Beethoven: Sein Leben, seine Musik [2 ed.] 380624233X, 9783806242331

Ludwig van Beethoven war eine musikalische Ausnahmeerscheinung - bereits zu seinen Lebzeiten wurde sein Werk gefeiert un

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German Pages 220 [221] Year 2020

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TITEL
IMPRESSUM
INHALT
VORWORT
PROLOG: Beethoven zu seiner Zeit
KAPITEL 1 Der Aufstieg
ZWISCHENSPIEL I: Beethoven und das Klavier
KAPITEL 2 Krise
ZWISCHENSPIEL II: Kammermusik (1):
Gemischte Besetzungen
KAPITEL 3 Der Held
ZWISCHENSPIEL III: Beethoven und die
menschliche Stimme
KAPITEL 4 Die unsterbliche Geliebte
ZWISCHENSPIEL IV: Beethoven und das Orchester
KAPITEL 5 Entführt
ZWISCHENSPIEL V: Beethoven im Theater
KAPITEL 6 Der Meister
ZWISCHENSPIEL VI: Kammermusik (2):
Reine Streicherbesetzung
KAPITEL 7 Finale
EPILOG: Die wahre unsterbliche
Geliebte
DAS 18. JAHRHUNDERT: Der geschichtliche Kontext
DAS 19. JAHRHUNDERT: Der geschichtliche Kontext
PERSONENLEXIKON
AUSGEWÄHLTE LITERATUR
GLOSSAR
DANKSAGUNG
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Beethoven: Sein Leben, seine Musik [2 ed.]
 380624233X, 9783806242331

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JEREMY SIEPMANN

Beethoven

JEREMY SIEPMANN

Beethoven Sein Leben – seine Musik Aus dem Englischen von Veronika Roman

Die englische Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel Beethoven. His life and music bei Naxos Books. Texte und Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Naxos Rights International Ltd. Alle Texte, Aufnahmen und Aufzeichnungen sind urheberrechtlich geschützt. P and © Naxos Rights International Limited. Alle Rechte vorbehalten. Unerlaubte Vervielfältigung, Sendung oder Aufführung ist bei geltendem Recht untersagt.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Umschlaggestaltung, Typografie, Prepress: Lohse Design, Heppenheim Umschlagabbildung: Ludwig van Beethoven, Radierung um 1910 © akg-images Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4233-1

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-4239-3 eBook (epub): 978-3-8062-4240-9

I N H A LT

VORWORT

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PROLOG

Beethoven zu seiner Zeit 9

KAPITEL 1

Der Aufstieg 15 Beethoven und das Klavier 35

ZWISCHENSPIEL I

KAPITEL 2 ZWISCHENSPIEL II

KAPITEL 3 ZWISCHENSPIEL III

KAPITEL 4 ZWISCHENSPIEL IV KAPITEL 5 ZWISCHENSPIEL V

Krise 45 Kammermusik (1): Gemischte Besetzungen 61

Der Held 67 Beethoven und die menschliche Stimme

79

Die unsterbliche Geliebte 85 Beethoven und das Orchester 103 Entführt 113 Beethoven im Theater 132

Beethoven – Sein Leben – seine Musik

ZWISCHENSPIEL VI

Der Meister 139 Kammermusik (2): Reine Streicherbesetzung 150

KAPITEL 7

Finale 157

EPILOG

Die wahre unsterbliche Geliebte 172

KAPITEL 6

DAS 18. JAHR-

Der geschichtliche Kontext

181

HUNDERT

Der geschichtliche Kontext

190

PERSONENLEXIKON

195

HUNDERT

DAS 19. JAHR-

A U S G E W Ä H LT E L I T E R A T U R GLOSSAR

204

DANKSAGUNG REGISTER

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VORWORT

Dieses Buch richtet sich besonders an das breite Publikum und setzt beim Leser kein formales musikalisches Wissen voraus. Das Verhältnis von Biografie zu musikalischem Kommentar besteht in etwa 2 : 1 zugunsten der Ersteren. Fachtermini werden im Glossar erklärt. Die Musik wird nicht in einem getrennten Abschnitt behandelt, wie sonst in konventionellen Leben-und-Musik-Formaten üblich, sondern in einer Reihe von „Zwischenspielen“, die sich mit den biografischen Kapiteln abwechseln, sodass die Leser sich für eine ununterbrochene Geschichte entscheiden und später zu den ausdrücklich musikalischen Diskussionen zurückblättern können. Diese musikalischen Zwischenspiele sind in keinem Falle analytisch. Sie kommen einem nach Gattungen gegliederten Abriss von Beethovens riesigem Schaffen gleich und enthalten auch biografisches Material. Sie können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden, jedoch wurden sie so eingeordnet, dass sie sich aus den erzählenden Kapiteln entwickeln, die ihnen vorangehen (und die selbst nicht ohne musikalischen Kommentar sind). Um fantasievolle Inszenierungen, die so viele Biografien verschandeln, zu vermeiden, habe ich versucht, dem Buch die Unmittelbarkeit eines Romans zu verleihen, indem ich den Protagonisten wann immer möglich erlaube, die Geschichte mit eigenen Worten zu erzählen. Sie geben eine weitaus reichere und faszinierendere Schilderung der Charaktere und ihrer Zeit als jede subjektive „Interpretation“. Nichtsdestoweniger ist Interpretation unvermeidbar: Allein die Auswahl von Zitaten ist zwangsläufig ein Akt der Interpretation, bevor der Kommentar selbst beginnt. In einem passiven Sinne gilt das auch für die Reaktionen des Lesers.

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

Es gibt in Biografien keine absoluten Wahrheiten über die sachliche Richtigkeit hinaus. Dieses Buch ist als nicht mehr als eine Einführung konzipiert, jedoch wird es hoffentlich zu weiteren Reisen in das Leben und Schaffen des Mannes inspirieren, den viele für den größten Komponisten überhaupt halten und zu den bedeutendsten Menschen zählen.

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PROLOG

Beethoven zu seiner Zeit

Die Musik der Klassik, die sich 1770, als Beethoven geboren wurde, noch in einem relativ frühen Stadium befand, beruhte auf Vorstellungen von Ordnung, Proportion und Anmut. Schönheit und Symmetrie der Form waren in sich Objekte der Verehrung und erschufen zusammen ein utopisches Bild, eine Idealisierung der universellen Erfahrung. In der Romantik kam stattdessen ‒ auch dank Beethovens Einfluss ‒ ein Kult des individuellen Ausdrucks auf, das freie Bekenntnis starker Gefühle und Urbedürfnisse, die Verherrlichung der Sinnlichkeit, ein Flirt mit dem Übernatürlichen, eine Betonung der Spontaneität und Improvisation sowie die Kultivierung der Gegensätze. Kennzeichnete die Klassik eine Vorliebe für die Symmetrie, erfreute sich die Romantik an der Asymmetrie. Form wurde nicht länger nur als Behältnis angesehen, sondern als Ausdruck des Gefühls, das von innen heraus erzeugt wird. Die großen Maler der Romantik füllten ihre Leinwände mit großangelegten Landschaften, und die bedeutenden romantischen Komponisten, angefangen bei Beethoven und Weber (aber auch von Haydn in seinem Oratorium Die Jahreszeiten vorweggenommen), strebten ähnliche klangliche Darstellungen an. Die Musik erhielt eine illustrative Funktion in einem nie dagewesenen Maße, obwohl es die „Programmmusik“ (erzählende Musik) schon fast so lange gab wie die Musik selbst. Mit ihrer Kultivierung und Umgestaltung des Volkslieds (oder dessen, was fälschlicherweise als Volkslied aufgefasst wurde) wurde die Musik zudem eine Darstellerin des Nationalismus, einer der stärksten Antriebskräfte der romantischen Epoche. Auch wenn dies nur eine kleine Rolle in Beethovens Schaffen spielte, finden wir An-

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

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zeichen in einigen Spätwerken mit seiner Übernahme der deutschen anstelle der traditionellen italienischen Terminologie (darunter sein kurzes Kokettieren mit dem Begriff „Hammerklavier“ als Ersatz für das italienische „Pianoforte“) sowie in seiner Bevorzugung der deutschen Opern Mozarts ‒ vor allem der Zauberflöte ‒ gegenüber dessen italienischen. Ein weiteres Merkmal der romantischen Vorstellungskraft war die Vorliebe für Extravaganz. Beethoven war hier, besonders wo die Instrumentalmusik betroffen ist, richtungsweisend. Seine Sinfonien „Eroica“, „Pastorale“ und die Neunte dehnten Bandbreite und Größe der Sinfonie in einem ungeahnten Ausmaß, während seine Große Sonate für das Hammerklavier zweimal so lang wie eine typische klassische Sonate eines Mozart oder Haydn war. Die Ideale und Folgen der Französischen Revolution waren für die Herrscher des zerfallenden Heiligen Römischen Reiches Grund zur Besorgnis. Daher wurde Österreich mit seiner Hauptstadt Wien ein Bollwerk gegen den französischen Imperialismus und ein gut funktionierender Überwachungsstaat, in dem sowohl politischer als auch philosophischer Liberalismus erbarmungslos unterdrückt wurde. Aber die Wiener, wie Beethoven bemerkte, waren keine naturgegebenen Revolutionäre. Sie waren eher für ihre politische Apathie und einen fast dekadenten Geschmack für Vergnügungen bekannt. Störender als ihre einheimischen Lehnsherren waren für sie die zwei Okkupationen 1805 und 1809 durch die Franzosen, wovon besonders die zweite der Stadt beträchtliches Elend brachte, in Form von Geldkrisen, bedenklicher Nahrungsknappheit und Bevölkerungsflucht, während Österreich als Ganzes ernste politische und territoriale Rückschläge erlitt. Mit der endgültigen Niederlage Napoleons im Jahr 1814 machte Österreich viele Verluste wieder wett und wurde während des Wiener Kongresses 1814‒15 der Hauptbrennpunkt der diplomatischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten Europas. In dieser Zeit, in der die Hauptstadt von Würdenträgern und ihrem Gefolge überflutet war, wurde Beethovens Fidelio 22-mal mit anhaltendem Erfolg aufgeführt. Aber während die Festlichkeiten in Zusammenhang mit dem Kongress ein Zeichen für die Rückkehr zur

Beethoven zu seiner Zeit

Ausgelassenheit waren, können sie auch als Totenwache für eine Epoche gesehen werden, deren Zeit vorüber war. In ganz Europa traten Banker und Geschäftsleute zunehmend gegenüber Adel und Großgrundbesitzern als maßgebliche Schiedsrichter über Geschmack und Kultur auf. In einem ganz neuen Ausmaß trat die Musik aus den Palästen hinaus auf den Marktplatz. Komponisten wurden weniger abhängig von aristokratischer Gönnerschaft. Für ihren Lebensunterhalt stützten sie sich nun auf den Verkauf ihrer Werke oder häufiger auch auf ihre Einkünfte als Lehrer für die Wohlhabenden ‒ und die, die diesen Zustand anstrebten. Wien (obwohl damals keine große Stadt) beherbergte über 6000 Klavierschüler. Interpreten, die immer mehr auf die launische Kundschaft des zahlenden Publikums angewiesen waren, traten als eigene spezielle Art hervor. Doch auf dem Gebiet des öffentlichen Konzerts blieb Wien weit hinter London zurück. Obwohl es hier Orchesterkonzerte seit den 1770er-Jahren gab, bekam es erst 1831, vier Jahre nach Beethovens Tod, eine eigens dafür errichtete Konzerthalle. Zeit seines Lebens fanden Konzerte entweder in den Schlössern der untergehenden Adeligen, in Theatern, die oft in Privatbesitz waren und privat geführt wurden, oder in Ballsälen und anderen Hallen statt, von denen ursprünglich keine für Musik konzipiert war. Änderungen in der Sozialstruktur gingen unweigerlich mit Geschmackswandel einher. Besonders nach den Entbehrungen der napoleonischen Zeit hatte das Publikum Lust auf leichte, eskapistische Unterhaltung, was vor allem durch die neue Welle der leichten italienischen Oper veranschaulicht wird. Diese Zeitspanne markierte den Tiefpunkt in Beethovens Schicksal als Komponist sowie den Höhepunkt seines Zorns und Abscheus gegenüber der Gesellschaft um ihn herum. Beethovens Beziehung zur Politik seiner Zeit war so individuell und manchmal so gegensätzlich wie er selbst und fußte auf einem tiefverwurzelten Sinn für natürliche Gerechtigkeit, einem starken, wenn auch nicht präzise definierten Glauben an eine moralische Elite und einer seltsamerweise einfältigen Zuordnung von Tugend mit harter Arbeit und der Bewältigung von Schwierigkei-

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

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ten. „Denn was schwer ist, ist auch schön, gut, groß“, schrieb er einmal. In seinem eigenen Leben scheint er Schwierigkeiten oft um ihrer selbst willen erzeugt zu haben, oder wenigstens als Bedingung für moralische Vornehmheit. 1816 schrieb er in sein Tagebuch: „Die große Auszeichnung eines vorzüglichen Mannes: Beharrlichkeit in widrigen, harten Zufällen.“ Adel war eine Sache der moralischen Tugend, nicht der Vererbung; aber sie bildete eine Elite, und nur die, die sie verwirklichten, waren für Herrschaft geeignet. Dass Herrscher notwendig und erwünscht waren, stellte Beethoven nicht infrage, und er konnte sich von seiner Bewunderung für Napoleon nie ganz befreien. Während er die Menschenrechte verfocht und es als Pflicht ansah, den Bedürftigen und Benachteiligten beizustehen, verteidigte er keineswegs die Grundsätze der Französischen Revolution (das vorherrschende politische Ereignis Europas in seiner Jugend). Er beklagte öffentlich die repressiven Handlungen der habsburgischen Machthaber, in deren Herrschaftsbereich er freiwillig lebte, und bewunderte die Briten für ihre Form der parlamentarischen Demokratie, obwohl er nicht gänzlich Demokrat war. Er glaubte an eine hierarchische, paternalistische Gesellschaft, verachtete die proletarischen Massen und erklärte rundweg: „abgeschlossen soll der Bürger vom höhern Menschen seyn.“ Was Beethovens weitere Bildung betrifft, so war er belesen, vor allem wenn man bedenkt, dass er ab dem Alter von elf Jahren keine formale Schulbildung hatte und seine familiäre Umgebung wenig bot, um sein literarisches Interesse zu bestärken. Seine lebenslange Liebe zur Poesie wurde größtenteils durch seine Landsleute genährt, besonders Goethe, Schiller, Klopstock und die weniger bekannten Wieland, Gleim, Amandus Müllner und Friederich Werner. Er war zudem ein leidenschaftlicher Verehrer Shakespeares und Homers und begeistert von den Werken Ovids, Plinius’ und Plutarchs (ein bestimmender Einfluss). Er hatte gute Bibelkenntnisse und interessierte sich in späteren Jahren für einige orientalische Schriftsteller. Zeitgenössische Literatur scheint er selten gelesen zu haben, obwohl er abermals in späteren Jahren Gefallen an Sir Walter Scotts Romanen fand. In der Philosophie

Beethoven zu seiner Zeit

fühlte er sich besonders zu Immanuel Kant hingezogen. Nach seinen Briefen und Gesprächen zu urteilen und aufgrund der Belege seiner Zeitgenossen waren ihm die bildenden Künste gleichgültig. Beethoven als Übergangsfigur zu beschreiben, wäre eine irreführende Vereinfachung. Doch in der Musik schlug er die große Brücke von der Klassik zur Romantik. Tatsächlich war er in vielerlei Hinsicht ihr Gründer. Durch die zielstrebige Verfolgung seines künstlerischen Schicksals, wie er es sah, änderte er die Regeln. Wie kein anderer änderte er die Rolle, den Charakter und die Wahrnehmung des Künstlers in der Gesellschaft. Ein auffallendes Merkmal der Romantik war die Heldenverehrung, vor allem wie in Schriften und Kunst der antiken griechischen und römischen Zivilisation dargestellt. Angesichts des Charakters seiner Musik (vor allem seiner mittleren Schaffensperiode) und der zahlreichen Einträge und Zitate in seinem Tagebuch bezüglich der Helden und des Heroischen gibt es keinen Zweifel, dass Beethoven sich selbst als Held im großen klassischen Kontext vorstellte. Eng mit der Heldenverehrung verbunden war der Geniekult, der im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert aufkam als Reaktion auf die Auffassung des Musikers als Handwerker ‒ eher ein Diener als ein Meister. Sogar Haydn hatte die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens eine Dienerlivree getragen, während Mozart von einem Vertreter seines Dienstherrn, des Fürsterzbischofs von Salzburg, buchstäblich aus einem Zimmer hinausgeworfen wurde. Dass das „Genie“ in Beethovens Fall sowohl einzigartig als auch exzentrisch war, erhöhte nur seine Anziehungskraft und fachte seine eigene Vorstellungskraft an. Beethovens einzigartige Entwicklung als Komponist war wenigstens zum Teil ein Spiegelbild seiner Zeit. Die Geschichte war reif für sein Erscheinen.

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KAPITEL 1

Der Aufstieg

Der Aufstieg

Musik [...] ist der Wein der neuen Schöpfung und ich bin Bacchus, der diesen herrlichen Wein für die Menschen aus der Rebe preßt und sie mit dem Geist desselben trunken macht. Ludwig van Beethoven

A

ller Wahrscheinlichkeit nach war der stämmige, dunkle, strubblige kleine Mann, der diese Feststellung äußerte, der erste bedeutende Komponist, der von der Identität eines Gottes ausging ‒ wenn auch des Weingottes. Aber Bescheidenheit war seine Sache nicht. Er war möglicherweise auch der erste Komponist, der wiederholt und bewusst für die Nachwelt schrieb. Warum auch nicht? Er war in guter Gesellschaft. Bei einer anderen Gelegenheit schrieb er:

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Ich weiß aber wohl daß Gott mir näher ist wie den andern in meiner Kunst, ich gehe ohne Furcht mit ihm um, ich hab ihn jedesmal erkannt und verstanden, mir ist auch gar nicht bange um meine Musik, die kann kein bös Schicksal haben, wem sie sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die andern schleppen.

Der Aufstieg Beethovens Geburtshaus in Bonn

Dies war eine deutliche Behauptung. Obwohl es so scheint, war Beethoven aber nicht arrogant. Er sprach über seine eigene Erfahrung, als Lebenskünstler und als Mann, der den Unterschied zwischen wahrer Freude und bloßem Vergnügen kannte. Auf die eine oder andere Weise verkünden viele seiner Werke diese Freude; doch vieles war das Produkt unermesslichen Leidens. Grob vereinfacht kann sein Leben als heldenhafter Kampf gegen das Elend gesehen werden, in dem der Trotz der Unterwerfung wich und letztlich einer transzendenten Sicht, die eine solche Auffassung beinahe gegenstandslos macht. In seiner Musik kommen wir der Lösung des alten Paradoxons, in dem eine unaufhaltsame Gewalt auf einen unbeweglichen Gegenstand trifft, so nahe, wie es nur geht. Über eindreiviertel Jahrhunderte nach seinem Tod bleibt Beethoven der gigantischste Kämpfer der Musikgeschichte. Er wurde 1769, 1770 und 1772 in der kleinen deutschen Stadt Bonn im Rheinland geboren (es war ein Merkmal seiner Einzigar-

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

tigkeit, dass er nicht ein-, sondern dreimal geboren wurde). Der erste Ludwig wurde tatsächlich 1769 geboren, starb aber wie so viele Kinder in dieser Zeit schon nach wenigen Wochen. Der zweite folgte ungefähr 20 Monate später, wahrscheinlich am 16. Dezember 1770 geboren und mit Bestimmtheit am nächsten Tag getauft; der dritte existierte nie wirklich außer in der lebenslangen Verwechslung des zweiten Ludwigs. In vorgerücktem Alter schrieb er an einen alten Freund: Du wirst mir eine freundschaftliche Bitte nicht abschlagen, wenn ich Dich ersuche, mir meinen Taufschein zu besorgen. [...] Solltest Du auch selbst es der Mühe wert halten, der Sache nachzuforschen und es Dir gefallen, die Reise von Koblenz nach Bonn zu machen, so rechne mir nur alles an. Etwas ist unterdessen in acht zu nehmen, nämlich daß noch ein Bruder früherer Geburt vor mir war, der ebenfalls Ludwig hieß (nur mit dem Zusatze Maria), aber gestorben ist. Um mein gewisses Alter zu bestimmen, muß man also diesen erst finden, da ich ohnedem schon weiß, daß durch andre hierin ein Irrtum entstanden, da man mich älter angegeben, als ich war. Leider habe ich eine Zeitlang gelebt, ohne selbst zu wissen, wie alt ich bin. Ein Familienbuch hatte ich, aber es hat sich verloren, der Himmel weiß wie. Also, laß Dichs nicht verdrießen, wenn ich Dir diese Sache sehr warm empfehle, den Ludwig Maria und den jetzigen, nach ihm gekommenen Ludwig ausfindig zu machen. Je bälder Du mir den Taufschein schickst, desto größer meine Verbindlichkeit.

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Es war weder das erste noch das letzte Mal, dass er diesen Gefallen von einem Freund erbat; und jedes Mal focht er die Richtigkeit des Beweises energisch an, wenn er erbracht wurde. Wenn Beethoven selbst Schwierigkeiten mit seinem Alter hatte, hatten andere, auch Personen, die ihn kannten, Probleme mit seinen Namen ‒ dem ersten, letzten und mittleren. Er war wahlweise bekannt als Ludwig, Louis, Luis und Luigi und nahm so vier Nationalitäten an, während sein Familienname von Zeit zu Zeit als Betthoven, Bethofen oder sogar Bephoven erscheint und „van“ oft durch „ von“ ersetzt wird

Der Aufstieg

(„van“ ist niederländischen Ursprungs und bietet nicht das aristokratische Gewicht des deutschen „von“). Es gab sogar einen vierten Ludwig van Beethoven, den Großvater des Komponisten ‒ ein sehr geschätzter Kapellmeister, der vielfach als Vorbild des jungen Beethoven diente, wie es der Vater ausdrücklich nicht war. Johann Beethoven, ein trinkfreudiger Hofmusiker (er war Tenor und unterrichtete Gesang und Klavier), sah in seinem offensichtlich talentierten Sohn die Chance auf weltliche Erlösung für sich selbst und machte sich rücksichtslos an den Versuch, einen zweiten Mozart hervorzubringen. Von Anfang an musste Beethoven einen hohen Preis für die Ambitionen seines Vaters zahlen. Mehr als ein Besucher sah den kleinen Jungen weinen, als er übte. Wiederholt wurde er in den Keller gesperrt und/oder auf Nahrungsentzug gesetzt. Wenn der betrunkene Johann nach Mitternacht aus der Kneipe kam, schüttelte er oft den schlafenden Jungen wach und zwang ihn ans Klavier, wo er bis zum Morgengrauen üben sollte. Das ist zumindest, was in seriösen Biografien aus fast zwei Jahrhunderten erzählt wurde. Vieles davon mag wahr sein; es ist jedoch Tatsache, dass es keine verlässlichen schriftlichen Quellen zur Bestätigung gibt. Als Lehrer und Ratgeber war Johann kein Leopold Mozart, und Beethoven, obwohl auffallend begabt, kein Wolfgang Amadeus ‒ er wurde aber ein für sein Alter hervorragender Pianist sowie ein achtbarer Violinist. Als Ludwig acht Jahre alt war (aber angekündigt als sechs), richtete sein Vater ein Konzert in Köln ein, um seinen Sohn und eine andere Schülerin, die Altistin Johanna Averdonk zu präsentieren. Es war ein Reinfall, von dem nicht ein Bericht, ob privat oder öffentlich, überlebt hat. Welche Strafe den Sohn auch getroffen hat (das ist ebenfalls nicht überliefert), das offensichtliche Scheitern des Konzerts war ein Armutszeugnis für die Lehrtätigkeit des Vaters, die tatsächlich auf Instrumentalunterricht beschränkt war. Jedes Anzeichen des frühen Antriebs des Jungen zu komponieren, ab seinen frühesten Improvisationen, traf auf wütende Schelte oder sogar Bestrafung des Ungehorsams. Sogar in seiner Kindheit waren Beethovens Starrköpfigkeit und Widerstand tief verwurzelt, die in seiner Reifezeit deutlich wurden. Im Laufe

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

der folgenden fünf Jahre bekam er Unterricht in Cembalo, Pianoforte, Violine, Bratsche, Orgel und Horn durch eine bunte Sammlung ortsansässiger Lehrer. Erst 1781 erhielt er durchgehenden systematischen Kompositionsunterricht, und zwar von Christian Gottlob Neefe, einen relativ neuen Ankömmling in Bonns Musikbetrieb, der auch Beethovens alleiniger Klavierlehrer wurde. Die erste öffentliche Beachtung des Talents und der Leistungen des Jungen erfolgte zwei Jahre später in einem Brief an Cramers Magazin der Musik: Louis van Betthoven [sic], Sohn des obenangeführten Tenoristen, ein Knabe von 11 Jahren, und von vielversprechendem Talent. Er spielt sehr fertig und mit Kraft das Clavier, ließt sehr gut vom Blatt, und um alles in einem zu sagen: Er spielt größtentheils das wohltemperirte Clavier von Sebastian Bach, welches ihm Herr Neefe unter die Hände gegeben. Wer diese Sammlung von Präludien und Fugen durch alle Töne kennt, (welche man fast das non plus ultra nennen könnte,) wird wissen, was das bedeute. Herr Neefe hat ihm auch, sofern es seine übrigen Geschäfte erlaubten, einige Anleitung zum Generalbaß gegeben. Jetzt übt er ihn in der Composition, und zu seiner Ermunterung hat er 9 Variationen von ihm fürs Clavier über einen Marsch in Mannheim stechen lassen. Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß er reisen könnte. Er würde gewiß ein zweyter Wolfgang Amadeus Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen.

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Wir finden abermals den Vergleich mit Mozart sowie den (sicher unbeabsichtigten) Fehler in der Angabe von Beethovens Alter. Wie sich herausstellte, war Neefe selbst der Autor des Briefes. In einem Punkt stimmten alle Lehrer Beethovens überein: Er war kein einfacher Schüler. Bereits in seiner Kindheit war seine Haltung gegenüber der Tradition etwas völlig Neues in der Musik, und sie sollte später der Geschichte eine neue Richtung geben. Mit aller Rücksichtslosigkeit eines Genies nahm er vom Erbe seiner Vorgänger nur, was ihm im Hinblick auf sein eigenes inneres Er-

Der Aufstieg

leben sinnvoll erschien. Den Rest verwarf er. Indem er ihm das Wohltemperierte Klavier gab, hat Neefe möglicherweise mehr für Beethovens zukünftige Entwicklung getan als alle seine anderen Lehrer zusammen. Interessanterweise entdeckten Haydn und Mozart in Wien Bach zur gleichen Zeit, dank des gelehrten Barons van Swieten (der der Widmungsträger von Beethovens erster Sinfonie werden sollte). Das Wohltemperierte Klavier blieb, wie viele der Bach’schen Werke, erstaunlicherweise rund 40 Jahre lang nach seiner Vollendung unveröffentlicht und kursierte nur in Abschriften. Außer einem kurzen Besuch in Holland anlässlich des Todes eines Verwandten blieb Neefes Empfehlung zu reisen für vier weitere Jahre unbeachtet. In der Zwischenzeit machte Beethoven schnell Fortschritte. Innerhalb eines Jahres war er ein bewährter Vertreter Neefes als Hoforganist und wurde als stellvertretender Cembalist in das Hoforchester des Kurfürsten aufgenommen. 1784, mit nicht einmal 14 Jahren, wurde er zum zweiten Organisten ernannt. Als Beethoven 16 wurde, war der Kurfürst von seinen Fähigkeiten so beeindruckt, dass er eine Reise nach Wien finanziell unterstützte, damit er bei Mozart studierte (der zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt war und in die Komposition von Don Giovanni vertieft war). Als Mozart ihn das erste Mal hörte, reagierte er angeblich kühl. Beethoven, davon unbeeindruckt, bat Mozart, ihm ein Thema zu geben, über das er improvisieren könne. Mozart kam der Bitte nach, und Beethoven tat, was er am besten konnte. Mozarts Aufmerksamkeit war sogleich gefesselt. Er hörte mit wachsendem Erstaunen zu und schlich zur Türschwelle eines angrenzenden Raumes, wo einige Freunde saßen. „Auf den gebt Acht“, flüsterte er, „der wird einmal in der Welt noch von sich reden machen.“ So lautet die oft erzählte Anekdote, obwohl es keine Augenzeugenberichte gibt, die dies untermauern. Auch wenn es sie gäbe, sind solche Berichte nicht verlässlicher als Anekdoten. Von seinem Freund und Schüler Ferdinand Ries hören wir beispielsweise, dass Beethoven es sehr bedauerte, Mozart nie spielen gehört zu haben. Von seinem Freund und Schüler Czerny erfahren wir andererseits, dass er Mozart öfter gehört habe.

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

Beethoven spielt 1787 im Hause Mozarts

Hätte es Beethovens erhoffte Unterrichtsstunden mit Mozart gegeben, wüssten wir zweifellos mehr darüber. So aber erfuhr Beethoven, binnen zweier Wochen nach seiner Ankunft in Wien, dass seine Mutter ernsthaft erkrankt war. Sie lebte noch drei Monate, bevor sie im Alter von 40 Jahren der Tuberkulose erlag. Da sein Vater immer tiefer in den Alkoholismus versank, übernahm Beethoven mit 16 Jahren die volle Verantwortung für die Familie: seinen Vater, zwei jüngere Brüder namens Carl und Johann und eine neugeborene Schwester, die noch vor Ablauf des Jahres starb. Am 15. September 1787 schrieb er an Josef Schaden, mit dem er kürzlich Bekanntschaft gemacht hatte:

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hochedelgebohrner insonders werther freund! was sie von mir denken, kann ich leicht schließen; daß sie gegründete ursachen haben, nicht vortheilhaft von mir zu denken, kann ich ihnen nicht widersprechen; doch ich will mich nicht eher entschuldigen, bis ich die ursachen angezeigt habe wodurch ich hoffen darf, daß meine entschuldigungen ange-

Der Aufstieg

nommen werden. ich muß ihnen bekennen: daß, seitdem ich von augspurg hinweg bin, meine freude und mit ihr meine gesundheit begann aufzu hören; je näher ich meiner vaterstadt kam, je mehr briefe erhielte ich von meinem vater, geschwinder zu reisen als gewöhnlich, da meine mutter nicht in günstigen gesundheitsumständen wär; ich eilte also, so sehr ich vermochte, da ich doch selbst unpäßlich wurde; das verlangen meine kranke mutter noch einmal sehen zu können, sezte alle hinderniße bej mir hinweg, und half mir die gröste beschwerniße überwinden. ich traf meine mutter noch an, aber in den elendesten gesundheitsumständen; sie hatte die schwindsucht und starb endlich ungefähr vor sieben wochen, nach vielen überstandenen schmerzen und leiden. sie war mir eine so gute liebenswürdige mutter, meine beste freundin; o! wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen namen mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen; den stummen ihr ähnlichen bildern, die mir meine einbildungskraft zusammensezt? So lange ich hier bin, habe ich noch wenige vergnügte stunden genoßen; die ganze zeit hindurch bin ich mit der engbrüstigkeit behaftet gewesen, und ich muß fürchten, daß gar eine schwindsucht daraus entstehet; dazu kömmt noch melankolie, welche für mich ein fast eben so großes übel, als meine krankheit selbst ist. denken sie sich jetzt in meine lage, und ich hoffe vergebung, für mein langes stillschweigen, von ihnen zu erhalten. die außerordentliche güte und freundschaft, die sie hatten mir in augspurg drey k(a)r(o)lin zu leihen, muß ich sie bitten noch einige nachsicht mit mir zu haben; meine reise hat mich viel gekostet, und ich habe hier keinen ersaz auch den geringsten zu hoffen; das schicksaal hier in bonn ist mir nicht günstig. sie werden verzeihen, daß ich sie so lange mit meinem geplauder aufgehalten, alles war nöthig zu meiner entschuldigung. ich bitte sie mir ihre verehrungswürdige freundschaft weiter nicht zu versagen, der ich nichts so sehr wünsche, als mich ihrer freundschaft nur in etwas würdig zu machen. ich bin mit aller hochachtung

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

ihr gehorsamster diener und freund l. v. beethowen. kurf-kölnischer hoforganist. Frau van Beethoven war eine allseits anerkannte Frau. Sie war ein Ausbund an leidgeprüfter Tugendhaftigkeit, aber Herzlichkeit war nicht ihre Art. Wenige konnten behaupten, sie je lachen gesehen zu haben; und sie überschüttete ihren ältesten Sohn nicht mit offenkundiger Zuneigung. Doch war es ihr Einfluss, auf den er (indirekt) den Moralkodex zurückführte, den herauszustellen er sein Leben lang bemüht war und dessen Entstehung in seiner Kindheit er stets anführte, nämlich dass es seit seiner Kindheit sein größtes Glück gewesen sei, etwas für andere zu tun; seit der Kindheit ist sein Eifer, der armen, leidenden Menschheit zu dienen, keinen Kompromiss mit niedrigeren Motiven eingegangen; niemals fände man ihn unehrenhaft etc. Wie er dies damit vereinbarte, dass er die Missa solemnis an mehrere Verleger gleichzeitig verkaufte, ist eine Sache, über die er kein Wort verlor. Aber das ist zu weit vorgegriffen. Nach einer Zeit voller Armut, Krankheit und Anfällen von Depression begann Beethoven ernsthaft, seine Stärken zu entdecken. Er schloss neue Freundschaften ‒ darunter der erste in einer langen Reihe einflussreicher Adliger, Graf Waldstein ‒ und etablierte sich als konkurrenzloser Klavier-Virtuose. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Neuigkeiten von seinem Können bis weit über die Grenzen Bonns und Umgebung hinaus verbreiteten. Carl Ludwig Junker, der ihn in Mergentheim während eines Besuchs des kurfürstlichen Hoforchesters hörte, lobte seine Tugenden in einem Brief an die Musikalische Correspondenz in den höchsten Tönen:

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Noch hörte ich einen der größten Spieler auf dem Klavier, den lieben guten Bethofen; von welchem in der speierischen Blumenlese vom Jahr 1783 Sachen erschienen, die er schon im 11. Jahr gesetzt hat. Zwar ließ er sich nicht im öffentlichen Konzert hören; weil vielleicht das Instrument seinen Wünschen

Der Aufstieg

nicht entsprach [...]. Indessen, was mir unendlich lieber war, hörte ich ihn phantasiren, ja ich wurde sogar selbst aufgefordert, ihm ein Thema zu Veränderungen aufzugeben. Man kann die Virtuosengröße dieses lieben, leisegestimmten Mannes, wie ich glaube, sicher berechnen, nach dem beinahe unerschöpflichen Reichthum seiner Ideen, nach der ganz eigenen Manier des Ausdrucks seines Spiels, und nach der Fertigkeit, mit welcher er spielt. Ich wüßte also nicht, was ihm zur Größe des Künstlers noch fehlen sollte. Ich habe Voglern auf dem Fortepiano [...] oft gehört [...] und immer seine außerordentliche Fertigkeit bewundert, aber Bethofen ist ausser der Fertigkeit sprechender, bedeutender, ausdrucksvoller, kurz, mehr für das Herz: also ein so guter Adagio- als Allegrospieler. Selbst die sämmtlichen vortrefflichen Spieler dieser Kapelle sind seine Bewunderer, und ganz Ohr, wenn er spielt. Nur er ist der Bescheidene, ohne alle Ansprüche. Indes gestand er doch, daß er auf seinen Reisen, die ihn sein Kurfürst machen ließ, bei den bekanntesten guten Klavierspielern selten das gefunden habe, was er zu erwarten sich berechtigt geglaubt hätte: Sein Spiel unterscheidet sich auch so sehr von der gewöhnlichen Art das Klavier zu behandeln, daß es scheint, als habe er sich einen ganz eigenen Weg bahnen wollen, um zu dem Ziel der Vollendung zu kommen, an welchem er jetzt steht. Dieser „liebe, leisegestimmte Mann“, „der Bescheidene“, war nicht ganz 22 Jahre alt. Fast genau ein Jahr später verließ er Bonn, um sich dauerhaft in Wien niederzulassen. Junkers rosarote Beschreibung sollte bald überholt sein. Ein Pianist ohne Rivalen in Bonn zu sein, war eine Sache; ein solcher in Wien zu sein, eine ganz andere. Als Beethoven dort in der zweiten Novemberwoche 1792 ankam, beherbergte die Stadt mehr als 300 Berufspianisten und mehr als 6000 Klavierschüler. Beethoven war entschlossen, sie alle zu besiegen, und verhehlte diese Tatsache nicht. Er hatte einen großen Wetteifer und nahm an einer Reihe Klavierduelle teil, oder fädelte diese teilweise sogar ein, in denen er die Wiener Pianisten von ihren Hochsitzen stürzte,

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

einen nach dem anderen. Unter diesen befand sich Josef Gelinek, der kaum wusste, wie ihm geschah: In dem jungen Menschen steckt der Satan. Nie habe ich so spielen gehört! Er fantasiert auf ein von mir gegebenes Thema, wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe. Dann spielte er eigene Compositionen, die im höchsten Grade wunderbar und großartig sind, und er bringt auf dem Clavier Schwierigkeiten und Effekte hervor, von denen wir uns nie haben etwas träumen lassen. Ein anderer Virtuose, Daniel Steibelt, war so gedemütigt von der pianistischen Tracht Prügel durch Beethovens Hände, dass er aus dem Raum flüchtete, bevor Beethoven geendet hatte, und anschließend jede Zusammenkunft ablehnte, bei der Beethoven ebenfalls zugegen sein könnte. Wie von Junker festgehalten, war Beethovens Spiel etwas Neues; und es entfachte eine neue Form der Kritik, eine neue Art der Erfahrung für den Zuhörer. Sogar Mozart, der weniger als ein Jahr vor Beethovens Ankunft in Wien gestorben war, hätte nie zu folgender Prosa veranlasst:

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[...] schwelgte er einmal im unermeßlichen Tonreich, dann war er auch entrissen dem Irrdischen; der Geist hatte zersprengt alle beengenden Fesseln, abgeschüttelt das Joch der Knechtschaft, und flog siegreich jubelnd empor in lichte Ätherräume; jetzt brauste sein Spiel dahin gleich einem wild schäumenden Cataracte, und der Beschwörer zwang das Instrument mitunter zu einer Kraftäußerung, welcher kaum der stärkste Bau zu gehorchen im Stande war; nun sank er zurück, abgespannt, leise Klagen aushauchend, in Wehmuth zerfließend; – wieder erhob sich die Scala, triumphirend über vorübergehendes Erdenleiden, wendete sich nach oben in andachtsvollen Klängen, und fand beruhigenden Trost am unschuldsvollen Busen der heiligen Natur. ‒ Doch, wer vermag zu ergründen des Meeres Tiefe? Es war die geheimnisreiche Sanscrittsprache,

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deren Hieroglyphen nur der Eingeweihte zu lösen ermächtigt ist! So schrieb der Komponist Ignaz von Seyfried über Beethovens „Duell“ mit seinem engsten Konkurrenten, dem hochgeschätzten Joseph Wölfl. Ein Brief an die Allgemeine musikalische Zeitung eines anderen Augenzeugen liefert einen leidenschaftsloseren Bericht, der das Bild vervollständigt: Ich will mich bemühen, Ihnen das Eigene Beyder anzugeben, ohne an jenem Vorrangsstreite Theil zu nehmen. Beethovens Spiel ist äußerst brillant, doch weniger delikat, und schlägt zuweilen in das Undeutliche über. Er zeigt sich am allervortheilhaftesten in der freyen Phantasie. Und hier ist es wirklich ganz außerordentlich, mit welcher Leichtigkeit und zugleich Festigkeit in der Ideenfolge B. auf der Stelle jedes ihm gegebene Thema, nicht etwa nur in den Figuren variirt (womit mancher Virtuos Glück und ‒ Wind macht) sondern wirklich ausführt. Seit Mozarts Tode, der mir hier noch immer das non plus ultra bleibt, habe ich diese Art Genusses nirgends in dem Maaße gefunden, in welchem sie mir bey B. zu Theil ward. Nach einer in hohem Maße respektvollen Diskussion von Wölfls Spiel bemerkt er, dass „Wölfl durch sein anspruchsloses, gefälliges Betragen über Beethovens etwas hohen Ton noch ein besonderes Übergewicht erhält“. Carl Czerny, später Beethovens Schüler und ein großer Kenner des Klavierspiels, war vom Gegensatz zwischen Beethovens und Mozarts Spiel sehr beeindruckt: Mozart’s Schule: Ein klares, schon bedeutend brillantes Spiel, mehr auf das Staccato als auf das Legato berechnet; geistreicher und lebhafter Vortrag. Das Pedal selten benützt und niemals nothwendig.

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Beethoven’s Manier: Charakteristische und leidenschaftliche Kraft, abwechselnd mit allen Reizen des gebundenen Cantabile ist hier vorherrschend. [...] [Er] entlockte dem Fortepiano durch ganz neue kühne Passagen, durch den Gebrauch des Pedals, durch ein ausserordentlich charakteristisches Spiel, welches sich besonders im strengen Legato der Accorde auszeichnete, und daher eine neue Art von Gesang bildete, ‒ viele bis dahin nicht geahneten Effekte. Sein Spiel [...] war [...] geistreich, grossartig, und besonders im Adagio höchst gefühlvoll und romantisch. Sein Vortrag war, so wie seine Compositionen, ein Tongemälde höherer Art, nur für die Gesammtwirkung berechnet. Wie so oft war das Ergebnis emotionaler Sprengstoff. Dies traf besonders zu, wenn Beethoven improvisierte: Seine Improvisation war höchst glanzvoll und packend: gleichgültig in welcher Gesellschaft er sich gerade befand, verstand er es, eine solche Wirkung auf jeden Hörer hervorzubringen, daß häufig genug kein Auge trocken blieb, manch einer aber in lautes Schluchzen ausbrach. So etwas Wunderbares war in seinem Ausdruck, abgesehen von der Schönheit und Originalität seiner Ideen und seines feurigen Stils, sie wiederzugeben. Wenn er eine Improvisation dieser Art beendet hatte, brach er meist in ein lautes Gelächter aus und machte sich über die Gemütbewegung der Hörer lustig, die er ihnen verursacht hatte.

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Zu keiner Zeit seines Lebens war Beethoven ein einfacher Zeitgenosse. Er war sicherlich kein Diplomat. Und in seiner Leidenschaft und Überschwänglichkeit konnte er gegenüber den Klavieren so unbedacht sein wie zu seinen Freunden. Einer von diesen war der Komponist Antonín Reicha. Er sollte Beethoven umblättern, war aber damit beschäftigt, an den Klaviersaiten zu ziehen, die rissen, während die Hämmer zwischen den kaputten Saiten steckten. Beethoven bestand darauf, bis zum Ende weiter zu spielen, und so sprang Reicha vor und zurück, befreite einen

Der Aufstieg

Beethovens Broadwood-Flügel

Hammer da, wendete dort eine Seite um … Er hatte mehr zu tun als Beethoven! Sogar in seiner Jugendzeit war Beethoven viel mehr als nur Pianist und Klavier-Komponist. Er hatte zwei imposante Kantaten geschrieben und viel Kammermusik, in der dem Klavier keine Rolle zufällt. 1795 – Beethoven war nun 24 – wurde er beauftragt, die Tänze für den jährlichen Wohltätigkeitsball im berühmten Redoutensaal zu komponieren. Damals wie heute überrascht die Tatsache, dass es für ihn weitaus einfacher war, solche Musik zu schreiben, als selber zu ihr zu tanzen. Auf der Tanzfläche machte er keine gute Figur. Wie in keiner anderen Stadt der Welt wurde in Wien in jenen Tagen fast wie besessen getanzt. Der Tanz war in der Tat eines der Dinge, die den Ruf der Stadt als Festung der (nicht immer) vornehmen Frivolität begründeten. Ball- und Tanzsäle waren fast so gegenwärtig wie die zahlreichen Kaffeehäuser, Schenken und Bierhallen. Sie wurden von Angehörigen aller Schichten frequentiert, die oft maskiert waren, um ihre Identität zu verbergen, da, wie ein rechtschaffener Historiker verkündete, viele solcher Etablisse-

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ments, ungeachtet ihres schicklichen Äußeren, Institutionen für anrüchige Zwecke schlechthin waren. Prostitution war auf jeder Ebene weit verbreitet, was der junge Beethoven missbilligte. Vergnügungen auf den Straßen und in den Theatern wurden von Gauklern, Puppenspielern, Seiltänzern, Akrobaten und dergleichen dominiert. Der vorherrschende Geschmack galt mehr dem Trivialen als dem Gehaltvollen, Eskapismus statt Philosophie, Pläsier statt Erziehung. Gab es aber Wirklichkeitsflucht, gab es auch viel, vor dem man entfliehen musste. Unter der Oberfläche der Ausgelassenheit lag die Arbeit eines unbarmherzigen Polizeistaats. Dissidenten wurden gemeinhin verhaftet, verprügelt und eingesperrt, während Hunderte Spione der Regierung fast jede Ebene der Gesellschaft infiltriert hatten. Beethoven hatte wenige Illusionen über die Gesellschaft, in die er eingetreten war. Im Sommer 1794 schrieb er an einen Freund in Bonn: Hier ist es sehr heiß; die Wiener sind bange, sie werden bald kein Gefrorenes mehr haben können: da der Winter so wenig kalt war, so ist das Eis rar. Hier hat man verschiedene Leute von Bedeutung eingezogen; man sagt es hätte eine Revolution ausbrechen sollen – aber ich glaube, solange der Österreicher noch brauns Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht. Es heißt, die Tore zu den Vorstädten sollen nachts um zehn Uhr gesperrt werden. Die Soldaten haben scharf geladen. Man darf nicht laut sprechen hier, sonst gibt die Polizei einem Quartier.

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Zu gegebener Zeit würde Beethoven selbst seine Stimme erheben, aber für den Moment schwieg er. Er hatte keine Angst und war im Ganzen zufrieden mit seiner Situation. Er hatte keinen grundlegenden Streit mit dem Adel, aus dem seine wertvollsten Förderer stammten, sowohl gegenwärtig als auch zukünftig; und er schätzte das Zugehörigkeitsgefühl mindestens ebenso hoch wie seine Karriere. In vielerlei Hinsicht gaben ihm die vornehmen und aristokratischen Familien, die ihn willkommen hießen, ein Gefühl von Behaglichkeit, Sicherheit und Wertschätzung, die er in seiner

Der Aufstieg

eigenen Familie selten erfahren hatte. Es gab auch ein merkwürdiges, unausgesprochenes Bündnis zwischen den repressiven Behörden und der breiteren Kulturlandschaft. Wie in vielen despotischen Regierungen schätzte die Polizei die beruhigende Wirkung, die die Künste haben konnten, vor allem die Theater. So unwahrscheinlich es sein mag, war es die Polizei, die die Schließung eines der Haupttheater Wiens verhinderte. Aus ihrem offiziellen Memorandum: „Das Volk ist an die Schaubühne gewöhnt. Das Theater an der Wien besonders ist die Lieblingsunterhaltung der höheren und der mittleren Stände. Selbst die niederen Stände nehmen Anteil. In Zeiten wie die gegenwärtige, wo so mannigfaltige Leiden den Charakter der Menschen verstimmen, muß die Polizei mehr als jemals zur Zerstreuung der Staatsbürger auf jedem sittlichen Wege mitwirken. Die gefährlichsten Stunden des Tages sind die Abendstunden. Unschädlicher werden sie nicht ausgefüllt als im Theater“ ‒ es sei denn zuhause, beim Musizieren mit Freunden. Hierzu lieferte Beethoven, sogar mehr als im Ballsaal, bereitwillig die erforderlichen Mittel. Einiges seiner Kammermusik, die er für Blasinstrumente sowie für Bläser und Streicher gemeinsam schrieb, ist weitaus interessanter und fesselnder als seine Tanzmusik. Auch dies war Unterhaltung; aber hier gab es echte musikalische Konversation, in der musikalische Ideen begonnen, ausgetauscht und entwickelt wurden, alles mit einer meisterhaften Verteilung der instrumentalen Klangfarbe. Beethoven erlebte den Großteil seines frühen Wiener Lebens als eine Art Befreiung. Während er in Bonn als inoffizielles Familienoberhaupt sein eigenes Leben verschiedentlich den Bedürfnissen anderer unterordnen musste, konnte er in Wien eine Art aufgeklärter Egozentrik genießen. Nun konnte er sich selbst an erste Stelle setzen; und seine Hauptaufgabe bestand in der Erfüllung dessen, was er zunehmend als sein Schicksal akzeptierte. Hilfreich war natürlich, dass er trotz seines etwas rauen Äußeren und seines provinziellen Benehmens schnell der Liebling der Aristokratie geworden war ‒ der Machtausüber. Er war tatsächlich in aller Munde, zunächst als Pianist, dann immer häufiger als Komponist. Aber er war sich wohl bewusst, dass all dies ihn als Künstler korrumpieren

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könnte. In seinem Tagebuch ermahnte er sich selbst, sich nicht von der „göttlichen Kunst“, wie er sie jetzt nannte, ablenken zu lassen: Muth. Auch bei allen Schwächen des Körpers soll doch mein Geist herrschen. [...] Dieses Jahr muß den völligen Mann entscheiden. – Nichts muß übrig bleiben.

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Das hieß auch, zuzugeben, zumindest theoretisch, dass es trotz seines Genies, wie er frei eingesteht, auch Aspekte seiner Kunst gab, die er noch erlernen musste. In der frühesten Phase seiner Wiener Zeit scheint Beethoven praktisch bei jedem Unterricht gehabt zu haben, wenn auch um zu zeigen, wie wenig er ihn brauchte. An einen von ihnen, den geschätzten Pädagogen Johann Georg Albrechtsberger, erinnert man sich heute vor allem wegen seines grandiosen Urteils über Beethovens Zukunft. An einen Kollegen schreibend warnte er: „Gehen Sie mit dem nicht um, der hat nichts gelernt und wird nie etwas ordentliches machen.“ Der namhafteste unter Beethovens Lehrern zu diesem Zeitpunkt war kein anderer als der bedeutendste und berühmteste Komponist der Welt, Joseph Haydn. Beethoven erklärte einst, „nie etwas von ihm gelernt zu haben“. Seine Musik erzählt jedoch eine andere Geschichte. Vor Gott war Beethoven aufrichtig bescheiden. Tatsächlich war er aufrichtig gegenüber Fehlern in allem, was er tat oder fühlte. Gegenüber der Menschheit mit ihrem Leiden und ihrer Widerstandskraft empfand er eine leidenschaftliche, wenn auch größtenteils symbolische Liebe. Aber für den Menschen allgemein, seit jungen Jahren vertreten von seinem Vater, empfand er im Ganzen Verachtung, die er kaum verbarg. „Hol’ sie der Teufel“, schrieb er einmal, „ich mag nichts von ihrer ganzen Moral wissen, Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor anderen auszeichnen, und sie ist auch die meinige.“ An anderer Stelle bezieht er sich auf Personen, die sich für seine vertrauten Freunde halten: „Ich betrachte [sie] als bloße Instrumente, worauf ich, wenns mir gefällt, spiele; [...] ich taxiere sie nur nach dem, was sie mir leisten.“ Doch in seinem schwindelerregenden Aufstieg zu den Gipfeln künstlerischer Macht und gesellschaftlichem Prestige schien er sich an der Gesell-

Der Aufstieg

schaft seiner Freunde zu erfreuen, so wie sie an seiner. Nach dem, was man hörte, genoss er Unterhaltung und Gelächter, ob in Kneipen oder Schlössern, und er entdeckte, dass er entgegen allen Erwartungen äußerst anziehend auf Frauen wirkte. Beethovens Charme war jedoch, wie sein Sinn für Etikette, nicht immer sofort augenfällig ‒ wie sich eine befreundete Pianistin der Lichnowsky-Familie, Frau von Bernhard, später erinnerte: Wenn er in unser Haus kam, steckte er gewöhnlich erst den Kopf durch die Thür und vergewisserte sich, ob nicht Jemand da sei, der ihm missbehagte. Er war klein und unscheinbar, mit einem hässlichen rothen Gesicht voll Pockennarben. Sein Haar war ganz dunkel und hing fast zottig ums Gesicht, sein Anzug war sehr gewöhnlich und nicht entfernt von der Gewähltheit, die in jener Zeit und zumal in unsern Kreisen üblich war. Dabei sprach er sehr im Dialekt und in einer etwas gewöhnlichen Ausdrucksweise, wie denn überhaupt sein Wesen nichts von äusserer Bildung verrieth, vielmehr unmanierlich in Geberden und Benehmen erschien. Er war sehr stolz; ich habe gesehen wie die Mutter der Fürstin Lichnowsky, die alte Gräfin Thun, vor ihm, der in der Sophaecke lehnte, auf den Knieen lag, ihn zu bitten, dass er doch etwas spiele. Beethoven that es aber nicht. Eine betagte Gräfin auf Knien vor einem ungehobelten Klavierspieler Mitte zwanzig ‒ noch dazu eine Gräfin, die eine Mäzenin von Mozart, Haydn und Gluck war! Ein anderer Adliger, ihr Sohn Fürst Lichnowsky, gab seinem Personal strikte Anweisungen, dass, falls er und Beethoven je zur gleichen Zeit an der Tür seien, man sich zuerst Beethovens annehmen solle. Beethovens fast gänzliche Billigung durch die Aristokratie Wiens war so neu wie seine Musik. Haydn, nun Anfang sechzig, hatte im Gegensatz erst kürzlich die Dienerlivree abgelegt, die er jahrzehntelang im Dienste der Esterházy-Familie getragen hatte. Dass Beethoven wirklich charmant war und eine angenehme Gesellschaft sein konnte, ist weithin belegt. Wenn es darum ging, die äußeren Zeichen des Adels zu beobachten, zeigte er jedoch, wie wir

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gesehen haben, eine fast aggressive Geringschätzung. Ferdinand Ries bemerkte: Etiquette und was dazu gehört, hatte Beethoven nie gekannt und wollte sie auch nie kennen. So brachte er durch sein Betragen die Umgebung des Erzherzogs Rudolph, als Beethoven anfänglich zu diesem kam, gar oft in große Verlegenheit. Man wollte ihn nun mit Gewalt belehren, welche Rücksichten er zu beobachten habe. Dieses war ihm jedoch unerträglich. Er versprach zwar sich zu bessern, aber – dabei blieb’s. [...] Der Erzherzog lachte gutmütig über den Vorfall und befahl, man solle Beethoven nur seinen Weg ungestört gehen lassen: er sei nun einmal so.

