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German Pages [222] Year 2010
AristotelesI
Politik
II
Klassiker Auslegen Herausgegeben von Otfried Höffe Band 23
Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophie an der Universität Tübingen.
III
Politik Herausgegeben von Otfried Höffe
Akademie Verlag
IV Titelabbildung: Portraitkopf des Philosophen Aristoteles, Abguß: Museum Schloß Hohentübingen
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-05-003575-7
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2001 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbourg-Gruppe. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Gesamtgestaltung: K. Groß, J. Metze, Chamäleon Design Agentur, Berlin Satz: PrintOut, Castrop-Rauxel Druck und Bindung: GAM MEDIA, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
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Inhalt
Hinweise zur Benutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einführung in Aristoteles’ Politik Otfried Höffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Aristoteles’ Politische Anthropologie Otfried Höffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Hausverwaltung und Sklaverei (I 3-13) Pierre Pellegrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Aristotle’s Critique of False Utopias (II 1-12) Richard Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Staatsverfassung und Staatsbürger (III 1-5) Dorothea Frede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Constitutions and Purpose of the State (III 6-9) Richard Mulgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Sovereignty and Political Rights (III 10-13) Fred D. Miller Jr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 8. Verfassungen und politische Institutionen (IV 1-16) Eckart Schütrumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 9. Verfassungswandel (V 1-12) Hans-Joachim Gehrke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
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Inhalt
10. Die Einrichtung von Demokratien und Oligarchien (VI 1-8) Rolf Geiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 11. Die uneingeschränkt beste Polisordnung (VII-VIII) Ada Neschke-Hentschke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 12. Aristoteles’ Politik: Vorgriff auf eine liberale Demokratie Otfried Höffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Hinweise zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
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Hinweise zur Benutzung Griechische Ausdrücke werden in lateinischer Umschrift wiedergegeben; dabei bezeichnet ,ê‘ den griechischen Buchstaben h (eˆta), ,ô‘ den Buchstaben w (ômega). Am Ende des Bandes sind die wichtigsten griechischen Termini und ihre deutschen und englischen Übersetzungen verzeichnet. Das Sachregister schließt auch die englischen Texte mit ein; Seitenangaben finden sich jedoch hinter dem deutschen Stichwort. Alle Stellenhinweise auf Aristotelische Schriften beziehen sich auf die Seiten-, Spalten- und Zeilenangaben der Ausgabe von Immanuel Bekker, nach der Aristoteles üblicherweise zitiert wird. In der Regel folgt auf den abgekürzten Titel eine römische Zahl zur Angabe des Buches (im Fall der Metaphysik ein griechischer Buchstabe) und eine arabische Ziffer zur Angabe des Kapitels. ,EN I 1, 1095a5–9‘ ist z.B. zu lesen als: ,Nikomachische Ethik, erstes Buch, erstes Kapitel, Seite 1095, Spalte a, Zeile 5–9 der Bekker-Ausgabe‘. Wenn nur auf Buch und Kapitel verwiesen wird, bezieht sich die Angabe auf die Politik. Stellenangaben zu den Werken Platons nehmen auf die übliche Stephanus-Paginierung sowie deren Abschnittsund Zeileneinteilung Bezug. Es werden folgende Abkürzungen verwendet: Pol. Politik EN Ethica Nicomachea Nikomachische Ethik Met. Metaphysik Über die Fortbewegung der Tiere Inc.an. De incessu animalium Hist.an. Historia animalium Tierkunde Rhet. Rhetorik Plat.Rep. Platon, Respublica Platon, Politeia (Der Staat) Plat.Leg. Platon, Leges Platon, Nomoi (Gesetze) Plat.Politic. Platon, Politicus Platon, Politikos (Staatsmann) Plat.Crit. Platon, Crito Platon, Kriton Auf Literatur wird mit Namen des Autors, Erscheinungsjahr und gegebenenfalls Seitenzahl hingewiesen. Die zitierte Literatur wird am Ende der Beiträge oder in der Bibliographie am Ende des Bandes aufgeschlüsselt.
1 Otfried Höffe
1. Einführung in Aristoteles’ Politik
Bei aller Achtung vor dem politischen Denken anderer Kulturen, etwa Indiens, Chinas und des Vorderen Orient, ist der begrifflich-argumentative Diskurs über das Politische weitgehend eine Erfindung der Griechen. Erst sie lassen sich auf eine Grundlagenreflexion ein, die die empirische Erforschung von Recht, Staat und Politik mit einer normativen Bewertung verbindet und eine philosophieinspirierte Kritik erlaubt. Bei Homer gilt die Rechtsordnung noch als sakral. Die griechischen Tragiker dagegen: Aischylos mit der Orestie, den Persern und den Schutzflehenden, Sophokles mit Antigone und Euripides mit Orest, Phoinikerinnen und Schutzflehenden, lösen zusammen mit den Geschichtsschreibern Herodot und Thukydides, mit den Rednern wie Isokrates, Lysias und Demosthenes und mit den Sophisten den Mythos durch den Logos ab. Auf diese Weise bereiten sie den Weg für zwei herausragende Denker vor: für Platon und Aristoteles. Schon Platon schafft mit seinem Altersdialog Nomoi (Gesetze) ein im hohen Maß diskursives Werk. Die erste im vollen Sinn diskursive Untersuchung der Politik, einschließlich Recht, Gerechtigkeit und Staat, verdanken wir aber erst Aristoteles. Er erörtert auch Themen, die Platon so gut wie gar nicht behandelt, beispielsweise die Frage, wer Bürger sei. Andererseits verdankt sich Aristoteles’ Politik nicht nur dort der intensiven Auseinandersetzung mit Platon, wo er dessen politisches Denken zum direkten Gegenstand macht.
1.1 Zur Person Aristoteles wird im Jahre 384 v. Chr. in Stageira (heute: Starro), einer kleinen Stadtrepublik im Nordosten Griechenlands, geboren. In den Jahren
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367 bis 347 hält er sich an Platons Akademie in Athen auf, wohin er nach zwölf „Wanderjahren“ zurückkehrt, jetzt um für zwölf Jahre am Lykeion (von dorther: Lyceum), einem jedermann zugänglichen Gymnasium, zu lehren. Dieses Leben fällt in die Zeit, in der die berühmte Gesellschaftsform der Griechen, die freie Stadtrepublik, ihre Freiheit verliert. Aristoteles erlebt die Niederlage, die Philipp II. den Athenern und Thebanern bei Chaironea (338 v. Chr.) beibringt, ferner den Aufstieg von Philipps Sohn, Alexander dem Großen. Daß er auf Philipps Bitten dessen Erziehung für zwei Jahre begleitet, führt zur einzigartigen Situation, daß einer der größten Philosophen Verantwortung für einen der später bedeutendsten Staatsmänner übernimmt. Auf Aristoteles’ Einfluß dürfte es zurückgehen, daß Alexander auf seinen Feldzügen außer militärischen Zielen auch kulturelle und wissenschaftliche Interessen verfolgt und sich von griechischen Wissenschaftlern begleiten läßt. Nach Alexanders Tod im Juni 323 verläßt Aristoteles erneut Athen. Obwohl seine politische Philosophie eher gegen makedonische Interessen gerichtet ist, fürchtet er, zu einem Opfer der antimakedonischen Umtriebe Athens zu werden. In der Tat wird er unter jene Anklage der Gottlosigkeit (asebeia) gestellt, der einst Sokrates zum Opfer fiel. Auf das Schicksal dieses „trefflichsten, weisesten und gerechtesten Mannes unter den damals Lebenden“ (Platon, Phaidon 118a) anspielend, soll er das Verlassen der Stadt mit den Worten begründet haben, er werden es nicht gestatten, daß sich die Athener ein zweites Mal gegen die Philosophie versündigten (Aelian, Varia historia III 36). Aristoteles zieht sich ins Haus seiner Mutter nach Chalkis auf Euboia zurück, wo er bald darauf, im Alter von 62 Jahren stirbt. Er hinterläßt ein universales Werk philosophischer und einzelwissenschaftlicher Forschung, das in seiner Verbindung von Erfahrung, Begriffsschärfe und spekulativem Denken in der Geschichte menschlichen Geistes seinesgleichen sucht. In der Spätantike wird sein Autor der „göttliche Aristoteles“ (Proklos), im Mittelalter aber, von al-Farabi über Albert den Großen bis Thomas von Aquin, schlicht „der Philosoph“ heißen; und Dante rühmt ihn als „Meister aller Wissenden“ (Göttliche Komödie: Die Hölle IV 131). Schon weil Aristoteles Metöke („Beisasse“) ist, also ein Ausländer mit „Niederlassungsbewilligung“, aber ohne politische Rechte, mischt er sich in die Politik von Athen nicht ein. Er begründet jedoch eine selbständige Wissenschaft der Politik. Auch entzieht er sich nicht ganz der politischen Praxis. Zwischen Makedonien und verschiedenen griechischen Städten, einschließlich Athen, übernimmt er Vermittlungsaufgaben, für die sich die „Bürger Athens“ in einer Inschrift bedanken. Skeptisch gegen eine von
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Platon bekannte, am Ende aber gescheiterte politische Berufung des Philosophen, hält er aber derartige Aufgaben nicht für die „natürliche“ Fortsetzung der politischen Philosophie.
1.2 Die Schriften zur Politik Seine Hauptschrift zur Politischen Philosophie, die Politik, hat einen thematisch und methodisch so weiten Horizont, daß sie zu Recht nicht nur von Philosophen, Philologen und Historikern studiert wird, sondern auch von Rechts- und Verfassungstheoretikern, von Politikwissenschaftlern, selbst von empirisch orientierten Sozialwissenschaftlern. Und viele der Aristotelischen Lehrstücke bleiben über das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis hin zur amerikanischen und französischen Revolution wirksam, nicht selten sogar noch darüber hinaus. Wichtig sind für Aristoteles’ Politische Philosophie auch große Teile der Nikomachischen Ethik, beispielsweise die Methodenexkurse und die Erörterungen des gemeinsamen Leitprinzips Glück (eudaimonia), ferner die Abhandlungen über die Gerechtigkeit (V), über die Freundschaft (VIII–IX) und die Differentialanalyse zum theoretischen und dem politischen Leben (X 6–9). Für ein umfassendes Verständnis von Aristoteles’ politischer Theorie sind auch das Einleitungskapitel der Tierkunde und die Freiheitsdefinition der Metaphysik (I 2, 982b26) einschlägig, ferner Teile der Rhetorik, deren Kapitel I 8 beispielsweise den Abriß einer Verfassungslehre enthält. Zum Zweck, die politische Wirklichkeit in ihrer bunten Fülle kennenzulernen, sammelt Aristoteles die griechischen Verfassungen; von der schon im Altertum berühmten Sammlung von 158 Verfassungen ist aber nur die Verfassung Athens erhalten. Nicht zuletzt schreibt er einige politische Dialoge: Über Gerechtigkeit und Politikos (Staatsmann); sie sind aber nur in wenigen Fragmenten überliefert.
1.3 Themen der Politik Obwohl die Politik ein Meisterwerk ihrer Gattung darstellt, ist sie kein „Werk aus einem Guß“ (zur ausführlichen Debatte vgl. Schütrumpf 1991, I 39–46). Trotz mancher Verwicklungen, Spannungen, vielleicht sogar Widersprüche bietet sie aber eine weitgehend kohärente Lehre. Es ist allerdings strittig, ob die Bücher IV–VI gegenüber Buch III eine differenzierendere oder aber eine andere, konkurrierende Theorie entwickeln. Das
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Werk beginnt mit Hinweisen zur Mehrdeutigkeit von Herrschaft (I 1). Daran schließt sich die Kernaussage einer Politischen Anthropologie an: daß der Mensch von Natur aus ein politisches Lebewesen sei (I 2). Wie in Kapitel 2 des vorliegenden Bandes dargestellt wird, treffen die von verschiedener Seite erhobenen Einwände, die Aristoteles’ Politische Anthropologie als obsolet erscheinen lassen, nicht zu, sondern beruhen auf Mißverständnissen. Eine genaue Lektüre zeigt, daß Aristoteles den Menschen nicht nur als Sozial-, sondern auch als Konfliktwesen begreift. Überdies erkennt Aristoteles durchaus die Rolle der Konvention für die Staatengründung an. Schließlich darf man Aristoteles kein undifferenziertes ,organologisches‘ Staatsverständnis unterstellen, gemäß dem den Teilen des Ganzen, den einzelnen Menschen, den Haushalten und den Dörfern, die Selbständigkeit abgesprochen würde. In den weiteren Kapiteln des ersten Buches entwickelt Aristoteles die Grundzüge einer Wirtschaftstheorie im Sinne einer Lehre des oikos: des Hauses als Wirtschaftseinheit (I 1–13). Hier finden sich die folgenreiche Kritik am Zinswesen und an Wuchergeschäften (I 10, 1258a38 ff.) und die nicht minder folgenreiche Rechtfertigung der Sklaverei. Pierre Pellegrin (Kapitel 3) ordnet Aristoteles’ Theorie der Sklaverei in den Zusammenhang von Familie und Haus: des oikos ein. Der Sklave ist ein Teil dieser natürlichen Gemeinschaft, die um der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse willen besteht. Da dieser Zweck naturgemäß ist, sind es auch die zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Mittel, also nicht nur die Erwerbskunst, sondern auch die Sklaverei, vorausgesetzt, sie bleibt dem natürlichen Zweck verpflichtet. Nach Aristotelischem Verständnis dient der Sklave letztlich nicht der Produktion von Gütern, sondern dem glücklichen Leben. Buch II besteht in einer problemgeschichtlichen Verfassungsdiskussion, in der die Kritik an Platons politischer Philosophie, insbesondere der der Politeia (Staat), einen großen Raum einnimmt. Dabei wird die Theorie der Familie als einer unverzichtbaren Grundlage der politischen Gemeinschaft e contrario weiter entfaltet, nämlich in der scharfen Ablehnung von Platons Vorschlag einer Frauen- und Kindergemeinschaft. Richard Kraut (Kapitel 4) arbeitet den positiven Gehalt dieser Platonkritik heraus. Indem er zeigt, welche Rolle die kleineren Gemeinschaften für das Funktionieren der Polis spielen, wird die Polis gegen Platons rigorose Einheitsvorstellung als eine in sich differenzierte und geordnete Vielheit verstanden. Die Bücher III und IV enthalten das Vorbild einer vergleichenden Gestaltlehre (Morphologie) des Politischen, einschließlich der für Jahrhunderte kanonischen Unterscheidung zwischen drei legitimen und drei illegitimen Staatsformen. Allerdings ist diese Unterscheidung nur in Buch III
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zentral; in den Büchern IV–VI tritt sie zurück, wird vielleicht sogar aufgelöst. Im Mittelpunkt des Beitrags von Dorothea Frede (Kapitel 5) steht die Frage, welche Qualifikationen die Bürger einer Polis besitzen müssen, um sich an der archê: Herrschaft und Regierung aktiv beteiligen zu können. Die Bürgertugend besteht in der Fähigkeit, bestimmte Funktionen in der Polis zu übernehmen. Aristoteles bestimmt sie als „beidseitige Tugend“, da der gute Bürger sich sowohl aufs Regieren wie aufs Regiertwerden verstehen muß. Je nach Verfassung werden die Ämter zwar unterschiedlich verteilt; Aristoteles Konzeption der Fähigkeit des guten Bürgers ist aber mit allen nicht-entarteten Verfassungen vereinbar. In seiner Analyse der Aristotelischen Verfassungslehre (III 6–9) arbeitet Richard Mulgan (Kapitel 6) die leitenden Gesichtspunkte heraus, die der Einteilung in drei legitime und drei entartete Verfassungen zugrundeliegen. Nach Aristoteles muß sich jede mögliche Verfassung in dieses Sechserschema zweifelsfrei einordnen lassen. Mulgan macht aber auf die Unterschiede zur differenzierteren Verfassungslehre des vierten Buchs aufmerksam, die die einzelnen Verfassungen als Annäherungen an bestimmte Idealtypen beschreibt. Abschließend untersucht er Aristoteles’ Kritik des vertragstheoretischen Staatsmodells. In den Kapiteln 10 bis 13 des dritten Buchs wendet sich Aristoteles der Frage zu, wie die Polis regiert werden soll. Fred D. Miller (Kapitel 7) interpretiert den Anspruch auf die Regierungsgewalt in der Polis als einen Rechtsanspruch. Gegen die Auffassung, der griechischen Antike sei der Rechtsbegriff fremd, arbeitet er Aristoteles’ komplexes begriffliches Netz heraus, das der Idee politischer Rechte korrespondiert. Dabei bleibt Aristoteles seiner Theorie distributiver Gerechtigkeit verbunden: Politische Rechte können die Mitglieder einer politischen Gemeinschaft in genau dem Maße beanspruchen, in dem sie einen Beitrag zu den Zielen dieser politischen Gemeinschaft leisten. Eckart Schütrumpf (Kapitel 8) ordnet das vierte Buch in den Zusammenhang der drei mittleren Bücher (IV–VI) ein und behauptet, hier liege eine gegenüber Buch III grundlegend veränderte und umfassendere Verfassungslehre vor: ein Neuansatz, der den wichtigsten Beitrag des Aristoteles zur politischen Theorie darstelle. Die schematische Einteilung in drei richtige und drei abweichende Verfassungen weicht zugunsten einer realitätsnäheren Einteilung. Die einseitige Orientierung an der besten Verfassung und an der Tugend wird aufgegeben; die einzelnen Verfassungen verfolgen ihre eigenen Ziele und orientieren sich stärker an dem, was unter den gegebenen Bedingungen möglich ist. Deutlicher als in den anderen Büchern der Politik verfolgt Aristoteles in den Büchern IV bis VI eine praktische Intention.
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Hans-Joachim Gehrke (Kapitel 8) macht auf die Instablität der griechischen Staaten aufmerksam, die eine Reflexion auf die Gründe für den Umsturz von Verfassungen und auf mögliche Maßnahmen zu ihrer Erhaltung dringend macht. Da das fünfte Buch, die erste systematische Behandlung dieses Problems, einen hohen Anteil an historischer Analyse enthält, vermittelt es grundlegende Einsichten in die Methode der Aristotelischen Geschichtsdarstellung: eine besonders differenzierte Kausalanalyse. Da das dargebotene geschichtliche Material primär der Illustration von kausalen Gesetzmäßigkeiten dient, sind manche Einseitigkeiten zwar unvermeidlich, sie schränken aber den historischen Quellenwert der Aristotelischen Untersuchung nicht wesentlich ein. Als problematisch könnte man jedoch die gelegentliche Tendenz zur Anwendung antithetischer Schemata bewerten. Das sechste Buch ist der Einrichtung von Demokratien und Oligarchien gewidmet. Rolf Geiger (Kapitel 10) stellt diese Untersuchung in den Rahmen des Aristotelischen Gedankens einer praktischen Philosophie, hier als einen Beitrag zur normativen und zugleich pragmatischen Orientierung leitender Politiker. Aristoteles wendet sich vor allem gegen den politischen Grundfehler von Gesetzgebern, alle für eine bestimmte Verfassungsform typischen Elemente zugleich zu verwirklichen. Da es dann immer zur Etablierung der radikalsten Ausprägung dieser Verfassung kommt, empfiehlt Aristoteles ein Korrektiv, das als „gemischte Verfassung“ einflußreich werden wird: eine den jeweiligen Verhältnissen angepaßte Kombination von institutionellen Elementen verschiedener Verfassungsformen. Den Abschluß der Politik, aber nicht ihren systematischen Höhepunkt bildet die „politische Utopie“ der Bücher VII und VIII. Aristoteles entwirft ein ideales Gemeinwesen und erörtert dabei ausführlich die Größe, die Beschaffenheit des Landes und die Verbindung zum Meer, ferner die sozialen Stände, das Heiratsalter und die Erziehung, selbst die Landverteilung. Ada Neschke-Hentschke (Kapitel 11) sieht die Analyse der besten Verfassung in den Büchern VII und VIII in der Tradition der Platonischen Staatsentwürfe, vor allem der Nomoi. Sie unterstreicht den fiktiven Charakter des Entwurfs, der gleichzeitig aber nicht utopisch sein, sondern am Möglichen orientiert bleiben will. Grundlegend für diese Konzeption ist die Unterscheidung eines weiten und eines engen Begriffs der Polis. Für den weiten Begriff der Polis werden die materiellen Bedingungen der Autarkiesicherung in Betracht gezogen, während der anspruchsvollere, enge Begriff die Polis vor allem als „Subjekt der schönen Handlungen“ versteht und sich dementsprechend auf den Anteil konzentriert, den die Bürger an der Verwirklichung des guten Lebens haben. Nur letzteres macht den eigentlich politischen Charakter der besten Verfassung aus, aber ohne
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ersteres ist das Bestehen dieser Verfassung von vornherein nicht möglich. Eine angemessene Darstellung und Analyse der besten Verfassung muß deshalb beide Seiten der Polis im Blick behalten. Am Ende des Bandes widmet sich der „Ausblick“ (Kapitel 12) der Frage, welche Stellung Aristoteles’ Politik in der politischen Theorie einnimmt. Dabei erweist sich Aristoteles in seiner Platonkritik, in der Betonung von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit und in seinem Plädoyer für den ,Rechtsstaat‘ als Vordenker des politischen Liberalismus. Die proto-liberalen Elemente seiner Theorie sprechen insbesondere gegen die Versuche, Aristoteles zum Ahnherrn des Kommunitarismus zu machen.
1.4 Epochengebunden oder modern? Wer in Aristoteles’ Politik eine uns fremde Welt erwartet, da sich doch ihr Gegenstand seither grundlegend verändert habe, da außerdem mit überholten theoretischen Vorgaben zu rechnen sei, etwa mit einer sachfremden Naturteleologie, einem Kosmosdenken und anderen „metaphysischen“ Elementen, wird überrascht. Zweifellos findet man zeit- und epochengebundene Elemente. Beispielsweise nehmen sich selbst die kleineren Staaten von heute im Vergleich zu den damaligen Stadtrepubliken wie unübersichtliche Großgesellschaften aus. Auch besteht in der Rechtsordnung eine weit geringere Regelungsdichte. Weiterhin fehlen professionelle Richter und Juristen. Und dieser Umstand ist nicht etwa nur negativ, als ein Mangel, einzuschätzen. Er hat auch einen Demokratisierungseffekt, daß ein Expertenstand fehlt, der die Bürger in (juristische) Fachleute und Laien spaltet. In Athen sind alle Laien und insofern alle gleich. Ohnehin herrscht in der Verfassung Athens ein Maß an direkter Demokratie, das nicht nur den repräsentativen Demokratien von heute, sondern selbst einer direkten Demokratie einiger Schweizer Kantone mit Landsgemeinden unbekannt ist. Andere Elemente, insbesondere die Rechtfertigung der Sklaverei und die der Ungleichheit von Frauen, sind anstößig. Man darf aber nicht vergessen, daß die Sklaverei in den USA bis weit ins 19. Jahrhundert erhalten bleibt, und daß die Ungleichheit der Frauen noch später, mancherorts sogar bis heute vorkommt. Andere Aussagen sind immer noch erwägenswert, etwa die Behauptung, der Mensch sei ein politisches Lebewesen oder die Überlegungen zu den verschiedenen Staatsformen. Der Gedanke, den politischen Prozeß wie ein Rechtsverfahren Regeln zu unterwerfen, wird die europäischen Verfassungen sogar bis heute prägen. Auch die Überlegungen zum guten
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Staatsbürger und die zur Demokratie laden trotz des zeitlichen Abstandes zu einem philosophisch-politischen Diskurs unmittelbar ein. Weder sind die zugrundeliegenden Fragen epochengebunden, noch die Argumente in der Regel mit Besonderheiten der griechischen Polis so eng verquickt, daß sie sich einem kulturübergreifenden, universalistischen Diskurs a priori versperrten. Auch methodisch gesehen ist Aristoteles’ Politik in mehrfacher Hinsicht modern. Insbesondere stützt sie sich auf einen ungewöhnlichen Reichtum an politischer Erfahrung. Weil Aristoteles die Wandlungen des Gemeinwesens Athen kennt, es mit anderen, sowohl griechischen als auch nichtgriechischen Gemeinwesen vergleicht, nicht zuletzt auf die Koloniegründungen, die auch ein Experimentierfeld der Politik bilden, blickt, verbindet er eine analytische und spekulative Kraft mit einem hohen Maß an Erfahrung. Heute, im Zeitalter der Metaphysikskepsis, etabliert sich die Philosophie generell als ein Nachdenken „ohne Metaphysik“. Sofern man die Metaphysik mit Religion bzw. Theologie, mit einer (umfassenden) Weltanschauung oder so umstrittenen Theoremen wie Platons Ideenlehre oder Kants Zwei-Welten-Lehre gleichsetzt, erfüllt Aristoteles diese Bedingungen ohne Schwierigkeit. Vor allem sind ihm jene Elemente fremd, die wir mit (religiösem) Fundamentalismus assoziieren: eine öffentliche, gegebenenfalls sogar mit Zwang durchgesetzte Verbindlichkeit für religiöse Praktiken. Selbst eine gewaltfreie Form von Religion: eine religiöse Offenbarung und religiöse Heils- und Erlösungsvorstellungen, spielen keine Rolle. Aristoteles argumentiert anthropologisch und sozialtheoretisch, institutionstheoretisch oder mit Verfassungsvergleichen, gelegentlich auch biologiebezogen, aber nie unter Berufung auf eine religiöseWahrheit oder eine Weltanschauung. Nach einer im heutigen Verständnis problematischen Metaphysik klingen allenfalls Gedanken wie etwa, daß das Ganze der Natur nach (physei) früher als der Teil sei (I 2, 1253a20–22) oder daß die Natur nichts umsonst mache (1253a9). Weil Aristoteles’ Politik mit der Ethik eng verzahnt ist, könnte man zwar von dorther metaphysische Elemente befürchten. Sofern man unter „Metaphysik“ die Theorie eines höchsten Seienden versteht, wird aber die neuere Forderung nach einer „Ethik ohne Metaphysik“ (Patzig 1971) schon von Aristoteles erfüllt. Selbst bei der Kritik an Platons Ideenlehre (EN I 4) und bei dem im bios theôrêtikos enthaltenen Bezug aufs Göttliche (EN X 6–8) sind die entscheidenden Argumente genuin ethischer Natur. Ohnehin sind metaphysische Elemente nicht von sich aus irrational. Ferner findet man zwar eine Teleologie, aber primär keine der Ethik fremde
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Naturteleologie, vielmehr ergibt sie sich aus dem Begriff des Handelns. Und die in der politischen Anthropologie enthaltene Naturteleologie erweist sich als weitgehend sachgerecht (siehe Kapitel 2). Gewiß, Aristoteles traut sich Wesensaussagen zu, beruft er sich doch auf eine für den Menschen charakteristische Leistung (I 6, 1097b24 ff.). Sie beinhaltet aber einen sehr vorsichtigen „Essentialismus“ und kommt überdies weitgehend ohne metaphysische Annahmen im Sinn der später Metaphysik genannten Abhandlungen aus. Sie sind weder an die dort geführten Debatten um das Seiende als Seiendes (on hêi on: Metaphysik Buch IV) noch an deren philosophische Theologie gebunden (Metaphysik, Buch XII). Der Begriff des eidos und sein Verhältnis zur hylê beispielsweise spielen nur an wenigen Stellen eine Rolle (z.B. III 3, 1276a17–19; VII 4; s. dazu unten Kap. 11.3), und selbst dort geht Aristoteles nicht auf die Streitfragen der Metaphysik (z.B. Z 3, 1029a20 ff.) ein. Vor allem enthält seine Theorie des höchsten Guten eine scharfe Spitze gegen den Prototyp einer metaphysischen Entität, Platons Idee des Guten (EN I 4, besonders 1096b33–35), weil diese weder ein „praktikables Gut“ (to pantôn akrotaton tôn praktôn agathôn: I 2, 1095a16 f.) noch das „für den Menschen Gute“ sei (anthrôpinon agathon: I 1, 1094b7). Wenn der große Aristoteliker des Mittelalters, Thomas von Aquin, in der Summa theologiae (I–II, quaestio 3, art. 4 ad 4) Aristoteles’ Strebenstheorie des Handelns mit der Teleologie der Physik und der Lehre vom Göttlichen Beweger aus der Metaphysik (XII 7 und 9) zur Konzeption eines natürlichen Strebens verbindet (desiderium naturale bzw. appetitus naturalis), er überdies das vollkommene Glück (beatitudo perfecta) erst vom Jenseits erwartet, so systematisiert er die bei Aristoteles vorhandenen Aussagen in einer Aristoteles selbst unbekannten Form.
1.5 Eine genuin politische Philosophie Der bedeutende Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls sieht die Alternative zu einer metaphysischen in einer „politischen“ Theorie, die sich als solche den Anspruch auf universale Gültigkeit versagt. In diesem Sinn verzichtet er in seinem zweiten Hauptwerk, Politischer Liberalismus (1993/1998), beispielsweise auf Aussagen über Wesen und Identität von Personen und begnügt sich statt dessen mit einer „Hermeneutik der Demokratie“. Aristoteles würde in einer derartigen Selbstbeschränkung die Möglichkeiten der Philosophie unterboten sehen. Den in der allgemeinen Menschenvernunft enthaltenen Ausgriff auf universal gültige Aussagen gibt er weder in der Verklammerung der Politik mit der Ethik auf noch in
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der politischen Anthropologie, der Gerechtigkeitstheorie oder der Verfassungslehre. Die Wahl unter alternativen Modellen von Recht, Staat und Politik erfolgt letztlich nicht aus Tradition und Konvention, sondern mit traditionsenthobenen, dem Anspruch nach: universalistischen Gründen.Trotzdem sind die entsprechenden Lehrstücke politisch, dieses freilich in einem gegenüber Rawls grundlegenderen Sinn: Die einschlägige These findet sich zwar in der Nikomachischen Ethik, diese ist aber nach Aristoteles’ eigener Aussage mit der Politik eng verbunden. Die These lautet ebenso lapidar wie provokativ: „das Ziel heißt nicht Erkenntnis, sondern Handeln“ (to telos estin ou gnôsis alla praxis: EN I 1, 1095a5 f.; ähnlich II 2, 1103b26 ff. und X 10, 1179a35–b2). Auch wenn die Politik diese These nicht eigens wiederholt – wegen ihrer Verklammerung mit der Ethik kann sie deren Intentions- und Methodenaussagen voraussetzen –, trifft sie hier sinngemäß zu: Das Ziel der politischen Philosophie besteht nicht in der Erkenntnis, sondern in der politischen Praxis, sei es dem gewöhnlichen Handeln von Bürgern und Politikern, sei es vor allem in deren Praxis hinsichtlich der Grundordnung ihres Gemeinwesens: der Verfassung. In den Principia Ethica (1903, § 14) glaubt G.E. Moore, die Gegenthese zu Aristoteles vertreten zu müssen, hier auf die Ethik bezogen: Deren Aufgabe, erklärt er, liege im Wissen, und nicht in der Praxis. Für Aristoteles ist die darin enthaltene Alternative zu einfach. Denn er sucht die praktische Intention weder durch moralische Ermahnung noch politische Aktionen zu verwirklichen, vielmehr ausschließlich mittels Begriffen, Argumenten und der Bestimmung von Prinzipien (EN I 2, 1095a30 ff., vgl. I 7, 1098a33–b8). Ebensowenig entspringt seine praktische Philosophie, wie es seit Teichmüller (Die praktische Vernunft bei Aristoteles, 1879, § 2) immer wieder heißt, einer moralisch-praktischen Vernunft bzw. Urteilskraft, der phronêsis bzw. Klugheit: weder der für die Ethik charakteristischen auf das persönliche Handeln verpflichteten Klugheit noch der für die Politik zuständigen politischen und institutionellen Klugheit. Ob Ethik oder Politik: unmittelbar nicht auf das Handeln, sondern auf dessen Erkenntnis gerichtet, gehört die praktische Philosophie nach heutigem Verständnis zur Theorie. Als eine „praktische Theorie“ hat sie aber im Gegensatz zu einer „theoretischen Theorie“ keinen Selbstzweck; sie steht vielmehr in fremden Diensten, der (politischen) Praxis. Bekanntlich vertritt eine praktisch-politische Intention schon Platon. Besonders deutlich geschieht es im Philosophenkönigssatz (Rep. V 473c-d; vgl. VII. Brief 326a-b). Mit der Forderung, um das Unheil in den Staaten zu beenden, sollten entweder die Philosophen Könige werden, oder aber die jetzt so genannten Könige sich aufrichtig und gründlich mit Philoso-
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phie befassen, greift Platon dem noch heute beliebten Ausspruch vor, alles Wissen müsse „gesellschaftlich relevant“ sein. Aristoteles nimmt demgegenüber eine Differenzierung vor. Statt die gesamte Philosophie auf einen praktischen Zweck zu verpflichten, trennt er Disziplinen, die bloße Erkenntnis suchen, namentlich die Erste Philosophie/Metaphysik, die Naturphilosophie, die Kosmologie und die Mathematik, von solchen, deren Erkenntnis der Selbstzweck fehlt. Deren praktischer Charakter beginnt mit der Fähigkeit, Orientierungsund Legitimationsschwierigkeiten der Zeit aufzugreifen, und zwar so grundlegende Schwierigkeiten, daß sie bis heute aktuell sind: (1) Gemäß einer (moralisch- oder politisch-) praktischen Schwierigkeit gibt es in der Ethik konkurrierende Lebensweisen (bioi: I 3), in der Politik aber: einander widerstreitende Verfassungsformen. Ihretwegen weiß dort das Individuum, hier das Gemeinwesen nicht, wie das Leitziel, das Glück bzw. Gemeinwohl, am besten zu erreichen ist. (2) Nach der ethischen bzw. fundamentalpolitischen Schwierigkeit gibt es beim Gegenstand, dem Guten und Gerechten, eine derartige Unbeständigkeit und Unsicherheit (diaphora kai planê), daß alles als bloßes Menschenwerk, als eine Satzung (nomos), erscheint, der jedes überpositive Moment (physis: Natur) fehlt (I 1, 1094b14–16). (3) Nach der wissenschaftstheoretischen Schwierigkeit mangelt es dem Gegenstand an jener Konstanz, die eine genaue Erkenntnis ermöglicht (I 1, 1094b16ff.) Nüchtern, wie Aristoteles ist, verläßt er sich nicht etwa auf die Kraft bloßer Worte. Daß moralphilosophische – und sinngemäß: politische – Einsichten jungen Menschen von Nutzen sind, schließt er sogar ausdrücklich aus (EN I 1, 1094b27 ff.; 1095a2 f.; vgl. Shakespeare, Troilus und Cressida II 2, 166 f.: „Unlike young men, whom Aristotle thought/Unfit to hear moral philosophy“). In der Jugend könne man zwar Mathematiker sein, aber nicht in praktischen Fragen klug (EN VI 9, 1142a11 ff.), denn es fehle an praktischer Erfahrung und vor allem an jener durch Erziehung und Gewöhnung erworbenen „moralischen Reife“, mit der man, statt den momentanen Leidenschaften zu folgen, zu einem festen Stand im moralischen Leben gefunden habe. Die Ethik und Politik umfassende praktische Philosophie vermag deshalb die intendierte Praxis nicht selbst hervorzurufen. Angesichts der genannten Schwierigkeiten kann sie diese jedoch über sich aufklären und durch die Aufklärung ein kritisches Potential entfalten. Eine derartige Forschungsintention bleibt übrigens bis in die Neuzeit, sogar die Gegenwart gültig. Von Hobbes und Kant über die philosophische Moralkritik eines Nietzsche bis zur Kritischen Theorie oder der neuen Politischen Philosophie sucht man die Aufklärung über Praxis um einer
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besseren Praxis willen und erweist sich damit, ob man es will oder nicht, als Aristoteliker. Die Unterschiede zeigen sich erst in der Feindebatte: bei der Frage, wie der Gegenstand, die persönliche oder die politische Praxis, näher zu bestimmen ist, und der weiteren Frage, wie die Philosophie der entsprechenden Praxis dienen kann oder dienen soll. Wegen einer dritten, wissenschaftstheoretischen Schwierigkeit führt Aristoteles eine spezifische Wissensform ein (EN I 1, 1094b11–27; vgl. I 7 und II 2). Mit ihr stellt er eine unter Philosophen nicht so häufige wissens- und wissenschaftstheoretische Liberalität unter Beweis. Vor allem in der Neuzeit mißt man nämlich die Wissenschaftlichkeit gern an einem einheitlichen Maß, namentlich am deduktiven Beweis der Mathematik, und entwickelt entweder eine Ethik und Politische Philosophie more geometrico oder stellt für sie, sofern sie das Ideal nicht erfüllen können, ein kognitives Defizit fest. Aristoteles pflegt dagegen generell ein hohes Maß an wissenschaftstheoretischer Flexibilität und Toleranz. Ohne das Ideal von Wissen, das er in den Zweiten Analytiken (bes. I 1–4) entfaltet, aufzuheben, vertritt er unter Hinweis auf die entsprechende Situation bei Handwerkern – zu erläutern: einem Eisenschmied sind Toleranzen erlaubt, die sich einem Goldschmied verbieten – ein Prinzip gegenstandsgerechter Genauigkeit (EN I 1, 1094b12 ff.; vgl. Höffe 21999, Teil II), und dieses erhält zwei grundverschiedene Ausprägungen: (1) Weil Güter wie Tapferkeit, selbst Reichtum zwar in der Regel, aber nicht immer dem Glück zuträglich sind, begnügt sich die Ethik mit nicht streng allgemeingültigen, wohl aber „in der Regel“ bzw. „meistens, aber nicht immer“ zutreffenden Aussagen (hôs epi to poly: EN I 1, 1094b21; III 5, 1112b8f.; V 14, 1137b15 f.). In diesem Sinn könnte man die Bücher IV–VI im Verhältnis zu Buch III der Politik verstehen: sie weichen deren starres Schema von drei legitimen und drei illegitimen Verfassungen auf, weil dieses bestenfalls „meistens, aber nicht immer“ paßt. Zugleich tritt Aristoteles einem antiliberalen Rigorismus entgegen, der die entsprechenden Aussagen zu universalen Prinzipien erklärt. Statt dessen verlangt er, was die Selbstverantwortung der Handelnden, ihre Autonomie und Souveränität stärkt: die ebenso sensible wie kreative Fähigkeit einer die besonderen Umstände berücksichtigenden Klugheit (phronêsis). (2) Weil konkrete Handlungen und Institutionen von unterschiedlichen Randbedingungen abhängen, spricht man darüber typô: im Umriß oder Grundriß. Statt die Sache vollständig zu beschreiben, begnügt man sich mit einer Art von Strukturgittern, die das sich gleichbleibende Wesen (des Glücks, der Tugend und der Tugenden, der Grundformen von Verfassungen …) benennen und zugleich die zur konkreten Verwirklichung gehörenden Zusatzelemente offen lassen (vgl. X 9, 1179a17–22).
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1.6 Zum Verhältnis von Politik und Ethik Nach dem Einleitungskapitel der Nikomachischen Ethik (I 1, 1094a26–b11) ist die politische Philosophie deshalb mit der Ethik eng verzahnt, weil das leitende Gute, die eudaimonia (Glück), für den einzelnen wie das Gemeinwesen dasselbe sei (vgl. Pol. I 1, 1252a1f. in Verbindung I 2, 1252b30; vgl. auch III 9, 1280a32 und VII 1–2). Aus zwei Gründen gebühre dabei der Politik der Vorrang: Hinsichtlich des Glücks sei sie nämlich „das Wichtigste und leitendste“; und das Glück sei „zwar schon bei einem einzigen Menschen erfreulich, schöner und göttlicher aber für Völker und Staaten“. Eine derartige Verantwortung der Politik für das Glück erscheint uns als problematisch. Nach einer verbreiteten Ansicht ist das Glück nämlich etwas sehr Persönliches, vielleicht sogar Privates. Aristoteles hat aber einen grundlegend anderen Begriff, und dessen Andersheit beginnt hier, bei der Zuordnung zu einem Bereich, den wir allenfalls für subsidiär zuständig halten, der Politik. Den darin liegenden Unterschied könnte man zum Gegensatz von Antike und Moderne hochstilisieren wollen: Während in der Moderne für das Glück ein persönlicher oder privater, manchmal sogar privatistischer Begriff vorherrsche – das Glück als ein Glücksgefühl oder als eine bestimmte Innerlichkeit –, sei es nach der durch Aristoteles repräsentierten Antike nur innerhalb eines Gemeinwesens zu verwirklichen. Und daraus folge ein zweifacher Vorrang, der des Staates vor dem Individuum und der der politischen Philosophie vor der Ethik. In Wahrheit ordnet Aristoteles aber weder die persönliche Zuständigkeit für das Glück der politischen Zuständigkeit noch die philosophische Ethik der politischen Philosophie unter. Vielmehr ordnet er praktische Kompetenzen von der Art der Kriegs-, Wirtschafts- und Redekunst (1094b3) der umfassenderen politischen Kompetenz unter. Wegen dieser nur relativen Überlegenheit widerspricht er sich nicht, wenn er in anderen Hinsichten einen Primat der Politik zurückweist: im sechsten Buch der Nikomachischen Ethik (7, 1141a20–22) vom Rang des Gegenstandes her – es ist „unsinnig, die politische Kompetenz ... für das vortrefflichste zu halten, weil der Mensch nicht das Beste im Kosmos ist“ – und im zehnten Buch (Kap. 6–9) von der größeren Glückstauglichkeit des theoretischen Lebens her. Dabei beruft sich Aristoteles sowohl auf den Begriff des Glücks als des schlechthin höchsten und autarken Ziels (EN I 5) als auch auf die Lust und vor allem auf die für den Menschen eigentümliche Leistung (EN I 6). Weil sich der Mensch vom Tier durch den Logos unterscheidet, gebührt der Vorrang dem, der zwar höchst schwierige und erstaunliche, aber rundum unnütze Dinge weiß (EN VI 7, 1141b6–8): dem rein theoretischen Wissenschaftler
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und Philosophen (Pol. VII 1–3, bes. 1325b14–32). Nach Aristoteles erfüllt die theôria die Kriterien des Glücks zum Beispiel deshalb in höchstem Maß, weil sie im Gegensatz zum politischen Leben weder äußerer Güter noch der Mitbürger und Freunde bedarf, gegen die man gerecht, freigebig usf. handelt (EN X 7, 1177a29–32). Außerdem ist die theôria der Bedrohung durch widrige Umstände enthoben. Und als eine Praxis, die um ihrer selbst willen vollzogen wird (Met. I 2, 982b24–28), trägt sie ihre Rechtfertigung in sich. Sowohl die Ethik als auch die Politik (VII 3, 1325b 14–30) plädieren für eine Aristokratie des Geistes. Die genannten Alternativen zur Politik beinhalten auch, daß die Politik nicht an die Stelle strategischer, ökonomischer und rhetorischer Kompetenzen tritt, sondern nur deren Rang relativiert. Die Politik hat keinen exklusiven, die anderen Optionen ausschließenden, sondern einen inklusiven, sie mitumfassenden („periechei“) und zugleich sie auf gesetzgebende Weise („nomothetousês) dirigierenden Charakter. Schließlich werden nur die genannten Kompetenzen („Künste“) relativiert, nicht die Ethik. Erst in einer zweiten Argumentation (nach EN I 1, 1094a28–b11) deutet sich ein Vorrang der Politischen Philosophie vor der Ethik an, der überdies nur gering ausfällt: Individuen und Staaten verfolgen zwar dasselbe Gute bzw. Ziel (vgl. Pol. VII 1, 1323b40 ff. und VII 15, 1334a11); im Fall von Völkern und Staaten erfährt es aber eine Steigerung (1094b7–10; ähnlich Pol. IV 9, 1294b6–10). Der Komparativ besagt, daß schon beim einzelnen das Glück über alle exzeptionellen Eigenschaften verfügt; es ist vollendet (teleion), wünschenswert (agapêton), moralisch gut (kalon: schön im Sinne von moralisch gut: edel) und göttlich (theion). Bei Gemeinschaften erfreuen sich aber viele dieses Glücks. Wenn es besser ist, daß Gemeinschaften des Glücks teilhaftig werden, so müßte es bei der Gemeinschaft aller Gemeinschaften, der ganzen Menschheit, noch besser sein. In seinem Kommentar zu Aristoteles’ Ethik zieht Thomas von Aquin genau diesen Schluß, setzt aber nicht hinzu, daß beim kommentierten Text die Extrapolation fehlt. Weder hier noch an anderen Stellen der Ethik oder der Politik zeigt Aristoteles auch nur Ansätze eines Welt-Bürgertums, eines Kosmo-Politismus. Wie also verhalten sich Politische Philosophie und philosophische Ethik zueinander? Einerseits bestehen vielfältige Verbindungen. So spielen die Grundbegriffe der Ethik: das Glück, die moralischen Tugenden, namentlich die Gerechtigkeit, und die Freundschaft, allesamt in der Politik eine große Rolle. Umgekehrt haben die moralischen Tugenden – unbeschadet ihrer Verankerung im Charakter des einzelnen – als Sitz im Leben die Polis, und deren Gesetze halten zum guten Leben an (vgl. EN X 10). Außerdem kann man das Glück im bios politikos, dem (moralisch-)politischen Le-
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ben, verwirklichen. Andererseits besteht zwischen beiden Disziplinen jene klare Arbeitsteilung, mit der sich Aristoteles gegen Platon absetzt. Während die Politeia die gesamte Ethik in die Politik bzw. die gesamte Politik in die Ethik integriert und beide in die Metaphysik, entwickelt Aristoteles in der Ethik die für Ethik und Politik gemeinsamen normativen Grundbegriffe. Ansonsten befaßt er sich mit den persönlichen Bedingungen für das Glück und überläßt der Politik die Untersuchung von Institutionen und Verfassungen, einschließlich der Bedingungen politischer Stabilität und politischen Zerfalls. Insofern besteht keine Überordnung; weder ist die Ethik nur angewandte Politik noch die Politik nur angewandte Ethik. Beide Disziplinen sind vielmehr bei relativer Selbständigkeit gleichrangig. Und wegen dieser Nebenordnung ist Aristoteles’ anderer Titel sachgerechter: die nicht mehr hierarchisierende, sondern Ethik und Politik übergreifende Bezeichnung hê peri ta anthrôpeia philosophia (X 10, 1181b15). Als „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“ machen Ethik und Politik zusammen den Kern einer philosophischen Lehre vom Menschen, einer philosophischen Anthropologie, aus. Der folgende kooperative Kommentar versammelt zwölf Originalbeiträge, die zum Teil auf einem Symposium zur Politik vorgestellt und diskutiert wurden, das im Februar in Tübingen stattfand. Ich danke den Referenten und Autoren, meinen Mitarbeitern Rolf Geiger und Tim Wagner und für die finanzielle Unterstützung erneut der Fritz-Thyssen-Stiftung. Tübingen, im Mai 2000
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In den ersten zwei Kapiteln der Politik entfaltet Aristoteles drei relativ eigenständige Theoreme. Er behandelt relativ kurz: (1) daß die oberste (kyriotatê) Gemeinschaft, die politische, auch nach dem obersten Gut strebt (Pol. I 1, 1252a1–7) und (2) daß sich ein Polisherrscher (politikos: Staatsmann), ein König (basilikos), ein „Hausvorstand“ (oikonomikos) und ein Herr (despotês, i.S. des Herrn über Sklaven) nicht bloß nach der Zahl der Beherrschten unterscheiden, sondern grundverschiedene Arten von Herrschaft ausüben (1252a7–16). Beim zweiten Theorem dürfte es sich um eine absteigende Hierarchie handeln. Denn der despotês herrscht über Menschen deutlich niederen Ranges, die Sklaven, der Hausvorstand nur – zusätzlich – über die ihm rangnahe Ehefrau; die Untertanen eines Königs sind immerhin schon selber Haushaltsvorstände; und der Polisherrscher regiert über seinesgleichen, mit denen er sich deshalb im Regieren und Regiertwerden mit anderen ablöst (1252a16). Er übt also die qualitativ höchststehende Herrschaftsform aus. Schon in den ersten zwei Theoremen klingt Aristoteles’ Platonkritik an: daß die Polis sich vom Haus nicht quantitativ, durch die Zahl der Mitglieder, sondern qualitativ unterscheide. Im ersten Theorem deutet sich ein anderes, nämlich das superlativische Gut an, und nach dem zweiten Theorem gibt es in der Polis eine vom Haus grundverschiedene Art von archê: Herrschaft und Regierung. (3) Am ausführlichsten behandelt Aristoteles ein drittes Theorem, seine berühmte politische Anthropologie (Kap. I 2), das neben der Staatsformenlehre zum wirkungsmächtigsten Gedanken der Politik wird. Dabei wird das superlativische Gut genannt; es ist das gute und gelungene Leben
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(eu zên) statt des schlichten Lebens. Auch wird indirekt die Herrschaftsform der Polis deutlicher, so daß Aristoteles in der Sache, ohne Platon zu nennen, seine Platonkritik fortsetzt. Bevor Aristoteles seine politische Anthropologie entfaltet, gibt er einen kurzen Hinweis auf seine Methode, der de facto auch ein so entschiedener Aristoteles-Gegner wie Hobbes folgen wird: daß die Polis – bei Hobbes: der Staat – ein Zusammengesetztes sei, das in seine kleinsten Teile zergliedert und von ihnen aus untersucht werden soll (I 1, 1252a17–23). Später wird die Methode analytisch-synthetisch bzw. resolutiv-kompositiv genannt: daß ein Ganzes zunächst in seine Teile zergliedert (die analytische bzw. resolutive Seite) und sodann aus ihnen wieder aufgebaut wird (die synthetische bzw. kompositive Seite). Dabei setzt Aristoteles im zweiten Kapitel die analytische Seite als schon geleistet voraus und führt nur die „Kehrseite“, den Aufbau der Polis aus ihren kleinsten Teilen, vor.
2.1 Via antiqua? Physei politikon zôon – dieses Grundwort politischer Anthropologie entfaltet Aristoteles’ Politik (I 2, 1253a2 f.) in Verbindung mit drei anderen Behauptungen: die Polis sei die vollkommene Gemeinschaft (1252b28), sie sei natürlich (1253a2; vgl. a18 f.), schließlich sei sie von Natur aus früher als das Haus und die Individuen (1253a19; vgl. a25). Alle vier Thesen werden jahrhundertelang widerspruchslos anerkannt; erst zu Beginn der Neuzeit stoßen sie auf wachsende Kritik. Sollte sie zutreffen, so würden die Thesen ihren anthropologischen Rang verlieren und zu einer via antiqua im politischen Denken entmachtet werden, die, durch die via moderna längst abgelöst, heute ihr Recht verloren hätte. Der schärfste Einwand kommt von Hobbes. Weil er den Menschen weniger für ein Sozial- als für ein Konfliktwesen hält, sieht er in politischen Gemeinschaften „nicht bloß Zusammenkünfte, sondern auch Bündnisse, zu deren Abschluß Treue und Verträge notwendig“ sind (De cive, I 1 Anm.). Daraus leitet er die zu Aristoteles klare Gegenthese ab, daß das Gemeinwesen nicht durch Natur, sondern durch Kunst (art) geschaffen werde (Leviathan, Einleitung). Zu Hobbes’ Einwand tritt später der legitimationstheoretische Vorwurf hinzu, Aristoteles schließe aus Aussagen über den Menschen, wie er ist, auf Forderungen, wie er mit seinesgleichen zusammenleben soll; er begehe also den Sein-Sollens-Fehler. Schließlich – heißt es – könne der Mensch schon deshalb kein politisches Wesen sein, weil die entsprechenden Gemeinschaften historisch spät entstünden.
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Der griechische Ausdruck für Natur, physis, kommt von physein und heißt wachsen, erzeugen, hervorgebracht werden. Nach dem Vorbild biologischer Prozesse bedeutet „Natur“ eine Entwicklung in drei Hinsichten; gemeint sind sowohl der Anfang als auch das Ziel, nicht zuletzt der Ablauf der Entwicklung. Obwohl gemäß der mittleren Bedeutung die politische Natur des Menschen mit seinem Wesen und seiner Selbstverwirklichung zu tun hat, behauptet Aristoteles nicht, die Menschheit organisiere sich schon immer nach dem Muster griechischer Stadtrepubliken. Und damit entkräftet er den dritten, historischen Einwand. Denn er behauptet nicht, die Menschen lebten schon immer in einer Polis, sondern lediglich, daß sie erst in ihr das eu zên, das gute und gelungene Leben, verwirklichen könnten. Und weil das eu zên ein normativer Begriff ist, wird auch der zweite Einwand hinfällig: Weil Aristoteles nicht mit bloßen Seinsaussagen beginnt, entgeht er dem Sein-Sollensfehler. Er vergleicht allerdings die Bausteine der Polis: sowohl die einzelnen Menschen als auch die Hausgemeinschaften, mit Organen, die nur im Rahmen eines Ganzen, eines lebendigen Organismus, zu ihrer charakteristischen Leistung fähig sind (Pol. I 2, 1253a20–22). Und dieser Vergleich drängt einen weiteren, vierten Einwand auf: Aristoteles vertrete jenes organologische Verständnis, das das Gemeinwesen zu einem hierarchisch gegliederten Organismus erkläre, in dem es qualitativ verschiedene, vor allem sowohl herrschende als auch dienende Glieder gebe, die nicht für sich, sondern nur im Zusammenwirken existieren könnten und auf diese Weise die Eigenständigkeit und das Eigenrecht der Glieder, der Hausgemeinschaften und vor allem der einzelnen Menschen, leugneten. Gegen ein derart organologisches Verständnis spricht aber schon der Umstand, daß die nur dienenden Wesen, die Sklaven, für Aristoteles gar keine Staatsbürger sind, während die Bürger prinzipiell gleichberechtigt sind; denn die Polis wird als Gemeinschaft von Freien und Gleichen bestimmt (III 4, 1277b7 f.). Aristoteles erhebt mit der Analogie des Organischen einen bescheideneren Anspruch. Er behauptet nur, daß sowohl für die Einzelnen als auch für die vorpolitischen Gemeinschaften der Bezug zur Polis wesentlich ist. Hinsichtlich der Individuen trifft es überdies nur für die meisten, nicht alle zu. Denn nach Aristoteles gibt es sowohl Menschen, die gemeinschaftsunfähig, dann freilich einem wilden Tier (thêrion) gleichen, als auch Menschen, die dank einer ungewöhnlichen Selbstgenügsamkeit wie ein Gott (theos) sind, folglich die Gemeinschaft nicht brauchen (Pol. I 2, 1253a27–29). Aristoteles erliegt auch nicht dem „biologistischen“ oder „evolutionären Fehlschluß“, daß politische Gemeinschaften sich „von allein“, ohne eine
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bewußte Eigenleistung des Menschen, herausbilden. Er spricht nämlich von jemandem, der die Polis ins Leben rief, rühmt ihn als Urheber größter Güter (Pol. I 2, 1253a31), kommt damit Hobbes entgegen und bildet nicht, wie man gern annimmt, dessen schlichte Alternative, die via antiqua statt der via moderna. Aristoteles widerspricht auch deshalb nicht Hobbes, weil er für den Staat ein Moment des Künstlichen als konstitutiv ansieht. Er lehnt jedoch die Vorstellung ab, das Politische sei künstlich im Sinne von unnatürlich, da es der eigentlichen Bestimmung des Menschen im Wege stehe. Zugleich zeigt sich eine wesentliche Gemeinsamkeit. Aristoteles wie Hobbes richten sich gegen die Ansicht, der Staat sei ein Ort, der den Menschen seinem Wesen entfremde: sei es durch Luxus und Verfall (so die zweite Stufe in Platons Polisgenese: Rep. II 372c ff.), sei es durch ungebührliche Freiheitseinschränkung. Statt dessen sehen sie in der Polis bzw. dem Staat eine Gesellschaftsform, die dem Menschen zu sich selbst verhilft. Noch in einer weiteren Hinsicht kann Aristoteles als „modern“ gelten, hier allerdings weniger im Sinn der modernen politischen Philosophie als der philosophischen Anthropologie und der Soziobiologie: Er stellt den Menschen in einen Zusammenhang mit subhumanen Lebewesen, findet nämlich die Eigenschaft des Politischen auch bei Tieren gegeben und erkennt trotzdem die einzigartige Sonderstellung des Menschen an. Das Einleitungskapitel der Tierkunde unterscheidet die allein lebenden von den in Herden lebenden Tieren, gruppiert letztere in verstreut lebende und „politische“ Tiere und führt als Beispiele für „politische Tiere“ den Menschen, die Biene, die Wespe, die Ameise und den Kranich an. Denn sie alle vollbringen im Zusammenleben eine gemeinschaftliche Leistung (koinon ergon: 487b33–488a10). Die zweite Hauptstelle für den Begriff des Politischen, Kapitel I 2 der Politik, nimmt diese biologische Bestimmung nicht etwa zurück, sondern ergänzt sie mittels einer komparativen Verwendung. Danach ist nicht erst der Mensch ein politisches Wesen, er ist es aber mehr (politikon ... mallon) als die Biene und jedes andere Herdentier (Pol. I 2, 1253a8 f.). Man könnte die Steigerung rein quantitativ verstehen: daß die politischen Einheiten der Menschen mehr Mitglieder als die der Tiere haben. Aristoteles kommt es aber darauf nicht an, zunächst auch nicht auf das nach heutigem Verständnis genuin Politische, also auf Ämter und Institutionen, auf das Recht und den Kampf um Macht. Er hebt vielmehr auf das schon im biologischen Begriff des Politischen enthaltene koinon ergon ab. Und bei diesem legt er weniger auf die Verläßlichkeit wert, mit der die gemeinsame Leistung zustande kommt. Wer auf die Streitigkeiten, sogar
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Kriege unter den Menschen achtet, kann diese auch schwerlich für kooperationsverläßlicher als Bienen und Ameisen halten. Aristoteles kommt es auch nicht auf die Intensität der Kooperation an, sondern allein auf die Qualität der gemeinschaftlichen Leistung: Bei einem Tier zählt im wesentlichen nur das schlichte Leben (zên), beim Menschen dagegen das gute Leben (eu zên), folglich das aus der Ethik bekannte Prinzip der eudaimonia, des Glücks. Der Mensch ist also nicht deshalb das im höheren Maß politische Wesen, weil er größere oder kooperationsverläßlichere oder kooperationsintensivere Gemeinschaften zustandebringt, sondern allein deshalb, weil er zu einer höherstufigen Gemeinschaftsleistung fähig ist. Nicht zuletzt ist Aristoteles insofern „modern“, als schon er den zwar älteren, aber neuerdings wieder aktuellen Gedanken der Subsidiarität entfaltet: daß die Gemeinschaften/Gesellschaften das subsidium: die Hilfe und Unterstützung für die Individuen und daß die höheren Gemeinschafts-/Gesellschaftsformen die Hilfe und Unterstützung für die niedrigeren darstellen.
2.2 Drei Argumentationsreihen Des näheren trägt Aristoteles vier äußerst dichte Argumentationsreihen vor, von denen hier drei vorgestellt werden: 1. Die erste Argumentationsreihe (Pol. I 2, 1252a26–1253a7) nimmt den Platonischen Gedanken auf, daß der einzelne, sich selbst nicht genug (ouk autarkês), vieler (Mitmenschen) bedarf (pollôn endeês: Rep. II, 369b). Sie erweitert allerdings den Gedanken, handelt ihn im Unterschied zu Platons erster Polisstufe von vornherein nicht nur im ökonomischen Sinn von Arbeitsteilung und Lebenserleichterung ab und stellt damit das schon von Platon bekannte Kooperationsdenken auf eine entschieden breitere Erfahrungsgrundlage. Ferner filtert sie die in Platons zweiter Polisstufe zutage tretende Zivilisationskritik aus, so daß die gesamte Argumentation weniger angreifbar wird. Nicht zuletzt hebt Aristoteles zwei Zwischenstufen zwischen den letzten Teilen, den einzelnen Menschen, und der obersten Gemeinschaft, der Polis, heraus: die Hausgemeinschaft, die er anschließend näher untersucht, und das Dorf, das im Fortgang der Politik aber keine Rolle mehr spielt. Nach Aristoteles erfolgt die Entwicklung der Polis in drei Stufen. Sie geht von zwei Formen wechselseitiger Angewiesenheit aus, denen zufolge der Mensch nicht für sich allein, als atomares Individuum vorkommt, sondern von vornherein auf Mitmenschen bezogen, sogar angewiesen ist. In
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der Wechselseitigkeit klingt außerdem ein normatives Moment an, dessen Bescheidenheit, eine Tauschgerechtigkeit, Aristoteles ein weiteres Mal als modern, zumindest nicht als vormodern, folglich überholt erscheinen läßt: Wegen eines instinktähnlichen Dranges (hormê: 1253a30), der Sexualität, verbinden sich Frau und Mann (wörtlich: das Weibliche: thêly, und das Männliche: arren). Und aufgrund der qualitativ verschiedenen Begabung arbeiten das von Natur aus Herrschende (archon) und Beherrschte (archomenon): Herr (despotês) und Knecht bzw. Sklave (doulos) zusammen. Im nächsten Kapitel kommt eine dritte naturgegebene Beziehung hinzu, die der (hilfsbedürftigen) Kinder zu den Eltern (I 3, 1253b7). In der dreifachen Verbindung besteht die biologisch-ökonomische Grundeinheit, das Haus (oikos, oikia). Weil die erwachsenen Kinder ihre eigenen Familien gründen, bildet sich aber – so die zweite Entwicklungsstufe – eine Gemeinschaft von Häusern gleicher Abstammung, ein Dorf (kômê). Dieses ist als eine Sippe bzw. als ein Klan zu verstehen; denn die Mitglieder gelten als „Milchgenossen“ (homogalaktoi: 1252b18). Aus mehreren Sippen bildet sich schließlich jene Gemeinschaft, in der weder das Prinzip des Hauses, die Arbeitsteilung, noch das der Sippe, die Blutsbande, herrscht. Denn die Polis entsteht zwar aus dem Interesse am (bloßen) Leben, besteht aber fort um des guten und gelungenen Lebens willen (1252b29 f.). 2. Während die erste Argumentation von natürlichen, teils biologischen (Mann-Frau), teils biologisch-ökonomischen Sozialimpulsen (HerrKnecht/Sklave) ausgeht, beruft sich die zweite auf die Sprach- und Vernunftbegabung (I 2, 1253a7–18). Die beiden Argumentationen sind allerdings nicht grundverschieden, denn der Sklave zeichnet sich durch ein Vernunftdefizit aus, durch den Mangel an vorausschauendem Verstand (1252a31–34). Die beiden Grundbestimmungen abendländischer Anthropologie, die politische Natur und die Sprach- und Vernunftnatur des Menschen, hängen jedenfalls miteinander zusammen: Ohne die Vernunftbegabung kann der Mensch seine politische Natur nicht realisieren, und umgekehrt entfaltet sich die Vernunftbegabung im Rahmen der Polis. Zur Vollendung, dem bios theôrêtikos, gelangt sie allerdings nur außerhalb, in einer Art immanenter Transzendenz der Polis (EN X 6–9, bes. Kap. 8; vgl. in diesem Band Kap. 1.6). Zu Beginn der Metaphysik (I 1) führt Aristoteles verschiedene Stufen einer vor allem theoretischen Rationalität ein: Wahrnehmung, Erinnerung, Erfahrung, Wissenschaft und Weisheit. In der Politik unterscheidet er dagegen drei Stufen praktischer Rationalität und ordnet ihnen jeweils eine wohlbestimmte Art von Sprache und Kommunikationsfähigkeit zu. Dabei
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bekräftigt sich die höhere politische Begabung des Menschen: Weil nur er über die höheren Stufen von praktischer Rationalität und von Kommunikation verfügt, ist er zum höherstufigen koinon ergon fähig und genau deshalb das in höherem Maß politische Lebewesen. Über die erste Rationalitäts- und Kommunikationsstufe, eigentlich eine Vorstufe, die Empfindung und auch Mitteilbarkeit (phonê: Stimme) von Schmerz und Lust, verfügen auch Tiere. Sie ermöglicht ihnen das Politische in seiner schlichten Form, das Überleben von Individuen und Arten. Die zweite und zugleich erste genuin rationale Stufe, besteht in der Fähigkeit, über das Nützliche und Schädliche nachzudenken, und ebenso der Fähigkeit, es einander mitzuteilen und dabei zu Gemeinsamkeiten zu kommen. Infolgedessen kann man das Leitziel Überleben in Teil- und Zwischenziele ausdifferenzieren und den dafür bestimmten, bunten Strauß von Zweckverbindungen bilden. Schließlich vermag der Logos den Standpunkt partikularer Nützlichkeiten zu transzendieren und erreicht dadurch die genuin politische Dimension, eine Gemeinschaft nicht nur von Gut und Schlecht, sondern auch von Recht und Unrecht (dikaion kai adikon: 1253a14–18; dikaion ist ein komplexer Begriff, zu dem sowohl das geltende Recht als auch der moralische Rechtsbegriff, die Gerechtigkeit, gehört; vgl. EN V 2, 1129a32 f.). 3. Gegen die so weit entwickelte Argumentation erhebt sich das Hobbessche Bedenken, das Politische werde nur als Form von Kooperation verstanden, obwohl die Kooperation doch organisiert sein wolle, überdies von Konflikten, ferner vom Trittbrettfahrer bedroht sei und deshalb Ämter und Institutionen mit Zwangsbefugnissen, kurz: Herrschaft, erforderlich seien. In der Tat ist die griechische Polis nicht der Sonderfall eines herrschaftsfreien Gemeinwesens. Auch Athen verlangt Abgaben und fordert zum Kriegsdienst auf; es legt Maße, Münzen und zivilrechtliche Verfahren fest; mittels eines Scherbengerichts (ostrakismos) darf es ins Exil verbannen; es hat öffentliche Gewalten; nicht zuletzt kennt es ein Strafrecht, dabei sogar die Todesstrafe. Nun handelt auch Aristoteles’ Politik von Gesetzen und dem Gesetzesgehorsam, ferner sehr ausführlich von Ämtern und Institutionen, sogar von denselben drei öffentlichen Gewalten, die wir aus der neuzeitlichen Theorie der Gewaltenteilung kennen (Pol. IV 14). Umso erstaunlicher wäre es, wenn in der politischen Anthropologie (Pol. I 2) von Kooperation zwar viel, von Zwangsbefugnissen und Herrschaft aber keine Rede wäre. Das Politische erhielte dann einen apolitischen Charakter, und Aristoteles votierte per silentium für etwas, das erst in der Neuzeit, in der Epoche der französischen Revolution, ausdrücklich vertreten wird: für Herrschaftsfrei-
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heit. Vor allem könnte Aristoteles sein Argumentationsziel, die Rekonstruktion der Polis aus ihren Teilen, nicht erreichen; aus der Sozialnatur allein läßt sich nämlich keine zwangsbefugte Sozialordnung, „kein Staat machen“. Aristoteles führt noch eine dritte Gruppe von Argumenten an, die aber von Hobbes und vielen anderen überlesen wird: Vom Menschen, der außerhalb der Polis lebt, heißt es in aller Deutlichkeit, er sei „gierig nach Krieg“, und weiter: er sei ein „wildes Tier“; nicht zuletzt sei das schlimmste die bewaffnete Ungerechtigkeit (Pol. I 2, 1253a6, a29, a33f.). In diesen Argumenten wird ein Teil der Hobbesschen Aussagen vom „Krieg aller gegen alle“ (Leviathan, Kap. 13) und vom Menschen, der dem Menschen ein Wolf sei (De Cive, Widmung), vorweggenommen. Außerdem darf man den Begriff von Recht und Gerechtigkeit (dikaion) nicht lediglich von der Sozialnatur aus lesen, es geht auch um Konfliktbewältigung, überdies um Konfliktprophylaxe. Die von Hobbes’ Aristoteles-Kritik geprägte Lesart, die in Aristoteles’ politischer Anthropologie nur die Sozialnatur sieht, ist daher erstaunlich einseitig. Im Unterschied zu Hobbes kennt Aristoteles aber nicht lediglich ein Heilmittel gegen die Kriegsgefahr; mindestens ebenso wichtig wie Recht, Gerechtigkeit und Staat ist ihm die Freundschaft. In der Ethik widmet er ihr nicht weniger als zwei von zehn Büchern und sagt einleitend, daß sich die Gesetzgeber sogar mehr um die Freundschaft bemühen als um die Gerechtigkeit (EN VIII 1, 1155a23 f.). Daß die Freundschaft das größte Gut für die Staaten ist, bekräftigt die Politik (II 4, 1262b7 und 10). Nach III 9, 1280b35 ff. ist die Polis auf „Verschwägerungen und Geschlechtsverbände und Opfergenossenschaften und Formen des geselligen Lebens“ angewiesen; und sie alle sind „das Werk der Freundschaft, denn Freundschaft ist nichts anderes als die „Entscheidung, miteinander zu leben“ (vgl. IV 11, 1252b23). Umso erstaunlicher ist es, daß der Ausdruck der Freundschaft in der politischen Anthropologie des Kapitels I 2 der Politik nicht auftaucht.
