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German Pages 588 [294] Year 2015
Thomas Etzemüller Auf der Suche nach dem Nordischen Menschen
Thomas Etzemüller (Dr. phil. habil.) ist außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Oldenburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kulturgeschichte der europäischen Moderne (19./20. Jahrhundert), die Wissenschaftsgeschichte und die Wissenschaftssoziologie.
Thomas Etzemüller
Auf der Suche nach dem Nordischen Menschen Die deutsche Rassenanthropologie in der modernen Welt
Der Druck wurde gefördert mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Bonn) und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften (Ingelheim am Rhein).
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Inhalt Prolog. Politisierte Wissenschaft | 7
1. Einleitung.
Keine »Pseudowissenschaft« | 11
2. »Bevölkerung« als statistisches Konstrukt | 21 3. Volkszählungen | 27 4. Festschreibungen | 33 5. Sichtbar machen | 41 6. Bismarcks Schädel.
Die physische Anthropologie im 19. Jahrhundert | 55
7. Otto Ammon I.
Zur Anthropologie der Badener | 65
8. Anthropologie und »Rasse« | 77 9. Die Toten herrschen über uns.
Eugenik und Darwinismus | 87
10. Otto Ammon II.
Eine Sozial-Anthropologie der Gesellschaftsordnung | 95
11. Eugen Fischer.
Die Reise zu den »Rehobother Bastards« | 103
12. Erbbiologie | 115
13. Walter Scheidt.
Die Elbinsel Finkenwerder | 127
14. Die Rassenkunde | 139 15. Expeditionen in den Rohzustand des Volkes | 157 16. Datenverarbeitung. Karteikarten-Rechner | 171
17. Die Evidenz der wissenschaftlichen Objektivität | 181 18. Übergänge in die neue Zeit | 197 19. »Maus und Schlange«.
Das späte Ende der Rassenanthropologie | 207
20. Und heute? | 225 Epilog. Eine untote Wissenschaft | 235
A nhang Dank | 241 Abbildungsverzeichnis | 243 Biogramme | 247 Ungedruckte Quellen | 257 Gedruckte Quellen und Literatur | 259
Prolog Politisierte Wissenschaft
Die Rassenanthropologie in Deutschland ist ein merkwürdiges Phänomen. Sie begann im 19. Jahrhundert Menschen zu vermessen, um über anthropologische Merkmale auf die genetische Beschaffenheit bzw. rassische Zugehörigkeit von Individuen schließen zu können. Die Grenzen zur Eugenik und zur Rassenkunde verschwammen, die Anthropologie bildete eine enge Symbiose mit dem nationalsozialistischen Regime, konnte aber nach 1945 ihre Arbeit ohne größere personelle und inhaltliche Verluste fortsetzen. Merkwürdig ist dabei weniger diese Kontinuität der Theoreme und Praktiken aus dem 19. Jahrhundert durch das »Dritte Reich« hindurch in die Nachkriegsmoderne hinein. Das ist eine typisch deutsche Geschichte, da unterscheidet sich die Anthropologie kaum von anderen Professionen. Irritierend ist vielmehr, dass fast von Beginn an das Scheitern dieser Anthropologie beklagt wurde – von den Anthropologen selbst. Etwa ein Jahrhundert lang konnte man fast wortgleich in ihren Texten lesen, dass es zu wenige Daten gebe, um die erbbiologischen und rassenkundlichen Annahmen belegen zu können, gleichwohl aber zu viele Daten, um sie mit den analogen Technologien der damaligen Zeit verarbeiten zu können, dass das grundlegende ABC der Vererbungslehre nicht einmal ansatzweise bekannt sei, dass die unterschiedlichen Studien aus methodischen Gründen kaum vergleichbar seien, oder dass man durch anthropologische Messdaten eben doch nichts über die Gene erfahre. Alle Texte verkündeten aber: Zukünftig werden wir diese Probleme gelöst haben. Zuletzt verbreitete eine führende Vertreterin der Rassenanthropologie, Ilse Schwidetzky, diesen Optimismus in einer großangelegten Bestandsaufnahme ihres Faches im Jahre 1982. Seitdem ist die Rassenanthropologie sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden. In historischen Darstellungen taucht sie nicht einmal mehr als »Irrweg« auf.1 Ist sie eine »Pseudowissenschaft« gewesen? Wie aber konnte sich eine solche Disziplin im Wissenschaftssystem etablieren, vom Staat und der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein dreivier1 | Vgl. z.B. C. Wulf, Anthropologie.
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tel Jahrhundert lang finanzieren lassen und über alle politischen Umbrüche hinweg ein Menschenbild entwickeln, das schon vielen Zeitgenossen abstrus erschien? Mit dem Nationalsozialismus lässt sich das nicht erklären, denn bereits der politisch liberale Arzt und Anthropologe Rudolf Virchow hatte in den 1880er Jahren Haar- und Augenfarbe als Kennzeichen rassischer Unterschiede gedeutet. Umgekehrt rekurrierten in der Nachkriegszeit alle Anthropologen auf ihre Forschungsarbeiten aus der Zeit vor 1945, denn in ihren Augen war selbst im »Dritten Reich« alles streng wissenschaftlich zugegangen, so wie vorher und nachher auch. Ihre Forschungsergebnisse waren stets in angesehenen Verlagen publiziert und öffentlich diskutiert worden und ihre Kollegen im demokratischen Skandinavien, den USA oder Großbritannien bewegten dieselben Fragen: Wie kann man Rassen bestimmen, um genetisch schädliche Vermischungen zu verhindern, wie kann man die Fortpflanzung der Menschen so steuern, dass sich die »wertvollen« weißen Mittelschichten fortpflanzen, nicht aber die Masse der genetisch und sozial »minderwertigen« Individuen? Tatsächlich ist die Rassenanthropologie in Deutschland – obwohl sie im »Dritten Reich« zu einer Leitwissenschaft aufgestiegen war – keine NSWissenschaft, sondern, nach den Kriterien der Wissenschaft, eine methodisch streng seriöse Disziplin gewesen. Ihre Theoreme waren zwar von Beginn an weltanschaulich imprägniert und bereits im späten 19. Jahrhundert unter Beschuss geraten. Aber selbst die Gegner dieser Anthropologie nahmen sie seinerzeit als Wissenschaft ernst. Das ist paradox, und genau deshalb lohnt sich der Blick auf dieses Fach. Wenn wir uns anschauen, wie Anthropologen gearbeitet haben, wenn wir ihnen – mit Hilfe der Archivalien – auf ihren Expeditionen in den »Volkskörper« folgen und beobachten, wie sie vermessen, gerechnet und interpretiert haben, dann erkennen wir, wie Wissenschaft politische Effekte zeitigen konnte. Durch die Wissenschaftlichkeit der Datenerhebung wurde eine Evidenz der Objektivität erzeugt; auf sie bauende politische Maßnahmen konnten als wissenschaftlich legitimiert erscheinen. So gründete Politik, selbst die nationalsozialistische Rassenpolitik, vermeintlich in der Natur selbst, nicht auf unbegründeten Entscheidungen oder rein ideologischen Vorgaben. Weltanschauung wurde durch die Rassenanthropologie in Objektivität transformiert, Biopolitik dadurch wissenschaftlich legitimiert. Diesen Mechanismus genau zu beschreiben heißt, die Rassenanthropologie zum Lehrstück für die Gegenwart zu machen. Gerade weil bei ihr die Diskrepanz zwischen Methode und Inhalt so ins Auge springt, kann man zeigen, welche Kraft der Objektivierung innewohnt, wie methodisch kontrollierte Forschung Wertungen in »Wahrheit« verwandelt, wie sie Vorstellungen über die soziale Ordnung naturalisiert. Im Anschluss daran, und erst nach solch einer Vorarbeit, konnten Publizisten wie Thilo Sarrazin schlichte Vorurteile über Migranten und Unterschichten für viele Leser glaubhaft als »harte Fakten« präsentieren. Sie imitieren erfolgreich
Prolog
den seriösen wissenschaftlichen Habitus, nämlich auf der Basis empirischer Studien nüchtern und abwägend zu argumentieren, Einwände einzubeziehen und Unsicherheiten auszuweisen, und deshalb erscheinen ihre Texte als etwas, das die mediale Öffentlichkeit zu diskutieren sich verpflichtet fühlt – im Gegensatz zu denen offen rassistischer Autoren, die unverhohlen als ideologisch abgelehnt werden können.2 Doch gerade der Glaube an die eigene wissenschaftliche Redlichkeit verschleiert leicht den Sprung vom Werturteil in die »Objektivität«, vom Sozialen in die »Natur«. Wir werden sehen, dass wir es bei den Vertretern der Rassenanthropologie nicht mit Zynikern, Manipulierern und Heuchlern zu tun haben, sondern mit Wissenschaftlern, die skrupulös die Unzulänglichkeiten der eigenen Arbeit reflektierten. Strikte Empirie, kontrolliertes Vorgehen und umfassende Transparenz, das erhob, in den Augen der Anthropologen, ihr wissenschaftliches Tun über jede Form von Willkür und Ideologie. Nur die Sache zählte, und aus der heraus schien ein eindeutiges Bild zu resultieren: Der »Volkskörper« wurde durch biologisch »minderwertige« Elemente bedroht; chirurgische Eingriffe, bis hin zur Vernichtung der »Schädlinge«, ergaben sich fast zwangsläufig. Diesen »Tatbestand« hatte die Rassenanthropologie in mühsamen Mikrostudien und Reihenuntersuchungen herauszumeißeln versucht, und daraus resultiert die Gefährlichkeit solcher Wissenschaft: Weil die Folgerungen, die sich aus einer vermeintlichen Evidenz der Objektivität ergeben, oft zugleich mit einer vermeintlichen Evidenz der Alternativlosigkeit versehen sind – mit Effekten, die dann Menschen konkret zu spüren bekommen. Methodisch kommt man dieser Wissenschaft mit drei Ansätzen deshalb nicht bei, nicht mit einer schlichten Form der Ideologiekritik, nicht mit dem Fälschungsvorwurf, nicht mit dem Falsifikationsmodell. Uwe Hoßfeld beispielsweise hat in seiner faktengesättigten Geschichte der biologischen Anthropologie wissenschaftliche Texte der Jahre 1933 bis 1945 danach sortiert, ob sie das spezifisch nationalsozialistische Vokabular aufwiesen, also ideologisch kontaminiert waren. Seinen Akteuren bescheinigte er dann auf Grund einschlägiger Zitate zumeist, dass sie sich nicht mehr auf die im 19. Jahrhundert postulierten »fast ausschließlich als rein wissenschaftlich zu bezeichnenden« Ziele konzentriert, sondern rassenkundliches Denken in ihre Forschung und Lehre integriert hätten. Ilse Schwidetzky habe sogar noch 1974 »massiv« auf die anthropologische Literatur aus der Zeit des »Dritten Reichs« zurückgegriffen, ohne auf die politische Dimension des Themas hinzuweisen.3 Stephen Gould wiederum unterzog sich der Mühe, den Umgang von Anthropologen mit ihrem empirischen Material zu kontrollieren. Er rechnete nach und konnte 2 | Vgl. T. Etzemüller, Die Angst vor dem Abstieg, S. 157-161. 3 | Vgl. U. Hoßfeld, Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland (Zitate S. 263, 407).
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mehreren Fachvertretern nachweisen, dass sie bei der statistischen Verarbeitung ihres Materials Fehler gemacht oder ihre Ergebnisse sogar manipuliert hatten, und damit stand für ihn die gesamte Anthropologie auf dem Prüfstand, denn der Mensch, so sein Buchtitel, war falsch vermessen worden.4 Und der Humangenetiker Peter Propping schließlich folgte dem klassischen Fortschrittsmodell der Wissenschaft, als er fragte, ob man die Eugenik nicht hätte vermeiden können, wenn die Genetik ihre Pflicht erfüllt hätte, sie zu widerlegen und damit eine innerwissenschaftliche Fehlentwicklung zu korrigieren. Wenn valide wissenschaftliche Kenntnisse zur Verfügung stehen, so die Annahme, müssen Irrtümer korrigiert werden und Wissenschaftler sich mit den neuen Einsichten auseinandersetzen.5 Also: Ideologie statt Wissenschaft, (bewusst) fehlerhafte Datenverarbeitung und nichtwiderlegte Irrlehren wegen eines verpassten wissenschaftlichen Fortschritts, so lauten die Vorwürfe und in solchen Texten ist die Wissenschaft bevölkert von mediokren Figuren, die sich sinistren Mächten andienen. Aber was ist, wenn man in Texten kaum ideologische Versatzstücke findet, wenn die Daten sauber verrechnet wurden und diese Figuren selbst zeitgenössischen Kritikern durchaus nicht als medioker erschienen? Welche Mittel stehen uns dann zur Verfügung, die Rassenanthropologie kritisch zu analysieren? Meine These ist, dass diese Disziplin eine Gesellschaftslehre im Gewande der Biologie darstellte. Sie wäre gar nicht anhand objektiver, wissenschaftlicher Kriterien falsifizierbar gewesen, weil ihre Funktion darin lag, länder- und epochenübergreifend der industriellen Moderne als einer Art Reflexionsinstanz zu dienen. Das Missverständnis mancher Autoren liegt darin, dieses Fach an den Maßstäben der Naturwissenschaften zu messen, statt es als Weltanschauung zu begreifen. Zugleich aber muss man es, paradoxerweise, als seriöse Wissenschaft ernst nehmen, um zu begreifen, wie es gelang, der Weltanschauung eine Evidenz der Objektivität zu sichern. Ich werde also zeigen, wie sich die Anthropologie jenseits der Falsifizierungsfrage und Ideologiekritik etablierte, indem sie sich selbst erfolgreich als verifizierend und ideologiekritisch gab. Die empirische Arbeit der Anthropologen war bis zu ihrem Ende eine unabgeschlossene Angelegenheit, sie hatte aus empirischen Gründen nie endgültig bestätigt noch widerlegt werden können und sich damit auf eigentümliche Weise der Widerlegung entzogen. Deshalb erschien ihr Weltbild lange Zeit zumindest als eine plausible Deutung biologisch-sozialer Vorgänge. Das Versprechen, Plausibilität in Gewissheit zu verwandeln, also die anthropologischen Theoreme zu verifizieren, lag stets und bis zum Ende in der Zukunft – und erschien deshalb, in ihrer Gegenwart, unwiderlegbar. 4 | Vgl. S. Gould, Der falsch vermessene Mensch. 5 | Vgl. P. Propping, Was müssen Wissenschaft und Gesellschaft aus der Vergangenheit lernen?, S. 124f.
1. Einleitung Keine »Pseudowissenschaft«
»Arme Irre« hat der Politologe Wolfgang Abendroth all diejenigen zweifelhaften Figuren genannt, die um die Wissenschaft herumschwirren wie Insekten vor erleuchteten Fenstern, ohne je Einlass zu finden. Sie gehören zur Wissenschaft als »das Andere«. Sie vertreten abstruse Theorien, zumeist in einer wüsten Melange unpräziser Postulate sowie grundsätzlicher Rundumschläge, und sie sind nicht in der Lage, die Sprach- und Stilregeln der Wissenschaft einzuhalten. Sie schreiben Briefe wie diesen: »Daraufhin sandte ich in der Annahme, Herr Prof. Schadewaldt sei noch Dekan, im Frühling an ihn als den Griechenverehrer und Sophoklesnachdichter einige meiner Dichtungen ein, um zunächst einmal menschlich in Verbindung zu kommen wie es in Österreich immer mit den Kulturträgern möglich war. Und weil ich gar keine Antwort von ihm erhielt, wollte ich ihm nicht noch Grösseres senden«, teilte ein Kulturforscher mit, der 1954 um eine Stelle an der Universität Tübingen nachsuchte. Es »wäre Kultursoziologie und Kulturpädagogik einschliesslich der urgeschichtlichen Voraussetzungen der Kulturgeschichte mein eigentliches Gebiet, auf das ich später einmal eine Kulturheilkunde gründen möchte. […] Und so ist es auch mit meiner Fünfstufenlehre, die wie ein fünfliniges Notensystem Klarheit in Eiszeitgeschichte, Seelenstufen, Hochkulturstufen und Rechtsstufen bringt.«1 Die Antworten zeigen den Status solcher Schreiben. Die erste Reaktion ist in der Regel dilatorisch, weitere Briefe bleiben meist unbeantwortet. »Arme Irre« nerven seriöse Professoren, aber sie verkörpern dasjenige, mit dem sich die Wissenschaft niemals auseinandersetzen muss. Die Vertreter der Rassenanthropologie waren in den Augen ihrer Kollegen keine armen Irren. Die Pseudowissenschaft gehört zur Wissenschaft als ihr Grenzfall. Zwar macht sie sich zahlreicher Verstöße gegen die Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens schuldig, indem sie allerklärende Welttheorien entwickelt, eine mangelnde empirische Basis aufweist, Kritik oder gar Widerlegungen igno1 | Gerhard T. an die Philosophische Fakultät der Universität Tübingen, 6.11.1954, 18.12.1954 (UAT, 131/156).
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riert oder auf Offenbarungserlebnisse statt Argumentationen setzt. Pseudowissenschaftler »imitieren eine bestimmte trivialisierte Form der Epistemologie der Wissenschaften, nicht aber deren Praxis. Sie geben sich nicht mit der mühseligen Kleinarbeit der Forschung ab, […] [w]ohl aber imitieren Pseudowissenschaftler die Ideologie der Wissenschaften, nämlich diejenige Behauptung, ein Bild, eine Messreihe oder ein Experiment seien entweder der Beweis für die Existenz eines Objekts bzw. Sachverhaltes oder garantierten deren Widerlegung.«2 Am Beispiel der »Welteis-Lehre« jedoch lässt sich zeigen, wie brüchig die Abgrenzung werden konnte. Es handelte sich um die Lehre eines Verkünders (Hanns Hörbiger), der eine große Schar an Jüngern um sich versammelte, und sie besagte, dass die meisten Körper im All, auch der Mond, aus Eis bestünden. Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie von der Wissenschaft ignoriert, doch nach der Jahrhundertwende hatte Hörbigers Bewegung ein derartiges Gewicht gewonnen – nicht zuletzt, weil ihr zahlreiche fachlich gewichtige Ingenieure angehörten –, dass die Welteis-Lehre in den Medien breit diskutiert wurde und von der Wissenschaft öffentlich angefochten werden musste. Ihr Schicksal war besiegelt, als auf dem Mond kein Eis gefunden wurde, doch hatte sie die Wissenschaft zeitweilig in die Defensive treiben können.3 Pseudowissenschaft ist schwierig zu bestimmen. Legt man eine Definition Sven Ove Hanssons zugrunde, so ist die Rassenanthropologie keine Pseudowissenschaft gewesen. Denn: »A phenomenon is pseudo-scientific if and only if (i) it conflicts with (good) science, and (ii) it belongs to a doctrine that conflicts with good science.«4 Das aber trifft auf die Anthropologie nicht zu, weil vielen Zeitgenossen in der Wissenschaft die grundlegende Doktrin der Anthropologie als wissenschaftlich galt. Und in der Prüfliste eines anderen Wissenschaftstheoretikers wäre die Rassenanthropologie bei allen Kriterien auf Seiten der Wissenschaft gelandet.5 Deshalb kann man sie für die damalige Zeit nicht per definitionem aus dem Feld der Wissenschaft ausschließen, zumal Hansson anmerkt, dass ein Phänomen zu einer Zeit als pseudowissenschaftlich gelten kann, zu einer anderen nicht.6 Also werde ich diese Anthropologie als eine Profession beschreiben, die in einer spezifischen Zeit mit (auch heute) als wissenschaftlich anerkannten Methoden erfolgreich Ergebnisse produzierte, welche (vor allem heute) als pseudowissenschaftlich begriffen werden müssen, die aber, anders als diejenigen der Welteis-Lehre, erhebliche Rückwirkungen auf Körper und Leben zahlloser Menschen hatten. Darin liegt der politische Ge2 | M. Hagner, Bye-bye science, welcome pseudoscience?, S. 42. Vgl. auch A. A. Derksen, The Seven Sins of Pseudo-Science, S. 21. 3 | Vgl. ausführlich C. Wessely, Welteis. 4 | S. O. Hansson, Defining Pseudo-Science, S. 175 (kursiv im Orig.). 5 | Vgl. die Liste in M. Hagner, Bye-bye science, welcome pseudoscience?, S. 39. 6 | Vgl. S. O. Hansson, Defining Pseudo-Science, S. 172.
Einleitung
halt der Rassenanthropologie begründet. Sie sollte dazu beitragen, individuelle Leben und die Sozialordnung zu regulieren.7 Die Hintergrundmelodie dieses Buches wird eine diskursive Formation spielen. Seit dem späten 18. Jahrhundert nämlich wird die »Bevölkerungsfrage« in Europa diskutiert, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist sie zu einem geradezu existentiellen Thema aufgestiegen. Man kann Texte aus dem 19. oder 20. Jahrhundert, aus Deutschland, den USA oder Skandinavien zitieren, ihr Inhalt gleicht sich so sehr, dass man von einer »Matrix« sprechen kann, von einem Diskurs, der Autoren sprechen lässt,8 sie zu regelrechten Sprechautomaten macht. Diese Matrix handelt, knapp gesagt, von der demografischen Entwicklung, zugleich aber von der »Qualität« der Bevölkerung. Der Zustand einer Bevölkerung wird im Raster von Quantität und Qualität, Ressource und Bedrohung diskutiert. Bis weit in die Nachkriegszeit lautete das Argument so: Eine Bevölkerung konnte Ressource einer Nation sein, wenn sie diese durch zahlreiche und gesunde Kinder stärkte. Sie wurde zur Bedrohung der Nation, wenn sich die »falsche« Klasse, nämlich die biologisch »minderwertige« Unterschicht, überproportional vermehrte, während die »hochwertige« Mittelschicht demografisch »Selbstmord« beging. Das setzte eine Nation der Unterwanderung durch rassisch »minderwertige« Völker aus, die letztlich eine höhere Fruchtbarkeit aufwiesen als die bedrohten Kulturvölker. »Rassenmischungen« beschleunigten die Degeneration. Diese Diagnose verwandelte die Bevölkerungsfrage von einem rein technischen Problem, der Frage der Ressourcensicherung, zu einem Politikum, zur Frage der sozialen und biologischen Zukunft der Nation und des Abendlandes schlechthin. Heute hat sich die Begrifflichkeit etwas geändert, nun wird eher das »Humankapital« durch »Angehörige« der »bildungsfernen Schichten« oder Menschen aus »unterentwickelten Ländern« bedroht, die entweder als »Leistungsträger« ausfallen oder aber schleichend »unser Wertesystem« zersetzen (und solche »Angehörigen« belasten die Sozialkassen angeblich erheblich). Die Matrix hat ihre formatierende Kraft bislang nicht verloren. Bücher allein wären nicht schädlich. Das Problem ist jedoch, dass die Matrix seit jeher eben nicht einfach nur sprechen macht. Vielmehr dient ein derart geformtes Bild der »Bevölkerung« als Ansatzpunkt, die Gesellschaft in allen ihren Dimensionen biopolitisch zu regulieren. Sozialpolitik und Eugenik gehörten einst gemeinsam zum Versuch, einen »gesunden Volkskörper« zu schaffen, indem die als positiv bewerteten Menschen gefördert und die negativen eliminiert werden sollten. Seitdem werden »Normalkurven« sozialen Verhaltens und biologischer Qualität entworfen. Die Bevölkerungsfrage war 7 | Vgl. auch P. Germann, The Abandonment of Race; V. Lipphardt, Das »schwarze Schaf« der Biowissenschaften. 8 | Im Detail: T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang.
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deshalb, und ist es weiterhin, ein Medium, die Ordnung der Gesellschaft und der Welt zu verhandeln. Mit ihrer Hilfe werden soziale Beziehungen mit deutlichen Grenzen durchzogen: Grenzen zwischen den Geschlechtern, zwischen sozialen Schichten und zwischen verschiedenen Ethnien. Sie diente bis weit ins 20. Jahrhundert dazu, eine Dynamik der industriellen Moderne, die als bedrohlich empfunden wurde (und wird), in Schach zu halten, indem eine traditionale Sozialstruktur, in der ein jeder an »seinem Platze steht« als »natürlich« bewahrt werden sollte. Aus heutiger Sicht erscheint die Angst der 1930er Jahre, dass die Paarung eines ostpreußischen Vaters mit einer rheinländischen Mutter überdurchschnittlich oft den latent labilen »Typus des analytischen, auflösenden Menschen«, zeugen würde, »dem die Kraft zur Synthese fehlt«, absurd.9 Doch die Sorge vor gesellschaftlich destabilisierenden Lebensweisen ist noch heute nicht obsolet. Sozial »wertvolle« Frauen der Mittelschicht, die »Karriere« machen wollen, bekämen zu wenige Kinder, soziale Problemfälle der »bildungsfernen Schichten« infizierten durch zu viele Nachkommen das »Humankapital«, kinderreiche Migranten fremder Kulturkreise griffen den sozialen Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft an – wir kommen offenbar nicht so einfach davon los, das Fortpflanzungsverhalten von Individuen auf das befürchtete Ende einer vertrauten Lebenswelt zu beziehen. Menschen in Gruppen zusammenzufassen und von anderen Gruppen abzugrenzen ist allerdings keine Selbstverständlichkeit und führt seit jeher zu Deutungskämpfen. Eine bipolar gedachte biologische Geschlechterdifferenz kann man noch am mühelosesten als »Realität« begreifen (und darf dabei an Phänomene wie Trans- und Intersexualität schon nicht mehr denken). Über die Abgrenzung von Ethnien (oder »Menschenrassen«) begannen die Streitigkeiten bereits in der Frühen Neuzeit, und Sozialschichten (oder »Klassen«) lassen sich ohnehin nur als definitorische (soziologische) Willensbekundungen unterscheiden. Wie entstand also »Bevölkerung« als eine Entität, die scheinbar in der Natur existiert, und die heute unhinterfragt und undefiniert der Furcht vor »Überalterung«, »Aussterben« und »Überfremdung« »der Deutschen« zu Grunde liegt? Ohne die Abgrenzung eines Territoriums, dessen Qualifizierung als Nation, die eine spezifische Bevölkerung behaust, könnte man beispielsweise eine »Selbstabschaffung« der Deutschen gar nicht beklagen. Es muss »die Anderen« geben, und beide Seiten müssen als biologisch, kulturell und/oder sozial homogen begriffen werden, um sie wirklich in Opposition setzen zu können. Erst dann können die einen »aussterben« und die anderen »eindringen«. Die Rassenanthropologie beteiligte sich an dem Versuch, »Bevölkerung« als geschichteten und raumgebundenen »Volkskörper« zu bestimmen. Sie begriff »Raum« und »Volk« als natürliche Korrelate, fasste den Raum zusammen 9 | E. Pfeil, Bevölkerung und Raum, S. 23.
Einleitung
als Nation, aber unterteilt in Landschaften, beschrieb das Volk als Einheit, aber differenziert nach Landsmannschaften, Schichten und Geschlechtern. Das ist der Bevölkerungsbegriff, mit dem wir es im Folgenden zu tun haben werden. Dynamik erscheint dann als fast Widernatürliches, weil Migration und Aufstieg durch Schichtung und Raumbindung eine geradezu geologisch-biologische Grenze gesetzt werden. Hinzu kommt die Evidenz der Alltagserfahrung, schließlich wird der Begriff im Alltag ganz selbstverständlich in den unterschiedlichsten sozialen, politischen oder kulturellen Zusammenhängen verwendet, um Individuen zu einem kollektiven Subjekt zu vereinen, das dann als »die Bevölkerung« denkt, handelt, politische Präferenzen hat usw. Während also Grenzziehungen den Begriff »Bevölkerung« erst konstituieren, so wird zugleich der Akt der Grenzziehung in der vermeintlich natürlichen Entität »Bevölkerung« aufgehoben und verborgen. »Bevölkerung« hat sich, in den Worten Anette Schlimms, von einem epistemischen in ein technisches Ding verwandelt. Während Ersteres innerhalb der Bevölkerungswissenschaften immer wieder neu hervorgebracht und stabilisiert werden müsse, gebe es in der Bevölkerungspolitik (und der Publizistik) »kein Kreisen um den Begriff Bevölkerung, keine Problematisierung und keine Unklarheit, wie dieser Gegenstand aussieht, was für Eigenschaften er hat.«10 Er ist als »Realität« gegeben und lässt sich wie ein Werkzeug einsetzen. Anette Schlimm folgt Hans-Jörg Rheinberger, der am Beispiel der Proteinsynthese beschrieben hat, wie in einem »Experimentalsystem« ein »epistemisches Ding« entsteht. Er verwirft die Annahme, dass Wissenschaftler im Labor reale Dinge entdecken, es also eine eindeutige Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen beiden Seiten gibt, dass das Labor ein objektives Instrument der Erkenntnisfindung ist, dass das Objekt unabhängig von seiner Repräsentation existiert, und dass sich »richtige« und »falsche« Beobachtungen, Theorien oder Schlussfolgerungen verifizieren bzw. falsifizieren lassen. Vielmehr sei ein Experimentalsystem zu begreifen als ein (im Labor situiertes) hybrides Arrangement aus technischen Instrumenten, Theorien, standardisierten Verfahren, individuellen Forschern und sozialen Beziehungen, in dem »Wissensobjekte und die technischen Bedingungen ihrer Hervorbringung unauflösbar miteinander verknüpft« sind.11 In der institutionell und materiell relativ stabilen Umgebung des Labors treten die wissenschaftlichen Objekte zunächst unscharf und unbestimmt hervor und gewinnen Form und Grenzen. Zugleich sorgen sie für Überraschungen, weil sie das Experimentalsystem auf unvorhersehbare Weise beeinflussen. Und so wenig sie im Labor »entdeckt« werden, so wenig werden sie durch Repräsentationen bloß abgebildet. »Aus epistemologischer Sicht ist vielmehr entscheidend, ob in solchen Experimentalsystemen eine 10 | A. Schlimm, Das »epistemische Ding« Bevölkerung, S. 105. 11 | H.-J. Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 9.
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Unterscheidung zwischen dem Untersuchungsgegenstand und den Mitteln seiner Darstellung überhaupt gemacht werden kann. Überspitzt gefragt: Wird eine Pflanze nicht erst in einem botanischen Garten zu einer taxonomischen Kategorie? Wird eine Zellorganelle nicht erst im Schwerefeld einer Ultrazentrifuge zu einer handhabbaren und damit wissenschaftsrelevanten Entität?«12 Unschärfe, Stabilisierung, Überraschung und Reproduktion verbinden Ding, Umgebung und Repräsentation in Form eines »zeitlich wie räumlich […] nichttriviale[n] Wechselspiel[s]«,13 das zu permanenten Verschiebungen führt – »ein ständiges Fluktuieren und Oszillieren verschiedenster Komponenten, die sich in Experimentalsystemen kristallisieren – und auch wieder auflösen.«14 Rheinbergers Beispiel stammt aus den Naturwissenschaften, die, trotz aller Fluidität der Experimentalanordnungen, den Anspruch haben, in regelhaften Verfahren klar definierte Probleme durch eindeutige, widerspruchsfreie und allgemeingültige Lösungen zu eliminieren. Sehr viel vager sieht es beim Ding »Bevölkerung« aus. Es ist an der Schnittstelle ganz unterschiedlicher Disziplinen angesiedelt, den Sozialwissenschaften, den Naturwissenschaften, der Nationalökonomie und der öffentlichen Meinung. Es ist also weder einem wissenschaftlichen Fach zugehörig, noch überhaupt allein der Wissenschaft, noch einem klar definierten Methoden-, Theorie- und Verfahrenskanon. Vielmehr ist es vom späten 18. Jahrhundert an in einem höchst heterogenen Feld von statistischen Ämtern, erbbiologischen Forschungsinstituten, volks- und völkerkundlichen Institutionen oder Museen hervorgetreten, indem es durch spezifische technische und rhetorische Praktiken umkreist und zunehmend sichtbar gemacht wurde: durch die Herstellung von Statistiken, die Kartierung sozialen Verhaltens, die Visualisierung physiognomischer Typen, aufwendige anthropologische Vermessungskampagnen sowie rassenkundliche Untersuchungen und Blutbildkartierungen. Vermessungstechniken wurden kritisiert und verfeinert, Erhebungsfehler ausgewiesen und korrigiert, die empirischen Rohdaten durch komplexe mathematische Modelle »bereinigt« und auf bereitet. So entstand »Bevölkerung« als Ergebnis einer Bestandsaufnahme der europäischen und kolonialen Bevölkerungen, einer katalogisierenden und klassifizierenden Obsession, einer umfassenden sozialen, biologischen und moralischen Schadenskartierung. Diese Aufnahme fand nicht unter Laborbedingungen im naturwissenschaftlichen Sinne statt, aber in gewisser Weise wurden diese aufwendig simuliert. Insoweit gibt es mit den Begriffen des Experimentalsystems und des Labors zumindest eine metaphorische Äquivalenz zwischen der Genese von »Proteinen« und »Bevölkerung«.
12 | H.-J. Rheinberger/M. Hagner, Experimentalsysteme, S. 21. 13 | H.-J. Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 29. 14 | H.-J. Rheinberger/M. Hagner, Experimentalsysteme, S. 23.
Einleitung
Rheinbergers Ansatz lässt sich als Anregung nutzen, die wissenschaftlichen Praktiken der Rassenanthropologie zu beschreiben. Solche Praktiken sind etwas anderes als ein Diskurs. Ihre Ausrichtung auf ein Ziel hin, eine spezifische Entität »Bevölkerung« herzustellen, wäre ohne die oben skizzierte Matrix nicht möglich gewesen. Und umgekehrt entstehen Diskurse nicht allein in Texten, sondern ebenso in materiellen Arrangements und nichtdiskursiven Praktiken. Menschen wurden von Anthropologen nicht einfach vermessen, sondern sie wurden im Hinblick auf eine diskursiv formatierte Frage vermessen, und die Ergebnisse wiederum verfestigten den Diskurs. Diese Praktiken, durch die »Bevölkerung« als »wissenschaftliche Tatsache« überhaupt erst hergestellt wurde, werden im Mittelpunkt dieses Buches stehen. Wir werden die Arbeit von Statistikern beobachten, die durch Volkszählungen die Grundlage für eine klassifizierende Differenzierung der Bevölkerung gelegt haben, und die Techniken der Visualisierung entwickelten, die sich im 20. Jahrhundert effizient als propagandistische Mittel einsetzen ließen. Wir werden sehen, wie Anthropologen im 19. Jahrhundert Schädel und Körper vermaßen, um rassische Differenzen zu bestimmen, und wie sie ihre Wissenschaft im 20. Jahrhundert mit den Methoden der Erbbiologie und Rassenkunde anreicherten. Wir werden einer Reihe von Erhebungskampagnen folgen, die den Anteil der »nordischen Rasse« in Deutschland zu bestimmen suchten, außerdem Expeditionen in bevölkerungsbiologische Notstandsgebiete der deutschen Peripherie. Mit Eugen Fischer reisen wir nach Südafrika zu den »Rehoboter Bastards«, um die Gültigkeit der Mendel’schen Erbgesetze zu bestätigen. Wir werden zur Kenntnis nehmen, wie mühelos sich die Rassenanthropologie 1945 entnazifizierte, wie sie ihre alten Untersuchungsprogramme fortsetzte und in den 1960er Jahren in eine Krise geriet, von der sie sich nie erholte. Wir werden verfolgen, wie die Bevölkerungswissenschaften empirisches Material erhoben und interpretierten, und wie sie eine Evidenz der wissenschaftlichen Objektivität herstellten, die auf umfassender empirischer Arbeit, einem elaboriertem Methodenapparat sowie einer extensiven Fehlerdiskussion beruhte – und die sich außerdem geschickt einer Evidenz des Visuellen bediente, die also zugleich argumentativ und suggestiv vorging. Die Texte brachten ihre Botschaft durch Auslassungen, Bilder, Sprachbilder, sprachlich evozierte Bilder und sogar das Schriftbild des Textes selbst hervor. Es gilt deshalb, solche Konditionierungen herauszuarbeiten, durch die allmählich die Existenz des epistemischen Dings »Bevölkerung« evoziert wurde – und durch die eine Erzählung der modernen Gesellschaft transportiert wurde, die vom drohenden Untergang der bürgerlichen Welt handelte sowie den Mitteln, das zu verhindern. Auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Politik zu balancieren, das machte die Existenz der Rassenanthropologie aus. Der Blick auf das Ziel formatierte bereits die Erhebungsarbeit und die Publikationen, aber eben nicht in dem simplen Sinne, dass Daten verfälscht und unterdrückt wurden.
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Es ist wohl nicht überspitzt, die Arbeit am epistemischen Ding »Bevölkerung« als ein lang hingezogenes Räsonieren über die Moderne zu begreifen. Die exakte Vermessung und Kartierung der »Bevölkerung« sollte den problematischen rassisch-genetisch-sozialen Ist-Zustand offenlegen, zugleich aber zeigen, wie ihre vermeintlich ursprüngliche, natürliche, intakte Gliederung ausgesehen hatte, in der jeder Mensch sozial an seinen Platz gestellt war – und welche verheerenden Einflüsse vertikale und horizontale Mobilität in dieser Hinsicht gezeitigt hatten. In dieser Situation ersetzte die Idee der »Rasse« erfolgreich alte Begründungen sozialer Ungleichheit, die mit der Aufklärung unbrauchbar geworden waren, etwa die Vorstellung einer »Göttlichen Ordnung«. Sie naturalisierte Hierarchien und soziale Exklusion, und sie diente einem von der Moderne verunsicherten Bürgertum zur Selbstfindung.15 Sie versprach, komplexe soziale Probleme biologisch zu lösen, das durfte in einem Zeitalter der Biologisierung mit Zustimmung rechnen, und zwar bis in die Nachkriegszeit. Genau daher rührt die offenkundige Persistenz der bevölkerungsbiologischen Annahmen. Denn würde man die Rassenanthropologie in das klassische Fortschrittsmodell der Wissenschaften einordnen – dass nämlich Forschungen zu verifiziertem Wissen führen und Irrtümer abgelegt werden –, käme man nicht weiter. Man könnte nur mit Erstaunen registrieren, dass dieses Fach eigentlich bis zum Schluss bloß »Irrtümer« produzierte. Man kann seine Geschichte nicht einmal nach dem epischen Muster von »Aufstieg und Fall« beschreiben. Eher handelte es sich um eine jahrzehntelange Suchbewegung, ein immer neues wissenschaftliches Ansetzen, mit einer abschließenden Verpuffung der Disziplin. Tatsächlich aber war es möglich, dass diese Anthropologie selbst permanent ihr eigenes Scheitern eingestand, trotzdem aber massive Eingriffe in das Leben unzähliger Menschen ermöglichen und erfolgreich legitimieren konnte. Es vergingen über 100 Jahre zwischen ihren frühen Theoremen und deren Implosion – mit unzähligen Opfern staatlicher Sterilisierungs-, Hospitalisierungs- oder »Fürsorge«-Programme sowie der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Diese Beobachtung kann wie ein Spiegel wirken, der irritierende Züge im eigenen Gesicht zurückwirft. Wenn man durchschnittliche Texte der Anthropologen zitiert, wird ein überaus bizarres Bild dieses Faches vermittelt. Aber das sollte nicht dazu verleiten, die Anthropologen mit ihren Sorgen und Wirkungen nicht ernst zu nehmen. Die Rassenanthropologie mag aus heutiger Sicht absurd wirken und ihre Geschichte sich wie eine Groteske lesen. Sich über etwas lustig zu machen, verstellt jedoch leicht den Blick auf die Brisanz einer Sache. Eher ist es umgekehrt. Wenn selbst eine derartig eigentümliche Wissenschaft seinerzeit ernst genommen werden und politische Effekte zeitigen konnte, wie verhält es sich dann heute mit als seriös wahrgenommenen 15 | So A. Adams, Psychopathologie und »Rasse«, S. 293-297.
Einleitung
Wissenschaften? Und da erscheinen uns die Anthropologen plötzlich wie die Narren an mittelalterlichen Höfen, die uns fragen lassen, inwieweit etwa die moderne Humangenetik oder die population control-Ansätze in der »Dritten Welt« weiterhin, mit anderen Methoden, »Bevölkerung« auf bestimmte Weise naturalisieren, klassifizieren und damit in das Leben von Individuen eingreifen?16 Das macht die Wissenschaftsgeschichte einer heute abseitigen Disziplin zur aktuellen politischen Reflexion. In diesem Buch werde ich pars pro toto eine kleine Gruppe deutscher Anthropologen unter die Lupe nehmen (kurze »Biogramme« finden sich im Anhang). Zwar handelte es sich um nur wenige Fachvertreter, die teils heftig untereinander zerstritten waren, teils sehr unterschiedliche methodische Ansätze verfolgten und sich nur selektiv gegenseitig wahrnahmen. Mit der philosophischen Anthropologie, die sich mit dem Wesen des Menschen und seiner Stellung in der Welt beschäftigt, scheint es keine Kontakte gegeben zu haben, mit der angloamerikanischen Anthropology etwa eines Franz Boas verband sie eher ein Konkurrenzverhältnis. Außerdem gab es eine Reihe anderer Fächer, die ebenfalls das Ding »Bevölkerung« zu profilieren versuchten, etwa die Völkerkunde, die Volkskunde, die Sprachforschung, die Rassenkunde oder die Eugenik. Aber die Rassenanthropologie begriff sich als Mittelpunkt, als Königsdisziplin dieser Bevölkerungswissenschaften. Um die menschlichen Abstammungsgeschichten des 18. und 19. Jahrhunderts in eine – sozio-biologisch hierarchisierende – Rassensystematik zu überführen, ging sie eine Allianz mit der entstehenden Erbbiologie ein, verzahnte sich mit der Rassenkunde, überschnitt sich mit der Völkerkunde und hoffte, durch die Vereinnahmung der Genetik ihre eigenen unzulänglichen genealogischen und sozialstatistischen Instrumente gegen harte naturwissenschaftliche eintauschen zu können. Diese Hoffnungen wurden, wie wir sehen werden, ein ums andere Mal enttäuscht. Doch die Hypothesen, Schlüsselbegriffe, Denkmuster und Untersuchungen der Rassenanthropologie sollten vom frühen 20. Jahrhundert an, durch das »Dritte Reich« hindurch und ungebrochen bis weit in die Nachkriegszeit hinein, maßgeblich dazu beitragen, »Bevölkerung« als eine Art Organismus zu konstituieren, der zerstört werden konnte und den es zu verteidigen galt.17 16 | Vgl. dazu T. Etzemüller (Hg.), Vom »Volk« zur »Population«? 17 | Es gibt eine umfangreiche Forschung zur Bevölkerungswissenschaft und -politik im Allgemeinen und zur Demografie, Eugenik und Rassenkunde im Besonderen. Diese Arbeiten entschlüsseln ideengeschichtliche Traditionen, biografische Verflechtungen und das politische Engagement von Bevölkerungsexperten (vor allem) im »Dritten Reich«. Sie bieten Werkbiografien, institutionengeschichtliche Analysen oder, wie jüngst Alexander Pinwinkler, einen Längsschnitt. Allerdings nutzen sie nicht das wissenschaftssoziologische Instrumentarium, um die Praxis wissenschaftlicher Arbeit und die fatale Erzeugung von Evidenz zu untersuchen. Vgl. aus der Fülle der Literatur nur:
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Ich werde im Folgenden von der Rassenanthropologie sprechen, obwohl der Begriff unpräzise ist und die Sache, die er bezeichnet, zwar trifft, aber dramatisiert. Doch die Bezeichnungen »Anthropologie« und »biologische Anthropologie« werden von denjenigen Zweigen der Disziplin benutzt, die heute als wissenschaftlich seriös gelten, und ich möchte jede Gleichsetzung mit meinem Untersuchungsgegenstand vermeiden. In den wenigen Fällen, in denen hernach von »Anthropologie« oder »biologischer Anthropologie« die Rede sein wird, meine ich, von wenigen, erkennbaren Ausnahmen abgesehen, die Rassenanthropologie.
T. Bryant, Friedrich Burgdörfer; R. Mackensen (Hg.), Bevölkerungsforschung und Politik in Deutschland im 20. Jahrhundert; Ders. (Hg.), Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik im »Dritten Reich«; Ders. (Hg.), Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik vor 1933; Ders./J. Reulecke (Hg.), Das Konstrukt »Bevölkerung« vor, im und nach dem »Dritten Reich«; Dies./J. Ehmer (Hg.), Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts »Bevölkerung« vor, im und nach dem »Dritten Reich«; A. Pinwinkler, Historische Bevölkerungsforschungen; H.-W. Schmuhl, Grenzüberschreitungen; Ders. (Hg.), Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933; M. Weipert, »Mehrung der Volkskraft«.
2. »Bevölkerung« als statistisches Konstrukt
Die Idee, alle Einwohner eines geografischen Raumes als eine Population zu begreifen, finden wir bereits in der Frühen Neuzeit. Aber der Begriff »Bevölkerung« bezeichnete bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts nur eine Entwicklung bzw. eine Handlung: Die Bevölkerung eines Territoriums entstand und veränderte sich in undurchschaubaren biologisch-demografischen Prozessen; darauf zu reagieren war Aufgabe einer guten Herrschaft. Erst mit Beginn der industriellen Moderne begann der Begriff, die Bevölkerung als Zustand zu beschreiben und zu problematisieren.1 Da gewann die Statistik eine immer größere Bedeutung. Gezählt wurde schon früh, es gab freilich keine einheitlichen Methoden.2 Vielmehr finden wir Statistiker, die alle Phänomene des gesellschaftlichen Lebens nach Identitäten und Unterschieden analysierten und in räumlichen Tableaus anordneten. Andere hatten den Anspruch, die mannigfaltige Realität in enzyklopädischer Breite zu beschreiben; wiederum andere übersetzten die Phänomene in quantitative Größen, um diese dann als Zahlenverhältnisse zu analysieren, oder um in ihnen mathematische Regelmäßigkeiten zu erkennen. Diese Quantifizierung und Mathematisierung ist uns heute geläufig, doch war sie um 1800 durchaus nicht unumstritten. Kurz nach 1800 wurde in Deutschland sogar eine polemische Debatte geführt, ob Statistiker den Staat quantitativ oder qualitativ beschreiben sollten.3 »Tabellenstatistiker« wie August Friedrich Wilhelm Crome oder Leopold Krug gingen davon aus, dass man alle Phänomene eines Staates – selbst intellektuelle Eigenschaften – in Geldwert und also 1 | Vgl. J. Nipperdey, Die Erfindung der Bevölkerungspolitik; vgl. auch M. Fuhrmann, Volksvermehrung als Staatsaufgabe? 2 | Vgl. zur Geschichte der Statistik K. Johannisson, Det mätbara samhället; H. Katzmair, Ordnungen des Zählens; S. Köhler, Statistiker und Statistik; T. M. Porter, The Rise of Statistical Thinking 1820-1900; D. Schmidt, Statistik und Staatlichkeit; S. M. Stigler, The History of Statistics; zur Geschichte des statistischen Denkens A. Desrosières, Die Politik der großen Zahlen. 3 | Zum Folgenden vgl. S. Köhler, Statistiker und Statistik, S. 82-97.
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die einheitliche Währung von Ziffern umrechnen könne. Dagegen meinte der »Universitätsstatistiker« Adam Heinrich Müller, dass der Staat »nicht eine bloße Manufaktur« sei, die man rationalistisch in Einzelteile zerlegen könne, »er ist die innige Verbindung des gesammten physischen und geistigen Reichtums, des gesammten inneren und äußeren Lebens einer Nation, zu einem großen, energischen, unendlich bewegten und lebendigen Ganzen.« Atomisierende Ziffern könnten die Bewegung eines lebenden Organismus nicht abbilden, er müsse vielmehr detailliert in Worten beschrieben werden.4 Crome denunzierte das als »eine weltabgewandte Plauderei«,5 Müller dagegen sah in Tabellen eine entseelte, kalte Maschine am Werke, die den Holismus von »Körper« und »Geist« sezierte. Letztlich setzten sich die Quantifizierer durch. Sie waren in der Verwaltung oder der Wirtschaft tätig, wo sich ihre Methoden bewährt hatten.6 Es wurden statistische Bureaus gegründet, die Statistiker konstituierten sich als eine disziplinäre Gemeinschaft und entwickelten immer elaboriertere statistische Methoden. So wurde das 19. Jahrhundert »das Jahrhundert des Zählens und Messens. Erst jetzt steigerte sich die Idee der Aufklärung, die Welt vollständig beschreiben und taxonomisch ordnen zu können, zum Glauben an die wahrheitserschließende Kraft der Zahl, des statistisch bearbeiteten Datums […]. Erstmals im 19. Jahrhundert vermaßen Gesellschaften sich selbst und legten darüber Archive an.« 7 Grundlegend ist die Idee gewesen, regelmäßig schriftliche Quellen zu führen – Kirchenbücher beispielsweise, in denen »die Existenz und Permanenz einer Person und deren Bindungen zu einer Mutter, einem Vater, einem Ehepartner und zu Kindern« verstetigt wurden –, diese Register nach festgelegten Schemata auszuwerten und sie schließlich mit quantitativen Methoden zu interpretieren.8 Denn die unendliche Individualität, die sich in den einzelnen Daten ausdrückte, musste in übergreifende Aggregatzustände überführt werden. Dazu wurde die Tabellenform perfektioniert, mit »Durchschnittsmenschen« (Adolphe Quetelet) und »Kollektivtypen« (Émile Durkheim), mit Mittelwerten und Normalverteilungen experimentiert, die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die zufallsbasierte, repräsentative Stichprobenerhebung und die methodisch gesicherte Extrapolation kleiner Stichproben entwickelt, das, was früher als Messfehler galt, in Form der »Standardabweichung« operationalisiert, und es wurden Begriffe wie »Kontingenz«, »Streuung« und »Variation« eingeführt,9 um 4 | Adam Heinrich Müller, Die Elemente der Staatskunst (1809), Bd. 1, S. 51, zit.n. S. Köhler, Statistiker und Statistik, S. 87. 5 | S. Köhler, Statistiker und Statistik, S. 92. 6 | Vgl. ebd., S. 97-105. 7 | J. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 62. 8 | A. Desrosières, Die Politik der großen Zahlen, S. 27. 9 | Vgl. ebd., S. 77-164, 235-262.
»Bevölkerung« als statistisches Konstrukt
»durch exakte, zahlenmäßige Beobachtung der sozialen Massen die gesellschaftlichen Zustände klarzulegen; aus der bunten Mannigfaltigkeit der Erscheinungen das Wesentliche und Charakteristische hervorzuheben, um auf diese Weise ein wahrheitsgetreues Bild von dem gesellschaftlichen Leben zu entwerfen, das in der Hauptsache in Zahl und Maß ausgedrückt ist. So offenbart sich uns die Statistik als exakte Gesellschaftswissenschaft«.10 Soweit in wenigen Strichen einige Grundzüge der Geschichte der Statistik. Sie zeigt, dass weltanschauliche Elemente für die Genese valider statistischer Instrumente durchaus eine Rolle gespielt hatten, dann aber auf dem Wege der Vollendung offenbar verloren gingen. Die Methode wurde objektiv, ein »ausgehärtete[s] Objekt«. Sie bot »eine allgemeine Sprache, die mit einer elaborierten und komplexen Grammatik ausgestattet war«,11 und das bildete die Voraussetzung dafür, das Rohmaterial zu gewinnen, aus dem erst eine »Bevölkerung« modelliert werden konnte. Da stoßen wir allerdings auf ein Problem. Wenn im Laufe des 18. Jahrhunderts zwei Register separiert wurden, wie der Statistikhistoriker Alain Desrosières meint, nämlich »das Register der Deskription und der Wissenschaft (es gibt) vom Register der Präskription und der Aktion (man muß)«,12 so sind in der Bevölkerungsfrage »Rohmaterial« und »Bevölkerung« nicht ausschließlich auf der Seite der Wissenschaft angesiedelt. Tatsächlich gingen Sein und Sollen in den Bevölkerungswissenschaften eine Allianz ein. Nicht allein deshalb, weil jede statistische Beschreibung zugleich automatisch ein Klassifizieren des Beschriebenen bedeutet,13 sondern weil der Bevölkerungsbegriff ein moralischer Begriff war. Statistiker unterschieden in der Taxonomie ihres Faches seit dem 19. Jahrhundert eine allgemeine und eine besondere Statistik; zur besonderen Statistik gehörten die Bevölkerungs- und lange Zeit die sogenannte Moralstatistik.14 Letztere versuchte durch Massenbeobachtung Regelmäßigkeiten in scheinbar willkürlichen menschlichen Handlungen festzustellen, soweit sie moralische Bedeutung hatten,15 also ein »erschöpfendes statistisches Bild der herrschenden Sittenzustände« zu ge10 | C. von Tyszka, Statistik I, S. 6 (Hervorh. im Orig.). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts freilich musste Skeptikern versichert werden, dass die in großen Datenmengen aufgespürten Gesetzmäßigkeiten nicht mit Gesetzen zu verwechseln seien, die die menschliche Freiheit determinierten; vgl. K. Marbe, Die Gleichförmigkeit der Welt; C. von Tyszka, Statistik I, S. 35-38; A. Wagner, Statistisch-anthropologische Untersuchung der Gesetzmässigkeit. 11 | A. Desrosières, Die Politik der großen Zahlen, S. 365. 12 | Ebd., S. 372 (kursiv im Orig.). 13 | Vgl. ebd., S. 263-309. 14 | Vgl. P. Flaskämper, Grundriß der Sozialwissenschaftlichen Statistik I, S. 15f.; C. von Tyszka, Statistik I, S. 20f. 15 | Vgl. H. Bleicher, Die Bedeutung der Statistik in der Wissenschaft, S. 113.
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winnen: Kriminalität, Ehescheidungen, Selbstmorde, Prostitution, uneheliche Geburten, Laster, Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch philanthropische Neigungen.16 Durch die wissenschaftliche Markierung der Differenz »normaler« und »abnormaler« gesellschaftlicher Entwicklungen (mit einem deutlichen Schwergewicht auf den defizitären Tendenzen) wurden Schlüsse auf den moralischen Zustand eines Volkes gezogen. So führe beispielsweise ein Männer- oder Frauenüberschuss zu sittlichen Problemen, eine stationäre oder schrumpfende Bevölkerung lasse auf sittliche Dekadenz schließen, starke geografische Mobilität führe zu einer abnormen Sozialschichtung (wie man in den USA beobachten könne).17 Die Moralstatistik dürfte der düsterste Ableger der Disziplin gewesen sein, denn noch Abschnitte über »Das Familienglück« handeln vor allem von Scheidungen, unehelichen Kindern und Lastern.18 Aber ob nun die Moralstatistik 1868 für Alexander von Oettingen die christliche, oder ob sie 1940 für Richard Korherr die nationalsozialistische Sittlichkeitslehre im Alltag zu verankern helfen sollte19 – hier wie dort verschmolz das vermeintlich »ausgehärtete Objekt« der Statistik mit einer sozial wertenden Beschreibung der Gesellschaft. Das finden wir 1872 durch Max Haushofers Lehrbuch der Statistik bestätigt, das auf die Bedeutung der Ethnologie abhob. Die solle mit Hilfe der Statistik anthropologisch-kulturelle Unterschiede der »Völkerfamilien« herausarbeiten; darauf wiederum gründeten die jeweiligen Nationalstatistiken.20 Der Ethnologe Richard Thurnwald begrüßte 1923 »Massenaufnahmen über Rasse und anthropologische Fragen durch wissenschaftliche Sachverständige« in den Volkszählungen,21 während einer der führenden Statistiker des Reichs, der Präsident des Bayerischen Statistischen Landesamtes, Friedrich von Zahn, 1937 in der erbbiologischen Forschung eine Möglichkeit sah, Daten für die Bevölkerungsstatistik zu gewinnen. Diese Statistik sei dann in den Dienst »eines an Leib und Seele erbgesunden, kinderfrohen und kinderreichen Volkes« zu stellen, kurz: in den Dienst des nationalsozialisti16 | A. Wadler, Moralstatistik, S. 605f. (Zitat S. 609). 17 | Vgl. G. von Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre III, S. 23-181. 18 | Vgl. M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 445-514. 19 | Vgl. A. von Oettingen, Die Moralstatistik und die christliche Sittenlehre; R. Korherr, Moralstatistik. Vgl. auch M. Böhme, Die Moralstatistik. 20 | Vgl. M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 412-421 (Zitat S. 412). Ähnlich G. von Mayr, Die Gesetzmäßigkeit im Gesellschaftsleben, S. 212-218; Congrès international de statistique, Compte-rendu de la huitième session à St-Petersbourg [1872], S. 118-120; und, allerdings vorsichtiger: H. Westergaard, Die Grundzüge der Theorie der Statistik, S. 185-191. 21 | Vgl. R. Thurnwald, Die »Rasse« als Volkszählungsfrage (Zitat Sp. 78). Ähnlich J. Götz, Die amtliche Statistik und die Rassenforschung; Ders., Rassenforschung und Statistik.
»Bevölkerung« als statistisches Konstrukt
schen Regimes.22 Qualitative Wertungen waren für Statistiker offenbar ein selbstverständlicher Bestandteil ihrer Arbeit, seien sie nun anthropologisch oder rassenkundlich motiviert. Aber auch indirekt waren in der Statistik die Grundlagen einer Präskription gelegt, etwa im »Gesetz der großen Zahl«. Werde eine hinreichend hohe Zahl an Einzelfällen beobachtet, so der Statistiker Carl von Tyszka, träten Regelmäßigkeiten und Konstanz im sozialen Geschehen ans Licht. Das sei eine Folge des statistischen Ausgleichs, der durch die Wahrscheinlichkeitstheorie erklärt werde. Zwar sei mathematisch eine Häufung von Extremfällen denkbar, nicht aber nach der Theorie des statistischen Ausgleichs, da bei konstanten Rahmenbedingungen das statistische Verhalten konstant bleibe. Jede Zukunftsplanung beruhe auf dieser Annahme.23 Das war ein Ordnungsmodell, das nicht mehr auf eine göttlich gestiftete Stabilität setzte, sondern auf das dynamisch sich vollziehende Gleichgewicht unzählig oft fallender Würfel – aber unter Ausschluss der mathematisch möglichen »Entgleisung« dieser Dynamik. Und genau diese Annahme eines Equilibriums, das gewissermaßen durch die Natur gestiftet ist, sollte konstitutiv werden für die Arbeit der Rassenanthropologie. Der mathematische Extremfall – die sozio-biologische Desintegration – bildete für sie eine Negativfolie, vor der das Postulat einer harmonischen Balance umso mächtiger erscheinen musste. Im statistischen Modell selbst war ein spezifischer Gebrauch der Statistik angelegt. Das Selbstbild der Statistiker war allerdings ein anderes. Anstelle von Wertungen und zufälliger Einzelereignisse setze die Statistik eine auf Datenmassen gründende Objektivität, meinte im Jahre 1911 Friedrich von Zahn: »An Stelle hohlklingender Schlagworte setzt sie [die Statistik] plastische Größenvorstellungen. Wo die Statistik mißt und wertet, müssen die willkürlichen Meinungen und Vorurteile weichen, muß die Eifersucht schweigen und beginnt stattdessen der Eifer, der nachzukommen [d.i. nachzuweisen] sucht.«24 Am Ende der statistischen Arbeit stehe ein für das Publikum verfasster Text, so von Zahn, doch allein »in der Hand des Sachkundigen, des nüchternen, wahrheitssuchenden, umsichtigen Forschers ist die Statistik ein Schlüssel zu tieferer Erkenntnis«, nur dann ist sie »mit ihrem Beweis- und Erkenntnismaterial richtige und wichtige Führerin und Beraterin für die Verwaltung, die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die staatsbürgerliche Erziehung, die Privatwirtschaft und Wissenschaft. In der Hand des Unkundigen versagt sie, bleibt 22 | Vgl. F. von Zahn, Fortbildung der deutschen Bevölkerungsstatistik durch erbbiologische Bestandsaufnahmen (Zitat S. 195). Ähnlich S. Koller, Statistik in der biologischen und medizinischen Forschung. 23 | Vgl. C. von Tyszka, Statistik I, S. 32f. Ähnlich K. Marbe, Die Gleichförmigkeit der Welt. 24 | F. von Zahn, Vorwort, S. V.
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tot oder verursacht Schaden und Verwirrung.«25 Paradoxerweise sollte gerade diese Unterscheidung von Wissenschaftlern und Laien, also der Glaube, selbst immun gegen populistische oder ideologische Einflüsse von außen zu sein, den Statistikern verschleiern, wie sehr letztlich auch sie »Schlagworte« und »Vorurteile« untermauerten und objektivierten. Die Statistik hatte mit Ungreif barem zu kämpfen: Familienstatistik, Sprachenstatistik, Religionsstatistik, Rekrutierungsstatistik, Morbiditätsstatistik, Gebrechensstatistik, Säuglings(sterblichkeits)statistik, Wanderungsstatistik, Kulturstatistik usw. – wir beobachten ein langes Mäandrieren durch die Schwierigkeiten, komplexe, fluide und oft unsichtbare gesellschaftliche Phänomene in Daten zu erfassen, in statistische Kategorien umzuwandeln und sie dann zu klassifizieren. Statistiker hatten ein permanentes Geschiebe vor Augen, das sie in Schnappschüssen festzuhalten versuchten, um Dynamik in der Form eines Gefüges in den Blick zu bekommen und nichtsichtbare Entwicklungen statistisch unter Kontrolle zu bringen. Einerseits waren da die Notwendigkeit und zunehmend auch die technischen Mittel, systematisch Daten zu erheben und in Momentaufnahmen etwa den Zustand der Wehrkraft in statistischen Relationen zu erkennen. Andererseits wurde, wie bei einer Sendestörung, das Bild permanent unterbrochen und verzerrt. Allein die Vielzahl statistischer Kategorien zeitigte große Schwierigkeiten. Jede Institution, jedes Land entwickelte eigene Erhebungs- und Gliederungskriterien, ausgerichtet auf verschiedene temporäre, räumliche und sachliche Fixpunkte. Deshalb blieb unsicher, ob man die zu erhebenden Sachverhalte tatsächlich statistisch hinreichend präzise zu greifen bekäme. Immer wieder mahnten die Statistiker daher zur Vorsicht und kritisierten verfehlte Grundannahmen. Sie agierten in einem Modus der permanenten Korrektur, des Lernens und Revidierens von Positionen.26 Unfähige oder manipulierende Statistiker gab es sicherlich. Die aber zu entlarven,27 ist wenig hilfreich, um implizite Mechanismen sozialer Wertungen aufzudecken.
25 | Ebd., S. XI. 26 | Vgl. z.B. die Beiträge in F. von Zahn (Hg.), Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand; F. Burgdörfer (Hg.), Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand. Vgl. auch V. John, Geschichte der Statistik, S. 3-14; A. Pinwinkler, Der österreichische Demograph Wilhelm Winkler und die Minderheitenstatistik, bes. S. 277-280. 27 | So E. Wagemann, Narrenspiegel der Statistik.
3. Volkszählungen
Die deutschen Volkszählungen zeigen, wie eng redliche Erhebung und politische Implikationen verbunden waren. Denn erst das Zählen schuf die Bevölkerung, weil eine Gruppe von Menschen auf einen Raum bezogen und in ihrem Innern nach Struktur und Dynamik differenziert wurde. Alter, Beruf und Familienstand; Geburtenrate, Sterblichkeit und Krankheiten; Muttersprache, Religionszugehörigkeit und Wohnorte, all das waren keine von der Natur vorgegebenen Größen, sondern sie wurden mit jeder Volkszählung und in den aufwendigen Verhandlungen der internationalen Statistikergemeinde weiterentwickelt. Auch fällt auf, wie sehr die Zielsetzungen sich änderten. Bis in die 1830er Jahre gab es nur unsystematische Zählungen einzelner Populationen; meist sollten sie als wirtschaftliche Ressource erfasst werden.1 Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834 begannen die flächendeckenden, standardisierten Erhebungen; die Verrechnung von Zöllen sollte erleichtert werden. Zugleich dienten die Volkszählungen als Instrument, um die Staatswissenschaften auf das Niveau der Naturwissenschaften zu heben – und um den sittlichen und sozialen Zustand des Staates messen zu können.2 1867 dann zählten erstmals die deutschen Länder zugleich ihre Einwohner, ab 1875 regelmäßig alle fünf Jahre; der Zustand des Volkes und die Interessen der jungen Versicherungswirtschaft rückten in den Vordergrund.3 Zwischen den Erhebungen von 1910 und 1925 lagen zwei Zäsuren, der Erste Weltkrieg und der Übergang von einer optimistischen zu einer pessimistischen Perspektive, von einer wachsenden zu einer aussterbenden Bevölkerung. Volkszählungen untermauerten von nun an die These einer angeblich drohenden demografischen Katastrophe. Im »Dritten Reich« wurden die Statistiker erneut in großem Stile tätig, nämlich in den Jahren 1933 und 1939, jetzt erfassten sie auftragsgemäß 1 | Vgl. W. Pircher, Von der Population zum Volk, S. 80-100. 2 | Vgl. M. Block/H. von Scheel, Handbuch der Statistik, S. 211; E. Engel, Die Volkszählungen, S. 31. 3 | Vgl. M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 225-228; A. Meitzen, Die Statistik des Deutschen Reiches, S. 551f.
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auch »die Juden«. In der Nachkriegszeit fanden die Zählungen etwa alle zehn Jahre statt. Aber wer sollte eigentlich zu einem »Volk« oder einer »Bevölkerung« gehören? Alle an einem Ort rechtlich Ansässigen oder die zufällig faktisch Anwesenden? Welchem Ort waren Soldaten, Seemänner, Klosterinsassen, Studenten, Sträflinge oder das saisonal angestellte Personal in Badeorten zuzurechnen? Mussten Zivilangestellte des Militärs dem Militär zugerechnet werden? Sollte man Individuen, Familienverbände oder Haushaltungen zählen? Und wer gehörte zu einem Haushalt: die eigentliche Familie, Verwandte oder auch das Dienstpersonal? Sollten Ausländer herausgerechnet werden? Selbst die Deutschen der einzelnen Länder galten vor der Reichsgründung einander ja als Ausländer. Hans von Scheel zeigt uns an einem Beispiel, dem kleinen Ort Saaldorf an der Saale, wie kompliziert die Lage schnell werden konnte: »Das Dorf ist am 3. Dezember 1867 nach den Vorschriften des Zollvereins und norddeutschen Bundes ordnungsmässig gezählt worden, und es ergaben sich demnach 13 vorübergehend Anwesende, 774 sonstige Anwesende (zur factischen und zur Wohnbevölkerung gehörig), 787 überhaupt Anwesende (ortsanwesende Bevölkerung), 57 vorübergehend Abwesende, 831 Zollvereinsbevölkerung (dauernd wohnhafte Bevölkerung), 103 sonstig Abwesende, 160 überhaupt Abwesende, 934 ortsansässige Bevölkerung.«4 Etwas abstrakter listete August Fabricius 1866 eine Reihe (sich überschneidender) Kategorien auf: die faktische und die rechtliche, die beständig oder zeitweilig an einem Ort lebende, die an einem Ort wohnende oder ansässige, die zu einem Zeitpunkt an- bzw. abwesende Bevölkerung (wobei in Reisende und sonstig Abwesende zu unterscheiden war), die Ortsangehörigen, die sonstigen Inländer, die Ausländer – jeweils nach beständig, vorübergehend (Reisende) und zeitweilig (Wohnende) Anwesende zu unterscheiden –, die Heimatberechtigten (ortsanwesend), die Anwesenden und die dauernd oder vorübergehend Wohnenden. Und welche Rolle sollten die Familien spielen? Fabricius war der Meinung, dass sie die dauerhafte Grundlage der ansässigen Bevölkerung bildeten. Die zeitweilig verzogenen Familienmitglieder (Soldaten, Lehrlinge, Gefangene usw.) blieben an jenen anderen Aufenthaltsorten fremde Elemente, tatsächlich bildeten alle anund abwesenden Familienmitglieder so lange ein geschlossenes Ganzes, bis der Einzelne sich durch Heirat und eine selbständige Niederlassung abzweige. Fabricius erkannte freilich selbst, dass seine Idealvorstellung einer an den Ort gebundenen Familienzelle, die im Raum streut, sich aber erst durch Heirat teilt, keine ideale Zählkategorie war. Er plädierte deshalb letztlich dafür, die faktische Bevölkerung zu erfassen.5 4 | H. von Scheel, Zur Technik der Volkszählungen, S. 161 (Hervorh. von mir). 5 | A. Fabricius, Ueber Volkszählungen, S. 314, 318. Vgl. auch W. Böhmert, Ortsanwesende Bevölkerung und Wohnbevölkerung; W. Beukemann, Methode und Umfang der
Volkszählungen
Die gezählte Bevölkerung hatte Schwierigkeiten mit der Unterscheidung der Kategorien, wenn sie die Fragebögen ausfüllen sollte.6 Dazu kam die Vielfalt der erhobenen Angaben: »Die Fragen nach Geschlecht, Alter, Religionsbekenntnis, Familienstand […] sowie nach dem Beruf oder der hauptsächlichen Beschäftigung des Einzelnen und nach gewissen persönlichen Mängeln wie blind, taubstumm, blödsinnig und irrsinnig, bilden den nothwendigen Inhalt der Bevölkerungsstatistik.« 7 Verbindlichkeit herrschte darüber jedoch nicht. Je nach Volkszählung befragten die deutschen Länder ihre Einwohner auf unterschiedliche Sachverhalte hin. Nicht jedes interessierte sich beispielweise für den Geburtsort, die Staatsangehörigkeit oder die Schulbildung der Untertanen, dafür aber vielleicht für die Ernährung der Säuglinge. Während das Großherzogtum Oldenburg etwas über seine Achatindustrie in Idar-Oberstein wissen wollte,8 erheischte Sachsen Auskunft über den Namen der Hebamme, »wenn Vater krank oder abwesend.«9 Noch komplizierter wurde die Sache im internationalen Vergleich. Die »Synoptische Uebersicht der für die neuesten Volkszählungen massgebenden Bestimmungen« für das Jahr 1880 umfasst 24 Seiten, auf denen die Gesetze, Zähldauer und -datum, Zählgegenstände und Erhebungseinheiten, weitere Angaben, Erhebungsmethoden und Strafen bei verweigerten oder Falschangaben für 13 europäische Staaten und die USA verzeichnet wurden.10 Und manchmal kam die soziale Realität weltanschaulich begründeten Kategorien in die Quere: »Ich erinnere mich noch sehr deutlich der unangenehmen Empfindungen«, erzählte ein Statistiker, »welche ich als Volkszähler für einen grossstädtischen Arbeiterbezirk hatte, wo fast jede dritte Haushaltung auf dem Konkubinat beruhte, als es galt, die Rubriken über den Zivilstand und die Stellung in der Haushaltung auszufüllen«11 – die nur die damals moralisch akzeptablen Zustände »ledig«, »verheiratet«, »verwitwet« und »geschieden« kannten. deutschen Volkszählungen, S. 201-207; J. E. Wappäus, Einleitung in das Studium der Statistik, S. 135-143. 6 | Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 401, S. 8. 7 | A. Meitzen, Die Statistik des Deutschen Reiches, S. 542. Vgl. auch G. von Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre II. 8 | Vgl. W. Beukemann, Methode und Umfang der deutschen Volkszählungen, S. 208f.; sowie die detaillierten Synopsen in E. Engel, Die Methoden der Volkszählung, S. 172177; Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 57, S. IV, XXVII; Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 276, S. 2*f. 9 | Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 276, S. 3*. 10 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 57, S. XXVIII-LI. 11 | K. Bücher, Einige Bemerkungen über das Aufnahmeverfahren bei Volkszählungen, S. 485.
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Schwierig gestalteten sich territoriale Fragen. Die Staaten tauschten regelmäßig Gebiete aus, worüber akribisch Buch geführt werden musste. Fast hätte man die mit dem Land abgetretenen Individuen namentlich erwähnen können, so winzig waren oft die Parzellen, beispielsweise die 35 Einwohner des Angelhofs und anderer vereinzelt gelegener Gebäude, die mit 280 Hektar Land von Baden an die Pfalz (Bayern) wechselten.12 Die sechs Einwohner der Lange’schen Schiffswerft bei Grohn (heute Bremen) wurden seit November 1868 nicht mehr der Bevölkerung des Zollvereinsgebietes zugeschlagen.13 Ausführlich schilderte das Statistische Reichsamt den Fall der Gemeinde Kürnbach, die auf badischem und hessischem Gebiet lag. Einerseits konnte mit dem Wechsel der Wohnung innerhalb der Gemeinde eine Veränderung der Staatszugehörigkeit eintreten, andererseits veränderte sich auch das Territorium der beiden Staaten, denn die »nicht bebauten Liegenschaften der Gemarkung folgen in der Staatsangehörigkeit derjenigen des Eigenthümers […]. Hiernach kann ein badischer oder hessischer Antheil der Gemarkung nicht (oder doch nur in etwa für einen bestimmten Zeitpunkt) angegeben werden.« 14 Nimmt man die Gewässer hinzu – wieviel Fläche des Kurischen Haffs, des Bodensees oder der Alster waren den jeweiligen Territorien zuzurechnen? –, dann sieht man, wie schwer es war, Raum und Population eindeutig und fehlerfrei aufeinander zu beziehen. Kleinere Staaten hatten 1871 ohnehin noch keine Landesvermessungen durchgeführt.15 Außerdem machte sich die Zeit störend bemerkbar. Idealerweise sollte die Bevölkerung statistisch an einem fixen Punkt eingefroren werden, 1871 in Deutschland beispielsweise zur Mitternachtsstunde vom 30. November auf den 1. Dezember.16 Andererseits zogen sich die Erhebungen dahin, so dass Reisende, fahrende Händler oder Soldaten währenddessen den Ort wechseln konnten und dadurch die Ergebnisse verzerrten. Große Feste und Markttage durften an den Zähltagen ebenfalls nicht stattfinden, weil das zu atypischen Bevölkerungsverschiebungen geführt hätte. Deshalb wurden in Preußen die ursprünglich den ganzen Dezember – einem eher immobilen Monat – stattfindenden Erhebungen auf ein bis drei Tage verkürzt, was die Behörden der 12 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 57, S. 1f. 13 | Ebd., S. 13. 14 | Ebd., S. 3. 15 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Alte Folge, Bd. 2, H. 2, Abt. 1, S. 125. Vgl. zu diesem Problem auch P. Flaskämper, Grundriß der Sozialwissenschaftlichen Statistik II, S. 51-64; J. Müller, Wie wird die Bevölkerungsdichte richtig berechnet? 16 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Alte Folge, Bd. 2, H. 2, Abt. 1, S. 99.
Volkszählungen
bevölkerungsreichen Städte vor gewisse Herausforderungen stellte.17 Mikroskopische Verschiebungen von Land und Leuten verunreinigten permanent die Statistiken. Über Methoden, Erhebungsverfahren und Fehlerquellen wurde von Beginn an intensiv reflektiert. Es gibt eine Reihe von Texten, in denen Statistiker ihre Erfahrungen schilderten und Vorschläge für künftige Volkszählungen unterbreiteten – so wie man das von einer technisch orientierten Wissenschaft erwartet.18 Zudem schrieben Statistiker schon früh die Geschichte ihrer Disziplin bzw. publizierten historische Aktenstücke: Geschichte als Mittel der Selbstevaluation, um das intensive Feilen an den Kategorien und Tabellen zu dokumentieren und den Stand der Diskussion zu beleuchten.19 Hinzu kommt ein Wiedereintritt der Statistik in die Statistik, wenn nämlich statistisch erfasst und tabellarisch abgebildet wurde, wie viele Menschen bei den Volkszählungen die Fragebögen selbst ausgefüllt hatten, nebst einer behördlichen Abschätzung der Qualität dieser Eintragungen: Statistik als Qualitätskontrolle der eigenen Datenbasis.20 Noch diffiziler fiel dieser Wiedereintritt durch die empirische Arbeit selbst aus. Die Statistik und ihr Spezialfall, die Bevölkerungsstatistik, entstanden nämlich parallel. Letztere versuchte, die aktuellen demografischen Entwicklungen aus der Vergangenheit herzuleiten und stieß dabei auf die Frühgeschichte der allgemeinen Statistik, auf eine äußerst löchrige, unzuverlässige Datenbasis. Zwar verfeinerten sich im Laufe der Zeit die Methoden der Statistik und wurden auch die Daten der Bevölkerungsstatistik dichter. Doch wenn sich Statistiker noch im späten 19. Jahrhundert aus zahllosen Fundstellen rudimentäre Zahlen zusammenklauben, sie verdichten und zu validen Korrelationen oder kohärenten Entwicklungen erhärten mussten – ohne dass das gelingen konnte –, dann stießen sie automatisch auf inkompatible Erhebungsmethoden, unvereinbare Bezugsgrößen, mangelnde Vergleichbarkeit und unzuverlässige Quellen. So verwandelte sich in Einzelfällen die statis17 | Vgl. E. Engel, Die Methoden der Volkszählung, S. 172-177. 18 | Als Auswahl: K. Bücher, Einige Bemerkungen über das Aufnahmeverfahren bei Volkszählungen; F. Burkhardt, Methodische Fragen für die Aufstellung von Sterbetafeln; M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 119-137; G. von Mayr, Die Einrichtung der Bevölkerungsaufnahme vom 1. Dezember 1890; A. Meitzen, Die Statistik des Deutschen Reiches, S. 540-548; H. Rauchberg, Übersicht über den Stand und die neuesten Fortschritte der Technik auf dem Gebiete der Bevölkerungsstatistik; H. Schubnell, Die Volks- und Berufszählung 1961; Ders., Haushalt und Familie; K. Seutemann, Die Aufnahme-, Aufbereitungs- und Tabellierungstechnik. 19 | Vgl. R. Boeckh, Die geschichtliche Entwicklung der amtlichen Statistik des preußischen Staates; E. Engel, Zwölf Actenstücke. 20 | Vgl. G. F. Knapp, Das Verfahren bei der preußischen Volkszählung, S. 19-25.
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tische Arbeit zur historischen Reflexion über die brüchigen Grundlagen der eigenen Disziplin.21 Auf den internationalen statistischen Kongressen trat den Fachvertretern seit 1853 ebenfalls eine Vielfalt an Methoden, Begriffen und Praktiken vor Augen. Diese Kongresse zielten freilich in eine andere Richtung, nämlich auf eine internationale Vereinheitlichung der statistischen Kategorien und auf international übergreifende, einheitliche Statistiken zu allen relevanten Aspekten des gesellschaftlichen Lebens. Erneut findet man in Texten, jetzt den Protokollen der Kongresse, eine Geschichte der Statistik – sie besteht aus regelmäßigen Zusammenfassungen der Beschlüsse und Empfehlungen der vergangenen Kongresse und enthält die Utopie einer neuen, (noch) virtuellen Entität: einer internationalen Statistik. Die Statistiker waren oft sehr uneins, doch in der Textform der Protokolle verschmolzen ihre Kontroversen zu jener Einheit, für die die diversen nationalen statistischen Traditionen nur noch abweichende Sonderfälle darstellten. Deren Vertreter versuchten, sich durch gemeinsame Resolutionen selbst auf Linie zu bringen und damit eine transnational einheitliche Statistik zu begründen.22
21 | Vgl. J. Wernicke, Das Verhältnis zwischen Geborenen und Gestorbenen; M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, bes. S. 198-201. 22 | Vgl. Congrès international de statistique, Compte rendu des travaux du congrès général de statistique […] 1853; Ders., Compte rendu […] 1855; Ders., RechenschaftsBericht über die dritte Versammlung […] 1857; Ders., Compte-rendu […] 1863; Ders., Congrès international de statistique à La Haye […] 1869; Ders., Compte rendu général […] 1872.
4. Festschreibungen
Man könnte die Bevölkerungsstatistik im Allgemeinen und Volkszählungen im Besonderen als eine rein pragmatische Maßnahme betrachten: Ein moderner, industrialisierter, komplexer Staat muss wissen, wie viele Menschen welcher Altersstufen, Geschlechter, Berufe usw. in ihm wohnen, um auf effiziente und rationale Weise politisch handeln zu können. Das ist zweifellos so. Zugleich aber verdichtete sich mit jeder Volkszählung ein Klassifikationssystem, das Menschen einordnete und damit – für den Einzelnen kaum wahrnehmbar – sozialen Wertungen zugänglich machte. Die Bevölkerungsstatistik leistete bestimmte Festschreibungen, das war eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Arbeit der Rassenanthropologie. Zum ersten wurden »Individuum« und »Gruppe« in eine spezifische Beziehung gesetzt, etwa wenn Georg von Mayr in einem Lehrbuch aus dem Jahre 1895 postulierte, dass Menschen nicht atomistisch nebeneinander stünden, sondern in Zusammenschlüsse eingebunden seien, die in gemeinschaftlichen Taten Ausdruck fänden; die höchste Form der Vergesellschaftung war für Mayr der Staat. Zugleich bestimmte er als Aufgabe der Statistik, die primäre soziale Masse unter Beobachtung zu stellen. Die Masse zerfalle in Menschenmassen, in Massenhandlungen der Menschen und in die Masseneffekte menschlicher Handlungen.1 Das ist ein Echo auf zwei einflussreiche Bücher, die (fast) zur selben Zeit erschienen sind: Ferdinand Tönnies’ »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887) sowie Gustav Le Bons »Psychologie der Massen« (1895). Beide Bücher stehen bis heute paradigmatisch für eine Weltsicht, die Intellektuelle und Sozialexperten bis weit in die Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts umtrieb, nämlich der doppelte Gegensatz von einer atomisierenden, die Sozialbeziehungen zerstörenden industriellen »Gesellschaft« und einer organischen, sozial harmonischen vorindustriellen »Gemeinschaft«,2 sowie von »innengesteuerten Persönlich-
1 | Vgl. G von Mayr, Theoretische Statistik, S. 2-5. 2 | Vgl. F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft.
