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German Pages 127 Year 2000
FRIEDRICH TIllESSEN (Hrsg.)
Aufbruch an deutschen Hochschulen
Abhandlungen zu Bildungsforschung und Bildungsrecht Herausgegeben von Frank-Rüdiger lach und Siegfried lenkner
Band 6
Aufbruch an deutschen Hochschulen Beiträge zur Reform des deutschen Hochschulwesens
Herausgegeben von
Friedrich Thießen
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Aufbruch an deutschen Hochschulen: Beiträge zur Reform des deutschen Hochschulwesens / Hrsg.: Friedrich Thießen.Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Abhandlungen zu Bildungsforschung und Bildungsrecht ; Bd. 6) ISBN 3-428-10370-X
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1433-0911 ISBN 3-428-10370-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Geleitwort Globalisierung ist ein Phänomen, das nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Hochschulen erfasst. Die internationale Konkurrenz der sich entwickelnden gesamteuropäischen Hochschullandschaft wird spürbar. Viele in Deutschland trauen den deutschen Hochschulen nicht zu, in diesem Wettbewerb zu bestehen. Stagnation und Verkrustung, die deutschen Probleme der 80er und 90er Jahre, machen auch dem Wissenschaftsbereich zu schaffen. Die Wirtschaft fordert gröBere Flexibilität sowie mehr Kreativität und Spitzenleistungen. Ansatzpunkte für Veränderungen gibt es viele. Hinter den Begriffen Leistungsprinzip, Hochschulautonomie, Netzwerkbildung, internationale akademische Grade u. v. m. stecken Konzepte, die Chancen haben, in den nächsten Jahren übergreifend umgesetzt zu werden ...Faule Professoren rausschmeiBen", diese provokativ vorgetragene Forderung Klaus Landfrieds ist nur der spektakulärste Ausdruck des unbedingten Veränderungswillens geworden. Der vorliegende Band zur Hochschulreform möchte bereits Erreichtes und noch zu Erreichendes zusammenbringen. Fünf Lehrstühle aus dem Finanzbereich, die neue Lehrkonzepte bereits umgesetzt haben, stellen ihre Innovationen vor. Fünf führende Institutionen des deutschen Bildungswesens berichten aus ihrer Sicht über die Stärken und Schwächen der deutschen Hochschulen und entwickeln Visionen für die Zukunft. Ich bin zuversichtlich, dass die in diesem Band geäußerten Vorstellungen intensiv diskutiert und die interessanten und richtungsweisenden Visionen umgesetzt werden. Frankfurt am Main, im August 2000
Dr. Martin Kohlhaussen Vorstandssprecher der Commerzbank AG
Vorwort Am 5. April 2000 fand im Hause der Commerzbank in Frankfurt ein Symposium zum Strukturwandel an deutschen Hochschulen statt. Veranstalter waren Prof Dr. Christian von Borczyskowski, Rektor der Technischen Universität Chemnitz und Klaus Müller-Gebel, Mitglied des Vorstands der Commerzbank AG. Als Referenten waren die Spitzen derjenigen Verbände geladen, die den derzeitigen Strukturwandel maßgeblich mittragen. Daneben berichteten fünf innovative Professuren über ihre Konzepte und erläuterten die Probleme, welche die Umsetzung von Innovationen in den herrschenden Universitätsstrukturen mit sich bringen. Der vorliegende Band fasst die Beiträge zusammen. Er ist ein Dokument des Strukturwandels. Forderungen nach Veränderungen und die Erfahrungen bei Veränderungen beleuchten das Wünschenswerte und das Machbare. Für ihren Beitrag an der Entstehung dieses Buches sei allen Mitwirkenden gedankt. Insbesondere gilt der Dank den Autoren, die trotz großer Arbeitsbelastung ihre Visionen und Erfahrungen einbrachten. Klaus-Friedrich Otto, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, wird für die souveräne Leitung des Symposiums gedankt. Dann ist den Mitarbeitern der Commerzbank zu danken, die bei der Vorbereitung des Symposiums halfen. Insbesondere, aber nicht abschließend sind dabei zu nennen: Herr Harald Stender, Frau Dipl.-Ök. SyLvia Marinov, Frau Dipl.-Kjfr. Yvonne Kury und Frau Ines Lange. Schließlich musste das Manuskript bewältig werden. Hier ist in erster Linie Frau Uta Martin, Frau Kerstin Trautloft und Frau Kathrin Lohse, Frau Dipl.-Kjfr. Gabriele Viehweg und Herrn Dipl.-Kjm. Alexander Aulibauer Dank zu sagen, die mit großem Einsatz die Entstehung des Buches von Anfang an begleiteten. Herzlicher Dank wird auch dem Verlag geschuldet. Chemnitz, im Juni 2000
Friedrich Thießen
Inhaltsverzeichnis Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung .............................
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A. Einleitung Klaus Müller-Gebel Die Sicht der Praxis: Forderungen an das deutsche Hochschulwesen
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Christian von Borczyskowski Die Sicht der Wissenschaft: Forderungen aus dem deutschen Hochschulwesen .............................................................
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B. Kritik am System und Visionen für die Zukunft Theodor Berchern Die Leistungsfahigkeit deutscher Universitäten im internationalen Vergleich .............................................................
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Klaus Landfried Anreizsysteme im Hochschulwesen ...................................
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Arend Oetker Stärken und Schwächen deutscher Universitäten aus den Erfahrungen der Wirtschaft heraus ................................................... 41 Hans Joachirn Meyer Lebenslanges Lernen ................................................
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Winfried Schulze 10 Thesen zur Hochschulpolitik - 1993 und heute ......................
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c. Reformbeispiele: Innovative Konzepte Hans Ulrich Buhl Financial Management und Electronic Commerce an der Universität Augsburg...............................................................
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Günter Franke Mathematische Finanzökonomie an der Universität Konstanz . . . . . . . . . . . ..
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Inhaltsverzeichnis
Birger P. Priddat und Stephan A. Jansen Mergers & Acquisitions an der Privaten Universität Witten/Herdecke .....
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Dietrich Ohse Fokussierung als Fakultätsstrategie an der Universität Frankfurt .......... 95 Friedrich Thießen Investment Banking an der Technischen Universität Chemnitz ............ 101
D. Anhang Questionnaire zur Situation der Hochschulen in Deutschland Fragen und Antworten ............................................... 109
Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung Klaus Müller-Gebel, Mitglied des Vorstands der Commerzbank AG, fasst die Probleme des deutschen Hochschulwesens in drei Punkten zusammen, die eng miteinander verzahnt sind: Strukturproblem, Organisationsproblem, Mentalitätsproblem. Im deutschen Hochschulwesen existiert eine Vielzahl von institutionellen Barrieren, die das Anpassen an moderne Entwicklungen erschwert (Strukturproblem). Das Verharren in überkommenen Strukturen wird durch den fehlenden Wettbewerb der Einrichtungen untereinander noch verstärkt. Das Organisationsproblem besteht darin, dass die Leitungsund Führungsstrukturen veraltet sind und dringend einer Reform bedürfen. Dem Mentalitätsproblem zufolge begreifen sich Universitäten selbst als Orte, an denen Regeln, die in Wirtschaft und Gesellschaft praktiziert werden, nicht gültig sind. Dies könnte rein theoretisch eine Chance sein, fördert de facto aber das Festhalten an veralteten Strukturen. Müller-Gebel forderte schlagkräftigere Führungsstrukturen, eine stärkere Profilbildung, mehr Wettbewerb und Interdisziplinarität, eine Einbindung moderner Kommunikationsmittel (Stichwort "virtual university") und eine stärkere Öffnung der Hochschulen gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft. Prof Dr. Christian von Borczyskowski, Rektor der Technischen Universität Chemnitz, erinnert an den Aufbruch des Hochschulwesens vor dreißig Jahren, der unter den Stichworten Bildungskatastrophe, Sputnikschock, Bildung für alle, Gruppenuniversität etc. letztlich nicht zu einer Gesundung des Hochschulbereichs führte, sondern in die chronisch unterfinanzierte Massenuniversität mündete, über deren Reform wir jetzt nachdenken. Universitäten sollten nicht jede Mode mitmachen. Er weist auf das hohe Alter der Institution Universität, die nach den Kirchen zu den ältesten Institutionen Europas zählen, hin. Aber Hochschulen sollten sich auch nicht hochmütig notwendigen Reformen verschließen. Von Borczyskowski erinnerte daran, dass Hochschulen Wissen und Kompetenz für Märkte generieren, die es heute noch gar nicht gibt. Eine zu enge Koppelung von Lehre und Forschung mit den aktuellen Arbeitsmärkten muss langfristig in eine Sackgasse führen. Die Gesellschaft sollte daher darauf achten, den Hochschulen die Freiräume zu geben, die sie brauchen, um langfristig erfolgreich zu sein. Der Vorsitzende des Vorstands des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Dr. Arend Oetker, analysiert in seinem Beitrag die Stärken und Schwächen deutscher Universitäten aus den Erfahrungen der Wirtschaft heraus. Er weist auf das atemberaubende Tempo des Strukturwandels in der
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Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung
Wirtschaft hin, das an den Hochschulen keine Entsprechung findet, so dass letztere immer weiter relativ zurückfallen. Als Schwächen des deutschen Hochschulwesens aus Sicht der Wirtschaft nennt Oetker: starres Dienstrecht, unflexible Berufungspolitik und viel zu langsame Einrichtung innovativer Studiengänge, schlechte Bezahlung der Lehrenden, zu lange Habilitations- bzw. Qualifizierungsverfahren junger Nachwuchswissenschaftler. Oetker beschäftigte sich darüber hinaus mit der begrenzten Fähigkeit der Hochschulen, sich "strategisch" neu auszurichten. Das Gremienwesen, mangelnde autonome Gestaltungsmacht der Leitungen und der Einfluss der Ministerien bewirken, dass die Tanker "Hochschulen" kaum zu bewegen sind. Oetker schlägt vor, über die Gliederung von Universitäten in Fakultäten kritisch nachzudenken. In der Wirtschaft zeigt sich der Strukturwandel gerade an Nahtstellen. Das Aufbrechen des Fakultätsprinzips könnte es den Hochschulen erleichtern, Neuerungen aus der Wirtschaft aufzugreifen und in Lehre und Forschung umzusetzen. Schließlich fordert Oetker die Hochschulen auf, kundenfreundlicher zu werden. Sie müssen sich mehr um die Absolventen kümmern und von Karrieren und Karriereproblemen lernen. Die Selbstanalyse der Hochschulen sollte ein ständiges Instrument werden. Die Hochschulen tun einiges, stellt Oetker fest, aber tun sie wirklich genug, um die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und letztere zu bekämpfen? Der Ruf der Hochschulen nach besseren Rahmenbedingungen sieht aus Sicht der Wirtschaft durchaus auch aus wie der Versuch, von der eigenen Reformunwilligkeit abzulenken. Der sächsische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, greift in seinem Vortrag das Problem des lebenslangen Lernens auf. In einer Gesellschaft, in der sich die Halbwertszeit des Wissens immer weiter verkürzt, wird das mehrfache Neu- und Dazulernen im Verlauf des Lebens unabdingbar. Abbrechende Lebensläufe mit totalen Neuanfängen - heute noch weitgehend Ausnahmen - werden zunehmen und zu einer Art Normalität werden. Die Universitäten sind aufgrund ihres Niveaus geeignete Institutionen, in diesem lebenslangen Weiterbildungsprozess eine wichtige Rolle zu spielen. In den herkömmlichen Strukturen wird es ihnen aber nicht gelingen, fruchtbringende Angebote zu erstellen. Sinnvoll scheinen dem Minister zweistufige Studiengänge mit Bakkalaureaus und Magister, wobei der Magister bedarfsorientiert auch auf die Weiterbildung abgestellt werden sollte. Das zweistufige System ermöglicht flexible und individuelle Bildungsbiographien, wie sie in Deutschland bisher kaum möglich waren. Abgesehen hiervon sollten Studiengänge durch eine Kombination von Präsenz- und Fernstudium zu bewältigen und so stark modularisiert sein, dass verschiedenste Kombinationen möglich werden.
Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung
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Eine interessante Frage wirft der Minister abschließend auf: Wenn in Gesellschaften der Wandel i.d.R. von den Jüngeren getragen wird, wie bleiben dann alternde Gesellschaften, wie die europäischen, innovationsfahig? Die Innovationskraft muss auch von den Älteren ausgehen, ist die einzige Antwort. Dies ist eine Herausforderung für den Bildungsbereich allgemein und für die Hochschulen insbesondere.
Prof Dr. Theodor Berchern, Präsident des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes, stellt sich in seinem Vortrag in gewisser Weise beschützend vor die Hochschulen. Er weist auf die Lasten hin, die deutsche Hochschulen durch die Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte zu tragen hatten und haben. Der Ausweitung der Studierendenzahlen standen keine im gleichen Maße vermehrten Mittelzuweisungen gegenüber, so dass sich die Qualität der Universitätsleistungen zwangsläufig verschlechtern musste. Der zunehmende Wettbewerb nimmt aber darauf keine Rücksicht. In Zukunft müssen die deutschen Hochschulen internationaler werden, wenn sie auf dem Bildungsmarkt eine Chance haben wollen. Theodor Berchem hält die Einführung international anerkannter Studiengänge, also die Übernahme des konsekutiven Bachelor-/Master-Systems für notwendig, um international wettbewerbsfahig zu werden. Zum Schluss gibt Theodor Berchem den Hochschulen einen Rat aus seiner Erfahrung im Umgang mit ausländischen Hochschulen: deutsche Universitäten brauchen eine bessere Selbstdarstellung, so wie sie im Ausland gekonnt angewandt wird. Denn so schlecht, wie oft behauptet, sind die Hochschulen in Deutschland nicht. Prof Dr. Klaus lAndfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, berichtet über Anreizsysteme an Hochschulen. Dabei wendet er sich zunächst den Verwaltungen zu und stellt - im Vortrag mit eindringlichen Beispielen - deren begrenzte Leistungsfahigkeit dar. Konkrete Ansatzpunkte zu Verbesserungen im Verwaltungs bereich sind jedoch schwer zu finden, da die Verwaltung kaum Einblick in innere Strukturen gewährt. Auch die Diskussion mit den Zuhörern, die Landfried in diesem Punkt uneingeschränkt zustimmten, erbrachte keine konkreten Ansatzpunkte. Die staatliche Verwaltung im Hochschulbereich zählt damit zu den Schwachpunkten, für deren Beseitigung erst noch Konzepte entwickelt werden müssen. Detaillierte Vorschläge legt Klaus Landfried für den Bereich der Führungsstrukturen im Bildungswesen vor. Wichtig ist der Wettbewerb im Bildungswesen, der über positive Sanktionierung von Leistung angeregt werden soll. Dabei ist an Gehaltsbestandteile, die Mittelausstattung und andere Arbeitsbedingungen zu denken. In einigen Ländern wie die Niederlande, Großbritannien, Skandinavien oder Israel liegen Erfahrungen mit solchen Systemen vor. Mittel für Lehrbedarfe können nach Studentenzahlen und notwendigen Lehreinrichtungen vergeben werden. Mittel für For-
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Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung
schungszwecke können sich nach Kriterien wie Promotionen, referierten Journalbeiträgen, Drittmittel oder Evaluierungsergebnissen richten. Wichtig sind ex ante Leistungsvereinbarungen, wie sie auch in der Privatwirtschaft üblich sind. Die Frage, welche Leistungsindikatoren relevant sind, hält Landfried für geklärt. Diese Frage wird oft von denen gestellt, die von historisch gewachsenen Mittelverteilungen profitieren. Durch mehrjährige und flexibel verwendbare Hochschulhaushalte soll das optimale eigenverantwortliche Umgehen mit Mitteln gefördert werden. Die Jährlichkeit der Zuweisung sollte aufgehoben und die Deckungsfähigkeit verschiedener Ausgabekategorien muss eingeführt werden.
