Arbeitsbuch Systematische Theologie: Techniken - Methoden - Übungen 9783838551289, 3838551281


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German Pages 252 [254] Year 2019

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Table of contents :
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Impressum
Inhalt
Zum Gebrauch dieses Buches
1 Einleitung für Lehrende und Studierende
1.1 Warum Systematische Theologie betreiben?
1.2 Was Studierende von diesem Buch erwarten können und wie es Lehrende nutzen können
2 Wahrheitssuche in der Theologie
2.1 Worin sich die theologischen Disziplinen unterscheiden
2.2 Scheu vor der Wahrheit überwinden
2.3 Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit – Die drei Dimensionen von Wahrheit
3 Prozesse des systematisch-theologischen Arbeitens
3.1 Vier Arbeitsschritte
3.2 Wie liest man einen Text?
3.3 Das Exzerpt als optimales Hilfsmittel
3.3.1 Erstellen eines Exzerptes
3.3.2 Das Exzerpt als Analysemittel
3.4 Wie kann man einen Text zusammenfassen? Die Technik des Paraphrasierens
4 Differenzieren: Die Fähigkeit zu unterscheiden
4.1 Wie man differenziert
4.1.1 Kriterien der Differenzierung
4.1.2 Fehlerhafte Differenzierungen
4.2 Anselms Gottesbeweis: Ein Beispiel differenzierender Argumentation
5 Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen
6 Differenzieren und Integrieren: Beide Techniken kombinieren
7 Die richtigen Fragen stellen
7.1 Was sind richtige Fragen in der Systematik?
7.1.1 Ein theologischer Text im Religionsunterricht
7.1.2 Direkt und indirekt richtige Fragen
7.1.3 Lösbare und unlösbare Fragen
7.2 Was tun, wenn Ihnen keine Fragen einfallen?
8 Unterscheidung von Gründen
8.1 Bereiche von Gründen
8.2 Arten von Gründen
8.2.1 Welche Gründe liegen vor?
8.2.2 Vier Arten von Gründen für beide Bereiche
8.2.3 Dogmatische und ethische Gründe
8.3 Darf man Gründe kombinieren?
8.3.1 Jürgen Moltmann
8.3.2 Friedrich-Wilhelm Marquardt
8.3.3 Wolfhart Pannenberg
9 Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen
9.1 Was sind notwendige und hinreichende Bedingungen?
9.2 Was man an den Bedingungen erkennen kann und was nicht
9.2.1 Notwendige Bedingung
9.2.2 Hinreichende Bedingung
9.3 Formulierungsvarianten von Wenn-dann-Sätzen
9.4 Umkehrung der Bedingungen durch Verneinung
9.5 Vorsicht mit Definitionen!
9.5.1 Definitionen finden
9.5.2 Definitionen in Äquivalenzen umformulieren
9.6 Eine zusätzliche Schwierigkeit
10 Von schwarzen Schimmeln und dem Bösen der Welt. Widersprüche und logische Fehler
10.1 Was sind Widersprüche?
10.2 Kann ein guter Gott eine böse Welt erschaffen? Widersprüche finden und korrigieren
10.3 Was sind Kurzschlüsse?
10.3.1 Die Fronten zwischen Kreationismus und Neuem Atheismus. Ein prominentes Beispiel für Kurzschlüsse
10.3.2 Verwechslung notwendiger und hinreichender Bedingungen
10.4 Was sind Zirkelschlüsse und Äquivozitäten?
10.5 Was sind infinite Regresse?
11 „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler
11.1 Unterscheidung von Quantitäten, Qualitäten, Kategorien
11.2 Kategoriefehler
12 Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen
12.1 Paradoxien
12.2 Dialektik und indirekter Beweis
12.3 Metaphern
13 Wie kritisiere ich Fachliteratur? Die Technik des Revidierens
13.1 Was tun mit „goldrichtigen“ Quell-Texten?
13.2 Fair mit den Autoren umgehen – The Principle of Charity
13.3 Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft
13.3.1 Überprüfung textinterner Richtigkeit
13.3.2 Textexterner Abgleich
14 Das Ergebnis: Letzter Schritt einer wissenschaftlichen Arbeit
14.1 Die Zusammenfassung
14.2 Die Schlussfolgerungen
15 Übung: Ein modellhafter Durchgang durch ein Thema
15.1.1 Erster Arbeitsschritt: Vorverständnis
15.1.2 Der zweite Arbeitsschritt: Interpretation
15.1.3 Der dritte Arbeitsschritt: Kritik
15.1.4 Letzter Arbeitsschritt: Ergebnis
15.1.4 Angewendete Methoden
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis für die behandelten theologischen Themen
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Arbeitsbuch Systematische Theologie: Techniken - Methoden - Übungen
 9783838551289, 3838551281

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Das Arbeitsbuch stellt die Methoden der Systematischen Theologie vor und führt umfassend in ihre praktische Anwendung ein. Anhand zahlreicher Übungen mit ausführlichen Lösungen lernen Studierende gleichzeitig zentrale Themen des Faches ­kennen. Die Darstellung leitet Schritt für Schritt durch Problemstellungen und Lösungsansätze und vermittelt damit das methodische Rüstzeug, um selbst Meister­werke großer Denker einer kritischen Prüfung zu unterziehen. So weckt das Arbeitsbuch die Neugier auf die Themen der Systematischen Theologie und die Freude am selbständigen Denken.

Arbeitsbuch Systematische Theologie

Theologie

Lukas Ohly

Arbeitsbuch Systematische Theologie

ISBN 978-3-8252-5128-4

,!7ID8C5-cfbcie! 51284 Ohly_M-5128.indd 1

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Ohly

Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

13.05.19 10:20

utb utb 5128 0000

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld

Prof. Dr. Lukas Ohly lehrt Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt. Zudem ist er Gemeindepfarrer in Nidderau (Hessen).

Lukas Ohly

Arbeitsbuch Systematische Theologie Techniken – Methoden – Übungen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Umschlagabbildung: Urfinguss. Treppe im Labyrinth. © iStock  

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: [email protected] CPI books GmbH, Leck utb-Nr.: 5128 ISBN 978-3-8385-5128-9

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Inhalt 

Inhalt Zum Gebrauch dieses Buches   1  Einleitung für Lehrende und Studierende  

1.1 Warum Systematische Theologie betreiben?   1.2 Was Studierende von diesem Buch erwarten können und wie es Lehrende nutzen können  

2  Wahrheitssuche in der Theologie  

2.1 Worin sich die theologischen Disziplinen unterscheiden   2.2 Scheu vor der Wahrheit überwinden   2.3 Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit – Die drei Dimensionen von Wahrheit  

3 Prozesse des systematisch-theologischen Arbeitens  

3.1 Vier Arbeitsschritte   3.2 Wie liest man einen Text?   3.3 Das Exzerpt als optimales Hilfsmittel   3.3.1 Erstellen eines Exzerptes   3.3.2 Das Exzerpt als Analysemittel   3.4 Wie kann man einen Text zusammenfassen? Die Technik des Paraphrasierens  

4 Differenzieren: Die Fähigkeit zu unterscheiden  

4.1 Wie man differenziert   4.1.1 Kriterien der Differenzierung   4.1.2 Fehlerhafte Differenzierungen   4.2 Anselms Gottesbeweis: Ein Beispiel differenzierender Argumentation  

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5  Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen  

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6 Differenzieren und Integrieren: Beide Techniken kombinieren  

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 Inhalt

7  Die richtigen Fragen stellen  

  73   73   75   76   78   79

8  Unterscheidung von Gründen  

  81   81   87   92   92   93   94   96   97   97

7.1 Was sind richtige Fragen in der Systematik?   7.1.1 Ein theologischer Text im Religionsunterricht   7.1.2 Direkt und indirekt richtige Fragen   7.1.3 Lösbare und unlösbare Fragen   7.2 Was tun, wenn Ihnen keine Fragen einfallen?   8.1 Bereiche von Gründen   8.2 Arten von Gründen   8.2.1 Welche Gründe liegen vor?   8.2.2 Vier Arten von Gründen für beide Bereiche   8.2.3 Dogmatische und ethische Gründe   8.3 Darf man Gründe kombinieren?   8.3.1 Jürgen Moltmann   8.3.2 Friedrich-Wilhelm Marquardt   8.3.3 Wolfhart Pannenberg  

9 Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen  

9.1 Was sind notwendige und hinreichende Bedingungen?   9.2 Was man an den Bedingungen erkennen kann und was nicht   9.2.1  Notwendige Bedingung   9.2.2 Hinreichende Bedingung   9.3 Formulierungsvarianten von Wenn-dann-Sätzen   9.4 Umkehrung der Bedingungen durch Verneinung   9.5 Vorsicht mit Definitionen!   9.5.1 Definitionen finden   9.5.2 Definitionen in Äquivalenzen umformulieren   9.6 Eine zusätzliche Schwierigkeit  

10 Von schwarzen Schimmeln und dem Bösen der Welt. Widersprüche und logische Fehler  

10.1 Was sind Widersprüche?   10.2 Kann ein guter Gott eine böse Welt erschaffen? Widersprüche finden und korrigieren   10.3 Was sind Kurzschlüsse?   10.3.1 Die Fronten zwischen Kreationismus und Neuem Atheismus. Ein prominentes Beispiel für Kurzschlüsse  

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Inhalt 

10.3.2 Verwechslung notwendiger und hinreichender Bedingungen   10.4 Was sind Zirkelschlüsse und Äquivozitäten?   10.5 Was sind infinite Regresse?   11 „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler  

11.1 Unterscheidung von Quantitäten, Qualitäten, Kategorien   11.2 Kategoriefehler  

12 Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen  

12.1 Paradoxien   12.2 Dialektik und indirekter Beweis   12.3 Metaphern  

13 Wie kritisiere ich Fachliteratur? Die Technik des Revidierens  

13.1 Was tun mit „goldrichtigen“ Quell-Texten?   13.2 Fair mit den Autoren umgehen – The Principle of Charity   13.3 Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft   13.3.1 Überprüfung textinterner Richtigkeit   13.3.2 Textexterner Abgleich  

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14 Das Ergebnis: Letzter Schritt einer wissenschaftlichen Arbeit  

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15 Übung: Ein modellhafter Durchgang durch ein Thema  

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Literaturverzeichnis  

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Stichwortverzeichnis für die behandelten theologischen Themen   

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14.1 Die Zusammenfassung   14.2 Die Schlussfolgerungen  

15.1 Erster Arbeitsschritt: Vorverständnis   15.2  Der zweite Arbeitsschritt: Interpretation   15.3 Der dritte Arbeitsschritt: Kritik   15.4 Letzter Arbeitsschritt: Ergebnis   15.5 Angewendete Methoden  

Zum Gebrauch dieses Buches 

Zum Gebrauch dieses Buches Das vorliegende Buch richtet sich an Theologiestudierende und Lehrende der Systematischen Theologie. Es ist ein explizites Übungsbuch, das die Methoden dafür vorstellt und in sie einübt. Dafür enthält es neben jeweiligen Einführungen in die Methoden der Dogmatik und Theologischen Ethik hinter jeder Sektion auch praktische Übungen mit ausführlichen Lösungen. Studierende werden so mit der Systematische Theologie vertraut, Dozierende in ihrer Vorbereitung auf ihre Lehrveranstaltungen unterstützt. Prägnante Einführungen in die jeweiligen Methoden werden mit Beispielen unterstützt, die sich optisch durch einen Rahmen absetzen. Kurze hervorgehobene Merksätze in jeder Sektion helfen Ihnen, sich schnell an passende Methoden zu erinnern und sie anzuwenden. Übungen zum jeweiligen Thema finden Sie durch das Bleistiftsymbol im Text. Im direkten Anschluss finden Sie – durch einen Pfeil markiert – meine Lösung dazu. Dass Sie die Lösungen direkt im Anschluss an die Übungen finden und nicht in einem Anhang, führt Sie zwar in die Versuchung, voreilig zu „spicken“, noch bevor Sie selbst eine Lösung auf Papier gebracht haben. Andererseits können Sie auf diese Weise meine Lösungen leichter an den jeweiligen Übungen abgleichen, ohne mühsam im Buch hin- und herzuspringen. Ich empfehle Ihnen dennoch – zumindest in den meisten Übungen –, dass Sie sich Notizen zu den Übungen machen. Sie werden merken, dass die meisten Übungen für ein reines „Kopfrechnen“ zu komplex sind, und sollten sich davon auf keinen Fall entmutigen lassen. Nutzen Sie im Gegenteil dazu die Chance, Systematische Theologie nicht nur als Kopfsache, sondern auch als Handwerk zu behandeln. Gerade bei den modularisierten Studiengängen bleibt oft wenig Zeit zum Selbststudium. Deshalb sind die meisten theologischen Inhalte, an denen die Methoden vorgeführt werden, typische Problemstellungen in theologischen Seminaren. Die Zeit, die Sie für dieses Buch aufwenden, werden Sie wieder zurückbekommen. Das gilt für Studierende ebenso wie für Hochschuldozierende. Entwürfe dieses Buches habe ich bereits in mehreren Lehrveranstaltungen an der Goethe-Universität Frankfurt erfolgreich erprobt. Dabei zeigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer experimentierfreudig und neugierig. Für die Diskussionen, die dieses Buch verbessert haben, danke ich ausdrücklich. Präzise Rückmeldungen auf das Roh-Manuskript haben Nicholas Birthler,

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  Zum Gebrauch dieses Buches

Jonathan Horstmann und Dr. Eberhard Stock gegeben. Insbesondere möchte ich Catharina Wellhöfer-Schlüter nennen, mit der die Übungen in zahlreichen Gesprächen überprüft wurden. Dass die Verlage Gunter Narr, A. Francke und Attempto die Aufnahme meines Manuskripts in die renommierte Reihe UTB empfohlen haben und es nun publizieren, verstehe ich als große Ehre. Auch die intensive Betreuung durch die Verlage, namentlich durch Dr. Kristina Dronsch und Dr. Valeska Lembke, möchte ich hervorheben. Mit ihrer Expertise haben sie das Buch noch leserfreundlicher gemacht.

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1  Einleitung für Lehrende und Studierende 1.1 Warum Systematische Theologie betreiben? Eigentlich hätte dieses Buch auch „Methodenlehre des geisteswissenschaftlichen Argumentierens“ lauten können. Denn es gibt keine Sondermethodik des systematisch-theologischen Argumentierens, schon gar keine esoterische Denkform. Theologische Argumente sollen Menschen überzeugen und auch für solche Gesprächspartner überzeugend sein, die keine Christen sind. Das setzt voraus, dass die Argumentationsfiguren auch für Nicht-Christen nachvollziehbar sind und folglich auch von ihnen benutzt werden können. Deshalb gehört das, was dieses Buch an methodischen Argumentationsfiguren vorstellt, zu den typischen Methoden des geisteswissenschaftlichen Denkens. Zugleich schränke ich jedoch diese Methodenlehre auf Systematische Theologie ein. Aber nochmals: Das bedeutet keine Einschränkung methodischer Plausibilität für Nicht-Theologen. Vielmehr handelt es sich hier um eine methodische Konzentration. Nicht alle Methoden geisteswissenschaftlichen Arbeitens sind in der Systematischen Theologie (im Folgenden: Systematik) nötig, auch wenn es vorteilhaft für Systematische Theologen (im Folgenden: Systematiker) sein kann, in diese Methoden rudimentär eingearbeitet zu sein. Wie etwa der historische Sinn einer Textquelle rekonstruiert werden kann, ist für Systematiker hilfreich zu wissen, aber nicht entscheidend und nicht einmal notwendig. Der Grund ist die spezifische Funktion der Systematik. Sie überprüft nämlich die Wahrheitsansprüche des christlichen Glaubens. Diese Wahrheitsansprüche können aber auch dann einer Überprüfung standhalten, wenn der historische Sinn entstellt ist oder wenn er zwar rekonstruiert werden kann, aber dennoch unserem gegenwärtigen Wirklichkeitsverständnis unverständlich erscheint. Systematische Theologie fragt, unter welchen Bedingungen eine christliche Aussage wahr sein kann. Dazu erstellt sie Modelle, in denen diese Aussage plausibel eingebettet ist, und bewertet die Plausibilität dieser Modelle. Zum Wissenschaftscharakter der Systematischen Theologie gehört auch, dass manche christlichen Aussagen widerlegt werden. Das ist keine besondere Überraschung: Nicht alle Christen teilen dieselben Vorstellungen ihres Glaubens. Und da sich diese Vorstellungen bisweilen widersprechen, können sie auch

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  1  Einleitung für Lehrende und Studierende

nicht alle wahr sein. Die Systematische Theologie überprüft, welchen Aussagen in diesem Meinungsstreit der Vorzug zu geben ist. Diese Konzentration auf die Wahrheitsfrage christlicher Aussagen reduziert den Methodenkanon der Systematik. Wer Systematik betreibt, muss nicht alles können. Und wer andere geisteswissenschaftliche Fächer studiert, muss die Methoden der Systematik selbst nicht beherrschen. Es ist eher umgekehrt: Für andere Geisteswissenschaftler ist es nützlich und hilfreich, diese Methoden immerhin zu kennen. Zumindest sollte jede Wissenschaftlerin die Reichweite ihrer Forschungen kennen. Eine linguistische Analyse eines fachethischen Diskurses ersetzt noch keine Ethik. Eine historische Analyse politischer Konflikte macht diese noch nicht lösbar. Ebenso ist es auch mit Systematischer Theologie. Die Reichweite der Systematik zu kennen, dient bereits der methodischen Sicherheit. Deshalb gehört zur Fähigkeit, seine eigenen Kompetenzen richtig einzuschätzen, eine gewisse Grundkenntnis in die Fähigkeiten alternativer Forschungsrichtungen und -interessen. Zumindest insoweit sollten sie bekannt sein, als man weiß, dass andere Forschungsrichtungen andere Interessen haben und andere Ziele verfolgen. Der Systematischen Theologie sind solche Forschungsrichtungen am nächsten, die sich ebenfalls mit der Wahrheitsfrage beschäftigen – die also fragen, unter welchen Bedingungen eine Aussage als wahr bewertet werden kann. Auch dies möchte ich nochmals vergleichen mit einer anderen Wissenschaft, die diese Frage nicht stellt. Als Beispiel nehme ich die Geschichtswissenschaft – einfach deshalb, weil auch sie in der Theologie eine prominente Rolle eingenommen hat und weil viele Theologiestudierenden mit dem methodischen Kanon der historischen Bibelforschung vertraut sind. Beispiel Nehmen wir den Satz: „Die Bergpredigt ist nicht von Jesus selbst gehalten worden, sondern eine Sammlung von Worten, die Jesus zugeschrieben worden sind und vom Autor des Matthäusevangeliums nachträglich zu einer Predigt stilisiert worden sind.“ Auch dieser Satz kann wahr oder falsch sein. Um auch diesen Satz zu belegen, entwickelt man Denkmodelle – allerdings historisch-kritische Modelle und keine systematisch-theologischen. Zudem richtet sich dieser Satz auf einen innerweltlichen, nämlich historischen Sachverhalt. Es handelt sich aber um keinen Satz über Gott. Und da keine

1.1  Warum Systematische Theologie betreiben? 

Aussage über Gott getroffen wird, wird die Wahrheitsfrage des christlichen Glaubens allenfalls mittelbar berührt – etwa so wie eben die Reichweite systematisch-theologischer Forschung an die Reichweite anderer geisteswissenschaftlicher Forschungen angrenzt, ohne mit ihnen verschmolzen zu sein. Es handelt sich um keinen Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens, ob Jesus die Bergpredigt gehalten hat. Hier nur einige Varianten, die verdeutlichen sollen, warum es sich nicht um einen christlichen Wahrheitsanspruch handelt: Jesus muss die Bergpredigt nicht gehalten haben. Dennoch kann sie wahre Aussagen von Gott enthalten. – Oder: Jesus hat die Bergpredigt selbst gehalten, aber sich in Gott getäuscht. – Oder: Jesus muss die Bergpredigt selbst gehalten haben, weil ansonsten das, was von Gott ausgesagt ist, nicht zutreffen würde. – Ich halte nicht alle Varianten für plausibel. Mir kommt es nur darauf an zu zeigen, dass sich keine dieser Varianten ausschließlich auf die historische Frage konzentrieren kann, ob Jesus die Bergpredigt gehalten hat (selbst die nicht, die das behauptet, weil ihre theologische Begründung mit Gott und nicht mit einer historischen Tatsache zu tun hätte). Ob mit einer historischen Aussage ein christlicher Wahrheitsanspruch verbunden ist, zeigt sich also nicht an dieser Aussage allein. Es gibt aber noch einen Grund, warum sich dieser Beispielsatz nicht mit der Wahrheitsfrage beschäftigt: Er setzt vielmehr voraus, dass sie entschieden ist. Eine historische Aussage ist dann wahr, wenn sie mit einem historischen Sachverhalt übereinstimmt. Und die historischen Verfahren gelten dann als akzeptiert, wenn sie diesen Sachverhalt rekonstruieren können. Dagegen ist die Systematische Theologie nie von der Frage befreit, unter welchen Bedingungen theologische Aussagen wahr sein können. In den historischen Fächern erfüllt die Geschichtsphilosophie eine analoge Aufgabe oder auch die historische Methodenlehre; auch dort wird die Wahrheitsfrage dauerhaft gestellt. Von der Theologie wiederum unterscheiden sich diese historischen Disziplinen dadurch, dass sie die Gottesfrage nicht stellen. Die Systematische Theologie ist damit mit denjenigen Disziplinen dichter verwandt, die die Gottesfrage anhaltend thematisieren und mit ihr die Wahrheitsfrage verbinden, also wie die Frage nach Gott entschieden wird. Das leistet etwa die Religionsphilosophie, teilweise die Metaphysik oder auch die Theologie anderer Religionen. Für sie ist die Wahrheitsfrage nicht durch Rekurs auf innerweltliche Sachverhalte entschieden. Folglich müssen sie Modelle entwickeln,

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  1  Einleitung für Lehrende und Studierende

wie sie Modelle von Gott entwickeln können. Sie sind also mit der Verschachtelung von Modellen beschäftigt – oder mit dem, was man einen „hermeneutischen Zirkel“ nennt: Um zu verstehen, worauf man sich bezieht, muss man bereits etwas davon verstanden haben, worauf man sich bezieht. Da man sich aber immer darin auch täuschen kann, ist die Wahrheitsfrage nie erledigt. Darin besteht also der Unterschied zwischen der systematisch-theologischen Forschung und der historischen: 1. Die Systematik überprüft nicht nur Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt, sondern sie verhandelt auch die Frage, wie sich die Wahrheit dieser Aussagen finden lässt. Sie spielt also nicht nur Modelle durch, sondern sie problematisiert auch, welche Modelle überhaupt als geeignete Modelle zur Überprüfung des Wahrheitsgehaltes von Aussagen gelten können. 2. Die Systematik beschäftigt sich mit Aussagen von Gott. Alle anderen Aussagen sind für sie nur relevant, insofern sie zumindest mittelbar mit der Gottesthematik verbunden sind. Dabei muss aber dieser Bezug transparent aufgedeckt werden, was auch die Systematik leistet. Ob Jesus also die Bergpredigt gehalten hat, ist zunächst keine systematisch-theologische Frage. Sie kann aber zur systematisch-theologischen Frage werden, wenn die Systematik zeigt, welche Aussagen von Gott getroffen werden können, dadurch dass Jesus die Bergpredigt gehalten oder nicht gehalten hat. Dabei interessiert die Systematik letztlich nur diese Aussagen von Gott; und nur ihr Wahrheitsanspruch wird systematisch-theologisch überprüft. Die Systematik überprüft die Wahrheit christlicher Aussagen. Davon unterscheidet sie sich von anderen theologischen Disziplinen, die etwa die Entstehung oder den Sinn christlicher Aussagen rekonstruieren. Aber nur die Systematik untersucht, ob sie auch wahr sind.

1.2  Was Studierende von diesem Buch erwarten können und wie es Lehrende nutzen können 

1.2 Was Studierende von diesem Buch erwarten können und wie es Lehrende nutzen können Dieses Buch richtet sich in erster Linie an Theologiestudierende und an Menschen, die lernen möchten, methodisch sicher von Gott zu reden. Ich bin durch die Beobachtung zu diesem Buch motiviert worden, dass Theologiestudierende die Systematik oft als Angstfach erleben und sich darin besonders den Dozenten oder Prüfern ausgeliefert fühlen. Während sie sich weitgehend sicher und leidenschaftlich mit der Exegese biblischer Texte beschäftigen können, sind sie oft ratlos, wie sie eigentlich an systematisch-theologische Fragestellungen herangehen sollen. Sie changieren dann zwischen wortreichem Schwallen und Angst, den Dozenten nicht zu genügen. Selbst wer mit guten Ergebnissen eine Hausarbeit geschrieben hat, weiß manchmal nicht, was genau er richtig gemacht hat. Zugleich aber sehe ich Menschen mit theologischen Berufen vor allem mit systematisch-theologischen Fragestellungen konfrontiert. Religionslehrerinnen werden von Schülern daraufhin befragt werden, warum man bestimmte Inhalte glauben „soll“ oder warum sie vernünftiger sein sollen als ihr Gegenteil. Die Frage, ob Jesus die Bergpredigt gehalten hat, oder die historische Entwicklung bestimmter Dogmen dürfte Schüler weitgehend kalt lassen. Wer an Gott glaubt, wird sich davon nicht verunsichern lassen, dass Jesus die Bergpredigt nicht selbst gehalten hat. Und wer nicht an Gott glaubt, wird sich darin eher bestätigt fühlen. In beiden Fällen ist aber über einen theologischen Gehalt nichts entschieden. Schülerinnen und Schüler werden mit der Reflexion ihres Glaubens allein gelassen, wenn die systematisch-theologische Methodik ihnen nicht zugänglich gemacht wird. Das setzt voraus, dass Religionslehrerinnen damit vertraut sind. Dasselbe ist der Fall bei Theologiestudierenden, die Pfarrerinnen oder Pfarrer werden wollen. Die Zukunft der Kirche wird davon abhängen, ob die gesellschaftliche Öffentlichkeit die Gründe erfährt, warum es plausibel ist, Gott im eigenen Leben zu erwarten. Dagegen sind viele modernen Spielarten kirchlichen Gemeindelebens Reflexe einer Erlebnisgesellschaft, die sachgemäße Verbindlichkeiten gegen Erlebnisintensität austauscht. Ein Gospelchor wird zum kirchlichen Angebot, weil er Spaß macht, und nicht, weil er eine Verkündigungsfunktion hätte. Neue Gottesdienstformen zielen auf Abwechslungsreichtum und Spaß, vernachlässigen aber die Frage, welche Inhalte und aus welchen Gründen diese Inhalte zur Sprache kommen sollten. Wenn sich die Leistung der

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  1  Einleitung für Lehrende und Studierende

Kirche darin erschöpft, ein Kulturanbieter oder auch eine soziale Einrichtung zu sein, so ist sie nur ein Player neben anderen, der seine Funktion leicht an die „Konkurrenz“ abgeben kann. Wahrheit dagegen kann nicht marktförmig entschieden werden. Ich vertiefe diese Gedanken kurz mit einer Bemerkung zu einer aktuellen Diskussion. Wer mit der Diskussion innerhalb der Praktischen Theologie1 nicht vertraut ist, ob Kirche eine Institution oder Organisation oder ein Hybrid verschiedener Vergesellschaftlichungstypen ist, kann getrost diesen Absatz überspringen. Diese Diskussion vernachlässigt eine methodisch transparente Wahrheitsfrage. Denn versteht man unter einer Institution „ein öffentliches Regelsystem, das Ämter und Positionen bestimmt mit ihren Rechten und Pflichten, Machtbefugnissen und Schutzzonen u.ä.“2, so können Institutionen nur von Institutionen abgelöst werden oder allenfalls alternativlos verschwinden. Kirche bietet die Verkündigung des christlichen Evangeliums und ist daher institutionell verlässlich – ansonsten kann sie nicht mehr Kirche sein. Auch wenn sie sich dabei organisiert, so kann die Organisation nicht in einem vergesellschaftlichenden Widerspruch zur Institution stehen. Die Organisation kann vielmehr nur Dienstfunktion für die Institution ausüben. Anders gesagt: Die Differenz zwischen Institution und Organisation ist eine kategoriale und keine qualitative. In der Praktischen Theologie wird sie aber als qualitative Differenz gebraucht.3 Christliche Verkündigung ohne Systematische Theologie ist wie Kirche ohne Institutionalität. Denn wenn die Wahrheit des christlichen Glaubens nicht verlässlich geprüft wird, wird seine Wahrheitsfrage offengelassen und der Beliebigkeit anheimgestellt. Das vollzieht sich in der Transformation der Kirche weg von der Institution hin zur Organisation. Anstelle der verlässlichen christlichen Verkündigung, die einen Alleinvertretungsanspruch bildet – denn alles, was verlässliche christliche Verkündigung bietet, ist Kirche! –, positioniert sich Kirche inzwischen als ein religiöses Angebot neben anderen, so als ob es auf der Nachfrageseite beliebig wäre, ob und für welches Angebot man sich entscheidet. Diese Selbstnivellierung der Funktion der Kirche kann aber nur einsetzen, wo die Wahrheitsfrage vernebelt wird. Wird sie dagegen gestellt, so 1 2 3

H. Ludwig: Von der Institution zur Organisation. J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, 74. Die Differenz zwischen kategorial und qualitativ gehört zur Methodik der Systematischen Theologie und wird in diesem Buch eingeübt (Kap. 11).

1.2  Was Studierende von diesem Buch erwarten können und wie es Lehrende nutzen können 

muss die Kirche zwar nicht zurückweisen, dass auch andere „Anbieter“ auf dem religiösen Markt wahre Auffassungen haben. Dennoch verpflichtet sich Kirche dann, auf Verlässliches und Verbindliches zu zielen, was deshalb verbindlich ist, weil es wahr ist. Nun ist aber die Wahrheitsfrage bleibend offen. Also kann nur die methodische Orientierung an der Wahrheitsfrage verbindlich sein. Das bedeutet, dass Kirche ohne Systematische Theologie ihren kirchlichen Charakter verliert. Übrigens zeigt sich das schon daran, dass die ältesten schriftlichen Zeugnisse des Christentums, die Briefe von Paulus, systematisch-theologische Texte sind. Alle anderen theologischen Disziplinen sind später entstanden oder waren von Anfang an mit der Wahrheitsfrage verknüpft. Die Kirche braucht also Pfarrerinnen und Pfarrer, die erklären können, warum sie den christlichen Glauben für wahr halten. Es reicht weder hin zu erzählen, wie man selbst Christ geworden ist oder warum man einer ist. Erzählung kann nur angemessen sein, wenn sie methodisch angebunden ist an Gründe für die Wahrheit christlicher Ansprüche.4 Mit dem Wahrheitsbezug ist christliche Verkündigung in gewisser Weise „hierarchisch“ strukturiert: zwar nicht als hierarchisches Verhältnis zwischen Menschen wie in der katholischen Kirche (Priester und Laien), aber als hierarchisches Verhältnis des Wahrheitsbezuges, dem sich christliche Äußerungsformen unterzuordnen haben. Die scheinbar egalitäre Ausdrucksweise „Kommunikation des Evangeliums“5, die die symmetrische Reziprozität kommunikativer Rollen gegenüber dem traditionellen Begriff „Verkündigung“ hervorhebt, kaschiert diesen Sachbezug, den christliche Verkündigung auszeichnet. Dieses Buch wird daher die Methoden systematisch-theologischer Argumentationsweisen vorstellen und begründen. Die Leser sollen verstehen und einüben, wie sie methodisch sicher Systematische Theologie betreiben können. Hierzu werden in jedem Kapitel zunächst typische methodische Schritte erklärt. Anschließend können die Leser diese Methoden anhand von Übungen ausprobieren. Dabei werde ich theologische Texte namhafter Theologen her4

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Johannes Fischer hat zwar die Erzählung der Erklärung vorgezogen, aber auch nur deshalb, weil die Erzählung einen Sachverhalt „vor Augen führt“ (J. Fischer: Verstehen statt Begründen, 27) und damit eine Übereinstimmung zwischen sprachlicher Äußerung und einem Sachverhalt erzielt. Diese Übereinstimmung ist Wahrheit – und nicht variierbar. Ch. Grethlein: Religionspädagogik ohne Inhalt? 130. Ders.: Kommunikation des Evangeliums in „Europa“, 239. Ders.: Praktische Theologie als Theorie der Kommunikation des Evangeliums in der Gegenwart, 295.

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  1  Einleitung für Lehrende und Studierende

anziehen, an denen diese Methoden ausprobiert werden können. Damit sollen Studierende lernen, ihre Scheu vor „großen“ Texten abzulegen, indem sie ihnen methodisch sicher begegnen. Die Lösungen zu den Übungen finden sich im unmittelbar nächsten Abschnitt. Natürlich ist den Lesern dazu zu raten, die Lösungen erst dann heranzuziehen, wenn sie ihr Urteil zu einer Übung abschließend gebildet haben oder sich sicher fühlen, dass sie jeweils an einem Endpunkt stehen. Ziel des Buches ist es ja, Studierenden zu helfen, die Methoden der Systematischen Theologie souverän anzuwenden. Das Gefühl von Sicherheit ist dabei jeweils eine wichtige Voraussetzung. Allerdings profitieren Sie auch von den Übungen, wenn Ihnen selbst Fehler unterlaufen sind oder Sie nach längerer Bearbeitung keine Lösung gefunden haben. Ich gebe zu, dass manche Übungen auch für den Profi schwer sind; und auch mir sind Fehler unterlaufen, als ich bei der Korrektur des Manuskripts nochmals alle Aufgaben bearbeitet habe. Das Lösungskapitel soll nicht nur alle bestätigen, die ihre Übungen richtig gelöst haben. Es erfüllt vielmehr auch seine Funktion, wenn Sie noch unsicher sind und Hilfe brauchen, um die Lösungswege nachzuverfolgen. Auch beim Rezipieren können Sie lernen, wenn Sie dabei konzentriert alle Schritte nachvollziehen. Ich habe übrigens davon abgesehen, die Übungen nach Schwierigkeitsgrad einzusortieren, so dass sich Anfänger an leichteren Übungen hätten versuchen können und Fortgeschrittene an anspruchsvolleren. Mir scheint eine solche Einsortierung in Schwierigkeitsgrade eine Bevormundung des Lesers zu sein. Nutzen Sie stattdessen die Übungen bitte als Experimentierfeld! Und lassen Sie sich nicht entmutigen! Anfänger sollten sich eher daran orientieren, wie viele Teilantworten sie in den Übungen richtig lösen können. Auch wer eine Lösung nicht vollständig erreicht, kann Teilschritte richtig gegangen sein. Es ist schon ein Erfolg, wenn Sie die richtigen Intuitionen haben, wie sich eine Übung lösen lässt. Dennoch wächst der Schwierigkeitsgrad mit jedem Kapitel. Anfänger können sich im Laufe ihres Studiums von Kapitel zu Kapitel vortasten. Auch kann es schon nützlich sein, wenn Sie die Erläuterungen aus jedem Kapitel lesen, aber vorerst auf die Übungen der späteren Kapitel verzichten. Bis Kapitel 7 wird das Niveau eines Proseminars angestrebt. Ab Kapitel 8 werden dagegen methodische Schritte für Fortgeschrittene erläutert. Kapitel 13 und 14 sind auch wieder für Anfänger bestimmt. Das heißt jedoch nicht, dass die vorgestellten Methoden in der Praxis in der Reihenfolge dieser Kapitel angewendet werden müssen. Es wird deutlich werden, an welchen Stellen bestimmte Arbeitsschritte andere voraussetzen

1.2  Was Studierende von diesem Buch erwarten können und wie es Lehrende nutzen können 

und an welchen nicht. Welche Schritte jeweils „dran“ sind, werden aber oft die Studierenden im konkreten Fall selbst entscheiden. Da die Systematische Theologie zwei Unterdisziplinen hat – die Dogmatik und die Ethik –, werden zu fast jedem Arbeitsschritt, wo es sich anbietet, zwei Übungen angeboten: zu beiden Unterdisziplinen. Wer in der Dogmatik methodisch sicher ist, muss es in der Ethik noch nicht sein – und umgekehrt. Natürlich sind die Leser beim Durcharbeiten dieses Buches frei, welche Übungen sie probieren möchten. Ethische und dogmatische Übungen bauen nicht aufeinander auf und können daher auch unabhängig voneinander ausgeführt werden. Nebenbei erhalten Sie mit diesem Buch etliche Informationen zu Grundproblemen und Lösungsmöglichkeiten systematisch-theologischer Themen, die Ihnen auch bei der Examensvorbereitung oder in Seminaren von großer Nützlichkeit sein dürften, in denen diese Themen bearbeitet werden. Sie profitieren davon, dass Beispiele und Übungen zentrale Texte prominenter Autoren verwenden. Was dieses Buch nicht leistet, ist eine formale Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten. Wie man zitiert oder wie man eine wissenschaftliche Hausarbeit formal anfertigt, kann hier weithin vernachlässigt werden.  ür theologische Berufe ist die Frage entscheidend, welche Aussagen des F christlichen Glaubens wahr sind und wie man ihre Wahrheit überprüfen kann. Dabei sollten Sie Experimentierfreude entwickeln.

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2  Wahrheitssuche in der Theologie 2.1 Worin sich die theologischen Disziplinen unterscheiden Die Systematische Theologie ist eine unter mehreren theologischen Disziplinen, die auf wissenschaftliche Weise unterschiedliche theologische Fragekomplexe untersuchen. Und da wissenschaftliches Handeln darauf aus ist, die Wahrheit von Hypothesen zu erweisen, sind alle theologischen Disziplinen wahrheitsorientiert. Dennoch untersucht nur die Systematische Theologie christliche Wahrheitsansprüche. Die theologischen Disziplinen unterstellen sich folgenden Hauptfragen: Biblische Fächer (Altes und Neues Testament) Was meint das biblische Zeugnis wirklich?

Kirchen­geschichte

Systematische ­Theologie

Praktische ­Theologie

Was ist ­geschehen?

Unter welchen Bedingungen sind christliche Aussagen wahr?

Wie gestaltet sich christliches Leben faktisch?

Die Frage der biblischen Fächer, was das biblische Zeugnis meint oder was bestimmte biblische Aussagen bedeuten, kann natürlich richtig und falsch beantwortet werden. Insofern sind Aussagen der biblischen Fächer auch wahr oder falsch und zielen auf Wahrheit. Sie überprüfen aber nicht die Wahrheit der Aussagen, deren Bedeutung sie möglichst auf wahre Weise ermitteln. Ihre Wahrheitsorientierung richtet sich auf ihre eigenen Hypothesen und nicht auf die Aussagen, deren Sinn und Bedeutung sie rekonstruieren. Wenn etwa im Fach Altes Testament nachgewiesen wird, dass das Tötungsverbot in den Zehn Geboten nur das vorsätzliche Töten von Bundesgenossen meint, so enthält sich die forschende Person in der Frage, ob das Tötungsverbot ethisch richtig oder falsch ist. Und wenn die Forschung des Neuen Testaments entdeckt, dass die Rechtfertigungslehre bei Paulus für seine Theologie selbst keine zentrale Rolle gespielt hat, so enthält sich die Forschung dennoch der Frage, ob die Recht-

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  2  Wahrheitssuche in der Theologie

fertigungslehre des Paulus einen theologischen Sachverhalt zutreffend darstellt oder nicht. Solche Fragen bleiben für die Systematische Theologie reserviert. Manchmal nun scheinen jedoch die biblischen Fächer doch die Wahrheit ihrer Texte zu belegen oder zu widerlegen: Wenn etwa im Fach Neues Testament gezeigt wird, dass der Epheserbrief nicht von Paulus stammt, dann wird ein Textabschnitt des Epheserbriefs selbst widerlegt, nämlich diejenige Passage, in der sich der Briefeschreiber als Paulus vorstellt (Eph. 1,1). Umgekehrt bestätigen bestimmte historische Analysen die Autorenschaft mancher Paulusbriefe. In beiden Fällen betrifft das Ergebnis neutestamentlicher Forschung die Wahrheit sogar von ursprünglichen Aussagen von Christen. Es betrifft aber nicht die Wahrheit christlicher Aussagen. Denn: Der Epheserbrief würde auch dann nicht von Paulus stammen, wenn er keine christlichen Aussagen treffen würde. Und nicht jede Aussage eines Christen ist eine christliche Aussage. Wenn ein Christ richtig prophezeit: „Eintracht Frankfurt wird in dieser Saison nicht absteigen“, so wird diese Aussage nicht schon dadurch zu einer christlichen Aussage. Auch Nicht-Christen können diese Aussage vertreten. Wo liegt aber der unterschiedliche methodische Anspruch zwischen der neutestamentlichen Erforschung der Rechtfertigungslehre und der neutestamentlichen Erforschung der Autorenschaft des Epheserbriefes? Es besteht keiner! Beide Fragen erstrecken sich nämlich auf Hypothesen innerweltlicher Sachverhalte: Im einen Fall wird die These überprüft, dass Paulus nicht der Autor des Epheserbriefs ist. Im anderen Fall wird die These überprüft, dass die paulinische Rechtfertigungslehre z. B. nicht das Gesetz Gottes kritisiert. Nur solche Thesen können in einem biblischen Fach belegt oder widerlegt werden, deren Forschungsgegenstand die biblischen Texte selbst sind. Die Frage dagegen, ob die paulinische Rechtfertigungslehre wahr ist, hat einen anderen Forschungsgegenstand als die biblischen Texte – nämlich den Sachverhalt der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gottes Gnade. Forschungsgegenstand ist ein göttlicher Sachverhalt, kein Text. Die biblische Rechtfertigungslehre bezieht sich dabei auf diesen textexternen Sachverhalt. Für die neutestamentliche Forschung dagegen ist der Text der Sachverhalt, der zu untersuchen ist. Nur die Systematische Theologie stellt solche Wahrheitsfragen göttlicher Sachverhalte, etwa die Frage nach der Wahrheit der Rechtfertigungslehre. Derartige Fragen lassen sich also nicht damit beantworten, dass man auf die historischen Hintergründe der Entstehung einer christlichen Aussage verweist. Ein solcher Verweis mag zwar sinnvoll sein und die Aussage immerhin verständlich machen. Aber dennoch wird diese Aussage nicht schon dadurch als wahr oder

2.1  Worin sich die theologischen Disziplinen unterscheiden 

falsch durchschaut, dass man ihre historischen Hintergründe offenlegt. Denn historische Hintergründe beziehen sich auf innerweltliche Sachverhalte. Christliche Aussagen beziehen sich dagegen auf göttliche Sachverhalte (Eigenschaften Gottes, Gottes Handeln oder göttliche Ereignisse, schließlich auch Relationen Gottes zu sich oder zu anderem). Ebenso sind sozialwissenschaftliche Erkundungen des Kontextes christlicher Aussagen noch keine hinreichenden Überprüfungen ihrer Wahrheit. Wie nun die Systematik ihre Aufgabe erfüllt, ist Gesamtaufgabe dieses Buches. Wichtig für den Einstieg ist es allerdings, die Reichweiten der Wahrheitsansprüche aller theologischen Fächer unterschiedlich zu bestimmen. Über die christliche Wahrheit wird nicht dadurch entschieden, dass man historische oder humanwissenschaftliche Hintergründe biblischer oder christlicher Aussagen bestimmt.  ie Systematik beschäftigt sich mit göttlichen Sachverhalten. Deshalb D reicht die Untersuchung historischer oder humanwissenschaftlicher Sachverhalte nicht aus, um die Wahrheit des christlichen Glaubens zu überprüfen. Übung: Welche Aussagen gehören in die Systematik? Rekonstruieren Sie, welche Teilaussagen der folgenden Beispiele zu welchen Wissenschaften oder theologischen Disziplinen gehören. Welche theologische Reichweite haben sie? Werden darin systematisch-theologische Wahrheitsansprüche vertreten, die göttliche Sachverhalte verhandeln? Oder gehören die Wahrheitsansprüche zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die weltliche Sachverhalte verhandeln? 1. „Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. … Sofern es nun mythologische Rede ist, ist es für den Menschen von heute unglaubhaft. … Ein blindes Akzeptieren der neutestamentlichen Mythologie wäre Willkür; und solche Forderung als Glaubensforderung erheben, würde bedeuten, den Glauben zum Werk erniedrigen.“6 2. „Formen kirchlicher Organisation sind demnach nicht exklusiv für die Kommunikation des Evangeliums zuständig. Empirische Forschungen 6

R. Bultmann: Neues Testament und Mythologie, 15 ff., herv. R.B.

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  2  Wahrheitssuche in der Theologie

zeigen, dass auch außerhalb kirchlicher Organisation Evangelium … kommuniziert wird. … Nimmt man so gewonnene Einsichten ernst, wird nicht nur organisiert kirchliches Handeln entlastet. Zugleich lässt sich der Beitrag kirchlichen und damit auch pastoralen Handelns genauer bestimmen. Es hat vorrangig die Aufgabe, die Menschen bei ihrem vielfältigen Suchen im Bereich der Daseins- und Wertorientierung durch Anschluss an die Einsichten zu fördern, die aus dem Grundimpuls des Wirkens und Geschicks Jesu folgen. Kirche hat demnach eine Assistenz- und keine Herrschaftsfunktion.“7 Lösung 1. Der Text zielt darauf, christliche Aussagen unabhängig vom mythischen Weltbild zu machen. Zunächst klingt die Aussage so, als ob der bloße soziologische Sachverhalt, dass die Menschen der Gegenwart ein mythisches Weltbild für unglaubhaft halten, dafür ausreichen soll. Das wäre ein systematisch-theologischer Argumentationsfehler: Denn wenn dem heutigen Menschen etwas unglaubhaft erscheint, so muss er mit seiner Skepsis nicht Recht haben. Daher kann dann die Aussage allenfalls als praktisch-theologische Aussage Geltung verdienen: Menschen, die das mythische Weltbild für unglaubhaft halten, können dann etliche Aussagen des Neuen Testaments nicht verstehen. Allerdings bleibt der Text dabei nicht stehen. Vielmehr erhebt er den theologischen Anspruch, Menschen grundsätzlich von Weltbildern zu befreien (also auch von ihrem gegenwärtigen), weil eine erzwungene Bindung an Weltbilder dem christlichen Glauben widerspricht. Da der Glaube eine Relation zwischen Mensch und Gott beschreibt, zielt der Text also auf einen göttlichen Sachverhalt. Das heute unglaubhafte mythische Weltbild des Neuen Testaments dient somit nicht als Begründung dafür, den christlichen Glauben vom mythischen Weltbild zu befreien, sondern nur als Anlass, darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen diese Befreiung möglich ist. Und ein Ansatzpunkt dafür liegt im befreienden Wesen des Glaubens selbst. 7

Chr. Grethlein: Praktische Theologie als Theorie der Kommunikation des Evangeliums, 301 f..

2.2  Scheu vor der Wahrheit überwinden 

Die Reichweite der Aussage ist also eine systematisch-theologische und nicht nur eine historische oder soziologische. 2. Der Text erhebt einen ethischen Wahrheitsanspruch zur Funktion der Kirche („Assistenzfunktion“) – und damit einen Wahrheitsanspruch über einen göttlichen Sachverhalt; denn die Kirche beschreibt eine Relation Gottes zur Gemeinschaft der Gläubigen. Im vorliegenden Text dagegen wird Kirche neben seinem ethischen Wahrheitsanspruch („keine Herrschaftsfunktion“) ausschließlich empirisch bestimmt. Diese empirische Bestimmung leitet die gesamte Argumentation („Empirische Forschungen … Demnach …“; dieses „demnach“ begründet die Schlussfolgerungen der Assistenzfunktion der Kirche). Empirische Forschungen haben aber ausschließlich weltliche Sachverhalte im Blick. Damit lässt der Text im Unklaren, welche Reichweite er hat: Er richtet sich einerseits auf einen göttlichen Sachverhalt, begründet ihn andererseits aber mit weltlichen Sachverhalten – und verfehlt ihn damit. Man könnte auch sagen, dass der Text widersprüchliche theologische Reichweiten intendiert.

2.2 Scheu vor der Wahrheit überwinden Vor allem bei Lehramtskandidatinnen und -kandidaten erlebe ich eine erhöhte Scheu, religiöse Diskurse entscheiden zu wollen. In ihren religionspädagogischen Seminaren lernen sie, wie Religionsunterricht eine möglichst herrschaftsfreie Kommunikation gewährleisten soll und dass kein Schüler aufgrund seines Glaubens oder Zweifels bewertet werden soll. Das führt dann gelegentlich zu Äußerungen – auch von Lehrenden! –, „dass jeder seine eigene Wahrheit hat.“ Dieses liberale Weltbild führt dann zu einer Scheu vor wahrheitsorientierten Diskursen – und schließlich auch vor der Systematischen Theologie. Aber was kann es bedeuten, dass jeder seine eigene Wahrheit hat? Existiert dann Gott für diejenigen, die an ihn glauben, während er für die übrigen nicht existiert? In diesem Fall ist die Existenz Gottes kein objektiver Tatbestand, sondern eine Eigenschaft subjektiver Betroffenheiten einzelner Menschen. Oder anders: Gott ist dann kein Erkenntnisgegenstand, über den wahre oder falsche Aussagen getroffen werden können. Vielmehr ist Gott ein Ausdruck für die ­persönliche Lebensführung. Das hat Folgen für den Religionsunterricht:

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  2  Wahrheitssuche in der Theologie

Er würde dann nämlich in eine Unterweisung der Lebensführung mutieren. Dabei wäre zwar das Ziel des Unterrichts ein Leben mit Gott. Da aber jeder seine ­eigene Wahrheit hätte, wäre Religionsunterricht schließlich eine Einübung in die Lebensführung einer liberalistischen Weltauffassung. Ein solches Unterrichtskonzept wäre zweifelsfrei ideologisch, weil es die Schülerinnen und Schüler auf ein (liberalistisches) Weltbild festlegt – noch dazu im Gewand der christlichen Religion, die jedoch mit dieser Weltauffassung nicht identifiziert werden kann. Allein schon aus religionspädagogischen Gründen, aber noch mehr auch aus ethischen Gründen muss dieses Unterrichtskonzept zurückgewiesen werden. Ich teile zwar die Auffassung einer möglichst herrschaftsfreien Atmosphäre im Religionsunterricht. Diese Herrschaftsfreiheit ist aber nicht darauf angewiesen, sich bei Diskursen über Sachverhalte in der Wahrheitsfrage zu enthalten. Ich halte es sogar für ein widerlegbares Vorurteil, dass die Vorstellung, jeder habe seine eigene Wahrheit, wirklich zu einem herrschaftsfreien Diskurs führt. Zumindest werden damit die Positionen unterdrückt, die davon ausgehen, dass die Wahrheit von Positionen entscheidbar ist. Als theologisches Argument für diese Enthaltung wird öfter angeführt, dass religiöse Sachverhalte nicht entscheidbar seien. Tatsächlich haben etwa John Locke und John Stuart Mill genauso argumentiert und sich dabei auf die ­Reformation berufen, die allein den Glauben zur Grundlage der religiösen Lebenshaltung erhoben hat. Wenn allein der Glaube gilt, dann also nicht das Wissen und auch nicht wissenschaftliche Entscheidungen über göttliche Sachverhalte. Dabei handelt es sich allerdings um ein Missverständnis der Reformation. Die reformatorische sogenannte particula veri „allein aus Glaube“ bedeutet nicht, dass unterschiedliche Auffassungen über Gott nicht entscheidbar sind. Der Glaube grenzt sich nicht etwa vom Wissen ab, sondern von guten Werken. In dieser Abgrenzung hat er keine Wissensfunktion (epistemische Funktion) sondern eine heilvolle (soteriologische Funktion). Dabei war es gerade das Anliegen der Reformation, aus dem Glauben Erkenntnis zu generieren (fides quaerens intellectum). Deshalb gründeten die Reformatoren Schulen und bildeten Lehrer und Pfarrer theologisch aus. Während also der Glaube soteriologische Funktion hat, so sollte der glaubende Mensch dennoch wissen, was er glaubt. Und er kann es sich zur Aufgabe machen, sich und anderen zu begründen, warum er glaubt. Glaube ist nicht epistemisch gleichgültig. Vielmehr wäre es wissenschaftsethisch höchst pro­

2.2  Scheu vor der Wahrheit überwinden 

blematisch, andere Menschen über die Gründe im Unklaren zu lassen, warum christlicher Glaube eine vernünftige Lebenshaltung ist. Dieses Buch möchte daher dafür werben, auf Wahrheitssuche im christlichen Glauben zu gehen. Die Unterrichtsatmosphäre wird nicht dadurch entspannt, dass die Wahrheit von Argumenten ausgespart wird. Vielmehr wird in einem epistemisch unentschlossenen Unterricht ein unverbindliches Bild des christlichen Glaubens gezeichnet und er damit entstellt. Atmosphärisch dürfte sich das sogar bei Schülern in Aggressionen gegen die Lehrperson ausdrücken: Wenn sie sich der Wahrheitssuche verweigert, werden sich Schülerinnen und Schüler fragen, welchen Zweck der Religionsunterricht hat und warum sie sich darin überhaupt unterrichten lassen sollen. Ein Bildungsinteresse dürfte so nicht entstehen. Umgekehrt wird die Unterrichtsatmosphäre auch nicht dadurch belastet, dass die Wahrheit verhandelt wird. Schülerinnen und Schüler erfahren auch in anderen Unterrichtsfächern, dass sie durch Argumente einen Erkenntnisfortschritt erzielen. Auch wenn sie dadurch nicht immer Eindeutigkeit erreichen, erkennen sie dabei, dass der Unterschied zwischen wahr und falsch nicht ihrer Beliebigkeit untersteht.  laube ist nichts Beliebiges. Wer nicht weiß, was er glaubt, glaubt nichts G Bestimmtes. Die Systematik trägt zum Wissen über den christlichen Glaubens bei. Die folgende Übung soll das auch am Wahrheitsbegriff selbst erlebbar machen: Es ergeben sich absurde Konsequenzen, wenn Wahrheit zur Sache persönlicher Entscheidungen wird. Übung: Eine Aussage über die Wahrheit überprüfen Kann die folgende Begründung (der zweite Satz) wahr sein? Untersuchen Sie bitte die Konsequenzen, wenn sie wahr ist und was dann Wahrheit bedeutet. Wahrheit müssen wir im Religionsunterricht ausklammern. Denn jeder hat seine eigene Wahrheit.

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  2  Wahrheitssuche in der Theologie

Lösung 1. Entweder ist die Begründung („Denn …“) wahr. Dann ist also ihre Wahrheit nicht abhängig von der Person, die sie vertritt. Dann nimmt die Begründung sich selbst vom Gehalt aus, den sie vertritt. 2. Oder jeder entscheidet selbst, ob die Begründung wahr ist, weil jeder seine eigene Wahrheit hat. Dann können sich nicht alle auf sie verlassen. Sie ist also dann gleichzeitig wahr und falsch, nämlich für verschiedene Personen. Ob Wahrheit im Religionsunterricht auszuklammern ist, hängt dann davon ab, ob die jeweilige Lehrperson und die beteiligten Schüler die Aussage für wahr oder falsch halten.

2.3 Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit – Die drei Dimensionen von Wahrheit Die beiden Unterdisziplinen Dogmatik und Ethik folgen der Einsicht unterschiedlicher Dimensionen von Wahrheit: Nach Jürgen Habermas kann zwischen Wahrheit, persönlicher Wahrhaftigkeit und moralischer Richtigkeit unterschieden werden.8 Jede sprachliche Äußerung kann nach diesen drei Dimensionen hin untersucht werden. 1. Die erste Dimension, die der Wahrheit, ist dann erfüllt, wenn eine Aussage mit den Sachverhalten übereinstimmt, die sie beschreibt. 2. Die persönliche Wahrhaftigkeit ist dann erfüllt, wenn der Sprecher, der die Aussage vornimmt, nichts im Schilde führt, was durch die Aussage verschleiert wird. Dagegen wäre der Sprecher unwahrhaftig, wenn er zwar eine wahre Aussage trifft, aber nur aus dem Grund, um seine Zuhörer zu manipulieren oder von einer anderen Sache abzulenken. 3. Die moralische Richtigkeit bezieht sich darauf, ob eine sprachliche Äußerung ethisch legitime Ansprüche ausdrückt. So kann etwa eine Aussage wahr und wahrhaftig, aber dennoch moralisch zu verurteilen sein. Wenn ich etwa sage, dass der internationale Terrorismus nur mit dem Einmarsch 8

J. Habermas: Theorie des kommunikative Handelns Bd. 1, 412.

2.3  Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit – Die drei Dimensionen von Wahrheit 

von Truppen in ein anderes Land bekämpft werden kann, so kann diese Aussage sowohl wahr als auch wahrhaftig sein: Es kann sein, dass es keine anderen Möglichkeiten gibt, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Und das Ziel, Soldaten für einen Krieg zu begeistern, ist in diesem Fall wahrhaftig. Dennoch kann es moralisch falsch sein, Truppen aus diesem Grund in ein anderes Land einmarschieren zu lassen, weil noch höhere ethische Gründe dagegen sprechen. Alle drei Wahrheitsansprüche, die hinter ein und derselben Äußerung stehen, sind unabhängig voneinander. Deshalb können sie alle zutreffen, alle falsch sein oder auch nur in einigen Wahrheitsdimensionen erfüllt sein, aber nicht in allen. Das heißt aber nicht, dass jetzt die Wahrheit pluralisiert wird oder sogar beliebig wird, wie ich das in Sektion 2.2 diskutiert habe. Es ist missverständlich zu sagen, dass jeder Satz drei verschiedene Wahrheiten hat und daher sowohl wahr als auch falsch sein kann. Vielmehr kann die Wahrheit jeder sprachlichen Äußerung in drei verschiedenen Hinsichten untersucht werden. In jeder Hinsicht aber ist die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage eindeutig. Für die Systematische Theologie folgt daraus, dass auch Aussagen des christlichen Glaubens unterschiedlichen Wahrheitsdimensionen folgen. Damit sind Dogmatik und Ethik auch voneinander unabhängig. Über die ethische Wahrheit eines Glaubenssatzes ist nicht schon dadurch entschieden, dass er sich dogmatisch als wahr herausstellt. Ebenso ist es umgekehrt. Die Wahrheitskriterien sind also zwischen Dogmatik und Ethik unterschiedlich. An dieser Stelle möchte ich auf Missverständnisse der beiden Begriffe Dogmatik und Ethik eingehen. Dogmatik hat nichts mit einem unumstößlichen „Dogma“ zu tun, und wenn in diesem Buch das Adjektiv „dogmatisch“ verwendet wird, so heißt das nicht, sich stur und kompromisslos zu verhalten. Das Gegenteil ist der Fall! Dogmen sind zwar in der Tat Lehrsätze der katholischen Kirche, die als unumstößlich angesehen werden. Ein solcher Dogmenbegriff ist der evangelischen Kirche fremd. Wenn die evangelische Kirche bestimmte altkirchliche Bekenntnisse anerkennt, so hält sie nicht einmal in diesem Fall diese Bekenntnisse für unumstößlich. Vielmehr sind sie hilfreiche Texte, den christlichen Glauben zu charakterisieren. Verbesserungsfähig bleiben sie dennoch. Die Dogmatik untersucht, ob christliche Aussagen wahr sind, ob also die erste Wahrheitsdimension erfüllt ist. Es kann sich dabei herausstellen, dass es bessere Formulierungen für einen göttlichen Sachverhalt gibt und dass manche Formulierungen inzwischen widerlegt worden sind. Deshalb hält die Dogmatik

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  2  Wahrheitssuche in der Theologie

christliche Sätze gerade nicht für unumstößlich, sondern untersucht vielmehr, wieweit sie einer Prüfung standhalten. Das Umstoßen christlicher Aussagen oder eine präzisere Formulierung ist also gerade für die Dogmatik einkalkuliert. Wer somit Aussagen des christlichen Glaubens auf die Wahrheitsdimension überprüft, verhält sich im evangelischen Sinn „dogmatisch“. Dogmatik ist eine theologische Wissenschaftsdisziplin und gerade kein Verhalten, sich gegen Zweifel durch scheinbar unumstößliche Lehrsätze abzuschotten. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „Ethik“. Viele Studierende kennen diesen Ausdruck aus der Schule, nämlich als Konkurrenzfach zum Unterricht katholischer oder evangelischer Religion. Das deutsche Bildungssystem erzeugt damit die Illusion, dass man sich nicht nur in der Schule, sondern auch wissenschaftsdisziplinär und sogar im Leben zwischen Religion und Ethik entscheiden müsse. Ich halte diese scheinbare Bildungsalternative für einen Verstoß der Politik gegen die Selbstbestimmung der Wissenschaft, indem suggeriert wird, die Theologie habe keine Ethik, während andere Disziplinen ethisch seien. Ein ähnlicher Verstoß liegt in solchen Bundesländern (Berlin, Brandenburg) vor, in denen anstelle des Religionsunterrichts ein Lehrfach mit religionskundlichen Elementen angeboten wird. Der Staat gibt an dieser Stelle seine weltanschauliche Neutralität auf, indem er Lehrkräfte für diese Unterrichtsfächer einsetzt, die nicht Theologie studiert haben. Schüler werden daher nicht von den wissenschaftlichen Sachverständigen unterrichtet; vielmehr wird der Bildungsgegenstand Religion verzerrt wiedergegeben. Es ist ausdrücklich beabsichtigt, den religiösen Phänomenbereich unabhängig von den theologischen Disziplinen zu bestimmen – was man nur tun kann, wenn man meint, den Phänomenbereich adäquater zu erfassen als die theologischen Disziplinen. Eben mit dieser Entscheidung gibt der Staat seine weltanschauliche Neutralität auf und tastet die Wissenschaftsfreiheit ein. Zurück zur Ethik: Aufgrund dieser bedenklichen Suggestion erlebe ich Theologiestudierende nicht selten überrascht, worum es im Fach Theologische Ethik eigentlich geht. Eine Studierende teilte mir in der Evaluation eines Seminars mit, sie habe am Anfang des Semesters erwartet, wie in der Schule über ihre Gefühle reden zu sollen. – Ich lasse offen, ob das wirklich der Inhalt des staatlichen Ethik-Unterrichts ist. Allerdings tummeln sich in der Ethik tatsächlich Lehrende mit einer sehr rudimentären Ausbildung, die das Fach gelegentlich als missionarisches Spielfeld für ihre individuelle Lebensphilosophie nutzen. Viele Theologiestudierende haben zumindest einige Schuljahre Erfahrung mit dem Ethikunterricht gemacht und gehen mit diesen – wissenschaftlich wenig

2.3  Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit – Die drei Dimensionen von Wahrheit 

gestützten und oftmals belasteten – Eindrücken in ein theologisch-ethisches Seminar. Dagegen möchte ich hier entschieden darauf insistieren, dass Theologische Ethik die Äußerungen des christlichen Glaubens auf ihre moralische Richtigkeit hin untersucht. Dasselbe leistet auch die philosophische Ethik. Theologische Ethik unterscheidet sich also gerade nicht von anderen Ethiken in dem Ziel, die moralische Richtigkeit von Äußerungen und Praktiken zu überprüfen. Es ist zu hoffen, dass das Schulfach „Ethik“ zumindest dieser Aufgabe nachkommt und damit sich auch überhaupt einem wahrheitsorientierten Diskurs verpflichtet weiß. Es ist aber darüber hinaus zu wünschen, dass der Unterschied zwischen theologischer und philosophischer Ethik im deutschen Schulbildungssystem nicht so verfälscht wird, dass Schüler sich zwischen Religion und Ethik zu entscheiden haben.  ie Dogmatik untersucht eine christliche sprachliche Äußerung im HinD blick auf ihre Sachverhalts-Wahrheit, die Ethik im Hinblick auf ihre moralische Richtigkeit. Die Unabhängigkeit beider Wahrheitsdimensionen, wie Habermas sie aufzeigt, schlägt sich also in zwei unabhängigen Unterdisziplinen der Systematischen Theologie nieder. Die Dimension der Wahrhaftigkeit dagegen ist keiner theologischen Disziplin zuzuschlagen. Denn ob jemand eine sprachliche Äußerung macht, um damit Menschen zu manipulieren oder nicht, lässt sich immer nur an der konkreten Kommunikationssituation erkennen und nicht an der Äußerung allein. Beispiel Diese drei verschiedenen Wahrheitsdimensionen sollen nun an einem theologischen Beispiel kurz vorgeführt werden, nämlich an einem der Zehn Gebote: „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir gut gehe und du lange lebest auf Erden.“ 1. Wahrheitsdimension: Ist es wahr, dass man so länger lebt? Sterben Menschen früher, die z. B. den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen haben?