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Von Anfang an bestand Beethoven bei seinen Beziehungen zum Wiener Adel darauf ‒ weniger durch Erklären als durch sein Verhalten ‒, dass er gleichgestellt behandelt werde. Wie er später einem seiner fürstlichen Gönner gegenüber bemerkte: „Fürst! was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten gibt es Tausende. Beethoven nur einen.“ Und die Fürsten wussten dies. Fast ab dem Moment seiner Ankunft in Wien wurde er von den Obersten des Landes begeistert angenommen und gefeiert. Sie waren von seinem Adel des Geistes ebenso beeindruckt wie er selbst. Sie weideten sich an seinem Genie und erfreuten sich an seinem überbordenden Selbstvertrauen. In Anbetracht seiner offenbar unbestechlichen Integrität und seiner fast übermenschlichen Fähigkeit, die Gefühle seiner Zuhörer zu manipulieren, müssen sich viele von seinen Aufmerksamkeiten geschmeichelt gefühlt haben. Dies wäre kaum der Fall gewesen, hätte es seinen respektlosen Sinn für Humor nicht gegeben. Sie liebten seine Witze. Sie liebten die Tatsache, dass er von ihrem Rang so völlig unbeeindruckt war. Sie liebten seine Macht. Trotz all seines Mangels an gesellschaftlichen Umgangsformen machte sich seine Gabe zur Freundschaft fast auf allen Ebenen bezahlt. In der Tat scheint der Beethoven dieser frühen Wiener Jahre zum ersten Mal in seinem Leben fast unmäßig glücklich gewesen zu sein.

ZWISCHENSPIEL I

Beethoven und das Klavier

Einleitung Beethoven formte fast jedes Medium um, mit dem er in Berührung kam, und kleinere Werke gibt es nur wenige. Sogar in seinen frühesten veröffentlichten Werken, die er komponierte, als er sich noch stark mit der Klassik, vertreten durch Mozart und Haydn, identifizierte, erweiterte er sowohl Länge als auch emotionale Bandbreite der überkommenen Formen. Die drei Klaviertrios Op. 1 und die drei Klaviersonaten Op. 2, alle 1794‒95 vollendet, sind weitaus länger als die Sonaten und Trios von Mozart und Haydn im Schnitt. Im Ganzen erfordern Beethovens Sonaten einen Grad an Virtuosität, der weit über die schwierigsten haydnschen oder mozartischen Sonaten hinausgeht, ausgenommen Haydns letzte Sonate Nr. 62 Es-Dur. Während die Sinfonien bei Haydn und Mozart im Schnitt gut unter einer halben Stunde dauern, erstrecken sich Beethovens dritte und sechste Sinfonie bis zu knapp 50 Minuten, während die Neunte um die 70 Minuten dauert. Was die Form betrifft, wie so viele andere Dinge, etablierte Beethoven schon früh seine Unabhängigkeit und griff auf die Tradition nur zurück, wo es ihm gefiel. Er verwendet die klassische „Sonatensatzform“ mit noch größerer Freiheit und Eigenart als sein Lehrer Haydn. Die kraftvoll integrierten Einheiten in Beethovens Musik (die Generationen von Musikliebhabern ohne jegliches technisches Verständnis aufgenommen haben) entstammen größtenteils der organischen Beschaffenheit ihrer Entwicklung. Dessen muss man sich beim Hören nicht bewusst sein. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Beethoven sich dessen selbst nicht bewusst war. Aber der Grad der thematischen Einheit in seinen Werken ist bemerkens-

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wert. Beinahe alle Themen seiner berühmten „Pathétique“-Sonate leiten sich z. B. auf die ein oder andere Weise vom Motiv der ersten vier Noten ab, während das zweite Hauptthema im ersten Satz der „Appassionata“-Sonate im Grunde eine Variante der ersten ist, nur umgekehrt – eine haydnsche Technik, die hier mit beispielloser Ausdruckskraft angewendet wurde. Nur wenige Komponisten vor Beethoven kommen dem Umfang, der Intensität und dramatischen Gegenüberstellung von Emotionen auch nur nahe, die in all seinen bedeutenden Werken und in vielen seiner unbedeutenderen offenbar sind, und kein Komponist kam an seine Heftigkeit heran. Es ist kaum eine Übertreibung zu behaupten, dass es in Beethovens Musik mehr stechende, peitschende, hämmernde, rhythmisch verzerrende Akzente gibt als in der Musik aller seiner Vorgänger zusammen. Es heißt, Beethovens letzte Tat in dieser Welt war, seine Faust gen Himmel zu schütteln, als er mitten in einem Ungewitter aus dem Koma erwachte. In seiner Musik hatte er fast zeit seines Lebens hin und wieder dasselbe getan. Beethoven war der dramatischste Komponist, der je gelebt hat. Er war zudem der erste, für den die offene Gefühlsäußerung das beständigste Leitprinzip in seiner Musik war. Wo die Auflösung verbundener Gegensätze das oberste (und utopistischste) Prinzip der klassischen Sonate war, ist der Angelpunkt bei Beethoven die Auflösung (oder nicht) eines Konflikts. In seinen größten tragischen Werken, wie der turbulenten „Appassionata“, werden die Spannungen nicht aufgehoben, und Utopia hat keine Chance. In seinen heiteren Spätwerken, wie dem letzten Satz seiner letzten Klaviersonate, werden die Spannungen nicht nur gelöst, sondern ganz ausgelöscht, und wir bleiben in einer Welt transzendenter seelischer Reinheit zurück. Beethovens reife Werke fallen grob in drei Abschnitte, die man gemeinhin frühe (ca. 1790‒1803), mittlere (ca. 1803‒1815) und späte (ca. 1815‒1826) Periode nennt. Weitgehend ist die frühe Periode die, in der er hauptsächlich mit dem Erbe der klassischen Tradition arbeitet; der mittlere Abschnitt umfasst die sogenannte „heroische“ Periode, in der er die großen klassischen Formen Sonate, Streichquartett und Sinfonie derart erweiterte und vertiefte, dass es viele als

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formale und dramatische Grenzen empfanden, und dehnte die technischen Anforderungen seiner Instrumentalkompositionen auf eine Weise aus, dass sie nur in Reichweite der besten Amateure waren; die späte Schaffensperiode vereint transzendente Spiritualität, eine zunehmende Beschäftigung mit dem Kontrapunkt und eine neue Betonung der formalen und thematischen Einheit innerhalb mehrsätziger Stücke. Aber dies kann nur als Verallgemeinerung angesehen werden, da es in jeder Periode zahlreiche Werke gibt, die die Charakteristika anderer Perioden beinhalten. In jedem Fall sind weder Kunst noch Leben so akkurat.

Musik für Solo-Klavier Obwohl Beethoven ein Violinist von professionellem Format war, war das Klavier sein Hauptinstrument, und seine Werke dafür, vor allem die 32 Klaviersonaten, bilden das Fundament, auf das sich der Großteil des Repertoires des 19. Jahrhunderts stützte. Der bedeutende Pianist und Dirigent Hans von Bülow nannte Bachs Wohltemperiertes Klavier das Alte Testament der Musik und Beethovens Sonaten das Neue. Wenige würden mit ihm darüber streiten. Mit Ausnahme seiner letzten vier Jahre decken Beethovens Klavierwerke sein ganzes Komponistenleben ab. Sie dienen als eine Art Seelentagebuch und liefern einen Bericht der abenteuerlichsten und einflussreichsten Reise in der Musikgeschichte.

Die Sonaten Bezeichnenderweise übernimmt Beethoven in den ersten drei Sonaten Op. 2 (wie in den drei Trios Op. 1) bereits die viersätzige Anlage der klassischen Sinfonie. Das ist nicht nur bedeutsam, weil dies von Anfang an zeigt, dass dies ein Mann ist, der in großen Dimensionen denkt, sondern weil er sein ganzes Leben hindurch dazu neigte, das Klavier als Ersatzorchester zu betrachten. Die wei-

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ten Abstände zwischen den Händen, der häufige Gebrauch wuchtiger, dicht gesetzter Akkorde im tiefen Register, die nie dagewesenen Extreme von Laut und Leise, die Verwendung der Stille als wichtiges strukturelles und dramatisches Element (ironischerweise haben seine Pausen oft die Wirkung eines Hammerschlags): All dies sind Charakteristika, die wieder und wieder in seinen Klavierstücken auftauchen. Ein sehr gutes Beispiel für diesen kraftvollen rhythmischen Einsatz der Stille ist der langsame Satz der vierten Sonate, Op. 7 EsDur, ein großartiges Werk und das zweitlängste nach der kolossalen „Hammerklaviersonate“ der späten Jahre Beethovens. Op. 10 ist eine weitere Trilogie, von der Nr. 1 c-Moll und Nr. 2 F-Dur hervorragend ausgeführt und individuell sind, erstere abwechselnd stürmisch und lyrisch, letztere ein Fest des Witzes, guter Laune und lässiger Kunstfertigkeit. Die dritte Sonate aus Op. 10 in D-Dur ist indessen ein Meisterwerk symphonischer Breite, deren vier Sätze Beethovens Souveränität zeigen. Das eigentliche Herz des Werks ist der langsame Satz, eine Studie der Melancholie, die so traurig ist, dass das folgende Menuett in das Licht tritt wie ein Gefangener, der unerwartet aus einem Kerker freigelassen wird, zunächst ungläubig, sich dann allmählich findend und über seine neue Freiheit jubelnd. Das Stück bietet das Drama einer großen Oper in einem Bruchteil der Zeit. In der „Pathétique“-Sonate, Op. 13, die schon immer zu seinen beliebtesten Werken zählte, zieht Beethoven bei der Verwendung einer substantiellen langsamen Einleitung wieder einmal symphonische Vorbilder heran (besonders Haydns Sinfonien). Der starke, dramatische Eröffnungssatz ist der erste, in dem Beethoven bedeutende Änderungen an der klassischen Sonatensatzform vornimmt. An strategisch platzierten Punkten bringt er wiederholt die langsame Einleitung zurück – oder wesentliche, fragmentarische Entwicklungen davon. Mit seiner schönen, langgesponnenen Melodie erinnert der langsame Satz uns daran, dass der mit dem Schicksal ringende Beethoven auch ein zutiefst gefühlvoller Komponist war, dessen großer, singender Ton auf dem Klavier von jedem bemerkt wurde, der ihn hörte.

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Die zwei eher kleinen Sonaten des Op. 14 sind insgesamt leichtere Kost, voll guten Mutes, geistvollen Gesprächsaustauschs und unschuldigen Herumtollens. Sie sind eine rechtzeitige Mahnung nach der Angst der „Pathétique“, dass Beethoven auch ein Meister der leichten Musik war, der geborene Unterhalter, der zufällig auch ein Genie war. Die Sonate B-Dur, Op. 22, markiert die Rückkehr zum großen Maßstab von Op. 2, Op. 7 und Op. 10 Nr. 3, war aber nie ein Publikumsliebling. Sie wurde 1800 komponiert und kann als Beethovens festlicher Abschied von den formalen Feinheiten der Sonate des 18. Jahrhunderts gesehen werden. Er scheint den Hörern eine lange Nase zu machen, die wegen der Originalität und des Wagemuts der „Pathétique“ aufgebracht waren. Tatsächlich macht er eine Schau daraus, sich von seiner besten Seite zu zeigen, dass der durchschnittliche Zuhörer sich von dieser subtilen und geistreichen Sonate leicht ausgegrenzt fühlt. Die sogenannte „Trauermarsch“-Sonate As-Dur, Op. 26, ein gänzlich anderer Entwurf, ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Wie Mozarts bekannte A-Dur-Sonate, KV 331, beginnt sie nicht mit dem üblichen Sonatenhauptsatz, sondern mit einem sanften, nach und nach intensivierenden Variationssatz. Diesem folgt ein feuriges Scherzo, das man normalerweise erst an dritter Stelle erwarten würde; dieses ist wiederum gefolgt von einem düsteren Trauermarsch, mit der programmatischen Darstellung von Trommelwirbeln und rituellem Geschützfeuer. Das abwechselnd lyrische und aufgewühlte Finale ist eher von der Art einer Studie, die sich am Ende in Luft auflöst. Keine bedeutende Sonate war bis dahin auf so unkonventionelle Weise angelegt worden. Die zwei Sonaten aus Op. 27 (die zweite ist die nach wie vor beliebte „Mondschein-Sonate“) sind noch unkonventioneller. Die vier Sätze der Es-Dur-Sonate, Op. 27 Nr. 1 (von denen kein einziger in Sonatensatzform gehalten ist), sind thematisch miteinander verbunden und werden ohne Pause gespielt ‒ ein bis dahin unerhörter Ablauf. Diese Sonate bringt uns den Charakter von Beethovens berühmten Improvisationen sehr nahe. In der „Mondschein-Sonate“ folgt der erste Satz keiner zuvor bestehenden Form,

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obwohl er Elemente der Sonatensatzform enthält. Der zarte zweite Satz ist eine individuelle Interpretation des klassischen Menuetts und Trios; und erst mit dem stürmischen Finale setzt Beethoven einen Satz gänzlich in Sonatensatzform. Anders als ihre zahlenmäßigen Nachbarn ist die Sonate D-Dur, Op. 28, eines der relativ vernachlässigten Juwelen Beethovens. Mit dem Beinamen „Pastorale“ (wenn auch nicht von Beethoven selbst) zählt sie zu den sonnigsten aller Sonaten, und das Scherzo ist eines der bestgelaunten. Der Komponist mochte besonders das Andante, aber die meisten Hörer betrachten die übrigen Sätze mit gleichem Wohlwollen. Von den drei Sonaten Op. 31 (1802) ist die mittlere die bekannteste, die sogenannte „Sturm“-Sonate, deren erster Satz mit seiner wiederkehrenden Einleitung an den gleichen Kunstgriff der „Pathétique“ erinnert. Die revolutionärsten Ansätze sind hier jedoch die lange Pedalisierung mit ihrem absichtlichen „Verschwimmen“ und Mischen der kollidierenden Harmonien ‒ ein ziemlich kühner Streich zu dieser Zeit, der sein Maß an Modernität bis heute beibehält. Wie auch sonst in Beethovens Schaffen, tragen die zwei Sonaten in g-Moll und G-Dur, Op. 49, eine irreführende Opuszahl. Obwohl sie so zwischen den drei Sonaten Op. 31 und der „Waldstein“Sonate von 1804 stehen, wurden sie eigentlich 1795‒97 komponiert. Ihr Auftreten im Zyklus ist nicht so sehr aus stilistischen Gründen überraschend, sondern wegen ihrer äußersten Kürze (jede hat zwei kurze Sätze) und der Tatsache, dass es die einzigen sind, die recht leicht von Anfängern mit Vorkenntnissen gespielt werden können. Aber wie bei Mozarts „kleinen“ und „leichten“ Sonaten können nur wahre Künstler die Feinheit und das Können offenbaren, die in ihnen liegen. Die g-Moll-Sonate ist historisch von Interesse, da sie das erste Auftauchen, im Menuett des zweiten Satzes, eines Themas markiert, das durch seine Verwendung in Beethovens „Schlager“ von 1799 berühmt wurde, dem Septett Es-Dur, Op. 20. Die nach der „Mondschein-Sonate“ berühmtesten der mittleren Schaffensperiode sind die Sonate C-Dur, Op. 53 (mit dem

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Beinamen „Waldstein“, nach ihrem Widmungsträger, Beethovens Mäzen Graf Waldstein), und die f-Moll-Sonate „Appassionata“, Op. 57. In beiden Fällen erreicht die Virtuosität neue Höhen. Die „Waldstein“-Sonate ist vielleicht die erhabenste und größtangelegte aller Sonaten bis dahin und wurde ungefähr zur gleichen Zeit entworfen und ausgearbeitet, als Beethoven die Sinfonie in der „Eroica“ zu bis dato ungeahnten Dimensionen erweiterte. Allein in ihrer Klangwelt erreichen beide Sonaten nie dagewesene Wirkungen, eine der einprägsamsten ist die poetisch „verschwommene“ Pedalisierung im „Waldstein“-Finale. Geistig liegen Welten zwischen den beiden Werken: Die „Waldstein“-Sonate ist eines der freudigsten und heroisch anregendsten Stücke Beethovens, während die „Appassionata“ ein seltenes Beispiel fast absoluter Tragik ist. Nie zuvor war dem Klavier solch ungestüme Leidenschaft anvertraut worden. Tragödie und Aufruhr sind wegen der schmerzlichen Schönheit des langsamen Satzes umso mehr ergreifend, dessen Ruhe durch einen einzigen dissonanten Akkord zerrissen wird, der direkt zur schockierenden Intensität des finalen, todgeweihten Kampfes führt. Beethoven schrieb nun über die Fähigkeiten nicht nur der meisten Pianisten hinaus, sondern des Klaviers selbst. Dadurch beschleunigte er die Entwicklung des Instruments. Im selben Jahr wie die „Waldstein“-Sonate, 1804, ist die kurze Sonate F-Dur komponiert, Op. 54, eine der am seltensten gespielten Sonaten. Hier kommt Beethoven auf das zweisätzige Modell der Sonaten Op. 49 zurück. Weitere Ähnlichkeiten gibt es jedoch nicht. Der erste Satz des Op. 54, „In tempo d’un Menuetto“, fordert sowohl technisch als auch musikalisch heraus und hat ein Eröffnungsthema, das vage an schottische Volkslieder erinnert; die Melodie steht offenbar mit dem zweiten Thema der „Appassionata“ in Verbindung. Der zweite Satz dagegen ist eine fast verrücktobsessive Studie des „perpetuum mobile“, die auf das Finale der As-Dur-Sonate, Op. 26, zurückgreift. Was das Klavier angeht ist die Sonate Es-Dur, Op. 81a (mit dem Untertitel „Das Lebewohl“, im Allgemeinen bekannt unter dem französischen Titel „Les Adieux“), zweifach bedeutsam. Auf oberflächlicher Ebene folgt sie einem programmatischen Konzept,

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ihre drei Sätze gedenken jeweils der Abreise, der Abwesenheit und der Rückkehr seines Freundes und Schülers Erzherzog Rudolph. Das Wort „Lebewohl“ steht über den drei absteigenden Noten des anfänglichen „Mottos“, das im folgenden Allegro regelmäßig wiederkehrt. Das Werk ist nicht nur eines der gehaltreichsten und unmittelbar ansprechendsten des Zyklus, sondern kennzeichnet auch Beethovens Lebewohl von der Klaviersonate für eine Dauer von fünf Jahren sowie einen Abschied von seiner „heroischen“ mittleren Schaffensphase. Die folgende Sonate ‒ Nr. 27 e-Moll, Op. 90, in zwei Sätzen ‒ datiert von 1814 und steht an der Schwelle zu seiner dritten Schaffensperiode. Nach Meinung vieler Musiker sind die letzten fünf Klaviersonaten (Op. 101, 106 und 109‒111) die bedeutendsten, die je komponiert wurden. Op. 101 A-Dur ist ein bemerkenswert konzentriertes Werk in vier Sätzen, mit einem langsam-schnell-langsam-schnell-Rhythmus, in dem der lyrische, nachdenkliche Anfang später wiederaufgenommen wird, um das erhaben bejahende Fugato-Finale einzuleiten (das Anklänge an den von Beethoven verehrten Händel enthält). Wie alle späten Sonaten ist das Werk höchst ernsthaft; dies schließt aber einige typische selbstironische Späße inmitten des im Ganzen imposanten Finales nicht aus. Der zwanghaft punktierte Rhythmus des Marschs des zweiten Satzes (da-dam da-dam da-dam usw.) scheint geradezu Schumann vorwegzunehmen. Op. 106 B-Dur, die sogenannte „Hammerklaviersonate“, ist die längste, anspruchsvollste und ehrfurchtgebietendste Sonate, die je geschrieben wurde. Der Beiname ist die deutsche Bezeichnung für das Pianoforte, die Aufschrift „für das Hammerklavier“ erscheint auf den Titelseiten von sowohl Op. 101 als auch 109. Aber zweifellos kommt dem Klavier in dieser B-Dur-Sonate die größere hämmernde Rolle zu. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie die Klaviere zu Beethovens Zeit dies aushalten konnten. Viele mussten es aber nicht: Beethoven schrieb bereits für spätere Generationen und erwartete vom zeitgenössischen Publikum nicht, dass sie seine Musik verstanden. Für viele Musiker bestätigte dies nur ihre Vorstellung, dass Beethoven, isoliert in seiner Taubheit, geistes-

Beethoven und das Klavier

krank geworden war. Die sagenhaft schwierige und ausgedehnte Fuge, die das Werk krönt, ist in vielerlei Hinsicht heute genauso gewaltig, elementar und erstaunlich komplex wie je zuvor. Die letzten drei Sonaten, Op. 109, 110 und 111, führen uns auf geweihten Boden. Jede erschafft ein eigenes Universum, jede spottet aller sinnvollen Beschreibung. Jede nimmt uns mit auf eine spirituelle Odyssee in unerforschte Seelengebiete, in Erfahrungswelten, die wir uns nie zuvor hätten vorstellen können.

Die Variationen Beethoven schrieb in jedem Lebensabschnitt Variationen, viele als gesonderten, in sich geschlossenen Satz, manche in Sonaten eingebettet. Sie reichen von den gefälligen (einige der Jugendwerke) bis zu den überragenden „Diabelli-Variationen“, Op. 120 ‒ sein letztes großes Werk für Klavier ‒, und den Variationen in den Sonaten Op. 109 und 111. Eigentümlicherweise zählt ein Variationssatz Beethovens, der am häufigsten gespielt wird, zu den am wenigsten interessanten: die 32 Variationen über ein eigenes Thema in c-Moll. Nur unter den außergewöhnlichsten Händen klingen diese leichten Variationen nach mehr als einer Folge hochklassiger Übungen eines Hanon oder Czerny. Gewinnender und weniger trivial sind die pfiffigen und manchmal amüsanten Variationen über Rule, Britannia und God Save the King; aber es gibt nur drei Variationssätze, die uns den wahrhaft erlesenen Beethoven zeigen. Der erste sind die interessanterweise so genannten Sechs Variationen F-Dur, Op. 34 ‒ interessant, weil nur die letzte der Variationen in dieser Tonart steht (keine zwei Variationen teilen hier eine Tonart). Es folgt der großartige Variationssatz, der zur selben Zeit komponiert wurde (1802) und heute für gewöhnlich als „EroicaVariationen“ bekannt ist, da das Thema aus dem Finale der „Eroica“-Sinfonie bekannt ist. Allerdings liegt das Klavierwerk zeitlich vor der Sinfonie. Hier gibt es nichts Unerfreuliches, sondern eine Fülle an Erhabenheit, Fantasie, Virtuosität und Humor. Sogar das Thema ist humorvoll, mit seinem neckischen Erklingen der ersten

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

Haupttöne und den rauen Unterbrechungen, wo Beethoven sich über seine eigene Ernsthaftigkeit zu mokieren scheint. Eine der anziehendsten Seiten des Charakters Beethovens ist, dass sein Sinn für Humor plötzlich in den überraschendsten Zusammenhängen auftaucht. Ein auffallendes Beispiel ist sein letztes großes Klavierstück, die „Diabelli-Variationen“, deren Monumentalität einen Überfluss an typischen Beethoven-Scherzen nicht ausschließt. Die Art, in der er sich in der ersten Variation über das belanglose Thema lustig macht, ist hervorragend zu höchster Kunst erhoben. Ein gnadenloserer Schlag ins Gesicht eines kleinen Komponisten durch einen großen wurde nie abgegeben. Die Männer von den Knaben derart getrennt, fährt Beethoven fort, aus diesem „Schusterfleck“ (wie Beethoven den Diabelli-Walzer nannte) ein gigantisches Bauwerk überwältigenden Denkvermögens und emotionaler Bandbreite zu errichten. Laut dem Komponisten selbst ist das Werk auch ein Kompendium von allem, was er über pianistische Technik wusste.

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KAPITEL 2

Krise

Krise

A

ls sich das 18. Jahrhundert seinem Ende zuneigte, hatte Beethoven, der nun Mitte zwanzig war und auf einer Erfolgswelle schwamm, eine erschreckende Entdeckung gemacht. Fast zwei Jahre lang behielt er dies für sich, obwohl es Änderungen in seinem Verhalten mit sich brachte, die seine Freunde verblüfft haben müssen. Das erste Mal enthüllte er dieses Geheimnis in einem Brief an einen Freund in Bonn, Franz Wegeler ‒ zufällig ein Arzt: Nur hat der neidische Dämon, meine schlimme Gesundheit, mir einen schlechten Stein ins Brett geworfen nämlich: mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden, [...] meine Ohren, die sausen und Brausen Tag und Nacht fort; ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu; seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weils mir nun nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgend ein andres Fach, so gings noch eher; aber in meinem Fach ist das ein schrecklicher Zustand.

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Schrecklich genug, um eine Reihe ähnlich betroffener Musiker in den Wahnsinn zu treiben: Smetana, der Vertreter einer späteren Komponistengeneration, war ein besonders berühmter Fall.

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Beethoven im Alter von 28 Jahren, von Josef Kreihuber, 1865

Wie sehr Beethoven auch versucht haben mag, seine Taubheit zu kaschieren, es war nur eine Frage der Zeit, bis es jedermann auffallen würde. Ferdinand Ries, ein Schüler und enger Freund, der ein erfolgreicher Komponist werden sollte, erinnerte sich mit entsetzlicher Eindringlichkeit an den Tag, als er es erstmals bemerkte: Er lebte viel auf dem Lande, wohin ich dann öfter kam, um eine Lection zu erhalten. Zuweilen sagte er dann, Morgens um 8 Uhr nach dem Frühstück: „Wir wollen erst ein wenig spazieren gehen.“ Wir gingen, kamen aber mehrmals erst um 3–4 Uhr zurück, nachdem wir auf irgend einem Dorfe etwas

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gegessen hatten. Auf einer dieser Wanderungen gab Beethoven mir den ersten auffallenden Beweis der Abnahme seines Gehörs, von der mir schon Stephan von Breuning gesprochen hatte. Ich machte ihn nämlich auf einen Hirten aufmerksam, der auf einer Flöte, aus Fliederholz geschnitten, im Walde recht artig blies. Beethoven konnte eine halbe Stunde hindurch gar nichts hören, und wurde, obschon ich ihm wiederholt versicherte, auch ich höre nichts mehr (was indeß nicht der Fall war), außerordentlich still und finster. [...] während all dieser Zeit hatte Beethoven vor sich hin gesummt und gebrummt, immer auf und ab, ohne genaue Noten zu singen. Seine Antwort auf meine Frage, womit er sich beschäftigte, war: „Ein Thema für den letzten Satz der Sonate [in f-Moll, Op. 57] ist mir eingefallen.“ Als wir das Zimmer betraten, rannte Beethoven zum Klavier, ohne den Hut abzunehmen. Ich setzte mich in eine Ecke, und er vergaß mich bald ganz. Nun stürmte er für mindestens eine Stunde mit dem schönen Finale (auf dem Klavier) herum. Endlich stand er auf, war überrascht, mich noch zu sehen und sagte: „Ich kann Ihnen heute keine Stunde geben, ich muss noch mehr arbeiten.“

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Beinahe als wäre es von oben vorherbestimmt, erlebte Beethoven zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen großen Aufschwung als Komponist. Im Vergleich hierzu wirken die Erfolge des vorausgegangenen Jahrzehnts wenig mehr als eine ruhmreiche Einführung. 1800 wurden die finanziellen Ängste durch eine jährliche Rentenzahlung des Fürsten Lichnowsky von ihm genommen, bei dem er damals wohnte. Im Frühling jenes Jahres gab er ein überaus erfolgreiches Konzert mit eigenen Werken, darunter eines, das brillante Septett Es-Dur, Op. 20, das, nach Beethovens Auffassung, so unverhältnismäßig berühmt wurde, dass er bedauerte, es geschrieben zu haben. Trotz des Verkaufs seiner Kompositionen und der großzügigen Lebensrente durch Fürst Lichnowsky widmete Beethoven einen Teil seiner Zeit dem Unterrichten. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde der zehnjährige Carl Czerny für ein Vorspiel zu ihm gebracht:

Krise Fürst Karl Lichnowsky

An einem Wintertage wanderten mein Vater [...] und ich [...] in die Stadt, in den sogenannten tiefen Graben ‒ eine Straße ‒ stiegen turmhoch bis in den 5. oder 6. Stock, wo uns ein ziemlich unsauber aussehender Bedienter beim Beethoven meldete und dann einließ. Ein sehr wüst aussehendes Zimmer, überall Papiere und Kleidungsstücke verstreut, einige Koffer, kahle Wände, kaum ein Stuhl, ausgenommen der wackelnde beim Walterschen Fortepiano, damals die besten, und in diesem Zimmer eine Gesellschaft von 6 bis 8 Personen, worunter die beiden Gebrüder Wranitzky, Süßmeyer, Schuppanzigh und einer von Beethovens Brüdern war. Beethoven selber war in eine Jacke von langhaarigem dunkelgrauen Zeuge und gleichen Beinkleidern gekleidet, so daß er mich gleich an die Abbildung des Campeschen Robinson Crusoe erinnerte, den ich damals eben las. Das pechschwarze Haar sträubte sich zottig um seinen Kopf. Der seit einigen Tagen nicht rasierte Bart schwärzte den unteren Teil seines Gesichts. Auch bemerkte ich sogleich [...],

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daß er in beiden Ohren Baumwolle hatte, welche in eine gelbe Flüssigkeit getaucht schien. Doch war damals an ihm nicht die geringste Harthörigkeit bemerkbar. [...] Seine Hände waren sehr mit Haaren bewachsen und die Finger, besonders an den Spitzen, sehr breit. Die Zufriedenheit, die er äußerte, machte mir Mut, hierauf die eben erschienene Sonate Pathétique [...] vorzutragen [...]. Als ich vollendet hatte, wendete sich Beethoven zu meinem Vater und sagte: „Der Knabe hat Talent, ich selber will ihn unterrichten und nehme ihn als meinen Schüler an.“ Die „Pathétique“-Sonate war in gewisser Weise das revolutionärste Werk, das Beethoven bis dahin geschrieben hatte ‒ ausreichend, um die konservativeren der zahlreichen Wiener Klavierlehrer zu beunruhigen, die ihre Schüler davor warnten. Für viele ihrer fortgeschrittenen Schüler war dies andererseits das aufregendste Klavierstück, das je komponiert wurde. Unter ihnen befand sich Ignaz Moscheles, später ein hervorragender Komponist und einer der führenden Pianisten seiner Zeit:

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Um diese Zeit hörte ich von einigen Mitschülern, in Wien sei ein junger Komponist aufgetreten, welcher das sonderbarste Zeug von der Welt schreibe, so daß es niemand weder spielen noch verstehen könne; eine barocke, mit allen Regeln in Widerspruch stehende Musik; und dieser Komponist heiße Beethoven. Als ich mich nun wieder zu der Leihbibliothek verfügte, um meine Neugierde nach dem excentrischen Genie, welches diesen Namen führte, zu befriedigen, fand ich Beethovens Sonate pathéthique. Das war im Jahre 1804. Da mein Taschengeld zur Anschaffung derselben nicht ausreichte, so schrieb ich sie heimlich ab. Die Neuheit ihres Stiles war für mich so anziehend, und ich faßte eine so enthusiastische Bewunderung zu derselben, daß ich mich selbst so weit vergaß, meinen neuen Erwerb meinem Lehrer gegenüber zu erwähnen. Dieser erinnerte mich an seine Vorschrift und warnte mich davor, excentrische Productionen zu spielen oder zu studiren, ehe

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ich meinen Stil auf Grund soliderer Muster ausgebildet hatte. Ohne jedoch seine Vorschrift zu berücksichtigen, legte ich Beethovens Werke der Reihe nach, wie sie erschienen, auf das Klavier und fand in denselben einen Trost und ein Vergnügen, wie es mir kein anderer Komponist gewährte. An dieser Stelle seines Lebens gibt es eine interessante Diskrepanz zwischen Beethovens zukunftsweisenden Kompositionen und seiner Unterrichtsweise, die überraschend konservativ war. Seine Bedingung für den Unterricht Czernys war, dass der Junge C. P. E. Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen mitbringen solle, das fast zwanzig Jahre vor Beethovens Geburt veröffentlicht wurde. Beethoven hatte nur wenig Zeit für die meisten im Folgenden geschriebenen Abhandlungen und beabsichtigte viele Jahre lang, selbst eine zu verfassen. Klavierspieler können nur bedauern, dass er nie dazu kam. Ihr Ausbleiben macht die Erinnerungen seiner Schüler umso spannender. Kehren wir zu Czerny zurück: In den ersten Lektionen beschäftigte mich Beethoven ausschließend nur mit den Skalen in allen Tonarten, zeigte mir die (damals den meisten Spielern noch unbekannte) einzig richtige Haltung der Hände, der Finger und vorzüglich den Gebrauch des Daumens, Regeln, deren Nutzen ich erst in weit späterer Zeit im vollen Umfange einsehen lernte. Hierauf ging er mit mir die zu diesem Lehrbuch gehörigen Übungsstücke durch und machte mich vorzüglich auf das Legato aufmerksam, das er selber in einer so unübertrefflichen Art in seiner Macht hatte, und das zu jener Zeit alle andern Pianisten auf dem Fortepiano für unausführbar hielten, indem damals (noch von Mozarts Zeit her) das gehackte und kurz abgestoßene Spiel Mode war. Auch hat mir in späteren Jahren Beethoven erzählt, daß er Mozart mehrmal spielen gehört und daß dieser, da zu seiner Zeit die Erfindung des Fortepiano noch in ihrer Kindheit war, sich auf den damals mehr gebräuchlichen Flügeln [Cembali] ein Spiel angewohnt hatte,

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welches keineswegs für die Fortepiano paßte. Auch hatte ich in der Folge die Bekanntschaft mehrerer Personen gemacht, welche bei Mozart Unterricht genommen, und fand in ihrer Spielweise diese Bemerkung bestätigt. Das ist rätselhaft, weil es in erheblichem Widerspruch zu Mozarts eigenen Worten steht, nach dem das Klavierspiel „fortfließen“ soll „wie Oel“. Czerny fährt fort: „Auch mit meinem Avista-Spielen war er zufrieden, als er mit das Manuskript der C-Dur-Sonate op. 53 zu spielen gab. Von dieser Zeit blieb mir Beethoven gewogen und behandelte mich freundschaftlich bis an seine letzten Tage.“ Beethovens eigenes Blattspiel war jedoch, wie Czerny berichtet, von ganz anderer Größenordnung: Es war erstaunlich, wie schnell er Kompositionen (selbst Manuskripte und große Partituren) durchsah und wie gut er sie spielte. In dieser Hinsicht konnte ihm keiner gleichkommen. Seine Wiedergabe war immer klar, aber scharf und hart, auch die der Werke großer Meister. Er spielte Händels Oratorien und Glucks Werke wunderbar und errang damit viel Beifall, ebenso die Fugen Sebastian Bachs. Eine andere Schülerin Beethovens dieser Zeit, die Gräfin Giulietta Guicciardi, hinterließ einen gegensätzlichen Eindruck seiner Herangehensweise, irritierenderweise in der dritten Person geschrieben, wie es damals Mode war:

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Er ließ sie seine Sachen spielen, wobei er unendlich streng war, bis in den geringsten Kleinigkeiten der richtige Vortrag erreicht war; er hielt auf leichtes Spiel. Er war leicht heftig, warf die Noten hin, zerriß sie. Er nahm keine Bezahlung, obgleich er sehr arm war, [aber] Wäsche unter dem Vorwand, daß die Gräfin sie genäht. Er unterrichtete so auch die Gräfin Odescalchi, die Baronin Ertmann; man ging zu ihm oder er

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kam. Er spielte seine Sachen nicht gerne selbst, phantasierte nur; beim geringsten Geräusch [von seinen Zuhörern] stand er auf und ging fort. Ein dritter Schüler aus dieser Phase war Ferdinand Ries, ein Mitemigrant aus Bonn. In seinen wertvollen Erinnerungen, die er viele Jahre später schrieb, bestätigt er, dass Beethoven keine zwei Personen auf dieselbe Weise unterrichtete. Während kein Schüler Beethovens Zorn ganz entkommen konnte, wurde Ries nie wie die Gräfin mit Wutausbrüchen überhäuft: Wenn Beethoven mir Lection gab, war er, ich möchte sagen, gegen seine Natur, auffallend geduldig. Ich wußte dieses, sowie sein nur selten unterbrochenes freundschaftliches Benehmen gegen mich größtentheils seiner Anhänglichkeit und Liebe für meinen Vater zuzuschreiben. So ließ er mich manchmal eine Sache zehnmal, ja noch öfter, wiederholen. In den Variationen in F-dur, der Fürstin Odescalchi gewidmet (Opus 34), habe ich die letzten Adagio-Variationen siebenzehnmal fast ganz wiederholen müssen; er war mit dem Ausdrucke in der kleinen Cadenze immer noch nicht zufrieden, obschon ich glaubte, sie eben so gut zu spielen, wie er. Ich erhielt an diesem Tage beinahe zwei volle Stunden Unterricht. Wenn ich in einer Passage etwas verfehlte, oder Noten und Sprünge, die er öfter recht herausgehoben haben wollte, falsch anschlug, sagte er selten etwas; allein, wenn ich am Ausdrucke, an Crescendo’s u.s.w. oder am Character des Stückes etwas mangeln ließ, wurde er aufgebracht, weil, wie er sagte, das Erstere Zufall, das Andere Mangel an Kenntnis, an Gefühl, oder an Achtsamkeit sei. Ersteres geschah auch ihm gar häufig, sogar wenn er öffentlich spielte. Beethovens öffentliche Darbietungen waren seinerzeit aufschlussreich, gaben aber bisher keinen Hinweis auf die Schädigung seines Hörvermögens. Anton Schindler erinnerte sich an ein bestimmtes Beispiel:

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

Was namentlich die Sonate pathetique unter Beethoven’s Händen wurde (obgleich er am reinen Spiel manches zu wünschen übrig liess), das musste man gehört und wieder gehört haben, um sich genau orientiren zu können, dass es dasselbe, schon bekannte Werk sei. Ueberhaupt wurde Alles und Jedes, von seiner Hand vorgetragen, zu einer neuen Schöpfung, wobei sein stets gebundenes Spiel wesentlich mitwirkte, das zu seinen besonderen Eigenheiten im Vortrage gehörte. Von der Krise, die ihn verschlingen sollte, gab es in seinem Schaffen keinen Hinweis. Sein Gehör ausgenommen, war 1800 ein gutes Jahr für Beethoven: Er vollendete die erste Sinfonie und die sechs Quartette, Op. 18, komponierte die Klaviersonate B-Dur, Op. 22, und die Sonate für Horn und Klavier (ein sofortiger Erfolg) und begann mit dem dritten Klavierkonzert sowie der Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus. War der Ertrag an Beethovens Werken im Jahre 1800 beeindruckend, erscheint er im Vergleich mit seinen Leistungen 1801 fast gering. Er verzeichnete mit Die Geschöpfe des Prometheus seinen bis dahin größten Erfolg, er komponierte zwei seiner bedeutendsten Violinsonaten, Op. 23 und 24 (die berühmte „Frühlingssonate“), das Streichquintett C-Dur, Op. 29, und vier seiner bahnbrechenden Klaviersonaten, darunter Op. 26 mit dem Trauermarsch, Op. 28 „Pastorale“ (einige Zeit sein eigener Favorit unter den Klavierwerken), und die sogenannte „Mondscheinsonate“1. Dies stand auch in Zusammenhang mit der Tatsache, dass er verliebt war. Im Herbst schrieb er an einen Freund: Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich unter Menschen gemacht. Du kannst es kaum glauben, wie öde, wie traurig ich mein Leben seit zwei Jahren zugebracht: wie ein Gespenst ist mir mein schwaches Gehör überall erschienen,

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1 Nicht von Beethoven selbst so genannt. Der Beiname stammt aus der Bemerkung des Dichters und Kritikers Ludwig Rellstab, der sich beim Hören des ersten Satzes an den Vierwaldstättersee im Mondlicht erinnert fühlte.

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und ich flohe die Menschen [...]. Diese Veränderung hat ein liebes, zauberisches Mädchen hervorgebracht, die mich liebt und die ich liebe. Es sind seit zwei Jahren wieder einige selige Augenblicke, und es ist das erstemal, daß ich fühle, daß Heiraten glücklich machen könnte. Leider ist sie nicht von meinem Stande, und jetzt könnte ich nun freilich nicht heiraten: ich muß mich nun noch wacker herumtummeln. Das „liebe, zauberische Mädchen“ war keine andere als die schöne 17-jährige Gräfin Giulietta Guicciardi, die wir bereits als seine Schülerin kennengelernt haben. Beethoven war des Öfteren verliebt, aber nahezu ausnahmslos in Frauen, die für ihn unerreichbar waren, sei es aufgrund der Klassenzugehörigkeit, des Alters oder aus dem einfachen Grund, dass sie bereits verheiratet waren. Wir haben keinen Beweis dafür, dass Giulietta ebenfalls in Beethoven verliebt war; aber mehr als zwanzig Jahre später kommt er auf das Thema zurück, noch eindringlicher als zuvor. „Ich wurde von ihr sehr geliebt“, schrieb er, „mehr als jemals ihr Ehemann (J’etois bien aime d’elle et plus que jamais son epous).“ Vielleicht – obwohl ihre Beschreibung von ihm als „sehr häßlich, aber edel, feinfühlend, gebildet ... meist ärmlich gekleidet“ nicht gerade eine überzeugende Bestätigung der Behauptung ist. Auf jeden Fall war sie es, der er die „Mondscheinsonate“ widmete. Sie ist wahrscheinlich die berühmteste Sonate, die je komponiert wurde, zum Teil auch wegen der relativ leichten Spielbarkeit ihres bewegenden ersten Satzes. Seine rasche Produktion von Meisterwerken lässt vermuten, dass Beethovens Rückkehr in die Gesellschaft, angespornt durch seine Liebe zu Giulietta und was er für ihre Liebe zu ihm hielt, wie ein belebendes Stärkungsmittel wirkte. Als Komponist hatte er eine Glückssträhne, und er jubelte: Meine Jugend – ja, ich fühle es, sie fängt jetzt erst an. [...] Meine körperliche Kraft, sie nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu und so meine Geisteskräfte. Jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann.

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[...] Nur halbe Befreiung von meinem Übel, und dann, als vollendeter, reifer Mann komme ich zu euch [...]. So glücklich, als es mir hienieden beschieden ist, sollt ihr mich sehen [...]. 1802 hielt die Glückssträhne an. Es entstanden die drei Sonaten Op. 30 für Violine und Klavier, die drei Klaviersonaten, Op. 31 (einschließlich „Der Sturm“), die „Eroica“-Variationen, Op. 35, die sechs Variationen F-Dur, Op. 34, der erste Satz Bagatellen für Klavier und die ausgelassene Sinfonie Nr. 2 D-Dur – ganz klar das Werk eines überbordenden Genies voller Lebensfreude. Nehmen wir jedoch die Zeugnisse seiner Freunde und seine eigenen Aufzeichnungen desselben Jahres, bekommen wir einen ganz anderen Eindruck. Unter den Papieren, die nach Beethovens Tod in seinem Hause gefunden wurden, ist ein merkwürdiges Dokument, geschrieben im Oktober 1802 an seine Brüder Carl und Johann. Es ist seitdem als „Heiligenstädter Testament“ bekannt, da Beethoven zu dieser Zeit im Wiener Vorort Heiligenstadt wohnte. Der ungemein lange Brief, der im Grunde einem letzten Willen gleichkommt, ist in vielerlei Hinsicht das aufschlussreichste und beunruhigendste Schriftstück, das er je schrieb. Daher ist es hier in seiner Gänze abgedruckt. Seine Fremdartigkeit offenbart sich bereits in der Überschrift, wo Beethoven einen Leerraum statt Johanns Namen lässt. Dies kann kein Versehen sein, da er noch zweimal so verfährt:

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für meine Brüder Carl und ... Beethowen O ihr Menschen die ihr mich für Feindseelig störisch oder Misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime ursache von dem, was euch so scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket nur daß seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hofnung gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem überblick eines daurenden Übels (dessen Heilung vieleicht

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Beethovens Haus in Heiligenstadt

Jahre dauren oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen Lebhaften Temperamente gebohren selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, muste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen, wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussezen, o wie hart wurde ich dur[ch] die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehör’s dann zurückgestoßen, und doch war’s mir noch nicht möglich den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreyt, denn ich bin Taub, ach wie wär es möglich daß ich die Schwäche eines Sinnes angeben sollte, der bey mir in einem Vollkommenern Grade als bey andern seyn sollte, einen Sinn denn ich einst in der grösten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiß haben noch gehabt haben – o ich kann es nicht, drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt Wehe thut mir mein unglück, indem ich dabey verkannt werden muß, für mich darf Erholung

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in Menschlicher Gesellschaft, feinere unterredungen, Wechselseitige Ergießungen nicht statt haben, ganz allein fast nur so viel als es die höchste Nothwendigkeit fodert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben, nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Ängstlichkeit, indem ich befürchte in Gefahr gesezt zu werden, meine[n] Zustand merken zu laßen – so war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte, von meinem Vernünftigen Arzte aufgefodert, so viel als möglich mein Gehör zu schonen, kamm er fast meiner jezigen natürlichen Disposizion entgegen, obschon, Vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ, aber welche Demüthigung wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten Singen hörte, und ich auch nichts hörte, solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper, daß eine etwas schnelle Verändrung mich aus dem Besten Zustande in den schlechtesten versezen kann – Geduld – so heist es, Sie muß ich nun zur führerin wählen, ich habe es – daurend hoffe ich, soll mein Entschluß seyn, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen, vieleicht geht’s besser, vieleicht nicht, ich bin gefaßt – schon in meinem 28 Jahre gezwungen Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwere[r] als für irgend jemand – Gottheit du siehst herab auf mein inneres, du kennst es, du weist, dasß menschenliebe und neigung zum Wohlthun drin Hausen, o Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir unrecht gethan, und der unglückliche, er tröste sich, einen seines gleichen zu finden, der troz allen Hindernissen der Natur, doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden – ihr meine Brüder Carl und,

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sobald ich Tod bin und Professor schmid lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bey, damit wenigstens so viel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde – zugleich erkläre ich euch beyde hier für die Erben des kleinen Vermögens, (wenn man es so nennen kann) von mir, theilt es redlich, und vertragt und helft euch einander, was ihr mir zuwider gethan, das wist ihr, war euch schon längst verziehen, dir Bruder Carl danke ich noch in’s besondre für deine in dieser leztern spätern Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit, Mein Wunsch ist, daß euch ein bessers sorgenloseres Leben, als mir, werde, emphelt euren Kindern Tugend, sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld, ich spreche aus Erfahrung, sie war es, die mich selbst im Elende gehoben, ihr Danke ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen selbstmord mein Leben endigte – lebt wohl und liebt euch; – allen Freunden danke ich, besonders fürst Lichnovski und P[r]ofessor schmidt – die Instrumente von fürst L.[ichnowsky] wünsche ich, daß sie doch mögen aufbewahrt werden bey einem von euch, doch entstehe deswegen kein Streit unter euch, sobald sie euch aber zu was nüzlicherm dienen können, so verkauft sie nur, wie froh bin ich, wenn ich auch noch unter meinem Grabe euch nüzen kann – so wär’s geschehen – mit freuden eil ich dem Tode entgegen – kömmt er früher als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunst-Fähigkeiten zu entfalten, so wird er mir troz meinem Harten Schicksaal doch noch zu frühe kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen – doch auch dann bin ich zufrieden, befreyt er mich nicht von einem endlosen Leidenden Zustande? – Komm, wann du willst, ich gehe dir muthig entgegen – lebt wohl und Vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen, seyd es – Ludwig van Beethowen Heiglnstadt [sic] am 6ten october 1802 59

Beethoven – Sein Leben – seine Musik

Zwei Tage später fügt er ein Postskriptum hinzu: für meine Brüder Carl und nach meinem Tode zu lesen und zu vollziehen – Heiglnstadt am 10ten oktober 1802 – so nehme ich den Abschied von dir – und zwar traurig – ja dir geliebte Hofnung – die ich mit hieher nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkte geheilet zu seyn – sie muß mich nun gänzlich verlassen, wie die blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist – auch sie für mich dürr geworden, fast wie ich hieher kamm – gehe ich fort – selbst der Hohe Muth – der mich oft in den Schönen Sommertägen beseelte – er ist verschwunden – o Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen – so lange schon ist der wahren Freude inniger widerhall mir fremd – o wann – o Wann o Gottheit – kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wider fühlen – Nie? – nein – o es wäre zu hart Der unmittelbare Grund für diese verzweifelten Worte war offensichtlich der Verlust seines Hörvermögens. Und obwohl niemand die Echtheit seines Leidens anzweifeln kann, sollte erwähnt werden, wenn auch nur aus historischer Genauigkeit, dass Beethovens Taubheit bis auf seine letzten wenigen Jahre nicht so vollständig war, wie die Nachwelt glaubte. Nichtsdestoweniger war es eine grausame und zutiefst erschütternde Krankheit, und es gibt Beweise, nicht nur im „Heiligenstädter Testament“, sondern in Bezeugungen seiner Freunde, dass sie ihn durchaus an den Rand des Selbstmords getrieben haben könnte. Einige behaupten, er habe es tatsächlich versucht, aber die Belege sind dünn gesät. Was man auch über das „Heiligenstädter Testament“ denkt, Beethoven durchlebte eine Krise gewaltigen Ausmaßes.