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keiten« und leicht verführbaren, unkontrollierten »Massen«.3 Vereinzelung in einer Masse, die blind auf Reize und Agitatoren reagiert, oder Individuen, die sich in eine Gemeinschaft hineinfinden, soziale Auflösung oder organische Integration, so lauteten die entscheidenden Optionen, vor die sich viele Zeitgenossen (unter ihnen Demografen, Anthropologen, Rassenkundler und eben auch Statistiker) durch die Moderne gestellt sahen. Die Bevölkerungsstatistik bot dabei eine Form der Vermittlung, indem sie namentlich erfasste Individuen in die Gesamtheit der statistischen Daten integrierte, indem sie gliederte und Dynamik in die Kolonnen von Tabellen fasste, und indem sie die Familie zur Basiseinheit der Gesellschaft erklärte. Friedrich Burgdörfer formulierte es 1927 so: »Der Volkskörper ist ein lebendiges, ein organisches Gebilde. Er wird nicht durch die isolierten Einzelpersonen an sich, sondern durch die zu ehelicher Gemeinschaft verbundenen Personen, die Familien[,] aufgebaut, erneuert und vermehrt. Die Familien sind die Zellen des Volkskörpers. Demzufolge ist die Familienstatistik […] gewissermaßen die Methode der sozialen Zellforschung.« 4 In der Folge schrieb die staatliche Statistik in Deutschland »Gemeinschaft« und eine (implizite) Unterscheidung der Geschlechterrollen als normative Bezugspunkte fest.5 Als zweites wurden die sozialen Gruppen und Räume aufeinander bezogen, denn nur auf der Basis räumlicher Grenzziehungen konnte und kann eine »Bevölkerung« gegen die Bevölkerungen anderer Räume abgegrenzt und selbst in unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterteilt werden. Das wiederum war und ist die Voraussetzung, um »Unter-« oder »Übervölkerung«, »Überalterung« oder die soziale und ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu bestimmen.6 Die Statistik definierte in dieser Hinsicht bereits im 19. Jahrhundert die Beziehung zwischen Raum und Volk auf eine bestimmte Weise: »Die Statistik kann unter einem Volk nichts anderes verstehen, als einen staatlich zusammengeschlossenen Theil der Menschheit. Jedes Volk hat seine bestimmten charakteristischen Eigenschaften.« 7 Statistik war auf die Homogenisierung dieses Staatsvolkes angelegt: »Es muß ein Bestreben jedes Staates sein«, schrieb der Statistiker Max Haushofer 1904 in einem Lehr3 | Vgl. G. Le Bon, Psychologie des foules. Der Begriff der »Innensteuerung« (inner-directedness) ist ein halbes Jahrhundert jünger und stammt von D. Riesman, The Lonely Crowd. 4 | F. Burgdörfer, Volk, Familie und Statistik, S. 362 (Hervorh. im Orig.). 5 | Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 452, S. 5-7; Dass. (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 554, S. 4. 6 | Ausführlicher: T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 70-77. 7 | M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 407. Vgl. auch W. Klose, Die räumliche Verteilung und Dichtigkeit der Bevölkerung; G. von Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre II, S. 54; P. Flaskämper, Grundriß der Sozialwissenschaftlichen Statistik II, S. 42.
Festschreibungen
buch, »seine Bevölkerung zu einer möglichsten Einheit heranzubilden und bestehende natürliche und historische Unterschiede zu vermischen und zu verschmelzen. Und eine lebendige Entwicklung derjenigen Staaten wird immer schwer sein, wo die Bevölkerung Nationalitäten von sehr verschiedenem Wesen enthält, und wo nicht etwa die eine oder die andere Nationalität ganz entschieden das politische, das numerische und moralische Übergewicht über die anderen gewonnen hat. Staaten, in denen die verschiedenen Nationalitäten beständig mehr oder weniger im Gleichgewicht bleiben oder um ihre Bedeutung kämpfen, müssen immer mehr Kunstwerke als lebendige, natürlich gewordene Körper sein.« Eine Nation müsse sich vor »minderwertigen Volkselementen« schützen, alle Bevölkerungspolitik sei »nationale Machtpolitik«.8 Die Beziehung zwischen Territorium und Bevölkerung waren zwar kompliziert.9 Grundsätzlich jedoch war für Statistiker eine »Bevölkerung« auf »ihren« Raum bezogen, mochte dieser nun ein staatliches Territorium oder einen vermeintlich natürlichen »Lebensraum« darstellen. Deshalb wurden Phänomene wie Alter, Geburtenraten, körperliche Entwicklung oder Krankheiten statistisch zumeist im Hinblick darauf erfasst, die Bevölkerung einer Nation als eine Art »Individuum« zu bestimmen, das sich von den Nachbarvölkern nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unterschied, das sich durch ein eigenes »Wesen« auszeichnete. Dementsprechend waren die meisten Statistiker nicht an einer – immerhin denkbaren10 – Weltbevölkerung interessiert, die sie auf Geburtenraten, Alter oder ethnische Differenzen hätten untersuchen können. Vielmehr vereinten sich für sie latent – und für die Rassenanthropologie dann explizit – der Raum in seiner Vielschichtigkeit und die statistisch differenzierte Bevölkerung zu einer quasi-biologischen Einheit, einem »Organismus«, der eine nationale Aufgabe stellte: das biologische Überleben des »Volkes« zu sichern. Als drittes wurden statistische Normallebensläufe entworfen und damit die Kategorie des »Alters« in einem negativen Sinne zementiert. Eigentlich, so hieß es 1863, »müsste die Statistik jeden Menschen durch sein ganzes Leben hindurch begleiten. Das ist nun zwar nicht möglich, allein sie ist verpflichtet, wenigstens von gewissen Stadien im Leben eines jeden einzelnen Individuums einer Bevölkerung genaueste Kenntnis zu nehmen, und sie ist auch in der Lage, einen grösseren oder geringeren Theil der Bewohner zu verschiedenen Lebenszeiten der vergleichenden Beobachtung zu unterwerfen.«11 Eine Typisierung individueller Lebenswege lag nahe, weil es im Leben der Menschen 8 | M. Haushofer, Bevölkerungslehre, S. 30, 124, 126. 9 | Vgl. dazu ausführlich U. Jureit, Das Ordnen von Räumen. 10 | Etwa von G. von Mayr, Theoretische Statistik, S. 117. 11 | Congrès international de statistique, Internationaler Statistischer Congreß in Berlin […] 1863, S. 111. Vgl. ebd. S. 111-121.
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eine ganze Reihe wahrscheinlicher oder rechtlicher Ereignisse gab, über die der Staat zu Planungszwecken Bescheid wissen musste. Eine kleine Auswahl aus dem Jahre 1903: hohe Kindersterblichkeit bis zwei, Freifahrt auf Staatsbahnen bis vier Jahre, Volksschulpflicht ab sieben, Strafmündigkeit ab zwölf, Ehemündigkeit von Mädchen mit 16 Jahren, Dienstpflicht bei Männern mit 20, Wahlrecht mit 25, Ende der Gebärfähigkeit bei Frauen mit 50 Jahren, Pensionsgrenze für Beamte mit 65, Beginn der Altersrente mit 70 Jahren.12 Schon 30 Jahre zuvor hatte der Statistiker Max Haushofer jene große Dreiteilung des Lebens propagiert, die zu einem der wichtigsten biografischen Ordnungsprinzipen in den modernen Industriegesellschaften geworden ist,13 nämlich die Sequenzierung des Normallebenslaufs in die unproduktive Phase der Jugend bis 15 Jahren, das produktive Erwerbsleben der Erwachsenen (unterteilbar in die vollproduktiven bis 40 und die beschränkt produktiven Altersklassen ab 40 Lebensjahren14) und schließlich das erneut unproduktive (Renten-)Alter ab etwa 65 Jahren – allerdings hatte Haushofer diese Trias harscher formuliert: Der Tod von Kindern und Jugendlichen bedeute einen Verlust der Erziehungsinvestitionen, der Tod von Erwachsenen den Verlust ihrer Produktivkraft, der Tod von Rentnern keinerlei Einbuße.15 Ähnlich drastisch formulierte es wenig später sein Kollege Johann Eduard Wappäus: »Individuen, welche sterben, bevor sie durch ihre Arbeit haben Einsatz geben können für die ihnen gewidmete Sorge und Opfer, sind volkswirthschaftlich anzusehen wie Fremde, welche ohne Vermögen ins Land gekommen sind, um an den Früchten der Arbeit der Gesellschaft Theil zu nehmen, und wieder geschieden sind, ohne dafür durch ihre Arbeit Ersatz gegeben und die contrahirte Erziehungsschuld abgetragen zu haben.«16 Durch diese chronologische Rasterung individueller Biografien war ein primär volkswirtschaftliches in ein existentielles demografisches Problem übersetzt worden. Denn mit der Altersschichtung stellte sich die Frage, wie viele »produktive« künftig wie viele »unproduktive« Menschen zu versorgen hätten? Und wie sich künftig deren Verhältnis zueinander entwickeln werde? Und ob nicht durch bedenkliche demografische Entwicklungen die Zahl der »Unproduktiven« zuzunehmen drohe – der im eigenen Land und die der hereinströmenden Migranten? Das war neu, denn lange Zeit hatte in den Volkszählungen ganz selbstverständlich die Bevölkerungszunahme im Mittelpunkt gestanden, 12 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 150, S. 5*. 13 | Vgl. dazu S. Ruppert, Lebensalter und Recht; W. Fischer/M. Kohli, Biographieforschung. 14 | Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 150, S. 89*. 15 | Vgl. M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 228f. 16 | J. E. Wappäus, Einleitung in das Studium der Statistik, S. 209.
Festschreibungen
weil die Statistiker auf die Differenz von Sterblichkeit und Geburtenrate abhoben. Erstere lag immer unter Zweiterer, und die entsprechenden Karten und Tabellen wiesen in ihren Rubriken »Zunahme«, »Vermehrung« und »Überschüsse« aus; regionale Rückgänge der Bevölkerungszahl finden wir nur en passant erwähnt.17 1903 wurde sogar eine mögliche Übervölkerung einzelner Regionen thematisiert, etwa in Sachsen, dem Rheinland oder Westfalen, »wo die Bewohner aus dem Ertrag des Bodens ihren Unterhalt nicht mehr gewinnen können.«18 Eine leichte Verschiebung der Altersstruktur wurde längst nicht als »Überalterung« beklagt, sondern auf die »zeitlich wechselnde Gestaltung des natürlichen Bevölkerungsganges, dann auch der Wanderungen, besonders der überseeischen Auswanderung« zurückgeführt.19 Wenn ein Rückgang zu beobachten war, dann einer der Sterblichkeit20 oder des Bevölkerungswachstums.21 Vor dem Ersten Weltkrieg änderte sich diese Interpretation der statistischen Daten bereits,22 und 1925 schlug das auch in der Volkszählung durch. Jetzt rückten die fallende Geburtenzahl, eine drohende Überalterung und ein prognostizierter Bevölkerungsrückgang in den Mittelpunkt. Diese Volkszählung hatte sicherlich die Folgen des Ersten Weltkrieges zu verarbeiten, und insoweit könnte man annehmen, dass es tatsächlich zu einer dramatischen Verschärfung der demografischen Situation gekommen ist. Allerdings hatten die Statistiker selbst 1922 – rechnete man die Kriegsfolgen heraus – noch eine Zunahme der Bevölkerung ausgemacht. Die Geburtenrate war nur im Krieg von der Sterblichkeitsrate übertroffen worden.23 Warum also diese Dramatisierung? Der Grund lag in einer Umstellung des Referenzrahmens von der Vergangenheit auf die Zukunft. Im Kaiserreich war die Entwicklung von der Vergangenheit bis in die Gegenwart beobachtet worden. Dank der Differenz von Geburten und Sterbefällen wies die Bevölkerungskurve stetig nach oben. Für den Chef des Statistischen Bureaus in Preußen, Ernst Engel, bildete 1861 deshalb die Mortalitätsziffer den Indikator schlechthin: Stieg der Wohlstand, sank die Sterblichkeit. »In dieser einzigen Ziffer spiegelt sich fast das ganze wirth17 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Bd. 68, S. 8*-10*. 18 | Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 150, S. 63*. 19 | Ebd., S. 88*. Fast wortgleich: Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Bd. 68, S. 34*. 20 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 150, S. 89*. 21 | So z.B. bereits 1859 J. E. Wappäus, Allgemeine Bevölkerungsstatistik, S. 87-147. 22 | Z.B. L. Knöpfel, Die Zukunft Deutschlands. Vgl. zu dieser Umstellung auch M. C. Schneider, Wissensproduktion im Staat, S. 283-287. 23 | Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 276, S. IVf.
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schaftliche Leben eines Volkes ab.«24 In der Weimarer Republik übernahm der Statistiker Friedrich Burgdörfer die Leitung der Volkszählungen und stellte die Perspektive um. Er machte eine andere Ziffer zum zentralen Indikator, nämlich die seit langem – und nun ganz deutlich – sinkende Geburtenrate. Das Argument lautete nun: Die Sterblichkeitsrate könne selbst bei erheblich verbesserten Lebensbedingungen nur begrenzt gesenkt werden, weil Menschen immer stürben, dem Sinkflug der Geburtenrate dagegen sei keinerlei Grenze gesetzt. In dieser einzigen Ziffer, so könnte man Engel abwandeln, spiegelte sich nun die nationale Zukunft eines Volkes. Vor 1925 war die demografische Entwicklung von der Vergangenheit bis in die Gegenwart nachgezeichnet worden, danach wurde die Gegenwart von der Zukunft her beleuchtet. Die Feststellung einer gegenwärtig faktischen wurde durch die Prognose einer zukünftig befürchteten Situation ersetzt.25 Nun wurden all die Standardinstrumente entwickelt, mit deren Hilfe noch heute die demografische Katastrophe beschworen wird. Der Begriff der Annahme wurde eingeführt, die zumeist auf wenigen Variablen gründete (z.B. gleichbleibende/ sinkende Geburtenrate) und bestimmte mögliche Entwicklungen oder Deutungen ausschloss, etwa Migrationsbewegungen oder die neomalthusianisch inspirierte Überzeugung, dass eine geringere Bevölkerungsdichte wichtiger sei als eine möglichst große absolute Bevölkerungszahl. Die Texte wurden zunehmend im Irrealis geschrieben – »etwas dürfte sich auf eine bestimmte Weise entwickeln«, »es gebe keinen Grund zur Annahme, dass sich etwas ändern werde«, »eine mutmaßliche Entwicklung wird sein …«, »man kann als sicher annehmen, dass …« –, sinkende Zunahmen wurden als Rückgang interpretiert und Prognosen mit Hilfe weniger Variablen, einiger Annahmen und aufwendiger mathematischer Formeln für die kommenden 100 Jahre abgegeben. Immerhin machte Hubert Benser im Jahre 1940 auf das Paradox aufmerksam, dass bevölkerungsstatistische Vorausberechnungen nur sinnvoll seien, wenn sie einen langen Zeitraum umgriffen – je länger aber der Zeitraum, desto unsicherer die Prognose. Sie seien deshalb immer »Tendenzarbeiten« und »niemals totale Prophezeiungen«.26 Und Friedrich Hage wandte 1931 gegen die mathematische Bevölkerungstheorie ein, dass es nicht nur drei Entwicklungstypen gebe, die stationäre bzw. die gleichmäßig ab- oder zunehmende Bevölkerung, sondern dass der ständige Übergang zwischen diesen Formen »eigentlich die Regel bildet.«27 Die Mahnungen waren vergeblich. 1935 hatte 24 | E. Engel, Das Anwachsen der Bevölkerung im Preussischen Staate seit 1816, S. 9. 25 | Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 401, bes. S. 641-883. 26 | H. Benser, Vorausberechnungen der Bevölkerungsentwicklung, S. 287. 27 | F. Hage, Vorausberechnungen über Bevölkerungsentwicklung, Sp. 4. Kritisch auch W. Lorey, Die voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung in Deutschland.
Festschreibungen
Ernst Günther im Rückblick eine Bevölkerungsprognose simuliert, um die Zuverlässigkeit von Vorhersagen zu beweisen. Wie genau hätten Statistiker im Jahre 1874 die Bevölkerungsstruktur im Jahre 1930 vorhersagen können? Das Ergebnis war: unerwartet genau. Zwar gab Günther zu, dass die Folgen des Krieges »niemals voraussehbar« gewesen wären, und aus seinen Zahlen geht hervor, dass die Statistiker damals mit Fehlschätzungen von bis zu 120 % danebengelegen hatten. Aber, so Günther, durch (in diesem Experiment natürlich fiktive) Korrekturen in Zehnjahresschritten hätten sich die Ziffern dem Istzustand von 1930 angeglichen. Am Ende reichte ihm eine endgültige Abweichung zwischen Schätzung und Realität von 13 % für den Nachweis, »daß die Vorausberechnung der Bevölkerung auf lange Sicht Zahlen von einer Zuverlässigkeit und Genauigkeit erbringen kann«, die alle Bedenken gegen sie widerlegten.28 Und so kam die Neigung auf, demografische Katastrophenszenarien für weit entfernte Zeiten zu entwerfen und sie als zukünftige Realität zu postulieren, statt als bloße Tendenz, als Instrument, um vorsichtige Justierungen vorzunehmen. Aus unserer Perspektive spielt die Fehleinschätzung Burgdörfers, Deutschland in den Grenzen von 1937 weise im Jahre 2000 eine Bevölkerung von gut 46 Millionen Einwohnern auf und die Geburtenzahl sinke bis 2010 auf 459.100 (tatsächlich waren es 678.000), bis 2054 sogar auf 290.400 Kinder,29 ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass keines der anderen Katastrophenszenarien sich je materialisiert hat.30 Von Interesse sind vielmehr die Folgen, die sich aus einem bevölkerungsstatistischen Denken ergeben konnten, das Nation, Territorium, Bevölkerungszahl, Altersstruktur und Produktivität koppelte und damit ein Raster entwickelte, Menschen nicht nur zu zählen, sondern sie auch zu werten.31 Die Statistik zeigte sich in der Lage, aus Sozialschichten, Alterskohorten und Individuen »Fremde« zu machen, wenn sie nicht in typisierte Strukturen passten oder demografische Abwege zu gehen drohten. Auf der einen Seite finden wir einen rein technischen Enthusiasmus, wenn von der Statistik verlangt wurde, »dass sie, ähnlich wie Barometer und Thermometer über die Witterung Auskunft geben, durch ihre Zahlen den Gesundheits- und Krankheitszustand jedes Tages, jeder Woche, jedes Jahres, jeder Altersclasse, jeder Berufsclasse und endlich jeder Generation, welche innerhalb gewisser räumlicher Grenzen lebt, genau characterisire und unter sich vergleichba28 | E. Günther, Wert oder Unwert der Vorausberechnung der künftigen Bevölkerung, S. 414f. 29 | Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 401, S. 663, 671; Statistisches Bundesamt (Hg.), Geburten in Deutschland, S. 6. 30 | Ausführlicher: T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 141-151. 31 | Vgl. auch R. Lee, Official Statistics, Demography and Population Policy in Germany, 1872-1933; S. Nikolow, Die Nation als statistisches Kollektiv.
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re Maasse dafür zur öffentlichen Kenntnis bringe.«32 Auf der anderen Seite finden wir die Sehnsucht, gesellschaftliche Dynamik zu kontrollieren. Die Bevölkerungsstatistik stand neben den Grenzkontrollen, Melderegistern und Wanderungskontrollkarten der staatlichen Behörden. Sie klassifizierte, vereinheitlichte und fixierte Zähleinheiten, um die Bevölkerung nach immer neuen Fragstellungen und vergleichend gliedern zu können. Dabei ging es ihr stets um die Lage der eigenen Nation im Vergleich zu anderen Nationen. Mit den Vorstellungen von Staatswohl, Produktivität, Familie, Nation und Volkskörper schlich sich die Weltanschauung in die Statistik hinein. Veränderungen fanden, statistisch erfassbar, an der Oberfläche statt, unter der aber ein stabiles »Bevölkerungsoptimum« angenommen wurde. Dieser Begriff – obwohl umstritten – war von der sozialromantischen Unterstellung imprägniert, es gebe ein »natürliches« Gleichgewicht zwischen Bevölkerung und Habitat, Demografie und Lebensweise, das in den modernen Industriegesellschaften aus dem Lot geraten sei.33 Dynamik wurde noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg als Störung des »Normalbildes« begriffen.34 Die Daten der Bevölkerungsstatistik transportierten qualitative Urteile über den Zustand der sozialen Welt und utopische Projektionen auf die Zukunft,35 die in der Bevölkerungspolitik der modernen Nationalstaaten dann umgesetzt wurden. Die Statistik hatte eine Weltsicht zu legitimieren geholfen, die auch die Rassenanthropologie auszeichnete, nämlich den Glauben, die »minderwertigen« Elemente aus dem »Volkskörper« beseitigen zu müssen. Burgdörfers geniale Übersetzung der trockenen Volkszählung von 1925 in den Bestseller »Volk ohne Jugend« von 1932 ist der paradigmatische Ausdruck für diese Symbiose zwischen Wissenschaft, Nation und Sozialdarwinismus, durch die eine biologisch-soziale Klassifizierung der Menschen festgeschrieben wurde.36
32 | Congrès international de statistique, Internationaler Statistischer Congreß in Berlin […] 1863, S. 111. Allerdings, so hieß es an anderer Stelle, könne der statistische Blick die Mikrobewegungen der Bevölkerung aus Datenmangel gar nicht erfassen: W. Klose, Die räumliche Verteilung und Dichtigkeit der Bevölkerung, S. 253f. 33 | Vgl. T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, 80f., 145f. 34 | Vgl. z.B. H. Schubnell, Die Volks- und Berufszählung 1961, S. 22f. 35 | Vgl. A. Pinwinkler, Amtliche Statistik, Bevölkerung und staatliche Politik in Westeuropa, ca. 1850-1950. 36 | Vgl. F. Burgdörfer, Volk ohne Jugend.
5. Sichtbar machen
»Bevölkerung« musste sichtbar gemacht werden, damit auch Laien die komplizierten Ergebnisse der Bevölkerungsstatistik mühelos verstehen konnten. Vor allem statistische Tabellen ließen sich nur mit viel Mühe und Zeit erschließen, und was sich in ihnen abzeichnete, erkannten oft nur gut ausgebildete Fachleute. Die aber wollten ihre Ergebnisse über die engeren Zirkel der Experten hinaus bekannt und auch notorisch zeitarmen Politikern zugänglich machen. Grafiken und Karten bildeten hierzu ein ideales Instrument, denn sie waren in der Lage, komplexe Ergebnisse und Entwicklungen auf einen Blick zu präsentieren. Diese Ermächtigung von Grafiken benötigte freilich ihre Zeit. Grafische Darstellungen zur Visualisierung unübersichtlicher Sachverhalte waren schon früh eingesetzt worden. William Playfair nutzte seit Ende des 18. Jahrhunderts vergleichende Kurven-, Balken- und Kreisdiagramme, August Friedrich Crome publizierte 1818 eine berühmt gewordene »Verhältniskarte« der europäischen Staaten, die aus ineinander geschachtelten Quadraten bestand und auf einen Blick Flächen- und Bevölkerungsgrößen vergleichbar machen sollte, Johann Eduard Wappäus entwarf 1859 farbige, äußerst modern anmutende Kurvendiagramme, um die Verteilung von Maxima, Minima, Normalität und Ausnahmen sichtbar zu machen, während Henry Mayhews detaillierte Kartierung der Armut in England als nicht minder innovativ gilt und ein statistischer Atlas der USA 1874 mit unzähligen kolorierten Karten und Bevölkerungspyramiden arbeitete.1 Es wurde mit Radiogrammen, Linien-, Kreis- und Flächendiagrammen experimentiert, in Formgebungen, die man heute kaum noch kennt,2 aber 1 | Vgl. W. Playfair, The Commercial and Political Atlas; Ders., Statistical Breviary, Tafeln 1-5; J. E. Wappäus, Allgemeine Bevölkerungsstatistik, nach S. 228, 238; H. Mayhew, London Labour and the London Poor, pass.; F. A. Walker (Hg.), Statistical Atlas of the United States. Vgl. auch S. Nikolow, »Die Versinnlichung von Staatskräften« (dort ist eine englische Fassung von Cromes Karte abgebildet); V. Lippold, Hinter seiner anachronistischen Würdigung verborgen geblieben. 2 | Vgl. z.B. G. von Mayr, Die Gesetzmäßigkeit im Gesellschaftsleben, S. 70-92; Ders., Theoretische Statistik, S. 102-115; M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 73-76.
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wir finden auch höchst abstrakte Karten, wie sie erst mit der Ästhetik computergenerierter Abbildungen populär wurden – die der bayerische Chefstatistiker Georg von Mayr 1914 freilich als steife, unästhetische Schematisierung und »Entstellung der geographischen Wirklichkeit« kritisierte (Abb. 1-4).3 Für die ersten Volkszählungen scheint all das allerdings noch zu aufwendig gewesen zu sein. So enthielten die Bände für 1871 und 1873 Tabellen, aber weder Karten noch Grafiken.4 Die Volkszählungen von 1875 und 1885 waren mit je einer Dichtekarte illustriert, im Ergebnisband der folgenden Erhebung waren vier Karten und eine Kurvengrafik dann im Inhaltsverzeichnis eigens ausgewiesen.5 Erst seit der Jahrhundertwende wurden Bevölkerungsbewegungen, -häufungen sowie Zu- und Abnahmen in Kurven, Diagrammen und Karten sichtbar gemacht, so wie wir es heute aus der Welt der Infografiken gewohnt sind. Abb. 1-3: Verschiedene Diagrammformen. Das Liniendiagramm ist ein Vorläufer des späteren Kurvendiagramms, wobei die Höhe der Linien entscheidend war (a), nicht notwendig ihre Verbindung zu einer Kurve (b). Das nach innen oder außen geklappte Polygon sollte Mehrheitsverhältnisse verdeutlichen, während das Band-Diagramm die unterschiedlichen Quantitäten von Eil- und Frachtgut entlang einer Bahnlinie darstellte; dabei unterschieden sich Form und Anordnung der Bänder (1877).
3 | G. von Mayr, Zur Methodik und Technik statistischer Karten, S. 135f. (Zitat S. 136). 4 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Alte Folge, Bd. 2, H. 2, Abt. 1; Dass. (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Alte Folge, Bd. 14, H. 3, Abt. 3. 5 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Alte Folge, Bd. 30, Nr. 3; Dass. (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Bd. 32; Dass. (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Bd. 68.
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Abb. 4: Eine extrem abstrahierende Verhältniskarte, die nur noch entfernt die geografischen Formen Bayerns spiegelt und die Ästhetik der 1970er Jahre vorwegnimmt. Solche Karten konnten preisgünstig aus vorgefertigten Stempeln hergestellt werden (1914).
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Auch die Systematik benötigte ihre Zeit. Zunächst lagen die Kurvendiagramme manchmal quer, die Zeitachse lief also nicht von links nach rechts, sondern von oben nach unten.6 1857 sollten günstige Verhältnisse durch dunkle, ungünstige durch lichte Farbtöne ausgedrückt werden, 1909 in Kartogrammen rote Ziffern Zunahme, grüne dagegen Abnahme indizieren, und zwar sowohl für Sterbefälle, Geburtenüberschuss und Kindersterblichkeit. Die heute eindeutige Zuordnung: hell/grün = positiv, dunkel/rot = negativ, war noch nicht ausgeprägt.7 1910 wurden in einem Säulendiagramm 13 Gruppen von Säulen immer von der höchsten zur niedrigsten Säule angeordnet, sodass man zwar innerhalb der einzelnen Gruppen eine Rangfolge der Sterbenswahrscheinlichkeit je Land vergleichen konnte, zwischen den Gruppen jedoch die Säulen der einzelnen Länder ständig ihren Platz wechselten. Farbregie und einheitliche Symbole mussten entworfen werden; auch wurde angemahnt, innerhalb ein und derselben Abbildung dieselben Maßstabsverhältnisse zu verwenden.8 Bis weit in die Nachkriegszeit diskutierten Statistiker über die Gestaltung der Karten, über unübersichtliche Schraffuren, unlogische Farbsysteme oder die Informationsdichte. War eine Karte tatsächlich noch lesbar, wenn Strichdicke, Strichabstand und Strichart bei Schraffuren eine qualitative und die Neigung der Schraffur zusätzlich eine zeitliche Entwicklung anzeigen sollten? Wie flächig durften Daten zusammengefasst werden, war eine Einteilung nach Landkreisen schon zu grob differenziert? Führte es nicht in die Irre, Phänomene wie die unterschiedliche Tuberkulosesterblichkeit grafisch an Verwaltungsbezirke rückzubinden, als würden Krankheiten an politischen Grenzen Halt machen? Wie viele Farben und Farbabstufungen waren für das Auge noch unterscheidbar, und war es sinnvoll, sie mit Schraffuren zu kombinieren (Abb. 5)?9 Und 6 | Vgl. z.B. H. von Scheel, Untersuchungen über den Einfluss der Fruchtpreise auf die Bevölkerungsbewegung, nach S. 304. 7 | Vgl. Congrès international de statistique, Rechenschafts-Bericht über die dritte Versammlung […] 1857, S. 545f.; Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 223, S. 46*. 8 | Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 200, Tafel 1-4; Kaiserliches Gesundheitsamt/Kaiserliches Statistisches Amt, Das Deutsche Reich in gesundheitlicher und demographischer Beziehung, Tafel 2. 9 | Vgl. z.B. F. Auerbach, Die graphische Darstellung; F. Burkhardt, Die Statistik auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung; K. H. Busse, Methoden der Bildstatistik; Congrès international de statistique, Rechenschafts-Bericht über die dritte Versammlung […] 1857, S. 199-205, 425-429, 545-547; Ders., Congrès international de statistique à La Haye […] 1869. Première partie, S. 29-31, 44f., seconde partie, S. 64-71; Ders., Congrès international de statistique à St-P etersbourg […] 1872 [Annexes], S. 47-73 und unpag. Anlagen; W. Feld, Allerlei Graphisches, Sp. 71f.; Ders., Wieder einiges Graphisches; M. Haushofer, Lehr- und Handbuch der Statistik, S. 73-76; W. Hecke, Bild-
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Abb. 5: Karte mit Längs- und Querschraffierung (1874). Farbe, Stärke und Richtung der Schraffur klassifizieren Pferde und Rinder je Quadratkilometer in je vier Gruppen, so dass die Details der Karte kaum noch zu erkennen sind.
schließlich die Gefahr einer zu großen Standardisierung der Farb- und Symbolpalette, die ein Berliner Statistiker 1872 auf dem Internationalen Statistischen Kongress sah: Jeder nutze ein festgelegtes Alphabet, schreibe aber seine eigenen Briefe. Dieselbe Freiheit müssten Grafiker und Kartografen statistik; W. Henninger, Graphische Darstellungen; S. Koller, Zur Darstellungstechnik geographisch-s tatistischer Schaubilder; R. R. Kuczynski, Die amtliche Statistik auf der Allgemeinen Städtebau-Ausstellung; W. Lexis, Die graphische Konstruktion der Sterblichkeitsverhältnisse; G. von Mayr, Gutachten über die Anwendung der graphischen und geographischen Methode; Ders., Verständigung über die Anwendung der »geographischen Methode« in der Statistik; Ders., Zur Methodik und Technik statistischer Karten; E. Müller, Rez. H. Pfeiffer; G. Müller, Über zeichnerische Auswertung wirtschafts-statistischen Nachrichten- Stoffes; J. Müller, Wie wird die Bevölkerungsdichte richtig berechnet?; M. Pirani, Graphische Darstellung in Wissenschaft und Technik; E. Roesle, Graphisch-statistische Darstellungen; G. H. Schmidt, Kartographische Darstellung der Volksdichtigkeit; S. Schott, Graphische Darstellungen; F. Walter, Regionale Statistik und Karte; E. Würzburger, Die Statistik auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung.
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haben.10 Allerdings korrespondierte dieser Freiheit die Verantwortung, durch die Wahl der Koordinaten überdramatisierende oder untertreibende Kurven zu vermeiden oder gar »einer gewissen Sehnsucht mathematisch veranlagter Statistiker nach der Auffindung streng geometrischer Kurven« zu widerstehen.11 Die Schwierigkeiten lagen in der Ausführung, darin, die beschränkten »Ausdrucksmittel der statistischen Graphik« so geschickt anzuwenden, dass »Klarheit, gute Verteilung im Raum, Feinheit der Kurven, genügender Kontrast zum Netz oder Hintergrund, gute Proportionen, Ausgewogenheit der Bilder gegeneinander, gute Beschriftung, Gegensätze der Licht- und Schattenpartien […] zusammenwirken, um im Beschauer den Eindruck eines harmonischen Ganzen zu erzielen.«12 Statistische Karten sollten »être bien gravées, agréables à l’œil, faciles à consulter, être lettrées avec goût et munies de signes statistiques très-intelligibles et exacts.«13 Noch 1952 wurde »die Ärmlichkeit der graphisch-statistischen Ausdrucksmittel«, die »Gleichförmigkeit und Eintönigkeit der Stäbchenalleen« beklagt.14 Und bei einigen Statistikern stießen Grafiken ohnehin auf Vorbehalte. Statistiken stünden ja im Verdacht, alles zu beweisen, und dieses »Irreführende« trete »nun bei graphischer Darstellung eben wegen ihrer Anschaulichkeit noch viel stärker hervor, als in den bloßen Ziffernreihen.«15 Es wurde über Diagramme mit »wohlgehörnte[n] Ochsen und Oechslein verschiedener Grösse« gespottet,16 einen Vorläufer der modernen Bildstatistik, der »ISOTYPE«, wie sie Otto Neurath später popularisiert hat:17 Gezeichnete Figürchen sollten unterschiedliche Quantitäten visualisieren. Während Neuraths System aber eindeutig war – eine unterschiedliche Zahl gleichgroßer Figuren drückt unterschiedliche Quantitäten aus (jeder Ochse beispielsweise 1.000 Tonnen Schlachtvieh) – variierte in den Öchslein-Diagrammen die Größe der Figuren auf eine schwer nachvollziehbare Weise; man erkannte eindeutig nur, dass die größere Figur »mehr« bedeutete.18 Ein Kritiker lehnte das »Wirrwarr geometrischer Figuren und Kurven« ab, »in dem sich 10 | Vgl. Congrès international de statistique, Compte-rendu de la huitième session […] [1872], S. 384, 387. 11 | G. von Mayr, Theoretische Statistik, S. 107. 12 | A. Schwarz, Farbige Zahlenbilder, S. 237. 13 | Congrès international de statistique, Congrès international de statistique à La Haye […] 1869. Première partie, S. 30. 14 | A. Schwarz, Farbige Zahlenbilder, S. 237. 15 | E. Würzburger, Die Statistik auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung, Sp. 227. 16 | G. von Mayr, Zur Methodik und Technik statistischer Karten, S. 132. 17 | Vgl. O. Neurath, Gesammelte bildpädagogische Schriften; S. Nikolow, Aufklärung durch und mit Beobachtungstatsachen; R. J. Leonhard, »Seeing Is Believing«. 18 | Vgl. W. Feld, Allerlei Graphisches, Sp. 71f.; W. Henninger, Graphische Darstellungen, S. 149; G. von Mayr, Theoretische Statistik, S. 104.
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bestenfalls nur der Autor – und auch der nur mit Mühe – zurechtfindet«, aber ebenso die simple Form des Kurvendiagramms: »Von jedem Leser eines so bedeutsamen, wissenschaftlichen Nachschlagebuches [des Statistischen Jahrbuchs für den Preußischen Staat] kann man wohl voraussetzen, daß er die 36 Ziffern dieser Bewegungserscheinung [der Tuberkulosesterblichkeit seit 1875] in Tabellenform ebenso gut übersieht wie deren Darstellung in Kurvenform. Der einzige Vorteil der letzteren ist nur der, daß mit einem Blick die Tendenz dieser Zahlenreihe übersehen werden kann. Daraus resultiert aber noch lange kein wissenschaftlicher Wert.«19 Das seien »Faulenzerdiagramme«.20 Immer wieder haben die Statistiker deutlich gemacht, dass sie nur »seriöse« grafische Formen verwenden wollten, Kurven, Balkendiagramme und Karten, keine figürlichen Bildlein. Auf Grafiken verzichteten sie trotz aller Skepsis nicht. Denn früh stand ein entscheidender Vorzug fest: Bilder seien sinnlicher als die tote Schrift, meinte beispielsweise August Friedrich Crome 1818.21 Und Felix Auerbach schrieb genau 100 Jahre darauf: Die »Tabelle leidet, auch wenn sie aufs sorgfältigste und zweckmäßigste hergestellt ist, an einem entscheidenden, aber nicht abzustellenden Gebrechen: sie lenkt durch die Menge der Zahlen, die sie enthält, die Aufmerksamkeit und die Gedanken vom Allgemeinen zu den Einzelheiten ab, während es doch die Hauptaufgabe der Wissenschaft ist, gerade umgekehrt aus den Einzelheiten das Allgemeine und Entscheidende herauszulösen. Es gehört schon ein gutes Stück Übung und geistige Sammlung dazu, um diesen Prozeß zu bewältigen, und so mancher, an sich durchaus Begabte wird daran scheitern.«22 Einige wenige Kritiker merkten an, dass Grafiken ohne begleitende Texte unverständlich blieben – sie bevorzugten bildhafte Texte ohne Abbildungen statt Abbildungen ohne begleitende Texte.23 Aber das Verhältnis von Grafiken und Texten veränderte sich signifikant. Ursprünglich dominierte das Wort. August Meitzen beispielsweise lehrte 1886, dass im Text zu problematisieren sei, was sich in der Grafik als kausal eindeutiger Zusammenhang darstelle.24 Und ein typisches Zitat lautete so: »Bei näherem Eingehen auf den Wert dieser Zahlen durch Hinzuziehung der nebengestellten rechnerischen Beurteilung der Zahlen nach den Stufen der Geburtenhäufigkeit und Säuglingssterblich19 | E. Roesle, Graphisch-statistische Darstellungen, S. 26. 20 | S. Schott, Graphische Darstellungen, S. 189. 21 | A. F. Crome, Allgemeine Übersicht der Staatskräfte, S. 3f. (Zitat S. 3 [Hervorh. im Orig.]). 22 | F. Auerbach, Die graphische Darstellung, S. 10. 23 | Vgl. E. Roesle, Die Statistik auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung, Sp. 99, 101; M. Block/H. von Scheel, Handbuch der Statistik, S. 201; W. Hellpach, Deutsche Physiognomik, S. 188f. 24 | Vgl. A. Meitzen, Geschichte, Theorie und Technik der Statistik.
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keit läßt sich erkennen, daß eine allgemeine Beziehung zwischen der Geburtenhäufigkeit und der Säuglingssterblichkeit nicht besteht, denn die Summe der in den Feldern der Diagonale stehenden Zahlen ist in der wirklichen Verteilung 182 oder 19,2 v.H. der Gesamtzahl, in der normalen 164 oder 17,3 v.H., die Summe der in den benachbarten Parallelen stehenden Zahlen ist in der ersteren 328 oder 34,6 v.H., in der letzteren 301 oder 31,7 v.H. Der Unterschied von der rechnerischen Verteilung ist nicht groß genug, um hier auf eine allgemeine gegenseitige Abhängigkeit schließen zu können.«25 Der Text präsentierte den Schluss, eine eindeutige Korrelation werde nicht belegt, wenig gefällig, und die zugehörige Abbildung war nicht einfacher (Abb. 6). Ein Leser musste die Ziffern der Kreuztabelle mühsam nachrechnen, um die Aussage des Textes kontrollieren zu können. Text, Grafik und ihr Verhältnis zueinander waren kompliziert. Sie forderten dem Leser Arbeit ab. Abb. 6: Kreuztabelle, die die Säuglingssterblichkeit mit der Geburtenrate bzw. dem Raum (Bezirken) korreliert (1909).
Auf der Dresdener Hygiene-Ausstellung sah es 1911 ähnlich aus. Es wurden teilweise hochkomplexe Balken- und Kurvendiagramme gezeigt, die so inhaltsreich waren, dass man sie intensiv wie eine statistische Tabelle studieren musste und sie in Worten kaum beschreiben konnte.26 Eine Tafel beispielsweise führte die Bevölkerungsbewegungen in Europa vor Augen. Die Besucher fanden eine ganze Reihe von Faktoren vergleichend dargestellt: Regionen (Städte, Länder…), Gegenstände (Geburten, Krankheitsarten…), Quantitäten, zeitliche Entwicklun25 | Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 223, S. 49*. 26 | Vgl. E. Roesle, Sonder-Katalog für die Gruppe Statistik, S. 59.
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Abb. 7: Ausschnitt aus einer höchst komplexen Grafik, die zum Verständnis beim Betrachten wie ein Text verbalisiert werden muss (1911).
gen, so dass sie je Gegenstand und Region quantitative Angaben im zeitlichen Verlauf korrelieren konnten – das aber ging eben nur durch einen immer wieder prüfend über das Diagramm verlaufenden Blick, der die Beziehung zwischen den einzelnen Elementen herstellen und (für sich) verbalisieren musste (Abb. 7):
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Im Alter von 0-1 Jahren machten Krankheiten des Nervensystems bei weitem die häufigste Todesursache aus, bei Jungen noch mehr als bei Mädchen; das ging im Alter von 1-5 Jahren massiv zurück, rückte im Alter von 5-10 Jahren an den zweiten Platz und im Alter von über 80 Jahren auf Platz 14, während nun Altersschwäche unangefochten auf Platz 1 stand. Zwei Geschlechter, zwölf Altersstufen, 23 Todesursachen, sieben Ursachentypen und die Höhe der einzelnen Säulen waren allein für das Thema »Tod« zu korrelieren. Auf einen Blick erkannte man, welche Sterblichkeitsursache je Altersgruppe vorne lag, und in welchen Altersklassen die Sterblichkeit hoch bzw. niedrig war; außerdem bekam man anhand der Farbbalken einen Eindruck, wie die Todesursachentypen ihren Einfluss je Altersgruppe veränderten. Doch erst nach zahllosen vergleichenden Blicken erkannte man das ständig wechselnde Verhältnis der Faktoren und konnte verfolgen, welche Todesursache je Altersgruppe nach vorne oder hinten rückte, wie ihre Quantität sich veränderte und in welchem Verhältnis sie zu den anderen Ursachen stand.27 Das war der Versuch, die visuelle Stärke der Grafik mit dem differenzierenden Blick des Wissenschaftlers zu kombinieren, was aber, weil zugleich Zuspitzung wie ihr genaues Gegenteil, seinen Preis erforderte. Letztlich setzte sich das Interesse am raschen Überblick durch – bis Grafiken nicht mehr nur Statistik sichtbar machen sollten, sondern geradezu Realität repräsentierten. Bereits Crome schrieb zu seiner Verhältniskarte aus dem Jahre 1818: »Sehr leicht kann nun das Auge die verschiedenen Länder-Größen vergleichen, und nicht nur beurtheilen, welche Länder größer oder kleiner sind, sondern auch, um wie viel sie in der Größe voneinander abweichen.«28 Die genaue Leseanweisung fiel dann zwar etwas komplizierter aus, aber der Topos, dass Grafiken »mit einem Blicke«29 erkennen ließen, setzte sich im 19. Jahrhundert fest. Selbst der Statistiker benötige ihre Hilfe, um sich im Zahlenmeer zurechtzufinden, und dieses Hilfsmittel solle er denn auch seinen Lesern nicht vorenthalten.30 Seitdem häuften sich Formulierungen wie »Aus derselben graphischen Darstellung läßt sich unmittelbar ablesen …«, »Ein Blick auf diese Darstellung zeigt, …«, »Die graphische Darstellung läßt also deutlich
27 | Vgl. E. Roesle, Sonder-Katalog für die Gruppe Statistik. Vgl. auch S. Nikolow, Der statistische Blick auf Krankheit und Gesundheit; Dies., Imaginäre Gemeinschaften; Dies., Die graphisch-statistische Darstellung der Bevölkerung; Dies., Anormale Kollektive. 28 | A. F. Crome, Allgemeine Übersicht der Staatskräfte, S. 7 (Hervorh. im Orig.). 29 | Congrès international de statistique, Rechenschafts-Bericht über die dritte Versammlung […] 1857, S. 29. 30 | Vgl. Congrès international de statistique, Congrès international de statistique à La Haye […] 1869. Première partie, S. 44.
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erkennen…«.31 Der Leser schaute zwar noch, aber er musste nicht mehr interpretieren, ja, die Grafiken machten ihn erkennen, wie die Realität aussah. Das ist die entscheidende qualitative Veränderung gewesen (Abb. 8): »Das Schaubild zeigt«, so hieß es kurz und knapp in der Volkszählung von 1925, »daß der Unterbau der Alterspyramide durch den Geburtenrückgang und Geburtenausfall zusammengeschrumpft ist, während die Jahrgänge der Erwachsenen und der alten Leute stärker geworden sind. […] Die Veränderungen lassen sich somit auf die kurze Formel bringen: ›Mehr Erwachsene, aber weniger Kinder als früher.‹«32 Abb. 8: Diese Grafik soll auf einen Blick eine Botschaft vermitteln und zugleich mit einer Aura der Unhinterfragbarkeit ausstatten. Sie visualisiert nicht mehr die Ergebnisse statistischer Arbeit, sondern repräsentiert unmittelbar die Realität.
31 | Z.B. Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 276, S. XLVIII. 32 | Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 401, S. 556.
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Das ist nun das genaue Gegenteil zum mühsamen Verhältnis von Kreuztabelle und ihrem Text. Diese Abbildung ist wesentlich einfacher zu begreifen, der begleitende Text leugnet jede Komplexität und fasst schließlich die Ergebnisse in einem Schlagwort zusammen. Noch weiter war wenige Jahre zuvor Felix Auerbach gegangen, der die visualisierende Methode der statistischen Grundlagenarbeit sogar für überlegen erklärte – »[d]enn alle menschliche Beobachtung und Feststellung ist Stückwerk, sie ist mit unvermeidlichen Fehlern behaftet; und derartige Fehler treten in der Kurve oft so deutlich hervor, daß man (während man die Tabelle vielleicht für tadellos befunden hat) sofort sieht: an der und der Stelle ist etwas nicht in Ordnung; man kann diesen Teil der Feststellung wiederholen oder ausmerzen.« Die »Anschauung hat einen viel weiteren Wirkungsbereich als der abstrakte Gedanke; und schon oft hat in Wissenschaft und Technik ein einziger scharfer Blick, ungetrübt durch viele Kenntnisse, mehr gefördert als lange Rechnungen, ja zuweilen hat er genügt, um ein anscheinend bewährtes theoretisches System über den Haufen zu rennen.«33 Tabellen enthielten in dieser Perspektive nur noch Rohmaterial, und eben Anomalien, Erhebungsfehler und zweideutige Daten, Grafiken dagegen waren zu einer regelrechten Erkenntnisquelle erhoben.34 Und sie beschützten, wie ein Schild, sogar noch ihre Statistiken vor den Laien, die nicht geschult seien, Tabellen zu lesen und deshalb dazu neigten, falsche Schlüsse aus den Kolonnen zu ziehen. Sie sollten nur noch die eindeutigen Grafiken zu Gesicht bekommen.35 Ursprünglich hatte die aufwendige statistische Arbeit eine verborgene Realität sichtbar machen sollen. Grafiken hatten nur der Didaktik gedient. Jetzt aber emanzipierten sie sich von der Statistik, ohne die sie nie zustande gekommen wären, und entmündigten sie. Sie stellten nun die Diagnose, indem ihre Form auf Schäden in der Realität hinwies: »Je mehr die Altersform von einer Pyramide […] abweicht, […] oder sogar durch Einschnürungen und Ausbauchungen sich in eine ganz andere Figur verwandelt, desto krankhafter und minder lebensfähig erscheint der Organismus einer Bevölkerung. Jede Abweichung von der Pyramidenform weist also […] auf Abnormitäten der Fruchtbarkeit und Sterblichkeit, der beiden die Form des Altersauf baus bestimmenden natürlichen Kräfte, hin.«36 Ohne die Statistik hätte »Bevölkerung« nie das Licht der Welt erblickt; ohne Tabellen hätte sie nie eine spezifische Form gefunden, ohne Grafiken hätte diese Form nicht popularisiert werden können. In der Bevölkerungsfrage 33 | F. Auerbach, Die graphische Darstellung, S. 11. 34 | Vgl. F. Walter, Die kartographische Darstellung, S. 153; W. Henninger, Graphische Darstellungen, S. 143. 35 | Vgl. P. Flaskämper, Grundriß der Sozialwissenschaftlichen Statistik I, S. 10f. 36 | F. Savorgnan, Altersgliederung und Familienstand in den adeligen Geschlechtern, S. 251.
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haben Grafiken maßgeblich geholfen, die Welt auf eine eigentümliche Weise zuzurichten, die sich bis heute wirksam zeigt. Sie haben damit eine bestimmte, weltanschaulich geladene Perspektive auf die Bevölkerungsfrage festzuschreiben geholfen und mit einer Aura der »Natürlichkeit« versehen, gegen die konkurrierende Perspektiven nach wie vor einen schweren Stand haben.37 Diese Imagination der Welt wiederum war ein wichtiges Movens für die Rassenanthropologie.
37 | Ausführlich und mit zahlreichen Bildbeispielen: T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 83-109.
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6. Bismarcks Schädel Die physische Anthropologie im 19. Jahrhundert
In der Geschichte der Anthropologie werden öfters »fortschrittliche« und »rückständige« Traditionen gegeneinander abgeglichen; vor allem die amerikanische Anthropologie unter Franz Boas, aber auch die britische oder französische gelten als »modern«.1 Innerhalb der deutschen Geschichte der Disziplin wird eine politisch liberale, nichtrassistische physische von einer rassistischen biologischen Anthropologie unterschieden, erstere im 19., letztere im 20. Jahrhundert verortet.2 Der Bruch zwischen diesen beiden Strömungen soll im oder vor dem Ersten Weltkrieg stattgefunden haben. Zuvor war die Anthropologie »a self-consciously liberal and resolutely empirical science associated with the leading figures of the discipline«,3 nämlich Rudolf Virchow, Johannes Ranke, Rudolf Martin, Felix von Luschan und anderen. Sie hätten sich durch »internationalism within the discipline, prohibitions on engaging anthropology in politics, and liberal distinctions between key concepts of race, nation, and Volk (or people)« ausgezeichnet, außerdem durch »an approach to humanity that drew on liberal concepts of universalism«.4 Mit Virchows Tod im Jahre 1902 sei der liberale Konsens langsam erodiert, eine völkische Rassentypologie habe die Anthropologie unzulässig politisiert.5 Diese Geschichte ist nicht grundsätzlich verkehrt, weil es zwischen der Anthropologie des 19. und des 20. Jahrhunderts tatsächlich gewichtige Unterschiede gibt, die unter anderem mit der politischwissenschaftlichen Einstellung der Protagonisten zusammenhängen. Sie ist freilich auch nicht wirklich korrekt, weil es doch gewisse Kontinuitäten gibt. Denn im Laufe der Zeit näherten sich einige Vertreter der »liberalen« physischen Anthropologie völkischem Denken an,6 außerdem wurden bereits im 19. 1 | Vgl. F. Barth u.a., One Discipline, Four Ways. 2 | Vgl. A. D. Evans, Science behind the Lines; B. Massin, From Virchow to Fischer. 3 | A. D. Evans, Science behind the Lines, S. 103. 4 | Ebd., S. 102f. (kursiv im Orig.). 5 | Vgl. ebd., S. 106f. 6 | Das führt zu deutlichen Erklärungsnöten, vgl. ebd., S. 111f., 118f.
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Jahrhundert die Grundlagen für das rassische Denken der späteren Rassenanthropologie gelegt.7 Eine provisorische Ahnenreihe der Anthropologie in Deutschland könnte so aussehen: Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) als Vertreter der Gründergeneration, Rudolf Virchow (1821-1902) als liberaler Anthropologe, Eugen Fischer (1874-1936) als Übergangsfigur vom 19. ins 20. Jahrhundert, Egon Freiherr von Eickstedt (1892-1965) als Vertreter der (nationalsozialistischen) Rassenanthropologie, Ilse Schwidetzky (1907-1997) als seine Schülerin und Scharnier zwischen »Drittem Reich« und Bundesrepublik, Hans Wilhelm Jürgens (* 1932) als Übergangsfigur von der untergehenden Rassen- in die Industrieanthropologie. Zwischen den anthropologischen Ansätzen dieser Protagonisten lassen sich deutliche Differenzen ausmachen, und das stützt auf den ersten Blick das Narrativ der Diskontinuität. Ähnlich war allerdings ihr Anliegen, nämlich »die messbaren Eigenschaften von Gesamtheiten von Menschen zu erforschen«, wie es 1862 in einer neutralen Formulierung hieß.8 Sie alle vermaßen Individuen und banden sie statistisch in Kollektive ein, daraus entstanden »Gesamtheiten«. Im Falle der Rassenanthropologie meinte das dann Rassen und soziale Gruppen – denn deren Vertreter gingen davon aus, dass auch Letztere sich durch spezifische Körpermerkmale auszeichneten, also eine ähnliche Qualität wie Rassen aufwiesen. Die spätere Biologisierung des Sozialen baute unmittelbar auf einer Anthropologisierung des Sozialen im 19. Jahrhundert auf. Deshalb führt es meines Erachtens nicht weit, umstandslos eine »liberale« von einer rassistischen Anthropologie abzugrenzen. Besser scheint es, die methodische Entwicklung der Disziplin zu verfolgen, in den historischen Kontext einzubetten und Bezüge der Anthropologen aufeinander zu beobachten, um Kontinuitäten einschätzen und damit die Persistenz der Rassenanthropologie erklären zu können. Die Anthropologie, so begeisterte sich Karl Schmidt im Jahre 1865, beschreibe die großartige Fortschrittsgeschichte der Menschheit, vom Rohen und Unförmigen zur organischen Gestaltung. Das Fach gehöre nicht der spekulativen Philosophie an, sondern sei eine empirische Wissenschaft, die mehrfach geprüfte Fakten verwende und ihre Kategorien genau reflektiere. Die mannigfaltigen Erscheinungen würden differenziert, das Unterschiedene nach Differenzen und Veränderungen verglichen, von Ursachen werde auf Wirkungen und zurück geschlossen. Mit Waage und Maßstab in der Hand, dem Mikroskop vor Augen und von physikalischen und chemischen Apparaturen umgeben, so sah die leuchtende Zukunft der Anthropologie aus.9 Ihr 7 | So C. Geulen, Blonde bevorzugt; R. Proctor, From Anthropologie to Rassenkunde; A. Zimmerman, Anti-Semitism as Skill. 8 | R. Uhlitzsch, Anthropometrische Messungen und deren praktischer Wert, S. 420. 9 | Vgl. K. Schmidt, Die Geschichte der Anthropologie, S. 296f.
Bismarcks Schädel
Arbeitsmaterial waren Skelette, Leichen und lebende Menschen; ihr Ziel war es, Hominide zu klassifizieren. Lebende Menschen wurden vermessen, ihre Eigenschaften untersucht (Hör-, Geruchs-, Geschmackssinn, Körperkräfte usw.) und ihr Erscheinungsbild beschrieben (Haut-, Haar-, Augenfarbe usw.). An Leichen ließen sich die nicht zugänglichen Weichteile, etwa der Muskelapparat, und das Knochengerüst präparieren. Vor- und frühgeschichtliche Skelette wiederum dienten dazu, eine zeitliche Dimension zu eröffnen. Zwar konnten an ihnen die Weichteile, charakterlichen Eigenschaften und das äußere Erscheinungsbild nicht mehr rekonstruiert werden, aber manchmal waren noch Haare vorhanden, und Körpergröße sowie Körperform boten wichtige Aufschlüsse darüber, wie die Menschen früher ausgesehen haben mochten. So versuchte die Anthropologie durch Reihenuntersuchungen Tausender lebender und verstorbener Menschen, körperliche Charakteristika zu identifizieren und mit den Mitteln der Statistik zu korrelieren, um die erwähnten »Gesamtheiten« zu erschließen. Wie die Statistiker, so trafen sich auch die Anthropologen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regelmäßig, um Messverfahren zu standardisieren. Sie tauschten sich aus, studierten Lithografien und Fotografien von Skeletten und Eingeborenen ferner Länder und präsentierten besonders repräsentative Schädel aus ihren jeweiligen Sammlungen. Sie diskutierten die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Aufnahmetechniken, schlugen die aufzunehmenden Maße und Messpunkte vor, mussten sich sogar darüber verständigen, ob sie das metrische oder das englische System anwenden sollten. Schädel wurden gemeinsam vermessen, um einheitliche Praktiken einzuüben, und die neuesten Instrumente vorgeführt.10 Da das Reisen aufwendig war und die Kommunikation innerhalb Deutschlands (und Europas) langsam, stellten solche Zusammenkünfte für viele Anthropologen wichtige Gelegenheiten dar, Material zu sehen, das nicht den eigenen Sammlungen entstammte, und die eigene Fingerfertigkeit zu trainieren. Parallel vertieften sie in ihren Zeitschriften unzählige Detailfragen, fassten die Ergebnisse und Kontroversen ihrer Versammlungen in langen Referaten zusammen und lieferten einen konzisen Überblick der internationalen Forschung.11 Theoretische Verständigung und die praktische Arbeit am präsenten Material gingen Hand in Hand, und allmählich schälte sich ein Methodenkanon heraus, der in Lehrbüchern festgeschrieben werden konnte. Das vielleicht wichtigste dieser anthropologischen Lehrbücher stammt von dem Schweizer Anthropologen Rudolf Martin. Es erschien einbändig, über 10 | Vgl. z.B. K. E. von Baer/R. Wagner, Bericht über die Zusammenkunft einiger Ant hropologen. 11 | Vgl. die zahllosen Beiträge im »Archiv für Anthropologie«, dem »Correspondenzblatt der Deutschen Anthropogischen Gesellschaft« oder der »Zeitschrift für Anthropologie«.
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1.000 Seiten stark, zuerst 1914, dreibändig 1928 und vierbändig erneut zwischen 1956 und 1966. Martin unterschied eine Allgemeine Anthropologie, die sich im Wesentlichen den Vererbungsfragen widmete, eine Spezielle oder Systematische Anthropologie – die Beschreibung von äußeren Körperformen, Skelett, Weichteilen, der Physiologie, Psychologie, Pathologie – und eine Anthropografie, eine Beschreibung der unterschiedlichen Rassen; die Anthropologie beinhaltete also zugleich die Vererbungslehre und Rassenkunde. Ich will an dieser Stelle nur die Abschnitte zur Systematischen Anthropologie knapp zusammenfassen, um anzudeuten, wie sehr sich die Anthropologie bis zum Ersten Weltkrieg methodisch ausdifferenziert hatte.12 In diesem Teil seines Werkes beschrieb Martin die aufwendigen Methoden, Skelette zu präparieren und zu sichern, Umrisszeichnungen von Schädeln anzufertigen und Abdrücke von Füßen und Händen zu nehmen. Für die Aufnahme der somatologischen Befunde (über den Körperbau) verlangte er nicht weniger als 69 Messwerte sowie 38 weitere, teils sehr detaillierte Angaben über beispielsweise die Haarfarbe. Für die kraniologischen Befunde (über die Schädelformen) waren über 64 Messwerte sowie ca. zehn weitere Angaben zu Fundort, Erhaltungszustand oder Alter zu erheben (Abb. 9); insgesamt waren das etwa 180 Daten, die bei der Vermessung jedes einzelnen Körpers berücksichtigt werden sollten. Die einzelnen Messinstrumente wurden abgebildet und ihr Gebrauch geschildert: Kraniograph (Schädelumriss), Kephalograph (Gesicht), Dioptograph (Augen), Taster- und Gleitzirkel (Schädelmaße), Anthropometer (Körpergröße), Radiometer (Ohrachse, -radius), Bandmaß, Winkelmesser, Dynamometer (Gewicht). Allein an der Ohrmuschel waren sieben Messpunkte zu berücksichtigen – und Martin nannte nur die wichtigsten. Mit Hilfe statistischer Methoden und komplexer Formeln waren die individuellen Maße dann zu morphologischen Gruppen zu verrechnen, in Verhältniszahlen umzusetzen und durch aufwendige Verfahren der Fehlerberechnung zu korrigieren. Wenn schon die exakte Vermessung zahlloser Punkte die Fachkräfte vor große Herausforderungen stellte, so tat das die Somatoskopie, die Beschreibung von Ernährungszustand, Haut- und Haarfarbe, Haarform, Augenfarbe, Körperkraft, der Zähne, Sehschärfe, des Farbsinns, Gehörs, Puls etc., in noch erheblich höherem Maße. Denn die reiche Nuancierung der Hautfarbe beispielsweise konnte sprachlich nur unvollkommen wiedergegeben werden. Zwar gab es Hautfarbentafeln, anhand derer man die häufigsten Farben abgleichen konnte, doch die von Luschan entwickelte zeichnete sich durch störende Reflexe der farbigen Glassteinchen aus, Paul Brocas »Tableau chromatique« war nicht lichtfest. Bei den Augen gab es ähnliche Schwierigkeiten. Martin selbst hatte eine Augenfarbentafel entworfen (Abb. 10, 11): »Dieselbe besteht aus 16 12 | Vgl. zum Folgenden R. Martin, Lehrbuch der Anthropologie, S. 22-890. Vgl. ähnlich E. Schmidt, Anthropologische Methoden; G. Schwalbe/E. Fischer (Hg.), Anthropologie.
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Abb. 9: Beispiel, wie Maße an Schädeln zu nehmen waren (1914).
naturgetreu mit wissenschaftlicher Genauigkeit hergestellten Glasaugen in natürlicher Größe. Die einzelnen Farben, von einem tiefen Braun bis zu einem lichten Blau fortschreitend, sind mit den Nummern von 1-16 bezeichnet. Da die individuelle Variabilität der Irisfärbung eine ganz außerordentliche ist, so sind nur die erfahrungsgemäß am häufigsten wiederkehrenden Haupttöne in die Tafel aufgenommen worden. Die Augen liegen auf Watte in kreisförmigen Ausschnitten eines Holzrahmens und sind von einer mattierten Aluminiumplatte, in welche die Lidspalten und die Form der umgebenden Weichteile des Auges eingestanzt sind, bedeckt. Die Grundfarbe dieser Platte ist ein indifferenter[,] neutraler Ton, und zwar ein mattes Grau, damit die Tafel bei allen Hautfarben vom dunkelsten Braun bis zum fahlsten Weiß verwendet werden kann.«13 Bei der Aufnahme in vollem Tageslicht (keine direkte Sonne) im Abstand von 30-50 cm war auf den Grundton der Iris zu achten und sollten auch Zwischenformen verzeichnet werden, 1 = dunkler (als 1), 1 = Vorlage, 1 = heller, 1-2 = intermediär usw. Aus den 16 Hauptfarben konnten auf diese Weise insge13 | R. Martin, Lehrbuch der Anthropologie, S. 192.
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samt 63 Vollfarben und Zwischentöne generiert werden. Für die Bestimmung von sowohl Haarfarbe wie Haarstruktur sollten Haarfarbentafeln behilflich sein; für Sehkraft, Körperstärke, Farbsinn, Gehör usw. gab es spezielle Testverfahren. All das deutet an, wie fehleranfällig die Datenerhebung sein konnte und wie sehr es auf genaue Instrumente und das Geschick der Fachkräfte ankam: Man durfte nicht schief messen, Ohrpunkte nicht eindrücken, Gesichter nicht verschatten, die Probanden durften nicht lachen, mussten vor der Kamera stillhalten, die Instrumente konnten unpräzise gefertigt sein (Millimeterskalen z.B. nach Augenmaß und voneinander abweichend) und ungeübte Beobachter drohten ganze Erhebungsreihen zu ruinieren.14 Abb. 10, 11: Augentafel nach Martin (1914). Rechts ein Beispiel, wie die Augenfarbe bestimmt wurde (vermutlich 1930er Jahre).
*** Im März 1895 schrieb der Badener Anthropologe Otto Ammon einen enthusiastischen Brief an den Berliner Bildhauer Fritz Schaper. Er habe erfahren, »dass Sie die Kopfmaasse des Fürsten Bismarck genommen haben sollen. Wenn dies wirklich der Fall ist, so haben Sie der craniologischen Wissenschaft der Zukunft einen unschätzbaren Dienst geleistet. Denn die Tage des grossen Mannes neigen sich leider ihrem Abende zu, und es liegt die Gefahr nahe, dass der Gründer des Deutschen Reiches aus dem Leben scheiden könnte, ohne dass die Lebenden ihre Pflicht erfüllt hätten, der Nachwelt die Maasse des wunderbaren Schädelgehäuses zu überliefern, in welchem die ganze Politik eines Menschenalters erdacht wurde. Bis jetzt ist kein Anthropologe in der Lage gewesen, die Klubbe [d.h. Kluppe = Schieblehre] oder den Tasterzirkel an das ehrwürdige Haupt zu legen. Nach dem Augenmaasse schätze ich die Kopf14 | Vgl. Otto Reche an Eugen Fischer, 12.4.1929 (AIEUL, RE XXVI); R. Grau an Otto Reche, 16.8.1933 (AIEUL, RE XXVIII).
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maasse Bismarcks als sehr gross. […] Meiner Ansicht nach kommt Bismarcks Kopf-Form derjenigen der germanischen Schädel der deutschen Urzeit sehr nahe. Es wäre sehr zu wünschen, dass die ›Langköpfigkeit‹ Bismarcks unzweifelhaft festgestellt würde, da ein Gelehrter […] in der ›Allgemeinen Zeitung‹ die Rundköpfigkeit Bismarcks behauptete, und dieser Unsinn nach dem Tode des Recken sicherlich wieder hervorgeholt wird.« Und dann bat er Schaper um die Maße, jeden »pietätswidrige[n] Gebrauch« ausschließend.15 Schaper sandte zwei Skizzen mit den wichtigsten Werten,16 Ammon war hingerissen, denn die »Maasse sind noch grösser, als ich sie schätzte; in der Regel irre ich mich – nachdem ich vielleicht 30 000 Schädel und Köpfe gemessen habe – höchstens um ein paar Millimeter«. Bismarcks Kopf »gehört also zu den exquisiten Germanenschädeln. Was bei Bismarck ja auch gar nicht anders sein kann.«17 Kurz darauf ereiferte er sich in einem Brief an die »Tägliche Rundschau«: »Wenn die Leute Augen hätten, so hätten sie sehen, s, e, h, e, n, müssen, dass Bismarck, der deutscheste aller Deutschen, keinen mongolischen Schädel hat. Im Eifer berechnet man aber den Kopf-Index aus einer Breite, bei welcher die Haare mitgemessen sind, die das ehrwürdige Haupt noch an den Seiten zieren. Da kann natürlich ein Rundkopf herauskommen! Na, na!«18 Die Schädelform sollte – neben der Augen- und Haarfarbe – bis tief ins 20. Jahrhundert hinein das zentrale Kriterium sein, um Rassen zu unterscheiden. Sie war, wie Ammons Brief zeigt, eine zutiefst politische Kategorie. Langköpfig, blauäugig und blond waren angeblich die Nachfahren der Germanen. Der Schädel ließ auf den Charakter schließen, der eines Altskandinaviers etwa auf Tüchtigkeit, wenig Gemüt, große Tatkraft und Scharf blick; Eigenschaften, die den alten Nordlandskämpen angestanden hätten – während der Schädel eines Grönländers eine dürftige geistige Entwicklung und große Gefräßigkeit offenbarte. Und die um 1,5 cm geringere Wölbung des Mittelhauptes eines Giftmörders passe zu dessen niedrigem Gefühlsleben. Die rohe, plumpe Ausformung der Schädelfläche, eine unfertige, stumpfe Nase, »so vollendet sich das Bild einer Organisation, welche unter besserer strenger Leitung vielleicht einen guten Lastträger oder Handwerker abgegeben haben würde, aber sich selbst überlassen und Versuchungen ausgesetzt, leicht in Verbrechen sich verlieren musste.«19 In solchen Beispielen wird die Nähe zwischen Anthropologie und sozialen Wertungen (und zur Kriminalbiologie20) besonders deutlich. Schädel 15 | Otto Ammon an Fritz Schaper, 8.3.1895 (UAFr, C 75/35). 16 | Fritz Schaper an Otto Ammon, 12.3.1895 (UAFr, C 75/35). 17 | Otto Ammon an Fritz Schaper, 13.3.1895 (UAFr, C 75/35). 18 | Otto Ammon an die Tägliche Rundschau, 31.5.1895 (UAFr, C 75/120). 19 | C. G. Carus, Neuer Atlas der Cranioskopie, Text zur Tafel XXI. Vgl. auch ebd., Tafeln XXV, XXVI. 20 | Vgl. T. Kailer, Vermessung des Verbrechers.
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schienen der physischen und später der Rassenanthropologie als derjenige Körperteil des Menschen, der die sicherste Bestimmung von Rassen und sozialen Klassen erlaubte. »Der Zweck der Kraniometrie ist«, so Rudolf Martin, »die Form des Schädels der Hominiden und der übrigen Primaten mit Hilfe exakter Meßmethoden so genau kennen zu lernen, daß Uebereinstimmungen und Unterschiede zwischen größeren und kleineren Gruppen zahlenmäßig festgelegt werden können.«21 Da freilich die Ausformung der individuellen Schädel von vielen Faktoren abhängig sei, gestaltete sich deren Verdatung als besonders aufwendig,22 und die Fehleranfälligkeit in der alltäglichen Arbeit war hoch. Noch schwerer wog die mangelnde Standardisierung der Messmethoden. 1882 beschlossen 67 Kraniologen die »Frankfurter Verständigung«, durch die einheitliche Messpunkte und -verfahren festgelegt werden sollten, vor allem die Abnahme der Schädelhorizontale23 – die seither mit der etwas anders gemessenen »Pariser Horizontale« konkurrierte (die Horizontale war grundlegend, weil an ihr entlang der Schädel für alle folgenden Messungen ausgerichtet wurde). 1912 bildeten französische und deutsche Anthropologen eine Kommission und entwickelten unter mühsamen Kompromissen ein gemeinsames Messverfahren. Nur in der Frage der Horizontalen war keine Seite zu Konzessionen bereit. Für die Schädel stellte die Kommission 35 obligatorische Maße auf und legte fest, welche mit Gleitzirkel, Leerzirkel, Tasterzirkel, flexiblem Maßband bzw. Kraniostat aufzunehmen seien.24 Und wie sollte man die Schädelkapazität messen, anhand derer man die Hirngröße berechnen konnte?25 Dazu war zuerst der Schädel abzudichten und mit geeignetem Material zu füllen, das dann in einen Messbecher umgegossen wurde. Die Verfüllung mit Wasser wäre am exaktesten gewesen, es wäre bei den oft porösen Schädeln aber überall herausgesickert. Das schwere Bleischrot verbot sich, weil die Schädel aus den Fugen gehen konnten, außerdem wäre das weiche Blei durch das Eigengewicht zusammengepresst worden und hätte die Ergebnisse verfälscht. Der Prähistoriker Josef Szombathy empfahl deshalb Erbsen, Hirse- oder Senfkörner von etwa 8 mm Durchmesser. Nach dem Einfüllen stellte sich die Frage, ob man die Körner durch leichten Druck (»Stampfen«) oder durch Rütteln (»Aufschnicken«) so verdichten sollte, dass 21 | R. Martin, Lehrbuch der Anthropologie, S. 475. 22 | Vgl. ebd., S. 475-890; C. Rieger, Eine exacte Methode der Craniographie. 23 | Vgl. o.A., Verständigung über ein gemeinsames craniometrisches Verfahren. 24 | Vgl. J. Szombathy, Die internationale Verständigung über Schädel- und Kopfmessung. Vgl. später auch die Besprechung anthropologischer Forscher in Frankfurt a.M., 1.4.1928 (AIEUL, RE XXVI). 25 | Vgl. J. Szombathy, Bemerkungen zur Messung der Schädelkapazität; H. Welcker, Die Capacität und die drei Hauptdurchmesser der Schädelkapsel.
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sie alle Hohlräume ausfüllten? Und wie waren die Körner in den Messbehälter umzufüllen und dort zu verdichten? Goss man sie in einem Schwall ein, lagen sie zu locker. Zu heftige Bewegungen beim Rütteln konnten das Material ebenfalls auflockern. Wie bei der Materialfrage experimentierten die Craniologen auch hier mit langen Versuchsserien, um eine präzise Handhabung zu erlernen und Abweichungen auf einen »zulässige[n] Grad von Ungenauigkeit« zu minimieren.26 Das abweichende Volumen unterschiedlichen Füllmaterials, die unterschiedliche Fallhöhe des Materials in den Schädel, das sich ändernde Materialvolumen durch Luftfeuchtigkeit oder Abnutzung, ungleichmäßiges Verfüllen des Schädels, unpräzises Umfüllen in den Messbecher: Eine ganze Reihe von Variablen musste kontrolliert werden, um den Fehler klein zu halten. Rasch war es geschehen: Denkt man bloß »während des Füllens über irgend eine interessirende Angelegenheit nach, so stopft man unwillkürlich etwas fester.«27 Man musste jede Abweichung regelrecht im Fingerdruck zu spüren lernen, alle Messungen zur Sicherheit dreifach durchführen und immer wieder einen geeichten Bronzeschädel zu Rate ziehen – und diese Arbeit sollte an Zehntausenden von Schädeln vorgenommen werden, um hinreichend große Stichproben ziehen zu können. Als Aurel von Török 1890 forderte, die Craniologie endlich zu systematisieren,28 war es im Grunde schon zu spät. Török war bei etwa 5 000 Messpunkten angelangt, und das war nicht mehr praktikabel. Zwei Jahre darauf warnte Rudolf von Virchow davor, Schädel als alleiniges Bestimmungsmerkmal für ethnische Verhältnisse zu nehmen. Wäre behauptet worden, dass Johanniter-Schädel aus Rhodos von einem norddeutschen Friedhof stammten, wären kaum Zweifel geäußert worden. Es sei nicht möglich, »aus blossen Schädeln mit Sicherheit zu bestimmen, welches die ethnische Stellung ist die ihre einstigen Träger einnahmen.« Viel zuverlässiger sei die Haut, und deshalb müsse man »der Haut ihr höheres Recht widerfahren lassen und den Schädel in die zweite Linie zurückdrängen.«29 1929 verkündete Walther Kruse dann, dass der bisher so berühmte Kopfindex als Rassenmerkmal endgültig erledigt sei. Die bunte Vielfalt der Kopfformen lasse sich nicht auf Vererbung zurückführen.30 Die Überhöhung des Schädels hatte sich methodisch als Sackgasse erwiesen, auch wenn die Rassenanthropologie weiterhin die Kopfform als Index für Rassenzugehörigkeit nutzen sollte.
26 | J. Szombathy, Bemerkungen zur Messung der Schädelkapazität, S. 18 (Hervorh. im Orig.). 27 | H. Welcker, Die Capacität und die drei Hauptdurchmesser der Schädelkapsel, S. 21. 28 | Vgl. A. von Török, Grundzüge einer systematischen Kraniometrie. 29 | R. von Virchow, o.T. [Diskussionsbeitrag], S. 101. 30 | Vgl. W. Kruse, Die Deutschen und ihre Nachbarvölker, S. VIII, 94.
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7. Otto Ammon I Zur Anthropologie der Badener
Noch im Jahre 1982 konnte Ilse Schwidetzky auf nur wenige gelungene anthropologische Großerhebungen verweisen, eine war Otto Ammons Anthropologie badischer Rekruten von 1899.1 Diese Studie werden wir uns nun genauer anschauen, um die anthropologische Praxis, die Erhebungsarbeit, den Umgang mit widersprüchlichen Daten und die weltanschauliche Aufladung der Empirie zu beobachten.2 Ammon, von Hause aus Ingenieur, später Publizist, war Mitglied des Karlsruher Altertumsvereins. Dieser beschloss im Dezember 1885 die Einsetzung einer »Anthropologischen Kommission«, die flächendeckend die badische Bevölkerung auf ihre rassische Komposition hin untersuchen sollte. Da es unmöglich war, sämtliche Badener zu vermessen, suchte man eine repräsentative Stichprobe zu gewinnen und begann die Arbeit am 8. Badischen Infanterie-Regiment Nr. 111. Rasch war klar, »dass es nicht möglich sei, bei den Mannschaften unter der Waffe ein Bild der gesamten Bevölkerung zu erlangen, weil diese Mannschaften das Ergebnis einer auf bestimmte Ziele gerichteten militärischen Auslese sind. Dagegen würden bei dem Ersatzgeschäft [Musterung] in den einzelnen Musterungsbezirken die örtlichen Eigentümlichkeiten deutlich hervortreten«, da alle jungen Männer untersucht würden, die zur Musterung erschienen.3 Ammon und ein Kollege nahmen die mühselige Arbeit auf sich und reisten in den acht folgenden Jahren regelmäßig zu den Musterungslokalen der einzelnen badischen Bezirke, um die Wehrpflichtigen zu vermessen.4 Das Erhebungsschema veränderte sich im Laufe der Zeit. In den nördlichen und südlichen Bezirken Badens wurde zunächst gefragt nach Name, Geburts1 | I. Spiegel-Rösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, S. 113f. 2 | Vgl. H. Hartmann, Der Volkskörper bei der Musterung, für einen breit angelegten Vergleich des Zusammenhanges von Musterungen, Anthropologie und Demografie in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Vgl. zu Ammon H. Lichtsinn, Otto Ammon und die Sozialanthropologie. 3 | O. Ammon, Anthropologie der Badener, S. 4 (Hervorh. im Orig.). 4 | Zum Folgenden: Ebd., S. 6-32.
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ort, Beschäftigung. Erhoben wurden die Augenfarbe (blau, grau, grün, braun), Haarfarbe (blond, braun, schwarz, rot), Hautfarbe (weiß, braun), Länge und Breite des Kopfes, Körpergröße, Sitzgröße. In Mittelbaden wurden später fünf Grade der Körperbehaarung aufgenommen, um den Reifegrad der Jugendlichen bestimmen zu können. Virchow schlug beratend vor, die braunschwarzen Haare nicht mehr den braunen, sondern den schwarzen Haaren zuzurechnen, auch wünschte er eine Kopfmessung nach der »Frankfurter Verständigung«, so dass 1890 die Erhebungen aus dem Jahre 1886 wiederholt werden mussten.5 Auf Bitten eines französischen Kollegen wurden einige Maße zusätzlich »nach der französischen Art mit dem Tasterzirkel gemessen«.6 1890 wurden Landstämmige, Stadtgeborene (von Zuwanderern abstammend) und eigentliche Städter unterschieden; kurz darauf kamen der Geburtsort des Vaters, Bart, Achsel- und Schamhaare sowie die Stimmlage hinzu. Am Ende hatten die beiden jeweils über 13.000 Wehrpflichtige nach dem einfachen bzw. dem erweiterten Schema untersucht, dazu kamen etwa 2.200 Schüler. Etwa 5.000 der Probanden waren nur begrenzt repräsentativ, weil sie zum zweiten Mal zurückgestellt worden waren. Kaum einer hatte sich der Untersuchung entzogen – weil ihnen verschwiegen worden war, dass sie das Recht dazu gehabt hätten.7 Die Reisen waren anstrengend. Ammons Kollege, Ludwig Wilser, nahm ein Gebiet im Nordwesten Badens auf, während Ammon die restlichen Landesteile bereiste. Das dauerte damals, von Karlsruhe aus, seine Zeit, 90 Minuten beispielsweise bis Kehl, drei Stunden bis Wolfach oder fünf Stunden bis Konstanz.8 Am Musterungsort übernachtete Ammon in Gasthöfen; die Nachmittage dienten der Erholung oder er erwanderte die Umgebung. Von den Militärs fühlte er sich jedes Mal sehr freundlich aufgenommen und mit einem Festmahl verabschiedet, »bei welchem die freundlichsten Gesinnungen ausgetauscht wurden.«9 Tatsächlich scheinen die Arbeitsbedingungen hart gewesen zu sein. Jedes Jahr versuchte Ammon, einen eigenen Raum zu bekommen, hatte sich manchmal jedoch mit einem abgetrennten Verschlag im Musterungssaal zufrieden zu geben. 1891 führte das in Karlsruhe zu der unangenehmen Situation, dass der Saal jedes Wort und Geräusch widerhallen ließ, worauf der 5 | Vgl. Otto Ammon, Bericht über die wissenschaftlichen Ergebnisse der anthropologischen Aufnahmen beim Musterungsgeschäft 1890, o.D., Bl. 1 (UAFr, C 75/32). 6 | O. Ammon, Anthropologie der Badener, S. 22. 7 | Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft 1893, o.D., Bl. 26f. (UAFr, C 75/31). 8 | Lt. Reichs-Kursbuch 1896. Heute dauern die Fahrzeiten 50, knapp 80 bzw. 180 Minuten. 9 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft im Landwehrbezirk Offenburg 1892, o.D., Bl. 2 (UAFr, C 75/35).
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militärische Vorsitzende der Musterungskommission, Oberstleutnant Sackowski, äußerst ungehalten reagierte. Ammon ließ seinen Verschlag mit Leinentüchern abhängen, was die Geräusche dämpfte, aber noch das Niedersitzen oder Rücken eines Stuhles blieb unüberhörbar. Immerhin wurde ihm ein Gendarm zur Verfügung gestellt, der die Leute, die sich vor dem Verschlag aufgeregt über ihre Musterungsergebnisse unterhielten, zur Ruhe brachte.10 Auch so blieb der Druck hoch. Regelmäßig klagte er über schlechtes Licht – was die genaue Bestimmung der Augen und Haarfarbe erschwerte.11 An jedem Vormittag vermaß er etwa 200 Mann im selben raschen Takt, in dem die routinierten Stabsärzte gutachteten. Pro Mann blieben da nur wenige Minuten, Details konnten nur in Hast und nicht allzu genau aufgenommen werden.12 Es dauerte, die Wehrpflichtigen zu belehren, wie sie zu sitzen hätten.13 Und die Frage nach dem Geburtsort des Vaters kostete Zeit! »Oft antworten sie auf die Frage mit dem Vornamen des Vaters oder mit dessen Gewerbe; und hat man endlich den Ortsnamen herausgebracht, dann gilt es manchmal erst noch eine Frage, ob dies der Aufenthalts- oder der Geburtsort des Vaters ist. In den Gebirgsgegenden wird auch oft irgend ein Zinken genannt, den man nicht kennt, und von dem man erst wieder abfragen muss, zu welcher Gemeinde derselbe gehört. Die halbe Zeit, die zur Verfügung steht, geht häufig mit dieser einen Erhebung verloren«.14 Der Geburtsort der Mutter ließ sich zumeist gar nicht erst ermitteln.15 Außerdem musste er sich mit einer ausgesprochen ungenauen Gewichtsangabe von »über/unter 65 Kilogramm« begnügen und auf Schlüsse aus dem unterschiedlichen Gewicht gleich großer Rekruten verschiedener Landschaften, Hautfarben, Berufe sowie aus der Stadt bzw. vom Lande verzichten.16 Dabei hatte Ammon in seinem Studierzimmer zwischen 1887 und 1898 eine große Zahl an Körpermessungen bei einzelnen Personen vorgenommen, 10 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äussern [sic] Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft 1891, o.D., Bl. 7-9 (UAFr, C 75/34). 11 | Vgl. Otto Ammon an das Grossherzogliche Bezirksamt Bretten, 19.2.1893 (UAFr, C 75/84). 12 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen in einem Theile des Landwehrbezirks Karlsruhe 1894, o.D., Bl. 1f. (UAFr, C 75/30). 13 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft 1893, o.D., Bl. 18f. (UAFr, C 75/31). 14 | Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft im Landwehrbezirk Offenburg 1892, o.D., Bl. 2f. (UAFr, C 75/35). 15 | Vgl. O. Ammon, Anthropologie der Badener, S. 20. 16 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft im Landwehrbezirk Offenburg 1892, o.D., Bl. 4 (UAFr, C 75/35).
