folgender Weise darstellen: P1: Was Gott vorausweiß, muss notwendig zukünftig sein. P2: Was durch freien Willen geschieht, ereignet sich nicht aus Notwendigkeit. K: Es ist unmöglich, dass zugleich Gott alles vorausweiß und sich etwas durch den freien Willen des Menschen ereignet.

Durch dieses Unvereinbarkeitsargument wird das Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Willensfreiheit in einer zugleich einfachen und scharfen Version dargestellt.44 Einfach ist Anselms 40  Vgl. die Begriffsverwendung bei: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 93– 104; vgl. Rogers, The Necessity of the Present, 25–47. 41  Siehe hierzu: Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25; Siehe hierzu auch: Susanne Bobzien, Determinism and Freedom in Stoic Philosophy, Oxford 1998, 16–179; Gottschalk, Responsa VI-VII (SSL 20), 146,17–158,28. Siehe hierzu auch: Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1197B-1222C. 42 vgl. zu diesem Begriffsgebrauch auch: Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Rogers, Anselm, 1–15., die eher von Libertarismus spricht und ihn Anselm, meiner Ansicht nach zu Unrecht, zuschreibt. 43  Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25; Siehe hierzu auch: Bobzien, Determinism and Freedom, 180–324; insbes. 199–216; 245–249; Origenes, De princi­ piis, III,1,1–22 (TzF 24), 462,1–553,6; Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione 2,1–3,7 (CChr.CM 50), 18,1–26,240. 44 Vgl. hingegen Tyvoll und Rogers, die stärker von Problemformulierungen, Fatalismusargumenten und Definitionen der analytischen Freiheitsdiskussion ausgehen: Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; vgl. Rogers, The Necessity of the Present, 25–33.

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Problemformulierung insofern, als das Dilemma nur auf minimalen Grundannahmen, das heißt auf Begriffsimplikationen beruht. Scharf ist sie deshalb, weil sie auch ein Verständnis des göttlichen Vorauswissens betrifft, das von dessen Ewigkeit ausgeht. Schließlich umfasst es auch eine Minimalkonzeption von Freiheit, die nur die Abwesenheit von Zwang und die Möglichkeit, einen Akt vor seinem Eintreten zu verhindern impliziert. Die erste Prämisse des Unvereinbarkeitsarguments, „was Gott vorausweiß, muss notwendig zukünftig sein“ (ea quae Deus praescit, necesse est esse futura), stellt eine notwendige Implikation des Begriffs des göttlichen Vorauswissens dar.45 Sie ist nach Anselm eine Grundannahme des christlichen Gottes- und Wirklichkeitsverständnisses sowie des glaubenden Lebensvollzugs. Dass das, was Gott vorausweiß, notwendig zukünftig sein wird, ergibt sich aus dem Verständnis der Vollkommenheit von Gottes Vorauswissen, wie es im Monologion dargestellt wird.46 Da Gottes Wissen des für uns Zukünftigen unwandelbar, unfehlbar und allumfassend ist, muss sich das Vorausgewusste in der Zukunft notwendig ereignen. Würde es nicht wirklich werden, wäre Gottes Vorauswissen nicht vollkommen, sondern entweder wandelbar oder fehlbar oder begrenzt, was Anselm zufolge aber ausgeschlossen ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn man davon ausgeht, dass Gottes Vorauswissen nicht bloß ein innerzeitliches Vorauswissen ist, sondern ein ewiges Vorauswissen des für uns Zukünftigen. Das Vorausgewusste ist dann sogar nicht nur von einem Moment in der Zeit aus notwendig zukünftig, sondern vor aller Zeit von Ewigkeit her notwendig zukünftig. Also impliziert der Begriff des göttlichen Vorauswissens notwendig die Annahme, dass das Vorausgewusste notwendig zukünftig sein wird und nicht nicht zukünftig sein kann.47 Die zweite Prämisse des Unvereinbarkeitsarguments, „was durch freien Willen geschieht, ereignet sich aus keiner Notwendigkeit“ (quae per liberum arbitrium fiunt, nulla necessitate proveniunt), stellt eine notwendige Implikation des Freiheitsbegriffs dar. Sie ist nach Anselm ebenfalls eine unverzichtbare Grundannahme der christlichen Anthropologie und ethischen Wirklichkeitsgestaltung, sowie ein zentrales Element des handelnden Glaubensvollzugs. Dass das, was durch freie Wahl getan wird aus keiner Notwendigkeit hervorgeht, ergibt sich aus den formalen Kriterien der freien Wahl des Menschen. Nach De libertate arbitrii sind sie notwendig im Freiheitsbegriff enthalten.48 Etwas gilt nur dann als durch freie Wahl bewirkt, wenn es ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt vollzogen und nicht durch eine vorausgehende Notwendigkeit 45 

ML 80 (SI), 86,15–87,13. ML 9–14 (SI), 24,10–27,26; ML 29–36 (SI), 47,2–55,10; vgl. DCD 21 (SI), 267,5–6. 47  Siehe hierzu auch: Baudry, La Préscience Divine, 224. Baudry zeigt unter Verweis auf das Monologion überzeugend auf, dass nach Anselm Gott alles, auch das für uns Zukünftige sowohl gewiss als auch unfehlbar vorausweiß („même certitude, même infallibiliité“). 48  DLA 2 (SI), 209,8–210,21; DLA 5–6; 215,14–218,13; DLA 13 (SI), 225,2–14. 46 

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

225

erzwungen wird.49 Wenn etwas durch eine vorausgehende Notwendigkeit bewirkt wird, unterliegt es einem Zwang. Es ist dann keine personale, willentlich bewirkte Handlung, sondern ein a-personales, naturkausal bewirktes Ereignis.50 Somit würde durch eine vorausgehende Notwendigkeit nicht nur Wahlund Willensfreiheit, sondern auch Handlungsfreiheit in Frage gestellt. Der Grund liegt darin, dass eine Handlung nur dann als freiwillig vollzogen gilt, wenn der zugrunde liegende Wille und seine Wahl nicht durch den Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit bewirkt und somit fremdbestimmt ist.51 Also ist im Begriff der Freiheit die Annahme enthalten, dass das, was durch freien Willen getan wird, aus keiner Notwendigkeit heraus getan wird. Damit scheint der Schluss auf die Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit notwendig zu sein.52 Da zum einen der Begriff des göttlichen Vorauswissens die Notwendigkeit alles zukünftig Geschehenden einschließt, der Begriff der Freiheit des Menschen zum anderen aber ausschließt, dass das durch das freie Willens- und Wahlvermögen bewirkte Zukünftige aus Notwendigkeit geschieht, scheint es unmöglich, dass beides zugleich der Fall ist. Die vollkommene Bestimmtheit der zukünftigen Wirklichkeit durch Gottes Voraussehen scheint also per definitionem auszuschließen, dass etwas durch den freien Willen des Menschen zukünftig ist. Und ein zukünftiges kontingentes Ereignis, das durch den freien Willen des Menschen bewirkt werden wird, scheint gleichfalls per definitionem auszuschließen, dass die zukünftige Wirklichkeit vollkommen durch Gottes Vorauswissen bestimmt ist. Der Widerspruch basiert auf der Annahme, dass sich etwas Zukünftiges nicht zugleich notwendig und nicht notwendig ereignen kann. Wenn sich aber Zukünftiges nur entweder im Modus der Notwendigkeit ereignen kann oder im Modus der Möglichkeit beziehungsweise Kontingenz, dann kann nicht zugleich alles von Gott vorausgewusst werden und etwas durch den freien Willen des Menschen zukünftig bewirkt werden. Dieser modale Kern des Dilemmas dürfte Anselm historisch von den Erörterungen bei Aristoteles und Boethius sowie Augustin bekannt gewesen sein.53 Aristoteles diskutiert in De interpretatione 9 nämlich das logische Problem der 49 Ebd. 50 Vgl.

DCV 11 (SII), 153,9–154,11; vgl. Origenes, De principiis, III,1,2–5 (TzF 24), 464,2–475,6. 51  CDH I,17 (SII), 125,8–126,2. 52  Siehe hierzu auch: Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 209–210; Er begründet darüber hinaus formallogisch und unter Rekurs auf die Symbolik der temporalen und modalen Logik das Dilemma zwischen P1 (∀x: F(x) p ≅ D(x)p) und P2 (∃x: M F(x) p ∧ M F(x) ¬p) mit einem Standardargument. 53  Siehe hierzu insbesondere auch Knuutila, Anselm on Modality, 111–131 und Holopainen, Future Contigents in the Eleventh Century, 103–120, der sehr präzise aufzeigt, dass im 11. Jahrhundert das Problem des zukünftig Kontingenten insbesondere an Augustins theologischer Problemfassung orientiert gewesen ist und nicht nur an den rein philosophischen Versionen von Aristoteles und Boethius.

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Wahrheitsfähigkeit von Aussagen über zukünftig Kontingentes.54 Damit verbunden ist das ontologische Problem, dass dann, wenn entweder eine bejahende oder eine verneinende Aussage über zukünftiges Kontingentes wahr ist und die andere jeweils falsch, alles aus Notwendigkeit und nichts durch Glück oder Zufall zukünftig zu sein scheint.55 Von Boethius wird dieses modale Problem zum einen in seinem Kommentar zu Aristoteles De interpretatione diskutiert.56 Zum anderen wird von ihm darüber hinaus in Philosophiae consolatio V das philosophische Problem der Unvereinbarkeit des unfehlbaren, ewigen Vorauswissens der göttlichen Vorsehung und menschlicher Freiheit formuliert. Anders als bei Anselm hat es jedoch eher den Charakter eines einseitigen Fatalismusproblems, das zu entkräften versucht wird, als den eines wechselseitigen Dilemmas.57 Im Wesentlichen knüpft Anselm schließlich an die von Augustin formulierte These an, dass es sich bei dem Dilemma um ein scheinbares Dilemma handelt und nicht um ein wirkliches Paradox. In De civitate Dei V,8–11 argumentiert Augustin nämlich gegen die fatalistische Schicksalslehre in Teilen der Stoa und gegen Ciceros indeterministische Kritik an der Annahme einer göttlichen Vorsehung, dass es sich hierbei nur um ein Scheindilemma handle.58 Dies begründet er damit, dass das freie Willens- und Wahlvermögen ein integrales Moment der determinierenden Kette der Mittelursachen sei und beide Alternativen sich somit nur scheinbar gegenseitig ausschließen. Auf höherer Ebene seien Sie jedoch vereinbar.59 Diese von Augustin formulierte Kritik des antiken Dilemmas zwischen göttlicher Vorsehung und menschlicher Freiheit könnte Anselm als Vorlage gedient haben für die Argumentation, dass es sich auch bei der Annahme der Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit um ein scheinbares, aufzulösendes Dilemma der menschlichen Vernunft handelt.

5.1.2. Die Lösung des Dilemmas durch den Aufweis der Vereinbarkeit In De concordia I versucht Anselm eine Lösung des Dilemmas zu entwickeln. Er zeigt argumentativ auf, dass Gottes Vorauswissen und menschliche Freiheit sich nicht notwendiger Weise widersprechen. Bei genauerer Betrachtung erwiesen sie sich als vereinbar.60 Er entwickelt dabei einen Ansatz zur Lösung der Pro­ 54  Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 18a-19b; vgl. Augustin, De libero arbitrio III,1,1–4,11,41 (CChr.SL 29), 274,1–281,48; Ders., De civitate Dei V,9–11 (CChr.SL 47), 136,1–142,25; Boethius, Philosophiae consolatio V,1,1–6,48 (CChr.SL 94), 88,1–105,156. 55  Ebd; vgl. CDH II,17 (SII), 125,8–126,2; vgl. DC I,2–3 (SII), 247,6–252,5. 56  Boethius, Librum Aristotelis De interpretatione Commentarium (PL 64), 329B-342B. 57  Boethius, Philosophiae consolatio V,3,5–36 (CChr.SL 94), 91,7–94,101. 58  Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25. 59 Ebd. 60  DC I,1–7 (SII), 246,1–260,2.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

227

bleme, die sich in seinem Schülerkreis nach den großen Prädestinationskontroversen des 9. Jahrhunderts wieder neu gestellt haben. Er entwickelt ihn unter Aufnahme von Argumenten von Aristoteles und Boethius sowie vor allem Augustin. Anselms Lösungsansatz zeichnet sich durch dreierlei aus. Zum einen ist er methodisch dadurch geprägt, dass die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit mit fünf zusammenhängenden Argumenten indirekt begründet wird. Anselm zeigt durch diese fünffache indirekte Argumentation auf, dass die gegenteilige Annahme, das heißt die These der Unvereinbarkeit, in Widersprüche führt. Die Probleme, die mit der These der Vereinbarkeit verbunden sind, lassen sich Anselms Argumentation zufolge aber alle prinzipiell lösen.61 Zum anderen ist Anselms Ansatz inhaltlich dadurch charakterisiert, dass er die Vereinbarkeit von beidem nicht durch eine Relativierungsstrategie aufzuweisen versucht. Er zeigt, dass in der Annahme des vollkommenen Primats des göttlichen Vorauswissens enthalten sein kann, dass etwas durch den freien Willen des Menschen zukünftig sein wird.62 Schließlich zeichnet er sich dadurch aus, dass er konstitutiv auf die Gnadenthematik bezogen ist und dass alle Argumente so entwickelt werden, dass sie zugleich zur Begründung der Vereinbarkeit von göttlicher Prädestination und menschlicher Freiheit dienen.63 61  Siehe hierzu insbesondere: Leon Baudry, La Préscience divine chez Saint Anselme, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen-Âge 15;17 (1940–2), 233. In der englischsprachigen Forschungsdiskussion findet sich eine starke Fokussierung auf das zweite, modaltheoretische Argument und auf das dritte, zeit- und ewigkeitstheoretische Argument und eine intensive Diskussion um die implizierte Zeittheorie, da Anselms Lösungsansatz insgesamt ähnlich wie derjenige von Boethius als „eternalistisch“ charakterisiert wird. Demgegenüber schlage ich in Anlehnung an Baudry vor, den Gesamtzusammenhang der Argumentation stärker in den Blick zu nehmen, von woher sich einige Probleme lösen lassen. Vgl. jedoch: Brian Leftow, Time and Eternity, Ithaka 1991, 112–266; Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; Schick, Willensfreiheit bei Anselm, 38–59; und: Brian Leftow, Anselmian Presentism, in: Faith and Philosophy 26.3 (2009), 297–319; Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 41–43; T.J., Holopainen, Future Contigents in the Eleventh Century, 103–120; Simo Knuutila, Anselm on Modality, 111–131. Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz 209–222; Katherin Rogers, Anselm and his Islamic contemporaries, 373–393; Dies.: Anselmian Eternalism: in: The Presence of a Timeless God, in: Faith and Philosophy 24 (2007), 3–27; Kevin Staley, Divinity, Necessity, and Freedom in Anselm of Canterbury, in: Saint Anselm – his Origins and Influence, hg. v. John R. Fortin, New York 2001, 85–96; Paul A. Streveler, Anselm on Future Contingencies: A Critical Analysis of the Argument of De concordia, in: Anselm Studies 1 (1983), 165–173; Stan R. Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, in: John R. Fortin (Hg.), Saint Anselm – his Origins and Influence, New York 2001, 97–115. 62  Allerdings gehe ich anders als ein Großteil der Interpreten nicht davon aus, dass Anselm versucht, die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und bloß libertarisch gedeuteter Freiheit des Menschen aufzuweisen, sondern dass er einen stärkeren, relationalen, inhaltlich positiv bestimmten Freiheitsbegriff vertritt. Vgl. hierzu jedoch: Bäumker, Die Lehre Anselms von Canterbury, 60–68; William L. Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge and Future Contingency, 93–104; vgl. Katherin Rogers, The Necessity of the Present, 25–28. 63  So auch: Briancesco, Le dernier Anselme, 559–596; Franz, Die Freiheit des Menschen, 229–248.

228

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Diese Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit soll nun, Anselms Argumentationsgang in De concordia I folgend, näher untersucht werden. Als Erstes (5.1.2.1.) wird erläutert, wie Anselm die These begründet, dass Gott auch das durch den freien Willen des Menschen bewirkte zukünftig Kontingente vorauswissen kann. Danach wird aufzeigt, wie er die Konsistenz dieser Möglichkeit durch Widerlegungen von vier Einwänden begründet. Dazu soll zunächst (5.1.2.2.) erläutert werden, wie modaltheoretisch die Differenz zwischen vorausgehender, zwingender und nachfolgender, nicht zwingender Notwendigkeit begründet wird, sodann (5.1.2.3.), wie zeit- und ewigkeitstheoretisch die Möglichkeit der Simultaneität von ewig gegenwärtigem und zeitlichem Sein nahe gelegt wird, anschließend (5.1.2.4.), wie freiheitstheoretisch die relationale Bestimmtheit und Bedingtheit der Freiheit präzisiert wird, und schließlich (5.1.2.5.), wie das mit der Annahme der absoluten Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens verbundene Problem der Zurechenbarkeit des Bösen gelöst wird. 5.1.2.1. Die These des göttlichen Vorauswissens auch des zukünftig Kontingenten In De concordia I,1 wird zunächst vorgeschlagen, zu überprüfen, ob sich aus der Annahme Widersprüche ergeben, dass sowohl Gott alles vorausweiß als auch zugleich vieles durch den freien Willen des Menschen geschieht.64 Anselm betont, durch den Aufweis der internen Konsistenz dieser Annahme werde deutlich, dass das Dilemma auf einem scheinbaren Widerspruch basiert. Somit stelle das Dilemma selbst nur ein Scheindilemma dar. Es wird von Anselm nah gelegt, die Vereinbarkeitsthese methodisch zu prüfen mit den Schlussregeln des gemischten hypothetischen Syllogismus modus ponens – modus tollens. Sie sind ihm aus der aristotelisch-boethiansischen Logik bekannt.65 Demzufolge gilt etwas als unmöglich, dessen Setzung Unmögliches zur Folge hat. Und das, was keine unmöglichen Folgen hat, gilt als mögliche Voraussetzung. Wenn die Annahme der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit wirklich einen inneren Widerspruch enthält, hat sie demnach weitere Widersprüche zur Folge. Wenn sich aber keine unmöglichen Konsequenzen aufweisen lassen, kann man daraus zurück schließen: auch die vorausgesetzte Annahme der Vereinbarkeit selbst ist widerspruchsfrei.66 Dabei wird die These begründet, dass Gott auch das zukünftig Kontingente vorauswissen kann. Demnach kann das durch den freien Willen des Menschen Bewirkte in Gottes Vorauswissen enthalten sein. Die Idee, dass der freie Wille des Geschöpfs neben den natürlichen Ursachen als eine eigene Art von Mitte64 

DC I,1 (SI), 246,2–247,4. DC I,1 (SII), 246, 5–7; Boethius, De syllogismo hypothetico I-II (PL 64), 831B-876C. Zu diesem Hinweis und weiteren Erläuterungen siehe: John Marenbon, Boethius, Oxford 2003, 50–56. 66  Siehe hierzu auch: Baudry, La Préscience divine, 233. 65 

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

229

lursache in der von Gott vorausgewussten und geschaffenen Ordnung der Mittelursachen enthalten ist, stellt dabei den Kern der Lösung dar. Sie findet sich bereits in Augustins Kritik am theologischen Fatalismus der frühen Stoa und an Ciceros freiheitstheoretischem Indeterminismus in De civitate Dei V,8–11.67 Die augustinische Inklusionsthese dürfte Anselm bekannt gewesen sein und als Anregung für sein eigenes Inklusionsargument gedient haben. So formuliert Anselm in De concordia I,1 unter der Annahme, dass Gott alles Zukünftige vorausweiß, und dieses somit notwendig zukünftig ist und unter der Annahme, dass vieles durch den freien Willen des Menschen und somit nicht aus Notwendigkeit zukünftig sein wird, folgendes Inklusionsargument: Wenn aber etwas ohne Notwendigkeit zukünftig ist, weiß Gott dies voraus, der alles Zukünftige vorausweiß. Was Gott aber vorausweiß, ist notwendig so zukünftig, wie es vorausgewusst wird. Also ist notwendig, dass etwas ohne Notwendigkeit zukünftig ist. Bei richtigem Verständnis (recte intelligenti) kann also der Anschein eines Widerspruchs zwischen dem Vorauswissen, das Notwendigkeit zur Folge hat und der Willensfreiheit, die Notwendigkeit ausschließt, gar nicht zustande kommen, denn es ist sowohl notwendig, dass Gott das zukünftig Seiende vorausweiß, als auch dass Gott vorausweiß, dass etwas ohne Notwendigkeit zukünftig sein wird.68

In Normalform lässt sich dieses Argument folgender Weise darstellen. (P1’) Es ist notwendig, dass Gott alles zukünftig Seiende vorausweiß. [(P1) Was Gott vorausweiß, wird notwendig zukünftig sein.] (P2’) Wenn etwas ohne Notwendigkeit zukünftig ist, weiß Gott dies voraus. [(P2) Was durch freien Willen geschieht, ereignet sich nicht aus Notwendigkeit.] (P3’) Was Gott vorausweiß, ist notwendig so zukünftig, wie er es vorausweiß. (K’) Also ist es notwendig, dass etwas ohne Notwendigkeit zukünftig ist, das heißt, Gott weiß voraus, dass etwas ohne Notwendigkeit zukünftig sein wird.

Durch dieses Argument wird in einem ersten Schritt die These begründet, dass ohne Widerspruch angenommen werden kann, dass Gott alles vorausweiß und es notwendig zukünftig sein wird, und dass zugleich das, was durch den freien Willen des Menschen bewirkt wird, ohne vorausgehende Notwendigkeit zukünftig sein wird. Bemerkenswert daran ist, dass Anselm nicht versucht, die Vereinbarkeit durch Relativierung einer oder beider Seiten des Dilemmas aufzuzeigen, sondern durch ihre Radikalisierung.69 Es wird nämlich nicht nur angenommen, dass es möglich ist, dass Gott alles zukünftig Seiende vorausweiß. Vielmehr wird in Anlehnung an biblische Aussagen und Augustins Überlegungen in De civitate Dei V,8–11 von der Annahme ausgegangen, dass es notwendig

67 

Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25. DC I,1 (SII), 246,7–9. 69  Vgl. jedoch: Schick, Willensfreiheit bei Anselm, 41–44, der die Ansicht vertritt, Anselm reduziere „die Bedeutung des Begriffs der Notwendigkeit“ und die Bedeutung des Begriffs des göttlichen Vorauswissens „auf ein Minimum“. 68 

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

ist, dass Gott alles zukünftig Seiende vorausweiß (qui praescit omnia futura) (P1’).70 Ähnlich wie Augustin betont, dass man Gottes Vorauswissen nicht bestreiten könne, ohne nicht auch in letzter Konsequenz das Dasein Gottes zu negieren, nimmt Anselm an, dass mit dem schlechthin notwendigen Dasein Gottes auch die Notwendigkeit anzunehmen ist, dass alles Zukünftige von Gott ewig und unfehlbar vorausgewusst wird.71 Damit wird die erste Prämisse des Dilemmas, „dass alles, was Gott vorausweiß notwendig zukünftig sein wird“ (P1) verschärft als eine notwendige Annahme gedeutet.72 Die zweite Prämisse des Dilemmas, „dass das, was durch den freien Willen den Menschen bewirkt wird, aus keiner Notwendigkeit heraus zukünftig sein wird“ (P2), wird zudem als eine kontingente Aussage über zukünftiges Kontingentes gedeutet. Es wird angenommen, dass dann, wenn etwas durch den freien Willen des Menschen bewirkt wird, Gott dies notwendig vorausweiß (sed si aliquid est futurum sine necessitate, hoc ipsum praescit Deus) (P2’).73 Im Begriff des notwendigen göttlichen Vorauswissens ist also enthalten, dass auch dann, wenn etwas durch den freien Willen des Menschen zukünftig sein wird, dies in ihm enthalten ist. Schließlich gilt das göttliche Vorauswissen als derart vollkommen, dass nicht anzunehmen ist, dass zukünftig Kontingentes nicht in ihm enthalten sein könnte.74 Zudem ergänzt Anselm in Anlehnung an die Überlegungen zum göttlichen Vorauswissen in Monologion 9 eine modale Annahme.75 Er formuliert die Annahme, dass Gott nicht nur vorausweiß, ob etwas zukünftig sein wird und was zukünftig sein wird, sondern auch auf welche Weise es zukünftig sein wird. Demnach wird das, was Gott vorausweiß auch notwendig auf die Weise zukünftig werden, wie es von Gott vorausgewusst wird (sicut Deus praescitur) (P3’).76 70 Vgl. Augustin, De civitate Dei V,9 (CChr.SL 47), 136,1–140,167. Dabei äußert Augustin mit polemischer Spitze gegen Ciceros Indeterminismus, dass es „offenbarer Wahnsinn“ sei, Gott zu bekennen und zugleich zu bestreiten, dass er das Zukünftige vorauswisse. So spreche er wie „der Tor spricht in seinem Herzen, es ist kein Gott“ ohne sich jedoch selber dafür einzusetzen. 71  DC I,1 (SI), 246,2–4. 72  DC I,1 (SI), 246,11–13. 73  DC I,1 (SI), 246,7–8. 74  Anders hingegen Franz, Die Freiheit des Menschen, 235, der meint, nach Anselm sei die Faktizität des Eintretens logisch-ontologisch nicht in Gottes Vorauswissen enthalten. Demgegenüber legt sich meiner Ansicht nach vom Text her die gegenteilige Interpretation nah, dass Anselm davon ausgeht, dass alles von Gott Vorausgewusste mit Notwendigkeit zukünftig sein wird und einiges davon mit Notwendigkeit durch den freien Willen des Menschen. 75  DC I,1 (SI), 246,8–9; vgl. ML 9 (SI), 24,12–16. Dort heißt es: „Es ist somit offensichtlich, dass bevor das Universum wurde (priusquam fierent universa), im Denken der höchsten Natur feststand, was (quid) oder wie beschaffen (qualia) oder auf welche Weise (quomodo) es zukünftig sein würde.“ 76  DC I,1 (SI), 246,8–9.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

231

Daraus ergibt sich schließlich, dass es notwendig ist, dass etwas ohne Notwendigkeit zukünftig sein wird (necesse est igitur aliquid esse futurum sine necessitate) (K’).77 Damit gilt zugleich, dass es notwendig ist, dass Gott alles vorausweiß und dass Gott vorausweiß, dass etwas notwendig ohne Notwendigkeit zukünftig ist, nämlich das, was durch den freien Willen des Menschen bewirkt wird.78 So begründet Anselm die These, dass das durch den freien Willen des Menschen bewirkte zukünftig Kontingente notwendig als solches in Gottes vollkommenem Vorauswissen enthalten ist. Durch dieses Inklusionsargument versucht er also aufzuzeigen, dass man dann, wenn man von der Notwendigkeit des vollkommenen Vorauswissens Gottes und zugleich von der Wirklichkeit menschlicher Freiheit ausgeht, erkennen kann, dass Gottes Vorauswissen das durch den freien Willen des Menschen zukünftig Kontingente keineswegs auf hebt, sondern als solches einschließt und begründet.79 Damit wird auch angedeutet, dass das Dilemma auf einem scheinbaren Widerspruch basiert. Es wird nämlich die doppelte Modalität übersehen. Fälschlich wird angenommen, dass etwas nicht zugleich mit Notwendigkeit und ohne vorausgehende Notwendigkeit zukünftig sein kann. Dass die Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit jedoch ganz so einfach nicht ist, gibt Anselm sogleich durch einen phänomenbezogenen Einwand zu.80 Es wird eingewendet, dass es auch dann, wenn das durch den freien Willen Bewirkte im göttlichen Vorauswissen als solches enthalten ist, so scheint, als ob man entweder aus Notwendigkeit sündigt oder aus Notwendigkeit nicht sündigt.81 Demgegenüber wird zunächst einmal nur angemerkt, man müsse korrekter Weise sagen, Gott wisse als notwendig voraus, dass man ohne Notwendigkeit zukünftig sündigen werde oder dass man ohne Notwendigkeit nicht sündigen werde.82 Mit dieser phänomenbezogenen Vorbemerkung beginnt schließlich die nachfolgende argumentative Begründung der Vereinbarkeitsthese durch die Klärung des Notwendig77 

DC I,1 (SI), 246,9. I,1 (SI), 246,10–13. Anders hingegen die in der aktuellen Freiheitsdebatte vertretene Position des Offenen Theismus, die in Anlehnung an Whitehead und Hartshorne den Begriff der göttlichen Allwissenheit zugunsten des Gedankens der Risikobereitschaft Gottes einschränkt. Siehe hierzu: Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 51 ff.. 79  Vgl. eine ähnliche Argumentation für die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Bestimmen und menschlicher Freiheit, insbesondere der Wahlfreiheit als Mitttelursache bei Jehuda Halewi, Der Kusari V,20 (Cassel), 468–491. 80  Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1197B–1198C; vgl. Ders., De libero arbitrio, PL (172), 1223A–D. 81  DC I,1 (SII), 246,14–16. Anders hingegen: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 94–96, der diesen Einwand nicht als einen inkompatibilistischen Einwand gegen die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit deutet, sondern als einen kompatibilistischen Einwand, wobei er jedoch anders als in dieser Arbeit unter Kompatibilismus die Annahme der Vereinbarkeit von Zwang (compulsion) und Freiheit versteht, nicht nur die Annahme der Vereinbarkeit von Notwendigkeit und Freiheit. 82  DC I,1 (SII), 246,17–24. 78  DC

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

keitsbegriffs, des Bezugs zur Zeitlichkeit und Ewigkeit, des Freiheitsbegriffs und des mit der Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens verbundenen Problems des Bösen. Trotzdem hat das Inklusionsargument grundlegende Bedeutung für die nachfolgende weitere Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit. 5.1.2.2. Die Differenz zwischen Zwang und Notwendigkeit Zur Stützung dieses grundlegenden Inklusionsarguments wird in De concordia I,1–4 der Einwand entkräftet, die Notwendigkeit, mit der das von Gott vorausgewusste zukünftige Kontingente notwendig zukünftig sein werde, stelle einen Zwang dar, der die Freiheit des Menschen auf hebe.83 Der fatalistische Einwand gegen die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit wird in De concordia I,1 in Anlehnung an antike Fatalismusargumente formuliert. Dabei wird davon ausgegangen, dass Notwendigkeit (necessitas) immer Zwang oder Verhinderung (coactionem vel prohibitionem) impliziert und Möglichkeit ausschließt.84 Dadurch wird dem Einwand zufolge die Freiheit des Menschen aufgehoben, sodass er entweder zum Sündigen gezwungen und am Nichtsündigen gehindert werde oder zum Nichtsündigen gezwungen und am Sündigen gehindert werde.85 Dieser fatalistische Einwand gegen die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit wird in De concordia I,2–4 durch ein modaltheoretisches Argument widerlegt.86 Dieses Argument richtet sich nicht nur gegen die fatalistische Vorstellung eines universalen Zwangs- oder Kausalmechanismus, sondern auch gegen ihre indeterministische Bestreitung. Dadurch wird in drei Schritten aufgezeigt, wie durch die Differenzierung zwischen vorausgehender Notwendigkeit (necessitas praecedens) – das heißt einer absoluten, kausalen Notwendigkeit, die Zwang impliziert – und nachfolgender Notwendigkeit (necessitas sequens) – das heißt einer relativen, hypothetischen Notwendigkeit, die keinen Zwang, sondern die Bestimmtheit und Faktizität von etwas beinhaltet – alternativ ein theologischer Determinismus denkbar ist, der mit menschlicher Freiheit vereinbar ist.87

83 

DC I,1–3 (SII), 246,25–252,5; vgl. DC II,3 (SII), 261,22–262,4. DC I,1 (SII), 246,25–247,4. 85  DC I,1 (SII), 246,25–247,4. 86  DC I,2–3 (SII), 247,6–252,5. 87  Siehe hierzu auch: Hopkins, Anselm on Freedom and the Will, 477–480, der diesen Determinismusbegriff richtig erfasst. Anders hingegen die nicht sehr überzeugende Kritik von Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 107–111, der einfach den von van Inwagen geprägten Begriff eines harten Determinismus überträgt. Siehe hierzu auch: Henry, The Logic of Anselm 177–179; Knuutila, Anselm on Modalities, 111–131 und Holopainen, Future Contingents in the Eleventh Century, 103–120. 84 

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

233

Als Erstes wird semantisch der Sinn des Modalbegriffs der Notwendigkeit in der Aussage geklärt, dass das von Gott Vorausgewusste notwendig zukünftig sein wird.88 Sie schließt damit an Augustins Kritik des in der Stoa vertretenen Verständnisses von Notwendigkeit an als „das, was nicht in unserer Macht steht“, sondern durch vorausgehende Ursachen erzwungen oder verhindert wird.89 Demgegenüber argumentiert auch Anselm, dass man sowohl theologisch als auch anthropologisch von vielem sage, es sei notwendig, auch wenn es durch keine Gewalt erzwungen sei und etwas sei notwendig nicht, auch wenn es durch keine Gewalt verhindert werde.90 In Anlehnung an eine bereits bei Aristoteles, Boethius und Augustin formulierte und von ihm selbst in Cur Deus homo II,5 und 17 verwendete Unterscheidung von zwei Arten von Notwendigkeit präzisiert Anselm, dass „notwendig zukünftig“ gleichbedeutend sei mit „wirklich zukünftig geschehend“ und „nicht zukünftig nicht geschehend“, nicht aber mit „aus Zwang zukünftig wirklich geschehend“.91 Die Notwendigkeit, mit der alles, was geschieht, geschieht, wird dementsprechend als eine „nachfolgende Notwendigkeit“ (neces­ sitas sequens) bezeichnet. Sie gilt als eine Notwendigkeit, die mit dem Dasein von etwas mitgegeben ist und ihm nachfolgt. Sie übt aber keinen Zwang aus. Sie drückt nur nur die Bestimmtheit und Faktizität des „so-und-nicht-andersSeins“ aus.92 Unterschieden wird sie von einer „vorausgehenden Notwendigkeit“ (necessitas praecedens), die dem Dasein von etwas vorausgeht, es kausal bewirkt und Zwang ausübt.93 88 

DC I,2 (SII), 247,6–250,11. vgl. Augustin, De civitate Dei V,10 (CChr.SL 47), 140,1–141,64; Ders., De libero arbitrio III,1,1–3,8 (CChr.SL 29), 274,1–280,118; vgl. Bobzien, Freedom and Determinism, 97–143; insbes., 136–143, wobei sie betont, dass in der Stoa bereits bei Chrysippus und Cicero zwischen Notwendigkeit und dem, was notwendig ist, unterschieden wird, 90  DC I,2 (SII), 247,6–248,4. 91  Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 18a-19b; Dort heißt es, dass es nicht dasselbe ist, dass alles Seiende notwendig ist, wenn es ist, und dass es schlechthin notwendig ist.; vgl. Boethius, Philosophiae Consolatio V,4,4–23 (CChr.SL 94), 95,11–96,63; Augustin, De libero arbitrio, III,1,1–4,11 (CChr.SL 29), 274,1–281,46; Augustin, De civitate Dei V,10 (CChr. SL 47), 140,1–141,64; Siehe hierzu auch insbesondere auch: Knuutila, Anselm on Modalities, 111–131; Holopainen, Future Contigents in the Eleventh Century, 103–120; Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 212; Siehe auch: CDH II,5 (SII), 99,15–100,27; CDH II,17 (SII), 122,25–126,19 [insbes. 125,20–22]. 92  DC I,2–8 (SII), 248,5–251,19. Siehe hierzu auch: Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 211–214, der die nachfolgende Notwendigkeit als faktische Notwendigkeit deutet, als „logische Konsequenz der totalen Quantität der Wahrheiten des Faktischen“ definiert, und die Ähnlichkeit zu Leibniz Unterscheidung von absoluter und hypothetischer Notwendigkeit hervorhebt. 93  Ebd; Vgl. Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 96–100., Craig deutet Anselms Begriff der vorausgehenden Notwendigkeit als eine unbedingte, kausale Notwendigkeit und seinen Begriff der nachfolgenden Notwendigkeit als eine bedingte, logische Notwendigkeit; vgl. Streveler, Anselm on Future Contingencies, 165–173. Streveler formuliert eine sehr scharfsinnige Kritik an Anselms Unterscheidung von vorausgehender und nachfol89  Ebd;

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Als Zweites wird die Modalität von Ereignissen in der Zeit untersucht und aufgezeigt, dass alle Ereignisse, die von Gott vorausgewusst werden und somit notwendig zukünftig sind, als Zukünftige auch möglich sein können.94 So heißt es in De concordia I,3: Es ist gleichermaßen wahr, dass etwas nicht aus Notwendigkeit heraus war, ist oder sein wird (quia fuit et est et erit aliquid non ex necessitate), und dass notwendig ist, dass alles was war, war und alles was ist, ist und alles was sein wird, sein wird (quia necesse est fuisse omne quod fuit, et esse quod est, et futurum esse quod erit).95

Begründet wird dies damit, dass die konkreten, bedingt wahren Aussagen, dass etwas vergangen ist, dass etwas gegenwärtig ist oder dass etwas zukünftig sein wird jeweils nicht identisch sind mit den allgemeinen, immer wahren Aussagen, dass etwas Vergangenes vergangen ist und etwas Gegenwärtiges gegenwärtig ist und etwas Zukünftiges zukünftig sein wird.96 Das heißt aber auch, dass zwei Hinsichten unterschieden werden können. Es kann zugleich wahr sein, dass allgemein alles Zukünftige mit Notwendigkeit zukünftig sein wird und dass konkret etwas nicht aus Notwendigkeit heraus zukünftig sein wird. Demnach wird etwas, das kontingent zukünftig sein wird, zugleich – als solches an sich – notwendig zukünftig sein und kann zugleich – in seiner zeitlichen Verwirklichung – möglich sein. Das heißt, bevor es in der Gegenwart mit Notwendigkeit als etwas Gegenwärtiges wirklich gegenwärtig ist und in der Vergangenheit mit Notwendigkeit als etwas Vergangenes notwendig vergangen ist, kann es auch nicht notwendig sein. Denn bevor es geworden ist, hätte es auch nicht werden können. Somit geht Anselm davon aus, dass alles von Gott vorausgewusste, wirklich Geschehende immer entsprechend der Zeitrela­ tionen des früher, zugleich und danach geordnet ist und quasi wie in einer zeitlosen Zeit beziehungsweise in allen Zeitmodi in gleicher Weise nachfolgend notwendig ist.97 Zugleich nimmt Anselm aber auch an, dass es in der Zeit eine modale Asymmetrie gibt zwischen notwendiger Vergangenheit, wirklicher Gegenwart und

gender Notwendigkeit. Dabei geht er jedoch davon aus, die vorausgehende Notwendigkeit sei eine hypothetische, logische Möglichkeit, die sich auf Aussagen beziehe, die nachfolgende Notwendigkeit beziehe sich hingegen auf verursachte Ereignisse. Diese Unterscheidung von Aussage und Ereignis lässt sich meiner Ansicht nach nicht am Text belegen, sodass die Kritik auf einer falschen Rekonstruktion beruht. Siehe hierzu auch: Knuutila, Anselm on Modalities, 111–131 und Holopainen, Future Contigents in the Eleventh Century, 103–120. 94  DC I,3 (SII), 250,13–251,2. 95  DC I,3 (SII), 249,10–12. 96  DC I,3 (SII), 249,12–29; vgl. Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 19a. 97  DC I,3 (SII), 249,12–29; vgl. ML 20–24 (SI), 35,6–42,7; PL 19–21 (SI), 115,6–116,12. Siehe hierzu insbesondere: Rogers, Anselm on Freedom, 169–180; Dies., The Necessity of the Present, 25–47; Dies., Anselm and his Islamic, 378–380; und Conn, Anselmian Space­ time, 260–270.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

235

möglicher Zukunft.98 Das heißt, dass alles von Gott vorausgewusste, wirklich Geschehende in den verschiedenen Zeitmodi, quasi wie in einer gezeitigten Zeit, als Zukünftiges möglich nachfolgend notwendig ist, als Gegenwärtiges wirklich nachfolgend notwendig ist und als Vergangenes notwendig nachfolgend notwendig ist. Somit findet sich in Anselms Konzeption sowohl die Annahme, dass das mit nachfolgender Notwendigkeit wirklich Geschehende in Bezug auf die Zeitrelationen in allen Zeitmodi in gleicher Weise mit nachfolgende Notwendigkeit geschieht. In der analytischen Diskussion findet sich diese Auffassung in eternalistischen Theorien einer zeitlosen Zeit wieder.99 Gleichfalls ist bei ihm aber auch die Annahme erkennbar, dass sich etwas in den verschiedenen Zeitmodi und die Zeitmodi selbst jeweils durch eine besondere modale und auch ontologische Struktur auszeichnen. In der aktuellen Diskussion wird dies in präsentistischen Theorien einer gezeitigten Zeit betont.100 Beide Annahmen sind in Anselms Argument gleichermaßen notwendig.101 Dabei betont er jedoch nicht so sehr den Primat des Zeitmodus der Gegenwart, als vielmehr die Besonderheit der Vergangenheit im Vergleich zur Gegenwart und Zukunft.102 Es wird hervorgehoben, einzig bei Vergangenem sei es unmöglich, dass etwas Vergangenes etwas nicht Vergangenes werde.103 Beim zeitlich Gegenwärtigen sei es hingegen möglich, dass etwas Gegenwärtiges etwas nicht Gegenwärtiges werde, etwa wenn es vergehe. Und beim Zukünftigen sei es möglich, dass etwas Zukünftiges etwas nicht Zukünftiges werde, wenn es gegenwärtig werde.104 In diesem Sinne gilt nur alles vergangene Geschehene als hartes Faktum, das nicht mehr wandelbar ist und das aus diesem Grund der unwandelbaren Ewigkeit besonders ähnlich ist.105 98 

DC I,3 (SII), 249,12–29; vgl. ML 20–24 (SI), 35,6–42,7; PL 19–21 (SI), 115,6–116,12. Siehe hierzu insbesondere auch: Leftow, Time and Eternity, 191–216; Ders., Anselmian Presentism, 297–319 und Zagzebski, Omniscience and the Arrow of Time, in: Faith and Philosophy 19 (2002), 503–519. 99  Siehe hierzu: Rogers, Anselm on Freedom, 169–180; Conn, Anselmian Spacetime, 260–270, die beide die Position vertreten, bei Anselm finde sich eine eternalistische Theorie zeitloser Raumzeit. 100  Leftow, Anselmian Presentism, 297–319, der für die These argumentiert, dass sich bei Anselm eine präsentistische Theorie gezeitigter Zeit findet. 101  So auch: Craig, Anselm on Freedom, 101–103, der betont, dass Anselm sowohl von einem „Fluss der Zeit ausgehe“, als auch von einem „Blockuniversum“, in dem die Raumzeit als Ganze in sich selbst zeitlos subsistiere. 102  DC I,3 (SII), 249,29–250,11. 103  Ebd., anders jedoch Rogers, The Necessity of the Present, 33–36, die meint Gegenwart und Vergangenheit hätten nach Anselm die gleiche „Fixiertheit“. 104  Vgl. jedoch Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 100, der Anselm an dieser Stelle so interpretiert, dass etwas, das mit Notwendigkeit (durch freien Willen) zukünftig ist, deswegen auch nicht zukünftig sein könne, weil es auch nicht eintreten könne, und nicht weil es auch gegenwärtig werden kann. 105 Ebd., vgl. Petrus Damiani, De divina omnipotentia 602D-608A. 612A-B (SC 191), 387–489. Siehe zu diesem Textverweis auch: Holopainen, Necessity in Early Medieval Thought, 221–234.

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Diese Annahme der modale Asymmetrie der Zeitmodi ist nach Anselm ausreichend, um aufzuzeigen, dass das mit Notwendigkeit zukünftig Seiende – anders als das mit Notwendigkeit Vergangene – auch möglich und wandelbar ist, bevor es geschehen ist. Somit schließt sie nicht aus, dass es zeitlich durch den freien Willen des Menschen bewirkt wird.106 Damit lässt sich nämlich begründet annehmen, dass es zum faktisch sein werdenden Zukünftigen zuvor noch alternative Möglichkeiten gibt, anders als zum faktisch gewordenen Vergangenen.107 Als Drittes werden schließlich in De concordia III,3–4 drei verschiedene Ursachen beziehungsweise Ursachengefüge aufgezeigt, durch die bestimmte vorausgewusste Ereignisse jeweils auf andere Weise notwendig wirklich werden können. Dabei wird unterschieden, dass personale Ereignisse, die durch den freien Willen des Menschen notwendig zukünftig sein werden anders notwendig wirklich werden als a-personale Ereignisse, die durch natürliche Ursachen notwendig wirklich werden und anders als alles durch Gottes Willen direkt bewirkte.108 Es wird zum einen am Beispiel eines Sonnenaufgangs erläutert, dass vorausgewusste a-personale Ereignisse, die durch natürliche Ursachen bewirkt werden, sowohl im Sinne vorausgehender Notwendigkeit als auch im Sinne nachfolgender Notwendigkeit als notwendig zukünftig seiend gelten können.109 Dass sie als sowohl vorausgehend als auch nachfolgend notwendig (cum necessitas praecedens et sequens) betrachtet werden können, wird damit begründet, dass sie auch bevor sie eintreten nicht nicht eintreten können und dann, wenn sie eingetreten sind notwendig so sind, wie sie sind.110 Das heißt, sie sind immer notwendige Prozesse. Davon unterschieden wird am Beispiel einer Revolution sowie am Beispiel eines individuellen Sündenakts der spezifische Sinn, in dem von vorausgewuss106 

DC I,3 (SII), 250, 7–11. Siehe hierzu auch: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 98–99, der bei Anselm die Differenz zwischen der bedingten Notwendigkeit des Vergangenen und des Zukünftigen betont; und Rogers, The Necessity of the Present, 25–47, die unterscheidet, zwischen Anselms Verständnis nachfolgender Notwendigkeit, die mit einer Theorie zeitloser Zeit einhergehe und Ockhams Verständnis akzidenteller Notwendigkeit, die mit einer Theorie gezeitigter Zeit einhergehe betont. Vgl. hierzu jedoch die genauere Analyse bei Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 217. Allerdings lässt sich festhalten, dass für Anselms Lösungsvorschlag, anders als für den so genannten Ockhamistischen Weg die Annahme grundlegend ist, dass alles Vergangene harte, unwandelbare Fakten sind. Siehe hierzu auch: Alvin Plantinga, Ockhams Way out, in: God, Foreknowledge and Freedom, hg. v. John M. Fischer, Stanford 1989, 178–215. 108  Zur Unterscheidung von natürlichen, willentlichen und zufälligen Ursachen und der göttlichen Erstursache in der jüdischen Philosophie des Frühmittelalters siehe: Halewi, Der Kusari V,20 (Cassel), 468–491. Siehe zu hierzu auch: Heinrich und Marie Simon, Geschichte der jüdischen Philosophie, Leipzig 1999, 59–160. 109  DC I,3, (SII), 250,16–251,2. 110  DC I,3, (SII), 250,21–24. 107 

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

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ten, willentlich bewirkten personalen Ereignissen gesagt werden kann, dass sie notwendig zukünftig sein werden.111 Sie sind Anselm zufolge deswegen nicht vorausgehend notwendig, weil sie, bevor sie verwirklicht werden, auch nicht verwirklicht werden könnten. Sie sind prinzipiell vermeidbar und stellen bedingt notwendige, zukünftig kontingente Ereignisse dar. Als solche gelten sie als freiwillig und als in zwei Hinsichten nachfolgend notwendig (voluntarium sive spontaneum [...] et bifariam est necessarium). Als freiwillig gelten sie, weil sie bevor sie wirklich gewollt werden, auch nicht gewollt, das heißt vermieden werden können.112 Als nachfolgend notwendig gelten sie zum einen, insofern sie durch den freien Willen mit bewirkt werden. Zum anderen gelten sie als nachfolgend notwendig, da sie, wenn sie gewollt werden, notwendig so gewollt werden, wie sie gewollt werden und wenn sie geschehen, notwendig so geschehen, wie sie geschehen. Begründet wird diese Bestimmtheit zum einen damit, dass „unmöglich dasselbe zugleich gewollt und nicht gewollt werden kann“, und „was geschieht, nicht zugleich nicht geschehen kann“.113 Zudem wird sie damit begründet, Gott wolle, dass der menschliche Wille derart frei sei, dass er in dem ihm zugestandenen Raum ohne Zwang wirken könne, was er wolle. Schließlich wird betont, dass Gott alles in Wahrheit voraussehe, wie es aus Freiheit und Notwendigkeit sei, und es sich so ereigne, wie er es in Wahrheit vorauswisse.114 Schließlich betont Anselm auch in Bezug auf alles, was Gott in Ewigkeit und Zeit vermittels dieser natürlichen und personalen Ursachen indirekt oder allein aus seinem Willen heraus direkt bewirkt, dass er wisse, was er selbst in Ewigkeit wolle und wirke. Er wisse auch voraus, was er in der Zeit wollen und wirken werde.115 Die Annahme eines theologischen Fatalismus führt er ad absurdum, 111 

DC I,3 (SII), 250,13–27; 251,20–28. DC I,3 (SII), 251,23–28. 113  DC I,3 (SII), 251,27–28; vgl. Rogers, Anselm on Freedom, 172–173., die meint, diese Art von Notwendigkeit und Bestimmtheit des gegenwärtigen Wollens sei mit einem libertarischen Freiheitsbegriff vereinbar. Allerdings scheint hier in einem sehr weiten Sinn die Rede von einem Libertarismus zu sein, der verneint, dass man zugleich unter gleichen inneren und äußeren Bedingungen A und non A wählen kann, sondern davon ausgeht, dass man wenn man etwas will, notwendig will, was man will; vgl. hierzu auch: Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 210–212. 114  DC I,3 (SII), 251,7–19. 115  Dies übersieht Rogers, wenn sie meint, dass Anselms Lösung im Unterschied zu denen von Boethius und Thomas von Aquin nicht darauf basiere, dass Gott alle zukünftigen Ereignisse vorauswisse, weil oder indem er sein eigenes Wollen und Wirken wisse. Das Gegenteil ist meiner Ansicht der Fall. Durch die Argumentation in De concordia I,4 wird nämlich gerade die Inklusion menschlicher Freiheit in den Nexus mittlerer Ursachen durch die vollkommene Freiheit und nachfolgende Notwendigkeit des göttlichen Wollens begründet. Siehe Rogers, Anselm on Freedom, 175–183. Zur Kritik an Rogers Relativierung der vollkommenen personalen oder transpersonalen Freiheit Gottes siehe auch: Staley, God’s Personal Freedom, 9–16; Siehe hierzu insbesondere auch Baudry, La Préscience divine, 233. Er betont die Zentralität dieses Punktes indem er hervorhebt, dass durch den Verweis auf die 112 

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indem er argumentiert, dass dann, wenn Gottes Wissen und Vorauswissen allem, was er wisse und vorauswisse Notwendigkeit auferlegen würde (das heißt auch sich selbst), er selber weder in Ewigkeit noch in der Zeit etwas aus Freiheit tue, sondern alles aus Notwendigkeit.116 Dies sei jedoch selbstwidersprüchlich, da Gott als vollkommen frei gelte. Zudem hält er einem freiheitstheoretischen Indeterminismus entgegen, nichts könne verhindern, dass Gott unser Wollen und Tun voraussieht und es mit Notwendigkeit so zukünftig ist, wie er es vorausweiß.117 So legt Anselm mit diesem modaltheoretischen Argument in De concordia I,2–4 nah, dass Gottes Vorauswissen und menschliche Freiheit vereinbar sind. Die Notwendigkeit, mit der alles von Gott Vorausgewusste zukünftig sein wird, übt keinen Zwang aus. Sie stellt eine Notwendigkeit dar, die damit vereinbar ist, dass etwas durch den freien Willen des Menschen zukünftig bewirkt werden kann. 5.1.2.3. Die Simultaneität von ewiger Unwandelbarkeit und zeitlicher Wandelbarkeit In De concordia I,5 wird ein weiterer zeit- und ewigkeitstheoretischer Einwand gegen die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit erhoben und durch ein simultaneitätstheoretisches Argument entkräftet.118 Der Einwand besteht darin, dass die Annahme der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit trotz allem zu einem Widerspruch führt. Und zwar scheint es, dass entweder alles Zukünftige durch Gottes Vorauswissen von Ewigkeit her unwandelbar und nachfolgend notwendig und somit auch in seiner zeitlichen Wandelbarkeit von Ewigkeit her fixiert ist oder dass es durch den freien Willen des Menschen in der Zeit wandelbar und nicht von Ewigkeit her fixiert ist.119 Unmöglich ist etwas Zukünftiges von Ewigkeit her unwandelbar notwendig und in der Zeit wandelbar und frei, so der Einwand.120 Freiheit des göttlichen Handelns die gegenteilige These eines theologischen Inkompatibilismus, sei er fatalistischer oder indeterministischer Spielart widerlegt wird. 116  DC I,4 (SII), 252,7–22; insbes. 15–19; vgl. DCV 11 (SII), 153,14–154,11. 117  DC I,4 (SII), 252,19–22. So auch: Leftow, Anselm on the Necessity of the Incarna­ tion, 167–185; Staley, Divinity, Necessity and Freedom, 85–95. Anders hingegen: Rogers, Anselm and his Islamic Contemporaries, 373–393. Auch an diesem Punkt interpretiert Rogers Anselm anders, indem sie seinem Verständnis des göttlichen Handelns einen Nezessitarismus unterstellt, demzufolge Gott unvermeidbar (inevitable) die Welt schaffen musste. Die Kritik von Staley an Rogers Interpretation ist meiner Ansicht nach überzeugend. 118  DC I,5 (SII), 253,17–255,29. 119  DC I,5 (SII), 253,17–254,2. Zur Reformulierung dieses Einwandes gegenüber eternalistischen Lösungsansätzen in der analytischen Freiheitsdiskussion siehe: Zagzebski, Recent Work on Divine Foreknowledge and Free Will, 52ff; Dies., Eternity and Fatalism, 65–80; vgl. Hermanni, Gott, Freiheit und Determinismus, 16 ff.. Siehe hierzu auch: Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 41–43. Zu einem zeittheoretischen, libertarischen Antwortversuch siehe auch: Rogers, Anselm on Freedom, 171., vgl. Dies., The Necessity of the Present, 32–33. 120 Ebd.

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239

Das simultaneitätstheoretische Argument, mit dem Anselm diesen Einwand zu entkräften versucht, findet sich in ähnlicher Weise bereits in der von Boethius formulierten Lösung des Dilemmas in Philosophiae consolatio V.121 Allerdings weicht Anselms Lösung schon insofern von der des Boethius ab, als er ein stärker trinitarisches Verständnis von Ewigkeit und Zeitlichkeit und ihrem Verhältnis entwickelt. Ausgehend vom trinitarischen Gottesverständnis und dem Gedanken der Transzendenz und Allgegenwart des göttlichen Geistes in der Schöpfung betont Anselm, dass die Ewigkeit Gottes das von ihm geschaffene Zeitliche und zeitlos immerwährende Ewige als relational und qualitativ Verschiedenes umfasst, erfüllt und transzendiert.122 Zeitlich Wandelbares gilt nicht nur als zeitlich Gegenwärtiges zugleich auch als ewig gegenwärtig Auch in seiner Zeitlichkeit als Zukünftiges, Gegenwärtiges und Vergangenes, gilt es zugleich als in Ewigkeit unwandelbar gegenwärtig. In De concordia I,5 wird schließlich ein Argument dafür ausformuliert, dass etwas „zugleich“ (simul) in der ewigen Gegenwart unwandelbar sein kann und in der Zeit wandelbar – bevor es geschah. Dass etwas zugleich zu einer gewissen Zeit wandelbar und in der Ewigkeit unwandelbar sein kann, begründet Anselm theologisch damit, dass Gott in Ewigkeit unwandelbar beschlossen habe, was bei Menschen jeweils verändert werden könne, bevor es geschieht.123 Dies verdeutlicht Anselm dabei zum einen in Bezug auf den in Hiob 14,5 formulierten Gedanken, dass die Grenzen des natürlichen Lebens jedes Einzelnen von Gott ewig vorausgewusst und vorausbestimmt sind. Zum anderen er121 Siehe: Boethius, Philosophiae Consolatio V,6,1–36 (CChr.SL 94), 100,16–104,22. Hier findet auch seine bekannte Auffassung „Was nun die ganze Fülle des unumgrenzbaren Lebens zugleich erfasst und besitzt, dem weder irgendetwas vom Zukünftigen fehlt, noch vom Vergangenes verflossen ist, das notwendig ist und seiner selbst immer gegenwärtig bleiben kann und die Unendlichkeit der beweglichen Zeit bei sich gegenwärtig hat, das wird zurecht ewig seiend genannt.“ (Quod igitur interminabilis vitae plenitudinem totam pariter comprehendit ac possidet, cui neque futuri quicquam absit nec praeteriti fluxerit, id aeternum esse iure perhibetur, idque necesse est et sui compos praesens sibi semper assistere et infinitatem mobilis temporis habere praesentem); beziehungsweise des göttlich Ewigen im Unterschied zum geschöpflich Ewigen als „ein unbegrenzbares Leben zugleich ganz in der Gegenwart erfasst“ ([...] interminabilis vitae totam pariter complexum esse praesentiam [...]). Boethius, Philosophiae Consolatio V,6,8. 10 (CChr.SL 94), 101,22–27. 32–33. 122 ML 20–24 (SI), 35,6–42,7; PL 19–21 (SI), 115,6–116,12, vgl. Boethius, Quomodo Trinitas IV (PhB 397), 16,54–20,108, wo Boethius betont, dass in der immerwährenden ewigen Gegenwart (divinum vero nunc permanens) des dreieinigen Gottes immer die immervergehende zeitliche Gegenwart gegenwärtig ist. („nostrum nunc quasi currens tempus“). Sehr detailliert herausgearbeitet wird die Ewigkeitskonzeption von Boethius und die Differenz zu derjenigen von Anselm bei: Leftow, Time and Eternity, 112–266. insbes. 183–184; vgl. zu Boethius alternativ auch Eleonore Stump; Norman Kretzmann, Eternity, in: Journal of Philosophy 79 (1981), 429–458. Siehe hierzu auch: Markus Mühling, Ewigkeitsauffassungen. Die Aporien der exemplarischen Verhältnisbestimmungen von Zeit und Ewigkeit bei Augustin, Boethius und Swinburne und trinitarische Lösungswege, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 47 (2005), 154–172. 123  DC I,5 (SII), 253,17–24.