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  2  Wahrheitssuche in der Theologie

2. Dimension der Wahrhaftigkeit: Will das Gebot von der eigentlichen Sache ablenken? Steht nicht hinter dem Gebot weniger das Interesse, dass es einem selbst gut geht, sondern dass es den Eltern gut geht? Dann würde dieses Interesse nur damit verschleiert, dass man angeblich selbst etwas davon hat, seine Eltern zu ehren. 3. Dimension der moralischen Richtigkeit: Ist die Begründung moralisch richtig, um Vater und Mutter zu ehren? Sollte man also Vater und Mutter deshalb ehren, weil man dadurch länger und im Wohlstand lebt? Hätten also Menschen, die aufgrund einer unheilbaren Krankheit nur noch kurz zu leben haben, ihre Eltern nicht mehr zu ehren?

Übungen Zuordnung der Wahrheitsdimensionen Ordnen Sie Wahrheit, Wahrhaftigkeit und moralische Richtigkeit den Antworten zu.9 Jemand sagt: „Bringen Sie mir ein Glas Wasser.“ Sein Gesprächspartner antwortet: 1. „Nein, Sie können mich nicht wie einen Angestellten behandeln.“ 2. „Nein, Sie wollen mich vor anderen nur vorführen.“ 3. „Nein, der nächste Wasserhahn ist zu weit weg.“ Lösung 1. „Nein, Sie können mich nicht wie einen Angestellten behandeln.“ (Moralische Richtigkeit) 2. „Nein, Sie wollen mich vor anderen nur vorführen.“ (Wahrhaftigkeit) 3. „Nein, der nächste Wasserhahn ist zu weit weg.“ (Wahrheit)

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Das folgende Beispiel stammt von Habermas selbst (ebd.).

2.3  Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit – Die drei Dimensionen von Wahrheit 

Theologisch-christliche Wahrheitsansprüche Bitte finden Sie diejenigen Aussagen, die erstens einen christlich-theologischen Wahrheitsanspruch stellen, für dessen Überprüfung zweitens die Systematische Theologie zuständig ist: 1. Jesus ist von den Toten auferstanden. 2. Jesus ist nicht von den Toten auferstanden. 3. Es lässt sich nicht nachprüfen, ob das Grab Jesu leer gewesen ist, weil es vermutlich bereits für seine Zeitgenossen nicht bekannt gewesen war. 4. Wenn Jesus wiederbelebt worden ist, so kann er nicht tot gewesen sein. 5. Der Glaube an die Auferstehung beruht auf Ängsten vor dem Tod. 6. Die Auferstehung Jesu ist wesentlich nicht historisch, weil alles Historische wesentlich weltlich ist. Lösung Richtige Antworten sind hervorgehoben: 1. Jesus ist von den Toten auferstanden. – Wird diese Aussage nicht rein historisch verstanden, sondern als Heilsereignis Gottes, so handelt es sich um einen theologischen Wahrheitsanspruch. Wer diesen Satz äußert, lokalisiert sich damit in Anwesenheit Gottes und entwirft den paradigmatischen Rahmen, in dem überhaupt wahrheitsgemäß von Gott gesprochen werden kann. 2. Jesus ist nicht von den Toten auferstanden. – Diese Aussage ist entweder rein historisch gemeint oder widerspricht dem Zeugnis des christlichen Glaubens. Deshalb kann sie keinen christlichen Wahrheitsanspruch stellen. 3. Es lässt sich nicht nachprüfen, ob das Grab Jesu leer gewesen ist, weil es vermutlich bereits für seine Zeitgenossen nicht bekannt gewesen war.10 – Es handelt sich um eine rein historische Aussage, die keinen Bezug zu Gott herstellt. 4. Wenn Jesus wiederbelebt worden ist, so kann er nicht tot gewesen sein. – Das ist eine biologische Aussage ohne Bezug zu Gott.

10 G. Lüdemann: Die Auferstehung Jesu, 58.

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  2  Wahrheitssuche in der Theologie

5. Der Glaube an die Auferstehung beruht auf Ängsten vor dem Tod. – Das ist eine psychologische These, ebenfalls ohne Bezug zu Gott. 6. Die Auferstehung Jesu ist wesentlich nicht historisch, weil alles Historische wesentlich weltlich ist.11 – Hier wird zwischen der Auferstehung Jesu und Gott ein Zusammenhang hergestellt, indem Welt und Gott einander gegenübergestellt werden: Während das Historische weltlich ist, ist die Auferstehung ein Geschehen Gottes. Ebenso lokalisiert sich hier der Sprecher in Anwesenheit Gottes, die den paradigmatischen Rahmen dafür gibt, dass diese Aussage wahr sein kann. Christlich-ethische Wahrheitsansprüche Bitte finden Sie diejenigen Aussagen, die erstens einen christlich-ethischen Wahrheitsanspruch stellen, für dessen Überprüfung zweitens die Theologische Ethik zuständig ist: 1. Man darf nicht töten, weil das nach deutschem Recht verboten ist. 2. Man darf nicht töten, weil Gott das Tötungsverbot ausgegeben hat. 3. Man darf nicht töten, weil der Lebensvollzug dem Menschen unverfügbar ist. 4. Man darf nicht töten, weil man selbst dem verstorbenen Menschen und seinen Ansprüchen nie entkommt. 5. Man darf nicht töten, weil das Gewissen sonst schwer plagt. 6. Man darf nicht töten, weil Leben ein Menschenrecht ist. Lösung Richtige Antworten sind hervorgehoben: 1. Man darf nicht töten, weil das nach deutschem Recht verboten ist. – Das ist eine juristische und noch keine ethische Aussage. 2. Man darf nicht töten, weil Gott das Tötungsverbot ausgegeben hat. – Hier handelt es sich um eine christliche Aussage, deren Wahrheitsanspruch die Theologische Ethik überprüft. Zusatz: Dabei kann übrigens die Ethik auch die Grenze des ethischen Wahrheitsanspruchs bestimmen: Denn wenn man etwa einräumt, dass 11 I.U. Dalferth: Der auferweckte Gekreuzigte, 79.

2.3  Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit – Die drei Dimensionen von Wahrheit 

3.

4.

5.

6.

Gott auch ethisch falsche Gebote aufstellen kann (z. B. 1. Mose 22,2), dann bedeutet die Befolgung des Gebots Gottes noch nicht, dass sie einen ethischen Grund hat. Man darf nicht töten, weil der Lebensvollzug dem Menschen unverfügbar ist.12 – Die Unverfügbarkeit lokalisiert das Leben zumindest implizit im Verfügungsbereich Gottes, aber explizit in einem dem Menschen transzendenten Verfügungsbereich. Wer diesen Satz äußert, lokalisiert sich damit außerhalb des menschlichen Verfügungsbereichs. Es ist damit zumindest möglich, dass der ethische Anspruch dieses Satzes auf einen theologischen Rahmen verweist. Oder anders: Nicht nur, aber auch Christen können mit diesem Satz einen ethischen Wahrheitsanspruch ihres Glaubens vertreten. Man darf nicht töten, weil man selbst dem verstorbenen Menschen und seinen Ansprüchen nie entkommt.13 – Diese Aussage lokalisiert die ethische Anwesenheit (die Ansprüche) eines verstorbenen Menschen unabhängig von seiner körperlichen Präsenz oder biologischen Funktionsfähigkeit in einem Raum, der das Irdisch-Weltliche übersteigt. Nicht nur Christen können zwar diese Aussage vertreten, aber wenn sie ihn vertreten, dann deshalb, weil sie sich selbst in Anwesenheit der eschatologischen Gemeinschaft Gottes mit den Gläubigen lokalisieren. Man darf nicht töten, weil das Gewissen sonst schwer plagt. – Das ist eine psychologische Aussage, die keine ethischen Implikationen enthält. Eine theologische Begründung wäre nur dann gegeben, wenn das Gewissen als Stimme Gottes verstanden wird. Ob das der Fall ist und welche Gründe dafür vorliegen, wird aber in der Aussage nicht geklärt. Deshalb ist sie als christlich-ethische Aussage nicht ausreichend. Man darf nicht töten, weil Leben ein Menschenrecht ist. – Auch dies ist eine juristische Aussage. Selbst wenn hier das Menschenrecht ethisch verstanden wird, so folgt daraus noch nicht, dass hier eine christliche Aussage vorliegt.

12 Gott ist ein Freund des Lebens, 106. 13 B. Waldenfels: Das leibliche Selbst, 392.

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3.1  Vier Arbeitsschritte 

3 Prozesse des systematisch-theologischen Arbeitens 3.1 Vier Arbeitsschritte Systematische Theologie ist eine Textwissenschaft: Sie analysiert Argumente und entwickelt welche. Denn nur Aussagen können wahr oder falsch sein. Dazu müssen Sie sich schon im Studium eigene Positionen zutrauen und mit anderen Texten konfrontieren. Textgrundlage ist nicht immer nur ein Text, der selbst aus einem systematisch-theologischen Interesse geschrieben worden ist. Auch Bibeltexte können unter systematisch-theologischer Perspektive interpretiert werden ebenso wie kirchengeschichtliche Quellen, juristische Texte oder sogar Poesie. Die Systematische Theologie weist sich also nicht daran aus, dass sie andere Texte zur Grundlage nähme als die anderen theologischen Disziplinen. Vielmehr ist die Herangehensweise an die Texte eine andere. Wichtig ist im systematisch-theologischen Arbeiten argumentative Fairness: Einen 1000 Jahre alten Text von Anselm von Canterbury damit zu kritisieren, dass er das Internet nicht im Blick hatte, ist oberflächlich und wenig sachdienlich. Interessanter wäre vielmehr für jemanden, der das Internet als theologisches Thema entdeckt hat, zu prüfen, ob Anselms Theologie zum Internet etwas sagen könnte – ob also seine Texte transformationsfähig sind. Dazu reicht es aber eben nicht aus, nur Anselms Texte zur Kenntnis zu nehmen, aber auch nicht, nur eigene Positionen zu vertreten. Vielmehr werden theologische Entwicklungen durch die Konfrontation verschiedener Texte angeregt – der eigenen Position und der eines anderen Textes. Damit sind die Arbeitsschritte des systematisch-theologischen Denkens schon vorgezeichnet. Beispiel Nehmen wir an, Sie möchten eine Seminararbeit zum Thema schreiben: „Ist das Internet ein Gott? Eine Übertragung von Anselms Beschreibung Gottes auf eine moderne Technik“. Dann müssten Sie die folgenden vier Arbeitsschritte gehen:

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1. Zunächst müssten Sie persönliche Einleitungsfragen stellen und für sich beantwortet haben. Sie machen sich Ihre eigene Meinung bewusst, ohne dass sie mit dem zu behandelnden Text (hier: einem Text von Anselm) etwas zu tun haben muss. Sie können aber durchaus andere Texte im Blick haben: etwa Texte, denen man die These verdankt, das Internet könne ein Gott sein; oder umgekehrt Texte, die diese Vorstellung scharf zurückweisen. – Bei dem vorgestellten Thema würden Sie auch unter diesem Arbeitsschritt etwa verhandeln, warum überhaupt der Verdacht besteht, dass das Internet wie ein Gott wirken kann. Dieser erste Arbeitsschritt ist wichtig für die Motivation der gesamten Arbeit: Warum möchte ich über dieses Thema meine Arbeit schreiben? Was will ich herausbekommen? Für wie wahrscheinlich halte ich es, dass das Internet ein Gott ist? Welche göttlichen Eigenschaften hat es beziehungsweise scheint es zu haben? Wichtig ist, dass Sie hier eigenen Interessen formulieren; hilfreich ist es, wenn Sie dabei auch Ihr Arbeitsziel in einer These festlegen können. Das hilft ihr, die Arbeit in einem roten Faden zu schreiben. 2. In einem zweiten Schritt wird nun der zu behandelnde Text interpretiert (hier: ein Text von Anselm, vermutlich das Proslogion, das Gott beschreibt als „das, über das hinaus Höheres nicht gedacht werden kann“). Die Interpretation zielt darauf, Gott so eindeutig zu charakterisieren, dass mit dieser Charakterisierung am Ende des Arbeitsschrittes Vergleich mit dem Internet möglich ist: Inwiefern könnte auch das Internet etwas sein, „über das hinaus Höheres nicht gedacht werden kann“? Wichtig ist in diesem Arbeitsschritt, den Text so fair wie möglich zu behandeln: Nicht alles, was Ihrer Meinung widerspricht, muss deshalb schon falsch sein. Und nicht alles, was Sie nicht verstehen, ist deshalb schon irrelevant. Ziel ist es, den Text stimmig zu machen, auch wenn er am Anfang dieses Arbeitsschrittes unstimmig erscheint. Wenn etwas unverständlich ist, so sollte immer zur Voraussetzung gemacht werden, dass der Autor etwas Verständliches geschrieben hat. Das Unverständliche muss also verständlich gemacht werden. (Was bei diesem Arbeitsschritt hilft, zeige ich noch im Laufe dieses Kapitels.) 3. Die Frage, wie sich Gott auf das Internet übertragen lässt, gehört aber in den dritten Arbeitsschritt – ebenso wie persönliche Rückfragen, die sich aus der Kollision der ersten beiden Arbeitsschritte ergeben, oder auch interne Spannungen des Textes, die sich trotz einer gründlichen Interpretation immer noch halten. Während das Ziel des zweiten

3.1  Vier Arbeitsschritte 

Arbeitsschrittes die Rekonstruktion des Textes war, so geht es jetzt um Konstruktion: Was kann vorgeschlagen werden, damit der leider immer noch unstimmige Text stimmig gemacht werden kann? Welche Ideen fallen Ihnen ein? Und was würde der Autor zu Ihrem Vorschlag sagen? (Indizien zu dieser hypothetischen Frage erhalten Sie wiederum aus dem Text.) – Ebenso verfahren Sie, wenn der Text zwar stimmig ist, aber nun auf ein neues Problem übertragen wird: Anselms Beschreibung Gottes also auf das Internet bezogen wird. Welche Ergebnisse folgen dann? Ist Gott das Internet oder gibt es nun zwei Instanzen, über die hinaus Höheres nicht gedacht werden kann? Oder hat das Internet Gott schließlich überholt? Ist eine solche Entwicklung nach Anselm und über Anselm hinaus denkbar? – Und genauso verfährt man schließlich auch, wenn das Ergebnis des zweiten Arbeitsschrittes in Spannung zum Ergebnis des ersten Arbeitsschrittes steht. Nehmen wir an: Im ersten Arbeitsschritt hat die Studierende die göttliche Eigenschaft der Allwissenheit auf das Internet bezogen – weil landläufig davon gesprochen wird, das Internet vergesse nie. Wie ist nun diese Eigenschaft der Allwissenheit auf Anselms Beschreibung Gottes zu beziehen? – Das Ziel dieses Arbeitsschrittes ist Konstruktion, um Texte auf die Wahrheit zu überprüfen und ggf. ihren Wahrheitsbezug zu optimieren. Es werden Vorschläge entwickelt, die Spannungen lösen und zu einem stimmigen Ergebnis führen. Dazu entwickeln Sie Denkmodelle. 4. Die Ergebnisse werden dann in einem letzten Arbeitsschritt zusammengefasst. Das Beweisziel des ersten Arbeitsschritts wird mit den Zwischenergebnissen der mittleren Arbeitsschritte verglichen. Wichtig ist, dass das Ergebnis auch zum Gegenteil des erwarteten Ziels führen kann. Genau das macht wissenschaftliches Arbeiten aus, dass ursprüngliche Erwartungen durchkreuzt werden können. Wissenschaft entscheidet sich nicht am Ergebnis, sondern am richtigen Verfahren zu einem Ergebnis. Ist das Verfahren richtig durchgeführt worden, so ist das Ergebnis gültig – ob es den erwarteten oder gewünschten Zielen entspricht oder nicht. Dieser letzte Arbeitsschritt kann auch noch einige Schlussfolgerungen hinzufügen und Konsequenzen skizzieren, die sich aus dem Ergebnis ermitteln lassen. Vorsichtig sollte man allerdings mit ungesicherten, pauschalen und übertriebenen Statements sein (z. B. „Im Internet-Zeitalter ist Anselms Theologie unbrauchbar geworden“), weil sie einer näheren Prüfung nicht standhalten dürften.

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Solche Schlussfolgerungen sind nur dann legitim, wenn sie sich aus den vier Arbeitsschritten direkt ergeben. Nicht in allen theologischen Disziplinen wird der dritte Arbeitsschritt gegangen, sondern nur die ersten beiden und der letzte Schritt. Für die historischen Fächer wäre die Konstruktion von Argumenten ohne Funktion. In der Praktischen Theologie wiederum werden ähnliche Konstruktionen geleistet, allerdings nicht unter dem Aspekt theologischer Wahrheit, die das Argument leiten soll, sondern unter dem Aspekt des Zwecks. Ansonsten würde die Praktische Theologie zur Systematischen Theologie mutieren. In der Systematischen Theologie dient der dritte Arbeitsschritt der Wahrheitsprüfung. Gliedern Sie Ihre systematischen Überlegungen zu einem Thema mit 1. der Benennung Ihres Vorverständnisses, 2. der Interpretation eines relevanten Textes (oder mehrerer), 3. Ihrer kritischen Bearbeitung der Hauptaussagen des Textes, die für Ihr Thema relevant sind, 4. einem Ergebnis.

Übung: Welcher Arbeitsschritt wird gegangen? Ordnen Sie die folgenden Statements zur biblischen Schöpfungserzählung einem Arbeitsschritt zu: 1. „Im biblischen Schöpfungsbericht wird nicht berichtet, was Gott vor der Schöpfung tat.“ 2. „Im 21. Jahrhundert kann ich nicht mehr glauben, dass Gott die Welt erschaffen hat.“ 3. Wenn Gott die ganze Schöpfung „sehr gut“ (1. Mose 1, 31) geschaffen hat, dann kann es nichts Böses geben. Aber es gibt Böses. Das ist ein Widerspruch. 4. „Die biblische Schöpfungsgeschichte aus 1. Mose 1,1-2,4a widerspricht nicht der Evolutionstheorie.“

3.2  Wie liest man einen Text? 

Lösung 1. „Im biblischen Schöpfungsbericht wird nicht berichtet, was Gott vor der Schöpfung tat.“ – Zweiter Arbeitsschritt: Es wird ein Text interpretiert, ohne einen fremden Sinn in ihn hineinzutragen. 2. „Im 21. Jahrhundert kann ich nicht mehr glauben, dass Gott die Welt erschaffen hat.“ – Erster Arbeitsschritt: Die eigene persönliche Meinung wird reflektiert, bevor sie mit einem anderen Text konfrontiert wird. 3. „Wenn Gott die ganze Schöpfung „sehr gut“ (1. Mose 1, 31) geschaffen hat, dann kann es nichts Böses geben. Aber es gibt Böses. Das ist ein Widerspruch.“ – Dritter Arbeitsschritt: Eine Spannung zwischen dem Sinn eines Textes und eigener Erfahrung wird entdeckt. Daraus wird eine Schlussfolgerung gezogen. Es wird also der Textsinn auf seinen Wahrheitsbezug hin überprüft. Lässt sich diese Spannung in diesem Arbeitsschritt nicht beheben, so kann die Aussage auch im vierten Arbeitsschritt übernommen werden. 4. „Die biblische Schöpfungsgeschichte aus 1. Mose 1,1-2,4a widerspricht nicht der Evolutionstheorie.“ – Vierter Arbeitsschritt: Der Sinn eines Textes, wie er hier vorausgesetzt ist und daher bereits im zweite Arbeitsschritt rekonstruiert worden ist, ist anschließend im dritten Arbeitsschritt auf seinen Wahrheitsbezug hin überprüft worden, indem er mit einer anerkannten Theorie konfrontiert worden ist. Da dabei keine Spannung entstanden ist, ist die Aussage in den vierten Arbeitsschritt überführt worden.

3.2 Wie liest man einen Text? Einen Text zu lesen, stellt sowohl eine Grundbedingung geisteswissenschaftlichen Arbeitens dar als auch eine Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung aller anschließenden Arbeitsschritte. Das Lesen ist so eine banale Methode, dass ich fast vergessen hätte, ihm eine eigene Sektion zu widmen. Tatsächlich aber können Sie es sich auch schwer machen, je nachdem wie Sie lesen. Das hängt vom Anspruch Ihres Lesens ab als auch von den Hilfsmitteln, die Sie dabei verwenden.

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Sie müssen sich nicht den Anspruch setzen, einen Text sofort völlig zu verstehen. Wer sich diesen Anspruch setzt, bleibt oft an einzelnen Sätzen hängen, liest sie wieder und wieder oder schlummert beim Lesen schließlich ein, weil der Text so viel Aufmerksamkeit verbraucht. Das Lesen eines wissenschaftlichen Textes dient zunächst einmal nur einem ersten Einstieg und der Vorbereitung auf die Interpretation. Wer liest, denkt zwar auch darüber nach, was er liest. Aber das Lesen ersetzt noch keine Interpretation und ist auch nicht mit ihr identisch. Vielmehr sollten Sie beim Lesen darauf achten, wie Sie den Text präparieren, damit Sie ihn in späteren Arbeitsphasen interpretieren können. Mit dem Anspruch an das Lesen ist auch der Anspruch an die Lesegeschwindigkeit verbunden. Natürlich liest sich ein wissenschaftlicher Text anders als ein Roman, den man „verschlingt“. Aber schon am Anfang des Studiums sollten Sie sich vornehmen, in einer Stunde zehn Seiten eines theologischen Textes zu lesen. Damit Ihnen das gelingt, müssen Sie sich davon entlasten, jede Zeile des Textes verstehen zu müssen. Das ist nicht nötig und wird ohnehin niemals erreicht, selbst von Professoren nicht. Der Grund dafür liegt einfach darin, dass komplexe Texte unter verschiedenen einzelnen Unterthemen untersucht werden müssen, damit sie volle Klarheit verschaffen. Dabei ist der Raum möglicher Themen unbegrenzt. Im Laufe des Studiums werden Sie die Lesegeschwindigkeit sukzessive erhöhen können. Vor dem Examen dürften Sie mit Ihrer Übung etwa 25 Seiten in einer Stunde so lesen können, dass Sie sie für Ihre weiteren Prüfungsvorbereitungen gut präpariert haben. Wie Sie Texte präparieren, hängt von Ihren Hilfsmitteln ab. Ich empfehle Ihnen Bleistift und Lineal zur Hervorhebung wichtiger Passagen. Auch wer einen Text nicht so gut versteht, erkennt in aller Regel, welche Sätze wichtiger sind als andere. Man kann auch ohne näheres Verständnis gut unterscheiden, welcher Satz eine These ist, eine Begründung für eine These, eine Darstellung eines anderen Autors oder eine Kritik daran. Ebenso bekommt man intuitiv mit, welcher Satz in einer solchen Struktur wichtiger als ein anderer ist. Und schließlich erkennt man auch bei langen und verschachtelten Sätzen, welcher Satz der Hauptsatz ist und auf welchem Satzteil die Betonung liegt. Einen Bleistift können Sie nicht nur zum Unterstreichen benutzen, sondern auch, um eine Notiz an den Rand zu schreiben oder Zeichen zu setzen. Und schließlich lassen sich auch mit einem Bleistift bestimmte Unterstreichungen deutlicher hervorheben: Wenn Ihnen ein Wort innerhalb einer unterstrichenen Passage als besonders wichtig erscheint, können Sie es mehrfach oder dicker

3.2  Wie liest man einen Text? 

unterstreichen und es auf diese Weise aus den Hervorhebungen herausheben. Damit finden Sie wichtige Passagen leichter wieder und können den Text auch nach längerer Ruhezeit schnell erfassen. Wer dagegen mit Filzmarkern arbeitet, sollte unterschiedliche Farben einsetzen, um einen ähnlichen Effekt zu erzielen. Sie sollten darauf vertrauen, dass Ihre Intuition beim Markieren maßgeblich ist, weil es beim ersten Lesen um Ihren subjektiven Eindruck geht: Was scheint Ihnen wichtig zu sein? Was begeistert und was stört Sie? Hervorheben sollten Sie daher Textpassagen, die Sie bewegen: Neue Gedanken, originelle Ideen, Argumente, die Sie künftig selbst vertreten möchten oder die Ihre Meinung bestätigen; aber auch Störendes oder Irritierendes, entsetzliche Thesen oder Aussagen, die Sie falsch finden. Beispiel Es gibt unterschiedliche Markierungszeichen, die Sie neben Ihren Unterstreichungen an den Rand kritzeln sollten. Hier stelle ich Ihnen eine Liste solcher Möglichkeiten vor. Natürlich können Sie Ihre eigenen Markierungsdifferenzen erfinden und werden Sie im Laufe Ihres Studiums immer stärker verfeinern: 1. „!“, wo Sie voll zustimmen, 2. „?“, was Sie ablehnen oder nicht verstehen, 3. eine Zitter-Linie, wenn Sie finden, dass der Text durcheinandergeraten ist, 4. eine unterbrochene Zitter-Linie, wenn Sie denken, dass Sie diese Stelle später nochmals anschauen sollten, um zu erkennen, ob die Argumente durcheinandergeraten sind oder vielleicht doch nicht, 5. einen Blitz, wenn Sie einen Widerspruch bemerken, 6. Nummerierungen einer impliziten Gliederung, 7. Seitenbezüge, wenn Sie entdeckt haben, dass ein Gedanke vorher schon einmal angekündigt worden oder im Gegenteil durch einen anderen Gedanken aufgehoben worden ist, 8. Standard-Formulierungen, die häufiger auf einen Text zutreffen („Wo ist die Differenz?“, „Warum?“, „Aufgabe“, „Ansatz“, „eigene Position“) und die gegebenenfalls auch abgekürzt werden könnten („Diff.?“), 9. Freie Formulierungen („Wo ist dann Gott?“; „Dann ist die Prämisse falsch“).

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Diese Markierungen nehmen Sie bitte immer ad hoc vor. Für einen ersten Leseeindruck müssen Ihre Notizen nicht stringent oder wohldurchdacht sein. Sie sind eher assoziativ und eröffnen Ihren Umgang mit dem Text. Mit Ihren Markierungen stehen Sie unter keinem Druck, sondern stellen sich eher Schilder auf, um in weiteren Textbearbeitungen besser orientiert zu sein. Sie stehen daher auch nicht unter dem Druck, auf jeder Seite eine hohe Menge an Markierungen vorzunehmen. Tatsächlich gibt es in allen Texten gehaltvollere Passagen, die stark markiert werden, und wiederum längere Redundanzen, bei denen eine Markierung unnötig ist. Beim ersten Leseeindruck entscheiden aber allein Sie, ob eine Passage gehaltvoller ist oder nicht.  ertrauen Sie Ihrer Intuition, sogar dann die wichtigsten Aussagen eines V wissenschaftlichen Textes zu erkennen, wenn Sie sie nicht sofort verstehen. Markieren Sie solche Aussagen mit einem Bleistift. Haben Sie den Mut zur Lücke: Nicht alles muss verstanden werden; nicht alles ist wichtig, was Sie nicht verstehen.

3.3 Das Exzerpt als optimales Hilfsmittel Die erfolgreichste Methode für den zweiten und dritten Arbeitsschritt ist das Erstellen und Analysieren von Exzerpten. Ein Exzerpt ist eine kurze Zusammenfassung eines Textes, die zugleich dicht an den Formulierungen des Referenztextes liegt. Die dichte Textnähe erhöht den Erfolg bei der anschließenden Analyse; die starke Kürzung des Textes durch ein Exzerpt verhilft zu einem klareren Überblick des Textes. Zudem erleichtert bereits das Anfertigen des Exzerptes, einen auch schweren und sperrigen Text zu verstehen.

3.3.1 Erstellen eines Exzerptes Wenn Sie einen Text gelesen haben und nun exzerpieren wollen, sollten Sie für das Exzerpt einen Computer benutzen, weil Sie das Exzerpt dadurch elektronik-gestützt auswerten können. Ratsam ist es, einen Text während des Lesedurchgangs zu präparieren und wichtige Passagen zu unterstreichen (Sektion 3.2).

3.3  Das Exzerpt als optimales Hilfsmittel 

Beim Lesen heißt die Regel: Unterstreichen Sie nach Gefühl! Ebenso muss das Exzerpt keine objektive Zusammenfassung des Textes darstellen, und Sie müssen sich auch nicht quälen, einen roten Faden darin zu finden. Bereits der subjektive Eindruck wird den roten Faden ins Exzerpt mehr oder weniger abbilden. Das Exzerpt ist aber nur ein Hilfsmittel und keine fertige Darstellung eines Textes. Daher ist es in seiner Unvollkommenheit bereits nützlich.  ine zweite Regel heißt: Eine wichtige Passage wird so knapp wie möglich E im Exzerpt wiedergegeben und so umfassend wie nötig. Ein Satz von Karl Barth etwa, der oft ganzen Absätzen ähnelt, kann im Exzerpt auf ein vernünftiges Maß beschnitten werden. Es ist nicht einmal nötig, grammatisch vollständige Sätze ins Exzerpt einzufügen. Es reichen Stichpunkte, die grammatisch einer Vorlesungsmitschrift ähneln. Allerdings sollten Sie möglichst wenige eigene Formulierungen benutzen. Was im Exzerpt steht, sollte möglichst auch stilistisch und lexikalisch aus dem Text stammen. Nur so können Sie bei der späteren Analyse wirklich sicher sein, einen Begriff des Textes zu analysieren und nicht mit einem eigenen zu vermischen. Verstehen Sie daher die Erstellung eines Exzerpts als Handwerk. Salopp ausgedrückt: Sie können dabei ruhig im Hintergrund Musik hören. Jetzt ist nicht der Kopf gefragt, sondern der bloße Fleiß, auffällige Stellen in Kurzform zu übertragen. Hilfreich dagegen ist es, wenn Sie markieren, an welchen Stellen 1. Konsequenzen gezogen werden, 2. etwas definiert wird, 3. ein Gedanke weitergeführt wird 4. oder mit einem neuen Gedanke angesetzt wird. Nachdem das Exzerpt verfasst worden ist, kann nun durch gezielte Suchwortanalyse nicht nur die Bedeutung eines Wortes charakterisiert werden, sondern auch die Struktur eines Textes ermittelt werden. Denn dabei wird auch erkennbar, welche Wörter mit dem Suchwort öfter zusammen auftauchen und in welcher Beziehung sie zu ihm stehen. Hier beginnt nun die Kopfarbeit! Doch dazu gleich mehr.

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Noch eine abschließende Bemerkung zum Anfertigen des Exzerptes: Da das Exzerpt gerade durch seine Auswahl seine Kraft entfaltet, sollten Sie sich vornehmen, sich zu beschränken. Gerade am Anfang des Studiums mag es so erscheinen, dass jeder Satz gleich wichtig ist. Dann können Sie sich per Zufall dazu entscheiden, welche Passagen ins Exzerpt geschrieben werden und welche nicht. Grundsätzlich sollten 20 Seiten eines Textes auf eine DIN A4-Seite des Exzerpts (Schriftgröße 12) passen. In manchen Texten kann sogar stärker selektiert werden. – Deshalb mache ich schlechtere Erfahrungen mit den kompletten Texten auf dem Computer. Wenn Sie ein E-Book analysieren oder einen Text mit einem OCR-tauglichen Computerprogramm einscannen, können Sie nun zwar den kompletten Text analysieren und sich dabei sicher sein, keine wichtige Fundstelle zu übersehen. Allerdings kostet diese Analyse ein Vielfaches der Zeit und führt oft auch zu fehlerhaften Auswertungen (weil dieselben Buchstabenreihen eines Suchwortes in längeren Wörtern enthalten sind, die mit ihnen nichts zu tun haben, z. B. das Suchwort „frei“ in „freilich“; zudem sind manche Suchworte in den Kopfzeilen enthalten und verlängern den Aufwand). Wer den kompletten Text auswertet, sollte dann auch wirklich alle Fundstellen ansehen und nicht aus Ungeduld nach den ersten Seiten abbrechen. Ansonsten hat das Ergebnis einen weit weniger repräsentativen Ertrag als bei einem Exzerpt. Da Sie das Erstellen des Exzerpts als Handwerk verstehen sollten, grübeln Sie bitte nicht so sehr darüber. Auch wer zum ersten Mal ein Exzerpt verfasst, sollte nicht länger als eine Stunde für 30 Seiten Text verwenden. Nach einiger Übung sollte man durchschnittlich 60 Seiten in einer Stunde bewältigen. Natürlich gibt es manchmal Texte, die komplexer sind; solche sind aber Ausnahmen. Wer immer deutlich länger braucht oder auch viel längere Exzerpte verfasst, sollte seine Praxis überprüfen. Beispiel Ich mache mit der folgenden Struktur eines Exzerptes gute Erfahrungen: J. Fischer: Verstehen statt Begründen. Warum es in der Ethik um mehr als nur um Handlungen geht; Stuttgart 2012

▶▶ geht es bei Präimplantationsdiagnostik (PID) um Lebenswerturteile? (175) ▶▶ potenzielle Eltern haben keine objektive Betrachtungsweise, in der etwas für lebensunwert gehalten wird (175) aber wer es so sieht, kann vom Geist geführt werden

3.3  Das Exzerpt als optimales Hilfsmittel 

>> Ethische Debatte wird Klischee: man schaut nicht mehr hin (175) ▶▶ in Glaube gibt es Vertrauen ohne Sicherheiten und Garantien (175) >> Prüfen der Geister unmöglich 1. jeden neuen Gedanke mit Spiegelstrich „-“ beginnen 2. hinter jeden Gedanken die Seitenzahl, um ihn wiederzufinden 3. Sie können Ihre eigenen kritischen oder erläuternden Gedanken in Kursivschrift anhängen 4. wird der Gedanke fortgeführt, bitte vor die Zeile ein anderes Zeichen, z. B. „○“, setzen 5. eine Schlussfolgerung mit „>>“ markieren

3.3.2 Das Exzerpt als Analysemittel Wenn nun ein Exzerpt vorliegt, können Sie Suchwörter analysieren. Auf diese Weise erkennen Sie die persönliche Färbung der Wortbedeutung, wie der Autor das betreffende Suchwort verwendet. Und Sie erkennen auch, in welcher Beziehung bestimmte Wörter zueinander stehen. Dadurch kann schließlich die Argumentationsform eines Textes leicht ermittelt werden. Im obigen winzigen Exzerpt aus einer kurzen Textpassage von Johannes Fischer kommt nun kein Wort doppelt vor. Allerdings kann man die Fundstellen vergrößern und damit auch eine Struktur der Argumentation des Verfassers rekonstruieren. Mein Ziel ist es, anhand dieses winzigen Exzerptes herauszufinden, welche Vorstellung der Verfasser von Ethik hat, welches also sein Modell ethischer Urteilsbildung ist. Unschwer lässt sich am Exzerpt erkennen, dass er sich von einem anderen Ethik-Typ abgrenzt, ohne dass auf dem ersten Blick schon deutlich wird, welchen Standpunkt der Verfasser selbst hat. Um nun mein Ziel zu erreichen, setze ich mir zur Aufgabe, alle Fundstellen des Kurz-Exzerpts zu analysieren, in denen eine Negation vorkommt (nicht, kein, ohne, un-). Dann ergeben sich folgende Fundstellen: ▶▶ geht es bei Präimplantationsdiagnostik (PID) um Lebenswerturteile? (175) ▶▶ potenzielle Eltern haben keine objektive Betrachtungsweise, in der etwas für lebensunwert gehalten wird (175) >>  Ethische Debatte wird Klischee: man schaut nicht mehr hin (175) ▶▶ in Glaube gibt es Vertrauen ohne Sicherheiten und Garantien (175)

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Bevor Sie anfangen, achten Sie bitte darauf, dass Sie keine Unterstellungen ins Exzerpt eintragen, die dort nicht enthalten sind. So fehlen etwa im Exzerpt normative Verben („dürfen“ oder „sollen“), die Sie deshalb bitte auch nicht in den Text schmuggeln. Halten Sie sich allein an die kurzen Sätze des Exzerpts. Fischer scheint einen Ethik-Typ abzulehnen, der 1. objektive Betrachtungsweisen annimmt (anstelle die Betroffenensituation von Eltern einzunehmen), 2. auf Sicherheiten und Garantien setzt. Auch hier wird offenbar ein objektives Ethik-Ideal angestrebt. In beiden Fundstellen dienen die Negationen der Ablehnung eines Ethik-Typs, gegen den Fischer argumentiert. Die Negation dient dazu, das Defizit eines objektivierenden Ethik-Typs herauszustellen: „Man schaut nicht mehr hin.“ Wer ethische Urteile bildet und dabei „nicht hinschaut“, nimmt eine objektive und perspektivenneutrale Position ein. Aus dieser objektiven Perspektive ergibt sich die Unterstellung, dass PID angeblich etwas für lebensunwert hält. Da aber diese objektive Perspektive abgelehnt wird, ist diese Unterstellung ungültig. Fischer spielt also mit der Negation „lebensunwert“ nicht seine eigene Meinung ein, sondern eine, die er vorher bereits negiert hat. Man könnte quasi von einer doppelten Negation sprechen: nicht lebensunwert – PID kann sich also mit dem Lebenswert des Menschen vertragen. Obwohl dieses Exzerpt nur eine Seite aus einem Buch exzerpiert, trägt dieses Verfahren bereits zu einem vertieften Verständnis des Textes bei. In diesem Fall haben wir nicht einen Begriff untersucht, sondern ein strukturelles Element des Textes, nämlich Negationen, die zudem unterschiedliche Funktionen bedient haben: In drei Fundstellen zeigt die Negation das Defizit der nach Fischer falschen Position auf, im zweiten Fall („ohne“) unterstützt sie Fischers Position. Alle Negationen geben aber ein Bild des von Fischer abgelehnten Ethik-Typs zu erkennen, und sie skizzieren auch die Gründe seiner Ablehnung: Dieser EthikTyp verobjektiviert ethische Urteile und abstrahiert sie dabei von konkreten Situationen (etwa das Urteil, PID erzeuge die Auffassung lebensunwerten Lebens). Es ist daher ratsam, solche Exzerpte zu erstellen. Wer zu wenig Zeit dazu hat, kann auch bereits wie hier nur einzelne Seiten exzerpieren und daran Begriffsanalyse leisten. Das verschafft zwar nur einen ausschnitthaften Einblick, kann aber bereits zweckdienlich sein – und zwar umso mehr, je konkreter Sie wissen, was Sie mit einer Begriffsanalyse erreichen wollen oder welchen Verdacht Sie zu einem bestimmten Begriffsgebrauch haben.

3.4  Wie kann man einen Text zusammenfassen? Die Technik des Paraphrasierens 

 it computerbasierten Exzerpten können Sie Suchworte analysieren und M dadurch Texte in ihrer Tiefe verstehen.

3.4 Wie kann man einen Text zusammenfassen? Die Technik des Paraphrasierens Zur Anfertigung eines Exzerptes entwickeln Sie letztendlich Paraphrasierungen: kurz geraffte Rohbauten einer längeren Textpassage, die auf ihr Minimum reduziert werden, damit so erkennbar wird, worum es der Textpassage geht. Die Fähigkeit zu paraphrasieren wird uns noch öfter begegnen, etwa bei der Analyse von Gründen. Eine Paraphrasierung muss nicht immer textnah sein. Manchmal kann sie auch aus einer anderen Perspektive vorgenommen werden. Wenn etwa im Seminar zwei Studierende eine Passage auf gegensätzliche Weise interpretieren, so kann die Dozentin so paraphrasieren, dass sie die Perspektiven offenlegt, aus denen beide Interpretationen vorgenommen worden sind. Diese Perspektiven müssen vorher noch nicht genannt worden sein, sondern helfen, die jeweilige Interpretation zu erschließen. Dennoch werden Paraphrasierungen immer als pointierte Kurzfassungen einer längeren Textpassage oder eines Argumentes entworfen. Beim Exzerpieren sollten dagegen die Paraphrasierungen möglichst dicht am Referenztext liegen. Das ist allein deshalb wichtig, damit Sie Schlüsselbegriffe analysieren können, ohne dass die Paraphrase den Eindruck verzerrt. In Exzerpten können Sie getrost wichtige Argumente versehentlich übersehen oder müssen einige wichtige Begriffe nicht immer aufführen, ohne dass Sie dadurch einen falschen Eindruck vom Text bekommen, wenn Sie dann Schlüsselbegriffe analysieren. Die Analyse ist dann zwar unvollständig, aber nicht falsch. Falsch wird dagegen der Eindruck, wenn Ihre Paraphrase im Exzerpt eigene Begriffe einführt, die nicht im Text stehen oder dort sogar in einem anderen Zusammenhang vorkommen. Noch einmal: Paraphrasierungen sind oft frei formulierte prägnante Kurzformulierungen längerer Passagen. Exzerpte dagegen paraphrasieren auch, sollten aber ausschließlich konzeptionelle Begriffe textgetreu verwenden. Doch welche Begriffe sind konzeptionell, und bei welchen können Sie variieren? Meistens stellen Sie beim Lesen allein durch die höhere Häufigkeit zentraler Begriffe fest,

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dass sie eine konzeptionelle Rolle spielen – sieht man einmal von Wörtern ab, die in der deutschen Sprache ohnehin häufig verwendet werden, so etwa die logischen Operatoren (und, oder, wenn-dann, nicht), Hilfsverben oder auch emphatische Füllwörter („genau“, „eher“, „ja“, „wohl“). Logische Operatoren sollten möglichst im Exzerpt auftauchen, wenn ein Gedanke wiedergegeben wird; sie helfen bei der Analyse. Hilfsverben lassen sich auch im Exzerpt allenfalls reduzieren aber kaum vermeiden. Füllwörter dagegen sind im Exzerpt weithin entbehrlich oder können durch logische Operatoren ersetzt werden, wenn sie wichtig sind (ein „kaum“ ist dann ein „nicht“, ein „ja“ kann gestrichen werden).  it Paraphrasierungen können Sie die Hauptaussage eines verschnörkelM ten Textes leichter erkennen, pointieren und analysieren. Im Exzerpt sollten dabei nur Wörter aus dem zu exzerpierenden Text übernommen werden, aber nur so viele wie nötig.

Übung zum Gottesbegriff Schleiermachers Lesen Sie aus Friedrich Schleiermacher: Der christliche Glaube Bd. 1; Berlin 19602 den Abschnitt S. 23–30. Nehmen Sie dabei Markierungen vor, wie in Sektion 3.3 vorgeschlagen. Entwickeln Sie anschließend eine Position dazu, was für Schleiermacher in diesem Text Gott ist. Dabei fertigen Sie bitte ein eigenes Exzerpt an oder benutzen das unten aufgeführte Exzerpt. ▶▶ Vordersatz: Gemeinsames aller frommen Gefühle: schlechthinige Abhängigkeit von Gott (23) ▶▶ Ausführung: in keinem wirklichen Bewusstsein sind wir uns allein uns selbst bewusst, sondern immer auch durch wechseln­de Bestimmtheit (24) > Selbstbewusstsein immer auch veränderliches Sosein (24) >> in Selbstbewusstsein Elemente: 1) Sich-selbst-Setzen; 2) Sich-sonicht-selbst-gesetzt-Haben (24) > entspricht Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit (24) > Empfänglichkeit das erste > Grund: wir finden uns immer nur im Zusammensein mit anderem (24 f.)

3.4  Wie kann man einen Text zusammenfassen? Die Technik des Paraphrasierens 

▶▶ Freiheit/Abhängigkeit uneigentliche Begriffe, wenn wir von innen heraus und ohne anderes uns setzen beziehungsweise uns nicht setzen könnten (25) ▶▶ wenn Subjekt der Freiheit = Subjekt der Abhängigkeit, und ihr Anderes sei auch dasselbe >> dann Wechselwir­kung (26) ▶▶ wir setzen gesamtes Außeruns als Eines: Welt > aber: schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl gibt es hierin nicht, sondern nur geteiltes Freiheitsund Abhängigkeitsgefühl (26) > schlechthiniges Freiheitsgefühl kann es für uns gar nicht geben (27), weil wir zeitlich sind (28) >> schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl kann auch von keinem uns gegebenen Gegenstand ausgehen (28) ▶▶ aber: allein schlechthinige Freiheit verneinendes Selbstbewusstsein ist schon das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl > Grund: ganze Selbsttätigkeit von woanders her (28) > „Gott“ meint nur Reflexion über dieses Gefühl (29 f.) > zu Begriff „ursprüngliche Offenbarung“ > darf aber nie Gegenstand meinen! (30) Lösung Es gibt im Exzerpt zwei Fundstellen für Gott (23, 29 f.). Das Wort „Gott“ ist danach die Reflexion über das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl. Über Gott erfährt man folglich noch mehr, wenn man den Begriff des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls untersucht – oder besser: beide Begriffe getrennt voneinander. So kann man erfahren – wenn man es nicht schon weiß –, dass „schlechthinig“ etwas Absolutes meint: Deshalb kann es ein schlechthinniges Freiheitsgefühl nicht geben (27). Und deshalb kann das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl von keinem Gegenstand ausgehen (28), weil unter Gegenständen immer eine wechselseitige Abhängigkeit besteht („Wechselwirkung“, 26). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Gott kein Gegenstand ist. Wenn er die Reflexion über das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit ist, dann bezieht sich diese Reflexion auf das menschliche Abhängigkeitsgefühl und nicht auf einen göttlichen Gegenstand. Gott ist aber das „von woanders her“ (28), auf das sich das schlechthinnige Abhängkeitsgefühl richtet – also der

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Bezugspunkt dieses Gefühls. Gott ist zudem ein unvermeidbarer Bezugspunkt, wenn das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl auftritt: Es muss sich darauf richten, weil es sonst nicht schlechthinnig sein könnte. Schleiermacher scheint jedoch zumindest in dieser Passage nicht zu behaupten, dass alle Menschen das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl haben müssen. Vielmehr muss jedes Subjekt mit einem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl unterstellen, dass jeder Mensch schlechthinnig von „Gott“ abhängig ist. Diese Unterstellung ergibt sich aber wieder aus der internen Reflexion dieses Gefühls.

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4 Differenzieren: Die Fähigkeit zu unterscheiden Vielleicht die wichtigste Technik wissenschaftlichen Denkens oder des Denkens überhaupt ist das Differenzieren, also das Unterscheiden. Ohne diese Technik verbliebe alles in einem Meer voller Eindrücke, die keine besondere Aufmerksamkeit hervorrufen könnten. Unser subjektiver Zustand bestünde im bloßen Dahindämmern. „Zeit und Raum sind also im chaotisch-mannigfaltigen Dahinleben des Dösenden gar nicht gesondert, sondern bilden ein indifferentes, in Dauer und Weite ergossenes Kontinuum.“14 Wenn nun Denken das Gegenteil zum Dösen ist, dann besteht es gerade in seiner Leistung, differenzieren zu können: den Vordergrund vom Hintergrund abzuheben, einzelne Momente genauer zu betrachten als andere. Zum wissenschaftlichen Differenzieren gehört es darüber hinaus, die Gründe der Differenz auch zu kennen und zu benennen. Beim alltäglichen Denken müssen wir uns diese Gründe nicht bewusstmachen; oft reichen einfach unsere alltäglichen Interessen: Man differenziert etwa unbewusst zwischen der Nachricht auf dem Smartphone und der Lektüre eines theologischen Buches, weil man lieber diese Nachricht lesen möchte. Dass dieser Grund aber überzeugend ist, ist damit noch nicht entschieden. Man kann deshalb die Text-Nachricht lesen und gleichzeitig ein schlechtes Gewissen dabei haben. Wissenschaftliches Denken dagegen orientiert seine Differenzierungen an klaren und nachvollziehbaren Kriterien. Wie man nun diese Gründe entdeckt, möchte ich in diesem Kapitel zeigen. Denken ist Differenzieren.

14 H. Schmitz: Der unerschöpfliche Gegenstand, 50.

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  4  Differenzieren: Die Fähigkeit zu unterscheiden

4.1 Wie man differenziert Differenzierungen haben die folgenden Zwecke: 1. Sachverhalte werden unterteilt und klassifiziert. Aus der „chaotischen Mannigfaltigkeit“ wird eine Ordnung. 2. Das Denken selbst wird durchsichtiger. Aus dem Dösen – was ja schon eine Art Bewusstsein ist – wird ein Denken. Das trifft sowohl auf eigenes Denken zu wie auch auf wissenschaftliche Aufsätze oder Bücher von anderen Theologen. Was im vorigen Kapitel eingeübt worden ist, war bereits eine starke Differenzierungsleistung: Welche Begriffe heben sich von anderen ab? Welche Begriffe sind überhaupt wichtig? Und was zeichnet ihre Bedeutung aus? 3. Indem Sie differenzieren, können Sie sich auf immer weniger Fragen konzentrieren. Sie sind gerade nicht mehr dem Meer chaotischer Mannigfaltigkeit ausgesetzt, sondern konzentrieren Ihre Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes. 4. Bereits in der Themenwahl einer wissenschaftlichen Seminararbeit wird differenziert. Zugleich merkt man dabei, wie schwer die Differenzierung ist: Durch die Themenwahl schneidet man andere Themen ab, die einen vielleicht auch interessieren, die sich aber nun nicht bearbeiten lassen. Oder das Thema ist zu umfassend gestellt, so dass man innerhalb der Semesterferien die Arbeit nicht fertig stellen kann. In diesem Fall ist dann die Differenzierung nicht scharf genug gewesen. Diese Schwierigkeiten zeigen aber zugleich, wie wertvoll für das eigene Arbeiten die Fähigkeit zum Differenzieren ist: Sie können sich dabei klarer entscheiden, worum es Ihnen geht. 5. Beide vorigen Punkte gelten auch für die Verfasserin eines wissenschaftlichen Textes, den Sie lesen und der Differenzierungen vornimmt. Seine Differenzierungen fokussieren auf ein Beweisziel und können dabei viele andere Themen und Fragestellungen außer acht lassen.

4.1.1 Kriterien der Differenzierung Wie wird nun differenziert? Hierfür gibt es drei Gesichtspunkte, die sich gegenseitig ergänzen: 1. So, wie es der Verfasser eines zu lesenden Textes macht, 2. so, wie es Ihr Erkenntnisinteresse erfordert, 3. so, dass es der „Sache“ entspricht.

4.1  Wie man differenziert 

Sie lesen einen theologischen Aufsatz und haben den Eindruck, nur sehr wenig zu verstehen. Gerade für Studienanfänger scheint an einem wissenschaftlichen Text „alles“ unverständlich zu sein. Der Text erscheint wie chaotische Mannigfaltigkeit. Ordnung kommt in den Text, sobald Sie anfangen zu differenzieren. Dabei ist es fast gleichgültig, wie Sie Ihren Differenzierungsprozess starten. Entscheidend ist, dass die Ordnung mit der Differenzierung beginnt und dass Sie wissen, nach welchen Gesichtspunkten Sie differenzieren. Schon dadurch entsteht Ordnung, dass Sie herausfinden, welcher theologische Begriff häufig vorkommt oder wo Sie die Wörter aus der Überschrift des Textes im Aufsatz wiederfinden. Auch damit differenzieren Sie, dass Sie sich überlegen, was Sie in dem Text verstanden haben. Der subjektive Eindruck, „alles“ sei unverständlich, hebt sich meistens sofort auf, sobald man sich zwingt aufzuschreiben, was man doch verstanden hat – oder wie man den Aufsatz in einem Satz zusammenfassen würde. Die Gesichtspunkte, die ich in diesen Beispielen zur Differenzierung herangezogen habe, waren die folgenden: ein Wort, das Ihnen wichtig erscheint (ein Thema) oder eine Zusammenfassung dessen, was Sie verstanden haben. Eine Zusammenfassung besteht natürlich aus Wörtern. Und auch sie werden dabei gegenüber dem Rest der Begriffe hervorgehoben, dadurch dass sie benannt werden. Indem Sie etwa so mit einer Differenzierung beginnen, folgen Sie dabei einem Kriterium, nach dem Sie differenzieren. Wichtig ist, dass dieses Kriterium Ihnen bewusst ist und am besten auch benannt wird. Beispiele 1. Man differenziert Verschiedenes durch seine Eigenschaften. Weil verschiedene Themen, Fragen, Gegenstände verschiedene Eigenschaften haben, kann man sie darin unterscheiden. 2. Ein zweites Differenzierungskriterium sind unterschiedliche Zwecke: Zwei Gegenstände können zwar dieselben Eigenschaften aufweisen, aber unterschiedliche Zwecke haben. Zwei gleichgroße Eimer können unterschiedlich genutzt werden: Der erste kann zum Löschen eines Feuers genutzt werden, der zweite zum Aufbewahren von Sammlungsstücken. Ebenso kann es mit theologischen Begriffen sein: Der Sohn Gottes ist Jesus Christus. Dennoch kann man den Ausdruck

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  4  Differenzieren: Die Fähigkeit zu unterscheiden

„Sohn Gottes“ anders benutzen, etwa um das ewige Verhältnis Gottes zu seinem Sohn auszudrücken. Dagegen kann „Jesus Christus“ ausgedrückt werden, um die Geschichte Jesu in der Welt auszudrücken. Obwohl es also keinen anderen Sohn Gottes außer Jesus Christus gibt, folgen beide Begriffe unterschiedlichen Zwecken. – Ebenso gehört die Differenz in verschiedene theologische Disziplinen hier herein: Das Wort „Menschensohn“ ist im Alten und im Neuen Testament dasselbe Wort. Dennoch kann das Wort in beiden Testamenten Unterschiedliches meinen. Die Erforschung des Wortes folgt dann je nach Disziplin unterschiedlichen Zwecken. 3. Man kann theologische Themen nach Häufigkeiten differenzieren: Ob es eine Christenpflicht ist, nach dem Tod seine Organe zur Organtransplantation freizugeben, ist innerhalb der theologischen Ethik eine häufiger gestellte Frage als die, ob tote menschliche Organe für Kunstinstallationen ausgestellt werden dürfen. Eine höhere Häufigkeit kann ein Beleg dafür sein, dass ein Thema wichtiger ist als ein anderes. Es kann aber auch genau umgekehrt sein. In beiden Fällen wird aber über die Häufigkeit differenziert. 4. Selbst wenn zwei Forschungsgegenstände dieselben Eigenschaften haben, können sie sich in ihren Modalitäten unterscheiden, also in der Art und Weise, wie diese Eigenschaften die Gegenstände individuieren. Es ist ein theologisch bedeutsamer Unterschied, ob Jesus vom heiligen Geist gezeugt wurde oder ob ihn Gott mit der Taufe adoptiert hat. Sohn Gottes ist er in beiden Fällen, und doch sind die Modi seiner Sohnschaft unterschiedlich. Darüber hinaus ist es selbst eine Differenzierungsleistung, weitere Kriterien zur Differenz zu entwickeln. Deshalb ist diese kurze Sammlung von Kriterien auch nicht vollständig. In meinen Seminaren begegnen mir oft Studierende, die bei einer Diskussion zunächst Begriffe definieren möchten, bevor sie weiter diskutieren. Eine Definition wiederum ist eine sehr weitreichende Differenzierung, die nur selten beim Denken benötigt wird.15 Was Studierende in diesen Situationen wittern, ist die weiterführende Leistung des Differenzierens. Meistens jedoch vermute ich, dass sie nicht wirklich eine Definition brauchen, um eine Diskussion zu 15 Sektion 9.5.

4.1  Wie man differenziert 

führen, sondern nach Differenzen Ausschau halten. Differenzierungen haben einen bescheideneren Anspruch als Definitionen. Zugleich ist es aber viel einfacher und auch methodisch sicherer, Differenzierungen vorzunehmen als Definitionen zu setzen.

4.1.2 Fehlerhafte Differenzierungen So hilfreich das Differenzieren daher ist, so kann man doch auch Fehler dabei begehen. Selbst wenn man nicht nur Intuitionen folgt, sondern die Gründe der Differenzierung angibt, können Differenzierungen falsch sein. Zwei Arten von Fehlern sind möglich: 1. Die Unterdifferenzierung: Unterschiede werden nicht wahrgenommen und als Gleiches behandelt. 2. Die Überdifferenzierung: Es wird etwas unterschieden, was gleich ist. Es kann also sein, dass ein Unterscheidungskriterium unter- oder überdifferenziert ist. Ebenso gut ist es aber denkbar, dass jemand zwar ein Unterscheidungskriterium angemessen profiliert, aber die falschen Gegenstände dort einsortiert. Diese beiden Fehler können sich daher sowohl dort einschleichen, wo man ein Unterscheidungskriterium formuliert, als auch in der Anwendung. Zwei Beispiele: Erstens könnte man etwa behaupten, „die Rechtfertigungslehre“ sei die wichtigste biblische Botschaft, also ein „Kanon im Kanon“. Hier wird also differenziert zwischen der Rechtfertigungslehre und anderen biblischen Lehren. Diese Differenzierung könnte sich aber als zu unterdifferenziert herausstellen. So liegen nämlich innerhalb der Bibel verschiedene Rechtfertigungslehren vor, die sich auch gegenseitig ausschließen. Damit kann dann nicht mehr behauptet werden, „die“ Rechtfertigungslehre sei am wichtigsten. Der zweite Fehler, das fehlerhafte Einsortieren von Gegenständen in Unterscheidungsmerkmale, entsteht etwa im folgenden Fall. Nehmen wir die Definition: „Der Mensch ist ein politisches Lebewesen.“ Diese Definition ist akzeptabel. Durch sie wird der Mensch von anderen Gegenständen im Hinblick auf zwei Eigenschaften unterschieden (politisch und Lebewesen). Zur fehlerhaften Anwendung könnte es nun kommen, wenn etwa Menschen mit einer bestimmten unliebsamen politischen Gesinnung aus dieser Definition ausgeschlossen werden (Überdifferenzierung). Dasselbe ist der Fall, wenn ein

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  4  Differenzieren: Die Fähigkeit zu unterscheiden

Lebewesen, das diese Merkmale nicht erfüllt, zum Menschen zugerechnet wird (Unterdifferenzierung).  an kann beim Differenzieren zwei Fehler begehen, indem man entweder M etwas unterscheidet, was eigentlich zusammengehört, oder nicht unterscheidet, obwohl es nicht zusammengehört.

4.2 Anselms Gottesbeweis: Ein Beispiel differenzierender Argumentation Da jedes Denken Differenzieren ist und da wissenschaftliches Denken Differenzieren nach einem festgelegten Kriterium ist, gibt es eine Überfülle an Beispielen der Differenzierung in der Theologiegeschichte. Ich wähle nun ein berühmtes Argument aus, dem zugleich der Vorwurf der fehlerhaften Differenzierung gemacht wurde: der ontologische Gottesbeweis des Anselm von Canterbury.16 Beispiel Anselm bestimmt Gott als „etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.“ Schon dadurch hat Anselm Gott (1) von anderen Gegenständen (2) bestimmt, und zwar superlativisch: Gott ist das Größte, was gedacht werden kann. Das Ziel seiner Überlegungen besteht darin, die Existenz Gottes zu beweisen. Dazu differenziert er in einem nächsten Schritt zwischen dem gedachten Gott, der existiert (3), und einem gedachten Gott, der nicht existiert (4). Und er untersucht, welcher von beiden Gottesgedanken das Größere denkt. Da Gott etwas ist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, so kann nur derjenige von beiden Gottesgedanken adäquat sein, der das Größere denkt. Denn wenn man das Kleinere von beiden denkt, könnte man ja noch Größeres denken – eben beim anderen Gottesgedanken – und 16 Zum Folgenden s. A. v. Canterbury: Proslogion Kap. 2.

4.2  Anselms Gottesbeweis: Ein Beispiel differenzierender Argumentation 

würde bei dem Kleineren nicht wirklich Gott denken, weil man ja darüber hinaus Größeres denken könnte. Anselm entscheidet sich, dass Gott als etwas Größeres gedacht wird, wenn er existiert, als wenn er nicht existiert. Dabei bezieht er die beiden obigen Differenzen aufeinander. Daraus folgt dann, dass Gott existiert – und damit ist der Gottesbeweis abgeschlossen. Diese Schlussfolgerung basiert zudem auf einer pfiffigen weiteren Differenz, nämlich zwischen einem Gedanken Gottes, dessen Existenz zwar gedacht wird, der aber nicht existiert (5) – und einem Gedanken Gottes, dessen Existenz gedacht wird und der auch existiert (6). Wenn nun Gottes Existenz gedacht wird, obwohl er nicht existiert, dann kann noch etwas Größeres gedacht werden: nämlich die Existenz Gottes, der auch wirklich existiert. Aus Anselms Entscheidung, dass Existenz etwas Größeres ist als Nicht-Existenz, folgt dann, dass dieses Etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, auch wirklich existiert. Übung: Kants Kritik an Anselms Gottesbeweis Immanuel Kant hat Anselms Methode des ontologischen Gottesbeweises kritisiert. Seine Kritik beruht dabei letztendlich darauf, dass Anselm trotz seiner feinsinnigen Differenzierungen einen Differenzierungsfehler unternommen hat. Bitte finden Sie aus dem Zitat Kants heraus, welchen der beiden Differenzierungsfehler er Anselm bescheinigt. Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Copula eines Urteils. Der Satz: Gott ist allmächtig, enthält zwei Begriffe, die ihre Objekte haben: Gott und Allmacht; das Wörtchen: ist, ist nicht noch ein Prädikat obenein, sondern nur das, was das Prädikat beziehungsweise aufs Subjekt setzt. Nehme ich nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter auch die Allmacht gehört) zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten, und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff.17

17 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 626 f.

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  4  Differenzieren: Die Fähigkeit zu unterscheiden

Lösung Kant behauptet in diesem Text, dass Existenz („Sein“) keine Eigenschaft sei (kein „Prädikat“). Während ein Prädikat ein Begriff ist, ist „Sein“ nur die „Position eines Dinges“. „Ist, ist nicht noch ein Prädikat obenein, sondern nur das, was das Prädikat beziehungsweise aufs Subjekt setzt.“ Damit unterstellt Kant, dass der ontologische Gottesbeweis diese Differenz nicht vornimmt: „Sein“ wird fehlerhaft wie ein Prädikat behandelt. Kant wirft also dem ontologischen Gottesbeweis vor, eine Unterdifferenzierung vorgenommen zu haben. Und nur aufgrund dieses Differenzierungsfehlers folgt dann der Beweis der Existenz Gottes.