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um sich mit unterschiedlichen Körperformen und den Grenzen, in denen Normalmaße schwankten, vertrauter zu machen. Eine Aufnahme mit Zeichnungen dauerte zwei bis drei Stunden, alle ein bis zwei Jahre protokollierte er Nachmessungen.17 Er vermaß Länge und Umfang der Glieder, Brust- und Leibesumfang, Schulter-, Brust-, Trochanter- und Christabreite, fertigte Abdrücke und Umrisszeichnungen von Händen und Füßen an und hatte einen Apparat konstruiert, in dem bewegliche Stäbchen Kopf- und Rumpfform in einem Vertikalschnitt abformten. Das bescherte ihm nach kurzer Zeit bereits über 500 solcher Schnitte, von einzelnen Personen existierten bis zu sieben Zeichnungen.18 Einer Anregung Johannes Rankes folgend, untersuchte er auch Kinder, vor allem Jungen, um die raschen Veränderungen im Wachstum zu dokumentieren und »den Wachstumsgesetzen nachzuspüren«, über die merkwürdigerweise wenig bekannt sei.19 (Ein Zeitungsartikel hierzu brachte ihm Ärger ein,20 denn sein Rechenschaftsbericht gestaltete sich über Seiten hinweg als Verteidigungsschrift darüber, dass er nackte Jungen detailliert untersuchte.) Doch von dieser Genauigkeit konnte er bei den Musterungen dann nur träumen – zumal er auf weitere Probleme stieß. Auf Bitte seines Kollegen Collignon hatte er nämlich etwa die Hälfte der Gemusterten zusätzlich auf französische Art vermessen.21 Allerdings war er in den ungewohnten Gebrauch der französischen Instrumente nur schriftlich eingewiesen worden und die französischen Messpunkte hielt er für ungeeignet. Die Nasenflügel beispielsweise bewegten sich schon beim Atmen und seien bei gut genährten Individuen breit und voll entwickelt; die Messungen würden also nicht allein Rassenmerkmale erfassen.22 Immerhin konnte er die Schädelmaße nutzen, um die deutschen und die französischen Werte zu vergleichen; heraus kam, dass die deutsche Messmethode die Rundköpfe, die französische die Langköpfe begünstigte.23 17 | Otto Ammon, Erläuterungen zu den anthropologischen Aufnahmen, 13.8.1912 (UAFr, C 75/14). 18 | Vgl. Otto Ammon an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts – Die Körpermessungen des Privatmannes Otto Ammon betreffend, 23.10.1889, o.Bl. [Bl. 13-18] (UAFr, C 75/88). 19 | Vgl. ebd., o.Bl. [Bl. 15r, 16v] (Hervorh. im Orig.). 20 | Vgl. Badischer Landesbote, 28.9.1889. 21 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft im Landwehrbezirk Offenburg 1892, o.D., Bl. 6f. (UAFr, C 75/35). 22 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft 1893, o.D., Bl. 3 (UAFr, C 75/31). 23 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft im Landwehrbezirk Offenburg 1892, o.D., Bl. 8b (UAFr, C 75/35).
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Ammon war fest davon überzeugt, dass es eindeutige Korrelationen zwischen Raum, Sozialschicht, Rasse und Vererbung gab. In rassischer Hinsicht unterschied er einen nordeuropäischen, einen mittelländischen und einen alpinen Typus; ersterer sollte sich durch hohen Körperwuchs und lange Köpfe auszeichnen, letztere durch mittleren bzw. kleinen Körperwuchs und Rundköpfigkeit. Räumlich differenzierte er das Land von Klein- und größeren Städten, und dementsprechend die Kinder von Landbewohnern, Stadtkinder, welche von Zugewanderten stammten, und Kinder, deren Väter schon in der Stadt geboren worden waren. Das Land hatte er ursprünglich je Amtsbezirk gegliedert in Ebene, Hügelland und Gebirge. So konnte jeder Verwaltungsbezirk in seiner inneren geologisch-anthropologischen Zusammensetzung untersucht werden, und konnten gleichartige geologisch-anthropologische Räume über Bezirksgrenzen hinweg als »natürliche Bezirke« ermittelt werden.24 Dieses Verfahren war aufwendig, doch wähle man, so Ammon, zu große Erhebungsräume, die sich über zu unterschiedliche geologische Formationen erstreckten, in denen weit voneinander abweichende Bevölkerungen wohnten, so entstünden Durchschnittswerte, die die Räume einander zu ähnlich machten.25 Aus Zeitgründen musste aber auch er sein Verfahren deutlich vereinfachen – wodurch Bezirke, die teils in der Rheinebene, teils im Gebirge lagen, sich in rassischer Hinsicht weniger gut aufgestellt sahen.26 Dank ihrer Gebirgsregionen ähnelten sie anthropologisch im Durchschnitt eher Wolfach, in einem düsteren Tale gelegen, als der Rheinebene bei Kehl, an der Ammon seine helle Freude gehabt hatte: Kranke und Schwächliche waren in der Minderheit, dafür gab es viele kräftige, muntere Männer in hellen Farben zu vermessen; ungemein feine Knie und Fesselgelenke durfte er beobachten. »Auch in dieser Sicht kann man also den Hanauern [Hanauer Ländchen bei Kehl] die Eigenschaft edler Rasse zusprechen. […] Die Hanauer haben Pferdezucht, und sie besinnen sich nicht lange zu sagen: Ich melde mich freiwillig zur Cavallerie!«27 Sollte, so fragte Ammon, »nicht auch hierbei die natürliche Auslese im Stillen thätig sein? Sollte man nicht annehmen dürfen, dass es nicht blos die bessere Ernährung ist, was die Leute so schön und kräftig macht, sondern dass eben desswegen, weil hier mehr Gelegenheit zum Wohlergehen geboten ist, mehr körperlich und geistig tüchtige Individuen im Lande bleiben und eine Mehrheit herstellen?«28 Außerdem habe die protestantische Konfession 24 | O. Ammon, Anthropologie der Badener, S. 19, 25-27. 25 | Vgl. Otto Ammon an William Z. Ripley, 28.4.1897 (UAFr, C 75/119). 26 | Vgl. Otto Ammon, Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft im Landwehrbezirk Offenburg 1892, o.D., Bl. 19-21 (UAFr, C 75/35). 27 | Ebd., Bl. 21. 28 | Ebd., Bl. 19.
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dieser Region Heiraten mit Gebirgsbewohnern verhindert, überall sonst seien Vermischungen durch »ein fortwährendes Zuströmen von Gebirgsbevölkerung nach der Ebene« zu beobachten.29 Andererseits gab er in einem Brief an den amerikanischen Ökonomen William Z. Ripley, der an einer Rassenkunde Europas arbeitete, zu, dass die aufwendige geografische Differenzierung wohl doch keine hinreichend validen Ergebnisse gezeitigt habe.30 Die seinerzeit verbreiteten Klagen über die Städte finden wir bei Ammon kaum.31 Er war nämlich grundsätzlich davon überzeugt, dass sich die Langköpfe dank ihrer Seelenanlagen durch eine größere Widerstandskraft gegen die Verlockungen und Lebensweisen der Stadt auszeichneten, und diese »grössere sittliche Tüchtigkeit der Langköpfe ist als ein Erbstück aus der germanischen Zeit oder […] aus der Eiszeit anzusehen.«32 Deshalb erhalte die natürliche Auslese unter den Stadtgeborenen die reineren germanischen Individuen und die ihnen nahestehenden Mischlinge, die übrigen Typen würden ausgemerzt. Um das zu belegen, hatte Ammon in seiner Untersuchung drei Klassen gebildet, nämlich Arbeiter und Kleingewerbe, den Mittelstand sowie die Oberschicht – allerdings nicht nach Steuerlisten ermittelt (weil dann unvermögende Angehörige der ersten in der dritten Schicht landen würden), sondern nach der Schulbildung.33 Das schien ein objektives Kriterium, denn er hatte festgestellt, dass 33 % der Volksschüler blaue Augen hatten, gegenüber 39 % der Schüler an Bürgerschulen; gemischte Augen kamen zu knapp 30 % bzw. 12 % vor; für die Mittelschulen galten mittlere Werte. »Aus diesen Zahlen scheint hervorzugehen, dass die sozial höher stehenden Klassen, deren Kinder die besseren Schulen besuchen, sich vorzugsweise aus den reineren germanischen Typen rekrutieren, […] dass die eigentlichen Stadtschüler nicht nur blauäugiger, sondern auch langköpfiger waren, als die Landschüler, wie den[n] im Allgemeinen ein gewisser Parallismus zwischen Blauäugigkeit und Langköpfigkeit zu bestehen scheint. […] Mit anderen Worten: die höheren Stände besitzen stufenweise mehr arisches Blut, als die unteren, welche den Charakter von Mischlingen haben. Und weiter: Die höhere Begabung geht heute noch von der arischen Rasse aus«.34 Die selektierende Wirkung des Schulgeldes – jährlich an Volksschulen vier Mark, an Mittelschulen acht 29 | Ebd., Bl. 20. 30 | Vgl. Otto Ammon an William Z. Ripley, 28.4.1897 (UAFr, C 75/119). 31 | Eine Ausnahme: Otto Ammon, Vorbericht über den äussern [sic] Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft 1891, o.D., Bl. 12 (UAFr, C 75/34). 32 | O. Ammon, Die natürliche Auslese beim Menschen, S. 278. 33 | Vgl. Otto Ammon an die Organisatoren des VIII. Internationalen Kongresses für Hygiene und Demographie, 26.1.1894 (UAFr, C 75/119). 34 | Otto Ammon an den Vorsitzenden der Anthropologischen Kommission des Karlsruher Alterthumsvereins, 22.2.1891 (UAFr, C 75/84).
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und an Bürgerschulen 28 Mark – konnte Ammon ignorieren, zu eindeutig erschien ihm offenkundig die Korrelation von anthropologischen Merkmalen, Rasse und Sozialschicht, als dass die finanzielle Lage einer signifikanten Zahl von Arbeiterkindern den Zugang zu höherer Bildung verhindert haben könnte. Die sozialen Hierarchien der Gesellschaftsordnung erschienen Ammon als ein Instrument der Natur, das die Individuen nach ihrer biologischen Qualität siebte; die Anthropologie war das Mittel, diese Zusammenhänge aufzudecken. Das empirische Material seiner Untersuchung sperrte sich freilich gegen diese Interpretationen. Vor allem die Arbeitsberichte für die Anthropologische Kommission dokumentieren Ammons Verwirrung. So musste er 1890 in mehreren südbadischen Bezirken merkwürdige Tatsachen beobachten, etwa die vollkommen willkürliche Verteilung blonder Haare auf große und kleine Wehrpflichtige, mit einem »bedeutende[n] Überschuss für die Kleinen, nicht weniger als 3,4 %.«35 Dabei meinte er 1888 eigentlich eine wichtige Beziehung aufgedeckt zu haben, nämlich »dass in den Bezirken mit vielen Grossen auch viele Hellpigmentirte sind (wobei aber die Pigmente doch wieder gleichmässig über die Grössenstufen vertheilt sind), und umgekehrt, in Bezirken mit vielen Kleinen auch viele Dunkelpigmentirte.«36 Das passe in einigen Bezirken gut, wenn man von den Haaren absehe, in einigen, wenn man die Augen ausschließe, in anderen allerdings gingen die Werte regellos durcheinander, da korrespondierte nicht einmal die Kopfform mit der Körpergröße. »In dem Mangel blauer Augen spricht sich die Schwarzwälder Rasse dieser beiden letztgenannten Bezirke aus [Villingen und Neustadt]; warum aber Triberg [mit vielen blauen Augen] nicht das gleiche Verhalten zeigt, kann ich mir nicht denken. Braune Augen sind am meisten in Jestetten, welches auch sehr viele blaue hat«,37 während Neustadt, trotz mangelnder blauer Augen und blonder Haare, ähnlich viele Langköpfe wie das alemannische Markgräflerland aufwies – aber einen hohen Prozentsatz schwarzer Haare.38 Der Augenschein, die Erfahrung musste Ammon machen, zählte wenig; Waldshut machte bei der Musterung einen »germanischen« Eindruck, die Messwerte legten ein anderes Zeugnis ab. Auch klingt immer wieder an, dass Umwelteinflüsse ihren Anteil an der anthropologischen Konstitution der Probanden gehabt haben könnten, vor allem gute oder schlechte Ernährung.39 35 | Otto Ammon, Bericht über die wissenschaftlichen Ergebnisse der anthropologischen Aufnahmen beim Musterungsgeschäft 1890, o.D., Bl. 14 (UAFr, C 75/32). 36 | Ebd., Bl. 15. 37 | Ebd., Bl. 22. 38 | Vgl. ebd., Bl. 32. 39 | Vgl. ebd., Bl. 5; Ders., Vorbericht über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen beim Ersatzgeschäft 1893, o.D., Bl. 10f. (UAFr, C 75/31); Ders., Vorbericht
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Nichts passte in diesen Bezirken wirklich überein. Teils bemühte Ammon den Zufall zur Erklärung, der »hier sein uncontrolierbares Spiel [übt], daher man die Fehlergrenze ziemlich weit ziehen muss und aus kleinen Abweichungen keine Schlüsse ziehen darf.«40 Teils »spielen eben [lokale] Verhältnisse da herein, welche schwer, wenn überhaupt noch zu ergründen sind«.41 Teils sorgten neue Messinstrumente und eine veränderte Erhebungspraxis für Abweichungen, teils führten geringe absolute Zahlen zu überproportionalen Abweichungen.42 Kleine, aber blonde Rekruten seien oft noch unentwickelte Jugendliche und würden größer werden. Oder er zog sich auf die Geschichte zurück. »Wir können ja nicht wissen, ob nicht bei der ersten germanischen Besiedelung dieser Bezirke die Männer mehr der einen, die Frauen mehr der anderen Rasse angehörten und welchen Einfluss dies auf die Beschaffenheit der hieraus entspringenden Mischlinge üben musste.«43 Lasse dagegen in Neustadt der heute ungebräuchliche Name »Welchennordnach« nicht auf eine romanisierte Bevölkerung schließen, die in Urkunden einfach nicht erwähnt worden sei? »Dies [diese Vermutung] genügt vollständig, um den Ursprung der nichtgermanischen Merkmale der heutigen Bevölkerung zu erklären, denn es ist selbstverständlich, dass die Rundköpfigkeit und das braune bezw. schwarze Pigment sich vermöge der allmählich eintretenden Vermischung ausbreiten und mit den germanischen Merkmalen die merkwürdigsten und mannigfaltigsten Verbindungen eingehen mussten.«44 Und so gelang es Ammon schließlich, in einer Würdigung aller Umstände, eine »Baar-Gruppe« zu bilden, mit eher großen, hellen und langköpfigen Bewohnern; der Hausbau war alemannisch, der Boden für den Ackerbau geeignet. In der »Schwarzwald-Gruppe« dominierten kleine, dunkle Rundköpfe, und dort herrschte der Schwarzwälder Hausbau. Die Lage Waldshuts am Rhein und an einer großen Heerstraße habe dagegen für Vermischungen gesorgt, die keinerlei Schlussfolgerungen zuließen. Die Alemannen der Baar-Gruppe kolonisierten den Schwarzwald, »in dem sich ein grösserer Theil der romanisirten früheren Bevölkerung gehalten haben muss, weil wir sonst nicht wüssten, woher wir die Rundköpfigkeit und die schwarzen Haare ableiten sollten. […] Die Vererbung der Rasseneigenschaften ist in einer merkwürdigen Form vor sich gegangen. Am besten hat sich die über den äusseren Verlauf der anthropologischen Aufnahmen in einem Theile des Landwehrbezirks Karlsruhe 1894, o.D., Bl. 7-9 (UAFr, C 75/30). 40 | Otto Ammon, Bericht über die wissenschaftlichen Ergebnisse der anthropologischen Aufnahmen beim Musterungsgeschäft 1890, o.D., Bl. 6 (UAFr, C 75/32). 41 | Ebd., Bl. 14. 42 | Vgl. ebd., Bl. 15a, 16, 22. 43 | Ebd., Bl. 15. 44 | Ebd., Bl. 32-35 (Zitat Bl. 34).
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hohe Statur gehalten, am schlechtesten die Langköpfigkeit, während die helle Farbe bald in den Augen, bald in den Haaren sich besser bewahrt hat.«45 Der Schwarzwald könne vor dieser alemannischen Besiedlung nicht menschenleer gewesen sein, sonst »würde sich zur Erklärung der Rundköpfigkeit nur noch ein Ausweg darbieten: Die Selection. Man müsste, ähnlich wie die Städte eine Anziehungskraft auf die Langköpfe ausüben, eine besondere Neigung der Rundköpfe für die Theilnahme an der Colonisation des Schwarzwaldes voraussetzen. […] Aber diese Annahme ist ganz haltlos. Denn wenn es an Abenteuer geht, dann ist der Langkopf gewiss vornedran und der Rundkopf bleibt zu Hause. Jener strebt vorwärts und in die Weite, dieser klebt am Herkommen und an der Scholle.«46 Nur wenn man von zwei getrennt lebenden Rassen ausgehe, bei denen »immer nur einzelne Individuen von der einen in die Masse der anderen hineinsickern und dort aufgesogen werden«, könne man die eigentümlichen rassischen Verhältnisse in diesem Raum erklären.47 All diese Unzulänglichkeiten wurden in der gedruckten Fassung der »Anthropologie der Badener« zwar retuschiert, aber immer noch deutlich benannt. Zweierlei zieht sich wie ein roter Faden durch diesen für die Öffentlichkeit bestimmten Text: Messfehler und insignifikante Korrelationen. Schon bei demselben Beobachter kam es zu Abweichungen, die »auf die Art zu sehen und zu messen zurückgeführt werden müssen.« Bei unterschiedlichen Beobachtern wurden die Abweichungen nur größer. Von ihrer praktischen Erfahrung hing es ab, »ob in der Gesamtheit mehr Dolichocephale [Langköpfe] oder mehr Brachycephale [Rundköpfe] gefunden werden.« Beim Kollegen Wilser gerieten die Köpfe immer ein bisschen länger und schmaler als bei Ammon. »Es lässt sich nicht entscheiden, welcher von beiden der Wahrheit näher gekommen ist, aber auf alle Fälle ist dadurch die Folgerung berechtigt, dass nur die von einem und demselben Beobachter angestellten Untersuchungen Ergebnisse liefern, die unter sich mit einem hinreichenden Grade von Sicherheit verglichen werden können.«48 Außerdem hatte man den Einfluss der Städte auf Wachstum und Entwicklung der Eingewanderten unterschätzt, und so »machte man in den Geburtsbezirken die durchschnittliche Körperlänge zu gross, die Indices zu langköpfig, und veränderte auch die Augen- etc. Farben […]. Nur wenn der Pflichtige und sein Vater aus einem gleichartigen Gebiet stammten, war eine Zurückversetzung aus dem Wohngebiet in jenes zulässig, also Ebene in Ebene, Hügelland in Hügelland, Gebirg in Gebirg, und auch mit dem Unterschied, der in einigen Gegenden gemacht wurde: Sandsteingebiet in Sandsteingebiet, Muschelkalk in Muschelkalk usw. […], und die in den Städten gemusterten 45 | Ebd., Bl. 41. 46 | Ebd., Bl. 42. 47 | Ebd., Bl. 43. 48 | O. Ammon, Anthropologie der Badener, S. 8f. (Hervorh. im Orig.).
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Landgeborenen durften überhaupt nicht zurückversetzt, sondern mussten den Gruppen der städtischen Eingewanderten überwiesen werden.«49 Allerdings, so Ammon, hatten sich die relevanten Korrelationen im Laufe der Jahrhunderte ohnehin aufgelöst, »sodass irgend eine bevorzugte Verbindung von Körpergrösse und Kopfform nicht mehr vorkommt, vielmehr alle Grössen- und Indexklassen wahllos miteinander vereinigt erscheinen.«50 Entsprechend vage sind die Teilergebnisse im Buch formuliert. Am deutlichsten wird noch angemerkt, wenn eine Beziehung nicht nachzuweisen sei. Ansonsten heißt es oft: »Die Unterschiede bei den Hautfarben sind gering, doch kommen unter Weisshäutigen etwas mehr runde, unter den Braunhäutigen etwas mehr lange Köpfe vor. […] In der Rheinebene halten die hellen Farben mehr mit der Grösse, die dunkeln Farben mehr mit der Kleinheit zusammen, die Kopfformen jedoch offenbaren keine deutliche Beziehung, sondern sind nach dem Zufall verteilt.«51 Die in die Städte Eingewanderten sind reicher an Langköpfen als die ländliche Bevölkerung, weisen aber weniger blaue Augen auf und sind dunkelhaariger; Zuwanderer in kleine Städte sind im Schnitt um 0,6 cm kürzer, in größere Städte um dasselbe Maß länger als die Landleute. Die Zahl der Langköpfe nimmt von den Landleuten über die Zugewanderten, deren Kinder und Enkel zu, Rundköpfe werden weniger; braune Augen und schwarze Haare allerdings nehmen zu. Die Zuwanderer werden in der ersten Generation braun-, dann wieder weißhäutiger, die blauen Augen schwinden zunächst, werden dann wieder mehr, während dem blonden Haar dasselbe nur in den kleineren Städten widerfährt. Schon die Zuwanderer zeichnen sich durch einen geringeren Brustumfang als die Landleute aus. Bei ihren Kindern schrumpft er weiter, nimmt dann aber in den folgenden Generationen markant (kleine Städte) oder unwesentlich (größere Städte) zu. Unterschiede des Schädelinhalts sind nicht zu verzeichnen.52 Zusammengefasst: »Mindestens 98 Procent der Wehrpflichtigen sind Mischlinge mit untypischen Merkmalen in den verschiedensten möglichen Zusammenfügungen.«53 Reine, oder wenigstens halbwegs reine Rassen gebe es nicht mehr, hatte er zuvor schon William Z. Ripley geschrieben.54 Ein Leser mag sich, wenn er Ammons Buch und solche ungedruckten Quellen liest, fragen, ob da in acht Jahren nicht weitgehend wertloses Material hervorgebracht worden ist, das insignifikante Differenzen mit widersprüchlichen Erklärungen kombinierte. Aber Ammon kartierte seine Ergebnisse sogar 49 | Ebd., S. 26 (Hervorh. im Orig.). 50 | Ebd., S. 124 (Hervorh. im Orig.). 51 | Ebd., S. 199 (Hervorh. im Orig.). 52 | Vgl. ebd., S. 123f., 198f., 456-458, 498-500. 53 | Ebd., S. 211 (Hervorh. im Orig.). 54 | Vgl. Otto Ammon an William Z. Ripley, 28.12.1895 (UAFr, C 75/60).
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Bezirk für Bezirk und in Farbe, um sie plastisch vor Augen zu führen,55 er glaubte daran, dass seine Daten signifikante anthropologische Unterschiede belegt hätten, die seine Grundannahmen erhärteten. Ungereimtheiten gehörten zur wissenschaftlichen Arbeit. Sie stellten die Ergebnisse nicht in Frage, sondern würden durch weitere Forschungen eliminiert werden. Gerade Rassenfragen, die bei Ammon im Zentrum standen, galten als äußerst verwickelt, deshalb durfte man keine voreilig kritischen Schlüsse ziehen. Vielleicht konnte er deshalb vollkommen widersprüchliche Befunde als Beleg seiner Theorie deuten: »Ich habe in dieser Hinsicht merkwürdige Thatsachen aufgefunden: Wo das Volk sehr stark brachycephal [rundköpfig] ist, da sind die gebildeten Klassen mehr dolichocephal [langköpfig] oder mesocephal [rund- bis langköpfig]; wo aber das Volk im Süden von Europa mehr dolichocephal ist, da sind die gebildeten Klassen mehr brachycephal. […] Aehnlich scheint es in Spanien zu sein. Wenn man die Tabelle von Oloriz drauf hin ansieht […], so erkennt man, dass die Gebildeten ebenfalls in den langköpfigen Provinzen rundköpfiger, in den kurzköpfigen mehr langköpfig sind, wenn man nämlich die Stadtbewohner als die ›Gebildeteren‹ ansieht. Auch de Lapouge hat ähnliche Resultate, die meine Theorie unterstützen. Ausserdem sind in Italien und Spanien diejenigen Provinzen, welche germanische Einwanderung hatten, mehr brachycephal, als die übrigen.«56 Und in einem anderen Brief: »You find the analogy [zu Italien] in France: in the north of France the plaines are occupied by the long-heads, the mountains by the short-heads, and in the south of France the inverse is the case. There the long-heads are descendants of aryan peoples, and here they are mediterraneans. Collignon says justly: ›C’est la loi générale: aux vainqueurs la plaine et les vallées, aux vaincus la montagne‹.«57 Ammons Nachfolger erwiesen der »Anthropologie der Badener«, als einer der wichtigsten Referenzstudien der Anthropologie, noch lange ihre Ehre. Das ist das Entscheidende für die Geschichte der Bevölkerungswissenschaften, nicht was wir heute von diesem Buch halten oder ob wir dessen zahlreiche Mängel aufdecken. Ammon hatte sich der Mühe unterzogen, eine größere Region zu untersuchen. Neben und nach ihm sollten das nur Rudolf Virchow und Egon Freiherr von Eickstedt tun; die zahllosen Doktoranden in der Anthropologie und Rassenkunde beschränkten sich stattdessen auf jeweils ein bis zwei Dörfer. Deshalb konnten Anthropologen fortan die badische Studie wie ein Versprechen auf die Zukunft behandeln: Eine flächendeckende, detaillierte anthropologische Erhebung war machbar und wünschenswert. In Ammons Buch begegnen wir den wichtigen Elementen der späteren Rassenanthropologie: dem Zusammenhang von physischer Konstitution und 55 | Vgl. O. Ammon, Anthropologie der Badener, Tafeln III-XV. 56 | Otto Ammon an William Z. Ripley, 31.1.1896 (UAFr, C 75/60 [Hervorh. von mir]). 57 | Otto Ammon an Carlos C. Closson, 5.2.1896 (UAFr, C 75/60).
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Rasse, dem Konnex von Rasse und Sozialschicht, dem Stadt-Land-Gegensatz als Verschmelzung von Raum, Rasse und Schicht; außerdem dem Dualismus von Ebene und Berg, groß und klein sowie hell und dunkel. Und auch auf die Offenheit für die Unzulänglichkeiten der eigenen Datenbasis sowie die Retusche durch irgendwie plausibel klingende Hypothesen werden wir noch öfter stoßen.
8. Anthropologie und »Rasse«
Folgen wir Benoît Massin, so waren die Rassentheoretiker bis 1910 Außenseiter in der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft geblieben. Erst als nach der Jahrhundertwende die Kraniologie in die Krise geriet, habe der Sozialdarwinismus die physische zur biologischen Anthropologie ummodeln können; am Ende standen Rassismus und Nationalsozialismus.1 Robert Proctor dagegen hat eine allmähliche Anreicherung der Anthropologie mit rassenkundlichem Denken ausgemacht, also eine kontinuierliche Verschiebung, bis Anthropologie und Eugenik in der Weimarer Republik verschmolzen waren. Deshalb könne auch die enge Verflechtung von Anthropologie und »Drittem Reich« nicht verwundern; sieben von neun Ordinarien des Faches seien Mitglied der NSDAP gewesen (ein weiterer, Egon Freiherr von Eickstedt, war nicht aufgenommen worden), mehrere in der SS.2 Christian Geulen schließlich hat herausgearbeitet, wie sehr die Arbeiten der »liberalen« Anthropologen Rudolf Virchow und Franz Boas dem Rassendenken Vorschub geleistet haben. Ihr Rassenbegriff sei zwar ein anderer als der biologisch aufgeladene des 20. Jahrhunderts und besonders des Nationalsozialismus gewesen, nämlich ein eher deskriptiv-funktionaler. Doch »spricht einiges dafür, dass der Begriff der ›Rasse‹ im späten 19. Jahrhundert weit mehr war als nur die Zauberformel radikaler Nationalisten, Kolonialisten und Biologisten; dass in und mit ihm grundlegende Probleme sozialer und politischer Orientierung in der modernen Gesellschaft verhandelt wurden, die auch heute noch (wenngleich in veränderter Form) zur Disposition stehen.«3 Schon die Anthropologen im 18. Jahrhundert (und zuvor) versuchten, über Hautfarbe und Schädelform Rassenunterschiede festzustellen, die einzelnen Rassen als »zivilisiert« oder »barbarisch« zu werten und deren Stellung zwischen Mensch und Menschenaffen auszuloten;4 je nach Klassifikationssystem 1 | Vgl. B. Massin, From Virchow to Fischer. 2 | Vgl. R. Proctor, From Anthropologie to Rassenkunde. 3 | Vgl. C. Geulen, Blonde bevorzugt, S. 169. 4 | Vgl. G. Mann/F. Dumont (Hg.), Die Natur des Menschen.
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hatten sie zwischen drei und 16 Rassen ausgemacht.5 Ein kleiner Streifzug. Samuel Thomas Soemmering war 1785 einer der ersten, die versuchten, die Inferiorität der »Neger« gegenüber den Weißen und ihre Nähe zu den Affen zu belegen. Johann Friedrich Blumenbach beobachtete fünf Varietäten (Kaukasier, Mongolische, Äthiopische, Amerikanische und Malayische), deren Unterscheidung sinnvoll, aber willkürlich sei. Es gebe signifikante Differenzen zwischen den Völkern – Zähne, Farben, Körperbau –, die fließenden Übergänge zwischen den Varietäten zeigten freilich, dass es nur eine Menschengattung gebe. Henrich Steffens ging 1822 von unterschiedlichen Rassen aus, die sich mischen, aber nicht ineinander aufgehen könnten; die Frage sei, ob es einen Ursprung der Menschheit gebe. Carl Friedrich Heusinger machte 1829 fünf Rassen aus, die er an der Gesichtsform schied, in mehrere Stämme differenzierte (die ovalgesichtigen Kaukasier beispielsweise in den persischen, indischen, germanischen, keltischen, semitischen, nubischen, tatarischen, slawischen und finnischen Stamm) und von den Kaukasiern abwärts zu den Farbigen hierarchisch staffelte. Diese Rassen seien stark durch Klima und Sozialorganisation geprägt, sie zeichneten sich durch spezifische anthropologische Merkmale aus, außerdem durch die Verbindung psychischer und körperlicher Eigenschaften. Kein Jahrzehnt später, 1837, bezeichnete Karl Friedrich Burdach Rassen als bloße Umweltmodifikationen eines ursprünglichen Typus; auch bei ihm bildete die Menschheit eine Gattung; auch bei ihm wurde eine Rasse durch die Verbindung von Körper und Seele konstituiert. Im selben Jahr hatte Friedrich Tiedemann vier »Negerhirne« untersucht und festgestellt, dass sie mehr dem Hirn des Menschen als des Orang-Utans ähnelten; den Afrikanern könne daher der Rang des Menschen nicht abgesprochen werden. Carl Vogt dagegen postulierte 1863 ursprüngliche Unterschiede zwischen den Rassen; Rassenmischungen seien nicht per se schlecht, könnten die Rassengrenzen aber ebenso wenig wie Umweltmodifikationen verwischen, während es Johannes Ranke 1867 eher mit Blumenbach und Burdach hielt.6 Dieser knappe Überblick zeigt uns, dass es im 19. Jahrhundert nichts Neues war, Rassen und Stämme zu differenzieren und diese Differenzen auf einer Korrelation von anthropologischen, seelischen (psychischen) und sozialen Merkmalen zu gründen, egal ob die Autoren von einer einzigen Gattung Mensch, 5 | Vgl. die Synopse bei W. Scheidt, Allgemeine Rassenkunde, S. 71-73. 6 | Vgl. J. F. Blumenbach, Ueber die natürlichen Verschiedenheiten beim Menschengeschlechte; K. F. Burdach, Anthropologie für das gebildete Publicum; C. F. Heusinger, Grundriss der physischen und psychischen Anthropologie; S. Oehler-Klein, Einleitung; J. Ranke, Der Mensch, Bd. 2; H. Steffens, Anthropologie; F. Tiedemann, Das Hirn des Negers; C. Vogt, Vorlesungen über den Menschen. Vgl. auch K. E. von Baer, Vorlesungen über Anthropologie; C. G. Carus, Symbolik der menschlichen Gestalt; A. Weisbach, Körpermessungen verschiedener Menschenrassen.
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bloßen Modifikationen oder ursprünglichen Unterschieden ausgingen und was sie von der Stellung der »Neger« zwischen Affe und Mensch oder der Rolle der Umwelt hielten. Aber was heißt das für die physische Anthropologie? Hatte sie den Rassismus des 20. Jahrhunderts vorgedacht? In seiner Antrittsrede an der Universität Zürich (1901) postulierte Rudolf Martin klar und deutlich, dass der Schädel eines Menschen niemals seine Nationalität ausdrücke: »Vor dem Forum der Physischen Anthropologie giebt es weder Deutsche, noch Schweizer, noch Franzosen, sondern einfach morphologische Typen.« 7 Jedes Volk, jede Nation bilde nur ethnisch eine Einheit, sei physisch-anthropologisch aber vielfältig. Das heißt allerdings nicht, dass er den Begriff der »Rasse« ablehnte. In seinem Lehrbuch zur Anthropologie beschrieb er in einem langen anthropografischen Abschnitt die menschlichen Rassen.8 Er überführte dazu die Daten zahlreicher anthropologischer Untersuchungen in Maßtabellen, um Körperformen und Körpergrößen zu klassifizieren und Körpergrößengruppen bilden zu können. Er stellte eine Korrelation zwischen Körpergröße, Umweltbedingungen und Raum her, bezog die Proportionen der Körper und die Körpermaße auf einzelne Stämme, Ethnien, Nationalitäten, auf Stadtbewohner, Irokesen, Buschmänner, Litauer, Badener, Juden, Japaner oder Pariser und operierte mit Kategorien wie »fein« und »plump« oder »groß« und »klein«. Er zeichnete nach, wie die Industrialisierung körperlich tüchtige Elemente in die Städte zog, die Körpergröße dort im Schnitt größer war und diese Selektion vererbt wurde, so dass sich die Körperbeschaffenheit einer Rasse auf lange Sicht verändern konnte. Umweltbedingungen vermochten die Bedeutung der Rasse nie ganz zu verwischen. Liest man dieses Lehrbuch, entsteht rasch der Eindruck, dass es Martin weniger um Rassen in dem Sinne zu tun war wie später den Nationalsozialisten, sondern eher um ästhetische Urteile, etwa die latente Geringschätzung kleiner, plumper und die Wertschätzung großgewachsener, feingliedriger Menschen. Auf diese Weise schrieb er sich in die zeitgenössischen Rassenklassifikationen ein, ohne sozialdarwinistische Theoreme oder die im »Dritten Reich« zentrale Differenz zwischen einer »nordischen« Rasse und »minderwertigen« Rassen zu propagieren. Sein Kollege Johannes Ranke hatte bereits 1887 Körperproportionen, Geschlechterdifferenz und Sozialschicht (definiert über die Profession) korreliert: »Der vollen typischen Entwickelung der Körpergestalt des Erwachsenen«, so beginnt sein Argument, »entsprechen eine im Verhältnisse zur Rumpflänge größere Länge beider Extremitäten und ein im Verhältnisse zur Länge der obern Extremitäten längeres Bein. Dagegen bedeuten ein relatives Stehenbleiben auf einer individuell niedrigern Entwickelungsstufe der menschlichen Proportionen eine im Verhältnisse zur Rumpflänge geringere 7 | R. Martin, Anthropologie als Wissenschaft und Lehrfach, S. 17. 8 | Vgl. R. Martin, Lehrbuch der Anthropologie, S. 204-474.
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Abb. 12: Eines von zahllosen anthropologischen Maßen, die erhoben wurden: die durchschnittliche Höhe des Bauchnabels bei unterschiedlichen Rassen. An den Kategorien fällt auf, dass Professionen (»englische Studenten«), Nationalitäten, geografische Zuordnung (»Araber«) und Körpergröße (»Pygmäen«) umstandslos nebeneinander gestellt und unter dem Begriff der »Rasse« vereinheitlicht sind. Wie in anderen Untersuchungen auch, sind die Daten lückenhaft, hier besonders bei Frauen (1914).
Länge beider Extremitäten und ein im Verhältnisse zur Länge der obern Extremität kürzeres Bein.«9 Die Proportionen aber seien bedingt durch die Belastung der Gliedmaßen. Männliche Proportionen näherten sich deshalb der typisch-menschlichen Körperentwicklung stärker an als weibliche; die Frauen und die mechanisch durchgebildeten Körper der Matrosen stünden dem kindlichen Körper näher, seien also auf einer entwicklungsgeschichtlich niedrigeren Stufe angesiedelt. Eine Mittelstellung nahmen für Ranke die (Land-) Arbeiter mit ihren extrem kräftigen Oberkörpern und weniger entwickelten 9 | J. Ranke, Der Mensch, Bd. 2, S. 74.
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Unterkörpern ein: »Im Vergleich mit dem Studierten erhebt sich der Arbeiter über diesen durch die im Verhältnisse weit längern Arme und durch einen im Verhältnisse zu den Armen kürzern Rumpf, dagegen bleibt die Beinlänge wesentlich zurück, und im Verhältnisse zur Gesamtkörpergröße erscheint sogar der Rumpf des Arbeiters etwas länger. Im Vergleiche mit der Körpergröße sind auch die Arme des Arbeiters länger, entwickelter als die des Matrosen. Den Typus dieser Körperform des Arbeiters erkennen wir in jenen mächtigen, breitschulterigen, untersetzten Gestalten mit langen Armen, den Zyklopen an der Schmiedeesse. Bei den höhern, nicht mechanisch arbeitenden Ständen finden wir dagegen eine im allgemeinen mehr jugendliche, in gewissem Sinne den weiblichen Formen sich mehr annähernde Körpergestalt. Der ›schwache Charakter‹ eines weitaus zu kurzen Armes mit dem relativ etwas längern, absolut aber immer noch ziemlich kurzen Beine lässt bei den Männern der nicht mechanisch arbeitenden Stände das typisch-menschliche Verhältnis, nach welchem das ›freie Bein‹ an Länge den Arm mit der Hand in höherm Maße überwiegt, in extremem Maße hervortreten. Dadurch bekommt trotz der etwas zu bedeutenden Rumpflänge die Gestalt der Vertreter höherer Stände ein Moment höherer typisch-menschlicher Schönheit. Wie das Weib, hat auch der nicht mechanisch arbeitende Mann kleinere Hände und Füße, kürzere Unterarme und Unterschenkel.«10 Kurzer Rumpf, breites Kreuz und längere Arme erinnern an Menschenaffen, männliche Schönheit dagegen wird mit den Oberschichten und Frauen assoziiert (interessanterweise zugleich mit nicht idealen Proportionen – zu kurze Extremitäten – und weiblicher Schwäche). Grundsätzlich spielte Harmonie eine große Rolle für Rankes Anthropologie. Die einzelnen Körper verglich er mit den Teilen einer Welle im Wasser. Durch »einen Ruderschlag erzeugt, läuft die Welle über die glatte, spiegelnde Wasserfläche für unser Auge als ein einheitliches körperliches Formwesen. Sie ist der Ausdruck einer Summe rhythmischer Bewegungen wechselnder, immer neuer, immer anderer Wasserteilchen. […] Zunächst erscheint uns die gesamte Menschheit unter dem Bilde einer Welle, die über die bewohnte Erde hingeht, den sich ihr darbietenden organischen Stoff ergreifend, formend und ihn dann dem Meere von Stoffen zurückgebend, die dem organischen Leben dienen. Wie die Welle als Gesamtheit fortschreitet, so wechseln die Generationen, und die Bewegung des Wasseratomes, welches einen Augenblick lang die Welle formen hilft, entspricht dem Leben des einzelnen Menschen.«11 Und so harmonisch die Wellenbewegung, so sehr erfreute sich Ranke an der idealen Menschengestalt. Für Europa »hat der griechische Meißel der altklassischen Periode die menschliche Idealgestalt für alle Zeiten gefunden und festgehalten.« Räume wie Ägypten, Afrika oder 10 | Ebd., S. 78 (Hervorh. im Orig.). 11 | Ebd., Bd. 1, S. 1 (Hervorh. im Orig.).
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Australien hätten freilich ihre eigenen Idealgestalten, und erst wenn man all die unterschiedlichen »Menschenideale zu einer mittleren Einheit [verschmelze], würden wir das Idealbild der gesamten Menschheit erhalten.«12 Da noch Tausende von Messungen fehlten, um diese ideale Körperform wissenschaftlich exakt bestimmen zu können, müsse man vorerst auf Künstler wie Raphael vertrauen. Sie stellten die europäischen Menschen auf eine Weise dar, »die auf jeden Beschauer den Eindruck des harmonischen Ebenmaßes der Gliederung hervorbringt« – auch wenn es nicht einfach sei, dieses »Ebenmaß, welches wir als richtiges durch den allgemeinen Eindruck erkannt haben, nun auch nach Zahlenwerten zu definieren.«13 Ranke wusste, dass dieses Ideal kaum die Realität traf, aber es drückte für ihn eine grundsätzlich in der Natur waltende Harmonie aus, die der Anthropologie als Maßstab für ihre Messungen dienen und umgekehrt durch diese bestätigt werden sollte. Zugleich verwahrte er sich allerdings gegen den – für die spätere Vernichtungspolitik grundlegenden – Gedanken, man könne bestimmte Menschengruppen aus der Menschheit ausgrenzen, indem man sie zu »Mittelglieder[n] zwischen Mensch und Affe« erkläre. »Es existieren in der Gegenwart in der gesamten bekannten Menschheit weder Rassen, Völker, Stämme oder Familien noch einzelne Individuen, welche zoologisch als Zwischenstufen zwischen Mensch und Affe bezeichnet werden könnten.«14 Den ästhetisch imprägnierten anthropologischen Zugriff Martins und Rankes werden wir in der späteren Rassenanthropologie wiederfinden. Einen zweiten Zugriff fand sie in der Schulkinderuntersuchung Rudolf Virchows, der anderen zentralen Referenzstudie der Anthropologie. Virchow – ein höchst einflussreicher liberaler Politiker, Mediziner, Hygieniker, Anthropologe und Archäologe – hatte seine Studie 1886, also vor Otto Ammons »Badenern«, publiziert und er ist methodisch anders vorgegangen als jener. Mit Erlaubnis der Behörden hatte er Lehrer in ganz Deutschland beauftragt, Augen-, Haarfarbe und Alter der Schulkinder zu notieren und das Material der Anthropologischen Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Otto Ammon hielt dieses Vorgehen für zu fehleranfällig, da man die Arbeit Tausender von Lehrern nicht kontrollieren könne,15 Virchow selbst räumte ein, dass beispielsweise die blauen kaum von grauen Augen zu unterscheiden seien, letztere wurden im Zweifelsfall als »blau« gewertet. Virchow ging von zwei Hypothesen aus. Die erste besagte, dass blaue Augen auf eine reine (nordische) Rasse schließen ließen, die zweite, dass die Vorstellung, alle Menschen stammten von einem Urvolk in Asien ab, erschüttert sei. Vielmehr habe es wohl mehrere indigene Bevölkerungen in Europa ge12 | Ebd., S. 2f. (Hervorh. im Orig.). 13 | Ebd., S. 4. 14 | Ebd., Bd. 2, S. 341, 344, 359 (Hervorh. im Orig.). 15 | Otto Ammon an William Z. Ripley, 28.4.1897 (UAFr, C 75/119).
Anthropologie und »Rasse«
geben, die durch »die sogenannte arische (indogermanische) Einwanderung« nicht verdrängt oder vernichtet wurden, sondern sich gehalten »und später, vielfach gemischt mit den einwandernden Eroberern, eine Hauptquelle für die neuere Bevölkerung gebildet haben. Letztere würde daher eine Mischrasse darstellen, wobei natürlich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass in gewissen Gegenden reinere und mehr unvermischte Bruchtheile, sei es der Urbevölkerung, sei es der Einwanderer, übrig geblieben wären.«16 Sollte sich, so Virchow, die Ansicht bestätigen, dass die Langköpfigen blond und hellfarbig, die Kurzköpfigen aber brünett und dunkelfarbig seien, »so liesse sich über den Gang der vorausgesetzten Mischung und über die Verbreitung der verschiedenen Bevölkerungen auch in vorgeschichtlicher Zeit daraus sehr werthvolles Material gewinnen.«17 Das zu wissen, sei Vorbedingung für die Kultur- und Vorgeschichte eines jeden Landes, »sie ist aber zugleich auch Vorbedingung für eine genauere Kenntnis der Eigenschaften der einzelnen Völker und Stämme, und für ein Verständnis der Besonderheiten, wie sie in verschiedenen Abschnitten derselben Nation – und so auch der deutschen – mit grosser Schärfe hervortreten.«18 So genau traten diese Besonderheiten in Virchows Ergebnissen dann doch nicht zu Tage. 39,55 % der Schulkinder hatten blaue, 27,21 % braune, 33,18 % graue Augen; die Vergleichszahlen für jüdische Schulkinder lauteten 19,3 %, 51,99 % und 27 %. Die Faktoren variierten je nach Landesteil, die Kombination blau/hell überwog im Norden. Die Kurzköpfigen und Brünetten schienen auf dem Vormarsch, doch insgesamt erwiesen sich die Zahlenverhältnisse als eher uneindeutig. Auch gab es einen überraschend hohen Anteil blonder bzw. blauäugiger Juden – bis zu 30 bzw. 20 % –, und in Galizien war man auf blonde Slawen gestoßen. Unbezweifelbar schien allerdings, dass ein anthropologisch signifikanter Zusammenhang zwischen Kopfform, Farben und Abstammung feststellbar war. Ähnlich sah es mit zwei anderen Schulkinderuntersuchungen aus, deren eine von kraniologischen Daten auf rassische Zugehörigkeit schloss, beim Indikator für Begabung aber die Erkenntnis mitteilen musste, dass die blonden Langköpfe relativ schlecht abschnitten, ein Drittel war unterbegabt! Das wurde, wie bei Ammon, mit der langsameren Reife dieses Typus begründet, und nach weiteren Fehlerkorrekturen konnte dann der Schluss gezogen werden, »dass, wenn auch ein vorwiegender Zuzug der Langköpfe überhaupt nach der Stadt sich für Heilbronn [das Untersuchungsgebiet der Studie] nicht bestätigt hat, doch das begabtere Langkopfelement dem Zug nach der Stadt folgt, dass die Volksschulbildung der brachycephalen Begabung mehr entspricht, die Bildung der höheren Lehranstalten der der Langköpfe.«19 Die zweite Studie 16 | R. Virchow, Gesammtbericht, S. 280. 17 | Ebd., S. 280f. 18 | Ebd., S. 280. 19 | A. Schliz, Eine Schulkinderuntersuchung, S. 210.
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wollte sich vorsichtshalber zu »Rassen-Eigenthümlichkeiten« nicht äußern, da die Daten nur schwache Differenzen aufscheinen ließen. Aber durch weitere Erhebungen sollten diese Differenzen gesichert werden, um anthropologische Durchschnittstypen immer deutlicher und reiner hervortreten zu lassen.20 Dieses unscharfe rassische Denken zeigt sich auch im Umgang mit Juden. Virchow hatte in seiner Studie die Religion erfragen lassen, um die angestrebte Differenzierung »der blonden und brünetten Rasse« nicht durch »das jüdische Element« zu verunreinigen. Das hatte bei Katholiken für Aufregung gesorgt, weil die – kurz nach der endgültigen Beilegung des »Kulturkampfes« im Kaiserreich – erneut eine staatliche »Inquisition« befürchteten. Aber, so beruhigte Virchow, die Herausnahme der Juden »hat natürlich keinen Bezug auf ihre Religion, sondern nur auf ihre Abstammung«.21 Ihm ist zwar später attestiert worden, dass seine Ausgrenzung der Juden nicht antisemitisch gemeint gewesen sei.22 Tatsächlich aber standen Juden unter besonderer Beobachtung von Anthropologen. So meinte Ludwig Stieda 1883 herausgefunden zu haben, dass Juden kleiner und schwächlicher seien als Polen. Constantin Ikow veröffentlichte im Jahr darauf eine Studie, die darauf abzielte, die Juden anthropologisch als Stamm zu charakterisieren. Ikow selbst hatte 120 lebende Juden sowie 50 Schädel Toter vermessen, zudem die Ergebnisse anderer Autoren hinzugezogen, deren Material stark divergierte und von einem einzigen Schädel bis zu 20 lebenden Probanden reichte. Der Datenmangel, darauf wies Ikow explizit hin, war allerdings zu eklatant, um die Existenz zweier jüdischer Stämme, nämlich der semitischen und der nichtsemitischen Juden, wirklich erklären zu können. Felix von Luschan sah in den Juden eine eigene Rasse, die sich aus arischen Amoritern, Semiten und den Nachkommen der Hethiter zusammensetzte, sie verwaltete also das Erbe alter Hochkulturen. Sie war nicht inferior, werde bald völlig mit den Ariern verschmelzen und sei ein Bündnispartner im Kampf um Freiheit und Fortschritt.23 Wie auch immer die weltanschauliche oder politische Haltung der Anthropologen aussah, Juden waren eine Gruppe, die sie als eine Ethnie (nicht als religiöse oder soziale Formation) ins Visier nahmen. Man sollte die anthropologischen Untersuchungen nicht mit ihren Effekten verwechseln. Was Virchow mit seiner Schulkinderuntersuchung vorgehabt hatte, war das eine, was seine Leser daraus gemacht haben, das andere. Virchows Studie, meint Andrew Zimmerman deshalb, »may have unintentionally provided an important practical basis for German racial anti-Semi20 | Vgl. Landsberger, Das Wachsthum im Alter der Schulpflicht (Zitat S. 236). 21 | R. Virchow, Gesammtbericht, S. 276, 281. 22 | Vgl. B. Massin, From Virchow to Fischer, S. 86. 23 | Vgl. C. Ikow, Neue Beiträge zur Anthropologie der Juden; F. von Luschan, Die anthropologische Stellung der Juden; L. Stieda, Ein Beitrag zur Anthropologie der Juden.
Anthropologie und »Rasse«
tism.«24 Von Beginn an sei die Annahme einer rassischen Differenz zwischen deutschen Juden und Nichtjuden erkenntnisleitend gewesen. Die Lehrer beispielsweise hätten 91,5 % der nichtjüdischen, aber nur 74,4 % der jüdischen Schüler »weiße Haut« attestiert. Für Zimmerman ist das ein Beleg dafür, »that they [die Lehrer] had already begun to acquire the discriminating eye that Virchow’s study demanded.«25 Virchow war also für die Folgen seiner Schulkinderuntersuchung nicht verantwortlich, und er hatte es durch zweifelhafte Formulierungen nicht provoziert, aber in der Rezeption verselbständigte sich das Material und leistete dem Interesse Vorschub, Juden als eine Rasse anhand spezifischer Merkmale zu identifizieren.26 Die Zeitungen berichteten über die Studie, und »[a]lmost immediately, the color of the Jewish and non-Jewish students, as well as the number of Jews in a given area, became public knowledge.«27 Selbst Juden waren in diesem Denken befangen, wenn sie die Existenz einer »jüdischen Rasse« diskutierten oder den Antisemitismus mit speziellen Judenstatistiken bekämpfen wollten.28 Virchows Untersuchung, so folgert Andrew Zimmerman, »taught neither anti-Semitism nor philo-Semitism as explicit political opinions, but rather, far more fundamentally, a set of skills prior to both of these opinions«, und so habe »a significantly large group of Germans learned a set of tacit skills necessary for the subsequent development of racist, anti-Jewish ideology and politics.«29 Das ist überspitzt. Zimmerman selbst merkt an, dass wir die Rezeption der Studie nur bis in die Zeitungen verfolgen können, nicht aber hinein in die Köpfe der Leser. Er hat aber einen wichtigen Punkt getroffen. Denn letztlich fielen die empirischen Ergebnisse der physischen Anthropologie zwar recht ambivalent aus, und der Begriff der »Rasse« blieb eher vage. Aber es ist unverkennbar, dass sie versuchte, ethnische und soziale Differenzen, die sich an vermeintlich natürlichen, nämlich anthropologischen Sachverhalten ablesen ließen, zu »objektiven« Tatsachen zu erhärten. Man könnte dabei für viele dieser Anthropologen kaum Verbindungen ins 20. Jahrhundert herstellen, suchte man nur nach explizit rassistischem Denken. Es war ein eher hintergründiges Generalthema, das eine Spur ins 20. Jahrhundert legte, nämlich die Sehnsucht nach einer klar gegliederten Welt, die über den wissenschaftlichen Habitus, die Welt in Taxonomien zu erfassen, hinausging. Es lässt sich aus einer Reihe von Texten ein deutliches Unbehagen an der sozialen Dynamik der modernen Welt herauslesen, und der Versuch, diese Dynamik zu bremsen, indem anthro 24 | A. Zimmerman, Anti-Semitism as Skill, S. 410. 25 | Ebd., S. 425. 26 | Vgl. C. Goschler, Rudolf Virchow, S. 336-345. 27 | A. Zimmerman, Anti-Semitism as Skill, S. 425. 28 | Vgl. N. Berg, Vertrauen in Zahlen; V. Lipphardt, Biologie der Juden. 29 | A. Zimmerman, Anti-Semitism as Skill, S. 426f.
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pologische »Urzustände« herausgearbeitet wurden. Das konnte eine rassistische Schlagseite haben, doch offen rassistisch wurde erst die spätere Rassenanthropologie. Von ihrer Vorgängerin im 19. Jahrhundert jedoch übernahm sie Instrumentarien und Interpretamente, ohne die die spätere dezidiert soziobiologische Ausrichtung von Anthropologen nicht möglich gewesen wäre.
9. Die Toten herrschen über uns Eugenik und Darwinismus
Die Geschichte der Eugenik ist schon oft erzählt worden, deshalb soll hier eine knappe Skizze genügen.1 Der Begriff »Eugenik« ist von dem britischen Wissenschaftler Francis Galton geprägt worden und bezeichnete das Bemühen, positive Erbanlagen von Menschen zu fördern, negative dagegen zu reduzieren. Dahinter stand der Gedanke, dass man Menschen eigentlich wie Tierrassen züchten können müsste. Nach einigen Versuchen wurde klar, dass das nicht machbar war. Die negative Eugenik jedoch erfreute sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts großer Popularität. Sie versprach, die große, existenzielle Krise zu lösen, die die bespiellose Dynamik moderner Industriegesellschaften hervorgerufen zu haben schien. Bereits im England des 18. Jahrhunderts hatte man nämlich beobachten können, was die Industrialisierung bedeuten werde. Urbanisierung, Technisierung, Mobilität, die Veränderung der Geschlechterverhältnisse oder der Umbau politischer Verfassungen brachten vollständig neue Lebensgewohnheiten hervor. Immer mehr Menschen zogen in die Großstädte, das Leben beschleunigte sich rapide, die Arbeiterschaft stieg auf, später begannen Frauen zu studieren. Der Kontinent folgte dieser Entwicklung mit einigen Jahrzehnten Verzögerung; sie wurde als tiefer Einschnitt wahrgenommen. Besonders in den neuen Großstädten wuchsen Armut und Elend, und von hier aus schienen »Asoziale« die bürgerliche Welt zu überschwemmen, während sich der Bauernstand durch die zunehmende Verstädterung dezimierte.2 Um die Jahrhundertwende sahen sich die europäischen Gesellschaften dann in einer tiefen Krise.3 Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Ausein1 | Vgl. ausführlich S. Kühl, Die Internationale der Rassisten. Ich greife in diesem Kapitel teilweise auf Abschnitte zurück aus T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 27-40. 2 | Vgl. C. A. Bayly, Die Geburt der modernen Welt; J. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt; N. Stone, Europe Transformed. 3 | Vgl. A. Doering-Manteuffel, Konturen von »Ordnung« in den Zeitschichten des 20. Jahrhunderts.
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andersetzungen wie der Krimkrieg oder der amerikanische Bürgerkrieg sowie mehrere schwere Rezessionen verdeutlicht, wie wenig die Geschichte noch von Menschen »gemacht« wurde. Die Eugenik war Teil des damals florierenden Verfallsdenkens, zugleich verhieß sie wissenschaftlich fundierte Lösungen. Sie bot eine überzeugende Deutung für die vermeintliche Bedrohung der bürgerlichen Welt, indem sie auf »minderwertige« Menschen abhob. Philanthropen des 19. Jahrhunderts hatten noch zwischen bildungsfähigen und bildungsunfähigen Menschen unterschieden. Das war eine moralisch aufgeladene Scheidung zwischen einem »rechten« und einem »unrechten« Verhalten von Individuen, den Eugeniker dann in ein Krankheitsbild verwandelten. Denn als Charles Darwins Evolutionstheorie zeigte, dass die Natur von den einzelnen Spezies erhebliche Anpassungsleistungen verlangte und dass diese entweder im Laufe von Generationen mutierten oder aber der Auslese zum Opfer fielen, wurde das, sozialdarwinistisch gewendet, auf die sozialen Veränderungen und Probleme der expandierenden Industriegesellschaften übertragen. Grundsätzlich, so die Behauptung, hielt sich die Natur durch die ständige Auslese von Arten, die nicht mehr der Umwelt angepasst waren, in einer idealen Balance. In der industriellen Moderne war die menschliche Gesellschaft dagegen aus dem Lot geraten. Die »natürliche Auslese« schien außer Kraft gesetzt, weil immer mehr »untüchtige« Menschen Dank medizinischer und – noch vollkommen rudimentärer! – sozialpolitischer Maßnahmen überlebten. Wegen ihres angeblich überdurchschnittlich ausgeprägten Geschlechtstriebes würden sie ihre gravierenden moralisch-biologischen Defekte an zahllose Nachkommen vererben und sich dadurch progressiv bis zum Untergang der Gattung Mensch multiplizieren. Das wachsende Elend der Unterschichten wurde demnach als Indiz einer zunehmenden biologischen Entartung der Gattung Mensch gedeutet, die dem modernen Leben geschuldet sei, nicht etwa einer ungerechten Wirtschafts- und Sozialordnung. Damit war der Sprung von der Natur auf die Gesellschaft vollzogen, und zwar von Darwins rein physiologischer Anpassungsfähigkeit aller Lebewesen an ihre Umwelt auf die Bedeutung individueller Qualitäten von Menschen für das Fortbestehen der menschlichen Gattung bzw. der Sozialordnung. Immerhin meinte man, mit Hilfe der 1900 wiederentdeckten Vererbungsgesetze Gregor Mendels – der durch die Kreuzung grüner und gelber Erbsen festgestellt hatte, dass Eigenschaften (z.B. die Farbe) über mehrere Generationen hinweg verborgen weitergegeben werden konnten, bevor sie wieder sichtbar wurden – sowie August Weismanns Theorie des Keimplasmas, das für die Weitergabe und damit Kontinuität der Erbeigenschaften zuständig sein sollte, wenigstens die biologischen Mechanismen durchschaut zu haben. Deshalb etablierte sich die Eugenik – in Deutschland hieß sie Rassen- oder Sozialhygiene – um die Jahrhundertwende mit Institutionen und personalen
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Netzwerken in Europa und den USA und sie verfestigte sich als Denkstil, der auch auf die Anthropologie übergreifen sollte. Allerdings blieb die Eugenik immer ein Hybrid. In ihr »tummelten sich etablierte Wissenschaftler aus so unterschiedlichen Feldern wie Anthropologie, Psychiatrie, Biologie, Psychologie, Agrarwissenschaft oder Soziologie, die Eugenik als eine angewandte Wissenschaft etablieren wollten, genauso wie Amateurwissenschaftler ohne Verankerung in Universitäten oder Forschungsinstituten, die sich durch die politische Programmatik der Eugenik angezogen fühlten und diese Programmatik durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sehen wollten.«4 Sie war eine Mischung aus Wissenschaft und politischer Bewegung, zu breit angelegt, um sich als eigenständige Disziplin mit einem eindeutigen Methodenkanon zu stabilisieren, blieb »letztlich nur ein ›moderner‹ Weg, um in biologischer Terminologie über soziale Probleme zu reden.«5 Aber sie war Teil des groß angelegten Versuchs, die biologischen Grundlagen sozialen Verhaltens und sozialer Hierarchien freizulegen. Der deutsche Rassenhygieniker Max Gruber formulierte es apodiktisch so: »Die hygienisch beste Gestaltung der äußeren Lebensbedingungen bleibt häufig ohnmächtig gegenüber einer fehlerhaften Erbanlage[,] und was an den Keimen gesündigt worden ist, kann durch die sorgsamste Pflege der Früchte nicht mehr gut gemacht werden. Die Individuen sind nicht bloß deshalb ungleich, weil sie seit ihrer Geburt unter ungleichen Lebensbedingungen gestanden sind, sondern sie sind ungleich, von ungleichem sozialen und biologischen Wert von Geburt aus, von ihrer Erzeugung her, weil sie aus ungleichwertigen Keimen hervorgegangen sind. Und die Keime sind auch wieder nicht nur deshalb ungleich, weil ihre individuelle Bildung unter ungleichen Bedingungen erfolgt ist; sondern: wie die Individuen von Anbeginn ihrer Existenz an ungleich sind und nachträglich nicht mehr gleich wertvoll und brauchbar gemacht werden können, so sind auch die Familienstämme, die Erbmassen, die vererbten Qualitäten der Keimstoffe ungleich. Hier müssen also auch die Hebel angesetzt werden, wenn man seinem Volke eine sichere Zukunft bauen will. Förderung der Produktion des Nachwuchses aus den besten Erbmassen, Verhinderung der Fortpflanzung der schlechtesten Erbmassen, Unterdrückung einzelner Fehler der einen Keimmasse durch Kreuzung mit einer in diesem Punkte fehlerfreien, wo dies möglich ist, Verhütung des Neuentstehens von Keimfehlern. Nur dann, wenn wir neben der sorgsamen Hygiene der Umwelt diese Maßregeln ergreifen, werden wir gesunde und edle Generationen zu erzielen hoffen dürfen.« 6 Die vermeintliche biologische Erklärung moderner Entwicklungen war in Wirklichkeit eine ge4 | S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 19. 5 | Ebd., S. 20. 6 | M. Gruber, Vorwort, S. V.
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netische Differenzierung, die auf eine soziale und eine rassische Diskriminierung abzielte.7 Das konnte, so merkwürdig es klingen mag, durchaus human gemeint sein. »It should be clear that many German scientists and intellectuals [um die Jahrhundertwende] viewed racial extermination as an inevitable process that may be lamentable, but is ultimately beneficial for humanity. Only through racial extermination could humanity improve biologically and advance higher cultural levels, since the ›lower‹ races are not mentally capable of producing culture. […] German and Austrian Jews were just as likely to justify racial struggle and racial extermination as other German thinkers.«8 An eine gezielte Vernichtung von Juden war damit nicht gedacht. Ausgemerzt würden nur jene »Minusvarianten«,9 die ohnehin im »Kampf um das Dasein« unterlegen seien, zumeist indigene Völker fremder Kontinente, die von selbst verschwänden, ohne dass weiter nachgeholfen werden müsse, oder aber Individuen, die nicht länger für den Erhalt einer Spezies wertvoll seien, deren Lebenszeit deshalb abgelaufen sei. Das erforderte allerdings, so Wilhelm Schallmayer, eine neue Ethik. Sie werde die alte Ethik der Nächstenliebe und des Eigennutzes ablösen durch den wissenschaftlich fundierten Imperativ, dass die biologische Vitalität einer Nation an erster Stelle stehen müsse.10 Lange vor dem »Dritten Reich« erklärte deshalb auch der »liberale« Anthropologe Felix von Luschan, die Menschheit habe es in der Hand, sich vor den »minderwertigen« Elementen zu schützen und deren Zahl zu reduzieren – wie, das ließ er offen.11 Schon 1910 hatte Eugen Fischer die Eugenik zu der existenziellen Frage von Staaten und Kulturvölkern erklärt; noch 1926 klagte er, dass humanistisch gebildete Juristen historische Kenntnisse höher schätzten als anthropologisches Wissen.12 Und 1920 hatten ein Jurist und ein Mediziner offen die Euthanasie propagiert, um »leere Menschenhülsen«, »Defektmenschen« oder »geistig Tote« von ihrem Leid zu erlösen. Die Erhaltung von Leben negativen Wertes sei das Gegenteil von Mitleid; nur expliziter Einspruch der Betroffenen sollte ihre Tötung verhindern.13 Es war also eine sehr eigentümliche Art von »humanem« Denken. Die meisten Eugeniker hätten sicherlich lieber der Natur die Arbeit des Ausmerzens überlassen, doch bereiteten sie, aus ihrer spezifischen Welt7 | Zur Unterscheidung von genetischer (Eugenik) und rassischer (Rassismus) Diskriminierung vgl. M. Mattila, Old Arguments, New Truths, S. 179. 8 | R. Weikart, Progress through Racial Extermination, S. 286f. 9 | E. Schütt, Die erbbiologische Bestandsaufnahme, S. 242. 10 | Vgl. S. F. Weiss, Race Hygiene and National Efficiency, S. 80f. 11 | F. von Luschan, Völker, Rassen, Sprachen, S. 188. 12 | Vgl. E. Fischer, Aufgaben der Anthropologie, S. 754. 13 | Vgl. K. Binding/A. Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens (Zitate S. 55, 59).
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anschauung heraus, den nationalsozialistischen Massenmorden den Weg, aber auch den Zwangssterilisierungen in demokratischen Staaten. Der Erste Weltkrieg wirkte für die Eugenik wie ein Katalysator. Zuerst war er von Rassehygienikern begrüßt worden, die davon ausgingen, dass sich die besten Elemente bewährten, während die Untüchtigen dahingerafft würden. Wilhelm Schallmayer beispielsweise meinte 1903 herausgefunden zu haben, dass die deutschen und französischen Soldaten des Krieges von 1870/71 ihre Erfahrungen – Sieg oder Niederlage – als biologische Ausstattung an ihre Nachkommen vererbt hätten.14 Schon im ersten Monat des Jahres 1914 kannten die Maschinengewehre und Geschütze freilich keine Helden mehr. Gerade die biologisch »Tüchtigsten« fielen an der Front der »nonselektorische[n] Elimination« zum Opfer, schrieb Alfred Ploetz 1935.15 Ihre Frauen würden zu Witwen, der eugenisch erwünschte Nachwuchs bleibe aus. Offiziere fielen überdurchschnittlich oft, der Hunger dezimiere Frauen und Kinder in der Heimat, aus dem Krieg kämen »Krüppel« heim – die von anderen Autoren verdächtigt worden waren, ihre Behinderung zu vererben. Danach gehörten Eugeniker zum Lager der Kriegsgegner: »Da jeder moderne Krieg wie eine zermalmende Dampfwalze über die junge Saat neuen Lebens hinweggeht, sind und bleiben Rassenhygiene und Krieg unversöhnliche Gegensätze und wir Rassenhygieniker müssen den Frieden aufrichtig und mit tiefem Ernst erstreben und zu schützen suchen«, erklärte Ploetz.16 Das bestätigte nur die Angst, dass die gesellschaftliche Entwicklung vollkommen der menschlichen Kontrolle entgleiten und statt Fortschritt in Desintegration münden könnte, und in dieser Phase begann die Hochzeit der Eugenik. Vor dem Ersten Weltkrieg waren in den USA eine Reihe bundesstaatlicher Sterilisierungsgesetze von den Gerichten verworfen worden. Seit den frühen 1920er Jahren wurden neue Gesetze dann in der Schweiz, Deutschland, den USA und Skandinavien verabschiedet, um gezielt die Fortpflanzung sozial und biologisch »minderwertiger« Menschen zu kappen. Diese staatlichen Sterilisierungsmaßnahmen erfreuten sich über weltanschauliche Grenzen hinweg breiter Zustimmung. Die nationalsozialistische Rassenpolitik führte diesen internationalen Trend nur fort, um ihn in eine bislang ungekannte Vernichtungspolitik zu steigern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Eugeniker auf dem besten Wege, sich zu einer internationalen eugenischen Bewegung zu verdichten und in der Wissenschaftslandschaft zu etablieren. Zwar gab es Unterschiede zwischen Mendelianern und Lamarckisten, zwischen den eugenischen Bewegungen der einzelnen Länder und später bei den Radikalisierungstendenzen. Lamarckis14 | Vgl. W. Schallmayer, Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, S. 119f. 15 | A. Ploetz, Rassenhygiene und Krieg, S. 615. 16 | Ebd., S. 619. Vgl. dazu auch P. Crook, War as Genetic Disaster?; S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 55-65.
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ten hielten einen gewissen Anteil an Erbdefekten für grundsätzlich unproblematisch, erst ungünstige Umwelteinflüsse machten daraus pathologische Abweichungen. Deshalb setzten Eugeniker in Frankreich, Südamerika, Italien, Belgien oder Rumänien eher auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen, anders als deutsche, schwedische oder amerikanische Eugeniker, die den Primat der Veranlagung betonten. Im skeptischen Großbritannien wurden die Sterilisierungsprogramme nicht initiiert. Und nur in Deutschland führte eugenisches Denken zur massenhaften Vernichtung von Menschenleben. Trotz solcher Unterschiede war die Eugenik in unterschiedlichen Ländern und für ganz unterschiedliche Gruppierungen attraktiv. Konservative, Sozialdemokraten, Sozialisten, Frauenbewegungen, alle verbanden mit der Eugenik die Hoffnung, soziale Probleme lösen zu können. Es erschienen seit den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts zahllose Lehrbücher zur Eugenik und Erblehre, internationale Konferenzen wurden abgehalten, rassenhygienische Gesellschaften und Forschungsinstitute in den »Kulturstaaten«, wie es hieß, gegründet,17 das weltweit erste 1921 in Uppsala, in dem daraufhin die Garde der deutschen Eugenik, Anthropologie und Erbbiologie zu Vorträgen antrat.18 Letztlich handelte es sich um das Großprojekt einer moralischen Beschreibung der Welt. Der norwegische Eugeniker Jon Alfred Mjøen formulierte sie 1914 sehr düster: »Wir sind nicht Herren in unserem Haus, es sind die Toten, die herrschen. […] Der Toten Triebe stempeln uns, ihre Krankheiten folgen uns, um ihrer Orgien Willen müssen wir leiden.«19 Wilhelm Schallmayer hatte es 1891 etwas allgemeiner formuliert: »Unsere körperliche Beschaffenheit ist das Erbe von unzähligen Generationen, bei denen die natürliche Zuchtwahl voll oder doch nur wenig beschränkt gewaltet hatte. Was wir von unseren Vorfahren überkommen [sic] haben, das müssen wir als eine an unsere Nachkommen abzutragende Schuld ansehen.« 20 Diese Welt musste gegen die biologischen Geister der Vergangenheit, die in die Gegenwart krochen, verteidigt werden. 17 | Vgl. M. B. Adams (Hg.), The Wellborn Science; G. Broberg/N. Roll-Hansen (Hg.), Eugenics and the Welfare State; K. Kozuch, Zwischen Gebärzwang und Zwangssterilisation; S. Kühl, Die Internationale der Rassisten; U. Manz, Bürgerliche Frauenbewegung und Eugenik; R. Mocek, Biologie und soziale Befreiung; U. Planert, Der dreifache Körper des Volkes; I. Richter, Katholizismus und Eugenik; H. Schott, Zur Biologisierung des Menschen; M. Schwartz, Sozialistische Eugenik; P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz, Rasse, Blut und Gene. 18 | Dazu G. Broberg, Statlig rasforskning, sowie die Unterlagen des Institutes (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, A1:1, B3:1, E2:2). 19 | Zit. nach Sign. »Ottar«, Man måste skilja mellan rätten till att leva och rätten till att ge liv, in: Arbetaren, 24.4.1923 (Übersetzung von mir). 20 | W. Schallmayer, Ueber die drohende körperliche Entartung der Culturmenschheit, S. 20 (Hervorh. im Orig.).
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Die Eugeniker beschrieben eine Welt, wie sie aus Sicht einer bürgerlich-akademischen Schicht sein sollte, und wie sie erschreckenderweise war, also die Bedrohung des Lebensraumes und der Lebensweise einer sozialen Klasse.21 Das hatte Francis Galton schon 1869 nicht hinnehmen wollen. »I protest against the abler races [gemeint waren Sozialschichten] being encouraged to withdraw in this way from the struggle for existence. It may seem monstrous that the weak should be crowded out by the strong, but it is still more monstrous that the races best fitted to play their part on the stage of life, should be crowded out by the incompetent, the ailing, and the desponding.«22 Das zentrale Problem war, dass soziale Phänomene biologisch erklärt werden sollten, der naturwissenschaftliche Beweis aber mangels genetischer Kenntnisse nicht zu erbringen war. Man konnte die Vererbung von Eigenschaften nur durch die Beobachtung von Krankheiten und sozialem Verhalten nachzeichnen und Regelmäßigkeiten feststellen, die man dann in der Form biologischer Gesetze beschrieb. Aber das war Spekulation. Vorerst schlug die Stunde der Genealogie. Heiraten, Kinder, Krankheiten und soziale Abweichungen der untersuchten Familien wurden in umfangreichen Karteien katalogisiert, die im Idealfall das gesamte Volk erfassen sollten, um dessen biologische Qualität bestimmen zu können. Auf diese Weise hatte der Schwede Herman Lundborg Ende des 19. Jahrhunderts die immens aufwendige Untersuchung eines 2232-köpfigen Bauerngeschlechtes in der südschwedischen Provinz Blekinge begonnen, zuerst 1913 auf Deutsch publiziert, 1920 ins Schwedische übersetzt. Er hatte die Krankheitsbefunde und das Sozialverhalten seiner Probanden akribisch erfasst, in umfangreichen genealogischen Tabellen korreliert und so die Pathologie einer ganzen Region zu erstellen versucht.23 Etwa zur selben Zeit schlug Otto Ammon vor, anthropologische Familienbücher anzulegen, um etwas über Erbgänge innerhalb von Familien zu erfahren.24 Und in einer der berühmtesten und auch in Deutschland rezipierten Untersuchung hatte Francis Galton bereits 1869 nachzuweisen versucht, wie sich Genialität vererbte. Er war davon ausgegangen, »that high reputation is a pretty accurate test of high ability«,25 und hatte durch unzählige Stammbäume hinweg verfolgt, wie künstlerisch, politisch oder wissenschaftlich erfolgreiche Geschlechter ebensolche Nachfahren zeugten. (50 Jahre später kehrte der Vertreter einer »moder21 | Vgl. T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 159-161. 22 | F. Galton, Hereditary Genius, S. 356f. Vgl. auch Ders., Essays in Eugenics. 23 | Vgl. H. Lundborg, Medizinisch-biologische Familienforschungen. Ein knapper Überblick über diese Studie: T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 27-29. 24 | Vgl. Otto Ammon an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts – Die Körpermessungen des Privatmannes Otto Ammon betreffend, 23.10.1889, o.Bl. [Bl. 18v, 18r] (UAFr, C 75/88). 25 | F. Galton, Hereditary Genius, S. 2.
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nisierten« Eugenik, Raymond Pearl, den Spieß um, um Galton als methodisch »orthodoxen« Eugeniker zu diskreditieren. Er suchte in den Einträgen der Encyclopaedia Britannica die angesehendsten Männer heraus, schlug dann die Einträge zu deren Vätern nach und kam zu dem Schluss, dass 95 % der Großen Männer Eltern hatten, denen nach eugenischen Maßstäben die Fortpflanzung hätte untersagt werden müssen.)26 Doch die Häufung von Merkmalen innerhalb einer Familie legte Vererbung zwar nahe, bewies sie aber eben nicht. Es konnte nur aufgrund von Ähnlichkeitsbeziehungen über Erbwege gemutmaßt werden, kausale Vererbungsregeln konnte niemand aufdecken. Mehr noch: Die genealogische Korrelation der gesammelten Daten, die ja eigentlich ein biologisches Gesetz erhärten sollte, bedurften erst eines solchen Gesetzes, um Sinn zu machen. Doch in der Zukunft, so waren die Eugeniker zuversichtlich, werde die Genetik diese Gesetzmäßigkeiten tatsächlich bestätigen. Denn es musste möglich sein, dereinst die Kontrolle über die eigene Evolution zu gewinnen. Bis dahin blieb es der negativen Eugenik vorbehalten, durch eine Regulierung der Reproduktion die weitere »Degeneration« der »Bevölkerung« aufzuhalten. In der Eugenik verschmolzen demografisches Verhalten, genetische Ausstattung, soziale Alltagspraktiken, Sozialschicht und Nation zu einem eigentümlichen sozio-biologischen Konglomerat. Es legitimierte die Ablehnung sozialer Veränderungen als biologische Entartung. Individualismus, Pluralismus, Kapitalismus, Sozialismus und Dynamik, also alles, was eine moderne Industriegesellschaft ausmachte und das Bürgertum mit der »Proletarisierung« bedrohte, ließ sich mit Hilfe der Biologie als »widernatürlich« kritisieren. Es war angeblich eine verheerende Kombination von Vererbungsgesetzen und demografischem Verhalten der Menschen, die die »natürliche Auslese« außer Kraft setzte und ein Eingreifen der Experten erforderte – und eigentlich waren die sogar humaner als die Natur: »What Nature does blindly, slowly, and ruthlessly, man may do providently, quickly, and kindly.«27
26 | R. Pearl, Eugenics, S. 271-282. 27 | F. Galton, Essays in Eugenics, S. 42.
10. Otto Ammon II Eine Sozial-Anthropologie der Gesellschaftsordnung
Otto Ammon hatte die Vermessung seiner Badener Rekruten noch während der Erhebung gesellschaftstheoretisch gewendet und 1895 unter dem Titel »Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen« publiziert.1 Diese Sozialanthropologie Ammons fächert paradigmatisch auf, wie sich Anthropologen, Rassenkundler und Bevölkerungsbiologen das Zusammenspiel von Natur und Sozialordnung bis lange ins 20. Jahrhundert vorstellten. Sie beginnt mit einem darwinistischen Modell aus Auslese und Siebung. Ammon beschrieb bestimmte Mechanismen wie Schule oder Professionen, die die Menschen siebten und sicherstellten, dass durch eine »organische Verbindung von Antrieb und Hemmung jedes Individuum an die passendste Stelle« gebracht und jeder »Platz mit dem passendsten Individuum« besetzt werde.2 Auf diese Weise trügen die Angehörigen aller Sozialschichten gemeinsam und harmonisch dazu bei, dass ein Volk im Daseinskampf bestehen könne – während nach sozialdemokratischer Weltanschauung angeblich diejenigen führen sollten, die sich durch Geschwätz in den Vordergrund zu schieben und dadurch Wahlen zu gewinnen verstünden. Ammon nutzte die Wahrscheinlichkeitsrechnung, um die Verteilung von Begabungen in unterschiedliche Klassen zu erklären. Das Würfelspiel stellte dabei für ihn mehr als nur ein Gleichnis oder eine Illustration dar. Es repräsentierte regelrecht die Realität, mathematisches Modell und biologische Wirklichkeit waren homolog. Wenn man hinreichend oft vier Würfel werfe, so kämen die ganz hohen (4 mal 6) und ganz niedrigen Würfe (4 mal 1) selten, die mittleren Summen jedoch häufig vor. Analog dazu gebe es nur wenige Genies bzw. Schwachbegabte und vollkommen Stumpfsinnige, dafür aber viele mittelmäßige Begabungen. In dieser letzten Gruppe wiederum müsse man die harmonischen und die unharmonischen Begabungen trennen. Ersteren 1 | Zwei Jahre zuvor war mit ähnlichem Tenor erschienen: O. Ammon, Die natürliche Auslese beim Menschen. 2 | O. Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, S. 59.
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merke man sofort an, »daß man nicht hoch mit ihnen hinaus kann«, aber sie wüssten »einen bescheidenen Platz in jeder Hinsicht auszufüllen«. Letztere sind die Blender. »Sie können durch hohe Intelligenz, die die schwierigsten Aufgaben sozusagen spielend ergreift, für sich einnehmen, können auch eine große Arbeitskraft besitzen, vermögen aber nichts Großes zu vollbringen, da es ihnen an den sittlichen und wirtschaftlichen Anlagen, an Ausdauer und Berechnung fehlt«. Sie endeten als verbummelte Talente oder »verkannte« Genies.3 In der Veranlagung der Individuen, so Ammon, gründeten Misserfolge, nicht in mangelnder Bildung, widrigen Umständen oder der herrschenden Gesellschaftsordnung. Diese Veranlagung folge »fast gewiß […] den Gesetzen der Kombinationslehre«, denn so wie die extremen Würfe selten sind, so wird bei der Paarung zweier Menschen die für Genialität oder Stumpf heit »erforderliche Kombination von Anlagen nur selten eintreten«.4 Von daher sei eine Gesellschaft als Ständegesellschaft gut organisiert, denn sie diene der Auslese. Durch Heiratsgrenzen zwischen den Ständen und durch sozialen Instinkt (vor allem der Mädchen, die auf fesche Männer nicht hereinfallen) würden schädliche Heiraten über soziale Grenzen hinweg verhindert, stattdessen die Verbindung von Individuen der höheren Begabungsklasse begünstigt, und das gewährleiste eine Steigerung der geistigen Fähigkeiten in der Oberschicht. Insoweit bildeten für Ammon die Stände Begabungsklassen ab. Beleidigt seien allein diejenigen, die durch eine einzige hochentwickelte Eigenschaft auffielen, »sei es Mutterwitz und Galgenhumor, sei es heißes, vergebliches Streben, sei es vorzügliche Geschäftskenntnis oder dergleichen […]. Solche Leute erwecken den Anschein, als habe die Gesellschaftsordnung ihnen bei der Zuteilung des Ranges bitteres Unrecht gethan«. Aber: »Fällt die 6 [die Ziffer für hohe Begabung] mit dem vierten, die Körperkräfte darstellenden Würfel, so bedeutet dies einen Herkules, der höchstens zu einer Jahrmarkts-Schaustellung zu brauchen ist.«5 Deshalb sei der Gesellschaft kein Vorwurf zu machen, wenn sie solchen Menschen den Weg nach oben verbaue, und deshalb seien Liebesheiraten so gefährlich. Sie entsprängen dem niederen Geschlechtstriebe, statt dem höheren Gesellschafts- bzw. Familientrieb, der durch die Sorge um die Nachkommen geleitet sei. »Die Beherrschung der Liebe durch den Familientrieb ist unbedingt erforderlich für den Menschen, während der umgekehrte Fall ihn unter die Tiere erniedrigen würde«, hatte Ammon schon 1893 behauptet.6
3 | Ebd., S. 77. 4 | Ebd., S. 76. 5 | Ebd., S. 78. 6 | O. Ammon, Die natürliche Auslese beim Menschen, S. 286.
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Abb. 13: Die Begabungskurven von Francis Galton und Otto Ammon im Vergleich. Übereinstimmend gibt es einen breiten Bauch des »Mittelguts«, dem Ammon auch die intelligenten, geschickten und soliden Arbeiter zurechnet, sowie die Begabungsextreme. Ammon hatte Würfel geworfen, Galton die Genealogie erfolgreicher Männer verfolgt (1895).
Durch die analoge Verteilung der Würfelaugen und der Moleküle des Keimplasmas ergab sich für Ammon eine sehr harmonische, vollkommen symmetrische Verteilung der Ergebnisse, die er durch Francis Galtons »Hereditary Genius« aus dem Jahre 1869 bestätigt sah (Abb. 13). Die Extreme sind sparsam gesetzt, die Mitte ist ausgeprägt, bei Galton massiv, bei Ammon moderat, und »wie ein einsamer Berggipfel erheben sich die talentvollen und genialen Menschen über die breite Masse«.7 Es fällt unmittelbar auf, wie symbolisch aufgeladen diese Beschreibung ist. Die reine Symmetrie bedeutet vollkommene Harmonie, die Normalverteilung eliminiert die Extreme, die Mitte verkörpert den Ausgleich, der erhabene Gipfel die Größe der wenigen Führungspersön7 | O. Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, S. 84.