2.3 Welchen „Glückswert“ hat die Polis? Die drei Argumentationsreihen sind nicht ganz kohärent. Während das erste Argument die Polis an die anspruchsvollere Aufgabe des gelungenen Lebens (eu zên) bindet, geben sich die beiden anderen Argumente mit wechselseitigem Nutzen und einer Gemeinschaft von Recht und Gerechtigkeit zufrieden. Im Verlauf der Politik werden beide Bestimmungen aufgenommen, die erste beispielsweise im Kapitel III 9 (1280a32, b33), die zweite im
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Kapitel III 12 (1282b17: politikon agathon to dikaion). Wirklich eingelöst wird aber eher das zweite Ziel. Obwohl die Polis auch Erziehungsaufgaben übernimmt, beispielsweise für Lesen und Schreiben, Gymnastik, Musik und Zeichnen sorgt (Pol. VII 14–VIII 7), ist sie weder für die vollendete Form des Glücks, das theoretische Leben, zuständig, noch im Rahmen des politischen Lebens für das volle Maß der Tugend. Zufrieden mit dem Anteil, den man den Mitmenschen schuldet, ist die „gewöhnliche“ Tugend des guten Bürgers (politês spoudaios) anspruchsloser als die vollkommene Tugend (aretê teleia: Pol. III 4, 1276b16 ff. bzw. b34). Wie Aristoteles in der Ethik ausführt, gehört zum (moralisch-) politischen Leben (bios politikos) das Zusammenspiel zweier Arten von Tugend: der Charaktertugend (aretê êthikê) und einer intellektuellen Tugend (aretê dianoêtikê), der Klugheit (phronêsis: EN II 1, 1103a14 f.). Insbesondere bei den Charaktertugenden zeigt sich, daß der gute Bürger nicht der vollkommenen Tugend bedarf: Nach dem Einleitungssatz der Politik (I 1, 1252a2) ist jede Polis eine Gemeinschaft, die als Gemeinschaft um eines Gutes und als Polis um des höchsten Gutes willen besteht. Gemäß der im zweiten Kapitel eingeführten Unterscheidung des Elementargutes, des bloßen Lebens (zên), vom vollendeten Gut, dem gelungenen Leben (eu zên: vgl. I 2, 1252b30), bezweifelt Aristoteles nicht, daß gewisse Aufgaben der Politik auch ohne die Vollendungsstufe zu erreichen seien. Solange es um das bloße Leben geht, ist kaum die Gesamtheit der Charaktertugenden erforderlich. Für den dabei noch nicht erreichten, vollen Begriff der Politik erhalten sie dagegen ein dreifaches Gewicht: (1) Namentlich die Gerechtigkeit ist eine Voraussetzung der Polis, da ohne sie der Bestand und das Wohlergehen der Polis gefährdet sind. Nur beim gerechten Bürger erfahren die zwangsbefugten Gesetze eine freie Zustimmung, so daß sich ihr Zwangsmoment verkleinert und die Polis nicht ständig auf ihre Zwangsmittel zurückgreifen muß. Hier realisiert Aristoteles eine Einsicht, die die politische Philosophie der Neuzeit erst nach und nach wiedergewinnt: daß eine freie Rechts- und Staatsordnung auf eine ihr entgegenkommende Moral angewiesen ist. (2) Die Tugenden, und zwar sowohl die meisten Charaktertugenden als auch die Klugheit, sind eine Folge der Polis, da sie innerhalb der Polis eingeübt und praktiziert werden. (3) Sie reichen schließlich in dem Sinn über die Polis hinaus, als die Tugenden des Bürgers nur einen Teil der vollkommenen Tugend umfassen. Beim Regierenden (archon) soll zwar die Tugend des Bürgers mit der des Menschen zusammenfallen (III 4, 1277a12 ff.). Die nähere Erläuterung spricht aber nicht vom rundum guten Bürger, dem spoudaios, sondern vom phronimon,
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dem klugen Bürger, betont also die intellektuelle Kompetenz, über die der Regierende verfügen sollte. Hinsichtlich der Charaktertugenden dürfte der zu erhebende moralische Anspruch dagegen bescheidener ausfallen. Zweifellos dürfen weder die Regierenden korruptionsanfällig noch die Richter parteiisch sein. Daß sie rundum moralisch handeln und sich weder innerhalb der Hausgemeinschaft noch gegen Freunde je etwas zuschulden kommen lassen, ist aber kaum erforderlich. Erstaunlicherweise behandelt das einschlägige Kapitel III 4 dieses Problem aber nicht: Zu Recht räumt Aristoteles ein, daß der Staat unmöglich aus lauter vollkommenen Menschen bestehen kann (1277a37 f.). Auch ist für ihn die Polis nicht für das gute Leben insgesamt zuständig, sondern im wesentlichen nur für die Gemeinsamkeit von Recht und Unrecht (vgl. Pol. I 2, 1253a15–18 u.ö.), so daß die These der Ethik, der einzelne und die Polis verfolgten dasselbe Gut (I 1, 1094b7 ff.; vgl. Pol. VII 1, 1323b40 ff. und VII 15, 1334a11 f.), eine bescheidene Interpretation verdient. Nicht nur gibt es außer dem politischen auch das theoretische Leben. Im Rahmen des politischen Lebens stellt auch die Polis für das gute Leben zwar den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen bereit, das Leben in diesem Rahmen muß aber jeder Bürger selbst näher bestimmen und selbst führen. Was also besagt die politische Natur des Menschen? Nach einem ersten, unspezifischen Verständnis von politikon wird der Mensch nicht allein, sondern erst im Zusammenleben mit seinesgleichen glücklich. Das zweite, spezifische Verständnis präzisiert die Art des Zusammenlebens und weist zugleich die gern benützte, aber trivialisierende Übersetzung mit ens sociale (Gemeinschaftswesen) zurück: Nicht schon in der Sexualität oder der Arbeit, nicht schon in der wirtschaftlichen „Selbstversorgung“ einer Gemeinschaft (vgl. Pol. VII 6, 1326b27–30) und im wirtschaftlichen Wohlergehen, auch nicht im Beistand gegen Rechtsbrecher und im inneren und äußeren Frieden erreicht der Mensch sein Lebensziel, das gelungen-glückliche Leben. Es geschieht vielmehr erst dort, wo er diese Gesichtspunkte anerkennt, statt sie beiseite zu schieben, und sie zugleich transzendiert, indem er sie in ein Leben integriert, das anspruchsvollere Ziele verfolgt. Auf diese Weise hat Aristoteles vom „Politischen“ einen komparativen Begriff mit einem weiten Begriffsspektrum. Es beginnt bescheiden, fast unpolitisch mit den Wirtschaftsbeziehungen der Häuser. Es steigert sich, wenn es um Verwandtschaftsbeziehungen, um die Kult- und Kulturgemeinschaft und den Schutz nach innen und außen geht. Und am stärksten politisch ist ein Gemeinwesen durch die Gemeinschaft von Recht und Gerechtigkeit. Daß der Mensch – übrigens im Sinne einer ersten Stufe des
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Subsidiaritätsgedankens –auf ein Zusammenleben mit seinesgleichen überhaupt angewiesen ist, daß sich die Chancen des Zusammenlebens aber erst – so die zweite Stufe der Subsidiarität – in einer quantitativ größeren und qualitativ anspruchsvolleren Gemeinschaft erfüllen, in der Polis als Gemeinschaft von Freien und Gleichen – in dieser zweistufigen Behauptung liegt die volle Bedeutung der politischen Anthropologie des Aristoteles. Die Moderne ist gegen eine Verpflichtung des Gemeinwesens auf das gelungen-glückliche Leben, kurz: das Glück, ihrer Bürger skeptisch geworden. Besonders skeptisch ist sie bei Aristoteles’ anspruchsvoller Interpretation des Glücks als Verwirklichung der dem Mensch innewohnenden Vernunftchancen. Nicht nur zweifelt man an der Möglichkeit von Gemeinwesen, den Bürgern zu dieser Selbstverwirklichung zu verhelfen. Man fürchtet, daß bei entsprechenden Versuchen die Gemeinwesen illiberal, vielleicht sogar totalitär werden. Sie greifen dann nämlich in das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte und in die Privatsphäre der einzelnen ein. Um Aristoteles’ Position richtig einzuschätzen, ist zwischen seiner formalen und seiner substantiellen Glücksdefinition zu unterscheiden. Dort geht es um den spezifischen Zielcharakter, um das Glück als ein Ziel, über das hinaus kein Ziel gedacht werden kann (vgl. EN I 5), hier um die „eigentümliche Aufgabe und Leistung des Menschen“, um den Logos, um Sprache und Vernunft, als das ergon tou anthrôpou. Formaliter ist das Glück für Aristoteles kein gewöhnliches, „positives“ und doch ein notwendiges Ziel. Es ist insofern kein positives Ziel, als man nicht alternativ entweder nach Schönheit, Reichtum und beruflichem Erfolg oder aber nach Glück streben kann. Es stellt vielmehr jenen Horizont dar, in dem alle gewöhnlichen Ziele und Interessen ihren Sinn finden. So verstanden, liegt im Glück das letztmögliche, nicht mehr überbietbare und natürliche Ziel menschlichen Strebens. Und man kann Aristoteles’ formaler Definition zustimmen, auch wenn man gegen seinen substantiellen Glücksbegriff entweder grundsätzlich oder aber im Rahmen des Politischen skeptisch ist. Weiterhin ist eine direkte von einer bloß indirekten Bedeutung der Polis für das gute Leben zu unterscheiden, auch wenn Aristoteles selber dies nicht immer beachtet (z. B. nicht VII 2, 1325a7 ff.). Ferner darf man nicht übersehen, wie sehr sich eine griechische Polis von einem modernen Staat unterscheidet. Als ein überschaubarer Ort mit einer vertrauten Topographie und Bürgerschaft ist ein Gemeinwesen von der Größe Athens nicht nur ein Zweckverband, sondern auch Heimat und bietet schon deshalb weit mehr direkte Glückschancen als der heutige Staat. Diesem wohnen außerdem dank seiner vielfältigen bürokratischen und polizeilichen Mittel weit größere Mißbrauchsmöglichkeiten als einer antiken Polis inne.
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Ferner darf man in der Idee des guten Lebens das normative Element nicht allzu emphatisch interpretieren. Auch wenn Aristoteles selbst auf diesen Punkt nicht eingeht, ist die Polis auch für diejenigen vorteilhaft, die Lebensstrategien verfolgen, wie etwa ein Leben der Lust oder ein Kaufmannsleben, die seinem substantiellen Glücksbegriff, dem von der Vernunftbegabung her, zuwiderlaufen (vgl. EN I 3). Eine noch einschneidendere Grenze findet die Polis an der Logos-Natur selbst, dient sie doch weder ausschließlich noch primär der kooperativen Praxis. Nicht nur in der Ethik (X 6–7) sondern auch in der Politik gehört die höchste Form menschlicher Selbstverwirklichung, die Theorie, zur eupragia, dem guten Handeln (Pol. VII 3, 1325b14 ff.). Vielleicht spielt Aristoteles sogar auf die Theorie an, wenn er von Menschen spricht, die höher als der gewöhnliche, gemeinschaftsgebundene Mensch stehen (I 2, 1253a3 f., vgl. a28 f.). Die politische Natur ist jedenfalls aus vielerlei Gründen nicht das Ganze des Menschen; auch bei Aristoteles fällt das Leben im Staat nicht mit der vollen Humanität zusammen.
2.4 Kann Aristoteles’ politische Anthropologie überzeugen? Setzt man die Lektüre der Politik fort, so kann eine Sache irritieren. Nicht nur in seiner politischen Anthropologie betrachtet Aristoteles die Polis als ein zusammengesetztes Ganzes, es geschieht auch zu Beginn des dritten, des vierten und des siebten Buches. Im ersten Buch erscheinen aber die Teile als „Komplementär-Wesen“, die von vornherein auf das Zusammenleben mit ihren Komplementen angewiesen sind: sowohl Mann und Frau als auch Herr und Sklave, nicht zuletzt als Kinder und Erwachsene. Die Teile im dritten Buch beispielsweise sind dagegen einzelne, isolierbare Staatsbürger. Darin könnte man einen Widerspruch sehen wollen: zwischen notwendig komplementären und isolierbaren Teilen. In Wahrheit handelt es sich um zwei verschiedene und miteinander verträgliche Teilungsgesichtspunkte: Um die Polis als unverzichtbare Rahmenbedingung für den Menschen auszuweisen, setzt die politische Anthropologie bei dem schlichten, noch nicht politischen, sondern bloß biologischen Menschen an. Zu seiner Biologie, genauer: Anthropologie, gehört allerdings zweierlei. Daß der Mensch allein weder als Individuum noch als Art überlebensfähig ist, beläuft sich auf ein Bedürfnis nach Gesellschaft, und in Vernunft und Sprache liegt die Fähigkeit zur Gesellschaft. In beider Hinsicht erweist sich nun der Mensch als Komplementär-Wesen. Anders sieht es aus, wenn
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er die einschlägige, politische Gemeinschaft schon gebildet hat und sich jetzt die Frage vorlegt, wer der rechtlich-politische und nicht mehr biologische Teil dieser Gemeinschaft ist. Dieser Teil, der einzelne Staatsbürger, bleibt biologisch-anthropologisch ein Komplementärwesen: der Ehemann seiner Ehefrau, der Herr seiner Sklaven und der Vater seiner Kinder. Diese „Rollen“ definieren ihn aber als Glied einer Gemeinschaft, des Hauses, von der die rechtlich-politische Sicht abstrahieren kann. Insofern darf die rechtlich-politische Zergliederung des Staates in Buch III auf halbem Weg halt machen und zumindest unter der Bedingung der patriarchalischen Gesellschaft Athens nur bis zum „Chef des Hauses“ kommen. Sie darf jene hausinternen, weil vorpolitischen Rollen – als Ehemann, Vater und Herr über Sklaven – außer Betracht lassen, die die hier gründlichere, anthropologische Sicht in Kapitel I 2 thematisieren muß. Denn von der normativen Idee des gelungenen Lebens geleitet, soll sie aus den vorpolitischen Verhältnissen die Notwendigkeit des Politischen ausweisen. Nach Aristoteles gibt es nicht zuerst Gemeinschaften, von denen man später Hilfe verlangt. Der Gesichtspunkt der Hilfe geht vielmehr in die Polis-Genese ein. Die Gemeinschaften bilden sich aus genau dem Grund, daß die Individuen ihr Leben nicht atomar, jeder für sich gestalten können. Ebenso entstehen dort größere und umfassendere Gemeinschaften, wo die bislang existierenden Formen an eine Grenze ihrer Leistungskraft stoßen. Die Frage, wo das der Fall ist, hängt von Faktoren ab, die hinter dem Rücken der Menschen wirken. Für die unteren Sozialeinheiten sind biologische Gegebenheiten verantwortlich, die Sexualität, die Hilfsbedürftigkeit der Kinder und – um es neutraler als Aristoteles zu formulieren – eine unterschiedliche Begabung für die Arbeitswelt. Für die Entstehung der Polis wiederum ist zwar eine normative Perspektive mitverantwortlich, die aber nicht anders als die biologischen Faktoren den subjektiven Meinungen und Interessen enthoben ist; der Mensch hat ein natürliches Interesse am gelungenen Leben, dem Glück (eudaimonia). Ein Aristoteliker der frühen Neuzeit, Johannes Althusius, wird in seiner Politica (31614, c. 17, §§25–33) noch umfassendere Einheiten berücksichtigen, die es zu Aristoteles’ Zeiten noch nicht gab. Ansonsten übernimmt er das Grundmuster der Aristotelischen Argumentation; der Grundbegriff des Politischen ist die consociatio symbiotica, die Lebensgemeinschaft. Auf ihrer kleinsten Form der Ehe baut sich sukzessive und organisch das soziale Ganze auf: zunächst die Familie und die Genossenschaft (Zunft), dann die Gemeinde, die Stadt, das Land bzw. die Provinz, schließlich das Reich.
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Aristoteles’ politische Anthropologie kann aber nicht bloß bis in die frühe Neuzeit, sie vermag noch bis heute überzeugen, allerdings muß man einschränken: nur im Grundsätzlichen. Denn mindestens zwei Kritikpunkte drängen sich auf. Einerseits wirft Aristoteles auf die öffentlichen Gewalten in Kapitel I 2 insofern einen „beschönigenden“ Blick, als er primär ihr Ordnungspotential wahrnimmt und den Herrschaftscharakter verkleinert. Andererseits gibt es ein bemerkenswertes Defizit. Obwohl es bei den Griechen gemeinsame Institutionen gibt, etwa die Olympischen Spiele und die Delphische Kultgemeinschaft, ferner gemeinsame Münzen, außerdem Handels- und Kriegsbündnisse, weiterhin Beziehungen zu Gemeinwesen außerhalb von Hellas, fehlt zur entsprechenden Theorie selbst der Ansatz. Nicht einmal eine die Polis übergreifende innerhellenische Rechtsgemeinschaft tritt in den Blick. Auch die von Philipp II. nach seinem Sieg über die Athener und Thebaner (338 v. Chr.) einberufene Friedenskonferenz, aus der ein panhellenisches Bündnis hervorgeht, das einen allgemeinen Frieden (koinê eirênê) herstellen soll, findet in Aristoteles’ Politik keinen Reflex. In einem Brief, einer politischen Ermahnung an seinen ehemaligen „Zögling“ Alexander, soll er zwar die Vision eines Weltstaates entwickelt haben, einer Kosmo-polis mit einer Verfassung und einer Regierung und ohne Krieg (Stein 1968). Daß ein so themenreiches Werk wie die Politik keine Ansätze in diese Richtung enthält, stimmt aber gegen die Annahme skeptisch, daß der nur im Arabischen überlieferte Text von Aristoteles verfaßt sei. Bei der „internationalen“ Perspektive, die Aristoteles durchaus beachtet (Pol. II 6, 1265a20 ff.), ist er wohl das „Kind“ einer kriegsgewohnten Kultur. Obwohl er sagt, der Krieg sei um des Friedens willen da (Pol. VII 14, 1333a35), sieht er nicht anders als Platon keinen Anlaß, über eine „internationale“ Rechtsordnung nachzudenken. Daß der Blick selbst auf die panhellenische Gemeinschaft fehlt, ist umso erstaunlicher, als sie für beide Ziele der Politik notwendig ist: sowohl für das Überleben (zên) der einzelnen Poleis, beispielsweise angesichts der Bedrohung durch Persien, als auch für ihr gelungenes Leben (eu zên): für den religiösen, den sprachlich-kulturellen und den wirtschaftlichen, auch für manchen rechtlichen Zusammenhalt. Der Grund für das Defizit dürfte in einer Überbewertung des Autarkiepotentials der Einzelpolis liegen (vgl. Pol. VII 4, 1326b22–25). Trotzdem läßt sich nicht leugnen, daß das Moment, das die Gemeinschaftsbildung in Gang bringt, die dem einzelnen fehlende Autarkie, aus sich heraus auf größere Einheiten drängt. Darin zeigt sich übrigens eine dritte Stufe des aus dem Autarkiedefizit folgenden Subsidiaritätsgedankens: Sie verlangt nach der Einrichtung neuer, umfas-
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senderer Sozialeinheiten, letztlich nach einer wahrhaft globalen, die gesamte Menschheit umfassenden Einheit.
Literatur Cooper, J.M. 1990: Political animals and civic friendship, in: Patzig (Hrsg.) 1990, 220–242 Höffe, O. 1979: Grundaussagen über den Menschen bei Aristoteles, in: ders.: Ethik und Politik. Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie, Frankfurt/M. Kullmann, W. 1980: Der Mensch als politisches Lebewesen, in: Hermes 108, 419–443. Mulgan, R.G. 1974: Aristotle’s doctrine that man is a political animal, in: Hermes 102, 438–445 Stein, S.M. 1968: Aristotle and the world state, London/Colchester.
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3. Hausverwaltung und Sklaverei (I 3–13)
Die Kapitel 3 bis 13 des ersten Buchs der Politik behandeln die hierarchischen Beziehungen, die der oikia zugrundeliegen. Mit dem Ausdruck oikia, der üblicherweise mit „Haus“ oder „Familie“ übersetzt wird, wird die erste natürliche menschliche Gemeinschaft bezeichnet; sie zielt darauf ab, das zu befriedigen, was Aristoteles „die täglichen Bedürfnisse“ nennt, die auf zwei fundamentale Bedürfnisse zurückgehen: Fortpflanzung (gennêsis) und Selbsterhaltung (sôtêria). Wenn man nun, um den Ausdruck oikia wiederzugeben, weiterhin von „Familie“ spricht, ist zu präzisieren, daß es sich nicht um eine Familie im modernen Sinne des Wortes handelt, selbst wenn man sie auf mehr als zwei Generationen erweitert, sondern um einen Verband, der nicht nur die biologischen Eltern umfaßt. Aristoteles unterscheidet drei Verhältnisse: zwischen Herrn und Sklaven, zwischen Ehemann und Ehefrau und zwischen Vater und Kind. Auch wenn die Untersuchung des Verhältnisses zum Sklaven die längste ist (ihr sind die Kapitel 3 bis 8 gewidmet), erhält sie doch ihren Sinn, wie wir sehen werden, erst innerhalb einer allgemeineren Untersuchung der Familie. Dies hat manche Kommentatoren zu dem Versuch veranlaßt, Aristoteles gegen aus unserer Sicht vernichtende Vorwürfe zu verteidigen, nach denen er ein Vordenker der Sklaverei gewesen sei, die Griechenland zu seiner Zeit plagte. Wahr ist, daß Aristoteles nicht dem System der Sklaverei seiner Zeit die philosophischen Weihen erteilt, da es sich um eine ganz andere Form der Abhängigkeit handelt, die er „natürlich“ findet. Nicht minder wahr ist allerdings, daß es sich dabei um eine wirkliche Form der Sklaverei handelt, und daß die Wahl der Worte „Sklave“ (doulos) und „Sklaverei“ (douleia) nicht unangemessen ist.
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Am erstaunlichsten – und man muß zweifellos sagen: am bestürzendsten – ist die Tatsache, daß der Aristotelische Text die einzige Analyse ist, die wir von dieser in jedem Sinn des Wortes fundamentalen Praxis besitzen, wie es die Sklaverei in der Antike war. Sicherlich haben beispielsweise die Stoiker der Reflexion über die Sklaverei eine völlig andere Richtung gegeben, besonders indem sie sich gegen die von den anderen griechischen Denkern geteilte Vorstellung wandten, die Hierarchie sei natürlich und daher gut. Wenn an den hierarchischen Strukturen der Gesellschaft die moralische Schwäche ihrer Mitglieder schuld sei – von Natur aus seien die Menschen dazu bestimmt, eine Gemeinschaft von gleichen Weisen zu bilden –, dann gebe es für die Sklaverei schwerlich eine ethische Rechtfertigung (vgl. Erskine 1990). Die stoischen Autoren haben die Wirklichkeit der Sklaverei jedoch, soweit man es aufgrund der erhaltenen Zeugnisse beurteilen kann, keiner Analyse unterzogen. Die Aristotelische Theorie der Sklaverei kann von vornherein aus zwei Richtungen betrachtet werden. Die Tatsache, daß Menschen von Natur aus – und damit zu Recht – Sklaven sein sollen, erklärt sich aus der allgemeinen Struktur dessen, was man die Psychologie des Aristoteles nennen könnte. Doch wählt die Politik, obwohl sie sich auf diese Psychologie beruft, nicht diesen Weg. Der Text führt eine Analyse durch, der es Schritt für Schritt zu folgen gilt. Das Prinzip, auf dem das gesamte erste Buch der Politik beruht, ist ein teleologisches Prinzip: Jede menschliche Gemeinschaft1 bildet sich um einer Sache willen. Eine solche Behauptung muß Aristoteles für evident gehalten haben: Selbst wer die Organisation des Kosmos für zufällig hält, wird zugeben, daß die Menschen Gemeinschaften um einer Sache willen bilden, auch wenn sie sich über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit dieses Ziels täuschen oder ihre Zielsetzungen nicht erreichen. Von den Gemeinschaften sind die einen natürlich, die anderen beruhen auf Konvention. Dabei handelt es sich um eine starke These, die Aristoteles aufstellen muß, und die er dort verwendet, wo er sich mit der Polis befaßt, in Kapitel 2 des ersten Buchs. Die Natürlichkeit der – im logischen, nicht im chronologischen Sinn – ersten der menschlichen Gemeinschaften, der oikia, wird dagegen auf gewissermaßen implizite Weise erwiesen. Die Familie ist die erste der natürlichen Gemeinschaften, da sie die „grundlegendsten“ Bedürfnisse befriedigt, die als natürlich angesehen werden. Es ist der Anfang des zweiten 1 Vielleicht glaubt Aristoteles, daß dies auch für die Gemeinschaften von Tieren zutrifft, aber an dieser Stelle formuliert er mit Blick auf menschliche Gemeinschaften: „denn um dessentwillen, was ihnen ein Gut zu sein scheint, tun alle alles, was sie tun“ (I 1, 1253a2–3)
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Kapitels (I 2, 1252a24–b14), durch den sich diese These als etabliert betrachten läßt. Die Bewegung des Textes ist nun die folgende: Es gibt unter den Menschen zwei notwendige Verhältnisse, die um der Befriedigung zweier Triebe willen bestehen, nämlich um der Fortpflanzung und der Selbsterhaltung willen. Diesen verschiedenen Trieben entsprechen verschiedene Verbindungen. Die Verbindung von Mann und Frau befriedigt beim Menschen den Trieb nach Fortpflanzung, der dem natürlichen Bedürfnis alles Lebendigen, „ein anderes, ihnen gleiches zu hinterlassen“2 entspricht. Die Verbindung zwischen von Natur aus Herrschendem und von Natur aus Beherrschtem dient dazu, die Selbsterhaltung zu sichern, und zwar die wechselseitige Erhaltung von Herrscher und Beherrschtem (vgl. 1252a34). Im folgenden Abschnitt (a34–b12) warnt Aristoteles davor, die beiden Verbindungen miteinander zu verwechseln: Die Tatsache, daß es sich bei beiden um hierarchische Beziehungen handelt – die Frau und der Beherrschte sind von Natur aus dem Mann und dem Herrschenden unterworfen – erlaubt nicht, die eine auf die andere zu reduzieren. Die jeweiligen Herrschaftsbeziehungen weisen vielmehr spezifische Unterschiede auf (vgl. I 1, 1252a7–9). Die beiden Gemeinschaften, nämlich die der Eheleute3 und die des Herrschenden und von Natur aus Beherrschten, bilden die Familie, die erste natürliche Gemeinschaft (vgl. I 2, 1252b9/12). Etwas später (3, 1253b5) präzisiert Aristoteles, daß eigentlich drei Gemeinschaften die Familie konstituieren, nämlich die von Herrn und Sklaven, von Ehemann und Ehefrau und von Vater und Kind. Am Ende des dritten Kapitels kündigt Aristoteles an, eine Theorie der Sklaverei zu entwickeln, um zwei Fragen zu klären, die zu seiner Zeit diskutiert wurden und deren Status sehr unterschiedlich ist: Ist die Herrschaft des Herrn über den Sklaven von derselben Art wie die anderen Herrschaftsformen? Ist die Sklaverei wider die Natur? Die erste Frage hat Aristoteles bereits im ersten Kapitel negativ beantwortet, ohne jedoch dafür zu argumentieren. Hier nimmt sie nun eine andere, präzisere Form an. Die Leute, gegen die Aristoteles sich richtet und bei denen es sich wohl um Platoniker handeln dürfte, glauben, daß es eine allgemeine Herr2 Bei der menschlichen Fortpflanzung können noch andere Faktoren ins Spiel kommen. Aristoteles spricht die bewußte Wahl (prohairesis) an; wenn er sagt, daß die Zeugung keine Sache der bewußten Wahl sei, bedeutet dies zweifellos, daß die bewußte Wahl nicht die letzte Erklärung für die menschliche Zeugung ist, die nämlich einem fundamentaleren natürlichen Trieb entspricht. Aber ein menschliches Subjekt kann offenkundig, wenn es die Mittel dazu hat, wählen, ob es sich fortpflanzen will oder nicht. – Es ist allerdings anzunehmen, daß viele Frauen, Freie oder Sklavinnen, in Fragen der Mutterschaft wenig mitzureden hatten. 3 Man muß das Paar von Mann und Frau mit kulturellen, und nicht mit biologischen, Ausdrücken bezeichnen, sobald es Bestandteil einer Familie ist.
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schaftswissenschaft (despotikê epistêmê) gibt, und daß sie sich in derselben Weise auf die Hausverwaltung, die Regierung einer Polis oder eines Königreichs bezieht; dabei gehe die Identität der Herrschaftsaufgaben auf die Identität der entsprechenden Wissenschaft zurück. Auf die zweite Frage wird Aristoteles mit seiner Theorie der natürlichen Sklaverei antworten, die die natürliche Sklaverei als gerecht, alle anderen Formen der Sklaverei als ungerecht ansieht. Die Methode, nach der Aristoteles vorgeht, wurde von Victor Goldschmidt (1973) sehr erhellend herausgearbeitet. Aristoteles entwickelt in der Tat zunächst den Begriff des Sklaven (I 4), um dann zu untersuchen, „ob es aber wirklich solche Menschen gibt“, die diesem Begriff entsprechen (5, 1254a17). Dabei beruft sich Aristoteles wiederum auf das, was ich oben als seine Psychologie bezeichnet habe. Er glaubt damit in der Lage zu sein, die Fragen nach der Legitimität der Sklaverei (I 6) und nach der sogenannten Herrschaftswissenschaft (I 7) zu beantworten. Im folgenden (I 8 ff.) nimmt er dann die gesamte Hausverwaltung, zu der die Sklaverei nur als ein Teilbereich zählt, in den Blick.
3.1 Der Begriff des Sklaven Das vierte Kapitel scheint auf den ersten Blick schlecht strukturiert zu sein. Es beginnt damit, einen Punkt in Erinnerung zu rufen, von dem wir weiter unten sehen werden, daß er von größter Wichtigkeit ist, nämlich daß das Problem der Sklaverei sich innerhalb der Familie stellt. Die Familie, die erste natürliche Gemeinschaft, benötigt Sklaven. Der Text ist schwierig, schwieriger als die Mehrheit der Interpreten glauben wollte. Aristoteles definiert den Sklaven zunächst als „Werkzeug“ (organon): das Besitzstück (ktêma) ist ein Werkzeug; der Sklave ist ein beseeltes Besitzstück, folglich ist er ein beseeltes Werkzeug. Der Besitz, von dem die Rede ist, wird als eine „Gesamtheit von Werkzeugen“ definiert (1253b31 f.) oder als eine Gesamtheit von Besitzstücken, von denen jedes ein Werkzeug ist. Dieser Besitz ist sehr genau bestimmt: Er ist, wie es zu Beginn des Kapitels heißt, „ein Teil der Familie“ (b23: meros tês oikias). Ein solcher Besitz deckt daher nicht alles ab, was einem Subjekt (im juristischen Sinn des Wortes) „gehört“. Wenn jemand Silberminen besitzt, aus denen er durch Spekulation Gewinn zieht, handelt es sich dabei keineswegs um familiären Besitz. Aus diesem Grund wird er von seinen Sklaven, wenn er sie in den Silberminen arbeiten läßt, keinen naturgemäßen Gebrauch machen, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um Individuen handelt, die von Natur aus
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dazu bestimmt sind, Sklaven zu sein, denn sie sind nicht dazu bestimmt, diese Funktion zu erfüllen. Dies sollte man vor Augen haben, wenn man den folgenden Abschnitt liest (1253b27–1254a1), der den Eindruck vermittelt, als redete Aristoteles einem rein technischen Verständnis des Sklaven das Wort. Da das Handwerkszeug nicht von allein arbeitet, ist etwas nötig, das es zum Einsatz bringt, und auch wenn es Mechanismen oder Tiere sein können, muß doch letztlich eine menschliche Tätigkeit dahinterstehen. Der genaue Sinn des Ausdrucks „organon pro organôn“ (1253b33) ist nicht vollkommen klar, – er kann sowohl „Werkzeug, das an Stelle anderer Werkzeuge eingesetzt wird“ bedeuten als auch „Werkzeug, das früher ist als die von ihm eingesetzten Werkzeuge“ – er muß aber im Sinn der Kontrolle verstanden werden, die der Mensch über das Handwerkszeug ausübt, das er einsetzt. Warum wird aber dieser „Hausknecht“ als Sklave definiert? Setzt man nicht sogar innerhalb der Familie Arbeiter ein, die keine Sklaven, sondern Lohnarbeiter sind, um den Einsatz der Werkzeuge zu steuern? An dieser Stelle (1254a1 ff.) bringt Aristoteles eine wichtige Präzisierung seiner Definition des Sklaven als eines Werkzeugs ein, die deren Gehalt tatsächlich verändert. Einige Kommentatoren glauben, daß er auf diese Weise einen ungewöhnlichen Gebrauch korrigiert, den er von dem Ausdruck „Werkzeug“ (organon) zu machen im Begriff ist, da das griechische Wort organon eigentlich ein Werkzeug zur Herstellung von etwas bezeichnet (vgl. Newman 1887, II 139). Das ist zwar sicherlich richtig, aber bei der Unterscheidung von Handeln und Herstellen bezieht sich Aristoteles in beiden Fällen auf organa (1254a6). Er bestimmt den Sklaven mit Hilfe des folgenden Arguments: Der Unterschied, der zwischen Herstellen und Handeln (praxis) besteht, findet sich in den Werkzeugen wieder, die daran mitwirken; das Leben ist Handeln; also ist der Sklave ein Werkzeug, das dem Handeln dient. (Der Text verwendet an dieser Stelle den Ausdruck organon nicht, aber später, 1254a17, findet sich die Formulierung „praktisches Werkzeug“.) Es ist bemerkenswert, daß die theoretisch für dieses Argument wesentliche Prämisse ergänzt werden muß: Der Sklave ist auf das Leben (bios) bezogen. Eine schwer verständliche These, die Aristoteles noch verstärkt, indem er das Verhältnis vom Sklaven zum Herrn mit dem Verhältnis vom Teil zum Ganzem vergleicht: Ebenso wie der Teil vollständig Teil des Ganzen ist, während das Ganze dem Teil nicht angehört, so gehört auch der Sklave vollständig dem Herrn an, ohne daß dieser ihm angehörte. Aristoteles geht sehr weit in diese Richtung, bis er erklärt, daß „der Sklave ein bestimmter Teil des Herrn, nämlich ein beseelter und für sich bestehender Körperteil“ desselben sei (I 6, 1255b11 f.). Diese Verbin-
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dung ist viel enger als das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sei er auch Sklave, und zweifellos hat kein einziger Plantagenbesitzer in den amerikanischen Südstaaten jemals einen seiner schwarzen Sklaven als einen, wenn auch davon getrennten, Teil des eigenen Körpers betrachtet…
3.2 Familie und Ökonomie Man kann daher nur verstehen, was Aristoteles unter einem Sklaven und der Sklaverei versteht, wenn man zuvor Natur und Funktion der oikia, der Familie, klärt. Dies führt uns zu der Frage nach der Verwaltung der Familie, das heißt, zur „Ökonomie“ im etymologischen Sinn des Wortes. Sehr überblicksartig zusammengefaßt ist die Aristotelische Position die folgende. Die politische Natur des Menschen bringt es mit sich, daß nur das Leben in der Polis den Menschen – genauer gesagt denjenigen Menschen, die männlich, griechisch, erwachsen und im Besitz hinreichender ethischer Qualitäten sind – erlaubt, jenen Zustand der Blüte zu erreichen, den Aristoteles, wie viele andere, Glück (eudaimonia) nennt. Nun erfordert die Existenz der Polis als einer Gemeinschaft, die nicht auf andere Gemeinschaftsformen reduziert ist, eine strenge Trennung der Funktionen. In den Texten, die ihn zum ersten, und zweifellos auch letzten, wirklichen politischen Denker machen, zeigt Aristoteles, daß die Polis einerseits von Familie und Dorf zu unterscheiden ist, die nur dazu dienen, die täglichen Bedürfnisse auf eine wenn auch verfeinerte Weise zu befriedigen, und daß sie ebensowenig nur ein militärisches Bündnis oder einen Wirtschaftsraum darstellt. Das Glück entsteht durch die Ausübung einer besonderen Tugend, der politischen Tugend, die sich nur im gemeinschaftlichen, sich im Rahmen politischer Institutionen vollziehenden Leben gleicher Bürger entfalten kann, auch wenn diese abwechselnd regieren und regiert werden. Die Bedürfnisse, die man vorpolitisch nennen könnte, bestehen weiterhin und müssen befriedigt werden. Fortpflanzung und Selbsterhaltung sind, wie oben erwähnt, die beiden Grundbedürfnisse, die zu befriedigen Bestimmung der Familie ist. Auch als Bürger bleibt der Mensch ein Lebewesen, das sich ernähren, seinen Körper erhalten und sich fortpflanzen muß. Er bleibt Mitglied einer Familie, die ihn mit vielfältigen affektiven Banden fesselt. Nach Aristoteles können und müssen diese verschiedenen Bedürfnisse durch nicht-politische Instanzen befriedigt werden, denen man eine gewisse Autonomie lassen kann, nicht ohne sie zugleich fest der politischen Instanz zu unterwerfen. Die Platonische Lösung übernimmt Aristoteles nicht. Die Familie zu unterdrücken steht für ihn nicht zur Diskussion, da die
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Kraft der Familienbande den politischen Zusammenhalt nicht bedroht, überschreiten darf die Familie ihren Aufgabenbereich jedoch nicht. Ab dem achten Kapitel zeichnet Aristoteles ein doppeltes und kontrastierendes Bild der naturgemäßen Ökonomie (oikonomia) – der guten Hausverwaltung – und der möglichen Entartung, einer „Ökonomie“ im heutigen Sinn des Wortes, die sich von der notwendigen Unterordnung unter die Politik befreit hat. Die ökonomische Sphäre im modernen Sinn, das heißt diejenige, in der es um Produktion und Tausch von Gütern geht, ohne daß über die Ziele, um derentwillen produziert und getauscht wird, Rechenschaft abgegeben würde, stellt eine große Gefahr für die Polis dar. Wenn die Logik des Profits die Oberhand gewinnt, werden selbst die Institutionen der Polis von ihr infiziert, und darin wird das Ende der politischen Tugend bestehen. Aus diesem Grund schließt Aristoteles die Handwerker von der Bürgerschaft aus: Wenn sie Geld verdienen, profitiert davon sicherlich die gesamte Polis, aber wenn sie der Polis ihre Wertordnung aufzwingen, wird die Polis dadurch entpolitisiert. Eine solche Regierungsform, die zu Aristoteles’ Zeit nicht selten war, hat einen Namen: es ist die Oligarchie, die faktisch in einer Plutokratie besteht. Zugleich sollen sich die Bürger von produktiver Arbeit und gewerblichen Tätigkeiten fernhalten. Vor allem aber sollen sie ihre Zeit für wichtigere Tätigkeiten verwenden; Aristoteles nennt Politik und Philosophie (I 7, 1255b36). Aber darüber hinaus sprechen auch ethische Gründe gegen körperliche Arbeit, denn es besteht eine Unverträglichkeit von Tugend und körperlicher Arbeit, die, sei sie entlohnt oder nicht, das Subjekt nur erniedrigen und für die Tugend unempfänglich machen kann. Wir stehen an dieser Stelle vor einem bemerkenswerten Bild. Indem er die Umrisse einer Ökonomie (oikonomia) zeichnet, die mit dem Primat des Politischen in Einklang steht, charakterisiert Aristoteles zugleich als negative Folie die „widernatürliche“ Ökonomie, die in der Tat eine Ökonomie im heutigen Sinn, also eine Marktwirtschaft, ist. In diesem Sinn kann man mit Karl Polanyi (1957) sagen, daß Aristoteles die Ökonomie „entdeckt“. Um Verwechselungen zu vermeiden, werden wir die Hausverwaltung, so wie Aristoteles sie bestimmt, „oikonomia“ nennen und mit „Ökonomie“ das bezeichnen, was man heute darunter versteht. Um ihre Aufgabe zu bewältigen, muß die Familie Grund und Boden erwerben und bewirtschaften. Dafür gelten jedoch genau festgelegte Bedingungen, denn das Erwerben und Bewirtschaften darf weder die Natürlichkeit der Familie gefährden noch die Unterordnung der Familie unter die Polis in Frage stellen. Die Familie hat allerdings eine natürliche Tendenz zur Autarkie. Der Aristotelische Autarkiebegriff ist aus heutiger Sicht nicht leicht zu verstehen,
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da er nicht rein ökonomisch gefaßt ist. Eine menschliche Gesellschaft ist „autark“, wenn sie für ihr Funktionieren und ihren Fortbestand nicht von etwas außerhalb ihrer selbst Liegendem abhängig ist. In diesem Sinn ist „autark“ beinahe gleichbedeutend mit „vollkommen“ oder „vollendet“ (teleion). Aristoteles zeigt von der vollständigen und wirklichen Autarkie, daß sie nur einer Polis zukommen kann (I 2, 1252b28). Daher wäre eine Polis, die ökonomisch völlig unabhängig ist, sicherlich nicht autark im Aristotelischen Sinn, wenn sie unter der politischen Herrschaft einer anderen Gesellschaft stünde. Für die Familie ist die Autarkie jedoch, wenn man die Natur der Bedürfnisse, die sie zu befriedigen hat, voraussetzt, prinzipiell ökonomisch. Für die Familie geht es darum, überleben und sich fortpflanzen zu können, und dabei zählt nur die eigene Arbeitskraft. Aristoteles stellt die These auf, daß es eine natürliche Erwerbskunst gibt, da die Familie, um ihre Aufgabe zu erfüllen, ein bestimmtes Gebiet erwerben und bewirtschaften muß, woran die Sklaven mitwirken (vgl. I 8, 1256b26–30/a1–3). Der wichtigste Teil dieser Erwerbskunst ist derjenige, der sich auf den Erwerb von Nahrung richtet. Es ist sogar so, daß die Form des Nahrungserwerbs die Lebensform (bios) bestimmt. Die einen Formen des Erwerbs gehen im Grunde auf Anbau zurück, die anderen beruhen auf den verschiedenen Spielarten des Raubs: auf Jagd, Fischerei, Straßenraub oder Krieg, sofern er dazu dient, die Familie mit den für sie notwendigen Gütern und, in erster Linie, Sklaven zu versorgen; daher ist dieser Krieg „von Natur aus gerecht“ (1256b26). Beim Erwerb der lebensnotwendigen Güter haben es die Familienmitglieder grundsätzlich mit der Natur zu tun, die sie mit dem versorgt, dessen sie bedürfen (vgl. 1256b7; 10, 1258a34). Dort befindet sich die Grundlage der familiären Autarkie, die zuweilen auf eine einzelne Form des Erwerbs, etwa Viehzucht oder Ackerbau, zurückgeht, zuweilen aber auch auf mehrere, wenn nämlich eine einzelne Lebensform nicht ausreicht, um die Autarkie der Familie sicherzustellen (vgl. 1256b2). Aber dort befindet sich auch, wenn man so sagen darf: transitiv, die Grundlage der Autarkie der Polis. Daher weist Aristoteles, obwohl er eigentlich dabei ist, die Hausverwaltung zu analysieren, darauf hin, daß die naturgemäße Erwerbskunst auch für die politische Gemeinschaft von Vorteil ist (vgl. b30) und „sowohl Familienoberhäupter (oikonomikoi) als auch Staatsmänner (politikoi)“ beschäftigt (b38). Zwei Bemerkungen: Erstens gilt alles, was an dieser Stelle über die Hausverwaltung gesagt wird, offenbar auch für Zusammenschlüsse von Familien, für Dörfer und für Ansammlungen von Dörfern. Ferner scheint die Autarkie das Hauptkriterium für die Natürlichkeit einer Familiengemeinschaft zu sein. Die Familie bewahrt ihren natürlichen Charakter in dem Maße, in dem sie über die Mittel verfügt, die sie zur Erfüllung ihrer
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Aufgabe benötigt, die fundamentalen natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Noch bemerkenswerter ist allerdings die ab Zeile 1256b30 eingeführte und im neunten Kapitel weiterverfolgte Wendung, nicht im Mangel der Mittel, sondern im Überfluß des Besitzes liege die größte Gefahr für die Natürlichkeit der Familie. Das neunte Kapitel ist zu Recht aus mehreren Gründen berühmt. Es zeigt vor allem, wie die oikonomia sich als pervertiert erweisen, ihren natürlichen Charakter verlieren und schließlich die Dominanz der Politik gefährden kann und dabei zugleich das menschliche Leben seines Ziels, des Glücks, beraubt. Die Erwerbskunst (chrêmatistikê) kann in der Tat eine widernatürliche Gestalt annehmen, und das um so leichter, als der Übergang sich unmerklich vollzieht und die beiden Künste, die richtige und die entartete, denselben Namen tragen und sich mit denselben Dingen befassen. Aristoteles gründet seine Analyse auf epistemologische Überlegungen: Jede Kunst verfolgt unbegrenzt ihr Ziel, die Heilkunst zielt zum Beispiel auf eine unbegrenzte Herstellung der Gesundheit ab (vgl. 1257b25), die Mittel, die sie einsetzt, um das Ziel zu erreichen, sind jedoch nicht unbegrenzt. Das Ziel der natürlichen Erwerbskunst, die einen Teil der oikonomia bildet, besteht in der Befriedigung der Bedürfnisse, auf die sie bezogen ist und hat daher keine Grenze, begrenzt ist jedoch das dafür erforderliche Mittel. Aristoteles nennt es den „wahren Reichtum“, er versteht darunter im wesentlichen die lebensnotwendigen Güter und die Sklaven, und „das zu einem guten Leben genügende Maß eines solchen Besitzes ist nicht unbegrenzt“ (I 8, 1256b31 f.). Die entartete Erwerbskunst, die ich im folgenden „Chrematistik“ nennen möchte, macht das Mittel zum Zweck, indem sie sich die Anhäufung von Reichtum zum Ziel setzt. Diesen Zusammenhang resümiert Aristoteles wie folgt: „die beiden Formen der Erwerbskunst [sc. die naturgemäße und die entartete] haben eine Gemeinsamkeit, da sie sich auf dieselbe Sache beziehen: Der Besitz wird von beiden benutzt, aber nicht in derselben Weise, sondern die eine benutzt ihn um eines anderen Zieles willen, die andere um seiner Vermehrung willen.“ (I 9, 1257b36–38) Diese Gefahr betrifft weder die Familie im strengen Sinn noch die recht verstandene oikonomia. In der Familie „teilte man alles untereinander“ (1257a21) und die Chrematistik trat erst auf den Plan, als sie durch die Einführung zweier Neuerungen begünstigt wurde, für die es in der Familie keinen Platz gibt, die sich aber zeigen, sobald die Gemeinschaft sich vergrößert hat. Da ist zunächst der Tausch. Aristoteles, der als erster zwischen Gebrauchswert und Tauschwert unterscheidet – ein Schuh kann als Schuh am Fuß getragen oder aber gegen ein Gut von gleichem Wert eingetauscht
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werden (vgl. 1257a6–15) – verurteilt den Tausch nicht. Er erklärt ausdrücklich, daß ein solcher Tauschhandel „nicht gegen die Natur“ sei (a29), weil er auf natürliche Gaben zurückgeht – in einer Situation, die von der Natur so eingerichtet ist, daß die Bevölkerung über bestimmte Lebensmittel nicht immer in gleicher Weise verfügt – und weil er eine Funktion bei der Verwirklichung der Natur der menschlichen Gemeinschaften erfüllt, zwischen denen er stattfindet: er erlaubt es, „die natürliche Autarkie zu vervollständigen“ (a30)4. Daß der Tausch naturgemäß sei, ist auch einer Bemerkung zu entnehmen, die Aristoteles im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Tauschwert und Gebrauchswert macht: Auch jemand, der einen Schuh eintauscht, verwendet ihn „als Schuh“, denn derjenige, der ihn erwirbt, erwirbt ihn, um ihn zu tragen (vgl. 1257a7). Die zweite Neuerung besteht in der Einführung des Geldes. Das Geld ist naturgemäß, weil es notwendig ist (vgl. 1257a33: ex anankês). Die Einführung des Geldes ist nicht an sich widernatürlich, da das Geld den Tausch vereinfacht, der die Autarkie der Gemeinschaft vervollständigt. Diese Autarkie läßt also genug Spielraum, auf neue Mittel zurückzugreifen, vorausgesetzt, daß noch Mittel zur Verfügung stehen. Die Chrematistik unterscheidet sich von der naturgemäßen Erwerbskunst in zwei Hinsichten. Zum einen dient hier das Geld nicht mehr nur dazu, zwei Gebrauchswerte miteinander zu vermitteln, sondern es bildet selbst das Ziel, und so kann die Chrematistik als „gewerblich“ (kapêlikê) bezeichnet werden; sie „bringt Werte nicht überhaupt (ou pantôs), sondern durch Tausch von Werten hervor“ (1257b21). Eine solche Analyse zeigt, daß Aristoteles den Unterschied genau erkannt hat, der zwischen Wertschöpfung durch produktive Arbeit und künstlicher Wertsteigerung durch bloßen Tausch besteht. Zum anderen besteht das Ziel der Chrematistik in der Anhäufung grenzenlosen Reichtums. Da aber ein Prozeß nicht auf zwei Ziele gerichtet sein kann, wird eine von der Chrematistik geprägte Gemeinschaft nach der Vergrößerung ihres Gebiets streben, und nicht nach dem „glücklichen Leben“ (vgl. 1257b40). Diese Analyse des Aristoteles enthält eine beachtliche Schwierigkeit und stellt zugleich einen wichtigen Schritt in seinem Denken dar. Warum findet der Übergang von der naturgemäßen zur entarteten Form der Erwerbskunst statt? Der Aristotelische Text vermittelt den Eindruck, als sei der Übergang unvermeidlich: „Sobald das Geld wegen der 4 Die Tatsache, daß der Schuh bei einem Tauschhandel nicht auf die ihm eigene (oikeion) Weise verwendet wird, hat manche Kommentatoren veranlaßt, den Tausch für nicht wirklich natürlich zu halten; vgl. Schütrumpf 1991, 327; Meikle 1991, 165.
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Notwendigkeiten des Tauschs erfunden war, entstand eine andere Form der Erwerbskunst, die gewerbliche Form“ (1257a41–b2)5. Es ist indes von einem Aristotelischen Standpunkt aus unannehmbar, daß dieser Übergang notwendig, also: naturgemäß, erfolgen sollte, denn das hieße, die Vorstellung zu akzeptieren, daß die Natur mit Notwendigkeit in ihr widernatürliches Gegenteil umschlägt. Die Lösung dieses Problems zeigt sich, wenn man den folgenden Abschnitt (1257b40–1258a12) aus der Nähe betrachtet. Die einzige Möglichkeit, die unglückselige Entwicklung aufzuhalten, die vom naturgemäßen Tausch zur Chrematistik führt, besteht darin, sich vom bloßen Leben abzuwenden und das „glückliche Leben“ zu wählen6. Die Wahl des recht verstandenen glücklichen Lebens führt dazu, die materiellen Güter, ihren Erwerb und ihren Gebrauch als Mittel zum Erreichen dieses Ziels anzusehen und es ist offenkundig, daß derjenige, der das glückliche Leben sucht, seine Zeit nicht damit verschwenden wird, möglichst viel Geld zu verdienen. Es hat also den Anschein, als ließe sich der Aristotelische Text so verstehen, daß die Menschen, wenn sie einfach ihrem natürlichen Streben zu „leben“ folgen, unvermeidlich der Chrematistik verfallen werden, da diese sich hinter dem Geld verbirgt. Nun ist das „glückliche Leben“ nicht das Ziel der vorpolitischen Gemeinschaften, sondern nur das der Polis (vgl. I 2, 1252b27). Von den Menschen, aus denen sich die vorpolitischen Gemeinschaften, also etwa die Familien oder Dörfer, zusammensetzen, zu fordern, sich der Entwicklung zur Chrematistik zu widersetzen, indem man ihnen sagte, die einzige Möglichkeit dazu bestünde darin, sich das „glückliche Leben“ zum Ziel zu setzen, hieße, etwas für sie Unmögliches von ihnen zu verlangen. Zudem haben die ersten Menschen, die eine Polis gründeten, dies nicht mit dem bewußten Ziel getan, ein „glückliches Leben“ zu erreichen, sondern dieses Ziel kam durch eine Art List der Vernunft hinzu: Die Polis „entsteht zwar um des bloßen Lebens (zên) willen, sie besteht aber um des glücklichen Lebens (eu zên) willen“ (I 2, 1252b29). Andererseits ist das politische und damit das glückliche Leben von Anfang an als Motor der Geschichte der von Natur aus politischen Lebewesen, die die Menschen sind, wirksam. Wir sehen uns al5 Man könnte den Text auch anders lesen: „Sobald das Geld erfunden war, entstand, wegen der Notwendigkeiten des Tauschs, eine andere Form der Erwerbskunst…“; doch ich übernehme diese Lesart nicht, weil mir Aristoteles den Akzent darauf zu legen scheint, daß es das Geld ist, das die gewerbliche Form der Erwerbskunst nach sich zieht. 6 Auch diejenigen, die glauben, daß das glückliche Leben in körperlichen Genüssen bestehe (vgl. 1258a2–4), haben eine – allerdings unklare – Vorstellung vom Glück. Ihnen fehlt die Einsicht, daß nicht der Besitz, sondern der Gebrauch der Dinge den wirklichen Reichtum ausmacht, vgl. Rhet. I 5, 1361a23 f.
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so angesichts des Übergangs von der naturgemäßen Erwerbskunst zur Chrematistik mit einem der Probleme konfrontiert, die mit der politischen Natur des Menschen verbunden sind: Alle Menschen streben danach, Poleis zu bilden, aber nur wenige unter ihnen tun dies wirklich. Wenn man Kapitel 7 des siebten Buchs Glauben schenkt, spielt das Klima, das die Charaktere der Menschen prägt, eine bestimmende Rolle für deren Fähigkeit, tatsächlich Poleis zu bilden: Die Barbaren, die entweder (westlich Griechenlands) dumm oder (östlich Griechenlands) feige sind, werden sich niemals zu Bürgern entwickeln. Die Logik des Aristotelischen Textes scheint mir auf die folgende Auffassung hinauszulaufen: Da nur die Entscheidung für das eigentliche Ziel der Polis, also für das „glückliche Leben“, die Menschen davor bewahren kann, der Chrematistik zu verfallen, werden die Völker, die unfähig sind, in Poleis zu leben, weil sie die politische Tugend niemals erreichen werden, der Chrematistik schwerlich entkommen können. Selbst hier gibt es noch einen möglichen Anhaltspunkt für eine mehr oder weniger rassistische Erklärung für die vermeintliche Neigung der „Orientalen“ zu Gewerbe und Handel. Lediglich diejenigen Barbaren sind der Chrematistik nicht verfallen, die auf der ersten Stufe der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit, der Stufe der Familie im strengen Sinn, stehengeblieben sind. Bei ihnen handelt es sich vor allem um die dummen Barbaren des Abendlandes.
3.3 „Die Stellung des Sklaven ist vorteilhaft und gerecht“ (I 5, 1255a2) Es dürfte kaum einen Zweifel daran geben, daß die Arbeit der Sklaven in der griechischen Antike als die normale Form der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse aufgefaßt wurde. Pierre Vidal-Naquet (1981; vgl. Garland 1982) hat gezeigt, welche Schwierigkeiten die Griechen damit hatten, sich auch nur die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Sklaven vorzustellen. In der utopischen Literatur sind die sklavenlosen Gesellschaften vor der geschichtlichen Zeit angesiedelt. In den Darstellungen der verkehrten Welt, etwa in den Komödien des Aristophanes, sind die „verkehrtesten“ Situationen die der Frauenherrschaft (Die Weibervolksversammlung, Lysistrate) oder des Kommunismus (Die Vögel); in beiden Fällen bleibt die Sklaverei bestehen. Es ist nicht weniger gewiß, daß Aristoteles die zu seiner Zeit herrschende Praxis der Sklaverei verurteilt hat, die trotz der wohlbekannten geringen Produktivität der Sklavenarbeit mit der handelsökonomischen Praxis seiner Epoche eng verbunden war.
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Für eine Polis im Aristotelischen Verständnis ist die Sklaverei nicht ökonomisch notwendig. Wenn die Polis Arbeiter braucht, die sie dem politischen Feld fernhalten muß, und wenn es zweifellos einfacher ist, sie davon fernzuhalten, wenn es sich um Sklaven handelt, unter anderem, weil die Sklaven im allgemeinen aus anderen Ländern stammen, ist der Sklavenstatus dieser Arbeiter doch nicht unbedingt erforderlich. Anderswo gab es andere Systeme, die zum Beispiel auf unabhängigen Kleinerzeugern basierten, denen mit Geld oder in Naturalien eine Abgabe bezahlt wurde; manche dieser Systeme führten zu Situationen, die kaum besser sind, als es die der Sklaverei ist. In der Familie dagegen, so wie Aristoteles sie konzipiert, ist die Sklaverei notwendig. Aber diese Notwendigkeit ist nicht oder nicht mehr wirklich ökonomischer Natur. Es ist notwendig, daß es Wesen gibt, die den Begriff des Sklaven, so wie er im vierten Kapitel definiert wurde, erfüllen, weil dies sogar die Natürlichkeit der Familie verlangt. Wir haben gesehen, daß der Bürger, um ein Leben zu führen, das im Glück mündet, die Mittel finden muß, um vorpolitische Bedürfnisse zu befriedigen, und daß diese Bedürfnisse innerhalb der Familie, die eine natürliche Verbindung ist, befriedigt werden. Zu erweisen, daß es in der Wirklichkeit Wesen gibt, die für diese Aufgabe geeignet sind, die also dazu bestimmt sind, den Bürgern im familiären Leben als eine Art Anhang zugeordnet zu sein, bedeutete zugleich zu zeigen, daß diese Natur intrinsisch gut ist, dies aber würde die Richtigkeit der Aristotelischen Analysen der Hausverwaltung bestätigen. Aristoteles versteht es zu zeigen, daß es Wesen gibt, die seinem Begriff des Sklaven entsprechen, indem er sich erneut auf seine Konzeption der Natur und des Natürlichen stützt. Hierarchie, wie sie in diesem Fall zwischen dem Herrschenden und dem Beherrschten besteht, ist eine natürliche Gegebenheit: Dies ist, sagt Aristoteles, sowohl vernünftig begründet als auch empirisch feststellbar (I 5, 1254a20). Die Argumentation spielt mit zwei komplementären Aspekten dessen, was von Natur aus der Fall ist, dem Notwendigen und dem Besseren (Vorteilhaften). Das Notwendige wiederum nimmt zwei Formen an, das Unverzichtbare und das Allgemeine. Der hierarchische Charakter der Wirklichkeit zeigt sich in der „gesamten Natur“ (1254a31) und erstreckt sich als Harmonie auch auf die nichtnatürlichen Wirklichkeitsbereiche. Zudem ist die hierarchische Anordnung der Teile im Innern eines Ganzen unverzichtbar für die Erfüllung der Lebensfunktionen selbst, und jeder Teil findet darin seinen eigenen Vorteil. Aristoteles führt Beispiele an, deren Natur und Reihenfolge aufschlußreich sind, und die den Anschein erwecken, den Wert eines Beweises zu haben.
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Die Seele beherrscht den Körper, und wenn das nicht der Fall ist, hat man es mit jemandem zu tun, der sich in einem „gestörten und widernatürlichen“ Zustand befindet (1254b2). Und auch im Innern der Seele „stimmt es mit der Natur und dem Vorteilhaften überein“, daß der vernünftige Seelenteil den „leidenschaftlichen“ beherrscht (b8 f.). Das Beispiel der Seele ist insofern interessant, als der Aristotelische Text die Möglichkeit andeutet, die Hierarchie hier aufzuheben oder umzukehren: Bei vielen Menschen beherrscht der leidenschaftliche Seelenteil den vernünftigen oder steht auf einer Stufe mit ihm. Doch ist, wie Aristoteles sagt, „die Gleichheit oder Umkehrung für alle Teile schädlich“ (b9), weil die eigene Tätigkeit der Seele – oder, im Fall des Verhältnisses zwischen Körper und Seele: des beseelten Wesens – nur in der besten der möglichen Formen verwirklicht werden kann. Ein bemerkenswerter Schritt wird mit dem zweiten Beispiel getan: Es ist für die Tiere besser, vom Menschen beherrscht zu werden, „denn die zahmen Tiere haben eine bessere Natur als die wilden, und für sie alle ist es besser, wenn sie vom Menschen beherrscht werden, denn auf diese Weise erlangen sie ihre Erhaltung (sôtêria)“ (b10–13). Ein Text, der so schwer zu verstehen ist, daß die Kommentatoren ihn alle so zurechtgestutzt haben, als wollte er sagen, daß es die zahmen Tiere sind, und nicht die wilden, für die es besser ist, vom Menschen beherrscht zu werden. Nun sagt der Text allerdings deutlich, daß alle Tiere einen Vorteil davon haben, dem Menschen unterworfen zu werden. Sollte man das als Ausdruck eines Anthropozentrismus verstehen, der an anderer Stelle in der berüchtigten These des achten Kapitels ausgedrückt ist, nach der „die Pflanzen um der Tiere willen und die Tiere um des Menschen willen“ existieren (1256b16)? Dieser Abschnitt könnte uns leicht den wichtigsten Schlüssel zur Aristotelischen Theorie der Sklaverei liefern. Zuvor ist es jedoch nötig zu verstehen, um welche Erhaltung es sich handelt. Denn die einfachste Lesart, das heißt diejenige, die davon ausgeht, daß die Erhaltung nur die Haustiere betrifft und daß diese sôtêria das Überleben der fraglichen Tiere bezeichnet – wenn die Schafe keinen Hirten hätten, würden sie von den Wölfen gefressen –, ist schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint. Denn dieses Bedürfnis, sich zu erhalten, gehört genau genommen nicht zur Natur der betrachteten Tiere; denn „jede Art, die zahm vorkommt, gibt es auch im wilden Zustand, etwa die Pferde, Ochsen, Schweine, Menschen, Schafe, Ziegen, Hunde“ (Hist. an. I 1, 488a30). Schließlich ist die Situation für alle oder fast alle Tiere dieselbe: Je weniger der Mensch sich um sie kümmert, desto besser geht es ihnen. Die Beispiele werden mit einer Analogie im Aristotelischen Sinn des Wortes fortgesetzt, also mit der Angabe einer Gleichheit von Beziehun-
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gen: Der Mann verhält sich zur Frau wie das Bessere zum Schlechteren7 und wie das Herrschende zum Beherrschten. Nun wird der Sklave eingeführt, noch immer durch Analogie: der Sklave von Natur verhält sich zu seinem Herrn wie der Körper zur Seele und wie das Tier zum Menschen. Es scheint mir, daß man dieselben Charakteristika auf alle diese Fälle ausdehnen kann und daß das untergeordnete Glied des Paars jeweils einen Vorteil von seiner Unterordnung hat – sie ist notwendig und besser soweit sie natürlich ist –, und daß die sôtêria in der Unterordnung selbst liegt. Aber unter dieser formalen Identität verbergen sich einige Unterschiede. Aristoteles unterscheidet nämlich verschiedene Arten des Vorteils. In einem bemerkenswerten Abschnitt (III 6, 1278b22 ff.) unterscheidet er zwischen der Regierung der Sklaven durch ihre Herren und der Regierung der Frauen und Kinder durch ihre Ehemänner und Väter. Letztere Herrschaft wird wesentlich zum Besten derjenigen ausgeübt, die ihr unterworfen sind. Denn es geht darum, dafür zu sorgen, daß die Kinder – lassen wir den schwierigen Fall der Frauen beiseite – ihre verschiedenen Fähigkeiten entwickeln, damit sie gute Bürger werden. Nichts dergleichen bei den Sklaven: „Die Herrschaft des Herrn über den Sklaven nämlich, obwohl in Wahrheit der Vorteil des Sklaven von Natur und des Herrn von Natur derselbe ist, wird dennoch im eigentlichen Sinne zum Vorteil des Herrn und zu dem des Sklaven nur akzidentell ausgeübt“ (1278b32–36). Es ist genauso wie bei den Tieren. Und Aristoteles scheut sich nicht, Tiere und Sklaven unter bestimmten Aspekten gleichzusetzen (vgl. I 5, 1254b24–26). Kehren wir also zu den Tieren zurück. Die Aristotelische Analyse des Vollkommenheitsgrades eines lebendigen Organismus kann, wie ich früher ausgeführt habe (vgl. Pellegrin 1990), zwei Richtungen einschlagen. Ein Lebewesen kann selbst die Norm seiner eigenen Vollkommenheit bilden, sofern es von der Natur an seine Lebensbedingungen angepaßt wurde. Aber die relative Vollkommenheit der Lebewesen bemißt sich auch nach dem Grad der Ähnlichkeit mit dem vollkommensten unter ihnen, dem Menschen. Im fünften Kapitel des ersten Buchs geht Aristoteles einen Schritt weiter. Gewiß drückt eine Raubkatze ihre Vollkommenheit unter anderem durch ihre Beweglichkeit aus, die es ihr erlaubt, ihr Werk (ergon) zu verwirklichen. Aber jedes Tier wird noch eine andere Art der Vollkommenheit aufweisen, indem es am Werk eines Subjekts, das ihm übergeordnet ist, teilhat. Im Fall der Haustiere ist diese Unterwerfung unter die menschlichen Zielsetzungen sicherlich Teil ihrer Natur und das ist womöglich der Hauptgrund, warum von ihrer Natur ge7 Ich glaube mit Newman, daß dies der Sinn von kreitton und cheiron an dieser Stelle (1254b14) ist.