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5  Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen Um eine Gegenbewegung zum Differenzieren handelt es sich beim Integrieren: Es führt Unterschiedliches zusammen, weil es im Hinblick auf etwas Drittes gleich behandelt werden kann. Integration schafft nicht etwa wieder Chaos. Man könnte ja vermuten, wenn Differenzen Ordnung aus dem Chaos schafft, dann bringt Integration wieder Unordnung. Aber auch die Integration schafft Ordnung, weil sie nicht etwa alles miteinander integriert, sondern nur etwas und auch nur unter bestimmten Kriterien. Integrationen setzen daher Differenzierungen voraus: Man kann nur integrieren, wenn man das Verschiedene der integrierten Elemente zuvor anerkannt hat oder wenn sich das Kriterium, nach dem integriert wird, von anderen Kriterien unterscheidet. Integrationen haben den folgenden Zweck: 1. Durch sie werden Merkmale durchsichtig, wie Gegenstände und Sachverhalte zusammengefasst sind. So können ontologische Gottesbeweise unterschiedliche inhaltliche Voraussetzungen haben: Anselm argumentiert über die Gottesbeschreibung „etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. Charles Hartshorne beschreibt Gott dagegen als „notwendig oder unmöglich“18. Beide unterschiedliche Verfahren sind aber im Hinblick darauf gleich, dass sie Gottes Existenz allein aus seinem Gedachtwerden beweisen. Beide Beweise sind also verschieden und bleiben auch verschieden. Dennoch bilden sie im Hinblick auf etwas Drittes ein Integral, nämlich im Hinblick auf das Gedachtwerden Gottes. 2. Ein Text wird durchsichtiger. So kann Karl Barth verschiedene Fragen mit demselben Verfahren beantworten, nämlich mit dem Rekurs auf Gottes Offenbarung: Die Frage, ob Gott erkennbar ist, wird dann mit derselben Denkfigur beantwortet wie die Frage, ob Gott möglich ist. Obwohl „Möglichkeit“ ein Begriff der Logik oder der Ontologie ist und „Erkennbarkeit“ ein Begriff der Erkenntnistheorie, werden beide Fragen mit derselben Methode beantwortet. Durch die Integration werden Texte von Barth verständlicher, weil man ihre methodische Figur bei allen inhaltlichen Unterschieden wiedererkennen kann.

18 L. Ohly: Warum Menschen von Gott reden, 69.

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  5  Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen

3. Dadurch können Sie sich auf immer weniger Fragen konzentrieren. Wenn die Typik eines Textes verstanden worden ist, kann man sich darauf konzentrieren, ihre Plausibilität zu überprüfen, und kann viele inhaltliche Details übergehen oder allenfalls auf diese Typik rückführen. 4. Sie können sich klarer entscheiden, worum es Ihnen geht. Sie möchten eine Hausarbeit über Paul Tillich schreiben, und es erscheint Ihnen sehr Vieles wichtig und interessant zu sein, was Sie von ihm lesen. Könnte es nicht sein, dass alles, was Ihnen wichtig erscheint, letztendlich nur ein Interesse ist: nämlich ein solches, über das sich alle anderen Themen irgendwie besprechen lassen? Die Fragen, wie Tillich über das Gebet schreibt und wie er den heiligen Geist charakterisiert, sind zwar völlig unterschiedlich. Aber mit einer Hausarbeit über Tillichs Methode der Korrelation lassen sich beide Themen gleichermaßen beantworten. Sie schreiben jetzt also zwar über ein drittes Thema, aber so, dass sein Ergebnis auf Ihre beiden anderen Interessen angewendet werden kann. 5. Dasselbe gilt für den Verfasser des Textes, der Integrationen vornimmt. Er kann dabei die gleichen Interessen verfolgen wie Sie, wenn Sie integrieren. Ebenso wie beim Differenzieren kann genauso integriert werden, nämlich 1. so, wie es der Verfasser macht 2. so, wie es Ihr Erkenntnisinteresse erfordert 3. so, dass es der „Sache“ entspricht. Und auch hier müssen Sie ein Kriterium finden, nach dem Sie integrieren (z. B. Eigenschaften, Zwecke, Häufigkeiten, „Modalitäten“…).19 Obwohl Integrieren und Differenzieren jeweils Gegenbewegungen sind, orientieren sie sich an den gleichen Merkmalen und haben die gleichen Zwecke, nämlich Ordnung ins Denken zu bringen. Und sie haben dasselbe Fehlerrisiko. Eine Integration ist dann falsch vorgenommen worden, wenn 1. entweder etwas integriert wird, was nicht zusammengehört (übermäßige Integration). a) In diesem Fall ist das Kriterium zur Integration nicht stimmig, b) oder es wird in der Anwendung nicht hinreichend beachtet.

19 Sektion 4.1.1.

5  Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen 

2. Oder es wird zu schwach integriert. Das ist dann der Fall, wenn a) das Kriterium Fälle voneinander ausschließt, die eigentlich zusammengehören. b) Oder das Kriterium wird falsch angewendet, so dass Fälle ausgeschlossen werden, die nach dem Kriterium zusammengehören. Ein Beispiel zur Integration sind Fachbereiche der Evangelischen Theologie: Obwohl die wissenschaftlichen Disziplinen (Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische und Praktische Theologie) unterschiedlich sind, werden sie durch das Kriterium „Theologie“ integriert. Eine übermäßige Integration würde vorgenommen, wenn auch katholisch-, jüdisch-, muslimisch-theologische Disziplinen zur evangelischen Theologie dazugerechnet werden würden – entweder weil das Kriterium übermäßig bestimmt ist („Alles, was wissenschaftlich aus dem Glauben an Gott ausgesagt wird, ist evangelisch“) oder weil das angemessene Kriterium („Evangelische Theologie ist wissenschaftliche Beschäftigung mit Aussagen des evangelischen Glaubens“) übermäßig angewendet wird. Eine zu schwache Integration liegt vor, wenn z. B. alle theologischen Disziplinen außer der Praktischen Theologie aus den evangelischen Fachbereichen verbannt werden – entweder weil das Kriterium zu schwach ist („Evangelische Theologie ist wissenschaftliche Beschäftigung ausschließlich mit nicht-sprachlichen Verhaltensweisen des evangelischen Glaubens“) oder weil ein angemessenes Integrationskriterium zu schwach angewendet wird.  uch Integrieren ist Denken, setzt aber das Differenzieren voraus. ManA ches, was man differenziert hat, lässt sich im Hinblick auf etwas Drittes zusammenfassen (integrieren).

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  5  Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen

Übung: Wie Konfirmanden über das Böse denken Die folgenden Aussagen stammen von Konfirmanden und handeln von der Frage, wie es Böses geben kann, wenn Gott allmächtig und allgütig ist. Nehmen Sie bitte Integrationen der Aussagen vor, die jeweils diese Frage unter einem ähnlichen Blickwinkel diskutieren. 1. Wir wissen doch gar nicht, ob Sterben etwas Schlechtes ist. Sterben ist doch nur schlecht für die Menschen auf der Erde. Und danach ist das ewige Leben. Und das ist doch für die Menschen, die sterben, eigentlich gut. 2. Es für die Menschen auf der Erde vielleicht gar nicht schlecht, weil es doch auch eine Erlösung sein kann, wenn du Schmerzen hast und dann stirbst. 3. Aber für die Menschen, die zurückbleiben, ist es vielleicht was Schlechtes, weil: Die sind ja dann sehr traurig. 4. Aber vielleicht ist dieses Traurige ja gar nicht was Böses. 5. Wir können Gott nur im Rückblick erkennen, weil, wenn er in unserer Gegenwart anwesend wäre, dann wären wir nur seine Marionetten und er würde unser Handeln bestimmen. 6. Gott gibt uns im Voraus Möglichkeiten, damit wir aus den Möglichkeiten was aussuchen können. 7. Dann hätte er doch trotzdem die Naturkatastrophen vorausgesehen und nicht verhindert. 8. Aber wenn jetzt Gott nicht allmächtig wäre, dann hättest du vielleicht noch mehr Pech in deinem Leben, als du jetzt denkst. Also vielleicht wärst du jetzt auch im Krankenhaus oder so. Lösung Aussagen 1–4 sind Positionen zum Thema, ob Sterben etwas Böses (Schlechtes) ist. Aussagen 5–7 enthalten eine Diskussion zur Frage, ob die menschliche Freiheit das Böse trotz der Allmacht und Allgüte Gottes erklären kann (5–6) oder nicht (7). Aussage 8 ist eine Spekulation über alternative Zustände in der Welt, wenn Gott nicht allmächtig wäre.

5  Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen 

Übung: Übermäßige und schwache Integration Finden Sie Beispiele für übermäßige und schwache Integrationen. Bitte finden Sie dabei für jede Variante einer falschen Integration ein Beispiel. Lösung Übermäßige Integration: a. Übermäßiges Kriterium: „Intelligente Wesen sind Menschen.“ Dann können auch viele Tiere, Computer und intelligente Roboter zum Menschen gezählt werden. b. Übermäßige Anwendung eines richtigen Kriteriums: Bei dem Kriterium „Der Mensch ist ein politisches Lebewesen“ könnte man auf die Idee kommen, auch Ameisen einzubeziehen, die in einem „Ameisenstaat“ leben. Dabei wird die Eigenschaft des Politischen missverstanden und somit das Kriterium übermäßig angewendet. Zu schwache Integration: a. Zu schwaches Kriterium: „Der Mensch ist ein politisches Wesen mit kommunistischer Gesinnung.“ Damit werden dann Menschen ausgeschlossen, die eine andere politische Gesinnung haben. b. Zu schwache Anwendung eines richtigen Kriteriums: Dieses Beispiel ist bereits aus Sektion 4.1.2 bekannt, wo das Kriterium „Der Mensch ist ein politisches Lebewesen“ nun dadurch zur schwachen Anwendung führt, dass Menschen mit einer bestimmten unliebsamen politischen Gesinnung aus dieser Definition ausgeschlossen werden.

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  5  Integrieren: Die Fähigkeit anzugleichen

Übung: Falsche Integration und falsche Differenzierung Die Varianten der übermäßigen/schwachen Integration entsprechen den Varianten der Unter- und Überdifferenzierung. Bitte ordnen Sie die Varianten einander zu. Lösung 1. Übermäßige Integration = Unterdifferenzierung 2. Zu schwache Integration = Überdifferenzierung

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6 Differenzieren und Integrieren: Beide Techniken kombinieren Übung zur Menschlichkeit Jesu Beurteilen Sie für jedes Statement, welches der genannten Wesen ein anderes integriert: Welcher Begriff ist also das Integrationskriterium für einen anderen Begriff? Bedenken Sie kurz die Folgen, die eintreten, wenn die angegebene Integration stimmig ist: Tauchen dabei Fehler auf? 1. Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott.20 2. Der Christ ist der Christus.21 3. Jesus ist nicht ein Mensch, sondern der Mensch.22 4. Im neuen Menschen kam das Wesen des Menschen zutage.23 Lösung 1. Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Hier werden zwei Wesen in Christus integriert, die eigentlich voneinander zu unterscheiden sind. Bezogen auf Christus treffen also wahre Aussagen über Gott auch auf den Menschen zu und umgekehrt. Das heißt weder, dass Gott und Mensch in Christus identisch sind, noch, dass alles, was über Christus ausgesagt werden kann, auf den Menschen zutrifft, noch, dass alles davon auf Gott zutrifft. 2. Der Christ ist der Christus. Hierbei handelt es sich sogar um eine Identitätsaussage: Es gibt keine Christen außer Christus. Folglich können wir auch nicht Christen genannt werden.

20 Chalcedonnense. 21 „Der Christ ist der Christus. Der Christ ist das in uns, was nicht wir sind, sondern Christus in uns“ (K. Barth: Der Christ in der Gesellschaft, 34, Herv. K.B.). 22 D. Bonhoeffer: Ethik, 71. 23 I.U. Dalferth: Homo definiri nequit, 222.

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  6  Differenzieren und Integrieren: Beide Techniken kombinieren

Sobald dagegen uns Christen auszeichnen soll, dass in uns Christus ist (Der Christ ist der Christus in uns), wird eine zweite Bedeutung des Wortes „Christ“ eingeführt: nämlich keine Identität mehr, sondern die Integration Jesu Christi in uns. Christus nämlich ist nicht deshalb der Christ, weil er in sich selbst ist. („Der Christ ist der Christ in ihm.“ Hier würde das Wort „Christ“ doppeldeutig verwendet.) An dieser Selbstanwendung des „in uns“ auf Christus selbst zeigt sich eine Unterdifferenzierung zwischen „Christus“ und „Christ“, weil das Wort „Christ“ mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. Die Integration von „Christus“ und „Christ“ ist übermäßig. – Stimmig wäre der Satz nur (wenn auch nicht unbedingt überzeugend), wenn der Begriff „Christ“ nur eine einheitliche Bedeutung hätte und wirklich Christus der einzige Christ wäre. Dasselbe Problem ergibt sich, wenn umgekehrt „Christ“ in „Christus“ integriert wird: „Christus ist der Christ in ihm“, sobald „Christ“ auf Christus selbst angewendet wird. 3. Jesus ist nicht ein Mensch, sondern der Mensch. Hier wäre eine ähnliche Unterdifferenzierung vorgenommen worden wie im vorigen Fall („Jesus ist der Mensch“, so dass alle anderen Exemplare der menschlichen Gattung keine Menschen wären), wenn der Satz nicht zwischen „ein Mensch“ und „der Mensch“ unterschieden hätte. So aber kann das, was von „dem“ Menschen ausgesagt werden kann, dann auch von allen einzelnen Menschen ausgesagt werden. Aber das Umgekehrte ist nicht der Fall. „Der Mensch“ wird als Gattungsbegriff verwendet: Die Integration aller Menschen in „dem“ Menschen ist die Integration aller einzelnen in der Menschheit.24 4. Im neuen Menschen tritt das Wesen des Menschen zutage. Dieser Satz unterscheidet zwischen dem neuen Menschen und dem Wesen des Menschen. Beide werden gleichwohl aufeinander bezogen: Das Wesen des Menschen findet im neuen Menschen sein Kriterium. Was daher vom neuen Menschen gesagt werden kann, kann vom Menschen überhaupt ausgesagt werden. Die Frage, was ein Mensch ist, lässt sich nun konzentrieren auf die Frage, was der neue Mensch (gemeint ist Jesus Christus) ist. Der Begriff „neuer Mensch“ integriert 24 So setzt Dietrich Bonhoeffer übrigens auch seinen Text fort: „Der Name Jesus schließt die ganze Menschheit … in sich“ (D. Bonhoeffer: Ethik, 72).

6  Differenzieren und Integrieren: Beide Techniken kombinieren  

daher Aussagen über Menschen, indem er sie auf das Wesentliche hin konzentriert. Das Wesen des Menschen ist daher auch im neuen Menschen integriert. Übung: Wie kann Christus zugleich Gott und Mensch sein? Wie kann nach dem folgenden Text von Karl Barth Jesus Christus sowohl Mensch als auch Gott sein? Suchen Sie bitte nach Differenzen und Inte­ grationen. Da die Einheit von Gott und Mensch in Christus nun diese ist: die Tat des Logos, in der er menschliches Sein annimmt, da dies sein Werden ist und also das, was dem menschlichen Sein in diesem Werden des Logos widerfährt: ein Handeln Gottes in der Person des Wortes – darum kann sich Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf in dieser Einheit nicht so zueinander verhalten wie in anderen Menschen, wie in der Schöpfung überhaupt. Man darf und muß ja von einer Gegenwart, sogar von einer persönlichen Gegenwart Gottes in allem geschaffenen Sein und insofern auch von einer Einheit Gottes mit allem geschaffenen Sein reden. Immer aber hat dann dieses geschaffene Sein Gott gegenüber eine selbständige Existenz. Es ist zwar nur kraft der Schöpfung und Erhaltung, durch Gott und eben insofern: nur in der Einheit mit Gott wirklich, aber in dieser Einheit nun doch nicht so, daß es selbst Gott wäre, sondern so, daß es, in Gott seiend, ein von Gott Verschiedenes ist, daß es durch Gott ein vom Dasein Gottes verschiedenes, ein eigenes Dasein hat. … Die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus, dem Gottmenschen, aber besagt gerade dies: daß dieser Mensch Jesus Christus auf Grund dessen, daß das Wort in dem nun erklärten Sinn Fleisch ward, mit Gott identisch ist, daß er also nicht nur durch Gott und nicht nur mit Gott lebt, sondern selbst Gott ist, daß er also keine Wirklichkeit, keine Existenz neben Gott hat, daß er nicht auch noch selbständig und an sich da ist, sondern daß seine Wirklichkeit, seine Existenz, sein Dasein schlechterdings das Gottes selbst, des in seinem Wort handelnden Gottes ist. Seine Menschheit ist nur Prädikat seiner Gottheit oder also besser, konkret gesagt: sie ist nur das in unbegreiflicher Herablassung angenommene Prädikat des an uns handelnden Wortes, das der Herr ist.25

25 K. Barth: KD I/2, 177 f.

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  6  Differenzieren und Integrieren: Beide Techniken kombinieren

Lösung Integrationen ▶▶ Nach Barth ist Jesus in Gott integriert. Er spricht sogar von einer Identität: Sein Dasein ist mit dem Dasein Gottes identisch. ▶▶ Die Menschheit Jesu ist „Prädikat“ Gottes und wird damit in Gott integriert. Seine Menschheit sagt etwas über Gott aus. ▶▶ Ferner wird das Dasein der gesamten Schöpfung durch Gottes Handeln in seine Wirklichkeit integriert. Es ist „nur in der Einheit mit Gott wirklich“. Eine Identität liegt hier aber nicht vor, weil … Differenzierungen ▶▶ … alle Geschöpfe ein von Gott verschiedenes Dasein auszeichnet, … ▶▶ …während das Dasein Jesu Christi das Dasein Gottes ist. Darin liegt die Differenz Jesu Christi von allem geschaffenen Sein. ▶▶ Dieser Unterscheidung liegt die Differenz zwischen „Existenz“ und „Prädikat“ zugrunde: Während die Geschöpfe eine selbstständige „Existenz“ haben, ist das Dasein Jesu Christi ein „Prädikat“ Gottes. Christus hat „keine Existenz neben Gott.“ Das heißt: Man kann zwar schon Existenzaussagen von Jesus Christus treffen, aber nur, wenn sie eigentlich Existenzaussagen Gottes sind. ▶▶ Barth unterscheidet zwischen Jesus Christus und dem göttlichen Logos. Während der göttliche Logos die Einheit von Gott und Mensch in Christus als „Tat“ vornimmt, „widerfährt“ dem menschlichen Sein Jesu Christi das Werden des Logos. Das „Werden“ des Logos hat also zwei Perspektiven: Aus der Perspektive des Logos ist es „Tat“, aus der Perspektive des menschlichen Seins Jesu Christi ist es Widerfahrnis. Obwohl das „Werden des Logos“ also eines ist, lässt es sich als Tat und Widerfahrnis differenzieren. Umgekehrt sind Tat und Widerfahrnis im Hinblick auf ihr „Werden“ integriert.

6  Differenzieren und Integrieren: Beide Techniken kombinieren  

Übung: Kann Gott überhaupt Mensch werden? Bitte suchen Sie, welche Operation (Differenzieren, Integrieren) in dem folgenden Argument dominiert. Liegt darin seine Stärke oder seine Schwäche? Gott kann nicht Mensch werden, weil Gott über der Schöpfung steht. Er kann nicht leiden und nicht sterben. Darum kann er auch nicht Mensch werden.

Lösung Das Argument betont ausschließlich Unterschiede zwischen Gott und Schöpfung, genauer: zwischen Gott und Mensch. Die einzige Operation, die hier ausgeführt wird, ist die Differenzierung. Integriert werden dabei die Prädikate „Leidensunfähigkeit“ und „Unsterblichkeit“ in Gott. Dass im Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung keine Integration vorgenommen wird, bedeutet, dass zwischen beiden kein Verhältnis beschrieben wird. (Das Verhältnis, das im Begriff „Schöpfung“ selbst liegt – weil die Schöpfung ein Verhältnis zu ihrem Schöpfer hat –, wird hier nicht aufgenommen.) Wenn somit beide nicht im Hinblick auf etwas Drittes integriert werden, bleibt offen, welches Verhältnis sie zueinander haben. Theologisch ist das unzureichend, weil dann nicht beschrieben wird, ob Gott überhaupt zu seiner Schöpfung in ein Verhältnis treten kann. Ohne Integration bleiben beide nicht nur differenziert, sondern auch isoliert. Die Folgen wären theologisch weitreichend: Gott könnte seine Schöpfung nicht lieben, weil er nicht ins Verhältnis zu ihr treten könnte. Wir wiederum könnten nicht von Gott reden, weil unsere Rede von „Gott“ ihn grundsätzlich verfehlen müsste.

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7  Die richtigen Fragen stellen Die richtigen Fragen ergeben sich in der Regel nicht von selbst. Wenn Sie einen Text lesen, kann es sein, dass viele Sätze unverständlich erscheinen – so geht es auch noch Professoren –, und dass sich allein aus diesem Eindruck noch keine konkreten Fragen ergeben. Und wenn Sie ein Thema für eine Hausarbeit gefunden haben, dann ergeben sich daraus noch nicht unmittelbar die ersten Schritte. Solche ersten Schritte lassen sich aber mit den richtigen Fragen finden, und die richtigen Fragen zu stellen, sind bereits die ersten Schritte.

7.1 Was sind richtige Fragen in der Systematik? Richtige Fragen der Systematischen Theologie sind solche: 1. Sie müssen den richtigen Zweck haben: a) Sie fragen nach dem richtigen Verständnis eines Textes. Konkret werden etwa dazu Fragen zu Begriffen gestellt („Was bedeutet Offenbarung für Eilert Herms?“) oder textinterne Spannungen problematisiert („Wie verhält sich die Möglichkeit zur Wirklichkeit bei Karl Barth?“) b) Sie zielen auf die Überprüfung von christlichen Wahrheitsansprüchen. Daher werden sie so gestellt, dass Sie am Ende eines systematisch-theologischen Verfahrens wissen, ob sie auch wirklich beantwortet worden sind. 2. Richtige Fragen thematisieren Ihr Interesse an einem christlich-theologischen Wahrheitsanspruch. Die Frage: „War Rudolf Bultmann jemals in Jerusalem?“ mag zwar für den einen oder anderen interessant sein, bezieht sich aber auf keinen christlichen Wahrheitsanspruch. Der christliche Glaube kann Wahres beinhalten, auch wenn Bultmann nie in Jerusalem war. Aber wenn es Sie interessiert, ob Christen mindestens einmal in ihrem Leben in Jerusalem gewesen sein sollten, so ist dies eine legitime Frage zum ethischen Anspruch des christlichen Glaubens. 3. Richtige Fragen helfen, den Weg zur Antwort zu finden. Die Frage: „Sollten Christen mindestens einmal in ihrem Leben in Jerusalem gewesen sein?“ strukturiert den Weg zumindest soweit vor, dass sie eine ethische

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  7  Die richtigen Fragen stellen

Perspektive einnimmt („sollten“) und keine dogmatische. Sie wird dabei vermutlich an eine bestehende Diskussion anknüpfen oder zumindest an nahe liegende Argumente. Der Weg wird dann dorthin führen, diese Argumente im Hinblick auf die Frage zu überprüfen. Daraus folgt, darauf zu achten, keine unlösbaren Fragen stellen. Lösbare Fragen bestehen darin, dass sie die Kriterien erschließen, unter denen sie als beantwortet gelten können. Solche Kriterien können sein: 1. konstruierte Denkmodelle („In einem mythologischen Weltbild lässt sich die Frage mit Ja beantworten, ob die Sünde eine dämonische Macht ist, in einem modernen Weltbild dagegen nicht“), 2. klar eingegrenzte und einnehmbare Perspektiven („Aus menschlicher Perspektive lässt sich die Frage nicht eindeutig beantworten, ob der Mensch von Gott gerechtfertigt ist.“), 3. Bedingungen („Unter der Voraussetzung der Geist-Theologie Tillichs kann die Frage bejaht werden, dass auch muslimische Gemeinden den Geist Gottes fragmentarisch realisieren.“) oder 4. Anschlüsse an bereits bekannte Zusammenhänge („Wenn Gott trinitarisch ist, dann ist die Frage zu verneinen, ob Maria auch eine göttliche Person ist“). Was eine unlösbare Frage ist, kann teilweise von der Sache abhängen, teilweise aber auch von Ihnen selbst. Wenn Sie ein logisches Problem verhandeln wollen, aber dazu zunächst einen Kurs in formaler Logik absolvieren müssten, dann ist die Frage zumindest vorerst unlösbar. Sachlich unlösbare Fragen sind solche, die zu komplex sind, als dass sie sich in einem Verfahren lösen ließen. Oder sie bieten keinen Ansatzpunkt, mit dem sie sich beantworten lassen. Beispiel So dürfte die Frage: „Gibt es außerirdisches Leben, für das Jesus auch gestorben ist?“ unlösbar sein, weil bereits naturwissenschaftlich nicht klar ist, ob es außerirdisches Leben gibt. Aber selbst wenn man es wüsste, so wüsste man dennoch zu wenig über dieses Leben, um die Frage zu lösen, ob Jesus dafür gestorben ist. Die Antwort an eine theologische Frage wird an den naturwissenschaftlich dürftigen Kenntnisstand angebunden und von ihm abhängig gemacht, aber auch noch nicht mit ihm gelöst. Dagegen halte ich

7.1  Was sind richtige Fragen in der Systematik? 

die Frage: „Ist Jesus auch für die Sünden außerirdischen Lebens gestorben?“ für lösbar, weil sie nämlich ihren Bezugspunkt allein bei Jesus findet und nicht beim außerirdischen Leben. Wenn wir nämlich wissen, warum Jesus für die Sünden anderer sterben und sie damit mit Gott versöhnen konnte, dann können wir auch die Reichweite seines Heilswerkes bestimmen. Die Frage lässt sich auch dann sicher beantworten, wenn offen ist, ob es außerirdisches Leben gibt: Jesus kann nämlich auch dann für außerirdisches Leben gestorben sein, wenn es kein solches gibt. Die Reichweite seines Heilswerkes hängt dann nämlich von ihm ab und nicht von der Existenz außerirdischen Lebens. S tellen Sie eine Frage so, dass Sie dabei an Bekanntes anknüpfen. Damit zeichnen Sie den Weg vor, wie die Frage beantwortet werden kann.

7.1.1 Ein theologischer Text im Religionsunterricht Übung Finden Sie die richtigen systematisch-theologischen Zwecke zu einem Text für den Religionsunterricht: 1. „Kann ich diesen Text im Religionsunterricht benutzen?“ 2. „Was sollen Schüler mit diesem Text anfangen?“ 3. „Welche Arbeitsfrage hilft den Schülern, auf die Lösung zu kommen?“ 4. „Welches ist das Schlüsselwort des Textes?“ 5. „Wie reagiere ich auf den Schülereinwand, dass der Text nichts mit Religion zu tun hat?“ 6. „Wie reagiere ich auf die Schülerreaktion, dass der Text langweilig ist?“

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  7  Die richtigen Fragen stellen

Lösung Ausschließlich Frage 4 und 5 zielen auf eine systematisch-theologische Klärung ab. Nur sie haben als Sachbezug einen christlichen Wahrheitsanspruch. Zum Vergleich: Auch wenn Schüler einen Text langweilig finden, kann er dennoch wahr sein. Und selbst wenn ich keine Antwort finde, wie ich sie für den Text begeistere, fällt damit nicht der christliche Wahrheitsanspruch. Schließlich: Eine passende Arbeitsfrage für die „richtige“ Lösung zu suchen, setzt zwar eine systematisch-theologische Entscheidung voraus, führt aber selbst keinen systematisch-theologischen Gedankengang mehr durch. Zwar kann Frage 5 auch mit Maßregelungen beantwortet werden und führt dann nicht in systematisch-theologisches Denken. Wird dagegen die Frage inhaltlich gestellt, wie sie auch von den Schülerinnen und Schülern gemeint ist, wird eine systematisch-theologische Klärung anvisiert.

7.1.2 Direkt und indirekt richtige Fragen Übung Klären Sie bitte, welche Fragen einen systematisch-theologischen Zweck haben. Und welche Fragen haben ihn nur dann, wenn noch ein weiterer Arbeitsschritt hinzukommt? Welcher Arbeitsschritt ist dazu nötig? 1. Was meint der Text mit „Gott“? 2. Kann man heute noch mit Gott argumentieren, oder ist der Glaube an ihn Privatsache? 3. Was verstehen Jugendliche unter dem Begriff „Gott“? 4. Was verstand Luther unter dem Begriff „Gott“? 5. War Luther Antisemit?

7.1  Was sind richtige Fragen in der Systematik? 

Lösung Frage 1, 3 und 4 dienen einem systematisch-theologischen Zweck, wenn sie sich nicht allein darin erschöpfen, die Meinung Jugendlicher, Luthers oder des Textes zu Gott zu bestimmen. Zielen sie vielmehr mit der Antwort darauf, Gott genauer zu bestimmen oder die Wahrheit dieser Meinungen zu überprüfen, so dienen sie einem systematisch-theologischen Zweck. Dazu muss der dritte Arbeitsschritt des systematisch-theologischen Verfahrens hinzutreten (s. Sektion 3.1). Frage 2 kann einem systematisch-theologischen Zweck dienen, wenn sie nicht dogmatisch, sondern ethisch gemeint ist. Denn dass der Glaube an Gott Privatsache ist, schließt nicht aus, dass die darin vorkommenden Ansichten wahr sind und sich auch als wahr plausibilisieren lassen. Deshalb gilt dogmatisch: Man kann auch dann mit Gott argumentieren und die Wahrheitsansprüche solcher Argumente öffentlich prüfen, wenn der Glaube Privatsache ist. Dazu müssen die Argumente nur bekannt sein, ohne dass man wissen muss, wer sie vertritt. Es könnten aber ethische Gründe dagegen sprechen, diese Ansichten zu veröffentlichen. Wenn Frage 2 darauf zielt, die ethische Dimension der Rede von Gott zu überprüfen, dient sie einem systematisch-theologischen Zweck. Dagegen ist die Frage nicht systematisch-theologischer Art, wenn sie allein nach kommunikativen Effekten fragt: Dann steht die Vermutung im Raum, jemand verschaffe sich kein Gehör oder wirke verstaubt, uncool oder fundamentalistisch, wenn er mit Gott argumentiert. Der theologische Zweck der Frage gehört dann in die Praktische Theologie. Die letzte Frage dagegen ist rein historischer Art. Mit einer Antwort darauf findet man keine Gründe dafür, wie sich Antisemitismus und der christliche Glaube an Gott zueinander verhalten – warum also Antisemitismus nach sachlichen Gründen inadäquat ist. Sie kann daher allenfalls vorbereitend sein, um eine systematisch-theologische Frage zum Verhältnis von Glaube und Antisemitismus zu stellen.

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  7  Die richtigen Fragen stellen

7.1.3 Lösbare und unlösbare Fragen Übung Finden Sie die lösbaren Fragen und eine Antwort darauf, warum sie in der Systematischen Theologie lösbar sind, während die übrigen Fragen in der Systematischen Theologie es nicht sind: 1. Existiert Gott? 2. Unter welchen Bedingungen kann man zu Recht sagen, dass Gott existiert? 3. Welches Denkmodell passt zur Annahme der Existenz Gottes? 4. Passt der Ausdruck „Existenz“ überhaupt zu Gott? 5. Sind alle Menschen irgendwie gläubig? Lösung Fragen 2 bis 4 suchen nach geeigneten Modellen, um ein Problem zu lösen. Die Aufgabe zur Beantwortung dieser Fragen besteht dann darin, solche Modelle zu entwickeln. Darin besteht der konstruktive Anteil dieser Fragen. Frage 1 und 5 dagegen scheinen solche Modellentwicklungen überspringen zu wollen. Das macht sie zu unlösbaren Fragen, die eine Präzisierung erfordern. Zwar sind schon etliche Gottesbeweise versucht worden, die zudem eine gewisse Gültigkeit erlangt haben – allerdings nur unter den Voraussetzungen des jeweiligen Denkmodells, aus dem sie entwickelt wurden. Dasselbe gilt für die letzte Frage: Sie impliziert ja den Verdacht, dass sogar Menschen, die von sich sagen, nicht gläubig zu sein, dennoch gläubig sind. Eine lösbare Frage wird daraus erst, wenn man nach den Kriterien fragt, unter denen die Frage als beantwortet gelten kann.

7.2  Was tun, wenn Ihnen keine Fragen einfallen? 

7.2 Was tun, wenn Ihnen keine Fragen einfallen? Oft fühlt man sich mit theologischen Texten so sehr überfordert, dass man förmlich „nichts“ versteht. Oder man hält sie für völlig richtig, bis man dann eine Gegenmeinung liest und diese dann für völlig richtig hält – bis man dann einen dritten Text liest… Wie sollen da Fragen aufkommen? Ähnlich kann es einem gehen, wenn man eine Hausarbeit schreibt und das Ziel schon vor Augen hat, aber nicht weiß, wie man dorthin gelangt. Oder man kennt sowohl das Ziel als auch seine Argumente, lässt aber mögliche Zweifel außer acht, weil man sie nicht hat. Das ist nicht immer eine erfolgversprechende Situation, weil man dann auch nicht immer die Gründe kennt, warum man diese Zweifel selbst nicht teilt. Und das könnte darauf hindeuten, dass es eher zufällig ist, dass man diese Zweifel nicht hat. Im Lauf des Studiums werden Sie immer sicherer werden, hilfreiche Fragen zu stellen, und zunehmend werden sie von alleine kommen. Anfänger und Fortgeschrittene stehen aber vor derselben Herausforderung, immer in Übung zu bleiben, Fragen zu formulieren. Folgende Vorschläge könnten dabei hilfreich sein: 1. Erzählen Sie sich den Text nach, bis Sie auf Unklarheiten stoßen. Formulieren Sie dann die Unklarheiten. 2. Veranstalten Sie ein sogenanntes „Brainstorming“, was man sich so fragen könnte. Ein Brainstorming besteht darin, jeden Gedanken zuzulassen, ohne ihn sofort auf Stimmigkeit zu überprüfen. Nachdem Sie eine kleine Liste von Fragen erstellt haben, können Sie die einzelnen Fragen überprüfen, wie sehr sie dem systematisch-theologischen Zweck und Ihren Interessen entgegenkommen. 3. Grundsätzlich ist systematisch-theologisches Arbeiten die Untersuchung von Texten. Dabei sind Begriffe zentrale Schaltstellen. Fragen Sie sich daher immer: Welcher Begriff ist wichtig? Was bedeutet er? Mit welchen Begriffen steht er im Zusammenhang? – Haben Sie bereits ein Exzerpt angefertigt, so können Sie nun mittels Suchwortanalyse den Begriff untersuchen.26 Selbst wenn Sie ansonsten keine Fragen haben: Eine Suchwortanalyse geht immer und wirft immer genug Fragen auf. Legen Sie einfach einen Begriff zugrun-

26 Sektion 3.3.

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  7  Die richtigen Fragen stellen

de, der Sie interessiert, der ihnen auffällt oder der im Thema der Hausarbeit (oder des Referats) genannt ist.  in Suchwort im Exzerpt zu durchsuchen, verfolgt bereits eine Frage. Und E wer alles oder nichts verstanden hat, kann beschreiben, was alles oder nichts verstanden worden ist.

8.1  Bereiche von Gründen 

8  Unterscheidung von Gründen Gründe sind die Währung jeder geisteswissenschaftlichen Hypothese. Daher ist es wichtig, sich in der Geltungskraft von Gründen auszukennen und ihre jeweils unterschiedliche Reichweite einzuschätzen. Sie entwickeln eine These und sollen sie nun belegen. Ein entscheidender Schritt ist dabei das Begründen: also eine Antwort zu geben, die mit „weil“ eingeleitet werden kann. Oft passen jedoch die Gründe selbst in Büchern bedeutender Theologen nicht zur These. Dabei können die Sätze sogar richtig sein, stellen aber dennoch keine Begründung für die zu belegende These dar. Oder aber die Gründe passen zwar zur These und sie mögen dabei ebenfalls richtig sein. Aber sie reichen dennoch nicht aus, um die These zu belegen. In diesem Kapitel sollen unterschiedliche Bereiche und Arten von Gründen dargestellt werden. Da Sie schon den Vorteil des Differenzierens27 gelernt haben, wird der Unterschied zwischen Bereichen und Arten von Gründen nicht sonderlich überraschen. Kurz gesagt: Während Bereiche den Raum von Gründen eröffnen, in denen bestimmte Gründe ihre Geltung verdienen, lassen sich Gründe auch so zusammenfassen, dass sie gemeinsame Eigenschaften aufweisen und damit eine Art bilden. Gründe derselben Art können in unterschiedlichen Bereichen vorkommen, und im gleichen Bereich kann mit unterschiedlichen Arten von Gründen argumentiert werden. Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, dass Sie diese Unterschiede einüben, um selbst beim Begründen sicher zu werden.

8.1 Bereiche von Gründen Unter Bereichen von Gründen verstehe ich den Unterschied zwischen theoretischen und praktischen Gründen. Des Weiteren lassen sich diese Bereiche weiter in Unterbereiche ausdifferenzieren: Theoretische Gründe können etwa naturwissenschaftliche, soziologische, mathematische, theologische sein, praktische Gründe beispielsweise politische, technische, methodische, ethische.

27 Kap. 4.

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  8  Unterscheidung von Gründen

Man kann eine These damit begründen, dass sich der Grund ebenso auf der Sachebene bewegt wie die These. Dann argumentiert man mit theoretischen Gründen. Man kann aber auch praktische Gründe dafür heranziehen, die sich auf das menschliche Verhalten oder Handeln richten. Umgekehrt können auch theoretische Gründe für eine praktische Aufgabe angegeben werden ebenso wie praktische. Theoretische Gründe zielen auf den Sprachgehalt der These, praktische Gründe auf ihre menschlichen Sprechhandlung oder das Handlungsziel einer Äußerung. Manchmal kann sich ein theoretischer mit einem praktischen Grund in einem Satz überschneiden; dennoch kann man den einen Satz in beide Bereiche ausdifferenzieren und unterschiedlich analysieren. Beispiel Nehmen wir die These: „Der Glaube kommt aus der Predigt.“28 Man kann diese These mit dem theoretischen Grund begründen: „Glaube ist ein kommunikatives Vollzugsgeschehen und damit davon abhängig, dass der Mensch angesprochen wird.“ Ein praktischer Grund könnte sein, dass sonst die Teilnahme an Gottesdiensten entbehrlich wäre, wenn die These nicht korrekt wäre. Der praktische Grund zielt auf das menschliche Verhalten: Er will verständlich machen, warum Christen Gottesdienste mitfeiern, oder er will sie dazu motivieren oder unter Druck setzen, es zu tun. Die These wird dabei in ihrer praktischen Dimension gelesen. – Der theoretische Grund dagegen erläutert die Begriffe, indem er ihre einzelne Bedeutung beschreibt und auf ihr logisches Verhältnis zueinander hinweist. In diesem Beispiel habe ich nicht darauf geachtet, ob die Gründe wahr oder hinreichend begründet sind. Man könnte sie ebenfalls auf beiden Ebenen zurückweisen. In theoretischer Hinsicht könnte man einwenden: „Wenn Predigten allein in ihrem kommunikativen Vollzug relevant sind, ist es gleichgültig, welche Inhalte gepredigt werden, außer dass sie irgendwie Christus einbeziehen mögen. In diesem Fall verliert Christus seine klare Kontur.“ Ein praktischer Einwand ist der folgende Satz: „Konfirmanden finden am Gottesdienst vor allem die Predigt langweilig und irrelevant. Die Predigt kann also eher den Unglauben befördern.“ – Auch hier enthalte ich mich in der Frage, ob die Einwände wahr 28 „Um diesen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt“ (CA 5).

8.1  Bereiche von Gründen 

oder hinreichend begründet sind, weil es mir nur darum geht, den Unterschied der Bereiche von Gründen zu illustrieren. Beide Bereiche überschneiden sich etwa in dem folgenden Satz: „Wenn es bei der Predigt allein auf den kommunikativen Vollzug ankommt und nicht auf Gehalte, sind begeisternde Demagogen die besten Prediger. Das widerspricht aber der christlichen Ethik der Nächstenliebe.“ Hier wird in praktischer Hinsicht die These in ihrem Handlungsziel kritisiert, indem vor ihren moralisch-praktischen Folgen gewarnt wird. Zugleich wird in theoretischer Hinsicht bezweifelt, dass der kommunikative Vollzug der Predigt schon ausreicht, um ihre theologische Bedeutung für den Glauben abzuschätzen. Wie schon angedeutet, müssen praktische Gründe nicht nur ethische sein. Sie können sich auch auf funktionale Fragen der Effizienz richten, auf kulturelle Identitäten, funktionale oder ästhetische Stimmigkeit. Die Unterscheidung praktischer und theoretischer Gründe bedeutet auch nicht, dass innerhalb der Systematik die Dogmatik ausschließlich theoretische und die Ethik ausschließlich praktische Gründe behandelt. Man kann etwa in der Frage der Methodik Gründe dafür anführen, dass bestimmte dogmatische Verfahren praktisch untauglich sind, um eine These zu belegen. Und umgekehrt untersuchen ethische Analysen die Argumente eines Textes ebenso auf der (theoretischen) Sachebene wie dogmatische Analysen. Argumente und damit auch theologische Argumente können allesamt aus einem Bereich stammen und dennoch aus verschiedenen Unterbereichen gebildet werden. Eine Theorie (etwa zur Schöpfungslehre) kann naturwissenschaftliche, bibel-exegetische und dogmatische Aussagen enthalten. Ebenso kann sie durch unterschiedliche praktische Argumente gestützt werden (etwa durch Positionen zur Effektivität, Glaubwürdigkeit oder auch zur ethischen Relevanz der Theorie). Dasselbe trifft auch auf praktische Thesen und ihre theoretischen oder praktischen Begründungen zu. Bei der Verknüpfung von Thesen und Gründen aus unterschiedlichen Bereichen oder Unterbereichen schleichen sich allerdings auch leicht Fehler ein, die die Überzeugungskraft einer These schmälern oder sogar aufheben. Damit das nicht geschieht, müssen die Verknüpfungen einen Zusammenhang der verschiedenen Bereiche oder Unterbereiche nahelegen oder sogar erzwingen. Ich komme auf den Beispielsatz zurück: „Konfirmanden finden am Gottesdienst vor allem die Predigt langweilig und irrelevant. Die Predigt kann also eher den Unglauben befördern.“ Hier wird zum einen eine praktisch-theologische Beobachtung (die Langeweile der Konfirmanden während der Predigt) als

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Begründung für die Zurückweisung der dogmatischen Aussage „Der Glaube kommt aus der Predigt“ angeführt. Begründung und Zurückweisung sind allerdings nur sehr lose miteinander verknüpft. Eine festere Verknüpfung würde entstehen, wenn sozialisationstheoretische Informationen nicht nur eine zufällige Langeweile bei Konfirmanden identifizieren, sondern ihre Langeweile als eine zwingende oder zumindest naheliegende Reaktion auf die Predigt erweisen könnten. Wenn dann noch theologisch gezeigt wird, dass Langeweile und Glauben sich ausschließen, wäre die Verknüpfung noch fester gezogen. Hierzu bedarf es einer Brückentheorie, die Langeweile und Glauben auf einer gemeinsamen Ebene überhaupt vergleichbar macht.29 Solange aber auch gelangweilte Konfirmanden gläubige Christen sein können (und zwar nicht nur ausnahmsweise), besteht kein Zusammenhang zwischen These und Begründung.  ifferenzieren Sie zwischen beiden Hauptbereichen, zwischen theoretiD schen und praktischen Gründen!

Übung: Werden die Bereiche überschritten? Aus welchen Bereichen stammen die Begründungen für die Thesen? Aus welchen Bereichen stammen die Thesen? 1. „Wir [haben] in den Evangelien deutlich erkennbare Unterschiede …, die nicht durch eine systematische Harmonisierung vertuscht werden dürfen. Diese Unterschiede besagen, dass Glaubenszeugnisse sich mithilfe von Bildern und Vorstellungen ausdrücken müssen, die in der jeweiligen kulturellen Umgebung geläufig sind und verstanden werden können. In der Kulturkohärenz der Glaubensvorstellungen, wie ich dieses Phänomen nenne, offenbart sich die Freiheit, die Gott sich in der Zuwendung zu seinen Geschöpfen damals genommen hat und auch heute nimmt. Daraus folgt aber, dass viele biblische Überlieferungen und theologische Konzepte buchstäblich mit der Zeit überholt worden sind, weil Gott mit den Menschen mitgegangen ist – durch die Geschichte und die in ihr gewachsenen Erkenntnisse hindurch.“30 29 S. hierzu das Kapitel über Kategorien (Kap. 11). 30 K.-P. Jörns: Mehr Leben, bitte, 19.

8.1  Bereiche von Gründen 

2. „Eine Theologie der Religionen, die von der gemeinsamen Herkunft aller Religionen in Gott ausgeht, wird bei der Wahrnehmungstheorie ansetzen müssen, um gerecht sein zu können.“31 3. „Weil Sprache mit Kultur und Kultur mit Religion zu tun hat, muss sich glaubwürdiges Reden von Gott nicht nur auf biblisch bedeutsame Kulturen, sondern auch und gerade auf die jeweils gegenwärtige Kultur beziehen.“32 4. „Eine Kirche wird als soziologische Größe nicht umhin kommen, sich Statuten zu geben. Doch wird sie juristische Gesichtspunkte dem positiven Inhalt ihres Bekenntnisses unterzuordnen haben, ganz zu schweigen von eventuellen finanziellen Implikationen (wie der Bezahlung der Kirchensteuer). Will sie im Geist des Evangeliums leben, wird sie Bekenntnisformulierungen mit allem ihnen gegenüber erforderlichen Respekt frei handhaben und sie nur in Ausnahmefällen als Ausschlusskriterien anwenden.“33 Lösung 1. Der Text beginnt mit einer Feststellung zu Texten (Die Evangelien sind unterschiedlich) und folgert daraus zunächst eine kulturalistische Konsequenz (Glaubenszeugnisse müssen in ihren jeweiligen kulturellen Vorstellungen ausgedrückt werden) und schließlich sogar eine theologische Konsequenz (In dieser Kulturkohärenz offenbart sich Gottes Freiheit). Aus dieser theologischen Aussage wird zuletzt gefolgert, dass „viele biblische Überlieferungen und theologische Konzepte buchstäblich mit der Zeit überholt worden sind.“ Ganz offensichtlich werden hier Aussagen für verschiedene theoretische Bereiche getroffen (textlich, kulturalistisch, theologisch). Wie die Sprünge vom einen zum jeweils anderen Bereich zu rechtfertigen sind, lässt der Text allerdings aus. Er lässt also beispielsweise offen, ob die Feststellung zur Unterschiedlichkeit der Texte schließlich zu einer theologischen Folgerung führt oder ob umgekehrt die theologische Aussage als Leitthese fungiert, um die Unterschiede der Evangelien 31 K.-P. Jörns: Mehr Leben, bitte, 185. 32 K.-P. Jörns: Glaubwürdig von Gott reden, 44. 33 H.M. Barth: Konfessionslos glücklich, 178 f.

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  8  Unterscheidung von Gründen

zu erklären – oder ob letztendlich die Gründe noch ausstehen, die zwischen diesen drei Bereichen einen Zusammenhang herstellen. Schwierig einzuschätzen ist der Bereich für die letzte Konsequenz, dass einige Überlieferungen zeitlich überholt seien. Verbleibt sie als theoretische Konsequenz im selben Bereich wie die theologische These zu Gottes Freiheit, so ist sie unzureichend begründet: Denn da Gottes Freiheit ja darin bestehen soll, sich in verschiedenen Kulturen zum Ausdruck zu bringen, so drückt er sich auch in Kulturen aus, zu denen wir einen zeitlichen Abstand haben. Sie können dann nicht schon dadurch theologisch überholt sein, dass sie zeitlich überholt sind – jedenfalls nicht ohne weitere Gründe. Sie können aber für uns ihre praktische Relevanz vermissen lassen. Und damit stammt die letzte Schlussfolgerung aus einem praktischen Bereich. Eine Theorie, die drei theoretische Bereiche miteinander verklammert, dient also als Begründung für die zu erwartende oder beanspruchte Praxis, bestimmte biblische Überlieferungen im eigenen Leben auszuklammern, weil sie „überholt“ sind. 2. Die Begründung einer Wahrnehmungstheorie wird damit angegeben, gerecht zu sein. Damit wird ein praktischer Grund für eine Theorie angegeben. 3. Die Begründung („Weil…“) ist theoretischer Art; es werden Implikationen von Begriffen (Sprache, Kultur haben mit Religion zu tun; so formuliert heißt das: sie implizieren Religion) rekonstruiert. Die These selbst (Glaubwürdiges Reden von Gott muss sich auf die jeweils gegenwärtige Kultur beziehen) zielt auf eine Praxis, nämlich auf glaubwürdiges Reden von Gott. Hier dient also eine theoretische Aussage als Begründung für ein praktisches Verhalten. 4. Alle Sätze sind praktischer Art, denn sie zielen darauf, Handeln zu regulieren: Sie erwarten Statuten und juristische Regelungen, aber vor allem ein Leben nach dem „Geist des Evangeliums“. Alle drei Sätze bleiben thetisch. Dennoch lassen sich ein theoretischer und ein praktischer Grund rekonstruieren: Juristische Statuten werden damit begründet, dass die Kirche eine soziologische Größe ist – ein theoretischer Grund. Die Vorordnung der theologischen Perspektive findet ihren Grund im Willen der Kirche, in welchem Geist sie leben will – ein praktischer Grund.

8.2  Arten von Gründen 

Kirche wird zunächst aus soziologischer Sicht betrachtet. Der folgende Satz aber geht (kaum merklich) in eine theologische Perspektive über und gibt ihr der soziologischen gegenüber Priorität: Juristische Gesichtspunkte dem Inhalt unterzuordnen, bedeutet auch, die soziologische Sicht der theologischen unterzuordnen. Dabei wird anscheinend die soziologische mit der juristischen Ebene bei- oder gleichgestellt, weil zur Soziologie der Kirche ja auch (juristische) „Statuten“ gehören. Der letzte Satz der Textpassage unterstreicht die Unterordnung unter die Theologie, indem er den „Geist des Evangeliums“ zur Leitperspektive erklärt. Erst vom unterstellten Vorrang der theologischen vor der soziologischen Perspektive wird die Argumentation folgerichtig. Dabei wird unterstellt, dass der „Geist des Evangeliums“ ein Unterordnungsverhältnis überhaupt erforderlich macht – sprich: dass juristische Statuten außer in „Ausnahmefällen“ nicht zu einem Leben „im Geist des Evangeliums“ gehören. Letztendlich wird damit das Verhältnis zwischen einer Kirche, die im Geist des Evangeliums leben will, und der Kirche als soziologischer Größe (auf problematische Weise nur) als Ausnahmeverhältnis beschrieben.

8.2 Arten von Gründen Nach dem Philosophen Aristoteles lassen sich verschiedene Arten von Gründen bestimmen, also Gründe, die gemeinsame Eigenschaften haben, um jeweils eine Art zu bilden. 1. Ursachen: Ereignisse oder Sachverhalte, die zur fraglichen Tatsache führen. Dabei kann es sich um zeitliche oder um logische Voraussetzungen handeln. „Die Lampe leuchtet, weil ich den Lichtschalter gedrückt habe.“ Der Satzteil „weil ich den Lichtschalter gedrückt habe“ bezeichnet die Ursache. Erst dadurch, dass ich den Lichtschalter gedrückt habe, leuchtet die Lampe. 2. Zwecke: Ereignisse oder Sachverhalte, sie aus der fraglichen Tatsache folgen sollen. Hier steht der Grund also nicht vor der Tatsache („Die Lampe leuchtet“), sondern in gewisser Weise „hinter“ ihr: etwa zeitlich oder auch logisch. Ein Zweck bildet dann den Hintergrund für die Tatsache: „Die Lampe leuchtet, damit ich etwas sehen kann.“ Wie Sie an der Formulierung sehen können, lassen sich Zwecke oft schon an der Formulierung entdecken. Signalbegriffe

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  8  Unterscheidung von Gründen

sind „damit“ und „sonst nicht“. Allerdings sollten Sie vorsichtig sein, die Bedeutung dieser Signalwörter eindeutig zuzuordnen: Sage ich etwa: „Damit ist die Sitzung beendet“, so habe ich keinen Zweck geäußert. Ein „damit“ muss immer einen begründenden Zusammenhang herstellen. Ebenso ist es in dem Satz des Patienten bei seinem Kontrollgang zum Arzt: „Sonst geht es mir nicht gut (bis auf manche schöne Ausnahmen, die ich bereits erwähnt habe).“ Auch hier wird kein Grund geäußert. Ein „sonst nicht“ als Signalwort für einen Zweck muss einen begründenden Zusammenhang zwischen zwei Sätzen herstellen. 3. Materialer Grund: Hier wird beschrieben, woraus die fragliche Tatsache besteht. „Die Lampe leuchtet, weil sie aus einem Leuchtstoff besteht.“ 4. Formaler Grund: Er beschreibt, von welcher Art ein fraglicher Gegenstand ist oder welches Wesen er hat. „Die Lampe leuchtet, weil sie ein Leuchtkörper ist.“ Die Lampe gehört dann zur Art von Leuchtkörpern, von denen es auch noch andere gibt (Sterne, Glühwürmchen). – In manchen theologischen Konzepten passen auf Gott keine Beschreibungen nach der Art, weil Gott keiner Art angehört. (Gott gehört danach nicht zur Art der Götter.34) Dennoch kann man auch dann für Gott einen formalen Grund angeben, der nämlich sein Wesen bestimmt: „Gott ist Liebe.“35 (Aber eben: Nicht alles Liebevolle gehört zu einer angeblichen Art Gottes.) Wie die Beispiele zeigen, lassen sich auf jede These alle vier Arten von Gründen angeben. Warum die Lampe leuchtet, kann auf vierfache Art begründet werden. Das heißt jedoch nicht, dass alle Antworten gleich relevant oder gleich gut sind. Manche Gründe klingen etwas gezwungen und künstlich. So ist es zwar leicht, einen materialen Grund für den Satz „Ein Baum ist brennbar“ zu finden: „Denn er besteht aus Holz.“ Einen materialen Grund für den Satz „Gott entzündet unsere Herzen“ zu finden, klingt dagegen merkwürdig: „Denn Gott besteht aus Wärme.“ „Denn Gott besteht aus Herzlichkeit.“ „Denn Gott besteht aus Energie.“ Nicht jede Art von Gründen ist daher passend. Manchmal passt sie auch nicht zum Kontext, etwa zum Interesse, eine in Frage stehende Tatsache wirklich zu begründen. Ein Elektrotechniker, der sich fragt, warum die Lampe nicht leuchtet, wird bei der Fehlersuche mit einem formalen Grund kaum weiterkommen. 34 Z.B. I.U. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 576 f. 35 I.U. Dalferth: Existenz Gottes und christlicher Glaube, 214.

8.2  Arten von Gründen 

Bei theologischen Fragen können formale Gründe jedoch eine bedeutende Rolle spielen. Jesus Christus ist jedenfalls nicht deshalb das Licht der Welt, weil er ein Leuchtkörper wäre. Man braucht hierfür einen anderen formalen Grund. Mein Beispiel von Christus zeigt auch, dass man auch Gründe ausschließen kann, indem man seine jeweilige Art heranzieht. Wenn eine Ursache die Tatsache nicht erfüllt, sagt das zwar noch nicht, warum die Tatsache dennoch erfüllt ist; aber sie schließt zumindest bestimmte Ursachen aus und verkleinert damit den Bereich möglicher wahrer Antworten. Wir verwenden keine neue Art von Gründen, wenn wir einen Grund ausschließen, sondern negieren ihn, indem wir uns auf dieselbe Art von Gründen beziehen, zu der er gehört hätte, wenn er wahr gewesen wäre. „Die Lampe leuchtet nicht deshalb, weil sie aus Glas besteht.“ (Denn nicht alles, was aus Glas besteht, leuchtet.) Hier wird auf der Ebene materialer Gründe ein Grund ausgeschlossen. Die Herausforderung des angemessenen Begründens besteht darin, die passende Art von Gründen zu finden – also auf eine Frage, die nach einem Zweck fragt, auch mit einem Zweck zu antworten. Bei Thesen ist jedoch nicht immer offensichtlich, mit welcher Art von Gründen sie sich beantworten lassen. Nehmen wir die Beispielthese: „Der Heilige Geist geht aus dem Vater und dem Sohn aus und nicht nur aus dem Vater.“36 Diese These beschreibt zwar eine Ursache für den Heiligen Geist. Aber eine Begründung für diese These kann etwa auch ein formaler Grund sein: „Denn der Heilige Geist ist ein Geschehen zwischen Vater und Sohn.“ Hier gehört der Heilige Geist zur Art der Geschehnisse, die sich zwischen Vater und Sohn ereignen. Das ist auch dann der Fall, wenn es keine weiteren Geschehnisse zwischen Vater und Sohn gibt. Dann ist der Heilige Geist das einzige „Exemplar“ der Art der Geschehnisse zwischen Vater und Sohn. Deshalb ist es auch eine kreative Herausforderung, die richtige Art zu „finden“ oder auch zu „versuchen“. Man könnte auf die Frage nach der Herkunft des Heiligen Geistes auch einen Zweck formulieren: „um Vater und Sohn zu verbinden.“ Nicht jede Art der Begründung muss überzeugen. Dann geht es darum, diejenige Art auszuwählen, die am überzeugendsten ist. Das jedoch findet man wiederum nur heraus, wenn man für die einzelnen Begründungsarten mehrere Versuche unternommen hat: Vielleicht überzeugt nicht der formale Grund, dass der Heilige Geist göttlich ist, aber die Ursache, dass 36 „Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht.“ (Nicaeno-Konstantinopolitanum in seiner westkirchlichen Fassung).

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  8  Unterscheidung von Gründen

der Heilige Geist ewig aus Vater und Sohn ausgeht. Für den Anfänger kann es sich daher lohnen, alle Arten der Gründe für eine These auszuprobieren. Zunehmend intuitiv werden Sie aber die richtige Art des Grundes treffen, weil Sie selbst ein Beweisziel verfolgen und damit die Art von Gründen schon am Anfang Ihrer Arbeit anvisieren, auf die es Ihnen ankommt. Die vier Arten und die beiden Bereiche von Gründen bestehen unabhängig voneinander. Man kann also für eine These sowohl vier Arten von theoretischen als auch vier Arten von praktischen Gründen angeben. Zudem können für beide Bereiche dieselben Gründe angegeben werden. Das ist zwar nicht immer so, kann aber durchaus sein. Zu unterscheiden sind sie dann dennoch, obwohl sie gleich sind, nämlich aufgrund ihrer Bereiche. Die Rückfragen, die man stellen kann, sind nämlich verschieden. Nehmen wir den Halbsatz: „Ich glaube an Gott, weil…“. Folgende identische Antworten sind in beiden Bereichen möglich: Ursachen

Theoretisch

Praktisch

…ich ihn erfahren habe.

…ich ihn erfahren habe.

Zwecke

…ich so erlöst werde.

…ich so erlöst werde.

Materialer Grund

…Gott aus Herrlichkeit besteht.

…Gott aus Herrlichkeit besteht.

Formaler Grund

…Gott Liebe ist.

…Gott Liebe ist.

Zu unterscheiden sind die gleichen Antworten deshalb, weil man Unterschiedliches zurückfragen kann, je nachdem auf welchen Bereich man sich dabei bezieht. Zu theoretischen Gründen kann man einwenden, dass sie als Grund nicht ausreichen, um den Sachverhalt zu erklären. Zu praktischen Gründen wiederum kann man einwenden, dass sie das in Frage stehende Verhalten nicht erklären. Wird „Ich glaube an Gott“ theoretisch angezweifelt, so wird bezweifelt, dass Glaube ein stichhaltiges Lebenskonzept ist. Die genannten Gründe räumen diesen Zweifel dann nicht aus der Welt. Wird der Satz dagegen in praktischer Hinsicht zurückgewiesen, dann wird bezweifelt, dass die Person glaubt. Die Reaktionen könnten also die folgenden sein:

8.2  Arten von Gründen  Theoretisch …ich ihn erfahren habe.

Kann man Gott erfahren (so dass du glaubst)?

…ich so erlöst werde.

Erlöst der Glaube (so dass du glaubst)?

…Gott aus Herrlichkeit besteht.

Hat Gott nicht erschreckende Seiten, (die dich davon abhalten, an Gott zu glauben)?

…Gott Liebe ist.

Ist Gott nicht ambivalent (was dich davon abhalten dürfte, an Gott zu glauben)?

Praktisch

„Müsstest du dich dann nicht anders verhalten, nämlich nicht glauben, sondern ein guter Mensch werden?“

An diesem Beispiel kann man auch sehen, dass es bei theoretischen Gründen vom jeweiligen Grund abhängt, der konkret bezweifelt wird, um den Sachverhalt zu bezweifeln. Man zweifelt zwar in allen Fällen am Sachverhalt, aber so, dass der jeweilige Grund bezweifelt wird. Bei praktischen Gründen ist dagegen das Verhalten bezweifelbar, ohne dass die Gründe bezweifelt werden müssen. Der Zweifel kann die Gründe für wahr halten, zweifelt aber dennoch am Verhalten. Wenn Sie ein Referat vorbereiten oder eine Hausarbeit schreiben, werden Sie nicht jeden Grund analysieren müssen, sondern sich auf diejenigen Gründe beziehen, die im Mittelpunkt der Argumentation stehen oder die Sie am meisten überraschen oder irritieren. In diesem Fall macht es Sinn, diese Gründe zu paraphrasieren: Welches Argument steckt hinter der – vielleicht blumigen – Formulierung des Textes? Und welche Gründe lassen sich aus ihr herausfiltern? Am Ende des Kapitels werde ich einige Textpassagen von Theologen zitieren, die leichter zu verstehen sind, wenn Sie ihre Gehalte paraphrasieren.37 Gründe 1. begründen einen Sachverhalt, entweder indem sie seine Ursache beschreiben, 2. oder indem sie erklären, welchen Zweck der Sachverhalt hat, 3. zu welcher Art fragliche Gegenstände gehören 4. oder woraus sie bestehen.

37 Zur Methode des Paraphrasierens s. Sektion 3.4.

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  8  Unterscheidung von Gründen

8.2.1 Welche Gründe liegen vor? Übung Bestimmen Sie bitte die Art der Gründe in den folgenden Aussagen: 1. „Schüler sollten versetzt werden, weil sie nichts dafür können, dass sie so schlecht sind.“ 2. „Der Wille ist frei, weil wir uns sonst nicht ethisch verhalten könnten.“ Lösung 1. Ursache 2. Zweck

8.2.2 Vier Arten von Gründen für beide Bereiche Übung Finden Sie für den hier angefangenen Satz sowohl vier theoretische und vier praktische Gründe und beziehen Sie dabei jede Art von Gründen ein. Satz: „Jesus Christus ist für unsere Sünden gestorben, …“ Theoretisch Ursachen Zwecke Materialer Grund Formaler Grund

Lösung „Jesus Christus ist für unsere Sünden gestorben, …“

Praktisch

8.2  Arten von Gründen 

Ursachen

Theoretisch

Praktisch

…weil durch Adam die Sünde in die Welt kam.

…weil auch ich gesündigt habe.

Zwecke

…um uns zu erlösen.

…damit ich an ihn glaube .

Materialer Grund

…weil er aus lauter Güte besteht.

…weil aus ihm meine Hoffnung besteht.

Formaler Grund

…weil er der Heiland ist.

…weil er mein Trost ist.

8.2.3 Dogmatische und ethische Gründe Übung Welche Zweifel an dem folgenden Satz gehören in die Dogmatik? Satz: „Ich glaube an Gott, weil…“ Theoretisch …ich ihn erfahren habe.

Kann man Gott erfahren?

…ich so erlöst werde.

Erlöst der Glaube ?

…Gott aus Herrlichkeit besteht.

Hat Gott nicht erschreckende Seiten?

…Gott Liebe ist.

Ist Gott nicht ambivalent?

Praktisch „Dann müsstest du dich anders verhalten, nämlich nicht glauben, sondern ein guter Mensch werden.“

Lösung Dogmatische Zweifel bilden die zweite Spalte, die ethischen dagegen die dritte. Das muss aber nicht bei allen Sätzen der Fall sein. Zum einen müssen praktische Sätze nicht immer ethische sein. Auch kulturelle, ökonomische, funktionelle Zweifel sind praktisch. Zum anderen können ethische Zweifel auch theoretisch sein, etwa wenn eine Handlung mit einem theoretischen Grund begründet wird, dieser Grund aber ethisch in Frage gestellt werden kann.

