Bedrohte Demokratie: Aktionisten, Autokraten, Aggressoren – Welche Antworten haben die Demokraten? [1 ed.] 9783428550135, 9783428150137

Angesichts globaler Krisen, die sich immer deutlicher auf innenpolitische Fragen auswirken, ist die Demokratie mehr gefo

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Bedrohte Demokratie: Aktionisten, Autokraten, Aggressoren – Welche Antworten haben die Demokraten? [1 ed.]
 9783428550135, 9783428150137

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Ursula Männle (Hrsg.)

Bedrohte Demokratie Aktionisten, Autokraten, Aggressoren – Welche Antworten haben die Demokraten?

Duncker & Humblot · Berlin

Bedrohte Demokratie

Bedrohte Demokratie Aktionisten, Autokraten, Aggressoren – Welche Antworten haben die Demokraten?

Herausgegeben von

Ursula Männle unter Mitarbeit von Svea Burmester

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Das Druckteam, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-15013-7 (Print) ISBN 978-3-428-55013-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-85013-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Demokratie ist für uns so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Doch ihre dauerhafte Existenz ist keineswegs in Stein gemeißelt. Im Gegenteil. Ebenso wie unsere Luft scheint auch die Demokratie gegenwärtig einer langsamen Verschmutzung ausgesetzt. Schlagworte wie „Dunkeldeutschland“, „Lügenpresse“ oder „Wutbürger“ werden vermehrt gebraucht, um die Lage der Nation zu beschreiben. Deutsche Bürgerinnen und Bürger misstrauen zunehmend ihren gewählten Repräsentanten, politischen Institutionen und den Medien. Politikverdrossenheit führt dabei jedoch weniger zu politischer Apathie, sondern artikuliert sich immer öfter durch öffentlichkeitswirksame Zurschaustellung. In sozialen Netzwerken entwickeln sich Stammtischparolen zu Hetzkampagnen, auf der Straße marschiert Pegida. Zwar nimmt auch das Bewusstsein für und die Anerkennung von zivilgesellschaftlichem Engagement zu. Doch das Herzstück repräsentativer Demokratie – wählen und gewählt werden – gerät zusehends aus dem Blick. Die Wahlbeteiligung ist in den letzten Jahrzehnten tendenziell gesunken (ob das Auftreten neuer populistischer Gruppierungen daran dauerhaft etwas ändern wird, ist fraglich). Die etablierten Parteien kämpfen mit Nachwuchsproblemen. Gleichzeitig zählt die Förderung von Demokratie weiterhin zu den grundlegenden Parametern deutscher Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit. Die Etablierung demokratischer Gesellschaftsformen in anderen Teilen der Welt einerseits sowie die eines gleichberechtigten Miteinanders der Nationen andererseits bleiben faktisch jedoch ein weit entferntes Ziel. In vielen Ländern fehlt es an staatlichen Strukturen bzw. an deren Legitimität. Bürgerkriege und Menschenrechtsverletzungen sind oft noch gängiger Ausdruck fragiler oder undemokratischer Staatlichkeit. Dies erschwert auch friedliche und konstruktive Umgangsformen auf der zwischenstaatlichen Ebene. Hier reichen die Phänomene von mangelnder Kooperationsbereitschaft oder -fähigkeit bis hin zu bewusster Missachtung des nationalen Souveränitätsgebotes. Während sich die westlichen Demokratien oft durch eher langfristige Entscheidungs- und Problemlösungsprozesse sowie Kompromisslösungen auszeichnen, scheinen autokratisch geprägte Staaten vielfach entscheidungsfreudiger und reaktionsschneller. Welches Modell ist für sich entwickelnde Staaten überzeugender? Welche Verantwortung kommt den unterschiedlichen Akteuren in ihren verschiedenen Rollen zu – den Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie den Institutionen? Worin liegen die Ursachen für die Diskrepanz von demokratischem Anspruch und Wirklichkeit, und was können wir tun, um unsere Demokratie und ihre Werte zu bewahren und zu stärken?

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Vorwort

Innen- sowie außenpolitisch scheint unsere Demokratie, ihre Legitimität und Effektivität, bedroht. Deshalb widmete sich die Hanns-Seidel-Stiftung in einer zweiteiligen Expertenrunde den verschiedenen Herausforderungen, denen wir uns als demokratische Gesellschaft heute stellen müssen. Bundestagsabgeordnete diskutierten gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Journalismus und Wissenschaft. So konnte gewährleistet werden, dass aus parlamentarischer Sicht relevante Zusammenhänge vertieft, der Spielraum der Legislative bedacht und so lösungsorientierte Debatten geführt wurden. Ich freue mich, die Ergebnisse nun durch diese Publikation der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und hoffe, auf diesem Wege den Diskurs über unsere Demokratie, unsere Ansprüche und Verantwortungen weiter anzuregen. In ihrem einführenden Kommentar charakterisiert die Abgeordnete Gitta Connemann, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, die aktuelle Lage als eine Kombination aus Parallelität und Komplexität verschiedener innen- und außenpolitischer Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund wandele sich die politische Kultur Deutschlands. Was bedeutet dies für den Alltag der Politikerinnen und Politiker? Im darauf folgenden Beitrag widmet sich die Journalistin Hannah Beitzer dem Phänomen „Politikverdrossenheit“. Als besonderes Moment dieses nicht neuen Problems macht sie unter anderem eine zunehmende Individualisierung gerade der jüngeren Generationen aus und beschreibt darüber hinaus die gesellschaftlichen Trends, die einem Einstellungswandel der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Politik zugrunde liegen könnten. Gerhard Hirscher, Referent für Grundsatzfragen der Politik, Parteien- und Wahlforschung der Hanns-SeidelStiftung, bewertet in seinem Beitrag die Gefahr von populistischen Protestbewegungen und Parteien wie Pegida und der AfD für unsere Demokratie. Im Anschluss diskutiert Jasper von Altenbockum, verantwortlicher Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, woraus sich eine vermeintliche Vertrauenskrise der Bürgerinnen und Bürger gegenüber ihren politischen Institutionen nährt. Wer ist in unserer repräsentativen Demokratie verantwortlich für die Herstellung und Pflege von Vertrauen? Abschließend für die innenpolitischen Betrachtungen dieses Bandes richtet Hans Reichhart, Mitglied des Bayerischen Landtags, den Blick auf die Zukunft der deutschen Parteiendemokratie im wohl unmittelbarsten Sinne des Wortes. Als Vorsitzender der Jungen Union Bayern berichtet er aus der Perspektive der Nachwuchsorganisation über die Herausforderungen politischer Mobilisierung. Auch wenn diese bestehen, kann er eine zunehmende Politisierung der Jugend ausmachen und einen optimistischen Ausblick in die Zukunft wagen. Im zweiten Teil der vorliegenden Publikation beschäftigen sich Akteure und Experten der Außenpolitik mit der internationalen Dimension unseres Demokratieverständnisses und dessen Umsetzung. Der außen- und verteidigungspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Florian Hahn, führt in diesen Teil ein, indem er die zunehmende Bedeutung außenpolitischer Fragestellungen für seine parlamentarische Arbeit beschreibt. Vor dem Hintergrund internationaler Kri-

Vorwort

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sen, die in ihren Auswirkungen deutlicher denn je in die Innenpolitik reichen, fragt er, was dies für unser demokratisches Selbstbewusstsein bedeutet. Hanns W. Maull von der Stiftung Wissenschaft und Politik übernimmt im Folgenden die Aufgabe, einen Überblick über die internationale Unordnung zu verschaffen. Anschaulich beschreibt er das Paradox aus globalem Zusammenrücken bei gleichzeitiger Fragmentierung der Interessen. Ob die klassischen internationalen Organisationen für den daraus resultierenden Integrations- und Regulierungsbedarf den nötigen Handlungsrahmen bieten, bewerten Johannes Varwick und Jana Windwehr von der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg: Wo und wie kann Entscheidungsfindung international zukünftig stattfinden? Von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union, von Global bis zu Club Governance, skizzieren und bewerten die beiden Autoren in ihrem gemeinsamen Beitrag verschiedene Szenarien. Josef Braml, Redaktionsleiter des Jahrbuchs Internationale Politik, schließt dieser institutionellen Perspektive eine Analyse des Dualismus der vermeintlich verbleibenden nationalstaatlichen Supermächte USA und China an. Abschließend widmen sich Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Lena Drummer mit Ägypten einem konkreten Beispiel für den Versuch von „Demokratie-Export“. Sie erörtern das vorläufige Scheitern des demokratischen Transformationsprozesses im Nachgang des „Arabischen Frühlings“ und stellen dar, warum sich gerade unter den aktuellen Bedingungen ein erneuter Versuch demokratischer Bemühungen anbietet. Die Beiträge in diesem Band zeigen: Das Bestehen und Funktionieren unserer Demokratie ist kein Selbstläufer. Deshalb sollte unser Einsatz in ihr und für sie für uns so selbstverständlich sein wie die Luft zum Atmen.

Prof. Ursula Männle Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und Staatsministerin a.D.

Inhaltsverzeichnis

I. Innenpolitik Gitta Connemann Bedrohte Demokratie – Innenpolitische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Hannah Beitzer Politikverdrossen, passiv, wütend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Gerhard Hirscher Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) und Pegida als Protestphänomene – eine Gefahr für unsere Demokratie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Jasper von Altenbockum Schreiben Sie das auf! Vom Vertrauensverlust in die politischen Institutionen . . . 33 Hans Reichhart Nachwuchsprobleme von Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

II. Außenpolitik Florian Hahn Außenpolitische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Hanns W. Maull Internationale Unordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Johannes Varwick und Jana Windwehr Global Governance als Chimäre. Die internationale Ordnung vor der Erosion?

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Josef Braml Im Westen nichts Neues. Historische Auseinandersetzung um Eurasien . . . . . . . . 69 Stephan Roll und Lena Drummer Das Scheitern der Arabellion und die Folgen für externe Demokratieförderung. Das Beispiel Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

I. Innenpolitik

Bedrohte Demokratie – Innenpolitische Herausforderungen Von Gitta Connemann Politische Stabilität gründet auf Vertrauen. Dies gilt erst recht in Zeiten der Krise. Doch wie steht es um das Vertrauen in unsere Demokratie, wie um das Vertrauen in politische Parteien, in die Medien oder die Wirtschaft? Ist unsere Demokratie bedroht? Vor welchen innenpolitischen Herausforderungen stehen wir? Fragen, mit denen wir uns aus Verantwortung für Deutschland stärker auseinandersetzen müssen: ob Abgeordneter, Journalist, ob Lobbyist oder Bürger. Das Thema geht uns alle an. * Das Jahr 2016 begann unruhig. Die Silvesternacht war geprägt von der Sorge um Terroranschläge in München sowie von den sexuellen Übergriffen auf Frauen in Köln und anderen deutschen Großstädten. Diese Ereignisse lassen hierzulande die Sorge um die innere Sicherheit, um die Zukunft unserer offenen Gesellschaft wachsen. Bereits Ende des Jahres 2015 waren die Deutschen so stark verunsichert wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Trotz wirtschaftlicher Prosperität sahen laut einer Allensbach-Umfrage zum Jahreswechsel nur noch 41 Prozent dem kommenden Jahr mit Optimismus entgegen.1 Dieser Pessimismus überrascht nicht. Denn seit Monaten dominieren unsere Nachrichten Berichte über die Flüchtlingskrise, die gewachsene Terrorgefahr in Europa, über das Wüten des sogenannten Islamischen Staates, über die Ukraine-Krise und nicht zuletzt über die Griechenland- bzw. die Euro-Krise. Die Lage ist unübersichtlicher, komplexer geworden – national wie international. Die Parallelität der Ereignisse Die Parallelität der Ereignisse macht die Bewältigung der gegenwärtigen Lage so herausfordernd. Standen in den letzten Jahren vor allem die Politik, ihre Repräsentanten und die politischen Parteien im Fokus der Kritik, greift die Glaubwürdigkeitskrise nun auf weitere Teile der Gesellschaft über. Wirtschaftsunternehmen, Medien, Kirchen und Sportverbände stehen zeitgleich in der Kritik. Sicherlich sind viele Probleme hausgemacht. Man denke nur an die Vorkommnisse beim ADAC, dem Deut1 Vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/allensbach-umfrage-zu-medienbe richterstattung-in-fluechtlingskrise-13967959.html, Stand: 10. 2. 2016.

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Gitta Connemann

schen Fußballbund oder bei Volkswagen, um drei Beispiele aus jüngerer Zeit zu benennen. Doch dass nun weitere Teile der Gesellschaft ebenso empfindlich Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern eingebüßt haben, ist eine neue schwierige Entwicklung. Demokratiemüdigkeit ist ein schleichendes Gift Seit Jahren beklagen wir nach jedem Urnengang den Rückgang der Wahlbeteiligung. So auch 2013: Wählten bei der Bundestagswahl immerhin noch sieben von zehn Deutschen, so machte nicht einmal die Hälfte bei der Europawahl von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Ähnlich negativ ist die Entwicklung bei den Landtags- und Kommunalwahlen. In Sachsen und Brandenburg lag bei den Landtagswahlen 2014 die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent. Bei den Landtagswahlen im Frühjahr 2016 ist die Wahlbeteiligung dagegen deutlich angestiegen. Offenkundig hat die Flüchtlingskrise die Wähler zur Stimmabgabe getrieben. In diesem Kontext ist es der AFD gelungen, Stimmen aus dem Nichtwählerbereich zu mobilisieren. Lange Zeit wurde die rückläufige Wahlbeteiligung mit einer allgemeinen Zufriedenheit mit dem politischen System begründet. Die Wahlbeteiligung lag durchaus im Schnitt unserer europäischen Nachbarn. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Politik- und Parteienverdrossenheit hat sich in den letzten Jahrzehnten weiter verfestigt. Deshalb sind Demokraten – über alle Parteigrenzen hinweg – gefordert, sich wieder stärker zu unserem politischen System, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen und für ihre Vorzüge zu werben – nicht nur in Zeiten der Flüchtlingskrise. Neben den politisch Verantwortlichen stehen alle demokratischen Kräfte dieses Landes in der Pflicht. Deutschland hat sich seit 1949 – auch nach der Wiedervereinigung – zu einer wehrhaften Demokratie entwickelt. Es ist an uns allen, dass dies so bleibt. Der hohe Protestwähleranteil bei den Landtagswahlen im Frühjahr 2016 darf nicht unterschätzt werden. Denn er kann sich längerfristig auf die politische Stabilität auswirken und zu einer Legitimationskrise staatlichen Handelns führen. Auch die Vierte Gewalt muss um Glaubwürdigkeit kämpfen Neben der Politik und den Parteien stehen inzwischen auch die Medien und ihre Berichterstattung in der Kritik. Etwa vier von zehn Deutschen bewerten Informationen der Medien als nicht glaubwürdig.2 39 Prozent meinen Anfang Dezember 2015 sogar, dass die von Pegida propagierten Vorwürfe der „Lügenpresse“ begründet seien.3 Das Misstrauen in den Journalismus ist groß. Wenn dann noch die Minister2

Vgl. WDR-Umfrage http://www1.wdr.de/themen/aktuell/umfrage-glaubwuerdigkeit-dermedien-100.html, Stand: 10. 2. 2016. 3 Vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/allensbach-umfrage-zu-medienbe richterstattung-in-fluechtlingskrise-13967959.html, Stand: 10. 2. 2016.

Bedrohte Demokratie – Innenpolitische Herausforderungen

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präsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz dem öffentlich-rechtlichen Südwestrundfunk diktieren wollen, wer an Fernsehdiskussionen vor der Landtagswahl teilnimmt und wer nicht, schüren diese nur weitere Vorurteile, die Politik gebe den Medien vor, was sie berichten sollen. Doch die Medien ringen in diesen Monaten nicht nur um ihre Glaubwürdigkeit. Vor allem die Printmedien müssen seit Einführung des Internets um Auflage kämpfen, manche Tageszeitungen gar um ihre Existenz. Durch das Internet hat sich der Medienkonsum der Zeitungsleser grundlegend verändert. Die Abonnementzahlen sind deutlich zurückgegangen, die Werbeeinnahmen empfindlich geschrumpft. Redaktionen mussten und müssen zusammengelegt werden. Gleichwohl erwartet der Leser nach wie vor von seiner Tageszeitung gut recherchierte Berichte und meinungsbildende Kommentare. Dabei sollten Berichte und Kommentare klar unterscheidbar sein. Meinungsfreiheit heißt nicht Rechtsfreiheit So wie die mediale Kultur hat sich auch unsere politische Kultur geändert. In den letzten Jahren ist der Wunsch nach stärkerer direkter Beteiligung gewachsen. Das schlägt sich zwar nicht unbedingt in größerer Beteiligung bei Volksbefragungen nieder, aber durchaus positiv bei Initiativen vor Ort, bei denen es um konkrete Projekte und ein zeitlich befristetes Engagement geht. Mancherorts ist aus Politikverdrossenheit aber auch politische Verachtung geworden. Eine nicht zu unterschätzende Zahl ist vom Mitbürger zum fanatischen Wutbürger mutiert. Dieser missbraucht teils anonym, teils mit seinem Namen die OnlineMedien als Resonanzraum zur Verbreitung von Hass- und Hetztiraden. Auf diese Weise wird das Internet immer mehr zum Stammtisch des 21. Jahrhunderts, einem Platz für dumpfe Parolen und aggressive Attacken. Auch bei Demonstrationen zeigt sich eine neue Dimension der Radikalität. Eine erschreckende Verrohung der politischen Kultur wird offenbar. Bei Kundgebungen der Alternative für Deutschland (AfD) oder bei Pegida schlägt sich diese zunehmende Enthemmung in der Sprache nieder. Aus einer Partei, die als wirtschaftsliberale Kraft gestartet war, ist ein rechtspopulistisches Sammelbecken geworden, in dem rassistische Töne des thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Platz haben. Ein für Bundeskanzlerin Merkel mitgeführter Galgen bleibt bei einer PegidaKundgebung ebenso unwidersprochen wie eine für Bundeswirtschaftsminister Gabriel zugedachte Guillotine bei einer Berliner Anti-TTIP-Kundgebung im Herbst 2015. In solch schwierigen Zeiten erschallt der Ruf nach raschen Lösungen. Es sind gute Zeiten für Populismus, schwere Zeiten für differenzierte Antworten. Diesem Verlust an Zivilität und politischer Kultur müssen Demokraten den öffentlichen Diskurs entgegensetzen, die inhaltliche Auseinandersetzung mit offenem Vi-

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Gitta Connemann

sier. Nur so kann Vertrauen wiedererlangt werden. Es gilt stets, aufs Neue zu betonen: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit sind keine Selbstverständlichkeit. Es ist Aufgabe aller demokratischen Kräfte dieses Landes, daran zu erinnern und für demokratische Grundwerte einzustehen. Die Volksparteien CDU und CSU nehmen diese Verantwortung wahr. Sie stellen sich ihrer Führungsverantwortung.

Gitta Connemann, MdB ist stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Politikverdrossen, passiv, wütend Von Hannah Beitzer Immer weniger Menschen engagieren sich in Parteien, die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren. Es gewinnen populistische Parteien – und vielerorts tragen Menschen ihre Wut auf die Straße. Woher kommt die Politikverdrossenheit? Welche Auswirkungen hat sie auf ein System, in dem Parteien die wichtigsten Akteure und repräsentative Wahlen das größte Machtinstrument der Bürger sind? Und wie lässt sich ihr begegnen? * Was ist los mit Menschen, die auf einer Demonstration Politiker als „Volksverräter“ beschimpfen? Einen – wenn auch nur symbolischen – Galgen für Bundeskanzlerin Angela Merkel bauen? Die Parteien verachten? Entweder gar nicht zur Wahl gehen oder ihre Stimme Populisten geben, die versprechen ganz anders als „die da oben“ zu sein? Als „politikverdrossen“ gelten Menschen, die sich von der etablierten Politik abwenden. Den Begriff gibt es schon ungleich länger als die Demonstrationen von Pegida und Co. Seit den 1990er-Jahren kommt er gefühlt in jedem dritten Leitartikel vor und umfasst viele Entwicklungen. Die Mitgliederzahlen der Parteien, der wichtigsten Akteure der deutschen Politik, sinken seit der Wiedervereinigung kontinuierlich. Vor allem tun sich die Parteien schwer, junge Menschen für ihre Arbeit zu gewinnen. 2014 war gut die Hälfte der CDU-Mitglieder älter als 60 Jahre, genauso sieht es in der SPD aus. Das Durchschnittsalter der Mitglieder der beiden größten Volksparteien liegt bei Ende 50. Noch älter sind die Mitglieder der Linken, nur etwas jünger die der FPD. Die Grünen haben mit einem Durchschnittsalter von 49 Jahren die jüngsten Mitglieder. Und nicht nur, dass die Bürger sich nicht aktiv in der Politik engagieren. Viele nehmen nicht einmal mehr an repräsentativen Wahlen teil. Die Wahlbeteiligung auf Bundesebene ist seit 1998 um mehr als 10 Prozentpunkte gesunken, auf 71 Prozent zur Bundestagswahl 2013. Auf Landes- und kommunaler Ebene sieht es größtenteils noch schlimmer aus. Zur Oberbürgermeisterwahl in Köln zum Beispiel gingen vor kurzem nur noch knapp über 40 Prozent der Wahlberechtigten.

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Vertrauensverlust und Individualisierung Woher kommt Politikverdrossenheit? Als wichtigste Ursache wird oft genannt: Das Vertrauen der Menschen in Parteien und Politiker ist gesunken. Das liegt zum Beispiel an Versäumnissen und Fehlern von Parteien und Politikern, an Spendenaffären, an gebrochenen Wahlversprechen oder – anders ausgedrückt – an politischen Entscheidungen, die für den Wähler nicht verständlich sind. Auch der geringe Einfluss einzelner Parteimitglieder, verkrustete Strukturen in den Organisationen, Vetternwirtschaft und Hinterzimmerpolitik gelten oft als Grund, warum Menschen Parteien fernbleiben, sie nicht mehr wählen und erst recht nicht in ihnen aktiv sein wollen – Vorwürfe, denen Parteien immer häufiger mit Basisentscheiden und Mitgliederbefragungen begegnen. Eine alleinige Antwort auf die Frage nach der schwindenden Beteiligung sind die Fehler der Parteien jedoch nicht. Politische Skandale und gebrochene Wahlversprechen gibt es ja zum Beispiel auch nicht erst seit kurzem. Warum fallen sie in der Gegenwart so viel stärker ins Gewicht als in der Vergangenheit? In der Diskussion wird häufig und ausdauernd über die Versäumnisse der Parteien und Politiker gesprochen. Genauso wichtig ist aber auch der Blick auf die andere Seite. Schon im 20. Jahrhundert sprachen Soziologen von einer zunehmenden Individualisierung der Menschen. Sozialer Aufstieg führte bereits seit den 1960er-Jahren dazu, dass die Bindung der Menschen an ihre Herkunftsmilieus sank – und mit ihnen die Bindung an deren traditionelle Werte und Normen. Von einer Pluralisierung der Lebensstile in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist oft die Rede, von einer Zunahme von Wahlmöglichkeiten. Aber auch von einem zunehmenden Zwang, individuelle Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen und die richtige Entscheidung zu treffen. Links, rechts, konservativ, progressiv – insbesondere die jüngere Generation tut sich schwer, in solchen Kategorien zu denken. Engagement wird themenbezogener, kurzlebiger Dabei gibt es natürlich immer noch gesellschaftliche Milieus von Menschen mit ähnlicher Herkunft, ähnlicher Bildung, ähnlichen Werten. Doch sich als Teil einer solchen größeren gesellschaftlichen Gruppe zu begreifen, dauerhaft einzuordnen und damit Stellung zu beziehen, scheint insbesondere jüngeren Menschen schwerzufallen. Zu einer engen Bindung an eine Partei oder gar parteipolitischem Engagement passt das schlecht. Welche Auswirkungen hat das aber auf ein System, in dem Parteien die wichtigsten Akteure und repräsentative Wahlen das größte Machtinstrument der Bürger sind? Es führt dazu, dass Menschen sich zwar für bestimmte Themen engagieren – wie zum Beispiel in Protesten gegen Studiengebühren oder auch der Bürgerinitiative gegen die Busspur vor der Haustür – aber sich trotzdem nie die Frage stellen, wo

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sie im Gesamtgefüge der Gesellschaft eigentlich stehen und wie man kollektiv seine Interessen vertritt. Engagement ist heute häufig themenbezogener und kurzlebiger als früher. In einer repräsentativen Demokratie ist das aber nicht genug. Arm wählt nicht Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Debatte ist: Unterrepräsentiert sind im politischen System auch Menschen mit niedrigem Bildungsstand und niedrigem sozialem Status. Man darf sich nicht davon irritieren lassen, dass vor jeder Bundestagswahl Bildungsbürger wie wir in den Feuilletons schreiben, dass sie nicht mehr wählen gehen. Denn in Wahrheit sieht man in der Wahlbeteiligung ein ganz klares ArmReich-Gefälle. Arm wählt nicht. Wer gesellschaftlich abgehängt ist, der misst seiner politischen Beteiligung einen noch geringeren Stellenwert bei, als jemand, der in der Gesellschaft gut dasteht. Dabei sind repräsentative Wahlen noch der Bereich, wo diese Ungleichheit am kleinsten ist, in der aktiven Parteiarbeit ist sie noch größer. Genauso übrigens in Bürgerinitiativen, die manchmal als basisdemokratische Alternative zu Parteiarbeit und repräsentativen Wahlen verkauft werden. Das mangelnde Engagement der weniger gebildeten, weniger vermögenden Menschen, hat auch mit Hemmschwellen zu tun. Sich ausdrücken zu können und selbstbewusst innerhalb einer Gruppe die Meinung zu vertreten, trauen sich eher Akademiker zu, als Menschen, die nicht einmal einen Hauptschulabschluss haben. Die Integrationskraft der alten Institutionen Ihnen fehlt heute der Glaube an den gesellschaftlichen Aufstieg – und sie sehen nicht, wie ihnen die etablierten Institutionen helfen können. Früher waren Parteien, aber auch Gewerkschaften oder Kirchen Institutionen, denen die Menschen Integrationskraft zutrauten. Das ist heute nicht mehr so. Warum? Das müssen sich nicht nur Parteien fragen, sondern zum Beispiel auch die Kirchen. Das ist allein deswegen notwendig, weil die Abgehängten der Gesellschaft nicht in allen politischen Bereichen unterrepräsentiert sind. Überdurchschnittlich oft nämlich wählen sie populistische oder gar (rechts-)radikale Parteien. Dort treffen sie sich mit denen, die noch nicht abgehängt sind, aber sich vor gesellschaftlichem Abstieg, einer negativen Veränderung ihrer Umgebung fürchten. Vor diesem Hintergrund ist auch der Erfolg der Alternative für Deutschland und von Pegida zu betrachten. Die Verachtung von etablierten Parteien und Politikern und des bestehenden Systems sind stets wichtige Triebfedern populistischer Parteien und Strömungen, übrigens nicht nur im rechten Spektrum. In sozialen Medien verdichtet sich diese Verachtung, die Angst vor Statusverlust und Fremdenfeindlichkeit zu Hass und Hetze –

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nicht nur gegen die etablierte Politik, sondern gegen alle, die dem eigenen Weltbild nicht zustimmen. Vor diesem Hintergrund von „Politikverdrossenheit“ zu reden, klingt fast zu harmlos. Die Menschen, die seit über einem Jahr bei Pegida mitmarschieren, die ihren Hass in Facebook-Kommentaren artikulieren, beleidigende und drohende Mails an Politiker und Journalisten schreiben, sind nicht selten stolz auf ihre Systemfeindlichkeit. Engagement wächst aus Betroffenheit Fest steht, dass der politische Diskurs auch jenseits von Pegida in den vergangenen Jahren lauter geworden ist, brutaler, emotionaler. Das ist nicht nur schlecht. Denn es zwingt auch diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren nicht für Politik interessiert, sich aus allen Debatten herausgehalten haben, Stellung zu beziehen. Viele Menschen haben in den vergangenen Monaten gemerkt: Wenn ich schweige, dann wird im Zweifelsfall derjenige gehört, der am lautesten schreit. Diese Erkenntnis hat viele Menschen aufgeweckt, sie motiviert, sich einzubringen. So gab es zum Beispiel zu Pegidas Hoch-Zeiten außerhalb von Dresden zahlreiche Gegendemonstrationen, auf denen Menschen verhinderten, dass der Hass die Straße demonstriert. Das Engagement der Menschen in der Flüchtlingskrise ist ein weiterer Schritt in Richtung mehr Beteiligung. Denn egal, ob der Freiwillige vom Roten Kreuz aus Wegscheid, das Kirchengemeindemitglied aus Niedersachsen, der linke Aktivist aus Berlin oder die vielen Leute, die überhaupt zum ersten Mal in ihrem Leben aktiv werden: Es gibt hier ein ungewöhnlich breites gesellschaftliches Engagement, mit ganz unterschiedlichen politischen Zielen und Weltanschauungen. Das ist gerade deswegen so spannend und wichtig, weil nicht alle einer Meinung sind. Der Streit um den richtigen Umgang mit der Einwanderung von Millionen Menschen mag zuweilen zu emotional und zu hart sein. Doch gleichzeitig ist er unausweichlich. Denn schließlich geht es nun um beträchtliche Veränderungen in der Gesellschaft – Veränderungen, die die Einwohner der Städte und Gemeinden genauso mitgestalten müssen wie Berufspolitiker in Berlin. Engagement erwächst aus Betroffenheit. Und die ist gerade gegeben. Für die etablierten Institutionen ist das eine Gelegenheit zu beweisen, dass es ihnen ernst ist mit dem Wunsch nach mehr Beteiligung. Es ist eine Gelegenheit, auf die Menschen zuzugehen und ihnen zu zeigen, dass sich langfristiges Engagement lohnt. Denn die Gesellschaft zu gestalten ist keine Aufgabe, die nach Erreichen eines kurzfristigen Zieles erledigt ist.