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lichkeiten. Das Modell lässt freilich auch Raum für ambivalente Interpretationen. Dass das untere Extrem klein bleibt, macht hoffen, dass die Ordnung stabil ist. Dass das obere Extrem ebenfalls klein bleibt, erhält qua Verknappung den Wert der Spitzenkräfte. Beide Extreme stehen der Welt der Mitte gleichermaßen fern, das untere kann nicht in die Mittelschicht eindringen, das obere erhebt sich über das profane Mittelmaß. Beide sind aber hinreichend gewichtig, das obere stellt die Führungskräfte, das untere kann, mit Hilfe des Wahlrechts, die Geschicke des Reiches mitbestimmen und ist »gerade ausreichend, um die höher Begabten lahm zu legen, welche wegen der Symmetrie der Kurve die nämliche Zahl ausmachen.« 8 Die Mitte selbst beinhaltet die saturierten Kleinbürger, die ihre Pflicht an ihrem Platze verrichten, aber auch die »Masse«, die unharmonischen Begabungen, die, latent unzufrieden, ihren Platz zu verlassen streben und »Verführern« anheimzufallen drohen. Und ganz nach unten hin wird die »Grenze der Brauchbarkeit«9 durchschritten, dort finden wir die »Idioten, Blödsinnigen, Verbrecher, Trunkenbolde, Arbeitsscheuen, Kranken, Siechen und Verkrüppelten«,10 also jenes Menschenmaterial, das der Auslese zum Opfer fallen musste. Dass diese Begabungskurve mit der Einkommenskurve gut übereinstimmt,11 verwundert ebenso wenig wie Ammons Aussage, dass der höchste Stand vor allem aus Langköpfen und der Mittelstand aus Rundköpfen bestehe, während die Unterschicht sich durch eine unklare Mischung auszeichne (Ammon rekurrierte hier auf seine Anthropologie der Badener). An diesem Punkt konvergierte Ammon mit Georg Hansens Buch »Die drei Bevölkerungsstufen«. Der hatte 1889 herausgearbeitet, dass die drei Klassen der bäuerlichen (und adeligen) Grundbesitzer, des bürgerlichen Mittelstandes und der besitzlosen Proletarier unterschiedliche Entwicklungsstufen einer Bevölkerung darstellten, wobei die Städte eine verheerende Wirkung ausübten. Aus der ersten Klasse speisten sich die Stadtbevölkerungen. Sie strömten als frische Kräfte ins Herz der Städte, wurden verarbeitet, allmählich herausgedrängt und wieder abgestoßen. Ein Teil kehrte auf das Land zurück oder ging in den Mittelstand über, ein größerer Teil starb ab, der Rest sank in den Stand der besitzlosen Arbeiter und Proletarier hinunter. Grundsätzlich bewertete Hansen den Übergang von der ersten zur zweiten Bevölkerungsstufe als positiv – so entstand Kultur –, von der zweiten zur dritten aber als negativ – denn das bedeutete sozialen Abstieg. Kritisch sah er auch die Globalisierung. In einem isolierten Land bleibe die Bevölkerung stabil. Der Überschuss der Landbevölkerung trete in den Mittelstand über, dessen Überschuss in die 8 | Ebd., S. 87. 9 | Ebd., S. 86. 10 | Ebd., S. 85. 11 | Vgl. die Grafik ebd., S. 129.
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dritte Klasse, dessen Überschuss komme ins Militär. Anders in einem Land mit Außenhandelsbeziehungen. Das exportiere Industriewaren, die Industrie biete dem dritten Stand Lohn, man finde viele kinderreiche Ehen, aber wenig Soldaten. Irgendwann könne die Industrie die Arbeiter nicht mehr aufsaugen, der Überschuss der Schwächlichen, mangelnd Intelligenten und nicht Ausdauernden werde in die Armee der Vagabunden und Landstreicher ausgefällt. Parallel dazu führe der Mittelstand einen Vernichtungskampf gegen die ländliche Bevölkerung, die sich bei Banken und Gläubigern maßlos verschulde.12 Das Migrationsmodell Ammons war ähnlich, aber ihm fehlte die pessimistische Seite. Ammon ging, wie wir gesehen haben, ebenfalls davon aus, dass die Städte das Menschenmaterial aus dem Land zogen, wobei etwas mehr Langköpfe einwanderten als auf dem Lande verblieben; dort harre vor allem der bescheidenere Rundkopf zufrieden auf seiner Scholle aus. Die Städte zerrieben einen Teil der Migranten im Laster und Verbrechen, ein Teil könne sich mühsam am Leben erhalten, »der wichtigste Theil beginnt auf der socialen Leiter in die Höhe zu steigen.« Er werde durch die Ständebildung »von der breiten, gährenden Masse der städtischen Bevölkerung abgesondert«, durch eine bessere Ernährung gestärkt, und dann erneut gesiebt; es fielen diejenigen heraus, die den nochmals gesteigerten Anforderungen nun nicht mehr genügen konnten.13 Zugleich begännen Rasse, Stand und Beruf zu konvergieren. Ammon definierte als Grenze des Mittelstandes nach unten das Recht auf den einjährig-freiwilligen Militärdienst, der die mittlere Reife sowie erhebliche finanzielle Mittel voraussetzte. Dieser Stand spalte sich im Laufe zweier Generationen anthropologisch auf in »eine hellere rundköpfige Gruppe, die der Gewerbe- und handeltreibenden Bürger und der Subalternbeamten, sowie eine dunklere langköpfige Gruppe, die der Gelehrten und höheren Beamten«.14 Den Subalternbeamten eigne »neben einer gewissen Geschäftsgewandtheit der angeborene stille Fleiss, der ihnen gestattet, ruhig und mechanisch an einer Arbeit fortzufahren, die dem Verrichtenden keinerlei Interesse einzuflössen vermag, […] wie das Abschreiben von Akten […]. Es braucht kaum begründet zu werden, dass der von einer Fülle eigener Ideen beunruhigte Langkopf zu solchen Geschäften weit weniger tauglich ist und sie auch mit viel mehr Widerwillen verrichtet.«15 Die Aufsteiger stürben – weil sie zu wenige Kinder bekämen – regelmäßig aus, so dass eine fortwährende Erneuerung durch frische Aufsteiger stattfinden könne. Der untere Stand dränge an die äußerste Grenze der Vermehrung; die Fruchtbarkeit des bäuerlichen Urstandes müsse die Defizite der ersten Klasse ausgleichen bzw. der dritten demografisch Paroli bieten. 12 | Vgl. G. Hansen, Die drei Bevölkerungsstufen. 13 | O. Ammon, Die natürliche Auslese beim Menschen, S. 314. 14 | Ebd., S. 316 (Hervorh. im Orig.). 15 | Ebd., S. 282 (Hervorh. im Orig.).
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Ein Rückstrom auf das Land finde freilich nicht statt. Er wäre verheerend gewesen, weil die städtischen Sitten die Quelle vergiftet hätten, »aus welcher die Menschheit ihre besten Kräfte zieht, um sich beständig zu erneuern.«16 Ammon war angetan von dem, was er sah. Wie der Wanderer innehält und zufrieden auf den zurückgelegten Weg blickt, so betrachtete er seine Gegenwart: »Welch ein wunderbar ineinandergreifendes Räderwerk haben uns die bisherigen Betrachtungen enthüllt! Welch ein Meisterstück ist diese so schwer angeklagte ›Gesellschaftsordnung‹! Wie demütig stehen wir vor einem Mechanismus, der so vielseitigen Verrichtungen gleichzeitig zu entsprechen vermag«.17 Weder Gott noch die Menschen hatten diese weise Ordnung geschaffen. Der Naturforscher erkannte, »dass diese wunderbare Zweckmässigkeit nur durch Anpassung vermöge der natürlichen Auslese zu Stande gekommen ist, nicht ohne unzählige vergebliche Versuche und nicht ohne einen ungeheuren Verbrauch an Individuen«18 – denn die natürliche Auslese walte nicht besonders zielsicher, sondern raffe oft die stärksten Individuen hin, die sich größeren Gefahren aussetzten. Die Ständebildung begriff Ammon deshalb als Voraussetzung, nicht Hemmschuh von Kultur und Fortschritt. »Die Natur bedient sich der Ständebildung, um die tüchtigen von den untüchtigen Individuen abzusondern und mittelst der ersteren durch Inzucht und durch bessere Ernährung eine veredelte Rasse zu erzielen.«19 Der Rest werde teils durch Elend beseitigt, teils durch die Justiz abgeräumt. Die Strafrechtspflege sei nämlich nichts anderes, »als eine Anstalt zur Reinigung des menschlichen Keimplasmas von gemeinschädlichen Anlagen.«20 Aber eine statische Gesellschaft wollte Ammon nicht, Aufstieg musste den Tüchtigen möglich sein (wie umgekehrt die Untüchtigen der Oberschichten »langsam und schonend herabgleiten und untergehen«21) – die Natur aber binde nun einmal den gesellschaftlichen Stand an die biologische Qualität der Individuen, eine Sperre, die nicht willkürlich durchbrochen werden dürfe. Anlagen, nicht eine allgemein zugängliche Bildung oder sozialistische Regeln entschieden über Tüchtigkeit. Zentral an Ammons Gesellschaftsmechanismus war deshalb der Abwehrgedanke. Der sozialdemokratische Internationalismus sei Meuterei »gegen die ewigen Naturgesetze der Gesellschaftsordnung«, gegen die »Grundgesetze der Arbeitsteilung und der Ungleichheit der Menschen.«22 16 | Ebd., S. 318. 17 | O. Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, S. 177 (Hervorh. im Orig.). 18 | O. Ammon, Die natürliche Auslese beim Menschen, S. 319 (Hervorh. im Orig.). 19 | Ebd., S. 286f. (Hervorh. im Orig.). 20 | Ebd., S. 324 (Hervorh. im Orig.). 21 | O. Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, S. 162. 22 | Ebd., S. 209, 180 (Hervorh. im Orig.).
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Die allgemeine Wehrpflicht begründe noch lange kein allgemeines Wahlrecht, denn mit dem Niveau der Wähler sinke das der Gewählten, die Massen würden verhetzt und Revolutionen drohten. Das »mitraten und mitthaten« habe sich bei den Germanen nur auf die Freien Männer bezogen, nicht auf Unfreie.23 Die Gesellschaft erschien ihm als durchaus reformbedürftig. Verbessere man aber einfach die materielle Lage der Arbeiter, stürzten diese ins Elend. Jede Verbesserung müsse der Auslese der tüchtigen Arbeiter dienen und dürfe nur moderat ausfallen, da eine abrupte Steigerung auch die Auslese radikalisiere und damit zahllose Untaugliche in Hunger, Elend und gar den Tod treiben werde. Wahrscheinlich attestierte sich Ammon eine durchaus humane Gesinnung. Er kritisierte, dass man, weil eine »planmäßige Auslese« der »mißratene[n] Individuen« – anders als bei Tieren – nicht möglich sei, »die Unglückseligen in die weite Welt« jage »und sie, von Ort zu Ort gehetzt, allmählich verkommen« lasse, »oder sie in Anstalten« verbringe, »wo sie langsam dahinsiechen.« Die Verhinderung ihrer Fortpflanzung sei viel sinnvoller.24 Er hielt die Auslese zwar grundsätzlich für notwendig, weil sie die Untauglichen beseitige. Aber er kritisierte die sozialdemokratischen Ideen als gefährlich, weil sie diese Auslese – unnötig! – radikalisierten: »Die meisten Proletarier, welche in den sozialistischen Versammlungen nach dem Zukunftsstaate rufen, wissen nicht, was sie thun: sie verlangen ihr Todesurteil. Jede Erhöhung der Klassenlage, nötigt einen Teil von ihnen zum Ausscheiden, und je bedeutender die Verbesserung, desto größer die Zahl der Opfer. […] [I]ndem die einen steigen, werden die andern desto tiefer fallen.«25 Einen »falsch verstandenen« Darwinismus, der »Aristokraten« und »Proletarier« scheiden wollte, lehnte er allerdings ebenfalls als zu schematisch ab. Schädlich fand er: Begabte in untergeordneten Stellungen, Unfähige an leitenden Positionen, geistige Überanstrengung der Oberschichten, Verachtung der Massen, politische Macht der Unterschichten, kastenartige Verhärtung der Standesgrenzen, Verschuldung des freien Bauernstandes, reduzierten Wettbewerbswillen durch materielles Wohlergehen, und schließlich »die Fremdentümelei, das Wahngebilde des Weltbürgertums, […] de[n] Hang nach ewigem Frieden unter Preisgabe nationaler Interessen.«26 Ihn – und Autoren wie Georg Hansen – trieb wohl weniger die Ausmerze in anderen Schichten um, als vielmehr die Blockade von Grenzen; nämlich der nationalen Grenze, um zu verhindern, dass »vom Auslande eine minderwertige Arbeiterbevölkerung hereinflutet« und die Sozialreformen in Deutschland konterkarierte,27 und der sozialen Grenzen, denn er und seine Standesgenos23 | Ebd., S. 204. 24 | Ebd., S. 379. 25 | Ebd., S. 379, 381 (Hervorh. im Orig.). 26 | Ebd., S. 190-192 (Zitat S. 192). 27 | Ebd., S. 386. (Hervorh. im Orig.).
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sen mussten registrieren, dass immer mehr Menschen zu Einfluss kamen, die nicht Ihresgleichen waren. Hansen hatte das am Beispiel der Wissenschaft polemisch beschrieben: »Und was für Leute habilitieren sich oft. Zuerst lacht man wohl über ihre Kühnheit. Aber mit der Hartnäckigkeit, die gerade den Unfähigen auszeichnet, wissen sie sich Verbindungen zu verschaffen. Schließlich kann man sie nicht gut mehr übergehen, und es gelingt ihnen, sich in wichtige Professuren hineinzualtern.«28 Auch er bemühte das Bild des Berggipfels, den man erklimme, wo man den Ausblick genieße, verweilen wolle, doch immer mehr Ankömmlinge machten den Platz rar, man müsse wieder absteigen.29 Die Angst, von einer Schar Individuen, die man nicht einmal verachtete, verdrängt zu werden, den Platz kampflos räumen zu müssen, weil die anderen einfach mehr waren, sich ganz selbstverständlich ausbreiteten, diese Verlustängste waren das zentrale Thema solcher Bücher, weniger die Zucht der Auserlesenen und die Ausmerze der Untüchtigen durch die Ständegesellschaft. Letztere wurde als Instrument präsentiert, war in Wahrheit aber das Ziel.
28 | G. Hansen, Die drei Bevölkerungsstufen, S. 360. 29 | Vgl. ebd., S. 154.
11. Eugen Fischer Die Reise zu den »Rehobother Bastards«
Im Jahre 1908 machte sich der Mediziner und Anthropologe Eugen Fischer auf zu einer Expedition nach Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Anthropologe war er eher zufällig geworden, notierte er in seinen Erinnerungen. Habilitiert als Anatom, musste er das in München verwaiste Lehrgebiet der Anthropologie wieder auf bauen. Er begann Schädel zu sammeln und übernahm die anthropologische Sammlung am Institut. Freilich interessierte er sich weniger für Knochen denn für Weichteile, und er begann Bittbriefe an Ärzte und Missionare in den Kolonien zu schreiben, die ihm »Köpfe von Papua in Formalin, dann Hände und Füße, innere Organe, Affenköpfe, Gehirne, Hautstücke, Haarsammlungen usw.« sandten.1 Wohl mit diesem Material regte er seine Schüler an, »über die Zungenpapillen bei verschiedenen Menschenrassen, über die Muskulatur eines Papua-Neugeborenen [späterer Einschub: und eines Negerfetus], über die Struktur der Negerlippe, über die Haardicke verschiedener Rassen, über [die] Fussmuskulatur von Papua, über deren Kaumuskeln, Gaumenleisten, Weichteilnase usw.« zu forschen.2 Fischer arbeitete sich in die Abstammungslehre ein, las 1903/04 erstmals »Spezielle Anthropologie und Rassenanatomie«, legte eine Haarsammlung an und gab 1907 eine Haarfarbentafel heraus. Mit der Lage der Anthropologie zeigte er sich im Rückblick unzufrieden. Nur wenige Forschungsreisende hätten wirklich Rassen beschrieben, die meisten hätten sich damit begnügt, Schädel zu vermessen und Messungen zu notieren, »die man wohl als Rassenunterschiede empfand, aber nicht mit anderen 1 | Eugen Fischer, Fünfzig Jahre im Dienste der menschlichen Erbforschung und Anthropologie. Lebenserinnerungen und Einblicke in die Entwicklung dieser Wissenschaft, 1945-1949, o.D., Bl. 30 (AMPG, III. Abt., Rep. 94, Nr. 45). Das Ms. war laut einer 1969 auf dem Deckblatt hinzugefügten Notiz nicht für den Druck bestimmt – allerdings finden sich explizite maschinen- und (noch spätere?) handschriftliche Satzanweisungen im Text. 2 | Ebd., Bl. 31f.
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Merkmalen zu wirklichen Rassenbildern kombinierte.« Aber auch als die Altvorderen begannen, Merkmalskombinationen zu erstellen, »wurden alle diese Rassenunterschiede einfach als gegebene Tatsachen hingenommen, brauchbar lediglich zur Klassifizierung der menschlichen Varietäten.«3 Fischer aber wollte, wie vor ihm Otto Ammon, wissen, wie die Unterschiede entstanden. Wenn die Phänotypik von Löwenmäulchen, Gartenschnecken und Mäusen den Mendel’schen Regeln folgten, mussten das nicht auch die Menschen tun? Sollte man dann nicht von phänotypischen Differenzen auf genotypische Voraussetzungen schließen können? Anders als die älteren Anthropologen hielt er jedoch nach Rassenkreuzungen Ausschau, nicht nach reinen Rassen; die Älteren wiederum hätten Vererbungsfragen für dummes Zeug gehalten, sie seien, kritisierte er nachträglich, für die moderne Erblehre noch nicht reif gewesen.4 Fischers Reise ist in vier Textformen festgehalten. Zuerst in handschriftlichen Tagebüchern, die die Arbeit schildern und einige dramatische Ereignisse notieren. Sie wurden offenbar über Kohlepapier umgehend dupliziert, die Duplikate gingen wohl an Fischers Frau. Diese bekam außerdem von ihrem Mann regelmäßig Briefe, in denen die Dramatik der Reise deutlich entschärft war und seine Feldarbeit zugunsten alltäglicher Ereignisse, zugeschnitten auf die Adressatin, zurücktrat. Die Tagebücher wiederum bildeten die Grundlage für die unveröffentlichten Erinnerungen, die Fischer nach dem Krieg verfasste. Und 1913 publizierte Fischer die Ergebnisse seiner Studie in dem Buch über »Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen«, das rasch zu einem Klassiker der Anthropologie aufstieg.5 Im Tagebuch und in den Erinnerungen beschrieb er die Mühen der Reise nach Rehoboth, einem Örtchen südlich von Windhoek, in dem Nachfahren von Mischehen aus Afrikanerinnen und Buren wohnten, die sich stolz »Rehobother Baster« nannten. Fischer berichtet, wie er ihr Vertrauen gewann, weil er bei einem Bewohner eine – bereits abklingende – Lungenentzündung »heilte«, und sich beliebt machte, weil er mehrfach schweren Wein als Arznei verschrieb. Er gab sich überrascht, nicht auf Halbwilde getroffen zu sein, sondern auf teilweise gut gekleidete Bewohner, die an deutschen Schreibtischen ihre Einnahmen aus dem Viehverkauf in Geschäftsbücher eintrugen – aber das waren eben, so relativierte er, die Angehörigen der vornehmen Familien, mit denen er auf Ratschlag hin seine Arbeit begonnen hatte.6 Sein Tag begann um sechs Uhr morgens mit einem Ausritt, dann frühstückte er und hielt eine Arztsprechstunde. Anschließend suchte er die einzelnen Familien auf, um sie 3 | Ebd., Bl. 35. 4 | Vgl. ebd., Bl. 39, 45. 5 | Vgl. dazu auch H.-W. Schmuhl, »Neue Rehobother Bastardstudien«. 6 | Vgl. Eugen Fischer, Vor vierzig Jahren als Forscher in Deutsch-Südwestafrika, 1945, o.D., Bl. 42 (AMPG, III. Abt., Rep. 94, Nr. 43).
Eugen Fischer
zu vermessen und genealogisch zu erfassen. Mittags wurde geruht und das Tagebuch geführt, ab 16 Uhr, wenn das Licht gleichmäßig war, fotografiert. Nach kurzer Zeit kamen die Einwohner freiwillig, sie bekamen Abzüge der Fotos, waren – so Fischer – sehr eitel. Er fotografierte auf Glasplatten, die damals neuen Packfilme erwiesen sich im afrikanischen Klima als Misserfolg. Die Gesichter der Probanden genau auszurichten war eine Geduldsprobe; der Versuch, zur »Kenntlichmachung der Personen […] ihnen Nummern anzuhängen, scheiterte am Eitelkeitswiderstand. Unter keinen Umständen hätte sich ein Bastardmann oder eine Frau mit einer ›Sträflingsmarke‹ fotographieren lassen.« 7 Immerhin kam er auf täglich 18 bis 24 Aufnahmen, die er nach dem Abendessen in einem umgebauten Hühnerstall entwickelte und auf Papier abzog. Am letzten Arbeitstag wäre ihm beinahe das Labor mit dem Material verbrannt. Vor der Dämmerung hielt er sich oft im örtlichen Laden auf, um Bekanntschaften zu schließen. Am Ende hatte er 300 Personen vermessen und abgelichtet, außerdem 23 Sippschaftstafeln erstellt, die teils bis zu acht Generationen zurückreichten. Rudolf Martin hatte acht Jahre zuvor die Familienanthropologie zum Schlüssel für so manches Problem erklärt, und so war Fischer stolz darauf, »eine runde anthropologische und familienkundliche Darstellung eines eigenartigen kleinen Mischvölkchens in unserer Kolonie« angefertigt zu haben, in dem hoffentlich »der wirkliche ziffernmässige Nachweis […] schlummere, wenigstens für die oder jene Einzeleigenschaften die mendel’schen Regeln zu beweisen. Das wäre als erster solcher Beweis für Rassenkreuzung immerhin ein aussergewöhnlicher Erfolg.«8 Und das war der Grund gewesen, warum er sich auf die lange Reise begeben hatte. Fischer hatte die Biologen und Zoologen gesehen, die Kreuzungsversuche an Pflanzen und Tieren durchführten, um Erbwege zu entschlüsseln. Also, so schloss er, werde der Anthropologe über menschliche Erbgänge dort am meisten lernen, wo er Rassenkreuzungen beobachten könne. Nur durch die Erforschung der Kreuzungsgesetze werde man Licht in die Rassenknäuel der Menschheit bringen, zitierte er in Hell/DunkelKlar/Verwickelt-Rhetorik einen Kollegen, und eines der schwierigsten Probleme der Anthropologie lösen. Eugenik und praktische Rassenhygiene seien undurchführbar, durchschaue man nicht die Vererbungsgesetze, zu denen die Rassenmischlinge das Tor bildeten. Erst Massenbeobachtungen an Menschen gäben Aufschluss über den Einfluss der Veranlagung bzw. der Umwelt und erst dann könne man Rassenfragen klären. An die Existenz reiner Rassen mochte Fischer nicht glauben. Selbst die europäischen Völker seien ungemein kompliziert zusammengesetzt und in 7 | Ebd., Bl. 50. 8 | Ebd., Bl. 52. Fischer hatte seine Erinnerungen aus der Perspektive des Jahres 1908 geschrieben.
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allen erdenklichen rassischen Kombinationen gemischt, die sich nicht mehr entwirren ließen. Europa sei »ein Rassenbrei, ein Rassenproletariat, anthropologisch völlig uninteressant.«9 Eine kleine Population dagegen wie die Rehobother Bastards erschien Fischer als Glücksfall. Da sei vor nicht allzu langer Zeit ein neues Volk entstanden, das sich Dank einfacher Lebensführung und Abgeschlossenheit entfaltet habe. Es weise einen spezifischen Satz vererbbarer anthropologischer Merkmale auf, stelle aber nur ein Rassenmerkmalsgemisch dar, das nicht zu einer neuen Mischrasse verschmolzen war, da die Merkmale sich, anders als bei Rassen, unabhängig voneinander vererbten. Auf jede Kreuzung bei den Bastards sei eine Entmischung erfolgt, so dass sich auch nach Generationen noch, und trotz der Umweltweinflüsse, die alten Merkmale wieder rein ausfällten. Grundsätzlich stellten Menschen in ihrem phänotypischen Variantenreichtum nämlich nur eine wirre Oberfläche dar. Erst wenn man sie vermesse und in Ziffern transformiere, würde sie der Anthropologe auf dem Papier in die ursprüngliche Reinheit der Typen rückübersetzen, also hinter der realen Varianz die ursprüngliche Typik sichtbar machen können. Bei den Bastards lag die gesuchte Typik noch am dichtesten unter der Oberfläche. Fischer bereitete das Terrain vor, indem er Gruppen bildete. Die Bastards wurden von den Weißen und den Eingeborenen geschieden und in drei Kategorien – »Eu«, »Mitt« und »Hott« – unterteilt, in rassisch vorwiegend europäische, hottentottische oder dazwischen stehende Individuen. Das Material bestand aus 12 männlichen und 15 weiblichen (Eu), 32 bzw. 43 (Mitt) und 23 bzw. 22 (Hott) Bastards, dazu kamen 7 bzw. 11 »Unbestimmte« sowie die Kinder. Zunächst war keine Differenz zu sehen, die Hottentotten- und die Bastardkinder waren einander ähnlich, hautfarblich alle von hell bis dunkel abschattiert und eine ähnliche Physiognomie aufweisend. Doch machte Fischer für die Bastardkinder helles Haar aus, das erst später nachdunkelte, und das diente ihm als Indiz für die eingekreuzte europäische Rasse. Die Oberfläche konnte täuschen. Also beschrieb Fischer nach dieser Basisoperation (und in Anlehnung an Rudolf Martin) ausführlich Körpergröße, Fettpolster, Proportionen von Rumpf und Gliedern, Kopf und Gesicht, Nase, Lippe, Ohr usw., um dann die einzelnen anthropologischen Merkmale und Merkmalsgruppen vergleichen zu können, und zwar mit den Daten von Badener Rekruten, badischen Frauen, mehreren Hottentotten sowie einer Reihe von Hottentottenschädeln. Die Daten mussten teilweise umgerechnet werden, die Körpergröße der badischen Rekruten wurde durch die von Holländern ersetzt, weil Rekruten nicht dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprachen, und die Vielgestaltigkeit der Bastardbevölkerung wurde geradezu weggezeichnet, das heißt in die 9 | E. Fischer, Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen, S. 16.
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Form reduzierter grafischer Kurven transformiert, so dass eine vergleichende Beschreibung möglich wurde. Das zeigte Fischer dann, dass die Mittelwerte der mittleren Bastardgruppe eine mittlere Position zwischen den Europäern (Badenern/Holländern) und den Hottentotten markierten (Abb. 14, 15). Abb. 14, 15: Mittelwerte ausgewählter anthropologischer Merkmale bei »Europäern«, Rehobother Bastarden und Hottentotten (als Tabelle bzw. Kurve). Sie sollen signifikante anthropologische Differenzen aufzeigen und belegen, dass die Bastards rassisch zwischen Europäern und Hottentotten angesiedelt sind. Das gelingt nicht bei allen Werten, was in der Tabelle Dank der grafischen Anordnung jedoch verschleiert wird. Die Kurve zeigt die Uneindeutigkeit der Werte deutlicher (1913).
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Und so kam er zu zwei zentralen Ergebnissen. Das erste betraf die rassische Qualität der Bastards. Sie brachten, anders als die Europäer, nicht viele I- und II-Männer und erst recht kaum Ia-Führer hervor. Kulturell und geistig waren die Rehobother gegenüber den Weißen minderwertig, zeigten sich aber in der Lage, deren Kultur zumindest teilweise nachschaffen zu können, waren also den Hottentotten überlegen. Das hatte Fischer direkt zu spüren bekommen: »Tatsächlich steht der Bastard kulturell zu hoch, um sich so ohne weiteres ›wie Eingeborene untersuchen‹ zu lassen, wie sie mir selber erklärten; ein älterer, angesehener Mann frug mich einmal, warum ich meine Studien nicht gerade so gut am Missionar und Oberleutnant (d.h. Distriktschef) treibe, die Bastards seien doch auch keine Wilde [sic].«10 Deshalb hatte er auch keine Nacktmessungen durchführen können.11 Andererseits hatten sie auch ungünstige Eigenschaften der Europäer übernommen, Hochmut und Faulheit. Insgesamt ergab sich ein vielgestaltiges, für Fischer nicht unerfreuliches Bild. Die Rehobother Bastards stabilisierten als solide Mitte die Vorstellung einer idealen sozio-biologischen Ordnung. Als Mittler aber bildeten sie eine Gefahr, weil sie negative Erbeigenschaften in die weiße Rasse zu schleppen drohten. Fischer meinte, sie wie alle Eingeborenen untersuchen zu können, doch teils verweigerten sie sich wie autonome Europäer – wenn man sie nicht bei ihrer Ehre packte. Sie bildeten einerseits eine Nation, ein Volk, brauchten aber andererseits die Missionare als Führer. Sie bildeten durch stabile Merkmalskombinationen eine konstante Population, aber keine eigenständige Rasse. Sie waren nicht richtig clever, aber auch nicht dumm, nicht richtig faul, aber eben auch nicht hinreichend strebsam, immerhin tapfer. Sie zeichneten sich durch einen gewissen Ernst, eine gewisse Würde, durch Eitelkeit und lautstarke Neugierde aus (nicht aber die Älteren, die sich zu beherrschen wussten). Ihnen fehlte ein stetiger Wille, an Voraussicht mangelte es, sie waren gutmütig und gefällig, neigten zum Alkohol, hatten eine schwach ausgebildete Phantasie. Sie bildeten insgesamt ein nützliches Zwischenvolk, das man hegen sollte. Es war Fischer ans Herz gewachsen. Dann wurde es widersprüchlich. Obwohl er die europäischen Bevölkerungen als »Rassenbrei« qualifiziert hatte, votierte er dezidiert gegen Rassenmischungen – denn, so wenig man auch über die Wirkung von Rassenmischungen wisse, so klar sei, dass durch Kreuzungen keine Verbesserung der europäischen Rasse zu erwarten war. Jedes europäische Volk, welches das Blut minderwertiger Rassen aufgenommen habe, habe durch Niedergang gebüßt. Umgekehrt aber sei die Rehobother Bevölkerung durch Aufkreuzung mit Europäern, vor allem Missionaren, die sich Bastardfrauen genommen hatten, leistungsfähiger 10 | Ebd., S. 57. 11 | Vgl. Eugen Fischer, Vor vierzig Jahren als Forscher in Deutsch-Südwestafrika, 1945, o.D., Bl. 46 (AMPG, III. Abt., Rep. 94, Nr. 43).
Eugen Fischer
geworden als hottentottische Mischlinge.12 Noch unklarer wurde es bei den Vererbungsgesetzen. Für einige Merkmale sah Fischer den Vererbungsmodus nach den Mendel’schen Regeln ziffernmäßig nachgewiesen. Am sichersten war er bei deskriptiven Merkmalen wie den Haaren, trotz gewisser Ausnahmen, einer teils fehlerhaften Aufnahme und kleineren Unstimmigkeiten. Bei der Augen- und Hautfarbe waren zu geringes Datenmaterial und unerklärliche Ausnahmen zu verzeichnen, und selbst eine gedehnte Interpretation der Hautfarbentafel von Luschans – etwa die Verschiebung der Grenze zwischen hell-, mittel- und dunkelfarbener Haut – brachte eher Rätsel als gesicherte Ergebnisse. Bei Körpergröße, Proportionen und der Physiognomie gab es Schwierigkeiten mit den höchst heterogenen Messwerten, doch befand Fischer, dass sich die Kopfform mit größter Wahrscheinlichkeit nach Mendels Regeln vererbte, auch wenn ein merkwürdiges Längerwerden des Gesichts beim Bastard zu registrieren sei. Den Nachweis der Vererbung der Lidspalte nach Mendels Regeln glaubte er völlig erbracht. Die Mannigfaltigkeit der Bastardphysiognomie nahm er – »ohne jeden ziffernmäßigen Beleg«13 – als starken Hinweis auf die Möglichkeit alternativer Vererbung. »[D]aß alle denkbaren Kombinationen von Nasen-, Mund-, Stirn-, Backen- usw. -formen auftreten (man vgl. die [Foto-]Tafeln), läßt sich wohl nur verstehen unter der Annahme, daß alle diese ›Merkmale‹ selbständig sich vererben, nicht jeweils zu ausgeglichenen Mittelformen verschmelzen, sondern als homo- und heterozygotisch und durch sehr viele Erbeinheiten bedingt, als eine gewaltige Reihe von abgestuften Formen auftreten.«14 Und zugleich war diese Vielfalt ein Spiegel innerer Disharmonie der Bastards: »Gebildete Rassenmischlinge – vor allem solche aus zwei stark differenten Rassen – fühlen selber die zwei Seelen in ihrer Brust! Die so außerordentlich verschiedenen Urteile über Charakter und geistige Fähigkeiten von Bastarden beruhen darauf. Ich bin überzeugt, jene feinsten, uns noch völlig verborgenen morphologischen Unterschiede des Gehirnes, die die geistigen Rassenunterschiede (Nuancen des Gefühlslebens, die Verstandeskräfte, Temperament, Charakter usw.) bedingen, vererben sich alternativ; da müssen dann Milliarden von Kombinationen entstehen.« Schlechter als die Elternrassen seien die Bastards freilich nicht, es fehle »dieser Behauptung jede wirklich zuverlässige statistische Grundlage, jede Spur eines Beweises, ich halte sie für völlig irrig«.15 12 | Vgl. dazu auch eine Kontroverse zwischen Fischer und Hans Fehlinger in den Jahren 1911/12: H. Fehlinger, Kreuzungen beim Menschen; E. Fischer, Zur Frage der »Kreuzungen beim Menschen«. Fehlinger hatte postuliert, dass Rassenmischungen zum Aussterben der Mischrasse führten. 13 | E. Fischer, Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen, S. 165. 14 | Ebd. 15 | Ebd., S. 166 (Hervorh. im Orig.).
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Alles in allem erschien ihm also der Nachweis Mendel’scher Vererbung bindend; erstmals sei auf etwas breiterer empirischer Basis bewiesen, dass sich die menschlichen Rassen wie die Pflanzen und Tiere kreuzten und dabei Rassenunterschiede wie individuelle Merkmale weitergaben. Allerdings müsse man mit weitergehenden Theorien noch warten, bis gesichertes Tatsachenmaterial vorliege. Nur eines konnte Eugen Fischer mit Sicherheit sagen, nämlich dass zahllose Fragen offen blieben. Die Vergleichsgruppen waren zu klein, die Datensätze unvollständig, es gab eine große Schwankungsbreite der Daten und eine hohe Fehlermöglichkeit. Material und Zeit hatten nicht gereicht, um Veränderungen der Körperproportionen zu studieren, der Einfluss der Umweltbedingungen war vollkommen unklar, sie könnten das Ergebnis der Erbkreuzung gewaltig abändern, so Fischer. Tabellen und Kurven wurden als provisorisch ausgewiesen. »[W]ir Anthropologen müssen bekennen, daß wir noch Lücken im einfachsten ABC haben!«16 Trotzdem sollte man sich, wie bei Ammon, nicht bloß an der Fragwürdigkeit auch dieser Studie abarbeiten, sondern fragen, mit welchen Mitteln sie eine Evidenz der Objektivität erzeugt hat, die auch nach Jahrzehnten offenbar noch überzeugte. Diese Evidenz wurde sehr stark über das Sehen hergestellt. Zuerst betrachtete Fischer die Physiognomie seiner Probanden, um Hinweise zu finden, ob es sich um einen Bastard handelte. Danach glich er diese erste, reine Anschauung mit der Genealogie der Verwandtschaft des Probanden ab, um den Eindruck zu erhärten. Außerdem ließ er andere schauen. 200 Fotografien seiner Bastards wurden mehrmals von unbeteiligter Seite sortiert, und mit gewissen Fehlern seien die Bilder auf ähnliche Weise – und in Fischers Augen korrekt – den drei Gruppen Eu, Mitt und Hott zugeordnet worden. Weiterhin zog er Vergleichsstudien heran (u.a. von Franz Boas), um die von ihm beobachteten Differenzen zwischen Bastards und Hottentotten durch von anderen festgestellte Differenzen in anderen Ethnien zu sichern. Ältere Siedler bestätigten ihm, »ein Bastardkind […] sei stets ›hübscher‹ und ›europäischer‹ und werde als erwachsen [d.h. Erwachsener] ›häßlich‹ und ›hottentottisch‹«.17 Und schließlich, so Fischer, habe er das Rohmaterial erst in Deutschland aufbereitet, dadurch sei die unvermeidlich subjektive Färbung der Deskription ausgeglichen worden, seine unmittelbaren Eindrücke vor Ort hätten sich nicht als vorgefasste Meinung in den Messblättern, die alle Daten der Probanden zusammenfassten, niederschlagen können. Damit war der Augenschein in der Natur mehrfach objektiviert worden. Dabei hatte Fischer in Rehoboth noch gar keine klaren Konturen erkannt, wie er seinem Tagebuch anvertraute: »30. Aug. War in der Kirche, wo ich Ge16 | Ebd., S. 306. 17 | Ebd., S. 121.
Eugen Fischer
sichter studieren konnte. Evang. Gottesdienst in holl. Sprache, Lieder, Gebet, Predigt. – Die Gesichter sind doch zu merkwürdig. Viele ganz hottentottisch, andere sehr gemildert, wie ordinäre Proletengesichter bei uns, vor allem Weiber [Einschub: dabei gelbe Haut]. Ältere Männer viel eher wie alte Bauern. Kein ♀ mit feinem Gesicht. – Immer wieder denke ich an Malayen oder Jap. oder Chin. – Sollte doch Hott., d.h. alter Urstamm zugleich Urquelle der Mong. sein & nun in der Mischung das alte Blut wieder vorkommen? – Augen sind nur scheinbar schiefäugig, sie müssen anders sein als bei Mong. aber wie?? – Es sind nicht nur Augen und Backenknochen, auch Gesichtsform, spitzes Kinn, flache Nase, gelbbraune Haut – alles – Unter Kindern viel mehr europ. Gesichter (aber dunkle Haut dabei – gelblich, nie rote Backen) – also scheint richtig, wenn mir Miss. sagte, dass [Einschub: bei Bast.] europ. Kindergesichter nachher verkaffern.«18 Erst am heimischen Schreibtisch zeichneten sich ihm die Mendel’schen Regeln im Material ab,19 und nun hatte er den Lesern seine Seherfahrung zu verbalisieren und vertraut zu machen, indem er sie in eine Typenlehre deutscher Gesichter übersetzte und durch Abbildungen beglaubigte. Es lohnt sich, ausführlicher zu zitieren: »Wenn man die [Rehobother] Gesichter nun an sich vorbeiziehen läßt, merkt man erst, wie schwer es ist, sie mit Worten zu bezeichnen. Da haben wir Typen, die an deutsche Bauerngesichter, feinere oder derbere[,] erinnern und (von der Farbe oder Haarform sehe ich dauernd ab) kaum einen fremden Zug aufweisen (Taf. II), andere sind noch gröber, haben etwas markierte Backenknochen, gemahnen an das, was man bei uns so oft slawischen Typ nennt (Taf. IV), auch schärfere Gesichter gibt es, so daß für uns etwas südeuropäisches, gelegentlich leicht semitisches sich ausprägt (Taf. V). Dann kommen natürlich viele viele Anklänge an Hottentotten, in allen Abstufungen; aber hie und da weckt ein Gesicht recht vornehmlich den Gedanken an Negerphysiognomien, von den gemilderten nubischen Gesichtern bis zu groben Negerzügen (Taf. X, XI), wobei es im Einzelnen kaum zu sagen ist, warum man eher an Neger als an Hottentotten denkt (trotzdem die Ursache der betreffenden Gesichtsbildung sicher hottentottische Ahnen sind). Endlich trifft man hie und da Fälle, die sehr stark an leicht mongolisches oder malayisches Antlitz herankommen, wie ja auch die Hottentotten selber in ihren Zügen einen oft daran erinnern« (Abb. 16).20
18 | Eugen Fischer, o.T. [Tagebuch der Afrika-Reise], 1908, o.D., Kladde 1, Bl. 43f. (AMPG, III. Abt., Rep. 94, Nr. 21 [Hervorh. im Orig.]). 19 | Eugen Fischer, Vor vierzig Jahren als Forscher in Deutsch-Südwestafrika, 1945, o.D., Bl. 53 (AMPG, III. Abt., Rep. 94, Nr. 43). 20 | E. Fischer, Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen, S. 99.
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Abb. 16: Zwei der im Zitat erwähnten Tafeln (IV, XI), auf denen man u.a. »slawische Typen«, »milde nubische Gesichter« oder »grobe Negerzüge« erkennen soll (1913).
Man könnte, aus heutiger Perspektive, argumentieren, dass dieser Text-BildKombination etwas latent Subversives eignet, denn sie lässt sich ja mit Fug und Recht auch so beschreiben: Die Bilder zeigen Menschen, wie sie eben sind, nämlich vollkommen unterschiedlich, und dadurch unterlaufen sie die mühsam hergestellte Botschaft des Textes. Slawische oder nubische Typen mag man auf den Bildern erkennen oder auch nicht, und diese Offenheit schlägt auf den Text selbst zurück, nimmt ihm die argumentative Kraft, macht ihn zur Dichtung. Aus damaliger Sicht funktionierte diese Kombination vermutlich anders. Diejenigen Leser, die dem Text vertrauten, sollten in den Bildern nämlich eine repräsentative Auswahl typischer Rassenmerkmale erkennen. Die Repräsentativität wurde durch den Autor verbürgt, seine Sehanweisungen sollten den Blick auf die typischen Merkmale und Differenzen hinlenken, so dass die erfahrenen Leser den Text visuell beglaubigt sahen, die unerfahrenen zu sehen lernten. Die Bilder waren deshalb mehr als Illustrationen. Sie operierten mit der Evidenz der Anschaulichkeit und der Alltagserfahrung, denn jeder ist gewohnt, unterschiedliche Gestalten wahrzunehmen und sie zuzuordnen, wahlweise einer bestimmten Sozialschicht, einem Beruf, einer Landsmann-
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schaft usw. Die Portraits der Bastards waren gerade nicht als offen gedacht, sondern wurden durch den Text argumentativ (sprachlich) mit der richtigen Deutung aufgeladen, so dass sie, trotz der beigefügten Eigennamen, nicht Individuen zeigten, sondern, pars pro toto, individuelle Vertreter typischer Rassenmischlinge. Das Visuelle diente dem Sprachlichen ebenbürtig dazu, den Text zu sichern.21 Dabei war Fischers Buch ein zutiefst ambivalenter Text. Es gab kaum Daten, kaum Kenntnisse, aber weitgehend sichere Schlüsse wurden gezogen. Die Irritation Fischers vor Ort war transformiert in eine wissenschaftlich standardisierte Unsicherheit, d.h. Defizite wurden explizit ausgewiesen und durch die Schlüsse zugleich relativiert. Der Text gab sich in wissenschaftlicher Tradition als vorläufig, die Essenz seiner Botschaft erschien gleichwohl als endgültig. Sie würde, so die Erwartung, durch künftige Forschungen bestätigt, nicht falsifiziert. Das meinte Fischer dann in den 1930er Jahren mit einer Folgestudie geleistet zu haben. Ein befreundeter Künstler hatte ihm neue Aufnahmen aus Rehoboth mitgebracht, die Fischer an seinem Schreibtisch interpretierte. Erst im Alter, so konnte er nun schließen, zeichneten sich die rassischen Merkmale wirklich in den Gesichtern ab. Viele Kinder verloren ihr ursprünglich europäisches Aussehen; Individuen mit stabiler europäischer Physiognomie hielten sich insgesamt jugendlicher. Dazu präsentierte Fischer lange Ergänzungen zu den Stammtafeln, unvollständig, so wie seinerzeit in seiner eigenen Erhebung.22
21 | Einige Jahre nach Fischers Studie haben die Fotografien von August Sander und Erna Lendvai-Dirksen die Korrelation von Phänotyp und ständisch-landsmannschaftlicher Verortung künstlerisch überhöht und festgeschrieben – die wiederum der Anthropologe Egon Freiherr von Eickstedt als Beleg für seine Forschungen heranzog; vgl. E. Frhr. von Eickstedt, Die Forschung am Menschen, Bd. 1, S. 101. 22 | Vgl. E. Fischer, Neue Rehobother Bastardstudien I, II.
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12. Erbbiologie
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die wichtigen Lehrbücher über die Vererbungswissenschaft von Pflanzen und Tieren gehandelt; der Mensch war in Schlusskapiteln angehängt. Auch auf den Abbildungen dieser Werke wurden oft zunächst Getreideähren, Blüten, dann Tiere und schließlich erst der Mensch gezeigt. Das lag natürlich daran, dass man mit Pflanzen und Tieren Züchtungsversuche durchführen konnte, die die Vererbungsregeln transparent machten, folgerichtig spielte die Eugenik in diesen Lehrbüchern keine größere Rolle. Knapp vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das zumeist geändert.1 Die genetische Ausstattung des Menschen und dessen Vererbung durch Fortpflanzung war ja schon lange zuvor als Problem formuliert worden. Jetzt erschien es als lösbares Problem, denn mit der Karriere der Fruchtfliegen als Versuchstieren fing um 1910 die Geschichte der modernen Genetik an. Damit waren seit Mendels Wiederentdeckung nicht nur die Erbgesetze bekannt, sondern die junge Erbbiologie konnte die Hoffnung hegen, mit Hilfe der Genetik bald endlich auch Erbgänge kontrollieren zu können. Und so stoßen wir nun in zahlreichen Texten und Denkschriften auf ein dreifaches Projekt der Erbbiologie, das in der Zwischenkriegszeit und dem »Dritten Reich« dominierte. Zuerst war da der Versuch, die faktisch ausufernde genetische Variabilität zu systematisieren und stabile Muster in all der Vielfalt zu finden, also zahllose Individuen zu übersichtlichen Typen zu verschmelzen.2 Zum zweiten schien 1 | Vgl. die unterschiedlichen Auflagen der Bücher von E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre; Ders., Einführung in die Vererbungslehre; R. Goldschmidt, Einführung in die Vererbungswissenschaft; V. Haecker, Allgemeine Vererbungslehre; W. Johannsen, Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Vgl. auch das Standardwerk zur Erbbiologie: E. Baur/E. Fischer/F. Lenz, Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre (dazu: H. Fangerau, Rassenhygiene und Öffentlichkeiten). 2 | Vgl. z.B. Eugen Fischer, Eine »zentrale Arbeitssammlung für Erbbiologie des Menschen« am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem, o.D. [an Otmar Frhr. von Verschuer gesandt am 8.3.1940], Bl. 1 (AMPG, III. Abt., Rep. 86A, Nr. 291-3).
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es, als habe die Natur »offenbar doch schon selbst starke Strömungen eingebaut, die dem ›Mendeln‹ entgegenwirken«;3 solche vermeintlich natürlichen Fortpflanzungsbarrieren waren zu erkennen und mussten durch die Erbbiologie nachvollzogen werden. Und drittens ging es um Prävention, denn: »die grosse Frage für das praktische Handeln bleibt doch immer: Wie sieht man es einem Menschen rechtzeitig, d.h. bevor er Gelegenheit zur Fortpflanzung hat, an, ob Gutes oder Schlechtes in ihm steckt?«4 Johan Caspar Lavater war in seinen einflussreichen »Physiognomischen Fragmenten« (1775-78) noch davon ausgegangen, dass man den Charakter eines Menschen an Gesichtszügen und Körperbau erkennen könne.5 Für die Rassenanthropologie, die Rassenkunde und die Erbbiologie sollte zwar weiterhin auch das Gesicht eine wichtige analytische Rolle spielen, wie wir sehen werden. Eigentlich aber war das nur eine Verlegenheitslösung. Denn der Erbbiologie war klar, dass man den Menschen – und erst recht den noch ungeborenen – ihre genetische Ausstattung nicht wirklich ansehen konnte. Man musste hinter die Oberfläche blicken, deshalb war, so schlug der Münchener Eugeniker Ernst Rüdin vor, »ein empirisches, erbprognostisches, ermitteltes Risiko-System anzustreben, auf Grund dessen die Kinderprognose jedes einzelnen uns zur Erb-Prognostik sich stellenden Nupturienten durchschnittsziffernmässig bestimmt werden kann, allmählich mit derselben Präzision, mit der man in der Bevölkerungswissenschaft etwa die Lebens- bzw. Sterbefall-Erwartung berechnen kann.«6 Jedem Individuum war eine »Erbprognoseziffer« zuzuweisen, mit der man dessen Risikopotenzial für den Volkskörper hochrechnen konnte, um gegebenenfalls einzugreifen.7 Durch solch eine Form der Mathematisierung sollte eine bloße Betrachtung der Physiognomie, des Phänotyps, durch sichere Schlüsse auf das biologische »Betriebssystem«, den Genotyp, ersetzt werden. 3 | Bericht über den erbbiologisch-rassenhygienischen Schulungskurs für Psychiater. Veranstaltet vom Deutschen Verband für psychische Hygiene und Rassenhygiene. München vom 8.-16. Januar 1934. Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (Kaiser-Wilhelm-Institut), o.D., Bl. 27 (MPIP-HA, GDA 19). 4 | Ernst Rüdin, Über Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat (Vortrag auf der 93. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Hannover vom 16. bis 20. September 1934), 19.9.1934, Bl. 1 (MPIP-HA, GDA 31 [Hervorh. im Orig.]). 5 | Vgl. J. Person, Der pathographische Blick; C. Schmölders, Das Vorurteil im Leibe. 6 | Ernst Rüdin, Neuere Forschungsergebnisse in der Psychiatrie (Vortrag auf dem Internationalen Kriminologenkongreß in Rom, 1940), o.D., Bl. 6f. [richtig: 7f.] (MPIP-HA, GDA 46). 7 | Vgl. auch E. Baur, Einführung in die Vererbungslehre, S. 416-431; R. Fetscher, Die Organisation der erbbiologischen Erforschung der Strafgefangenen; C. Friese, Rassenkunde, S. 165-170; T. Geiger, Erbpflege; R. Goldschmidt, Einführung in die Vererbungswissenschaft (Aufl. 1923), S. 523-535; A. Grotjahn, Hygiene der menschlichen Fortpflanzung; H. Muckermann, Rassenforschung und Volk der Zukunft.
Erbbiologie
Eine Projektplanung aus dem Jahre 1930 und ein fünf bändiges Lehrbuch aus dem Jahre 1940 illustrieren Hoffnungen und Realität der Vererbungslehre. Da waren zum einen Ernst Rüdin und Eugen Fischer, die in Memoranden großangelegte anthropologische und erbpathologische Untersuchungen der deutschen Bevölkerung forderten. Rüdin wollte in zunächst fünf Bezirken mit 50.000 Einwohnern die biologischen Typen möglichst vollständig erfassen, um von dort aus eine »anthropologische, psychiatrische und sonstige nosologische [Erscheinungsformen] und teratologische [Fehlbildungen] Topographie des deutschen Volkes« zu entwerfen. Es sollten die abnormen oder kranken Typen untereinander und mit der gesunden Bevölkerung ins Verhältnis gesetzt und eine Korrelation »zwischen Umweltwirkung, anthropologischem Typus, geistig und körperlich kranken Menschen und sozialen Leistungen hergestellt werden.«8 Diese Totalerhebung sollte nach ein bis zwei Jahrzehnten ebenso umfassend wiederholt werden, um quantitative Entwicklungen erfassen und den Einfluss unterschiedlicher Faktoren abschätzen zu können. »Anstalts-Pathologie« und »Laboratoriums-Anthropologie« bekämen nur die internierten Volksbestandteile, nicht aber die soziologischen Leistungen und Fehlleistungen des ganzen Volkes in den Blick.9 Kaum anders gedachte Eugen Fischer vorzugehen, beide vereinbarten mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine Kooperation.10 Das Programm wurde so nie durchgeführt – und ein Blick in das erwähnte »Handbuch der Erbbiologie des Menschen«, herausgegeben von Günther Just,11 bot ernüchternde Gründe: Chromosomen sagten (noch) nichts über Rassenunterschiede aus, auch wenn sie, irgendwie, doch nahelagen (Abb. 17). Das Zusammenspiel von Genen und anthropologischen Merkmalen sei ungeklärt. Ob phänotypisch abgrenzbare Einheiten auf genetisch einheitliche Komplexe zurückgingen, sei erst noch zu klären. Das Handbuch zerlegte die für Rüdins Plan (und die Rassenanthropologie) so entscheidende Koppelung, dass beobachtbare Fehlbildungen auf die genetische Ausstattung der Individuen schließen ließen. Das bezweifelten zwar auch die Autoren des Handbuches nicht, hielten es aber für (noch) nicht belegbar. Dabei zog sich ein eigentümlicher Bruch durch das Lehrbuch selbst, der den damaligen Stand der gesamten erbbiologisch-anthropologischen Forschung charakterisierte. Es argumentierte 8 | Ernst Rüdin an die Deutsche Notgemeinschaft [d.i. Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft], 18.3.1930, Bl. 4 (MPIP-HA, GDA 89). 9 | Ebd., Bl. 5. Vgl. auch Ernst Rüdin an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 20[?].1.1930 (BAB, R 73/169). 10 | Vgl. Eugen Fischer, Rassenkundliche und erbpathologische Erhebungen am Deutschen Volk. Eine Gemeinschaftsarbeit, 19.1.1930; Allgemeines zur Besprechung über Rassenforschung am 22.II.1939 in der Notgemeinschaft, o.D. (BAB, R 73/169). 11 | Vgl. G. Just (Hg.), Handbuch der Erbbiologie des Menschen.
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nämlich genetisch, operierte aber genealogisch-anthropologisch. »Nur eine Kombination eingehender Familienuntersuchungen mit sippenmäßig und geographisch gegliederter Populationsstatistik [kann] zu einer einwandfreien genetischen Ätiologie der betreffenden phänotypischen Einheiten führen«,12 hieß es beispielsweise. Der Weg vom Gen zum Merkmal lag im Dunkeln; von den Phänotypen her meinte man umgekehrt wenigstens etwas Licht darauf werfen zu können. Doch schon bei höherstehenden Tieren, so lesen wir, ließen sich Anomalien kaum noch als nachweisbare Effekte von Genmutationen erklären. Abb. 17: Hier werden Chromosomensätze verglichen u.a. von »Weißen« und von »Negern«, ohne dass diese Entitäten begründet werden, und ohne dass ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen Chromosomen und Rassenzugehörigkeit behauptet wird. Es wird höchstens suggeriert, dass es hinreichend signifikante Unterschiede zwischen den Chromosomen von »Weißen« und von »Negern« gibt, indem das Bild unterschiedlicher Chromosomenformen mit einem Bildtext kombiniert wird, der Weiße und Schwarze nennt.
Trotzdem beschritt das Handbuch, notgedrungen, diesen Weg. Der Erbbiologe Ernst Hanhart schilderte, wie er in Archiven Verwandtschaftsverhältnisse erhoben und sie mit Anomalien, die teils auf Hörensagen basierten, korreliert hatte, wie er bis in die Frühe Neuzeit zurückgegangen war, um die »mutmaß12 | K. Bonnevie/N. W. Timoféeff-Ressovsky, Genetisch-entwicklungsphysiologische Grundlagen, S. 69.
Erbbiologie
lichen Ursprünge« für genetische Veränderungen aufzuspüren und dann endlich Mutationen mit dominanten, einfach rezessiven und geschlechtsgebunden-rezessiven Erbgängen enthüllen zu können.13 Der Bericht beleuchtet die Unzuverlässigkeit solcher Quellen, wenn er beschreibt, dass ein einzelner Pfarrer im 16. Jahrhundert sich offensichtlich mit Taubstummen hatte verständigen können und deshalb seine Einträge im Kirchenbuch differenziert ausgefallen waren – statt, wie üblich, »Taubstumme« und »Idioten« als eine einzige Abnormität zu verzeichnen.14 Wie sollte man da alle Erbmerkmale kontinuierlich registrieren können, um gegebenenfalls eine Zunahme erblicher Defekte und damit Entartung nachweisen zu können? So stellte Günther Just nüchtern fest, dass Lehrbuchbeispiele für Erbgänge die Ausnahme bildeten. Das undurchsichtige Erbverhalten überwog bei weitem.15 Und so ist das Verhältnis von biologisierender Sprache und den Abschnitten zur genealogisch-anthropologischen Methodik signifikant. Gerade deren Länge zeigt, dass man zwar mit Tieren experimentieren konnte, doch die Menschen wurden nach wie vor im Archiv, vor der Kameralinse, mit dem Messzirkel und durch Befragungen umkreist. Deshalb sollte die Anthropologie eine wichtige methodische Rolle für die Erbbiologie spielen, so wie sie sich wiederum erbbiologische Methoden aneignete, um die Bevölkerung sozial und rassisch klassifizieren zu können. Beide Disziplinen trafen sich in ihrer eigentümlichen Form der Feindbeobachtung, die die Welt mit pathologischen Existenzen bevölkert sah, mit »Querulanten-Verwandtschaften«, mit »formlos primitiv psychopathischen Eltern, die wiederum eine Kerngruppe der willensschwach Gemütsarmen« darstellten, oder mit »Verbrecher-Stämmlinge[n] (d.h. Kriminelle mit 5 Kriminellen in nächster Verwandtschaft)«,16 oder mit den »Gemeinschaftsunfähigen«, die ihre »Asozialität« in zahllosen Nachkommen vervielfältigten.17 Die »Erwünschten« dagegen – beispielsweise erblich wertvolle Handwerker oder die politischen Leiter des Gaues Thüringen – zeichneten sich oft durch verheerend schlechte Fortpflanzungsquoten aus.18 Und am Ende des Tunnels schien kein Licht: »Es ist eine irrige Meinung, die Erbkrankheiten würden durch unsere 13 | Vgl. E. Hanhart, Die Entstehung und Ausbreitung von Mutationen beim Menschen, S. 288-370 (Zitat S. 344). 14 | Ebd., S. 347f. 15 | Vgl. G. Just, Die mendelistischen Grundlagen der Erbbiologie des Menschen, S. 404. 16 | Ernst Rüdin [?], 20 Jahre menschliche Erbforschung an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, Kaiser-Wilhelm-Institut (Vortrag auf dem Internationalen Kriminologenkongreß in Rom, 1940), o.D., Bl. 14, 18 (MPIP-HA, GDA 46). 17 | Vgl. H. W. Kranz/S. Koller, »Die Gemeinschaftsunfähigen«. 18 | Vgl. z.B. K. Astel/E. Weber, Die unterschiedliche Fortpflanzung [Beamte]; Dies., Die unterschiedliche Fortpflanzung [Handwerker]; Dies., Die Kinderzahl der 29000 politischen Leiter des Gaues Thüringen.
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Rassenhygiene bald ausgerottet sein! Rassenhygiene muss fortdauernd betrieben werden, weil erbliche Unangepasstheiten durch Mutation immer wieder neu entstehen[,] und weil die erscheinungsbildlich gesunden Mischerbigen ihre Anlagen immer wieder übertragen. Erst wenn es Menschengeist gelingt, auch die Spalterbigen als solche zu erkennen, wovon wir meist noch weit entfernt sind, wird es möglich sein, ein schnelleres Tempo in die negative Rassenhygiene hineinzubringen«19 – und mit der permanenten Dynamik drohender »Entartung« Schritt zu halten. *** Ich hatte im vierten Kapitel angeführt, dass die Statistik »Bevölkerung« immer auf einen Raumausschnitt beziehen musste, und dass das im 20. Jahrhundert zu einer geradezu existenziellen Bedeutung stilisiert werden konnte. Diese Beziehung war schon für Malthus’ demografisches Katastrophenszenario im ausgehenden 18. Jahrhundert konstitutiv gewesen,20 1901 postulierte der Anthropogeograf Friedrich Ratzel, dass jede Art ihren Lebensraum benötige, der Raum den Körper präge, dass gedrängtes Wohnen – in den Städten der Menschen und den Brutplätzen der Seevögel – kranke Nachkommen hervorbringe und Rassen sich nur in abgeschlossenen Räumen, sicher vor Vermischung, ausbilden könnten.21 Dem Raum eignete also eine erbbiologisch entscheidende Qualität, was die Soziologin und Bevölkerungswissenschaftlerin Elisabeth Pfeil im »Dritten Reich« zum Glauben an eine biologische Symbiose von Volk und Raum überhöhte: »Die allgemeinste Beziehung von Bevölkerung und Raum ist also die einer Zugehörigkeit: die Bevölkerung eines Raumes, der Raum einer Bevölkerung. Der Raum hat ›eine nach innen zusammenfassende und nach außen trennende Kraft‹ […]. Eine Bevölkerung setzt sich von der Bevölkerung anderer Räume ab […] durch ein Anderssein, eine Eigenart. Die Beziehungen innerhalb des Raumes sind es, die eine Gemeinsamkeit herstellen: eine Bevölkerung ist – so können wir sagen – eine Gemeinschaft, die ihren Raum gemeinsam erlebt hat.«22 Der Raum selbst gewann für sie biologische Kraft, denn er züchte eine Art geradezu um. Diese passe sich so lange dem Raum an, bis beide harmonisch aneinander angeglichen seien. In einem Raum könnten durchaus verschiedene Rassen leben, doch der Raum bevorzuge eine zu 19 | Ernst Rüdin, Bedeutung der Forschung und Mitarbeit von Neurologen und Psychiatern im nationalsozialistischen Staat (Eröffnungsansprache auf der 4. Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater, Köln, 24.-27.9.1938), 25.9.1938, Bl. 8 (MPIP-HA, GDA 29). 20 | Vgl. T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 23-26. 21 | Vgl. F. Ratzel, Der Lebensraum. 22 | E. Pfeil, Bevölkerung und Raum, S. 5.
Erbbiologie
ihm passende, deren Eigenschaften er herauszüchte und vereinheitliche. Geobiologisch verfestige sich dann allmählich die Grenze des Raumes gegen die Nachbarn, als eine unscharfe Zone des Übergangs zwar, sie umschließe aber eine deutlich unterscheidbare Kernlandschaft. Darin gebe es landschaftliche Sondertypen, die sich durch geschlossene regionale Heiratskreise herausgebildet hätten, aber sie seien durch Kultur, Handel und Verwaltungsstrukturen in den übergreifenden Raum eingebunden. Und so lesen wir das dann bei zahlreichen Autoren. Einem Raum korrespondierte eine ideale, sozio-biologisch möglichst homogene Bevölkerung, die nicht kompatibel war mit anderen Bevölkerungen. Der Raum entsprach zumeist dem Territorium der Nation, darin regionale Sonderräume mit ebenfalls eigenen Populationen, deren Mischung zu Problemen führen konnte. Die Differenz zwischen Stadt und Land machte eine weitere Ebene aus. Eine aufwendige Untersuchung aus dem Jahre 1941 hatte beispielsweise für Breslau eine angeblich klare Korrelation von beruflicher Qualifikation, Konstitution und rassischem Charakter herausgearbeitet. Mit der Leistungshöhe der Berufe, so die Autoren, wachse der Anteil der nordischen Rasse, soziale Aufsteiger entsprächen körperlich einem höheren Stand und bestätigten damit ebenfalls den Zusammenhang zwischen Körperbau und Leistungsfähigkeit. Die Stadt siebe und ziehe diejenigen, die ihr schon ähnelten, aus dem Land heraus. Die Berufe siebten ebenfalls und erhielten das ihnen korrespondierende Material. Dann forme die Stadt die Menschen weiter, so dass das geübte Auge rasch erkennen könne, wer in die Stadt gehöre, in welchen Beruf und in welche Leistungsgruppe.23 Jeder Mensch, so lesen wir in Text nach Text, sollte seinen Platz und seine Aufgabe haben, jede Bevölkerung ihren Ort. Die Individuen sollten im geo-sozialen Kosmos so angeordnet sein, dass sich »natürliche« Hierarchien und »organische« Gemeinschaften ergaben; jedes Ausweichen in einen anderen Raum geriet deshalb zur biologischen Gefahr. Um Unordnung durch Mobilität zu vermeiden, sollten die einzelnen Elemente der Gemeinschaft gegliedert und fixiert werden, nach Raum, Rasse, Schicht, Beruf, Geschlecht, geografisch und sozial. Diese gesellschaftspolitische Wendung hatte nicht ferngelegen. Carl von Linné hatte 1760 in seiner »Politia naturæ« ein Gleichgewicht der Natur postuliert, in der jedes Gewächs zu seiner Zeit an seinem Platz wachse. Dringe es in andere Räume ein, fühle es sich nicht wohl. Und so sollte auch die Gesellschaft geordnet sein. Jeder erfüllt eine Aufgabe und erhält dafür seinen Lohn. Alles ist vom Schöpfer an seinen Platz gestellt und in eine von unten nach oben 23 | Vgl. die Beiträge in E. Frhr. von Eickstedt (Hg.), Bevölkerungsbiologie der Großstadt. Vgl. auch W. Mitze, Die strukturtypologische Gliederung einer westdeutschen Großstadt; H. Mitgau, Verstädterung und Großstadtschicksal genealogisch gesehen; und für die Nachkriegszeit: E. Pfeil, Großstadtforschung, bes. S. 139-172.
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sowie von oben nach unten dienende Hierarchie eingefügt.24 Solche Analogieschlüsse von der Pflanzen- und Tierwelt auf den sozialen Auf bau der Gesellschaft finden wir später in der Rassenanthropologie, die sich nur zu gerne der Naturwissenschaften bediente, um ihre Annahmen von der sozialen Welt zu untermauern. Denn wenn sich in der Natur funktionierende Hierarchien und organische Gemeinschaften offenbarten, so konnte eine ebenso strukturierte Gesellschaft nicht widernatürlich sein. Ernst Rüdin erklärte deshalb die Soziologie unverhohlen zum Unterfall der Biologie: »Die Biologie ist die allumfassende Lehre von den Lebensvorgängen. Auch alles Soziologische, d.h. dasjenige Geschehen, welches das Gesellschaftsleben und seine Störungen betrifft, gehört zur Biologie.«25 »Natürliche Räume« waren für die Rassenanthropologie allerdings auch aus pragmatischen Gründen von Bedeutung. Sie machten die Forschungsarbeit überhaupt erst möglich, denn die Natur schien hinreichend kleine »Isolate« vorzuhalten, deren sozio-biologisch abgeschlossene Populationen mit den damaligen technischen Mitteln tatsächlich in den Griff zu bekommen waren. »Auszugehen ist von einer Bevölkerung, die geschlossen siedelt, wirtschaftlich einheitlich ist, ferner einen erheblichen Bestand an alteingesessenen Menschen besitzt, endlich über eine Ueberlieferung von mehreren Generationen verfügt.«26 Es handelte sich zumeist um abgelegene Regionen und Dörfer, die sich durch nach außen geschlossene Heiratsgrenzen auszeichneten, also durch Inzucht reproduzierten. Es war wichtig, dass diese Isolate nicht durch die Einmischung fremden genetischen Materials kontaminiert waren; wenn sie nicht an den großen Verkehrswegen lagen, gab es kaum Beimischungen durch Einheiraten. Von der Natur selbst sahen Anthropologen also Datensätze zur Verfügung gestellt, die handhabbar und rein waren. Aber die Isolate waren mehr als eine methodische Notwendigkeit. Sie entsprachen – zumindest nach dem Ersten Weltkrieg – dem Weltbild der Rassenanthropologie. In den Texten wurden nicht nur Isolate beschrieben, sie wurden regelrecht konstruiert, denn die im Raum situierte Bevölkerung, die sich im »Kampf um das Dasein« bewährte und ihre Charakteristik nicht durch Vermischungen verlor, grundierte das gesellschaftspolitische Ideal dieser Anthropologen. Freilich war ihnen klar, dass sich Isolate durch die zunehmende Mobilität im industriellen Zeitalter auflösten. Das reine Material schwand, es mussten mit höherem Aufwand größere Gebiete gesiebt werden. »Die Bevölkerungsmi24 | Vgl. C. von Linné, Politia naturæ, bes. S. 157f. 25 | Ernst Rüdin, Wege und Ziele der biologischen Erforschung der Rechtsbrecher mit besonderer Berücksichtigung der Erbbiologie (Vortrag auf der Tagung der Kriminalbiologischen Gesellschaft am 2.X.1930), 2.10.1930, Bl. 1 (MPIP-HA, GDA 32). 26 | Georg Thilenius an den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 12.2.1930, Bl. 5 (BAB, R 73/169).
Erbbiologie
schung in den inzwischen riesig angewachsenen Grossstädten und die Fluktuation der Bevölkerung in den Industriegebieten sind so ungeheuer geworden, dass die Zahlenwerte bei der Untersuchung dieser Gebiete die der Gesamtheit erdrücken und jedes Resultat zerstören würden. Ein wirkliches Bild von der anthropologischen Zusammensetzung Deutschlands gibt nur, soweit ein solches überhaupt noch feststellbar ist, die bodenständige Bevölkerung, das ist also die rein ländliche«,27 schrieb Eugen Fischer im Namen mehrerer führender Anthropologen im Jahre 1928, und zwei Jahre darauf: »Die ungeheure, immer schneller verlaufende gegenseitige Durchkreuzung im ganzen Volke erschwert die Aufgabe täglich mehr«.28 Da schwang dann ein resignierender, sogar die eigene Arbeit – im Vorgriff auf die Zukunft – musealisierender Unterton mit, angesichts der »Tatsache, dass bei der zunehmenden Freizügigkeit und damit Blutmischung des gesamten Volkes bis ins letzte Dorf heutige [rassenkundliche] Photographien in hundert Jahren unersetzliche Urkunden sein werden.«29 Deshalb auch diente die sorgfältige narrativ-visuelle Konstruktion der Untersuchungsgegenstände als geografisch-genetische Isolate stets dazu, die eigenen Erhebungen zu beglaubigen, ihnen eine Aura der Ursprünglichkeit zu verleihen – und sie markierte zugleich eine utopische Stoßrichtung: noch finden wir die Isolate, in denen sich eigentlich eine gesunde Gesellschaft manifestiert.30 *** Im 19. Jahrhundert hatten Anthropologische Gesellschaften und Kommissionen die Basis der anthropologischen Arbeit gebildet. Ihre Mitglieder waren oft das, was man heute »Quereinsteiger« nennt, sie hatten, wie Rudolf Virchow, Otto Ammon oder Eugen Fischer keine systematische Ausbildung als Anthropologen genossen. 1869 war die »Deutsche Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte« gegründet worden, 1889 folgte ihr Berliner Pen27 | Eugen Fischer, Anthropologische Erforschung der deutschen Bevölkerung, 2.2.1928, Bl. 3 (BAB, R 73/169). 28 | Eugen Fischer, Rassenkundliche und Erbpathologische Erhebungen am Deutschen Volk. Eine Gemeinschaftsarbeit, 19.1.1930, Bl. 18f. (BAB, R 73/169). 29 | Eugen Fischer, Anthropologische Erforschung der deutschen Bevölkerung, 2.2.1928, Bl. 5 (BAB, R 73/169). Ähnlich hatte Fischer das an Herman Lundborg bereits am 22.12.1924 geschrieben (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, E2:2). 30 | Ernst Rüdin allerdings hatte als Vorzug für sein oben erwähntes Projekt einer erbpathologischen Untersuchung der deutschen Bevölkerung die gute Erreichbarkeit der Untersuchungsräume durch Straßen, Bahn- und Buslinien genannt; vgl. Ernst Rüdin an die Deutsche Notgemeinschaft [d.i. Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft], 18.3.1930, Bl. 6 (MPIP-HA, GDA 89).
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dant, 1886 das Anthropologisches Institut bzw. die Anthropologische Staatssammlung der Universität München, 1900 in Breslau ein Anthropologisches Institut an der Universität, 1905 die »Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene«. Die Anthropologen vernetzten sich in diesen Institutionen, die Institutionen vernetzten sich international, und an einigen wenigen Universitäten begann um 1900 die Ausbildung des anthropologischen Nachwuchses, etwa in Zürich durch Rudolf Martin. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Gründung solcher Institutionen forciert, dazu kamen anthropologische, rassenkundliche und erbbiologische Lehrstühle an einer ganzen Reihe von Universitäten.31 Ich nenne im Folgenden nur einige der wichtigen, und man erkennt an den Gründungsdaten, welchen Impuls die »Machtergreifung« gegeben hatte, an den Namen der Institute und Gesellschaften die Bedeutung der (Rassen-)Biologie, aber auch die selbstverständliche Verbindung von Anthropologie und Erbbiologie bzw. Rassenkunde: • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Institut für Rassenhygiene, Hygienisches Institut, Universität München (1923) Anthropologische Abteilung des Museums für Völkerkunde, Hamburg (1924) Deutsche Gesellschaft für physische Anthropologie (1926) Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (1927) Deutsche Gesellschaft für Blutgruppenforschung (1927) Ethnologisch-anthropologisches Institut, Universität Leipzig (1927) Deutsche Gesellschaft für Rassenforschung (1929) Lehrstuhl für Rassenkunde, Völkerbiologie und Ländliche Soziologie, Universität Jena (1930) Rassenhygienische und Erbbiologische Forschungsstelle am Reichsgesundheitsamt (1933) Erbwissenschaftliches Forschungsinstitut des Reichsgesundheitsamtes (1933) Institut für Rassenhygiene, Universität Berlin (1933) Institut für Erb- und Rassenpflege an der Universität Gießen (1933) Institut für menschliche Erblehre und Eugenik, Universität Greifswald (1933) Rassenbiologisches Institut, Universität Hamburg (1933) Universitätsanstalt für Menschliche Erbforschung, Bevölkerungswissenschaft und Rassenpolitik, Universität Jena (1934) Rassenbiologisches Institut, Universität Königsberg (1934) Institut für Anthropologie und Rassenkunde, Universität Tübingen (1934) Anstalt für Rassenkunde, Völkerbiologie und Ländliche Soziologie, Universität Berlin (1935)
31 | Eine detaillierte Liste mit Literaturhinweisen in: B. Vom Brocke, Bevölkerungswissenschaft – Quo vadis?, S. 295-315. Vgl. auch K. Lenz, Die Bevölkerungswissenschaft im Dritten Reich, S. 105-112.
Erbbiologie
• Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene an der TH Danzig (1935) • Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität Frankfurt (1935) • Erbpathologische Abteilung der I. Medizinischen Klinik der Berliner Charité (1935) • Rheinisches Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung (1937) • Institut für Vererbungswissenschaft und Rasseforschung, Universität Würzburg (1937) • Anstalt für Rassenkunde, Völkerkunde und Ländliche Soziologie an der Universität Freiburg (1939) • Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität Köln (1939) • Schlesisches Landesamt für Rassen-, Sippen- und Bevölkerungswesen (1939) • Institut für Rassenbiologie (Politische Anthropologie und Bevölkerungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Auslandes), Universität Berlin (1942) Diese Institutionen machten sich daran, systematisch wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden, der den Expansionskurs der Bevölkerungswissenschaften beschleunigen sollte. Sie legten ehrgeizige Pläne anthropologischbiologischer Gesamterfassungen des deutschen Volkes auf, und zahlreiche Doktoranden begaben sich in die Dörfer, um diese Aufgabe durch die Aneinanderreihung von Mikrostudien zu bewältigen. Die Professoren reisten auf internationale Kongresse, um sich mit ihren Kollegen auszutauschen; mit Fachfreunden führten sie darüber hinaus eine intensive Korrespondenz, etwa mit Charles Davenport in den USA, Jon Alfred Mjøen in Norwegen oder Herman Lundborg in Schweden (an dessen Nachfolge Ernst Rüdin 1934 als Gutachter mitwirkte). Im eigenen Land und international verdichteten sich die Netzwerke gleichgesinnter Kollegen, die empirischen Erhebungen konnten intensiviert werden, die Genetik stand vor dem Durchbruch und verhieß die Ablösung der ungenauen genealogischen durch streng naturwissenschaftliche Methoden. Die Euphorie währte allerdings nur ein gutes Jahrzehnt. Einige wenige dieser Institute und Gesellschaften wurden bereits 1940, kurz nach Kriegsbeginn, wieder aufgelöst, der Großteil überlebte das Jahr 1945 nicht. Der Rest entnazifizierte sich unter Preisgabe erbbiologischer Ansätze – die aber unter dem Deckmantel der weniger diskreditierten Rassenanthropologie noch einige Jahrzehnte überdauern sollten.
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13. Walter Scheidt Die Elbinsel Finkenwerder
In dieser Hochzeit der Erbbiologie stoßen wir auf einen vibrierenden Optimismus. Zwei Schweden, Gustaf Retzius und Carl Fürst, hatten im Jahre 1902 gezeigt, dass man tatsächlich die anthropologische Gesamtaufnahme eines Volkes in Angriff nehmen konnte. Sie hatten schwedische Rekruten aus dem gesamten Reich vermessen und die Ergebnisse in farbigen Torten- und Balkendiagrammen, Karten, Tabellen und vergleichenden Kurvengrafiken präsentiert. Ihr Land wies, wie sie feststellten, den reinsten Zweig der germanischen Rasse auf. Die Studie wurde auf Deutsch publiziert und galt forthin als vorbildhaft.1 Gegen Ende der Weimarer Republik wollten auch die deutschen anthropologischen Institute endlich ein derartiges flächendeckendes Erhebungsprogramm in Angriff nehmen.2 1929 berichtete Eugen Fischer über den Stand der bisherigen anthropologischen Erhebungen, die mit Hilfe der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft durchgeführt worden waren. Eine war publiziert, 17 waren abgeschlossen, 19 befanden sich in Arbeit und 27 in Vorbereitung; etwa 75 Gemeinden und Orte sollten unter die Lupe genommen werden. Allein der Hamburger Anthropologe Walter Scheidt verantwortete 21 Untersuchungen, Eugen Fischer 16. Die Anthropologen Karl Saller, Otto Reche und Theodor Mollison standen für insgesamt weitere 19 Erhebungen ein. Fischer fügte sogar eine handgezeichnete Deutschlandkarte bei, die für den Süden, die Region Ostwestfalen/Hannover/Göttingen sowie für den Raum Hamburg/Schleswig-Holstein eine Verteilungshäufung der Erhebungen aufwies; deren Ergebnisse wollte Fischer in einer Schriftenreihe des Verlages Gustav Fischer in Jena publizieren lassen.3 Freilich weist die Karte unübersehbar auf, dass bislang nur einige wenige Nadelstiche hatten gesetzt werden können, um das Reich anthropologisch zu erfassen, der Rest war leerer Raum. 1 | Vgl. G. Retzius/C. Fürst, Anthropologia Suecica. 2 | Vgl. Ethnologisch-anthropologisches Institut der Universität Leipzig an die Amtshauptmannschaft in Großenhain, 11.4.1929 (AIEUL, RE XXVI). 3 | Vgl. Eugen Fischer an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 19.8.1929 (BAB, R 73/169).
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Walter Scheidt war derjenige Vertreter der Rassenanthropologie, der besonders viele Nadelstiche in Fischers Karte setzen sollte. Er war Assistent Rudolf Martins gewesen, wurde 1923 im Fach Anthropologie habilitiert, war dann Vorstand der anthropologischen Abteilung des Völkerkundemuseums in Hamburg und wurde 1933 an der dortigen Universität zum Direktor des Instituts für Rassen- und Kulturbiologie ernannt. Seine »Allgemeine Rassenkunde« (1925) fand internationale Aufmerksamkeit, seine wohl wichtigsten anthropologischen Arbeiten waren zwei Studien über die Elbinsel Finkenwärder (heute Finkenwerder), vor Hamburg gelegen. Sie gehören zu den wenigen Texten, auf die sich Anthropologen noch in den 1980er Jahren berufen mochten.4 Der erste Band stammt aus dem Jahre 1927, Mitautor Hinrich Wriede behandelte das »Volkstum«, Scheidt die »Rasse«. Wriede setzte den Ton. Wir erfahren, dass Finkenwerder eine eingedeichte Insel ist, auf der die Menschen seit Jahrhunderten gegen das Wasser und um ihren Boden kämpfen. Immer wieder brechen die Deiche. Die Geschichte der Insel ist seit dem 13. Jahrhundert fast nichts »als die Geschichte eines ewigen Ringens zwischen Land und Wasser, Marsch und Strom, Deich und Hochflut, Menschenkraft und Naturgewalt.«5 Die Menschen wissen um ihre Abhängigkeit von der Natur und fühlen sich derem Werden und Vergehen verbunden; durch diese Umwelt wurde eine Art Volksgemeinschaft geschmiedet. Es gibt keine Standesunterschiede, Knechte und Mägde essen am selben Tisch, verrichten die gleiche Arbeit wie die Herrschaft, haben gegen sechs Uhr Feierabend. Als ein vom »Bildungsschwindel erfaßter Finkenwärder« von seinem Dienstmädchen das »Herr« und »Sie« verlangte, nahm der Vater seine Tochter wutschnaubend und unter allgemeinem Beifall aus dem Dienst.6 Alle Finkenwerder kennen einander, fühlen sich wie eine Familie. Gleichzeitig erscheint der Siedlungsbau wie ein Mikrokosmos des Deutschen Reiches: »Haufendorfartige Form, Einzelhof, Reihensiedlung und städtische Straßensiedlung liegen hier dicht beisammen wie an wenigen Stellen unseres Vaterlandes.« 7 Seit dem 19. Jahrhundert halten die Deiche endlich, verlieren durch die Umgestaltung der Landschaft jedoch an Bedeutung. Die Moderne bricht in das Leben ein. Die Blankeneser Fischer hatten schlicht wie zu Urväters Zeiten gelebt, bis sie um 1800 »in den Kreis der großstädtischen Überfeinerung traten, als sie die Behaglichkeit und Bequemlichkeit höher zu schätzen begannen als ganzes Menschentum, als vollkommenste Auswirkung und Ausbildung der Persönlichkeit, allerdings in einem Leben der Gefahr, Not und Entbehrung, in 4 | Vgl. I. Spiegel-Rösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, S. 178. Zu Scheidt vgl. B. Gausemeier, Walter Scheidt und die »Bevölkerungsbiologie«. 5 | W. Scheidt/H. Wriede, Die Elbinsel Finkenwärder, S. 14. 6 | Ebd., S. 58. 7 | Ebd., S. 21.