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  8  Unterscheidung von Gründen

8.3 Darf man Gründe kombinieren? Die Überzeugungskraft einer Argumentation hängt davon ab, dass die Gründe sachgemäß sind. Daraus folgt beispielsweise: 1. Eine dogmatische These kann nicht überzeugend nur ethisch begründet werden (und umgekehrt). Wenn die These begründet werden soll, dass der Begriff der Sünde durch „Entfremdung“ ersetzt werden muss, so kann dafür nicht die Ursache ausreichen, dass viele Menschen den Ausdruck „Sünde“ nicht mehr verstehen. Denn wenn „Sünde“ ein sachgemäßer Begriff ist, kann er nur dann ersetzt werden, wenn es noch sachgemäßere Begriffe gibt. 2. Eine These zu einer Ursache kann nicht (nur) mit einem Zweck begründet werden. Wer etwa die These vertritt, dass Israels Erwählung durch Jesus Christus nicht zurückgenommen, sondern bestätigt worden ist, kann dafür nicht ausschließlich als Grund den Zweck anführen, dass diese Einsicht dem Frieden zwischen Juden und Christen dient. Zum einen ist die These dogmatisch, die Begründung dagegen (ethisch-)praktisch. Zum anderen aber lässt die These eher einen Grund erwarten, der etwas über den kausalen Zusammenhang der Erwählung und Jesus Christus aussagt. Dazu könnte entweder ein Grund zeigen, dass Christus die Erwählung Israels bestätigt (Ursache: „Der erwählte Christus war Jude“) oder worin die Bestätigung besteht (materialer Grund: „Die Bestätigung Israels besteht in der Treue Gottes“). Dennoch lassen sich Gründe auch kombinieren. Wird etwa ein sachgemäßer Grund angegeben, so kann er durch einen Grund aus einer anderen Art unterstützt werden. Beispiel These: „Jesus ist auferstanden.“ Gründe: 1. „Er wurde von Gott auferweckt.“ – Ursache 2. „Er wurde erweckt, um uns zu erlösen.“ – Zweck 3. „Sein Leben besteht aus der Kraft seines Heiligen Geistes.“ – materialer Grund 4. „Seine Auferstehung ist ein göttliches Wunder (= gehört zur Art der göttlichen Wunder).“ – formaler Grund

8.3  Darf man Gründe kombinieren? 

In diesem Beispiel erläutern die Sätze 1), 3) und 4) jeweils auf ihre Weise, wie Auferstehung gedacht werden kann. Sie können sich daher – je nach Diskurs – auch unterstützen. Auch wenn Auferstehung ein göttliches Wunder ist, kann man sich immer noch fragen, wie es zu diesem Wunder kommt (Ursache) oder wie man sie sich vorstellen soll (materialer Grund). Satz 2) führt dagegen in einen anderen Diskurs hinein, der die Heilsbedeutung der Auferstehung bedenkt. Man kann auch hier beides zusammen bedenken, aber beide Diskurse sind dennoch zunächst unabhängig voneinander: Auch wenn man die Heilsbedeutung der Auferstehung Jesu kennt, muss man noch nicht wissen, wie sie möglich ist. Allenfalls kann der Zweck seiner Auferstehung einen Horizont möglicher materialer Gründe abstecken, worin Jesu Auferstehung besteht. S ie dürfen verschiedene Arten und Bereiche von Gründen kombinieren, solange Sie weder den Bereich außer acht lassen, aus dem die Frage oder These stammt, noch die Art von Gründen völlig außer acht lassen, auf die sich die fragliche These bezieht.

Übung zur Kombination von Gründen Bestimmen Sie die Art der Gründe. Warum reichen die Gründe für eine sachgemäße Begründung der These dennoch nicht aus, obwohl sie kombiniert werden? These: „Man darf sich nicht selbst das Leben nehmen.“ Gründe: 1. „Das menschliche Leben ist von Gott erschaffen worden.“ 2. „Gott ist das höchste Wesen.“ Lösung These: „Man darf sich nicht selbst das Leben nehmen.“ Gründe: 1. „Das menschliche Leben ist von Gott erschaffen worden.“ – Ursache 2. „Gott ist das höchste Wesen.“ – formaler Grund

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  8  Unterscheidung von Gründen

Die Gründe reichen nicht aus, weil die These mindestens auch einen praktischen Grund erfordert, der das Verhalten rechtfertigt. Die genannten Gründe beschreiben dagegen nur theoretische Gründe.

Übungen zu Texten der Fachliteratur Übung Welche Art von Gründen wird hier jeweils herangezogen? Und in welchen Bereich gehören sie jeweils? Zur Lösung Ihrer Aufgabe kann Ihnen helfen, die Texte zu paraphrasieren.

8.3.1 Jürgen Moltmann Gott ist nicht in dem Sinne leidensfähig wie die Kreatur, die der Krankheit, dem Schmerz und dem Tod ausgesetzt ist. Aber muß Gott darum in jeder Hinsicht als leidensunfähig gedacht werden? … Wäre Gott in jeder Hinsicht und also in einem absoluten Sinne leidensunfähig, so wäre er auch liebesunfähig.38

Lösung Moltmanns Grund lässt sich so paraphrasieren: Gott ist leidensfähig, weil er liebesfähig ist. So ist die Liebesfähigkeit eine Ursache für die Leidensfähigkeit. Es handelt sich nicht etwa um einen formalen Grund. Denn das wäre er nur, wenn Leidensfähigkeit zur Art der Liebesfähigkeit gehören würde – was nicht der Fall ist. Zugleich wird hier der theoretische Bereich der Begründung betreten.

38 J. Moltmann: Der gekreuzigte Gott, 217.

8.3  Darf man Gründe kombinieren? 

8.3.2 Friedrich-Wilhelm Marquardt Die Judenmorde unseres Jahrhunderts und ihre von Theologie und Kirche zu verantwortenden Voraussetzungen und Folgen sind die Zeichen unserer Zeit, die jede Theologie in bisher unbekannter Weise radikal fraglich machen.39

Lösung Paraphrase: Theologie ist radikal fraglich geworden, weil sie für die Judenmorde Verantwortung trägt. Marquardt beschreibt die Ursachen für die radikale Fraglichkeit von Theologie, nämlich ihre Verantwortung für die Judenmorde. Sein Argument ist praktisch.

8.3.3 Wolfhart Pannenberg Die Kontrolle von Behauptungen richtet sich aber vor allem auch auf die Faktizität des behaupteten Sachverhalts. Hier verdichtet sich das Problem für die Theologie, weil Aussagen über Gott offenbar nicht an diesem ihrem Gegenstand nachprüfbar sind. … [Es] widerspräche seiner Gottheit als der alles bestimmenden Wirklichkeit, dem Menschen wie eine jederzeit reproduzierbare endliche Gegebenheit nach Belieben verfügbar zu sein.40

Lösung Pannenbergs These lautet paraphrasiert so, dass Aussagen über Gott nicht in ihrem Wahrheitswert nachprüfbar sind, weil Gott kein wissenschaftlich verfügbarer Gegenstand ist (formaler Grund). Als weitere Begründung führt er an, dass 1. Gott die „alles bestimmende Wirklichkeit“ ist und 2. dass sich sonst ein Widerspruch ergeben würde, wenn Gott zugleich ein Gegenstand innerhalb der Wirklichkeit wäre. 39 F.-W. Marquardt: Von Elend und Heimsuchung der Theologie, 74. 40 W. Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, 335.

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  8  Unterscheidung von Gründen

Hier werden zwei Arten von Gründen herangezogen: Satz 1) ist ein formaler Grund. Er beschreibt das Wesen oder die Art Gottes. Satz 2) ist ein Zweck, negativ formuliert (Es würde sich sonst ein Widerspruch ergeben – also etwas eintreten, was nicht der Fall ist). Umgekehrt formuliert müsste man ihn so umschreiben: „damit sich kein Widerspruch ergibt, wenn Gott zugleich ein Gegenstand innerhalb der Wirklichkeit wäre.“ Beide Begründungen gehören in den theoretischen Bereich, weil sie begriffliche Implikationen Gottes rekonstruieren. Übung zur Optimierung von Gründen Bewerten Sie das Argument zur These Martin Luthers, dass der menschliche Wille unfrei sei. Paraphrasieren Sie dazu das Argument. Zusatzübung: Ist das Argument überzeugend? Wie könnte eine kritische Weiterführung aussehen, um Luthers These vom unfreien Willen noch überzeugender zu machen? Gleich als redeten wir von der Nötigung mit Gewalt und nicht vielmehr von der Notwendigkeit, daß ein Ding unverrücklich geschehen muß, wie Gott wirkt. … Da wir müssen einen solchen Willen haben von Not, wie ihn Gott uns gibt und regt und bewegt.41

Lösung Luthers These, dass der menschliche Wille unfrei ist, ist zu begründen. Als Begründung führt er an:

41 M. Luther: Vom unfreien Willen, 266 (WA 18, 747).

8.3  Darf man Gründe kombinieren?  Luthers Formulierung

Paraphrasierung

Art des Grundes

„Gleich als redeten wir von der Nötigung mit Gewalt und nicht vielmehr von der Notwendigkeit, daß ein Ding unverrücklich geschehen muß,

1 Ein Ding besteht in der Notwendigkeit, die unverrücklich in dem Zusammenhang liegt, …

Materialer Grund (er sagt aus, woraus etwas besteht)42

wie Gott wirkt. …

2 …wie ein Ding von Gott gewirkt wird.

Ursache (ein Ding ist so, wie es von Gott gewirkt ist)

Da wir müssen einen solchen Willen haben von Not, wie ihn Gott uns gibt und regt und bewegt.“

3 Auch der Wille ist ein solches Ding, das von Gott gewirkt wird. Er gehört also zur Art der Dinge, die von Gott gewirkt sind.

Formaler Grund (Art oder Wesen des Willens)

Ich interpretiere in diesem Beispiel den Satz „Da wir müssen…“ als eine Begründung (im Sinne von „Denn…“) und nicht etwa als eine Konsequenz oder Schlussfolgerung. Wäre dieser Satz eine Schlussfolgerung, so würde der formale Grund entfallen. Gründe 1) und 2) sagen in ihrer Kombination (dafür, dass beide Gründe kombiniert sind, stehen in meiner Paraphrase die drei Pünktchen …), dass der unfreie Wille darin besteht, von Gott verursacht zu sein. Grund 3) drückt Dasselbe als einen formalen Grund aus, indem das Wesen oder die Art des (menschlichen) Willens sein Gewirkt-Sein durch Gott ist: Der Wille ist ein Ding, das von Gott verursacht worden ist. Kritische Weiterführung: In der vorliegenden Begründung Luthers fehlt jedoch ein Grund, warum der Wille zur Art der von Gott gewirkten Dinge gehört. Sollte man diese Begründung nachholen? Immerhin scheint Luther 42 Wer meine Paraphrasierung für zu spitzfindig hält, kann diesen Schritt überspringen und zur Ursache des Dings fortschreiten. Dieser Abschnitt aber spricht noch nicht von einer Ursache, sondern grenzt sich von einer solchen gerade ab („Gewalt“, mit der ein Ding zu etwas anderem umgelenkt wird). Die Pointe dieses Abschnitts besteht gerade darin, dass das Ding durch die Nötigung es selbst (und nicht ein anderes) ist. Diese Nötigung gehört also zum Ding dazu. Es handelt sich hierbei auch nicht um einen formalen Grund. Zwar gehört das Ding zur Art derjenigen Entitäten, die aus dieser Nötigung bestehen, aber eben nur, weil es daraus besteht. Deshalb ist der Grund material.

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  8  Unterscheidung von Gründen

so etwas im Sinn zu haben, indem er hier die Differenz anführt zwischen einem mit Gewalt genötigten Willen und einem Willen, der aufgrund seines Wesens notwendig unfrei ist. Im ersten Fall ist man gegen seinen Willen unfrei, im zweiten Fall gibt es für den Willen keine Möglichkeit, nicht zu wollen, was er will. Die „Notwendigkeit, daß ein Ding unverrücklich geschehen muß“, trifft neben allen anderen Dingen auch auf den Willen zu. Dazu muss nicht die Verursachung durch Gott vorausgesetzt werden: Der freie Wille kann nämlich nicht durch sich selbst gewirkt worden sein, weil er sonst bereits frei gewesen sein musste, um sich selbst zu einem freien Willen zu bestimmen. Somit ist der Wille durch etwas anderes bestimmt worden – und ist damit unfrei. Theologisch wird die These vom unfreien Willen erst, wenn die Ebene der Kausalität überschritten wird: Auf dieser kausalen Ebene will der Wille, was neuronale Prozesse im Gehirn verursacht haben. Hier ist es nicht plausibel, Gott zu bemühen. Um diese Ebene zu überschreiten, hilft aber Luthers Differenz und die Notwendigkeit, die er meint: Es gibt für den Willen keine Möglichkeit, nicht zu wollen, was er will. Die Notwendigkeit lautet also: Es ist notwendig, dass der Wille will, was er will. Diese Notwendigkeit liegt außerhalb der Kausalität, weil der Wille auch dann wollen muss, was er will, wenn er etwas anderes will (also durch etwas anderes verursacht worden ist). Sie bezieht sich also auf eine andere Ebene als der Kausalität, und zwar obwohl der Wille sich nicht selbst bestimmt hat, zu wollen, was er will – und damit fremdbestimmt ist. Die Notwendigkeit, die Luther meint, bezieht sich daher auf eine höhere Ebene kausalen Zwangs, nämlich die Ebene der Notwendigkeit des kausalen Zwangs jeden Dings („daß ein Ding unverrücklich geschehen muß“). Diese neue Ebene ist eine transzendente Ebene, weil sie oberhalb weltlich-kausaler Prozesse liegt. Daher folgt die theologische Bestimmung des menschlichen Willens aus dieser transzendenten Ebene.43

43 Ich nenne dieses Phänomen die Tatsächlichkeit von Tatsachen (L. Ohly: Schöpfungstheologie und Schöpfungsethik im biotechnologischen Zeitalter, 34 ff.).

8.3  Darf man Gründe kombinieren? 

9 Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen Von Studierenden der Systematischen Theologie wird nicht erwartet, dass sie ein Seminar in Logik absolviert haben. Sie werden auch ohne eine Einführung in die formale Logik erfolgreich Systematische Theologie betreiben können. Allerdings gibt es eine wichtige logische Unterscheidung, die Sie kennen sollten, nämlich die zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen. Sie sollten sie in Texten nachvollziehen, Argumente nach ihren Bedingungen überprüfen und selbst Argumente so entwickeln, dass Sie ihre verschiedenen Bedingungen richtig beschreiben. Die Unterscheidung zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen hat sich in theologischen Texten inzwischen fest etabliert. Heute finden Sie kaum einen zeitgenössischen systematisch-theologischen Text, in dem diese beiden Begriffe fehlen. Auch die Praktische Theologie und die Analyse theologiegeschichtlicher Texte verwendet inzwischen diese Unterscheidung. Da die Unterscheidung logischer Art ist, lassen sich aber auch ältere Texte besser verstehen, wenn man die Unterscheidung in der Textanalyse berücksichtigt. Dort wird zwar nicht immer „notwendig“ und „hinreichend“ benutzt; und statt „Bedingungen“ kann man – auch in neuen Texten – die Wörter „Voraussetzungen“, „Kriterien“ oder sogar den allgemeineren Ausdruck „Gründe“ finden. Dennoch können auch diese Textpassagen daraufhin überprüft werden, ob sie die Unterscheidung zwischen notwendig und hinreichend richtig vornehmen. Ältere Untersuchungen an US-amerikanischen College-Studierenden haben belegt, dass diese Unterscheidung – so wichtig sie ist – in einer Quote von bis zu 50 Prozent falsch angewendet wird.44 Diese Fehlerquote ist dann besonders hoch, wenn abstrakte Inhalte dargestellt werden. Sie sollten daher auch davon ausgehen, dass diese Fehler auch in theologischer Fachliteratur auftauchen. Die Plausibilität Ihrer systematisch-theologischen Bemühungen wird sich somit allein dadurch deutlich erhöhen, dass Sie sowohl Ihre Argumente als auch die Argumente Ihrer untersuchten Textgrundlagen auf die Richtigkeit der vorgenommenen Unterscheidung überprüfen.

44 A.J. Sanford: Cognition and Cognitive Psychology, 352.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

Bedingungen sind starke Gründe zum Beleg einer These: Denn wenn ihre Bedingungen erfüllt oder nicht erfüllt sind, hat das unmittelbare Konsequenzen für die These. Dennoch kann die Reichweite dieser Konsequenzen unterschiedlich sein. Dafür steht die Differenz von notwendigen und hinreichenden Bedingungen.

9.1 Was sind notwendige und hinreichende Bedingungen? Nehmen wir als Beispielsatz „Gott hat Himmel und Erde geschaffen.“ Dieser Satz ist nur dann wahr, wenn es Gott gibt. Die Existenz Gottes ist also eine Bedingung dafür, dass er die Welt erschaffen hat. Denn würde es Gott nicht geben, könnte er auch nicht die Welt geschaffen haben. Es handelt sich somit bei der Existenz Gottes um eine notwendige Bedingung für diesen Beispielsatz. Gott muss existieren (oder zumindest existiert haben), damit er die Welt erschaffen kann. Eine notwendige Bedingung ist aber keine hinreichende Bedingung. Wenn Gott existiert, muss er nicht auch eine Welt erschaffen. Er hätte auch etwas anderes erschaffen können oder gar nichts schaffen oder tun müssen. Deshalb begründet der Satz „Gott existiert“ noch nicht, dass und warum auch die Welt existiert. Er erfüllt nur die Voraussetzung dafür, dass Gott die Welt erschaffen kann. Wenn Gott also nicht existiert, ist unmittelbar daraufhin klar, dass er nicht die Welt geschaffen hat. Denn dann ist die notwendige Bedingung für eine Schöpfung Gottes nicht erfüllt. Damit ist umgekehrt gesagt, dass der Beispielsatz eine hinreichende Bedingung für den Satz zur Existenz Gottes ist. Beide Sätze stehen also in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis: Sobald Gott die Welt geschaffen hat, ist auch klar, dass Gott existiert. Wenn sich jemand nicht sicher ist, ob Gott existiert, aber sicher weiß, dass Gott die Welt geschaffen hat, dann ist sein Zweifel an der Existenz Gottes unbegründet. Notwendige und hinreichende Bedingungen lassen sich in Wenn-dannSätzen darstellen. In vielen theologischen Texten findet man solche Wenndann-Sätze; sie stellen damit immer ein Verhältnis zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen dar. Nicht immer aber wenn über notwendige und hinreichende Bedingungen die Rede ist, zeigt sich das in Wenn-dann-Sätzen. Der Punkt ist nur, dass Sie solche Bedingtheiten immer in solchen Sätzen paraphrasieren können. Wenn Sie also nach und nach ein geschultes Auge ausbilden,

9.1  Was sind notwendige und hinreichende Bedingungen? 

können Sie durch die Paraphrasierung45 leicht erkennen, welche Bedingung hinreichend und welche notwendig ist. Auf diese Weise können Sie leicht überprüfen, wie eine Aussage gemeint ist und ob sie überzeugt (ob also etwa eine als hinreichend behauptete Aussage wirklich hinreichend ist). Unsere beiden Sätze lassen sich dann so paraphrasieren: Beispiel Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

Wenn Gott die Welt geschaffen hat,

dann existiert Gott.

Die hinreichende Bedingung wird mit einem „wenn“ markiert, die notwendige Bedingung mit einem „dann“. Darüber hinaus gibt es Formulierungsvarianten, die ich später aufzeige.

 esten Sie, ob eine Teilbehauptung in einen „Wenn…“-Satz umformuliert T werden kann. Dann handelt es sich um eine hinreichende Bedingung. Eine notwendige Bedingung kann dagegen in einem „…dann…“-Satz dargestellt werden.

Übung: Bedingungen paraphrasieren Paraphrasieren Sie die folgenden Textpassagen in einen Wenn-dann-Satz: 1. „[Die Idee der höchsten Einheit] ist aber die notwendige Voraussetzung für unser Wissen und Wollen.“46 2. „Denn um die Welt anzuschauen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben.“47 45 Sektion 3.4. 46 F. Schleiermacher: Dialektik Bd. 1, 272. 47 F. Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 89.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

3. „Damit eine Person, die Tod und Auflösung erlitten hat, wieder leben kann, ist es nicht hinreichend, dass all die Atome des Körpers wieder genau in den relativen Positionen zusammengesetzt und dazu gebracht werden, ihre körperlichen Funktionen wieder aufzunehmen.“48 4. „Diese vier Kriterien (Wahlfähigkeit, Intentionalität, ethische Urteilsfähigkeit und Fehlbarkeit) sind zu verstehen als je für sich notwendige, erst zusammengenommen hinreichende Kriterien zur Beurteilung, ob ein Wesen als ethisches Wesen gelten werden kann.“49 Lösung 1. „[Die Idee der höchsten Einheit] ist aber die notwendige Voraussetzung für unser Wissen und Wollen.“ Wenn wir etwas wissen und wollen, dann haben wir die Idee der höchsten Einheit. 2. „Denn um die Welt anzuschauen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben.“ Der Hauptsatz benennt eine notwendige Bedingung dafür, dass der Mensch die Welt anschauen und Religion haben kann. Daher: Wenn der Mensch die Welt anschaut und Religion hat, dann hat er die Menschheit gefunden. 3. „Damit eine Person, die Tod und Auflösung erlitten hat, wieder leben kann, ist es nicht hinreichend, dass all die Atome des Körpers wieder genau in den relativen Positionen zusammengesetzt und dazu gebracht werden, ihre körperlichen Funktionen wieder aufzunehmen.“ Der Satz benennt keine hinreichende Bedingung. Er sagt also nicht aus, dass die Negation („Nicht wenn all die Atome des Körpers wieder genau in den relativen Positionen zusammengesetzt und dazu gebracht werden, ihre körperlichen Funktionen wieder aufzunehmen“) die hinreichende Bedingung für die Wiederbelebung eines Menschen ist. Auch ist der Ausdruck „nicht hinreichend“ keine Umkehrung zur notwendigen Bedingung. – In diesem Satz werden keine Bedingungen genannt, sondern nur eine Bedingung ausgeschlossen. 48 W. Hasker: Emergenter Dualismus und Auferstehung, 174. 49 W. Härle: Ethik, 94.

9.1  Was sind notwendige und hinreichende Bedingungen? 

Zusatz: Dass ein Satz keine hinreichende Bedingung ist, bedeutet nicht, dass er eine notwendige Bedingung ist. Es gibt weitere Möglichkeiten, z. B. die, dass der Satz gar keine Bedingung darstellt. 4. „Diese vier Kriterien (Wahlfähigkeit, Intentionalität, ethische Urteilsfähigkeit und Fehlbarkeit) sind zu verstehen als je für sich notwendige, erst zusammengenommen hinreichende Kriterien zur Beurteilung, ob ein Wesen als ethisches Wesen gelten werden kann.“ Für diesen Satz gibt es mehrere Fälle, die sich einschließen: a. Wenn ein Wesen ein ethisches Wesen ist, dann ist es wahlfähig. b. Wenn ein Wesen ein ethisches Wesen ist, dann ist es intentional. c. Wenn ein Wesen ein ethisches Wesen ist, dann ist es ethisch urteilsfähig. d. Wenn ein Wesen ein ethisches Wesen ist, dann ist es fehlbar. e. Und: Wenn ein Wesen wahlfähig, intentional, ethisch urteilsfähig und fehlbar ist, dann ist es ein ethisches Wesen. Zusatzbeobachtung: Man kann die Sätze a–d auch in einem Satz zusammenfassen: f. Wenn ein Wesen ein ethisches Wesen ist, dann ist es wahlfähig, intentional, ethisch urteilsfähig und fehlbar. Satz f ist die Umkehrung zu Satz e: Beide Halbsätze fungieren füreinander sowohl als notwendige und als hinreichende Bedingung. Damit definieren sie sich gegenseitig. Hier liegt also eine Definition für ein ethisches Wesen vor.50

50 Sektion 9.5.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

9.2 Was man an den Bedingungen erkennen kann und was nicht 9.2.1 Notwendige Bedingung  hne die notwendige Bedingung ist die hinreichende Bedingung nicht O erfüllt. Aber die notwendige Bedingung garantiert nicht, dass die hinreichende Bedingung erfüllt ist. Die hinreichende Bedingung kann nur gemeinsam mit der notwendigen erfüllt sein, die notwendige kann dagegen auch ohne die hinreichende bestehen. Eine notwendige Bedingung zu sein, bedeutet übrigens nicht, selbst notwendig zu sein! Notwendige Sachverhalte sind absolut notwendig. Notwendige Bedingungen sind dagegen zunächst nur relativ notwendig, nämlich für die Realisierung einer hinreichenden Bedingung. Während notwendige Sachverhalte unter allen Umständen der Fall sind, müssen notwendige Bedingungen nicht erfüllt sein. So ist es notwendig, dass ein körperlicher Gegenstand räumlich ausgedehnt ist. Es ist notwendig, dass die natürliche Zahl 3 größer als die natürliche Zahl 2 ist. Es gibt keinen Fall, in denen diese Aussagen nicht erfüllt sind. Mit solchen Notwendigkeiten hat eine notwendige Bedingung nichts zu tun. Eine notwendige Bedingung dafür, dass die Sonne scheint, ist es, dass helllichter Tag ist. Es ist aber nicht überhaupt notwendig, dass zu einem beliebigen Zeitpunkt helllichter Tag ist; es kann auch Nacht sein, und Gott hätte die Welt auch so erschaffen können, dass kein Tag hell wird. Es gibt also Situationen, in denen die notwendige Bedingung nicht der Fall ist. Wenn eine Bedingung notwendig für einen Sachverhalt ist, wissen wir also noch nicht, ob die Bedingung auch wirklich der Fall ist. Auch für Situationen, die nicht der Fall sind, gibt es daher notwendige Bedingungen. Absolut notwendige Sachverhalte sind dagegen immer erfüllt.

9.2  Was man an den Bedingungen erkennen kann und was nicht 

9.2.2 Hinreichende Bedingung  enn die hinreichende Bedingung erfüllt ist, ist auch die notwendige BeW dingung erfüllt. Aber es kann auch andere hinreichende Bedingungen geben, um die notwendige Bedingung zu erfüllen. Die hinreichende Bedingung definiert daher die notwendige Bedingung nicht. Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

Wenn Gott die Welt geschaffen hat,

dann existiert Gott.

Wenn sie erfüllt ist, ist auch die notwendige Bedingung erfüllt. Aber: Es kann auch andere hinreichende Bedingungen geben. → Sie definiert die notwendige Bedingung nicht.

Ohne sie könnte die hinreichende Bedingung nicht erfüllt sein. Aber: Sie garantiert nicht, dass die hinreichende Bedingung erfüllt ist.

Übung: Bedingung für die Existenz Gottes Entwickeln Sie eine andere hinreichende Bedingung für die Existenz Gottes.

Lösung Mögliche Lösungen: „Gott hat Jesus in die Welt gesandt.“ „Gott hat durch die Propheten zu seinem Volk gesprochen.“ „Gott hat Israel zu seinem Volk erwählt.“

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

9.3 Formulierungsvarianten von Wenn-dann-Sätzen Eine erste Variante: Wenn ein Halbsatz eine notwendige Bedingung ist, dann wird sie durch die hinreichende Bedingung zur notwendigen Bedingung gemacht.

Beispiel Der Beispielsatz „Wenn Gott Himmel und Erde geschaffen hat, existiert er“ kann so umformuliert vorliegen: „Die Schöpfung Gottes macht Gottes Existenz zur notwendigen Bedingung.“ Oder auch: „Die Schöpfung Gottes macht zur notwendigen Bedingung, dass Gott existiert.“ In Ihren Analysen müssen Sie daher darauf achten, ob ein Satz eine notwendige Bedingung macht oder ob er sie selbst ist. – Dasselbe gilt für die hinreichende Bedingung: „Die Existenz Gottes macht die Schöpfung Gottes zur hinreichenden Bedingung.“ Oder auch: „Die Existenz Gottes macht zur hinreichenden Bedingung, dass Gott die Welt erschaffen hat.“ Hinreichend sein ist also Dasselbe wie zur notwendigen Bedingung machen, ebenso wie eine notwendige Bedingung zu sein Dasselbe ist wie eine hinreichende Bedingung zu machen. Eine zweite Variante: Nur scheinbar kann die Wenn-dann-Konstruktion zwischen der notwendigen und hinreichenden Bedingung auch umgekehrt werden, so dass man meinen könnte, die notwendige Bedingung könnte auch durch einen Wenn-Nebensatz dargestellt werden. Das ist nicht ganz korrekt, sondern trifft nur auf Sätze zu, in denen entweder vor dem „wenn“ oder vor dem „dann“ noch ein „nur“ vorangestellt ist. Durch ein „nur wenn“ wird eine notwendige Bedingung eingeleitet ebenso wie durch ein „nur dann“ die hinreichende Bedingung.

9.3  Formulierungsvarianten von Wenn-dann-Sätzen 

Das „nur“ kann also auch auf die Seite der hinreichenden Bedingung rutschen. In diesem Fall wird die notwendige Bedingung wirklich mit „wenn“ eingeleitet, aber nur weil sich in der Fortsetzung des Satzes bei der hinreichenden Bedingung ein „nur dann“ findet. Die Konstruktion „Wenn-Dann“ kann also umgedreht werden durch „Wenn-Nur dann“ oder „Nur wenn-dann“. Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

Wenn

dann

nur dann

Wenn

dann

Nur wenn

Wenn Gott die Welt geschaffen hat,

dann existiert Gott.

Gott hat nur dann die Welt geschaffen,

wenn Gott existiert.

Gott hat die Welt geschaffen,

nur wenn Gott existiert.

Hier handelt es sich allein um eine Formulierungsvariante. Die Logik zwischen hinreichender und notwendiger Bedingung wird dabei nicht umgekehrt. Sie müssen bei Ihren Textanalysen genau analysieren, ob es sich um einen reinen Wenndann-Satz handelt oder ob sich vor das Wenn oder vor das Dann ein „nur“ eingeschlichen hat. Denn davon hängt ab, welcher Halbsatz welche Bedingung angibt. Wichtig ist, dass das „nur“ direkt vor dem Wenn oder vor dem Dann steht beziehungsweise sich darauf bezieht. Ansonsten ist das „nur“ kein Indikator für die beiden Bedingungen. Lesen Sie etwa einen solchen Satz: „Wenn Gott nur die Gläubigen erlöst, dann ist sein Heilswerk unvollendet“, dann ist der Vordersatz die hinreichende Bedingung für den Nachsatz, obwohl im Vordersatz ein „nur“ steht. Aber dieses „nur“ bezieht sich nicht auf das „wenn“, sondern auf „die Gläubigen“. Eine ähnliche Schwierigkeit zeigt sich, wenn das „dann“ sich nicht auf den gesamten Halbsatz bezieht, sondern als Zeitwort fungiert – synonym für „danach“ – und auf ein Ereignis verweist. Das ist etwa der Fall im folgenden Satz: „Wir hören uns zunächst die Vorlesung an. Wenn wir dann (nämlich nach der Vorlesung) nach Hause fahren, gehen wir noch zum Supermarkt.“ Der zweite Satz ist sogar eine hinreichende Bedingung, ohne dass die Formulierung für die notwendige Bedingung ein „nur wenn“ enthält: Das „dann“ beschreibt nur eine zeitliche Relation zu einem vorherigen Ereignis (die Vorlesung) und kehrt nicht beide Bedingungen um. Dann nach Hause zu fahren, ist keine notwendige Bedingung, um zum Supermarkt zu gehen. Man kann auch zum Supermarkt gelangen, wenn man vorlesungsfrei hat oder wenn man zur Vorlesung überhaupt erst fährt. Aber eine hinreichende Bedingung ist hier angegeben, was das „wenn“ signalisiert.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

Beachten Sie bitte auch, dass das „nur“ durch seine Synonyme ersetzt werden kann („lediglich“, „ausschließlich“), ohne dass sich dadurch an der Logik etwas verändert. Das gilt auch für „wenn“ und „dann“: „Wenn“ kann manchmal wegfallen, und „dann“ etwa durch „so“ ersetzt werden („Hat Gott die Welt erschaffen, so existiert Gott.“) Übung: Was ist was? Bestimmen Sie bitte in den folgenden Sätzen die notwendigen und hinreichenden Bedingungen. 1. Ist Gott für uns, kann niemand wider uns sein. (vgl. Röm.8,31) 2. Nur wenn unser jüngster Bruder mit uns ist, wollen wir hinabziehen. (1. Mose 44,26a) 3. Denn wir dürfen des Mannes Angesicht nicht sehen, wenn unser jüngster Bruder nicht mit uns ist. (1. Mose 44,26b) 4. Ist Christus nicht auferstanden, so ist unser Glaube vergeblich. (vgl. 1.Kor.15,14) 5. Ich achte mein Leben nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf vollende. (Apg. 20,24) Lösung Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

Bemerkung

Ist Gott für uns,

kann niemand wider uns sein.

Umgeschrieben: „Wenn Gott für uns ist, dann…“

wollen wir hinabziehen.

Nur wenn unser jüngster Bruder mit uns ist,

„Nur wenn“ ist das Signal für eine notwendige Bedingung.

wenn unser jüngster Bru- Denn wir dürfen des Mander nicht mit uns ist. nes Angesicht nicht sehen,

„Dann“ lässt sich in die notwendige Bedingung ergänzen.

Ist Christus nicht auferstanden,

so ist unser Glaube vergeblich.

Umgeschrieben: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann…“

wenn ich nur meinen Lauf vollende.

Ich achte mein Leben nicht der Rede wert,

Das „nur“ bezieht sich nicht auf das „wenn“. Daher bleibt das „Wenn“ Signal für die hinreichende Bedingung.

9.4  Umkehrung der Bedingungen durch Verneinung 

9.4 Umkehrung der Bedingungen durch Verneinung Man kann eine Formulierung umkehren, ohne sie in ihrer Logik anzutasten. Wenn man auf beiden Seiten die Negation einfügt, so drehen sich dabei auch die Bedingungen herum. Eine notwendige Bedingung, die negiert wird, wird dabei zur hinreichenden Bedingung, während dabei die hinreichende Bedingung negiert und dabei zur notwendigen Bedingung wird. Beispiel „Wenn Gott die Welt erschaffen hat, existiert Gott.“ Die Negation lautet: „Wenn Gott nicht existiert, hat Gott auch nicht die Welt erschaffen.“ Hinreichende Bedingung Wenn Gott die Welt erschaffen hat, Wenn Gott nicht existiert,

Notwendige Bedingung dann existiert Gott. dann hat Gott auch nicht die Welt erschaffen.

Bei solchen Umkehrungen werden auch in der Fachliteratur häufige und damit folgenschwere Fehler begangen. Deshalb sollten Sie achtsam sein, wie Sie negieren. Der häufigste Fehler besteht darin, dass man trotz der Negation die logische Umkehrung nicht vornimmt, sondern die Halbsätze in ihrer ursprünglichen Bedingungs-Reihenfolge belässt. Das klingt dann in unserem Beispiel so: „Wenn Gott nicht die Welt erschaffen hat, existiert Gott nicht.“ Das ist jedoch falsch: Gott kann dennoch existieren, sich aber etwas anderes vorgenommen haben, als eine Welt zu erschaffen. Wenn jeweils die Bedingungen negiert werden, müssen sie auch getauscht werden.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

Übung: Werden die Bedingungen richtig verwendet? Untersuchen Sie bitte die folgenden Zitate danach, ob sie die notwendige und hinreichende Bedingung richtig verwenden. Identifizieren Sie dazu die notwendige und die hinreichende Bedingung. Sie machen es sich leichter, wenn Sie dabei die Sätze nach dem Wenn-dann-Muster umformulieren. Beispiel 1

Reden-von-Gott hat nur innerhalb der Gemeinschaft derer Sinn, die personal davon überzeugt sind, diese Person, also Gott, ginge sie als Person etwas an – unbedingt. Da, wenn von Gott die Rede ist, es sich um die eine und einzig Person handelt, die allen Menschen gegenübersteht, so muß in die Rede von diesem Gott dieses Gegenüberstehen aller Menschen aller Generationen zu diesem einen Gott mit-eingehen.51

Beispiel 2

Wir vertrauen denen, die uns vertrauen … Wem nicht vertraut wird, der kann nicht vertrauen.52

Beispiel 3

Nicht weil die Glieder am Leibe [Christi, L.O.] die gleichen Intentionen haben, besteht diese Einheit [der Kirche, L.O.], sondern sie haben die gleichen Intentionen nur als Glieder am Leibe Christi, wenn sie sie überhaupt haben.53

Beispiel 4

Das Gottesverhältnis bezieht das Selbstverhältnis und das Weltverhältnis immer mit ein; es lässt sich niemals als solches isolieren. Wenn wir das doch versuchten, machten wir Gott zu einem Stück Welt; wir wären dann ein Gegenüber Gottes und von uns aus in der Lage, das Verhältnis zu Gott aufzubauen – oder auch nicht. … Wenn wir aber dieses dritte Verhältnis annehmen, dann können wir auf

51 R. Schulte: Das christliche Gottesbekenntnis. Eine andere Systematische Theologie. Band. 1: Prolegomena, 288 Herv. R.S. 52 I.U. Dalferth: Selbstlose Leidenschaften, 287. 53 D. Bonhoeffer: Sanctorum Communio, 134.

9.4  Umkehrung der Bedingungen durch Verneinung 

den Versuch verzichten, die Differenz in unserem Leben – sei es naturalistisch oder idealistisch – überhaupt einmal zu reduzieren oder aufheben zu wollen.54

Beispiel 5

Empirische Theorien … können aber nicht beanspruchen, die praktische Verbindlichkeit unserer Wahrnehmung zu normieren. Denn das hieße, das Verhältnis von theoretischer Reflexion und ethischer Verbindlichkeit auf den Kopf zu stellen: Wir achten andere Menschen …, weil wir uns ihnen gegenüber a priori verantwortlich fühlen.55

Beispiel 6

Verliert das Reden von Gott den Zusammenhang zu diesen einfachen Lebensaufgaben, zu der zeitbedingt sich wandelnden Gestalt von Kultur, ist es kein Wort des Lebens mehr. Und dann ist Gott nicht mehr als der lebendige Gott zu erkennen. Sondern dann erscheint Gott eher wie der religiös hochdekorierte Wärter eines Museums, in dem seine früheren Erscheinungen unter den Menschen ausgestellt werden. … Kein Wunder, dass sich viele Menschen für dieses Gott-Museum nicht mehr interessieren.56

Lösung Beispiel 1: Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

1) „Reden-von-Gott hat nur innerhalb der Gemeinschaft derer Sinn, …“ („nur“ steht für „nur dann“)

„…die personal davon überzeugt sind, diese Person, also Gott, ginge sie als Person etwas an – un-bedingt.“ (Paraphrasiert: „wenn sie personal…“)

2) „Wenn von Gott die Rede ist, …“

„Da … [handelt] es sich um die eine und einzig Person, die allen Menschen gegenübersteht“ (Paraphrasiert: „Dann“ statt „Da“).

54 D. Korsch: Dogmatik im Grundriß, 16 f. 55 J. Hoff/J. in der Schmitten: Kritik der „Hirntod“-Konzeption, 216. 56 K.-P. Jörns: Glaubwürdig von Gott reden, 45.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen 3) „Wenn es sich um die eine und einzig Person handelt, die allen Menschen gegenübersteht,…“ (Die Rekonstruktion dieser hinreichenden Bedingung ergibt sich aus der notwendigen Bedingung.)

„so muß in die Rede von diesem Gott dieses Gegenüberstehen aller Menschen aller Generationen zu diesem einen Gott mit-eingehen.“

Reden-von-Gott ist hinreichende Bedingung dafür, von der einzigen Person zu reden, die allen Menschen gegenübersteht. Von der einzigen Person zu reden, die allen Menschen gegenübersteht, ist wiederum hinreichende Bedingung dafür, dass dieses Gegenüberstehen aller Menschen zur Rede von diesem einen Gott mit-eingeht. Kurz: Wer also von Gott redet, redet zugleich von diesem Gegenüberstehen aller Menschen zu diesem einen Gott. Diese Paraphrase steht aber in Widerspruch zum ersten Satz der Passage: „Reden-von-Gott hat nur innerhalb der Gemeinschaft derer Sinn, die personal davon überzeugt sind, diese Person, also Gott, ginge sie als Person etwas an – un-bedingt.“ (Die versteckten Bedingungen zeigen sich, wenn man so umformuliert: „Reden-von-Gott hat nur dann Sinn, wenn es sich innerhalb der Gemeinschaft vollzieht, die personal davon überzeugt sind…“) Hier ist das Reden-von-Gott hinreichende Bedingung für eine Überzeugungsgemeinschaft. In den hinreichenden Bedingungen 2 und 3 war dagegen das Reden-von-Gott hinreichende Bedingung für das Gegenüberstehen aller Menschen zu diesem einen Gott. Dann ergibt sich nicht die Einschränkung auf eine Überzeugungsgemeinschaft. Eine wahre Folgerung ergibt sich, wenn man das „nur“ weglässt: „Redenvon-Gott hat innerhalb der Gemeinschaft derer Sinn, die personal davon überzeugt sind, diese Person, also Gott, ginge sie als Person etwas an – un-bedingt.“ (Deutlich wird das, wenn man so umformuliert: „Redenvon-Gott hat dann Sinn, wenn es sich innerhalb der Gemeinschaft vollzieht, die personal davon überzeugt sind…“) Hier ist die Überzeugungsgemeinschaft57 hinreichende Bedingung für das Reden-von-Gott.

57 Vermutlich meint übrigens Schulte die Kirche, und zwar in erster Linie die katholische Kirche. Deshalb kann er sich mit der schwächeren Lesart nicht zufrieden geben, dass die Kirche nur eine hinreichende Bedingung neben anderen möglichen hinreichenden Bedingungen, also neben anderen Kirchen oder sogar anderen Lebensformen ist.

9.4  Umkehrung der Bedingungen durch Verneinung 

Beispiel 2 Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

1) „Wir vertrauen denen,…“ (Paraphrasiert: Wenn wir vertrauen…)

„die uns vertrauen …“ (Paraphrasiert: …dann denen, die uns vertrauen.)58

2) „Wem nicht vertraut wird,…“ (Paraphrasiert: Wenn jemandem nicht vertraut wird…“

„…der kann nicht vertrauen.“ (Paraphrasiert: Dann kann er nicht vertrauen.)

Der erste Satz kann auch so umformuliert werden: „Wenn wir Menschen vertrauen, dann vertrauen sie uns.“ (Das Vertrauen, das in uns von bestimmten Menschen gesetzt wird, ist notwendige Bedingung dafür, dass wir in sie Vertrauen haben.59) Um die Nähe zum ersten Satz stärker anzuschließen, kann der zweite auch so umformuliert werden: „Wenn Menschen uns nicht vertrauen, dann können wir nicht (irgendwem, also z. B. auch ihnen) vertrauen.“ Der zweite Satz verneint beide Bedingungen; dadurch werden auch notwendige und hinreichende Umkehrung umgekehrt. Diese Umkehrung ist logisch richtig. Sie ist aber auch nur in dieser Reihenfolge richtig. Denn wenn wir den zweiten Satz positiv umkehren, lautet er so: „Wenn wir irgendwem vertrauen können, dann vertrauen uns (irgendwelche) Menschen.“ Daraus folgt aber nicht der erste Satz, dass es genau dieselben Menschen sind, die uns vertrauen, wenn wir ihnen vertrauen. Beispiel 3 Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

„…dann haben sie überhaupt gleiche Intentionen.“

„Nur wenn sie die gleichen Intentionen als Glieder am Leibe Christi haben,…“ (Das „nur“ im Satz ist ein „nur wenn“.)

Der Vordersatz lautet umformuliert: „Nicht wenn die Glieder am Leibe die gleichen Intentionen haben, besteht diese Einheit.“ Hier wird eine hinreichende Bedingung zurückgewiesen. Wie zwischen gleichen Intentionen und der Einheit der Kirche ein Zusammenhang besteht, wird also nicht 58 Das heißt nicht, dass wir nur ihnen vertrauen, aber immer auch ihnen. 59 Dalferth schreibt daher auch, dass wir „mit Vertrauen antworten“ (I.U. Dalferth: Selbstlose Leidenschaften, 287, Herv. L.O.).

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

ausgesagt. Es wird nur zurückgewiesen, dass die gleichen Intentionen der Glieder hinreichende Bedingung für die Einheit ist. Trotzdem sind die gleichen Intentionen der Glieder hinreichende Bedingung dafür, dass sie gleiche Intentionen am Leibe Christi sind. Merkwürdig an diesem Zitat ist das „sondern“. Denn die beiden Sätze haben nichts miteinander zu tun. Außerdem ist merkwürdig, dass jegliche gleiche Intentionen (z.B.: „Wir wollen heute einen Ausflug machen“) bereits gleiche Intentionen am Leibe Christi sind. Als Korrektur schlage ich daher vor, dass der Nachsatz umformuliert lautet: „Sondern sie haben die gleichen Intentionen nur dann als Glieder am Leibe Christi, wenn sie die gleichen Intentionen überhaupt haben.“ Oder noch etwas straffer umformuliert: „Sondern wenn sie die gleichen Intentionen als Glieder am Leibe Christi haben, dann haben sie die gleichen Intentionen.“ Die Zurückweisung des Vordersatzes vollendet sich also in dem Nachsatz, indem nun nicht etwa gleiche Intentionen hinreichende Bedingung für die Einheit sind, sondern notwendige. In dieser Variante werden also die gleichen Intentionen als Glieder am Leibe Christi zur hinreichenden Bedingung dafür erklärt, dass überhaupt gleiche Intentionen vorliegen. Beispiel 4 Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

1) „Das Gottesverhältnis bezieht …“

„… das Selbstverhältnis und das Weltverhältnis immer mit ein.“

2) Wenn wir das doch versuchten, [das Gottesverhältnis zu isolieren], …

„… machten wir Gott zu einem Stück Welt; wir wären dann ein Gegenüber Gottes und von uns aus in der Lage, das Verhältnis zu Gott aufzubauen – oder auch nicht.“

3) „Wenn wir aber dieses dritte Verhältnis annehmen …“

„… dann können wir auf den Versuch verzichten, die Differenz in unserem Leben – sei es naturalistisch oder idealistisch – überhaupt einmal zu reduzieren oder aufheben zu wollen.“

Damit ist das Gottesverhältnis hinreichende Bedingung für beides: für das Selbst- und Weltverhältnis: „Wenn ein Gottesverhältnis besteht, dann besteht ein Selbst- und Weltverhältnis.“

9.4  Umkehrung der Bedingungen durch Verneinung 

Umformuliert heißt das: „Wenn das Gottesverhältnis unabhängig vom Selbst- und Weltverhältnis besteht, wird es zu einem Stück Weltverhältnis.“ Der Satz zeigt gemeinsam mit den Folgesätzen („wir“ setzt ein Selbstverhältnis voraus) einen Widerspruch auf, nämlich dass das Gottesverhältnis, wenn es unabhängig sein soll, nicht unabhängig ist, weil es sofort wieder das Selbst- und das Weltverhältnis konstituiert. Allenfalls werden beide Verhältnisse mit einem scheinbar unabhängigen Gottesverhältnis missverstanden. Dieser dritte Satz wiederholt noch einmal den ersten Satz: Das Gottesverhältnis ist hinreichende Bedingung für beides: Selbst- und Weltverhältnis. Satz 3) behauptet übrigens nicht, dass man das dritte Verhältnis annehmen muss, sondern nur, dass seine Annahme notwendig zur Annahme der beiden anderen Verhältnisse führt. Daher können Naturalisten oder Idealisten nach wie vor versuchen, das Selbst als Welt oder umgekehrt die Welt als Einbildung des Selbst zu erfassen. Mit einem Gottesverhältnis allerdings führen solche Versuche nicht weiter. Diese logische Reihe ist nicht zu beanstanden. Man kann zwar die Setzung des Gottesverhältnisses bezweifeln, die sich nicht logisch ergibt.60 Dadurch bleibt auch offen, warum überhaupt ein Gottesverhältnis unterstellt werden sollte. Wenn es sich nicht aus der logischen Reihe ergibt, so wird es einfach gesetzt und nur seine notwendigen Bedingungen erhoben. Das Gottesverhältnis selbst hat also nichts Zwingendes. Das ändert aber nichts daran, dass die logische Reihe in sich schlüssig ist. Beispiel 5 Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

1) „Wenn empirische Theorien beanspruchen, die praktische Verbindlichkeit unserer Wahrnehmung zu normieren …“

„…dann wird das Verhältnis von theoretischer Reflexion und ethischer Verbindlichkeit auf den Kopf gestellt.“

2) „Wenn wir andere Menschen achten, …“

„…dann fühlen wir uns ihnen gegenüber a priori verantwortlich.“

Satz 1) („Empirische Theorien …“) ist die Schlussfolgerung für das folgende Argument, das umformuliert so klingt: „Wenn empirische Theorien 60 So auch D. Korsch: Dogmatik im Grundriß, 16.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

die praktische Verbindlichkeit unserer Wahrnehmung normieren können, achten wir andere Menschen nicht, weil wir uns ihnen gegenüber a priori verantwortlich fühlen.“ Daran schließt sich die Umkehrung in Satz 2) an: Achtung impliziert apriorische Verantwortung. Der Wenn-dann-Satz wird somit richtig umgekehrt: Wenn das Verhältnis zwischen theoretischer Reflexion und ethischer Verbindlichkeit nicht auf den Kopf gestellt wird, normieren nicht empirische Theorien die praktische Verbindlichkeit. Mit dieser Umkehrung von notwendiger und hinreichender Bedingung qua Negation auf beiden Seiten ergibt sich, dass nicht empirische, sondern apriorische Verhältnisse die ethische Verbindlichkeit setzen. Beispiel 6 Hinreichende Bedingung

Notwendige Bedingung

„Verliert das Reden von Gott den Zusammenhang zu diesen einfachen Lebensaufgaben, zu der zeitbedingt sich wandelnden Gestalt von Kultur,…“

„…ist es kein Wort des Lebens mehr. Und dann ist Gott nicht mehr als der lebendige Gott zu erkennen. Sondern dann erscheint Gott eher wie der religiös hochdekorierte Wärter eines Museums, in dem seine früheren Erscheinungen unter den Menschen ausgestellt werden.“

Das Gott-Museum fungiert als notwendige Bedingung für den Verlust an relevanter Lebensdeutung gegenwärtigen Redens von Gott. Unklar ist, welche logische Funktion der Satz „Kein Wunder, dass sich viele Menschen für dieses Gott-Museum nicht mehr interessieren“ übernehmen soll. Will er behaupten, dass die hinreichende oder die notwendige Bedingung erfüllt ist? Wenn nun die notwendige Bedingung erfüllt ist, so folgt noch nicht, dass auch die hinreichende Bedingung erfüllt ist. Wenn sich also viele Menschen nicht mehr für das „Gott-Museum“ interessieren, so könnte das viele Gründe haben und durch verschiedene hinreichende Bedingungen erfüllt sein. Der Text würde dagegen fälschlicherweise suggerieren, dass mit dem Erfülltsein der notwendigen Bedingung auch die angegebene hinreichende Bedingung erfüllt ist. Es wird dann also behauptet, dass das Desinteresse am „Gott-Museum“ die mangelnde Lebensrelevanz gegenwärtiger Rede von Gott beweist. Das ist aber ein logischer Fehler.

9.5  Vorsicht mit Definitionen! 

Deshalb kann der Satz „Kein Wunder…“, wenn er überhaupt eine argumentative Funktion haben soll, nur die hinreichende Bedingung darstellen, und zwar nicht für das Gott-Museum, sondern für seine hinreichende Bedingung, den Verlust der Lebensrelevanz der Rede von Gott. Dann müsste man die logische Beziehung so paraphrasieren: „Wenn es kein Wunder ist, dass sich viele Menschen für dieses Gott-Museum nicht mehr interessieren, verliert das Reden von Gott den Zusammenhang zu den einfachen Lebensaufgaben.“ Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Jörns das meinen könnte, denn er hält es ja für nachvollziehbar, dass man sich nicht für das Gott-Museum interessiert. Das wäre aber nicht selbstverständlich, wenn die Lebensrelevanz der Rede von Gott gegeben wäre. Dann würden sich nämlich notwendige und hinreichende Bedingung qua Negation umkehren: „Wenn das Reden von Gott den Zusammenhang zu den einfachen Lebensaufgaben nicht verliert, ist es ein Wunder, dass sich viele Menschen für dieses Gott-Museum nicht mehr interessieren.“ Im besten Fall steckt in der Aussage also nur die Behauptung eines Bedingungsverhältnisses. Im schlechteren Fall dagegen wird ein Argument vorgetragen, das notwendige und hinreichende Bedingung verwechselt.

9.5 Vorsicht mit Definitionen! In vielen Seminaren möchten Studierende Begriffe definieren, um über sie eindeutig reden zu können. Meistens ist das gar nicht nötig, weil es schon reichen kann, Bedingungen für die Bedeutung von Begriffen anzugeben oder die bloße Verwendungsweise eines Begriffes zu beschreiben. Zudem sind sich viele Studierende nicht bewusst, welche logische Struktur Definitionen haben.  ine Definition liegt genau dann vor, wenn die notwendige Bedingung für E einen Satz zugleich seine hinreichende Bedingung ist. Logisch besteht dann zwischen beiden Bedingungen eine sogenannte Äquivalenz: Wenn a, dann b. Und umgekehrt: Wenn b, dann a. Sprachlich entdecken Sie Definitionen dadurch, dass die Wenn-dann-Kon­ struktion in beide Richtungen geht: „dann und nur dann“. Das erste „dann“ leitet die notwendige Bedingung ein, das „nur dann“ die hinreichende. Statt

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

„dann und nur dann“ kann man auch „genau dann“ sagen. Auch dieser sprachliche Ausdruck drückt eine Äquivalenz aus und damit eine Definition. Wenn Sie solche Ausdrücke in Texten finden oder selbst benutzen, handelt es sich also bei ihnen nicht um emphatische Ausdrücke, um etwas begeistert zu betonen. Vielmehr wird die präzise logische Struktur einer Definition angegeben. Sie sollten selbst vorsichtig sein, Definitionen anzugeben, und sie nur dann verwenden, wenn Sie sie wirklich für ein Argument brauchen und sich sicher sind, dass die Bedingungen beide Funktionen erfüllen. Ebenfalls kann es das Ziel einer ganzen Hausarbeit sein, Verhältnisse zwischen Sachverhalten so zu bestimmen, dass am Ende eine Definition herauskommt. Definitionen zu formulieren, kann also sehr aufwändig sein und sollte daher mit größter Sorgfalt vorgenommen werden. Wenn Sie sie nicht benötigen, führen Sie einfach Begriffe ein, indem Sie sie kurz erläutern oder erklären. Äquivalenzen kommen auch in einer wichtigen Formulierungsvariante vor. Erst das geübte Auge sieht in diesen Fällen, dass hier eine Definition vorliegt. Anstatt dass zwei Sätze füreinander als notwendige und hinreichende Bedingung formuliert sind, kann nämlich die hinreichende Bedingung in der Position der hinreichenden Bedingung bleiben, aber verneint werden – genauso wie die notwendige Bedingung. Statt „Wenn a, dann b. Und wenn b, dann a“ kann auch formuliert werden: „Wenn a, dann b. Und wenn nicht a, dann nicht b.“61 Beispiel Zur Veranschaulichung führe ich einen nicht-theologischen Satz an: (1) „Wer Bürgerrechte hat, darf an öffentlichen Wahlen teilnehmen.“ In demokratischen Staaten können diese Bedingungen auch ausgetauscht werden: (2) „Wer an öffentlichen Wahlen teilnehmen darf, hat Bürgerrechte.“

61 Die logische Struktur bedeutet übrigens, dass zwischen „Wenn b, dann a“ und „Wenn nicht a, dann nicht b“ ebenfalls eine Äquivalenz herrscht. Beide Sätze definieren sich.

9.5  Vorsicht mit Definitionen! 

Damit sind Bürgerrechte durch die Teilnahme an öffentlichen Wahlen definiert.62 Satz (2) kann nun auch umformuliert werden, ohne dass sich an der Definition etwas ändert: (2’) „Wer nicht Bürgerrechte hat, darf nicht an öffentlichen Wahlen teilnehmen.“ Es besteht also nicht nur eine Eindeutigkeit zwischen Bürgerrechten und dem Recht zu wählen, sondern sogar eine Eindeutigkeit in zwei Richtungen, eine sog. Eineindeutigkeit. Diese Eineindeutigkeit bedeutet, dass es keine Umwege gibt, doch noch Bürgerrechte zu haben, ohne aber wählen zu dürfen. Es gibt dann nur das eine Verhältnis zwischen a und b in beide Richtungen. Und das ist Dasselbe wie zu sagen, dass die Verneinung von a auch zur Verneinung von b führt. Der Begriff der Eineindeutigkeit signalisiert eine Äquivalenz und somit eine Definition.

9.5.1 Definitionen finden Übung Welche der folgenden Sätze sind Definitionen oder lassen sich in Definitionen umformulieren? 1. „Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“63

62 Das heißt übrigens nicht, dass sich Bürgerrechte in der Erlaubnis, an öffentlichen Wahlen teilzunehmen, erschöpfen. Definitionen sind sehr enge Bestimmungen. Darüber hinaus sind aber weitergehende Konsequenzen oder Möglichkeiten verbunden, die selbst nicht definiert sein müssen. Etwa folgt aus Bürgerrechten die Aufenthaltserlaubnis im Heimatland. Die Aufenthaltserlaubnis jedoch definiert nicht das Bürgerrecht, weil auch Touristen oder Asylbewerber Aufenthaltserlaubnis haben. 63 Joh. 20,23.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

2. „Eine innere Buße ist keine, wenn sie nicht äußerlich vielfältige Marter des Fleisches schafft.“64 3. „Nimmt [den Menschen] Gott ein und besitzt ihn, so geht er wohin und wie Gott will. … Nimmt ihn der Teufel ein und besitzt ihn, so geht er wohin und wie der Teufel will.“65 4. „Wenn der Vater geoffenbart wird, [wird] zugleich der Sohn geoffenbart, der in ihm ist, und wenn der Sohn geoffenbart wird, zugleich der Vater, der in ihm ist.“66 5. „Wenn wir auch von den verschiedensten Gedanken umgetrieben werden, so werden wir deshalb doch nicht gleich vom Glauben losgerissen; und wenn uns allenthalben der Mangel an Vertrauen mit seinem Hin und Her quält, so werden wir deshalb doch nicht von seinem Abgrund verschlungen.“67 6. „Christliche Rede von Gott ist wahr, wenn das, was sie von Gott sagt, Gottes Sicht seiner selbst entspricht. Wenn sie das tut, ist sie schon jetzt wahr.“68

Lösung Sätze 1 und 4 sind eindeutige Definitionen. Setzt man in Satz 3 voraus, dass es neben Gott und Teufel keinen Dritten gibt, der den Menschen reiten kann (wie es Luther angenommen hat), ist auch dieser Satz eine Definition. Satz 4 stellt die Äquivalenz durch Umstellung der notwendigen und hinreichenden Bedingung dar, Satz 1 (und 369) durch die Negation beider Bedingungen.

64 65 66 67 68 69

M. Luthers 3. These aus den 95 Thesen. M. Luther: Vom unfreien Willen, 58 (WA 18, 635). Augustinus: De Trinitate I,9. J. Calvin: Institutio christianae religionis nach der letzten Ausgabe (1559), III,2,18. I.U. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 702. Jedenfalls dann, wenn Gott = nicht Teufel.

9.5  Vorsicht mit Definitionen! 

9.5.2 Definitionen in Äquivalenzen umformulieren Übung Formulieren Sie die Definitionen in Äquivalenzen um. 1. „Glaube ist dabei nicht eine Vorbedingung für das Heil, sondern die Weise, wie das Heil für einen Menschen wirksam wird. Insofern und deshalb ist der Glaube nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend.“70 2. „Der Leib ist so einzig der Leib dieses Hirns und keines anderen, wie das Hirn einzig das Hirn dieses Leibes und keines anderen ist.“71

Lösung 1. „Wenn Glaube, dann Heil. Und wenn Heil, dann Glaube.“ Dabei ist mitzudenken, dass das Heil „für einen Menschen wirksam wird.“ Dann lässt sich der Satz so erweitern: „Wenn Glaube, dann wird das Heil für einen Menschen wirksam. Und wenn das Heil für einen Menschen wirksam wird, dann Glaube.“ Nicht ausdrücklich gesagt, aber vermutlich mitgedacht ist, dass auch der Glaube der Glaube eines Menschen ist: Daher könnte man vermutlich auch formulieren: „Wenn ein Mensch glaubt, dann wird das Heil für ihn wirksam. Und wenn das Heil für einen Menschen wirksam wird, dann glaubt er.“ Gegen diese Definition spricht jedoch, dass für Härle der Glaube keine „Vorbedingung“ für das Heil ist. Nach der Definition ist er Bedingung für das Heil, wie umgekehrt auch das Heil Bedingung für den Glauben ist. Lösen lässt sich diese textinterne Spannung so, dass Härle „Vorbedingungen“ von „Bedingungen“ abgrenzt. Der Glaube muss nicht vorher erfüllt sein, damit Heil wirksam für einen Menschen wird. Vielmehr besteht ein gleichursprüngliches Bedingungsverhältnis zwischen Glaube und Heil. 70 W. Härle: Ethik, 155. 71 H. Jonas: Technik, Medizin und Ethik, 234.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

2. „Wenn ein Leib besteht, dann ist er der Leib genau eines Hirns. Und wenn ein Hirn besteht, dann ist es das Hirn genau eines Leibes.“ Oder auch: „Wenn ein Leib besteht, dann ist er der Leib genau eines Hirns. Und wenn ein Leib nicht besteht, dann gibt es auch kein Hirn, zu dem er gehört.“

9.6 Eine zusätzliche Schwierigkeit Für die Logik der notwendigen und hinreichenden Bedingungen ist es bedeutsam, dass ein Wenn-Dann-Satz auch gültig ist, wenn die hinreichende These falsch ist. In einem theologischen Argument wird diese logische Zusatzregel vermutlich nur selten eine Rolle spielen, aber sie sollte im Zweifel auch beachtet werden. Ein Wenn-dann-Satz ist nur dann falsch, wenn die hinreichende Bedingung erfüllt wird, die notwendige Bedingung aber nicht umgesetzt ist. Es ist also falsch, Folgendes zu behaupten: „Wenn Christus die Sünde der Welt auf sich genommen hat, dann haben wir keine Sünde. Nun hat Christus die Sünde der Welt auf sich genommen. Aber wir haben immer noch Sünde.“ Ein solches falsches Argument ist der Form nach das einzige, wie ein Wenn-dann-Satz falsch sein kann. Dagegen eben bleibt ein Wenn-dann-Satz wahr, wenn die hinreichende Bedingung gar nicht erst erfüllt ist, die er annimmt. „Wenn wir keine Sünder sind, hat uns Christus nicht mit Gott versöhnt.“ Nun sind wir zwar Sünder, und damit ist die hinreichende Bedingung des Satzes falsch. Aber die Konsequenz aus dem falschen Vordersatz wird dennoch richtig gezogen. Das heißt aber nicht, dass die Konsequenz nun wahr ist. Es heißt nur, dass sie richtig gezogen worden ist, dass also das Verhältnis zwischen der hinreichenden und notwendigen Bedingung richtig dargestellt ist. Inhaltlich und somit auch theologisch lästig daran ist es allerdings, dass jegliche absurde Konsequenz in einem richtigen Verhältnis zu einem falschen Vordersatz steht: „Wenn wir keine Sünder sind, hat uns Christus trotzdem mit Gott versöhnt.“ Oder: „Wenn wir keine Sünder sind, dann gibt es kleine grüne Männchen.“ Oder: „Wenn wir keine Sünder sind, dann werden wir morgen Dinosaurier.“ Der Logiker sagt dazu: „Aus einer Falschheit folgt alles.“ Das darf man aber eben nicht so missverstehen, dass dann jegliche absurde Konsequenz nun der Fall ist, weil der Vordersatz falsch ist. Es heißt eben nur, dass aus einer

9.6  Eine zusätzliche Schwierigkeit 

falschen hinreichenden Bedingung alle möglichen Konsequenzen gezogen werden können, ohne dass das irgendwelche faktischen Auswirkungen hat, um daran die Wahrheit der Konsequenz zu ermessen. Tatsächlich argumentieren Theologen oft auch absichtlich mit hypothetischen Gegenszenarien, ja man kann sagen, dass jegliches erfundene Beispiel zur Illustration eines Arguments eine Wenn-dann-Konstruktion ist: „Wenn wir Zeugen eines Unfalls mit Verletzten werden, dann ist der nächstliegende Grund dafür, warum wir helfen, die Tatsache, dass die Verletzten Hilfe brauchen, und nicht der Gedanke, dass es moralisch richtig oder geboten ist, ihnen Hilfe zu leisten.“72 Man kann dann dieses Argument nicht damit zurückweisen, dass der Vordersatz (die hinreichende Bedingung) falsch ist und wir ja in Wirklichkeit gar nicht Zeugen eines Unfalls sind. Allerdings kann man solchen hypothetischen Argumenten auch nicht zu viel abgewinnen, weil nämlich aus einem falschen Vordersatz alles zu Recht folgt, ohne dass man daraus folgern könnte, dass der Nachsatz (die notwendige Bedingung) auch falsch oder vielleicht doch wahr ist. Am obigen Beispiel könnte man also logisch den folgenden Satz ebenso korrekt folgern: „Nun sind wir aber keine Zeugen eines Unfalls geworden. Also helfen wir allein aus dem Grund, dass wir es für geboten halten zu helfen.“ Das ist natürlich eine absurde Konsequenz, weil wir ja gar nicht zu helfen haben, wenn wir gar nicht Zeugen eines Unfalls sind. Die Konsequenz ist dennoch richtig gezogen worden. Der obige Satz kann daher nicht beweisen, dass es in jedem Fall deshalb wahr ist zu helfen, weil Menschen Hilfe benötigen. Denn in dem Fall, dass wir gar nicht Zeugen eines Unfalls sind, könnte es auch wahr sein, dass sich die Richtigkeit zu helfen an Geboten auszeichnet und nicht an konkreten Situationen. Hypothetische Gegenszenarien zu entwerfen hat daher oft eine geringere Reichweite, als man meint. Sie haben eine höhere Überzeugungskraft, wenn man beim Fall bleibt oder wenn man den Fall über eine überzeugende Regel verallgemeinern kann.  s kann sein, dass sowohl die hinreichende als auch die notwendige BeE dingung nicht erfüllt sind. Dadurch wird aber der Wenn-dann-Satz nicht falsch.