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ZWISCHENSPIEL II

Kammermusik (1): Gemischte Besetzungen

Klavier plus Wenngleich die frühen Quartette für Klavier und Streichtrio reizvoll sind, waren Beethovens erste bedeutende Kammermusikwerke die drei Klaviertrios, Op. 1 (Klavier, Violine und Cello). Schon beim offiziellen Beginn seiner Komponistenkarriere zeigte er sich als Könner, der neben seinem Lehrer Haydn bestehen konnte. Abgesehen von ihrer Meisterschaft sind sie jedoch beachtenswert für ihre Befreiung des Cellos, das in Haydns Trios nur selten mehr war als die Verdopplung der linken Hand des Klavierparts. Ebenso bedeutsam ist Beethovens Übernahme der ausgedehnten viersätzigen Anlage, die normalerweise in Zusammenhang mit der klassischen Sinfonie steht ‒ ein Modell für alle folgenden Trios bis auf eines. Das letzte der Trios aus Op. 1, in c-Moll, ist bemerkenswert, da es das gefühlvollste und dramatischste Klaviertrio ist, das bis heute komponiert wurde (Haydn fand es angeblich regelrecht beunruhigend). Unter den späteren Trios verdienen zwei besondere Erwähnung. Op. 70 Nr. 1 D-Dur ist ein wunderbares Werk, dessen überraschender, gespenstischer langsamer Satz möglicherweise der langsamste langsame Satz überhaupt ist. Stimmung und Aufbau sind einzigartig, die Originalität atemberaubend, und seine düsteren Emotionen spuken noch lange nach dem Verklingen im Kopf herum. Nicht umsonst ist dieses Werk weithin als „Geistertrio“ bekannt. Daraus folgt nicht, dass letzte Werke auch die besten sind, aber im Falle von Beethovens letztem Klaviertrio, dem sogenann-

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ten „Erzherzog-Trio“, Op. 97, gibt es keine Zweifel. In seiner ununterbrochenen Inspiration, Meisterschaft der Form und geistigen Tiefe bleibt es unübertroffen. Die ersten der Duosonaten Beethovens, die beiden wunderbaren Cellosonaten, Op. 5, sind gleichsam historisch wichtig wie künstlerisch bestechend. Über ihren Eigenwert hinaus sind sie die ersten Werke ihrer Art. Haydn und Mozart schrieben hervorragende Cellopartien in ihren Streichquartetten, aber keine Sonaten für das Instrument. Die einzigen (fernen) Vorläufer bedeutender Komponisten waren die drei Sonaten von Bach für Viola da gamba und Cembalo. Von Beethovens restlichen Cellosonaten war Op. 69, A-Dur, immer die beliebteste unter Cellisten und Zuhörern gleichermaßen, vor allem wegen ihres weitläufigen, heiterlyrischen Kopfsatzes. Die meisten Musiker würden jedoch zustimmen, dass die bedeutendsten die beiden letzten Sonaten sind, Op. 102. Diese sind strenger und intellektueller als Op. 69 und legen ihr Augenmerk auf enges Kontrapunktgewebe; beide erfordern außergewöhnliche Konzentration vom Hörer, vor allem die zweite, D-Dur, der etwas von derselben schroffen Welt innewohnt wie in der „Hammerklaviersonate“ für Klavier. Die größte Gruppe der Beethoven’schen Duosonaten bilden die zehn Violinsonaten. Obwohl das Klavier Beethovens Hauptinstrument war, war er zugleich auch ein fähiger Violinist. In jeder Sonate erkundet er die Möglichkeiten der Geige auf verschiedene Wege, und jede ist eine sich entwickelnde Studie der Beziehung zwischen Violine und Klavier. Sogar wenn er der Geige scheinbar einfache Begleitfiguren zuteilt, begleiten sie nicht bloß, sondern bereichern die musikalische Harmonie. Beethoven setzt die Violine manchmal als eine Art Alternative zur linken Hand des Pianisten ein (wie im langsamen Satz der Es-Dur-Sonate, Op. 12 Nr. 3), was äußerst sensibles Zuhören beider Spieler erfordert. An anderen Stellen (z. B. in der dritten Variation der D-Dur-Sonate, Op. 12 Nr. 1) erweitert er den Charakter der Violine, indem er von ihr fordert, der Unruhe und dem perkussiven rhythmischen Profil des Klaviers gleichzukommen. Beethovens zuweilen explosiver gefühlsbetonter Realismus machte ihn zum ersten bedeutenden

Gemischte Besetzungen

Komponisten, der wiederholt ein Element des Kampfes, sogar bis zur Rauheit, als Ausdrucksmittel heranzog. Es gibt bei Beethoven Momente, in denen schönes Spiel geradezu unmusikalisch sein kann. Die Violinsonaten zeigen dieselbe Art Verlauf, weg von Erwartung und Tradition wie in den Sinfonien, Quartetten und Klaviersonaten. Man kann zu Recht sagen, dass Beethoven die Violine zu einem „größeren“ Instrument machte, als man sich vorher hätte vorstellen können, am berühmtesten in der „Kreutzersonate“, Op. 47. Hier sind Drama, Virtuosität und Intellekt untrennbar miteinander verbunden und erlangen ein Niveau, das in diesem Genre niemals zuvor erreicht wurde. Wie eigentlich jedem Genre, das er berührte, verlieh er der Violinsonate eine beispiellose emotionale und dramatische Vielfalt.

Musik für Bläserensemble Die meisten Kammermusikwerke Beethovens, die Blasinstrumente mit einbeziehen, datieren aus seinen Bonner und frühen Wiener Jahren. Diejenigen, die das Phänomen der Dauerbeschallung (in Restaurants, Fahrstühlen, Einkaufszentren usw.) beklagen, sollten sich damit trösten, dass diese Idee nicht erst gestern geboren wurde. Hintergrundmusik ist so alt wie die Musik selbst. Auf der Höhe der Barockzeit schrieben Komponisten häufig Musik, die dafür bestimmt war, dabei zu sprechen, servieren, einzuschenken ‒ alles außer zuhören, und oftmals unter freiem Himmel aufgeführt wurde. Ein Großteil der Musik von Georg Philipp Telemann war „Tafelmusik“ benannt. Musik für ähnliche Anlässe wurde von Haydn und Mozart komponiert, die ihre Kompetenzen regelmäßig überschritten. Beethoven schuf ebensolche Werke als Hofmusiker des Kurfürsten Maximilian Franz in Bonn, dessen „Haushalt“ eine kleine Blaskapelle aus zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Hörnern und zwei Fagotten umfasste. Für ein derartiges Ensemble schrieb Beethoven 1792 sein Oktett Es-Dur, irreführenderweise markiert als Op. 103, und das Rondino Es-Dur, WoO 25 („WoO“ bedeutet Werk ohne Opuszahl). Für Musik, die im Freien gespielt

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werden sollte, waren Blasinstrumente mit ihrem durchdringenden Klang und ihrer Klangfarbenvielfalt gegenüber den weicheren und homogeneren Streichern zu bevorzugen. Das Oktett ist besonders darauf maßgeschneidert, es mit den Elementen und lauten Banketten aufzunehmen, in auffallendem Unterschied zu Beethovens späterer Umarbeitung des Werkes als Streichquintett. Ungestüme tutti (ganzes Ensemble) und zahlreiche fortissimo-Angaben vereinigen sich mit zarteren Sätzen und schaffen eine musikalische Unterhaltung hohen Ranges. Beethoven hält seine Spieler bei Laune, indem er sie ihr Können demonstrieren lässt, wie bei der Oboe im langsamen Satz, der Klarinette im Finale und der Hornfanfare am Schluss. Andere unterhaltsame Werke dieser Zeit umfassen das Sextett Es-Dur, Op. 71 für je zwei Klarinetten, Oboen, Hörner und Fagotte, und das sogar noch bessere Sextett Es-Dur, Op. 81b (eine weitere irreführende hohe Opuszahl) für zwei Hörner und Streichquartett. Wie vielleicht auffällt, scheint Beethoven in seinen Zwanzigern der Tonart Es-Dur sehr zugetan gewesen zu sein, vor allem in der Kammermusik. Außer in den bereits besprochenen Werken finden wir diese Tonart in drei Klaviertrios (davon eines bestehend aus einem einzigen Satz), einem Streichtrio, einem Adagio für Klavier und Mandoline (!), einer Violinsonate, einem Duett für Viola und Cello, dem Quintett für Klavier und Blasinstrumente, Op. 16, der großartigen Klaviersonate, Op. 7, und im Septett, Op. 20. Von diesen heben sich besonders die letzten drei ab (für Erläuterungen zu Op. 7 siehe Zwischenspiel I). Das Quintett für Klavier und Blasinstrumente scheint sich direkt an Mozarts KV 452 zu orientieren, das ebenfalls in Es-Dur steht und das Mozart als sein bislang bestes Werk betrachtete. Beethovens Werk spielt nach allgemeiner Meinung nicht in dieser Klasse; aber es ist dennoch eine ausgezeichnete Komposition und eines seiner beliebtesten Kammermusikwerke. Interessanterweise arrangierte Beethoven es kurz nach der Fertigstellung als Quartett für Klavier und Streicher. Leider wird dies selten aufgeführt. Einige sind der Meinung, dass die Streichinstrumente mit ihrer Klanghomogenität weniger für die lange, dialogartige Einleitung geeignet sind als die ursprünglichen

Gemischte Besetzungen

Bläser und dass das Fehlen besonders des Horns im „Jagd“-Finale ein fast vernichtendes Manko ist. Sollte man ein Werk als Beethovens Nummer-eins-Hit der Kammermusik auswählen, müsste es das Septett Es-Dur für Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Klarinette, Horn und Fagott sein. Seit seiner Komposition 1799 war es ein stürmischer Erfolg, erhebt aber keinen Anspruch darauf, ein tiefgründiges Werk zu sein. Es ist aber eines der schier entzückendsten Kammermusikwerke überhaupt; und es zeigt schon früh Beethovens Genie für die Kombination kontrastierender Klangfarben in einer Weise, die nicht nur natürlich scheint, sondern unvermeidlich. Man erahnt das Ausmaß seiner Bedeutung seinerzeit an der Tatsache, dass Schubert von einem vermögenden Amateur-Klarinettisten, Graf Ferdinand Troyer, beauftragt wurde, ein Werk zu schreiben, das Beethovens Septett so ähnlich wie möglich ist. Das Ergebnis war eine großartige Komposition, das Oktett F-Dur, das, obwohl die Instrumentierung ähnlich ist (außer der zusätzlichen Violine), durch und durch Schubert ist. Wie Rachmaninows Präludium cis-Moll wurde das Septett so populär, dass sein Komponist manchmal den Tag bereute, als er es schrieb. Nichtsdestoweniger bildet es den Höhepunkt seiner Kammermusikwerke mit Blasinstrumenten. Die Wegnahme einer zweiten Geige zugunsten eines Kontrabasses war ein Geniestreich, der eine feste Klangbasis für das Gewebe aus Streichern, Holz- und Blechbläsern darüber bildet. Beethoven war sich des Potenzials des Werks für Amateur-Aufführungen bewusst und vermied hier die virtuosen Instrumentalsoli, die sich in vielen der früheren Kammermusikwerke finden. Bedeutend ist zudem seine Übernahme einer lockeren, divertimentohaften Folge von sechs Sätzen. Mit der Komposition des Septetts nimmt Beethovens offenkundige Fixierung auf die Tonart Es-Dur ein Ende, genauso sein Einsatz von Bläserensembles in Kammermusikwerken. Das ist kein Zufall. Die Wahl von Es-Dur für fast eine Handvoll seiner Werke für Blasinstrumente war strategisch. Aus Intonationsgründen, auf die hier wegen der Komplexität nicht näher eingegangen werden kann, war Es-Dur bei Weitem die beste Tonart, um alle sei-

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ne verschiedenen Bläserbesetzungen zusammenzubringen, sowohl innerhalb der Instrumentenfamilie als auch in Kombination mit Streichern oder Klavier. Ab 1800 beschränkte sich Beethovens Verwendung von Bläsern in seinen Kammermusikwerken auf ein einziges Instrument, mit einer Ausnahme (ein Adagio für drei Hörner im Jahr 1815). Zwei Werke verdienen besondere Erwähnung. Eines ist die Sonate für Horn und Klavier, Op. 17; das andere ist die wunderbare Serenade D-Dur, Op. 25 für die ungewöhnliche Kombination aus Flöte, Violine und Viola. Dieses Stück, im Grunde ein sechssätziges Divertimento, ist abwechselnd kompakt und ausgedehnt und zeigt Beethoven äußerst einfallsreich, sowohl im Aufbau als auch strukturell und instrumental. Angesichts des liebevollen und idiomatischen Flötenparts scheint es überraschend, dass er das Instrument so sparsam in seiner gesamten Musik einsetzte. Gelegentlich gönnt er hier der Flöte eine Pause und führt allein die Streicher fort, er erlaubt der Bratsche zuweilen, sich hoch über die Violine aufzuschwingen, oder er nutzt Doppelgriffe, um den flüchtigen Eindruck eines Streichquartetts zu erwecken. Wie bereits erwähnt, war Beethoven in diesem Lebensabschnitt mehr als glücklich und verwöhnte seine Spieler: Beobachten Sie hier die virtuosen Möglichkeiten eines jeden im strahlenden Finale. Die beiden Variationssätze über Volksweisen für Klavier mit Flöte oder Violine ad libitum aus 1818‒19 sind im Grunde nicht für Blasinstrumente und wenig mehr als Kuriositäten. Andere sind zwei Werke, die um 1795 entstanden, für zwei Oboen und Englischhorn (ein Instrument, das er nie wieder verwendete, trotz seiner offensichtlichen Vorliebe für die Oboe in seiner Orchestermusik), ein Quintett (wieder in Es-Dur) für Oboe, drei Hörner und Fagott sowie, die merkwürdigsten von allen, vier Werke für Klavier und Mandoline. Die eindringlichsten und umfangreichsten von Beethovens instrumentalen Sonderbarkeiten sind die drei Equali für vier Posaunen, 1812 komponiert. Zwei von ihnen wurden denkwürdigerweise bei seinem Begräbnis in einem Arrangement für Stimmen aufgeführt. 66

KAPITEL 3

Der Held

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enn das „Heiligenstädter Testament“ und die zweite Sinfonie widersprüchliche Geschichten über Beethovens Innerstes erzählen, was können wir dann sicher aus der dritten Sinfonie, der „Eroica“, ableiten? Sie wurde ursprünglich als eine Hommage an Napoleon geschrieben, den Beethoven zu dieser Zeit fast bis zur Abgötterei verehrte, und sie sollte dessen Namen im Titel tragen. Als Napoleon sich am 20. Mai 1804 selbst zum Kaiser ernannte, war Beethoven, wie viele seiner vornehmeren Zeitgenossen, empört und fühlte sich verraten. Ferdinand Ries erlebte die unmittelbare Konsequenz: Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Buonaparte habe sich zum Kaiser erklärt, worauf er in Wut geriet und ausrief: „Ist der auch nichts anders als wie ein gewöhnlicher Mensch? Nun wird er auch die Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher als alle anderen stellen, ein Tyrann werden!“ Beethoven ging an den Tisch, faßte das Titelblatt oben an, riß es ganz durch und warf es auf die Erde. Die erste Seite wurde neu geschrieben, und nun erst erhielt die Sinfonie den Titel: Sinfonia eroica.

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Der Held

Man nimmt an, dass Ries das Original-Manuskript sah, das anschließend verschwand. Betrachtet man Beethovens eigenartige Haltung gegenüber den autografen Partituren sogar seiner bedeutendsten Werke, überrascht das kaum. Ries bemerkte um dieselbe Zeit: Beethoven legte gar keinen Werth auf seine eigenhändig geschriebenen Sachen; sie lagen meistens, wenn sie einmal gestochen waren, im Nebenzimmer oder mitten im Zimmer mit anderen Musikstücken auf dem Boden. Ich habe seine Musik oft in Ordnung gebracht; allein wenn Beethoven etwas suchte, so flog wieder alles durcheinander. Ich hätte dazumal sämmtliche Compositionen, die schon gestochen waren, in der Original-Handschrift wegnehmen können; auch würde er sie mir, wenn ich ihn darum gebeten hätte, wohl selbst unbedenklich gegeben haben. Aber Beethoven war noch nicht damit zu Ende, seine Wut gegen Napoleon auszulassen. Auf der Abschrift der Partitur, die man bei der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien besichtigen kann, ist Napoleons Name so heftig ausradiert worden, dass dort ein Loch im Papier ist. Ries’ Chronologie ist jedoch falsch. Als Beethoven die Sinfonie nur drei Monate später Breitkopf & Härtel anbot, wies er darauf hin, dass sie den Werktitel „Bonaparte“ habe. Erst als sie im Druck erschien, trug sie den Titel „Eroica“. Im Lichte dessen, was wir über Beethovens Leben jener Zeit wissen, erscheint es klar, dass der wahre Held der Sinfonie, bewusst oder nicht, niemals wirklich Napoleon war, sondern Beethoven selbst ‒ oder zumindest, dass sich das Werk vornehmlich nicht mit einem individuellen Helden beschäftigt, sondern mit der Natur des Heldentums selbst, wie sie Beethoven angesichts seiner eigenen Erfahrung auffasste. Die „Eroica“ kann also als Beethovens eigene Antwort auf das „Heiligenstädter Testament“ gesehen werden. Falls ihre vier enormen Sätze einem bestimmten Programm folgen ‒ Kritiker des 19. Jahrhunderts scheinen darauf bestanden zu haben ‒, hat dieses mit dem Heldenmut, der

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Verzweiflung gegenüberzutreten und sie zu überwinden, zu tun. Die „Eroica“ war ein wichtiger Meilenstein, nicht nur in Beethovens Leben, sondern in der Musikgeschichte überhaupt. Nie zuvor war Musik so offensichtlich und überwältigend in der individuellen Erfahrung ihres Komponisten verwurzelt; niemals hatte sie solch epische Ausmaße angenommen (der erste Satz allein ist so lang wie viele gesamte Sinfonien des 18. Jahrhunderts). Auch waren unerschütterlicher Verstand und leidenschaftliches Gefühl noch nie mit solch zwingender Logik vereint worden. Die Skizzenbücher, in denen Beethoven sich langsam und mühevoll zur letzten Wahrheit und Kraft der „Eroica“ tastete, bilden selbst eine Art heldenmütiges Dokument. Trotz der Größe seines Genies war Beethoven kein Komponist wie Mozart oder Schubert, aus denen die zündenden Ideen mit Leichtigkeit herausflossen. Von Anfang an war er ein Ringer, ein Mann, der wusste, dass man den Mut zu versagen haben musste, um das Ziel zu erreichen. Einige seiner frühen Entwürfe sind in der Tat verblüffend gewöhnlich. Aber langsam, mühselig beugt er das nicht viel versprechende Material zu seiner Bestimmung. Für Beethoven waren Kampf und Komposition fast Synonyme. Was die „Eroica“ so heroisch macht, ist ihre Manifestation des unbeugsamen Triumphs des menschlichen Willens. Ein Komponist, der den Lauf der Musikgeschichte ändert, trifft zwangsläufig auf Widerstand, und mit der „Eroica“ begann Beethovens bis dahin treues und enthusiastisches Publikum zu zaudern. Der Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung sprach vielen aus der Seele, als er schrieb:

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Diese lange, für die Ausführung äußerst schwierige Komposition, ist eigentlich eine sehr weit ausgeführte, kühne und wilde Phantasie. Es fehlt ihr gar nicht an frappanten und schönen Stellen, in denen man den energischen, talentvollen Geist des Schöpfers erkennen muss: sehr oft aber scheint sie sich ganz ins Regellose zu verlieren. Der Schreiber gehört gewiß zu Hrn. v. Beethovens aufrichtigsten Verehrern, aber bei dieser Arbeit

Der Held

muß er doch gestehen, des Grellen und Bizarren allzuviel zu finden, wodurch die Uebersicht äußerst erschwert wird und die Einheit beinahe ganz verloren geht. Die reine Länge und Dichte des Werks verwirrte manch einen sonst wohlgesinnten Hörer, und ein ähnlich großangelegter Bauplan wurde ein Merkmal von Beethovens Schaffen allgemein. Es war nicht nur das wankelmütige Wiener Publikum, das Mühe hatte, Beethoven durch seine neueste, kompromisslose Phase zu folgen. Auch enge Musikerkollegen wie der Violinist Schuppanzigh beispielsweise waren ratlos ob der drei großartigen Streichquartette, die Beethoven 1806 für den russischen Grafen Rasumowsky schrieb. Wieder war die Spannbreite der Werke beispiellos (das erste beträgt beinahe zweimal die durchschnittliche Länge eines Haydn-Quartetts), ebenso wie die ununterbrochene emotionale Intensität. Mit 35 Jahren schrieb Beethoven bereits, wie er einmal

Graf Andrej Rasumowsky (1752–1836)

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sagte, „für eine spätere Zeit“. Er schrieb reine Musik, direkt aus dem Herzen und verfeinert mit schonungsloser Dichte und geistiger Kontrolle. Mit einem Ausmaß, von dem kein vorhergehender Komponist zu träumen gewagt hätte, schrieb er nicht für die Spieler seiner Zeit, sondern darüber hinaus. Als Schuppanzigh sich beschwerte, dass eine Passage in einem der Quartette unspielbar sei, war Beethoven ungerührt: „Glaubt er, ich denke an seine elende Geige, wenn der Geist zu mir spricht?“ Wie Athleten und Wissenschaftler seit Jahrhunderten überschritt Beethoven die Grenzen des Möglichen über das Bekannte hinaus. Er beschleunigte wissentlich die musikalische Entwicklung. Natürlich können heute Musiker alles spielen, was er komponierte, ohne einen Hauch von Waghalsigkeit. Die technischen Herausforderungen Beethovens bedeutender Quartette sind jedoch nichts im Vergleich mit der emotionalen und geistigen Erfahrung, die sie vermitteln sollen. Im langsamen Satz des zweiten „Rasumowsky-Quartetts“, der allein fast eine Viertelstunde dauert, scheint er von seiner eigenen inneren Einsamkeit mit einer Unmittelbarkeit zu sprechen, dass sich der Zuhörer fast indiskret vorkommt. Nicht lange, bevor er die „Rasumowsky-Quartette“ schrieb, hatte Beethoven seine dritte Abweisung durch eine Frau erlebt, die er zu heiraten gehofft hatte. An diesem Punkt seines Lebens schien er gewissermaßen alles innerhalb der Familie halten zu wollen – ihrer, nicht seiner. Nachdem er eine Gräfin verloren hatte, Giulietta, verliebt er sich nun in eine andere, ihre Cousine Josephine. Noch später würde er sich in ihre Schwester Therese verlieben. Josephine, zu einer unglücklichen Heirat gezwungen und seit Kurzem verwitwet, hatte nach der Geburt ihres vierten Kindes einen Nervenzusammenbruch erlitten. Ungefähr zu dieser Zeit begann sie mit Klavierunterricht bei Beethoven, dessen ritterlicher Instinkt sich schnell in eine intensive romantische Leidenschaft verwandelte. Ob sie je offen seine Gefühle erwiderte, werden wir wohl nie wissen. Aber aus einem typisch unbeholfenen Brief, der seinen jüngsten Seelenzustand erklärt, ist kein Zweifel ersichtlich, dass er dies glaubte (Unterstreichungen von Beethoven):

Der Held Josephine Brunsvik

Es ist nun Wahr, ich bin nicht so thätig als ich hätte sein sollen – aber ein innerer Gram – hatte mich lang – meiner sonst gewöhnlichen Spannkraft beraubt, einige Zeit hindurch als das Gefühl der Liebe in mir für sie angebetete J. zu keimen anfing, vermehrte sich dieser noch – sobald wir einmal wieder ungestört beysammen sind, dann sollen sie von meinen wirklichen Leiden und von dem Kampf mit mir selbst zwischen Tod und leben, denn ich einige Zeit hindurch führte unterrichtet seyn – Ein Ereigniß machte mich lange Zeit an aller Glückseeligkeit des Lebens hienieden zweiflen – nun ist es nicht halb mehr so arg, ich habe ihr Herz gewonnen, o ich weiß es gewiß, welchen Werth ich drauf zu legen habe, meine Thätigkeit wird sich wieder Vermehren, und – hier verspreche ich es ihnen hoch und theuer, in kurzer Zeit werde ich meiner und ihrer Würdiger da stehn – o mögen sie doch einigen Werth drauf legen, durch ihre Liebe meine Glückseeligkeit zu gründen – zu Vermehren – o geliebte J., nicht der Hang zum andern Geschlechte zieht mich zu ihnen, nein nur sie ihr ganzes Ich mit allen ihren Eigenheiten – haben meine Achtung – alle

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meine gefühle – mein ganzes Empfindungsvermögen an sie gefesselt – als ich zu ihnen kam – war ich in der festen Entschlossenheit, auch nicht einen Funken Liebe in mir keimen zu laßen, sie haben mich aber überwunden – ob sie das wollten? – oder nicht wollten? – diese Frage könnte mir J. wohl einmal auflösen – Ach himmel [...] – Lange – Lange – Dauer – möge unsrer Liebe werden – sie ist so edel – so sehr auf wechselseitige Achtung und Freundschaft gegründet. – selbst die große Ähnlichkeit in so manchen sachen, im denken und empfinden – o sie laßen mich hoffen, daß ihr Herz lange – für mich schlagen werde – das meinige kann nur – au[f]hören – für sie zu schlagen – wenn – es gar nicht mehr schlägt – geliebte J. leben sie Wohl – Ich hoffe aber auch – daß sie durch mich ein wenig glüklich werden – sonst wär ich ja – eigennüzig Liebesbriefe bringen selten das Beste ihres Schreibers zum Vorschein, sprachlich gesehen, aber Beethovens Briefe an Josephine zeigen ihn höchst unartikuliert. Niemand wusste besser als er selbst, dass Worte nicht seine Stärke waren, aber im Falle dieser besonderen Briefe grenzt das Undeutliche an Zusammenhangslosigkeit:

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warum giebt es keine Sprache die das Ausdrücken kann was noch weit über Achtung – weit über alles ist – was wir noch nennen können – o wer kann Sie aussprechen, und nicht fühlen daß so viel er auch über Sie sprechen möchte – das alles nicht Sie – erreicht – nur in Tönen – Ach bin ich nicht zu stolz, wenn ich glaube, die Töne wären mir williger als die Worte – Sie mein Alles meine Glückseeligkeit – Ach nein – auch nicht in meinen Tönen kann ich es, obschon du Natur mich hierin nicht karg beschenktest, so ist doch zu wenig für Sie. Stille schlage nur armes Herz – weiter kannst du nichts – . Für Sie – immer für Sie – nur Sie – ewig Sie – bis ins Grab nur Sie – Meine Erquickung – mein Alles o Schöpfer wache über Sie – Seegne ihre Tage – eher über mich alles ungemach nur Sie – Stärke

Der Held

seegne tröste Sie [...] – wäre auch Sie nicht die mich wieder an das Leben angekettet auch ohne dieses wäre sie mir alles – Wie waren Josephines Gefühle für den Mann, der diese innigen Ergüsse schrieb? Ihre Zuneigung und Bewunderung sind über jeden Zweifel erhaben. Auch wenn ein undatierter Brief, der vermutlich um dieselbe Zeit verfasst wurde, eine gewisse Verwirrtheit ihrerseits vermuten lässt, scheint seine Aussage im Ganzen unmissverständlich: Meine ohnedieß, für Sie enthousiastische Seele noch ehe als ich Sie persönlich kannte – erhielt durch Ihre Zuneigung Nahrung. Ein Gefühl das tief in meiner Seele liegt und keines Ausdrucks fähig ist, machte mich Sie lieben; noch ehe ich Sie kante machte ihre Musick mich für Sie enthousiastisch – Die Güte ihres Characters. ihre Zuneigung vermehrte es – Dieser Vorzug den Sie mir gewährten. das Vergnügen Ihres Umgangs, hätte der schönste Schmuck meines Lebens seyn können liebten Sie mich minder sinnlich – Daß ich diese Sinnliche Liebe, nicht befriedigen kann – zürnen Sie auf mich – Ich müßte heilige Bande verletzen, gäbe ich Ihrem Verlangen Gehör – Glauben Sie – daß ich, durch Erfüllung meiner Pflichten, am meisten leide – und daß gewiß, edle Beweggründe meine Handlungen leiteten – Dieser Brief überzeugt nicht ganz. Die „heiligen Bande“, die sie erwähnt, betreffen ein Keuschheitsgelübde, das sie beim Tod ihres ungeliebten Ehemanns abgelegt zu haben behauptet. Aber solch ein Gelübde erscheint unwahrscheinlich im Lichte dessen, was wir von ihrem Charakter und Verhalten sowohl vorher als auch nachher wissen; und ihr scheinbar keusches Unbehagen gegenüber Beethovens Sinnlichkeit kann nicht so aufrichtig sein, wie sie es klingen lässt. Aus Thereses Tagebüchern ist deutlich, dass beide Schwestern zu Phasen der Promiskuität tendierten, in denen Josephine sich „rückhaltlos und ohne Bedenken“ hingab. Es wäre schön zu glauben, dass Beethoven keine Kenntnis davon hatte.

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Als sich die Beziehung zwischen Beethoven und Josephine abkühlte, nahm seine Intimität mit ihrer Schwester Therese stetig zu. Während dieser Zeit scheint er sich zumindest teilweise mit seiner Taubheit abgefunden zu haben. Auf einer Skizzenseite der „Rasumowsky-Quartette“ hatte er mit Bleistift geschrieben „Kein Geheimnis sei dein nichthören mehr, auch bei der Kunst“. Danach produzierte er ein Meisterwerk nach dem anderen, von denen viele eine Art triumphierender Gelassenheit ausstrahlen. Dazu zählt das epische Violinkonzert D-Dur von 1806. Selten feierte ein großes Werk eine unheilvollere Premiere. Der Solist, Franz Clement, spielte das Konzert offenbar vom Blatt und unterhielt das Publikum zwischen den Sätzen, indem er auf einer Saite seiner umgedrehten Geige spielte. Aber es sollten noch schlimmere Premieren folgen. Im Dezember 1808 organisierte Beethoven ein lang erwartetes Konzert, in dem er eine Reihe neuester Werke vorstellte. Das Programm dauerte vier Stunden und umfasste die fünfte und sechste Sinfonie, das vierte Klavierkonzert, die Fantasie für Klavier, Orchester, Solisten und Chor („Chorfantasie“), eine Improvisation von Beethoven selbst, die Arie Ah! perfido sowie Teile der C-DurMesse. Im Publikum saß der Komponist, Violinist und Dirigent Louis Spohr:

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Beethoven spielte ein neues Pianofortekonzert von sich, vergaß aber schon beim ersten Tutti, daß er Solospieler war, sprang auf und fing an, in seiner Weise zu dirigieren. Bei dem ersten Sforzando schleuderte er die Arme so weit auseinander, daß er beide Leuchter vom Klavierpulte zu Boden warf. Das Publikum lachte, und Beethoven war so außer sich über diese Störung, daß er das Orchester aufhören und von neuem beginnen ließ. Seyfried, in der Besorgnis, daß sich bei derselben Stelle dasselbe Unglück wiederholen werde, hieß zweien Chorknaben sich neben Beethoven stellen und die Leuchter in die Hand nehmen. Der eine trat arglos näher und sah mit in die Klavierstimme hinein. Als daher das verhängnisvolle Sforzando hereinbrach, erhielt er von Beethoven mit der ausfahrenden Rechten eine

Der Held

so derbe Maulschelle, daß der arme Junge vor Schrecken den Leuchter zu Boden fallen ließ. Der andre Knabe, vorsichtiger, war mit ängstlichen Blicken allen Bewegungen Beethovens gefolgt, und es glückte ihm daher, durch schnelles Niederbücken der Maulschelle auszuweichen. Hatte das Publikum schon vorher gelacht, so brach es jetzt in einen wahrhaft bacchanalischen Jubel aus! Beethoven geriet so in Wut, daß er gleich bei den ersten Akkorden des Solos ein halbes Dutzend Saiten zerschlug. Alle Bemühungen der echten Musikfreunde, die Ruhe und Aufmerksamkeit wieder herzustellen, blieben für den Augenblick fruchtlos. Das erste Allegro des Konzertes ging daher ganz für die Zuhörer verloren. Seit diesem Unfall hatte Beethoven kein Konzert wieder gegeben. Abseits des Klaviers war Beethoven ein höchst tollpatschiger Mensch. Ein Augenzeuge, Ferdinand Ries, berichtet: Beethoven war in seinem Benehmen sehr linkisch und unbeholfen; seinen ungeschickten Bewegungen fehlte alle Anmuth. Er nahm selten etwas in die Hand, das nicht fiel oder zerbrach. So warf er mehrmals sein Tintenfaß in das neben dem Schreibpulte stehende Clavier. Kein Möbel war bei ihm sicher, am wenigsten ein kostbares; Alles wurde umgeworfen, beschmutzt und zerstört. Wie er es so weit brachte, sich selbst rasiren zu können, bleibt schwer zu begreifen, wenn man auch die häufigen Schnitte auf seinen Wangen dabei nicht in Betracht zog. Nach dem Takte tanzen konnte er nie lernen. Daraus ist naheliegend, dass Beethoven als Dirigent fast katastrophal war. Ignaz von Seyfried hat uns eine unvergessliche Charakterskizze hinterlassen: Im Dirigiren durfte unser Meister keineswegs als Musterbild aufgestellt werden, und das Orchester mußte wohl Acht haben, um sich nicht von seinem Mentor irre leiten zu lassen; denn er hatte nur Sinn für seine Tondichtung, und war unabläßig

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

bemüht, durch die mannigfaltigsten Gesticulationen den intendirten Ausdruck zu bezeichnen. [...] Das Diminuendo pflegte er dadurch zu markiren, daß er immer kleiner wurde, und beim pianissimo, so zu sagen, unter das Tactirpult schlüpfte. So wie die Tonmassen anschwellten, wuchs auch er wie aus einer Versenkung empor, und mit dem Eintritt der gesammten Instrumentalkraft wurde er, auf den Zehenspitzen sich erhebend, fast riesengroß, und schien, mit den Armen wellenförmig rudernd, zu den Wolken hinaufschweben zu wollen. Alles war in regsamster Thätigkeit, kein organischer Theil müßig und der ganze Mensch einem perpetuum mobile vergleichbar. [...] Wenn er nun aber gewahrte, wie die Musiker in seine Ideen eingingen, mit wachsendem Feuer zusammenspielten, von dem magischen Zauber seiner Tonschöpfungen ergriffen, hingerissen, begeistert wurden, dann verklärte freudig sich sein Antlitz [...]. Angesichts der Tragödien in seinem Privatleben kann man leicht übersehen, dass Freude nicht nur ein zentraler Bestandteil seiner Musik ist, sondern vielleicht sogar das dominante Merkmal. Diese transzendente Freude ist eines der Bindeglieder für seine andauernde Reputation als bedeutendster Komponist überhaupt.

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ZWISCHENSPIEL III

Beethoven und die menschliche Stimme

Beethovens Vokalwerke bilden den am wenigsten bekannten Zweig seines Schaffens. Die meisten sind heute nur Kennern vertraut. Er schrieb jedoch fast hundert eigene Lieder, viele Volkslied-Vertonungen, vierzig Kanons, fünf Kantaten, ein Oratorium, zwei Messen und einige andere Stücke für Chor oder kleineres Vokalensemble. Überdies war er ein Erneuerer.

Musik für Solostimme Als Liedkomponist übernahm Beethoven wenig aus der Tradition. Es gab vor ihm natürlich ausgezeichnete deutsche Lieder, darunter eine Reihe von Haydn und Mozart. Aber das Hervortreten des deutschen Liedes als bedeutende Kunstform geschah zu Beethovens Lebzeiten, und er trug viel dazu bei, die Voraussetzungen für diese Entwicklung zu schaffen. Der Anfang des Kunstliedes wird oft bei Schubert angesetzt; aber tatsächlich wurden viele Lieder Beethovens schon vor den Schubert’schen geschrieben. Es ist eine Ironie der Musikgeschichte, dass Beethoven und Schubert beinahe ein Jahr lang in derselben, nicht allzu großen Stadt lebten und arbeiteten, ohne sich je zu begegnen. Beethoven nahm seinen jüngeren Zeitgenossen kaum wahr. Erst auf seinem Sterbebett lernte er einige Schubert-Lieder kennen und war Berichten zufolge sehr ergriffen und begeistert von ihnen. Nur eines von Beethovens Liedern wurde dauerhaft berühmt, das frühe Adelaide, ein italienisch anmutendes Liebeslied von 1795, geschrieben unter Salieris Einfluss. Mit seinem Belcanto-Stil, den Beethoven bald ablegte, ist das Lied unter anderem bemerkenswert für die Stim-

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mungs-, Klang- und Bedeutungsvielfalt, in die er den wiederholten Namen der Geliebten kleidet, Adelaide (A-de-la-i-de ausgesprochen). Beethovens bedeutendster Beitrag zur Geschichte des Kunstliedes ist jedoch nicht ein einzelnes Lied, sondern der Zyklus An die ferne Geliebte, Op. 98. Heute erinnert der Begriff Liedzyklus an die großartigen Beispiele von Schubert und Schumann; aber An die ferne Geliebte ist ein Grundstein, wenn auch nicht der erste. Was einen Zyklus von einer bloßen Sammlung von Liedern unterscheidet, ist ein einheitsstiftendes Thema, meist entweder ein Erzählfaden, extern oder intern, oder eine Gesamtstimmung. Zudem sind Zyklen oft um eine sorgfältig ausgewählte Tonartenfolge herum angelegt. In den meisten Liedern seiner unmittelbaren Vorgänger, einschließlich Mozart, liegt die Betonung auf einer volksliedähnlichen Einfachheit mit dem Klavier als untergeordnetem Partner. Die rechte Hand verdoppelt oft die Gesangsmelodie, während die linke einen grundlegenden harmonischen Hintergrund liefert. Der Text dient für gewöhnlich zu wenig mehr, als eine zweckmäßige Stimmung zu erzeugen, illustrative Tonmalerei ist selten. Beethoven gab bei seiner Textwahl sowohl Qualität als auch ausdrucksstarkem Inhalt den Vorzug und war fast besessen davon, den musikalischen Rhythmus dem der Worte anzupassen. In jeder Hinsicht war An die ferne Geliebte bahnbrechend. Niemals zuvor hatte ein Komponist solche Mühen auf sich genommen, gegensätzliche Lieder in ein zusammenhängendes und einheitliches Ganzes einzubinden. Mit den verknüpfenden Klavierzwischenspielen und der Wiederkehr des Eröffnungsliedes am Ende ist An die ferne Geliebte wahrhaftiger „zyklisch“ als die Liedzyklen Schuberts. Beethovens zahlreiche Volkslied-Vertonungen sind von der Qualität unterschiedlich, die besten sind allerdings ausgezeichnet, und ihre fast völlige Missachtung ist eine Schande. Sie wurden 1809 auf Anfrage des schottischen Verlegers George Thomson begonnen, der bereits Pleyel, Kozeluch und Haydn verpflichtet hatte. Sie haben verschiedene Formen für eine unterschiedliche Zahl von Sängern, doch die meisten sind Sololieder mit Klavier-

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begleitung, ergänzt durch optionale Violin- und Cellostimme. Zusätzlich zu den vielen schottischen, walisischen und irischen Weisen (alle von Thomson bestellt) erweiterte Beethoven das geografische Netz, um Volkslieder aus Portugal, Spanien, Italien, Russland, Schweden, Polen, Ungarn, der Ukraine und der Schweiz mit aufzunehmen. Thomson weigerte sich, diese zu veröffentlichen, sodass Beethoven anderweitig eine Möglichkeit fand, sie zu verlegen.

Chormusik Beethovens Kantaten begannen mit grandiosem Umfang. Die Kantate auf den Tod Josephs II. und ihr Pendant Kantate auf die Erhebung Leopolds II. zur Kaiserwürde, beide 1790 komponiert, sind für besondere Gelegenheiten vorgesehen, die offenbar die Fantasie des 19-Jährigen beflügelten. Beethoven hielt so viel von der „Joseph“-Kantate, dass er daraus einen Satz für Fidelio, seine einzige Oper, übernahm. Die Auffassungsgabe des jungen Beethoven für chorische und orchestrale Möglichkeiten war bemerkenswert. Im Eröffnungschor der „Joseph“-Kantate zeigen die klagenden Phrasen im Orchester, die antiphonale Wirkung zwischen Chor und Orchester, wo die Stimmen einsetzen und das Wort „Tod“ ausstoßen, sowie der plötzliche dramatische fortissimo-Ausbruch wundervolle frühe Momente der emotionalen Kraft Beethovens. Der wuchtige letzte Chor der „Leopold“-Kantate gibt einen Ausblick auf das Finale von Beethovens neunter Sinfonie. Jahre später, 1814, wurde Beethovens Kantate Der glorreiche Augenblick, komponiert für den Wiener Kongress, vor einem Publikum aus Monarchen und Fürsten aufgeführt, die sich versammelt hatten, um Napoleons Niederlage zu feiern ‒ ein Publikum, das in Hinblick auf gesellschaftlichen Glanz beinahe ohnegleichen war. In diesem Fall überragte die Brillanz des Publikums leider den der Kantate, die durch einen minderwertigen Text und eine Partitur, die in ihrem Bombast nur durch Wellingtons Sieg (auch als

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Schlachtensinfonie bekannt) desselben Jahres übertroffen wurde, wie gelähmt war. Die Kantate Meeresstille und glückliche Fahrt ist eine vollkommen andere Sache. Sie wurde 1815 für vierstimmigen Chor und Orchester komponiert und vereint zwei Gedichte von Goethe. Wie Beethoven dem Dichter erklärte, als er ihm die Widmung 1823 sendete, geschah dies, weil beide „mir ihres Kontrastes wegen sehr geeignet [schienen], auch diesen durch Musik mitteilen zu können. Wie lieb würde es mir sein zu wissen, ob ich passend meine Harmonie mit der Ihrigen verbunden!“ Goethe antwortete in solchen Fällen nie. Das Werk ist auf seine Weise ein kleines Meisterwerk, nicht zuletzt aufgrund der Lebhaftigkeit und Sensibilität, mit denen Beethoven die Worte und Klangfarben umsetzte. Der Chorsatz ist vollkommen idiomatisch und zeigt nicht die technischen Herausforderungen, über die sich Sänger später in der Neunten und der Missa solemnis beschwerten. Ein großer Teil des Orchestersatzes ist ebenfalls genial, nicht zuletzt im langen, hypnotischen pianissimo-Anfang, in dem die Sonne auf der ruhigen See glitzert. Mit Ausnahme des Finales der neunten Sinfonie, das ein Sonderfall ist, und der eng verwandten „Chorfantasie“, Op. 80, sind die bedeutenden Chorwerke des reifen Beethoven ein Oratorium und zwei Messen. Christus am Ölberge wurde nach der HeiligenstadtKrise von 1802 geschrieben, als Haydns großartige Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten den Wienern noch in frischer Erinnerung waren. Es erfreute sich im 19. Jahrhundert als eine im Wesentlichen dramatische Betrachtung des Themas universellen Leidens großer Beliebtheit, aber fiel seitdem weitgehend in Ungnade. Heute erlebt das Oratorium nur wenige Aufführungen. Die Messe C-Dur von 1807 hielt sich weitaus besser, wurde aber unvermeidlich von der späteren und bedeutenderen Missa solemnis überschattet. Beethoven beschrieb beide Werke als „vorzüglich am Herzen“ liegend und war nicht sehr erfreut, als die C-Dur-Messe von Fürst Nikolaus Esterházy als „insuportablement ridicule et detestable (unerträglich lächerlich und scheußlich)“ abgetan wurde, der sie in Auftrag gegeben hatte. Die Nachwelt ließ den Fürsten in einer schmählichen Minderheit stehen.

Beethoven und die menschliche Stimme

Beethovens Originalmanuskript der Missa solemnis, „Dona nobis pacem“

Die Arbeit an der Missa solemnis, 1819 begonnen, zog sich hin und wurde erst 1823 vollendet. Beethoven hielt sie für sein großartigstes Werk, und neun Generationen Musikliebhaber bestätigen sein Urteil. Obwohl sie ursprünglich für liturgische Zwecke gedacht (die Inthronisierung des Erzherzogs Rudolph als Erzbischof von Olmütz 1820) und von tiefen religiösen Gefühlen angeregt war, zeugt das Werk von einer Größe und Universalität, die auch von den aufwändigsten kirchlichen Ritualen kaum zu fassen sind. Zusammen mit Bachs h-Moll-Messe steht sie an der Doppelspitze in der gesamten Geschichte des Genres: eine Messe, aber von sinfonischem Ausmaß und sinfonischer Konzeption. Nur ein Genie gigantischen Formats konnte ein Werk von solcher Komplexität

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und Meisterschaft ersinnen. In seiner berühmten Überschrift des Kyrie sagt Beethoven alles, was er zu sagen wünschte, alles, was gesagt werden muss: „Von Herzen ‒ Möge es wieder ‒ Zu Herzen gehn!“ Es ist ein transzendent emotionales Werk mit einer transzendent spirituellen Absicht. „Bei der Bearbeitung dieser großen Messe [war es] meine Hauptabsicht“, schrieb er, „sowohl bei den Singenden als bei den Zuhörenden, Religiöse Gefühle zu erwecken und dauernd zu machen.“ Dass ihm dies gelang, ist eine historisch belegte Tatsache.

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KAPITEL 4

Die unsterbliche Geliebte

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ur Zeit seines „Marathon“-Konzerts 1808 war Beethoven, noch nicht ganz 40, wahrscheinlich der beliebteste und sicherlich der bekannteste Komponist der Welt. Aber kein Revolutionär wird allseits geliebt. Vielen Konservativen galt Beethoven als Monster, eine mutwillig zerstörerische Bedrohung für die edlen Traditionen von Mozart und Haydn. Ihre Anmaßung konnte atemraubend sein. Nehmen wir den berühmten Dramatiker August von Kotzebue, der in der Wiener Zeitschrift Die Freimütige schrieb: Alle parteilosen Musikkenner und Musikfreunde waren darüber vollkommen einig, dass so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, Verworrenes, das Ohr Empörendes schlechterdings noch nie in der Musik geschrieben worden. Die schneidendsten Modulationen folgen aufeinander in wirklich grässlicher Harmonie und einige kleinliche Ideen vollenden den unangenehmen betäubenden Eindruck.

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Das „Beethovenfieber“, wie Moscheles es nannte, fegte quer über das Habsburgerreich, vor allem in der jüngeren Generation. Kein ernsthafter Komponist genoss bessere Verkäufe, kein vergleichsweise so junger Komponist tauchte so regelmäßig in Konzertprogrammen auf. Doch scheinen ihn finanzielle Sorgen und Furcht

Die unsterbliche Geliebte Fürst Lobkowitz (1772–1816), einer der großzügigen Mäzene Beethovens

vor seiner unmittelbaren Zukunft aufgefressen zu haben. „Manchmal“, schrieb er einem Freund, „möchte ich bald toll werden über meinen unverdienten Ruhm, das Glück sucht mich und ich fürchte mich fast deswegen vor einem neuen Unglück.“ Aber es gab keines, wenigstens noch nicht. 1809 wurden seine finanziellen Sorgen beigelegt, als Erzherzog Rudolph zusammen mit den Fürsten Kinsky und Lobkowitz für ihn eine auskömmliche Rente aussetzten, um ihn in Wien zu halten. Beethoven war jedoch typischerweise bereit, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen und zu feilschen, indem er auf einer Reihe eigener Bedingungen bestand, ohne die er das Angebot nicht annehmen würde. Letzten Endes zog er die meisten zurück, sein Stolz war zufriedengestellt, und das endgültige Dokument wurde am 1. März ausgestellt und unterzeichnet:

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VERTRAG Die täglichen Beweise welche Herr Ludwig van Beethoven von seinen ausserordentlichen Talente[n] und Genie, als Tonkünstler und Compositeur giebt, erregen den Wunsch, daß er die grösten Erwartungen übertreffe, wozu man durch die bisher gemachte Erfahrung berechtiget ist. Da es aber erwiesen ist, daß nur ein so viel [als] möglich sorgenfreyer Mensch, sich einem Fache allein widmen könne, und diese, vor allen übrigen Beschäftigungen ausschlüssliche Verwendung, allein im Stande sei, grosse, erhabene, und die Kunst veredelnde Werke zu erzeugen; so haben Unterzeichnete den Entschluß gefaßt, Herrn Ludwig van Beethoven in den Stand zu setzen, daß die nothwendigsten Bedürfnüsse ihn in keine Verlegenheit bringen und sein kraftvolles Genie dämmen sollen. Demnach verbinden sie sich ihm die bestimmte Summe von 4000f jährlich auszuzahlen und zwar: Se. Kais. Hoheit der Erzherzog Rudolph . . . . . . . . . . Fl. 1500 Der Hochgebohrne Fürst Lobkowitz . . . . . . . . . . . . . . Fl. 700 Der Hochgebohrne Fürst Ferdinand von Kinsky . . Fl. 1800 zusammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fl. 4000

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welche Herr Ludwig van Beethoven in halbjährigen Raten bei jeden dieser hohen Theilnehmern nach Maasgabe des Betrags gegen Quittung erheben kann. Auch sind Unterfertigte diesen Jahrgehalt zu erfolgen erböthig bis Herr Ludwig van Beethoven durch eine Anstellung, eine der Summe gleiches Aequivalent erhalten würde. Sollte diese Anstellung unterbleiben, und Herr Ludwig van Beethoven durch einen unglücklichen Zufall, oder Alter verhindert seyn seine Kunst auszuüben, so bewilligen ihm die Herrn Theilnehmer diesen Gehalt auf Lebenslang. Dafür aber verbürgt sich Herr Ludwig van Beethoven, seinen Aufenthalt in Wien wo die hohen Fertiger dieser Urkunde [sich] befinden, oder einer andern in deren Erbländern Sr

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oesterreichisch kaiserlichen Majestät liegenden Stadt zu bestimmen, und diesen Aufenthalt nur auf Fristen zu verlassen, welche Geschäfte, oder der Kunst Vorschub leistende Ursachen veranlassen können, wovon aber die Herren Contribuenten verständiget, und mit selben einverstanden seyn müsten. So gegeben Wien den 1 März 1809. (L. S.) Rudolph, Erzherzog. (L. S.) Fürst von Lobkowitz, Herzog von Raudnitz. (L. S.) Ferdinand Fürst Kinsky. Bezeichnenderweise war jeder der Unterzeichner jünger als Beethoven. Mit 35 Jahren war Lobkowitz der älteste, Kinsky und Rudolph waren 27 bzw. 21 Jahre alt. Bedeutsam ist dies aufgrund Beethovens besonderer Anziehungskraft auf die Jugend. Gewiss bekam niemand einen besseren Gegenwert für sein Geld als Rudolph, der offensichtlich ein außergewöhnlicher Pianist war. Er sollte schließlich der Widmungsträger nicht nur des berühmten Erzherzog-Trios, Op. 97, sondern auch des wunderbaren EsDur-Klavierkonzerts sein, im englischsprachigen Raum unter dem Titel „Emperor“ bekannt (ironisch, im Hinblick auf die „Eroica“Episode), der „Lebewohl“-Sonate („Les Adieux“), Op. 81a, der „Hammerklaviersonate“, Op. 106, und der Missa solemnis. Beethoven gilt allgemeinhin als universellster aller Komponisten. Durch die Kraft seiner Vision und die Stärke seiner Persönlichkeit scheint seine Musik Gefühlsbereiche erschlossen zu haben, die Zuhörer auf der ganzen Welt als der gesamten Menschheit gemeinsam erkannt haben. Die Größe seiner Musik liegt jenseits aller analytischen Erklärung, aber sie kann umfassend durch das Zeugnis von Zuhörern aus allen Gesellschaftschichten über zwei Jahrhunderte belegt werden. Unter anderem ist es Musik von herausragender Intensität. Unter den vielen Dingen, die Beethovens Musik einzigartig machen, ist ihre außergewöhnliche Fähigkeit, Mut einzuflößen. Mehr als das: Sie hat viele Menschen dazu gebracht, auf höchster Ebene ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben, das über die einfachen Annehmlichkeiten in Gesellschaft hinausgeht.