Prof Dr. Winfried Schulze, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, setzt sich mit der Entwicklung des Hochschulwesens seit den ,,10 Thesen" des Wissenschaftsrates von 1992/93 auseinander. Wie sich heute zeigt, sind damals die richtigen Themen aufgegriffen worden. Viele der damals angeregten Veränderungen fanden zunächst keine breite Akzeptanz, sind heute aber dabei, umgesetzt zu werden. Dies zeigt, dass Reformdiskussionen durchaus auch längere Zeit andauern können, ohne schon als gescheitert gelten zu müssen. Eckpunkt der Reformvorschläge war die Erhöhung der Zahl der Studienanfangerquote, die nötig ist, um die Anforderungen des Arbeitsmarktes nach qualifizierten Berufseinsteigern zu erfüllen. Der Wissenschaftsrat hatte Empfehlungen für ein flexibles und reaktionsfähiges Hochschulsystem ausgesprochen, das eine weitere Erhöhung der Studienanfangerquote trägt, und in 10 Thesen zusammengefasst. Zu den meisten dieser Thesen hat der Rat bis heute Empfehlungen erarbeitet, die genauere inhaltliche Gestaltungsvorschläge der nötigen Reformen enthalten. Wichtige Themen sind: Studienstrukturen, Gleichberechtigung, Differenzierung des Hochschulsystems, Nachwuchsförderung oder Qualitätssicherung in der Lehre. Ideen zu Studiengebühren stießen 1992 auf breite Kritik auf Seiten der Politik sowie der Studentenschaft und wurden nicht in eine These aufgenommen. Die Diskussion ist seitdem aber nicht abgeebbt, und einzelne Bundesländer haben Teile der Ideen umgesetzt. Eine Bachelor/Master-Ausbildung hatte der Rat 1992 erwogen, aber nicht in eine These münden lassen. Im Verlauf der Diskussionen seitdem sind die Vorteile konsekutiver Studiengänge aber deutlich geworden, so dass jüngst ein umfangreicher Vorschlag erarbeitet wurde. In Zukunft will der Wissenschaftsrat verstärkt den Hochschulen bei der Umsetzung von Reformvorschlägen helfen und aus den Erfahrungen konkreter Reformmaßnahmen lernen.
Prof Dr. Dietrich Ohse von der Universität Frankfurt stellt die Hintergründe der Veränderungen im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften dar.
Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung
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Der Fachbereich begann mit einer systematischen Analyse seiner strategischen Position. Die Konzentration auf Kernkompetenzen wurde als Chance in einem zunehmend kompetitiven Bildungsmarkt erkannt. Es gab eine Auseinandersetzung um die Humboldtsche Idee eines universellen Stoffangebotes an Hochschulen. Neue Medien und gute Verkehrsverbindungen bewirken aber heute, dass ein universelles Angebot nicht mehr heißen muss, dass sich jede Bildungsinstitution breit ausrichtet. Aus der Nähe zur Europäischen Zentralbank, dem von einer Bankengruppe finanzierten Center for Financial Studies sowie einigen traditionell erfolgreichen Lehr- und Forschungsgebieten des Fachbereichs wurde ein Schwerpunktkonzept abgeleitet, das die Bereiche Finanzen, Rechnungswesen und Neue Technologien umfasst. In diesen Bereichen möchte der Fachbereich Spitzenleistungen in Lehre und Forschung anbieten. Jeder Schwerpunkt des Fachbereiches hat ein Curriculum übertragen bekommen, das von den Kollegen des Schwerpunktes gemeinsam angeboten wird. Einzelne Hochschullehrer bringen ihre Spezialgebiete ein und brauchen nicht mehr das gesamte breite Stoffgebiet mitzuschleppen. Dadurch kann die Aktualität und das Niveau gesteigert werden. Die relativ große Zahl an Hochschullehrern in einem Schwerpunkt sichert eine Fülle, aus der die Studenten nach ihren unterschiedlichen Neigungen auswählen können. In der Forschung ist beabsichtigt, lehrstuhlübergreifend im Team zu arbeiten und Projekte abzustimmen. Prof Dr. Hans Ulrich Buhl von der Universität Augsburg weist in seinem Referat auf die in den letzten Dekaden extrem verschlechterte Wettbewerbssituation deutscher Hochschulen hin. Er zeigt, dass die Betreuungsrelationen an amerikanischen Hochschulen um den Faktor 10 bis 100 besser sind als hierzulande. Gleichzeitig fordert der Arbeitsmarkt immer mehr gut ausgebildete Spezialisten in Nischen- und innovativen Fächern. Beides, also Massenuniversitäten und Höchstleistungen auf innovativen Gebieten, ist nicht zu realisieren.
Die Universität Augsburg betreibt aus diesem Grund die Strategie, Kernkompetenzen zu entwickeln und die Ressourcen in den Schwerpunkten sukzessive auszubauen. Die Universität hat sich aufgrund vorhandener Strukturen für Financial Management und Electronic Commerce als Schwerpunkte entschieden. Um der Nachfrage bestmöglich zu dienen, wird das Diplom in diesen Schwerpunktbereichen durch konsekutive Studiengänge ersetzt, die mit Bachelor und Master abschließen. Die Einführung von Masterstudiengängen hat mehrere Vorteile: Sie ermöglicht den Übergang von der Massenuniversität zu einer Hochschule, die sich Eliten zuwendet. Sie ermöglicht den Einstieg in den gebührenpflichtigen Bildungsmarkt durch Einführung
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Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung
von Executive-Master-Programmen. Und sie ennöglicht Angebote im Rahmen des "lebenslangen Lernens", das in Zukunft immer wichtiger werden wird. Auf einen interessanten Zusatzaspekt weist Hans Ulrich Buhl hin: Durch die Schwerpunktbildung und den Aufbau spezieller Kompetenz in den Schwerpunkten kann sich die Universität in die Position eines Netzwerkzentrums bringen, die eine Plattfonn anbietet, auf der sich Wissens- und Erfahrungsaustausch vieler Interessierter entfalten kann.
Prof. Dr. Birger P. Priddat und Dipl.-Ök. Stephan A. Jansen stellen die Strategie der privaten Universität Witten/Herdecke vor, die im Zusammenhang mit dem "Institute for Mergers & Acquisitions" verfolgt wird. Besonderes Anliegen der Universität ist es, das Lehrangebot schnell auf neue Bedarfe ausrichten zu können. Dies ist für das Fach M & A mit der Gründung des Instituts und der Aufnahme des Lehrbetriebs Anfang 1999 gelungen. Die Zeit der Vorbereitungen betrug nur rund ein Jahr. Solch kurze Installationszeiten werden als zwingend angesehen, um dem rasanten Wandel der Gesellschaft in der Ausbildung zu folgen. Wandel heißt aber nicht nur Aufbau, sondern auch Abbau. Die Universität achtet darauf, dass aufgebaute Studiengänge auch wieder eingestellt werden können, wenn der Bedarf nach den speziellen Inhalten zurückgeht. Notwendig für derart flexibles Agieren sind die unbürokratischen Strukturen privater Universitäten. Um schnell das notwendige Fach-Know How für die Lehre verfügbar zu haben, ist die Einbeziehung von Praktikern in die Lehre unabdingbar. Dadurch wird aber auch gleichzeitig eine Praxisnähe erreicht, wie sie die klassische Hochschulausbildung nicht gewährleistet. Dass die private Universität Witten/Herdecke auch auf anderen Gebieten innovativ oder unorthodox vorgeht, wurde am Rande des Symposiums deutlich. So wird auf die klassische Vorlesung verzichtet. Stattdessen erlernen die Studenten den Stoff in Kleingruppen durch Diskussion und Auseinandersetzung anhand von vorbereiteten Texten. Prof. Dr. Günter Franke von der Universität Konstanz berichtet über die Einführung des innovativen Studiengangs ,,Mathematische Finanzökonomie" als gemeinsamem Ausbildungsgang der Fakultäten "Wirtschaftswissenschaften" und ,,Mathematik und Statistik". Ausgangspunkt der Innovation war die Beobachtung, dass mehr und mehr Tätigkeiten im Finanzmanagement bei Banken und Versicherungen mathematisch orientiert sind und dabei sowohl mathematische Methoden- als auch betriebswirtschaftliche Finanzmarktkenntnisse erfordern. Währenddessen wurden die Hochschulabsolventen bisher im traditionellen Sinne entweder mathematisch oder betriebswirtschaftlich ausgebildet. Dieses Entweder-Oder ist übrigens kein rein deutsches Problem, betont Franke; auch an amerikanischen Hochschulen zeigen sich Defizite bei integrierten Ausbildungsgängen.
Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung
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Der in Konstanz entwickelte integrierte Studiengang behandelt im Grundstudium schwerpunktmäßig die Methoden und im Hauptstudium die Anwendungen. Probleme bei der Einführung standen im Zusammenhang mit dem Innovationsgrad des Ausbildungskonzeptes, vor allem der Tatsache, dass nur auf wenige traditionelle Universitätsstrukturen Rücksicht genommen wurde. Dies provozierte von vielen Seiten Bedenken. Durch Verlagerung der vorbereitenden Arbeiten auf eine kleine motivierte fakultätsübergreifende Arbeitsgruppe und anschließende Unterstützung durch das Ministerium, das mit sanftem Druck bei notwendigen Zustimmungen von Gremien half, ließ sich die Innovation mit viel, aber noch erträglichem Aufwand einführen. Jetzt haben die Studenten an den hohen Anforderungen zu knabbern. Vor allem der Aufwand für den Mathematikteil wurde von einigen unterschätzt. Durch persönliche Zulassungsprüfungen soll in Zukunft sichergestellt werden, dass nur geeignete Studenten das Studium beginnen.
Prof Dr. Friedrich Thießen von der Technischen Universität Chemnitz erläutert die Strategie der Universität im Bereich Investment Banking. Die Universität hatte sich zuletzt in einer Vielzahl von Rankings, die renommierte Institutionen wie Stiftung Warentest, Spiegel, Focus und andere erstellten, als innovative, attraktive Universität mit sehr guten Studienbedingungen erwiesen und durchweg vorderste Plätze belegt. Im Gegensatz zu anderen Universitäten will die TU Chemnitz im Bereich Wirtschaftswissenschaften jedoch keine Fokussierungsstrategien betreiben. Die Region sieht ihren Bedarf in technisch-naturwissenschaftlich ausgebildeten Spezialisten und möchte von den Wirtschaftswissenschaften ein umfassendes und eher breites Angebot. Die Studenten sollen gleichwohl international, aktuell und auf hohem Niveau ausgebildet werden. Für das Fachgebiet Bankbetriebslehre/Finanzwirtschaft wurde als Konsequenz eine Umstellung der Lehre derart in Gang gesetzt, dass der herkömmlichen kreditorientierten Ausbildung eine wertpapierorientierte Ausbildung, das Investment Banking, hinzugefügt wurde. Das Investment Banking - und das ist eine wirkliche Innovation - wurde "breit" aufgebaut. Es umfasst nicht nur Spezialaspekte des Portfoliomanagements, des Derivateeinsatzes oder der Optionspreisbildung, sondern betrachtet das Wertpapiergeschäft als Ganzes und schließt alle Aspekte der Kapitalbeschaffung, -transformation und -anlage ein. Es bietet damit einen umfassenden Grundstock, der es Absolventen, welcher beruflichen Richtung auch immer, ermöglicht, sich wissenschaftlich fundiert in der modemen Finanzwelt zurechtzufinden. Der Erfolg der Ausbildung bei Studierenden zeigte, welch großer Bedarf an diesem und vielleicht ganz generell an breit angelegten modemen Ausbildungsgängen besteht. Sicher sind fokussierte auf Eliten und Spezialisten zielende Ausbildungsgänge wichtig; aber den 2 ThieSen
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Die Beiträge im Überblick: Zusammenfassung
großen Bedarf an breiteren Ausbildungswünschen unbefriedigt zu lassen, wäre sträflich. Um ein sehr hohes Niveau und größtmögliche Aktualität der Ausbildung zu sichern, wurde mit traditionellen Strukturen gebrochen: Die Ausbildung wird gemeinsam von der Fakultät für Mathematik, der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und der Commerzbank AG, Frankfurt, getragen. Klaus-Friedrich Dtto, der Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, hatte die schwierige Aufgabe, das Symposium zusammenzufassen. Es wurde deutlich, dass die Reform des deutschen Hochschulwesens nicht einfach wird. Die vielen überzeugenden Beiträge des Symposiums bewiesen, dass an vielen Stellen im Hochschulwesen Änderungen notwendig sind. Klaus-Friedrich Otto fasste die von den Referenten angeregten Reformen in 10 Punkten zusammen:
(1) Die staatliche Steuerung der Hochschulen (Dienstrecht, Finanzkontrolle, Aufgabenzuweisung) ist an ihre Leistungsgrenze gestoßen. Hochschulen sollen eigenverantwortlicher wirtschaften dürfen. (2) Im Lehrangebot der Hochschulen stecken viele Rationalisierungsreserven: nicht jede Universität muss jedes Fach anbieten. (3) Hochschulen müssen strukturell flexibel werden. Rektoren müssen Gestaltungsmacht bekommen. (4) Bildungsexpansion ohne entsprechende Mittel führt ins Abseits. Der Staat oder die private Wirtschaft kommen nicht umhin, mehr zu tun als bisher. (5) Die Hochschulen und ihre Mitglieder müssen stärker an Erfolgskriterien gemessen werden. Diese sind zu entwickeln. (6) Wettbewerb in Verbindung mit spürbaren Sanktionen ist notwendig. Gehälter und Mittelausstattung sind denkbare Ansatzpunkte. (7) Die Hochschulen müssen internationaler werden. International anerkannte Abschlüsse (Bachelor, Master) können dabei ein wichtiger Schritt sein. (8) Die Hochschulen müssen den Weiterbildungsmarkt erobern. Fokussierte Lehrangebote und ein zweistufiges Studiensystem wären sinnvoll. (9) Hochschulen müssen sich mehr um ihre Klienten kümmern. Die Alumniarbeit ist zu intensivieren. (10) Den Massenuniversitäten müssen Bildungsstätten für eine Elite hinzugefügt werden. Ein zweistufiges Studiensystem (BachelorlMaster) scheint vorteilhaft.