Hannah Beitzer ist Journalistin in Berlin.

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) und Pegida als Protestphänomene – eine Gefahr für unsere Demokratie? Von Gerhard Hirscher In den letzten Jahren haben sich in unserem Land Formen des Protestes ausgebreitet, die sich selbst als Ergänzung und teilweise auch als Ersatz für die etablierte repräsentative Demokratie sehen. Die Aktivitäten von „Wutbürgern“ müssen ernst genommen werden, auch weil sie neue Kommunikationsformen ausbilden und politisch randständige Bevölkerungskreise ansprechen. Eine Gefahr für unsere Demokratie werden sie nicht werden, wenn die politischen Probleme, deren Lösung sie anmahnen, von den anderen Parteien glaubhaft angegangen werden. * Protest und Populismus – was hält unsere Demokratie aus? Politischer Protest ist Teil der parlamentarischen Demokratie. Auch wenn die zentralen Entscheidungen im Parlament gefällt werden, ist der außerparlamentarische Raum ein Feld für den Austausch von Meinungen und der Artikulation von Interessen, die sich ansonsten in der repräsentativen Demokratie nicht ausreichend gehört fühlen. Sofern die Grundprinzipien der Staats- und Rechtsordnung nicht angegriffen werden, handelt es sich dabei zweifellos um legitime Formen politischer Kommunikation. Insbesondere in den letzten Jahren haben sich in Deutschland immer mehr Aktivitäten gezeigt, die nicht den bekannten Mustern der Aktionen extremistischer Gruppierungen und Parteien entsprachen, sondern die von neuen Akteuren getragen wurden. Andererseits standen viele dieser Aktionen in der Tradition großer friedlicher Demonstrationen wie in der Friedens- und Umweltbewegung. Der bürgerliche „Wutbürger“ trat nun als Aufsehen erregende Spezies vor allem bei Protesten gegen Großprojekte in Erscheinung – am spektakulärsten bei „Stuttgart 21“, aber auch gegen Einzelprojekte wie Bundeswehrübungsplätze, Windräder oder Straßen- wie Stromtrassen. In den letzten zwei Jahren entstand mit Pegida eine völlig neue Protestbewegung, die vorgibt, sich gegen die Überfremdung und Islamisierung unseres Landes wehren zu wollen. Die AfD schien ihre ersten Erfolge als eurokritische Partei zu feiern, die dem herrschenden Establishment ihr vermeintlich zu euphorisches und die nationalen Interessen vernachlässigendes Handeln vorwarf. Aber nicht erst seit

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Gerhard Hirscher

dem Austritt des Parteigründers Bernd Lucke waren auch andere Motive für deren Unterstützer relevant. Diese sind seither noch mehr in den Vordergrund getreten und haben mit dafür gesorgt, dass sie ihre Wahlerfolge als rechtspopulistische Kraft erzielt hat. AfD wie Pegida werden immer mehr als radikale Kräfte weit am rechten Rand wahrgenommen. Was bedeutet dies für ihre weitere Entwicklung und die unserer parlamentarischen Demokratie? Der bisherige (Erfolgs-)Weg der AfD Die Bundestagswahl 2013 und die späteren Wahlerfolge der AfD Schon bei der Bundestagswahl vom 22. September 2013 wäre der AfD beinahe eine Sensation gelungen: Sie scheiterte mit 4,7 % der Zweitstimmen nur knapp an einem Einzug in den Deutschen Bundestag. Auch wenn sie an Erststimmen mit 1,9 % deutlich weniger erhielt, war dies für eine erstmals angetretene Partei ein beachtlicher Erfolg. Sie holte aus dem Stand 2.056.985 Zweitstimmen – damit fehlten ihr lediglich 129.358 Stimmen, um über die 5-%-Hürde zu kommen.1 Nach dem knappen Scheitern bei der Bundestagswahl folgte eine bisher ununterbrochene Serie von Wahlerfolgen. Bei der Europawahl am 24. Mai 20142 kam die AfD auf 7,1 % und erzielte 7 Mandate; in Bayern kam sie auf 8,1 %. Bei der Landtagswahl in Sachsen am 31. August 20143 holte die AfD 9,7 % und 14 Sitze. Bei der Landtagswahl in Thüringen am 14. September 20144 holte die AfD 10,6 % und 11 Sitze. Bei der Landtagswahl in Brandenburg vom 14. September 20145 holte die AfD 12,2 % und 11 Sitze. Auch im Westen war sie erfolgreich: Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg vom 15. Februar 2015 kam sie erstmals in ein westliches Landesparlament. Die AfD zog mit einem Anteil von 6,1 % in die Bürgerschaft ein.6 Sie wiederholte ihren Erfolg am 10. Mai 2015 bei der Bürgerschaftswahl in Bremen. Die AfD holte 5,5 % und zog ebenfalls in die Bürgerschaft ein (5,6 % in Bremen, aber nur 5,0 % in Bremerhaven).7 Bei den drei Landtagswahlen am 13. März 1 Infratest dimap: WahlREPORT Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom 22. 9. 2013, Berlin 2013. 2 Infratest dimap: WahlREPORT Europawahl in Deutschland. Eine Analyse der Wahl vom 25. 5. 2014, Berlin 2014. 3 Infratest dimap: WahlREPORT Sachsen 2014. Eine Analyse der Wahl vom 31. 8. 2014, Berlin 2014. 4 Infratest dimap: WahlREPORT Thüringen 2014. Eine Analyse der Wahl vom 14. 9. 2014, Berlin 2014. 5 Infratest dimap: WahlREPORT Brandenburg 2014. Eine Analyse der Wahl vom 14. 9. 2014, Berlin 2014. 6 Infratest dimap: WahlREPORT Bürgerschaftswahl Hamburg 2015. Eine Analyse der Wahl vom 15. 2. 2015, Berlin 2015. 7 Infratest dimap: WahlREPORT Bürgerschaftswahl Bremen 2015. Eine Analyse der Wahl vom 10. 5. 2015, Berlin 2015.

AfD und Pegida als Protestphänomene

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2016 zog sie ebenfalls in die Landtage ein: In Baden-Württemberg erreichte sie 15,1 %, in Rheinland-Pfalz 12,6 % und in Sachsen-Anhalt 24,3 %. Bei allen bisherigen Wahlen hat die AfD Wähler aus sehr unterschiedlichen Bereichen anziehen können. Aus dem Nichtwählerlager holte sie jeweils etwa ein Zehntel ihrer Stimmen; lediglich in Hamburg war dieser Wert etwas höher. Von der Union kamen zumeist zwischen 14 % und 20 % – also bestenfalls ein knappes Fünftel ihrer Stimmen. Nur bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg lag der Wert etwas höher. Allein mit von der Union abgewanderten Wählern hätte die AfD also bei keiner Wahl annähernd so gut abgeschnitten. Kamen bei der Bundestagswahl 2013 noch gut 20 % ihrer Wähler von der FDP, so waren dies bei den Wahlen im Osten nur noch um die 10 % und in Hamburg und Bremen deutlich darunter. Die weitaus größten Anteile holte sie von den sonstigen Parteien – bei der Bundestagswahl und in Hamburg etwa ein Fünftel, bei den Wahlen im Osten ein knappes Viertel und in Bremen fast die Hälfte. Dieser Teil sowie die Gewinne aus dem Nichtwählerlager waren bisher also die ergiebigsten Quellen für den Stimmenzuwachs der AfD. Hinzu kam bei der Bundestagswahl wie bei den Wahlen im Osten ein Anteil von bis zu 16 %, der von der Linken zur AfD wanderte. Insgesamt holte die AfD also bisher fast die Hälfte ihrer Wähler von Linken, Nichtwählern und sonstigen Parteien – bei den Wahlen in den neuen Ländern sogar noch etwas mehr. Die AfD in der deutschen Politik und Gesellschaft Der bisherige Weg der AfD war für eine Neugründung ein bislang nicht gekannter Erfolg im Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Unmittelbar nach der Wahl in Bremen brach aber der Richtungsstreit zwischen den eher bürgerlich-eurokritischen und den rechtspopulistischen Teilen der Partei voll aus. Gleichzeitig erfolgte ein demoskopischer Abstieg (so sah die FG Wahlen die AfD seit Juni 2015 unter 5 %; Infratest dimap seit Juli 2015). Nach ihrem außerordentlichen Parteitag am 4./5. Juli 2015 kulminierte die interne Krise, die zum Austritt von Parteigründer Bernd Lucke kurz danach führte, der eine eigene Partei Alfa gründete („Allianz für Fortschritt und Aufbruch“). Da auch eine ganze Reihe von Mitgliedern die AfD verließen, schien die weitere Entwicklung für beide Gruppierungen ungewiss. Die ansteigende Flüchtlingswelle nach Deutschland im Sommer 2015 hat aber anscheinend deutlich stärker der AfD genutzt, die sich jetzt – nach dem Weggang des Lucke-Flügels und der Gründung von Alfa – programmatisch und vor allem in der Außenwirklung deutlich nach rechts orientiert hat. Dies hat zum einen für bessere Werte bei der Sonntagsfrage geführt, aber auch ihre Bewertung in den Augen der Bevölkerung verändert. So war laut FG Wahlen die Sicht auf die Partei Mitte 2014 noch relativ ausgewogen: Damals ordneten immerhin 12 % die AfD als links oder sehr links ein, 29 % in der Mitte und 38 % rechts oder sehr rechts. Der letzte Wert blieb im August und September 2014 bei 34 % und 39 %. Im Januar 2015 sahen

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nur noch 20 % die AfD in der Mitte, aber 49 % rechts oder sehr rechts.8 Im Mai 2015 stieg dieser Wert auf 53 % und im November 2015 sogar auf 57 %. Nur noch 18 % der Befragten sahen die AfD noch in der Mitte.9 Diese Entwicklung hat sich also im Lauf des Jahres 2015 drastisch beschleunigt: So ist die AfD auf der Skala von Infratest dimap (von 1 links bis 11 rechts) im Oktober 2014 mit einem Wert von 7,5 deutlich rechts von CDU und CSU eingestuft worden. Im November 2015 ist die AfD mit einem Wert von 8,3 nochmals deutlich weiter nach rechts gerückt und hat sich von der Einstufung der anderen Parteien nochmals weiter entfernt. Nur die NPD mit 9,7 wird noch weiter rechts verortet. Dabei ist interessant, dass sich die AfD-Anhänger selbst nach wie vor mit einem Wert von 6,3 weit näher an der Mitte sehen. Allerdings ist auch die Verortung der AfD durch die eigenen Anhänger selbst weiter nach rechts gerückt auf 7,2 nach 6,7 im letzten Jahr.10 Diese Differenz in der Einordnung seitens der Anhänger und in den Augen aller Bürger könnte durchaus dazu führen, dass ein beachtlicher Teil ihrer Wählerschaft sich vom veränderten Image der Partei abgestoßen fühlt und sich wieder den Parteien der bürgerlichen Mitte annähert – vor allem dann, wenn die Abspaltung Alfa weiterhin chancenlos bleibt. Auf der anderen Seite rückt die AfD stärker in einen Einstellungsraum, der von den anderen demokratischen Parteien immer mehr verlassen worden ist. Alle etablierten Parteien – SPD, Grüne, FDP, CDU und CSU – sind in den letzten Jahren in der Beurteilung aller Bürger immer mehr Richtung Mitte gerückt. Union und FDP haben diese Bewegung nach links mitgemacht und sind damit der Entwicklung der Gesamtgesellschaft gefolgt. Das Feld rechts von der Mitte wurde immer mehr zur Leerstelle. Die AfD steht auf der Links-Rechts-Skala heute da, wo 1998 noch die CDU gestanden hatte. Dies ist konsequent, weil die große Mehrheit der Wählerschaft in Deutschland sich um die Mitte herum definiert – der Medianwähler steht mittlerweile sogar leicht links davon. Zugleich ist das Feld rechts von der Mitte durchaus bevölkert und wäre so für die AfD ein lohnender Markt, vor allem wenn andere Parteien dort nicht gesehen werden und die Entwicklung der Flüchtlingspolitik möglicherweise neue Nachfrage eröffnet. Die Anzahl der Bürger, denen der Flüchtlingszustrom Sorgen bereitet, steigt kontinuierlich – in den Zahlen des IfD Allensbach vom Oktober 2015 sagen 54 % „große Sorgen“ und nochmals 38 % „etwas Sorgen“.11 Zugleich fühlen sich viele Bürger in den Medien nicht mehr wahrgenommen: In einer Umfrage von TNS Forschung von Anfang Dezember 2015 glaubten 59 % (bei den 18- bis 29-Jährigen sogar 68 %), dass die deutschen Medien über die Flüchtlingskrise nicht ausge8

Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer Januar II 2015. Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer November II 2015. 10 Infratest dimap: Deutschland Trend November 2015. 11 Köcher, Renate: Kontrollverlust – die Besorgnis der Bürger wächst, in: FAZ, 21. 10. 2015. 9

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wogen berichten.12 Von der erwachsenen Bevölkerung glauben 39 % (im Osten sogar 44 %), am Vorwurf der „Lügenpresse“ sei etwas dran. Etwa die Hälfte kritisiert, es werde zu wenig über die Risiken des Flüchtlingsstroms berichtet und 41 % haben den Eindruck, dass kritische Stimmen weitgehend ausgeblendet werden.13 Es liegt auf der Hand, dass die AfD in der Flüchtlingsthematik ihre große Chance sieht. Für die AfD ergibt sich das strategische Problem, dass sie sich rechts genug platzieren muss, um möglichst viele Wähler in diesem (tendenziell rückläufigen) Segment ansprechen zu können. Ein Weg zurück zu einer liberaleren eurokritischen Partei ist nach der Abspaltung des Lucke-Flügels nicht mehr möglich. Jede weitere Profilierung in die andere Richtung wird sie der unerbittlichen Dauerkritik praktisch aller anderen politischen Kräfte und insbesondere von Medien und Publizistik unterziehen. Als einziges Megathema der Partei ist die Flüchtlingsproblematik zu erkennen. Jede Verbesserung in diesem Bereich wird die AfD im Laufe des Jahres 2016 Zuspruch kosten, auch wenn sich das bei den Landtagswahlen im März 2016 noch nicht in vollem Umfang gezeigt hat. Zu Beginn des Jahres 2016 treten also mehrere Facetten des Bildes der AfD in den Vordergrund. In den bisherigen Wahlen hat sie schon bisher zum geringeren Teil von Zuwächsen von den großen Parteien und insbesondere von CDU und CSU profitiert. Dies dürfte auch künftig so bleiben. Allerdings eröffnen ihr die gesunkene Wahlbeteiligung und damit die geringere Ausschöpfungsquote der großen Parteien größere Spielräume. Sie ist daher ein typisches Angebot für unsichere und experimentierfreudige Wähler. Die Eurokritik war – entgegen manchem Bild in der Öffentlichkeit – schon bisher nur für einen geringen Teil der AfD-Wähler das entscheidende Motiv. Auch daran wird sich nichts ändern. Angesichts der latenten Grunddisposition eines großen Teiles ihrer Wählerschaft bietet die Flüchtlingskrise eine große Chance für die AfD. Dies eröffnet ihr Mobilisierungspotenzial in weiten Teilen der sich sozial und kommunikativ abgehängt fühlenden Bevölkerung, insbesondere im Osten. Hierfür ist es nicht entscheidend, dass die AfD über kein wirklich überzeugendes Personal auf Bundes- wie auf Landesebene verfügt. Kurzfristig kann sie auch als Phantompartei mobilisieren, wie es anderen Parteien (etwa die DVU in einigen Ländern des Ostens) auch schon gelungen ist. Die Pegida-Bewegung – Regionalphänomen oder gesamtdeutsche Protestbewegung? Am 20. Oktober 2014 startete die Organisation „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) erstmals eine Demonstration in Dresden. Zu dieser kamen 350 Teilnehmer. In der Folge wurden diese Demonstrationen wöchentlich immer Montags mit steigender Teilnehmerzahl wiederholt. Die Pegida ist 12 13

Aufstand der Ängstlichen, in: Spiegel 51/2015, S. 18 – 27. Köcher, Renate: Vertrauen und Skepsis – Bürger und Medien, in: FAZ, 16. 12. 2015.

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seit dem 19. Dezember 2014 als Verein eingetragen (Pegida e.V. – Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Als Vereinszweck wird die „Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischen Verantwortungsbewusstseins“ genannt. Die Teilnehmerzahl an den Dresdner Demonstrationen steigerte sich nach Polizeiangaben auf 5.500 am 24. November 2014, auf 17.500 am 22. Dezember 2014 und auf 25.000 am 12. Januar 2015. Danach geriet die Führung der Bewegung in eine Krise: Gegen den Gründer der Dresdner Pegida-Gruppe, Lutz Bachmann, leitete die Staatsanwaltschaft Dresden im Januar 2015 ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Volksverhetzung und Beleidigung ein (ausländerfeindliche Äußerungen, Bild in Hitler-Pose). Nach Kritik an ihm aus dem Vereinsvorstand („Orga-Team“) trat er am 21. Januar 2015 von seinen Ämtern zurück. Wenige Tage danach traten mehrere Vorstandmitglieder ihrerseits aus dem Vorstand zurück. Begründung war im Wesentlichen der Verbleib Bachmanns im Verein und der Schulterschluss mit Legida in Leipzig, die durch noch radikaleres Auftreten aufgefallen war. Ende Februar 2015 wurde er angeblich vom Vorstand der Pegida zum Vorsitzenden bestimmt.14 Auch Pegida hatte bald eine Abspaltung zu verkraften. Das bisherige Vorstandsmitglied Kathrin Oertel gründete nach dem Rücktritt Bachmanns einen eigenen Verein mit dem Titel „Direkte Demokratie für Europa“ (DDFE) in Dresden und kündigte eigene, von Pegida unabhängige Kundgebungen an. Zur ersten Demonstration am 8. Februar 2015 (Sonntagnachmittag) kamen (bei angeblich 5.000 Anmeldungen) nach Polizeiangaben nur 500 Teilnehmer. Am 19. Februar 2015 waren laut Pressemitteilungen nur noch 100 Teilnehmer zu verzeichnen. Nachdem eine Veranstaltung Anfang März 2015 ganz ausfiel, kündigte Oertel kurz darauf an, keine Kundgebungen in Dresden mehr organisieren zu wollen. Eine Rückkehr zu Pegida ließ ihre Erklärung offen.15 Nach wenigen Wochen war diese Konkurrenzgruppe gescheitert. In den folgenden Monaten schwankten die Teilnehmerzahlen deutlich. An der ersten Pegida-Demonstration in Dresden nach der Spaltung nahmen am 9. Februar 2015 nur noch 2.000 Mitwirkende teil. An der folgenden Demonstration am 16. Februar 2015 waren es laut Polizeiangaben 4.300 Menschen. Bei dieser Veranstaltung gab Lutz Bachmann bekannt, Pegida wolle bei den nächsten Oberbürgermeisterwahlen in Dresden einen eigenen Kandidaten aufstellen.16 Am 23. Februar nahmen wieder knapp 5.000 Teilnehmer an der Pegida-Demonstration in Dresden teil.17 Auf der Demonstration vom 30. März 2015 mit 2.900 Teilnehmern war Hauptrednerin die frühere AfD-Politikerin Tatjana Festerling. Sie wandte sich gegen „Hassprediger“, eine

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Vgl. Tagesspiegel, 24. 2. 2015. Vgl. Bild, 10. 3. 2015. 16 Vgl. FAZ, 18. 2. 2015. 17 Vgl. Tagesspiegel, 24. 2. 2015. 15

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„Mega-Moschee“, gegen „linksgrüne Spinner“ und den „Terror schwul-lesbischer Minderheiten“.18 Weiteres Mobilisierungspotenzial versprachen sich die Organisatoren von einem Auftritt des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, der am 13. April auftreten und 30.000 Teilnehmer ansprechen sollte.19 Diese Veranstaltung zog allerdings lediglich etwa 10.000 Teilnehmer an und erreichte damit nicht die von Pegida gewünschte Wirkung. Auch insgesamt 3.000 Gegendemonstranten waren zugegen.20 Allerdings erzielte der Auftritt von Wilders mehr Medienecho als die vorherigen Montagsversammlungen. Wilders plädierte dafür, dass „unsere eigene christlich-jüdische Kultur die Leitkultur“ bleibe. Die meisten Politiker, Medien- und Kirchenvertreter, so Wilders, verschließen die Augen vor der Gefahr der Islamisierung. „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber die meisten Terroristen sind Muslime.“ Bei der Oberbürgermeisterwahl in Dresden am 7. Juni 2015 kam die von Pegida unterstützte Kandidatin Tatjana Festerling nur auf 9,6 % der abgegebenen Stimmen. Erst der rasante Anstieg der Asylbewerberzahlen Anfang September 2015 brachte spürbaren Zulauf für die Pegida-Märsche. Am Marsch in Dresden am 7. September 2015 nahmen laut Lutz Bachmann (unter Berufung auf angebliche Zahlen der Polizei) 10.600 Menschen teil. Laut Angaben der Studentengruppe „Durchgezählt“ waren es aber nur zwischen 4.000 und 4.500, was aber immer noch einen deutlichen Wiederanstieg bedeutete. Hauptredner waren wieder Bachmann und Tatjana Festerling, die vor allem die Zuwanderung thematisierten. Festerling forderte dabei u. a. eine „militärische Absicherung“ unserer Grenzen.21 Der Zuspruch zu Pegida hielt auch in der Zeit danach an: Am 28. September 2015 fand die Veranstaltung in Dresden wieder großen Zulauf. Laut unabhängigen Schätzungen nahmen zwischen 7.000 und 8.500 Menschen teil. Laut dpa lag die Teilnehmerzahl sogar bei 10.000.22 Neben Lutz Bachmann, der sogar von 20.000 Teilnehmern sprach, trat der Schweizer Rechtspopulist Ignaz Bearth auf. Neben den üblichen Äußerungen zur „Lügenpresse“ wurden anscheinend auch Journalisten tätlich angegriffen.23 Auch Bundeskanzlerin Merkel wurde wieder kritisiert; so warf Tatjana Festerling ihr vor, sie betreibe die „Abschaffung“ Deutschlands.24 Der Zustrom an Flüchtlingen sorgte auch weiterhin für Zulauf bei diesen Veranstaltungen. Am Sonntag, den 4. Oktober 2015, nahmen zwischen 2.500 und 3.000 Menschen an einer Veranstaltung in Sebnitz an der tschechischen Grenze teil, zu der Tatjana Festerling aufgerufen hatte. Bei dieser Veranstaltung sollte, so Festerling, symbolisch die Grenze vor „Eindringlingen“ gesichert werden. Sie sprach 18

Vgl. Sächsische Zeitung, 30. 3. 2015. Vgl. Spiegel Online, 6. 4. 2015. 20 Vgl. MDR, 14. 4. 2015. 21 Vgl. epoch-times, 7. 9. 2015. 22 Vgl. zeit.de, 28. 9. 2015. 23 Vgl. sz.de, 29. 9. 2015. 24 Vgl. epoch-times, 29. 9. 2015. 19

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sich weiter für Grenzkontrollen und den Stopp vor einem „ungehinderten Zuzug“ aus. Es drohe die „Umvolkung in eine europäisch-afrikanische Mischbevölkerung“.25 Am 12. Oktober 2015 fand die Kundgebung von Pegida noch größeren Zulauf: Laut der Studentengruppe „Durchgezählt“ waren es zwischen 7.500 und 9.000 Teilnehmer; die Veranstalter sprachen wieder von 20.000 Teilnehmern. Tatjana Festerling forderte dort die Abspaltung des Freistaats Sachsen von der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union.26 Gleichzeitig wurden deutlich radikalere Parolen präsentiert: Neben Rufen wie „Merkel muss weg“ oder „abschieben, abschieben“ wurde auf einem Plakat mit Angela Merkel diese als „Mutter Terroresia“ bezeichnet. Andere wandten sich gegen „Deutschenhasser“, die „Asylmafia“ und das „Politikerpack“. Es wurde auch ein Galgen mitgeführt, auf dem symbolisch Angela Merkel und Sigmar Gabriel aufgehängt werden sollten.27 Lutz Bachmann bezeichnete die Bundesregierung als „unsere Berliner Diktatoren“.28 Für den 19. Oktober 2015 war eine große Jubiläumsveranstaltung zum einjährigen Geburtstag von Pegida geplant. Kurz zuvor hatte der Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor einer Teilnahme an der Veranstaltung gewarnt. „Diejenigen, die das organisieren, sind harte Rechtsextremisten. Sie bezeichnen Asylbewerber pauschal als Verbrecher und Politiker als Hochverräter. Das ist fernab jedes demokratischen Konsenses.“ Jeder, der da hingehe, müsse wissen, „dass er Rattenfängern hinterherläuft“.29 Dennoch fand die Veranstaltung am 20. Oktober 2015 nochmals größeren Zulauf: Laut einer studentischen Initiative betrug die Teilnehmerzahl 15.000 bis 20.000 Demonstranten, während Lutz Bachmann selbst von 39.000 Teilnehmern sprach. Auch etwa 14.000 Gegendemonstranten waren erschienen. Am Rande der Veranstaltung kam es auch immer wieder zu Auseinandersetzungen. So sollen Pegida-Anhänger zwei Marokkaner angegriffen haben. Umgekehrt wurde ein Pegida-Anhänger verletzt und Gegendemonstranten griffen die Polizei an. Neben den üblichen Einlassungen fiel der Autor Akif Pirincci auf, der sagte, die Politiker seien „Gauleiter gegen das eigene Volk“, die eine „Umvolkung“ in Deutschland betrieben. Bezogen auf die angebliche Verfolgung der Pegida-Anhänger sagte er: „Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“.30 Ansonsten gab es keine prominenten Redner zu verzeichnen. Die Veranstaltung am 9. November 2015 zog laut der Initiative „Durchgezählt“ zwischen 7.500 und 8.000 Teilnehmer an. Gleichzeitig nahmen auch zwischen 4.000 und 6.000 Demonstranten an der Gegenveranstaltung unter dem Titel „Herz gegen Hetze“ teil, darunter auch mehrere bekannte Vertreter von CDU, SPD, Linken

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Vgl. mdr.de, 5. 5. 2015. Vgl. mdr.de, 13. 10. 2015. 27 Vgl. spiegel-online.de, 13. 10. 2015. 28 Vgl. faz.net, 13. 10. 2015. 29 Vgl. tagesschau.de, 19. 10. 2015. 30 Vgl. spiegel-online.de, 20. 10. 2015. 26