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Auch muss man nichts über sein Leben und die Umstände wissen, um dies zu fühlen. Auf äußerst mysteriöse Weise fühlen wir durch sein Beispiel, dass wir uns der Wirklichkeit ohne Furcht stellen können. Das Schlüsselwort ist hier natürlich „fühlen“. Wir verlieren nicht wirklich unsere Ängste, nicht mehr als er. Furcht ist immerhin ebenso sehr Teil des Lebens wie Leiden und die Fähigkeit, Freude zu empfinden, was Beethoven beides im Überfluss hatte. Was bei Beethoven so einzigartig lebensbejahend ist, ist seine Reaktion auf Furcht und nicht sein Mangel daran. Eng damit verbunden und gleichermaßen wichtig ist seine Haltung gegenüber dem Leiden. Nach den Maßstäben unserer modernen Industriegesellschaften mit ihrem eingebauten Materialismus waren Beethovens Ansichten eindeutig altmodisch. Heute, vielleicht vor allem im Westen, gibt es eine weitverbreitete Tendenz, Leiden als unerwünschte und unter Umständen heilbare Manifestation des Daseins zu sehen. Für Beethoven war es weder unerwünscht noch vermeidbar. Es war eine Tatsache und seine sich ändernde Einstellung ihr gegenüber, von der Kindheit bis zum Tode, bildet das zentrale Drama seines Lebens und, im weiteren Sinne, seiner Musik. In der Kindheit und späteren Hör-Krise war seine erste Reaktion, sich zurückzuziehen. Es war aber nie ein bloßes Zurückziehen davon. Es war ein Rückzug in eine Welt der Vorstellungskraft und Fantasie, in der er ungestört umherstreifen konnte und wo er über Kontrolle verfügte. In diesem Sinne war es überhaupt kein Rückzug, sondern ein Eintritt in Ressourcen und Gebiete des Geistes, die dem Rest von uns meist verschlossen bleiben. Er flüchtete in die Musik. Was sexuelle oder romantische Liebe betrifft (oder eher deren Verhinderung oder Entziehung), stürzte er sich gewöhnlich in unermüdliche harte Arbeit. Die Reaktion auf seine beeinträchtigende Taubheit war komplizierter. Sein unmittelbarer Instinkt war, wie im Heiligenstädter Testament gezeigt, in eine Art gequälter Einsamkeit zurückzuweichen. 90

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Wie traurig ich nun leben muss, alles, was mir lieb und teuer ist, meiden [...]. Meine schönsten Jahre werden dahinfliegen, ohne alles das zu wirken, was mir mein Talent und meine Kraft geheißen hätten. In diesem ersten Stadium finden wir etwas, was der Scham sehr ähnelt. Er offenbart seine Notlage nur zwei Freunden, beide weit entfernt von Wien, und erlegt ihnen Verschwiegenheit auf: „Die Sache meines Gehörs bitte ich Dich als ein großes Geheimnis aufzubewahren und niemand, wer es auch sei, anzuvertrauen.“ Aber Rückzug war nie wirklich seine Sache. Die erste unverkennbar positive Reaktion war, wie vielleicht vorherzusehen, Trotz. „Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen“, erklärte er ‒ und er tat es. In der berühmten fünften Sinfonie hört man das Fatum, um Schindlers (nicht Beethovens) Symbolik zu verwenden, drohend an die Tür pochen. Sobald es über die Schwelle tritt, erlebt es die Niederlage seines Lebens; die Sinfonie endet mit einer fantastischen, freudigen Feier des Triumphs über das Missgeschick . Der Heldenmut von Beethovens Erwiderung ist unendlich spannend, aber das Fatum – oder die Unvermeidlichkeit des Leidens, wie man es auch immer nennen mag – ist ein zu elementarer Gegner, um mit ihm fertig zu werden, sogar durch Beethovens einst geliebte „Moral der Kraft“. Das war nicht genug, um sich dagegen aufzulehnen, so heroisch es auch war. Rebellion konnte weder die Tatsachen ändern, noch konnte sie unbegrenzt aufrechterhalten werden. Wie bei den meisten Konflikten lag die Lösung darin, sich zu arrangieren, was normalerweise Zeit erforderte und ein Maß an Widerspruch mit sich brachte. „Ich habe schon oft den schöpfer und mein daseyn verflucht“, schrieb Beethoven 1801, „Plutarch hat mich zu der Resignation geführt, [...] resignation: welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzige übrige.“ Später wurde die Resignation durch etwas weniger Passives ersetzt, etwas, das einen Willensakt verlangte, auch wenn das gewünschte Ziel immer noch eine Form des Rückzugs war. Aber nach einigen der merkwürdig unzusammenhängenden

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Einträge seines Tagebuchs zu urteilen, war sein Geist immer noch etwas durcheinander: Ergebenheit, innigste Ergebenheit in dein Schicksal, nur diese kann dir die Opfer – – – zu dem Dienstgeschäft geben – o harter Kampf! – Alles anwenden, was noch zu thun ist, um das Nöthige zu der weiten Reise zu entwerfen – alles mußt du finden, was dein seligster Wunsch gewährt, so mußt du es doch abtrotzen – absolut die stete Gesinnung beobachten. [...] – o Gott! gib mir Kraft, mich zu besiegen. Was er nun verstand und was man mit überwältigender Klarheit hören kann, wenn man seine Musik studiert, ist, dass Leiden nichts Äußerliches ist, sondern ein wesentlicher Teil der menschlichen Erfahrung. Bevor er es überwinden konnte, war es für Beethoven notwendig, es zu akzeptieren, es sogar anzunehmen als Teil seiner eigenen Ganzheit. Die organische Einheit seiner großartigsten Musik – ihre psychologische und emotionale Einheit – wird von Menschen weltweit instinktiv wahrgenommen, Menschen, die nichts über Sonatensatzform oder Tonartbeziehungen oder die Geschichte des Scherzos wissen. Ihre Botschaft, ob von Beethoven beabsichtigt oder nicht, ist eine Botschaft der Hoffnung und des siegreichen Glaubens an die Macht der menschlichen Zähigkeit. Neben seiner voranschreitenden Taubheit und seinen chronischen Unterleibsbeschwerden, die oft sehr schmerzhaft waren, hatte Beethoven weiterhin kein Glück in der Liebe. 1810, nach der Zurückweisung durch zwei Gräfinnen, mit denen er vielleicht eine Affäre hatte oder nicht, wurde sein Heiratsantrag an die junge Nichte seines Arztes abgelehnt. Therese Malfatti war gerade einmal 18 Jahre alt, und der Gedanke, mit diesem dunklen, unfeinen kleinen Mann (der in einigen Kreisen als halb verrückt galt) verheiratet zu sein, war ihr eindeutig zuwider, Genie oder nicht. Dies leuchtet ein. Wie Anton Schindler klar macht, erweckte Beethovens Äußeres zu diesem Zeitpunkt ein wenig Abneigung: 92

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Beethoven dürfte schwerlich über 5 Fuß 4 Zoll Wiener Maass gemessen haben. Sein Körper war gedrängt, von starkem Knochenbau und kräftiger Musculatur; sein Kopf ungewöhnlich gross, mit langem, struppigem, fast ganz grauem Haare bewachsen, das nicht selten vernachlässigt um seinen Kopf hing, und ihm ein etwas verwildertes Aussehen gab, wenn noch dazu sein Bart eine übermässige Länge erreicht hatte, was sehr oft der Fall war. Seine Stirn war hoch und breit; sein braunes Auge klein, das sich beim Lachen beinahe ganz in den Kopf versteckte; dagegen trat es plötzlich in ungewöhnlicher Grösse hervor, rollte entweder blitzend herum, den Stern fast immer nach oben gewandt, oder es bewegte sich gar nicht, stier vor sich hin blickend, sobald sich irgend eine Idee seiner bemächtigte. Damit erhielt aber sein ganzes Aeussere eben so plötzlich eine auffallende Veränderung, ein sichtbar begeistertes und imponirendes Ansehen, so zwar, dass sich diese kleine Gestalt eben so riesenmässig vor einem emporhob, wie sein Geist. Diese Momente der plötzlichen Begeisterung überraschten ihn öfters in der heitersten Gesellschaft, aber auch auf der Strasse, und erregten gewöhnlich die gespannteste Aufmerksamkeit aller Vorübergehenden. [...] Sein Mund war gut geformt und ebenmässig die Lippen (in jüngeren Jahren soll die Unterlippe etwas hervorgetreten seyn). Die Nase etwas breit. Sein Lächeln verbreitete über das ganze Gesicht etwas überaus Gütiges und Liebreiches, das in der Conversation mit Fremden besonders wohl that, indem es sie aufmunterte; dagegen war sein Lachen oft übermässig schallend und verzerrte das geistreiche und stark markirte Gesicht; der grosse Kopf schwoll auf, das Gesicht wurde noch breiter, und das Ganze glich nicht selten einer grinsenden Fratze. In den Nachwehen seiner Zurückweisung durch Therese Malfatti stürzte sich Beethoven, wie gewöhnlich in solchen Situationen, in konzentrierte, harte Arbeit, und vieles der daraus entstandenen Musik spiegelt das Glühen seines schöpferischen Feuers wider. Auf der Liste der Beziehungen Beethovens mit Frauen sticht jedoch ein

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Name vor allen anderen hervor – oder eher das Fehlen ihres Namens. Unter den Papieren, die nach seinem Tode unter seinen Sachen gefunden wurden, befand sich ein sehr langer, dreiteiliger Brief an eine Frau, die er mit „Unsterbliche Geliebte“ anredete, ohne je ihren Namen zu nennen. Wie die mysteriöse „Dark Lady“ in Shakespeares Sonetten hat ihre Identität der Biografiegeschichte eines der größten Rätsel aufgegeben. Verschiedene Namen und viele Theorien wurden vorgebracht, von denen eine, und möglicherweise nur eine, völlig überzeugend scheint. In seiner Beethoven-Biografie von 1977 identifiziert der amerikanische Forscher Maynard Solomon sie als Antonie Brentano, die Frau eines der beständigsten und am meisten geschätzten Freunde Beethovens. Aber diesmal scheint Beethoven im entscheidenden Moment zurückzuweichen – Beethoven, dessen Sehnsucht nach einer Frau und Familie bisweilen fast eine Obsession war. Niemand, der mit Beethovens Briefen und besonders diesem Brief vertraut ist, kann an der Ehrlichkeit des Leidens und der Verwirrung zweifeln, die hier ausgedrückt ist. Der Inhalt ist schwerer nachzuvollziehen:

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am 6ten Juli Morgends. – Mein Engel, mein alles, mein Ich. – nur einige Worte heute, und zwar mit Bleystift (mit deinem) – erst bis morgen ist meine Wohnung sicher bestimmt, welcher Nichtswürdiger Zeitverderb in d.g. – warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht – Kann unsre Liebe anders bestehn als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen, kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin – Ach Gott blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das müßende – die Liebe fordert alles und ganz mit Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir – nur vergißt du so leicht, daß ich für mich und für dich leben muß, wären wir ganz vereinigt, du würdest dieses schmerzliche eben so wenig als ich empfinden – meine Reise war schrecklich ich kam erst Morgens 4 uhr gestern hier an, da es an Pferde mangelte, wählte die Post eine andre Reiseroute, aber welch schrecklicher Weg, auf der vorlezten Station warnte man mich bey nacht zu fahren, machte mich einen Wald fürch-

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Anfang von Beethovens Brief an seine „Unsterbliche Geliebte“

ten, aber das Reizte mich nur – und ich hatte Unrecht, der Wagen muste bey dem schrecklichen Wege brechen, grundloß, bloßer Landweg, ohne 2 solche Postillione, wie ich hatte, wäre ich liegen geblieben Unterwegs. – Esterhazi hatte auf dem andern

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gewöhnlichen Wege hierhin dasselbe schicksaal, mit 8 Pferden, was ich mit vier. – Jedoch hatte ich zum Theil wieder vergnügen, wie immer, wenn ich was glücklich überstehe. – nun geschwind zum innern vom aüßern, wir werden unß wohl bald sehn, auch heute kann ich dir meine Bemerkungen nicht mittheilen, welche ich während dieser einigen Tage über mein Leben machte – wären unsre Herzen immer dichtan einander, ich machte wohl keine d.g. die Brust ist voll dir viel zu sagen – Ach – Es gibt Momente, wo ich finde daß die sprache noch gar nichts ist – erheitre dich – bleibe mein Treuer einziger schaz, mein alles, wie ich dir das übrige müßen die Götter schicken, was für unß seyn muß und seyn soll. – dein treuer ludwig. Abends Montags am 6ten Juli – Du leidest du mein theuerstes Wesen – eben jezt nehme ich wahr daß die Briefe in aller Frühe aufgegeben werden müßen. Montags – Donnerstags – die einzigen Täge wo die Post von hier nach K. geht – du leidest – Ach, wo ich bin, bist auch du mit mir, mit mir und dir rede ich mache daß ich mit dir leben kann, An dieser Stelle schaltet Beethoven um und fängt metaphysische Überlegungen an, die zeitweise fast zusammenhangslos sind und eine beträchtliche Geistesverwirrung nahelegen:

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welches Leben!!!! so!!!! ohne dich – Verfolgt von der Güte der Menschen hier und da, die ich meyne – eben so wenig verdienen zu wollen, als sie zu verdienen – Demuth des Menschen gegen den Menschen – sie schmerzt mich – und wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich und was ist der – den man den Größten nennt – und doch – ist wieder hierin das Göttliche des Menschen – ich weine wenn ich denke daß du erst wahrscheinlich Sonnabends die erste Nachricht von mir erhältst – wie du mich auch liebst – stärker liebe ich dich doch – doch nie verberge dich vor mir – gute Nacht –

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als Badender muß ich schlafen gehn – Ach gott – so nah! so weit! ist es nicht ein wahres Himmels-Gebaüde unsre Liebe – aber auch so fest, wie die Veste des Himmels. – Der dritte Teil des Briefes wurde anscheinend niedergeschrieben, sobald er nach dem Erwachen seine Augen geöffnet hatte: guten Morgen am 7ten Juli – schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir meine Unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksaale abwartend, ob es unß erhört – leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht, ja ich habe beschlossen in der Ferne so lange herum zu irren, bis ich in deine Arme fliegen kann, und mich ganz heymathlich bey dir nennen kann, meine Seele von dir umgeben in’s Reich der Geister schicken kann – ja leider muß es seyn – du wirst dich fassen um so mehr, da du meine Treue gegen dich kennst, nie eine andre kann mein Herz besizen, nie – nie – O Gott warum sich entfernen müßen, was man so liebt, und doch ist mein Leben in V.[ienna] so wie jezt ein kümmerliches Leben – Deine Liebe macht mich zum glücklichsten und zum unglücklichsten zugleich – in meinen Jahren jezt bedürfte ich einiger Einförmigkeit Gleichheit des Lebens – kann diese bey unserm Verhältniße bestehn? – Engel, eben erfahre ich, daß die Post alle Tage abgeht – und ich muß daher schließen, damit du den B. gleich erhältst – sey ruhig, nur durch Ruhiges beschauen unsres Daseyns können wir unsern Zweck zusammen zu leben erreichen – sey ruhig – liebe mich – heute – gestern – Welche Sehnsucht mit Thränen nach dir – dir – dir – mein Leben – mein alles – leb wohl – o liebe mich fort – verken[ne] nie das treuste Herz deines Geliebten L. ewig dein ewig mein ewig unß 97

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Der Brief wurde offensichtlich nie abgeschickt, noch enthält er irgendeinen Hinweis, wohin er gerichtet war. Seine Unklarheit im Hinblick auf die Identität der Frau zeigt alle Anzeichen, absichtlich gewesen zu sein. Der einzige geografische Fingerzeig ist durch den Anfangsbuchstaben „K“ verschleiert. Es gibt keinen Verweis auf ihren Ehestand, geschweige denn Elternschaft. Aufgrund des Tonfalls des Briefes scheint es so gut wie sicher, dass sie seine Liebe erwiderte und bereit war, große Opfer zu bringen, um die Verbindung mit ihm einzugehen. Es kann keinen Zweifel geben, dass diese Affäre Beethoven weitaus mehr Schmerz zufügte als die Ablehnung durch Therese Malfatti. Aber es gibt eine weitere Möglichkeit, nämlich dass die ganze Sache ein durchdachtes Traumgebilde ist – dass die Unsterbliche Geliebte nicht eine Frau ist, sondern die Frau; dass sie die Summe von Beethovens Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten vor Frauen allgemein und der Ehe im Besonderen darstellt. Es gibt noch einen interessanten Punkt. Der Brief konnte überzeugend auf den Sommer 1812 zurückgeführt werden, aber es gibt kein musikalisches Gegenstück. In der G-Dur-Violinsonate, Op. 96, die unmittelbar danach komponiert wurde, weicht der titanenhafte Kämpfer Beethoven einer besonderen Sanftmut und Gelassenheit. Es ist, als ob diese Krise letztendlich aufgelöst wäre und ihn mit einem neuen abgeklärten und tröstenden Verständnis seiner eigenen Identität zurückgelassen hätte. In dem nämlichen Sommer 1812 reiste Beethoven in den böhmischen Kurort Teplitz , wo er den einzig vergleichbaren Giganten deutscher Kultur, den Dichter, Dramatiker und Universalgebildeten Johann Wolfgang von Goethe traf. Beethoven bewunderte Goethes Poesie schon lange. Seine zahlreichen von Goethe inspirierten Werke hatten zwei Jahre zuvor ihren Höhepunkt in seiner Bühnenmusik für das Trauerspiel Egmont gefunden. Nicht lange nach ihrer Begegnung in Teplitz begann er die Vertonung von Goethes Meeresstille und glückliche Fahrt, die er dem Dichter widmete, und schrieb ihm in einem Brief: „die Verehrung, Liebe und Hochachtung, welche ich für den einzigen, unsterblichen Goethe von meinen Jünglingsjahren schon hatte, ist immer mir geblieben“,

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und das trotz eines gewissen Maßes an Ernüchterung durch den Dichter selbst. Obwohl beide für einige Zeit während ihres Aufenthalts in Teplitz einander tägliche Weggefährten waren, war jeder vom anderen enttäuscht. „Goethe“, schrieb Beethoven, „behagt die Hofluft zu sehr, mehr als es einem Dichter ziemt. Es ist nicht viel mehr über die Lächerlichkeiten der Virtuosen hier zu reden, wenn Dichter, die als die ersten Lehrer der Nation angesehen sein sollten, über diesem Schimmer alles andre vergessen können ...“ Goethe seinerseits vertraute seinen Eindruck von Beethoven seinem Freund an, dem Komponisten und Lehrer Carl Friedrich Zelter: Zusammengeraffter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen. [...] Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht Unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verläßt. Es gab nur wenige Dinge, die Beethoven mehr verabscheute als bemitleidet zu werden. Einige mögen sagen, dass sein Selbstmitleid wenig Raum für das Mitleid anderer ließ. Es gibt zahlreiche Stellen, wo er sich selbst als „das unglücklichste Geschöpf Gottes“ und so fort beschreibt. Auch in seinem Tagebuch beschwört er den Allmächtigen häufig. „Gott helfe! Du siehst mich von der ganzen Menschheit verlassen [...]. O hartes Geschick! o grausames Verhängnis! Nein, nein, mein unglücklicher Zustand endet nie!“ Der Welt im Allgemeinen und in seinen Beziehungen zu Personen, denen er bei den täglichen Angelegenheiten begegnete, konnte er ein ganz anderes Gesicht der von Goethe beschriebenen „ungebändigten Persönlichkeit“ zeigen. Unter denen, die in dem böhmischen Heilbad eine Kur machten, war Karl von Ense: Die letzten Tage im Ausgang des Sommers lernt’ ich in Töplitz Beethoven kennen, und fand in dem als wild und ungesellig

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verrufenen Mann den herrlichsten Künstler von goldenem Gemüth, großartigem Geist und gutmüthiger Freundlichkeit. Was er Fürsten hartnäckig abgeschlagen hatte, gewährte er uns beim ersten Sehen, er spielte auf dem Fortepiano. Ich war bald mit ihm vertraut, und sein edler Charakter, das ununterbrochene Ausströmen eines göttlichen Hauchs, das ich in seiner übrigens sehr stillen Nähe immer mit heiliger Ehrfurcht zu empfinden glaubte, zogen mich so innig an ihn, daß ich tagelang der Unbequemlichkeit seines Umgangs, der durch sein schweres Gehör bald ermüdend wird, nicht achtete. Anders als viele Komponisten war Beethoven durchaus bereit, über seine Kompositionsweise zu sprechen, was uns eine faszinierende Einsicht in die Vorgänge seines Geistes verschafft: Ich trage meine Gedanken lange, oft sehr lange mit mir herum, ehe ich sie niederschreibe. Dabei bleibt mir mein Gedächtnis so treu, daß ich sicher bin, ein Thema, welches ich einmal erfaßt habe, selbst nach Jahren nicht zu vergessen. Ich verändere manches, verwerfe und versuche aufs neue so lange bis ich damit zufrieden bin; dann aber beginnt in meinem Kopfe die Verarbeitung in die Breite, in die Enge, Höhe und Tiefe, und da ich mir bewußt bin, was ich will, so verläßt mich die zu Grunde liegende Idee niemals, sie steigt, sie wächst empor, ich höre und sehe das Bild in seiner ganzen Ausdehnung, wie in Einem Gusse vor meinem Geiste stehen, und es bleibt mir nur die Arbeit des Niederschreibens, die rasch von statten geht, je nachdem ich die Zeit erübrige, weil ich zuweilen mehreres zugleich in Arbeit nehme, aber sicher bin, keines mit dem anderen zu verwirren. Sie werden mich fragen, woher ich meine Ideen nehme? Das vermag ich mit Zuverlässigkeit nicht zu sagen; sie kommen ungerufen, mittelbar, unmittelbar, ich könnte sie mit Händen greifen, in der freien Natur, im Walde, auf Spaziergängen, in der Stille der Nacht, am frühen Morgen, angeregt durch Stimmungen, die sich bei dem Dichter in Worte, bei mir 100

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in Töne umsetzen, klingen, brausen, stürmen, bis sie deutlich in Noten vor mir stehen. Anton Schindler erwies sich als eher unzuverlässiger Chronist von Beethoven Leben und Gesprächen; aber es gibt keinen Grund, dem folgenden Bericht seiner Arbeitsgewohnheiten zu misstrauen: Beethoven pflegte gewöhnlich Winter und Sommer mit Tagesanbruch aufzustehen, und auch sogleich an den Schreibtisch zu gehen. Von da arbeitete er bis zwei, drei Uhr, der Zeit seines Mittagstisches. In der Zwischenzeit lief er wohl ein oder zweimal ins Freie, wo er [...] „spazieren[d] arbeitete“, kam nach einer halben oder vollen Stunde wieder mit neuen Ideen nach Hause, und schrieb sie nieder. Gleichwie die Biene aus den Blumen des Feldes ihren Honig sammelt, so sammelte Beethoven, im freien Felde herum laufend, seine erhabenen Ideen; und diese plötzlichen Ausflüge, wie das eben so schnelle Wiederkommen, blieben sich in jeder Jahreszeit gleich, so dass ihn weder Kälte noch Wärme, weder Regen noch Sonnenschein hinderten. Die Nachmittage waren zu regelmäßigen Spaziergängen bestimmt; zu späterer Stunde pflegte man ein bevorzugtes Bierhaus aufzusuchen, um die Tagesliteratur zur Hand zu nehmen, wenn dieses Bedürfnis nicht bereits in einem Kaffeehause befriedigt worden. Ignaz von Seyfried erinnerte sich in blumigem Stil an eine angenehme Begebenheit des Jahres 1801: Beethoven brachte die Sommermonate alljährlich auf dem Lande zu, wo er unter dem azurblauen Himmelszelte am liebsten und erfolgreichsten componirte. Einmal miethete er sich in dem romantischen Mödling ein, um die unterösterreichische Schweiz, den pittoresken Briel, recht nach Herzenslust geniessen zu können. Es wurde also ein vierspänniger Lastwagen mit wenig Mobilien zwar, dagegen aber mit einer ungeheuern

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Wucht von Musikalien befrachtet; die thurmhohe Maschine setzte sich langsam in Bewegung und der Besitzer dieser Schätze marschirte seelenvergnügt per pedes Apostolorum voraus. Kaum ausserhalb der Linien, zwischen blühenden, vom sanften Zephyr wellenförmig bewegt sich schaukelnden Kornfeldern, unter dem Jubelgesang schwirrender Lerchen, die trillernd mit Wonnegruss des lieblichen Lenzes ersehnte Ankunft feierten, erwachte schon der Geist; Ideen durchkreuzten sich, wurden ausgesponnen, geordnet, mit der Bleifeder notirt, ‒ und rein vergessen war nunmehr auch der Wanderung Zweck und Ziel. Die Götter wissen, wo sich unser Meister in der ganzen langen Zwischenzeit herumgetrieben haben mag; genug, er langte erst mit einbrechender Dämmerung schweiss triefend, staubbedeckt, hungerig, durstig und todtmüde in seinem erwählten Tusculum an. Aber, hilf Himmel! welch’ gräuliches Spectakel wartete dort seiner! Der Fuhrmann hatte seine Schneckenfahrt sonder Gefährde vollendet; den Patron aber, dem er sich verdungen und welcher ihn auch bereits bezahlt, zwei Stunden vergebens erwartet. Unbekannt mit dessen Namen, konnte auch keine Nachfrage stattfinden; der Rossebändiger wollte wenigstens zu Hause schlafen, ‒ er machte also kurzen Prozess, lud den gesammten Transport frei auf dem Marktplatze ab und retournirte ungesäumt. Beethoven ärgerte sich vorerst tüchtig; dann brach er in ein schallendes Gelächter aus, dingt, nach kurzer Ueberlegung, ein halbes Dutzend gaffender Strassenjungen und hatte vollauf zu thun, um bis zum die Mitternachtsstunde verkündenden Nachwächterrufe glücklicherweise bei Luna’s Silberschein die Kinder seiner Phantasie mindestens péle-méle noch unter Dach und Fach zu bringen.

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Nur wenige waren schneller erzürnt als Beethoven; noch weniger bereuten den Zorn schneller als er. Dieser Kreislauf war einer seiner Charakterzüge, die am meisten zum Verzweifeln und am gewinnendsten waren. Zu seinen sprunghaften Lebzeiten befremdete er viel und verletzte noch mehr. Aber selten verlor er einen Freund.

ZWISCHENSPIEL IV

Beethoven und das Orchester

Die Sinfonien Bittet man einen durchschnittlichen Klassikliebhaber, die fünf berühmtesten Sinfonien überhaupt zu nennen, stehen die Chancen gut, dass die Antwort vier von Beethoven enthält: die „Eroica“ (Nr. 3), die fünfte (mit dem denkwürdigen „Fatum“-Motiv), die „Pastorale“ (Nr. 6) und die „Chorsinfonie“ (Nr. 9). Nirgendwo mehr als in seinen neun Sinfonien nahm Beethoven das höfische Erbe des 18. Jahrhunderts und verwandelte es in eine flammende Feier der individuellen Freiheit und des Triumphsiegs des menschlichen Geistes. Es gibt kaum einen Winkel unserer emotionalen, geistigen und psychologischen Erfahrung, der nicht irgendwo und irgendwie seinen transzendenten Ausdruck in Beethovens Musik findet. Jede seiner Sinfonien markiert ein besonderes Stadium seiner eigenen geistigen Entwicklung. Es ist bedeutend, dass er bis 1799, seinem 29. Lebensjahr, wartete, ehe er mit seiner ersten Sinfonie begann. Seine Jugend und das frühe Mannesalter sind durch ein mannigfaltiges Schaffen von Klaviersonaten, Konzerten, Kammermusik, Chorwerken usw. belegt, wovon viele ein ungestümes Selbstvertrauen offenbaren. Von früh an hatte er einen starken Glauben an das Schicksal, verbunden mit Ehrgeiz und Wagemut. Er wusste nur zu gut, dass, wenn er die Sinfonie anging, er mutig genug und hinreichend gut gerüstet sein musste, wollte er sich den eindrucksvollen Beispielen von Mozart und Haydn stellen. Schon mit der Anfangsgeste seiner ersten Sinfonie erklärte er sich nicht nur bereit, sondern verhöhnte offen die Erwartungen seiner Zuhörer. Er „streckt die Zunge heraus“, in Form einer einzelnen Kadenz aus zwei Akkor-

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den – die übliche Verbindung, ein Stück zu beenden, nicht, um es einzuleiten. Er beginnt nicht nur gewissermaßen mit einem Ende, er tut es in der falschen Tonart. Drei Takte später befindet er sich immer noch im Kadenzmodus und immer noch in der „falschen“ Tonart, aber nun in einer anderen. Viele Zeitgenossen waren empört, genau wie Beethoven beabsichtigte. Zu Beginn des letzten Satzes spielt er die Töne einer absteigenden Tonleiter einen nach dem anderen, jede neue Stufe erweckt ein unterschiedliches Erwartungsmaß. Schüchtern war er nicht. Kein Komponist, nicht einmal Haydn, gewann mehr künstlerische Leistung aus der Enttäuschung von Erwartungen als Beethoven. In der zweiten Sinfonie (1801‒1802) nutzt er ähnliche Mittel, aber diesmal in ganz anderem Maßstab. Im dritten Satz nimmt er dessen Titel „Scherzo“, das italienische Wort für Witz, wörtlich und macht eine große Schau aus der obsessiven Wiederholung – doch zugegebenermaßen in keinem Verhältnis wie später in der „Pastoral-Sinfonie“. Die größte Überraschung findet sich jedoch im letzten Satz. Alles in der Sinfonie legte bisher nahe (oder hätte dem Publikum seiner Zeit nahegelegt), dass Beethoven sich nach dem Vorbild Haydns später Sinfonien richtet, indem er auf zwei umfangreiche Sätze zwei eher kurze folgen lässt. Aber gerade als wir erwarten, dass er Kurs auf das Ende nimmt, startet er eine turbulente ideenreiche Coda (wörtlich „Schwanzstück“), die schließlich ein Drittel des Satzes ausmacht. Mit der dritten Sinfonie, der „Eroica“ (1803), kommen wir zu einem der revolutionärsten Werke in der Geschichte der Künste. Hier wird der Expansionsdrang, der im Finale der zweiten Sinfonie ersichtlich war, auf das ganze Werk ausgedehnt, das alle bis dahin geschriebenen Sinfonien an Länge übertrifft. Die physische Größe und emotionale Bandbreite der Musik sind gewaltig, ihre Anforderungen an die Musiker beispiellos. Über ihre epische Reichweite hinaus sind viele Einzelheiten von einer Komplexität und Originalität, auf die niemand vorbereitet war. Stellt die Zweite den Schwanengesang des klassischen Sinfonie-Ideals dar, das von Haydn und Mozart vervollkommnet wurde, kann man sagen, dass die Dritte ein neues Zeitalter einleitete.

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Aus irgendeinem Grund haben sich die ungeradzahligen Sinfonien Beethovens immer größerer Beliebtheit erfreut als die geradzahligen, mit Ausnahme der „Pastorale“, Nr. 6. Das ist besonders schade im Fall der Nr. 4 (1806), die vielleicht am seltensten zu hören ist. Kürzer und sparsamer in der Notenzahl als die „Eroica“ zeigt sie, dass die Bedeutung von „Raum“ bei Beethoven nicht von der Länge abhängt. Die Stimmung des Werks als Ganzes ist auffallend verschieden vom vorherrschenden Heroismus der Dritten, aber ihre Intensität ist vergleichbar, ihre Lebhaftigkeit genauso unwiderstehlich, wenn auch weniger energisch. Generell fallen Beethovens Themen in zwei Kategorien. Einerseits sind es schöne, langgesponnene Melodien wie in der vierten Sinfonie, besonders ihr herrliches Adagio; andererseits gibt es kurze, Motto-ähnliche Figuren, die man kaum als Melodien überhaupt beschreiben kann. Ein gutes Beispiel ist der Anfang der berühmten fünften Sinfonie, die 1808 vollendet wurde. „So klopft das Schicksal an die Pforte“, soll Beethoven über die ersten acht Töne gesagt haben. Ta-ta-ta-taaa – Pause – Ta-ta-ta-taaa: Dies ist ein Thema, ja; aber keine Melodie. Aber aus solchen Eicheln erwachsen Beethovens Eichen oft. Ein großer Teil des ersten Satzes ist direkt aus dieser charakteristisch knappen Idee abgeleitet, und ihr Rhythmus spielt später in Scherzo und Finale eine wichtige Rolle. Er geistert auch in einer Reihe anderer Werke Beethovens herum – manchmal in einer ähnlich „schicksalhaften“ Form, wie im ersten Satz der „Appassionata“-Sonate; aber oft mit ganz anderer Wirkung, wie im ersten Satz des lyrischen vierten Klavierkonzerts. Für spannende Aufregung und Abenteuer in der Musik gebührt der fünften Sinfonie die Siegespalme. Millionen von Zuhörern haben über zwei Jahrhunderte herausgefunden, dass man kein wie auch immer geartetes musikalisches „Wissen“ benötigt, um in diesem Werk den Triumph des Willens über Ungemach zu erkennen. Wenngleich es mit allen Zeichen der Tragödie beginnt, ist es eines der am meisten überwältigend lebensbejahenden Werke überhaupt; der unheimliche, gerissene, schattenhafte Übergang vom Scherzo ins Finale mit seinem Schwebezustand zwischen Leben und Tod

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Anfangstakte von Beethovens fünfter Sinfonie, Originalhandschrift

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gehört zu den originellsten Abschnitten der Musik. Erst im siegestrunkenen Finale entfesselt Beethoven seine vollen Orchesterkräfte, inklusive Posaunen und Piccolo. Er begann das Werk mit einem üblichen klassischen Orchester, wie es auch von Mozart und Haydn verwendet wurde, und schließt es mit einer triumphalen Hymne auf den neuen Geist der Romantik, der das 19. Jahrhundert dominieren sollte. Die fünfte Sinfonie sowie die sechste, die sogenannte „Pastorale“ (1808), sind so verschieden wie nur irgend möglich; doch wurden sie in rascher Folge nacheinander komponiert und hatten ihre Uraufführung im selben Konzert. Wo die Fünfte die dynamischste und dichtestgedrängte Sinfonie überhaupt war, war die Sechste die ausladendste und entspannteste. In vieler Hinsicht war sie auch die unkonventionellste. Als einzige unter Beethovens

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Sinfonien hat sie fünf Sätze, von denen die letzten drei in einem durchgespielt werden. Es ist „Programmmusik“ und doch auch wieder nicht (in beiden Fällen laut dem Komponisten), genauso wie sie „(Ton-)Malerei“ ist und nicht ist (auch hier dem Komponisten zufolge). Der Titel „Pastorale“ stammt von Beethoven selbst, wie auch der Untertitel „Erinnerungen an das Landleben“. Aber er schränkt dies ein mit dem Zusatz „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerey“. Jeder der Sätze trägt eine Überschrift: 1tes Stück. Angenehme Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen. 2tes Stück. Scene am Bach. 3tes Stück. Lustiges Beysammenseyn der Landleute; fällt ein 4tes Stück. Donner und Sturm; in welches einfällt 5tes Stück. Wohlthätige mit Dank an die Gottheit verbundene Gefühle nach dem Sturm Als zweitlängste Sinfonie nach der „Eroica“ war dies die gemächlichste Sinfonie, die je geschrieben wurde, die für ihre Wirkung oft auf wagemutig-begeisterte Wiederholung zurückgreift. Eine Passage im ersten Satz behält zum Beispiel dieselbe unveränderte Harmonie für mehr als ein Dutzend Takte bei. Außer der Musik selbst ist das Berühmteste an der siebten Sinfonie (1811‒12) Wagners Charakterisierung als „Apotheose des Tanzes“. Sicherlich basiert keine Sinfonie bisher (inklusive der Fünften) mehr auf Rhythmus als diese, in der jeder Satz seine größte Einheit aus der besessenen Wiederholung und der Entwicklung bestimmter elementarer Rhythmusmodelle zieht. Wie die Achte ist dies eine Sinfonie ohne echten langsamen Satz: Anstelle des erwarteten Adagio oder Andante schrieb Beethoven ein spukhaftes, marschähnliches a-Moll-Allegretto, das in frühen Aufführungen oft als Zugabe gespielt werden musste. Der einzige langsame Abschnitt ist die beeindruckend großzügige Einleitung zum ersten Satz, die charakteristischerweise viele Samen sät, die im eigentlichen Satz zum Tragen kommen.

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Lebendmaske Beethovens, die 1812 angefertigt wurde, als er an seiner siebten Sinfonie arbeitete. Gussform von Franz Klein

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Die achte Sinfonie (1812) ist kompakter und hat ansteckende gute Laune im Überfluss. Ihre Hauptbedeutung in historischer Hinsicht liegt in ihrem Aufbau, sowohl in der Anordnung ihrer Sätze als auch innerhalb der Sätze selbst. Wie in der Siebten gibt es keinen wirklich langsamen Satz. Stattdessen wird ein komisches, Scherzo-ähnliches Allegretto von einem gemütlichen, höfischen Menuett gefolgt, dass nostalgisch zurück auf das 18. Jahrhundert blickt. Die Komödie ist explosiver, anarchischer im Finale, dessen Coda – sogar nach Beethovens Maßstäben enorm – praktisch eine zweite Durchführung und eine zweite Reprise enthält.

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Nach der Achten gab Beethoven das Genre der Sinfonie für gut zehn Jahre auf. Als er 1822‒24 zu ihr zurückkehrte, geschah dies mit einem Werk, das noch kolossaler in seiner Größe und revolutionärer im Vorgehen als die „Eroica“ war. Die neunte Sinfonie hätte sich auch ohne ihr bahnbrechendes Chorfinale (eine Vertonung der Ode an die Freude von Schiller) einen wichtigen Platz in der Geschichte gesichert. Doch während vieles in ihr radikal neu ist, ist sie im klassischen sinfonischen Ideal verwurzelt. Beethoven verwendet nach wie vor die Sonatensatzform als Hauptmittel der dramatischen Bewegung; er bezieht noch immer ein Scherzo ein (selbst in vollständiger Sonatensatzform); und er setzt noch immer den Gegensatz und letztendlichen Ausgleich verschiedener Tonarten als bedeutendes Struktur- und Ausdrucksmittel ein. Aber all dies tut er auf einer solch riesigen Hörleinwand und mit dermaßen ehrfurchtgebietender und intellektueller Kraft, dass man das Gefühl hat, man lausche der Erschaffung des Universums. Unter den zahlreichen einzigartigen Merkmalen der Sinfonie (von denen das offensichtlichste die Verwendung von Solisten und Chor ist) steht die Tatsache, dass das gewaltige Finale nicht nur auf dem Gerüst der Sonatensatzform steht, sondern auch auf dem einer ganzen klassischen viersätzigen Sinfonie. Vielleicht mehr als jedes andere Werk öffnete die Neunte die Schleusen der Romantik und wurde zum Gegenstand fast einer Manie mit so starken einzelnen Vertretern wie Wagner und Berlioz.

Die Konzerte Beethovens sieben reife Konzert-Beispiele bilden das Herz des Konzertrepertoires, wie wir es heute kennen: die fünf Klavierkonzerte, das D-Dur-Violinkonzert und das Tripelkonzert für Klavier, Violine und Cello. Die ersten zwei der Klavierkonzerte wurden während Beethovens frühen Wiener Jahren komponiert, aber in umgekehrter Reihenfolge ihrer Komposition veröffentlicht. Nr. 1 C-Dur, Op. 15 (1795 geschrieben und möglicherweise 1800 überarbeitet) datiert nach Nr. 2 B-Dur, Op. 19, das vor 1793 begonnen wurde (vielleicht schon 1788), im Winter 1794‒95 vollendet und

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1798 überarbeitet. Beide Werke zeigen Beethoven in mozartischer Stimmung; und beide offenbaren sein Talent für langgesponnene, höchst ausdrucksstarke Melodien und seinen unbändigen Sinn für Humor, der von vornehmem Esprit bis zu gewollt plumpem „Schmäh“ reicht. Mozart mag ihr stilistischer Pate sein, aber die Persönlichkeit dahinter ist zweifellos Beethoven. Beide sind Vehikel für Virtuosität von beträchtlich größerer technischer Schwierigkeit als die meisten Konzerte Mozarts; und die einzigartige lange Kadenz im ersten Satz des C-Dur-Konzerts, erst um 1809 komponiert, vermittelt uns eine Ahnung von Beethovens legendenumwobenen Improvisationen. Obwohl nicht ohne mozartische Relationen, ist das dritte Klavierkonzert c-Moll, Op. 37, 1800 begonnen, aber erst 1803 fertiggestellt, erheblich düsterer und entschieden mehr Beethoven, mit seinem „Schicksal-gefärbten“ Eröffnungsthema, seinen ungewöhnlichen Tonartbeziehungen und seiner ununterbrochenen Intensität. Der erste Satz ist im Ganzen dramatischer, und die Solopartie zieht vollen Vorteil aus dem unlängst erweiterten Tonraum des Klaviers. Der äußerst langsame mittlere Largo-Satz steht in der entfernten, hellen Tonart E-Dur, und ihm wohnt ein neues und einzigartiges beethovensches Reich verfeinerter Gefühle inne. Im vierten Klavierkonzert G-Dur, Op. 58 (1804–06), machte Beethoven Geschichte, indem er mit einer Phrase beginnt, die der Solist unbegleitet spielt, bevor das Orchester zu hören ist (obwohl Mozart in seinem Es-Dur-Konzert KV 271 dem sehr nahe gekommen war). Die Antwort des Orchesters in einer gänzlich anderen Tonart ist nicht nur überraschend, sondern einer der magischsten Momente der klassischen Musik. Das ganze Werk hat eine Weite und Gelassenheit, die es für viele zum schönsten Konzert überhaupt machen. Die einzigen wesentlichen Wolken in dieser himmlischen Landschaft treten im langsamen Satz auf: ein dramatischer Dialog zwischen dem finsteren, schicksalsbeladenen Orchester und dem unbegleiteten Klavier – beruhigend, lyrisch und unendlich weise. In den anderen Sätzen, wie in Mozarts Konzerten, verstärkt die Verflechtung von Solist und Orches-

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ter – weit entfernt vom gladiatorischen, manipulierten Kampf des üblichen romantischen Konzerts – die allgemeine sinfonische Atmosphäre als Ganzes. Dasselbe gilt für das fünfte Klavierkonzert Es-Dur, Op. 73 aus dem Jahre 1809, im englischsprachigen Raum als „Emperor“ bekannt, obwohl der Solist hier ebenso erhaben-heroisch wie auch die wirkende Kraft andächtiger Poesie ist. Nach einem einzelnen Waffenruf durch das Orchester kehrt Beethoven die Tradition um und beginnt mit einer ausgedehnten und virtuosen KlavierKadenz, bevor er das edle Hauptthema im Orchester aussendet. In Erhabenheit, Zartheit, Magie und Spannung bleibt das Werk unübertroffen; obwohl es klingt, als sei es für den Solisten das schwierigste aller Klavierkonzerte Beethovens, ist es eigentlich das am wenigsten diffizile. Sonderbarerweise dauerte es fast 40 Jahre, bis Beethovens überragendes Violinkonzert, Op. 61, uneingeschränkte Anerkennung vom Publikum erfuhr. Das Hauptproblem scheint die beispiellose Länge des ersten Satzes gewesen zu sein. Ein anderer Umstand mag gewesen sein, dass, obwohl es keinesfalls leicht zu spielen ist, Beethoven nie in leerer Bravourschau schwelgt. In dieser Beziehung mag sich das Publikum, das mit einem Virtuositätsmedium aufwuchs, das mit Paganini (dem „Teufelsgeiger“) immer beliebter wurde, durchaus übers Ohr gehauen gefühlt haben. Kein bedeutendes Werk von Beethoven ist in seinem heiteren Selbstvertrauen und lyrischen Impuls so strahlend. Relativ vernachlässigt unter Beethovens Konzerten ist das Konzert für Klavier, Violine, Cello und Orchester, Op. 56 (das „Tripelkonzert“), komponiert 1804‒07. Es ist eine Art Übergangswerk und Beethovens einziger Versuch mit mehreren Solisten. Indem er sie sowohl als Trio wie auch als Individuen behandelt, gibt er nicht dem Klavier, wie zu erwarten, den Vorrang, sondern dem Cello, und komponiert vornehmlich in seinem gewandteren höheren Register. Als großes, manchmal ausuferndes Werk ist es vielleicht das uneinheitlichste der Konzerte, aber seine Verdienste übertreffen seine Nachteile erheblich. 111

KAPITEL 5

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n den letzten Monaten des Jahres 1812 schmolz Beethovens Vermögen rasant dahin. Neben seinen körperlichen Gebrechen und seinem glücklosen Liebesleben war er wieder einmal, und entgegen allen Erwartungen, in finanziellen Schwierigkeiten. Beinahe von Anfang an war die dreifache Rente, die ihn von materieller Not befreien sollte, ins Schlingern geraten. Er beschwerte sich, über ein Jahr nach der Unterzeichnung, dass „Kynsky keinen heller bezahlt hat“. Gegen Ende des Jahres war Kinsky bei einem Reitunfall ums Leben gekommen, und Lobkowitz hatte Bankrott gemacht, seine Zahlungen waren folglich eingefroren. Von den drei Unterzeichnern hatte nur Erzherzog Rudolph sein Wort gehalten. In der Zwischenzeit hatte sich Österreichs Finanzkrise, verschärft durch Napoleons Einmarsch, so weit zugespitzt, dass der Gulden offiziell fünffach abgewertet wurde. Beethovens versprochene 4000 Gulden waren über Nacht auf bloße 800 geschrumpft. Auch seine Musik führte ihn weiter auf unbekanntes Terrain. Wie in den „Rasumowsky-Quartetten“ vorauszuahnen, trat Beethoven in eine Phase der Komposition, deren Herausforderungen zu viel für Konzertbesucher waren – zu schwierig sogar für einige seiner Kollegen. Abgesehen von einigen wohlwollenden und einflussreichen Adligen, verlor er den Großteil seines Publikums. Es ist nicht überraschend, dass er nun in eine tiefe Depression fiel,

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die seine kreativen Energien auf einen Tiefststand fallen ließ. Seine sexuellen Bedürfnisse befriedigte er freudlos in Bordellen, begleitet von einem Gefühl der Schuld und Anfällen von Selbsthass, die seine innere Einsamkeit nur verstärkten. Für mehr als ein Jahr komponierte er fast nichts von Bedeutung, und seine Freunde waren beunruhigt, ihn in so kläglicher Verfassung zu finden, wie manche es nannten – so verwahrlost und unhygienisch, dass ihm Besucher in verschiedenen Gasthöfen und Kneipen aus dem Weg gingen, um nicht in seiner Nähe zu sitzen. Wie der Baron de Trémont enthüllte, bestätigte ein Besuch in Beethovens Unterkunft den Eindruck: Stellen Sie sich das Unsauberste und Unordentlichste vor: Wasserlachen bedecken den Boden, ein ziemlich alter Flügel, auf dem der Staub mit Blättern voll geschriebener oder gedruckter Noten um den Platz stritt. Darunter ‒ ich übertreibe nichts ‒ darunter ein noch nicht geleertes diskretes Gefäß. Daneben ein kleiner Tisch aus Nußbaumholz, der daran gewöhnt war, daß das Schreibzeug darauf oft umgeworfen wurde. Eine Menge Federn voll eingetrockneter Tinte, neben welchen die sprichwörtlichen Gasthoffedern ausgezeichnet gewesen wären. Die Stühle hatten fast alle Strohsitze und waren mit Kleidungsstücken und Tellern voller Reste vom Abendessen des Vortages bedeckt. Beim Wiener Publikum drohte Beethoven der Vergessenheit anheimzufallen. Doch nicht lange. Im Herbst 1813 wurde er von dem deutschen Erfinder Johann Mälzel ausfindig gemacht, der zwei Jahre später das Metronom einführte. Eine seiner ausgefalleneren Erfindungen war eine außergewöhnliche Apparatur, die er Panharmonicon nannte, ein gänzlich mechanischer OrchesterErsatz, von dem er hoffte, dass Beethoven eine großartige Programmmusik dafür schrieb, die Wellingtons Sieg über die von Napoleons Bruder Joseph befehligten Truppen in der Schlacht von Vitoria darstellen sollte. Beethoven tat ihm den Gefallen, und während er daran arbeitete, schuf er eine herkömmlich orches-

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Portrait Beethovens am Klavier von Hermann Junker

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trierte Fassung für eine konventionelle Aufführung. Im nahezu einhelligen Urteil der Nachwelt ist Wellingtons Sieg, gemeinhin als „Schlachtensinfonie“ bekannt, das schlechteste Musikstück, das Beethoven je schrieb. Der Nachwelt mag es nicht gefallen haben, aber in Wien war es eine Sensation. Es erlebte in rascher Folge vier spektakuläre Aufführungen, und der Komponist wurde wieder ein Lokalheld. Glücklicherweise und ironischerweise verbesserte sich dadurch wieder Beethovens Vermögenslage und zugleich stieg auch das Interesse Wiens für seine neuesten Sinfonien, der siebten und ach-

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ten, und brachte ihm eine Menge dringend benötigtes Geld ein. Bei Weitem das wichtigste Ergebnis war jedoch aus Beethovens Sicht die erfolgreiche Inszenierung seiner einzigen Oper, Fidelio, die er nun nach zwei früheren, erfolglosen Darbietungen gründlich überarbeitet hatte (siehe Zwischenspiel V: Beethoven im Theater). Nach diesem unerwarteten Aufschwung seiner Einkünfte änderte Beethoven seine Adresse. Seyfried schrieb: Beethoven hatte die sonderbare Passion, recht oft das Logis zu wechseln, obschon das Uebersiedeln mit Sack und Pack ihm höchst lästig fiel und jederzeit mit einem Verlust an Bagage verbunden war. Kaum im Possess einer neuen Wohnung, missfiel ihm schon wieder Manches daran, und er lief sich abermals die Füsse wund, um nur eine andere aufzufinden. Solchergestalt fügte es sich denn mitunter, dass er zu gleicher Zeit mehrere Quartiere gemiethet hatte und nun, ein zweiter Herkules am Scheidewege, in nicht geringe Verlegenheit gerieth, welchem er nach Recht, Gewissen und Billigkeit den Vorzug gönnen sollte. Im Allgemeinen waren dies Kosten, mit denen er nicht gerechnet hatte. Zu den überraschendsten seiner Schwächen zählte sein offenbares Versagen im einfachen Rechnen. Er konnte zwar addieren, aber nicht multiplizieren, auch nicht auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Sollte er das Produkt aus vier mal fünfzehn berechnen, schrieb er aus „15 + 15 + 15 + 15“ und kam in drei einzelnen Etappen zum Ergebnis. Seine zahlreichen Vermieter und ihre Hausbewohner waren in der Regel froh, wenn auch nicht ausnahmslos, wenn er ging. Wie Schindler berichtet, geschah dies paradoxerweise oft wegen der Geräusche, die er machte: Beethoven liebte besonders in der Abenddämmerung sich an den Flügel zu setzen und zu phantasiren, öfters auch Violin oder Viola zu spielen, zu welchem Zwecke diese Instrumente stets auf dem Flügel lagen. Wie dieses Spiel geklungen, da der äußere Sinn gar nicht mehr mitwirken konnte, ist überflüssig

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zu sagen; besonders auf den Streichinstrumenten, die er nicht zu stimmen vermochte, war er für die Mitbewohner eine Ohrenpein. Aber da war noch mehr. Trotz des erheblichen Schmutzes in seinen diversen Wohnungen war Beethoven entgegen aller Erwartungen abhängig von persönlicher Hygiene: Waschen und Baden gehörten zu Beethoven’s unentbehrlichsten Lebensbedürfnissen. hierin war er ganz Orientale. Ging er während der Arbeit in den Vormittagsstunden nicht aus, um sich wieder zu sammeln, so stellte er sich, oft im tiefen Negligé, an’s Waschbecken und goß große Krüge voll Wasser auf seine Hände, anbei die ganze Scala auf- und abwärts heulend, oder zu Abwechselung brummend; bald durchschritt er wieder mit rollenden oder stieren Augen das Zimmer, notirte einiges, und setzte dann das Ausgießen und Heulen weiter fort. Dies waren Momente tiefster Meditation, davon kein besonderes Aufheben zu machen wäre, hätten sie nicht nach zwei Seiten hin unangenehme Folgen gehabt. Zunächst bewirkten sie oft Lachen bei seinen Dienstleuten, und dies gewahrend gerieth der Meister in Zorn, der ihn bisweilen zu lächerlichen Ausbrüchen gebracht. Oder er gerieth mit den Hauseigenthümern in Conflicte, wenn das Wasser durch den Boden gedrungen, was leider oft vorgekommen ist. Dies war ein Hauptgrund, daß Beethoven allenthalben ein unbeliebter Einwohner gewesen. 1814 trat er als Pianist zum letzten Mal öffentlich auf. Im Alter von 43 Jahren hatte sein Hörvermögen so sehr nachgelassen, dass laut Spohr

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[...] von der früher so bewunderten Virtuosität des Künstlers infolge seiner Taubheit fast gar nichts übrig geblieben [war]. Im Forte schlug der arme Taube so darauf, daß die Saiten klirrten, und im Piano spielte er wieder so zart, daß ganze Tongruppen ausblieben, so daß man das Verständniß verlor [...].

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Das Ende seiner Solistenkarriere war ein melancholischer, wiewohl voraussagbarer Meilenstein in Beethovens Berufsleben. Weitaus bedeutender war jedoch ein Ereignis, das etwa 18 Monate später geschah. Am 15. November 1815 starb sein Bruder Caspar Carl und hinterließ Beethoven ein Wespennest an familiären Spannungen, die schließlich zu einem Selbstmordversuch führten und ihm beinahe den Verstand raubten. Beethoven hatte die Frau seines Bruders, Johanna, nie akzeptiert, die weniger als vier Monate nach der Hochzeit einen Jungen geboren hatte, Karl. Die Ehe war von Anfang an unglücklich gewesen und hatte zu einer öffentlichen Denunziation geführt, in der Caspar Carl seine Frau der Geldunterschlagung bezichtigte. Der Umstand, dass das Geld tatsächlich ihr gehörte – ein Teil der Aussteuer, die sie mit in die Ehe brachte ‒, wurde missachtet, und sie wurde für schuldig erklärt und zu einem Monat Hausarrest verurteilt. Diese Begebenheit sollte eine bedeutende Rolle in einer Dreieckstragödie spielen, die Beethoven größtenteils selbst herbeiführte. In seinen letzten Tagen legte Caspar Carl in seinem letzten Willen fest, dass die Vormundschaft für den Jungen von Johanna und Beethoven geteilt werden sollte. Mit nie enthüllten Mitteln überredete Beethoven ihn, das Testament neu zu verfassen, die Mutter ganz außen vor zu lassen und Fürsorge und Erziehung des Jungen vollständig ihm, Beethoven, anzuvertrauen. Zunächst willigte er ein; aber innerhalb weniger Stunden besann er sich eines Besseren und schrieb einen Testamentsnachtrag, der seine ursprünglichen Absichten unmissverständlich klarstellte: Da ich bemerkt habe daß mein Bruder Hr. Ludwig van Beethoven meinen Sohn Karl nach meinem allfälligen Hinscheiden ganz zu sich nehmen und denselben der Aufsicht und Erziehung seiner Mutter gänzlich entziehen will, da ferner zwischen meinem Bruder und meiner Gattin nicht die beste Einigkeit besteht, so habe ich für nöthig gefunden, nachträglich zu meinem Testamente zu verfügen, daß ich durchaus nicht will, daß mein Sohn Karl von seiner Mutter entfernt werde,

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sondern daß derselbe immerhin und in so lange es seine künftige Bestimmung zuläßt bei seiner Mutter zu verbleiben habe, daher denn dieselbe so gut wie mein Bruder die Vormundschaft über meinen Sohn Karl zu führen hat. Nur durch Einigkeit kann der Zweck, den ich bei Aufstellung meines Bruders zum Vormunde über meinen Sohn gehabt habe, erreicht werden, daher empfehle ich zum Wohl meines Kindes meiner Gattin Nachgiebigkeit, meinem Bruder aber mehr Mäßigung. Gott lasse sie beide zum Wohl meines Kindes einig seyn. Dieß ist die letzte Bitte des sterbenden Gatten und Bruders.