72 J. Fischer: Verstehen statt Begründen, 27.

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  9  Der Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen

Übung zu komplexen Verhältnissen Zum Abschluss dieses Kapitels prüfen Sie bitte am folgenden Argument die logischen Verhältnisse von menschlichem Dasein, Offenbarung und Glauben: Welche Teilaussagen sind notwendige und welche hinreichende Bedingungen für welche Teilaussagen? Wenn solche Offenbarung einen Menschen erreicht und wirksam bestimmt, dann hat sie für das Dasein dieses Menschen konstitutive Bedeutung.73 Die konstitutive Bedeutung der Offenbarung für den Glauben darf also nicht im Sinne einer hinreichenden, sondern nur im Sinne einer notwendigen Bedingung verstanden werden.74

Lösung Der erste Satz behauptet, dass Offenbarung eine hinreichende Bedingung für die Daseinskonstitution des Menschen ist. Das heißt: Es kann auch andere hinreichende Bedingungen geben, nämlich für Menschen, die keine Offenbarung erfahren haben. Nach dem zweiten Satz ist Offenbarung demgegenüber keine hinreichende Bedingung des Glaubens, sondern seine notwendige Bedingung. In der Konsequenz heißt das, dass der Glaube eine hinreichende Bedingung für das Dasein des Menschen ist, das Dasein des Menschen also eine notwendige Bedingung für den Glauben ist. Denn wenn sich Offenbarung an einem Menschen ereignet, so konstituiert sie sein Dasein, aber es muss nicht schon zum Glauben kommen. Kommt jedoch ein Mensch zum Glauben, so hat sich Offenbarung ereignet. Glaube kann sich nur bei Menschen ereignen, deren Dasein von Offenbarung konstituiert ist. Der Glaube ist also für den Menschen nicht daseinskonstitutiv, das Dasein des Menschen aber glaubenskonstitutiv.

73 W. Härle: Dogmatik, 88, Herv. W.H. 74 W. Härle: Dogmatik, 89, Herv. W.H.

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10 Von schwarzen Schimmeln und dem Bösen der Welt. Widersprüche und logische Fehler Nicht nur die eigenen Texte sollten möglichst widerspruchsfrei sein. Auch die Quellen oder die Literatur eines Themas, das Sie bearbeiten, sollten möglichst von Widersprüchen befreit werden. Das bedeutet, dass Sie also in allen Fällen, ob bei Ihren oder bei fremden Arbeiten, Texte auf Widersprüche untersuchen und, wenn Sie solche finden, durch Vorschläge ausräumen. Nicht alles, was uns nicht gefällt, ist schon ein Widerspruch. Widersprüche sind vielmehr zwei oder mehrere Aussagen, die miteinander so stark im Konflikt liegen, dass man sich entscheiden muss, welche Aussage man aufgibt, um andere zu retten. Eine Aussage kann auch einem menschlichen Verhalten widersprechen, was etwa für soziologische oder praktisch-theologische Behandlungen von Bedeutung ist, ansonsten aber weniger in der Systematischen Theologie eine Rolle spielt. In der Ethik, die das menschliche Handeln auf seine Normativität hin überprüft, können zwar solche Widersprüche Hinweise dafür sein, dass bestimmte moralische Normen nicht effektiv sind. Das spricht aber noch nicht zwingend gegen ihre normative Geltung. Um zu untersuchen, ob die Diskrepanz zwischen Aussage und Verhalten auf einer Falschheit der Norm beruht, wird sie auf widersprüchliche Aussagen zurückgeführt. So steht etwa die Norm „Raucher sollten ausschließlich in dafür vorgesehenen Plätzen rauchen, um die Gesundheit von Nichtrauchern nicht zu gefährden“ im Widerspruch zum faktischen Verhalten von Rauchern, die in Anwesenheit von Nichtrauchern rauchen. Dieser Widerspruch besteht aber zunächst nicht zwischen verschiedenen normativen Ansprüchen, sondern zwischen der Geltung einer Norm und dem faktischen Verhalten von Rauchern. Beides verträgt sich aber: Es kann sowohl wahr sein, dass Raucher in Anwesenheit von Nichtrauchern rauchen, als auch richtig sein, dass sie es nicht tun sollten. Die ethische Norm wird also in ihrer moralischen Geltung nicht schon durch faktisches Verhalten außer Kraft gesetzt. Zu einem Widerspruch käme es erst, wenn Raucher für ihr faktisches Verhalten eine andere Norm heranziehen, etwa: „Raucher dürfen in Anwesenheit von Nichtrauchern rauchen, weil sie sonst unterdrückt werden.“ Nun besteht ein Widerspruch zwischen zwei normativen Aussagen, der nur dadurch bereinigt werden kann, dass eine Norm außer Kraft oder relativiert wird, um die andere zu retten.

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  10  Von schwarzen Schimmeln und dem Bösen der Welt. Widersprüche und logische Fehler

In diesem Kapitel werden neben Widersprüchen auch andere logische Fehler vorgestellt. Nicht alle logischen Fehler sind Widersprüche, heben aber dennoch die Schlüssigkeit eines Arguments auf. Ich sagte bereits, dass Widersprüche im Konflikt mehrerer Aussagen bestehen. Zirkelschlüsse dagegen bestehen nur aus einer Aussage oder lassen sich auf eine zurückführen. Diese steht zwar nicht mit sich selbst im Konflikt, zerstört aber ihren eigenen Inhalt. Zirkelschlüsse gehen also zulasten der Positionalität. Im Gegensatz dazu werden in Widersprüchen zu viele Positionen vertreten, nämlich solche, die sich gegenseitig ausschließen. Die Verwechslung notwendiger und hinreichender Bedingungen ist ein weiterer logischer Fehler. Hier stehen zwar keine Aussagen miteinander in Konflikt: Die getroffenen Aussagen können alle wahr sein. Sie werden aber nicht dadurch bewahrheitet, dass sie durch diese Verwechslung gefolgert werden. Speziellere logische Fehler folgen in einem späteren Kapitel.75 Sie müssen nicht einen Text durchgängig auf logische Fehler überprüfen. In der Regel werden Sie intuitiv über Argumente stolpern, die Sie anregen, überraschen oder irritieren. Auch originelle und weiterführende Argumente können auf logischen Fehlern aufgebaut sein. Wenn Sie zentrale Argumente etwa für eine Hausarbeit verwenden oder paraphrasieren, macht es Sinn, sie auch zu überprüfen, damit sich Fehler nicht an Ihre Weiterarbeit vererben. Die Überprüfung logischer Fehler ist also eine vereinzelte Arbeit, ein kleiner Ausschnitt des systematisch-theologischen Denkens. Sie stehen also nicht vor dieser Aufgabe wie vor einem hohen Berg, sondern führen sie gezielt an zen­ tralen Argumenten aus.

10.1 Was sind Widersprüche? Ein Widerspruch besteht zwischen zwei oder mehreren Aussagen. Zwar kann sich auch ein Satz oder ein Ausdruck in sich widersprechen, aber nur, weil er sich dann in zwei verschiedene Aussagen zergliedern lässt. So ist es etwa mit dem Ausdruck „schwarzer Schimmel“ oder „Der Schimmel ist schwarz.“ Da ein Schimmel die Eigenschaft hat, weiß zu sein, kann er nicht schwarz sein. Somit impliziert der Ausdruck „schwarzer Schimmel“ die beiden Aussagen: „Das Pferd ist vollkommen weiß und es ist schwarz.“ Am einzelnen Ausdruck 75 Kap. 11.

10.1  Was sind Widersprüche? 

können also zwar Widersprüche auftreten, aber nur, weil er bereits in mehrere Aussagen gegliedert ist. Ein Widerspruch ist dann gegeben, wenn die besagten Aussagen nicht zugleich wahr sein können. Das trifft auf sog. „kontradiktorische“ und auf „kon­ träre Gegensätze“ zu. Das aristotelische Quadrat ist ein Schema des Philosophen Aristoteles, das solche Gegensätze katalogisiert:

subaltern

Alle S sind P.)

Affirmo (z.B. Einige S sind P.)

Nego (z.B. Kein S ist P.)

konträr

h isc or t k di k ra ont nt ra o di k kt

subkonträr

subaltern

Affirmo (z.B.

or isc h

Nego (z.B. Einige S sind nicht P.)

1. Kontradiktorische Gegensätze sind solche, deren Paare nicht beide wahr sein 1. Kontradiktorische solche, deren Zumindest Paare nicht beide sein können aber auch nicht Gegensätze beide falschsind sein können: einewahr Aussage können auch nicht beide Schweine falsch sein können: Zumindest eineUnd Aussage muss wahr sein.aber Beispiel: a) „Alle sind Fleischfresser. es gibt Schweine, diewahr keine Fleischfresser sind.“ b) „Dieses Tier ist eineUnd Maus und muss sein. Beispiel: a) „Alle Schweine sind Fleischfresser. es gibt nicht eine Maus.“ Schweine, die keine Fleischfresser sind.“ b) „Dieses Tier ist eine Maus und 2. Konträre Gegensätze sind solche, deren Paare nicht beide wahr sein können, nicht eine Maus.“ aber beide falsch sein können. Beispiel: a) „Alle Menschen sind Fleischesser. Konträre Gegensätze sind solche, derenPaare Paare sind nichtfalsch, beide wahr sein können, Und: 2. Kein Mensch ist Fleischesser.“ (Beide wenn immerhin aber beide falsch sein können. Beispiel: a) „Alle Menschen Fleischesser. etliche Menschen Fleischesser sind.) b) „Dieses Tier ist eine sind Maus und eine Ratte.“ (Beide Paare sind falsch, wenn dieses Tier eine Katze ist.) Und: Kein Mensch ist Fleischesser.“ (Beide Paare sind falsch, wenn immerhin 3. Subkonträre sind solche, Paare nicht beide sein etlicheGegensätze Menschen Fleischesser sind.)deren b) „Dieses Tier ist eine Mausfalsch und eine können aber beide wahr sein können. Beispiel: a) „Einige Menschen sind Ratte.“ (Beide Paare sind falsch, wenn dieses Tier eine Katze ist.) Fleischesser. Und: „Einige Menschen sind nicht Fleischesser.“ b) „Dieses Tier Subkonträreund Gegensätze sind solche, deren Paare nicht beide falsch sein ist ein3.Lebewesen ein Nager.“ können aber beide wahr sein können. Beispiel: „Einige Menschen sind 4. Subalterne Gegensätze sind solche, bei denen voma)ersten (im aristotelischen QuadratFleischesser. oberen) aufUnd: den„Einige zweiten (unteren) darf, Menschen sind Satz nicht geschlossen Fleischesser.“ werden b) „Dieses Tier ist ein Lebewesen und ein Nager.“ 4. Subalterne Gegensätze sind solche, bei denen vom ersten (im aristotelischen Quadrat oberen) auf den zweiten (unteren) Satz geschlossen werden darf, aber nicht umgekehrt. Beispiel: a) „Alle Schweine sind Fleischfresser. Also: Einige

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aber nicht umgekehrt. Beispiel: a) „Alle Schweine sind Fleischfresser. Also: Einige Schweine sind Fleischfresser.“ b) „Dies ist ein Tier. Also ist dies ein Lebewesen.“ Subkonträre und subalterne Aussagen sind für die Bestimmung von Widersprüchen irrelevant, da sie sich vertragen. Man muss den Gegensatz nicht auflösen, sondern kann beide Aussagen stehen lassen. Bei kontradiktorischen Widersprüchen dagegen muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Aussage zur Rettung der anderen geopfert wird. Bei konträren Widersprüchen ist das entweder auch so, oder es muss ein dritter Satz gefunden werden, der beide ursprünglichen Sätze aufhebt.  in Widerspruch besteht aus mindestens zwei Sätzen, die nicht zugleich E wahr sein können.

Übung: Welcher Widerspruch steckt hier drin? Welcher Gegensatz steckt in dem Ausdruck „schwarzer Schimmel“? Lösung Es handelt sich um einen konträren Gegensatz. Der Ausdruck kann in zwei Aussagen zergliedert werden: „Das Pferd ist vollkommen weiß. Und es ist schwarz.“ Nur eine Aussage kann wahr sein. Es können aber auch beide Aussagen falsch sein, etwa wenn das Pferd braun ist. Dass beide Aussagen falsch, aber nicht beide wahr sein können, trifft auf konträre Gegensätze zu.

10.2 Kann ein guter Gott eine böse Welt erschaffen? Widersprüche finden und korrigieren Um einen Widerspruch zu finden, muss man mindestens zwei Aussagen einander gegenüberstellen und ihre Bedingungen miteinander prüfen. Gerade bei originellen Aussagen kann es sich lohnen, sie auf ihre Widerspruchsfreiheit zu

10.2  Kann ein guter Gott eine böse Welt erschaffen? Widersprüche finden und korrigieren 

testen. Erfolg haben Sie nicht nur, wenn Sie in einem Buch, das Sie interpretieren, einen Widerspruch erkennen und nachweisen können, sondern wenn Sie auch nachweisen können, dass die kühne oder vielleicht sogar bahnbrechende Aussage eines Autors widerspruchsfrei ist. Schauen Sie also nicht nur auf die Schwächen, sondern helfen Sie auch mit, Stärken zu finden und zu fördern. Nicht immer ist ein Widerspruch so offensichtlich wie beim Ausdruck „schwarzes und vollkommen weißes Pferd“. Das könnte daran liegen, dass sich die widersprechenden Aussagen auf verschiedenen Sachebenen bewegen, die zwar zusammenhängen, aber deren Verbindung sich nur indirekt zeigt. Das ist etwa bei der folgenden Aussage der Fall: „Ich habe im Juli Geburtstag. Deshalb liebe ich den Frühling, weil er die Zeit ist, in der ich geboren worden bin.“ Beide Aussagen sprechen zwar von der Zeit des eigenen Geburtstags, aber in verschiedener Weise, nämlich einmal indem die erste den Monat nennt, die zweite die Jahreszeit. Wer zwar weiß, wann Juli ist, aber nicht weiß, was eine Jahreszeit ist, wird den Widerspruch nicht erkennen. Erst wenn die Bedingungen der genannten Jahreszeit mit den Bedingungen des Julis abgeglichen werden, fällt der Widerspruch auf. Noch schwieriger ist ein Widerspruch zu finden, wenn sich die Bedingungen der widersprüchlichen Aussagen auf einer dritten Ebene befinden, auf der erst sie sich vergleichen lassen. Beispiel Nehmen wir etwa den klassischen Widerspruch der Theodizee (also der Infragestellung der Gerechtigkeit Gottes): 1. Gott ist gut. 2. Gott ist allmächtig. 3. Es gibt Böses in der Welt. Im Allgemeinen wird behauptet, dass sich zwar jede Kombination zweier Aussagen verträgt, sie aber mit dem dann jeweils dritten Satz im Widerspruch liegt: a. Wenn Gott gut und allmächtig ist, so gibt es kein Böses in der Welt, weil Gott es verhindern oder aufheben würde (weil er gut ist) und es auch könnte (weil er allmächtig ist). b. Wenn Gott gut wäre und die Welt böse ist, so ist Gott nicht allmächtig, weil ein allmächtiger Gott das Böse verhindern oder aufheben könnte.

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c. Wenn Gott allmächtig ist und die Welt böse ist, so ist Gott nicht gut, weil ein guter Gott alles tun würde, was er kann, um das Böse der Welt zu verhindern oder aufzuheben. Sie sehen aber bereits an meinen Erläuterungen, dass sich dieser Widerspruch nicht direkt zeigt. Vielmehr entsteht er erst durch die Bedingungen, die unter dem Boden aller einzelnen drei Prämissen schlummern und die bislang noch nicht ausgedrückt sind.76 Allmacht und Güte Gottes werden an etwas Drittem gemessen, nämlich beispielsweise am Handeln Gottes. In keiner Prämisse ist aber bislang von Gottes Handeln die Rede gewesen. Also muss man das Handeln als Bedingung jeder Prämisse rekonstruieren, um die Widersprüche zu entdecken. Ebenso ergibt sich der Widerspruch erst, wenn ein allmächtiger Gott alles, was er Gutes tun will, sofort erreicht. Allmacht würde also dann nicht einfach nur heißen, mächtiger als alles andere zu sein, sondern so übermächtig zu sein, dass alle Gegenkräfte vor Gott sofort zusammenbrechen. In den Prämissen ist also der Faktor Zeit ausgeschlossen: Ein allmächtiger Gott braucht keine Zeit, um das zu realisieren, was er will. Drittens setzt der unterstellte Widerspruch voraus, dass Gott der Schöpfer der Welt ist. Hätte aber ein anderes und von Gott unabhängiges Wesen die Welt erschaffen oder wäre sie schon immer da gewesen, so wären die Eigenschaften der Welt zunächst unabhängig von Gott – auch ihre Eigenschaft, Böses zu enthalten. Man könnte noch weitere Bedingungen der drei Prämissen rekonstruieren. Das werde ich jetzt nicht weiter verfolgen. Entscheidend ist nur, dass meine hier rekonstruierten Bedingungen Handeln, Zeitlosigkeit und Schöpfung in keiner der drei Prämissen benannt worden sind. Die Widersprüche der Theodizee ergeben sich also erst durch einen Vergleich an etwas Drittem, was zunächst rekonstruiert werden muss. Das bedeutet jedoch, dass die Rekonstruktion dieser Bedingungen selbst eine riskante Interpretationsaufgabe ist, dass man also einen Text missversteht, wenn man die falschen Bedingungen rekonstruiert. Um den Widerspruch der Theodizee aufzulösen, müsste man nur eine Bedingung durch eine andere tauschen: entweder dass Allmacht und Güte Gottes sich am Sein Gottes ausweisen und nicht an seinem Handeln; oder dass man einem handelnden Gott Zeit ein76 Die versteckten Prämissen habe ich an anderer Stelle ausführlich rekonstruiert (L. Ohly: Warum Menschen von Gott reden, 115–131).

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räumt (weil ein Handeln ohne Zeit kein Handeln ist – wieder eine versteckte Bedingung des Begriffes des Handelns); oder dass man die Welt nicht als Gottes Schöpfung versteht. Manche dieser veränderten Bedingungen entsprechen sogar dem christlichen Bekenntnis. Insofern kann ein Widerspruch auch auf Missverständnissen beruhen. Sie lassen sich zumindest dadurch ausräumen, dass man die unterstellten versteckten Bedingungen zurückweist und durch andere ersetzt. Zu Ihrer Aufgabe gehört es daher, nicht nur die versteckten Bedingungen zu entdecken, also das Dritte, im Hinblick worauf manche Aussagen miteinander kollidieren. Es gehört auch zu Ihrer Aufgabe, die Stichhaltigkeit dieser Bedingungen zu überprüfen und ggf. durch andere, überzeugendere zu ersetzen. Widersprüche zu entdecken, wird darüber hinaus auch dadurch erschwert, dass sie in der Regel nicht direkt beieinander zu finden sind. Ein Buch oder ein Aufsatz kann viele Aussagen im Abstand etlicher Seiten treffen, denen man den Widerspruch allein deshalb nicht anmerkt, weil man sie nicht gleichzeitig vor Augen hat. Deshalb ist der Gebrauch eines Exzerptes77 so hilfreich. Wenn Sie einen Begriff am Exzerpt untersuchen, finden Sie leicht Aussagereihen, die in Spannung zueinander liegen und die eine Überprüfung auf Widerspruchsfreiheit ihrer selbst oder ihrer versteckten Bedingungen nahe legen. Noch einmal: Es ist nicht Ihre Aufgabe, fieberhaft einen Text nach Widersprüchen zu durchsuchen. Sondern Sie werden – insbesondere bei der Suchwortanalyse eines Exzerptes – über Aussagereihen stolpern, die Sie verblüffen, die Ihnen ein Rätsel aufgeben oder auch umgekehrt begeistern, weil sie Ungewohntes entdecken lassen. In diesen Fällen lohnt es sich, die Logik dieser Aussagen näher zu betrachten.  idersprüche sucht man nicht, sondern stolpert über sie – entweder W ­direkt im Text oder bei der Suchwortanalyse im Exzerpt.

77 Sektion 3.3.

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Übung zur Entdeckung von Widersprüchen aus der Fachliteratur a. Untersuchen Sie bitte die folgenden Textpassagen auf Widersprüche. Dabei kann Ihnen helfen, die zu prüfenden Aussagen zu paraphrasieren. Rekonstruieren Sie dabei ggf. die versteckten Bedingungen. b. Falls Sie Widersprüche finden, versuchen Sie bitte, die Bedingungen so plausibel abzuändern, dass sich die Widersprüche auflösen. c. Alle diese Textpassagen liegen nicht direkt beieinander. Über welches Suchwort im Exzerpt hätten Sie diese Textpassagen finden und zusammenstellen können? Dogmatische Textpassagen 1. (Dieser Text aus dem 5. Jahrhundert kritisiert die Vorstellung, dass Christus keine göttliche Natur gehabt habe, sondern nur von Gott als sein Sohn per Akklamation anerkannt worden sein soll) „Denn wenngleich der Emmanuel als Mensch erst später geboren wurde, so war er doch als Gott schon vor aller Ewigkeit. Das eine wie das andere, die Neuheit der Menschheit und die Ewigkeit der Gottheit, hat deshalb auch der treffliche Petrus, der das Wort nicht in seinem nackten und fleischlosen Zustande, sondern mit Fleisch und Blut umkleidet vor sich sah, klar und unzweideutig in sein Glaubensbekenntnis zusammengefaßt, da er sagte: ‚Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.‘ Und daraufhin hörte er: ‚Selig bist du, Simon, Bar Iona, denn nicht Fleisch und Blut hat es dir geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.‘ Wäre es nicht ein tiefes Geheimnis und wäre er nicht Gott im Fleische gewesen, sondern, wie sie behaupten, ein Mensch, der aus Gnade als Sohn angenommen worden, so würde es eines solchen Lehrmeisters nicht bedurft haben, daß der Jünger nicht von einem Erdenbewohner die Offenbarung erhielt, sondern vom Vater selbst eingeweiht wurde.“78 2. „Das ist der Gehorsam Christi, daß er nichts Anderes, sondern mit allen Konsequenzen nur dies Eine sein wollte und war: Gott im Fleische, göttlicher Träger der Last, die der Mensch als Sünder zu tragen hat. … Jesu Sündlosigkeit besteht offenbar gerade darin, daß er sich zu dem 78 C. v. Alexandrien: Daß Christus einer ist, 160 f.

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Sinn der Fleischwerdung bekennt, das heißt: daß er anders als Adam, als der ‚zweite Adam‘ nicht sein will wie Gott, sondern in Adams Natur sich zum Adamsein, zu der Verfassung und Situation des gefallenen Menschen vor Gott bekennt.“79 3. (Dieser Text lehnt ein materialistisches Modell ab, wonach Gott die Identität eines Menschen durch dessen Tod rettet, wenn er ihn auferweckt. Nach diesem Modell erzeugt Gott eine Kopie des Menschen.) „Wenn es Gott möglich ist, eine einzelne Kopie herzustellen, [liegt] es gleicherweise in seiner Macht …, eine Vielzahl von Kopien zu erstellen. Ganz klar könnten nicht mehrere unterschiedliche Kopien mit John Smith identisch sein – und da keine einen höheren Anspruch auf diesen Status hat als die anderen, ist der einzige Schluss, den man daraus ziehen kann, dass keine der Kopien mit John identisch ist.“80 Ethische Textpassagen 1. (Der folgende Text ist ein ethisches Plädoyer, die reformatorische Unterscheidung zwischen einer religiösen und einer politischen Argumentation in Geltung zu bringen. Dabei ergreift er Partei für partikulare Lösungen einer Verantwortungsethik) „Diese partikularen Lösungen sind nicht nur einem kurzatmigen Pragmatismus geschuldet, sondern selbst Teil einer ethischen Reflexion, die mit der Gegenläufigkeit und der Inkommensurabilität verschiedener Interessen und Prinzipien rechnet. … Aber es muss auch bedacht werden, dass einzelne Schicksale nicht ohne Weiteres zu einem allgemeinen Prinzip des Handelns gemacht werden können.“81 2. (Diese Passage bestimmt den Status tiefgefrorener, sog. „kryokonservierter“ Embryonen, um zu untersuchen, ob sie für Forschungszwecke vernichtet werden dürfen. Dabei wird die These vertreten, dass ein kryokonservierter Embryo in keiner menschlichen Gemeinschaft lebt oder von ihr umgeben ist.) „Weil sich das Fehlen der sozialen Umwelt nicht mit der Strenge nachweisen lässt, mit der ein die Autopoiesis hindernder biologischer Defekt bestimmt werden kann, weil das Konstatieren dieser Beziehungslosigkeit vielmehr notwendigerweise 79 K. Barth: KD I/2, 171, 172; Herv. K.B. 80 W. Hasker: Emergenter Dualismus und Auferstehung, 172. 81 R. Anselm: Ethik ohne Grenzen? 167.

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auf kulturellen Festlegungen beruhen muss, ist diese Bestimmung mit äußerster Sorgfalt vorzunehmen. … Wo also weder die biologische als notwendige noch (im eben beschriebenen Sinne) die soziale Umwelt als hinreichende Bedingung eines autopoietischen leiblichen Entwicklungsprozesses vorhanden sind, wo dieser selbst zudem noch nicht in der Lage ist, zum Objekt einer Selbstachtungsverletzung zu werden, da ist dieses menschliche Leben de facto an sein Ende gekommen, da ist es legitimerweise als tot zu charakterisieren.“82 Lösung Dogmatische Textpassagen 1. a) A) Petrus hat im Menschsein Christi die Gottheit gesehen. B) Nicht das Menschsein Christi („Fleisch und Blut“) hat Petrus die Gottheit Christi offenbart, sondern der Vater in den Himmeln. C) Wäre „nicht Gott im Fleische“ Christi gewesen, so hätte nicht der Vater in den Himmeln die Gottheit dem Petrus offenbaren müssen. Vielmehr hätte Petrus nur die Menschheit (das Fleisch) Christi ansehen müssen, um die Gottheit zu sehen. D) Gott ist im Fleische Christi gewesen.83 – Aussage C enthält meine Rekonstruktion einer Bedingung dieser Aussage (die kursiv gedruckte Passage). Dadurch wird allerdings die Aussage unplausibel: Denn wenn Petrus nicht am Fleisch Christi die Gottheit erkennen kann, sondern eine besondere Offenbarung durch den Vater braucht, dann besteht hier ein Unentschieden zur Vorstellung, das Menschsein Christi könne aus Gnade als Gottheit angenommen worden sein. Denn hier hätte Petrus erst recht nicht am Fleisch die Gottheit Christi erkennen können, weil Gott ja nicht im Fleisch gewesen wäre.84 82 P. Dabrock/L. Klinnert: Verbrauchende Embryonenforschung, 199, 200. 83 Kursive Schreibweise signalisiert meine Rekonstruktion versteckter Implikationen des Textes. 84 Dieses Problem entsteht übrigens daraus, dass aus einer falschen (oder irrealen) hinreichenden Bedingung alles folgt, ohne dass dadurch die Schlussfolgerung falsch wird

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Nach Aussage B braucht Petrus eine gesonderte Offenbarung durch den Vater, weil die Gottheit Christi gerade nicht durch Fleisch und Blut erkennbar ist. Nach Aussage C dagegen braucht er deshalb eine gesonderte Offenbarung, weil Gott im Fleische Christi war. Gott war also im Fleisch, aber er war (für Petrus) nicht im Fleisch erkennbar. Das widerspricht Aussage A, wonach Petrus die Gottheit im Menschsein (Fleisch) Christi gesehen hat. b) – Dieser Widerspruch soll im Text dadurch aufgelöst werden, dass Petrus erst durch die gesonderte Offenbarung des Vaters (Aussage B) die Gottheit im Menschsein (Fleisch) Christi gesehen hat. Dann ist aber das Fleisch keine hinreichende Bedingung für die Sichtbarkeit der Gottheit in Christus, sondern eine gesonderte Offenbarung. Und dann hätte der Vater auch aus Gnade einen Menschen zum Gott annehmen können, und Petrus hätte Gott dennoch im Fleisch sehen können, nämlich ebenfalls durch eine gesonderte Offenbarung des Vaters. Das widerspricht allerdings Aussage C. – Um diesen Widerspruch zu lösen, schlage ich vor, die Gottheit im Fleisch zur notwendigen Bedingung dafür zu machen, dass der Vater dem Petrus die Gottheit im Fleisch offenbaren kann. Die Offenbarung des Vaters ist dann die hinreichende Bedingung für die Gottheit im Fleisch. Warum das allerdings so sein soll, wird nicht überzeugend erklärt: Aussage C soll die Begründung dafür geben, aber da sie – gegen die Absicht – ebenso für eine Annahme des Fleisches aus Gnade spricht, erfüllt sie ihre Funktion nicht. Das vorliegende Argument ist also zwar operabel, ohne aber dadurch besonders überzeugend zu werden, weil ein überzeugender Grund fehlt, warum die Gottheit im Fleisch notwendige Bedingung für die Offenbarung des Vaters ist. c) Diese Spannung hätte sich an den Begriffen „Fleisch“ und „Mensch“ gezeigt. 2. a) A) Christus wollte Gott im Fleische sein. (Sektion 9.6). Aussage C) behindert eher die Argumentation, aber da man aus einer Falschheit alles folgern kann, kann Aussage C) aufgestellt werden, ohne den Schluss zu behindern, dass die Gottheit im Fleische Christi war.

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B) Christus wollte (anders als Adam) nicht Gott sein, sondern Mensch. – In Aussage B habe ich eine Bedingung rekonstruiert, die sich nicht ausdrücklich im Text findet (Kursivdruck), nämlich dass eine Zeitgleichheit zu Aussage A besteht. Mit dieser Rekonstruktion entsteht ein kontradiktorischer Widerspruch: Christus wollte und wollte zugleich nicht Gott sein. b) – Man könnte diesen Widerspruch dadurch aufheben, dass der Tempuswechsel im Text beachtet wird: Während Christus Gott im Fleisch sein wollte, will er inzwischen nicht (mehr) Gott sein. Das hätte eine merkwürdige Konsequenz: In diesem Fall wäre Christus Sünder gewesen, auch wenn er es jetzt nicht mehr ist: Denn die Sündlosigkeit Jesu „besteht“ gerade darin, dass er nicht wie Gott sein will. – Zwei andere Varianten zur Auflösung liegen darin, entweder zwischen Christus und Jesus zu unterscheiden (Christus wollte Gott im Fleisch sein, Jesus aber will nicht Gott sein) oder zwischen Gott-sein-Wollen und Seinwollen-wie-Gott zu differenzieren. Alle drei Lösungen sind logisch gangbar. Die erste Lösung widerspricht allerdings dem christlichen Bekenntnis, das Jesus Christus für wesensmäßig und schon immer sündlos hält. Die zweite Lösung trennt nicht nur Jesus von Christus (weil hier zwei entgegen gesetzte Willen vorliegen85), sondern auch Christus von Gott: Christus ist dann etwas Drittes zwischen Jesus und Gott. Auch diese Lösung gerät in Konflikt mit dem christlichen Bekenntnis. Die dritte Lösung scheint daher am ehesten mit dem christlichen Bekenntnis verträglich zu sein: Jesus Christus will gerade dadurch Gott sein, dass er nicht wie Gott sein will. c) Das Wortfeld „wollen“, „will“, „wollte“ macht auf diese Spannung aufmerksam.

85 Barth selbst hat diese Lösung ausgeschlossen, indem er zwar zwischen Gott und Christus zwei Willen, aber keine entgegengesetzten Willen unterstellte, da Jesu Wille „nie selbständiger menschlicher Wille“ war (KD I/2, 173).

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3. a) A) Wenn Gott Smith kopieren kann, kann er ihn auch mehrfach kopieren. B) Mehrere Kopien von Smith sind nicht mit dem einen Smith identisch. C) Wenn keine der Kopien Smiths höheren Anspruch darauf hat, mit Smith identisch zu sein, ist keine Kopie mit Smith identisch. D) Also ist prinzipiell keine Kopie, die Gott von Smith erschafft, mit Smith identisch. Mit diesem Argument soll ein Widerspruch gerade abgewehrt werden, nämlich dass Gott eine identische Kopie von Smith nach dessen Tod erschaffen könnte, aber, da mehrere Kopien nicht mit ihm identisch sind, überhaupt keine Kopien mit Smith identisch sind. Hierzu lassen sich weitere Bedingungen rekonstruieren: E) Wenn mehrere Kopien nicht miteinander identisch sind, dann ist keine mit Smith identisch. F) Mehrere Kopien sind nicht miteinander identisch, weil sie numerisch verschieden sind. Das Argument ist widerspruchsfrei. Damit ist aber nicht schon gesagt, dass es auch richtig ist.86 c) Schlüsselbegriff ist natürlich der Begriff „Kopie“ und sein Verhältnis zu mehreren „Kopien“. Dennoch wäre vermutlich die Spannung nicht erst über das Suchwort „Kopie“ aufgefallen, sondern bereits allein durch die Originalität des Arguments, das den Leser verblüfft. Allein das Verblüfftsein kann dazu anregen, das Argument zu überprüfen. Ethische Textpassagen 1. a) A) Wenn Interessen und Prinzipien inkommensurabel sind, werden Konflikte partikular gelöst und nicht anders.

86 Eine ähnliche Argumentation können Sie ausführlich in Kap. 15 überprüfen, indem Sie dort nicht nur Widersprüche überprüfen, sondern auch weitere Methoden anwenden.

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B) Einzelnes führt nicht zu einem allgemeinen Prinzip des Handelns.87 C) Partikulare Lösungen sind Einzelnes. D) Partikulare Lösungen führen zu einem allgemeinen Prinzip des Handelns. – Satz A ist ein allgemeiner Schluss, wie angesichts von inkommensurablen Interessen und Prinzipien zu verfahren ist. Um die Allgemeinheit des Schlusses hervorzuheben, habe ich in Satz A „und nicht anders“ und Satz D ergänzt. Zudem bauen die beiden Aussagen A und B auf den Gegensatz von Einzelnem und Allgemeinem. Dass Partikulares kein Allgemeines und somit Einzelnes ist (C), versteht sich dann von selbst. Unter den rekonstruierten Bedingungen entsteht dann ein kontradiktorischer Widerspruch, nämlich dass Einzelnes zu keinem allgemeinen Handlungsprinzip führt (B), aber zugleich doch dazu führt (C und D). b) Satz D ist eine Konsequenz aus Satz A. Man kann daher nicht Satz A behalten und Satz D loswerden. Will man nun die Sätze A und B beibehalten, so muss man Satz C zurückweisen: Partikulare Lösungen sind dann nichts Einzelnes, sondern ein allgemeines Ergebnis genereller Verfahren oder sogar allgemeiner Prinzipien. Soll der Widerspruch auf diese Weise aufgehoben werden, so muss zwischen Einzelnem und partikularen Lösungen unterschieden werden. Das Generelle partikularer Lösungen muss sich dann aber auch in allgemeiner Form angeben lassen. c) Am ehesten wäre man durch das Suchwort „Prinzip“ auf diesen Widerspruch verwiesen worden: Dem „Prinzip“ liegen zwei Begriffe entgegengesetzt: das Partikulare sowie das Einzelne. 2. a) A) Dass einem Embryo die soziale Umwelt fehlt, lässt sich nicht für alle Kulturen eindeutig erkennen, um seinen Tod festzustellen (also das Ende eines autopietischen leiblichen Entwicklungsprozesses).

87 Nicht weil etwas ein „Schicksal“ ist, führt es nicht zu einem allgemeinen Prinzip des Handelns, sondern weil es ein Einzelnes ist.

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B) Deshalb muss seine Todesbestimmung sehr sorgfältig vorgenommen werden, und zwar so, dass sie nur kulturrelativ Bestand hat. C) Die biologische Umwelt ist für das Leben eines Embryos notwendige Bedingung. D) Die soziale Umwelt ist für das Leben eines Embryos hinreichende Bedingung. E) Weil bei einem kryokonservierten Embryo Bedingung C und D nicht erfüllt sind, ist er tot. Dieses Argument ist widerspruchsfrei – unter den angegebenen Bedingungen und unter der Voraussetzung, dass meine rekonstruierte Bedingung richtig ist, dass ein kryokonservierter Embryo nur in einer bestimmten Kultur tot ist. In anderen Kulturen dagegen kann er durchaus noch leben. Hätte man dagegen in Satz B als versteckte Bedingung rekonstruiert, dass sich das Fehlen der sozialen Umwelt nie eindeutig bestimmen lässt (ich nenne diese Variante B’), so widersprechen Satz A und B’ dem vorletzten Satz D: Zwar ist nach D die soziale Umwelt hinreichend für das Leben des Embryos (und folglich das Fehlen der sozialen Umwelt notwendige Bedingung für seinen Tod88). Aber wenn sich das Vorliegen einer sozialen Umwelt nicht signifikant vom Nicht-Vorliegen abhebt (B’), verschleiert die in D behauptete logische Beziehung eine prinzipielle Unsicherheit. Ich diskutiere unter der nächsten Teilaufgabe diese Variante. b) – Man könnte einwenden, dass Satz A und B (B’) nur erkenntnistheoretische Bedingungen zur Todesfeststellung sind, während Satz C und D ontologische Bedingungen dafür darstellen. Für Satz D gilt jedoch, dass er, wenn er ontologisch zu verstehen ist, er zumindest auch erkenntnistheoretisch zu verstehen ist. Denn eine soziale Umwelt, die nicht weiß, dass sie soziale Umwelt ist, hat keine soziale Beziehung zum Embryo – und ist folglich keine soziale Umwelt. Das ist ein Widerspruch. Deshalb muss zum Vorliegen einer sozialen Umwelt dazu gehören, dass sie auch bewusste Beziehungen zum Embryo aufbaut und besitzt. – Um den Widerspruch aufzulösen, ist daher die kursive Variante der in Satz B rekonstruierten Bedingung einer prinzipiellen erkenntnistheoretischen Unsicherheit (B’) vorzuziehen. 88 Das ist die logische Umkehrung in der Form: Wenn a dann b. Also: Wenn nicht b, dann nicht a.

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c) Signalwörter sind in diesem Text – neben der verblüffenden Konsequenz eines relativistischen Todesbegriffs, die geradezu zu einer Prüfung einlädt – die logischen Ausdrücke „notwendig/hinreichend“.

10.3 Was sind Kurzschlüsse? Kurzschlüsse sind Schlussfolgerungen, für die einige Bedingungen fehlen. Was gefolgert wird, ist zwar kein Widerspruch und kann durchaus auch wahr sein. Die angegebenen Gründe sind aber nicht ausreichend, um die Wahrheit der Schlussfolgerung zu bestätigen. Ich werde zunächst einige allgemeine Beispiele für Kurzschlüsse geben, bevor ich einen wichtigen Spezialfall vorstelle.

10.3.1 Die Fronten zwischen Kreationismus und Neuem Atheismus. Ein prominentes Beispiel für Kurzschlüsse Kurzschlüsse lassen genug Raum für „Schlupflöcher“, nämlich für alternative Schlüsse. Sie sind also nicht stichhaltig genug. Beispiel In der Theologie trifft dies etwa auf kreationistische Argumente zu, also auf die Theorie, dass die biologische Welt intelligent eingerichtet sei und deshalb auf einen intelligenten Schöpfer zurückgehen müsse. Die Annahme, dass ein intelligenter Schöpfer die Welt erschaffen hat, muss noch nicht falsch sein. Es liegt kein logischer Widerspruch darin. Aber sie ist nicht ausreichend dadurch begründet, dass die biologische Welt funktionell aufgebaut ist oder dass man sie intelligent eingerichtet findet. Der Schluss, dass deshalb ein intelligenter Schöpfer die Welt erschaffen hat, ist also nicht zwingend, wird aber als zwingend dargestellt. Darin liegt der logische Fehler, dass die Lücken übersehen oder überspielt werden.

10.3  Was sind Kurzschlüsse? 

Eine alternative Theorie besagt, dass Intelligenz erst aus zufälligen Ereignissen und Selektionen entstanden ist. Diese alternative Theorie wird durch die pure Gegebenheit einer intelligent eingerichteten Welt nicht ausgeschlossen. Kurzschlüsse können also darin bestehen, dass fälschlicherweise angenommen wird, eine bestimmte Voraussetzung erfülle den Status einer hinreichenden Bedingung89: „Wenn die Welt intelligent eingerichtet ist, hat sie ein intelligenter Schöpfer erschaffen.“ Dass die Welt intelligent eingerichtet ist, ist zwar eine Voraussetzung des Kreationismus, aber noch keine hinreichende Bedingung für einen intelligenten Schöpfer der Welt. Ebenfalls können Kurzschlüsse dadurch auftreten, dass bestimmte Voraussetzungen fälschlicherweise als notwendige Bedingungen betrachtet werden. Jemand könnte gegen den Kreationismus einwenden, dass Gott auch eine Welt hätte erschaffen können, die nicht intelligent eingerichtet ist, sondern auf dem bloßen Spiel von Zufall und Selektion aufbaut. Doch damit unterstellt der Einwand, dass für den Kreationismus eine intelligent eingerichtete Welt eine notwendige Bedingung dafür ist, dass Gott die Welt erschaffen hat. Das ist aber nicht der Fall. Sie mag die Voraussetzung für kreationistische Argumente bilden, aber daraus folgt nicht, dass sie selbst notwendige Bedingung ist, um eine Schöpfung Gottes zu sein. Ein weiterer Kurzschluss besteht darin, die Rollen einer Erklärung zu vertauschen: Was erklärt werden soll (das sogenannte Explanandum), wird mit der Erklärung selbst verwechselt (dem Explanans). Beispiel Im kreationistischen Argument ist die intelligent eingerichtete Welt das Explanandum: Sie ist das Rätsel, das es zu lösen gilt. Der Kreationismus ist aber eine Strategie, um die Realität eines Schöpfers plausibel zu machen – also mit Hilfe der intelligent eingerichteten Welt.90 Also ist eigentlich Gott das Explanandum und die intelligent eingerichtete Welt das Explanans. So ist es kaum verwunderlich, dass sich umgekehrt der Atheismus zur Widerlegung des Kreationismus der Evolutionstheorie bedient: Denn sie zerstört das Explanans für die Existenz Gottes, nämlich die angebliche intelligente Welt. 89 Kap. 9. 90 I. Brigandt: Kreationismus und Intelligent Design, 350.

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Denn für die Evolutionstheorie ist die Welt nicht intelligent aufgebaut. Es mögen zwar intelligente Wesen in der Welt existieren, aber dazu muss die Welt noch nicht intelligent aufgebaut sein. Intelligente Wesen können sich auch dem Zufall und der Selektion verdanken. Das überzeugt aber deshalb den Kreationismus nicht, weil er das Explanans als Explanandum einsetzt und umgekehrt. Genauer: Die evolutionstheoretische Kritik am Kreationismus setzt bekanntlich dort an, die Welt als das Resultat blinder Prozesse zu verstehen, um damit den Kreationismus zu widerlegen.91 Der Atheismus folgert daraus, dass Gott nicht existiert. Das ist aber ebenfalls ein Kurzschluss, weil zwar dann Gott als höhere Intelligenz nicht für die Welterklärung notwendig ist und also als Explanans für die Weltentstehung unnötig ist. Dennoch kann Gott existieren und Schöpfer der Welt sein. Die Verwechslung von Explanans und Explanandum erzeugt daher Kurzschlüsse auf beiden Seiten: Zum einen könnte Gott auch der Schöpfer der Welt sein, wenn sie nicht intelligent eingerichtet ist. Zum anderen werden die Erklärungsrichtungen in der kreationistischen Strategie verwirrt: Ist die Welt das Explanandum, so gibt es zu Gott prinzipiell Erklärungsalternativen, und das Kriterium der besten Erklärung bemisst sich dann an der Welt. Die Erklärung muss der Welt genügen und nicht Gott. Daher muss prinzipiell die „Gotthypothese“ auch durch eine andere Erklärung ersetzt werden können, die sich als die bessere erweist. – Wenn dagegen Gott das Explanandum ist, kann er nicht ersetzt werden, ohne ihn als das Thema zu verfehlen. Als Explanans können wiederum mehrere mögliche Ansätze hilfreich sein, und der Vorschlag, die Welt als intelligent eingerichtet zu verstehen, könnte sich sogar als hinderlich für Gott als Explanandum erweisen (etwa in der Theodizee-Frage: Für die These, dass ein vollkommener Gott existiert, kann es sich als hinderlich herausstellen, dass eine intelligent eingerichtete Welt existiert, die dennoch so viele Mängel hat). Indem im Kreationismus Explanans und Explanandum verwechselt und je nach Belieben vertauscht werden, kommt nicht nur eine Unklarheit auf, worüber zu sprechen ist. Vielmehr wird eine wechselseitige Angewiesenheit beider konstruiert, die das Explanandum anzweifelt, sobald das Explanans angezweifelt wird. Das Explanandum jedoch ist die Frage, die zu beantworten ist. Und sie verschwindet nicht, wenn die bisher gegebenen Antworten auf sie falsch sind.

91 R. Dawkins: Der Gotteswahn, 212.

10.3  Was sind Kurzschlüsse? 

Übung: Bedingung des Kreationismus a. Unter welcher Bedingung kann die Evolutionstheorie mit ihrer These, dass nicht ein göttlicher Verstand, sondern eine blinde Einfachheit92 zur Weltentstehung führt, den Kreationismus treffen? Unter welcher Bedingung also kann diese These dem Kreationismus einen Kurzschluss nachweisen? b. Führt die Evolutionstheorie zum Atheismus, oder wäre eine atheistische Konsequenz ein Kurzschluss? Lösung a. Das Argument trifft den Kreationismus nur dann, wenn eine intelligent eingerichtete Welt die notwendige Bedingung des kreationistischen Hauptarguments bildet. b. Daher läuft die evolutionstheoretische Kritik ins Leere, wenn sie zum Atheismus führen soll und meint, eine intelligent eingerichtete Welt sei die notwendige Bedingung dafür, dass Gott die Welt erschaffen hat. Übung: Kurzschlüssige Argumente aus der Ethik Ein Beispiel, in dem Voraussetzungen fälschlicherweise als notwendige oder hinreichende Bedingungen eingesetzt werden, ist etwa die Diskussion um Sterbehilfe: Gibt es einen Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, also zwischen dem Töten eines Patienten und dem Sterbenlassen durch Absetzen überlebenswichtiger Maßnahmen? Wer beides für gleich hält, argumentiert in der Regel damit, dass sowohl das Töten als auch das Sterbenlassen kausal verantwortlich für den Tod des Patienten ist. Gegner halten dieses Argument aber für kurzschlüssig. a. Welche Argumente könnten sie dafür haben? b. Was kann umgekehrt für die kausale Gleichsetzung aktiver und passiver Sterbehilfe angeführt werden?

92 R. Dawkins: Der Gotteswahn, 222.

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Lösung a. Argumente für die kausale Unterscheidung passiver und aktiver Sterbehilfe: 1. Beim Absetzen überlebenswichtiger Maßnahmen könnte es noch zu einer natürlichen Spontanheilung kommen, die den Sterbevorgang unterbricht. Deshalb sind solche Maßnahmen der passiven Sterbehilfe keine hinreichende Bedingung für den Tod eines Patienten. 2. Das Absetzen solcher Maßnahmen ist aber auch keine notwendige Bedingung für den Tod des Patienten: Der Patient kann trotz intensivmedizinischer Therapie spontan sterben durch eine unvorhergesehene Komplikation. b. Argumente für die kausale Gleichheit passiver und aktiver Sterbehilfe: 1. Wenn die kausale Rolle passiver Sterbehilfe derart herabgesetzt wird wie in obigen Argumenten, dann ist das auch bei der aktiven Sterbehilfe der Fall: Ein Arzt, der dabei ist, die Tötungsspritze zu injizieren, könnte durch eine Spontanheilung des Patienten davon abgehalten werden. Ebenso könnte der Tod mit einem Gegenmittel aufgehalten werden, wenn die Injektion bereits verabreicht worden ist, der Patient aber seine Meinung ändert und doch weiter leben will. Zudem könnte es sein, dass die Injektion nicht wirkt und der Patient am Leben bleibt. Diese Fälle zeigen, dass das Verabreichen einer tödlichen Injektion keine hinreichende Bedingung für den Tod des Patienten darstellt. 2. Sie ist auch keine notwendige Bedingung: Der Patient könnte durch eine andere Ursache sterben, noch bevor die tödliche Injektion wirkt. Nachsatz: Mit solchen spitzfindigen argumentativen Überdrehungen nivelliert man aber die Signifikanz kausaler Verantwortbarkeit. Wenn Bedingungen nicht erfüllt sind, weil immer etwas dazwischenkommen kann, wie unwahrscheinlich auch immer, wird der Zusammenhang von Kausalität und moralischer Verantwortung gelöst. Das ist ein Grund, warum die Unterscheidung aktiver und passiver Sterbehilfe inzwischen in etlichen Beiträgen als soziale Unterscheidung eingeführt wird: Nicht was physikalisch notwendig und hinreichend ist, wird verhandelt, sondern was sozial als notwendig und hinreichend zugerechnet werden kann. Für die Unterschei-

10.3  Was sind Kurzschlüsse? 

dung spielt dann der Wille des Sterbehelfers eine notwendige Bedingung – übrigens keine hinreichende: Wer den Patienten töten will, aber keine Tötungshandlung ausführt, leistet keine aktive Sterbehilfe.

10.3.2 Verwechslung notwendiger und hinreichender Bedingungen In Sektion 9.6 habe ich darauf hingewiesen, dass notwendige und hinreichende Bedingungen sich umkehren, wenn sie beide negiert werden. Dennoch sagt man auch dann logisch Dasselbe: Statt „wenn a dann b“ kann man auch sagen „wenn nicht b, dann nicht a“, ohne dass sich logisch etwas am Verhältnis zwischen a und b ändert. Setzt man dagegen „wenn a dann b“ voraus und beginnt einen weiteren Satz mit „Wenn nicht a …“, dann lässt sich die nun anschließende Folgerung nicht logisch aus dem ersten Satz schließen. Es folgt also daraus logisch nichts für das Verhältnis zu b – es sei denn, es wären weitere Zusatzbedingungen bekannt. Zu den beiden häufigsten logischen Fehlern gehören daher die Verwechslungen notwendiger und hinreichender Bedingungen. Sie treten dann auf, wenn man die hinreichende Bedingung negiert und fälschlicherweise annimmt, damit würde auch die notwendige Bedingung negiert. Die Form dieser Verwechslung schreibe ich durchgestrichen, um zu markieren, dass es sich um einen Fehler handelt: „Wenn a, dann b. Daraus folgt: Wenn nicht a, dann nicht b.“ Oder: 1. Wenn a dann b 2. Nicht a 3. Also nicht b. Man nennt diesen Fehler „fallacy of denying the antecedent“. Wie bereits erwähnt, werden nach Forschungen etwa 50 Prozent der logischen Schlüsse in der Wenn-dann-Typik falsch geschlossen.93 Der Hauptfehler ist fallacy of denying the antecedent. Dass es sich um einen Fehler handelt, liegt schlicht darin, dass eine notwendige Bedingung mehrere hinreichende Bedingungen haben kann, und wenn eine negiert wird, kann eine andere hinreichende Bedingung immer noch die notwendige Bedingung erfüllen.

93 A.J. Sanford: Cognition and Cognitive Psychology, 352.

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Der zweite, ähnlich häufig auftretende Hauptfehler besteht darin, aus der erfüllten notwendigen Bedingung zu folgern, dass auch die hinreichende Bedingung erfüllt ist („fallacy of affirming the consequent“). Er hat die folgende Form: 1. Wenn a dann b. 2. b 3. Also a. Da selbst in akademischen Kontexten eine hohe Fehleranfälligkeit dieser beiden Schlüsse anzutreffen ist, müssen Sie auch damit rechnen, dass sie in Fachpublikationen auftauchen. Beide Fehlschlüsse sind keine Widersprüche. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass „Wenn a dann b“ wahr ist und zugleich weder a noch b der Fall sind. Beispiel „Als mythisches Ereignis ist es [das Kreuz Christi, L.O.] verstanden, wenn wir den objektivierenden Vorstellungen des Neuen Testaments folgen.“94 Die hinreichende Bedingung ist der mit Wenn bezeichnete Nebensatz, die notwendige Bedingung der Hauptsatz. Nach Bultmann aber sollen wir den objektivierenden Vorstellungen nicht folgen.95 Damit wird also die hinreichende Bedingung zurückgewiesen. Daraus lässt sich zwar nicht ableiten, dass das Kreuz damit nicht mehr als mythisches Ereignis zu verstehen ist – es könnte nämlich noch andere hinreichende Bedingungen dafür geben, dass man es dennoch als solches versteht. Jedoch ist Bultmann ebenfalls der Meinung, dass das Kreuz kein mythisches Ereignis ist. Formal sagt er also: „Wenn a dann b. Und: Nicht a und nicht b.“ Er sagt nicht: „Wenn a dann b. Und: Nicht a. Also nicht b.“ Letzteres wäre ein Fehler, Ersteres nicht. Das liegt daran, dass ein Wenn-dann-Satz auch wahr ist, obwohl die Bedingungen beide falsch sind.96

94 R. Bultmann: Neues Testament und Mythologie, 45. 95 R. Bultmann: Neues Testament und Mythologie, 46. 96 Sektion 9.6.

10.3  Was sind Kurzschlüsse? 

Es kann also Zusatzbedingungen geben, unter denen die Verneinung der hinreichenden Bedingung bedeutet, dass auch die notwendige Bedingung zu verneinen ist. Für sich selbst folgt das zwar nicht, aber wenn bestimmte weitere Zusatzbedingungen erfüllt sind – die man anführen muss –, kann das der Fall sein. Eine solche Zusatzbedingung ist die Äquivalenz: Wenn zwischen a und b eine Äquivalenz besteht, kann man aus der Negation der hinreichenden Bedingung ablesen, dass auch die notwendige Bedingung zu negieren ist – aber nur, weil die Äquivalenz eine Zusatzbedingung ist. Aus der Negation der hinreichenden Bedingung folgt also zwar nie die Negation der notwendigen Bedingung. Dennoch kann es Fälle geben, in denen man an der Negation der hinreichenden Bedingung erfahren kann, dass auch die notwendige Bedingung zu negieren ist. Deshalb sind die beiden logischen Fehler „fallacy of denying the antecedent“ und „fallacy of affirming the consequent“ keine Widersprüche. Es handelt sich vielmehr um Kurzschlüsse – die zu kurz reichen, weil sie nicht hinreichend begründen, warum etwas der Fall ist. Es mag sein – so sagt es ja auch Bultmann, daher macht er auch keinen Fehler –, dass wir das Kreuz Christi nicht mythisch verstehen sollen und ebenfalls den objektivierenden Vorstellungen nicht folgen sollen. Der Grund liegt aber nicht darin, dass die hinreichende Bedingung nicht erfüllt ist und wir den objektivierenden Vorstellungen des Neuen Testaments nicht folgen. Es muss stattdessen andere zusätzliche Gründe dafür geben, warum wir das Kreuz nicht mythisch verstehen sollen. Ein sehr häufiger Fehler besteht darin, dass man 1. entweder aus der notwendigen Bedingung folgert, auch die hinreichende sei damit erfüllt, 2. oder aus dem Nicht-Vorliegen der hinreichenden Bedingung folgert, auch die notwendige liege nicht vor. Deshalb lohnt es sich, wenn Sie entscheidende Argumente eines Textes auf diesen Fehler überprüfen.

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Übung zur kurzschlüssigen Umkehrung der Bedingungen Untersuchen Sie bitte, ob die folgenden Aussagen kurzschlüssig Bedingungen umkehren oder nicht. Falls ein Fehler vorliegt, nennen Sie bitte seinen Namen. 1. „Wenn man Kirchenmitglied ist, ist man Christ.“ – „Nein! Man kann auch Christ sein, ohne Kirchenmitglied zu sein.“ 2. „Wenn der Mensch Sünder ist, ist die Welt unvollkommen.“ – „Sie ist ja auch unvollkommen. Also ist der Mensch Sünder.“ 3. „Wenn der Mensch glaubt, so tut er gute Werke.“ – „Es gibt glaubende Menschen. Also tun sie gute Werke.“ Lösung 1. Der zweite Satz verwechselt notwendige und hinreichende Bedingung; deshalb ist das „Nein!“ falsch. Denn auch wenn man ohne Kirchenmitgliedschaft Christ ist, folgt daraus nicht, dass unter den Kirchenmitgliedern nicht alle Christen sind. Beide Sätze schließen sich also nicht aus („fallacy of denying the antecedent“). 2. Im ersten Satz ist das Sündersein des Menschen hinreichende Bedingung für die unvollkommene Welt. Im zweiten Satz dagegen ist die unvollkommene Welt hinreichende Bedingung für den sündigen Menschen. Der zweite Satz will den ersten bestätigen („ja“), kehrt dabei aber die notwendige mit der hinreichenden Bedingung um. – Anders gesagt: Nach dem ersten Satz könnte es auch andere Bedingungen für die Unvollkommenheit der Welt geben, nach dem zweiten aber nicht („fallacy of affirming the consequent“). 3. Diese Sätze sind logisch nicht zu beanstanden. Übung zu Kurzschlüssen Untersuchen Sie bitte die Textpassagen aus der Übung nach Sektion 10.2 daraufhin, ob Kurzschlüsse vorliegen.

10.3  Was sind Kurzschlüsse? 

Lösung 1. A) Petrus hat im Menschsein Christi die Gottheit gesehen. B) Nicht das Menschsein Christi („Fleisch und Blut“) hat Petrus die Gottheit Christi offenbart, sondern der Vater in den Himmeln. C) Wäre „nicht Gott im Fleische“ Christi gewesen, so hätte nicht der Vater in den Himmeln die Gottheit dem Petrus offenbaren müssen. Vielmehr hätte Petrus nur die Menschheit (das Fleisch) Christi ansehen müssen, um die Gottheit zu sehen. D) Gott ist im Fleische Christi gewesen. Satz D negiert die hinreichende Bedingung aus Satz C. Die notwendige Bedingung ist davon zunächst unangetastet und muss nicht negiert werden: Gott hätte also auch so die Gottheit dem Petrus nicht offenbaren müssen. Die notwendige und hinreichende Bedingung aus Satz C werden nicht verwechselt. Es liegt kein Kurzschluss vor. 2. A) Christus wollte Gott im Fleische sein. B) Christus wollte (anders als Adam) nicht Gott sein, sondern Mensch. Hier liegt kein Konditionalsatz vor. Daher unterläuft dem Autor zumindest nicht der Fehler einer Verwechslung der Bedingungen. 3. A) Wenn Gott Smith kopieren kann, kann er ihn auch mehrfach kopieren. B) Mehrere Kopien von Smith sind nicht mit dem einen Smith identisch. C) Wenn keine der Kopien Smiths höheren Anspruch darauf hat, mit Smith identisch zu sein, ist keine Kopie mit Smith identisch. D) Also ist prinzipiell keine Kopie, die Gott von Smith erschafft, mit Smith identisch. E) Wenn mehrere Kopien nicht miteinander identisch sind, dann ist keine mit Smith identisch.97 F) Mehrere Kopien sind nicht miteinander identisch, weil sie numerisch verschieden sind. 97 Kursive Schreibweise signalisiert meine Rekonstruktion versteckter Implikationen des Textes.

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Das Argument unterstellt, dass das Problem der Nicht-Identität zwischen Kopie und Smith auch auftaucht, wenn Gott bereits nur eine Kopie von Smith erstellt. Das ist aber nicht gezeigt worden. Die Nicht-Identität der Kopien mit Smith folgt im Argument nur unter der Bedingung, dass mehrere Kopien vorliegen. Daraus ergibt sich aber keine Schlussfolgerung für den Fall, was passiert, wenn Gott nur eine Kopie erstellt. Wenn Gott also nur eine Kopie von Smith anlegt, könnte sie mit Smith identisch sein. Weil diese Möglichkeit in der Argumentation übersprungen wird, ist sie kurzschlüssig. Immerhin aber werden notwendige und hinreichende Bedingungen nicht verwechselt. Ethische Textpassagen 1. A) Wenn Interessen und Prinzipien inkommensurabel sind, werden Konflikte partikular gelöst und nicht anders. B) Einzelnes führt nicht zu einem allgemeinen Prinzip des Handelns. C) Partikulare Lösungen sind Einzelnes. D) Partikulare Lösungen führen zu einem allgemeinen Prinzip des Handelns. Der einzige Konditionalsatz ist Satz A. Seine Bedingungen werden im weiteren Argumentationsverlauf nicht verwechselt. Auch sonst liegt zumindest kein Kurzschluss vor. 2. A) Dass einem Embryo die soziale Umwelt fehlt, lässt sich nicht für alle Kulturen eindeutig erkennen, um seinen Tod festzustellen (also das Ende eines autopietischen leiblichen Entwicklungsprozesses). B) Deshalb muss seine Todesbestimmung sehr sorgfältig vorgenommen werden, und zwar so, dass sie nur kulturrelativ Bestand hat. C) Die biologische Umwelt ist für das Leben eines Embryos notwendige Bedingung. D) Die soziale Umwelt ist für das Leben eines Embryos hinreichende Bedingung. E) Weil bei einem kryokonservierten Embryo Bedingung C und D nicht erfüllt sind, ist er tot. In diesem Argument wird aus der Negation der hinreichenden Bedingung aus Satz D die notwendige Bedingung negiert, dass der Embryo lebt (Satz E). Das ist aber ein Kurzschluss (fallacy of denying the antededent). Wird

10.4  Was sind Zirkelschlüsse und Äquivozitäten? 

die hinreichende Bedingung zurückgewiesen, dass für einen Embryo eine soziale Umwelt vorliegt, so könnte er dennoch leben, nämlich wenn andere hinreichende Bedingungen für sein Leben vorliegen. Das Argument hat solche alternativen hinreichenden Bedingungen nicht ausgeschlossen. Trotz des Fehlers ist aber das Gesamtargument schlüssig, und zwar wegen der Negation von C in E. Wenn die biologische Umwelt als die notwendige Bedingung für das Leben des Embryos negiert wird, so ist das hinreichend dafür, um den Embryo für tot zu erklären. Satz C und die Negation von C in D ist also für das Gesamtargument überflüssig.