A. Einleitung
Die Sicht der Praxis: Forderungen an das deutsche Hochschulwesen Von Klaus Müller-Gebet'" Meine sehr geehrten Damen, meine Herren, ich begrüße Sie im Namen der Commerzbank AG zum Symposium "Aufbruch an deutschen Hochschulen" und freue mich über Ihre Präsenz. Diese Veranstaltung ist in gewisser Weise ein Pilot, denn wir versuchen erstmalig, Hochschulen, Institutionen des deutschen Bildungswesens und Wirtschaftsunternehmungen zusammenzubringen und eine Plattform zu finden zur Diskussion über die Zukunft der Hochschullandschaft und die damit verbundene Notwendigkeit von Innovationen. Das Thema Hochschule scheint in Deutschland unerschöpflich zu sein. Seit den 60er und 70er Jahren - vor dem Hintergrund einer wirkungsvoll ausgerufenen Bildungskatastrophe und zahlreichen Hochschulneugründungen - dauert eine Bildungsdebatte an, in der sich Bewahrer und Reformer, Zufriedene und Unzufriedene gegenüberstehen und der Versuch, von außen wie von innen auf die Hochschulentwicklung Einfluß zu nehmen, zunehmend stärker wird. Wie immer man die derzeitige Situation beurteilen will, eines dürfte klar sein: Die deutschen Hochschuleinrichtungen müssen ihren Platz neu definieren, neu finden in einer Welt, - in der die Universität nicht mehr der alleinige Ort von Wissenschaft und Forschung ist, - in der Grundlagenforschung und angewandte Forschung zunehmend ineinander übergehen, - in der sich viele unserer Probleme nicht mehr den disziplinären Gewohnheiten und Strukturen unserer Bildungseinrichtungen fügen, - in der Bildung nicht automatisch auch Ausbildung ist, - in der Innovation und Wettbewerb Schrittmacher des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts sind, - in der Wissenschaft und Wirtschaft noch enger zusammenrücken müssen. • Mitglied des Vorstandes der Commerzbank AG.
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Auf der Suche nach einem Platz in dieser Welt sind die deutschen Hochschuleinrichtungen nicht gerade optimal vorbereitet. Sie haben, kurz gesagt, ein Strukturproblem, ein Organisationsproblem und ein Mentalitätsproblem. Das Strukturproblem besteht im wesentlichen darin, - dass sich die deutschen Universitäten und auch die Fachhochschulen unter Qualitätsgesichtspunkten noch immer als ein homogenes System betrachten - obwohl dies ja faktisch längst nicht mehr der Fall ist -, - dass Wettbewerbsstrukturen in der Universität und zwischen den Universitäten nur schwach ausgebildet sind, - dass institutionelle Autonomie als etwas Gottgegebenes angesehen wird, und - Fächer- und disziplinäre Strukturen das universitäre Denken und Tun dominieren. Eine Veränderung dieser Strukturen sollte aus unserer Sicht - zugegebenermaßen ein wenig angelehnt an die jüngsten Strukturempfehlungen für die Universität Konstanz - u. a. folgenden Prinzipien entsprechen: - Profilbildung und Wettbewerb auf allen Ebenen (Forschung, Lehre, Studium), - Internationalität nicht nur als ein Prinzip der Forschung, sondern auch als ein Prinzip der Lehre, - Inter- und Transdisziplinarität, d. h. Orientierung an interdisziplinären und transdisziplinären Forschungs- und Lehrformen, - Einsatz moderner multimedialer Informations- und Kommunikationstechnologien (Richtung "virtual university"), - Qualitätssicherung auf allen Ebenen, - public private partnership, d.h. Öffnung der Universität unter Dienstleis tungsgesichtspunkten gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft. Eng verbunden mit dem Strukturproblem ist ein Organisationsproblem. Die deutschen Hochschuleinrichtungen weisen vielfach noch immer eine Organisationsstruktur auf, die modemen Erfordernissen in großen Unternehmen, die Universitäten und Fachhochschulen heute nun einmal geworden sind, nicht mehr entspricht. Was hier erforderlich ist, sind Organisationsreformen, die nicht nur zu einer besseren Erfüllung der originären Aufgaben der Hochschuleinrichtungen in Forschung und Lehre führen, sondern auch die Entscheidungsstrukturen stärken, dabei kurze Entscheidungswege ermöglichen und Verantwortlichkeiten wieder stärker an einzelne Personen binden. Ein professionelles Hochschulmanagement und verantwortete
Forderungen an das deutsche Hochschulwesen
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Formen von Leadership müssen wieder zur Normalität der deutschen Universität gehören. Ein Mentalitätsproblem ist nur die andere Seite der erwähnten Strukturund Organisationsprobleme. Im Selbstverständnis vieler Hochschullehrer ist die Universität ein Ort, an dem völlig andere Regeln gelten als im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben und an dem die Vorstellung einer in sich ruhenden Gelehrtenrepublik ihre Wirksamkeit nicht verloren hat. Ausdruck dieses Selbstverständnisses ist z. B. ein Kollegialprinzip, das Entscheidungen in der Regel nur auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners erlaubt und Verantwortlichkeiten auf schwerfällige Gremienprozesse verlagert. In den Köpfen, so scheint es, ist die Universität als Institution vielfach noch nicht in der Gegenwart, einer sich zudem ständig verändernden Gegenwart, angekommen. Glücklicherweise - und das klingt sicher ein wenig merkwürdig - gibt es ein weiteres Problem, das in diesem Falle Hoffnung macht: ein Imageproblem. Tatsächlich sind deutsche Hochschuleinrichtungen weit besser als ihr Ruf oder als uns diejenigen einreden, die von mangelnder Qualität in Forschung und Lehre und einer hoffnungslosen Reformunfähigkeit sprechen. Gemeint ist, dass sich deutsche Universitäten und Fachhochschulen im internationalen Vergleich, wenn es um ihre Leistungsfähigkeit in Forschung und Lehre geht, keinesfalls verstecken müssen. Nur tun sich unsere Hochschuleinrichtungen und tut sich offenbar auch die Bildungspolitik schwer, dies deutlich zu machen. Unser kleines hochkarätig besetztes Symposium soll zu eben dieser Verdeutlichung beitragen; indem ganz bewußt auch zur Sprache kommen soll, was schon erreicht und was erfolgversprechend auf den Weg gebracht wurde. Die deutsche Universität war einmal führend in der Welt - sowohl unter strukturellen und organisatorischen Gesichtspunkten (mit Wilhelm v. Humboldts Reform) als auch unter Gesichtspunkten wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit (dokumentiert durch einzigartig viele Nobelpreise). Beides sollte auch heute wieder das Ziel eines neuen Aufbruchs sein. Wir als Commerzbank weiten unsere nationalen wie internationalen Aktivitäten ständig aus und stellen damit die Mitarbeiter immer wieder vor neue Herausforderungen. Ergänzende Vertriebswege (Stichwort: comdirect), E-commerce, Internet Banking und Geschäftsfelder wie das Investment Banking sind heute für die Zukunft unserer Bank zunehmend bestimmend. Um uns dieser wachsenden Dynamik der Märkte erfolgreich zu stellen, benötigen wir Menschen, die bereit sind, sich permanent weiterzuentwickeln und zugleich brauchen wir Universitäten, die diese Bereitschaft durch innovative Hochschulkonzepte fordern. Als ein durchaus beispielhaftes Projekt auf diesem Feld betrachten wir unsere Zusammenarbeit mit der
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TU Chemnitz, bei der Vertreter unseres Hauses in engem Kontakt mit der Wissenschaft einen nennenswerten Teil der Vorlesungsreihe im Studiengang Investment Banking gestalten. Wir hoffen, in solcherlei Kleinkosmos ein wenig den erforderlichen Strukturwandel zu befördern. Ich freue mich auf eine spannende Diskussionsrunde und die innovativen Ideen, die heute hier präsentiert werden.
Die Sicht der Wissenschaft: Forderungen aus dem deutschen Hochschulwesen Von Christian von Borczyskowski" Aufbruch an deutschen Hochschulen - das ist der Titel des vorliegenden Buches. Aufbruch woher, Aufbruch wohin? Gegenwärtig erleben die Hochschulen einen Erwartungsdruck, der in der Tat ähnlich demjenigen der 60er und 70er Jahre zu sein scheint. Damals war er akzentuiert worden unter dem Aspekt "Bildungskatastrophe, Sputnikschock". Viele Hochschulen wurden neu gegründet. Dieser Ansatz scheint uns heute wieder zu begegnen: Fehlende Fachleute im Ingenieurbereich, den Naturwissenschaften und in den Informationstechnologien. Allerdings waren der damalige Aufschrei und die daraus resultierenden bildungspolitischen Maßnahmen begleitet von politischen Themen wie "Bildung für alle". Unter Slogans wie "Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren" wurde die Demokratisierung von Bildung voran getrieben u. a. zur Gruppen- und Gremienuniversität. Die Behebung des - damaligen - Bildungsnotstandes war begleitet vom Aufstand der jungen Generation gegen das Establishment: Bildungspolitisch verordnet wurde die Massenuniversität unter Beibehaltung des Bildungsauftrages ganz in der Tradition der Humboldt'schen Universität, aber mit chronischer Unterfinanzierung. In Folge davon sollten dann sogar Studentenberge durchtunnelt werden. Unter diesen Randbedingungen haben sich die Hochschulen mehr recht als schlecht durchgeschlagen. Sie haben sich allerdings - auch aus opportunistischen Gründen - gegen ihre Ausweitung nicht gewehrt, haben sich vielleicht auch in der Illusion gewiegt, aus Massenuniversitäten letztendlich doch Eliteuniversitäten machen zu können. Im internationalen Vergleich ist ihnen das sogar recht gut gelungen. Das deutsche Hochschulsystem braucht sich - vergleicht man es mit den inhaltlich tatsächlich korrespondierenden Einrichtungen anderer Länder - nicht zu verstecken. Diese Leistungen sind allerdings heute nicht mehr hinreichend. Rein äußerlich lässt sich "Bildungsnotstand" heute durch "Wissensgesellschaft" • Rektor der TU Chemnitz.
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Christian von Borczyskowski
,,Liberalisierung" durch "Globalisierung" ersetzen. Ein bloßer Etikettenwechsel? Ich denke nicht. Oft legen jedoch einige Hochschulvertreter einen gewissen Gleichmut oder gar Hochmut ob der an sie gerichteten Erwartungen an den Tag. Schließlich seien Universitäten - zumindest einige von ihnen - nach den Kirchen die ältesten Institutionen in Europa. Welcher Staat, welches Unternehmen kann das schon von sich sagen. Aber Tradition verpflichtet. Fortschritt aus Tradition? Wohin schreiten wir also? Wohin brechen wir auf? Ich werde und kann an dieser Stelle keine umfassende Antwort geben. Wir werden darüber aber auf diesem Symposium zu diskutieren haben. Lassen Sie mich aber aus meiner Erfahrungen an drei deutschen und zwei ausländischen Hochschulen als Student, Wissenschaftler, Hochschullehrer, Dekan und Rektor einige Aspekte aufzeigen: Universitäten von heute sind ,,Massenuniversitäten", da annähernd 30% eines Altersjahrganges an Hochschulen studieren. Dieses gilt auch für kleine Universitäten, wie z. B. die Technische Universität Chemnitz, denn Masse bedeutet nicht nur eine große Anzahl von Studenten, sondern auch Durchschniusverteilung von Interessen und Begabungen. Auch wenn die Hochschulen hinreichend finanziert wären, würden sie ihrem Humboldt'schen Idealbild über weite Teile nicht nachkommen können, da dieses nicht die Erwartung der Gesellschaft und auch nicht die Lebensperspektive vieler Studierender ist. Wir sollten dies an den Hochschulen zur Kenntnis nehmen. Nicht alle Studierenden wollen und können Wissenschaftler werden. Aber sie wollen, und die Gesellschaft braucht eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung. Gestufte Ausbildungsgänge und Abschlüsse würden in der ,,Massenuniversität" begleitet von einem Wettbewerb zwischen den Hochschulen eine deutliche Verbesserung schaffen. Lebensentwürfe und Lebensperspektiven haben sich grundlegend gewandelt. Studierende sind zunehmend individuell agierende Akteure in den unterschiedlichsten Bereichen: sie sind Studierende, Konsumenten, Berufstätige, Familiengriinder ... Weiterbildung und lebenslanges Lernen spielen eine immer wichtigere Rolle. Insbesondere für diesen Bereich werden neue Medien (virtuelle Universität) von großer Bedeutung sein. Hier ist immenser Nachholebedarf an den Universitäten, der nur in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft befriedigt werden kann. Fächeriibergreifendes Forschen und Lernen wird zunehmend zum Träger von Innovationen. Sie müssen gestärkt und gefördert werden. Ich warne
Forderungen aus dem deutschen Hochschulwesen
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aber vor einer Zerschlagung der fachlichen Disziplinen, sofern sie wissenschaftlich haltbar sind. Das bloße Verschmelzen von Disziplinen erhöht die Homogenität (Entropie), aber Dynamik erwächst aus Spannung (Potential) an den Grenzbereichen. Ich plädiere neben der vertikalen Orientierung an Disziplinen für eine horizontale und zeitlich begrenzte Vernetzung der Disziplinen. In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist eine zunehmende Ökonomisierung zu beobachten. Die Frage nach Kosten und Leistungen darf auch vor den Toren der Universitäten nicht Halt machen. Aber die Universitäten sind keine Unternehmen, auch wenn ihnen unternehmerische Qualitäten sehr gut anstünden. Universitäten generieren vor allem Wissen und Kompetenz für einen Markt, den es noch gar nicht gibt. Nicht die Chip-Industrie hat nhch dem Transistor gerufen, nicht die Nahrungsmittelindustrie nach der Gentechnologie und nicht die Medizin nach der Kernspintomographie, um nur einige Beispiele zu nennen. Ich plädiere weiterhin für Freiräume, auch wenn die "Gelehrtenrepublik" - aus ganz anderen Gründen - in Misskredit geraten sein mag. Die heute beklagte Misere des fehlenden technologisch ausgebildeten Nachwuchses wäre weit größer, wenn die Hochschulen sich nach den von der Wirtschaft vorgegebenen Arbeitsmärkten orientiert hätten. Ich plädiere daher für eine weitgehende Entkopplung von grundlegender Bildung vom Arbeitsmarkt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass auch Universitäten nicht Berufsfähigkeit vermitteln müssen. Allerdings ist bei der Frage, was berufsbefähigende Kompetenzen sind, ein stärkeres Lernen von und mit der Wirtschaft und anderen Arbeitgebern notwendig. Wie sieht nun meine Vision einer zukünftigen Universität zwischen Tradition und Fortschritt aus? Das amerikanische Ausbildungssystem hat dafür die Lösung gefunden: kleine, aber wenige Eliteuniversitäten und viele mittelmäßige Universitäten und Colleges zu entwickeln. Die europäische und vor allem deutsche Tradition ist anders: Wir haben relativ gute, vielleicht aber auch zu homogene Universitäten. Unter den gegebenen Randbedingungen (Massenuniversität, Finanzierbarkeit) ist zwischen den Universitäten mehr profilbildender Wettbewerb und innerhalb der Universität mehr vertikale Differenzierung, vor allem in der Ausbildung, notwendig: Im Kern Humboldt, im Fleisch schmackhaft.