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

örtert er es am Beispiel des von Paulus in Röm 8,29–30 erwähnten ewigen Ratschlusses Gottes (propositum), nachdem Menschen zur Heiligkeit „vorauserkannt“ (praescivit), zur Gleichförmigkeit mit dem Bilde Christi „vorausbestimmt“ (praedestinavit), berufen (vocavit), „gerechtfertigt“ (iustificavit) und „verherrlicht“ (magnificavit) werden.124 Anselm deutet diesen für die paulinische Theologie zentralen Gedanken im Folgenden durch eine zeit- und ewigkeitstheoretische Differenzierung.125 Er hebt zum einen hervor, dass dieser göttliche Ratschluss, nach dem die Heiligen vorauserkannt sind, in der Ewigkeit unwandelbar ist. In diesem Sinne ist das von Gott ewig Vorausgewusste weder vergangen noch zukünftig, sondern unwandelbar, ewig gegenwärtig.126 Zum anderen betont Anselm aber auch, dass der ewige Ratschluss Gottes in der Zeit in den Menschen aufgrund der Zeitlichkeit ihrer selbst und ihres freien Willens- und Wahlvermögens wandelbar ist, bevor er ganz verwirklicht ist. Somit kann das von Gott in seinem ewigen Ratschluss Vorausgewusste zu einer bestimmten Zeit in den Menschen auch noch nicht sein, sondern erst zukünftig verwirklicht werden.127 Dass die Erwählung von Menschen zur Heiligkeit ohne Widerspruch zugleich in der ewigen Gegenwart Gottes unwandelbar und in der zeitlichen Verfasstheit des menschlichen Lebens wandelbar sein kann, begründet Anselm nicht nur durch die epistemische Unterscheidung einer eternalistischen und einer temporalistischen Perspektive. Er begründet dies auch durch eine ontologische Überlegung zum Wesen der Ewigkeit und Zeitlichkeit in ihrer Rela­t ion.128 In diesem Zusammenhang wird von Anselm herausgestellt, Ewigkeit und Zeitlichkeit seien nicht einfach einander ausschließende Gegensätze. Die Ewigkeit umfasse alles Zeitliche als solches im Modus des ewig Gegenwärtigen und alles Zeitliche sei in seinen Zeitrelationen unwandelbar im Ewigen ewig gegenwärtig.129 Dass Ewigkeit und Zeitlichkeit sich nicht ausschließen, sondern das Zeitliche und das Immerwährende im Ewigen im Modus ewiger und zeitlicher Simultaneität enthalten sind, hat seinen Grund nach Anselm darin, dass Ewigkeit weder nur durativ als unendlich dauernde Zeit noch rein negativ als bloße Zeitlosigkeit zu verstehen ist. Sie ist im Horizont des trinitarischen Gottesverständ124 

DC I,5 (SII), 253,24–29. Unterscheidung einer zweifachen Bedeutung (duplex significatio), das heißt einer zeitlichen und einer wesenhaften Bedeutung bei Boethius, Eriugena und in den Glossa Ordi­ naria aus dem 11.-12. Jahrhundert, siehe: Evans, The Language and Logic of the Bible: the Earlier Middle Ages, 45–46. 126  DC I,5 (SII), 253,29–254,1. 127  DC I,5, (SII), 254,1–5. 128  DC I,5 (SII), 254,6–255,29. So auch: Leftow, Anselmian Presentism, 297–319; anders hingegen: Rogers, The Necessity of the Present, 26. 129 DC I,5 (SII), 254,6–255,29; vgl. ML 18–29 (SI), 32,6–42,29; und PL 18–21 (SI), 113,17–116,12; Siehe hierzu auch: Leftow, Time and Eternity, 183–216; vgl. auch Rogers, Anselm on Freedom, 176–184. Und: Conn, Anselmian Spacetime, 268–270. 125  Zur

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nisses vor allem qualitativ als transzendente Vollkommenheit der Zeit zu verstehen.130 Der Modus, wie etwas in der Ewigkeit wahrhaft ist, zeichnet sich nach Anselm also dadurch aus, dass es ein ewiges, nicht nur ein zeitliches Gegenwärtig-Sein ist. So weiß Gott ewig alles in seiner zeitlichen Wandelbarkeit voraus.131 Die ewige Gegenwart umfasst alles, was dem Ort und der Zeit nach „verschieden“ (diversis) und was dem Ort und der Zeit nach „zugleich“ (simul) ist und ist ihm gegenwärtig.132 In diesem Sinne gleicht sie Anselm zufolge der zeitlichen Gegenwart, die alles, was an verschiedenen Orten zugleich ist, umfasst. Sie unterscheidet sie aber dadurch, dass sie zugleich das dem Ort und der Zeit nach zeitlich und ewig Simultane als auch das dem Ort und der Zeit nach Verschiedene sowie das ewig Währende umfasst.133 So betont Anselm, dass die ewige Gegenwart wegen ihrer Unwandelbarkeit, der Zeitform der Vergangenheit ähnlicher sei als der Zeitform der Gegenwart. Dies begründet er damit, dass das ewig Gegenwärtige unmöglich nicht gegenwärtig sein kann, so wie das zeitlich Vergangene unmöglich nicht vergangen sein kann. Beides ist also unwandelbar, während das zeitlich Gegenwärtige, das vergeht, auch nicht gegenwärtig sein kann und somit wandelbar ist, ähnlich wie das zeitlich Zukünftige.134 Dafür, dass etwas zugleich in der Zeit „wandelbar“ (mutabile) und in der Ewigkeit „unwandelbar“ (immutabile) sein kann, wird in De concordia I,5 schließlich folgende Begründung formuliert: Weil aber erkannt wird, dass Sachen so anders in der Zeit sind als in der Ewigkeit, dass zuweilen wahr ist, dass etwas nicht in der Zeit ist, was in der Ewigkeit ist, und dass in der Zeit etwas gewesen ist, das dort nicht gewesen ist und zukünftig sein wird, was dort nicht sein wird, so scheint aus keinem Grund bestreitbar, dass ähnlich etwas in der Zeit wandelbar (mutabile) sein kann, was dort unwandelbar (immutabile) ist.135

130 

DC I,5 (SII), 254,14–15. So nennt Anselm die göttliche Ewigkeit (aeternitas) auch die Ewigkeit der Ewigkeiten und unterscheidet sie begrifflich von der bloßen immerwährenden, die Zeitmodi zeitlos umfassende Ewigkeit (saeculum; saecula temporum). Siehe hierzu: PL 21 (SI), 116,5–12. 131 Vgl. Leftow, Time and Eternity, 183–191. 132  DC I,5 (SII), 254,13–14. 133  Zur Relation der ewigen und zeitlichen Simultaneität siehe auch: Leftow, Time and Eternity, 217–245. Vgl. Stump; Kretzmann, ‚Eternity‘, 429–458; Dabei kritisiert Leftow meiner Ansicht nach auch zurecht an Rogers Deutung, dass sie die Differenz und Beziehung zwischen ewiger und zeitlicher Gegenwart nicht ausreichend berücksichtigt, sondern in eins fallen lässt. Siehe hierzu: Leftow, Anselmian Presentism, 301–305; vgl. Rogers, Anselm on Freedom 180 ff. Zudem leuchtet ihr Einwand gegen ein präsentistischen Zeitverständnis, dass es dann kein unwandelbares Vorauswissen des wandelbaren „jetzt“ gebe nicht ein, da Anselm ja gerade zu begründen versucht, dass alles in seiner zeitlichen Wandelbarkeit (das heißt auch als Gegenwärtiges) in Ewigkeit unwandelbar vorausgewusst werden kann. 134  DC I,5 (SII), 254,16–25. 135  DC I,5 (SII), 255,7–11.

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In diesem Argument geht Anselm davon aus, dass in Ewigkeit unwandelbar festgesetzt ist, was jeweils bei nachfolgend notwendigen Ereignissen in der Zeit wandelbar ist, bevor es geschieht.136 Entscheidend ist dabei: es wird gezeigt, dass der ewige Ratschluss der göttlichen Erwählung sowohl in der Ewigkeit unwandelbar sein kann als auch in der Zeit in den Menschen wandelbar. Dies begründet er mit dem Verweis auf die Unwandelbarkeit der ewigen Gegenwart, die alles Zeitliche in seiner Zeitlichkeit zeitlos simultan umfasst, erfüllt und transzendiert. Dass etwas ohne Widerspruch sowohl in der Zeit sukzessive und wandelbar realisiert werden und beispielsweise noch zukünftig kontingent sein kann als auch zugleich in der Ewigkeit unwandelbar ewig gegenwärtig, wird also durch die Relation von ewiger Gegenwart und zeitlicher Wandelbarkeit, Immanenz und Tranzendenz begründet. Dabei wird nicht nur betont, dass die Zeit und alles in der Zeit zugleich als solches gemäß den Zeitrelationen des früher, zugleich und später, aber ohne Wandel der Zeitmodi in Gottes Ewigkeit ewig gegenwärtig ist und in sich selbst zeitlich wandelbar sein wird, ist und geworden ist. Es wird auch betont, dass die ewige Gegenwart Gottes mit der Zeit und allem in der Zeit kopräsent ist. Sie ist im Ganzen der Zeit und in jedem indi­ viduellen Raum- und Zeitpunkt ganz gegenwärtig. Zugleich bleibt sie vollkommen transzendent entzogen, weil sie nicht von Raum und Zeit umgrenzt werden kann, sondern unendlich ist. Die ewige Kopräsenz des göttlichen Vorauswissens hebt demnach die zeitliche Wandelbarkeit nicht auf. Sie ist mit menschlicher Freiheit vereinbar.

136  Dies spricht noch einmal dafür, dass Anselm weder nur eine präsentistische Theorie der gezeitigter Zeit vertritt, noch nur eine eternalistische Theorie zeitloser Zeit, sondern dass er sowohl davon ausgeht, dass jeder Zeitmodus eine eigene Charakteristik hat und sich etwas durch die Zeitmodi hindurch verändert sowie die Zeitmodi an sich selbst endlich sind, als auch, dass die Zeiten durch die Ewigkeit so umfasst und aufgehoben sind, dass alles zeitlos gegenwärtig sein kann, das heißt ohne mehr zu vergehen, aber in der Ordnung von früher – später. Insofern ist Craig in gewisser Weise zuzustimmen, wenn er argumentiert, dass Anselm sowohl vom „Fluss der Zeit“ ausgehe als auch von einem Blockuniversum, in dem die Raumzeit als Ganze in sich selbst zeitlos subsistiere. Siehe: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 101–103; Allerdings scheint mit eine grundlegende Differenz von Anselms Auffassung der zeitlosen Simultaneität des zeitlich Verschiedenen und eternalistischen Zeittheorien in der analytischen Diskussion darin zu bestehen, dass er nicht annimmt, dass die Raumzeit als Ganze „in sich selbst“ wesenhaft zeitlos subsistiert, sondern „aufgrund ihrer Relation zur Ewigkeit“ auch zeitlos zugleich ist, in sich selbst aber wesenhaft zeitlich und endlich. Siehe hierzu auch: Conn, Anselmian Spacetime, 261. Für die These, dass das Zeitliche nur aufgrund von ihrem Ewigkeitsbezug zeitlos zugleich ist, spricht meiner Ansicht nach auch, dass Anselm von einer qualitativen, relationalen Differenz zwischen göttlicher Ewigkeit und geschaffener Zeit und Dauer ausgeht und dass er das Argument mit der Bemerkung schließt, dass die zeitliche Wandelbarkeit und die ewig gegenwärtige Unwandelbarkeit „Kraft der Ewigkeit“ vereinbar sind (Quod facit vis aeternitatis, quae claudit omne tempus et quae sunt in quolibet tempore). Siehe: DC I,5 (SII), 255,29.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

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5.1.2.4. Die Bestimmtheit und Bedingtheit der Freiheit und der freien Wahl In De concordia I,6 wendet sich Anselm schließlich gegen den freiheitstheoretischen Einwand, die Freiheit des Menschen sei mit dieser nachfolgenden, ewig unwandelbaren Notwendigkeit unvereinbar.137 Damit richtet er sich gegen ein unbestimmtes Verständnis menschlicher Freiheit, das einen absoluten Indeterminismus voraussetzt, indem es annimmt, dass es zur Freiheit des Menschen gehören muss, anders wollen zu können als von Gott vorausgewusst. Zur Widerlegung formuliert Anselm ein freiheitsbegriffliches Argument. Durch dieses wird aufgezeigt, dass die Freiheit des Menschen eine bestimmte, bedingte Freiheit ist. Diese ist per definitionem mit der nachfolgenden, ewig unwandelbaren Notwendigkeit des göttlichen Vorauswissens vereinbar. Es gehört nicht zum Begriff der Freiheit, auch anders wollen zu können oder gar zu müssen als von Gott vorausgewusst. Freiheit besteht gerade darin, die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes um seiner selbst willen bewahren zu können.138 Damit wiederholt Anselm in gewisser Weise seine in De libertate arbitrii formulierte Kritik am überlieferten Verständnis von Freiheit als „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“, das sein Schüler Anselm von Laon unter Berufung auf Augustin und mit expliziter Kritik an Anselm zu rehabilitieren versucht.139 Er greift zugleich Augustins eigene späte Kritik an einem indeterministischen Freiheitsverständnis auf, wie sie sich etwa im Enchiridion und in De correptione et gratia findet. Dort heißt es, dass die Umwendung einer Person von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit nicht zu dem gehört, „was aus freier Wahl“ des Menschen geschieht.140 So entfaltet Anselm in De concordia I,6 ein freiheitsbegriffliches Argument, mit dem er entgegen einem indeterministischen Freiheitsverständnis aufzeigt, dass die Begriffe der Gerechtigkeit und Freiheit und das Phänomen der freien Wahl mit der nachfolgenden, ewig unwandelbaren Notwendigkeit des göttlichen Vorauswissens aller Wahrheit vereinbar ist.141 137 

DC I,6 (SII), 255,31. DC I,6 (SII), 255,31–257,27; vgl. Rogers, Anselm on Freedom, 170–173; Dies., The Necessity of the Present, 25–28. Sie vertritt zum einen die Deutung, dass Anselm Gottes Vorauswissen mit libertarisch verfasster Freiheit des Menschen zu vereinen suche, die das Prinzip alternativer Wahlmöglichkeiten, Aseität und Akteurskausalität enthalte. Zum anderen meint sie, dass dies damit vereinbar sei, dass alles was geschieht, mit Notwendigkeit geschieht. Dies erscheint meiner Ansicht nach jedoch nur schwer vereinbar und angesichts des freiheitsbegrifflichen Arguments in DC I,6 fraglich; vgl. demgegenüber Baudry, La Pré­ science divine, 229–232., der das freiheitsbegriffliche Argument in DC I,6 ernst nimmt und die Bestimmtheit und Bedingtheit des Freiheitsbegriffs betont. 139 Siehe: Anselm von Laon, Sententie divine pagine (BGPhMA 18), 27–28. 140  Augustin, Enchiridion XXVI104 (CChr.SL 46), 106,1–12; Ders., De correptione et gra­ tia, XII,33–34 (CSEL 92), 259,1–261,32; vgl. hier auch Augustins eigene Deutung seiner Entwicklungsgeschichte in: Ders., De dono perseverantiae XX,52-XXI,55 (PL 45), 1025– 1028. 141  An dieser Stelle zeigt sich auch die Wichtigkeit der in De veritate und De libertate arbitrii 138 

244

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

Gleich zu Beginn wird präzisiert, dass es nicht um jedwede Freiheit gehe. Es gehe nur um die Freiheit, „ohne die der Mensch, nachdem er sie gebrauchen kann, nicht heil werden kann.“142 Die alltägliche Freiheit dieses oder jenes zu tun oder zu lassen, wird aus der Untersuchung ausgeklammert, weil sie nicht in Zweifel steht. Die Untersuchung wird dadurch auf die geistliche Freiheit zugespitzt, mit welcher der Mensch Anselm zufolge von Gott geschaffen ist, die er wegen der Knechtschaft unter die Sünde unmöglich von sich aus gebrauchen kann, zu der er aber durch Christus befreit wird, sodass er sie aus Gnade im Glauben auf unverlierbare Weise gebrauchen kann. Unter explizitem Bezug auf die in De veritate und De libertate arbitrii entwickelten Begriffsanalysen wiederholt Anselm, dass Gerechtigkeit „das um seiner selbst willen bewahrte Rechtsein des Willens“ ist und Freiheit „das Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren“.143 Zudem hebt er in diesem Zusammenhang erneut hervor, dass diese Gerechtigkeit und Freiheit im Willen des Menschen verortet sind. Sie seien nur dann wirklich in jemandem, „wenn jemand selbst will, was Gott ihn wollen will“ (cum ipse vult quod Deus vult eum velle).144 Aus dieser relationalen Deutung des Sinns von Gerechtigkeit und Freiheit ergibt sich nach Anselm indirekt ein weiteres, freiheitsbegriffliches Argument für die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Willensfreiheit. Das Wesen der Freiheit ist identisch mit dem Vermögen, die innere Übereinstimmung mit dem Willen Gottes um seiner selbst willen bewahren zu können. Es gehört nicht zum Begriff der Freiheit auch anders wollen zu können oder gar zu müssen, als in Übereinstimmung mit Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln. Ausgehend von diesem Begriff der Freiheit zur Gerechtigkeit in Relation zu Gott würde es auch gar keinen Freiheitsgewinn darstellen, wenn jemand anders wollen und wählen könnte als von Gott vorausgewusst. Zudem weist Anselm in Anlehnung an die Argumentation aus De libertate arbitrii 8 die Annahme zurück, dass Gott auch wollen und bewirken könne, dass entwickelten Analyse der Begriffe der Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit, in ihren Beziehungen und ihrer Bezogenheit auf das grundlegende Prinzip des Rechtseins, sowie des Aufweises der Vereinbarkeit der irreduziblen Vielfalt des Wahren und der Einheit der höchsten Wahrheit, Gottes, durch die alles Wahre wahr ist. Auch wenn Anselm an dieser Stelle nicht erneut explizit auf den Wahrheitsbegriff eingeht, scheint seine These der Vereinbarkeit von Wahrheit und Notwendigkeit sowie des Wahrheitsbezugs von Gerechtigkeit und Freiheit für den Aufweis der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit grundlegend zu sein. So auch auch: Baudry, La Préscience divine, 233–237; vgl. hierzu: Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 557–561. 142  DC I,6 (SII), 256,1–4; vgl. DLA 3 (SI), 212,13–23. 143  DC I,6 (SII), 256,14–257,4; vgl. DV 12 (SI), 191,27–196,25; DLA 13 (SI), 225,2–32; Siehe hierzu auch die frühe Rezeption von Anselms Definition des Freiheitsbegriffs bei Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1200A-D. 144  DC I,6 (SII), 256,24–28. Siehe hierzu insbesondere auch: von Balthasar, La concor­ dantia libertatis, 34–36; der den Bezug zum Liebesbegriff betont.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

245

einem Menschen die ihm gegebene Freiheit der Gottesliebe aufgrund einer Notwendigkeit wieder genommen wird.145 Anselm deutet darauf hin, dass damit ein Selbstwiderspruch im Willen Gottes postuliert und die vollkommene Freiheit und Macht Gottes in Frage gestellt werden würde, was jedoch unmöglich sei.146 Deswegen sei vielmehr davon auszugehen, dass Gott will, dass der rechte Wille derart „frei ist, zum rechten Wollen und zum Bewahren des Rechtseins, dass er, wenn er kann, was er will, frei wirkt, was er wirkt“.147 Aus dieser theologischen Begründung der externen Unüberwindbarkeit des aktualen Freiheitsgebrauchs ergibt sich, das nichts, was von Gott in Ewigkeit unwandelbar vorausgewusst und nachfolgend notwendig ist, den aktualen Freiheitsgebrauch auf heben kann. Da die Annahme einer in Ewigkeit unwandelbaren Notwendigkeit, aufgrund der Menschen ihre Freiheit und Gerechtigkeit entgegen ihrem Willen aufgeben müssten, nicht zum Begriff des vollkommenen, göttlichen Vorauswissens gehört, steht dieses der Freiheit des Menschen in keiner Weise entgegen.148 Worin eine freie Wahl besteht, wird von Anselm in De concordia I,6 zudem durch ein Beispiel veranschaulicht, das bereits in De libertate arbitrii 5 thematisiert worden ist und das stark an christologische Überlegungen in Cur Deus homo II,10–11 erinnert149. So heißt es in De concordia I,6: Jemand hat in seinem Herzen die Absicht, die Wahrheit festzuhalten, weil er es als recht erkennt, die Wahrheit zu lieben. Dieser besitzt jetzt den rechten Willen und das Rechtsein des Willens. [...] Es kommt nun einer und bedroht ihn mit dem Tode, wenn er nicht lüge. Wir sehen nun, dass es in seinem Willen ist, ob er das Leben aufgibt für das Rechtsein des Willens oder das Rechtsein für das Leben. Diese Wahl, die man auch Urteil nennen kann, ist frei. Denn die Vernunft, mittels derer das Rechtsein erkannt wird, lehrt, dass jenes Rechtsein immer zu bewahren und alles, was man vorbringt, damit sie verlassen werde, zu verachten sei. Es liegt nun am Willen, dass er nun auch verwirft und erwählt, wie die Einsicht der Vernunft darlegt.150

Durch dieses an der Freiheit Christi orientierte Beispiel der extremsten Versuchungs- und Anfechtungssituation wird verdeutlicht, dass einem Menschen zwar nahezu alles, sogar sein irdisches Leben, gegen seinen Willen von einem anderen gewaltsam genommen werden kann. Die freie Wahl, seinem eigenen Gewissen gemäß das als wahr erkannte Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren, könne ihm aber nicht genommen werden.151 Es veran145 

DC I,6 (SII), 256,27–258,4; vgl. DLA 8; SI,220,11–221,15.

146 Ebd. 147 

DC I,6 (SII), 256,30–257,2. DC I,6 (SII), 257,3–4. 149  DLA 5 (SI), 214,15–215,20; CDH II,10–11; SII; 106,10–112,4. 150  DC I,6 (SII), 257,7–27. Siehe hierzu auch: Øhrstrøm, Anselm, Ockham and Leibniz, 213–214. 151  So auch: von Balthasar, La Concordantia libertatis, 36–45; Briancesco, Le Dernier Anselme, 580ff; und Baudry, La Préscience divine, 232. 148 

246

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

schaulicht damit in bemerkenswerter Weise die Größe der Gewissensfreiheit, gegen die keine noch so brutale Gewalt die Macht hat, sie zu nehmen. Markant ist zum einen, dass die freie Wahl in diesem Beispiel nicht indeterministisch als eine indifferente Wahl beschrieben wird.152 Sie wird als eine bestimmte Wahl charakterisiert. Sie ist durch die vorausgehende Erkenntnis von Wahrheit, die innere Überzeugung, dass es richtig ist, die Wahrheit zu lieben und den Willen zum Bewahren dieses Rechtseins bedingt.153 Ohne die vorangehende vernünftige Einsicht, innere Überzeugung und rechte Willensneigung, gäbe es gar keine derart freie Wahl des Gewissens. Die freie Wahl hat also die Struktur, dass eine Person P in einer Situation S zum Zeitpunkt t aufgrund ihrer Einsichten, Überzeugungen und affektiven Willensausrichtung X wählt, entweder A um seiner selbst willen zu bewahren, oder A um B willen aufzugeben. Zum anderen ist zentral, dass dieses Beispiel von Anselm auch nicht fatalistisch als eine Wahl mit vorausgehend notwendigem Ergebnis gedeutet wird.154 Die Person wird zwar durch die Drohung der anderen Person dazu gezwungen, dass sie wählt, nicht aber dazu, was sie wählt, auch nicht durch das göttliche Vorauswissen. Was sie wählt, hängt Anselm zufolge von ihrer individuellen freien Wahl ab, die aber durch ihr Gewissen bedingt ist. Sie ist also durch ihre Einsicht, Überzeugung und affektiven Willensausrichtung und nicht zuletzt von der gnadenvollen Gabe des Rechtseins bedingt. Die freie Wahl der Person unterliegt Anselm zufolge auch in der Situation extremster Anfechtung nicht dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit. Es ist zum Zeitpunkt t1 vor dem Wahlakt zum Zeitpunkt t2 nicht bereits vorausgehend notwendig, was gewählt werden wird. Beides ist noch als Zukünftiges möglich. Erst wenn im Moment der Wahl entweder nur A oder nur B wirklich wird und nach der Wahl notwendig und unwandelbar entweder nur A oder nur B durch die freie Wahl wirklich geworden ist, ist es notwendig. Auch wenn in Gottes Vorauswissen ewig gegenwärtig feststeht, was wirklich gewählt werden wird, ist darin enthalten, dass, was auch immer gewählt wird, durch den freien Willen verwirklicht wird und nicht aus dem Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit. So arbeitet Anselm mit diesem freiheitsbegriffli152  Anders hingegen Rogers, Anselm on Freedom, 151.171–173; Allerdings ist nicht ganz klar, wie indeterministisch Rogers Anselm wirklich auffasst, da sie zum einen analytisch vehement die These vertritt, Anselm sei ein Libertarier, der das Prinzip alternativer Handlungsmöglichkeiten, Aseität und Akteurskausalität annehme, zum anderen aber historisch verneint, dass Anselm eine pelagianische oder semipelagianische Konzeption vertrete und das Prinzip alternativer Handlungsmöglichkeiten teilweise relativiert, um daran festhalten zu können, dass nach Anselm Freiheit und nachfolgende Notwendigkeit vereinbar sind. Vgl. hierzu auch: Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Leftow, Time and Eternity, 256 ff. und Visser; Williams, Anselm, 171–191. 153  Ebd. vgl. hingegen Rogers, Anselm, 125–145. 154  DC I,6 (SII), 257,13–27.

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

247

chen Argument heraus, dass die aktuale Freiheit des Menschen derart bestimmt und bedingt ist, dass sie mit vorausgehender Notwendigkeit unvereinbar ist, aber mit nachfolgender Notwendigkeit und somit mit dem Vorauswissen Gottes vereinbar. 5.1.2.5. Die ewige Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens und das Problem des Bösen Als Letztes wird in De concordia I,7 schließlich noch auf die Frage eingegangen, ob das Vorauswissen Gottes den Ereignissen nachfolgt oder vorausgeht. Eng verbunden damit ist der Einwand, dass die These der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit in ein unauflösliches Dilemma zwischen dem Schöpfungsglauben und dem Glauben an Gottes Gerechtigkeit führt.155 Demgegenüber formuliert Anselm ein zurechnungstheoretisches Argument. Mit diesem versucht er aufzuzeigen, dass Gottes Vorauswissen sowohl als ewig vorgängig und schöpferisch wirksam bezeichnet werden kann, als auch als vollkommen gerecht und nicht als Ursprung des Bösen der Ungerechtigkeit und Sünde. Durch die Frage, ob Gottes Vorauswissen von den Dingen her sei oder die Dinge von Gottes Vorauswissen her, wird die gesamte vorangehende Argumentation noch einmal in Frage gestellt.156 Sie zeigt, dass die Annahme der Vereinbarkeit unausweichlich zu einem Widerspruch führt. Gemäß dem anfangs aufgestellten Kriterium gilt sie also selbst als widersprüchlich. Das Dilemma besteht nun darin, dass man scheinbar entweder – wenn man die Vorgängigkeit der Dinge oder Ereignisse betont – Gottes schöpferische Allwirksamkeit bestreiten muss oder dass man – wenn man die Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens betont – die Gerechtigkeit Gottes in Frage stellen muss.157 Anselm geht im Folgenden in Anlehnung an die im Monologion entfalteten schöpfungstheologischen Grundlagen davon aus, „dass alles, was ist, sein Sein 155  DC I,7 (SI), 257,29–260,2; in der aktuellen analytischen Freiheitsdebatte wird diese Frage von Freddoso als Quellenfrage („source-question“) bezeichnet und der Vereinbarkeitsfrage („compatibility-question“) hinzugefügt. An ihr unterscheiden sich auch die Positionen des Ockhamismus, Molinismus und des so genannten Open Theism untereinander sowie gemeinsam von fatalistischen und kompatibilistischen Positionen, die wirklich an der Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens festhalten. Siehe hierzu: Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 39–54. Anselms Konzeption wäre demnach auch in diesem Punkt als eine kompatibilistische zu deuten. Vgl. Craig, der meint, sie könne das Problem des Fatalismus und Determinismus nicht lösen: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 104. 156  DC I,7 (SI), 257,29–258,19. 157  So heißt es: „Hat Gott das Wissen von den Dingen her, so folgt, dass diese eher als sein Wissen sind. Damit wären sie nicht von Gott, von dem her sie nur durch sein Wissen sein können. Wenn aber alles, was ist, sein Sein vom Wissen Gottes her hat, dann ist Gott der Schöpfer und Urheber der bösen Werke und straft die Bösen daher nicht zu Recht, was wir nicht annehmen.“ DC I,7 (SII), 257,31–258,4.

248

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

vom Wissen Gottes her hat“.158 Unter Aufnahme der Überlegungen zum Problem des Bösen der Ungerechtigkeit in De casu diaboli und De conceptu virginali versucht er sodann aufzuzeigen, dass die Annahme der Vorgängigkeit und Allwirksamkeit von Gottes Vorauswissen nicht notwendig impliziert, dass Gott auch Urheber des Bösen genannt werden kann. 159 Dafür argumentiert er, indem er aufzeigt, dass der Mensch jeweils selbst verantwortlich ist für alles Böse, das er durch den falschen Gebrauch seines freien Willens- und Wahlvermögens bewirkt, auch wenn es von Gott ewig vorausgewusst und zugelassen wird.160 Damit schlägt er einen anderen Weg ein als den, der von Origines vorgeschlagen und von Boethius diskutiert worden ist.161 Origenes argumentiert verschiedentlich gegen eine in der Gnosis und bei Markion vertretene fatalistische Prädestinationslehre, dass Gott Menschen Gnade gebe, so wie er voraussehe, dass sie sie bewahren würden.162 Damit nimmt er in gewisser Weise an, dass Gottes Vorauswissen von den Sachverhalten her sei und nicht absolut vorgängig.163 Diese Ansicht weist Boethius in der Philosophiae consolatio zurück. Er betont, sie könne das Problem nicht lösen und treffe nicht zu.164 Allerdings lässt er selbst weitestgehend die Frage offen, wie dies angesichts des Problems des Bösen der Ungerechtigkeit zu begründen ist.165

158 

ML 1–37 (SI), 13,3–55,25. I,7 (SII), 258,5–12; 18–21. Vgl. DCD 1–28 (SI), 233,3–276,15; DCV 1–29 (SII), 139,2–173,7; Anders jedoch Rogers, The Necessity of the Present, 29–31; 43–45; Rogers meint zugleich, dass Anselm von der kausalen Wirksamkeit des göttlichen Vorauswissens ausgehe, als auch, dass Anselm die Ansicht vertrete, es sei logisch unmöglich, dass Gott die Geschöpfe kontrolliere, Gott wisse nicht vor der Wahl, wie Geschöpfe wählen. Weiter behauptet sie, nach Anselm habe der Mensch „kausalen Einfluss“ auf Gott und Gott „lerne von uns“. So auch ihre These, dass jeweils „die aktuale Wahl die ultimative Quelle und hervorbringende Ursache für Gottes Wissen sei“. Siehe hierzu auch: Dies., Anselm on Freedom, 151. 172–173. Diese Deutung ist meines Erachtens in sich nicht konsistent und steht in einer Spannung zu dem fünften Argument in DC 1,7; vgl. hierzu auch Baudry, La Préscience divine, 229–230., der die These stark macht, dass Anselm die ewige Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens betont und das Gegenteil als „complète erreur“ betrachtet. 160  DC I,7 (SII), 258,12–18; 259,1–20. 161  Origenes, De principiis, III,1,17 (TzF 24), 522,13–530,7; Boethius, Philosophiae Con­ solatio V,3,7–36 (CChr.SL 94), 91,1–94,101. 162  Origenes, Commentarii in Epistulam ad Romanos VII,7–8 (FC 2,4), 82,25–102,20. 163 Siehe zu diesem Verweis: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 104; und ausführlicher: Orazzo, Analogia Libertatis, 125–147. 164  Boethius, Philosophiae Consolatio V,3,7–9 (CChr.SL 94), 91,1–92,28. Siehe hierzu auch: Leftow, Time and Eternity, 177–184. 165  Boethius, Philosophiae Consolatio V,3,7–28. V,6,39–43 (CChr.SL 94), 91,15–93,76. 104,124–105,144, wo sich Boethius schließlich deutlich gegen die Annahme ausspricht, dass das göttliche Vorauswissen in irgendeiner Weise erst von den Dingen und Ereignissen her sei. Letzteres Problem versucht er durch den Verweis auf die ausgleichende Gerechtigkeit der Vorsehung zu begründen. Siehe: Boethius, Philosophiae Consolatio V,6,44–48 (CChr.SL 94), 105,145–156. Dadurch unterscheidet sich Anselms Position auch der gegenwärtig vertretenen Position des Molinismus, die davon ausgeht, dass Gott Mittelwissen von den sog. „counter159  DC

5.1. Die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit

249

Demgegenüber geht Anselm in enger Anlehnung an Augustin von der absoluten Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens aus und widerlegt mit privationstheoretischen Argumenten die Annahme, dass daraus folgt, dass Gott auch Urheber des Bösen der Ungerechtigkeit genannt werden kann.166 Dabei greift Anselm zum einen die in De casu diaboli begründete Deutung des Bösen der Ungerechtigkeit als „Abwesenheit der geschuldeten Gerechtigkeit“ auf (absentia debitae iustitiae). Weiter rekurriert er auf die These, dass sie im Willen des vernunftbegabten Geschöpfs verortet ist und keine Qualität, keine Handlung und nichts wesenhaft Seiendes ist.167 Ausgehend von dieser privationstheoretischen Deutung des Bösen der Ungerechtigkeit versucht er zu begründen, dass umfassend alles von Gott bewirkt wird. Er differenziert dabei, alles Gute sei ganz Gott zuzurechnen, alle Ungerechtigkeit dagegen allein den vernunftbegabten Geschöpfen.168 Dabei wird zunächst die Allwirksamkeit Gottes hervorgehoben. Es wird betont, dass Gott allumfassend sowohl das Gute als auch das Böse, das durch den freien Willen des Menschen hervorgebracht wird wirkt.169 Zugleich wird unterschieden, dass Gott es auf verschiedene Weise wirkt. So heißt es dort: Gott wirkt also alle [Werke (Anm. d. Verf.)], die durch einen gerechten oder einen ungerechten Willen bewirkt werden, das heißt, die guten und bösen Werke (Facit igitur Deus omnia, quae iusta sive iniusta voluntate fiunt, id est bone opera et mala). In den Guten wirkt er aber, dass sie sind und dass sie gut sind, bei den Bösen wirkt er jedoch, dass sie sind, nicht aber, dass sie böse sind. (In bonis quidem facit quod sunt et quod bona sunt, in malis vero facit quod sunt sed non quod mala sunt).170

Durch diese Differenzierung versucht Anselm aufzuzeigen, dass Gott, obwohl er Schöpfer, Herrscher und gerechter Richter von allem ist und nichts ohne seinen Willen geschieht, nicht zugleich auch Urheber der Ungerechtigkeit genannt werden kann. Gott könne deswegen nicht Urheber der Ungerechtigkeit genannt werden, weil er „weder Ungerechtigkeit bewirke, noch bewirke, dass etwas ungerecht sei“.171 Da Gott alle Geschöpfe wesenhaft gut schaffe und ihnen wesenhaft gute Vermögen, Bewegungen und Akte gebe, die nur durch sie factuals of creaturely freedom“ des Freiheitsgebrauchs her hat. Siehe hierzu auch: Hasker, Divine Knowledge, 49–51. 166 vgl. Augustin, De civitate Dei V,8–11 (CChr.SL 47), 135,1–142,25. 167  DC I,7 (SII), 258,5–10. Vgl. DCD 9–11 (SI), 246,19–251,18; DCD 16 (SI), 259,15– 262,6; vgl. DCV 5, (SII), 146,3–147,5; DCV 6 (SII), 147,7–22. Anders hingegen Anselms Deutung des Übels des Leidens, bei dem er in Anlehnung an die zentrale Aussage aus Jes 45,7 betont, dass Gott es ist, der „Frieden wirkt und Übel schafft.“ Dementsprechend geht er davon aus, dass es auch im ontologischen Sinne „etwas“ ist und von Gott gewirkt, durch das Gerechtigkeit erprobt und gereinigt und Ungerechtigkeit gerecht gestraft und durch Gerechtigkeit geordnet wird. Siehe hierzu: DC I,7 (SII), 258,24–27. 168  DC I,7 (SII), 258,12–18; 259,1–20. 169  DC I,7 (SII), 258,14–15. 170  DC I,7 (SII), 258,15–16; 171  DC I,7 (SII), 259,1–2.

250

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

selbst missbraucht werden können, wirke er bei bösen Werken nur, dass sie sind, nicht dass sie böse sind. Damit wird hervorgehoben, dass bei den bösen Werken, die durch den ungerechten Willen der vernunftbegabten Geschöpfe bewirkt werden, Gottes Vorauswissen in einer Hinsicht vorgängig ist: es bewirkt, dass sie überhaupt sind. Zugleich wird ausgeschlossen, dass es auch in der Hinsicht vorgängig ist, dass es bewirkt, dass sie böse sind.172 Die Tatsache, dass Werke böse sind, ist Anselm zufolge allein den vernunftbegabten Geschöpfen selbst zuzurechnen. Sie bewirken es freiwillig durch ihren eigenen ungerechten Willen, obwohl er von Gott wesenhaft gut geschaffen und zum Guten bestimmt ist.173 Zugleich betont Anselm, dass alle guten Werke, die durch den freien Willen des Menschen bewirkt werden hingegen ganz Gott zuzuschreiben sind und nicht teils Gott und teils dem Menschen.174 Dies begründet er damit, dass Gott in Bezug auf das durch einen gerechten Willen bewirkte Gute sowohl bewirke, dass es ist, als auch, dass es gut ist.175 Der rechte Gebrauch des freien Willensund Wahlvermögens geht demnach ganz auf Gott zurück, weil er allein bewirkt, dass ein menschlicher Wille gerecht ist und gerecht wollen und wirken kann.176 Dadurch hält Anselm die These fest, dass Gottes Vorauswissen gegenüber allem Guten, das durch den freien Willen von Menschen bewirkt wird, in zweifacher Hinsicht vorgängig ist, das heißt, indem es sowohl sein Sein als auch sein Gutsein bewirkt.177 Dabei verweist er darauf, dass im Zusammenhang der gnadentheologischen Überlegungen in De concordia III näher erläutert werden wird, wie es zu verstehen ist, dass Gott „das Gute allein durch seine Güte wirkt und das Böse allein durch die Schuld“ der Geschöpfe und dass „die guten Taten Gott zuzurechnen sind und die bösen dem Menschen“.178 Dieses zurechnungstheoretische Argument bildet den Abschluss der indirekten Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit. 172 

DC I,7 (SII), 259,3–17.

173 Ebd. 174 

DC I,7 (SII), 259,17–18. DC I,7 (SII), 259,5–8. 176  DC I,7 (SII), 259,9–20. 177  Siehe auch: Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 104; Craig bemerkt hierzu meiner Ansicht nach treffend, dass „nicht klar sei, dass Anselm dem Fatalismus, oder korrekter Weise, Determinismus entkommen sei.“ Allerdings scheint mir dies kein treffender Kritikpunkt an Anselms Argumentation zu sein, da er ja gerade versucht, die Vereinbarkeit der nachfolgenden Notwendigkeit, die mit dem göttlichen Vorauswissen einhergeht, und rela­ tio­naler, inhaltlich positiv bestimmter Freiheit des Menschen aufzuzeigen. In diesem Sinne kann Anselms Konzeption meiner Ansicht nach durchaus als ein theologischer Kompatibilismus beziehungsweise Kompossibilismus gedeutet werden, der allerdings nicht mit einem natürlichen Kausaldeterminismus oder fatalistischen, inkompatibilistischen Determinismus zu identifizieren ist; so auch: Hopkins, Anselm on Freedom, 477–480; vgl. hierzu anders jedoch: Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 106–111. Mehr dazu in I1.2. 178  DC I,7 (SII), 259,21–32. 175 

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

251

So zeigt Anselm durch das grundlegende Inklusionsargument, die modal­ theo­retische Differenzierung zwischen Zwang und Notwendigkeit, das zeitund ewigkeitstheoretische Argument für die ewige Simultaneität von zeitlicher Wandelbarkeit und ewiger Unwandelbarkeit, das freiheitsbegriffliche Argument für einen relationalen, inhaltlich positiv bestimmten Begriff von Freiheit und das zurechnungstheoretische Argument in Bezug auf das Problem des Bösen auf, dass die Annahme der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit nicht zu widersprüchlichen Konsequenzen führt. Damit kann begründet angenommen werden, dass die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit ohne Widerspruch vorausgesetzt werden kann. Schließlich ist von Anselm gezeigt worden, dass die Folgeprobleme, die mit der Vereinbarkeitsthese verbunden sind, keine unauflösbaren Widersprüche sind. Somit kann auch die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit begründet als eine nichtwidersprüchliche Annahme vorausgesetzt werden.

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit Die Frage der Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit stellt eine Verschärfung der zuvor diskutierten Frage der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit dar. Sie ist ein Prüfstein für die zuvor entwickelte Lösung. Sie spitzt das Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit zu. Sie reflektiert menschliche Freiheit nicht nur vor dem Hintergrund der göttlichen Allwissenheit, sondern auch angesichts der göttlichen Allmacht und Allwirksamkeit.179 Es kann nun nämlich nicht mehr ausweichend argumentiert werden, dass Freiheit und Notwendigkeit vereinbar sind, weil das göttliche Vorauswissen den menschlichen Freiheitsgebrauch nicht tangiere. Damit scheidet eine äußerliche, relativierende Zuordnung von Freiheit und Notwendigkeit aus. So stellt sich die Frage, ob Gottes Vorausbestimmen auch als innere Notwendigkeit der Freiheit gedacht werden kann. Dadurch wird nicht zuletzt auch die soteriologische Brisanz und der gnadentheologische Kern des Gesamtproblems explizit gemacht.180 Vor diesem Hintergrund formuliert Anselm in De concordia II das verschärfte Dilemma der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit analog zum vorangehenden allgemeineren Dilemma der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Frei179 

DC II,1 (SII), 260,6–27. hierzu auch: Briancesco, Le Dernier Anselme, 560ff; 575–580; Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 100–104; Leftow, Time and Eternity, 260–266; Franz, Die Freiheit des Menschen, 239–240; Schick, Willensfreiheit bei Anselm, 56–59; Rogers, Anselm on Freedom, 142–145. 180 Siehe

252

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

heit.181 Dabei wehrt er bestimmte Relativierungen des Dilemmas, wie sie etwa durch Johannes Scotus Eriugena formuliert worden sind, ab.182 Demgegenüber betont er, dass das Problem darin besteht, wie Gottes umfassendes Vorausbestimmmen des Guten und des Bösen damit vereinbar sei, dass einiges durch den freien Willen des Menschen bewirkt wird.183 Angesichts des Gewichts, das Anselm diesem Problem beimisst, erstaunt die Kürze, mit der er die Lösung skizziert. Er entwickelt keine eigenständige Lösung des Prädestinationsproblems, sondern überträgt die zuvor entfaltete Lösung des Vorauswissensproblems. Damit skizziert er auch in Bezug auf die konkretere Frage der Prädestination eine Lösung, die entgegen einem theologischen Fatalismus und entgegen einem freiheitstheoretischen Indeterminismus die Vereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit zu begründen versucht. Dies soll im Folgenden näher ausgeführt werden. Als Erstes wird erläutert (5.2.1.), wie er das verschärfte Problem formuliert. Als zweites (5.2.2.) wird die Übertragung der vorangehenden Lösung untersucht.

5.2.1. Die verschärfte Fassung des Dilemmas Die Überlegungen in De concordia II beginnen mit einer verschärften Fassung des Problems der Unvereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit.184 Dabei geht Anselm von einem bestimmten, umfassenden Begriff der göttlichen Prädestination aus. Diesen hat er zuvor im Monologion, in Cur Deus homo und in De concordia I entwickelt. Er konkretisiert, in welchem Sinn von einer Vorausbestimmung des Guten gesprochen werden kann und in welchem Sinn auch von einer Vorausbestimmung des Bösen.185 Damit bezieht er vor dem Hintergrund der Prädestinationskontroversen des 9. Jahrhunderts eine Position, die sich sowohl von Gottschalks Lehre der doppelten Prädestination unterscheidet als auch von Johannes Scotus Eriugenas Kritik und seiner Annahme einer einfachen Prädestination zum Guten. Vor diesem Hintergrund formuliert Anselm den Kern der Prädestinationsdebatte als Dilemma zwischen der Freiheit des Menschen, die den Zwang einer vorausgehenden Notwendigkeit ausschließt und dem Vorausbestimmen Gottes, das die unabänderlich festgesetzte Notwen181 

DC II,1 (SII), 260,6–15. Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione II,1-V,9 (CChr.CM 50), 9,1–41,235. Zur weiteren Entwicklung von Eriugenas Prädestinationsverständnis siehe jedoch: John Marenbon, John Scottus and Carolingian Theology: From the De Praedestinatione, it’s Background and it’s Critics, to the Periphyseon, in: Charles the Bald. Court and Kingdom, hg. v. Margaret T. Gibson; Janet L. Nelson, Oxford (2. Aufl.), 1990, 303–325. 183  DC II,12 (SII), 260,15–261,12. 184  DC II,1 (SII), 260,6–27. 185  ML 68–78 (SI), 87,13–85,9; vgl. CDH II,1 (SII), 97,3–98,5; CDH I,16–18 (SII), 74,9– 84,3; DC II,1–2 (SII), 260,6–261,12. 182 Vgl.

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

253

digkeit alles Zünftigen impliziert. Damit geht er zugleich auch auf das Problem ein, das sein Schüler Honorius im Inevitablie formuliert, und gibt ihm eine begrifflich und logisch klare Form.186 5.2.1.1. Der Begriff des göttlichen Vorausbestimmens (praedestinatio) Unter göttlichem Vorausbestimmen (praedestinatio) versteht Anselm allgemein Gottes „vorgängige Anordnung oder Festsetzung“ (praeordinatio sive praestitutio) von etwas, das für uns „zukünftig sein wird“ ( futurum esse).187 Es gilt also als ein Aspekt von Gottes Wollen und Allmächtigkeit, das sich auf die für uns zukünftige Wirklichkeit bezieht. Wie Gottes Vorauswissen ist es nach Anselm ewig und vollkommen und anders als geschöpfliches Wollen und Bestimmen unwandelbar, unfehlbar und nicht zu verhindern. Dabei betont Anselm, dass es für den Menschen unergründlich sei, warum Gott sich einiger Menschen barmherzig erbarme und andere gerecht richte.188 Kein Mensch könne sich ein Urteil über einzelne Personen anmaßen.189 Unter diesem erkenntnistheoretischen Vorbehalt arbeitet Anselm im Monologion, in Cur Deus homo und De concordia II eine zum Vorauswissen analoge Deutung der göttlichen Prädestination heraus. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die göttliche Prädestination als eine umfassende Prädestination von allem verstanden wird, allerdings in Bezug auf Böses in einem grundlegend anderen Sinn als in Bezug auf Gutes.190 Anselm geht dabei zum einen davon aus, das göttliche Vorausbestimmen stelle im Allgemeinen einen Aspekt des göttlichen Vorauswissens dar. So heißt es in Monologion 9 im Bezug auf Gottes Schöpfungshandeln, dass vor dem Werden des Universums im Geist Gottes feststand, „was oder wie beschaffen oder auf welche Weise es zukünftig sein würde.“191 Wie bei Gottes Vorauswissen deutet Anselm das „zuvor“ des Vorausbestimmens als ein ewiges „zuvor“, das in der Zeit verwirklicht wird. Folglich stellt es auch einen Aspekt von Gottes vorsehender Bewahrung und Regierung der Schöpfung dar.192 Zudem gilt nach Mo­ nologion 68–78 das innere Ziel der Schöpfung als von Gott vorausbestimmt. Dabei hebt er hervor, dass Gott alles und jeden zum Guten geschaffen und zum Ziel der ewigen Liebesgemeinschaft mit ihm vorausbestimmt habe.193 Dement-

186  Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1196; Siehe hierzu auch: Schick, Willensfreiheit bei Anselm, 56–59; Leftow, Time and Eternity, 260–266; Franz, Die Freiheit des Menschen, 239–240. 187  DC II,1 (SII), 260, 10–13. 188  PL 9–11 (SI), 106,16–110,3. 189  ML 74 (SI), 82,22–83,8. 190  ML 68–78 (SI), 87,13–85,9; vgl. CDH II,1 (SII), 97,3–98,5; CDH I,16–18 (SII), 74,9– 84,3; DC II,1–2 (SII), 260,6–261,12. 191  ML 9 (SI), 24,14–16. 192  ML 80 (SI), 86,16–87,13. Siehe hierzu auch: Leftow, Time and Eternity, 260 ff. 193  ML 68–78 (SI), 87,13–85,9; vgl. CDH II,1 (SII), 97,3–98,5.

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

sprechend lehnt er den Gedanken als frevelhaft ab, dass Gott jemanden schaffe mit der Vorausbestimmung, ihn zu verderben. 194 Zum anderen reflektiert Anselm aber auch im Besonderen Gottes Vorausbestimmen in Anlehnung an den paulinischen Gedanken von Gottes ewigem Erwählungsdekret zur christusähnlichen Heiligkeit aus Röm 8,29–30.195 So argumentiert er in De concordia I,5 und II,3, dass die göttliche Prädestination zur Heiligkeit sowohl in Ewigkeit unwandelbar sei, als auch in der Zeit in den Menschen wandelbar, bis sie vollkommen verwirklicht sei.196 Dabei hebt er in Anlehnung an Paulus hervor, dass Gott die Menschen, die er zur Heiligkeit vorausbestimmt, auch vorausweiß sowie beruft, rechtfertigt und verherrlicht. Zugleich betont er mit Augustin, Gott bestimme nicht aufgrund des Vorauswissens guter Werke Menschen zur Heiligkeit voraus, sondern allein aufgrund seiner Gnade. Gottes Gnade gilt als Grund der ewigen, zeitlich verwirklichten Vorausbestimmung zum Guten.197 Zudem gilt diese besondere gnadenhafte Vorausbestimmung zur christusähnlichen Heiligkeit und ewigen Glückseligkeit bei Anselm nicht so sehr als eine individuelle, sondern vielmehr als eine gemeinschaftliche, korporative Erwählung. Seine Überlegungen zur vollkommenen Zahl der Erwählten in Cur deus homo I,16–18 legen das nahe. Dies zeigt sich daran, dass er dort von den Erwählten immer korporativ als einer Gemeinschaft spricht, das heißt von den „Söhnen Israels“ ( filios Israel), den in Christus „erwählten Menschen“ (electorum hominum) und den „vorausbestimmten Menschen“ (hominibus praedestinatus).198 Dabei deutet Anselm Gottes Vorausbestimmen in mehreren Hinsichten als ein vollkommenes Vorausbestimmen. Zum einen erläutert er die Vollkommenheit des göttlichen Vorauswissens, indem er ausgehend vom Gedanken der Allmacht des göttlichen Willens betont, dass es unverhinderbar, unkorrumpierbar und unbegrenzt ist. Das, was Gott vorausbestimmt, wird notwendig zukünftig wirklich und kann durch nichts und niemanden verhindert werden.199 Zum anderen ist Gottes Vorausbestimmen nach Proslogion 7 in dem Sinne unkorrumpierbar, dass Gott wegen der vollkommenen Macht seines Willens nichts Unwahres oder Ungerechtes tun und wollen kann.200 Nach Anselm wäre es ein Unvermögen wenn Gott lügen oder ungerecht handeln würde.201 194 

ML 74 (SI), 83,5–8; ML 86 (SI), 78,13–79,9. DC I,5 (SII), 253,24–254,19; DC II,3 (SII), 262,19–20. 196  Siehe hierzu auch: Briancesco, Le Dernier Anselme, 575–580. 197  Augustin, De praedestinatione sanctorum X,19-XV,30 (PL 44) 974–982; Ders., De dono perseverantiae VII,15. XIV,34–35 (PL 45) 1001. 1013–1015. 198  CDH I,16–18 (SII), 74,9–84,3. 199  CDH II,1 (SII), 97,3–98,5. 200  PL 7 (SI), 105,9–106,2. 201  DLA 8 (SI), 220,11–221,15. 195 

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

255

Schließlich ist Gottes Vorausbestimmen seiner Auffassung nach darin vollkommen, dass es allumfassend ist. Es umfasst sowohl das Gute als auch das Böse. Dabei betont Anselm aber in De concordia II,1–2 vor dem Hintergrund früherer Prädestinationskontroversen, dass Gott Gutes anders vorausbestimme als Böses.202 Kritisch grenzt er sich ab gegen die von Johannes Scotus Eriugena vertretene Ansicht, dass Gott nur zum Guten vorausbestimmt203 und gegen die von Gottschalk formulierte Annahme, dass Gott in gleicher, doppelter Weise mit vorausgehender Notwendigkeit ewiges Heil und ewige Verdammnis vorausbestimmt 204 sowie gegen die relativierende Annahme, dass Gott nicht alle guten Werke vorausbestimmt. Im Unterschied zu diesen drei Positionen geht Anselm davon aus, dass Gott alles vorausbestimmt. Nur das Gute bestimme er aber direkt voraus, indem er es selbst vorgängig bewirkte. Das Böse bestimme er hingegen nur indirekt voraus, indem er es zulasse und nachfolgend gerecht richte und strafe.205 In Anlehnung an biblische Aussagen argumentiert er, man könne sagen, Gott verhärte, wenn er nicht löse, und führe in Versuchung, wenn er nicht befreie.206 In diesem Sinne könne man auch sagen, dass Gott auch das Böse indirekt bestimme, indem er es zulasse und gerecht richte. So heißt es in De concordia II,2: Also ist es nicht unangemessen, wenn wir auf diese Weise sagen, dass Gott die Bösen und ihre bösen Werke vorausbestimmt, wenn er sie und ihre bösen Werke nicht korrigiert. Von den Guten wird aber im Besonderen gesagt, dass er sie vorausweiß und vorausbestimmt, weil er in jenen bewirkt, dass sie sind und dass sie gut sind, in den Bösen aber nur, was sie wesenhaft sind, nicht aber, dass sie böse sind, wie oben gesagt worden ist.207

Mit diesem umfassenden Verständnis des göttlichen Vorausbestimmens wendet sich Anselm schließlich gegen Versuche, das Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit durch Begrenzung des göttlichen Vorausbestimmens auf die Prädestination zum Guten

202 

DC II,1–2 (SII), 260,6–261,12. Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione II,1-IV,8 (CCHR.CM 50), 9,4–34,237. 204   Gottschalk, De praedestinatione VII-XVIII (SSL 20), 180,1–258,29; Ders., Responsa VII (SSL 20), 154,8–158,28; siehe hierzu auch: Barth, Fides quaerens intellectum, 161 ff. 205 Vgl. Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 100–103, der meint, das göttliche Vorausbestimmen bestehe nach Anselm nur darin, „den Willen seinem eigenen Vermögen zu überlassen und in seinen Wahlakten mitzuwirken“. Siehe hierzu auch: Franz, Die Freiheit des Menschen, 240, der in Bezug auf die Prädestination zwischen einer monistischen und einer dualistischen Alternative unterscheidet. Siehe zur Kontroverse in historischer Sicht: David Ganz, The Debate on Predestination, in: Charles the Bald. Court and Kingdom, hg. v. Margaret T. Gibson; Janet L. Nelson, Oxford 1990, 283–302. 206  DC II,2 (SII), 261,2–12; vgl. DC I,7 (SII), 258,5–259,32; DC III,14 (SII), 287,23– 288,10. 207  DC II,2 (SII), 261,2–12. 203 

256

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

zu relativieren. Er hält daran fest, alles zukünftige Gute und Böse sei von Gott auf vollkommene Weise vorausbestimmt.208 5.2.1.2. Das analoge, verschärfte Dilemma Vor dem Hintergrund dieses umfassenden Verständnisses von Gottes Voraus­ bestimmen stellt sich ein zweites, verschärftes Dilemma: das Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit. Seiner Form nach wird es in De concordia III,1–2 analog zur Voraus­ wissensproblematik als Dilemma darstellt. Dem Inhalt nach wird die Unvereinbarkeitsproblematik dabei jedoch entschieden verschärft. So heißt es in De con­ cordia II,1: Was immer Gott also vorausbestimmt, tritt notwendig in Zukunft ein. Wenn daher Gott das Gute und das Böse vorausbestimmt, das geschieht, dann geschieht nichts durch freie Wahl, sondern alles aus Notwendigkeit. [...] Wenn daher Gott alles vorausbestimmt und das Vorausbestimmte aus Notwendigkeit ist, so scheint, da nichts durch freie Wahl Gewirktes aus Notwendigkeit ist, zu folgen, dass der freie Wille nichts sei, solange es Vorausbestimmung gibt, oder, wenn wir in einigen Fällen eine freie Wahl ansetzen, dass dort die Vorausbestimmung zunichte wird.209

Damit benennt Anselm sehr präzise den philosophisch-theologischen Kern der komplexen Prädestinationskontroversen des 9. Jahrhunderts und das Problem, das auch sein Schüler Honorius Augustodunensis im Inevitabile zu klären versucht.210 Das zweite Dilemma besteht nach Anselm darin: scheinbar muss man entweder zugunsten des Glaubens an Gottes umfassendes Vorausbestimmen die Erfahrung bestreiten, dass etwas durch freie Wahl geschieht oder aufgrund der Annahme menschlicher Freiheit das göttliche Vorausbestimmen negieren oder zumindest relativieren. Wiederum wird das Problem von Anselm dadurch in seiner wechselseitigen Struktur dargestellt und nicht nur als ein zu entkräftender Einwand gegen die Möglichkeit menschliche Freiheit gedeutet. Ebenso rekurriert Anselm auch hier auf zwei entgegengesetzte Positionen, welche die Unvereinbarkeit von göttlicher Prädestination und menschlicher Freiheit behaupten und seit dem 9. Jahrhundert in differenzierterer Weise vertreten worden sind. Die Position, die von Gottschalk vertreten worden ist kann vereinfacht als ein exklusiver, theologischer Determinismus gedeutet werden. Sie geht von der Unvereinbarkeit aus und bestreitet zugunsten einer hart deter208  DC II,1 (SII), 260, 15–23; DC II,2 (SII), 261,2–12; vgl. Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1199. Anders als Anselm spricht er in Anlehnung an Isidor von Sevilla sogar explizit von einer doppelten Prädestination (gemina praedestinatio). Vgl. Ders., De libero arbitrio (PL 172), 1227. 209  DC I,1 (SII), 260,12–15; 24–27. 210  Siehe hierzu auch aus historisch, sprachphilosophischer Sicht: Evans, The Grammar of Predestination, 134–145, insbes. 414–145; vgl. Trego, L’Essence de la Liberté, 247–254; und Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1193A-1222D, das auch den Untertitel trägt „De praedestinatione et libero arbitrio dialogus“.