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und Grünen.31 Auf Plakaten wurden erneut drastische Aussagen gezeigt: Angela Merkel wurde wieder als „Mutter Terroresia“ bezeichnet und es fanden sich Parolen wie „Asylantenflut stoppen – jeder ist einer zu viel“ oder „Deutschenhasser und Politikerpack in den Gulag“.32 Im neuen Jahr 2016 schienen zunächst die Gewaltausbrüche gegen Frauen in der Silvesternacht – vor allem am Kölner Hauptbahnhof – der Bewegung neuen Schwung zu verleihen. Am 9. Januar 2016 versammelten sich in Köln 1.700 Anhänger von Pegida, von denen nach Polizeiangaben 700 der organisierten Hooligan- und Nazi-Szene zuzurechnen waren.33 Dabei handelte es sich um die größte Pegida-Demonstration außerhalb Dresdens seit längerer Zeit. Am 11. Januar 2016 fand in Leipzig ein Legida-Aufmarsch zum Jahrestag der dortigen Bewegung statt, an dem 3.400 Teilnehmer mitmarschierten. Pegida Dresden hatte auf eine eigene Veranstaltung verzichtet und stattdessen zum Mitmarschieren in Leipzig aufgerufen – auch Lutz Bachmann nahm teil. Eine Gegendemonstration verzeichnete zwischen 2.300 und 2.800 Menschen. Am Rande der Veranstaltung zogen etwa 250 vermummte Hooligans aus der Fußball-Szene durch das linksautonome Szeneviertel Connewitz und richteten erheblichen Sachschaden an.34 Tatjana Festerling bezog sich in ihrer Rede vor allem auf die Vorkommnisse in Köln: „Der Staat ist nicht mehr in der Lage, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen.“ Die Deutschen seien nur noch gut, „um als Arbeitsbienen das Geld zu verdienen, das die Politik mit vollen Händen in die Asylindustrie pumpt“.35 Beispiele für vergleichbare Äußerungen lassen sich immer wieder finden. Trotz kontinuierlicher Aktionen ist aber Anfang 2016 eine gewisse Stagnation nicht zu übersehen. Auch der groß angekündigte europaweite Aktionstag am 6. Februar 2016 war nur ein mäßiger Erfolg: In Dresden kamen statt der erwarteten 15.000 Demonstranten nur höchstens 8.000 bei etwa 1.000 Gegendemonstranten. Fazit: Eine neue Bedrohung in den Parlamenten und im außerparlamentarischen Raum? Sowohl die AfD wie Pegida haben sich kurzfristig auf niedrigem Niveau in der politischen Landschaft Deutschlands etabliert. Ob ihnen das auch mittel- und langfristig gelingen wird, ist eine offene Frage. Für Pegida gilt nach wie vor die Feststellung, dass die Bewegung hauptsächlich ein Dresdner Phänomen ist. In einer der ersten Analysen der Bewegung von Prof. Dr. Hans Vorländer von der TU Dresden hatte er (auf der Basis einer Umfrage am 22. 12. 2014 sowie am 5. und 12. 1. 2015 unter den Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen, die aufgrund von 400 Antworten am ehesten repräsentativen Charakter hatte) dies belegt. Die Studie von Prof. Vorländer 31

Vgl. mdr.de, 10. 11. 2015. Vgl. sz-online, 16. 11. 2015; welt.de, 16. 11. 2015. 33 Vgl. faz.net: „Wir wussten das schon vorher“, 10. 1. 2016. 34 Vgl. spiegel.de, 12. 1. 2016. 35 Vgl. epoch-times, 12. 1. 2016. 32

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kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Pegida-Teilnehmern (zumindest zu dieser Zeit) keineswegs in Gänze um einen extremistischen Mob handelte. Seine Zusammenfassung: „Der ,typische‘ Pegida-Demonstrant entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteienverbundenheit aus und stammt aus Dresden oder Sachsen.“ Weitere Ergebnisse der Studie: 75 % der Pegida-Demonstranten waren männlich, 28 % haben einen Hochschulabschluss, 73 % waren konfessionslos. 62 % fühlten sich keiner Partei verbunden, aber immerhin 17 % der AfD – der höchste Wert für alle Parteien. Insgesamt 74 % kamen aus Dresden oder dem restlichen Sachsen. Als Grund für die Teilnahme gaben 54 % an „Unzufriedenheit mit der Politik“, 20 % „Kritik an Medien und Öffentlichkeit“ und 15 % grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern. Innerhalb der Antwortkategorie „Unzufriedenheit mit der Politik“ waren die meisten Nennungen mit 23 % eine allgemein empfundene Distanz zwischen Volk und Politikern, 20 % Unzufriedenheit mit der Asylpolitik, 18 % Unzufriedenheit mit dem politischen System der Bundesrepublik und 15 % allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik. Islam, Islamismus und Islamisierung wurden hingegen nur von 23 % als Grund für die Teilnahme genannt.36 Ende 2015 wurden in einer weiteren Studie des „Göttinger Instituts für Demokratieforschung“ wieder Daten über die Zusammensetzung von Pegida erhoben.37 Danach ist gegenüber einer früheren Erhebung desselben Instituts von Anfang 2015 der Anteil der älteren Teilnehmer sowie der mit Berufsschulabschluss angestiegen. Nach wie vor sind fast drei Viertel der Teilnehmer männlich. Der Großteil gab auch hier an, Vollzeit zu arbeiten und 45 % schätzten ihre Lage als sehr gut oder gut ein. Die Teilnehmerschaft scheint immer noch aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen. Bei den Einstellungen überwiegt klar die Skepsis gegen zahlreiche politische Institutionen. Gut drei Viertel (77,4 %) gaben diesmal an, bei der nächsten Bundestagswahl die AfD wählen zu wollen. Inwieweit diese Ergebnisse nach wie vor aussagekräftig sind, ist schwer zu sagen. In der öffentlichen Meinung wurden zumeist die auffälligen und menschenverachtenden Aussagen betont. Dies wurde vielen Medien durch entsprechende Äußerungen führender Pegida-Redner und -Demonstranten leicht gemacht. Dennoch spricht einiges dafür, dass die Dresdner Märsche zu großen Teilen aus der Mitte des Volkes (zumindest aus Dresden und Umgebung) bestückt worden sind. Sämtliche anderen Gida-Versuche waren bisher von weit weniger Demonstranten und deutlich mehr Ge36 Vorländer, Hans: Wer geht warum zu PEGIDA-Demonstrationen? Präsentation der ersten empirischen Umfrage unter PEGIDA-Teilnehmern, Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung, TU Dresden, Januar 2015. Weitere Ergebnisse derselben Forschergruppe siehe Vorländer, Hans / Herold, Maik / Schäller, Steven: PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung, Wiesbaden 2016, S. 71 ff. 37 Finkbeiner Florian / Schenke, Julian / Trittel, Katharina u. a.: PEGIDA: Aktuelle Forschungsergebnisse, Göttingen 31. 1. 2016, www.demokratie-goettingen.de.

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gendemonstranten besucht worden. Möglicherweise anders als manch kleinere Nachahmergruppe im In- und Ausland kann die Dresdner Bewegung auch nicht mehrheitlich, so Hans Vorländer, als „antidemokratisch, diktaturaffin oder gar neo-nationalsozialistisch charakterisiert“ werden.38 Die ihr grundlegende Politikkritik hat immer wieder zu einem Rückgang der Mitwirkenden selbst in Dresden geführt, der nur nach spektakulären Ereignissen (Terroranschläge, wachsende Flüchtlingszahlen) wieder angestiegen ist. Jede Beruhigung auf diesen Gebieten könnte auch wieder zu einem Nachlassen des Interesses an Pegida führen. Ein erfolgreiches Exportmodell für andere Regionen Deutschlands oder Europas war sie bisher ohnehin nicht. Sie könnte sich aber zu einer, so Vorländer, „dauerhaften rechtspopulistischen Empörungsbewegung“ entwickeln.39 Diese könne sich in ihrer Nische etablieren, denn „empörte, daueranklagende Frust- und Wutbürger sind ein leicht instrumentalisier- und verführbares Potenzial für Demagogen aller Art“.40 Pegida ist auch nicht der außerparlamentarische Arm der AfD. Zwar dürften sich unter ihren Anhängern überproportional viele Wähler der AfD finden und mit Tatjana Festerling hat die Bewegung eine bekannte ehemalige AfD-Politikerin in ihren Reihen, die sogar am 18. Januar 2016 zur Wahl der AfD bei den nächsten Landtagswahlen aufgerufen hat.41 Am 9. Mai 2016 nahm der AfD-Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, an der Demonstration teil. Aber insgesamt kämpft die AfD an einer anderen Front. Selbst nach dem Austritt des Flügels um Bernd Lucke geht die Partei offiziell auf Distanz zu Pegida. Eine direkte Kooperation hat sie nicht nötig und wäre strategisch unklug, da sie ohnehin als Anti-Establishment-Protestpartei wahrgenommen wird. Diese hat zwar ihre Schwerpunkte im Osten Deutschlands, aber eine zu große Nähe zur Dresdner Pegida würde ihr dort wie im Westen schaden. Beide Phänomene können noch eine Weile aktiv bleiben. Dies gilt vor allem dann, wenn die Flüchtlingskrise und die Kritik an der EU weiter anhalten – und sich beide Krisen gegenseitig aufstacheln. Dennoch ist eine echte Bedrohung der Demokratie in Deutschland nicht auszumachen. Pegida wird über ihren Schwerpunkt Dresden nicht hinauskommen und anderswo in Deutschland und Europa lediglich kleine Gruppierungen von Nachahmern bilden. Sollte der dort geäußerte Verbalradikalismus weiter ansteigen, dann wird die Kritik und Ausgrenzung der Bewegung noch stärker und sie riskiert zudem den Verlust bürgerlicher Mitmarschierer. Einen Einfluss auf politische Entscheidungen kann sie als außerparlamentarische Bewegung ohnehin nicht nehmen. Sie scheint eher eine Ausformung des organisierten Wutbürgertums mit rechtspopulistischer Ausprägung und regionalem Schwerpunkt zu sein – von der Form her 38

Locke, Stefan: Pegida, die Selbsthilfegruppe gegen Einsamkeitsgefühle, in: FAZ.net, 25. 1. 2016. 39 Ebd. 40 Vorländer / Herold / Schäller: PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung, S. 2. 41 Bender, Justus / Locke, Stefan: Die Nacht der langen Mistgabeln, in: FAZ, 19. 1. 2016.

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nicht viel anders als die Demonstranten gegen Stuttgart 21 oder TTIP, allerdings mit fast komplett unterschiedlicher Teilnehmerschaft. Dies legen Untersuchungen wie die der Anti-TTIP-Demonstration in Berlin am 10. Oktober 2015 nahe, deren Mitwirkende sich zu etwa 70 % als links oder gemäßigt links eingestuft haben.42 Die demoskopischen Befunde zu Beginn des Jahres 2016 legen nahe, dass die AfD auch in weitere Parlamente einziehen könnte. Aber über den Status einer marginalisierten Kleinpartei werden sie nicht hinauskommen. Als Regierungspartner werden sie auf absehbare Zeit nicht in Frage kommen. Allerdings können sie die Koalitionsmöglichkeiten in einzelnen Parlamenten einschränken und dadurch indirekt zur Stabilisierung der etablierten Parteien beitragen. Insgesamt kann die weitere Existenz der AfD bei fortlaufenden Problemlagen auch dazu führen, dass politische Lösungsansätze vor allem im Bereich Migration und Integration schneller getroffen und von breiteren Mehrheiten verschiedener Parteien unterstützt werden können. Dies wäre eher ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie in Deutschland.

Dr. Gerhard Hirscher ist Referent für Grundsatzfragen der Politik, Parteien- und Wahlforschung in der Akademie der Hanns-Seidel-Stiftung, München.

42 Daphi, Priska / Haunss, Sebastian / Sommer, Moritz u. a.: Für Demokratie und gegen die Macht der Konzerne. Motive und Merkmale der Teilnehmenden der Demonstration TTIP & CETA stoppen. Für einen gerechten Welthandel! am 10. Oktober in Berlin, Institut für Protestund Bewegungsforschung, Berlin 2015.

Schreiben Sie das auf! Vom Vertrauensverlust in die politischen Institutionen Von Jasper von Altenbockum Institutionen müssen sich ständig neu rechtfertigen. Das kann durch wirtschaftlichen Erfolg, durch demokratische Legitimation, durch lebensweltliche Erfahrung, durch Information geschehen. Vertrauen entsteht aber nicht durch Wahlen oder Berichterstattung. Vertrauen setzt Autorität voraus, und Autorität entwickeln politische Institutionen nur durch Entscheidungen, die im Alltag der Bürger als Verbesserung wahrgenommen werden. * Vorweg eine Geschichte aus dem Alltag eines Redakteurs. Eine Politikerin erzählte mir zu Beginn der Flüchtlingskrise am Telefon aus ihrem Wahlkreis. Es ging um Geschichten, die sie erlebt hatte, um Gespräche, die sie geführt hatte, um das pralle Leben und um ihren Alltag als direkt gewählte Abgeordnete, aber durchweg auch um politische Themen, die den Leuten auf den Nägeln brennen. Ich sagte ihr: Schreiben Sie das auf! So, wie Sie mir das jetzt erzählt haben! Ich sagte ihr auch warum: Politiker redeten und schrieben viel zu oft über ihre Arbeit, sie reflektierten, analysierten und polemisierten, aber bildeten viel zu selten ihre alltägliche Arbeit, ihre Kontakte, ihre Meinungsbildung, ihre Wirklichkeit ab – und damit auch viel zu selten die Wirklichkeit „ihrer“ Bürger. Das aber, das „Authentische“ sei es, was die Leute neugierig mache, was sie schätzten und was sie Politik, Politikern und den politischen Institutionen wieder näher brächten. Nach ein paar Tagen kam ein Text, der genau das nicht war: Es war wieder ein Bericht, der aus der Vogelperspektive geschrieben war, der abstrakt reflektierte und politische Botschaften transportierte, aber nicht die unmittelbare Wirklichkeit. Ich rief die Politikerin an und fragte, ob ein Missverständnis vorliege. Nein, antwortete sie, es sei nur so, dass sie in der Luft zerrissen werde, wenn sie die Wirklichkeit eins zu eins beschreibe und frisch von der Leber weg erzähle. Die Politikerin verhielt sich ganz ähnlich wie ein wachsender Teil ihrer Wählerschaft. Fast jeder zweite Befragte sagte dem Institut für Demoskopie in Allensbach, er habe diese oder jene Meinung, aber er behalte sie für sich, weil er Angst habe, anzuecken oder, schlimmer, „fertig gemacht“ zu werden. Das mag in der Flüchtlingspolitik besondere Gründe haben. Es zeigt aber, wie Öffentlichkeit und erlebte Wirklichkeit auseinander driften. Für politische Institutionen, zumal für den Bundestag,

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kann das fatale Konsequenzen haben, besonders dann, wenn es in Bereichen, die als existenziell empfunden werden, wie in der Flüchtlingskrise, keine innerparlamentarische Opposition gibt. Politik und Medien sitzen dabei übrigens im selben Boot: In dem Maße, wie der Politik und ihren Institutionen pauschal vorgeworfen wird, sie entferne sich von der Wirklichkeit, in dem Maße trifft dieser Vorwurf pauschal auch die Medien. Das Ergebnis sind „Wutbürger“ wie in Stuttgart, sind aber auch „Hassbürger“, die mit dem Anspruch „Wir sind das Volk“ als Minderheit eine Mehrheit beanspruchen und damit die Wirklichkeit wiederum auf den Kopf stellen. Symptomatisch ist, dass die Kriminalisierung der Bundestagsabgeordneten und der Regierung als „Volksverräter“ mit der Kriminalisierung der Presse als „Lügenpresse“ kombiniert wird. Der Vertrauensverlust, den Institutionen wie der Bundestag oder Abgeordnete bis hin zur Verachtung erfahren, ist über weite Strecken tatsächlich ein Medienphänomen. Das Erstaunliche: Je mehr die Bürger mit diesen Institutionen in Form von persönlichen Kontakten und direkten Bekanntschaften zu tun haben, desto größer ihr Vertrauen. Nur bei zwei Institutionen ist es umgekehrt: beim Bundespräsidenten, dem „Ersatzkönig“ der Deutschen, und beim Bundesverfassungsgericht, das sehr hohes Ansehen genießt, obwohl es von allen wichtigen politischen Institutionen in Deutschland die geringste demokratische Legitimation vorzuweisen hat. Für das magere Vertrauen, das dagegen Politiker und ihre Institutionen genießen, sei wieder eine Untersuchung des Instituts in Allensbach zitiert. 2014 veröffentlichte das Institut die Ergebnisse einer Befragung, die zahlreiche negative Klischees über Politiker zutage förderte. Die Interviewer hatten eine Liste mit Eigenschaften überreicht, die den „meisten Politikern“ zugeordnet werden sollten. Knapp 60 Prozent wählten die Feststellung: „Ist vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht“, mehr als 40 Prozent die Eigenschaften „realitätsfern“ und „abgehoben“, dicht gefolgt von „arrogant“ und „rechthaberisch“. Nur 26 Prozent wählten als repräsentative Eigenschaft, dass Politiker „klug“ seien. Fast spiegelverkehrt, schrieb Thomas Petersen in seiner Auswertung, seien die Werte, wenn Politiker beschrieben werden sollten, die den Befragten persönlich bekannt sind. Da stellte jeder zweite Befragte fest, sie seien „sympathisch“ und „kompetent“ – egal, auf welcher Ebene die Abgeordneten tätig waren. Warum das so ist, kann jedermann nachvollziehen, der in Film oder Fernsehen mit fiktiven Politikern konfrontiert wird. Sie werden dort wahlweise als korrupt und inkompetent, karriere- und streitsüchtig, als verschlagen und gierig, ja gerne auch als Verbrecher in mafiösen Netzwerken dargestellt. Journalisten haben dagegen das Privileg, wenigstens ab und zu noch als investigative Spürnasen dargestellt zu werden, die etwas aufdecken. Richtig: korrupte Politik. Die Ironie dieser Bedienung von Klischees ist es, dass deren Autoren und Regisseure an vorderster Front stehen, wenn es darum geht, die Politikerverachtung etwa von „Pegida“ zu kritisieren – eine Verachtung, die sie selbst mit hervorgerufen haben.

Schreiben Sie das auf!

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Kritik an politischen Institutionen, vor allem am Bundestag und an Parteien, hat allerdings auch damit zu tun, dass deren Arbeit immer komplizierter wird, immer spezialisierter, deshalb tatsächlich auch „undurchschaubarer“ und schwer vermittelbar. Das verbreitete Misstrauen gegenüber politischen Entscheidungen und deren institutionellen Trägern ist auch ein Ergebnis davon, dass es kaum noch eine Öffentlichkeit für deren Funktionen, Methoden und Alltag gibt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Bestseller des kürzlich verstorbenen Schriftstellers Roger Willemsen über das „Hohe Haus“, den Bundestag. Es ist eine Abrechnung mit dem vermeintlichen Alltag des deutschen Parlamentarismus, obwohl der wirkliche Alltag, die Arbeit in Ausschüssen und Fraktionen, gar nicht dargestellt wird. Aber auch in der täglichen Berichterstattung über „Politik“ hat sich das Gleichgewicht zwischen nachrichtlicher Beschreibung dessen, wie etwas zustande gekommen ist, und meinungsgesättigter Darstellung institutioneller Arbeit in den vergangenen Jahren verschoben. Bevor minutiös recherchiert und beschrieben wird, wie ein Gesetz entstanden ist und welchen Interessen es dabei ausgesetzt war, ist viel schneller und bequemer kommentiert, was ungenügend und mangelhaft ist, wo also „die“ Politik mal wieder auf ganzer Linie „versagt“ hat. Vertrauen ist allerdings nicht das Ergebnis von Information. Es gibt gesellschaftliche Institutionen, die jahrelang einen nicht gerade positiven Leumund hatten, über die auch selten positiv berichtet wird, wie die „Familie“ oder die „Ehe“ (besonders in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts), die aber dennoch ein so hohes Vertrauen, ja fast schon romantische Verklärung genießen wie kaum andere Institutionen – was wiederum daran liegen dürfte, dass die meisten Bürger, die sie persönlich erfahren haben, positive Erinnerungen damit verbinden. Umgekehrt ist über europäische Institutionen lange Zeit in der Regel positiv berichtet worden; dennoch verschlechtert sich das Zutrauen zusehends, das in diese Institutionen gesetzt wird. Auch da gilt: Je weiter entfernt, desto schwieriger wird es, dass die Autorität einer Institution auch Vertrauen einflößt. Was also tun? Nichts ist so vertrauenserweckend wie die Bewährung. Das zeigt die Flüchtlingskrise. Vor allem die Kommunen zeigen darin, was in ihren Institutionen steckt – vom Jugendamt bis zum Landratsamt. Selten hat es in Deutschland wahrscheinlich so viele Bürgerversammlungen gegeben wie im Jahr 2015, in denen um Vertrauen geworben wurde, meist erfolgreich. Je höher aber die politische Ebene, desto stärker wächst gleichzeitig die Skepsis gegenüber dem Wirklichkeitssinn der Institutionen, bis hin zu Vorwürfen wie „Staatsversagen“ und „Kontrollverlust“. Den Nachteil, nicht so nah an der Wirklichkeit der Bürger zu sein wie die Kommunen, können die staatlichen Institutionen nur wettmachen, indem sie tun oder tun lassen, was die anfangs erwähnte Abgeordnete in ihrem Wahlkreis getan hat. Dazu sind sie da. Vielleicht schreiben sie es ja auch mal auf, was sie dabei erleben. Dr. Jasper von Altenbockum ist verantwortlicher Redakteur für Innenpolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Nachwuchsprobleme von Parteien Von Hans Reichhart Das deutsche Parteienspektrum befindet sich derzeit in einem rasanten Umbruch. Mit den Piraten, der AfD oder der Alfa sind in den letzten Jahren neue Parteien entstanden, deren Umfrage- und Wahlergebnisse sprunghaft zunahmen, dann aber teilweise in noch schnellerer Geschwindigkeit wieder in den Bereich des kaum Messbaren verschwanden. Gleichzeitig erleben alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien einen deutlichen Rückgang der Mitgliederzahlen. * 2010 hatten die etablierten Parteien noch 1,357 Millionen Mitglieder.1 In den vergangenen fünf Jahren haben sich deren Mitgliederzahlen um ein Zehntel reduziert. Dieser Trend hält seit Jahren an. Allen etablierten Parteien gelingt es nicht dauerhaft, ihre Mitgliederzahlen zu halten oder zu steigern. Ausnahmen lassen sich nur in temporären Sondersituationen feststellen. So hat die CSU im Vorfeld der Zwei-DrittelMehrheit in Bayern 2003 ihre Mitgliedszahlen mittelfristig steigern können. Gleiches gilt für die FDP vor der Bundestagswahl 2009, als die Frustration über die Große Koalition die FDP für eine nicht unerhebliche Zahl an Wählern als einzig relevante Alternative erscheinen ließ und die Liberalen am Wahlabend mit 14 Prozent belohnt wurden. Hieraus jedoch eine allgemeine Untergangsstimmung für etablierte Parteien abzuleiten, ginge fehl. Zwar zeigen aktuelle Studien, dass Politikverdrossenheit auch bei Jugendlichen in Deutschland seit Langem typisch ist.2 Doch gerade angesichts der neuen Diskussionen um die Zukunft Europas und den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland erhält die Politisierung neue Dynamik. Der unverändert hohe Zuzug von Asylbewerbern beispielsweise rückt politische Debatten wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Auch junge Menschen entwickeln ein neues Interesse an Politik und den zugrunde liegenden Themen. Dies gilt für große allgemeine Fragestellungen ebenso wie für die Auswirkungen politischer Entscheidungen im privaten Umfeld. Dieses gestiegene politische Interesse bei Jugendlichen ist auch messbar: 1 Siehe hierzu http://www.rp-online.de/politik/deutschland/cdu-csu-spd-fdp-gruene-partei en-verlieren-mitglieder-aid-1.5660266. 2 Lebensentwürfe junger Frauen und Männer in Bayern. Studie im Auftrag des BayernForums der Friedrich-Ebert-Stiftung, München 2016; 17. Shell Jugendstudie: eine pragmatische Generation im Umbruch, Hamburg 2015.

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Bezeichneten sich im Jahr 2002 noch 30 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren als „politisch interessiert“, waren es im Jahr 2015 mit 41 Prozent deutlich mehr.3 Dieses wieder zunehmende Interesse an der Politik und die Begeisterung, hieran mitzuwirken, machen sich auch in der Jungen Union Bayern bemerkbar: Konnten im Jahr 2010 1.678 neue Mitglieder gewonnen werden, waren es 2013 2.285 und im Jahr 2015 2.071 neue Mitglieder. Damit hat die Junge Union Bayern in einem Jahr mehr neue Mitglieder gewonnen, als Grüne Jugend und Junge Liberale in Bayern insgesamt Mitglieder haben. Gründe für den Mitgliederschwund Insoweit von einem pauschalen mangelnden politischen Engagement auszugehen, das wäre bei Weitem verfehlt. Doch was sind die Gründe für die sinkenden Mitgliederzahlen bei politischen Jugendorganisationen? Altersgrenze Wie alle politischen Jugendorganisationen hat auch die Junge Union Bayern eine starre Altersgrenze. Mit Ende des Jahres, in dem ein Mitglied seinen 35. Geburtstag feiert, scheidet es zwangsweise aus.4 Dabei gewinnt die CSU-Nachwuchsorganisation jedes Jahr mehr neue Mitglieder hinzu als aktiv aus der Jungen Union Bayern austreten (im Jahr 2015 2.071 Neumitglieder gegenüber 1.357 Austritten). Bei den Mitgliederzahlen schlagen jedoch dennoch negativ die „Altersaustritte“ (im Jahr 2015 1.435) zu Buche. Verglichen mit dem Mitgliedermaximum der 1970er- und 80er-Jahre setzt bei der Altersgrenze derzeit ein zusätzlicher Negativeffekt ein: der demografische Wandel. Die veränderte soziodemografische Struktur der Gesellschaft führt zwangsweise auch zu sinkenden Mitgliederzahlen bei den politischen Jugendverbänden. Denn rein rechnerisch erreichen Jahr für Jahr weniger Menschen in Deutschland die Alterseintrittsgrenze als junge Menschen die Altersaustrittsgrenze passieren. Die Zahl aller potenziellen Mitglieder schrumpft. Dieser Effekt wirkt sich bei politischen Jugendverbänden deutlich stärker aus als bei ihren Mutterparteien, da die Zeitspanne für Ein- und Austritte deutlich höher ist als die maximal etwa 20-jährige Mitgliedschaft bei den Jugendorganisationen.