B. Kritik am System und Visionen für die Zukunft
Die Leistungsrähigkeit deutscher Universitäten im internationalen Vergleich Von Theodor Berchem'" Um es gleich vorweg zu nehmen: Es ist extrem schwierig, die Leistungsfähigkeit von Universitäten zu messen. Ist dies schon national ein schwieriges Unterfangen, so wird es im internationalen Vergleich durch die unterschiedlichen Hochschulsysteme noch um einiges schwieriger. Eine ähnliche Studie wie die TIMSS Studie, die die Leistungsfähigkeit von Schulen international vergleicht, gibt es bisher für Universitäten leider nicht. Auch die OECD, die versucht, den Leistungsstand von Schülern zu messen, hat sich bisher nicht an die Studenten herangetraut. Dennoch sind zur Zeit zwei Trends zur Beschreibung der Leistungsfähigkeit von Hochschulen zu unterscheiden: Zum einen auf Evaluation und Akkreditierung beruhende wissenschaftliche Untersuchungen und zum anderen die gerade in Zeitschriften wie Spiegel, Focus, Stern u. a. m. immer populärer werdenden Hochschulen-Rankings. Beide Versuche stecken noch in der Anfangsphase und erlauben nur begrenzt verallgemeinernde Aussagen. Die Evaluierung von Hochschulen zielt darauf ab, mehr Transparenz und Wettbewerb im Hochschulbereich zu garantieren und eine leistungsorientierte Mittelverteilung, die auf den Ergebnissen der Evaluierung beruhen soll, zu ermöglichen. Die Kriterien, die einen nationalen oder internationalen Vergleich ermöglichen sollen, werden zur Zeit aber gerade erst im Rahmen des Aufbaus von Akkreditierungsinstitutionen entwickelt. Wir brauchen sie dringend, um verlässliche Aussagen treffen zu können. Solange wir nicht über diese Kriterien verfügen, wird das Bild von den Hochschulen-Rankings dominiert werden. Der Spiegel hat hier vor Jahren den Anfang gemacht, indem er deutsche Hochschulen verglich. Mittlerweile gehören diese Rankings, auch international vergleichend, zum Standardrepertoire dieser Zeitschrift. Der vom Spiegel vor zwei Jahren vorgelegte europäische Hochschulvergleich kam dabei zu dem Ergebnis, dass "deutsche Unis zumeist nur Mittelmaß" seien. Über die Problematik dieser Rankings ist bereits viel berichtet worden: sie beruhen letztendlich auf dem • Präsident des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes.
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Theodor Berchem
Empfinden der befragten Professoren und Studenten und bewerten damit den wie auch immer begründeten Ruf einer Hochschule. Im Unterschied zur Evaluation bewerten sie die gewählten Parameter meist gleich und sind dann, je nach Ranking, ein Mix aus Lehr- und Ausbildungsqualität, Forschungsleistung, Images, Einstellungswahrscheinlichkeit nach dem Studium, Renommee der Ausbildung für eine spätere wissenschaftliche Karriere bis hin zur Lebensqualität am Hochschulort, Freizeitgestaltungsmöglichkeiten usw. Bei allen Verbesserungen dieser Rankings sind gerade die international vergleichenden noch wenig aussagekräftig. Erlauben Sie mir vor diesem Hintergrund Ihnen nun thesenartig meine Einschätzung der Leistungsfähigkeit der deutschen Hochschulen darzulegen: - Die deutschen Universitäten galten weltweit lange Zeit als Synonym des Humboldt'schen Universitätsideals. Die zahlreichen Nobelpreisträger, die sie hervorgebracht haben, stehen ebenso für ihre Leistungsfähigkeit wie die Tatsache, dass sie auf der ganzen Welt immer wieder Pate standen, sei es bei Universitätsreformen oder beim Aufbau neuer Hochschulwesen. Humboldt fühlte sich heute in Harvard, Princeton und Yale sicherlich wohl. Das Grundprinzip seines Ideals, die Einheit von Forschung und Lehre, überzeugt auch heute noch als effizienteste und schnellste Verbindung von Wissensgenerierung und Wissensvermittlung. Diese Verbindung charakterisiert die deutschen Universitäten auch weiterhin. - Auch deshalb genießen die deutschen Hochschulen heute noch weltweit einen guten Ruf. Weiterhin zählen zahlreiche Institute und Fachbereiche an deutschen Universitäten zu den Besten auf der Welt. Wenn es aber so scheint, dass die deutschen Universitäten als solche nicht. mehr in der weltweiten Spitzenliga mitspielen, so ist dies auch - wenn auch nicht ausschließlich - eine Frage der (Selbst)Darstellung: Welche amerikanische Universität wäre bereit, sich einer so offenen Debatte auszusetzen, bei der sie sich selbst öffentlich so kritisiert, wie wir dies tun. Das scheint ein grundsätzliches deutsches Spezifikum zu sein. Wir vergessen darüber, dass jede deutsche Hochschule auch im internationalen Vergleich im oberen Drittel mitspielen kann. Wie viele US-amerikanische Hochschulen können dies von sich behaupten? Beim DAAD haben wir die Erfahrung gemacht, dass so gut wie alle unsere deutschen Studenten, die wir ins Ausland schicken, dort sehr gut zurecht kommen. Ihr Niveau wird von den ausländischen Professoren fast immer als sehr gut bewertet. Wo aber haben sie die Grundlagen erworben, die ihnen diese Erfolge ermöglichen: an ihren deutschen Heimathochschulen! Wenn wir über brain-drain klagen und Spitzennachwuchswissenschaftler häufig in den USA bleiben, heißt das, dass wir sie erst einmal sehr gut ausgebildet haben. Wir müssen dann aber zugeben, dass die Rahmenbedingungen für
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Spitzenforschung leider in den USA besser sind. Ich denke hier gerade auch an die in Amerika forschenden deutschen Nobelpreisträger wie Horst Störmer (1997, Physik) und Günter Blobel (1999, Medizin). - Unbestritten ist aber, dass die deutschen Hochschulen unter den Folgen der Bildungsexpansion leiden. Bei gleichgebliebenen und im internationalen Vergleich sehr hohen Ansprüchen, sind die Aufgaben gewachsen, ohne dass die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Die guten Leistungen, die die deutschen Hochschulen dennoch erbringen, erwirtschaften sie somit aus der Substanz. Hier ist die Grenze des Machbaren schon länger überschritten. Wenn sie trotzdem weiterhin sehr gute Hochschulabsolventen hervorbringen, so liegt das zum einen auch an der überdurchschnittlichen Qualität unserer schulischen Ausbildung gerade auch im Vergleich zu Nordamerika (selbst wenn wir es gelegentlich für verbesserungswürdig halten) und zum andern daran, dass Studierende in Deutschland eine deutlich längere Ausbildung an den Hochschulen erfahren als in anderen Ländern. - Wenn Deutschland weiterhin einen Spitzenplatz sowohl in der universitären Ausbildung als auch in der Wissenschaft behalten will, bedarf es zusätzlicher finanzieller Mittel. Kann oder will der Staat diese Gelder für diese wichtigen Zukunftsaufgaben nicht zur Verfügung stellen, muss er die private Finanzierung fördern. Die Bundesregierung geht hier mit der Novellierung des Stiftungsrechts in die richtige Richtung - aber nicht weit genug. Zusätzlich gilt es, eine entsprechende Stiftungskultur dazu zu schaffen. Die USA und die Bundesrepublik geben mit jeweils einem Prozent des BSP von staatlicher Seite etwa gleichviel für den tertiären Bildungssektor aus. In den USA kommt aber ein weiteres Prozent des BSP an privat finanzierten Mitteln hinzu. - Zur Leistungsfabigkeit der deutschen Hochschulen gehört (neuerdings) auch ihre Reformfabigkeit, die sie zur Zeit unter Beweis stellen. Stichwort ist hier aus Sicht des DAAD natürlich der Fortschritt bei der Internationalisierung der Hochschulen. Insgesamt ist die Internationalisierung zu einem der Antriebsmotoren der Hochschulen allgemein geworden. Ein Beispiel: die Einführung gestufter, international kompatibler Abschlüsse (BA/MA) unter Beibehaltung der bestehenden deutschen Abschlüsse (Diplom/Magister). Auch wenn es unbequem sein mag, wagen wir es, beide Abschlusssysteme zunächst nebeneinander existieren zu lassen und dabei auch in Konkurrenz zu setzen. Oder wie es im Gleichnis vom Sämann bei Matthäus heißt: ,,Laßt beides zusammen wachsen bis zur Ernte" (Matt. 13, 30). - Die Leistungsfabigkeit und damit auch die Attraktivität der deutschen Hochschulen wird sich in der Zukunft auch daran messen lassen, wel3 ThieBen
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chen Platz Deutschland auf dem rasant wachsenden internationalen Bildungsmarkt einnehmen wird. Zur Zeit sind etwa 1,8 Millionen Studierende international mobil. Nach Schätzungen sollen es bis 2040 über 4 Millionen sein. Rund 110.000 davon studieren zur Zeit in Deutschland; rechnet man die Bildungsinländer hinzu, sind es ca. 170.000. Mit diesem Anteil von rund 6 % "echten" internationalen Studierenden an deutschen Hochschulen kann Deutschland sich sehen lassen und liegt deutlich über dem Anteil der internationalen Studenten in den USA. In absoluten Zahlen liegt Deutschland damit knapp hinter dem Vereinigten Königreich (1998: knapp 200.000) und deutlich vor Frankreich (1998: 120.000). Der DAAD hält es für wünschenswert, ihren Anteil in Deutschland auf 10 % zu erhöhen. Ebenso sollte sich der Anteil deutscher Studierender, die zumindest einen Studienabschnitt im Ausland verbracht haben, von derzeit 10 auf 20 % erhöhen. Im Rahmen der Internationalisierung gilt es aber auch, die Internationalität unseres Lehrkörpers zu erhöhen, die heute mal gerade bei etwa 5 % liegt (einschließlich ausländischer Lektoren, die für eine begrenzte Zeit eine Fremdsprachenphilologie vertreten). - Qualität alleine reicht aber nicht aus, um zusätzliche internationale Studenten an die deutschen Hochschulen zu holen. Die Stärken der deutschen Hochschulen müssen auch bekannt gemacht werden. In diesem Zusammenhang kommt dem internationalen Hochschulmarketing eine wachsende Bedeutung zu. Wer sich mit Marketing beschäftigt, weiß, dass es auch eine Rückwirkung auf das Produkt hat. Durch internationales Hochschulmarketing gilt es, Deutschlands Anteil am internationalen Bildungsmarkt zu steigern. Anderseits ist Marketing aber ein neu zu definierendes Leistungskriterium moderner Universitäten. Das scheint vielen noch fremd zu sein: In unserem Hochschul- und Wissenschaftssystem hält sich eine lange Tradition des Understatement, die es zu durchbrechen gilt, um die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen ins rechte Licht zu rücken.
Anreizsysteme im Hochschulwesen Von Klaus Landfried*
I. Das allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten enthielt die Formulierung, die die Rechtsnatur der Hochschule lange Zeit hindurch unbestritten festschrieb: Schulen und Universitäten sind Veranstaltungen des Staates, welche den Unterricht der Jugend in nützlichen Kenntnissen und Wissenschaften zur Absicht haben. Die Eigenschaft der Anstalt des öffentlichen Rechts prägte vor allem die Wirtschafts- und Personal verwaltung der Hochschulen nachhaltig. Das Prinzip der materiellen Sicherung dieser Veranstaltung heißt: Alimentation, Unterhalt auf der Basis genehmigten Bedarfs. Dynamik und Anreize? Fehlanzeige. Und wie wurde - und wird zum großen Teil noch heute - das komplexe System gesteuert? Über eine Kaskade hierarchisch geordneter Rechtsvorschriften, zum Teil bis ins Detail gehend. Besonders liebevoll und damit streng kontrolliert sind die "sekundären Leistungen", insbesondere das Haushalts- und Rechnungswesen, die Personal verwaltung und die Bewirtschaftung der Flächen und Gebäude. Und die Effektivität des Paragraphen-Räderwerks? Höflich ausgedrückt: suboptimal.
11. Die staatliche Steuerung ist in Deutschland bisher nämlich selten an Erfolgskriterien orientiert. Das Haushaltsrecht belohnt Wirtschaftlichkeitserfolge nicht, auch nicht überdurchschnittlichen persönlichen Einsatz. Ja, es kommt wegen unzureichend entwickelter Anreiz- und Steuerungsmechanismen in den Hochschulen zu Fehlallokationen von Ressourcen im Hochschulsystem insgesamt und in den einzelnen Hochschulen.
• Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.
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Klaus Landfried
III. Der Weg zur Optimierung der Prozesse und der Ressourcennutzung kann nur über die verstärkte Einführung von Elementen des Wettbewerbs in das Hochschulsystem führen, d.h. eben über die - überwiegend positive - Sanktionierung von Leistungen. Anreizsysteme in der Wissenschaft sollten aber nicht nur finanzieller, sondern auch zunächst immaterieller Art sein, d. h. auch über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen wirken. Ansatzpunkte finanzieller Art sind die Hochschulfinanzierung als solche und die Bezahlung des Personals. Transparente, wissenschaftsangemessene Verfahren der Mittelzuteilung an die Hochschulen können Leistungsanreize bewirken. Mittel sollten nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip oder auf der Basis zufaJJig historisch gewachsener "Bedarfe" in die Hochschulen kommen, sondern sich einerseits an Kriterien orientieren, die gemeinsam verabredet werden, andererseits sich orientieren an Umfang und Qualität einer vorher vereinbarten Leistungserfüllung seitens der Hochschule. Hier müssen auch qualitative Faktoren eine Rolle spielen. Im Ausland ist der Zug in diese Richtung längst abgefahren: in den Niederlanden, in Großbritannien, in den skandinavischen Ländern und auch in Israel verteilt der Staat zum Teil direkt, zum Teil über zwischengeschaltete Organisationen die Mittel für Personal und "Sachen" an die Hochschulen auf der Basis von Leistungsindikatoren. Die Modelle differieren, was die Anteile am gesamten Mittelvolumen angeht, die auf der Basis von Kennziffern einerseits und auf der Basis qualitativer Bewertung, politischer Prioritätensetzungen oder historischer Entwicklung vergeben werden. In allen Ländern geht es um die Zahl der Studierenden - und oft auch der abgelegten Prüfungen - in verschieden teuren Studiengängen, die die Grundlage für die Berechnung der Mittel für die Lehre bilden. Bei der Vergabe von Mitteln für die Forschung spielen erfolgsorientierte Indikatoren wie Promotionen, referierte Publikationen und vor allem eingeworbene Drittmittel, die übrigens empirisch mit den anderen Indikatoren korrelieren, und zum Teil auch qualifizierende Evaluationsergebnisse die entscheidende Rolle. Die Grundausstattung muss dabei vorab definiert werden; keine leichte Aufgabe bei ständiger Knappheit. Dies aber sind die Elemente, die in einigen bundesdeutschen Ländern, in denen in den letzten Jahren im Zusammenwirken von Hochschulen und staatlicher Verwaltung Modelle zur leistungs- und belastungsorientierten Mittelverteilung entwickelt worden sind und angewandt werden, im Grunde ebenfalls ihren Niederschlag gefunden haben. Die lange heftig umstrittene Frage, was denn in den Hochschulen die zu bewertende Leistung sei, welche Leistungsindikatoren heranzuziehen seien, ist grundsätzlich beantwortet und wird dennoch immer wieder neu gestellt, vor allem von denen, die vom historisch "Gewachsenen" lange profitiert haben.