10.4 Was sind Zirkelschlüsse und Äquivozitäten?  ei einem Zirkelschluss wird eine These dadurch begründet, dass die B These selbst als Begründung dient, obwohl sie selbst begründungsbedürftig ist. Dadurch wird die Lösung auf ein Problem suggeriert, die aber nicht wirklich vorliegt. Man könnte auch sagen, bei einem Zirkelschluss wird die Lösung vorausgesetzt, um zu ihr zu gelangen. Beispiel Ein solcher Zirkelschluss zeigt sich etwa in dem Satz: „Alle biblischen Gebote sind zu achten, weil die Bibel gebietet, sie zu achten.“ Die Begründung setzt voraus, was sie begründen will, nämlich dass alle biblische Gebote zu achten sind (einschließlich des biblischen Gebotes, biblische Gebote zu achten). Zirkelschlüsse können deutlich komplexer sein und eine längere Kette von Gründen enthalten. Dadurch fällt der Zirkel nicht immer leicht auf, weil etliche Begründungen überzeugend sind und man beim ersten Lesen vergessen kann, dass ein Grund selbst zur begründungsbedürftigen These gehört. Um einen Zirkelschluss zu vermeiden, hat Bertrand Russell folgende Regel aufgestellt: „Keine Gesamtheit kann Elemente enthalten, die durch diese selbst

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definiert sind.“98 Für den obigen Satz muss also aus der Gesamtheit aller biblischen Gebote das Gebot ausgeschlossen werden, die biblischen Gebote zu achten. Denn dieses biblische Gebot ist durch die Elemente dieser Gesamtheit definiert, nämlich durch die biblischen Gebote: Es ist selbst ein biblisches Gebot (Dtn. 30,8) und somit durch die Elemente definiert, auf die es sich selbst bezieht. Dadurch kann man einem Zirkelschluss auch nicht entkommen, wenn man fragt, warum die Begründung gelten soll. Wenn man also fragt, warum die biblischen Gebote zu achten sind, stößt man immer wieder darauf, dass sie biblische Gebote und als solche zu achten sind. Das Explanandum wird zum Explanans. Deshalb muss ein Zirkelschluss vermieden werden, indem Elemente, die sich selbst enthalten oder durch Elemente derselben Gesamtheit definiert werden, ausgeschlossen werden. Auf unseren Fall bezogen heißt das: Das biblische Gebot, alle biblischen Gebote zu achten, ist als Begründung dafür, warum biblische Gebote zu achten sind, auszuschließen. Dennoch könnte dieses Gebot moralisch richtig sein, alle biblischen Gebote zu achten. Deshalb liegt auch kein Widerspruch vor, sowohl alle biblischen Gebote für moralisch richtig zu halten als auch das Gebot, alle biblischen Gebote zu achten. Ein Widerspruch99 kommt nur auf, wenn dieses biblische Gebot als Begründung für die Achtung der biblischen Gebote herangezogen wird. Nicht der Satz ist als solcher falsch, sondern seine Funktion als Begründung. Deshalb lässt Russell solche Sätze auf anderen Ebenen gelten, auf denen sie eine andere Reichweite haben.100 Biblische Gebote sind richtig oder falsch, weil sie sich so oder so auf die Welt beziehen, auf innerweltliche Interessenkonflikte, und sie (nach noch zu festzustellenden Kriterien) moralisch richtig oder falsch lösen. Das biblische Gebot, biblische Gebote zu halten, bezieht sich aber auf Sätze und nicht auf die Welt. Beides kann wahr und falsch sein, aber bezieht sich auf verschiedene Ebenen, die sich nie überschneiden: Die Welt überschneidet sich nicht mit dem Kosmos von Aussagen. Der logisch-technische Hintergrund eines Zirkelschlusses kann eine Hilfe sein, um Genauigkeit zu erreichen, wenn man eine Aussage auf zirkuläre Strukturen untersucht. Im gewöhnlichen Fall werden Sie einen Zirkelschluss aber auch einfacher identifizieren, einfach indem Sie feststellen, dass die Lösung, die ein Argument anzielt, bereits vorausgesetzt wird. Verwandt mit Zirkelschlüssen sind Äquivozitäten. 98 B. Russell: Die Philosophie des Logischen Atomismus, 38. 99 B. Russell: Die Philosophie des Logischen Atomismus, 25. 100 B. Russell: Die Philosophie des Logischen Atomismus, 38.

10.5  Was sind infinite Regresse? 

 ei Äquivozitäten handelt es sich um ein und denselben Begriff, der aber B verschiedene Bedeutungen bekommt, so dass er schillert. Ähnlich wie in einem Zirkelschluss wird bei einer Äquivozität etwas Begründungsbedürftiges vorausgesetzt: Wenn ein Begriff mit einer bestimmten Bedeutung eingeführt worden ist, aber zugleich eine andere Bedeutung vorausgesetzt wird, so wird verschleiert, dass die Begriffsbedeutung noch begründungsbedürftig ist. Die Mehrdeutigkeit kann also beabsichtigt sein, um aus einem Begriff mehr Sinn abzurufen als ihm zusteht. Damit umgeht man Argumente, die logische Verhältnisse von Bedeutungen setzen sollen. Beispiel So hat Wilfried Härle an Luthers Glaubensbegriff eine Äquivozität ausgemacht: An manchen Stellen ist Glaube ein Werk des Menschen, an anderen nicht.101 Damit kann der Glaubensbegriff sogar für kontradiktorische Aussagen zur Verfügung stehen: Einerseits ist der Glaube ein Werk Gottes; andererseits müssen nicht alle Menschen glauben, obwohl Gott alle Menschen liebt und erlösen will. Mit dieser Lösung wird aber das Problem zu sehr vereinfacht, weil sie letztlich auf einem Taschenspielertrick beruht, eben auf einer Äquivozität. Eine Begründung, dass derselbe Begriff kontradiktorisch Gegensätzliches meint, kann nicht gegeben werden. Vielmehr wird derselbe Begriff mehrdeutig verwendet und damit seine Bedeutung verschleiert.

10.5 Was sind infinite Regresse?  in infiniter Regress liegt vor, wenn die Begründung für eine These von unE endlich vielen Voraussetzungen abhängt. Deshalb kann ein infiniter Regress die These nicht begründen – einfach deshalb weil die unendlichen Voraussetzungen niemals überprüft werden können: Man wird damit nie fertig. 101 W. Härle: Der Glaube als Gottes- und/oder Menschenwerk in der Theologie Martin Luthers, 56.

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Wohl aber kann man mit infiniten Regressen auf indirekte Weise argumentieren: Indirekt heißt, dass man eine These voraussetzt, die man aber widerlegen will.102 Zeigt man dann, dass sich die These nur über einen infiniten Regress begründen lässt, so gilt sie als widerlegt. Ebenso können die anderen Fehlschlüsse auf indirekte Weise an einem Erkenntnisfortschritt beitragen. Beispiel Auf indirekte Weise argumentiert Aristoteles mit einem infiniten Regress, um die Glückseligkeit als höchstes Ziel des menschlichen Strebens zu beweisen: Wir streben nach etwas um eines anderen willen. Wenn diese Regel aber für alle Fälle unseres Strebens erfüllt wäre, so würde das zu einem unendlichen Regress führen. Deshalb folgert Aristoteles, dass wir auch nach etwas um seiner selbst willen streben – und das sei die Glückseligkeit.103 Ein Beispiel: Ich strebe danach, heute früh aufzustehen, damit ich pünktlich zur Vorlesung komme. Ich strebe danach, pünktlich zur Vorlesung zu kommen, damit ich den Schein bekomme. Ich strebe nach dem Schein, um mein Studium beenden zu können. Ich strebe danach, mein Studium zu beenden, um einen qualifizierten Beruf auszuüben. Ich strebe nach einem qualifizierten Beruf, um ein gutes Einkommen zu haben… – So also wird man niemals fertig, und daher könnte man niemals wissen, ob das, wonach man strebt, überhaupt zweckvoll ist. Denn wenn jeder Zweck von einem anderen abhängt, aber nie ein letzter Zweck angegeben werden kann, so könnte alles letztendlich auch vergeblich sein: Es lässt sich dann der Einwand nicht entkräften, dass am Ende der Reihe kein Zweck steht, sondern etwas Zweckloses. Allein die unendliche Reihe von Zweckverweisen macht auf eine vergebliche Zwecksuche aufmerksam. „Denn da ginge die Sache ins Unendliche fort, und das menschliche Begehren wäre leer und eitel.“104 In diesem Argument setzt Aristoteles den infiniten Regress also geschickt ein, um die These zu widerlegen, die er für seine Untersuchung voraussetzt, nämlich dass alles Streben um eines anderen willen erstrebt wird. Formal gültig ist nun die Konsequenz, dass entweder kein Streben einen Zweck hat oder dass manche Zwecke um ihrer selbst willen erstrebt werden. Aristoteles 102 Sektion 12.2. 103 Aristoteles: Nikomachische Ethik, I, 1, 1094a. 104 Ebd.

10.5  Was sind infinite Regresse? 

hat nur die zweite Option daraus gefolgert; insofern ist sein Schluss zwar kurzschlüssig, weil er die erste Option ignoriert. Aber richtig ist, dass sich die Ausgangsthese aufgrund eines infiniten Regresses nicht halten lässt. Dazu hat Aristoteles den infiniten Regress als Methode eingesetzt. Übung: Logische Fehler in der Fachliteratur Überprüfen Sie die folgenden Aussagen, ob sie Fehlschlüsse enthalten und, wenn ja, welche. Paraphrasieren Sie hierzu den Text, um seine logische Struktur besser zu erkennen. Dogmatische Textpassagen 1. (Erasmus von Rotterdam verteidigt den freien Willen des Menschen.) „Nun ist aber der Wille, ein gutes Werk zu tun, selber ein gutes Werk; sonst wäre auch ein böser Wille nicht etwas Böses.“105 2. (Luther führt ein Argument aus, dass sich Gottes Gnade mit einem freien Willen des Menschen nicht verträgt.) „So nun in allen Menschen ein solcher freier Wille ist, der einer Natur und Art ist, eine Deutung hat, der auch in allen Menschen zugleich nichts vermag, so kann keine Ursache angezeigt werden, warum einer zur Gnade kommt und der andere nicht, wenn man nicht auf eine andere Weise davon redet oder lehrt wie die, daß die Gelindigkeit Gottes verhärtet und Gottes Erbarmung straft. Ja, wenn man nicht anders davon redet, so wird folgen, daß Gott niemand erwählt habe von Ewigkeit, und daß keine Erwählung sei.“106 3. „Die Säkularisierung gehörte dann von Anfang an zu ihm [zum christlichen Glauben, L.O.]. … Das würde bedeuten, daß man nur dann das richtige Verständnis der Säkularisierung und die richtige Stellung zu ihr gewänne, wenn man ihrer Begründung im christlichen Glauben gewahr geworden ist.“107 4. „Jemanden oder etwas lieben heißt: diesen Jemand oder dieses Etwas ‚gut‘ nennen und, zu ihm gewendet, sagen: Gut, dass es das gibt; gut dass du auf der Welt bist … Wenn auf den ersten Seiten der Heiligen 105 E. v. Rotterdam: Vom freien Willen II b 5. 106 M. Luther: Vom unfreien Willen, 188 (WA 18, 706). 107 F. Gogarten: Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit, 11.

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Schrift in der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung das souveräne Hervorrufen allen Seins durch das wirkmächtige Wort Gottes immer wieder mit der Formel ‚Gott sah, dass es gut war‘ verbunden wird, dann kommt darin sehr prägnant zum Ausdruck, dass sich in der Perspektive des Glaubens alles, was ist, der schöpferischen Liebe Gottes verdankt.“108 Ethische Textpassagen 1. (Dieser theologiegeschichtlich bahnbrechende Satz argumentiert, dass jedes unmittelbare Selbstbewusstsein das Gefühl schlechthinniger, also absoluter Abhängigkeit von einer welttranszendenten Instanz enthält, die Gott genannt wird. Das schlechthinnige Abhängigkeit wird einem hypothetisch angenommenen schlechthinnigen Freiheitsgefühl entgegengesetzt, dem Gefühl also, seine gesamte Existenz selbst gesetzt zu haben und zu setzen.109) „Allein eben das unsere gesamte Selbsttätigkeit, also auch, weil diese niemals Null ist, unser ganzes Dasein begleitende, schlechthinnige Freiheit verneinende Selbstbewußtsein ist schon an und für sich ein Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit; denn es ist das Bewußtsein, daß unsere ganze Selbsttätigkeit ebenso von anderwärts her ist.“110 2. (Der folgende Text unterscheidet die sogenannten beiden „Tafeln“ der zehn Gebote, also der ersten vier Gebote, die sich auf das Gottesverhältnis beziehen, und der übrigen Gebote, die sich auf zwischenmenschliche Konflikte beziehen) „Die erste Tafel signalisiert folglich (aus allgemein-ethischer Sicht) eine notwendige Bedingung der Gebotserfüllung … aus der Sicht des jeweiligen Glaubens selbst handelt es sich um die hinreichende Bedingung zur Erfüllung der Gebote.“111 3. „Die Macht (Kraft), mit welcher der Mensch im Existieren verharrt, ist eine beschränkte und wird von dem Vermögen der äußern Ursachen unendlich übertroffen. Der Satz erhellt aus dem Axiom dieses Teils. Denn, ist der Mensch gegeben, so gibt es etwas anderes, etwa A, das mächtiger ist, und ist 108 J. Brantl: „Wem nie durch Liebe Leid geschah …“ Lieben und Leiden – ein vermeidbarer oder unausweichlicher Zusammenhang?, 235 f. 109 Übung am Ende des 3. Kap. 110 F. Schleiermacher: Der christliche Glaube Bd. 1, 28. 111 H. Deuser: Die Zehn Gebote, 39.

10.5  Was sind infinite Regresse? 

A gegeben, so gibt es wieder etwas anderes, etwa B, das mächtiger ist als A, und so ins unendliche. Also wird das Vermögen des Menschen durch das Vermögen eines andern Dinges beschränkt und von dem Vermögen der äußern Ursachen unendlich überragt.“112 4. (Hier wird vor dem Klonen von Menschen gewarnt.) „Human nature becomes merely the last part of nature to succumb to the technological project, which turns all of nature into raw material at human disposal, to be homogenized by our rationalized technique according to the subjective prejudices of the day.“113 Lösung Dogmatische Textpassagen 1. A) Wenn jemand den Willen hat, ein böses Werk zu tun, ist das ein böser Wille.114 B) Wenn der Wille, ein gutes Werk zu tun, nicht gut ist, ist ein böser Wille nicht böse. C) Also gilt: Wenn jemand den Willen hat, ein gutes Werk zu tun, ist das ein gutes Werk. Prämisse A ist einfach nur eine unbegründete Setzung. Genauso gut hätte dann die begründungsbedürftige These C einfach gesetzt werden können. Denn zwar ist es wahr, dass ein böser Wille böse ist. Es ist aber nicht genauso klar, dass der Wille, etwas Böses zu tun, böse ist. Man kann sich Situationen vorstellen, in denen Menschen etwa aus der Not heraus etwas Böses tun wollen, ohne dass sie dabei schon einen bösen Willen haben. Das Argument verschleiert also, dass es nicht wirklich ein Argument ist, sondern nur eine unbegründete Setzung unternimmt.

112 B. v. Spinoza: Ethik in geometrischer Weise behandelt; Teil IV Lehrsatz 3 und Beweis. Das erwähnte Axiom lautet: „Es gibt in der Natur kein Einzelding, das nicht von einem andern mächtigeren und stärkeren übertroffen würde. Es gibt vielmehr immer ein anderes mächtigeres als das gegebene, von dem dieses zerstört werden kann.“ 113 L.R. Kass: The Wisdom of Repugnance, 38. 114 Kursive Schreibweise signalisiert meine Rekonstruktion versteckter Implikationen des Textes.

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Nehmen wir aber an, die in Frage stehende These C ist wahr. Dann ist auch der Wille, einen Willen zu haben, ein gutes Werk zu tun, ein gutes Werk, einfach weil bereits der Wille, ein gutes Werk zu tun, ein gutes Werk ist: Der Wille, ein gutes Werk zu tun, ist ein gutes Werk. Der Wille, einen Willen zu haben, ein gutes Werk zu tun, ist ein gutes Werk. … Die drei Punkt bedeuten, dass man nun einen infiniten Regress von Willensakten erzeugen kann, bei dem man niemals dazu kommt, außerhalb des Wollens ein anderes gutes Werk zu vollbringen, weil man stets nur will, dass man will, dass man will …, dass man ein gutes Werk tut. In diesem Regress wird ein gutes Werk durch angeblich gute Willensakte ersetzt. In seinem berühmten Streit mit Erasmus hat Martin Luther daher gefolgert, dass der Wille, ein gutes Werk zu tun, selbst kein guter Wille ist. Zumindest ist zur Vermeidung dieses Regresses nicht sicher, ob ein solcher Wille selbst schon ein guter Wille ist. Nach dem Sündenfall gilt sogar: „Es kann kein guter Fleiß oder Streben sein, denn der freie Wille … kann nicht Lust haben zum Guten.“115 Verantwortlich für diesen infiniten Regress ist ein weiterer Kurzschluss, wonach Gutes auch ein gutes Werk ist. 2. A) Wenn alle Menschen einen freien Willen haben, der nichts vermag, und wenn Gottes Erbarmen nicht Ursache für das Gegenteil, nämlich Strafe, ist, gibt es keine Ursache, warum einer zur Gnade kommt und der andere nicht. B) Es gibt nichts, was keine Ursache hat. C) Gottes Erbarmen ist nicht Ursache für das Gegenteil, nämlich Strafe. D) Wenn es keine Ursache gibt, warum einer zur Gnade kommt und der andere nicht, ist Gott keine Ursache für Erwählung/Erbarmen. E) Wenn Gott keine Ursache für Erwählung/Erbarmen ist, gibt es nicht Erwählung/Erbarmen. F) Es gibt (aber) Erwählung/Erbarmen. G) Also ist der Wille unfrei. Bis Satz F ist die Argumentation schlüssig. Es werden alle Konsequenzen gezogen, die sich aus einer falschen Prämisse ergeben. Doch Satz G ist ein Kurzschluss, weil er die falsche Prämisse nicht vollständig angibt. Sie 115 M. Luther: Vom unfreien Willen, 114.

10.5  Was sind infinite Regresse? 

besteht nämlich nicht nur darin, dass der Wille frei ist, sondern dass er zugleich „nichts vermag“. Es könnte nämlich auch sein, dass es falsch ist, dass der Wille „nichts vermag“, obwohl er frei ist: G’) Also ist der Wille unfrei oder vermag etwas (oder beides: Er ist unfrei und vermag etwas). Die vorliegende Argumentation reicht also nicht aus, um den unfreien Willen nachzuweisen. Nachbemerkung: Luther hat die Schussfolgerung G zwar über längere Textstrecken hinweg nicht ausdrücklich gezogen, aber nur deshalb nicht, weil er die falschen Konsequenzen seiner Gegner aufzeigt. Deshalb könnte man einwenden, dass der Fehler auf meiner Rekonstruktion beruht. Wenn aber Luther Satz G’ zugrunde gelegt hätte, so hätte die weitere Argumentation anders verlaufen müssen: Luther hätte die Gründe anführen müssen, warum der Wille „nichts vermag“, und zwar gleichgültig ob er frei ist oder unfrei. Luthers Argumentation enthält also Lücken, und ich vermute, sie beruhen auf dem hier aufgezeigten Kurzschluss. 3. A) Der christliche Glaube ist für die Säkularisierung hinreichend. B) Also („Das würde bedeuten“) ist die Begründung der Säkularisierung im christlichen Glauben für das richtige Verständnis von Säkularisierung notwendig. Die Schlussfolgerung aus Satz B ist ein Kurzschluss. Denn es kann auch andere hinreichende Bedingungen für die Säkularisierung geben: Dass die Säkularisierung zum christlichen Glauben gehört, schließt nicht aus, dass sie auch zu anderen Theorien oder Weltanschauungen gehört. Satz A begründet also die Schlussfolgerung B nicht. Vielmehr setzt das Argument einen anderen Satz voraus, der aber unbegründet ist, nämlich: A’) Der christliche Glaube ist für die Säkularisierung notwendig. In Satz A dagegen werden also notwendige und hinreichende Bedingung verwechselt: Die Säkularisierung wird vorausgesetzt und mit ihr der christliche Glaube als ihre notwendige Bedingung. Es handelt sich hier um den Fehlschluss „affirming the consequent“. 4. A) Wenn man jemanden liebt, nennt man ihn „gut“. B) Gott sah, dass es gut war.

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C) Also hat er mit seiner Liebe dieses Etwas hervorgebracht. Hier wird der logische Fehler „fallacy of affirming the consequent“ be­ gangen – sofern hier überhaupt logisch argumentiert werden soll. Aber Gott könnte auch andere Gründe haben, warum er etwas als gut betrachtet hat, als seine Liebe. Aus Satz B folgt nicht C. Logisch richtig wäre die Behauptung, dass, wenn Gott aus Liebe etwas hervorgebracht hat, er es auch als gut betrachtet hat. Aussage A könnte aber auch eine Definition meinen: A’) Wenn man jemanden liebt, nennt man ihn „gut“. Und wenn man jemanden „gut“ nennt, liebt man ihn. Unter dieser abgewandelten Bedingung wäre C gültig. A’ impliziert aber die unplausible These, dass Außenstehende, die diesen Jemanden nicht lieben, ihn auch nicht „gut“ nennen können. Ethische Textpassagen 1. A) Unser Selbstbewusstsein begleitet unsere gesamte Selbsttätigkeit. B) Unser Selbstbewusstsein verneint ein schlechthinniges Freiheitsgefühl. C) Also („an und für sich“116) hat unser Selbstbewusstsein ein schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl. In diesem Argument fehlt eine entscheidende Prämisse: Was nicht schlechthinnig frei ist, ist schlechthinnig abhängig. Das ist aber nicht selbstverständlich: Was nicht schlechthinnig frei ist, könnte immerhin relativ oder ein wenig frei sein. Wenn ich nicht alles frei bestimmen kann, so folgt daraus nicht, dass ich nichts frei bestimmen kann. Daher ist das Argument – zumindest soweit ich es bis jetzt rekonstruiert habe – kurzschlüssig. Es setzt zudem voraus, was es beweisen will, nämlich die schlechthinnige Abhängigkeit als Negation der schlechthinnigen Freiheit. Daher ist dieses Argument ein Zirkelschluss117. Nun setzt aber der Text selbst voraus, dass wir immerhin relativ frei sind. Er räumt ja für uns eine Selbsttätigkeit ein. Somit unterscheidet er zwischen relativer Freiheit (Selbsttätigkeit) und schlechthinniger Freiheit. Untersuchen wir eine Implikation der schlechthinnigen Freiheit: Eine schlechthinnige 116 Indem das schlechthinnige Freiheitsgefühl verneint wird, entsteht „an und für sich“ das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl. 117 Sektion 10.3.

10.5  Was sind infinite Regresse? 

Freiheit schließt die eigene Fähigkeit ein, die eigene Selbsttätigkeit selbst zu setzen. Die eigene Selbsttätigkeit kann ich aber nicht selbst setzen, denn auch das wäre ein logischer Zirkelschluss: Die Bedingung meiner Freiheit wäre meine Freiheit; zur Gesamtheit meiner freien Entscheidungen würde auch die freie Entscheidung gehören, freie Entscheidungen treffen zu können. Das widerspricht Russells Regel zur Vermeidung von Zirkelschlüssen. Somit muss schlechthinnige Freiheit ausgeschlossen werden. Daraus kann man nun weitere versteckte Implikationen rekonstruieren: D) Die Gesamtheit meiner freien Entscheidungen („gesamte Selbsttätigkeit“) ist nicht selbst meine freie Entscheidung. (Selbst wenn ich alle meine freien Entscheidungen selbst wähle, so habe ich nicht gewählt, dass sie eine Menge meiner freien Entscheidungen bilden. Vielmehr bildet sich diese Menge von allein, und zwar zwangsläufig schon dadurch, dass ich überhaupt freie Entscheidungen treffe.) E) Die Bedingung aller meiner freien Entscheidungen ist nicht selbst meine freie Entscheidung. F) Also gibt es Unfreiheit in mir, die die notwendige Bedingung für alle meine freien Entscheidungen bildet. Das ist der Nachweis der schlechthinnigen Abhängigkeit. Da nämlich alle meine freien Entscheidungen von dieser Unfreiheit abhängig sind, ist meine gesamte Selbsttätigkeit ausnahmslos und insofern schlechthinnig abhängig davon, dass die besagte Unfreiheit als notwendige Bedingung meiner Freiheit erfüllt ist. Wenn ich also freie Entscheidungen treffe, ist die schlechthinnige Abhängigkeit bewiesen. Denn freie Entscheidungen sind die hinreichende Bedingung für sie. Nun kann man fragen, ob diesem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl auch eine Instanz wie Gott entsprechen muss, von der ich schlechthinnig abhängig bin. Im Zitat wird aber bescheiden „von anderwärts“ gesagt. Es wird also nur logisch differenziert, dass die Bedingung eigener Freiheit nicht Dasselbe ist wie die eigene Freiheit selbst. Und nicht Dasselbe zu sein, heißt, etwas anderes zu sein. 2. A) Wenn Gebote erfüllt werden, dann signalisiert die erste Tafel diese Erfüllung (nämlich aus allgemein-ethischer Sicht). (Zum Verständnis: Dann wird diese Erfüllung durch die erste Tafel signalisiert.)

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  10  Von schwarzen Schimmeln und dem Bösen der Welt. Widersprüche und logische Fehler

B) Wenn die erste Tafel118 die Erfüllung von Geboten signalisiert (nämlich aus Sicht eines Glaubens), dann werden Gebote erfüllt. C) Also gibt es aus Sicht des Glaubens etwas, was hinreichende Bedingung zur Gebotserfüllung ist (nämlich das Signalisieren der Gebotserfüllung durch die erste Tafel), was aus allgemein-ethischer Sicht notwendige Bedingung für sie ist. Satz C bedeutet also, dass der Glaube die Bedingungen umkehrt. Dieser Schluss basiert nicht auf einem Zirkelschluss, zumal verschiedene Perspektiven in Blick genommen werden, eben eine allgemein-ethische und eine Glaubenssicht. Wären in beiden Fällen (Satz A und B) die Perspektiven gleich, würde eine Äquivalenz vorliegen: Die hinreichenden wären zugleich die notwendigen Bedingungen. Man macht ja dann die Gebotserfüllung von ihrem Signalisieren abhängig, während ihr Signalisieren wiederum von der Gebotserfüllung abhängt. Das ist nur dann ein Zirkelschluss, wenn mindestens eine Bedingung begründungsbedürftig ist, die nicht hinreichend durch das Argument begründet wird. Tatsächlich reicht eine behauptete Äquivalenz noch nicht aus, um sie zu begründen. Aber eben dadurch, dass verschiedene Perspektiven eingebracht werden, ergibt sich dieses Risiko eines Zirkelschlusses nicht. Zum einen wird nicht im Zitat vorausgesetzt, dass für Glaubende eine Äquivalenz zwischen Gebotserfüllung und ihrem Signalisieren vorliegt. Glaubende können sich in einem anderen Modus als im Modus der allgemein-ethischen Urteilsbildung befinden. – Zum anderen gibt es keine Anzeichen für einen Zirkel, weil sich für Glaubende die Bedingungen umkehren: Satz C ist eine gültige und nicht-zirkuläre Schlussfolgerung aus den Sätzen A und B. 3. Hier liegt nicht etwa ein infiniter Regress vor, da nicht eine begründungsbedürftige These von einer unendlichen Reihe von Gründen gerechtfertigt wird und man folglich mit der Begründung nie fertig wird. Vielmehr wird umgekehrt die unendliche Reihe von Ursachen aus einer Begründung gefolgert, nämlich zum einen aus einem Axiom und zum anderen aus der Veranschaulichung des Textes, dass jede Ursache von einer weiteren Ursache abhängt – bis ins Unendliche.

118 Vermutlich ist sie mit „es“ gemeint.

10.5  Was sind infinite Regresse? 

Dennoch ist das Argument kurzschlüssig. Es schließt nämlich von vornherein aus, was grundsätzlich denkbar ist und durch das Axiom nicht ausgeschlossen wird, nämlich dass A zwar schwächer als B ist, B schwächer als C, C aber schwächer als A. Um den Kurzschluss des Textes zu umgehen, müsste entweder begründet werden, warum diese Variante auszuschließen ist. Oder sie müsste zusätzlich zugelassen werden. 4. Das Adjektiv „human“ bezieht sich sowohl auf die menschliche Natur als auch auf menschliche Herrschaft. Liegt deshalb eine Äquivozität vor? Das ist nur dann nicht der Fall, wenn menschliche Herrschaft unnatürlich ist. Dann wäre menschliche Herrschaft aber das Ergebnis eines un- oder übernatürlichen Eingriffs, denn weder der (natürliche) Mensch noch die Natur hätten zur menschlichen Macht geführt. Wenn es aber natürlich ist, dass der Mensch Macht hat, dann wird die menschliche Natur der menschlichen Natur unterstellt, wenn sie der menschlichen Herrschaft unterstellt wird. In diesem Fall hat „human“ zwei Bedeutungen: Im einen Fall ist es schützenswertes Gut, im anderen Fall Gefahr für dieses Gut. Diese Rollenaufteilung wird aber nicht auf zwei Menschen oder Menschengruppen aufgeteilt, sondern im Menschlichen selbst vorgenommen, in seiner Natur. Darin liegt seine Äquivozität. Kann es sich nicht einfach um eine Ambivalenz handeln? Danach wäre „human“ sowohl ein Gut wie es auch eine Gefahr wäre. Das Problem an der Aussage liegt darin, dass beides natürlich ist. Man müsste also die menschliche Natur aufgeben, um sie zu retten. Das wäre ein Widerspruch. Um ihn aufzuheben, müsste mit „human“ jeweils eine andere Natur gemeint sein. Das belegt die Äquivozität.

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11 „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler Viele Fehler kommen dadurch zustande, dass man etwas miteinander vergleicht, was sich nicht vergleichen lässt. Man begeht dann einen sogenannten „Kategoriefehler“. Beispiel Ein solcher Fehler steckt etwa in dem Vergleich: „Nachts ist es kälter als draußen.“ Hier wird die Kategorie der Zeit mit der des Raums verglichen, so dass nichts Vernünftiges dabei herauskommt. Vergleichen lässt sich nur, was im Hinblick auf etwas Drittes Gleiches ­besitzt, was also ein gemeinsames Maß hat. Zwar können sich Maßeinheiten unterscheiden, ohne dass der Vergleich misslingt: Ein Kilometer lässt sich mit zwei Zentimetern vergleichen, obwohl die Maßeinheiten verschieden sind. Da nämlich das Maß das Gleiche ist (Länge), kann zu Recht gesagt werden, dass ein Kilometer länger als zwei Zentimeter ist. Aber sobald sich auch das Maß unterscheidet, passt der Vergleich nicht mehr: Ein Kilometer ist weder länger oder kürzer noch leichter oder schwerer als ein Kilogramm. Dieses Kapitel soll Ihnen helfen, Kategoriefehler zu vermeiden, indem Sie einige wichtige Kategorien zu unterscheiden lernen. Es ist zwar innerhalb der Philosophie umstritten, welche Kategorien es gibt. Aber unabhängig davon sind mögliche Kategoriefehler leicht auszumachen. Sie verdanken sich nämlich nicht einer bestimmten Theorie über Kategorien, sondern einfach verschiedener Arten von Maßungen. Darüber hinaus hilft das Einüben in kategoriale Unterschiede, theologische Argumente in ihrer Struktur leichter nachzuvollziehen. Argumente können kurzschlüssig sein, wenn man ihre Hauptbegriffe nicht kategorial unterscheidet. Unverständliche Argumente können aber auch sofort verstanden werden, sobald man ihre kategorialen Verhältnisse entdeckt. Dabei soll dieses Kapitel helfen.

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  11  „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler

11.1 Unterscheidung von Quantitäten, Qualitäten, Kategorien Eine Quantität ist die Antwort auf eine „Wieviel“-Frage. Werden Quantitäten miteinander verglichen, so werden sie in einem bestimmten Maß verglichen, entweder in einer bestimmten Maßeinheit bzw. in Maßeinheiten, die sich ineinander umformen lassen, oder auch nur in der bloßen Anzahl. Die zwölf Stämme Israels sind in der bloßen Anzahl genauso viele wie die zwölf Jünger, nämlich zwölf – auch wenn jeder Stamm viele Menschen umfasst. Verglichen werden Jünger und Stämme in ihrer puren Anzahl. Dass sie sich in ihren Eigenschaften stark unterscheiden, ist dafür irrelevant. Übrigens kommen auch quantitative Unterschiede zwischen beiden vor, was ihrer quantitativen Gleichheit nicht widerspricht: So sind die zwölf Stämme Israels älter als die Jünger und auch langlebiger gewesen als Letztere. Beides lässt sich durch Nachzählen in einem Zeitmaß vergleichen. Dennoch sind beide zwölf. Relevant werden Eigenschaften bei Vergleichen ihrer Qualität. Eine Qualität ist die Antwort auf eine „Wie“-Frage. So unterscheiden sich die zwölf Stämme von den zwölf Jüngern in ihrer Qualität beispielsweise darin, dass die zwölf Stämme nicht von Jesus erwählt worden sind, die Jünger aber schon. Außerdem sind die Stämme selbst im Gegensatz zu den Jüngern keine Menschen. In diesen Qualitäten unterscheiden sich also beide voneinander. In dieser Hinsicht kann man kein Mehr oder Weniger vergleichen, sondern ein Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Eigenschaften. Vergleiche lassen sich nur anstellen, wenn entweder Quantitäten oder Qualitäten zugrunde gelegt werden. Das ist dagegen bei Kategorien ausgeschlossen. Kategorien können nicht miteinander verglichen werden, da Vergleiche voraussetzen, dass sie in einer und derselben Kategorie vorgenommen werden. Man kann sie nur unterscheiden, aber nicht vergleichen. Eine Kategorie ist eine bestimmte Art von Antworten auf eine „Was“-Frage. Dabei ist, nach einer Definition von Charles S. Peirce, eine Kategorie ein Ausdruck über Phänomene höchster Allgemeinheit.119 Aristoteles nennt Kategorien „ohne Verbindung gesprochene Worte“120. Nicht jeder Begriff ist danach eine Kategorie, sondern nur solche, die sich nicht weiter auf eine höhere Verallge119 Ch.S. Peirce: Vorlesungen über Pragmatismus, 23. 120 Aristoteles: Die Kategorien Kap. 4.

11.1  Unterscheidung von Quantitäten, Qualitäten, Kategorien 

meinerung zurückführen lassen. So kann man Kinder und Erwachsene vergleichen, weil sie beide Menschen sind, und Menschen mit Tieren, weil beide Lebewesen sind. Sie lassen sich also im Hinblick auf einen allgemeineren Begriff vergleichen – in ihrer Qualität (Menschen sind „politische Tiere“) oder Quantität (Menschen haben eine höhere Lebenserwartung als die meisten Tiere). Die Begriffe mit höherer Allgemeinheit setzen in dieser Reihe die niedrigeren nicht voraus: Nicht jedes Lebewesen ist ein Kind, aber jedes Kind ein Lebewesen. Zu einer Kategorie findet man erst, wenn sich ein Begriff nicht in einem Allgemeineren aufheben lässt. Der Test, eine Kategorie zu finden, besteht also darin, etwas zusammenfassen zu wollen: Wenn sich dann bei der Zusammenfassung ein Begriff nicht aufheben lässt, ist er eine Kategorie. „Von höchster Allgemeinheit“ heißt also nicht, eine möglichst hohe Maßeinheit gefunden zu haben. Der Ausdruck bedeutet vielmehr, dass man eine Kategorie bei jeglicher Denkoperation voraussetzt.  ategorien sind Begriffe mit einer so hohen Allgemeinheit, dass man sie K nicht miteinander vergleichen kann. Vielmehr werden sie für Vergleiche zugrunde gelegt. Übung zum Entdecken von Kategorien Finden Sie in diesen beiden Listen die Kategorien. A) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kind Mensch Lebewesen Ding Stadt Zimmer Ort

B) 1. Einzelding 2. Exemplar 3. Art

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  11  „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler

4. Gattung 5. Größe 6. Beschaffenheit Lösung A) Ding, Ort Während die übrigen Beispiele ein Höheres und Allgemeineres haben, lässt sich das Ding nicht in einem Höheren aufheben. Jedes Höhere, das Dinge zusammenfasst, setzt das Ding voraus, während das Lebewesen nicht das Kind voraussetzt. Eine Stadt gehört ebenso wie ein Zimmer zur Kategorie „Ort“. Alles, was sich in der Stadt befindet, befindet sich im Ort. Der Ort aber hat nichts Höheres, in dem sich etwas befindet. B) Einzelding, Art, Gattung, Größe, Beschaffenheit Das Exemplar ist ein Einzelding, aber nicht jedes Einzelding ein Exemplar. Daher findet das Exemplar im Einzelding sein Allgemeineres. Das Einzelding findet aber kein Allgemeineres, ohne dass es bereits vorausgesetzt ist. Weder ist eine Art ein Einzelding, noch ist ein Einzelding eine Art. Ebenso wenig ist eine Gattung eine Art oder umgekehrt. Obwohl nach Aristoteles sowohl Gattung als auch Art zu den Dingen gehören, sind sie keine Einzeldinge, sondern Dinge „zweiter Ordnung“121. Sie lassen sich auch nicht miteinander auf einer Ebene vergleichen außer auf der Ebene der höchsten Allgemeinbegriffe. Deshalb sind sie verschiedene Kategorien. Auch Größe und Beschaffenheit sind von größter Allgemeinheit. Sie beide sind zwar Eigenschaften, aber auch nur, wenn es einen Gegenstand gibt, der diese Eigenschaften hat. Ohne diesen Gegenstand sind Größe und Beschaffenheit für sich genommen eigenständige Kategorien. Ich erinnere an das Zitat von Aristoteles: Kategorien sind „ohne Verbindung gesprochene Worte“ – also auch ohne Verbindung zu einem Gegenstand, dem sie zugesprochen werden. 121 Aristoteles: Die Kategorien, Kap. 5.

11.1  Unterscheidung von Quantitäten, Qualitäten, Kategorien 

Größe ist keine Beschaffenheit, weil sie nämlich nach Maßungen und damit quantitativ verglichen wird, während Beschaffenheiten qualitativ verglichen werden. Deshalb ist Größe eine eigene Kategorie. Die Beschaffenheit eines Gegenstandes kann zwar auch quantitativ gemessen werden („Dieser Sessel ist doppelt so weich wie jener Stuhl“), aber dazu muss beim Gegenstand zur Beschaffenheit auch eine Größe hinzukommen, die sie nicht von sich aus hat. „Weich“ hat nur im Verhältnis zu einem anderen Weichen eine Größe – aber nicht, wenn es ein „ohne Verbindung gesprochenes Wort“ ist. Ein Großes ist dagegen auch ohne Verhältnis zu einem anderen Großen groß. Übung zu Texten aus der Fachliteratur Beantworten Sie bitte die folgenden Fragen zu den Textabschnitten: 1. Elisabeth Gräb-Schmidt beschreibt in diesem Textabschnitt das Verhältnis von Religion und Freiheit. Wenn sich das „Dritte“ auf eine Kategorie bezieht (auf welche?), welche Kategorien sind dann das Erste und Zweite? Lassen sich einige dieser drei Begriffe weiter in einem Höheren aufheben? Inhaltlich wird mit ihr [der Religion, L.O.] die Identität und Individualität setzende und damit auch die existenzsetzende Kraft bestimmt, die sich darin zeigt, dass es in der Religion um die Durchsichtigkeit des Seins in seiner Endlichkeit und bedingten Freiheit und deren Gefährdungen, aber auch deren Behauptungen geht. … Methodisch hat diese inhaltliche Zuspitzung auf die konkrete Existenz zur Konsequenz, dass Wahrheit nicht einfach gedacht wird und Freiheit nicht ‚zur Verfügung‘ steht, sondern dass Erfahrungen kommuniziert, ausgelegt und gedeutet werden müssen über ein Drittes, das dem direkten rationalen Zugriff entzogen, das aber gleichwohl für die Rationalität in ihrer Selbstdurchsichtigkeit von Bedeutung ist.122

2. Bernhard Waldenfels beschreibt zwei Momente menschlicher Erfahrungen, die immer zugleich auftreten, nämlich Pathos/Widerfahrnis und Response/Antwort. Sind sie damit auch die kategorialen Differenzen, die die Erfahrung bestimmen, oder lassen sich dafür andere Kategorien rekonstruieren? 122 E. Gräb-Schmidt: Religion und Freiheit, 230.

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  11  „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler

Das fremde Pathos, das auf uns zukommt, und die eigene Antwort, die von uns ausgeht, stoßen aufeinander, ohne sich zu einem einzigen Erfahrungsstrom zu vereinigen.123 Antwortereignis und Antwortgehalt fallen nicht zusammen. … Ich nenne diese Trennlinie, die das Antwortgeschehen durchschneidet, responsive Differenz. Sie ist weder ontologisch noch hermeneutisch angelegt, sondern entspringt dem Erfahrungsvollzug.124

Lösung 1. Das „Dritte“ bezieht sich offenbar auf ein Erstes und Zweites. Dem Kontext nach dürften sich Freiheit, Wahrheit auf Religion als des Dritten beziehen. Keiner dieser drei Begriffe lässt sich auf einen anderen reduzieren. Es scheint aber für ein Begriffspaar ein höheres Allgemeines zu geben, nämlich der „rationale Zugriff “. Hier werden Freiheit („Zugriff “) und Wahrheit („rational“) offenbar in der Kategorie des Aktes zusammengefasst – weil ein rationaler Zugriff ein Akt ist. Für das Dritte gilt das nicht, weil es dem rationalen Zugriff entzogen ist. So bleiben also zwei höchste Allgemeinbegriffe übrig, nämlich der rationale Zugriff (Akt) und die Religion. Beide lassen sich aber nicht weiter im Begriff der Rationalität zusammenfassen. Zwar hat Religion Bedeutung für die Rationalität, ist aber nicht selbst rational. Sie wirkt offenbar als Nicht-Rationales auf die Rationalität. 2. Wenn sich Pathos und Antwort nicht in einem Erfahrungsstrom vereinigen, kann man dann auch nicht von „dem“ einen „Erfahrungsvollzug“ sprechen, weil es nicht den einen Erfahrungsstrom dieses Vollzuges gäbe. Das gilt auch dann, wenn mit „Erfahrungsvollzug“ im zweiten Zitat nur die Antwort gemeint ist. Denn die Antwort fällt ja selbst auseinander in Pathos und Gehalt, die sich gerade nicht in einen Erfahrungsstrom vereinigen lassen. Die 123 B. Waldenfels: Sozialität und Alterität, 218, Herv. B.W. 124 B. Waldenfels: Sozialität und Alterität, 270.

11.2 Kategoriefehler 

Antwort enthält also selbst das Pathos („Antwortereignis“). In diesem Fall stehen nicht „Pathos“ und „Antwort“ auf der gleichen Ebene kategorialer Unterschiede, weil zur Antwort das Pathos gehört. Vielmehr sind als Kategorien „Pathos“ und „Gehalt“ zu nennen.

11.2 Kategoriefehler Wie viele und welche Kategorien es gibt, ist mehr oder weniger umstritten. So unterscheidet sich die aristotelische Kategorienlehre fundamental von der Kategorienlehre bei Peirce. Offenbar ist die Bestimmung der Kategorien abhängig von einer Ontologie oder Kosmologie. Für das Theologiestudium ist nicht entscheidend, dass Sie die Kategorien kennen. Denn Kategoriefehler können auch erkannt werden, wenn die Kategorien umstritten sind. Außerdem treten Kategoriefehler auch auf, wenn der Vergleichspunkt von Verhältnissetzungen mehrerer Gegenstände kein höchster Allgemeinbegriff ist, sondern bereits Begriffe auf unterschiedlichen Ebenen von Allgemeinheit. Zwar kann man solche Fehlstellungen letztendlich auf unterschiedliche Kategorien zurückführen, was aber in der Regel nicht nötig ist, weil man auch vorher schon erkennt, dass der Vergleich hinkt. Ein Kategoriefehler oder kategorialer Fehlschluss beruht darauf, dass bei einem Vergleich zwischen zwei oder mehr Begriffen kein gemeinsamer Allgemeinbegriff zugrunde liegt, auf dessen Ebene sie verglichen werden. So ist es eben mit dem Kalauer: „Nachts ist es kälter als draußen.“ Hier wird der Vergleich eines Wortes unter der Kategorie der Zeit mit einem Wort unter der Kategorie des Ortes gezogen. Dadurch wird nichts verständlich gemacht. Kategoriefehler entstehen auch, wenn Begriffe auf verschiedenen logischen Ebenen miteinander verglichen werden. Nehmen wir etwa den Satz: „Kinder spielen häufiger als Menschen.“ Dieser Vergleich beruht auf einem Kategoriefehler, weil der Begriff „Mensch“ einmal das Maß des Vergleichs ist, der auch Kinder umfasst, aber selbst zum Vergleich mit Kindern herangezogen wird. Verglichen werden kann nur, was sich auf derselben Ebene des Maßes befindet. Ein kategorial fehlerfreier Vergleich wäre etwa der Satz: „Kinder spielen häufiger als Erwachsene.“ Hier finden beide verglichenen Begriffe ihr Maß im Begriff „Mensch“.

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  11  „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler

Schließlich können auch Kategoriefehler entstehen, wenn Kategorien miteinander verglichen werden. Denn die höchsten Allgemeinbegriffe haben kein höheres gemeinsames Maß, unter dem sie verglichen werden können. „Die Größe ist größer als Dinge“ ist ebenso unsinnig wie „Die Größe ist wertvoller als das Ding.“ Man kann zwar sagen: „Ich finde die Zeit schöner als den Raum.“ Dann meint man vielleicht, dass etwa Sonntage schön sind, gleichgültig wo man sich befindet. Aber in diesem Fall werden nicht Kategorien verglichen, sondern die eigene Beziehung zu Fällen dieser Kategorien. Auch finden nicht Raum und Zeit ihr gemeinsames Maß in der Kategorie der Beziehung, wenn doch nur ein persönliches Geschmacksurteil in der Kategorie der Beziehung getroffen wird. Natürlich kann man Aussagen über verschiedene Kategorien treffen, etwa wenn man entscheidet, in welcher Kategorie eine bestimmte Fragestellung zu beantworten ist. Wenn man etwa inzwischen theologisch den Vorrang der Relation vor dem Gegenständlichen betont125, werden nicht Kategorien miteinander verglichen, sondern die möglichen Perspektiven für eine Fragestellung, um eine sachgemäße Perspektive zu finden. Kategoriefehler entstehen, wenn 1. Begriffe miteinander verglichen werden, die sich nicht in einem höheren Begriff integrieren lassen126, 2. Begriffe verglichen werden, die sich nicht auf derselben Stufe befinden (z. B. Kinder und Menschen, weil Kinder ja Menschen sind), 3. Kategorien verglichen werden, weil sie ja keinen höheren Allgemeinbegriff haben, an dem sie verglichen werden könnten.

In den folgenden Übungen werden Kategoriefehler aufgezeigt, die sich unmittel­ bar in einer kurzen Textsequenz finden lassen. Meistens tauchen sie jedoch auf, wenn man verschiedene Textpassagen eines Buches oder eines Autors findet. Um sie dann zu finden, ist wiederum die Anfertigung eines Exzerptes hilfreich.

125 Z.B. E. Jüngel: Gottes Sein ist im Werden, 110. 126 Kap. 5.

11.2 Kategoriefehler 

Übung zu Kategoriefehlern in der Fachliteratur Finden Sie in den folgenden Texten jeweils die Kategoriefehler. Rekonstruieren Sie dafür, was jeweils miteinander verglichen wird. Dogmatische Texte 1. „Zu diesem volkskirchlichen Selbstverständnis tritt in jüngerer Zeit zudem die Einsicht, dass die evangelische Kirche weder als (engagierte) Gemeinde noch als rechtsförmige Organisation zureichend verstanden ist. Vielmehr umfasst die evangelische Kirche zugleich, ja gleichursprünglich Dimensionen und Sozialformen der Gemeinschaft, der Organisation, der Institution im Sinne immer schon vorgegebener Verhältnisse und Erwartungen und nicht zuletzt der sozialen Bewegung, die auf gesellschaftliche und religiöse Reform zielt.“127 2. (Der folgende Text bedenkt die Möglichkeit, wie Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch sein konnte. Wenn dabei von „Wort“ die Rede ist, so ist damit der Schöpfer gemeint wie in der Bibelstelle: „Im Anfang war das Wort“ [Joh. 1,1]. Das „Wort“ ist trinitätstheologisch dem Sohn zugeordnet gewesen.) „Wer wird denn so dumm und wahnwitzig sein, zu glauben, daß die göttliche Natur des Wortes in etwas, was sie nicht war, verwandelt worden oder daß das Fleisch auf dem Wege der Veränderung in die Natur des Wortes selbst übergegangen sei! Das ist ausgeschlossen. Wir behaupten vielmehr, daß es einen Sohn und eine Natur des Sohnes gibt, auch nachdem er Fleisch mitsamt einer vernünftigen Seele angenommen. Denn er hat, wie ich schon sagte, die Menschennatur sich zu eigen gemacht, und aus diesem und keinem andern Grunde ist er für uns Gott und Mensch zugleich.“128 3. „Das Heilige zieht in Theologie und Religionsphilosophie … Interesse auf sich: weil das Heilige im Zuge von Transformationsprozessen seinerseits die Grenzen eines explizit religiösen Diskurses weit überschritten hat: weil das Heilige Prozesse durchlaufen hat, in deren Vollzug das Heilige sich von seinen religiösen Wurzeln gelöst und in nicht-explizit-religiösen Bereichen des Denkens und Kulturbildens selbständige Daseinsformen entwickelt hat. Im Zuge von Säkulari127 J. Hermelink/B. Weyel: Vernetzte Vielfalt, 19. 128 Cyrill v. Alexandrien: Daß Christus einer ist, 142.

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sierungsprozessen ist das Heilige in nicht religiös oder jedenfalls nicht (explizit) religiös begründete Zusammenhänge emigriert.“129 Ethische Texte 1. (Dieser Text begründet, warum von der biblischen Vorstellung der Gottebenbildlichkeit her Embryonen menschliche Würde zugesprochen werden sollte.) „Die Unterscheidung zwischen gattungsspezifischem und individualspezifischem Leben ist prinzipiell zwar nachzuvollziehen, aber gleichwohl nicht überzeugend. Auch jenseits der Geburt werden Menschen nicht unter den unbedingten Schutz der Rechtsordnung gestellt, weil sie ein bestimmtes Individuum sind, sondern weil sie zur Gattung ‚Mensch‘ gehören. Das bedeutet: Nur der allerfrüheste Zeitpunkt, also die Konstitution eines eigenen Genoms bei der Kernverschmelzung, bietet die Gewähr, seinerseits keinen Begehrlichkeiten hinsichtlich einer möglichen Verschiebung zu unterliegen. Deshalb muss die Folgerung lauten, dass die biblischen Aussagen potentiell auch dem menschlichen Embryo gelten.“130 2. „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde … Diese Schätzung gibt also den Wert einer solchen Denkungsart als Würde zu erkennen und setzt sie über allen Preis unendlich weg, mit dem sie gar nicht in Anschlag und Vergleichung gebracht werden kann, ohne sich gleichsam an der Heiligkeit derselben zu vergreifen.“131 3. „Das Evangelium von der Menschenfreundlichkeit Gottes, die in Jesus Christus sichtbar geworden ist, unterbricht vielmehr auf heilsame Weise die Logik des Wertens und Umwertens. ‚Nicht Werte‘, so Jüngel, ‚leiten das Handeln des Christen, sondern allein die aus der Wahrheit kommende Liebe, die ebenso wenig wie die Wahrheit einen Wert hat oder darstellt.‘“132

129 130 131 132

J. Schmidt: Kultur der Heiligkeit, 279. M. Hein: Präimplantationsdiagnostik, 510 f. I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 434 f. U.H.J. Körtner: Psychiatrie im Kontext von Diakonie und Ökonomie, 121.

11.2 Kategoriefehler 

Lösung 1. Behauptet wird, dass Gemeinde, Organisation, Institution und Bewegung alle „Dimensionen und Sozialformen“ seien und sie sich also unter diesem Begriff vergleichen lassen. Tatsächlich sind Institutionen aber selbst (zumindest auch) „rechtsförmig“ und damit organisiert. Die Begriffe Organisation und Institution befinden sich also nicht auf derselben Vergleichsebene. Vergleichen lassen sich allenfalls organisierte mit unorganisierten Anteilen von Institutionen oder der Kirche als Institution. Im Zitat dagegen besteht ein Kategoriefehler. Ebenso stehen Gemeinde und Organisation nicht auf derselben Vergleichsebene, da auch eine Kirchengemeinde rechtsförmig organisiert ist. Zudem schafft die geografische Aufteilung in Ortsgemeinden eine institutionelle Erwartungssicherheit. Kirchengemeinden sind daher auch Institutionen und lassen sich daher nicht unter der gleichen Kategorie „Sozialformen“ mit Institutionen vergleichen. Schließlich könnte zwar die Bewegung eine unorganisierte weil nicht rechtsförmig gestaltete Sozialform meinen. In diesem Fall sind Bewegungen außerhalb der Institution Kirche angesiedelt. So kann es sein, dass zur Bewegung der Kirche Christen gehören, die keine Kirchenmitglieder sind und vielleicht nicht einmal getauft sind. Dass diese Bewegung dennoch der Kirche zugerechnet wird, dürfte daran liegen, dass sie an irgendeiner Stelle institutionell an die Kirche verankert ist. Die Institution würde eine Bewegung, die nicht irgendwie zur evangelischen Kirche gehört, nicht als Teil ihrer selbst identifizieren. Auch für Kirchensoziologen dürfte sie dann nur zu pluralistischen Umweltbedingungen der Kirche gehören. Wenn also die Bewegung zur Institution gehört, so lassen sich beide nicht miteinander vergleichen. Vielmehr könnten allenfalls institutionelle von nicht-institutionellen Bewegungen verglichen werden. Die sich unter Kirchensoziologen inzwischen eingespielte Rede von Kirche als „Hybrid“133 aus den genannten verschiedenen Sozialformen ist daher nicht wirklich eine Beschreibung unterschiedlicher kirchlicher „Dimensionen“ als vielmehr unterschiedliche Beschreibungen oder Perspektiven 133 E. Hauschildt: Organisation der Freiheit – „evangelisch Kirche sein“ verändert sich, 232.

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  11  „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“ Kategorien und Kategoriefehler

auf Kirche. Hybrid ist nicht die Kirche, sondern die praktisch-theologische Herangehensweise. 2. Der Text vergleicht und unterscheidet zwischen verschiedenen Naturen, nämlich zwischen der „göttlichen Natur“ und der „Natur des Sohnes“ Gottes. Die Natur des Sohnes ist zwar auch göttlicher Natur, aber die Umkehrung ist nicht der Fall: Die göttliche Natur ist nicht die Natur des Sohnes, sondern auch die Natur des Vaters und des Heiligen Geistes. Damit besteht eine Hierarchie zwischen den Naturen: Die göttliche Natur enthält die Natur des Sohnes, nicht aber umgekehrt. Beide Naturen werden aber im Text qualitativ unterschieden: Während sich die Natur des Sohnes Fleisch zueigen machen kann, kann die göttliche Natur das nicht. Daraus wird gefolgert, dass der Sohn „Gott und Mensch zugleich“ sei. Und diese Folgerung beruht auf einem Kategoriefehler: Fleisch als Eigenschaft des Sohnes ist nämlich keine Eigenschaft Gottes. Der Sohn ist nur Mensch, sofern er nicht Gott ist, sofern also von seiner göttlichen Natur abgesehen wird. Nur in seiner spezifischen Differenz zu den anderen göttlichen Personen der Trinität und zur göttlichen Natur macht er sich Fleisch zueigen. Der Kategoriefehler besteht darin, dass göttliche Natur und Natur des Sohnes auf einer Ebene verglichen werden, so als ob beide ihr gemeinsames Maß im Naturbegriff hätten. Die Natur des Sohnes ist aber auch eine göttliche Natur – ebenso wie Kinder Menschen sind und sich deshalb nicht mit Menschen vergleichen lassen. Im Text werden die beiden Naturen als qualitative Unterschiede behandelt, obwohl sie kategorial unterschieden sind. 3. Ist das Heilige eine theologische Kategorie, so kann es keine nicht-theologischen „selbständigen Daseinsformen“ entwickeln. Es wird also das Heilige als theologische Kategorie mit dem Heiligen als Daseinsform verglichen. Darin besteht der Kategoriefehler. In nicht-religiöse Kontexte kann das Heilige nur „emigrieren“, wenn es entweder keine theologische Kategorie ist, sondern ein Phänomen, eine Qualität oder ein Forschungsgegenstand, der aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann. Oder es ist zwar eine theologische Kategorie, die aber dann ebenfalls in nicht-religiöse Kontexte emigriert ist – was heißen würde, dass auch in nicht-religiösen Diskursen theologisch gedacht wird.

11.2 Kategoriefehler 

Man kann aber fragen, ob hier wirklich vom Heiligen gesprochen wird oder vom Begriff „Heiliges“.134 In nicht-religiösen Kontexten könnte dieser Begriff aber dann etwas anderes (einen anderen Gegenstand, eine andere Qualität o. ä.) meinen als in religiösen Kontexten. Die Indifferenz zwischen Heiligem und „Heiligem“ führt dann auch zu einer Verwechslung der jeweils zugrunde gelegten Kategorien: Werden etwa Diskurse über das Heilige verglichen oder das Heilige in verschiedenen Diskursen? Da sich Diskurse nicht mit dem Heiligen vergleichen lassen – beide sind nicht qualitativ unterschieden, sondern kategorial –, muss diese Indifferenz aufgehoben werden, damit klar werden kann, wovon die Rede ist. Ethische Texte 1. A) Der Text stellt ein unmittelbares Verhältnis zwischen juristischen, biblischen und ethischen Kategorien her. Man könnte zwar meinen, Oberbegriff seiner Verhältnissetzung sei der Lebensbegriff, und die juristischen, biblischen, biologischen und ethischen Aussagen seien nur verschiedene Beiträge zum Begriffe einer einzigen Kategorie. Tatsächlich aber werden logische Verknüpfungen vorgenommen, die belegen, dass nicht der Lebensbegriff als Oberbegriff fungiert, sondern letztendlich die juristische Kategorie: Weil (angeblich) juristisch keine Differenz zwischen gattungsspezifischem und individualspezifischem Leben besteht („Die Unterscheidung … ist nicht überzeugend“), verdient der Embryo ab dem Zeitpunkt der Kernverschmelzung (biologische Betrachtung) die Zurechnung, Gottes Ebenbild zu sein (theologische Betrachtung). Die ethische Konsequenz, dass der Embryo menschliche Würde besitzt, wird hier zwar nur implizit gezogen, aber letztlich von der theologischen Betrachtung abhängig gemacht. Die logische Verknüpfung sieht also so aus: Ein ethischer Anspruch ist abhängig von einer theologischen Betrachtung, die wiederum von einem biologischen Sachverhalt abhängig ist, dessen Relevanz schließlich von einer juristischen Tatsache abhängt. Alle Betrachtungen sind damit letztlich juristisch, weil sie sonst nicht in einem Zusammenhang stehen könnten. (Ethische und

134 Im entsprechenden Aufsatz scheint sich der Autor „vorsichtig formuliert“ darauf einzuschränken, es gebe „ein starkes Interesse an Diskursen der Heiligkeit“ (J. Schmidt: Kultur der Heiligkeit, 279).

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theologische Betrachtungen sind wiederum biologische Sachverhalte und ethische Betrachtungen theologisch.) Das mag man so sehen und dann sieht man auch keinen Kategoriefehler. Allerdings könnten dann auch theologische Sachverhalte durch juristische Erkenntnisse oder Gesetzesnovellen verändert werden – ebenso wie biologische Tatsachen und ethische Ansprüche. Das ist nicht überzeugend. Vielmehr ist an der Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Disziplinen festzuhalten. Dann aber werden fehlerhaft Verhältnisse gesetzt, die auf kategorialen Differenzen beruhen. B) Ein zweiter Kategoriefehler lässt sich in diesem Text ausmachen, der allerdings schwieriger zu erkennen ist, weil er sich nur implizit zeigt. Er besteht m. E. im Vergleich von menschlichem Leben und lebendigen Menschen. Diese Begriffe werden nicht im Text verwendet. Im Folgenden möchte ich begründen, warum dieser Unterschied implizit verwendet wird – und warum sich dann daraus ein Kategoriefehler ergibt. Der Text ebnet den Unterschied zwischen Leben der Gattung und der des Individuums ein – allerdings beschränkt er ihre Indifferenz nur auf den Menschen. Das Leben von Tieren verdient also nicht denselben Lebensschutz, obwohl es auch Leben ist. Der besondere Lebensschutz, der hier begründet wird, beschränkt sich also auf menschliches Leben. Wenn aber nun der Lebensschutz des Embryos aus der Kernverschmelzung abgeleitet wird, so wird zwar nicht ein bestimmtes menschliches Individuum geschützt – denn auch nach der Kernverschmelzung können sich noch Mehrlinge bilden. Allerdings wird dennoch der Embryo aus der Indifferenz des menschlichen Lebens herausgehoben: Der Embryo hat keinen besonderen Lebensschutz, weil er menschliches Leben ist – das könnte man auch von der unbefruchteten Spermien- und Eizelle sagen –, sondern weil mit ihm ein lebendiger Mensch (und zwar immerhin mindestens einer) in die Welt tritt. Menschliches Leben und ein lebendiger Mensch lassen sich aber nicht auf einer Ebene ins Verhältnis setzen. So hat ein lebendiger Mensch Leben, aber menschliches Leben hat kein Leben. Menschliches Leben ist aber auch nicht tot oder leblos. Beide sind also nicht einfach qualitativ verschieden (so wie ein lebendiger und ein toter Mensch), sondern kategorial: Bei Leben macht es keinen Sinn, davon zu sprechen, dass es entweder lebt oder leblos ist. Nun meint der Text, dass ein lebendiger Mensch zum menschlichen Leben „gehört“ (immerhin kommt das Wort ja auch im Text vor: „weil sie

11.2 Kategoriefehler 

zur Gattung ‚Mensch‘ gehören“; gemeint ist aber übrigens menschliches Leben und nicht die Gattung von Menschen, die auch tote Menschen oder künftige Generationen einschließen. Ansonsten lässt sich der Lebensschutz nicht begründen). Weil also menschliches Leben in seiner Indifferenz von Gattung und Individuum zu schützen ist und weil ein lebendiger Mensch zum menschlichen Leben gehört, verdient er denselben Schutz. – Es ist aber dann nicht der lebendige Mensch, sondern sein menschliches Leben, das zu schützen ist. Und dann leuchtet es nicht ein, warum der Lebensschutz erst mit der Kernverschmelzung einsetzt und sich nicht bereits in gleicher Weise auf unbefruchtete Spermien- und Eizellen bezieht. Die Indifferenz von menschlichem Individuum und menschlicher Gattung geht also einher mit einem Kategoriefehler, dass nämlich der Schutz eines lebendigen Menschen in seinem Menschsein aus dem Schutzgut des menschlichen Lebens gefolgert wird. Ebenso wenig wie sich menschliches Leben und Menschen auf einer Ebene vergleichen lassen, lassen sie sich so ins Verhältnis setzen, dass der Lebensschutz des Menschen aus dem Schutz des Lebens folgt. 2. Diese berühmte Definition der Würde bei Immanuel Kant vergleicht dieselbe mit dem Preis quantitativ – zumindest zwischendurch: Zwischen beiden wird ein „unendlicher“ quantitativer Abstand angegeben. Daraus würde dann folgen, dass zwei Menschen zusammengenommen genauso viel Würde hätten wie ein Mensch, weil Unendlichkeit quantitativ nicht steigerbar ist. Man könnte dann einen der beiden Menschen töten, ohne dass dabei ihre Würde vermindert wird. Diese absurde Konsequenz folgt aber nur, wenn man Würde mit Preis quantitativ vergleicht. Doch eigentlich ist das Denken in Würde sogar eine andere Denkart als in Preisen, eben nicht in Zahlen, Werten und Eigenschaften, sondern in Unvergleichbarkeit. Oberflächlich gesehen vergleicht Kant Preis und Würde zwischendurch auch qualitativ: Der Preis hat ein Äquivalent, die Würde nicht. Da aber damit Würde Unvergleichlichkeit bedeutet, lassen sich Preis und Würde nicht einmal qualitativ vergleichen. Würde ist „Heiligkeit“, sie ist „erhaben“ und entzieht sich darin einem Vergleich. Der Vergleich von Preis und Würde beruht deshalb auf einem Kategoriefehler, weil Preis und Würde kein gemeinsames Drittes haben, auf das sie sich beziehen, um miteinander verglichen zu werden.