3

Vgl. 17. Shell Jugendstudie. Satzung der Jungen Union Bayern (in der Fassung vom 15. September 2014), München 2015, S. 9. 4

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Wandel der Mitgliederstrukturen Neben der Altersgrenze wirkt sich auch die zunehmende Akademisierung unserer Gesellschaft auf die Mitgliederzahl politischer Nachwuchsorganisationen aus. So hat die Zahl der Studierenden innerhalb der Jungen Union deutlich zugenommen. Zwar gaben bei einer Befragung im Jahr 2015 mehr als 10.000 Mitglieder ihre Berufe nicht an, jedoch bezeichneten sich über 8.000 Mitglieder als Schüler und Studenten, als Handwerker dagegen nur 1.410 und als Kaufleute 1.485. Durch die damit oftmals studiumsbedingten Ortswechsel nehmen aber gleichzeitig auch die Einbindung in Strukturen vor Ort und die Möglichkeiten, sich in vielfältiger Weise aktiv im Heimatort einzubringen, deutlich ab. Die hierdurch – aber auch durch eine spätere Arbeitsplatzwahl – bedingten Umzüge tragen unter anderem dazu bei, dass die durchschnittliche Dauer einer Mitgliedschaft in der Jungen Union Bayern nicht 10 oder 15, sondern lediglich 7,6 Jahre beträgt. Geringerer gesellschaftlicher Politisierungsgrad Mit dem gesellschaftlichen Wandel und der zunehmenden Mobilität geht auch ein nur geringer gesellschaftlicher Politisierungsgrad innerhalb der vergangenen Jahre einher. Zwar haben sich nach eigenen Angaben beinahe 56 Prozent der Jugendlichen bereits an einer oder mehreren politischen Aktivitäten beteiligt. Doch stehen hierbei an der Spitze der Boykott von Waren aus politischen Gründen und das Unterzeichnen von Petitionen.5 Ein unmittelbares Tätigwerden in organisierten Strukturen ist hiervon nicht erfasst und war aus Sicht vieler Jugendlicher auch nicht erforderlich. Die großen gesellschaftspolitischen und ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien (und auch ihren Jugendorganisationen) haben in den vergangenen Jahren bis Jahrzehnten nicht mehr stattgefunden. Vielmehr wurde insbesondere unter der „Schröder SPD“ und der „Merkel CDU“ ein Kampf um die Mitte aufgenommen, in dessen Rahmen Trennstriche zwischen den großen Volksparteien verschwammen und teilweise nur noch marginale Unterschiede ersichtlich waren (bzw. in Teilen auch noch sind). Die kaum mehr wahrnehmbaren Unterschiede zwischen den Parteien führen aber auch dazu, dass ein Engagement in politischen Jugendorganisationen nicht mehr als zwingend erforderlich erscheint. Politikverdrossenheit Die vorgenannten Aspekte erklären zwar die Gründe für sinkende Mitgliedszahlen auch in den Nachwuchsorganisationen von Parteien, jedoch fehlt ein essenzieller Aspekt, der sich wie ein roter Faden durch die politische Entwicklung der vergangenen Jahre zieht: die Politikverdrossenheit.

5

Vgl. 17. Shell Jugendstudie.

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Trotz einer großen Zufriedenheit mit der Institution der Demokratie an sich zeigen alle aktuellen Umfragen und Studien der vergangenen Jahre, dass gerade Jugendliche der Politik und vor allem den Politikern und Parteien nur sehr wenig vertrauen und sich sicher sind, dass sich die Politik nicht um die Belange oder das Interesse ihrer Altersgruppe kümmere.6 Damit befindet sich die Politik in der Gesellschaft von großen Unternehmen, Kirchen und Banken. Somit können Parteien auch nicht von dem gestiegenen Interesse Jugendlicher an politischen Inhalten profitieren. Eine dauerhafte Bindung an Parteien mit ihrer großen Bandbreite an Positionen und Meinungen, teils langwierigen Entscheidungsfindungsprozessen und einer „Mithaftung“ von Mitgliedern für die Äußerungen von Parteivorsitzenden oder herausgehobenen Vertretern kommt für viele nicht in Betracht. Gerade die mangelnde Flexibilität und thematische Breite etablierter Parteien stehen dabei häufig einem Beitritt entgegen. Dauerhafte Bindungen werden dabei als Hindernis angesehen, während kurzfristige Aktionen wie der Boykott von Waren aus politischen Gründen, das Unterzeichnen von Petitionen oder die Teilnahme an Demonstrationen oder Bürgerinitiativen eine weitreichende Zustimmung finden.7 Folglich zeigt sich seit Jahren, dass sich Jugendliche sehr wohl für Politik interessieren, aber sich unter anderem aufgrund des fehlenden Vertrauens nicht dauerhaft an Parteien oder Jugendorganisationen binden wollen. Konsequenzen für die Jugendverbände Trotz der absolut sinkenden Mitgliederzahlen bleibt ein insgesamt hohes Maß an Engagement junger Menschen in der Politik. Wie zuvor dargestellt, treten jedes Jahr gut 2.000 Neumitglieder der Jungen Union Bayern bei. Die absolut sinkenden Mitgliedszahlen dürfen über deren Bereitschaft zur politischen Teilhabe nicht hinwegtäuschen. Politische Bildung verstärken Wesentlicher und einer der ersten Ansatzpunkte, um mehr Begeisterung für die Politik zu wecken, ist die Schule. Zwar ist die politische Bildung bereits im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen festgehalten, doch muss in Zukunft noch ein stärkerer Fokus auf politische Zusammenhänge und Realitäten gelegt werden. Viele Planspiele, die der Bayerische Landtag und der Deutsche Bundestag anbieten, zeigen, dass gerade das aktive Erleben von Meinungsbildungsprozessen und eine intensive Beschäftigung mit politischen Themen nicht nur Verständnis für viele politische Prozesse schaffen, sondern auch Interesse an politischer Arbeit insgesamt wecken.

6 7

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 18 f.

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Politische Themen aufgreifen Der politische Diskurs über gesellschaftlich relevante Themen, der in den vergangenen Jahren wenig ausgeprägt war, ist durch die aktuelle Flüchtlingskrise wieder deutlich intensiviert worden. Jeder wird ganz persönlich durch die aktuellen Entwicklungen betroffen, kann sich eine Meinung bilden und viele führen im privaten Umfeld Diskussionen, wie es mit der Gesellschaft weitergeht. So bieten die Diskussionen, die um den „richtigen“ Umgang mit der Flüchtlingskrise geführt werden, auch die Chance, wieder junge Menschen für ein Engagement in politischen Parteien und Nachwuchsorganisationen zu begeistern. Diese Entwicklung schlägt sich auch aktuell in einer Zunahme der Eintritte von Neumitgliedern in die Jungen Union Bayern nieder. Doch nicht nur die aktuelle Flüchtlingskrise, sondern viele Themen, egal ob kommunal- oder landes- und bundespolitisch, die jeden in seiner Lebenswelt unmittelbar betreffen, bieten die Chance, Jugendliche für ein Engagement in der Politik zu begeistern. Wichtig ist, dass dabei klar Position bezogen wird und aktive Meinungsbildung in den jeweiligen Organisationen stattfindet. Konkretes Bewegen Politik ist kein Selbstzweck. Politik muss immer eine dienende Funktion erfüllen. Wer politisch tätig ist, muss auch das Gefühl haben, dass er positive Veränderungen herbeiführen kann. Diese Grundüberlegung gilt für alle Menschen gleich. Nur wenn ein tatsächlicher Mehrwert des individuellen Engagements ersichtlich ist, lohnt sich der Einsatz. Bei politischen Jugendverbänden liegt der Mehrwert in der gesellschaftlichen Debatte, dem Diskurs der Ideen, der Kommunikation und Lösung von Problemen und dem Aufbau eines Netzwerks. Innerhalb von Parteien und ihren Jugendverbänden müssen Entscheidungsstrukturen so aufgebaut sein, dass jedem Mitglied die Möglichkeit zur Teilhabe eröffnet wird. Ein unmittelbarer und offener Umgang mit allen Mitgliedern schafft die Bereitschaft, sich aktiv einzubringen. Nur wenn sowohl die Berufspolitiker als auch die ehrenamtlichen kommunalpolitischen Entscheidungsträger greifbare Ansprechpartner sind, kann der Austausch zwischen Basis und politisch Verantwortlichen funktionieren. Nur dann hat jedes Mitglied einen Mehrwert durch seine Mitgliedschaft. Ebenso müssen die Jugendverbände und ihre Mutterparteien auch dauerhaft Strukturen zu politischer Teilhabe ihrer Mitglieder auf allen Ebenen gewährleisten: sei es durch Mitgliederversammlungen, breite Mitgliederdiskussionsforen oder Mitgliederentscheide. Jeder politische Erfolg und jedes aktive Einbringen von Ideen auf jeder politischen Ebene bewirken einen enormen Multiplikatoreneffekt, der auch anderen zeigt, dass Politik aus der Debatte und ihrer konkreten Umsetzung besteht.

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Persönliche Beziehungen Jede Strategie zur Mitgliederwerbung kann aber nur zum Erfolg führen, wenn auch Köpfe vorhanden sind, die in der Lage sind, andere für ihre politischen Thesen zu begeistern und ein Team zu bilden. Politische Arbeit muss auch auf einer menschlichen Ebene Spaß machen. Deswegen ist es gerade für Jugendverbände wichtig, dass neben der inhaltlichen Diskussionskultur das persönliche Erleben eine herausgehobene Rolle spielt. Gesellschaftliche Aktionen, Freizeitaktivitäten und ein gutes Miteinander schaffen eine gemeinsame Identität. Viele Jugendliche engagieren sich anfangs in einer Jugendorganisation, weil es einfach Spaß macht, mit anderen zusammenzuarbeiten, neue Leute kennenzulernen und mit diesen etwas zu unternehmen. Politik kommt manchmal erst an zweiter Stelle. Insoweit steht und fällt der Erfolg jeder Jugendorganisation mit einigen wenigen engagierten politischen Köpfen. Sie müssen regional in ihren Orts- und Kreisverbänden andere begeistern und mitziehen. Fazit Uns allen ist bewusst, dass die Jugendorganisationen ähnlich den meisten Vereinen darum kämpfen müssen, ihre Mitgliederstruktur beizubehalten. Dies hat viele Gründe und es werden zahlreiche Strategien entwickelt, um dem Trend entgegenzuwirken. Klar ist, dass die heutige Gesellschaft nicht mehr die gleiche wie vor 30, 20 oder 10 Jahren ist. Man muss mit der Zeit mitgehen und teilweise auch schneller werden, um auf aktuelle Trends eingehen zu können. Auch die Politik muss diesen Weg gehen, gleichzeitig aber auch wieder in einen echten politischen Diskurs um die richtigen Lösungen eintreten. Ein Ringen um den richtigen Weg darf dabei nicht als Ausbrechen aus dem politischen Konsens betrachtet werden, sondern als essenziell, um auch allen politisch Interessierten demokratische Alternativen für ein Engagement aufzuzeigen. Gleichwohl steht und fällt der Erfolg aller Organisationen immer mit dem Engagement der Mitglieder vor Ort. Nur wenn begeisterte Köpfe vor Ort vorhanden sind, können auch neue Mitglieder gewonnen werden. Erfreulich ist, dass der Optimismus bei Jugendlichen in Deutschland weiter steigt. Über 60 Prozent der Jugendlichen blicken positiv in die eigene Zukunft.8 Dabei kommt es auch in Zukunft auf das Engagement jedes Einzelnen an. Jeder Einzelne ist hier gefragt, denn: „Deutschlands wertvollster Rohstoff ist nachwachsend: Es sind die jungen Leute.“ (Jürgen Rüttgers, CDU-Politiker). Dr. Hans Reichhart, MdL ist Landesvorsitzender der Jungen Union Bayern sowie u. a. Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration des Bayerischen Landtags. 8

Vgl. ebd., S. 15.

II. Außenpolitik

Außenpolitische Herausforderungen Von Florian Hahn „Wir haben es mit grenzenlosen Krisen, rücksichtslosen Störenfrieden und hilflosen Ordnungshütern zu tun.“1 Mit dieser Analyse zeichnet Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, ein bedrohliches Bild, das der westlichen Gemeinschaft Alpträume verschafft. Diese neue Weltunordnung hat viele Gründe. Wiedererstarkte Großakteure fordern die Regeln internationaler Zusammenarbeit heraus, neue Akteure überziehen die Welt mit Terror und Renationalisierungstendenzen stehen hoch im Kurs. Die globale Ordnung, wie wir sie seit dem Kalten Krieg kennen, steht unter immensem Druck. Der Umgang mit diesen Instabilitäten wird nicht nur Politiker fordern, Bürger und Gesellschaften werden gleichermaßen beansprucht. * Grenzenlose Krisen Während 2013 noch innenpolitische Inhalte wie die PKW-Maut, Mütterrente oder der Mindestlohn die beherrschenden Themen der Bundestagswahlen waren, sind seit rund zwei Jahren außenpolitische Herausforderungen in den Vordergrund gerückt. Der Syrienkonflikt, der transnationale Terrorismus, die Flüchtlingskrise oder die Beziehungen zu Russland bestimmen unsere Nachrichten. All diese Krisenherde können wir nicht mehr isoliert betrachten. Sie sind nicht nur unmittelbar verwoben, sondern reichen weit in die deutsche Innenpolitik hinein. Wir sind gezwungen, ganz massiv auf außenpolitische Kräfte zu reagieren. Gleichzeitig ist den Regierungen aufgrund der technologischen Entwicklungen das einstmalige Informations- und Definitionsmonopol abhanden gekommen. Zeit und Distanz erodieren in der virtuellen Welt, Außenpolitik ist nicht mehr nur Sache einer politischen und diplomatischen Elite. Man muss sich nur an die Wirkungen der Fotos der Demonstrationen auf dem ägyptischen Tahir-Platz, an das schreckliche Bild des toten Flüchtlingskinds Aylan oder auch an die Selfies einiger Flüchtlinge mit der Bundeskanzlerin erinnern. Thomas Bagger, Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, spricht von einer „Globalisierung der Erwartungen bei gleich-

1 Ischinger, Wolfgang: Boundless Crises, Reckless Spoilers, Helpless Guardians, in: Munich Security Report 2016, München 2016, S. 4 – 7.

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zeitig enorm wachsender Mobilisierungsfähigkeit sozialer Initiativen und Proteste“.2 Die Folge, die Fragilität der Systeme, gelte für Autokratien wie für Demokratien. Smartphones setzen die Politik heute mehr als früher unter Druck, gesellschaftliche Themen schnell zu politisieren und auf Krisen schnelle Lösungen zu finden. Wie können wir also auf eine solche „digital ermächtigte“ Öffentlichkeit reagieren, die die Legitimität unseres politischen Handelns immer mehr infrage stellt? Klar ist: Wir müssen unser außenpolitisches Betriebssystem dringend updaten. Rücksichtlose Störenfriede Die Geopolitik ist zurück auf der Weltbühne und damit viele gegensätzliche Narrative, die in der internationalen Zusammenarbeit immer härter aufeinanderstoßen. Russland sichert sich durch eine Eskalationsstrategie seine Einflusszonen, die an die Zeiten des Kalten Krieges erinnern. Putins Taktik ist einfach: So hoch zu pokern, bis der Westen aussteigt. Weitere externe Spieler im Syrienkonflikt wie die Türkei, Iran oder Saudi-Arabien führen zu der aktuellen überkomplexen Gemengelage. Auch die Volksrepublik China, stärkster weltpolitischer Kontrahent der USA und gleichzeitig größter Gläubiger, greift ähnlich rigoros als Gestaltungsmacht durch und schreckt, wie im Südchinesischen Meer, vor einer konfrontativen Machtpolitik nicht zurück. Die Vermittlungsversuche des Westens scheinen immer wieder im Sand zu verlaufen. Aber auch wenn die Bemühungen bisher zu keiner Lösung führten, die Akteure sitzen zusammen und reden miteinander. Und darum muss es gehen: Der Gesprächsfaden darf nicht abreißen Hilflose Ordnungshüter Ein entscheidender Treiber der aktuellen Unruhe in der Weltordnung war der amerikanische Rückzug aus derselben. In einer Welt, die ohne eine amerikanische Übermacht auskommen muss, haben andere Spieler das Vakuum ausgefüllt – und wie im Nahen Osten nicht immer die Richtigen. Gleichzeitig bröckelt Europas Zusammenhalt sichtbar, die Euphorie der Anfangsjahre wurde teilweise vergessen. Ein starker Staat und die nationale Identität werden für einige Akteure zum Zufluchtspunkt in diesen Krisenzeiten. Am sichtbarsten zeigt sich dies in der Flüchtlingskrise. Angesichts einer immer noch fehlenden europäischen Lösung sind Konzepte des Abschottens oder Durchschleusens für manche Staaten attraktiv geworden. Obwohl ein gemeinsames Handeln notwendig wäre, scheint die Durchsetzung der jeweiligen Partikularinteressen für die einzelnen Staaten in der aktuellen Situation bei Weitem rationaler. 2 Bagger, Thomas: Fragilität und Zusammenhalt. 15 Thesen zu außen- und innenpolitischen Herausforderungen, in: Internationale Politik, Ausgabe Januar / Februar 2015, S. 98 – 101.

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Und doch ist der Ausruf „Zurück zum Nationalstaat“ in der heutigen Zeit fatal. Im Gegenteil: In einer Welt, in der unterschiedliche sozioökonomische Modelle und Ideologien miteinander konkurrieren, sollten wir europäische und multinationale demokratische Institutionen stärken. Globale Herausforderungen wie Terrorismus, Kriege und eine neue Art der Völkerwanderung erfordern auf der internationalen Ebene ein Mehr an Regeln, nicht ein Weniger. Auch kann es sich der Westen immer weniger leisten, dass seine demokratische Legitimität angezweifelt wird. Autoritäre Regime und radikale nicht-staatliche Akteure wie die Terrormiliz IS nutzen die Schwächen des Westens bewusst aus und drängen in die entstandenen Lücken. Politische Konsequenzen westlicher Aufklärung wie unveräußerliche Menschenrechte, Volkssouveränität oder eine repräsentative Demokratie werden immer seltener von anderen Kulturen aufgenommen. Beispielhaft steht hierfür die Geschichte des Arabischen Frühlings. In den meisten Ländern der Region wie Ägypten, Syrien, Jemen oder Bahrain sind entweder die alten autoritären Kräfte wieder an der Macht oder, schlimmer, innerstaatliche Konflikte beherrschen das Land. Wie geht es weiter? Die vergangenen zwei Jahre scheinen das demokratische Selbstbewusstsein zutiefst erschüttert zu haben. Gewalt, Korruption und Unmenschlichkeit verbreiten sich. Der Historiker Heinrich August Winkler brachte die westliche Enttäuschung über ihren schrumpfenden normativen Einfluss auf den Punkt: „Die Erwartung […], über kurz oder lang werde sich von Vancouver bis Wladiwostok ein trikontinentaler Friedensraum auf der Grundlage von Demokratie und Menschenrechten herausbilden, hat sich nicht erfüllt. Das Jahr 2014 dürfte als ein Jahr der Zäsuren, vielleicht als ein Epochenjahr in die Geschichte eingehen: als das Jahr, in dem sich die westlichen Demokratien von der Hoffnung trennen mussten, ihr normatives Projekt werde weit über den bisherigen Geltungsbereich hinaus Zuspruch finden.“3 Wie also handeln wir auf einer Weltbühne, auf der „Demokratie“ immer mehr zur bedrohten Spezies geworden ist? Ich bin der Meinung, dass wir trotzdem nicht zu schnell in Panik verfallen sollten. Noch stirbt das demokratische Projekt nicht aus. Winkler merkt zu Recht an, dass der Westen zwar durch viele Gegner herausgefordert wird, bisher aber noch kein Alternativentwurf einer radikal anderen Gesellschaftsordnung gegenüber dem demokratisch-marktwirtschaftlichen Modell mehrheitsfähig ist. Wir sollten uns daher wieder auf das Fundament unserer demokratischen Wertegemeinschaft besinnen und Abweichungen von den eigenen Werten rücksichtslos kritisieren.4 Wir müssen uns aber auch nicht zurückhalten, wenn es gilt, die politischen Probleme in autoritären Staaten anzusprechen. 3

Winkler, Heinrich August: Was den Westen zusammenhält, in: http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/heinrich-august-winkler-was-den-westen-zusammenhaelt-13815991.html, Stand: 22. 2. 2016. 4 Ebd.

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Und nicht nur Politiker sind gefragt: Die Instabilitäten im Innern Europas und die Herausforderungen der Welt verlangen von allen als Bürger und als Gesellschaften einen neuen Ernst und, noch wichtiger, ein neues Selbstbewusstsein. Schließlich war der liberale Westen immer wieder fähig, sich selbst zu erneuern, Kreativität und Resilienz zeichnen uns aus. Dieses „Bewusst machen“ der eigenen Verdienste – Demokratie, Marktwirtschaft und Herrschaft des Rechts – und nicht eine Vogel-Strauß-Politik der Nationalstaaten und Populisten muss unsere Marschrichtung angeben.

Florian Hahn, MdB ist außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und Landesvorsitzender des Außen- und Sicherheitspolitischen Arbeitskreises (ASP) der CSU, Berlin.

Internationale Unordnung Von Hanns W. Maull Dass die Welt „aus den Fugen geraten sei“, ist inzwischen geradezu zu einem Gemeinplatz geworden.1 Politikwissenschaftler wie Praktiker der internationalen Beziehungen beobachten bereits seit Längerem Erosionsprozesse der internationalen Ordnung,2 die inzwischen nach verbreiteter Auffassung alarmierende Ausmaße erreicht haben. Diese Auffassung teilt auch der Doyen der Politikberatung, Henry Kissinger. Sein jüngstes Buch trägt schlicht den Titel „Weltordnung“ und beschäftigt sich ausführlich mit eben jenen Erosionsprozessen.3 Über den Befund besteht also weitgehend Übereinstimmung. Doch was diese neue internationale Unordnung kennzeichnet und was sie herbeigeführt hat, sind Fragen, die weniger eindeutig beantwortet werden. Im Folgenden soll deshalb der Versuch unternommen werden, in knapper Form die Charakteristika und die Ursachen der gegenwärtigen internationalen Unordnung darzustellen. * Wie äußert sich die Erosion der internationalen Ordnung? Die Erosionsprozesse der internationalen Ordnung lassen sich in mindestens vier unterschiedlichen Dimensionen dieser Ordnung feststellen: bei ihren normativen Grundlagen, in ihren Institutionen, in zahlreichen Politikfeldern und in der Art und Weise, wie Konflikte ausgetragen werden. Normative Ausdehnung, Aushöhlung und Re-Ideologisierung der Weltpolitik Die Grundlagen der gegenwärtigen internationalen Ordnung finden sich verankert im Völkerrecht, insbesondere in der Charta der Vereinten Nationen. Normativ orientiert sich das Völkerrecht dabei zum einen an den Prinzipien der modernen Staatenwelt, wie sie sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts nach dem Westfälischen Frieden herausgebildet hat, insbesondere an der Norm der absolut gesetzten Souve1

Nicht zuletzt Außenminister Frank-Walter Steinmeier verwendet diese Metapher häufig und hat so zu ihrer Popularisierung beigetragen. 2 Vgl. etwa Rittberger, Volker / Kruck, Andreas / Romund, Andrea: Grundzüge der Weltpolitik, Theorie und Empirie des Weltregierens, Wiesbaden 2010. 3 Kissinger, Henry: Weltordnung, München 2014.

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ränität und dementsprechend der Gleichheit aller Staaten sowie der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Zum anderen bezieht die gegenwärtige internationale Ordnung ihre Grundlagen aber auch aus den normativen Prämissen der westlichen, liberalen Demokratien (Freiheitsrechte, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und Demokratie) sowie aus den Erfahrungen der Weltkriege im 20. Jahrhundert (allgemeines Gewaltverbot). Bei diesen normativen Grundlagen der gegenwärtigen internationalen Ordnung lassen sich im Verlauf des letzten Vierteljahrhunderts nach dem Ende des OstWest-Gegensatzes einerseits zwar expansive Entwicklungen feststellen (d. h. der Geltungsbereich der Normen wird tendenziell geographisch wie funktional immer weiter ausgedehnt), zugleich verlieren diese Normen aber offenbar auch an Verbindlichkeit und werden dementsprechend tendenziell ausgehöhlt. So lässt sich zwar einerseits – trotz etlicher Rückschläge – weiterhin die Attraktivität der Demokratie als politische Ordnung im Weltmaßstab feststellen, andererseits nehmen dabei hybride Formen an Zahl und Bedeutung zu, in denen „Demokratie“ auf – mehr oder minder freie und faire – Wahlen reduziert wird. Diese Demokratien können bestenfalls als „defekt“ gelten. Zudem hat das Bekenntnis zur Marktwirtschaft etwa in Russland oder der Volksrepublik China wenig mit Freiheitsrechten und funktionierenden Märkten zu tun. Faktisch stehen im Mittelpunkt ihrer Wirtschaftsordnungen die Ausweitung staatlicher Machtgrundlagen sowie die Bereicherung privilegierter Gruppen. Der Geltungsbereich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit wurde einerseits im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte tendenziell – etwa durch die Konzepte der „menschlichen Sicherheit“, der Millenium-Entwicklungsziele und durch die Doktrin der Schutzverantwortung der Staatengemeinschaft („Responsibility to Protect“, R2P) – stark ausgeweitet, andererseits zeigt schon ein Blick auf die Zusammensetzung des UN-Menschenrechtsrates,4 wie problematisch die Umsetzung dieser Rechte in der Praxis oft aussieht. Verlieren also die normativen Grundlagen der gegenwärtigen internationalen Ordnung an Verbindlichkeit und Prägekraft, so sind andererseits verbreitet Phänomene der Re-Ideologisierung insbesondere in extremen religiösen Formen zu beobachten, die die westlichen Wertefundamente radikal und gewalttätig infrage stellen und herausfordern. Dies gilt sowohl für Staaten (wie Saudi-Arabien, Katar oder den Iran) als auch für nicht- bzw. pseudostaatliche Terrororganisationen (wie al-Qaida, Boko Haram oder den sogenannten „Islamischen Staat“).

4 Dem UN-Menschenrechtsrat gehören derzeit unter anderem Staaten wie Algerien, Äthiopien, Bangladesch, China, Katar, Kuba, Marokko, Russland, Saudi-Arabien, Venezuela und Vietnam an – sämtlich Staaten, in denen Menschenrechte massiv eingeschränkt und verletzt werden und die nicht als funktionsfähige Demokratien bezeichnet werden können. Vgl. hierzu im Einzelnen den Bertelsmann Transformationsindex 2016, http://www.bti-project.org/ de/index/, Stand: 5. 4. 2016 sowie den Freedom House Index 2015, https://freedomhouse.org/re port/freedom-world/freedom-world-2015, Stand: 5. 4. 2016.

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Krise der Institutionen Eine zweite Dimension der Erosionsprozesse der internationalen Ordnung betrifft ihre Institutionen. Es gibt kaum eine wichtige internationale Organisation, die nicht in einer (mehr oder weniger schweren) Krise steckte, angefangen von den Vereinten Nationen selbst über die sogenannten Bretton-Woods-Institute (Weltbank und IWF), die Welthandelsorganisation WTO, die regionalen Organisationen der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga, die ASEAN in Südostasien und natürlich die Europäische Union. Ebenso wie bei den normativen Grundlagen der internationalen Ordnung sind auch bei ihren Institutionen gegenläufige und widersprüchliche Entwicklungstendenzen zu beobachten: Die Zahl der Institutionen hat sich weiter erhöht, und auch die Bereiche, in denen Institutionen Zuständigkeiten beanspruchen, wurden ausgedehnt. Wie schon bei den normativen Grundlagen erscheinen allerdings auch diese institutionellen Ausdehnungsprozesse insgesamt eher als Symptome der Schwäche denn der Stärke der gegenwärtigen internationalen Ordnung. Staatszerfall Prekäre, fragile, zerfallende und schließlich zerfallene Staaten bilden eine besonders problematische Ausprägung dieser Krise der Institutionen.5 Diese Phänomene stellen sich dabei zugleich als Ursachen wie auch als Folgen der Erosionsprozesse der internationalen Ordnung und der Krise ihrer Institutionen dar. In diesen Wechselwirkungen zwischen staatlicher und internationaler Ordnungserosion zeigt sich, dass sich Ordnungen sowohl horizontal als auch vertikal gegenseitig beeinflussen: Sie können sich dabei sowohl wechselseitig stabilisieren als auch destabilisieren. Hochaggregierte, leistungsfähige Ordnungsstrukturen sind allerdings auch in der Lage, sich nach außen abzugrenzen und somit destabilisierende Einflüsse fernzuhalten. Unter den Bedingungen erodierender Ordnungen dagegen können Auflösungstendenzen offenbar leichter auf andere Ordnungen überspringen und damit womöglich auch systemische Störungen verursachen. Prekäre Staatlichkeit birgt Risiken von Kriegen, wirtschaftlichen Zerstörungen und der Herausbildung von Kriegsökonomien, Hungersnöten und Massenflucht auch über staatliche Grenzen hinweg. Politikfelder: Problemstau Die dritte Dimension, in der sich die Erosionsprozesse der internationalen Ordnung feststellen lassen, betrifft die Leistungsfähigkeit der Politik. Politik soll Gesellschaften vor Risiken und Gefahren schützen, ihre Wohlfahrt verbessern und sie dabei an den Entscheidungsprozessen teilhaben lassen. In dem Maße, in dem es der Politik gelingt, die an sie gerichteten Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen, gewinnt sie an Legitimität und Autorität. Die oben angesprochenen Krisen der Institutionen und 5 Vgl. CITI Global Perspectives and Solutions: Global Political Risk 2016, o. O. 2016, https://www.citivelocity.com/citigps/ReportSeries.action?recordId=48, Stand: 8. 4. 2016.