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

257

ministisch gedeuteten doppelten Prädestination menschliche Willensfreiheit.211 Die Position, die demgegenüber unter anderem Johannes Scotus Eriugena vertritt, kann vereinfacht als ein exklusiver, freiheitstheoretischer Indeterminismus gedeutet werden. Sie nimmt ebenfalls die Unvereinbarkeit an. Zugunsten der Verteidigung menschlicher Freiheit schwächt sie das Verständnis der göttlichen Prädestination derart ab, dass dem Menschen in religiös signifikantem Sinne das Vermögen wechselseitiger, alternativer Wahl zugeschrieben werden kann.212 Das Argument für die Unvereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit könnte demnach aus diesen entgegengesetzten Positionen vorgebracht werden. In Normalform kann es folgender Weise wiedergegeben werden: P1: Was Gott vorausbestimmt, das heißt alles Gute und Böse, wird notwendig zukünftig sein. P2: Was durch freie Wahl getan wird, geht aus keiner Notwendigkeit hervor. K: A lso ist es unmöglich, dass zugleich Gott alles vorausbestimmt und dass irgendetwas durch freien Willen gewirkt wird.213

Die inhaltliche Verschärfung des Dilemmas gegenüber dem Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Willensfreiheit liegt darin, dass die Annahme, dass alles durch Gott vorausbestimmt ist, noch stärker mit der Annahme menschlicher Willensfreiheit widerstreitet als die Annahme, dass alles durch Gott vorausgewusst wird. In Bezug auf Gottes Vorauswissen könnte man nämlich noch – ähnlich wie Boethius in Philosophiae consolatio – argumentieren, dass das menschliche Wollen von Gottes Erkennen nicht tangiert werde.214 Im Hinblick auf Gottes Vorausbestimmen ist jedoch nicht abzuweisen, dass das menschliche Wollen von Gottes Wollen bestimmt wird, da dann auszuschließen ist, dass der Mensch anders wollen kann, als von Gott vorausbestimmt. Die erste Prämisse dieses verschärften Unvereinbarkeitsarguments, „dass das Gute und das Böse, das Gott vorausbestimmt, notwendig zukünftig sein wird“, stellt eine notwendige Implikation des Prädestinationsbegriffs dar. Sie ist nach Anselm für das christliche Gottes- und Wirklichkeitsverständnis sowie für den Glaubensvollzug unverzichtbar. Sie expliziert Gottes allmächtiges, die Wirk211 Siehe: Gottschalk, De praedestinatione VII-XVIII (SSL 20), 180,1–258,29; Ders., Responsa VII (SSL 20), 154,8–158,28; Trego, L’Essence de la liberté, 247–254; Siehe hierzu auch Flasch, Willensfreiheit, 17–47, der betont, dass es in diesem Streit nur am Rande um menschliche Willensfreiheit geht. 212  Eriugena, De divina praedestinatione liber V,9-VIII,9 (insbes. VIII,8) (CCHR.CM 50), 41,216–55,234. (insbes. 54,176–195.) Siehe hierzu auch: John Marenbon, John Scotus and Carolingian Theology: From the De Praedestinatione, its Background and its Critics to the Periphyseon, in: Charles the Bald. Court and Kingdom, hg. v. Margaret T. Gibson; Janet L. Nelson Oxford (2. Aufl.) 1990, 303–325. 213  DC II,1 (SII), 260,12–15; 24–27. 214 Vgl. Boethius, Philosophiae Consolatio, V,1,1–6,48 (CChr.SL 94), 88,1–105,156.

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5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

lichkeit bestimmendes, freies Handeln. Die Annahme, dass alles von Gott vorausbestimmte Gute und Böse notwendig zukünftig sein wird, ergibt sich unmittelbar aus Anselms Verständnis der Vollkommenheit des göttlichen Vorausbestimmens. Würde das von Gott Vorausbestimmte nicht wirklich werden, sondern könnte es durch etwas oder jemanden verhindert werden, wäre Gottes Wollen nicht allmächtig und nicht allesbestimmend, was nach Anselm aber ausgeschlossen ist.215 Also müssen das Gute und das Böse, welches Gott vorausbestimmt, aufgrund seiner Allmächtigkeit notwendig zukünftig wirklich werden, wie auch das, was Gott vorausweiß, aufgrund seiner Allwissenheit notwendig zukünftig wirklich werden muss. Die zweite Prämisse, „was durch freie Wahl getan wird, geht aus keiner Notwendigkeit hervor“, wird einfach von dem vorangehenden Unvereinbarkeitsargument übernommen. Sie stellt eine notwendige Implikation des Freiheitsbegriffs dar und expliziert die Abwesenheit von Zwang als formales Minimalkriterium der Freiheit.216 Aufgrund des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch scheint sich also auch hier die Unmöglichkeit zu ergeben, dass nicht zugleich Gott alles vorausbestimmen und etwas durch die freie Wahl des Menschen geschehen kann. Durch dieses Dilemma der Unvereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit wird der zuvor entwickelte Ansatz zur Lösung der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit noch einmal in Frage gestellt. Das formal analoge und inhaltlich verschärfte Dilemma stellt somit einen Prüfstein dar für die Tragfähigkeit des Versuchs, die Vereinbarkeit von Gottes Handeln und menschlicher Freiheit zu begründen.

5.2.2. Die Übertragung der vorangehenden Lösung In Bezug auf das verschärfte Dilemma von göttlicher Prädestination und menschlicher Willensfreiheit vertritt Anselm gleichermaßen die Auffassung, dass es sich nur prima facie um ein Dilemma handelt. Es werde genau wie bei der These der Unvereinbarkeit von göttlichem Vorauswissen und menschlicher Freiheit fälschlich angenommen, dass Gerechtes und Ungerechtes nicht zugleich von Ewigkeit her mit Notwendigkeit zukünftig sein und in der Zeit aus keiner Notwendigkeit hervorgehen können, so Anselm.217 Aus diesem Grund entwickelt er in De concordia II,3 auch keinen separaten Ansatz zur Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit. Er überträgt den zuvor entwickelten Ansatz zur Lösung des analogen, verschärften Dilemmas.218 Damit wird die vorangehende Begründung der Vereinbarkeit von 215 

PL 7 (SI), 105,9–106,2. DLA 2 (SI), 209,13–210,10. 217  DC II,3 (SII), 261,14–262,22. 218 Ebd. 216 

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

259

Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit zugleich einer verschärften Prüfung unterzogen. Es wird kritisch überprüft, inwiefern sie auch unter der Bedingung gilt, wenn man nicht nur davon ausgeht, dass Gott alles für uns Zukünftige ewig vorausweiß, sondern auch annimmt, dass er genauso auch alles für uns Zukünftige ewig vorausbestimmt. Dabei wird von Anselm auch eigens begründet, warum sich der Aufweis der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit übertragen und zur Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit heranziehen lässt.219 Zusätzlich führt Anselm jedoch die zuvor entwickelten Argumente noch einmal an und führt sie in Bezug auf die Vorausbestimmung des Guten und Bösen weiter.220 Die abgeleitete Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit zeichnet sich dabei gleichfalls dadurch aus, dass nicht eine oder beide Seiten des Dilemmas relativiert, sondern beide radikalisiert werden. Anselm versucht ausgehend von der Annahme der notwendigen, umfassenden Vorausbestimmung alles Guten und Bösen durch Gottes Willen aufzuzeigen, dass dies die Wirklichkeit menschlicher Freiheit keineswegs auf hebt, sondern enthält und begründet.221 Damit begründet er auch hier eine Position, die sich gleichermaßen von der hart deterministischen beziehungsweise fatalistischen Deutung des umfassenden Prädestinationshandelns Gottes, wie auch von einer indeterministischen Relativierung der Umfassendheit und Unwandelbarkeit des göttlichen Vorausbestimmens unterscheidet. Dieser Lösungsansatz soll im Folgenden erläutert werden. Dazu soll als Erstes (5.2.2.1.) seine These der Übereinstimmung von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen erläutert werden, welche die Übertragbarkeit der vorangehenden Argumentation begründet. Als Zweites (5.2.2.2.) soll sodann näher erläutert werden, wie die vorangehende Argumentation in Bezug auf die Prädestinationsfrage weitergeführt wird. 5.2.2.1. Die These der Übereinstimmung von Vorauswissen und Vorausbestimmen Anselms Ansatz zur Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit basiert auf der These der Übereinstimmung von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen. So heißt es in De concordia II,3: Es ist nicht zu bezweifeln, dass Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen sich nicht widerstreiten. Wie er vorausweiß, so bestimmt er auch voraus. Bei der Frage nach dem Vorauswissen haben wir nun erkannt, dass etwas als durch freien Willen zukünftig vorausgewusst wird, ohne Widerspruch. So lehren die offenbare Wahrheit und die Ver-

219 

DC II,3 (SII), 261,14–20. DC II,3 (SII), 261,20–262,22. 221  Evans, The Grammar of Predestination, 141–145; vgl. Flasch, Freiheit des Willens, 22–38. 220 

260

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

nunft auch ohne jeden Widerspruch, dass ebenso etwas als durch freien Willen zukünftig vorausbestimmt wird.222

Vereinfacht dargestellt argumentiert Anselm folgender Weise: (P1*) Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen widerstreiten sich nicht, sondern so, wie Gott vorausweiß, bestimmt er auch voraus. (K’/P2*) Gott weiß etwas als durch freien Willen zukünftig voraus. (K*) Also bestimmt Gott etwas als durch freien Willen zukünftig voraus.

Die erste Annahme (P1*), dass Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen sich nicht widerstreiten, sondern Gott so, wie er alles vorausweiß, so auch alles vorausbestimmt, stellt eine Implikation der Einheit Gottes dar.223 In Monologion 9 spricht Anselm bereits davon, dass vor aller Zeit in Gottes Geist feststand, was, wie beschaffen und auf welche Weise in der Zeit werden würde.224 Zudem wird durch die Betonung der Einheit Gottes und aller göttlichen Eigenschaften in Monologion 17 und Proslogion 18 die Ansicht ausgeschlossen, dass Gott in sich vielfältig oder widersprüchlich sei.225 Dementsprechend gilt nach Anselm, dass alle göttlichen Eigenschaften, wie etwa Weisheit, Wahrheit und Macht oder Gerechtigkeit, von Gott wesenhaft ausgesagt werden und sich nicht widersprechen können. Somit ist auch Gottes Handeln als ein einheitliches zu verstehen und nicht als ein in sich widersprüchliches. So kann Anselm begründet davon ausgehen, dass Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen sich nicht widerstreiten. Schließlich wird auch in De concordia I,6 in Anlehnung an den paulinischen Gedanken des ewigen Ratschlusses Gottes aus Röm 8,29–30 insbesondere betont, dass Gott Menschen vorauserkennt und vorausbestimmt, dem Bild seines Sohnes gemäß heilig zu leben.226 So wird bereits im Zusammenhang der Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit festgehalten, dass Gott so, wie er vorausweiß, auch vorausbestimmt. Allerdings bedeutet dies nicht, dass Gott aufgrund vorausgewusster menschlicher Akte vorausbestimmt. Im Gegenteil wird dies von Anselm explizit abgelehnt. Es wird hervorgehoben, dass die Gabe der Gnade allem Guten absolut vorausgeht, ohne dass der Mensch es zuvor durch irgendetwas verdient hätte.227 Die Annahme, dass Gott etwas als durch freien Willen zukünftig vorausweiß, ist durch die Argumentation in De concordia I,1–7 eingehend begründet worden. Sie kann somit vorausgesetzt werden (K’/ P2*).228 Das bedeutet jedoch zugleich, dass sie vorausgesetzt werden muss. Anselms Begründung der Vereinbar222 

DC II,3 (SII), 261,15–20. ML 9 (SI), 24,8–20; ML 17 (SI), 31,9–32,4; PL 18 (SI), 114,14–115,4. 224  ML 9 (SI), 24,8–20. 225  ML 17 (SI), 31,9–32,4; PL 18 (SI), 114,14–115,4. 226  DC I,5 (SII), 253,14–28. 227  DC II,1 (SII), 260,17–23; vgl. DC III,3 (SII), 266,24–267,5. 228  DC I,1–7 (SI), 246,1–260,2. 223 

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

261

keit von göttlicher Prädestination und menschlicher Freiheit ist damit ganz von der vorangehenden Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit abhängig.229 Gesteht man ihm aber zu, dass der Aufweis der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit gelungen ist, ist es nur konsistent, auch anzunehmen, dass Gott etwas als durch freien Willen zukünftig vorausbestimmt (K*).230 Dieser Schluss, dass Gott folglich auch vorausbestimmt, dass etwas durch freien Willen zukünftig sein wird, bedeutet somit, dass in Gottes umfassendem Vorausbestimmen enthalten ist, dass etwas durch den freien Willen von Menschen zukünftig sein wird. Die doppelte Modalität, dass etwas mit Notwendigkeit, aber nicht aus Notwendigkeit zukünftig sein wird, gilt demnach auch für die von Gott vorausbestimmten guten und bösen Werke des Menschen. Damit knüpft Anselm an den von Augustin in De dono perseverantiae formulierten Gedanken an, es könne zwar eine besondere Vorausbestimmung geben, nicht aber Vorausbestimmung ohne Vorauswissen, weil von Gott alles vollkommen weise und gerecht vorausbestimmt sei.231 Anders als Johannes Scotus Eriugena verwendet er diese Unterscheidung und Verhältnisbestimmung von Vorauswissen und Vorausbestimmen aber nicht, um gegen die Annahme einer umfassenden beziehungsweise doppelten Prädestination zu argumentieren.232 Vielmehr gebraucht er sie, um zu begründen, dass die Annahme der notwendigen, umfassenden göttlichen Vorausbestimmung mit menschlicher Freiheit vereinbar ist. Sie hebt sie nicht auf, sondern begründet sie in gewisser Weise sogar. Die so begründete These der Übereinstimmung von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen dient im Folgenden als Voraussetzung für die Übertragung der Argumentation für die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit auf die Lösung der Prädestinationsfrage. Dadurch kann angenommen werden, dass das durch den freien Willen des Menschen Bewirkte nicht nur in Gottes Vorauswissen enthalten ist, sondern auch in Gottes Vorausbestimmen. Demnach durch die Prädestination das freie Willens- und Wahlvermögen des Menschen nicht ausgeschlossen, sondern in einem je anders bestimmten Sinn als eine Mittelursache eingeschlossen. So präzisiert Anselm in De concordia II, die Prädestination zur Gerechtigkeit sei nicht so zu verstehen, dass Menschen dazu vorausbestimmt seien, aus Notwendigkeit zukünftig gerecht zu sein, ohne dann nicht auch zugleich frei zu sein. Demgegenüber betont er, die Prädestination zur Gerechtigkeit bedeute, dass Menschen mit Notwen229  Siehe

hierzu auch die kritische Diskussion bei: Schick, Willensfreiheit bei Anselm, 56–59. 230  DC II,3 (SII), 261,18–20. 231  Augustin, De dono perseverantiae X,19-XV,38 (PL 45), 103–1016; vgl. Ders., De correp­ tione et gratia VII,14 (CSEL 92), 233,17–235,35. 232  Johannes Scotus Eriugena, De praedestinatione, XII,1-XV,10. XVIII,2–4 (CChr.CM 50), 73,3–93,22. 111,19–113,86.

262

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

digkeit aus Gnade gerecht gemacht werden und zugleich wahrhaft frei, die gegebene Gerechtigkeit in Freiheit zu bewahren und zu gebrauchen.233 Schließlich impliziere auch die Gabe der Gerechtigkeit, dass Menschen dazu befreit werden, aus Gnade in Freiheit das gegebene Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren zu können.234 5.2.2.2. Die Weiterführung der Argumentation Anselm begnügt sich nicht mit der prinzipiellen Begründung der These, dass das göttliche Vorausbestimmen derart mit dem göttlichen Vorauswissen übereinstimmt, dass es gleichfalls einschließt, dass einiges ohne vorausgehende Notwendigkeit durch den freien Willen des Menschen zukünftig sein wird. Vielmehr greift er in De concordia II,3 zusätzlich die zuvor formulierten Argumente auf und wendet sie zur weiteren Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit an. So verweist er auch in diesem Zusammenhang modaltheoretisch auf die Differenz zwischen Zwang und Notwendigkeit, zeit- und ewigkeitstheoretisch auf die Simultaneität zwischen ewiger Gegenwart und zeitlicher Wandelbarkeit, freiheitsbegrifflich auf die Bestimmtheit und Bedingtheit der Freiheit und das Phänomen der freien Wahl und zurechnungstheoretisch auf die Gerechtigkeit Gottes angesichts der Vorgängigkeit der Vorausbestimmung. Zunächst wird in De concordia II,3 das modaltheoretische Argument aus De concordia I,1–4 aufgegriffen und in Bezug auf Gottes Vorausbestimmen und menschliche Freiheit weitergeführt.235 In Bezug auf Gottes umfassendes Vorausbestimmen sowohl des Guten als auch des Bösen kann schließlich erst recht eingewendet werden, dass die Annahme der Notwendigkeit alles Zukünftigen gleichbedeutend ist mit der Annahme eines universalen Zwangs entweder zum freiwilligen Guten oder zum freiwilligen Bösen. Aufgrund der modaltheoretischen Klärung des Notwendigkeitsbegriffs kann man Anselm zufolge jedoch auch in Bezug auf die Prädestination zugleich ohne Widerspruch sagen, dass alles, was Gott vorausbestimmt, notwendig zukünftig sein wird – und zwar notwendig auf die Weise, wie es von Gott vorausbestimmt ist – und dass etwas durch den freien Willen des Menschen zukünftig sein wird. Das heißt, einige Ereignisse sind als vorausgehend und nachfolgend notwendig geschehende Ereignisse vorausbestimmt und notwendig zukünftig, andere als nur nachfolgend notwendig geschehende Ereignisse.236 Demnach gilt es nicht nur als in Gottes Vorauswissen ewig präsent, dass einiges nur auf nachfolgend notwendige Weise, ohne Zwang, durch den freien Willen des Menschen zukünftig wirklich sein wird. Vielmehr gilt es auch als so 233 

DC II,3 (SII), 261,20–22; vgl. DC I,1 (SII), 246,14–247,4. Ebd; vgl. DC I,6 (SII), 255,31–257,27. 235  DC II,3 (SII), 261,22–262,4; vgl. DC I,2–4 (SII), 247,6–253,15. 236  DC II,3 (SII), 262,1–3. 234 

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

263

vorausbestimmt, dass sowohl die zukünftige selbstzweckhafte Bewahrung der Gerechtigkeit als auch die zukünftige Aufgabe der Gerechtigkeit auf nachfolgend notwendige Weise, ohne Zwang, durch den freien Willen des Menschen notwendig zukünftig sein wird.237 Um dies verstehbar zu machen, wird in De concordia II,3 präzisiert, dass Gott das durch den freien Willen des Menschen bewirkte Gute und Böse nicht prädestiniert indem er Zwang ausübt, sondern indem er den Willen frei sein lässt. So heißt es dort: Er wirkt aber nicht, indem er den Willen zwingt oder ihm widersteht, sondern indem er ihn an sein eigenes Vermögen freigibt.238

Damit betont Anselm, dass Gottes Vorausbestimmen zwar allem Guten und Bösen, das zukünftig durch den freien Willen des Menschen getan wird die Notwendigkeit auferlegt, so und nicht anders zukünftig sein zu können als vorausbestimmt. Zugleich präzisiert er aber, dass diese Notwendigkeit keinen Zwang auf den Willen ausübt, sei es Zwang zum Guten oder Zwang zum Bösen. Durch Gottes Vorausbestimmen werde einiges indirekt durch die menschliche Selbstbestimmung bewirkt oder geschehen gelassen. Der fatalistische Einwand gegen die Vereinbarkeit von Gottes Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit lässt sich nach Anselm also ebenfalls dadurch entkräften, dass durch die modaltheoretische Klärung des Notwendigkeitsbegriffs ein umfassendes, aber nicht fatalistisches Prädestinationsverständnis aufgezeigt wird, das mit menschlicher Freiheit vereinbar ist. Zudem wird unter Rekurs auf das in De concordia I,4–5 dargelegte zeit- und ewigkeitstheoretische Argument für die Simultaneität der Wandelbarkeit des von Gott Vorausbestimmten in der Zeit und der Unwandelbarkeit des von Gott Vorausbestimmten in Ewigkeit argumentiert.239 So heißt es in De concordia II,3: Wie schließlich das, was vorausgewusst wird, auch wenn es in der Ewigkeit unwandelbar ist, in der Zeit doch wandelbar ist, bevor es geschieht, so ist es auch bei allem in Bezug auf die Vorausbestimmung.240

Anselm geht von der Annahme aus, dass Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen sich nicht widerstreiten, sondern übereinstimmen. Er betont, es stelle demnach auch keinen Widerspruch dar, dass die Vorausbestimmung dem ewigen Ratschluss Gottes nach unwandelbar ist und in den Vorausbestimmten in der Zeit, bevor er verwirklicht ist, wandelbar. Wenn Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen sich nicht widersprechen, gibt es nämlich keinen Grund, warum Gottes Vorausbestimmen anders als sein Vorauswissen nicht zugleich in der Ewigkeit unwandelbar und in der Zeit nach wandelbar sein kann, bevor es 237 

DC II,3 (SII), 262,3–4. DC II,3 (SII), 262,3–4. 239  DC I,4–5 (SII), 252,7–255,29. 240  DC II,3 (SII), 262,10–12. 238 

264

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

eintritt. Dann ist aber der Einwand, dass Gottes Vorausbestimmen deshalb nicht mit menschlicher Freiheit vereinbar sei, weil dann die menschliche Gerechtigkeit beziehungsweise Ungerechtigkeit jederzeit unabänderlich beziehungsweise unwandelbar sei entkräftet. So lässt sich nach Anselm beim göttlichen Vorausbestimmen wie beim göttlichen Vorauswissen annehmen, dass es zugleich in der ewigen Gegenwart Gottes unwandelbar ist und in der Zeit wandelbar ist, bis es vollkommen verwirklicht ist. Dies entspricht auch den Überlegungen in De libertate arbitrii 14, wonach der Mangel an Rechtsein beim Menschen bis zum Ende seines Lebens durch Gottes Gnade auf hebbar ist und das von Gott gegebene Rechtsein beim Menschen auch zeitlebens eine gefährdete, zu bewahrende Gabe.241 In De concordia II,3 werden schließlich auch die in De veritate und De libertate analysierten und in De concordia I,6 neu reflektierten Begriffe der Gerechtigkeit und Freiheit sowie das Phänomen der freien Wahl aufgegriffen.242 Dabei wird zum einen betont, dass durch Gottes Vorausbestimmen das formale Kriterium der Abwesenheit von Zwang nicht aufgehoben wird. Der menschliche Wille wähle in jedem Fall freiwillig und nicht aus Zwang, was auch immer er wähle, weil Gott nicht vorausbestimme, indem er den Willen zwinge oder hindere, sondern indem er ihn an sein eigenes Vermögen freigebe.243 In jedem Fall wolle und wähle der Mensch, was er selber wolle, entsprechend der affektiven Grundausrichtung seines eigenen Willens, sei sie primär zum Angenehmen oder sei sie primär zur von Gott gegebenen Gerechtigkeit. So wird von Anselm zum anderen betont, dass eine Person, was auch immer sie wolle, freiwillig so wolle, wie es von Gott vorausbestimmt sei und sie nicht anders wollen könne als von Gott vorausbestimmt. In De concordia II,3 heißt es dementsprechend: dass weder die Prädestination den freien Willen ausschließt (nec praedestinatio excludit li­ berum arbitrium), noch der freie Wille der Prädestination entgegengerichtet sei (nec liber­ um arbitrium adversatur praedestinationi).244

Aufgrund der relationalen, inhaltlich positiven Definition von Freiheit gilt somit auch hier, dass es nicht zur Freiheit und zur freien Wahl gehört, anders wollen zu können als von Gott vorausbestimmt. Schließlich gilt der Wille nach Anselm als umso freier, je mehr er aus Gnade in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes wollen kann.245 Somit würde es in keiner Weise die Freiheit steigern, wenn jemand anders wollen könnte als von Gott vorausbestimmt. 241 

DLA 14 (SII), 226,9–18. DC II,3 (SII), 261,21–22; vgl. DV 12 (SI), 191,26–196,25; DLA 3 (SI), 210,23–212,23; DC I,6 (SII), 255,31–257,27. Siehe hierzu auch: Briancesco, Le Dernier Anselme, 577–580. Er macht darauf aufmerksam, dass nach Anselm Gottes rettende Gerechtigkeit nicht ohne Befreiung zur Freiheit zu denken sei. 243  DC II,3 (SII), 261,21–262,4. 244  DC II,3 (SII), 262,3–4. 245 Vgl. Schick, Willensfreiheit bei Anselm, 58–59. Er überlegt an dieser Stelle, ob sich 242 

5.2. Die Vereinbarkeit von Gottes Prädestination und menschlicher Freiheit

265

Schließlich wird in De concordia II,3 auch das zurechungstheoretische Argument zur Begründung der Vereinbarkeit von Gottes umfassendem Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit weitergeführt.246 Dabei unterscheidet Anselm, dass gute Werke direkt durch Gott beziehungsweise „seine Gnade“ (sua gratia) gewirkt werden, böse Werke hingegen nur indirekt durch „die Schuld des Willens“ des Menschen (culpa voluntatis). So schreibt er in De concordia II,3: So sehr jedoch der Wille sich seines Vermögens bedient; er tut nichts, was Gott nicht wirkte, bei den guten Werken aufgrund seiner Gnade (sua gratia), bei den Bösen nicht aufgrund seiner [das heißt Gottes (Anm. d. Verf.)] Schuld, sondern aufgrund der des Willens (culpa voluntatis).247

Durch die Aussage, dass Gottes Vorausbestimmen sowohl in Richtung auf das Gute als auch in Richtung auf das Böse wirksam ist, hält Anselm an dem in De concordia II,1–2 ausgedrückten Gedanken der Allumfassendheit der göttlichen Prädestination fest.248 Allerdings differenziert er, indem er betont, dass Gott auf verschiedene Weise durch den freien Willen des Menschen wirkt. Dabei ist entscheidend, dass Anselm in Anlehnung an Augustin gegen die pelagianische beziehungsweise semipelagianische Sicht festhält, dass Gott die guten Werke aufgrund seiner Gnade wirksam vorausbestimmt.249 So wie Augustin in De praedestinatione sanctorum hervorhebt, „dass Gott nicht aufgrund des Vorauswissens guter Taten die Heiligen vorausbestimmt, sondern aufgrund seines eigenen Willens“,250 betont Anselm in De concordia II,3, dass Gottes Vorausbestimmen bei den guten Werken aufgrund seiner Gnade wirksam ist und nicht aufgrund des menschlichen Willens.251 Dieser Gedanke ist entscheidend. Dadurch geht Anselm nämlich nicht nur von der Übereinstimmung des göttlichen Vorausbestimmens mit dem göttlichen Vorauswissen aus. Vielmehr geht er auch davon aus, dass das göttliche Vorausbestimmen des Guten seinen Grund in Gottes Gnadenhandeln hat.252 Deshalb wird an dieser Stelle auch von Anselm angemerkt, dass dieser Gedanke verständlicher werden nicht doch eine Deutung als eine Form von Kompatibilismus nahe legt, plädiert dann aber für eine libertarische Interpretation mit dem Argument, dass es Anselm mehr um den Aufweis der Unvereinbarkeit von vorausgehender Notwendigkeit und menschlicher Freiheit gehe. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass die Gesamtargumentation in DC II auf den Aufweis der Vereinbarkeit von nachfolgender Notwendigkeit und menschlicher Freiheit zielt. 246  DC II,3 (SII), 262,4–7; vgl. DC I,7 (SII), 257,29–262,2. 247  DC II,3 (SII), 262,4–6. 248  DC II,1 (SII), 260,14–15. 249  DC II,3 (SII), 262,5–6. 250  DC II,3 (SII), 262,5–6; vgl. Augustin, De praedestinatione sanctorum X,19-XV,30 (PL 44), 974–982. 251  DC II,3 (SII), 262,5–6. 252  Hier besteht meiner Ansicht nach eine deutliche Differenz zu Molinistischen Positionen, vgl. jedoch, Leftow, Time and Eternity, 260–266, der Anselms Position auch als quasi-Molinismus bezeichnet.

266

5. Freiheit, Vorauswissen und Prädestination

wird, wenn das Verhältnis von Gottes Gnadenhandeln und menschlicher Freiheit erörtert werden wird.253 Von gleicher Wichtigkeit ist aber, dass Anselm – gleichfalls in Anlehnung an Augustin – gegen die manichäische Position betont, dass Gott die bösen Werke aufgrund der Schuld des menschlichen Willens wirksam vorausbestimmt, nicht aufgrund seiner eigenen Schuld.254 Augustin versucht sowohl in De libero arbitrio als auch in De praedestinatione sanctorum aufzuzeigen, dass der Ursprung des Bösen nicht in Gott oder einem transzendenten bösen Prinzip liegt, sondern im freien Willensakt des Menschen, der sich von Gott abwendet. So schreibt Augustin in De praedestinatione sanctorum, dass Gott „die Bösen aufgrund ihres vorangegangenen Verdienstes“ vorausbestimmt,255 das heißt aufgrund der durch ihre freiwillige Sünde entstandenen Schuld und durch die gerechte Strafe dafür. Dem entspricht Anselms Gedanke in De concor­ dia II,3, dass Gottes Vorausbestimmen bei den bösen Werken nicht aufgrund einer Ungerechtigkeit beziehungsweise Schuld Gottes wirksam ist, sondern aufgrund der Schuld des menschlichen Willens, der sich von Gott abwendet.256 So versucht Anselm durch die Übertragung der Argumente für die Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschlicher Freiheit aufzuzeigen, dass Gottes umfassendes Vorausbestimmen und menschliche Freiheit in gleicher Weise vereinbar sind. Durch diesen Ansatz zur Lösung des analogen, verschärften Dilemmas begründet er schließlich die These der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit.

5.3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Anselm in De concordia I-II in zwei Schritten die These der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit begründet. Damit deckt er das zuvor dargestellte zweifache Dilemma als ein Scheindilemma auf. Dabei ist zum einen in Bezug auf die Gesamtargumentation herausgestellt worden, dass Anselm die Vereinbarkeit analog mit jeweils fünf und nicht nur mit zwei Argumenten indirekt begründet. Historisch lässt sich zudem erkennen, dass Anselm in dieser Argumentation insbesondere die von Augustin und Boethius entwickelten Lösungen des Problems der Unvereinbarkeit von göttlicher Vorsehung und menschlicher Freiheit aufgreift und in einem gnadentheologischen Horizont in Bezug auf Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen weiterführt. So entwickelt Anselm vor dem Hintergrund früherer Prädestinationskontroversen eine Lösung, die als ein mo253 

DC II,3 (SII), 262,7. DC II,3 (SII), 262,6. 255 Siehe: Augustin, De libero arbitrio, III,1,1–4,11 (CChr.SL 29), 274,1–281,48; Augustin, De praedestinatione sanctorum V,10-X,19 (PL 44), 967–975. 256  DC II,3 (SII), 262,5–6. 254 

5.3. Zusammenfassung

267

difizierter theologischer Kompatibilismus beziehungsweise Kompossibilismus bezeichnet werden kann. Damit unterscheidet sie sich sowohl von einem fatalistischen Modell, zu dem die Konzeption Gottschalks tendiert, als auch von einem indeterministischen Modell, wie es etwa in Johannes Scotus Eriugena De praedestinatione angedeutet wird. So kann Anselms Lösung als rationale Neuformulierung von Augustins kontroverstheologisch entfalteter Freiheits- und Gnadenlehre gedeutet werden. Analytisch lässt sich Anselms Konzeption meiner Ansicht nach aus mehreren Gründen als ein theologischer Kompatibilismus beziehungsweise Kompossibilismus charakterisieren. Zum einen lässt sich bereits durch die Argumentationsstruktur erkennen, dass es ihm um den Aufweis der Übereinstimmung von Freiheit und Notwendigkeit beziehungsweise Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen geht. Gegen eine libertarische Deutung der Anselmschen Freiheitstheorie sprechen meiner Ansicht nach zudem auch sein relationaler, inhaltlich positiv bestimmter Begriff bedingter Freiheit, die Betonung, dass sich alles zwar ohne Zwang, aber mit Notwendigkeit so und nicht anders ereignet, als es sich ereignet und die Begründung der ewig wirksamen Vorgängigkeit des unbedingten, göttlichen Vorauswissens und Vorausbestimmens vor dem zeitlichen Sein aller Ereignisse. Theologisch zentral ist dabei die These, dass die mit Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen einhergehende Notwendigkeit nicht die relative Eigenständigkeit der natürlichen Prozesse und personalen Handlungen der Menschen auf hebt, sondern vielmehr begründet. Dies hat seinen Grund darin, dass die vollkommene Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen nicht in Analogie zum naturkausalen Determinismus als ein theologischer Fatalismus zu verstehen ist. Sie wird im Rahmen eines trinitarischen Gottesverständnisses relational als ein theologischer Determinismus verstanden, der mit menschlicher Freiheit vereinbar ist. Die Notwendigkeit, mit der alles von Gott Vorausgewusste und Vorausbestimmte zukünftig sein wird, wird von Anselm schließlich dezidiert als eine nachfolgende Notwendigkeit bezeichnet. Sie ist mit menschlicher Freiheit vereinbar, weil sie nicht in der Zeit einen kausalen Zwang ausübt. Sie bewirkt von Ewigkeit her die teleologische Bestimmtheit von allem durch Gottes Liebeswillen. Dies entspricht auch den im Monologion und Proslogion entfalteten theologisch-anthropologischen Grundlagen. Ihnen zufolge ist Gott der Grund menschlicher Freiheit. Die Übereinstimmung mit seinem Willen ist das innere Ziel der Freiheit des Menschen. Dadurch wird in De concordia I-II aufgezeigt, dass sich das unbedingt freie Handeln Gottes und das bedingt freie Handeln des Menschen nicht ausschließen. Ersteres begründet Letzteres. So stellt Anselm heraus, dass es Gottes freies Wirken ist, das sein Vorauswissen und Vorausbestimmen einerseits und die menschliche Freiheit andererseits vereinbar macht.

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption 6.0. Einleitung Die Frage, wie Gottes Gnade und menschliche Freiheit vereinbar sind, stellt für Anselm schließlich die freiheitstheoretisch zentrale Kernfrage dar. Von ihr aus gewinnen die vorangehenden Dilemmata der Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit her ihre Relevanz und die entworfene Lösung ihre abschließende Begründung.1 Man kann sogar sagen, dass die gesamte Freiheitstheorie durch die gnadentheologischen Überlegungen in De concordia III abgeschlossen und systematisch grundgelegt wird. Dabei wird deutlich, dass Anselm Freiheit wesentlich als begnadete Freiheit versteht und die Notwendigkeit der unbedingten Gabe der Gnade des Rechtseins für vereinbar hält mit der durch sie bedingten Freiheit, sie um ihrer selbst willen bewahren zu können. Damit greift Anselm den Kern der Diskussion zwischen Augustin und semipelagianischen Theologen wie etwa Julian von Eclanum und Johannes Cassianus über das Verhältnis von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit auf.2 Diese Frage hat auch nach dem irenischen Beschluss der Synode von Orange (529) die Prädestinationskontroversen des 9. Jahrhunderts geprägt. Im Übergang vom 11. zum 12. Jahrhundert ist sie schließlich auch von Anselms Schüler Honorius Augustodunensis sowie später Bernhard von Clairveaux und Petrus Abaelard neu diskutiert worden.3 In enger Anlehnung 1  DC I,7 (SII), 259,21–32; DC II,3 (SII), 262,3–7; DC III, SII, 265,19–24; Siehe hierzu auch.: Briancesco, Le Dernier Anselme, 559–596; vgl. von Balthasar, La Concordantia libertatis, 29–45. 2  Siehe hierzu: Jean Laporte, La Grace chez Augustin, 425–442; Weaver, Divine Grace and Human Agency, 16–69; Jonas, Augustin und das paulinische Freiheitsproblem, 23–105; Kurt Flasch, Logik des Schreckens, in: Ders. (Hg.), Augustinus, De diversis questionibus ad Simplicianum I,2 (lat. – deutsch), übers. v. Walter Schäfer, Mainz 1990, 19–138. 3  Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1197B-1222D; Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio, Prol.-XIV,51 (Werke), 165,5–203,19; Petrus Abaelard, Scito te ipsum I,11,1–14,4 (CChr.CM 190), 11,276–14,357. Ders., Commentarius in Roma­ nus II (V,19) (CChr.CM 11), 165,389–169,535. Siehe hierzu auch: Charles P. Carlson, Justification in earlier Medieval Theology, Den Haag 1975; Aage Rydstrøm-Poulsen, The Gracious God, Grace in Augustin and the Twelfth Century, Copenhagen 2002, 114–128. Siehe hierzu auch: Bäumker, Das Inevitabile des Honorius Augustodunensis, 46; zu Anselms „Canterbury Zirkel“ insgesamt siehe: Southern, Saint Anselm, 367–381.

6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit

269

an Augustins De gratia et libero arbitrio argumentiert Anselm schließlich für eine gnadentheologisch begründete Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit.4 Damit versucht er aufzuzeigen, dass ein gnadentheologischer Monergismus die Vereinbarkeit und nachfolgende Kooperation von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit im Guten beinhalten und begründen kann.5 Im Folgenden soll diese gnadentheologische Grundlegung der Freiheitstheorie erörtert werden. Als Erstes (6.1.) wird Anselms Problemformulierung mit ihren charakteristischen, exegetischen, erfahrungsbezogenen und theologietypologischen Bezügen dargestellt. Als Zweites (I.6.2.) wird Anselms Lösung in ihrer Gesamtstruktur rekonstruiert.

6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit Die Frage der Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit stellt für Anselm, wie die vorangehenden Probleme der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen einerseits und menschlicher Freiheit andererseits, ein philosophisch-theologisches Dilemma dar – allerdings ein soteriologisch zugespitztes, vielschichtiges Dilemma. Das Problem besteht nicht nur darin, dass die Annahme der alleinigen Allwirksamkeit von Gottes Gnadenhandeln und die Annahme menschlicher Freiheit unvereinbar zu sein scheinen. Es besteht darin, dass bestimmte Auffassungen ihrer Vereinbarkeit theologisch ausgeschlossen sind. Es geht somit in De concordia III nicht nur darum, aufzuzeigen, dass Gottes Gnade und menschliche Freiheit vereinbar sind. Es geht auch darum, zu klären, wie ihre Vereinbarkeit theologisch zu verstehen ist. Dabei wird an Anselms Analyse des Problems in De concordia III,1–2 deutlich, dass er die Ursprünge des Problems in biblisch-hermeneutischen, erfahrungsbezogenen und theologiety-

4 Vgl. Augustin, De gratia et libero arbitrio I,1-XXIV,46 (PL 44), 881–912. Siehe hierzu insbesondere auch: Ingu, Über die Gnade und die Willensfreiheit, 1–15, der dafür argumentiert, dass Anselm’s Freiheitstheorie protoprotestantischen Charakter hat. Vgl. Goebel, Rec­ titudo, 471–504, Goebel verwendet keine konfessionellen Beschreibungskategorien, arbeitet aber sehr präzise heraus, inwiefern nach Anselm sittliche Gutheit und ihre Freiheit ein Werk der Gnade ist. 5  Anders hingegen ein Grossteil der Forschung, der Anselms Konzeption als synergistisch deutet. Bäumker, Die Lehre Anselms, 60–68; Kane, Anselm’s Doctrine of Freedom, 159– 179; Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; Dies., Anselm on Grace and Free Will, in: The Saint Anselm Journal 2.2. (2005), 66–72; Schick, Willensfreiheit, 60–68; Franz, Die Freiheit des Menschen und die Gnade Gottes, 229–248; vgl. Leif Grane, Anselm of Canterbury’s Teaching on the Relation Between Grace and Free Will; Laeren om forholdet mellem naden og den fri vilje hos Anselm af Canterbury, in: Festskrift til N. H. Soe, Kopenhagen 1965, 33–55; Laporte, La Grace, 443–444; und vor allem Corbin, Espérer pour tous, 177– 240; Orazzo, Analogia Libertatis, 107–124.

270

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

pologischen Divergenzen sieht.6 Entsprechend setzt die Problemanalyse auch genau dort ein. Sie thematisiert zunächst die scheinbar einander widersprechenden biblischen Aussagen, Erfahrungen und die entsprechenden, entgegengesetzten, theologischen Positionen. In enger Anlehnung an die Problemformulierung in Augustins später Schrift De gratia et libero arbitrio7 reformuliert Anselm das Problem vor dem Hintergrund der Kontroversen um das richtige Verständnis des augustinischen Erbes sowie der Divergenzen nicht nur zwischen den Auffassungen in seinem unmittelbaren Umfeld 8 , sondern darüber hinaus auch zwischen den sich zunehmend unterschiedlich profilierenden Konzeptionen lateinischer und orthodoxer Theologen.9 Zudem präzisiert Anselm die für das Problem zentralen Begriffe der Gnade, Gerechtigkeit und Freiheit und stellt das Problem in seiner inneren Dilemmastruktur und theologischen Zuspitzung dar. Im Folgenden soll Anselms Analyse des Problems, seiner Ursprünge, Begriffe und Struktur in drei Schritten dargestellt werden. Dabei wird zunächst (6.1.1.) aufgezeigt, wie in De concordia III,1 das Dilemma von seinen biblisch-exegetischen, erfahrungsbezogenen und theologietypologischen Wurzeln her beschrieben wird. Anschließend wird (6.1.2.) erläutert, wie die zentralen Begriffe der Gnade, Gerechtigkeit und Freiheit in De concordia III,2 präzisiert werden. Als Drittes wird (6.1.3.) schließlich rekonstruiert, wie er das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit in seiner inneren Dilemmastruktur und theologischen Zuspitzung darstellt.

6.1.1. Die biblisch-exegetischen, erfahrungsbezogenen und theologietypologischen Ursprünge Als Erstes zeigt Anselm auf, inwiefern das Dilemma biblisch-hermeneutischen Ursprungs ist. Gleich zu Beginn von De concordia III,1 stellt er heraus, dass die Frage deswegen auf komme, weil einige biblische Texte dafür sprechen, „dass der freie Wille nichts zum Heil nützt, sondern allein die Gnade (sola gratia)“ und andere so sprechen, „als ob unser ganzes Heil in unserem freien Willen besteht 6 

DC III,1–2 (SII), 263–265,18. Augustin, De gratia et libero arbitrio I,1-IX,21 (PL 44), 881–894. 8  Siehe hierzu: Gottschalk, Responsa VI-VII (SSL 20), 146,16–158,28; vgl. Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione, Praef.-Epil. (CChr.CM 50), 3,5–122,42. Zu anderen frühmittelalterlichen Konzeptionen in Anselms näherem Umfeld siehe auch: Anselm von Laon, Sententie divine pagine (BGPhMA 18), 27–32, und Honorius Augustodunensis, De libero arbitrio libellus, (PL 172), 1223–1230; vgl. weiter Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio, Prol.-XIV,51 (Werke), 165,5–203,19 und Petrus Abaelard, Commentarius in Romanos II (V,19) (CChr.CM 11), 165,389–169,535. Siehe hierzu auch: Rydström-Poulsen, The Gracious God, 114–128. 9 Vgl. Augustin, De praedestinatione sanctorum X,19 (PL 44), 974–975; Ders., De dono perseverantiae, XIV,34–35 (PL 45), 1013–1015; Origenes, De principiis III,1,1–7 (TzF 24), 652,1–483,20; Ders., Commentarii in Epistulam ad Romanus VI,9 (FC 2;3), 266,23–284,17; Gregor von Nyssa, Oratio catechetica XXVII-XXIX; XXXIII-XL (SC 453), 266,1–282,22; 294,1–338,93; Hausammann, Der umgeworfene Spiegel, 50 ff. 7 

6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit

271

(velut tota nostra salus in libera nostra consistat voluntate)“.10 Damit geht er nicht nur auf den Charakter der Diskussion in seinem unmittelbaren Umfeld ein. Treffend führt er auch die lange theologiegeschichtliche Kontroverse und die sich vertiefenden Differenzen zwischen lateinischen und orthodoxen Auffassungen auf verschiedene, scheinbar einander widersprechende biblische Aussagen zurück. Zur Verdeutlichung der biblisch-hermeutischen Dimension des Dilemmas werden exemplarisch Textstellen aus verschiedenen biblischen Texten angeführt, die in den theologischen Kontroversen diskutiert worden sind und repräsentativen Charakter haben. Als biblische Aussagen, die für die alleinige Allwirksamkeit von Gottes Gnadenhandeln sprechen, werden beispielhaft vier soteriologische Aussagen der johanneischen und paulinischen Theologie erwähnt. Aus dem Johannesevangelium nennt er die Jesus zugeschriebenen Aussagen: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ ( Joh 15,5) und „Niemand kommt zu mir, es sei denn, der Vater zöge ihn.“ ( Joh 6,44). Aus der paulinischen Theologie wird exemplarisch die Frage angeführt „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ (1Kor 4,7) und die theologische Aussage „Es liegt nicht bei dem der will, noch bei dem, der läuft, sondern bei Gott, der sich erbarmt [...] Er erbarmt sich, wessen er will, und verhärtet, wen er will“ (Röm 9,16–18).11 Diese vier verschiedenen Aussagen haben Anselm zufolge gemein, dass sie deutlich betonen, dass das Heil des Menschen allein und ganz von Gottes Gnade abhängt und nicht durch den freien Willen des Menschen bewirkt wird.12 Sie können also dahingehend gedeutet werden, „dass der freie Wille nichts zum Heil nützt, sondern allein die Gnade“. Andererseits führt Anselm exemplarisch drei Textstellen aus der jesajanischen, psalmistischen und matthäischen Theologie an, die voraussetzen, dass der Mensch ein freies Willens- und Wahlvermögen hat und dass dieses eine Rolle im Heilsprozess spielt. Dazu nennt er die Verheißung des Propheten Jesaja „Wenn ihr wollt und auf mich hört, werdet ihr die Güter der Erde genießen“ ( Jes 1,19), die in den Psalmen formulierte Aufforderung „Bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nichts Trügerisches reden. [...] Lass ab vom Bösen und Tue das Gute!“ (Ps 34,13–15) und die im Matthäusevangelium Jesus zugeschriebene Einladung „Kommt her zu mir alle, die ihr euch abmüht und belastet seid, und ich will euch erneuern. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin milde und demütigen Herzens; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele“ (Mt 11,28 ff.).13

10 

DC III,1 (SII), 263,5–8. DC III,1 (SII), 263,8–13. Diese vier Aussagen werden so auch von Augustin in De gratia et libero arbitrio zitiert. Siehe hierzu: Augustin, De gratia et libero arbitrio IV,7-VI,15 (PL 44), 886–891. 12  DC III,1 (SII), 263, 12–13. 13  DC III,1 (SII), 263, 19–26. 11 

272

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

Diese sehr unterschiedlichen Texte sagen zwar nicht direkt aus, dass der Mensch ein freies Willens- und Wahlvermögen hat, das in den Heilsprozess einbezogen ist. Aber sie reden den Menschen so an, als ob dies der Fall wäre. Ihrem moralischen Sinn nach implizieren diese diversen Auforderungen Anselm zufolge, dass der Mensch freiwillig wollen kann, was Gott von ihm will.14 Der gemeinsame Sinngehalt dieser Aussagen besteht darin, „dass unser ganzes Heil in unserem Willen steht“.15 Exklusiv gedeutet, können diese Aussagen demnach auch gegen die Annahme der Allein- und Allwirksamkeit von Gottes Gnade angeführt werden.16 Die biblisch-hermeneutische Wurzel des Problems besteht Anselm zufolge also darin, dass es sowohl zahlreiche biblische Texte gibt, die eindeutig dafür sprechen, dass Gottes Gnade allein und ganz das Heil des Menschen bewirkt, als auch – in scheinbarem Widerspruch – viele Texte, die ganz klar dafür sprechen, dass das freie Willens- und Wahlvermögen in den Heilsprozess einbezogen ist. Wenn man jedoch beide Aussagestränge als einander widersprechend deutet, bleibt folglich nur die Alternative, entweder zugunsten gnadentheologischer Aussagen freiheitstheoretische Aussagen zu negieren oder zugunsten freiheitstheoretischer Aussagen gnadentheologische Aussagen zu relativieren. Anselm zeigt zweitens auf, dass diesen entgegengesetzten Deutungen biblischer Aussagen über Gottes Gnade und menschlicher Freiheit zwei entgegengesetzte Erfahrungen, Selbstverständnisse und Charakterdispositionen entsprechen. Die exklusiv gnadentheologische Schriftdeutung wird von Anselm mit Erfahrungen der Willensschwäche, der Ohnmacht und des Scheiterns in Verbindung gebracht und mit dem Bewusstsein der Sünde sowie mit einer Charakterdisposition, die zur Selbstverzweiflung neigt. Dabei geht Anselm zunächst auf die Erfahrung der Willensschwäche ein. Diese kann als erfahrungsbezogener Grund für ein exklusives Gnadenverständnis angeführt werden und für die Annahme, das der Mensch niemals, auch nicht im Glauben, durch freie Wahl gestützt und aufrecht erhalten wird.17 Dabei wird zum einen die Erfahrung angeführt, dass es Menschen trotz Bemühung nicht gelingt, Gutes zu bewirken (non proficiant). Zum anderen wird auf die Erfahrung verwiesen, dass Menschen nach anfänglichem Fortschreiten im Glauben und Lieben unwiederbringlich scheitern (post profectum deficiunt).18 Sowohl die Erfahrung, dass man das Gute, das 14  DC III,1 (SII), 263, 26–264,2. Diese und andere Aussagen werden beispielsweise von Origenes in De principiis III,1,6 zur Verteidigung menschlicher Freiheit gegenüber einem theologischen Fatalismus herangezogen; Siehe: Origenes, De principiis, III,1,6 (TzF 24), 474,7–481,7; vgl. hierzu auch: Augustin, De gratia et libero arbitro II,2 (PL 44), 882–883. Siehe hierzu auch Hausammann, Der umgeworfene Spiegel 50 ff. 15  DC III,1 (SII), 263, 14–18, 7–8. 16  DC III,1 (SII), 264, 2–3. 17  DC III,1 (SII), 263, 14–18. 18  Ebd. Siehe hierzu insbesondere auch: Goebel, Anselm von Canterbury über Willens-

6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit

273

man will, trotz Bemühen nicht auch aktual und effektiv vollbringen kann als auch die Erfahrung, dass man im Guten, obwohl man es anfänglich will, nicht bis zum Ende durchhalten kann, werden dabei als Phänomene der Ohnmacht verstanden. Diese gehen auf eine Charakterdisposition zurück, die aufgrund des Bewusstseins der Sünde zur Verzweiflung (desperatio) neigt. Aus dieser Perspektive legt sich Anselm zufolge nah, die Möglichkeit eines im Glauben zum Guten mitwirksamen freien Wahlvermögens zu negieren.19 Die exklusiv freiheitstheoretische Schriftdeutung wird von Anselm hingegen in Zusammenhang gebracht mit Erfahrungen von vergeltender Gerechtigkeit, verdientem Lohn und verdienter Strafe, dem Bewusstsein ethischer Verantwortung, Tugend- oder Lasterhaftigkeit und göttlichem Gericht sowie einer Charakterdisposition, die zum Hochmut (superbia) neigt.20 In der Erfahrung eines gerecht vergeltenden Zusammenhangs zwischen Tun und Ergehen, gerechtem Lohn und gerechter Strafe erlebt sich der Mensch demnach als frei und als selbst verantwortlich für das, was er will, wählt und tut. Das Bewusstsein der individuellen Verantwortung vor Gottes gerecht richtendem Urteil kann dabei jedoch dahingehend ethisiert werden, dass die gesamte Wirksamkeit der Tugenden und Laster als allein vom freien Wahlvermögen abhängig gesehen wird.21 Die Annahme, dass der Mensch allein aus sich selbst heraus tugendhaft handeln kann, wird von Anselm jedoch als eine hochmütige Charakterdisposition bezeichnet. Aus dieser Perspektive heraus legt sich nach Anselm nämlich nah, die vollkommene Angewiesenheit auf Gottes vorgängiges und umfassendes Gnadenhandeln zu verneinen oder instrumentell zu relativieren. Damit weist Anselm darauf hin, dass beide entgegengesetzten Erfahrungen, Selbstverständnisse und Charakterdispositionen in gleicher Weise dazu beitragen können, die Unvereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit anzunehmen. Die als hochmütig charakterisierte Position, die die gesamte Wirksamkeit der Tugenden auf die Freiheit der Wahl zurückführt und die entgegengesetzte, als verzweifelt charakterisierte Position, die bestreitet, dass die freie Wahl des Menschen etwas sei, werden von Anselm aber nicht nur psychologisch, sondern auch theologietypologisch charakterisiert.22 So heißt es am Ende von De concordia III,1: Da wir nun in der Heiligen Schrift einige Stellen finden, die allein für die Gnade sprechen und einige Stellen, die allein eine freie Wahl ohne Gnade aufzustellen scheinen, stärke und Willensschwäche, 90–105; vgl. Henry Rondet, Grâce et péché. L’Augustinisme de saint Anselme, in: Spiccilegium Beccense I, 155–169. 19  So etwa: Gottschalk, Responsa VI-VI (SSL 20), 146,16–158,28. 20  DC III,1 (SII), 264,2–5. 21  So etwa: Boethius, Philosophiae consolatio V,3,29–36. V,6,44–48 (CChr.SL 94), 93,77– 94,101. 105,145–156. 22  Ähnlich auch: Augustin, De gratia et libero arbitrio, I,1 (PL 44), 881–882.