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Die Entdeckung, dass Kants Unterscheidung von Preis und Würde eine kategoriale und keine quantitative ist, erleichtert den Umgang bei ethischen Dilemma-Konflikten, etwa im Fall des sog. „führerlosen Zugs“, bei dem ein Akteur einen Zug, der eine Menschenmenge töten würde, umleiten kann, dabei allerdings einen Mensch töten würde. Da dieser quantitative Vergleich nichts mit der kategorialen Differenz von Würde und Preis zu tun hat, ist Dieter Birnbacher zuzustimmen: „Es ist nicht zu sehen, warum die Anerkennung eines Höchstwerts … quantitative Auswirkungen ausschließt.“135 Wenn Würde Unvergleichlichkeit meint, so kann zwar nicht mit der Kategorie der Würde entschieden werden, wie zu handeln ist. Nun hat aber der Vergleich zwischen mehreren und einem Menschenleben ein gemeinsames Maß, das einen Vergleich und eine Handlungsentscheidung ermöglicht. Es kann nicht mit der Würdekategorie gefolgert werden, dass überhaupt nicht gehandelt werden dürfe, weil sich sonst der Kategoriefehler praktisch auswirkt: Die Würdekategorie würde auf einen Fall übergreifen, der in einer anderen Kategorie zu bewerten ist. 3. Zunächst möchte ich zeigen, dass Liebe und Werte sich auf unterschiedlichen kategorialen Ebenen befinden, weswegen sie sich nicht vergleichen lassen. Denn immerhin erzeugt die Liebe den Wert des geliebten Objekts. Liebe richtet sich weder auf Wertloses, noch enthält sich die Liebe in der Frage, welchen Wert das geliebte Objekt im Vergleich zu anderen Objekten hat. Liebe muss zwar selbst noch kein Wert sein, ist aber dann die Art und Weise, wie bestimmte Werte entdeckt oder sogar generiert werden. Vergleichen ließen sich jetzt unterschiedliche Arten und Weisen, wie Werte entstehen oder entdeckt werden, oder auch die Werte, die auf unterschiedliche Arten und Weisen entstehen, nicht aber eine solche Art und Weise mit Werten selbst. Deshalb liegen Liebe und Werte auf unterschiedlichen kategorialen Ebenen. Wenn nun die Gegenüberstellung – nicht Werte, sondern Liebe – das Ergebnis des Vergleichs sein soll, wodurch Handeln geleitet wird, so beruht sie auf einem Kategoriefehler. Nun könnte Körtners Gegenüberstellung aber auch genau das ausdrücken wollen, dass die Kategorie gewechselt werden muss, um zu verstehen, was Handeln leitet. Die Textstelle würde also dann selbst vor einem Kategorie135 D. Birnbacher: Tun und Unterlassen, 221.

11.2 Kategoriefehler 

fehler warnen, weil sich Handeln nicht an Werten bemessen lässt. Das wäre aber nur dann richtig, wenn es für das Handeln gleichgültig wäre, ob die Liebe Werte generiert oder nicht. Dann würde gesagt, dass Liebe Handeln leitet, aber ausgenommen ihrer Werte. Letztere könnten sogar zu einem entgegengesetzten Handeln leiten, ohne dass sich am handlungsleitenden Charakter der Liebe etwas ändern würde. Wenn man diese Position aber nicht vertreten möchte und stattdessen Liebe mit Werten vergleicht, begeht man einen Kategoriefehler. Übung: Quantität, Qualität oder Kategorie? Entscheiden Sie bitte, ob in den folgenden Sätzen Aussagen über Quantitäten, Qualitäten oder Kategorien getroffen werden. 1. „Jesus spricht: Ich und der Vater sind eins.“ (Joh. 10,30) 2. „Ich und der Vater sind einer.“ 3. „Eine Steigerung der missionarischen und kulturellen Qualität kirchlicher Arbeit wird sich wiederum befruchtend auch auf das Leben in Ortsgemeinden auswirken.“136 Lösung 1. Qualität: Zwischen Jesus und dem Vater besteht eine qualitative Einheit, die allerdings nicht näher ausgeführt wird: Mindestens eine relevante Eigenschaft teilen sie, obwohl sie zahlenmäßig zwei sind. 2. Quantität: Hier würde nun eine zahlenmäßige Einheit zwischen Jesus und dem Vater bestehen. Obwohl sie qualitativ verschieden sind (Jesus ist der Sohn und nicht der Vater), sind sie zahlenmäßig einer. Diese Unterscheidung ist in der analytischen Philosophie als intensionale und extensionale Bedeutungen ausgeführt worden: Obwohl der Morgenstern und der Abendstern extensional derselbe Stern ist (Venus), hat der Ausdruck „Morgenstern“ eine andere Bedeutung als „Abendstern“. Ebenso wäre es bei diesem Beispiel mit den Ausdrücken „Vater“ und „Sohn“, die beide einer (Gott) wären.

136 Kirchenamt der EKD: Kirche der Freiheit, 37 f..

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3. Quantität: Obwohl der Ausdruck „Qualität“ sogar im Text verwendet wird, kann sich eine Steigerung nur auf quantitative Verhältnisse beziehen: entweder indem eine bestimmte Qualität stärker als bisher zur Verfügung stehen soll oder wenn mehr Qualitäten hinzugefügt werden. Wenn etwa in Personalbüros und auch in kirchenleitenden Texten „mehr Qualität“ gefordert wird, so wird nicht wirklich eine Veränderung auf der Ebene der Qualität angemahnt, sondern auf der Ebene der Quantität. Übung: Kategoriefehler oder nicht? Finden Sie den Vergleichspunkt heraus. Wird etwas verglichen, was nicht vergleichbar ist? Liegt ein Kategoriefehler vor? Dogmatische Aussagen 1. (Dieser Text ist eine Anekdote des Physikers Steven Hawking von einer wissenschaftlichen Konferenz zur Weltentstehung.) „Am Ende der Konferenz wurde den Teilnehmern eine Audienz beim Papst gewährt. Er sagte uns, es spreche nichts dagegen, daß wir uns mit der Entwicklung des Universums nach dem Urknall beschäftigen, wir sollten aber nicht den Versuch unternehmen, den Urknall selbst zu erforschen, denn er sei der Augenblick der Schöpfung und damit das Werk Gottes.“137 2. Gott verursachte den Urknall. Ethische Aussagen 1. Nur beim Sex zwischen Mann und Frau können Kinder gezeugt werden. Deshalb ist Sex zwischen Mann und Frau besser als zwischen homosexuellen Paaren. 2. Der Embryo entwickelt sich graduell zum Menschen. Also ist er ein Mensch, weil seine Entwicklung keine Zäsuren hat. 3. „Nur die allgemeinste und absolute Zweckmäßigkeit der Erhaltung und Forderung von Leben, auf die die Ehrfurcht vor dem Leben gerichtet ist, ist ethisch. Alle andere Notwendigkeit oder Zweckmäßig137 St.W. Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit, 148.

11.2 Kategoriefehler 

keit ist nicht ethisch, sondern nur mehr oder weniger notwendige Notwendigkeit.“138 Lösung Dogmatische Aussagen 1. Den Urknall naturwissenschaftlich selbst zu erforschen, wenn er das Werk Gottes ist, hieße, einen Kategoriefehler zu begehen. Denn die Weltentstehung wäre auch die Entstehung der Möglichkeit der Naturwissenschaften, die nämlich nur Phänomene innerhalb der Welt untersuchen. Daher kann die Weltentstehung nicht selbst naturwissenschaftlich erforscht werden. Diesen Kategoriewechsel markiert die Aussage, dass die Weltentstehung ein Werk Gottes sei. Der Papst behauptet also, dass naturwissenschaftliche Entwicklungen und der Urknall nicht qualitativ (naturwissenschaftlich) verglichen werden können. Man kann zwar diese Aussage zurückweisen, nicht aber, dass die Suche nach der Weltentstehung andere Kategorien zu Hilfe nehmen muss als naturwissenschaftliche. Die Aussage des Papstes ist daher in kategorialer Hinsicht richtig. 2. Der Urknall ist nach diesem Satz die Ursache für alle Ereignisse der Welt – und damit auch für alle Ursachen der Welt. Verglichen werden daher innerweltliche Ursachen mit Gott als der Ursache der Welt. Das ist aber ein Fehler. Hätte der Urknall eine Ursache, so wäre nicht er das erste Ereignis der Welt, sondern bereits seine Ursache würde zur Welt gehören. Damit würde die Welt als ganze mit einem Teil der Welt (Urknall) erklärt. Darin besteht der Kategoriefehler. Die Entstehung der Welt muss daher mit anderen Kategorien beschrieben werden als innerweltliche Entstehungsprozesse, die verursacht wurden. Ethische Aussagen 1. Zwei Vergleiche werden hier vorgenommen: 138 A. Schweitzer: Gesammelte Werke in fünf Bänden Bd. 2, 287.

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a) Das Zeugen von Kindern ist eine Qualität, die heterosexuellen Partnern beim Sex möglich ist, homosexuellen dagegen nicht – zumindest nicht ohne aufwändige medizintechnische Mittel. b) Sex unter heterosexuellen Partnern für besser als unter homosexuellen Partnern zu halten, beruht dagegen auf einer graduellen, komparativen Abstufung. Hier werden die Eigenschaften von Partnerschaften quantitativ miteinander verglichen: Weil heterosexuelle Partnerschaften eine Qualität mehr haben als homosexuelle, sind sie besser – gleichgültig, um welche Qualität es sich handelt. In diesem Fall führt die pure Aufzählung von Qualitäten nicht zu einem Kategoriefehler. Im Argument werden aber beide Vergleiche kombiniert. Vermutlich soll daher im quantitativen Vergleich die Qualität eine Rolle spielen, dass im einen Fall Kinder gezeugt werden können, im anderen Fall aber nicht. Denn ansonsten könnte das Argument schnell ausgehebelt werden, indem man rein quantitativ besondere Eigenschaften aufzählt, die homosexuelle Partnerschaften erfüllen, heterosexuelle aber nicht. Sobald jedoch die Qualität eine Rolle spielen soll, steckt in der Aussage ein Kategoriefehler: Verglichen werden nicht nur Qualitäten untereinander (Kann Sex Kinder zeugen oder nicht?), sondern auch Qualitäten mit Werten (und damit Quantitäten). Denn um zu sagen, dass das Vorliegen einer Qualität gegenüber ihrem Nicht-Vorliegen besser ist, muss die Qualität mit einem Wert verrechnet werden (Sex, der Kinder zeugt, hat den Wert „besser“). Die Verrechnung führt dann zu einem kalkulatorischen Vergleich, also zu einer Quantifizierung einer Qualität. Diese Quantifizierung bildet den Hintergrund für einen weiteren Kategoriefehler, nämlich zwischen Seins- und (moralischen) Werturteilen: Es gibt keinen Vergleichspunkt, an dem sich ausweisen lässt, wie das Seinsurteil (Sex zwischen Mann und Frau kann Kinder zeugen) mit einem Werturteil (Sex zwischen Mann und Frau ist besser als zwischen homosexuellen Paaren) zusammenhängt. Ohne einen solchen Vergleichspunkt aber liegt nur ein scheinbarer Vergleich vor – eben ein Vergleich des miteinander Unvergleichbaren, ein Kategoriefehler also. 2. In diesem Satz liegt der Kategoriefehler darin, die Qualität „…ist ein Mensch“ aus einer Quantität herzuleiten: Verglichen wird ein graduelles

11.2 Kategoriefehler 

Menschsein, das damit auch graduell kein Menschsein ist, mit der Qualität des Menschseins. Im Argument ist der Embryo aber immer schon ein Mensch (wenn auch mehr oder weniger). Dann wird die Qualität gar nicht hergeleitet, sondern als Beweisziel bereits vorausgesetzt.139 3. Indem Notwendigkeit komparativisch gesteigert wird („mehr oder weniger“), wird sie wie eine Quantität behandelt. Alle Abstufungen von Notwendigkeit sind keine Notwendigkeit mehr, sondern Möglichkeit oder Unmöglichkeit – also andere Qualitäten. Verglichen wird also eine Qualität mit Quantitäten dieser Qualität. Darin besteht der Kategoriefehler. Übrigens ist der Kategoriefehler nicht Albert Schweitzer anzulasten, der ihn vielmehr selbst denjenigen Denkfiguren anlastet, die den absoluten Lebensschutz einschränken.

139 Siehe daher auch Sektion 10.3.

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12 Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen Theologische Aussagen sind oft spannungsreich insofern, als sie wie Widersprüche aussehen, aber keine sind. Mit solchen spannungsreichen Aussagen lassen sich Sinnhorizonte neu finden, um neue Gedanken denken zu können. Die Kunst des Differenzierens und Integrierens wird hier auf die Spitze getrieben. Man erkennt neue Zusammenhänge, die sich zugleich in eingeschliffenen Bahnen nicht denken lassen. Dazu werden Gegensätze in ein Verhältnis gebracht, ohne sie schon aufzuheben, aber so, dass der Gegensatz produktive Vermittlungen in Aussicht stellt. Verkürzt gesagt: Dadurch lassen sich Graubereiche erkennen, die sonst in einem Schwarz-weiß-Denken verborgen blieben. Schon Gott zu denken, erfordert solche spannungsreiche Aussagen. Denn wenn Gott kein Gegenstand der Welt ist, wie kann er dann in der Welt erkannt werden oder sich selbst in der Welt offenbaren? Die Differenz zwischen Schöpfer und Schöpfung soll ja theologisch dennoch ein Verhältnis zwischen beiden zulassen. Und wenn sich dieses Verhältnis in der Welt ausdrücken lassen soll, bedarf es daher eines Denkens, das Spannungen trägt. Aber auch spannungsvolle Aussagen können falsch sein. Werden sie wissenschaftlich und nicht poetisch gebraucht, so sind sie einer Wahrheitsprüfung zu unterziehen. Sie entkommen dieser Wahrheitsprüfung nicht, indem sie Gegensätze miteinander versöhnen. Vielmehr muss sich ihre Wahrheit daran bemessen lassen, dass die Sachverhalte, die sie beschreiben, entsprechende Spannungen enthalten. In diesem Kapitel sollen einige solcher spannungsreichen Aussagen vorgestellt werden. Damit sollen Sie in die Lage versetzt werden, unterschiedliche Typen solcher Aussagen zu erkennen und sie auf ihre Wahrheit überprüfen zu können. Mit einiger Übung werden Sie auch selbst mehr und mehr in die Lage versetzt werden, solche differenzierten spannungsreichen Aussagen zu treffen.

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  12  Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen

12.1 Paradoxien In manchen Texten wird der Ausdruck „Paradoxie“ mit Widersprüchen gleichgesetzt. Das merkt man diesen Texten an, wenn sie versuchen, solche Paradoxien zu lösen oder umgekehrt Fehler in bestimmten Argumenten zu bestimmen, indem Paradoxien ausgemacht werden. Daher müssen Sie diese Verwendung des Ausdrucks „Paradoxie“ von seiner konstruktiven Verwendung unterscheiden können. Konstruktiv sind Paradoxien Aussagen, die zwar widersprüchlich aussehen, es aber nicht sind. Ihre Widersprüche lassen sich auflösen, wenn fehlende Informationen dazu kommen (z. B. zeitlich, räumlich). Beispiele a) „Ich bin der Mann meiner Ex-Frau“ (nämlich, wenn ich meine Ehefrau ein zweites Mal geheiratet habe). b) „Der Mensch ist leichter als er selbst“ (nämlich auf dem Mond). Zu a) Obwohl die Bedeutung von „Ex-Frau“ beinhaltet, dass ich nicht mehr mit ihr verheiratet bin, kann ich doch mit ihr verheiratet sein, wenn ich sie nämlich wieder geheiratet habe. Es besteht kein Widerspruch darin, dass die Frau meiner ersten Ehe, die gescheitert ist, zugleich die Frau meiner zweiten Ehe ist. Zu b) Ich kann zwar nicht leichter als ich selbst sein, weil ich mit mir identisch bin. Allerdings sind nicht alle meine Eigenschaften an allen Orten oder Zeiten gleichermaßen realisiert. Daher kann ich leichter als ich selbst sein, wenn ich von mir räumlich oder zeitlich unterschieden werde. Nun könnte man meinen, dass Paradoxien versehentlich das Missverständnis erzeugen, widersprüchlich zu sein, und zwar nur, weil man eine entscheidende Information vorenthält. Tatsächlich handelt es sich aber eher um absichtlich herbeigeführte Spannungen, um Beziehungen herzustellen, die unerwartet erscheinen. Innerhalb der Theologie gelten Sören Kierkegaard und Paul Tillich als paradoxe Denker. So findet man in einem Dogmatik-Lehrbuch folgende Charakterisierung: „Kierkegaard, der Glauben und Denken konträr, nicht kom-

12.1 Paradoxien 

plementär zueinander sieht. … Das Christentum ist ihm zufolge keine ‚Summe von Lehrsätzen‘, sondern ein ‚Paradox‘, keine objektive Wahrheit, sondern die ‚Innerlichkeit‘ der Existenz.“140 Paradoxe Aussagen dienen dann gerade der Veranschaulichung, dass sich der Christ einer logischen oder lehrmäßigen Beschreibung Gottes enthalten muss. Die Paradoxie ist nötig, um das Denken in eindeutigen Kategorien zu dekonstruieren. Denn das Denken – etwa das Denken der griechischen Philosophen der Antike – ist zu abstrakt, um dem Menschen sein Selbst-Verstehen zu ermöglichen, eben seine Existenz: „Die Schwierigkeit ist größer als für den Griechen, weil noch größere Gegensätze zusammengesetzt sind, weil die Existenz paradox als Sünde akzentuiert ist und die Ewigkeit paradox als der Gott in der Zeit. Die Schwierigkeit ist die, darin zu existieren, nicht die, sich abstrakt daraus hinauszudenken.“141 Wenn also die menschliche Existenz paradox ist, so kann ein Denken, das nicht paradox ist, die menschliche Existenz nicht erfassen. Es bedarf daher einer anderen kognitiven Leistung, nämlich „sich selbst in Existenz zu verstehen.“142 Zu Tillich schreibt das oben erwähnte Lehrbuch: „Tillich hält die christliche Botschaft für ‚paradox‘, aber nicht für ‚absurd‘. ‚Das »Ärgernis«, das der paradoxe Charakter der christlichen Botschaft erregt‘, richtet sich gegen das ‚unerschütterte Vertrauen des Menschen zu sich selbst und gegen seine Versuche der Selbst-Erlösung‘, nicht gegen die ‚Gesetze der verständlichen Rede‘.“143 Auch hier zielt die Paradoxie absichtlich auf ein theologisches Ziel, nämlich die menschliche Bedürftigkeit von Gott anzuerkennen, indem die Strategien des menschlichen Selbstvertrauens als Irrtum überführt werden. Im Gegensatz zu Kierkegaard liegt nicht der Gegensatz zwischen Denken und Verstehen, sondern zwischen menschlichem Selbst-Vertrauen und Gottvertrauen. Die Paradoxie soll dieses Selbst-Vertrauen erschüttern. Sie ist ein absichtlich herbeigeführter Widerspruch, um über die menschliche Vernunft hinauszukommen. „Paradox bedeutet ‚entgegen der Meinung‘, das soll heißen, entgegen der Meinung der endlichen Vernunft. Das Paradox weist auf die Tatsache hin, daß in Gottes Handeln die endliche Vernunft überhöht, aber nicht ausgelöscht wird.“144 140 H.G. Pöhlmann: Abriß der Dogmatik, 90, Herv. H.G.P. 141 S. Kierkegaard: Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Phi­losophischen Brocken Zweiter Teil, 58. 142 Ebd. 143 H.G. Pöhlmann: Abriß der Dogmatik, 101, Herv. H.G.P. 144 P. Tillich: Systematische Theologie Bd. I; Berlin/New York 19878, 70.

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  12  Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen

Am Anfang dieser Sektion habe ich behauptet, dass Paradoxien deshalb keine Widersprüche sind, weil fehlende Informationen den Widerspruch auflösen. Im Falle von Kierkegaard kommt die Information dazu, dass er das Denken durch Verstehen ersetzt. Bei Tillich wiederum wird ebenfalls eine andere Perspektive eingebracht, nämlich die Perspektive Gottes: Was in der endlichen Vernunft wie ein Widerspruch aussieht, ist aus der erweiterten Perspektive Gottes kein Widerspruch. In beiden Fällen werden Paradoxien nicht dadurch aufgehoben, dass die widersprechenden Sätze präzisiert werden – wie etwa im obigen Beispiel „Der Mensch ist leichter als er selbst“ durch die Ergänzungen: „Der Mensch auf der Erde ist leichter als er selbst auf dem Mond.“ Vielmehr werden bei Tillich und Kierkegaard andere Perspektiven zum Denken eingebracht, in denen die Widersprüche verschwinden. Was in einer reduzierten Perspektive wie ein Widerspruch aussieht, zeigt sich in einer erweiterten Perspektive als widerspruchsfrei. Aber die Paradoxie ist ein Ausdrucksmittel, um die Menschen in der reduzierten Perspektive dazu zu nötigen, in eine erweiterte Perspektive einzutreten. Dazu sollen sie einsehen, dass der Widerspruch beseitigt werden kann, aber nicht in ihrer bisherigen Perspektive.  aradoxien sehen wie Widersprüche aus. Das liegt aber nicht am jeweiliP gen Gedanken, sondern daran, dass sie zur Anschauung bringen, dass sich die Denker verändern müssen, um den betreffenden Sachverhalt richtig einzuschätzen. Übung: Paradoxie oder Widerspruch? Untersuchen Sie bitte, welche der vorliegenden Beispiele einen konstruktiven Paradoxie-Begriff verwenden und welche Beispiele das Wort „Paradoxie“ nur synonym verwenden wie „Widerspruch“. 1. „Ein Weltbildsatz wird von Wittgenstein also ausdrücklich nur in einem anderen, hier auch näher spezifizierten Sinne als ‚wahr‘ bezeichnet, als dies für Sachverhalte in Sprachspielen möglich ist. Insofern scheint es mir legitim, Wittgenstein nicht eine Paradoxie oder einen performativen Widerspruch vorzuwerfen, sondern einfach zwei verschiedene Verwendungen von ‚wahr‘ bei ihm zu unterscheiden.“145 145 K. v. Stosch: Religiöse Wahrheitsansprüche in doppelter Kontingenz, 131 f.

12.1 Paradoxien 

2. „Die Jenseitigkeit Gottes ist nicht zum Diesseits gemacht wie im Mythos, sondern die Paradoxie der Gegenwart des jenseitigen Gottes in der Geschichte wird behauptet: ‚Das Wort ward Fleisch‘.“146 3. „Was Kierkegaard dann als seine Christologie entwickelt, brauche ich hier nicht zu referieren. Genug, daß der Gott aus Liebe mit dem Geliebten gleich sein will und daß dies für den Verstand das absolute Paradox ist, das er nur so denken kann, daß er sich in diesem Denken selbst aufgibt.“147 4. „Der neuprotestantische Glaube tritt in seiner Kombination von Unmittelbarkeit und Negation (das Ganz Andere ist unmittelbar zugänglich – und doch entzogen) als eine paradoxe, sich beständig selbst irritierende, behindernde und neurotisierende Form auf.“148 5. „Gestehen wir es nur offen: daß es nur eine Berufung gibt und diese nur als vocatio immediata, daß aber eben diese eine zugleich als externa und interna, unica und continua zu verstehen ist, das sind Sätze, die für sich, sähe man davon ab, daß sie Beschreibungen des Rufes Jesu Christi sind, keinen Sinn ergeben. Denn damit, daß sie man sie als ‚paradox‘ oder ‚dialektisch‘ bezeichnen wollte, würden sie wirklich nicht durchsichtig.“149 6. „The paradox of toleration: if I find that, in spite of my best efforts, I cannot approve of something, why should I tolerate it? If I am genuinely convinced that something is truly wrong, why should I not try to persuade the majority to ban it?“150 Lösung 1. Da in diesem Text eine Paradoxie einem Fehler gleichkommt, der dem Autor vorzuwerfen wäre, hat sie hier keine konstruktive Funktion.

146 R. Bultmann: Neues Testament und Mythologie, 53. 147 F. Mildenberger: Biblische Dogmatik. Eine biblische Theologie in dogmatischer Perspektive Bd. 1: Prolegomena, 177, Herv. F.M. 148 M. Welker: Gottes Offenbarung. Christologie, 45, Herv. M.W. 149 K. Barth: KD IV/3, 597 f.. 150 E. Landerak: Disagreement, 116.

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  12  Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen

2. Die Paradoxie, dass Gott zugleich in die Weltgeschichte eingeht, wird hier als theologische Einsicht hervorgehoben. Daher bedeutet Paradoxie hier eine konstruktive Erweiterung theologischer Erkenntnis. 3. Das Paradox bei Kierkegaard wird kurz paraphrasiert: Der menschliche Verstand muss über sich hinausgehen, sich selbst aufgeben, um christologisch zu denken. Der Denkprozess umfasst also mehr als nur Verstandestätigkeit. Hier führt die Paradoxie zu einer Erkenntniserweiterung. Sie hat konstruktive Funktion. 4. Indem das Paradox pathologisiert wird und mit dem Zusatz „neurotisierend“ belegt wird, hat die Paradoxie hier keine konstruktive Funktion. 5. Der Text deutet zwar an, dass eine Paradoxie eine konstruktive Funktion haben kann, weist aber zurück, dass sich im vorliegenden Fall diese Funktion erfüllen lässt. Die Paradoxie muss also näher erläutert werden. Ein bloßer Verweis auf eine Paradoxie erzeugt noch keine Paradoxie, also eine Erkenntnis erweiternde Funktion. Zugleich aber unterstreicht der Text den paradoxen Charakter der Berufung. Er gibt also zu erkennen, dass sich Berufung mit einem konstruktiven Verständnis von Paradoxie erläutern lässt. 6. Auch in diesem Fall wird ein Problem dargestellt, aber noch nicht gelöst. Vielmehr hält der Text auf der Schwebe, ob sich das Problem mit Hilfe einer Paradoxie lösen lässt – wenn überhaupt. Wenn nicht, so handelt es sich bei dem Problem um einen Widerspruch; wenn doch, dann ist Paradoxie ein konstruktiver Ausweg aus einer logischen Kollision. Übung: Wie kann die Paradoxie konstruktiv werden? Untersuchen Sie bitte in den konstruktiven Fällen von Paradoxien in der Übung nach Sektion 12.1, welche Perspektive nötig oder möglich ist, um

12.1 Paradoxien 

aus dem scheinbaren Widerspruch herauszukommen. Damit nehmen Sie eine Überprüfung des jeweiligen Wahrheitsanspruchs dieser Aussagen vor. Lösung Die Beispiele 2 und 3 verwenden den Paradoxie-Begriff positiv, die Beispiele 5 und 6 immerhin andeutungsweise auch, selbst wenn die die Erkenntniserweiterung selbst noch nicht umsetzen. Daher werde ich zunächst an den Beispielen 2 und 3 zeigen, aus welcher Perspektive sich der Widerspruch auflöst. Anschließend stelle ich Hypothesen auf, wie sich der Widerspruch in den beiden letzten Beispielen auflösen lässt. Beispiel 2 Der Text schließt aus, dass durch die Geschichtlich-Werdung Gottes seine Jenseitigkeit aufgehoben wird „wie im Mythos“. Es muss also im Diesseits das Jenseits in Erscheinung treten, ohne dass es dabei selbst diesseitig wird. Dazu wird zwischen „Machen“ und „Behaupten“ unterschieden, zudem auch zwischen „Gegenwart“ und „Diesseits“: Der jenseitige Gott wird nicht diesseitig „gemacht“, sondern seine Gegenwart im Diesseits „behauptet“. „Gegenwart“ scheint damit eine Kategorie zu sein, die sowohl im Diesseits auftauchen als auch jenseitig bleiben kann. Auch was nicht hier sein kann, kann offenbar gegenwärtig sein. Gegenwart wird aber nicht „gemacht“ und ist daher kein machbares Objekt des Diesseits. Sie lässt sich dennoch „behaupten“ und ist daher ein epistemisches Objekt, ein Erkenntnisobjekt. Beispiel 3 Denken wird hier zu einem Sammelbegriff sowohl für eine Verstandestätigkeit als auch für einen weiteren Prozess, der hier nur angedeutet wird: Gott will aus Liebe mit dem Geliebten gleich sein. Für den Geliebten folgt daraus, dass sein Denken nun auch von einem Prozess geleitet wird, der von Gott geleitet wird. Wer Gottes Liebe denkt, denkt nicht mit dem Verstand, sondern denkt, wie Gott in ihm denkt. Das Subjekt des Denkens (Gott) ist ein anderes Subjekt als das Subjekt des Verstandes (ich).

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Beispiel 5 Die Erkenntniserweiterung ergibt sich durch den „Ruf Christi“. Mit ihm wird eine Perspektive eröffnet, die aus dem Widerspruch eine Paradoxie macht. Christus ist das Ereignis der Berufung: Es stößt einen Prozess des Berufenwerdens an, schließt ihn aber nicht ab. Der Ruf Christi ist also sowohl datierbarer Moment als auch Prozess.151 Er ist zugleich nicht nur ein Ruf, der eine spätere mögliche Aufmerksamkeit dieses Rufes nach sich zieht. Vielmehr besteht das Berufenwerden im Ruf Christi, so dass sich externe und interne Faktoren nicht voneinander trennen lassen.152 Man kann zurückfragen, ob das nicht für jeden Ruf gilt, dass er sich auf jemanden richtet, sogar dann, wenn der Adressat ihn ignoriert. Wir kommunizieren auch, wenn wir eine Botschaft ignorieren, sei es willentlich oder unwillentlich. Wir können uns nicht von diesem Kommunikationsprozess distanzieren, sobald wir gerufen werden, sondern werden nach dem Kriterium des Rufes beurteilt. Unter dieser Bedingung ist die Erkenntnis erweiternde Perspektive des Paradoxes also nicht Christus, sondern der Ruf Christi. Beispiel 6 Zur Lösung des Paradoxes der Toleranz können mehrere Perspektivwechsel vielversprechende Erweiterungen sein: a. Das Paradox in der Formulierung des Textes hat eine erkenntnistheoretische Perspektive: Ich finde, dass etwas falsch ist. Ein Perspektivwechsel besteht bereits darin, dass etwas wahr sein kann, was mir falsch erscheint. In diesem Fall wäre Toleranz aus Achtung vor der (möglichen) Wahrheit ethisch angemessen. b. Eine zweite Erweiterung wäre die Erweiterung ethischer auf vor-moralische Toleranz: Es mag zwar ethisch unangemessen sein, etwas zu tolerieren, dessen Falschheit sogar erwiesen ist. Aber es mag Bedingungen geben, die selbst zwar nicht ethisch sind, derer aber die Ethik bedarf, so dass man in solchen Fällen Toleranz übt. Immerhin müssen wir ethisch falsche Positionen soweit zulassen, als wir sie auf ihre Falschheit überprüfen können müssen. Falsche Positionen zu tabuisieren, würde es unmöglich machen, sie zu überprüfen.153 151 K. Barth: KD IV/3, 594. 152 K. Barth: KD IV/3, 593. 153 L. Ohly: Gestörter Frieden mit den Religionen, 88.

12.2  Dialektik und indirekter Beweis 

c. Anstelle vor-moralischer Gründe könnten auch nicht-moralische Perspektiven treten, etwa politische Gründe des Zusammenlebens, die höher gewichtet werden als ethische Richtigkeit. Auch religiöse Gründe wie etwa die christliche Einsicht der Rechtfertigung des Sünders begründen die Toleranz des Falschen.154 d. Zudem könnte eine Reichweitenbestimmung der Toleranz das Falsche zulassen, weil bis zu einer bestimmten Grenze das Falsche keine negativen ethischen Konsequenzen hat: Kindern gewähren wir oft eher ein falsches Verhalten als Erwachsenen, etwa laut zu sein.

12.2 Dialektik und indirekter Beweis Dialektische Aussagen sehen ebenfalls aus wie Widersprüche, ohne es zu sein. Der Unterschied zur Paradoxie besteht darin, dass dialektische Aussagen Gedankenentwicklungen sind: Sie beschreiben Prozesse. Ihr Gegensatz entsteht erst durch eine Gedankenbildung oder durch den gedanklichen Mitvollzug eines Prozesses. Während Paradoxien Gegensätze sind, die durch eine vertiefende Perspektive beseitigt werden, führen dialektische Aussagen überhaupt erst zu Gegensätzen. Ihre Pointe muss nicht in der Auflösung des Gegensatzes bestehen, sondern kann auch dazu provozieren, sich am dialektischen Prozess zu beteiligen. Populärphilosophisch wird etwa die Dialektik von Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der Regel so illustriert: Eine These wird mit einer Antithese konfrontiert und beide in einer Synthese aufgehoben. Die Synthese bildet dann die erweiterte Perspektive, von der aus das Gegensatzpaar nicht mehr als Widerspruch erscheint, sondern versöhnt ist.155 Die Dialektik wird hier als eine „Bewegung“156 verstanden. Die Synthese gilt nur provisorisch, da ihr wieder ein dialektischer Gegensatz gegenübersteht. Bei Paradoxien dagegen ist tendenziell eher der Gegensatz provisorisch, die Lösung dagegen verlässlich.157

154 L. Ohly: Gestörter Frieden mit den Religionen, 81. 155 G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes; Hamburg 1988, 48. 156 Ebd. 157 Das gilt auch für Kierkegaard und Tillich, da die dort jeweils anvisierte Lösung (bei Kierkegaard Existenz, bei Tillich die Perspektive Gottes) feststeht. Allenfalls den Weg

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Der dynamische Charakter macht die Dialektik auch über Hegel hinaus aus: Dialektisch ist ein Argument, das mit einer Position anhebt, die zu ihrem Gegensatz führt. Oder anders: Wer eine bestimmte Position vertritt, muss dabei auch ihren Gegensatz mit vertreten. Der „Gegensatz“ ist dabei aber nicht das kontradiktorische Gegenteil, so dass sich Position und Negation gegenseitig ausschließen.158 Vielmehr ergibt sich das Gegenteil in einer Bewegung. Die Position erzeugt eine Bewegung, die zum Gegenteil der Position führt. In Hegels Dialektik zeigt sich diese Bewegung beim Erkenntnissubjekt: „Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Subjekt, oder was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des sich selbst Setzens, oder die Vermittlung des sich anders Werdens mit sich selbst ist.“159 Damit ist auch der Unterschied zum indirekten Beweis klar: Der sogenannte indirekte Beweis ist eine Methode, die Falschheit einer Aussage dadurch nachzuweisen, dass sie zunächst behauptet wird. Die Behauptung der falschen Position führt dann in eine Absurdität, was ihre Falschheit beweist. Der indirekte Beweis beweist rückwirkend die Falschheit der behaupteten Position. Dagegen wird in einer dialektischen Aussage die ursprüngliche Position nicht zurückgenommen. Sie ist nicht falsch, sondern sie führt zu Konsequenzen, die zur Position gegensätzlich sind. Die gegensätzlichen Konsequenzen liegen aber auch nicht offen zu Tage, sondern werden an der Position sichtbar. Dialektische Aussagen sind wahr, indirekte Beweise dagegen überführen Aussagen ihrer Falschheit. Beispiel Dialektische Aussagen sind die folgenden: 1. Wer alle Menschen einschließen will, schließt damit Menschen aus. 2. Feinde müssen sich aneinander binden, um voneinander los zu kommen. 3. Freiwillige Liebesbeziehungen erzeugen Unfreiheit. zu diesen Lösungen durch die Paradoxie zu finden, bleibt eine beharrliche Herausforderung. 158 Zum Begriff des kontradiktorischen Gegensatzes s. Sektion 10.1. 159 G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, 14, Herv. G.W.F.H.

12.2  Dialektik und indirekter Beweis 

Der erste Satz ist etwa ein Einwand gegen die Inklusion von behinderten Schülern in Schulklassen mit Nicht-Behinderten: Indem behinderte Kinder in solchen Schulklassen aufgenommen werden anstatt in Förderschulen gemäß ihren Fähigkeiten beschult werden, werden sie (dem Satz zufolge) benachteiligt. Der Versuch, allen Kindern gleiche Bildungschancen einzuräumen, führt dann zu einer permanenten Defizit-Erfahrung der behinderten Kinder. In diesem Statement liegt kein kontradiktorischer Widerspruch vor. Vielmehr hat das Interesse der Gleichbehandlung und Inklusion laut Statement genau die gegensätzliche Konsequenz. Folglich muss man – wenn die dialektische Aussage wahr ist – behinderte Schüler aus der sogenannten Regelschule ausschließen, um höhere Bildungsgleichheit zu erzielen. Auch diese Folgerung ist dialektisch: Ausschluss führt zu erhöhtem Einschluss. Ähnlich ist es mit den beiden anderen Statements: Feinde suchen die Nähe zueinander, um sich zu vernichten. Können sie sich nicht aus der Nähe kontrollieren, so lauert der Feind überall. Feindschaft kann dagegen nur beendet werden, wenn die Feinde ihren Vernichtungswillen aufgeben, indem sie ihre Bindung aneinander akzeptieren. Im Vertrauen zueinander können sie sich dann auch aus dem Weg gehen. Dass freiwillige Liebesbeziehungen Unfreiheit erzeugen, dürfte die meisten Menschen überzeugen: Indem sich Menschen freiwillig aneinander binden, schließen sie aus, mit weiteren Menschen eine Liebesbeziehung zu führen – zumindest nicht mit beliebig vielen. Die freie Partnerwahl führt daher zur Unfreiheit, keine weiteren Partner zu haben. Natürlich müssen Sie solche dialektischen Aussagen nicht schon deshalb für richtig halten, weil sie dialektisch sind. Alle drei Aussagen reizen auch zur Gegenrede. Mir kommt es hier nur darauf an zu zeigen, welche Form dialektische Aussagen haben und dass sie nicht schon dadurch falsch sind, dass die Position einen Gegensatz erzeugt.  ialektik beschreibt eine Bewegung, wie eine Aussage im Lauf eines ProD zesses zu ihrem Gegensatz führt. Im Unterschied zum indirekten Beweis, der mit einem ähnlichen Verfahren einen Fehler nachweisen will, beschreibt die Dialektik, dass der Gegensatz mit zur Realität dazugehört.

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Übung: Welche Spannung liegt vor? Entscheiden Sie bitte, welche Aussage ein indirekter Beweis, eine Paradoxie oder eine dialektische Aussage ist. Nennen Sie bitte jeweils die Gründe für Ihre Entscheidung. Dogmatische Texte 1. Wenn alles eine Ursache hat und Gott ewig ist, dann hat auch Gott eine Ursache. Also ist er nicht ewig, oder es hat nicht alles eine Ursache. 2. „Das methodische Prinzip dieses Verfahrens, mit Hilfe von Verstehbarem das Mehr-als-Verstehbare zu thematisieren, wurde von Anselm von Canterbury als die Regel formuliert, daß zu den Gebrauchsbedingungen eines jeden Modells unseres Denkens und Redens von Gott gehört, daß das, was wir so zu thematisieren suchen, letztlich über das hinausgeht, was wir verständlich zu denken und zu sagen verstehen, weil Gott größer ist als alles, was wir denken, zu sagen oder zu begreifen vermögen.“160 3. „‚Gott‘ als Wort unserer Sprache enthält in sich vor allem die Möglichkeit, zu ihm ein Verhältnis aufzubauen, das nicht nur selbst erdacht und selbst aufgenommen ist, sondern das sich seinerseits als Entsprechung zu Gott selbst versteht.“161 Ethische Texte 1. „Der Versuch des Mittelalters, die Gesellschaft zu klerikalisieren, wird vielleicht noch einmal unternommen und noch einmal von dem Erfolg gekrönt sein, der ihm seiner Natur nach beschieden sein kann. Bereits zeigen sich Ansätze dazu auch auf protestantischem Gebiet: Laßt uns eine neue Kirche errichten mit demokratischen Allüren und sozialistischem Einschlag! Laßt uns Gemeindehäuser bauen, Jugend­pflege treiben, Diskussionsabende und musikalische Andachten veranstalten! … Widerstehen wir tapfer der neuen kirchlichen Versuchung! Aber je tapferer wir ihr widerstehen, um so gewaltiger stehen da draußen die Giganten vor uns, zu deren Bezwingung wir uns doch aufgemacht haben.“162 160 I.U. Dalferth: Der auferweckte Gekreuzigte, 211. 161 D. Korsch: Dogmatik im Grundriß, 53. 162 K. Barth: Der Christ in der Gesellschaft, 38 f.

12.2  Dialektik und indirekter Beweis 

2. „Unter solchen Bedingungen hochdifferenzierter Kultur kann sich darum die Versuchung einstellen, die Kultur im ganzen und in der Summe ihrer Erscheinungen unter die Herrschaft einer bestimmten Wahrnehmungsweise zu stellen.“163 3. „Das Bestreben, womit jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt, schließt keine bestimmte, sondern eine unbestimmte Zeit in sich. Denn würde es eine begrenzte Zeit in sich schließen, welche die Dauer des Dinges bestimmt, so würde aus dem bloßen Vermögen selbst, womit das Ding existiert, folgen, daß das Ding nach jener begrenzten Zeit nicht existieren könnte, sondern der Zerstörung anheimfallen müßte.“164 Lösung Dogmatische Texte 1. Dieses Argument ist ein indirekter Beweis. Es unterstellt das Gegenteil dessen, was bewiesen werden soll, und führt es in einen Widerspruch. 2. Modelle, Gott zu denken, machen ihn verständlich, ohne dass wir ihn dabei verstehen. Sie machen also nicht nur verständlich, dass wir ihn nicht verstehen können, sondern machen ihn sehr wohl verständlich, ohne aber dass die Verständlichkeit uns erreicht. Wir verstehen also nicht etwa ein wenig von Gott, aber nicht alles, sondern wir verstehen ihn gar nicht, aber denken dabei mit Hilfe dieser Modelle wenigstens ihn. Wir verstehen also, dass wir Gott denken, und verstehen zugleich, dass wir ihn dabei nicht verstehen. Die dialektische Bewegung dieser Aussage besteht darin, dass das Denken Gottes geradewegs dazu führt, ihn nicht denken zu können. Die Denkbewegung führt also zu einem verständlichen Unverständnis Gottes. Wäre hier keine Bewegung angezeigt, so wäre der Gedanke eine Paradoxie, die eine erweiterte Perspektive bräuchte, damit sich der Widerspruch auflöst. Tatsächlich geht der Text so weiter, dass er eine solche erweiterte Perspektive einbringt, nämlich die Perspektive Gottes: „Wir können wahr163 T. Rendtorff: Ethik. Grundelemente, Methodologie und Kon­kretionen einer ethischen Theologie Bd. 2, 150. 164 B. v. Spinoza: Ethik, Teil III Lehrsatz 8 und Beweis (Auszug).

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heitsgemäß begreifen und bekennen, was Gott wirklich ist, wenn wir uns an das halten, was Gott uns in Jesus Christus und durch seinen Geist über sich als ursprünglich schöpferische Liebe und über uns als seine Geschöpfe deutlich macht und zu erkennen gibt.“165 Es scheint daher so, dass sich Dalferth nicht klar entscheidet, ob er eine Paradoxie oder einen dialektischen Gedanken darstellen will. Die Dialektik wird nämlich nun mit der Perspektive Gottes aufgehoben, so wie eine Paradoxie aufgehoben wird. Dialektische Sätze können aber eben eigentlich stehen bleiben: Gott zu verstehen, heißt zu verstehen, dass man ihn nicht versteht, wenn man ihn denkt. Man denkt dann zwar ihn und versteht auch, ihn zu denken und nichts anderes. Aber man versteht ihn dabei nicht. 3. Die menschliche Sprache enthält ein Wort, das nicht nur durch Menschen gebildet worden ist, sondern vor allem durch den Gegenstand, den es bezeichnet. Wenn also Menschen das Wort „Gott“ prägen, entdecken sie, dass seine Bedeutung durch Gott geprägt wird und nicht durch sie, obwohl sie das Wort prägen. Das ist eine dialektische Denkfigur: Es wird mit einer menschlichen Prägung begonnen, die aber zum Ergebnis führt, dass sie in einem Fall keine menschliche Prägung mehr ist – und insofern zu einem Gegensatz führt. Ethische Texte 1. Die Position des letzten Satzes dieser Passage lautet, dass stärkerer („tapferer“) Widerstand umso mehr Widerstand auf der anderen Seite erzeugt. Das klingt zwar wie ein physikalisches Gesetz, dass Druck Gegendruck erzeugt. Allerdings könnte eine der beiden Seiten in dieser Kollision der anderen unterliegen, weil sie dem Druck nicht mehr stand hält. Hier aber wird behauptet, dass sich Druck und Gegendruck anhaltend gegenseitig verstärken. Es wird also durch Druck das erzeugt, was mit ihm zerstört werden soll. Das ist eine dialektische Betrachtung der Situation. 2. Je ausdifferenzierter, komplexer die Kultur, desto stärker der Wunsch nach Ganzheit, nach einer einfachen Kultur. Die Entwicklung zu einer 165 I.U. Dalferth: Der auferweckte Gekreuzigte, 211.

12.3 Metaphern 

k­ omplexeren Kultur erzeugt den gegenteiligen Wunsch dessen, was sie ist. Darin besteht kein Widerspruch. Wohl aber erzeugt Komplexität den gegensätzlichen Wunsch zum Faktischen, und zwar obwohl Kultur sowohl Prozess als auch das Ergebnis menschlicher Willensleistungen ist. Dieser Gegensatz kann bestehen bleiben und bedarf keiner erweiterten Perspektive, um aufgelöst zu werden. Der Wunsch nach Einfachheit durchläuft eine dialektische Bewegung. 3. Der erste Satz ist die These, die zu beweisen ist. Der zweite Satz ist dagegen der Beweis, der das Gegenteil der These annimmt: Während die These sagt, dass jedes Ding unbestimmt lange zu sein strebt, fängt der Beweis mit dem gegenteiligen Gedankenexperiment an, wonach jedes Ding nach einer bestimmten Dauer zu sein strebt („eine begrenzte Zeit“). Hier wird also ein indirekter Beweis vorgetragen, der aus der gegenteiligen Annahme eine Absurdität beweist und damit die ursprüngliche These sicherstellt. Zusatzbemerkung: Die Konsequenz der gegenteiligen Annahme ist nicht absurd. Es fehlt also dem Argument eine entscheidende Basis, um die These zu beweisen. Ohne sie fehlt dem indirekten Beweis die Plausibilität. Es gibt sogar Beispiele für Dinge, die einen Selbstzerfall anstreben, etwa Zeitzünder, Computerviren oder Gene, die für das Altern eines Lebewesens verantwortlich sind und sich bei dessen Tod selbst zerstören. Das ändert aber nichts daran, dass hier ein indirektes Beweisverfahren vorgenommen worden ist.

12.3 Metaphern Metaphern sind Sinn erweiternde sprachliche Ausdrücke, die dadurch entstehen, dass Begriffe aus unterschiedlichen Bedeutungskontexten zusammengeführt werden. Sagt man etwa: „Maria Callas ist eine Nachtigall“, so meint man nicht, dass sie Federn hat und fliegen kann. Man meint nicht einmal, dass sie zwitschert, wenn sie singt. Es ist auch nicht so, dass eine Analogie166 behaup166 Eine Analogie ist eine Ähnlichkeit der Verhältnisse von Gegenständen, die sich selbst unähnlich sind: „Maria Callas singt unter den Menschen so gut wie eine Nachtigall unter den Vögeln.“ Formal ausgedrückt: a:b :: c:d. Obwohl zwischen a und c sowie zwischen

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tet wird, so etwa, dass Callas dieselbe Rolle unter den Menschen hat wie eine Nachtigall unter den Vögeln. Denn sonst könnte man zurückfragen, welche Rolle denn dieselbe ist, wenn eine Nachtigall für ihr Singen keine Gage erhält und auch nicht von den übrigen Vögeln angehimmelt wird. Oder will man einfach nur sagen, dass Callas unter den Menschen am schönsten singt so wie eine Nachtigall unter den Vögeln? Dann hätte man auf vielleicht poetische, aber doch umständliche Weise einfach nur sagen wollen, dass Callas von allen Menschen am schönsten singt. Den Umweg über eine Nachtigall hätte man dazu nicht gehen müssen. Metaphern wären dann unnötig und müssten in wissenschaftlichen Texten unterlassen werden. Tatsächlich aber werden Metaphern in wissenschaftlichen Texten stark verwendet, um Sinn zu erweitern und Sachverhalte überhaupt erst zu entdecken. Nach gängigen Theorien sind Metaphern nicht in den Bedeutungskontext nicht-metaphorischer Sprache überführbar; sie sind insofern inkommensurabel. Beispiel Man verliert also etwas, wenn man den Satz „Maria Callas ist eine Nachtigall“ umschreiben will in: „Maria Callas singt unter den Menschen am schönsten.“ Und zwar verliert man nicht nur eine rhetorisch pfiffige Ausdrucksform, sondern einen ganzen Sinnraum, der mit „Maria Callas ist eine Nachtigall“ eröffnet wird.167 Metaphern eröffnen damit überhaupt erst eine semantische Möglichkeit, Neues in der Wirklichkeit zu entdecken und auszudrücken.168 Darin liegt denn auch ihr wissenschaftlicher Beitrag und ihre Berechtigung, in wissenschaftlichen Texten Eingang zu erhalten. Allerdings sind Metaphern als kreative Bedingung für die Entdeckung von Neuem nicht selbst beweisbar. Vielmehr legen sie auch dafür den Sinnraum frei, neue Verifikationsmethoden zu erschließen. b und d keine Ähnlichkeit bestehen, werden ihre jeweiligen Verhältnisse als ähnlich beschrieben. 167 I.U. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 230. 168 Ebd.

12.3 Metaphern 

Metaphern sind daher nicht selbst wahr oder falsch. Allerdings können sie ihren Sinn verfehlen. Nicht alle Metaphern erschließen wirklich einen neuen Sinnraum, sondern können auch im eingeschliffenen Erwartungsbereich verbleiben. Wer nicht erkennt, dass er eine Metapher vor sich hat, kann Fehlschlüsse folgern, indem er die semantischen Bedeutungen nicht in einem neuen Sinnraum einordnet, sondern in einem bereits bestehenden. Im natürlichen Sinnraum wäre Maria Callas kein Mensch, wenn sie eine Nachtigall ist, und man könnte ihr beispielsweise die Menschenrechte entziehen. Umgekehrt können sich logische Widersprüche metaphorisch auflösen lassen, wenn sie Neues entdecken lassen, in dem der Gegensatz plötzlich „passt“. So hat Maria Callas dennoch Menschenrechte, obwohl sie eine Nachtigall ist – nicht weil es logisch richtig wäre, dass manche Nachtigallen auch Menschen sind, sondern weil sich metaphorisch nicht ausschließt, dass der Mensch Maria Callas eine Nachtigall ist. Metaphern sind in wissenschaftlichen Texten einerseits fruchtbar, andererseits ist der Umgang damit auch nicht beliebig und darf nicht unkontrollierbar bleiben. Wer eine Aussage zur Metapher erhebt, nimmt ihr den Wahrheitswert, wahr oder falsch zu sein. Vielmehr lokalisiert er die Aussage in einem Sinnraum, der durch sie entsteht. Metaphern geben Neues zu erkennen, sie erschließen neue Räume, in denen die Frage nach Wahrheit überhaupt erst verhandelbar wird. Sie erschließen Wirklichkeit, ohne selbst wahr oder falsch zu sein. Erst wenn man sich darüber klar geworden ist, wie Aussagen in einem bestimmten Sinnraum auf ihre Wahrheit überprüft werden können, werden Metaphern rückwirkend wissenschaftlich bestätigt. Sie sind also einerseits heuristische Instrumente; andererseits müssen sie sich über andere Aussagen bestätigen lassen, deren Wahrheit überprüft werden kann. So ist es etwa mit dem Satz „Jesus Christus ist Gottes Sohn.“ Es wird mit diesem Satz nicht behauptet, dass der halbe Chromosomsatz Jesu ein göttlicher ist. Dieser Fehler würde unterlaufen, wenn man die Metaphorik des Satzes nicht beachten würde. Der Satz wird aber auch nicht zur Metapher, weil er bestimmte Eigenschaften eines alten Sinnraums beschreibt (etwa ein familiäres Verhältnis, eine genealogische Beziehung zwischen Gott und Jesus oder ein Unterordnungsverhältnis Jesu zu Gott). Vielmehr eröffnet der Satz als Metapher neue Beschreibungen über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Solche Beschreibungen sind hypothetisch: Sie sind wahr oder falsch und müssen sich in wissenschaftlichen Modellen bewähren. Die Modelle wiederum sind von der

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  12  Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen

Metapher abhängig, weil sie nur adäquat sind, wenn die den neuen Sinnraum berücksichtigen, der mit der Metapher entsteht. Als freie Kreationen müssen Metaphern also zwar etwas Neues entdecken lassen. Sie stehen aber auch in der Gefahr, willkürlich zu sein, weil sich die Metapher einer Kontrolle entziehen kann: Denn da Metaphern nicht wahr oder falsch sind, sondern erst den Raum des Wahren und Falschen eröffnen, sind die Hörer nicht darauf festgelegt, Dasselbe in den Metaphern zu entdecken, was die Sprecherin darin entdecken. So kann sie immer behaupten, etwas darin zu entdecken, was für andere einfach keinen Sinn ergibt. Metaphern müssen daher kommunikativ erfolgreiche Leistungen sein, wenn sie wissenschaftlich von heuristischem Wert sein sollen. Es ist also nicht mit einfachen Worten gesagt, was der Satz „Jesus Christus ist Gottes Sohn“ bedeutet. Oben habe ich bestimmte Verwendungsweisen und Schlussfolgerungen dieser Metapher ausgeschlossen. Aber damit ist nicht gesagt, dass nun die Bedeutung der Metapher festgelegt wäre. Die Metapher eröffnet eine Suchbewegung neuer Aussagen, die die Wirklichkeit neu beschreiben sollen. Aber welche Aussagen dann zutreffen, kann nicht an der Metapher allein entschieden werden. Sonst wäre der Gebrauch von Metaphern wissenschaftliche Willkür. Aussagen, die in einem metaphorisch konstituierten Sinnraum entstehen, müssen sich an der Wirklichkeit bewähren. Die Rückbindung wissenschaftlicher Modelle sowohl an der Metapher als auch an der Wirklichkeit trifft sich im kommunikativen Erfolg derer, die mit dieser Metapher einen neuen Sinnraum entdecken. In der Theologie wird der heuristische Wert von Metaphern daran kontrolliert, dass er sich mit anderen christlichen Metaphern in Zusammenhang bringen lässt – sprich: dass er an andere christliche Kommunikationsvollzüge angeschlossen wird. „Sachgerecht korrigiert wird Missbrauch nicht dadurch, daß man ihm eine sprachliche Alternative entgegensetzt, sondern dadurch, daß man den Gebrauch eines Bildes an der Tiefengrammatik und den diese bestimmenden Hintergrundsmetaphern des christlichen Glaubenslebens mißt, an denen die Einheit des Glaubens in der Vielfalt seiner Manifestationen hängt.“169  etaphern sind nicht selbst wahr oder falsch, sondern eröffnen einen M Sinnraum, in dem man wahre von falschen Sätzen unterscheiden kann. Man kann sie aber nur unterscheiden, wenn man die Metapher voraussetzt.

169 I.U. Dalferth: Jenseits von Mythos und Logos, 307.

12.3 Metaphern 

Übung: Metapher oder nicht? In welchen der folgenden Aussagen wird die Gottessohnschaft metaphorisch ausgesagt, so dass ein eigener Sinnraum eröffnet wird? Suchen Sie also nicht einfach die Texte, in denen die Metaphorik des „Sohnes Gottes“ verstanden und interpretiert worden ist, sondern solche, in denen zur Ausdeutung des Ausdrucks selbst metaphorisch geredet wird. Paraphrasieren Sie gegebenenfalls die Texte im Hinblick darauf, was sie über die Gottessohnschaft Jesu aussagen. 1. „Mit den beiden Momenten vom Sich-selber-Zusprechen Gottes und der Willenserklärung ist die Rede von der Sohnschaft Israels als das Ereignis einer inneren Selbstbindung des Willens Gottes ausgedrückt. Der Zusammenhang zwischen beiden muß uns wichtig sein, weil es sich hierbei wirklich um eine christologische Figur handelt, d. h. um eine Sprachform, in der Israels Sohnschaft etwas ist, was Gott in seinem Verhältnis zu sich selbst unbedingt angeht. … Das Vater-Sohn-Verhältnis ist demnach hier nicht ein biologisches Erzeuger-, sondern ein Rechtsverhältnis.“170 2. „Man muß, um zu begreifen, was zwischen Jesus und seinem Gott und Vater am Kreuz geschehen ist, trinitarisch reden. Der Sohn erleidet das Sterben, der Vater erleidet den Tod des Sohnes. … Diese tiefe Willensgemeinschaft zwischen Jesus und seinem Gott und Vater wird nun aber gerade am Punkt ihrer tiefsten Trennung, im gottverlassenen und verfluchten Sterben Jesu am Kreuz ausgedrückt. … Gott liebt nicht nur, wie er auch zürnt, erwählt und verwirft. Er ist Liebe, d. h. er existiert in Liebe. Er konstituiert seine Existenz im Geschehen dieser Liebe. Er existiert als Liebe im Kreuzesgeschehen.“171 3. „Gott ist Liebe also sowohl in seinem Selbstverhältnis (trinitarisch geredet: in seiner Unterschiedenheit und im Aufeinanderbezogensein als Vater, Sohn und Heiliger Geist) als auch im Verhältnis zu dem ihm gegenüber schlechthin Anderen, dem Menschen. Das innergöttliche Selbstverhältnis ereignet sich als Liebe in derjenigen Selbstbezogenheit 170 F.-W. Marquardt: Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie Bd. 2, 72. 171 J. Moltmann: Der gekreuzigte Gott, 230 f., Herv. J.M.

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Gottes, die bereits eine noch größere Selbstlosigkeit einschließt. Aber eben diese immer noch größere Selbstlosigkeit läßt den sich zu sich selbst verhaltenden Gott in Freiheit ‚nach außen‘ treten: der Gott, der Liebe ist, schafft sich – ex nihilo – sein Anderes.“172 4. „Wahrheit und Konsensfähigkeit des Bekenntnisses ‚Jesus ist der Sohn Gottes‘ aber hängen an einem Zweifachen: zum einen an der Sachgemäßheit des mit dem Prädikat ‚der Sohn Gottes‘ artikulierten Bekenntnisgehalts; zum anderen und vor allem jedoch an der rechten Bestimmung des mit ‚Jesus‘ intendierten Bekenntnisthemas.“173 5. „Hängt das Sohnes-Bild aber sachlich vom Vater-Bild Gottes ab, dann ist es Implikat einer Gottesbezeichnung und als solches selbst ein Bild, das vor allem etwas über Gott aussagt. Theologisch entscheidend ist also weder das Bild als solches noch die Tatsache seiner Anwendung auf Jesus für sich genommen, sondern das, was mit dieser Anwendung auf Jesus über Gott ausgesagt wird.“174 Lösung 1. Paraphrase: Wenn Gott von der Sohnschaft Israels spricht, bindet er sich an sein Volk. Diese Bindung ist ein Rechtsverhältnis. In diesem Text wird die Metapher interpretiert. Dabei wird „Sohn Gottes“ nicht selbst metaphorisiert, sondern ein Missverständnis der Metapher ausgeräumt. 2. Paraphrase: Man muss das Kreuzesgeschehen trinitarisch beschreiben: Der Vater erleidet den Tod des Sohnes, weil er ihn liebt. Der Sohn erleidet das Sterben, weil er den Vater liebt. (In dieser Reziprozität liegt die „Willensgemeinschaft“ von Vater und Sohn.) Das Kreuz offenbart somit, dass Gott Liebe ist.

172 E. Jüngel: Entsprechungen, 270, Herv. E.J. 173 I.U. Dalferth: Der auferweckte Gekreuzigte, 22, Herv. I.U.D. 174 I.U. Dalferth: Der auferweckte Gekreuzigte, 111, Herv. I.U.D.

12.3 Metaphern 

Auch hier wird ein Verständnis vorgestellt, wie Gottes Liebe mit dem Kreuz zusammenpassen kann. Die Beschreibung trifft auf etliche Liebesbeziehungen zu. Daran ist noch nichts metaphorisch. Allerdings ist die trinitarische Rede metaphorisch, da Gott Liebe ist, aber so beschrieben wird, dass sich Vater und Sohn lieben. „Vater“ und „Sohn“ sind dabei metaphorisch gebraucht für die Beschreibung der Existenz der Liebe. 3. Paraphrase: Gottes Liebe ereignet sich als Selbstbezogenheit, die noch größere Selbstlosigkeit einschließt. Diese Selbstlosigkeit öffnet sich in der Erschaffung und Selbstbindung an ein schlechthin Anderes. Hier wird das Phänomen der Liebe, wie es unter Menschen bekannt ist, umgekehrt: Nicht liebt jemand einen Anderen, nachdem er ihn kennengelernt hat, sondern die Liebe des Anderen bringt diesen Anderen überhaupt erst hervor. Der Grund dafür wird in Gott selbst gesehen: Gott ist Liebe, die in seiner Bindung zu sich (also zur Liebe) einen noch stärkeren Impuls hat, sich zurückzunehmen. Interessanterweise benötigt der Text dazu nur eine kurze Anspielung auf die drei trinitarischen Personen, ohne ihr Verhältnis zueinander ausführlicher darzustellen. Zur Metapher wird hier vielmehr der Ausdruck „Liebe“: Die hier beschriebene Liebe kann etwas, was man erst von dieser Beschreibung her auch in zwischenmenschlicher Liebe andeutungsweise wittern könnte, nämlich die Schöpfung des geliebten Anderen. Insofern eröffnet die Beschreibung einen neuen Sinnraum. Der Ausdruck „Sohn“ trägt hierzu nichts metaphorisch Neues bei. 4. Paraphrase: Dem Prädikat „der Sohn Gottes“ muss ein sachgemäßer Gehalt entsprechen. Hier kann zwar vorausgesetzt werden, dass „der Sohn Gottes“ eine Metapher ist. Sie ist aber dennoch ein Prädikat und eröffnet laut Zitat nur dann eine neue Sicht auf die Wirklichkeit, wenn sich mit ihr nichts Unwirkliches, sondern die Wirklichkeit beschreiben lässt. Eine solche Bemerkung weist Metaphern einen Platz in Wirklichkeitsbeschreibungen zu und ist daher als wissenschaftstheoretische Bemerkung theologischer Rede vom Sohn Gottes zu verstehen. Als solche sagt sie selbst nichts Metaphorisches aus.