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Die Mittelzuteilung für die Lehre kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Denkbar ist zum einen die rechnerische Methode, dass man die Zahl der Studierenden in der Regelstudienzeit oder die Zahl der Anfänger ermittelt und mit bestimmten Kostenansätzen - abhängig von den gewählten Studiengängen - bewertet. Denkbar ist aber auch, dass man ein Marktelement einführt und der/die einzelne Studierende einen bestimmten finanziellen Beitrag an die Hochschule abführt. Dabei ist es unerheblich, ob der/ die einzelne Studierende tatsächlich selbst einen Beitrag zu den Kosten leistet, oder ob der Staat ihm/ihr kostenlos eine bestimmte Zahl von Bildungsgutscheinen zur Verfügung stellt, für die er/sie im Zeitverlauf Ausbildungsleistungen nachfragt. Beide Ansätze, sowohl das indikatorengestützte Modell als auch das "Geld-folgt-Studierendem-Modell" geben der Institution einen Anreiz, sich um die Attraktivität der Lehre zu kümmern. Die Hochschule wird es sich dann nicht leisten können, Lehre mit nachrangiger Priorität zu betreiben. Natürlich bleiben zwei Knackpunkte: einmal die Angemessenheit der pro Studierender im jeweiligen Fach angesetzten Kostenwerte und zweitens die Frage, ob "Ausbildungsleistung" das angestrebte Ziel des Wissens auf der Grundlage von Selbstlernen korrekt wiedergibt. Beide Fragen halte ich für lösbar, aber nicht auf die schnelle Art.
IV. Vor allem muss durch mehrjährige und flexibilisierte Hochschulhaushalte die Hochschule selbst eigenverantwortlich wirtschaften können, d.h. auch intern Sparsamkeit belohnen, zusätzliche Einnahmen erzielen und diese sinnvoll für Ziele der Hochschulen verwenden und durch gezielte Förderung zusätzliche Leistungen stimulieren können. Kern und Angelpunkt des nicht vorrangig über Bedarfe, sondern über vereinbarte - Leistungen definierten Hochschulbudgets ist die "Globaldotation", eine "lump sum", wie sie englisch heißt, die in der Höhe für einige Jahre (2-4) weitgehend festgelegt ist, und deren inhaltliche Gliederung vor allem der Zielvereinbarung zwischen Staat und Hochschule folgt. Die Jährlichkeit ist aufgehoben oder doch - mehr braucht es auch in der Regel nicht - stark reduziert, die "Deckungsfähigkeit" von Kapiteln und Titeln wenn man in der überlieferten Kameralistik bleiben will - fast vollständig, jedenfalls im Prinzip. Beim Wechsel zur kaufmännischen Buchführung die Dotation der Kostenarten und KostensteIlen flexibel zu halten, ist ohnehin selbstverständlich. Natürlich hat die Hochschule - wie ein normales Unternehmen auch - einen möglichst vorausschauend "geplanten", in sich so weit differenzierten Haushalts- oder Wirtschaftsplan wie bisher. Aber sie kann auf neue Situationen flexibler reagieren, muß oder besser: darf nicht mehr überplanmäßigen Bedarf beim Staat reklamieren, sondern muß selber
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sehen, wie sie zurecht kommt. In einen solchen mehrjährigen Haushalt lassen sich dann auch die Sparsamkeit belohnende Mechanismen einbauen wie: alle eingesparten Beträge bei der Energie verbleiben dem Sparer, ebenso bei Personal oder bei der Labornutzung. Ressourcensharing zwischen Institutsbibliotheken setzt Geld frei für wieder mögliche neue Zeitschriften-Abo's, die Vennietung von Räumen an Weiterbildungseinrichtungen am Wochenende hilft, die Kindertagesstätte auszubauen, die Optimierung der baulichen Gestaltung und Nutzung bisher im Planungs-Stau der Bauverwaltung steckender Innenstadt-Grundstücke eröffnet - nach einiger Zeit - die Chance für hochschuleigene Ausländer-Stipendien nebst Mentoren-Programmen, die Beteiligung der Hochschule am Kapital von Forschungsfinnen läßt die Adern der Drittmitteleinwerbung und - später von Lizenzeinnahmen anschwellen. Auch wünschenswerte Entwicklungen wie z. B. die Steigerung des Frauenanteils in ingenieurwissenschaftlichen Fächern lassen sich durch finanzielle Anreize gezielter erreichen.
v. Anreizsysteme können auch bei der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen des Hochschulpersonals wirksam werden. Im gegenwärtigen B~sol dungssystem wird - ausschließlich bei C4-Professuren an Universitäten, sonst nirgends - die - nachgewiesene oder erwartete - individuelle Leistung finanziell ausschließlich bei Berufungs- oder Bleibeverhandlungen durch eine dabei mögliche Gehaltssteigerung honoriert. Stattdessen sollte bei BerufungsverhandlurigeQ für alle Professoren das jeweilige Gehalt individuell gemäß Funktion und' Verantwortung der zu besetzenden Stelle und der Qualifikation des Bewerbers sowie der Situation auf dem akademischen Arbeitsmarkt verhandelt werden. Das individuelle Gehalt könnte dann insgesamt aus einem Basisgrundgehalt sowie der Aufgabe angemessenen Struktur- oder Funktions- sowie Leistungszulagen bestehen. Die Kriterien für die nach in Abständen von vier bis sechs Jahren durchgeführten Evaluationen zu gebenden Leistungszulagen sollten auf der Grundlage internationaler Erfahrungen in der Hochschule vereinbart werden. Die von Frau Bundesministerin Bulmahn eingesetzte Expertenkommission wird hierzu bald ihre Vorschläge präsentieren. Leistungsanreize werden im Personalbereich aber nicht nur durch persönliche Geldzuwendung wirksam, sondern auch über die Arbeitsbedingungen: gezielte Förderung auf Zeit, z. B. in Fonn zusätzlicher Freisemester, Reiseoder Exkursionsmittel, Gastdozenten oder Stipendiaten aus dem Ausland, Unterstützung durch im Management geschulte Wissenschaftler im Fall des Dekansamtes sind hier geeignete Ansatzpunkte.
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VI. Das Paradies wird mit Anreizsystemen und mehr Eigenverantwortung der Hochschulen auf der Grundlage flexibler, mehrjähriger Haushalte nicht geschaffen, aber bei kluger und professioneller Nutzung läßt sich der Wirkungsgrad öffentlich zu verantwortenden Wirtschaftens verbessern, optimieren. Statt auf die dicken Fesseln bloß zu schimpfen, sollten wir angesichts der Tatsache, dass auch "Kleinvieh Mist" macht, selbst kleine Flexibilitätsgewinne nutzen und evtl. erweitern. Nur dann gewinnen wir neue Spielräume für die Belohnung von besonderen Leistungen und für jene Aufgaben der Hochschulen, die sich von normalen Dienstleistungsunternehmen unterscheiden, nämlich jene auf den ersten Blick scheinbar wenig verwertbaren Kompetenzen wie Verstehen, kulturelle und ethische Sensibilität, künstlerische wie wissenschaftliche Kreativität, kurz: gebildete Persönlichkeiten zu fördern.
VII. Das Setzen von Anreizen ist also ein wichtiger Teil dieses neuen Weges zur besseren "Bildung". Darüber habe ich - hoffentlich nicht zu lange gesprochen. Lassen sie mich schließen mit einem Zitat des großen Romantikers Jean Paul, das uns bei unserem Bemühen zu Bescheidenheit mahnt: "Das ganze Jahrhundert ist ein Wettrennen nach großen Zielen mit kleinen Menschen" (aus: Clavis Fichtiana), Professoren nicht ausgeschlossen.
Stärken und Schwächen deutscher Universitäten aus den Erfahrungen der Wirtschaft heraus Von Arend Oetker· Im Frühjahr 2000 ist in den Medien ausführlich darüber diskutiert worden, ob wir eine Art "green card" einführen, mit der nichteuropäische Experten aus der Telekommunikationsbranche für den deutschen Arbeitsmarkt angeworben werden sollen, weil wir selbst an unseren Hochschulen zu wenig Nachwuchskräfte produzieren. Ich bin weit davon entfernt, den schwarzen Peter für diese Situation den Hochschulen zuspielen zu wollen, aber die Lage ist doch kennzeichnend für eine Reihe von Strukturproblemen, die die Entwicklung deutscher Hochschulen noch immer behindern. Erstens: Das Tempo von Veränderung und Strukturwandel in der Wirtschaft ist inzwischen so atemberaubend, dass die Hochschulen immer mehr hinterherhinken in der Entwicklung und Einrichtung neuer, innovativer Studiengänge und der entsprechenden Lehrstühle. Wenn man sich zum Beispiel anschaut, was in der Wirtschaft in den boomenden Bereichen "electronic business" oder "Multimedia-Design" passiert, dann findet diese Entwicklung kaum eine Entsprechung in den Ausbildungsgängen deutscher Hochschulen. Das hat natürlich mehrere Gründe: zum einen fehlen qualifizierte Professoren; denn die jungen Nachwuchskräfte, die sich mit Begeisterung in diese Forschungs- und Entwicklungsbereiche stürzen, werden abgeschreckt durch lange Habilitationsverfahren und schlechte Bezahlung. Die meisten denken schon gar nicht mehr an eine Forscherkarriere in der Universität und wandern ab in die Industrie - oft sogar noch bevor sie ihr Studium beendet haben. Aber auch aus dem Ausland lassen sich kaum qualifizierte Lehrkräfte rekrutieren: die wenigen, die es gibt, werden durch das deutsche Dienstrecht eher abgeschreckt als angezogen. Zwei Schwächen deutscher Hochschulen habe ich damit bereits genannt: zu lange Qualifizierungsphasen und ein unflexibles, zunehmend unattraktives Dienst- und Besoldungsrecht. Dieses wird übrigens auch durch die • Vorstandsvorsitzender des Stifterverbandes ftir die Deutsche Wissenschaft.