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der Staatlichkeit deuten jedoch bereits darauf hin, dass dies derzeit weder international noch national angemessen der Fall zu sein scheint. In vielen Politikfeldern und auf allen Ebenen der Politik – also von der lokalen bis zur globalen Ebene – lässt sich in der Tat feststellen, dass die Erwartungen an die Politik und ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten, diese zu erfüllen, zunehmend auseinanderklaffen.6 Die Folge ist ein wachsender Problemstau, weil erforderliche Anpassungen tendenziell zu spät, zu begrenzt und zu langsam eingeleitet werden. Dieser Problemstau wiederum trägt dazu bei, die Kluft zwischen den Anforderungen an die Politik und ihren Ergebnissen weiter zu vertiefen, ihre Legitimität zu verringern und damit auch Vertrauen in die Politik auszuhöhlen. Auch hier lassen sich demnach – ähnlich wie bei der Krise der politischen Institutionen und mit ihr verknüpft – negative Rückkopplungsprozesse feststellen: Die Wirkung wird zur Ursache, die die Wirkung im Ergebnis verstärkt. Gewaltsame Konfliktaustragung: Terrorismus und staatliche Gewalt Schließlich zeigen sich die Erosionsprozesse der internationalen Ordnung auch darin, dass gewaltförmige Austragung von Konflikten wieder an Bedeutung zu gewinnen scheint. Nachdem es von 1990 bis vor Kurzem gelungen war, die Zahlen sowohl der gewaltsamen Auseinandersetzungen wie auch die ihrer Opfer deutlich zu verringern, hat sich diese Entwicklung in den letzten Jahren umgekehrt.7 Zwar war die Zahl der Kriege und der Toten zu Zeiten des Kalten Krieges insgesamt nach wie vor deutlich höher als in den letzten Jahren, doch ist insbesondere seit 2010 ein rascher Anstieg der Opferzahlen in allen drei Formen gewaltsamer Auseinandersetzungen zu beobachten.8 Der zunehmende Rückgriff auf Gewalt bei der Durchsetzung der Interessen und Ideologien einer Gruppe in Konflikten mit anderen erscheint als besonders bedeutsames und alarmierendes Symptom der Erosion internationaler Ordnung, zudem sich diese Phänomene keineswegs nur auf Terrororganisationen und Konfliktparteien in Bürgerkriegen beziehen. Die USA (Irak), Russland (Ukraine) und die Volksrepublik China (südchinesisches Meer, ostchinesisches Meer) haben sich in jüngster Zeit jeweils über das allgemeine Gewaltverbot der UN-Charta hinweggesetzt, das Zwangsmaßnahmen und Militäreinsatz außer zur Selbstverteidigung nur nach Autorisierung des UN-Sicherheitsrates zulässt, und mit militärischen Maßnahmen Regierungen gestürzt (wie im Irak 2003), Territorien annektiert und infiltriert (wie die Krim bzw. die Ostukraine) oder den territorialen 6 Maull, Hanns W.: Von den Schwierigkeiten des Regierens in Zeiten der Globalisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 31 – 32/2015 (27. Juli 2015), S. 34 – 39. 7 Melander, Erik: Organized Violence in the World 2015, Oslo 2015, S. 9 und passim, http://www.pcr.uu.se/digitalAssets/61/61335_1ucdp-paper-9.pdf, Stand: 5. 4. 2016. 8 Die drei Formen, die in den Datensätzen des Friedensforschungsinstituts in Oslo (PRIO) unterschieden werden, sind staatszentrierte Gewalt (also Kriege zwischen Staaten oder Bürgerkriege zwischen einer Regierung und Rebellen), nichtstaatliche Gewalt (also etwa die Kämpfe zwischen IS und Kurden in Syrien) sowie einseitige Gewalt (etwa in Form von Genoziden wie 1994 in Ruanda).

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Status quo einseitig zu verändern versucht (wie China im süd- und im ostchinesischen Meer). Nur im Falle der entsprechenden Vorstöße Chinas waren diese Aktionen unblutig. Die Intervention und Besetzung des Irak sowie der Bürgerkrieg seither kosteten geschätzt 242.000 Menschenleben, die Auseinandersetzungen in der Ostukraine etwa 10.000.9 Was verursacht die gegenwärtige internationale Unordnung? Globalisierung als Folge wissenschaftlich-technologischer Innovationen Die wichtigste Ursache für die gegenwärtige Verfassung der internationalen Ordnung ist der rasante Fortschritt von Wissenschaft und Technik. Neue Erkenntnisse über die Welt ermöglichen die Entwicklung neuer Techniken zur Befriedigung individueller und kollektiver Bedürfnisse und Wünsche und zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme. Wie dramatisch sich diese exponentielle Entwicklung technologischer Gestaltungspotenziale aus der Langfristperspektive der Geschichte darstellt, hat Ian Morris anschaulich herausgearbeitet:10 Seine graphische Darstellung der Entfaltung dieser Potenziale seit Beginn der Geschichte um 14.000 v. Chr. bis zum Jahr 2000 n. Chr. zeigt einen nahezu senkrechten Anstieg dieser Potenziale seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.11 Die Aktualisierung dieser Potenziale, die gleichermaßen Gestaltungschancen wie Zerstörungsrisiken beinhalten, verändert Individuen und Gesellschaften umfassend und tiefgreifend; die Folgen sind wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Wandel in bislang historisch unbekannter Geschwindigkeit und Reichweite. Dieser umfassende gesellschaftliche Wandel wird heute gemeinhin mit dem Begriff der Globalisierung beschrieben und analysiert. Kennzeichnend und ursächlich für die gegenwärtige Verfassung der internationalen Ordnung sind allerdings nicht das Phänomen der Globalisierung per se, sondern seine Beschleunigung sowie die rasch zunehmende Ausbreitung, Eindringtiefe und Wirkmächtigkeit dieser Prozesse.12

9 Vgl. Iraq Body Count, https://www.iraqbodycount.org/, Stand: 5. 4. 2016; Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine, 1 December 2014 to 15 February, 2015, http://www.ohchr.org/Documents/Countries/UA/9thOHCHRreportUkraine.pdf, Stand: 6. 4. 2016. 10 Morris, Ian: Why the West Rules the World – for Now, The Patterns of History, and What They Reveal About the Future, New York 2010. 11 Ebd., S. 161. 12 Noch immer grundlegend zu Globalisierung: Held, David / McGrew, Anthony / Goldblatt, David / Perraton, Jonathan: Global Transformations, Politics, Economics and Culture, Stanford, Cal. 1999.

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Ideologische Ursachen Bedeutsam für die normativen Grundlagen der internationalen Ordnung sind die Auswirkungen der Entfaltung wissenschaftlich-technischer Potenziale auf die erweiterten Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen und die dadurch bedingte Erosion gesellschaftlicher Bindungen. Varianten des Nationalismus als die dominante Ideologie der Moderne stellen zum einen den Versuch dar, die erweiterten gesellschaftlichen Handlungspotenziale in neue staatliche Macht- und Zerstörungspotenziale zu transformieren, andererseits lassen sie sich aber auch als Reaktionen auf Erosionsprozesse im gesellschaftlichen Zusammenhalt verstehen, die diesen neu zu begründen suchen. Der Nationalismus stellt das ideologische Substrat des Souveränitätsprinzips dar, des wichtigsten Prinzips der westfälischen Ordnung. Die liberalen Ideen von Freiheit, Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechten bilden dagegen die ideologische Grundlage der anderen wesentlichen Komponenten der gegenwärtigen hybriden internationalen Ordnung. Unter dem Slogan „Making the world safe for democracy“ von Präsident Woodrow Wilson haben insbesondere die USA seit Ende des Ersten Weltkrieges diese Ideologie politisch offensiv vertreten. Die Ideologien des Nationalismus und des Liberalismus führten in Verbindung mit den gewachsenen technologischen Gestaltungsmöglichkeiten dazu, dass sich die Zahl der für die internationale Ordnung relevanten Akteure im Verlauf der letzten Jahrzehnte erheblich erhöht hat. Dies gilt für alle Arten von Akteuren, von der Weltbevölkerung insgesamt über die Zahl der Staaten, der internationalen Organisationen, transnationaler nichtstaatlicher Akteure und transnationaler Unternehmen.13 Immer mehr Akteure verfügen damit über Einfluss auf den Gang des Weltgeschehens und die Entwicklung der Weltordnung, wenngleich dieser Einfluss natürlich sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass die Akteure deshalb individuell zugleich auch an Einflussmöglichkeiten verlieren. Die Globalisierung führt also mit anderen Worten gleichzeitig zu wachsender Integration im Weltmaßstab und zu zunehmender Fragmentierung, zu Machtkonzentration und Machtdiffusion. Machtkonzentration, Machtverschiebungen, Machtdiffusion Phänomene der Machtkonzentration auf globaler Ebene lassen sich etwa im Bereich der staatlichen Rüstungsausgaben und der nuklearen Zerstörungspotenziale feststellen, wirtschaftlich auch am Gewicht weniger großer Unternehmen in vielen globalen Märkten. Im Kontext der internationalen Ordnung ist vor allem die Stellung der USA als weltpolitische Führungsmacht bedeutsam, die auf der Konzentration vielfältiger Machtressourcen in Amerika beruht. Die Volksrepublik China schließt aber insbesondere hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Gewichtes, aber auch diploma13 Maull, Hanns W.: Welche Akteure beeinflussen die Weltpolitik?, in: Weltpolitik im neuen Jahrhundert, hrsg. von Karl Kaiser und Hans-Peter Schwarz, Bonn 2000, S. 369 – 382 (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 364).

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tisch und militärisch insbesondere seit 2008 rasch zu den USA auf, deren Ansehen durch die Invasion und Besetzung des Irak 2003 und durch die durch Fehlentwicklungen in den US-Finanzmärkten ausgelöste Weltwirtschaftskrise 2009/2010 erheblich beschädigt wurde. So zeigen sich auch an der Spitze der Machthierarchie der Weltpolitik gleichermaßen Tendenzen der Machtkonzentration wie auch der Machtverschiebung und der Machtdiffusion. Unter dem Strich erscheinen dabei die Prozesse der Machtdiffusion als die bedeutsameren. Denn die Machtverschiebungen weg von den westlichen Mächten USA, Europa und Japan und hin zu „neuen Mächten“ wie China, Russland oder Indien stellen ja zugleich auch Machtdiffusionsprozesse dar. Dies gilt auch in vielen anderen politischen Zusammenhängen: Die Zahl der Vetospieler und der relevanten Mächte, die zur erfolgreichen Bearbeitung internationaler Konflikte eingebunden oder erfolgreich isoliert werden müssen, nimmt zu. Dies gilt nicht nur für Regierungen, sondern auch für internationale Organisationen, große Unternehmen und andere nichtstaatliche Akteure. Hinzu kommt das Ungleichgewicht zwischen destruktiver und konstruktiver Machtausübung: Es ist einfacher zu zerstören als zu gestalten, und mit den Dimensionen der Zerstörungspotenziale und der Zahl relevanter Akteure gewinnt auch diese Asymmetrie und damit auch das Phänomen der Machtdiffusion an Gewicht. Die strukturelle Überforderung der Politik Globalisierung führt tendenziell zu einer strukturellen Überlastung politischer Entscheidungsprozesse und politischer Institutionen. Denn einerseits treibt sie die „Revolution steigender Erwartungen“ voran und erhöht damit die Anforderungen an die Adresse der Politik. Auf der anderen Seite wird es schwieriger, angemessene Problemlösungen zu finden und umzusetzen, weil die Zahl der beteiligten Akteure und die vielfältigen, oft grenzüberschreitenden Abhängigkeiten die Probleme selbst immer komplizierter machen. Hinzu kommen zwei weitere Aspekte, die zu dieser Überforderung beitragen: die ausgeprägten Beharrungstendenzen in der Politik im Allgemeinen und die nationalstaatlichen Vorbehalte gegenüber supranationalen politischen Problemlösungen im Besonderen. Sicherheitsvorsorge und das Bewahren gesellschaftlicher Besitzstände gehören zu den Kernbereichen der Politik; Beharrungskräfte sind deshalb in diesem Bereich der Gesellschaft stärker ausgeprägt, Offenheit für Wandel und Anpassungsbereitschaft dagegen vergleichsweise unterentwickelt. Dies zeigt sich im Besonderen bei den Schwierigkeiten, grenzüberschreitende Probleme auch entsprechend grenzüberschreitend zu bearbeiten: Nationale Souveränitätsvorbehalte verhindern, dass politische Institutionen und Entscheidungsprozesse angemessen auf die Problemlagen zugeschnitten werden können. Darin schlägt sich die dauerhafte Wirkungsmächtigkeit des Nationalismus nieder, aber auch ein fundamentalistisches Verständnis von Souveränität, das den gegenwärtigen Gegebenheiten einer globalisierten Weltgesellschaft nicht mehr angemessen, nichtsdestotrotz aber weiterhin selbst in Europa stark verbreitet ist.

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In der Summe ergibt sich somit eine sich tendenziell öffnende Schere zwischen den Anforderungen, die an die Adresse der Politik gerichtet werden, und ihren Möglichkeiten, diesen Anforderungen zu entsprechen. Dies gilt grundsätzlich über das gesamte Spektrum der Politik hinweg, also von der Lokalpolitik bis zur Weltpolitik.14 Natürlich ist diese Kluft im Einzelnen sehr unterschiedlich ausgeprägt, und die Politik versucht durchaus immer wieder – und im Einzelnen auch erfolgreich –, den steigenden Anforderungen durch entsprechende Steigerung ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten gerecht zu werden. Dennoch erscheint die Verfassung der Politik insgesamt und der internationalen Ordnung im Besonderen unter den Rahmenbedingungen der Globalisierung durch strukturelle Überforderung gekennzeichnet. Die oben beobachtete Krise der Institutionen findet hier eine ihrer wichtigeren Ursachen. Zugleich begünstigt die Überlastung der Politik unter den Bedingungen der Globalisierung auch den Verlust von Autorität, Legitimität und letztlich von Vertrauen in die Politik, die die Krise der Politik weiter verschärfen. „Weltregieren“ (global governance) wird unter diesen Bedingungen bestenfalls zu einem mühsamen Geschäft, im ungünstigen Falle zu einer Fata Morgana. Dies ändert freilich nichts daran, dass es sich als Aufgabe der Politik stellt. Ebenso erscheint die zentrale Stellung der Nationalstaaten in den Zusammenhängen des Weltregierens trotz der enorm gewachsenen Bedeutung transnationaler zivilgesellschaftlicher Akteure wie auch transnationaler Unternehmen im Kern ungebrochen. Dies stellt keinen Widerspruch zu der oben angestellten Beobachtung dar, wonach nationalstaatliche Souveränitätsvorbehalte die angemessene politische Bearbeitung von grenzüberschreitenden Problemen häufig erschweren. Im Gegenteil bestätigt es die zentrale Stellung der Nationalstaaten: Weltregieren kann nur mit ihnen, nicht gegen sie gelingen. Allerdings setzt dies voraus, dass Nationalstaaten lernen, ihre Souveränität neu zu denken und anders zu praktizieren, als dies bislang selbst in Deutschland, einem dem eigenen Selbstverständnis zufolge ausgesprochen postnational ausgerichteten Gemeinwesen, der Fall ist.

Prof. Dr. Hanns W. Maull ist Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin. Bis 2013 war er Professor für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Trier.

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Global Governance als Chimäre Die internationale Ordnung vor der Erosion? Von Johannes Varwick und Jana Windwehr Die internationale Ordnung ist in den vergangenen Jahren massiv unter Druck geraten. Etablierte Paradigmen wie Global Governance und klassischer Multilateralismus scheinen dabei unter die Räder zu geraten. Die gegebenen Herausforderungen lassen sich dennoch vielfach nur international lösen. Innerhalb welcher Strukturen dies zukünftig erfolgen wird, ist aber heute kaum absehbar. * Manche, so Michael Rühle, wollten es nicht wahrhaben, aber die Post-Cold-WarÄra sei vorbei. Im historischen Rückblick werde sich das vergangene Vierteljahrhundert als eine „Zwischenzeit“ darstellen, „die von einem fast schon naiven Optimismus geprägt war – einem Optimismus, der die westlichen Gesellschaften an eine immer stärker integrierte Europäische Union und ein westlich orientiertes, demokratisches Russland ebenso glauben ließ wie an den Erfolg des Arabischen Frühlings und an den Triumph der wirtschaftlichen Interdependenz in Asien über alte geopolitische Rivalitäten“.1 Nachdem der Ost-West-Konflikt mitsamt seiner Blocklogik und seinen Stellvertreterkriegen das internationale System nicht mehr maßgeblich prägt (obgleich die Eiszeit im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen seit der Annexion der Krim im Frühjahr 2014 manche Errungenschaften in Frage stellt), stellen sich heute international andere Herausforderungen, die im Wesentlichen in die Rubrik „globale Gefahren“ eingeordnet werden müssen und alle mehr oder weniger zum großen Bereich des etwas unpräzise so genannten Nord-Süd-Konflikts gehören. Dabei handelt es sich vor allem um internationalen Terrorismus, Proliferation nuklearer und chemischer Waffen, Umweltgefahren, Bevölkerungsentwicklung, Flüchtlingsströme, Energie- und Ressourcenprobleme, besonders den Zugang zu Wasser, Ernährungsprobleme, organisierte Kriminalität und Drogenhandel, Fundamentalismus sowie failed bzw. failing states. Wenn Einigkeit darüber besteht, dass zunehmend internationale, transnationale und globale Probleme auf die Staaten und Gesellschaften zukommen, so wächst auch die Erkenntnis, dass diesen Problemen erfolgreich nur mit einem über einzelne 1 Rühle, Michael: Symbolische Sicherheitspolitik, https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-diezeitschrift/themen/symbolische-sicherheitspolitik, Stand: 5. 2. 2016.

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Staaten hinausreichenden Ansatz begegnet werden kann. Da das internationale System aber durch eine Machtordnung gekennzeichnet ist, in der keine Instanz – wie es im nationalen politischen System der Fall ist – über das (in einem weiteren Sinne verstandene) Gewaltmonopol verfügt, müssen allgemein verbindliche Verhaltensregeln aufgestellt werden, die auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen. Dies ist – wie zu zeigen sein wird – ein extrem mühsamer und voraussetzungsreicher Prozess.2 Dieser Beitrag nähert sich diesem Befund in drei Schritten – der einzelstaatlichen, der regionalen und der globalen Ebene –, ausgehend von der These, dass auf allen Ebenen der internationalen Beziehungen eine Erosion von Ordnung(en) stattfindet, durch die scheinbar gefestigte Strukturen in unterschiedlichem Ausmaß ins Wanken geraten. Nationale und regionale Ebene Für die nationale Ebene muss zunächst festgehalten werden, dass sie allen Facetten der Globalisierung zum Trotz ein zentraler Referenzpunkt der internationalen Beziehungen bleibt und globale Steuerung zwar nicht exklusiv den Nationalstaaten vorbehalten bleibt, aber doch prominent auf diese angewiesen ist. Allerdings ist es zum einen zum Gemeinplatz geworden, dass einzelne Staaten eine lange Liste von Problemlagen nicht mehr allein bewältigen können, zum anderen ist die Fähigkeit, interne Ordnung – als Voraussetzung für externes Agieren – herzustellen, extrem unterschiedlich ausgeprägt. Das Stichwort failed states bildet hier quasi nur die Spitze des Eisbergs, denn auch das „Revival“ nationaler und zum Teil nationalistischer Rhetorik, Wahlerfolge von Rechtspopulisten oder auch tiefe wirtschaftliche Krisen bleiben nicht ohne Konsequenzen für außen- und weltpolitisches Engagement. Auch regionale Organisationen bilden ein Strukturelement internationaler Ordnung. Dieser Prozess – u. a. im Rahmen des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN), der Afrikanischen Union (AU) oder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) – verläuft allerdings in den Weltregionen unterschiedlich, mit je spezifischen Problemlagen, Erfolgsbedingungen sowie Integrationsbreite und -tiefe. Aus europäischer Perspektive befindet sich mit der Europäischen Union (EU) die zentrale und lange als Blaupause für andere Weltgegenden betrachtete Regionalorganisation in einem Erosionsprozess, den noch vor einem Jahrzehnt nur wenige für möglich hielten. Die seit Langem unter dem Schlagwort Krise diskutierten EU-Baustellen wie etwa das Ausmaß zukünftiger Erweiterungen, Legitimitäts-, Effektivitäts- und Akzeptanzdefizite und eine als in zentralen strategischen Fragen weitgehend absent wahrgenommene globale Rolle erscheinen heute wie ein harmloser Vorgeschmack auf das ganze Ausmaß der gegenwärtigen zentrifugalen Tendenzen. Sowohl in der – nach wie vor nicht final überwundenen – Staatsschuldenkrise als auch verschärft angesichts der Flüchtlingsproblematik haben sich Gräben aufgetan, die 2 Vgl. einführend Varwick, Johannes / Woyke, Wichard: Einführung, in: Handwörterbuch Internationale Politik, hrsg. von Wichard Woyke und Johannes Varwick, Opladen, 13. Aufl., 2015, S. XI–XVII.

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neben – vereinfacht betrachtet – einer Nord-Süd- und einer Ost-West-Dimension durchaus auch einen möglichen zukünftigen „Kern“ der EU betreffen. Ein Zerfall der Union scheint zwar noch nicht zwingend, aber doch so wahrscheinlich wie nie zuvor in den vergangenen Jahrzehnten. Aufgrund dieser internen Zerrissenheit steht die EU derzeit kaum als wirksames Instrument für die Bearbeitung regionaler und internationaler Problemlagen zur Verfügung, während paradoxerweise der Bedarf nach einer starken Union zugleich steigt. Jenseits innereuropäischer Argumente3 gilt diese Aussage auch für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, wo sowohl ein Bedarf nach als auch ein Potenzial für mehr statt weniger gemeinsamer Politik besteht, wie u. a. die Verhandlungen mit dem Iran zumindest im Ansatz gezeigt haben. Daher bleibt die europäische Integration zu Recht deutsche Staatsräson; dies wirft aber eine ganze Reihe weiterer Fragen auf, die etwa eine stärkere Flexibilisierung und den Führungsanspruch Deutschlands in der EU betreffen. Ausgerechnet in dieser existenziellen Krise der EU gilt es außerdem, die ebenfalls brüchig gewordene europäische Sicherheitsarchitektur insbesondere mit Blick auf Russland zu renovieren, sei es mittels der Revitalisierung etablierter Organisationen (OSZE 2.0) oder der Schaffung neuer Kooperationsmechanismen. Globale Ebene: Ordnung unter Druck Auf globaler Ebene wurde unter Ordnungspolitik bisher vorwiegend das System zwischenstaatlicher Beziehungen verstanden, doch heute müssen auch Nichtregierungsorganisationen vielfältiger Art einbezogen bzw. mitgedacht werden. Mit diesen Gruppen und Institutionen interagieren globale Massenmedien, deren Einfluss stetig wächst, aber auch die schwer berechenbaren, zugleich schwarmartig strukturierten Kommunikationsphänomene im Internet gewinnen stetig an Bedeutung. Nur wenn die Nationalstaaten und die sie vertretenden Gruppen die internationalen Herausforderungen auch als international, transnational und global begreifen, dürfte die internationale und transnationale Kooperation zur Lösung der Weltprobleme zunehmen. Ob die Steuerungsfähigkeit des internationalen Systems aufrechterhalten – bzw. sogar problemangemessen ausgebaut – werden kann, ist jedoch fraglich. Denn die gegenwärtige Umbruchphase der internationalen Ordnung ist durch erhebliche Verwerfungen und höchst widersprüchliche Entwicklungen gekennzeichnet: - eine Erosion nationalstaatlicher Souveränität mit zunehmend funktionalen statt territorialen Handlungsräumen, - Tendenzen einer Wiederkehr der bzw. Rückbesinnung auf die Kategorie des nationalen Interesses,

3 Siehe etwa Schäuble, Wolfgang: Europa zwischen Wunsch und Wirklichkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 1. 2016, S. 6.

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- eine steigende Bedeutung internationalisierter politischer Kooperationsformen bei allerdings unterschiedlichem Verrechtlichungsgrad in unterschiedlichen Regionen und Themenfeldern sowie - einen zunehmenden Problemdruck in zahlreichen Politikfeldern (etwa der internationalen Sicherheits-, Umwelt-, Finanz-, Klima-, Energie-, Migrations- und Gesundheitspolitik). Gerade im vergangenen, auf die Terroranschläge des 11. September 2001 folgenden Jahrzehnt konstatiert Ulrich Schneckener zu Recht ein „eklatante[s] Versagen des Westens und seiner Führungsmacht“ bei der Herausbildung einer neuen globalen Ordnungspolitik zur Bewältigung immer drängenderer gemeinsamer Probleme.4 Es ist eine fragmentierte Landschaft von Formaten, Institutionen und Programmen entstanden, zu der sich die These vertreten lässt, dass die von den USA als Ordnungsmacht geprägte unipolare Ordnung schwindet. Die Welt wird offenkundig ungeordneter und chaotischer, und globales Regieren wird in Zukunft von einem komplizierten Ausbalancieren unterschiedlichster ökonomischer und sicherheitspolitischer Interessen sowie divergierender normativer Vorstellungen geprägt sein.5 Dies hat mindestens drei Gründe: - Erstens fühlen sich verschiedene Akteure nicht mehr den etablierten internationalen Regeln und Vereinbarungen verpflichtet und Multilateralismus wandelt sich ganz grundlegend und verliert zunehmend sein „westliches Gesicht“. - Zweitens ist die Zahl bedeutender Akteure mit aufsteigenden Mächten wie den BRICS-Staaten und somit auch die Konkurrenz um Einfluss und Ressourcen auf internationaler Ebene stetig gestiegen. - Drittens haben Fehlschläge US-amerikanischer Außenpolitik im Nahen Osten das Vertrauen in die US-Politik geschwächt sowie die Akzeptanz seitens der internationalen Staatengemeinschaft für deren (Führungs-)Rolle als globale Ordnungsmacht geschmälert. Die Weltordnung ist also nicht (mehr) auf einen einfachen Begriff zu bringen. Neben einer ersten Zone, die sich durch offene Grenzen, eine hohe Interaktionsdichte und einen stabilen Frieden auszeichnet, ist eine von Machtpolitik und kurzfristigen nationalen Interessen dominierte zweite Zone auszumachen, in der vornehmlich in Kategorien militärischer Stärke und geopolitischer Einflusszonen gedacht wird. Eine dritte Zone ist gekennzeichnet durch Machthohlräume und den Verlust politischer Steuerungsfähigkeit. Diesen Zonen sind zwar geographische Räume zuzuordnen – so beschränkt sich z. B. die dritte Zone im Wesentlichen auf Teile Afrikas und den Nahen Osten –, allerdings überlappen die Räume sich, und die daraus resultie4 Schneckener, Ulrich: Globales Regieren durch Clubs. Definition, Chancen und Grenzen von Club Governance, in: SWP-Aktuell 47/2009, S. 82. 5 Vgl. Roth, Michèle / Ulbert, Cornelia: Verantwortung(slosigkeit) und Kooperation in der Weltgesellschaft: Aktuelle Trends und langfristige Perspektiven, in: Globale Trends 2015, hrsg. von der Stiftung Entwicklung und Frieden u. a., Bonn 2014, S. 13 – 29.