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sagt wird, daß sie „besser“ sei als die der wilden Tiere. Es ist allerdings zweifelhaft, ob Aristoteles glaubt, daß die Unterwerfung unter menschliche Ziele einen Teil der Natur von Tieren bildet, die nicht gezähmt werden können. Man kann also nur aus zwei Blickrichtungen sagen, daß es von Natur aus besser ist, menschlichen Zielen zu dienen als den jeweils eigenen Zielen: einerseits aus der Perspektive des „Gebrauchenden“ – es ist für Menschen natürlich, die in der Natur vorfindlichen Werkzeuge, und vor allem die Tiere zu gebrauchen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen –, und andererseits aus der Perspektive der gesamten Natur, die von der Perspektive des jeweiligen Tiers zu unterscheiden ist. Die Tatsache, daß der Untergeordnete im Verhältnis zum Übergeordneten von Natur aus die Stellung eines Werkzeugs haben soll, auch wenn dies nicht zur Natur des Untergeordneten gehört, hat mehrere Konsequenzen. Erstens gibt es Grade der Natürlichkeit, die menschliche Ziele „natürlicher“ sein lassen als die Ziele anderer Lebewesen. Daher rührt auch die andernfalls völlig sinnlose Erklärung des Aristoteles, die Menschen seien „die Lebewesen, die sich in der größten Übereinstimmung mit der Natur befinden“ (Inc. an. 4, 706a19; vgl. 5, 706b10). In diesem Sinn lassen sich die kurzen Bemerkungen verstehen, die Aristoteles in 1254b22–24 macht: Die Tiere besitzen keine Vernunft, sie können sich aber, obwohl sie von sich aus nur ihren Affekten folgen, zumindest dem Anschein nach, vernunftgemäß verhalten, wenn sie sich von den Anordnungen der Menschen leiten lassen. In diesem Fall ist ihr Verhalten „natürlicher“. Zweitens klärt diese doppelte Norm den oben zitierten Text, der häufig als Zeugnis der „providentialistischen“ Position des Aristoteles interpretiert wurde: „es existieren die Pflanzen um der Tiere willen und die Tiere um des Menschen willen“ (I 8, 1256b16). Es ist für einen Tiger natürlich, Menschen zu fressen und daher ist es aus der Perspektive der Natur des Tigers so, daß die Menschen um der Tiger willen existieren. Aber aus der Perspektive der menschlichen Natur und aus der Perspektive der gesamten Natur – mit der die Menschen sich in größerer Übereinstimmung befinden als die Tiger – existieren die Tiger um der Menschen willen. Dies erlaubt uns, nun besser gerüstet zum Problem der sôtêria zurückzukehren. Meines Erachtens ist zu bezweifeln, daß Aristoteles behaupten würde, die von Natur aus zum Sklavendienst bestimmten Menschen bräuchten, um zu überleben, ihre Herren, wie etwa Kinder ihre Eltern brauchen. Schließlich überleben die Barbaren, die sämtlich von sklavischer Natur sind (vgl. I 2, 1252b6), ausgesprochen gut. Man kann ohne Zweifel auf die sôtêria ausweiten, was über „das Vorteilhafte“ (sympheron) gesagt wird: Wenn der Herr und der Sklave ihre sôtêria in der wechselseitigen Beziehung erlangen (vgl. I 2, 1253a31), betrifft diese
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sôtêria den Herrn wesentlich und den Sklaven nur akzidentell. Das ist es, was in stark verdichteter Form auch im Anschluß an den oben zitierten Abschnitt aus III 6 gesagt wird: Die Herrschaft des Herrn ist nur auf akzidentelle Weise vorteilhaft für den Sklaven, „nämlich nur insofern, als die Herrschaft nicht aufrechterhalten werden kann, wenn der Sklave zugrunde geht“ (1278a37). Anders gesagt braucht der Herr den Sklaven, um das Leben des Herrn führen zu können, das für ihn notwendig ist, Aristoteles scheint aber nicht zu glauben, daß der Sklave den Herrn braucht. An dieser Stelle ist eine kurze Orientierung ratsam. Aristoteles vertritt die Ansicht, es sei für den Sklaven unter anderem auch deshalb vorteilhaft, von seinem Herrn beherrscht zu werden, weil er selbst nicht fähig ist, vorauszuschauen und zu überlegen. Nach Aristoteles lassen sich die Sklaven vor allem durch zwei Merkmale charakterisieren: durch ihre psychologische und ethische Unreife und durch die, dem Verhältnis vom Teil zum Ganzen entsprechende, Beziehung zu ihrem Herrn. Der erste Punkt wird im Verlauf des ersten Buchs mehrfach thematisiert, nach Aristoteles fehlen dem Sklaven die Fähigkeit, „vermöge des Verstandes vorauszuschauen“ (I 2, 1252a32) und die „Fähigkeit des Überlegens“, die in der Nikomachischen Ethik als Fähigkeit des Abwägens bezeichnet wird und die darin besteht, die richtigen Mittel zu einem Ziel wählen zu können (vgl. EN III 5, 1112b11 ff.). Das bedeutet nicht, daß Aristoteles dem Sklaven die Vernunft und damit das Menschsein8 abspricht. Es bedeutet vielmehr, daß der Sklave auf der Seite der Mittel steht, aber nicht die Ziele vor Augen hat, um derentwillen die Mittel eingesetzt werden. Alle von mir konsultierten Kommentare interpretieren dies als Zeichen dafür, daß der Herr dem Sklaven, der unfähig sei, für sich selbst zu denken, einen Dienst erweise, indem er es an seiner Stelle tut.9 Der Sklave ist jedoch lediglich unfähig, Überlegungen mit Blick auf das gemeinsame Werk anzustellen, das es zwischen ihm und seinem Herrn gibt. Wenn Aristoteles davon spricht, daß der Sklave geeignet ist, Aufgaben auszuführen, und zwar nur auszuführen, handelt es sich offensichtlich um dieses gemeinsame Werk, das der Herr im eigenen Interesse geplant hat und das 8 In I 5, 1254b22–23, scheint der Text dem Sklaven keine Vernunft zuzugestehen, aber abgesehen davon, daß er uneindeutig ist und vielleicht eine Anspielung auf die aus der Sinneswahrnehmung hervorgehende vernünftige Kenntnis enthält, macht er den Gegensatz klar zwischen den Tieren, die vernünftige Gebote nicht nicht zur Kenntnis nehmen können, und den Sklaven, die sie verstehen können. Auf jeden Fall ist der Abschnitt I 13, 1260b5, vollkommen eindeutig: „diejenigen, die glauben, die Sklaven hätten keine Vernunft, irren sich“. 9 Vgl. z.B. Schofield (1990, 14): „they [sc. die Sklaven] need someone else to deliberate on their behalf if they are to survive“.
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nur akzidentell im Interesse des Sklaven liegt. Der Text des Aristoteles gibt uns keinerlei Anlaß zu der Annahme, er habe geglaubt, die Sklaven wären, überließe man sie sich selbst, außerhalb des Sklavenverhältnisses lebensunfähig, weil sie nicht verstünden, darüber nachzudenken, was für sie vorteilhaft ist. Auch spricht nichts dafür, daß der sich selbst überlassene Sklave nicht fähig sein sollte, seine eigenen Ziele – sich zu ernähren, zu schützen, fortzupflanzen… – festzulegen. Er befindet sich außerhalb der Zielsetzungen seines Herrn, und es sind dessen Ziele, zu deren Erreichung der Sklave ein Werkzeug ist.
3.4 Die Entwicklung der Theorie der Sklaverei Einige Bemerkungen, die Aristoteles über die Sklaverei in Buch VII macht, versetzen uns in die Lage, manche Punkte zu beleuchten, die das erste Buch im Dunkeln läßt. Denn dieses hinterläßt den Eindruck, daß Sklaven für Aristoteles rohe, unterentwickelte Wesen sind, in gewisser Weise große Kinder. Im zweiten Kapitel von Buch VII spielt er deutlich auf die natürliche Sklaverei an (vgl. 1324b36–41). Nachdem er die despotische Herrschaft verurteilt hat, fügt er hinzu, daß diese Form der Herrschaft nur über Menschen legitimerweise ausgeübt werden darf, die von Natur aus dazu bestimmt sind, despotisch beherrscht zu werden. Die Anspielung, die sich auf das erste Buch oder – angesichts der Schwierigkeit festzustellen, welcher der beiden Texte zuerst verfaßt wurde – zumindest auf die im ersten Buch entfaltete Lehre bezieht, wird entgegen dem ersten Anschein wahrscheinlicher, wenn man den folgenden Satz hinzunimmt: Wenn Aristoteles schreibt, daß „man Menschen nicht zu einem Festmahl oder einem Opfer jagen darf“ (b39 f.), ist es gut möglich, daß er, wie er es in I 8 getan hat, sagen möchte, man jage sie statt dessen, um sie zu versklaven. Daher ist es meines Erachtens ausgeschlossen zu behaupten, Aristoteles verfüge in Buch VII noch nicht über eine Theorie der natürlichen Sklaverei10. Was Aristoteles also im nämlichen siebten Buch über die Asiaten sagt, muß, will man manifeste Inkohärenz vermeiden, mit der Theorie des ersten Buchs verträglich sein. Die Asiaten seien „mit Verstand und Kunstfertigkeit begabt, aber ohne Mut. Daher leben sie in Unterwürfig10 J.M. Rist (1989, 157) zum Beispiel stellt die Hypothese auf, Aristoteles trage im ersten Buch der Entwicklung seines biologischen Denkens Rechnung, während dies im siebten Buch noch nicht der Fall gewesen sei. Für einen Versuch, diese Position zu widerlegen, vgl. Pellegrin 1996.
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keit und Sklaverei.“ (VII 7, 1327b27–29) Diese Lehre ist keine Eigentümlichkeit des siebten Buchs, sie findet sich auch im dritten: „Denn da die Barbaren von Natur aus sklavischeren Sinnes sind als die Griechen, und von ihnen wiederum die Asiaten mehr als die Europäer, so ertragen sie auch die despotische Herrschaft ohne Murren.“ (III 14, 1285a19–22). Die orientalischen Sklaven scheinen also ihre Versklavung für gerechtfertigt zu halten aufgrund einer eher ethisch-politischen denn intellektuellen Unterlegenheit. Das führt uns dazu, einen Punkt aus Buch I zu betrachten, den wir zunächst beiseite gelassen haben. In Kapitel 13 stellt Aristoteles die Behauptung auf, es sei unmöglich, daß der gute Sklave ohne jede Tugend sei, vielmehr seien die Tugenden, wenn sie auch mit dem gleichen Wort bezeichnet würden wie die des Herrn – man kann von einem besonnenen und gerechten Sklaven sprechen –, von anderer Art als diese (vgl. 1260a2–7). Es gibt allerdings eine Tugend, die der Sklave niemals besitzen wird, auch nicht in einer besonderen Form, nämlich die politische Tugend. Dazu paßt es, wenn es in Buch VII heißt: „Daher ist es offensichtlich, daß diejenigen von Natur zugleich mit Denkvermögen begabt und mutig sein müssen, die vom Gesetzgeber zur Tugend gelenkt werden sollen.“ (7, 1327b36–38) Zweifellos werden den dummen Sklaven aus Gallien nicht dieselben Aufgaben übertragen wie den schlauen Sklaven aus Kleinasien. Die einen kümmern sich um die „niederen Dienste“, während die anderen Aufseher11 oder Erzieher sein können. Wenn man also, wozu uns die Texte einladen, davon ausgehen muß, daß die Theorien der Bücher I und VII zusammenstimmen, dann muß man zugleich annehmen, daß die Unterlegenheit des Sklaven im wesentlichen ethischer Natur ist und erst in zweiter Linie in einer intellektuellen Unterlegenheit besteht, da die dummen Sklaven auch ethisch unterlegen sind. Dies scheint mir die oben vorgestellten Analysen des Vorteils zu bestätigen, der sich für den Sklaven aus seiner Situation und seiner Unfähigkeit zu überlegen ergeben soll. Der Sklave hat von Natur aus einen Vorteil davon, an dem gemeinsam mit seinem Herrn verwirklichten Werk zu partizipieren, nicht aus der Sicht seiner eigenen Natur als Sklave, sondern weil dieses gemeinsame Werk „natürlicher“ ist als das seine, da es von einem vollkommeneren Wesen erdacht wurde und ihm dient. Zudem sind die schlauen asiatischen Sklaven ohne weiteres in der Lage vorauszuschauen 11 In I 7, 1255b35 sagt Aristoteles, daß der Herr die Leitung seiner Sklaven einem Aufseher überlassen soll, wenn er kann. Nichts spricht dagegen, daß dieser Aufseher selbst ein Sklave ist.
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und zu überlegen, soweit es um die Mittel geht, die sie benötigen, um ihr eigenes Leben zu führen. Aber sie sind dazu nicht in der Lage, wenn es um das Leben des Bürgers geht, das zum „glücklichen Leben“ führt. Dies bringt mich in der Konklusion zu der Aristotelischen These zurück, daß der Sklave auf das Leben bezogen und ein Werkzeug ist, das dem Handeln und nicht dem Herstellen dient. Ich glaube nicht, daß Aristoteles damit sagen will, die Sklaven sollten sich auf sogenannte „Hausarbeiten“ beschränken12. Mit Bezug auf neuere sozialanthropologische Veröffentlichungen habe ich vor einigen Jahren die Aristotelische Konzeption der natürlichen Sklaverei mit der Praxis der Sklaverei in sogenannten „Stammesgesellschaften“ verglichen (vgl. Pellegrin 1982). Im Unterschied zum System der „versklavenden Produktionsweise“, in dem Heerscharen von Sklaven bei Produktionsprozessen eingesetzt werden, gehören die Sklaven in diesen Gesellschaften einem Stamm, der sie in das familiäre Leben integriert. Obwohl die Stammesgesellschaften den Sklaven zahlreichen Ausgrenzungsverfahren unterwerfen – er ist ein Fremder, erhält einen besonderen Namen, wird von den legitimen Eheverbindungen ausgeschlossen, muß eine besondere Form der Bestrafung hinnehmen und wird in der Regel gesondert bestattet – haben sie doch im allgemeinen die Tendenz, die Nachkommen ihrer Sklaven zu integrieren. Die Häuptlinge der Stämme in solchen Gesellschaften haben sehr gut verstanden, was Aristoteles meint, wenn er sagt, der Sklave sei ein Teil seines Herrn. Man muß aber noch weiter gehen. Nach Aristoteles besteht zwischen Herrn und Sklaven von Natur aus eine Gemeinschaft des Handelns und Lebens. Der Sklave ist ein Organ des Herrn, und von den Handlungen, die er ausführt, würden er selbst und sein Herr sagen, daß es die Handlungen seines Herrn seien. Wenn der Sklave sich gut verhält, dann verdankt er dies seinem Herrn, denn der Herr ist „die Ursache für die Tugend des Sklaven“ (I 13, 1260b3). Der Arbeiter, der nicht am Leben eines Herrn teilhat, sei er nun juristisch gesehen frei oder nicht, hat daher an einer solchen Tugend keinen Anteil. Seine Stellung ist daher weniger beneidenswert als die des Sklaven von Natur. Das ist es, was Aristoteles in einem Text sagt, dem man bislang nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die er verdient hätte: „Der Sklave hat am Leben seines Herrn teil, der Handwerker steht ihm ferner und hat nur soviel Anteil an der Tugend, wie er Anteil an der Sklavenarbeit hat. Die Stellung des Handwerkers ist die einer begrenzten Sklaverei; während jemand Sklave von Natur aus ist, ist dies weder beim Schuster noch bei irgendeinem anderen Handwerker der Fall“ 12 Dies scheinen viele Kommentatoren anzunehmen, vgl. etwa Brunschwig 1979.
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(1260a39–b2). Im Gegensatz zu dem, was eine flüchtige Lektüre mancher Texte glauben machen könnte, sind die Sklaven nicht von Natur aus für bestimmte Aufgaben vorgesehen. Sie sind von Natur aus für eine Beziehung bestimmt: Es gehört nicht zur Natur des Sklaven, Schuhe machen zu müssen; es gehört zu seiner Natur, Schuhe für einen Herrn machen zu müssen, damit dieser seine Zeit darauf verwenden kann, das glückliche Leben eines Bürgers zu führen. Aus dem Französischen übersetzt von Tim Wagner
Literatur Brunschwig, J. 1979: L’esclavage chez Aristote, Cahiers philosophiques (CNDP), Sept. Erskine, A. 1990: The Hellenistic Stoa. Political thought and action, London Garland, Y. 1982: Les sociétés sans esclaves dans la pensée politique grecque, in: Les esclaves en Grèce ancienne, Paris, 143–155 Goldschmidt, V. 1973: La théorie aristotélicienne de l’esclavage et sa méthode, in: Zetesis. Album Amicorum (Mélanges E. De Strycker), Antwerpen, 147–163 Meikle, S. 1991: Aristotle and exchange value, in: D. Keyt und F.D. Miller (Hrsg.), A companion to Aristotle’s Politics, Oxford Newman, W.L. 1887: The Politics of Aristotle, Oxford Pellegrin, P. 1982: La théorie aristotélicienne de l’esclavage: Tendances actuelles de l’interprétation, Revue Philosophique de la France et de l’Etranger, Nr. 2, 345–357 Pellegrin, P. 1990: Naturalité, excellence, diversité. Politique et biologie chez Aristote, in: G. Patzig (Hrsg.): Aristoteles Politik, Akten des XI. Symposium Aristotelicum, Göttingen, 124–151 Pellegrin, P. 1996: On the ‘Platonic’ part of Aristotle’s Politics, in: W. Wians (Hrsg.), Aristotle’s philosophical development. Problems and prospects, Lanham, Md., 347–357 Polanyi, K. 1957: Aristotle discovers the economy, in: ders. und C. Arensberg (Hrsg.): Trade and market in the early empires, New York Rist, J.M. 1989: The mind of Aristotle, Toronto Schofield, M. 1990: Ideology and philosophy in Aristotle’s theory of sclavery, in: G. Patzig (Hrsg.): Aristoteles Politik, Akten des XI. Symposium Aristotelicum, Göttingen Schütrumpf, E. 1991: Aristoteles, Politik I, übers. und erl., Berlin Vidal-Naquet, P. 1981: Esclavage et gynécocratie dans la tradition, le mythe, l’utopie [zuerst 1970], in: Le chasseur noir, Paris, 267–288
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4.1 The Themes of Book II Aristotle often places near the beginning of his works a critical examination of what others have said about the subject under investigation. Thus his inquiries into knowledge, nature, and soul (in the Metaphysics, Physics, and De Anima) turn immediately from brief general statements about the nature of the subject to be investigated to surveys and critiques of earlier theories about these topics. So it is unsurprising that we find in Book II of his Politics an examination of what others have thought about the best constitution – that is, about the institutions a city should ideally have, and how its citizens should live. Book II contains a critique both of utopian schemes proposed by individual thinkers (Plato, Phaleas, Hippodamus) and of existing cities that have a reputation for being well-governed (Sparta, Crete, Carthage). Aristotle’s investigation of these constitutions, imaginary and real, is not meant to stand on its own; his purpose, rather, is to prepare the way for his own ideas, as he presents them in Books VII–VIII, about the ideal city. Book II covers many diverse topics – the family, private property, the gap between rich and poor, the proper distribution of political power – but amidst this variety we find a common theme. The utopian thinkers whom Aristotle considers and the cities he examines are all concerned with the problem of how citizens are to be integrated into a single community and kept from dividing into hostile factions. Aristotle’s approach to this issue is evident at an early point in his discussion. He says that a city is by its nature a “plurality” (pleˆthos, II 2, 1261a18), for not only is it made up of many
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human beings, but they are people “of different kinds” (a22–3).1 And although Aristotle insists, against Plato, that we must preserve this plurality, he nonetheless agrees that it creates a problem that every city must address. Although the city needs diversity, it must, by means of education, be made “common and one” (II 5, 1263b36–7). Here Aristotle tips his hand about how he intends to solve the problem of creating an integrated community out of a diversity of human types: through education. But his agenda in Book II does not require him to elaborate on this idea. He leaves that project for Books VII–VII; in Book II, his limited goal is to show how various thinkers and cities have stumbled in their own efforts to solve this problem. The most radical solution Aristotle discusses (II 2–5) is the one proposed by Socrates in Plato’s Republic: if the family is abolished and private possessions are prohibited, then, Socrates thinks, the citizens will form a single large family, each will attend to the welfare of all, and the domination of one class over another will be abolished. A different way to eliminate these factions is the one proposed by Phaleas (II 7): citizens are allowed to have private possessions, but they are allotted equal amounts of wealth. And the problem of unifying the city is not dropped, when Aristotle turns to a critique of the constitutions of Sparta, Crete, and Carthage (II 9–11). He agrees that these cities are reasonably thought to be well-governed, for each includes several different constituencies in the life of the city. Mass and elite share power; a common education is provided to all; and all male adult citizens are eligible to participate in a unifying institution: they participate in common meals, and thus relax together and discuss issues of common concern. Although Aristotle is critical of these regimes, he nonetheless borrows from them when he constructs his own ideal city. That is why he concludes his critical treatment of them with the remark that they are “rightly well-regarded” (II 11, 1273b26). There is another reason why it would be a mistake to think that Book II comes to no positive results. Some of its arguments – particularly those against Plato’s abolition of the family and private property – are meant to give us a better understanding of where the value of traditional institutions lies. When Aristotle decides that a long-standing practice should be left undisturbed, it is because he has determined that it serves human wellbeing better than any alternative. “In general, what all seek is not the traditional but the good” (II 8 1269a3–4), and so Aristotle recommends that we continue to live in separate households because there is no better way 1 Translations are my own, but I have consulted those of Reeve (1998) and Saunders (1995).
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to manage human affairs. His attempt to defend this proposition is one of the most valuable components of Book II, and it will receive much of our attention in what follows.
4.2 Against Abolishing the Family In II 2–4, Aristotle argues as follows against the proposal made by Socrates in Plato’s Republic that wives and children be held in common: a. Socrates abolishes the family in order to create the greatest possible unity of the city, but maximal unity is not an appropriate goal of constitutional design. A city is by its nature a plurality, and excessive unity will destroy it (1261a15–b15). b. Even if maximal unity were possible or desirable, this goal could not be achieved by abolishing the family, because such a measure would bring about only a weak degree of unification. The affection each citizen would have for all other members of the community would be so diluted as to the negligible in value (1261b16–32). c. The abolition of the family would not only fail to achieve some good; it would actually bring about harm. For children would be neglected, if they were shared by all, just as collectively owned property tends to deteriorate, because everyone assumes that it will be looked after by someone else (1261b32–40). d. It would be impossible to obliterate evidence about blood relations because strong physical resemblances can be observed between people, and in any case those who remove new-born children from their parents would have such knowledge (1262a14–24). e. When people do not know who their blood relations are, they are in danger of having sex with or killing members of their own family. Socrates’ scheme would make it impossible to expiate these crimes (1262a25–32). f. Abstaining from adultery is an expression of ethical virtue, but Socrates would make it impossible (1263b9–11).
4.3 The Plurality of the City We will leave aside (d) through (f), and focus on Aristotle’s first three arguments, beginning with (a). Note that it contains two claims: First, it is impossible to give a city the highest possible degree of unity, because a city by its nature requires internal differentiation. Second, even if it were possible
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to bring this about, it would not be desirable, because it would harm and even destroy the city (1261a21–2). Why does Aristotle think that a city is by its nature a plurality and that it is therefore impossible to give it the highest degree of unity? He tells us that the household is more one than the city, and the single individual more one than the household (1261a20–1). Evidently, he is relying on the point that “the city is composed of a plurality of human beings” (a22–3). His point is a matter of elementary arithmetic: a city is a collection of many people; a household contains far fewer; and one human being is necessarily no more than one human being. This aspect of Aristotle’s argument, considered by itself, is hardly an impressive objection to Plato’s proposal that citizens should be made to feel the highest possible degree of friendship and harmony. Plato realizes that there are hundreds or thousands of people in a city. He is not proposing that they somehow be melded together so that they become a single person. Rather, he advocates measures designed to create a high degree of sympathy and unity of opinion within the city. The members of his ideal community would remain a plurality of people, but they would speak and feel with one voice. Perhaps Aristotle’s objection is not simply that the city contains hundreds or thousands of people (who would contest that?), but that so large a number simply cannot be made to share a single point of view, as Plato wishes. So read, Aristotle would be saying that disagreement about political and ethical matters is inevitable. But can this be his point? Recall his claim that even if Socrates’ unification of the city were achievable, it would not be desirable (1261a21–2). Can Aristotle really believe that it would be undesirable for citizens to feel a great deal of sympathy for each other, and to be unified in their opinions? If so, we would expect a defense of this position, and he offers none. On the contrary, there is evidence that he accepts Socrates’ point that it would be desirable to create strong emotional ties among all citizens. For he says in II 3 that it would be good if all members of the community were to “say the same;” the problem, he holds, is that the degree of fellow feeling that Socrates seeks, though a fine thing, cannot be created (1261b30–31). Aristotle indicates that the sheer number of people in a city is not the only point on which he is relying. “The city is not only composed of many human beings, but of those who differ in type; for the city does not come from those who are alike” (1261a22–4). He goes on to say that when the citizens are equals, they should rule and be ruled in turns (a30–b6). Citi-
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zens are not merely many in number, but they play different political roles at different times, sometimes holding office and sometimes not. But once again, it is difficult to view these remarks as an effective rebuttal of Plato’s proposal to create emotional and rational harmony among the citizens. If Aristotle is merely pointing out that some degree of differentiation in social roles is both inevitable and desirable, then at best he can win a verbal concession from Plato. For Plato recognizes – in fact, insists –- that many different kinds of jobs need to be done in a well-governed city. If the formula, “the best city is the one that is most of all one” (1261a15), means that no distinctions should be made among citizens, then Plato would of course agree that this rule has many exceptions. But surely he has something different in mind, when he calls for the greatest possible unity in the city. Aristotle’s point that a number of different roles must be played by citizens by itself constitutes no reason for thinking that the traditional family is an effective social institution. Nonetheless, Aristotle’s first argument contains a powerful point, as we will see. Let us revisit it after we consider his second and third arguments.
4.4 Family, Attachment, and Care In II 3 Aristotle claims that even if all adult citizens were to say of each young person, “this is my child,” the city would not be unified in the way that Socrates seeks. Socrates wants all of the adults to say “all of these children are mine,” meaning by this that each child is mine. In that case, each and every child would be loved in the way that children are loved by their parents in traditional families. But, Aristotle suggests, what would in fact happen, if the family were abolished, is this: when all of the parents say “all of these children are mine,” they will mean not that each child, taken one by one, is mine, but that the collection of all children, not any one of them in particular, is mine. Aristotle makes his charge against Socrates by saying that there is an unnoticed slide from one sense of “all” to another – from “all” used individually to “all” used collectively. But his point might have emerged more clearly had he said that there is a slide from one use of “mine” to another. Socrates wants “mine” in “this child is mine” to convey the same strong attachment that the phrase now possesses, and he wants all parents to apply it to all children. But, Aristotle claims, a “mine” that applies to all would carry with it a far looser sense of attachment. It would of course be desirable for all parents to love all children in the way they now love the members of their families; but this
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is impossible (1261b30–31). What would in fact happen, if one tried to put Socrates’ scheme into practice, would not be particularly attractive. Concord would not result (1261b31–2); friendship would be watery (1262b15). It is difficult to tell which of these two points Aristotle has in mind: (a) Currently, one loves one’s own children more than other children in the community. It is impossible to have this same attitude towards all children, for one cannot love all children in the community more than all other children in the community. (b) Currently, one loves one’s own children a great deal. It is impossible to love every other child to this same extent, because it is beyond human nature to feel love for more than a few. If one is trained to have the same level of affection for all, it will have to be a low level, because intense attachment can be felt towards only a few. Point (a) would serve Aristotle’s purpose if he aims to show that it is valuable to give a few people one’s special attention. Logically, special attention cannot be given to all – for what is given to all singles out no one. Point (b), by contrast, makes a psychological claim about how far it is possible to feel a close attachment to others. The two points are of course compatible, and Aristotle may mean to make both. In any case, his idea is that if we were to abolish the family, we would be needlessly destroying something that is of great intrinsic worth. A well-lived life includes activities carried out among a small group of people among whom there is a strong sense of friendship. Plato’s city would destroy this good. By trying to enlarge the group towards whom this close relationship is carried out, the intimacy and therefore the value of the relationship would be undermined. It is important to distinguish this point, which rests on the intrinsic goodness of loving, from another, which rests on the importance of being loved. After Aristotle completes his argument that Plato’s abolition of the family rests on an equivocal use of “all,” he makes the further claim that in such a regime sons would be equally neglected by all, just as communal property receives less care than private property (II 3, 1261b32–40). When a large number of individuals share responsibility for attending to things and other people, they face the difficulty of coordinating their efforts. There is a tendency for each to assume that others will be taking charge, and so there is a danger that no one will put forward the effort required. So even if mature adults had considerable concern for each and every member of the younger generation, the latter might suffer from neglect. And the chances that this will happen are all the greater, if in fact the older generation takes only a mild interest in the younger generation.
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In making this point, Aristotle relies on the assumption that according to Plato the responsibility for raising children should be placed on no single individual or small group, but is instead assigned to all of the citizens taken as a whole. Surely Aristotle is right that such a scheme would lead to serious neglect. But it is reasonable to assume that Plato has something different in mind: the offspring of the ruling class will be placed under the special care of a few adults who are not their biological parents, but are specially trained to perform this task. Who are these foster parents? How are they selected? Do they care for children in small groups? Plato does not say.2 But Aristotle’s defense of the traditional family might require him to show that for the most part biological parents are the ones who should be the primary caretakers of their offspring.
4.5 Plurality Revisited I said in section 3 that Aristotle’s first argument against abolishing the family has considerable force. Now that we have examined some of his other ideas, we are in a better position to appreciate his point that a city is by its nature a plurality. What must be emphasized now is that Aristotle is not merely making an obvious but uninteresting arithmetic point (a city contains many people), but is also advancing a sociological and causal claim: making family ties weaker impedes the proper functioning of the city. Should Socrates’ proposal be put into effect, “the city will arrive at a point where it will not be a city, or at another at which it will be one, but, because it will be close to not being a city, it will be worse” (II 5, 1263b33–5). And we should note the more general point he makes several lines later that successful cities depend not only on the family but also on a variety of smaller social organizations: it is no accident that cities have arisen through the integration of more closely connected social groups, such as brotherhoods (phatrias) and tribes (phylas, 1264a8). His sociological thesis is expressed most fully in III 9: A city cannot exist unless households and families (geneˆ) intermarry, form brotherhoods, perform religious sacrifices, and pursue leisured activities together (1280b31–8). The city must not seek to replace or absorb into itself these small social units, for they continue to play a valuable role even after the city has been created from them. The successful functioning of the political community requires the success2 See Republic 460c, where Socrates assigns to nurses the task of nurturing the children of good parents.
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ful functioning of these smaller communities as well. That is Aristotle’s most profound reason for claiming that the city is by its nature a plurality. But why does he think that a successful city requires successful smaller units like the family? What causal processes does he have in mind? In answering this question, we should draw on the other material Aristotle mentions in his defense of the traditional family, and in particular, on his claim that citizens cannot live good lives if they do not form intimate social attachments. Surely, if the city weakens or destroys family life and other small organizations, the citizens can no longer perceive it as an organization that helps them live good lives. The leaders and organizations of a city that is hostile to families and other small groups will rightly be perceived as enemies of ordinary citizens and impediments to their well-being. And no political association can function well in these conditions. A city will be weakened and in the end destroyed if citizens become increasingly unwilling to serve it by holding office, obeying the laws, paying taxes, and defending it in battle. One of Aristotle’s most intriguing thoughts, in his argument against Plato, is that people differ in type (II 2 1261a23–4) and that a city that does not respect this fact will be destroyed. By this he does not mean that each human being is unique and that the city must encourage us to develop our individual differences. Rather, his point is that a functioning political community must contain a number of different sub-units. The example he uses to illustrate his thesis in II 2 is the necessary division between those who are at any given time occupying high political office and those who are not. But as Aristotle develops his arguments against Plato, he relies heavily on the idea that our affective ties also sort us into different groups within the political community. Any attempt to weaken or destroy these affective groups, and to make the only important human relationship that of fellowcitizen, will not strengthen the city, as Plato thinks, but will undermine it, because it will deprive us of one of the principal sources of well-being.
4.6 Private Ownership, Common Use In II 5 Aristotle argues in favor of a system of ownership of land, slaves, cattle, coins, and the like: property should be private, he says, but its use should be communal (1263a38–9). He again proposes such a system when he constructs his own ideal constitution: “possessions should not be held in common … but should be common in their use, as befits friends, and none of the citizens should be in need of food” (VII 10, 1329b41–1330a2).
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But he also says in VII 10 that the territory should be divided into two parts, one communally owned and the other divided into privately owned lots. The produce from the collectively owned land is to be used to support public services for the gods and common meals (1330a9–13). Nothing in Book II provides us with arguments in favor of this dual system of collective and private ownership of land. On the contrary, the arguments Aristotle gives in II 5 are in favor of private ownership – although he insists that the use of property should be communal. If we wish to read him in a way that avoids contradiction, we must not take his conclusion in II 5 to be that nothing should be collectively owned. Rather, his conclusion must be that each citizen should have his own land, houses, slaves, money, and the like. He is opposed to making everything collectively owned, but not in favor of making everything privately owned. The discussion of property in II 5 begins by noting several possibilities: both ownership and use can be either private or communal (1263a2–3). Of the four possible arrangements this creates, Aristotle mentions three (a3–8): a. Land is owned individually, but its produce is put into a common pool for consumption. b. Land is owned and farmed communally, but its produce is distributed for private use. c. Both land and crops are communal. He leaves it unclear whether, in (a), each individual takes from the common pool as he chooses, or there is instead some central system of distribution, presumably based on need. System (c) involves the same method of distribution, but differs from (a) in that the land is communally owned and farmed. In (b) too land is communally owned and farmed – but it is not immediately obvious what Aristotle means by the distribution of produce for private use. Private use cannot mean consumption by individuals, for of course in any system of ownership the produce of the land is consumed by individuals. Presumably what Aristotle has in mind is that under regimes of type (b) those in need must request aid from this or that individual, and there is no social mechanism for distributing food to the poor. When Aristotle says that he favors private ownership but common use, he in effect opts for system (a). Unfortunately, although he says that this method is practiced by several peoples (ethneˆ, 1263a4–5), he provides no details about how they distribute produce. Later in II 5, he tells us that Sparta has a system close to the one he favors (1263a30–40). Here, he reports, citizens have their own property, but use each other’s slaves, dogs
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and horses as though they were their own. If they need food on a journey, they take from their neighbors’ fields. But he also indicates that no existing city possesses precisely the system he is talking about, although some come close to it. “Even now, this sort of thing exists in some cities in outline form, because it is not impossible; and particularly in those that are well managed some parts exist and others might come about” (1263a30–33). When Aristotle discusses Sparta later in Book II, we learn why he does not think that it is a perfect model of distribution: those Spartans who become impoverished are excluded from participation in the common meals (II 9 1271a26–37). It seems, then, that Aristotle is proposing a system of private ownership in which all citizens know that if they are ever in need, they can count on support from others. In this way, the evils of all-encompassing communal ownership will be avoided, but communal use will guarantee that the needs of all citizens are met. Aristotle believes that it is the legislator’s task to make the citizens disposed to share with each other in this way (1263a39–40). We might take him to mean that the legislator should try to inculcate ethical virtue, but should leave it to each citizen to help those in need on a case-by-case basis. After all, if the crops raised on my land are mine, then shouldn’t it be up to me to decide whether or not I will share them with others? Of course, Aristotle thinks that it would be good of me to share – but, on the reading proposed, he does not think that there should be any written or unwritten law that requires me to share. The city should see to it that I have a good moral education, so that I become the sort of person who treats others with generosity. But the law should not require anyone to contribute to the needs of others. It is unlikely, however, that Aristotle is thinking along these lines. For we should recall that he is arguing in favor of a method of ownership and distribution along the lines of system (a) above: land is owned individually, but its produce is put into a common pool for consumption. And he contrasts this with its opposite, system (b), in which land is owned communally, but its produce is allocated to individuals who decide entirely on their own whether to re-distribute some of it to others. Furthermore, Aristotle indicates several times in Book II that poverty and shortages of food are sometimes problems created by poor civic planning, and that it is the city’s job to avoid or address these problems (II 6, 1265a38–b16, II 7, 1267a9–10, II 9, 1270a34–b6). In addition, he criticizes Sparta for being too lax in overseeing the contributions its citizens are required to make to the public treasury (II 9, 1271b10–17). It seems reasonable, therefore, to take his doctrine of private-ownership-common-use to mean that the common use of private
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resources should be a civic requirement. How to help the needy is a matter for collective decision-making: it should be regulated by written or unwritten laws, and not left entirely to the uncoordinated choices of private individuals. Of course, Aristotle believes that little can be accomplished by the legal system on its own, if citizens are disinclined to obey the law (II 8, 1169a20–21). That is why he calls upon the legislator to see to it that citizens are disposed to share with each other (II 5, 1263a39–40).
4.7 Against Abolishing Private Property Aristotle believes that once we recognize that property can and should be used communally, we will be disabused of the thought that collective ownership is the best way to establish friendship among citizens (II 5 1263b15–16). For collective ownership has several disadvantages: a. When all property is collectively owned, each individual assumes that others are taking care of it, and it suffers from neglect (1261b33–8). b. Collective ownership gives rise to quarrels about how produce is to be distributed. Those who work more resent it when those who work less take more (1263a8–21). c. The recognition that something belongs to oneself is a great pleasure. Self-love is a natural and useful attitude, and is wrongly censured (1263a40–b5). d. It is a great pleasure to use one’s own resources to help one’s friends, guests, and companions (1263b5–7). e. If one has no private possessions, one cannot exercise the virtue of liberality, because liberality consists in making good use of one’s own possessions (1263b7–14). Several of these arguments repeat or adapt points that Aristotle has already made about the value of the family and deep emotional ties to small communities within the city. Just as it is a great good to have a strong tie of affection to other people, so it is a great pleasure to have control over the material resources one needs in order to live well. The abolition of the family would make certain expressions of temperance impossible, and similarly the abolition of private property would undermine the virtue of liberality. Both property and children that are communally tended will suffer from neglect. The desire to abolish private property, like the proposal to abolish the family, arises from a misguided plan to give the city a unity that it cannot achieve, and so in II 5 Aristotle repeats his objections to excessive unification (1263b29–37).
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When we compare Aristotle’s arguments in favor of the traditional family with the points he makes in favor of private ownership, certain broad themes become apparent. Preserving these institutions has three kinds of advantage: First, private property and the small family are the most effective means by which the community can tend to things that need special care: children, elderly parents, the food supply, and other resources that must be handed down from one generation to another. Second, human relationships become less satisfying and more difficult to maintain, if people are prevented from having a special degree of concern for a small number of people or a small parcel of land. Without small associations, we will have no strong affection for others; if all property is collectivized, our relationships with fellow citizens will be filled with strife. A city cannot function well unless something binds its citizens together, but since the strongest ties cannot be universal – we cannot love all people and all pieces of property equally – the best way to maintain good civic relations is to allow people to give particular care to their own things and to people with whom they are close. Third, the traditional family and private property play an important role in any well-lived life. Well-being consists in excellent activities adequately supplied with resources. If we have no close emotional ties with others, then one important sphere of virtuous activity – the way we treat our friends and family – is diminished. If we do not have our own resources for living well, but must always depend on receiving provisions from friends or the political community, then we cannot feel the pleasure that comes from a confident sense that we control our own lives. Aristotle’s defense of traditional family ties and private property would be troubling, if we took him to mean that human beings cannot have much interest in anything beyond their own property and a small circle of friends and family. If this were his assumption, then his own political theory would be in grave danger, for he requires the rulers of a well-governed city to care about the good of all citizens and about the city’s collective resources. Ideally, this community-wide perspective should be adopted by all of its members. But it might be asked: how can Aristotle expect citizens to occupy this general point of view, if he insists that they can have a deep emotional attachment to only a small number of people? Aristotle’s reply would surely be that the citizens’ sense of justice and their conception of well-being must be developed through education and habit. Although their emotional attachment to fellow citizens can never be as strong as their love of themselves or their children and friends, passion
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is not the only force that binds people together. Citizens must learn that exercising the skills of public service and the administration of a just civic order are no less important components of well-being than are the activities they undertake with friends. If institutions are properly designed and the habits of citizens properly formed, then the output of private property will be put to public use, and children will be prepared by their parents to be not only good sons and daughters but good citizens as well.
4.8 Chapters 6–12: Other Constitutions Aristotle turns to Plato’s Laws in II 6, and then, in II 7–8, he discusses two other individuals – Phaleas and Hippodamus – who have made novel proposals about how a city should ideally be arranged. In II 9–11 he turns to three political systems that are thought to be especially well governed – Sparta, Crete, and Carthage. And finally, in II 12, he makes some remarks about the reforms of Solon and other legislators. One of the ideas explored in these chapters is that “the best constitution is a mixture of all constitutions” (II 6, 1265b33–5). Aristotle does not endorse this thesis, but a large part of his examination of Plato’s Magnesia (the city described in the Laws), Sparta, Crete, Carthage, and Solon’s Athens considers the successes and failures of these regimes in achieving a mixture. Each of them strives for stability by including aristocratic, oligarchic, and democratic elements, and thus giving some measure of power to all citizens. Nonetheless, Aristotle indicates that even the best mixture would not make an ideal constitution. In fact, a mixed constitution like that of Magnesia is not even second-best; instead, the attractive feature of that imaginary city’s regime may be that it has much in common with existing cities (II 6, 1265b29–31). Aristotle has evidently included in Book II a study of constitutional schemes that might easily be adopted by a wide variety of existing cities. Although Magnesia, Sparta, Crete, and Carthage are far from ideal, a study of the way they mix varying elements will provide a helpful guide for the reform of existing cities. The same idea – that politics must study both the ideal regime and the best that can be done with less than perfect material – comes into prominence in Book IV. It should be kept in mind that Aristotle thinks of a constitution not only as a set of procedures for distributing power and making decisions, but as the goal and way of life that these arrangements promote. An aristocracy, for example, aims at virtue, an oligarchy at wealth, a democracy at equality and freedom. A mixed regime by definition does not aim at only one of
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these goals; instead, it fosters several ways of life and tries to achieve some balance among them. That is why Aristotle thinks that no mixture can qualify as the best regime. For there is one goal that an ideal constitution should have – excellent activity, adequately supplied by resources – and therefore the best constitution must be an aristocracy, not a mixture of aristocracy and other elements. One of the themes that runs through Aristotle’s criticism of Sparta, Crete, and Carthage is that none gives virtue the priority it deserves. In Sparta, for example, there is too much love of wealth and honor (II 9, 1270a14–15, 1271a14–18); so too in Carthage, where the highest offices are for sale (II 11, 1273a35–9). Aristotle’s criticism in II 7 of Phaleas’s egalitarianism of resources should be connected with these critiques of Sparta and Carthage. One of the complaints he makes against Phaleas is that the equalization of lots will not put an end to faction, because some citizens will want larger than equal shares (1266b35–1267a2). Aristotle’s fundamental idea in his treatment of Phaleas is that it is useless to equalize resources without paying attention to how those resources will be used. Equal shares will accomplish nothing, if citizens are in love with wealth and honor, as they are in Sparta. What Phaleas has neglected, then, is education. But even equal education would be no remedy for social problems, if it is not an education of the right sort. Phaleas failed to recognize the point that Aristotle makes explicit in Books VII–VIII: the city must provide to all citizens an education that leads them to understand where their good lies. Only then will civic strife caused by differences of wealth come to an end. Let us grant Aristotle’s claim that equalization of resources would not by itself put an end to society’s ills. Even so, we might propose that this arrangement is one necessary feature of a well-governed community. How sympathetic would Aristotle be to this suggestion? The ideal city he proposes in Book VII is a colony established in a new location, and it is a reasonable conjecture that each citizen is to receive an equal allotment of land, for that was a common practice among colonists.3 Since each citizen is to maintain two households, one near the periphery of the territory and the other near the center (VII 10, 1330a14–16), Aristotle must have it in mind to prohibit sales or transfers that would alter this initial allocation. In this respect, the citizens’ material resources are equal. Furthermore, they receive the same education (VIII 1), and all participate in the common meals (VII 10, 1330a3–8).
3 For an argument for this conclusion see Graham, 1964, p. 59.
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But that seems to be the extent of their equality. We find no hint in Books VII–VIII that possessions other than land – slaves, cattle, money – are to be maintained at an equal level. Those who need food are to be helped, but nothing suggests that there will be a system of taxation whose aim is to keep all resources at the same level. And we can understand why Aristotle thinks that there is no need for such leveling. These citizens have no desire to own more than they need in order to live a life devoted to excellent activity, and so they are not disturbed if others have more than they. The kind of egalitarianism advocated by Phaleas rests on the assumption that any differences of wealth will create factions, because no one can rest content with his own lot, when he perceives that others have more. That is what disturbs Aristotle about this form of egalitarianism: it does not try to alter human habits or ideas about what is worthwhile, but instead assumes that property is inevitably so important a factor in human life that no one can abide having less than others. Aristotle exhibits a kind of optimism about human relationships, when he proposes that we do not need this kind of equality, any more than we need to abolish private property or the family in order to maintain civic harmony. So long as we have adequate material resources to be equal citizens, we can allow both differences in wealth and differences in the intensity of affection we feel for others. The principal change we need to bring about is in people’s ideas and habits. In the absence of this transformation, no alterations in the law – even such radical legal measures as the abolition of the family and private property – will make civic life what it ought ideally to be.4
References Aristotle Politics Books I and II, transl. with a comm. by Trevor Saunders, Oxford 1995 Aristotle Politics, transl. by C.D.C. Reeve, Indianapolis, Indiana 1998 Graham, A.J. 1964: Colony and mother city in Ancient Greece. Manchester Irwin, T. 1991: Aristotle’s defense of private property, in: D. Keyt/F.D. Miller, Jr. (eds.): A companion to Aristotle’s Politics, Oxford Mayhew, R. 1997: Aristotle’s criticism of Plato’s Republic. Lanham, Maryland Miller, F.D. Jr. 1995: Nature, justice, and rights in Aristotle’s Politics, Oxford Schütrumpf, E. 1991: Aristoteles Politik I, Einleitung, Übersetzung, Kommentar, Berlin Simpson, P.L. Phillips. 1998: A philosophical commentary on the Politics of Aristotle, Chapel Hill, North Carolina 4 For fuller discussion of Book II, see Irwin, 1991; Mayhew, 1997; Miller, chap. 9, 1995; Saunders, 1995; Schütrumpf, 1991; and Simpson, 1998.
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5. Staatsverfassung und Staatsbürger (III 1–5)
5.1 Vorbemerkungen zum Thema und zum Charakter des Textstückes Die weithin geteilte Auffassung, daß es sich bei der Politikschrift nicht um ein Werk „aus einem Guß“ handelt, stützt sich inter alias auch auf die Beobachtung, daß Buch III formal wie inhaltlich einen neuen Ansatz in der Untersuchung der politischen Gemeinschaft und ihrer Fundierung darstellt. Nicht nur fehlt eine Verbindungspartikel zum vorangehenden Buch, sondern die Leitfrage nach Wesen und Art der Verfassung ist keine Fortsetzung der Diskussion der besten Staatsformen (vgl. Newman 1887–1902, III 129; Schütrumpf 1991, I 39–46; Höffe 21999, 245 f.). Ob aber auch nur die einführenden Kapitel 1 bis 5 des dritten Buches aus einem Guß sind und nicht nur eine lose Ansammlung von Überlegungen zum Thema Verfassung und Staatsbürger enthalten, erschließt sich nicht dem ersten Hinsehen. So wirkt die Einleitung zunächst wie ein Beispielsfall von Schleiermachers hermeneutischem Zirkel, wonach das Ganze nicht ohne die Teile, die Teile aber auch nicht ohne das Ganze zu verstehen sind: Um Natur und Art der Staatsverfassung angemessen bestimmen zu können, ist es nötig, mit der Polis zu beginnen, weil die Identität von Verfassung und Staat häufig Gegenstand von Kontroversen für Politiker und Gesetzgeber ist. Da die Verfassung aber in der Ordnung der Bewohner einer Polis besteht, ist der Anfang mit der Bestimmung des Bürgers, des politês, zu machen, denn auch die Anwendung dieses Begriffs ist nicht unumstritten: wer in einer Demokratie als Bürger gilt, ist es oft nicht in einer Oligarchie.
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Die Aufreihung dieser Gesichtspunkte erweckt zunächst den Eindruck, als lasse sich Aristoteles hier von der Überlegung leiten, daß bei so viel Kontroversem der Anfang am besten bei der kleinsten Einheit zu machen sei, beim Staatsbürger. Aber wie so oft bei Aristoteles, so trügt auch hier der Schein, es gehe bloß um Zweckmäßigkeit im Umgang mit Strittigem. Die Entscheidung, den Erörterungen der Staatsverfassung eine Analyse des Staatsbürgers voranzustellen, ist keine pragmatische Entscheidung für den Teil vor dem Ganzen. Sie gibt vielmehr Auskunft über das Thema, das hier zur Diskussion ansteht, nämlich eine Analyse der Polis unter dem Aspekt der Interdependenz von Staatsbürger (politês) und Verfassungsform (politeia). In diesem Vorgehen spiegeln sich die Fragen wieder, die allen wissenschaftlichen Untersuchungen des Aristoteles zugrundeliegen: (1) Was ist das Wesen und der Zweck des spezifischen Gegenstandes? (2) Auf welchen Elementen und Bedingungen beruht er? (3) Wie dienen diese Elemente dem telos des Ganzen? Entsprechend geht er auch bei der Bestimmung von Verfassung und Staatsbürger vor. Daß dieses Ordnungsprinzip nicht unmittelbar ins Auge springt, liegt nicht allein an der „aporetischen“ Hinführung zum Thema, sondern auch daran, daß Aristoteles in seinen Erörterungen nicht immer seine eigenen Vorstellungen scharf von der Darstellung der üblichen Verhältnisse trennt. So läßt er in seine normativen Festlegungen von Kriterien für die Staatsbürgerschaft immer wieder kommentarlos Bemerkungen über allgemein gültige Regelungen des Staatsbürgerrechts mit einfließen. Die Mühe entsprechender Differenzierungen nimmt Aristoteles seinen Lesern nicht ab, so daß es manchmal schwer ist, den Argumentationsfaden im Auge zu behalten. Denn es wird nicht immer deutlich, welche der Fragen und Einwände er selbst für gravierend hält, wie er die üblichen Verhältnisse beurteilt und ob sein Verdikt als endgültig oder mit Vorbehalten zu verstehen ist. Diese Eigenheiten in seinem Vorgehen sind sowohl bei der Beurteilung von Aristoteles politischen Zielvorstellungen wie auch bei der Rekonstruktion des inneren Zusammenhangs seiner Darlegungen zu bedenken. Um eine solche Rekonstruktion soll es hier gehen.
5.2 Der Staat und seine Teile Wie die Leitfrage nach der Verfassung als der Ordnung (taxis) der Einwohner des Staates andeutet, geht es hier nicht wie ersten Buch um den Gesichtspunkt, daß die Polis als autarke Gemeinschaft (koino˜nia) dem Ziel dient, das Wohl aller sicherzustellen und die Identität der „Teile“ zu be-
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stimmen, die an diesem Gut teilhaben oder dazu beitragen. Daher stand dort das Verhältnis von Dorf und Stadt, von Ehe und Familie, von Sklaven und Herren, von Besitz und seiner Verwaltung im Zentrum. Im dritten Buch dagegen geht es um die Verfassung als Ordnung der Einwohner im Staat. Wie sich bald zeigt, sind die „Teile“ dieser Ordnung, die „Staatsbürger ohne Einschränkung“, gar nicht alle Einwohner (oikountes), sondern nur diejenigen Mitglieder der Bevölkerung, die als Funktionsträger für sie verantwortlich sind (1274b38). So erklärt sich, daß Aristoteles unter der Verfassung nicht die Grundrechte der Gemeinschaft, sondern lediglich die Form der Regierung versteht, wie sie durch die Verteilung der Funktionen im Staat definiert wird.1 Daher konzentriert sich die Untersuchung auf die Frage nach den erforderlichen Qualifikationen derjenigen, die berechtigt und in der Lage sind, aktiv an der Verwaltung des Staates teilzunehmen. Daß die Frage der Berechtigung zwar eigentlich die der Befähigung sein sollte, aber in den real existierenden Staaten keineswegs so gehandhabt wird, ist ein immer wiederkehrendes Thema in den einführenden Kapiteln, obwohl Aristoteles diesen Kontrast als solchen nicht eigens hervorhebt, wenn er näher auf die unterschiedlichen Regelungen der Staatsbürgerschaft in verschiedenen Staatsformen und ihre Schwierigkeiten eingeht. Da er aber keinen Zweifel daran läßt, daß er das übliche Kriterium der Abstammung für ungeeignet hält,2 dient die Beschreibung dieser Regelungen nur der Hinführung auf sein eigentliches Ziel: der Bestimmung des Bürgers im eigentlichen Sinn (haplôs politês, 1275a19). Dieser wird nun für Aristoteles durch zwei Funktionen gekennzeichnet: durch die Teilhabe an Rechtsentscheidungen (krisis) und an der Regierung (archê; 1275a23). Dies ist freilich zunächst nur eine Frage der Berechtigung, nicht aber der Befähigung. Daß Aristoteles hier gleichwohl im Begriff ist, den Boden der allgemein üblichen politischen Praxis zu verlassen und neue normative Vorstellungen einzuführen, wird erst im folgenden deutlich. Zunächst scheint er sich noch im Rahmen des Üblichen zu halten, wenn er zwischen Ämtern (archê) mit und ohne zeitlicher Begrenzung unterscheidet und auf die Besonderheit verweist, daß manche Ämter nur einmal wahrgenommen werden können, im Unterschied zu zeitlich unbestimmten wie dem des Schöffen oder der Teilnahme an der Volksversammlung. Daß er jedoch mit der Anwendung der Bezeichnung von „archôn“ auf Schöffen und Rats1 Zur Bedeutung von taxis vgl Kap. 6, 1278b9–10; IV 1, 1289a15–18 und Mulgan 1977. 2 Vgl. 1, 1275a2–19 und die Diskussion in Kap. 2. Dazu Newman 1887–1902, 134; Schütrumpf 1991, 386–388. Zur allgemeinen Rechtslage vgl. auch Molho et al. 1991.
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mitglieder den konventionellen Rahmen sprengt, wird dadurch erkenntlich, daß er möglichem Widerstand gegen die Rede von einem „Regierungsamt“ in Hinblick auf diese beiden Funktionen zuvorzukommen sucht: Es wäre lächerlich, diejenigen, die die wichtigsten Entscheidungen tragen, nicht als Amtsinhaber anzusehen (1275a27). Diese Ausweitung ist also Aristoteles eigene Erfindung. Ein archôn ist eigentlich der Verwalter einer bestimmten Funktion, also ein „Magistrat“, wie wir den Ausdruck vielleicht am besten übersetzen sollten, weil es ein Berufsbeamtentum im alten Griechenland ebensowenig gab wie Berufsjuristen. Aristoteles will dagegen jeden politisch Handelnden als Amtsinhaber bezeichnen und tut daher die Nomenklatur als bloßen Wortstreit ab, den er kurzerhand mit Hilfe eines neuen Titels entscheidet: „So sollen sie denn der Unterscheidung wegen „unbestimmte Ämter“ (aoristos archê) heißen. Wir erklären also zu Bürgern diejenigen, die so an der Regierung teilhaben.“ (1275a31–3) Hinter dieser Titelverleihung steht nun nicht die Absicht, Einrichtungen auch theoretisch aufzuwerten, die in den Demokratien zur Selbstverständlichkeit geworden waren, sondern die Bedeutung dieser Entscheidungsgremien selbst zu würdigen: Die Volksversammlung entscheidet inter alias über die Gesetzgebung, die Schöffen über die Rechtsprechung. Die unbegrenzten Ämter stellen also zwei der drei heutigen „Gewalten“ im Staat dar.3 – Auf die dritte Gewalt, die Exekutive, geht Aristoteles in der Diskussion der Staatsbürgerschaft nicht ein, weil die speziellen Funktionen bestimmter Amtsinhaber gerade nicht zur Grundbestimmung des Staatsbürgers im allgemeinen gehören sollen. Die meisten dieser „bestimmten Ämter“ sind zudem von der jeweiligen Verfassungsart relativ unabhängig.4 Daß Aristoteles mit der Qualifikation für die Bestimmung des Staatsbürgers noch weitere normative Forderungen verbindet, machen die anschließenden Erklärungen darüber deutlich, warum nicht alle Arten von Verfassung seinem Standard genügen (1275a34–b5). Er spricht daher von Rangunterschieden unter den Verfassungen, weil sie die Merkmale einer in seinem Sinne „richtigen“ Verfassung in höherem oder nur geringerem Maß aufweisen. In diesem Zusammenhang führt er auch zum ersten Mal den Begriff von „entarteten oder verfehlten Verfassungen“ ein (1275b1:
3 Mit „Gewaltenteilung“ ist hier nur eine Funktionsunterscheidung gemeint, keine rechtliche Trennung und Unabhängigkeit. Vgl. dazu die Diskussion der drei „Gewalten“ in IV, 14–16. 4 Zu diesen Ämtern vgl. IV 15; VI 8. Da es sich oft um spezielle Aufgaben handelt, wird hier die Übersetzung von archê mit „Herrschaft“ bewußt vermieden.
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hêmartêmenê, parekbasis), die statt dem Gemeinwohl nur dem Nutzen der Herrschenden dienen (vgl. III 6–8). – Dem Ausmaß entsprechend, in dem eine Verfassung eine Bürgerbeteiligung an den Staatsämtern zuläßt, ist auch der Bürger in den (tatsächlich existierenden) Verfassungen verschieden zu bestimmen. Die Demokratie, so gibt Aristoteles hier unumwunden zu, erfüllt diese Ansprüche für die „in ihr sogenannten“ Bürger am meisten. Daß er damit dem ersten Anschein entgegen die Demokratie nicht als die beste Verfassung bezeichnen will, wird sich später noch herausstellen.5 Einer quantitativ möglichst großen Beteiligung spricht er nicht das Wort, ebensowenig wie sein Verweis, daß es nicht überall „unbegrenzte Ämter“ gibt, notwendigerweise als Kritik an den entsprechenden Verfassungen aufzufassen ist. Wenn Aristoteles auf Staaten wie Sparta oder Karthago hinweist (1275b7–13), in denen es gar kein „Staatsvolk“ (dêmos) im eigentlichen Sinn gibt, weil Entscheidungen nicht von der Volksversammlung getroffen, sondern alle Funktionen, einschließlich der Gerichtsbarkeit, von bestimmten Magistraten wahrgenommen werden, so ist damit nicht notwendig eine negative Bewertung dieser Verfassungen verbunden.6 Für solche Staaten will er lediglich die Definition des Staatsbürgers modifizieren: In diesen Fällen ist Staatsbürger nur derjenige, der die bestimmten Ämter inne hat. Hier bestätigt sich erneut, daß Aristoteles nicht bürgerliche Grundrechte in unserem Sinne im Auge hat, sondern vielmehr die aktive Bürgerbeteiligung an der Regierung. Weil eine solche Konzeption Angehörigen moderner, repräsentativer Demokratien fern liegen muß, ist die Bedeutung dieser Diskrepanz zwischen unserer heutigen Vorstellung vom Bürgerrecht und der des Aristoteles besonders hervorzuheben. Sie entspricht aber auch nicht den damals üblichen Vorstellungen, wie hier bereits angedeutet und auch in den folgenden Kapiteln immer wieder deutlich wird (bes. Kap. 2 und 5). Daher betont Aristoteles in seiner abschließenden Zusammenfassung des ersten Kapitels: Staatsbürger ist nur derjenige, der an der beratenden und richtenden Staatsgewalt teilhaben darf. Daraus resultiert auch die entsprechende Definition der Polis, nach der Aristoteles am Anfang gefragt hat: Sie ist die Menge der aktiven Bürger, die für ein autarkes Leben ausreicht.7 5 Das zeigt die Begründung für den Ausschluß von Handwerkern und Tagelöhnern in Kap. 5. 6 Zu Aristoteles’ Beurteilung der spartanischen und die karthagischen Verfassung, vgl. II 9 und 11. 7 Zum Begriff der autarkeia als Bedingung des erfüllten Lebens, nicht nur im ökonomischen Sinn, vgl. I 2, 1252b27–53a29.
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5.3 Die Verfassung und die Identität der Polis Eine ausführliche Erörterung der Zweckmäßigkeit der üblichen Regelungen der Staatsbürgerschaft in den verschiedenen Staaten (Kap. 2) liefert Aristoteles den Anlaß, im dritten Kapitel die Frage wieder aufzunehmen, ob die Identität der Polis an die Art der Verfassung gebunden ist. Denn wie schon im ersten Kapitel angedeutet (1274b34–36), hatte die Frage der Identität insofern eine gewisse Brisanz, als nach Umstürzen die Nachfolgeregierungen nicht immer bereit waren, die Verträge des früheren Regimes zu erfüllen. Zur Rechtfertigung berief man sich darauf, die Verträge seien durch Personen geschlossen worden, deren Herrschaft auf Gewalt beruhte (kratein) und nicht das Gemeinwohl zum Ziel hatte, so daß damit auch keine Gemeinschaftsverpflichtung verbunden sei (1276a10–13). Dieses Problem scheint vor allem dann aufgetreten zu sein, wenn es um Verbindlichkeiten von Tyrannen oder Oligarchen ging, welche die nachfolgende Demokratie sich zu erfüllen weigerte.8 Aristoteles selbst ist freilich nicht an der Rechtsfrage der Vertragserfüllung als solcher und ihrer aktual-politischen Bedeutung interessiert als vielmehr an der Bestimmung der Polis. Was also sind die Kriterien für die Identität einer Polis (1276a17–b13)? Die Antwort in der Einheitlichkeit von Ort und Bevölkerung zu suchen, lehnt Aristoteles als „zu oberflächlich“ ab. Wie Verweise auf Veränderungen in der Distrikteinteilung, auf Umsiedelungen, auf die Künstlichkeit von Eingrenzungen durch Mauern oder auf den natürlichen Fluß in der Bevölkerung durch Geburt und Tod zeigen sollen, taugen solche physischen Bestimmungen nicht als Kriterien. Die Überlegung, daß trotz der natürlichen Fluktuation die Bevölkerung die gleiche bleiben, der Staat seiner Form nach aber ein anderer werden kann, leitet über zu Aristoteles’ eigener Lösung für die Frage nach der Staatsidentität. Daß es sich um seinen eigenen Vorschlag handelt, macht vor allem der Rückgriff auf das politisch relevante Vokabular deutlich (1276b1–4): Wenn die Polis eine Gemeinschaft (koinonia) ist, diese aber aus den aktiven Bürgern einer bestimmten Verfassung besteht, dann muß der Staat nach der Änderung der Form der Verfassung ein anderer geworden sein. Das entscheidende Kriterium ist für Aristoteles also das eidos der Verfassung. Zur Illustration verweist er auf den Unterschied zwischen Komödie und Tragödie: Selbst wenn in beiden Fällen die gleichen Leute den Chor stellen sollten, handelt es sich jeweils um eine andersartige Ver8 Das bekannteste Beispiel ist die Weigerung der Athener, die Staatsschulden der 30 Tyrannen zu bezahlen, vgl. Isokrates, Areopagiticus, 7.68 f.
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einigung und Zusammensetzung, wenn ihr eidos verschieden ist (1276b7). So wie in der Kunst das Genre die Identität des Ganzen bestimmt, so tut es im Staat die Art der Verfassung. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit von einem anderen eidos der Verfassung gesprochen werden kann, ist mit der Analogie zu den Kunstgattungen natürlich noch nicht gesagt. Aristoteles hat lediglich die Richtung festgelegt, in der die Frage weiter zu verfolgen ist. Da er hier aber von der „Verfassung der Bürger“ spricht (1276b2: politeia politôn), kann mit Rückgriff auf das erste Kapitel geschlossen werden, was er unter verschiedenen eidê versteht: Die Art der Verfassungsordnung hängt von der Verteilung der Ämter unter den Bürgern ab. Dabei dürfte es insbesondere auf die Wahrnehmung der Gerichtsbarkeit und der Ratstätigkeit ankommen. Auf die inhaltliche Bestimmung der Verfassungsform durch eine genauere Spezifizierung der Regierungsverantwortung nimmt Aristoteles hier jedoch keinen expliziten Bezug. Diese Frage findet ihre Antwort erst später in der Analyse und Bewertung der verschiedenen Formen von Verfassungen (Kap. 6 bis 13). Da es ihm an dieser Stelle nur um die formalen Bedingungen geht, beschließt er seine Ausführungen mit dem Verweis, daß die Identität der Verfassung weder von Kontinuität und Wechsel des Namens eines Staates abhängt, noch von Kontinuität und Wechsel in der Bevölkerung.
5.4 Die staatsbürgerliche Tugend Es wirkt zunächst wie ein abrupter Themenwechsel, wenn Aristoteles nach der Festlegung der formalen Kriterien für die Bestimmung der Identität des Staates und der Verfassung im vierten Kapitel die Diskussion der „bürgerlichen Tugend“ aufnimmt. Zu dieser Wirkung trägt noch bei, daß er sie mit der Frage verbindet, ob es sich bei der Tugend des guten Mannes (andros agathou) und der des wertvollen oder brauchbaren Bürgers (politou spoudaiou) um ein und dieselbe handelt.9 Dieser Themenwechsel scheint auch durch die Behauptung der Folgerichtigkeit (echomenon) nicht kaschiert, da Aristoteles im vorigen Kapitel die Kontinuität eines Staates doch gerade von der Bevölkerung unabhängig gemacht und rein funktional, d.h. dem eidos der Verfassung nach, bestimmt hat. Ethische Kriterien 9 Die Übersetzung von spoudaios mit wertvoll oder brauchbar soll nur anzeigen, daß Aristoteles nicht in beiden Fällen das Wort agathos verwendet. Spoudaios kann sowohl Eifer, Ernsthaftigkeit, rein fachliche Tüchtigkeit als auch moralische Auszeichnung bedeuten.