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einem Tag voll von Arbeit und Mühsal und in einer Nacht der Unruhe und des Wachens, als sie eben die Pflege und Freiheit der Seele gegen die des Leibes eintauschten.«8 100 Jahre darauf erlitten die Finkenwerder dasselbe Schicksal. Sie drängten in die bequemeren und gefahrloseren Berufe der Decks- und Steuerleute, der Kapitäne auf Baggern, Schuten und Frachtschiffen, der Wachtleute, Werftarbeiter, Angestellten, Reeder, Leiter, Aufseher oder Laden- bzw. Großhandelsbesitzer, und nur ihre alten Schiffe erinnerten an die sächsischen Drachenschiffe, mit denen die Vorfahren Britannien erobert hatten. Diese Beschreibung evoziert das Idealbild einer homogenen Gemeinschaft. Wriede hatte allerdings Schwierigkeiten, diese Vorstellung argumentativ wirklich plausibel zu machen. Er versuchte es narrativ über die Herstellung bzw. Auflösung spezifischer Differenzen. So könne der Fremde – unter ihnen der neue Direktor des Altonaer Museums – die Trachten aus Altenwerder und Finkenwerder nicht unterscheiden. Alles sehe ihm gleich aus, er stelle eine Einheit her, wo die Einheimischen (und Wriede) deutliche Unterschiede sähen. Andererseits zeichneten sich die Finkenwerder wie alle Dorfschaften durch Vielfalt aus, die Wriede in streng dichotomer Form beschrieb: der Ehrliche/Falsche, Aufrichtige/Heuchler, Kluge/Dumme, Mutige/Furchtsame, Großzügige/ Kleinliche usw. Je mehr er sich bemühte, Zusammenhänge zu entdecken, desto mehr löste sich alles in Differenzen auf. Um die Einheit wiederherzustellen, wechselte er die Perspektive, indem er der Selbstbeschreibung der Finkenwerder folgte, die die Nachbargemeinden als andersartig empfanden; besonders unangenehm sei ihnen der Kastengeist und die Knickrigkeit der Altenwerder gewesen. Dass die Pastoren ein schlechtes Bild von den Finkenwerdern verbreiteten, beruhe darauf, dass sie seit jeher keinen Zugang zu den beamten-, kirchen- und pastorenfeindlichen Insulanern gefunden hätten. Sie sprachen von »Dünkel« und »Eigenwille«, aber müsse man das nicht eher »Heimatstolz« und »Heimatliebe« nennen? Wriede fügte willkürlich und impressionistisch persönliche Erinnerungen und Eindrücke zusammen. Differenzen stellte er jeweils so her bzw. verwarf sie, dass den Lesern, trotz der Vielfalt der Siedlungsformen und Charaktere, eine alte, gegen die anderen abgeschlossene Gemeinschaft evoziert, nicht wirklich belegt wurde. »Mancher Leser wird mir auch sagen, daß das hier gezeichnete Bild nicht mehr ganz stimme. Aber ist es nicht immer sehr schwer, etwas zu zeichnen, was in voller Bewegung ist? Und wechselt nicht gerade das Finkenwärder unserer Tage fast täglich sein Gesicht? – Darum habe ich statt des heutigen Finkenwärders, das schnell seine Eigenart und bodenständige Kultur aufgibt, um immer hastiger nach all dem Plunder und den Äußerlichkeiten zu greifen, die die Großstadt erzeugt und ihre Kultur schon fast zugrunde gerichtet haben, darum habe ich statt dessen das Finkenwärder meiner Jugend zu 8 | Ebd., S. 33.
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schildern versucht, das ich als feste Einheit erlebt habe.«9 War das der Zweck seiner merkwürdigen Darstellung? Bildete er die Grundlage für den Auftritt Scheidts, indem er eine – durch Einheimische beglaubigte – abgeschlossene, eingedeichte Volksgemeinschaft konstruierte, ein Isolat, wie es Anthropologen aus technischen Gründen benötigten und aus weltanschaulichen wünschten? Walter Scheidt machte sich dann im zweiten Teil des Bandes und im Folgeband von 1932 an die erbbiologische Analyse der Finkenwerder. Er hatte zuvor in der Feldarbeit etwa 28.000 Kirchenbuchauszüge aufgenommen und damit das genealogische Material für 14.544 Personen aus der Zeit von 1628 bis 1870 gewonnen.10 Im Buch definierte er zuerst eine Bevölkerung als Population, d.h. als »Erbmassengemenge«, und unterschied zwischen einer »künstlichen«, also bloß ortsanwesenden, und einer »natürlichen« Population: »Eine ›natürliche‹ menschliche Bevölkerung ist eine Gruppe von Menschen, welche den siebenden, modelnden, erbändernden und auslesenden Einflüssen eines bestimmten Wohngebietes so lange unterlegen haben, daß die typische Beschaffenheit der Gruppe von diesen Wirkungen der Umwelt bestimmt sein kann.«11 Komme es zwischen den an einem Ort wohnenden Menschen zu »einem Gemeinbesitz bestimmter typischer Umweltstücke (typischer eigener Lebenshaltung), so entsteht aus der Bevölkerung ein Volk. Kommt es andererseits zu einer Typisierung von Erbanlagen, so entsteht eine Bevölkerung von bestimmter rassischer Beschaffenheit. Durch den Gemeinbesitz gemodelter Eigenschaften kommt es zu einer Bevölkerung mit einem bestimmten Paratypus.«12 »Bevölkerung« war für Scheidt ein Kollektiv, das sich gegen äußere Einflüsse abgrenzte, ausdehnte, Risse und Sprünge aufwies und Teile absprengte. Der Raum formte seine Bevölkerung, denn zunächst, so Scheidt, dürften vor allem Menschen nordwestdeutscher Herkunft die Insel bevölkert haben, auch wenn er Fragen nach Herkunft und Stammeszugehörigkeit der ersten Finkenwerder nicht eindeutig beantworten konnte. Danach gab es einen steten Zuzug, aber, wie die Namen fast ausschließlich niederdeutscher Prägung annehmen ließen, aus der näheren Umgebung mit einer ähnlichen Bevölkerung. Neben dieser landsmannschaftlichen Homogenität prägten die Umweltbedingungen des Raumes Besiedelung und Erbgeschichte, denn alle Zuwanderer, die die rauhen Lebensbedingungen nicht aushielten, verließen die Insel wohl wieder. »Es wird sich also auf der Elbinsel eine Siebungsgruppe solcher Leute, gleich welcher näheren Herkunft, zusammengefunden haben. Ihre körperliche und seelische Beschaffenheit kann natürlich nicht unmittelbar beschrieben werden; sie läßt 9 | Ebd., S. 64. 10 | Vgl. Walter Scheidt an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 15.10.1928, Bl. 1, sowie 27.9.1929, Bl. 1 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 5, 6). 11 | W. Scheidt, Niedersächsische Bauern II, S. 1f. (Hervorh. im Orig.). 12 | Ebd., S. 2.
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sich aber aus dem Gesamtbild der ursprünglichen Lebensverhältnisse, den Leistungsforderungen der besonderen Umwelt, einigermaßen erschließen.«13 Der Anthropologe Scheidt stand vor demselben Problem wie der Heimatkundler Wriede, nämlich eine weitgehende Heterogenität in eine hinreichende Homogenität übersetzen und von der Umwelt auf die biologische Ausstattung der Menschen schließen zu müssen. Durch den sogenannten künstlerischen Blick könne man den »Typus des Finkenwärders« nicht erschauen, denn den gebe es gar nicht. Vielmehr müsse man bei einer repräsentativen Auswahl der Bevölkerung eine Reihe körperlicher Rassenmerkmale erheben, Fehler herausrechnen und die Merkmale zueinander in Beziehung setzen, um eine Population abgrenzen zu können, und das dann anhand von Vergleichsstudien kontrollieren. So hatte Scheidt Haar-, Haut- und Augenfarben, Körpergröße, Kopflänge, Kopfgröße, Form des Hinterhaupts, Seitenhöhenform des Kopfes, Breitenhöhenform des Kopfes, Gesichtshöhe, Jochbogenbreite, Nasenform erhoben und mit Kontrollgruppen verglichen; dazu präsentierte er lange Reflexionen über die Zuverlässigkeit seiner Werte und führte aufwendige Fehlerkorrekturen durch. Haar-, Haut- und Augenfarben der Finkenwerder waren überwiegend hell, die Köpfe im Durchschnitt länglich (aber tendenziell breiter und rundköpfiger), der Körperbau groß, kräftig und ziemlich breit. Maß- und Massenverhältnisse der Körper waren nicht gemessen, sondern geschätzt worden, führten aber ebenfalls zu einer erkennbaren Differenz zwischen den Finkenwerdern und den Vergleichsstudien, die eine heterogene Melange aus Beobachtungen an frühchristlichen und mittelalterlichen Schädeln bis hin zu aktuellen Erhebungen darstellten, von den nordfriesischen Inseln bis Tirol, die zwischen 1879 bis 1925 entstanden waren. Über Seiten hinweg präsentierte Scheidt seine Daten. Die dreifache Fehlerabweichung betrug bis zu 14 %, wodurch sich die Differenzen zu den Vergleichsgruppen auf gerade einmal 11 % reduzieren konnten, bei den Schädellängen theoretisch auf einen guten Millimeter (wenn man bei einer Gruppe von der größten Länge die dreifache Fehlerabweichung abzog, sie bei der kürzesten der anderen Gruppe aber aufschlug), sie waren also teilweise insignifikant. Hinzu kam das Problem, dass bestimmte Eigenschaften der Finkenwerder wie helle Körperfarben oder schlichte Haarformen der nordischen Rasse zugeschrieben werden konnten, andere dagegen nicht (große Kopf breite, rundförmiger Kopf, große Jochbreite), während bei wieder anderen (Kopfhöhe, Seiten- und Breitenhöhenform des Kopfes usw.) hinreichende Daten fehlten, so dass von den Merkmalen doch recht schwer auf die Rasse zu schließen war. Scheidt ließ seine Leser an den Mühen, widersprüchliches oder unzulängliches Datenmaterial kohärent zu rechnen, intensiv teilnehmen. Der Text bleibt im Vagen, vertuscht das nicht, zieht jedoch klare Schlussfolgerungen, 13 | W. Scheidt/H. Wriede, Die Elbinsel Finkenwärder, S. 75 (Hervorh. im Orig.).
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weil nämlich laut Scheidt alle Merkmale zusammengenommen dieselbe Tendenz erkennen ließen: »Die rassische Körperbeschaffenheit der Finkenwärder besteht in einer Gruppe von Erbanlagen, welche helle Körperfarben, ›schlichte‹ Haarform, beträchtliche Körpergröße, große Kopfdurchmesser (Länge, Breite und Höhe), vorgewölbtes Hinterhaupt, mäßige Rundförmigkeit, Hochförmigkeit und mäßige Breitförmigkeit des Kopfes, erhebliche Gesichtslänge und Jochbogenbreite, ausgeprägte Langförmigkeit des Gesichtes, Schmalförmigkeit der Nase und ziemlich schmale, dünne Lippenformen bedingen. […] Ganz reinmerkmalige Leute in dem vorbeschriebenen Sinn kommen nun, wie bei der großen Zahl der mitberücksichtigten Merkmale zu erwarten ist, nicht allzuhäufig vor. Drei Männer und drei Frauen, bei denen alle diese Merkmalsausprägungen festgestellt werden konnten, […] wären also mit Recht als ›Typen‹ der Finkenwärder Bevölkerung […] zu bezeichnen.«14 Der Rest bestand bloß aus Annäherungen. Trotzdem gab es für Scheidt »kaum Zweifel«, dass es sich um erbbedingte Rassenmerkmale handele, deren Häufung in Finkenwerder nur durch Auslese und Siebung zu erklären sei. Sogenannte »nebenändernde« Einflüsse schloss er aus, z.B. eine das Körperwachstum begünstigende Umwelt. Die Korrelation der Merkmale lasse darauf schließen, »daß es sich bei der beschriebenen Merkmalsverbindung nicht um ein Kunsterzeugnis der Zählung, sondern um eine tatsächlich gehäuft vorkommende Merkmalsgruppe handelt. Diese Merkmalsgruppe ist als Erscheinungsform einer Rasse anzusehen.«15 Wegen der Ähnlichkeit »mit der als nordisch beschriebenen Rasse (und wahrscheinlich auch mit der als nordisch angesehenen frühgeschichtlichen Bevölkerung Nordwestdeutschlands) läßt es sich wohl rechtfertigen, in der Eigenschaftsgruppe der Finkenwärder einen Schlag nordischer Rasse zu sehen.«16 Scheidt kalkulierte durchaus die Möglichkeit ein, dass die rassenkundliche Literatur den Gegensatz zwischen nordischen und nicht-nordischen Rassen gezielt übertreibe. »Das Endergebnis der Finkenwärder Untersuchung wird durch diese Betrachtungen natürlich nicht berührt; es mag daraus aber klar werden, inwiefern es angezeigt ist, bei einer nur vorläufigen Deutung der Befunde zunächst stehen zu bleiben.«17 Letztlich, so lesen wir, stellte Finkenwerder eine Bewährungsgemeinschaft dar. Besitz, wirtschaftlicher Erfolg und Ansehen in der Gemeinde, das ließ auf die Bewährung einer Familie im Leben schließen, ein sicherer Anhalt, dass die Anlagen der einzelnen Erbstämme an ihre Umwelt »angepaßt« waren. »Alle Zahlen weisen deutlich darauf hin, daß es einen Zusammenhang zwischen den körperlichen Merkmalen und der Bewährungstüchtigkeit gibt, und die Deutung dieses Zusammenhangs findet sich in der notwendigen Annahme 14 | Ebd., S. 108f. (Hervorh. im Orig.). 15 | Ebd., S. 110 (Hervorh. im Orig.). 16 | Ebd., S. 111 (Hervorh. im Orig.). 17 | Ebd., S. 112 (Hervorh. im Orig.).
Walter Scheidt
einer Auslese nach bewährungstüchtigen seelischen Eigenschaften und einer Mitauslese der als ›typisch‹ nachgewiesenen körperlichen Eigenschaften.«18 Wir erinnern uns, dass Scheidt von der Umwelt auf die biologische Ausstattung kurzgeschlossen hatte, jetzt tat er dasselbe von den sozio-ökonomischen Erfolgen her. Wer erfolgreich und über Generationen hinweg in Finkenwerder verblieben war, der gehörte mit hoher Wahrscheinlichkeit dem nordischen Schlag an, und bei Heiraten fanden sich die Sippen mit ähnlicher Bewährungserfahrung und Altansässigkeit. Er wollte es aber genauer wissen, er wollte, so würden wir heute sagen, die genetischen Grundlagen durchschauen. Dazu entwarf er eine Methode, um »Ahnerbteilsziffern« zu gewinnen, ein kompliziertes genealogisch-mathematisches Verfahren,19 das über Jahrhunderte hinweg verfolgte, zu welchem Prozentsatz die Erbmasse durch Heirat weitergegeben wurde, und erstellte auf dieser Basis einen »Altansässigkeitsindex«, der angab, wie viele Generationen die biologische Verwurzelung zurückreichte. (Nicht-)Zugehörigkeit und Ahnenverluste ließen sich rasch erfassen. Wie ein Tropfen Farbe im Wasser konnte das Erbgut einer Familie durch Generationen immer weiter ausgedünnt werden, während sich das einer anderen anreicherte. Ergebnis der Berechnungen war der Nachweis einer fast vollständigen Umschichtung der Bevölkerungserbmasse seit dem Dreißigjährigen Krieg, die Scheidt in einem entfaltbaren, komplexen Diagramm im Anhang seines Buches visualisierte (Abb. 18). Selbstbewusst verkündete er, den Prozess der Auslese für Menschen erstmals direkt nachgewiesen zu haben, und wichtig war ihm der Befund, dass die Umschichtung mit Sicherheit innerhalb Finkenwerders stattgefunden habe, also nicht Zuwanderern zu verdanken sei. Früher sollen die Finkenwerder schmalere Gesichter und breitere, aber längere Köpfe gehabt haben; diese Erbstämme seien verloren gegangen – vermutlich durch die Abwanderung von weniger angepassten »Rassenmischlingen« in die Städte. Auf diese Weise gelang es Scheidt, unsichere Hypothesen zu einer schlüssigen Argumentation zu vereinigen, um das Bild eines homogenen Finkenwerder »Rassenschlags« zu stabilisieren: »Die rassische Beschaffenheit dieser [abwandernden] Elemente aber hat, so dürftig die Befunde vorläufig auch sein mögen, unverkennbare Ähnlichkeit mit einem Typus, der heute wahrscheinlich als ›der‹ Typus städtischer Bevölkerungen in Niederdeutschland wird angesprochen werden können, der nach den bisherigen Untersuchungen […] wahrscheinlich Mischlingstypus ist und deshalb eine andere Deutung erfahren muß, als landläufig üblich war: man hat zunächst die leptosomen Merkmale des Gesichtes als ›nordische‹ Rassenmerkmale in Anspruch genommen und hat die zu jenem ›nordischen‹ 18 | Ebd., S. 114 (Hervorh. im Orig.). 19 | Wer es erlernen möchte: W. Scheidt, Niedersächsische Bauern II, S. 14-18, 76-81; Ders., Volkstumskundliche Forschungen in deutschen Landgemeinden, S. 147-176.
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Abb. 18: Genetisches Bevölkerungsdiagramm der Elbinsel Finkenwärder 1650-1870 (Ausschnitt). Die von oben nach unten verlaufenden Bänder zeigen den Verlauf von Ahnenerbteilen durch die Generationen hindurch, die hellere Rasterung/ Schraffierung für Männer, die dunklere für Frauen, differenziert zudem nach Zu- bzw. Abnahme des relativen Anteils der Ahnenerbteile an denen der gesamten Bevölkerung. Das Diagramm suggeriert naturwissenschaftliche Präzision und hohe Datendichte für eine in vier Kategorien differenzierte Dynamik über gut 200 Jahre hinweg – am Ende schematisch fortgeschrieben bis ins Jahr 2150 –, die durch den Text selbst freilich nicht belegt ist (1932).
Rassenbild nicht passende breitere Kopfform als Folge einer Vermischung mit rundköpfigen Elementen aufgefaßt. Es könnte aber ebensogut sein, daß gerade die breitere Kopfform einem Schlag nordischer Rasse eigentümlich ist, und es ist sehr wahrscheinlich, daß man die leptosome Gesichtsform als Rassenmischungsergebnis ansehen muß. Mit der Vorstellung von einer Aussiebung bestimmter Elemente aus den ländlichen in die städtischen Bevölkerungen würde jedenfalls die Annahme gut übereinstimmen, daß vorwiegend Rassen-
Walter Scheidt
mischlinge, vermöge einer minder einseitigen Anpassung, von diesem Siebungsprozeß erfaßt worden seien. […] Eine Lösung dieser Fragen ist auf Grund des vorliegenden Materials noch nicht entfernt möglich.«20 Hinter solchen Texten muss eine aufwendige Feld- und Laborarbeit gestanden haben. Wirft man einen Blick in die (eher spärlichen) Akten, wie so ein anthropologisches »Labor« ausgestattet war, so erstaunt die Kargheit. Scheidts rassenkundliche Abteilung im Hamburger Museum für Völkerkunde bestand in den 1920er Jahren aus drei Räumen, einer war vom Zimmer des Abteilungsvorstandes abgetrennt worden. Er enthielt zwei Regale und zwei Schränke. Ein weiterer, ähnlich sparsamer Raum diente der Vermessung von Probanden, ein Abschnitt des Dachbodens diente der Verwahrung von Schädeln. 2.016 Schädel, 154 Skelette, 1.075 Einzelknochen, 478 Haarproben, 139 Gipsabgüsse, 22 Mumien- und Formalinpräparate; 314 Instrumente, 826 Lichtbilder, 56 Wandtafeln und 600 Bücher umfasste die Sammlung zu Beginn des Jahres 1926. Das Museum stellte außerdem zwei weitere Räume für eine rassenkundliche Schausammlung ab. In dem oberen Raum sollten auf Tafeln, Fotografien und Karteikarten Grundwissen der Rassenkunde präsentiert, im unteren die wichtigsten Rassenmerkmale gegenständlich dargestellt werden.21 Im rassenkundlichen Archiv wurden zudem Fotografien, Beobachtungsblätter, Familienkarten und Kirchenbuchauszüge verwahrt. Der Umfang dieses Materials variierte erheblich. Für den Ort Lahmstedt waren (1928) über 47.000 Kirchenbuchauszüge genannt, für eine andere Region, die Wilstermarsch, knapp 11.000, für fünf andere Regionen keine. Aus Delmenhorst kamen nur 48 Fotos.22 Weitere Berichte Scheidts bestätigen das Bild, dass er ansatzweise flächendeckend zu arbeiten versuchte, aber rein nach dem Zufallsprinzip erhob. So hatte er im Januar 1928 aufgenommen: Börde Lahmstedt, 21 Gemeinden mit 315 Familien, Land Hadeln, 5 Gemeinden mit 150 Familien, Amt Ritzebüttel, 10 Gemeinden mit 200 Familien, Wilster Marsch, 3 Gemeinden mit 100 Familien, Gemeinde Grönenbach im Allgäu mit 50 Familien, insgesamt knapp 27.000 Messungen an 1.349 Personen aus 425 altansässigen ländlichen Familien, über 2.700 Fotografien und ca. 79.800 Kirchenbuchauszüge.23 Im Oktober desselben Jahres war er bereits bei 762 Familien mit 2.728 Personen, über 5.000 Fotografien und knapp 244.000 Kirchenbuch20 | W. Scheidt, Niedersächsische Bauern II, S. 92. 21 | Vgl. Walter Scheidt, Arbeiten der rassenkundlichen Abteilung des Museums für Völkerkunde vom 1.10.24 bis 1.4.26, 1.4.1926 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/ Anlage 1). 22 | Vgl. Walter Scheidt, Arbeiten der Rassenkundlichen Abteilung vom 1.4.26 bis 1.4.28, o.D., Bl. 3f. (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 2). 23 | Vgl. Walter Scheidt an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 31.1.1928 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 4).
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auszügen angekommen (Oktober 1934: etwa 9.000 Personen, 13.800 Fotografien und 529.500 Kirchenbuchauszüge).24 Die Feldaufenthalte führte er teils selbst durch – in seinen Sommerurlauben beispielsweise im Allgäu und am Bodensee –, zumeist aber lernte er interessierte Laien, vor allem Lehrer an: im Alten Land, in Wursten, Minden-Ravensberg, auf Rügen, bei Osnabrück, im Rheider Land, in Düsseldorf, bei Marburg, im Solling, Hümmling, am Bodensee, im Allgäu.25 Auch vom Zeitbedarf bekommen wir einen Eindruck. In 25 Tagen bereiste er mit einer Assistentin elf tschechische Dörfer einer deutschen Sprachinsel und untersuchte 1.075 Personen; in jedem Dorf stand ein freiwilliger Mitarbeiter bereit. Einige besonders engagierte Laien wurden in die Technik der Erhebungen eingeführt, sie wollten die Arbeit mit Mitteln eines Bezirksbildungsausschusses fortführen. In Wasserburg am Bodensee benötigte er über einen Monat für 311 Personen in elf Dörfern, in Altusried sechs Tage für 123 Personen, im Rheiderland lernte er in fünf Tagen zehn »Herren« an (an ihnen scheiterte das Projekt 26). Im Elbwesermündungsgebiet schwärmten 200 Lehrer für ihn aus.27 Eine handschriftliche Aufstellung zeigt deutlich, wie ungleich das Material verteilt war, aber auch, dass er besonders beim psychologischen und kulturkundlichen Material noch deutlich nachlegen wollte. Für die Fertigstellung der Arbeiten veranschlagte er 82.000 Reichsmark.28 1954 legte Scheidt erneut Rechenschaft ab. 44 Untersuchungen waren von ihm und seinen Mitarbeitern seit 1923 durchgeführt worden; bis in die frühen 1930er Jahre handelte es sich vor allem um anthropometrische, fotografische und genealogische Aufnahmen, seltener um kulturkundliche oder psychologische. Ein paar Mal wurden erbpathologische, klinische und sprachpsychologische Methoden verwendet, bevor es, etwas makaber, 1946 mit 14 Obduktionen wieder losging. Danach wurde vor allem dermatografisch, histologisch oder elektrokardiografisch vorgegangen, und der Untersuchungsraum schrumpf24 | Vgl. Walter Scheidt an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 15.10.1928, Bl. 3 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 5); Bericht über die von Prof. Walter Scheidt vom 4. Februar 1927 bis zum 15. Oktober 1934 mit Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft ausgeführten rassenbiologischen Forschungen, 18.10.1934, Bl. 3-5 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage II/Anlage 26/Anlage I). 25 | Vgl. Walter Scheidt an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 15.10.1928, Bl. 3f. (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 5). 26 | Vgl. Walter Scheidt an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 16.9.1932, Bl. 2 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 7). 27 | Vgl. Walter Scheidt an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 27.9.1929, Bl. 1-5 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 6). 28 | Vgl. Walter Scheidt an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 16.9.1932 (StAHH, 364-S I/k.20.1.379, Anlage I/Anlage 7/Anlage I).
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te auf Hamburg und Umgebung. Das Material schwankte je Studie zwischen acht und über 5 800 Personen sowie einer einzelnen und über 1 200 Familien; manchmal wurden über 100 000 Kirchenbuchauszüge gemacht, sehr oft offenbar keine.29
29 | Vgl. W. Scheidt, Dreissig Jahre Anthropologisches Institut, S. 14-19.
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14. Die Rassenkunde
Die Grenze zwischen Rassenanthropologie, Vererbungslehre und Rassenkunde lässt sich nur willkürlich ziehen. Erbbiologen konzentrierten sich darauf, die Vererbung von Erbanlagen zu erklären. Anthropologen versuchten mit Hilfe der Vererbungslehre, Differenzen zwischen Rassen (und Rassenschlägen) zu begründen. Die Rassenkunde stellte im Grunde keine eigenständige Disziplin dar; ihre Vertreter waren v.a. in der Rassenanthropologie, der Erbbiologie und der Eugenik angesiedelt. Aber als Perspektive weitete die Rassenkunde den Blick aufs Ganze und beschrieb, gestützt auf Vererbungslehre und Anthropologie, das Rassengefüge Deutschlands, Europas bzw. der Welt. Auch sie hob auf Unterschiede zwischen Individuen und Gruppen ab, die sie konsequent biologisch-sozial interpretierte. Die Anthropologen des 17. und 18. Jahrhunderts hatten Rassen auf Grund phänomenologischer Beobachtungen klassifiziert und sich mit der Frage nach deren jeweiliger Position in der zoologischen Taxonomie herumgeschlagen. Die physische Anthropologie des 19. Jahrhunderts war von der Erblichkeit anthropologischer Merkmale ausgegangen – allerdings blieben ihr die Vererbungsmechanismen in Dunkel gehüllt. Erst die naturwissenschaftlichen Fortschritte des 20. Jahrhunderts verhießen den Übergang von einer bloßen Taxonomie und mühsamen Mutmaßungen über die Einflüsse von »Keimzellen« oder Umweltbedingungen1 hin zur inneren Motorik der Rassenbildung, zur Genetik. Die Rassenkunde war deshalb optimistisch, endlich mit naturwissenschaftlicher Präzision und Beweiskraft erklären zu können, wie sich anthropologische, seelische, pathologische und soziale Merkmale von Individuen und Rassen vererbten und zu Merkmalskombinationen zusammensetzten, die in differenten Rassen und Rassenschlägen resultierten. Sie würden nicht mehr Rassen konstruieren, sondern die Vererbungslehre würde sie ihnen als objektive Differenzen präsentieren. In der Rassenkunde sollte man zwei Linien unterscheiden, eine »populäre« und eine »wissenschaftliche«. Da waren die erfolgreichen Publizisten, die schon im 19. Jahrhundert rahmende Meisterzählungen entwarfen, etwa Arthur 1 | So z.B. Otto Ammon an Dr. Voigt, 23.6.1896 (UAFr, C 75/118).
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Joseph de Gobineaus »Essai sur l’inégalité des races humaines« (1853-1855), Karl Ludwig Schemanns »Die Rasse in den Geisteswissenschaften« (1928-1931) oder Huston Steward Chamberlains »Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts« (1899), die alle eine Überlegenheit der »arischen Rasse« postulierten und eine wichtige Grundlage der nationalsozialistischen Rassenideologie bildeten.2 Ludwig Ferdinand Clauß versuchte, Rassen von ihren Seelenanlagen her, die sich in der Physiognomie der Gesichter abbildeten, zu identifizieren. Die Morphologie der Körper interessierte ihn weniger; auch waren seine Texte deutlich weniger technizistisch gehalten, sondern eher essayistisch und voller pathetischer Formulierungen.3 Wesentlich einflussreicher war Hans F. K. Günther, der sich schon früh dem Nationalsozialismus angeschlossen hatte. 1930 wurde er, gegen den Willen der Universität Jena, vom nationalsozialistischen Staatsminister für Inneres in Thüringen zum Professor für Sozialanthropologie ernannt. Zuvor hatte er zeitweise in Skandinavien gelebt, 1923 auch eine Vortragsreihe in Lundborgs rassenbiologischem Institut bestritten.4 1922 publizierte er im Münchner Verlag Julius Lehmann die »Rassenkunde des deutschen Volkes«, ein Bestseller, denn das Buch erschien bis Kriegsende in weit über 100.000 Exemplaren. Günther legte nach. Seine »Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes« erreichte etwa 300.000 Exemplare, die »Rassenkunde Europas« brachte es ebenfalls auf mehrere Auflagen. Ihr Ableger, die »Kleine Rassenkunde Europas«, war nicht minder erfolgreich; mit der »Rassenkunde des jüdischen Volkes« rundete Günther seine Produktfamilie ab. Er erreichte Hunderttausende von Lesern allein in Deutschland und bildete einen wichtigen Grundpfeiler der NS-Rassenideologie. Vordergründig arbeitete Günther wie ein Anthropologe. Er beschrieb in extenso körperliche Merkmale und seelische Eigenschaften samt deren geografischer Verteilung. Auf diese Weise meinte er 1922 vier Rassen identifiziert zu haben: die nordische, westische, ostische (alpine) und die dinarische. Wenig später akzeptierte er, nach vorherigen Zweifeln, eine fünfte, die ostbaltische Rasse, dann kam die fälische (dalische) Rasse hinzu, schließlich die sudetische, von der aber unklar war, ob sie nur einen Rassenschlag ausmachte.5 Rassen, so Günther, seien Menschengruppen, die sich durch gemeinsame körper2 | Vgl. H. S. Chamberlain, Grundlagen des 19. Jahrhunderts; J. A. de Gobineau, Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen; L. Schemann, Die Rasse in den Geisteswissenschaften. 3 | Vgl. L. F. Clauß, Von Seele und Antlitz der Rassen und Völker; Ders., Rasse und Seele. Vgl. dazu P. Weingart, Doppel-Leben. 4 | Vgl. Dagbok över D:r H. Günthers undervisning i rasbiologi under september månad 1923, o.D. (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, B3:1). 5 | Vgl. H. F. K. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes (Auflagen 1922, 1924, 1939); Ders., Deutsche Rassenbilder.
Die Rassenkunde
Abb. 19: Auf diesen Bildern zweier Brüder soll zu erkennen sein, dass der eine »dinarisch-nordischer« der andere aber »vorwiegend dinarischer« Abstammung mit einem möglicherweise »westischen« Einschlag ist. Ein Unterschied der Physiognomien ist zweifellos beobachtbar. Aber lässt sich diese Differenz zwischen einer vollständig und einer teilweise dinarischen Herkunft tatsächlich an anthropologischen Details der Fotografien ablesen, oder ist man immer auf die Hilfe von Buch- und Bildtext angewiesen, um zu erkennen, was zu erkennen ist? (1924).
liche und seelische Eigenschaften von anderen unterschieden und immer nur ihresgleichen zeugten.6 Seine große Sorge war, dass Deutschland durch die sinkende Geburtenrate »entnordet« werde, während die ostische, rundköpfige Rasse vordringe. Dagegen müsse ein starker Kern rein nordischer Menschen gebildet werden.7 Seine Belege waren allerdings dürftig. Er führte Abbildungen 6 | H. F. K. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes (Auflage 1923), S. 19. 7 | Ebd., S. 424.
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mittelalterlicher Statuen oder in Tracht gekleideter Menschen aus unterschiedlichen Regionen ins Feld, mal als Fotografie, mal als Zeichnung, mal frontal, im Halbprofil, als Nahaufnahme oder in der Totalen. Die anthropologisch verwertbare Bildfläche war zumeist gerade einmal auf das, manchmal verschattete, Gesicht reduziert (Abb. 19). Vergleichbar waren die Bilder nicht. Faktisch führte Günther eine Korrelation zwischen Kleidung und Gesichtern sowie Rasse vor Augen, während er im eher abstrakten Text eine Korrelation zwischen anthropologischen Merkmalen und Rasse herzustellen versuchte. Doch verschmolzen Text und Visualisierung zu einer Evidenz; diese changierte zwischen einer durch den Professor und »Rassenpapst« Günther behaupteten Objektivität sowie der Alltagserfahrung der Rezipienten, dass Menschen unterschiedlich aussehen und sind. Das dürfte den Erfolg seiner Bücher ausgemacht haben. Anthropologen und Erbbiologen hielten davon wenig. Der Eugeniker Wilhelm Schallmayer hatte sich bereits im Jahre 1905 an der »einseitige[n] und verschrobene[n] Weise« moderner Rassentheoretiker gestoßen.8 Walter Scheidt wiederum störte sich an Günthers wertgeladenen Beschreibungen; der habe zudem die Mühe gescheut, sein Material systematisch durchzuarbeiten, sei deshalb über Vermutungen nicht hinausgekommen.9 Walther Kruse mokierte sich, dass Günther als typischer Vertreter der Rassentheorien Jahr für Jahr seine Meinung über die Zahl der Rassen wechsele. Es gebe zweifellos rassische Unterschiede, doch bei vielen Kriterien sei die Schwankungsbreite derart hoch, dass sie nicht dazu taugten, reale Differenzen zu belegen.10 Und an seinen Kollegen Herman Lundborg schrieb Scheidt im Jahre 1926, er habe keinerlei Hinweise, »dass die der ostbaltischen Rasse zugeschriebenen Merkmale als Merkmalskomplex irgendwo gehäuft vorkommen.« Vielleicht seien ihm Untersuchungen entgangen. »Ich wage deshalb nicht zu entscheiden, ob diese […] Rasse wirklich existiert oder nicht, und ich möchte die Möglichkeit der Existenz einer solchen Rasse nicht von vornherein in Abrede stellen. Andererseits vermute ich allerdings, dass es sich unter Umständen bei dieser sogenannten ostbaltischen Rasse um ein Kunstprodukt unzweckmässigen Vorgehens handeln könnte, indem möglicherweise Gelegenheitsbeobachtungen an einzelnen auffallenden Individuen Veranlassung gegeben haben könnten[,] von einer ostbaltischen Rasse zu sprechen. Ich halte es für möglich, dass es sich bei den so aussehenden Menschen um […] Mischlinge zwischen nordischer Rasse und einer anderen Rasse handeln könnte, ohne dass diese Mixovarianten Gegenstand irgendwelcher rassenbildender Vorgänge gewesen sein müssen. […] Zu-
8 | W. Schallmayer, Beiträge zu einer Nationalbiologie, S. 89. 9 | W. Scheidt, Physiognomische Studien an niedersächsischen und oberschwäbischen Landbevölkerungen, S. 6f. 10 | Vgl. W. Kruse, Die Deutschen und ihre Nachbarvölker, S. 351f., 605.
Die Rassenkunde
verlässige Aufklärung würde m.E. allenfalls von gediegenen Beobachtungen osteuropäischer Bevölkerungen zu erwarten sein.«11 Nun waren diese Kritiker der populären Rassenkunde keine Gegner des Rassendenkens, im Gegenteil. Scheidt hatte 1925 selbst eine »Allgemeine Rassenkunde« verfasst und sich 1930 an einer Synthese der Rassenverhältnisse in Nordeuropa versucht;12 Kruse befürwortete die Rassenhygiene, um die Einflüsse fremder Völker abzuwehren. Doch war diesen Wissenschaftlern eine oberflächliche, zu gefällige Vorgehensweise zuwider. Jedes Jahr einfach die Rassenklassifikation zu wechseln, entsprach nicht ihrem Verständnis solider Forschung, deren Ergebnisse sie gewiss nicht als sakrosankt ansahen, aber immerhin als hinreichend valide, um nicht sofort revidiert werden zu müssen. Andererseits fuhr die Rassenanthropologie in mehrfacher Hinsicht gut mit den Publizisten vom Schlage Günthers. Denn die waren erfolgreiche Propagandisten der rassenkundlichen Sache in Öffentlichkeit und Politik – und sie hatten nach 1945 den Vorteil, als Sündenböcke dienen zu können. Wie die Juristen ihrem Carl Schmitt und die Filmindustrie ihrem Veit Harlan, so bürdeten die Bevölkerungswissenschaften ihrem Günther und ihrem Schemann die Verantwortung für die NS-Vergangenheit ihrer Teildisziplinen auf. Weil die Propaganda der Chamberlains, Schemans und Günthers so unverhohlen rassistisch gewesen war, konnten sich vermeintlich objektive Wissenschaften wie die Rassenanthropologie und die Vererbungslehre günstig gegen sie abheben. Doch trotz aller Reserve gegenüber den Rassenpropagandisten saßen sie weltanschaulich im selben Boot. Kaum jemand stellte Existenz und Bedeutung einer »nordischen Rasse« in Frage. Rassenanlagen, so lautete die gängige Annahme, waren nach geografischem Raum und sozialen Gruppen verteilt; in der Oberschicht gab es mehr nordische Elemente, unter Landstreichern gehäuft braune Augen. Ähnlich klar zeigten sich die Zusammenhänge zwischen Rasse und Verbrechen bzw. psychischen Abnormitäten, auch wenn die Frage noch nicht geklärt sei, ob bestimmte »System-Rassen zu geistigen Störungen neigen, welche SystemRassenmischlinge mehr daran erkranken als reine Systemrassenvertreter«.13 »Volkstum« wurde als sichtbarer Ausdruck der Rasse gehandelt. Bevor Volks11 | Walther Scheidt an Herman Lundborg, 20.10.1926 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, E2:4). 12 | Vgl. W. Scheidt, Allgemeine Rassenkunde; Ders., Die Rassischen Verhältnisse in Nordeuropa. 13 | Ernst Rüdin [?], 20 Jahre menschliche Erbforschung an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, Kaiser-Wilhelm-Institut (Vortrag auf dem Internationalen Kriminologenkongreß in Rom, 1940), o.D., Bl. 23 (MPIP-HA, GDA 46). Ähnlich hatte er zehn Jahre zuvor argumentiert: Ernst Rüdin, Zu einem Programm der internationalen Erforschung der Rassenpsychiatrie (9. Konferenz der International Fe-
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tum werden konnte, musste Rasse geworden sein – als ein Gegenstück zur westlichen »Zivilisation«. Die biologische Differenzierung sei die natürliche Grundlage einer ständischen Gliederung der Gesellschaft; und dass sich soziales Verhalten sowie geistige (»seelische«) als rassische Eigenschaften vererbten, galt als ausgemacht. Persönlichkeit, Staat und Volk: Alles ging aus der Rasse hervor, und so gemischt die auch sein mochten: Restbestände der ursprünglich reinen Rassen mendelten sich immer aufs Neue heraus.14 Optimistisch lautete es von Seiten der Rassenkunde so: »Wenn also nach Ausschaltung rassefremder Elemente [z.B. von Juden] bei einer Untersuchung der ›erfolgreichsten‹, leistungsfähigsten, sozial am höchsten stehenden Schicht eines europäischen Volkes grundsätzlich gefunden wird, daß diese Menschen hochgewachsen, langschädelig und blauäugig sind, so ist das nichts Verwunderliches, denn wir wissen, daß die kulturbestimmende Schicht der europäischen Völker die nordische Rasse war, mithin auch bleiben muß, solange diese Völker eine Kultur haben.«15 Deshalb auch konnte in vermeintlich erbbiologischen Prüfungen das Sozialverhalten von Probanden geprüft werden, ob sie die »Wesensmerkmale der Eignung für höhere Berufe« erfüllten, also Triebbeherrschung, seelische Ausgeglichenheit, Empfänglichkeit für höhere Werte.16 Soziales Verhalten als biologische Konstitution gedeutet, so wurden Vererbung, Begabung und Schicht korreliert und Klassengrenzen gezogen. Ähnlich funktionierte diese »Naturalisierung sozialer Wahrnehmung« 17 zwischen den Rassen. Immer wieder jedoch drängte sich den Autoren die Schwierigkeit auf, dass der Phänotyp einerseits Ausdruck der Rasse sei, andererseits vom Körperlichen her doch nicht umstandslos auf seelische Rassenmerkmale geschlossen werden könne – denn der kleine, kurzköpfige, niedersächsische Bauer müsse ja mehr nordische Seelenanlagen haben als ein blonder, großer, langköpfiger Italiener. Außerdem bedingten »Rasse« und »Kultur« einander, freilich konnte deration of Eugenic Organisations, Farnham, Dorset, 10.-15.9.1930), 12.9.1930, Bl. 3 (MPIP-HA, GDA 32). 14 | Vgl. E. Baur, Einführung in die Vererbungslehre, S. 416-431; E. Frhr. von Eickstedt, Grundlagen der Rassenpsychologie; E. Fischer, Rasse und Vererbung geistiger Eigenschaften; C. Friese, Rassenkunde, S. 260f.; V. Haecker, Allgemeine Vererbungslehre (Aufl. 1921), S. 422-424; F. Lenz, Menschliche Auslese und Rassenhygiene, bes. S. 62108; Ders., Die Rasse als Wertprinzip; W. Schallmayer, Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker; W. Scheidt, Die Lebensgeschichte eines Volkes; L. Woltmann, Politische Anthropologie, S. 191-220. 15 | C. Friese, Rassenkunde, S. 168. 16 | T. Fürst, Eignung, S. 726. Vgl. auch F. Lenz, Die Erblichkeit der geistigen Begabung, S. 294. 17 | Vgl. M. Hau, Körperbildung und sozialer Habitus, bes. S. 134-141.
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»Kultur« nicht immer den Wert einer »Rasse« angeben – denn stünden dann die Chinesen nicht höher als die Völker des Abendlandes?18 Zudem sei Begabung »ein höchst relativer Begriff. Auch die Juden sind zweifellos begabt.« Nicht auf die Intelligenz an sich komme es demnach an, »sondern auf das artgemäße Gleichgefügtsein der Volksgesinnung und Volksleistung«.19 Letztlich war es immer der sozio-geografische Kontext, der bestimmte, ob phänotypische Merkmale tatsächlich eine »Rasse« sichtbar machten oder den Betrachter täuschten (Abb. 20). Abb. 20: An einigen Abbildungen wird vorgeführt, wie ein erster Blick täuschen kann. Was hier »ostisch« aussieht, ist tatsächlich »nordisch«: Bei diesen Frauen »möchte man wegen der Stellung der Augen, der Schmalheit der Lidspalte und der betonten Jochbogenbreite einen Einschlag aus Osteuropa vermuten, doch steht hierzu die hohe Nase mit dem geraden Rücken und der schmalen hohen Wurzel im Widerspruch. Die scharf geprägte Profillinie mit dem vorspringenden Kinn läßt bei beiden Frauen hauptsächlich andere (nichtostische) Einschläge erkennen.« 20 Es handelt sich in diesem Fall um Frauen aus Hoyerswerda, einem Gebiet, das anthropologisch der »nordischen Rasse« zugeschlagen wurde (1939).
18 | Vgl. F. Lenz, Die Erblichkeit der geistigen Begabung, S. 287, 298. 19 | C. Friese, Rassenkunde, S. 168. 20 | H. Gottong, Die Bevölkerung von Hoyerswerda-Land, S. 120.
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Abb. 21: Zwei Beispiele für angeblich typische Physiognomien. Die Evidenz der unmittelbaren Anschaulichkeit wird allerdings erst durch den Bildtext wirklich hergestellt (1942).
Paradoxerweise diente vielen Autoren weiterhin das Gesicht als entscheidendes rassenkundliches Merkmal, als Projektionsfläche des Genotyps. Die Frage, wie sich innere Zustände in den Gesichtszügen abbilden, hat eine lange Tradition;21 die Rassenkunde versuchte allerdings die Beobachtung von Gesichtszügen systematisch zu verziffern, aufwendige Korrelationen von Einzelmerkmalen herzustellen, Merkmalskombinationslisten und Korrelationsstatistiken zu entwerfen und, natürlich, die statistische Fehlerabweichung zu berücksichtigen. Gesichtszüge, so hatte Walter Scheidt herausgefunden, vererbten sich, selbst wenn sich nicht alle Merkmale als rassenkundlich relevant erwiesen (z.B. Kinnform, Nasenspitze und Stirnhaaransatz).22 Dieser Mathematisierung korrespondierte allerdings eine Alltagserfahrung der Rezipienten. Der Sozialpsychologe Willy Hellpach machte das deutlich, als er seine 21 | Vgl. G. Schmidt, Das Gesicht. 22 | Vgl. W. Scheidt, Physiognomische Studien; Ders., Untersuchungen über die Erblichkeit der Gesichtszüge.
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»Physiognomik« (im expliziten Anschluss an Johann Caspar Lavater) mit einer trivialen Erfahrung vieler Menschen begründete: »Reist einer offenen Auges durch unser Vaterland, so kann ihm nicht entgehen, daß deutsche Menschen sehr verschieden aussehen.«23 Das leuchtet ein und macht empfänglich für den nächsten Argumentationsschritt, dass diese Differenzen auf etwas Tieferliegendes schließen ließen, nämlich Rassenunterschiede. Erhärtet wurde für Hellpach diese Vermutung, da sich die Gesichter innerhalb einer Region, trotz aller Individualität, doch eher ähnelten, es schien also ein »Stammesgesicht« zu geben, das Hellpach dann auf Bildern und Karten objektivierte. Der Konnex von Gesicht und Rasse sprang unmittelbar ins Auge (Abb. 21, 22). Abb. 22: Kartografische Anschaulichkeit. Umrandet sind gesicherte Korrelationen von Physiognomik und Stämmen, Punktierung kennzeichnet »Verdichtungsfelder«, »Ausstrahlungen« sind durch Linien markiert, von den Rändern strömen »Strukturanteile« der »europiden Hauptrassen« in die deutschen »Stammeswohnsitze« ein. So konnten einige eindeutig abgegrenzte Stammesgebiete herausgearbeitet werden, in die die sie umgebenden »nordischen«, »ostischen«, »dinarischen« und »mittelländischen« Großrassen eindringen (1942).
23 | W. Hellpach, Deutsche Physiognomik, S. 2.
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Abb. 23: Beispiel für die abstrahierende Objektivierung von Indexziffern, mit deren Hilfe Anschauung in objektive Kriterien verwandelt werden sollte. Auf der einen Seite Grundprofile von Gesichtsformen; es wird zwischen »ruhigen« und »unruhigen«, d.h. wenig bzw. stark gewinkelten und kurvigen Profilen unterschieden. Auf der anderen Seite Tabellen, um diese Beobachtung von Profilformen zu verziffern. Niedrige Ziffern stehen für »ruhige«, hohe für »unruhige« Profile. Die Anführungszeichen finden sich im Original, sie sollen offenbar deutlich machen, dass es sich letztlich um ästhetisch wertende Kategorien handelt – die durch Formalisierung objektiviert werden sollen (1931).
Scheidt ist sich freilich, anders als Hellpach, nur zu bewusst gewesen, dass das Gesicht eine Klippe darstellte, an der die Rassenkunde zu zerschellen drohte. Wenn die Alltagserfahrung, dass Gesichter unterschiedlich waren, der Physiognomik Evidenz verlieh, so unterminierten präzise physiognomische Studien genau diese Evidenz, weil sie zu viele der Differenzen doch nicht umschiffen konnten. Mechanische Veränderungen (Zahnausfall usw.), das Alter und die Geschlechtsunterschiede beim Altern sowie »[m]imische Veränderungen, offensichtlich auch habituelle Bewegungen der Lippenmuskulatur, beeinflussen die Feinheiten des Reliefs bei den allermeisten Leuten« und müssten durch die Auswahl der Probanden und umfassende Vergleichsserien korrigiert werden.24 Die Kombination mehrerer objektivierender Indexzahlen sollte ästhetische Gesamtbewertungen stützen (z.B. ruhiges/unruhiges Profil), und dieser Konnex aus Objektivität/Index und Subjektivität/Wertung wurde tabellarisch abstrahierend typisiert, also objektiviert (Abb. 23). Sprachlich fiel die Beschreibung eines physiognomischen Querschnittstypus dann allerdings wenig komplex 24 | W. Scheidt, Physiognomische Studien, S. 57 (Hervorh. im Orig.).
Die Rassenkunde
aus: »Gesichtsumriß schmal schildförmig; Stirnhaaransatz gerade; Stirne mittelhoch; Augenbrauen flachbogig; Lidspalte horizontal, mittel bis eng, halbspindelförmig; […].«25 Scheidt hatte selbst festgestellt, dass die Merkmalsdifferenzen zwischen Niedersachsen und Oberdeutschen entweder statistisch insignifikant waren – oder aber die wenigen signifikanten Unterschiede gingen in der Masse insignifikanter Differenzen unter. Würde man auf einem Bild ein niedersächsisches Gesicht zeigen, »das alle Merkmalsausprägungen zeigt, die bei den Niedersachsen häufiger vorkommen als bei den Oberdeutschen«, so würde man tatsächlich ein untypisches niedersächsisches Gesicht zeigen, weil »reine« niedersächsische Gesichter selten sind. Vergliche man dagegen zwei Bilder, die nur die gesicherten Differenzen aufwiesen, »so würde man weniger Unterschiede demonstrieren, als in Wirklichkeit da sind.«26 Die Gesichter ähnelten sich zu sehr. In dieser Reflexion verwandelt sich also die ursprüngliche Alltagsevidenz in ein Paradox: Man sieht die Unterschiede auf der Straße, aber wenn man sie statistisch zu fassen versucht, zerfallen sie: Man sieht nur individuelle Differenzen, die abschattiert ineinander übergehen – oder illustriert Stammesunterschiede an idealtypischen Bildern, die allerdings untypisch für die Realität sind. Die in der Varianz nicht sichtbaren Muster, die eigentlich sichtbar sein müssten, müssen letztlich immer sprachlich herbeierklärt werden. Dabei waren Otto Ammon und andere schon lange vorher mit ihrer Suche nach Abbildungen »reiner« Typen gescheitert. William Ripley beispielsweise hatte Ammon 1895 um Fotos eines rundköpfigen Schwarzwälders und eines blonden, langköpfigen Typus gebeten, die Ammon ihm zusagte.27 Ammon hatte freilich keine Zeit, in den Schwarzwald zu fahren, unter seinen Grenadieren fanden sich »keine echten Vertreter des an sich kleinen Typus«, und in »der Zivilbevölkerung ist es auch schwer, einen echten ungekreuzten Schwarzwälder zu bekommen.«28 Er bat die Garnison in Freiburg um Hilfe und sandte genaue Angaben, was dort zu suchen sei: auf keinen Fall länger als 1,62 Meter, Augenfarbe braun oder grün, Haarfarbe schwarz (»nicht kraus oder gewellt, sondern gerade und steif«), Hautfarbe bräunlich. »Der Mann soll so rundköpfig sein wie möglich […]. Die Backenknochen brauchen nicht vorstehend zu sein, da es für unsere Schwarzwälder Typen häufig charakteristisch ist, schmale Gesichter zu haben, oft sogar ziemlich längliche, und dazu adlerartig gebogene, schmale Nasen.«29 Den blonden Langkopf hatte Ammon dagegen rasch gefun25 | Ebd., S. 94 (Hervorh. im Orig.). 26 | Ebd., S. 96 (Hervorh. im Orig.). 27 | Vgl. William Z. Ripley an Otto Ammon, 17.1.1895 [d.i. 1896], Ammon an Ripley, 31.1.1896 (UAFr, C 75/60). 28 | Otto Ammon an Oberstabsarzt Busch, 28.3.1896 (UAFr, C 75/60). 29 | Ebd.
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den, auch wenn der aus der Nähe von Mainz stammte und kein Badener war. Er sei jedoch »ein so ausgesprochener Typus mit vorstehenden Augenbrauenwülsten, dass ich ihn jedem anderen vorziehe« – allerdings war er kein reiner Typus, vielmehr »ein theilweiser Rückschlag, ein Atavismus, und nichts weiter. Könnte man ihn genau untersuchen, von innen und außen, so würde man finden, dass er auch fremdrassige Charaktere an sich hat, die beim oberflächlichen Beschauen nicht ins Auge fallen.«30 Und nach vielen Schwierigkeiten – »man findet vermöge der fortgeschrittenen Rassenkreuzung manchmal einen anscheinend echten Typus, aber dann ist der Mann nicht im Schwarzwald geboren; oder umgekehrt, man findet einen geborenen Schwarzwälder, der nicht typisch ist« – konnte Ammon auch zwei rundköpfige »Schwarzwälder« senden.31 Wie Sammelbildchen tauschten die Rassenkundler Abbildungen untereinander aus. 1924 bat Walter Scheidt seinen schwedischen Kollegen Lundborg um »gute Typen der Finnen und Lappen«,32 vier Jahre darauf meldete sich Hans F.K. Günther mit dem Wunsch nach Bildern möglichst »reiner« und minder »reiner« Lappen (die Anführungszeichen verwendete Günther selbst). Das Institut zeigte sich wenig generös, es wollte die wenigen Bilder für eine eigene Publikation verwenden.33 Außerdem hatte Günther ein Bild beigelegt, mit dem die Schweden nichts anfangen konnten. Die Angaben zur Herkunft fehlten, und deshalb gelang es ihnen noch nicht einmal zu bestimmen, ob das abgebildete Mädchen den Wallonen oder Juden zuzurechnen war. Erst später konnte es als Person identifiziert und damit auch rassisch eingeordnet werden.34 Statt der Sami sandte Wilhelm Krauss, Mitarbeiter des Instituts, zwei Bilder eines Zigeunerhäuptlings an Günther, allerdings mit unvollständigen Messblättern, weil der Untersuchte Schwierigkeiten gemacht habe.35 Zwei Jahre später teilte er mit, »dass ich auf meiner Sommerreise einen Steirer getroffen habe, der deutliche dinarische, ja vielleicht sogar vorderasiatische Züge 30 | Otto Ammon an William Z. Ripley, 28.3.1896 (dort die Zitate), 18.4.1896 (UAFr, C 75/60). 31 | Otto Ammon an William Z. Ripley, 30.5.1896 , 4.7.1896 (UAFr, C 75/60); Otto Ammon an Oberstabsarzt Busche, 30.5.1896 (UAFr, C 75/117). 32 | Walter Scheidt an Herman Lundborg, 16.3.1924; Lundborg an Scheidt, 9.5.1924 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, E2:2 [Hervorh. im Orig.]). 33 | Vgl. Hans F. K. Günther an Wilhelm Krauss, 12.1.1929 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, E2:8); Krauss an Günther, 29.1.1929 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, B2:5). 34 | Vgl. Wilhelm Krauss an Hans F. K. Günther, 29.1., 18.2.1929 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, B2:5); Günther an Krauss, 22.1., 1.2.1929 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, E2:8). 35 | Vgl. Wilhelm Krauss an Hans F. K. Günther, 18.2.1929 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, B2:5).
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aufweist. Er versprach mir, sich, wenn Sie wollen, für Ihre Rechnung für Ihr Rassenwerk photographieren zu lassen. […] Name und Adresse des Betreffenden sind folgende: Joseph S[…], Werkmeister der Bundesbahn, […] Steiermark, Österreich. Vielleicht könnte er Ihnen eine schon vorhandene Photographie zur Ansicht einsenden? Er fiel mir u.a. auch durch seine dunklen Farben auf. Wenn Sie, Herr Professor, sich für den Mann interessieren, so glaube ich, wäre es das Beste, wenn Sie ihm selbst schreiben wollten.«36 So mühsam mussten die Mosaiksteinchen zusammengetragen werden, und trotzdem konnte man letztlich nicht hinter die Fassade des Phänotyps schauen. Die Bilder waren rar, sie zeigten zu oft nicht, was sie eigentlich zeigen mussten, und stellten ohne schriftliche Kontexte kein Wissen bereit. Der Freiherr von Eickstedt war da zwar in seiner Absage an den Genotyp konsequent. Der sei reine Denktheorie, Erblichkeit trete nur in konkret gewordener Form entgegen.37 Doch das löste nicht das Problem, dass die »konkret gewordene Form« letztlich nur in höchst unvollkommenen Abbildungen festgehalten werden konnte. Egon Freiherr von Eickstedt gehörte neben Walter Scheidt zu denjenigen, die sich an einer Formalisierung der Rassenkunde versuchten. Von Eickstedt war zu Beginn der 1920er Jahre Assistent bei Eugen Fischer, dann Otto Reche gewesen, hatte sich 1929 habilitiert und die Leitung des Anthropologischen Instituts an der Universität Breslau übernommen. Er war Parteigänger des Nationalsozialismus, durfte aber, wegen einer privaten Fehde, nicht in die Partei eintreten. 1933 wurde er zum Professor ernannt und führte, neben seiner wissenschaftlichen Arbeit, regelmäßige Abstammungsgutachten für das Reichssippenamt durch. Sein Modell sollte die empirisch nicht zu leugnende anthropologische Vielfalt mit generalisierenden Rassenklassifikationen in Einklang bringen. Dafür unterschied von Eickstedt Nation, Volk und Rasse. Eine Nation hatte für ihn mit Volk und Rasse grundsätzlich nichts zu tun. »Im Volk dagegen ist eine Menschengruppe vereinigt, die durch ihre sprachlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten und Überlieferungen miteinander verbunden ist«. Das war also eine kulturhistorische Einheit mit einem biologischen Kern, der aus den Abstammungsgemeinschaften der Familien und Sippen gebildet wurde. Die Rasse wiederum sei eine rein zoologische Einheit, deren Kern »Gruppen von formtypischen (›reinrassigen‹) Individuen« bilden, »eine vorgeschichtlich entstandene Gruppe erbähnlicher Menschen, mehr-minder gleicher Gestalt und Verhaltensweise.«38 In Rassen zeige sich die reale »Häufung leiblicher und seelischer Merkmale«, in der Population ein zoologischer Idealdurch36 | Wilhelm Krauss an Hans F. K. Günther, 7.11.1931 (UUA, Statens Institut för Rasbiologi, B2:7). 37 | Vgl. E. Frhr. von Eickstedt, Grundlagen der Rassenpsychologie, S. 94, 146; ähnlich O. Aichel, Der Deutsche Mensch, S. 160f. 38 | E. Frhr. von Eickstedt, Die Forschung am Menschen, Bd. 1, S. 69 (Hervorh. im Orig.).
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schnitt: »Daher sind gute Rassetypen selten, Durchschnittsformen häufig.«39 Gemeinsam bildeten Nation, Volk und Rasse den »Volkskörper«. Politische Einheit, kulturelle Gemeinschaft und biologische Form verschmölzen, wenn sie auf einem Territorium hinreichend zur Deckung gekommen seien. Außerdem differenzierte von Eickstedt bei einer Rasse Lokalformen, Gautypen, Volks- und Stammestypen sowie Zwischenrassen. Der Volkstypus beispielsweise als seelischer und körperlicher Ausdruck des Volkskörpers war untergliedert in Siebungsgruppen (Berufstypen) und Mischungsgruppen (Gautypen); seine kleinste Einheit war die Familie »als unmittelbarster Träger der genealogischen Ähnlichkeit«,40 sein Ausdruck das Nationalitätengesicht. Der Gautypus bezeichnete eine auf bestimmten körperlichen und seelischen Merkmalen beruhende typologisch-somatische Ähnlichkeit der Bewohner eines engeren geografischen Raumes; diese Ähnlichkeit beruhte auf den regional geschlossenen Ahnen-, also Heiratskreisen. Im Gautypus waren dem rassischen Grundelement mehr oder minder starke Einschläge anderer Rassen beigemengt, daraus ergab sich die Stammeseigenart und das Stammesgesicht, das dem mischungsbedingten Gautypus eine einheitliche Form verlieh. Der Gautypus war vielförmig und vielrassig, die Lokalform als Teilgruppe einer Rasse »von einheitlicher Formprägung«.41 Lokalform und Gautypus gingen ineinander über und zogen »damit den unmittelbaren und lebendigen Bindestrich zwischen Rasse und Volk […]. Der Lokaltypus als lokale Formähnlichkeit geht in den Gautypus als die örtliche Verschmelzungseinheit unmittelbar ein.«42 Quer hindurch zog sich stets die Schwankungsbreite der Konstitutionstypen, also: jede Form der Abweichung vom Durchschnitt und von den realen Typen, und zugleich unterlag alles im zeitlichen Verlauf der biologischen Dynamik, mit anderen Worten: Die Typen veränderten sich unablässig (Abb. 24, 25). Von Eickstedt hatte eine »Ganzheitsanthropologie« im Sinn, die die Erbmerkmale in ihrem Zusammenspiel und nicht isoliert erfassen würde. Dazu führte er die Methode der »Rassenformeln« ein, um, wie er meinte, die unpräzisen und subjektiven anthropologischen Schätzungen (»vorwiegend dinarisch« usw.) durch einen kontrollierbaren Aufbau rassischer Merkmalskomplexe zu ersetzen, und zwar mit Hilfe der »Flächenmethode«, die die bisher übliche punktuelle Untersuchung einzelner Dörfer durch ein systematisches Beobachtungsnetz ersetzen sollte.43 Seine Assistentin Ilse Schwidetzky ergänzte das durch grafische 39 | Ebd., S. 92. 40 | Ebd., S. 93. 41 | Ebd., S. 97. 42 | Ebd. 43 | Vgl. E. Frhr. von Eickstedt/I. Schwidetzky, Die Rassenuntersuchung Schlesiens; E. Frhr. von Eickstedt, Anlage und Durchführung von rassenkundlichen Gauuntersuchungen. Vgl. zur Methode auch Ders., Die Forschung am Menschen, Bd. 1, S. 497-579.
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Abb. 24, 25: Von Eickstedts Versuch, die komplexe Differenzierung rassischer Gruppen begrifflich-visuell einzufangen (1940) bzw. rassische Differenzen zu formalisieren (1934).
Methoden, um die Formalisierungen ihres Lehrers in ihrer praktischen Durchführung zu kontrollieren und damit die Validität der erhobenen Daten zu verifizieren. Erhebungsbefunde wurden in Grafiken übersetzt, aus deren Form man dann auf die Präzision der erhebenden Hilfskräfte schließen konnte (Abb. 26): »Je stärker sich die einzelnen Signaturen häufen, desto besser stimmt die betreffende Merkmalskombination mit der Rassendiagnose überein« (Methode der signierten Kombinationstafel). »Je regelmäßiger die Kurven fallen oder steigen, desto gleichmäßiger ist der Abstand zwischen den Mischtypen verschiedenen
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Grades geschätzt worden« (Methode der fallenden Reihe). »Je deutlicher die Parallelität der Kurven, desto besser stimmen Merkmalsverteilung und Rassendiagnose in den einzelnen Untersuchungsorten überein« (Methode der Parallelkurven). »Je ähnlicher sich die beiden Abweichungskurven verhalten, desto besser stimmen Merkmalsmittel und Rassendiagnose in den einzelnen Untersuchungsorten überein« (Methode des Parallelabweichungsdiagramms).44 Abb. 26: Zwei der visuell-statistischen Kontrollmethoden Ilse Schwidetzkys, die »Methode der signierten Kombinationstafel« und die »Methode der fallenden Reihe«. Es handelt sich um eine Art Meta-Formalisierung: Empirische Befunde werden in die Grafiken eingetragen, Häufung und Gleichmäßigkeit innerhalb dieser Grafik indizieren eine sauber durchgeführte Erhebungsarbeit (1935).
Von Eickstedts komplizierte Methode stellte sich als eine eigentümliche Mischung aus subjektivem Erschauen (das er eigentlich kritisierte) und Formalisierung dar. Schon der Laie erkenne auf einen Blick, ob ein Individuum nordisch sei. Der Fachmann mache mühelos weitere rassische Komponenten aus. Mit den Rassenformeln würden diese Diagnosen nur schärfer gefasst. Die Punkte 1 bis 6 bezeichneten den Grad der Reinrassigkeit, die Buchstaben n, o, a oder d die Rassenanteile. Die Klassifikation n würde »nordisch« (mit 6 Punkten) bedeuten, n (o) wäre »nordisch« mit 5 Punkten und einem Punkt »osteuropidem« Einschlag, n (o, d) demnach »nordisch« mit 4 Punkten und je einem Punkt »osteuropidem« und »dinarischem« Einschlag (Abb. 27). Allerdings handelte es sich nicht um absolute Kategorien, denn wenn in einer 44 | Vgl. I. Schwidetzky, Methoden zur Kontrolle der v. Eickstedtschen Rassenformeln (dort die Zitate S. 34-36, 39); Dies., Weitere Methoden zur Kontrolle der v. Eickstedtschen Rassenformeln.
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Region vor allem nordische und dinarische Typen zu finden seien, werde das Merkmal des Langgesichts diagnostisch eher bedeutungslos. Deshalb gab es »für den Beobachtungswert der Merkmale keine absolute Stufenskala, sondern nur eine örtlich relative.«45 Von Eickstedt versuchte mit den Techniken des »geschulten visuellen Zergliederns«, der »Typenbereinigung« und der »Typendiagnose« (unter Berücksichtigung von Umweltbedingungen), ein System zu entwerfen, das auf regionale Varianzen reagierte, und – notwendig subjektive – anthropologische Beobachtungen objektivierte, so dass die Unzahl individueller Daten in Form nicht-schematischer, nicht-ideologischer Generalisierungen operationalisiert werden konnte. So waren dann Häufungen auszumachen, die hinreichend different von anderen Häufungen waren, um die reale Existenz rassischer Unterschiede als bewiesen behaupten zu können. Abb. 27: So sollte den Lesern der angebliche Übergang vom nordischen zum osteuropiden Rassentypus eindrücklich vor Augen geführt werden. In den Abbildungen nimmt angeblich von links oben nach rechts unten der ostische Anteil immer stärker zu (1940).
45 | E. Frhr. von Eickstedt, Anlage und Durchführung von rassenkundlichen Gauuntersuchungen, S. 25.
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Die Generalisierung von Unterschieden sollte nicht willkürlich erfolgen, sondern nachvollziehbar kontrolliert. Der »nordische« Charakter des deutschen Volkes sollte nicht beschworen, sondern empirisch hergeleitet, die Empirie wiederum durch Formalisierung abgesichert werden. Es musste deutlich werden, dass Gaue rassisch different waren, aber doch real eine Einheit bildeten, dass sie einen eigenen Typus bildeten, aber doch im deutschen Volk aufgingen, dass es rassische Kerne gab, die einem Volk biologische Kontinuität verliehen. Und es bedurfte einer guten Begründung, warum man eigentlich so wenige der reinen Rassentypen fand, trotzdem aber die zahllosen Beimischungen marginalisieren durfte. Schließlich waren Wissenschaft und Politik in Einklang zu bringen, denn die Wissenschaft sollte einem politischen Ziel dienen, welches jedoch die Wissenschaft nicht kontaminieren durfte. Mit anderen Worten: eine fluide, heterogene anthropologische Situation war wissenschaftlich so zu homogenisieren, dass die Wissenschaft sich nicht ideologischen Vorgaben unterworfen fühlte, sondern die empirisch präparierten rassischen Generalisierungen natürlichen Entitäten entsprachen, weshalb sich politische Interventionen aus der Sachlage ergaben.46
46 | Vgl. auch C. Friese, Rassenkunde, S. 237.
15. Expeditionen in den Rohzustand des Volkes
Die Rassenanthropologie sah es als ihre Aufgabe, die rassenkundlichen Theoreme empirisch zu untermauern. Neben einigen Professoren zogen deshalb Nachwuchswissenschaftler – teils mit dem Rad oder gar auf langen Wegen zu Fuß, wenn weder Bahn- noch Busverbindungen bestanden1 – in abgelegene Dörfer und Weiler, um in diesen Isolaten anthropologische Untersuchungen durchzuführen. Anderswo wurden, wie das Walter Scheidt getan hatte, Lehrer und Pfarrer angelernt und mit Messblättern und Instrumenten ausgestattet.2 Das waren Reisen, die mal in einen vermeintlich anthropologischen Rohzustand des deutschen Volkes, mal geradezu in ein Herz der Finsternis führten. Punktuell wurde eine Sonde in den Volkskörper abgesenkt, um dessen Zustand in Erfahrung zu bringen. Mit jeder Erhebung piksten die Forscher weitere Nadeln in die große anthropologische Landkarte, doch so weltabgeschieden wie die meisten Dörfer, so isoliert waren ihre Ergebnisse. Sie mussten immer dieselben wenigen bereits publizierten Referenzstudien heranziehen, im Grunde aber eingestehen, dass ihr Material zu dünn war, um es seriös vergleichen zu können. Hinzu kamen Koordinationsprobleme und Revierabgrenzungen. Die Professoren waren einander nicht immer gewogen, da war es gut zu klären, ob ein Doktorand mit seiner Dorfstudie nicht auf fremdem Terrain wilderte – oder aber die methodischen Ansätze erwiesen sich im Falle von Gemeinschaftsprojekten nicht unbedingt als kompatibel.3 Außerdem konnten die Probanden Schwierigkeiten bereiten. Gegenüber anthropologischen Untersuchungen zeigte sich die Bevölkerung weniger empfindlich, wohl aber
1 | Vgl. z.B. Unkostenaufstellung von Diplomlandwirt Unterstenhöfer für die »Untersuchungen der Aus- und Umsiedlungsmöglichkeiten in den Landkreisen Stadtroda, Altenburg, Gera, Gotha, Arnstadt und Sondershausen vom 1.V.40-30.IX.40.[«], 25.10.1940 (UAJ, S XV, Nr. 18). 2 | Vgl. Eugen Fischer an Otto Reche, 23.2.1929 (AIEUL, RE XXVI). 3 | Vgl. Eugen Fischer an Otto Reche, 23.2.1929, 11.10.1930 (AIEUL, RE XXVI); Eugen Fischer, o.T. [Tischvorlage für eine Besprechung], 19.2.1930 (BAB, R 73/169).
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bei einer ärztlichen Feststellung erblicher Leiden.4 Ein Vater wiederum hatte Anzeige wegen Körperverletzung erstattet, weil seinem Kind bei einer anthropologischen Untersuchung zwei Blutstropfen abgenommen worden waren. Otto Reche versuchte die Staatsanwaltschaft von einer Anklage abzubringen. Hundertausende solcher Untersuchungen seien bereits durchgeführt worden, und er »hatte bisher nur einmal in einem Dorfe Schwierigkeiten, wo die Leute witzigerweise behaupteten[,] durch diesen ›Blutzauber‹ sei eine Kuh behext worden und gäbe nun plötzlich keine Milch mehr.«5 Einem Mitarbeiter empfahl er: »Seien Sie aber vorsichtig mit den Blutgruppenuntersuchungen […]. Am besten vielleicht, man sagt den Leuten, es handele sich um [eine] Untersuchung des Gesundheitszustandes, oder der Güte des Blutes, oder der Neigung zu Krankheiten oder dergl.«6 Überhaupt solle man nicht viel Wesen von der Arbeit machen, die Betroffenen wollten sonst immer wissen, welche Blutgruppe oder Rasse »besser« sei.7 Liest man diese anthropologisch-rassenkundlichen Studien, so wird deutlich, wie heterogen sie waren, wie dünn teilweise, nicht nur was die Seitenzahlen betraf – 16 konnten es an der unteren Grenze sein –, sondern vor allem die Datenerhebung. Oft wurden nur einige wenige anthropologische Maße genommen, für die Genealogie war man auf die Vollständigkeit und Lesbarkeit der Kirchenbücher angewiesen, ergänzt wurde das durch manchmal vergleichsweise umfangreiche, aber doch oberflächliche volkskundliche Beschreibungen des Dorflebens sowie Abrisse der regionalen Geschichte. Ihre Ergebnisse ähnelten sich. Heinrich Gottong wies für die Lausitz nach, dass ihre deutschen Bewohner anthropologisch zum Reich gehörten und durch Volkstum, Sprache sowie religiöses Glaubensbekenntnis seit jeher deutliche Schranken gegen den Nachbarn gesetzt hätten. Als Übergangsstelle zwischen Schlesien und dem Reich müsse die Oberlausitz das Einsickern fremden Erbguts und fremder Einflüsse verhindern.8 Karl Saller fand auf Fehmarn die extreme Rundköpfigkeit der Bevölkerung erklärungsbedürftig, »irgendwie« musste die Erbanlage für die Kopfform ersetzt worden sein. Ein Abtauchen in die Untiefen der Vorgeschichte ließ allerdings vermuten, dass es sich um eine extreme Variante der nordischen Rasse handele. Belegen konnte er außerdem, dass die Arbeiterkinder kleinwüchsiger und schmächtiger waren als die Sprösslinge der Bauern, wofür er neben sozialen Gründen vor allem »Erbfaktoren […] von zum Teil wohl rassischer Natur« verantwortlich machte. »Die Arbeiterbevölkerung 4 | Vgl. Eugen Fischer, o.T. [Tischvorlage für eine Besprechung], 19.2.1930 (BAB, R 73/169). 5 | Otto Reche an Regierungsobermedizinalrat Bremme, Kreishauptmannschaft Bautzen, 14.7.1931 (AIEUL, RE XXVII). 6 | Otto Reche an M. Hesch, 13.4.1928 (AIEUL, RE XXVI). 7 | Otto Reche an Dr. Hilsinger, 22.4.1929 (AIEUL, RE XXVI). 8 | Vgl. H. Gottong, Die Bevölkerung von Hoyerswerda-Land.
E xpeditionen in den Rohzustand des Volkes
Fehmarns ist […] mehr mit inselfremden und vom Festland stammenden Elementen durchsetzt als die alteingesessene Bauernbevölkerung«.9 In Franken wurden die Bewohner des Dorfes Mäbenberg als meineidig, wildernd und tuberkuloseanfällig empfunden, Saller meinte belegt zu haben, dass dieses »Volksempfinden« tatsächlichen anthropologischen Differenzen entsprach (Abb. 28). Sozial isoliert, so Saller, entartete der Mäbenberger, »ohne im Volkstum der Umgebung, das sich vor ihm absperrte, untergehen zu können.«10 Abb. 28: Vergleich von Katholiken, Protestanten und Mäbenbergern. Es wird sichtbar, wie eng die Werte beieinander liegen, dass sie also gerade keinerlei signifikante Differenzen zeigen. Saller dagegen behauptete, dass sich statistisch nicht (!) zu sichernde Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken sowie zu den Mäbenbergern feststellen ließen (1930).
9 | K. Saller, Die Fehmaraner, S. 204, 206. 10 | K. Saller, Die Keuperfranken, S. 7.
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Im ostfriesischen Moordorf fand Horst Rechenbach eine ganz ähnliche Gemeinschaft wie die Mäbenberger. Den Nationalsozialisten galt »Moordorf als Beispiel verfehlter Siedlungspolitik« des preußischen Staates, wie der Titel einer streng vertraulichen Denkschrift aus dem Jahre 1937 lautete,11 deren Ergebnisse drei Jahre darauf in Rechenbachs Buch publiziert wurden. Rechenbach wies bei den Kolonisten eine über Generationen vererbte erbbiologische Minderwertigkeit nach, die auch noch »wie ein Magnet auf alle minderwertigen Elemente der näheren und weiteren Umgebung« gewirkt habe (Abb. 29).12 Die Angehörigen der unteren »Wertklassen« bekämen mehr Kinder als die der oberen, das Dorf sei ein Stützpunkt für Raub- und Bettelzüge in die Umgebung. Durch eine Verbesserung der Lebensverhältnisse lasse sich nichts erreichen; Not tat allein die Neubildung des deutschen Bauerntums, oder, wie es Ludwig Schmidt-Kehl kurz zuvor für ein anderes Notstandsgebiet, die Rhön postuliert hatte, eine »Neuordnung des Raumes nach erbbiologischen Gesichtspunkten«.13 Dem Tübinger Anthropologen Wilhelm Gieseler war aufgestoßen, dass die Bewohner Württembergs – und besonders die der schwäbischen Alb – oft als »ostisch« angesehen würden; er wünschte diesen Eindruck durch die Totalerfassung von 18 Dörfern sowie eine Schulkinder- und Rekrutenuntersuchung zu falsifizieren. Er ließ Personal schulen, hielt Lichtbildervorträge in den Dörfern, dann wurden die Schüler und Erwachsenen vermessen.14 Auch für die einzelnen Studien dieser »Schwäbischen Rassenkunde« suchten die Forscher abgegrenzte geografische Räume auf, in denen sie überall auf zahllose rassische Mischformen stießen, auf »reine« Typen jedoch nur in kleiner Zahl. In Frommern beispielsweise stand der nordische Typus je nach Merkmalskombination an fünfter oder gar letzter Stelle, mal vor, mal nach den Dinarern (Abb. 30, 31). Ansonsten mussten sie mit zu großen Fehlerabweichungen, inkompatiblen Vergleichserhebungen und überraschenden Abweichungen kämpfen. Soweit überhaupt schon Schlüsse gezogen werden könnten, werde die Gegend des Nagoldursprungs und das Vorland der Südwestalb von einem im wesentlichen einheitlichen Menschenschlag bewohnt, ein ostischer Einschlag sei kaum merklich.15 Bruno K. Schultz untersuchte Ende der 1920er Jahre in vier Monaten 14 Ortschaften im Allgäu und fand ein Rassengemisch aus der nordischen und der 11 | Moordorf als Beispiel verfehlter Siedlungspolitik, Februar 1937 (BAB, R 113/1079). 12 | H. Rechenbach, Moordorf, S. 90. 13 | L. Schmidt-Kehl, Praktische Bevölkerungspolitik in der Rhön, S. 400. 14 | Vgl. W. Gieseler, Geleitwort zur Gesamtreihe. 15 | Vgl. A. Breig, Eine anthropologische Untersuchung; H. Bohn, Schwäbische Kleinbauern und Arbeiter; G. Gaßmann, Die Schwarzwälder vom Nagoldursprung; W. Gieseler/W. Necker, Rassenkundliche Untersuchungen an Wehrpflichtigen; W. Haßberg, Gönningen das Samenhändlerdorf.
E xpeditionen in den Rohzustand des Volkes
Abb. 29: Der Erbwert unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Moordorf. Die Diagramme zeigen, dass der Großteil der Moordorfer erbbiologisch »abzulehnen« sei. Bei den Berufen wurde ungelernten Arbeitern und Hausierern ein niedriger Erbwert zuerkannt, Kolonisten interessanterweise ein vergleichsweise hoher – hatten sie doch als Wurzel des biologischen Übels gegolten (1940).
dinarischen Rasse, wobei der Anteil der ostischen Rasse »nicht ganz gering« ausfiel, während das mittelländische Rassengut »recht wenig« beteiligt war. Allerdings sei noch keine Mischrasse entstanden, Merkmalshäufungen einzelner Rassen waren zu verzeichnen.16 Questenberg im Südharz: Der abgeschiedene Ort zeichnete sich durch eine große Einheitlichkeit des Materials aus; »Bezirksfremde« unterschieden sich in einigen Merkmalen von den Einheimischen (Gesichtshöhe, Nase usw.), in anderen nicht (Arm-, Kopflänge usw.).17 Mit einer bloßen Sammlung von Messreihen begnügte sich Wilhelm Voß in den Elbmarschen; für rassen- und kulturbiologische Schlüsse benötige man mehr Material, schrieb er.18 Eine der wenigen Anthropologiestudentinnen, Brigitte Richter, 16 | Vgl. B. K. Schultz, Rassenkunde deutscher Gaue (Zitate S. 97). 17 | Vgl. R. Grau, Die Questenberger. 18 | Vgl. W. Voß, Bauern in den holsteinischen Elbmarschen.
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Abb. 30: Frommern im erbbiologischen Vergleich. Der Indikator hier: die Verteilung der Augenfarben. Es fällt auf, dass die mittlere, melierte Farbklasse nur in einigen Untersuchungen differenziert worden ist, und dass die Vergleichswerte von der Reichenau (eine Untersuchung Walter Scheidts) wohl unbrauchbar sind, weil sie vermutlich ohne Augenfarbtafel erhoben wurden (1940).
reiste in zwei Dörfer des rassenkundlich rätselhaften Hessen, musste die Hälfte ihrer Probanden wegen starker rassischer Durchmischung ausschließen und konnte kaum Bezüge zu den spärlichen vorgeschichtlichen Befunden herstellen – sie machte aber mehr nordisch-fälisches Blut in der Bevölkerung aus als der äußere Anschein vermuten lasse. Außerdem gelang es ihr, vage anthropologische Unterschiede zwischen den beiden Dörfern, keine zwei Kilometer voneinander entfernt, herauszuschinden: »Die Burkhardser Männer haben mehr ovale, die Kaulstoßer mehr fünfeckige Gesichter. […] Die Augenbrauen der Burkhardser sind in beiden Geschlechtern stärker gebogen als die der Kaulstoßer, ihre Mundspalte ist kleiner und ihre Hautoberlippe kürzer. […] In ersterem Dorf ist die Form des Kinns häufiger breit-abgerundet als in letzterem. In der Seitenansicht ist die Stirn der Kaulstoßer fliehender als die der Burkhardser, und ihre Nasenwurzel ist etwas höher.«19 Und so weiter.20 19 | Vgl. B. Richter, Burkhards und Kaulstoß. 20 | Vgl. F. Keiter, Schwansen und die Schlei; W. Klenck/W. Scheidt, Niedersächsische Bauern I; G. Kurth, Rasse und Stand in vier Thüringer Dörfern; K. Saller, Süderdithmarsi-
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Abb. 31: Rangfolge der Rassen nach Kombination bestimmter Merkmale; der nordische Typus, erkennbar an Farbe und Nasenform, hier nur auf Platz 7 (1941).
Alle diese Studien zeichnet aus, dass die anthropologischen Werte verwaschen waren und kein annähernd stabiles System bildeten, dass die Probanden nie so richtig im Bereich der »nordischen« Werte lagen, und dass vom Nachweis einer »Vererbung von ›Rassentypen‹, wie sie für die heute üblichen ›Rassen‹aufstellungen Voraussetzung wäre«, keine Rede sein konnte.21 Das leugnete niemand. Niemand gab vor, bewiesen zu haben, was zu beweisen war – aber jeder war sicher, trotz all der Unzulänglichkeiten kaum widerlegt werden zu können. Denn gemeinsam würden die Untersuchungen ein Netz bilden, das die Befunde der isolierten Lokalstudien stabilisieren werde. Dieses Netz war noch äußerst weitmaschig – wenn man, bei diesen wenigen Nadelstichen, überhaupt von »Maschen« sprechen mag. Dessen waren sich die Vertreter der Erbbiologie und Anthropologie nur zu bewusst, wenn sie »Deutschland mit vielen
sche Geestbevölkerung; W. Scheidt, Eine Insel deutschen Volkstums; L. Schmidt-Kehl, Wandel im Erb- und Rassengefüge. 21 | K. Saller, Die Keuperfranken, S. 65f.