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6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

hat es einige Hochmütige (superbi) gegeben, die annehmen, dass die gesamte Wirksamkeit der Tugenden auf der Freiheit der Wahl beruht, und es sind in unserer Zeit viele, die völlig verzweifeln (penitus desperant), dass der freie Wille etwas sei.23

Obwohl Anselm keine Namen nennt, sondern die Positionen typologisch beschreibt, spiegeln sich in dieser Charakterisierung historische Positionen wieder, von denen aus gegen die Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit argumentiert worden ist. Eine prädestinations- und gnadentheologisch begründete Bestreitung der Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit ist in der frühmittelalterlichen lateinischen Theologie insbesondere von Gottschalk unter Berufung auf biblische Texte und die späten gnadentheologischen Schriften Augustins formuliert worden.24 Auch wenn die Position eines gnadentheologisch begründeten Fatalismus auf der Synode von Quierzy (849) verurteilt worden ist, zeigen die Schriften von Honorius Augustodunensis und Bernhard von Clairveaux, sowie Anselms Briefe, wie virulent diese Gedanken auch im 11. und 12. Jahrhundert weiterhin gewesen sind.25 So skizziert Honorius Augustodunensis in De libero arbitrio die Position eines theologischen Fatalismus und wirft die Frage nach der Bedeutung des freien Wahlvermögens (liberum arbitrium) auf.26 Ähnlich geht auch wenig später Bernhard von Clairveaux in De gratia et libero arbitrio auf die in monastischen Kreisen verbreitete gnadentheologisch begründete Bestreitung menschlicher Freiheit ein.27 Demnach ist anzunehmen, dass sich Anselm mit dem Verweis auf „viele, die völlig verzweifeln (penitus despe­ rant), dass der freie Wille etwas sei“28 auch auf die Position eines gnadentheologisch begründeten Fatalismus bezieht. Eine freiheitstheoretisch begründete Absehung, Relativierung oder Verneinung der Notwendigkeit der alleinigen Allwirksamkeit von Gottes Gnade findet sich demgegenüber seit der Antike in diversen Konzeptionen, wie etwa in Boethius Philosophiae consolatio, in Entwürfen griechischer Theologen wie Origenes oder Gregor von Nyssa, sowie in semipelagianischen Schriften, etwa von Julian von Eclanum und in der asketischen Literatur, insbesondere in Johannes Cassianus Collationes.29 Dass diese in sich ausdifferenzierte Position eines frei23 

DC III,1 (SII), 264,6–10. hierzu: Gottschalk, Responsa VI-VII (SSL 20), 146,26–158,28, wo er explizit die Möglichkeit bestreitet, dass das freie Willens- und Wahlvermögen eine positiv stützende Rolle im Heilsprozess spielen kann. 25  Honorius Augustodunensis, De libero arbitrio libellus, (PL 172), 1223A-1230B; vgl. weiter Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio, I,1-XIV,51 (Werke), 165,5– 203,19. 26  Honorius Augustodunensis, De libero arbitrio libellus (PL 172), 1223–1224. 27  Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio I,1 (Werke), 165,5–167,19. 28  DC III,1 (SII), 264,6–10. 29  Boethius, Philosophiae consolatio V,3,29–36. V,6,44–48 (CChr.SL 94), 93,77–94,101. 105,145–156; Origenes, De principiis III,1,1–7 (TzF 24), 652,1–483,20; Ders., Commentarii in Epistulam ad Romanus VI,9 (FC 2;3), 266,23–284,17; (siehe hierzu auch: Eberhard Scho24  Siehe

6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit

275

heitstheoretischen Indeterminismus trotz der Verurteilung des semipelagianischen Synergismus auf der Synode von Orange (529) und der Zurückweisung von Johannes Scotus Eriugenas indeterministischer Kritik an Gottschalks gnadentheologischem Fatalismus zu Beginn des 12. Jahrhunderts neue Zustimmung fand, zeigt sich dabei exemplarisch in Abaelards Überlegungen im Römerbrief kommentar.30 So könnte zum einen die verstärkte Auseinandersetzung mit byzantinisch-orthodoxen Theologien und die Rezeption der theosis-Vorstellungen griechischer Kirchenväter und zum anderen die Entstehung eines neuen ethischen Bewusstseins an den sich bildenden säkularen Schulen und Universitäten dazu beigetragen haben, dass – wie Anselm formuliert – „einige annehmen, dass die gesamte Wirksamkeit der Tugenden auf der Freiheit der Wahl beruht“.31 Beide Typen von Theologie teilen Anselm zufolge bei aller Gegensätzlichkeit die These, dass eine alleinige Allwirksamkeit von Gottes Gnade und menschliche Freiheit unvereinbar sind. Zudem können sich sowohl die Position eines gnadentheologischen Fatalismus als auch die Position eines freiheitstheoretischen Indeterminismus ihre Unvereinbarkeitsthesen durch entsprechende biblisch-hermeutische, erfahrungsbezogene und theologiegeschichtliche Argumente begründen. Mit dieser Analyse der Ursprünge und Dimensionen des Problems formuliert Anselm also zugleich den Anspruch, dass eine Lösung diesen Dimensionen des Problems argumentativ gerecht werden muss und der Aufweis der Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit auch eine alternative Deutung der biblischen Aussagen und Erfahrungen bieten muss.

6.1.2. Die Begriffe der Gnade, Gerechtigkeit und Freiheit In De concordia III,2 wird zudem der Sinn der zentralen Begriffe des Dilemmas, das heißt der Gnade (gratia) und Gerechtigkeit und des Rechtseins (iustitia; recti­ tudo) und der Freiheit (libertas;libero arbitrio) präzisiert.32 Durch diese Begriffsklärung wird das Problem theologisch als auch anthropologisch und entwicklungsgeschichtlich verortet. Der Begriff der Gnade wird von Anselm dahingehend präzisiert, dass er in dem Dilemma im konkreten zugespitzten Sinn des versöhnenden und vollendenden Gnadenhandelns Gottes in Christus und im Geist verwendet wird,

ckenhoff, Fest der Freiheit. Theologie des christlichen Handelns bei Origenes, Mainz 1990, 105–131) und Gregor von Nyssa, Oratio catechetica XXVII–XXIX; XXXIII–XL (SC 453), 266,1–282,22; 294,1–338,93; Johannes Cassianus, Collationes XIII,I,1–XVIII,5 (CSEL 28,1), 361,1–369,10. Zum Verständnis der Willensfreiheit in der ostkirchlichen Tradition siehe weiter Hausammann, Der umgeworfene Spiegel, 50–121. 30  Abaelard, Commentarius in Romanos II (V,19) (CChr.CM 11), 165,389–169,535. 31  DC III,1 (SI), 264,8–9. 32  DC III,2 (SII), 264,15–265,24.

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6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

„ohne die kein Mensch erlöst wird“ (sine qua nullus salvator homo).33 Diese Zuspitzung auf den konkreten soteriologischen Sinn von Gnade formuliert Anselm vor dem Hintergrund seines allgemeinen Verständnisses des umfassenden, wohlwollenden, schöpferischen, bewahrenden und segnenden Gebens Gottes.34 Als freiwillige Gabe der göttlichen Güte ist sie nach Anselm ein Aspekt der Allgütigkeit Gottes und wie das göttliche Vorauserkennen und Vorausbestimmen unergründlich und allgegenwärtig.35 Diese konkrete christologisch-soteriologische Zuspitzung des Gnadenbegriffs in Relation zum allgemeinen schöpfungstheologischen Gnadenverständnisses wird verständlich, wenn man sie in ihrem trinitätstheologischen Horizont wahrnimmt. Verschiedentlich hebt Anselm nämlich unter dem Vorbehalt der Unergründlichkeit den trinitarischen Gedanken hervor, dass Gottes Gnadenhandeln in seinem ewigen dreieinigen Lieben gründet und heilsgeschichtlich realisiert wird. In Monologion 7–8 und Proslogion 9–11 wird dabei betont, dass Gottes Gnadenhandeln keinen anderen Grund hat, als Gottes wesenhafte Güte und wesenhafte Liebe mit der sich Gott in seiner Dreieinigkeit liebt.36 Da Gott nach Anselm allein aus sich selbst heraus, aus nichts anderem als aus seiner wesenhaften Güte freiwillig die Welt schafft und bewahrt und zur ewigen Liebesgemeinschaft mit ihm bestimmt, hat bereits Gottes schöpferisches und bewahrendes sowie vorausbestimmendes Handeln gnadenhaften Charakter. So betont Anselm auch mehrfach, dass alles, was ist, der schöpferischen Gnade Gottes verdankt ist.37 Von der schöpferischen Gnade durch die alles ist und von der segenhaften Gnade durch die der Mensch Gutes empfängt, das nicht zum Heil notwendig ist, unterscheidet Anselm in De concordia III,2 die erlösende und vollendende Gnade in Christus und seinem Geist, ohne die niemand zum Heil kommt.38 So wird in De concordia III,2 von Gottes Gnadenhandeln in dem konkreten zugespitzten Sinne gesprochen, dass Gott durch sein erlösendes Gnadenhandeln in 33 

DC III,2 (SII), 264,15–18. DC III,2 (SII), 264,18–20. Verschiedentlich hebt er in Anlehnung an Paulus Frage aus 1. Kor 4,7 allgemein hervor, „dass wir nichts haben, was wir nicht von Gott empfangen haben“, d. h. dass alles, was ist und gut ist, von Gott aus Gnade gegeben ist. Siehe hierzu: DLA 3 (SII), 211,19–20; DCD 1 (SI), 233,3–18; DC SII, 263,10; 276,4. So versteht Anselm unter Gottes Gnade allgemein Gottes Liebeshandeln an anderem, d. h. das Gute, das Gott allein aus seiner Güte freiwillig um unser willen tut. Siehe hierzu auch: CDH II,5 (SII), 99,15–100,28; Siehe hierzu auch: Rydström-Poulsen, The Gracious God, 126–128. 35  PL 9 (SI), 107, 22–26. Diese Unermesslichkeit der göttlichen Güte wird von Anselm in Proslogion 9 schließlich durch das Bild einer Quelle ( fons) veranschaulicht, die in Gott verborgen liege und von der aus der Strom des göttlichen Erbarmens überfließe, durch den sogar Böse gegen ihr Verdienst zu Guten werden. 36  ML 7–8 (SI), 20,21–24,6; PL 9–11; 106,16–109,24; vgl. CDH II,5 (SII), 99,15–100,28. 37  ML 7–8 (SI), 20,21–24,6; DLA 3 (SI), 211,19–29; DCD 1 (SI), 233,6–12; vgl. DC III,2 (SII), 264, 15–20. 38  DC III,2 (SII), 264, 15–20; vgl. CDH II,5 (SII), 99,15–100,28. 34 

6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit

277

Christus den sündigen Menschen allein aus seiner Gnade heraus erlöst und so in ihm wirkt, dass er durch seinen Geist christusgemäß heilig wird.39 In diesem trinitarischen Sinne wird Gottes freies Gnadenhandeln von Anselm als vollkommen bezeichnet, das heißt als allumfassend, vorgängig und allwirksam. Demnach gibt Gott durch sein Gnadenhandeln nicht nur allgemein das Sein und Gutsein von allem Geschaffenen. Er konstituiert auch insbesondere durch das Wirken des Sohnes das Heil für die Menschen und bewirkt effektiv durch das Wirken des Heiligen Geistes in den Glaubenden ihre Heiligung. Die Allumfassendheit der göttlichen Gnadengabe zeigt sich nach Proslogion 9–11 und De concordia III,3–4 darin, dass sie im Verhältnis zum Geschaffenen immer vorgängig (praecedens) und nachfolgend (subsequens) das Rechtsein von etwas bewirkt. Somit macht sie allumfassend Ungerechte zu Gerechten und bestärkt Gerechten im Guten.40 Dementsprechend betont Anselm, dass Gott dem Menschen in Christus allein aus seiner Güte heraus vorgängig zu seinem Glauben Gnade gibt, nicht aufgrund eines menschlichen Verdienstes. Der Mensch könne ohne Gottes vorgängiges Gnadenhandeln nur ungerecht wollen und wirken. Deswegen könne er sich auch keine Gnade verdienen.41 So bewirke Gott im Menschen den Glauben allein aus seiner vorausgehenden Gnade und bewahrt den Menschen im Glauben durch seine nachfolgende Gnade, die den Menschen durch das Wirken des Heiligen Geistes im Glauben und Lieben beständig und stark macht. In dieser Allumfassendheit deutet Anselm Gottes Gnadenhandeln in Christus als allein- und allwirksam und überfließend schenkend.42 Dabei ist nach Anselm grundlegend, dass die Vorstellung der Allein- und Allwirksamkeit der Gnade zum einen schöpfungstheologisch voraussetzt, dass Gott als Schöpfer alles allein aus Gnade gut schafft, sodass Menschen überhaupt frei sein können. Zum anderen ist für ihn maßgeblich, dass damit zugleich christologisch-soteriologisch anzunehmen ist, dass Gott aufgrund der von Christus für die Menschen gegebene Gabe der Gerechtigkeit Menschen in einem relationalen, forensischen Sinne allein aus Gnade gerecht und frei macht. Allein aufgrund dieser Gerechtigkeit werden sie ab alio zur Freiheit befreit.43 39 

Siehe hierzu auch: Rydström-Poulsen, The Gracious God, 126–128. 9–11 (SI), DC III, 3–4, 265,26–268,12. Die Begriffe der gratia praecedens und gratia subsequens verwendet Anselm dabei ähnlich wie Augustin dem Sinne, dass die Gnade dem Gerechtwerden des Menschen vorausgeht und es bewirkt, oder in dem Sinne, dass sie dem Gerechtsein des Menschen nachfolgt und es bewahrt und noch nicht in dem anderen später gebräuchlichen Sinne, dass die vorausgehende Gnade vorbereitend wirke oder die nachfolgende Gnade den Empfang ermögliche. Siehe hierzu: Augustin, Ad Simplicianum, I,II,1–15 (CChr.SL 44), 24,1–41,442; Ders., De gratia et libero arbitrio IV,7-VIII,20 (PL 44), 886–893. 41  DC III,3 (SII), 265,26–266,22; vgl. PL 9; 107,22–108,9. 42  DC III,4 (SII), 267,7–268,12; Dort heißt es, dass die Gnade so ihrer eigenen Gabe folge, „dass sie diese niemals, sei sie nun groß oder klein, zu schenken auf hört, außer wenn der freie Wille etwas anderes will und so das Rechtsein verlässt.“ 43  Siehe hierzu auch: DC III,8–10 (SII), 274,19–278,25, wo Anselm konkret betont, dass 40  PL

278

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

Schließlich beinhaltet dies nach Anselm, dass daraus pneumatologisch-ethisch folgt, Gott mache aufgrund der vom Heiligen Geist in die Herzen der Glaubenden gegebenen Gabe der Liebe, Menschen zugleich auch in einem intrinsischen, effektiven Sinn aus Gnade gerecht und frei. Sie können aufgrund und mithilfe der Gnade auch selbst ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt ihre befreite Freiheit im Geist heiliger Liebe gebrauchen.44 In diesem Sinne präzisiert Anselm begrifflich, dass die göttliche Gnade nicht nur schöpfungstheologisch-ethisch als eine Gabe des Guten zu verstehen ist. Dabei ist entscheidend, dass er die Gnade „ohne die kein Mensch erlöst wird“ (sine qua nullus salvator homo) ausgehend von seinem trinitarischen Gottes- und Gnadenverständnis nicht nur als eine fremde Gnade versteht, sondern zugleich als eine dem Menschen im Geist zugeeignete Gabe. Sie gilt in dem Sinne als vollkommen alleinund allwirksam, dass sie in Anlehnung an Paulus als Gottes vollkommen freie Verwirklichung der ewig vorausgewussten und vorausbestimmten Erwählung von Menschen zur christusähnlichen Heiligkeit gedeutet wird. In Bezug auf den Begriff der Freiheit präzisiert Anselm zweitens, dass das Problem dann entsteht, wenn man davon ausgeht, dass erwachsene Menschen in religiös signifikantem Sinne frei wollen und wählen können. Damit wird zum einen hervorgehoben, dass das Dilemma der Unvereinbarkeit nicht entsteht, wenn man nur davon ausgeht, dass der Mensch Handlungsfreiheit in Bezug auf äußere, alltägliche, weltliche Dinge hat. Dass der Mensch äußerlich frei handeln kann, steht Anselm zufolge nicht zur Debatte und ist theologisch unproblematisch. Als problematisch und theologisch relevant gilt jedoch die Annahme religiös signifikanter Wesens- sowie Willens- und Wahlfreiheit, ohne die der Mensch, nachdem er sie gebrauchen kann, nicht heil werden kann.45 Es geht um die im christlichen Glauben gegebene Freiheit des Menschen „das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren zu können“, wie sie in De libertate arbitrii 3 und 13 definiert und in De concordia I,7 reformuliert wird.46 Zum anderen wird konkretisiert, das Problem entstehe nur in Bezug auf erwachsene Menschen, die entwicklungsgeschichtlich dazu fähig sind, vernunftbegabt von ihrer Freiheit wirklich Gebrauch zu machen. Ausgeschlossen wird, dass es auch in Bezug auf Kinder entsteht. Bei ihnen steht außer Frage, dass sie allein aus Gnade erlöst werden.47 Gott durch das Sakrament der Taufe den Menschen seine Gnade schenkt, indem er sie durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi gerecht spricht und so den Glauben imputativ kon­ stituiert. 44  Siehe hierzu: DC III,6; SII; 270,11–273,6, wo Anselm praktisch hervorhebt, dass Gott in seinem Geist den glaubenden Menschen durch die kommunikative Praxis der Kirche wirklich effektiv transformiert. 45  DC III,2 (SII), 264,15–25. 46  DLA 3 (SI), 212,19–23; DLA 13 (SI), 225,2–32; DC I,7 (SII), 258,5–259,32. 47 vgl. Augustin, De praedestinatione sanctorum, XII,23. XV,30 (PL 44), 977. 981–982.

6.1. Das Problem der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit

279

Als drittes wird schließlich der Schlüsselbegriff der Gerechtigkeit näher bestimmt. Ihm kommt in dem gnadentheologischen Dilemma nach Anselm deswegen eine Zentralrolle zu. Es gilt zugleich, dass der Mensch allein aus Gnade durch Gerechtigkeit erlöst wird, als auch, dass die wahre Freiheit des Menschen in dem Vermögen der Gerechtigkeit besteht.48 Unter Rekurs auf die in De veri­ tate 12 entwickelte und in De concordia I,7 aufgegriffene Definition von Gerechtigkeit als „Bewahrung des Rechtseins des Willens um seiner selbst willen“ und ihre biblischen Wurzeln betont Anselm, dass die von Gott gegebene Gerechtigkeit im Rechtsein des Herzens und Wollens besteht.49 Dies begründet er pneumatologisch mit dem Argument, dass der Heilige Geist nicht den für „rechten Herzens“ (recte corde) erachte, der nur recht erkenne und recht glaube, aber nicht auch recht wolle und liebe. Dabei unterscheidet er wie in Monologion 78 in Anlehnung an Gal 5,6 und Jak 2,20–26 zwischen dem Glauben, der in sich tot ist, und dem Glauben, der in der Liebe lebt. Daraus schließt er, dass jemand dann als gerecht gilt, wenn er lebendigen Glauben hat, der in der Liebe wirksam ist.50 Durch die Analyse der Begriffe der Gnade, Freiheit und Gerechtigkeit wird das Problem also auf die Frage zugespitzt, ob Gnade, Freiheit und Gerechtigkeit zugleich gegeben sein können, oder ob sie sich prinzipiell ausschließen.

6.1.3. Die soteriologisch zugespitzte Fassung des Dilemmas Vor dem Hintergrund der biblisch-hermeneutischen, erfahrungsbezogenen und theologischen Ursprünge und der Bedeutung der grundlegenden Begriffe der Gnade, Freiheit und Gerechtigkeit fasst Anselm das Problem der Unvereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit, ähnlich wie zuvor die Pro­ bleme der Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit, seiner Struktur nach als ein Dilemma. Die Annahme von Gottes vollkommen freiem, allein- und allwirksamem Gnadenhandeln und die Annahme religiös signifikanter Freiheit des Menschen scheinen sich nach Anselm deswegen in radikaler Weise gegenseitig auszuschließen. Auf den ersten Blick ist entweder davon auszugehen, dass Gott das Heil des Menschen allein und ganz durch seine Gnade wirkt, oder es ist festzuhalten, dass das freie Willens- und Wahlvermögen des Menschen auch eine Rolle im Heilsprozess spielt. Das soteriologisch zugespitzte Dilemma wird von Anselm darin gesehen: man muss scheinbar entweder zugunsten der Allein- und Allwirksamkeit der Gnade Gottes bestreiten, dass die Freiheit des Menschen eine Rolle im Heilsprozess spielt, oder für die Verteidigung der Rolle der Freiheit des Menschen die Allein- und Allwirksamkeit von Gottes Gnadenhandeln re-

48 

DC III,2 (SII), 264,26–265,18. DV 12 (SI), 191,27–196,25; DC I,7 (SII), 258,5–259,32. 50  ML 78 (SI), 84,15–85,9. 49 

280

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

lativieren.51 Demnach impliziert die monergistische These, dass „allein die Gnade“ (sola gratia) ganz das Heil des Menschen bewirkt, notwendig die Bestreitung der synergistischen Annahme, dass auch „das freie Wahlvermögen zum Heil da ist“ (liberum arbitrium ad salutem prodesse). Sie enthält die Zurückweisung der freiheitstheoretischen Ansicht, „dass unser ganzes Heil in unserer Freiheit des Willens besteht“ (tota nostra salus in libera nostra consistat voluntate).52 Umgekehrt scheint auch die synergistische, freiheitstheoretische These, „dass unser ganzes Heil in unserer Freiheit des Willens liegt“ und somit auch das freie Wahlvermögen zum Heil nützt, notwendig die monergistische Annahme zu negieren, dass die Gnade schlechthin notwendig und an sich vollkommen genügend ist, um allein das Heil des Menschen ganz zu wirken.53 Der Widerspruch des soteriologisch zugespitzten Dilemmas wird von Anselm also darin gesehen, dass etwas nicht zugleich allein ganz von jemandem gewirkt werden kann und zugleich auch von einem anderen. Das Dilemma hat demnach nicht nur, wie die vorangehenden beiden Dilemmata einen modalen Kern, sondern vor allem auch einen personalen, relationalen Kern. Es geht Anselm zufolge bei diesem Dilemma nämlich um nichts weniger, als um die Frage nach der Beziehung von göttlicher und menschlicher Freiheit, Gottes Werk und Werk der Menschen. Diese Fassung des Problems geht dabei geistesgeschichtlich auf Augustins Problemformulierung in De gratia et libero arbitrio zurück. Sie ist also keine originelle Erfindung Anselms, sondern eine Reformulierung theologischer Überlieferung. So beginnt Augustin seine späte Schrift De gratia et libero arbitrio mit der Bemerkung, Anlass und Gegenstand dieses Buches bestünden in dem Problem, dass einige das freie Wahlvermögen so deuten, dass sie die Gnade damit verneinen und andere die Gnade so verteidigen, dass sie einen freien Willen des Menschen ablehnen.54 Auch wenn der Anlass dieser Problemformulierung im Kontext der semipelagianischen Kontroverse verortet ist, werden Problem und Gegenstand der Untersuchung bei beiden in gleicher Weise als Dilemma beschrieben. In diesem Sinne greift Anselm in De concordia III,1 im Kontext frühmittelalterlicher Kontroversen über Gottes Gnade und menschliche Freiheit Augustins Beschreibung des Gegenstandes von De gratia et libero arbitrio auf.55

51 Vgl.

Kane, Anselm’s Doctrine, 160; anders jedoch: Schick, Willensfreiheit, 60–61. DC III,1 (SII), 263,4–8. 53 Ebd. 54  Augustin, De gratia et libero arbitrio I,1 (PL 44), 881–882; wörtlich heißt es dort, dass „einige den freien Willen des Menschen so bezeichnen und verteidigen, dass sie die Gnade Gottes [...]verneinen wollen [...]“ (hominis liberum arbitrium sic praedicant et defendunt, ut Dei gratiam [...] negare audeant) [...] und einige sind, „die die Gnade Gottes so verteidigen, dass sie den freien Willen des Menschen verneinen (sunt quidam, qui sic gratiam Die defendunt, ut negent hominis liberum arbitrium) [...]“. 55  Ebd. vgl. DC III,1 (SII), 263,4–8. 52 

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

281

Dass die Thematisierung des Problems in seiner theoretischen Dilemmastruktur im frühmittelalterlichen Denken keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt, zeigt der Vergleich mit Bernhard von Clairveaux. Ungefähr 20 Jahre später beschreibt dieser in De gratia et libero arbitrio I,1–2 das Problem weniger als ein theoretisches Dilemma der Unvereinbarkeit von Gnade und Freiheit, als vielmehr als eine praktische Frage, welcher Sinn und welche Rolle dem freien Wollen, Wählen und Handeln des Menschen zukommt, wenn alles allein und ganz aus Gnade ist.56 So sucht Bernhard von Clairveaux nicht nur nach einer theologischen Begründung der Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit. Er fragt unter Voraussetzung ihrer Vereinbarkeit erfahrungsbezogen nach Sinn und Funktion menschlicher Freiheit angesichts der Allwirksamkeit der Gnade.57 Damit zielt seine Problemstellung eher auf eine praktisch orientierte theologische Beschreibung des freien Wahlvermögens angesichts der vollkommenen, allwirksamen Gnade Gottes als auf eine fundamentaltheologische Begründung und Verhältnisbestimmung von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit. Anselms genuiner Beitrag kann somit darin gesehen werden, dass er unter implizitem Rekurs auf das augustinische Problembewusstsein die Frage nach der Relation von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit in aller Deutlichkeit neu stellt und das Problem ihrer scheinbaren Unvereinbarkeit von seinen Ursprüngen her, in seinen Grundbegriffen und in seiner Dilemmastruktur explizit macht.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit In De concordia III,3–14 formuliert Anselm schließlich eine gnadentheologisch begründete Lösung des zuvor skizzierten Dilemmas der Unvereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit.58 Charakteristisch ist dabei, dass er zu begründen versucht, Gnade und Freiheit seien unter der Voraussetzung vereinbar, dass das heilskonstitutive, befreiende Rechtsein des Willens, in dessen selbstzweckhafter Bewahrung das Wesen der Freiheit besteht, allein und ganz durch Gottes Gnade gegeben wird. Dabei greift Anselm die von Augustin in De gratia et libero arbitrio vertretene These auf, dass die Annahme der Allein- und Allwirksamkeit von Gottes Gnade die Annahme religiös signifikanter Freiheit keineswegs ausschließt, sondern sie vielmehr einschließt und begründet.59 Vor 56 

Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio I,1–2 (Werke 1), 165,15–167,5.

57 Ebd. 58 

DC III,3–14 (SII), 265,26–288,19. Augustin, De correptione et gratia VIII,17 (CSEL 92), 237,1–238,35; Ders., De dono perseverantiae, XIV,34–35 (PL 45), 1013–1015 und Ders., De gratia et libero arbitrio, ­X VII,33-XXII,44 (PL 44), 901–910. Siehe hierzu auch: Laporte, La Grâce chez augustin, 425–444; Weaver, Divine Grace and Human Agency, 1–70; Henri Rondet, Grâce et 59 Siehe:

282

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

dem Hintergrund neuer Problemkonstellationen in der frühmittelalterlichen Theologie arbeitet er diese These Augustins zum Modell eines inklusiven Monergismus aus.60 Er zeigt auf: ein konsequent trinitätstheologisch verankertes monergistisches Gnadenverständnis schließt ein und begründet, dass der Mensch allein aus Gnade ganz gerecht und frei gemacht wird. So kann er aufgrund und mithilfe der Gnade im Geist der Liebe ungezwungen, spontan, freiwillig und selbstbestimmt seine befreite Freiheit wirklich in Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen gebrauchen. Damit entwickelt Anselm eine Alternative zu den in der frühmittelalterlichen Theologie entgegengesetzten Konzeptionen eines exklusiven gnadentheologischen Monergismus und eines dem widersprechenden freiheitstheoretischen Synergismus.61 Indem Anselm Freiheit rein responsorisch als Bewahrungsvermögen fasst und auf das Motiv der Bewahrung der Gnade (servatio) fokussiert, unterscheidet er sich zudem von den wenig später entwickelten Konzeptionen von Bernhard von Clairveaux und Abaelard, die durch die Hervorhebung der Motive der Annahme der Gnade (acceptatio) und der Zustimmung zum Gnadenwirken (assensus) die Rolle der Freiheit von Anfang an aktiver bestimmen.62 Dabei begründet Anselm die Konzeption eines inklusiven Monergismus, indem er das zuvor skizzierte Dilemma der Unvereinbarkeit durch eine gnadentheologisch basierte Argumentation von seinen biblisch-exegetischen, erfahrungsbezogen und theologischen Ursprüngen her systematisch zu lösen versucht. Dieser gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit von Gottes allein- und allwirksamer Gnade und religiös signifikanter, responsorischer Freiheit des Menschen soll im Folgenden in zwei Schritten erläutert werden. Der Struktur der Argumentation folgend, soll zunächst (6.2.1.) erläutert werden, wie in De con­ cordia III,3–4 die exklusive, umfassende, gnadentheologische Grundlegung formuliert wird. Danach (6.2.2.) wird aufgezeigt, wie in De concordia III,5–14 die darin enthaltene und dadurch begründete freiheitstheoretische Konsequenz der Vereinbarkeit von Freiheit und Gnade aufgezeigt wird. péché. L’augustinisme de saint Anselme, in: Spiccilegium Beccense I, Bec; Paris 1959, 155– 169; Rydström-Poulsen, The Gracious God, 114–128. 60  Anders hingegen: Rogers, Anselm on Freedom, 125–145; Dies., Anselm on Grace and Free Will, in: The Saint Anselm Journal 2.2. (2005), 66–72; Rogers vertritt die These eines dritten Weges zwischen Augustin und dem Semipelagianismus. Zu den verschiedenen Deutungen von Anselms Lösungsansatz siehe insbesondere auch: Bäumker, Die Lehre Anselms, 60–68; Kane, Anselm’s Doctrine, 159–179; Schick, Willensfreiheit, 60–68; Franz, Die Freiheit des Menschen und die Gnade Gottes, 229–248 vgl. Grane, Anselm of Canterbury’s Teaching, 33–55; Ingu, Über die Gnade und die Willensfreiheit, 1–15; vgl. Goebel, Rectitu­ do, 471–504; Tyvoll, An Anselmian-Quiescence Approach, 35–58; und Schoedinger, Anselm of Canterbury on Grace and Free Choice, 105–110. 61  Siehe hierzu auch: Flasch, Freiheit des Willens, 17–47. 62  Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio, Prol.-XIV,51 (Werke 1), 165,5– 203,19; Petrus Abaelard, Commentarius in Romanos II (V,19) (CChr.CM 11), 165,389– 169,535.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

283

6.2.1. Die umfassende gnadentheologische Grundlegung der Vereinbarkeit Als erstes formuliert Anselm in De concordia III,3–4 eine umfassende gnadentheologische Grundlegung der Vereinbarkeit.63 Dabei wird begrifflich und phänomenbezogen dafür argumentiert, dass die Gnade allein dem Menschen unbedingt und ganz die Gabe des Rechtseins und der Gerechtigkeit gibt. So werde dieser frei, die empfangene Gabe des Rechtseins und der Gerechtigkeit aufgrund und mithilfe der Gnade um ihrer selbst willen bewahren zu können. Unverkennbar zeigt sich darin eine systematisierende Reflexion von Augustins später Gnadenlehre mitsamt ihrer kritischen Abgrenzung gegenüber semipelagianischen Synergismuskonzeptionen, aber mit gleichzeitiger Integration der freiheitstheoretischen Anliegen der asketischen Tradition.64 Zum einen wird in De concordia III,3 die Frage, wie der Mensch gerecht wird und wie er die für den aktualen, positiven Gebrauch der Freiheit notwendige, richtige Ausrichtung des Willens erhält, exklusiv-gnadentheologisch beantwortet. Zu diesem Zweck wird dafür argumentiert, dass der Mensch allein aus Gnade gerecht und wahrhaft frei werden kann.65 Zum anderen wird in De concordia III,4 die Frage, wie der Mensch gerecht und frei bleiben kann, inklusiv-gnadentheologisch begründet. Dazu wird aufgezeigt, dass die Gnade den Willen des Menschen derart befreit, dass dieser aufgrund und mithilfe der Gnade die empfangene Gabe des Rechtseins des Willens durch sein freies Wahlvermögen bewahren kann.66 Damit wird aufgezeigt, wie Gottes Gnade der alleinige, unbedingte und ganze Grund des begnadeten aktualen Gebrauchs der Freiheit des Menschen ist. Diese umfassende gnadentheologische Grundlegung der Vereinbarkeit soll nun dargestellt werden. Zunächst (6.2.1.1.) wird die grundlegende monergistische These erläutert, dass Gott durch die vorausgehende Gabe des Rechtseins allein, unbedingt und ganz aus Gnade den verknechteten freien Willen des Menschen zum aktualen Gebrauch der Freiheit zur Gerechtigkeit befreit und rekonstituiert. Anschließend (6.2.1.2.) wird die nachfolgende inklusionistische These erörtert, dass Gott durch die nachfolgende Gabe der Beständigkeit dem Menschen hilft und ihn transformiert. Dadurch, so Anselm, kann der Mensch aufgrund und mithilfe der Gnade ungezwungen, freiwillig, spontan und selbstbestimmt durch den rechten Gebrauch des freien Willens- und Wahlvermögen die Gabe des Rechtseins um ihrer selbst willen bewahren. 63  DC

III,3–4 (SII), 265,26–268,25. Siehe hierzu auch die sehr präzise Darstellung von Hasse, Anselm von Canterbury Bd.  2 , 650–663. 64  Siehe hierzu insbesondere: Augustin, De correptione et gratia VIII,17 (CSEL 92), 237,1– 238,34; Ders., De dono perseverantiae, XIV,34–35 (PL 45), 1013–1015 und Ders., De gratia et libero arbitrio, XVII,33-XXII,44 (PL 44), 901–910. 65  DC III,3 (SII), 265,26–267,5. 66  DC III,4 (SII), 267,7–268,25.

284

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

6.2.1.1. Die befreiende Gabe des Rechtseins aus Gnade Die grundlegende, monergistische These, dass Gott durch die vorausgehende Gabe des Rechtseins allein, unbedingt und ganz aus Gnade den verknechteten freien Willen des Menschen zum aktualen Gebrauch der Freiheit zur Gerechtigkeit befreit, wird in De concordia III,3 mit drei Argumenten begründet. Zentral ist dabei der Gedanke der vollkommen passiven Rekonstitution der Freiheit. Mit einem ersten Argument wird aufgewiesen, dass der Mensch notwendig nur aufgrund von Gottes Gnade (sola gratia) gerecht und frei werden kann. Die Annahme, dass die befreiende Gabe des Rechtseins, in dessen Bewahrung die Freiheit besteht, allein aus Gnade empfangen werden kann, wird mit indirektem Bezug auf soteriologische und christologische Gedanken aus De libertate arbitrii und Cur Deus homo begründet.67 Bereits in De libertate arbitrii 10 wird darauf verwiesen, dass der verknechtete freie Wille das befreiende Rechtsein nur durch eine neue Gabe des Schöpfers empfangen kann (nisi Deo reddente), der den Willen ursprünglich recht geschaffen hat.68 In Cur Deus homo I,11–25 wird schließlich weiter via negationis ein Argument für die Annahme der Notwendigkeit der Erlösung der Menschheit durch Christus formuliert.69 Vor dem Hintergrund dieser soteriologisch-christologischen Reflexionen ist das gnadentheologische Argument in De concordia III,3 zu verstehen. Es kann systematisch sogar als Fortführung des ersteren verstanden werden. Es wird christologisch-soteriologisch dafür argumentiert, dass die Menschheit durch Christus aus der Knechtschaft unter die Sünde befreit wird. Ähnlich wird gnadentheologisch weiter dafür argumentiert, dass Menschen nicht durch sich selbst oder durch andere Geschöpfe, sondern allein durch Gottes Gnadenhandeln in Christus erlöst werden. Die Notwendigkeit der Alleinwirksamkeit der Gnade wird in De concordia III,3 also – ähnlich wie die Notwendigkeit der Erlösung durch Christus in Cur Deus homo II,11–25 – via negationis begründet.70 So zeigt Anselm auf, dass es dann, wenn man meint, der Mensch könne auch anders als allein durch Gottes Gnade gerecht und frei werden, genau zwei alternative Möglichkeiten gibt, wie der Mensch gerecht und frei werden könnte. Er weist darauf hin, dass dann, wenn in Frage gestellt wird, dass die Erlösung des Menschen theologisch als Erlösung aus Gnade (ex gratia;per gratiam) zu verstehen ist, sie entweder individual als Selbsterlösung gedacht werden kann, im Sinne eines Gerecht- und Freiwerden aus oder durch sich selbst oder durch andere

67 

DLA 3 (SI), 211,19–26; DLA 10 (SI), 222,2–23; CDH I,19–25 (SII), 84,6–96,29. DLA 10 (SI), 222,2–23. 69  CDH I,11–25 (SII), 68,3–96,20; insbes. CDH I,25 (SI), 94,25–96,20; insbes. 95,12–14. 70  DC II,3 (SII), 266,8–22; vgl. CDH I,11–25 (SII), 68,2–96,29. 68 

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

285

Geschöpfe. Beide Alternativen lassen sich nach Anselm jedoch mit guten Gründen zurückweisen. Die erste Alternative, dass der Mensch aus sich selber heraus (a se; per seipsum), gerecht werden könne, widerlegt sich nach Anselm selbst. Wenn man annimmt, dass der Mensch auch aus sich selbst heraus gerecht und frei werden kann, muss man nämlich entweder davon ausgehen, dass der Mensch sich das Rechtsein des Willens durch Wollen aktiv wieder aneignen kann oder davon, dass der Mensch es durch Nicht-Wollen passiv wieder erlangen kann. Dass der Mensch sich selbst gerecht machen kann, indem er will (volens), wird von Anselm jedoch aus dem Grund für unmöglich erachtet, dass er nur dann gerecht wollen kann, wenn der Wille bereits recht ist.71 In Anlehnung an Überlegungen aus De veritate 12 und De casu diaboli 9 wird herausgestellt, „dass der Wille nicht deswegen recht ist, weil er recht will, sondern recht will, weil er recht ist.“72 Demnach kann sich der Wille, dem das Rechtsein fehlt, unmöglich durch sein eigenes Wollen wieder aufrichten und gerecht wollen, weil er nur dann recht wollen kann, wenn er die Gabe des Rechtseins bereits empfangen hat. Das heißt, er kann nur dann recht wollen, wenn er bereits durch die Neigung zur Gerechtigkeit affektiv auf die Gerechtigkeit ausgerichtet ist.73 Indem betont wird, dass für einen aufrichtigen Willensakt zuvor die richtige Ausrichtung des Willens gegeben sein muss, wird hervorgehoben, dass rechtes Wollen auf einer Bedingung beruht, die nicht durch rechtes Wollen selbst generiert werden kann. Damit wird ausgeschlossen, dass der Mensch sein Rechtsein durch Wollen selbst generieren kann.74 Dass der Mensch sich selbst gerecht machen kann, indem er nicht will (no­ lens), wird von Anselm mit der kurzen Bemerkung, dass „kein Geist dies begreife“ (mens nullius accipit) als absurd zurückgewiesen.75 In De concordia III,11 71 

DC III,3 (SII), 265,26–266,11; vgl. CDH I,19–25 (SII), 84,6–96,29. DC III,3 (SII), 265,27–266,1. 73  DC III,3; SII,265,26–266,7; DV 12 (SI), 195,1–27. In Bezug auf das Verhältnis der affektiven Willensausrichtung und des effektiven Willensgebrauchs wird dadurch eindeutig festgehalten, dass die rechte Beschaffenheit des Willens eine notwendige Bedingung des wahrhaft freien, gerechten Freiheitsgebrauchs darstellt. 74  DV 12 (SII), 195,1–27. Auch hier wird herausgestellt, dass das Haben oder Wollen der richtigen Ausrichtung des Willens nicht die Ursache des Empfangens der richtigen Ausrichtung ist, sondern dass umgekehrt das Empfangen das Haben und Wollen bewirkt. Siehe hierzu auch: Enders, Wahrheit und Notwendigkeit, 522–525; 571–573. Anders jedoch: Franz, Die Freiheit des Menschen, 242; und Verweyen, Einleitung, 51, die beide annehmen, hier läge eine Akzentverschiebung vor. Dies begründen sie jedoch nur mit dem Verweis auf Anselms Analyse der Wahrheit der Bezeichnung und von Aussagen in De veritate 2. Dabei sehen sie nicht, dass Anselm in Bezug auf die Wahrheit und Gerechtigkeit des Wollens und Tuns in De veritate 12 bereits dieselbe Auffassung vertritt wie später in De concordia III,3. 75  DC III,3 (SII), 11–13; umso erstaunlicher jedoch, wenn der Gedanke des Nicht-Wollens, das heißt ein so genannter „Quiescence-Approach“ Augustin und Anselm selbst als Lösung des gnadentheologischen Dilemmas zugeschrieben wird. Siehe hierzu: Kane, Anselm’s Doctrine, 165–172; Tyvoll, An Anselmian Quiescence Approach, 35–58; vgl. die 72 

286

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

wird schließlich willenstheoretisch ausgeführt, dass es unmöglich ist, dass sich eine Person in Bezug auf die richtige Relationalität in einem Zustand vollkommener Indifferenz befindet.76 Dabei wird von Anselm hervorgehoben, dass der Wille auch unbewusst im Schlaf, wenn nicht etwas gewollt oder nicht gewollt wird, affektiv entweder durch die stärkere Neigung zur Gerechtigkeit primär auf das Rechtsein und das darin enthaltene Angenehme ausgerichtet ist oder durch die stärkere Neigung zum Angenehmen primär auf unrechtes Glücksstreben – tertium non datur.77 Aus diesem Grund ist es für Anselm nicht einsichtig anzunehmen, dass der Mensch auch durch Nicht-Wollen das Rechtsein passiv erlangen kann. Die zweite Alternative, dass jemand „von einem anderen Geschöpf “ (ab alia creatura) gerecht und wahrhaft frei gemacht werden könne, erweist sich nach Anselm gleichfalls als unmöglich.78 Schließlich spricht gegen die Möglichkeit einer Fremdbefreiung und Gerechtmachung durch einen Anderen, dass kein Geschöpf einem anderen das geben kann, wodurch es erlöst wird, weil „ein Geschöpf nicht ein Geschöpf erlösen kann“ (creatura nequit creaturam salvare).79 Den wichtigen Grundsatz, dass kein Geschöpf einen anderes erlösen, frei- und gerecht machen kann, begründet Anselm bereits in Cur Deus homo I,5 im Gespräch mit anderen monotheistischen Religionen und mit anti-arianischer Spitze. Dabei argumentiert er, dass kein Geschöpf durch ein anderes wirklich von der Knechtschaft unter die Sünde befreit werden könne, sondern nur eine neue Knechtschaft unter das erlösende Geschöpf geraten würde. Dies hat nach Anselm seinen Grund darin, dass das befreite Geschöpf dann dem befreienden Geschöpf zu unendlichem Dank und Dienst verpflichtet wäre und nicht zu unendlicher Dankbarkeit und zum Dienst allein für Gott befreit werden würde.80 Daraus ergibt sich, dass auch die befreiende Gabe des Rechtseins nicht von einem anderen Geschöpf her empfangen werden kann. Wenn aber weder der Mensch die Gerechtigkeit aus sich selbst heraus haben kann, noch von einem anderen Geschöpf her, bleibt nur die Möglichkeit, dass er sie von Gott her erhält. Indem Anselm aufzeigt, dass der Mensch das Rechtsein weder individual natürlich aus sich haben kann, weil er es weder durch treffende Kritik von: Rogers, Anselm on Freedom, 136–145. Hierbei wird meines Erachtens Anselms Betonung der Gnadenbedingtheit menschlicher Freiheit übersehen. In der Folge wird verwechselt, was durch das freie Willensvermögen aufgrund und mithilfe der Gnade nicht gewollt werden kann und was abgesehen von der Gnade auch aus sich heraus nicht gewollt werden kann. Anselm betont jedoch streng, dass abgesehen von der Gnade das Böse nicht nicht gewollt werden kann, sondern – wie auch Augustin annimmt – notwendig gewollt wird. 76  DC III,11 (SII), 278,27–284,7. 77  DC III,11 (SII), 279,9–283,20. 78  DC III,3 (SII), 266,13–15. 79  DC III,3 (SII), 266,14–15. 80  CDH I,5 (SII), 52,13–24.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

287

Wollen noch durch Nicht-Wollen generieren oder erlangen kann, noch sozial von einem anderen Geschöpf her empfangen kann, begründet er indirekt, dass er es nur von Gott aus Gnade empfangen kann. So schließt er: dass kein Geschöpf das so genannte Rechtsein des Willens hat, außer durch Gottes Gnade (nisi per Dei gratiam) [...], dass die Gnade allein den Menschen erlösen kann, ohne dass seine freie Wahl etwas tut (gratia sola possit hominem salvare nihil eius libero arbitrio agente) – wie in Kindern – und dass sie in Erwachsenen selbst immer dem natürlichen freien Wahlvermögen hilft, das ohne sie nichts zum Heil nützt (quod sine illa nihil valet ad salu­ tem), indem sie das Rechtsein des Willens gibt (dando voluntati rectitudinem), das durch freie Wahl bewahrt wird.81

Damit widerlegt Anselm schließlich die in semipelagianischen Konzeptionen zentrale Annahme, dass der Anfang des guten Wollens (initium bonae voluntatis) auch im Willen des Menschen selbst liege und der Mensch auch als Einzelner aus sich selbst heraus oder in Gemeinschaft mit Anderen mithilfe der Gnade durch seine eigene Entscheidung gerecht werden könne.82 Demgegenüber macht Anselm die augustinische These stark, dass der Anfang des guten Wollens allein bei Gott liegt, in Gottes Gabe der Gnade des Rechtseins des Willens.83 Diese grundlegende monergistische These wird zudem mit einem zweiten Gedanken dahingehend weiter präzisiert, dass Gottes Gnade auf unbedingte Weise vorausgeht und nicht aufgrund eines vorangehenden, menschlichen Verdienstes gegeben wird. Die Annahme der unbedingten Vorgängigkeit und Gratuität der Gnade entspricht dabei dem Gedanken der vollkommenen Gnadenverwiesenheit des verknechteten Menschen. Ähnlich wie Augustin im Enchiri­ dion hervorhebt, dass Gnade, wenn sie nicht gnadenvoll, das heißt gratis gegeben ist, nicht Gnade ist (gratia vero, nisi gratis est, gratia non est), betont Anselm, „niemandem gibt er jedoch für einen vorausgegangenen Verdienst“ („nulli tamen dat pro aliquo praecendenti merito).84 Dabei distanziert sich Anselm zum einen in Anlehnung an die paulinische Aussage aus Röm 9,18, dass Gott „sich erbarmt, wessen er will und verhärtet, wen er will“, von der Annahme eines quasi automatischen Gnadenuniversalismus.85 Zum anderen weist er unter Aufnahme der von Paulus in Röm 11,35 gestellten rhetorischen Frage „Wer hat Gott zuerst gegeben, und es wird ihm vergolten?“ einen ethisch-religiös begründeten Gnadenpartikularismus zurück.86 Durch diese Kritik des Verdienstgedankens wird die augustinische „Logik des Vertrauens“ in die vollkommene Güte des göttlichen Willens weiterge81 

DC III,3 (SII), 266,15–23. hierzu auch: Laporte, La Grâce chez Augustin, 425–444; Duth, Anselm’s Augustianism, 845–855; Ingu, Über die Gnade, 8–9. 83  Vgl. Ebd. 84  Vgl. DC III,3 (SII), 266,25 und Augustin, Enchiridion, XXVI107 (CChrSL 46), 107,54. 85  DC III,3 (SII), 266,24–26. 86  DC III,3 (SII), 266,23–267,5; vgl. Augustin, De praedestinatione sanctorum XII,23 (PL 44), 977. 82  Siehe

288

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

führt.87 Durch die These, die Gnade des Rechtseins werde unbedingt vorgängig gegeben, wird nämlich verdeutlicht, dass sie in keiner Weise auch vorgängig durch den verknechteten freien Willen oder irgendein Gesetz bedingt sein muss, sondern allein durch die freie Güte des göttlichen Liebeswillens geschenkt werden kann. Dies entspricht auch der zuvor in De concordia II,2 begründeten Annahme, dass das erwählende Vorausbestimmen zum Guten nicht auf vorausgewussten, guten Taten des Menschen basiert, sondern allein in Gottes unermesslicher Güte. Diese wird aufgrund von Gottes ewigem Entschluss zur freien Gabe der Gnade des Rechtseins zuvorkommend, gratis geschenkt.88 Schließlich wird die These eines gnadentheologischen Monergismus als drittes dadurch begründet, dass die Gnade das Gerecht- und Freisein des Menschen und alles daraus folgende Gute umfassend und ganz bewirkt. Der Gedanke der umfassenden Allwirksamkeit der göttlichen Gnade entspricht dabei der Annahme der vollkommenen Gnadenverdanktheit von allem Guten, das ein Mensch durch den rechten Gebrauch seines befreiten Willens bewirken kann. Begründet wird die Umfassendheit und Vollkommenheit des Gnadenwirkens, indem zum einen alles Gute, was ein Mensch aufgrund und mithilfe der Gnade durch seine freie Wahl bewirkt, in Anlehnung an Motive aus der paulinischen und johanneischen Theologie als „Frucht der ersten Gnade“ ( fructus sunt primae gra­ tia) und „Gnade für Gnade“ (gratia pro gratia) gedeutet wird.89 Zum anderen wird sie weiter dadurch begründet, dass argumentiert wird, alles gute Wirken eines Menschen sei „ganz der Gnade zuzuschreiben“ (totum est imputandum gra­ tiae) Es ist nicht dem Menschen selbst als eigenes gutes Verdienst zuzurechnen, als ob es an ihm läge und als ob er dies nicht zuvor von Gott empfangen hätte.90 Dadurch wird hervorgehoben, dass die weitere Gabe der Gnade des Wachstums des Rechtseins der ersten vorgängigen Gabe der Gnade nachfolgt und ganz 87  Anders hingegen Schick, Willensfreiheit, 62–64. Schick überlegt an dieser Stelle, in Anlehnung an die von Flasch in Bezug auf Augustins Gnadenlehre geprägte Wendung der „Logik des Schreckens“, ob dies auch für Anselm zutreffe, wenn er alles Gute der Gnade zuschreibe und alles Böse dem freien Willen der Geschöpfe und nennt diesen Gedanken „problematisch oder sogar empörend“. Dazu ist meiner Ansicht nach festzuhalten, dass man bei Anselm um dieses Ärgernis nicht herum kommt. Allerdings ist kritisch zu überlegen, ob die augustinische Lehre der unbedingten Gabe der Gnade wirklich angemessen als eine „Logik des Schreckens“ bezeichnet werden kann, oder ob sie nicht vielmehr eine „Logik des Vertrauens“ in die unermessliche Güte Gottes darstellt. Zudem ist meiner Ansicht nach fraglich, ob die Alternativen einer äquivalenten Belohnung und Bestrafung menschlicher Leistungen und eines Gnadenautomatismus durch den die Ungerechtigkeit über die Gerechtigkeit gestellt werden würde nicht weit begründeter als „Logiken des Schreckens“ zu bezeichnen wären. Siehe hierzu jedoch: Flasch, Logik des Schreckens, 19–138. Zur Kritik an Flaschs Deutung siehe auch: Drecoll, Die Entstehung der Gnadenlehre, 240–250, der den Gedanken stark macht, dass Augustin in Simpl. I,9 Gnade insbesondere als Berufungsgnade versteht. 88  Vgl. DC II,2 (SII), 260,17–23 und PL 9 (SII), 106,16–108,20. 89  DC III,3 (SII), 266,26–267,5. 90  DC III,3 (SII), 267,1–5.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

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durch sie bedingt ist.91 Entgegen der Vorstellung, dass die Gnade nur einen anfänglichen Impuls zur Gerechtigkeit setzt und es dann am Menschen liegt, ob er die Gabe des Rechtseins bewahre oder aufgebe, wird von Anselm herausgestellt, dass Gottes Gnade umfassend und ganz bewirkt, dass der Mensch die Gabe des Rechtseins empfängt, bewahrt und gebraucht. In diesem Sinne wird von Anselm die These begründet, dass die befreiend wirkende Gabe des Rechtseins dem Menschen allein, unverdient und ganz aus Gnade gegeben wird. So werde die Freiheit des Menschen ohne einen positiven Beitrag des verknechteten freien Willens- und Wahlvermögens allein, unverdient und ganz aus Gnade von Gott verwirklicht. 6.2.1.2. Die heiligende Gabe der Gnade zur freien Bewahrung der Gabe des Rechtseins In De concordia III,4 wird zudem die daraus folgende inklusionistische These des gnadengewirkten Zusammenwirkens der nachfolgenden, heiligenden Gnade Gottes und des befreiten freien Willens- und Wahlvermögens des Menschen mit zwei weiteren Argumenten begründet.92 Zentral ist dabei die Überlegung, dass die Gnade den Willen so transformiert, dass er zur Kooperation mit dem Willen Gottes befähigt wird. Dabei wird unter explizitem Rekurs auf die freiheitstheoretischen Überlegungen in De libertate arbitrii und in impliziter Anlehnung an pneumatologisch-ethische Überlegungen aus dem Monologion und De processione spiritus sanctus herausgestellt, dass Gottes befreiende Gnade zugleich derart effektiv heiligend wirkt, dass der Mensch durch den Geist Christi die Freiheit gewinnt, aufgrund und mithilfe von Gottes Gnade ungezwungen, freiwillig, spontan und selbstbestimmt das empfangene Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahren zu können.93 In Monologion 70 wird bereits im Horizont trinitarischer Überlegungen angedeutet, dass der Mensch aufgrund des Wirkens des göttlichen Geistes in ihm Gott nicht nur erinnern und erkennen sondern auch um seiner selbst willen lieben kann, sodass sein Glaube in der Liebe lebendig ist.94 In De libertate arbitrii wird Freiheit konsequent als ein responsorisches Bewahrungsvermögen richtiger Relationalität definiert.95 In De processione spiritus sanctus 2 wird schließlich in kritischer Auseinandersetzung mit der ostkirchlichen Trinitätslehre und Pneumatologie argumentiert, dass der Hervorgang und die Gabe sowie Sendung des Heiligen Geistes durch den Vater und den Sohn innerlich die Heiligung der Geschöpfe bewirkt.96 Vor diesem Hintergrund wird in De concordia 91 

DC III,3 (SII), 267,1–5. DC III,4 (SII), 267,7–268,12. 93  ML 70 (SI), 80,8–81,6; DPSS 2 (SII), 185,30–190,19. 94  ML 70 (SI), 80,8–81,6; Siehe auch: ML 76–78 (SI), 83,15–85,9. 95  DLA 13 (SII), 225,2–32. 96  DPSS 2 (SII), 185,30–190,19; insbes. 189,10–12. 92 

290

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

III,4 gnadentheologisch aufgezeigt, dass die allein, unbedingt und ganz wirksame Gabe der Gnade Gottes das Zusammenwirken von Gnade und Freiheit begründet und einschließt. Zugleich wird freiheitstheoretisch betont, dass die empfangene Gabe des Rechtseins aufgrund und mithilfe der vorausgehenden und nachfolgenden Gnade bewahrt werden kann.97 Dass Gottes Gnade und der befreite freie Wille des Menschen aufgrund der vorausgehenden Gnade nachfolgend kooperieren können, begründet Anselm zum einen durch die Analogie, dass niemand die richtige Ausrichtung des Willens ohne nachfolgende Gnade bewahren könne, so wie auch niemand sie ohne vorausgehende Gnade empfangen, haben und wollen könne.98 Die „nachfolgende Gnade“ (gratia subsequente) macht es Anselm zufolge unmöglich, dass der gerecht gemachte Mensch durch irgendeine Notwendigkeit gezwungen werden kann, die empfangene Gerechtigkeit wieder aufzugeben.99 Zugleich übt sie nach Anselm aber selbst auch keinen Zwang auf den Willen des Menschen aus, sondern schenkt unauf hörlich weiter Anteil an der Güte Gottes, außer wenn der Wille etwas anderes will, das mit ihrem Geben unvereinbar ist.100 Die weitere nachfolgende Gabe der Gnade ist Anselm zufolge also für die freiwillige, selbstzweckhafte Bewahrung des Rechtseins des Willens nachfolgend notwendig, so wie die ursprüngliche zuvorkommende Gabe der Gnade für die richtige Ausrichtung des Willens vorausgehend notwendig ist.101 Da sie aber keinen Zwang darstellt, sondern in Kooperation mit dem befreiten freien Willen wirkt, ist Anselm zufolge in die nachfolgende Gnadenwirkung eingeschlossen, dass der gerecht gemachte Mensch sein freies Willensund Wahlvermögen mit Hilfe eben dieser nachfolgenden Gnade freiwillig, spontan und selbstbestimmt zur selbstzweckhaften Bewahrung der empfangenen Gerechtigkeit gebrauchen kann.102 Dennoch betont er, dass das Gute, das mit Hilfe der Gnade durch den richtigen Gebrauch des freien Willens- und Wahlvermögens bewirkt wird, nicht dem Menschen selbst, sondern der Gnade Gottes zu verdanken ist. 103 Dass alles Gute, das durch den freien Willen des

97 

DC III,4 (SII), 267,7–268,12. DC III,4 (SII), 267, 14–16. 99  DLA 9–12 (SI), 221,18–224,32 und DC III,4 (SII), 267,7–268,25. 100  In gewisser Weise kann man deswegen sagen, dass Anselm in Anlehnung an Augustin in modiifizierter Weise auch davon ausgeht, dass Gottes Gnade auf den Menschen unwiderstehlich wirken kann. Dafür spricht seine Betonung, dass der Mensch durch die Gabe der Gnade derart frei wird, dass er mit ihrer Hilfe durch nichts und niemanden gezwungen werden kann, die geschenkte Gottbezogenheit wieder aufzugeben. Anders hingegen Rogers, Anselm on Freedom, 1–8. Vgl. Augustin, De correptione et gratia XII,33–34 (CSEL 92), 259,37–261,32. 101  DC III,4 (SII), 267,7–19. 102  DC III,4 (SII), 277,1–12. 103  DC III,4 (SII), 267,16–19. 98 

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

291

Menschen mit Hilfe der Gnade bewirkt werde, der Gnade zuzuschreiben sei, begründet er damit, dass der freie Wille es eben nicht allein aus sich selbst heraus kann, sondern nur aufgrund der vorausgehenden und nachfolgenden Gnade. Schließlich beschreibt Anselm in De concordia III,4 auch einige Weisen wie die nachfolgende Gnade Gottes und der freie Wille der Menschen zusammenwirken. Die nachfolgende Gnade helfe zwar dem freien Willen des Menschen das Rechtsein zu bewahren. Sie lasse die Neigung zur Gerechtigkeit wachsen oder schwäche die Kraft der Versuchung ab oder beseitige sie sogar ganz.104 Sie hindere den Willen des Menschen aber nicht daran, das Rechtsein des Willens aufzugeben, wenn er etwas anderes als die Gerechtigkeit will. Wenn der Wille die empfangene Gerechtigkeit aufgebe und etwas anderes lieber will, hört die nachfolgende Gnade nach Anselm auf zu schenken und zwingt den menschlichen Willen nicht weiter aktual frei und gerecht zu bleiben.105 So hilft die nachfolgende Gnade Gottes nach Anselm dem freien Willen des Menschen kooperativ zu immer vollkommenerer Freiheit ohne dabei das formale Kriterium der Freiheit, die Abwesenheit von Zwang, aufzuheben. Das Gnadenhandeln Gottes schließt also menschliche Willensfreiheit nicht aus, sondern ein. Die Gnade Gottes wirkt demnach auf zweifache Weise in Bezug auf den freien Willen des Menschen. Zum einen wirkt sie operativ und aufrichtend, indem sie dem Willen vorausgehend das Rechtsein gibt. Sie wirkt, indem sie ihn recht macht und die ursprüngliche geschöpfliche Freiheit rekonstituiert. Zum anderen wirkt sie kooperativ und aufrechterhaltend, indem sie dem recht gemachten freien Willen des Menschen nachfolgend hilft, die empfangene Gerechtigkeit zu bewahren. So transformiert sie seine Freiheit, sodass sie im Guten beständig ist. Anselm geht in seinem Argument von einer Analogie zwischen der operativen Wirkung der vorausgehenden Gnade und der kooperativen Wirkung der nachfolgenden Gnade aus. Er zeigt auf, dass der freie Wille des Menschen auf zweifache Weise auf Gottes Gnade angewiesen ist. Das bedeutet, er ist zum einem im rezeptiven, passivischen Sinn auf die Gabe der richtigen Relationalität durch die Gnade Gottes angewiesen. Zum anderen ist er in einem responsiven, aktiven Sinn auf die Hilfe der Gnade Gottes angewiesen, um die empfangene Gabe des Rechtseins zu bewahren und mit dem göttlichen Liebeswillen zu kooperieren. Die These der gnadengewirkten Vereinbarkeit und Kooperation des göttlichen Gnadenwirkens und menschlicher Freiheit hat dabei entscheidende Bedeutung für das Verständnis der Gnade, der Gerechtigkeit und der Freiheit. Zum einen wird dadurch nämlich das transformierende Moment des göttlichen

104 

DC III,4 (SII), 268,1–4.