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scheinen daher in dieser Diskussion fehl am Platz. Dieses zunächst sprunghaft wirkende Vorgehen verliert seine Befremdlichkeit, wenn man sich darauf besinnt, daß das griechische Wort aretê nicht mit unserem altmodischen und moralinbesetzten Wort „Tugend“, sondern mit „Tauglichkeit“ oder „Tüchtigkeit“ zu übersetzen ist. Da die Identität der Verfassung für Aristoteles eng an die Funktionen der Amtsträger geknüpft ist, geht es daher um die Frage nach dem Verhältnis zwischen der für politische Ämter erforderlichen Tauglichkeit und der Tüchtigkeit, die den guten Menschen überhaupt auszeichnet. Zur Diskussion steht dabei nicht wie bei Platon, ob ein guter Mensch mit einer schlechten Staatsverfassung notwendig in Konflikt geraten muß und sich von der Regierung fernhält. Es geht hier allein um einen Vergleich der spezifischen Fähigkeiten. Mit dem Verweis, daß es hier um Tauglichkeiten und Qualifikationen geht, ist freilich noch nicht viel getan. Denn es ist zwar begreiflich, daß der aktiv an der Regierung Beteiligte besonderen Anforderungen genügen muß, nicht aber, in welchem Sinne der Vergleich mit dem „guten Mann“ gemeint ist. Angesichts der Komplexität des aristotelischen Tugendbegriffes, wie wir ihn aus der Nikomachischen Ethik kennen, stellt diese Frage Interpreten vor eine gewisse Verlegenheit. Daß der Mensch, um zum Leben in der Gemeinschaft tauglich zu sein, einen wohltemperierten Charakter und hinreichend praktische Vernunft braucht, scheint allzu vage zur Bestimmung des fraglichen „Gutseins“. Daran ändert auch die Besinnung darauf zunächst wenig, daß auch die Ethik von der Konzeption des Menschen als zôon politikon ausgeht und daher die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem gutem Bürger und dem gutem Menschen naheliegt (vgl. EN I, 1097b11; IX, 1169b18; Pol. I, 1253a3). Der Vagheit der Fragestellung ist sich Aristoteles offensichtlich selbst bewußt. Der Begriff der staatsbürgerlichen Tugend soll daher zunächst „in einem bestimmten Umriß“ (typô tini) erfaßt werden (1276b19). Dieser erste Umriß macht nun, ganz wie zu erwarten, auf die Notwendigkeit einer Differenzierung innerhalb der Bürgerschaft aufmerksam. Um diese näher zu begründen, greift Aristoteles auf den uns von Platon vertrauten Vergleich des Staates mit einem Schiff zurück (Rep. VI, 488a–489a.). Freilich ist der Staat hier kein Narrenschiff, dessen inkompetente Seeleute den wahrhaft der Seefahrtskunst Kundigen vom Steuerruder fernhalten wollen, sondern der Vergleich soll lediglich die Notwendigkeit einer Funktionsteilung und Differenzierung veranschaulichen: Die Arbeit des Ruderers ist verschieden von der des Steuermannes oder des Untersteuermannes. Jeder hat also seine spezifische Aufgabe, die eine besondere Tauglichkeit erfordert. Gleichwohl muß es auch eine gemeinsame Tugend geben, denn die
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Sicherheit der Seefahrt ist die allen gemeinsame Aufgabe (1276b26: ergon). Entsprechendes soll nun auch für die Staatsbürger gelten. Sie haben je verschiedene Funktionen; die Sicherheit des Gemeinwesens sollte ihre gemeinsame Aufgabe sein. Daher müßte es auch eine gemeinsame Tugend/Tauglichkeit in Hinblick auf das Staatswohl insgesamt geben. Daß es mit der Bestimmung der verschiedenen Funktionen („jeder für sich“) wie auch mit der des gemeinsamen ergons („alle gemeinsam“) seine Schwierigkeiten hat, zeigt die Weiterführung des Vergleichs von Schiff und Staat (1276b30–1277a25). Es sind drei Gesichtspunkte, die der Einfachheit und Einheit der Tugend des Staatsbürgers im Weg stehen. 1. Es gibt nicht bloß eine Art von Verfassung, sondern mehrere, und zwar bessere und schlechtere (1276a30–35). Die Tüchtigkeit des Bürgers ist aber jeweils relativ auf die Art der Verfassung, der er dient. Daher kann die Tüchtigkeit des in den verschiedenen Verfassungen „brauchbaren“ Bürger nicht mit der einen, vollkommenen menschlichen Tugend zusammenfallen. Was Aristoteles unter dieser höchsten Tugend versteht, bleibt vorerst offen. – Dieser erste Einwand gegen die Einheit der Tugend bezieht sich also gewissermaßen auf den Schiffstyp. Darauf geht Aristoteles hier aber nicht näher ein; denn dies ist das Thema der späteren Diskussion der verschiedenen Arten von Verfassungen. 2. Selbst in der besten Verfassung kann die Tauglichkeit der Bürger nicht einfach mit der Tugend des guten Menschen identisch sein (1276b35–1277a12). Daß Aristoteles diese Möglichkeit ausschließt, liegt an der Notwendigkeit einer Funktionsteilung im Staat, wie sie bereits die Schiffsanalogie andeutet. Nicht jeder kann Steuermann sein, es muß auch einfache Ruderer geben. Wenn Aristoteles die Frage nach der Art der Tauglichkeit stellt, so geht es also nicht um Zweifel an der Vollkommenheit des Menschen oder um eine realistische Haltung einem Idealstaat gegenüber. Zwar klingen seine Ausführungen zunächst so, als halte er einen vollkommenen Staat mit vollkommenen Bürgern deswegen für unmöglich, weil es schlechtweg unrealistisch ist, von allen Menschen das gleiche Ausmaß an Tugend zu erwarten. Es wird aber schnell deutlich, daß es nicht die menschliche Unvollkommenheit ist, die ihn hier von Unmöglichkeit sprechen läßt. Realistisch ist vielmehr seine Einsicht in die Notwendigkeit der Arbeitsteilung: Für jede Arbeit ist eine spezifische Tauglichkeit erforderlich, wenn der Staat gut verwaltet sein soll. Das bedeutet aber, daß auch in der besten Verfassung die Bürger gar nicht alle die eine vollkommene Tugend haben können und sollen, sondern nur die für ihre spezielle Aufgabe erforderliche. Die Notwendigkeit eines Unterschiedes in Art und Niveau der Tauglichkeit rechtfertigt Aristoteles durch einen Vergleich mit der
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notwendigen Funktionsteilung von Leib und Seele, wie auch mit der Arbeitsteilung innerhalb der Seele: Das Begehren ist ebenso notwendig wie die Vernunft. Entsprechend herrscht auch im Staat Bedarf an verschiedenartigen Dienstleistungen. Daher ist es nicht einmal wünschenswert, daß alle Bürger die gleiche Tugend haben.10 Denn wenn alle die höchste praktische Tugend besäßen, dann gäbe es im Staat gewissermaßen nur Kapitäne und keine Matrosen oder, wie Aristoteles sich hier ausdrückt, nur Chorführer und keine einfachen Chormitglieder (1277a11 f.). Auch der beste Staat setzt also eine Ungleichheit unter den Einwohnern voraus, er könnte sonst gar nicht bestehen. Das gemeinsame ergon der Staatserhaltung beruht daher nicht auf einer gemeinsamen höchsten Tugend. 3. Der Verweis auf den Status des Chorführers begründet die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung (1277a12–25). Sie betrifft nicht die Arbeitsteilung im Sinne der Wahrnehmung verschiedenartiger Aufgaben im Staat, sondern das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten. Mit dieser Unterscheidung halst sich Aristoteles ein Problem auf, dessen Sinn zunächst schwer zu durchschauen ist. Einerseits hebt er die Notwendigkeit eines Qualitätsunterschiedes hervor: Für Regierende soll im Unterschied zu den Regierten gelten, daß sie die Art von praktischer Vernunft (phronêsis ) besitzen müssen, die auch den guten Mann auszeichnet, sie haben also die eine höchste Tugend. Andererseits bekennt sich Aristoteles zu der Forderung, daß die Bürger einander in der Herrschaft ablösen sollen, also abwechselnd herrschen und beherrscht werden. Die Frage der Vereinbarkeit dieser beiden Postulate soll zunächst noch zurückgestellt werden, weil zuerst das Problem der Unterscheidung von zwei Arten von Bürgern zu klären ist (1277a14–16). Diese ist vor allem aus zwei Gründen problematisch. Der erste (a) führt uns in die Grundkonzeption der Aristotelischen Ethik, der zweite (b) stellt die innere Einheit der Konzeption des Staatsbürgers in der Politikschrift in Frage. (a) Die Grundbestimmungen der Nikomachischen Ethik lassen die Beschränkung der phronêsis auf die Klasse der Regierenden zunächst befremdlich erscheinen. Denn Aristoteles geht dort davon aus, daß jeder moralisch voll entwickelte Mensch sowohl die Charaktertugenden im gehörigen Maß besitzen muß, als auch die praktische Vernunft, die phronêsis. Sie ist die Fähigkeit, die ihm gestattet, jeweils die angemessenen Entscheidungen „kata ton orthon logon“ zu treffen, welche die Sicherstellung des eigenen Wohls für das ganze Leben betreffen (EN II 2, bes. 1103b31–34; VI 5, bes. 10 Aristoteles bezeichnet hier alle Beteiligten als Bürger (bes. 1277a10), verwendet diesen Begriff also in einem ganz unspezifischen Sinn, der auch Sklaven und Frauen mit einschließt.
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1140a25–28; b4–6). Von einer elitären Auslese ist nicht die Rede: im Gegenteil. Jeder Mensch besitzt zwei Seelenteile, als herrschendes Element den Verstand und als gehorchendes den nicht-rationalen Seelenteil, der für Zuspruch offen ist, wie der Sohn für den Vater (EN I, 1102b32–1103a3). Wenn Aristoteles in der Politikschrift die phronêsis als vollkommene Tugend nur den Regierenden zusprechen will, für den gewöhnlichen politês dagegen als entbehrlich ansieht, so scheint es, als sei er damit von seinem allgemeinen Tugendbegriff abgerückt. – Daß hier kein echter Widerspruch vorliegt, sondern allenfalls eine einseitige Auszeichnung der politischen Vernunft, zeigt ein Rückgriff von EN I 1, 1094b26–b11. Dort hebt Aristoteles bereits die Besonderheit der für den Staatsmann erforderlichen Fähigkeit hervor: Die politische Wissenschaft ist deswegen die höchste der praktischen Fähigkeiten, weil sie alle anderen für die Gemeinschaft relevanten Tätigkeiten umfaßt und bestimmt, welche Künste und Wissenschaften für die Gemeinschaft erforderlich sind und wie weit sie sie zu betreiben hat. Daher bezeichnet Aristoteles sie auch als die „architektonischste“ Wissenschaft. Da der Politiker das Gesamtwohl im Auge hat, zeichnet er sich vor dem Privatmann durch größeren Weitblick aus (EN VI 5, 1140b10; vgl. auch die Unterscheidung zwischen Gesetzgeber und anderen Politikern 8, 1141b23–33).11 Daß Aristoteles in der Politikschrift nur noch die politische phronêsis als solche bezeichnet, dürfte daran liegen, daß er seine allgemeine Tugendlehre stillschweigend voraussetzt. Aus diesem Grund unterläßt er auch jeden Hinweis auf auch für Politiker so wünschenswerte Charaktereigenschaften wie Ehrlichkeit oder Menschenfreundlichkeit. Nur die Fähigkeit, weitreichende Entscheidungen für das Gemeinwohl zu treffen, steht hier als eigentliche Qualifikation im Mittelpunkt.12 (b) Auch nach dieser Klärung scheint die Unterscheidung zwischen verschiedenartigen Staatsbürgern aber im Widerspruch zu der Definition des politês im ersten Kapitel unseres Buches zu stehen. Denn dort wird Staatsbürgerschaft mit der Teilhabe an der Regierung und sei es auch nur an der „unbestimmten“ oder „unbegrenzten archê“ gleichgesetzt. Warum also unterscheidet Aristoteles nun plötzlich grundsätzlich zwischen dem Herrschenden (archôn) und dem (gewöhnlichen) politês, der nicht notwendigerweise ein phronimos sein muß, weil er nur regiert wird (1277a14–16)? Nicht nur der Verweis auf die Notwendigkeit einer privilegierten Erzie11 Seel (1990, 38–42) unterscheidet daher drei Arten der phronêsis. Vgl. auch die Diskussion von Irwin (1990). 12 Der Rat hat Autorität über Krieg und Frieden, über Verträge und ihre Auflösung, über die Gesetze, über Tod und Verbannung (IV 14, 1298a3–9).
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hung der Herrschenden, sondern auch die Anekdote von Jason von Pherai und seinem „Hunger nach Herrschaft“, muß befremden, zumal Aristoteles doch sonst für Tyrannen wenig übrig hat (1277a16–25). Die Erklärung für diesen unvermuteten Inegalitarismus im Umgang mit den Bürgern und für die scheinbare Bevorzugung einer Herrscherklasse ergibt sich erst aus der nachfolgenden differenzierenden Betrachtung des Verhältnisses von Regierenden und Regierten (1277b25–27; 1277b7–32). In der Metaphorik des Staatsschiffes gesprochen, muß es die Bereitschaft und Fähigkeit zur Wachablösung geben. Als Voraussetzung für diesen Wechsel nimmt Aristoteles nun aber den Besitz von zweierlei Fähigkeiten an, nämlich sowohl die Fähigkeit gut zu regieren, als auch die, sich angemessen (kalôs) regieren zu lassen. – Warum ein Staatsführer nicht einfach wie ein Steuermann das Ruder für eine bestimmte Zeit aus der Hand geben kann, sondern für den Wechsel verschiedene Tauglichkeiten benötigt, deren Vereinbarkeit problematisch sein soll, macht eine Besinnung auf die moralischen Grundprinzipien bei Aristoteles deutlich. Die Zweiteilung der politischen Kunst in Herrschen und Beherrschtwerden bringt deswegen eine gewisse Spannung mit sich, weil Aristoteles darin zwei verschiedene Aktivitäten (energeiai) sieht, die nicht nur dem Rang nach verschieden sind, sondern auch auf verschiedenen Fähigkeiten (dynameis) beruhen (1277b29–32). Da der Staatsbürger aber beide Fähigkeiten besitzen soll, trägt er gewissermaßen zwei Seelen in einer Brust, mit allen entsprechenden Eigenschaften und Bestrebungen.13 Diese Spannung innerhalb der Konzeption des Staatsbürgers findet zunächst eine gewisse Entlastung dadurch, daß Aristoteles deutlich macht, daß das Verhältnis des Herrschens und Herrschenlassens nicht mit Despotie und Sklavengehorsam gleichzusetzen ist (1277a33–b7; die Sklavenarbeit wird auch hier auf die Herstellung materieller Lebensgüter beschränkt). Von dieser Art von „Gehorsam“ will Aristoteles den regierten Bürger frei wissen. Vielmehr sieht er ein Modell vor, das Herrschafts- mit Unterordnungsqualitäten vereinbar macht. Denn unter der staatsbürgerlichen Regierung ist die über „Freie und Gleiche“ zu verstehen (1277b7–9). Von der Despotie unterscheidet sich die Fähigkeit zu solchem Regieren dadurch, daß sie zunächst durch das Regiertwerden erworben wird. Diese Lehrjahre sind also nicht nur keine Herrenjahre, sondern sie stellen eine „Einübung“ in das Regie13 Die weiteren Ausführungen über die Bedingungen des „abwechselnd Regierens und Regiertwerdens“, liegen außerhalb des hier zu behandelnden Textabschnitts, vgl. bes. Kap. 6, 1279a9 ff. Da der Staat grundsätzlich als „Gemeinschaft von Freien“ (1279a21) definiert ist, besteht ein Anspruch auf Anteil an der Herrschaft.
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ren durch Sichregierenlassen dar. Zur Illustration verweist Aristoteles auf den Militärdienst: Feldherr wird man erst, indem man unter einem Feldherrn, Oberst, indem man unter einem Obersten, und Hauptmann, indem man unter einem Hauptmann gedient hat. Aus diesem Grunde billigt Aristoteles ausdrücklich die Maxime, niemand verstehe gut zu regieren, der nicht zuvor regiert worden ist. Und so wird dem guten Staatsbürger eine „beidseitige Tugend“ abverlangt: Er soll sich sowohl auf das Regieren wie auf das Regiertwerden verstehen, und zwar ausdrücklich in der Form, wie es sich für Freie gehöre, nämlich das Herrschen über Freie und das Beherrschtwerden als Freie. Trotz der grundsätzlichen Gleichheit der Bürger besteht aber nicht nur ein Rangunterschied zwischen den Aktivitäten des Regierens und Regiertwerdens, sondern auch zwischen den dafür jeweils erforderlichen Tugenden, einschließlich der Charaktertugenden (1277b16–25). Aristoteles sieht die Notwendigkeit, je verschiedener Arten (eidê) von Besonnenheit und Gerechtigkeit für das Herrschen und für das Beherrschtwerden. Er hält offensichtlich eine größere Zurückhaltung, nach Übergabe des Steuerruders, nicht für ausreichend, denn dazu wäre nur ein Gradunterschied aber keine spezifische Unterscheidung innerhalb der Tugenden erforderlich (vgl. 1260a37 f.). Vielmehr verweist er ausdrücklich auf das UngleichheitsVerhältnis zwischen Mann und Frau, wie er es für die „häusliche Gewaltenteilung“ im ersten Buch spezifiziert hat (I 5, 1254b13–15; Kap. 12 u.13): Zwar besteht zwischen Mann und Frau ein „politisches“ Verhältnis, weil sie genauso frei ist wie er. Das Prinzip der Gleichheit bleibt aber hier eingeschränkt, weil die höhere Führungsfähigkeit (hegemonikôteron) des Mannes ihn zur (freiwillig akzeptierten) Dauerherrschaft über die Frau bestimmt (I 12, 1259b2).14 – Diese Unterordnung beruht auf einer Modifikation der Charaktertugenden, die Aristoteles nun auch für die „beherrschten“ Bürger voraussetzt (1277b16): wie „ja auch die Besonnenheit und Tapferkeit des Mannes eine andere ist als die der Frau, denn ein Mann würde doch als feige erscheinen, wenn er in der Weise tapfer wäre wie eine Frau, und eine Frau sehr geschwätzig, wenn sie nur so zurückhaltend wäre wie ein tugendhafter Mann.“15 14 Da die Unterscheidung verschiedener Herrschaftsverhältnisse in der Hauswirtschaft in Buch I als despotisch, königlich und politisch, die späteren Differenzierungen vorbereitet, besteht ein engerer Zusammenhang innerhalb der Politikschrift als vielfach angenommen, selbst wenn die Bücher nur in loser Verknüpfung stehen (vgl. Schütrumpf 1991, 383, und Kap. 3 in diesem Band). 15 Daß es sich um einen Art- und nicht bloß um einen Gradunterschied handeln muß, vertritt Aristoteles auch in Buch I, 1260a28–31; 1260b8–20.
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Angesichts dieser moralischen „Zweigleisigkeit“, die Aristoteles dem guten Bürger zumutet, stellt sich die Frage, welche Besorgnisse ihn zu dieser ungewöhnlichen Maßnahme veranlassen. Denn er verlangt nicht weniger, als daß der politês sowohl die männliche als auch die weibliche Version jeder Tugend verinnerlicht haben muß. Ganz unvorbereitet ist diese Zumutung freilich nicht, wie die Tatsache zeigt, daß er das Verhältnis zwischen Mann und Frau auch im ersten Buch als „politisches“ bezeichnet. So scheint es, daß er sich von vornherein über die Notwendigkeit der Fähigkeit zur Unterordnung auf Seiten der regierten Bürger für eine erfolgreiche Regierung im klaren war.16 – Eine hinreichende Begründung für die Differenzierung innerhalb der politischen Fähigkeiten ergibt sich aus einer Rückbesinnung auf den Zusammenhang zwischen Tugend und eudaimonia: Zu jeder Tugend gehört auch deren praktische Anwendung. Zu den bürgerlichen Charakterdispositionen muß daher auch die Bereitschaft zur Kooperation und zur zeitweiligen Unterordnung gehören, sonst leidet der „inaktive“ Bürger am „Hunger nach Macht“ eines Jason von Pherai. Denn anders als bei Platon sind die politisch Begabten ja durchaus an der Betätigung ihrer Fähigkeiten interessiert und üben sie gern aus. – Die Vorstellung des Rechtsanspruchs auf Betätigung der besten Fähigkeiten gegenüber der Gemeinschaft steht vermutlich hinter Aristoteles’ gelegentlichen Erwägungen, daß ein politischer „Überflieger“ von der Notwendigkeit des abwechselnd Herrschens und Beherrschtwerdens ganz ausgenommen werden sollte. (Vgl. Pol. III 13, 1284a3–14; b25–34; 17, 1288a15–29; VII 3, 1325b10–14; 14, 1332b16–27; zu diesem politischen „Übermenschen“ vgl. Frede 1998.) Wie die abschließenden Bemerkungen des vierten Kapitels erkennen lassen, kommt es Aristoteles in der Tat in erster Linie auf die Unterschiedlichkeit der Art von phronêsis an. Nur der Regierende kann seine praktische Vernunft im vollen Sinn zur Anwendung bringen. Der Regierte folgt dagegen bloß der richtigen Meinung (alethês doxa). Aristoteles schließt sich hier also unverkennbar Platon an, der so das Verhältnis zwischen den Philosophenkönigen und ihren soldatischen Helfern kennzeichnet (Rep. IV, 428d; 430a–b). Die Staatsraison erfordert, daß die Regierten die Anordnungen der Regierenden ausführen, keine eigenen Entscheidungen fällen und somit also auf die Anwendung ihres eigenen Wissens verzichten. – Die Erinnerung an Platons Politeia scheint Aristoteles übrigens auch die Illustration des Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten nahegelegt 16 Im ersten Buch deutet Aristoteles auch an, daß ein Wechselverhältnis in der Regierung ein grundsätzliches Gleichheitsverhältnis (ex isou) voraussetzt, 1259b6–9.
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zu haben: Der Herrschende ist wie der Flötenspieler, der das wahre, das Wissen vom Gebrauch des Instruments hat; der Regierte dagegen ist wie der Flötenmacher, der sich nach den Instruktionen des Benutzers zu richten hat (1277b29 f.). So erläutert Platon im X. Buch den Unterschied zwischen dem kreativen Meisterwissen und dem des bloß „nachahmenden“ Handwerkers (601d). Der entscheidende Unterschied zwischen der Platonischen und der Aristotelischen Konzeption ist aber nicht zu übersehen : Von einem Rollentausch kann bei Platon keine Rede sein. Eben dies ist aber das Charakteristische an der Aristotelischen Konzeption: Daß sich der gute Staatsbürger durch den Besitz beider Fähigkeiten auszeichnet und bald die eine, bald die andere aktiviert. Der Aristotelische politês muß also, Platonisch gesprochen, das Flötenmachen wie auch das Flötenspielen beherrschen. Daß der Besitz dieser beidseitigen Fähigkeit als Vorbedingung für die Staatsbürgerschaft mit einer empfindlichen Einschränkung des Bürgerrechtes einhergeht, dürfte nach diesen Vorüberlegungen nicht mehr überraschen.
5.5 Die Beschränkung des Staatsbürgerrechts Die restriktive Behandlung des Bürgerrechts ergibt sich für Aristoteles zwangsläufig aus seinen hohen Anforderungen an die aktiven wie auch an die „passiven“ Fähigkeiten eines politês. So hält er es nach den Erörterungen der herrscherlichen Fähigkeiten im vierten Kapitel bereits für ausgemacht, daß man niedrige Handwerker in keiner Form an der Regierung beteiligen sollte. Denn nicht darauf zielt seine „Aporie“, mit der er das 5. Kapitel einleitet, sondern nur auf die Zurechnung der Handwerker zur Bürgerschaft überhaupt. Eine solche Klärung ist notwendig, denn sein Begriff von Staatsbürgerschaft ist nicht nur mit den Grundvorstellungen der Demokratie unvereinbar, sondern entspricht auch nicht der traditionellen Bezeichnung jedes frei geborenen Einwohners einer Polis als politês, an der man auch in der Tyrannis festhielt. Die Schwierigkeiten, deren Aristoteles sich hier annimmt, sind daher zunächst pragmatischer Art. Es geht um die Anpassung seiner Theorie an die tatsächlichen Verhältnisse in einer Polis. Denn in einem geordneten Staatswesen müssen alle Einwohner einen bestimmten Status haben. So stellt die Frage der Bezeichnung der Handwerker, wenn sie keine Bürger sein sollen, Aristoteles vor eine gewisse Verlegenheit. Sie fallen nicht in die offiziellen Rubriken von Nicht-Bürgern einer Polis, nämlich in die der Fremden und der Metöken. Auch sind sie keine Sklaven oder Freigelasse-
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nen und auch keine „eingeschränkten“ Bürger wie Kinder und Alte. Daß es aber auch andere Einwohner ohne Bürgerstatus gibt, dient Aristoteles offensichtlich als Rechtfertigung dafür, nicht all diejenigen als Bürger anzuerkennen, die notwendige Elemente im Staat darstellen (1278a3; vgl. auch 1277a5–12). Es ist aber nicht allein die Frage des Titels, die Aristoteles hier zu lösen hat. Vielmehr geht es auch um die Rechtfertigung der Art der Herrschaft über die Handwerker. Seine Dreiteilung von politischer, königlicher und despotischer Regierung macht deutlich, daß für Handwerker nur ein despotisches Herrschaftsverhältnis in Frage kommt. Dies sagt Aristoteles zwar in diesem Kapitel nicht explizit. Damit erklärt sich aber seine unübersichtliche Kompilation verschiedenartiger Gesichtspunkte. Sie verbinden prinzipielle Vorstellungen über die Staatsordnung mit pragmatischen Überlegungen wie auch mit empirischen und historischen Beobachtungen über restriktive Bürgerrechtsregelungen. Da es ihm um die Klarstellung seiner eigenen Gründe für den Ausschluß der banausoi geht, muß ihm daran gelegen sein zu verdeutlichen, daß er nicht einfach die herkömmlichen Standesvorurteile und –diskriminierungen radikalisieren will. So undurchsichtig dieses Vorgehen zunächst wirken mag, so liegt doch der eigentliche Grund für diesen Ausschluß klar zu Tage: Es geht um die schwere Arbeit. Als Bürger eignen nach Aristoteles sich nur diejenigen, die von „notwendigen Arbeiten“ (anankaia erga) frei sind, d.h. die nicht mit ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Handwerker und Tagelöhner unterscheiden sich in Aristoteles Augen nur insofern von den Sklaven, als sie für die Allgemeinheit arbeiten, während die Sklaven nur für einen Einzigen tätig sind (1278a10–13). Daß die Möglichkeit des Erwerbs der politischen Tugend von den sozialen Umständen abhängt, kommentiert Aristoteles hier nicht weiter. Dazu ist freilich an seine Bewertung der „äußeren Glücksumstände“ (EN I 9, 1099a31–b9) zu erinnern: Wer arm geboren oder aus schlechter Familie ist, kann es zur vollen eudaimonia nicht bringen. Ein moralisches Problem scheint Aristoteles in dem Ausschluß einer ganzen Bevölkerungsgruppe jedenfalls nicht gesehen zu haben. Der Gedanke an grundsätzliche soziale Veränderungen liegt ihm ebenso fern wie den meisten seiner Zeitgenossen. An seiner grundsätzlichen Einschätzung der Eignung zum Staatsbürger ändern auch die Beobachtungen über andersartige Verhältnisse in vielen Staaten nichts (1278a15–40): Die Verschiedenheit in der Zuerkennung der Staatsbürgerschaft liegt an der Verschiedenheit der Arten von Staatsverfassungen. Je nach Art von Verfassung sind die Qualifikationen als Bürger verschieden. Gilt allein das Regiertwerden als hinreichendes Kriterium für
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die Staatsbürgerschaft, dann können freilich auch die Handwerker und Tagelöhner zu den Bürgern gerechnet werden. Dagegen wäre in Staaten, welche die bürgerlichen Ehrenrechte (timai) von Verdienst und Tauglichkeit abhängig machen, diese Liberalisierung unmöglich, weil die niedrigen Handwerker und Tagelöhner diesen Standards nicht genügen können (1278a11–20). In Oligarchien können zwar nicht die Tagelöhner, wohl aber Handwerker Bürgerstatus erhalten, weil dort allein die Steuerklasse das Bürgerrecht regelt und viele Handwerker es zu Reichtum bringen. Nach diesem Überblick zieht Aristoteles abschließend sein Fazit über das geeignete Bewertungskriterium der verschiedenen Staatsverfassungen (1278a40–b5): Eine Verfassung ist gut, wenn die Tugend des guten Mannes und die des guten Bürgers eine und dieselbe ist. Aristoteles weist dazu nochmals auf die Differenzierung hin, auf die es bei der Beurteilung besonders ankommt: Daß die Identität der Tauglichkeit des guten Mannes und des Bürgers nur für denjenigen zutrifft, der entweder aktiv als Staatsmann (politikos) und Leiter (kyrios) wirkt oder doch das Zeug dazu hat, entweder allein oder mit anderen für das Gemeinwohl zu sorgen. Ein Rückblick auf die anfängliche Bestimmung des Bürgers im ersten Kapitel macht nun die Frage unausweichlich, ob Aristoteles seine hoch angesetzten Qualitätsanforderungen tatsächlich für alle Bürger gelten lassen will, also auch für die Inhaber von „unbestimmten“ Ämtern wie den Rat oder die Gerichtsbarkeit. Wenn am Schluß der politês durch den politikos kai kyrios ersetzt wird (1278b3–5; vgl. 1277b4), so erweckt das den Eindruck, als habe Aristoteles sich von seinem anfänglichen Minimalbegriff des Bürgers im Lauf der Diskussion entfernt. Es könnte ihm schlicht entgangen sein, daß nicht alle aktiven Bürger, auf die seine ursprüngliche Bestimmung sich doch bezieht, eine wirkliche Leitungsfunktion haben. Für eine solche Konzentration auf den Staatsmann anstelle des Bürgers spricht auch die Hervorhebung des „höchsten Amtes“ im anschließenden 6. Kapitel (1278b8–11). Bevor man solche Schlüsse zieht, sollte man sich freilich daran erinnern, daß Aristoteles von Anfang an den Rat und die Gerichtsbarkeit als wichtigste Ämter und ihre Inhaber als kyriôtatoi bezeichnet hat (1275a28). Ein wahrer Richter oder ein gutes Ratsmitglied muß folglich in seinen Augen staatsmännische Fähigkeiten besitzen, selbst wenn er sich die Ausübung mit anderen teilt. Daß Aristoteles trotz seiner Konzentration auf diesen „Bürger im eigentlichen Sinn“ immer wieder ausführlich auf die tatsächlichen Regelungen eingeht, die von seinen eigenen Prinzipien so weit abweichen, scheint seinen Grund darin zu haben, daß er im dritten Buch nicht darauf aus ist, den in seinem eigenen Sinne besten Staat zu entwerfen. Diese Aufgabe ist
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den beiden letzten Büchern der Politikschrift vorbehalten. Vielmehr ist ihm daran gelegen, Funktion und Fähigkeit des guten Bürgers als solchen in einer Weise zu bestimmen, die im Prinzip mit allen Verfassungen vereinbar ist, solange diese nicht zu den entarteten Verfassungen gehören. Daß und warum der „gute politês“ und dessen besondere Tauglichkeit gemeinhin nicht zum Zuge kommen, erklären daher die vielen Verweise auf die tatsächlichen Verhältnisse: Gegenüber den traditionellen Kriterien, wie dem der Abstammung, ist die Befähigung nur selten – etwa in einer echten Aristokratie – das ausschlaggebende Kriterium für die Auswahl von Politikern. Die Befähigung ist zwar nicht das Privileg einer bestimmten Klasse, ihre Vorbedingungen setzen aber enge soziale Grenzen, weil die phronêsis auf einer besonderen Bildung (paideia) und Erfahrung (empeiria) beruht,17 die ihrerseits die nötige Muße (scholê) erfordern. Und diese Tatsache erklärt, warum Aristoteles sie den Arbeitern schlechtweg abspricht. Obwohl er davon ausgeht, daß alle Menschen in politischen Gemeinschaften leben, weil sie die Grundvoraussetzungen eines zôon politikon erfüllen, sind doch manche mehr zur aktiven politischen Beteiligung geeignet als andere (1278b18). So erklärt sich Aristoteles’ – auf moderne Demokraten so anstößig wirkende – Bevorzugung einer zum Weitblick und zum entsprechenden Handeln geeigneten Elite.
Literatur Frede, D. 1998: Der Übermensch in der politischen Philosophie des Aristoteles: Zum Verhältnis von bios theoretikos und bios praktikos. Internationale Zeitschrift für Philosophie 2, 259–284 Höffe, O.21999: Aristoteles. München Irwin, T. 1990: The good of political activity. In: Patzig 1990, 73–100 Mulgan, R. 1977: Aristotle’s political theory, Oxford. Newman, W. L. 1887–1902: The Politics of Aristotle, introd., two prefatory essays and notes critical and explanatory. 4 Bde. Oxford Patzig, G. 1990: (Hrsg.). Aristoteles’ Politik. Akten des XI. Symposium Aristotelicum. Göttingen Schütrumpf, E. 1991: Aristoteles Politik, Buch II/III, übers. und erl., Berlin Seel, G. 1990: Die Rechtfertigung von Herrschaft in der Politik des Aristoteles. In: Patzig 1990, 32–62 Molho, A. et al. (Hrsg.) 1991: City states in classical antiquity and medieval Italy: Athens and Rome, Florence and Venice, Stuttgart
17 Zur empeiria vgl. EN VI 8, 1142a11–16; 12, 1143b11–14. Zur paideia vgl. Pol III 13, 1283a23–42. Zur scholê vgl. II 11, 1273a31–b1. Der Aristotelische Bildungsplan in den letzten beiden Büchern behandelt allerdings den Aspekt der aktiven politischen Betätigung nur ansatzweise.
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6. Constitutions and Purpose of the State (III 6–9)
6.1 Summary of III 6–9 This section of Book Three introduces a number of major themes which are important to the rest of the work, particularly the basis for distinguishing between the various forms of government and the principles on which one form is to be judged better than another. It thus lays the conceptual basis for the discussion of different types of government in Books IV–VI as well as for the construction of the ideal state in Books VII–VIII. In Chapter Six, Aristotle defines the form of government or “constitution” (politeia) in institutional terms as “an arrangement of magistracies in a state, especially the supreme over all” (1278b7–10) and then identifies the proper purpose of the state as the pursuit of the common interest. The common interest provides the basis of a distinction between “correct” constitutions which pursue the common interest, and “perverted” constitutions which seek only the interest of the rulers. Chapter Seven adds a quantitative criterion, distinguishing between constitutions according to whether the supreme body is in the hands of one man, a minority (“the few”) or a majority (“the many”). Combined with the earlier criterion, this provides a sixfold classification: three “correct” constitutions: kingship (one man ruling in the common interest), aristocracy (a few ruling in the common interest) and “polity” – politeia or the generic term “constitution” used for a particular species of constitution in the absence of an accepted Greek term – (the many ruling in the common interest); and three “perverted” constitutions: tyranny (one man ruling in his own interest), oligarchy (a few ruling in their own interest) and democracy (the many ruling
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their own interest). In Chapter Eight, Aristotle further elaborates the characterisation of oligarchy and democracy in terms of both the social group that holds power (the wealthy in the case of oligarchy and the poor in the case of democracy) and the particular goal sought by that group (wealth by oligarchs and freedom by democrats). The social criterion is said to constitute the essential difference between the two types, rendering the numerical criterion accidental: it is only because the poor are usually in a majority and the wealthy usually in a minority that democracy and oligarchy are thought of as the rule of the many and the few respectively. Chapter Nine continues the discussion of the purpose of the state begun in Chapter Six, in the context of analysing competing claims about justice, the topic of the next group of chapters. The state exists for the sake of the good life which makes virtue a more just criterion for distributing political office than the oligarchic and democratic principles of wealth and freedom.
6.2 Classification of Constitutions As might be inferred from his path-breaking work in biology, Aristotle sees classification as the key to understanding complex phenomena. When he turns to politics, he naturally pays considerable attention to the question of how to classify different systems of government. Though other Greek thinkers had discussed the various systems of government and their distinguishing features, no-one had pursued the question with such thoroughness or subtlety. The present chapters, it should be noted, are only an introduction to this topic and need to be supplemented by careful reading of later sections, particularly the first four chapters of Book IV. None the less, some of the main themes of Aristotle’s approach to classification are evident. The first is the emphasis on values. Though the constitution might seem primarily an institutional concept, and is, indeed, defined in such terms at the beginning of this section (‘the arrangement of magistracies in a state, especially of the supreme over all’ (1278b9–10)), the values and principles that animate the institutions of government are also important means of distinguishing the essence of constitutions. Aristotle’s later, fuller definition of “constitution” makes this point explicitly: A constitution is the arrangement of offices in a state and determines what is to be the supreme body in the constitution and what is the end of each community (1289a 15–18) The prime distinction concerns the purposes pursued by those whom the constitution empowers, whether they rule in the common interest of
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all or in their own self interest. In terms of this distinction, those constitutions that are ruled in the common interest are not only “correct” (in contrast to “perverted” constitutions) but also logically “prior” to the perverted constitutions (1275a38 – b2). Perverted constitutions are thus in some sense less truly constitutions than the correct constitutions. This is a common feature of Aristotle’s teleological world-view whereby the essence of any species is most apparent in its best and most fully developed instances. Given that the proper aim of government is the common interest of the citizens, the constitution which achieves this purpose will be the true form of constitution while others will be deficient as constitutions. This insistence that constitutions be defined and classified in terms of their best instances leads Aristotle later to rule out an alternative scheme of classification by which constitutions were analysed in terms of two polar opposites, oligarchy and democracy. Such an analysis would fit well with Greek political experience of the classical period, in which oligarchies and democracies were the two dominant types of constitution and the cause of the major ideological divide, as evidenced on the Peloponnesian War between Athens and Sparta. Indeed, as early as III 8, Aristotle treats oligarchy and democracy as a contrasting pair of opposites (1279b17–19) in relation to the wealth and poverty of their ruling groups. A scheme based on oligarchy and democracy would also accord with Aristotle’s later analysis of the “polity” as a mixture of, or mean between, oligarchy and democracy. However, such a scheme involves defining two bad, self-interested constitutions as the leading types in terms of which all other constitutions are defined, an approach which is philosophically objectionable to Aristotle because leading types should be good not bad (Mulgan 1991, 311–12). “The better and more exact way is to distinguish as we have done the one or two which are well formed and the others as perversions” (1290a 24–26). Thus, for Aristotle, analysis and evaluative judgment are always intertwined, particularly in Book III which is the pivotal book of the Politics. Identifying the best form of constitution and elucidating different types of existing constitution are part of the same theoretical enterprise. The emphasis on values in constitutional analysis is found not only in the question of identifying the correct or best constitution but also in Aristotle’s account of all constitutions, perverted as well as correct. The key to understanding each constitution is its dominant principle. This principle involves the end or value at which the constitution aims. Thus the principle of aristocracy is virtue, meaning that aristocratic states aim at virtue. Similarly, oligarchies aim at wealth and democracies at freedom. The dominant principle also provides a standard by which political offices are
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distributed. Thus, aristocracies allocate political authority to the virtuous, while oligarchies and democracies allocate to the wealthy and free respectively. These principles are also manifested in the differing conceptions of justice adopted by the adherents of each constitution. Thus it is the oligarchs’ emphasis on wealth, which is unequally distributed, which leads them to support inequality in the distribution of power. Conversely, the democrat’s commitment to freedom, which all free men share equally, makes them endorse equality as a distributive principle (1280a22–25). From these values flow all the institutional differences between the constitutions, including the differences in numerical size of their citizen bodies referred to in the initial sixfold classification and the whole range of detailed differences in the various elements of government described in Book IV, 14–16. Moreover, disputes over these values lie at the root of the political conflict analysed in Books V–VI. Another feature of Aristotle’s approach to the classification of constitutions is its flexibility. Though he is keen to maintain the integrity of his original classification, he does not do so slavishly or without adjustment to political experience. One notable instance of this flexibility is his treatment of the ‘polity’, the good form of rule by the many. According to the assumptions behind the distinction between correct and perverted constitutions, a correct constitution is ruled in the common interest. Such a type of rule depends on having men of virtue as rulers, yet Aristotle expresses immediate scepticism about whether a majority of citizens can ever be fully virtuous. The most that can be hoped for in a majority is the military virtue of those who possess arms (i.e. those with enough property to purchase the arms carried by the Greek hoplite or infantry soldier, 1279a39–b4). Thus, while either an individual or a small group of virtuous men could be found to provide a correct kingship or aristocracy, doubts are raised about whether a polity could ever provide the same level of virtuous leadership and therefore about whether the sixfold classification of constitutions outlined in III 7 can, in fact, deliver three forms of equally good or “correct” rule. Such doubts are later confirmed at the beginning of Book IV, when Aristotle clearly identifies the best constitution with kingship and aristocracy as the two forms of government ‘based on virtue provided with external means’ (1289a32–33). Polity becomes the second-best constitution, which is more attainable than the ideal state (1295a25–31). Polity is still included as one of the correct forms in contrast to the perverted forms, but it is clearly less correct than kingship and aristocracy (see also 1290a24–26; 1293b22–25). There are other aspects of Aristotle’s constitutional classification as outlined in III 7–8 that do not clearly foreshadow the more fully developed
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approach of Books IV–VI and which may even be seen to contradict later versions. One involves the polity again, this time in its classification as the correct form of democracy and as a form of rule of the many or of the majority. In Book IV, polity is defined as a mixture or mean between oligarchy and democracy (1293b33–34) which would suggest that it is no closer to rule of the many (democracy) than to rule of the few (oligarchy). Admittedly, Aristotle begins his account of the polity in Book IV by saying that the term is usually applied to constitutions that incline more to democracy while those inclining more to oligarchy are described as “aristocracies” (1293b34–38). A democratic tendency in the polity’s mixture would then help to preserve its categorization as the good form of democracy. However, Aristotle subsequently says that a polity must be equally describable as either an oligarchy or as a democracy (1294b14–16; 34–36) which implicitly denies any inclination to democracy rather than oligarchy. Moreover, Aristotle’s whole later account of the polity, both in its institutional structure and its justification, depends on its being placed midway between the two contrasting poles of oligarchy and democracy. In this respect his more comprehensive account of the polity cuts across the typology of Book III. More generally, the Book III classification does not fully prepare us for the complexity of constitutional categories developed in later books, not only for the elaboration of sub-types for each constitution but also for the importance of mixture, whereby different actual constitutions as well as constitutional types may share in the characteristics of more than one more general type. Aristotle’s classification of constitutions, as fully developed, operates as a theory of “ideal types”, to adopt the terminology of modern social science. In this usage, an “ideal type” is ideal not in the evaluative sense of being the best but in the logical sense of being an abstract construct or theoretical model which is used to illustrate features of particular cases without being fully instantiated by any actual case. A particular constitution will typically involve aspects of more than one type or sub-type and need not be fitted neatly into any one type or sub-type. We may contrast this method of classification using abstract models with the more concrete approach of the traditional natural sciences where genera and species are clearly distinguished and each individual case is assumed to belong unequivocally to a fixed species. Traces of this biological approach can still be found in III 8 when Aristotle explores the question whether the level of property (wealth or poverty) or the size of the supreme body (few or many) marks the essential difference between oligarchy and democracy. He begins by assuming that both criteria are essential, that oligarchy is where the wealthy rule, being
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few, and democracy is where the poor rule, being many. However, this categorisation does not account for the (admittedly untypical) cases where the wealthy are many or the poor few. If both criteria were essential, these untypical cases would not fit clearly into either category. The solution is to make only one criterion essential and the other incidental. In this way, any constitution can be clearly categorised as one or the other and no constitution falls awkwardly in-between. Aristotle seems at this point unwilling to concede that any instance of a constitution should not be placed clearly and unequivocally in one or other constitutional type. Because the property criterion is more closely linked to the values of each constitution, he chooses to make the property criterion essential and numerical size accidental, thus classing rule of a rich majority as oligarchy and of a poor minority as democracy. By Book IV, however, the assumption of unequivocal categorisation has been abandoned in favour of the abstract model approach which allows instances to exhibit characteristics from a number of logically exclusive types. The logical pressure to constrict the number of essential criteria for each type is removed and Aristotle defines oligarchy as the rule of both the wealthy and the few and democracy as the rule of both the poor and the majority (1290b17–20). This latter solution, though subject to criticism (e.g. Newman 1887–1902: III 197; IV 158), is, in fact, more satisfactory because it provides a fuller and more realistic account of each constitution. To make the numerical criterion purely accidental and not part of the essential characteristics of oligarchy and democracy would lead to considerable logical difficulties for Aristotle’s analyses of these constitutions, particularly in the case of democracy. If freedom is to be the defining principle of democracy, then democracy must lead to majority rule. For instance, freedom, as a standard for distributing office, requires that everyone be treated equally on account of their equal status as free men which, in turn, means that the majority must prevail over the minority. The democrat’s concern with equality in justice, as analysed in III 9 and subsequent chapters, only makes sense if democracy is seen as the constitution in which everyone counts for one and no one for more than one, thus leading to majority rule (see also 1291b31–38; 1317b1–6). At the same time, the property criterion must also remain essential to Aristotle’s analysis of democracy because much of the behaviour typical of democracies derives from the poverty of the dominant group. It is this characteristic which explains such democratic constitutional features as payment for political office (e.g. 1317b35–38) and democratic policies such as redistribution of property (1320a29–32). At one point, Aristotle is prepared to contemplate
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the possibility of a better type of democracy in which its principles of equality are applied to the advantage of everyone, rich and poor alike (1291b31–38). Such a democracy, however, would contradict his classification of democracy as a type of constitution in which one section of the community rules in its own interests. For the most part, particularly in its more extreme versions, democracies are dominated by the poor and ruled in the interests of the poor. Aristotle’s assumption in III 8, therefore, that only one of the criteria of property and number can be essential to the definition of oligarchy and democracy is seen to be too restrictive and is eventually abandoned in favour of more complete models of each type. The key to this abandonment lies in a changed view of the logical status of constitutional classifications, from a set of clear categories into one of which each particular constitution must fit clearly and unequivocally, to a set of abstract types which individual constitutions may approximate to a greater or lesser extent, often incorporating features from more than one type. Though the account in Book III may be said to introduce the main principles of Aristotle’s classification of constitutions, in this respect, at least, it is superseded by what follows.
6.3 The purpose of the state Aristotle’s discussion of the purpose or telos of the state in this section arises in the context of demonstrating the weaknesses in both oligarchic and democratic conceptions of justice and defining the proper principles on which a good constitution should be based. The principle of justice by which offices are distributed in any constitution is derived from that constitution’s purpose. In order to arrive at correct principles of distributive justice one must therefore define the purpose of the best or correct state. The discussion comes in two parts. The first (III 6, 1278b17–19) is a somewhat cryptic paragraph worth quoting in full: “We have already said, in the first part of this treatise, when discussing household management and the rule of a master that the human being is a political animal. And therefore people, even when they do not require one another’s help, desire to live together; not but what their common interest also draws them together in so far as they each attain to a measure of wellbeing. This is especially the end, both for all in common and individually. And people meet together and maintain the political community also for the sake of mere life (in which there is possibly some fine element so long as the evils of existence do not greatly overbalance the good). And we all
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see that people cling to life even at the cost of enduring great misfortune, seeming to find in life a natural sweetness and happiness.” The second, longer part is in Chapter Nine, the bulk of which (1280a31–1281a3) is taken up with an argument that the state is more than an alliance for mutual protection but exists for the sake of the good life, a conclusion that is then used to demonstrate that those who contribute most to the good life, i.e. the virtuous, have the strongest claim to participation in government. The final part of this argument runs: “The end of the state is the good life and these are the means towards it. And the state is the union of house and villages in a perfect and self-sufficient life, by which we mean a happy and fine life. Our conclusion, then, is that political society exists for the sake of fine actions and not of living together”. (1280b39–1281a3) The initial reference back to the political animal argument of Book I makes clear that these arguments are to be read in conjunction with the arguments of I 2 in which Aristotle argues that the state (polis) is natural and that humans are naturally “political”. Specific points repeated from I 2 include: the composition of the state from households and villages in a selfsufficient life (I 2, 1252b27–29; III 9, 1280b40–1281a1); the origin of the state in the need for life with its ultimate purpose being in the good life (I 2, 1252b29; III 6, 1278b23–25, III 9, 1280a31–32); the capacity for the good life being unique to human beings in comparison with other animals (I 2, 1253a15–18; III 9, 1280a32–34). Aristotle assumes that the good life of the state involves the good life of its individual members. That is, the state is living well if its citizens are living well (the good life is “especially the end, both for all in common and individually” (1278b23–24; cf. 1264b15–24)). In these chapters “the good life”, literally “living well”, which Aristotle identifies as the goal of the state, is linked with “happiness” (eudaimonia; 1280a33; 1281a2), “virtue” (1280ab5–7), a “complete and self-sufficient life” (1280b34–35; 1280a 1) and “fine” (kala) actions (1281a2–3). However, such terms tell us little of what type of life Aristotle has in mind for individuals and we need to turn elsewhere, particularly to the ethical treatises for a full account of the good life or happiness. To summarise (and to ignore some considerable interpretative controversies), Aristotle understands the good life or the happiness of the individual to involve a life of virtuous activity supported by a modicum of external goods. There are two kinds of virtue, intellectual and ethical, both of which are necessary for happiness. Intellectual virtues culminate in philosophical contemplation, which is the most godlike of human activities while ethical virtues cover social life with other people and include
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virtues such as justice, courage, temperance, generosity, magnanimity, truthfulness and so on. External goods are matters such as health, property, family and friends without which virtuous life is either impossible or unbearable. The proper purpose of the state is therefore achieved if this type of life is being lived by its members. (Strictly speaking, only some of the inhabitants of a state are capable of living such a life, i.e. those who are free, male and propertied, and only they are counted by Aristotle as full members (1277b34–1278a12). The remainder are capable of some degree of virtue but it falls short of full virtue or happiness (1260a14–24).) In this section, Aristotle develops his theory that the purpose of the state is the good life in rebuttal of more limited views of the state’s purpose. In the course of his arguments, he denies the following four propositions: (i) that individuals choose to live together only for the sake receiving mutual assistance (1278b20–21). According to this view, people would value associating together simply as means to their own individual survival. However, people desire to live together even when they do not need assistance from each other. (ii) that the state exists merely to serve the purposes of “life” or “living” (1280a31–32). Living is evidently to be equated with physical existence, a characteristic shared with other animals (1280a33). The state may originate in the need to provide the means necessary for human survival, such as food and shelter, but this is not a sufficient goal for human beings. (iii) that the state exists simply to prevent mutual wrong-doing or for the purposes of trade and commerce. Such a view mistakenly treats the state like an alliance between separate states and ignores the common government necessary for a single state and the concern for the moral character of citizens displayed by such government. (iv) that living together is the goal of the state (1281a4). Though living together may be desired by human beings for its own sake and contributes to the purpose of the state (1280b40), it is not the same as that purpose, i.e. living well. These rejected views are commonly linked together as if they were identical but they are in fact significantly different. The first involves the notion that the state is valued purely instrumentally, as a means to an end, rather than for its own sake. The second and fourth, on the other hand, refer to limited conceptions of the state’s role in contrast to the larger and truer purpose of providing the good life. They differ slightly, however, in the description of this limited role which in one case is referred to simply as “living” and in the other as “living together”. The third view is more complex. It is introduced as an instrumental conception of the state by which the state is valued as a means to an individual end, namely the secu-
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ring of protection provided by legal institutions and the enforcement of justice between individuals (“to avoid being wronged by anyone” (1280a34–35)). This is commonly taken as a reference to the type of contractarian argument put by Plato into the mouth of Glaucon in the Republic (358e-359a) and connected here with the sophist Lycophron (1280b10–11). But Aristotle also immediately links it to a limited conception of the state’s role, which sees the state as an alliance restricted to the provision of trade and commerce similar to the alliances between two independent states. His subsequent criticisms (1280a36–1280b29) are directed at the assumption of limits to the state’s role, on the grounds that an alliance implies the absence of a common legal system and a lack of concern for the moral character of the citizens. The instrumental theory of the state, that it exists to serve the individual interests of its members, is thus presented in two versions, one which refers to the more limited needs of material assistance and the other to the more socially advanced need for legal protection against injustice. To rebut the former, Aristotle refers to the natural human desire for “living together”, that is to a natural social instinct implied by the “political animal” doctrine (e.g. 1253a29). Here, he confines the social instinct to a more limited aspect of the state, i.e. to living rather than good living. He appears confident that people will choose to live together in the simpler forms of association, such as households, that provide for material existence of life. But he does not claim that people will be spontaneously drawn to the good life of the city. True, the common interest “draws people together in so far as it contributes to each person’s good life” (1278b21–23). But this common interest is not immediately known; it depends instead on an acquired appreciation of the correct values (Miller 1995, 131–38). The limited nature of the human desire for society is reinforced in Chapter Nine when Aristotle talks of the origin of the city in cohabitation and intermarriage. Hence the origin of family connections, brotherhoods, common sacrifices, communal gatherings (literally: gatherings of living together). These are the work of friendship for friendship is choosing to live together (1280b36–39). The reference to friendship is significant. Friendship is a feature of human life to which Aristotle devotes considerable attention in the ethical treatises. Its highest form is found in the close, intimate relations of virtuous individuals who can spend considerable time “living together” (e.g. EN 1156b5, 20; 1157b6–9; 1166a5–6). Aristotle clearly believes that humans have a need and natural desire for friendships of the sort that develop
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between close friends and family “living together” and thus confidently refutes an instrumental analysis of “living together”. Humans do not live with family and friends merely for the sake of individual assistance but because they value these relationships for their own sake. The attitude towards the larger political community, however, is significantly different. In the ethical treatises, the more distant relationships of business associates or fellow citizens, though classed as friendships, are of an inferior, instrumental kind precisely because they are more distant (e.g. EN 1157a11–13; 1170b29 – 1171a20). Fellow citizens may share common views about the constitution and political direction of their state, but these shared views (what Aristotle calls “unanimity” (EN 1154b21–26, 1167a21–b 15)) do not necessarily grow out of any feelings of mutual sympathy or goodwill similar to those that exist within families or groups of close friends (pace Cooper 1990; see Miller 1995, 208–9; Mulgan 2000). That is, Aristotle believes that human beings will voluntarily choose the company of family and friends but other reasons will be needed to convince them of the value of the collective life of the state and its institutions. Thus, when attempting to rebut the second instrumental view of the state, where the state is seen as a system of justice and legal protection entered into for mutual individual advantage, Aristotle does not rely on any assumption that people will voluntarily prefer it for its own sake. Instead, he takes another tack altogether, arguing that the contractarian analysis of the state implies a mistakenly limited conception of the state and its role. As already noted, he begins his treatment of the contractarian theory by linking it with the analogy of the state with an alliance between cities. He then claims that the contract state treats fellow citizens as if they were members of different cities who had entered into an alliance for mutual protection. This view is then refuted on the ground that such a state would have no common government and would deal only with the prevention of acts of injustice between its members without being concerned for the moral characters of its members. But there are no magistracies common to the contracting parties; different states have each their own magistracies. Nor does one state take care that the citizens of the other are such as they ought to be, nor see that those who come under the terms of the treaty is not unjust nor has any wickedness but only that they do not do injustice to one another (1180a 40–b5). The argument that an alliance between independent states must always lack the single authority typical of a state is certainly sound. However, whether the contractarian view of the state necessarily implies looking at
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the state as such an alliance is open to question. The theory attempts to justify the imposition of a common system of justice whereby individuals accept the authority of a single legal system for the sake of self-protection. There is no suggestion, at least in the Greek version of the theory, that individuals necessarily retain any authority themselves. Thus the identification of the contract state with a literal alliance in which there are no common magistracies and partners retain their independent authority does not find support from the proponents of the theory. Aristotle’s argument that the contract state is not a state, in so far as the argument depends on the assumption that the contracting partners do not accept a common political authority, is mistaken as an account of the contractarians’ theory. However, his argument need not depend on the contractarians’ own acceptance of the alliance analogy. He may be claiming that the contract state, because it confines its intended rationale of the state to the individual citizens’ need for mutual self-protection, therefore amounts to an alliance. Concern for self-protection, he argues, restricts the scope of the state to the prevention of acts of injustice between individuals and neglects the further concern for the moral character of citizens which is normally expected of a state. Therefore such a state is not a state but an alliance which falls short of a state. Aristotle certainly appears to have held this position. But, it should be noted, he does not frame the argument in this form. He asserts the alliance analogy and from this derives the failure of the contract theory as a theory of the state. He does not explicitly argue that limiting the state to self-protection converts the state into an alliance and therefore disqualifies it as a state. Instead, he says that limiting the state to self protection is typical of alliances and that alliances are not states. The equation of the contract state with an alliance, on which the argument depends, is simply asserted and not independently justified. The difficulty is that to argue that the contract state fails as a state and is therefore an alliance would require Aristotle to depend on his own theory of the state, i.e. that it aims at the good life and is therefore concerned with the moral characters of its citizens. Instead, he is trying – unsuccessfully, it appears – to argue in the other direction, to derive his own theory of the state from the inadequacy of the contract view, an argument that requires the unproven assumption of the analogy between the contact state and an alliance. Aristotle’s disagreement with contract theory, though failing as a proof of his own theory of the state’s purpose, is not without interest. It is the only historical occasion where the Greek contract theory of the state is clearly linked with a limited or liberal view of the state. Elsewhere, as for
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instance in Plato’s Republic, the theory is seen as providing an account of the origins of the state and of the motives for obedience to its institutions grounded in individual self-interest. There is no suggestion that the state’s role is thereby limited and Plato does not criticise it on these grounds. As is evident from the modern versions of Hobbes (and also Rousseau), a contract theory can accommodate a powerful, unlimited state as well as the limited state of Locke. For Aristotle, however, the confinement to mutual protection omits the prime purpose of the state which is the formation of individual moral character. In this respect, he may point to a liberal assumption that underlies all contract theory regardless of whether such theory seeks to impose limits to state action. All contract theory is based on individual self-interest and takes individual preferences as given and in no need of alteration. Even when the power of the sovereign is largely unlimited, as in Hobbes, it is so constituted to meet the prior preferences of its citizens. For Aristotle, however, individual preferences may be undeveloped or corrupted and it is the role of the state and its rulers to form or reform the moral dispositions of its citizens rather than to accept them as given. Hence, in part, his fundamental disagreement with a theory of the state which is based solely on conscious self-interest. Preferences may take us so far, to the human need for households, friends and material comfort. But they do not lead us to the fully developed state. Aristotle’s justification of the purpose of the state must rely on other grounds that are largely taken for granted in the section under discussion (Irwin 1988, 433). It depends primarily on his view of human good which is in turn underpinned by his view of humans’ natural function (ergon) or purpose (telos; 1253a9–18; EN I 7). The good life or happiness requires the state for two main reasons. First, only the state, i.e. a Greek polis, provides the civilised society which is essential to the life of ethical virtue as Aristotle understands it. A number of the ethical virtues, for instance courage, justice and magnanimity, cannot be fully exercised except in a polissized community. Philosophy, too, is a feature only of civilised societies. Second, only the state, understood as the supreme legal association enforcing collective principles of justice, has the capacity to enforce the appropriate education and laws necessary to develop virtue in all who are capable of attaining it (1252a30–37; EN 1179b31–1180a5). These two reasons are logically distinct and depend on different senses of the “state” or polis. The view that the state is essential to the practice of the good life assumes an “inclusive” sense of the state, understanding it to include all the social groups and activities that are included within the boundaries of a particular state. On the other hand, the view that the state is necessary to enforce the
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good life implies an “exclusive” sense of the state, referring to the specifically coercive institutions associated with the state in contrast to other parts of society (Mulgan 1977, 16–17). Much of Aristotle’s theory of the role of the state is in fact concerned with the inclusive state, with the human need for the good life of the polis. Modern theories of the state, on the other hand, particularly those in the liberal tradition of political theory, associate the theory of the state more with the justification of the exclusive state. With respect to the role of the wider, inclusive state, we might agree with Aristotle, after making necessary historical adjustments, that a civilised state is essential for the good life. However, modern liberals might question the extensive role he advocates for the exclusive state (Miller 1995, 357–66). Certainly, the activities of the specifically coercive institutions of the state should be directed towards the needs of the inclusive state, i.e. to society as a whole and the good of its individual members. To that extent liberals would endorse the moral purpose Aristotle attributes to the state. But, they would disagree on how this moral purpose is best to be achieved by the state. They would question whether the state should set out to enforce a certain view of morality through a national system of education and laws that “cover the whole of life” (EN 1180a4). They might also disagree with his assertion against the contractarians, analysed above, that a state geared towards mutual protection from injustice without concern for the moral character of its citizens is not really a state. These issues raise deep and contested questions about moral and political philosophy that are well beyond the scope of this chapter. But that they arise in the context of Aristotle’s theory of the role of the state confirms the continuing relevance and interest of that theory.
References Cooper, J. M. 1990: Political animals and civic friendship, in: G. Patzig (ed): Aristoteles’ Politik, Göttingen, 221–242 Irwin, T. 1988: Aristotle’s first principles, Oxford Miller, F. D. 1995: Nature, justice and rights in Aristotle’s Politics, Oxford Mulgan, R. G. 1977: Aristotle’s political theory, Oxford Mulgan, R. G. 1991: Aristotle’s analysis of oligarchy and democracy, in: D. Keyt/F. D. Miller (eds): A companion to Aristotle’s Politics, Oxford, 307–22 Mulgan, R. G. 2000: The role of friendship in Aristotel’s political theory, in: Critical Review of International Social and Political Philosophy 2, 15–32 Newman, W. L. 1887–1902: The Politics of Aristotle, Oxford Schütrumpf, E. 1976: Probleme der Aristotelischen Verfassungstheorie in Politik G, Hermes 104, 308–331 Schütrumpf, E. 1991: Aristoteles, Politik Buch II und III, Einleitung, Übersetzung und Kommentar, Darmstadt
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7. Sovereignty and Political Rights (III 10–13)
Book III has a central place in Aristotle’s Politics. It encapsulates his main argument, proceeding from his analysis of citizenship (III 1–5, discussed in chapter 5 above) to his classification of different constitutions and his treatment of the ultimate end of the city-state (III 6–9, discussed in chapter 6). III 9 is a pivotal chapter, turning from the teleological account of the citystate to an investigation of how the city-state should be ruled. This is reasonable, since Aristotle regards a constitution as “an ordering of city-states concerning the manner in which offices are distributed, what the authority is, and what the end is of each community” (IV 1, 1289a15–18). The crucial section III 10–13 turns to the issue of sovereignty: what political rights should belong to which members of the political community? The fundamental importance of this issue is clear from Aristotle’s political naturalism, according to which the city-state exists by nature (I 2, 1252b30–1253a1) and human beings are by nature political animals (1253a1–18). The city-state is a natural entity because it is rooted in natural human propensities for communal existence, and it is necessary for the perfection or completion of human nature (1253a29–39). The city-state is, however, a complex entity composed of diverse individuals, and it is, as such, subject to Aristotle’s principle of rulership, i.e. that the existence and well-being of any natural system requires the presence of a ruling element: “whenever a thing is established out of a number of things and becomes a single common thing, there always appears in it a ruler and ruled. . . . This [relation] is present in living things, but it derives from all of nature” (I 5, 1254a28–32). But such a system will be in a natural condition only if it has the appropriate ruling element. For example, in an animal the soul is the
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natural ruler, and the body is the natural subject. If these roles are reversed, the creature is in a sick, unnatural, and bad condition. Similarly the human soul is in a natural condition only if reason rules over the appetites, a condition described as “political or kingly rule.” (1254a36–b9) By analogy the city-state can be in a natural condition only if its members stand in the proper relationship of ruler to ruled. Hence, the correct constitution must assign sovereignty to those members of the city-state who qualify as “natural rulers.” Aristotle explores these implications in Politics III 10–13.
7.1 The problem of political “rights” The dispute over sovereignty is a controversy over political justice, but it is also a dispute over political rights. In one passage, Aristotle voices a concern over whether a misapplication of justice may lead to “an excess share of political rights” (12, 1282b29). The expression tôn politikôn dikaiôn (genitive plural of to politikon dikaion) has commonly been translated as political rights (e.g. by Barker 1946, Jowett 1984, Robinson 1995, Susemihl and Hicks 1894). German translations include „Staatsrechte“ (Susemihl 1994), „staatliche Gerechtsame“ (Braun 1965), and „politische Rechte“ (Schütrumpf 1991). To dikaion, “the just thing”, and related locutions were frequently used in Greek law, for example when plaintiffs sought to obtain just claims (ta dikaia) from defendants (cf. Miller, forthcoming). In this context, to dikaion has essentially the same sense as ‘the right’ in modern discourse, that is, a claim of justice which a member of a community has against the other members of the community. A theory of justice supports individual rights if it entails that individuals within the community have a moral standing and a claim to protection. Some scholars deny that ancient theorists such as Aristotle had any notion of rights at all. For example, Alasdair MacIntyre (1981, 67) declares, “There is no expression in any ancient or medieval language correctly translated by our expression “a right” until near the close of the Middle Ages: the concept lacks any means of expression in Hebrew, Greek, Latin or Arabic, classical or medieval, before about 1400, let alone in Old English, or in Japanese even as late as the mid-nineteenth century.” Motivating this denial is the suspicion that “rights” are a Trojan horse concealing modern ideals of liberalism and egalitarianism. It also gains credence from the fact that Greek, like other early languages, has no single word corresponding to “right”. But this is not a decisive argument, since, as Bernard Knox (1993) and Bernard Williams (1993) point out in a different context, the German word Schadenfreude cannot be translated into a single
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English word, but the word has a connotation with which the English speaker is all too familiar. They argue that it is implausible to infer from the fact that Homer’s vocabulary lacks precise counterparts to “self’”, “mind”, or “consciousness” that he did not have these ideas. Williams contends that “beneath the terms that mark differences between Homer and ourselves lies a complex net of concepts in terms of which particular actions are explained, and this net was the same for Homer as it is for us” (1993, 34; cf. Knox 1993, 43f.). A similar case can be made that Aristotle had a net of concepts corresponding to our concept of rights. The starting point is the analysis of legal conceptions offered by the modern legal theorist, W. N. Hohfeld (1923). This analysis is especially useful, because it sets forth the logical implications of rights claims without any commitment concerning their philosophical underpinnings. Hohfeld distinguished four senses in which one person X might have a “right” against another person Y: first, X has a right in the sense of a claim to A against Y, in which case Y has a correlative duty to X to do A (e.g., the right to repayment of a debt); second, X has a right in the sense of a liberty or privilege to do A against Y, in which case X has no duty to Y to forbear from A (e.g, the liberty to consume one’s own property); third, X has a right in the sense of an authority or power to A against Y, in which case Y has a correlative liability to X’s doing A (e.g., the authority to arrest someone); and fourth, X has a right in the sense of an immunity against Y’s doing A, in which case X has no liability to Y’s doing A (e.g., immunity against being required to testify against oneself). I have argued (Miller 1995) that Aristotle had at his disposal Greek locutions parallelling Hohfeld’s different senses of “rights”: HOHFELD
ARISTOTLE
just claim
to dikaion
liberty, privilege
exousia
authority, power
kyrios
immunity
akyros, adeia, ateleia
The core of a right is a just claim, corresponding to to dikaion which was mentioned earlier. For example, ta dikaia is used for legal procedural rights at III 1, 1275a7–14. The term exousia in a legal system refers to what is open or permitted to an individual to do. It occurs in Aristotle’s definition of a citizen, as “one who has the exousia to partake in deliberative and judicial office” (III 1, 1275b18–19). The term kyrios signifies authority and power in a political context; for example, under Solon’s constitution the
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people have the authority (kyrios) to elect and audit the magistrates (II 12, 1274a15–18; cf. 10, 1272a5). The sovereign element in the constitution is that which is most authoritative (kyriôtaton, III 1, 1275a28) or has authority over everyone (to kyrion pantôn, VII 3, 1325a35). The term akyros refers to a disability, e.g. when an official, public body, or ordinance lacks authority (Constitution of Athens XLV 3–4; EN VII 9, 1151b15; Rhet. I 15, 1376b11–29). The word adeia denotes an immunity granted to someone, e.g. to buy and sell in the marketplace (EN V 4, 1132b15–16; cf. IV 13, 1297a21–24), and ateleia an exemption e.g. from a tax (Pol. II 9, 1270b1–6). Thus, Aristotle has a complex net of concepts corresponding to the idea of “political rights”. The claim to sovereignty is to be understood as a claim to a complex of political rights associated with offices (magistrates, assemblymen, jurors) specified by a constitution. But this is not in the least to suggest that Aristotle would endorse the philosophical or ideological implications of modern theories of political rights.
7.2 Political justice and the end of the city-state Aristotle’s analysis of the dispute over constitutions is based on his theory of justice. “Everyone grasps a sort of justice, but they progress to a certain point and do not talk about the just qualification. For example, the just is thought to be equal, and it is, but not for everyone but for equal persons. And the unequal is thought to be justice, and it is, but not for everyone but for unequal persons. They omit the ‘for whom’ and judge badly” (III 9, 1280a9–14). For a correct understanding of justice, Aristotle refers us to his own account in Nicomachean Ethics V: The just holds for certain persons, and it consists in persons standing in the same way as things do. Here distributive justice is analyzed as a geometrical proportion in which persons P1 and P2 are related in the same way as things T1 and T2, that is, P 1 T1 —– = —– . P2 T2 A distribution is just if, and only if, the things distributed stand in the same ratio as the persons to whom they are distributed. A just distribution must be based on merit, desert, or worth (axia). If people regard themselves as equal but receive unequal shares, they will feel they are treated unfairly; and likewise if they regard themselves as unequal (i.e. superior) but receive merely equal shares. Complaints and quarrels over unfair treatment are
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common, because, although people tend to agree about the ratio T1/T2 – i.e., about the relative values of the things (e.g. property, honors, political offices) to be distributed – they disagree about the ratio P1/P2 – i.e., the relative merits (axia) of the recipients. This disagreement has ramifications for politics. “Everyone agrees that the just in distribution must be according to merit, but they do not acknowledge the same sort of merit, but democrats say that it is being free, oligarchs wealth or noble birth, and aristocrats virtue” (EN V 3, 1131a25–8. See the illuminating discussion in Keyt 1991.). Democrats and oligarchs alike “judge badly about their own affairs,” failing to see that they are discussing a sort of justice, not justice without qualification. The oligarchs think that if persons are unequal in property or birth they are entirely unequal; and the democrats, if they are equal in being free, they are entirely equal. But they overlook the most authoritative consideration. (Pol. III 9, 1280a16–25) For example, “If they came together and made a community for the sake of possessions, they would share in the city-state in so far as they shared in property, so that the oligarchs’ argument would be thought to be strong. For it is not just if one who has contributed [only] one out of a hundred minas shares equally with the person who contributed all the rest, regardless of whether these were the original sum or the amount that accrued. But the aim is not merely life but rather the good life. For otherwise there would be a city-state composed of slaves or the other animals. But there is in fact no such thing, because these things do not share in happiness or a life of choice.” (1280a25–34) The oligarchic argument, as reconstructed by Aristotle, exhibits a general pattern, which may be called the “contribution argument” schema: 1. Individuals have a just claim to share in the constitution proportionate to their contributions to the end of the city-state. 2. The end of the city-state is X. 3. Therefore, individuals have a just claim to share in the constitution proportionate to their contributions to X. The oligarchs supposedly identify X with the wealth. The city-state is understood as analogous to a profit-making business venture. The democrats presumably identify X with freedom. (Freedom is called the “hypothesis” or assumed end of democracy at VI 2, 1317a40–1.) The major premiss of the argument assumes Aristotle’s general theory of distributive justice, that is: P1 T1 —– = —– . P2 T2 The ratio P1/P2 is here determined by their relative merit or desert, calculated on the basis of their relative contributions to the end of a joint venture.