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›Feldarbeitern‹ (Fieldworkers)« überziehen wollten,22 um »durch eingehende anthropologische Untersuchungen vieler Einzelpunkte, Dörfer, Talschaften, kleine Landbezirke[,] sozusagen Knotenpunkte eines anthropologischen Netzes zu schaffen, dessen Maschen bald groß, bald kleine sein werden, dessen Knoten dann durch mehr statistische und weniger eingehende Erhebungen an Schulen, Krankenhäusern, Sportvereinen usw. verbunden werden können.«23 Doch nur in Schwaben und Schlesien wurden so etwas wie systematisch geplante, zusammenhängende, flächige Erhebungen initiiert, und nur eine dieser Untersuchungen, die »Rassenuntersuchung Schlesiens« des Freiherrn von Eickstedt, sollte in Erinnerung bleiben. Egon Freiherr von Eickstedt hatte bereits 1925 geplant, mit Hilfe des Münchner Verlegers Julius F. Lehmann eine anthropologische Bestandsaufnahme Deutschlands zu initiieren. Das war aus finanziellen Gründen gescheitert. Im Jahr darauf leitete er eine große Indien-Expedition, auf der er lernte, ein Netz rassenkundlicher Beobachtungsstellen auszuwerfen. Und 1934 wurde ihm endlich der ursprüngliche Plan einer Deutschlanduntersuchung finanziert.24 So machten sich im Herbst desselben Jahres elf Assistenten und Studierende des Anthropologischen Instituts der Universität Breslau auf den Weg nach Oberschlesien und arbeiteten in zwei Monaten elf Kreise mit 200 Dörfern und 15.000 Personen beiderlei Geschlechts mit Hilfe der »Rassenformeln« und der »Flächenmethode« durch, »eine vollständige rassenmäßige Bestandsaufnahme von Oberschlesien«.25 1935 waren es bereits 32.000 Individuen mit über einer Million Einzeldaten, in manchen Dörfern waren fast 100 % der männlichen (!) Bevölkerung erfasst, so dass »ein sicheres Bild von ihrem rassenbiologischen Auf bau gewonnen werden konnte.« 26 Das war nur der Anfang. Danach, stellte von Eickstedt sich vor, sollte Deutschland in 12.000 »Ringe« zu je 20 Dörfern mit 1.600 bis 1.800 Personen eingeteilt werden. Bräuchten zwei ganzheitsmethodisch gründlich geschulte Mitarbeiter je Ring einen Monat, sei die Gesamterfassung Deutschlands in wenigen Jahren durchführbar.27
22 | Bericht über eine Besprechung am 17. Dezember 1927 in den Räumen der Notgemeinschaft [der Deutschen Wissenschaft] über Rassenforschung, Blutgruppenforschung und Anthropologische Untersuchungen, o.D., Bl. 6 (BAB, R 73/169). 23 | Eugen Fischer, Anthropologische Erforschung der deutschen Bevölkerung, 2.2.1928, Bl. 4 (BAB, R 73/169). 24 | Vgl. E. Frhr. von Eickstedt, Rassenuntersuchung Deutschlands, S. 164. 25 | E. Frhr. von Eickstedt, Anlage und Durchführung von rassenkundlichen Gauuntersuchungen, S. 7. 26 | E. Frhr. von Eickstedt, Rassenuntersuchung Deutschlands, S. 165. 27 | Ebd., S. 166.
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Die Ergebnisse wurden in 14 Heften der Reihe »Rasse, Volk, Erbgut in Schlesien« veröffentlicht. Sie waren teils nur 16 Seiten stark, Tabellen mit den notwendigen Maßangaben fehlten oft; mal wurden rassische »Trümmergebiete« ausgemacht, mal weitgehend nordische Regionen, mal die Differenz zwischen vorwiegend nordischen und dinarischen Erbhof bauern und ostischen Landarbeitern. Doch während die meisten Projekte »nur Aussagen über anthropologische Einzelmerkmale bei örtlich begrenzten Bevölkerungen« gezeitigt hätten, erbrachte die Schlesien-Studie, so sah von Eickstedt das, »eine genau durchgeprüfte Rassenanalyse […]. Erst dadurch tritt der rassische Auf bau der Bevölkerung mit seinen vielfachen Beziehungen zu Raum, Geschichte und sozialer Gliederung plastisch hervor.«28 Er hatte sie zuvor schon als »echt nationale Arbeit« angepriesen, »die wissenschaftliche, nationale und weltanschauliche Wichtigkeit für Deutschland und das Grenzland« habe.29 Das war nicht Camouflage, um in der Diktatur an Forschungsgelder zu kommen, sondern wörtlich zu nehmen, denn das Hauptergebnis der Untersuchung war, gegen die »rege politisch-propagandistische Tätigkeit polnischer Anthropologen«,30 »der Nachweis, dass in Gesamtschlesien und in fast allen Einzelkreisen die nordische – nicht, wie man bisher annahm, die alpine (ostische) Rasse [–] an erster Stelle steht. Damit ist die Zugehörigkeit Schlesiens zu dem nordisch bestimmten deutschen Volkskörper klar bewiesen.« Eine kartografische Skizze zeigte, dass das nach älterer Auffassung nichtnordische Schlesien in Wahrheit, bis auf einen Zipfel, nordisch war (Abb. 32).31 Nur die Oderlinie bildete eine »Schütterzone mit rassischen Diskrepanzen und Durchbrüchen.« Dort fungierten die Dinarier als »rassischer Bindestrich.«32 Deutlich las von Eickstedt einen klaren Zusammenhang zwischen Raum und Rasse ab, den ja schon Otto Ammon postuliert hatte: Die Niederböden, Täler und die schlesische Bucht sind nordisch geprägt, die Wälder durch dinarische und osteuropide Elemente.33 Die Schlesien-Studie war, wenn man so will, die seriöse Spielart der Rassenanthropologie. Die andere Spielart war eine regelrechte Trivialisierung der nach dem Ersten Weltkrieg populär gewordenen Rassenkunde und Rassenanthropologie. Selbst Ärzte fühlten sich dazu berufen, die Bevölkerung ihres Praxisbereichs anthropologisch unter die Lupe zu nehmen.34 In Broschüren, 28 | Egon Frhr. von Eickstedt an die DFG, 12.2.1938 (BAB, R 73/10863). 29 | Egon Frhr. von Eickstedt an die DFG, 30.1.1936 (BAB, R 73/10863). 30 | Egon Frhr. von Eickstedt an die DFG, 12.2.1938 (BAB, R 73/10863). 31 | E. Frhr. von Eickstedt, Rassenuntersuchung Deutschlands, S. 167. Ähnlich schon zuvor: H. Göllner, Volks- und Rassenkunde der Bevölkerung von Friedersdorf. Vgl. außerdem A. Knöbl, Anthropologische Untersuchungen in den Sudetenländern. I, II. 32 | E. Frhr. von Eickstedt, Rassenuntersuchung Deutschlands, S. 169. 33 | Vgl. auch I. Schwidetzky, Einige Ergebnisse der »Rassenuntersuchung Schlesien«. 34 | Vgl. z.B. K. Ruhnau, Einige anthropologische Angaben.
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Abb. 32: Vorher/Nachher. Die linke Karte führt die angeblich fälschlichen früheren Annahmen über die rassische Zusammensetzung Schlesiens vor Augen, die rechte den vermeintlich realen Zustand nach von Eickstedts Erhebungen (1936).
Vorträgen und Ausstellungen wurden Erbgesetze und die Rassenlehre auf ein allgemeinverständliches Niveau heruntergebrochen, zugleich wurde an das Verantwortungsbewusstsein der Leser appelliert, sich der Qualität ihrer Erbanlagen bewusst zu sein – denn aus dem Erbe werde immer auch ein Ahne.35 Und für politische Entscheidungsträger und Experten in Behörden und Kliniken gab es Schulungskurse, in denen ihnen die Grundlagen der Erbbiologie beigebracht wurden, nicht allerdings, den bloß protokollartigen Notizen zufolge, das Handwerkszeug, in ihren Arbeitsbereichen wirklich fundierte erbbiologische Gutachten zu erstellen – weshalb viele der in Archiven überlieferten und reihenweise angefertigten Gutachten den Ansprüchen der Wissenschaft kaum genügen konnten.36 So diffizil forschend und differenziert argumentierend sich Anthropologen und Rassenkundler auch gaben, wenn ihre Ergeb35 | Vgl. G. Benl/P. Kramp, Vererbungslehre, Rassenkunde und Rassenhygiene; E. Frhr. von Eickstedt, Die rassischen Grundlagen des deutschen Volkstums; F. Lüke, Rassen-ABC; F. Mettenleiter, Alaf sig arna; B. K. Schultz, Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege; H. W. Siemens, Grundzüge der Vererbungslehre, der Rassenhygiene und der Bevölkerungspolitik. 36 | Vgl. z.B. K. Astel (Hg.), Rassekurs in Egendorf; sowie den Bericht über den erbbiologischrassenhygienischen Schulungskurs für Psychiater. Veranstaltet vom Deutschen Verband für psychische Hygiene und Rassenhygiene. München vom 8.-16. Januar 1934. Deutsche Forschungsanstalt f[ür] Psychiatrie (Kaiser-Wilhelm-Inst[itut]), o.D., Bl. 27 (MPIP-HA, GDA 19).
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nisse auf simple Metaphern reduziert wurden (z.B. Kuckuck bleibe Kuckuck und der Fürsorgezögling ein Verbrechertyp)37 und staatliche Gutachter auch auf diesem Niveau gutachteten, dann war das zentrale Anliegen unterlaufen, durch Gewissenhaftigkeit zu validen Ergebnissen zu kommen. So sehr den Anthropologen die Popularisierung am Herzen lag, so suspekt musste ihnen eine Vereinfachung erscheinen, die eine trivialisierte oder gar willkürliche rassenkundliche Praxis zu zeitigen drohte.38 Genau das war der Fall, als sich, kurz nach Machtantritt der Nationalsozialisten, auch staatliche Stellen der anthropologisch-rassenkundlichen Arbeit widmeten. So untersuchten sie die Rhön als Notstandsgebiet,39 ähnlich sah es in der Eifel aus. Dort führte im Sommer 1935 die Reichsbauernschaft eine Umfrage in ausgewählten Dörfern durch, um »genaue Zahlen über die bevölkerungspolitische Lage des Bauerntums zu erhalten« – eine Geheimhaltung der Daten wurde ausdrücklich angeordnet.40 Die anthropologisch ungeschulten Ortsbauernführer sandten mehrseitige Berichte aus der Eifel nach Berlin, mit quantitativen Angaben zur Bevölkerungszahl, der durchschnittlichen Geburtenzahl, der Erbhöfe, der Bauernhöfe, der »anormalen«, »idiotischen« oder »halbidiotischen« Individuen sowie der Gründe für deren Zustand: zumeist »unbekannt« oder »erblich«, manchmal Krankheit. Ergänzt wurde das durch qualitative Beschreibungen der Art, dass Orte für ihre Verwandtenheiraten bekannt seien, Geisteskrankheiten angeblich nicht vorkämen, ein Ort als durchschnittlich und normal angesehen wurde, in einem anderen trotz großer Geschäftigkeit keine ordentlichen Landwirte zu verzeichnen seien.41 Wenn das schon unscharfe Auskünfte waren, so waren die Antworten auf eine andere Erhebung über die rassische Zusammensetzung der rheinländischen Bevölkerung endgültig unbrauchbar. Eine Kreisbauernschaft teilte mit, »dass der gesamte Bezirk [Wadern] infolge seiner Grenzlage ausserordentlich stark rassisch vermischt ist. Reinrassige Bevölkerungsteile sind überhaupt nicht vorhanden.«42 37 | So K. Dürre, Erbbiologischer und eugenischer Wegweiser für Jedermann, S. 67f. 38 | Zur Wissenschaftspopularisierung mit ihren komplexen Rückkoppelungseffekten zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit vgl. A. Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert; C. Kretschmann (Hg.), Wissenspopularisierung; S. Samida (Hg.), Inszenierte Wissenschaft; M. Weipert, Bevölkerung, Geburtenrückgang und Rassenhygiene. 39 | Vgl. J. S. Hohmann, Thüringens »Rhön-Plan«; B. Gausemeier, Walter Scheidt und die »Bevölkerungsbiologie«, S. 66-73; sowie W. Pyta, »Menschenökonomie«. 40 | Bevölkerungspolitische Erhebungen des Stabsamtes des Reichsbauernführers. Anweisung für die Ortsbauernführer, Mai 1935 (LA NRW, RW 24/994 [Hervorh. im Orig.]). 41 | Vgl. die Berichte der Kreisbauernschaften vom 3.4., 13.5., 18.5.1935 (LA NRW, RW 24/994). 42 | Kreisbauernschaft Wadern an die Landesbauernschaft Rheinland, 7.12.1935 (LA NRW, RW 24/1003 [Hervorh. im Orig.]).
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In Cleve hatte sich die Bevölkerung »ziemlich rein erhalten«,43 in Birkenfeld wurde ein westisch-ostischer Einschlag konstatiert, doch »Ortsbauernführer und Ortsbürgermeister lassen allgemein einen stärkeren nordischen Einschlag erkennen, als die übrigen Dorfeingesessenen.«44 Für den Hunsrück wurde eine Karte eingereicht, auf der die vorwiegend nordischen, dinarischen, westischen und ostischen Gebiete markiert waren.45 Einige Kreise befand man für rassisch rein, die meisten für stark durchmischt, wofür Kriegszüge, Tourismus, Fernverkehrsstraßen oder die Industrialisierung als vage Erklärungen in Anschlag gebracht wurden. Zumeist wurden keinerlei Daten genannt, teils nur ein Satz zur Antwort gegeben; ungeschulte Beobachter taten trotzdem so, als seien sie in der Lage, rassische Unterschiede zu erkennen: »Eine Rassengleichheit der ganzen Dorf bewohner ist mir noch nicht aufgefallen. Wohl tritt ein Unterschied zwischen den Eifel und Hunsrückbewohner [sic] gegenüber den Moselbewohnern auf, die aber im allgemeinen nur durch ein lebhafteres Benehmen auffällt.«46 Einer immerhin hatte Hans F. K. Günthers »Rassenkunde« gelesen und wollte die Antwort lieber ausgebildeten Rassenforschern überlassen (allerdings führte er die schlechten Charaktereigenschaften einiger Dörfer auf die starke Rassenmischung zurück).47 Und das staatliche Gesundheitsamt in Daun ließ in mehreren Berichten über Steiningen und Demerath zwei gegensätzliche Dörfer vor Augen treten, strebsam, modern und früh eine NS-Hochburg das eine, rückständig und voll schwachbegabter Einwohner das andere.48 1936 machten sich zwölf Studierende der Universität Köln auf den Weg, um den Eifelort Kalterherberg medizinisch, hygienisch, erbbiologisch, statistisch, anthropologisch, landwirtschaftlich, ökonomisch und soziologisch unter die Lupe zu nehmen, eine ambitionierte Totalerhebung also, die sie zuvor schon 43 | Kreisbauernschaft Cleve an die Landesbauernschaft Rheinland, 27.12.1935; ähnlich: Kreisbauernschaft Baumholder an die Landesbauernschaft Rheinland, 13.1.1936 (LA NRW, RW 24/1003). 44 | Bäuerliche Werkschule und Beratungsstelle Herrstein an die Landesbauernschaft Rheinland, 7.1.1936 (LA NRW, RW 24/1003). 45 | Vgl. Kreisbauernschaft Bernkastel an die Landesbauernschaft Rheinland, 29.1.1936 (LA NRW, RW 24/1003). 46 | Kreisbeauftragter für Blutsfragen der Landesbauernschaft Rheinland an die Landesbauernschaft Rheinland, 4.1.1936 (LA NRW, RW 24/1003). 47 | Vgl. Kreisbauernschaft Altenkirchen an die Landesbauernschaft Rheinland, 15.1.1936 (LA NRW, RW 24/1003). 48 | Vgl. Staatliches Gesundheitsamt, Daun, Allgemeines über die Dörfer Steiningen und Demerath im Eifelkreis Daun, 21.1.1938; Staatliches Gesundheitsamt, Daun, Ergänzungsbericht über die Dörfer Steiningen und Demerath, Kreis Daun, 8.2.1938; sowie mehrere Berichte über einzelne Familien in diesen Dörfern (LhaK, 512,22, Nr. 40).
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in den Eifeldörfern Berk und Eicherscheid erprobt hatten.49 »Des weiteren soll die Gruppe Aufgaben lösen, die durch notwendige Volkstumspflege gestellt werden (Politik, Erbhof, Sterilisationsgesetze, Singabende, Dorfabende u. ähnliches)«; als Ergebnis hofften sie, dass künftig die Lebensbedingungen verbessert, Kindergärten, Wasserleitungen und Bäder angelegt sowie die Erträge der Äcker gesteigert würden.50 Der Regierungspräsident war skeptisch, ob diese Laientruppe kompetent genug sei und bei der Bevölkerung nicht falsche Hoffnungen wecken werde. Die Studierenden aber rückten nach Kalterherberg aus, um zunächst durch die Teilnahme an einer goldenen Hochzeit sowie eines Schützenballs die Volksbräuche kennenzulernen; die Bevölkerung zeigte sich jedoch reserviert 51 – anders als seinerzeit in Berk. Einige Erfahrungsberichte sind überliefert, und im so bemüht optimistischen Gestus der nationalsozialistischen Sprache schilderten die Studierenden ihre Eifeleinsätze als Erfolg. Freilich war die Situation eher trübe. Das Eifeldorf Berk wird uns als weltabgeschiedener, inmitten karger Äcker liegender Ort skizziert, dessen Bewohner in elenden Hütten hausen und dem Boden in entbehrungsreicher Arbeit ihr Brot abringen müssen. »Man findet dort primitive Lebensbedingungen vor, die uns Menschen des 20. Jahrhunderts nur noch aus Geschichtsbüchern geläufig sind.«52 Tauschhandel statt Bargeld, unverputzte Innenräume, überbelegte Betten, katastrophale sanitäre Anlagen, Trinkwasser aus verseuchten Brunnen, Inzucht und eine hohe Zahl an Erbkrankheiten; »die rassisch und erbbiologisch wertvollsten Glieder der Bevölkerung [sind] abgewandert.«53 Die Studierenden verzettelten Kirchenbücher, erstellten Ahnentafeln, untersuchten Böden, Wohnungen, die Kinder und berieten die Mütter. Die Qualität der Daten war dürftig. Ein paar Ziffern zur Berufs- und Altersverteilung der Bevölkerung, zu Finanzen, Bodenflächen und Tieren; der Großteil der Manuskripte bestand aus skizzenhaften qualitativen Beschreibungen; die anthropologische Differenzierung kann man nicht einmal mehr dürftig nennen. Einige wenige Dissertationen gingen aus den Einsätzen hervor, publiziert wurde jedoch kaum etwas.54 Sie 49 | Vgl. für den Hintergrund: T. Offermann, Nationalsozialistische anthropologische Untersuchungen. 50 | Studentenschaft der Universität Köln an den Landrat des Landkreises Monschau, 15.5.1936 (LA NRW, BR 1011/382). 51 | Vgl. Der Präsident des Regierungsbezirks Aachen an den Landrat des Landkreises Monschau, 13.6.1936; Landrat an den Regierungspräsidenten, 20.6.1936 (LA NRW, BR 1011/382). 52 | Elendsdorf wird Mustersiedlung. Grenzlandarbeit der Kölner Universität, Ende Mai 1935, Bl. 2 (LA NRW, BR 1011/382). 53 | Ebd., Bl. 3. 54 | Ein hektografiertes Manuskript fasst 13 Teilstudien zu Eicherscheid zusammen (»Das Dorf Eicherscheid im Kreise Monschau. Gemeinschaftsarbeit des Seminars für
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hatten letztlich keine streng wissenschaftliche anthropologische Untersuchung im Sinn gehabt. Vielmehr mischten sich in ihre Beschreibungen immer wieder Vorschläge, wie politisch einzugreifen sei, um die Eifel erbbiologisch zu retten. Die Studierenden beobachteten ihre Probanden nicht nur, sie versuchten, sie im Sinne des Regimes zu schulen und errichteten NSV-Kindergärten. Denn »die Eigenarten der Bewohner und ihrer Sitten gehen durch die Industrialisierung verloren. Damit wird das Deutschtum und Volkstum verloren gehen. […] Am wichtigsten sind die schlechten gesundheitlichen Verhältnisse. Das durch die enorme Inzucht bedingte krankhafte Menschenmaterial ist Infektionen gegenüber wenig resistent.«55 Ob nun die Wissenschaftler Karl Astel und Erna Weber die erbbiologische Qualität Thüringer Handwerker und Beamte durchleuchteten oder Studierende die Eifel unter die Lupe nahmen: Der Glaube, Staat und Gesellschaft auf biologischer Grundlage säubern und sozial reorganisieren zu können, machte die Rassenanthropologie im »Dritten Reich« zu einer Schlüsselwissenschaft. Von Universitätsinstituten über außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bis hinein in das staatliche Gutachterwesen besetzte sie Positionen, die es ihr erlaubte, anthropologische Forschungsprojekte durchzuführen, die rassenkundliche Lehre zu propagieren und deren Ergebnisse an Menschen zu exerzieren. In die Entwürfe von Sterilisierungsgesetzen und das »Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses« waren die Vertreter der Rassenanthropologie eng eingebunden, ebenso in die konkreten Entscheidungsprozesse, durch die der nationalsozialistische Staat entschied, welchem seiner Bürger Heiraten, Berufstätigkeiten oder die Fortpflanzung aus vermeintlich biologischen Gründen zu untersagen war. Mochte der eine hochkarätige Wissenschaftler Zwangssterilisierungen ablehnen oder der andere die Judenverfolgung missbilligen, als Disziplin erlebte diese Anthropologie nach 1933 ihre Erfolgszeit. Von einer Distanzierung zum totalitären System war nicht viel zu spüren.56
Soziologie an der Universität Köln«, ca. 1937), eine Dissertation zur Rassenbiologie Eicherscheids und Berks wurde als Aufsatz veröffentlicht: A. Kühn, Inzucht und Auslese in zwei Eifeldörfern. 55 | W. Chlosta, Kalterherberg, 1.10.1936, Bl. 26 (LA NRW, BR 1011/382). 56 | Vgl. H.-W. Schmuhl, Grenzüberschreitungen; Ders., Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie; P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 367-561; S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 215-231.
16. Datenverarbeitung Karteikarten-Rechner
Der große Schwachpunkt der Rassenanthropologie war stets das Datenmaterial. Davon gab es auf der einen Seite immer zu wenig. Die Anthropologen des 19. Jahrhunderts hatten lange Reisen unternehmen müssen, um Schädelsammlungen von Kollegen besichtigen zu können; sie schickten sich gegenseitig einzelne Exemplare per Post zu und mussten für ihre Projekte mit Material vorliebnehmen, das über den Charakter einer unsystematischen Stichprobe nicht hinauskam. Kaum anders sah es bei ihren Nachfolgern aus. Von Reihenuntersuchungen, wie sie eine solide statistische Arbeit eigentlich erforderte, konnte keine Rede sein. Mit dem Material wurden keine Datenlöcher gestopft, es machte nur umso sichtbarer, was fehlte. Jeder arbeitete mit Bruchstücken an einem Fragment eines künftig einmal sichtbaren Gesamtbildes der Anthropologie – auf der anderen Seite aber musste den bescheidenen Technologien der Datenverarbeitung selbst dieses Material zu überbordend sein. Das war die Crux: zu wenig und zu viel zugleich. Einige Anthropologen gaben sich optimistisch. Bereits 1914 hatte der Statistiker Reinhold Jaeckel ein »Bevölkerungskataster der zivilisierten Menschheit« gefordert. Jedes Neugeborene sollte ein unzerstörbares Metallplättchen erhalten, auf dem biografische und genealogische Angaben sowie Todesursachen eingestanzt würden, und nie dürften diese Datenträger vernichtet werden. Alle Behörden sollten verpflichtet sein, der das Plättchen verwaltenden Stelle jedwede Veränderung mitzuteilen. So entstünde ein auf Vollständigkeit und Ewigkeit hin angelegtes Bevölkerungskataster, analog zur längst bestehenden lückenlosen Inventarisierung des Bodens im Grundkataster und »zum Zwecke der besseren historischen, statistischen und soziologischen Erkenntnis«. Dass die Auswanderung Deutscher dieses Vorhaben störend durchkreuzte, wäre durch ein internationales Melderegister zu entschärfen, eine »internationale Bevölkerungsstatistik, die gegenwärtig im Grunde noch nicht über den status nascendi hinausgekommen ist.«1 1 | Vgl. R. Jaeckel, Ein Bevölkerungskataster der zivilisierten Menschheit (Zitate Sp. 215f. [Hervorh. im Orig.]).
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Walter Scheidt spielte 1932 den Plan eines solchen Bevölkerungskatasters genauer durch. Es zielte auf eine biologische Bevölkerungsstatistik, denn die »Bevölkerung im Sinne einer Volkszählung ist kein Volkskörper«, sondern nur Mathematik.2 Dagegen seien genealogische Zusammenhänge zu erfassen, um beispielsweise den Erbgang von Krankheiten nachzuzeichnen und die Wahrscheinlichkeit der Vererbung für einzelne Familienmitglieder prognostizieren zu können. Man könnte da sogar der Züchtungsexperimente entbehren. »Das Leben stellt mit dem Menschen Massenexperimente von oft gewaltigem Ausmaß an. Die Statistik braucht die Ergebnisse dieser schonungslosen Experimente nur festzuhalten und auszuwerten«.3 Dieses »bevölkerungsbiologische Reichsarchiv« würde Anthropologie und Rassenkunde von der Aufgabe entlasten, aufwendig den genealogischen Unterbau der Bevölkerungsbiologie zu ergründen, denn dieser Mühsal unterzögen sich Hunderttausende an der Genetik interessierter Lehrer und Erzieher, die ihre Kenntnisse in das Register einspeisten. Die wichtigsten biografischen Daten und genealogischen Zusammenhänge einer Person sollten als Grundgerüst der Kartei (aus Papier) dienen. Die Grundkarte werde vom Standesamt mit der Geburt angelegt und an das Zentralarchiv abgegeben. Das Individuum sei über eine Personenkennziffer, die als genealogische Zusammenhangsnummer fungieren würde, eindeutig verortet. Die Karte selbst müsse eine ganze Reihe meldepflichtiger Ereignisse aufnehmen, darunter Berufsqualifikationen, öffentliche und private Wohlfahrtsunterstützung, Konkurse, Wohnortwechsel, Lehrerurteile bei Schulaustritt oder sportliche Leistungsprüfungen, und Platz für ärztliche, psychologische, pädagogische und gerichtliche Gutachten aufweisen. Melden würden: Behörden, Krankenversicherungen, Krankenhäuser, Sportvereine, karitative Vereine, Gerichte oder Schulen. Grundsätzlich müssten die Daten der Schweigepflicht unterliegen, allerdings sollten die Behörden Auskünfte über das familiäre Umfeld ihrer Klienten einholen dürfen, um nicht auf deren Angaben angewiesen zu sein. »Ein Wohlfahrtsdezernent unserer Tage braucht gar nicht zu wissen [d.i. weiss nicht], daß ein halbes Dutzend zweifelhafter Anverwandter eines ebenso zweifelhaften Wohlfahrtsstammgastes anderwärts von anderen Ämtern unterhalten wird; ein Irrenarzt kann sich vergeblich wochenlang Mühe um ein Gutachten geben, das durch die Kunde von anderen Familienmitgliedern sogleich geklärt würde […]. Vor dem Amt sind alle Menschen, als ob sie vom Himmel gefallen, nicht als ob sie von Eltern gezeugt und zwischen Geschwistern geboren wären.«4 Das ganze deutsche Volk wäre in Form von Karteikarten »zur Auskunft an einem Ort anwesend […]. Man könnte in 2 Stunden daran vorbeigehen, wäh2 | W. Scheidt, Ein bevölkerungsbiologisches Reichsarchiv, S. 562. 3 | Ebd., S. 563. 4 | Ebd., S. 565.
Datenverarbeitung
rend das wirkliche Volk, wenn es in Viererkolonnen marschierte, dazu 8 Monate brauchte.«5 Das klang gut, war aber trotzdem ein irrwitziger Plan. Scheidt selbst hatte vier deutsche Landschaften durchgearbeitet und etwa 250.000 Personen auf 464.500 Karteikarten erfasst. Für das gesamte Volk dagegen würden die wichtigsten Daten etwa 600 Millionen Karten von 20 × 25 Zentimeter Größe umfassen. Jeder Karteikasten beinhaltete 3.000 Karten; in Schränken von 1,50 Meter Höhe würden 200.000 Kästen etwa 13.000 laufende Meter einnehmen, die acht zweigeschossige Hallen von je 120 × 20 Meter Ausmaß erforderten. In 50 Jahren würde sich der Kartenbestand verdoppeln (dafür waren die Hallen ausgelegt), danach würde jeder weitere Zuwachs durch die Vernichtung alter Karten ausbalanciert werden. Jährlich fielen 25 Millionen Meldungen an, je Arbeitstag 85.000; 1 100 Angestellte würden die Nachträge und Einordnung der Karten besorgen. Sie würden einen halben Tag lang vier Hallen bewirtschaften – es kämen etwa 270 Angestellte auf eine Halle und zwei auf 20 Quadratmeter Fläche –, in der anderen Tageshälfte die anderen vier Hallen. In den jeweils freien Hallen sollten Hilfskräfte Zählaufträge durchführen. Jede Zählung müsste sich auf alle erfassten Personen erstrecken. 60 Karten je Stunde erforderten eine Million Arbeitsstunden, das bedeutete 4.000 Hilfskräfte, um eine Zählung in 30 Tagen zu erledigen, je Halle (und hier muss ein Denkfehler vorliegen, denn es waren ja jeweils nur vier Hallen für Zählungen zugänglich) waren das 500 Hilfskräfte oder fünf auf 20 Quadratmetern Raum. Ein solcher Durchgang würde einer vollen Volkszählung entsprechen, zwölf im Jahr könnte man durchführen, was eine erhebliche Zeitersparnis gegenüber den bisherigen Erhebungen bedeutet hätte. Stichprobenuntersuchungen mit einem Hundertstel des Materials schätzte Scheidt als noch zuverlässig ein, das reduziere die Arbeitszeit auf 2,5 Stunden (über die Methode der Kartenauswahl äußerte er sich nicht). »Damit würde also ein wirklich fein und schnell reagierendes ›Manometer‹ für die Lebenserscheinungen des Volkskörpers geschaffen werden können«,6 schrieb er über seinen Proto-Computer, in dem Humanoide als Prozessor den Datenspeicher der Zettel verwalteten – wobei Scheidt mit seiner Metapher die relationierende Technologie des Kartei-Computers allerdings auf die eindimensionale Ergebnisanzeige des Druckmessers reduziert hatte. Acht Millionen Reichsmark Betriebskosten sollte dieser Rechner jährlich kosten. Der alte Friedrich von Zahn, Präsident des Bayerischen Statistischen Landesamtes und Herausgeber des »Allgemeinen Statistischen Archivs«, hängte Scheidts Aufsatz eigens eine Note an. Er begrüßte die Idee, lehnte aber ein Zentralarchiv ab, da die Statistischen Landesämter bereits einen Großteil des Materials in Form von Zählkarten enthielten.7 5 | Ebd. 6 | Ebd., S. 567. 7 | Vgl. ebd., S. 568 (»Anmerkung des Herausgebers«).
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Wesentlich weiter ging der Plan einer biologischen Erbkartei der Stadt Nürnberg, in der jede in der Stadt geborene Person registriert werden sollte. Zu melden sollten sein: Erbkrankheiten, Missbildungen, Systemerkrankungen, Nervenkrankheiten und Muskelabnormitäten, erbliche Leiden an Augen, Skelett, Gefäßen, Muskeln, psychische Störungen, ansteckende Krankheiten, Sterilisierungen sowie rassische Zugehörigkeit und – bei »[h]ervorragend Erbtüchtige[n]« – 8 auffallende Begabungen und körperliche Leistungsfähigkeit. Damit sind nur die übergreifenden Komplexe genannt. Insgesamt sollten rund 100 mögliche Krankheiten in die Kartei Eingang finden, darunter Wirbelsäulenverbiegung, Gesichtsasymmetrie, angewachsene Ohrläppchen, Zuckerkrankheit, Perversitäten, Sucht, Kriminalität, Asozialität, Gehirnerweichung, Kinderlähmung und diverse Spielarten des »Schwachsinns«. Dass die Karten derart detailliert kaum auf dem neuesten Stand zu halten waren, war den Initiatoren – Oberbürgermeister und Leiter des Gesundheitsamtes – bewusst. Schon die Erstellung einer einzelnen Karte, so schrieben sie, erfordere ein zeitraubendes Studium der Akten unterschiedlichster Institutionen. Die Formulare, die diese Institutionen für ihre Zwecke nutzten, müssten so umgearbeitet werden, dass sie von vornherein die Daten erhoben, die für die Erbkartei von Bedeutung seien. Bei Frauen sei im Falle einer Heirat die Karte auf den Namen des Ehemannes umzuschreiben, um Doppelungen zu vermeiden. Und schließlich die unterschiedliche Namensschreibung, für die beide ein kompliziertes System der Vereinheitlichung durch die Umstellung auf das phonetische System entwarfen: aa wird zu a, dt, tt zu t, qu zu kw usw. »Das tonlose ›e‹ (z.B. ›Riedel‹ = ›Ridl‹) wird nicht beachtet, mit alleiniger Ausnahme dann, wenn es in der Anfangssilbe steht (z.B. ›Gemeinhard‹ und ›Gmeinhard‹). In diesem Fall werden die beiden Namen getrennt gehalten.«9 Ein drittes Projekt: 1936 machte sich das »Rheinische Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung« voller Optimismus an die geradezu dystopische Aufgabe, mit Hilfe einer zentralen Kartei »eine psychiatrische Bestandsaufnahme nicht nur der lebenden Bevölkerung der Rheinprovinz zu erheben, sondern auch möglichst viel [sic] Geisteskranke früherer Generationen zu ermitteln.«10 Das Institut war in der Bonner Heil- und Pflegeanstalt untergebracht, umfasste 14 Räume, im Keller lagerten 55.000 Krankenakten, weitere 45.000 waren in benachbarten Einrichtungen gelagert. Das Institut hatte bislang 300.000 Personen verkartet, zur Hälfte geistes- und nervenkranke Anstaltsinsassen, zur Hälfte deren Verwandte, und 13.000 Sippschaftstafeln 8 | Robert Plank/von Ebner, Die erbbiologische Kartei des städtischen Gesundheitsamtes Nürnberg, 21.12.1937, Bl. 3 (MPIP-HA, GDA 24). 9 | Ebd., Bl. 7. 10 | K. Pohlisch, Das Rheinische Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung, S. 50 (Hervorh. im Orig.).
Datenverarbeitung
angelegt. Und das sollte nur der Anfang sein. Am Ende einer imaginierten Epoche würden alle Anstaltsinsassen des Rheinlandes samt ihrer Angehörigen auf 100 Jahre zurück erfasst worden sein; 500.000 Krankenblätter nur für die Patienten wären das; bis weit in die Nebenlinien und die Aszendenz hinein würde man vorgedrungen sein. Jährlich müssten 1.340 Patienten neu erfasst werden, mit Angehörigen wären das etwa 27.000 bis 40.000 Personen. Dazu sei ein entscheidendes Umdenken notwendig. Krankenakten dürften sich nicht länger einseitig auf Krankheiten beziehen, sondern müssten den Erbgang einrechnen – wie viel erbbiologisch wertvolles Material sei durch diese Einseitigkeit in der Vergangenheit nicht verloren gegangen! Der Eintrag »o.B.« (ohne Befund) in den Akten müsse verschwinden! Das Projekt ließ sich vielversprechend an. Einem Arzt beispielsweise gelang es, von drei entfernt verwandten Patienten ausgehend einen Sippenverband von 2.200 Personen zu rekonstruieren. Ein anderer, vorbildhafter Stammbaum umfasste »eine schizophrene Eifeler Bauernfamilie von mehr als 2.300 Personen […], die sich über 8 Generationen erstreckt, und in der 42 Schizophrenien, 14 nicht einzuordnende Psychosen, 7 senile Demenzen, je eine Paralyse und ein manisch-depressives Irresein, 101 Psychopathen, 68 Trinker und 11 Kriminelle vorkommen. Es wird an Hand des Stammbaums gezeigt, wie innerhalb der Gesamtfamilie an einzelnen Stellen Geisteskrankheiten und Psychopathien sich häufen, gleichsam nesterartig auftreten, während andere Stellen völlig frei sind.«11 Das zeige das Potenzial der Methode. Hinzu komme ein einmaliger Standortvorteil, nämlich 8.000 Krankenakten der Irrenheilanstalt Siegburg aus den Jahren 1825 bis 1878. Der damalige Direktor hatte Fragebögen ausfüllen lassen zur physischen und psychischen Beschaffenheit der Geschwister, Eltern und Großeltern, ein seltenes erbbiologisches Material, mit dessen Hilfe Tausende von Personen umfassende Sippschaften rekonstruierbar wären. Das eröffne die Aussicht, einen Einblick zu gewinnen in die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung geistiger Eigenschaften und Krankheiten.12 Auch die Rheinländer versuchten sich an ihrem Karteikarten-Rechner. Anzulegen waren eine Sippentafel der Gesundheitsämter, eine Personenkarteikarte, eine Sammelmappe und ein Sippschaftsbogen. Die Sippentafel verfertigte die aufnehmende Anstalt in doppelter Ausführung. »In der Spalte Körperbautyp sind die Typen nach Kretschmer, d.h. die schlankwüchsigen, muskulösen und runden Formen sowie ihre Mischtypen zu verzeichnen. Die Rassenzugehörigkeit ist ebenfalls nur kurz durch ihre vorwiegenden Merkmale zu kennzeichnen, wie nordisch, fälisch, westisch, ostisch, ostbaltisch, dinarisch. Jü11 | O. Löwenstein, Das psychiatrisch-erbbiologische Archiv in Bonn, S. 272. 12 | Vgl. Otto Löwenstein, Vorschläge für die zukünftige Ausgestaltung des bei der Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme in Bonn eingerichteten »Instituts für psychiatrische Erblichkeitsforschung«, o.D., Bl. 4f., 9 (ALVR, 14850).
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dische, mongolische, negerische und andere Rassemerkmale sind besonders hervorzuheben. […] Die Spalte Charaktereigenschaften soll in Stichworten die Eigenheiten des Gemüts, der Grundstimmung, der Willenseigenschaften, des Geltungsstrebens, der Phantasie und des Antriebs zum Ausdruck bringen. Weiterhin sollen hier Eigenschaften wie Sonderling, Wahrheitsliebe, asoziales Verhalten, gegebenenfalls auch Straftaten erscheinen.«13 Als registrierungspflichtige Krankheiten wurden unter anderem genannt: Schwachsinn, Geisteskrankheit, Fallsucht, Kriminalität, Psychopathie, Alkoholismus. Die Anstalten hatten jeden Neuzugang aufzunehmen und an die Landeszentrale zu melden, außerdem das Material durch Korrespondenz mit Angehörigen zu vertiefen; täglich wären etwa 200 Aktenstücke zu bearbeiten.14 Die Anstaltsärzte mussten alle in ihrem Bezirk wohnenden Angehörigen untersuchen und die Ergebnisse in die Sippentafel eintragen. Die Landeszentrale würde schriftlich bei allen Behörden nachfragen, ob weitere Angehörige bekannt seien. Die so erstellten Ergänzungsbögen wurden an die Behörden anderer Provinzen und Staaten in Deutschland zur Vervollständigung gesendet. Das Bonner Institut entwickelte seine eigenen Karteikarten – blaue für männliche Kranke, zwei rosa Karten für die doppelte Registrierung von Frauen unter ihrem Geburts- bzw. Familiennamen, graue und gelbe für männliche bzw. weibliche Familienangehörige –, um nicht mit der komplizierten und kostspieligen Reichskarteikarte des Reichsgesundheitsamtes arbeiten zu müssen. Auf dieser sei kein Kriterium ausgelassen, das von Bedeutung war oder künftig sein könnte, dafür würde sie nie vollständig ausgefüllt und tauge nicht für statistische Auswertungen, so die Kritik aus Bonn. Mit ihrer Karte dagegen sollte eine Hilfskraft täglich vier bis sechs Sippen aufnehmen können.15 Der Oberpräsident der Rheinprovinz wiederum verfügte, dass eine vorläufige Karte rasch an die Landeszentrale übersandt werden sollte, später eine endgültige Karte. Aus den Karten würde auf eine technisch elaborierte Weise die Sippentafel generiert werden: »Die Anlage der ganzen Sippentafel geschieht so, daß die entfalteten Einzelblätter in der erforderlichen Zahl aufeinandergelegt werden, und zwar derart, daß das Blatt der Urgroßeltern- und Großelterngeneration (Deckblatt) zu unterst und die jüngste Generation zu oberst zu liegen kommt. Der Zusammenhalt des Ganzen geschieht durch eine metallene Klemmecke 13 | Anleitung zur Ausfüllung der Sippen- und Übersichtstafel, o.D. (ALVR, 14861 [Hervorh. im Orig.]). 14 | Vgl. Otto Löwenstein, Vorschläge für die zukünftige Ausgestaltung des bei der Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme in Bonn eingerichteten »Instituts für psychiatrische Erblichkeitsforschung«, o.D., Bl. 11 (ALVR, 14850). 15 | Kurt Pohlisch an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, 8.8.1935; Niederschrift über die Besprechung im rheinischen erbbiologischen Institut in Bonn, am 4. April 1938 betr. erbbiologische Karteikarten, o.D., Bl. 1f. (ALVR, 14858).
Datenverarbeitung
in der linken oberen Ecke, so daß die Blätter als ganze umgeblättert werden können. Die Durchnum[m]erierung der Blätter erfolgt von unten nach oben (von den Urgroßeltern zur jüngsten Generation) an der nichtgeklammerten oberen Ecke.«16 So würden die zahlreichen lokalen Anstaltskarteien vernetzt und die neue Zentralkartei »nach und nach zu einem lückenlosen Nachschlagewerk über die im Bereiche des Gesundheitsamts wohnenden erbkranken Sippen« ausgestaltet.17 Andererseits sollten die Ärzte die Familien erfassen, wie sie waren, und nicht nur die Kranken melden. Das wäre eine Auslese, die ein falsches Bild ergäbe.18 In den Protokollen steigerten sich die Teilnehmer mehrerer Besprechungen geradezu emphatisch in das Mantra hinein: »Bonn will eine Übersicht über die Bevölkerung der Rheinprovinz haben, Bonn will auch die Gesunden haben! […] Jeder Name muß da sein, lückenlos und zuverlässig muß also die Aufstellung erfolgen, […] sonst ist die Kartei wertlos.«19 Nur so könne man von der Individual- zur Sippen-, und damit zur Volksmedizin übergehen. Ein solcher »Rechner« hätte einen enormen Briefverkehr bedeutet, und zahllose Hausbesuche. Ärzte fehlten, und die notwendigen Sippenforschungen vor Ort fanden oft auf dem Feld oder zwischen Tür und Angel statt, waren deshalb kaum von Wert.20 In einem Fall waren elf Sippentafeln eingegangen, in dreien tauchte nur der Proband auf, in dreien außerdem die Eltern, aber mit höchst unvollständigen Angaben. Die Einträge der übrigen Tafeln ließen erkennen, dass die Mitarbeiter sich Hausbesuche erspart und nur Befragungen durchgeführt hatten. Das Bonner Institut ergänzte die Daten durch Anfragen bei Standes- und Einwohnermeldeämtern sowie den entsprechenden Kliniken.21 1937 wertete es äußerst zeitraubend die rheinischen Haushaltungslisten des Jahrgangs 1933 aus, das waren mehrere Hunderttausend Datensätze, und kam zu der Überzeugung, dass das künftig nur alle fünf bis zehn Jahre durchführbar sei.22 Ein Problem stellte auch die gehäufte Aufnahme von Patienten 16 | Der Oberpräsident der Rheinprovinz an die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten etc., 12.1.1937, Bl. 3 (ALVR, 14861). 17 | Grundsätze über die Errichtung und Tätigkeit der Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege, o.D. (ALVR, 14861). 18 | Niederschrift über die Besprechung im rheinischen erbbiologischen Institut in Bonn, am 4. April 1938 betr. erbbiologische Karteikarten, o.D., Bl. 3 (ALVR, 14858). 19 | Ebd., Bl. 2, 4 (Hervorh. im Orig.). 20 | Niederschrift über die 2. Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Landesobmänner für die erbbiologische Bestandsaufnahme in den Heil- und Pflegeanstalten am 23. September 1937 in München, o.D., Bl. 7f. (ALVR, 14861). 21 | Vgl. Rheinisches Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung an Medizinalrat Dr. Creutz, 13.5.1937 (ALVR, 14859). 22 | Vgl. Rheinisches Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, 15.7.1937 (ALVR, 14859).
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anderer Regionen dar. Diese »Einzelgänger« und ihre »provinzfremden Sippen« durften nicht erfasst werden, wenn man sicher war, dass sie völlig provinzfremd waren. War wenigstens ein Teil in der Provinz der Anstalt ansässig, hatte die gesamte Sippe notiert zu werden.23 Selbst das Lesen der ausgefüllten Formulare kostete Zeit: »Die Verwandtschaftsbezeichnung in den Sippentafeln wurde bisher nach den ›Grundsätzen für die Errichtung und Tätigkeit der Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege‹ eingetragen. Dadurch ergeben sich wahre Bandwürmer von Bezeichnungen des Verwandtschaftsgrades wie (mk(1)vfK(2)vfK(1)vv(2)). Die Diagnostik eines solchen Gebildes bedingt viel Kraft- und Zeitverschleiß.«24 Besser wäre es, nur das Kindverhältnis zu verzeichnen – Zeitersparnis aber bedeutete ein reduziertes analytisches Potential, weil Filiationen über mehrere Generationen hinweg ausgeblendet würden. Wenig zu tun hatte das mit der methodischen Kontrolle und empirischen Differenzierung, die die Rassenanthropologie beanspruchte. Aber die Zeitgenossen wussten um die Probleme. Die »Deutsche Arbeitsfront«, die nur ein Drittel der lebenden Deutschen zu erfassen gehabt hätte, gab den Plan einer erbbiologischen Zentralkartei wieder auf. Es war praktisch unmöglich, sie auf dem Laufenden zu halten.25 Wenn man die gesunden Volkskreise nicht vorläufig bei den Erhebungen unberücksichtigt lasse, werde sich die Arbeit ins Uferlose verlieren.26 Doch selbst ein solcherart beschränktes Projekt wäre höchst fehleranfällig gewesen. Die physische Anthropologie des 19. Jahrhunderts hatte mit langen Messreihen gearbeitet und ihren Daten durch tabellarische Korrelationen kollektive biologische Muster abzuringen versucht. Um diese Muster tatsächlich zu belegen und die zahlreichen Widersprüche auszuräumen, hatte das Material bei weitem nicht gereicht, aber es war verarbeitungstechnisch immerhin handhabbar gewesen. Die Rassenanthropologie und die Erbbiologie im 20. Jahrhundert träumten dagegen vom allumfassenden Register, einer Kartei, die biologische Muster und Dynamik sicht- und handhabbar machen würde, um sie in Zeitschnitten einfrieren und damit kontrollieren zu können. Groß war der Optimismus, dass sich solche Karteien durch fortwährende Ergänzungen irgendwann quasi von selbst führen würden.27 23 | Niederschrift über die 2. Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Landesobmänner für die erbbiologische Bestandsaufnahme in den Heil- und Pflegeanstalten am 23. September 1937 in München, o.D., Bl. 4f. (ALVR, 14861). 24 | Ebd., Bl. 8. 25 | Vgl. E. Schütt, Die erbbiologische Bestandsaufnahme, S. 244. 26 | Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Landesobmänner der erbbiologischen Bestandsaufnahme in den Heil- und Pflegeanstalten am 29. Januar 1937 in den Geschäftsräumen des Deutschen Gemeindetages in Berlin, o.D., Bl. 8 (ALVR, 14841). 27 | Vgl. z.B. R. Fetscher, Zweck und Aufbau »Erbbiologischer Karteien«, S. 1612.
Datenverarbeitung
Freilich sollte erst die Humangenetik seit den 1980er Jahren in der Lage sein, Computerprogramme zu schreiben, um unüberschaubare, unsichtbar auf Servern lagernde Datenpools zu operationalisieren, zu Populationen zu verrechnen, diese auf signifikante Anomalitäten zu kontrollieren und durch die Herstellung immer neuer Bezüge unter den Daten Überraschungen zu generieren. Die Zetteltechnologie hatte die elektronische Datenverarbeitung vorweggenommen,28 doch als die Massenverrechnung von Daten endlich möglich war, bedeutete das zugleich das Scheitern der biologistischen Utopien von Rassenanthropologie und Erbforschung – denn mit den technologischen Möglichkeiten hatten sich der weltanschauliche Referenzrahmen und die wissenschaftlichen Theoreme fundamental geändert. Zugleich hatten die Anthropologen und Erbbiologen mit Hilfe ihrer unzulänglichen Kartei-Computer hinreichend Material auf bereitet, um ihre eigenen Thesen zu zerstören.
28 | Vgl. zum genetischen Zusammenhang von Karteikarte und Rechner: M. Krajewski, In Formation.
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17. Die Evidenz der wissenschaftlichen Objektivität
Neben der politischen Opportunität und der Popularität des Rassendenkens war die Evidenz wissenschaftlicher Objektivität entscheidend für den Erfolg der Rassenanthropologie. Evidenz bedeutete, dass sich mehrere Strategien gegenseitig stützten und die wissenschaftlichen Ergebnisse der Anthropologen als adäquate Beschreibung der Realität erscheinen ließen, als mit guten Gründen kaum noch hinterfragbar. Im Mittelpunkt stand: empirisch zu arbeiten, wissenschaftlich zu argumentieren, Fehlerquellen auszuweisen, ergebnisoffen zu interpretieren und Erkenntnisse zu visualisieren. Das war eine argumentativ-visuelle Zementierung der Behauptung: So ist es. Vor den Lesern erschien ein scheinbar unanfechtbares Bild der »Natur«. Denn so ergebnisoffen sich die Anthropologen gaben, so eindeutig war das Ergebnis, an das sie sich immer wieder heraninterpretierten. Da war das Material wenig belastbar, waren die Ergebnisse extrem vieldeutig, hielt die Empirie Überraschungen bereit, doch es schälten sich immer wieder dieselben anthropologischen Muster heraus. Daten wurden angehäuft, Methoden kombiniert und unterschiedliche Formen der Präsentation gereiht, um durch eine beeindruckende Aggregation wissenschaftlicher Techniken eine Clusterung, spezifische Muster innerhalb der Daten plausibel zu machen, obwohl tatsächlich zumeist nur wenig Schnittmengen zu erkennen waren. Das aber, wie schon gesagt, war keine Manipulation, kein Betrug, sondern die teils extreme Dehnung des wissenschaftlichen Prinzips, die immer existierende empirische Vieldeutigkeit interpretieren zu müssen, um zu hinreichend scharfen wissenschaftlichen Aussagen zu kommen, die dann diskutiert werden können.1 Und die Einhaltung dieses Prinzips war kein Schein, sondern wurde ernsthaft praktiziert, von Anthropologen, Eugenikern, Erbbiologen und auch Rassenkundlern. Zuerst galt es, auf »Wertfreiheit« und parteipolitischer Neutralität zu beharren, Abstand zu halten. »Pouvez-vous me donner l’assurance la plus stricte 1 | Für die Naturwissenschaften haben das beispielsweise wissenschaftssoziologische Laborstudien herausgearbeitet, vgl. nur K. Knorr-Cetina, Die Fabrikation von Erkenntnis.
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de ce que votre Revue sera impartiale dans le vrai sens du mot et qu’elle ne subira point une influence dominante du parti socialiste parmi les savants? Pardonnez-moi ma précaution, qui est nécéssaire en regard de ma position scientifique dans ma patrie, car je me compromettrais par une adhésion à une entreprise socialiste«, antwortete Otto Ammon 1897 auf eine Anfrage der italienischen Zeitschrift »Rivista Italiana di Sociologia«.2 Ähnlich verdächtig waren Katholiken, denen man grundsätzlich unterstellte, Tagungen mit konfessionell-weltanschaulich gebundenen Standpunkten zu kontaminieren.3 Deshalb auch lehnte Eugen Fischer den Verlag Julius Lehmanns ab, den er wissenschaftlich für nicht neutral hielt: »Auf dem Gebiet der Rassenforschung gibt es eben auch etwas, was man als nordische Schwärmerei bezeichnen muss und was der ruhigen Forschung schadet.« Als Herausgeber müsse er »alles vermeiden, was diese Erhebung [die erwähnte Flächenuntersuchung Deutschlands] als im Dienste einer Tendenz stehend erscheinen lassen könnte«, denn in Verlagsanzeigen zusammen mit Hans F. K. Günther und Ludwig Ferdinand Clauß genannt zu werden, würde die Rezeption in der Öffentlichkeit, auf die man angewiesen sei, automatisch in die falsche Richtung lenken.4 Als zweites war auf »Objektivität« zu achten. Wenn der Statistiker Georg Mayr 1895 die moralische Festigkeit anmahnte, Lücken und offensichtliche Fehler nicht kurzerhand selbst zu beseitigen,5 so verglich sich der Anthropologe Otto Ammon fast zur selben Zeit mit einem Naturwissenschaftler, der gar nicht manipulieren könne, weil er es mit vorgegebenen, »natürlichen« Entitäten zu tun habe: »Ich betrachte das Völkergemisch, das sich in unseren Wehrpflichtigen dem Anthropologen darbietet, wie eine chemische Verbindung, die der Analyse unterzogen werden soll. Die Bestandtheile sind zu ermitteln, und da diese Aufgabe bedeutende Schwierigkeiten hat, müssen dem Untersucher alle wissenschaftlichen Methoden erlaubt sein. Wie der Chemiker nicht bloss mit Reagentien arbeitet, sondern auch die Spektralanalyse heranzieht, wie er die physikalischen Eigenschaften beobachtet und nöthigenfalls Berechnungen über Lichtbrechung und andere Dinge anstellt, so muss auch der Anthropologe in seinem Fall mit allen Hilfsmitteln ans Werk gehen.«6 »Objektivität« bewies eine moralische Haltung, einen quasi naturwissenschaftlichen Sachzwang, kurz: das Gegenteil interessengebundener Gesinnung. »Von Vermutungen, Meinungen, Ansichten müssen wir zu Beweisen
2 | Otto Ammon an Augusto Bosco, 26.3.1897 (UAFr, C 75/58). 3 | Ernst Rüdin an C. B. S. Hodson, 4.3.1936; Rüdin an Petrus Johannes Waardenburg 4.3., 13.3.1936 (MPIP-HA, GDA 36). 4 | Eugen Fischer an Otto Reche, 5.1.1929 (AIEUL, RE XXVI). 5 | G. von Mayr, Theoretische Statistik, S. 63. 6 | Otto Ammon an Dr. Hoffmann, 6.11.1897 (UAFr, C 75/13).
Die Evidenz der wissenschaf tlichen Objektivität
fortschreiten«,7 postulierte Ernst Rüdin diesen Anspruch 1930, »Medizinische Eugenik ist ideologiefrei, weil ihre Ziele keinen normativen Charakter haben und sie keine Wertsetzungen vornimmt. Deshalb sind ihre Absichten auch nicht auf ›minderwertige‹ Erbanlagen gerichtet, sondern auf ›unerwünschte‹, die empirisch definiert sind«, hieß es noch 1984.8 Auf Objektivität zu pochen und diese durch den regelmäßigen Ausschluss unsicherer Kantonisten zu stabilisieren, war derart attraktiv, dass selbst die in der Einleitung erwähnten »Armen Irren« auf eine Einhaltung der wissenschaftlichen Regeln bestanden: »Vielleicht dürfte es Sie interessieren, dass ich wissenschaftlich einwandfrei beweisen kann: […] Dass ich mit meiner Entdeckung das Gesetz der biologischen Gezeiten gefunden habe, welches mit mathematischer Minutengenauigkeit uns Menschen alles Werden[,] Sein und Vergehen vor Augen führt. […] Von deutschen Wissenschaftlern wird jegliche Prüfung meiner Angaben auf höchst unwissenschaftliche Art ohne Angabe der Gründe abgelehnt.«9 Als drittes wurde eine dezidiert empirische Orientierung herausgestrichen. Otto Ammon beispielsweise inszenierte 1895, »eingedenk der menschlichen Fehlbarkeit«, bescheiden eine Nähe zu den empirischen Tatsachen und eine ständige Prüfung seines »Gerüsts« – im Gegensatz zu den Philosophen, die kühne logische Gebäude auftürmten, dann aber »Denkschnitzer« aus dem Erdgeschoß Stockwerk für Stockwerk nach oben in immer tatsachenfernere Räume trügen, bis schließlich ihre Deduktionen vollkommen wertlos seien.10 Gegen mögliche ideologische Prämissen, alltägliche Vorurteile und weltfremde Theorie setzten Anthropologen die mühsame Erhebung Tausender von Daten. Nur in den angehäuften Materialbergen, nicht in der Lektüre philosophischer oder politischer Texte, war die »Wirklichkeit« zu finden, und diese hatte letztlich die Thesen (und Wünsche) der Wissenschaftler in Schach zu halten. Prämisse war, die Welt zu beschreiben, wie sie ist, nicht wie sie sein sollte. Die Methodenlehre war ein viertes wichtiges Element, Evidenz zu erzeugen. Sie diente nicht nur dazu, den Nachwuchs auszubilden, sondern sie indizierte den Lesern innerhalb und außerhalb der Anthropologie, dass man es extrem genau nahm. Es wurde nicht einfach gemessen, sondern Messmethoden 7 | Ernst Rüdin an die Deutsche Notgemeinschaft [d.i. Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft], 18.3.1930, Bl. 5 (MPIP-HA, GDA 89). 8 | Deutsche Zentrale für Volksgesundheitspflege, Arbeitsausschuß Bevölkerungs- und Familienfragen, Niederschrift über die Sitzung vom 20. August 1984 in den Räumen der Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege e.V., Münchener Straße 48, in Frankfurt a.M., 20.8.1984, Bl. 5 (BAK, N 1336/342 [Hervorh. im Orig.]). 9 | Richard P. an den Präsidenten des Kongresses der Internationalen Föderation Eugenischer Organisationen, 17.7.1936 (MPIP-HA, GDA 36). Das Schreiben blieb ohne Antwort. 10 | O. Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, S. 103.
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wurden verglichen, geprüft, diskutiert und korrigiert. Von Lehrbüchern bis hin zu Briefen ziehen sich die Anweisungen, wie vorzugehen sei, wo Fehlerquellen lägen und welche Ungenauigkeiten man sich maximal erlauben dürfte. Daten sollten so genau wie nur möglich erhoben werden, und sie sollten nicht über eine Kritik eventuell fehlerhafter Methoden angreif bar sein. Deshalb wurde in den Lehrbüchern und in fallweisen Anweisungen umfassend das Handwerk gelehrt, wie man mit Kamera und Labor umgeht und brauchbare anthropologische Aufnahmen herstellt, Kirchenbücher verzettelt, Sippschaftstafeln erstellt, die Messinstrumente anwendet oder welche Erhebungsvordrucke sinnvoll sind.11 Es spielte dabei keine Rolle, welchen Rezipientenkreis diese Texte erreichten oder ob alle Leser diese Darlegungen nachvollzogen. Der Augenschein, dass die Rassenanthropologie ihre Methoden auf das Genaueste darlegte und der Kritik aussetzte, wies sie als objektive Wissenschaft aus. Das immunisierte nicht allein ihr Selbstverständnis als Wissenschaft, sondern in der Folge auch die empirischen Befunde dieser Disziplin. Bei »objektiven« Methoden konnte sie nicht »subjektive« Ergebnisse produzieren. Dieser Systematisierung von Erhebung und deren Kontrolle entsprach fünftens eine bewusste Formalisierung und Mathematisierung der Anthropologie. Anthropologen hatten zwar schon im 19. Jahrhundert erkannt, wie ungenau die Rohdaten waren, aber zunächst angenommen, dass sich die Fehler durch die schiere Masse der Daten nicht auf die Ergebnisse auswirkten. Statistisch geschulte Kollegen im 20. Jahrhundert versuchten dagegen, mit komplexen Formeln Index- und Genauigkeitsfehler sowie Variationsgrenzen genauer zu bestimmen, um Normen für zulässige Beobachtungsfehler aufstellen zu können.12 Das Rohmaterial musste durch mathematische »Maschinen« gejagt werden, um Fehler herauszurechnen und die heterogenen Datensätze der einzelnen Untersuchungen vergleichbar zu machen. Notwendig im Subjekt begründete Beobachtungs- und Messungsmängel sollten durch Formalisierung objektiviert, im empirischen Material unvermeidbar angelegte Abweichungen und Inkompabilitäten durch Mathematisierung eliminiert werden. Aber die Formalisierung stell11 | Vgl. z.B. Otto Reche an Schuster, 2.6.1932 (AIEUL, RE XXVIII); Beobachtungstechnische Anleitung für die Mitarbeiter in rassenkundlichen Erhebungen, o.D. [ca. 1930]; Anleitung zum Verzetteln der Kirchenbücher, o.D. [ca. 1930]; Die Durchführung der rassenkundlichen Erhebungen in deutschen Landgemeinden, o.D. [ca. 1930] (MPIPHA, GDA 89); K. Astel, Die Sippschaftstafel und eine Anleitung zu ihrer Anfertigung; L. Stengel-von Rutkowski, Historische Genealogie oder züchterische Familienkunde?; W. Scheidt, Volkstumskundliche Forschungen in deutschen Landgemeinden, bes. S. 147ff.; die Beiträge in G. Just (Hg.), Handbuch der Erbbiologie des Menschen. 12 | Vgl. z.B. S. Poniatowski, Über den Einfluss der Beobachtungsfehler auf die anthro pologischen Indices; W. Scheidt, Die Zahl in der lebensgesetzlichen Forschung; E. Weber, Einführung in die Variations- und Erblichkeitsstatistik.
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te auch ein Signal an die Leser dar: Das Handwerk wird beherrscht; die mathematisierte Anthropologie ist so viel fortschrittlicher als die des 19. Jahrhunderts mit ihren simplen Tabellen und unterkomplexen Korrelationen; im objektivierten Herausrechnen der Fehler werden zugleich die Grenzen der empirischen Arbeit transparent gemacht. Formalisierung sollte eine »Härtung« der Daten und zugleich die Redlichkeit der Anthropologen beglaubigen. Diese Redlichkeit wurde, sechstens, untermauert, indem auf geradezu exzessive Weise Fehler offengelegt wurden. Kein Text, der sich nicht in langen Formulierungen über die Unzulänglichkeit von Daten und Methoden erging, im Extremfall sogar seitenlang in der Einleitung.13 Die Vergleichsgruppen waren zu klein, die Datensätze unvollständig, die Schwankungsbreite der Daten groß, Probanden wollten sich nicht (nackt) vermessen lassen, Material und Zeit reichten nicht, um Veränderungen der Körperproportionen zu studieren, solide Statistiken fehlten, die Bedeutung der Erbwege bzw. der Umwelt war ungewiss, die grundlegenden Erbregeln waren noch weitgehend unbekannt. Selbst den Begriffen fehlte Klarheit: »Angeboren«, »gesund«, »entartet«, »kraftvoll« oder »schwach«, das seien landläufige, doch höchst relative Wertbegriffe, die dem subjektiven Ermessen weitgehend anheimgestellt seien, schrieb Ernst Hanhart 1940. Es gebe ja stets alternative Wertordnungen, deshalb sollten erbbiologisch begründete, neutrale Begriffe gewählt werden wie »Mutation«, »Variante«, »Habitus« oder »Korrelation«. Auch das Grenzgebiet zwischen »Norm« und »Entartung« sei schwer zu beurteilen; nicht jede starke Abweichung vom Durchschnitt sei »krank«, »normal« bedeute nicht notwendig »gesund«.14 Trotzdem, so Karl Saller, sei die »Ungenauigkeit […] ja immer nur eine relative, d.h. wahrscheinlich im Verhältnis zu den gewonnenen Werten geringe, und man wird auch auf Grund eines solchen Vergleiches wenigstens angenähert richtige Ergebnisse erzielen, wenn man sich nur der Verschiedenartigkeiten der verglichenen Gruppen bewußt bleibt.«15 Aus dieser Redlichkeit resultierte schließlich die gegenseitige Kritik. Otto Ammon warf seinem ungeliebten Kollegen Johannes Ranke grundlegende Mess- und Statistikfehler vor; Walter Scheidt merkte gegen einen Kollegen an, dass Untersuchungsräume nicht nach Verwaltungsgrenzen, sondern als »Auslesegebiete« und »Lebensräume« aus dem Material heraus gewonnen werden müssten; Hans Linde und Ludwig Schmidt-Kehl stritten über Mängel der Scheidt’schen Erbformeln; Ilse Schwidetzky bescheinigte ihren Lemberger Kollegen, dass deren »Typenfrequenzgesetz« eine bloße Rechenregel ohne 13 | So z.B. S. Rosenfeld, Einige Ergebnisse aus den Schweizer Rekrutenuntersuchungen. 14 | E. Hanhart, Allgemeines über Konstitution, S. 477f. Ähnlich H. W. Kranz/S. Koller, »Die Gemeinschaftsunfähigen«, Bd. 2, S. 11-16. 15 | K. Saller, Die Fehmaraner, S. 25.
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biologischen Aussagewert sei; Fritz Lenz wiederum warf Hans F. K. Günther einen überspannten Rassenbegriff, Werturteile und grobe Fehleinschätzungen vor und rechnete zugleich mit der Rassen-Anthropologie von Eickstedts und Schwidetzkys ab, die sich durch falsche Grundannahmen und massive handwerkliche Fehler auszeichne.16 Diese gegenseitige Kritik bestätigte, wie ernst man es mit den Geboten wissenschaftlicher Auseinandersetzung nahm. Es wurde stets argumentiert, seriöse Literatur wurde ins Feld geführt, Fehler wurden vorgerechnet. Dabei verließen die Kontrahenten allerdings nie das rassenbiologische Paradigma. Fritz Lenz verwarf den Rassenbegriff von Eickstedts, nicht aber das Rassendenken an sich. Anders sah es bei Skeptikern gegenüber der Rassenbiologie aus, etwa Vertretern der amerikanischen Anthropology oder Eugenikern aus dem romanischen Raum. Die wurden eher in Form einer irritierenden Parallelgesellschaft wahrgenommen, an der man sich notfalls abarbeitete, um sie zu widerlegen, oder die man gleich ignorierte. In solchen Fällen hielt die Wissenschaft etablierte Strategien bereit, um Gegner zu neutralisieren. Auf Tagungen beispielsweise strichen die Vertreter der Rassenanthropologie gegen die Differenzen vermeintliche Gemeinsamkeiten mit ihren Opponenten heraus, sie führten unvereinbare Positionen auf Irrtümer der Anderen oder regionale Besonderheiten zurück, sie übernahmen die Tagungsregie, um Beiträge wahlweise zu marginalisieren oder herauszuheben; letzte Bastion war es, Gegnern ideologische Vereinnahmung vorzuwerfen, so dass eine ernsthafte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen nicht lohne.17 Respektable Kollegen waren diejenigen, die in Details kritisierten, aber die Hauptthesen unangefochten ließen. Wer einen Text durch eigene Forschungen überholte, also fortführte, gehörte zur Laborgemeinschaft, wer ihn grundsätzlich bezweifelte, verfiel dem Verdikt, die Augen vor Tatsachen zu verschließen, die in transparenten, wissenschaftlichen Verfahren ans Licht geholt worden seien, und er wurde aus dem Kollektiv verbannt. 16 | Vgl. u.a. Otto Ammon an den Vorsitzenden der Anthropologischen Commission des Karlsruher Althertums-Vereins, 14.1.1891 (UAFr, C 75/84); Ammon an das Großherzogliche Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts – Die Körpermessungen des Privatmannes Otto Ammon betreffend, 23.10.1889, o.Bl. [Bl. 16f.] (UAFr, C 75/88); W. Scheidt, Rassenforschung, S. 53; F. Lenz, Rezension von Hans F. K. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes; Ders., Über Wege und Irrwege rassenkundlicher Untersuchungen; Ders., Noch einmal die Irrwege bei rassenkundlichen Untersuchungen; H. Linde, Zur Volkskörperforschung; L. Schmidt-Kehl, Bemerkungen zu der Kritik von H. Linde an dem Scheidtschen Verfahren; I. Schwidetzky, Das [sic] Geltungsbereich des sog. »Typenfrequenzgesetzes«. 17 | Vgl. als Fallstudie U. Ferdinand, Bevölkerungswissenschaft und Rassismus; außerdem S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 174-196; C. Keller, Der Schädelvermesser, S. 198f.; H.-W. Schmuhl, Feindbewegungen.
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Diese Techniken kann man in Reinform in einigen Tagungsberichten zum internationalen Bevölkerungskongress in Paris 1937 ablesen. Auffällig an diesen Berichten ist, dass der Rassentheorie gegenüber kritische Vorträge kaum Erwähnung fanden.18 Aus Platzgründen, lautete ein Argument, könne man nicht auf alle Beiträge eingehen. Wenn sie doch zur Sprache kamen, dann wurden sie bloß referiert und mit dem Hinweis versehen, dass die strittigen Fragen noch zu klären seien; sachliche Konflikte wurden als »Missverständnisse« deklariert oder aber als Provokationen, Absurdität oder »Ladenhüter« abgetan, als haltlose, ja lächerliche Positionen, die von einer »ausgezeichnete[n] geschlossene[n] Front objektiver deutscher Wissenschaft« abgewehrt worden seien.19 Im übrigen würden ausländische Kollegen die – als »moderat« bezeichnete – deutsche Position bestätigen, nur wenige abweichende Meinungen seien hörbar geworden. Tagungsberichte, die in nationalsozialistischen Organen erschienen, gingen schärfer vor. Sie diffamierten Kritiker als »Juden«, deren Diskussionsbeiträge unsachlich und hasserfüllt gewesen und in undisziplinierter und unwürdiger Form vorgetragen worden seien. Eine sachliche Auseinandersetzung war mit Sympathisanten der deutschen Position möglich, die Unbelehrbaren wurden in regelrechten Abwehrschlachten vernichtet. Dieses Verhalten ist nicht grundsätzlich unwissenschaftlich gewesen. Thomas S. Kuhn hat in seinem wissenschaftssoziologischen Klassiker »Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen« gezeigt, dass neue Paradigmen zunächst von etablierten Positionen ignoriert und abgewehrt werden. Es macht für Vertreter eines bislang erfolgreichen Paradigmas keinen Sinn, für auftauchende Konkurrenz sofort das Feld zu räumen. Erst wenn ein neues Paradigma überzeugender Probleme lösen kann als das alte, verliert dieses an Boden.20 Übertragen auf Anthropologie und Rassenkunde bedeutet das, dass es zwar prominente und anerkannte Kritiker wie die Anthropologen Franz Boas und Ignaz Zollschan, die Genetiker Gunnar Dahlberg und Otto Mohr, den Biologen Julian S. Huxley, die Soziologen Max Weber, Ferdinand Tönnies und Georg Simmel oder die Gruppe »Races et Racisme« gegeben hat.21 Solange 18 | Vgl. zum Folgenden H. Geyer, Der internationale Kongreß für Bevölkerungswissenschaft 1937 in Paris; E. Pfeil, Der internationale Kongreß für Bevölkerungswissenschaft in Paris 28.7. bis 1.8.1937; K. Thums, Rückblick auf den Internationalen Kongreß für Bevölkerungswissenschaft 1937 in Paris. Vgl. ähnlich H. Harmsen, Der Internationale Kongreß für Bevölkerungswissenschaft und der Internationale Strafrechtskongreß; H. Schade, Der Internationale Kongreß für Bevölkerungswissenschaft in Berlin. 19 | R. Korherr, Der internationale Kongreß für Bevölkerungswissenschaft in Paris 1937, S. 330. 20 | Vgl. T. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. 21 | Vgl. S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 198-205; A. Geisthövel, Intelligenz und Rasse; D. Kaufmann, »Rasse und Kultur«; H.-W. Schmuhl, Kulturrelativismus
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die aber die Rassenlehre nicht widerlegen konnten, ließen sie sich in die Parallelwelt verbannen. Sie vertraten eine konkurrierende Meinung, nicht aber ein erfolgreicheres, neues Paradigma. Es war eine offene Frage, wer künftig Recht haben würde. Hinzu kam, dass selbst Gegner wie der Soziologe Leopold von Wiese den »fleißigen, mit großer Hingabe und technischem Geschicke bisher durchgeführten [anthropologischen] Studien« nicht im Wege stehen wollte22 – obwohl er als Gutachter die Rassenanthropologie 1932 als stark wertgeladen und vorsoziologisch bezeichnet hatte und 1950 kritisierte, dass sich das Fach auf die unsinnige Annahme versteift habe, körperliche Konstitution und soziale Verhaltensweisen stünden miteinander in Beziehung.23 Abgelehnt wurde die Förderung anthropologischer Projekte vielmehr von Anthropologen selbst, und zwar aus methodischen Gründen (oder wegen persönlicher Feindschaften); mehrfach auch wurden sinnlose Materialsammlungen kritisiert, die nur Folgeanträge generierten, um dieses Material nach Jahrzehnten endlich auswerten zu können.24 Mit anderen Worten: Die Rassenanthropologie und ihre Nachbarfächer wurden immer als Wissenschaft anerkannt; ihren Kritikern selbst war rassenkundliches Denken durchaus nicht fremd; die Bevölkerungsexperten bewiesen ihre Wissenschaftlichkeit durch Selbstkritik; ein Paradigmenwechsel zeichnete sich nicht ab. Diese Mischung aus Anerkennung und Nichtwiderlegung war ein entscheidender Grund für die Persistenz der Rassenanthropologie. Tatsächlich hat die Rassenanthropologie ihre Texte im permanenten Modus der Vermutung verfasst. Man stolpert in fast jedem Satz über ein »wahrscheinlich«, »vermutlich«, »mit Sicherheit«, »wenn, … dann …«, stößt auf ein reichhaltiges Vokabular der Mutmaßungen. Das war nicht nur der Ausweis wissenschaftlicher Vorsicht, das war – indirekt offengelegte – echte Unsicherheit. So viele Fehler sie machten, so wenig wussten die Anthropologen. Das wurde zugegeben und zugleich relativiert. Zum einen nämlich waren Anthropologen zwar bereit, von Thesen Abstand zu nehmen, die durch das empiriund Antirassismus. Vgl. exemplarisch auch die Diskussion zwischen Alfred Ploetz und prominenten Soziologen auf dem Soziologentag von 1911: A. Ploetz, Die Begriffe Rasse und Gesellschaft und einige damit zusammenhängende Probleme (im Anhang die Diskussion). 22 | Leopold von Wiese, Gutachten zu einer begabungssoziologischen Untersuchung Karl Valentin Müllers, 25.7.1950 (DFG-Geschäftsstelle, Mu 5/1). 23 | Leopold von Wiese an Bruno Kuske, 4.3.1932 (BAB, R 73/170); Ders., Gutachten zu einer begabungssoziologischen Untersuchung Karl Valentin Müllers, 25.7.1950 (DFG-Geschäftsstelle, Mu 5/1). 24 | Das zeigen die (allerdings unvollständigen) Unterlagen der DFG-Geschäftsstelle. Zur Förderung der Vererbungswissenschaften durch die DFG von 1920 bis 1970 vgl. A. Cottebrune, Der planbare Mensch.
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sche Material widerlegt worden waren. Durch das Narrativ wurde das explizit vor Augen geführt, wenn beispielsweise die Daten »geradezu einen ›Schock‹« auslösten, weil sie so wenig mit den Erwartungen übereinstimmten.25 Aber letztlich dienten Fehleranalysen und kritische Diskussion eher dazu, die Objektivität des Textes zu beglaubigen, bei deutlich geringeren Auswirkungen auf dessen Inhalt. Für diesen Verdacht spricht, dass bedeutungslose Fehler akribisch vermerkt wurden,26 während tatsächliche Inkonsistenzen herausgerechnet und hinweginterpretiert wurden. Oder der flexible Umgang mit fehlenden Daten: Wurde das hier beklagt, so konnte dort gerade wenig Material von Vorteil sein, weil sich durch geringere Korrelationen genauere Ergebnisse erzielen ließen.27 Selbst im Schriftbild zeichnete sich diese Retusche ab, wenn (Zweifel in Klammern), aber a b s c h l i e ß e n d e F o l g e r u n g e n i n S p e r r s c h r i f t gesetzt und damit typografisch prominent gemacht wurden.28 Zum anderen finden wir eine Art standardisiertes Verfahren, im Material Form zu finden. Zuerst wurden zahllose diffuse Übergangsformen zwischen anthropologischen Merkmalen festgestellt. Deshalb wurden diese Merkmale zusammengefasst und in einige wenige Gruppen gegliedert, also stabile Grenzen in das weite Feld der Variationen eingezogen. Dann wurden von derjenigen Gruppe aus, die aus empirischen Gründen als zentral erschien, Übergänge zu den Nachbargruppen postuliert, also Grenzen aufgeweicht. Deren Randbereiche waren eigentlich der zentralen Gruppe zuzurechnen, die auf diese Weise vergrößert und in ihrem Gewicht bestätigt wurde. So entstanden innerhalb der endlosen Variationen sinnfällige Einheiten, die durch das komplexe wissenschaftliche Verfahren objektiviert schienen und zugleich die Idee einer zentralen »nordischen Rasse« bestätigten – denn um nichts anderes ging es ja. Und trotzdem waren die fortgesetzten Reflexionen keine bloße Camouflage. Indem sie habituell geradezu manisch die Grenze gegenüber Ideologie und Pseudowissenschaft zogen, signalisierten Anthropologen ihren Lesern – und sich selbst! –, dass sie nicht willkürlich vorgehen, nicht das Material manipulieren durften, bis es zu ihren Thesen passte. ***
25 | So z.B. I. Schwidetzky/H. Walter, Untersuchungen zur anthropologischen Gliederung Westfalens, S. 211. 26 | Vgl. z.B. O. Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, S. 83, Anm. 1. 27 | Vgl. z.B. E. Fischer, Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen, S. 186; K. Saller, Die Fehmaraner. 28 | So z.B. bei E. Fischer, Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen, S. 202.
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Der Mediziner Ludwik Fleck hat 1935 den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess als »Gestaltsehen« charakterisiert.29 Wissenschaftler lernen erst allmählich, sozialisiert in wissenschaftlichen »Kollektiven«, die »charakteristische Gestalt« von Bakterien etc. zu sehen. Zugleich verlernen sie beim Blick durch das Mikroskop, das ursprüngliche Chaos zu sehen, in dem sie zunächst keinerlei Lagerung, Grenzen usw. hatten erkennen können. Damit hat Fleck die Bedeutung des Visuellen als konstitutiv für das Erkennen beschrieben. Wenn man gemeinsam lernt, eine Gestalt zu erkennen, und diese sich dann im folgenden Forschungsprozess bewährt, so ist sie »real«, selbst wenn andere Beobachter sie nur als »Imagination« bezeichnen wollen. Und das hilft zu erklären, warum es aus Sicht der Anthropologen keinen Widerspruch zwischen der schütteren Materialbasis und den doch eindeutigen Ergebnissen gab, die sie präsentierten. Sie hatten zwar nur wenige Daten, doch die reichten, um sie die entscheidenden Muster, die »Gestalt« einer »nordischen Rasse« erkennen zu lassen, die sich objektiv in der Tiefe der Biologie verbarg. Willy Hellpach beschrieb diesen Prozess des gerichteten Gestaltsehens einmal anschaulich so: Ein Lehrer führte ihn in dessen, wie er ankündigte, »blonde Klasse«. »Ich war gefaßt darauf, unter sagen wir 30 Schülern etwa 25 blonde zu erblicken.« Aber das traf nur auf ein Drittel zu, der Rest war braun, rot, schwarz und dunkelblond. Dem Lehrer war das gar nicht aufgefallen. »Dennoch hatte der Lehrer dem Eindruck nach Recht: wer in die Klasse trat, auf den wirkte sie ›typisch blond‹, im Unterschied etwa vom nächstjüngeren Jahrgang, in welchem überhaupt nur 2 oder 3 augenfällig blonde Schüler saßen […]. Was geschah in jener ›blonden Klasse‹? Das Blonddrittel schloß sich zu einer sinnfälligen Einheit zusammen, neben welcher der ganze Zweidrittelrest uneinheitlich wirkte, auseinanderfiel, sich auf alle möglichen Farbtönungen verzettelte. […] Es scheint, daß für die meisten mittleren Mengenwerte dieser Fall immer um den Teilwert von einem Drittel der Gesamtmenge eintritt«.30 Dieser Topos des Sehens taucht auch auf, wenn der eine erwartete, in verzettelten Kirchenbüchern »glasklar den ganzen Auf bau des Volkskörpers« und in großartiger Schau die Lebensgesetze und das Ineinander des ganzen Volkes vor sich zu haben, während ein anderer den lebendigen, »schöpferischen« und »bildnerischen« Blick pries, der das »körperlich-seelische Wesensbild des Einzelnen und die in einer Bevölkerung vorkommenden Wesensunterschiede« erschaue.31 Weil sie eine Gestalt vor Augen hatten, sahen sich Anthropologen in der Lage, die heterogenen Daten mit ihren Methodenclustern zu sinnfälligen Einheiten zu verrechnen. Den Lesern führten sie die Gestalt dann in charakteris29 | Ausführlich: L. Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. 30 | W. Hellpach, Deutsche Physiognomik, S. 184f. (Hervorh. im Orig.). 31 | J. Demleitner/A. Roth, Der Weg zur Volksgenealogie, S. 42; B. Pfaul, Biometrie in der Rassenkunde, S. 33 (Hervorh. im Orig.).