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renden Probleme sind nicht auf eine Zone zu begrenzen. Anders formuliert: Das Zeitalter frühmoderner Staaten, das 20. und das 21. Jahrhundert, werden vermutlich zukünftig gleichzeitig stattfinden. Die Ereignisse im Zusammenhang mit der Annexion der Krim und der anhaltenden Destabilisierung der Ukraine durch Russland seit dem Frühjahr 2014, aber auch Kriege wie z. B. in Syrien – in dem von 2011 bis Frühjahr 2016 über 260.000 Menschen getötet und weit mehr als 15 Millionen Menschen vertrieben wurden – haben gezeigt, dass die „Landkarten“ für diese Zonen längst nicht für die Ewigkeit geschrieben sind. Die Frage nach internationaler Ordnung ist damit (erneut) in den Fokus der internationalen Politik geraten. Die Krisen der globalen Ebene sind in aller Regel nicht an sich neu, das gilt für Armut und Kriege ebenso wie für den Klimawandel und selbst den transnationalen Terrorismus. Allerdings treten sie derzeit zum einen geballt zutage, denn die Liste an Herausforderungen ließe sich fast beliebig fortsetzen: die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, ungebändigte globale Finanzmärkte, regionale Konflikte, allen voran die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten usw. Zum anderen zeigt sich immer deutlicher die Interdependenz in einer globalisierten Welt, in der es keine „Komfortzonen“ mehr gibt, in denen die Probleme der anderen weitgehend ignoriert werden könnten. Gleichzeitig verdüstern sich die Erfolgsaussichten wichtiger normativer Unternehmungen (Global zero, Schutzverantwortung), und die Steuerungsfähigkeit, nicht nur seitens der Staaten, erscheint in vielen Fragen bestenfalls fragwürdig (z. B. Klimawandel, Welternährung). Dies ist angesichts der massiven Ungleichverteilung von Lebensentwicklungschancen sowie zahlreicher Krisen und Konflikte (von Ebola bis hin zur russischen Annexion der Krim) ein deprimierender Befund. Noch befördert werden diese Problemlagen durch die Machtverschiebungen im internationalen System, die ihrerseits eine Reihe von Fragen aufwerfen: Werden die neuen Großmächte und auch die sich geostrategisch neu orientierenden Vereinigten Staaten in einer solchen multipolaren Weltordnung die etablierten Instrumente weiterhin mittragen, sogar stärken oder aber ignorieren und ihrerseits Alternativen schaffen? Welche Rolle der vielbeschworene „Westen“ in einem solchen Gefüge einnehmen soll und kann, ist mithin eine offene Frage.6 Global Governance: eine Chimäre? Ein Versuch zur Bewältigung der globalen Herausforderungen wird seit vielen Jahren unter dem Schlagwort Global Governance diskutiert, es stellt sich aber die Frage, ob dieses Konzept nicht doch von sehr unrealistischen Voraussetzungen ausgegangen ist.7 Einerseits eröffnet die Global-Governance-Perspektive die Chance, die heutige Akteursvielfalt in den internationalen Beziehungen besser zu erfassen 6 Siehe etwa Kahler, Miles: Rising Powers and Global Governance: Negotiating Change in a resilient Status Quo, in: International Affairs 3/2013, S. 711 – 729 und Lesage, Dries / Van de Graaf, Thijs (Hrsg.): Rising Powers and Multilateral Institutions, Houndmills 2015. 7 So auch Terhalle, Maximilian: Warum das Governance-Axiom gescheitert ist: eine notwendige Kritik, in: Zeitschrift für Politik 3/2015, S. 264 – 287.

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als klassische Ansätze rein zwischenstaatlicher Politik, andererseits legt sie implizit aber ein Ausmaß an Steuerungs- und Problemlösungsfähigkeit nahe, das unter den gegebenen Rahmenbedingungen des Jahres 2016 fraglich erscheint. Besonders drastisch formuliert dies Michael Rühle: „Seit dem Ende des Kalten Krieges hat man sich im Westen an politischen Glaubenssätzen orientiert, die für den Rest der Welt weitgehend ohne Belang geblieben sind.“8 Unter Global Governance verstehen die Politikwissenschaft sowie die Völkerrechtswissenschaft ein alternatives Steuerungsmodell des internationalen Systems, das neben den Staaten sowohl internationale Organisationen als auch intermediäre und nicht-gouvernementale Akteure umfasst und auch informelle Regelungen und Normen beinhaltet. Das Konzept ist zwar ausdrücklich nicht mit gelegentlich anzutreffenden Vorstellungen von einer Art Weltregierung (Global Government) zu verwechseln, sondern ist am besten mit dem Begriff „internationale Ordnungspolitik“ zu übersetzen. Bisher ist es jedoch nicht zu einer problemangemessenen Herausbildung entsprechender Strukturen gekommen. Vielmehr entsteht durch wenig miteinander verschränkte, parallele Prozesse9 und „hybrid governance“10 von Politik und Märkten eine fragmentierte Landschaft von Formaten, Institutionen und Programmen. Dennoch ist es fraglos nicht so, dass keine internationalen Institutionen existierten, die zumindest der Idee nach für die Bearbeitung genau solcher Situationen geschaffen wurden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, regionaler Organisationen mit unterschiedlich breitem Themen- und Mitgliederspektrum oder auch internationaler Regime, also freiwilliger, wenngleich im Einzelfall sanktionsbewehrter Abkommen für ein relativ eng begrenztes Themenfeld. Die bestehenden internationalen Institutionen weisen aber vielfach gravierende Defizite hinsichtlich ihrer Effizienz, Durchsetzbarkeit und Finanzierung auf, die ihre Handlungsfähigkeit erheblich beschränken und die Attraktivität alternativer Formate potenziell erhöhen. Aus einem unerfreulich großen Katalog an Beispielen nur einige herausgegriffen: Im Umwelt- und Klimabereich ist zum einen die institutionelle Architektur im Rahmen der Vereinten Nationen extrem fragmentiert, mit negativen Folgen für Kohärenz und Effizienz, zum anderen ist das Kyoto-Protokoll ja geradezu zum Paradebeispiel für fehlende Sanktionsmöglichkeiten internationaler Regime avanciert. Mit dem Abkommen von Paris vom Dezember 2015 scheint hier zwar ein Silberstreif am Horizont erkennbar, doch auch dessen faktische Umsetzung bleibt vorläufig mit Fragezeichen versehen. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit erreicht zum einen kaum ein Staat (Ausnahmen waren 2014 Schweden, Norwegen, Dänemark, Luxemburg, das Vereinigte Königreich Großbritannien sowie die Vereinigten Arabischen Emirate) die ursprüngliche Zielmarge von 0,7 % des BIP an ODA; 8

Rühle: Symbolische Sicherheitspolitik. Vgl. Rinke, Bernhard / Schneckener, Ulrich: Informalisierung der Weltpolitik? Globales Regieren durch Clubs, in: Globale Trends 2013, hrsg. von der Stiftung Entwicklung und Frieden / Institut für Entwicklung und Frieden, Frankfurt/M. 2012, S. 27 – 42. 10 Ostry, Sylvia: WTO: Institutional Design for Better Governance. Preliminary Draft, Harvard 2000, S. 28. 9

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zudem haben die etablierten Paradigmen von Entwicklungszusammenarbeit – darunter ökonomische Modernisierung, Grundbedürfnisstrategien, Hilfe zur Selbsthilfe, Deregulierung und Marktöffnung – sich samt und sonders als nicht so wirksam wie erhofft erwiesen, wenngleich auch hier auf die zumindest verspätet doch einsetzende Annäherung an die Millennium Development Goals und die zunehmend wichtige Rolle nichtstaatlicher Geber verwiesen werden muss. Wirksamer scheint allenfalls der Entwicklungspfad einiger asiatischer und lateinamerikanischer Schwellenländer, bei dem der rasante ökonomische Aufstieg allerdings keineswegs, wie vielfach angenommen, mit einer Demokratisierung einhergeht und auch Verteilungswie Umweltfragen nicht gelöst hat. Ein drittes und besonders kritisches und zugleich illustratives Problemfeld ist die externe Stabilisierung von Krisen bzw. Staaten oder gar Regionen, während der Gedanke einer Demokratisierung durch externe Akteure zunehmend in den Hintergrund tritt. Politische Stabilität ist neben wirtschaftlicher Entwicklung unzweifelhaft von zentraler Bedeutung für die Bearbeitung fast aller internationalen Probleme von Flüchtlingsströmen über Hunger und Klimawandel bis zum Terrorismus. Allerdings, und das lässt sich an verschiedenen militärischen Interventionen und der Debatte um eine internationale Schutzverantwortung bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen wohl am besten illustrieren, ist die Umsetzung dieses Ziels höchst umstritten, rechtlich problematisch und vor allem mit erheblicher Unsicherheit hinsichtlich der Folgen behaftet. Angesichts der – zumindest partiell – negativen Folgen sowohl des Handelns (Irak, Afghanistan, Libyen) als auch des Nicht-Handelns (Syrien bis 2015) bleibt unter dem Strich weitgehende Ratlosigkeit zurück. Die Folge ist, dass sich für den Zerfall oder die Gefährdung von Ordnungen niemand zuständig fühlt bzw. bereit ist, die erheblichen Kosten und Risiken der Wiederherstellung von Ordnung zu tragen.11 Multilateralismus im Wandel In der jüngsten Vergangenheit ist vor allem ein Unterscheidungskriterium bzw. ein Bündel von Kriterien immer deutlicher zutage getreten: die Differenzierung zwischen klassischem und neuem Multilateralismus. Unter klassischem Multilateralismus wird der institutionalisierte, formalisierte Multilateralismus, symbolisiert insbesondere durch das System der Vereinten Nationen, verstanden. Der neue Multilateralismus hingegen ist stärker selektiv im Sinne eines Zusammenschlusses Gleichgesinnter zur Lösung bestimmter Probleme. Dementsprechend lassen sich die beiden Kategorien vereinfachend auch als inklusiver versus exklusiver Multilateralismus kennzeichnen.12 Die Bilanz klassischer multilateraler Zusammenarbeit ist wie bereits angedeutet gemischt. Einerseits ist bei bestimmten Problemkonstellationen un11 Vgl. Bremmer, Ian: Every Nation for itself: Winners and Losers in a G-Zero World, New York 2012 und Varwick, Johannes: Der G-Null-Gipfel, Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 23. 4. 2015, S. 11. 12 Vgl. Cooper, Andrew F.: The G20 as an improvised crisis committee and / or a contested „steering committee“, in: International Affairs 2/2010, S. 741 – 757, S. 751.

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strittig, dass nur ein solcher inklusiver Ansatz Erfolg verspricht. In zahlreichen Politikfeldern hat die Diskrepanz zwischen einer zunehmend globaler werdenden Problemstellung und den nach wie vor hauptsächlich auf den Nationalstaat bezogenen Handlungsansprüchen und Entscheidungskompetenzen zu einer Zuständigkeitslücke geführt. Andererseits ist eine fortschreitende Erosion von klassischen multilateralen Formaten zu beobachten. Dafür lassen sich mindestens drei Gründe anführen:13 - Erstens stellen die sog. emerging powers etablierte Mechanismen infrage bzw. erfordern zumindest deren Anpassung. Zwar wird nicht aktiv versucht, eine antiwestliche Koalition zu formen oder einen radikal gegensätzlichen Gegenentwurf zu erarbeiten, aber die aufstrebenden Staaten betonen markant ihre nationalstaatliche Souveränität. - Zweitens hatte die zeitweilige US-amerikanische Abkehr vom Multilateralismus negative Signalwirkung nach außen, ähnliches gilt aus anderen Gründen auch für die gegenwärtig mit internen Herausforderungen beschäftigte EU. - Drittens verschärft der anhaltende Reformstau innerhalb der etablierten Organisationen als Binnenkrise die äußeren Herausforderungen noch zusätzlich. Auch das verbreitete Misstrauen gegenüber den Vereinten Nationen sowie deren durch Blockadepolitiken ausgehebelte Problemlösungsfähigkeit waren Faktoren, die den institutionalisierten Multilateralismus geschwächt haben. Jenseits etablierter multilateraler Formate haben sich – als Folge und Symptom der Krise des Multilateralismus zugleich – in den vergangenen Jahren neue Formate entwickelt bzw. an Bedeutung gewonnen. Neben dem bereits erwähnten Begriff des selektiven Multilateralismus wird das Phänomen solcher informeller Kooperationsund Abstimmungsmechanismen auch als „Club Governance“ beschrieben. Der Begriff des Clubs findet hierbei Verwendung, weil die dort produzierte Politik Ähnlichkeit zu sogenannten Club-Gütern aufweist: Es besteht zwar keine Rivalität im Konsum (z. B. profitieren alle Staaten davon, wenn eine kleine Gruppe Maßnahmen zur Beilegung eines militärischen Konflikts ergreift), aber die Mitglieder der entsprechenden Politikformate (z. B. G-7) sind sehr wohl in der Lage, Nicht-Mitglieder auszuschließen. Dies gilt teilweise für die Nutzung des Gutes (i. d. R. dadurch, dass die Ressourcen entsprechend der partikularen Interessen der Club-Mitglieder verwendet werden und nicht etwa für die Projekte, die der Präferenz der Mehrheit aller Staaten entsprächen), fast jedoch immer für die Erstellung und damit die Gestaltung des Gutes. Der klassische Multilateralismus, der größtenteils dem traditionellen deutschen Verständnis entspricht, zeichnet sich durch eine starke Formalisierung und – oftmals über Jahrzehnte gewachsene – Institutionalisierung mit einer inklusiven Mitgliederstruktur, geregelten Verfahren, konsensorientierten Entscheidungsprozessen, z. T. auch der Entwicklung von Regimen und Sanktionsmöglichkeiten aus. Dagegen ist der neue Multilateralismus durch eine lockerere Form von Ad-hoc-Koalitionen – 13

Vgl. Rinke / Schneckener: Informalisierung der Weltpolitik, S. 29 f.

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und mithin einen schwachen Institutionalisierungsgrad zugunsten von Informalität und Flexibilität – und eine größere Betonung der Output-Legitimität geprägt. Häufig stehen gemeinsame Interessen und / oder Werte einer Gruppe Gleichgesinnter im Mittelpunkt, die dann, häufig unmittelbar problembezogen, zeitweise gemeinsam verfolgt werden. Solche Formate sind also keine klassischen internationalen Organisationen oder Regime, sondern informelle oder / und schwach institutionalisierte Zusammenkünfte von Staatenvertretern in einem beschränkten Teilnehmerkreis (wobei sie durchaus einige formelle Elemente wie eine Präsidentschaft oder die Herausgabe von Dokumentationen aufweisen können). Diese Kooperationsformen werfen u. a. zwangsläufig die Frage auf, ob eine zunehmende Abkehr von klassischen völkerrechtlichen Rechtsinstrumenten und eine Dominanz informeller, rechtlich kaum oder gar nicht einzuordnender Steuerungsinstrumente zu rechtsstaatlichen Problemen führen. Das gilt für die internationale rule of law ebenso wie für die innerstaatliche Rechtsebene, die regelmäßig mit der Umsetzung internationaler Kooperationsinstrumentarien betraut ist. Für die Frage, welche Legitimität Club Governance beanspruchen kann, ist es zentral, ob tatsächlich Club-Güter bereitgestellt werden und Drittstaaten grundsätzlich von diesem Arrangement profitieren können, oder ob die Durchsetzung der Partikularinteressen für die teilnehmenden Staaten im Mittelpunkt steht. Rinke / Schneckener unterscheiden in dieser Hinsicht „clubs of the relevant“ von „clubs of the willing“.14 Während die erstere Gruppe also in Anspruch nehmen kann, für das Wohl aller einzutreten und damit Legitimitätsdefizite, die durch exklusive Mitgliederstrukturen und Prozesse entstehen, auszugleichen, fordert die zweite Gruppe die klassische normative Basis des Multilateralismus direkt heraus, weil es letztlich um eine Umgehung, wenn nicht gar ein Abschütteln der anderen Staaten, ihrer Interessen und Rechte geht. Zukünftige Steuerungsfähigkeit? Will man den Versuch unternehmen, die Leistungsfähigkeit, die Grenzen und Chancen der Club Governance im Vergleich zum klassischen Multilateralismus auszuloten, dann lassen sich mit Ulrich Schneckener die Parameter Legitimität, Effektivität, Kohärenz und Ressourcenmobilisierung unterscheiden: - Legitimität: Wer ist an Entscheidungen beteiligt und wer hat Zugang zum Club? - Effektivität: Sind die Gremien in der Lage, ihre Ziele zu erreichen und zu liefern? - Kohärenz: Sind die Beschlüsse einigermaßen widerspruchsfrei und aufeinander abgestimmt? - Ressourcenmobilisierung: Können finanzielle und politische Ressourcen zur Umsetzung der gefassten Beschlüsse mobilisiert werden?

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Ebd., S. 32 – 34.

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Daraus lässt sich ein „magisches Viereck multilateraler Politik“ konstruieren, durch dessen vier Ecken Legitimität, Effektivität, Kohärenz und Ressourcenmobilisierung die Relevanz solcher Foren zu einem großen Teil determiniert wird. Während sich argumentieren lässt, dass mit Formen des selektiven Multilateralismus unter Umständen effektiver agiert werden kann, erscheint die Legitimität im Vergleich zum faktisch universalen VN-System aufgrund geringerer Transparenz, verstärkter Selektivität / Exklusivität, einer wachsenden Kluft zwischen Regelsetzern und Regelnehmern, Exekutivlastigkeit, sinkender Bereitschaft zur grundsätzlichen Anerkennung konstitutiver multilateraler Regeln etc. fraglich. Gleichwohl kommt es dabei auf die Frage an, ob man eher auf die sog. output-Legitimität oder eher auf input-Legitimität zielt. Bei Effektivität, Kohärenz und Ressourcenmobilisierung dagegen lässt sich vermuten, dass Club-Formate im Verhältnis eher ein größeres Potenzial aufweisen, beispielsweise aufgrund der geringeren Anzahl an zu koordinierenden Akteuren, deren besserer Leistungsfähigkeit und des tendenziell kleineren Aktionsspektrums. Während also insgesamt betrachtet Clubs eine eher positive Bilanz hinsichtlich des Faktors Zielerreichung aufweisen, ist nicht immer klar, ob sie tatsächlich zur globalen Problemlösung beitragen (wollen) oder doch eher einer einvernehmlichen Sicherung von Partikularinteressen dienen. Zudem ergibt sich aus der Vielfalt der Foren, dem häufigen Wechsel der Formate und zahlreichen Überschneidungen die Herausforderung, dieses unübersichtliche Nebeneinander zumindest in Ansätzen zu koordinieren, um ein sektorübergreifendes Vorgehen zu ermöglichen. Ein mögliches Szenario für das zukünftige Verhältnis dieser beiden Multilateralismus-Formate wäre, dass die informellen Elemente für die Lösung aktueller Krisen und Konflikte zuständig sind, während sich die formellen Elemente auf die Implementierung und vor allem die Legitimation der Ergebnisse der informellen Gruppen konzentrieren. So ein „multilateralism light“ oder „messy multilateralism“ erinnert aber eher an das Konzert der europäischen Mächte im 19. Jahrhundert als an ein modernes und kohärentes Gesamtkonzept globaler Steuerung: keine formalen Regeln oder Verträge, keine permanenten Strukturen, Entscheidungen fallen immer auf Konsensbasis und sind selektiv und exklusiv. Es ist also eine offene Frage, ob die neuen Formate potenziell – zumindest in konkreten Fällen – zur Problemlösung beitragen oder eben auch das Potenzial haben, etablierte Formate und insbesondere die VN zu schwächen bzw. zu untergraben, womit dann auch eine Abkehr vom Universalismusgedanken einherginge. Ein sicher eher unangenehmer Teilaspekt ist dabei die Frage, wie wählerisch man unter den gegebenen Umständen bei der Wahl seiner Kooperationspartner sein soll und kann, überspitzt also die Frage, wie weit eine pragmatische Verantwortungsethik gehen darf. Es bedarf wohl einer unideologischen, offenen und an der jeweiligen konkreten Herausforderung orientierten wissenschaftlichen und politischen Debatte über die Chancen und Risiken in jedem einzelnen Fall und unter Prüfung aller potenziell nutzbaren Formate, der sich auch die deutsche Außenpolitik stellen muss. Ob mithin die Prämissen der Global-Governance-Anhänger tragfähig sind, darf bezweifelt werden, und insofern kann dieses Konzept mit einigem Recht als Chimäre

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bezeichnet werden. Das alles zeichnet ein eher düsteres Bild von der momentanen Steuerungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft. Zugleich aber belegt es die unbedingte Notwendigkeit effektiver internationaler Governance, die ausgehend von den veränderten Gegebenheiten zumindest in Teilen neu gedacht werden muss.

Prof. Dr. Johannes Varwick ist Lehrstuhlinhaber für internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dr. Jana Windwehr ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl.

Im Westen nichts Neues Historische Auseinandersetzung um Eurasien Von Josef Braml Amerika, das sich wegen der Defizite seines demokratischen Systems selbst blockiert, sieht sich vom autokratisch regierten China bedroht. Es besteht die Gefahr, dass auf beiden Seiten jeweils von Partikularinteressen motivierte Bedrohungswahrnehmungen sich in selbsterfüllende Prophezeiungen verwandeln. Europa, vor allem die Handelsnation Deutschland, muss aufpassen, um nicht zwischen die Fronten von Militärmächten zu geraten. * Ironie, nicht Ende der Geschichte Obschon nach dem Untergang der Sowjetunion das „Ende der Geschichte“ und der Siegeszug liberaler Demokratien und freier Marktwirtschaften prophezeit wurden,1 haben sich viele autokratische Regime2 bislang als sehr resistent erwiesen. Sie haben mehrere Demokratisierungswellen, Farbenrevolutionen (etwa die orangene in der Ukraine oder die grüne im Iran) und Jahreszeitenwechsel (Stichwort: Arabischer Frühling) überdauert. Insgesamt ist die große dritte Demokratisierungswelle des 20. Jahrhunderts, die 1974 mit dem Sturz der rechten Diktaturen in Griechenland, Portugal und Spanien begann und im annus mirabilis von 1989 kulminierte, schon Mitte der 1990er-Jahre ausgelaufen.3 Auch robuste Bemühungen externer Demokratisierung sind gescheitert, wie die Mission der amerikanischen Regierung unter George W. Bush, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Welt des Nahen und Mittleren Osten mit militärischen Mitteln demokratisieren zu wollen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Demokratisierungsbemühungen in Form des „Globalen Krieges gegen den Ter1

Fukuyama, Francis: The End of History and the Last Man, New York 1992. Der Begriff Autokratien umfasst nicht-demokratische autoritäre und totalitäre Herrschaftsformen. Ausführlicher zur Definition siehe Arendt, Hannah: The Origins of Totalitarism, New York 1951; Friedrich, Carl Joachim / Brzeszinski, Zbigniew: Totalitarian Dictatorship and Autocracy, Cambridge, Mass. 1956; Linz, Juan J.: Totalitarian and Authoritarian Regimes, in: Handbook on Political Science, Bd. 3: Macropolitical Theory, hrsg. von Fred I. Greenstein und Nelson W. Polsby, Reading, Mass. 1975, S. 175 – 411; Merkel, Wolfgang: Systemtransformation, Wiesbaden 2010, S. 40 ff. 3 Ebd., S. 491 ff. 2

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ror“ zwar keine neuen Demokratien geschaffen, wohl aber die eigene amerikanische Demokratie beschädigt haben, die seitdem illiberale Züge aufweist.4 Die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08, die von der Führungsmacht des Westens ausgelöst wurde, hat ein Übriges getan. Sie erschütterte den Glauben an die weitgehende Selbstregulierung der Märkte und die Kreditwürdigkeit des amerikanischen Staates. Der sogenannte Washington Konsensus, gemäß dem weltweit andere Länder ermutigt wurden, ihre politischen Systeme und Wirtschaftsordnungen nach amerikanischem Vorbild zu liberalisieren, hat an Glaubwürdigkeit verloren. Die USA selbst befinden sich in einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise. Zwar erheben die Vereinigten Staaten nach wie vor den Anspruch, eine liberale Weltordnung amerikanischer Prägung aufrechtzuerhalten, doch die Endlichkeit eigener wirtschaftlicher Ressourcen und die wechselseitige Blockade von Präsident und Kongress, radikalisierten Republikanern und Demokraten hindern sie zunehmend daran, ihre Weltordnungsfunktion wahrzunehmen, indem sie globale öffentliche Güter wie Sicherheit, freien Handel, funktionierende Finanzmärkte und eine stabile Leitwährung bereitstellen.5 Das ist jedoch die Voraussetzung dafür, dass andere Länder die Vormachtstellung der USA als liberalem Hegemon akzeptieren und seiner Führung folgen. Selbstblockade der USA Es wäre handlungsfähige Politik nötig, um zunächst die US-Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und auf Touren zu halten. Indem die US-Notenbank Geld druckte, konnte der wirtschaftliche Einbruch bislang abgewendet und ein mäßiges Wachstum erwirkt werden. Insgesamt wurde die Bilanz der US-Notenbank auf 4,5 Billionen Dollar aufgebläht und damit selbst für viele Experten unvorstellbare Summen billigen Geldes in die Wirtschaft gepumpt.6 Die US-Notenbank hat seitdem unter anderem Staatsanleihen in Höhe von 2,5 Billionen Dollar und verbriefte Immobiliendarlehen im „Wert“ von 1,7 Billionen Dollar im Bestand. Obschon die US-Notenbank im Oktober 2014 aufhörte, mit weiterer „quantitativer Lockerung“ zusätzliche Papiere zu kaufen, werden die fälligen Anleihen laufend durch neue ersetzt. Indem sie damit die Geldschwemme aufrechterhält und die sogenannte Liquidität auf den Märkten auch nicht mit spürbar höheren Zinsen abschöpft, ist die US-Notenbank

4 Braml, Josef / Lauth, Hans-Joachim: The United States of America – A Deficient Democracy, in: Comparative Governance and Politics, Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft ZfVP Sonderheft 1/2011, S. 103 – 132. 5 Braml, Josef: Der amerikanische Patient. Was der drohende Kollaps der USA für die Welt bedeutet, München 2012. 6 Labonte, Marc: Monetary Policy and the Federal Reserve. Current Policy and Issues for Congress, in: Congressional Research Service (CRS), CRS-Report for Congress, 18. 6. 2015, S. 13 – 14.

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also „weiterhin im Krisenmodus“.7 Doch damit wurde nur Zeit gekauft und im schlimmsten Fall dafür gesorgt, dass sich weitere Finanzblasen gebildet haben. Derzeit lassen sich viele Beobachter noch von den hohen Kursen an den Börsen blenden. Viele deutsche Unternehmensführer bleiben unbeirrt in ihren Lobpreisungen der amerikanischen Marktwirtschaft oder glauben an die Wunderheilung des „amerikanischen Patienten“. Dass die aktuellen Börsenwerte einer Handvoll IT-Unternehmen jene der führenden zwanzig deutschen Industrieunternehmen übertreffen, wird gern als Beleg für die Innovationskraft der USA herangezogen. Von diesen „Wert“-Schöpfungen werden aber wieder nur wenige Insider profitieren. Wer die Börsenwerte einiger aktuell hoch gehandelter US-Unternehmen für bare Münze nimmt, ignoriert die Tatsache, dass die derzeitigen Kurse an den Börsen nicht zuletzt auch dank der Geldschwemme der US-Notenbank nach oben befördert wurden und die „Werte“ sich als weitere Illusion herausstellen könnten. Im schlimmsten Fall wird die Blase zerplatzen – mit unvorhersehbaren Folgen. Im besten Falle wird die Luft langsam entweichen, die Aktienkurse werden etwas langsamer sinken und sich wieder den realen Wirtschaftsverhältnissen annähern. Im Energiesektor werden die Folgen der lockeren Geldpolitik bereits deutlich sichtbar. Der „Ölrausch“ in den USA wurde beflügelt durch das billige Geld der US-Notenbank. Viele kleinere Pionierunternehmen, die von Private-Equity-Firmen finanziert und vertraglich zu Mindestmengen verpflichtet wurden, können aufgrund des gegenwärtigen – durch den Preiskampf Saudi-Arabiens forcierten – Überangebots und Preisverfalls bei Schiefergas nicht mehr ihre Investitions- und Produktionskosten decken. Die meisten Pioniere werden sich wirtschaftlich zu Tode „fracken“. In erster Linie sind Produzenten gefährdet, die nicht eigenes Kapital investiert, sondern sich hoch verschuldet haben. Viele sind von Investoren abhängig, die nicht langfristig anlegen, sondern den schnellen Profit suchen. Beide, klamme Produzenten und die gewinnorientierten Investoren, dürften sich jedoch mit dem Fracking-Boom verspekuliert haben. Mit dem Zerplatzen der Blase im Öl- und Gassektor wird auch der Traum von der Energieunabhängigkeit und der Reindustrialisierung der USA zerstört werden. Vielmehr besteht die Gefahr, dass ganze Landstriche, die bislang vom Öl- und Gasboom profitierten, nunmehr mit wirtschaftlichen Einbrüchen konfrontiert werden, die Arbeitsplätze vernichten. Zudem werden die Staatshaushalte einer Reihe von Einzelstaaten belastet und Banken gefährdet, die die Öl- und Gasförderung mit Krediten befeuert hatten. Es bleibt zu hoffen, dass nicht wieder – wie schon nach dem Platzen der Immobilienblase – durch umfangreiche Kreditausfälle das gesamte Finanzsystem in Mitleidenschaft gezogen wird. Gleichwohl bedeutet der Fluch für die Öl- und Gasförderregionen einen zeitlich begrenzten Segen für die US-Volkswirtschaft, die zu zwei Dritteln von privater Nach7 Wiebe, Frank / Mallien, Jan: Weiterhin im Krisenmodus, in: Handelsblatt, 18. 9. 2015, S. 28.