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geplante Reform nicht sonderlich attraktiver, jedenfalls nicht nach meinem Kenntnisstand der Reformvorschläge - und vor allem werden mit der geplanten Reform auch die Versorgungsprobleme nicht gelöst, die sich durch einen Wechsel der Professoren von der Hochschule in die Wirtschaft und wieder zurück ergeben. Ein solcher Wechsel muss aber dringend erleichtert und attraktiv gemacht werden, denn er bringt das Wissen der Hochschule in die Unternehmen und das Know How der Unternehmen zurück an die Lehrstühle. Ich möchte aber noch ein anderes Problem ansprechen, das mir im Augenblick fast noch dringlicher zu sein scheint: ich spreche von der strukturellen Unfähigkeit deutscher Hochschulleitungen zu strategischem, innovativem und zukunftsorientiertem Handeln. Die jüngsten Reformen haben zwar die Rektoren und Kanzler gestärkt. Aber noch immer fehlt es den meisten an wirklicher Gestaltungsmacht, wenn es darum geht, die schweren Tanker "Hochschule" in eine neue Richtung zu lenken. Ich denke nur an die vielen sich selbst blockierenden Gremienentscheidungen, die es bei der Umwidmung von Forschungsbereichen und Lehrstühlen zu berücksichtigen gilt. Wir alle wissen, welche Chancen wir in den kommenden Jahren für eine wirkliche Neuausrichtung unserer Hochschulen haben. In den nächsten acht bis zehn Jahren wird mehr als die Hälfte aller Lehrstühle altersbedingt frei werden. Wenn man es richtig angeht, könnte man endlich umsetzen, was der Wissenschaftsrat schon seit Jahren fordert: man könnte neue Lehr- und Forschungsgebiete einrichten, die sich zwischen den klassischen Fächergrenzen auftun. Man könnte mehrere Disziplinen in neuen Studienstrukturen miteinander verschränken. In der industriellen Forschung passieren die Innovationen schon seit langem vor allem in Bereichen, die durch die überkommene Fächer- und Fakultätenaufteilungen überhaupt nicht mehr repräsentiert werden. Die Dynamik entsteht hier vor allem durch "GrenzÜberschreitungen". Diese Überschreitungen finden statt: - interdisziplinär, - international, - institutionenübergreifend und - zwischen der Grundlagen- und der Anwendungsforschung. Auf diese Entwicklungen müssen auch die Hochschulen reagieren. Dafür benötigen sie eine durchsetzungsfahige Leitung, die für strategische Entscheidungen und Profilbildung der Hochschule die Verantwortung trägt. Dafür benötigen die Hochschulen aber auch starke Kooperationspartner: wichtig ist, Forschungsstärken in neu zu bildenden Verbünden und Synergiezentren zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungsein-
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richtungen zu verschränken. Der Stifterverband hat gerade ein Aktionsprogramm l beschlossen, das eine solche Entwicklung fördern soll. Das Stichwort ,,Bündelung von Stärken" scheint mir überhaupt das Leitmotiv für eine zukunftsfahige Weiterentwicklung unserer Hochschulen zu sein. Unsere Hochschulen ähneln immer noch viel zu sehr "Gemischtwarenläden", in denen alles angeboten wird, auch wenn einiges längst zum Ladenhüter geworden ist. Bei einer Hochschuldichte wie in Deutschland ist ein solches Vollangebot meiner Ansicht nach völlig anachronistisch. Nicht jedes Studienfach muss den Studierenden dort angeboten werden, wo die Waschmaschine der Mutter steht. Mobilität ist in der beruflichen Karriere heute etwas Selbstverständliches geworden - es ist nicht zu viel verlangt, sie auch von den Studip.renden zu fordern. Ich bin eigentlich immer wieder überrascht, wenn ich mir die Zahlen deutscher Studenten anschaue, die ein oder zwei Semester im Ausland studieren. Die Quote liegt etwa bei 10 %. In der Unternehmenswelt ist die Welt längst zu einem globalen Dorf geschrumpft. Beim Studium scheinen wir davon noch sehr weit entfernt zu sein. Ich hoffe sehr, dass die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master mehr Studierende dazu motivieren, einen Teil ihres Studiums im Ausland zu verbringen - die Wirtschaft braucht Talente, die sich souverän in anderen Kulturen bewegen können. Ich bin zu dieser Veranstaltung eingeladen worden, um über die Stärken und Schwächen deutscher Hochschulen aus Sicht der Wirtschaft zu urteilen. Der Stifterverband, dem ich vorstehe, steht natürlich in ständigem Austausch mit Politik und Wissenschaft und versucht dort zu helfen, wo es gilt, Strukturprobleme der Hochschulen modellhaft zu lösen. Aber ich frage mich manchmal, ob die Hochschulen selbst eigentlich genug tun, um eine Analyse der eigenen Stärken und Schwächen wirklich systematisch zu betreiben. Zu einer solchen Systematik gehört es doch auch, sich einmal den beruflichen Werdegang der Absolventen anzuschauen. Wenn ich darüber informiert bin, was aus meinen ehemaligen Schützlingen geworden ist, dann weiß ich auch, ob ich sie gut und berufsgerecht vorbereitet habe. Aber welche Hochschule ist über ihre Ehemaligen wirklich informiert? Wo gibt es eine systematische Alumni-Arbeit, die die Ehemaligen in das Hochschulleben so zurückbindet, dass wiederum Anregungen für die Hochschulentwicklung von inzwischen Berufserfahrenen zurückfließen können? Im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland auf diesem Feld ein Entwicklungsland. Das Thema liegt mir sehr am Herzen, und ich darf in diesem Zusammenhang ankündigen, dass der Stifterverband plant, die Alumni1
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Arbeit an deutschen Hochschulen mit dem Ziel einer flächendeckenden Systematisierung modellhaft zu fördern. Ich könnte an dieser Stelle noch viele Punkte nennen, die ich für die Überlebensfähigkeit deutscher Hochschulen im internationalen Bildungswettbewerb für notwendig halte. Ich erwähne nur die Stichworte Studiengebühren und Studierendenauswahl durch die Hochschulen - beides sind für mich elementare Bestandteile eine Systems, das die Bezeichnung Wettbewerb wirklich verdient. Aber hierüber ist in anderen Zusammenhängen schon oft gestritten worden, und vielleicht finden wir gleich in der Diskussion noch Gelegenheit, diese Punkte zu vertiefen. Aber ich möchte, bevor wir in die Diskussion einsteigen, noch einen letzten Punkt nennen, über den wir gleich reden sollten. In den Landeshochschulgesetzen, in denen die Aufgaben der Hochschulen beschrieben werden, ist ja nicht nur von Forschung und grundständiger Lehre die Rede. Zum gesetzlichen Auftrag der Hochschulen gehört auch die Weiterbildung. Der Bedarf der Unternehmen zu berufsbegleitender Weiterbildung der Mitarbeiter ist groß - und er wird weiter steigen. Das zeigen die vielen Gründungen privater Corporate Universities, die ja im wesentlichen betriebliche Weiterbildungsstätten unter neuem Namen sind. Derzeit werden jedoch die Lehrinhalte und das Personal für diese Einrichtungen, meistens unter massiver Einbindung der neuen Medien, fast nur im Ausland eingekauft. Und das liegt nicht am mangelnden Eifer der Unternehmen, nach Weiterbildungsangeboten in Deutschland Ausschau zu halten. Es liegt vor allem daran, dass es so gut wie gar kein systematisches, auf Unternehmensbedürfnisse zugeschnittenes Angebot an unseren Hochschulen gibt. Noch weniger gibt es ein strategisches Hochschulmarketing, dass die spärlichen Angebote systematisch an die Unternehmen heranträgt. Es kann doch nicht sein, dass unsere Hochschulen eine solches Einnahmepotential leichtfertig verspielen! Private Hochschuleinrichtungen in Deutschland nehmen für berufliche Weiterbildungsangebote Studiengebühren in Höhe von bis zu DM 25.000,- pro Jatrr2. Und sie finden offenbar genügend Studenten. Warum gibt es auf diesem Markt keine Konkurrenz von den öffentlichen Hochschulen? Wollen wir den Markt komplett den privaten und ausländischen Anbietern überlassen? Ich glaube, in diesem Bereich muss es mehr als bisher zu einem Dialog zwischen Hochschulen und Unternehmensvertretern kommen. Denn oft ist es so, dass die Unternehmen nicht wissen, was die Hochschulen bieten könnten und umgekehrt in den Hochschulen keiner weiß, was die Unternehmen an maßgeschneiderten Angeboten eigentlich benötigen. 2 Studiengebühren an der GISMA, Hannover, für die dort angebotenen MBA-Studiengänge
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Aber ich möchte das Thema auch an die Politik weiterspielen, denn ich bin fast sicher, dass ohne entsprechende Anreizsysteme kaum eine Hochschule in absehbarer Zeit aus ihrem "Weiterbildungs-Dornröschenschlaf' erwacht. Denn gerade, wenn man für solche Aktivitäten die neue Kommunikationstechnologie nutzen will, geraten die Hochschulen zunächst einmal in ein teures und unkalkulierbares Abenteuer, dass zumindest in der Anlaufphase von der Politik unterstützt werden muss. Ich bin aber sicher, dass es sich am Ende lohnen wird: für die Unternehmen wie für die Hochschulen.
Lebenslanges Lernen Von Hans Joachim Meyer* Es gibt Themen, die nicht erst von heute und gestern sind. Die Hochschulreform ist ein solches Thema. So lange es Universitäten und Hochschulen gibt, ist über die Notwendigkeit ihrer Erneuerung und weiteren Entwicklung gesprochen worden. Dass eine solche Aufgabe in Zeiten rascheren gesellschaftlichen Wandels an Dringlichkeit zunimmt, ist leicht zu verstehen. So kann es nicht wundem, dass uns dieses Thema seit Jahrzehnten begleitet. Darum seine Bedeutung zu unterschätzen, wäre ein großer Fehler. Vergleichbares gilt für das Thema des lebenslangen Lernens. Auch dieses Thema ist so alt, wie Menschen im Verlauf ihres Lebens erfahren, dass sich die Gesellschaft verändert und das einmal erworbene Wissen nicht mehr ausreicht. Die Wahmehmbarkeit gesellschaftlichen Wandels und dessen ständig zunehmendes Tempo als ein lebensbestimmendes Moment ist aber ein Merkmal der neuzeitlichen Geschichte. Denn wenn dieses Wort einen Sinn haben soll, so doch wohl den, dass sich Menschen im Verlauf ihres Lebens immer wieder der Herausforderung des Neuen gegenüberstehen und sich darauf einstellen müssen. Es ist, wie bereits gesagt, nicht erst eine Erscheinung unserer Tage. Und so kann es eigentlich nicht überraschen und ist zugleich tröstlich, wenn wir in Goethes Wahlverwandtschaften die uns wohl vertraute Klage lesen: "Es ist schlimm genug," rief Eduard, "dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsre Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen." Der Trost, den wir aus diesem Zitat finden könnten, ist freilich verführerisch, auch wenn ihm die Warnung von Jürgen Habermas, wir stünden heute in der Gefahr, zu Daueradoleszenten zu werden, zu entsprechen scheint. Denn so wie mancher jeden Ausdruck der Sorge über den Zustand der heranwachsenden Jugend mit dem Hinweis abtut, schon Sokrates habe so empfunden, so mag man auch bei diesem Zitat meinen, zu gesteigerter Aufmerksamkeit sei bei diesem Thema kein Grund. Eine solche Gefahr ist um so größer, • Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst.
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als ja in der Tat die Rede vom lebenslangen Lernen - oder wie immer man das Thema sprachlich variieren mag, um die unerfreuliche Konnotation des Wortes "lebenslänglich" zu vermeiden - inzwischen zu den modischen, wenn auch nicht mehr ganz brandneuen Allgemeinplätzen gehört. Einer solchen Gefahr kann man nur durch die Mühe um Genauigkeit entkommen. Im Kontext dieses Symposiums geht es uns selbstverständlich um die Rolle der Universitäten und Hochschulen bei der Ermöglichung und Beförderung von lebenslangem Lernen. An den Anfang meiner Überlegungen will ich ein Paradoxon setzen. Einerseits spielt Weiterbildung als institutionalisiertes Angebot für lebenslanges Lernen an den deutschen Hochschulen nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Bei dieser Aussage unterstelle ich, dass es nichts bringen würde, das, was unter dem Begriff des Graduiertenstudiums bzw. der postgradualen Qualifizierung an den Hochschulen existiert, als schon vorhandene Formen des lebenslangen Lernens auszurufen. Das wäre zwar sachlich nicht falsch, aber ohne jeden Gewinn für unser Anliegen, weil keine neue Antwort auf neue Herausforderungen. In Wahrheit sind unsere Hochschulen in bezug auf das lebenslange Lernen als neue Aufgabe weithin Entwicklungsland und ihr Beitrag zur Weiterbildung relativ gering. Dem setzte ich nun allerdings zweitens die Feststellung entgegen: Keine andere Bildungseinrichtung ist ihrem Wesen nach so sehr als Ort des lebenslangen Lernens geeignet wie die Universität bzw. die Hochschule. Denn sie ist eine Stätte der Lehre und des Studiums, weil sie eine Stätte der Forschung ist. Und das Studium an einer Hochschule muss aus der Einheit von Lehre und Forschung leben. Forschung ist jedoch wie kaum eine andere Tätigkeit Quelle und Motor der Veränderung. So weit sich die Notwendigkeit lebenslangen Lernens aus neuen Erkenntnissen und Einsichten der Wissenschaft ergibt, ist die Hochschule hervorragend geeignet, wirkungsvolle Weiterbildungsangebote zu machen. Man könnte sogar die These aufstellen, dass sich die wissenschaftliche Bildung, wie sie sich nach der Vorstellung Wilhelm v. Humboldts aus der Teilhabe am Forschungsprozess ergibt, für Lernende, die bereits ein Studium absolviert haben und im beruflichen Leben stehen, unter den gegenwärtigen und künftigen Bedingungen eher verwirklichen lässt, als für die heutigen Studenten, die als Neulinge an das Gebäude der Wissenschaften herantreten, in das sie erst eingeführt werden müssen, ehe sie dieses selbständig nutzen und daran weiterbauen können. Die Komplexität moderner Wissenschaften erfordert auch für Abiturienten, die nicht nur dem Rechtstitel nach, sondern vor allem durch die Qualität der studienvorbereitenden Bildung über die erforderliche Hochschulreife verfügen, die erste Phase des Studiums inhaltlich und methodisch durchdacht zu gestalten, um dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit tatsächlich gerecht werden zu können. Wer eine erfolgreiche Stu-
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dienerfahrung bereits hinter sich hat und über berufliche Erfahrungen verfügt, kann sehr viel rascher mit dem neuesten Stand der Wissenschaftsentwicklung konfrontiert werden. Freilich bedingt das berufliche Interesse meist auch, sich nicht auf ein allgemeines Erkenntnisinteresse einlassen zu wollen, sondern das Weiterbildungsanliegen mit bestimmten und meist sehr präzisen Zwecken zu verfolgen. Nun könnte man mit Recht meinen, dass diese generellen Erwägungen schon seit langem zutreffend sind, ohne die Aufgabe der Weiterbildung in den Mittelpunkt des Interesses der Hochschulen gestellt zu haben. Es gibt jedoch zwei neuere Entwicklungen, die in dieser Hinsicht eine völlig neue Situation schaffen. Zum einen ist dies die erneute Beschleunigung in der Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Innovationen, die es ausschließt, auch in Zukunft von einer relativ klaren Scheidung des Lebens in eine Lern- und eine Arbeitsphase auszugehen. Die Tatsache, dass Wissen durch die Entwicklung der Mediengesellschaft heute an vielen Orten der Welt zur Verfügung steht und verwendet werden kann, begründet wirtschaftliche und soziale Prozesse globalen Ausmaßes, die durch nationalstaatliche Rahmenbedingungen nur noch begrenzt beeinflussbar sind. Im Ergebnis dieser Entwicklung verkürzen sich die Zeiträume, für die mit einiger Verlässlichkeit mit fachlichen und beruflichen Perspektiven gerechnet werden kann. Anders gesagt: Die Notwendigkeit fachlicher und beruflicher Neuorientierung im Verlauf eines Lebens nimmt zu und mithin auch der Bedarf an Neu- und Weiterbildung. Man wird auch nicht davon ausgehen können, dass es sich dabei in der Regel um Ergänzungen und Erneuerung der bereits erworbenen Kompetenz handeln wird. Vielmehr spricht vieles dafür, dass das Maß der fachlichen und beruflichen Kontinuität abnehmen und der mehrfache Neuanfang, der bislang eher als Zeichen mangelnder Lebenstauglichkeit galt, normal werden wird. In einem Text, der auf Anregung und unter der Schirmherrschatl des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog entstanden ist, lesen wir zu dieser Problematik: "Der gesellschaftliche Wandel führt zu grundlegenden Veränderungen in der Lebensgestaltung sowie zu einer Vielfalt der Lebensentwürfe und beruflichen Karrierewege. Gleichzeitig beschleunigt die Basisinnovation der Digitalisierung die Entwicklung zur Wissensgesellschaft. Die Digitalisierung macht es möglich, Informationen mit hoher Geschwindigkeit zu transportieren und jedem jederzeit und an jedem Ort zugänglich zu machen. In der Folge verändern sich Produktionsprozesse. Entschieden früher maßgeblich die Faktoren Boden, Arbeit und Kapital über die Prosperität und Entwicklungspotentiale von Wirtschaft und Gesellschaft, tritt heute Wissen als entscheidende Ressource hinzu. Wurde bislang für einen definierten Katalog von Berufen ausgebildet, wobei handwerkliche 4 Thie8en