105 Ebd.

292

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

Gnadenhandelns hervorgehoben. Die Möglichkeit und Wirklichkeit der Kooperation ergibt sich Anselm zufolge dadurch, dass die Gnade die geschöpfliche Freiheit des Willens rekonstituiert. So wird er frei, die empfangene Gabe des Rechtseins um ihrer selbst willen zu bewahren. Die Kooperationsmöglichkeit ergibt sich weiter dadurch, dass die Gnade den Willen transformiert, sodass er beständig in Freiheit das Gerechte wollen kann. So wird die Gnade als eine auch innerlich zugeeignete, befreiende und aktivierende freie Gabe der göttlichen Güte verstanden, die die ursprünglich intendierte Gemeinschaft zwischen Schöpfer und Geschöpf verwirklicht. Dementsprechend wird Freiheit ihrem Wesen nach als relationale, inhaltlich positiv bestimmte Freiheit verstanden. Sie ist auf die Verwirklichung der Gemeinschaft von Schöpfer und Geschöpf hin angelegt. Darin findet sie ihre wahre Erfüllung. Dadurch wird nicht zuletzt begründet, dass Freiheit in der Bewahrung der Übereinstimmung mit der wesensgemäßen Bestimmung und dem Willen Gottes besteht und sich in der Negation dieser Grundbeziehung zur Unbrauchbarkeit korrumpieren kann. Der volle Sinn der in De libertate arbitrii entwickelten Definition des Freiheitsbegriffs erschließt sich also letztendlich im Zusammenhang mit der gnadentheologischen Grundlegung in De concordia III,4. Die Gnade gibt demnach die freimachende Gerechtigkeit und das Vermögen, sie um ihrer selbst willen zu bewahren. Der freie Wille, der diese Gabe empfangen hat, kann sie somit aktiv um ihrer selbst willen bewahren und mit dem göttlichen Gnadenwillen zusammenwirken.

6.2.2. Die gnadentheologisch begründete Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit In De concordia III,5–14 wird schließlich die gnadentheologisch begründete Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit in ihren biblisch-hermeneutischen, erfahrungsbezogenen und theologischen Dimensionen aufgezeigt. Damit wird versucht, das Dilemma von seinen Wurzeln her zu lösen. Dabei zeigt Anselm zum einen durch zwei biblisch-hemeneutische Überlegungen und symbolische Veranschaulichungen die Klarheit, Deutlichkeit und Konsistenz scheinbar widersprechender biblischer Texte in Bezug auf Gottes Gnade und menschliche Willens- und Wahlfreiheit auf. Zum anderen legt er durch phänomenbezogene Überlegungen eine integrale Deutung der gegensätzlichen Erfahrungen der eigenen Verantwortlichkeit, der Ohnmacht zur Gerechtigkeit und der vollkommenen Verdanktheit alles Guten nah. Schließlich begründet Anselm durch eine theologische Beschreibung des Verhältnisses von Gottes unbedingtem Gnadenhandeln und dem bedingten Freiheitsgebrauch des Menschen die Vereinbarkeit beider unter der Voraussetzung ihres einseitigen Bedingungsverhältnisses. Insgesamt wird hierdurch konzeptionell aufgezeigt, wie ein inklusiver Gnadenmonergismus nicht nur Freiheit begründen, sondern auch die

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

293

Kooperation von Gnade und befreitem freien Willens- und Wahlvermögen enthalten kann.106 Dies soll im Folgenden unter Berücksichtigung der Argumentationsstruktur erläutert werden. Zunächst sollen die zwei biblisch-hermeneutischen Argumente untersucht werden, mit denen eine konsistente Deutung divergenter biblischer Aussagen aufgezeigt wird. Als Erstes (6.2.2.1.) wird die in De concordia III,5 entfaltete These der freiheitstheoretischen Implikationen biblischer Aussagen über Gottes Gnadenhandeln erörtert werden. Als Zweites (6.2.2.2.) wird die in De concordia III,6 ausgeführte These der gnadentheologischen Voraussetzung biblischer Anreden an den freien Willen in den Blick genommen. Im Anschluss werden die zwei erfahrungsbezogenen Argumente analysiert, mit denen eine integrale Deutung verschiedener Erfahrungen nahe legt wird. So wird als Drittes (6.2.2.3.) dargestellt, wie in De concordia III,7–9 die Erfahrung der Verantwortung unter der Bedingung unbedingter Gnade gedeutet wird. Als Viertes (6.2.3.4.) wird schließlich untersucht, wie in De concordia III,10–13 die Erfahrung der Ohnmacht zum Guten angesichts eines bedingt freien Willens- und Wahlvermögens gedeutet werden kann. Schließlich soll auf Anselms theologisches Resümee eingegangen werden, indem als Fünftes (6.2.2.5.) die in De concordia III,14 formulierte radikal asymmetrische Verhältnisbestimmung von Gottes Werk und Werk des Menschen systematisch erörtert wird. 6.2.2.1. Die freiheitstheoretische Implikation biblischer Gnadenaussagen Vor dem Hintergrund der zuvor dargelegten gnadentheologischen Grundlegung wird in De concordia III,5 durch biblisch-hermeneutische Überlegungen und eine symbolische Veranschaulichung aufgezeigt, dass biblische Aussagen über Gottes Gnadenhandeln durchaus mit der Annahme vereinbar sind, dass der Mensch immer ein bedingt und bestimmt freies Willens- und Wahlvermögen hat.107 Damit wird auf den biblisch-theologischen Einwand eingegangen, der aus der Sicht eines gnadentheologischen Fatalismus gegen die Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit angeführt werden kann. So werden zentrale Aussagen über Gottes besonderes Gnadenhandeln in Christus aus der johanneischen und paulinischen Theologie aufgegriffen. Sie sind bereits in 106  Siehe hierzu auch: Kane, Anselm’s Doctrine, 160–186; Orazzo, Analogia libertatis, 116–120; Rogers, Anselm on Freedom, 125–138; Dies., Anselm on Grace and Free Will, 66–72; Franz, Die Freiheit des Menschen 243–247; Grane, Laerem om forholdet, 46–52; Ingu, Über die Gnade 1–9; Tyvoll, An Anselmian Quiescence-Approach, 35–54; Duth, Anselm’s Augustinianism, 845–855. 107  DC III,5 (SII), 269,2–270,9; zu Anselms Verständnis und Gebrauch der Bibel siehe insbesondere auch: Jean Chatillon, Saint Anselme et l’Écriture, in: Spicilegium Beccense II, hg. v. Raymonde Foreville, Paris 1984, 431–442; Marinus Pranger, Studium Sacrae Scripturae, in: Spicilegium Beccense II, hg. v. Raymonde Foreville, Paris 1984 469–483; Gillian R. Evans, The Language and Logic of the Bible: the Earlier Middle Ages, Cam­ bridge 1991, 13–47; Grégoire, L’Utilisation de l’Écriture Sainte chez Anselme, 272–293.

294

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

der Analyse des Problems in De concordia III,1 genannt worden. Zudem sind sie zuvor auch schon in Augustins Ad Simplician und De gratia et libero arbitrio diskutiert worden.108 Und sie sind von Gottschalk in De praedestinatione zur Bestreitung eines religiös signifikanten freien Willens- und Wahlvermögens herangezogen worden.109 Demgegenüber versucht Anselm in De concordia III,5 in Anlehnung an Augustins Deutung in De gratia et libero arbitrio durch eine biblisch-hermeneutische Überlegung und eine symbolische Veranschaulichung den freiheitskompatiblen Sinn biblischer Aussagen über Gottes Gnadenhandeln aufzuzeigen.110 In seinen biblisch-hermeneutischen Überlegungen geht Anselm auf gnadentheologische Aussagen aus Joh 15,5 und Röm 9,16 ein. De concordia III,1 zufolge, können sie als Aussagen gegen einen freien Willen und gegen die Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit gedeutet werden.111 In De concordia III,5 wird schließlich nach dem Sinn von gnadentheologischen Aussagen etwa der jesuanischen Aussage aus Joh 15,5 „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ oder der paulinischen Aussage aus Röm 9,16 „Es liegt nicht bei dem, der will, noch bei dem, der läuft, sondern bei Gott, der sich erbarmt.“ gefragt. Gegenüber einer exklusiven Deutung, der zufolge ausgeschlossen wird, dass der Mensch ein freies Willens- und Wahlvermögen hat, das er im Glauben zum Guten gebrauchen kann, versucht Anselm aufzuzeigen, dass sie in einem inklusiven Sinn zu verstehen sind. So betont er in De concordia III,6: dass, wenn die Heilige Schrift etwas zugunsten der Gnade sagt, sie den freien Willen nicht auf hebt.112

Ausgehend von der hermeneutischen Einsicht der Mitbezeichnung (consignifica­ tio) und Implikation (implicatio) zeigt Anselm den inklusiven Sinn beider Aussagen auf.113 In Bezug auf die gnadentheologische Aussage aus Joh 15,5 hebt er hervor, dass ihr Sinn nicht im Aufweis der schlechthinnigen Nutzlosigkeit des freien Willens besteht. Er bestehe in dem Aufweis, dass der freie Willen ohne 108  Augustin Ad Simplicianum, II,II,1–5 (CChr.SL 44), 75,1–81,172; Ders., De gratia et libero arbitrio IV,7. VIII,20 (PL 44), 886. 892–893. 109  Gottschalk, De praedestinatione VII,9-IX,9 (SSL 20), 188,18–211,22. 110  DC III,5 (SII), 269,2–270–9. 111  DC III,1 (SII), 263, 10–12; die anderen gnadentheologischen Aussagen aus Röm 9,18 und 1Kor 4,7, die im Rahmen der Problemformulierung in De concordia III,1 erwähnt werden, sind bereits im Rahmen der gnadentheologischen Grundlegung der Vereinbarkeit in De concordia III,3 als Zeugnisse für den absoluten Primat der Gnade und die dadurch begründete Freiheit erläutert worden. Durch die Reflexion des Gedankens, dass Gott sich erbarmt, wessen er will und verhärtet, wen er will, sowie des Motivs, dass der Mensch nichts hat, was er nicht von Gott empfangen hat, wird dabei hervorgehoben, dass der freie Wille keine mitkonstitutive Rolle im Heilsprozess hat und dass Gottes Gnade vorgängig, frei und nicht aus Notwendigkeit gegeben wird. Siehe hierzu: DC III,3 (SII), 266,24–267,5. 112  DC III,5 (SII), 269,2–3. 113  Zur Theorie sekundärer Bedeutung (consignificatio) und impliziter Aussagen (implicatio) siehe: Evans, The Language and Logic of the Bible: the Early Middle Ages, 87–92.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

295

Gnade nichts zum Guten nützt.114 So legt er in Anlehnung an Augustins Deutung dieser Textpassage in De gratia et libero arbitrio nahe, der Gedanke, dass wir ohne Christus nichts tun können, sei nicht fatalistisch zu deuten. Es sei in dem Sinn zu verstehen, dass Menschen nur durch Christus freiwillig, wahrhaft gut wollen und wirken können.115 Demnach impliziert die gnadentheologische Aussage in Joh 15,5 freiheitstheoretisch, dass die menschliche Freiheit derart bedingt ist, dass das freie Willens- und Wahlvermögen nur aufgrund und mithilfe der Gnade aktual zum Guten gebraucht werden kann, nicht aber um das Rechtsein selbst zu konstituieren. Konzeptionell bedeutet dies, dass der Freiheit keine mitkonstitutive aber eine responsive Rolle im gnadengewirkten Heilsprozess zugeschrieben wird. In ähnlicher Weise zeigt Anselm die freiheitstheoretische Implikation der gnadentheologischen Aussage von Paulus aus Röm 9,16 auf, „Es liegt nicht bei dem, der will, noch bei dem, der läuft, sondern bei Gott, der sich erbarmt.“ Dabei hebt er hervor, dass ihr Sinn nicht darin besteht, zu negieren, dass der freie Wille des Menschen zu etwas gut ist. Sie verneint nur, dass es dem freien Willen des Menschen und nicht der Gnade Gottes zuzuschreiben ist, wenn durch den freien Willen des Menschen Gutes gewirkt wird.116 So sagt Anselm, dass bei dieser Aussage vielmehr „mitzuhören sei, dass er will und dass er läuft“.117 Den konkreten inklusiven Sinn sieht er demnach in Anlehnung an Augustins Deutungen in Ad Simplicianum und De gratia et libero arbitrio darin, dass alles Gute, das durch den befreiten freien Willen des Menschen bewirkt wird, ganz der Gnade zu zuschreiben ist, da Gott in ihnen „seine eigene Gabe kröne“.118 Diese freiheitstheoretische Implikation biblischer Aussagen über Gottes Gnadenhandeln veranschaulicht Anselm symbolhaft im Bild der Bekleidung eines Nackten. Dieses Bild legt sich von der biblischen Symbolik selbst her nah. Es wird in diversen biblischen Texten, beispielsweise in Jes 61,10 und Ps 132,9–18 und bei Paulus etwa in Gal 3,27 und Röm 13,13–14 dazu verwendet, um zu beschreiben, wie Gott dem Menschen aus Barmherzigkeit Gerechtigkeit und Heil sowie Heiligkeit und ewiges Leben gibt. So verdeutlicht Anselm durch das biblische Symbol der Bekleidung eines Nackten den Gedanken, dass Gott den Menschen, der ohne Gerechtigkeit ist, durch die unbedingte Gabe des Rechtseins und der Gerechtigkeit derart gerecht und frei macht, dass er die empfan-

114 

DC III,5 (SII), 269,9–10. Augustin, De gratia et libero arbitrio, VI,13–14 (PL 44), 889–890; Ders, De correptione et gratia I,1 (CSEL 92), 219,1–18. 116  DC III,5 (SII), 269,11–14. 117  DC III,5 (SII), 269,14–15. 118  Ebd., vgl. Augustin, De gratia et libero arbitrio, VI,13–14 (PL 44), 889–890; vgl. Ders., Ad Simplicianum II,10–12 (CChrSL 44), 34,273–37,244. 115 

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6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

gene Gabe ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt gebrauchen und bewahren kann. Allerdings thematisiert Anselm auch die Grenze dieses Analogiebeispiels und korrigiert es. Er bemerkt, dass es aussagekräftiger wäre, wenn der Bekleidende dem Nackten auch das Vermögen geben würde, die Kleidung zu bewahren und zu gebrauchen.119 Die Differenz zwischen der bildlichen Veranschaulichung und der theologisch gemeinten Tat der Barmherzigkeit wird demnach darin gesehen, dass Gott dem Menschen nicht nur aus Gnade das Rechtsein des Willens gibt, sondern auch das Vermögen, diese um ihrer selbst willen zu bewahren, das heißt das Vermögen der Freiheit. So wird von Anselm durch dieses Bild veranschaulicht, dass biblische Aussagen über Gottes Gnade freiheitstheoretisch implizieren, dass die Gnade menschliche Freiheit nicht auf hebt. Durch die Gabe des Rechtseins wird bewirkt, dass der Mensch gerecht und frei wird und dass er seine geschöpfliche Freiheit recht gebrauchen kann. Entsprechend deutet Anselm das Bild unter Rekurs auf Röm 9,16 als Zeichen dafür, dass es nicht am Bekleideten liegt, dass er Kleidung hat und dass er sie freiwillig tragen kann, sondern an dem, der ihn aus Barmherzigkeit bekleidet hat. Demnach ist es ganz der Gnade Gottes zuzuschreiben, wenn jemand durch den rechten Gebrauch seines befreiten freien Willens- und Wahlvermögens Gutes bewirkt. Somit zeigt Anselm durch die biblisch-hermeneutischen Überlegungen zu Joh 15,5 und Röm 9,16 und das Bild der Bekleidung entgegen einer exklusiven Deutung auf, dass diese gnadentheologischen Aussagen zwei freiheitstheoretische Implikationen haben. Erstens beinhalten sie, dass nur durch die Gnade Gottes die Gabe des Rechtseins gegeben werden kann. Durch sie wird aber der Mensch wirklich zur wahren Freiheit befreit. Zweitens schließen sie die Annahme ein, Gottes Gnade helfe dem befreiten freien Willens- und Wahlvermögen so, dass dieser – Dank der Gnade – zur Gottesliebe und zur darin wurzelnden Nächstenliebe gebraucht werden kann. Damit hebt Anselm hervor, dass die biblischen Aussagen über die vollkommen passive Rekonstitution der Freiheit durchaus ihren nachfolgenden aktiven Vollzug einschließen. 6.2.2.2. Die gnadentheologische Voraussetzung biblischer Freiheitsaussagen In De concordia III,6 erläutert Anselm schließlich durch weitere biblisch-hermeneutische Überlegungen und eine bildliche Veranschaulichung den Sinn biblischer Verheißungen und Imperative, durch die der freie Wille des Menschen aufgefordert wird, recht zu wollen und wirken.120 Damit geht er auf den bi­ blisch-theologischen Einwand ein, der aus der Sicht eines freiheitstheoretischen Indeterminismus oder Synergismus gegen die gnadentheologische Begründung der Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit vorgebracht werden kann. Er ist in 119 

120 

DC III,5 (SII), 20–23. DC III,6 (SII), 270,11–12.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

297

semipelagianischen Konzeptionen sowie in der asketischen Tradition etwa in Cassianus’ Collationes wirklich vorgebracht worden.121 Demgegenüber argumentiert Anselm, dass biblische Anreden an den freien Willen des Menschen, wie sie sich beispielsweise in der jesajanischen, psalmistischen und matthäischen Theologie finden, keineswegs die Vorgängigkeit, Unbedingtheit und Allwirksamkeit der Gnade ausschließen. Sie seien überhaupt nur unter dieser gnadentheologischen Voraussetzung richtig zu verstehen. Gegen eine rein ethische Deutung und gegen den Rückschluss von biblischen Sollensaussagen auf ein menschliches Können wendet Anselm ein, dass die biblischen Anreden an den freien Willen ihren eigentlichen Sinn erst in einem gnadentheologischen Horizont entfalten. Wenn biblische Sollensaussagen jedoch erst unter Voraussetzung der Gnade ihren Sinn und ihre Wirkung entfalten, stellt sich die Frage, warum sie in den biblischen Texten enthalten sind? So heißt es in De concordia III,6: Da kommt dann die Frage auf, warum sie [die Heilige Schrift (Anm. d. Verf.)] den Menschen zum rechten Wollen einlädt und ihn kritisiert, weil er ungehorsam ist, wenn doch niemand die richtige Ausrichtung haben oder empfangen kann, wenn nicht die Gnade sie gibt?122

Im Folgenden versucht Anselm durch die Deutung und Veranschaulichung des Sinns biblischer Imperative und Verheißungen, etwa aus Jes 1,19 und Jes 45,22, aufzuzeigen, wie sie ihren Sinn in einem gnadentheologischen Horizont entfalten. Sie sind also unter der Voraussetzung wirksam, dass zuvor aus Gnade das Wort Gottes verkündigt, gehört und verstanden sowie geglaubt wird und der Heilige Geist aus Gnade dem Willen die Gabe des Rechtseins des Willens gibt. So kann der Mensch aufgrund und mithilfe der Gnade freiwillig den Willen Gottes aus Liebe tun. Durch den Aufweis der vollkommenen Gnadenbedingtheit des wahrhaft freien Willensgebrauchs weist Anselm die freiheitstheoretische Ansicht zurück, dass der freie Wille eine zweite, unabhängige Quelle des Glaubens und der Liebe sei und nicht sowohl der Anfang, der Vollzug als auch die Vollendung des freien guten Wollens ganz von Gottes Gnade abhinge. Um den Sinn und die gnadentheologische Voraussetzung biblischer Anreden an den freien Willen aufzuzeigen, verortet er sie in ihrem konkreten Kommunikationszusammenhang. Dies veranschaulicht er symbolisch durch das Analogiebeispiel der Aussaat, des Auf keimens und Wachstums von Samen auf einen Acker.123 Mit diesem Analogiebeispiel knüpft Anselm direkt an die Symbolik der in den synoptischen Evangelien, etwa in Mk 4 parr., von Jesus überlieferten Gleichnisse vom Sämann und der Aussaat auf den vierfachen Acker, sowie vom Unkraut im Weizen an. Auch der von Paulus in 1Kor 3,5–9 geprägte Vergleich der christlichen Verkündigung mit einem „Ackerbau Gottes“ klingt hier an. 121 

Johannes Cassianus, Collationes XIII,I,1-III,6 (CSEL 13), 362,13–265,18. DC III,6 (SII), 270,12–14. 123  DC III,6 (SII), 270,18–273,6. 122 

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6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

Zugleich enthält seine Darstellung des Analogiebeispiels eine kritische Spitze gegen die Verwendung dieses Bildes in der asketischen Tradition. Johannes Cassianus verwendet dieses Bild in Collationes XIII,3, um in Anlehnung an Origenes’ allegorische Deutung der in Gen 1,4 beschriebenen selbstwachsenden Saat zu zeigen, der Same des guten Wollens sei von Natur aus im Herzen des Menschen angelegt.124 Anselm greift das Motiv auf, dass im Herzen des Menschen viele Gedanken und Willensregungen auch ohne rechte Bildung und Lehre natürlicherweise von selbst sprossen, so wie in einem Ackerboden viele Pflanzen ohne jedes Sähen und Kultivieren wild wachsen. Allerdings wendet er seine Bedeutung kritisch, indem er die von selbst wachsenden Pflanzen als für die Ernährung nutzloses oder gar schädliches Unkraut beschreibt. In Analogie dazu wertet er die diversen Gedanken und Willensregungen, die natürlicherweise von selbst aus dem menschlichen Herzen hervorgehen, als zum Heil der Seele unnütz oder gar schädlich.125 Damit wird zunächst negativ verdeutlicht, dass der Anfang des freien Wollens der Gerechtigkeit nicht in der natürlichen Verfasstheit des menschlichen Herzen, sowie des entsprechenden Denkens und Wollens selbst liegen kann. Biblische Anreden an den freien Willen setzen demnach keineswegs voraus, dass der Mensch derart frei ist, dass er tun kann, was er tun soll. Zudem wird weiter positiv hervorgehoben, dass die wahren und gerechten Gedanken und Willensregungen nur durch gnadenvoll gegebene „Samen des rechten Wollens“ (semen recte volendi) entstehen, so wie gute nützliche Pflanzen nur durch gute ausgesäte Samen entstehen. Dabei deutet Anselm die Samen des rechten Wollens theologisch als „Gottes Wort“ (verbum Dei), beziehungsweise als den „Sinn der durch das Wort vernommen wird“ (sensus qui percipitur per verbum). Dies fasst er so weit, dass es „jeden Sinn oder jede Einsicht des Rechtseins (omnis sensus vel intellectus rectitudinis), den der menschliche Geist durch Hören, Lesen, Vernunft oder auf irgendeine andere Weise aufnimmt“126 umfasst. Als Beispiele hierfür nennt er biblische Anreden an den freien Willen, wie etwa die Verheißung aus Jes 1,19 „Wenn ihr wollt und auf mich hört“ und die Aufforderung aus Jes 45,22, Joel 2,12 und Sach 1,3 „Kehrt um zu mir!“. Sie haben in der Auseinandersetzung zwischen Cassianus und Augustin eine entscheidende Rolle gespielt.127 Dabei räumt Anselm der asketischen Tradition ein, dass der Sinn, der in solchen Worten enthalten ist, wie ein guter Same eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass im menschlichen Herzen gute „Früch124 

Origenes, Die Homilien zur Genesis I,4 (Werke 1;2), 35,1–36,9; Johannes Cassianus, Collationes XIII,I,1-III,5. (CSEL 13), 362,13–265,18; Siehe zu diesem Zusammenhang auch Djuth, Anselm’s Augustinianism, 845–856; Laporte, La Grâce chez Augustin, 438– 440 und Weaver, Divine Grace and Human Agency, 93–116. 125  DC III,6 (SII), 270, 18–20. 126  DC III,6 (SII), 270,23–27. 127  Siehe hierzu: Laporte, La Grâce chez Augustin, 438–440.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

299

te des Glaubens und der Gerechtigkeit“ entstehen.128 Allerdings wendet er auch kritisch ein, dass derartige Samen des rechten Wollens keineswegs von selbst wachsen und Frucht bringen, sondern nur unter Voraussetzung der umfassenden Wirksamkeit der Gnade. Damit hält er in Anlehnung an Augustin fest, dass biblische Anreden an den freien Willen keineswegs selbst bewirken, dass der Wille frei wird, ihnen zu folgen. Ihre Wirksamkeit ist in jeder Hinsicht vom gnadenvollen Wirken des Heiligen Geistes abhängig.129 Die inhaltliche Spitze dieses Analogiebeispiels besteht darin, zu verdeutlichen, dass das freie Wollen des Guten nicht nur in seinem Anfang, sondern auch in seinem Vollzug und in seiner Vollendung ganz durch Gottes freie Gnade bedingt ist. Biblische Anreden an den freien Willen entfalten ihren Sinn und ihre Bedeutung nur unter Voraussetzung der Gnade im konkreten Kontext der gnadenbedingten Kommunikation des Wortes Gottes und des Wirkens des Heiligen Geistes.130 So beschreibt Anselm die Art der Wirksamkeit biblischer Anreden an den freien Willen als vollkommen gnadenbedingt, indem er ihren Ursprung, ihren Sinn und ihre Bedeutung sowie ihre Wirksamkeit pneumatologisch begründet. Dass sie ihren Ursprung an sich dem Wirken des Heiligen Geistes verdanken, begründet Anselm zunächst damit, dass der Heilige Geist die Herzen der Autoren biblischer Texte und diese selbst fruchtbar gemacht habe an heilsamen, verheißungsvollen und auffordernden Worten Gottes beziehungsweise den Worten Christi.131 Sinn und Bedeutung der biblischen Aufforderungen werden schließlich darin gesehen, dass Menschen wirklich von Herzen recht glauben und somit recht wollen.132 Dieses Ziel verwirklichen die biblischen Aufforderungen nach Anselm jedoch nicht von sich aus, sondern nur in einem gnadenvollen kommunikativen Wirkungszusammenhang.133 Das bedeutet, sie können ihre Wirkung nur unter solchen Bedingungen im menschlichen Herzen entfalten, wenn zum einen aus Gnade Menschen ausgesendet werden die das Wort Gottes kommunizieren und wenn zum anderen aus Gnade sein Sinn von Menschen gehört und verstanden wird. Zudem wird vorausgesetzt, dass Gott zum 128 DC III,6 (SII), 272,28–273,2; vgl. Johannes Cassianus, Collationes XIII,I,1–III,6 (CSEL 13), 362,13–265,18. 129  DC III,6 DC III,6 (SII), 272,28–273,2; vgl. Augustin, De gratia et libero arbitrio VI,13– XXII,44 (PL 44), 889–910. 130  Siehe hierzu insbesondere auch: Williams, God who Sows the Seed and Gives the Growth, 611–27, der überzeugend die Kritik von Milbank zurückweist, dass Anselm für die trinitätstheologische Vernachlässigung des Heiligen Geistes verantwortlich sei. Vgl. Milbank, The Second Difference, 214–215. Siehe hierzu auch: Barth, Fides quaerens intellectum, 33–35. 131  DC III,6 (SII), 271,20–28. 132 Ebd. 133 Zur Bedeutung der Anrufung und Berufung (vocatio) des Menschen durch Gottes Wort für das paulinische und augustinische Freiheits- und Gnadenverständnis siehe: Jonas, Augustin und das paulinische Freiheitsproblem, 64–76.

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6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

rechten Hören aus Gnade auch das rechte Glauben und Wollen, das heißt die richtige Ausrichtung des Willens hinzu gibt. Dies geschieht nach Anselm indem Gott das Herz und den Willen umwendet. Schließlich erachtet er es für notwendig, dass Gott aus Gnade diese Umwendung weiterführt und vollendet.134 Die Rolle biblischer Aufforderungen in diesem kommunikativen Gnadennexus erläutert Anselm in Anlehnung an den paulinischen Gedanken aus Röm 10,13– 17 folgenderweise: Wenn der Apostel aber sagt, der Glaube sei aus dem Hören, so ist darunter zu verstehen, der Glaube sei aus dem, was der Verstand durch Hören begreift. Allerdings nicht so, als ob ein bloßer Verstandesbegriff den Glauben im Menschen bewirke, sondern so, dass der Glaube nicht ohne ein Begreifen sein kann. Wenn nämlich das Rechtsein des Wollens zum Begreifen hinzugegeben wird, ereignet sich der Glaube durch Gnade (per gra­ tiam fit fides), weil man glaubt, was man hört. Das Hören aber ist durch das Wort Christi, das heißt durch das Wort derer, die Christus verkündigen. Verkündiger sind aber wahrhaft nur, wenn sie gesandt werden; dass sie aber gesandt werden, ist Gnade. Weswegen auch die Verkündigung Gnade ist, weil Gnade ist, was aus Gnade hervorgeht. Auch Hören ist Gnade und Verstehen aus dem Hören ist Gnade und Rechtseins des Wollens ist Gnade. Sendung, Verkündigung, Hören und Verstehen sind aber nichts, wenn der Wille nicht will, was der Verstand einsieht; das kann der Wille aber nur aufgrund des empfangenen Rechtseins.135

Im Rahmen dieses kommunikativen Gnadennexus kommt den biblischen Aufforderungen zu glauben und recht zu wollen also eine notwendige, aber vollkommen gnadenbedingte Rolle zu. Wenn sie aus Gnade kommuniziert, gehört und verstanden werden, wird eine wichtige Voraussetzung des Glaubens geschaffen, „weil Glaube nicht ohne Verstehen ist“.136 Anselm betont jedoch, dass das Verstehen des Sinns des kommunizierten Wortes Gottes nicht selbst das Glauben und somit das rechte Wollen wirkt, sondern das Rechtsein des Willens aus Gnade dazu gegeben wird.137 Das bedeutet, sie wirken nur dann, wenn Gott den Willen des Menschen aus Gnade umwendet und gerecht macht, sodass er freiwillig das empfangene Rechtsein bewahren kann.138 Gott wirkt demnach den Glauben nicht unabhängig davon, dass derartige Aufforderungen kommuniziert, gehört und verstanden werden. Er verwirklicht ihn aber selbst aus Gnade durch die Gabe des Rechtseins. Durch sie kann erst das Gehörte geglaubt und das Verstandene auch freiwillig gewollt und getan werden. Auch das weitere Wachstum im Glauben, die Beständigkeit und Heiligung, um die im Glauben gebeten wird, geschieht nach Anselm durch diese Worte 134  Zur

elementaren Unterscheidung von bloßem Wortlaut und Sinn bei Augustin, Boethius und Anselm siehe: Evans, The Language and Logic of the Bible: the Earlier Middle Ages, 72–73. 135  DC III,6 (SII), 271,4–271,15. 136  DC III,6 (SII), 271,7–8. 137  Siehe hierzu auch: Barth, Fides quaerens intellectum, 33–35. 138  DC III,6 (SII), 271,8–9.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

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ganz aus Gnade. Der wahre Gebrauch der befreiten Freiheit ist also ganz als Resultat der Gnade zu verstehen. Er ist nicht auch als positive Bedingung der ursprünglichen oder nachfolgenden Gabe der Gnade.139 Durch diese biblisch-hermeneutischen Überlegungen und ihre metaphorische Veranschaulichung zeigt Anselm die gnadentheologische Voraussetzung biblischer Anreden an das freie Willens- und Wahlvermögen des Menschen auf. Demnach fordern sie zwar etwas, was der freie Wille des Menschen nicht ohne Gnade wollen und wirken kann.140 Sie fordern aber zugleich etwas, was der freie Wille aufgrund und mithilfe von Gottes Gnadenhandeln im Glauben kann: glauben und somit recht wollen. So schließt Anselm diese Überlegungen auch am Ende von De concordia III,6 mit der Bemerkung ab, er habe aufgezeigt, „inwiefern es nicht überflüssig ist, Menschen zum Glauben an Christus und zu dem, was dieser Glaube fordert, einzuladen, auch wenn nicht alle diese Einladung annehmen.“141 Durch diese Reinterpretation des Sinns biblischer Imperative im Horizont der Gnade zeigt Anselm auf, dass sie gerade nicht einen wahrhaft freien Willen ohne Gnade postulieren oder selbst befreiend wirken. Vielmehr betont er, dass sie aufgrund von Gnade als göttliche Worte wie Samen dazu beitragen, dass der Mensch, der ihren Sinn hört und versteht, aufgrund und mithilfe von Gottes gnadenvoller Gabe des Rechtseins im Glauben, aktual frei wollen kann. 6.2.2.3. Die Erfahrung der Verantwortung unter der Bedingung unbedingter Gnade In De concordia III,7–9 geht Anselm schließlich auf den ersten erfahrungsbezogenen Einwand ein, der aus der Sicht einer indeterministischen Freiheitstheorie gegen die Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit erhoben werden kann. In De concordia III,1 ist er bereits im Rahmen der Analyse des Dilemmas thematisiert worden.142 Anselm greift die Frage auf, „warum jene zur Verantwortung gezogen werden, die das Wort Gottes nicht annehmen, weil sie doch nicht wahrhaft Gutes tun können, wenn nicht die Gnade ihren Willen leitet?“.143 Diese Frage stellt in der Tat einen starken Einwand gegen die Gnadenlehre des späten Augustin dar und gegen die entsprechende These einer gnadentheologisch bedingten Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit.144 Augustin selbst nimmt mehrfach Stellung zu dem von Julian von Eclanum und anderen formulierten Vorwurf, er hebe mit seiner Lehre der allein und unbedingt allwirksamen Gnade Gottes die Freiheit und moralische Verantwortlichkeit des Menschen auf.145 139 

DC III,6 (SII), 272,20–26. DC III,6 (SII), 270,13–14. 141  DC III,6 (SII), 273,4–6. 142  DC III,1 (SII), 263,27–264,5; DC III,7–9 (SII), 273,8–278,10. 143  DC III,7 (SII), 274,8–274,18. 144  Siehe hierzu auch: Flasch, Logik des Schreckens, 63–83. 97–113. 145  Siehe hierzu: Augustin, Contra Julianum opus imperfectum V,38 (CSEL 85,2), 234,1– 140 

302

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

In Anlehnung an Augustin entkräftet Anselm den erfahrungsbezogenen indeterministischen Einwand. Er zeigt auf, in welchem Sinne der Mensch immer frei und verantwortlich ist, auch wenn die Art und Weise seines Freiseins vollkommen durch Gottes unbedingte Gnade bedingt ist. Um zu verdeutlichen, wie der Mensch angesichts der unbedingten Gabe der Gnade Gottes frei und verantwortlich ist, legt er die Konzeption einer immer gegebenen, bedingten Freiheit und Verantwortlichkeit nah. Ihr zufolge gilt der Mensch auch dann als frei und verantwortlich, wenn er nicht wechselweise qualitativ anders wählen kann und es nicht in seiner Macht liegt, über den Grund und die richtige Ausrichtung seiner Freiheit zu verfügen.146 Dazu erläutert Anselm zum einen die natürliche Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen unter der Bedingung, dass ihm die befreiende Gnade noch fehlt. In De concordia III,7 formuliert er eine Begründung dafür, dass der Mensch auch bereits dann in einem bestimmten Sinne frei und verantwortlich ist, wenn ihm die Gabe der erlösenden Gnade noch nicht gegeben ist, auch wenn er ohne sie das Wort Gottes gar nicht empfangen und ohne dieses in keiner Weise gerecht wollen kann.147 Dabei räumt er ein, es sei keine leichte Aufgabe, zu erläutern, warum Menschen für ihr Unvermögen zur Wahrheitserkenntnis und Gerechtigkeitsliebe verantwortlich seien. Dies gilt nach Anselm gerade dann, wenn man zum einen annimmt, dass sie dies nur aufgrund und mithilfe der unbedingten Gnade Gottes können und wenn man anders als semipelagianische Theologen wie Julian von Eclanum meint, dass es nicht jeweils durch den falschen Gebrauch des freien Wahlvermögens selbstverursacht ist, sondern als gerechte Konsequenz der ursprünglichen Sünde quasi ererbt ist.148 So lässt sich nach Anselm nur in universaler menschheitsgeschichtlicher Per­ spektive überlegen, warum Menschen dafür verantwortlich gelten können, wenn sie das Wort Gottes nicht empfangen, obwohl sie es aus sich selbst heraus weder erkennen noch glauben und wollen können, sondern ihnen dies allein aus Gnade gegeben wird.149 Die Verantwortlichkeit für das Unvermögen des Menschen unabhängig von Gottes befreiender Gnade das Rechte zu erkennen, zu glauben und zu wollen, wird von Anselm schließlich damit begründet, dass es ein Unvermögen ist, das aus einer ersten freiwilligen Schuld hervorgeht.150 Unter implizitem Bezug auf 237,93; Ders., De gratia et libero arbitrio I,1-IV,6 (PL 44), 881–886 und Ders., De correptione et gratia I,1-VI,9 (CSEL 92), 219,1–227,34. 146  Zur Kritik, dass Anselm das von Augustin hinterlassene Problem der Verantwortlichkeit nicht befriedigend löse: Goebel, Rectitudo, 493–496; vgl. Ekenberg, Falling Freely, 83–85; und Trego, Le péché originel, 296–301. 147  DC III,7 (SII), 274,8–274,18. 148  DC III,7 (SII), 273,11–12; vgl. hierzu: Augustin, Contra Julianum opus imperfectum V,38 (CSEL 85,2), 234,1–237,93. 149  DC III,7 (SII), 273,8–9. 150  DC III,7 (SII), 273,12–274,2.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

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die ausführlicheren Erörterungen dieses Problems in De libertate arbitrii und Cur Deus homo geht Anselm an dieser Stelle davon aus, dass es für die Begründung der generellen Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit des Menschen nicht notwendig ist anzunehmen, dass er in einem unbedingten Sinn faktisch anders wollen kann, als er will und es in seiner Macht liegt, die Grundausrichtung seines Willens zum Guten zu verändern.151 Schließlich ist nach den freiheitstheoretischen Überlegungen in De libertate arbitrii weder das Erste noch das Zweite zutreffend.152 So zeigt Anselm auf, dass es für die Begründung genereller Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit trotz Unvermögen ausreichend ist, wenn gezeigt werden kann, dass das Unvermögen nicht aus einer absoluten vorausgehenden Notwendigkeit hervorgeht, sondern aus einer bedingten Notwendigkeit, die einem freiwilligen Willens- und Wahlakt nachfolgt. Er betont, dass der Mensch in einem konditionalen, bedingten Sinn, hypothetisch anders wollen könnte als er faktisch will. In einem bedingten Sinn, könnte er wollen, wie er wesensgemäß wollen soll.153 Beide Kriterien treffen nach Anselm zu, wenn man von der augustinischen Lehre der originalen Sünde ausgeht und nicht wie im Manichäismus annimmt, dass das Unvermögen zum Guten aus einer absoluten, vorausgehenden Notwendigkeit – im Sinne eines bösen Prinzips – hervorgeht.154 So argumentiert Anselm, dass das Unvermögen des Menschen ohne Gnade das Rechte zu wollen oder auch nur zu erkennen den Menschen deswegen nicht entschuldigt, weil es ein ursprünglich verschuldetes Unvermögen ist. Damit wird es als gerechte Konsequenz aus einem ersten ungezwungenen, freiwilligen, spontanen und selbstbestimmten Akt der Ungerechtigkeit betrachtet.155 Das von sich aus unabänderliche Bestimmtsein des verknechteten freien Menschen durch ungerechte Willensregungen und Triebe hebe die bleibende Verantwortlichkeit des Menschen zudem deswegen nicht auf, weil er in einem bedingten Sinn gerecht wollen könnte und in einem unbedingten Sinn gerecht wollen soll. Auch für den unter die Sünde verknechteten Menschen gilt nach Anselm nämlich, dass er so geschaffen worden ist, dass er gerecht wollen konnte und sollte, und dass er unter der Bedingung der Gabe des Rechtseins aufgrund und mithilfe der Gnade gerecht wollen könnte.156 Diese beiden Kriterien sind seiner Auffassung nach schließlich hinreichend, um zu begründen, dass der verknechtete, bedingt freie Mensch auch angesichts der ihm fehlenden unbedingten Gabe der Gnade bedingt verantwortlich ist für das, was er ohne Zwang 151  DLA 2 (SI), 209,8–210,21; CDH I,24 (SII), 92,8–9; siehe hierzu auch die ausführlichere Diskussion in Kap.  3.3.2.5. 152  DLA 10–12 (SI), 222,25–224,32. 153  DC III,7 (SII), 273,12–274,2. 154  Siehe hierzu auch: Augustin, Contra duas epistolas pelagianorum IV,4,4–8 (CSEL 60), 524,1–529,28. 155  DC III,7 (SII), 273,12–274,2. 156  Ebd.; vgl. DLA 10–12 (SI), 222,25–224,32.

304

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

freiwillig, spontan und selbstbestimmt aus dem Unvermögen zur Gerechtigkeit heraus tut. Zum anderen erörtert Anselm, inwiefern der Mensch auch weiterhin bedingt frei und verantwortlich bleibt, wenn ihm die unbedingte Gabe des Rechtseins gegeben wird, auch wenn er aufgrund und mithilfe der Gnade aktual frei, recht wollen kann, und durch keine Notwendigkeit gezwungen werden kann, das empfangene Rechtsein wieder aufzugeben.157 Dass durch die unbedingte Gabe der Gnade die bedingte Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen nicht aufgehoben wird, begründet Anselm damit, dass durch die Gabe des Rechtseins in der Taufe zwar die Schuld der ursprünglichen Sünde ganz vergeben wird. Das damit verbundene Unvermögen bleibt aber zeitlebens als schuldlose Schuldfähigkeit bestehen.158 So hebt er auch hier zwei Kriterien für die bleibende Verantwortlichkeit und Freiheit des begnadeten Menschen hervor. Zum einen hebt er mit einem sakramentaltheologischen Argument hervor, dass die unbedingte Gabe der Gnade in der Taufe nicht die unmittelbare Vollkommenheit des Menschen bewirkt, sondern die Vergebung der ursprünglichen Schuld und die relationale Neuausrichtung des Menschen trotz seiner bleibenden Unvollkommenheit.159 Der Mensch bleibt nach Anselm auch als aus Gnade vor Gott gerecht und frei gemachte Person an sich selbst unvermögend und schwach, gerecht zu wollen. Da er zeitlebens unvollkommen bleibt und fähig zur Aufgabe des Rechtseins, bleibt auch die Verantwortlichkeit für alles ohne Zwang, freiwillig, selbstbestimmt und spontan Gewirkte bestehen.160 Zum anderen betont Anselm, dass der Mensch – soweit es an ihm liegt – weiter willentlich sündigen kann. Nur aufgrund und mithilfe der Gnade kann er die Gabe des Rechtseins um ihrer selbst willen bewahren und gebrauchen.161 Den Grund dafür sieht er darin, dass die unbedingte Gabe des Rechtseins den Menschen nicht auf die Weise vollkommen macht, dass er aus sich selbst heraus nicht mehr anders als gerecht wollen kann. So stellt Anselm heraus, dass gerade deswegen, weil der Mensch immer ganz auf die göttliche Gnade angewiesen ist, es seinem Heil keinen Abbruch tut, wenn er auch nach ihrem Empfang fehlbar und verantwortlich bleibt. Indem Anselm diese Gründe aufzeigt, warum der Mensch angesichts der unbedingten Gabe der erlösenden Gnade, sowohl dann, wenn sie ihm fehlt als auch dann, wenn er sie empfangen hat, bedingt frei und verantwortlich ist, legt er nah, dass unbedingte Gnade und bedingte Freiheit und Verantwortlichkeit 157 

DC III,8–9 (SII), 274,19–278,10. DC III,8 (SII), 274,19–275,8. 159 Ebd. 160 Vgl. Augustin, De natura et gratia, LII,60-LVII,67 (CSEL 60), 277,6–284,11; Ders. Contra duas epistolas Pelagianorum II,2,3, (CSEL 60), 462,14–463,16. 161  DC III,8 (SII), 275,9–5. 158 

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

305

vereinbar sind. Der erfahrungsbezogene Einwand aus der Sicht eines indeterministischen Freiheitsverständnisses wird schließlich dadurch entkräftet, dass gezeigt wird, auch unter der Bedingung unbedingter Gnade kann sinnvoll von einer bedingten geschöpflichen Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen ausgegangen werden.162 6.2.2.4. Die Erfahrung der Ohnmacht unter der Voraussetzung bedingter Freiheit In De concordia III,10–13 geht Anselm schließlich auf den erfahrungsbezogenen Einwand ein, der aus der Sicht eines theologischen Fatalismus gegen die Annahme eines mit Gottes Gnadenhandeln vereinbaren freien Willens- und Wahlvermögens angeführt werden kann.163 Dieser Einwand ist bereits in De concordia III,1 im Rahmen der Problemformulierung thematisiert worden. Er besteht darin, dass die Erfahrung der Ohnmacht und Willensschwäche zeigt, dass es auch aufgrund und mithilfe der Gnade im Glauben unmöglich sei, den freien Willen zum Guten zu gebrauchen.164 Die freiheitsskeptische Bestreitung der Annahme, dass das freie Willens- und Wahlvermögen im Glauben zum Guten nützend gebraucht werden kann, findet sich historisch bei augustinisch geprägten Denkern, wie etwa bei Gottschalk in seiner Responsa. Sie wird auch von Anselms Schüler Honorius Augustoduensis im Inevitabile neu aufgeworfen. Einige Jahrzehnte später wird es auch von Bernhard von Clairveaux in De gratia et libero arbitrio ausführlich erörtert.165 Anselm versucht diesen verbreiteten, erfahrungsbezogenen Einwand gegen eine gnadenbedingte Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit durch ein phänomenbezogenes Argument zu entkräften. Zum einen deutet er die Erfahrungen der Ohnmacht und Willensschwäche trotz Gnade als ein Versagen und Scheitern an einer Schwierigkeit und nicht als eine objektive Unmöglichkeit. Zum anderen analysiert er das Phänomen des geschöpflichen Willens selbst.166 Bereits in De libertate arbitrii 5–6 diskutiert Anselm die Frage, ob der Mensch im Glauben so angefochten werden kann, dass er durch die Versuchung gezwungen wird, die empfangene Gabe des Rechtseins aufzugeben.167 Mit ver162  Zur Kritik, dass Anselm das von Augustin hinterlassene Problem der Verantwortlichkeit nicht befriedigend löse: Goebel, Rectitudo, 493–496; vgl. Ekenberg, Falling Freely, 83–85; und Trego, Le Péché originel, 296–301. 163  DC III,10–14 (SII), 278,12–287,21. 164  Ebd.; vgl. Gottschalk, Responsa VI-VII (SSL 20), 146,16–158,28; Honorius Augustodunensis, Inevitabile (PL 172), 1197B-1222D; Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio, I,1-XIV,51 (Werke 1), 165,15–203,19. 165  DC III,1 (SII), 263,14–18. 166  DC III,10–14 (SII), 278,12–287,21; siehe hierzu insbesondere auch: Henri Rondet, Grâce et péché. L’augustinisme de saint Anselme, in: Spiccilegium Beccense I, Bec; Paris 1959, 155–169; vgl. Goebel, Rectitudo, 481–482; vgl. Ders., Anselm von Canterbury über Willensstärke, 94.ff.; das Phänomen der Willensschwäche bei Anselm auf den sittlich schlechten Menschen bezogen sieht. vgl. Saarinen, Weakness of Will, 43–51. 167  DLA 5–6 (SI), 214,14–218,13.

306

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

schiedenen Argumenten und anhand eines Fallbeispiels verneint er dabei deutlich, dass eine Versuchung einen Menschen dazu zwingen kann, unfreiwillig zu sündigen. Er betont, dass die Erfahrungen der Ohnmacht, des Scheiterns und Versagens ihren Grund nicht in der Unmöglichkeit haben freiwillig die gegebene Gerechtigkeit weiter zu wollen, sondern in einer scheinbar unüberwindbaren Schwierigkeit.168 Damit unterscheidet sich sein Verständnis der Anfechtung und Willensschwäche von derjenigen von Bernhard von Clairveaux. Dieser unterscheidet später stärker psychologisch argumentierend, dass einige Versuchungen überwindbar seien, andere hingegen unwiderstehlich.169 Anselms Verneinung eines Determinismus zum Bösen hat dabei nicht nur psychologische, sondern vor allem auch theologische Gründe. Entsprechend bezeichnet er im Rahmen prädestinationstheologischer Überlegungen in De concordia II,1 die Annahme, dass der freie Wille niemals zum Guten nütze, sondern nur zum Bösen da sei als „absurd“.170 Dass die Erfahrungen der Ohnmacht, des Scheiterns und Versagens im Glauben nicht widerlegen, dass das freie Willens- und Wahlvermögen aufgrund und mithilfe der Gnade zum Guten gebraucht werden kann, begründet Anselm in De concordia III,10 somit unter Rekurs auf die Argumentation in De libertate ar­ bitrii 5–6 durch die Unterscheidung zwischen einer logischen, objektiven Unmöglichkeit und der praktischen, subjektiven Schwierigkeit der freiwilligen Bewahrung der empfangenen Gerechtigkeit. So heißt es dort: Wenn Menschen, die sich bemühen, nicht fortschreiten, oder nachdem sie fortgeschritten sind, versagen, so meine ich, dass dies nicht aufgrund einer Unmöglichkeit geschieht, sondern aufgrund einer manchmal schweren und manchmal leicht zu überwindenden Schwierigkeit.171

Anselm wendet sich gegen eine falsche objektivierende Entlastungsstrategie, eine erfahrene Schwierigkeit als Unmöglichkeit zu deuten. Demgegenüber betont er, dass jeder bei der Betrachtung der Bewegung seines Willens wahrnehmen könne, dass er durch nichts und niemanden gezwungen werden kann, die aus Gnade empfangene Gabe des Rechtseins aufzugeben. Er könne sie nur dann verlassen, wenn er selber etwas anderes mehr wolle, was nicht im Einklang mit ihr stehe.172 Dabei hebt er jedoch hervor, dass der Grund des Sündigens nicht in der Freiheit selbst liegen könne. Diese sei schließlich das der Sünde entgegengesetzte Vermögen, das empfangene Rechtsein des Willens um seiner selbst willen 168 Ebd.

169  Bernhard von Clairveaux, De gratia et libero arbitrio, XI,36-XII,41 (Werke 1), 191,12–196,9. 170  DC II,1 (SII), 260, 15–17. 171  DC III,10 (SII), 278,16–18; vgl. DLA 6 (SI), 217,9–218,13. 172  DC III,10 (SII), 278,19–22; vgl. DCD 3 (SI), 236,12–240,12.

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

307

zu bewahren.173 Der Grund der freiwilligen Aufgabe der Gabe des Rechtseins kann nach Anselm also nur darin liegen, dass die ursprünglich untergeordnete Neigung zum natürlichen Glück der Neigung zur Gerechtigkeit übergeordnet wird. So wird das Rechtsein des Willens nicht mehr um seiner selbst willen gewollt und bewahrt.174 Dadurch legt er nahe, die Erfahrungen der Ohnmacht und des Scheiterns und Versagens im Glauben als Phänomene der Willensschwäche und Schuld zu deuten und nicht bloß als Verhängnis oder Schicksal, das den Menschen zu etwas zwinge, das er nicht auch selbst wolle.175 Dies führt Anselm in De concordia III,11–13 schließlich willenstheoretisch aus.176 Dabei verdeutlicht er, dass der Mensch im Glauben durch keine Notwendigkeit oder Unmöglichkeit gezwungen wird, das aus Gnade empfangene Rechtsein des Willens aufzugeben, indem er die dreifache Struktur des Willens und relationale Bedingtheit des geschöpflichen Willens erläutert. Mit Hilfe der Beschreibung der Affektstruktur des Willens zeigt er auf, in welchem Sinne der geschöpfliche Wille relational bedingt ist. Es wird hervorgehoben, dass er nur von Gott her die stärkere affektive Neigung zum Rechtsein empfangen und seine Grundorientierung zur Gerechtigkeitsliebe bewahren kann. Nur durch sich selbst kann er die untergeordnete Neigung zum Angenehmen derart überordnen, dass das unrechte Glücksstreben zur neuen Grundorientierung wird.177 So formuliert Anselm eine willenstheoretische Erklärung für die Erfahrung selbstverschuldeter Ohnmacht und die Möglichkeit aufgrund und mit Hilfe von Gottes Gnade die Gabe des Rechtseins des Willens um ihrer selbst willen zu bewahren. Indem eine willenstheoretische Grundlage formuliert wird, aufgrund derer Erfahrungen der Ohnmacht und des Versagens als Versagen eines bedingt freien Willens gedeutet werden können, zeigt Anselm auf, dass sie nicht überzeugend als erfahrungsbezogener Einwand gegen die gnadenbedingte Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit herangezogen werden können. Vielmehr legt sich aus den willenstheoretischen Überlegungen nahe, es sei möglich, dass der aus Gnade gerecht geschaffene freie Wille durch die Gabe der gerecht machenden Gnade derart aus der Verknechtung unter das unrechte Glücksstreben befreit werden kann, dass er aufgrund und mithilfe der Gnade die empfangene neue Grundorientierung ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt um ihrer selbst willen bewahren kann.178 So deutet Anselm die zwei 173 

DC III,10 (SII), 278,22–25.; vgl. DLA 2 (SI), 209,8–210,21.