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Weniger als einen Tag später war er tot. Ab diesem Zeitpunkt verlor Beethoven keine Gelegenheit, Johanna zu diffamieren, und sprach von ihr als „Königin der Nacht“, nach der Intrigantin aus Mozarts Oper Die Zauberflöte. Er setzte seine Energien darein, ihre rechtliche, moralische und geistige Untauglichkeit zu beweisen, um jegliches Mitspracherecht bei der Erziehung des Jungen zu haben. In Wirklichkeit trachtete er nach der rechtlichen Sanktion einer Entführung. Natürlich griff er ihre Verurteilung wegen Unterschlagung auf; er konnte sich selbst überzeugen, ebenso die Richter, dass sie wenig besser als eine gewöhnliche Hure war. „Diese Nacht“, berichtete er, „ist diese Königin der Nacht bis auf 3 uhr auf dem künstlerball gewesen nicht allein mit ihrer Verstandeßblöße sondern auch mit ihrer körperlichen ‒ für 20 fl, hat man sich in die Ohren gesagt, daß sie ‒ zu haben ‒ sei, o schrecklich [...].“ In Wirklichkeit gab es keine Rechtfertigung für diese Behauptung, nicht mehr als für seinen zwanghaften Verdacht, sie habe ihren Ehemann vergiftet. Er fantasierte ebenfalls, dass sie ihn beobachten ließ und seine Diener bestach. Seiner eigenen Ansicht nach war er auf einer heiligen Mission: das unglückliche Kind vor den Kräften des Bösen zu „retten“, genauso wie Leonore in Fidelio ihren zu Unrecht gefangenen Ehemann aus den Fängen des bösen Pizarro rettet. Er unterstützte seine Bestimmung mit seltsamen Ermahnungen in seinem Tagebuch. „Alle Schwätzereien, alle Kleinigkeiten achte nicht über diesen heiligen Zweck.

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Hart ist der Zustand jetzt für dich, doch der droben, der ist; ohne ihn ist nichts. – Das Kennzeichen ist ohnehin einmal angenommen.“ Die Beschaffenheit des „Kennzeichens“ bleibt unerklärt. Innerhalb zweier Monate nach dem Tod seines Bruders und in direktem Widerspruch zu dessen letztem Willen hatte er in seinem Kampf, das alleinige Sorgerecht für den Jungen zu erlangen, Erfolg. Dementsprechend wurde der neunjährige Karl am 2. Februar 1816 seiner Mutter gewaltsam entrissen und von seinem Onkel in einer Privatschule für Jungen versteckt. Beethoven und der Schulleiter Giannatasio del Rio erhoben dann beim Gericht Klage zwecks einstweiliger Verfügung, die jegliche Kommunikation zwischen dem Jungen und seiner Mutter untersagte. Zwei Tage später schrieb Beethoven voller Freude an eine Freundin: „Derweil habe ich gefochten, um ein armes, unglückliches Kind einer unwürdigen Mutter zu entreißen, und es ist gelungen (Te deum laudamus).“ Das „arme, unglückliche Kind“ wurde natürlich nicht gefragt. Doch wie Beethoven bald entdeckte, war der Fall noch lange nicht abgeschlossen. Was man auch von ihr sagte, Karls Mutter war nicht nachgiebig. Auch sie ging vor Gericht, mehrfach, und in den nächsten fünf Jahren wurde der Knabe zum menschlichen Spielball und Objekt endloser Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei willensstarken Erwachsenen, von denen keiner zur Elternrolle berufen war und nur einer ihn wahrhaft Sohn nennen konnte. Zunächst gestattete Beethoven der Mutter dies sogar. Zu seinen anderen paranoiden Hirngespinsten über Johanna kam jedoch ein weiteres, das ihre Beziehung und seine Beziehung zu Karl in ein neues, unerwartetes Licht rückte. Im Mai 1816 schrieb er bescheiden an einen Freund: „Denn so betrachte ich mich nun [als Karls Vater].“ Vier Monate später war es keine Frage der Selbsteinschätzung mehr. Er schrieb unverblümt und beunruhigend in einem anderen Brief, dass er nun „wirklich leiblicher Vater von meines verstorbenen Bruders Kind“ sei. Die Schlussfolgerung dieser bizarren Wahnvorstellung scheint ihn nicht gestört zu haben. Für den Moment fachte es nur die Flamme seiner Feindseligkeit gegen die Mutter an. Seine Briefe,

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sein Tagebuch, seine Unterhaltungen sind ein Feuer, das von zahllosen ungerechtfertigten Anschuldigungen und bitteren Angriffen auf Johannas Charakter geschürt wurde. Karl wurde fortwährend gegen seine Mutter belehrt und immer gelobt, wann immer er selbst zu der Flut von Verleumdungen, die sich auf sie richteten, beitrug. Als Beethoven nachträglich herausfand, dass Mutter und Sohn es einige Male bewerkstelligt hatten, sich im Geheimen zu treffen, war er ersichtlich entrüstet: Spuren von Verräterei hegte ich schon lange, bis ich den Abend vor meiner Abreise einen anonymen Brief empfing, welcher mich mit Schrecken erfüllte durch seinen Inhalt; allein es waren mehr Vermutungen. Karl, den ich gleich abends faßte, entdeckte gleich, aber doch nicht alles. Da ich ihn öfter erschütternd nicht ohne Ursache behandle, so fürchtete er sich zu sehr, als daß er ganz alles gestanden hätte. Über diesem Kampf langten wir hier an. Da ich ihn öfter vornahm, so bemerkten die Dienstboten dieses, und besonders die alte Verräterin suchte ihn abzuhalten, die Wahrheit nicht zu gestehen. [...] So kam alles ans Tageslicht. Karl hat gefehlt, aber Mutter! Mutter! selbst eine schlechte bleibt doch immer Mutter. [...] Alles ist in Verwirrung; jedoch wird man nicht nötig haben, mich in den Narrenturm zu führen. Vielleicht nicht. Aber zunehmend mehr Leute, und nicht nur die, die ihn kannten, fingen an zu glauben, dass Beethoven tatsächlich verrückt wurde. Auch hier gibt es keinen Grund, Schindlers Bericht zu misstrauen:

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Beethoven’s äussere Erscheinung hatte, der ihm ganz eigenthümlichen Nonchalance in der Bekleidung wegen, auf der Strasse etwas ungewöhnlich Auffälliges an sich. Meist in Gedanken vertieft und diese vor sich hinbrummend, gestikulirte er, wenn er allein ging, nicht selten mit den Armen dazu. Ging er in Gesellschaft, so sprach er sehr lebhaft und laut, und da der ihn begleitende dann immer die Antwort in das

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Conversationsheft schreiben mußte, wurde im Gehen wieder häufig inne gehalten, was an sich schon auffällig und durch allenfalls noch mimisch geäußerte Antworten noch auffälliger wurde. – So kam es, daß die meisten der ihm Begegnenden sich nach ihm umwandten, die Straßenjungen auch wohl ihre Glossen über ihn machten und ihm nachriefen. Neffe Karl verschmähte deshalb mit ihm auszugehen, und hatte ihm auch geradezu einmal gesagt, daß er sich schäme, ihn seines „narrenhaften Aussehens“ wegen auf der Straße zu begleiten. Die Doppellorgnette, die er seiner Kurzsichtigkeit wegen trug, hing lose herab. Die Schöße des Rockes waren ziemlich schwer beladen – darin trug er außer dem Taschentuche ein QuartNotennotizheft, ein Oktav-Konversationsheft nebst dickem Bleistift, und in früherer Zeit, solange es noch half, ein Hörrohr. Nicht nur auf der Straße wurde seine Zurechnungsfähigkeit angezweifelt. Sein Verhalten im Hause, wie Ries berichtet, konnte geradezu beunruhigend sein: Beethoven war manchmal äußerst heftig. Eines Tages aßen wir im Gasthaus zum Schwanen zu Mittag; der Kellner brachte ihm eine unrechte Schüssel. Kaum hatte Beethoven darüber einige Worte gesagt, die der Kellner eben nicht bescheiden erwiederte, als er die Schüssel (es war ein sogenanntes Lungenbratel mit reichlicher Brühe) ergriff, und sie dem Kellner an den Kopf warf. Der arme Mensch hatte noch eine große Zahl Portionen verschiedener Speisen auf seinem Arm (eine Geschicklichkeit, welche die Wiener Kellner in einem hohen Grade besitzen) und konnte sich daher nicht helfen; die Brühe lief ihm das Gesicht herunter. Er und Beethoven schrieen und schimpften, während alle anderen Gäste laut auflachten. Endlich brach auch Beethoven beim Anblicke des Kellners los, da dieser die über das Gesicht triefende Sauce mit der Zunge aufleckte, schimpfen wollte, doch lecken mußte und dabei die lächerlichsten Gesichter schnitt. Ein eines Hogarth würdiges Bild.

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Beethovens Heftigkeit, wie fast jeder andere Aspekt seines Lebens und Charakters, war auch ein starker und revolutionärer Teil seiner Musik. Die Zahl plötzlicher, stechender Akzente in seiner Musik war ohnegleichen. Kein anderer Komponist vor ihm legte solch ein Gewicht auf störende Gegensätze zwischen Laut und Leise. Daraus folgt, dass kein anderer Komponist besser für die Darstellung von Stürmen geeignet war. Ein eklatantes Beispiel dafür ist der Sturm, der in seiner „Pastoral-Sinfonie“ aufzieht. Wie wir wissen, war Gewalt eines der Dinge des Lebens, mit denen Beethoven aufwuchs. Aber sein Vater war nicht der einzige Übeltäter. Er wurde auch regelmäßig von seinen Lehrern geschlagen und misshandelt, von denen mindestens einer für die Wildheit seiner Bestrafungen bekannt war, meist für die banalsten Vergehen. So wie viele Kinderschänder heute selbst misshandelte Kinder waren, so erlaubte Beethoven bereitwillig Karls Lehrern, und ermutigte sie bisweilen sogar, ihn zum Gehorsam zu prügeln. Aber die körperliche Strafe, die Karl erlitt, war belanglos im Vergleich mit den seelischen Qualen, die er erleiden musste. Einer der Gründe für Beethovens Zorn, nachdem er die heimlichen Treffen Karls und seiner Mutter entdeckt hatte, war nicht nur der Ungehorsam, sondern die Tatsache, dass seine eigenen Versuche, sie zu trennen, gescheitert waren. Schon sehr früh während seiner Vormundschaft schrieb er Karls Schulleiter: Übrigens wird es später gewiß am besten seyn, ihn von hier weg nach Mölk oder anderwärts hin zugeben, er hört, er sieht nichts mehr von seiner bestialischen Mutter u. alles fremd um ihn her, finde[t] er weniger stüze u. kann nur durch seinen eigenen Werth sich liebe und Achtung erwerben. Doch während er beabsichtigte, diesen bereits sorgenschweren Neunjährigen in eine fremde Stadt zu schicken, konnte er immer noch in sein Tagebuch schreiben:

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Und was ist ein Institut gegen die unmittelbare Teilnahme, Sorge eines Vaters für sein Kind! [...] Tausend schöne Augen-

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blicke verschwinden, wenn Kinder in hölzernen Instituten sind, wo sie bei guten Eltern die seelenvollsten Eindrücke, welche bis ins späteste Alter fortdauern, empfangen könnten. Er sprach kaum aus Erfahrung. Wenn er dazu gedrängt würde, wären ihm wahrscheinlich nicht einmal 100 solcher Momente aus seiner eigenen Kindheit eingefallen. Zwei eng miteinander verbundene Selbstbilder beherrschten Beethovens Leben, beide gerechtfertigt und beide missbraucht. Auf der einen Seite sah er sich selbst als Opfer, auf der anderen als Helden – für gewöhnlich einen Helden im Namen der Opfer des Lebens. Es schien oft so, dass das eine benötigt wurde, um das andere zu verstärken, als ob er ein begründetes Interesse hätte, missverstanden oder getäuscht zu werden, auch wenn es keine Beweise für beides gab. Heldentum erfordert einen Kontrahenten. Wenn sich keiner darbot, musste er erzeugt werden: Wenn aber eine Mutter von dieser Art ihr Kind sucht in die Heimlichkeiten ihrer gemeinen und selbst schlechten Umgebungen zu verwickeln ihn zur Verstellung in diesen zarten Jahren |: eine Pest für Kinder!!!:| zur Bestechung meiner Dienstbothen, zur Unwahrheit verführt, indem sie ihn verlacht, wenn er die Wahrheit sagt, ja ihm selbst Geld gibt, ihm Lüste und Begierden zu erwecken, welche ihm schädlich sind, ihm sagt, daß das lauter Kleinigkeiten sind [...], ja mehrere Jahre unter ihrer Obhut und unter selber gänzlich gemißbraucht wurde, selbst den Vater mit betrügen helfen mußte. [...] Ich gestehe, ich fühle mich mehr als irgend jemand dazu berufen meinen Neffen schon durch mein eigenes Beispiel zur Tugend und Thätigkeit anzufeuern. Dieses Nebeneinander von Selbstmitleid und Selbstbeweihräucherung zieht sich durch Beethovens Briefe und Tagebücher wie Zwillingsflüsse. Seine Handlugen und Einstellungen zogen oft nach, von einem Extrem zum anderen mit einer Plötzlichkeit springend, die ihn wie andere verwirrt haben muss. Selbst in seinem Verhal-

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ten gegenüber Johanna gab es keine Beständigkeit. In einem Augenblick tat er alles in seiner Macht, um jeglichen Kontakt zwischen Mutter und Sohn zu verhindern; im nächsten war er entgegenkommend, manchmal fast freundlich, und begleitete sie selbst, damit sie Karl in der Schule besuchte, oder vereinbarte Treffen in seiner Wohnung. Der ständige Wechsel zwischen Rachsucht und einem Gefühl natürlicher Gerechtigkeit kann für Karl nur die irritierendsten Signale gesendet haben, nicht zuletzt, wenn Beethoven sich anmaßte, für sie beide als einer zu sprechen. Johanna andererseits sollte zwischen den Zeilen lesen, genau wie Beethoven es beabsichtigte: Haüfige Beschäftigungen machten sogar, daß Kar[l] u. ich ihnen nicht am Neujahrs Tag unsere Glückwünsche bezeigen konnten, ich weiß aber, daß sie ohne dieses von mir sowohl als Karl nichts anders als die reinsten wünsche für ihr wohl erwarten – was ihre Noth betrift, so würde ich ihnen gerne mit einer Summe überhaupt ausgeholfen haben, leider habe ich aber zu viele Ausgaben, Schulden, u. nur manches Geld zu erwarten, um ihnen augenblicklich meine Bereitwilligkeit, ihnen zu helfen auf der Stelle beweisen zu können – indessen versichere ich sie hiemit schriftlich daß sie die Hälfte Karls von ihrer Pension nun auch fortdaurend beziehen können [...]. Wir wünsche[n] ihnen alls Erdenkliche gute Karl sowohl als ich. Zu diesem Zeitpunkt meinte er es fraglos ehrlich. Es ist deutlich, dass er manchmal selbst Zweifel an seinen Taten hatte, und er tat dann sein Bestes, sie in seinem Tagebuch zu rechtfertigen. Obgleich er immer noch der Ansicht war, Gott näher als die meisten zu stehen, wendet er sich selbst an Gott, oft im Zustand einiger Verwirrung:

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Nur du, Allmächtiger, siehst in mein Herz, weißt, daß ich mein eigenes Beste um meines theuren Karl willen zurückgesetzt habe: segne mein Werk, segne die Witwe! Warum kann ich nicht ganz meinem Herzen folgen und sie, die Witwe, fördern?

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Gott, Gott! mein Hort, mein Fels, o mein Alles! du siehst mein Inneres und weißt, wie wehe es mir thut, jemanden leiden machen müssen bei meinen guten Werke für meinen theuren Karl!!! Doch der „teure Karl“ war ebenfalls oft das Opfer der Stimmungsschwankungen seines Onkels. Als er einmal zu Johanna fortlief, war Beethovens Reaktion schnell und strikt. „Seine verstokthei[t], seine Undankbarkeit, seine Gemüthlosigkeit beherrscht ihn [...]. Er ist schon ein zu großer taugenichts u. paßt am besten zu seiner Mutter u. zu meinem Pseudo-Bruder [...] dieses scheusal [...] Meine Liebe zu ihm ist fort, er brauchte sie, ich habe der seinigen nicht nöthig [...].“ Aber im selben Brief fügt er hinzu: „Es versteht sich von selbst, daß ich nicht so denke (ich liebe ihn noch wie sonst ohne schwäche u. zu große Vorliebe, ja ich kann wirklich sagen, daß ich oft um ihn weine) [...].“ Er weinte aus gutem Grund. Seine Konversationshefte, worin seine Kameraden und Kollegen ihre eigenen Beiträge schrieben, um mit ihm zu kommunizieren, enthalten Seiten mit den erbärmlichsten Einträgen von Karl und einige von beträchtlichem Mut: Nur bitte ich Dich nochmahl mich nicht so zu quälen wie Du es thust, Du könntest es doch am Ende bereuen, denn ich ertrage viel, aber was zu viel ist, kann ich nicht ertragen. So hast Du es auch dem Bruder heute ohne Ursache gemacht; Du mußt bedenken, daß auch andere Leute Menschen sind. Wolltest Du mich nicht jetzt ein wenig gehen lassen? Ich bedarf es wirklich zu meiner Erholung. Später komme ich wieder. Ich will nur in mein Zimmer. Ich gehe nicht aus, nur wünsche ich jetzt ein wenig allein zu sein. Willst Du mich nicht in mein Zimmer gehen lassen? Es kann mit einigem Grund behauptet werden, dass im „Weinen um Karl“ Beethoven eigentlich um sich selbst weinte. Es gab sicherlich Zeiten, in denen er den Tag bereute, an dem er die vermeint-

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liche Rettungsmission in Angriff nahm; in denen er Karl verantwortlich machte, als ob Karl ihn einsperren würde: Gott ist mein Zeuge, ich träume nur, von Dir u. von diesem elenden Bruder u. dieser mir zugeschusterten abscheulichen Familie gäntzlich entfernt zu sein Gott, erhöre meine Wünsche, denn trauen kann ich Dir nie mehr. ‒ Leider Dein Vater, oder beßer nicht: Dein Vater. Wie sollte der arme Junge das verstehen? Was von dem Mann halten, der ihn ausdrücklich gegen den Wunsch seines Vaters auf dessen Sterbebett faktisch von seiner eigenen Mutter gestohlen hatte? Wie immer sollten Beethoven später Gewissensbisse überkommen, und er würde um Vergebung betteln. Es war das Schema jeder seiner Freundschaften und Beziehungen. Nach seiner eigenen Aussage gab es nur zwei Freunde in seinem Leben, die er noch nicht erfolgreich entfremdet hatte, und jeder von ihnen lebte, nicht zufällig, weit entfernt und kommunizierte fast ausschließlich via Brief. Wenn er nicht ausfallend war, sowohl körperlich als auch verbal, nutzte Beethoven häufig sein gut geübtes Selbstmitleid als Mittel emotionaler Erpressung. Während eines Sommers, als er zur Kur in Baden war, sollte Karl, jetzt 19 Jahre alt und Student am Polytechnikum in Wien, ihn jeden Sonntag besuchen. Er tat es nicht. Beethovens Reaktion war zu versuchen, in ihm Schuld wegen der (seiner Ansicht nach) ungerechtfertigten Vernachlässigung zu erwecken. Er schrieb an Karl:

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ich werde immer mägerer und befinde mich eher übel als gut, u. keinen arzt keinen theilnehmenden Menschen – – wenn Du nur immer Sonntags kannst so komme heraus, jedoch will ich Dich von nichts abhalten, wenn ich nur Sicher wäre, daß der Sonntag ohne mich gut zugebracht würde, ich muß mich ja von allem entwöhnen, wenn mir nur diese wohlthat wird, daß meine so großen opfer würdige früchte bringen? – wo bin ich nicht verwundet zerschnitten?! –

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Solche melodramatische Übertreibung war kontraproduktiv. Karls Drang war es, wegzubleiben. Doch als Beethoven hörte, dass er seine Mutter wiedergesehen hatte, riss er das Ruder herum. Er drohte nun, einen Endkampf heraufzubeschwören, indem er Karl zwang, sich zwischen seiner Mutter und seinem Onkel zu entscheiden, bzw. seinem selbst ernannten „Vater“. „Soll das Band gebrochen werden“, schrieb er, „so sei es! Du wirst von allen unparteiischen Menschen, die diesen Undank hören, gehaßt werden.“ Sie würden davon natürlich nur von Beethoven selbst hören, und es gibt keine Anzeichen, dass er die Sache unbedingt öffentlich machen wollte. Nach seinen Gefühlsausbrüchen übermannte ihn wie gewöhnlich die Reue, und er tat alles, um den Schaden so schnell wie möglich wiedergutzumachen: Nur nicht weiter – Kom nur in meine Arme, kein hartes wort wirst Du hören, o gott gehe nicht in Dein Elend, liebend wie immer wirst Du empfangen werden, was zu überlegen was zu thun für die Zukunft dies werden wir liebevoll besprechen, mein Ehrenwort Keine Vorwürfe, da sie jetzt ohnehin nicht mehr fruchten würden, nur die liebevollste Sorge u. Hilfe darfst Du von mir erwarten – Kom nur – kom an das treue Herz Deines Vaters. – Beethoven Das treue Herz? Beethoven glaubte das wohl. Es ist aber unwahrscheinlich, dass Karl es ebenso tat. Bis 1820 gehörte Beethovens Liebesbeziehung zu Wien und den Wienern schon lange der Vergangenheit an. Dr. Karl von Bursy begegnete ihm nur einmal und war überrascht, ihn so redselig zu dem Thema zu erleben: Er erzählte mir viel von Wien und seinem Leben hier. Gift und Galle wüthet in ihm. Allem trotzt er, mit Allem ist er unzufrieden, und flucht besonders über Oesterreich und namentlich über Wien. Er spricht schnell und mit großer Lebhaftigkeit. Oft schlug er mit der Faust auf sein Klavier so heftig, daß es laut im Zimmer wiederhallte. Zurückhaltend ist er nicht, denn

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schnell führte er mich in seine persönlichen Verhältnisse ein, und erzählte mir viel über sich und die Seinigen. – – Ueber die jetzigen Zeiten klagte er und zwar aus mehreren Gründen. Die Kunst steht nicht mehr so hoch über das Gemeine, ist nicht mehr so geachtet, und besonders nicht so geschätzt in Bezug auf die Belohnung. Beethoven klagt über schlechte Zeiten auch in pecuniairer Hinsicht. – – – „Warum bleiben Sie in Wien, da jeder ausländische Herrscher Ihnen einen Platz neben seinem Throne anweisen müßte und würde?“ „Mich fesseln Verhältnisse hier“, sagte er, „aber es geht hier lumpig und schmutzig zu. Es kann nicht ärger sein. Von oben herab bis unten ist alles Lump. Niemandem kann man trauen. Was man nicht schwarz auf weiß hat, das thut und hält kein Mensch, und nicht einmal das Verabredete.“ Beethoven hatte sich nun weitgehend aus der Gesellschaft zurückgezogen. Mit seiner Gesundheit ging es stetig bergab, und wenn er sich für längere Zeit herauswagte, neigte er zu lauten und hitzigen Schmähreden gegen die Stadt und ihre Regierenden. Es sagt viel über die Wertschätzung, die ihm die Wiener allgemein entgegenbrachten, und über seinen Ruf im Hinblick auf äußerste, wenn auch harmlose Exzentrizität, wobei die Polizei in Metternichs Wien bereit war, wegzusehen. Andererseits machte er kaum den Eindruck eines gefährlichen Staatsfeindes, wir der reisende Engländer Sir John Russell verdeutlicht:

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Die Vernachlässigung seiner Erscheinung gibt ihm ein etwas wildes Ansehen. Sein Haar, welches seit Jahren weder von Kamm noch Schere heimgesucht zu sein schien, überschattet seine breite Stirn in einer Fülle und Unordnung, mit welcher nur die Schlangen um das Gorgonenhaupt verglichen werden können. Zu diesem wenig versprechenden Äußeren paßte sein Benehmen im ganzen genommen nicht übel. Freundlichkeit und Leutseligkeit liegen nicht in seinem Charakter, ausgenommen wenn er im Kreis vertrauter Freunde sich befindet. Der gänzliche Verlust seines Gehörs hat ihn aller Freuden beraubt,

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welche der gesellschaftliche Umgang gewährt, und wahrscheinlich zu seinem mürrischen Wesen viel beigetragen. Er pflegte sonst einen besonderen Keller zu besuchen, wo er den Abend in einem Winkel, völlig geschieden von dem Geschwätz und den Zänkereien öffentlicher Versammlungsörter, zubrachte, Wein und Bier trank, Käse und Bücklinge aß und in den Zeitungen las. Eines Abends setzte sich jemand neben ihn, dessen Gesicht ihm gar nicht gefiel. Er sah den Fremden wütend an und spuckte sodann auf die Erde, als hätte er eine Kröte gesehen, hierauf blickte er bald aufs Zeitungsblatt, bald wieder auf den ungebetenen Gast und spuckte von neuem aus, wobei sich sein Haar allmählich noch wilder und zottiger sträubte, bis er endlich den Wechsel von Ausspucken und Anstarren mit dem schönen Ausruf beschloß: „Was für eine schurkische Fratze!“ und aus dem Zimmer lief. Dennoch war dies der Mann, der zu dieser Zeit an der Missa solemnis arbeitete, an der neunten Sinfonie und der letzten seiner 32 Klaviersonaten, die in ihren zwei einzigartigen Sätzen Beethovens gesamte geistige Reise zusammenzufassen scheint: von der herausfordernden Faust in Fatums Gesicht durch das beinahe übermenschliche Ringen mit seinem Schicksal weiter zur Stille der Anerkennung und schließlich bis zu einer verklärenden Gelassenheit.

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ZWISCHENSPIEL V

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Die Geschichte von Beethoven und dem Theater ist voller Ironie. Keine Musik eines anderen Komponisten ist dramatischer, keine dramatische Musik meisterhafter gestaltet; doch schrieb er nur eine abendfüllende Oper. Beethoven war drei seiner Lehrjahre (1789‒92) Bratschist in einem Opernorchester, zeigte aber kein Interesse daran, für die Bühne zu komponieren. Keine andere Musik ist weniger tastend; dabei war der Weg zur Endgültigkeit in Fidelio von einer Reihe trügerischer Hoffnungen begleitet. Die einzige Theatermusik, die er während seiner Bonner Jahre komponierte, war für ein Historienballett, das von seinem Mäzen Graf Waldstein zusammen mit Adelsgenossen veranstaltet wurde. Es trug nicht einmal seinen Namen. Die Partitur wurde offenbar als Werk des Grafen selbst ausgegeben, was vielleicht den überraschenden Mangel an Abenteuerlichkeit in Harmonien und Tonarten-Schema (von den acht Sätzen stehen alle außer einem in D-Dur) erklärt. Das Ballett erhält seine Bedeutung jedoch als Beethovens erstes rein orchestrales Werk. Während seines ersten Jahrzehnts in Wien (1792‒1802) zeigte Beethoven eher wenig Interesse am Theater. Abgesehen von seinen Studien zur italienischen dramatischen Deklamation mit Salieri sowie zwei Arien für den Einschub in die Oper eines anderen (Umlaufs Die schöne Schusterin) zeugt nur die Sopranarie Ah! perfido davon, dass er überhaupt an der Oper interessiert war – die Arie selbst war eher für eine konzertante Aufführung als für das Theater gedacht. Das erste Werk, in dem er seine ganze Aufmerksamkeit der Bühne widmete, war Die Geschöpfe des Prometheus, das 1800 von Salvatore Viganò, dem berühmten Hofballettmeister, in Auftrag gegeben worden war. Dem Ballett wurde in Wien ein

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hoher Stellenwert eingeräumt. Der Auftrag für ein größeres Werk wie dieses, besonders für den Hof, wurde als Ehre für jeden Komponisten betrachtet. Für jemanden, der mit dem Theater so unerfahren war wie Beethoven, war es in der Tat eine sehr hohe Auszeichnung. Viganò und Beethoven nahmen sich große Freiheiten bei der Geschichte heraus, gemessen an Aischylos und den griechischen Mythen. Das Ergebnis war eine Mischung aus dem Original und hinzugefügten Elementen aus Pygmalion, Orpheus, Adam und Eva, ja sogar der Kreuzigung und Auferstehung Christi. Anstelle des Bösewichts, der das heilige Feuer von den Göttern stahl und auf ewig an den Kaukasus gekettet war, wo ein Adler täglich seine sich erneuernde Leber fraß, erleben wir eine ganz andere Fabel. Laut dem Theaterzettel ist Prometheus ein erhabener Geist [...], der die Menschen seiner Zeit in einem Zustand von Unwissenheit antraf, sie durch Wissenschaften und Kunst verfeinerte und ihnen Sitten beibrachte. Von diesem Grundsatze ausgegangen stellen sich in gegenwärtigem Ballett zwei belebt werdende Statuen dar, welche durch die Macht der Harmonie zu allen Leidenschaften des menschlichen Lebens empfänglich gemacht werden. „Der 2. Akt spielt auf dem Parnaß und gipfelt in einer Apotheose des Prometheus, der die von ihm geschaffenen Menschen von Apollo und den Musen unterrichten läßt und ihnen so die Segnungen der Kultur erschließt.“ Prometheus steht hier für Beethoven selbst (siehe auch das Zitat, mit dem das erste Kapitel dieses Buches beginnt). Mit einer Ausnahme ist die Ouvertüre der einzige Teil der Musik, die bleibenden Ruhm erlangte. Für viele gelten Die Geschöpfe des Prometheus bis heute als Beethovens bedeutendstes Orchesterwerk und übertreffen sogar die ersten beiden Klavierkonzerte und die erste Sinfonie. Das Thema des Finales wurde sogar gleich dreimal wiederbelebt: als siebter der 12 Kontretänze, WoO 14 (1801), als Thema der Variationen mit Fuge Es-Dur für Klavier, Op. 35 (1802), und, am berühmtesten, als Hauptthema des Finales der „Eroica“ (1803). Pro-

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metheus bietet uns auch Beispiele für Beethovens malerischste Instrumentierung, vor allem im Gebrauch der Holzbläser (einschließlich des Bassetthorns in Nr. 14), beim Hervortreten der Harfe (sehr ungewöhnlich für Beethoven) und dem langen Cellosolo in Nr. 5. Beethovens einzige vollendete abendfüllende Oper, Fidelio, hatte eine unruhige und langwierige Geburt. Technisch gesehen, ist es ein „Singspiel“, in dem Musiknummern mit gesprochenen Dialogen abwechseln ‒ andere berühmte Beispiele sind Mozarts Zauberflöte (Beethovens liebste Mozart-Oper) und Die Entführung aus dem Serail. Obwohl Fidelio 1804 begonnen wurde, erreichte die Oper erst 1814 ihre endgültige Form. Sie umfasst eine „Rettungs“-Geschichte, wie sie im postrevolutionären Frankreich sehr beliebt war, und trotz aller Unglaubwürdigkeit und Hosenrollen-Handlung scheint sie auf einer wahren Geschichte zu basieren. Für viele schlechtere Komponisten wäre es ein Geschenk gewesen. Florestan, ein spanischer Adliger, wurde von seinem Erzfeind Pizarro zu Unrecht ins Gefängnis geworfen. Seine Frau Leonore ist ihm gefolgt, verkleidet als Junge, „Fidelio“, in der Hoffnung, seine Rettung herbeizuführen. Der freundliche Kerkermeister Rocco stellt Fidelio ein, in den sich seine Tochter Marzelline unglücklicherweise verliebt, zum Ärger ihres Geliebten Jaquino. Als er von einer drohenden Prüfung erfährt, beschließt der tyrannische Gouverneur Pizarro, Florestan zu töten, um seine Entdeckung zu verhindern. Leonore überredet Rocco, die Gefangenen zu Ehren des Geburtstags des Königs für eine Weile herauszulassen. Sie gelangen tastend ans Tageslicht und versammeln sich im offenen Hof. Florestan ist aber nicht unter ihnen. Er bleibt allein in Ketten im tiefsten Kerker, wo Rocco mit Leonore erscheint, da Pizarro befohlen hatte, das Grab für den Gefangenen auszuheben. Pizarro versucht, Florestan zu erstechen, wird aber von Leonore gehindert, die eine kleine Pistole zieht. Eine Trompete verkündet aus der Ferne die Ankunft des Ministers – wie es der Zufall will, ein alter Freund von Florestan. Alle Gefangenen werden freigelassen; Pizarro wird festgenommen; und Leonore selbst befreit Florestan.

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Die tieferen Resonanzen der Handlung – das Thema von individueller Freiheit gegen Unterdrückung hatte ihn immer beschäftigt – und Leonores Charakter ließen Beethoven nicht mehr los. Für Beethoven, der sich selbst nach genau solch einer treuen und ergebenen Ehefrau sehnte, stellte sie zunehmend die ideale Frau dar. Der faszinierendste Beleg für seine Besessenheit liegt in seinen Skizzenbüchern, wo wir nicht weniger als 16 Skizzen allein für Florestans Eröffnungsarie finden und weitere 364 Seiten mit Skizzen für die gesamte Oper. Die erste Inszenierung fand am 20. November 1805 statt, mit wiederholten Aufführungen am 21. und 22., wonach sie abgesetzt wurde. Zugegebenermaßen waren die Umstände alles andere als günstig. Wien war in französischer Hand, der Kaiser und sein Hof waren geflohen, und überall herrschte eine gespannte Stimmung. Selbst Beethovens ergebenste Unterstützer stimmten jedoch überein, dass das Scheitern der Oper immanent war und nicht aufgrund der Umstände. Beethoven kürzte und überarbeitete sie demzufolge. Vier Monate später wurde sie erneut aufgeführt, nur um wieder abgesetzt zu werden, diesmal nach zwei Aufführungen und von Beethoven selbst. Acht Jahre sollten verstreichen, bevor sie wieder in ihrer dritten und endgültigen Version auftauchte. Was Fidelio zu einer verklärenden Erfahrung macht, ist weder die Handlung noch die offenkundigen theatralischen Eigenschaften (die immer umstritten waren), sondern die Tiefe und Unmittelbarkeit der unterschwelligen Themen. Wie immer bei Beethoven in Bestform übersteigen die Höhepunkte der Oper, und im besten Sinne auch die Tiefpunkte, bei Weitem ihren direkten Kontext. Ihre höchste Macht liegt im Bereich reiner Musik. Zwischen Prometheus und der endgültigen Lösung seiner Probleme mit Fidelio steuerte Beethoven zwei weitere Meisterwerke zu den Annalen der Bühnenmusik bei. In jedem Fall ‒ und das war sein bleibendes Problem beim Theater – überschritten sie ihre Grenzen. Sie erweitern nicht nur die Dramen, die sie verstärken sollten ‒ sie überschütten sie. Im ersten Fall mag das nicht überraschen. Die Coriolan-Ouvertüre (1806) war nicht für Shakespeares Tragödie Coriolanus angelegt, sondern für ein Theaterstück über

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denselben Stoff des eher unbedeutenden Wiener Dichters und Dramatikers Heinrich von Collin (1771‒1811). Beethovens Ouvertüre ist allerdings eines Shakespeare würdig. Ihre tragische Kraft, verstärkt durch lyrische Musik von sehnsüchtiger Schönheit, nimmt gleichsam das gesprochene Bühnenstück vorweg. Das Drama ist praktisch schon a priori vollendet. Sogar Shakespeare hätte vielleicht etwas dagegen gehabt. Collin war andererseits entweder zu bescheiden oder zu unmusikalisch, um beleidigt zu sein. Es war ein weiterer „shakespearescher“ Zweiakter im Gespräch, aber daraus wurde nichts. Im Fall von Goethes Egmont, für den Beethoven nicht nur die Ouvertüre, sondern umfangreiche Bühnenmusik lieferte, war der Dramatiker nicht so einfach in den Schatten zu stellen. Dennoch hat die Ouvertüre, wie die Coriolan-Ouvertüre, das Stück lange an Beliebtheit überdauert. Beide Ouvertüren sind doppelt wunderbar. Jede verdichtet nicht nur den Geist, sondern den eigentlichen Verlauf der Handlung in wenig mehr als einer achtminütigen Spanne. Jede ist zudem eine musikalische Erzählung, so eindringlich und meisterhaft, dass sie die Fantasie zahlloser Hörer packte, ohne die ursprüngliche Handlung zu kennen. Vieles der Szenenmusik zu Egmont ist der Ouvertüre ebenbürtig, doch außer zwei bezaubernden Liedern für Clärchen selten zu hören – ein Schicksal, das sie mit Beethovens Balletten und seiner Schauspielmusik allgemein teilt. Beethovens Gewohnheit, Schauspielinszenierungen mit seinen Ouvertüren zu erdrücken und vorwegzunehmen, stellte sich als Gefahr sogar im Falle seines eigenen Fidelio heraus (ursprünglich „Leonore“ genannt, sein bevorzugter Titel). Bis zu der Zeit, als die Oper 1814 erfolgreich wieder auf dem Theater aufgeführt wurde, hatte er vier verschiedene Ouvertüren geschrieben. Die verworfenen drei sind als Leonore-Ouvertüren bekannt, von denen die gewaltige, glänzende Nr. 3 – eigentlich eine Tondichtung – oft konzertant gespielt wird. Dass Beethoven nie eine weitere Oper komponierte, liegt nicht an mangelndem Interesse. Ein Libretto nach dem anderen wurde in Betracht gezogen, unter anderem die Sujets Attila, Macbeth,

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Faust, Melusine, Odysseus, Bacchus, Romulus und Remus, Romeo und Julia, Alfred der Große und viele andere. Die Liste allein sagt viel über Beethovens Gesinnung und bestätigt, was er gegenüber Ludwig Rellstab sagte, der ihn für ein eigenes Libretto gewinnen wollte: Auf die Gattung käme mir es wenig an, wenn der Stoff mich anzieht. Doch ich muß mit Liebe und Innigkeit daran gehen können. Opern wie Don Juan und Figaro könnte ich nicht komponieren. Dagegen habe ich einen Widerwillen. – Ich hätte solche Stoffe nicht wählen können; sie sind mir zu leichtfertig! Als ihm eine Märchenoper, Bradamante, angeboten wurde, bemerkte er: „Zauberey – ich kann es nicht läugnen, daß ich wieder diese Art überhaupt eingenommen bin, wodurch Gefühl und Verstand so oft schlummern müßen.“ Zwischen der Musik für Egmont und der Vollendung des Fidelio lenkte Beethoven seine Aufmerksamkeit auf zwei SingspielEinakter, um die Eröffnung eines neuen Theaters in Pest (noch nicht mit Buda vereint) zu feiern. Weder Die Ruinen von Athen noch König Stephan, beide 1811 komponiert, zeigen uns Beethoven von seiner besten Seite; abgesehen von vereinzelten Aufführungen ihrer Ouvertüren, sind sie größtenteils in Vergessenheit geraten (obwohl sich der „türkische Marsch“ der erstgenannten in jeglicher Art Bearbeitung großer Beliebtheit erfreute). Beethovens letztes Bühnenwerk, 1822 komponiert, sollte ebenfalls die Neueröffnung eines Theaters (bzw. die Wiedereröffnung eines renovierten) feiern, das „Theater in der Josefstadt“ in Wien. Es war allerdings keine ganz neue Konzeption, sondern eine Adaption der Ruinen von Athen, umgestellt, um Wien statt Pest widerzuspiegeln, und in Weihe des Hauses umbenannt. Die neue Ouvertüre ist ein Werk beschwingter Pracht und Beethovens offenste Hommage an Händel, den er für den größten aller Komponisten erachtete. 137

KAPITEL 6

Der Meister

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ie in seiner Musik, so konnte Beethoven auch in seinem Leben oftmals überraschen. Je mehr man das Leben bedeutender schöpferischer Künstler studiert, desto mehr scheint es, dass Genie teilweise aus dem Zusammenstoß oder zumindest aus der Reibung von Gegensätzen entsteht. Im Falle seiner Standpunkte zur Aufführung und Veröffentlichung seiner Werke verfiel Beethoven in verblüffende Extreme. Auf der einen Seite war er ein zutiefst prinzipientreuer Komponist von unnachgiebiger Integrität, ein Künstler, wie er selbst schrieb, „der sein Werk lieber gehöret hätte, gerade, wie es geschrieben“; auf der anderen Seite zeigte er eine erstaunliche Geringschätzung für künstlerische Grundsätze. Seine ungeheure „Hammerklaviersonate“, Op. 106, ist wohl so bedeutend und bahnbrechend wie nur irgendetwas, das er je schrieb. Doch in einer Auseinandersetzung mit einem englischen Verleger schien er bereit, dass sie zerkleinert würde, egal wie, wie z. B. Wurst:

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Sollte die Sonate nicht recht seyn für london, so könnte ich eine andere schicken, oder sie können auch das Largo auslaßen u. gleich bey der Fuge das lezte Stück anfangen, oder das erste Stück alsdenn das Adagio u. zum 3-ten das Scherzo u. No 4 sammt largo u. Allegro risoluto ganz weglaßen, oder sie

Der Meister

L. van Beethoven, Phantasieportrait von Hermann Torggler

nehmen nur das erste Stück u. Scherzo als ganze Sonate. ich überlaße ihnen dieses, wie sie es am besten finden. Das ist vergleichbar mit einem bedeutenden Schriftsteller, der seinem Verleger die Erlaubnis erteilt, die Kapitel eines Romans in beliebiger Reihenfolge zu drucken. Es ist dagegen nicht überraschend, dass Beethoven jeden Bezug zu praktischen Aspekten des täglichen Lebens verlor, während er diese letzten Meisterwerke erschuf. Glücklicherweise hatte er

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Bedienstete, die sich um ihn kümmerten. Leider fand er die meisten von ihnen unerträglich, sodass es eine rege Fluktuation gab. Eines Nachmittags gegen vier Uhr kamen Schindler und ein Freund auf einen Besuch in Beethovens Wohnung: Gleich beim Eintritte vernahmen wir, dass am selben Morgen Beethoven beide Dienerinnen davongegangen seyen und dass es nach Mitternacht einen alle Hausbewohner störenden Auftritt gegeben, weil in Folge langen Wartens beide eingeschlafen und die zubereiteten Gerichte ungeniessbar geworden. In einem der Wohnzimmer bei verschlossener Thüre hörten wir den Meister über der Fuge zum Credo singen, heulen, stampfen. Nachdem wir dieser nahezu schauerlichen Szene lange schon zugehorcht, und uns eben entfernen wollten, öffnete sich die Thür und Beethoven stand vor uns mit verstörten Gesichtszügen, die Beängstigung einflössen konnten … Seine ersten Äusserungen waren confuse, als fühle er sich von unserem Behorchen unangenehm überrascht. Alsbald kam er aber auf das Tagesereignis zu sprechen und äusserte mit merkbarer Fassung: „Saubere Wirtschaft, alles ist davon gelaufen und ich habe seit gestern Mittag nichts gegessen.“ Es gab einen Grund, dass sich die Diener häufig aus dem Staub machten. Beethovens Brauch, sich Notizen zu machen, die ihn selbst, seine Gedanken und seine Gefühle betrafen, erstreckte sich auch auf Einzelheiten seines Haushalts. Für diesen Zweck nutzte er für gewöhnlich die leeren Seiten eines Kalenders, die so als eine Art Tagebuch dienten. Davon können wir viel auf sein Verhalten als Arbeitgeber der Dienstboten schließen. Die folgenden Einträge sind typisch und aufschlussreich:

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1819. Den 31. Januar der Haushälterin aufgesagt. Am 15. Februar die Küchenmagd eingetreten. 8. März hat die Küchenmagd mit 14 Tagen aufgesagt. 22. desselb. Mon. ist die neue Haushälterin eingetreten.

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20. Juli der Haushälterin aufgesagt. 1820. Am 17. April die Küchenmagd eingetreten. 16. Mai dem Küchenmädchen aufgesagt. 19. Mai die Küchenmagd ausgetreten. 30. Mai die Frau eingetreten. 1. Juli die Küchenmagd eingetreten. 28. Juli Abends ist die Küchenmagd entflohen. 6. September ist das Mädchen eingetreten. 22. October das Mädchen ausgetreten. 12. December das Küchenmädchen eingetreten. 18. Dec. dem Küchenmädchen aufgesagt. 27. Dec. das neue Stubenmädchen eingetreten. Beethovens Auffassung der Kochkunst war höchst individuell; und er stellte genaue Ansprüche an die, die die Speisen zubereiteten. Zu seinen Lieblingsgerichten, hören wir von Seyfried, gehörte auch eine Brodsuppe, breiartig gekocht, worauf er sich jeden Donnerstag schon zum voraus freute. Dazu mussten ihm zehn ansehnliche Eier auf einem Teller präsentirt werden, welche er, bevor selbe in das Fluidum hineingerührt wurden, vorerst gegen das Licht prüfend sondirte, eigenhändig köpfte und, der Frische wegen, sorgfältig beschnüffelte. Wollte es nun das Fatum, dass er einige darunter mit dem sogenannten Strohgeruch aufstöberte, dann ging auch der Spectakel los. Ein Donnerwort citirte die Wirtschafterin vor Gericht, welche jedoch, wohl wissend, was die Glocke geschlagen, zwischen Thür und Angel dem Toben und Schelten nur ein halbes Ohr lieh und auf eine kluge Retraite bedacht war, wenn herkömmlicherweise die Kanonade beginnen und die decapitirten Maleficanten, gleich Bombenwürfen aus wohlbedienten Batterien, auf ihrem Rücken spielen und deren gelblich-weisses, kleberiges Eingeweide in Lavaströmen darüber sich ergiessen sollte. Es war nicht immer so gewesen. Für Seyfried war es eine direkte Folge der körperlichen Gebrechen Beethovens:

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Je mehr der Mangel des Gehörsinns und die im Verlauf seiner letzten Lebensjahre dazu sich gesellenden körperlichen Uebel des Unterleibes überhand nahmen, um so rascher entwickelten sich auch jene unheilbringenden Symptome einer martervollen Hypochondrie. Er fing an zu klagen über die böse, nur zu Lug und Betrug geneigte Welt, über Bosheit, Falschheit und Hinterlist; behauptete, man fände gar keinen redlichen Menschen mehr, sah Alles im schwärzesten Lichte und misstraute zuletzt sogar seiner durch vieljährige Dienste bewährten Haushälterin. Auch als es dem Ende zuging, trat seine Misanthropie angeblich nur episodisch auf. Czerny mag es zu sehr vereinfacht haben, aber seine wesentliche Feststellung wiederholt sich so gut wie bei allen Freunden Beethovens: Abgesehen von den Zeiten trüber Stimmung, die ihn manchmal überfiel, und die von körperlichen Schmerzen herkam, war er immer gut aufgelegt, mutwillig, witzig, voll von Spott, und kümmerte sich um niemand.

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Immer? Auch der Manisch-Depressive hat seinen Mittelweg. Das Wesen von Beethovens Größe als Komponist liegt nicht in den Gegensätzen menschlicher Erfahrung, obwohl es sie umfasst. Es liegt eher in seiner Fähigkeit, über jede Seite davon nachzudenken, sie in Verbindung und in Einklang zu bringen, zu einer Synthese, deren Umfang vielleicht nur mit Shakespeare vergleichbar ist. Weil seine Umgangsformen und sein Verhalten oft so erschreckend waren, übersieht der Gelegenheitsleser oft Beethovens versöhnliche Charakteristika: seine Fähigkeit zu lebenslangen Freundschaften, die Ergebenheit, die er erweckte, seine Großzügigkeit gegen andere und die reine Freude, die Freunde und Bekanntschaften an seiner Gesellschaft fanden. In den Worten Ferdinand Ries’: „Überhaupt war er ein herzensguter Mensch, dem nur seine Laune und seine Heftigkeit gegen Andere oft böse Streiche spielten.“ Seyfried bestätigt das:

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Jedermann, der ihn genauer kannte, wusste, dass er in dieser Kunst [des Gelächters] nicht minder Virtuose vom ersten Range war, nur Schade, dass sogar seine nächste Umgebung selten die eigentliche Ursache einer solchen Explosion zu ergründen vermochte, da er zum öftern die eigenen geheimsten Gedanken und Einfälle zu belachen geruhte, ohne weitere Rechenschaft darüber zu geben. Auch wenn Beethoven freundlich war, konnte er ein fordernder Freund sein. Einmal, so erzählt uns Seyfried, beabsichtigte er, seine Dienstbotenprobleme zu lösen, indem er sich und anderen zeigte, wie wenig er auf sie angewiesen war: Da beschloss er plötzlich, unabhängig zu werden; und diese barokke Idee wurde auch, wie jede andere einmal festgewurzelte, schleunigst realisirt. Er besuchte selbst die Marktplätze, wählte, feilschte und kaufte, sonder Zweifel nicht um den civilsten Preis, und schickte sich an, den Nahrungsbedarf eigenhändig zu präpariren. So trieb er es wirklich einige Zeit hindurch, und als die wenigen Freunde, die er noch in seiner Nähe duldete, ihm ernstliche Vorstellungen desswegen machten, wurde er ordentlich erzürnt darüber und bat sie, um einen evidenten Beweis seiner erklecklichen Kenntnisse in der edlen Kochkunst zu liefern, für den nächsten Mittag zu Tische. Den Geladenen blieb nichts übrig, als in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, sich pünktlich einzustellen. Sie trafen ihren Wirth im Nachtjäckchen, das struppige Haupt mit einer stattlichen Schlafmütze bedeckt, die Lenden umgürtet mit einer blauen Küchenschürze, am Herde vollauf beschäftigt. Nach einer Geduldprobe von mehr denn anderthalb Stunden, nachdem der Mägen ungestüme Forderungen kaum mehr durch cordiale Zwiegespräche beschwichtigt werden konnten, wurde endlich servirt. Die Suppe gemahnte an den in Gasthöfen der Bettlerzunft mild gespendeten Abhub; das Rindfleisch war kaum zur Hälfte gargekocht und für eine Straussennatur berechnet; das Gemüse schwamm gemeinschaftlich im Wasser

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

und Fett und der Braten schien im Schornstein geräuchert. Nichts destoweniger sprach der Festgeber allen Schüsseln tüchtig zu. Mehr über seinen Geschmack bei Speisen und Getränken lernen wir von Schindler:

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Zum Frühstück nahm er Kaffee, den er sich meist selbst in einer Glasmaschine bereitet hat. Kaffee scheint sein unentbehrlichstes Nahrungsmittel gewesen zu seyn, womit er denn auch so scrupulös verfuhr, wie von den Orientalen bekannt. Sechszig Bohnen wurden für eine Tasse gerechnet und oft abgezählt, besonders wenn Gäste anwesend waren. Zu seinen Lieblingsgerichten gehörten Macaroni mit Parmesan-Käse. [...] Ferner gehörten alle Fischspeisen zu seinen Lieblingsgerichten. Daher wurden Gäste meist am Freitag geladen, um einen schweren Schill (ein Donaufisch, dem Schellfisch ähnlich) mit Kartoffeln präsentiren zu können. Von einem Souper war selten die Rede. Ein Teller Suppe und etwas von den Resten des Mittags war alles, was er zu nehmen pflegte. Sein Lieblingsgetränk war frisches Brunnenwasser, das er zur Sommerzeit fast unmäßig zu sich nahm. Von Weinsorten war es der Ofener Gebirgswein, den er vorgezogen. Leider mundeten ihm am besten die verfälschten Weine, die in seinem geschwächten Unterleib viel Unheil angerichtet. Dagegen half kein Warnen. [...] Auch liebte unser Meister ein gutes Glas Bier des Abends zu nehmen, wobei eine Pfeife Taback und die Zeitungen Gesellschaft geleistet. Gasthöfe und Kaffeehäuser besuchte Beethoven in den letzten Jahren noch oft, in letztere mußte er aber durch eine Hinterthür gelangen und in einem abgesonderten Zimmer Platz nehmen können. Fremde, die ihn zu sehen wünschten, wurden dahin gewiesen, denn er wechselte nicht, und wählte stets ein seiner Wohnung nahe gelegenes Kaffeehaus. Mit vorgestellten Fremden ließ er sich an diesen Orten nur höchst selten in ein Gespräch ein. Das letzte Zeitungsblatt durchlaufen ging er wieder eiligst zur Hinterthür hinaus.