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tischen Text- und Bildcollagen sinnfällig vor Augen. Sie machten sie Sehen. Diese mochten im Bild der Anthropologen eine ungenaue Strichführung kritisieren, schlecht ausgeführte Details, aber nicht die Existenz der Gestalt selbst in Frage stellen. Sehen beglaubigte anthropologische Arbeit.32 Dabei waren sich die Wissenschaftler nur zu bewusst, wie prekär der Status des Sehens war: Nichtformatierte Zeichner, undisziplinierte Probanden und ungeübte Beobachter mussten erst regelrecht konditioniert werden, um taugliche Abbildungen hervorzubringen, auf denen eine »Gestalt« in ihrer Reinheit wirklich hervortrat – und zu erkennen war.33 Aber auch das wurde als rein technisches Problem begriffen, und so nutzte die Rassenanthropologie vor allem zwei Bildmedien in beweiskräftiger Absicht: Fotografien und Grafiken. Fotografien wurde lange Zeit ein dokumentarischer Abbildcharakter zugesprochen, diese Evidenz machten sich Anthropologen zunutze, wenn sie »typische« Vertreter der einzelnen Rassen präsentierten. Autoren wie von Eickstedt oder Fischer gingen zwar davon aus, dass anthropologische Differenzen auf den Fotografien rassische Unterschiede tatsächlich abbildeten, dass diese also über Bilder im Detail erschlossen werden könnten, und dass Bilder als Instrument dienen könnten, Individuen rassisch präzise einzuordnen. Tatsächlich erfüllte das Bildmaterial diese Erwartungen weder quantitativ noch technisch (deshalb galten Kupferstiche im 19. Jahrhundert als präziser: bildtechnische Verunreinigungen entfielen, die charakteristische Gestalt trat klar hervor). Wenn beispielsweise auf wenigen Diapositiven oder Bildtafeln die Charakteristika der europäischen Rassen und deren Differenzen sichtbar gemacht werden sollten (Abb. 33),34 so bedienten sich die Tafeln vornehmlich der Alltagserfahrung der Rezipienten wie der Wissenschaftler selbst, dass Differenzen zwischen Individuen vor allem an deren Gesichtern identifiziert wurden. Die begleitenden Texte luden diese Beobachtungen erbbiologisch auf, so dass die Bilder diese Differenzen nun grundsätzlich anders sehen und bewerten ließen. Man sah nicht mehr einfach individuelle Physiognomien, sondern Unterschiede, die als spezifische Unterschiede in Bildgalerien festgeschrieben waren. 32 | Vgl. zur Effizienz und Beweiskraft von Bildern knapp und instruktiv I. Heumann/A. C. Hüntelmann, Einleitung; sowie H. Bredekamp/B. Schneider/V. Dünkel (Hg.), Das Technische Bild; konkret zu Anthropologie und Demografie: C. Hanke, Zwischen Auflösung und Fixierung, S. 167-258; T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 83-109. 33 | Vgl. z.B. G. Fritsch, Die Eingeborenen Süd-Afrika’s, S. 3-5; F. Galton, Composite Portraits, S. 94f. Vgl. dazu auch G. Wagenitz, Die Pflanze und ihr Abbild, bes. S. 113-120. Zum Zusammenhang verschiedener Objektivitätstypen, Darstellungsformen und dem Sehen vgl. L. Daston/P. Galison, Objektivität; A. Zimmermann, Ästhetik der Objektivität. 34 | Vgl. E. Frhr. von Eickstedt, Ausgewählte Lichtbilder zur Rassenkunde der deutschen Volkes; H. F. K. Günther, Deutsche Rassenbilder; B. K. Schultz (Hg.), LichtbilderVorträge aus dem Gebiet der Vererbungslehre, Rassenkunde und Rassenpflege.
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Abb. 33: 16 von 48 Lichtbildern, durch die Egon Freiherr von Eickstedt dem Publikum die Grundzüge der Rassenkunde beibringen wollte. Es handelt sich bei dieser Reproduktion um Indexbilder einer Begleitbroschüre, die auf den eigentlichen Diavortrag verweisen (1933).
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Alltagserfahrung, Fotografien und deren wissenschaftliche Deutung schufen gemeinsam eine »soziotechnische Evidenz«, denn »[g]erade die maschinelle (Re-)Produktion von Bildern leitete einen Grossteil ihrer argumentativen Überzeugungskraft aus der Suggestion objektiver Unmittelbarkeit ab, die sich als eine vom ›Bildautor‹ als Experimentator oder Operator unabhängige ›Evidenz‹ repräsentieren lässt.«35 Wie beim zunehmend geübten Blick durch das Mikroskop sollten die Leser – Wissenschaftler wie Laien – eine charakteristische rassische Gestalt zu erkennen beginnen, ein simulierter Realitätsbezug, der eine visuelle Objektivierung weltanschaulicher Annahmen darstellte. Auch Tabellen und Torten- oder Bilddiagramme, Kurven und Karten erzeugen über die reine Abbildung hinaus Evidenz, das haben etwa Sybilla Nikolow, Jürgen Link und andere herausgearbeitet.36 Gegen diese suggestive Kraft haben sich, wie erwähnt, Statistiker lange Zeit gewehrt. Seit dem frühen 20. Jahrhundert freilich gelten Grafiken oft ebenfalls als Abbild der Realität, nämlich als objektiv zusammenfassende Darstellung wissenschaftlich gewonnener Datenaggregationen. Genau in diesem Sinne beschrieb Otto Ammon Grafiken, als würde er objektive Befunde von einem Röntgenbild ablesen.37 Sie waren mehr als ein Hilfsmittel, sie konstituierten Realität auf eine doppelte Weise, indem sie in einer komplexen Form die differenzierende Sorgfalt der Erhebungsarbeit symbolisierten und in ihrer Objektivität beglaubigten (Abb. 34) oder in einer bewusst schlichten Form Prognosen und Befürchtungen als »Wahrheiten« in Netzhaut und Bewusstsein einbrannten – etwa die immer aufs neue reproduzierte katastrophisch abfallende demografische Kurve.38 Anthropologen begriffen Grafiken (wie die Fotografien) als Bildschirme, diese projizierten, was ein reales Leben im Verborgenen führte. Aus unserer Perspektive dagegen wird in Grafiken etwas als etwas sichtbar gemacht, ihm wird eine spezifische Form verliehen. Den anthropologischen Abbildungen eignete demnach eine erhebliche metaphorische Qualität,39 weil die spezifischen »Gestalten« der Bevölkerungsbiologie in Form einer (vermeintlichen) empirischen Realität und 35 | D. Gugerli, Soziotechnische Evidenzen, S. 152. 36 | Vgl. S. Nikolow, Imaginäre Gemeinschaften; Dies., Die graphisch-statistische Darstellung der Bevölkerung; die Beiträge in U. Gerhard/J. Link/E. Schulte-Holtey (Hg.), Infografiken, Medien, Normalisierung; sowie A. Jansen/W. Scharfe, Handbuch der Infografik. Zur Tabelle und deren Funktion als Instrument und Gestaltungsmittel des Erkenntnisprozesses vgl. B. Segelken, Staatsordnung im Bild der Tabelle am Beispiel von Friedrich Anton von Heinitz; P. von Hilgers/S. Khaled, Formationen in Zeilen und Spalten. 37 | Vgl. O. Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, S. 290-292. 38 | Dazu mit Abbildungen: T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 85-93. 39 | Vgl. dazu auch S. Lüdemann, Metaphern der Gesellschaft, S. 30-46; E. Rudolph, Symbol, Metapher, Mythos, bes. S. 17, 22; M. Hänseler, Die Metapher in den Wissenschaften.
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zugleich in Form ihrer (metaphorisch erzeugten) Beglaubigung durch wissenschaftliche Verfahren erstanden. Ohne diese doppelte Form des »richtigen« Sehens hätte die Rassenanthropologie ihre Theoreme nicht entfalten können. Abb. 34: Eine komplexe Grafik, die Ähnlichkeitskoeffizienten für metrische und morphologische Merkmale aufzeigt und damit Muster sichtbar macht (z.B. weist Münster-Land erhebliche Ähnlichkeiten zu Warendorf und Tecklenburg auf, keine zu Borken und Ahaus). Anders als die Bevölkerungspyramide und die demografische Kurve muss diese Abbildung – vor allem im oberen Teil – genauestens studiert werden, um der empirischen Befunde habhaft zu werden (1967).
Schließlich ermöglichte es die Evidenz der Objektivität, einen eklatanten Widerspruch zu eliminieren, nämlich zwischen dem, was man wusste, und dem, was man annahm. Das empirische Material reichte bei weitem nicht, rassenkundliche Annahmen zu erhärten, doch konnte die Lösung dieses Problems mit einer spezifischen Temporalisierungsformel in die Zukunft verschoben werden: Früher habe man noch weniger gewusst, heute sind frühere Fehler
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korrigiert, zukünftig werde man die erforderliche Datendichte erreichen. Das wurde zusätzlich mit einem ethischen Appell zum Handeln gekoppelt: Gerade weil man so wenig wisse, müsse man handeln, um erbbiologisch irreversible Fehlentscheidungen zu vermeiden. »So lückenhaft in vielen einzelnen Punkten unser Wissen auch noch ist«, schrieb Ernst Rüdin im Jahre 1934, »so genügt das Wenige doch vorläufig jetzt schon vollauf, das Leben unseres Volkes und Staates erbbiologisch und rassenhygienisch weitgehend zu reformieren. Die Reform muss unter ärztlichem Rat mit politischer Tatkraft nach den zwei Hauptrichtungen der fortpflanzungsverhindernden und fortpflanzungsfördernden Rassenhygiene hin erfolgen.«40 Man weiß wenig, doch vorläufig reicht das vollauf, um zu handeln. Folgerichtig wäre es ja gewesen, zu warten, bis die Grundlagen geklärt waren, zumal es bei Sterilisationen beispielsweise (oder rassischen Klassifikationen) um drastische Eingriffe in das Leben zahlreicher Menschen ging. Doch wenn die Daten erbbiologische Gesetze schon nicht fundieren und belegen konnten, so sollten sie sie wenigstens in Form von Stichproben als künftige Trends halbwegs sicher bestätigen und damit immunisieren. Dass das als »wissenschaftlich« galt, lag daran, dass die Bevölkerungsexperten meinten, die »Gestalt« in Umrissen bereits hinreichend erkannt zu haben. Für sie war es in letzter Instanz die Natur, die die zwingendste Evidenz entfaltete. Wenn Erbbiologen beispielsweise bestimmte Ehen verhindern wollten, so meinten sie nur das zu vollziehen, was die Natur vermeintlich längst praktiziert hatte: »Die Hypomanischen heiraten sich nie. Die Natur hat offenbar doch schon selbst starke Strömungen eingebaut, die dem ›Mendeln‹ entgegenwirken. Diese Beobachtung ist vor allem für die Eheberatung wichtig: ein Psychopath soll meiden einen Partner aus der gleichen Konstitutionsgruppe, wenn dieser belastet ist; er soll bevorzugen einen Partner aus einer gesunden Temperamentsgruppe der Mittellage. [Ernst] Kretschmer spricht von Instinktmechanismen in der natürlichen Auswahl bei der Heirat.«41 Die redlichen Diener der Wissenschaft mussten sich nur überzeugend bemühen, die widersprüchlichen Daten und die objektive Gestalt halbwegs in Einklang zu bringen. Dann würden das Abbild der Natur und die Objektivität der Wissenschaft gemeinsam eine Evidenz schaffen, die weder für Wissenschaftler, Laien noch Politiker hintergehbar sein würde, die aus sich selbst heraus die Anweisung zur Tat ergab. 40 | Ernst Rüdin: Über Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat (Vortrag auf der 93. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Hannover vom 16. bis 20. September 1934, o.D., Bl. 9 (MPIP-HA, GDA 31 [Hervorh. im Orig.]). 41 | So das Protokoll über Ernst Kretschmers Vortrag »Konstitutionslehre und Rassenhygiene«: Bericht über den erbbiologisch-rassenhygienischen Schulungskurs für Psychiater. Veranstaltet vom Deutschen Verband für psychische Hygiene und Rassenhygiene. München vom 8.-16. Januar 1934. Deutsche Forschungsanstalt f[ür] Psychiatrie (Kaiser-Wilhelm-Inst[itut]), o.D., Bl. 27 (MPIP-HA, GDA 19).
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Die Rassenanthropologie kapitulierte nicht am 9. Mai 1945.1 Das Fach bescheinigte sich selbst, im »Dritten Reich« die Standards des wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten zu haben. Dazu diente ihm ein eigentümliches Verständnis von Wissenschaft, das auch in zahlreichen anderen Disziplinen verankert war, nämlich die Trennung einer Profession, die strikt nur ihren Standards gehorcht, von einer Sphäre des Politischen, die nach ideologischen Gesichtspunkten oder Opportunität entscheidet. »Ich diente nur der Sache« – mit diesem Satz zogen sich Wissenschaftler, Künstler oder Ingenieure nach 1945 regelmäßig aus der Affäre. Der Zwilling dieses Satzes lautete: »Der Nationalsozialismus hat unsere Arbeit missbraucht«. Experten, so das Selbstbild, können zwar der Politik dienen mit dem, was sie machen, sind aber für deren Verwendung nicht verantwortlich und lassen sich von der Politik nicht in ihre professionelle Arbeit hineinreden.2 Gegen Letzteres habe man sich nach 1933 allerdings nicht erwehren können, 1945 sei man zum Sollzustand zurückgekehrt. Diese vermeintliche Differenz von Profession und Politik funktionierte in praktisch allen Kreisen. Und so wurde deutschen Bevölkerungsexperten nach dem Kriege selbst von ausländischen Kollegen zumeist eine »saubere« wissenschaftliche Arbeit bescheinigt. Durch diese bis heute einflussreiche Unterscheidung gelang es der Rassenanthropologie, sich nach 1945 zu entnazifizieren. Kaum einer ihrer Fachvertreter wurde ernsthaft für seine Zuarbeit im »Dritten Reich« zur Rechenschaft gezogen. Es gab, wie in anderen Disziplinen, Sündenböcke, denen es etwas schwerer fiel, wieder Fuß zu fassen, etwa 1 | Vgl. P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 562-585; für die Eugenik: S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 239-245. 2 | Besonders illustrativ ist der Fall Leni Riefenstahls, die ihren Parteitagsfilm »Triumph des Willens« (1935) als reine Kunst begriff und sich bitterlich über die Interventionen mehrerer NS-Größen in ihre Arbeit beklagte: L. Riefenstahl, Memoiren, S. 220-234. Vgl. auch D. Böndel u.a., Ich diente nur der Technik; V. Roelcke, Programm und Praxis der psychiatrischen Genetik an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie unter Ernst Rüdin, bes. S. 25-28.
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Otmar Freiherr von Verschuer, oder die ganz herausgedrängt wurden, so wie Hans F. K. Günther. Aber bis zu Beginn der 1950er Jahre waren sie fast alle wieder in Ämtern und Würden, von Verschuer, Egon Freiherr von Eickstedt, Eugen Fischer, Fritz Lenz oder Walter Scheidt; Ilse Schwidetzky stieg von der Assistentin zur Professorin auf. Zwar mussten zahlreiche anthropologische und rassenkundliche Institute noch vor Kriegsende schließen, doch konnten einige von ihnen in die neugegründete Bundesrepublik hinübergerettet werden, beispielsweise in Erlangen, Hamburg, Mainz, München oder Tübingen. Sie nannten sich jetzt oft Institute für Anthropologie bzw. für Anthropologie und Humangenetik. Hinzu kamen neue Professuren für Humangenetik sowie Lehrveranstaltungen zu Bevölkerungsfragen, die im Curriculum anderer Fächer unterrichtet wurden; ein Teil des alten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik wurde ebenfalls erhalten. Das alles war, verglichen mit der Bedeutung der Rassenkunde im »Dritten Reich« und gemessen an dem, was Anthropologen und Erbbiologen für sich einforderten, wenig. Doch boten diese Institutionen immerhin hinreichend Stellen, um das alte Personal der Bevölkerungswissenschaften aufzufangen – zumal einige von ihnen auf humangenetische Professuren ausweichen konnten. Die Kontinuität von Karrieren und die Umbenennung von Instituten mag als besonders dreiste Form der Entnazifizierung erscheinen.3 Sie wäre aber ohne die Ideologie der »reinen Wissenschaft« nicht möglich gewesen. Zwei Beispiele. In Frankfurt wurde im Juli 1945 das erbbiologische Institut neu bezeichnet: »Da gegen die frühere Benennung des Institutes (›Universitätsinstitut für Erbbiologie und Rassenhygiene‹) offensichtlich Vorurteile bestanden, insbesondere der Begriff ›Rassenhygiene‹ (Ploetz 1895) in der deutschen Bevölkerung dauernd zu Mißverständnissen Anlaß gab, wurde im Juli 1945 […] die obige neue Benennung gewählt [›Universitätsinstitut für Vererbungswissenschaft (Genetik)‹]. Um vielfach bestehenden falschen Auffassungen vorzubeugen, sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß man das Wort ›Rassenhygiene‹ als deutsche Übersetzung des Wortes ›Eugenik‹ anwendet, welche Bezeichnung von dem Begründer der modernen Rassenhygiene, dem Engländer Francis Galton (1883) stammt und als ›Eugenics‹ in den englisch sprechenden Ländern heute allgemein gebraucht wird.«4 »Missverständnisse« und »Vorurteile« in der »Bevölkerung«, Verweise auf Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, auf die Zukunftswissenschaft der Genetik, auf englische Traditionen sowie – oben nicht zitiert – die amerikanische Fachzeitschrift »Eugenical News. Current Record of Race Hygiene«, diese Interpreta3 | Vgl. dazu auch – recht oberflächlich und normativ – A. Lüddecke, Rassen, Schädel und Gelehrte. 4 | Universitäts-Institut für Vererbungswissenschaft (Genetik) an das Stadtgesundheitsamt der Stadt Frankfurt, 6.8.1945, Bl. 1 (UAF, Abt. 50, Nr. 2127).
Übergänge in die neue Zeit
tion der eigenen Fachgeschichte externalisierte und entschärfte die inkriminierenden Aspekte des Frankfurter Instituts. Und dann wurden explizit die alten Inhalte fortgeführt. »Zweck und Aufgaben des Institutes« sollten Fragen der Genetik sein, die Beschäftigung »mit der Vererbung normaler körperlicher und geistiger Anlagen, mit der Erbpathologie, außerdem mit der auf das menschliche Leben angewandten Genetik, d.h. mit Eugenik oder Rassenhygiene.«5 Es stand »die erbbiologische Bestandsaufnahme ganzer Bevölkerungen (Volkskörperforschung)« auf der Agenda; die bisherige Arbeit im Rahmen der nationalsozialistischen »Erbgesundheitspflege« – »Eheberatungen, Ausstellungen von Ehetauglichkeitszeugnissen, Sterilisationsgutachten usw.« – wurde als Leistungsmerkmal angeführt. Das Institut kam nicht einmal auf die Idee zu verschleiern, dass sein Leiter, Otmar Freiherr von Verschuer, kurz zuvor noch Bücher mit dem Titel »Erbpathologie« oder »Leitfaden der Rassenhygiene« publiziert sowie die Zeitschrift »Der Erbarzt« herausgegeben hatte.6 Das zweite Beispiel, eine eidesstattliche Erklärung aus dem Jahre 1946, die von Verschuer entlasten sollte, macht vielleicht noch deutlicher, wie blind der Glaube an die reine Wissenschaftlichkeit (und deren Differenz zur Politik) alle Beteiligten machen konnte: »Mein Vater, Geheimrat Erich A[…], wurde vom Sippenamt Berlin zur Begutachtung zu Herrn Professor Dr. von Verschuer geschickt. Meinem 85jährigen Vater war dieser Weg furchtbar. Die Demütigung aber, die in dieser ganzen Angelegenheit lag, wurde gemildert durch das menschlich wohlwollende, wahrhaft gütige Wesen des Herrn von Verschuer. Er hat sich in selbstlosester, wunderbarer Art für meinen Vater eingesetzt und hat sein Möglichstes getan, um dessen schweres Schicksal zu erleichtern. Wäre es nach Herrn von Verschuers Bemühungen gegangen, wäre mein Vater niemals in Theresienstadt ums Leben gekommen. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, an die Gemeinheiten des Sippenamtes, an die sadistische Art eines Dr. Prowe, eines Direktor Mayer, so muß ich immer wieder betonen, daß der Professor von Verschuer im strengsten Gegensatz zu diesen Leuten stand und nicht nur rein wissenschaftlich arbeitete, sondern – ich kann nur von unserem Fall sprechen – gütig und vornehm.« 7 Der erwähnte gütige Ton von Verschuers überrascht kaum, ein Geheimrat und ein Professor dürften sich als Ihresgleichen betrachtet und einander entsprechend behandelt haben. Aber als Beamter und Wissenschaftler, der seine Arbeit gewissenhaft durchführte, hatte von Verschuer offenbar nicht einmal versucht, sein Gutachten zugunsten des Opfers zu manipulieren. Niemand, das legen die überlieferten Akten nahe, hätte das bemerkt. Doch wenn die Anthropologen mit dem Kriterium der Wissenschaftlichkeit begründeten, warum sie Texte aus der Zeit vor 1945 nicht 5 | Ebd. 6 | Ebd., Bl. 2f. 7 | Erna L., Eidesstattliche Erklärung, 10.8.1946 (SIGEM, Dekanatsarchiv, Nr. 31).
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verschwiegen, so hätten sie mit ebendiesem Kriterium auch begründen können, warum sie die vom »Dritten Reich« geforderte Gutachterei nicht sabotiert hatten (hätten sie sich jemals diese Frage gestellt). Es ging ihnen immer um »die Sache«, oder, wie es von Verschuer formulierte: »Meine zurückhaltenden, vorsichtigen, nur auf den Stand der Wissenschaft sich gründenden Gutachten haben zu einer Objektivierung der praktischen Entscheidungen geführt.« 8 So setzt sich die Geschichte durch die Akten hindurch fort. Eine präzise Wissenschaft wird stets gegen deren Pervertierung gesetzt, selbst durch den katholischen Erbbiologen Hermann Muckermann, der im Nationalsozialismus von seinen Kollegen kaltgestellt worden war: »Leider hat die Beschränkung der Anthropologie auf die Physis in unserem Zeitalter ein Verhängnis ohnegleichen heraufgeführt. Der Rassenwahn mit seinen verheerenden Folgen für die Humanität hat hier seinen Ausgangspunkt oder genauer seine Tarnung. Man machte die Physis zum Kriterium aller Werte.«9 Nun aber wende sich die »neue Anthropologie« dem »Menschen in der Fülle seines Wesens« zu und könne ihre Aufgabe positiv so formulieren: »Es handelt sich vor allem um die Erziehung der Menschen in den Jahren ihrer Entwicklung, damit sie mit dem notwendigen anthropologischen Wissen ausgerüstet zugleich jene Willensbereitschaft und Festigkeit gewinnen, so zu handeln, wie es die biologische und ethische Ordnung verlangt« – nämlich sich in die Gemeinschaft einzupassen.10 Dabei wurde die Idee des »reine[n] und von Idealismus getragene[n] Gedanken[s, der] in dem politischen Getriebe durch unreine Hände und in dem brutalen Kampf um die Macht mißbraucht werden kann«,11 sehr weit gezogen. In einer unveröffentlichten autobiografischen Selbstrechtfertigung von Verschuers aus dem Jahre 1945 fällt darunter sogar die »Judenfrage«. Obwohl er, selbst innerhalb der rassenhygienischen Bewegung, mit so manchem jüdischen Kollegen freundschaftlich kooperierte, habe ihn das »nicht davon abgehalten, die Gefahren zu sehen, die das deutsche Volk insgesamt durch das Judentum bedrohten. Die krassesten Eindrücke davon empfing ich aus meinen Berliner Jahren von 1927-1933, wo man auf Schritt und Tritt in der Wirtschaft und in allen kulturellen Einrichtungen dem Judentum begegnete und seine enge Verknüpfung mit der damals um sich greifenden Korruption zu spüren bekam.« Deshalb publizierte er Ende der 1930er Jahre seine »Forschungen zur Juden8 | Otmar Frhr. von Verschuer: Otmar Freiherr von Verschuer 1896-1945. Erbe – Umwelt – Führung, 1945, Bl. 43 (AMPG, III. Abt., Rep. 86A, Nr. 3/1, Mappe 4). 9 | Hermann Muckermann: Denkschrift »Die alte und die neue Anthropologie«, vor April 1949, Bl. 10 (AMPG, II. Abt., Rep. 1A). 10 | Ebd., Bl. 12, 17. 11 | Otmar Frhr. von Verschuer: Otmar Freiherr von Verschuer 1896-1945. Erbe – Umwelt – Führung, 1945, Bl. 25 (AMPG, III. Abt., Rep. 86A, Nr. 3/1, Mappe 4).
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frage«, in denen er aus dem jüdischen Schrifttum zusammenstellte, »durch welche normalen und krankhaften Eigenschaften körperlicher und geistiger Art die Juden charakterisiert sind und sich von ihren Wirtsvölkern in Europa unterscheiden. Ich kam zu dem Ergebnis, daß das Judentum rassische[,] d.h. erbliche Eigenschaften besitzt, durch welche es sich in seiner Gesamtheit von allen Völkern, im besonderen allen Völkern Europas, unterscheidet.«12 Zur selben Zeit will er aber schon von Abscheu gegenüber der nationalsozialistischen Judenpolitik ergriffen gewesen sein, die ihn von allen Rassenforschungen habe Abstand nehmen lassen. Diese Zitate machen das überaus merkwürdige Verständnis von »Wissenschaftlichkeit« plastisch. Sicherlich funktionierte von Verschuers narrative Selbstkontrolle 1945 noch nicht so gut wie wenige Jahre darauf, als sich spezifische Sprachregelungen ausgebildet hatten und jedem klar war, dass ein selbst naiver Glaube an die »Judenfrage« kaum mehr formulierbar war. Aber von Verschuers autobiografischer Text war ja nur ein markanter Ausdruck für die Existenz und Persistenz einer ideologischen Trennung von Wissenschaft und Politik. Umgekehrt funktionierte es freilich auch. Gerade weil es so wenig fundiertes Wissen gegeben habe, seien die Rassentheorien Hitlers von der breiten Bevölkerung so willig aufgenommen worden, behaupteten Egon Freiherr von Eickstedt und Hans Nachtsheim in den Jahren 1948 und 1962.13 Und die Anthropologen wiederum, so von Eickstedt, seien nicht nur von den Nationalsozialisten, sondern anschließend auch von den alliierten Siegern drangsaliert worden.14 Die Übergänge in das »Dritte Reich« hinein und wieder heraus funktionierten, weil sich Wissenschaftler 1933 erhofften, dass die Politik ihren Zielen dienen werde, und sie 1945 behaupten konnten, von ebendieser Politik enttäuscht (»missbraucht«) worden zu sein. Das Verhältnis schien asymmetrisch, ein Angebot auf der einen Seite, Nachfrage auf der anderen. Tatsächlich jedoch hatte sich eine Symbiose zwischen Wissenschaft und Politik entwickelt, durch die sich beide Seiten gegenseitig mit Ressourcen versorgten, die im Nachhinein aber von den Wissenschaftlern erfolgreich als Übermächtigung gedeutet werden konnte – ohne dass sie diese Symbiose aufgeben mussten, denn schon rasch durften sie feststellen, dass auch das neue, demokratische System der Bundesrepublik weder die Erbbiologie noch die Rassenanthropologie inhaltlich oder institutionell in Frage stellte. Sie wurden gebraucht! Niedersächsische Heimatpolitiker etwa hatten schon 1946 eine »Überfremdung« des nie12 | Ebd., Bl. 23f. 13 | E. Frhr. von Eickstedt, Vom Wesen der Anthropologie, S. 11f.; Hans Nachtsheim: Stellungnahme zu dem »Entwurf eines Memorandums zur Stellung der Anthropologie in Deutschland«, 28.2.1962, Bl. 3 (BAK, B 227/FC 7503 N, Heft 2). 14 | Vgl. E. Frhr. von Eickstedt, Vom Wesen der Anthropologie, S. 12.
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dersächsischen »Stammes« durch ostdeutsche Flüchtlinge befürchtet. Die Wissenschaftler sollten helfen, die Flüchtlingsströme geografisch zu isolieren, um die rassisch-völkische Homogenität der Niedersachsen zu erhalten.15 Weil derart die vermeintliche Differenz von wissenschaftlichem »Angebot« und politischer »Nachfrage« über den fundamentalen Systembruch hinweg funktionierte, mussten die Bevölkerungswissenschaften nie Rechenschaft über den politischen Gehalt ihrer Arbeit ablegen. Gerade diese Kontinuität, also der erfolgreiche Transfer erbbiologischer Annahmen in verschiedene, aufeinander folgende politische Systeme schien ja zu beweisen, dass Problemaufrisse und Lösungsvorschläge der Bevölkerungswissenschaften »objektiv« zeitlos und prinzipiell richtig waren. Selbst diejenigen deutschen Experten, die ihre Fähigkeiten dezidiert dem nationalsozialistischen System zur Verfügung gestellt hatten, reklamierten für sich, dass sie politische Vorgaben und die ideologische Kontaminierung ihrer rein fachlichen Tätigkeit stets abgewehrt hätten. Hatten sie sich politisch doch zu weit aus dem Fenster gelehnt, konnte das als »politischer Irrtum«, von dem man sich 1945 distanzierte, abgeschrieben werden. Verständnisvoll formulierten die vier Autoren eines Gutachtens über Otmar Freiherr von Verschuer im Jahre 1949, dass »wir es nicht ganz unbegreiflich finden [können], dass auch ein lauterer Mensch gelegentlich Gedanken und Worte nachgesprochen hat, die täglich um ihn her dröhnten.« Vergleiche man von Verschuers Haltung »mit der von manchen anderen [allerdings nicht namhaft gemachten] Vertretern der Erb- und Rassenforschung, so hebt sich nach unserer Meinung sein Bild in hellen Farben ab, selbst wenn wir anerkennen, dass es durch einige Flecken getrübt ist. Die positiven Seiten in der Lebensführung wie in der beruflichen Tätigkeit […] scheinen uns wesentlich schwerer zu wiegen als die seltenen Anwandlungen der Nachgiebigkeit, der Verkennung oder des Opportunismus. Es würde uns pharisäerhaft erscheinen, wollten wir aus der heutigen Situation heraus einzelne Vorkommnisse einem Manne als unverzeihliche moralische Belastung anrechnen, der sonst ehrlich und tapfer seinen schwierigen Weg gegangen ist und oft genug seine humane und edle Gesinnung bewährt hat.«16 Das Zitat zeigt, pars pro toto, wie Unschuld narrativ konstruiert wurde. Einerseits eine angeblich humane, »edle« Gesinnung von Verschuers, andererseits schemenhaft angedeutete, dunkel gesinnte Kollegen, die die negative Seite der Wissenschaft verkörpern sollten. Dazwischen gerät in Vergessenheit, was von 15 | Ähnlich sah es in anderen deutschen »Stammesgebieten« aus, vgl. D. von Reeken, Konservative Kontinuität und beginnende Modernisierung, S. 61f.; M. Krauss, Das »Wir« und das »Ihr«; U. Gerhardt, Bilanz der soziologischen Literatur zur Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge nach 1945. 16 | Adolf Butenandt u.a.: Denkschrift betreffend Herrn Prof. Dr. med. Otmar Frhr. von Verschuer, September 1949, Bl. 12f. (SIGEM, Dekanatsarchiv, Nr. 31).
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Verschuer im »Dritten Reich« tatsächlich gemacht hat, nämlich Gutachten für die nationalsozialistische Rassenpolitik zu verfassen, rassenkundliche Zwillingsforschung zu betreiben oder aber »Menschenmaterial« zu nutzen, das ihm sein Schüler Josef Mengele aus Auschwitz gesendet hat.17 Der »geistige Auf bruch«, den Egon Freiherr von Eickstedt 1948 auf dem ersten Nachkriegstreffen der Rassenanthropologie verkündete,18 sollte explizit Kontinuität markieren. Die konnte so weit gehen, dass noch 1963 in der Neuauflage von von Eickstedts »Forschungen am Menschen« eine Huldigung an Hitler abgedruckt wurde.19 Das war ein Einzelfall. In der Regel aber wurde bei Nachkriegspublikationen durchaus auf deren Ursprung im »Dritten Reich« verwiesen.20 Zugleich allerdings gab es hinter dieser Fassade der mangelnden Reflexionsfähigkeit noch eine zweite, verdeckte Geschichte. Der Philosoph Hermann Lübbe hat die mittlerweile akzeptierte, funktionale, aber moralisch bedrückende These gewagt, dass die geräuschlose Integration schwer belasteter ehemaliger Nazis erheblich zur Stabilität der zweiten deutschen Demokratie beigetragen hat, während der Historiker Herbert Obenaus am Beispiel der Universität Göttingen zu rekonstruieren versuchte, wie trotzdem hinter dem Vorhang des Schweigens persönliche Verfehlungen in aller Stille und Diskretion verhandelt wurden.21 Letzteres finden wir auch in der Anthropologie, denn natürlich war niemandem entgangen, dass deren Vertreter nach 1933 weltanschaulich nicht ganz sauber geblieben waren. Während das Fach nach außen Unschuld demonstrierte, führten die Kollegen – in der nichtöffentlichen Korrespondenz – genau Buch, denn da persönliche Feindschaften in der Rassenanthropologie nicht rar gesät waren, war das Wissen um die zweifelhafte Vergangenheit von Kollegen eine gute Währung für die zahllosen Abrechnungen untereinander. Hermann Muckermann beispielsweise, der das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in die Max-Planck-Gesellschaft überführen sollte, erinnerte 17 | Vgl. P. Sandner, Das Frankfurter »Universitätsinstitut für Erbbiologie und Rassenhygiene«; D. Schulze, Bemerkungen zum Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene in Frankfurt; P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 420-423; 572-581. 18 | E. Frhr. von Eickstedt, Vom Wesen der Anthropologie, S. 1. 19 | Vgl. E. Frhr. von Eickstedt, Die Forschung am Menschen, Bd. 1, S. 133. Dieser Band aus dem Jahre 1940 wurde erneut 1963 im Rahmen des nun fertiggestellten Gesamtwerkes – sprachlich offenbar unretuschiert – im Stuttgarter Ferdinand Enke-Verlag publiziert. 20 | Vgl. z.B. im Jahre 1952 H. Mitgau, Berufsvererbung und Berufswechsel im Handwerk, S. 7f.; im Jahre 1975 I. Schwidetzky, Anthropologische Untersuchungen in Rheinland-Pfalz: Einleitung, S. 1. 21 | Vgl. H. Lübbe, Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Gegenwart; H. Obenaus, Geschichtsstudium und Universität nach der Katastrophe von 1945.
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in einem Memorandum daran, dass von dem Institut nach 1933 »Unheil« ausgegangen sei, das »in allzu deutlicher Erinnerung geblieben ist« und sich nicht wiederholen dürfe. Deshalb müssten die Mitarbeiter »in ihrem Menschentum eine unantastbare Haltung bewahren«; Hans Nachtsheim komme als Mitarbeiter nicht mehr in Frage, von Verschuer sei zu belastet.22 Nachtsheim wiederum stilisierte sich zum Mahner, der hinter den Kulissen deutlich auf die rassenpolitische Vergangenheit der Anthropologie hinwies,23 mehrere Kollegen hielt er für ungeeignet, das Fach zu repräsentieren. Die Geschäftsstelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft nutzte ihn offenbar als Informanten, als sie Ende der 1950er Jahre begann, eine Liste über die Belastung deutscher Anthropologen anzulegen, weil man wissen wollte, wer an einer geplanten Denkschrift zur Lage dieser Disziplin mitschreiben könne. Nachtsheim hielt Muckermann für wissenschaftlich umstritten – er sprach offenbar, durchaus im Geist der Zeit, Katholiken die Fähigkeit zu wissenschaftlicher Objektivität ab24 –, von Eickstedt, von Verschuer, Wilhelm Gieseler sowie einige weitere für ungeeignet. Die Geschäftsstelle stufte die meisten Fachvertreter als »unbelastet« ein, dann trafen weitere Informationen ein und die Liste wurde korrigiert. Bei Heinrich Schade wurde ein »meines Wissens ›belastet‹« in ein »belastet« samt handschriftlich ergänzter SS-Rune geändert, von Eickstedt wurde von »stark belastet« auf »nicht belastet« gesetzt, der »stark belastete« von Verschuer galt nur noch als »belastet«. Trotzdem ging die DFG davon aus, dass ausländische Kollegen nicht an deutschen Konferenzen teilnähmen, träten dort Figuren wie von Verschuer, Schade oder Lothar Loeffler hervor.25 Und schließlich tauchen in den diversen Personalakten immer wieder Beamte auf, die es bei Beförderungen oder Berufungen doch etwas genauer wissen wollten, die auf politisch dunkle Flecken der Erbbiologen, Anthropologen und (ehemaligen) Rassenkundler stießen und Schwierigkeiten zu machen begannen. Die Ein22 | Hermann Muckermann an Otto Hahn/Max-Planck-Gesellschaft, 28.4.1949, Bl. 1, 6 (AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 3029). 23 | Vgl. z.B. Hans Nachtsheim: Stellungnahme zu dem »Entwurf eines Memorandums zur Stellung der Anthropologie in Deutschland«, 28.2.1962, bes. Bl. 4 (BAK, B 227/FC 7503 N, Heft 2). 24 | Vgl. zu diesen Vorbehalten Hans Nachtsheim: Professor BAITSCH und die Eugenik, o.D. [1960er Jahre], Bl. 1 (AMPG, III. Abt., Rep. 20A, Nr. 149, Mappe 4). Baitsch war Katholik. Noch deutlicher: H. Nachtsheim, Für und Wider die Sterilisierung aus eugenischer Indikation, S. 9f., wo er den katholischen Eugeniker Hermann Muckerman zitiert, der sich erst für Sterilistationen ausgesprochen, nach dem Diktum Papst Pius XI. aber den religiösen Gehorsam über seine wissenschaftlichen Überzeugungen gestellt habe. 25 | Vermerk Dr. Yl/Me, 1.4.1959 (samt eines korrigierten Durchschlags derselben Liste), 11.5., 24.8.1959; Aktenvermerk Meyl/DFG, 23.11.1960 (BAK, B 227/FC 7503 N, Heft 1).
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wände der Beamten wurden zumeist abgeschlagen, aber alles in allem sahen sich die damaligen Täter einer permanenten Evaluation ihrer Vergangenheit ausgesetzt. Sie hatten sich erfolgreich zu Opfern erst des Nationalsozialismus, dann der Entnazifizierungskampagnen zu stilisieren vermocht, aber sie wussten zugleich immer, dass die anderen zu viel wussten. Der wissenschaftliche Nachwuchs rührte lange Zeit kaum an dieser Geschichte der Anthropologie. Helmut Baitsch, ein eher kritischer Kopf, schrieb 1961 als Vorsitzender der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft: »Es besteht kein Zweifel, daß die Anthropologie in ihrer bisherigen Geschichte nicht immer eine glückliche Rolle gespielt hat. Vor allem die Verknüpfung dieses Wissenschaftszweiges mit weltanschaulichen Ideologien hat viel Schaden angerichtet. Der Vorwurf, die Anthropologie habe sich in Deutschland mißbrauchen lassen, wird auch heute noch erhoben; das Bild dieses Faches erscheint Vielen noch immer stark geprägt von dieser verhängnisvollen Phase.«26 Auf seiner Agenda stand aber nicht die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern die Zukunft: »Es kann vor allem im Interesse der nachwachsenden Wissenschaftlergeneration nicht mehr verantwortet werden, dass ein ganzes Fach auf die Dauer deshalb diskreditiert und gehemmt wird, weil einige ihrer Vertreter wegen ihrer politischen Vergangenheit (zu Recht oder zu Unrecht mag dabei dahingestellt bleiben) kein gutes Ansehen vor allem im Ausland geniessen.« Das Fach sei »von psychologischen Faktoren« gehemmt worden, »die ihrerseits wieder in den unglückseligen politischen Verhältnissen der Zeit von 1933 bis 1945 begründet sind«.27 Karl Saller war der einzige Fachvertreter gewesen, der dezidiert und öffentlich die Rolle der Bevölkerungswissenschaften im Nationalsozialismus thematisierte. Er galt als Außenseiter, seine Karriere war nach 1933 empfindlich gebremst worden, obwohl er in seinen anthropologischen Studien nicht von den gängigen Rassentheoremen abgewichen war. In seinem Buch »Die Rassenlehre des Nationalsozialismus« setzte er sich 1961 ausführlich und polemisch mit der Rolle seiner Kollegen im Nationalsozialismus auseinander – doch kritisierte er nicht die Rassenlehre an sich.28 Auch befürwortete er, so wie vor und 26 | Helmut Baitsch: Zur Situation der Anthropologie in Deutschland. Entwurf eines Memorandums. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorgelegt vom Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Dezember 1961, Bl. 1 (BAK, B 227/FC 7503 N, Heft 3). 27 | Deutsche Gesellschaft für Anthropologie: Memorandum zur Lage der Anthropologie in Deutschland, der Deutschen Forschungsgemeinschaft anläßlich der Besprechung am 20.6.1961 vorgelegt, Bl. 20 (BAK, B 227/FC 7503 N, Heft 2). 28 | Vgl. K. Saller, Die Rassenlehre des Nationalsozialismus in Wissenschaft und Propaganda; Ders., Art- und Rassenlehre des Menschen; Ders., Das Menschenbild der naturwissenschaftlichen Anthropologie.
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nach der »Machtergreifung«, weiterhin Sterilisierungen, um die »Erbqualität« der deutschen Bevölkerung zu sichern.29 Seine Kritik hinterließ kaum Spuren, zumal sein Schüler Baitsch 1962 eine Reihe inkriminierender Zitate an Hans Nachtsheim übermittelte, die eine deutliche Affinität Sallers zur Rassenlehre und Ideologie des »Dritten Reichs« erkennen ließen (Saller hatte Baitsch, wie viele andere Kollegen, durch seine außerordentlich schwierige Persönlichkeit vergrätzt).30 Wilhelm Mühlmann behauptete noch 1968 in seiner »Geschichte der Anthropologie«, dass die Rassenforschung durch den Nationalsozialismus eher behindert denn gefördert worden sei; alle Verfehlungen seines Faches lud er dem Publizisten Karl Ludwig Schemann auf.31 Und Walter Scheidt bestand 1954 darauf, dass nach »dem Krieg und Zusammenbruch […] die Arbeit der beiden vorausgegangenen Jahrzehnte einfach fortgesetzt werden« konnte – denn sein Hamburger Institut habe sich nicht der »nationalsozialistisch verordneten ›Rassenlehre‹« unterworfen, im Gegensatz zu seinen Kollegen.32 Statt »Rassenkunde«, die er seit Mitte der 1920er, und »Rassenbiologie«, die er seit 1934 gelesen hatte, verlegte er sich nun auf anthropologische Vorlesungen.33 Und das war alles nicht einmal ganz falsch. Nachtsheim, Mühlmann oder Scheidt hatten tatsächlich eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt. Aber das war kein Widerstand gewesen, und die Rassenanthropologie als Fach hatte sich nicht einmal durch diese minimale Distanz ausgezeichnet. Trotzdem gelang es ihr, sich mit Hilfe einer erheblich retuschierten Fachgeschichte aus der eigenen Vergangenheit herauszuschreiben, bis in den 1980er Jahren die öffentliche Diskussion um die Rolle von Bevölkerungsexperten in der Vernichtungspolitik des »Dritten Reichs« begann.34
29 | Vgl. K. Saller, Das Menschenbild der naturwissenschaftlichen Anthropologie, S. 129-146; Ders., Einführung in die menschliche Erblichkeitslehre und Eugenik; Ders., Biologie des deutschen Volkskörpers; Ders., Eugenische Erziehung. 30 | Vgl. die Korrespondenz zwischen Helmut Baitsch und Hans Nachtsheim, Dez. 1961 bis Frühjahr 1962 (AMPG, III. Abt., Rep. 20A, Nr. 7). 31 | Vgl. W. E. Mühlmann, Geschichte der Anthropologie, bes. S. 194-200. 32 | W. Scheidt, Dreissig Jahre Anthropologisches Institut der Universität Hamburg, S. 5f. 33 | Vgl. die Aufstellung in ebd., S. 20-22. Bezeichnend ist natürlich, dass Scheidt selbst diese Informationen preisgab, sich also keines Problems bewusst war. 34 | Vgl. z.B. B. Müller-Hill, Tödliche Wissenschaft; H.-W. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie; P. J. Weindling, Health, Race and German Politics; P. E. Becker, Wege ins Dritte Reich.
19. »Maus und Schlange« Das späte Ende der Rassenanthropologie
Von einer »Stunde Null« kann man also nicht reden. Einige Protagonisten hatten vorübergehend Schwierigkeiten bekommen und gewisse Annahmen wurden entschärft (aber beibehalten). So warf Hans Nachtsheim einem Nachwuchswissenschaftler, Hans Wilhelm Jürgens, einen Rückfall in die Zeit vor 1945 vor; er habe in einem Aufsatz »nicht ein hieb- und stichfestes Beispiel dafür anführen können, dass extreme Rassenmischlinge beim Menschen erbbiologisch pauperieren.« Rassenmischung sei ein soziologisches, kein erbbiologisches Problem, wie ein Vergleich der amerikanischen Südstaaten mit Südamerika zeige;1 die Forschung zum angeblichen Pauperieren zeichne sich allein durch »Gefasel über Disharmonien und Genchaos und dgl.« aus.2 Ähnlich wehrte sich auch Wilhelm Emil Mühlmann gegen eine Verwechslung von biologischen Rassen und soziologischen Gruppen; behaupte man die »Kulturleistungen einer Rasse«, biologisiere man stillschweigend soziales Handeln.3 Ohnehin war das Sprechen über Rassen mit den UNESCO-Deklarationen zur Rassenfrage seit dem Jahre 1950 schwieriger geworden, da die Menschheit als eine Spezies postuliert und ein sozio-biologisch wertender Rassenbegriff abgelehnt wurde.4 Trotzdem blieben die Vorbehalte. Nachtsheim beispielsweise hatte zwar eine zweite Version der Deklaration unterzeichnet, 1951 in einer kommentierten Übersetzung in Deutschland publiziert und Kollegen gegenüber verteidigt. Bei der Behauptung, psychische Eigenschaften würden nicht
1 | Hans Nachtsheim an Hans Wilhelm Jürgens, 29.3.1961 (AMPG, III. Abt., Rep. 20A, Nr. 35-3 [Hervorh. im Orig.]). 2 | Hans Nachtsheim an Hans Wilhelm Jürgens, 7.4.1961 (AMPG, III. Abt., Rep. 20A, Nr. 35-3). 3 | Vgl. W. E. Mühlmann, Rassen, Ethnien, Kulturen, S. 77-83. 4 | Vgl. UNESCO (Hg.): Four statements on the race question; und dazu: P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 602-622; S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 245-257.
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vererbt, meldete er Zweifel an,5 und Mischehen zwischen ungleichen Partnern lehnte er dezidiert ab: »Ich würde meine Tochter nicht einem ›Buschmann‹ geben. Aber da ist auch keine Gefahr. Viel gefährlicher sind die ›weissen Buschmänner‹, die unter uns leben, und deren Zahl weit grösser ist als die paar tausend Seelen im Buschmannland. Diese erkennt der Anthropologe sofort, jene aber zu erkennen, dazu gehört mehr, denn sie haben einen ähnlichen Phänotypus wie Sie und ich und finden sich in allen Gesellschaftsschichten, auch in denen der Universitätsprofessoren. Vor einer Verbindung mit ihnen die eigene Tochter zu bewahren, ist eine weit schwierigere, aber wichtigere Aufgabe für einen Vater.«6 Offenbar schlug Nachtsheim mit dem Begriff der »weißen Buschmänner« Deutsche, die er als sozio-biologisch problematisch empfand, der »Rasse« der afrikanischen »Buschmänner« zu, jedenfalls erinnert das Argument stark an die Sterilisierungsdebatten der 1930er Jahre mit den zahllosen »Geistesschwachen«, die angeblich unerkannt in Europas Gesellschaften hausten. So nimmt es nicht wunder, dass die Forderungen nach eugenischen Eingriffen alles andere als verstummt waren.7 Das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, schrieb Hans Nachtsheim 1952, habe nur auf manifeste, phänotypisch sichtbare Krankheiten abgehoben; der Entwurf eines preußischen Gesetzes von 1932 dagegen habe auch verdeckte (genotypische) Indikationen aufgenommen, das sei eine gute Grundlage für ein neues Sterilisierungsgesetz. Eugenik müsse in den Kulturvölkern die verlorene natürliche Selektion ersetzen, allerdings nur auf freiwilliger Basis, vorbildhaft seien die skandinavischen Gesetze.8 Nachtsheim hatte 1936 die Kaninchenzüchtung als sozialdarwinistischen Kampf ums Dasein bezeichnet und von den kleinen Nagern direkt auf die Menschen geschlossen. Für die Kulturmenschheit gehe es ohne natürliche Auslese bergab, Tiere könnten zu Höchstleistungen gezüchtet werden. 1977 wiederholte er diese Überlegungen wörtlich; noch lange nach 1945 empfahl er in Gutachten die Sterilisierung von »Geistesschwachen« auf Grund eugenischer bzw. sozialer Indikationen.9 Sein Kollege von Verschuer war Mitte der 1960er Jahre etwas vorsichtiger. Erbkrankheiten würden durch Sterilisierungen nicht ausgeschaltet, diese könnten aber, auf strikt freiwilliger Basis, das Risiko schwerbehinderter Kinder 5 | H. Nachtsheim, Die neue Deklaration der UNESCO zum Rassenproblem, S. 56. 6 | Hans Nachtsheim an Hans Weinert, 31.7.1951 (AMPG, III. Abt., Rep. 20A, Nr. 118-6). 7 | Vgl. P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 585-602; S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 257-268. 8 | Vgl. H. Nachtsheim, Für und Wider die Sterilisierung aus eugenischer Indikation. 9 | Vgl. H. Nachtsheim, Vom Wildtier zum Haustier; Ders./H. Stengel, Vom Wildtier zum Haustier; sowie die überlieferten Gutachten in seinem Nachlass (AMPG, III. Abt., Rep. 20A, Nr. 100).
»Maus und Schlange«
reduzieren.10 Ohnehin drohten der Erbsubstanz neue Gefahren, nun durch atomare Strahlung und chemische Substanzen. Deshalb sei es notwendig, »ganze Bevölkerungsgruppen hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens krankhafter Erbmerkmale unter Kontrolle zu nehmen, um die eventuelle Zunahme dieser Erbmerkmale infolge vermehrter Erzeugung von krankhaften Mutagenen rechtzeitig zu erkennen.«11 Kurz zuvor, 1956, hatte er sich in einem Vortrag drastisch und widersprüchlich geäußert, einerseits von der »sittliche[n] Pflicht für bestimmte Menschen, auf Nachkommen zu verzichten«, gesprochen: »Wer sich dieser Pflicht entzieht, macht sich schuldig an seinem Nächsten, an der Gemeinschaft. […] Ein für die rechte Lebensordnung verantwortlicher Staat wird deshalb Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, daß Menschen, die aus eugenischen Gründen keine Kinder haben dürften, sich trotzdem fortpflanzen.«12 Andererseits gab er zu, dass seine Erhebung über eine vermutete Häufung krankhafter Erbanlagen im Raum Münster keine besorgniserregenden Befunde ergeben hatte.13 Und er lehnte, gegen Karl Binding und Alfred Hoche sowie mit Verweis auf die Gottesordnung, jede Tötung »lebensunwerten Lebens« ab, hatte im Manuskript aber eine – gestrichene – Passage stehen, in der er sich selbst zitierte: »Aus dieser Einsicht heraus [der Verantwortung um die Gesunderhaltung des Erbgutes] hatte ich 1931 geschrieben: ›Bewußt einem schwer erbkranken Menschen das Leben zu geben, bedeutet einen Verstoß gegen die Nächstenliebe‹. H. Schreiner fährt zwei Jahre später [also 1933] fort: ›Wir müssen sogar hinzufügen: bedeutet Sünde‹.«14 Hans Nachtsheim verbiss sich geradezu in die Sorge um die Qualität des Erbgutes.15 Um seine Position zu rechtfertigen, stellte er mehrmals die unhaltbare Behauptung auf, dass die dänischen Sterilisierungsgesetze die Zahl der »Schwachsinnigen« um mehr als 50 % reduziert hätten; mit Kritikern wie Helmut Baitsch wollte er die Diskussion gar nicht erst führen, da es diesem strenggläubigen Katholiken unmöglich sei, »ein wissenschaftlich fundiertes Urteil über Wert und Unwert der Eugenik« abzugeben. Während Baitsch nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag gefragt hatte, konterte Nachtsheim mit singulären Schauergeschichten: »Ein mir gerade gemeldeter Fall wie viele vorausgegangene: Die Eltern haben eine schwachsinnige Tochter, die eben 10 | Vgl. O. Frhr. von Verschuer, Probleme der Eugenik. 11 | O. Frhr. von Verschuer, Eugenik in der industrialisierten Gesellschaft, S. 225. Vgl. auch Ders., Erbschädigung des Menschen durch radioaktive Strahlen. 12 | Otmar Frhr. von Verschuer: Eugenik, biologisch und ethisch. Referat auf der Tagung der westfälischen Arbeitsgemeinschaft »Arzt und Seelsorger« in Hamm am 17.XI.1965, o.D., Bl. 16 (AMPG, III. Abt., Rep. 86A, Nr. 74). 13 | Ebd., Bl. 172 [Fehlzählung, eigentlich Bl. 18]. 14 | Ebd., Bl. 10, 17, 18 (Hervorh. im Orig.). 15 | Vgl. H. Nachtsheim, Übervölkerung und Erbgutdegeneration.
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geschlechtsreif geworden und sexuell erregbar ist. Die Eltern bemühen sich vergeblich, sie in einem Heim unterzubringen. Das Unglück tritt ein, die Schwachsinnige wird schwanger. Die Eltern bemühen sich um die Genehmigung zur Schwangerschaftsunterbrechung und Sterilisierung der Tochter, die niemals ihre mütterlichen Pflichten wird erfüllen können. Die zuständige Behörde lehnt den Antrag mangels Vorhandenseins entsprechender gesetzlicher Bestimmungen ab. Die Eltern sind tiefunglücklich. Und die Gesellschaft sieht zu, wie sich die Schwachsinnigen hemmungslos vermehren.«16 Auch von den Medien fühlte er sich in die Ecke gedrängt, denn für eine Fernsehaufzeichnung hatte er sechs Fragen beantwortet,17 jedoch nur zwei seiner Antworten wurden, stark verkürzt, gesendet. Seine Forderung nach freiwilliger Sterilisierung (außer bei unmündigen »Schwachsinnigen«) wurde in der Ausstrahlung mit einer Einblendung auf Hans Globkes Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen gegengeschnitten. »Was haben die von den Alliierten aufgehobenen unsittlichen Rassegesetze mit neuzeitlicher Eugenik zu tun?«, erboste sich Nachtsheim, der offenkundig die Narrative der Medien nicht begriff.18 Zudem missfiel ihm, dass mit den drei anderen Interviewpartnern dezidierte Gegner eines neuen »Erbgesundheitsgesetzes« angetreten waren, nämlich Alexander Mitscherlich, Hans Christian Ebbing sowie Lothar Loeffler, der das Erbgesundheitsgesetz der Nationalsozialisten seinerzeit noch begrüßt hatte.19 Rassenbegriff und Eugenik mögen nach 1945 umstritten gewesen sein, doch auf dem Prüfstand standen sie für viele Bevölkerungsexperten nicht. Warum also hätte auch die Rassenanthropologie nicht weitermachen sollen wie bisher? Und so finden wir hochkarätige Wissenschaftler, die unverdrossen vom Phänotypus auf differente Rassen und Genotypen zu schließen versuchten. Eine Blütenlese: Hans Fleischhacker betrachtete 1951 Hautleisten als objektives Merkmal, um Rassenunterschiede herauszuarbeiten; die Konvergenz der Merkmale bei Europäern und Afrikanern konnte er allerdings nicht wirklich erklären. Hermann Mitgau deutete 1952 Handwerkerzünfte als biologische Gemeinschaften; die ersten beiden Auflagen seines Buches waren 1943 und 1944 dem Krieg zum Opfer gefallen, nun legte er seine Thesen der Öffentlichkeit vor. Johann Schaeuble untersuchte deutsche Einwanderer in Südspanien und 16 | Hans Nachtsheim: Professor BAITSCH und die Eugenik, o.D. [1960er Jahre], Bl. 1f. (AMPG, III. Abt., Rep. 20A, Nr. 149-4). 17 | Vgl. Interview über Eugenik im 2. Fernsehen, 25.10.1963 (AMPG, Abt. III, Rep. 20A, Nr. 142-4). 18 | Hans Nachtsheim: Das Zweite Deutsche Fernsehen und die Eugenik, o.D. [1964], Bl. 2 (AMPG, Abt. III, Rep. 20A, Nr. 142-4). 19 | Für Hinweise auf die Namen der Teilnehmer und deren Positionen danke ich dem Archiv des ZDF (Mail vom 26.7.2012) sowie Dirk Thomaschke. Die Sendung ist am 15.1.1964 ausgestrahlt worden.
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kam zu dem vagen Ergebnis, dass die Kinder von Spaniern und deutschen Einwanderern vom Körperbau eher den Spaniern, von der Pigmentierung her den Mitteleuropäern entsprächen, auch wenn im rheinischen Herkunftsgebiet helle Farben nicht vorwögen, während es umgekehrt in Spanien Gene für helle Farben gebe, so dass die Stellung der deutschsprachigen Gruppe nicht endgültig bestimmt werden könne, zumal Südspanien anthropologisch noch unzureichend erforscht sei. Hans Wilhelm Jürgens habilitierte sich 1960 mit dem Nachweis, dass sich »Asoziale« gehäuft durch körperliche Abnormität auszeichneten, und zwar weltweit auf dieselbe Weise; 1968 reaktivierte er in der Festschrift für Karl Saller die These, dass die soziale und berufliche Siebung mit sozialen und rassischen Differenzen korrelierte und sich in die Körper der Menschen einschrieb. Im selben Jahr legte Rainer Knußmann Normtabellen von Körperindices als Hilfsmittel der erbbiologischen Forschung vor, später bestätigte er den Zusammenhang von Siebung, sozialem Aufstieg und Körpergröße. Und dann war da noch Hermann Arnold, der bis ins hohe Alter partout beweisen wollte, dass die Unstetigkeit der aus der bürgerlichen Sozialordnung herausgefallenen »Asozialen«, »Vaganten« und »Zigeuner« erblich bedingt sei.20 Selbst in der DDR konnte man sich der Faszination blonder Haare nicht entziehen. Lothar Schott untersuchte das Material aus Rudolf Virchows Schulkinderuntersuchung auf die Wahrscheinlichkeitsverteilung hin, um festzustellen, dass tatsächlich signifikant mehr Blonde auf dem Lande, mehr Brünette in der Stadt lebten. Schott wollte die humanistische Haltung Virchows unter sozialistischen Gegenwartsbedingungen fortführen.21 Doch irgendwann mündete all das in inhaltlicher Entleerung, wie zwei großangelegte anthropologische Studien Ilse Schwidetzkys zeigen, ihre Westfalenstudie (1955 bis 1958, veröffentlicht im Jahre 1967), und die in den 1960er Jahren durchgeführte Untersuchung Rheinland-Pfalz’, deren Ergebnisse 1975 publiziert wurden. Schwidetzky hatte ihr Handwerk bei Egon Freiherr 20 | Vgl. H. Fleischhacker, Rassenmerkmale des Hautleistensystems; H. Mitgau, Berufsvererbung und Berufswechsel im Handwerk; J. Schaeuble, Anthropologische Studien in den sogenannten Colonias alemanas Südspaniens; H. W. Jürgens, Asozialität als biologisches und sozialbiologisches Problem; Ders., Die Wandlung der sozialanthropologischen Merkmalsbilder in Afrika südlich der Sahara; R. Knußmann, Neue Normtabellen anthropometrischer Merkmale; A. Schumacher/R. Knußmann, Soziale Körperhöhenunterschiede bei Geschwistern; H. Arnold, Vaganten, Komödianten, Fieranten und Briganten; Ders., Bevölkerungsbiologische Beobachtungen an Sippenwanderern; Ders., Die Zigeuner; Ders., Zur Frage der Fruchtbarkeit von Zigeunern, Zigeunermischlingsgruppen und anderen sozialen Isolaten. Weitere Beispiele: T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 113-119. 21 | Vgl. L. Schott, Die Ergebnisse der von Rudolf Virchow angeregten Schulkinderuntersuchungen.
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von Eickstedt gelernt, und sie selber wies auf der ersten Seite ihrer Einleitung zur Rheinland-Pfalz-Studie explizit auf deren »unmittelbare ›genealogische‹« Verbindung zu von Eickstedts Schlesien-Projekt der 1930er Jahre und ihrer eigenen Westfalen-Untersuchung hin.22 Trotzdem unterscheiden sich die drei Werke auf signifikante Weise. Die Studie zu Schlesien war ganz in das rassenkundliche Paradigma eingeschrieben gewesen, es war um die Abwehr »slawischer« Einflüsse gegangen.23 In den Fünfziger Jahren dann beanspruchte Schwidetzky, »die Erforschung der kulturellen und geistigen Eigenart Westfalens« durch »Erkenntnisse über die anthropologische Zusammensetzung und Differenzierung der in Westfalen lebenden Bevölkerung« zu fundieren.24 Das grundlegende Interesse blieb dasselbe: »Läßt sich für Westfalen ein besonderer anthropologischer Typus herausarbeiten, der für diesen Raum charakteristisch ist und ihn gegen die Nachbarräume abhebt? Und zeigt das anthropologische Bild der westfälischen Bevölkerung eine innere Gliederung, die mit den Gegebenheiten von Raum und Geschichte in Zusammenhang gebracht werden kann?«25 Der Text war lang, voller (teils widersprüchlicher) Daten, kontrolliert und kohärent gemacht durch aufwendige mathematische Berechnungen und mit zahlreichen Tabellen, Diagrammen und Karten versehen. Er folgte der erprobten Rassenklassifizierung und machte deutlich, dass den drei »natürlichen Großlandschaften« Westfalens sowie dem Ruhrgebiet Bevölkerungsgruppen entsprachen, die unterschiedlich durch Migranten bzw. »Westfälischstämmige« geprägt waren (Abb. 35). Das Rassenkampfdenken der 1930er Jahre fehlte, aber es wurde ein klarer Zusammenhang zwischen Körpermerkmalen, Gebürtigkeit, Sozialschicht und Intelligenz hergestellt. Die soziale Oberschicht und die eigenständigen Bauern seien in höherem Maße bodenständig und westfälischstämmig (und »nordisch«) geblieben, für die »soziale Grundschicht« könne von einer »biologischen Verostdeutschung« gesprochen werden.26 »Die Unterschiede zwischen Einheimischen und Heimatvertriebenen entsprechen in weitem Umfang auch den Unterschieden zwischen Westfälischstämmigen und Oststämmigen im Ruhrgebiet.«27 Etwas geändert hatte sich auch der Umgang mit den Probanden. Da nicht mehr, wie zu Zeiten der Schlesienstudie, der Ortsbürgermeister alle Erwachsenen zur Untersuchung vorladen konnte, war man auf freiwillige Teilnehmer angewiesen. Und wo 22 | I. Schwidetzky, Anthropologische Untersuchungen in Rheinland-Pfalz: Einleitung, S. 1. 23 | Vgl. E. Frhr. von Eickstedt/I. Schwidetzky, Die Rassenuntersuchung Schlesiens. 24 | I. Schwidetzky/H. Walter, Untersuchungen zur anthropologischen Gliederung Westfalens, S. XIII. 25 | Ebd., S. 2. 26 | Ebd., S. 38. 27 | Ebd., S. 110.
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Abb. 35: Kartierung und Fotografien stützen sich gegenseitig, um die Homogenisierung widersprüchlicher Daten im Text visuell plausibel zu machen und die Evidenz wissenschaftlicher Objektivität zu erzeugen (1967).
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fand man die? In hierarchisch strukturierten Organisationen wie dem Heer und der Schule. Da es die Bundeswehr 1955 nicht gab, versicherte man sich der Hilfe der Schulen und der Lehrer, die tatsächlich eine etwa 80 %ige Beteiligung sicherstellten (auch wenn Schüler, weil anthropologisch noch nicht voll ausgebildet, kein optimales Untersuchungsmaterial darstellten, wie Schwidetzky schrieb).28 In Rheinland-Pfalz trat dann selbst der Zusammenhang zwischen Phänotyp und Sozialschicht in den Hintergrund – trotzdem versuchten Schwidetzky und ihre Mitstreiter erneut, durch aufwendige Erhebungen eine anthropologische Feingliederung der Bevölkerung mit dem geografischen Raum zu korrelieren. Wir finden dieselben Methoden und dieselben Fragen: Wie heben sich Teilregionen anthropologisch voneinander ab; inwieweit führen bevölkerungsbiologische Prozesse zur Herausbildung oder Erhaltung spezifischer Bevölkerungsstrukturen; bilden Städte biologisch einen besonderen Bevölkerungstypus; inwieweit sind anthropologische Körpermerkmale »Indikatoren für relativ feine mikroevolutive oder modifikatorisch-adaptive Prozesse«?29 Noch einmal ein exemplarischer »O-Ton«, um die Kontinuitäten anschaulich zu machen: »Die beiden Rheintalregionen, nämlich Rheinhessen und Vorderpfalz, zeigen mit besonders weiten, besonders schräggestellten Lidspalten, mit flachliegenden Augen, wenig frontalen Wangenbeinen, vollen Lippen, stärker abgerundetem Kinnwinkel den rheinischen Typus am deutlichsten, während sich die Mittelgebirgsregionen mehr dem knochenrobusteren ›horizontalen‹ Gegentypus nähern, der in Westfalen durch den ›fälischen Block‹ des Sauerlandes repräsentiert wird« (Abb. 36).30 Materiell war die Untersuchung, teilweise von der DFG finanziert, sogar besser ausgestattet als die vorhergehenden. In Schlesien hatten die Wissenschaftler mit dem Rad von Dorf zu Dorf fahren müssen. In Westfalen hatte Hubert Walter die Arbeit motorisiert durchführen können, war aber auf sich gestellt gewesen. In Rheinland-Pfalz dagegen wurde jeder der sieben Mitarbeiter von einer technischen Assistentin begleitet.31 Aber wozu das alles? Wenn in Schlesien das »Rassenproblem« und in Westfalen die soziale Frage auf der Agenda gestanden hatten, so sind die Beiträge der Rheinland-Pfalz-Untersuchung auf merkwürdige Weise entleert. Sie lesen sich wie die Texte zuvor, doch 28 | Vgl. ebd., S. 3f. 29 | I. Schwidetzky, Anthropologische Untersuchungen in Rheinland-Pfalz: Einleitung, S. 5; R. Knußmann, Anthropologische Untersuchungen in Rheinland-Pfalz: Regionale Binnenvergleiche nach anthropometrischen Merkmalen, S. 7 (dort das Zitat). 30 | I. Schwidetzky, Anthropologische Untersuchungen in Rheinland-Pfalz: Physiognomische Merkmale, S. 55. 31 | Vgl. I. Schwidetzky, Anthropologische Untersuchungen in Rheinland-Pfalz: Einleitung, S. 1f.
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Abb. 36: Diese Abbildung zeigt die seit der Zwischenkriegszeit erprobte Typisierung anthropologischer Merkmale, anhand derer auch 1975 noch sozio-genetische Differenzen der Bevölkerung ablesbar sein sollten.
gibt es kaum noch einen Anhaltspunkt, warum der Aufwand betrieben wurde. Einer der Mitarbeiter, Rainer Knußmann, argumentierte immerhin, »daß ein bestimmtes anthropogeographisches Milieu zum Charakter eines Landesteils gehört und die sozialanthropologischen Merkmalsdifferenzierungen Parallelen zu populationsgenetisch relevanten Adaptionen an die Gegebenheiten des Raumes sein könnten, die ihrerseits z.B. den sozioökonomischen Status mitbedingen.«32 Aber behaupten wollte diesen Zusammenhang zwischen Raum, Gen und Sozialschicht niemand mehr. Knußmann konnte befriedigt feststel32 | R. Knußmann, Anthropologische Untersuchungen in Rheinland-Pfalz: Regionale Binnenvergleiche nach anthropometrischen Merkmalen, S. 9 (Hervorh. von mir).
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len, dass sich »dieses alte Standardmerkmal der geographischen Anthropologie« – nämlich Kopflänge und -breite – »auch in engstem mitteleuropäischem Raum als aussagekräftig« erweise, weil sich Pfälzer Knaben als deutlich brachycephaler (rundköpfiger) erwiesen hätten als diejenigen aus Hunsrück, Westerwald und Eifel.33 Doch was folgte daraus? Eindeutige biologische Interpretationen seien nicht möglich, und die Variationsbreiten der Daten überschnitten sich derart, »daß mit der nachgewiesenen regionalen Differenzierung nur eine statistische Aussage vorliegt, deren typologische Interpretation nicht sinnvoll ist.«34 War die Anthropologie derart zu einem Selbstläufer geworden, dass sie selbst dann noch funktionierte, als ihr Grundlagen und Ziele bereits abhandengekommen waren? Eine Disziplin, deren Protagonisten mit den alten Methoden erhoben, differenzierten und klassifizierten, ohne aber noch zu wissen, warum? Es mag nicht wundernehmen, dass die Ergebnisse des Projektes nur noch in acht Aufsätzen der Zeitschrift »Homo« veröffentlicht wurden – mit einem Gesamtumfang von 60 Seiten –, den Weg in die Buchform jedoch nicht mehr fanden. Tatsächlich hatte das Ende der Rassenanthropologie längst eingesetzt. Zu der Zeit gab es bereits deutliche Absetzbewegungen. Von den Schülern der Anthropologen wechselten einige in die Humangenetik über, etwa Helmut Baitsch. Hans Wilhelm Jürgens hatte sich nach seiner Habilitation in die Industrieanthropologie abgesetzt, die den Rassenbegriff explizit noch nutzte, aber nur, um Autositze an eine internationale Kundschaft anpassen und das Mensch-Maschine-System optimieren zu können35 – eine weise Entscheidung, wie Helmut Baitsch in einem Gutachten bescheinigte, denn die »sog. Industrieanthropologie biete wahrscheinlich die letzte Chance, die früher so eifrig gepflegte Meßtechnik noch in einem durchaus vernünftigen Sinne einzusetzen.«36 Ilse Schwidetzky wählte einen anderen Weg. Sie dürfte diejenige gewesen sein, die sich seit den 1960er Jahren am vehementesten für die Rassenanthropologie in die Bresche warf, und die gleichzeitig kreativ genug war, um das Bezugssystem ihrer Disziplin grundlegend zu ändern zu versuchen. Sie versuchte nämlich (vergeblich), die Anthropologie durch Begriffsarbeit in die Humangenetik hineinzuschreiben. 1954 veröffentlichte sie eine bevölkerungsbiologische Studie zum Problem des »Völkertodes«, 1962 gab sie eine »neue 33 | Ebd., S. 16. 34 | Ebd., S. 19 (dort das Zitat), 26. 35 | Vgl. H. W. Jürgens, Aufgaben und Methoden der Industrieanthropologie; U. Pieper, Rassenmerkmale in industrieanthropologischer Sicht. Ähnlich funktional bereits im späten 19. Jahrhundert: R. Uhlitzsch, Anthropometrische Messungen und deren praktischer Wert, bes. S. 441-451. 36 | Stellungnahme der DFG zum Forschungsvorhaben von Hans Wilhelm Jürgens, Anthropologische Reihenuntersuchungen, 14.8.1962 (DFG-Geschäftsstelle, Ju 38/3).
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Rassenkunde« heraus, in der sie und drei Co-Autoren nach nordischen Elementen fahndeten und über endlose Messserien Vererbungswege und -regeln zu ermitteln suchten.37 Gleichzeitig wollte sie die bisherige biologistische Terminologie durch eine eher soziologisch-systemtheoretische ersetzt wissen. Und so suchte sie vor allem den Begriff der »Population« anstelle des Typenbegriffs stark zu machen. »Typen« wurden, wie wir gesehen haben, in komplizierten Verfahren über den Phänotypus »erschaut« und definierten »Rassen als ein Kollektiv von Individuen mit gleichen Merkmalskombinationen«,38 das auf (mitunter sehr kleine) geografische Räume bezogen wurde. Raumgrenzen waren Rassengrenzen, Rassen standen diskret nebeneinander oder vermischten sich. »Population« dagegen war ein Begriff, der für die Humangenetik wichtig werden sollte. Schwidetzky meinte damit mehr oder weniger isolierte Gruppen, abgegrenzte Fortpflanzungskreise, die sich durch einen gemeinsamen Genbestand von anderen Populationen unterschieden – doch es war nicht mehr, wie früher, gefordert, dass sich Rassen durch Gene auszeichneten, die anderen Rassen fehlten. Vielmehr zeichneten sich Populationen durch Genhäufungen aus, ohne dass anderen Populationen diese Gene notwendig abgehen mussten. Damit reformulierte sie Rassen als statistische Kollektive. Sie erkannte an, dass sich Populationen durch ein Kontinuum genetischer Varianten auszeichneten und auch die Übergänge zu benachbarten Populationen sich nicht durch scharfe Grenzen abbildeten. Löste sich nun jede Einheit auf, je genauer man hinschaute? Für Schwidetzky nicht, denn sie sah gerade durch multivariant-statistische Mikroanalysen die alten Rassenklassifikationen als großräumige Einheiten bestätigt. Es gab durch Merkmale objektiv belegbare rassische Differenzen, sie zogen sich aber nicht mehr entlang der Raumgrenzen, sondern entstanden als statistisch signifikante Häufungen von Differenzen innerhalb des Feldes zahlloser Variationen. Einige wenige Großrassen zeichneten sich jeweils durch mannigfaltig abschattierte Populationen aus.39 Mit einem völligen Ausgleich der anthropologischen Unterschiede sei nicht zu rechnen. »Es werden also weiterhin die nordeuropäischen Völker blonder, die mediterranen dunkler bleiben; es werden sich weiterhin Kurzkopfzentren abheben und die hochwüchsig-kurzköpfig-hakennasigen Dinariden […] nicht völlig verschwinden« (Abb. 37).40
37 | I. Schwidetzky, Das Problem des Völkertodes; Dies. (Hg.), Die neue Rassenkunde. Dazu ausführlicher T. Etzemüller, Ein ewigwährender Untergang, S. 113-117. 38 | I. Schwidetzky, Rassen und Rassenbildung beim Menschen, S. 5. 39 | Vgl. ebd., S. 7-10. 40 | Ebd., S. 81. Ähnlich I. Schwidetzky, Hauptprobleme der Anthropologie.
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Abb. 37: Zwei Rassenkarten Europas, links Hans F. K. Günther 1925, rechts Ilse Schwidetzky 1979. Sie zeigen die Kontinuität der rassenkundlichen Klassifikationen auf. Besonders in Skandinavien, Norddeutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien sind inhaltliche Übereinstimmungen zu bemerken.
*** Ende der 1950er Jahre hatte die DFG versucht, sich mit Hilfe von Denkschriften einen Überblick über die Lage und den Ausbaubedarf der wissenschaftlichen Disziplinen zu verschaffen; für die Rassenanthropologie übernahm Helmut Baitsch diese Aufgabe. Sie war nicht leicht, denn die Anthropologen waren untereinander zerstritten, mehrere sandten keine Stellungnahme zu dem Entwurf, andere Positionen werden in der Korrespondenz zwischen Baitsch und der DFG als »extrem« bezeichnet. Die Entwürfe seiner Denkschrift thematisierten die unklare Abgrenzung des Faches, seine problematische Ausstattung, das aus den Jahren vor 1945 herrührende schlechte Ansehen der Disziplin sowie die Versuche, sich mit Hilfe der Genetik methodisch zu erneuern.41 Schon die alte Vererbungslehre hatte die Anthropologie auf Abstand zu halten 41 | Vgl. Deutsche Gesellschaft für Anthropologie: Memorandum zur Lage der Anthropologie in Deutschland, der Deutschen Forschungsgemeinschaft anläßlich der Besprechung am 20.6.1961 vorgelegt; Helmut Baitsch: Zur Situation der Anthropologie in Deutschland. Entwurf eines Memorandums. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft
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versucht: »Der menschliche Rassenforscher [d.i. Anthropologe] darf sich nicht einbilden, neue Entdeckungen auf dem Gebiet der allgemeinen Genetik zu machen«, schrieb Fritz Lenz 1941.42 Ähnlich sah es Otmar Freiherr von Verschuer in seiner Reaktion auf die Denkschrift, als er sich jede Vereinnahmung der Humangenetik durch die Anthropologie verbat.43 Die Anthropologen selbst begriffen ihre Disziplin nach wie vor als gleichberechtigten Teil einer Art Doppelfach Anthropologie/Genetik und beanspruchten sogar die Führung. Aber sie bekamen nicht einmal die Denkschrift zustande. Sie reagierten kaum auf den Entwurf, die Humangenetiker dagegen umfassend und dezidiert ablehnend.44 Im März 1966 plante die DFG einen Forschungsschwerpunkt »Humangenetik/Anthropologie«. Hinter den Kulissen muss allerdings vergleichsweise kurzer Prozess gemacht worden sein. Im Juni hatten die Anthropologen auf einem gemeinsamen Treffen mit Humangenetikern noch fleißig Themen vorgeschlagen – Saller etwa die »Untersuchung ehemaliger Insassen von Konzentrationslagern zur Ermittlung von Dauerschäden infolge extrem schlechter Lebensbedingungen«45 –, bald darauf waren sie aus der Planung des Schwerpunktes herausgedrängt.46 Ein Grund mag gewesen sein, dass in einem Forschungsschwerpunkt die massiv belasteten Fachvertreter der Anthropologie öffentlich und international sichtbar geworden wären.47 Tatsächlich wollten die Humangenetiker den Schwerpunkt wohl eher für sich haben. Durch die Themen sollte sichergestellt sein, dass »nur die moderne Forschung gefördert werde, d.h. die biochemische Ausrichtung«, verkündeten sie im Senat der DFG, der neue Schwerpunkt solle deshalb »Biochemische Grundlagen der Populationsgenetik des Menschen« heißen.48 vorgelegt vom Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Dezember 1961 (BAK, B 227/FC 7503 N, Heft 2 und 3). 42 | Fritz Lenz an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Unterricht, 31.7.1941, Bl. 3 (AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 2401). 43 | Vgl. Otmar Frhr. von Verschuer an die DFG, 30.1.1962 (BAK, B 227/FC 7503 N, Heft 2). 44 | Vgl. I. Spiegel-Rösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, S. 10-15. 45 | Auf Einladung der Deutschen Forschungsgemeinschaft veranstaltetes Kolloquium von Fachvertretern der Anthropologie und Humangenetik am 10.6.1966 in Frankfurt a.M., 1966, Bl. 4 (BAK, B 227/138689). 46 | Vgl. Zusammenfassende Niederschrift über die Sitzung der Besprechungsgruppe zum Schwerpunktprogramm »Biochemische Grundlagen der Populationsgenetik des Menschen« am 2. Juli 1968 in Bad Godesberg (BAK, B 227/138690). 47 | So I. Spiegel-Rösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, S. 10f. 48 | Auszug aus dem Protokoll der Senatssitzung der DFG vom 3.3.1967 (BAK, B 227/138690).
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In dieser Situation versuchte Ilse Schwidetzky zu retten, was zu retten war. Im Mai 1970 schrieb sie ihre Kollegen an, um zu erfahren, woher die ungünstige Lage ihrer Disziplin rühre, im Juli bat sie die DFG um die Finanzierung einer Tagung zur Lage der Anthropologie, und im Oktober trafen sich eine Reihe deutscher Anthropologen, Biologen und Humangenetiker auf Schloss Reisensburg bei Ulm. Die Umfrage unter den eigenen Kollegen hatte verheerende Ergebnisse gebracht. Das Fach habe als Überbauwissenschaft nie Erfolg gehabt; regelmäßig hätten sich die innovativsten Teile abgespalten, während die Anthropologie nicht einmal die verbliebenen Nischen überzeugend besetzt habe. Methoden und Fragestellungen wirkten auf die Öffentlichkeit antiquiert, zu viele der Fachvertreter seien durch den Nationalsozialismus massiv belastet sowie mit seltsamen Ideen und Allüren, psychopathischen Persönlichkeitsstrukturen und mangelnder Kreativität geschlagen. Die Anthropologie habe »zwar unbedeutende, aber leider manchmal recht spektakuläre Persönlichkeiten« angezogen, »die keine Empfehlung für ihr Fach waren.« Es herrsche eine »Grabesstille in der Produktivität einiger Lehrstuhlinhaber, die […] höchstens noch das geistige Kind ihrer eigenen Habilitationsschrift hätscheln und wiegen […], allzu oft noch geistig sediert durch eine Überdosis finanziell einträglicher Gutachtertätigkeit.«49 Die Fachvertreter könnten nicht einmal die eigenen Fachkongresse vernünftig organisieren. Schwidetzky fasste diese Einschätzungen mit der Bemerkung zusammen, dass das Fach »kein vorteilhaftes ›Image‹« habe.50 Die Tagung selbst lief ebenfalls nicht sonderlich erfolgreich. Die Diskussion war nicht produktiv, die eingeladenen jüngeren Anthropologen schwiegen weitgehend, auch wurden recht kuriose Vorstellungen geäußert: Hätte »die deutsche Anthropologie eine Margaret Mead, so hätte sie weniger Sorgen«, meinte Helmut Krauch, und Friedrich Vogel wollte mit Hilfe der DDR-Parole »Überholen ohne einzuholen« die Innovationsbereitschaft der Anthropologie steigern.51 Als schließlich mehrere der Anwesenden erklärten, sie würden bislang nicht einmal die Spur einer Definition des Faches »Anthropologie« erkennen (nach immerhin 100 Jahren Fachgeschichte!), fühlte sich Schwidetzky »am Boden zerstört«.52 Ihre Tochter, die Sozialpsychologin Ina Spiegel-Rösing, versuchte dann, den anwesenden Anthropologen die Idee einer (von der DFG 49 | Ilse Schwidetzky: Ergebnisse der Umfrage zur »Lage der Anthropologie«, 10.7.1970, Bl. 4 (BAK, B 227/138694). 50 | Ebd., Bl. 1. 51 | Anthropologie – Inhalt, Lage und Zukunft des Faches. Tagung auf Schloß Reisensburg 24./25. Oktober 1970. Protokoll (Schwidetzky), o.D., Bl. 9f. (BAK, B 227/138694). 52 | Ebd., Bl. 11. Vgl. zur Tagung auch A. Cottebrune, The Deutsche Forschungsgemeinschaft (German Research Found) and the »backwardness« of German human genetics after World War II, die allerdings v.a. auf die Frage abzielt, inwieweit die Humangenetik
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finanzierten) »Systemanalyse Anthropologie« nahezubringen. Auch die DFG und das Bundeskanzleramt hätten sich einer solchen Analyse unterworfen, wurde den Tagungsteilnehmern versichert, doch denen war – ausweislich des überlieferten Protokolls – eine derartige »interdisziplinäre Wissenschaftswissenschaft (Science of Science)«53 mit ihren horizontalen und vertikalen Perspektiven, mit den Struktur-, Funktions- und Output-Analysen sowie den mono- bzw. multifaktoriellen Erklärungen merklich fremd. Einige hatten regelrecht Angst, dass ans Licht komme, wie schlecht es um ihr Fach bestellt sei. Der Unterschied zum Kanzleramt und zur DFG war natürlich der, dass in dem einen Fall zwei stabile Institutionen über sich selbst Auskunft haben wollten, während es im anderen Fall um die Rettung einer untergehenden Disziplin ging. Die Anthropologie, so hatte Helmut Baitsch vor der Tagung an Schwidetzky geschrieben (und das zitierte sie auf der Tagung), sei in einer Zeit entstanden, in der das Bedürfnis nach einem einheitlichen Menschenbild besonders groß gewesen sei. »Bis in die neueste Zeit hinein lässt sich der fast tragisch anmutende Trend erkennen, dass trotz der Abspaltung spezialisierter Wissenschaftszweige und der hierdurch bewirkten Verarmung des ursprünglich einheitlichen Faches Anthropologie der Anspruch aufrecht erhalten wird, ein integrierendes Fach zu sein mit dem Ziel, ein ganzheitliches Menschenbild zu entwerfen. In fast groteskem Widerspruch zu diesem Anspruch steht [sic] der geringe personelle Bestand und die mangelhafte Ausrüstung der Forschungseinrichtungen.«54 Das Ergebnis der Systemanalyse, das Schwidetzky und Spiegel-Rösing 1982 in ihrem Buch »Maus und Schlange« endlich vorlegten, fiel dagegen merkwürdig optimistisch aus. Zuerst schilderten sie die düstere Lage seit den späten 1950er Jahren. Danach wurden alle Teilbereiche der Anthropologie qualitativ und quantitativ durchgemustert, vor allem die Beziehung zur Humangenetik. Eine Zitationsanalyse legte Kommunikations- und Resonanzstrukturen offen und zeigte, dass sich die Humangenetik von der Rassenanthropologie weg-, diese aber auf die Humangenetik zubewegte. Sozialisationsprofile sollten den Vorwurf widerlegen, dass das Fach von abseitigen Gestalten bevölkert sei; die Analyse von Forschungsstilen belegte den Eindruck, dass die Anthropologie heterogener war als die Humangenetik; aus umfangreichen Interviews wurde die Selbstsicht des Faches destilliert; eine lexikalische Analyse zeichnete die Ausdifferenzierung der Anthropologie nach. Die Bitte um eine Bewertung von der Anthropologie an der Entwicklung einer disziplinären Eigenständigkeit gehindert wurde. 53 | Tagung »Anthropologie – Inhalt, Lage und Zukunft des Faches« auf Schloß Reisensburg vom 24.-25. Okt. 1970. Einleitung: Vorgeschichte der Tagung (Schwidetzky, Mainz), o.D., Bl. 2 (BAK, B 227/138694). 54 | Helmut Baitsch an Ilse Schwidetzky, 22.6.1970, Bl. 8f. (BAK, B 227/138694).