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The ratio T1/T2 represents their relative shares from this joint venture. Hence, Share of P1 Contribution of P1 ————————–– = ————————–– . Share of P2 Contribution of P2 According to the principle of distributive justice, P1 and P2 each have a just claim or a right to the share defined by this formula. Aristotle illustrates it with a business partnership, where it has clear application: The assets of a business partnership should be divided in proportion to the contributions of the partners. In Aristotle’s example if the business partner who contributed only a mina (worth roughly a pound of silver) laid claim to half of the earnings, the other partner could reasonably object that he has a just claim to 99% of the profits, because he contributed 99% of the capital. (1280a28–31) Aristotle repudiates the oligarchic argument because it falsely assumes that the end of the city-state is the possesion of wealth. Aristotle gives every indication, however, that he regards the contribution argument schema as formally valid. For after he reviews mistaken views about the proper end of the city-state, he concludes: “We must assert that the political community exists not for the sake of living together but for the sake of noble actions. Therefore, those who contribute most to this sort of community have a greater share in the city-state than those who are equal or superior in freedom and birth but unequal in political virtue, or those who are superior in wealth but inferior in virtue.” (1281a2–8) This aristocratic argument also employs the contribution argument schema, but it is sound because it correctly identifies the end of the city-state with political virtue.
7.3 Rival claims to political authority Aristotle poses the problem of sovereignty (to kyrion): should it belong to the multitude, or the rich, or the reputable, or the best persons? Each answer has difficulties. Aristotle sets forth the dispute as if it were a public conversation. [OLIGARCHS] If the poor redistribute the property of the rich because they are the majority, is that not unjust? [DEMOCRATS] By Zeus, it was enacted by the sovereign. [OLIGARCHS] If this is not the ultimate injustice, what is? And, after everything has been confiscated, if the majority redistributes the possessions
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of the minority, this will clearly destroy the city-state. But virtue does not destroy its possessor, and justice is not destructive of the city-state. So it is clear that this law cannot be just. Further, by this reasoning, whatever actions the tyrant performs must all be just. For he uses force because he is stronger, just as the multitude coerces the rich. [DEMOCRATS] But is it just for the few rich to rule? If they do these things and plunder and confiscate the possessions of the poor, is this just? If so, then the other is too. It is evident then; all these acts are offensive and unjust. [ARISTOCRATS] But should the reputable persons rule and be sovereign? [DEMOCRATS] In that case everybody else must be dishonored, because they will not be honored with political offices. (For we call offices honors, and if the same persons always rule, the others must be dishonored.) [MONARCHISTS] But is it better if the most excellent person rules? [DEMOCRATS] But that would be even more oligarchic. For the dishonored persons will be more numerous. It is offensive if the sovereign is generally not law but a human being, because his soul will be afflicted by passions. [MONARCHISTS] What difference will that make regarding the foregoing difficulties, if the law is oligarchic or democratic? The aforementioned issues will result in a similar way.
7.4 Two cheers for democracy Deferring discussion of the other claims, Aristotle turns to the case for popular sovereignty. The “claim that the multitude (plêthos) ought to have authority rather than the few best persons, would seem … to involve some difficulty and perhaps some truth” (11, 1281a40–2). Aristotle’s text here is problematic, but on any account his endorsement of popular rule is guarded. It should be noted that the defense of democracy under consideration presupposes his interim conclusion at 9, 1281a2–8: that the sovereign should have political virtue. The argument involves the purported “wisdom of the multitude”: “The many, although none of them is individually an excellent man, can still, when they have come together, be better than they (i.e. the excellent men). They will be better, not as individuals but all together … For each of the many persons has a portion of virtue and practical wisdom, and after they have come together, just as the multitude becomes like one man
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with who has many feet and many hands and many senses, so also with respect to character and thought” (1281a41–b7). For example, meals contributed by many are better than those prepared from one payment; the many are better judges of works of music and poetry, since different individuals judge different portions, and all of them judge all of it. These illustrations indicate that the label “summation argument” (cf. Braun 1973) is something of a misnomer (see Keyt 1991, 270–6; Waldron 1995). Aristotle’s point is not that if we add up the attributes of many according to some quantitative scale they will exceed those of one or a few excellent persons. Rather the many “come together” to deliberate, and thus complement each other, so that different individuals are able to judge different aspects of complex matters and by pooling their wisdom and arrive at a more comprehensive and informed judgment than even a very wise person. Admittedly, mere summation is implied by another passage, which remarks that the property assessment of all the multitude exceeds that of the high magistrates whether considered as individuals or as a small group (1282a39–41). But the dinner and art critic analogies suggest that his main point is that a multitude acting in concert can display more virtue and wisdom than an excellent individual, even though that individual surpasses any member of the multitude. Aristotle carefully qualifies this argument. He concedes that the argument cannot apply to any chance multitude, for example to a “slavish” one, but remarks that nothing prevents it from being true of a certain kind of multitude (1281b15–21; 1282a15–16). The implication is clearly that the individual members of the multitude must possess virtue and wisdom to some modest extent. Moreover, Aristotle does not endorse democracy in the sense of rule by the poor majority. (Indeed, he does not here use “democracy”, a term which designates a deviant constitution in 7, 1279b8–9). He concludes only that the multitude or people (dêmos) should have a share of political rights. The individuals belonging to the majority lack the virtue and practical wisdom necessary for the greatest offices, which should be reserved for excellent persons. “What remains is for them to share in deliberation and adjudication” (1281b31). Aristotle thus favors a “mixed” constitution of the sort framed by Solon, who gave the many the right to elect and audit magistrates but not be magistrates themselves. The many poor could for example attend the assembly and serve on juries, but not serve as a treasurer or general (1281b32–4, cf. 1282a29–32). Finally, Aristotle maintains that the rule of the people must be conjoined with the rule of law: “it is just for the multitude to have authority over greater matters” must be combined with the doctrine that “the laws
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correctly established ought to have authority, and the ruler, whether one or more persons, ought to have authority over such things as the laws are unable to speak precisely because it is not easy to make universal determinations about everything” (1282b1–6). Similarly, Demosthenes declares, “The laws are strong through you [i.e. the people], and you through the laws.” (Against Meidias 21.224) Aristotle adds, however, that much hinges on whether the laws are “correctly established,” and this in turn depends on whether the city-state has a just constitution. The appeal to “the wisdom of the multitude” faces serious difficulties. Aristotle himself notes that democratic assemblies are often swayed by demagogues who persuade the poor majority to unjustly confiscate the property of the rich (Pol. V 5). In addition to Aristotle’s own reservations, we may mention arguments that public choice does not always reflect the combined intelligence or even the general desires of individual voters. Pressure groups frequently manipulate the outcomes of “collective” decision-making, by means of voting blocks, tactical voting (i.e. voting for an outcome which is not preferred but is more likely to succeed or to frustrate an opponent’s preferred option), log rolling (i.e. vote trading by interest groups), manipulation of agendas, and so forth. Even apart from these contrivances, voting may lead to paradoxical results: e.g. a majority may vote for X over Y and Y over Z and yet the majority does not prefer X to Z. Consider an example, with three voters: where P1 has preferences X > Y and Y > Z, P2 has preferences Y > Z and Z > X, and P3 has preference order Z > X and X > Y. A majority votes for X over Y and for Y over Z, but for Z over X. In such a case the outcome of voting can be manipulated by those who control the agenda. Such problems suggest that “the wisdom of the multitude” is not guaranteed, and that the process of majority rule must be strictly regulated. The American Founders remarked on the perils of democracy without the rule of law: “Had every Athenian citizen been a Socrates; every Athenian assembly would still have been a mob.” (Federalist Paper No. 55)
7.5 Merit or desert as the basis for political rights Aristotle now returns to the problem of political justice. Politics as the sovereign science has the highest good as its end. “The political good is justice, and this is the common advantage” (12, 1282b14–18). Because justice requires that equal persons be treated equally, this presents a difficulty (aporia) – equality in what respect? – which requires “political philosophy.” He describes a gross misapplication of the principle of distributive justice:
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If individuals are similar in all respects but one, those who excel in this respect should receive greater political offices. Aristotle points out that this implies that those who are superior in complexion, height, or the like will have too many political rights. Aristotle’s aforementioned expression, “an excess of political just claims” (pleonexia tis tôn politikôn dikaiôn, 12, 1282b29) looks like an oxymoron, because pleonexia is the opposite of justice (EN V 1, 1129a32–b10). The misapplication of political justice leads to an incoherent conception of political rights. Aristotle introduces and supports his own view by means of an analogy involving flutes. “If flute players are similar in their art, we should not grant an excess of flutes to those who are better born, for they will not play better. But the eminence in instruments should be given to the person who is eminent in the work (of flute playing)” (1282b31–4). He adds that if the superior flute player were inferior in beauty, breeding, or wealth, he should still receive the best flute. For the relevant qualification must “contribute to the work” (to ergon symballesthai, 1283a1). Aristotle also denies that the other traits have commensurable value (as if enough height or beauty could compensate for low skill at flute playing). It would be unfair to distribute the flutes on any other basis that how each player contributes to the work of flute playing. This is an application of Aristotle’s contribution argument, and he argues that political offices should be assigned in an analogous way. In the case of any two citizens C1 and C2 justice requires that Contribution of C1 Office of C1 —————————— = –——————— . Office of C2 Contribution of C2 How do we determine the contribution of a citizen? This is based on the things “out of which the city-state is established. Therefore it is reasonable that those who are well born and free and wealthy claim honor in return, because there must be free persons and tax payers. For the city-state cannot be composed entirely of poor persons, nor of slaves. But if these are necessary, it is clear that justice and political virtue are as well” (1283a14–20). Thus the contribution is measured in terms of good birth, freedom, wealth, and virtue. But virtue has priority. For although the citystate cannot exist without the others, it cannot be well governed without justice and political virtue (1283a20–2). Given that aim of the city-state is the good life, education and virtue have the most just claim in the dispute over the basis for sovereignty (13, 1283a25–6; cf. 9, 1281a4–8). That is, the strongest qualification for political office is virtue, but the other traits also entitle a person to political rights.
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Justice requires that individuals be treated in proportion to their merit, but it is somewhat unclear precisely what Aristotle means by ‘merit’ (axia). Jeremy Waldron asks: “Is merit, like our modern concept of desert, an essentially backward-looking concept, proportioned to the moral quality of a person’s past acts? Is it like the concept of desert that we use, for example, in awarding prizes and honors, and in the retributive apportionment of punishment? Or is merit rather a forward-looking concept for Aristotle, indicating ability in regard to a task to be performed in the future?” (1995, 573) Although he recognizes that Aristotle states that honor is “the prize for the noblest deeds” (EN IV 3, 1123b19–20), he contends that Aristotle’s notion is basically forward-looking, involving fittedness for future contributions, on the strength of the flute analogy. The instruments are distributed to those who will play well in the future, not those who have played well in the past. Some modern moral philosophers agree with Aristotle that desert has a forward-looking dimension. For example, David Schmidtz argues: “We can deserve X in virtue of what we do with X after receiving it. In particular, when we are born with natural or positional advantages, we cannot possibly deserve them in the backward-looking sense that is synonymous with earning. Yet it remains possible to deserve them by doing justice to them – by not wasting the opportunities they represent.” (Schmidtz, forthcoming) That Aristotle’s notion is not exclusively forward-looking, is evident from the aforementioned analogy of the business venture, where the profits are justly based on previous investments by the partners (9, 1280a28–31). The two analogies (distributing flutes and distributing profits) together imply that Aristotle’s notion of axia resembles the two-faced god Janus, who looks to both the past and the future. This is reasonable if we keep in mind that the city-state is a community enduring through time, and that justice is the virtue which makes such a community possible. The argument so far rests on the assumption that the contributions of the different citizens can all be compared to each other according to criteria such as wealth and virtue. But what if the contributions of the citizens are not commensurable?
7.6 Rule of man or rule of law? Aristotle’s political theory evidently implies that if an individual makes a contribution which is incommensurably greater than those of the others, then this individual should be a monarch: “If there is one person who dif-
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fers so much in excess of virtue (or more than one but unable to amount to a city-state) that the virtue and political ability of all the others is not commensurable with theirs (or with his if there is one), then they should no longer be held to be a part of the city-state. For they will be treated unjustly if it is alleged that [they] deserve equal shares, when they are so unequal in virtue and political ability. For such a man is probably like a god among men.” (1284a3–11) Such a ruler would not be subject to legislation but would be a law unto himself (1284a11–14). This argument assumes a condition of natural incommensurability: one person (or small group) is not only superior but incommensurably superior to all the other citizens. Even granted “the wisdom and virtue of the multitude,” the many cannot even in aggregate outweigh the wisdom and virtue of the best person or persons (see Keyt 1991, 274–6). Aristotle emphasizes that the hypothetical best person is incommensurably best not in terms of wealth or popularity but of virtue: “For surely one wouldn’t say that such a person should be expelled and removed; nor that they should rule over such a person. This would be like dividing up offices and claiming that one deserved to rule over Zeus. It remains then, and seems natural, for to gladly obey such a person, so that such persons are perpetual kings in the city-states.” (1284b25–34) But Aristotle also considers an objection against absolute kingship: “some think that it is not even according to nature (kata physin) for one person to have authority over all the citizens, where the city-state is composed of similar persons; for it is necessary that persons similar by nature (physei) have the same just [claim] and the same merit according to nature (kata physin)” (16, 1287a10–14). This argument assumes a condition of natural commensurability among the citizens: that is they are similar in the sense that they are equal or proportionately equal according to some standard of merit. This accords with Aristotle’s view that political justice is found “among persons who are free and either proportionately or arithmetically equal” (EN V 6, 1134a25–8). Where this obtains, it is just for them all to share in ruling, that is to take turns in ruling. “But this is already law. For order is law. Therefore, the rule of law is more choiceworthy than the rule of any individual citizen” (Pol. III 16, 1287a18–20). The rule of law is thus implied by Aristotle’s theory of sovereignty, assuming natural commensurability: “From what has been said, it is clear that among similar and equal persons it is neither advantageous nor just for one person to have authority over all – whether there are laws or there are no laws but he is a law unto himself – not even if he is better in virtue, except in a particular way” (17, 1287b41–1288a5). The exception to which Aristotle here alludes involves the aforementioned condition of natural incommensurability: if there is an
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individual so outstanding that the multitude is naturally incapable of being compared to him (cf. 1287b38; 1288a8–9). It would be unjust to ostracize or execute such a person, or to treat him as a mere citizen among others. “It is not natural (pephyke) for the part to surpass the whole, but this has happened to the person who has such superiority. So it is only left then for such a person to be obeyed for him to have authority not by turns but without qualification” (1288a26–9). Hence, the superior individual has a natural right to rule over the city-state on the condition of natural incommensurability. Aristotle’s theory of political justice is open ended and contextual, committed neither to monarchism nor to popular rule under law. Which constitution is correct depends on facts of the matter, that is, on whether the citizens are by nature commensurable in virtue and practical wisdom.
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8 Eckart Schütrumpf
8. Verfassungen und politische Institutionen (IV 1–16)
In den Eingangskapiteln von Pol. IV entwickelt Aristoteles ein Programm einer staatsphilosophischen Untersuchung. Unter anderem will er erörtern, welche Verfassung bei welcher Bevölkerung den Vorzug verdient, außerdem wie man vorgehen soll, wenn man diese Verfassungen einrichten will, schließlich was jeweils die Formen ihrer Zerstörung und die Methoden ihrer Erhaltung sind (IV 2, 1289b17 ff.). Die beiden letzten Gesichtspunkte sind in den Büchern VI bzw. V behandelt.1 Die Frage, welche Verfassung bei wem den Vorzug verdient, nimmt den größten Teil des Buches IV ein. Sie war in verwandter Form schon in Pol. III aufgeworfen, wenn Aristoteles den Streit der um politische Beteiligung rivalisierenden Gruppen zu lösen versucht. Das Prinzip, nach dem Aristoteles in Pol. III die Entscheidung darüber fällt, welche Gruppe ihren Anspruch auf politische Teilnahme mit größerem oder geringerem Recht vertreten kann, ist distributive Gerechtigkeit. Auf der Grundlage proportionaler Gleichheit stellt sie bei der Zuteilung von politischen Rechten das Verdienst der Gruppen in Rechnung. Die Gruppe, die am stärksten zur Verwirklichung des Zweckes, um dessentwillen der Staat existiert, beiträgt, verdient auch einen größeren Anteil an der politischen Machtausübung (9, 1281a4 f.) – das sind die Guten, die es immer nur in geringer Zahl gibt. Aber auch der Demos erhält eine Chance, an der Macht beteiligt zu werden, jedoch nur dann, wenn er den Guten oder Besitzenden bei dem Vergleich der Ansprüche in deren Qualität überlegen ist: Der Demos, der sich eigentlich bei seinen politischen An1 S. in diesem Band die Beiträge von R. Geiger und H.-J. Gehrke.
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sprüchen auf Freiheit beruft, kann sich mit den Rivalen um die Vorherrschaft im Staat nur in deren Qualität vergleichen; d.h. um die Macht zu verdienen, muß der Demos besser als die Guten oder reicher als die Besitzenden sein (13, 1283a42ff.; vgl. 11, 1281a40 ff.) – er kann dies erfolgreich kraft kumulativer Qualitäten (Kap. 11; 15). Die Zuweisung der Macht an die so Überlegenen ist gerecht (13, 1283b16 ff.). Was mehr konnte Aristoteles in seiner Verfassungstheorie tun? Er hatte ein von Platon in den Nomoi (VI 757a ff.) gefordertes Gleichheitsverständnis, das dem Verdienst und der Eignung von Männern ihre politische Anerkennung sicherte, seiner Verfassungstheorie zugrundegelegt und doch so erweitert, daß – entgegen allgemeinem Verständnis (vgl. Pol. V 1) – auch eine bestimmte Demokratie darin eingeschlossen werden konnte. Die Grenzen des Möglichen scheinen erreicht. In gewisser Weise verrät jedoch Pol. III ein Dilemma, dem Aristoteles mit dem methodischen Vorgehen dieses Buches nicht gerecht werden kann. In Kap. 15 gibt er einen knappen Überblick über die Verfassungsentwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart (1286b8–22): Auf das Königtum folgte eine Verfassung getragen von einer größeren Zahl von Männern, die an aretê gleich waren; deren Regierung wurde von einer Oligarchie abgelöst, die wiederum in eine Tyrannis umschlug. Darauf folgte als das letzte Stadium der Verfassungsentwicklung die Demokratie. Aristoteles fügt hinzu: „Nachdem es jetzt dazu gekommen ist, daß die (freie Bevölkerung der) Staaten angewachsen ist, ist es wohl nicht länger leicht möglich, daß noch eine andere Verfassung als die Demokratie eingerichtet wird.“ Auf der einen Seite gibt es somit Verfassungen, deren Bürger aretê besitzen – sie gehören alle der Vergangenheit an; auf der anderen Seite gibt es die eindeutig entartete Form Demokratie, die aber nach den zeitgenössischen Verhältnissen in den Staaten, das ist das Zahlenverhältnis, das sich als Machtfaktor herausstellt, allein eine Realisierungschance hat. Wollte Aristoteles weiterhin den Träumen nach einer von aretê bestimmten Verfassung der Vergangenheit nachhängen und seine Augen vor der Realität, die nur unvollkommenere Verfassungen hervorbringen konnte, verschließen? In meiner Deutung bringt die Verfassungstheorie der Bücher IV–VI eine Lösung des beschriebenen Dilemmas, die zugleich ein Element der Beschreibung des Endstadiums der Verfassungsentwicklung nach Pol. III 15 einbezieht. Bevor ich auf diese Frage zurückkomme, möchte ich zunächst den ganz neuen Ansatz der Verfassungsbetrachtung von Pol. IV–VI nach seinen Grundprinzipien beschreiben. Dieser Ansatz ist durch fünf Gesichtspunkte gekennzeichnet: 1. In Pol. IV–VI ist die praktische Intention und die Rücksicht auf das Realisierbare dominierend.
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2. Der Gesetzgeber und leitende Politiker, von denen in Pol. III nur ganz am Rande die Rede war, sind die zentralen Persönlichkeiten, die die empfohlenen politischen Veränderungen vornehmen. 3. Die Vielfalt der Aufgaben der Verfassungstheorie wird in Analogie zu den Aufgaben der technê beschrieben. 4. Gesetzgeber und leitende Politiker orientieren sich nicht an den Prinzipien distributiver Gerechtigkeit, sondern an dem, was nützlich oder angemessen ist. 5. Die Verfassungskonzeption von Pol. IV–VI beruht auf einer neuartigen Erfassung der die Bürgerschaft bildenden Gruppen und wirkt sich am ehesten bei der Beschreibung der sozialen Verhältnisse der Demokratie aus. Ad 1. Schon im Eingangskapitel von Pol. IV wendet sich Aristoteles gegen Verfassungsdenker, die die bestehenden Verfassungen verwerfen und einen bestimmten Verfassungstypus wie denjenigen Spartas preisen. Man müsse vielmehr eine Ordnung einführen, für die die Bürger leicht gewonnen werden können (1288b40 ff.) – „dafür gewonnen werden“ (peisthêsontai) ist wörtlich übersetzt „sich überzeugen lassen“. Wie Aristoteles in der Rhetorik analysiert, mit welchen Mitteln und unter welchen Bedingungen eine bestimmte Hörerschaft am besten überzeugt werden kann, so erwartet er auch in Pol. IV 1, daß Gesetzgeber und leitende Politiker die Bürger von ihren Verfassungsvorschlägen überzeugen können. Es ist nichts damit geholfen, hohe praktische Ziele zu setzen, solange die Verantwortlichen nicht damit auch Anklang finden. Sie müssen genauso die Mentalität der Bürger kennen und berücksichtigen wie ein Redner die seiner Zuhörer. In Pol. IV 1 ist auch noch davon die Rede, Verfassungen „zur Hilfe zu kommen“ und sie „wieder aufzurichten“ (epanorthôsai) – das ist genau das, was die athenischen Oligarchen in 404 versprachen (Ath. Pol. 35, 2). Die Terminologie spiegelt die Nähe zur politischen Praxis. Nach Pol. IV–VI müssen Gesetzgeber und leitende Politiker auch wissen, wie eine Verfassung „erhalten werden kann“ (IV 1, 1288b30; VI 5, 1319b33–35). Allerdings wird in Pol. IV–VI das theoretische Interesse nicht dem Praxisbezug geopfert, Aristoteles ist so sehr an der philosophischen Klärung politischer Fragestellungen interessiert, daß er nicht nur populäre Vorstellungen (3, 1290a13; 4, 1290a30; 1291b3–13 u.ö), sondern auch diejenigen Platons korrigiert (Pol. IV Kap. 2; 7; V 12; implizit IV 1). Und er bezieht auch den besten Staat, dessen Verwirklichung ungewöhnliche äußere Bedingungen voraussetzt, unter die Gegenstände der Verfassungsbehandlung ein. Die Verfassungstheorie von Pol. IV–VI erhebt den Anspruch, vollständig zu sein und alle Möglichkeiten, selbst die in der Realität weniger
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wahrscheinlichen, zu berücksichtigen. Es ist aber deutlich, daß in Pol. IV–VI die Theorie, von der Aristoteles hier spricht (theôrein: 1288b12; b29; b37; 2, 1289a31), und die Kenntnis der gesamten Verfassungstypologie und ihrer Bedingungen der Praxis dient. Aristoteles’ Kritik daran, daß diejenigen, die sich auf die Behandlung des besten Staates beschränken, das Nützliche versäumen (1288b36), verdeutlicht diese Zielsetzung. Der Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis ist in IV 1, 1289a7 formuliert: Um den Staaten helfen zu können, muß der leitende Staatsmann und Gesetzgeber die Anzahl der Verfassungen kennen. In Unkenntnis der Vielzahl der Unterarten von Demokratien (1, 1289a8) wüßte so ein Gesetzgeber, der einer Demokratie helfen will, nicht, welche Optionen ihm zur Verfügung stehen. Ad 2. Wenn Aristoteles in Pol. IV–VI die politische Praxis so ernst nimmt, dann muß er auch darlegen, wer handeln soll. Bürger (politai) treffen die politischen und richterlichen Entscheidungen oder bekleiden die Ämter – in Pol. IV 14–16 hat Aristoteles in aller Vollständigkeit ausgeführt, welche unterschiedlichen Möglichkeiten in der Zuteilung dieser Funktionen bestehen und wie sie unterschiedlichen Verfassungen zugeordnet werden können. Die praktischen Aufgaben, die er sich in Pol. IV–VI stellt, d.h. in der Hauptsache Verfassungsreform, fallen dagegen Gesetzgeber und Staatsmann (nomothetês – politikos) zu: Der Gesetzgeber richtet die entsprechende Verfassung ein (VI 5, 1319b33); seine Kenntnis der politischen Institutionen (IV 14, 1297b38; vgl. V 9, 1309b35) bereitet ihn dafür vor; er steuert den Zugang zur Bürgerschaft (IV 12, 1296b34). In den Büchern Pol. IV–VI unterweist Aristoteles Gesetzgeber und Staatsmann darin, welche Maßnahmen sie ergreifen sollen (s. Scholz 1998). Dieser Blickwinkel, von dem her Aristoteles sich der Verfassungstheorie nähert, ist der platonische des Politikos und der Nomoi. In beiden Werken hatte Platon diese Verbindung von Gesetzgeber und Staatsmann vorgenommen (Schütrumpf 1991, Bd. 2, 384). Nach dem platonischen Vorbild der Nomoi hat Aristoteles sie in seinem besten Staat von Pol. VII/VIII in der Rolle des Staatsgründers beschrieben (VII 4, 1326a4 u.ö.). In Pol. IV 1 hatte er aber ausgeführt, daß es keine geringere Aufgabe ist, eine Verfassung wieder aufzurichten als eine von Grund auf neu zu schaffen, weshalb der leitende Politiker auch die Fähigkeit besitzen müsse, den jeweils bestehenden Verfassungen zu helfen (1289a3 ff.). In Pol. IV–VI geht Aristoteles damit über die platonische Rolle des Staatsgründers hinaus, wenn er Gesetzgeber und Staatsmann die Aufgabe zuweist, die Reformen an bestehenden Staaten vorzunehmen. Platon selber setzt im 7. Brief (330e2 ff.) voraus, daß Staaten sich an Berater wandten und von ihnen
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Maßnahmen verlangten, durch die sich ihre Verfassung ewiger Dauer erfreuen kann. Mitglieder der Akademie wirkten als Gesetzgeber (s. Trampedach 1994), so Eudoxos für Knidos, oder Aristoteles selber für Stageira. In der Auffassung von Pol. IV–VI, daß ein philosophisch gebildeter Staatsmann die politisch notwendigen Veränderungen durchführen müsse, ist Aristoteles hier noch ganz Platoniker. W. Jaegers These, daß der junge Aristoteles der Urpolitik gelehriger Anhänger Platons war, während der reife Aristoteles der empirischen Bücher Pol. IV–VI eine radikale Abkehr von platonischer Philosophie vollzog, ist wenigstens für den zweiten Teil unrichtig. Ad 3. In Pol. IV 1 geht Aristoteles vom Vorliegen von Fachkenntnissen, etwa Gymnastik oder Medizin, aus, die sich nicht auf ein Teilgebiet beschränken, sondern ihren Objektsbereich in seiner Gesamtheit abdecken. Er entwickelt eine vierfache Aufgabe: die beste Behandlung für jemand, der die beste Anlage besitzt und über die entsprechenden Mittel verfügt; eine Behandlung, die einer bestimmten Konstitution des Körpers nützt; eine Behandlung, die für die größte Zahl am besten ist, schließlich eine Behandlung für jemand, der nicht die ihm erreichbare Kondition wünscht, sondern sich mit Minderem zufriedengibt. Entsprechend ergibt sich eine vierfache Aufgabe der Verfassungstheorie: Sie umfaßt zugleich die Untersuchung der besten Verfassung, der nach den gegebenen Umständen besten, der jeweils gegebenen und einer zu möglichst allen Städten passenden Verfassung (1288b22–35). Diese vier Aspekte haben nichts mit einer Klassifizierung von Verfassungen zu tun (wie man sie z.B. Pol. III 7 findet), der Kernpunkt dieser Überlegungen ist vielmehr die Frage: Zu welchen Verhältnissen paßt welche Verfassung und in welcher Weise wird die Verfassung den gegebenen Möglichkeiten gerecht? Alle vier Gegenstände der Verfassungstheorie von IV 1 markieren verschiedene Positionen innerhalb der Relationsmöglichkeiten zwischen gegebenen Verhältnissen und Verfassung. Der stärkere Bezug auf die politische Praxis in Pol. IV–VI und die Rolle, die Aristoteles dem Gesetzgeber bzw. leitenden Staatsmann dabei zuweist, machen die Technêanalogie mit dem Gymnastiklehrer, der die körperliche Konstitution verbessern hilft, oder dem Arzt besonders passend. Gesetzgeber und Staatsmann verabreichen die Therapie, die die leidenden staatlichen Gemeinschaften brauchen. Staatliche Zustände als Krankheit zu beschreiben war nichts Neues, neu ist vielmehr in Pol. IV–VI, wie weit Aristoteles diese Analogie hier getrieben hat bzw. sich von ihr in seiner Konzeption einer Verfassungsuntersuchung hat leiten lassen. Einzelne Elemente seines Verständnisses von technischem Vorgehen sollen hier kurz beleuchtet werden. Der Aspekt, daß Fachleute sich biswei-
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len damit zufrieden geben müssen, wenn sie nach besten Kräften tun, was die Umstände erlauben, ist auch sonst bei Aristoteles ein Merkmal des Vorliegens von Sachkenntnissen (Rhet. I 1, 1355b11 ff.; vgl. Top. I 2, 101b5). Aber insgesamt ist die zugrundeliegende Technêkonzeption nicht die eigene philosophische Analyse des ,technischen‘ Prozesses, etwa von Phys. II 3, 194b16 ff. Eine philosophische Behandlung der technai unter Gesichtspunkten, die denen von Pol. IV 1 nahekommen, findet sich vielmehr öfters bei Platon, zuerst im Gorgias (503e4). Später, im Phaidros, wird dem Inhaber der Fachkenntnis – Platon benutzt das Beispiel Medizin, wie dann Aristoteles – auferlegt, die Relation von bestimmten zu ergreifenden Maßnahmen zu vorgegebenen Bedingungen zu kennen. Wie hier der Arzt die zur jeweiligen Natur passende Arznei verabreicht (Phaidr. 270 b7; 271b2), so gehen auch Arzt und Staatsmann bei Aristoteles in Pol. IV 1 vor. Wenn nicht aus dem Phaidros, so war ein solches Verständnis fachwissenschaftlichen Vorgehens Aristoteles aus dem platonischen Politikos (294d11) bekannt, wo die Aufgabe des Trainers in ähnlicher Weise wie dann von Aristoteles in Pol. IV 1 bestimmt ist . Wegen anderer Zusammenhänge (s. Schütrumpf 1989) steht es für mich außer Zweifel, daß Aristoteles hier platonischen Vorstellungen folgte.2 Interessant ist aber, daß Aristoteles aus den Technêbeispielen von Gymnastik und Medizin eine Anwendung gezogen hat, die Platon entgangen war, nämlich daß z.B. der Erfolg einer Behandlung nicht allein nach dem Grade der wiederhergestellten Gesundheit, sondern dem Grad der erreichten Verbesserung, die bei dem Leiden möglich ist, bemessen werden soll. So sagt Aristoteles in Rhet. I 1, 1355b12, es sei nicht die Aufgabe der Medizin, jemanden gesund zu machen, sondern Gesundheit soweit zu fördern, wie es nur möglich ist. Man könne auch diejenigen, deren Gesundheit man nicht wiederherstellen könne, gut behandeln. Entsprechend empfiehlt er in Pol. IV 1 zu untersuchen, welche Behandlung – bzw. Verfassung – zu wem paßt. Unzweifelhaft wären das beste Training und die beste Verfassung einer minderen Form vorzuziehen, aber Aristoteles beschränkt sich nicht darauf, eine solche beste Behandlungsform zu beschreiben, sondern er entwickelt eine Typologie von Behandlungsweisen bei Trainer und Arzt, die sich aus den unterschiedlichen Relationen zwischen jeweils vorgegebenen Bedingungen und der Art, mit ihnen umzugehen, ergeben. Für die Verfassungstheorie bedeutet dies, daß jeweils Menschen be2 Ich bemerke erneut, daß W. Jaegers These, der reife Aristoteles der empirischen Bücher Pol. IV–VI habe eine radikale Abkehr von platonischer Philosophie vollzogen, in dieser undifferenzierten Form unrichtig ist.
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stimmter Art – in welcher Weise Aristoteles ihre Besonderheit bestimmt, wird unten (ad 5) dargelegt werden – auch eigene Regelungen erfordern. Und wenn nach Pol. IV 1 der leitende Staatsmann „die Fähigkeit besitzen muß, den jeweils bestehenden Verfassungen zu helfen“ (1289a6), so ergibt sich aus dem vorliegenden Zustand der jeweiligen Verfassung, wie diese Hilfe aussehen muß. Das Eingreifen von Gesetzgeber und Staatsmann besteht häufig in Vorschlägen, die Verfassungsordnung zu reformieren. Dabei fordern nach Aristoteles die vorgegebenen Bedingungen geradezu eine bestimmte Verfassungsordnung (IV 2, 1289b18). Ad 4. In der Anwendung des Prinzips der distributiven Gerechtigkeit in Pol. III 9 ff. benutzte Aristoteles nur einen Maßstab: aretê. Daran wurden Königtum und Aristokratie gemessen, und darin konnte eine demokratische Verfassung nach Solonischem Muster, die das individuell Beste mit dem kollektiv Guten vereint, u.U. sogar einer Aristokratie überlegen sein (III 11). Distributive Gerechtigkeit, wie sie Aristoteles in Pol. III politisch angewandt hatte, konnte nur zur Empfehlung von Verfassungen führen, die sich in irgendeiner Weise auf aretê berufen können. Ganz anders ist der theoretische Ansatz in Pol. IV–VI, der auch entsprechend dazu führt, daß eine größere Anzahl von Verfassungen, ja geradezu alle, selbst diejenigen, die im Rang ganz unten stehen, empfohlen werden. Das Grundprinzip der Verfassungsbehandlung von IV 1 ist das Relationskonzept ,was paßt zu wem?‘ Wie Trainer und Arzt bestimmte Bedingungen, die klassifiziert werden können (EN X 10, 1181b5 dielomenoi tas hexeis), verbessern wollen, so sollen Gesetzgeber und Staatsmann die Fähigkeit besitzen, den jeweils vorliegenden Verfassungen zu helfen. Die Fragestellung ist nicht mehr die von Pol. III: „wie gut ist diese oder jene Verfassung im Vergleich zu anderen?“ sondern: „welche Behandlung ist im jeweiligen Falle angemessen oder nützlich?“ Dies ist nach aristotelischer Auffassung die Aufgabe der technê (vgl. Met. A 1, 981a10), und politische Tätigkeit wird hier in Analogie dazu verstanden. Statt einer Orientierung an einem objektiven Ideal, wonach gewisse Verfassungen (wie Oligarchien) ganz verworfen, andere (wie Demokratien) beträchtlich modifiziert werden müssen, um überhaupt berücksichtigt zu werden, wie dies für Pol. III galt, genügt es hier, daß Staaten existieren. Dies allein sichert, daß man sich ihrer annimmt. Um in der medizinischen Analogie zu bleiben: Pol. III entwickelte einen Maßstab, nach dem man die kranken von den gesunden Staaten unterscheiden und dann weiter entscheiden konnte, wessen Gesundheit überlegen bzw. welche Verfassung am vollkommensten ist. Wenn Aristoteles in Pol. IV–VI dagegen von Arzt und Gymnastiklehrer ausgeht, so impliziert er zugleich das Vorhandensein physischer Leiden, die Be-
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handlung brauchen. In der Übertragung auf die Politik heißt das, daß Aristoteles den Bereich des Gegenstandes politischer Philosophie, die der Praxis dienen soll, grundlegend über die wenigen Verfassungen, die nach Pol. III nach dem Prinzip distributiver Gerechtigkeit eingerichtet werden sollen, erweitert, oder, wie er selber in Pol. IV 1 sagt: „ihren Bereich in seinem vollen Umfang“ behandelt (peri genos hen ti teleiais ousais, 1288b11). Keine Verfassung wird hierbei ausgeschlossen, selbst die Tyrannis profitiert von den Ratschlägen des Philosophen, der Tyrannen etwa ans Herz legt, nicht ganz, sondern nur halb schlecht zu sein (V 11, 1315b10). Dies ist ein zweiter Aspekt der Öffnung, die Aristoteles in Pol. IV–VI vornimmt. Er erkennt realistischerweise an, daß nicht alle bereit sind, alle in der jeweiligen Situation erforderlichen Maßnahmen zu akzeptieren, sondern wie bei der Gymnastik manche nicht „die ihnen erreichbare Kondition wünschen“ (IV 1, 1288b16). So unterwirft man sich auch in Staaten nicht allen Maßnahmen, die Gesetzgeber und Staatsmann empfehlen könnten: Der Tyrann wird nicht tugendhaft, sondern bleibt halbschlecht. Aristoteles schraubt seine Erwartungen nicht nur bei der Qualität der Verfassungen, denen er sich zuwendet, herunter, sondern auch bei der Qualität der Maßnahmen, die man ergreift. Wie vorher bemerkt, müssen sich ja die Bürger für die Änderungen gewinnen lassen. Es zählen somit nicht allein die überlegenen Einsichten des Gesetzgebers und Staatsmannes, sondern genauso auch die Bereitschaft der Bürger, ihnen zu folgen. Man könnte die Elemente dieses Programms einer Verfassungsstudie von Pol. IV–VI mit dem englischen Ausdruck ,non judgmental‘ charakterisieren: Weder werden Verfassungen ausgeschlossen, weil sie nicht höchsten Maßstäben gerecht werden, noch soll der Gesetzgeber und Staatsmann Hilfe verweigern, wenn die Bürger nicht bereit sind, sich einer Therapie, wie sie am effektivsten wäre, zu unterwerfen. Wie soll diese Therapie aussehen? Zwei verwandte politische Ziele schälen sich in Pol. IV–VI als wünschenswerte Ergebnisse der Tätigkeit von Gesetzgeber und Staatsmann heraus: Vermeidung von stasis, d.h. innerem Zwist, und Dauer der Verfassung – Gesichtspunkte, die in Pol. III ganz am Rande begegneten. Nach Pol. IV–VI wünscht im besten Falle kein Teil des Staates eine andere Verfassung (IV 9, 1294b37). Anderenfalls sollen wenigstens die verfassungsbejahenden Gruppen stärker sein (IV 11, 1295b36 ff.; 12, 1296b15). Der Bestand einer Staatsform wird hier nicht auf ihren Rang nach einem absoluten Wertmaßstab zurückgeführt, sondern das relative Kräfteverhältnis innerhalb der Bürgerschaft. Die Qualitäten, die nach Pol. III den besten Anspruch auf politische Herrschaft erheben können und nach denen am ehesten ein Staat geordnet sein sollte, garantieren wegen ih-
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res hohen Wertes nicht auch Stabilität: Die Aristokratie, die allein auf aretê gegründet ist, ist deswegen nicht stabiler; sie teilt ihre Anfälligkeit für Umsturz mit der Oligarchie (V 7, 1306b22), da in beiden Verfassungen die Zahl derjenigen, die die Macht ausüben, klein ist (b25). Die so häufig vertretene These, daß für Aristoteles in Pol. IV–VI der beste Staat den Maßstab für die politische Reform der unvollkommeneren Verfassungen bilde, kann daher nicht aufrechterhalten werden. Umgekehrt bleibt die Demokratie, die doch nach der falschen Gleichheit (der Zahl nach) geordnet ist, eher von politischen Auseinandersetzungen verschont und ist stabiler als die Oligarchie (V 1, 1302a8ff.). Hinter dieser Analyse der Stärke bzw. Anfälligkeit verschiedener politischer Systeme für Instabilität steht nicht eine heile-Welt-Träumerei, nach der Rechtsprinzipien und hohe ethische Qualitäten sich immer durchsetzen werden, sondern eine nüchterne Analyse der menschlichen Natur, wonach „alle Menschen auch zu tun pflegen, was sie wollen, wenn sie dazu in der Lage sind“ (V 10, 1312b3), eine Bemerkung, die stark an die zynische Vormachtideologie der Athener in ihren Kapitulationsverhandlungen mit den Meliern bei Thukydides (V 105) erinnert. Äußerungen dieser Art sind kein Einzelfall. Pol. IV–VI ist reich an Beobachtungen über menschliches Verhalten, meistens Fehlverhalten, über Begierden und generell Sozialpsychologie. Dieses Faktum hat T. Irwin zur folgenden Deutung geführt: Das empirische Studium der unvollkommenen Verfassungen in Pol. IV–VI stütze die Prinzipien von Aristoteles’ Ethik; denn mit dem Nachweis, daß die fehlerhaften Vorstellungen von Glück bei der Ober- und Unterklasse den politischen Systemen und ihren Mitgliedern schaden, habe man einen Grund geliefert, einer Vorstellung von Glück den Vorzug zu geben, die sittlichen Tugenden mehr Bedeutung einräumt (Irwin 1988, 162, vgl. 468). Bei Irwin wird Pol. IV–VI ein Kompendium moralischer Verfehlungen, die der moralische Erzieher seinen Zöglingen vor Augen hält, ein politischer Struwwelpeter, der jedem Zappelphilipp oder Suppenkaspar drastisch vor Augen führt, wie er enden muß. Aristoteles schreibt aber eine Politik – nicht eine angewandte Ethik – und die Antwort auf den Mißbrauch von Macht, etwa, zur Bereicherung, ist nicht eine moralische Veränderung der Gesellschaft, sondern eine Verfassungsordnung, die durch Machtverteilung, Einrichtung von Kontrollmechanismen, durch Gesetze, die kostspielige Liturgien verbieten, u.v.a.m. solchen Mißbrauch wenigstens erschwert. Die Reformvorschläge von Pol. IV–VI orientieren sich nicht an der aristotelischen Ethik (s. insgesamt Betbeder 1970; Schütrumpf 1991, Bd. 1, 86 f.). In Pol. IV 12 führt Aristoteles genauer aus, wie der Verfassungsgeber vorgehen muß. Er legt das in allen Verfassungen gültige Prinzip zugrunde,
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daß der „Teil des Staates“, der den Fortbestand der Verfassung wünscht, stärker sein muß als derjenige, der dies nicht wünscht (1296b15). Zur Ermittlung der größeren „Stärke“, die das Kriterium für die Angemessenheit der jeweiligen Verfassung bildet, unterscheidet er qualitative und quantitative Faktoren, die in ihrer positiven Ausbildung (hyperochê) in der Regel in verschiedenen Gruppen angesiedelt sind: die große Zahl bei der Menge, Besitz bei den Reichen (1296b31ff.). Das Ziel, das sich leitende Politiker und Gesetzgeber in Pol. IV–VI setzen, ist eine Verfassungsordnung, die das Kräfteverhältnis angemessen spiegelt. Wenn die Klasse der Armen in dem von Aristoteles angegebenen Verhältnis überlegen ist, dann sei es „von Natur angebracht, daß eine Demokratie besteht – und jede Unterart von Demokratie entsprechend der jeweiligen Überlegenheit einer jeden Gruppierung des Demos. So besteht der Natur entsprechend die erste Demokratie, wenn die Gruppe der Bauern so überlegen ist, dagegen die letzte Form, wenn die Gruppe der Handwerker und Lohnarbeiter überlegen ist, und nach dem gleichen Prinzip auch die anderen Verfassungen, die zwischen diesen beiden anzusiedeln sind“ (1296b24 ff.). Mutatis mutandis gilt Entsprechendes für die Oligarchie. Die Überlegenheit einer Gruppe ist hier nicht ihre Überlegenheit beim Erfüllen des Zwecks des Staates wie in Pol. III (9, 1281a4–8; 13, 1283b16 ff.), sondern bei einer Analyse der Machtfaktoren ihre auf ihrer Zahl oder Qualität beruhende größere Stärke. Die Verfassungsbetrachtung von Pol. IV–VI, die die politische Ordnung in Entsprechung zu bestehenden Bedingungen analysiert, nimmt die Demokratie – die Verfassung, die am häufigsten vorkommt – in dem ernst, was ihre Stärke ausmacht, das ist die Zahl ihrer Anhänger. Das Verfahren von IV 12, die jeweils passende Verfassung zu bestimmen, ist die Erweiterung des Vorgehens von III: Dort wurde bei der Entscheidung über die Frage, welche Verfassung jeweils eingerichtet zu werden verdient, nur die Qualität berücksichtigt und der Demos mußte nicht nur die Qualität seiner Konkurrenten um die Vorherrschaft im Staat besitzen, sondern ihnen noch darin überlegen sein. In Pol. IV bleiben Erwägungen der Qualität einiger Gruppen ein Teil der Abwägung der Stärke, sie können dazu führen, daß die Oligarchie die angemessene Verfassung ist, aber nur dann wenn sie in der Quantität, der Zahl der Bürger, nicht zuweit zurücksteht; denn nach IV 12 geht die Quantität als eigenständiger Faktor in die Abwägung der unterschiedlichen „Vorzüge“ der konkurrierenden Gruppen ein. In Pol. IV–VI wird der Demos nicht nur in einer Weise beschrieben, die nur ihm gerecht wird, seiner Zahl, jetzt müssen sich die anderen Gruppen, die Macht beanspruchen, auch nach dem Kriterium messen lassen, das nur den Demos und die Demokratie begünstigt. Zwar formulierte Aristoteles
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in III 15, 1286b20–22 mit dem Anwachsen der Staaten deutlich die Bedingungen, die für das Entstehen der Demokratie verantwortlich sind und das aller anderen Verfassungen unmöglich machen, aber es fehlte ihm dort das theoretische Instrumentarium, diesem quantitativen Faktor bei der Gegenüberstellung der Verfassungen gerecht zu werden, er konnte in die Abwägung von aretai nicht einbezogen werden. Die in Pol. IV 12 explizierte Erweiterung des Verfahrens, das zu entscheiden hilft, welche Verfassung man einrichten soll, so daß gleichberechtigt sowohl qualitative wie quantitative Faktoren berücksicht werden3, stellt eine bedeutsame Änderung – oder Überwindung – desjenigen von Pol. III dar. Andererseits entwickelt Aristoteles in Pol. IV–VI auch eine Rangfolge der Verfassungen nach der Nähe zur Mitte (IV 11, 1296b2 ff.). Entgegen der Methode nach Pol. IV 1 oder 12, die jeweils nach den Voraussetzungen passende Verfassung zu wählen, scheint Aristoteles hier einen objektiven Standard einzuführen4. Aber er nimmt diese Orientierung weitgehend zurück, wenn er im gleichen Atemzug zugibt, daß man bisweilen entsprechend den gegebenen Bedingungen einer weniger erstrebenswerten Verfassung den Vorzug geben muß (12, 1296b9–12). Gerade weil die Erörterung von Kap. 12 unmittelbar folgt, ist es sicherlich erlaubt, beide Prinzipien in Verbindung zu bringen, etwa in der folgenden Weise: Bei der Anpassung an bestehende Bedingungen soll man nicht die Mitte aus den Augen verlieren und bei dem Streben, eine mittlere, gemäßigte Verfassung herzustellen, darf man nicht den Boden unter den Füßen verlieren, d.h. die bestehenden Gegebenheiten ignorieren. Ad 5. Der Ansatz von Pol. III, das Ausmaß der politischen Teilnahme allein nach dem Beitrag zum Staatszweck zu bemessen, läßt sich ja jetzt auch gar nicht aufrechterhalten, weil man den Armen als Bürgern der Demokratie keine positive Leistung zu seinem Bestehen oder gar einem höheren Zweck zuschreiben kann, wie es das Verfahren von Pol. III verlangte. In einer früheren Veröffentlichung zur Pol. (Schütrumpf 1980) habe ich die These vertreten, daß allen Büchern oder Buchgruppen der Pol. ein und dasselbe methodische Prinzip zugrundeliegt, das zuerst im Eingangskapitel von Pol. I entwickelt wurde: Um der platonischen Verwirrung über die 3 Ich kenne nur ein Beispiel für die gleichzeitige Berücksichtigung qualitativer wie quantitativer Faktoren: beim amerikanischen Rodeo siegt nicht schon derjenige, der sich die längste Zeit (quantitativ) im Sattel hält, sondern die Wildheit (qualitativ) des Bullen wird wird in die Bewertung miteinbezogen. Wer sich lange auf einem zahmen Bullen hält, kann gegenüber jemandem verlieren, der nach kürzerer Zeit von einem wilden Stier abgeworfen wird. 4 S. oben 126: Unzweifelhaft sind das beste Training und die beste Verfassung einer minderen Form vorzuziehen.
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Unterschiede zwischen den Gemeinschaften entgegenzutreten als auch um zu klären, was die polis ist, will Aristoteles sie in ihre kleinsten Bestandteile zerlegen (1252a18). Ich habe nachzuweisen versucht, daß Aristoteles in diesem analytischen Vorgehen Platons Phaidros folgt (Schütrumpf 1989). Diese Bestimmung der Teile der polis ist der Ausgangspunkt der Betrachtung in Pol. III (1, 1274b39 ff.; vgl. 12, 1283a14), in IV (3, 1289b28 ff.; 4, 1290b38 ff.) und erneut in VII (8, 1328a21 ff.). Nach dem gleichen theoretischen Ansatz will Aristoteles jeweils den Staat erklären bzw. die Vielzahl der Verfassungen begründen, indem er in der Analyse die Teile, aus denen er zusammengesetzt ist, bestimmt – darüber was seine Teile sind, vertritt Aristoteles jedoch in den einzelnen Büchern je verschiedene Auffassungen5. Bei der Abgrenzung der Gruppen, die nach Pol. III einen Anspruch auf Übertragung politischer Macht begründen können, zählten nur die Qualitäten, die ein Staat zu seiner Existenz oder seinem Wohlergehen braucht: Das sind freie Geburt und Besitz (denn ein Staat kann nicht aus Sklaven oder lauter Armen bestehen) und politische aretê (12, 1283 a14–22). Entsprechend bestimmen drei so beschriebene Gruppen: die Freien, Reichen und Guten das Staatsleben. Auch in Pol. IV ist der erste Schritt der Erörterung der Verfassungen die Identifikation derjenigen Gruppen oder „Teile des Staates“, die je nach der Machtverteilung Träger der unterschiedlichen Verfassungen sein können (3, 1290a3–13). Zwar finden sich in den Eingangskapiteln von Pol. IV mehrere Herleitungen dieser ,Teile des Staates`, aber es ist allein die Ableitung von Kap. 3, die tatsächlich in Pol. IV–VI benutzt wird. Ausgehend von empirischer Beobachtung (horômen 3, 1289b29; b32) identifiziert Aristoteles in IV 3 die Gruppen, die sich entsprechend ihrer entgegengesetzten Interessen konstituieren und deren Beziehungen den Charakter des politischen Lebens bestimmen. Danach bilden die Besitzklassen von Reichen und Armen und die Haushalte mittleren Besitzes die ,Teile des Staates‘. Die beiden hier entgegengesetzten Gruppen werden weiter unterteilt: einerseits der Demos, der für die Armen steht, nach den Tätigkeiten, denen seine Untergruppierungen nachgehen, andererseits die Angesehenen, die für die Reichen stehen, nach Unterschieden in der Qualität (aretê; Abkunft). Die Vielzahl der Verfassungen erklärt Aristoteles hier dadurch, daß entweder alle diese Teile oder eine geringere oder größere Zahl von ihnen an der Verfassung teilhaben (3, 1290a3f.). Offensichtlich ist diese Einteilung weit differenzierter als die von Pol. III, sie ist auch von ganz anderen Prinzipien geleitet. Den Platz, den in der 5 Vgl. schon Newman III 132, zu 1274b38.
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Trias: Freie, Reiche, Gute von Pol. III 9 oder 12 die Freien einnahmen, haben in Pol. IV die Armen inne: Wie schon gesagt, betrachtet Aristoteles hier die Bürgerschaft nicht unter einem funktionalen Gesichtspunkt, also daß sie einen Beitrag zum Ziel des Staates leisten. Daher befaßt er sich in Pol. IV auch nicht mit Gruppen, die wegen ihrer besonderen Qualitäten zumindest für den Bestand der politischen Gemeinschaft unerläßlich sind – das ist ja bei den Armen nicht der Fall, da man Armut keine positive Funktion zum Bestehen des Staates zuschreiben kann. Aristoteles analysiert jetzt, welche Qualitäten das Klima der politischen Gemeinschaft am stärksten bestimmen – und vielfach auch bedrohen, und das ist für ihn ganz wesentlich der soziale Gegensatz von arm und reich. Wenn Aristoteles in Pol. IV 12 bei einer bestimmten Überlegenheit der Mehrzahl der Armen die Demokratie für angemessen hält, so weicht er grundsätzlich von Pol. III ab, denn dort konnte er nach den theoretischen Voraussetzungen dieses Buches weder das Quantitätselement ,Mehrzahl‘ noch die funktionslose Gruppe der Armen erfassen. Diese Einteilung der Gruppen des Staates in Pol. IV hat Auswirkungen für die Verfassungssystematik: Seit Herodot III 80–82 bis auf Aristoteles in EN VIII 12 und Pol. III 7 waren die Verfassungen zunächst nach der Zahl derer, die die Macht innehatten (einer, wenige, die große Zahl) unterteilt und jeder dieser Typen wurde dann weiter in eine gute und schlechte Form aufgespalten, d.h. das Verfassungssystem war in drei isolierte, zusammenhanglos nebeneinander bestehende Zweierbeziehungen aufgelöst worden. In Pol. IV–VI werden dagegen die Verfassungen auf einem Kontinuum angesiedelt, dessen beide radikale Endpunkte die extreme Konzentration von Armut und Reichtum bzw. die Kontrolle der Macht durch die größte oder eine sehr kleine Zahl in Demokratie bzw. Oligarchie bilden. Beide Verfassungen sind auf eine Mitte bezogen (3, 1290a24 ff.); die zunehmende Entfernung von der Mitte markiert jeweils eine geringere Qualität der Verfassungen (11, 1296b2 ff.). M.a.W. sind Demokratie und Oligarchie jetzt als Entartungen ein und derselben und nicht mehr, wie in III 7, als Entartungen je verschiedener Verfassungen verstanden. Der Gewinn dieser Anordnung ist eine Geschlossenheit des Verfassungssystems, wie sie kein vorausgehendes Schema aufweist. Die Anordnung auf einem Kontinuum erlaubt es, Verfassungen mit geringerer oder größerer „Bandweite“ zu konstruieren – geringere Bandweite besitzt eine Verfassung, die nur einen Sektor der freien Bewohner repräsentiert, größere Bandweite die, die mehreren Gruppen im Staat die Teilnahme an politischen Entscheidungen erlaubt. Dies ist die Mischverfassung, die wiederum mehrere Unterarten je nach der Anzahl oder Aus-
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wahl der beteiligten Gruppen aufweist. Diese Möglichkeit, nach einem einzigen theoretischen Konzept eine Vielzahl benachbarter und sich teilweise überschneidender Verfassungen und ihrer Mischformen in Pol. IV–VI beschreiben zu können, ist der deutlichste Fortschritt der Verfassungstheorie von Pol. IV–VI. Bei der Herleitung der „Teile des Staates“ in Pol. IV 3 hatte Aristoteles bei Demos und „Angesehenen“ Untergruppierungen unterschieden. Entsprechend weisen die Hauptverfassungen Demokratie und Oligarchie Unterarten auf, die die Machtverhältnisse dieser soziologischen Gruppen reflektieren.6 Ab Kap. 1 (1289a7 ff.) von Buch IV wird die Wichtigkeit dieser Unterscheidung, die es in Pol. III wenigstens bei Demokratie und Oligarchie noch nicht gab, betont. Sie ist von eminent praktischer Bedeutung (s.o. S. 123). Aristoteles verlangt von Gesetzgeber und Staatsmann die Kenntnis dieser Unterarten. Die Unkenntnis der Unterarten ist z.B. ein Hindernis zum Verständnis von Verfassungssturz (V 12, 1316b25). Angesichts der Behutsamkeit, mit der sie vorgehen müssen, um von den Bürgern akzeptiert zu werden, besteht ihre Tätigkeit offensichtlich darin, innerhalb des generellen Verfassungstypus zu bleiben, aber von einer radikaleren zu einer gemäßigteren Unterform überzuleiten – eine Politik der kleinen Schritte. Platon hatte im Politikos den drei gesetzmäßigen Verfassungen jeweils drei gesetzlose gegenüberstellt (301a6, vgl. 302c ff.) und Aristoteles folgte bei der Formulierung seiner Verfassungstheorie in Pol. III (Kap. 6f.) weitgehend Platons Politikos (s. Schütrumpf 1976). Die Annahme mehrerer Unterarten von Verfassungen in Pol. IV–VI hat nicht zuletzt auch Auswirkungen auf das Kriterium der Gesetzmäßigkeit. In dem neuen Zusammenhang erkennt Aristoteles jetzt bei den meisten Unterarten „entarteter“ Verfassungen gesetzmäßige Formen an,7 nur jeweils die letzte setzt Gesetze außer Kraft. Hier bildet die Gegenüberstellung zwischen richtigen und entarteten Verfassungen nicht mehr die Grenzlinie zwischen erstrebenswerten bzw. unerträglichen politischen Bedingungen, sondern diese Grenzlinie wird jetzt sozusagen tiefer, nämlich innerhalb der Unterarten von Demokratie bzw. Oligarchie verlegt, genauer: zwischen ihrer vorletzten und der schlimmsten Form. Aristoteles lehnt damit Demokratie und Oligarchie nicht mehr (wie in III 7) undifferenziert als Entartungsformen ab, er wertet sie vielmehr auf, indem er ihren Unterarten, mit Ausnahme 6 Dies ist ausgeführt z.B. IV 12, 1296b24 ff.; vgl. VI 1, 1317a22 ff. 7 4, 1292a2; a4; 5, 1292b6; in Kap. 6 (1292b28; b37; b41; 1293a16; a25; a28) betont er dies bei jeder Unterart von Demokratie und Oligarchie.
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der letzten, Gesetzestreue zuschreibt. Für die Beurteilung der Demokratie heißt das: Selbst wenn sie nicht eine der „richtigen“ Verfassungen ist, lebt die Bürgerschaft nach Pol. IV 4 doch in vier ihrer Formen unter einer gesetzlichen Ordnung. Die Bücher Pol. IV–VI, die häufig als empirisch, ohne jede theoretische Aspirationen oder nur für den Historiker interessant abgetan werden, enthalten grundsätzliche methodische Erwägungen, die einen wichtigen, in meinem Verständnis, den wichtigsten Beitrag des Aristoteles zu seiner politischen Philosophie darstellen. Das Bedeutsame liegt in der Breite der Gültigkeit, die er hier mit seinen Erörterungen beansprucht. Die Untersuchung gilt nicht etwa nur einem besten Staat (VII/VIII) oder beschränkt sich auf die richtigen Verfassungen, bleibt aber ratlos darüber, was man mit den übrigen tun soll (III). Pol. IV–VI setzt vielmehr alle Verfassungstypen voraus und nimmt sie ernst, indem er sie nach ihren eigenen Prinzipien behandelt. Die methodische Konzeption, die Aristoteles in Pol. IV–VI entwickelt und anwendet, weist eine Komplexität auf, wie sie anderswo in der Pol. nicht begegnet. Diese Komplexität erklärt sich daraus, daß Aristoteles methodische Grundsätze, die er anderswo vertreten hatte, nicht völlig aufgibt, sondern mit neuen verbindet, die den in der Realität vorherrschenden Verfassungen besser gerecht werden und sie so in eine neue, vielschichtigere Konzeption integriert. Die gleiche Vielschichtigkeit zeigt sich auch in der Behandlung der konkreten Verfassungen, die etwa mit der Annahme von Unterarten und vielfältigen Mischformen weit differenzierter ist als die aller anderen Bücher der Politik. Vielleicht nicht das geringste Ergebnis dieses Vorgehens in Pol. IV–VI ist darin zu sehen, daß bei dieser Betrachtungsweise die Verfassungen differenzierter gesehen werden können. Gerade etwa hinsichtlich der Demokratie überkommt Aristoteles damit von Zeitgenossen formulierte Klischees und gelangt so zu einer zutreffenderen Beschreibung und vorurteilsloseren Beurteilung dieser doch verbreitetsten Staatsform.
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9. Verfassungswandel (V 1–12)
Im Buch V behandelt Aristoteles Fragen des Wandels und der Erhaltung von Verfassungen (Ryffel 1949, 136 ff.; Schütrumpf 1980, 223 ff.), mit seinen Worten gesagt, „aus welchen Gründen sie (die Verfassungen) zugrundegehen und bewahrt werden“ (V 12, 1315b40 f.). Es geht also primär um massive, sozusagen letale Veränderungen (metabolai) der politischen Ordnung, für die deshalb auch der Begriff der stasis gebraucht wird (V 1, 1301b5; 2, 1302a16 f.). Mit diesem Terminus bezeichneten die Griechen eine gewalttätige, irreguläre innerpolitische Auseinandersetzung, einen inneren Krieg. Beide Bezeichnungen, metabolê und stasis, können schon deshalb nahezu synonym gebraucht werden, weil sehr häufig die Verfassungsänderung Ergebnis eines gewaltsamen Umsturzes war. Dabei handelt es sich um ein wesentliches Phänomen der griechischen Geschichte, nicht zuletzt zur Zeit des Aristoteles (Lintott 1982; Gehrke 1985a; Berger 1992). Insofern war die prekäre Stabilität der politischen Ordnung ein, wenn nicht das Problem der griechischen Poliswelt. Das Interesse der Staatstheorie am Phänomen von Wandel und Umsturz der Verfassungen ist nicht zuletzt von diesem empirischen Hintergrund her zu verstehen. Aristoteles gibt die erste systematische Behandlung der Thematik (Schütrumpf 1996, 164 f.).
9.1 Aufbau Die Binnengliederung des 5. Buches ist klar durchgeführt: Die Kapitel 1–9 behandeln Änderung und Bewahrung der Verfassungen (außer der Mon-
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archie), zunächst die metabolai, und zwar generell (Kap. 1–4) und speziell, nach den einzelnen Verfassungen (5–7), und dann die Erhaltung (sotêria) (8–9). Die monarchischen Ordnungen (Königsherrschaft und Tyrannis) werden am Schluß separat behandelt, ebenfalls getrennt nach Veränderung (Kap. 10) und Bewahrung (Kap. 11 und 12 Anfang). Am Schluß folgt eine Kritik an der Darstellung des Verfassungswandels in Platons Politeia. Schon bei der Explikation des Themas im 1. Kapitel weist Aristoteles auf einen wichtigen „Ausgangspunkt“ (archê) für Verfassungsänderung und Umsturz hin, das Streben nach Gleichheit (bes. 1301b28 f.). Bereits hier macht er deutlich, daß es jeweils um unterschiedliche Vorstellungen von Gleichheit gerade in der Demokratie und in der Oligarchie geht. Darauf wird zurückzukommen sein. Darüber hinaus differenziert Aristoteles zwischen vollständigem Wechsel (von einer Verfassung zu einer anderen) und nur eingeschränkter (personeller, gradueller oder partieller) Veränderung innerhalb einer Verfassung. Ganz im Zentrum steht die Frage nach den Ursachen und Gründen (archai und aitiai) der Veränderungen, da die späteren Ratschläge für die Erhaltung gerade aus der Umkehrung dieser Gründe abgeleitet werden. Bei den Gründen unterscheidet Aristoteles drei Bereiche: die Dispositionen der Beteiligten, die Ziele und die Ursprünge bzw. auslösenden Faktoren; die beiden letzten könnte man auch „Zweck-“ und „Bewegungsursachen“ nennen (vgl. Schütrumpf 1996, 439). In den Kapiteln 2 und 3 werden diese Punkte expliziert: Hinter den inneren Dispositionen steckt vor allem das schon erwähnte Gleichheitsstreben (1302a22 ff.), die Ziele sind vor allem materieller Gewinn und Ehre (kerdos, timê) bzw. die Verhinderung von deren Verlust (1302a32 ff.). Als Ursprünge bzw. auslösende Faktoren werden zunächst sieben Phänomene hervorgehoben, denen dann noch vier hinzugefügt werden: Es handelt sich um – noch einmal – materiellen Gewinn und Ehre, aber jetzt in einem anderen Sinne, nämlich auf Grund einer Zurücksetzung gegenüber anderen. Man könnte hier auch von Neid sprechen, der bekanntlich in der griechischen Zivilisation einen hohen Stellenwert hatte (Walcot 1978). Es folgen kränkende Mißhandlung (hybris), Furcht (phobos), Überlegenheit (hyperochê), Verachtung (kataphronêsis) und unverhältnismäßiger Machtgewinn (auxêsis para to analogon). Hinzugefügt werden schließlich noch Amtserschleichung (eritheia), Nachlässigkeit (oligoˆ ria), Geringfügigkeit (mikrotês) und mangelnde Homogenität (anomoiotês). Im 3. Kapitel erläutert Aristoteles diese Ursachen und Konstellationen eingehend, mit zahlreichen empirischen Beispielen. Es schließen sich Bemerkungen zu besonderen Anlässen von Unruhen an (4. Kapitel), wobei Aristoteles vor allem betont, daß kleine Ursachen große Wirkungen haben
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können, da es oft um Großes gehe, nämlich um Fragen von Ehrungen und Kränkungen, von Gewinn und Macht. Hinzufügen müßte man zu dem Komplex von Ursachen und Anlässen noch die Hinweise am Ende des 7. Kapitels (1307b19 ff.) auf Interventionen auswärtiger Mächte, also auf äußere Faktoren, die Umstürze hervorrufen. Nach kurzen Bemerkungen über die im Verlauf der inneren Kriege angewandten Methoden von Gewalt und Betrug analysiert Aristoteles die für die verschiedenen Verfassungen spezifischen Ursachen des Verfassungswandels. In Demokratien (Kap. 5) ist der häufigste Grund für Umsturz das Vorgehen der Demagogen gegen die Reichen, die zu entsprechendem Widerstand führt und die Demokratie in ihr Gegenteil, die Oligarchie, umschlagen läßt. Neben anderem ist demagogische Agitation auch Grund für das Umschlagen von Demokratien in Tyrannenherrschaften. Aristoteles betont auch die graduelle Veränderung, die von einer traditionellen zu einer radikalen Demokratie führt (1305a28–34). Auch Veränderungen in Oligarchien (Kap. 6), deren Ursachen und Anlässe im einzelnen sehr verschieden sein können, führen vor allem zur gegenteiligen Verfasssung, in diesem Falle zur Demokratie, und auch hier spielt das Phänomen der internen Radikalisierung eine wichtige Rolle. Der Sturz der Aristokratien (teilweise ist hier auch die Politie miteinbezogen) resultiert vornehmlich aus ihrer Entartung (parekbasis), d.h. dadurch, daß sie gerade das verliert, was gegenüber den „entarteten“ Verfassungen ihre Qualität ausmacht, die Bindung an das Recht und das ausgeglichene Verhältnis im Inneren (Kap. 7). Dies kann auch das Ergebnis unscheinbarer Veränderungen und Verschiebungen sein. Die Erhaltung und Bewahrung (Kap. 8 und 9) der Verfassungen deduziert Aristoteles dann konsequent aus den Ursachen ihrer Zerstörung: Die Therapie stützt sich auf die vorangehende Diagnose. Es finden sich demzufolge ganz bestimmte Leitlinien, z.B. Ratschläge zum sensiblen Umgang gerade in Angelegenheiten von Vermögen und Ehre, also in dem wichtigen Bereich der Zweckursachen, sowie zur Kontrolle der Lebensführung und der Loyalität zur Verfassung. Strukturell gesehen tritt allerdings der Gedanke des Ausgleichs ganz in den Vordergrund. Es geht um das Ausbalancieren der für die entgegengesetzten Verfassungen, besonders Demokratie und Oligarchie, typischen Elemente und um die Vermeidung von Extremen durch einen mittleren Kurs (bes. 8, 1308a11 ff.; b20 ff.; 9, 1309b18 ff.). Ansonsten bietet Aristoteles aber auch Empfehlungen, die über die bloßen Umkehrschlüsse aus der Diagnose der Ursachen hinausgehen (Polansky 1991, 338 f.). So betont er im Hinblick auf die beteiligten Personen die Rolle der Erziehung auf die jeweiligen Verfassungen hin (9, 1310a12 ff.).