Der Meister

Die frühen 1820er-Jahre brachten eine deutliche Verschlechterung von Beethovens Gesundheit. Seine Taubheit nahm zu, und seine lebenslangen Unterbauchbeschwerden wurden hartnäckiger. Anfang 1821 musste er eineinhalb Monate lang das Bett wegen rheumatischen Fiebers hüten, und im folgenden Sommer erkrankte er an Gelbsucht. Letzteres war bedrohlicher, als man damals ahnte, und führte zu dem Leberleiden, das zu seinem Tode beitrug. Für Leberzirrhose wird gewöhnlich eine unausgewogene Ernährung und übermäßiger Alkoholkonsum verantwortlich gemacht; aber Beethovens Freund Karl Holz stritt ab, dass es in diesem Fall vererbten Alkoholismus gab, und betonte zur Begründung seiner Behauptung, dass Beethoven sich selbst in der Regel auf eine einzige Flasche Wein pro Mahlzeit (!) beschränkte und dies nur in Gesellschaft überschritt. Nimmt man zu seinen gesundheitlichen Problemen den emotionalen Verschleiß des anhaltenden Leids mit Karl und den Bediensteten, ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeit an der Missa solemnis, schon längst überfällig (sie sollte 1820 zur Einsetzung Erzherzog Rudolphs als Erzbischof von Olmütz fertig sein), ins Stocken geriet. Er vollendete jedoch 1821 seine Klaviersonate As-Dur, Op. 110, deren Finale er aber später überarbeitete. 1822 kehrte mit der Vollendung der Missa solemnis und seiner letzten Klaviersonate, Op. 111 in c-Moll , sowie der festlichen Weihe des Hauses-Ouvertüre zu seiner alten Form zurück. Bedeutend war zudem ein Auftrag des russischen Fürsten Nikolai Galitzin für einige neue Streichquartette. Im Jahre 1823 stellte Beethoven die monumentalen 33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli, Op. 120, fertig und beschäftigte sich ernsthaft mit der neunten Sinfonie. Um diese Zeit erhielt Beethoven Besuche von drei sehr unterschiedlichen Komponisten: Rossini, Weber und dem elfjährigen Franz Liszt. Weber war entzückt und recht überrascht über den warmen Empfang: [Beethoven] empfing mich mit einer Liebe, die rührend war; gewiß 6–7 Mal umarmte er mich aufs herzlichste und rief endlich in voller Begeisterung: „Ja, du bist ein Teufelskerl, ein

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braver Kerl!“ Wir brachten den Mittag miteinander zu, sehr fröhlich und vergnügt. Dieser rauhe, zurückstoßende Mensch machte mir ordentlich die Cour, bediente mich bei Tische mit einer Sorgfalt, wie eine Dame, kurz, dieser Tag wird mir immer höchst merkwürdig bleiben, sowie allen, die dabei waren. Es gewährte mir eine eigene Erhebung, mich von diesem großen Geiste mit solcher liebevollen Achtung überschüttet zu sehen. Nicht weniger denkwürdig war Beethovens Begrüßung von Liszt. Beethoven, bekannt für seine Abneigung gegen Wunderkinder, hatte mehrmals abgelehnt, Liszt zu empfangen; doch Czerny, Liszts Lehrer, setzte sich schließlich durch und man vereinbarte ein Treffen. Liszt greift die Geschichte auf:

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Es war um zehn Uhr morgens, als wir die zwei kleinen Stuben im Schwarzspanierhause, wo Beethoven wohnte, betraten, ich etwas schüchtern, Czerny mich freundlich ermutigend. Beethoven saß vor einem langen, schmalen Tisch am Fenster und arbeitete. Er blickte uns eine Weile finster an, sprach mit Czerny ein paar flüchtige Worte und blieb schweigsam, als mein guter Lehrer mich ans Klavier winkte. Ich spielte zuerst ein kurzes Stück von Ries. Als ich geendet hatte, fragte mich Beethoven, ob ich eine Bachsche Fuge spielen könne. Ich wählte die C-moll-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier. „Könntest Du die Fuge auch gleich nach einer andern Tonart transponieren?“ fragte mich Beethoven. Zum Glück konnte ich es. Nach dem Schlußakkord blickte ich auf. Der dunkel glühende Blick des großen Meisters lag durchdringend auf mir. Doch plötzlich zog ein mildes Lächeln über die düsteren Züge, Beethoven kam ganz nahe heran, beugte sich zu mir, legte mir die Hand auf den Kopf und fuhr mir streichelnd mehrmals über das Haar. „Teufelskerl!“ flüsterte er, „so ein Racker!“ Ich gewann plötzlich Mut. „Darf ich jetzt etwas von Ihnen spielen?“ fragte ich keck. Beethoven nickte lächelnd. Ich spielte den ersten Satz aus dem C-dur-Konzerte. Als ich fertig war, faßte mich Beethoven an beiden Händen, küßte mich auf die Stirn und sagte

Der Meister

weich: „Geh! Du bist ein Glücklicher, denn Du wirst viele andre Menschen beglücken und erfreuen. Es gibt nichts Besseres, Schöneres!“ Dieses Ereignis aus meinem Leben ist mein größter Stolz geblieben, das Palladium für meine ganze Künstlerlaufbahn. Auf was Beethoven seine Prophezeiung stützte, ist schwer zu sagen. Falls er Liszts Spiel überhaupt hören konnte, was zweifelhaft ist, kann es nur erheblich verzerrt gewesen sein. Doch vieles kann bei einem Pianisten von Beethovens Erfahrung anhand des Sehvermögens gewonnen werden: nicht nur Tempo, sondern auch Aspekte der Phrasierung, Artikulation und sogar Lautstärke (die Hände, Handgelenke und Arme auch der entspanntesten Pianisten, die sehr laut spielen, unterscheiden sich immer von denselben Händen, die leise spielen). Was die Improvisation betrifft, wird Beethoven keine Schwierigkeiten gehabt haben, im Geiste den Rhythmus, die Harmonien, Melodien, gewiss die meisten, wenn nicht alle Noten, allein durch das Sehen zu „hören“, wie ein gekonnter Lippenleser nicht nur die Worte eines Sprecher „hören“ kann, sondern auch Intonation und Betonungen. Zwei andere Dinge sollten noch erwähnt werden. Beethoven war zweifellos bezaubert und bewegt von der natürlichen Bescheidenheit des jungen Liszt angesichts seiner außergewöhnlichen Erfolge. Und seine Bemerkungen, wie sie von Liszt selbst zitiert werden, enthalten kein eigentliches Lob, noch äußern sie sich gezielt zu seiner Darbietung. Sogar wenn er das Spiel gehasst hätte, hätte er sicher sagen können, dass Liszt vielen Menschen Glück und Freude geben würde, so wie Picasso dasselbe getrost zu Walter Lantz, dem Schöpfer von Bugs Bunny, hätte sagen können, ohne anzudeuten, dass er und Lantz auch nur auf demselben Niveau seien. Solche Überlegungen werden einen elfjährigen Jungen aber wohl nicht beschäftigt haben.

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ZWISCHENSPIEL VI

Kammermusik (2): Reine Streicherbesetzung

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Beethoven war kein Mann, der leicht einzuschüchtern war. Trotzdem schob er die Komposition eines Streichquartetts auf, bis er Mitte 30 war. Was ihn zurückhielt, waren die Beispiele Haydns, der damals noch lebte und aktiv war, und Mozarts, der die neue Gattung inzwischen auf einen Gipfel der Perfektion gebracht hatte, sodass nur ein Mann die Chance hätte, es mit ihm aufzunehmen. Beethoven hatte keinen Zweifel, dass er dieser Mann war; er wusste aber auch, dass er gerüstet sein musste. Er bereitete sich selbst vor, indem er fast buchstäblich um das Streichquartett herum arbeitete, zunächst mit einer Reihe Streichtrios, dann mit dem Streichquintett, Op. 4. Mit der Veröffentlichung der drei Streichtrios, Op. 9, im Jahre 1798 verkündete er seine Ankunft als rechtmäßiger Erbe seiner zwei bedeutenden Vorgänger. Diese zu Unrecht vernachlässigten Trios sind in keiner Weise verfehlte Streichquartette, sondern herrlich ausgereifte Werke, in denen Beethoven es ganz klar gelingt, drei Instrumente wie vier klingen zu lassen. Beethovens Sequenz von 16 Streichquartetten beginnt mit der Reihe von sechsen, Op. 18, die er 1801 veröffentlichte. Dass er das Genre selbst mit der äußersten Ernsthaftigkeit betrachtete, wird bereits im langsamen Satz von Nr. 1 F-Dur deutlich. Wie in vielen seiner bedeutenden Werke ist dieses Adagio das eigentliche Herz des ganzen Stücks, das darüber hinaus anregend und manchmal unberechenbar ist. Beethoven war grundsätzlich gegen Programmmusik; doch in diesem Fall verriet er, dass er von der Grabszene in Shakespeares Romeo und Julia inspiriert wurde. Im zweiten Quartett, in G-Dur, erweist Beethoven seine Reverenz gegenüber Mozart und Haydn mit größter Eleganz und An-

Reine Streicherbesetzung

mut, führt aber charakteristisch unbändige dramatische Ansätze ein, besonders gegen Ende des ersten Satzes und im humoristischen Finale. Das vielleicht kühnste Merkmal von Nr. 3 D-Dur ist Beethovens strategische Verwendung unerwarteter Tonartwechsel als Strukturmittel. Es sind keine formalen Kenntnisse nötig, um die Wirkungen zu fühlen: Die Klangwechsel, sowohl auditiv als auch im Ausdruck, tauchen auf, ob man ihre Quelle erkennt oder nicht. Das vierte Quartett in Beethovens Lieblingstonart c-Moll ist der Außenseiter der Reihe und bringt zum ersten Mal einen seltsam rohen, „kompromisslosen“ Tonfall in die Quartett-Folge ein. Das ist der Beethoven, der, fast wie ein Landstreicher gekleidet, in den Schlössern seiner Gönner auftaucht. Am anderen Ende des Spektrums steht das anmutige, strahlende Nr. 5 A-Dur, Beethovens Hommage an sein bevorzugtes Mozart-Quartett, KV 464, der gleichen Tonart. Die auffälligsten Eigenschaften des B-Dur-Quartetts, Op. 18 Nr. 6, sind erstens der rhythmisch-federnde Schwung des Scherzos, dessen fast besessene, jazzartigen Synkopierungen dem Hörer zu sagen scheinen: „zähl, wenn du kannst!“; zweitens die langsame Einleitung zum tanzartigen Finale, das den Titel „La malinconia“ trägt, obwohl die Stimmung brütender Melancholie so offensichtlich ist, dass der Hinweis überflüssig ist. Diese Eineitung eines Finales ist nicht nur eine formale Neuerung. Sie ist auch bemerkenswert, da sie kurz jede Bedeutung von Tonart verwischt und später im Satz bruchstückhaft wieder auftaucht. Dieses Nebeneinander extremer Gegensätze hat fast die Wirkung einer Auseinandersetzung zwischen den Mächten der Finsternis und des Lichts. Fünf Jahre sollten vergehen, ehe Beethoven zum Streichquartett zurückkehrte, doch die zurückgelegte Strecke im Sinne von Inhalt und Ausarbeitung erscheint länger als Lichtjahre. Die drei „Rasumowsky-Quartette“ (nach dem russischen Grafen benannt, der sie in Auftrag gab) sind in einem in diesem Genre nie da gewesenen Maßstab angelegt; ihr Ausmaß umfasst eine Erweiterung der geistigen, emotionalen und psychologischen Bandbreite. Wie wir gesehen haben, war dies kein vereinzeltes Phänomen. Dasselbe trifft auf andere Werke zu, die Beethoven in dieser Phase kom-

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ponierte, einschließlich der „Eroica“-Sinfonie und der „Waldstein“- und „Appassionata“-Sonaten. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass Beethoven mit jedem dieser Werke die gesamte Vorstellung davon, was Musik leisten kann, umformte. Aber während die anderen Werke im Allgemeinen von Musikern und Musikliebhabern gleichermaßen positiv aufgenommen wurden, verwirrten die „Rasumowsky-Quartette“ viele Musiker, die für gewöhnlich Beethovens Musik wohlgesinnt waren. Schuppanzigh, Beethovens bevorzugter Quartett-Leiter, dachte offenbar, das erste müsse eine Art weit hergeholter Witz sein, dessen Pointe ihm entging. Ein anderer Violinist und Quartett-Spieler, Felice Radicati, fragte Beethoven unverblümt, ob er diese Werke überhaupt für Musik hielt. Beethoven war unbeeindruckt: „O“, sagte er, „sie sind auch nicht für Sie, sondern für eine spätere Zeit!“ Er behielt recht. Von den dreien erlangte zu seinen Lebzeiten nur das letzte, in C-Dur, breite Akzeptanz. Eine wichtige Besonderheit bei allen dreien ist der Grad, zu dem sich großangelegte Strukturen aus einer kleinen Zahl relativ kurzer musikalischer „Zellen“ entfalten. Die ausgedehnte Eröffnungsmelodie von Nr. 1 F-Dur bildet z. B. die Grundlage für einen Großteil des ganzen Satzes. Ein weiteres Beispiel ist die umfangreiche und oft sehr raffinierte Entwicklung der zwei ersten Akkorde von Nr. 2 e-Moll. Diese kleinen Bausteine müssen nicht melodisch oder harmonisch sein. Der Scherzo-Satz desselben Quartetts stützt sich fast obsessiv auf die Rhythmusfigur seines Anfangstakts. Die Fähigkeit, diese organischen Beziehungen zu erkennen, ist für die Wertschätzung der Musik allerdings nicht notwendiger als das Wissen über Gesichtsmuskulatur für die Würdigung der Mona Lisa. Ein weiterer bedeutender Punkt dieser Quartette ist die beispiellose technische Herausforderung für alle vier Spieler. Das wunderschöne „Harfenquartett“, Op. 74 aus dem Jahr 1809 (so genannt wegen der arpeggierten pizzicato-Effekte im ersten Satz), ist ebenso groß angelegt wie seine drei unmittelbaren Vorgänger, endet aber – einmalig in Beethovens Quartetten – mit einem Variationssatz. Abermals sind die instrumentalen Herausforderungen erheblich, besonders für die erste Geige, die die Coda

Reine Streicherbesetzung

des ersten Satzes mit einem aufregenden, konzerthaften Solo krönt. Allerdings ist die Ausdruckswelt der Musik allgemein freundlicher und weniger forschend als die der „RasumowskyQuartette“. Der Untertitel „Serioso“ des f-Moll-Quartetts, Op. 95 aus dem Jahr 1810, ist so redundant wie „La malinconia“ für das Finale von Op. 18 Nr. 6. Der grimmige Ernst ist von Anfang an überdeutlich und wird danach unüberhörbar aufrechterhalten. Dies ist Beethovens kürzestes und intensivstes Quartett, so auffallend für seine Verdichtung wie die „Eroica“-Sinfonie und die „Rasumowsky-Quartette“ für ihre revolutionäre Ausweitung. Bedeutsam ist zudem der Anteil widerspenstigen Humors, der hier seinen Weg in die Musik findet. Bezeichnenderweise schrieb Beethoven an einen englischen Musiker: „The Quartett is written for a small circle of connoisseurs and is never to be performed in public.“ Tatsächlich verweigerte er sechs Jahre lang die Veröffentlichung. Fast 15 Jahre vergingen, ehe Beethoven auf das Genre zurückkam, und er brachte dann fünf einzigartige Werke hervor, die für viele die größte Musik überhaupt darstellen. Jedes ist das Ergebnis des wohl mächtigsten Intellekts der Musikgeschichte, der mit Hochdruck arbeitete; und jedes öffnet bis dahin unerforschte Erfahrungsgebiete. Das erste in der Reihe, das Es-Dur-Quartett, Op. 127, ist nach außen das einfachste und im Aufbau eng verwandt mit den Quartetten der mittleren Schaffensperiode. Der heiter lyrische Eröffnungssatz, dem eine Maestoso-Einleitung vorangeht, die später noch zweimal im Satz auftaucht, wird von einem Adagio gefolgt, das zu Beethovens erhabensten zählt. Das beachtliche Scherzo führt zu einem unwiderstehlich erhebenden Finale, das die Elemente von sowohl Sonatensatz- als auch Rondoform vereint. Op. 127 teilt die Ausdehnung der „Rasumovksy-Quartette“ ebenso wie ihre polyphonische Auseinandersetzung. Wie seine folgenden Geschwister verbindet es die damalige äußerste Modernität – die wir auch heute noch wahrnehmen – mit Rückblicken auf alte Wurzeln. Der Einfluss von Bach und Händel ist gelegentlich zu spüren; aber in diesen letzten Werken greift Beethoven auf den

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reinen, vokalen Kontrapunkt Palestrinas (geb. um 1525) und anderer Meister der italienischen Renaissance zurück. Ein sehr gutes Beispiel ist der zweite Satz von Op. 127, ein Thema mit Variationen von außerordentlicher Schönheit. Zwischen Op. 127 und dem letzten der Beethoven’schen Quartette stehen drei, die gemeinsam eine Art musikalische Trinität bilden. Wie bei den „Rasumowskys“ dauerte es noch viele Jahre, bis sie ihren Platz im Mittelpunkt des Standardrepertoires fanden. Noch mehr als die „Rasumowsky-Quartette“ wurden sie eindeutig „für eine spätere Zeit“ komponiert. Das a-Moll-Quartett, Op. 132, das B-Dur-, Op. 130, und das cis-Moll-Quartett, Op. 131, sind nicht nur in der Anzahl ihrer Sätze unkonventionell (fünf in Op. 132, sechs in Op. 130, sieben in Op. 131), sondern auch in ihrer Form, Anordnung und ihrem Tonarten-Schema. Auch die Dauer der Sätze ist höchst unregelmäßig. In Op. 132 z. B. dauern die fünf Sätze rund 9'30'', 8'00'', 16'00'' („Heiliger Dankgesang“), 2'00'' und ca. 7'00''. In Op. 131 sticht die Verschiedenheit noch mehr hervor: 8'00''; 3'00''; 0'50''; 14'00''; 5‘00‘’, 2'00'' und rund 7'00''. In beiden Quartetten bilden die längsten und überirdischsten Sätze das strukturelle und spirituelle Kernstück. In diesem Punkt der musikalischen Odyssee Beethovens ist das Wort „spirituell“ unvermeidbar. Auf eine Art, die man nie mit Worten ausdrücken kann, geht Beethovens erhabenste Musik über das Gefühl hinaus, wenngleich Gefühl immer ein Teil davon ist. Es ist keine Übertreibung, dass wir in diesen Quartetten eine neue Bewusstseinsdimension betreten. Das Wort „Ehrfurcht“ kommt hier nicht ungelegen, desgleichen „Demut“. Doch im Fall des großartigen langsamen Satzes von Op. 132 beschwört Beethoven selbst Worte, um das Verständnis des Hörers zu fördern, sowohl der Musik selbst als auch der kommunikativen Absicht des Komponisten: „Heiliger Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit, in der lydischen Tonart“. Wie Beethoven nur zu genau wusste, war die Krankheit, auf die er anspielt, nahezu tödlich gewesen. Diese drei Quartette können in gewisser Weise als ein einziges großes Werk gesehen werden, eine Trilogie mit thematischen Verknüpfungen und zusammenhängenden Opuszahlen. Das Haupt-

Reine Streicherbesetzung

verbindungselement ist ein Vier-Noten-Motiv, das eine wichtige Rolle in allen dreien spielt, wenn auch zuweilen verdeckt. Es wird vom Cello ganz zu Anfang von Op. 132 eingeführt und ist in der gigantischen „Großen Fuge“ auf seinem dramatischen Höhepunkt, das ursprünglich das Finale von Op. 130 bildete. Man überzeugte Beethoven davon, dass diese „Große Fuge“ den Rest des Quartetts aus dem Gleichgewicht brachte, sowohl in Größe als auch mit seiner Komplexität; mit untypischer Nachgiebigkeit stimmte er zu, ein Ersatz-Finale zu komponieren, und ließ die „Große Fuge“ für sich als Op. 133 stehen. Das neue Finale, das letzte vollendete Werk Beethovens, ist wunderbare Musik, aber zu leichtgewichtig, um die dramatische Zuspitzung zu liefern, die er eigentlich beabsichtigte. Viele professionelle Streichquartett-Ensembles führen das Op. 130 heute mit seinem ursprünglichen Finale auf. Das letzte Quartett, Op. 135 F-Dur, ist zudem bei Weitem das knappste der Spätwerke. Komponiert zur Zeit von Karls Selbstmordversuch (siehe folgendes Kapitel), enthält es zu Beginn des Finales einen verbalen Hinweis auf seine zugrunde liegende Stimmung. Es ist mit „Der schwer gefasste Entschluss“ überschrieben; vor dem Anfang des Satzes setzt Beethoven drei Versionen eines Drei-Noten-„Mottos“. Unter das erste – langsam, mit Grave gekennzeichnet, mit einem steigenden, fragenden Tonfall – schreibt er die Worte „Muss es sein?“, während er unter die zweite und dritte Motto-Variante – jetzt Allegro, mit einer überzeugten Abwärtsbetonung – „Es muss sein!“ schreibt. Zum Zeitpunkt, als er das Quartett fertigstellte, war Beethoven todkrank. Falls „es“ den Tod meint, was gut möglich ist (obwohl „es“ auch prosaischer als unvermeidliche Bezahlung einer Rechnung gedeutet wurde!), ist nichts Morbides an Beethovens Akzeptanz seiner Unvermeidlichkeit. Er geht seinem Schicksal mit fast freudiger Anerkennung entgegen, dass, was unsere irdische Existenz betrifft, der Tod dem Leben Bedeutung gibt. Was auch immer seine Fehler bei Karl (und Johanna) waren, seine Enttäuschungen in der Liebe, seine körperlichen und seelischen Leiden – er hatte sein Genie für die Besserung und Tröstung der Menschheit aufgewendet. Es gibt schlechtere Grabinschriften.

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KAPITEL 7

Finale

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A

m 7. Mai 1824 erlebte Beethovens Neunte ihre langerwartete Uraufführung. Es war ein merkwürdiges und in mancher Hinsicht tragisches Ereignis, wie sich der Orchestergeiger Joseph Böhm erinnerte: Beethoven dirigierte selbst, d. h. er stand vor einem Dirigentenpulte und fuhr wie ein Wahnsinniger hin und her. Bald streckte er sich empor, bald kauerte er bis zur Erde, er schlug mit Händen und Füßen herum als wollte er allein die sämtlichen Instrumente spielen, den ganzen Chor singen. Die eigentliche Leitung war in Duports Hand, wir Musiker sahen bloß auf dessen Taktstock. Beethoven war so aufgeregt, daß er nichts sah, was um ihn vorging, daß er auf den Beifallssturm, den er freilich bei seiner Gehörschwäche kaum hören konnte, auch nicht einmal achtete. – Man mußte es ihm immer sagen, wenn es an der Zeit war, dem Publikum für den gespendeten Beifall zu danken, was Beethoven in linkischer Weise that.

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Die neunte Sinfonie war mit einigem Abstand das kolossalste Orchesterwerk, das je komponiert wurde. Mit seinem langen Chorfinale samt vier Gesangssolisten ebnete es, wie bereits er-

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wähnt, den Weg für die gewaltigen Chorsinfonien von Mahler rund sieben Jahrzehnte später. Es sollte außerdem Beethovens letzte Sinfonie sein, wenn auch nicht absichtlich. Nach der Premiere der neunten Sinfonie – der Höhepunkt einer Reihe von Verwirrungen, beruflich, gesellschaftlich, häuslich und finanziell – folgte Beethoven seiner Gewohnheit und zog sich aufs Land zurück, diesmal nahe dem Wiener Vorort Baden. Angespornt vom Auftrag des Fürsten Galitzin 1822 kehrte er hier, nach einer Pause von fast eineinhalb Jahrzehnten, zu einer der intimsten und anspruchsvollsten Musizierarten zurück: dem Streichquartett. Beethovens letzte Beiträge zu diesem Genre, für dessen Entwicklung er selbst viel getan hatte, markieren den Gipfel seines schöpferischen Lebens. Sie entführen uns in bis dahin unbekannte Gebiete spiritueller Erfahrung, die über die Möglichkeiten der Analyse, sie zu erklären oder beschreiben, hinausgehen. Der Violinist Karl Holz, einer der engsten Freunde seiner letzten Jahre, lässt keinen Zweifel, dass Beethoven sich dessen völlig bewusst war. Für ihn war die Es-Dur-Kavatine des Quartettes B-Dur (Op. 130) die „Krone aller Quartettsätze“, schrieb Holz, „und sein Lieblingsstück. Er hat sie wirklich unter Thränen der Wehmuth komponirt […] und gestand mir, daß noch nie seine eigene Musik einen solchen Eindruck auf ihn hervorgebracht habe, und daß selbst das Zurückempfinden dieses Stückes, ihm immer neue Thränen koste“. Zu dem Verlust seines Hörvermögens, dem ständigen „Sausen und Brausen“ in seinen Ohren (über das er erstmals 1800 klagte), und seinen chronischen Unterleibsbeschwerden kam nun eine weitere Pein in Form der Ophthalmie hinzu, einer schmerzhaften Augenentzündung. 1825 litt er an einer schweren und lebensbedrohlichen Krankheit, von der er durch eine strenge Diät und gänzliche Alkoholabstinenz (neben anderen Arzneien) gerettet wurde. Aus Baden, wohin er zur Erholung geschickt worden war, schrieb er an seinen Arzt und bewies wie so oft, dass seine Leiden ihn nicht seines Sinns für Humor beraubt hatten: 159

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Für Seine Wohlgebohren H. von Braunhofer Professor der Arzneykunde etc. am 13ten May 1825. Dr. – Wie gehts Patient? Pat. – Wir stecken in keiner guten Haut – noch immer sehr schwach, aufstoßen etc. […] ich speie ziemlich viel Blut aus, wahrscheinlich nur aus der Luftröhre, aus der Nase strömt es aber öfter, […] daß aber der Magen schrecklich geschwächt ist u. überhaupt meine ganze Natur dies leidet keinen Zweifel, bloß durch sich selbst, so viel ich meine Natur kenne, dürften meine Kräfte schwerlich wieder ersetzt werden. Dr. – ich werde helfen, bald Brownianer bald Stollianer seyn [zwei diametral entgegengesetzte Behandlungsarten]. Pat. – Es würde mir lieb seyn wieder mit einigen Kräften an meinem Schreibpult seyn zu können, erwägen sie dieses; – Finis.

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Dann fügt er hinzu: „Die letzte Medizin nahm ich nur einmal, u. habe sie verlohren.“ Es war typisch für Beethoven als Patient, den Rat seiner Ärzte zu suchen und ihn dann weiter nicht zu befolgen. Als er an sein Schreibpult zurückkehrte, war seine erste Komposition der „Heilige Dankgesang“ (siehe Zwischenspiel VI). Nach der Fertigstellung seines letzten Quartetts, Op. 135, wandte er seine Gedanken wieder dem Orchester zu. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er bereits wesentliche Skizzen für eine zehnte Sinfonie gemacht, die wohl vollendet worden wäre, hätte es nicht ein Ereignis einige Kilometer von Wien entfernt gegeben. Am 30. Juli 1826 in einer Burgruine in der Nähe von Baden hatte Karl, jetzt 19 Jahre alt, sich in den Kopf geschossen. Er wurde bei vollem Bewusstsein gefunden und zur nahen Wohnung seiner Mutter gebracht. Er war ein bekanntermaßen schlechter Schütze, aber sich selbst in den Kopf zu schießen und nicht einmal das Bewusstsein zu verlieren, legt nicht so sehr eine schlechte Absicht

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nahe als vielmehr eine sehr deutliche Botschaft an seinen Onkel. Die Tatsache, dass er in die Obhut seiner Mutter gegeben wurde statt in Beethovens, war sicher kein reiner Zufall. Als er vom örtlichen Magistrat gefragt wurde, was ihn zu dieser Verzweiflungstat getrieben habe, war seine Antwort unmissverständlich: Sein Onkel habe ihn zu sehr „sekirt“ (gequält), „die Gefangenschaft bei Beethoven“ habe ihn veranlasst. Beethoven versuchte, den Vorfall zu vertuschen, aber es war zu spät; und Karl hatte die Genugtuung (falls er wirklich so empfand), seinen Onkel praktisch über Nacht altern zu sehen. Von da an sah Beethoven aus wie ein alter Mann, fühlte sich auch so und beschrieb sich selbst oft als solchen, obwohl er erst 55 Jahre alt war, als sich der Zwischenfall ereignete. Er mag schockiert gewesen sein, und auch schuldbewusst. Aber außer kleineren Verbesserungen fuhr er fort, Karl und Johanna wie früher zu behandeln. Es war daher eine große Erleichterung für alle Betroffenen (obwohl Beethoven es ungern zugeben wollte), als Karl seine Absicht, sich zum Militär zu melden, verkündete. Dort würde er streng beaufsichtigt werden und wäre endlich frei von den endlosen Streitereien seiner Mutter und seines Onkels. In der Zwischenzeit, während das Haar lang genug wuchs, um seine Verletzung zu kaschieren, reisten Karl und sein Onkel nach Gneixendorf auf Einladung von Beethovens Bruder Johann und seiner Frau Therese, mit denen seine Beziehungen nie einfach gewesen waren. Dort komponierte Beethoven sein letztes Quartett, Op. 135 F-Dur, und ein neues Finale für das B-Dur-Quartett, Op. 130, um die umstrittene „Große Fuge“ zu ersetzen. Die Heiterkeit in diesen letzten Stücken hatte jedoch kein wesentliches Pendant in seinen persönlichen Beziehungen. Trotz des letzten großen Versöhnungsversuchs stritten er und sein Bruder sich häufig; Therese mischte sich oft ein, während Karl mit jedem zankte. Nach einer besonders bitteren Auseinandersetzung über Johanns letzten Willen reisten Beethoven und Karl am 1. Dezember überstürzt nach Wien ab. Mit den Worten von Andreas Wawruch, Beethovens letztem behandelnden Arzt:

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

Der December war rauh, naßkalt und frostig, Beethovens Bekleidung nichts weniger als der unfreundlichen Jahreszeit angemessen und doch trieb ihn eine innere Unruhe, eine düstere Unglücksahnung fort. Er war bemüßigt, in einem Dorfwirtshause zu übernachten, worin er außer dem elenden Obdach nur ein ungeheiztes Zimmer ohne Winterfenster antraf. Gegen Mitternacht empfand er den ersten erschütternden Fieberfrost, einen trockenen, kurzen Husten von einem heftigen Durste und Seitenstechen begleitet. Mit dem Eintritte der Fieberhitze trank er ein Paar Maß eiskalten Wassers und sehnte sich in seinem hilflosen Zustande nach dem ersten Lichtstrahl des Tages. Matt und krank ließ er sich auf den Leiterwagen laden und langte endlich kraftlos und erschöpft in Wien an.

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Beethovens Neffe Karl

Finale

Zuhause angekommen, blieb Beethoven mit einer schweren Erkältung im Bett. Drei Tage vergingen allerdings, bevor Karl es für angebracht hielt, ärztliche Hilfe zu rufen. Wawruch traf ein und war zutiefst beunruhigt: Ich traf Beethoven mit den bedenklichen Symptomen einer Lungenentzündung behaftet an, sein Gesicht glühte, er spuckte Blut, die Respiration drohte mit Erstickungsgefahr und der schmerzhafte Seitenstich gestattete nur eine quälende Rückenlage. Ein streng entzündungswidriges Heilverfahren schaffte bald die erwünschte Linderung, seine Natur siegte und befreite ihn durch eine glückliche Krise von der augenscheinlichen Todesgefahr. Am fünften Tag konnte er sich aufsetzen und sprechen, am siebten war er einigermaßen auf den Beinen und konnte wieder lesen und schreiben. Doch die Besserung währte nur kurz. Als Wawruch am nächsten Tag kam, erschrak er: Beim Morgenbesuche fand ich ihn verstört, am ganzen Körper gelbsüchtig; ein schreckbarer Brechdurchfall drohte ihn die verflossene Nacht zu tödten. Ein heftiger Zorn, ein tiefes Leiden über erlittenen Undank und unverdiente Kränkung [vermutlich durch Karl] veranlaßte die mächtige Explosion. Zitternd und bebend krümmte er sich vor Schmerzen, die in der Leber und in den Gedärmen wütheten, und seine bisher nur mäßig aufgedunsenen Füße waren mächtig geschwollen. – Von diesem Zeitpunkte an entwickelte sich die Wassersucht, die Urinaussonderung wurde sparsamer, die Leber bot deutliche Spuren von harten Knoten, die Gelbsucht stieg. […] Doch rückte die Krankheit mit Riesenschritten vorwärts. Schon in der 3ten Woche stellten sich nächtliche Erstickungszufälle ein; das enorme Volum der Wasseransammlung forderte schnelle Hülfe, und ich fand mich bemüßigt den Bauchstich vorzuschlagen, um dadurch der plötzlichen Berstungsgefahr vorzubeugen. Die Flüssigkeit betrug 25 Pfund, doch der Nachfluß gewiß fünfmal soviel.

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik

Eine Unvorsichtigkeit, die den Wundverband Nachts löste, vermuthlich um alles enthaltene Wasser schnell zu entfernen, hätte beinahe die Freude des Besserbefindens ganz verleidet. Eine heftige rothlaufartige Entzündung stellte sich ein und wies die ersten Brandspuren, doch das sorgfältigste Trockenhalten der Wundlippen setzte dem Uebel bald Schranken. Zum Glück waren die folgenden drei Operationen ohne die geringsten Anstände. In ihrem letzten gemeinsamen Monat, bevor Karl ins Militär eintrat, war Beethoven fast ausschließlich bettlägerig, und Karl war einen Großteil dieser Zeit an seiner Seite. Die alten Streitereien, Verdächtigungen und Vorwürfe schienen letztendlich beigelegt zu sein, obwohl Beethovens fixe Idee von Johannas schädlichem Einfluss blieb. Nachdem Karl gegangen war, um am 2. Januar 1827 zu seinem Regiment zu stoßen, verschlimmerte sich Beethovens Zustand drastisch. Schnell war klar, dass er schwerstkrank war. Schindler schreibt Ende Februar an Moscheles: „Wie es sich jetzt schon zeigt, so wird aus der Wassersucht eine Abzehrung, denn er ist jetzt schon nur Haut und Knochen. Allein seine Constitution wird noch sehr lange diesem entsetzlichen Ende widerstehen.“ In seinen späten Jahren war Beethoven weniger gesellig; doch besonders nach seiner „wilden“ Phase 1812–13 genoss er es, Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein. Nun, da er schwerer krank war als je zuvor in seinem Leben, war seine Laune düster, und seine Widerstandskraft wurde durch eine von ihm wahrgenommene allgemeine Vernachlässigung schwächer. Schindler schrieb zu der Zeit: Was ihn noch sehr kränkt, ist, daß sich hier gar Niemand um ihn bekümmert; und wirklich ist diese Theilnahmslosigkeit höchst auffallend. Früherer Zeit ist man in Equipagen vorgefahren, wenn er nur unpäßlich war, jetzt ist er ganz vergessen, als hätte er gar nie in Wien gelebt. 164

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War Beethoven auch niedergeschlagen, so war er doch keinesfalls verzweifelt. Er sprach wiederholt davon, nach England zu gehen, sobald er wieder gesund war (er hatte zahlreiche Einladungen u. a. von der Philharmonischen Gesellschaft in London), und war nun mit dem Rechnen beschäftigt, wie er während der Reise möglichst kostengünstig leben könnte. Für jemand so Unerfahrenen in Auslandsreisen wie ihn war dies eine erhebliche Entwicklung. Er wusste schon lange von Haydns Erfolgen in Großbritannien und sah keinen Grund, warum es ihm nicht ebenso ergehen sollte. In der Zwischenzeit lenkte er sich, wenn er allein war, mit Lesen ab – vor allem die alten Griechen (eine lebenslange Begeisterung) und die Romane von Sir Walter Scott, an denen er großes Gefallen hatte. Am 8. März 1827 wurde der junge Pianist Ferdinand von Hiller, damals erst 15 Jahre alt, aber später ein bedeutender Künstler, von seinem Lehrer Hummel gebracht, um den Meister zu treffen. Hiller war schon vorgewarnt worden, dass Beethovens Erscheinung fast Entsetzen bei seinen Besuchern hervorrief, und war erleichtert, dass die Wirklichkeit weniger erschreckend war: Durch ein geräumiges Vorzimmer, in welchem hohe Schränke dicke, zusammengeschnürte Packen von Musikalien trugen, kamen wir (wie pochte mir das Herz!) in Beethovens Wohnzimmer und waren nicht wenig erstaunt, den Meister, dem Anscheine nach ganz behaglich am Fenster sitzend zu finden. Er trug einen langen, grauen, im Momente gänzlich geöffneten Schlafrock und hohe, bis an die Knie reichende Stiefel. Abgemagert von der bösen Krankheit, erschien er mir, als er aufstand, von hoher Statur, er war nicht rasirt, sein volles, halb graues Haar fiel ungeordnet über die Schläfen. Der Ausdruck seiner Züge wurde sehr freundlich und hell, als er Hummels ansichtig wurde, und er schien sich außerordentlich auf ihn zu freuen. Die beiden Männer umarmten einander aufs Herzlichste; Hummel stellte mich vor. Beethoven bezeigte sich durchaus gütig und ich durfte mich ans Fenster ihm gegenüber setzen.

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Vom verbitterten und paranoiden, fast verrückten Menschen gab es keine Spur. Beethoven zeigte echtes Interesse an seinem jungen Gast und behandelte ihn mit großer Achtung und Würde. Am 13. März nahm Hummel Hiller abermals mit zu Beethoven. Der Junge war von der Veränderung schockiert. „Er lag zu Bette, schien starke Schmerzen zu haben und stöhnte zuweilen tief auf, trotzdem sprach er viel und lebhaft.“ Unter anderem klagte er, dass er keine Ehefrau hatte, und äußerte seinen Neid auf Hummel, dessen Gattin er bewunderte. Seit ihrem letzten Besuch bei ihm war ihm ein Bild des bescheidenen Geburtshauses von Haydn geschenkt worden. Es hing nun an der Wand neben seinem Bett. In diesen dunklen Tagen war es ihm zu einem wertvollen Besitz geworden. „Es hat mir eine kindische Freude gemacht“, sagte er, „die Wiege eines so großen Mannes!“ Jegliche Ressentiments seines ehemaligen Lehrers waren nun lange vergessen. Das größte Geschenk seiner letzten Monate war ihm jedoch vom Harfenmacher Johann Stumpff aus London geschickt worden: Samuel Arnolds Gesamtausgabe der Werke Händels in 40 Bänden. Dies besiegelte seine Überzeugung, dass Händel der größte aller Komponisten war. Er schrieb Stumpff, um ihm zu danken:

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Sehr werther Freund! Welch großes Vergnügen [ist] mir die Uebersendung der Werke von Händel, die Sie mir sogar zum Geschenk machten, für mich ein Königlich Geschenk! dies vermag meine Feder nicht zu beschreiben! Man hat es sogar hier in die Zeitung gebracht, welches ich Ihnen hier mittheile. Leider liege ich schon seit dem 3ten December bis jetzt an der Wassersucht darnieder. Sie können denken, in welche Lage mich dieses bringt! Ich lebe gewöhnlich nur von dem Ertrage meiner Geisteswerke, alles für mich und meinen Carl, davon zu schaffen. Leider seit dritthalb Monaten war ich nicht im Stande eine Note zu schreiben. Mein Gehalt beträgt nur soviel daß ich davon den halbjährigen Wohnungszins bestreiten kann, dann bleiben noch einige hundert Gulden Wiener Währung übrig! Bedenken Sie noch daß sich das Ende meiner Krankheit noch gar nicht bestimmen

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läßt und es endlich wird möglich gleich in vollen Segeln auf dem Pegasus durch die Lüfte zu segeln! Arzt, Chirurgus, alles muß bezahlt werden. – Ich erinnere mich recht wohl daß die Philharmonische Gesellschaft vor mehreren Jahren ein Concert zu meinem Besten geben wollte. Es wäre für mich ein Glück wenn sie diesen Vorsatz fassen wollte, ich würde vielleicht aus aller meiner bevorstehenden Noth, doch gerettet werden können. Ich schreibe deswegen an Herrn S[mart]. Und können Sie, werther Freund! etwas zu diesem Zwecke beitragen, so bitte ich Sie nur sich mit Herrn S. zu vereinigen. Auch an Moscheles wird deßhalb geschrieben, und in Vereinigung aller meiner Freunde glaube ich doch daß sich in dieser Sache etwas für mich wird thun lassen. Rücksichtlich der Händelschen Werke für S. Kaiserliche Hoheit Erzherzog Rudolph kann ich bis jetzt noch nichts gewiß sagen. Ich werde aber in wenig Tagen an ihn schreiben und darauf aufmerksam machen. Indem ich Ihnen nochmals danke für Ihr herrliches Geschenk, so bitte ich noch mit mir zu befehlen, wo ich Ihnen hier in etwas dienen kann, thue ich’s von Herzen gern. – Meine Ihnen hier geschilderte Lage lege ich Ihnen hier nochmals an Ihr menschenfreundliches Herz und indem ich Ihnen alles Schöne und Gute wünsche, empfehle ich mich Ihnen bestens. Hochachtungsvoll Ihr Beethoven. Wien den 8 ten Februar 1827 Die Philharmonische Gesellschaft, die von seinen Umständen erfuhr, schickte ihm umgehend die damals beträchtliche Summe von 100 £ als Geschenk. In seinem letzten datierten Brief schrieb Beethoven an Moscheles: Wien den 18. März. 1827. Mein lieber guter Moscheles Mit welchen Gefühlen ich Ihren Brief vom 1. März durchlesen, kann ich gar nicht mit Worten schildern. Der Edelmuth der

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philharmonischen Gesellschaft, mit welchem man meiner Bitte beynahe zuvor kam, hat mich in das Innerste meiner Seele gerührt. – Ich ersuche Sie daher lieber Moscheles, das Organ zu seyn, durch welches ich meinen innigsten, herzlichsten Dank für die besondere Theilnahme und Unterstützung an die philh. Gesellschaft gelangen lasse. […] Möge der Himmel mir nur recht bald wieder meine Gesundheit schenken, und ich werde den edelmüthigen Engländern beweisen, wie sehr ich ihre Theilnahme an meinem traurigen Schicksale zu würdigen wissen werde. Ihr edles Benehmen wird mir unvergeßlich bleiben, so wie ich noch insbesondere Sir Smart und Hrn Stumpf meinen Dank nächstens nachtragen werde. Leben Sie recht wohl! Mit den freundschaftlichsten Gesinnungen verharre ich Ihr Sie hochschätzender Freund Ludwig van Beethoven Über die üblichen Leiden seiner Krankheit hinaus stand Beethoven vier Bauchoperationen aus, die ihm nur vorübergehende Erleichterung brachten. Als sich der März dem Ende zuneigte, bestand für seine Freunde, unter ihnen Anton Schindler, kaum ein Zweifel, dass auch Beethoven seinem Ende nahe war: Seine Auflösung geht mit Riesenschritten, und es ist nur ein Wunsch unser aller, ihn bald von diesen schrecklichen Leiden erlöset zu sehn. Nichts anders bleibt mehr übrig. Seit 8 Tagen liegt er schon beynahe wie todt, nur manchen Augenblick rafft er seine letzten Kräfte zusammen, und fragt nach etwas oder verlangt etwas. Sein Zustand ist schrecklich […]. Er befindet sich fortwährend in einem dumpfen Dahinbrüten, hängt den Kopf auf die Brust, und sieht starr stundenlang auf einen Fleck. Kennt die besten Bekannten selten, als, man sagt ihm, wer vor ihm steht. Kurz es ist schauderhaft, wenn man dieses sieht. 168

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Am 23. März in einem besonders lichten Moment bat er um seine Feder und schrieb mühsam seine letzten Worte – einen Nachtrag zu seinem Testament, in dem er festlegt, dass im Falle von Karls Tod das ganze Vermögen seines Nachlasses an seine Schwägerin Johanna van Beethoven gehen soll. Endlich hatte er seinen Frieden mit der „Königin der Nacht“ gemacht. Nun war der Moment gekommen, als Beethoven, der Mann, der dem Schicksal in den Rachen gegriffen hatte, sich absolut sicher war, dass sein lebenslanger Kampf fast vorüber war. Er wandte sich an die Freunde, die um sein Bett standen, und überraschte sie mit einem lateinischen Spruch: „Plaudite amici, finita est comoedia“ („Applaus, Freunde, die Komödie ist beendet“). Bald danach verlor er das Bewusstsein und fiel ins Koma. Aber immer noch hing er am Leben. Zwei Tage vergingen. Der Morgen des 26. März brach stürmisch an, und das wechselhafte, winterliche Wetter dauerte den ganzen Tag an. Der Rest der Geschichte wird von dem Komponisten Anselm Hüttenbrenner, einem engen Freund Schuberts, erzählt: In den letzten Lebensaugenblicken Beethovens war außer der Frau v. Beethoven und mir Niemand im Sterbezimmer anwesend. Nachdem Beethoven von 3 Uhr Nachmittag an, da ich zu ihm kam, bis nach 5 Uhr röchelnd im Todeskampf bewußtlos dagelegen war, fuhr ein von einem heftigen Donnerschlag begleiteter Blitz hernieder, und erleuchtete grell das Sterbezimmer (vor Beethovens Wohnhause lag Schnee). – Nach diesem unerwarteten Naturereignisse, das mich gewaltig frappirte, öffnete Beethoven die Augen, erhob die rechte Hand, und blickte mit geballter Faust mehrere Secunden lang in die Höhe mit sehr ernster drohender Miene, als wollte er sagen: „Ich trotze euch feindlichen Mächten! Weichet von mir! Gott ist mit mir!“ […] Als er die erhobene Hand wieder aufs Bett niedersinken ließ, schlossen sich seine Augen zur Hälfte. Meine rechte Hand lag unter seinem Haupte, meine Linke ruhte auf seiner Brust. Kein Athemzug, kein Herzschlag mehr! Des großen Tonmeisters Genius entfloh aus dieser Trugwelt ins Reich der Wahrheit! – Ich drückte dem Entschlafenen die halbgeöffneten Augen zu,

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küßte dieselben, dann auch Stirn, Mund und Hände. – Frau v. Beethoven schnitt auf mein Ersuchen eine Haarlocke vom Haupt des Dahingeschiedenen, und übergab sie mir zum heiligen Angedenken an Beethovens letzte Stunde. Mehr als drei Jahrzehnte zuvor waren die Straßen Wiens beinahe wie ausgestorben gewesen, als der Leichnam des 35-jährigen Mozart im Regen zu einem anonymen Grab transportiert wurde. Nun, am 29. März 1827, waren sie mit geschätzt 20 000 Trauernden ge-

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Friedrich von Schiller (1759 –1805), Dichter der Ode an die Freude

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füllt, die dem Manne, der fast allgemein als bedeutendster Komponist seiner Zeit geachtet wurde, die letzte Ehre erweisen wollten. Er war ein Mann, dessen Leben, wie wir gesehen haben, fast ständig von Leiden – körperlich, psychisch und emotional – heimgesucht worden war, aber auch ein Mann, dessen letztlich unbeugsame Lebenslust ihren einzigartigen Ausdruck in seiner Musik gefunden hatte. Seine Kunst umschlang das gesamte Leben und die Erfahrung der ganzen Menschheit; es ist kein Zufall, dass der letzte Satz seiner letzten Sinfonie eine Vertonung von Schillers Ode an die Freude ist. Seine Hauptmelodie, nun die Europahymne, bleibt bis heute das Berühmteste, das er je schrieb.

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EPILOG

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Wäre Beethoven genauso alt geworden wie Haydn und Herr seiner geistigen Fähigkeiten gewesen, hätte er die reifen Werke Chopins kennen können, die gesamten Werke Mendelssohns, die meisten Klavier-, Kammermusik- und Orchesterwerke Schumanns (ebenso wie die meisten Lieder), Wagners Fliegenden Holländer und Tannhäuser, die Sinfonien und meisten Chorwerke von Berlioz, sogar Verdis Nabucco und Macbeth. Wäre er so alt wie Sibelius geworden, hätte er zahlreiche Stücke von Brahms (darunter das Klavierkonzert d-Moll und die „Händel-Variationen“) erfassen können, Liszts Sonate h-Moll, seine beiden Konzerte und die Sinfonien sowie Verdis Rigoletto, Il trovatore und La traviata. Mit der Ausnahme Verdis hatte er prägenden Einfluss auf sie alle. Auch jüngere Komponisten wie Sir Michael Tippett (1905‒1998) und Robert Simpson (1921‒1997) haben ihn als prägende Hauptkraft ihrer eigenen Entwicklung gesehen. Da er mit 56 Jahre gestorben war, anders als die viel zu früh verstorbenen Schubert (31) und Mozart (35), findet man selten ernsthafte Spekulationen, wie er sich entwickelt hätte, hätte er wirklich so lange wie Haydn gelebt. Sein Einfluss auf die Nachwelt war bereits immens. Keiner der erwähnten Komponisten hätte so komponiert, hätte er nicht existiert. Aber hätten sie so geschrieben, wie sie es taten, hätte er als ihr Zeitgenosse noch ein weiteres Vierteljahrhundert komponiert? Zumindest gibt es keine Anzeichen dafür, dass sein Schaffensstrom versiegte. Was, wenn seine bereits beispiellose Odyssee ihn zur Atonalität geführt hätte, noch vor Liszt, geschweige denn Schönberg? Es hätte den Lauf der Musik des 20. Jahrhunderts erheblich geändert. Ohnehin hat er das Programm des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen festgelegt. In Liszts

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Worten: „Für uns Musiker ist Beethovens Werk gleich der Wolkenund Feuersäule, die die Israeliten durch die Wüste führte […]. Seine Dunkelheit und sein Licht schreiben uns in gleicher Weise den Weg vor, dem wir folgen müssen.“ Und von Wagner, nachdem dieser die siebte Sinfonie 1828 das erste Mal hörte: Die Wirkung hiervon auf mich war unbeschreiblich. Dazu kam der Eindruck, den Beethovens Physiognomie, nach den damals verbreiteten Lithographien, auf mich machte […]. In mir entstand bald ein Bild erhabenster überirdischer Originalität, mit welcher sich durchaus nichts vergleichen ließ. „Erhaben“ und „überirdisch“ – die heilige Zweiheit der Romantik. Vielleicht formte Wagner mehr als jeder andere, in seinen Schriften und mit seinem Dirigieren, das Bild von Beethoven im 19. Jahrhundert. Dicht hinter ihm folgte sein Schwiegervater Liszt, dessen Karriere als Interpret und Komponist von seinem Bekehrungseifer für Beethovens Musik angetrieben wurde. Auch sollten wir Berlioz’ Beitrag nicht übersehen, ein weiterer genialer missionierender Dirigent. Wie Wagner (und in geringerem Ausmaß als Liszt) war Berlioz nicht nur Komponist und Dirigent, sondern ein produktiver und oftmals skurriler Schreiber. Typisch war seine Charakterisierung des Streichquartetts Op. 131 als himmlische Eingebung, die stoffliche Gestalt angenommen hat. Diese fast rituelle Vereinigung des Erhabenen und des Überirdischen diente sowohl dazu, das Spirituelle der Musik Beethovens zu betonen, als auch das Bild ihres Schöpfers in religiöses Licht zu tauchen. In dieser Perspektive ist Beethoven weder als Heiliger besetzt (der er im Leben offenkundig nicht war) noch als Held (der er in seinem Kampf mit dem Unglück war), sondern als wahrhaft gottgleiche Figur (als die er sich manchmal selbst sah). Obwohl er sich selbst als „Bacchus“ stilisierte, identifizierte er sich, wie er 1818 bekannte, bewusst mit niemand Geringerem als Sokrates und Jesus Christus. Er wurde wiederum zum Modell für Vertreter der französischen romantischen Literatur wie Alfred de Vigny, Alphonse Lamartine und Victor Hugo.