174 Ebd.

175  Siehe

hierzu auch: Goebel, Rectitudo, 481–482; vgl. Ders., Anselm von Canterbury über Willensstärke, 94. Dort formuliert er die These, Anselm vertrete in Bezug auf den moralisch schlechten Menschen eine „intellektualistisch-deterministische Handlungstheorie“; vgl. Saarinen, Weakness of Will, 43–51. 176  DC III,11–13 (SII), 278,27–287,21. 177  DC III,13 (SII), 285,7–287,21. 178 Ebd.

308

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

alternativen Grundorientierungen des menschlichen Willens schließlich in Anlehnung an die paulinische Pneumatologie erstens als fleischliche Gesinnung, die entgegen dem Geist Gottes auf unrechte Weise nach dem Angenehmen des natürlichen Glücks strebt. Zweitens deutet er sie als geistliche Gesinnung, die in innerer Übereinstimmung mit dem Heiligen Geist die Gabe der Liebe um ihrer selbst willen bewahrt.179 Die gnadenbedingte Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit zu bestreiten hieße demnach, die aus Gnade gegebene Wirklichkeit christlicher Freiheit und eines geistlichen Lebens zu bestreiten. Indem Anselm aufzeigt, dass die Freiheit des Willens trotz des Phänomens der Willensschwäche eine Gabe der Gnade ist, entkräftet er den erfahrungsbezogenen Einwand gegen die gnadenbedingte Vereinbarkeit von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit. 6.2.2.5. Die radikal asymmetrische Relation von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit In De concordia III,14 reflektiert Anselm schließlich die Relation von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit. Abschließend beschreibt er sie in zwei Hinsichten als eine radikal asymmetrische Relation.180 Damit schließt er nicht nur den Aufweis der gnadenbedingten Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit ab, sondern den umfassenden Versuch einer Begründung der Vereinbarkeit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes Vorausbestimmen, Vorauswissen und Gnadenhandeln mit menschlicher Freiheit. Dabei deutet Anselm das Verhältnis von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit in dem Sinne als eine radikal asymmetrische Relation, dass Gottes Gnade als absolut vorgängig und freiheitskonstitutiv gilt. Die Freiheit des Menschen wird hingegen in keiner Weise als vorgängig oder konstitutiv für Gottes Gnade angesehen. Sie gilt nur als responsiv. Demnach wird Gottes Gnade einseitig als unbedingter Grund der Freiheit des Menschen gedeutet und die bedingte Freiheit des Menschen als Werk und Gabe Gottes verstanden. So heißt es dort: Es ist offensichtlich, dass Gott die guten Werke allein aus seiner Güte schafft (Deus bona facit opera sola sua bonitate), weil er selbst den Willen mit seinem freien Wahlvermögen schafft (quoniam ipse creat) und jenem die Gerechtigkeit gibt (et dat illi iustitiam), durch die er wirksam ist.181

Damit wird festgehalten, dass Gottes Güte die erste, umfassende und alleinige Ursache alles Guten – auch der menschlichen Freiheit – ist und dass das freie Willens- und Wahlvermögen nicht eine unabhängige zweite Quelle des Guten darstellt. Entscheidend ist dabei, dass Gottes Gnade umfassend als unbedingte 179 

DC III,12 (SII), 284,22–285,5. DC III,14 (SII), 287,23–288,18. 181  DC III,14 (SII), 287,25–28. 180 

6.2. Der gnadentheologisch begründete Aufweis der Vereinbarkeit

309

schöpferische und als erlösende und vollendende Gabe beschrieben wird und die Freiheit als bedingte Bewahrung dieser Gabe. Dadurch wird hervorgehoben, dass Gottes Gnade von Anfang an die alleinige, ganz schöpferisch Gebende ist und der Mensch der ganz geschöpflich Empfangende. Indem die Relation von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit bereits schöpfungstheologisch als radikal asymmetrische Relation von Schöpfer und Geschöpf gefasst wird, wird eine theologisch-ontologische Grundlage dafür formuliert, sie auch soteriologisch als eine radikal asymmetrische Relation zu verstehen.182 Durch diese trinitätstheologische Verankerung werden nicht nur ein bloß instrumentelles Gnadenverständnis und eine entsprechende Konzeption religiöser Selbstrechtfertigung und Selbstbefreiung abgewehrt, in der die Freiheit eine mitkonstitutive Rolle hätte. Vielmehr wird zugleich herausgestellt, dass die Freiheit des Menschen als bedingte, geschöpfliche Freiheit sich zur unbedingt gegebenen Gnade Gottes responsiv verhält, indem sie nachfolgend das allein aus Gnade empfangene Rechtsein des Willens um seiner selbst willen bewahrt. Dabei betont Anselm im Unterschied zu Bernhard von Clairveaux, dass die Gabe der Gnade die alleinige Ursache für ihren Empfang ist. Er meint nicht, dass es gleichfalls auf die acceptatio des freien Willens ankomme.183 Im Unterschied zu Abaelard hebt er des Weiteren hervor, dass es nicht in der Freiheit des Menschen liegt, Gottes Gnade anzunehmen oder abzulehnen. Schließlich wird die Freiheit des Menschen von Anselm darin gesehen, die gegebene und empfangene Gabe des Rechtseins um ihrer selbst willen bewahren zu können.184 Damit wird die Relation von Gnade und Freiheit von Anselm wesentlich deutlicher als bei andern frühmittelalterlichen Denkern als radikal asymmetrisch beschrieben. So deutet Anselm die Relation von Gottes Gnade und menschlicher Weise weiter in dem qualitativen Sinne als radikal asymmetrisch, dass alles Gute als ganz Gott verdankt betrachtet wird und alles Böse als ganz von den Geschöpfen selbstverschuldet.185 Diese Verhältnisbestimmung ist nicht erst in der Neuzeit und Moderne als provokative und empörende „Logik des Schreckens“ empfunden worden. Bereits im Kontext des frühmittelalterlichen Denkens ist sie auf Widerspruch gestoßen. In dieser Konsequenz ist sie selten weitergeführt worden.186 Dennoch lohnt es sich, Anselms Argumente für die radikal asymmetrische Verhältnisbestimmung zwischen der vollkommenen Güte des unbedingten Gnadenhandelns Gottes und der Fehlbarkeit des bedingten freien Wollens 182 

DLA 10 (SI), 222,2–23. Bernhard von Clairveaux, De gratia et liberi arbitrio, XIII,42-XIV,50 (Werke 1), 196,9–203,19. 184  Petrus Abaelard, Commentarius in Romanus II (V,19) (CChr.CM 11), 165,389– 169,535. 185  DC III,14 (SII), 287,23–288,18. 186  Ebd; Siehe hierzu: Flasch, Logik des Schreckens, 25–43, vgl. Schick, Willensfreiheit bei Anselm, 62–67. 183 

310

6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

und Wählens des Menschen näher zu betrachten. In De concordia III,14 zieht Anselm schließlich das Resümee, dass alles Gute ganz von Gott gewirkt wird und der Beitrag des Menschen rein negativ ist und dass alles Ungerechte allein durch den freien Willen der Geschöpfe bewirkt wird und der Beitrag Gottes hierzu rein negativ ist. So heißt es dort: Gott kommt in den guten Werken also zu, dass sie wesenhaft sind und dass sie durch die Gerechtigkeit gut sind, in den bösen hingegen nur, dass sie ihrem Wesen nach gut sind, nicht aber dass die durch die Abwesenheit der gesollten Gerechtigkeit, die nicht etwas ist, böse sind. Dem Menschen aber kommt bei den guten Werken zu, dass sie nicht böse sind, weil er, obwohl er die Gerechtigkeit verlassen und Böses tun kann, sie nicht verlässt, sondern sie aufgrund und mithilfe der gegebenen und nachfolgenden Gnade durch das freie Wahlvermögen bewahrt, bei den Bösen hingegen wahrhaft allein, dass sie böse sind, weil er sie allein durch seinen eigenen, das heißt ungerechten Willen bewirkt.187

Anselm schreibt gute Werke nicht symmetrisch teilweise Gott und teilweise dem Menschen zu. Er schreibt sie positiv Gott allein und ganz zu. Dem Menschen schreibt er hingegen nur negativ zu, dass er sie aufgrund und mithilfe von Gottes Gnade nicht korrumpiert. Diese Zuschreibung basiert auf der theologisch-ontologisch begründeten singulären Vollkommenheit der göttlichen Güte und auf der schöpfungstheologisch begründeten Differenz und Bezogenheit von Schöpfer und Geschöpf, Erlöser und Erlöstem.188 Der Betonung der vollkommenen allein und allwirksamen Güte Gottes entspricht dabei die anthropologische Annahme, dass der Mensch alles, was er ist und hat, von Gott empfangen hat. Die Hervorhebung der vollkommenen Verdanktheit alles Guten scheint deswegen keineswegs den Schrecken eines tyrannisches Gottesbildes vorauszusetzen. Sie bringt vielmehr das Vertrauen in die vollkommene, mehr als genügende Güte des höchsten Wesens zum Ausdruck.189 Anselm geht davon aus, dass die Gabe der Gnade Gottes vollkommen ist. Sie wirke, dass der Mensch weder vor noch nach ihrem Empfang daneben einen eigenen positiven Beitrag leisten muss, sondern sie einfach bewahren kann. Indem ein unabhängiger positiver Beitrag des Menschen zum Guten verneint wird, werden Selbstermächtigungsund Selbstrechtfertigungsstrategien zurückgewiesen, denen zufolge auch der Mensch einiges Gutes durch sich selbst bewirkt. Demgegenüber hält Anselm daran fest, dass alles Gute allein und ganz Gottes Gabe ist und dass der verknechtete freie Wille dadurch derart befreit wird, dass er durch die Gnade die Gabe bewahren und mit ihr zusammenwirken kann. Dadurch integriert An-

187 

DC III,14 (SII), 288,4–10. Ebd. vgl. demgegenüber Cassian, der quantitativ den größten Teil der Gnade und nur einen kleinen Anteil dem freien Willen zuschreibt. Johannes Cassianus, Collationes XIII, XVIII,1–3 (CSEL 13). 189  Vgl. PL 9 (SI), 106,16–108,20. 188 

6.3. Zusammenfassung

311

selm in die monergistische Auffassung des göttlichen Gnadenwirkens das Motiv der Kooperation von göttlichem und menschlichem Willen in der Heiligung.190 Dass Anselm die Ungerechtigkeit von bösen Werken gleichfalls radikal asymmetrisch allein den freien Geschöpfen zuschreibt und nicht auch Gott, ist ebenso in seiner Vorstellung der Vollkommenheit Gottes begründet sowie in seiner Deutung des Ursprungs und „Wesens“ des genuin Bösen. Anthropologisch entspricht dem die Auffassung der Instabilität des geschöpflichen Seins sowie der ursprünglich freiwilligen Verknechtung unter die Sünde und des nachfolgend notwendigen ungerechten Wollens des verknechteten freien Willens- und Wahlvermögens.191 Indem Anselm hervorhebt, dass Gott in Bezug auf die bösen Werke wirkt, dass sie sind und was sie ihrem Wesen nach sind, hält er entgegen einem ontologischen Dualismus und einem Determinismus zum Bösen daran fest, dass Gott der Schöpfer von allem ist und das Böse bloß ein innergeschöpfliches Phänomen. Indem er die Ungerechtigkeit böser Werke aber allein den Geschöpfen zuschreibt, die sie bewirkten, betont er die Schuldfähigkeit und Schuldigkeit des Menschen, der allein aus seinem eigenen Willen heraus unrecht will, was er will, einfach weil er es will. Damit weist Anselm zum einen auf, dass die Verschließung des Geschöpfs vor der göttlichen Gabe der Gnade den Anfang des Bösen setzt und zum anderen übt er damit Kritik an Selbstentlastungsstrategien, denen zufolge nicht das Geschöpf allein und ganz, sondern zuvor auch Gott als Urheber der Ungerechtigkeit betrachtet wird. Sowohl die Gabe der Gerechtigkeit als auch die Entlastung von Schuld werden somit exklusiv als Werk Gottes gedeutet. Das Bleiben in der Gerechtigkeit und Vergebung wird hingegen als durch Gott bewirktes Mitwirken des Menschen verstanden. Durch diesen inklusiven Gnadenmonergismus wird die im Glauben gegebene Freiheit des Menschen von Anselm theologisch konsequent als begnadete Freiheit gedacht.

6.3. Zusammenfassung Durch die Analyse der Argumentation in De concordia III ist aufgezeigt worden, dass Anselm abschließend eine gnadentheologische Grundlegung der Freiheitstheorie formuliert. Er argumentiert dafür, dass aufgrund der unendlichen Priorität der allein und unbedingt alles wirkenden Gnade Gottes Gnadenhandeln und menschliche Freiheit vereinbar sind und in vielem zusammenwirken. Dabei hat die Untersuchung der Argumentation in De concordia III ergeben, dass Anselm zum einen das gnadentheologische Problem ausgehend von seinen biblisch-hermeneutischen, erfahrungsbezogenen und theologietypologischen 190  Zum Motiv der cooperatio in bonum bei Augustin, siehe: Augustin, De gratia et libero arbitrio XVII,33- XXII,44 (PL 44), 901–910. 191  Vgl. DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32; DCD 1–28 (SI), 233,3–276,15.

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6. Freiheit und Gnade. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

Wurzeln sowie ausgehend von seinen begrifflichen Voraussetzungen her ebenfalls als Dilemma analysiert. Zum anderen hat die Untersuchung ergeben, dass er einen gnadentheologisch begründeten Lösungsansatz entwirft. Als zentral herausgestellt worden ist dabei Anselms These, dass die Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit nur unter der Voraussetzung einsichtig wird, dass niemand gerecht und wahrhaft frei werden kann, es sei denn durch Gnade. Zum anderen ist aufgezeigt worden, wie Anselm in biblisch-hermeneutischer, erfahrungsbezogener und theologischer Hinsicht dafür argumentiert, dass unter dieser Voraussetzung Gottes Gnade und menschliche Freiheit vereinbar sind und in vielem zusammenwirken. Durch den Vergleich mit Augustins De gratia et libero arbitrio und anderen frühmittelalterlichen Ansätzen, etwa von Bernhard von Clairveaux und Abaelard, hat sich zudem historisch nahe gelegt, dass Anselm eine konsequent augustinische Konzeption zu begründen versucht. Anselm versucht aufzuzeigen, dass ein konsequent gedachter Monergismus ein Moment der Kooperation von göttlichem und menschlichem Willen als Konsequenz einschließen kann, weil Gottes Gnadenhandeln den Menschen wahrhaft frei macht und der Mensch aus Gnade wahrhaft frei ist. In diesem Zusammenhang ist darauf verwiesen worden, dass Anselm sich von anderen Konzeptionen seiner Zeit deutlich unterscheidet. Er schließt aus, dass dem freien Wahlvermögen im Vorfeld oder im Ereignis der Konversion eine positive Rolle zukommt, wie etwa die einer passiven Annahme (acceptatio). Zudem räumt er dem aktualen Freiheitsgebrauch nach der Konversion im Glauben eine positive und responsive Mitwirkung der Bewahrung (servatio) der empfangene Gnade aufgrund und mithilfe der Gnade zu. Alles Gute, das durch das befreite Willens- und Wahlvermögen bewirkt wird, schreibt er aber konsequent ganz der Gnade zu. Ausgehend von der Rekonstruktion der Argumentation Anselms und des historisches Kontexts erscheint es somit fraglich, seine Konzeption analytisch als einen klassischen Synergismus oder als einen Quiencence-Ansatz zu deuten. Angemessener scheint vielmehr die Deutung, dass Anselm ein Modell entwickelt, demzufolge ein gnadentheologischer Monergismus ein Motiv der Kooperation von Gottes Gnadenwirken und freiem Wollen des Menschen begründet und einschließt. Dass die Allein- und Allwirksamkeit der Gnade Gottes und der aktuale Freiheitsgebrauch des Menschen im Glauben von Anselm nicht als Gegensatz gesehen werden, hat seinen Grund meiner Ansicht nach nicht zuletzt in seinem trinitarischen Verständnis von Gottes Gnadenhandeln. Demnach wird theologisch die Erneuerung und Befreiung der Freiheit exklusiv ganz Gott zugeschrieben. Es wird angenommen, dass Christus allein mehr als genug getan hat zur Versöhnung der Menschheit mit Gott. Die Zurechnung seiner Gerechtigkeit überwiegt alle Ungerechtigkeit unendlich und hebt die Knechtschaft unter die Sünde vollkommen auf.

6.3. Zusammenfassung

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Die befreite Freiheit wird zugleich als eine kooperative Freiheit im Guten verstanden. Es wird davon ausgegangen, dass der Heilige Geist durch die Gabe des Rechtseins derart effektiv im Herzen des Menschen wirkt, dass dieser im Heiligen Geist durch die geschenkte neue Grundausrichtung auf das wahre höchste Gute ungezwungen, freiwillig, spontan und selbstbestimmt in Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen wollen kann. Durch die Annahme einer derartigen geistgewirkten Transformation des Menschen ergibt sich eine Konzeption begnadeter Freiheit. Ihr zufolge ist der Mensch allein aus Gnade wahrhaft frei. Die gnadenhafte Erneuerung der personalen Wesensfreiheit des Menschen hat nach Anselm dabei auch zur Folge, dass der Mensch aufgrund und mit Hilfe von Gottes Gnade eine neue Disposition gewinnt. Dadurch kann er sein freies Wahlvermögen so gebrauchen, dass er in unüberwindbarer Weise das Rechtsein des Willens- und Wahlvermögens um seiner selbst willen bewahren kann. Diese neue, wahrhaft freie Grundorientierung der Person wird dabei aber als eine solche verstanden, die bleibend vollkommen auf Gottes Gnadenhandeln angewiesen ist und aus Gottvertrauen lebt.

III.

Schluss: Kritische Diskussion begnadeter Freiheit im Kontext Nachdem Anselms Freiheitstheorie historisch-systematisch interpretiert worden ist, stellt sich nun die Frage nach ihrer Bedeutung im Kontext der gegenwärtigen Freiheitsdiskussion. Anselms Freiheitsdenken wird gegenwärtig nicht nur historisch neu untersucht.1 Vielmehr wird es auch philosophisch und theologisch auf vielfältige Weise neu interpretiert und mit späteren, scholastischen, reformatorischen und modernen Freiheitskonzeptionen ins Verhältnis gesetzt. Insbesondere mit denjenigen von Kant und verschiedenen Positionen in der analytischen Freiheitsdiskussion wird sie oft verglichen.2 So stellen sich im Kontext der Gegenwart die Fragen nach ihrem spezifischen Ort und Charakter, nach ihrem Wahrheitsgehalt und Problemen sowie nach ihrem Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion. Zur Klärung dieser drei Fragen soll zunächst (1.) hermeneutisch überlegt werden, wie Anselms Freiheitstheorie historisch, philosophisch und theologisch verortet und charakterisiert werden kann. Da es divergierende Vorschläge hierzu gibt, wird in Auseinandersetzung mit anderen Deutungen diskutiert, wie sie historisch in der frühmittelalterlichen Auseinandersetzung um das biblisch-antike, insbesondere augustinische Erbe verortet werden kann, wie sie mit den Kategorien der analytischen Freiheitsdiskussion philosophisch charakterisiert werden kann, und wie sie theologisch typisiert werden kann. Als zweites (2.) wird auf die Kritik eingegangen, die im Kontext der modernen Forschung an Anselms Entwurf geübt worden ist. Um den Wahrheitsgehalt von Anselms Freiheitstheorie zu prüfen sollen vier klassische Einwände aufgegriffen und diskutiert werden. Es sollen generelle philosophiegeschichtliche und pragmatische Vorbehalte diskutiert werden, die phänomenologische Kritik an der Definition des Freiheitsbegriffs, die Problematisierung der Unterscheidung der verschiedenen Weisen des Freiseins und analytische Einwände gegen die Begründung der 1 Siehe hierzu insbesondere: Pouchet, La Rectitudo chez Saint Anselme, 19–52; Southern, Saint Anselm, 166–194; 367–381; Flasch, Freiheit des Willens, 17–47; Ernst, Ethische Vernunft und christlicher Glaube, 27–64 und Gasper, Anselm of Canterbury, 5–42. 2 Siehe beispieksweise: Hasker, Divine Foreknowledge and Human Freedom, 41–54; Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192; Kane, Anselm’s Doctrine, 61– 158; Ingu, Über die Gnade, 1–15; Goebel, Rectitudo, 213–282; 391–502; Ekenberg, Falling Freely, 17–68 und Trego, L’Essence de la liberté, 7–268.

316

III. Schluss: Kritische Diskussion begnadeter Freiheit im Kontext

Vereinbarkeitsthese. Schließlich wird zuletzt (3.) erörtert, was Anselm Freiheitstheorie für die gegenwärtige Freiheitsreflexion beitragen kann. In diesem Zusammenhang soll insbesondere die Gegenwartsbedeutung seines inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Begriffs von Freiheit, seiner Unterscheidung von verknechteter und befreiter Freiheit und seiner gnadentheologischen Begründung der Freiheitskonzeption hervorgehoben werden.

1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung Wie Anselms Freiheitstheorie aus gegenwärtiger Sicht historisch, philosophisch und theologisch charakterisiert werden kann, stellt eine viel diskutierte Frage dar. Konsens besteht darüber, dass sich Anselms freiheitstheoretische Überlegungen geistesgeschichtlich stark aus dem biblisch-antiken Erbe, insbesondere aus der augustinischen Gnaden- und Freiheitslehre speisen und dass sie zentrale Gedanken späterer Freiheitskonzeptionen der Scholastik und Reformation sowie der Moderne antizipieren. Strittig sind jedoch die Fragen, wie genau sie im Kontext der frühmittelalterlichen Kontroversen um das richtige Verständnis Augustins zu verorten ist1 und inwiefern sie als frühscholastisch oder protoprotestantisch 2 oder als protokantisch 3 charakterisiert werden kann. Im Folgenden wird vorgeschlagen (1.1.) sie geistesgeschichtlich als eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexionen zu charakterisieren. Aus der Sicht der aktuellen philosophischen Freiheitsdiskussion schließt sich daran unmittelbar die Frage an, ob Anselms Freiheitstheorie ihrer Struktur nach als eine libertarische4 oder als eine kompatibilistische Konzeption zu deuten ist.5 Im Hinblick auf diese Streitfrage sollen (1.2.) Gründe dafür erörtert werden sie analytisch als einen modifizierten theologischen Kompatibilismus oder noch präziser als einen Kompossibilismus zu charakterisieren. Theologisch wird sie gegenwärtig zumeist in einem theistischen oder teilweise eher deistischen Horizont, in Verbindung mit dem Problem des Bösen als metaphysische oder transzendentalphilosophische Begründung menschlicher Autonomie oder 1  Siehe hierzu insbesondere: Gasper, Anselm and his Theological Inheritance, 5–42; aber auch: Bäumker, Anselms Lehre, 68–78; Lohmeyer, Die Lehre vom Willen, 57–70; Goebel, Rectitudo, 283–362; Rogers, Anselm on Freedom, 30–54; Trego, L’Essence de la liberté, 227–266. 2 Siehe einerseits: Baeumker, Anselms Lehre, 68–78; Kane, Anselm’s doctrine, 181– 190; und Trego, L’Essence de la liberté, 259–272; und andererseits: Ingu, Über die Gnade, 1–15. 3  Goebel, Rectitudo, 294ff; 366–408; Verweyen, Einleitung, 37–50 vgl. Ders., Anselm von Canterbury, 101 f.. 4 So: Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192; und implizit schon: Baeumker, Anselms Lehre, 12–25. und Kane, Anselm’s Doctrine, 61–158. 5 So: Ekenberg, Falling Freely, 127–152; Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 164–182., insbes. 180; und implizit schon: Hopkins, Anselm on Freedom, 471–486.

318

1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung

als Konzeption theonomer Autonomie gedeutet6. Demgegenüber soll hier (1.3.) dafür argumentiert werden, sie im Gesamtzusammenhang seines Denkens, einschließlich der trinitarischen und christologischen Überlegungen, als eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit zu verstehen. Dadurch soll der spezifische Charakter von Anselms Freiheitsreflexion in seinem Zusammenhang herausgestellt werden.

1.1. Eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexion Immer differenzierter wird in neuen historischen Untersuchungen aufgezeigt, wie sich Anselms freiheitstheoretische Reflexion aus biblischen sowie aus verschiedenen antiken philosophischen und theologischen Quellen speist, wie sie sich im Kontext frühmittelalterlicher Kontroversen zu anderen Denkern verhält und wie sie zentrale Gedanken späterer Ansätze präfiguriert.7 Unter den vielfältigen impliziten Anspielungen auf antike und frühmittelalterliche philosophische und theologische Denker wie etwa Plato, Aristoteles und Boethius, Origenes, Gregor von Nyssa, Gregor dem Großen und Augustin nimmt letzterer zweifelsohne eine Zentralstellung ein.8 Von Augustin übernimmt Anselm die trinitarisch akzentuierten schöpfungstheologischen Grundlagen im Monologion. Auch die in De libertate arbitrii formulierte Fragestellung, was eigentlich Freiheit ist und ob und in wiefern der Mensch immer frei ist, wenn die Wirklichkeit vollkommen durch Gottes freies Wirken bestimmt ist, geht auf Augustin und seine Kontroverse mit so genannten pelagianischen und semipelagianischen Ansichten zurück. Schließlich weist auch die in De concordia entwickelte Begründung der Vereinbarkeit von Gott und Freiheit unverkennbar augustinische Züge auf. So lässt sich Anselm Freiheitstheorie unzweifelhaft in der Tradition des augustinischen Denkens verorten. Allerdings stellt das augustinische Denken im frühen Mittelalter eine in sich divergente geistesgeschichtliche Strömung neben anderen dar. Die innere Diver­genz des augustinischen Denkens zeigt sich dabei insbesondere an den Prädestinationskontroversen des 9. Jahrhunderts. Sie wird auch durch den Vergleich von Anselms freiheitstheoretischen Überlegungen mit denen von anderen gleichfalls augustinisch geprägten Denkern wie etwa Honorius Augustodunensis, Anselm von Laon, Bernhard von Clairveaux und Hugo von St. Victor 6 So: Briancesco, Un Triptyque, 21–197; Kane, Anselm’s Doctrine, 1–158; Rogers, Anselm on Freedom, 1–205; Goebel, Rectitudo, 213–282. 391–502; Ekenberg, Falling Free­ly, 17–68; Trego, L’Essence de la liberté, 7–268. 7  Gasper, Anselm and his Theological Inheritance, 1–209, insbes. 201–290. 8 Ebd. und auch: Rogers, Anselm on Freedom, 30–54; Goebel, Rectitudo, 283–362, 365–393; Trego, L’Essence de la liberté, 227–266; sowie Reinhold Rieger, Anselm, in: Augustin Handbuch, hg. v. Volker H. Drecoll, Tübingen 2007, 574–580; Orazzo, Analo­ gia Libertatis, 125–148.

1.1. Eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexion

319

deutlich. Daraus legt sich nah, dass Anselm sich wie andere Denker seiner Zeit mit dem Problem der Mehrdeutigkeit und sogar Widersprüchlichkeit des augustinisches Erbes konfrontiert sah. Im Kontext der frühmittelalterlichen Auseinandersetzungen über die Freiheit der Kirche gegenüber staatlicher Bevormundung und die Frage der konkreten Gestalt religiöser Freiheit, lässt sich Anselms Freiheitstheorie meiner Ansicht nach als eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexionen charakterisieren. Dass Anselms Freiheitstheorie geistesgeschichtlich eine Neuformulierung darstellt, zeigt sich zum einen formal und methodisch an seiner konsequenteren Verwendung des Instrumentariums der aristotelisch-boethianischen Logik. Inhaltlich zeigt sie sich an seiner kritischen Neudefinition des Freiheitsbegriffs. Aus der formalen Gestalt seiner freiheitstheoretischen Schriften wird deutlich, dass es nicht nur um eine Sammlung und Tradierung eines überlieferten Freiheitsverständnisses oder Harmonisierung verschiedener Traditionslinien geht, sondern um eine rationale Klärung überlieferter Freiheitsprobleme und eine kritische Reformulierung der christlichen Freiheitsidee. Dabei kommt dem besseren Argument und den Kunstregeln der aristotelisch-boethianischne Logik eine neue begründungstheoretische und kriteriologische Funktion zu. Sichtbar wird dies etwa in der Überprüfung der Neudefinition des Freiheitsbegriffs, in der Reflexion der Freiheit und Notwendigkeit von Christi Befreiungshandeln und in der Lösung des Dilemmas der Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit.9 An der Kritik der von Origenes und auch Augustin sowie seinen Kritikern verwendeten Definition von Freiheit als einem ambivalenten oder indifferenten „Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen“ und seiner Neudefinition von Freiheit als „Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren“ zeigt sich zudem, dass Anselm auch inhaltlich neu ansetzt.10 Dabei legt eine genauere Betrachtung nah, dass Anselm versucht, mit Augustin die zu seiner Zeit Augustin zugeschriebene Freiheitsvorstellung zu korrigieren. Damit nimmt er im frühmittelalterlichen Augustinismus eine besondere Rolle ein. Zum einen beruft er sich – anders als noch Gottschalk von Orbais oder Johannes Scotus Eriugena – nicht mehr explizit auf Augustin als theologische Autorität. Zum anderen übt er explizit Kritik an der Augustin zugeschriebenen ambivalenten Definition von Freiheit als Vermögen mit dem freien Wahlvermögen zu sündigen oder nicht zu sündigen. 9  Aristoteles, De interpretatione 9 (Opera I), 18a-19b; Boethius, Liber de diffinitione (PL 64), 891B-910C; Ders. Topicorum Aristotelis Interpretatio VI,1–6 (insbes. VI,1) (PL 64), 969C-988C (insbes. 969C–970C). 10  DLA 13 (SI), 225,1–32.; DC I,6 (SII), 255,31–256,27. Origenes, De principiis III,1,1–7 (TzF 24), 652,1–483,20; Ders., Commentarii in Epistulam ad Romanus VI,9 (FC 2;3), 266,23– 284,17; Augustin, De libero arbitrio I,VII,17-XII,25 (CChr.SL 29), 222,52–228,71; Ders., De correptione et gratia I,2 (CSEL 92), 219,19–220,24; Ders., Contra Iulianum Opus imperfectum I,76–80 (CSEL 85,1), 93,17–95,16.

320

1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung

Anders als die später von Abaelard vorgebrachte Kritik an Augustins Gnadenund Freiheitslehre und die von Bernhard von Clairveaux formulierte Harmonisierung besteht Anselms Kritik jedoch nicht in einer Relativierung, sondern in einer Radikalisierung und Universalisierung der gnadentheologischen Begründung der Freiheit.11 Diese besteht darin, dass er auch die Möglichkeit eines absolut indifferenten oder ambivalenten freien Wahlvermögens vor aller Sünde verneint. Dabei knüpft er an den von Augustin in De natura et gratia formulierten Gedanken an, dass eine Person noch nicht wirklich frei ist, wenn sie in der Knechtschaft unter die Sünde aus Furcht vor dem Gesetz handelt und noch nicht aus der im Glauben an Christus gegebenen Liebe zur Gerechtigkeit.12 Anselm definiert den Begriff der Freiheit und der freien Wahl deswegen nicht über ein unbestimmtes Wahlvermögen sondern über die Relation zu Gott als höchstem Guten sowie den entsprechenden Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriff. Dadurch etabliert er Augustins Idee der wahren, vollen Freiheit (plena liberta­ te) als den eigentlichen Begriff der Freiheit. In diesem Sinne kann Anselms neue Definition von Freiheit als „Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren“ geistesgeschichtlich als ein rationaler, augustinischer Neuansatz charakterisiert werden. Entscheidend ist dabei die Modifikation, dass nur die Akte, die aus dem Motiv der Liebe zu Gott als höchstem Guten ungezwungen, freiwillig, spontan und selbstbestimmt getan werden als wahrhaft frei gelten, nicht aber auch die Akte, die aus Furcht oder Verachtung getan werden. Damit bekommt die Motivation sowie der Grund eines Aktes entscheidende Bedeutung dafür, ob er als wahrhaft frei betrachtet wird oder als nur verknechtet frei.13 Charakteristisch ist dabei zum einen, dass Anselm sowohl Augustins frühe, neuplatonisch und schöpfungstheologisch geprägte, nie aufgegebene Einsicht aus De libero arbitrio aufnimmt. Ihr zufolge ist der Mensch aufgrund des willentlichen Missbrauchs seines freien Willens- und Wahlvermögens für das Böse, das er tut, selbst verantwortlich. Damit verneint er, dass der Mensch sich durch den Verweis auf ein quasi-göttliches, böses Prinzip, einen Determinismus zum Bösen oder eine böse Natur von dieser Freiheit und Verantwortung entlasten kann, wie in Teilen der Gnosis und im Manichäismus angenommen worden ist.14 Und es ist charakteristisch, dass Anselm zugleich Augustins spätere, paulinisch inspirierte, seit Ad Simplician immer stärker betonte Einsicht aufgreift, dass der Mensch vollkommen auf Gottes vorausgehende und nachfolgende Gnade 11 Vgl. Abaelard, Commentarius in Romanus II (V,19) (CChr.CM 11), 165,389–169,535; Bernhard von Clairvaux, De gratia et libero arbitrio II,3-V,15 (Werke 1), 167,13–177,17; Siehe hierzu auch: Rydström-Poulsen, The Gracious God, 114–128; Rondet, Grâce et péché, 155 ff. und Djuth, Anselm’s Augustinianism, 845–856. 12  Augustin, De natura et gratia, LVII, 67 (CSEL 60), 283,16–284,11. 13  Siehe hierzu auch: Rakus, The Dynamics of Love, 237–254. 14  Augustin, De libero arbitrio I,VII,17-XII,25 (CChr.SL 29), 222,52–228,71; Ders., De gratia et libero arbitrio IV,7-VIII,20 (PL 44), 886–893.

1.1. Eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexion

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angewiesen ist. Damit weist er die Ansicht zurück, dass der Mensch auch aus sich selbst heraus etwas wahrhaft Gutes wollen und wirken kann, wie verschiedentlich von Pelagius, Coelestius, Julian von Eclanum und Johannes Cassianus angenommen worden ist.15 Dabei geht Anselm im Rahmen seiner Freiheitstheorie von der systematischen Konsistenz und vom komplementären Charakter beider Grundeinsichten Augustins aus. Anselm reformuliert ausgehend von Überlegungen zu Aussagen aus der psalmistischen, johanneischen und paulinischen Theologie Augustins Ansatz in argumentativer und konzilianter Weise. In diesem Zusammenhang modifiziert er ausgehend von der Neudefinition des Freiheitsbegriffs durch die begriffslogische Einteilung desselben auch die von Augustin formulierte Vier-Stadien-Lehre menschlicher Freiheit zu einer Lehre von zwei Weisen geschöpflichen Freiseins. Er geht davon aus, dass jede menschliche Person als Geschöpf natürlicher Weise der Möglichkeit nach frei ist, das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren. Dies sei auch der Fall, wenn er dieses potentielle Vermögen als Knecht der Sünde unmöglich von sich aus aktualisieren und gebrauchen könne. Demnach gilt jede menschliche Person als geschöpflich frei und abgesehen von der gnadenvollen Gabe des Rechtseins als unter die Macht der Sünde verknechtet und nur potentiell und formal frei. Zum anderen hebt Anselm hervor, dass Menschen durch Gottes Gnadenhandeln in Christus frei werden, aufgrund und mithilfe der Gnade die Gabe des Rechtseins um ihrer selbst willen zu bewahren und die Freiheit aktual zu gebrauchen. So gelten sie als von der Macht der Sünde befreit zur Gerechtigkeitsliebe. Dabei stellt er beide Weisen des Freiseins unter den eschatologischen Vorbehalt der Wandelbarkeit. Er nimmt an, dass das verknechtete, potentielle Freisein zeitlebens durch Gottes Gnade befreit werden kann und dass das befreite, aktuale Freisein zeitlebens durch den Missbrauch des eigenen Willens korrumpiert werden kann. Damit verbindet Anselm die schöpfungstheologisch begründete Idee allgemeiner, natürlicher Freiheit trotz Knechtschaft mit dem christologisch und pneumatologisch begründeten Gedanken der wahren, begnadeten Freiheit in einem umfassenden trinitarischen und gnadentheologischen Horizont. Diese rationale Neuformulierung augustinischer Freiheitsreflexionen kann auch als Wegbereiter verschiedener späterer Freiheitskonzeptionen betrachtet werden. Bereits in der direkt nachfolgenden Generation wird Anselms Freiheitstheorie einerseits von Theologen wie Anselm von Laon, Petrus Abaelard und Petrus Lombardus kritisiert und zurückgewiesen.16 Andererseits wird sie 15  Augustin, Ad Simplicianum, I,II,1–15 (CChr.SL 44), 24,1–41,442; Augustin, De correp­ tione et gratia VIII,17 (CSEL 92), 237,1–238,35; Ders., De dono perseverantiae, XIV,34–35 (PL 45), 1013–1015 und Ders., De gratia et libero arbitrio, XVII,33-XXII,44 (PL 44), 901–910. Siehe hierzu auch: Drecoll, Die Entstehung der Gnadenlehre, 218–250, Greshake, Konkrete Freiheit, 193–252 und Weaver, Divine Grace and Human Agency, 1–69. 16  Anselm von Laon, Sententie divine pagine (BGPhMA 18), 24–32; Ders. Sententie Ansel­

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1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung

von Denkern wie Bernhard von Clairveaux und Hugo von St. Victor positiv aufgegriffen und weitergeführt.17 Bei aristotelisch, nominalistisch oder humanistisch orientierten Theologen, wie etwa Duns Scotus, Wilhelm von Ockham und Erasmus von Rotterdam oder in der Neuzeit bei Louis de Molinas sieht man jedoch deutliche Divergenzen zu Anselm. Diese zeigen sich sowohl in der Frage, was Freiheit ist als auch in der Frage, welche Rolle dem freien Wahlvermögen des Menschen im Heilsgeschehen zukommt.18 Da Anselm deutlich die Ansicht zurückweist, Freiheit bestehe in einem absoluten, indifferenten Wahlvermögen zwischen Sünde und Gerechtigkeit, ist in der Anselmforschung nicht ohne Grund von Ingu die These aufgestellt worden, seine Freiheits- und Gnadenlehre habe „protoprotestantischen“ Charakter. 19 In der Tat gleicht Anselms Freiheitstheorie in zentralen Punkten späteren reformatorischen Ansichten. Insbesondere seine Sündenlehre wird von Melanchthon positiv rezipiert.20 Die christologisch-gnadentheologischen Deutung der Rekonstitution der Freiheit wird sowohl von Calvin als auch von Luther zustimmend aufgenommen.21 Auch die Überlegungen zur Knechtschaft des Willens in der Sünde und zur „christlichen Freiheit“ zeigen bei allen drei Denkern starke Konvergenzen mit Anselms Freiheitskonzeption auf. Dies gilt, auch wenn Calvin kritisch bemerkt, dass Anselms Definition von Freiheit als Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren zu komplimi II (BGPhMA 18), 49–57. Der Haupteinwand besteht dabei darin, dass Anselms Kritik an der überlieferten Definition nicht überzeugend sei, und seine Neudefinition somit eine überflüssige Neuerung. Vgl. Abaelard, Scito te ipsum I,11,1–14,4 (CChr.CM 190), 11,276–14,357 und Petrus Lombardus, Sententiae II, XXV,1–XXVIII,4 (SB IV), 461,1–491,26. 17  Bernhard von Clairvaux, De gratia et libero arbitrio II,3-V,15 (Werke 1), 167,13– 177,17. Hugo von St. Victor, De sacramentis Christiane fidei, I,6 (Corpus Victorinum; Textus historici 1), 136,1–149,10. Insbesondere die von Bernhard von Clairveaux und Hugo von St. Victor entwickelte dreifach unterteilte Konzeption der Freiheit von Notwendigkeit zur Wahl zwischen gut und böse (liberum arbitrium), die jedem Menschen aufgrund von Gottes Schöpfungshandeln zukommt, Freiheit von Sünde zur Überlegung, was im Glauben nützt (liberum consilium), die dem Menschen durch Gottes Erlösungshandeln in Christus im Glauben geschenkt wird, und Freiheit vom Elend der Seligen zum freien Wohlgefallen am Guten (liberum complacitum), die dem glaubenden Menschen aufgrund von Gottes Vollendungshandeln im ewigen Leben geschenkt wird, stellt eine positive Weiterführung von Anselms gnadentheologisch begründeter Konzeption inhaltlich positiv bestimmter Freiheit dar. Siehe hierzu auch: Dunthorne, Anselm and Hugh of St. Victor, 114–132. 18  vgl. jedoch: Bäumker, Die Lehre Anselms, 12–26; 62–78; Kane, Anselm’s Doctrine, 181–190; Rogers, Anselm on Freedom, 1–15; 144–205; Trego, L’Essence de la liberté, 257–272. 19  Ingu, Über die Gnade, 1–15. 20 Philipp Melanchthon, Heubtartikel Christlicher Lere. Melanchthons deutsche Fassung seiner loci theologici nach dem Autograph und dem Originaldruck von 1553, hg. v. Ralf Jennet; Johannes Schilling, Leipzig (2. Aufl.) 2010, 167; vgl. DCV 2 (SII), 141,8ff; DCV 3; SII 143,3ff; DCV 26 (SII), 169,17; DCV 27 (SII), 170,17. 21 Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis (1559) II,16–17 (Freudenberg), 268– 286. [ICR II,16–17]; Siehe hierzu insbesondere auch: Eckardt Burnell, Anselm and Luther on the Atonement: Was it Necessary?, San Fransisco 1992; vgl. Ingu, Über die Gnade, 2–9.

1.1. Eine rationale Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexion

323

ziert sei und deswegen in der Folgezeit zugunsten der Augustin zugeschriebenen ambivalenten Definition zurückgewiesen worden sei.22 Eine weitere terminologische Umkehrung findet sich im reformatorischen Denken zudem darin, dass das, was von Anselm als Freiheit aufgrund der Relation zu Gott als höchstem Guten bezeichnet wird, von Luther absolute Unfreiheit und Gebundenheit gegenüber Gott genannt wird.23 Schließlich wird von Luther, Calvin und Melanchthon die christliche Freiheit auch als Freiheit von äußeren, auch kirchlichen Gesetzen verstanden, während nach Anselm die christliche Freiheit nicht nur mit dem neuen inneren Gesetz des Heiligen Geistes übereinstimmt, sondern auch mit dem kanonischen Recht der römischen Kirche und der benediktinischen Regel.24 So wäre die These vom „protoprotestantischen Charakter“ der Anselmschen Freiheitstheorie meiner Ansicht nach im Hinblick auf die ekklesiologischen Implikationen weiter zu differenzieren.25 In ähnlicher Weise ist die These vom „proto-kantischen“ Charakters von Anselms Freiheitstheorie zu präzisieren und zu korrigieren. In der Tat kann man in Anselms rationaler Neuformulierung von Augustins Freiheitsreflexionen Gedanken von sittlicher Autonomie und individueller Selbstbestimmung angelegt sehen, die für moderne Freiheitskonzeptionen zentral sind.26 So formuliert Anselm eine ähnlich klare Kritik am antiken Eudaimonismus, wie später Kant. Auch bindet er den Freiheitsbegriff ähnlich stark an den Begriff des Guten. Allerdings wird Gerechtigkeit nicht als selbstverursachte sittliche Gutheit verstanden, sondern als bewahrte Gabe Gottes. Die Möglichkeit, dem geschöpflichen Sollen zu entsprechen, wird außerdem an die freie Gnade als notwendige und hinreichende Voraussetzung gebunden, die Kant bekanntlich trotz Annahme einer „Revolution der Gesinnung“ abgelehnt hat.27 Eine weitere Differenz kann darin gesehen werden, dass Anselm Freiheit nicht wie Kant angesichts der naturgesetzlichen Bestimmtheit des Phänomenalen als ein initiatives, sittliches Vermögen zur Selbstgesetzgebung definiert. Er versteht es ange22  Calvin, Intistutio Christianae Religionis II,1,1–6,4. III,6,1–19,16 insbes. ICR III,19,1–16 (Freudenberg), 125–178. 373–469, insbes. 460–469. Martin Luther, Großer Katechismus in: BKSL, 650–653; 675–679; Melanchthon, Heubtartikel, 139–159; 310–315. Vgl. CA 6 „Vom neuen Gehorsam“. 23  Luther, Tractatus de libertate Christiana (WA 7), 42–73; Ders., De servo arbitrio (WA 18), 634–638. 24  Calvin, Intistutio Christianae Religionis III,6,1–19,16, (Weber; Freudenberg) 373–469; Melanchthon, Heubtartikel, 310–315. 25  Ingu, Über die Gnade, 1–15. 26  Goebel, Rectitudo, 294f; 366–408; Verweyen, Einleitung, 37ff; Ders., Anselm von Canterbury, 101 ff.; Zur Differenz zu modernen Freiheitskonzeptionen siehe: Southern, Saint Anselm, 167–174; 328. 27 Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten BA 90–128 (Werke 4), 76– 102; Ders., Kritik der Praktischen Vernunft, A35-A72. A 198–199 (Werke 4), 125–155. 238–249; Ders., Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft B 131|A 123-B 182|A 173 (Werke 4), 753–788.

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1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung

sichts der frei geschenkten Gnade Gottes als ein responsives, religiöses Vermögen zur freiwilligen, selbstzweckhaften Bewahrung des Rechtseins des Willens, das aufgrund seiner passiven Konstitution aktiv gebraucht werden kann. Damit transzendiert Anselms Freiheitskonzeption aber auch die Alternativen von sittlicher Autonomie und sinnlicher Heteronomie, sowie von internalistischer Autonomie und externalistischer Theonomie. Sie stellt eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit dar. Deswegen scheint es gerade im Kontext gegenwärtiger historischer Forschung zentral, gegenüber vorschnellen aktualisierenden Deutungen der Anselmschen Freiheitstheorie die geistesgeschichtliche Verortung im frühmittelalterlichen Denken neu zu betonen.

1.2. Ein modifizierter theologischer Kompatibilismus beziehungsweise Kompossibilismus Während die historische Verortung von Anselms Freiheitstheorie gegenwärtig eher im Detail verschieden akzentuiert, erweitert und präzisiert wird, wird im Kontext der analytischen Philosophie gegensätzlich von einigen eine libertarische Deutung vertreten und von anderen eine kompatibilistische. Von einigen Interpreten, wie etwa Rogers, Tyvoll, Craig, Visser und Williams, sowie implizit auch bereits von Bäumker und Kane,28 wird die These vertreten, Anselm entwickle eine der ersten libertarischen Freiheitstheorien. Von anderen Interpreten, wie beispielsweise Ekenberg und Löffler und implizit auch schon von Hopkins und Campbell, wird dies deutlich bestritten. Von ihnen wird betont, Anselms Freiheitstheorie habe eher kompatibilistischen Charakter.29 Erschwert wird diese Kontroverse dadurch, dass Anselms freiheitstheoretische Überlegungen in einem theologischen Horizont formuliert sind und nicht in einem naturphilosophischen Rahmen, der die Koordinaten der aktuellen analytischen Freiheitsdebatte prägt. Dementsprechend ist auch nicht immer klar, mit welcher Bedeutung und aufgrund welcher Kriterien Anselms Freiheitstheorie entweder als „libertarisch“ oder als „kompatibilistisch“ bezeichnet wird.30 Zudem bestehen divergente Auffassungen darüber, worin nach Anselm 28 So: Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192; und implizit schon: Bäumker, Anselms Lehre, 12–25 und Kane, Anselm’s Doctrine, 61–158. 29 So: Ekenberg, Falling Freely, 127–152; Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 164–182, insbes. 180; und implizit schon: Hopkins, Anselm on Freedom, 471–486; Campbell, Freedeom as Keeping the Truth, 297–316. 30  Siehe hierzu: Rogers, Anselm on Freedom, 1–8; 55–124; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192, die die Kriterien alternativer Wahlmöglichkeiten, Akteurskausalität und Verantwortlichkeit betonen; vgl. Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113, der sich auf das Kriterium der Spontaneität und der Annahme ihrer Unvereinbarkeit mit einem Kausaldetermi-

1.2. Ein modifizierter theologischer Kompatibilismus beziehungweise Kompossibilismus 325

eigentlich das Unvereinbarkeitsdilemma besteht und worin sein Lösungsansatz besteht.31 Als eine libertarische Freiheitstheorie wird Anselms Freiheitstheorie zumeist deswegen bezeichnet, weil man meint, in ihr standard-libertarische Elemente, wie das Vermögen so oder anders wollen zu können, das Vorhandensein alternativer Wahlmöglichkeiten, Akteurskausalität und unbedingte moralische Verantwortlichkeit zu finden. Zudem stützt man sich auf die These, dass nach Anselm Freiheit mit vorausgehender Notwendigkeit beziehungsweise einem naturkausalen oder theologischen Determinismus unvereinbar sei.32 Gegen diese Einordnung spricht jedoch, dass die Merkmale sich in dieser Formalität und Allgemeinheit nicht in den Texten belegen lassen. Die Berufung auf Textpassen in De casu diaboli 12–14, in denen Anselm gerade nicht das Wesen der Freiheit erläutert, sondern im Gegenteil den Ursprung der Verknechtung unter das Böse reflektiert, ist hermeneutisch alles andere als überzeugend.33 Zudem spricht gegen die libertarische Interpretation, dass Anselm explizit eine Definition von Freiheit als Vermögen einer alternativen Wahl ablehnt 34 und dass seine Neudefinition von Freiheit keines der charakteristischen libertarischen Elemente beinhaltet. Weiter spricht dagegen die zentrale Bedeutung, welche die schöpfungstheologische Grunddifferenz zwischen göttlicher Freiheit a se und menschlicher Freiheit a Deo im Gesamtzusammenhang von Anselms Denken hat. So kann man Anselm nur um den Preis der Unterstellung einer groben Inkonsistenz die Ansicht zuschreiben, dem Menschen komme ähnlich wie Gott Aseität zu.35 Darüber hinaus spricht gegen die libertarische Deutung, dass Anselm das Spektrum an alternativen Wahlmöglichkeiten affekttheoretisch an die grundlegende Willensdisposition zurückbindet und in Relation zur göttlichen Gnade betrachtet.36 Dabei betont er willenstheoretisch, dass der Wille des Menschen entweder aus Gnade durch die Neigung zur Gerechtigkeit primär das nismus konzentriert. Rogers meint darüber hinaus aus libertarischer Perspektive, dass nach kompatibilistischem Verständnis extern verursachte Wahlakte und Handlungen „frei“ genannt würden. Siehe: Rogers, Anselm on Freedom, 1–8. Dies stellt meiner Ansicht nach jedoch insofern eine Verzeichnung dar, als dass unter der Bedingung von Charakterdetermination Wahlakte und Handlungen durchaus auch intern verursacht vollzogen werden können. 31  Vgl. hierzu Baeumker, Anselms Lehre, 26–61; aber auch Craig, Saint Anselm, 93– 104; und Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; vgl. Ekenberg, Falling Freely, 129– 152. 32  Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Williams, Anselm, 171–192; und implizit schon: Bäumker, Anselms Lehre, 12–25 und Kane, Anselm’s Doctrine, 61–158. 33  Visser; Williams, Anselm, 171–192; Rogers, Anselm on Freedom, 55–107. 34  Rogers, Anselm on Freedom, 6–7; 55–107; so auch schon Kane, Anselm’s Doctrine, 88; Visser; Williams, Anselm, 171–192. 35  So jedoch: Rogers, Anselm on Freedom, 76–86; 108–124; vgl. DLA 14 (SI), 226,6–8. 36  Anders jedoch: Rogers, Anselm on Freedom, 76–86; 108–124; vgl. DC III,11 (SII), 284,3–7.

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1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung

Rechtsein um seiner selbst willen bewahren will oder aus sich selbst heraus durch die Neigung zum natürlichen Glück nur das Angenehme abgesehen vom Rechtsein will – tertium non datur.37 Schließlich kann zuletzt auch gegen die libertarische Deutung eingewendet werden, dass es Anselm nicht um den Aufweis der Unvereinbarkeit von Freiheit und vorausgehender, naturkausaler Notwendigkeit geht. Es geht ihm vielmehr um die indirekte Begründung der Vereinbarkeit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken und menschlicher Freiheit, die in die Natur eingebettet ist.38 Aus diesen und ähnlichen Gründen wird Anselms Konzeption von anderen auch als eine kompatibilistische Freiheitstheorie gedeutet.39 Weiter wird für eine kompatibilistische Deutung angeführt, dass Anselm willens- und affekttheoretisch betont, dass der Wille immer entweder primär durch die Neigung zur Gerechtigkeit des Rechtseins ausgerichtet ist oder nur durch die Neigung zum Angenehmen des natürlichen Glücks. Niemals aber sei sie unbestimmt und unter keinen Umständen wechselweise änderbar. Schließlich wird betont, dass ein Willens- und Wahlakt von Anselm genau dann frei genannt wird, wenn das Richtige aus dem richtigen Grund und Motiv heraus gewollt wird.40 Auch wenn diese Deutung textlich besser belegt und konzeptionell zutreffender ist, ist einzuwenden, dass Anselm, anders als standard-kompatibilistische Theorien, weder von einem psychologischen noch von einem naturkausalen Determinismus im modernen Sinne ausgeht. So ist meiner Ansicht nach zu präzisieren, dass Anselm das naturphilosophische Determinismusproblem so gut wie gar nicht thematisiert.41 Vielmehr geht er jenseits von deterministischen oder indeterministischen Naturphilosophien aufgrund von schöpfungstheologischen Überlegungen davon aus, dass naturkausale und personale Ursachen von Gott derart geschaffen und im Rahmen der geschaffenen Gesetze von Raum und Zeit derart einander zugeordnet sind, dass sie vereinbar sind. So nimmt er an, dass sie durch Gott, je nach Bereich, alleine oder zusammen wirken, keine von beiden aber allein- oder allwirksam ist.42 Zudem ist unübersehbar, dass das theologische Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Gott und Freiheit von Anselm nicht analog zum Problem eines naturkausalen Deter37 

DC III, 11–13 (SII), 278,27–287,21. So bemerkt beispielsweise Craig im Unterschied zu Rogers, Visser und Williams, unter Voraussetzung eines libertarischen Freiheitsbegriffs, dass Anselms Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit scheitert. Siehe: Craig, Saint Anselm, 93–104; vgl. Rogers, Anselm on Freedom, 78. Zum Aufweis der Inkonsistenzen nach Tyvolls Interpretation siehe: Ekenberg, Falling Freely, 135f; vgl. Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113. 39  Hopkins, Anselm on Freedom, 471–486; Ekenberg, Falling Freely, 127–152; Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 164–182, insbes. 180. 40 Ebd. 41  Ekenberg, Falling Freely, 140–142; vgl. Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113. 42  DCV 11 (SII), 153,14–154,11. 38 

1.2. Ein modifizierter theologischer Kompatibilismus beziehungweise Kompossibilismus 327

minismus gedacht wird. Aufgrund trinitarisch-heilsgeschichtlicher Überlegungen betrachtet er Gott nämlich nicht bloß als eine erste Ursache, sondern als frei handelndes höchstes Wesen. Aus diesem Grund enthält die Annahme eines guten, heilsamen Plans Gottes mit dem Universum geschichtliche Differenzierungen. Außerdem besteht das Problem menschlicher Freiheit angesichts der Freiheit Gottes – nicht nur angesichts einer Notwendigkeit.43 Dementsprechend spricht Anselm vom freien Wirken Gottes nicht nur im Sinne verschiedener Ursachen, sondern vor allem im Sinne eines allgegenwärtigen, unwiderstehlichen, zwanglosen Zugs oder Impulses (tractu vel impulsu) der göttlichen Liebe.44 Daraus legt sich nah, bei Anselm eher von der Annahme der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken zu sprechen als von der These eines göttlichen Kausaldeterminismus. Deswegen schlage ich vor, Anselms Freiheitstheorie im Zusammenhang mit der aktuellen analytischen Freiheitsdiskussion als einen modifizierten, theologischen Kompatibilismus beziehungweise als einen Kompossibilismus zu charakterisieren. Sie ist eine Freiheitstheorie, in der angenommen wird, dass menschliche Freiheit und die vollkommene Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gott aufgrund von Gottes freiem, gnadenvollem Wirken vereinbar sind. Damit kann zum einen festgehalten werden, dass es in Anselms Freiheitstheorie wesentlich um die theologische Frage der Vereinbarkeit von Gottes freiem Wirken und menschlicher Freiheit geht, nicht um die naturphilosophische Frage der Vereinbarkeit eines naturkausalen Determinismus und menschlicher Freiheit. Anselm geht zwar davon aus, dass der Mensch im Rahmen der Gesetzte von Raum und Zeit frei ist und dass er durch seine natürlichen Triebe und Instinkte notwendig, aber nicht hinreichend bestimmt ist.45 Da er natürliche Ursachen und menschliches Wollen aber schöpfungstheologisch als relative, einander zugeordnete Größen deutet, geht er weder von einem hinreichenden, alles bestimmenden naturkausalen Determinismus aus, noch von einer indeterminierten, unbedingten Freiheit des Menschen.46 Als Modalitätsquelle für einen Determinismus kommt bei ihm nur der Schöpfer selbst in Frage. Dieser wird jedoch nicht analog zu einer ersten, anfänglichen, a-personalen Ursache in der Wirklichkeit

43  Ekenberg, Falling Freely, 142–152; insbes. 146; Die Konklusion, „Das Vermögen zur Ungerechtigkeit wird somit zu einem guten, von Gott gegebenen Vermögen für zielgerichtetes Handeln, das nicht das Vermögen zu sündigen enthält“ ist jedoch ebenfalls inkonsistent, da nach Anselm das Vermögen zur Ungerechtigkeit und das Vermögen zu Sündigen identisch sind. Es müsste meiner Ansicht nach eher heißen, dass das Vermögen zur Gerechtigkeit nicht die Notwendigkeit zu Sündigen enthält. Vgl. Ebd., 151. 44  CDH I,10 (SI), 64,13–65,19; vgl. auch M III (SIII), 91,191–211; und ML 70 (SI), 80,9– 81,6. 45  ML 22 (SI), 39,2–41,18; DLA 5 (SI), 216,2–217,6. 46  DCV 11 (SII), 153,2–154,22.