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frage getrieben wird. Solange die Ölpreise niedrig sind, haben Amerikaner mehr Kaufkraft und können es sich leisten, zu konsumieren oder ihre drückende Schuldenlast etwas zu erleichtern. Es ist aber bemerkenswert, ja, alarmierend, dass trotz des durch die US-Notenbank herbeigeführten niedrigen Zinsniveaus und der indirekten Wirtschaftsförderung durch niedrige Energiepreise die US-Wirtschaft nicht wirklich Fahrt aufnehmen kann. Um die schwache Wirtschaft anzukurbeln, müsste die Politik sehr schnell handeln – in den Bereichen Infrastruktur und Bildung investieren sowie durch eine Reform des Steuersystems dafür sorgen, dass die gravierende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen nicht weiter zunimmt und die Wirtschaft noch stärker belastet wird. Sieht man sich die Verteilung der Vermögen und Einkommen in den USA genauer an, fallen einem sofort gravierende Unterschiede auf, die sozialen Sprengstoff bergen und geradezu verhindern, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Wenn nämlich stimmt, dass die amerikanische Wirtschaft zum Gutteil durch Nachfrage, also vom Privatkonsum, angetrieben wird, dann ist die soziale Schieflage Gift für die wirtschaftliche Erholung. Im Vergleich zu anderen hochindustrialisierten Ländern ist in den USA die Umverteilung in Form von Steuern, Arbeitslosengeld und Sozialabgaben recht gering.8 Das hat zur Folge, dass immer mehr Amerikaner immer weniger kaufen können, weil auch das Konsumieren auf Pump nicht mehr in dem Ausmaß wie bisher möglich ist. Während die partiell ungleiche Einkommensverteilung in vielen (europäischen) Ländern durch Sozialpolitik ausgeglichen wird, finanzieren andere, allen voran die US-Bürger, ihren Konsum durch Kredite. In der Vergangenheit erfolgte dies vor allem durch kreditfinanzierte Immobilien. Fehlende staatliche Regulierungen, die lockere Geldpolitik der US-Notenbank und auch ausländische Kreditgeber halfen dabei, indem sie reichlich billiges Geld zur Verfügung stellten und den amerikanischen Traum einer „Eigentümergesellschaft“ und eine Wohlstandsillusion nährten. Der Immobilienmarkt, der bis zum Platzen der Blase zwei Drittel bis drei Viertel des US-Konsums alimentierte,9 indem Häuser immer wieder beliehen und als Geldautomaten missbraucht wurden, wird diese vermeintliche Wachstumsfunktion nicht mehr übernehmen können. Business as Usual? Denn das kreditfinanzierte amerikanische Konsummodell funtionierte in der Vergangenheit, weil insbesondere asiatische Volkswirtschaften, vor allem China, den Gegenwert ihrer Exporte den USA wieder als Kredite zur Verfügung stellten. Indem die chinesische Zentralbank fortwährend US-Staatsanleihen kaufte, sorgte sie dafür, dass sie einerseits die eigene Währung, den Yuan, gegenüber dem Dollar 8

Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD): In It Together. Why Less Inequality Benefits All (Summary in English), Paris 2015. 9 Stiglitz, Joseph: Im freien Fall. Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, München 2010, S. 28.

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abwertete. Andererseits konnten die nunmehr mit einem kräftigen Dollar ausgestatteten Amerikaner über diesen Währungsmechanismus weiterhin verbilligte chinesische Produkte kaufen. Der erst später fällige Preis war jedoch, dass die Zinsen in den USA zu niedrig waren und zu Fehlallokationen führten, indem sie eine Immobilienblase nährten, die das Konsumieren auf Pump ermöglichte. Diese Symbiose funktionierte auf wundersame Weise – bis zum Platzen der Immobilienblase, der damit ausgelösten Banken- und Finanzkrise und der einhergehenden weltweiten „Wert“-Verluste. Aus dem bisherigen Schaden klüger geworden, versuchen die Entscheidungsträger in Peking heute, sich aus der US-Dollar-Falle zu lösen, die eigene Wirtschaft stärker auf Binnenkonsum umzustellen und Chinas Export-Märkte zu diversifizieren. Mit der sogenannten „Seidenstraßeninitiative“ („Ein Gürtel, eine Straße“) will das Reich der Mitte über Land- und Seewege seine Wirtschaft mit den Nachbarn in der Region, mit Westasien, Afrika und Europa verbinden. Wenn China Straßen, Bahnlinien, Flughäfen, Häfen und Telekommunikationsverbindungen selbst oder über von ihm dominierte multilaterale Organisationen finanziert, kommen vor allem chinesische Arbeiter in Lohn und Brot. Zudem werden neue Absatzmärkte in Zentralasien und Europa erschlossen – und die Einflussbereiche seiner glorreichen Vergangenheit wieder errichtet. Das ist aus Sicht der Geostrategen in Washington ein äußerst bedrohliches Szenario. Wenn China sogenannte öffentliche Güter wie Infrastruktur, Handels- und Informationswege zur Verfügung stellt, baut es langsam aber sicher seine Vormachtstellung aus. Indem es als kluge Macht seine nationalen Interessen breiter definiert, anderen erlaubt, davon ebenso zu profitieren, kann es Führung beanspruchen und Gefolgschaft erwarten. Ein Beleg dafür ist Pekings Erfolg – trotz massiven Gegendrucks der USA –, europäische Partner wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland für seine Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) gewonnen zu haben. Da der amerikanische Kongress über fünf Jahre internationale Vereinbarungen blockierte, China mehr Mitsprache in den bestehenden, von den USA dominierten BrettonWoods-Institutionen (Weltbank und IWF) einzuräumen, baut das Reich der Mitte nunmehr von ihm beeinflusste Alternativstrukturen auf. Autoritäre Großmächte wie China gelten heute nicht nur in Ostasien als „ernst zu nehmende Gegenentwürfe zur liberalen Demokratie“.10 Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas wird bereits mit dem Abstieg des Westens assoziiert;11 einige Experten preisen schon den „Peking Konsensus“ als zukunftsweisend.12 10 Köllner, Patrick: Autoritäre Regime – keine weltweit aussterbende Gattung, sondern eine wachsende Herausforderung, in: German Institute of Global and Area Studies (GIGA), GIGA Focus 6/2008, S. 1; Merkel, Wolfgang: Are Dictatorships Returning? Revisiting the „Democratic Rollback“ Hypothesis, in: Contemporary Politics 1/2010, S. 17 – 31. 11 Sandschneider, Eberhard: Der erfolgreiche Abstieg Europas. Heute Macht abgeben, um morgen zu gewinnen, München 2011. 12 Zum Beispiel Halper, Stefan: The Beijing Consensus: How China’s Authoritarian Model Will Dominate the Twenty-first Century, New York 2010.

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„Neue historische Auseinandersetzung“ Der berühmte amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der seinerzeit vorschnell das „Ende der Geschichte“ ausgerufen, sprich im Wettkampf der Systeme den endgültigen Sieg liberaler Demokratien und freier Marktwirtschaften gefeiert hatte, diagnostiziert heute elementare Defizite der westlichen Führungsmacht. Die Unzulänglichkeiten der USA seien umso problematischer, weil sich ein neuer Konkurrent namentlich China anschicke, sein Gegenmodell zu exportieren. Die Geschichte geht also doch weiter, denn Fukuyama sieht eine neue „historische Auseinandersetzung“ um das „Schicksal Eurasiens“ im Gange: zwischen den USA und seinen westlichen Partnern auf der einen und China auf der anderen Seite.13 Bereits heute stellt die von Peking weltweit orchestrierte Entwicklungshilfe die Bemühungen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in den Schatten. Während dem amerikanischen Staat Geld und Handlungsfähigkeit fehlen, selbst im eigenen Land die maroden Straßen, Brücken und Flughäfen zu erneuern, finanziert China weltweit Infrastruktur, entwickelt damit neue Absatzmärkte und kann sich so vom bisherigen Hauptabnehmer USA emanzipieren – dem es bislang in großen Mengen das Geld geliehen hatte, damit dieser chinesische Produkte kaufen konnte. Das betrifft nicht nur US-Bürger, die aus ihrer Wohlstandsillusion gerissen werden, sondern auch den amerikanischen Staat, der ebenso schon seit Längerem über seine Verhältnisse lebt. China ist nicht mehr bereit, in gleichem Maße wie bisher mit seinen Devisenreserven den US-Staatshaushalt zu finanzieren, der zu einem Großteil dafür verwendet wird, die Weltmacht militärisch und sicherheitsdienstlich gegen die „gelbe Gefahr“ aufzurüsten. Diese Veränderungen des „Business as Usual“ alarmieren den militärisch-industriellen Komplex14 ebenso wie die Wall Street. Die Vordenker – in fast ausschließlich privat finanzierten – Think Tanks mahnen bereits zu einer neuen „Grand Strategy“. Auch sie nehmen China ins Visier. Anstelle des bisherigen Flickwerks einzelner Strategien gegenüber diversen Ländern und in bestimmten Politikfeldern (Sicherheits-, Handels- oder Energiepolitik) sollten die USA wieder eine globale, themenübergreifende Ausrichtung, also eine umfassende „Grand Strategy“, verfolgen.15 Damit solle auf jeden Fall verhindert werden, dass ein 13

Fukuyama, Francis: Exporting the Chinese Model, in: Project Syndicate, 12. 1. 2016. In seiner Abschiedsrede im Januar 1961 warnte US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der einst selbst Generalstabschef der Armee war, vor dem „militärisch-industriellen Komplex“ in den USA. Ausführlicher zur Problematik vgl. Medick, Monika: Das Konzept des „MilitaryIndustrial Complex“ und das Problem einer Theorie demokratischer Kontrolle, in: Militarismus, hrsg. von Volker Berghahn, Köln 1975, S. 347 – 377. 15 Zum Beispiel Martel, William C.: America’s Grand Strategy Disaster, in: The National Interest, 9. 6. 2014; Hooker jr., Richard D.: The Grand Strategy of the United States, hrsg. vom Institute for National Strategic Studies, National Defense University, Washington, D.C. 2014; Mattis, Jim: A New American Grand Strategy, in: Definig Ideas, A Hoover Institution Journal, 26. 2. 2015. 14

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möglicher Rivale den USA die See- oder Lufthoheit im eurasischen Raum – dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich interessantesten Gebiet dieser Erde – streitig macht und wirtschaftliche Aktivitäten der USA unterbindet oder ihnen den Zugang zu Ressourcen verwehrt. Obwohl dies selten offen ausgesprochen worden ist, haben die Militäroperationen und diplomatischen Aktivitäten der USA in den vergangenen Dekaden genau dieses zentrale Ziel verfolgt – so lautet die Analyse des Congressional Research Service, des überparteilichen wissenschaftlichen Dienstes des Kongresses.16 China wird auch von den aktuellen Wahlkämpfern thematisiert, von denen die meisten von der Finanz- und Rüstungsindustrie gesponsert und von Experten in Think Tanks beraten werden, die sich damit eine künftige Anstellung in der nächsten Regierung erhoffen. Eine Schar von Wahlkämpfern ist sich bei allem Streit in innenund außenpolitischen Fragen in einem Punkt mehr oder wenig einig, nämlich der Bedrohung durch China zu begegnen. Wer das Ganze als Wahlkampfgetöse abtut, das nach den Wahlen wieder vergessen sein wird, ignoriert die innenpolitische Dynamik in den USA ebenso wie die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die sich international abzeichnenden Machtverschiebungen. Die USAwerden mit allen Mitteln, harter und weicher Macht, versuchen, den weiteren Machtzuwachs Chinas zu verhindern. Anders als im Kalten Krieg, als in voneinander abgegrenzten Wirtschaftsblöcken gemäß dem vorherrschenden Nullsummendenken der Vorteil des einen Protagonisten einen Nachteil für den anderen bedeutete, würden heute im Konfliktfall beide verlieren. Eine Schwächung des einen würde unweigerlich auch gravierende Probleme für den anderen bewirken. Dieses neue, nunmehr „ökonomische Gleichgewicht des Schreckens“ lässt Optimisten hoffen, dass die USA und China Konfrontationen vermeiden und gemeinsam eine friedliche Weltordnung aufrechterhalten. Selbst wenn 1914 ein hohes Maß an wirtschaftlicher Verflechtung die Welt nicht vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges bewahren konnte, sind „Handelsstaaten“, denen wirtschaftliche Entwicklung wichtiger ist als militärisches Prestige, in der Regel friedfertiger als „Kriegerstaaten“, deren Gesellschaften und politische Kultur militarisiert sind.17 Denn im Falle militärischer Konfrontationen steht für sie zu viel auf dem Spiel. Es sei denn, die Wirtschaft und Politik eines Staates hängen, wie dies auch in den USA immer ausgeprägter wird, von der Rüstungsindustrie und gewinnbringenden Sicherheitsbündnissen ab. Militärgüterexporte, darunter auch an autokratische Staaten, sind ein wichtiger Aktivposten im Außenhandel der USA. Nach den Statistiken des Stockholm Inter-

16 O’Rourke, Ronald: A Shift in the International Security Environment. Potential Implications for Defense – Issues for Congress, in: Congressional Research Service (CRS), CRS Report for Congress, 14. 7. 2015, S. 8. 17 Die Begriffe stammen von Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Stuttgart 2002 (1795), S. 33.

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national Peace Research Institute (SIPRI)18 haben allein in der vergangenen Dekade, von 2005 bis 2014, internationale Waffenverkäufe um knapp ein Fünftel (16 %) zugenommen. 94 Länder kauften Waffen von den USA; knapp die Hälfte aller Waffen (48 %) ging nach Asien und Ozeanien, ein Drittel (32 %) landete im Mittleren Osten. Die größten Exporteure waren die USA, gefolgt, mit großem Abstand, von Russland, China, Deutschland und Frankreich. Insbesondere die Verkäufe des ohnehin größten Exporteurs USA haben überdurchschnittlich, um weitere 23 %, zugelegt. Die USA sind denn auch der Haupttreiber eines neuen globalen Rüstungswettlaufs, der im Mittleren Osten und immer mehr in Asien und im pazifischen Raum ausgetragen wird. Die USA beruhigen ihre Alliierten, etwa arabische Staaten, die durch den Nuklear-Deal Washingtons mit Teheran verunsichert sind, mit noch mehr Militärhilfe und weiteren Waffenlieferungen. Ebenso werden die Freunde der USA in Asien und im Pazifik mit neuen Sicherheitsvereinbarungen und Waffenlieferungen gegen den möglichen Aggressor China aufgerüstet (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Top 20 Hauptabnehmer von US-Rüstungsexporten, 2000 – 2014 (in Mio. $ TIV – ein Indikator zum Mengenvergleich, keine Wertangabe) Quelle: SIPRI: „Arms Transfers“-Datenbank

Chinas wirtschaftlicher Aufstieg und das damit einhergehende militärische Wachstum bestätigen wiederum die Geostrategen in den USA und ihre Verbündeten in Asien, dass das Reich der Mitte Böses im Schilde führt und die „Transformation“ 18 Wezeman, Siemon T. / Wezeman, Pieter D.: Trends in International Arms Transfers 2014, in: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), SIPRI Fact Sheet 3/2015.

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und Modernisierung insbesondere der amerikanischen Streitkräfte forciert werden muss. Denn nur durch die Überlegenheit der USA, nicht zuletzt durch neue, zunehmend entmenschlichte, weil autonome Waffensysteme, könne der Rivale abgeschreckt werden. Für ihre interventionistische Außenpolitik müssen die USA auch selbst gut gerüstet sein. Im Kalten Krieg konnten die USA das Wettrüsten gegen die Sowjetunion für sich entscheiden, nicht zuletzt wegen der Rüstungsoffensive Ronald Reagans in den 1980er-Jahren. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Verteidigungshaushalt wieder etwas zurückgefahren. Doch die sogenannte Friedensdividende währte nicht lange. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde der Militärhaushalt im Vergleich zu den späten 1990er-Jahren fast verdoppelt (vgl. Abb. 2).19 Sie veranlassten Präsident George W. Bush, seine im Wahlkampf noch als bescheiden und zurückhaltend angekündigte „humble foreign policy“ auf eine revolutionäre Außenpolitik umzustellen.20

Abb. 2: US-Verteidigungsausgaben 1975 – 2015, in Mrd. Dollar, inflationsbereinigt (Basisjahr 2009) Quelle: Office of the Under Secretary of Defense (Comptroller): National Defense Budget Estimates for FY 2016, Washington, D.C. 2015, S. 249 – 251.

19

Office of the Under Secretary of Defense (Comptroller): National Defense Budget Estimates for FY 2016, Washington, D.C. 2015, S. 249 – 251. 20 Daalder, Ivo / Lindsay, James: America Unbound. The Bush Revolution in Foreign Policy, Washington, D.C. 2003.

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Wer sich einerseits die im globalen Krieg gegen den Terror zusätzlich aufgebauten Kapazitäten ansieht, insbesondere die Militär- und Drohnenstationen, kann – vor allem aus chinesischer Sicht – den Eindruck gewinnen, dass damit eine weitere Gefahr eingedämmt werden sollte: Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas, der durch Peking auch militärisch flankiert wird, ist in den Augen von Sicherheitsstrategen in Washington die größte Bedrohung der USA. Wer andererseits nur die kontinuierlich und deutlich steigenden Militärausgaben und das martialische Auftreten Chinas im pazifischen Raum betrachtet, muss befürchten, dass es auch im Reich der Mitte Hardliner gibt, die künftig noch stärker den Ton angeben werden. Denn auch in Washington können die anstehenden Haushaltskürzungen im militärischen Bereich wohl nur noch abgemildert werden, wenn man vonseiten der Rüstungsindustrie und der von ihr finanziell motivierten Politiker und Experten die „gelbe Gefahr“ überzeichnet. So lieferte der Berater Aaron Friedberg der Politik bereits Argumentationshilfen. „Um die notwendigen Ausgaben in Zeiten knapper Haushalte zu rechtfertigen“, so der Princeton-Professor, „müssen unsere Führer deutlicher die Interessen der Nation sowie die Verpflichtungen in Asien erklären und ungeschminkter die Herausforderungen beschreiben, die Chinas unbarmherzige militärische Rüstung darstellt“.21 Im Haushaltsjahr 2015 bezifferte sich das Verteidigungsbudget der USA auf 554 Milliarden Dollar.22 Die Ausgaben für Verteidigung bestreiten mittlerweile mehr als die Hälfte der Ermessensausgaben (discretionary spending) des gesamten US-Haushalts, die anders als die gesetzlichen Ansprüche (entitlements) jedes Jahr in einem Aushandlungsprozess zwischen dem Kongress und dem Weißen Haus festgelegt werden können. Auch im internationalen Vergleich kann sich das amerikanische Verteidigungsbudget sehen lassen: Auf das Konto der USA gehen knapp die Hälfte aller weltweiten Rüstungsausgaben. Obwohl die USA über einen größeren Militärhaushalt als die neun Länder mit den nächstgrößten Etats zusammengenommen verfügen,23 sorgt man sich in Washington, dass China den Abstand verringert. Dank neuer Technologien, so fürchtet man, könnte das Reich der Mitte den USA den Zugang zum Südchinesischen Meer verwehren (im Militärcode: Area Denial und Anti-Access) und die Vormachtstellung der USA in Asien herausfordern. Aufgrund ihrer prekären wirtschaftlichen und angespannten innenpolitischen Lage müssen die USA indes versuchen, ihre Streitkräfte zu reduzieren, ihren sogenannten militärischen Fußabdruck zu verkleinern. Sie wollen dafür aber mit „intelligenteren Methoden“ – vornehmlich durch den geheimdienstlichen und militärischen Einsatz von Drohnen und im Verborgenen operierenden Spezialeinheiten – geostrategisch wichtige Gebiete und andere „Räume“ beherrschen.

21

Friedberg, Aaron L.: China’s Challenge at Sea, in: New York Times, 4. 9. 2011. Office of the Under Secretary of Defense (Comptroller): National Defense Budget Estimates, S. 249 – 251. 23 International Institute for Strategic Studies (IISS): The Military Balance, London 2015, S. 21 ff. 22

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Um die technologische Überlegenheit zu wahren, läutete bereits George W. Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die „Transformation“ des amerikanischen Militärs ein, die darin besteht, den Umfang und die Kosten der Streitkräfte zu reduzieren und dafür in moderne Technologie zu investieren. Unbemannte (autonome) Systeme sowie Cyber- und Weltraumtechnologien sollen es den USA ermöglichen, kostengünstiger „Räume“ zu kontrollieren.24 Der Druck gestiegener Personalkosten und die seit den gescheiterten Haushaltsverhandlungen zwischen Republikanern und Demokraten drohenden Kürzungen haben diesen Trend verstärkt. Damit das Militärbudget nicht allzu sehr schrumpft und die drohenden Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip (sequestration) abgewendet werden können, werden Militärexperten und Rüstungslobbyisten nicht müde werden, auf die Gefahr hinzuweisen, dass China durch kontinuierliche Aufrüstung die unangefochtene Vormachtstellung der USA in Asien irgendwann herausfordern könnte. Die menschliche Einsicht, dass Sicherheit nur miteinander und nicht gegeneinander erreicht werden kann, wird durch die Betreiber der neuen waffentechnologischen Entwicklung und geopolitischen Konkurrenz Chinas und der USA ignoriert, zumal damit im Reich der Mitte die Militäreliten auch im Inneren mehr Macht gegenüber den an Ausgleich interessierten Wirtschaftseliten bekommen und auch in den USA der nicht minder mächtige militärisch-industrielle Komplex sehr gut von der Konfrontation lebt. Was können wir tun? Deutschlands Verantwortliche in Politik und Wirtschaft sollten sich bereits jetzt Gedanken machen, wie diese Konfrontation zwischen China und den USA abgemildert werden kann. Denn es ist nicht im Interesse einer Handelsnation, die umfangreiche Wirtschafts-, Handels- und Währungsbeziehungen mit beiden unterhält, zwischen die Fronten von Militärmächten zu geraten. Deutschland sollte eine diplomatische Brückenfunktion anbieten, um gefährliche Rivalitäten zwischen vermeintlich starken Staaten verhindern zu helfen. Es ist noch nicht zu spät, China als „Responsible Stakeholder“ in bestehende Institutionen zu integrieren. Deutschland und die übrigen EU-Staaten waren gut beraten, Druck auf die USA auszuüben, die IWF-Reform durch den Kongress zu bringen. Mit der Aufnahme des Yuan in den Währungskorb für die multilaterale Abrechnungseinheit der Sonderziehungsrechte (SZR) haben westliche Staaten bereits anerkannt, dass Peking seine Währung zunehmend internationalisiert und damit seine Wirtschaft öffnet. Schließlich hat eine stärkere chinesische Währung auch Vorteile. Die USA müssen Peking nicht mehr wie bisher der „Währungsmanipulation“ bezichtigen und kön24 U.S. Department of Defense: Quadrennial Defense Review 2014, Washington, D.C. 2014, S. 6; U.S. Department of Defense: The Defense Innovation Initiative, Memorandum von US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, Washington, D.C., 15. 11. 2014, http://www.defense. gov/pubs/OSD 013411 – 14.pdf.

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nen ebenso wie die Europäer darauf hoffen, dass China sein exportlastiges Wirtschaftsmodell stärker auf Binnenkonsum und Importe umstellt. Deutschland sollte deshalb weiter versuchen, wie der leider früh verstorbene ehemalige außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Philipp Mißfelder es vorschlug, „einen NATO-China-Rat zu schaffen, um das Konfliktpotenzial, das in der geopolitischen Konkurrenz Chinas mit den Vereinigten Staaten liegt, zu vermindern und Lösungen für globale sicherheitspolitische Herausforderungen zu finden“.25 Es ist heute wichtiger denn je, auch „unter Freunden“ wieder eine Abrüstungsdebatte zu führen. Denn ohne Abrüstungsbemühungen der USA, deren militärische Macht ohnehin Ihresgleichen sucht, bleibt ein multilaterales, von der Staatengemeinschaft getragenes Rüstungskontrollregime eine Illusion. Auch die Europäische Union sollte ein vitales Interesse haben, die sino-amerikanische Rivalität in eine regionale multilaterale Architektur einzubetten, weil die Wirtschaftsinteressen der EU dies offenkundig machen.26 Chinas Außenhandel hat sich in den vergangenen zwölf Jahren verzehnfacht. Die EU ist Chinas größter Handelspartner. Seit Ende 2013 verhandeln die EU und China über ein umfassendes Investitionsabkommen, in dem Investitionsschutz und Marktzugang für Investoren geregelt werden sollen.27 Bereits heute wird deutlich, dass sich Europa wegen der gravierenden sozioökonomischen Probleme in den USA nicht mehr auf die Kaufkraft der Amerikaner verlassen kann. Europäische und asiatische Volkswirtschaften müssen sich von ihrem Wunschdenken verabschieden, dass bald wieder eine auf Pump getriebene Konsumlokomotive USA die Weltwirtschaft aus ihrer Misere herauszieht. Die massiv vom Export abhängigen Volkswirtschaften Europas und Asiens sollten sich realistischere Gedanken machen, wie sie ihren Binnenkonsum nachhaltig und generationengerecht fördern können – auch um ihre politischen Systeme zu stabilisieren. Nicht zuletzt sind auch die Demokratien westlicher Prägung auf dem Prüfstand. Laut Bill Galston, dem Architekten der beiden Wahlsiege Bill Clintons und Vordenker der Demokraten, ist in der westlichen Welt der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gültige, auf wirtschaftlichem Wohlstand basierende „liberal-demokratische Gesellschaftsvertrag“ infrage gestellt, das Vertrauen in die Regierung ist verloren ge-

25 Mißfelder, Philipp: CDU/CSU: Handlungsfähigkeit in einer globalisierten Welt, in: Außenpolitik in der Wirtschafts- und Finanzkrise, Jahrbuch Internationale Politik, Bd. 29, hrsg. von Josef Braml, Stefan Mair und Eberhard Sandschneider, München 2012, S. 376 – 381, hier S. 380. 26 So die Schlussfolgerung einer Analyse der regionalen Zusammenarbeit im asiatischpazifischen Raum: Bersick, Sebastian: ASEAN, EAS, APEC – regionale Zusammenarbeit im asiatisch-pazifischen Raum, in: Außenpolitik in der Wirtschafts- und Finanzkrise, Jahrbuch Internationale Politik, Bd. 29, hrsg. von Josef Braml, Stefan Mair und Eberhard Sandschneider, München 2012, S. 292 – 298, hier S. 298. 27 Auswärtiges Amt: Länderinformation China, Wirtschaft, Stand: Mai 2015, http://www. auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Wirtschaft_node.html.