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Die beiden Formen der Monarchie behandelt Aristoteles getrennt. So wie im vorangehenden Demokratie und Oligarchie eindeutig hervortreten, steht hier die Tyrannis im Zentrum. Auch dies ist sicher ein Reflex der empirisch vorfindbaren Situation in der griechischen Polis. Nach kurzen Bemerkungen zur Entstehung der beiden monarchischen Formen, die Gelegenheit zu einer erneuten, deutlich antithetischen Charakterisierung von Königsherrschaft (basileia) und Tyrannis gibt, geht es zunächst um die Veränderungen (Kap. 10). Ihre Ursachen entsprechen, bis in die Begrifflichkeit hinein, den für die anderen Verfassungen benannten Gründen. Angesichts der besonderen Form der Monarchie, vornehmlich der Tyrannis, stehen unmittelbare Angriffe auf Person oder Position des Herrschers und in diesem Rahmen die persönlichen Motive der Angreifer eindeutig im Vordergrund. Dabei kommt Zorn (orgê) und Haß (misos) im Kontext von Kränkungen (also dem Phänomen der hybris) besonderes Gewicht zu. Auch bei der Monarchie werden die Mittel zur Erhaltung von den Ursachen von deren Sturz her gedacht (Kap. 11), und auch hier geht es dementsprechend um Balance und Mäßigung. Besonders auffällig ist in diesem Rahmen die Behandlung der Tyrannis, die an sich auch für Aristoteles entscheidend negativ konnotiert ist und die kurzlebigste, also auf Grund ihrer Schwäche instabilste Verfassung darstellt (Kap. 12). Für ihre Erhaltung gibt es konsequenterweise den Weg der Zurückhaltung: Sie solle „königlicher“ werden, heißt es wörtlich (11, 1314a35), allerdings ohne ihren tyrannischen Charakter aufzugeben, weshalb es hier primär nur auf den äußeren Eindruck ankommt. Noch bezeichnender ist aber die vorangestellte Methode der Erhaltung, die – auch im Widerspruch zu den sonstigen Grundsätzen – gerade in einer Übersteigerung der tyrannischen Macht besteht. Sie wird als traditionelles Mittel zur Bewahrung tyrannischer Macht bezeichnet (11, 1313a35) und zugleich als Vollendung allen Übels (1314a13 f.). Ihre Wirkung besteht vor allem in der Veränderung der psychisch-moralischen Disposition der Untertanen, die demoralisiert und der Möglichkeit zur Gemeinschaftsbildung beraubt werden (Heuß 1970, 18 ff.; Schütrumpf 1996, 578). Die abschließende Kritik an dem metabolê-Modell der platonischen Politeia gründet sich auf zwei prinzipielle Einwände, gegen die stufenartigen Übergänge zwischen einander nahestehenden Verfassungen und gegen die mangelnde Differenzierung innerhalb der Oligarchien und Demokratien. Demgegenüber betont Aristoteles die Markanz der Übergänge (normalerweise in die jeweils entgegengesetzte Verfassung) und die Differenziertheit im Spektrum von oligarchischer und demokratischer Ordnung (Schütrumpf 1996, 599; 605).
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9.2 Leitgedanken Daß gerade ein Hinweis auf empirische Vielfalt (1316b25 f.) das 5. Buch beschließt, ist charakteristisch genug. Ist es doch der eindeutig am reichsten historisch-exemplarisch dokumentierte Teil des Gesamtwerkes. Von jeher hat die Forschung deshalb in diesem Zusammenhang Aristoteles’ Umgang mit der historisch-politischen Empirie gerade von diesem her analysiert (Weil 1960; Zoepffel 1975). Dies soll auch hier geschehen (s.u.), aber vorher ist noch zu fragen, wie die Erörterungen über Sturz und Erhaltung der Verfassungen zu den Leitgedanken und Hauptprinzipien des Gesamtwerkes stehen. Auch wenn sich die Bücher IV–VI von anderen Teilen der Politik nicht zuletzt in der Bewertung der gegebenen Realitäten unterscheiden (Schütrumpf 1996, 110 ff.; vgl. auch u.), finden sich wesentliche Kriterien der Definition und Qualifizierung von Verfassungen auch im 5. Buch, die Frage der Bindung der Staatsformen an Gesetz und Recht und die Bedeutung der Zusammensetzung ihrer jeweiligen Bevölkerung aus Reichen und Armen. So erscheint der Gesichtspunkt der Nomos-Observanz als wesentliches Merkmal zur Unterscheidung von gemäßigten und extremen Formen von Demokratie und Oligarchie (V, 1305a31 f.; 6, 1306b17 ff.). Veränderungen in diesem Bereich indizieren also einen graduellen Verfassungswandel mit erheblichen Konsequenzen. Überhaupt wirkt sich die Beachtung von Recht und Gesetz positiv hinsichtlich der Stabilität von Verfassungen aus (8, 1307b30 ff.; 9, 1310a2 ff.; 11, 1314b38 ff.). Ein wesentlicher Aspekt ist die Spaltung der Bevölkerung in Arme und Reiche, die in der Regel als wesentliche Teile der Verfassungen bezeichnet werden. Da sie prinzipiell mit der Definition von Demokratie und Oligarchie verbunden sind und gerade diesen Staatsordnungen von Anfang an (1, 1301a28 ff.) besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, zieht sich der Arm-Reich-Gegensatz wie ein Roter Faden durch das gesamte Buch hindurch. Er bildet eine wesentliche Voraussetzung für Änderung und Umsturz von Verfassungen, und demzufolge hängt deren Erhaltung und Stabilität in hohem Maße von einer angemessenen Regelung bzw. Handhabung der Vermögensverhältnisse ab. Besonders charakteristisch ist, daß man mit einer Gegnerschaft von Armen und Reichen geradezu fest rechnen kann. Es handelt sich in Aristoteles’ Augen nicht nur um eine Differenz und Diskrepanz, sondern oft um eine brisante Konfliktkonstellation. Es herrscht prima facie eine Art von Klassenkampf (Ste. Croix 1981, 69 ff.). Insofern sind Verschiebungen im Vermögensgefüge, die aus solchen Spannungen resultieren, auch ganz konkret Ursachen für Verfassungsum-
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schwünge: Der besonders häufige Übergang von der Demokratie zur Oligarchie läßt sich auf demagogisch inspirierte Angriffe auf das Vermögen der Reichen zurückführen, und auch für die Ablösung der Demokratie durch eine Tyrannis sind oft derartige Aktionen von Demagogen maßgeblich (Kap. 5,10). Andererseits gehört zu den Exzessen der Oligarchie – und damit zu den diese Verfassungsform gefährdenden Faktoren – die radikale Handhabung von deren Grundelement, des Reichtums, in der Verschwendung von Vermögen (Kap. 6). Umgekehrt läßt sich die für die Bewahrung wichtige Balance zwischen Entgegengesetztem, also konkret für Demokratie und Oligarchie, gerade durch zurückhaltende und ausgleichende Maßnahmen in finanzieller Hinsicht erreichen oder zumindest fördern (8, 1309a14 ff.). Dies darf freilich nicht zu völliger Nivellierung der Eigentumsverhältnisse führen, weil die genannten Verfassungen damit ihren spezifischen Charakter verlieren und verändert würden. Eine genaue Berücksichtigung der unterschiedlichen Gruppen von Armen und Reichen, das deren jeweiligem Sicherheitsbedürfnis entspricht, dient nach Aristoteles auch der Stabilität der Tyrannis (11, 1315a31 ff.). Die beiden Gesichtspunkte, Rechtlichkeit und Diversität des materiellen Interesses, verbinden sich auf besondere Weise in einem für Aristoteles zentralen Movens des Verfassungsumsturzes, dem Streben nach Gleichheit (bes. 1, 1301b28 f.). Schon gleich zu Anfang betont Aristoteles, daß in den üblichen Verfassungen (und er hat ersichtlich vor allem Demokratie und Oligarchie im Auge) dadurch eine „Gerechtigkeitslücke“ entsteht, daß Maßstäbe von Gleichheit (in der Demokratie) und Ungleichheit (in der Oligarchie), die relative Gültigkeit besitzen, verabsolutiert werden (1, 1301a25 ff.). Anders gesagt, die Gleichheit „nach dem Wert“ – auch proportionale oder geometrische Gleichheit (1, 1301b28 ff.) – gilt zwar allgemein als gerecht, wird aber zumal in Demokratie und Oligarchie nicht gewahrt: Die Demokratien betonen die arithmetrische Gleichheit, die Gleichheit schlechthin, die Oligarchien mit ihren ungleichen Besitzverhältnissen die Ungleichheit schlechthin. Jemand, der sich an Wert anderen überlegen fühlt, wird unter dem Gleichheitsdiktat der Demokratie leiden, und wer sich allen anderen gleich fühlt, wird die oligarchische Ungleichheit schwer erträglich finden. Gerade das gibt nun einen wesentlichen Impuls zum Widerstand gegen eine Ordnung und damit zum Sturz einer Verfassung. Aristoteles hebt dies bezeichnenderweise in der detaillierten Aufzählung der Gründe und Ursachen für die Verfassungsänderungen – mit einem Rückverweis – noch einmal explizit hervor, und zwar unter dem ersten Punkt der inneren Dispoitionen (pôs echontes: 2, 1302a20;
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22 ff.). In der Tat ist der entscheidende Gesichtspunkt das Empfinden der ungerechten Behandlung durch das Vorherrschen differenter Gleichheitsvorstellungen. Man fühlt sich zurückgesetzt und benachteiligt, in seinem Recht und Anspruch verletzt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Aristoteles hier ein ganz wesentliches Movens der „Aufsässigkeit“ erarbeitet hat, vergleichbar dem Konzept der „relativen Deprivation“, mit dem in der modernen Revolutionsforschung (Hagopian 1974, 171 ff.) solche Form einer Unterprivilegierung bezeichnet wird. Entsprechend stabilitätsfördernd ist eine Kombination beider Gleichheitsformen (1, 1302a7 ff.). Besonders brisant wird die Verbindung von Gerechtigkeitsgefühl und Gleichheitsanspruch, weil mit ihr unmittelbar Ansehen und Ehrenstellung in der Gemeinschaft verbunden sind, also Faktoren, die sowohl unter den „Zweck-“ wie den „Bewegungsursachen“ der metabolai auftauchen und mit dem Phänomen der entehrenden Kränkung (hybris) einhergehen (3, 1302b5 ff.; 4, 1304a34 ff.). Dieses persönlich-psychologische (und angesichts der deutlichen Ehrorientierung der griechischen Gesellschaft auch angemessen herausgearbeitete) Element wird im Hinblick auf den Umsturz in Monarchien noch deutlicher. Erlittenes Unrecht (adikia), besonders in Verbindung mit einer Kränkung (hybris), ist dort ein wesentliches Motiv für einen Angriff auf das System selbst oder den Machthaber. Aristoteles entfaltet in diesem Zusammenhang eine knappe, aber präzise Psychologie der Rache (timoˆria), mit dem Zorn als Bindeglied (10, 1311a25 ff.), und belegt dies mit zahlreichen Beispielen (10, 1311a36 ff.; Gehrke bei Schütrumpf 1996, 175 f.). Das wird, in einer exkursartigen Partie über die Gründe für Angriffe gegen die Tyrannen (10, 1312b17 ff.), mit Erörterungen über das Verhältnis von Haß und Zorn und das jeweils unterschiedliche Maß an Affekten noch vertieft: Entscheidend ist auch hier der Zusammenhang von ungerechter Kränkung, Schmerz und Zorn (10, 1312b32 ff.). Auch dort, wo es um die Bewahrung der Verfassungen geht, finden sich gemeinsame Leitgedanken, die wegen des schon erwähnten, geradezu logischen Umkehrverhältnisses von Umsturzursachen und Erhaltungsmaßnahmen diesem Grundelement entsprechen. Das wurde bereits angedeutet. Darüber hinaus findet sich aber als zentraler Faktor für die Erwiderung und Aufrechterhaltung möglichst hoher Stabilität ein Grundsatz, der generell ganz im Zentrum von Aristoteles’ praktischer Philosophie steht, das Prinzip der Mitte zwischen den Extremen, das meson (9, 1309b18 f.; Heuß 1970, 7 ff.; Schütrumpf 1996, 146 f.; 172 mit Anm. 2). Es handelt sich primär um die Vermeidung von Extremen, die gerade in diesem Kontext als „Abweichung“ im Sinne von parekbasis bezeichnet wer-
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den, also mit dem für die negativen, „verfehlten“ Verfassungen gewählten Begriff (9, 1309b20 ff.; 11, 1314a29 ff.; 1314b36 ff.). Diese Orientierung auf die Mitte ist unlösbar verbunden mit Maß (11, 1313a19 f.) und Selbstbeschränkung (Heuß 1970, 7). Konkret bedeutet das etwa, daß in Demokratien wie Oligarchien jeweils beide in den einzelnen Verfassungen dominierenden Bevölkerungsgruppen präsent sein (9, 1309b38 ff.) oder daß die jeweiligen Exponenten den Interessen der jeweils anderen Gruppe wenigstens äußerlich entgegenkommen sollten (9, 1310a2 ff.). Daß dabei der Schein und der bloße Eindruck des Entgegenkommens schon effektiv sein kann, wird auch im Hinblick auf die Bewahrung von Tyrannenherrschaften betont (11, 1314a38 ff.; 1315a41 ff.). Mitte und Maß äußern sich im Bereich der politischen Ordnungen vor allem in der Mischung von Verfassungen (zum Begriff s. 8, 1307b30 f. und die Hinweise bei Schütrumpf 1996, 155). Konkret bedeutet das die Übernahme von differenten, oft geradezu entgegengesetzten Elementen aus anderen Verfassungen (zum Prinzip bereits in Buch IV s. Schütrumpf 1996, 197 f.). Besonders stabilisierend wirkt die Hereinnahme von Elementen besserer Verfassungen in den Bereich der „verfehlten“, so die Verbindung von Aristokratischem und Demokratischem (8, 1308b38 ff.) oder die „königlichere“ Ausübung der Tyrannis (11, 1314a34 f.). Dabei kommt es, wie schon gesagt, oft nur auf den Eindruck an. So fördert auch eine lediglich kompensatorische Beteiligung der zu einer Verfassung in Opposition stehenden Gruppe den Erhalt der Ordnung, solange die herrschende Gruppierung die entscheidenden Positionen kontrolliert (8, 1309a27 ff.). Es gibt aber auch effektiven Ausgleich, etwa wenn den Demagogen bzw. Demokratien der schonende Umgang mit den Reichen und deren Finanzen oder den Oligarchen die Fürsorge für die Armen ans Herz gelegt wird (8, 1309a14 ff.). Die Mischung erstreckt sich auch auf die jeweils differenten Vorstellungen von Gleichheit, also auf das schon angesprochene Spannungsverhältnis von arithmetrischer und proportionaler Gleichheit. Generell tritt der – deutlich von Platon inspirierte (Schütrumpf 1996, 118 ff.) – Gedanke von Mischung, Ausgleich und Balance in den Vordergrund, und er hat bekanntlich schon in der Antike (mit der sogenannten Mischverfassungstheorie, Aalders 1968), aber markant auch in der Neuzeit (Nippel 1980; Heuß 1981, 361 ff.) eine enorme Wirkung entfaltet. Ein anderer Gesichtspunkt wird demgegenüber noch mehr hervorgehoben, nämlich der der Erziehung der Bürger im Sinne der dominierenden Verfassung (9, 1310a12 ff.): „Die wichtigste unter allen genannten Maßnahmen, die zur Dauer der Verfassungen beitragen, die aber jetzt alle ver-
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nachlässigen, ist die Erziehung auf die jeweilige Verfassung hin“ (Übers. E. Schütrumpf). Der auch sonst in der antiken Staatstheorie wichtige Erziehungsgesichtspunkt wird allerdings von Aristoteles nicht vertieft. Gerade der Aspekt der Bewahrung der Verfassungen verstärkt die Zielsetzung, die generell in den Büchern IV–VI dominiert und programmatisch in den ersten Kapiteln von IV entfaltet wird. Es geht ja nicht mehr um die beste Verfassung schlechthin, sondern um die „nach der besten“ (IV 2, 1289b15) und überhaupt auch um die anderen Verfassungen, die einer – relativen – Verbesserung nicht völlig unzugänglich sind (IV 1, 1288b24 ff.). Damit kommen gerade auch solche Verfassungen in den Blick, die eigentlich „verfehlt“, aber doch empirisch besonders verbreitet sind, Demokratie und Oligarchie, aber auch die Tyrannis. Wenn es aber sogar darum geht, auch solchen qualitativ minderwertigen Verfassungen Stabilität und Dauer zu verleihen, dann kommt dabei ein anderer Maßstab ins Spiel als er mit der Frage nach der besten oder auch nur bestmöglichen Verfassung aufgeworfen wird. Die bestehenden bzw. vorgegebenen Ordnungen erhalten ein gewisses Eigengewicht, ihre „Realität“ und „Effizienz“ erscheinen als „Größen sui generis“ (Heuß 1970, 6). Gewiß wird Aristoteles damit noch nicht zum Machiavellisten. Aber er dispensiert sich streckenweise von seinen eigenen Urteilskriterien, z.B. der Frage nach Recht und Unrecht, um den im politischen Raum empirisch zu beobachtenden Regeln, Gesetzmäßigkeiten und Interessen ihren Spielraum zu lassen. Die politisch Agierenden kommen mit ihren je eigenen Zielsetzungen in den Blick, und zwar von Anfang an, da es um ihre Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit geht. Was die Menschen in der Regel antreibt, das Streben nach Gewinn und Ehre, wird klar benannt, und daß sie nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten auch alle ihre Pläne und Absichten verwirklichen (10, 1312b 3), konstatiert Aristoteles mit einem Realitätssinn, der dem des Thukydides in nichts nachsteht. Damit werden auch unterschiedliche Urteilskriterien angewandt. Einerseits erscheint, wie bereits hervorgehoben, eine Mischung unterschiedlicher Gleichheitsvorstellungen angezeigt (1, 1301a1 ff.), andererseits wird das Vorherrschen der proportionalen Gleichheit als Dauer verbürgendes Element hervorgehoben (7, 1307a26). Auch die schon erwähnten Ratschläge zu einer bloß deklamatorisch-demonstrativen oder kompensatorischen Politik des Ausgleichs liegen auf dieser Linie. Besonders eklatant ist diese bewußte Ambivalenz im Urteil in Bezug auf die schlechteste Staatsform, die Tyrannis. Dort tritt nicht nur das bloß Deklamatorische am deutlichsten hervor, sondern begegnet auch eine Partie, die der generellen Tendenz der Empfehlungen zur Verbesserung von Dau-
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er und Stabilität deutlich widerspricht: Nicht Mäßigung zwischen den Extremen, sondern das Extreme selbst erscheint als Mittel zur Erhaltung der Tyrannis. Aristoteles hat dies aus einer deutlich typisierenden und zuspitzenden Analyse der ihm bekannten Formen tyrannischen Verhaltens gleichsam extrapoliert und deshalb als „traditionell“ bezeichnet (11, 1313a35). Die Bewahrung der Tyrannis erfolgt dann gerade durch Radikalisierung, also durch das Gegenteil dessen, was ansonsten (und auch zur Tyrannis) empfohlen wird. Aristoteles läßt keinen Zweifel daran, daß er darin den Gipfel der Schändlichkeit sieht (11, 1314a13 f.), aber er stellt unabhängig davon die Elemente extremer Tyrannei so deutlich zusammen, daß man darin eine Theorie des Totalitarismus avant la lettre erkennen konnte (Heuß 1970; Kamp 1985, Touloumakos 1998, 42 ff.).
9.3 Methode Das Verhältnis von Theorie und Empirie, Norm und Realität, das hiermit angesprochen wurde, ist nun gerade in dem „empirischen“ Buch der Politik auch noch aus anderen Gründen ein höchst reizvoller Gegenstand, und zwar in methodologischer Hinsicht. Wir können nämlich gerade hier noch gut beobachten, wie Aristoteles mit empirischen Daten umgeht und wie er es überhaupt „mit der Geschichte hat“ (grundlegend ist immer noch Weil 1960). Deshalb soll es im letzten Teil um Aristoteles’ Arbeitsweise und damit zugleich – aus Sicht des Historikers – um den Quellenwert der Politik gehen. Zunächst bleibt festzuhalten, daß wir die Quellen zu den zahlreichen historischen exempla im 5. Buch kaum noch ermitteln können und daß insbesondere die Frage nach dem Zusammenhang der Sammlung der Staatsverfassungen mit diesem Teil der Politik offen bleiben muß. Gleich aber, aus welchen Quellen Aristoteles im einzelnen schöpfte, ihm stand ein riesiges Reservoir historischen Wissens und faktischer Beispiele zur – oft lediglich assoziativen – Exemplifizierung seiner Aussagen über metabolai und staseis zur Verfügung. An manchen Stellen, für die wir gute Parallelüberlieferungen haben, läßt sich Aristoteles’ Arbeitsweise rekonstruieren. Anläßlich der bekannten Tat der athenischen Tyrannentöter Harmodios und Aristogeiton wird dies durch den Vergleich mit dem ausführlichen Bericht des Thukydides besonders deutlich (vgl. Gehrke bei Schütrumpf 1996, 557). Bei Aristoteles erscheint diese Tat (10, 1311a33 ff.; 1312b 25 ff.) als ein Musterbeispiel in dem bereits bezeichneten Kontext der Ehrverletzung: Aus einer in diesem
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Sinne unrechten Handlung (hybris) eines Tyrannen resultiert beim gekränkten Opfer Wut, die zur Rache drängt. Dabei differenziert Aristoteles zwischen Anschlägen, die dem System selbst, also der Tyrannis gelten, und solchen, die sich auf die Person des Herrschers beziehen (a31 ff.). Mit Thukydides stimmt er in vielem überein, gerade auch mit der Akzentuierung der privaten Kränkung und der persönlichen Rache. Die Differenz liegt gerade darin, daß bei Thukydides die private Rachehandlung von den Beteiligten auf Grund der existierenden Machtverhältnisse als Angriff auf die Tyrannis bzw. die Tyrannen insgesamt geplant wird, während Aristoteles deutlich zwischen „Herrschaft“ und „Person“ des Tyrannen scheidet. Bei ihm steht die systematische Kategorisierung im Vordergrund. Sie führt zu einem bestimmten Arrangement der Fakten und zu einer entsprechend akzentuierenden Deutung. Die gedankliche Schärfe mag der historischen Komplexität nicht immer gerecht werden und die Zusammenhänge auch vereinfachen; sie verdunkelt die Ereignisse jedoch nicht und läßt einiges sogar durchsichtiger erscheinen. Worum es Aristoteles geht, läßt sich womöglich aus der bekannten Unterscheidung von Dichtung und Geschichtsschreibung in der Poetik (9, 1451a35 ff.) ableiten, insofern dort das Verfahren der Dichtung als „philosophischer und bedeutsamer“ (1451b6) bezeichnet wird. Damit aber ist gemeint, daß es um das „Allgemeine“ (katholon) geht, genauer, um das, was Menschen „nach Angemessenheit und Notwendigkeit“ (eikos und anankaion) sagen und tun (b8 ff.). Wenn gerade darin das „Philosophische“ besteht, so ist die Orientierung des Aristoteles auf die Kategorien des Angemessenen und Notwendigen und damit auf die analysierbare Regelhaftigkeit und entsprechende Klassifizierung von Vorgängen (auch psychischen) verständlich und charakteristisch für seine Arbeitsweise – die übrigens von der des Thukydides nicht so meilenweit entfernt ist, zumindest wenn man sich auf dessen Redensatz bezieht (1, 22, 1; vgl. Gehrke 1993). Eine solche, auf allgemeine Gesichtspunkte orientierte (man könnte geradezu sagen, „nomothetisch“, nicht „idiographisch“ ausgerichtete) Methode ist dem Gegenstand und der Zielsetzung des Staatstheoretikers, also des Philosophen angemessen (s. bes. EN I 1, 1094b19 ff.; vgl. Schütrumpf 1996, 112; 157; 163 Anm. 4). Vergleichbare Kategorisierungen und Schematisierungen in bezug auf die Darstellung historischer Exempel lassen sich fast überall beobachten, wo wir überhaupt Vergleichsmöglichkeiten haben. Man muß dabei zusätzlich berücksichtigen, daß die Beispiele ja zur Klassifizierung der Ursachen für Verfassungsänderung und Umsturz in ihrer jeweiligen Typik passen müssen. Deshalb hat Aristoteles aus einem Ursachenbündel bzw. –komplex
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die jeweils für das gerade behandelte Element wesentlichen Gesichtspunkte herausgegriffen und entsprechend subsumiert, z.B. – wie im Falle der Tyrannentöter – unter der Rubrik ‘persönliche Querelen unter Vornehmen’ Vorgänge wie die Stasis in Mytilene zu Beginn des Peloponnesischen Krieges (4, 1303b 31f.) verbucht. Das ist bei einer theoretischen Analyse kaum zu vermeiden und bedeutet nicht unbedingt eine historische Verfälschung. Wir sind für unsere Rekonstruktion auf weitere Quellen angewiesen, finden aber bei Aristoteles nicht selten auch wichtige Ergänzungen, weil andere Autoren anders fokussierten als er. Diese Art der Klassifizierung, die immer wieder bestimmte Phänomene separiert oder isoliert, führte sogar dazu, daß Aristoteles bestimmte Formen von Verfassungen geradezu modellhaft ermittelte, indem er typische Elemente, die in der Realität vorkommen, kombinierte und daraus ein Gebilde konstruierte, das es in der Wirklichkeit gar nicht gibt. Das gilt für die umfassende Form der Königsherrschaft (pambasilieia, Schütrumpf 162) und insbesondere für die „totalitäre“ Variante der Tyrannis in V 10 (Heuß 1970). A. Heuß hat gezeigt, wie nahe Aristoteles damit der Konstruktion eines „Idealtypus“ im Sinne Max Webers gekommen ist (ebd. 11). Solche Typisierungen bergen naturgemäß auch Risiken in sich. Die deutliche Verbindung der Verfassungsformen Demokratie und Oligarchie mit dem Arm-Reich-Gegensatz bildet einen auch im 5. Buch wesentlichen Zusammenhang. Hier zeigt sich die negative Konsequenz der in der Regel deutlich antithetischen Kategorisierung: Graduelle Abstufungen werden zu qualitativen Diskrepanzen. So geht gerade das Arm-Reich-Schema nicht auf, wenn man differenzierte neuere Analysen der griechischen Gesellschaften der Klassischen Zeit heranzieht, die sich im übrigen auch auf solche Partien des Aristoteles stützen können, in denen nicht so massiv klassifiziert wird (vgl. den Überblick bei Gehrke 1985b). Nun läßt sich an manchen Beispielen, besonders im Hinblick auf die Machtergreifung des älteren Dionysios (V, 1305a26 ff.), zeigen, daß dieses „Klassenkampfschema“ nicht nur die Erklärung eines historischen Vorgangs bestimmt, sondern auch dessen Präsentation verfärbt, ja verfälscht (weiteres s. Gehrke bei Schütrumpf 1996, 174 f., 486 f.). Das ist eine negative Konsequenz von Aristoteles’ Zugriff und Arbeitsweise. Andererseits verhindert gerade die empirische Weite und historische Tiefe von Aristoteles’ Blick eine zu weitgehende Einseitigkeit. Seine Klassifizierungen sind recht kleinteilig, wie gerade auch in der Kritik an Platons metabolai-Konzept deutlich wird. So geraten recht viele und vielschichtige Ursachenfelder für Verfassungswandel und interne Konflikte ins Blickfeld, auch solche, die bei anderen Autoren zurücktreten. In der Syn-
9. Verfassungswandel
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opse jedenfalls ist Aristoteles’ Analyse des Phänomens der stasis höchst facettenreich. Elemente einer politischen Anthropologie und Psychologie werden deutlich sichtbar, so die verbreitete Orientierung auf materiellen Gewinn und auf Ehre oder die ausgeprägte Bereitschaft, im politischen Vorgehen gegebene Spielräume voll auszunutzten – Einsichten, die Aristoteles mit anderen Denkern, besonders Thukydides, teilt. Anderes wird anderweitig nicht so deutlich und kompakt beschrieben und analysiert wie bei Aristoteles, etwa die psychischen Mechanismen von Kränkung und Rache, deren Bedeutung in einer so empfindlich auf Ehre orientierten Gesellschaft wie der griechischen gar nicht zu überschätzen ist. Daß gerade auch in diesem Zusammenhang subjektiven Vorstellungen und Ansprüchen auf Gleichheit und Gerechtigkeit für die Auslösung massiver Konflikte eine wesentliche Rolle zukommt, ist schon bei Platon angesprochen (Nomoi VI 757a) und wird bei Aristoteles weiter entfaltet und psychologisch unterlegt. Er hat damit den für revolutionäre Auseinandersetzungen bedeutsamen Gesichtspunkt des Gefühls des Zurückgesetztseins, der „relativen Deprivation“ in seiner Dynamik und Wirksamkeit prägnant formuliert. Schon darin liegt ein ganz wesentlicher Beitrag des Aristoteles zu einer Theorie des abrupten sozialen und politischen Wandels. Das 5. Buch der Politik liefert somit nicht nur eine Fülle reichhaltiger (wenngleich teilweise mit kritischer Vorsicht zu nutzender) Beispiele von Verfassungsumschwüngen und innerem Umsturz, die unsere historische Kenntnis sehr bereichern. Es bietet vor allem eine stark typisierende, aber gerade deshalb durchschaubare und exemplarische Analyse eines zentralen Phänomens der griechischen Geschichte. Auch wenn man nicht jeder seiner Deutungen folgen kann, wird man zugeben, daß Aristoteles einen Weg eröffnet und eine Methode entwickelt hat, mit denen man derartige Phänomene theoretisch-intellektuell bewältigt, nicht nur in der Geschichte der Antike.
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10. Die Einrichtung von Demokratien und Oligarchien (VI 1–8)
10.1 Die praktische Intention der politischen Philosophie Das sechste Buch der Politik ist das letzte der drei mittleren Bücher, die man gemeinhin, aber nicht ganz zutreffend, die „empirischen“ nennt. Diese Bezeichnung ist schon deshalb nicht glücklich gewählt, weil „empirisch“ zuweilen noch mit „philosophisch unbedeutend“ gleichgesetzt wird. Daß dies die Rezeption nicht gerade begünstigt, zeigt eine neuere Darstellung der Aristotelischen Politik, die die Vernachlässigung der mittleren Bücher mit eben diesem Argument begründet: „I have been obliged by constraints of space to ignore not only the ,empirical‘ books, but also much of philosophical interest“ (Taylor 1995, 258). Es ist klar, daß diese Einschätzung mit Aristoteles’ eigener Überzeugung vom Stellenwert dieser Bücher nur schwer in Einklang zu bringen ist. Zudem ist es fragwürdig, ob „empirisch“ die Bücher IV bis VI überhaupt angemessen charakterisiert. Niemand wird bestreiten wollen, daß die dort dargestellte politische Theorie empirisch informiert auftritt, aber daß dies den Grundzug aller drei Bücher ausmacht, kann mit Recht bezweifelt werden (vgl. dazu Schütrumpf 1996, 109-112). Insbesondere für das sechste Buch ergeben sich folgenreiche Mißverständnisse, wenn man den deskriptiven Anspruch seiner Analysen überschätzt. Das führt beispielsweise dazu, daß man historisch korrekte Beschreibungen der athenischen Demokratie erwartet und die entsprechenden Ausführungen dann für ihre deskriptive Unzuverlässsigkeit kritisiert (so etwa Eucken 1990). Die Kritik, zu der diese „empirische“ Lektüre verführt, verfehlt aber ihren Gegenstand. Denn das Aristotelische Interesse scheint hier vielmehr darin zu bestehen, Modelle zu
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entwerfen, die eine orientierende Funktion für politisches Handeln haben. Diese Modelle repräsentieren Verfassungen, deren Einrichtung unter betimmten Bedingungen erstrebenswert oder zu vermeiden ist. Ihre Funktion ist also primär normativer und nicht deskriptiver Natur. Das Hauptthema des Buches ist die Frage, wie man unter gegebenen Umständen eine Verfassung einrichten kann, außerdem, wie man sie reformieren und schließlich auch erhalten kann. Thematisch und methodisch knüpft es dabei eng an die vorhergehenden Bücher IV und V an, deren Argumentation es mit diesen auf die politische Praxis bezogenen Fragen konsequent zum Abschluß bringt. Zu Beginn von Buch IV hatte Aristoteles zwei Spielarten politischer Philosophie als nicht sachgerecht kritisiert (1288b35 ff.). Die einen orientieren sich einseitig an theoretisch anspruchsvollen Idealstaatsentwürfen, verlieren aber durch diese Fixierung auf die beste Verfassung den praktischen Nutzen (tôn chrêsimôn) ihrer Untersuchungen aus dem Auge. Die anderen vermeiden in ihrer politischen Theorie zwar diesen einseitigen Idealismus, pflegen dafür aber umgekehrt einen genauso einseitigen Realismus, indem sie sich einfach auf eine der bestehenden Verfassungen festlegen und diese, z.B. die lakedaimonische, zur politischen Modellverfassung küren und unterschiedslos allen Staaten zur Einrichtung empfehlen. Aristoteles versucht beide Fehler zu vermeiden, die theoretische Selbstgenügsamkeit der „Idealisten“ und den politischen Dogmatismus der „Realisten“. Zu diesem Zweck entwirft er eine grundlegend neue Verfassungslehre, die gleichermaßen phänomennah, begrifflich differenziert und konstruktiv sein soll, um neben ihrem theoretischen Reingewinn auch für Politiker aus allen Verfassungen von praktischem Nutzen sein zu können. Denn diese benötigen, wenn sie Verfassungsänderungen oder politische Reformen planen, neben ihrer politischen Erfahrung ein grundlegendes Wissen von Gesetzen und Institutionen, von Verfassungsformen und -zielen, von Ursachen für politische Krisen und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Anders als Platon entlastet Aristoteles die Politiker zwar davon, selber Philosophie treiben zu müssen, aber er gibt deutlich zu verstehen, daß ein offenes Ohr für die Philosophie der politischen Selbsterhaltung und dem Gemeinwohl auch nicht gerade schadet. Schon in seiner frühen Schrift Über das Königtum hatte er den Platonischen Philosophenkönigssatz kritisiert und dabei, wie Themistios, der uns diese Kritik überliefert hat, lobend bemerkt, „durch eine kleine Veränderung der Worte den Satz wahrer gemacht“. Aristoteles hatte gegen Platon eingewendet, „daß das Philosophieren für einen König nicht nur nicht erforderlich, sondern sogar hinderlich sei“ und den Herrschern stattdessen empfohlen, „als
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belehrbare und folgsame Zuhörer den Umgang mit wahrhaft Philosophierenden zu pflegen“ (Peri Basileias, Frg. 2, Ross; vgl. dazu Scholz 1998, 135 f.). Aristoteles fordert also eine grundsätzliche Arbeitsteilung für Politiker und Philosophen, ohne aber im einzelnen die Möglichkeiten der Kooperation aus dem Auge zu verlieren. Die berühmte Kantische Variation desselben Platonischen Themas folgt diesen Aristotelischen Motiven: „Daß Könige philosophieren, oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche (sich selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist beiden zu Beleuchtung ihres Geschäfts unentbehrlich“ (Geheimer Artikel zum Ewigen Frieden). Obwohl selbstverständlich die gesamte Politik zur praktischen Philosophie gehört und deshalb nach Aristotelischem Selbstverständnis die Praxis nicht nur zu ihrem Thema, sondern auch zum Ziel hat (vgl. EN I 1, 1095a5 f.), ist die praktische Intention in den Büchern IV bis VI besonders deutlich, am deutlichsten aber in Buch VI zum Ausdruck gebracht. Denn hier geht es nicht mehr hauptsächlich um Klassifikation und Ursachenforschung, sondern mit der Frage nach dem Etablieren und Reformieren von Verfassungen direkt um Typen politischen Handelns, für die die politische Theorie eine pragmatische und normative Orientierung leisten soll.
10.2 Die Komposition des sechsten Buches Das sechste Buch weist eine scheinbar klare Grobgliederung auf, die im Detail jedoch viele Fragen aufwirft. Von den acht Kapiteln beschäftigen sich die ersten fünf mit der Einrichtung von Demokratien, die Kapitel 6 und 7 mit der Einrichtung von Oligarchien und das abschließende 8. Kapitel mit der Klassifikation von Ämtern. Es gibt jedoch zwei grundlegende Kompositionprobleme. Es ist zum einen nicht ganz klar, ob alles, was der Untersuchungsplan im ersten Kapitel nennt, im folgenden auch wirklich untersucht wird. Oder anders gesagt: Es ist nicht ganz klar, ob das sechste Buch vollständig ist. Und es ist zum anderen schwer zu verstehen, welchen Motiven wir das überraschend auftretende achte Kapitel zu verdanken haben. Es ist weder im Untersuchungsplan angekündigt noch ergibt es sich aus der Sache selbst. Dieses Problem verhält sich komplementär zum erstgenannten, so daß der unvorteilhafte Eindruck entsteht, das sechste Buch leide sowohl an Unvollständigkeit als auch an Überlänge.
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Als Indiz für die Unvollständigkeit wird meistens angeführt, daß der letzte Satz des Buches mit men oun konstruiert ist, darauf aber kein Satz mehr folgt, der die Konstruktion, wie erforderlich, mit de weiterführt (z.B. von Newman 1902, IV 568, Schütrumpf 1996, 665 und Keyt 1999, xiv). Das ist im Prinzip richtig, aber es sprechen verschiedene Gründe dagegen, dieses grammatische Detail überzubewerten. Erstens könnte der letzte Satz dieses Buches urspünglich auch der erste Satz des darauffolgenden Buches gewesen sein, der vor der neuen Untersuchung die alte formal abschließt. Gelenksätze dieser Art können an beiden Stellen stehen und dann bei der Redaktion des Textes oder beim Abschreiben der Manuskripte gewissermaßen verrutschen. Zweitens ist es faktisch so, daß das folgende, siebte Buch seinen Anfangssatz mit de konstruiert, so daß hier formal also gar nichts zu beanstanden ist, auch wenn man natürlich skeptisch sein kann, ob dieses siebte Buch der rechtmäßige Nachfolger unseres sechsten Buches ist. Drittens endet auch das zweite Buch mit einem men oun Satz, der keinen rechten Anschluß mehr findet, ohne daß dies dort großes Aufsehen erregt. Wenn man die Unvollständigkeit von Buch VI behaupten will, muß man also zusätzliche Gründe anführen, und in der Tat tritt der Verweis auf das grammatische Indiz nie alleine auf, sondern immer nur in Verbindung mit einem Hinweis auf die inhaltliche Unvollständigkeit. Um diese These zu prüfen, ist es aber nötig, zu untersuchen, ob die selbst gestellten Aufgaben des ersten Kapitels im folgenden auch bearbeitet werden. Die Einleitung nennt vier Gesichtspunkte, die die folgende Untersuchung leiten sollen. Nach einem kurzen Rückverweis auf die Untersuchungen von Buch IV und V verspricht Aristoteles erstens nachzutragen, was von den verschiedenen Verfassungsformen „zu sagen noch übrig ist“ (1316b37 f.). Das könne nicht schaden (ou cheiron), wie er sagt. Er will zweitens die für jede Verfassung (a) eigentümliche (oikeion) und (b) zuträgliche (sympheron) Form angeben. Es gehört zu den wesentlichen Einsichten des sechsten Buches, daß zwischen diesen beiden Ansprüchen eine Spannung besteht. Eine Verfassung kann in einer Form auftreten, die als besonders charakteristisch für sie gilt, weil sie z.B. alle Merkmale der Demokratie in Reinform verwirklicht, die ihren Fortbestand aber paradoxerweise gerade dadurch gefährdet. Drittens sollen mögliche Verfassungskreuzungen diskutiert werden, die sich durch Kombination (syndyasmos) von Institutionen verschiedener Verfassungen ergeben. Und viertens möchte er am Beispiel von Demokratie und Oligarchie untersuchen, auf welche Weise sich Verfassungen einrichten (kataskeuazein) lassen.
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Wenn man diesen Plan zugrundelegt, um die Frage nach der inhaltlichen Vollständigkeit des sechsten Buches zu überprüfen, dann läßt sich folgendes feststellen: (1) Die erste Aufgabe (zu sagen, was noch übrig ist) stellt noch gar keinen selbständigen Untersuchungsbereich dar. (2) Die Erfüllung der vierten Aufgabe (Einrichtung von Demokratien und Oligarchien) steht außer Zweifel, und sie wird am Ende des siebten Kapitel auch ausdrücklich als erledigt angesehen. (3) Von der zweiten Aufgabe schließlich (Bestimmung der eigentümlichen und zuträglichen Form einer Verfassung) behauptet Aristoteles, daß er die zuträgliche Form einer jeden Verfassung schon in den vorherigen Büchern behandelt habe (1317a10 ff.). Im Rahmen seiner pragmatischen Neubestimmung der politischen Theorie (IV 1, 1288b35 ff.) darf sich die Analyse darauf jedoch nicht mehr beschränken. Nachdem man geklärt habe, welche (poia) der Verfassungen die jeweils beste für einen bestimmten Staat sei, müsse man nun auch das weitergehende praktische Problem erörtern, wie (pôs) man diese Verfassung einrichten kann (VI 1, 1317a10–16; vgl. zu dieser Untersuchungsanordnung auch Rhet. III 1, 1403b15 f.: Es „genügt nicht über das zu verfügen, was man sagen muß, sondern es ist notwendig, daß man auch über das verfügt, wie man es sagen muß“, Übers. Ch. Rapp). Die zweite Aufgabe hat ihre genaue Funktion also im Rahmen der vierten. Wenn sich die vierte Aufgabe aber von vornherein darauf beschränkt, die Einrichtung von Demokratien und Oligarchien zu untersuchen, dann erscheint es plausibel, daß die zweite Aufgabe ihren Untersuchungsbereich auf dieselbe Weise begrenzt. Dementsprechend werden die gesuchten zuträglichen Verfassungsformen in Gestalt der besten Demokratie in VI 4 und der besten Oligarchie in VI 6 angegeben. Die Darstellung der eigentümlichen Form wird nur noch exemplarisch für die Demokratie durchgeführt. Daß die analoge Behandlung der Oligarchie fehlt, wird als Vorgehen von Aristoteles selber gerechtfertigt. Denn da er Demokratie und Oligarchie als genau entgegengesetzte Verfassungen begreift und damit das logische Verhältnis, in dem sie zueinander stehen, klar ist, meint er eine ähnlich ausführliche Darstellung der Oligarchie erübrigen zu können, da man sich diese durch Analogie- und Umkehrschlüsse selber erschließen könne (VI 6, 1320b18 ff.). (4) Die Durchführung der dritten Aufgabe (Erzeugung von Verfassungsmischungen durch verschiedene Kombinationen von Institutionen) wird allgemein bezweifelt und stellt den stärksten Grund für die Annahme dar, daß Buch VI in einem wesentlichen Sinne unvollständig ist (vgl. Schütrumpf 1996, 665; Keyt 1999, 192). Im Anschluß an die oben skizzierte Analyse kann man aber überlegen, ob nicht auch dieses Thema nur im Rahmen der zentralen, vierten Aufgabe erörtert wird und daß dies die vor-
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dergründige Unsichtbarkeit des Themenkomplexes erklärt. Das Ziel dieser Untersuchung besteht ja nicht darin, eine Art politischer Kombinatorik zu entwerfen, mit der sich durch die Darstellung aller Möglichkeiten, Institutionen miteinander zu kombinieren, eine beliebige Anzahl von Verfassungskreuzungen erzeugen läßt. Statt ein solches, formalistisches Interesse zu verfolgen, scheint Aristoteles seine Überlegungen zu diesem Thema viel eher dem praktischen Hauptziel der Untersuchung unterzuordnen und sich konkret zu fragen: Welche institutionellen Verbindungen sind sinnvoll, um eine wohldefinierte und zuträgliche Form der Demokratie oder Oligarchie einzurichten? Unter dieser Perspektive finden sich tatsächlich einige Vorschläge für eine Kombination von Institutionen, die genau auf einen bestimmten Verfassungstyp abgestimmt sind. Für die beste Demokratie schlägt Aristoteles z.B. eine Kombination von demokratisch besetzten Gerichten und einer oligarchischen (oder aristokratischen) Besetzung der höchsten Ämter vor (VI 4, 1318b27 ff.). Und auch der in VI 3 geschilderte Vorschlag einer Verfahrensreform (1318a27 ff.) stellt eine genaue Mischung demokratischer und oligarchischer Elemente dar, hier allerdings innerhalb einer einzigen Institution. Nach dieser Analyse läßt sich die Frage nach der Vollständigkeit oder Unvollständigkeit von Buch VI so beantworten: Das grammatische Argument ist nicht stark genug, um die Beweislast für eine Unvollständigkeitsthese zu tragen. Aber auch gegen die zusätzliche inhaltliche Argumentation lassen sich schwere Vorbehalte geltend machen. Denn das beanstandete Fehlen einiger Themen ist nur Ausdruck einer bewußten Beschränkung, die von Aristoteles selber, und zwar schon im Untersuchungsplan, vorgenommen wird. Die anderen Themen schließlich, deren Fehlen man moniert, fehlen gar nicht wirklich, sondern werden nur in einem anderen Kontext und nicht, wie erwartet, eigenständig abgehandelt. Insofern ist es zwar richtig, daß einige Probleme genauer und umfassender hätten behandelt werden können, aber da es andererseits keine Frage gibt, die nach ihrer Ankündigung gar nicht behandelt wird, scheint sich eine starke Unvollständigkeitsthese kaum begründen zu lassen. Das sechste Buch der Politik sollte deshalb als im wesentlichen vollständig gelten.
10.3 Ein politischer Grundfehler Um die Frage nach der Einrichtung von Verfassungen angemessen zu beantworten, muß man Aristoteles zufolge erst die verschiedenen Institutionen bestimmen, die für eine bestimmte Verfassung typisch sind (VI 2). Die
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unterschiedlichen Ausprägungen eines Verfassungstyps, die gemäßigten oder extremen Formen von Demokratie oder Oligarchie (VI 3-7) ergeben sich, wenn man diese Institutionen in unterschiedlicher Konzentration zusammenstellt. Damit greift er auf einen Gedanken zurück, dem schon in Buch IV eine zentrale Bedeutung zukam: Die verschiedenen Formen einer Verfassung ergeben sich aus der verschiedenen Zusammensetzung ihrer Teile (3, 1289b27 f.). Während er dort jedoch von Bevölkerungsgruppen als den Teilen ausging, durch deren unterschiedliche Gewichtung sich die Verfassungsvielfalt erklären ließe, sollen nun eben die Institutionen als wesentliche Bestandteile einer Verfassung in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Das praktische Ziel, das er dieser zunächst theoretischen Aufgabe, die politischen Institutionen zu kennen (gnôrizein), zuordnet, wird dabei um einen weiteren Aspekt ergänzt. Die Kenntnis der Institutionen sei nicht nur nützlich, wenn man eine andere Verfassungsform einrichten (kataskeuazein) will, sondern auch, wenn man eine schon bestehende durch Reformen (diorthôseis) verbessern will (1317a33-35). Um den behaupteten Nutzen genauer zu bestimmen, benennt Aristoteles einen politischen Grundfehler, den zu vermeiden die geplante Untersuchung helfen kann und dessen Vermeidung eine Minimalbedingung für gelungenes politisches Handeln darstellt. Die Analyse dieses Fehlers ist für die Argumentation des sechsten Buches von zentraler Bedeutung. Der Fehler wird vor allem von denjenigen begangen, die eine neue Verfassung etablieren möchten und besteht in dem Versuch, „alle Einrichtungen, die der gesetzten Grundlage (hypothesis) angemessen (oikeia) sind, miteinander zu verbinden“ (1317a35 f.) oder anders ausgedrückt: Er besteht darin, alle Institutionen, die aus den Prinzipien einer Verfassung zu folgen scheinen, die als ihr besonders typischer Ausdruck gelten, ohne Abstriche in einem Staat einzurichten. Vermutlich klingt dies zunächst gar nicht nach einer besonders unvernünftigen Idee. Dennoch ist ein solches Vorhaben für Aristoteles grundsätzlich falsch, weil die vollständige Realisierung einer Verfassungsidee immer zur äußersten und radikalsten Ausprägung dieser Verfassung führt und der dadurch etablierte politische Extremismus sowohl für das Gemeinwohl als auch für die politische Selbsterhaltung den größtmöglichen Schaden anrichtet. Außerdem ist eine radikale Demokratie oder Oligarchie „am Ende nicht einmal mehr eine Verfassung“ (V 9, 1309b34 f.). Die Beschreibung dieses Fehlers ist Ausdruck der schon erwähnten Einsicht, daß nicht alles, was für eine Verfassung eigentümlich (oikeion) ist, ihr auch zuträglich (sympheron) sein muß. Nicht alles, was demokratisch ist, ist gut für die Demokratie.
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10.4 Prinzipien und Institutionen der Demokratie Das zweite Kapitel schließt konsequent an diese Einsicht an, indem es die typischen Merkmale demokratischer Verfassungen beschreibt. Dabei geht Aristoteles so vor, daß er in einem ersten Schritt die Grundlage der Demokratie, ihre zentrale hypothesis, bestimmt und diese Grundsatzbestimmung einer näheren Analyse unterzieht. In einem zweiten Schritt versucht er dann zu beschreiben, welche Institutionen sich gewissermaßen folgerichtig ergeben, wenn man dieses Prinzip zugrundelegt oder, vorsichtiger ausgedrückt: welche Institutionen der angemessene Ausdruck der demokratischen Prinzipien sind. Als Grundlage (hypothesis) der demokratischen Verfassung bestimmt Aristoteles die Freiheit (1317a40 f.), die alle Demokratien auch als Ziel verfolgen (stochazesthai) und an der teilzuhaben alle demokratischen Verfassungen exklusiv für sich beanspruchen. Für das demokratische Freiheitsverständnis sind zwei Momente besonders kennzeichnend. Man könnte von einem rechtlich-politischen und einem persönlichen Merkmal demokratischer Freiheit sprechen. Die Bürger würden erstens immer nur abwechselnd regieren und regiert werden. Dies folge aus dem demokratischen Rechtsbegriff, der alle Bürger als schlechthin gleich bestimme und deshalb nicht zulasse, daß die Regierung immer in denselben Händen bleibe und dadurch eine dauerhafte Ungleichheit zwischen Herrschern und Beherrschten erzeuge. Eine weitere Konsequenz dieses Gleichheitsgedankens sei es schließlich, daß die Herrschaft immer von denjenigen ausgeübt werde, die die Mehrzahl bilden und daraus folgt (symbainei) für Aristoteles ebenso zwingend, daß in einer Demokratie immer „die Armen größere Gewalt besitzen als die Reichen“ (1317b8 f.). Das zweite Kennzeichen (sêmeion) der demokratischen Freiheit sei schließlich, daß alle Bürger so leben können, wie sie wollen. „Aus dieser Bestimmung der Freiheit folgt (elêlythe) nun aber wieder, daß man sich nicht regieren läßt, und zwar am liebsten von niemandem, soweit aber dies unmöglich ist, nur abwechslungsweise, und so trifft denn hierin das zweite Merkmal der Freiheit wieder mit dem ersten, nämlich der Gleichheit, zusammen“ (1317b14 ff.). Nachdem auf diese Weise einige der grundlegenden Prinzipien der Demokratie bestimmt worden sind (Freiheit, Gleichheit, Mehrheitsprinzip), geht Aristoteles nun daran, diejenigen Einrichtungen zu benennen, die diese Prinzipien auf eine angemessene Weise zum Ausdruck bringen. Dazu gehört z.B., daß die Beamten aus der Menge aller Bürger gewählt werden können, daß die Dauer der Amtsführung kurz ist, daß die Ämter nicht zweimal hintereinander von derselben Person bekleidet werden dürfen,
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daß die Besetzung der Ämter durch das Los erfolgt usw. Diese Liste soll „die gemeinsamen Merkmale (ta koina) aller Demokratien“ (1318a3 f.) enthalten. Die Zusammensetzung dieser Liste kann zwar eine gewisse intuitive Plausibilität für sich beanspruchen, aber es wird nicht im einzelnen begründet, wie sich die jeweiligen Einrichtungen auf die Prinzipien zurückführen lassen. Außerdem ist auffällig, daß Aristoteles die einzelnen Beschreibungen durchgängig disjunktiv aufbaut: Um Ämter zu bekleiden, braucht man z.B. gar kein Vermögen oder nur ein sehr geringes, die Ämter sollen alle durch Los vergeben werden oder zumindest diejenigen, für die man kein spezifisches Wissen braucht etc. Aristoteles vermeidet also bewußt eine zu starke Vereindeutigung in der Beschreibung der Institutionen und bezeichnet statt dessen den Spielraum, den man bei deren Einrichtung hat. Der Grund dafür könnte in der erweiterten Verfassungslehre liegen, die den Büchern IV bis VI zugrundeliegt. Da Aristoteles davon ausgeht, daß es nicht nur eine Demokratie gibt, sondern ein Spektrum verschiedener Demokratieformen, in denen sich die demokratischen Prinzipien in unterschiedlicher Reinheit oder Radikalität ausprägen, scheint es zwingend zu sein, in einer Beschreibung demokratischer Institutionen diesen verschiedenen Möglichkeiten auch Rechnung zu tragen. Das ganze Kapitel hat endoxischen Charakter, d.h. es werden vor allem akzeptierte Meinungen (endoxa) zur Demokratie wiedergegeben. Der Bezug auf die akzeptierten Meinungen zeigt sich am häufigen Gebrauch von Wendungen wie „sagt man“, „meinen sie“, „pflegen sie zu sagen“ (1317b1, 7 und 13: phasi, 1317a41: legein eiôthasin, 1318a9: nomizoien, außerdem 1317b40: dokei, 1318a6: dokousa und a4: homologoumenou). Diese werden aber nicht einfach ungeordnet aufgelistet, sondern durch logische Unterscheidungen wie der hypothesis (1317a40) und dem, was aus der hypothesis folgt (1317b8: symbainei oder auch b14 f.: elêlythe), außerdem durch Begriffe wie archê (1317b18), hypokeimenon (b17), sêmeion (b10), horos (b11) und ta koina (1318a3) in einen systematischen Zusammenhang gebracht. Die referierten Meinungen spiegeln im wesentlichen das demokratische Selbstverständnis wider, das an dieser Stelle von Aristoteles nicht weiter bewertet wird. Aus anderen Kapiteln weiß man zwar, daß z.B. der demokratische Freiheitsbegriff („leben, wie man will“) einer scharfen Kritik unterzogen wird (in VI 4, 1318b39 ff. und vorher schon in V 9, 1310a28 ff.). Hier aber bleibt Aristoteles so weit wie möglich deskriptiv; er versucht, wie im Untersuchungsplan angekündigt, aufzuzeigen, was der Demokratie eigentümlich (oikeion) ist und erst in einem nächsten Schritt zu erklären, welche Form ihr auch zuträglich (sympheron) ist. Diese normative Bewer-
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tung findet ansatzweise schon in VI 3, dann aber vor allem in VI 4, in der Bestimmung der besten Demokratie, statt. (Daß man die beste Form einer Verfassung als die gesuchte ihr zuträgliche Form interpretieren kann, wird durch VI 1, 1317a10–16 nahegelegt.) Neben seinem deskriptiven Charakter hat das Kapitel schließlich auch noch einen genau bestimmten praktischen Sinn. Wenn der politische Grundfehler der Verfassungsgründer tatsächlich darin besteht, „alle Einrichtungen, die der gesetzten Grundlage angemessen sind, ohne Ausnahme miteinander zu verbinden“ (VI 1, 1317a36 f.), dann macht die hier gegebene Beschreibung der Verfassungsprinzipien und der ihnen entsprechenden Institutionen sowohl transparent, worin im einzelnen dieser Fehler bestehen würde als auch, wie man ihn vermeiden kann.
10.5 Schwierigkeiten bei der Umsetzung von demokratischen Prinzipien Auf das zweite Kapitel, in dem eine Reihe von akzeptierten Meinungen (endoxa) systematisch zu einem Bild der Demokratie angeordnet wurden, folgt nun ein Kapitel, das auf Schwierigkeiten hinweist, die sich aus diesem Bild oder aus Teilen dieses Bildes ergeben können. Das dritte Kapitel ist also ein Aporienkapitel. In dieser Reihenfolge spiegeln die beiden Kapitel einen wichtigen methodischen Grundsatz wider, dessen bekannteste Formulierung sich in der Nikomachischen Ethik, im Kontext einer Diskussion der Willensschwäche, findet: „Man muß nun, wie in den anderen Fällen, zuerst die Phänomene nennen (tithentas ta phainomena) und die Schwierigkeiten zeigen (diaporêsantas) und dann alles nachweisen, was hinsichtlich jener Affekte anerkannte Meinung (endoxa) ist, oder doch das meiste und wichtigste. Denn wenn die Schwierigkeiten gelöst sind und das Anerkannte übrigbleibt, so ist der Nachweis wohl hinreichend geleistet“ (EN VII 1, 1145b2-7, Übers. O. Gigon; vgl. zur Interpretation Owen 1975 und Reeve 1992). Nachdem die Phänomenanalyse in Kapitel 2 geklärt hat, wovon man spricht, wenn man von der Demokratie spricht, wird das auf diese Weise rekonstruierte Verfassungsmodell einer weiteren, nun aporetischen Analyse unterzogen. Entsprechend dem pragmatischen Charakter des ganzen sechsten Buches geht es dabei nicht um Schwierigkeiten der Demokratiedefinition, sondern es werden vor allem Probleme benannt, die sich aus der Realisierung der demokratischen Verfassung ergeben. Denn nach der vorherigen Erörterung ist zwar die prinzipielle Bedeutung der Freiheit und Gleichheit für die Demokratie klar geworden, aber
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daran anschließend ergibt sich die Schwierigkeit (aporeitai), wie man z.B. den Gleichheitsgrundsatz im Staat etablieren soll. Aristoteles illustriert dieses Problem am Beispiel der Machtverteilung und den Modalitäten für politische Entscheidungen. Dazu konstruiert er das Modell einer Polis mit nur den Eigenschaften, die man braucht, um das vorgelegte Problem darzustellen. Gegeben seien also zwei Mengen von Bürgern, von denen die eine doppelt so groß ist wie die andere (1000 und 500), die aber als Mengen ein gleich großes Vermögen besitzen. Die Schwierigkeit besteht darin, wie man unter diesen Bedingungen z.B. die Macht im Staat verteilen soll, ohne den Gleichheitsgrundsatz zu verletzen. Indem man erstens beiden Mengen wegen der Vermögensgleichheit auch die gleiche Macht im Staat zugesteht? Indem man zweitens aus beiden Mengen eine gleiche Anzahl von Bürgern entnimmt und diesen die Machtausübung anvertraut? Oder indem man drittens jedem einzelnen aus der Gesamtmenge den gleichen Anteil an der Macht zubilligt? Natürlich würde nach herkömmlichem Demokratieverständnis allein die dritte Variante den Gleichheitsgrundsatz angemessen repräsentieren, während die beiden ersten Vorschläge auch oligarchische Elemente integrieren. Aber Aristoteles hält die Diskussion darüber, an welchen Faktoren die Gleichheit bemessen werden soll, nicht schon von vornherein für entschieden. Er hatte ja am Ende des ersten Kapitels schon zum Ausdruck gebracht, daß nicht alles, was demokratisch ist, auch gut für die Demokratie sein muß. Denn in seiner reinen Form, so wird nun ergänzt, erzeugt nicht nur das oligarchische, sondern auch das demokratische Rechtsverständnis in letzter Instanz Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Wird allein auf der Grundlage von Vermögen entschieden, „so führt dies zur Tyrannenherrschaft, insofern ein einziger, der mehr besitzt als alle anderen Reichen, nach dem oligarchischen Recht auch allein zu herrschen berechtigt ist“ (1318a22 f.). D. Keyt hat zu Recht eingewandt, daß das Argument in dieser Form nicht gültig ist: Die Alleinherrschaft folgt aus oligarchischen Prämissen nur dann, wenn tatsächlich nur einer alleine reich ist und nicht schon dann, wenn einer nur reicher als alle anderen ist (Keyt 1999, 204). Wird dagegen rein nach dem Mehrheitsprinzip entschieden, führe dies zur politischen Privilegierung der Armen, die immer in der Mehrzahl sind, schließlich zur Tyrannei dieser Mehrheit und zum Machtmißbrauch gegenüber den Reichen. Dieser von Aristoteles immer wieder behauptete Zusammenhang gehört zu den Kernpunkten seiner Demokratiekritik. Nach dieser aporetischen Zuspitzung, mit der Aristoteles die Legitimität der beiden Rechtsbegriffe infragestellt, versucht er diese Aporie aufzulösen, indem er sich fragt, „ob es nicht eine Bestimmung der Gleichheit gibt,
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in der beide Teile übereinstimmen können (homologêsousin)“ (1318a27). Dementsprechend plädiert Aristoteles für ein Entscheidungsverfahren, das demokratische und oligarchische Regeln zu gleichen Teilen miteinander verbindet. Durch diesen institutionalisierten Interessenausgleich sollen Rahmenbedingungen für die Bewahrung von Gleichheit und Gerechtigkeit geschaffen werden. Dadurch daß auf diese Weise für die genannte Schwierigkeit (1318a11) ein Lösungsvorschlag unterbreitet wird, ist das Kapitel auch ein erster Beitrag zum Hauptthema von Buch VI, der Frage, wie sich Demokratien und Oligarchien einrichten lassen. Im Unterschied zu den Kapiteln 4 bis 7 wird hier jedoch von den soziologischen Bedingungen abstrahiert, die erfüllt sein müssen, um den Institutionen in einer Gesellschaft Dauer zu verleihen. Das Kapitel hat zudem exemplarischen Charakter, da es der programmatischen Aussage des ersten Kapitels, in der die konstitutive Bedeutung von Institutionen für Verfassungen betont wurde (1317a29–35), eine konkrete Bedeutung verleiht: Wer Gleichheit und Gerechtigkeit im Staat verwirklichen will, muß dafür vor allem die entsprechenden institutionellen Rahmenbedingungen schaffen. (E. Schütrumpf begründet die Originalität von Buch VI mit dieser verstärkt institutionellen Betrachtungsweise in der politischen Theorie, vgl. Schütrumpf 1980, 239–252). Außerdem markiert es mit seinem Vorschlag, für die zentralen politischen Institutionen nach der richtigen Mischung demokratischer und oligarchischer Elemente zu suchen, um einer möglichst großen Menge von Bürgern die Akzeptanz ihrer Verfassung zu erleichtern, den Weg, auf dem im folgenden auch die jeweils besten Formen von Demokratie und Oligarchie bestimmt werden. Man könnte sich die in 1318a27–1318b1 vorgeschlagenen Verfahrensregeln sowohl in der besten Demokratie als auch in der besten Oligarchie (in VI 4 und in VI 6) eingerichtet denken. Daß es auch nach dieser harmonischen Lösung mit den Aporien immer noch kein Ende nimmt und Aristoteles schließlich auf eine letzte, prinzipielle Schwierigkeit aufmerksam macht, ergibt sich daraus, daß die politische Philosophie es nicht nur mit rein theoretischen Fragen zu tun hat. Er weist darauf hin (1318b1-5), daß die Wahrheit zu finden (heurein tên alêtheian) bei Fragen der Gleichheit und Gerechtigkeit schon schwierig genug sei, daß diese Schwierigkeit aber gering gegenüber derjenigen sei, die Mächtigen, die in der Lage sind, ihren Vorteil gegen andere durchzusetzen (pleonektein), von dieser Wahrheit zu überzeugen (sympeisai). Ob diese Überzeugung im einzelnen Fall selber noch Aufgabe der politischen Philosophie ist, kann jedoch bezweifelt werden. Insofern verweist diese letzte
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Aporie auf eine Grenze der politischen Philosophie als praktischer Philosophie. Selbst in ihrer pragmatischsten Version kann sie Reformvorschläge zwar im Hinblick auf ihre Zustimmungsfähigkeit für einen grob definierten Adressatenkreis konzipieren (3, 1318a27: homologêsousin), aber über die faktische Zustimmung wird andernorts entschieden.
10.6 Einrichtung und Erhaltung von Demokratien Die folgenden Kapitel 4 und 5 bilden eine argumentative Einheit und widmen sich der Frage, unter welchen Bedingungen man die verschiedenen Arten der Demokratie einrichten kann. Zu diesem Zweck unterscheidet Aristoteles vier Formen von Demokratie (vgl. auch IV 4 und 6), von denen er behauptet, daß sie sich auch in normativer Hinsicht unterscheiden. Es handelt sich also nicht nur um eine Klassifikation, sondern um eine Hierarchie von Demokratietypen, d.h. die erste ist auch die beste und die letzte die schlechteste der möglichen Ausprägungen. Verwunderlich ist dabei, daß er die Unterscheidung wieder nach dem Kriterium der vorherrschenden Bevölkerungsgruppe vornimmt, obwohl er im ersten Kapitel angekündigt hatte (1317a29 ff.), nun die institutionelle Ordnung zum Kriterium zu machen. Aristoteles geht sogar so weit, daß die Dominanz einer Bevölkerungsgruppe nicht nur für die deskriptive Unterscheidung, sondern auch für den unterschiedlichen Wert der Demokratie das Kriterium abgeben soll. Die erste Form der Demokratie ist z.B. die, deren Bevölkerung zum größten Teil aus Bauern besteht. Und die beste sei sie deshalb, weil „die beste Art von demokratischer Bevölkerung ... die ackerbauende“ ist (1318b9 f.). Die Bevölkerungsgruppen werden durch den Grad ihrer Teilhabe an der Tugend voneinander unterschieden. Man kann sich fragen, ob der Rückgriff auf die dominanten Bevölkerungsschichten und ihre Tugenden tatsächlich notwendig ist. Ist diese Demokratie wirklich deshalb die beste, weil sie im wesentlichen aus Bauern besteht? Oder ist sie deshalb die beste Demokratie, weil sie eine bestimmte institutionelle Ordnung etabliert hat? Dann wären die Dominanz der Bauern nur die vorgeblich beste Rahmenbedingung, um diese Ordnung einzuführen und zu erhalten. Und vielleicht gäbe es auch ganz andere Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Dann wäre die normative Qualität dieser Verfassung im Prinzip vom Vorherrschen einer bestimmten Bevölkerungsschicht und von der kuriosen Idee, daß man verschiedenen Bevölkerungsschichten uniforme moralische Eigenschaften zuschreiben kann, unabhängig.