328

1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung

gedacht, sondern trinitarisch als transzendenter und allgegenwärtiger, frei und gnadenvoll wirkender, ewiger Schöpfer, Erlöser und Vollender.47 Aus diesem Grund kann bei Anselm auch theologisch nur in einem modifizierten Sinn von einem theologischen Determinismus oder Kompatibilismus gesprochen werden. Genauer gesagt, betont er die vollkommene Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies, gnadenvolles Wirken und ihre Vereinbarkeit mit menschlicher Freiheit. Anselm betrachtet Gott und menschliche Freiheit nicht als zwei gegebene vereinbare Größen. Er geht davon aus, dass Gottes freies, gnadenvolles Wirken der unbedingtes Grund dafür ist, dass der Mensch überhaupt ist und frei ist. Zudem nimmt er an, dass der Mensch um so freier ist, je mehr sein Wollen durch den Willen Gottes bestimmt ist. Deswegen kann seine Konzeption meiner Ansicht nach am treffendsten als ein „theologischer Kompossibilismus“ beschrieben werden.48 Dadurch kann verdeutlicht werden, dass es nach Anselm die freie Gabe Gottes ist, welche die Freiheit des Menschen und ihre Vereinbarkeit mit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken konstituiert. Damit kann sein Modell auch konzeptionell von anderen theologischen Freiheitstheorien unterschieden werden, die zwar auch von der Vereinbarkeit von Gott und menschlicher Freiheit ausgehen, die nicht aber annehmen, dass Gottes freies Geben der unbedingte Grund der Freiheit und der Vereinbarkeit ist und die Freiheit nicht relational und nicht als göttliche Gabe fassen.49

1.3. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit Theologisch lässt sich Anselms Freiheitstheorie meiner Ansicht nach als eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit deuten. Für diese theologische Charakterisierung sprechen meiner Ansicht nach mehrere Gründe. Zum einen deutet schon die formale Gesamtarchitektur von Anselms theoretischen Schriften und die starke Verwendung von Freiheitsterminologie in Cur Deus homo und der Meditatio redemptionis humanae auf die freiheitstheoretische Relevanz der Christologie und Soteriologie hin.50 Zum anderen sprechen für den gnadentheologischen Gesamthorizont der Freiheitstheorie die Erwähnung des gnadentheologischen Problems in De liber­ tate arbitrii 1 und die Bemerkung in De concordia I,6, auch die freiheitstheoretischen Überlegungen in De libertate arbitrii seien gnadentheologisch zu deuten.51 47 

DC I,4 SII, 252,7–253,15. DC I,6 (SII), 255,31–257,27. 49  Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 41–43. 50  CDH I,5 (SII), 52,13–16; CDH I,8–10 (SII), 59,7–69,4. 51  DLA 1 (SI), 207,1–10; DC I,6 (SII), 255,31–257,27. 48 

1.3. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit

329

Weiter sprechen drittens für einen gnadentheologischen Gesamthorizont der mehrfache zentrale Rekurs auf die paulinische Frage „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ und die mehrfache Betonung der Gabe und des Empfangs der inneren Übereinstimmung mit dem Willen Gottes als notwendige und hinreichende Bedingung des aktualen Freiheitsgebrauchs.52 Schließlich wird unter dieser Voraussetzung auch verstehbar, warum in De libertate arbitrii und De concordia die passive Konstitution der Freiheit und aller menschlicher Vermögen vor allem aktiven Gebrauch betont wird. Es wird auch klar, warum Freiheit als ein responsives Vermögen definiert wird, die innere Übereinstimmung mit dem Willen Gottes um ihrer selbst willen zu bewahren.53 Für die gnadentheologische Orientierung von Anselms Freiheitstheorie spricht nicht zuletzt viertens auch konzeptionell, dass die so definierte Freiheit genau die Freiheit ist, die nach Cur Deus homo die Person und das Leben Jesu Christi auszeichnet und mit der er die Menschheit aus der selbstverschuldeten Knechtschaft unter den Nexus von Sünde, Leid und Tod befreit hat.54 Die Freiheit, an welcher der Mensch durch das Wirken des Heiligen Geistes aus Gnade Anteil bekommt, ist nach Anselm schließlich keine andere als die Freiheit, die Christus als Mensch in Relation zum Vater gelebt hat. Aus diesem christologisch-soteriologischen Fokus und der Annahme der Einheit der Person, wird schließlich auch verstehbar, warum Anselm nach einer Definition von Freiheit sucht, die sowohl für die göttliche als auch für die menschliche Freiheit gilt, ohne die ontologische Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf aufzuheben.55 Damit ist aber die Freiheit der freiwilligen, inneren Übereinstimmung wesentlich die Freiheit des im Glauben erneuerten Menschen und zugleich die Verwirklichung der Freiheit, zu der der Mensch von Anfang an geschaffen ist. Wenn diese Beschreibung des theologischen Gesamthorizonts zutrifft, stellt Anselms Freiheitstheorie nicht nur eine ethisch-metaphysische Beschreibung der geschaffenen und durch die Sünde korrumpierten, sittlichen Autonomie des Menschen dar. Vielmehr trägt sie dann auch eine christologisch orientierte Beschreibung und gnadentheologische Begründung der im christlichen Glauben geschenkten Wirklichkeit der erneuerten, geschöpflichen Freiheit bei. Dadurch gelingt es Anselm nicht nur, einen genuin christlichen Sinn von Freiheit herauszuarbeiten. Es gelingt ihm auch, daran festzuhalten, dass die im christlichen Glauben geschenkte Freiheit keine andere Freiheit ist als die Freiheit, mit der jeder Mensch geschaffen ist und die jeder Mensch – auch in der Sünde – zumin52 

DLA 3 (SI), 211, 19–21; DCD 1 (SI), 233,3–235,16; DC III,3 (SII), 267,3–5. DLA 13 (SI), 225,2–32; DC I,6 (SII), 255,31–257,27; DC III,4 (SII), 267,7–268,25. 54  Vgl. DLA 13 (SI), 225,2–32; CDH I, 8–10 (SII), 59,5–67,20; CDH II,10 (SII), 106,10– 108,27. 55 Siehe hierzu: Dehme, The Christology of Anselm, 121–148; Corbin, Espérer pour tous, 55–110. 53 

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1. Die geschichtliche, analytische und theologische Charakterisierung

dest potentiell hat.56 Sie stellt die gnadenhafte Verwirklichung des Sinns geschöpflicher Freiheit dar. Anders als in späteren Freiheitstheorien werden bei Anselm somit Natur und Gnade, ähnlich wie Vernunft und Offenbarung, in einer engen, inneren Verbindung gesehen. Sie werden nicht als Gegensatz konstruiert. Es wäre somit verkehrt, der ethisch-metaphysischen Deutung von Anselms Freiheitstheorie einfach eine gnadentheologische Deutung entgegenzustellen. Trotzdem ist darauf hinzuweisen, dass eine rein ethisch-metaphysische Deutung zu kurz greift, wenn sie den gnadentheologischen Gesamthorizont ausklammert und damit auch zu einer anderen Deutung von Anselms Freiheitskonzeption gelangt. Der Struktur nach formuliert Anselm eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit. Es handelt sich dabei nicht nur um einen theologischen Aufweis einer notwendigen Möglichkeitsbedingung der Verwirklichung sittlicher Autonomie. Er entwickelt aber auch keine entgegen gesetzte Konzeption praeautonomer Heteronomie, sei sie bloß sinnlich-vormoralischer oder externalistisch-theonomer Art. Dafür, dass Anselms Freiheitstheorie nicht nur eine theologische Begründung sittlicher Autonomie darstellt, spricht meiner Auffassung nach, dass die Pointe seines Freiheitsbegriffs nicht bloß in vernunftbestimmter sittlicher Selbstgesetzgebung besteht, sondern vielmehr darin, immer mehr aus Vertrauen und Liebe, in Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen zu wollen.57 Damit ist Freiheit nicht bloß auf das menschliche Subjekt und ein allgemeines sittliches Gesetz bezogen gedacht. Sie wird als Gabe verstanden, alles von Gott her zu erhoffen und ihm aus geistbestimmter Liebe zu dienen. Damit transzendiert die so beschaffene Freiheit bloße sittliche Autonomie. Als Gabe wird sie von Gott her empfangen und kann im freiwilligen Dienst für andere gebraucht werden. Damit ist sie unhintergehbar relational verfasst. Diese Freiheitskonzeption kann meiner Ansicht nach deswegen als transautonom bezeichnet werden, weil sie nicht weniger, sondern mehr intendiert als Konzeptionen sittlicher Autonomie.58 Sie stellt auch keine entgegengesetzte Konzeption praeautonomer Heteronomie dar, weil sie weder eine „Freiheit“ sinnlich-vormoralischer Art noch eine 56 

DLA 10 (SI), 222,2–23; vgl. DC III,1–14 (SII), 263,4–288,19. Goebel, Rectitudo, 213–506; insbes. 363–376; 503–508. 58  Siehe zu dieser Kategorisierung insbesondere: Achtner, Willensfreiheit, 211–218. Vgl. auch Wolf, Freedom within Reason, 68–81. Sie versteht ihre Vernunft-Konzeption (the Reason View) auch in dem Sinne als eine philosophische Konzeption transautonomer Freiheit, dass sie sie konzeptionell von einer kompatibilistischen Freiheitskonzeption, die sich nur auf das „reale Selbst (the Real Self View)“ bezieht und von einer libertarischen Freiheitskonzeption, die sich auf die „Autonomie des Menschen (the Autonomy View)“ bezieht. Als entscheidend für das Gegebensein menschlicher Freiheit und Verantwortung sieht sie schließlich das Vermögen in Übereinstimmung mit der Vernunft beziehungsweise mit dem Wahren und Guten wählen zu können. 57 Vgl.:

1.3. Eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit

331

„Freiheit“ externalistisch-theonomer Art postuliert. Anselm ist begrifflich präzise, indem er Freiheit von sinnlich-vormoralischer Heteronomie unterscheidet. So werden von ihm instinktiv willkürliche und rational motivierte Willens- und Wahlakte im Rahmen des unrechten Strebens nach dem Angenehmen des natürlichen Glücks als nur potentiell frei und zugleich radikal verknechtet bezeichnet.59 Beliebige heteronome Akte sinnlich-vormoralischer Natur gelten nach Anselm deswegen nicht als wahrhaft frei, weil ihnen die innere Orientierung an einem richtigen, vernünftigen Maß fehlt. Ohne die innere Orientierung am Richtigen, Wahren und Gerechten bleibt nach Anselm jedoch nur ein diffuses, jeweils isoliertes, destruktives Streben nach diversen Glücksgütern, das den Namen der Freiheit nicht im eigentlichen Sinne verdient, auch wenn es formal ohne Zwang, freiwillig, spontan und selbstbestimmt geschieht. Zugleich ist Anselm aber auch begrifflich klar und deutlich, indem er Freiheit von externalistisch-theonomer Heteronomie unterscheidet. Er hebt hervor, dass das richtige Maß nicht bloß in einer äußeren Übereinstimmung von Handlungen mit als göttlich erachteten Gesetzen bestehen kann. Solange die Orientierung am Rechten nur etwas der Person äußerliches ist und nicht zugleich etwas innerlich vernünftig Erkanntes und ohne Zwang freiwillig selbst Gewolltes, kann noch nicht die Rede von Freiheit im vollen Sinne sein.60 Damit entwirft Anselm eine Freiheitstheorie, die von autonomietheoretischen Ansätzen konzeptionell verschieden ist. Schließlich verortet er Freiheit transautonom in dem Vermögen richtiger Relationalität und nicht nur im menschlichen Subjekt.

59 

60 

DC III, 12–13 (SII), 284,9–287,21. DV 12 (SI), 192,30–194,29.

2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie Von Anfang an stößt Anselms Freiheitskonzeption auf unterschiedliche Resonanz, darunter auch auf deutliche Kritik. So wird sie in seinem Schülerkreis von Anselm von Laon aber als unnötige Neuerung kritisiert und in der Folge auch von Petrus Lombardus und anderen scholastischen Theologen nicht übernommen.1 Vermutlich hat Calvin nicht ganz unrecht, wenn er kritisch bemerkt, Anselms Freiheitsbegriff sei „nicht schlicht genug“.2 In der modernen Forschung werden zudem neben externen geschichtsphilosophischen und pragmatischen Vorbehalten drei typische interne Kritikpunkte an Anselms Freiheitstheorie formuliert. Es gibt phänomenbezogene Kritik an der Definition des Freiheitsbegriffs, Einwände gegen die Unterscheidung der zwei Weisen des Freiseins und analytische Einwände gegen die Begründung der Vereinbarkeitsthese.3 Im Folgenden sollen diese Einwände exemplarisch aufgegriffen und diskutiert werden. Als Erstes (2.1.) wird auf die äußeren philosophiegeschichtlichen und pragmatischen Vorbehalte eingegangen. Als Zweites (2.2.) wird die innere phänomenbezogene Kritik an Anselms Definition des Freiheitsbegriffs erörtert. Als Drittes (2.3.) werden Einwände gegenüber seiner Unterscheidung verschiedener Arten des Freiseins diskutiert. Als Viertes (2.4.) sollen wichtige analytische Einwände gegen seine Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln und menschlicher Freiheit aufgegriffen werden. Dadurch soll einerseits der Wahrheitsgehalt der Anselmschen Freiheitstheorie kritisch diskutiert werden. Andererseits sollen dadurch die kritischen Einwände, die im Kontext der modernen Forschung gegenüber Anselms Freiheitstheorie vorgebracht werden, darauf hin geprüft werden, inwiefern sie zutreffen.

1 

Petrus Lombardus, Sententiae II, XXV,1-XXVIII,4 (SB IV), 461,1–491,26. Calvin, Unterricht in der christlichen Religion II,2,4 (Weber; Freudenberg), 137. 3  Siehe: Elfriede Tielsch, Anselm von Canterburys Stellung innerhalb der Geschichte des „de libero arbitrio“-Problems, in: Die Wirkungsgeschichte Anselms von Canterbury. Akten de ersten Internationalen Anselm-Tagung Bad Wimpfen – 13. Sept. bis 16. Sept. 1970, Teil Anselms Bedeutung für die Geschichte von Philosophie und Theologie, hg. v. Helmut Kohlenberger, Frankfurt 1975, 65–100; Visser; Williams, Anselm, 171 ff.. 2 

2.1. Philosophiegeschichtliche und pragmatische Vorbehalte

333

2.1. Philosophiegeschichtliche und pragmatische Vorbehalte Externe philosophiegeschichtliche und pragmatische Vorbehalte gegenüber Anselms Freiheitstheorie lauten, dass sie nichts Neues oder aktuell nichts Brauchbares mehr für heutige Freiheitsdiskussionen austrägt. Diese Vorbehalte prägen sowohl den historischen als auch den philosophischen Zugang. Sie werden nämlich einerseits von der Autorin des einschlägigen Artikels zum liberum arbitrium im Historischen Wörterbuch der Philosophie formuliert.4 Andererseits werden sie von den Autoren einer neuen analytischen Gesamtdarstellung des Anselmschen Denkens und des entsprechenden Beitrags im Cambridge Companion vorgebracht.5 So wird mit philosophiegeschichtlichen Argumenten von Tielsch eingewendet, dass Anselms Freiheitstheorie gegenüber den bereits in der antiken Stoa erarbeiteten Lösungen nichts Neues beitrage, sondern das Problemniveau unterschreite.6 Kritisiert wird als Erstes, dass seine Frage nach der Wahlfreiheit „in sich unlogisch“ und „falsch gestellt sei.7 Sodann wird eingewendet, dass seine Freiheitsdefinition im Widerspruch zum Konzept der freien Wahl zukünftiger Möglichkeiten stehe 8 und schließlich phänomenologisch auf „ziemlich tiefem Niveau“ angelange.9 Nicht zuletzt wird kritisiert, dass auf vorwissenschaftliche Weise versucht werde, einen „autoritären und absurden“10 Glauben „mit sophistischen Fehlschlüssen“ dogmatisch zu methodisieren11 und in das überholte „Korsett“12 des metaphysischen Problems von Freiheit und Notwendigkeit hineinzuzwingen. Dieser nicht ganz unpolemische Vorbehalt orientiert sich dabei jedoch unübersehbar an einem externen geschichtsphilosophischen Maß und geht nach einer Hermeneutik des Verdachts vor. Dadurch misslingen meiner Ansicht nach eine historisch zutreffende Interpretation und eine differenzierte philosophische Kritik. Durch eine historische Untersuchung lässt sich nämlich aufzeigen, dass Anselm im Vergleich zur stoischen Freiheitsdiskussion durchaus von Augustin her ein neues theologisches Problembewusstsein einbringt, das in dieser Weise bei stoischen Denkern noch nicht zu finden ist. Die Frage nach der Frei4 

Tielsch, Art. Liberum arbitrium, in: HWPh Bd.  5, 275–278; vgl. Dies., Anselm von Canterburys Stellung, 65–100. 5  Visser; Williams, Anselm, 171ff; Dies., Anselm’s Account of Freedom, in: The Cambridge Companion to Anselm, hg. v. Brian Davies; Brian Leftow, 179–203. 6  Tielsch, Anselm von Canterburys Stellung, 65–100; vgl. Dies., Art. Liberum arbitrium, 276. 7  A.a.O., 65. 8  A.a.O., 91. 9  A.a.O., 92–3. 10  A.a.O., 75. 11  A.a.O., 73. 12  A.a.O., 81.

334

2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie

heit des Menschen angesichts der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch die Freiheit Gottes wird von Anselm zudem sehr klar anhand der Kunstregeln der antiken Topik formuliert. Seine Definition von Freiheit schließt außerdem ein Spektrum relativer, bedingter Wahlmöglichkeiten keineswegs aus, sondern kritisiert nur die Verwechslung von Freiheit mit einer indifferenten, willkürlichen Wahl zwischen Sünde und Gerechtigkeit. Schließlich nimmt Anselm in seiner Herleitung des Freiheitsbegriffs immer wieder Bezug darauf, wie sich die Freiheit im Guten zeigt und darauf, unter welcher Bedingung sie möglich ist. Der Vorwurf sophistischer Fehlschlüsse lässt sich schließlich auch widerlegen, wenn man die Argumentationsstrukturen genauer untersucht. So bestätigt sich der von Tielsch vorgebrachte philosophiegeschichtliche Vorbehalt bei genauerer Untersuchung nicht. Er erweist sich als zu entkräftende, externe Oberflächenkritik. Mit pragmatischen Argumenten wird schließlich eingewendet, Anselms Definition des Freiheitsbegriffs sei für den aktuellen freiheitstheoretischen Diskurs nicht mehr brauchbar. Von Visser und Williams wird beispielsweise bemerkt, Anselms Definition von Freiheit sei vom Standpunkt gegenwärtiger Metaphysik aus gesehen „eine der unhilfreichsten Definitionen, die man sich vorstellen kann“ („one of the most unhelpful definitions imaginable“).13 Begründet wird der rhetorische Einwand der Nutzlosigkeit damit, dass Anselms Freiheitsdefinition keinen Aufschluss darüber gebe, ob Freiheit alternative Möglichkeiten verlange, ob sie mit einem Kausaldeterminismus vereinbar sei und inwiefern ihr Gebrauch die notwendige und hinreichende Bedingung moralischer Verantwortlichkeit sei.14 Ähnlich stellt Löffler grundlegend die Frage, ob Anselms Freiheitskonzeption für die gegenwärtige Freiheitsdiskussion noch etwas zu sagen hat15 und formuliert unter Vorbehalt eine differenzierte, positive Antwort.16 Damit wird von Löffler die Relevanzbreite aufgezeigt und zu Recht auch der Rahmen markiert, in dem Anselms Freiheitstheorie etwas beitragen kann. Der pragmatische Vorbehalt der Nutzlosigkeit stellt dabei einen wichtigen Hinweis auf den anderen geistesgeschichtlichen Kontext und die charakteristische theoretische Kontur von Anselms Freiheitskonzeption dar. Was Anselms Freiheitskonzeption pragmatisch zunächst fremd und nutzlos erscheinen lässt, macht sie jedoch für die theoretische Reflexion gerade interessant. Zum einen weist Anselms Definition von Freiheit nämlich durchaus eine gewisse Nähe zu gegenwärtig vertretenen Konzeptionen qualitativer Freiheit auf, die den Begriff der Freiheit mit dem Phänomen verbinden, das Richtige aus dem richtigen Motiv

13 

Visser; Williams, Anselm, 171.

15 

Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 165. 177–180.

14 Ebd.

16  A.a.O.,

2.2. Phänomenbezogene Kritik an Anselms Definition des Freiheitsbegriffs

335

heraus selbstbestimmt zu wollen und zu tun.17 Durch einen derart qualitativen bestimmten Freiheitsbegriff kann zum anderen eine Engführung der aktuellen Freiheitsdebatte auf unbestimmte formale Konstruktionen von Freiheit und falsche ontologische Alternativen vermieden werden. So erweist sich die Andersheit der Anselmschen Freiheitskonzeption meiner Ansicht nach gerade als Gewinn für die gegenwärtige Freiheitsreflexion. Ihre Andersheit kann nämlich dazu beitragen, die Selbstverständlichkeiten gegenwärtig verwendeter Kategorien und Kriterien noch einmal neu zu durchdenken und um eine rationale Reflexion religiöser Freiheit aus christlich-theologischer Sicht zu erweitern.

2.2. Phänomenbezogene Kritik an Anselms Definition des Freiheitsbegriffs Darüber hinaus wird inhaltlich die Kritik formuliert, dass die von Anselm entwickelte Definition des Freiheitsbegriffs den Phänomenen geschöpflicher Freiheit nicht angemessen sei. Dabei wird zumeist auf die Phänomene der freien Wahl zwischen qualitativen Alternativen, insbesondere die Möglichkeit der Wahl der Sünde verwiesen, so etwa von Ekenberg, Bäumker, Kane und Lohmeyer. Zuspitzen kann man diese Kritik auf den Einwand, dass Anselm Freiheit anders definiere als es im subjektiven Gefühl der Freiheit zugänglich sei und dass er damit eine angemessene Beschreibung des Phänomens der Freiheit verfehle. Von Ekenberg wird in gut analytischer Tradition eingewendet, dass Anselm mit der Stipulation seiner „asymmetrischen Definition“ von Freiheit „dem alltäglichem Sprachgebrauch und common sense Gewalt antue“, um „eine christliche Weltanschauung, zumindest oberflächlich, kohärent zu machen“.18 Ähnlich wird bereits von Bäumker argumentiert, dass Anselms Definition ausschließe, dass der Wille gleichfalls frei sei, „auch etwas anderes als die übernatürliche Gerechtigkeit und Heiligkeit zu wollen,“ weil sie „in allzu beschränkender Weise die hauptsächliche Zweckbestimmung des Geschenks der Willensfreiheit“ hervorhebe.19 Weiter wird von Kane kritisiert, dass Anselms Definition nicht der Freiheit „unter den Bedingungen menschlicher Existenz“ entspreche und modifizierend betont, dass diese in dem „Vermögen zu sündigen oder nicht zu sündigen“ bestehe.20 Schließlich wird schon von Lohmeyer kritisch eingewendet, dass die von Anselm inhaltlich positiv bestimmte Freiheit für das Sub-

17  Buchheim, Unser Verlangen nach Freiheit, 155–173; vgl. Wolf, Freedom within Reason, 68–81. 18  Ekenberg, Falling Freely, 74. 19  Baeumker, Die Lehre Anselms, 24–25. 20  Kane, Anselm’s Doctrine, 127; vgl. Ders., Anselm’s Definition, 297–306; insbes. 301.

336

2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie

jekt äußerlich und unerreichbar bleibt, da es die Gerechtigkeit nur aus Gnade empfangen könne.21 Der Einwand, dass Anselms Freiheitsbegriff kontra-intuitiv ist und sich nicht aus dem alltäglichen Sprachgebrauch und common sense herleitet trifft zu. Dies hat seinen Grund darin, dass er Freiheit nicht mit dem verbreiteten Phänomen einer unbestimmten, willkürlichen Wahl zwischen qualitativen Alternativen identifiziert, sondern konkret reflektiert, wie sich Freiheit zeigt und unter welchen Bedingungen sie gebraucht werden kann. Dass seine Definition keinem subjektiv erfahrbaren Phänomen der Freiheit entspricht, ist mit diesem Einwand deswegen noch nicht aufgezeigt. Zum einen ist der Verweis auf common sense Intuitionen und den alltäglichen Sprachgebrauch philosophisch kein besonders starkes Argument. Ihm haftet eine gewisse Beliebigkeit an. Zum anderen bezieht sich Anselm in seiner Herleitung des Freiheitsbegriffs und der formalen Freiheitskriterien durchaus mehrfach auf das Gefühl der Freiheit und auf Erfahrungen der Freiheitsgefährdung und der Freiheitskorruption und Verknechtung.22 Zudem beschreibt er sehr detailliert die damit verbundenen Vermögen, Dispositionen und Akte des vernunftbegabten Wollens, Wählens und Handelns, diskutiert entsprechende Fallbeispiele und beschreibt wie Freiheit gegeben wird.23 So beschreibt Anselm sehr präzise ein bestimmtes Bewusstsein davon, wie der Mensch sich als frei erfährt, wie er sich als verknechtet erlebt, wie er wieder befreit fühlt und wie er seine Freiheit zum Guten gebrauchen kann. Berücksichtigt man, dass es Anselm um ein bestimmtes Phänomen geht, nämlich das Phänomen, dass es jemandem widerfährt, frei zu werden, die richtige Relationalität des Willens um ihrer selbst willen bewahren zu können, erscheint seine Analyse sehr treffend. Sie zielt nämlich über die Intuition hinaus, dass man als Person bereits schon in sich isoliert frei ist und umso freier je mehr man selber wählen und tun kann, was man selber will, unabhängig von guten Gründen und der richtigen Bezogenheit auf Gott sowie auf den Nächsten. Sie betrachtet nämlich dasjenige Phänomen als Freiheit, dass Personen in unbezwingbarer Weise Gott über alles und ihren Nächsten jeweils wie sich selbst lieben können. Der Einwand, dass dies eine zu starke Einschränkung des Freiheitsbegriffs auf „die Zweckbestimmung“ des freien Willens- und Wahlvermögens darstellt24 ist unter der Voraussetzung zutreffend, dass ambivalente Konzeptionen von Freiheit eine robustere und radikalere, das heißt höhere Form von Freiheit darstellen, als eindeutig positiv bestimmte. Diese Annahme lässt sich jedoch mit guten Gründen bestreiten. Zum einen formuliert Anselm ein sehr treffendes Argument dafür, dass jemand freier ist, der – auch gegenüber Widerständen – weiter 21 

Lohmeyer, Die Lehre vom Willen, 42–56. DLA 1–8 (SI), 207,3–221,15. 23  DC III,11–13 (SII), 278,23–287,21; DC I,6 (SII), 255,31–257,27. 24  Baeumker, Die Lehre Anselms, 24–25. 22 

2.2. Phänomenbezogene Kritik an Anselms Definition des Freiheitsbegriffs

337

das Gute um des Guten selbst willen wollen kann, als jemand der immer auch das Böse wollen können muss.25 Andernfalls wäre ein boshafter Mensch freier als ein heiliger. Dass Freiheit jedoch mit Lüge und Ungerechtigkeit einhergehen soll, leuchtet nicht wirklich ein. Zum anderen zeigt Anselm auf, dass eine Person auch verantwortlich ist, wenn sie nicht anders wollen kann, als sie will, weil sie so geschaffen ist, dass sie in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und ihrer eigenen wesensgemäßen Bestimmung wollen kann. Dieses relationale Kriterium des prinzipiellen In-Übereinstimmung-Wollen-Könnens ist meines Erachtens ausreichend für die Zuschreibung prinzipieller Verantwortlichkeit.26 Der Vorschlag Anselm so zu interpretieren, dass der Mensch unter der Bedingung der Existenz nicht frei sei zur Gerechtigkeit, sondern nur frei sei „zu sündigen oder nicht zu sündigen“ ist deswegen problematisch.27 Er verzeichnet den eigentümlichen Charakter und die inhaltliche Spitze der Anselmschen Freiheitskonzeption als eines eindeutig positiv bestimmten Bewahrungsvermögens in Bezug auf die von Gott aus Gnade geschenkte Gerechtigkeit. Zudem wird von Anselm selber die ambivalente Definition von Freiheit als einem absoluten, neutralen Wahlvermögen zwischen qualitativen Alternativen explizit zurückgewiesen. Er unterscheidet unter welcher Bedingung jemand die Freiheit zur Gerechtigkeit gebrauchen kann und unter welcher Bedingung nicht. Das heißt in der von Gott entfremdeten Existenz ist der Mensch nach Anselm unfähig, von seiner Freiheit zur Gerechtigkeit Gebrauch zu machen. Damit ist er auch unfähig, alternativ das Gute zu wählen. In seiner mit Gott versöhnten Existenz wird der Mensch Anselm zufolge jedoch durch Gottes freie Gabe der Gnade frei, von seiner Freiheit zur Gerechtigkeit Gebrauch zu machen und sie zu bewahren. So geht Anselm durchaus davon aus, dass der Mensch unter den Bedingungen der Existenz von Christus zum Gebrauch dieser Freiheit zur Gerechtigkeit befreit werden kann. Die Kritik, dass diese inhaltlich positiv bestimmte Freiheit zur Gerechtigkeit dem Menschen äußerlich bleibe28 trifft nur dann zu, wenn man den Menschen in seiner von Gott entfremdeten Existenzweise betrachtet. Dabei ist zutreffend, dass der Mensch die Gerechtigkeit, ohne die er nicht von seiner Freiheit zur Gerechtigkeit Gebrauch machen kann, nicht selbst generieren, sondern nur von Gott empfangen kann.29 Wenn sie ihm von Gott gegeben wird, wird sie ihm Anselm zufolge aber auch innerlich gegeben. Schließlich stellt er heraus, dass durch das Wirken des Heiligen Geistes das Innere des Menschen, das heißt der

25 

DLA 1 (SI), 207,11–209,6. einer ähnlich Argumentation in der Gegenwartsdebatte siehe: Wolf, Freedom with­in Reason, 68–89. 27  Kane, Anselm’s Doctrine, 127; vgl. Ders., Anselm’s Definition, 297–306; insbes. 301. 28  Lohmeyer, Die Lehre vom Willen, 42–56. 29 Ebd. 26 Zu

338

2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie

Kern seiner Subjektivität, von seiner Gottbezogenheit her erneuert wird.30 Dadurch, dass diese Voraussetzung des aktualen Freiheitsgebrauchs von Anselm als eine freie, gnadenvolle Gabe des Schöpfers gedeutet wird, wird sie menschlichen Kontroll- und Manipulationsversuchen entzogen. So wird hervorgehoben, dass die Wirklichkeit der Freiheit in der gnadenvollen Gabe des Gottvertrauens gründet.

2.3. Kritik an der Unterscheidung der zwei Weisen geschöpflichen Freiseins Zudem wird Anselms Unterscheidung der zwei Weisen geschöpflichen Freiseins kritisiert, insbesondere von Kane und Löffler.31 Von Kane wird eingewendet, dass Anselm einen Begriff von Freiheit als Selbstvervollkommnung und einen Begriff von Freiheit als Selbstbestimmung in einer einzigen Definition zu vereinen versuche, dabei aber den Begriff des Rechtseins hypostasiere. Deswegen müsse er zwischen einem eigentlichen und einem uneigentlichen Sinn von Freiheit unterscheiden.32 Von Löffler wird schließlich kritisiert, dass Anselms Freiheitskonzeption durch diese Unterscheidung die Annahme einer doppelten Modalität impliziert. Dadurch, dass zwei verschiedene Modalbegriffe verschränkt werden, würde Freiheit teilweise als ein wirkliches Können verstanden, teilweise aber nur als ein mögliches Können.33 Dies sei aber problematisch, weil es im Widerspruch zu vorphilosophischen Intuitionen stehe. Ihnen zufolge würde man ein bloß hypothetisches Können, das aber realiter nicht vollzogen werden kann eher ein Nicht-Können nennen.34 Zum anderen wird problematisiert, dass aus diesem Grund bei Anselm nicht klar sei, ob Freiheit eine graduelle oder nicht graduelle Eigenschaft sei. Einerseits gehe er vorphilosophischen Intuitionen entsprechend davon aus, dass man entweder frei sei oder nicht. Inkonsequenter Weise behaupte er aber andererseits auch, man könne mehr oder weniger frei sein.35 Diese Kritikpunkte treffen insofern zu, als Anselms Freiheitsbegriff dadurch eine Mehrdeutigkeit erhält, dass er zwischen potentieller Freiheit und aktualer Freiheit unterscheidet. In der Tat lässt sich kritisch fragen, ob die bloß mögliche Freiheit nicht vielmehr eine Unfreiheit und einen Mangel an Freiheit darstellt. Allerdings führt dies meiner Ansicht nach nicht zu einer Inkonsistenz des Freiheitsbegriffs. Anselm selbst präzisiert, dass die Begriffe des Willens und des 30 

DC III,6 (SI), 270,11–273,11. Löffler, Hat uns Anselms Dialog, 174–177. 32  Kane, Anselm’s Definition, 303–305. 33  A.a.o., 175. 34 Ebd. 35 Ebd. 31 

2.3. Kritik an der Unterscheidung der zwei Weisen geschöpflichen Freiseins

339

Vermögens und damit auch der Freiheitsbegriff in diesem Sinne äquivok verwendet werden.36 Ähnlich scheint es für die Differenzierung verschiedener Weisen des geschöpflichen Freiseins sinnvoll zu sein, kategorisch daran festzuhalten, dass der Mensch entweder ohne Gerechtigkeit ganz unter die Sünde verknechtet und nur potentiell frei ist oder durch die Gerechtigkeit Gottes wirklich ganz frei. Und es erscheint sinnvoll, graduell zu differenzieren, dass diese Freiheit dann mehr oder weniger groß ist, je nachdem, wie stark die Bewahrung der inneren Übereinstimmung mit dem Liebeswillen Gottes ist. Ob die bloß hypothetisch, faktisch aber unmöglich von sich aus brauchbare Freiheit ohne Gerechtigkeit jedoch wirklich als Freiheit zu bezeichnen ist oder nicht vielmehr als Unfreiheit, wird von Anselms ebenfalls selbst reflektiert. In De libertate arbitrii 10–12 wird erläutert, dass der Mensch in der Sünde zugleich verknechtet ist –wegen der Unmöglichkeit von sich aus nicht mehr zu sündigen und frei – wegen seiner bleibenden Geschöpflichkeit und der Möglichkeit durch Gottes Gnadenhandeln in Christus aus der Knechtschaft der Sünde befreit zu werden.37 In De concordia III,13 wird schließlich präzisiert, dass die bloß natürliche Freiheit ohne Gerechtigkeit noch nicht die Freiheit im eigentlichen Sinn ist, die auch wirklich gebraucht werden kann.38 Somit stellt Anselms Differenzierung dieser zwei Arten geschöpflichen Freiseins keine Inkonsistenz dar. Vielmehr stellt sie eine differenzierte, mit der Freiheitsdefinition vereinbare und philosophisch und theologisch begründete Antwort auf die Frage dar, ob und inwiefern der Mensch immer frei ist.39 Die von Anselm begründet vertretene Unterscheidung von potentiellem Freisein in der Sünde und aktualem Freisein in der von Gott gegebenen Gerechtigkeit hat zudem auch Analogien in nicht- oder anders-religiösen Freiheitsreflexionen. In der aktuellen philosophischen Freiheitsdebatte werden Fälle wie etwa Hypnose, Manipulation und Abhängigkeit als Beispiele für korrumpiertes Freisein oder faktisches Unfreisein diskutiert.40 Dabei wird darauf verwiesen, dass es bestimmte Situationen und Zustände gibt, in denen Personen faktisch nicht mehr wirklich frei und zurechnungsfähig agieren können, auch wenn sie als menschliche Personen der Möglichkeit nach weiter prinzipiell frei und verantwortlich bleiben.41 Dadurch wird das Problem aufgezeigt, dass Freiheit eine selbstwidersprüchliche, nur potentielle oder korrumpierte Gestalt 36  DLA 7 (SI), 218,15–220,9; DCD 12 (SI), 254,3–255,18; DC III,11–14 (SII), 278,27– 288,19. 37  DLA 10–12 (SI), 222,2–224,32. 38  DC III,13 (SII), 287,3–21. Hier ist eine deutliche Verschärfung der Unterscheidung erkennbar, wenn es heißt, dass der Wille ohne die Gerechtigkeit „niemals frei ist“ (numquam libera est), weil die natürliche Freiheit müßig (otiosa) sei. Siehe: Ebd. 39  DLA 1 (SI), 207,4–6. Siehe hierzu insbesondere auch: Gwozdz, Anselm’s Theory of Freedom, 62–74. 40  Siehe beispielsweise: Wolf, Freedom Within Reason, 86–147. 41 Ebd.

340

2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie

haben kann ohne das Vermögen, sie von sich aus aktual zu realisieren. Ähnlich wie die Würde des Menschen scheint seine Freiheit damit zugleich prinzipiell immer gegeben und faktisch korrumpierbar zu sein. Weiter kann durch diese alltäglichen Beispiele verdeutlicht werden, dass eine Person sich durch ungezwungene, spontane, freiwillige und selbstbestimmte Willens- und Wahlakte in falsche Abhängigkeit bringen kann, aus der sie sich unmöglich wieder befreien kann, weil sie durch die Abhängigkeit ihre Freiheit zur Unbrauchbarkeit korrumpiert. Schließlich wird daran auch plausibel, dass eine Person, die von einer derartigen Korruption ihrer Freiheit unerwartet frei wird, damit auch frei wird, die neu verwirklichte Gestalt der Freiheit aktual zu gebrauchen und zu bewahren. Auch in der philosophischen Reflexion alltäglicher Situationen erweist es sich somit als ein Präzisionsgewinn, zwischen einer nur potentiellen und einer aktualen Weise des Freiseins zu differenzieren. Derartige Differenzierungen werden in der Tat aus sehr verschiedenen religiösen und auch nicht religiösen Perspektiven formuliert. Die Unterscheidung, was als nur potentielle und was als wirkliche Freiheit betrachtet wird, hängt dabei jeweils davon ab, was als höchste, wahre Form menschlicher Freiheit betrachtet wird, und wo und aufgrund welcher Kriterien die Differenz zwischen ihrer bloß möglichen oder schon wirklichen Verwirklichung gesehen wird. So weist Anselms Differenzierung zwischen potentiellem Freisein in der Knechtschaft unter die Sünde und aktualem Freisein in der von Gott gegebenen Gerechtigkeit des Glaubens interessante Analogien zu ähnlichen Differenzierungen bei jüdischen und islamischen Denkern des frühen Mittelalters, wie etwa Al-Ghazali und Bachya ibn Pakuda auf.42 Die Idee des Freiseins für die Gottesliebe wird auch bei ihnen in unterschiedlicher Weise für die höchste Form des menschlichen Freiseins gehalten. Auch wird sie mit Verknechtungen unter vergötterte, innerweltliche Instanzen oder unter schlechte Begierden kontrastiert, die den Menschen von seiner konstitutiven Bezogenheit auf den Schöpfer entfremden.43 So bietet Anselms Unterscheidung zwischen dem potentiellen und aktualen Freiseins des Menschen eine Differenzierung, die sowohl in der Alltagserfahrung als auch in anderen Religionen Analogien findet. Sie ermöglicht es zum einen, am prinzipiellen, möglichen Freisein jeder menschlichen Person festzuhalten und zum anderen, konkret zwischen Zuständen und Situationen der Verknechtung und solchen, in denen von der Freiheit zur Gerechtigkeit ungehindert Gebrauch gemacht werden kann zu unterscheiden.

42 

Siehe hierzu insbesondere auch: Burell, Faith and Freedom, 218–233. Al-Ghazali, Das Kriterium des Handelns, 147–148 und Bachya ben Pakuda, The Duties of the Heart X,1–7 (Feldmann), 441–459. 43 

2.4. Analytische Kritik an der Begründung der Vereinbarkeitsthese

341

2.4. Analytische Kritik an der Begründung der Vereinbarkeitsthese Nicht zuletzt wird an Anselms Begründung der These der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln und menschlicher Freiheit analytisch kritisiert, sie sei nicht schlüssig und konsistent – so etwa Einwände von Schick, Zagzebski und Hermanni, Hasker sowie Craig.44 Die Einwände beziehen sich auf verschiedene Aspekte von Anselms Begründung der Vereinbarkeit von göttlichem Vorauswissen und menschlicher Freiheit in De concordia I. Die vorwiegend in analytischen Untersuchungen vorgebrachte Kritik wendet sich zum einen gegen das grundlegende Inklusionsargument und das modaltheoretische Argument zur Unterscheidung von Zwang und Notwendigkeit. Zum anderen richtet sie sich gegen das zeit- und ewigkeitstheoretische Argument für die Simultanität von zeitlicher Wandelbarkeit und ewiger Unwandelbarkeit. Schließlich bezieht sie sich auch auf das zurechnungstheoretische Argument, das Anselm für die absolute Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens formuliert. Von Schick wird beispielsweise als ein erster Einwand vorgebracht, mit dem Inklusionsargument werde nur gezeigt, dass von Gott ohne Auf hebung menschlicher Freiheit vorausgewusst werden kann, dass der Mensch etwas frei entscheiden wird. Dies, so Schick, sei aber unproblematisch und das Problem, das entsteht, wenn Gott auch den Entscheidungsprozess und Entscheidungsausgang vorausweiß, sei damit noch nicht gelöst.45 Zudem kritisiert er, dass Anselm im Verlauf der nachfolgenden Argumentation die Bedeutung des Begriffs des göttlichen Vorauswissens und der Notwendigkeit „auf ein Minimum“ reduziere.46 So kommt er zu dem Schluss, dass das modale Argument an sich unzureichend sei und Anselms Lösung auf der Unterscheidung von Zeit und Ewigkeit basiere.47 Gegen das zeit- und ewigkeitstheoretische Argument werden jedoch gleichfalls Einwände erhoben. Ein erster Einwand, der von Zagzebski und Hermanni vorgebracht wird48 lautet, dass das Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit durch das zeit- und ewigkeitstheoretische Argument nur verschoben und nicht

44  Schick, Willensfreiheit 41–55; Zagzebski, The Dilemma of Freedom and Foreknowledge, 43–65; Hermanni, Gott, Freiheit und Determinismus, 17–18; Hasker, Divine Foreknowledge and Human Freedom, 41–43; Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 93–104. 45 Siehe: Schick, Willensfreiheit, 41. 46 A.a.O., 42. 47  A.a.O., 43–55. 48  Siehe hierzu insbesondere: Leftow, Time and Eternity, 183–266; Leftow, Anselmian Presentism, 297–319; vgl. Rogers, Anselm on Freedom, 146–184; Dies., „The Necessity of the Present 25–47; Dies.: Anselm and his Islamic Contemporaries 373–393; Dies.: Anselmian Eternalism, 3–27.

342

2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie

gelöst wird.49 Die Betonung des Gedankens, Gottes Vorauswissen sei kein zeitliches Vorauswissen – wie bei Geschöpfen – sondern ein ewiges, löse das Problem nicht, weil dann alles Zukünftige zwar nicht von einem ersten Zeitpunkt aber von Ewigkeit her determiniert und somit nicht frei sei.50 Zudem wird von Hasker kritisch eingewendet, dass noch zu prüfen ist, ob mit dieser eternalistischen Lösung eine präsentistische A-Theorie der Zeit verbunden sei (so Leftow), bei der unklar sei, wie Gott etwas indexikalisch Verortetes vorauswissen könne, oder eine eternalistische, vierdimensionale B-Theorie der Zeit (so Rogers), bei der unklar sei, wie trotzdem das libertarische Freiheitskriterium der alternativen Wahlmöglichkeit bewahrt werden könne.51 Schließlich wird von Craig eingewendet, Anselms Lösungsversuch scheitere und er ziehe letztendlich doch fatalistische Konsequenzen.52 Er bezieht sich auf Anselms These vom epistemischen und ontologischen Primat des Vorauswissens vor dem Vorausgewussten, die sich gegen die origenistische Auffassung richtet, dass das göttliche Vorauswissen auch von den Dingen, das heißt von den freien Willens- und Wahlakten her sei und somit nicht kausal wirksam sei.53 Gegen Anselms Annahme der absoluten Vorgängigkeit und kausalen Wirksamkeit von Gottes Vorauswissen vor den vorausgewussten freien Willens- und Wahlakten wird von Craig nicht nur auf das dadurch entstehende Theodizeeproblem verwiesen. Vielmehr wendet er ein, dass Anselm durch die These, dass alle guten Akte durch Gott bestimmt und bewirkt sind, nicht einem theologischen Determinismus oder Fatalismus entkommen sei.54 Diese Einwände sind meiner Ansicht nach in Bezug auf die Einzelargumente sehr treffend formuliert. Sie betrachten diese jedoch nicht im Kontext der spezifischen Problemfassung des konkreten Lösungsansatzes und der Gesamtargumentation. So trifft der Einwand gegen das grundlegende Inklusionsargument und das modaltheoretische Argument insofern zu, als sie allein nicht ausreichend sind, um die Vereinbarkeit von göttlichem Vorauswissen und menschlicher Freiheit zu begründen.55 Allerdings ist zu beachten, dass es Anselm nur um eine indirekte Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und menschli49 

Zagzebski, The Dilemma of Freedom and Foreknowledge, 43–65; Dabei bringt sie insgesamt fünf Argumente gegen die Boethianische Version der eternalistischen Lösung vor. Siehe auch: Dies., Recent Work on Divine Foreknowledge and Human Freedom, 51–53; so auch: Hermanni, Gott, Freiheit und Determinismus, 17–18. 50 Ebd. 51 Siehe: Hasker, Divine Foreknowledge and Human Freedom, 41–43; siehe hierzu auch: Leftow, Anselmian Presentism, 297–313; Rogers, Anselmian Eternalism, 3–27; Dies., Back to Eternalism, 320–338. 52  Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 93–104. 53  A.a.O., 104. 54 Ebd. 55 Siehe: Schick, Willensfreiheit, 41–55.

2.4. Analytische Kritik an der Begründung der Vereinbarkeitsthese

343

cher Freiheit geht, nicht um einen positiven Beweis. Weiter ist festzuhalten, dass Anselm das modaltheoretische Argument für die Unterscheidung von Zwang und Notwendigkeit auch selbst nicht für hinreichend erachtet, sondern als einen ersten, ergänzungsbedürftigen Schritt in der Gesamtargumentation darstellt.56 So kann präzisiert werden, dass mit diesem Argument nur modaltheoretisch geklärt werden soll, dass die Notwendigkeit, die mit Gottes Vorauswissen des für uns Zukünftigen einhergeht, eine Notwendigkeit ist, die keinen Zwang ausübt. Der Einwand gegen das zeit- und ewigkeitstheoretische Argument trifft zudem unter der Voraussetzung zu, dass Anselm wie Boethius eine neuplatonische Metaphysik und einen libertarischen Freiheitsbegriff vertritt.57 In diesem Fall würde die Betonung der Ewigkeit des göttlichen Vorauswissens das Problem in der Tat nur verschieben, anstatt es zu lösen. Allerdings wird durch die hier vertretene Interpretation der entsprechenden Texte nahe gelegt, dass Anselm den Ursprung der Welt als freien, intentionalen Schöpfungsakt denkt und nicht als notwendige Emanation.58 Weiter ist herausgestellt worden, dass er Freiheit nicht als indifferentes oder ambivalentes Wahlvermögen versteht, sondern als inhaltlich positiv bestimmtes, relationales Bewahrungsvermögen.59 Damit erweitert sich der Problemhorizont von der Frage menschlicher Freiheit angesichts eines übergeordneten kausalen oder logischen Determinismus zu dem prima facie Dilemma der Unvereinbarkeit von menschlicher und göttlicher Freiheit. So wird die Ewigkeit des göttlichen Vorauswissens und Vorausbestimmens von Anselm auch nicht bereits als Lösung, sondern als Teil des Problems betrachtet. Allerdings zeigt Anselm auf, dass die Freiheit Gottes und die Notwendigkeit, die mit dem göttlichen Vorauswissen und Vorausbestimmen einhergeht, freiheitskonstitutiv und nicht freiheitsgefährdend ist. Dabei vertritt er ein anderes Verständnis der Ewigkeit und der Simultaneität von ewiger Unwandelbarkeit und zeitlicher Wandelbarkeit als Boethius.60 Zudem vertritt er auch einen inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Begriff von Freiheit. Demzufolge wäre es keineswegs konstitutiv oder zuträglich für die Freiheit des Menschen, wenn sie enthalten würde, dass der Mensch auch anders wollen kann, als von Gott ewig vorausgewusst und vorausbestimmt.61 Da Freiheit nach Anselm ihre Erfüllung in der freiwilligen Übereinstimmung mit dem göttlichen Liebeswillen findet, basiert sie darauf, dass der Mensch dazu von 56  DC

I,1–4 (SII), 245,1–253,15. Zagzebski, Recent Work on Divine Foreknowledge and Human Freedom, 51–53; Hermanni, Gott, Freiheit und Determinismus, 17–18 und Hasker, Divine Foreknowledge and Human Freedom, 41–43. 58  ML 1–24 (SI), 13,3–42,29. 59  DC I,6 (SII), 255,31–257,27; DLA 13 (SI), 225,2–32. 60  Zur Differenz zwischen der von Boethius und der von Anselm entwickelten Lösung siehe insbesondere: Leftow, Time and Eternity, 217 ff. 61  DC II,3 (SII), 261,14–262,22. 57 Siehe:

344

2. Die vorgebrachte Kritik an Anselms Freiheitstheorie

Gott ewig zuvor erkannt, erwählt und berufen worden ist. Von Gott kann schließlich gesagt werden, dass er sein eigenes freies Wirken und die Wirkungen ewig vorausweiß. So soll auch das zeit- und ewigkeitstheoretische Argument bei Anselm nicht mehr und nicht weniger zeigen als die Möglichkeit, dass dieser ewige freie Ratschluss Gottes zugleich in Ewigkeit unwandelbar und in der Zeit wandelbar ist. In diesem Zusammenhang ist auch das zurechnungstheoretische Argument für die absolute Vorgängigkeit des göttlichen Vorauswissens vor den vorausgewussten freien Willens- und Wahlakten des Menschen zu verstehen. Dementsprechend trifft die Kritik, dass Anselm letztendlich doch eine deterministische oder sogar fatalistische Position vertrete insofern zu, als Anselm in der Tat annimmt, dass die Wirklichkeit vorgängig durch Gottes weises und gütiges freies Wirken vollkommen bestimmt ist.62 Allerdings ist in dieser Arbeit die Deutung nahe gelegt worden, dass Anselm gar nicht versucht, die Annahme der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken zu entkräften. Er ist vielmehr daran interessiert, ihre Vereinbarkeit mit menschlicher Freiheit aufzuzeigen. Somit wäre die Beobachtung, dass Anselm die Verteidigung libertarischer Freiheit gegenüber dem göttlichen Vorauswissen nicht gelingt, eine Beschreibung des von Anselm vertretenen theologischen Kompatibilismus oder Kompossibilismus und kein Einwand. Die analytischen Einwände gegen Anselms Begründung der Vereinbarkeit von Gottes Vorauswissen und Vorausbestimmen einerseits und menschlicher Freiheit andererseits weisen also Schwächen der Einzelargumente auf. Allerdings erweist sich Anselms Lösung, wenn man die Struktur des indirekten Beweises durch einen hypothetischen Syllogismus und den Gesamtzusammenhang der Argumente in ihrem Bezug auf spezifische vorgebrachte Einwände betrachtet, als ein sehr tragfähiger Ansatz. Er könnte im Kontext der Gegenwartsdebatte weiter ausgearbeitet werden.

62 

Craig, St. Anselm on Divine Foreknowledge, 104.

3. Der Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion Schließlich stellt sich die Frage, was Anselms Freiheitstheorie zur aktuellen Freiheitsdiskussion beitragen kann. Von einer Untersuchung der maßgeblichen freiheitstheoretischen Schriften Anselms her hat sich nahe gelegt, dass seine Konzeption nicht einfach mit einer der im aktuellen Freiheitsdiskurs vertretenen Positionen identisch ist. Sie kann mehr beitragen als bloß eine erste libertarische oder kompatibilistische Freiheitstheorie.1 Interpretiert man Anselms Definition des Freiheitsbegriffs und seine Begründung der Vereinbarkeit von Gottes freiem Wirken und menschlicher Freiheit im Gesamtzusammenhang seines Denkens und in dessen geistesgeschichtlichem Kontext, zeigen sich systematisch interessante Konvergenzen aber auch Divergenzen zu Konzeptionen, die in der gegenwärtigen Freiheitsdiskussion vertreten werden. Eine besondere Stärke der Anselmschen Konzeption besteht meiner Ansicht nach darin, dass sie in sehr einfacher, dialogischer Form genau die Fragen diskutiert, die auch im Kontext der Moderne für eine philosophisch-theologische Freiheitstheorie zentral sind: die Frage nach dem Begriff und Phänomen der Freiheit, die Frage nach der Vereinbarkeit von Gott und menschlicher Freiheit und die Frage nach dem Grund menschlicher Freiheit im Gesamtzusammenhang eines bestimmten Verständnisses der Wirklichkeit.2 Eine weitere Stärke besteht meiner Auffassung nach in der für Anselm charakteristischen Verbindung von theoretischer und praktischer Reflexion sowie von klarer rationaler Argumentation und symbolischer Veranschaulichung einerseits und der im christlichen Glauben erschlossenen Offenbarung andererseits. Diese Verbindung von theologisch erfahrungsgesättigtem Offenbarungsbezug und philosophisch rationaler Reflexion macht seine Freiheitstheorie für die aktuelle Freiheitsdiskussion sowohl philosophisch herausfordernd als auch theologisch gehaltvoll. Anselms Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion lässt sich damit in den drei Aspekte sehen, die seine Freiheitstheorie auszeichnen. So 1 So jedoch Rogers, Anselm on Freedom, 1–86; Tyvoll, Anselm’s Incompatibilism, 97–113; Craig, Saint Anselm, 93–104; Visser; Wiliams, Anselm, 171–192; einerseits und Ekenberg, Falling Freely, 127–152 andererseits. 2  Siehe hierzu in Anlehnung an Schellings Freiheitsschrift auch: Buchheim, Unser Verlangen nach Freiheit, 9–10; und Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 34–43; Kane, Introduction: The Contours of Contemporary Free-Will Debates, 3–38.