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Anders als Bach, Schubert, Mahler und Bruckner wurde Beethovens Bedeutung als Komponist zu seinen Lebzeiten weitgehend und nach seinem Tod so gut wie allgemein anerkannt. Sein Bannkreis war unermesslich. Doch ein einflussreicher Komponist ist deswegen nicht unbedingt beliebt. Niemand würde ernsthaft den Einfluss und die sich daraus ergebende Bedeutung von Arnold Schönberg bestreiten, aber dessen Prophezeiung, dass die Milchmädchen einmal seine Melodien vor sich hinsummen würden, war weit verfehlt ‒ nicht nur, weil Milchmädchen aus der Mode gekommen sind. Seine Musik, fast ein Jahrhundert nach seinen ersten revolutionären Experimenten mit Atonalität, wird von einem winzigen Teil des Musikpublikums geschätzt. Beethoven hatte, wie wir gesehen haben, ebenfalls diese Probleme mit dem Publikum. Im Fall der späten Werke kann man das verstehen. Die „Große Fuge“ ist immer noch eine harte Nuss. Man kann es auch bei der „Eroica“ und den „Rasumowsky-Quartetten“ nachvollziehen. Aber bei der zweiten Sinfonie, einem der fröhlichsten und ausgelassensten Stücke des Repertoires? Nach dem Kritiker der Zeitung für die elegante Welt in Wien, Mai 1804, ist das Werk ein „sich abscheulich windender verwundeter Drache, der sich zu sterben weigert“. Wir sind bereits August von Kotzebue in einer anderen Wiener Zeitung begegnet, der mit zahlenmäßiger Überlegenheit argumentiert und als Folge alle Beethoven’schen Werke anklagt: „Alle parteilosen Musikkenner und Musikfreunde waren darüber vollkommen einig, dass so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, Verworrenes, das Ohr Empörendes schlechterdings noch nie in der Musik geschrieben worden.“ Kotzebues Leben wurde nicht wegen seiner musikalischen Anschauungen, sondern als (vermeintlicher) Spion 1819 durch den Dolch eines Mörders ein Ende gesetzt. Im Falle von Beethovens postumen Kritikern änderte sich wenig am Urteil der Zeit. Drei Jahrzehnte nach Beethovens Tod schrieb der angesehene Komponist Louis Spohr:

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Ich [...] gestehe frei, daß ich den letzten Arbeiten Beethovens nie habe Geschmack abgewinnen können. Ja, schon die viel

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bewunderte neunte Symphonie muß ich zu diesen rechnen [...], deren vierter Satz mir [...] monströs und geschmacklos und in seiner Auffassung der Schiller’schen Ode so trivial erscheint, daß ich immer noch nicht begreifen kann, wie ihn ein Genius wie der Beethoven’sche niederschreiben konnte. Ich finde darin einen neuen Beleg zu dem, was ich schon in Wien bemerkte, daß es Beethoven an ästhetischer Bildung und an Schönheitssinn fehle. Spohrs Eindrücke von der Neunten werden sogar heute von einer bedeutsamen Minderheit von Musikliebhabern geteilt. Seine letzte Behauptung ist unglaublich. Sie ist jedoch kein Einzelfall. Noch später, 1913, beteuert der amerikanische Musiker und Schriftsteller James Huneker: Beethovens Musik ist nicht schön. Er ist dramatisch, mächtig, ein Sturmmacher, ein Gewitterbändiger; aber seine Sprache ist die Sprache eines ichbezogenen Egoisten. Er ist der Vater aller Größenwahnsinnigen, die in ihre eigenen Seelen blicken und schreiben, was sie dort sehen – Elend, Verderbtheit, Beleidigung, Selbstsucht und Hässlichkeit. Es war nicht nur der Klang von Beethovens Musik, sondern ihr Erscheinungsbild auf dem Papier, die einige seiner Gegner störte. Ein solcher ließ sich in der englischen Zeitschrift The Harmonicon 1823 über das Thema der letzten Klaviersonate, Op. 111, aus: Der zweite Satz ist eine Arietta und erstreckt sich über die außergewöhnliche Länge von dreizehn Seiten. Der größere Teil davon ist in 9/16 geschrieben, aber ein Teil in 6/16 und etwa eine Seite in 12/32. All dies ist mühsame Spielerei und sollte mit allen Mitteln vom vernünftigen Teil des Musikerberufs verhindert werden. Wir haben diesem Rätsel eine volle Stunde gewidmet und können es nicht lösen. Aber keine Sphinx hat je ein Rätsel wie den 12/32-Takt ersonnen. Hier finden wir zwölf Sechzehntel und acht Zweiunddreißigstel in einem Takt;

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zwölf Sechzehntel und zwölf Zweiunddreißigstel in einem anderen etc., und alles ohne den Anschein eines Druckfehlers! Die allgemeine Praxis, Noten offenbar sehr kurz zu schreiben und dann ihre Dauer durch das Wort Adagio zu verdoppeln, ist einer der Missbräuche in der Musik, der laut nach Neuerung schreit; aber das Notationssystem, dem in dieser Arietta gefolgt wird, ist heilloses Wirrwarr; und doch hielten es die Verleger im Titel für nötig, alle Raubkopierer abzuschrecken, indem die Sonate als urheberrechtlich geschützt angekündigt wird. Wir denken nicht, dass große Gefahr besteht, dass in ihr Eigentum eingedrungen wird. Wilhelm von Lenz war 1855 gleichermaßen verärgert: Wenn man Beethoven ist, ist es möglich, alles zu tun, aber zwei und zwei muss doch vier geben. Setze zwei Skorpione und eine Taube auf den Druckbogen, wenn das deine Laune ist, aber setze nichts, was nicht im Takt ist. […] Erkläre uns, wie können in der zweiten Variation in 6/16 sechs Sechzehntel in jedem Takt sein und noch sechs Zweiunddreißigstel? Die Verrücktheit eines Genies ist reizvoll; aber das Spektakel der Verrücktheit bei anderen, was leider häufig bei Klaviermusik ist, ist einfach bedauerlich. Beethoven wurde nicht nur für die Musik, die er schrieb, und wie er sie notierte, verurteilt, ihm wurde auch ihr Einfluss auf die Musik anderer vorgeworfen. In einem Brief an das Londoner Quarterly Musical Magazine and Review einige Monate nach Beethovens Tod heißt es:

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Es überrascht nicht, dass Beethoven blasierte Vorstellungen von seiner Kunst gehabt haben sollte; dass er Lärm mit Erhabenheit verwechselte, Aufwand mit Originalität, und voraussetzte, dass die Bedeutung seiner Kompositionen proportional zu ihrer Länge sei. Dass er der Reflexion nur wenig Zeit widmete, ist eindeutig durch die außergewöhnliche

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Länge einiger Sätze in seinen späteren Sinfonien nachgewiesen. […] Seine großen Qualitäten werden häufig durch einen krankhaften Wunsch nach Neuartigkeit beeinträchtigt; durch Extravaganz und Missachtung der Regeln. […] Die Wirkung, die Beethovens Kompositionen auf die Kunst hatten, muss, fürchte ich, als schädlich betrachtet werden. Verführt von der Kraft seines Genies und geblendet von seinen Werken ist eine Schar Nachahmer entstanden, die ebenso viel Rauheit, Extravaganz und Unklarheit zeigen, doch mit wenig oder nichts von ihrer Schönheit und Erhabenheit. Somit ist die Musik nicht länger dazu bestimmt zu trösten, zu erfreuen, die „Sinne im Elysium zu umschlingen“; sie ist ganz von einem Prinzip in Anspruch genommen – zu überraschen. Nichts in diesem Brief erstaunt mehr als die Behauptung, dass Beethoven „der Reflexion nur wenig Zeit widmete“. Wie seine Skizzenbücher verdeutlichen, hat er der Reflexion möglicherweise mehr Zeit gewidmet als jeder andere bedeutende Komponist vor oder nach ihm. Niemand, einschließlich Schönberg, war aufmerksamer gegenüber den Anforderungen der Form und musikalischen Logik, während er anstrebte, jede Facette der menschlichen Erfahrung mit nie da gewesener Intensität auszudrücken. Beethovens Werke kamen in Frankreich nur langsam zu Ansehen. Wie in Wien wurde er früh von der jungen Generation bevorzugt; er stieß aber auf Widerstand bei der konservativen Musikwelt, allen voran bei Cherubini, Direktor des Pariser Konservatoriums seit 1822. Die Ironie mag Beethoven, der Cherubini als den bedeutendsten seiner Zeitgenossen betrachtete und dessen Requiem höher als Mozarts achtete, nicht entgangen sein. Das Blatt wendete sich mit einer Konzertreihe, die 1828 eingeführt wurde, in der der Violinist und Dirigent François-Antoine Habeneck die ersten vollkommen professionellen und gründlich einstudierten Aufführungen der Sinfonien Beethovens in Frankreich überhaupt präsentierte. Sogar Wagner, der nicht frankophil war, erklärte sie zu den besten, die er je gehört hatte. Habeneck beschränkte sich nicht auf die Sinfonien. Er führte das bis dahin

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vernachlässigte Violinkonzert auf, das Oratorium Christus am Ölberge, das dritte Klavierkonzert, Auszüge aus den zwei Messen, das „Kanon“-Quartett aus Fidelio, die Egmont- und CoriolanOuvertüren und andere Werke. Im Publikum befand sich Hector Berlioz, der der leidenschaftlichste Befürworter Beethovens in Frankreich wurde. Jedoch war der französische Gesinnungswandel nicht auf Musiker begrenzt: Auch Maler und Schriftsteller waren hingerissen. Als er die fünfte Sinfonie gehört hatte, erklärte Balzac: „Beethoven ist der einzige Mann, der mich je eifersüchtig machte. […] In diesem Mann wohnt eine göttliche Macht! […] Was wir Schriftsteller darstellen, ist begrenzt, festgelegt; was Beethoven uns gibt, ist unendlich.“ Natürlich bestand noch viele Jahre nach Beethovens Tod weiterhin Widerstand. So zog der Violinist, Komponist und Kritiker Henri-Louis Blanchard 1849 über Beethoven her: Beethoven dehnt sein Quartett Nr. 13 [Op. 130] auf sechs Sätze aus. Der erste dieser Sätze ist für seine Suche nach seltsamen Harmonien, für die ermüdende Verzögerung der Akkordauflösung, für eine Art systematischen Hass, ein Fragment einer Melodiephrase mit einer vollkommenen Kadenz zu beenden, bemerkenswert, was alles Beweis für eine verbrauchte schöpferische Fähigkeit ist, die keine Melodien mehr findet. Der fünfte und sechste Satz sind besonders reich an diesen merkwürdigen Verzögerungen bei Phrasenschlüssen. Um einen geistreichen Ausspruch eines unserer ersten Komponisten zu zitieren, dessen schöne Instrumentalmusik von jedem bewundert wird, weist Beethovens Phantasie im Finale dieses Quartetts auf eine arme Schwalbe hin, die unaufhörlich in einem hermetisch geschlossenen Fach herumflattert zum Ärger unserer Augen und Ohren.

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Mitte des Jahrhunderts zählten Blanchard und seinesgleichen zu einer stetig schrumpfenden Minderheit, nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa und jenseits des Atlantiks. In Beethoven findet die romantische Idee des Künstlers als Held ihre stärkste Verkörperung. Schon zu seinen Lebzeiten gab

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es Gemälde, Zeichnungen und Stiche von ihm im Überfluss. In ihrer gesammelten Vielfalt und Ähnlichkeit lassen sie wenig Zweifel an seiner Erscheinung (Joseph Dannhausers Lithografie von Beethoven auf seinem Sterbebett lässt uns einen einmaligen Blick auf seine Zähne erhaschen). Sowohl Lebend- als auch Sterbemaske (erste von 1812, siehe S. 108, Zwischenspiel IV) machten es späteren Künstlern leicht, eine erstaunlich originalgetreue Ähnlichkeit zu erreichen, ohne ihn je gesehen zu haben. Postume Büsten, Köpfe, Statuen, Stiche, Denkmäler, Gedenktafeln, Briefmarken – alle würdigen den mythologischen Status, den Beethoven fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch innehatte. Einige setzen ihn in einen klassischen-allegorischen Rahmen (nicht unpassend angesichts seiner Leidenschaft für Platon, Homer und Plutarch); einer stellt ihn mit freiem Oberkörper auf einem Thron sitzend dar, mit Engelsköpfen an der Rückenlehne. Das vielleicht berühmteste Beethoven-Denkmal ist Ernst Hähnels Statue, die am 12. August 1845 in Bonn enthüllt wurde. Hier wird der Meister vollständig bekleidet gezeigt, ja sogar mit schwerem Mantel, auf einem Sockel, der von klassischen Figuren musizierender Frauen umgeben ist. Seltsamerweise hinkte Wien anderen Musikzentren bei der Ehrung eines seiner bedeutendsten Einwanderer hinterher. Nicht vor 1880, mehr als ein halbes Jahrhundert nach Beethovens Tod, enthüllte es seine eigene Hommage. Aber was ihm an Schnelligkeit mangelte, holte es mit Extravaganz nach: eine kolossale Bronzefigur auf einem Granitsockel sitzend, mehr als sechs Meter hoch und begleitet von zwölf kleineren Figuren sowie Engeln und Putten. Die Verspätung der Ehrung hätte Beethoven nicht im Mindesten überrascht. Sein Einfluss erstreckte sich nicht nur auf Musik und die bildenden Künste. Zunächst in Deutschland, dann in Frankreich und noch später in Russland wurde er Gegenstand von Gedichten, Theaterstücken, Kurzgeschichten, Romanen – und natürlich Biografien. Unglücklicherweise ist die berühmteste und viele Jahrzehnte lang einflussreichste – Anton Schindlers Biographie von Ludwig van Beethoven – größtenteils erfunden. Die Liste der Fälschungen Schindlers ist erschreckend, nicht zuletzt, weil viele

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Geschichten, Äußerungen und mutmaßliche Gespräche enthalten sind, die in den Beethoven-Biografien der nächsten 150 Jahre Standardthemen wurden. Viele haben seit Langem Eingang in die Beethoven-Kunde gefunden, wo sie wahrscheinlich noch weitere Jahrzehnte florieren werden. Die bereits erwähnten göttlichen Zuordnungen im Bereich der bildenden Künste bestehen in einem Großteil der Literatur fort – besonders vielleicht in Frankreich, unter der Führung von Vigny, Lamartine, Hugo und, in geringerem Ausmaß, Balzac. Die französische Verbindung, was Beethoven betrifft, gipfelte im Werk von Romain Rolland. Seiner Biografie Vie de Beethoven (1904) folgte ein zehnbändiger Roman, Jean-Christophe, der in vieler Hinsicht eindeutig auf Beethoven basiert und Rolland 1915 den Nobelpreis für Literatur einbrachte. Beethovens Inspirationskraft ist historisch belegt. Aber was inspirierte er? In den 1970er-Jahren wurde seine Musik in China für ihre Darstellung des „dekadenten, chaotischen Lebens und der verdorbenen Gefühle der Bourgeoisie“ verdammt. Die meisten westlichen Komponisten wurden verunglimpft, doch niemand so scharf wie Beethoven. Denn niemand wurde mehr gefürchtet. Niemand hatte seine Macht, die Seele zu begeistern, zu erbauen, zu nähren und den Geist zu ermutigen. Kein anderer stellte den Sieg des Individuums über scheinbar unüberwindbare Widrigkeiten so transzendent dar. Er brauchte die Deutlichkeit des Fidelio nicht als Argument (obwohl keine andere Oper es so ergreifend hervorhebt). Genauso wenig benötigte er Worte. Werk für Werk verleiht sein unbezähmbarer Geist anderen Mut. Kein anderer Komponist kam der Universalität seiner Anziehungskraft rund um den Globus gleich. Seine Musik ist für alle und für immer. So sei es.

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DAS 18. JAHRHUNDERT

Der geschichtliche Kontext

Überblick Das 18. Jahrhundert wurde zu Recht „das Jahrhundert der Revolutionen“ genannt (obwohl auch das 19. Jahrhundert gleichen Anspruch auf diesen Titel hat), dessen nachhaltigste landwirtschaftlicher, industrieller und wissenschaftlicher Natur waren, nicht militärischer oder politischer. Das menschliche Wissen wurde in einem nie dagewesenen Maße ausgedehnt, mit Auswirkungen auf das tägliche Leben, die letzten Endes die kurzlebigen Entscheidungen von Regierungen und Herrschern außer Kraft setzten. Kriege griffen, wie gewöhnlich, um sich, davon fünf mit der größten Auswirkung: der Spanische und der Österreichische Erbfolgekrieg, der Siebenjährige Krieg sowie die Amerikanische und die Französische Revolution. Trotz der sich sammelnden Welle der Demokratie gediehen absolute Monarchien weiterhin in vielen Teilen der Erde. Preußen und Russland (letzteres ironischerweise unter der geborenen Preußin Katharina der Großen) wurden Weltmächte; die französische Macht bröckelte unter der zunehmend ungeschickten Herrschaft von Ludwig XV. und Ludwig XVI.; das britische Empire dehnte sich aus, am stärksten in Indien; und Amerika wurde ein ernst zu nehmender Akteur auf der internationalen Bühne der Politik. Wichtiger als jeder bewaffnete Aufstand oder Eroberungsfeldzug war die Entstehung einer immer mächtigeren und unabhängigeren Mittelschicht. Mehr als jedes vorhergehende Jahrhundert war das 18. ein Jahrhundert des Handels. Der Welthandel war ein unmittelbarer Nutznießer der Verbesserungen in Transport und Kommunikation, die den wissen-

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schaftlichen und technologischen Fortschritten aller Nationen zu verdanken waren. Bis zur Mitte des Jahrhunderts wurden Rohstoffe, oft zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nachteil der Exportländer, aus Ländern weltweit importiert. Europa hingegen profitierte immens, indem es ein breites Angebot an Gütern exportierte, wobei sich Geldinstitute – Banken, Börsen, Versicherungsunternehmen etc. – entwickelten. Statt Bargeld wurden zunehmend Schecks genutzt, und die Verbreitung von Papiergeld erhöhte die Beträge, die ein Reisender leicht mit sich führen konnte. Für die neue Klasse der Wohlhabenden wurde das Einkaufen ebenso Zeitvertreib wie Geschäft. Unter vielen medizinischen Fortschritten, die die Lebensqualität wesentlich verbesserten, war die Entdeckung der Impfung gegen Pocken der wichtigste – aber nicht bevor 1719 eine Epidemie 14 000 Opfer allein in Paris forderte. Eine unvorhergesehene Folge des Mittelschicht-Wohlstands und des erhöhten öffentlichen und persönlichen Hygienestandards war ein Anstieg der Bevölkerung, der die Lebensmittelversorgung zu überholen drohte. Auch wenn viele in der Tat hungern mussten, geschahen in dieser Epoche mehr Verbesserungen in den Ackerbau-Methoden als in früheren Jahrhunderten. Agrikultur wurde ein wichtiger Wirtschaftszweig, da die Nachfrage an Nahrungsmitteln und Wolle stieg. Von allen Revolutionen des 18. Jahrhunderts hatte keine weiter reichende Folgen als die Industrielle Revolution. Entstanden in Großbritannien im mittleren Drittel des Jahrhunderts, verdankt sie ihren anfänglichen Anstoß der Erfindung der Dampfmaschine, die zunächst als Mittel zur Entwässerung von Minen genutzt, aber bald in Fabriken eingesetzt wurde. Mit der nie dagewesenen Verbreitung neuer Maschinen, die die Geschwindigkeit und Leistung der Produktion enorm steigerten, wurde England als „Werkstatt der Welt“ bekannt und florierte dementsprechend. Diese Revolution erreichte bald andere Länder, verlagerte das Machtgewicht vom adeligen Landbesitzer auf den industriellen Kapitalisten und schuf eine große städtische (und zunehmend stimmgewaltige) Arbeiterklasse.

Das 18. Jahrhundert: Der geschichtliche Kontext

Doch trotz einer florierenden, immer wohlhabenderen Mittelschicht, die viel auf „gute Manieren“ und Vornehmheit gab, lebte die Mehrheit der Bevölkerung, in Europa und anderswo, weiterhin in Armut und starb früh an Krankheit oder Hunger. Die Bildung der Armen war gering, Analphabetismus und Kriminalität waren weit verbreitet, Kinderarbeit alltäglich und politische Vertretung generell nicht vorhanden. In der Alten und der Neuen Welt wurde die Sklaverei ungehindert fortgeführt, obwohl dies eine wachsende Zahl Europäer, besonders in Großbritannien, verabscheute. In Europa und anderen Teilen der Welt wurde die traditionell herrschende Klasse zunehmend bedroht. Von den zahlreichen Aufständen, die im 18. Jahrhundert ausbrachen, war die Amerikanische Revolution (1776–83) die erste von weltweiter Bedeutung. Aus ihr entstanden die neuen unabhängigen Vereinigten Staaten, ein Land mit beträchtlichen Ressourcen, dessen politische Überzeugungen, basierend auf freiheitlichen Grundsätzen sowie eindeutig festgelegt in seiner Unabhängigkeitserklärung und formalen Verfassung, unterdrückten Minderheiten andernorts als Vorbild dienten. Die Amerikanische Revolution ermutigte zweifellos die Unzufriedenen in Frankreich, deren eigene Revolution, ausgelöst durch den Sturm auf die Bastille im Juli 1789 und andauernd bis zu Napoleons Machtergreifung zehn Jahre später, die blutigste in der Geschichte werden sollte. Allein im Jahr 1793 während der berüchtigten Schreckensherrschaft wurden mehr als 18 000 Menschen öffentlich geköpft. In der Zwischenzeit war die Revolutionsregierung (eigentlich eine Folge von Regierungen) gleichzeitig im Krieg mit fast ganz Europa, das zu Recht fürchtete, dass die Revolution sich über Frankreichs Grenzen hinaus verbreiten könnte.

Wissenschaft und Technik Das 18. Jahrhundert war ein wahres Fest der Erforschung und Entdeckung in Medizin, Mechanik, Physik, Chemie und vielen anderen Gebieten, darunter auch Waffentechnik. Wie auch in anderen

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Bereichen überflügelte der Einfallsreichtum zuweilen die Zweckmäßigkeit, wie bei dem vom Unglück verfolgten Ein-Mann-Handkurbel-U-Boot „Turtle“, das 1776 in den Tiefen vor der Ostküste Amerikas zu Wasser gelassen wurde. Nützlicher war Harrisons Schiffschronometer von 1735, das es Seeleuten ermöglichte, ihre genaue Position auf See zu bestimmen; gefährlicher war Wilkinsons Präzisionsbohrmaschine für Kanonenrohre von 1774 sowie Bushnells Erfindung des Torpedos 1777. Auf friedlicheren Gebieten fanden die Entdeckung und erste Nutzung der Elektrizität statt, vor allem durch Benjamin Franklin, Erfinder des Blitzableiters, und Alessandro Volta, der die elektrische Batterie erfand. Ebenso anerkannt war James Watt, dessen Verbesserung von Newcomens Dampfmaschine 1764 die Industrielle Revolution beschleunigte (der Begriff „Watt“ bezieht sich übrigens auf eine Leistungseinheit als auf etwas rein Elektrisches). Andere erwähnenswerte Erfindungen umfassen Claude Chappes Telegraf (eine mechanische Form des Signalmastes zur Übertragung kodierter Botschaften über lange Distanzen) und die hydraulische Presse.

Religion

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Auf dem Gebiet der Religion kam es zu Neuerungen wie auch Oppressionen. Obwohl es in einigen Kreisen Zeichen zunehmender Toleranz gab – wie in England, wo in den 1730ern der Methodismus von John Wesley und 1772 die Shaker-Glaubensgemeinschaft gegründet wurden, und, eher überraschend, in Russland, wo Katharina die Große 1766 die Glaubensfreiheit gewährte –, blühte die religiöse Bigotterie weiter, besonders in den Beziehungen von Protestanten und Katholiken. Im Jahr 1731 wurden 20 000 Protestanten aus Salzburg vertrieben (von denen die meisten nach Amerika emigrierten), während der Jakobiten-Aufstand Mitte der 1740er, wie die brutalen anti-katholischen Gordon Riots 1780, die Grenzen der religiösen Toleranz in Großbritannien aufzeigte. Auch der Aufruf des deutschen Philosophen Moses Mendelssohn (Großvater des Komponisten Felix) 1781 für die bessere Behand-

Das 18. Jahrhundert: Der geschichtliche Kontext

lung der Juden war weder der erste noch der letzte. Wenn auch nicht so ausgedehnt wie im vorausgegangenen Jahrhundert, war der Aberglaube immer noch weit verbreitet unter den weniger gebildeten Klassen der westlichen Welt.

Ideen Im Anschluss an die rationalistischen Tendenzen des 17. Jahrhunderts war das 18. Jahrhundert das Zeitalter der Aufklärung, eine der vielfältigsten Epochen in der Geschichte der westlichen Philosophie. Denker mit den unterschiedlichsten Ambitionen, beeinflusst von der Flut an wissenschaftlichen Entdeckungen, setzten immer größeren Glauben in die Vernunft als Weg zu Wahrheit und Naturrecht. Extrem kritisch gegenüber dem Status quo und der Religion feindlich gesinnt, die ihrer Meinung nach die Menschheit mit den Ketten des Aberglaubens knechtete, erreichten ihre Schriften ein großes Publikum und trugen unmittelbar zu den grundlegenden Idealen der Amerikanischen und Französischen Revolution bei. Obwohl die Bewegung hauptsächlich in Frankreich ansässig war, wo ihre wichtigsten Vertreter Diderot, Voltaire und Rousseau waren, zog sie auch andere wichtige Denker an, vor allem die Schotten David Hume und Adam Smith, den Amerikaner Thomas Paine und die Deutschen Immanuel Kant und Gotthold Ephraim Lessing. Besonders Voltaire und Rousseau verwendeten die Satire als mächtige politische Waffe, und Diderot war Herausgeber eines der größten wissenschaftlichen Werke, die je erschienen sind: die 28-bändige Encyclopédie, inspiriert von der englischen Encyclopedia, die Ephraim Chambers 1728 veröffentlicht hatte, mit 17 Bänden Text und 11 Bildbänden. Rousseaus Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1754) prangerte die dekadenten Auswirkungen der Zivilisation an und verkündete die Überlegenheit des „edlen Wilden“. Sein Gesellschaftsvertrag von 1762 betonte die Rechte der Menschen gegenüber der Staatsgewalt und ermahnte Menschen überall, alle Regierungen umzustürzen, die nicht

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den echten Willen der Bevölkerung vertraten. Beide Bücher gehören zu den einflussreichsten, die je geschrieben wurden. Adam Smith war ein Ökonom, dessen Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen (1776) den revolutionären Schritt unternahm, Wohlstand in Bezug auf Arbeit zu definieren und Arbeitsteilung und freien Handel als wesentliche Bestandteile einer gerechten Gesellschaft zu befürworten. Humes bekanntestes philosophisches Werk, Ein Traktat über die menschliche Natur (1740), ist ein Angriff auf die hergebrachte Metaphysik und nimmt an, dass alles wahre Wissen in persönlicher Erfahrung liegt. Kant auf der anderen Seite argumentierte, dass richtiges Handeln nicht auf Gefühlen, Neigungen oder nur Erfahrung gründen kann, sondern nur auf einem Gesetz des Verstandes, dem sogenannten „kategorischen Imperativ“. Gegenstand von Thomas Paines berühmtem Buch Die Rechte des Menschen sind die Resultate der politischen Aufklärung.

Künste

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Im 18. Jahrhundert entstand und entwickelte sich der moderne Roman mit den Werken von Daniel Defoe (Robinson Crusoe, Moll Flanders) und Samuel Richardson (Pamela, Clarissa). Vor allem war es jedoch ein Jahrhundert großer Dichter. Ab den 1770er-Jahren säten Goethe, Schiller und andere deutsche Dichter den Samen der romantischen Bewegung, die ihre musikalische Ausprägung im 19. Jahrhundert fand. Sie wurden chronologisch gefolgt von den Briten Blake, Wordsworth und Coleridge. Aber es war auch das Jahrhundert der großen philosophischen Satiriker, von denen die größten Voltaire (Candide), Swift (Gullivers Reisen) und Rousseau (siehe oben) waren. Satire war auch auffällig im Bereich der Malerei, wie im Werk von William Hogarth (A Rake’s Progress, dt.: Der Werdegang eines Wüstlings). Die bedeutenderen Maler und Bildhauer zählten zu den besten Porträtisten, die je lebten: David, Gainsborough, Reynolds, Chardin (der vorausschauend seine Aufmerksamkeit von den oberen Klassen weg, hin zur unteren Bour-

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geoisie und den Arbeiterklassen wendete), Goya (dessen düster apokalyptische Visionen im nächsten Jahrhundert entstanden) und Houdon, dessen Skulpturen von Voltaire, Jefferson und Washington fast unheimlich lebensecht wirken. Zu den größten Gelehrten und Literaten des Jahrhunderts gehörte Samuel Johnson, dessen monumentales Dictionary of the English Language (1755) das erste zusammengestellte Wörterbuch war. Auf dem Gebiet des Tanzes entstand im 18. Jahrhundert das moderne Ballett, mit seinem Zentrum, abermals, in Frankreich. Die einflussreichsten Persönlichkeiten waren die Ballerina Marie-Anne Camargo (die 1720 den bahnbrechenden Schritt wagte, die traditionellen fließenden, höfischen Kleider zu kürzen, um Füße und Beine offen zu zeigen), der Choreograf Jean-Georges Noverre (Mozart schrieb die Musik zu seinen Les Petits Riens) und der Komponist JeanPhilippe Rameau.

Architektur Außer in den oberen Schichten der Gesellschaft änderte sich die Hausarchitektur im Europa des 18. Jahrhunderts relativ wenig. Öffentliche Gebäude und die Wohnsitze der Betuchten andererseits änderten sich auf beiden Seiten des Atlantiks gewaltig. Die feudalen und verzierten Gesten der Barockära wichen einfacheren Stilen, viele von ihnen stark beeinflusst von der anmutigen Majestät klassischer griechischer und römischer Modelle. Berühmte Beispiele sind das Weiße Haus und das Capitol-Gebäude in Washington D.C., „Monticello“, Thomas Jeffersons Haus in Virginia (von ihm selbst entworfen), und das Royal Crescent im englischen Bath. Mit der Ausdehnung neuer Städte infolge der Industriellen Revolution und der ständigen Erweiterung der Vereinigten Staaten lenkten Architekten und Stadtplaner ihre Aufmerksamkeit auf den Entwurf nicht nur von Gebäuden, sondern von Städten und Stadtzentren selbst. Das Gittermuster der Manhattan-Insel in New York ist das Ergebnis solcher Planung und wurde in vielen amerikanischen Städten wiederaufgegriffen. Hier hatten die Regel-

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mäßigkeit und Symmetrie des klassizistischen Ansatzes einen rein praktischen Zweck: Mit diesem Schema konnten Städte unendlich in jede Richtung erweitert werden. Ein augenfälliges Merkmal der industriellen Architektur war insbesondere die Verwendung neuer Materialien wie Gusseisen.

Musik

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Im 18. Jahrhundert erreichte das Barock seinen Höhepunkt in den Werken Bachs und Händels, und die klassische Epoche, die darauf folgte, erlebte ihre Blüte. Domenico Scarlatti war ein Zeitgenosse von Bach und Händel; doch seine Klaviersonaten, die seinen Namen lebendig hielten, waren so erstaunlich eigenständig und neuartig, dass er weit außerhalb der Haupttendenzen und -entwicklungen steht. In gewisser Hinsicht stehen seine Hauptwerke in Stimmung und Stil den Romantikern des 19. Jahrhunderts näher als den Kompositionen seiner eigenen Zeit. War das bestimmende Merkmal des Barockstils (oder genauer gesagt der Stilgruppe) eine Kombination aus Prunk und Kontrapunkt (siehe Glossar) mit einem hohen Maß an Verzierungen, stellt der klassische Stil eine Zeit dar, deren relative Einfachheit von Harmonie, Aufbau und Ausdrucksweise ganz im Einklang mit dem Aufstieg der Mittelschicht und der fortschreitenden Schwächung der Aristokratie stand. Die gelehrten, ausgeschmückten kontrapunktischen Gewebe des Barock machten der eher geradlinigen Struktur von Melodie und Begleitung Platz, Letztere oft einfache gebrochene Akkorde in einem Muster, das Alberti-Bass genannt wird (siehe Glossar); das grundlegende harmonische Vokabular wurde stark vereinfacht. Die meisten Musikstücke der Klassik (grob 1750‒1820) stützen sich auf ein sparsames Gerüst aus vier oder fünf Grundakkorden (Dreiklang; siehe Glossar) und ziehen ihr Material aus zwei oder drei recht kurzen, eigenständigen Melodie„Themen“, die häufig einfachen volksliedartigen Charakter haben. Nicht nur Themen, sondern auch Sätze neigten dazu, kürzer und geordneter als im Großteil der Barockmusik zu werden. Auch

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großangelegte Strukturen wurden im Allgemeinen klarer und symmetrischer und zeigten Parallelen mit der klassischen Architektur der alten Griechen und Römer. Zusammen mit einem etwas ritualisierten Formenansatz wird eher formell und „objektiver“ an den Gefühlsausdruck herangegangen. Es ist oft einfacher, den Umriss eines klassischen Themas zu beschreiben, als es mit einer bestimmten Stimmung zu assoziieren. Die vorherrschenden Werte sind Symmetrie, Ordnung, Feinheit und Anmut. Der bedeutendste Beitrag der klassischen Ära zur Musikgeschichte ist die Herausbildung der Sonatensatzform (siehe Glossar), die in den Werken Mozarts, Haydns und Beethovens kulminierte. Praktisch alle bedeutenden Werke der Klassik basieren darauf. Die Hauptgattungen der Zeit – Sonate, Streichquartett, Konzert und Sinfonie – sind eigentlich alle Sonaten und weichen nur in Größe und Art der gewählten Instrumentenbesetzung voneinander ab. Von dieser Entstehung hebt sich die parallele Entwicklung der Oper ab, die in der ersten Jahrhunderthälfte von Händel und Rameau dominiert wurde und in der zweiten von Mozart und Gluck (1714‒1787). Weil er sich größtenteils auf die Oper beschränkte, wird Glucks Name oft übergangen, wenn allgemein von Klassik die Rede ist; und doch war er einer der Großen. Seine Größe liegt in der Qualität seiner Musik, aber seine dauerhafte Bedeutung entstammt seinen radikalen Reformen. Sie trugen viel zur Vereinfachung und Reinigung einer Kunst bei, die von belanglosen Konventionen überladen war, verkompliziert durch labyrinthische Liebeshandlungen und verunstaltet durch ein exzessives Augenmerk auf Virtuosität um ihrer selbst willen. Er entnahm seine Handlungen der klassischen griechischen Mythologie (Orfeo ed Euridice, Iphigénie en Aulide, Armide etc.), gestaltete die Musik nach den emotionalen und dramatischen Anforderungen seines Librettos, enthärtete den Unterschied zwischen Rezitativ und Arie (siehe Glossar), achtete penibel auf Feinheiten der Charakterentwicklung und erhöhte die Rolle des Chores (eine weitere Verneigung vor den klassischen Griechen). Mozart, obwohl er Opern hervorbrachte, die viele als die bedeutendsten überhaupt betrachten, war hier im Wesentlichen kein Erneuerer.

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DAS 19. JAHRHUNDERT

Der geschichtliche Kontext

Überblick Das 19. Jahrhundert war, besonders in Europa und Nordamerika, eine Epoche des beispiellosen Wandels, unweigerlich durchzogen von Kriegen und Revolutionen fast jeglicher Art und auf jeder Gesellschaftsebene. Der anhaltende Fortschritt der Industriellen Revolution, weit davon entfernt, Armut zu beseitigen, brachte einer sich ständig ausdehnenden Mittelschicht neuen Wohlstand. Fabriken breiteten sich in ganz Europa aus, überschritten bald das Angebot an einheimischen Rohstoffen und verstärkten den Impuls zur Kolonisation. Das Britische Weltreich vergrößerte seine Herrschaftsgebiete extrem, Afrika wurde von Großbritannien und anderen europäischen Kolonisten zerstückelt, und trotz wachsenden Unbehagens lief der Sklavenhandel weiter. Beunruhigt durch die europäische Expansionspolitik versuchten China und Japan, den Westen gänzlich auszuschließen. Doch der Imperialismus schritt innerhalb Europas schnell voran, am stärksten während der Napoleonischen Kriege (1799 –1815), mit dem Nebeneffekt, in Ländern von Italien bis Russland einen glühenden Nationalismus zu entfachen, der für das Jahrhundert als Ganzes charakteristisch werden sollte.

Wissenschaft und Technik

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Wissenschaft und Technik erweiterten wie im vorhergehenden Jahrhundert das menschliche Wissen in einem nie da gewesenen Ausmaß. Als Joseph Lalande 1801 seinen Katalog von 47 390 Ster-

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nen veröffentlichte, kündigte er ein Jahrhundert astronomischer Entdeckung an, sowohl wörtlich als auch bildlich. Die Landwirtschaft, die man neben den Errungenschaften der Industriellen Revolution leicht aus dem Blick verliert, erlebte ihre eigenen Revolutionen mit Züchtungsversuchen, die zu höheren Ernteerträgen und stämmigeren Tieren führten. Cyrus McCormick erfand seine Mähmaschine in Amerika und leitete ein neues Zeitalter der mechanischen Ernte ein.

Ideen Wie man in solchen unruhigen Zeiten erwarten könnte, war das Jahrhundert reich an Philosophen, obwohl die Ideen, die die größten Auswirkungen hatten und haben, aus anderen Bereichen kamen. Philosophisch besetzten die Deutschen die Schlüsselstellen, so wie die Franzosen im vorangegangenen Jahrhundert. Die großen Namen der Beethoven-Zeit waren Hegel (1770‒1831) und Schopenhauer (1788–1860), beide beschäftigten sich auf die eine oder andere Weise viel mit Musik. Hegel argumentierte, dass das Bewusstsein und die Welt der äußeren Objekte untrennbare Aspekte eines Ganzen waren und dass die Wahrheit nur durch einen dialektischen Prozess von Widerspruch und Lösung ermittelbar sei – eine durch und durch rationalistische Idee mit deutlichen Parallelen im Konzept der Sonatensatzform (siehe Glossar). Schopenhauer vertrat eine pessimistischere Auffassung (und eine, die den Anliegen der Romantiker mehr entsprach), nach der der irrationale Wille als herrschendes Prinzip unserer Wahrnehmung gesehen wird, dominiert von einem endlosen Kreislauf aus Verlangen und Enttäuschung, aus dem die ästhetische Betrachtung der einzige Ausweg sei. Sein Denken sollte einen starken Einfluss auf Wagner und Nietzsche haben, die die etablierten Konzepte der christlichen Moral ablehnten. Nietzsche verkündete „Gott ist tot“ und postulierte das Ideal des „Übermenschen“, der seinen selbstgeschaffenen Willen den Schwachen und Wertlosen aufzwingt. Diese Sichtweise entsprach ganz der gigantischen Natur

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des romantischen Egos, das durch die Kontrollgewalt der Industriellen Revolution und die Menge wissenschaftlicher Entdeckungen dem Menschen eine noch stärkere Beherrschung seiner Umwelt gewährte.

Künste In der Literatur war es das Jahrhundert des Romans, eingeleitet von Jane Austen und Sir Walter Scott in England sowie Goethe, Jean Paul (J. P. F. Richter) und dem fantasievollen E. T. A. Hoffmann (dessen kritische Schriften über Beethoven zu den scharfsinnigsten gehören, die je verfasst wurden) in Deutschland.

Architektur Die Architektur des 19. Jahrhunderts in Europa und Amerika spiegelte sowohl die romantische Besessenheit von der Vergangenheit als auch die Sorge der Industriellen um zweckmäßige und wirtschaftliche Bauweise wider. Öffentliche Gebäude tendierten fast das ganze Jahrhundert hindurch zu einem immer massiveren Prunk und zeigten einen großen Stileklektizismus von der fernen bis zur jüngsten Vergangenheit, oft innerhalb eines einzigen Gebäudes. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Westminster-Palast (besser bekannt als Parlamentsgebäude) in London.

Musik

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Niemals verzeichnete eine Kunst größere Veränderungen in so verhältnismäßig kurzer Zeit wie die Musik im 19. Jahrhundert. Als das Jahrhundert begann, war Beethoven erst 29 Jahre alt, Schubert kaum drei. Haydn war im Alter von 67 immer noch auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Am Ende des Jahrhunderts war Debussys revolutionäres Prélude à l’après-midi d’un faune, auch heute noch

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oft als „Beginn der modernen Musik“ angeführt, bereits sieben Jahre alt, und Schönberg (25 Jahre), Ives (ebenfalls 25), Bartók (18) und Strawinski (17) waren allesamt voll aktiv. In der Zwischenzeit erlebte man das Ende der klassischen Epoche und den Beginn der Romantik in den reifesten Werken von Beethoven und Schubert (dessen Sinfonien, Sonaten und Kammermusik die klassischen Formen zu bislang ungeahnten Ausmaßen erweiterten); die Harmonie durchlief beispiellose Verwandlungen, darunter die fortschrittliche Auflösung der traditionellen Tonalität durch Liszt, Wagner, Debussy, Mahler und Ives (zur Tonalität siehe Glossar); das Klavier erreichte den Höhepunkt seiner Entwicklung (maßgeblich vom Einfluss Beethovens und Liszts dominiert) und wurde zum beliebtesten Instrument weltweit; die Kunst der Instrumentierung wurde ein wichtiges Thema, nicht zuletzt dank Beethovens Sinfonien, Ouvertüren und Konzerten. Es gab eine bedeutende Verlagerung von der relativen „Objektivität“ der Klassik hin zu den intensiven Gefühlsäußerungen der Romantiker. Anschauliche „Programmmusik“ erreichte eine nie zuvor oder nachher gekannte Beliebtheit, und die Virtuosenverehrung wurde zu einem beherrschenden Element. Der spezialisierte (d. h. nicht komponierende) Interpret wurde zur Regel statt zur Ausnahme, und Musikschulen und Konservatorien wurden alltäglich. Trotzdem wurde der Kontrapunkt, der bis dahin zu den am höchsten geschätzten Musikmerkmalen zählte, weitgehend nicht mehr genutzt (obwohl er eine wichtige Rolle in Beethovens Musik spielt, ebenso wie später in der Musik von Liszt, Bruckner, Wagner, Brahms und Richard Strauss). In den Werken von Schubert, Lanner, Weber und der Strauss-Familie wurde der Walzer zur beliebtesten Gattung des Jahrhunderts. Überhaupt polarisierten die Formen, von den Millionen Klavierminiaturen und „Charakterstücken“ bis zu den kolossalen Musikdramen Wagners, den ausgedehnten Sinfonien Bruckners und Mahlers und den verschwenderisch farbigen sinfonischen Werken von Richard Strauss.

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PERSONENLEXIKON

Albrechtsberger, Johann Georg (1736–1809): Angesehener Organist, Komponist und Pädagoge, der heute vor allem dafür bekannt ist, dass er Beethoven während Haydns Abwesenheit in London im Kontrapunkt unterrichtete. Bach, Carl Philipp Emanuel (1714–1788): Zweiter überlebender Sohn von J. S. Bach. Als einer der führenden Komponisten und Cembalisten seiner Zeit beeinflusste er mit seinen Werken den Übergang des Hochbarocks in die Klassik. Seinen Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753), heute noch viel gelesen, empfahl Beethoven dem jungen Czerny. Brentano, Antonie (geb. von Birkenstock) (1780–1869): Ehefrau von Franz Brentano aus Frankfurt. Die Familie besuchte Wien von 1809 bis 1812, und Antonie war mit hoher Wahrscheinlichkeit die „Unsterbliche Geliebte“ in Beethovens berühmtem nie abgesendetem Brief. Elf Jahre später widmete er ihr die „Diabelli-Variationen“. Brentano, Bettina (1785–1859): Die Halbschwester von Franz heiratete 1811 den Dichter Achim von Arnim. Sie war selbst Dichterin und dabei behilflich, dass Beethoven Goethe vorgestellt wurde. Brentano, Maximiliane (1802–1861): Tochter von Franz und Antonie, für die Beethoven 1812 das einsätzige Trio B-Dur, WoO 39, schrieb (im selben Jahr wie den Brief an ihre Mutter), „zu ihrer Aufmunterung im Klavierspielen“. Ihr ist auch die Klaviersonate E-Dur, Op. 109, gewidmet. Bridgetower, George (1778–1860): Violinist (Sohn eines afrikanischen Vaters und einer polnischen Mutter), der Beethoven in Wien und Teplitz begegnete und mit ihm 1803 die die berühmte „Kreutzersonate“ uraufführte.

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Cherubini, Maria Luigi (1760–1842): Italienischer Komponist, der ab 1778 in Paris wohnte. 1822 wurde er zum Direktor des Pariser Konservatoriums ernannt und von Beethoven sehr bewundert, der Cherubinis Requiem gegenüber Mozarts bevorzugte. Berühmt für seinen schroffen Konservatismus, wurde er von Berlioz amüsant (und ungerechterweise) in seinen äußerst lesenswerten Mémoires angeprangert. Clementi, Muzio (1752–1832): Italienischer Komponist und virtuoser Pianist. Er leitete einen wahrhaft idiomatischen Klavierstil ein, als das Instrument gerade begann, das Cembalo in der Gunst des Publikums zu verdrängen. Als Lehrer von Cramer und Field komponierte er ein berühmtes Buch mit Klavierübungen, Gradus ad Parnassum, das auch heute noch weithin verwendet wird. Cramer, Johann Baptist (1771–1858): Deutscher Pianist und Komponist. Der Schüler Clementis brachte ebenfalls viele Übungen für das Klavier heraus, von denen einige noch heute Verwendung finden und einen beträchtlichen künstlerischen Wert haben. Beethoven soll ihn mehr als alle anderen Pianisten bewundert haben. Czerny, Carl (1791–1857): Österreichischer Pianist und Komponist, Schüler von Hummel, Clementi und Beethoven sowie der Lehrer von Liszt. Er war erstaunlich produktiv und hatte mehrere Schreibtische in seinem Arbeitszimmer, auf denen auf jedem ein anderes Werk in Arbeit war. Während die Tinte auf dem einen trocknete, widmete er sich dem nächsten und wurde sozusagen zum ersten Ein-Mann-Fließband-Arbeiter der Musik. Seine zahlreichen Übungen haben zahllose Klavierschüler in den Wahnsinn getrieben. Deym, Gräfin Josephine (geb. Brunsvik) (1779–1821): Sie nahm zusammen mit ihrer Schwester Therese Unterricht bei Beethoven, bevor sie 1799 den Grafen Deym heiratete. Nach dem Tod des Grafen 1804 pflegte sie eine enge Beziehung zu Beethoven, der offensichtlich in sie verliebt war und hoffte, sie zu heiraten. Sie verließ 1808 Wien mit ihrer Familie und heiratete zwei Jahre später Baron von Stackelberg.

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Diabelli, Anton (1781–1858): Unbedeutenderer Komponist, aber bekannter Verleger. Auf einem leichten und unscheinbaren Walzer Diabellis baute Beethoven seine monumentalen „Diabelli-Variationen“, Op. 120, auf.

Personenlexikon

Fétis, François-Joseph (1784–1871): Französischer Komponist, Musikwissenschaftler und Kritiker. Er war ab 1821 Professor am Pariser Konservatorium und wurde 1827 dessen Bibliothekar. Seine Biographie universelle des musiciens war ein wichtiger Vorläufer des Grove’s Dictionary of Music and Musicians, und seine Histoire générale de la musique ist immer noch ein wertvolles Nachschlagewerk für Wissenschaftler. Galitzin, Fürst Nikolai (1794–1860): Amateur-Cellist und Musikbegeisterter aus St. Petersburg. 1822 beauftragte er Beethoven, weitere Streichquartette zu komponieren, und Op. 127, Op. 130 und Op. 132 wurden ihm gewidmet. Er organisierte außerdem die erste vollständige Aufführung der Missa solemnis, die im April 1824 in St. Petersburg gegeben wurde. Gelinek, Abbé Joseph (1758–1825): Böhmischer Pianist, Komponist und Priester, der 1786 Hauskaplan und Klavierlehrer bei Fürst Kinsky und 1795 im Esterházy-Haushalt wurde. Er begegnete Beethoven 1793 in Wien und war von seinen brillanten Improvisationen überwältigt, ebenso wie er von ihm in einem pianistischen Duell geschlagen wurde. Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832): Deutscher Dichter, Dramatiker, Naturwissenschaftler und Hofbeamter. Die Werke des bekanntesten aller deutschen Schriftsteller hatten einen unermesslichen Einfluss auf die Entstehung und frühe Entwicklung der romantischen Bewegung. Goethe-Vertonungen sind bei Beethoven weitaus in der Überzahl. Hiller, Ferdinand von (1811–1885): Deutscher Komponist, Dirigent und Lehrer. Als Wunderkind wurde er von Hummel zum sterbenden Beethoven gebracht. Hummel, Johann Nepomuk (1778–1837): Deutsch-ungarischer Pianist und Komponist, der bei Mozart und Clementi studierte, Czerny und Thalberg unterrichtete und zu seiner Zeit knapp unter Mozart und Beethoven rangierte. Als Pianist war er zwischen dem Tode Mozarts und dem Auftauchen Liszts, Chopins und Thalbergs hoch angesehen. Kant, Immanuel (1724–1804): Höchst einflussreicher deutscher Philosoph, der von Beethoven, der einige seiner Werke besaß, sehr bewundert wurde. Auszüge seiner Allgemeinen Naturgeschichte wurden von Beethoven in seinem Tagebuch von 1812‒18 abgeschrieben.

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Kinsky, Fürst Ferdinand (1781–1812): Einer der Mäzene Beethovens und Hauptbeitragender zu seiner Rente, die mit dem Erzherzog Rudolph und dem Fürsten Lobkowitz 1809 vereinbart wurde. Kotzebue, August von (1761–1819): Beliebter deutscher Dichter und Dramatiker. Beethoven schrieb die Ouvertüren und Bühnenmusik zu seinen Stücken Die Ruinen von Athen und König Stephan zur Eröffnungsfeier 1812 eines neuen Theaters in Pest. Kozeluch, Leopold (1747–1818): Böhmischer Komponist. Er ließ sich 1778 in Wien nieder und wurde ein beliebter Klavierlehrer beim Adel. Er war ein vielseitiger und produktiver Komponist, besonders von Sinfonien und Klaviermusik, und arrangierte, wie Haydn, Pleyel und Beethoven, schottische Weisen für Thomson in Edinburgh. Kreutzer, Rodolphe (1766–1831): Französischer Violinist und Komponist. Er begegnete 1798 Beethoven in Wien und war später der Widmungsträger der Violinsonate A-Dur, Op. 47, die seitdem seinen Namen trug. Lenz, Wilhelm von (1809–1883): Russischer Musikschriftsteller deutscher Abstammung. Er war es, der Beethovens Werke erstmals in drei chronologische Perioden unterteilte. In Paris nahm er Unterricht bei Chopin und Liszt, und sein Buch Die großen Pianoforte-Virtuosen unserer Zeit (1872) ist eine interessante (wenn auch unzuverlässige) Informationsquelle zu dem Thema. Lichnowsky, Fürst Karl von (1756–1814): Als Schüler und Förderer Mozarts wurde er Beethovens erster Gönner in Wien, lud ihn ein, in seiner Wohnung zu leben, und gewährte ihm ab 1800 eine jährliche Rente. Er erhielt einige wichtige Widmungen, beginnend mit den Klaviertrios Op. 1, die in seinem Haus erstaufgeführt wurden. Lichnowsky, Graf Moritz von (1771–1837): Der jüngere Bruder des obigen wurde ebenfalls ein großer Bewunderer Beethovens, der für ihn die zweisätzige Klaviersonate Op. 90 schrieb, in der er ihre wechselnden Stimmungen humorvoll mit der bevorstehenden Hochzeit des Grafen mit einer Sängerin verknüpfte.