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Die erste Form der Demokratie ist weitgehend einer Politie angenähert (vgl. IV 6, 1320b21 f.) und auch der solonischen Verfassung, wie sie Aristoteles in II 12 darstellt, nicht unähnlich. Für sie ist wesentlich, daß die Bevölkerung auf dem Land, also in Entfernung zu der Stadt lebt, in der die politischen Entscheidungen getroffen werden. Dort ist sie vor allem mit der eigenen Arbeit beschäftigt und bringt deshalb weder Zeit noch Interesse dafür auf, sich fortwährend mit den öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Sie wird ihre politischen Rechte wahrnehmen, aber auf ein gewisses Maß beschränken. Sie wird z. B. wegen der eigenen Arbeitsbelastung nicht ständig Volksversammlungen einberufen, aber ihre Beamten wählen und von ihnen abschließend auch Rechenschaft über ihre Amtszeit fordern. Die höchsten Ämter können sogar nach dem Vermögen vergeben werden, so daß sie selber diese unter Umständen gar nicht besetzen können. Die Reichen und Vornehmen erhalten dadurch jedoch ein genuines Feld politischer Betätigung; sie werden auf diese Weise in das politische Leben der Demokratie integriert und können nicht mehr die Rolle des politischen Feindes übernehmen, die ihnen in der radikalen Demokratie geradezu von Haus aus zukommt. Andererseits ist die Macht, die ihnen hier zuteil wird, durch die Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk klar begrenzt, so daß der Gefahr des Machtmißbrauchs durch politische Kontrolle vorgebeugt wird. Die Idee des Interessenausgleichs, für den in VI 3 schon ein abstraktes Verfahren vorgeschlagen wurde, nimmt hier konkrete Gestalt an und prägt, auf diese Weise institutionalisiert, nicht nur einzelne politische Entscheidungen. Auf diese Weise soll, soweit dies möglich ist, sichergestellt werden, daß der Staat gut verwaltet (1318b33: politeuesthai...kalôs) und gerecht regiert werde (1318b37: arxousi dikaiôs). Die Notwendigkeit einer institutionell geregelten Begrenzung politischer Macht wird schließlich mit einem anthropologischen Argument begründet. „Denn von anderen abhängig sein (anakremasthai) und nicht tun dürfen, was einen nur immer dünkt, ist ersprießlich, da die Freiheit (exousia) zu tun, was jedem beliebt, nicht geeignet ist, das in jedem Menschen liegende Schlechte (phaulon) in Zaum zu halten“ (1318b38 ff.). Durch diese anthropologische These wird auch der demokratische Freiheitsbegriff, wie er in VI 2 unter dem Stichwort „Grundlagen der Demokratie“ noch weitgehend wertneutral beschrieben wurde, einer fundamentalen Kritik unterzogen. Hinweise zu einem solchen anthropologischen ,Pessimismus‘, der bei Aristoteles zwar nicht dominiert (wie etwa bei Hobbes), aber trotzdem von systematischer Bedeutung ist, finden sich auch schon in I 2, 1253a31 ff. und II 7, 1267a41 f.
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Da die Qualität dieser Demokratie aber in letzter Instanz darauf zurückzuführen ist, daß „das Volk von einer bestimmten Beschaffenheit (poion) ist“ (1319a5 f.), versucht Aristoteles auch die Frage nach der Einrichtung dieser Verfassung auf die Frage zurückzuführen, wie man es bewerkstelligen könne, daß das Volk diese Beschaffenheit erhält bzw. auf Dauer behalten kann. Sein Vorschlag besteht bezeichnenderweise nicht darin, dies durch eine besondere Erziehung zu regeln, sondern durch eine Reihe von Gesetzen z.B. festzulegen, wieviel Land man besitzen kann, wo man es besitzen darf, ob man auf das Land Schulden aufnehmen darf, ob man es verkaufen darf usw. Diese Gesetze sollen verhindern, daß sich der Landbesitz in wenigen Händen konzentriert oder daß Bauern ihr Land verlieren, weil sie auf ihren Grundbesitz ein Darlehen aufgenommen haben und nicht zurückzahlen konnten. Dadurch sollen Bedingungen ausgeschlossen werden, unter denen ein Teil der Landbevölkerung genötigt wäre, in die Stadt überzusiedeln, Bedingungen, die nach den Erkenntnissen von Buch V zu einem Verfassungswandel führen würden. Das Gegenbild zu dieser ländlichen Demokratie sieht Aristoteles in einer vor allem städtisch geprägten Demokratie, deren Bevölkerung hauptsächlich aus Handwerkern, Kaufleuten und Tagelöhnern besteht. Da deren Lebensweise Aristoteles zufolge nichts taugt und ihre Arbeit in keiner Weise tugendförderlich ist (outhen ergon met’ aretês, 1319a26), stellt die von ihnen dominierte Verfassung die schlimmstmögliche Form von Demokratie dar. Im Unterschied zur politischen Zurückhaltung der Landbevölkerung zeichnet sich die Stadtbevölkerung durch einen hektischen politischen Aktivismus aus. Die Politik wird von der Masse der Armen dominiert und ist, vor allem durch den Einfluß der Demagogen, meistens gegen die Reichen gerichtet. Da die Größe der Bürgerschaft und der proportionale Anteil der Armen an ihr hier zu einem unmittelbaren Machtfaktor geworden ist, erfolgt die Einrichtung dieser Radikaldemokratie in der Regel durch eine extensive, an keine Bedingungen mehr gebundene Einbürgerungspolitik. Bezeichnenderweise erinnert nach dieser Schilderung der äußersten Demokratie das 5. Kapitel daran, daß die Einrichtung einer Verfassung nicht die einzige Aufgabe des Gesetzgebers ist, sondern daß er sich auch um den Erhalt der Verfassung kümmern muß, „denn einen, zwei oder drei Tage hält man es unschwer in jeder beliebigen Art von Verfassung aus“ (1319b35 ff.). Über dieses Problem wurde einiges schon im fünften Buch gesagt, aber an dieser Stelle wird die Wiederaufnahme dieser Erörterungen zur Notwendigkeit, da die äußerste Demokratie durch die konfrontative Politik gegen die Vermögenden auch von äußerster Instabilität ist. Ari-
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stoteles wendet gegen ein seiner Ansicht nach verkehrtes Demokratieverständnis ein, man dürfe „nicht glauben, dasjenige sei demokratisch oder oligarchisch, was einem Staat einen möglichst hohen Grad von demokratischer oder oligarchischer Einrichtung, sondern vielmehr dasjenige, was ihm eine solche auf eine möglichst lange Zeit zu geben geeignet ist“ (1320a2 ff.). Er greift damit erneut auf seine Analyse des politischen Grundfehlers (VI 1, 1317a35-37) zurück, gebraucht sie nun aber in einem konstruktiven Sinn, um eine neue Antwort auf die alte Frage: Was ist demokratisch? zu geben. Um den genannten Fehler zu vermeiden, schlägt er vor, durch eine Reihe von Gesetzen den stabilitätsbedrohenden Tendenzen in der demokratischen Politik entgegenzuwirken (antiprattein). Unter anderem durch die systematische Erschwerung von Vermögenseinziehungen sollen diese Gesetze zur Konfliktvermeidung beitragen, die Reichen vor willkürlichen politischen Maßnahmen in Schutz nehmen und so ein Stück Rechtssicherheit wiedergewinnen, das durch die Politik der Demagogen verloren zu gehen drohte. Davon, daß die Reichen und Angesehenen sich wieder als Teil des Staates ansehen können, sollen letzlich auch die Armen profitieren, indem die Reichen nun angehalten sind, auch im eigenen Interesse eine Art politischer Verantwortung für sie zu übernehmen. Dabei ist die hier geforderte Armutsbekämpfung für Aristoteles kein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Armut ist Ursache von Konflikten und insofern bedrohlich für die Gemeinschaft der Bürger und die Stabilität des Staates. Maßnahmen gegen die Armut sind daher weniger eine moralische als eine politische Notwendigkeit. Die Sozialpolitik, die Aristoteles hier für den Fall empfiehlt, daß es staatliche Überschüsse gibt, soll die bisherige Praxis gleichförmiger, aber planloser Zuwendungen beenden und stattdessen für den konkreten Fall Gelder bereitstellen, mit deren Hilfe die Armen einer selbständigen Arbeit nachgehen und dadurch auch wieder für den eigenen Unterhalt aufkommen können. Sozialhilfe soll also Hilfe zur Selbsthilfe sein und dazu beitragen, ihre eigenen Anwendungsbedingungen aufzuheben (vgl. zu diesem Thema Schütrumpf 1982, 45–52). Hinter dem praktischen Interesse an Ausgleich und dem Bemühen um die richtige Mischung, das hier wie auch in den anderen Kapiteln zu beobachten ist, steht in Buch VI, wie das Wiederaufnehmen des Gedankens in 1320a2 ff. zeigt, immer, was am Ende von VI 1 zum ersten Mal formuliert wird: Jene, „die Verfassungen gründen wollen, versuchen, alle Einrichtungen, die der genannten Grundlage angemessen sind, ohne Ausnahme miteinander zu verbinden; doch damit begehen sie einen Fehler“ (1, 1317a36 f.). Politiker, die eine Verfassung in Reinform verwirklichen wol-
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len, beweisen deshalb bestenfalls ihre Prinzipienfestigkeit, keinesfalls jedoch ihre politische Klugheit, der es weniger um Vollständigkeit und mehr um die Festigkeit der Verfassung als die der Prinzipien geht. Wenn man die gedankliche Einheit, die thematische Vollständigkeit und die praktische Intention von Buch VI erklären will, ist dieser Satz von zentraler Bedeutung. Alle Aufgaben, die der Untersuchungsplan zu bearbeiten verspricht, spiegeln sich in dieser Fehlerbeschreibung wider. Es geht in ihr um die Einrichtung oder Gründung von Verfassungen, um die richtige Mischung von Institutionen und um den Fall, daß Institutionen einer Verfassung zwar eigentümlich, aber (und darin besteht der Fehler) nicht zuträglich sind. Zu zeigen, daß dieser Fehler ein Fehler ist, warum er ein Fehler ist und wie man ihn vermeiden kann, gehört zu den grundlegenden Zielen von Buch VI, und dieses Ziel dürfte Aristoteles auch erreicht haben. Jedenfalls hat der Leser, der diese Analyse im einzelnen nachvollzieht, sehr viel über Theorie und Pragmatik politischer Reformen verstanden.
Literatur Davis, M. 1996: The politics of philosophy. A commentary on Aristotle’s Politics, Lanham Eucken, C. 1990: Der aristotelische Demokratiebegriff und sein historisches Umfeld, in: G. Patzig (Hrsg.): Aristoteles’ ,Politik‘. Akten des XI. Symposium Aristotelicum, Göttingen, 277–291 Keyt, D. 1999: Aristotle. Politics, Books V and VI, übers. und komm. von D. Keyt, Oxford Mulgan, R. 1991: Aristotle’s analysis of oligarchy and democracy, in: F.D. Miller/D. Keyt (Hrsg): A companion to Aristotle’ Politics , Oxford, 307–322 Scholz, P. 1998: Der Philosoph und die Politik. Die Ausbildung der philosophischen Lebensform und und die Entwicklung des Verhältnisses von Philosophie und Politik im 4. und 3. Jh. v. Chr., Stuttgart Schütrumpf, E. 1980: Die Analyse der polis durch Aristoteles, Amsterdam Schütrumpf, E. 1982: Xenophon. Vorschläge zur Beschaffung von Geldmitteln oder Über die Staatseinkünfte, eingel., hrsg. und übers. von E. Schütrumpf, Darmstadt Schütrumpf, E. 1995: Politische Reformmodelle im vierten Jahrhundert. Grundsätzliche Annahmen politischer Theorie und Versuche konkreter Lösungen, in: W. Eder (Hrsg.): Die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr. Vollendung oder Verfall einer Verfassungsform?, Stuttgart, 271–301 Schütrumpf, E. 1996: Aristoteles, Politik, Buch IV–VI, übers. und eingel. von E. Schütrumpf, erl. von E. Schütrumpf und H.-J. Gehrke, Berlin Taylor, C.C.W. 1995: Politics, in: J. Barnes (Hrsg.): The Cambridge companion to Aristotle, Cambridge
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11. Die uneingeschränkt beste Polisordnung (VII–VIII)
11.1 Einführung Die Analysen und Diskussionen, die Aristoteles insgesamt dem Phänomen der Polis widmet1, stellen sich zu einem Viertel in der Form einer Fiktion dar: Der Philosoph übernimmt die Rolle des Staatengründers und entwirft eine Polis, wie sie uneingeschränkt seinem Wunsch (euchê) entspricht (VII 4, 1325b36; 1325b39; 5, 1327a4; 13, 1332a29).2 In der überlieferten Reihenfolge der Bücher der Politik bildet der Entwurf der Wunschpolis den Abschluß (die Bücher VII und VIII; zur Reihenfolge Flashar 1983, 248 f.).3 Ob er einen Mittel- oder gar Höhepunkt darstellt (so Kraut 1997, preface), gleichgültig an welchen Platz diese Bücher gehören, ist unsicher. Sicher dagegen ist es, daß Aristoteles hier bewußt in den Wettbewerb mit seinen Vorgängern, besonders Platon und dessen Nomoi eintritt; denn von der Frage der Lage und Größe der Polis bis hin zu der Diskussion der Erziehung des Bürgers durchläuft das 1 Ich fasse sie mit dem Term der „Poleologie“ zusammen, um sie von der Schrift Politik zu unterscheiden, 2 Den historischen Hintergrund bildet Platons Akademie, zu deren Zielen es gehörte, Gesetzgeber auszubilden. In derTat haben manche griechische Städte sich von Akademikern beraten lassen. Platons Nomoi bildeten ein Manual der Gesetzgeberkunst, diese an einem konkreten Beispiel entwickelnd. Aristoteles setzt also eine platonische Tradition fort, wenn er dem Philosophen die Rolle des Gestezgebers zuweist. Sein Schüler Theophrast hat wie Platon Gesetze entworfen. 3 Simpson (1998, xvi–xx) erneuert den alten Vorschlag, die Politik in der Reihenfolge I–II–III–VII–VIII–IV–V–VI zu lesen. Ich halte diese Reihenfolge für die einzig sachlich begründete.
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Denken des Stagiriten alle Probleme, die schon Platon, ebenfalls mithilfe einer fiktiven Polisgründung, diskutiert hat. Während jedoch die fiktive Polis der Nomoi Platon Gelegenheit gibt, dank eines konkreten Beispiels die Kunst (technê) der Gesetzgebung überhaupt darzustellen (Hentschke 1971, 412 ff.), betrachtet sein Schüler die Erfindung der schlechthin besten Polis als die eines unübertragbaren Sonderfalls und unterstreicht damit den fiktiven Charakter seines Entwurfs. So stellt sich die Frage ein, welchem Ziel er dienen soll. Um die Eigenart der aristotelischen Wunschpolis sowie den Zweck ihrer Erfindung zu erkennen, schlagen wir den folgenden Weg ein: Zunächst werden wir dem Gedankenexperiment des Stagiriten folgen und beschreiben, wie ein Mann leben würde, der in Aristoteles’ Polis zur Welt kommt. Damit stellen wir den materialen Gehalt des Polisentwurfes dar (Teil I). Letzterer resultiert aus einer Gedankenoperation des Stagiriten, die unter zwei Blickwinkeln betrachtet werden kann, im durchgängigen Vergleich mit Platon oder im Bezug auf die aristotelische Poleologie. Da Aristoteles Platons Polisentwürfe im zweiten Buch der Politik einer scharfen Kritik unterzieht, haben die Interpreten seit langem das Verhältnis der beiden Denker analysiert und, der Optik des Stagiriten folgend, die Unterschiede herausgehoben (Hentschke 1971, 412–418, Bien 1973, 18–29, Stalley 1991, 183–199; ders. 1999, 29–48). Demgegenüber soll hier betont werden, daß die Polisfiktionen der beiden Philosophen sich zwar im Detail unterscheiden, aber ein gemeinsames Anliegen teilen. Sie beruhen nämlich auf einer geteilten Grundsatzentscheidung, die sich, obschon bereits auf Sokrates zurückgehend (Plat. Crit. 47d6–48a1), zuerst in Platons Nomoi ausdrücklich formuliert findet, und die für die gesamte philosophische Ethik der Antike bestimmend bleiben soll. Gemäß dieser Grundthese werden die Güter des Lebens in äußerliche, körperliche und seelische eingeteilt und es wird den Gütern der Seele (den „Tugenden“) die unbestrittene Vorrangstellung eingeräumt (Plat. Leg. I, 631 b3–d1; Arist. Pol. VII, 1, 1323a24–34; EN I 8, 1098b12–16). Damit stehen die antiken philosophischen Polisfiktionen, inklusive Zenons Politeia und Ciceros De re publica, im Widerspruch zur populären Ethik und ihren Vorstellungen des „höchsten Gutes“, des Glücks.4 Sie gleichen sich aber in
4 Der Tradition der antiken Polisfiktionen von Platon bis Augustin und den späten Neuplatonikern hat M. Vegetti zwei Kolloquien gewidmet. Ihre Ergebnisse liegen nun vor (Vegetti 1999). Darin u.a. meine Beiträge zu Cicero und Augustin (Neschke 1999a, 1999b). Zur Wiederaufnahme der Polisfiktion als christliche Utopie in der Renaissance durch Marsilio Ficino, s. Neschke 2000.
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ihrem jeweiligen Anliegen, nämlich darin, die Bürger zur Tüchtigkeit des Menschen (aretê, virtus) zu erziehen und diese zur Bedingung der Teilhabe an der aktiven Gestaltung des Polis, d.h. der Verwaltung (archê, consilium) zu machen. Die philosophische Polisfiktion der Antike besteht infolge dessen immer in einer Aristokratie, in der Herrschaft der Besten. Als „die Besten“ können nur diejenigen bezeichnet werden, die das Höchstmaß an menschlicher Tüchtigkeit erreicht haben. Perfektes Menschsein hat die Natur (physis), Übung (ethos) und Vernunft (logos) (VII 13, 1332a39 ff.) zur Bedingung und seine Ausübung bedarf spezifisch materieller Bedingungen (chorêgia, VII 4, 1325b8). Ein philosophischer Entwurf der „besten“ Polis hat daher die Aufgabe aufzuzeigen, wie einerseits diese Bedingungen, andererseits die Erziehung des Menschen auszusehen haben. Soviel zum Typus der Polisfiktion, dem die aristotelische Wunschpolis angehört. Ihre Partikularität gewinnt jedoch der aristotelische Entwurf dank der Gesichtspunkte, die den Stagiriten bei ihrer Erfindung leiten. Diese hat er aus seinem, ihn von Platon scheidenden Vorgehen gewonnen, das Phänomen der Polis begrifflich aufzuhellen: Denn erst Aristoteles stellt ausdrücklich die Frage „was ist eigentlich die Polis“ (III, 1 1274 b33–b34) und macht im ersten Buch seiner Politik in Polemik gegen Platon (I 1, 1252a7–16) die begriffliche Unterscheidung der Gemeinschaftsformen zum Leitfaden seiner Untersuchung. Doch muß betont werden, daß er es unterlassen hat, die Konsistenz seines Begriffsapparates je systematisch aufzuzeigen. Daher hat man bestritten, daß es eine solche Konsistenz überhaupt gibt (Schütrumpf 1980, 272 ff.). Gegenteilige Behauptungen dagegen sind den Aufweis schuldig geblieben (Flashar 1983, 354; Höffe 1996, 236). Der zweite Teil unserer Darlegung wird daher die politischen Grundkategorien des Stagiriten explizieren, soweit sie die Erfindung der Wunschpolis lenken und daher zu deren Verständnis nötig sind. Im dritten und letzten Teil werden wir mithilfe des komplexen Begriffs des „Gemeinwohls“ zeigen, was die Aristokratie der Wunschpolis von allen anderen Verfassungsformen unterscheidet und was demgemäß ihre Funktion in der gesamten Poleologie des Aristoteles sein muß.
11.2 Das Leben des Bürgers der Wunschpolis Der Ort, an dem der aristotelische Bürger zur Welt kommt, ist eine griechische Landstadt, in fruchtbarem Ackerland nicht zu weit von Meer entfernt gelegen (VII 5 und 6). Sein Vater ist der Vorstand eines Haushaltes (oikos), der soviel an Ackerland besitzt, daß die Produkte des Haushaltes nicht nur
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den Eigenbedarf decken, sondern einen Überschuß erlauben, der auf dem Markt gehandelt werden kann und ihm erlaubt, unbefriedigte Bedürfnisse des Hauses durch den Kauf auf dem Markt zu decken (VII 5, 6 und 10). Das Ackerland ist darüber hinaus so reichlich bemessen, daß der Erwerb aus den Agrarprodukten mäßigen Geldbesitz und damit Freigebigkeit möglich macht (VII 5, 1326b26–32). Die Führung dieses Haushaltes verlangt vom Hausvorstand, die für ihn arbeitenden Sklaven gemäß den Regeln der angemessenen Haushaltsführung und Erwerbskunst zu dirigieren (I 3 ff.). Doch besteht sein Hauptberuf nicht in dieser Tätigkeit (III 4, 1277a33–b7). Er muß sich daher nicht auf den Erwerb des Lebensunterhaltes konzentrieren, sondern ist von dieser Notwendigkeit befreit, verfügt über Muße (scholê, VII 14, 1333a30–36; 15, 1334a11–25). „Muße“ ist ein Zentralbegriff: Er beinhaltet negativ die Freiheit vom Erwerb des Lebensnotwendigen (ta anankaia, VIII 15, 1333a32–36), positiv die Freiheit zur Realisierung des Glücks (VIII 3, 1338a1–6). Das Glück besteht wesentlich für den Einzelnen darin, daß er sich in der Rolle des Bürgers (politês, definiert als Teilhaber an der Selbstverwaltung der Polis; s. III 1, 1275b19–21) für die Sicherung und Lenkung der politischen Gemeinschaft einsetzt. Dazu dient er ihr in der Jugend als Soldat, im Alter der geistigen Reife als Ratsherr oder Richter, im hohen Alter nimmt er das Amt des Priesters ein (VII 9, 1329a30–34). Diese Tätigkeiten sind Ausdruck von „Muße“ und „Glück“, da in ihnen der Mensch seine spezifischen Tüchtigkeiten aktualisieren kann (Mut, Besonnenheit, Gerechtigkeit, Klugheit, VII 15, 1334a11–36). Die Teilhabe (koinoˆnia) am Glück stiftet die Gemeinschaft der Aktivbürger. Ihr dienen die gemeinsamen Mahlzeiten und die Götterfeste, in der sich diese Gemeinschaft als ethisch-religiöse Einheit erlebt (VII 10; s.a. III 9, 1280b31–1281a4). Doch findet der einzelne Bürger auch die Zeit, sein Denken auf nicht unmittelbar praktische Überlegungen auszurichten; sein Glück und seine Freude findet er neben seiner politischen Aktivität auch im Genuß der Musik (VIII 3, 1337b27–1238a10) und in der Philosophie (VII 15, 1334a20), die ihm die Aktualisierung seiner theoretischen Fähigkeiten erlaubt (VII 14, 1333a16–23; s.a. DePew 1991, 346–374). Die Tätigkeit des Bürgers impliziert somit eine perfekte ethische Haltung und einen optimalen Gebrauch der menschlichen Intelligenz. Zum Entstehen beider bedarf es einer sorgfältigen Erziehung (VII 13–15), die, konform der Theorie Platons und im Unterschied zur attischen Praxis, im aristotelischen Gemeinwesen in der Hand des Gesetzgebers liegen muß (VIII 1; auch EN X 10; Curren 1993; ders. 1994). Das Ziel der Erziehung bestimmt sich vom Ziel der Wunschpolis her; da dieses in der Muße, der aktiven Gestaltung der Freiheit, besteht, wird der aristotelische Bürger vor
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allem auf den richtigen Gebrauch der Muße vorbereitet. Nach einer vom Spiel bestimmten Kindheit (VII 17) wird er anschließend (ab dem 7. Lebensjahr: VII 17, 1336b37–40) durch die Gymnastik körperlich ertüchtigt (VIII 4); die Musik aber (einzelnes VIII 6–7) dient seiner Charakterbildung sowie der musischen Bildung (VIII 2; 3; 5). Aristoteles artikuliert hier klar den Unterschied von Ausbildung und Bildung (bes. VIII 3 u. 5): Die Ausbildung gehört der Arbeit und dem Bereich der Zwänge (anankaia), die Bildung dagegen dem Bereich des sittlichen Schönen an (kalon). Sie ist ein Zeichen des Freien, da frei ist, wer nicht fremden Zwecken unterworfen ist.
11.3 Die Wunschpolis der Bücher VII und VIII im Rahmen der aristotelischen Poleologie Die Wunschpolis des Aristoteles haben wir von ihrem Resultat aus betrachtet. Wie kommt nun dieses Resultat zustande? Die Diskurseinheit der Bücher VII und VIII präsentiert sich als die Überlegung des Inhabers der politischen „Kunst“ (technê oder epistêmê, IV 1, 1288b10; 1288b21), der von ihrem Ziel (das „beste Leben“)5 auf die Entstehungsbedingungen dieses Ziels reflektiert (VII 4, 1325b33–1326a5). Die Genese der schlechthin besten Organisationsform in Politik VII–VIII folgt, im Unterschied zur Analyse und Beschreibung der Genese der Polis im ersten Buch, einer technisch-praktischen Ratio (in Analogie zur Schiffsbaukunst VII 4, 1325b14); denn sie zeigt, wie der Gesetzgeber die Elemente der Polis zusammenstellt, (synhistanai, I 2, 1253a30) anstelle zu beschreiben, wie sie spontan zusammenwachsen (phyomena, syndyazesthai, I 2, 1252a24, 26) und schließlich durch den Willensentschluß der zukünftigen Bürger sich vereinigen (synienai, synerchesthai, III 6, 1279a20–25; III 9, 1281a23 ff.). Indem der Gesetzgeber einer sowohl natürlichen wie ethischpraktischen Vereinigung eine spezifische Ordnung (taxis, politeia, III 1, 1274b38) verleiht, erweist sich die Polis als zugleich natürlich-praktischtechnisches Gefüge (s.a. I 1, 1253a30).6
5 Das „beste Leben“ bildet das, was Aristoteles in IV 1, 1288b28, die ,hypothesis‘ einer Polis nennt: d.h. das oberste Ziel, das als Grundlage (hypothesis) dient, die Verfassung zu wählen, die dieses Ziel realisieren kann. 6 Dieses „zugleich“ ist entscheidend und verbietet jede reduktive Betrachtung der Polis als bloss natürliche, bzw. ethische oder technische Grösse. Zur Rolle der Natur s. Pellegrin (1990, 124–151) und Lloyd (1993, 135–159). Diese gemischte Entstehung verbietet es auch, die Polis als ousia zu behandeln (Kamp 1985), da alle ousia aus Natur allein entsteht.
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Die technische Ratio (auch poiêsis genannt, EN VI 4) hat mit der ethischen Praxis gemein, von einem Ziel her auf die Mittel zu sinnen, die dieses Ziel verwirklichen. Es ist also zu fragen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit das Projekt Wirklichkeit werden kann. Diese zerfallen in zwei Gruppen: die Elemente, ohne die die Polis überhaupt nicht existieren kann (III 9, 1280b30–33: eiper esti polis; IV 4, 1291a2; VII 4, 1325b38–1326a5) im Unterschied zu den Elementen, die ihr Wesen ausmachen, „merê“ genannt (VII 8, 1328a21–25; 1328b1 ff.; auch III 9, 1280b33). Soweit diese Bedingungen Produkte der Natur sind, vor allem die Beschaffenheit von Land und Leuten, stehen sie nicht in der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers. Die Erfindung der allerbesten Verfassung ist darin eine Fiktion, daß der Gesetzgeber so tut, als könne er sogar diese Bedingungen bestimmen (VII 13, 1332a28–32). Sie ist aber nicht utopisch, weil mit dem Eintreten solcher Bedingungen gerechnet werden darf (das „Mögliche“, dynaton, VII 4, 1325b39). Der technisch-praktische Ansatz macht sich also in der Komposition der Bücher VII und VIII darin geltend, daß Aristoteles zunächst das Zielprojekt der allerbesten Verfassung festlegt: Es besteht in dem vorausgesetzten Willen der Bürger7, gemeinsam den Lebensstil zu pflegen, der einem Leben gemäß menschlicher Tüchtigkeit (aretê) eigen ist. Dieses Projekt verteidigt der Stagirit in ständiger Auseinandersetzung mit populärer und philosophischer Ethik (VII 1–3). Anschließend fragt er nach den Bedingungen zurück, die das Ziel zu verwirklichen gestatten. Gemäß der genannten Einteilung dieser Bedingungen in materielle Ausstattung und konstitutive Teile der Polis, behandeln die Kapitel 4–7 die erste, die Kapitel 8–12 die zweite Gruppe der Bedingungen. Der gesamte folgende Text – markiert ist dieser Einschnitt durch den erneuten Rekurs auf das Ziel des Gesetzgebers, das jetzt qua Erziehungsziel analysiert wird (VII 13–15) – handelt von der Erziehung der Bürger, die im Unterschied zur Wahl der materiellen Voraussetzungen in der freien Verfügung des Gesetzgebers liegt (VII 13, 1332a28–33). In dem ersten Hauptteil der Erfindung der Idealpolis (VII 4–7; 8–12) geht nun der Stagirit von den Analysen und Begriffsklärungen aus, die er in den Büchern I und III der Politik vorgenommen hatte.8 Sie waren von 7 Wie IV 1, 1288b10–19 zeigt, arbeitet der Gesetzgeber für einen Auftraggeber, eine Polis. Zur historischen Voraussetzung dieser Vorstellung s.o. Anm. 1. Gemäß IV 1 überlässt der Auftraggeber dem philosophischen Gesetzgeber entweder die Bestimmung des Zielprojektes oder schlägt ein eigenes vor. 8 S.o. 171 und unten S. 175 f. Die Frage nach der Wesensform der Polis in Buch III stellt sachlich die genuine Fortsetzung von Buch I dar; Buch II dagegen ist eine Einleitung für die Bücher VII und VIII.
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seinem Bestreben geleitet, über Platon hinaus die Polis selber in ihren Wesen (eidos, to ti ên einai) zu fassen. Dabei unterstreicht Aristoteles, daß die Polis sich als ein komplexes Gebilde (holon, synkeimenon, III 1, 1274b39–41) darstellt; denn sie zeigt sich als eine Einheit von Teileinheiten, in der jede Einheit ihrerseits einer Analyse unterzogen werden kann. Die Polis erscheint daher in der Politik und der Ethik als Gebilde, das zunächst als geographische Einheit (der gemeinsame Wohnort, III 9, 1281a30; VII 5), als biologische Einheit (die Gemeinschaft der Familie, I 2 und II 1–4) oder als ökonomische Einheit analysiert werden kann; letztere umfaßt die Einheit der Eigenproduktion (der Haushalt, I 3–8) oder die Einheit der Tauschgesellschaft (EN V 8). Aus den Produktionsweisen ergeben sich dann die verschiedenen Lebensstile (bios, VII 9, 1328b39, auch VIII 1), die die Polis als Einheit sozialer Klassen bestimmen. In der historischen Wirklichkeit handelt es sich um den Gegensatz von Reichen und Armen (III 8), in der Wunschpolis um den Unterschied der „arbeitenden“ Klasse und der Mußeklasse (VII 9, 1328b33–1329a2). Das Zusammenwirken aller dieser Teileinheiten erlaubt es der Polis, sich als autarke Einheit des Überlebens (zên) zu konstituieren (III 6, 1278b24 f.), das Phänomen des Überschusses (tryphê, IV 4, 1291a4; periousia, VII 10, 1329b28) und in seiner Folge die Befreiung von der Arbeit bildet dagegen die notwendige Bedingung, eine autarke Gemeinschaft des „guten“ Lebens zu gründen.9 Der Begriff „Autarkie“ enthält somit immer eine ökonomische und eine ethische Komponente.10 Der hinreichende Grund für das Zusammentreten der Gemeinschaft findet sich in der Freundschaft (philia), d.h. im Willensentschluß (prohairesis, III 9, 1280a34; 1280b39) der Menschen, in Zukunft den Lebensstil (das „gute“ Leben ) zu teilen und gemeinsam zu organisieren (III 9, 1280b33–1281a4). In diesem weiten Begriff der Polis sind daher immer zwei Gesichtspunkte verknüpft: ökonomische Autarkie als Bedingung des guten Lebens und das „gute“ Leben selber gemäß dem Lebensstil, der gemeinsam für gut befunden ist (eu zên). Alle genannten Elemente müssen vorhanden sein, damit die Polis als autarke Gemeinschaft des guten Lebens überhaupt existieren kann (1280b32; 1283a22). Aristoteles faßt sie unter den Begriff des plêrôma, d.h 9 Die Polis setzt also einen entwickelten zivilisatorischen Zustand voraus. 10 Anders als Platon versteht Aristoteles „Autarkie“ als Befriedigung aller Bedürfnisse, nicht aber als Fähigkeit, selber allen Bedürfnissen zu genügen. Daher gestattet er die Außenhandelsbeziehungen in seiner Wunschstadt. Zum Begriff vgl. Goldschmidt 1984.
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des Maßes an „Fülle“, das zur Existenz der Polis im definierten Sinne nötig ist (II 7, 1267b16; III 13, 1284a5; IV 4, 1291a17). Geht der Gesetzgeber jedoch von der Funktion aus, die das Wesen der Polis ausmacht, muß er die gesamte Existenzbasis auf ihre spezifische Leistung (ergon) für dieses Ziel befragen, d.h. an alle Schichten die Frage stellen, was sie zur Verwirklichung des guten Lebens beitragen. Unter diesem Gesichtspunkt unterwirft Aristoteles die Polis einer strengen, an Platons Vorgehen in der Politeia orientierten, aber es korrigierende Funktionsanalyse (VII 8; auch IV 4, 1290b21–1291b14)11. Sie erlaubt ihm, einen scharfen Schnitt zwischen die Funktionen der Polis zu legen, die die Existenz gewährleisten (plêrôma), und diejenigen, die das gute Leben aktualiter verwirklichen. Letztere bilden den im strengen Sinne „politischen“ Teil der Polis, der das politeuma genannt wird (III 6, 1278b10). Seine innere Ordnung (taxis) dagegen erhält den Namen der politeia, d.h. „die Ordnung der Bürgerschaft“ oder „Verfassung“ (III 7, 1278b8), doch sind politeuma und politeia weitgehend identisch (III 6, 1278b11; 7, 1279a25 f.). Aus dem bisher Gesagten ergibt sich deutlich, daß Aristoteles mit dem äquivoken Term „polis“– „der Name ,Polis‘ ist vieldeutig“ (III 2, 1276a23) – einen weiten und einen engen, prägnanten Begriff verbindet: Der erste, das plêrôma, zielt auf den Zusammenhang aller Funktionen, die zur Existenz der Polis nötig sind, der prägnante dagegen erfaßt nur die Funktionen, die das gute Leben in konkreten „schönen“ Handlungen aktualisieren. Ihre Träger, das politeuma, sind identisch mit den Trägern der Hauptfunktionen der Polis, d.h. den Ratsherren, den Richtern und den Priestern; denn diese gestalten in ihren Handlungen das gute Leben, in ihnen ist die Polis „Urheber (sittlich) schöner Handlungen“ (III 9, 1281a2: Die „politische Gemeinschaft besteht um der schönen Handlungen willen“; auch VII 3, 1325a35 f.; 1325b13–32). Die Wesensform (eidos) der Polis ist es daher, Subjekt der schönen Handlungen zu sein; da sie also mit dem politeuma oder der politeia zusammen fällt (III 3, 1276 b1–12), folgt notwendig, daß das politeuma die Polis als solche ausmacht (IV 4, 1291a2–18), doch setzt die Polis qua Subjekt schöner Handlungen eine bestimmte Existenzgrundlage, eben das plêrôma voraus. Diese Unterscheidung des Terms „Polis“ in einen zugleich umfassenden und einen reduktiv-prägnanten Begriff (plêrôma vs. politeia; vgl. in diesem Band R. Mulgans Charakterisierung als inklusiv vs. exklusiv) ist fundamental: Denn sie beinhaltet, daß, sofern die Polis gemäß IV 1 der Gegenstand 11 IV 4 ist präziser gemäß dem Kontext der Anwendung auf die existierenden Verfassungen. Vgl. auch Schütrumpf (1980, 90–121).
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der politischen Wissenschaft ist,12 letztere zunächst durch die sozio-ökonomische Analyse die Existenzgrundlage der Polis, das plêrôma, erfassen muß (Buch I): Da dieses aber die Polis nicht im strengen Sinne ausmacht, hat die politische Wissenschaft das eigentlich Politische der Polis allererst zu bestimmen (Buch III).13 Daher die Frage: Was ist eigentlich (pote) die Polis. Der Stagirit gewinnt nun das Politische der Polis durch drei Elemente: durch die teleologische Definition der Polis als Teilhabe der Bürger am „guten“ Leben (I 2, 1252a24–30, durch die juristische Definition des Bürgers (das Recht – exousia – auf Teilhabe an der Selbstverwaltung (III 1, 1275b18) und durch die spezifische Form der politischen Herrschaft als der wechselnden Teilhabe an der Selbstverwaltung durch die Freien und Gleichen (I 1; 7, 1255b16–21; III 4, 1277b25–27; VII 8–9; dazu Sternberger 1978, 102–122; Bien 1973, 315–340). Die aristotelische Poleologie enthält daher neben der sozio-ökonomischen Analyse der Polis die Analyse der verschiedenen Formen der politischen Herrschaft („Verfassungslehre“).14 Von der Unterscheidung der Polis als plêrôma und politeuma geht nun Aristoteles aus, wenn er in den Büchern VII und VIII die allerbeste Ordnung der Bürgerschaft entwirft.15 Diese Konzeption läßt sich global als Ausdruck eines hylemorphen Denkens verstehen, demgemäß die Wesensform (eidos, politeuma) der Polis ihren materiellen Existenzbedingungen (plêrôma oder hylê ; s.a. oikeia hylê VII 4, 1326a4) entsprechen muß:16 der Staatsgründer muß hier das jeweils „Passende“ herausfinden.17 Die Wahl des Lebensstils darf daher nicht willkürlich sein, sondern muß der Existenzgrundlage entsprechen. Daher muß er, wenn er eine schlechthin be12 Platon definiert die politische Wissenschaft, zuerst im Gorgias (464b3), dann in den Nomoi, als „Seelenkunst“ (Leg. I, 650b6–9). Die materiellen Bedingungen für die Realisierung der Tugend sind daher nicht genuiner Gegenstand dieser Kunst, sondern Vorbedingungen, für die andere Künste – gemäß dem Politikos – zuständig sind. 13 Buch I und III gehören daher im Sinne der Komplementarität eng zusammen. Unsere Interpretation geht von dieser Hypothese aus. 14 Buch III, Über die Verfassungen ist in I, 1260b12, angekündet. 15 Sie heißt aristê oder auch kratistê haplôs politeia (IV 1) 16 eidos und hylê entsprechen der Scheidung von politeuma und plêrôma bzw. den vorauszusetzenden Bedingungen und den konstitutiven Teilen 17 Aristoteles wählt für die Beziehung zwischen Ziel und Mittel den Ausdruck des harmotton und macht ihn zum Leitgesichtspunkt der politischen technê (IV 1), die das harmotton innerhalb des genos ,Polis‘ bestimmt. Die Interpretation von IV 1 liefert weitgehend den Schlüssel zum Verständnis der Politik, allerdings nur, wenn man den platonischen Hintergrund (Gorgias, Politikos, die Analogie Gymnastik–Politik) mitberücksichtigt. Demgemäss ist das hier erwähnte genos (IV 1, 1288b11) die Polis und nicht die „beste Verfassung“, wie Pellegrin (1993, 7–22) unzutreffend annimmt.
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ste Form der Polis erdenken will, beide Aspekte, d.h. die Polis als umfassende Lebensgemeinschaft und die Polis als Aktualisierung eines bestimmten Lebensstiles, der in einer entsprechenden Organisationsform realisiert wird, derart miteinander verbinden, daß vom Zielprojekt sowohl auf die Existenzbedingungen als auch auf die dem Lebensstil angemessene Organisationsform zurückgefragt wird. Genau dieses Verfahren wendet der Stagirit in VII 4–12 an. Aristoteles beginnt mit der Existenzgrundlage der Polis, die eine bestimmte Menge von Haushalten und Menschen verlangt (VII 4). Die Zahl der Haushalte bemißt sich an der eigentümlichen Funktion der Polis, der Autarkie (VII 4, 1326b2) sowie dem Zielprojekt, dem Leben gemäß der Tüchtigkeit der Bürger: Die Polis sollte so groß sein, daß sie ihre Funktion, ein autarkes Leben zu ermöglichen, erfüllen kann, sie darf nicht größer sein, als es die Übersichtlichkeit gestattet: Die Bürger sollten einander in ihrer Tüchtigkeit kennen können (VII 4, 1326b9–17). Es zeigt sich darin, daß die Polis als umfassende Größe ihre natürliche Grenze an ihrer Grundfunktion und der Besonderheit des Ziels findet. Auch Größe und Beschaffenheit des Landes werden am Lebensstil gemessen: Das Land muß einem zugleich genügsam und freigiebig lebenden Menschen Muße ermöglichen (VII 5, 1326b30–32). Daneben wird aber auch die Überlebensfunktion der Polis berücksichtigt: Die geographische Lage muß gemäß der Sicherheit und in Hinblick auf den Tauschhandel ausgewählt sein (VII 5, 1326b27 f.; 1326b40 f.). Im nächsten Kapitel (6) antwortet Aristoteles auf platonische Überlegungen, den Zugang zum Meer betreffend (Plat. Leg. IV, 705a). Im Unterschied zu Platon befürwortet er diesen Zugang vom Gesichtspunkt der Sicherheit und des Handels her (1327a19); er verbietet aber für die Wunschpolis, abweichend von der Praxis in Athen, die Aufnahme der Seeleute in die Bürgerschaft (1327b8). Gemäß einer geo-soziologischen Betrachtungsweise untersucht Aristoteles anschließend (Kap. 7) die Beziehung von menschlichem Charakter und Klimazone: Da in der besten Polisverfassung, deren Projekt die Tüchtigkeit der Bürger anzielt, Mut und Intelligenz verlangt werden, müssen die Menschen aus der gemäßigten Klimazone ihre Bewohner bilden, da sie allein Mut und Geschicklichkeit verbinden. Während die Kapitel 4–7 die notwendigen Voraussetzungen, d.h. alle Elemente, die Aristoteles in einer sozio-ökonomischen Analyse der Polis geschieden hatte, diskutieren, wendet sich der aristotelische Gesetzgeber anschließend (8–12) der Polis als einem Funktionszusammenhang zu. Gemäß der oben dargelegten fundamentale Dichotomie der Polis als potentielle und aktuale Gemeinschaft des „guten“ Lebens erstellt er zunächst
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einen Katalog aller Funktionen (Kap. 8), um ihn anschließend vom Gesichtspunkt der Aktualisierung des guten Lebens her zu strukturieren, er bringt m.a.W. einmal den umfassenden, einmal den prägnanten Begriff der Polis zur Geltung. Notwendig gemäß dem extensiven Polisbegriff sind Ackerbauer, Handwerker, Krieger, die Räte, Richter und Priester, damit die Polis möglich ist. Vom prägnanten Begriff der Polis aus fragt der Gesetzgeber anschließend nach der Verteilung der Funktionen auf ihre Bewohner (9, 1328b24–1329a2), denn die spezifische Verteilung der Funktionen, die die Polis als Gemeinschaft des guten Lebens aktualisieren, macht nun den besonderen Charakter der allerbesten Polis, macht die „beste Verfassung“ aus. Sie besteht darin, daß der Zugang zu den Ämtern (archai) allein den „Besten“, verstanden im Sinne uneingeschränkter Gerechtigkeit, vorbehalten bleibt. Daraus ergibt sich notwendig, daß es eine Mußeklasse geben muß, die sich auf ihre Funktion, die Ausübung der Tüchtigkeit, vorbereiten kann (VII 9, 1328b35–1329a2). Die Weise ihrer Ausübung folgt dem strengen Begriff der politischen Herrschaft, wie sie Aristoteles im ersten Buch seiner Politik gegen Platon entwickelt hatte: diese besteht in der wechselnden Herrschaft der Freien und Gleichen (I 7, 1255b16 f.; III 4, 1277b25; VII 9, 1329a3 ff.). Dieselben sind es auch, die aus Gründen der Sicherheit die Funktion der Soldaten übernehmen, wobei die biologische Entwicklung den Verteilerschlüssel der Ämter bereitstellt: Dieselben Angehörigen der Mußeklasse sind in ihrer Jugend die Soldaten, im reifen Alter Räte und Richter und Beamte, im hohen Alter Priester der Polis (VII 9, 1329a2–34). Damit stellt sich die soziale Gliederung der Idealpolis in Mußeklasse und arbeitende Bevölkerung ein. Im Gegensatz zu den realen Poleis, in denen die soziale Differenzierung der „Armen“ und „Reichen“ zur Bildung der zwei Haupttypen von Verfassungen, nämlich Oligarchie und Demokratie führt, will Aristoteles in seiner Wunschpolis die Bildung dieses Gegensatzes von Grund auf verhindern. Da nämlich der Gegensatz von Armut und Reichtum die Polis in zwei oppositionelle Klassen zerfallen läßt und Anlaß der Bürgerkriege bildet, beugt der Stagirit der Bildung von Reichtum dadurch vor, daß der Landbesitz in Privatbesitz und Gemeinbesitz aufgeteilt wird (VII 10, 1330a9–11)18: Die gemeinsamen Kosten, die für die gemeinsamen Aufgaben erstehen (gemeinsame Mahlzeiten, Feste etc.) werden nicht durch die Liturgien der Reichen bestritten – die daher in der Realität entweder den Anspruch auf Herrschaft zu erheben pflegen oder in den Demokratien zur Kasse gebeten werden – sondern aus dem Kollektiv18 Aristoteles entlehnt diese Maßnahme dem Hippodamos von Milet (II 8, 1267b34 ff.).
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besitz.19 Umgekehrt gibt es in Aristoteles Wunschpolis keine Freien, die arbeiten müssen, so daß die freie Geburt nicht wie in den aktuellen Demokratien den Anspruch auf Herrschaft begründen kann (III 9, 1280a7–25). Alle Arbeit wird Sklaven und Nichtbürgern übertragen (10, 1330a25–30). Mit dieser Maßnahme umgeht der aristotelische Gesetzgeber die Probleme der aktuellen Poleis, macht aber gleichzeitig das Bestehen der besten Staatsverfassung von einer großen Zahl von Sklaven abhängig. Das Problem dieser Maßnahme ist ihm bewußt (VII 10, 1330a31–33), die versprochene Lösung des Problems findet sich jedoch in der uns überlieferten Politik nicht. Durch diese ökonomischen Maßnahmen bilden sich auch in der Wunschpolis soziale Klassen. Aristoteles legitimiert sie zwar durch die Tradition (VII 10, 1329a40–b35), den Ausschlag aber gibt erneut der Blick auf die Funktion der Polis: Die arbeitende Klasse hat keine Muße; sie kann daher nicht den Lebensstil des freien und tüchtigen Menschen leben (VII 9, 1328b37–1329a2). Einmal das Land unter die Bürger verteilt, muß nun der gemeinsame Lebensort, die Stadt, im Hinblick auf das Gemeinschaftsleben und dessen Formen hin gestaltet werden (VII 11–12): Die Lage der Stadt muß gesund und sicher sein (Kap. 11), ihre baulichen Einrichtungen müssen die Speisegemeinschaften, den Warentausch und die öffentliche Verwaltung möglich machen (Kap. 12). Die folgende Erziehungsabhandlung wird von Aristoteles damit eingeleitet, daß er die Frage der Kapitel 1–3 nach dem besten Leben erneut aufgreift und präzisierend zu Ende führt (VII 13–15): Das gewählte Leben ist ein „gemischtes Leben“, in dem alle Tugenden, die theoretischen eingeschlossen, gemäß den Situationskonstellationen zur Ausübung kommen (VII 15, 1334a11–40). Demgemäß werden im folgenden (VII 16–VIII 7) die bereits oben dargelegten Erziehungsmittel, Spiel, Gymnastik und Musik, planmäßig eingesetzt (weiteres bei DePew 1991; Lord 1982). Im Zusammenhang der Erziehung betont Aristoteles einseitig die Rolle der Tüchtigkeit für das Glück (die Muße) des Einzelbürgers. Was dagegen die Tüchtigkeit, und hierbei besonders die Gerechtigkeit für die Gemeinschaft bedeutet, insbesonders warum sie zur Herrschaft qualifiziert, ist eine andere Frage. Sie wurde von Aristoteles bereits im Rahmen der Verfassungslehre (III 6–13 ) behandelt. Ein Blick auf diese Kapitel kann daher die politische Funktion der Tugend der Gerechtigkeit erhellen; er wird zu19 Die Wunschpolis kennt keinen reichen Leute (euporoi), wohl aber Wohlstand (to euporon, hê euporia 1328b1 f.).
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gleich die Stellung der schlechthin besten Verfassung unter den Verfassungen und damit ihre Rolle im Rahmen der aristotelischen Poleologie erkennen lassen.
11.4 Die „uneingeschränkt beste Polisverfassung“ innerhalb der aristotelischen Verfassungslehre Um die Rolle der Tüchtigkeit nicht für den Einzelnen und sein Glück, sondern für die Polis zu erfassen, muß man die allgemeine Frage stellen, welche Aspekte der Polis eine normative Betrachtung zulassen, und welcher Faktor es ist, der den Wunschstaat zur „schlechthin besten Verfassung“ zwischen allen denkbaren Verfassungen macht. Die Unterscheidung der Polis in plêrôma und politeuma enthält bereits zwei Bereiche, die normativ betrachtet werden können: Die Frage nach den Existenzbedingungen der Polis als Gemeinschaft des „guten“ Lebens impliziert einerseits die Vorstellung eines wahrhaft guten Leben, d.h. gemäß der Übereinstimmung von „Politik“ und „Ethik“, das Leben gemäß der menschlichen Tüchtigkeit. Andere Vorstellungen von „gut“ vertreten die Oligarchen und die Demokraten. Daneben erblicken viele Menschen bereits im Überleben ein Gut, so daß in Wirklichkeit manche Poleis um des bloßen Existierens willen bestehen (III 6, 1278b23 f.). Andrerseits enthält die strenge Definition der Polis als Summe der Bürger bereits den normativen Begriff der wirklich „politischen“ Organisation der Herrschaft, der wechselnden Ausübung der öffentlichen Funktionen durch die Freigeborenen und Gleichen. Bereits von diesen zwei Normen aus hätte Aristoteles eine bewertende Klassifikation der Verfassungen entwickeln können. Er hat jedoch einen anderen Weg eingeschlagen, wahrscheinlich, da dieser ihm erlaubte, die zeitgenössische Diskussion um die Legitimität der Verfassungen in seine Theorie mitaufzunehmen (dazu F.D. Miller und R. Mulgan in diesem Band). Dieser Weg geht vom politischen Schlagwort des „Gemeinwohls“, koinê sympheron, aus III 6, 1279a21)20. Aristoteles klassifiziert die Verfassungen als „richtig“ oder „verfehlt“ in dem Maße, als sie das Gemeinwohl anzielen (III 6–7). Von der Reihe, die seine Klassifikation zum Resultat hat, sagt er allerdings zuvor (III 1, 1275a34–1275b2), daß hier zwischen dem Anfang und dem Ende der Reihe – etwa zwischen Monarchie und der Tyrannis – 20 Das dürfte ein politsches Schlagwort sein, denn auch Platon (Leg. IV, 714b–715e) gebraucht den Ausdruck.
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fast jede Vergleichbarkeit verloren gegangen ist. Das Gemeininteresse als Klassifikationsfaktor der Verfassungen enthält daher ein Paradox: Es erlaubt einerseits, richtige und verfehlte Verfassungen zu unterscheiden, es führt jedoch nicht soweit wie bei Platon, der von diesem Begriff ausgehend den verfehlten Verfassungen überhaupt den Namen „Verfassung“ (politeia) absprach (Leg. IV, 714e–715b). Wie also interpretiert der Stagirit dieses „Gemeinwohl“? Ab dem 9. Kapitel des dritten Buches identifiziert er es mit dem „Gerechten“ (dikaion) und das Gerechte mit dem „Gleichen“ (ison). Worauf läuft diese Gleichsetzung hinaus? Es ist zu unterstreichen, daß der Term des „Gerechten“ in der Sprache der Politik der Polysemie unterliegt (vgl. den Beitrag von F.D. Miller in diesem Band). Aristoteles gebraucht ihn sowohl, um den Rechtsanspruch zu bezeichnen, den Mitglieder der Polis anmelden, die potentiellen Träger der politischen Funktionen zu sein, als auch, um die politische Gerechtigkeit von der individuellen Gerechtigkeit zu unterscheiden. Allein zu diesem Zweck greift der Stagirit auf das Schlagwort des „koinê sympheron“ zurück (III 12, 1282b14–18). Diesen Ausdruck übersetzt man gemäß einer langen Tradition21 mit dem des „Gemeinwohls“ (omnium commune bonum), d.h. „was der Gemeinschaft nützt“. Aristoteles bedient sich in der Tat dieser Bedeutung überall da, wo er den Gemeinnutz dem Eigennutz der Herrscher gegenüberstellt und damit ein platonisches Argument gegen das Argument des Thrasymachus, das Gerechte sei der Nutzen der Herrschenden (Plat. Rep. I, 338c1–3; Leg. IV, 714b6 ff.). aufgreift und seinerseits stark macht (vgl. Arist. Pol. III 6, 1278b30–1279a21). Im Rahmen der eigenen Theorie, besonders im 13. Kapitel des dritten Buches, jedoch gewinnt der Begriff des „koinê sympheron“ eine zweite durchaus originelle Bedeutung, die Aristoteles aus seiner syntaktischen Vieldeutigkeit schöpft. Das koinê läßt sich nämlich nicht nur als affiziertes, sondern auch als effiziertes Objekt interpretieren; in diesem Falle ist das Gerechte nicht das, was der schon immer bestehenden Gemeinschaft nützt (affiziertes Objekt, s. III 6, 1279b9 to koinôi lysiteloun), sondern das, was die Gemeinschaft allererst zustandebringt (effiziertes Objekt, s. III 9, 1281a4; III 12, 1283a1: es to ergon symballesthai): Es ist das, „was Gemeinschaft stiftet“ (koinônikon, III 13, 1283a38). Aristoteles’ These ist es, daß vor allem die Tugend der Gerechtigkeit die politische Gemeinschaft stiftet.
21 Der Ursprung der Übersetzung liegt bei Wilhelm von Moerbeke und Thomas von Aquin (Summa theologica, IIa IIae, qu.58. art.5)
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Diese These entwickelt er in dem Zusammenhang, wo er die Rechtsansprüche der Demokraten und Oligarchen diskutiert (III 9–13, zu Kap. 10–12 vgl. Miller in diesem Band). Die Legitimation der von Aristoteles als „Verfehlungen“ bezeichneten Verfassungen Demokratie und Oligarchie wird von deren Vertretern damit angestrebt, daß sie auf ihrem „Beitrag zur Gemeinschaft“ aufgrund ihrer Gleichheit in bezug auf Reichtum oder freier Geburt insistieren. Aristoteles bestreitet nun diesen Beitrag und damit die Legitimität des Anspruchs auf oligarchische oder demokratische Herrschaft nicht einfach, sondern respektiert ihn teilweise (III 9, 1280a9: haptontai dikaiou tinos; III 12, 1283a30: tropon tina dikaiôs).22 Vom weiten „existenziellen“ Begriff der Polis trägt nämlich jede Gruppe auf ihre Weise zur Existenz der Polis bei: Die Reichen, Befürworter der Oligarchie, tragen im höchsten Maße zum Gesamtbesitz bei (III 9, 1280a22–32), die Freigeborenen dagegen bilden die erste Bedingung, daß es überhaupt eine Polis geben kann; denn eine Polis von nur Armen oder Sklaven ist undenkbar, da sie keine autonomen Handlungssubjekte sind (III 12, 1283a17–22; 9, 1280a32). Doch haben beide Gruppen den prägnanten, „essentiellen“ Begriff der Polis vernachlässigt, die Gemeinschaft zu sein, die der gemeinsamen Gestaltung des schlechterdings guten Lebens dient. Im Sinne strenger politischer Gerechtigkeit der Polis sind daher die Rechtstitel der Reichen und Freien mangelhaft; der genuine Rechtstitel auf Herrschaft kann nur in der Tugend, vor allem aber in der Gerechtigkeit gesucht werden (III 13, 1283a24 ff.). Aristoteles gibt als Grund an, daß sie die grundlegende Funktion ist, der alle anderen folgen müssen, 1283a39). Worin nun besteht diese Funktion? Es ist eben diese, die Gemeinschaft der Gleichen allererst zu stiften (koinônikon, III 13, 1283a37–42). Die Erklärung für diese These bleibt Aristoteles in der Politik schuldig, er liefert sie aber implizit dank der Definition der Gerechtigkeit in der Nikomachischen Ethik: „Die Gerechtigkeit ist jene Tugend, kraft deren der Gerechte nach freier Wahl gerecht handelt und bei der Austeilung, handle es sich nun um sein eigenes Verhältnis zu einem anderen oder um das Verhältnis weiterer Personen zueinander, nicht so verfährt, daß er von dem Begehrenswerten sich selbst mehr und den anderen weniger zukommen läßt und es beim Schädlichen umgekehrt macht, sondern so, daß er die proportionale Gleichheit wahrt, und dann in gleicher Weise auch einem anderen mit Rücksicht auf einen Drit22 Die Annahme eines „relativ“ Gerechten erklärt Aristoteles’ tolerante Haltung, die noch eine gute Tyrannis zu konstruieren erlaubt; zu diesem Paradox vgl. Heuss (1971, 1–44); Petit (1993, 73–92).
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ten zuerteilt.“ (EN V 9, 1134a2–8)23. Der aristotelische Bürger, sofern er die Tugend der Gerechtigkeit besitzt, trägt somit ständig dazu bei, durch seine Entscheidungen die polis-konstitutive Gleichheit der Bürger zu aktualisieren und zu erhalten.24 Das bedeutet, daß die individuelle Gerechtigkeit – neben der Freundschaft – das entscheidende Element ist, die Polis als Gemeinschaft der Gleichen und Freien zu konstituieren. Es sind somit nicht zwei, sondern drei Bereiche der Polis, die eine normative Betrachtung und eine Gradation der Norm erlauben: So enthält zunächst das Ziel der Polis, das gute Leben, die Möglichkeit, dieses gute Leben absolut oder relativ zu verstehen; daneben hebt sich die politische Herrschaft der Freien und Gleichen von der despotischen Herrschaft ab; insbesonders kann das „politisch Gerechte“ nur aspektuell (dikaion ti) oder absolut (haplôs) verwirklicht werden; nur im zweiten Fall kann man von „Gemeinwohl“ sprechen.. Die „schlechthin beste Verfassung“ der Bücher VII und VIII zeichnet sich vor allen übrigen Verfassungen dadurch aus, daß in ihr diese drei absoluten Normen mit Inhalt gefüllt werden: Ihr Zielprojekt ist das „gute Leben“, absolut verstanden als das Leben gemäß der menschlichen Tüchtigkeit. Ihre Bürger sind „uneingeschränkt Gleiche“ in Hinblick auf dieselbe Tüchtigkeit; so kann hier die wirklich „politische Herrschaft“ verwirklicht werden. Dieselbe Tüchtigkeit qualifiziert die Bürger zum Herrschen; da sie die Gerechtigkeit umfaßt, Gerechtigkeit aber die gemeinschaftskonstitutive Qualität darstellt, ist allein in der besten Verfassung das „Gemeininteresse“ hergestellt. Wenn Aristoteles die allerbeste Verfassung alternativ als „die Verfassung des besten Lebens“ oder die „Herrschaft der Besten“ bezeichnet (III 7, 1279a35 f.), so gewinnt er die erste Ausdrucksweise vom Ziel der Polis, die zweite von ihrer Ordnung (politeia) her. Als Aristokratie gehört darüber hinaus die Wunschpolis automatisch zu den richtigen Verfassungen. Was aber bedeuten alle diese Qualitäten zusammen? In der besten Verfassung wird das beste Leben in den politischen Funktionen des durch Tüchtigkeit qualifizierten Bürgers realisiert, z.B. die Anwendung der Gerechtigkeit im Amt des Richters oder der Klugheit im Amt des Ratsherrn. Nur in diesem Fall entspricht die Polis ihrer Wesensform, der Träger schöner Handlungen zu sein. Das bedeutet fernerhin, daß im Sonderfall der Wunschpolis das Ziel des Einzelnen und das Ziel der Polis vollständig übereinstimmen (s.a. VII 1–2). In der Tat geht die Gemeinschaft aus dem 23 Übersetzung E.Rolfes in: Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1972. 24 Der Hintergrund ist Platons Wort isotês–philotês (Gleichheit–Freundschaft, Leg. VI, 757a5).
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freien Willen des Einzelnen zur Gleichheit hervor, der die Gerechtigkeit ausmacht; umgekehrt ermöglicht die politische Gemeinschaft allein dank der Erziehung dem Einzelnen den Erwerb und die Ausübung eben dieser Gerechtigkeit und aller übrigen Tugenden. Aristoteles unterläuft daher die moderne Gegenüberstellung zwischen Tugend und Freiheit, (MacIntyre 1997, 201–211), da er die Polis als ein Ziel freien Handelns (prohairesis) vorstellt (bes. III 9, 1280b23–1281a10). In ihm stellt die Gemeinschaft zugleich Vorausetzung, Ort der Realisation und Zweck dieses Handelns dar. Nur in der und durch die Gemeinschaft ist der Einzelne frei, ohne diese Freiheit kann es jedoch keine wirkliche politische Gemeinschaft geben. Unsere Darlegungen haben die überragende Rolle der „Tüchtigkeit“ in der besten Verfassung deutlich gemacht. Sie allein –und nicht kunstvoll erfundene institutionelle Mechanismen in der Besetzung der Ämter – garantiert, daß in der besten Polis wirklich das Ziel der Polis, wirklich die politische Herrschaft und wirklich das „Allgemeinwohl“ eine konkrete Gestalt gewinnt. Daher sei abschließend eine Vermutung zur Funktion der aristotelischen Polisfiktion ausgesprochen: Es handelt sich um ihre theoretische Funktion als Modell, als individuell Allgemeines: Die partikuläre Wunschpolis bringt die allgemeinen Begriffe von „Polis“, „politeia“, „politischer Herrschaft“ und „politischer Gerechtigkeit“ zur Anschauung.
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Aristoteles. Politik Herausgegeben von Otfried Höffe ISBN 3-05-003575-7
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12. Aristoteles’ Politik: Vorgriff auf eine liberale Demokratie?