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und technische Kenntnisse im Vordergrund standen, gewinnen heute Lemfähigkeit sowie soziale und organisatorische Fähigkeiten enorm an Bedeutung: Weil Wissen immer schneller generiert wird und in der Wirtschaft immer neue Kenntnisse gefordert werden, kann heute niemand mehr davon ausgehen, mit dem in Schule und Ausbildung Gelernten die Anforderungen zu bewältigen, die sich ihm in rascher Veränderung in Wissenschaft, Beruf und Lebenspraxis stellen. Dies bedeutet: Lebenslanges Lernen muss zum Paradigma der Bildung werden. Für den Einzelnen heißt dies, seine Lemfähigkeit zu entwickeln, selbständig lernen zu lernen sowie soziale und kommunikative Kompetenzen zu erwerben. Das Bildungssystem muss in seinen Strukturen, Inhalten und Arbeitsformen die Grundlage dazu legen. Die klassische Abfolge von Schule, Ausbildung und Beruf ist nicht mehr zeitgerecht. Lebenslang lernen heißt Wissen in Bausteinen erwerben und kontinuierlich erneuern." Ein umfängliches Weiterbildungsangebot ist also unumgänglich, um dem höheren Anspruch an fachliche und berufliche Flexibilität gerecht werden zu können. Dies ist um so dringender, als die zweite für unsere jetzige Situation charakteristische Entwicklung dieser erhöhten Flexibilitätsnotwendigkeit eher entgegensteht. Ich meine die dramatische Alterung der Gesellschaft, wie wir sie in vielen hochmodernen Gesellschaften, insbesondere aber in Deutschland beobachten können. In Wahrheit handelt es sich hier nicht um eine neuere Entwicklung, sondern, wie jede demographische Veränderung, um einen längeren Prozess, auf dessen vorhersehbaren Konsequenzen schon seit langem hingewiesen worden ist. Neu ist an dieser Entwicklung eigentlich nur, dass seine Folgen inzwischen zu offenkundig sind, als noch länger verdrängt und geleugnet werden zu können. In der Tat ist die lange praktizierte, geradezu wütende Tabuisierung des Problems eines der schockierenden geistigen Phänomene unserer Gesellschaft. Für die einen war jeder Verweis darauf, dass zur Zukunft einer Gesellschaft Kinder gehören, ein Angriff auf die Selbstverwirklichung, für die anderen die Gefährdung einer als soziale Errungenschaft gefeierten gesetzlichen Altersversorgung, die bekanntlich Elternschaft systematisch diskriminiert. Es ist hier nicht der Ort, sich mit den Motiven im Einzelnen auseinanderzusetzen. Für unser Thema sind allerdings die Folgen der demographischen Entwicklung gravierend. Denn es sind meist junge Menschen, die einer Gesellschaft den Willen und die Kraft zur Innovation geben. Nun steigt durch die rasche Erneuerung des Wissens die Anforderung, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen. Wie wird eine alternde Gesellschaft darauf reagieren? Das ist keine abstrakte Frage, sondern eine konkrete Herausforderung an unsere Bereitschaft und Fähigkeit zur Weiterbildung. Und es ist keine Aufgabe, für
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deren erfolgreiche Lösung es ein geschichtliches Beispiel gibt. Entweder es gelingt uns durch eine große Anstrengung auf diesem Gebiet, zugleich der höheren Flexibilitätsnotwendigkeit der Wissensgesellschaft zu genügen und den Beharrungstrend einer Gesellschaft mit einem hohen Anteil älterer Menschen im Beruf zu überwinden, oder unsere Gesellschaft wird in ihrer Lebensqualität deutlich abnehmen. Die Weiterbildungsaufgabe zu schultern, bedeutet für die Universitäten und Hochschulen, eine völlig neue Struktur ihres Studienangebots zu entwickeln, bei dem die Lehre mit der Forschung berufsorientiert verbunden wird oder doch jedenfalls Forschungsergebnisse berufsorientiert präsentiert werden, und insgesamt eine andere Art des Umgangs mit Lernenden herauszubilden. Gerade weil die Interessenten an Weiterbildung bereits über grundlegende Kompetenz verfügen und die Zeit für die Weiterbildung in ihre Lebensplanung entweder vor eine neue berufliche Aufgabe einschieben oder aber das weiterbildende Studium mit beruflichen Verpflichtungen kombinieren müssen, werden sie sehr anspruchsvolle, sehr zielbewusste und in bezug auf den Umgang mit Zeit besonders kritische Lernende sein. Mein Kollege Jürgen Zöllner, Bildungs- und Wissenschaftsminister in RheinlandPfalz, weist in diesem Zusammenhang mit Recht auf die Notwendigkeit von Weiterbildung hin, präzise den Bedarf zu definieren und bedarfsorientierte Programme zu entwickeln. Mit Sicherheit wird die Weiterbildung in Zukunft nicht länger ein fünftes Rad am Wagen oder eine Art des Nebenerwerbs sein können, sondern neben den grundständigen Studiengängen zu einem zweiten Standbein des Studienbetriebes werden müssen. Diese Tatsache spielt in unseren Reformüberlegungen bisher so gut wie keine Rolle. Es gibt auch noch viel zu wenig praktische Erfahrungen, um hier konkrete Vorschläge präsentieren zu können. Andererseits drängt die Zeit, wie das umfangreiche private Engagement auf diesen Gebiet beweist. Damit rede ich nicht pauschal gegen die privaten Anbieter auf dem Weiterbildungsmarkt. Aber die Tatsache, dass sich solche Angebote gern mit Begriffen wie Universität oder, um den Hochschulgesetzen auszuweichen, mit Ausdrücken wie university schmücken, scheint mir zweierlei zu zeigen: Erstens, den Bedarf an Weiterbildungsangeboten mit Hochschulniveau, und zweitens, die große Chance, die die öffentlichen Universitäten und Hochschulen hier wahrnehmen könnten. Freilich meine ich hier kein öffentlich finanziertes Angebot oder doch jedenfalls kein typischerweise öffentlich finanziertes Angebot. Im Gegenteil ist es meine Überzeugung, dass das wachsende Bedürfnis nach Weiterbildung den Hochschulen eine Chance bieten könnte, eigenständig unternehmerisch tätig zu sein. Denn es scheint realistisch, davon auszugehen, dass künftige Weiterbildung, schon wegen der hoch differenzierten Programme, von Einzelnen und von an Einzelnen interessierten Unternehmen und Einrichtungen finanziert werden muss und finanziert werden wird. Anders gesagt: Die Frage nach der Anrechnung auf das Lehr4·
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deputat führt in die falsche Richtung. Freilich muss der Gesetzgeber auch bereit sein, den Hochschulen für die Entwicklung sachgemäßer Programme und Strukturen den dafür erforderlichen Freiraum zuzubilligen. Die Hochschulen müssen das Recht bekommen, aber auch den Willen haben, auf dem sich ausdehnenden Weiterbildungsmarkt als Wettbewerbsteilnehmer zu agieren. Es gibt zwei neuere Entwicklungen, die die Hoffnung begründen, dass die deutschen Hochschulen die Chancen der Weiterbildung für sich erkennen und annehmen. Die eine Entwicklung ist die Erprobung des zweistufigen Modells aus Bakkalaureus- und Magisterstudiengängen, seiner Vorteile und Notwendigkeiten, wie wir sie derzeit bei vielen Hochschulen beobachten können. Dieser Ansatz, der erst unlängst in einer Empfehlung des Wissenschaftsrates dargestellt und unterstützt worden ist, wird im Verlauf dieses Symposiums ausführlich behandelt. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, dass das Konzept von zwei, in ihren inhaltlichen Anforderungen konsekutiven Studiengängen die Flexibilität der individuellen Bildungsbiographien außerordentlich erhöht. Das gilt nicht nur für die internationale Mobilität der Studenten und jungen Wissenschaftler und für die Variabilität der fachlichen Kombinationen; es gilt auch für die Möglichkeit, Phasen der beruflichen Tätigkeit zwischen den Bakkalaureus-Studiengang und den Magister-Studiengang zu schieben. Vorausgesetzt es gelingt überdies, die Studienprogramme so zu modularisieren, dass es realistisch wird, den postgradualen Magister auch in einer Kombination von Präsenz- und Fernstudien zu erwerben, wäre ein möglicherweise bedeutsamer struktureller Stützpunkt für die Integration von Weiterbildungsmöglichkeiten in das Studienangebot der Hochschulen vorhanden. Kumulative Abschlüsse werden an Verbreitung und Akzeptanz gewinnen. Die zweite Entwicklung, die gerade im Zusammenwirken mit der Modularisierung von großer Bedeutung für die künftige Weiterbildung sein könnte, ist die wachsende Rolle dessen, was man als virtuelle Universität bezeichnet. Bemerkenswert ist ja nicht so sehr, dass die entstehende virtuelle Universität die heutige Präsenzuniversität ersetzt und, wie manche naiver Weise meinen, damit zugleich deren hochschul- und finanzpolitischen Probleme verschwinden, sondern dass die neuen elektronischen Möglichkeiten die Universität bereichern und deren Qualitätsbewusstsein erhöhen wird. Zwei vorhersehbare Ergebnisse dieser Entwicklung sind jetzt schon erkennbar: Erstens: Lernenden wird ein weltweites visuelles Angebot von Vorlesungen und anderen Problem- und Sachverhaltsdarstellungen auf wissenschaftlichem Niveau zur Verfügung stehen. Und zweitens werden sich die Chancen für eine individuelle Zeitstrategie bei der Erreichung von Studienzielen enorm erhöhen. Beides ist für Lernende mit einer wissenschaftlichen Grundlagenkompetenz aus einer ersten Studienerfahrung und im Berufsle-
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ben erworbenen Fähigkeiten und Einsichten von hohem Wert. Was wir jetzt brauchen, ist mehr unternehmerische Initiative der deutschen Universitäten und Hochschulen, damit sie den ihnen aus ihrer Reputation zufallenden Platzvorteil gegenüber den Konkurrenten auf dem Weiterbildungsmarkt nicht verlieren. Weiterbildung darf nicht länger ein Nebenfeld akademischer Aktivitäten sein. Weiterbildung ist die zweite gleichberechtigte Aufgabe der Hochschulen auf dem Gebiet von Lehre und Studium.
10 Thesen zur Hochschulpolitik - 1993 und heute Von Winfried Schulze* Angesichts des Leitmottos dieser Sektion - "Vision für die Zukunft" beschleicht den Vorsitzenden des Wissenschaftsrates die Befürchtung, er könne mit einem Beitrag über die ,,10 Thesen zur Hochschulpolitik" aus dem Jahr 1993 als hoffnungslos rückWärtsgewandt gelten. J Die folgende Bestandsaufnahme zu den ,,10 Thesen" wird folglich zugleich eine Schilderung ihrer Folgeprojekte und ihrer Wirksamkeit sein und einen Überblick über die gegenwärtige Arbeit des Wissenschaftsrates einschließen, soweit Fragen der Studienrefonn betroffen sind. Die Bilanz dieser Projekte belegt eindrucksvoll, dass die Beratungen der Jahre 1992 und 1993 sowohl wichtige Themen aufgegriffen und weitergeführt wie auch in einigen Fällen eine wissenschaftspolitische Diskussion erst angestoßen haben. Insofern kann damit auch der Beweis geführt werden, daß die Refonndiskussion über die Hochschulen in einem längeren geordneten Prozess verlaufen kann und keinesfalls nur kurzatmig auf die aktuellen Probleme reagieren muss. Die ,,10 Thesen" sind im Jahr 1992 unter dem Eindruck zunehmenden Ressourcenbedarfs und wachsender Strukturprobleme des deutschen Hochschulsystems entstanden. Diese Verhältnisse haben sich trotz sichtbarer Refonnanstrengungen der Hochschulen bis heute nicht wesentlich geändert, sie haben sich im Gegenteil durch die abnehmende Aexibilität der öffentlichen Hand in der Hochschulfinanzierung noch verschärft. Gleichwohl hat sich der Wissenschaftsrat ein Ziel der Hochschulrefonn der siebziger Jahre zu seinem eigenen Ziel gemacht: Mit Blick auf künftige Anforderungen des Arbeitsmarktes an die Qualifikationsprofile der Absolventen hat er sich mehrfach - sowohl in seiner ersten These wie auch in seiner "Stellungnahme zum Verhältnis von Hochschulausbildung und Beschäftigungssystem,,2 - für eine weitere Erhöhung der Studienanfangerquote ausgesprochen (s. Abb. 1). Angesichts der gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden rasanten Wissensexplosion und neuer Anforderungen des • Vorsitzender des Wissenschaftsrates. I Wissenschaftsrat: 10 Thesen zur Hochschulpolitik, in: Empfehlungen und Stellungnahmen 1993, Köln 1994, S. 7-46. 2 Vgl. Wissenschaftsrat: Stellungnahme zum Verhältnis von Hochschulausbildung und Beschäftigungssystem, Drs. 4099/99, Würzburg 1999.
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Jahr Quellen: Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsstatistik; 1960, 1970 Kleine Hochschulstatistik; 1980, 1990 Studentenindividualerhebung (ab 1975 Fachserie 11, Reihe 4.1); 1999 Vorbericht der Studentenstatistik; eigene Berechnungen.
Abbildung I: Anteil der deutschen erstimmatrikulierten Studienanfänger an der gleichaltrigen deutschen Wohnbevölkerung 1960-1999·
Arbeitsmarktes an Zusatzqualifikationen von Hochschulabsolventen erachtete der Wissenschaftsrat bereits im Jahr 1993 eine umfassende inhaltliche und strukturelle Studienreform für notwendig. Er hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Empfehlungen zur Schaffung eines flexiblen und reaktionsfähigen Hochschulsystems auszusprechen, das eine weitere Erhöhung der Studienanfängerquote trägt, dessen Absolventen den sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes gewachsen sind, das der zunehmenden Vielfalt von Lebensentwürfen der Studierenden gerecht wird und das die Ausbildung wissenschaftlich hochqualifizierten Nachwuchses sicherstellt. Um den in den ,,10 Thesen" skizzierten allgemeinen Zielen eine wirksame Beratungsleistung für Hochschulen und Politik folgen lassen zu können, setzte der Wissenschaftsrat nach ihrer Verabschiedung einen Ausschuss Lehre ein. Obgleich die Einrichtung dieses Gremiums in den Erläuterungen zur neunten These zunächst für den Sonderfall der Lehrevaluation empfohlen wurde, hat sich der Wissenschaftsrat in den vergangenen sieben Jahren vor allem dieses Ausschusses, aber auch anderer Arbeitsgruppen • Anteil der Studenten im ersten Hochschulsemester des Sommer- und Wintersemesters am Durchschnitt der 19- bis unter 22jährigen deutschen Wohnbevölkerung am 31.12.; ab 1999 einschl. der neuen Länder.
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bedient, um zu beinahe allen Thesen Empfehlungen zu erarbeiten, die sowohl genauere inhaltliche Anregungen zur Studienreform geben wie auch die aktuelle Entwicklung der hochschul-politischen Diskussion einbeziehen. Die wichtigsten Themen waren: Reform der Studienstrukturen, Gleichberechtigung, Differenzierung des Hochschulsystems, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Qualitätssicherung in der Lehre. Die sechste These griff die vom Wissenschaftsrat seit Mitte der sechziger Jahre mehrfach vorgetragene Forderung nach einer größeren Strukturierung und Differenzierung des Studiengangsystems mit der Empfehlung zur Einrichtung stärker konsekutiv ausgerichteter Studiengänge auf. 3 Auch die Abschlüsse Bachelor und Master wurden im Jahr 1992 bereits in die Beratungen einbezogen, aber schließlich nicht in die Thesen aufgenommen. Dies hat der Wissenschaftsrat im Januar diesen Jahres durch umfassende Empfehlungen zu einem Modell inhaltlicher und struktureller Studienreform nachgeholt. 4 Ein konsekutives Studienmodell mit den Abschlüssen Bakkalaureus/Bachelor und Magister/Master wird den Neigungen und Fähigkeiten der Studierenden flexibler gerecht als die herkömmlichen Diplom- und Magisterstudiengänge, sofern es mit einer grundlegenden inhaltlichen Studienreform verknüpft wird, die vornehmlich in einer sinnvollen Reduktion und neuen Schichtung des verfügbaren und hinzukommenden wissenschaftlichen Wissens zu neuen Curricula bestehen muß. Zur Zeit beraten Arbeitsgruppen über Möglichkeiten, das konsekutive Modell auf Staatsexamensstudiengänge wie Rechtswissenschaft, Pharmazie, Medizin und das Lehramt anzuwenden. Um die Berücksichtigung verschiedener Lebensentwürfe und Berufswege sowie die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen zu fördern, hat der Wissenschaftsrat außerdem Empfehlungen zum Teilzeitstudium, zur wissenschaftlichen Weiterbildung und zur Chancengleichheit von Frauen verabschiedet, die ebenfalls in einigen Thesen vorformuliert waren. 5 Sein Ziel einer Stärkung des differenzierten Hochschulsystems, wie es in der zweiten, vierten und fünften These anklingt, hat der Wissenschaftsrat durch Empfehlungen und Stellungnahmen zu verschiedenen Hochschultypen verfolgt. Unter Qualitätsgesichtspunkten hat er sich insbesondere den 3 Die einschlägigen Äußerungen des Wissenschaftsrates sind verzeichnet in Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Einführung neuer Studienstrukturen und -abschlüsse (Bakkalaureus/Bachelor - Magister/Master) in Deutschland, Drs. 4418/00, Berlin 2000, S. 6 f. 4 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Einführung ... (s. vor. Anm.). 5 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Differenzierung des Studiums durch Teilzeitstudienmöglichkeiten, in: Empfehlungen zur Hochschulentwicklung durch Teilzeitstudium, Multimedia und wissenschaftliche Weiterbildung, Köln 1998, S. 11-58; Empfehlungen zur berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung, ebd., S. 91134; Empfehlungen zur Chancengleichheit von Frauen in Wissenschaft und Forschung, Köln 1998.