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Lobkowitz, Fürst Franz Joseph (1772–1816): Er war einer von Beethovens wichtigsten Förderern und zählte zu den drei Adligen, die ihm

Personenlexikon

1809 eine Rente zugestanden, ein erfolgreicher Versuch, seinen Weggang aus Wien zu verhindern. Sein Privatorchester gab die Uraufführung der „Eroica“ in seinem Palast. Das Werk wurde ihm später gewidmet. Mälzel, Johann Nepomuk (1772–1838): Am bekanntesten für seine Erfindung des Metronoms. Für sein mechanisches Orchester, das Panharmonicon, komponierte Beethoven 1813 ursprünglich seine „Schlachtensinfonie“. Malfatti, Dr. Giovanni (1775–1859): Angesehener italienischstämmiger Arzt. Er legte Beethoven nahe, eine Kur in Teplitz zu machen, und stand ihm in seiner letzten Krankheit bei. Seine Nichte Therese zählte zu den vielen Frauen, die Beethoven als Freier abwiesen, und beschrieb ihn sogar als jungen Mann als hässlich und „halb verrückt“. Moscheles, Ignaz (1794–1870): Berühmter böhmisch-österreichischer Pianist, Dirigent und Komponist. Er war ein früher Verfechter der Klavierwerke Beethovens und wurde später sein Freund. Neefe, Christian Gottlob (1748–1798): Beethovens erster bedeutender Lehrer studierte Jura in Leipzig, gab es aber bald zugunsten der Musik auf. Als Komponist von Singspielen kam er 1779 als Musikdirektor für Großmanns Theaterensemble nach Bonn und wurde 1781 zum Hoforganisten ernannt. Pleyel, Ignaz Josef (1757–1831): Österreichischer Komponist und Verleger, Schüler von Haydn. Er zog später nach Straßburg und London und ließ sich in Paris nieder, wo er 1807 seine berühmte Klavierbau- und Verleger-Firma gründete. Er kehrte nach Wien zurück und kam 1805 mehrmals mit Beethoven zusammen. Rasumowsky, Graf (später Fürst) Andrej (1752–1836): Russischer Botschafter ab 1792 in Wien. Er war ein begeisterter Amateurgeiger und beauftragte Beethoven mit den drei Streichquartetten Op. 59, die nach ihm benannt sind. Reicha, Antonín (Antoine) (1770–1836): Böhmischer Komponist, Violinist, Pianist und Lehrer. Er gehörte zu den Ersten, die mit Polytonalität (Musik in zwei Tonarten gleichzeitig) experimentierten, und kannte

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Beethoven aus seinen Bonner Tagen, als sie beide Mitglieder der Kurfürstlichen Hofkapelle waren, in der Beethoven Bratsche spielte. Ries, Ferdinand (1784–1838): Deutscher Komponist und Pianist, der in den frühen 1800er-Jahren Klavierunterricht bei Beethoven hatte und bei der Zusammenstellung der ersten Sammlung biografischer Dokumente mitwirkte. Rudolph, Erzherzog (1788–1831): Sohn des Kaisers Leopold II. und ein fähiger Komponist und Pianist. Er studierte ab 1803 bei Beethoven und wurde einer seiner angesehensten und längsten Freunde und Mäzene, was sich in der großen Zahl wichtiger Werke widerspiegelt, die Beethoven ihm widmete. Salieri, Antonio (1750–1825): Produktiver italienischer Opern-Komponist, heute am besten bekannt als eifersüchtiger Rivale Mozarts, wie er im Theaterstück und Film Amadeus dargestellt wird. Er war einer der sehr wenigen Lehrer, die Beethoven sehr verehrte, bei ihm studierte er noch lange Jahre nach seiner Übersiedelung nach Wien 1792. Schindler, Anton (1795–1864): Mährischer Jurastudent, dann Violinist. Er wurde Beethovens Freund und nach 1814 „Mädchen für alles“ und zählte zu Beethovens ersten, aber unzuverlässigsten Biografen. Schuppanzigh, Ignaz (1776–1830): Bemerkenswert korpulenter österreichischer Violinist und Dirigent, dessen Leibesumfang ihn oft zur Zielscheibe von Beethovens taktlosen Witzen machte. Er ist eng verbunden mit Beethovens Musik ab Mitte der 1790er-Jahre und soll ihm auch Geigenunterricht gegeben haben. Als Leiter verschiedener Streichquartette betreute er die ersten Aufführungen der meisten Werke Beethovens dieses Genres. Seyfried, Ignaz Ritter von (1776–1841): Komponist und Mitschüler von Albrechtsberger. Er kannte Beethoven über einen langen Zeitraum und steuerte einige interessante Erinnerungen bei.

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Simrock, Nicolaus (1750–1832): Deutscher Hornist und später ein berühmter Musikverleger. Er gab die ersten Editionen einer Reihe von Beethovens wichtigsten Werken heraus, darunter die „Kreutzersonate“ und die späten Cello-Sonaten.

Personenlexikon

Spohr, Louis (1784–1859): Hervorragender Komponist, Violinist und Dirigent, der 1812 bis 1815 in Wien wohnte. Er war ein denkwürdiger Chronist der Verschrobenheiten Beethovens als Dirigent. Steibelt, Daniel (1765–1823): Weniger bedeutender deutscher Pianist und Komponist, dessen Hauptmittel sein Arsenal an „zitternden“ Tremolandos war. Er erfreute sich einige Jahre großer Beliebtheit, obwohl er von Musikern für eine Art Scharlatan gehalten wurde. Nachdem er in einem pianistischen „Duell“ von Beethoven spektakulär geschlagen wurde, lehnte er jede Zusammenkunft ab, bei der Beethoven hätte ebenfalls zugegen sein können. Swieten, Baron Gottfried van (1734–1803): Österreichischer Diplomat, Arzt und Amateurmusiker. Der Freund Haydns, Mozarts und Beethovens war ein begeisterter Kenner der „alten“ Musik und machte viele, darunter Haydn und Mozart, mit zahlreichen Werken von Bach und Händel bekannt. Beethovens erste Sinfonie wurde ihm gewidmet. Thomson, George (1757–1851): Schottischer Verleger und VolksliedSammler, der eine Reihe von Komponisten, einschließlich Haydn und Beethoven, beauftragte, Klavierbegleitungen mit verschiedenen ad hocStimmen für andere Instrumente zu schreiben. Waldstein, Graf Ferdinand von (1762–1823): Als einer von Beethovens frühen Förderern in Bonn gab er das Ritterballett in Auftrag (WoO 1), Beethovens erste rein orchestrale Partitur, und wurde 1805 der Widmungsträger der Sonate C-Dur, Op. 53, die seitdem seinen Namen trägt. Weber, Carl Maria von (1786–1826): Einflussreicher deutscher Komponist. Er war einer der führenden Vertreter der romantischen Oper und ließ Wagner vorausahnen. Sein berühmtestes Werk, Der Freischütz, gehört heute noch zum Repertoire. Wölfl, Joseph (1773–1812): Pianist und Komponist, geboren in Salzburg, wo er bei Leopold Mozart und Michael Haydn studierte. Er wurde als Klaviervirtuose hoch angesehen, traf Beethoven 1798 in Wien und widmete ihm einige Sonaten.

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A U S G E W Ä H LT E L I T E R AT U R

Bekker, Paul: Beethoven. Stuttgart 1922 Brandenburg, Sieghard (Hrsg.): Ludwig van Beethoven. Briefwechsel. Gesamtausgabe. München 1996–1998 Caeyers, Jan: Beethoven ‒ der einsame Revolutionär. Eine Biographie. München 2012 Czerny, Carl: Erinnerungen aus meinem Leben. Straßburg, Baden-Baden 1968 Dahlhaus, Carl: Beethoven und seine Zeit. Laaber 2002 Geck, Martin: Ludwig van Beethoven. Reinbek 2001 Klemm, Hans-Georg: Beethoven, Wagner, Mahler. Genial und hochsensibel. Darmstadt 2012 Klemm, Hans-Georg: »Echte Kunst ist eigensinnig!« Das Leben des Ludwig van Beethoven. Darmstadt 2011 Köhler, Karl-Heinz/Herre, Grita/Beck, Dagmar (Hrsg.): Ludwig van Beethovens Konversationshefte. Leipzig 1972–2001 Kopitz, Klaus Martin/Cadenbach, Rainer (Hrsg.): Beethoven aus der Sicht seiner Zeitgenossen in Tagebüchern, Briefen, Gedichten und Erinnerungen. München 2009

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Kunze, Stefan (Hrsg.): Ludwig van Beethoven. Die Werke im Spiegel seiner Zeit. Gesammelte Konzertberichte und Rezensionen bis 1830. Laaber 1996

Ausgewählte Literatur

La Mara [Ida Maria Lipsius]: Beethovens Unsterbliche Geliebte. Das Geheimnis der Gräfin Brunsvik und ihre Memoiren. Leipzig 1909 Lockwood, Lewis: Beethoven – seine Musik, sein Leben. Kassel 2009 Loesch, Heinz von/Raab, Claus (Hrsg.): Das Beethoven-Lexikon. Laaber 2008 Nohl, Ludwig: Beethovens Leben. Wien, Leipzig 1864, 1867, 1877 Pichler, Ernst: Beethoven ‒ Mythos und Wirklichkeit. Wien, München 1994 Schindler, Anton: Biographie von Ludwig van Beethoven. Münster 1860 Solomon, Maynard: Beethoven. Frankfurt/Main 1990 Solomon, Maynard: Beethovens Tagebuch, hg. von Sieghard Brandenburg. Mainz 1990 Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben, bearbeitet von Hermann Deiters und Hugo Riemann. Leipzig 1917–1922 Ulm, Renate (Hrsg.): Die 9 Sinfonien Beethovens. Entstehung, Deutung, Wirkung. Vorwort von Lorin Maazel. Kassel u. a. 2009

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GLOSSAR

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Accelerando: Schneller werdend. Adagio: Langsam. Akkord: Gleichzeitiges Zusammenspiel von drei oder mehr Tönen. Akkorde sind analog zu Wörtern, so wie die Noten, aus denen sie bestehen, analog zu Buchstaben sind. Alberti-Bass: Eine stilisierte Art der Begleitung, die vor allem im späten 18. Jahrhundert beliebt war, basierend auf dem Dreiklang, der in der Reihenfolge tiefster–höchster–mittlerer–höchster Ton gebrochen wird (z. B. C–G–E–G). Allegretto: Mäßig schnell, langsamer als Allegro und oft leichter im Klangcharakter. Allegro: Schnell, aber nicht übertrieben schnell. Alto: Begriff für entweder eine hohe männliche Falsettstimme oder eine tiefe weibliche Stimme. Zweithöchste Stimme in einem vierstimmigen Chor, zwischen Sopran und Tenor. Andante: Relativ langsam, im mäßigen Schritttempo. Arie: Sololied (auch „Air“ genannt), meist als Teil einer Oper oder eines Oratoriums. Die Arie hat eine dreiteilige Struktur (A–B–A), in der der dritte Teil den ersten wiederholt (und oft ausschmückt), und wird oft „Da-Capo-Arie“ genannt. Arpeggio: Ein gebrochener Akkord, Note für Note, entweder von unten nach oben oder vice versa (C‒E‒G‒C; F‒A‒C‒F etc.). Artikulation: Das Verbinden oder Trennen von Tönen, um bestimmte Gruppen zu bilden. Wenn Töne durch kurze Stille getrennt werden, ist die Wirkung oft wie Einatmen; wie das Einatmen vor dem Sprechen erhöht es die Erwartung auf das Folgende. Wenn sie verbunden werden, ist die Wirkung die von gesprochenen Wörtern in einem einzigen Atemzug. Siehe auch „Legato“ und „Staccato“. Auflösung: Wenn ein Vorhalt oder eine Dissonanz in einer Konsonanz zur Ruhe kommt. Augmentation: Die Verlängerung von Notenwerten, allgemein zum Doppelten ihrer ursprünglichen Länge.

Glossar

b, Erniedrigungszeichen: Eine Note, die um einen Halbton von ihrer „natürlichen“ Lage erniedrigt wird. Bagatelle: Wörtlich „Kleinigkeit“. Ein kurzes, leichtes Stück, oft für Klavier. Beethoven schrieb 26, die keinesfalls leicht oder „Kleinigkeiten“ sind. Seine Sechs Bagatellen, Op. 126, enthalten einiges seiner tiefgründigsten und bewegendsten Musik. Bass: Tiefste Stimme der musikalischen Struktur. Belcanto: Wörtlich „schöner Gesang“. Oft verwendet, um eine sanfte, lyrische Arie zu beschreiben, in der die Ausdruckskraft der Stimme in vollem Umfang genutzt werden kann. Cantabile: Lied-ähnlich, singend. Cembalo: Ein Tasteninstrument, bei dem die Saiten gezupft statt angeschlagen werden. Chromatik: Töne (und ihre Verwendung), die nicht in der normalen „diatonischen“ Skala, die die Basis der meisten westlichen Musik bildet, enthalten sind. In der C-Dur-Tonleiter (die nur die weißen Tasten des Klaviers benutzt) ist jede schwarze Taste „chromatisch“. Coda: Das „Schwanzstück“ am Ende eines Sonatensatzes. Bei Haydn und Mozart ist die Coda oft nicht mehr als eine kurze Ausschmückung. Viele Codas Beethovens sind lang und ausgearbeitet und umfassen weitere thematische Durchführungen. Codetta: Eine kleine Coda, gewöhnlich am Ende der Exposition eines Sonatensatzes. Continuo: Eine Begleitungsform des 17. und 18. Jahrhunderts, in der ein Tasteninstrument, meist ein Cembalo, die Basslinie des Cellos harmonisiert. Crescendo: Lauter werdend. Diatonik: Verwendung ausschließlich der Tonleiterstufen der vorherrschenden Leitertöne der Stammtonreihe. Diminuendo: Leiser werdend. Diminution: Die Verkürzung von Notenwerten, allgemein auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Länge. Doppelgriff: Das gleichzeitige Spiel zweier Töne auf einem Streichinstrument. Dreiklang: Ein Drei-Ton-Akkord, besonders bestehend aus dem Grundton, der Terz und der Quinte einer Skala (C–E–G, A–C–E etc.) in irgendeiner Reihenfolge. Dreiteilig: Eine dreiteilige Form, bei der der dritte Teil eine Wiederholung des ersten ist (A‒B‒A). Dur: Siehe „Modus“.

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Durchführung: Der mittlere Teil der Sonatensatzform, meist gekennzeichnet durch Modulation durch mehrere Tonarten. Dynamik: Die Abstufungen von Laut und Leise und Begriffe, die dies angeben (pianissimo, fortissimo etc.). Einklang, unisono: Das gleichzeitige Erklingen eines einzigen Tons durch mehr als einen Sänger oder Spieler, wie im Gemeindegesang eines Kirchenlieds. Exposition: Der erste Teil der Sonatensatzform, in dem die Hauptthemen und ihre Beziehung zueinander das erste Mal vorgestellt werden. Fantasie, fantasia: Eine freie Form, oft von improvisatorischer Natur, die eher der Vorstellung des Komponisten folgt als vorgegebenen Strukturen. Einige Fantasien, wie Schuberts Wanderer-Fantasie und Schumanns Fantasia C-Dur für Klavier, sind dichte, einheitliche Werke, die vollständige Sonatensatzformen, Scherzi, Fugen etc. eingliedern. Finale: Ein Gattungsbegriff für „letzter Satz“. Forte, fortissimo: Laut, sehr laut. Fortepiano: Name der frühen Klaviere, die Mozart kannte. Ihr Klang ist einer Kreuzung aus Cembalo und Harfe ähnlich. Fuge: Ein durch Imitationen gekennzeichnetes Werk in mehreren überlappenden Teilen oder „Stimmen“ (der Begriff wird unabhängig davon angewendet, ob die Fuge vokal oder instrumental ist). Die Fuge entstammt demselben Prinzip wie der Kanon, kann aber ungleich komplizierter sein. Sie ist mehr eine Technik als eine feste Form, die mit einer SoloMelodie beginnt (genannt „Dux“). Bei Beendigung dieses Themas (oder melodischen Fragments – einige Fugen basieren auf nur vier Tönen) setzt die zweite Stimme mit einer Antwort („Comes“, dieselbe Melodie, aber in einer anderen, komplementären Tonart) ein. Während die zweite Stimme das Thema („Subjekt“) vorstellt, fährt die erste mit einer neuen Melodie fort (genannt „Kontrasubjekt“). Im überlappenden Modell entspricht dies dem zweiten Einsatz eines Ringkanons (engl. round) oder Kanons („Dormez-vous?“ in Frère Jacques). Wenn Subjekt und Kontrasubjekt ihren doppelten Kontrapunkt beendet haben, setzt eine dritte „Stimme“ mit ihrer eigenen Äußerung des Subjekts ein. Stimme zwei wiederholt nun das Kontrasubjekt der ersten Stimme, während diese ein neues Kontrasubjekt einführt. Und so geht es weiter, im Wechsel mit „Zwischenspielen“, in denen sich verschiedene Stimmen im freien Kontrapunkt vereinen, ohne das Subjekt in einer Stimme vollständig auszuführen. Glissando: Wörtlich „gleitend“; ein Gleiten von einer beliebigen Note zu einer anderen mit einer „Sirenen“-ähnlichen Wirkung.

Glossar

Harmonie: Das gleichzeitige Erklingen von Tönen, die einen Akkord bilden. Harmonien (Akkorde) dienen oft als ausdrucks- oder stimmungsvolle „Adjektive“, die die Töne einer Melodie, die wiederum mit Nomina oder Verben verglichen werden kann, beschreiben oder ihnen Bedeutung geben. Homophonie: Wenn sich alle Stimmen gemeinsam bewegen, entsteht der Eindruck, dass eine Melodie (oberste Töne) von Akkorden begleitet wird. Intervall: Der Abstand zweier Tonhöhen, die gleichzeitig oder nacheinander erklingen. Der Klang der ersten zwei Töne einer Skala wird mit einer großen oder kleinen „Sekunde“ bezeichnet, des ersten und dritten als große oder kleine „Terz“ etc. Kadenz: Ein Zur-Ruhe-Kommen auf einer bestimmten Note oder Tonart, wie im abschließenden „Amen“ am Ende eines Kirchenlieds. Kadenz (Cadenza): Ein relativ kurzes, oft virtuoses Solo mit improvisatorischem Charakter im Rahmen eines Konzerts, einer Opernarie oder einer anderen Orchesterform. In Konzerten kündigt es oft den orchestralen Abschluss eines Satzes an (im Allgemeinen des ersten Satzes). Kanon: Eine imitierende Anordnung wie in den bekannten Liedern Frère Jacques, Hejo spann den Wagen an, Oh, wie wohl ist mir am Abend, in denen dieselbe Melodie zeitlich versetzt einsetzt. Kantate: Ein Werk in mehreren Sätzen (Arien, Rezitative, Duette etc.) für Stimme oder mehrere Stimmen mit Begleitung (von lat. cantare, singen). Klangfarbe, Timbre: Die Eigenschaft eines Klangs, die ein Horn von einem Klavier unterscheidet, eine Violine von einem Xylophon etc. Kontrapunkt, kontrapunktisch: Die Verflechtung einzelner „horizontaler“ Melodielinien, im Gegensatz zur Begleitung einer oberen („horizontalen“) Melodie mit einer Reihe von „vertikalen“ Akkorden. Konzert: Ein Werk üblicherweise für ein Solo-Instrument und Orchester, gewöhnlich in drei Sätzen (schnell–langsam–schnell). Kreuz, Erhöhungszeichen: Eine Note, die um einen Halbton von ihrer „natürlichen“ Lage erhöht wird. Kreuzrhythmus: Siehe „Polyrhythmik“. Largo: Langsam, breit, ernst. Legato: Wörtlich „gebunden“. Eine glatte, nahtlose Gesangs- oder Instrumentallinie. Das Gegenteil von staccato. Lied, Lieder: Der Begriff ist gebräuchlich für ein Kunstlied mit Klavierbegleitung von Komponisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, vor allem Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Wolf und Richard Strauss.

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Metrum, metrisch: Die Gruppierung von Taktschlägen in wiederkehrende Einheiten von zwei, drei, vier, sechs etc. Das Metrum ist der Puls der Musik. Modulieren, Modulation: Der Weg von einer Tonart in eine andere, oft mittels mindestens eines zentralen Akkords, der beiden Tonarten eigen ist. Modus: Die Bezeichnung für eine bestimmte Anordnung der Töne innerhalb einer Skala. Jede Tonart hat in der westlichen klassischen Musik zwei Seiten: Dur und Moll. Der bestimmende Faktor ist die Intervallgröße zwischen dem Grundton (der Ausgangspunkt der Tonleiter) und dem dritten Ton der Skala. Besteht das Intervall aus zwei Ganztönen (wie C zu E), ist der Modus Dur. Besteht die Terz aus einem ganzen und einem halben Ton (C zu Es), ist der Modus Moll. Allgemein klingt Moll dunkler, „ernster“ und dramatischer als Dur. Die Kirchenmodi des Mittelalters umfassen verschiedene Kombinationen aus Dur und Moll und sind weniger dynamisch „ausgerichtet“ in ihrer Art. Sie tauchen nach dem Barockzeitalter (ca. 1600–1750) nur noch selten auf und werden für gewöhnlich eingesetzt, um eine archaische Wirkung zu erzielen. Moll: Siehe „Modus“. Motiv: Eine Art musikalischer Kern. Eine melodische oder rhythmische Figur, die zu kurz ist, um ein eigentliches Thema darzustellen, aber auf der Themen aufbauen. Ein gutes Beispiel ist der Beginn von Beethovens 5. Sinfonie: ta-ta-ta-taaa; ta-ta-ta-taaa. Nocturne: Das romantische Klavier-Nocturne wurde vom irischen Komponisten John Field „erfunden“ und von Chopin stilisiert. Es steht in einer einfachen dreiteiligen Form (A‒B‒A), und seine äußeren Abschnitte bestehen aus einer langgesponnenen Melodie von allgemein „träumerischer“ Art, gestützt von einer fließenden, auf Arpeggio basierenden Begleitung. Der Mittelteil, in gewisser Weise analog zur Durchführung einer Sonatensatzform, ist für gewöhnlich unruhiger und harmonisch instabil. Oktave: Der Abstand zwischen einem Ton und seinem nächsten oberen oder unteren Namensvetter (C zu c, F zu f etc.). Die Wirkung des gleichzeitigen Erklingens ist eine Verstärkung jedes Tons durch erhöhte Tonhöhenzahl und -vielfalt im Gegensatz zum Klang des Einzeltons. Oratorium: Ausgedehnte, aber nicht-inszenierte Vertonung eines religiösen Texts in erzählender/dramatischer Form, meist für Solisten, Chor und Orchester. Das berühmteste aller Oratorien ist Händels Messiah (Der Messias). Pause: Eine abgemessene „Stille“ (oder genauer eine Aufhebung des Klangs) in einem Instrumental- oder Gesangspart.

Glossar

Phrase: Eine kleinere Tongruppe (im Allgemeinen in einem einzigen Atemzug untergebracht), die eine Einheit einer Melodie bildet, wie „Sur le pont d’Avignon ...“ oder „Alle meine Entchen ...“. Phrasieren: Das Unterteilen von Musik in Phrasen. Piano, pianissimo: Leise, sehr leise. Pianoforte: Vollständiger Name des Pianos, des Klaviers, wie Violoncello statt Cello, heute veraltet. Pizzicato: Das Zupfen von Saiten. Polyphonie: Musik mit ineinander verwobenen Stimmen. Polyrhythmik: Die Überlagerung verschiedener Rhythmen oder Metren. Präludium, Prélude: Wörtlich genommen ein Stück, das einem anderen vorangeht und es einleitet (wie bei „Präludium und Fuge“). Jedoch wurde der Begriff genutzt (vor allem bei Bach, Chopin und Debussy), um ein eigenständiges kurzes Stück mit oft halb-improvisatorischem Charakter zu bezeichnen. Presto: Sehr schnell. Programmmusik: Illustrative Musik; Musik, die eine Geschichte erzählt. Punktierter Rhythmus: Ein „zackiges“ Muster aus deutlich abgegrenzten längeren und kürzeren Noten, wobei die längere, betonte Note von einer kurzen, unbetonten gefolgt wird, oder umgekehrt. Beispiele sind die Anfänge der Marseillaise, von The Star-Spangled Banner oder des Refrains von Glory, glory, hallelujah!. Reprise: Der dritte und abschließende Teil der Sonatensatzform (siehe unten), wo die Themen der Exposition in der Grundtonart wiederkehren. Reprisen enthalten oft auch neue Verarbeitungen der Themen. Rezitativ: Ein kurzer erzählender Abschnitt, charakteristisch vor allem für barocke und klassische Opern und Oratorien. Es wird normalerweise von einem Solisten gesungen, der von Generalbass-Akkorden begleitet wird, und steht gewöhnlich einer Arie voran. Der Rhythmus ist frei und wird durch die Worte vorgegeben. Rhythmus: Die Seite der Musik, die sich mit Dauer und Betonung beschäftigt. Noten können unterschiedlich lang sein und erhalten einen Großteil ihres Charakters aus Betonungsmustern und Akzentuierung, die vom Komponisten festgelegt werden. Ritardando, ritenuto: Langsamer werdend. Ritornell: Ein Thema oder Abschnitt für Orchester, das in verschiedenen Tonarten zwischen Solopassagen einer Arie oder eines Konzerts wiederkehrt. Rondo: Ein Satz, in dem das Hauptthema des Anfangs immer wieder auftaucht, dazwischen kontrastierende Abschnitte, oft „Couplets“ genannt.

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In einfacher Form (wenn die Couplets mehr oder weniger identisch sind) kann das Schema mit A–B–A–B–A bezeichnet werden. In den meisten Rondos sind die Mittelteile jedoch unterschiedlich: A–B–A–C– A; bei vielen Couplets: A–B–A–C–A–D–A etc. Die Form kommt sowohl als eigenständiges Werk vor wie auch als Satz (oft der letzte) einer Sonate, Sinfonie oder eines Konzerts. Schlag: Takteinheit; der zugrunde liegende „Puls“ der Musik. Sinfonie: Eine Sonate für Orchester. Singspiel: Eine Oper, meist komisch und auf Deutsch, mit gesprochenen Dialogen. Skala: Vom italienischen Wort scala („Leiter“). Eine Reihe „schrittweise“ aufeinanderfolgender Töne (A H C D E F etc.), auf- oder abwärts. Diese Tonleitern bilden die Grundlage für Melodien und Tonarten. Sonate: Meist ein Stück für Solo-Klavier oder ein Instrument und Klavier, in drei Sätzen. Die Gesamtstruktur besteht aus einem schnellen Eröffnungssatz (für gewöhnlich in Sonatensatzform), einem langsamen Mittelteil und einem schnellen Finale (oft ein Rondo). Manchmal gibt es vier Sätze, dabei ist der eingefügte Satz oft ein Menuett oder (seit Beethoven) ein Scherzo, und das Finale steht entweder in Rondo- oder Sonatensatzform. Sonatensatzform: Auch Sonatenform oder Sonatenhauptsatzform, vorherrschende Form in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sie folgt einem dreiteiligen Modell, bei dem der letzte Teil eine veränderte Wiederholung des ersten ist (der Da-Capo-Arie entstammend), aber mit einem wichtigen Unterschied: Während der erste Teil die Themen in zwei verschiedenen Tonarten vorstellt, bleibt der dritte überwiegend in der Grundtonart (der Tonart des Satzes als Ganzem). Die drei Teile der üblichen Sonatenform werden Exposition, Durchführung und Reprise genannt. Die Exposition, der eine langsame Einleitung vorangehen kann, stützt sich auf die Spannung zweier „entgegengesetzter“ Tonarten. Jede Tonart hat ihre eigenen Themen, aber dieser Gegensatz ist zweitrangig (viele Sonatenhauptsätze Haydns basieren auf einem einzigen Thema, das auf verschlungenen Wegen von Tonart zu Tonart wandert). In Dur-Sätzen ist die zweite Tonart fast immer die Dominante. Steht der Satz in einer Moll-Tonart, ist die zweite Tonart fast immer die parallele Dur-Tonart. Die Exposition endet immer in der zweiten Tonart, niemals in der Grundtonart. In vielen Sonatenhauptsätzen haben die Hauptthemen einen entgegengesetzten Charakter. Ist das Hauptthema stürmisch oder militärisch, ist

Glossar

der sogenannte Seitensatz in der zweiten Tonart oft eher lyrisch. Die Durchführung ist insgesamt freier und unvorhersehbar. In den meisten Fällen, wie ihr Name sagt, nimmt sie die Themen der Exposition auf und entwickelt sie; oder sie ignoriert die Themen, wie oft bei Mozart. Sie kennzeichnet eine zunehmend harmonische Instabilität, durch eine Reihe von Tonarten treibend oder damit ringend, bevor sie für die Reprise zur Grundtonart zurückkehrt. Da der Reprise die tonale Spannung der Exposition fehlt, stehen die Themen, nun in der derselben Tonart, in einer neuen Beziehung zueinander. In vielen Werken Beethovens folgt der Reprise eine ausgiebige Coda. In ihrer vorgeschriebenen Auflösung tonaler Konflikte kann die Sonatensatzform als idealistischste aller musikalischen Strukturen gesehen werden. Staccato: Getrennt, das Gegenteil von legato. Stammton: Stufen der C-Dur-Tonleiter (ohne Kreuz oder b). Streichquartett: Eine Sonate für zwei Violinen, Bratsche und Cello, meist in vier Sätzen; auch die Bezeichnung der Instrumentengruppe selbst. Streichquintett: Eine Sonate, meist für Streichquartett mit zusätzlicher Bratsche oder (selten) einem zweiten Cello. Es besteht oft ebenfalls aus vier Sätzen. Synkope: Betonung auf unbetontem Taktschlag, gibt oft einen „schwungvollen“ Eindruck; oft im Jazz (Swing). Takt: Die sichtbare Einteilung des Metrums in aufeinanderfolgende Einheiten, dargestellt durch vertikale Linien. Tempo: Die Geschwindigkeit der Musik. Tonalität: Es gibt wahrscheinlich keinen Musikaspekt, der schwieriger zu beschreiben ist als Tonalität oder Tonart. Im weitesten Sinne ist dies ein tonales Sonnensystem, in dem jeder Ton („Planet“), jede Stufe der Tonleiter in einer festen und speziellen Beziehung zu einem bestimmten Ton („Sonne“), Grundton oder Tonika genannt, steht. Wenn dieses Planetensystem auf dem Ton C basiert, steht die Musik in der C-Tonart. Jeder Ton der Skala hat einen unterschiedlichen Spannungszustand, einen unterschiedlichen Grad an „Unruhe“ gegenüber dem Grundton; und jeder weckt ein unterschiedliches Maß und verschieden ausgeprägte Erwartung im Hörer, die der Komponist auflösen oder enttäuschen kann. Durch den Gebrauch „fremder“, nicht in der vorherrschenden Tonleiter vorhandener Töne kann der Komponist von einem Sonnensystem, von einer Tonart, in das nächste gelangen. Auf dem Weg dahin weicht das Stabilitätsgefühl einem Gefühl von Instabilität, von Fluss, das nicht vor dem Erreichen der neuen Tonart gelöst wird. Dieser Prozess der Bewegung von einer in eine andere Tonart wird Modulation genannt.

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Tonart: Siehe „Tonalität“. Tonmalerei: Der Gebrauch instrumentaler Klangfarben, um natürliche und andere Klänge zu imitieren und wachzurufen (Vogelgesang, die Jagd, das Spinnrad etc.). Tremolo, tremolando: Aus dem Italienischen für „zittern“ oder „beben“, ein Tremolo ist eine schnelle Wiederholung einer einzigen Note durch Vorund Zurück-Bewegungen des Bogens oder der schnelle und wiederholte Wechsel von zwei Noten. Triole: Im Zweier-Metrum eine Gruppe (oder mehrere Gruppen) von drei Noten, die die Dauer von zwei Noten hat (wie in Schuberts Serenade „Leise flehen meine Lieder“). Una corda: Wörtlich „eine Saite“, bezeichnet den Gebrauch des Pianopedals (Leisepedals) des Klaviers. Variation: Eine ornamentale oder anderweitig gezielte Abwandlung einer Note, eines Rhythmus, einer Klangfarbe etc. Vibrato: Eine schnelle, regelmäßige Schwankung der Tonhöhe, die dem Ton eine „pulsierende“ Wirkung verleiht. Vivace, vivacissimo: Schnell und lebhaft, sehr schnell und lebhaft. Vorhalt: Ein Ton eines Akkords, der bis in den folgenden Akkord gehalten wird, dessen Bestandteil er nicht ist. Das Ergebnis ist fast immer eine erhöhte emotionale Intensität. Zweiermetrum: Jeder Rhythmus, der auf zwei Einheiten oder zwei Schlägen basiert oder dem Vielfachen davon. Zweiteilig: Eine einfache zweiteilige Form (A‒B). Teil 1 bewegt sich normalerweise von der Tonika (Grundtonart) zur Dominante (Nebentonart), während Teil 2 von der Dominante zurück zur Tonika führt.

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DANKSAGUNG

Alle Bücher sind Gemeinschaftsleistung. Dieses wäre nicht möglich gewesen ohne die unermüdliche Unterstützung meiner Lektoren Genevieve Helsby und Richard Wigmore sowie meiner Frau Deborah, deren Kombination aus unerschütterlicher Stütze, ideenreichen Vorschlägen und inspirierender Bildung von Anfang an sowohl Freude als auch Ehre waren. Nicht zuletzt bin ich Klaus Heymann zu Dank verpflichtet, Gründer und Geschäftsführer von Naxos Records, der die Idee zuerst hatte.

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REGISTER

A Aischylos 133 Albrechtsberger, Johann Georg 32, 195, 200 Arnold, Samuel 166 Averdonk, Johanna Helena 19 B Bach, C. P. E. 51, 195 Bach, J. S. 20f., 37, 52, 62, 83, 148, 153, 174, 188, 195, 201, 209 Balzac, Honoré de 178, 180 Bartók, Béla 193 Beethoven-Familie – Caspar Carl van (Bruder) 22, 56ff., 119ff. – Johann van (Vater) 19, 22f., 32, 124 – Johanna van (Schwägerin) 119ff., 124ff., 155, 160f., 164, 169 – Karl van (Neffe) 119ff., 147, 155, 160ff., 169 – Ludwig Maria van (verstorbener Bruder) 18 – Ludwig van

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Leben: – als Dirigent 76ff., 158 – als Geschäftsmann 24, 87 – als inoffizielles Familienoberhaupt 22, 31 – als Lehrer 51f., 148 – als Organist 21 – als Pianist 19, 24ff., 31, 51f., 76f., 100, 117, 149 – als Violinist/Bratschist 19, 37, 62 – Ausbildung – in Klavier und Orgel 20, 32

– – – – – – – – – –

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– –

– in Komposition und Theorie 20 – in Violine und Bratsche 20 Auseinandersetzungen 142, 161, 164 Bedienstete 118, 120, 122, 125, 142f. Belastbarkeit 19, 92 Beschreibungen von 33, 49f., 55, 93, 115, 118, 130f., 145, 162, 165, 168ff. Beziehung zu Brüdern 56ff., 119f., 127 Beziehung zu Königen und Adel 30ff., 41, 87, 114, 132, 198ff. Beziehung zur Mutter 23f. Beziehung zum Vater 19, 22, 32, 124 Biografien von 179f., 202f. Charakter von 11f., 16f., 19f., 24f., 28, 30ff., 44, 46f., 52ff., 68ff., 86ff., 114ff., 135, 140ff., 158ff., 164 Depression 24, 114, 165 Erscheinungsbild von 33, 93, 122f., 130f., 165f., 179 Essen und Trinken, Geschmack 131, 143, 146 Extemporisation (siehe Improvisationen) Exzentrizität 13, 50, 102, 122f., 130, 141f. Finanzen von 24, 48, 86ff., 114, 116f., 159, 166 Frauen, Beziehungen zu 33, 55, 72ff., 90, 92, 93ff., 114, 135 Freundschaften 18, 21ff., 28, 31f., 34, 42, 46f., 52, 56, 59, 74, 93, 122f., 128, 130, 144f., 159, 166ff., 200 früheste musikalische Betätigungen 19ff. Geschmack für Kleidung 49, 55, 122, 151, 165

Register – Geschmack für Speisen 146 – gesellschaftliches Leben in Wien 31f., 34, 46, 159 – Haydn, Beziehungen zu 32, 166 – Heirat, Gedanken an 54f., 72, 92, 98 – Humor von 34, 38, 42ff., 108ff., 144, 153, 159f., 200 – Improvisationen von 19, 21, 28, 39, 53, 76, 110, 117, 197 – Kindheit von 17ff., 24 – Kompositionsweisen 70, 100f., 135, 141, 175f. – Konversationsbücher 123, 127 – Konzerte 19, 48, 76 – Krankheiten von 23f., 92, 114, 130, 144, 147, 159, 161ff., 166, 168 – Lehrer von (siehe Ausbildung) – literarische Interessen von 12 – Mäzene von 30, 34, 41, 87, 132, 198ff. – Manieren von 28, 31, 33, 123, 144, 151, 158 – moralische Einstellung von 11f., 24, 32, 91, 120 – Natur, Liebe zur 60, 94f., 101 – opernhafte Werke 81, 101f., 132, 136 – Philosophie 12f. – pianistische Duelle 25ff. – politische Ansichten von 11f. – Reisen 21, 23, 94f., 98, 165 – religiöse Ansichten von 16, 32, 83f., 99, 169, 173 – Renommee von 24f., 30ff., 50, 78, 86, 130 – Rente festgesetzt für 48, 87, 114 – Selbstmordgedanken 58f. – Sexualleben von 73f., 90, 115 – Sinn für Humor (siehe Humor) – Studium (siehe Ausbildung) – Taubheit von 42, 46ff., 53f., 56ff., 76, 90ff., 99f., 118, 130, 158f. – Tod der Mutter 22f. – Tod und Begräbnis von 66, 169f. – und das Klavier (als Komponist) 35–44, 50, 54f., 61ff., 79ff., 89, 103, 105, 109ff., 131, 133, 147, 175, 178, 195f., 205, 213, 215 – und das Streichquartett 36, 64, 66, 71f., 147, 150ff.

– und die Sinfonie 10, 21, 35ff., 41, 43, 54, 56, 68ff., 76, 81f., 91, 103ff., 116, 124, 131, 147, 152f., 158ff., 171, 173f., 177f., 193, 199, 201, 208, 214, 217 – und Klaviere 19f., 28f., 48, 115, 129 – verliebt 54f., 72ff., 92ff. ‒Wohnsitze von 94, 101f., 115, 117, 126 Musik: Adagio für drei Hörner 66 Adelaide, Lied, Op. 46 79 Ah! perfido, Szene und Arie 76, 132 An die ferne Geliebte, Op. 98 80 Bagatellen, Op. 119 und 126 56, 205 Christus am Ölberge, Oratorium, Op. 85 82, 178 Coriolan-Ouvertüre, Op. 62 135f., 178 Egmont, Ouvertüre und Schauspielmusik, Op. 84 98, 136f., 178 Equali für vier Posaunen, WoO 30 66 Fantasie für Klavier, Chor und Orchester („Chorfantasie“), Op. 80 76, 82 Fidelio, Op. 72 (auch Leonore) 10, 81, 117, 120, 132, 134ff., 178, 180, 214 Geschöpfe des Prometheus, Die, Ballett, Op. 43 54, 132, 135 Kantaten 29, 79, 81f., 207 König Stephan, Op. 117 137, 198 Kontretänze, Zwölf, WoO 14 133 Konzert für Klavier, Violine, Cello und Orchester („Tripelkonzert“), Op. 56 109, 111 Konzert für Violine D-Dur, Op. 61 76, 111, 178, 215 Konzerte, Klavier– Nr. 1 C-Dur, Op. 15 109f., 133 – Nr. 2 B-Dur, Op. 19 109f., 133 – Nr. 3 c-Moll, Op. 37 54, 110, 178 – Nr. 4 G-Dur, Op. 58 76, 105, 110 – Nr. 5 Es-Dur, Op. 73 („Emperor“) 89, 111 Leonore-Ouvertüren Nr. 1‒3, 136 Messe C-Dur, Op. 86 76, 82, 178 Messe D-Dur, Op. 123 („Missa solemnis“) 24, 82ff., 89, 131, 147, 178, 197, 216 Missa solemnis (siehe Messe D-Dur)

215

Beethoven – Sein Leben – seine Musik

216

Oktett Es-Dur, Op. 103 63f. Quartette, Streich- 54, 71, 147, 150ff. – F-Dur, Op. 18 Nr. 1 150f. – G-Dur, Op. 18 Nr. 2 150f. – D-Dur, Op. 18 Nr. 3 150f. – c-Moll, Op. 18 Nr. 4 150f. – A-Dur, Op. 18 Nr. 5 150f. – B-Dur, Op. 18 Nr. 6 150f. – F-Dur, Op. 59 Nr. 1 („Rasumowsky“) 151f. – e-Moll, Op. 59 Nr. 2 („Rasumowsky“) 151f. – C-Dur, Op. 59 Nr. 3 („Rasumowsky“) 151f. – Es-Dur, Op. 74 („Harfenquartett“) 152 – f-Moll, Op. 95 („Serioso“) 153 – Es-Dur, Op. 127 153 – B-Dur, Op. 130 154ff. – cis-Moll, Op. 131 154 – a-Moll, Op. 132 154f. – B-Dur, Op. 133 („Große Fuge“) 155, 161 – F-Dur, Op. 135 155, 160f. Quintett in Es-Dur für Klavier und Bläser, Op. 16 64 Quintette, Streich– Es-Dur, Op. 4 150 – C-Dur, Op. 29 54 Ritterballett, WoO 1 201 Rondino Es-Dur, WoO 25 63 Ruinen von Athen, Die, Op. 113 137, 147 „Schlachtensinfonie“, Op. 91 81, 116, 199 Septett Es-Dur, Op. 20 40, 48, 64f. Serenade D-Dur für Violine und Viola, Op. 25 66 Sextett Es-Dur für zwei Hörner und Streichquartett, Op. 81b 64 Sextett Es-Dur für zwei Klarinetten, zwei Oboen, zwei Hörner und zwei Fagotte, Op. 71 64 Sinfonien – Nr. 1 C-Dur, Op. 21 54, 103f., 133, 201, 214 – Nr. 2 D-Dur, Op. 36 56, 68, 104, 174, 214

– Nr. 3 Es-Dur, Op. 55 („Eroica“) 10, 35, 41, 68ff., 103f., 133, 152f., 174, 199, 214, 216 – Nr. 4 B-Dur, Op. 60 105 – Nr. 5 c-Moll, Op. 67 76, 91, 103, 105f., 178, 208 – Nr. 6 F-Dur, Op. 68 („Pastorale“) 10, 35, 76, 103f., 106f., 124 – Nr. 7 A-Dur, Op. 92 107, 116, 173 – Nr. 8 F-Dur, Op. 93 108, 116 – Nr. 9 d-Moll, Op. 125 („Chorsinfonie“) 10, 35, 81f., 103, 109, 131, 147, 158f., 175, 217 Sonate F-Dur für Horn und Klavier, Op. 17 54, 66 Sonaten für Cello und Klavier – F-Dur, Op. 5 Nr. 1 62 – g-Moll, Op. 5 Nr. 2 62 – A-Dur, Op. 69 62 – C-Dur, Op. 102 Nr. 1 62 – D-Dur, Op. 102 Nr. 2 62 Sonaten, Klavier– f-Moll, Op. 2 Nr. 1 35, 37, 39 – A-Dur, Op. 2 Nr. 2 35, 37, 39 – C-Dur, Op. 2 Nr. 3 35, 37, 39 – Es-Dur, Op. 7 38f., 64 – c-Moll, Op. 10 Nr. 1 38 – F-Dur, Op. 10 Nr. 2 38 – D-Dur, Op. 10 Nr. 3 38f. – c-Moll, Op. 13 („Pathétique“) 36, 38ff., 50, 54, 213 – E-Dur, Op. 14 Nr. 1 39 – G-Dur, Op. 14 Nr. 2 39 – B-Dur, Op. 22 39, 54 – As-Dur, Op. 26 („Trauermarsch“) 39, 41, 54 – Es-Dur, Op. 27 Nr. 1 („quasi una fantasia“) 39 – cis-Moll, Op. 27 Nr. 2 ( „quasi una fantasia“, „Mondscheinsonate“) 39f., 54f. – D-Dur, Op. 28 („Pastorale“) 40, 54 – G-Dur, Op. 31 Nr. 1 40, 56 – d-Moll, Op. 31 Nr. 2 („Der Sturm“) 40, 56 – Es-Dur, Op. 31 Nr. 3 40, 56 – g-Moll, Op. 49 Nr. 1 40f. – G-Dur, Op. 49 Nr. 2 40f.

Register – C-Dur, Op. 53 („Waldstein“) 40f., 52, 152, 201 – F-Dur, Op. 54 41 – f-Moll, Op. 57 („Appassionata“) 36, 41, 48, 105, 152 – Es-Dur, Op. 81a („Das Lebewohl“ oder „Les Adieux“) 41f., 89 – e-Moll, Op. 90 42, 198 – A-Dur, Op. 101 42 – B-Dur, Op. 106 („Hammerklaviersonate“) 10, 38, 42f., 62, 89, 140 – E-Dur, Op. 109 42f., 195 – As-Dur, Op. 110, 42f., 147 – c-Moll, Op. 111 36, 42f., 131, 147, 175, 216 Sonaten für Violine und Klavier 62 – D-Dur, Op. 12 Nr. 1 62 – Es-Dur, Op. 12 Nr. 3 62, 64 – a-Moll, Op. 23 54 – F-Dur, Op. 24 („Frühlingssonate“) 54 – A-Dur, Op. 30 Nr. 1 56 – c-Moll, Op. 30 Nr. 2 56 – G-Dur, Op. 30 Nr. 3 56 – A-Dur, Op. 47 („Kreutzersonate“) 63, 195, 198, 200 – G-Dur, Op. 96 98 Trio für zwei Oboen und Englischhorn, Op. 87 66 Trios für Klavier, Violine und Cello – Es-Dur, Op. 1 Nr. 1 35, 61, 64, 198 – G-Dur, Op. 1 Nr. 2 35, 61, 64, 198 – c-Moll, Op. 1 Nr. 3 35, 61, 64, 198 – D-Dur, Op. 70 Nr. 1 („Geistertrio“) 61 – B-Dur, Op. 97 („Erzherzog-Trio“) 61, 89, 215 – B-Dur, WoO 39 195 Trios, Streicher– Es-Dur, Op. 3 64 – G-Dur, Op. 9 Nr. 1 150 – D-Dur, Op. 9 Nr. 2 150 – c-Moll, Op. 9 Nr. 3 150 Variationen (diverse) – über Mozarts „Là ci darem la mano“, C-Dur für zwei Oboen und Englischhorn, WoO 28 43 Variationen, Klavier– über ein eigenes Thema in c-Moll, WoO 80 43

– über ein eigenes Thema in F-Dur, Op. 34 43, 53, 56 – über ein eigenes Thema in Es-Dur, Op. 35 („Eroica-Variationen“) 43f., 56, 133 – über einen Walzer von Diabelli, Op. 120 43f., 147, 195f. Variationen über Volksweisen, Op. 105 und 107 66 Weihe des Hauses, Die, Ouvertüre (siehe Ruinen von Athen, Die) Wellingtons Sieg, Op. 91 (siehe „Schlachtensinfonie“), Beethoven-Familie (Fortsetzung) – Maria Magdalena van (Mutter) 22f. – Nikolaus Johann (Bruder) 22, 56, 161 – Therese (Schwägerin) 161 Berlioz, Hector 109, 172f., 178, 196 Blanchard, Henri-Louis 178 Böhm, Joseph 158 Bonaparte, Joseph 115 Bonaparte, Napoleon 10ff., 68f., 81, 114, 183, 190, 214 Brahms, Johannes 172, 193, 208 Breitkopf & Härtel (Musikverleger) 69 Brentano, Antonie 94, 195 Brentano, Bettina 195 Brentano, Maximiliane 195 Bridgetower, George 195 Bruckner, Anton 173, 193 Bülow, Hans von 37 Bunny, Bugs 149 Bursy, Dr. Karl von 129 C Cherubini, Maria Luigi 177, 196 Chopin, Frédéric 172, 197f., 208f. Clement, Franz 76 Clementi, Muzio 196f. Collin, Heinrich von 136 Cramer, Johann Baptist 20, 196 Czerny, Carl 21, 27, 43, 48, 51f., 144, 148, 195ff. D Dannhauser, Joseph 179 Debussy, Claude 192f., 209

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Beethoven – Sein Leben – seine Musik Deym, Gräfin Josephine (geb. Brunsvik) 72ff., 196 Diabelli, Anton 196 Duport, Jean-Pierre 158

J Jean Paul 192 Josefstadt, Theater in der, Wien 137 Junker, Carl Ludwig 24ff.

E Ense, Karl von 99 Ertmann, Baroness 52 Esterházy, Fürst Nikolaus 33, 82, 95, 197

K Kant, Immanuel 13, 185f., 197 Kinsky, Fürst Ferdinand 87ff., 114, 197f., 219 Kotzebue, August von 86, 174, 198 Kozeluch, Leopold 80, 198 Kreutzer, Rodolphe 198

F Fétis, François-Joseph 197 G Galitzin, Fürst Nikolai, 147, 159, 197 Gelinek, Abbé Josef 26, 197 Gluck, Christoph Willibald 33, 52, 189 Goethe, Johann Wolfgang von 12, 82, 98f., 136, 186, 192, 195, 197 Guicciardi, Gräfin Giulietta 52, 55 H Habeneck, François-Antoine 177 Hähnel, Ernst 179 Händel, Georg Friedrich 42, 52, 137, 153, 166f., 188f., 201, 208 Hanon, Charles-Louis 43 Haydn, Joseph 9f., 13, 21, 32f., 35f., 38, 61ff., 71, 79f., 82, 86, 103f., 106, 150, 165f., 172, 189, 192, 195, 198f., 201, 205, 210, 213 Hegel, G. W. F. 191 Heiligenstädter Testament 56, 60, 68f., 90 Hiller, Ferdinand von, 165f., 197 Hoffmann, E. T. A. 192 Holz, Karl 147, 159, 216 Homer 12, 179 Hugo, Victor 173, 180 Hummel, Johann Nepomuk 165f., 196f. Huneker, James 175 Hüttenbrenner, Anselm 169

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I Ives, Charles 193

L Lamartine, Alphonse de 173, 180 Lantz, Walter 149 Lenz, Wilhelm von 176, 198 Lichnowsky, Graf Moritz von 198 Lichnowsky-Familie 33 Lichnowsky, Fürst Karl von 33, 48f., 59, 198 Liszt, Franz 147ff., 172f., 193, 196ff. Lobkowitz, Fürst Franz Joseph 87ff., 114, 198 M Mälzel, Johann Nepomuk 115, 199 Mahler, Gustav 159, 173, 193 Malfatti, Dr. Giovanni 199 Malfatti, Therese 92f., 98, 199 Max Franz, Kurfürst von Bonn 63 Mendelssohn (Bartholdy), Felix 172, 184 Mona Lisa 152 Moscheles, Ignaz 50, 86, 164, 167f., 199 Mozart, Leopold 19, 201 Mozart, Wolfgang Amadeus 10, 13, 19ff., 26f., 33, 35, 39f., 51f., 62ff., 70, 79f., 86, 103f., 106, 110, 120, 134, 150f., 170, 172, 177, 187, 189, 196ff., 200f., 204f., 211 N Neefe, Christian Gottlob 20f., 199 O Odescalchi, Fürstin 52f.

Register P Paganini, Niccolò 111 Palestrina, Giovanni 154 Picasso, Pablo 149 Platon 179 Pleyel, Ignaz Josef 80, 198f. Plutarch 12, 91, 179 R Radicati, Felice 152 Rasumowsky, Graf Andrej 71, 151, 199 Reicha, Antonín 28, 199 Rellstab, Ludwig 54, 137 Ries, Ferdinand 21, 34, 47, 53, 68f., 77, 123, 144, 148, 200 Rio, Giannatasio del 121, 124 Rolland, Romain, Jean-Christophe 180 Romeo und Julia (Shakespeare) 137, 150 Rossini, Gioacchino 147 Rudolph, Erzherzog 34, 42, 83, 87ff., 114, 147, 167, 198, 200, 215 Russell, Sir John 130 S Salieri, Antonio 79, 132, 200 Schaden, Josef 22 Schiller, Friedrich von 12, 109, 170f., 175, 186, 217 Schindler, Anton 53, 91f., 101, 117, 122, 142, 146, 164, 168, 179, 200 Schmidt, Dr. Johann 59 Schönberg, Arnold 172, 174, 177, 193 Schopenhauer, Arthur 191 Schubert, Franz 65, 70, 79f., 169, 172, 174, 192f., 206, 208, 212 Schumann, Robert 42, 80, 172, 206, 208 Schuppanzigh, Ignaz 49, 71f., 152, 200 Scott, Sir Walter 12, 165, 192

Seyfried, Ignaz Ritter von 27, 76f., 101, 117, 143ff., 200 Shakespeare, William 12, 94, 135f., 144, 150 Sibelius, Jean 172 Simrock, Nicolaus 200 Simpson, Robert 172 Smart, Sir George 167f. Smetana, Bedřich 46 Sokrates 173 Solomon, Maynard 94 Spohr, Louis 76, 118, 174f., 201 Steibelt, Daniel 26, 201 Strauss, Richard, 193, 208 Strawinski, Igor 193 Stumpff, Johann 166, 168 Swieten, Baron Gottfried van 21, 201 T Tannhäuser (Wagner) 172 Telemann, Georg Philipp 63 Thomson, George 80f., 198, 201 Thun, Gräfin 33 Tippett, Sir Michael 172 Trémont, Baron de 115 Troyer, Graf Ferdinand 65 V Verdi, Giuseppe 172 Viganò, Salvatore 132f. Vigny, Alfred de 173, 180 W Wagner, Richard Waldstein, Graf Ferdinand von, 24, 41, 132, 201 Wawruch, Andreas, 161, 163 Weber, Carl Maria von, 9, 147, 193, 201 Wölfl, Joseph 27, 201 Z Zelter, Carl Friedrich 99

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