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gangen.28 Die goldene Ära liberaler westlicher Demokratien ist also vorerst vorbei. Denn Länder wie Griechenland schaffen es nicht mehr, den gewünschten Wohlstand zu generieren, und damit geraten die etablierten Ordnungen ins Wanken. Amerikas Intellektuelle sorgen sich nicht zu Unrecht um Europa. Doch sie sollten auch einen Blick auf die Demagogen in ihrem eigenen Land werfen. Der aktuelle US-Wahlkampf bietet genügend Anschauungsmaterial. Dr. Josef Braml ist Leiter der Redaktion des Jahrbuchs Internationale Politik und USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und konnte zuvor als Mitarbeiter renommierter amerikanischer Politikberatungsinstitute, der Weltbank und im Kongress der USA die Entscheidungsträger und Meinungsführer sowie entscheidende Kräfte im Machtgefüge der amerikanischen Politik und Wirtschaft so nah wie kaum ein anderer deutscher Experte beobachten. Soeben erschien beim Quadriga-Verlag sein Buch „Auf Kosten der Freiheit: Der Ausverkauf der amerikanischen Demokratie und die Folgen für Europa“.

28 Galston, William A.: The New Challenges of Market Democracies, Brookings Institution, Brookings Research Report, Washington, D.C. 2014, http://www.brookings.edu/research/ reports2/2014/10/new-challengemarket-democracies.

Das Scheitern der Arabellion und die Folgen für externe Demokratieförderung Das Beispiel Ägypten Von Stephan Roll und Lena Drummer Fünf Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ erlebt Ägypten eine umfassende Restauration des Polizeistaats. Die Gründe für dieses Scheitern des demokratischen Aufbruchs finden sich vor allem im Verhalten der politisch relevanten Eliten. Ob diese indes dauerhaft eine politische Öffnung des Landes aufhalten können, ist keineswegs ausgemacht. Das aggressive staatliche Vorgehen gegen den kleinen Rest einer kritischen Zivilgesellschaft zeigt, wie groß die Angst vor erneuter Mobilisierung ist. Deutschland und seine europäischen Partner sollten ihre Zusammenarbeit mit Ägypten deutlich stärker als bisher an politische Reformen knüpfen, ohne die es keine nachhaltige Stabilisierung des bevölkerungsreichsten arabischen Landes geben wird. * Einleitung In Ägypten ist dem sogenannten „Arabischen Frühling“ ein kalter Winter gefolgt. Zwar konnte bislang ein Staatszerfall wie in Libyen, Syrien und dem Jemen vermieden werden. Die Hoffnung der überwiegend jungen Menschen, die Anfang 2011 zu tausenden auf die Straßen und Plätze des Landes strömten, um politische und wirtschaftliche Reformen einzufordern, wurden aber bitter enttäuscht. Seit dem Militärputsch im Sommer 2013 erlebt das mit 90 Millionen bevölkerungsreichste Land der Region eine Restauration des Polizeistaats. Die Entwicklung in Ägypten wirft damit Fragen auf, die sich so auch für andere Länder in der Region stellen lassen: Worin liegen die Gründe für das bisherige Scheitern des Transformationsprozesses? Ist der Aufstand gegen das Mubarak-Regime 2011 tatsächlich vergebens gewesen oder bleibt Raum für zukünftige positive Dynamiken? Vor allem aber: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich hieraus für westliche Demokratieförderung? Negative Bilanz Die staatliche Repression, die Ägypten unter dem neuen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi erlebt, geht weit über das hinaus, was in der 30-jährigen Mubarak-Ära üblich

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war. Nach Angaben ägyptischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen wurden zwischen dem Militärputsch am 3. Juli 2013 und Ende 2015 bis zu 2.600 Menschen bei Protesten durch Sicherheitskräfte getötet. Allein bei der Räumung der Protestlager von Mursi-Anhängern in Kairo und Giza am 14. August 2013 gab es über 900 Todesopfer – Human Rights Watch sprach anlässlich dieses Massakers von den „worst mass unlawful killings“ in Ägyptens neuerer Geschichte.1 Auch die Inhaftierung von mehr als 40.000 vermeintlichen Regimegegnern sowie hunderte Fälle von Zwangsverschleppungen und Folter durch Sicherheitskräfte sprechen eine deutliche Sprache. Parallel zu den physischen Übergriffen setzte das Regime auf eine Verrechtlichung der Repression. In Abwesenheit eines Parlaments wurde der Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Akteure während Präsident Sisis erstem Amtsjahr sukzessive durch Präsidialdekrete beschränkt. Diese sind zumeist bewusst schwammig formuliert, um den zuständigen Behörden bei der flächendeckenden juristischen Verfolgung von Regimekritikern freie Hand zu lassen. Sichtbarste Beispiele sind das neue Versammlungsgesetz, die verschärften Regeln zur ausländischen Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und Projekten der Zivilgesellschaft, die Erweiterung der strafrechtlichen Definition des Terrorismusstraftatbestands und die Einführung einer Registrierungspflicht, welche in- und ausländische Nichtregierungsorganisationen unter die Kontrolle des Sozialministeriums stellt. Durch diesen gesetzlichen Rahmen ist autoritäres Regieren auch ohne Notstandsverordnungen möglich. Allein in der ersten Jahreshälfte 2015 konnten hierdurch 400 Nichtregierungsorganisationen geschlossen werden.2 Die Verengung des politischen und zivilgesellschaftlichen Raums befördert nicht nur die Polarisierung in der Gesellschaft.3 Gewalt produziert auch immer stärker Gegengewalt. Die massive Repression, die unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung durchgeführt wird, führt zur Radikalisierung von zuvor moderaten politischen Akteuren nicht nur im islamistischen Spektrum. So hat die Frequenz terroristischer Anschläge seit 2013 erkennbar zugenommen.4 Allein auf dem Sinai kam es 2015 fast täglich zu Anschlägen. Allerdings breitete sich die Gewalt gegen Sicherheitskräfte und staatliche Infrastruktur auch in anderen Landesteilen erkennbar aus. Dabei dürfte Rache für erfahrenes Unrecht durch staatliche Repression oftmals ein stärkeres Motiv sein als ideologische Verblendung.

1

https://www.hrw.org/news/2013/08/19/egypt-security-forces-used-excessive-lethalforce, Stand: 10. 3. 2016. 2 http://www.madamasr.com/news/social-solidarity-ministry-shutters-least-39-more-ngosover-400-closed-year, Stand: 10. 3. 2016. 3 https://www.ictj.org/news/state-repression-polarized-politics-thwart-hopes-justice-egypt, Stand: 10. 3. 2016. 4 Im monatlichen Durchschnitt wurden 2015 mehr als 100 Anschläge gezählt. 2014 waren es durchschnittlich noch weniger als 30 Anschläge pro Monat. Vgl. The Tahrir Institute for Middle East Policy (Hrsg.): Egypt’s Rising Security Threat, Washington D.C. 2015, S. 2.

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Diese Gewalteskalation spielt sich vor dem Hintergrund einer dramatischen Verschlechterung der sozioökonomischen Lage ab. Jeder vierte Ägypter lebt mittlerweile unter der nationalen Armutsgrenze von 40 Euro im Monat.5 In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen ist es sogar jeder zweite.6 Ihnen macht der Anstieg von Inflation und Arbeitslosigkeit besonders zu schaffen. Über 40 % der Jugendlichen (15- bis 24-Jährige) sind ohne Beschäftigung,7 und die mageren wirtschaftlichen Wachstumsraten der vergangenen fünf Jahre von knapp über 2 % (pro Kopf) reichen bei weitem nicht aus, um den Zustrom von jährlich 800.000 Neuzugängen auf dem Arbeitsmarkt zu absorbieren.8 Gründe für das Scheitern Der Verlauf des Transformationsprozesses seit 2011 lässt sich für Ägypten, aber auch für andere arabische Länder, nicht durch einen einzigen Faktor erklären.9 Zudem greifen die in der wissenschaftlichen Literatur oder den Medien genannten Gründe für das Scheitern der politischen Öffnung in der Region oftmals zu kurz. So waren es keineswegs allein strukturelle Faktoren, die den negativen Verlauf determiniert haben. Insbesondere die prozedurale Ausgestaltung der Transformation, die von Ägyptern selbst oftmals als entscheidend gesehen wurde, dürfte letztlich keine zentrale Bedeutung gehabt haben. Bemerkenswert ist, dass in Ägypten zwei mögliche Transformationspfade beschritten wurden. 2011 wurde eine Abfolge vereinbart, bei der schnelle Wahlen vor einer Neuformulierung der politischen Spielregeln (Verfassung) standen. Letztere sollten durch das neue Parlament erst in einem zweiten Schritt erfolgen. Der damit verbundene schnelle Sieg der Muslimbruderschaft wurde von vielen Gegnern der Islamisten als Beweis angeführt, dass diese Abfolge einer demokratischen Entwicklung klar entgegenstand. Allerdings brachte der nach 2013 eingeschlagene Transformationsverlauf, bei dem die Änderung der Verfassung an erster Stelle stand, keineswegs ein besseres Ergebnis. Im Gegenteil: Der Verfassungsgebungsprozess unter Aufsicht des Militärs hat zwar im Ergebnis eine Verfassung hervorgebracht, die sich im Vergleich mit der von der Muslimbruderschaft 2013 maßgeblich unterstützten Verfassung etwas demokratischer darstellte. Exklusion politischer Gegner und Repression gegen kritische Zivilgesellschaft sind indes schlimmer als zuvor. 5

http://data.worldbank.org/country/egypt-arab-republic, Stand: 10. 3. 2016. http://www.dailynewsegypt.com/2014/08/12/50-egyptian-youth-poor-capmas/, Stand: 10. 3. 2016. 7 http://data.worldbank.org/country/egypt-arab-republic, Stand: 10. 3. 2016. 8 Vgl. Roll, Stephan / Sailer, Matthias: Auf Sand gebaut: Ägyptens fragwürdige Strategie für Wachstum und Entwicklung, in: SWP-Aktuell 2015/A 25, S. 2. 9 Vgl. hierzu auch Asseburg, Muriel / Wimmen, Heiko: Die bittere Ernte des Arabischen Frühlings. Transformation, Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung, in: SWP-Studien 2015/S 22, S. 10. 6

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Oftmals wird auch die ideologische Polarisierung als entscheidender Grund für das Scheitern der demokratischen Aushandlungsprozesse genannt. Sicherlich richtig ist, dass sich Islamisten und Säkulare im Verlauf der Transformation immer unversöhnlicher gegenüberstanden. Kulminationspunkt war die unter Präsident Mursi erarbeitete Verfassung, die von Kritikern der Muslimbruderschaft als Beleg angeführt wird, diese hätten die Errichtung eines „Gottesstaates“ nach iranischem Vorbild zum Ziel gehabt. Auch hier lohnt sich aber der genauere Blick. In Bezug auf die von Säkularen harsch kritisierten religiösen Bezüge in der Verfassung war die salafistische Nur-Partei (Partei des Lichts) federführend.10 2013 gehörte sie zu den Unterstützern des Militärputschs und stellte sich damit auf die Seite des „nichtislamistischen“ Lagers. Letztlich ging es allen Akteuren somit vor allem um politische Macht und nicht um die Durchsetzung ideologischer Konzepte. Bedeutender war die mangelnde Kompromissfähigkeit innerhalb der etablierten politischen Gruppen. Die Muslimbruderschaft folgte, geblendet durch ihre schnellen Wahlsiege, dem „winner-takes-it-all-Prinzip“. Zu Zugeständnissen gegenüber politischen Gegnern war die Organisation kaum bereit. Interne Kritiker wurden massiv ausgegrenzt, wodurch die Bruderschaft zunehmend potenzielle Wähler der „politischen Mitte“ verlor.11 In der Selbstbezeichnung liberale, linke und säkulare Akteure übten sie sich indes in Fundamentalopposition. Sie waren nicht bereit, ihre Wahlniederlagen und die damit verbundene mangelnde gesellschaftliche Unterstützung anzuerkennen. Ein weiterer Grund für die ausbleibende demokratische Entwicklung findet sich im Beharrungsvermögen der alten Eliten. Die unversöhnlichen Machtkämpfe zwischen den politischen Lagern spielten der Staatselite in die Hände, die sich seit der Republikgründung 1952 zur tragenden Säule des Regimes entwickelt hatte. Insbesondere die Führungsebene im Militär, aber auch Angehörige anderer staatlicher Entitäten, fürchteten bei einer Machtübernahme der Islamisten, ihre Privilegien zu verlieren. Die Militärführung, die seit Anfang 2011 den Fortgang der Transformation faktisch steuern konnte, war sehr geschickt darin, Protestdynamiken durch partielle Zugeständnisse und situative Repression zu kontrollieren.12 Vor allem nach der Wahl Muhammad Mursis in das Präsidentenamt gelang es ihr, gemeinsam mit anderen Gruppen der alten Elite, weite Teile der Bevölkerung für ihre Ziele zu mobilisieren. Die Frustration vieler Ägypter über das intransparente und wenig effektive Regierungshandeln der Muslimbrüder spielte dieser reaktionären Koalition dabei in die Hände. Bei der von staatlichen Stellen und Großunternehmern unterstützten „Tamarrod-Kampagne“ gelang es Aktivisten, Millionen von Unterschriften für vorgezogene 10 Schöller-Schletter, Anja: Die Verfassung Ägyptens von 2012 – Betrachtungen aus verfassungstheoretischer Perspektive, in: Demokratie und Islam, Politik und Religion, hrsg. von Ahmet Cavuldak u a., Wiesbaden 2014, S. 347. 11 http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/das-scheitern-der-muslimbruder schaft-in-aegypten.html, Stand: 10. 3. 2016. 12 Vgl. Roll, Stephan: Managing change: how Egypt’s military leadership shaped the transformation, in: Mediterranean Politics 1/2016, S. 23 – 43.

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Präsidentschaftswahlen zu sammeln und die Massendemonstrationen gegen die Mursi-Administration zu organisieren, die als Vorwand für den Militärputsch dienten. Letztlich hat das Scheitern der Arabellion in Ägypten aber auch eine externe Dimension. Zwischen 2011 und 2013 blieb die tatsächliche Unterstützung für den demokratischen Aufbruch des Landes weit hinter den rhetorischen Ankündigungen der westlichen Staatengemeinschaft zurück. Dagegen waren die drei Golfmonarchien Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate bereit, den Militärputsch 2013 und die Konsolidierung des autoritären Sisi-Regimes mit immensen Zuwendungen, Krediten und Rohstoffhilfen zu unterstützen. Bis Ende 2015 wurden so bis zu 41 Milliarden US-Dollar nach Ägypten transferiert.13 Der Einfluss, den diese reaktionären, antidemokratischen Herrscherhäuser auf die politische Entwicklung des Landes nehmen konnten, war daher ungleich größer als der des Westens. Was vom Frühling bleibt Auch wenn der demokratische Aufbruch Ägyptens vorerst gescheitert scheint – die Gründe für dieses Scheitern lassen den Schluss zu, dass es keineswegs unüberwindbare, etwa kulturelle oder strukturelle Hürden für Demokratie in Ägypten gibt. Transformationsprozesse in anderen Ländern haben gezeigt, dass gesellschaftspolitischer Wandel zumeist mehrere Generationen dauert und Rückschläge nicht selten sind.14 Die lineare Logik, die davon ausgeht, dass nach dem Absetzen eines Diktators allein durch die Durchführung demokratischer Wahlen und die Ernennung eines neuen Präsidenten eine demokratische Ära heranbricht, ist blind für weitaus komplexere Zusammenhänge. Wenig zielführend scheint es daher für die Analyse, Transformationsprozesse im normativen Sinne als Entwicklungsprozesse zu verstehen, an deren Ende automatisch eine funktionierende Demokratie steht. Ebenso wenig zielführend ist es aber auch, lediglich das Scheitern eines demokratischen Aufbruchs zu konstatieren und damit den Blick für neu entstandene Dynamiken in Politik und Gesellschaft zu versperren. Der Sturz Mubaraks 2011 hatte zumindest temporär Wege für politisches Engagement frei gemacht.15 Neue Parteien wurden gegründet und parteiinterne Programmdiskussionen angestoßen.16 An den „Grassroots“ begannen junge Aktivisten die Landbevölkerung und Bewohner der städtischen Slums über ihre politischen 13

Sailer, Matthias: Veränderte Prioritäten am Golf. Saudi-Arabien und die Emirate überdenken ihre Beziehungen zu Ägypten, in: SWP-Aktuell 2016/A 01, S. 7. 14 Carothers, Thomas: The End of the Transition Paradigm, in: Journal of Democracy 1/2002, S. 5 – 21. 15 Asseburg / Wimmen: Die bittere Ernte des Arabischen Frühlings, S. 11. 16 Abdalla, Nadine: Egypt’s Revolutionary Youth. From Street Politics to Party Politics, in: SWP Comments 2013/C 11; Roll, Stephan: Islamistische Akteure in Ägypten: Pragmatismus als Leitmotiv nach dem Sturz Mubaraks, in: Islamische Akteure in Nordafrika, hrsg. von Sigrid Faath, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2012, S. 29 – 55.

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Rechte aufzuklären. Bewegungen formierten sich, um sich für Rechte und Schutz von Frauen und Minderheiten stark zu machen, andere bemühten sich um die ökonomische Stärkung wirtschaftlich marginalisierter Regionen. Viele dieser Akteure sind heute im Gefängnis, außerhalb des Landes oder haben ihre Aktivitäten eingestellt. Am sichtbarsten geblieben ist eine kleine, aber äußerst engagierte Szene von kritischen Nichtregierungsorganisationen. Zu ihnen zählen zuvorderst 19 unabhängige Organisationen, die im Bereich Menschen-, Bürger- und Persönlichkeitsrechte spezialisiert sind. Sie haben sich informell zu einem Forum unabhängiger ägyptischer Menschenrechtsorganisationen zusammengeschlossen, das die Menschenrechtslage in Ägypten beobachtet und kommentiert.17 Sie gelten als einzig verbliebene Kontrollinstanz,18 nachdem sich das Parlament in Folge unfairer und unfreier Wahlen im Januar 2016 neu konstituierte. Die Mehrheit der Abgeordneten ist dabei für ihre Loyalität zum Sisi-Regime bekannt.19 Zudem hat die Judikative durch Massentodesurteile gegen Regimegegner unter Beweis gestellt, dass sie willkürlich handelt und keinen internationalen Standards genügt. Und die meisten staatlichen und privaten Medien fungieren als unkritisches Sprachrohr der Regierung.20 Vor allem aber tritt diese Gruppe kritischer Nichtregierungsorganisationen für ein universelles Verständnis von Menschen- und Bürgerrechten sowie unbedingte Gewaltfreiheit in der politischen Auseinandersetzung ein. In der zutiefst polarisierten ägyptischen Gesellschaft sind sie hierdurch zu den wichtigsten potenziellen Wegbereitern für demokratischen Wandel geworden. Wie lange sie diese Rolle allerdings noch ausfüllen können, ist fraglich. Denn seit 2013 ist dieser verbliebene kritische Teil der organisierten Zivilgesellschaft massiv bedroht. So richtet sich das polizeistaatliche Vorgehen keinesfalls nur gegen die islamistische Opposition. Ausnahmslos müssen alle regimekritischen Aktivisten mit Verhaftung, Verschleppung und Folter rechnen. Dieses aggressive Vorgehen des Regimes gegen eine augenscheinlich sehr kleine, kritische Zivilgesellschaft erklärt sich vor allem aus der Angst vor einer erneuten Mobilisierung der Bevölkerung. Der Massenaufstand 2011, der dem Beispiel Tunesiens folgte, hat gerade vielen jungen Ägyptern gezeigt, dass ein Sturz des Regimes tatsächlich möglich ist. Wirkt Ägyptens junge Bevölkerung politisch ermüdet und matt, hat sie ihre Forderungen nach „Brot, Freiheit, Sozialer Gerechtigkeit und Men-

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http://www.cihrs.org/?p=8233&lang=en, Stand: 10. 3. 2016. Vgl. hierzu auch Grimm, Jannis / Roll, Stephan: In der Sackgasse: Ägyptens Menschenrechtsorganisationen im Visier des Sicherheitsstaates. Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2016 (im Erscheinen); Morayef, Heba: Reexamining Human Rights Change in Egypt, in: Middle East Research and Information Project, MER Nr. 274, 2015. 19 http://www.reuters.com/article/us-egypt-politics-idUSKCN0UO06620160110, Stand: 10. 3. 2016. 20 https://freedomhouse.org/report/freedom-press/2015/egypt, Stand: 10. 3. 2016. 18

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schenwürde“ längst nicht aufgegeben.21 Dabei könnte insbesondere die gegenwärtige Verschlechterung der sozioökonomischen Lage neuen Protest befördern. Ist es der Regierung seit 2014 weitgehend gelungen, größere politische Demonstrationen durch Polizeigewalt sukzessive zu unterbinden, war sie in Bezug auf wirtschaftlich motivierte Proteste weniger erfolgreich. Arbeiterproteste sind nach einem kurzen Tief zwischen Juli 2013 und Januar 2014 wieder rapide gestiegen. 2014 wurden 2.274 Proteste, darunter 761 Streiks, gezählt.22 Auch 2015 kam es trotz brutaler Vorgehensweise der Sicherheitskräfte gegen Streikführer und streikende Arbeiter zu weit über 1.000 Protesten und Arbeitsniederlegungen.23 Folgen für externe Demokratieförderung Das bisherige Scheitern des demokratischen Aufbruchs ist auch eine Herausforderung für externe Demokratieförderung. Deutschland war nach 2011 bemüht, die Transformationsprozesse in den arabischen Ländern mit einem eigenständigen bilateralen Ansatz zu begleiten. Im Rahmen dieser „Transformationspartnerschaft“ wurden in Ägypten seit 2012 Projekte in den Bereichen Demokratieförderung, Rechtsstaatlichkeit, Beschäftigungsförderung sowie Kultur, Bildung und Medien gefördert.24 Vier Jahre später scheint dieser Ansatz zumindest fraglich.25 Problematisch ist zuvorderst der fehlende Reformwille auf Seiten der politischen Führung in Kairo. Die Sisi-Administration zeigt nicht nur kein Interesse an der Zusammenarbeit, Transformationsprojekte wurden sogar mit polizeistaatlichen Methoden gestört und verhindert. Beispielhaft für das feindselige Vorgehen der ägyptischen Regierung ist der repressive Umgang mit den politischen Stiftungen, denen von deutscher Seite bei der Ausführung von Transformationsprojekten eine wichtige Rolle zugedacht war. Ein partnerschaftlicher Ansatz, der zwischenstaatlich auf Regierungsebene vereinbart wird, ist daher im ägyptischen Fall nicht mehr zielführend. Das Ende der Transformationspartnerschaft mit Ägypten darf allerdings nicht dazu führen, dass die Zusammenarbeit „entpolitisiert“ und damit auf eine rein tech21 https://www.opendemocracy.net/arab-awakening/amro-ali/hidden-triumph-of-egyptian-re volution, Stand 10. 3. 2016. 22 El-Mahrousa Center for Socioeconomic Development: Annual Report on Labor Movement in Egypt. Labour Protests – Decent Work – National Projects and Development through 2014, Ägypten 2014. 23 http://www.madamasr.com/news/economy/1117-labor-protests-across-egypt-2015-demo cracy-meter-report, Stand: 10. 3. 2016. 24 http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/NaherMittle rerOsten/Transformationspartnerschaften/Transformationspartnerschaft-EGY-node.html, Stand: 10. 3. 2016. 25 Für eine umfassende Bestandsaufnahme vgl. Asseburg, Muriel / Werenfels, Isabelle / Wimmen, Heiko: Transformationspartnerschaften neu ausrichten: Weichenstellungen statt Gießkannenprinzip, in: SWP-Studien 2016/S 00.

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nische Ebene beschränkt wird. Die Vorstellung, Entwicklungszusammenarbeit im „unpolitischen Raum“ würde mittel- und langfristig Spillover-Effekte für wirtschaftliche und politische Reformen zeitigen, scheint zumindest im ägyptischen Fall widerlegt. In der 30-jährigen Mubarak-Ära wurde durch eine solche Politik der westlichen Staaten soziale Ungleichheit eher noch verschärft und Korruption und Misswirtschaft befördert.26 Ein Ansatz, der ausschließlich auf wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung abzielt, würde die Destabilisierung des Landes kaum aufhalten. Insbesondere die gegenwärtige Gewaltspirale, die maßgeblich auf staatliche Repression zurückzuführen ist, kann hierdurch nicht durchbrochen werden. Um eine nachhaltige politische wie wirtschaftliche Stabilisierung Ägyptens zu erreichen, bedarf es vielmehr einer klaren Verknüpfung von wirtschaftlichen Hilfen und der Durchführung politischer Reformen. Dabei ist der Zeitpunkt für die Ausarbeitung einer solchen umfassenden Strategie zur Demokratieförderung durchaus günstig. Die Golfstaaten scheinen immer weniger bereit, das anhaltend hohe Haushaltsdefizit zu finanzieren, für das Ägypten jährlich weit über 30 Milliarden US-Dollar braucht. Das Land wird sich daher deutlich stärker auf die westlichen Staaten und die von ihnen dominierten multinationalen Entwicklungsinstitutionen zubewegen müssen, als das nach dem Militärputsch der Fall war. Wirtschaftshilfen sollten nur dann erfolgen, wenn die allumfassende Repression zurückgefahren wird. Konkret geht es um das Ende exzessiver Polizeigewalt, die Freilassung politischer Gefangener sowie den Abbau rechtlicher Restriktionen für die Zivilgesellschaft. Andernfalls droht nicht nur eine weitere Radikalisierung und damit eine Beschleunigung der Gewaltspirale im Land. Auch Wirtschaftsreformen würden ohne die Änderung der politischen Rahmenbedingungen schnell an ihre Grenzen stoßen. Ohne kritische Presse, Zivilgesellschaft und politische Opposition wird es keine Verbesserung der Regierungsführung geben. Diese ist aber Vorbedingung für die erfolgreiche Umsetzung wirtschaftlicher Entwicklungsprogramme. Deutschland sollte sich bei seiner Politik gegenüber Ägypten um eine gemeinsame europäische Linie sowie um Abstimmung mit den USA bemühen. Gemeinsame Positionen in den multinationalen Entwicklungsinstitutionen würden den Druck auf die ägyptische Führung massiv erhöhen. Sollte eine solche Koordinierung mit dem Ziel einer Konditionierung wirtschaftlicher Hilfen indes scheitern, sollte Deutschland diesen Ansatz unilateral verfolgen. Die Kosten einer weiteren unkonditionierten Unterstützung Ägyptens würden den politischen Nutzen nicht länger rechtfertigen. Neben einer offensiveren Politik auf der staatlichen Ebene sollten Deutschland und seine europäischen Partner nach Wegen suchen, die verbliebenen zivilgesellschaftlichen Strukturen durch konkrete Maßnahmen zu fördern. Eine Unterstützung der oben aufgeführten Menschenrechtsakteure als Wegbereiter für politischen wie 26 Beispielhaft für eine kritische Bewertung ist der Bericht des Europäischen Rechnungshofs für den Zeitraum 2007 bis 2013. Europäischer Rechnungshof (Hrsg.): Die Zusammenarbeit der EU mit Ägypten im Bereich der verantwortungsvollen Staatsführung, Sonderbericht 4/2013.

Das Scheitern der Arabellion

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gesellschaftlichen Wandel sollte dabei im Mittelpunkt stehen. Allerdings scheinen konkrete Unterstützungsmaßnahmen in Ägypten selbst kaum möglich. Die Durchführung von Trainingsworkshops und die Förderung von Austausch mit vergleichbaren Gruppen im Ausland sowie die Vergabe von Stipendien für Studienaufenthalte in Europa sind derzeit hier der einzig gangbare Weg.

Dr. Stephan Roll ist Ägypten-Experte bei der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika, Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Lena Drummer ist Friedens- und Konfliktforscherin mit den Schwerpunkten Naher Osten, Islam und Konflikt an der Universität Innsbruck