346

3. Der Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion

soll im Folgenden zunächst (3.1.) der Frage nachgegangen werden, was seine Entfaltung eines inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Begriffs von Freiheit für die Definition der Freiheit austragen kann. Weiter wird im Anschluss daran (3.2.) überlegt, was seine Begründung der Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und der Notwendigkeit, die mit Gottes freiem Wirken einhergeht zur Lösung des Unvereinbarkeitsdilemmas beitragen kann. Zuletzt (3.3.) bleibt zu diskutieren, was für eine Perspektive seine gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption in Bezug auf die Frage nach dem Grund menschlicher Freiheit eröffnen kann.

3.1. Die Entfaltung eines inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Freiheitsbegriffs Mit seiner Definition von Freiheit als „Vermögen das Rechtsein des Willens um seiner selbst willen zu bewahren“ kann Anselm eine besondere Entfaltung eines inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Begriffs von Freiheit beitragen.3 Zwar diskutiert er die formalen Kriterien des Freiheitsvollzugs weniger differenziert als dies in der analytischen Freiheitsdiskussion der Fall ist. Dafür kann er aber durch die inhaltliche Entfaltung eines Begriffs transautonomer Freiheit dazu beitragen, die Frage nach dem Sinn und Gehalt von Freiheit neu zu stellen, das Problem der qualitativen Gradualität der Freiheit zu diskutieren und die Relation von Freiheit und Unfreiheit beziehungsweise Knechtschaft zu reflektieren. Indem Anselm den Begriff der Freiheit im Zusammenhang mit dem Prinzip des Rechtseins und den Begriffen der Wahrheit und Gerechtigkeit inhaltlich eindeutig positiv bestimmt als Vermögen zur Gerechtigkeit, ordnet er den Freiheitsbegriff in einen größeren Verstehenshorizont ein. Dadurch dass er Freiheit nicht als letzten oder höchsten Wert oder selbstzweckhaften Zweck deutet, kann er auch die Frage nach dem Sinn und Ziel von Freiheit stellen. Die Beantwortung dieser Frage führt schließlich dazu, das Wesen der Freiheit als ein inhaltlich eindeutig positiv bestimmtes Vermögen zu verstehen, das zu dem Sinn und Zweck gegeben ist, die geschenkte Ausrichtung auf Gott als das höchste Gute um ihrer selbst willen zu bewahren. Mit dieser eindeutig positiven Bestimmung des Sinns und Gehalts von Freiheit kann Anselms Freiheitstheorie nicht nur auf den Kern religiöser Freiheit aufmerksam machen. Sie kann darüber hinaus zu einer Vertiefung der Diskussion um Stärken und Schwächen unbestimmter beziehungsweise nur formal oder inhaltlich negativ

3 

DLA 13 (SI), 225,2–32; DC I,6 (SII), 225,31–257,27.

3.1. Die Entfaltung eines inhaltlich positiv bestimmten, relationalen Freiheitsbegriffs

347

bestimmter und inhaltlich ambivalent bestimmter sowie inhaltlich eindeutig positiv bestimmter Freiheitsbegriffe beitragen.4 Auch wenn es in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten ausreichend und sogar sinnvoll erscheint, Freiheit im Allgemeinen nur formal oder inhaltlich negativ zu bestimmen, etwa als Abwesenheit von Zwang, Fremdbestimmung, Manipulation und Kontrolle, erscheint es philosophisch und theologisch sinnvoll zur Beschreibung konkreter Freiheit weitere Präzisierungen zuzufügen. Je weniger eine Freiheitskonzeption inhaltlich positiv bestimmt ist, desto mehr ist sie einfach mit unbestimmter Macht und beliebigem Durchsetzungswillen identisch. Je stärker eine Freiheitskonzeption jedoch inhaltlich positiv bestimmt ist, desto qualifizierter ist die mit ihr verbundene Macht, etwa zu einer Macht der Wahrheit und der Gerechtigkeit beziehungsweise der Liebe. Versuche einer inhaltlich positiven Bestimmung des Freiheitsbegriffs sind zwar nicht vor ideologischem Missbrauch geschützt. Unbestimmte oder nur formal, negativ oder ambivalent bestimmte Freiheitsvorstellungen sind es jedoch auch nicht. Darüber hinaus sind sie weit weniger für eine inhaltliche kritische Auseinandersetzung zugänglich. So kann Anselms Plädoyer für eine eindeutig positive Bestimmung des Gehalts des Freiheitsbegriffs dazu beitragen, gewisse Aporien im aktuellen Freiheitsdiskurs aufdecken, beispielsweise das Problem, dass der Freiheitsbegriff eigenartig leer bleibt, wenn Freiheit als höchster selbstzweckhafter Wert betrachtet aber ihr Gehalt unterbestimmt bleibt.5 Schließlich kann Anselms Freiheitstheorie mit ihrem inhaltlich eindeutig positiv bestimmten Begriff von Freiheit dazu beitragen, die Bedeutung der formalen Freiheitskriterien in Relation zum Sinn und Gehalt des Freiheitsbegriffs aufzuzeigen. Er diskutiert die Kriterienfrage nämlich konkret als die Fragen wer, unter welcher Bedingung und in Bezug auf was frei wollen kann und in welchem Spektrum jemandem jeweils alternative Wahlmöglichkeiten gegeben sind. Dies stellt meiner Ansicht nach eine wichtige Konkretisierung dar. Indem Anselm die Reflexion der formalen Freiheitskriterien an die Reflexion des Sinns und Gehalts von Freiheit zurückbindet, ermöglicht er eine kontextbezogene Diskussion der formalen Kriterien menschlicher Freiheitsvollzüge. Dabei stellt er ausgehend von seinem inhaltlich positiv bestimmten Begriff von Freiheit heraus, dass der Mensch unter der Bedingung der Sünde in Bezug auf das letzte Ziel seines Wollens nur im Spektrum des unrechten Glücksstrebens zwischen verschiedener Alternativen des mehr oder weniger Angenehmen wählen kann, dass er unter dieser Bedingung aber unmöglich die affektive Grundausrichtung seines Willens von sich aus zur Gottesliebe verändern kann. Ähnlich stellt er 4 Isaiah Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, in: Ders., Freiheit. Vier Versuche, Frankfurt a. M. 1995, 197–265. 5  Vgl. hierzu auch: Schwöbel, Imago Libertatis, 227–256.

348

3. Der Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion

heraus, dass es unter der Bedingung des Glaubens für den aktualen Freiheitsvollzug keineswegs zuträglich ist, in Bezug auf das letzte Ziel des Willens auch anders wollen zu können als in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und der eigenen wesensgemäßen Bestimmung. An Anselms theologischem Freiheitsverständnis zeigt sich somit, dass die Reflexion der formalen Freiheitskriterien in Relation zum jeweiligen Sinn und Gehalt des Freiheitsbegriffs zu sehen ist. Auch in der aktuellen philosophischen Freiheitsdiskussion lässt sich schließlich erkennen, dass zumindest implizit die Befürwortung oder Ablehnung bestimmter formaler Freiheitskriterien mit dem jeweiligen Verständnis des Sinns und Gehalts von Freiheit zusammenhängen.6

3.2. Die Begründung der Vereinbarkeit von Gott und Freiheit Zudem kann Anselms Freiheitstheorie in Bezug auf das Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit zu einer wichtigen Differenzierung anregen und einen inklusionstheoretischen Ansatz zur Lösung des theologischen Vereinbarkeitsproblems beitragen. So kann sie auf die Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen dem naturphilosophischen und dem theologischen Vereinbarkeitsproblem hinweisen und die jeweiligen ontologischen Implikationen explizit machen. Da in Anselms Freiheitstheorie schöpfungstheologisch von einer durch Gott frei bewirkten Schaffung, Zuordnung und Zusammenwirkung von natürlichen und personalen Ursachen ausgegangen wird, ist das naturphilosophisch-metaphysische Vereinbarkeitsproblem bei ihm derart relativiert, dass sie hier zur Lösung der Gegenwartsdebatte wenig beizutragen hat. Dadurch kann sie aber dazu beitragen, die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und ontologischen Grundannahmen in der Gegenwartsdebatte mitzureflektieren. Schließlich wird von Anselm angedeutet, dass das theologische Vereinbarkeitsproblem nicht nur eine Variante eines allgemeinen, logischen Determinismusproblems darstellt oder gar mit dem naturphilosophischen Determinismusproblem identisch ist.7 Das theologische Vereinbarkeitsproblem wird von Anselm nicht bloß durch a-personale kausaltheoretische Metaphern thematisiert, sondern vor allem auch durch personale Analogien des freien Wirkens und Handelns. Dadurch weist er auf, dass sich in theologischer Perspektive das Problem zu der Frage hin verschiebt, wie der Mensch angesichts der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken frei sein kann. Die Gegenüberstellung von Freiheit und Notwendigkeit wird eingebettet in die übergeordnete Fragestel6 Siehe Kane, The Contours of Contemporary Free Will Debates, 3–38 und Keil, Willensfreiheit, 1–117. 7  Vgl. hierzu jedoch: Zagzebski, The Dilemma of Freedom and Foreknowledge, 3–35.

3.2. Die Begründung der Vereinbarkeit von Gott und Freiheit

349

lung nach dem Verhältnis von unbedingter, göttlicher Freiheit und bedingter, geschöpflicher Freiheit. Dadurch verschiebt sich die gesamte Problemstellung von der Frage nach menschlicher Freiheit angesichts eines a-personalen, naturkausalen Determinismus zur Frage nach menschlicher Freiheit angesichts der personalen, gnadenvollen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken. Durch diese Akzentverschiebung wird es zudem auch möglich, das Problem der scheinbaren Unvereinbarkeit eines naturkausalen Determinismus und menschlicher Freiheit als Problem des Verhältnisses von zwei relativen, geschaffenen Größen in den Blick zu nehmen. Schließlich geht es in Anselms Freiheitstheorie auch nicht nur um eine Lösung des allgemeinen Dilemmas der Unvereinbarkeit von göttlicher Vorsehung und menschlicher Freiheit, sondern um das Problem der Unvereinbarkeit von Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln einerseits und menschlicher Freiheit andererseits. Damit kann Anselm in Bezug auf das theologische Vereinbarkeitsproblem dessen eigene Charakteristik aufweisen sowie den inneren Zusammenhang der drei Aspekte des Gesamtproblems. Damit legt sich für die analytisch-theologische Freiheitsdiskussion eine Erweiterung der Vereinbarkeitsfrage von Dilemma von Vorauswissen und Freiheit nicht nur auf das Dilemma von Prädestination und Freiheit, sondern auch auf das von Gnade und Freiheit nah.8 Die Stärke von Anselms Ansatz zur Lösung des theologischen Vereinbarkeitsproblems besteht meiner Ansicht nach darin, die Probleme der scheinbaren Unvereinbarkeit von göttlichem Vorauswissen und Vorausbestimmen und menschlicher Freiheit konsequent auf den gnadentheologischen Kern des Dilemmas zu beziehen. So kann sie dazu beitragen, die eigene Struktur des theologischen Unvereinbarkeitsproblems herauszustellen und aufzuzeigen, wo die naturphilosophische Beschreibung des Problems der scheinbaren Unvereinbarkeit von menschlicher Freiheit und naturkausaler Determiniertheit auf einer problematischen Übertragung singulär göttlicher Eigenschaften auf die Begriffe der Natur oder der Freiheit beruht. Schließlich kann Anselm einen in sich schlüssigen Ansatz zur Lösung des theologischen Unvereinbarkeitsproblems beitragen. Von seinen Überlegungen her legt sich nah, dass das Dilemma gerade nicht gelöst werden kann, indem entweder die vollkommene Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken relativiert wird oder indem menschliche Freiheit auf standard-libertarische oder standard-kompatibilistische Konzeptionen reduziert wird. Vielmehr wird deutlich, dass die Vereinbarkeit von Gott und Freiheit dann verstehbar wird, wenn eine relationale, inhaltlich positiv bestimmte Maximaldefinition von Freiheit angenommen wird und die Annahme der uneingeschränkten, freien, allwirksamen Allmacht des göttlichen Liebeswillens, als notwendigem und 8 Vgl.

Hasker, Divine Knowledge and Human Freedom, 34–43.

350

3. Der Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion

hinreichendem Grund geschöpflicher Freiheit vertreten wird. So kann Anselms Freiheitstheorie auch zu einer Kritik relativierender Scheinlösungen beitragen. Nicht zuletzt kann sie in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass das freie Wirken Gottes und das freie Wirken des Menschen nicht als zwei Größen in einer Ordnung in einem pari-pari-Verhältnis gesehen werden können, sondern dass alles, was ist und gut ist, vollkommen von Gott gegeben und empfangen ist.9 Die Beachtung der Grunddifferenz und Grundrelation des schöpferischen a se Seins Gottes in seiner Dreieinigkeit und des geschöpflichen a Deo Seins aller anderen Wesen stellt aus der Perspektive von Anselms Freiheitstheorie nicht Hindernis, sondern Grundvoraussetzung zur Klärung des philosophischen Problems der Unvereinbarkeit der Freiheit Gottes und der Freiheit der Menschen dar. Schließlich führt sein Verständnis des göttlichen Vorauswissens, Vorausbestimmens und Gnadenhandelns als eines freiheitskonstitutiven freien Wirkens Gottes und sein Verständnis der menschlichen Freiheit als einem von Gott geschenktem Vermögen zur freiwilligen, selbstzweckhaften Bewahrung der Gottbezogenheit eine Möglichkeit vor Augen, wie Gott und Freiheit als derart konstitutiv aufeinander bezogen gedacht werden können, dass der Mensch als um so freier gilt, je mehr er durch das freie Wirken Gottes bestimmt wird. Damit kann weiter aufgezeigt werden, dass nicht das Bestimmtsein an sich freiheitsgefährdend ist, sondern das falsche Bestimmtsein durch vergötterte, innerweltliche Instanzen. Versteht man Freiheit als ein relationales, responsives Vermögen, legt sich schließlich nah, dass das richtige Bestimmtsein durch die richtige Relationalität für den Freiheitsgebrauch konstitutiv ist. Wenn Gottes Vorauswissen, Vorausbestimmen und Gnadenhandeln aber die Wirklichkeit der Freiheit begründen und wenn der Mensch gerade in der Übereinstimmung mit dem von Gott selbst vorausgewussten, vorausbestimmten und gnadenhaft geschenkten Liebeswillen seine Freiheit gebrauchen kann, liegt es gerade im Interesse der menschlichen Freiheit, die Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gott zu betonen und im Interesse des Prädestinationsglaubens, dessen befreiende Wirkung hervorzuheben.

3.3. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption Nicht zuletzt kann Anselms Freiheitstheorie durch die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption eine theologisch gehaltvolle Perspektive für die Diskussion der Frage nach dem Grund menschlicher Freiheit eröffnen. 9 Ähnlich später auch Luthers Kritik an Erasmus’ Freiheitsverständnis. Siehe hierzu: Friedrich Hermanni, Luther oder Erasmus? Der Streit um die Willensfreiheit, in: Der freie und der unfreie Wille. Philosophische und theologische Perspektiven, hg. v. Dems., München 2004, 165–187.

3.3. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

351

In der aktuellen Debatte wird einerseits aus kompatibilistischer Sicht die These vertreten, dass die Natur mit ihren Kausalgesetzen die Basis und den Rahmen menschlicher Freiheit darstellt. Andererseits wird aus libertarischer Sicht die These stark gemacht, dass die Basis der Freiheit, in dem Vermögen des Menschen liegt, in Distanz zum naturkausal Determinierten selbstbestimmt jeweils so und anders wollen und wählen zu können.10 So werden naturphilosophische und anthropologische Grundlegungen der Freiheitskonzeption kontrovers diskutiert. Anselms Freiheitstheorie kann in diesem Zusammenhang dazu beitragen, aus theologischer Perspektive einen dritten, integrativen Ansatz zu formulieren: eine gnadentheologische Grundlegung. Der in Anselms Freiheitstheorie betonte Gedanke, dass der Mensch alles, was er ist und hat von Gott empfangen hat, legt nah, dass auch die Freiheit des Menschen auf Voraussetzungen beruht, die weder einfach natürlich gegeben sind noch selbst konstituiert werden können. Demnach kann der Mensch die ihm gegebene Freiheit vollziehen und gebrauchen, indem er sie bewahrt und er kann sie auch zur Unbrauchbarkeit korrumpieren. Er kann sie aber weder konstituieren noch rekonstituieren noch zerstören. Dies bringt ein Verständnis von Freiheit als Werk und Gabe Gottes zum Ausdruck. Demzufolge ist menschliche Freiheit ihrer Struktur nach immer schon Freiheit von Gott her und auf Gott hin. Markanter Weise ist die Freiheit des Menschen nach Anselm umso größer, je mehr und je ausschließlicher sie durch Gottes Gnade bestimmt ist. Das bedeutet, sie ist umso größer, je weniger sie nur auf sich selbst und je mehr sie auf Gott und darum auch auf andere Menschen bezogen ist. Damit entwirft Anselm eine Konzeption von Freiheit, die über sich selbst hinausstrebt und in Gott ihren ersten Grund und ihr letztes Ziel findet.11 Sie ist derart radikal von der Gottesliebe bestimmt, dass das Vermögen abgesehen hiervon wählen und tun zu können, was man selber will als eine sublime Form der Knechtschaft unter das eigene Selbst erscheint. So wie die Freiheit des Menschen vollkommen verdankt ist, findet sie auch ihre Erfüllung erst im Anderen und nicht schon im eigenen Selbst. Damit wird die menschliche Freiheit als eine Gabe aufgrund und in der Beziehung zur göttlichen Freiheit verstanden. Dieser weite gnadentheologische Horizont der Anselmschen Freiheitstheorie ermöglicht schließlich auch eine integrative Sicht auf den naturphilosophischen und den anthropologischen Aspekt des Freiheitsproblems. Der naturphilosophische Aspekt des Freiheitsproblems wird von Anselm zwar nur marginal behan10 Robert Kane, Rethinking Free Will: New Perspectives on an Ancient Problem, in: The Oxford Handbook of Free Will, hg. v. Dems, Oxford (2. Aufl.) 2011, 381–404; Keil, Willensfreiheit, 133–178. 11  Siehe hierzu auch: Guardini, Anselm von Canterbury und das Wesen der Theologie, 33–65, insbes. 55 f.; Ders., Vom Sinn des Gehorchens, 19–31. Guardini bringt die von Anselm formulierte Freiheitskonzeption auf den Punkt, wenn er betont, „Ein Mensch ist frei, wenn er ganz das ist, was er seinem Wesen nach sein soll. Freiheit ist die Weise, wie er ganz er selbst ist und zu allen Dingen im rechten Verhältnis steht.“

352

3. Der Beitrag zur aktuellen Freiheitsdiskussion

delt. Dennoch legt sich in Anlehnung an seine Verortung des Menschen im Gesamtzusammenhang der geschaffenen Natur nah, zu betonen, dass der Mensch im Rahmen der natürlichen Gesetzte von Raum und Zeit und im Gesamtzusammenhang alles Geschaffenen frei ist. Allerdings kann weiter präzisiert werden, dass nach Anselm der Mensch weder in Unabhängigkeit oder im Gegensatz zur Natur frei sein kann noch aufgrund der Natur. Dies gilt sowohl dann, wenn man den Begriff der Natur metaphysisch als das Wesen von etwas versteht, als auch wenn man ihn naturwissenschaftlich als den naturkausal bestimmten Bereich des anorganischen, organischen und sensiblen Seienden auffasst. Gegen die Ansicht, dass der Mensch auch ohne oder entgegen die Natur und ihre Gesetzen frei sein kann, ließe sich in Anlehnung an Anselm dafür argumentieren, dass die Freiheit des Menschen aufgrund der für seine Natur charakteristischen endlichen und leib-seelischen Verfasstheit in den Gesamtzusammenhang der geschaffenen Natur eingebettet ist.12 Gegen die Meinung, dass die Natur selbst die notwendige und hinreichende Ursache menschlicher Freiheit sei, ließe sich dabei einwenden, dass dies eine problematische, auch empirisch schwer einzuholende Übertragung quasi-göttlicher Eigenschaften auf die Natur darstellt. Philosophisch wird der Naturbegriff damit derart hypostasiert, dass die grundlegende Differenz und Beziehung zwischen schöpferischer und geschaffener Natur verwischt wird. Weiter ist theologisch zu bedenken, dass es gewichtige Argumente dafür gibt, dass der Mensch nicht schon von Natur aus wahrhaft frei ist, sondern nur derart verknechtet frei sein kann, dass er darauf angewiesen ist, vom Schöpfer aus Gnade zum wahren Freiheitsgebrauch befreit zu werden. Anselms gnadentheologische Begründung der Freiheitskonzeption kann somit indirekt auch dazu beitragen, die natürliche Basis der menschlichen Freiheit auch als eine von Gott gnadenvoll gegebene Gabe zu verstehen, die von Anfang an mit der Intention der Liebesgemeinschaft mit dem Schöpfer gegeben ist. Weiter kann sie argumentativ aufzeigen, dass die Gabe der Freiheit nach der selbstverschuldeten Korruption durch den Menschen erneuerungsbedürftig und erneuerungsfähig ist und dass sie aus der Gnade des Schöpfers durch die Inkarnation des schöpferischen, göttlichen Logos erneuert worden ist und in seinem Geist vollendet wird. So kann Anselms Freiheitstheorie eine gnadentheologisch grundgelegte Reflexion der natürlichen Basis der Freiheit beitragen. Weiter kann sie dazu beitragen auch den anthropologischen Ort der menschlichen Freiheit im Horizont von Gottes unbedingtem Gnadenhandeln zu reflektieren. Sehr präzise analysiert Anselm die Phänomene des vernunftbegabten Wollens, des Wählens und Handelns als den anthropologischen Ort der Freiheit. Seine präzise Analyse der menschlichen Vermögen, ihres Zusammenhangs und ihres Grundes zeigt dabei ihren Gabecharakter auf, ähnlich wie ihre Kor12 

So auch Buchheim, Unser Verlangen nach Freiheit, 37–120.

3.3. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

353

rumpierbarkeit und Destruktionskraft und ihre Erneuerung zum Guten durch das freie Wirken des Heiligen Geistes. Dadurch kann er eine Perspektive aufweisen, in der es für die Reflexion der Freiheit des Menschen unnötig und sogar abträglich erscheint, anzunehmen, dass der Mensch aufgrund seines eigenen Wollens und Wählens frei ist.13 Von Anselms Überlegungen her legt sich nah, dass der Mensch zwar mit seinem vernunftbegabten Willens- und Wahlvermögen frei ist, nicht aber aufgrund desselben. So kann Anselm deutlich Differenzen und Beziehungen zwischen Phänomenen des eigenen Wollens und freien Wählens und dem Phänomen der Freiheit zur Gerechtigkeit aufzeigen. Es wird die Annahme zurückgewiesen, dass die Freiheit des Menschen darin besteht, zwischen gut und böse wählen zu können. Weiter wird verneint, dass der Mensch bloß aus sich selbst heraus seinen Willen effektiv zum guten Wollen gebrauchen kann. Dadurch wird nahe gelegt, dass die Freiheit des Menschen auf Voraussetzungen beruht, die ihm weder natürlicher Weise gegeben sind noch von ihm selbst geschaffen werden können. Aus dieser Perspektive erweist es sich freiheitstheoretisch schließlich als unnötig, abträglich und sogar falsch, das Postulat zu verteidigen, dass der Mensch aus sich selbst heraus (a se) frei sein kann. Vielmehr legt sich aus Anselms Reflexion der diabolischen Willensverkehrung her kritisch nah, dass der Versuch des Menschen seine Freiheit allein aus sich selbst heraus zu konstituieren und zu kontrollieren immer nur zu einer Selbstverknechtung des Willens und Korruption der Freiheit führen kann, weil sie die geschöpflichen Konstitutionsbedingungen menschlicher Freiheit verneint. Diese Dialektik der Freiheit weist schließlich darauf hin, dass die Wirklichkeit der Freiheit dem Menschen auf andere Weise und aus einem anderen Grund zuteil wird, als durch seine eigene Wahl aus seinem eigenen Willen heraus. Die Wirklichkeit der Freiheit zur Gerechtigkeit erschließt sich nach Anselm vielmehr durch die freie Gabe der Gnade von Gott. Mit dieser gnadentheologischen Grundlegung der Freiheitskonzeption trägt Anselm also eine theologische Perspektive zur Frage nach dem Grund menschlicher Freiheit bei, die Natur und Freiheit nicht dualistisch in einem im Gegensatz sieht, sondern beides durch den Bezug auf den ihnen gemeinsamen Grund integriert, relativiert und begründet. Diese nicht-dualistische Verhältnisbestimmung von Natur und Freiheit stellt eine besondere Stärke von Anselms Ansatz dar. Er betont, dass sowohl die geschaffene Natur als auch die Freiheit des Menschen ihr Sein nicht an sich oder aus sich selbst heraus haben, sondern es von Gott her empfangen und ihm verdanken. Dadurch entlastet er beide Größen von einem gnadenlosen Absolutheitsanspruch. Dies eröffnet eine Sicht auf die Freiheit des Menschen als: begnadete Freiheit.

13 

Vgl. hierzu jedoch: Clayton, In Quest of Freedom, 139–151.

4. Zusammenfassung Durch die Schlussdiskussion ist versucht worden dreierlei aufzuzeigen. Erstens ist durch Überlegungen zum geschichtlichen Ort, zur analytischen Einordnung zur theologischen Eigentümlichkeit der Charakter von Anselms Freiheitstheorie herausgearbeitet worden. Dabei ist zum einen die These vertreten worden, dass Anselms Freiheitstheorie im Frühmittelalter auf dem Boden des biblisch-antiken, insbesondere des augustinischen Erbes einen Weg bahnt für die Entwicklung sehr divergenter, späterer Freiheitstheorien. Zum anderen ist dafür argumentiert worden, seine Freiheitstheorie analytisch als einen modifizierten theologischen Kompatibilismus oder besser noch als einen Kompossibilismus zu charakterisieren und nicht als eine libertarische Freiheitstheorie oder unqualifiziert als eine kompatibilistische Freiheitstheorie. Dabei wurde aufzeigt, inwiefern Anselms theologischer Kompossibilismus eine kritische und eine integrierende Funktion hat. Schließlich ist stark gemacht worden, Anselms Freiheitstheorie theologisch als eine gnadentheologisch begründete Konzeption transautonomer Freiheit zu deuten. Dies wurde durch den Hinweis auf ihre Gesamtarchitektur und auf den Sinn und die Struktur der Freiheitsdefinition begründet. Zweitens sind fünf zentrale kritische Einwände, die in der modernen Forschung gegen Anselms Freiheitstheorie vorgebracht werden, aufgegriffen und diskutiert worden. Dabei wurde ausgelotet, inwiefern die philosophiegeschichtlichen und pragmatischen Vorbehalte, die phänomenbezogene Kritik am Freiheitsbegriff, die Kritik an der Unterscheidung der zwei Weisen menschlichen Freiseins und die analytische Kritik an der Begründung der Vereinbarkeitsthese zutreffend sind und in wiefern diese Einwände entkräftet werden können. Dabei ist dafür argumentiert worden, dass die Einwände zwar in Bezug auf einzelne Argumente und Aspekte die Grenzen und Probleme der Anselmschen Freiheitstheorie aufzeigen, dass sie sich größtenteils aber durch entsprechende historische, philosophische und theologische Kontextualisierungen sowie durch Analogien in anderen Entwürfen entkräften lassen. Schließlich wurde als Drittes erläutert, worin bei aller berechtigten Kritik die bleibende Bedeutung von Anselms Freiheitstheorie gesehen werden kann. In diesem Zusammenhang wurde zum einen darauf hingewiesen, dass sie durch den inhaltlich eindeutig positiv bestimmten Freiheitsbegriff dazu beitragen kann, die spezifische Gestalt christlicher Freiheit ins Gespräch zu bringen. Zum

3.3. Die gnadentheologische Grundlegung der Freiheitskonzeption

355

anderen ist angedeutet worden, dass sie vor dem Hintergrund der aktuellen Freiheitsdebatte einen philosophisch gut begründeten kompossibilistischen Ansatz zur Lösung des Problems der scheinbaren Unvereinbarkeit der vollkommenen Bestimmtheit der Wirklichkeit durch Gottes freies Wirken und menschlicher Freiheit formuliert. Schließlich ist aufgezeigt worden, dass Anselms Freiheitstheorie durch die gnadentheologische Grundlegung der Konzeption transautonomer Freiheit eine theologisch gehaltvolle Reflexion des Freiheitsvollzugs und seiner Konstitutionsbedingungen liefert. Damit eröffnet Anselm eine Sicht auf das Phänomen der Freiheit, der zufolge der Mensch aus Gnade wahrhaft frei ist.

Literaturverzeichnis Abkürzungen Die in der Arbeit verwendeten Abkürzungen orientieren sich alle am neuen Abkürzungsverzeichnis zur RGG4 (Abkürzungen für Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4, hg. v. der Redaktion der RGG, Stuttgart 2007). Zitiert werden die historische Quellen – soweit wie möglich – nach neuen kritischen Editionen. Der Einheitlichkeit und Einfachheit wegen wird jeweils nach der Nennung des Autors und des betreffenden Werks mit Buch, Kapitel und gegebenenfalls Abschnitt in Klammern die zitierte kritische Werkausgabe oder Reihe beziehungsweise Serie mit der Nummer, unter der die kritische Edition erschienen ist, genannt und abschließend die entsprechende Seiten und gegebenenfalls auch Zeilenzahl erwähnt. Häufig verwendet werden folgende Abkürzungen: DCD DCV DC DG DPI DPSS DV CDH ML PL EDIV MI M III Ep S

De casu diaboli De conceptu virginali et de originali peccato De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio De grammatico De potestate et impotentia (Philosophische Fragmente) De processione spiritus sanctus De veritate Cur Deus homo Monologion Proslogion Epistola de incarnatione verbi prior recensio Meditatio ad concitandum timorem Meditatio redemptionis humanae Epistolae S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia hg. v. Franciscus S. Schmitt

CChr.SL CChr.CM CSEL SC FC PL

Corpus Christianorum Series Latina Corpus Christianorum Continuatio Medievalis Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Sources Chrétiennes Fontes Christiani Patrologia Latina (Migne Latinus)

358 PhB HBPhMA BGPhMA SSL TzF PTS MyGG

Literaturverzeichnis

Philosophische Bibliothek Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters Spicilegium Sacrum Lovaniense Texte zur Forschung Patristische Texte und Studien Mystik in Geschichte und Gegenwart

Quellentexte zu Anselm von Canterbury Lateinische kritische Textausgaben Anselm von Canterbury, De casu diaboli, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepisco­ pi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 231–276. Ders., De conceptu virginali et de originali peccato, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Ar­ chiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 137–173. Ders., De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 243–288. Ders., De grammatico, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 145–168. Ders., De libertate arbitrii, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. F.S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 205–226. Ders., De Potestate et impotentia, possibilitate et impossibilitate, necessitate et libertate, in: Richard W. Southern; Franciscus S. Schmitt (Hg.), Memorials of St. Anselm (Auc­ tores Britannici Medii Aevi I) Oxford 1969, 334–351. Ders., De processione spiritus sanctus, Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 177–219. Ders., De veritate, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 173–199. Ders., Cur Deus homo, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 39–133. Ders., Monologion, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 5–87. Ders., Proslogion, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 93- 139. Ders., Epistola de incarnatione verbi prior recensio, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Ar­ chiepiscopi Opera Omnia Bd.  1, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 281–290. Ders., Epistola de incarnatione verbi, in: Ders., S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia Bd.  2 , hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (2. Aufl.) 1984, 1–35.

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Personenregister Abaelard, Petrus  80, 105–108, 183, 268, 275, 282, 309, 320 ff. Al-Ghazali, 40 f., 95, 181 f., 340 Anselm von Laon  24, 105–108, 130, 215, 243, 270, 318–321, 332, 359 Aristoteles  68, 90, 92, 95, 180, 282, 217 f., 225 ff., 233 f., 318 f. Augustin  6, 9, 11, 13–27, 34, 37–49, 52 f., 58–69, 72 f., 79 f., 85 f., 90–95, 104–118; 128–134, 139 ff., 145–148, 152, 156, 160, 162, 166, 173, 178, 194, 197 f., 201–212, 215, 218, 221, 223, 225 f., 229 f., 233, 239, 243, 249, 254, 261, 265–273, 277 f., 280–290, 293 ff., 298–305, 311–323, 354, 360–373 Bachya Ibn Pakuda  66, 110, 340, 361 Barth, Karl  11 f., 34, 37, 40, 91, 176, 210, 255, 299 f., 363 Berlin, Isaiah  347 Bernhard von Clairveaux  72, 108, 130, 138, 268, 274, 282 f., 305 f., 309, 312, 318, 320, 322 Boethius, Anicius  47, 53, 68, 77, 90, 92, 94, 104, 107, 111, 117–119, 124, 128, 164 f., 171, 173, 181, 188, 217–221, 225–228, 233, 239, 240, 248, 257, 266, 273 f., 318 f., 343 Buchheim, Thomas  9, 335, 345, 352 Calvin, Jean  322 f., 332 Clayton, Philipp  7, 353 Corbin, Michel  15, 17, 25 f., 38 f., 43, 85, 94, 176 f.

Gilbert Crispin  38 f., 64, 77, 87, 110, 178, 181 ff., 185, 361 Gottschalk von Orbais  116, 151, 157, 223, 252, 255 ff., 267, 270, 273 ff., 294, 305, 319 Guardini, Romano  12, 63, 351, 367 Harnack, Adolf von  12, 176, 373 Hasker, William  7, 10, 216, 247 ff., 341–345 Henry, Michel  37, 367 Hermanni, Friedrich  35–39, 144 f., 241 ff. Honorius Augustodunensis  13, 24, 108, 112, 116, 130, 215, 218, 223, 253, 256, 270, 274, 305, 318 Hugo von St. Victor  63, 103, 108, 318, 322, 362 Jehuda Halewi  40, 231, 236, 362 Johannes Cassianus  117, 157, 194, 197, 208, 268, 274 f., 297 ff., 310, 321, 362 Johannes Scotus Eriugena  104, 117, 128, 151, 173, 223, 240, 252, 255 ff., 261, 267, 270, 275, 319 Julian von Eclanum  44, 104, 268, 274, 301 f., 321 Kane, Robert  7 ff., 345, 348, 351 Kant, Immanuel  39, 75, 315, 317, 323, 351, 362

Dalferth, Ingolf U. 11, 34, 37

Leftow, Brian  17, 41, 43 f., 46 f., 121, 178, 182, 189, 216, 220, 235, 241, 265 Libet, Benjamin  7, 242 Luther, Martin  322 f., 350

Flasch, Kurt  15, 91 ff., 215, 257, 259, 288, 309

Marion, Jean-Luc  34, 37, 63 Melanchthon, Philipp  322 f.

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Personenregister

Milbank, John  4, 194, 299

Ritschl, Albrecht  12, 176

Origenes, 34, 41, 44, 48, 58 f., 104, 128, 173, 178, 218, 223 ff., 248, 270–275, 298, 318 f.

Schwöbel, Christoph  7, 347

Pelagius  133 f., 321 Petrus Lombardus  105, 108, 321 f., 332 Petrus Damiani  44, 51, 235 Plantinga, Alvin  236 Plotin  105 ff. Pseudo Dionysios-Areopagita  45

van Inwagen, Peter  9, 222, 243 von Balthasar, Hans Urs  11, 14 ff., 109, 176 f., 183f, 188, 217, 244 f., 268 Wolf, Susan  9, 330, 335 ff., 339 Zagzebski, Linda  9, 235, 238, 341 ff., 348

Sachregister Abendmahl (siehe Kirche) Allmacht (siehe Eigenschaften Gottes) Allwissenheit (siehe Eigenschaften Gottes) Analytische (Religions-)Philosophie  7, 235–238, 242–247, 315, 318–324 Anfechtung/ Versuchung (siehe Böses) Affekt  20, 70–79, 82, 122 f., 155, 161, 199, 206, 212, 246, 285 f., 307, 325 f., 347 – affektive Grundorientierung/ Grundausrichtung des Willens  70 f., 79, 307 f., 313 – Gefühl  8, 76, 171, 335 f. – Willensneigung zum Glück bzw. Rechtsein  59, 74 ff., 142, 155, 159 ff., 168, 200, 286, 307, 325 f. Anfechtung (siehe Böses) Anthropologie (siehe Mensch) Argument/Argumentation – (indirekter) Beweis  35 f., 37 ff., 111 f., 343 f. – für die Existenz Gottes  35 f., 37 ff., 61 f., 119 f. – für die Freiheit des Menschen  105 ff., 110–116 – für die geschöpfliche Selbstverantwortung für das Böse  132 f., 136–152, 166–172 – für die Notwendigkeit der Befreiung durch Christus  175–206 – für die Vereinbarkeit von Freiheit und Gottes Wirken  223, 226–251, 275, 259–266, 283–312 Augustinismus, augustinisch  16, 20 f., 26 f., 91, 148, 152, 229, 270, 281, 287 f., 299, 303 ff., 315, 317–321, 354 Autonomie (siehe Freiheit)

Barmherzigkeit (siehe Eigenschaften Gottes) Befreiung  57, 116, 120, 161, 172, 174–217, 264, 286, 309, 312, 319 Begriff – Begriffsdefinition  34, 83, 87, 91 f., 95 f., 102–111, 319–325, 333–339, 345 f., 349 – Begriffseinteilung 124–128 – Begriffsgebrauch (univok, äquivok, analog)  74, 93, 103, 126 f., 339 Bestimmung des Menschen (siehe Mensch) Bewahrung des Rechtseins (siehe Freiheit) Bibel, biblisch  3, 5 f., 25 ff., 42 f., 56, 66 ff., 92–95, 107, 133, 136, 146, 149, 157, 174, 192 ff., 269–275, 292–301, 311 f., 317 f. Böses (malum)  28, 41–46, 77 ff., 113, 130–173, 180 f., 186, 196–201, 205 f., 247–266, 306, 309 ff., 320 ff. – Anfechtung/Versuchung  112 f., 123, 136–139, 206, 245 f., 255, 291, 305 f. – Leid/Leiden  35 f., 56, 145, 181, 183–191, 213 f. – Privation/Privationstheorie  25, 140, 143, 145, 147 f., 173, 249 – Sünde  18, 45, 61 ff., 66, 75, 79, 86, 103, 107, 112 f., 116–123, 128–141, 144 f., 148–172, 175, 178–192, 195 f., 199 ff., 211–214, 217, 236, 244, 247, 266, 272 f., 284 ff., 302–306, 311 f., 320 ff., 329, 334 f., 339 f., 347 – Ursprung des Bösen  113, 116, 130–156, 247, 266, 311 – Verknechtung  57, 130–175, 187, 192, 199, 217, 307, 311, 325, 340, 353

378

Sachregister

– Wahl des Bösen  78 f., 113, 123, 131–173, 205 f., 248 ff., 261f, 303, 306, 310 f. Definition (siehe Begriff ) Determinismus  8 f., 136, 139 f., 144, 148, 151, 173, 177 ff., 202, 214 ff., 232, 247, 250, 256 f., 267, 306, 320, 325–328, 341–343, 348 f. – Fatalismus  232, 247, 256 f., 267, 325–328, 341 ff. – Gnadendeterminismus  177 ff., 202 – harter, inkompatibilistischer Determinismus  8, 250, 267, 325–328, 341 ff., 348 f. – naturkausaler Determinismus  222, 267, 325–328, 341 ff., 348 f. – theologisch, ontologischer Determinismus auch zum Bösen  136, 139 f., 144, 148, 151, 213–216, 306, 320 Differenz – differentia specifica  111 ff. – eschatologische Differenz  124 f., 210 f. – normative, qualitative Differenz  118, 124 f., 156, 339 f. – ontologisch, schöpfungstheologische Differenz  40–43, 47, 55, 124 f., 310, 325, 329, 350 Dreieinigkeit (siehe Gott) Eigenschaften Gottes – Allmacht  44 ff., 90, 150, 170, 215, 251, 254, 349 – Allwissenheit/Weisheit  36 ff., 42–45, 219, 260 – Barmherzigkeit  44 ff., 171, 179–182, 190 f., 253, 295 f. – Einheit, Einzigkeit  44, 90 – Ewigkeit  33, 41 f., 44, 47 f., 93, 217–264, 277, 288, 341–344 – Freiheit  33–52, 177–187, 215 ff., 245 ff., 349–355 – Gegenwart/Präsenz  46–49, 93, 220, 239–242, 262, 264 – Gerechtigkeit  44 ff., 68, 260–266, 277 ff., 286 f., 290 ff., 295, 298 f., 306–312, 320–327, 335–340

– Güte  40–46, 56, 65, 90, 138, 148 ff., 169, 171 f., 179, 184, 198, 250, 276 f., 287–292, 308 ff. – Liebe  26 f., 37, 42, 50 f., 89 f., 95, 154, 172, 288, 313, 339 – Selbstidentität  35, 45 f., 49 ff., 74, 89 f. Endlichkeit (siehe Zeit) Erfahrung  38, 54, 91, 102 f., 122 f., 256, 269 f., 272 f., 292 f., 301 f., 305–308, 345 Erkenntnis – Erkenntnistheorie  59 f., 65, 85, 90, 94, 99–102, 143, 219, 253 – Erkenntnisvermögen  78, 80, 154 – Gotteserkenntnis  41, 47, 51 f., 61–65, 127, 193 – Selbsterkenntnis 61–65 – Wahrheitserkenntnis  73, 91, 99–102, 109, 246 Erlösung/Versöhnung – Befreiung  57, 116, 120, 161, 172, 174–177, 180 ff., 187–191, 195 f., 197–203, 213 f., 286 f., 309, 312, 319 – Gottes Erlösungs- und Versöhnungshandeln  50, 57, 122, 161, 174, 177, 179 f., 182 ff., 187, 192, 202, 211–214, 284 – Satisfaktionstheorie/Genugtuung  11, 15, 19, 197–191 Ethik  19 ff., 95 ff., 101 f., 110, 163 f., 323 Ewigkeit (siehe Zeit) Faktizität/Wirklichkeit (siehe Modalitäten/Modaltheorie) Fatalismus (siehe Determinismus) Freiheit – aktuale Freiheit/aktualer Freiheitsgebrauch  69, 76, 101, 117–121, 127, 186–188, 196–214, 245 ff., 283 f., 312, 329, 338 ff., 348 – Autonomie  17 f., 21, 25, 101, 200, 317 f., 323 f., 329 ff. – Bewahrung des Rechtseins  50 f., 64 ff., 76–83, 95–102, 108–117, 125–130, 136 ff., 141 ff., 156 f., 168 ff., 187–198, 200–210, 243–248, 262 ff., 277–284, 289–292, 296, 306–312, 319–326, 336 f., 350 f.

Sachregister

– Freiheit Gottes (siehe Eigenschaften Gottes) – Heteronomie  18, 97 ff., 110, 112–115, 324, 330 f. – Handlungsfreiheit  53, 71, 225, 278 – potentielle Freiheit  115, 118–121, 127 f., 152–163, 167–171, 181, 201, 321, 338 ff. – transautonom  23, 25–28, 83 f., 102, 110–115, 121, 128, 318, 325, 328–331, 346, 354 f. – Wahlfreiheit/liberum arbitrium (siehe Wahl) – Willensfreiheit/libertas arbitrii (siehe Wille) formale Freiheitskriterien  103, 121 f., 128, 224, 335 f., 346 ff. – Freiwilligkeit (non invitus) 50 f., 57, 61–66, 70, 79–83, 96 ff., 113–116, 120–124, 130–136, 139–143, 146–153, 159–163, 168–172, 181–191, 196–204, 208–213, 224 f., 262–266, 276 ff. 282 f., 295 ff., 300–307, 311 ff., 329 ff., 340, 343, 350 – Spontaneität (sponte) 70, 81, 96, 119, 121 ff., 128, 134, 137 ff., 141 f., 159, 184, 197, 200, 202 f., 212 f., 224, 237, 278, 282 f., 289 f., 296, 303 f., 307, 313, 320, 324, 331, 340 – Ungezwungenheit/Abwesenheit von Zwang (non cogente) 9, 27, 42, 50, 63, 70, 78–81, 96 f., 111 ff., 121–124, 128–131, 137–139, 152, 159, 178, 183 f., 197–203, 213 f., 224 f., 232 f., 237 f., 251, 258, 262 ff., 267, 278, 282 f., 289 ff., 296, 303 f., 307, 313, 327, 331, 341, 343, 347 – Willentlichkeit (volens) 36, 41, 61 f., 70, 79 ff., 96, 113 ff., 121, 122 ff., 149, 156, 167, 180, 186, 194 f., 212, 225, 236 f., 304 Gabe  26 f., 54–57, 87 ff. 97 ff., 126 ff., 131–134, 137–143, 146 ff., 161–166, 186–203, 206–210, 262 ff., 276 ff., 283–292, 295 ff., 300–313, 328 ff., 337 f., 351 ff.

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Gefühl (siehe Affekt) Gegenwart/Präsenz Gottes (siehe Eigenschaften) Gerechtigkeit  44 ff., 68, 74–214, 270, 273, 283, 353 – Gerechtigkeit Gottes (siehe Eigenschaften Gottes) – Gerechtigkeit des Menschen  74–214, 243–249, 260–266, 286 f., 290 ff., 295, 298 f., 306–312, 320, 320–327, 335–340, 346 f. Glaube  5 ff., 10, 66–69, 86, 107, 112, 121, 128, 174–177, 191–197, 199 f., 209–212, 222 ff., 244, 247, 256 f., 272 f., 277 ff., 299–207, 311 f., 329, 345, 348 Glück – Angenehmes (commodum) 74 ff., 79 ff., 118, 132, 135, 142, 155 f., 159–166, 286, 307 f., 326, 347 – Glückseligkeit (beatitudo), glückselig  35 f., 64–67, 74, 118, 138, 156, 181, 200, 213, 254 – ungerechtes Glücksstreben  76, 132, 155 f., 164, 347 Gnade/Gnadenhandeln Gottes – Gnade  62 ff., 67 ff., 75 f., 97 ff., 102–106, 111 f., 116–121, 126–129, 134 f., 160 f., 167 ff., 172, 175, 179–182, 190–217, 221 f., 244, 254, 262–317, 320–332, 336–339, 349–355 – Monergismus  269, 273–278, 280f, 282–289, 288, 292, 311 f. – Synergismus  18, 21, 28, 34, 104, 108, 112, 117, 153, 157, 174, 265, 274 f., 280 282 f., 287, 296 f., 302 ff., 312, 318 Gott – Dreieinigkeit/Trinität  33, 25, 49, 49–52, 61 f., 64, 85, 88 ff., 169 f., 177, 179, 219, 239, 276, 350 – Gottes Dasein/Existenz (siehe Argument) – Gottes Freiheit (siehe Eigenschaften Gottes) – Gottes Gegenwart/Präsenz (siehe Eigenschaften Gottes) – Gottes Gnadenhandeln (siehe Gnade)

380

Sachregister

– Gottes Vorausbestimmen (siehe Vorausbestimmen) – Gottes Vorauswissen (siehe Vorauswissen) Gottebenbildlichkeit (siehe Mensch) Gut, höchstes Gut/höchstes Gute  4, 37, 79, 327 Güte (siehe Eigenschaften Gottes) Handeln – Handeln Gottes (siehe auch Gnade) 35, 40, 42 f., 48, 50 f., 57, 62, 112, 143, 148, 161, 177, 179–183, 187–192, 198–202, 214 f., 217, 258 ff., 256–268, 271–281, 293 ff., 312 f., 319–322, 327, 332, 339, 341, 348–352 – Handeln des Menschen  33 f., 51 ff., 79–82, 96, 121–124, 278 – Handlungsfreiheit/Freiheit des Handelns (siehe Freiheit) Heilige Schrift (siehe Bibel) Heiliger Geist  50, 63, 69, 108, 183 f., 193–197, 199 f., 203, 210, 260, 277 ff., 289, 299, 308, 313, 323, 329, 353 Hermeneutik  7, 16, 23 ff., 269–272, 279, 293–296, 301, 311 f., 315, 325, 333 Heteronomie (siehe Freiheit) Indeterminismus  9, 172, 177, 213–216, 223, 229 f., 238, 252, 257, 296 Indifferenz  13, 21, 50, 78, 82, 103 f., 112, 118, 127 f., 135, 139, 152, 173, 246, 286, 319–322, 334, 343 interreligiöser Dialog  24, 50, 176, 215 – Judentum  24, 50, 66, 86 f., 110, 146, 176, 185, 215, 236, 340 – Islam  24, 40, 44 ff., 50, 87, 176, 181, 215, 340 Jesus Christus  3, 5, 51, 58, 63, 66, 69, 83, 86, 106 ff., 118, 122, 174–214, 217, 221, 244 f., 254, 275–278, 271, 284, 289, 293, 295 ff., 299 f., 312, 337 ff. – Befreier  177, 188 – Inkarnation  50, 177 f., 183 ff. – Sohn Gottes  49 f., 68, 183–193, 260, 277, 289 319 ff., 329 – Satisfaktionstheorie (siehe Erlösung)

Kirche  84, 254, 319, 323 – Abendmahl 195 – Gemeinschaft 254 – kommunikative und sakramentale Praxis  193 ff., 278 – Taufe  210 f., 278, 304 – Verkündigung 197–301 Kompatibilismus  9, 19, 25 ff., 83f,. 102, 222, 247, 265 ff., 317, 324–330, 349 ff., 354, 364 Kompossibilismus  25, 27, 250, 267, 317, 324 f., 327 f., 344, 354 f. Kontingenz, kontingent  41 ff., 48, 123, 138, 182, 219 f., 225 f., 228, 230–234, 237, 242 Leid/Leiden (siehe Böses) Libertarismus  8 f., 19 f., 25, 27, 76 f., 83, 102, 106, 121, 141, 149, 223, 227, 237 f., 243, 246, 265 ff., 317, 324 ff., 330, 342–345, 351, 354 Liebe – Liebe Christi  183–189 – Liebe Gottes/göttlicher Liebeswille  26 f., 42, 49 ff., 150, 169–172, 245, 267 ff., 288–291, 327, 347–350 – Liebe des Menschen zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst  35 ff., 61–67, 72–75, 101 ff., 109–116, 120 f., 127 f., 137–148, 154 ff., 193, 195 ff., 203–211, 351 Mensch – Autonomie (siehe Freiheit) – Anthropologie, anthropologische Grundlagen  52–83, 112, 125, 172, 196, 198, 351 f. – Bestimmung des Menschen  54, 63, 69 ff., 155 f., 184, 191, 195, 199 f., 292, 335 ff., 348 – Geschöpflichkeit (siehe Schöpfung) – Gottebenbildlichkeit (imago Dei) 4, 52 f., 61–66, 70, 82, 87, 109, 144, 153–156, 199 f. – Individualität  25, 52 ff., 69 f., 114, 121 ff., 132–136, 150 ff., 191, 236, 323

Sachregister

– menschliche Natur  53–62, 69 f., 115–122, 133–136, 152–185, 190 f., 200 f., 302–307, 320–330, 349–353 – Person/Personalität  41 ff., 48–54, 65–75, 80 f., 86–97, 110–114, 119–124, 132–139, 164 ff., 183–196, 236 f., 246, 280, 313, 320 f., 326–331, 336, 339 f., 348 f. Modalitäten/Modaltheorie  20, 51, 118, 178, 180, 225–238, 251, 261 ff., 280, 327, 338, 341–343 – Faktizität/ Wirklichkeit  63, 166, 186, 230, 232 f., 235 f., 303, 339 f. – future contingencies 234–247 – Möglichkeit  8, 19 f., 27, 52 f., 65, 70 f., 73–79, 112–125, 137, 157 f., 166, 180–183, 186, 206–210, 224 f., 229, 234 ff., 246, 273 f., 284, 292, 320–325, 333 ff., 338–344, 347 – Notwendigkeit (vorausgehende, nachfolgende) 37–43, 78–96, 99 ff., 111–124, 131–143, 151 ff., 157–161, 170–191, 199–203, 213–218, 221–268, 274, 280, 283–286, 290, 294, 298–304, 319–333, 341–349 – Unmöglichkeit  39, 43, 104, 112–125, 138, 219–223, 237 f., 241, 285 f., 305 ff. Ontologie  8 f., 11, 18, 21, 33–61, 69, 82, 84, 91 f., 98 ff., 124–127, 135–138, 143 ff., 148–151, 172 f., 226, 235, 240, 309 ff., 329, 335, 342, 348 Person/Personalität (siehe Mensch) Phänomenologie  17, 25, 37, 67, 315, 333 Prädestination (siehe Vorausbestimmen) Privation/Privationstheorie (siehe Böses) Providenz (siehe Vorauswissen) Rationalität  6–9, 19, 25–28, 38 f., 53, 69–72, 100 ff., 267, 318–323, 331, 335, 345 – Argument/Argumentation (siehe Argument/Argumentation) – Erkenntnis (siehe Erkenntnis) – Vernunft  5 f., 42, 48, 52 f., 55–60, 65, 69–82, 88 f., 93–97, 126, 134 ff., 140–170., 245, 298, 330

381

– Begründung  3, 5, 8, 27, 55, 79, 83, 92, 99, 166, 175–177, 216, 231 f., 250, 258–286, 302 f., 315–319, 341–354 Rechtsein/rectitudo  4 ff. 45, 74 f., 83–102, 106–111, 113–121, 125–130, 137 ff., 142 f., 155–162, 166 f., 178 f., 197–213, 244 ff., 262–265, 277 ff., 281–292, 295 ff., 300–309, 319–326, 338, 346 – aktuale Freiheit (siehe Freiheit) – Rechtfertigung  309 ff. Selbstidentität (siehe Eigenschaften Gottes) Scholastik  12 f., 315 ff., 332 Schöpfung  48, 50, 85, 131, 136, 150, 170–173, 178 ff., 192, 239, 253, 343 – Geschöpflichkeit, geschaffen  4, 27, 33 f., 40–43, 46–49, 52–66, 70, 72, 87–92, 99, 109, 121, 124, 136–139, 144, 148, 152–156, 200, 204 f., 326, 329, 339, 352 f. – Schöpfer  26 f., 33, 40–43, 46–50, 55–59, 64, 75, 81 f., 85 f., 91, 99, 116, 125, 146, 149 ff., 160 f., 168–173, 277, 284, 292, 310 f., 327 ff., 338–352 – Schöpfungshandeln  219 ff., 247 ff., 267 f., 309 ff., 352 – Schöpfungstheologie/schöpfungstheologisch  33–88, 109, 124 f., 145, 148, 247, 276, 309 f., 318–321, 325 ff., 348 Spontaneität (siehe formale Freiheitskriterien) Sünde (siehe Böses) Trinität (siehe Gott) Transautonomie (siehe Freiheit) Unmöglichkeit (siehe Modalitäten/ Modaltheorie) Verknechtung (siehe Böses) Vernunft (siehe Rationalität) Vermögen/Können (potestas) 6, 37, 45, 103 ff., 107 f., 111, 138 Versuchung/Anfechtung  112 f., 123, 136, 138 f., 146, 206, 245 f., 255, 291, 305 f.

382

Sachregister

Vertrauen  67, 193 f., 211 ff., 287 f., 310, 313, 330 Vervollkommnung  15, 50, 197, 207, 210 f., 213 Vorausbestimmen/Prädestination  4, 19, 29, 48, 151, 181, 211, 215 ff., 220 f., 239, 244, 251–269, 276, 278–288, 308, 319, 326, 332, 341–344, 349 f. Vorauswissen/Providenz  4, 20, 29, 43, 48, 102, 126, 148, 181, 215–279, 308, 326, 332, 341–344, 349 f. Wahl – freie Wahl (liberum arbitrium) 6, 28, 63, 76–79, 102–125, 130, 207 – freies Wahlvermögen  28, 53, 55, 70 f., 77–82, 102 f., 105, 110 f., 127, 130–173, 196–206, 225 f., 240, 271–274, 279–283, 287–296, 301 f., 305–313, 319–322, 336 f., 343 – servum liberum arbtrium  130 ff. Wahrheit  44, 58 ff., 64, 73, 78, 83–102, 106–110, 124 f., 128, 185 ff., 205, 220 f., 237, 243–246

Wille – affektive Grundorientierung/ Grundausrichtung des Willens (siehe Affekt) – Freiheit des Willens (libertas arbitrii) (siehe Freiheit) – voluntas 72, 77, 142 – Willensvermögen  70 f., 76, 154 f., 286 – Willentlichkeit (siehe formale Freiheitskriterien) Zeit/Zeitlichkeit  20, 46–49, 192, 210–213, 219 f., 224, 232, 234–242, 246, 251, 253 f., 260, 262 ff., 341–344 – Endlichkeit  47 f., 93 – Eternalismus  20, 220 ff., 227, 235, 240 ff., 432 – Ewigkeit  35 f., 41–44, 47, 64–67, 90–93, 181 ff., 210–213, 217–221, 224, 226 ff., 237–262, 278, 288, 241–244 – Präsentismus (presentism) 220, 235, 241 f., 342 Zwang (siehe formale Freiheitskriterien)