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ihrer eigenen wissenschaftlichen Qualität habe Anthropologen regelrecht schockiert, und ihr Fach hatte, selbst bei ihnen, einen notorisch schlechten Ruf – anders als die Humangenetiker, die sowohl ihre Arbeit als auch ihr Fach ohne zu zögern positiv beurteilten. Trotzdem: Die deutsche Anthropologie bewege sich international gesehen in einem soliden Mittelfeld, es gebe weder Rückstand noch spektakuläre Innovationen, und auch methodisch meinten die Autorinnen daran festhalten zu können, von sozialen Prozessen auf die genetische Ausstattung von Menschen, Bevölkerungsgruppen und Rassen schließen zu können. Nebenbei eliminierten sie den Nationalsozialismus aus der Fachgeschichte, der in dem voluminösen Buch nur dann auftaucht, wenn der – angeblich ungerechtfertigt – schlechte Ruf des Faches erklärt werden muss. Selbst Hans F. K. Günther entnazifizierten sie mit der Bemerkung, »daß er es auch selber keineswegs schätzte, zum Bannerträger der NS-Ideologie gemacht zu werden, und sich schon früh aus der Drehscheibe Berlin in seine badische Heimat zurückzog.«55 (Tatsächlich zog er das Landleben vor, und auch dort wurde er mit hohen Auszeichnungen des »Dritten Reichs« geehrt.) Die Realität der Anthropologie sah anders aus. Eine Liste weist für die Jahre 1950 bis 1972 nur 37 Anthropologen aus, von denen elf verstorben waren, etwa ein weiteres Drittel war der alten Garde zuzurechnen.56 In der siebenbändigen »Neuen Anthropologie« Hans-Georg Gadamers und Paul Voglers tauchen die Anthropologen nur noch in wenigen Literaturhinweisen auf – obwohl die beiden ersten Bände als »Biologische Anthropologie« firmieren!57 Lehrstühle wurden umgewidmet, und damit verschwanden der Nachwuchs, die Forschungsförderung und schließlich das Fach. Was sollte eine Disziplin auch machen, die seit Jahrzehnten fast wörtlich wiederholte, dass man über die Studien von Rudolf Virchow und Otto Ammon noch nicht hinausgekommen sei?58 Ilse Schwidetzky formulierte es, wenig überraschend, eher positiv: Walter Scheidts Finkenwerder-Studie gelte heute als Spitzenleistung des populationsgenetischen Zugriffs, notierte sie 1975, und Virchows Schulkinderuntersuchung bilde weiterhin die »wichtigste Grundlage für die Kenntnis der anthropologischen Gliederung des Landes«, erklärte sie 1979.59 1930 hatte Ernst Rüdin postuliert, dass die Anthropologie als Wissenschaft nach wie vor bloß 55 | Vgl. I. Spiegel-Rösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, S. 111f. 56 | Vgl. die Liste der habilitierten und/oder als Hochschullehrer in der BRD tätigen Anthropologen (1950-1972), o.D. (UAH, Acc. 12/95-15). 57 | Vgl. H.-G. Gadamer/P. Vogler (Hg.), Neue Anthropologie. 58 | So 1940 z.B. J. Götz, Rassenforschung und Statistik, S. 187; 1982 dann I. SpiegelRösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, S. 113f. 59 | I. Schwidetzky, Rassen und Rassenbildung beim Menschen, S. 63; Ilse Schwidetzky: Ketzerische Thesen zur Geschichte der deutschen Anthropologie (Zum Nachdenken, nicht zur Veröffentlichung bestimmt), 1.10.1975 (UAH, Acc. 12/95-38) – publiziert wur-
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Programm sei; 1954 meinte Walter Scheidt, dass die Anthropologie als eine einheitliche Wissenschaft vom Menschen »noch nicht einmal in den Umrissen ihres Ziels ganz deutlich erkennbar ist«; 1982 schrieb Schwidetzky von einem verunsicherten und defensiven Fach, das sich wie eine Maus vom Blick der Schlange (der Humangenetik) paralysieren lasse.60 Kritiker am erbbiologischen und rassenkundlichen Denken hat es, wie erwähnt, im gesamten 20. Jahrhundert gegeben. Ernsthaft gefährden konnten sie die Rassenanthropologie jedoch nicht. Die ist nicht an ihren Kritikern zu Grunde gegangen, sondern an sich selbst. Entscheidend war, dass das Fach fortwährend Aufsätze wie den Johann Schaeubles produzierte. Der hatte im »Dritten Reich« eine Folgestudie zu Otto Ammons Untersuchung badischer Rekruten aufgelegt, die 1938 abgebrochen werden musste und erst 1954 publiziert werden konnte. Es war deshalb nur ein begrenzter Vergleich mit Ammons Material möglich, doch meinte Schaeuble Ammons Ergebnisse bestätigt zu haben, dass Stadtgeborene länger, langköpfiger und schmalgesichtiger waren als Zuwanderer vom Lande. »Die aus den Befunden sich ergebenden geographischen Merkmalsverteilungen zeigen eine erstaunliche Ähnlichkeit im Vergleich mit Ammons einschlägigen Ergebnissen aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.«61 So weit, und nicht weiter, war man gekommen. Das Niveau sank eher noch ab, wenn Heinrich Schade sich 1973 – auf Grund seiner ärztlichen Erfahrungen im Kriege – in einem Gutachten darüber erging, dass es sich bei Piloten um eine ausgesprochene Siebungsgruppe handele, und dass sich Jagd- und Kampfflieger morphologisch unterschieden. Würden Kampfzu den Jagdfliegern versetzt, bedeute das »eine tödlich wirkende Niederlage. Die meisten Jäger hatten nach längeren Einsätzen psychosomatische Störungen«.62 Der von der DFG hinzugezogene Genetiker erklärte sich angesichts von Antrag und Gutachten für völlig inkompetent. »Er verstehe nicht einmal de diese Bemerkung dann 1982 in I. Spiegel-Rösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, S. 178. 60 | Vgl. Ernst Rüdin: Zu einem Programm der internationalen Erforschung der Rassenpsychiatrie (9. Konferenz der International Federation of Eugenic Organisations, Farnham, Dorset, 10.-15.9.1930), o.D., Bl. 4 (MPIP-HA, GDA 32); W. Scheidt, Dreissig Jahre Anthropologisches Institut, S. 9 (dort das Zitat); I. Spiegel-Rösing/I. Schwidetzky, Maus und Schlange, bes. S. 405-418 (zur Metapher von »Maus« und »Schlange« ebd., S. 1). Ähnlich: Eugen Fischer, Anthropologische Erforschung der deutschen Bevölkerung, 2.2.1928, Bl. 1f., 6f. (BAB, R 73/169). 61 | J. Schaeuble, Zur geographischen und sozialen Verteilung einiger anthropologischer Körpermerkmale, S. 93. 62 | Heinrich Schade, Gutachten zu einer geplanten Korrelationsanalyse zwischen Siebungsgruppen und somatischen Eigenschaften Ilse Schwidetzkys, 24.1.1973 (DFG-Geschäftsstelle, Schw 32/56).
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die Gutachten, so sei ihm zum Beispiel in der Stellungnahme von Professor Schade unverständlich geblieben, wieso die Jäger lange nach einer tödlichen Niederlage noch an psychosomatischen Störungen leiden konnten.«63 Das Projekt wurde abgelehnt. So ein Zugriff überzeugte nicht mehr, er war dem Gutachter offenbar nicht einmal mehr kognitiv zugänglich.
63 | DFG, Hauptausschuss-Liste 64/73, 3.5.1973 (DFG-Geschäftsstelle, Schw 32/56).
20. Und heute?
Die Rassenanthropologie ist durch den Nationalsozialismus nicht diskreditiert worden. Vielmehr hatte sich die Umwelt verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor ein Denken, das »Bevölkerung« als »Organisches«, als »Körper« begriff, stark an Überzeugungskraft. Die Kybernetik hatte in den 1950er Jahren die Utopie einer Gesellschaft entworfen, die sich durch Regelungstechniken selbst in Homöostase hielt, während die Modernisierungstheorie eine geradezu teleologische Bewegung zu immer mehr Fortschritt weltweit ausmachte.1 In der Soziologie war im folgenden Jahrzehnt das Tönnies’sche Ideal einer »Gemeinschaft« durch die Konzepte von »Emanzipation« und »Partizipation« ersetzt worden, also durch die Vorstellung einer Gesellschaft, in der verantwortlich handelnde Individuuen für Stabilität sorgten. Die ökologische Debatte wiederum nutzte in den 1970er Jahren die Metapher des »Raumschiffs Erde«, bedroht durch Umweltzerstörung und ungehemmtes Bevölkerungswachstum in der »Dritten Welt«. In solchen Vorstellungen war für die Angst vor einem eugenischen und (rassen-)biologischen Kollaps des »Volkskörpers« entweder kein Platz oder die Krisenszenarien hoben auf ganz andere Bedrohungslagen ab, die nicht durch die Biologie der Menschen, sondern deren unverantwortliches soziales Handeln entstanden. Auch »1968« und die »Wertewandelsgesellschaft« raubten der rassenbiologischen Metaphorik Evidenz; der Begriff der »Gesellschaft« dagegen wurde zunehmend positiv konnotiert, nicht mehr als atomisierendes Gebilde begriffen, sondern, sehr verkürzt gesagt, als Zusammenschluss selbstbestimmter Individuen.2 Von der Humangenetik hatte die Rassenanthropologie immer Schützenhilfe erwartet, aber nie bekommen.3 Ursprünglich hatte sich die Genetik aus der1 | Vgl. N. Wiener, Mensch und Menschmaschine, bes. S. 7-46; M. Hagner/E. Hörl (Hg.), Die Transformation des Humanen; H. van der Loo/W. van Reijen, Modernisierung, bes. S. 11-40. 2 | Vgl. D. Kuchenbuch, »Eine Welt«; B. Dietz/C. Neumaier/A. Rödder (Hg.), Gab es den Wertewandel? 3 | Vgl. zum Folgenden D. Thomaschke, In der Gesellschaft der Gene.
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selben Leitunterscheidung wie die Anthropologie heraus entwickelt, nämlich der zwischen der Erbmasse einer Population, deren Zusammensetzung nicht mit der Summe des Erbguts der Individuen identisch war. Individuen standen zunächst auch für Genetiker in einem zwiespältigen Verhältnis zur Erbmasse: Sie waren deren Träger, bedrohten sie aber zugleich durch genetisch relevantes »Fehlverhalten«. Individuen wurden als »Behälter« von Genen begriffen, Familien dienten als Institutionen der Vererbung, während »Bevölkerung« als Ergebnis individueller Anlagen und familiärer Fortpflanzungstraditionen entstand. Diese in einer Bevölkerung akkumulierte Erbmasse wiederum bildete das Potential für die genetische Ausstattung künftiger Individuen. Entscheidend war, in diesen »Containern« jeweils »negative« gegenüber »normalen« Erbanlagen in Schach zu halten – deshalb kam »Isolaten« auch in der Genetik eine große Bedeutung zu; ein groß angelegtes Registerprojekt Otmar Freiherr von Verschuers in Westfalen sollte die mögliche Häufung »anomaler« genetischer Bestände aufdecken und kontrollieren. Solche Register schienen die Realität zu rekonstruieren, sie machten verborgene Prozesse sichtbar und erschlossen dadurch eine »genetische Tiefenebene« – so zumindest die Erwartung der Genetiker. Aber die Behälter verloren in den 1960er Jahren an Bedeutung. Stattdessen rückten Versorgungsräume in den Vordergrund. Mit der Entwicklung der Techniken pränataler Diagnostik entstand ein zunehmender Bedarf an Beratungsmöglichkeiten – genauer gesagt: Humangenetiker, die darauf abzielten, ein Netz an Beratungsstellen aufzubauen, postulierten, dass »vernünftige« Subjekte sich über Möglichkeiten der Früherkennung zu informieren versuchten, um genetisch schadhaften Nachwuchs zu vermeiden. Der Raum wurde nun über Karten, die die Dichte der Beratungsstellen anzeigten, konzeptionalisiert; Regionen mit einer geringen Beratungsfrequenz wurde ein hoher Beratungsbedarf unterstellt, sie wurden als unterversorgt angenommen. Individuen und Familien stellten zumeist nicht länger tendenziell bedrohliche Fortpflanzungskollektive dar, sondern wurden als Instanzen imaginiert, auf die die humangenetische Beratung abzielte und die freiwillig um Informationen nachsuchten, weil ihnen ein »natürliches« Interesse an »vernünftigem« Handeln unterstellt wurde. Das vermeintliche Interesse der Laien, individuelles Leid durch humangenetische Aufklärung (und anschließende Entscheidungen) zu vermeiden, hatte den volksbiologischen Nutzen früherer Jahrzehnte auf einen – allerdings erwünschten – Nebeneffekt reduziert. Die Sorge vor einer biologischen Degeneration wurde durch Kosten-Nutzen-Rechnungen ersetzt, rigide Kontrolle von Populationen durch die Identifikation statistischer Risiken. Mit der Ökonomisierung der Humangenetik verwandelte sich der genetische Raum zum »Standort«. Durch technische Neuerungen wie Frostkonservierung und Zellkultivierung konnten Gene unterschiedlicher Organismen
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und aus unterschiedlichen Labors weltweit manipuliert, rekombiniert und versendet werden. In den Labors entstand eine neue, artifizielle Raumdimension, die von Behälterräumen und dem Prinzip der geografischen Landkarte weitgehend entkoppelt war. Zugleich wurde die globale Landkarte neu geordnet. Zum ersten spielte der nationale Raum weiterhin eine große Rolle, insofern nationale Genomprogramme aufgelegt wurden, die international in Konkurrenz zueinander standen, aber transnational miteinander kooperierten. Zum zweiten wurde der Raum in Zentren des genetischen Fortschritts sowie wissenschaftliche Peripherien gegliedert. Ökonomisierung, Globalisierung und »Big Science« begannen damit auch die Humangenetik zu prägen. Das Gen wanderte, metaphorisch gesprochen, im Laufe dieser Geschichte aus dem Behälterraum ins Labor und schließlich in die Hochleistungsrechner. Neue Technologien veränderten mit der Zeit den Gegenstand selbst. Statt einer eindeutigen Korrelation zwischen Gen und Phänotyp, von der auch die Humangenetiker lange ausgegangen waren, war das Gen nun zu einem Baustein bzw. einer mathematischen Größe mutiert. Die Individuen dagegen wurden als »Betroffene« humangenetischer Maßnahmen erkannt und zu »Gesprächspartnern« der Experten stilisiert. Der Aufstieg der Bioethik hatte einen Rollentausch ermöglicht: Experten ließen sich von Laien beraten, die wiederum machten sich selbst zu Experten. Dazu kam die Thematisierung der NS-Vergangenheit, die lange als »irrationaler« externer Angriff auf die Integrität des Faches abgewehrt worden war. Sie veranlasste Experten seit den 1980er Jahren jedoch, in gesellschaftlicher und historischer Hinsicht über die eigene soziale Verflechtung zu reflektieren und damit auch über das Arzt-Patienten-Verhältnis. Der Expertenkosmos pluralisierte sich, Experten verwandelten sich von einer Autorität in psychologisch sensible Manager, ohne jedoch die Asymmetrie zwischen Experten und Laien aufzuheben. Von dieser technologisch-gesellschaftspolitischen Entwicklung ist die Rassenanthropologie einfach abgehängt worden. Sie hat das »Container«-Denken nie überwunden. Und dann ist sie implodiert, denn die manische Datensammlung der Anthropologen hatte aller Zuversicht zum Trotz nie ausgereicht, um ihre Theoreme zu bestätigen. Stattdessen hatten sie am Ende in den zahllosen Karteikästen so viele widersprüchliche Daten angehäuft, dass das Material zunehmend die eigenen Hypothesen zerstörte. Die Rassenanthropologie ist nicht wissenschaftlich widerlegt oder in einer kritischen Diskussion erledigt worden, sondern durch stillschweigende Ausradierungsprozesse. Im Rückblick erscheint sie als Wissenschaft, die einen riesigen begrifflich-methodischen Apparat aufgezogen hatte, der dennoch mit sehr groben Kategorien arbeitete, um die viel zu wenigen, durch Fehler und Erhebungsirrtümer geprägten Daten in »vermutlich« sichere bevölkerungsbiologische Schlüsse umzuwandeln, deren Richtigkeit gleichwohl erst in der Zukunft erhärtet werden würde. Am Ende hatte sie sowohl den Anschluss an die neuen technologischen Mög-
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lichkeiten als auch ihre gesellschaftliche Relevanz vollständig verloren. Anders als beim Übergang von der physischen zur Rassenanthropologie hatte sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht neu erfinden können. Dass sie überhaupt so lange hatte sammeln können, lag an äußeren Bedingungen. Industrialisierung, Verstädterung, Kolonialismus, Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus und die Folgen des Zweiten Weltkrieges – immer wieder neue gesellschaftspolitische Kontexte waren entstanden, für die die Rassenanthropologie ihre – politisch nachgefragte – Lösung präsentierte, nämlich die biologische Neuordnung der Gesellschaft. Ihre Unschärfe funktionierte als Versprechen auf die Zukunft,4 solange die Gesellschaft auf dieses Versprechen setzte. Ohne diese Umwelt konnten die Verwerfungen innerhalb der Disziplin nicht mehr bewältigt werden.5 *** Und heute? Die Geschichte der Rassenanthropologie handelte von einer großen Angst (vor sozialer Auflösung) und einer großen Sehnsucht (nach sozialer Ordnung) in der Moderne. In den westlichen Industriegesellschaften ist dieses radikale Bedürfnis nach einer ständischen, fixierenden Sozialordnung obsolet geworden. Eines hat sich jedoch gehalten, und das könnte man als Erbe dieser Anthropologie bezeichnen, nämlich der Hang, eine bloße Anzahl von Menschen zu einer Art »Körper« zu überhöhen, dessen »erkrankte Organe« eine existenzielle Gefahr darstellen. Begrifflichkeit und Bezugsrahmen haben sich im 21. Jahrhundert sicherlich verändert. »Bevölkerung« als »Humankapital« zu denken, orientiert sich eher an ökonomischen denn an biologischen Denkmodellen. Eine gewaltige Investitionslücke habe sich aufgetan, so heißt es in mehreren Texten, hochqualifizierte Arbeitskräfte, kompetente Konsumenten, verantwortliche Eltern, partizipationsfähige Bürger und aktive Mitglieder einer Zivilgesellschaft, die eine moderne Nation benötige, um den »Anschluss an die Welt« nicht zu verpassen, begännen zu fehlen.6 Und so hat auch die Gesellschaft der »Leistungsträger« heute ihre Feinde, beispielsweise die »bildungsfernen Schichten«. Auffällig sind ja diese Verdikte: Die »Eigeninitiative vieler Unterschichtsfamilien fehlt«, hieß es 2006 im Spiegel. »Etliche haben sich eingerichtet in einem Leben, das durch hemmungslosen Fernsehkonsum, schlechte Ernährungsgewohnheiten und überdurchschnittlichen Alkohol- wie Nikotinkonsum geprägt ist. Kinder aus Problemfamilien sind im Schnitt di4 | Vgl. C. Hanke, Zwischen Auflösung und Fixierung, S. 259. 5 | Das arbeitet P. Germann, The Abandonment of Race, am Beispiel der Schweizer Rassenforschung konzise heraus. 6 | Vgl. z.B. F. X. Kaufmann, Schrumpfende Gesellschaft, S. 72-82, 105-109; T. Schultz, In Menschen investieren.
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cker als andere Gleichaltrige, sie können sich schlechter konzentrieren und lassen sich schneller von Misserfolgen entmutigen.« 7 Die Unterschichten, so schrieb der Journalist Ulrich Deupmann, »hätten die gegenteiligen Verhaltensweisen angenommen wie der klassische Facharbeiter- und Angestelltentyp. Statt stetig, diszipliniert und verlässlich seien sie unordentlich, spontan, unstrukturiert, hedonistisch und konsumistisch.« 8 Das ist »falsches« Verhalten, aber immerhin: nur ein Verhalten. Doch auch die Biologie blieb im Spiel, als der Erziehungswissenschaftler Heiner Rindermann im Jahre 2012, wie ehedem Elisabeth Pfeil, eine Korrelation zwischen Raum und Begabung postulierte – obwohl er entwaffnend offen zugab, wie wenig er über diese Zusammenhänge wisse. Trotzdem: »Menschen mit bestimmter genetischer Ausstattung suchen sich eine andere Umwelt aus und beeinflussen auch ihre Umwelt in einer bestimmten Form, wie es ihren Genen eher entspricht[,] und wie sie sich dann auch besser entwickeln können. Also, zum Beispiel Intelligentere gehen eher länger in die Schule, auf Universitäten, und die weniger Intelligenten, die meiden eher solche Umwelten. […] Bewertungen haben wir jetzt erst mal eigentlich nicht vorgenommen, wir haben nur darüber gesprochen, inwieweit Umwelt- und Genfaktoren vielleicht für internationale Unterschiede relevant sind. Dass dies dann von anderen Personen vielleicht rassistisch interpretiert werden kann und auch falsch benutzt werden kann, das ist möglich.«9 Rindermann gab sich in diesem Radiointerview vorsichtig, Thilo Sarrazin dagegen behauptete einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Sozialschichten und deren genetischer Ausstattung.10 Während bei Juden beispielsweise seit jeher eine hohe Intelligenz festzustellen sei, werde die deutsche Bevölkerung »gemessen an Bildungsindikatoren [zunehmend] weniger leistungsfähig. Dass in Deutschland überdurchschnittlich viele Kinder in sogenannten bildungsfernen Schichten mit häufig unterdurchschnittlicher Intelligenz aufwachsen, lässt uns schon aus rein demographischen Gründen durchschnittlich dümmer werden. Der Anteil der Menschen, der aufgrund mangelhafter Bildung sowie intellektueller Mängel nur schwer in das moderne Arbeitsleben integriert werden kann, nimmt strukturell zu.«11 Neu ist diese Behauptung nicht, schon das Programm einer »Sozialgenetik« hatte 1970 festgeschrieben: »Wenn in einer Bevölkerung durch Siebung oder ethnische Überlagerung eine Ausdifferenzierung von Schichten oder anderer 7 | J. Fleischhauer u.a., FAMILIENPOLITIK. 8 | U. Deupmann, Die Macht der Kinder, S. 179. Deupmann beruft sich auf den Politologen Franz Walter. 9 | H. Rindermann, Gibt es Unterschiede in Intelligenz und Wissen zwischen den Bevölkerungen verschiedener Länder? 10 | Z.B. T. Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, S. 90-100, 353, 357. 11 | Ebd., S. 100.
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Sozialgruppen eingetreten ist, die sich in ihrer genetischen Zusammensetzung und in ihrem Fortpflanzungsverhalten unterscheiden, so sind quantitative Änderungen der genetischen Zusammensetzung der Bevölkerung, nämlich Veränderung [sic] der relativen Genhäufigkeit von Generation zu Generation zu erwarten.«12 Und Ilse Schwidetzkys Schüler Rainer Knußmann behauptete 1996 in seinem Lehrbuch zur Anthropologie und Humangenetik, dass sich bei den europäischen Juden auf Grund jahrhundertelanger staatlicher Repressionen nur die besonders durchsetzungsfähigen Erblinien erhalten hätten – eine jüdische Hochleistungselite sei von diskriminierenden Gesetzgebern geradezu herangezüchtet worden.13 Angeblich zeichnen sich also soziale Gruppen, Schichten und Ethnien nicht nur durch je eigene Verhaltensweisen aus, diese werden zudem in eine biologische Qualität verwandelt, die dann dank eines spezifischen Fertilitätsverhaltens vererbt wird – oder eben nicht.14 Vollkommen unklar bleibt in solchen Texten, was schon im 19. Jahrhundert unklar gewesen war, nämlich inwieweit sich Sozialverhalten in Genen niederschlagen kann, inwieweit Sozialverhalten genetisch determiniert ist. Das zu klären, ist diesen Autoren kaum ein Anliegen, und Heiner Rindermann argumentiert in dieser Hinsicht recht typisch, wenn er in ein und derselben Spalte einer Rezension schreibt: »Es gibt […] bei Tieren Belege für Gene, warum sollte es beim Menschen keine Gene geben? […] Bis heute fehlen aber noch größere und robustere Effekte [d.s. Belege für die Korrelationen von Genen und Intelligenz]. […]. Ohne den Beleg einzelner Intelligenzgene und ihrer Wirkmechanismen fehlt noch ein wichtiger Baustein. Allerdings stehen andere Wissenschaften, etwa die Astrophysik […] vor ähnlichen Herausforderungen. Es gibt somit robuste Belege für die Erblichkeit individueller Unterschiede […], es fehlen aber die genauen Gene und eine detaillierte Beschreibung ihrer Wirkung. […] [W]ie können dann Autoren, die in wissenschaftlichen Verlagen Buchbeiträge verfassen, unterstellen, Intelligenz sei nicht vererblich?«15 Vielleicht, so Rindermann, könne man zur Erklärung für diese »Realitätsvermeidung« das Phänomen der »Holocaustleugnung […] heranziehen: Bedürfnisse nach ideologischer Geschlossenheit können so stark sein, dass Erfahrung und epistemische Rationalität keine Chance erhalten.«16
12 | P. E. Becker/H. W. Jürgens, Sozialgenetik – ein Programm, S. 10. 13 | Vgl. R. Knußmann, Vergleichende Biologie des Menschen, S. 428f. 14 | Vgl. zur Renaissance eugenischen bzw. erbbiologischen Denkens S. Kühl, Die Internationale der Rassisten, S. 280-322. 15 | H. Rindermann, Rezension von M. Haller/M. Niggeschmidt (Hg.), Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz/D. E. Zimmer, Ist Intelligenz erblich?, S. 297. 16 | Ebd., S. 298. Zur Aktualität des Themas am ganz rechten Rand vgl. A. Lüddecke, Rassen, Schädel und Gelehrte, S. 297-339.
Und heute?
Es scheint in zahlreichen Texten ein spezifisches Bild der »Bevölkerung« auf, aus einer leistungsfähigen, »deutschen« Mittelschicht und einigen wenigen produktiven »Ausländern« bestehend, durchsetzt von sozialen Leistungsverweigerern und parasitären Zuwanderern aus dem Osten und Süden, die die Sozialsysteme plündern und den Staat zersetzen.17 Zwei Sympathisanten Sarrazins haben deutlich formuliert, worum es geht: »Sarrazins Buch ist im Grunde genommen eine Art bürgerlicher Kampfschrift für Stabilität und Disziplin, Eigenverantwortung und Leistungsprinzip, Realismus und Pragmatismus, Erziehung und Fleiß.«18 Und genau diese idealisierte Lebenswelt scheint bedroht in einer Gegenwart, in der eine geradezu irrwitzige Beschleunigung des Lebenstempos, des sozialen Wandels und der technischen Entwicklungen verunsichernd erfahren wird.19 Als vermeintlicher Stabilitätsfaktor wird »Bevölkerung« vielleicht deshalb von einigen Autoren nach wie vor als eine homogen gewünschte Entität begriffen, in die sozial wertende Grenzziehungen nach außen und im Innern eingezogen werden. Ob nun konstitutionelle Merkmale (Hautfarbe, Gehirngewicht) auf soziale (Gesetzestreue, Geselligkeit, Aggressivität) oder biologische (Intelligenz, Aids-Raten usw.) bezogen werden, immer wieder wird eine wertende Differenzierung menschlicher Gruppen genetisch zu begründen versucht 20 – eine vollkommen unzulässige »Konfusion von Kausalität und Korrelation«, wie es in einem verärgerten Spiegel-Artikel gegen die »Wiederkehr des biologischen Fundamentalismus« hieß: »Wohin Genetiker auch schauen, wenn sie nur lange genug schauen – alles vererbt.«21 Als der Genetiker James Watson behauptete, dass die verschiedenen Ethnien unterschiedlich intelligent seien, nannte ihn der Kulturwissenschaftler Henry Louis Gates einen »Rassifizierer« (racialist), der zu einer Stabilisierung von Rassenstereotypen beitrage und sie mit der Aura des Nobelpreisträgers »verwissenschaftliche«.22 Und genau das, so Tino Plümecke, zeige, welche Relevanz soziale Teilungen selbst in Forschungen zu den kleinsten Einheiten des Lebens (DNA, Nukleinbasen) entfalten können. Wenn beispielsweise Forscher im Erbgut auf 400 »Marker« stießen, die sie in fünf Gruppen einteilten, die den Kontinenten Afrika, Europa, Asien, Melanesien und Amerika entsprachen, so lag das nicht »in der Sache« begründet, sondern darin, dass Kontinente eine etablierte Kategorie bilden: Räume mit der Aura »natürlicher 17 | So der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn: H.-W. Sinn, Verspielt nicht Eure Zukunft, S. 65-71. 18 | H. Rindermann/D. Rost, Intelligenz von Menschen und Ethnien. 19 | Vgl. dazu die eher assoziative Studie von Hartmut Rosa: H. Rosa, Beschleunigung. 20 | Vgl. T. Plümecke, Rasse in der Ära der Genetik, S. 238-242. 21 | J. Neffe, Alle Macht den Genen?, S. 168, 170. 22 | T. Plümecke, Rasse in der Ära der Genetik, S. 240.
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Grenzen«. Die Feingliederung dieser Marker dieser Studie richtete sich dann wahlweise nach Völkern, Ethnien, Regionen und Nationen (z.B. Palästinenser, Maya, Sardinier, Franzosen)23 und schrieb auf diese Weise (ungewollt) alte Rasseneinteilungen fest. »Aussagen aus den Forschungen der aktuellen Leitwissenschaften können somit immer leicht mit rassistischen Vorstellungen verknüpft werden und die Lebenswissenschaften werden gern als Instanz herangezogen[,] um natürliche Differenzen zwischen den Rassen zu belegen.« Da die Fragen nach der Essenz rassischer Unterschiede in der Genetik weiterbestünden, sei es möglich, sie »mit jener Tradition rassistischer Narrative zu verbinden, die von Differenzen in grundlegenden Eigenschaften des Menschen ausgehen.«24 So sei die »Gleichzeitigkeit von rassifizierenden Teilungen und gegen Rassismus gerichteten Aussagen«, möglich, weil Rassismus mit den klassischen Rassentheorien verbunden wird, »die rassifizierenden Einteilungen der Populationsgenetik […] aber als wissenschaftlich neutral« dastünden.25 Das Bedürfnis sitzt offenbar tief, aus weltanschaulichen oder ökonomischen Gründen eine Population als »Bevölkerung« zu behandeln und auf diese Weise Individuen zu klassifizieren. Das sind die Geister, die – unter anderem – die Rassenanthropologie hervorgerufen hatte, und die noch heute spuken. Deshalb sollte man die elaborierten Techniken kennen, mit denen seit dem 19. Jahrhundert eine Weltanschauung naturalisiert wurde, um durchschauen zu können, wie »Rassifizierer« und »Sozialdifferenzierer« noch heute erfolgreich eine vermeintliche Evidenz der Objektivität erzeugen können. Der Bauer und Kulturwart Alfons Commer hatte es ja ganz anders gemeint, als er dem Reichsnährstand 1935 über die rassische Situation im Rheinland berichtete: »Es gibt bei der geschilderten Vielheit des Ursprunges der Gesamtrasse unseres Kreises [Bergheim] kein Wunder, dass, wenn man z.B. die Kinder in Kirche oder Schule beisammensieht, bald schwarze, dann blonde, dann wieder helle, dann braune oder rote Haare sieht. Der eine hat blaue Augen, der andere graue, graublaue, braune. Der eine hat Rundschädel, der andere Langschädel, ein dritter wieder eine Mischung der beiden Schädelformen.«26 Genau so aber war und ist in der Tat die Welt, so sollte (und soll) sie für einige jedoch nicht sein. Vielfalt erscheint als Bedrohung, weil sie Lebensentwürfen Raum bietet, in denen der soziale und nationale Abstieg imaginiert wird. Und so hat »Bevölkerung« seit dem 19. Jahrhundert zwar etwas ihre Figur gewandelt, die Sprache ist oft vorsichtiger geworden, doch nach wie vor ist sie eine zutiefst politisierbare, recht 23 | Ebd., S. 176, Abb. 5. 24 | Ebd., S. 241f. 25 | Ebd., S. 178. 26 | Alfons Commer an die Kreisbauernschaft Bergheim, 7.12.1935, Bl. 5 (LA NRW, RW 24/1003).
Und heute?
stabile Entität, nach wie vor gilt, was der Nationalökonom Julius Wolf bereits 1931 formuliert hat, nämlich »daß die Bevölkerungsfrage von heute in ihrem tiefsten Grunde eine Frage der Ordnung der Welt ist.«27
27 | J. Wolf, Artikel »Bevölkerungsfrage«, S. 65 (Hervorh. im Orig.).
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Epilog Eine untote Wissenschaft
Physische und Rassenanthropologie haben nicht nur lebende Menschen vermessen, sondern auch Skelette untersucht. Die Skelette wurden in vor- und frühgeschichtlichen Grabanlagen gefunden, Anatomische Institute und Pathologieabteilungen an den Kliniken stellten verstorbene Obdachlose oder Straftäter zur Verfügung, teilweise stammten diese aus den Kolonialgebieten Afrikas oder der Südsee. Dort waren sie von Forschungsreisenden aufgekauft oder aus Gräbern geplündert worden, auch wurden, wenn sich die Gelegenheit bot, Opfer des Krieges zwischen Deutschen und Herero umgehend präpariert oder, konserviert, vollständig nach Deutschland gesandt. Einige Forscher übten skrupellos Zwang aus, andere, wie Felix von Luschan, versuchten, »ohne dass irgendwie Aergernis erregt werden kann, wo immer es daher möglich ist, auf correcte Weise und ohne die Eingeborenen zu verletzen, zu Schädeln zu kommen«.1 So entstanden in Deutschland und anderen europäischen Ländern umfangreiche Skelett- und Schädelsammlungen, die der anatomischen Forschung und Lehre dienten. Grundsätzlich galten diese Sammlungszüge in den Kolonien nicht als unethisch, zumal viele der »Eingeborenen« die Überreste ihrer Vorfahren freiwillig herzugeben schienen. Doch auch die Anthropologen damals waren sich durchaus bewusst, dass es problematisch war, den Gräbern Skelette und Schädel gegen den Willen der Nachfahren zu entnehmen. Solche klandestinen Grabschändungen konnten in politischen Krisen und nächtlichen Fluchten münden.2 Heute stellen diese Sammlungen ein Dilemma dar.3 Zunehmend nämlich werden erworbene und geraubte Gebeine von den Herkunftsländern zurück1 | Felix von Luschan an F. Krause, 22.1.1907, zit.n. B. Kunst/U. Creutz, Geschichte der Berliner anthropologischen Sammlungen von Rudolf Virchow und Felix von Luschan, S. 93. 2 | Vgl. D. Henrichsen, Die »Skelettaffaire« und andere »Geheimnisse«. 3 | Vgl. hierzu den instruktiven Sammelband von H. Stoecker/T. Schnalke/A. Winkelmann (Hg.), Sammeln, Erforschen, Zurückgeben?
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gefordert. Diese Restituierungsforderungen weisen eine deutlich politische Dimension auf. Sie können – je nach Herkunftsland ist das unterschiedlich – dazu dienen, das Verhältnis zwischen ehemaligen Kolonien und Kolonialmächten zu verhandeln, sie entfachen Kontroversen um die Erinnerung an die eigene Geschichte, dienen dem Kampf um die Anerkennung indigener Rechte, nicht zuletzt werden die Überreste re-subjektiviert, wieder zu den Personen gemacht, die sie einmal gewesen sind; die Rückgabe wird zum Heilungsprozess. Auf der anderen Seite argumentieren einige Museen, dass die anthropologischen Sammlungen mittlerweile selbst zu einem historischen Zeugnis, zu einem Teil der Geschichte europäischer Museen geworden seien, auch sollte man sie, »als eine Art ›Archiv‹ der Menschheitsvergangenheit« erhalten, das »mit modernen natur- und kulturwissenschaftlichen Methoden befragt werden« könne, etwa im Hinblick auf morphologische Unterschiede von Populationen.4 Entsprechend schwierig gestalten sich die Diskussionen und Rückgabeverhandlungen. Da sind zum einen »technische« Fragen zu klären, also wie man einen ehemaligen »Unrechtskontext« als Grundlage der Rückführung der Gebeine feststellt, wie weit das Unrecht zurückliegen darf, um noch relevant zu sein, wer die Materialsammlung als Unrecht empfindet oder empfand, wem die menschlichen Überreste »gehören« oder ob die Antragsteller überhaupt zu einer Rückforderung berechtigt sind. Zum anderen entstehen diplomatische Konflikte zwischen Regierungen, Entschädigungsforderungen stehen im Raum, unterschiedliche Rechtsverständnisse prallen aufeinander, Befindlichkeiten sind rasch verletzt, Übergaberituale werden unterschiedlich gehandhabt. Auch fehlt gegenseitiges Verständnis für die wissenschaftlichen Interessen der besitzenden Sammlungen wie umgekehrt dafür, dass die restituierten menschlichen Überreste »in den Empfängerländern in hochdynamische und komplexe kulturelle, soziale und politische Diskurse, Prozesse und Praktiken eingebunden werden. Sie verändern darin ihren Status und ihre Bedeutung und entfalten oft ungeahnte Wirkmacht und Relevanz.«5 Das Problem lässt sich so auf den Punkt bringen: »In vielen anthropologischen Sammlungen Europas lagern körperliche Reste des Menschen […], die unter Bedingungen erworben wurden, die unseren heutigen ethischen und politischen Prämissen und Ansprüchen an die Gewinnung von wissenschaftlichem Untersuchungsgut nicht mehr entsprechen. Gleichzeitig bilden diese Reste […] eine direkte Quelle von Evidenzen für die Rekonstruktion der Geschichte unserer Art. Für dieses Dilemma scheint es keine einfache und generelle Lösung zu geben.«6 4 | B. Teßmann/B. Jungklaus, Der Wert anthropologischer Sammlungen für die naturwissenschaftliche Forschung, S. 304. 5 | L. Förster, »You are giving us the skulls – where is the flesh?«, S. 420. 6 | M. Teschler-Nicola, Das forMuse-Projekt und die Beforschung und Restitution überseeischer menschlicher Skelettreste in Wiener Sammlungen, S. 276.
Epilog
Geradezu absurde Züge nimmt diese Nachgeschichte aber an, wenn es um die Bestimmung der menschlichen Überreste geht. Deren Dokumentation ist nämlich ausgesprochen unvollständig. Das lag teils an einer ungenauen Erhebungsarbeit, teils an immer neuen Umverzeichnungen der Sammlungen, teils an Kriegsverlusten schriftlicher Unterlagen. Im Rahmen der Restitutionen müssen deshalb unvollständige schriftliche Verzeichnisse mit bruchstückhaft markierten Skelettteilen oder mumifizierten Köpfen abgeglichen und anthropologisch die Lebensumstände der Verstorbenen rekonstruiert werden, um diese zu re-individualisieren und »ihrer Ethnie« zuordnen zu können. Diese Provenienzforschung ist eine ausgesprochen aufwendige Detektivarbeit und zugleich aus ethischen Gründen heikel, denn sie reproduziert und zementiert möglicherweise die aus der Kolonialzeit stammenden rassischen Zuschreibungen. Und können gar »biologische Merkmale heute noch sinnvoll für Zuordnung und Abgrenzung menschlicher Gruppen und Populationen verwendet werden?« 7 Das »Charité Human Remains Project« ist seit 2010 an der Berliner Charité situiert und begleitet die Restitution von menschlichen Überesten an Namibia und Australien wissenschaftlich. Auf einem Workshop gab es hierüber einen Disput zwischen Geisteswissenschaftlern und Anthropologen. Erstere lehnten »solche Zusammengehörigkeitsdefinitionen aufgrund biologischer Merkmale kategorisch« ab,8 während zwei der beteiligten Anthropologen die Stärke ihres Ansatzes darin sahen, statistisch – einen großen Datensatz anthropologischer Messwerte vorausgesetzt – Herkunftswahrscheinlichkeiten berechnen zu können. Schädel und Knochen müssten vermessen und statistisch Ähnlichkeitsbeziehungen zu anderen Knochenfunden herausgefiltert werden. »Unter der Annahme populationsspezifischer Ausprägungsformen kann man nun die Landmark-Konfigurationen eines Individuums ungeklärter Herkunft mit denen bekannter Gruppen vergleichen und dadurch Aussagen über die Zugehörigkeit, im Sinne statistischer Wahrscheinlichkeiten, formulieren.« Das sei keine Typisierung im Sinne der alten Rassenlehren, »sondern es wird evaluiert, ob das Individuum innerhalb der Variationsbreite bekannter Gruppen liegt.«9 Mit Hilfe einer solchen »biologischen Distanzanalyse« beanspruchen Anthropologen, eine statistische Korrelation zwischen phänotypischen Merkmalen, geografischem Raum, Genetik und Population sowie statistisch signifikante »Populationsdivergenzen« ausmachen zu können.10 Allerdings ließen sich Individuen allein anhand morphologischer Merkmale nie eindeutig einer 7 | H. Stoecker/T. Schnalke/A. Winkelmann, Zur Einführung, S. 21. 8 | Ebd. 9 | U. Wittwer-Backofen/S. Schlager, Anthropologische Zugänge zur Provenienzklärung menschlicher Skelettüberreste in Sammlungen, S. 233. 10 | Ebd., S. 238.
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Population zurechnen, deshalb müsse die anthropologische Bestimmung auf jeden Fall durch die Auswertung schriftlicher Dokumente erhärtet werden. So entstand die paradoxe Situation, Überreste, die gesammelt worden waren, um Rassentheorien zu belegen, nach dem Ende dieser Rassentheorien anthropologisch bestimmen zu müssen, um sie ethnisch zuordnen zu können. Untot geistert derart die Rassenanthropologie durch die Gegenwart und drängt sich wie ein ungebetener Gast in die seriöse Forschung hinein. In populistischen Büchern treiben Reste ihr Unwesen, und alte Schädelsammlungen mischt sie auf. Das Geschöpf, welches sie im »Experimentalsystem« und unter dem Einfluss der Matrix zu schaffen versucht hatte, hat sie nie vollenden können. Aber sie hat zumindest »Bevölkerung« in ihrer spezifischen Form als etwas evident machen können, das es zu regulieren galt und gilt. Individuen dürfen demnach nicht einfach leben, ihnen wird eine sozio-biologische Verantwortung – oder ein Schadpotenzial – für das Kollektiv zugeschrieben. Dieser nach wie vor ungebrochene Glaube verdankt sich auch einer auf den ersten Blick so eigentümlichen Wissenschaft wie der Rassenanthropologie.
Anhang
Dank
Ich danke der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die meine Archivreisen finanziell ermöglichte, einer ganzen Reihe von Archiven, die mich, wenn man vom Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin absieht, allesamt äußerst zuvorkommend bei der Materialerhebung unterstützt haben, sowie Walter Pietruszka von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der mir die älteren Förderakten der DFG zugänglich gemacht hat. Ich danke dem Zentrum für Zeithistorische Forschung, an dem ich das Projekt drei Monate als Gastwissenschaftler vorantreiben und zur Diskussion stellen konnte. Die Teilnehmer mehrerer Kolloquien und Workshops haben mich mit wichtigen Hinweisen versehen, ganz besonders aber danke ich, in alphabetischer Reihenfolge, Michael Hochgeschwender, David Kuchenbuch, Ariane Leendertz, Timo Luks, Anette Schlimm und Dirk Thomaschke sowie erneut derjenigen, der ich dieses Buch widmen würde, wenn sie das nicht ablehnte. Sie alle haben einmal mehr durch ihre dezidierte Kritik entscheidend dazu beigetragen, diesen Text stringenter und besser zu machen.
Abbildungsverzeichnis
Titelbild: Rieger, Conrad: Eine exacte Methode der Craniographie, Jena 1885, Fig. 10, nach S. 26 Abb. 1-3: Mayr, Georg von: Die Gesetzmäßigkeit im Gesellschaftsleben. Statistische Studien, München 1877, S. 73, 84, 88 Abb. 4: Mayr, Georg von: Zur Methodik und Technik statistischer Karten, in: Allgemeines Statistisches Archiv 7 (1907-14), S. 131-157, hier S. 136 Abb. 5: Mayr, Georg von: Gutachten über die Anwendung der graphischen und geographischen Methode in der Statistik, in: Zeitschrift des Königlich-Bayerischen Statistischen Bureaus 6 (1874), S. 36-44, hier Fig. XIX (am Ende des Bandes) Abb. 6: Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.): Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 223: Bewegung der Bevölkerung im Jahre 1907, Berlin 1909, S. 49* Abb. 7: Roesle, E.: Sonder-Katalog für die Gruppe Statistik der wissenschaftlichen Abteilung der Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1911, Dresden 1911, Reproduktion Nr. 12 (Ausschnitt) Abb. 8: Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 401: Volkszählung. Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1925. Teil I: Einführung in die Volkszählung 1925. Tabellenwerk, Berlin 1928, S. 556 Abb. 9, 10: Martin, Rudolf: Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung. Mit besonderer Berücksichtigung der anthropologischen Methoden. Für Studierende, Ärzte und Forschungsreisende, Jena 1914, S. 551, 193 Abb. 11: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin, III. Abt., Rep. 86A: Nachlass Otmar Frhr. von Verschuer, Nr. 106-107, Mappe 3, Bild 8 Abb. 12: Martin, Rudolf: Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung. Mit besonderer Berücksichtigung der anthropologischen Methoden. Für Studierende, Ärzte und Forschungsreisende, Jena 1914, S. 265 Abb. 13: Ammon, Otto: Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Entwurf einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen Fragen befassen, Jena 1895, S. 83
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Abb. 14-16: Fischer, Eugen: Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen. Anthropologische und ethnographische Studien am Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwest-Afrika, Jena 1913, S. 77, 196, Tafeln 4, 11 Abb. 17: Just, Günther (Hg.): Handbuch der Erbbiologie des Menschen, 5 Bde., Berlin 1939/40, Bd. 1, S. 10 Abb. 18: Scheidt, Walter: Niedersächsische Bauern II. Bevölkerungsbiologie der Elbinsel Finkenwärder vom dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart, Jena 1932, Anhang (Ausschnitt) Abb. 19: Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes, München 61924, S. 100 Abb. 20: Gottong, Heinrich: Die Bevölkerung von Hoyerswerda-Land. Ein Beitrag zur Kenntnis der preußischen Oberlausitz (Geschichte/Lebensform/ Rassen), Würzburg 1939, Tafel XII (Ausschnitt) Abb. 21, 22: Hellpach, Willy: Deutsche Physiognomik, Berlin 1942, Tafel XXXII (Ausschnitt), Karte 1 Abb. 23: Scheidt, Walter: Physiognomische Studien an niedersächsischen und oberschwäbischen Landbevölkerungen. Beschreibende Physiognomik und physiognomische Statistik, Jena 1931, S. 54, 56 Abb. 24: Eickstedt, Egon Frhr. von: Die Forschung am Menschen, 3 Bde., Stuttgart 1940-1963, Bd. 1, S. 51 Abb. 25: Eickstedt, Egon Frhr. von: Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit, Stuttgart 1934, S. 55 Abb. 26: Schwidetzky, Ilse: Methoden zur Kontrolle der v. Eickstedtschen Rassenformeln, in: Zeitschrift für Rassenkunde 1 (1935), H. 2, S. 32-40, hier S. 34f. Abb. 27: Eickstedt, Egon Frhr. von: Die Forschung am Menschen, 3 Bde., Stuttgart 1940-1963, Bd. 1, S. 558f. Abb. 28: Saller, Karl: Die Keuperfranken. Eine anthropologische Untersuchung aus Mittelfranken, Jena 1930, S. 63 Abb. 29: Rechenbach, Horst: Moordorf. Ein Beitrag zur Siedlungsgeschichte und zur sozialen Frage, Berlin 1940, S. 69, 80 Abb. 30: Bohn, Hans: Schwäbische Kleinbauern und Arbeiter der Gemeinde Frommern (Kreis Balingen). Ihre Geschichte, Bevölkerungsentwicklung und Rassenzugehörigkeit, Stuttgart 1940, S. 69 Abb. 31: Gaßmann, Gerhard: Die Schwarzwälder vom Nagoldursprung. Eine rassenkundliche Untersuchung aus dem Kreis Freudenstadt des württembergischen Schwarzwalds. Besenfeld, Göttelfingen, Hochdorf mit den Weilern Eisenbach, Schernbach und Urnagold, Stuttgart 1941, S. 90 Abb. 32: Eickstedt, Egon Frhr. von: Rassenuntersuchung Deutschlands, in: Zeitschrift für Rassenkunde 3 (1936), S. 162-171, hier S. 167 Abb. 33: Eickstedt, Egon Frhr. von: Ausgewählte Lichtbilder zur Rassenkunde des deutschen Volkes, Stuttgart o.J. (1933), nach S. 24
Abbildungsverzeichnis
Abb. 34: Schwidetzky, Ilse/Walter, Hubert: Untersuchungen zur anthropologischen Gliederung Westfalens, Münster 1967, S. 151 Abb. 35: Schwidetzky, Ilse/Walter, Hubert: Untersuchungen zur anthropologischen Gliederung Westfalens, Münster 1967, S. 70 Abb. 36: Schwidetzky, Ilse: Anthropologische Untersuchungen in RheinlandPfalz: Physiognomische Merkmale, in: Homo 26 (1975), S. 51-56, hier S. 53 Abb. 37: Günther, Hans F. K.: Kleine Rassenkunde Europas, München 1925, S. 96; Schwidetzky, Ilse: Rassen und Rassenbildung beim Menschen. Typen – Bevölkerungen – Geographische Variabilität, Stuttgart, New York 1979, S. 50
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Biogramme 1
Otto Ammon (1842-1916), Anthropologe. Studium der Ingenieurswissenschaften in Karlsruhe, 1863-1868 Bahnbauingenieur. Um politische Vorstellungen des Liberalismus verwirklichen zu können, wurde er anschließend Journalist und Besitzer der »Konstanzer Zeitung«. Ab 1883 aus gesundheitlichen Gründen Privatgelehrter in Karlsruhe, Mitglied des Karlsruher Altertumsvereins. Seit 1886 anthropologische Erhebungen an badischen Rekruten, 1896 Erwerb der »Badischen Landeszeitung« als Sprachrohr für seine gesellschaftspolitischen Ansichten. Korrespondierendes Mitglied mehrerer ausländischer wissenschaftlicher Akademien und anthropologischer Vereine. Ammon schrieb mit seiner »Anthropologie der Badener« eine Referenzstudie der Rassenanthropologie, über die seine Nachfolger nach eigenem Bekunden nicht hinauskamen. Als Gegner der Sozialdemokratie versuchte er außerdem, seine anthropologischen Erkenntnisse gesellschaftstheoretisch zu wenden und nachzuweisen, dass eine ständische Gesellschaftsordnung der »Natur« entspreche. Karl Astel (1898-1945), Rassenkundler und Rassenhygieniker. Helmut Baitsch (1921-2007), Anthropologe, Humangenetiker. Baitsch gehörte zu denjenigen Nachwuchswissenschaftlern, die von der Anthropologie in die Humangenetik wechselten. Zusammen mit Ilse Schwidetzky versuchte er weiterhin, die Anthropologie vor dem Untergang zu retten. Er zählte er zu den kritischeren Köpfen des Faches, setzte sich jedoch – in mehreren Vorträgen – nur verhalten (aber immerhin) mit dessen Geschichte vor 1945 auseinander. Als Naturwissenschaftler interessierten ihn nach eigener Aussage künftige Möglichkeiten der Genetik stärker als die Vergangenheit der Anthropologie. 1 | Die wichtigen Protagonisten dieses Buches werden ausführlicher, Nebendarsteller knapp dargestellt. Die Angaben stammen v.a. aus R.-J. Lischke, Biographisches Lexikon zur Geschichte der Demographie; K. Geisenhainer, »Rasse ist Schicksal«, S. 470488; H.-W. Schmuhl (Hg.), Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933, S. 328-345, sowie aus der »Neuen Deutschen Biographie«.
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Erwin Baur (1875-1933), Erbbiologe und Pflanzenzüchter. Studierte Medizin und Botanik, Promotion in beiden Fächern 1900 bzw. 1903. 1904 Habilitation, 1914 Austauschprofessor in den USA. Im Anschluss daran Gründung des ersten Instituts für Vererbungslehre in Friedrichshagen bei Berlin, 1922 eines weiteren in Dahlem und 1929 des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Pflanzenzüchtung und Vererbungsforschung in Dahmsdorf. Grundlage für Baurs Arbeiten bildeten Bastardisierungsversuche an verschiedenen Arten des Löwenmauls, sowie der Analyse der Erbfaktoren dieser Pflanze. Er publizierte 1921 zusammen mit Eugen Fischer und Fritz Lenz das Standardwerk der Erbbiologie, den »Baur/ Fischer/Lenz«, der in zahlreichen Auflagen erschien. Franz Boas (1858-1942), Ethnologe, Anthropologe. Studium der Mathematik, Physik, Geografie und Ethnologie. 1881 Promotion, 1886 Habilitation. Irritiert über den zunehmenden Antismitismus und mangelnde wissenschaftliche Aussichten in Deutschland emigrierte er 1887 in die USA. Mehrere ethnologische Expeditionen in den USA, leitete u.a. zwischen 1897 und 1902 ein Projekt zur Erforschung der frühen Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents und der Kultur seiner Ureinwohner. Bis 1936 Professor für Anthropologie an der Columbia University in New York und maßgeblich an der Gründung der American Anthropological Association beteiligt. Friedrich Burgdörfer (1890-1967), Statistiker und Bevölkerungswissenschaftler. Studium der Staatswissenschaften, Promotion 1916. Als Schüler Friedrich von Zahns am Bayerischen Statistischen Landesamt, 1921 Regierungsrat am Statistischen Reichsamt in Berlin. Organisierte die Volkszählung von 1925, 1939 Präsident des Bayerischen Statistischen Landesamtes in München. Beteiligt an der NS-Rassen- und Bevölkerungspolitik. 1945 Entlassung durch die Alliierten. Burgdörfer wurde berühmt durch sein Buch »Volk ohne Jugend«, in dem er eine katastrophische Prognose der deutschen Bevölkerungsentwicklung entwarf und sprachlich-grafisch erfolgreich popularisierte. In zahlreichen weiteren Publikationen trug er dazu bei, die bis heute wirkmächtige Angst vor einem Aussterben, einer Überalterung und Überfremdung der deutschen Gesellschaft festzuschreiben. In der Bundesrepublik wurde ihm angelastet, durch sein Engagement im NS die Demografie politisch diskreditiert zu haben. Houston Stewart Chamberlain (1855-1927), britischer Schriftsteller. Einflussreicher Popularisierer rassenkundlichen und antisemitischen Denkens. Ludwig Ferdinand Clauß (1892-1974), Psychologe und Rassentheoretiker. Wichtiger Propagandist der Rassenkunde und Begründer der »Rassenseelenkunde«.
Biogramme
Egon Freiherr von Eickstedt (1892-1965), Anthropologe und Rassenkundler. Studium der Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie. Promotion 1920, Privatdozent für Anthropologie und Völkerkunde in Breslau und Leiter der Deutschen Indien-Expedition (1926-1929). 1929 Dozent und Direktor des Anthropologischen Instituts in Breslau, 1932 Direktor des Ethnographischen Instituts in Breslau. Außerordentlicher Professor für Rassen- und Völkerkunde 1933, ordentlicher Professor 1934. 1946-1960 Professor in Mainz. Hatte im Nationalsozialismus mit Schwierigkeiten zu kämpfen, war aber kein Gegner des Regimes. Gründer der »Zeitschrift für Rassenkunde« (erschienen 1934-1944) sowie der Nachfolgezeitschrift »Homo« (seit 1949). Gehörte zu den führenden Vertretern seiner Disziplin, die er durch Formalisierung naturwissenschaftlich zu härten suchte. Wurde nach 1945 von den Kollegen nur noch wenig rezipiert. Eugen Fischer (1874-1967), Mediziner und Anthropologe. Studierte Medizin. 1898 Promotion und Approbation als Arzt, 1900 Habilitation und Privatdozent für Anatomie. Unternahm eine für die Erbbiologie wichtige Forschungsreise zu den »Rehoboter Bastards«, um die Gültigkeit der Mendel’schen Vererbungsregeln für den Menschen nachzuweisen. Ab 1918 außerordentlicher Professor und dann Direktor des Anatomischen Instituts in Freiburg. Im Ersten Weltkrieg Militärchirurg. Fischer schrieb zusammen mit Fritz Lenz und Erwin Baur den »Baur/Fischer/Lenz« (»Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene«, zuerst 1921), eines der wichtigsten Standardwerke der Erbbiologie. 1927 Ruf nach Berlin und Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Herausgeber der Schriftenreihe »Deutschen Rassenkunde«, trat 1940 der NSDAP bei. Nach erfolgreicher Entnazifizierung spielte Fischer aus Altersgründen keine größere Rolle mehr in der Wissenschaft. Francis Galton (1822-1911), britischer Naturforscher und Schriftsteller. Übertrug Charles Darwins Vererbungslehre auf die Menschen und führte den Begriff der »Eugenik« ein. Auch in Deutschland außerordentlich einflussreich für die Rassenkunde. Wilhelm Gieseler (1900-1976), Mediziner und Anthropologe. Studium der Medizin und Anthropologie, Promotion 1924, Habilitation 1925, Professor seit 1934. Direktor des Rassenbiologischen Instituts in Tübingen. Initiierte in Württemberg eine der wenigen rassenkundlichen Flächenuntersuchungen Deutschlands. Nach dem Krieg Konzentration auf die Paläoanthropologie. Hans F. K. Günther (1891-1968), »Rassenpapst«. Studierte Vergleichende Sprachwissenschaften und Germanistik; 1914 Promotion. Nach dem Ersten Weltkrieg
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zunächst Lehrer, zugleich dichterische Tätigkeit. Auf Drängen des Verlegers Julius F. Lehmann verfasste er die »Rassenkunde des deutschen Volkes«, die 1922 in sofort zwei Auflagen erschien. 1929 Kurzfassung des Buches als »Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes«. Von ihr waren bis 1942 295.000 Exemplare verkauft worden. Günther war einer der wichtigsten Repräsentanten der »Nordischen Bewegung«. 1923 zog er nach Norwegen und heiratete dort, danach arbeitete er am »Staatlichen Institut für Rassenbiologie« in Uppsala. 1929 Rückkehr nach Deutschland und auf Betreiben der Nationalsozialisten – aber gegen den Willen der Fakultät – Ruf auf einen Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Universität Jena. 1935 Professor für Rassenkunde, Völkerbiologie und Ländliche Soziologie in Berlin, 1939 Ruf nach Freiburg. Nach dem Krieg wurde Günther drei Jahre interniert, ab 1951 weitere schriftstellerische Tätigkeiten. Von Wissenschaftlern wurde ihm die Diskreditierung rassehygienischen Denkens angelastet. Hans Wilhelm Jürgens (*1932), Anthropologe. Vertreter der jüngeren Generation. Jürgens versuchte 1959, territoriale Ansprüche in den »ehemaligen deutschen Ostgebieten« biologisch zu begründen und wurde kurz darauf mit einer Studie zu »Asozialität als biologisches und sozialbiologisches Problem« habilitiert. Mit dem Niedergang der Rassenanthropologie wich er in die Industrieanthropologie aus. Günther Just (1892-1950), Zoologe, Erbbiologe und Anthropologe. Versuchte die Erbbiologie genetisch zu fundieren. Rainer Knußmann (*1936), Anthropologe. Schüler Ilse Schwidetzkys, deren Arbeit er fortzusetzen versuchte. Einer der letzten Vertreter der Rassenanthropologie, der noch 1996 in einem Lehrbuch die Rassenkunde verteidigte. Fritz Lenz (1887-1976), Mediziner und Erbbiologe. Studium der Medizin; im Ersten Weltkrieg Arzt und Hygieniker im Heeresdienst. 1919 Habilitation im Fach Hygiene. Verfasste 1921 zusammen mit Erwin Baur und Eugen Fischer das Standardwerk »Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene«, den »Baur/Fischer/Lenz«. Den zweiten Band »Menschliche Auslese und Rassenhygiene« verfasste Lenz selbstständig. 1923 Ruf an den neu geschaffenen Lehrstuhl für Rassenhygiene in München; 1933 Ruf nach Berlin. Lenz übernahm die Leitung der Abteilung für Rassenhygiene am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Mitglied des Sachverständigenbeirates für Bevölkerungs- und Rassenpolitik im Reichsinnenministerium. Lenz war 1940 maßgeblich an den Diskussionen über den Entwurf eines »Gesetzes über die Sterbehilfe bei Lebensunfähigen und Gemeinschaftsfremden« beteiligt, ebenso 1940/41 an der Erarbeitung des »Generalplans Ost«.
Biogramme
1946-1953 Ordinarius und Direktor des Instituts für menschliche Erblehre an der Universität Göttingen. Lothar Loeffler (1901-1983), Mediziner, Anthropologe und Erbbiologe. Führender Rassenbiologe im »Dritten Reich«. Herman Lundborg (1868-1943), schwedischer Neurologe, Psychiater und Rassentheoretiker. Direktor des weltweit ersten rassenbiologischen Instituts in Uppsala. Publizierte wichtige Arbeiten zur Rassenkunde, die oft zuerst auf Deutsch erschienen. Seine »Rassenkunde des schwedischen Volkes« und seine Untersuchung eines umfangreichen Bauerngeschlechtes in der südschwedischen Provinz Blekinge galten als vorbildhaft. Felix von Luschan (1854-1924), Ethnologe, Anthropologe. Seit 1909 Professor für physische Anthropologie in Berlin. Trieb die Entwicklung anthropologischer und ethnologischer Erhebungstechniken entscheidend voran. Gegner arischer Rassentheorien und antisemitischer Positionen, allerdings Anhänger erbbiologischer Annahmen von der Vererbung negativer Eigenschaften. Rudolf Martin (1864-1926), Anthropologe. Begann ein Jurastudium, wechselte zur Philosophie, dann Hinwendung zur Anthropologie. 1892 Habilitation mit einer Arbeit zur Anthropologie, seit 1899 Professor für Anthropologie. 1897 große Forschungsexpedition nach Malaysia mit detaillierten anthropologischen Untersuchungen verschiedener Stämme. Die von ihm entwickelten Instrumente ermöglichten präzise anthropometrische Messungen der physiologischen und anatomischen Charakteristika der Menschen. 1911 Niederlegung der Professur, Privatgelehrter in Versailles. 1917 Ruf auf den Lehrstuhl für Anthropologie an der Universität München. Sein »Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung« aus dem Jahre 1914 wurde das Standardwerk der Disziplin, es wurde bis in die Nachkriegszeit mehrfach erweitert und neu aufgelegt. Georg von Mayr (1841-1925), Statistiker. Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, 1865 Promotion, 1866 Habilitation. 1868 außerordentlicher, 1898 ordentlicher Professor. Leitender Beamter bzw. Staatssekretär in verschiedenen Institutionen Bayerns bzw. des Deutschen Reichs. Erlangte Bedeutung durch seine wissenschaftlichen und organisatorischen Leistungen auf dem Gebiet der Statistik. Wollte die Statistik zu einer selbständigen Gesellschaftswissenschaft ausbauen und versuchte, sie in seinem Hauptwerk »Statistik und Gesellschaftslehre« (1895-1909) systematisch darzustellen. Jon Alfred Mjøen (1860-1939), norwegischer Rassenhygieniker. International führender Eugeniker.
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Theodor Mollison (1874-1952), Anthropologe. Studium der Medizin, Promotion 1898, Habilitation 1910. Anschließend Leiter der anthropologischen Abteilung des Zoologisch-Anthropologischen-Ethnographischen Museums in Dresden bzw. Kustos der Anthropologischen Sammlung am Anatomischen Institut in Heidelberg. Seit 1916 Professor in Heidelberg, Breslau und München, wo er neben dem Anthropologischen Institut auch die Anthropologische Staatssammlung leitete. Hermann Muckermann (1877-1962), Zoologe. Philosophische und theologische Ausbildung, 1902 Promotion in Theologie. Studium der Zoologie, 19131925 Dozent für Biologie in Ordenskollegien. Seit 1916 Beschäftigung mit der Eugenik, wichtigster Repräsentant ihres »katholischen Flügels«. 1927-1933 Leiter der Abteilung für Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, aus politischen Gründen seines Amtes enthoben. Sollte die Abteilung nach dem Krieg wieder auf bauen. 1948 Professor für Sozialethik und angewandte Anthropologie in Berlin. Wilhelm Emil Mühlmann (1904-1988) Ethnologe, Soziologe. Studium der Biologie, Zoologie, Anthropologie und Humangenetik sowie der Sozialanthropologie, Ethnologie, Soziologie und Philosophie. 1932 Promotion, seit 1934 im Museumsdienst. 1938 Habilitation, seit 1950 Professor für Soziologie und Ethnologie in Mainz. Machte sich um die Integration von Ethnologie und Soziologie verdient. Hans Nachtsheim (1890-1979), Erbbiologe, Humangenetiker, Zoologe. Studium der Zoologie. 1921 Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. 1925-1927 Rockefeller-Stipendiat an der Columbia-Universität. Seit den 1930er Jahren Forschungen zu Erbkrankheiten an Säugetieren und Menschen, 1941-1945 Leiter der Abteilung für experimentelle Erbpathologie am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, von 1953 bis 1961 Leiter des Instituts für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie der Max-Planck-Gesellschaft. Galt nach 1945 wegen einer gewissen Distanz zum »Dritten Reich« als unbelastet. 1946 Professor für Genetik in Ost-Berlin, anschließend an der FU in West-Berlin. Setzte sich bis Ende der 1960er Jahre für die Eugenik und Sterilisierungen ein; 1961 Berater des Wiedergutmachungsausschusses für Entschädigung Zwangssterilisierter im Nationalsozialismus. Alfred Ploetz (1860-1940), Sozialhygieniker. Studium der Volkswirtschaft und Medizin, 1890 Promotion. Ursprünglich Sozialist, wandte er sich in den 1890er Jahren sozialdarwinistischen Ideen zu. Prägte den Begriff der »Rassenhygiene« und engagierte sich in der deutschen eugenischen Bewegung.
Biogramme
Begrüßte das »Dritte Reich«, 1936 Ernennung zu Professor. Ebenfalls 1936 für seine Warnung vor den biologischen Folgen des Krieges Nominierung für den Friedensnobelpreis. Mitglied eines Sachverständigenbeirats zur Prüfung nationalsozialistischer Gesetze auf ihre bevölkerungs- und rassenpolitischen Auswirkungen. Johannes Ranke (1836-1916), Anthropologe. Studium der Medizin und Naturwissenschaften, 1861 Promotion, 1863 Habilitation. 1863-69 vielbeachtete Vorlesungen zur Anthropologie und allgemeinen Naturgeschichte. Seit 1869 Professor in München; seit 1876 wandte er sich fast ausschließlich anthropologischen und prähistorischen Fragen zu. Herausragende Bedeutung erlangten seine zahlreichen Beiträge zur physischen Anthropologie Altbayerns, in denen er anthropologische Merkmale auch als Folge sozialer Lebensbedingungen und Umweltfaktoren deutete. 1885 errichtete er die Prähistorische Abteilung der Paläontologischen Sammlung des Bayerischen Staates, 1886 wurde er in München als Professor auf den ersten Lehrstuhl für Anthropologie in Deutschland berufen. Otto Reche (1879-1966), Anthropologe und Ethnologe. Promotion 1904, Habilitation 1919, seit 1924 Professor für Anthropologie und Ethnologie. Führender Blutgruppenforscher und wichtiger Rassenforscher im »Dritten Reich«. William Z. Ripley (1867-1941), amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Rassentheoretiker. Veröffentlichte 1899 das weithin rezipierte Buch »The Races of Europe. A Sociological Study«, in der er die damals verfügbaren rassenkundlichen Untersuchungen zusammenfasste (unter anderem Otto Ammons Studien) und für Europa drei Hauptrassen bestimmte, die teutonische, die alpine und die mediterrane. Ernst Rüdin (1874-1952), schweizer Erbbiologe, Psychiater. Studium der Medizin, 1901 Promotion, 1909 Habilitation, seit 1917 Leiter der Genealogisch-Demographischen Abteilung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Seit 1933 Mitglied des Sachverständigenbeirates für Bevölkerungsund Rassenpolitik des Reichsinnenministeriums; außerdem Reichskommissar für Rassenhygiene sowie Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene; seit 1934 Richter am Erbobergesundheitsgericht. Forderte bereits seit 1903 Sterilisierungen, maßgeblich an der Ausarbeitung des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« beteiligt. 1945 Internierung durch die Alliierten (bis 1946) und Ausbürgerung wegen »unschweizerischen Verhaltens«. Karl Saller (1902-1969), Anthropologe. Studium der Naturwissenschaften und Medizin, 1924 Promotion zum Dr. phil., 1926 Promotion zum Dr. med., 1928
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Habilitation. Saller vertrat die Ansicht, die deutsche Bevölkerung sei eine biologische Einheit, die durch Wechselbeziehungen zwischen Erbe und Umwelt einem stetigen Wandel unterworfen sei. Hatte deshalb im Nationalsozialismus mit Schwierigkeiten zu kämpfen, ohne ein Gegner des Regimes oder von Rassentheorien zu sein. 1935 wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen. 1948 Lehrstuhl für Anthropologie in München, seit 1949 Direktor des Anthropologischen Instituts und der Anthropologischen Staatssammlung. Sein Buch über die Anthropologie im »Dritten Reich« gehört zu den wenigen kritischen Auseinandersetzungen mit der Fachgeschichte, diente aber eher der Abrechnung mit den Kollegen, von denen er sich mit zahlreichen überworfen hatte. Johann Schaeuble (1904-1968), Anthropologe und Erbbiologe. Wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus erst seit 1952 Professor für Anthropologie in Kiel. Wilhelm Schallmayer (1857-1919), Rassenhygieniker. Jura- und Philosophie-, dann Medizinstudium. 1886 Promotion. Seine Schrift »Die drohende körperliche Entartung der Culturmenschheit« (1891) gilt als erste eugenische Arbeit in Deutschland. Sein vielbeachtetes Hauptwerk »Vererbung und Auslese im Leben der Völker« (1903) gewann den ersten Preis eines von Friedrich August Krupp gestifteten Preisausschreibens. Schallmayer propagierte analog zur Nationalökonomie eine »Nationalbiologie« und zielte auf eine genetisch geschichtete Meritokratie. Im Unterschied zu Alfred Ploetz’ Begriff der »Rassenhygiene« bevorzugte er den Terminus »Rassehygiene«, um zu verdeutlichen, dass es ihm um die Pflege der gesamten menschlichen Rasse ging. Walter Scheidt (1895-1976), Anthropologe. Studium der Naturwissenschaften und Medizin in München, Promotion 1921. Assistent bei Rudolf Martin, Habilitation 1923 im Fach Anthropologie, ebenfalls in München. 1928 Verleihung des Professorentitels. Zählte seit etwa 1930 zu den führenden Anthropologen Deutschlands. 1933 Direktor des Instituts für Rassen- und Kulturbiologie an der Universität Hamburg (1945 umbenannt in Anthropologisches Institut). Scheidt leitete es bis zu seiner Pensionierung 1945. Versuchte in mehreren großen Forschungsprojekten mit Hilfe anthropologischer und genealogischer Methoden populationsgenetische Erkenntnisse zu gewinnen. Seine Studien zur Elbinsel Finkenwerder wurden noch 1982 zu den Standardwerken der Rassenanthropologie gezählt. Politisch hielt Scheidt eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus, ohne je in die »innere Emigration« zu gehen oder Eugenik bzw. Rassentheorien abulehnen. Ludwig Schemann (1852-1938), Rassentheoretiker. Wichtiger Propagandist rassenkundlichen Denkens.
Biogramme
Ludwig Schmidt-Kehl (1891-1941), Rassenhygieniker und Mediziner. Wichtiger Funktionär der nationalsozialistischen Rassenpolitik und Professor für Vererbungswissenschaft und Rassenforschung in Würzburg. Bruno Kurt Schultz (1901-1997), Anthropologe. Nationalsozialistischer Rassenbiologe. Ilse Schwidetzky (1907-1997), Anthropologin. Studium der Geschichte, Biologie und Anthropologie. Promotion 1934; Assistentin Egon Freiherr von Eickstedts, an dessen Formalisierungsversuchen der Anthropologie sie beteiligt war. Nach dem Krieg unter von Eickstedt Dozentin in Mainz, 1961 seine Nachfolgerin und Direktorin des Anthropologischen Instituts. Schwidetzky gehörte in der Bundesrepublik zu den einflussreichsten und umtriebigsten Fachvertretern. Sie setzte die bevölkerungsbiologischen Studien ihrer Vorgänger fort und versuchte zugleich (und vergeblich), die Rassenanthropologie zu modernisieren. Unter ihrer Regie entstanden die letzten großangelegten Studien dieser Fachrichtung. Otmar Freiherr von Verschuer (1896-1969), Erbbiologe, Humangenetiker. Kämpfte im Ersten Weltkrieg, 1919-1922 Studium der Medizin, Promotion 1923. Assistenzarzt in Tübingen 1923-1927, Habilitation 1927, anschließend Leiter der Abteilung Erbforschung am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in Berlin (bis 1935). Ab 1942 Direktor dieses Instituts. 1933 außerordentlicher Professor für menschliche Erblehre und Rassenhygiene in Berlin, 1935 ordentlicher Professor in Frankfurt, Direktor des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene. 1951 Ordinarius in Münster und Leiter des Instituts für Humangenetik. Seit 1952 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie. Von Verschuer war Mitglied der NSDAP und experimentierte mit Menschenmaterial, das ihm sein Schüler Josef Mengele aus Auschwitz gesendet hatte. Er versuchte, erbbiologische Theoreme mit Hilfe der »Zwillingsforschung« zu belegen. In der Bundesrepublik am Auf bau der Humangenetik beteiligt. Rudolf Virchow (1821-1902), Mediziner, Anthropologe, Ethnologe und liberaler Sozialpolitiker. 1843 Promotion in Pathologie (Berlin), Beteiligung an der Revolution von 1848. Ab 1849 Professor in Würzburg, 1856 Rückkehr nach Berlin auf eine Professur für Pathologie. Von 1859 bzw. 1862 bis 1902 Angehöriger der Berliner Stadtverordnetenversammlung bzw. des Preußischen Abgeordnetenhauses, von 1880 bis 1893 Mitglied des Deutschen Reichstags. 1869 Mitbegründer der Berliner Anthropologischen Gesellschaft. Neben der Pathologie und Anthropologie arbeitete er als Hygieniker und machte sich für eine allgemeine medizinische Grundversorgung stark.
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Friedrich von Zahn (1869-1946), Statistiker. Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München und Leipzig, 1890 bzw. 1895 Promotion in Staatswissenschaft bzw. Jura. Seit 1896 am Kaiserlich Statistischen Amt in Berlin, seit 1907 am Statistischen Landesamt in München, von 1917 bis 1939 Präsident dieses Amtes. Seit 1926 bzw. 1931 Päsident der Deutschen Statistischen Gesellschaft bzw. des Internationalen Statistischen Instituts.
Ungedruckte Quellen
AIEUL – Archiv des Instituts für Ethnologie der Universität Leipzig: 1 RE XXVI: Anthropologische Untersuchungen in Deutschland, 1929-1930 RE XXVII: Anthropologische Untersuchungen in Deutschland, 1931-1934 RE XXVIII: Anthropologische Untersuchungen in Deutschland, 1935-1936 ALVR – Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Brauweiler: 14841: Mitwirkung der PHP’s [Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten] bei der erbbiologischen Bestandsaufnahme 14850: Förderung der erbbiologischen Arbeiten des Prof. Dr. Otto Löwenstein, Bonn 14858: Dienstaufsicht über das Rheinische Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung, Bonn, Bd. 1: Einrichtung des Institutes und Zusammenarbeit mit anderen Stellen 14859: Dienstaufsicht über das Rheinische Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung, Bonn, Bd. 3: Beschaffung der Krankenakten und von Hilfsmitteln 14861: Dienstaufsicht über das Rheinische Provinzial-Institut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung, Bonn, Bd. 2: Bearbeitungsrichtlinien und Zusammenarbeit mit anderen Stellen, insbesondere den PHP’s [Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten] AMPG – Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin: I. Abt., Rep. 1A: Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft II. Abt., Rep. 1A: Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft III. Abt., Rep. 20A: Nachlass Hans Nachtsheim III. Abt., Rep. 86A: Nachlass Otmar Frhr. von Verschuer III. Abt., Rep. 94: Nachlass Eugen Fischer BAB – Bundesarchiv, Berlin: R 73: Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft/Deutsche Forschungsgemeinschaft R 113: Reichsstelle für Raumordnung 1 | Die Unterlagen werden in das Universitätsarchiv überführt werden.
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BAK – Bundesarchiv, Koblenz: B 227: Deutsche Forschungsgemeinschaft N 1336: Nachlass Hans Harmsen DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn-Bad Godesberg: Geschäftsstelle: Unterlagen zu Bewilligungsverfahren (Mikrofiche) LahK – Landeshauptarchiv, Koblenz: 512,22: Staatliche Gesundheitsämter (Kreisärzte): Kreisarzt und Gesundheitsamt Daun (Kreis) LA NRW – Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: RW 24: Landesbauernschaft Rheinland (1933-1945), Referat für Blutsfragen BR 1011: Landratsamt Monschau, Kreisausschuß MPIP-HA – Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Historisches Archiv, München: GDA: Genealogisch-Demographische Abteilung SIGEM – Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Frankfurt a.M.: Dekanatsarchiv, Nr. 31: Institut für Vererbungswissenschaft StAHH – Staatsarchiv Hamburg: 364-S I/k.20.1.379: Institut für Anthropologie UAF – Universitätsarchiv Frankfurt a.M.: Abt. 50: Kurator UAFr – Universitätsarchiv Freiburg: C 75: Nachlass Otto Ammon UAH – Universitätsarchiv Heidelberg: Acc. 12/95: Institut für Anthropologie und Humangenetik UAJ – Universitätsarchiv Jena: S XV, Nr. 18: Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der FSU. Forschungsauftrag Prof. Dr. Asmus Petersen: Umsiedlung aus Thüringen in die Ostgebiete Europas, 1940-1942 UAT – Universitätsarchiv Tübingen: 131/156: Phil. Fak., Dekanatsakten W.S. 1954/55 UUA – Uppsala universitets arkiv: Statens Institut för Rasbiologi
Gedruckte Quellen und Literatur
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Gedruckte Quellen und Literatur
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Gedruckte Quellen und Literatur
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Gedruckte Quellen und Literatur
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Science Studies Cheryce von Xylander, Alfred Nordmann (Hg.) Vollendete Tatsachen Vom endgültig Vorläufigen und vorläufig Endgültigen in der Wissenschaft November 2015, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2542-4
Manfred E.A. Schmutzer Die Wiedergeburt der Wissenschaften im Islam Konsens und Widerspruch (idschma wa khilaf) Oktober 2015, ca. 500 Seiten, Hardcover, ca. 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3196-8
Kirsten Schmidt Was sind Gene nicht? Über die Grenzen des biologischen Essentialismus 2013, 348 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2583-7
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Science Studies Edgar Grande, Dorothea Jansen, Otfried Jarren, Arie Rip, Uwe Schimank, Peter Weingart (Hg.) Neue Governance der Wissenschaft Reorganisation – externe Anforderungen – Medialisierung 2013, 374 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2272-0
Tristan Thielmann, Erhard Schüttpelz (Hg.) Akteur-Medien-Theorie 2013, 776 Seiten, Hardcover, zahlr. Abb. , 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1020-8
Rudolf Stichweh Wissenschaft, Universität, Professionen Soziologische Analysen (Neuauflage) 2013, 360 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2300-0
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Science Studies Christian Dieckhoff, Anna Leuschner, Frederike Neuber (Hg.) Die Energiewende und ihre Modelle Was uns Energieszenarien sagen können – und was nicht September 2016, ca. 160 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3171-5
Dania Achermann Institutionelle Identität im Wandel Zur Geschichte des Instituts für Physik der Atmosphäre in Oberpfaffenhofen Februar 2016, ca. 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3142-5
Christian Kehrt Mit Molekülen spielen Wissenschaftskulturen der Nanotechnologie zwischen Politik und Medien November 2015, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3202-6
Diego Compagna (Hg.) Leben zwischen Natur und Kultur Zur Neuaushandlung von Natur und Kultur in den Technik- und Lebenswissenschaften Oktober 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 33,99 €, ISBN 978-3-8376-2009-2
Anna-Sophie Jürgens, Tassilo Tesche (Hg.) LaborARTorium Forschung im Denkraum zwischen Wissenschaft und Kunst. Eine Methodenreflexion August 2015, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2969-9
Christian Dieckhoff Modellierte Zukunft Energieszenarien in der wissenschaftlichen Politikberatung April 2015, 284 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3097-8
Fabian Karsch Medizin zwischen Markt und Moral Zur Kommerzialisierung ärztlicher Handlungsfelder März 2015, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2890-6
Matthias Groß Experimentelles Nichtwissen Umweltinnovationen und die Grenzen sozial-ökologischer Resilienz 2014, 202 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2855-5
Gert Dressel, Wilhelm Berger, Katharina Heimerl, Verena Winiwarter (Hg.) Interdisziplinär und transdisziplinär forschen Praktiken und Methoden 2014, 366 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2484-7
Oliver Ibert, Felix C. Müller, Axel Stein Produktive Differenzen Eine dynamische Netzwerkanalyse von Innovationsprozessen 2014, 234 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2699-5
Tobias Cheung Organismen. Agenten zwischen Innen- und Außenwelten 1780-1860 2014, 348 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2646-9
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