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Verwaltungsfachhochschulen und den Berufsakademien gewidmet, ferner hat er einen Ausbau dualer Studiengänge an Fachhochschulen angeraten, um durch weitere Differenzierung der Studienangebote die Flexibilität des tertiären Bildungsbereiches in Deutschland zu erhöhen. 6 Ohnehin war die Stärkung des Fachhochschulsektors immer ein besonderes Anliegen des Wissenschaftsrates. Zur Zeit berät eine Arbeitsgruppe über die weitere Entwicklung dieses Hochschultyps und sucht nach Wegen, wie unter Berücksichtigung der großen, aber noch nicht hinreichenden Dynamik, die sich seit den Fachhochschulempfehlungen vom November 19907 eingestellt hat, der Standort der Fachhochschulen mittelfristig bestimmt und der Hochschultyp insgesamt gestärkt werden kann. Außerdem hat der Wissenschaftsrat in seinen "Thesen zur Forschung an den Hochschulen" die anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung als ein profil-bildendes Merkmal der Fachhochschulen erneut in den Vordergrund gehoben. 8
In diesen "Thesen zur Forschung" hat der Wissenschaftsrat auch die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses aufgegriffen9 , die bereits in den ,,10 Thesen" eine exponierte Rolle gespielt hatte. Der Wissenschaftsrat riet damals zur Einrichtung strukturierter Graduiertenstudien (These 7). Eine Konkretisierung und Erweiterung erfolgte in Empfehlungen zu Graduiertenkollegs, zur Doktorandenausbildung, zur Förderung des Hochschullehrernachwuchses und in dem viel beachteten Papier zur Chancengleichheit von Frauen in Wissenschaft und Forschung. 1O Der Wissenschaftsrat nimmt sich dieses Themas zur Zeit erneut in Beratungen zur künftigen Personalstruktur an Hochschulen an. Den Aspekt einer möglichst frühzeitigen Förderung geeigneter Absolventen verfolgte der Wissenschaftsrat zuletzt mit 6 Wissenschaftsrat: Stellungnahme zu den Berufsakademien in Baden-Württemberg, in: Empfehlungen und Stellungnahmen 1994, Bd. 1, Köln 1994, S. 339-99; Empfehlungen zur weiteren Entwicklung der verwaltungsinternen Fachhochschulen. Stellungnahmen zu den verwaltungsinternen Fachhochschulen Schieswig-Hoisteins, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und zum Fachbereich Arbeitsverwaltung der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, in: Empfehlungen und Stellungnahmen 1996, Bd. 1, Köln 1997, S. 105-231; Stellungnahme zur Feststellung der Gleichwertigkeit der Abschlüsse der Berufsakademie Berlin im Sinne des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 19.9.1995, ebd., S. 327-38; Stellungnahme zur Feststellung der Gleichwertigkeit der Abschlüsse der Berufsakadernie Sachsen im Sinne des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 19.9.1995, in: Empfehlungen und Stellungnahmen 1997, Bd. 2, Köln 1998, S. 181-95. 7 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Entwicklung der Fachhochschulen in den 90er Jahren, Köln 1991. 8 In: Empfehlungen und Stellungnahmen 1996, Bd. 1, Köln 1997, S. 7-54, hier S. 39-41 (These 5). 9 Ebd. S. 41-4 (These 6). JO Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung und zur Förderung des Hochschullehrernachwuchses, Köln 1997; Empfehlungen zur Chancengleichheit ... [wie ob. Anm. 5].
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seiner Empfehlung, besonders qualifizierte Bakkalaureus/Bachelorabsolventen direkt in ein Promotionsstudium aufzunehmen. 11 Es ist bedauerlich, dass die große Mehrzahl der Universitäten bislang mit Ausnahme der Graduiertenkollegs keine Möglichkeit zu strukturierten Promotionsstudiengängen geschaffen haben und die Aufnahme von Promotions-Studierenden in den meisten Promotionsordnungen bislang wenig flexibel geregelt ist. Dies behindert die grundsätzlich mögliche und vom Wissenschaftsrat ausdrücklich gewünschte Durchlässigkeit zwischen den Hochschultypen erheblich. 12 Sehr viel besser steht es um Reformen im Bereich der Qualitätssicherung in der Lehre, für die der Wissenschaftsrat in den ,,10 Thesen" (These 9) und anschließend in seinen "Empfehlungen zur Stärkung der Lehre in den Hochschulen durch Evaluation,,13 ein Modell entwickelt hat, das in den einzelnen Bundesländern durch Evaluationsverbünde der Hochschulen und Evaluationsagenturen zunehmend umgesetzt wird. Kürzlich hat sich der Wissenschaftsrat auch für ein Verfahrung zur Sicherung der Qualität privater Hochschulen ausgesprochen und ein entsprechendes AkkreditierungsmodelI vorgeschlagen. 14 Er hat seinen Akkreditierungsausschuss in den MaiSitzungen dieses Jahres personell besetzt und wird demnächst die Arbeit in dieser Richtung aufnehmen. Trotz dieser vielfältigen Empfehlungen zu einzelnen Aspekten der Hochschulreform hat der Wissenschaftsrat sich bislang noch nicht einschlägig zu einem Thema geäußert, das die aktuelle wissenschafts-politische Diskussion mit verschiedenen Modellen prägt und seit einiger Zeit zu schwierigen Verhandlungen selbst zwischen Vertretern gleicher politischer Couleur führt. Es handelt sich um die Studienfinanzierung, insbesondere um die Einführung von Studiengebühren. Dieser Aspekt sollte ursprünglich in einer elften These abgehandelt werden. Vor allem die wissenschaftliche Kommission des Wissenschaftsrates sprach sich im Laufe des Jahres 1992 dafür aus, die Forderung nach sozial refinanzierten Studiengebühren als Ergänzung der staatlichen Hochschulfinanzierung in die "Thesen" aufzunehmen, zugleich aber die Notwendigkeit zusätzlicher staatlicher Ressourcen besonders zu betonen. Ein entsprechendes Modell wurde entwickelt, dessen Einbeziehung in das System der Ausbildungsförderung gründlich bedacht, ferner auch ein 11 S. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Einführung ... [wie ob. Anm. 3], S. 20/ 26/29. 12 Eine Übersicht über die einschlägigen Bestimmungen der Promotionsordnungen bietet jetzt Keller, A.: Promotionsmöglichkeiten von Fachhochschulabsolventen an Universitäten. Übersicht zum gegenwärtigen Stand und Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung, Berlin 52000 (fhtw-transfer Nr. 7-94). 13 In: Empfehlungen und Stellungnahmen 1996, Bd. 1, Köln 1997, S. 55-104. 14 Empfehlungen zur Akkreditierung privater Hochschulen, Drs. 4419/00, Berlin 2000.
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System von Studiengutscheinen grundsätzlich positiv bewertet. Der Empfehlungsentwurf der Arbeitsgruppe wurde allerdings im Dezember 1992 der Presse zugespielt und löste heftige Reaktionen aus. Widerstand bildete sich vor allem auf Seiten der Politik und der Studierenden. Schließlich wurde in den Januarsitzungen des Jahres 1993 nach Widerspruch der Verwaltungskommission derjenige Teil der elften These, der sich mit Studiengebühren befasste, gestrichen und der verbleibende Text als "Schlussbemerkung" gefasst. Nur in der Erläuterung zur neunten These blieb ein Hinweis auf Studiengebühren stehen: "Wenn die studienorganisatorischen Bedingungen ein Studium in der Planstudienzeit gewährleisten, kommen bei Überschreitung dieser Planstudienzeit um zwei Semester Studiengebühren in Betracht, bei besonders starker Überschreitung die Exmatrikulation ... Für Zweitstudien ist die Einführung von Studiengebühren zu prüfen."15 In diese Richtung gehen sowohl die Langzeitstudiengebühr, die das Land Baden-Württemberg zum Wintersemester 1997/98 einführte, und - modifiziert auf die Anzahl der Semesterwochenstunden - das augenblicklich intensiv diskutierte Studienkontenmodell des Landes Rheinland-Pfalz. Auch der Wissenschaftsrat wird sich künftig der Behandlung der Studiengebührenfrage zumindest begleitend annehmen müssen. Damit ist der Ausblick auf die Zukunft begonnen. Misst man die Empfehlungen des Wissenschaftsrates an ihrer Wirkung, so rücken vor allem die Papiere zur Lehrevaluation und zur Studienreform durch Bakkalareusl Bachelor- und Magister/Masterstudiengänge in den Vordergrund. 16 In Zukunft wird vor allem die Begleitung der sich aus den ,,10 Thesen" ergebenden Reformschritte in Hochschulen und Politik eine wesentliche Aufgabe sein. Dies betrifft etwa die Prüfung der entstehenden Qualitätssicherungsverfahren auf ihre Wirkung und Tragfähigkeit, vor allem aber weitere Anstöße für eine inhaltliche Studienreform, um die Ziele, die der Wissenschaftsrat seit den ,,10 Thesen" formuliert hat, verwirklichen zu helfen und daraus neue Vorschläge für eine stetige Weiterentwicklung des deutschen Hochschulsystems zu entwickeln.
Wissenschaftsrat: JO Thesen ... [wie ob. Anm. 1], S. 38. Große Beachtung fanden im übrigen auch die "Empfehlungen zur Hochschulentwicklung durch Multimedia", in: Empfehlungen zur Hochschulentwicklung ... [wie ob. Anm. 5], S. 61-89. IS
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c. Reformbeispiele: Innovative Konzepte
Financial Management und Electronic Commerce an der Universität Augsburg Von Hans Ulrich Buhl* Die nationalen und internationalen Bildungsmärkte befinden sich seit einigen Jahren in einem tiefgreifenden Umbruch. Als Folge der verfehlten Bildungspolitik der 70er Jahre haben deutsche staatliche Universitäten an Attraktivität und internationaler Weubewerbsfähigkeit stark eingebüßt. Unter der Vielzahl von Gründen ist insbesondere die Politik "Masse statt Klasse" von gestern zu kritisieren, die sich in niedrigen Curricularnormwerten und in einer Vernachlässigung der Eliteförderung ausdrückt. Diese für die Entwicklung einer Volkswirtschaft auch und gerade in einer Demokratie wichtige Förderung von visionären Vordenkern und Multiplikatoren wurde nicht zuletzt wegen der in Deutschland historisch bedingten Negativbelegung des Begriffs "Elite" in der Vergangenheit zusätzlich erschwert. Durch die niedrigen Curricularnormwerte in volkswirtschaftlich wichtigen Studiengängen wie z. B. in der Betriebswirtschaftslehre sind die Betreuungsrelationen im internationalen Vergleich, aber auch im Vergleich zu Privathochschulen in Deutschland extrem schlecht: Während hierzulande an staatlichen Universitäten ein Professor im Durchschnitt über 250 Studierende betreut, sind die Betreuungsrelationen an guten amerikanischen Hochschulen um den Faktor 10 bis 100 besser (siehe Abbildung 1). Die Professoren an den Universitäten sind also zu sehr mit der Ausbildung von Mittelmaß beschäftigt, die Förderung der besonders begabten Studierenden ist stark verbesserungsbedürftig. Aber nicht nur die politischen Rahmenbedingungen und der durch diese verursachte Massenbetrieb haben in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass deutsche Universitäten auch national an Attraktivität verloren haben, sondern auch Praxisferne und wenig fokussierte Lehrpläne. Die Konkurrenz durch die Fachhochschulen, die in der Regel mit wesentlich kleineren Jahrgängen ihr straffes und praxisorientiertes Studienprogramm durchführen können, hat daher stark zugenommen.
• Dipl.-Kfm. Dennis Kundisch, MBA.
Ulrich Buhl
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Folgen der Bildungspolitik von gestern Niedrige Curricularnormwerte in Betriebswirtschaftslehre, deshalb schlechte Betreuungsverhältnisse: Studierende je ProfessorIDozent BWL in Bayern
(Grund- und Hauptstudium)
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Privathochschulen in Deutschland
(Grund- und Hauptstud ium )
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UBC
Bachelor
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Master
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UBC
-
Quelle Bayensches ~taatsm!nlstenum fur WIssenschaft. FC1schung und Kunst, 1999
Abbildung 1: Nationale und internationale Betreuungsverhältnisse im Fach Betriebswirtschaftslehre
Hinzu kommt sicherlich auch, dass es den Universitäten in vielen Fachbereichen, z. B. auch der Betriebswirtschaftslehre, nicht erlaubt ist, ihre Studierenden selbst auszusuchen, sondern diese von der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) zugewiesen bekommen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass zum einen viele Studierende an Universitäten verwiesen werden, an denen sie gar nicht studieren wollen, und zum anderen die Universitäten nicht diejenigen Studierenden auswählen können, die von ihrem Profil her am besten zur angebotenen Ausbildung passen. Anders an den Fachhochschulen: Hier erfolgt keine zentrale Zuweisung von Studienplätzen, und sie können eigenständig strenge Zugangsbeschränkungen für ihre Studiengänge etablieren. . Dies führt dazu, dass die Universitäten als Auffangbecken für viele Studierende dienen, die an den Zugangsbeschränkungen der Fachhochschulen scheitern bzw. scheitern würden, wie Die Zeit vor kurzem kritisierte (siehe Abbildung 2). Doch nicht nur hausgemachte Probleme und die politischen Rahmenbedingungen stellen eine große Herausforderung für die Universitäten dar, sondern auch der sich dramatisch schnell verändernde Arbeitsmarkt. In diesem Zusammenhang sollte nicht vergessen werden, dass die staatlichen
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