12.1 Eine nur antike Freiheit? In einer berühmten Abhandlung vergleicht der französische Schriftsteller und Politiker Benjamin Constant den antiken mit dem modernen Freiheitsbegriff und behauptet, der Antike käme es auf die politische, der Neuzeit dagegen auf die persönliche Freiheit an: De la liberté des anciens comparée à celle des modernes (1819). Mit dieser Behauptung korrigiert er die vorher dominierenden Einschätzungen: Während nach Hume die Griechen und Römer die Freiheit zwar preisen, aber nicht praktizieren, nach Montesquieu dagegen der freie Bürger am öffentlichen Leben nur als Teil des ihn verpflichtenden Ganzen teilnimmt, besteht nach Constant die antike Freiheit in aktiver Teilnahme an der kollektiven Macht. Die moderne Freiheit dagegen fehle: sowohl die individuelle Unabhängigkeit und private Sicherheit, die die Freiheit von der Politik einschließen, als auch deren universale Geltung für alle Personen jeden Standes. Verantwortlich dafür seien die nach dem Absolutismus erfolgte Trennung von Staat und Wirtschaftsgesellschaft und die Zuerkennung unveräußerlicher Rechte an jedes Individuum. Diese Gegenüberstellung trifft, von Aristoteles aus gesehen, nicht einmal als holzschnittartige Vereinfachung zu. Im Vorbild einer Verfassung, dem „Bürgerstaat“ der Politie, sind zwar nicht alle Menschen freie Bürger, die Frauen, die Sklaven und die Metöken, die niedergelassenen Ausländer sind ausgeschlossen. Die freien Bürger verfügen aber über eine mindestens dreidimensionale Freiheit. Sie erfreuen sich außer einer wirtschaftlichen Freiheit auch einer positiven politischen Freiheit, der demokratischen
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Mitbestimmung, die sogar weiter als die unserer Demokratien reicht. Und im Fall der radikalen Demokratie verfügen sie sogar über die negative politische Freiheit, die persönliche Freiheit. Denn sie haben hier das Recht, nach eigenen Vorlieben und Vorstellungen zu leben, auch wenn dieses Recht nicht grundrechtlich verbürgt ist und keine Religionsfreiheit einschließt. Im übrigen darf man bei dieser zweiten Einschränkung nicht vergessen, daß der griechische Polytheismus weit toleranter als der jüdischchristlich-islamische Monotheismus ist, daß insbesondere die mit einer ausgebauten Theologie einhergehenden Gefahr weit geringer entwickelt ist, daß man zum Häretiker und als dieser zum Opfer religiöser Verfolgung wird. Über Sokrates’ Schicksal wissen wir zwar, daß Gottlosigkeit als Kapitalverbrechen gilt. Es werden aber keine religiösen Gruppen als Abspaltungen („Sekten“) betrachtet, deren Mitglieder verfolgt werden. Eine umsichtige Beurteilung beginnt mit der Einsicht, daß Aristoteles – wie überhaupt die Griechen – unser Begriffsfeld „Freiheit“ nicht als eine Einheit ansehen. Obwohl ihnen der gemeinsame Oberbegriff fehlt – oder sie zu Recht die angebliche Einheitlichkeit des Phänomens bezweifeln –, verfügen sie über ein reiches und differenziertes Problembewußtsein. Es tritt in einem komplexen Netz einschlägiger Begriffe zutage. Dazu gehören die Begriffe (1) des Freiwilligen (hekôn bzw. hekousion: EN III 1–3) und (2) der Entscheidung (prohairesis: EN III 4–7), die bei Aristoteles eine derart vorbildliche Untersuchung finden, daß sie Hegel als „das Beste bis auf die neuesten Zeiten“ rühmt (Hegel 1971, 221). (3) Ein weiterer Begriff von Freiheit ist im Rundum-Genughaben, der autarkeia, enthalten. (4) In einem moralisch-praktischen Sinn ist frei, wer, statt an seinem Vermögen zu hängen oder es zu verschwenden, mit äußeren Gütern einen souveränen Umgang pflegt, sich mithin durch Freigebigkeit (eleutheriotês) auszeichnet (EN IV 1–3); ihre Steigerung heißt Großartigkeit (megaloprepeia). (5) Ferner ist ein Gemeinwesen frei, das, „niemandes Sklaven oder Untertan“ (Aischylos, Die Perser, Vers 241 f.), sich selbst die Gesetze gibt, also über autonomia verfügt. (6) Der für eine Debatte mit Constant entscheidende Begriff, die persönliche Freiheit, heißt eleutheria. Dazu gehört die für die Griechen elementare wirtschaftliche Freiheit, daß man innerhalb des Hauses (oikos) nicht als Sklave einem anderen, sondern als Herr sich selbst gehört. Im elementar-ökonomischen Sinn ist frei, wer um seiner selbst (vgl. Met. A 2, 982b26; Pol. I 4, 1254a14 f.) und zugleich um des guten Lebens willen existiert. Die ökonomische Freiheit reicht noch weiter. Der Freie nimmt weder eine subalterne Stellung ein, noch geht er einer Lohnarbeit nach (VIII 2, 1337b5 ff.); dank seines Reichtums kann er die Sorge um die Subsistenz
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des Lebens anderen, insbesondere den Sklaven, überlassen und sich selbst den öffentlichen Angelegenheiten widmen. Überdies klammert er sich nicht ängstlich an sein Geld, zeichnet sich vielmehr durch die genannte Freigebigkeit aus. Im Zusammenleben mit seinesgleichen nur dem Gesetz und einem Reihendienst von Ämtern unterworfen, zeichnet er sich zudem durch eine doppelte politische Freiheit aus: (7) Im positiven Sinn ist er politisch frei, weil er sich höchster politischer Partizipation erfreut und im Wechsel regiert und regiert wird (VI 2, 1317b2 f.). (8) Und im negativen Sinn ist er politisch frei, weil er leben darf, wie er will (b12; s. VII 12, 1216b24; VIII 4, 1319b30). Diesen weiteren Begriff von Freiheit, die exousia, die Willkürfreiheit, die in der radikalen Demokratie Athens praktiziert wird, lehnt Aristoteles allerdings ab (V 9, 1310a17 f.). Als politisch liberal erweist er sich auch in der Auseinandersetzung mit Platons Politeia. Zu dessen politisch anstößigen Elementen gehören – allerdings nur auf den Stand der Wächter bezogen – das Verbot von Privateigentum (Plat. Rep. 416d ff.) und das Gebot einer Frauen- und Kindergemeinschaft (457b ff.), ferner das generelle Verbot der überlieferten Dichtung (377b ff.) und das jeder „verweichlichenden“ oder „enthemmenden“ Musik (398c ff.). E contrario, indem er all diese in der Regel als antiliberal eingeschätzten Elemente ablehnt, erweist sich Aristoteles selber als liberal. Nirgendwo verlangt er, die Autonomie der Dichter, Wissenschaftler und Philosophen einzuschränken. In der Musik gilt zwar eine Tonart, die dorische, als die geeignete für die Erziehung. Aristoteles verbietet aber die anderen nicht; im Gegenteil seien alle Tonarten zu verwenden (Pol. VII 7, 1341b19 ff.). Vor allem ist die Wirtschaft autonom. Dem Vorläufer der BetriebsWirtschaft, der Haus-Wirtschaft, wird sogar eine eigene und eigenständige Abhandlung gewidmet, wobei gewisse Elemente, etwa die Theorie des Geldes, auch volkswirtschaftlichen Charakter haben (I 3–12). Ohnehin ist die Politik autonom, und zwar sowohl im außenpolitischen Sinn, daß sie sich nicht anderen Staaten unterwirft, als auch im innenpolitischen Sinn, da sie ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. De facto praktiziert also schon Aristoteles, was die soziologische Systemtheorie eines Luhmann (1980) erst für weit später feststellt, für die Zeit nach Auflösung der alteuropäischen Gesellschaft, für die Epoche seit der Französischen Revolution: daß sich die verschiedenen Gesellschaftsbereiche – Wirtschaft, Wissenschaft, Dichtung und Politik – eigenen Gesetzmäßigkeiten unterwerfen. Auf der anderen Seite übernimmt er aber nicht ein Element aus Platon (Rep. V, 451c ff.), das zweifellos liberalen und emanzipatorischen
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Charakter hat: die provokative Forderung nach einer Gleichberechtigung von Mann und Frau, allerdings nur innerhalb des Wächterstandes. Aristoteles wendet sich gegen Platons Erwartung (vgl. Rep. V, 464b465c), durch eine „wunderbare Freundschaft aller mit allen“ könne man jeden Streit, jeden Meineid und alle Schmeichelei bei den Reichen aus der Stadt verbannen (Pol. II 5, 1263b16–22). Er teilt diesen Optimismus deshalb nicht, weil er für die genannten Übel eine andere Ursache sieht: nicht fehlende Gemeinschaft, sondern eine zum Menschen gehörende Schlechtigkeit. Da man bei einer Gütergemeinschaft sogar mehr Streit als bei einer Gütertrennung erwarten müsse, hält er das von Platon entworfene Leben für ganz unmöglich (Pol. II 5, 1263b27–29). Aristoteles bezweifelt sogar, daß mit Platons Vorschlägen die gesuchte Freundschaft aller mit allen überhaupt zu erreichen sei. Denn solange man die Wächter von den Bauern und Handwerkern scharf trenne, würden sie von diesen als „eine Art Besatzung“ angesehen (Pol. II 5, 1264a26; vgl. Rep. III 415d-417b). Dieses Argument berücksichtigt allerdings nicht Platons Argument, der Verzicht „auf eigenes Land und Wohnungen mit Gold“ mildere die Privilegien der Herrscherklasse ab. Wenn die Wächter nur die Herrschaft ausüben und nicht zusätzlich über Reichtum verfügen, so erregen sie weniger Neid und werden vielleicht nicht zu dem, was Aristoteles befürchtet, zu „rauhen Gebietern anstatt Bundesgenossen“ (Rep. III 417a-b). Die Kritik an Platons Übermaß an Einheit begnügt sich übrigens nicht mit dem pragmatischen Einwand, der reale Mensch werde überfordert. Aristoteles erhebt vielmehr den grundsätzlicheren Einwand, das Übermaß zerstöre das Wesen („Natur“) des Staates. Er pervertiere zu einer oikia, einer künstlich ins Riesige gesteigerten Familien- und Hausgemeinschaft, und diese pervertiere sogar zu einem einzelnen Menschen (Pol. II 2, 1261a18–20; vgl. Rep. V, 462c; im zweiten Teil des Arguments deutet sich Hobbes’ Leviathan an, da er als ein ins Riesige gesteigerter – künstlicher – Mensch gilt: Leviathan, Einleitung). Außerdem erscheint bei der von Platon angenommenen Zahl von eintausend Waffenträgern (Rep. IV, 423a) die kollektive Form von Gemeinsamkeit als kontraproduktiv. Wo „jeder Bürger tausend Söhne hat ... und jeder beliebige gleichmäßig Sohn von jedem beliebigen ist“ (Pol. II 3, 1262a38–40), wird man – nach dem Grundsatz „was den meisten gemeinsam ist, erfährt am wenigsten Fürsorge“ (II 3, 1261b33 f.) – „alle gleichmäßig vernachlässigen“ (b38–40). Nicht zuletzt werden dabei die freundschaftlichen Beziehungen verwässert (II 4, 1262b3 f.). Ziehen wir zu Constants Einschätzung der Antike Bilanz: Weil Aristoteles die drei entscheidenden Dimensionen der Freiheit kennt, eine ökono-
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mische, namentlich elementar-ökonomische Freiheit, mit Vorbehalten die negative politische und die positive politische Freiheit, die demokratische Partizipation, darf er – freilich nur in Grenzen – als Vorläufer eines modernen politischen Liberalismus gelten.
12.2 Herrschaft von Freien über Freie Daß eine Gesellschaft Herrschaft und Regierung braucht, zieht Aristoteles nirgendwo in Zweifel. Die radikale Legitimationsfrage, die nach einer polislegitimierenden Gerechtigkeit: „Warum darf es überhaupt eine Herrschaft von Menschen über Menschen geben?“ wirft er nicht auf. Allenfalls kann man darauf hinweisen, daß sich die politische Anthropologie von Kapitel I 2 auf eine Minimalbedingung sozialer Legitimität, auf wechselseitigen Vorteil, beruft. Infolgedessen stellt die politische Organisation jeden Menschen besser, so daß sie im Verhältnis zu ihrem Fehlen gerecht ist. In ihrer Legitimation der Polis bleibt aber die Zwangsbefugnis, der Herrschaftscharakter, im Hintergrund (s.o. Kap. 2). Nicht bloß Aristoteles, sondern so gut wie allen Griechen ist die radikale Legitimationsfrage fremd. Nur Herodot (Historien 3, 80–83) berichtet von einem persischen Großen, Otanes, der sich mit dem Argument für eine vollkommene Demokratie einsetzte, daß er weder herrschen noch beherrscht werden wolle. Daß die politische Philosophie der Griechen sich mit diesem Argument nicht auseinandersetzt, könnte einen Grund in ihrem Begriff der Herrschaft als archê haben. Der Ausdruck hebt nämlich weniger auf den Zwangscharakter der Herrschaft als auf das Moment von Ordnung und Lenkung ab, weshalb man das Fehlen der archê so gut wie ausschließlich negativ wahrnimmt. Wie schon Homer (Ilias II 703 und 726), Herodot (Historien IX 23, 2), Euripides (Hekabe V. 607; Iphigenie auf Aulis V. 914) und Platon (Rep. VIII 558c und 560e), so sieht auch Aristoteles in der an-archia, „Herrschaftsfreiheit“ nicht wie in der Neuzeit etwa der junge Edmund Burke (A Vindication of Natural Society, 1756) eine Chance für Freiheit. Er verbindet mit ihr nur Zügellosigkeit, Unordnung, Führungslosigkeit und Ungesetzlichkeit sowie einen Grund für militärischen und politischen Niedergang (Pol. V 3, 1302b27–31). Herrschaftsfreiheit gilt als so wenig erstrebenswert wie ein Schiff – das klassische Bild für den Staat im Kleinen (III 4, 1276b20 ff.; vgl. schon Platon, Rep. VI, 488a ff.) –, das ohne Kapitän fährt. Die archê betrachtet Aristoteles dagegen als ein Faktum „von Natur aus“ (Pol. I 2, 1252a31–34). Nur an einer Stelle spricht er von mê archesthai (VI 2, 1317b15), vom Nicht-Regiertwer-
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den. Er fragt sich dort aber nur, ob man die Demokratie – wie es Otanes nach Herodot zu tun scheint – in diesem Sinn interpretieren könne, und er verwirft die Interpretation. So selbstverständlich für Aristoteles das Bestehen von Herrschaft ist, so wenig selbstverständlich ist die nähere Art. Trägt man die verschiedenen Elemente zusammen, so findet man fünf Kriterien. Sie haben zusammen die Bedeutung der systematisch zweiten Dimension, der polisnormierenden Gerechtigkeit: Die erste Grenze ist im differenziertem Herrschaftsbegriff enthalten. Ihm zufolge ist es etwas grundlegend verschiedenes, ob man eine Polis lenke, als König herrsche, einem Haus vorstehe oder Sklaven befehlige (I 1, 1252a7–13; vgl. VII 3, 1325a27–30). Insbesondere herrscht der Hausherr (despotês) über Unfreie, der Polislenker dagegen über Freie, was die Herrschaft vom Bürger und Rechtssubjekt her definiert und zugleich von ihm begrenzt. 2. Während Platon im Philosophenkönigssatz für den guten Herrscher plädiert (Rep. V 473c-d), setzt sich Aristoteles für das (gute) Gesetz ein (vgl. Pol. III 16, 1287a18 ff.; auch IV 4, 1292a2 u.v.a.). Ob Monarchie (IV 10), Oligarchie (IV 6, 1293a30 f.) oder Demokratie (IV 4, 1292a6 f.) – die jeweils verwerflichste Form liegt dort vor, wo kein Gesetz bindet. Letztlich soll nicht der Mensch, sondern das – leidenschaftslose – Gesetz regieren, da der Mensch lieber sein eigenes Wohl verfolgt und dabei gern zum Tyrannen wird (vgl. EN V 10, 1134a35–b2). Bei der Ablösung des Platonischen Modells, der personalen Herrschaft einer Führungselite, durch die apersonale Herrschaft mittels genereller Regeln folgt Aristoteles dem in Griechenland hochverehrten Dichter Pindar. Denn er nennt das „Gesetz der Sterblichen König und Unsterblichen“ ist (nach Platon, Gorgias 484b, vgl. Briefe, VIII 354c). Die zweite Begrenzung gerechter Herrschaft besteht in dieser „Rule of Law“ (Pol. III 11, 1282b2 f.; vgl. IV 4, 1292b32–34). Durch allgemeine und für die Betreffenden gleich anzuwendende Bestimmungen wird jene Rechtsgleichheit geschaffen, die der Gefahr, zum Tyrannen zu werden, entgegenwirkt. Ferner sind Gesetze nicht bloß von allen Leidenschaften frei (III 15, 1286a17–21), sie gehen auch aus langwährenden Erwägungen hervor (Rhet. I 1, 1354b2), sind daher in der Regel erfahrungsreich und wohlerwogen. Ihre Rechtsgleichheit beschränkt sich allerdings auf eine erste Stufe, die unparteiische Regelanwendung. Die in den modernen Verfassungen enthaltene Rechtsgleichheit zweiter Stufe – daß jemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens nicht benachteiligt werden darf – fehlt bei den Griechen. Auch Aristoteles nimmt an der ungleichen Rechtsstellung von Frauen, Sklaven und Metöken keinen Anstoß.
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3. Mit der Unterscheidung von drei öffentlichen Gewalten (Pol. IV 14–16; vgl. VI 2, 1317b25 ff.) dürfte Aristoteles den Gedanken der Gewaltenteilung vorwegnehmen und zugleich eine weitere Herrschaftsbegrenzung einführen (IV 14, 1292b37 ff.): Die beratende Instanz (in VI 2 die Vollversammlung: ekklêsia) entspricht in etwa der Legislative; denn sie entscheidet über Krieg und Frieden, über Bündnisse und Verträge, über Gesetze, die Wahl und Rechenschaft der Beamten (EN VI 8, 1141b32 f. führt die Gesetzgebung eigens und im Unterschied zur Beratung an). Der Exekutive entsprechen die „Beamten“; dabei muß man den Ausdruck in Anführungszeichen setzen, da es zwar teils gewählte, teils erloste Amtsinhaber, aber keine professionell ausgebildeten Beamten gibt. Die dritte Gewalt liegt bei der Rechtsprechung, für die es ebenfalls keine professionell Ausgebildeten, keine juristischen Richter, sondern bloß Laien – Richter, Schöffen, gibt. De facto bestehen in Griechenland noch eine zweite und eine dritte Art von Gewaltenteilung, auf die Aristoteles aber nicht eingeht. Einerseits teilen innerhalb von Hellas die verschiedenen Stadtstaaten die Macht; andererseits teilt die Gesamtheit der Stadtstaaten die Macht mit Delphi, dem „geistlichen Zentrum“, das zugleich gewisse politische Befugnisse besitzt. 4. In seiner wirkungsmächtigen Lehre der Verfassungen bzw. Staatsformen, ihrer Klassifizierung in zweimal drei Formen, setzt Aristoteles die am Gemeinwohl (to koinê sympheron) orientierten Verfassungen von den am Herrscherwohl (to tôn archontôn) orientierten ab und nennt die ersten schlechthin gerecht, die anderen hingegen verfehlt (III 6, 1279a17–20). Je nach Zahl der Herrschenden – einer, einige oder aber viele bzw. alle – gibt es je drei legitime und illegitime (entartete) Verfassungen. Schon Pindar unterscheidet in der zweiten pythischen Ode, Vers 160, drei Staatsformen: die Tyrannis, hier im neutralen Sinn als Monarchie: Einzelherrschaft, die Herrschaft der „ungestümen Menge“, sprich: Demokratie, und die Herrschaft der Weisen, sprich: Aristokratie; dagegen fehlt die von Aristoteles eingeführte normative Unterscheidung nach Eigen- und Gemeinwohl (vgl. schon Plat. Politic. 291d f.). Nach Aristoteles sind legitim: das Königtum, aber nicht die Tyrannis (IV 10 und V 10 f.), die Aristokratie, aber nicht die Oligarchie (da es sich vornehmlich um eine Herrschaft von Reichen handelt, heißt letztere besser Plutokratie; IV 5–7 und VI 6 f.), schließlich die Politie (IV 8 f.), aber nicht die Demokratie. Denn zumindest in Aristoteles’ Begriff extremer Demokratie fehlt die Bindung an die Gesetze (IV 4, 1291a5 ff.), womit er sich von Thukydides’ berühmten Grabrede des Perikles (Peloponnesischer Krieg II 37,1), auch von Euripides’ Hiketiden (Vers 399 ff.) unterscheidet.
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Außerdem qualifiziert er ein so wichtiges Element moderner Demokratie wie die Bestellung einer – starken – Regierung durch freie Wahl als oligarchisch oder aristokratisch, als demokratisch hingegen die Auswahl durch das Los (IV 9, 1294b8 f.). Und sozioökonomisch versteht Aristoteles unter der Demokratie eine Herrschaft der Armen. Freilich gilt sie unter den „schlechten Verfassungen“ als die noch „erträglichste“ (IV 2, 1289b2–5; zur Unterscheidung verschiedener Arten von Demokratie s. IV 4, 6 und VI 1–5) Die Tyrannis ist übrigens nicht mit den neuzeitlichen Gestalten vom Absolutismus oder Diktatur zu vergleichen, von den totalitären Herrschaften des 20. Jahrhunderts zu schweigen. Ein griechischer Tyrann verfügt nicht annähernd über die Kontroll- und Unterdrückungsmöglichkeiten moderner Staatsapparate. Aus einer der führenden Familien stammend, pflegt er wie etwa Peisistratos und seine Söhne sich zunächst eine bewaffnete Gefolgschaft zu sammeln und später, sobald die Herrschaft gefestigt ist, sie durch öffentliche Bauten, etwa Tempel, Brunnenanlagen und Befestigungen, also durchaus durch Beiträge zum Gemeinwohl, zu legitimieren, wozu auch die Förderung von Dichtern, bildenden Künstlern und kultischen Festen gehört. Ein Tyrann, der sich in dieser Weise entwickelt, folgt einem Ratschlag, der nur auf den ersten Blick machiavellistisch klingt: Um ein erfolgreicher zu sein, darf man nicht im besonders hohen, sondern nur in einem abgeschwächten Sinn Tyrann sein. Ein Tyrann, der möglichst lange herrschen will, gibt die „reine“, nur am Herrscherwohl orientierte, Tyrannis auf und wird zu einem „halbwegs guten“, nämlich auch dem Gemeinwohl verpflichteten Herrscher (V 11, 1314a31–1315b10; Aristoteles’ Empfehlungen zu einer Radikalisierung der Tyrannis nähern sich allerdings dem modernen Absolutismus, vielleicht sogar Totalitarismus an: V 11, 1313a34–1314a29). Eine moralisch-politische Bewertung griechischer Tyrannis darf nicht übersehen, daß es auch einen neutralen Begriff gibt: den Tyrannen als einen Alleinherrscher (Monarch), der nicht durch Erbfolge an die Macht gekommen ist. In diesem Sinn versteht Pindar den Begriff und trägt Sophokles’ Tragödie den Titel Oidipous tyrannos (Ödipus, der Tyrann), obwohl Ödipus seine Herrschaft gemeinwohlorientiert und bei hoher Zustimmung der Untertanen ausübt. Auch bei Aristoteles entsprechen zwei von drei Tyrannisarten (IV 10) dem neutralen Begriff: Sowohl im Falle der unumschränkten Alleinherrschaft bei gewissen Barbaren als auch der sogenannten Aisymnetenherrschaft im archaischen Griechenland (vgl. III 14 f.) beruht die Herrschaft auf gesetzlicher Grundlage und richtet sich, weil vom Volk gewählt, auf freiwillig Gehorchende (IV 10, 1295a15 f.; daß
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trotzdem nach Gutdünken regiert werde, a17, erscheint als ein inkonsistenter Zusatz). Erst die dritte und eigentliche Tyrannis erfüllt das Kriterium der Verwerflichkeit: (1) Ohne einer Rechenschaft zu unterliegen, regiert der Alleinherrscher (2) über alle, die seinesgleichen und noch besser als er sind; weiterhin geschieht es vor allem (3) zum eigenen Vorteil und nicht zu dem der Untertanen; und (4) keiner von ihnen gehorcht freiwillig (a19–22). Obwohl das Gemeinwohl legitime von illegitimen Verfassungen unterscheidet, bleibt der Begriff eigentümlich blaß. Eine unmittelbare Erläuterung fehlt; aus dem Bild, das Aristoteles von der idealen Polis zeichnet, lassen sich aber einige Elemente gewinnen. Ein erstes Element bildet die „Landesverteidigung“. Ob es um die geographische Lage der Polis (VII 5, 1326b39–1327a7), einschließlich der Verbindung zum Meer (VII 6, 1327a18–25), ob es um die Landeserweiterung (VII 10, 1330a16–23) oder um die Anlage der Straßen (VII 11, 1330b17–31) geht – Aristoteles legt stets auf militärische Sicherheit wert. Ein zweites Element sind Handelsbeziehungen (VII 5, 1327a7–10) oder allgemeine Fragen der Wirtschaftspolitik. Wichtig ist drittens die Aufteilung des Ackerlandes, für die Aristoteles zwei Mal zwei Teile vorschlägt, ohne deren Gleichheit zu fordern (VII 10, 1330a9–23). Aristoteles’ Mischsystem aus Gemein- und Privateigentum richtet sich gegen beide Extreme, gegen eine vollständige Verstaatlichung („Sozialisierung“) von Grund und Boden und gegen einen bloß privaten Grundbesitz: (1) Der Gemeinbesitz, das Staatsland, soll durch seinen Ertrag die beiden öffentliche Aufgaben finanzieren: (1.1) die Kosten der Kulthandlungen und (1.2) die Kosten für gemeinsame Mahlzeiten, wobei Aristoteles dem Vorbild von Kreta und nicht von Sparta folgt (II 10, 1272a12 ff.). (2) Beim Privatbesitz erhält jeder Bürger, sowohl aus Gründen der Gerechtigkeit als auch um Einmütigkeit gegen feindliche Nachbarn zu erzielen, zwei Parzellen: (2.1) eine zur Landesgrenze hin und (2.2) eine im Landesinneren, nahe der Stadt gelegen. In der zweiten Aufgabe des Gemeineigentums finden sich Ansätze von Sozialstaatlichkeit; die gemeinsamen Mahlzeiten sichern nämlich für jeden Bürger einen hinreichenden Lebensunterhalt. Und in der Verteilung des Privateigentums zeigt sich Verteilungsgerechtigkeit. Andererseits darf man die Reichweite der Sozialstaatlichkeit nicht wie bei Nussbaum (1990) zu hoch veranschlagen. Denn Aristoteles wendet sich gegen „demokratische“ Institutionen wie Sitzungsgelder (VI 5, 1320a17 ff.), obwohl sie doch den Ärmeren die Teilnahme an der Volksversammlung ermöglichen. Auch ein anderes Element läßt sich allenfalls auf den ersten Blick sozialstaatlich interpretieren: daß Aristoteles im Rahmen seiner Platonkritik (II 1–5) für ei-
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ne Mischform des Eigentums plädiert, nach der der Besitz (ktêsis) privat bleibe, während die Nutzung (chrêsis) gemeinsam erfolge (II 5). Die gemeinsame Nutzung hätte nämlich nur dann eine sozialstaatliche Bedeutung, wenn sie staatlich vermittelt würde. Aristoteles votiert jedoch nicht für die staatliche, sowohl anonyme als auch zwangsbefugte Form eines kollektiven Gebrauchs, sondern für die persönliche und freiwillige Form einer durch Freigebigkeit ausgezeichneten Freundschaft (II 5, 1263a29 ff., trotz VII 10, 1329b39 ff.). Die Ärmeren haben hier keinen sozialstaatlichen Anspruch auf Nutzung fremden Besitzes. Der Gütermangel anderer gibt vielmehr die Gelegenheit zur Freigebigkeit, womit nicht den Armen ein subjektives Recht zusteht, sondern die Reichen zur Tugend der Wohltätigkeit angehalten werden. Im übrigen geht es im Rahmen der Freundschaft weniger um die einseitige Hilfe an den Ärmeren als um die wechselseitige Hilfe der im Prinzip schon Begüterten. Gegen eine deutlich sozialstaatliche Interpretation der Politik spricht auch der aristokratische Charakter der idealen Polis. So wird der Boden zwar auf alle Bürger verteilt, aber von Sklaven bewirtschaftet (VII 10, 1330a25–30). Und aus der Bürgerschaft sind nicht bloß die Sklaven und Metöken, sondern auch die Handwerker, Kaufleute und gewöhnlichen Bauern ausgeschlossen. Übrig bleibt eine kleine Gruppe, die nach heutigem Verständnis eine bestimmte Art von Aristokraten sind: Nichterwerbstätige, die sich in der Jugend dem Waffendienst, im Mannesalter der Staatsverwaltung und Rechtspflege und im Alter den priesterlichen Aufgaben widmen (VII 9). Selbst dort, wo sich Aristoteles für Armutsbekämpfung einsetzt, geschieht es nicht im Namen der sozialen Gerechtigkeit, sondern der politischen Stabilität: Armut birgt politischen Konfliktstoff, und ab einem bestimmten Ausmaß wird sie für das Gemeinwesen gefährlich (VI 5). Verbindet man Aristoteles’ zwei vorrangige Bestimmungen, die Abgrenzung gegen die Despotie und die Verpflichtung aufs Gemeinwohl, so schließt die legitime Herrschaft sowohl politische Unterdrückung („Regierung über Unfreie“) als auch Ausbeutung („Herrschaft zum Eigenwohl des Herrschenden“) aus. Es geschieht freilich nur im Rahmen der eigentlichen Bürgerschaft; die Gleichberechtigung aller Menschen bleibt nachdrücklich ausgeschlossen. 5. Bei den gemeinwohlorientierten Staatsformen schließlich zieht Aristoteles die Herrschaft der Vielen, die Politie, den Verfassungen vor, in denen einer, der König, oder einige wenige, die Aristokraten, regieren. Merkwürdigerweise gilt aber in EN VIII 12, 1160a32–36 die Politie bzw. Timokratie als schlechter denn Monarchie und Aristokratie. Das läßt sich
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aber insofern mit der Politik vereinbaren, als Aristoteles hier vor allem aus pragmatischen Gründen für die Politie plädiert (IV 8, 1294a15 f.). Die Politie ist die politische Verfassung tout court, die „politische Polis“ oder der „Bürgerstaat“, in dem sich die Bürgerschaft durch die politische Partizipation im emphatischen Sinn, durch die Beteiligung an der allen öffentlichen Gewalten: der Gesetzgebung der Regierung und der Gerichtsbarkeit, definiert. Vermittelt über die lateinische Übersetzung res publica, Republik, ist die Politie in allen europäischen Sprachen als Ideal eingegangen. (Die komplizierte Begriffsgeschichte braucht hier nicht erinnert zu werden: daß res publica zunächst den an der Gemeinsamkeit von Recht und Nutzen orientierten Staatsverband meint: Cicero, De re publica I 25,39, unabhängig davon, ob er monarchisch oder demokratisch verfaßt ist und daß er, von einigen Tacitus-Stellen abgesehen, erst ab dem späten Mittelalter jenes kommunale Bürgerregiment bezeichnet, das in etwa dem altrömischen Freistaat entspricht; vgl. Mager 1984 und 1992) Heute bezeichnen „Republik“ und die deutsche Übersetzung „Freistaat“ einen Staat, in dem der König und der Adel jedes Herrschaftsprivileg verloren haben. Zum griechischen Vorbild gehören zwei weitere Elemente: die auch in Ciceros Republik-Begriff gegenwärtige Verpflichtung der Herrschaft aufs Gemeinwohl und ein hohes Maß an direkter Demokratie. Die Bürger im vollen Sinn haben an allen öffentlichen Gewalten Anteil (III 5, 1278a36) und regieren sich abwechselnd selbst (I 1, 1252a15 f.; III 4, 1277a25 f.). Dabei wird ein Großteil der Ämter nach dem Los vergeben, dem allerdings eine Vorauswahl voranzugehen pflegt. (Vgl. Staat der Athener Kap. 42–69, wo die Fülle der Ämter und amtsartigen Funktionen bis ins Kleinste, samt Bestellungsweisen, Amtsfristen und Vergütungen, aufgeführt wird; dazu Chambers 1990. Zur Herausbildung der griechischen Demokratie s. auch Eucken 1999.) Auf diese Weise wird jene Verfestigung der Macht verhindert, die in den modernen Demokratien, wegen ihres Repräsentationssystems und der Professionalisierung der Repräsentanten vorherrscht, aber auch wegen der überwältigenden Macht der Parteien. Deshalb diese zweite Zwischenbilanz: Nach Aristoteles gehört zur rundum legitimen Herrschaft eine Gegenseitigkeit und Symmetrie, die dem Verhältnis von Geschwistern entspricht, die in Abwesenheit eines Vaters, gewissermaßen als Waise, sich abwechselnd regieren. In der Polis, zu der der Mensch von Natur aus bestimmt ist, sind die Bürger Ebenbürtige, Peers: einander gleichgestellt wie die Lords im Englischen Oberhaus, die Confrères in der Französischen Akademie und die Ordinarien in der klassischen Universität.
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12.3 Bürgerstaat oder Demokratie? Der moderne Staat ruht legitimatorisch auf zwei Pfeilern, auf dem verfassungstheoretischen Begriff der Demokratie („Alle Gewalt geht vom Volk aus“) und auf dem menschenrechtlichen Begriff der Gleichheit. Da Aristoteles an verschiedenen Stellen Vorbehalte gegen die Demokratie äußert (III 7, 1279b4 ff.; V 1, 1301a28 ff.) und da er den menschenrechtlichen Begriff der Gleichheit nicht kennt, könnte sein politisches Ideal doch als entschieden vormodern erscheinen. In seiner Kritik der Demokratie spricht er sich aber nicht für jene Verfassung aus, die durch die neuzeitliche Demokratie abgelöst wird: die Monarchie. In seinen Demokratieanalysen erscheint eine Verfassung als ideal, die zwar nach Aristoteles’ Begriffen von Demokratie und Oligarchie eine Mischform darstellt (IV 8 und 11), nach heutigen Begriffen sich aber einer rechtsstaatlichen und repräsentativen Demokratie annähert. Denn die Herrschaft des Gesetzes, einschließlich der Rechenschaftspflicht der Regierenden (VI 4, 1318b37 f.), also: die Rechtsstaatlichkeit, verbindet sich mit dem demokratischen Element, daß alle freien Bürger an der Herrschaft partizipieren, und darüber hinaus mit dem Element repräsentativer Demokratie, daß nicht alle Ämter durch Los, sondern gewisse durch Fachkompetenz und Wahl bestimmt werden. Aristoteles’ Erörterung über die Demokratie ergänzt die verfassungstheoretische Frage, wer der Souverän (kyrios) sei, mit der sozioökonomischen Frage nach der die Souveränität innehabenden Bevölkerungsgruppe. In der zur Demokratie wichtigsten Alternative, der Oligarchie, sind die Reichen souverän, in der Aristotelischen Demokratie nicht etwa das gesamte Volk, sondern die Gruppe der Armen (IV 4, 1290b1 f.), worunter freilich nicht Sozialhilfeempfänger oder gar Bettler zu verstehen sind, sondern Bauern, Lohnarbeiter und Handwerker, selbst Ärzte und Kaufleute. Je nach dem Kreis der zur Herrschaft zugelassenen, „regimentsfähigen“ Bürger und der Reichweite ihrer Herrschaftskompetenz unterscheidet Aristoteles im vierten Buch (Kap. 4) mindestens vier Formen von Demokratie, was auf einen komparativen Begriff von Demokratie hinausläuft. Es handelt sich hier eher um eine theoretische Konstruktion, als – wie man gelegentlich annimmt – um Stufen der realen Entwicklung Athens (vgl. Staat der Athener Kap. 29–33): Die erste und schwächste Form von Demokratie richtet sich nach einer Steuereinschätzung (Zensus). In der zweiten, stärkeren Form zählt die einwandfreie Abkunft; beide Eltern müssen Bürger sein. In der dritten, noch stärker demokratischen Form wird das Abstammungskriterium gelockert, und alle Bürger sind regimentsfähig. Aber erst dort, wo sie tatsächlich Zugang zu den Ämtern haben und darüber
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hinaus die Bindung an das Gesetz aufgehoben wird, erreicht die Demokratie ihre nach Aristoteles radikale oder vollendete Form. In ihr sind nicht bloß alle Bürger regimentsfähig, sondern die Bürgerschaft macht sich, von Volksführern (dêmagôgoi) angestachelt, von allen gesetzlichen Vorgaben frei und erlaubt sich, indem es über alles entscheidet, sogar eklatante Rechtsbrüche. Weil es dabei nicht aufs Gemeinwohl, sondern nur das eigene Wohl zu achten pflegt, herrscht es über „die Besseren“ despotisch: Die „radikale Demokratie“ wird zu einer Tyrannis der Mehrheit (IV 4, 1292a15 ff.; vgl. IV 14, 1298a31–33 u.ö.). Die zweite Darstellung der vier Demokratieformen (IV 6) nennt einen sozioökonomischen Grund für die Anerkennung oder aber Nichtanerkennung der Gesetze: Wo die Demokratie von der Bauernschaft getragen wird, fehlt dem Souverän die Muße (scholê) für permanente Politik, und er läßt die Gesetze herrschen. Gehören dagegen die Kaufleute, Handwerker und Lohnarbeiter zum Souverän (vgl. IV 12, 1296b29 f.) und haben sie auch dank entsprechender Sitzungsgelder die erforderliche Muße für Politik, so setzt man sich über das Gesetz hinweg und übernimmt die gesamte Herrschaft (IV 6, 1292b41–1293a10). Der radikalen Demokratie wirft Aristoteles eine sowohl fachliche als auch moralische Inkompetenz vor (III 11, 1281b25 ff.). Blickt man auf den Peloponnesischen Krieg, der von den Reichen – sie sollten die Flotte bezahlen – abgelehnt, von der Mehrheit, den Armen, hingegen vehement unterstützt wurde, so hat er vielleicht Recht. Denn der Krieg endet mit der Niederlage von Athen und dem Untergang von vielem, was die Nachwelt an der griechischen Kultur schätzt. Auf der anderen Seite relativiert Aristoteles den Vorwurf der Inkompetenz, wenn er die Mehrheit für kompetenter als eine kleine Elite hält (III 11, 1281a39 ff.). Die Begründung ist zwar nicht unproblematisch, da sich die Tugend und die Klugheit vieler Menschen addieren lasse, so daß eine sowohl charakterliche als auch intellektuelle überlegene Kollektivkompetenz herauskomme. Der Gehalt des Arguments ist aber offensichtlich prodemokratisch. Aristoteles’ Bürgerstaat mischt bewußt demokratische und oligarchische Elemente miteinander. Nicht etwa „deduktiv“ gewonnen, bringt das Ideal die in Athen seit Solons (594), später Kleisthenes (508/7), mit Ephialtes’ Reformen (462–61) sich abzeichnende Realität auf den Begriff; sie nimmt allerdings gegen Tendenzen extremer Demokratie auch Elemente von Sparta auf. Erneut verbindet Aristoteles verfassungstheoretische Gesichtspunkte mit denen einer politischen Soziologie: Zum Zweck eines politischen und zugleich sozialen Ausgleichs zwischen der (reichen) Führungselite und der (nicht so reichen) Menge, spricht er sich für die Förderung
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eines breiten Mittelstandes aus. Bei einem mittleren Besitz gehorche man nämlich am ehesten der Vernunft, ferner stellten sich leichter Freundschaften ein, außerdem drohten am wenigsten Aufruhr und Streit, nicht zuletzt seien die besten Gesetzgeber: Solon, Lykurg und Charondas, aus dem Mittelstand hervorgegangen (Pol. IV 11). Daraus ergibt sich eine dritte Zwischenbilanz: Die der modernen Demokratie zugrundeliegende radikale Legitimationsfrage stellt sich Aristoteles zwar nicht. Teils ausdrücklich, teils stillschweigend verwirft er aber die zur heutigen Demokratie alternativen Legitimationsformen: daß alle Gewalt von Gott oder von einer überlegenen Macht oder von entsprechender Geburt ausgeht. Und da überdies seine Mischverfassung auf das Gemeinwohl verpflichtet ist und die wichtigen Entscheidungen von der Volksversammlung (ekklêsia) treffen läßt, kann sie sowohl von ihrer Legitimationsgrundlage als auch von wichtigen Institutionen aus als im heutigen Sinn weitgehend demokratisch gelten. Im übrigen räumt Aristoteles selber ein, daß das, „was wir heute Politie nennen, früher Demokratie hieß“ (Pol. IV 13, 1297b24 f.). Auch wenn dem griechischen Bürgerstaat Institutionen wie die Grund- und Menschenrechte, die Presse und ein Verfassungsgericht fehlen und es Parteien nur in Ansätzen, als Hetärien, „Vereinigungen von Freunden“, gibt, läßt sich kaum leugnen, daß das republikanische Denken, insofern die Politie der Republik entspricht, seinen Ursprung weder in der amerikanischen noch in der französischen Revolution, auch nicht erst im republikanischen Rom, sondern schon in Athen nimmt. Und hier ist der wichtigste Theoretiker Aristoteles.
12.4 Liberalismus oder Kommunitarismus Gegen den Liberalismus hat sich in der politischen Philosophie ein neuer Gegner profiliert. Es ist der keineswegs homogene, sondern im Gegenteil vielschichtige Kommunitarismus, der sich in seiner Kritik an Liberalismus, auch an Aufklärung und Universalismus, gern auf Aristoteles beruft. Zu einem sachgerechten politischen Liberalismus gehören mindestens sechs aufeinander aufbauende Elemente: (1) Das Zusammenleben der Menschen wird zwangsbefugten Regeln unterworfen, deren Inbegriff das Recht, die (Teil-) Grammatik der Gesellschaft darstellt. (2) Das Recht wird nicht irgendwelchen, sondern allseits anerkennungswürdigen Regeln unterworfen. (3) In der Neuzeit werden sie als universale Prinzipien, als Menschenrechte, ausgewiesen und im Fortgang der Moderne um Sozialstaatlichkeit erweitert. (4) Sowohl die nähere Bestimmung des (universali-
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stischen) Rechts als auch seine Durchsetzung, nicht zuletzt die autoritative Entscheidung über Streitfälle erfolgen nicht durch private Meinungen und private Macht, sondern durch öffentliche Gewalten. (5) Deren Legitimation erfolgt letztlich aus der Zustimmung aller Betroffenen; alle Gewalt geht vom Volk aus. (6) Schon wegen der unterschiedlichen Aufgaben, aber auch um einem Machtmißbrauch entgegenzuwirken, werden die öffentlichen Gewalten geteilt und einer wechselseitigen Kontrolle unterworfen. Mit Ausnahme des dritten Elements finden sich schon bei Aristoteles all diese Elemente eines politischen Liberalismus. Die entsprechenden Kommunitaristen behaupten in ihrer Berufung auf Aristoteles zwar, schon er sei gegen universale Gerechtigkeitsprinzipien skeptisch gewesen und habe statt dessen für die partikularen Lebensformen kleiner Gemeinschaften plädiert. In Wahrheit relativiert Aristoteles aber die Traditionen der eigenen Gesellschaft, weiß er doch um die Verschiedenartigkeit des „Guten und Gerechten“; und statt sich bloß auf das Herkommen, den Nomos, zu berufen, setzt er sich für vor- und überpositive Instanzen ein, die er physei dikaion, „von Natur aus gerecht“, nennt (EN V 10, 1134b18 ff.). Nirgendwo verteidigt er Gewohnheiten und Traditionen, die nicht vorab an streng universalen Verbindlichkeiten gemessen sind, letztlich am Glück, definiert als schlechthin höchstes Ziel und als ein Leben nicht ohne Vernunft. Auch wenn man Tugenden – wie Kommunitaristen zu Recht sagen – nicht in einer vagen Weltgesellschaft, sondern nur innerhalb der eigenen Gemeinschaft lernt, folgt daraus nicht, man lebe sich dabei lediglich in die Besonderheiten der eigenen Gemeinschaft ein. Die entsprechenden Kommunitaristen (z.B. MacIntyre 1988, 122 f.) verwechseln hier den gemeinschaftsgebundenen, insofern partikularen Erwerb der Tugenden mit ihrem universalen Begriff samt der ebenso universalen Rechtfertigung. Daß man Tugenden durch Einüben, mithin innerhalb der eigenen Gemeinschaft erwirbt und dabei durchaus gemeinschaftsabhängige Besonderheiten übernimmt, braucht eine universalistische Ethik nicht in Zweifel zu ziehen. Über den gemeinschaftsabhängigen Einfärbungen übersieht sie aber nicht den allgemeingültigen Kern. Nach Aristoteles lernt man in erster Linie, auf allgemeingültige, nämlich mit der conditio humana gegebene Herausforderungen allgemeingültig zu antworten: Auf Gefahren reagiere man weder feige noch tollkühn, vielmehr tapfer; mit Geld gehe man weder verschwenderisch noch knauserig, sondern freigebig um; und in bezug auf Schmerz und Lust zeichne man sich durch Besonnenheit aus. In gewisser Weise erkennt Aristoteles sogar universale Gerechtigkeitsprinzipien an. Er stellt zwar keinen Katalog von Grund- und Menschenrechten auf, rechtfertigt selbst die Sklaverei und hält Frauen und Barbaren
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weder für gleichwertig noch für gleichberechtigt. Er führt aber Rechtsverbote an, die wie die Verbote von Diebstahl, Mißhandlung, Raub, Totschlag und Beleidigung (EN V 5, 1131a6 ff.) sich indirekt für die entsprechenden Grundrechte einsetzen. Und in den meisten der behandelten Verfassungen verstehen sich zumindest gewisse politische Mitwirkungsrechte fast von selbst. Auch das „Gute einer Gemeinschaft“ hat nicht den von Kommunitaristen vermuteten antiuniversalistischen Einschlag. Aristoteles geht es um die Gemeinsamkeit von Gut und Schlecht, Recht und Unrecht sowie um das zwar vage, aber der Intention nach universalistische Kriterium des Gemeinwohls. Wenn andere Kommunitaristen für ein möglichst staatsfreies Zusammenleben plädieren und sich dann erneut auf Aristoteles berufen, namentlich auf seine Wertschätzung der Freundschaft (M. Taylor 1982), so übersehen sie, daß Aristoteles die Polis zwar auf „Verschwägerungen und Geschlechtsverbände und Opfergenossenschaften und Formen des geselligen Lebens“ angewiesen sieht und sie alle für das Werk der Freundschaft hält, denn Freundschaft sei nichts anderes als die Entscheidung, miteinander zu leben (III 9, 1280b31 ff.). Er betont also den Wert von Zugehörigkeiten und persönlichen Beziehungen, indirekt auch von gemeinsamen Überlieferungen, von Traditionen. Zugleich weiß er aber, daß sie weder die Rechtsordnung noch politische Ämter bzw. öffentliche Gewalten ersetzen. Gegen Herrschaftsfreiheit pflegt er eine tiefe Skepsis; statt dessen hält er eine Rechts- und Staatsordnung für erforderlich. Es ist zwar richtig, daß Aristoteles den Wert der Gerechtigkeit zugunsten der Freundschaft (EN VII 1, 1155a22–28) relativiert. Diese Prioritätsthese – Freundschaft vor Gerechtigkeit – bedeutet für ihn aber nicht, im Konfliktfall erlaube die Freundschaft, Rechts- oder Gerechtigkeitsgebote zu verletzen. Für Aristoteles stiftet die Freundschaft Eintracht und vertreibt „die Zwietracht, die eine Feindschaft ist“ (EN VIII 1, 1155a24–26). In diesem Sinn relativiert die Freundschaft die Gerechtigkeit grundlegend und zugleich umfassend. Sie korrigiert nicht etwa die Gerechtigkeit, wie es die Billigkeit unternimmt (EN V 14), sondern überwindet schon deren Anwendungsbedingung: Konflikt und Konkurrenz. Solange es Konflikte gibt, bleibt aber die Gerechtigkeit gefragt und als gelegentliches Korrektiv zusätzlich die Billigkeit. Noch besser, als Konflikte gerecht und billig zu lösen, ist aber, was bei freundschaftlichen Beziehungen die Regel ist: daß die Konflikte erst gar nicht aufkommen. Man könnte noch weitergehen und ein Zusammenleben ganz ohne Konflikte als möglich behaupten wollen. Aristoteles stellt diese Behauptung aber nicht auf, widmet im Gegenteil der für Konflikte zuständigen Tugend, der Gerechtigkeit, einen großen Raum.
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Der Kommunitarismus setzt sich unter Berufung auf Aristoteles noch für eine zweite Priorität ein, die des Guten (im Sinne des glücklich-gelungenen Lebens) vor dem Gerechten. Auch hier wird er Aristoteles aber nicht gerecht, da es ihm auf eine andere Alternative ankommt, und sich bei ihr die eine Seite, das gute Leben (eu zên) im Unterschied zum bloßen Leben (zên), durch die Gemeinsamkeit von Recht und Unrecht auszeichnet (Pol. I 2, 1253a17 f.). Aristoteles vertritt hier keine Alternative zum Liberalismus, sondern bekräftigt ihn, da er statt einer Priorität des Guten vor dem Gerechten ihre Identität behauptet: Das Gute einer Gemeinschaft bzw. Gesellschaft liegt in der Anerkennung gemeinsamer Prinzipien von Recht und Unrecht. Aristoteles vertritt zwar keine vollständige Identität. Indem er nur die genannte Gemeinsamkeit hervorhebt, erklärt er sie aber für wesentlich, stellt etwaige weitere Elemente des Guten ins zweite Glied und setzt sich für die genaue Umkehrung der heute diskutierten Priorität ein: Soweit das Gute nicht mit dem Gerechten zusammenfällt, gebührt dem Gerechten der Vorrang vor dem Guten. Der hier durch sechs Elemente definierte politische Liberalismus kennt zwar notwendige Bedingungen einer legitimen Vergesellschaftung; erhebt aber keinen Anspruch auf Vollendungsbedingungen. Insbesondere behauptet er weder, die Gesellschaft werde ausschließlich durch das Recht organisiert, noch das Recht bestehe lediglich aus universalistischen Elementen. Vom universalistischen Recht erwartet er zwar einen Beitrag zur Identität von Gruppen und von Individuen. Die Aufgabe, jene „runde und volle“ Identität zu stiften, die ein anspruchsvoller Begriff des guten Lebens meint, überläßt er aber anderen Kräften. Trotzdem weiß er sich darin mit Aristoteles einig, daß das Gemeinwesen mehr als lediglich ein instrumentaler Verband: eine bloße Assoziation von Individuen und Gruppen, ist, die primär ihre eigenen Ziele verfolgen. Das Gemeinwesen baut sich vielmehr auf schon existierende Gemeinsamkeiten (der Sprache oder aber einer wohldefinierten Mehrsprachigkeit, der Kultur, des Rechts, der Geschichte, mancherorts auch der Religion) auf. Und im Zuge der Organisation gemeinsamer Zwecke bilden sich die Gemeinsamkeiten noch fort; auch in Rechts- und Staatswesen gibt es ein ausgeprägtes Wir-Gefühl. Aus diesem Grund folgt eine vierte Zwischenbilanz: Wer Aristoteles selbst liest, findet keinen Ahnherrn eines Kommunitarismus, der sich als Alternative zum Liberalismus und Universalismus versteht. Stattdessen stößt er auf Grundzüge jener Art von politischer Philosophie und Sozialphilosophie, die auch heute überzeugen dürfte, auf einen liberalen Universalismus, der seine universalistischen Prinzipien mit der Einsicht in das Recht, sogar die Notwendigkeit partikularer Zugehörigkeiten verbindet.
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Personenregister Aalders, G.J.D. 144 Aelian 6 Aischylos 5, 188 Albert der Große 6 Alexander der Große 6, 34 Althusius, J. 33 Aristogeiton 146 Aristophanes 48 Barker, E. 108 Berger, S. 137 Betbeder, Ph. 129 Bien, G. 170, 177 Braun, E. 108, 114 Brunschwig, J. 56 Burke, E. 191 Chambers, M. 197 Charondas 200 Cicero 170, 197 Constant, B. 187, 188, 190 Cooper, J.M. 103 de Ste. Croix, G.E.M. 141 Curren, R. 172 Dante 6 Demosthenes 5, 115 Depew, D.J. 172, 180 Dionysios I. 148 Ephialtes 199 Erskine, A. 38 Eucken, Ch. 151, 197 Eudoxos von Knidos 125 Euripides 5, 191, 193 al-Farabi 6 Ficino, M. 170 Flashar, H. 169, 171 Frede, D. 9, 88 Garland, Y. 48 Gehrke, H.-J. 10, 121, 137, 143, 147, 148 Geiger, R. 10, 121 Gigon, O. 160
Goldschmidt, V. 40, 175 Graham, A.J. 72 Hagopian, M.N. 143 Harmodios 146 Hegel, G.W.F. 188 Herodot 5, 133, 191 Hentschke, A.B. 170 Heuß, A. 140, 143, 144, 145, 146, 148, 183 Hicks, R.D. 108 Hippodamos von Milet 59, 71, 179 Hobbes, T. 15, 22, 24, 28, 105, 164, 190 Hohfeld, W.N. 109 Höffe, O. 16, 75, 171 Homer 5, 109, 191 Hume, D. 187 Irwin, T. 85, 105, 129 Isokrates 5, 80 Jaeger, W. 125, 126 Jason von Pherai 86, 88 Jowett, B. 108 Kamp, A. 146, 173 Kant, I. 15, 153 Keyt, D. 111, 114, 118, 154, 155, 161 Kleisthenes 199 Knox, B. 108, 109 Kraut, R. 8, 169 Lintott, A. 137 Lloyd, G. 173 Locke, J. 105 Lord, C. 180 Luhmann, N. 189 Lykophron 102 Lykurg 200 Lysias 5 Mager, W. 197 MacIntyre, A. 108, 185, 201 Mayhew, R. 73 Meikle, S. 46 Miller, F. D. 9, 73, 102, 103, 106, 108, 109, 181, 182, 183
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Personenregister
Molho, A. 77 Montesquieu 187 Moore, G.E. 14 Mulgan, R. 9, 77, 95, 103, 106, 176, 181 Neschke-Hentschke, A. 10, Newman, W.L. 41, 51, 75, 77, 98, 132, 154 Nippel, W. 144 Nietzsche, F. 15 Nussbaum, M. 195 Otanes 191, 192 Owen, G.E.L. 160 Patzig, G. 12 Peisistratos 194 Pellegrin, P. 8, 51, 54, 56, 173, 177 Petit, A. 183 Phaleas 59, 60, 71, 72, 73 Philipp II. 6, 34 Pindar 192, 193, 194 Platon 5, 6, 7, 8, 12, 13, 14f., 19, 22, 24, 25, 34, 59ff., 82, 88, 89, 102, 105, 122, 123, 124, 125, 126, 132, 134, 138, 144, 148, 149, 152, 169, 171, 172, 175, 176, 177, 178, 179, 181, 182, 184, 189, 190, 191, 192 Polansky, R. 139 Polanyi, K. 43 Proklos 6
Schmidtz, D. 117 Schofield, M. 53 Scholz, P. 124, 153 Schütrumpf, E. 7, 9, 46, 73, 75, 77, 87, 108, 124, 126, 129, 131, 132, 134, 137, 138, 140, 141, 143, 144, 145, 146, 147, 151, 154, 155, 162, 166, 171, 176 Seel, G. 85 Shakespeare, W. 15 Simpson, P.L. 73, 169 Sokrates 6, 60ff., 115, 170, 188 Solon 71, 109, 114, 199, 200 Sophokles 5, 194 Stalley, R.F. 170 Stein, S.M. 34 Sternberger, D. 177 Susemihl, F. 108 Tacitus 197 Taylor, M. 202 Taylor, C.C.W. 151 Teichmüller, G. 14 Themistios 152 Theophrast 169 Thomas von Aquin 6, 13, 18, 182 Thrasymachos 182 Thukydides 5, 129, 145, 146, 147, 149, 193 Touloumakos, J. 146 Trampedach, K. 125
Rapp, Ch. 155 Rawls, J. 13f. Reeve, C.D.C. 60, 160 Rist, J.M. 54 Robinson, R. 108 Rolfes, E. 184 Ross, D. 153 Rousseau, J.J. 105 Ryffel. H. 137
Vegetti, M. 170 Vidal-Naquet, P. 48
Saunders, T. 60, 73 Schleiermacher, F.D.E. 75
Zenon von Kition 170 Zoepffel, R. 141
Walcott, P. 138 Waldron, J. 114, 117 Weber, M. 148 Weil, R. 141, 146 Wilhelm von Moerbeke 182 Williams, B. 108, 109
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Sachregister Anthropologie 8, 12 ff., 21–34, 56, 149, 164, 191 Anthropozentrismus 50 Arbeit 30, 33, 43 f., 48, 82 f., 90, 164 ff., 173, 175, 180 Arbeiter 41 f., 49, 57, 92 s. auch Handwerker Arbeitsteilung 25 f., 83 f., 153 aretê (Tüchtigkeit) s. Tugend Aristokratie 71 f., 93, 95 ff., 111 f., 156, 194, 196 Autarkie 10, 17, 23, 25, 34, 44 ff., 76, 79, 175, 178, 188 Barbaren 48, 53, 55, 194, 201 Bauern 130, 163, 165, 179, 190, 196, 198 f. Begierde 69, 73, 84, 129, 183 Bürger (politês) 5 f., 9 ff., 14, 18, 23, 29 ff., 42 f., 48 f., 59–73, 75–92, 96, 100 ff., 109, 115 ff., 123 f., 128, 130 f., 133 ff., 144, 158, 161 f., 165 f., 169, 171–184, 187, 190, 192, 195 ff. Bürgertugend 9 chrematistikê s. Erwerbskunst Demagoge 115, 139, 142, 144, 165 f. Demokratie10 ff., 71, 75, 78 ff., 89, 92–100, 111 ff., 121 ff., 127, 129 ff., 138 ff., 144 f., 148, 151, 153 ff., 157–167, 179 ff., 183, 187 ff., 191 ff., 197 ff. Dorf (komê) 8, 25 f., 42, 45, 47, 77, 100 Ehe 21, 33 f., 37, 39, 51, 55 f., 77, 102 eidos (Form) 13, 80 f., 175 ff. epithymia s. Begierde Erwerbskunst 45 ff. Ethik 7, 12–19, 25, 28 ff., 32, 35, 38, 42 f., 53, 55, 61 f., 68, 81 f., 84, 100, 102 f., 105, 110, 114, 129, 160, 170, 172 ff., 181, 183, 201 Familie 8, 26, 33, 37–49, 59 ff., 63 f., 69 f., 73, 77, 90, 101 ff., 109, 175, 190, 194 s. auch Haushalt
Frau 11, 21, 26, 32 f., 37, 39, 49, 51, 87 f., 187, 190, 192, 201 Frauen- und Kindergemeinschaft 8, 61, 189 Freiheit (eleutheria) 6 f., 11, 24, 27, 71, 94 ff., 98, 111 f., 116, 122, 158 ff., 164, 172, 185, 187 ff., 202 Freundschaft (philia) 7, 18, 28, 30, 62, 64, 66, 69 ff., 101 ff., 105, 175, 184, 190, 196, 200, 202 Gebrauchswert 46 Geld 43, 46 f., 49, 166, 172, 189, 195, 199, 201 Gemeinschaft (koinônia)8 f., 18, 21–34, 37 ff., 42, 44 ff., 56, 59 ff., 64 ff., 70, 72, 75 ff., 80, 82, 85, 88, 92, 94, 99, 103, 105, 105, 107 f., 111 f., 117, 125, 132 f., 140, 143, 166, 171 f., 175 f., 178 ff., 185, 189 f., 201 ff. Gerechtigkeit 5, 7, 9, 11, 13 f., 18, 26 ff., 70, 73, 87, 94, 96, 98 f., 101 ff., 108, 110 ff., 115 ff., 121, 123, 127 f., 142 f., 145, 149 161 f., 166, 172, 179 f., 182 ff., 191 f., 195 f., 201 f. Gesetz (nomos) 15, 18, 27, 29, 66, 68 f., 73, 85, 105 f., 108, 113 ff., 117 ff., 134 f., 141, 145, 152, 160, 165 f., 170, 185, 189, 191 ff., 198 f., 201 Gesetzgebung 10, 18, 28, 55, 68 f., 71, 75, 85, 118, 123 ff., 127 ff., 134, 169, 172 ff., 176, 178 ff., 188, 193, 197, 200 Gleichheit 11, 50 f., 71, 73, 87, 96, 98 f., 115, 121 f., 129, 138, 142 f., 149, 153, 158, 160 ff., 183 ff., 192, 195, 198 Glück (eudaimonia) 7 f., 13, 15 ff., 25, 28 ff., 42, 45, 47 ff., 56 f., 90, 100 f., 105, 111, 129, 151, 170, 172, 180 f., 201, 203 s. auch Leben, gutes Handel 34, 46, 48 f., 101 f., 178, 195 Handeln (praxis) 13 ff., 16, 18, 30, 32, 41, 56, 70, 72 f., 78, 92, 123 ff., 128, 152 f., 157, 174, 185 Handwerker (banausoi) 16, 41, 43, 57, 79, 89 ff., 130, 165, 179, 190, 196, 198 f. Haushalt (oikos, oikia) 8, 21, 60, 62, 65, 67, 72, 99 f., 102, 105, 132, 171 f., 175, 178, 188
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Sachregister
Hausherr (despotês) 21, 26, 32 f., 53 ff., 56, 188, 192 Herrschaft (archê) 8 f., 21 f., 27, 34, 39 f., 44, 49, 51, 62 ff., 70, 78, 80, 84, 86 f., 90, 93 ff., 99, 105, 107 f., 113 ff., 117 ff., 122, 128, 158, 177, 179 ff., 183 ff., 190 ff., 197 ff., 202 Herrschaftsfreiheit 27, 191, 202 Idealstaat 83, 93, 96, 152 Institution, staatliche 10, 12, 14, 16, 19, 24, 27, 34, 42 f., 59 f., 63, 70 f., 93 f., 96 f., 102 f., 105 f., 121, 124, 152, 154 ff., 162 ff., 167, 185, 195, 200 Kind 26, 32 ff., 37, 39, 51, 53 f., 59 ff., 63 ff., 69 ff., 73, 90, 173, 189 Klima 48, 178 Kommunismus 49 Kommunitarismus 11, 200 ff. Königtum 21, 40, 87 f., 90, 93, 96, 108, 118, 122, 127, 140, 144, 148, 192, 196 f. Krieg 6, 17, 25, 27 f., 34, 42, 44, 66, 85, 87, 95 f., 137, 139, 148, 179, 191, 193, 195, 199 Leben (zên) 22, 25 ff., 32, 34, 41, 44, 47 f., 50, 53, 79, 90, 99 f., 102, 111, 175, 178, 203 Leben, gutes (eu zên) 8, 10, 18, 21 ff., 25 f., 31 ff., 47 ff., 53, 56 f., 64, 70, 79, 94, 100 ff., 111, 116, 175 f, 178 f., 181, 183 f., 188, 203; politisches 7, 18, 24, 28 f., 42, 60, 73, 82, 92, 103, 132, 164, 178, 180, 187, 200, 202; theoretisches 7, 12, 17, 29, 73 Lebensform (bios) 15, 32, 44, 71 f., 84, 101, 158 f., 165, 171 ff., 177 f., 180, 189, 201 Lebewesen s. Tier Libaralismus 11, 13, 16, 31, 69, 91, 104 ff., 108, 187, 189, 191, 200 ff. Lust (hêdonê) 17, 27, 32, 69 f., 202 Metaphysik 11 ff., 15, 19 Monarchie 113, 117, 119, 138, 140, 143, 181, 192 ff., 196 ff.; s. auch Königtum Muße (scholê) 65, 92, 172 f., 175 178 ff., 199 Natur 11 ff., 15, 22 f., 26, 38 f., 41 ff., 49 ff., 55 f., 59 ff., 100, 108, 118 f., 126, 130,
171, 174, 190, 201; politische ~ des Menschen 8, 26, 28, 30, 32, 38, 42, 48, 102, 107, 191, 197 Notwendigkeit 22, 31 ff., 39, 43 f., 46 f., 49 ff., 53, 62, 66, 72, 79, 82 ff., 87 ff., 100 f., 103 ff., 114, 116, 125, 147, 155, 163 ff., 172, 175 f., 178 f., 203 oikos s. Haushalt Ökonomie 18, 25 f., 42–48, 175, 177 f., 180, 188, 191, 194, 198 f. Oligarchie 10, 43, 71, 75, 80, 91, 93 ff., 99, 111 ff., 122 f., 127, 129 f., 133 f., 138 ff., 144 f., 148, 151, 153 ff., 161 f., 166 f., 179, 181, 183, 192 ff., 198 f. Ostrakismus 27, 118 Philosophenherrschaft 14, 152 f., 192 Philosophie 5 ff., 10, 12 ff., 24, 29, 37, 43, 100, 105 f., 109 f., 115, 117, 121, 123, 125 f., 128, 135, 143, 147, 151 ff., 162 f., 170 ff., 174, 189, 191 f., 200, 203 physis s. Natur Plutokratie 43, 193 Polis 8 ff., 18, 21 ff., 33, 38, 40, 42 ff., 47 ff., 73, 75 f., 79 f., 89, 100, 105 f., 132, 136 f., 140, 149, 161, 169–185, 192, 195 ff., 202 Politie 139, 164, 187, 193, 196 f., 200 prohairesis s. Wahl Psychologie s. Seele Rat 81, 91, 172, 176, 184 Recht 5 ff., 11, 14, 18, 22, 24, 27 ff., 33 f., 38, 45 ff., 77 f., 80, 83, 88, 90, 92, 107–119, 121, 129, 139, 141 ff., 145, 148, 151, 154, 158, 161, 164, 166, 177, 182 f., 187 f., 192 f., 196 ff. Regierung s. Herrschaft Reichtum 16, 31, 45 f., 60, 71 ff., 91, 94 ff., 111 f., 116 ff., 133, 142, 179, 183, 188, 190 Seele 40, 42, 50 f., 59, 82, 84 ff., 107 f., 113, 170, 177 Selbständigkeit 8, 19, 166 Selbsterhaltung (sôtêria) 10, 37, 39, 50 f., 84, 121, 137 f., 146, 152, 157, 163 Selbstgenügsamkeit (autarkeia) s. Autarkie
Sachregister
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Sklaverei 8, 11, 21, 23, 26, 32 f., 37–57, 66 f., 73, 77, 84, 86, 89 f., 111, 116, 132, 172, 180, 183, 187 ff., 192, 196, 201 Staatsform 8, 11, 21, 75, 77, 128, 135, 141, 193, 196 Stabilität 19, 71, 129, 137, 140 ff., 165 f., 196 Stadtstaat s. Polis
f., 83, 90 ff., 95, 110 f., 114 f., 119, 121–135, 174 ff., 180 ff., 187, 193 ff.; gemischte ~ 71, 133, 144, 200; Definition der ~ 93; Wandel der ~ 136–143; Einrichtung der ~ 152–167; beste ~ 59, 66, 71 f., 95, 110 f., 114 f., 119 s. auch Idealstaat Vertragstheorie 9, 102 ff.
Tausch 43, 46 f., 175, 178, 180 Tauschwert 46 Teleologie 11 ff., 38, 95, 107, 177 Tier (zôon) 17, 23 ff., 27 f., 40, 50 ff., 99 f., 107, 111 Tugend 29 f., 61, 68 ff., 82, 84, 87, 94 ff., 100 ff., 105, 111 ff., 122, 127 ff., 131 f., 165 171, 174 Tyrannis 80, 86, 89, 93, 113, 122, 128, 138 ff., 142 ff., 147 ff., 161, 181, 183, 192 ff., 199
Wahl 39, 47, 69, 111, 115, 118, 177, 183, 193 f., 198 Weisheit 26, 113 ff., 118 f. Weltbürgertum 18 Wertschöpfung 46 Wissen, Wissenschaft (epistêmê) 6 f., 14 ff., 26, 40, 61, 76, 85 f., 88 ff., 115, 123, 126, 146, 152, 159, 177, 189
Universalismus 12, 14, 200 ff. Utopie 10, 49 59, 170, 174 Vater 33, 37, 39, 85, 171, 197 Verfassung (politeia) 7 ff., 14 ff., 19, 71, 75
Zeus 112, 118 Ziel (telos) 9, 14 f., 17 ff., 23, 27 ff., 34, 37 f., 43, 45 ff., 52 ff., 76 ff., 80, 83, 89, 93 ff., 99 ff., 105, 123 f., 128, 130, 133, 138, 142, 145, 147, 152 f., 156 ff., 163, 167, 169 f., 172 ff., 176, 178, 181, 184 f., 195, 201, 203
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Hinweise zu den Autoren Hans-Joachim Gehrke, Dr. phil., studierte Geschichte, Klassische Philologie, Philosophie und Pädagogik in Göttingen. Promotion 1973. Anschließend Wissenschaftlicher Assistent in Göttingen. Habilitation 1982. Professor für Alte Geschichte in Würzburg (1982), Berlin (1984) und Freiburg (1987). Wichtigste Veröffentlichungen: Phoikon (1976); Stasis (1985); Jenseits von Athen und Sparta (1986); Geschichte des Hellenismus (1990/21995); Alexander der Große (1996/22000); Kleine Geschichte der Antike (1999); zahlreiche Aufsätze zur antiken, bes. griechischen Geschichte, darunter auch zur griechischen Staatstheorie. Rolf Geiger, geb. 1967, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der antiken Philosophie. Otfried Höffe ist ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Tübingen. Wichtigste Veröffentlichungen: Strategien der Humanität (1975/21985), Ethik und Politik (1979/31987), Sittlich-politische Diskurse (1981), Immanuel Kant (1983/52000), Politische Gerechtigkeit (1987), Den Staat braucht selbst ein Volk von Teufeln (1988), Kategorische Rechtsprinzipien (1990/21993), Moral als Preis der Moderne (1993/42000), Aristoteles (1996/21999), Vernunft und Recht (1996), Gibt es ein interkulturelles Strafrecht? (1998), Demokratie im Zeitalter der Globalisierung (1999), „Königliche Völker“. Zu Kants kosmopolitischer Rechtsethik (2001), Kleine Geschichte der Philosophie (2001). Als Herausgeber: Lexikon der Ethik (51997), Lesebuch zur Ethik (1998). Er ist außerdem Herausgeber der „Zeitschrift für philosophische Forschung“, der Reihen „Denker“ und „Klassiker Auslegen“ sowie zahlreicher Sammelbände. Richard Kraut, Ph.D. in Philosophy, Princeton University 1969; Professor of Philosophy at Northwestern University. Publications: Socrates and the State (1984); Aristotle on the Human Good (1989); Aristotle: Politics Books VII and VIII, translation with commentary (1997). Editor: The Cambridge Companion to Plato (1992). Fred D. Miller, Jr. is professor of philosophy and executive director of the Social Philosophy and Policy Center at Bowling Green State University. He is co-editor of: A Companion to Aristotle’s Politics (1991) and author of Nature, Justice, and Rights in Aristotle’s Politics (1995). He is also associate editor of Social Philosophy & Policy and assistant editor of
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Hinweise zu den Autoren
The Philosopher’s Index, and co-edits a series on social philosophy and policy published by Cambridge University Press. Richard Mulgan is a former professor of classics at the University of Otago, New Zealand, and a former professor of political studies at the Universities of Otago and Auckland, New Zealand, now lecturing in the Graduate Program in Public Policy, Australian National University. He is the author of: Aristotle’s Political Theory (1977) and articles on Aristotle’s Politics and Greek political thought. Ada Neschke geb. Hentschke studierte Philosophie und Klassische Philologie in Frankfurt/M. und Heidelberg. Promotion 1968. Habilitation 1977. Dozentin, dann Professorin in Frankfurt, Lille III (Frankreich) und Louvain-la-Neuve (Belgien). Seit 1991 Professorin in Lausanne (Schweiz). Wichtigste Veröffentlichungen: Politik und Philosophie bei Plato und Aristoteles (1991); Die Poetik des Aristoteles (1980); La naissance du paradigme hermé-neutique (zusammen mit A. Laks, 1990); Platonisme politique et théorie du droit naturel (1995; Bd. 2 im Erscheinen). Zahlreiche Aufsätze zum griechischen Mythos, zur antiken Philosophie und deren Rezeption sowie zur Geschichte der Hermeneutik. Pierre Pellegrin, wissenschaftlicher Direktor am C.N.R.S. (Paris), hat in erster Linie über Biologie und Politik bei Aristoteles gearbeitet, sowie über die Geschichte der antiken Medizin und den Skeptizismus. Veröffentlichungen: La classification des animaux chez Aristote (1982); frz. Übers. von Aristoteles: Politik (1990) und Physik (2000); philosophische Abhandlungen zu Galen und zu Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Eckart Schütrumpf, seit 1987 Professor of Classics in Boulder, Colorado. Veröffentlichte u. a.: Die Analyse der polis durch Aristoteles (1980); Xenophon Poroi, Vorschläge zur Beschaffung von Geldmitteln oder Über die Staatseinkünfte (1981); drei Bände: Aristoteles Politik, Bücher I–VI, übersetzt und erläutert (1991; Bd. 3: Buch IV–VI gemeinsam mit H.-J. Gehrke, 1996); Herausgeber (mit W. Fortenbaugh) von Demetrius of Phalerum (2000); mehrere Aufsätze zur antiken Philosophie, Rhetorik und Dichtungstheorie.