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  12  Paradoxien, Metaphern und andere spannungsvolle Aussagen

5. Paraphrase: Das Bild „Sohn“ ist ebenso wie das Bild „Vater“ ein Implikat Gottes. Es ist nicht isoliert davon zu betrachten. Hier wird die Metapher („Bild“) „Sohn“ in einem sachgemäßen Kontext lokalisiert. Dabei wird selbst nichts metaphorisch über den Sohn ausgesagt.

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13 Wie kritisiere ich Fachliteratur? Die Technik des Revidierens Was ist zu tun, wenn Ihnen bei der Interpretation eines zu bearbeitenden Textes einfach keine Kritik einfällt, mit der sie ihn im dritten Arbeitsschritt175 konfrontieren können? Studierende fühlen sich oft der Argumentationsstärke eines Fachtextes unterlegen. Dann fällt der dritte Arbeitsschritt oft aus, und die Seminararbeit schließt dann mit der Interpretation und dem Lob des Autors. In diesem Fall fehlt aber die Überprüfung des Textes auf seine Stichhaltigkeit. Alternativ zerren manche Seminararbeiten weit hergeholten Einwände herbei: In einer Arbeit über die Metaphorik des Ausdrucks „Sohn Gottes“ kritisiert man dann vielleicht, dass sowieso die meisten Menschen nicht mehr daran glauben, dass Jesus vom Heiligen Geist gezeugt worden ist, oder man fragt, warum es nicht auch eine Tochter Gottes hätte geben können. In all diesen Fällen windet man sich um eine Stellungnahme herum, weil der zu bearbeitende Quell-Text über allen Einwänden erhaben zu sein erscheint. Das kann ja auch der Fall sein, aber das findet man eben erst in einem dritten Arbeitsschritt heraus. Man muss dazu den Text daraufhin untersuchen, ob er möglichen Einwänden standhält. Ein Beitrag zur Metaphorik des Ausdrucks „Sohn Gottes“ wird aber nicht dadurch überprüft, dass für viele Menschen diese Metapher leer ist. Vielmehr muss die Position selbst überprüft werden, die im zweiten Arbeitsschritt, der Interpretation, rekonstruiert worden ist. Dieses Kapitel soll Ihnen dazu helfen, Ansatzpunkte zu finden, wie Sie einen Text überprüfen können, so dass Sie nach Beendigung des dritten Arbeitsschrittes wirklich wissen, ob Sie dem Text zu Recht zustimmen oder nicht. Außerdem werde ich Ihnen methodische Schritte vorstellen, wie Sie in Ihrer Kritik sachlich bleiben und sich nicht hastig von der Intention des untersuchten Textes entfernen. Denn darin besteht ein weiterer häufiger Fehler, dass man sehr schnell Einwände gegen einen Text erhebt und völlig unzufrieden mit ihm ist. Diese Enttäuschung kann sich darin niederschlagen, dass man den Text zu pauschal ablehnt und dabei seine Stärken übersieht. Dadurch entstehen wiederum Argumentationslücken in der Seminararbeit. Um solche Fehler zu vermeiden, wird dieses Kapitel hier angefügt. 175 Sektion 3.1.

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  13  Wie kritisiere ich Fachliteratur? Die Technik des Revidierens

Das Kapitel habe ich mit „Revidieren“ überschrieben, weil es Sie in die Lage versetzen soll, sachgemäß überspitzte oder unhaltbare Aussagen eines interpretierten Textes an die Realität anzupassen. Eine angemessene Revision bewegt sich dabei zwischen pauschaler Ablehnung und uneingeschränkter Zustimmung. Vielmehr erbringt die Wahrheitsüberprüfung der interpretierten Texte eine wachsende Präzisierung von Aussagen.

13.1 Was tun mit „goldrichtigen“ Quell-Texten? Noch einmal: Es mag wirklich „goldrichtige“ Texte geben, die Sie zu Recht für völlig überzeugend halten. Sie werden aber nicht dadurch goldrichtig, dass Sie sich vor der Autorität ihrer Autoren verneigen. Auch Professoren machen Fehler, und nicht die Professoren sind zu schützen, sondern ihre Gedanken mit dem Ziel möglichst zutreffender Darstellungen zu entwickeln. Dazu wollen auch die Autoren kritisiert werden. Aber auch Kritik verlangt ihre Sachgemäßheit. Und weil sich Studierende darin nicht immer sicher fühlen, finden sie einen Text oft vorschnell goldrichtig. Selbst eine Fundstelle im Text, die nicht sofort überzeugt, führt noch nicht umgehend zu einer Alternativdeutung. Deshalb ist es hilfreich, sich an bestimmte Methoden halten zu können, um zu wissen, dass man sich auf sicherem Gelände befindet. 1. Beginnen wir mit dem Fall, dass Sie nach Abschluss des zweiten Arbeitsschritts wirklich keine raue Stelle am Text entdeckt haben. Vielleicht aber haben Sie in Ihrem Exzerpt noch einige Fragezeichen offen, die sich auf Ihr Thema beziehen. Gehen Sie dadurch das Exzerpt noch einmal durch und überlegen Sie sich, ob Sie zu allen offenen Problemen, die Sie sich im Exzerpt vermerkt haben, inzwischen eine Lösung aus dem Text direkt anbieten können. In diesem Fall war Ihre Interpretation so abschließend, dass nichts offen geblieben ist. Es kann aber sein, dass Sie diesen Gedankengang im zweiten Arbeitsschritt noch nicht vorgenommen haben: Er hat Sie zwar schon soweit vorbereitet, dass Sie sich jetzt diese Antworten geben können, aber Sie haben sie in Ihrer Arbeit noch nicht aufgeführt. Dann ist der dritte Arbeitsschritt nun der Ort, dies hier nachzuholen.

13.1  Was tun mit „goldrichtigen“ Quell-Texten? 

Beispiel In Sektion 3.3.1 habe ich Ihnen ein Kurz-Exzerpt eines Buches des Ethikers Johannes Fischer vorgestellt. In diesem Exzerpt habe ich zwei kritische Rückfragen gestellt. Nehmen wir nun an, die Interpretation des Textes aus Sektion 3.3.2 sei so abschließend, dass meine beiden Fragen nun beantwortet wären. Die Interpretation hatte ergeben, dass eine objektivierende Betrachtungsweise der Ethik unangemessen sei und man vielmehr vom jeweiligen „Geist“ einer Situation geführt werde. Meine beiden kritischen Rückmeldungen lauteten: „Aber wer es so sieht, kann vom Geist geführt werden.“ „Prüfen der Geister unmöglich.“ In beiden Rückmeldungen beziehe ich mich darauf, dass eine kritische Überprüfung des jeweiligen Geistes nicht aus dem Geist selbst vorgenommen werden kann, weil er die unkritische Bedingung der ethischen Urteilsbefähigung bildet. Also kann man zwar vom Geist einer Situation den Geist einer anderen Situation kritisieren, was aber keinen besonderen geistigen Mehrwert hat: Denn der andere Geist gehört eben nicht zur Situation. Dann aber dürfte Fischer auch nicht scheinbar objektivierende Betrachtungsweisen kritisieren: Denn es könnte eben sein, dass bestimmte Menschen situationsgemäß von einem Geist geführt werden, wenn sie in einer bestimmten Situation objektivierende Betrachtungsweisen annehmen. Ihre Betrachtungsweise ist dann nämlich nur scheinbar objektiv, weil hinter ihr der Geist einer bestimmten Situation leitend ist. Nehmen wir an, der zweite Arbeitsschritt der Interpretation hätte ergeben, dass Fischer diese Position hat. Immerhin steht ja auch im Exzerpt, dass der Glauben keine Garantien hat. Dann könnte ich nun im dritten Arbeitsschritt zeigen, dass meine kritischen Rückmeldungen durch den Text abgedeckt sind. Darin würde sich der dritte Arbeitsschritt erschöpfen, dass meine offenen Fragen aus dem Exzerpt nun eine Antwort gefunden haben und dass ich daher von nun an keine weiteren Fragen mehr habe. 2. Soweit das Beispiel. Wenn Sie nun jedoch in Ihrem Exzerpt keine kritischen Rückmeldungen finden, können Sie nochmals im Text selbst blättern, den Sie beim Lesen markiert haben: Finden Sie dort Fragezeichen oder kritische Rückmeldungen? Und können Sie Ihre Einwände nun mit dem Text selbst aus dem Weg räumen?

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  13  Wie kritisiere ich Fachliteratur? Die Technik des Revidierens

3. Haben Sie aber bis jetzt immer noch den Eindruck, der Text sei „goldrichtig“, ohne dass Ihnen Einwände einfallen, vor denen Sie Ihre Einschätzung rechtfertigen müssten, sollten Sie sich noch einmal mit dem ersten Arbeitsschritt beschäftigen: Hatte auch der erste Arbeitsschritt ergeben, dass die Interpretation zu genau dem Ergebnis führt, das Sie nun nach dem zweiten Arbeitsschritt vor sich haben? Waren Sie also bereits derselben Meinung gewesen wie der Text, den Sie erst noch bearbeiten mussten? Das ist recht unwahrscheinlich, jedenfalls dann, wenn Sie beide Arbeitsschritte unabhängig voneinander vorgenommen haben. Wenn Sie wirklich den ersten Arbeitsschritt vor dem zweiten gegangen sind und dabei unabhängig gedacht haben, dann dürfte eine Differenz aufgetaucht sein. Nehmen wir aber an, Sie könnten nun beim Vergleich beider Schritte keine Differenz feststellen. Dann könnten immerhin die methodischen Zugänge oder Prämissen, die zum selben Ergebnis geführt hätten, verschieden sein. In diesem Fall könnten Sie im dritten Arbeitsschritt zeigen, dass unterschiedliche Methoden zum selben Ziel führen. Dadurch würden Sie gute Gründe formulieren, warum das Ergebnis der Interpretation richtig sein könnte – nämlich weil man mit Hilfe eines anderen Weges der Beweisführung zum selben Ergebnis gelangt.

Beispiel Auch das möchte ich beispielhaft an Fischer vorführen. Nehmen wir an, mein erster Arbeitsschritt wäre mit der These beendet worden, dass unterschiedliche Kulturen auch unterschiedliche moralische Werte entwickeln: Während wir körperliche Zuchtstrafen für menschenunwürdig halten, finden andere Kulturen das Auspeitschen von Menschen nach einem Vergehen angemessen. Ein solches Vergehen könnte bereits ein Ehebruch sein, den wir zwar moralisch eher ablehnen, aber nicht juristisch unter Strafe stellen. Mein erster Arbeitsschritt könnte damit enden, dass wir also keine Gründe haben, weswegen unsere moralischen Werte besser sind als die Werte anderer Kulturen. Nun hätte der zweite Arbeitsschritt eine Konzeption vorgestellt, die verständlich macht, warum es keine objektivierenden Betrachtungsweisen in der Ethik gibt. In meinem ersten Arbeitsschritt habe ich die Warum-Frage

13.1  Was tun mit „goldrichtigen“ Quell-Texten? 

vielleicht nicht gestellt oder sie noch nicht abschließend beantwortet. Umgekehrt hätte Fischer sich nicht so intensiv mit verschiedenen Kulturen beschäftigt wie ich. Er hätte eher ein Modell entwickelt, die Koexistenz verschiedener Moralvorstellungen zu verstehen, während ich diese Unterschiede konkreter beschrieben hätte. Dann korreliert Fischers Modell mit meiner empirischen Darstellung. Das Ergebnis ist zwar ähnlich, aber die Herangehensweise ist verschieden. Damit erfährt aber das Ergebnis Unterstützung aus einer anderen Perspektive. Der dritte Arbeitsschritt würde also über eine andere Perspektive überprüfen, was der zweite Arbeitsschritt ergeben hat. Ich schließe das Beispiel wieder ab. Wahrscheinlicher dürfte es in vielen Fällen sein, dass sich im Vergleich der beiden ersten Arbeitsschritte nicht nur Unterschiede im Hinblick auf die Herangehensweise finden lassen, sondern auch inhaltliche Differenzen. In diesem Fall muss im dritten Arbeitsschritt eine Lösung gefunden werden, wie diese Differenzen ausgeglichen werden können oder welcher der vorliegenden Positionen der Vorzug zu geben ist. 4. Es gibt noch eine weitere Ressource, einen interpretierten Text auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen: nämlich Einwände anderer Autoren. Etliche Universitäten halten Zeitschriftendatenbanken vor, die von Mitgliedern der Universität frei abgerufen werden können. Dadurch können Sie durch die Stichwortsuche „Fischer“ Beiträge anderer Autoren über Johannes Fischer finden, die ihn kritisch beurteilen. Wenn Sie seinen Text goldrichtig finden, dann werden Sie auch Gründe haben, weshalb Sie die dort gefundene Kritik an Fischer für falsch halten. Eine solche Diskussion zu führen, wäre dann die Aufgabe des dritten Arbeitsschrittes. Dabei kann sich natürlich auch herausstellen, dass der Grundlagentext doch nicht mehr goldrichtig ist. 5. Eine letzte Möglichkeit möchte ich hier nennen, wie Sie in den dritten Arbeitsschritt eintreten, nämlich indem Sie einzelne zentrale Argumente überprüfen, an denen der Text letztendlich hängt. Dazu können Sie sich ein Spiel daraus machen, einzelne Methoden exemplarisch anzuwenden, die ich Ihnen in diesem Buch vorstelle. Hat der Text angemessene Differenzierungen vorgenommen, oder liegen Indifferenzen vor? Oder umgekehrt: Wird Gleiches differenziert? Weiter: Werden Kategoriefehler vorgenommen? Liegen Widersprüche vor, oder werden notwendige und hinreichende Bedingungen verwechselt?

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Sie müssen nicht alle methodischen Schritte anwenden, sondern können hier auch in der Regel Ihrer Intuition trauen. Zentrale Aussagen, an der alles andere hängt, sind natürlich besonders anfällig und verdienen daher besondere Aufmerksamkeit. Merkwürdige Formulierungen, die Ihnen auffallen, bringen Sie leicht auf die Idee, woraufhin Sie sie überprüfen wollen – ob also die Prüfung des Kategoriefehlers sinnvoller ist als die Untersuchung einer Indifferenz. Im dritten Arbeitsschritt nehmen Sie solche Überprüfungen vor. Dabei kann sich herausstellen, dass der Text fehlerfrei ist. Dennoch wird der dritte Arbeitsschritt sinnvoll gewesen sein. Es könnte ja sein, dass zwar Sie den Text goldrichtig finden, aber andere Leser nicht (und die Gutachter Ihrer Seminararbeit vielleicht auch nicht). In diesem Fall haben Sie jetzt gute Gründe angeführt, weswegen sich diese Leser irren und der Text doch goldrichtig ist. I m dritten Schritt176 einer systematischen Bearbeitung überprüfen Sie die Zwischenergebnisse der ersten beiden Schritte auf inhaltliche oder methodische Unterschiede. Und Sie untersuchen, ob Inhalt oder Methode des interpretierten Textes aus dem zweiten Schritt durchgehend überzeugend sind.

13.2 Fair mit den Autoren umgehen – The Principle of Charity Es gibt aber auch die umgekehrte Ungenauigkeit, nämlich einen Text pauschal zu verurteilen. Wenn Sie im ersten Arbeitsschritt eine andere Meinung artikuliert haben als der Text dann vorstellt, werden Sie dazu genötigt, eine Entscheidung zwischen den konkurrierenden Positionen herbeizuführen. Dabei könnten Sie veranlasst werden, den Text unfair zu behandeln, um Ihre Position zu retten. Ein anderer Fall tritt auf, wenn Sie zwar nicht Ihre Position retten wollen, aber einfach im Text anstößige oder merkwürdige Passagen finden. Dass Sie solche Passagen finden, ist in der Lesephase und beim Anfertigen des Exzerptes ein Glücksfall, eine Hilfe, um sich im Text zu orientieren. Es reicht aber nicht aus, solche Irritationen in der Seminararbeit einfach zu benennen, um den Text zu 176 Sektion 3.1.

13.2  Fair mit den Autoren umgehen – The Principle of Charity 

verurteilen. Wissenschaft entdeckt neue Sachverhalte und nimmt ungewohnte Blicke ein. Daher müssen Textpassagen noch nicht falsch sein, nur weil sie merkwürdig sind. So wichtig es daher ist, im dritten Arbeitsschritt einen Text auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen, so ungerechtfertigt wäre es auch, dabei zufrieden stehenzubleiben, wenn man endlich Aussagen im Text findet, die nicht sofort überzeugen. Hier gilt Dasselbe wie bei goldrichtigen Texten: Ob sie richtig oder falsch sind, entscheidet sich erst an einer gründlichen Überprüfung. Und gründlich überprüfen Sie einen Text nicht nur dadurch, dass Sie vermeintliche Fehler entdecken, sondern auch, indem Sie untersuchen, ob sich der Eindruck eines Fehlers beseitigen lässt. Dasselbe gilt auch, wenn sich herausstellt, dass wirklich ein Fehler vorliegt. Dann sollten Sie überprüfen, wie er aus der Leitperspektive des Autors korrigiert werden kann, sprich: wie der Fehler behoben werden kann, um zugleich das Konzept des Autors weitgehend zu erhalten. Es gilt also im dritten Arbeitsschritt, ein sogenanntes „Prinzip der Nächstenliebe“ walten zu lassen (The Principle of Charity). Weder ist der Autor einfach zu dumm, noch ist sein Text völliger Quatsch. Sie haben vielmehr zu unterstellen, dass der Autor klug ist. Entsprechend liebevoll und fürsorglich haben Sie seine Texte zu behandeln. Bitte verstehen Sie das Principle of Charity methodisch: Es mag ja sein, dass Sie den entsprechenden Professor schon einmal in einer Vorlesung erlebt haben und so widerlich finden, dass Sie sich einfach nicht vorstellen können, dass etwas Sinnvolles aus seiner Feder gelaufen ist. Oder Sie haben bereits die Erfahrung gemacht, dass Hochschullehrer aus einer bestimmten Fakultät oder Epoche grundsätzlich Unsinn schreiben. Das alles entbindet Sie nicht von der methodischen Unterstellung, dass ein zugrundeliegender Text solcher Autoren so gut wie möglich seiner Richtigkeit zu überführen ist und nicht seiner Falschheit. Verstehen Sie den Text bitte als Beitrag dazu, die Wirklichkeit angemessener zu verstehen. Dazu untersuchen Sie die Bedingungen, die der Text braucht, um wahr zu sein. Fallen Sie jetzt bitte nicht wieder zurück in die Meinung, der Text sei goldrichtig. Vielleicht mutet es umständlich an, einen Text auf mögliche raue Stellen hin zu überprüfen, obwohl man eigentlich die Aufgabe hat, ihn liebevoll zu stärken. Tatsächlich besteht eben wissenschaftliches Arbeiten in diesem Wechsel unterschiedlicher und gegenläufiger Perspektiven, um der Wahrheit näher zu kommen. Es ist kein Einwand gegen das Principle of Charity, wenn Sie zunächst nach Gründen suchen, weshalb ein Text falsch sein könnte. Denn das Ziel dieser Suche nach rauen Stellen besteht darin, den Text so leistungsstark wie möglich

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  13  Wie kritisiere ich Fachliteratur? Die Technik des Revidierens

zu machen. Pointiert ausgedrückt: Die rauen Stellen zu finden, ist nötig, damit der Text am Ende der Untersuchung möglichst glatt durchgeht. Das Principle of Charity bedeutet nicht, dass der Text ungeprüft als wahr zu gelten hat. Vielmehr unterstellt dieses Prinzip, dass sich die Wahrheit des Textes herausstellen wird. Als methodisches Prinzip ist das Principle of Charity keine Wirklichkeitsunterstellung. Sie sind nicht darauf festgelegt, am Ende Ihrer Seminararbeit nachgewiesen zu haben, dass der interpretierte Text wahr ist. Es kann sich am Ende durchaus herausgestellt haben, dass er falsch ist. Mit dem Principle of Charity soll aber vermieden werden, dass der Nachweis der Falschheit auf Vorurteilen oder persönlichem Geschmack beruht. Sie behandeln also einen Text so, als ob er wahr sein könnte, und fragen nach den Bedingungen, die für seine Wahrheit sorgen. Es kann sich herausstellen, dass der Text diese Bedingungen nicht enthält. Dann müssen Sie sie einbauen oder untersuchen, ob sie sich störungsfrei einbauen lassen. Das Principle of Charity greift also durchaus auch in einen Text ein, wenn ihm etwas Wichtiges fehlt, um ihn dadurch leistungsfähiger zu machen. Erst wenn Sie trotz dieses Prinzips keine Besserung des Textes erreichen, können Sie am Ende der Arbeit seine Falschheit ausrufen. Beispiel Wieder greife ich auf den Kurztext von Johannes Fischer zurück (Sektion 3.3.2). Nehmen wir an, ich wäre überhaupt nicht der Meinung, dass Vertrauen in den Geist einer Situation ausreicht, um sich moralisch richtig zu verhalten. Das Principle of Charity verlangt aber zunächst die Unterstellung, dass Fischers Modell etwas zur Meinung aussagt, dass das Auspeitschen von Menschen unter allen Umständen falsch ist. Wie könnte man mit Fischers Modell das Verbot der körperlichen Zuchtstrafe erreichen? Objektivierende Betrachtungsweisen kommen hierfür nicht in Frage; das sagt Fischers Modell ausdrücklich. Vielmehr entscheidet nur der Geist einer Situation, was moralisch richtig ist. Bis jetzt habe ich im Text noch keine Lösung gefunden, wie das Auspeitschen von Menschen verboten werden kann – außer im Geist unserer lebensweltlichen Situation, aber da bräuchten wir auch kein Verbot, weil das Auspeitschen ohnehin in diesem Geist unseres Zusammenlebens nicht vorkommt. Also könnte ich nun fragen, ob denn alle „Geister“ gleichberechtigt nebeneinander stehen oder ob es möglich ist, einen Geist durch einen

13.2  Fair mit den Autoren umgehen – The Principle of Charity 

„höheren“ Geist zu kritisieren. Fischers Modell schließt noch nicht aus, dass es Geister gibt, die weiter reichen als andere. Es schließt auch nicht aus, dass sich Geister überlappen, so dass Menschen von mehreren Geistern zugleich erfasst sein können. Wenn man nun zeigen kann, dass sich der Geist menschenwürdigen Handelns mit dem Geist einer Gesellschaft überlappt, in der Menschen ausgepeitscht werden, dann kann die körperliche Zuchtstrafe als Vergehen am höheren Geist ausgewiesen werden. Soweit die Hypothese, wie Fischers Modell funktionieren könnte, ohne dass wir deshalb das Auspeitschen von Menschen unter bestimmten Situationen moralisch hinnehmen müssen. Der dritte Arbeitsschritt würde sich nun nicht allein begnügen, diese Hypothese eines höheren Geistes aufzustellen. Vielmehr würde er danach suchen, ob sich ein solcher höherer Geist finden lässt.177 Der ganze Arbeitsschritt ist von dem Wohlwollen geleitet, dass Fischers Modell leistungsstark ist, und zwar sogar so stark, dass es sich gegen verständliche Einwände behaupten kann. Diese wohlwollende Unterstellung kann sich am Ende als vergeblich herausgestellt haben – nämlich wenn sich kein solcher höherer Geist finden lässt. Dann kann man Fischers Modell als unzureichend oder schwach ablehnen. Diese Ablehnung darf aber erst dann erfolgen, wenn alle Bemühungen vergeblich waren, seinen Text wohlwollend vor Angriffen und Einwänden zu schützen und zu stärken. Welche Möglichkeiten haben Sie nun, einen Text stärker zu machen, als er Ihnen erscheint? Zunächst sollten Sie genau benennen, welches Problem Sie mit dem Text haben. Hilfreich ist es, wenn Sie dazu möglichst textnah bleiben und die Begriffe des Textes verwenden. Dadurch können Sie kontrollieren, dass Ihre Vorbehalte wirklich mit dem Text zu tun haben. Ebenso präzise, wie die Interpretation gewesen ist, sollte also Ihr Einwand vorgetragen sein, und zwar so, dass sich Ihr Einwand begrifflich mit dem Text vergleichen lässt.

177 Hier nur eine kurze Andeutung: Der Geist der Menschenwürde ist deshalb höher, weil er keine Ausnahme zulässt, ohne sich selbst zu zerstören. Dagegen wird selbst im Geist einer Gesellschaft, in der körperliche Zuchtstrafen üblich sind, nicht jeder Mensch permanent ausgepeitscht. Das Verbot körperlicher Zuchtstrafen zerstört daher nicht den Geist des Zusammenlebens solcher Gesellschaften.

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  13  Wie kritisiere ich Fachliteratur? Die Technik des Revidierens

Beispiel Betrachten wir einen Text zum Wissenschaftsverständnis des Theologen Wolfhart Pannenberg: „Theologische Aussagen lassen sich also durchaus überprüfen, auch im Hinblick auf ihren Wahrheitsanspruch. Eine andere Frage ist es, ob solche Prüfung sich definitiv zum Abschluß bringen lässt, sei es mit dem Ergebnis einer Verifikation oder einer Falsifikation. … John Hick und I. M. Crombie meinen daher, daß religiöse und theologische Aussagen zwar im Prinzip verifizierbar seien, daß aber erst die eschatologische Zukunft über ihre Verifikation entscheiden werde. Daran ist einleuchtend, daß erst das Ende aller Geschichte die endgültige Entscheidung über alle Behauptungen hinsichtlich der Wirklichkeit im ganzen, und so auch im Hinblick auf die Wirklichkeit Gottes und die Bestimmung des Menschen bringen kann. Dennoch kommt es darauf an, angesichts der Unumgänglichkeit von Annahmen über die Wirklichkeit im ganzen für den gegenwärtig lebenden Menschen schon jetzt Kriterien zu entwickeln, um eine zumindest vorläufige Entscheidung zwischen derartigen Annahmen treffen zu können. … Dabei muß allerdings die Bewährung des Gottesgedankens an der Erhellung unseres eigenen Lebens alle Dimensionen jeweils zugänglicher Erfahrung miteinschließen.“178 Wenn Sie nun Probleme mit Wolfhart Pannenbergs Wissenschaftsverständnis haben, wonach Theologie nur Wissenschaft ist, wenn sie Gott grundsätzlich für beweisbar hält, sollten Sie nicht einfach einwenden, dass Gott nicht bewiesen werden kann. Vielmehr müssen Sie Pannenbergs Variante einer eschatologischen Verifikation aufgreifen und untersuchen, ob unter seinen begrifflichen und konzeptionellen Bedingungen Ihre Meinung noch aufrecht erhalten werden kann, dass Gott nicht beweisbar ist. Vertreten Sie also die Position, dass Gott grundsätzlich nicht beweisbar ist oder nur vorerst nicht? Dazu sollten Sie nicht Ihre, sondern Pannenbergs Bedeutung der Begriffe „Beweis“ und „Verifikation“ verwenden, damit entschieden werden kann, ob überhaupt ein Gegensatz zwischen Ihrer und seiner Position besteht.

178 W. Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, 346 f..

13.2  Fair mit den Autoren umgehen – The Principle of Charity 

Nehmen wir aber nun an, dass sich ein wirklicher Gegensatz auftut. Dazu setzen wir zusätzlich voraus, dass Sie die Position vertreten, dass Gott unter keinen Bedingungen ein wissenschaftlicher Gegenstand ist: Unter irdischen Bedingungen ist Gott kein Gegenstand und damit auch kein Forschungsgegenstand. Im Reich Gottes dagegen, wenn die Auserwählten die Herrlichkeit Gottes erblicken können, werden sie keine Wissenschaft von Gott betreiben können, weil sie mit ihm so untrennbar verbunden sind, dass sich keine Distanz für eine nüchterne wissenschaftliche Kontrolle auftut. Die Vorstellung einer „eschatologischen Verifikation“ ist damit nach Ihrem Einwand widerlegt. Wie können Sie nun das Principle of Charity erfüllen und Pannenbergs Position stärken? Folgende Wege können gegangen werden: 1. Sie können Bedingungen suchen, um den Gegensatz zwischen seiner und Ihrer Position aufzulösen. Dazu könnten Sie a. Differenzierungen zurücknehmen, die der Text vorgenommen hatte, oder umgekehrt b. Differenzierungen setzen, die Text nicht vorgenommen hatte. 2. Anschließend können Sie mögliche Anschlüsse für Ihre Lösung am Text selbst suchen. Könnte es also sein, dass Pannenberg ähnliche Ansatzpunkte Ihres Lösungsvorschlags selbst vorgebracht hat? Für diese Untersuchung nutzt es nun, dass Sie in Ihrem Einwand die zentralen Begriffe im Sinne des Textes verwendet haben. Dadurch, dass Sie den Begriff der Verifikation in Ihrem Einwand wie Pannenberg im Sinne eines „Bewährtseins“179 verwenden, können Sie nun untersuchen, ob sich die Gotteserkenntnis sowohl auf Erden als auch im Himmel „bewähren“ kann. An Ihrer Stelle würde ich nun unter dem ersten Punkt eine neue Differenz einführen, nämlich zwischen Verifikation als stets „vorläufige Entscheidung“ und als „endgültige Entscheidung“. Nach Untersuchung mit dem zweiten Punkt zeigt sich: Diese Differenz findet sich bei Pannenberg selbst180, ohne dass sie aber selbst als interne Differenz von Verifikationen eingesetzt wird. Wissenschaft scheint für ihn ein praktischer Umgang 179 W. Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, 346 ff.. 180 W. Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, 347.

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mit konkurrierenden Annahmen zu sein, indem er sie nämlich mit „Entscheidungen“ assoziiert. Dieser Begriff kommt wiederum in meinem Einwand gegen Pannenberg nicht vor. Pannenbergs Wissenschaftsverständnis könnte also dadurch gegen meinen Einwand gestärkt werden, dass die Gott-Hypothese zwar auf Erden nicht bewiesen werden kann. Dennoch kann man sich aufgrund bestimmter wissenschaftlicher Kriterien zu Recht vorläufig zu dieser Hypothese entscheiden. Im Reich Gottes dagegen wird zwar die Gott-Hypothese aufgrund der berechtigten Einwände nicht mehr untersucht werden. Dennoch wird dann über diese Hypothese endgültig entschieden sein, nämlich durch Gottes Wirksamkeit. In diesem Beispiel sind Ihre Einwände und Pannenbergs Konzept miteinander abgestimmt worden, indem eine Differenz eingezogen worden ist, die bei Pannenberg mehr oder weniger latent vorhanden ist, aber von Ihnen im dritten Arbeitsschritt pointiert wird. Diese Differenz ist gut geeignet, um auf Ihren Einwand einzugehen. Sie beendet noch nicht zwingend die Diskussion zwischen Pannenberg und Ihnen, aber führt sie konstruktiv weiter, dass eine Lösung in Sicht ist. (Vermutlich wird die Diskussion nun so weitergeführt, dass gefragt wird, ob Wissenschaft wirklich eine Praxis ist, bei der Entscheidungen getroffen werden müssen, oder eine Theorie, die Sachverhalte wahrnehmen lässt.) Kritisieren Sie einen Text konstruktiv, indem Sie Vorschläge entwickeln, 1. wie sich seine Fehler beheben lassen 2. und mit welchen Argumenten die Autorin bzw. der Autor selbst auf Ihre Kritik reagieren könnte.

13.3 Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft In der Regel werden Sie weder einen Text pauschal ablehnen noch ihn vollkommen goldrichtig finden. Nachdem Sie ihn interpretiert haben, werden Sie von vielen Passagen überzeugt sein, aber manche Behauptungen anzweifeln. Oft wird es sich noch um ein Gefühl handeln, das Sie nicht sofort verbalisieren

13.3  Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft 

können. Dann ist es jetzt Ihre Aufgabe, Ihr Unbehagen in klaren Einwänden zu formulieren. Aber auch wenn viele Textstellen Sie überzeugt haben, heißt das noch nicht, dass sie wahr sind. Sie müssen also so oder so im Hinblick auf das Thema Ihrer Seminararbeit eine Wahrheitsprüfung vornehmen. In diesem Fall formulieren Sie hypothetische Einwände. Wenn Ihnen solche Einwände nicht gleich einfallen, so können Sie einfach die Hauptthese in eine Frage umformulieren. Heißt etwa die Hauptthese des Textes: „Gottesbeweise überzeugen nur diejenigen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind“, so können Sie genau diese These in Frage stellen: „Überzeugen Gottesbeweise wirklich nur diejenigen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind?“ Diese Frage dient Ihnen jetzt als Aufgabenstellung für Ihre Wahrheitsüberprüfung. So wie sie gestellt ist, zielt die Frage dann auf die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Gottesbeweise überzeugen. Zu Ihrer Wahrheitsüberprüfung der These aus dem Text gehört es dann, solche Bedingungen zu ermitteln, um festzustellen, ob der Glaube an die Existenz Gottes eine solche notwendige Bedingung darstellt.  ür die Wahrheitsüberprüfung haben Sie grundsätzlich zwei MöglichF keiten: Sie können erstens textinterne Fehler aufweisen beziehungsweise ausschließen. Oder Sie konfrontieren zweitens die These mit textexternen Sachverhalten.

13.3.1 Überprüfung textinterner Richtigkeit Zu textinternen Fehlern gehören Inkonsistenzen, also logische Fehler, Indifferenzen, Überdifferenzierungen, Kategoriefehler usw. – also die Palette von Fehlern, die in diesem Buch vorgestellt worden sind. Um sie zu finden, müssen Sie die zu untersuchende These mit ihren Gründen abgleichen. Nehmen wir an, die These „Gottesbeweise überzeugen nur diejenigen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind“ wird dadurch begründet: „Nur gläubige Menschen nehmen Gottesbeweise vor.“ Was haben Sie bis jetzt gemacht? Sie haben die These und einen Grund paraphrasiert.181 Das Auffinden und Paraphrasieren der entscheidenden Gehalte einer zu untersuchenden Textpassage ist eine wichtige Vorarbeit für die Wahrheitsüberprüfung. 181 Sektion 3.4.

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Nun können Sie überprüfen, ob These und Grund zueinander passen. Offenbar liegt kein Widerspruch zwischen beiden Sätzen vor. Allerdings muss die Begründung nicht hinreichend für die These sein. Wäre sie hinreichend, so wäre der folgende Satz wahr: „Wenn nur gläubige Menschen Gottesbeweise vornehmen, dann überzeugen Gottesbeweise nur diejenigen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind.“ Ob dieser Satz wahr ist und damit die Begründung hinreichend für die These, müsste nun in einem textexternen Abgleich untersucht werden. Bevor es dazu kommt, kann man an These und Begründung eine weitere textinterne Ungenauigkeit feststellen, nämlich eine mögliche Indifferenz: Sind gläubige Menschen dieselben Menschen wie solche, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind? Semantisch meinen beide Sätze zunächst noch nicht Dasselbe: Es könnten auch Menschen von der Existenz Gottes überzeugt sein, ohne an ihn zu glauben. Nimmt man hier aber eine Differenz vor, scheint die Begründung für die These falsch zu sein. Denn welcher Zusammenhang sollte darin bestehen, dass nur gläubige Menschen Gottesbeweise vornehmen, und der unterstellten These, dass nur Menschen von ihnen überzeugt werden, die bereits von der Existenz überzeugt sind? Nehmen wir den Fall, dass es ungläubige Menschen gibt, die dennoch von der Existenz Gottes überzeugt sind. Warum sollten sie nicht auch Gottesbeweise selbst vornehmen können? Absurd wäre es, dass ein ungläubiger Mensch, der von der Existenz Gottes überzeugt ist, von einem Gottesbeweis überzeugt werden könnte, wenn er ihn nicht selbst vorgenommen hätte, sondern eine gläubige Person, aber nicht selbst in der Lage wäre, denselben Gottesbeweis selbst nachzuvollziehen, wenn er ihn selbst vornimmt. Sobald also zwischen gläubigen Menschen und solchen, die von der Existenz Gottes überzeugt sind, differenziert wird, geht der logische Zusammenhang zwischen These und Begründung verloren.

13.3.2 Textexterner Abgleich Zum textexternen Abgleich können Sie nun Gegenbeispiele suchen. Warum Gegenbeispiele und keine Beispiele, die die These unterstützen? Der Grund ist, dass bereits ein Gegenbeispiel ausreicht, um die These zu widerlegen, während sie dann auch durch tausend unterstützende Beispiele nicht gerettet werden kann.

13.3  Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft 

Gibt es also ein Gegenbeispiel für diesen Satz: „Wenn nur gläubige Menschen Gottesbeweise vornehmen, dann überzeugen Gottesbeweise nur diejenigen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind“? Sie könnten 1. sowohl nach einem Gegenbeispiel suchen, wonach auch ungläubige Menschen Gottesbeweise vornehmen, 2. als auch ein Gegenbeispiel, wonach Menschen erst durch einen Gottesbeweis von der Existenz Gottes überzeugt werden. Finden Sie Gegenbeispiel zu Punkt 2, so liegt eine stärkere Widerlegung vor als bei einem Gegenbeispiel zu Punkt 1. Denn unter Punkt 1 widerlegen Sie nur, dass die Begründung für die These schon hinreichend ist. Es könnte aber andere hinreichende Gründe geben, die die These doch absichern. Nehmen wir also an, dass ein Philosoph einen Gottesbeweis vorgenommen hat, obwohl er nicht gläubig ist. Dann kann es immer noch sein, dass man bereits von der Existenz Gottes überzeugt sein muss, um von einem Gottesbeweis überzeugt zu sein. Aber dafür müssten nun andere Gründe ausschlaggebend sein. Nehmen wir aber an, dass Sie zu Punkt 2 ein Gegenbeispiel finden und eine Person ausmachen, die von einem Gottesbeweis überzeugt wird, obwohl sie bislang nicht von der Existenz Gottes überzeugt gewesen ist. Dann ist damit die These insgesamt widerlegt. Finden Sie dagegen keine Beispiele – weder zu Punkt 1 noch zu 2 –, dann hat die Wahrheitsüberprüfung der untersuchten Textpassage erbracht, dass die These bis auf Weiteres gültig ist. Was aber tun Sie anschließend, nachdem Sie einen Fehler entdeckt und damit eine Textstelle widerlegt haben? Dann sollten Sie das Principle of Charity anwenden und überprüfen, ob sich die These rehabilitieren lässt, wenn sie in ihrer Reichweite begrenzt wird (z.B.: „Gottesbeweise überzeugen in der Regel nur diejenigen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind“) oder wenn andere Bedingungen herangezogen werden (z.B.: „Wenn nur gläubige Menschen Gottesbeweise vornehmen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind, dann überzeugen Gottesbeweise nur diejenigen, die bereits von der Existenz Gottes überzeugt sind.“). Natürlich muss auch diese Revision überprüft werden.

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Übung zum Revidieren 1. Führen Sie die Diskussion mit Pannenberg aus Sektion 13.2 im Hinblick auf die Frage fort, ob Wissenschaft eine Praxis oder eine Theorie ist. 2. Nehmen wir an, Sie sind der Meinung, dass Gott ein wissenschaftlicher Gegenstand ist, an dem theologische Aussagen selbst geprüft werden können. Wie können Sie dann das Principle of Charity für die folgende Textstelle anwenden? Die Kontrolle von Behauptungen richtet sich aber vor allem auch auf die Faktizität des behaupteten Sachverhalts. Hier verdichtet sich das Problem für die Theologie, weil Aussagen über Gott offenbar nicht an ihrem Gegenstand nachprüfbar sind. Erstens nämlich ist Gottes Wirklichkeit selbst strittig, und zweitens widerspräche es seiner Gottheit als der alles bestimmenden Wirklichkeit, dem Menschen wie eine jederzeit reproduzierbare endliche Gegebenheit nach Belieben verfügbar zu sein, damit menschliche Behauptungen an ihm gemessen werden könnten. Gottes Gottheit ist … auf solche Weise jedenfalls nicht zugänglich, weil das im Widerspruch zu ihrem Begriff stehen würde.182

3. Diskutieren Sie bitte das Ergebnis der Übung zum Gottesbegriff Schleiermachers (nach Sektion 3.4) und führen Sie die Diskussion dazu mit Ihren Einwänden zu einer Lösung. Lösung Beachten Sie bitte: Keine der folgenden Lösungen ist alternativlos, zumal in einem Buch wie diesem Ihre Einwände nicht aufgenommen werden können. Daher handelt es sich im Folgenden jeweils um Lösungsangebote. 1. Für die Unterscheidung zwischen einer vorläufigen und endgültigen Entscheidung in der Diskussion um Pannenberg von Sektion 13.2 ist bereits in den dritten Arbeitsschritt eingetreten worden. Die Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis ist ebenfalls eine Differenz, die sich im Quelltext 182 W. Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, 335.

13.3  Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft 

nicht findet – zumindest nicht in dem angegeben Zitat –, sondern die in diesem dritten Schritt eingeführt worden ist. Daher muss diese Unterscheidung auch von Ihnen weiter bestimmt werden. Folgende Stufen könnte nun Ihre Überlegung durchlaufen. a) Damit Sie nicht frei schwebend über das Verhältnis von Theorie und Praxis nachdenken, können Sie es an die erste Unterscheidung von vorläufiger und endgültiger Entscheidung rückbinden, für die es ja immerhin einen Anhaltspunkt in Pannenbergs Text gibt. Treffen Wissenschaftler eine vorläufige Entscheidung, obwohl sie wissen, dass sie durch weitere Informationen jederzeit widerlegt werden kann, so soll diese Entscheidung das wissenschaftliche Arbeiten effektiv voranbringen. Die vorläufige Entscheidung hat also eine Praxisfunktion, und Wissenschaft kann insofern als Praxis verstanden werden. In diesem Fall ordnen Sie zwei Relate aus den beiden Differenzen einander zu, nämlich die vorläufige Entscheidung mit Wissenschaft als Praxis. Sie wenden also die Methode der Integration an.183 b) Es mag sich intuitiv nahelegen, dass Sie auch die beiden anderen Relate einander zuordnen, die endgültige Entscheidung der Theorie. Es ist aber sinnvoll, diese Zuordnung zu überprüfen, denn die Parallelisierung der beiden Differenzen Theorie/Praxis und endgültige/vorläufige Entscheidung haben Sie selbst noch nicht hinreichend überprüft, wenn Sie nur die Integration der Relate einer Seite vollzogen haben. Eine Integration bedeutet auch keine Identität. Also müssen Sie noch überprüfen, ob eine endgültige Entscheidung eine Theorie ist. c) Zumindest müssten Sie erkennen, dass nicht jede Theorie eine endgültige Entscheidung ist, sondern meistens nur eine Hypothese darstellt. Sie könnten zwar den Begriff „Theorie“ aus seinem griechischen Ursprung herleiten, wo er „Wahrnehmung“ heißt. Anschließend könnten Sie behaupten, dass ja die visio Dei in der eschatologischen Verifikation ebenfalls eine direkte Wahrnehmung der Wirklichkeit Gottes ist. Insofern wäre die eschatologische Verifikation eine abschließende und endgültige Theorie zur Wirklichkeit Gottes. Daraus dürfen Sie aber nicht folgern, dass jede Theorie über Gott eine endgültige Entscheidung über seine Wirklichkeit ist. Denn dann würden Sie notwendige und hinreichende Bedingungen184 verwechseln. Zwar gilt: Wenn eine endgültige Entscheidung herbeigeführt 183 Kap. 5. 184 Kap. 9.

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wird, dann ist diese Entscheidung eine Theorie. Daraus folgt aber nicht: Wenn eine Entscheidung eine Theorie ist, dann gilt sie endgültig. – Mit dieser Überprüfung, ob auch die zweite Zuordnung richtig ist, haben Sie wiederum eine Differenz gezogen. Bei dieser Aufgabe war eine Anwendung des Principle of Charity nicht nötig. Es ist aber auch nicht verletzt worden, weil Sie Pannenberg nicht kritisiert, sondern für eine weiterführende Fragestellung zugrunde gelegt haben. 2. a) Ihr Argument dafür, dass Gott ein wissenschaftlicher Gegenstand ist, könnte lauten, dass mit einem solchen Gegenstand eine Wissenschaft steht und fällt. Hätte eine Wissenschaft keinen Gegenstand, könnte sie keine Aussagen über diesen Gegenstand treffen. b) Auf einer zweiten Stufe könnten Sie feststellen, dass das Zitat Pannenbergs Ihren Einwand zulassen kann, ohne dass es zu einem Widerspruch kommt: Denn das Zitat schließt ja nicht aus, dass Gott ein Gegenstand der Wissenschaft ist, sondern nur, dass dieser Gegenstand „jederzeit verfügbar“ ist. Damit nähern Sie Ihren Einwand an Pannenbergs Verständnis an, indem Sie eine neue Differenz einführen, nämlich zwischen „Gegenstand der Wissenschaft“ und „jederzeit verfügbarer Gegenstand der Wissenschaft“. c) Außerdem könnten Sie feststellen, dass der Ausdruck „Gegenstand“ in Ihrer Diskussion doppeldeutig ist: Er kann zum Ersten einen Gegenstand meinen, der sich in einer umfassenderen Wirklichkeit befindet und dort eingebettet ist. Das ist für Gott ausgeschlossen, weil christliche Aussagen behaupten, dass Gott die „alles bestimmende Wirklichkeit“ und kein Gegenstand darin ist. Zum Zweiten kann „Gegenstand“ aber auch den Bezugsgegenstand meinen, auf den sich Aussagen beziehen. In diesem Fall wird „Gegenstand“ nicht als ontologische Kategorie185 der Dinglichkeit betrachtet, sondern als logischer Referent von Aussagen. Aussagen über logische Referenten können auch erfüllt sein, wenn sie keine realen Gegenstände sind.186 Auch diese Stufe erbringt eine Annäherung zwischen Text und Ihrem Einwand, indem Sie eine neue Differenz einführen, hier zwischen einer ontologischen und einer logischen Kategorie. 185 Sektion 11.1 und Übung dazu. 186 So ist es etwa wahr, dass Schneewitchen schwarze Haare hat, so schwarz wie Ebenholz, auch wenn es Schneewitchen nicht gibt.

13.3  Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft 

Jede der beiden Stufen ist bereits eine erfolgreiche Anwendung des Principle of Charity gewesen. Sie können aber nun sogar beide Stufen kombinieren: d) Sie könnten nämlich schließlich vorschlagen, dass Gott ein logischer Referent theologisch-wissenschaftlicher Aussagen ist, auch wenn sich Aussagen über ihn nicht „jederzeit“ nachprüfen lassen. Zumindest lässt das Zitat Pannenbergs diese Möglichkeit zu, ohne dass es dabei zurückgenommen werden muss. Im Fortgang einer wissenschaftlichen Hausarbeit könnten Sie nun den Spielraum dieser Behauptung näher ermessen. Leitfrage könnte sein: Unter welchen Bedingungen ist Gott immerhin ab und zu für die menschliche Nachprüfung verfügbar? 3. Mögliche Einwände: a) In diesem Modell wird Theologie zu einer Theorie über das menschliche Gottesbewusstsein transformiert. Es werden anthropologische Bedingungen menschlichen Bewusstseins bestimmt. Aus dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl folgt nicht, dass es eine solche Instanz gibt, von der alles schlechthinnig abhängig ist. Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl könnte auch eine Illusion des Bewusstseins sein, ohne dass es sich auf eine reale Instanz beziehen müsste, selbst wenn das Gefühl notwendig auftreten sollte. b) Ob sich die schlechthinnige Abhängigkeit auf dieselbe Instanz bezieht, auf die sich Christen beziehen, wenn sie von Gott reden, lässt sich allenfalls per Analogieschluss folgern, der eine größere Unähnlichkeit mit einbeziehen muss. Denn nach christlichem Verständnis hat sich Gott in Medien, Gestalten und im Menschen Jesus Christus offenbart. Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl blendet dagegen jegliche Medien aus, weil es ein Element des unmittelbaren Selbstbewusstseins ist. Daher könnten Christen gegenüber der Instanz des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls allenfalls eine vergleichbare Sprache für Gott benutzen, die die Unähnlichkeit der beiden Instanzen und menschliche Zugänge zu diesen Instanzen mitberücksichtigen muss.

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Principle of Charity: Zu a) Der Einwand muss nicht aufgelöst werden, sondern verträgt sich mit dem Haupttext. Dazu muss der Text nur in seinem Anspruch eingeschränkt werden: Schleiermacher betreibt dann keine Theologie, sondern stellt nur die anthropologischen Bedingungen vor, unter denen Theologie betrieben werden kann. Tatsächlich entspricht diese Differenz auch Schleiermachers Vorgehen: Er stellt seiner Glaubenslehre einige „Lehnsätze aus der Ethik“187 voran, zu denen auch die vorliegende Textpassage gehört. Ob und wie sich die Theologie darauf bezieht, hat er damit noch nicht entschieden. Das Principle of Charity wird hier so angewendet, dass die Beschreibung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls in seiner Geltung und Reichweite eingeschränkt wird: Es erreicht die Theologie noch nicht, sondern berührt sie nur als ihre Bedingung. Zu b) Zur Anwendung des Principle of Charity auf diesen Einwand muss der Eindruck einer Analogie zweier an sich unähnlicher Instanzen ausgeräumt werden. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Texte von Gottesoffenbarungen aus dem Alten und Neuen Testament so interpretiert, dass sie nur Reflexionen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls sind – so wie ja bereits der Begriff „Gott“ eine solche Reflexion ist. In diesem Fall wird tatsächlich Theologie auf Anthropologie reduziert. Oder es muss die christliche Offenbarungserfahrung Gottes auch im unmittelbaren Selbstbewusstsein identifiziert werden können. Diese Umkehrung, dass sich Gott der christlichen Offenbarungen auch im unmittelbaren Selbstbewusstsein offenbart, würde eine Identität der beiden Instanzen erreichen. Eine solche Herangehensweise bietet sich bei Schleiermacher bereits dadurch an, dass das unmittelbare Selbstbewusstsein nicht einfach vorhanden ist, sondern in manchen Momenten geweckt wird.188 Diese Erfahrung kann nicht durch menschliche Konzentration bewusst erzeugt werden, sondern überfällt das Subjekt. Die situativen Kontexte, in denen diese Erfahrung geweckt wird, können wiederum als Medien interpretiert werden, ebenso wie Menschen der Bibel Gott zu bestimmten Anlässen erfahren haben. Damit beschreibt das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl nun inhaltliche Implikationen von Erfahrungsereignissen, die den Menschen wehrlos überkommen. Der christliche Offenbarungscharakter dagegen, 187 F. Schleiermacher: Der christliche Glaube Bd. 1, 14. 188 F. Schleiermacher: Der christliche Glaube Bd. 1, 16.

13.3  Wie man den Wahrheitsgehalt eines Textes überprüft 

der dazu führt, dass das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl nur in bestimmten Augenblicken aufkommt oder geweckt wird, bezieht sich darauf, dass sich Offenbarung ereignet hat. Anders ausgedrückt: Erstens lässt sich bewusstseinsphilosophisch der Inhalt ermitteln, wie die Instanz zu denken ist, von der sich das Subjekt schlechthinnig abhängig fühlt. Zweitens besteht der christliche Beitrag dieser Erfahrung darin, diese Augenblicke des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als Offenbarungen zu begreifen.189

189 An anderer Stelle habe ich versucht, Schleiermacher in diesem Sinne weiterzuinterpretieren und ihn aus einer drohenden anthropologischen Reduktion herauszuführen (L. Ohly: Schöpfungstheologie und Schöpfungsethik im biotechnologischen Zeitalter, 45).

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14 Das Ergebnis: Letzter Schritt einer wissenschaftlichen Arbeit Eine Hausarbeit sollte immer mit einem Ergebnis abschließen. Dabei sollte sich das Ergebnis am Durchgang der Arbeit orientieren. Zwar kann das Ergebnis auch weiterführende Gedanken enthalten. Diese sollten allerdings in der Arbeit argumentativ vorbereitet sein. Das Ergebnis enthält zwei Passagen: 1. Eine Zusammenfassung der Zwischenergebnisse, vor allem der Interpretation sowie der kritischen Überprüfung, 2. und Schlussfolgerungen, die durch diese Zwischenergebnisse vorbereitet worden sind.

Insgesamt braucht das Ergebnis keine lange Abhandlung mehr zu sein, sondern umfasst maximal zehn Prozent der gesamten Arbeit. Sollten Sie mehr Raum benötigen, so befinden Sie sich vermutlich noch im dritten Arbeitsschritt und sollten das abschließende Kapitel davon entlasten. Manche Studierende fallen jedoch manchmal auch in den ersten Arbeitsschritt zurück und stellen fröhlich ihre eigene Meinung vor, ohne dass sie an die beiden Zwischenschritte Interpretation und Kritik rückgebunden wäre. Dann handelt es sich ebenfalls um kein Ergebnis. Zwar dürfen Sie durchaus auch Ihr Vorverständnis erneut einbringen, allerdings als Zwischenergebnis und mit dem Ziel, damit eine Bündelung aller Zwischenergebnisse zu erreichen, die weitere Schlussfolgerungen ermöglichen.

14.1 Die Zusammenfassung Studienanfänger werden anfangs eher buchhalterisch die einzelnen Kapitel zusammenfassen. Das ist in Ordnung, weil Sie damit wichtige und für die Schlussfolgerungen brauchbare Informationen kaum vergessen dürften. Je ge-

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  14  Das Ergebnis: Letzter Schritt einer wissenschaftlichen Arbeit

übter Sie sind, desto stärker werden Sie Ihr Ergebnis auf die Schlussfolgerung hin zuspitzen. Dabei muss nicht jedes Zwischenergebnis wiederholt oder zusammengefasst werden.

14.2 Die Schlussfolgerungen Bei den Schlussfolgerungen legen Sie die Zwischenergebnisse als Prämissen zugrunde, um daraus Konsequenzen abzuleiten. Dabei müssen Ihnen die Schlussfolgerungen nicht immer gefallen. Sie sollten auch hier fair Ihre Argumente verwalten und nicht ungewünschte Ergebnisse unter den Tisch fallen lassen. Beispiel Nehmen wir an, Sie sollten eine Hausarbeit zum Thema anfertigen: „Widerspricht der gentechnologische Eingriff in die menschliche Keimbahn der Menschenwürde?“190 Im Durchgang hätten Sie zeigen können, dass der Mensch, der durch Eingriffe in die Keimbahn entstanden ist, deshalb nicht in seiner Menschenwürde verletzt worden ist, weil es ihn sonst nicht gäbe. Dieses Ergebnis hätten Sie jetzt zunächst noch einmal dargestellt, bevor Sie einige Schlussfolgerungen daraus ziehen. Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun ziehen? Wenn Ihr Ergebnis so uneingeschränkt ausfällt, so heißt das, dass auch Experimente mit dem menschlichen Erbgut die Menschenwürde nicht verletzen. Selbst gezielt und vorsätzlich herbeigeführte Mutationen, die zu angeborenen schweren Behinderungen führen, wären menschenwürdig. In diesem Fall geben Sie der Forschungsfreiheit einen uneingeschränkten Vorrang vor der Unantastbarkeit der körperlichen Integrität, oder anders: Sie würden sagen, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit zwar für Menschen gilt, nicht aber in 190 Natürlich ist dieses Thema für eine Seminararbeit zu weit. In der Regel beschränkt man sich auf einen Autor oder auf einen Vergleich zwischen zwei Autoren. Wie man geeignete Themen findet, habe ich nicht in diesem Buch verhandelt, weil Sie die Themenwahl in aller Regel mit Ihren Dozenten gemeinsam treffen. Die Verantwortung dafür, dass das Thema dem Arbeitspensum einer Hausarbeit entspricht, tragen dabei letztendlich die Dozenten.

14.2  Die Schlussfolgerungen 

einem Stadium, in dem das Entstehen von Menschen noch durch keimbahntherapeutische Eingriffe beeinflusst werden kann. Das mag nun für Sie kein wünschenswertes ethisches Ergebnis sein. Insofern übernimmt das Ergebnis die Aufgabe eines Tests, die Konsequenzen der Arbeit abzuschätzen. Wie könnten Sie nun weiter vorgehen, wenn Sie zu diesem unerfreulichen Ergebnis gelangen? 1. Sie könnten es hinnehmen, weil es sich nun einmal aus dem Durchgang der Arbeit ergibt. 2. Sie könnten die Entscheidung treffen, die Arbeit komplett zu revidieren, indem Sie einen neuen Ansatz wagen. Dazu müssten Sie zwar die bisherige Arbeit nicht wegwerfen, sondern könnten sie als Grundlage für Ihre Revision entwerfen. Sie müssten sie allerdings dann mit einem zweiten Szenario konfrontieren. 3. Da beide Lösungen massive Konsequenzen haben – die erste ethisch, die zweite für Ihr Arbeitspensum –, könnten Sie die Hypothese aufstellen, dass die Menschenwürde nicht ausreicht, um den Schutz menschlicher Embryonen vor keimbahntherapeutischen Maßnahmen sicherzustellen. Damit könnten Sie sogar Ihre Arbeit abschließen, indem Sie eine ethische Leerstelle anmelden, die Sie mit Ihrem Thema nicht füllen konnten. Zwar schützt die Menschenwürde den Embryo nicht; aber daher bedarf es anderer Prinzipien, um den Embryo unter Schutz zu stellen. Manche Arbeiten enden auch mit einem Ausblick und flankieren ihn mit wenig abgestützten Thesen. Das sollten Sie nur tun, wenn Sie das klarstellen und dabei die Funktion eines Ergebnisses bereits erfüllt haben. Am sinnvollsten sind solche Ausgriffe auf ungesichertes Terrain in solchen Fällen, in denen Sie ebenfalls das Ergebnis nutzen können. Eine ethische Arbeit über die gentechnische Veränderung des menschlichen Erbguts könnte also den Ausblick auf andere technische Veränderungen des Menschen wagen, etwa auf die Hybridisierung von Mensch und Maschine durch Computerchips im Gehirn. Dann aber sollten Sie eben wissen, dass Sie hier ein neues Thema berühren. Dieser Ausblick würde dann Sinn machen, wenn 1. Sie die Ergebnisse Ihrer Arbeit auf diesen neuen Fall andeutungsweise anwenden können oder wenn 2. Sie umgekehrt die Grenzen Ihrer Ergebnisse einschätzen möchten.

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  14  Das Ergebnis: Letzter Schritt einer wissenschaftlichen Arbeit

Übung: Ein passendes Ergebnis zu einer vorigen Diskussion finden Stellen Sie ein kurzes Ergebnis Ihrer Diskussion um das zweite Beispiel aus Übung nach Sektion 13.3.2 dar, die sich auf das Beispiel der These Pannenbergs zu Gott als wissenschaftlicher Gegenstand bezogen hat (Sektion 13.2). Lösung Die bisherige Diskussion (Lösung Nr. 2 der Übung nach Sektion 13.3.2) hat erbracht, dass Gott der logische Referent theologisch-wissenschaftlicher Aussagen ist, an dem „nicht jederzeit“ Aussagen über ihn überprüft werden können. Man könnte nun die Bedingungen und Momente beschreiben, an denen er solche Überprüfungen an ihm selbst zulässt. Da er die alles bestimmende Wirklichkeit ist, müsste sie selbst zum Gegenstand gemacht werden. Das ist jedoch ausgeschlossen, weil man dann äquivok die alles bestimmende Wirklichkeit voraussetzt, um sie wie einen Gegenstand der Wirklichkeit zu verhandeln. Aussagen über Gott können also nicht selbst gegenständlich überprüft werden. Die Verifikation von Aussagen über Gott bedarf also einer anderen Kategorie als der Kategorie der Gegenständlichkeit. Ob es eine solche Kategorie gibt, hat die Diskussion nicht erbracht. Als Ausblick kann vermutet werden, dass Offenbarung die gesuchte Situation ist, in der sich Gott für wissenschaftliche Überprüfung überprüfbar macht: Wenn sich Gott verifiziert, indem er sich offenbart, so ist das Offenbarungsmoment damit von anderer Kategorie als Gegenständlichkeit. Offenbarung bleibt nicht gegenständlich zurück, wenn dieses Moment abgeschlossen ist. Sie tritt nur je aktuell auf. Dieser Ausblick bleibt eine unabgeschlossene Andeutung, wonach gesucht werden könnte. Als Andeutung legt sie sich aus dem Ergebnis nahe, wonach die Verfügbarkeit Gottes von anderer Kategorie sein muss als von der Kategorie ontologischer Gegenständlichkeit.

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15 Übung: Ein modellhafter Durchgang durch ein Thema Übung Skizzieren Sie zum folgenden Thema eine wissenschaftliche Arbeit: „Wie ist Auferstehung von den Toten möglich? Das Modell Peter van Inwagens“. Wenden Sie dabei die Methoden dieses Buches an, die Sie für Ihr Forschungsinteresse für geeignet halten. Textgrundlage ist ein kurzer Ausschnitt eines Aufsatzes von Peter van Inwagen: Stellen Sie sich vor, dass in tausend Jahren die Zeit gekommen ist und Gott die gegenwärtige Ordnung der Dinge aufhebt, um das neue Zeitalter anbrechen zu lassen. Aber selbst die Allmacht steht vor dem Problem, wie sie mich zurückholen soll – mich, dessen vormalige Atome nun recht gleichmäßig über die Biosphäre hinweg verteilt sind? Diese Frage betrifft den Dualisten nicht, der sagen wird, dass es gar nicht notwendig ist, mich zurückzuholen, weil ich nie weg war. Aber was soll der Materialist sagen? Vom Standpunkt des Materialisten sieht es so aus, dass die Bitte an Gott, mich zurückzuholen, ebenso sinnvoll ist, wie die Bitte, den Schnee vom letzten Jahr oder das Licht alter Zeiten zurückzuholen. Denn auch die Allmacht kann nichts anderes tun als wiederzusammenzusetzen. Was sonst könnte man tun? Und Wiederzusammensetzung ist nicht genug, da ich ja zu unterschiedlichen Zeiten aus unterschiedlichen Atomen bestanden habe. Wenn jemand sagte: ‚Wenn Gott in tausend Jahren die Atome wiederzusammensetzt, aus denen du zum Zeitpunkt deines Todes bestehen wirst, dann wirst du aus diesen wiederzusammengesetzten Atomen bestehen‘, dann gibt es gegen diese These einen offensichtlichen Einwand. Wenn Gott in tausend Jahren die Atome, aus denen ich zum Zeitpunkt meines Todes bestehe, wiederzusammensetzen kann – und das kann er zweifellos – dann kann er auch die Atome wiederzusammensetzen, aus denen ich gerade jetzt bestehe. Tatsächlich könnte er, wenn es zwischen diesen beiden Mengen von Atomen keine Überlappung gibt, beides tun und die zwei sich ergebenden Personen nebeneinander hinstellen. Und welche wäre dann ich? Keine oder beide, so scheint es, und, dass es nicht beide sein können, eben keine. … Zuletzt hätte es den ­Anschein, da  es  keine  Möglichkeit gibt, folgende Bedingung zu umgehen: Wenn ich ein

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  15  Übung: Ein modellhafter Durchgang durch ein Thema

materielles Ding bin, dann wird es irgendeine materielle und kausale Kontinuität zwischen der Materie, aus der ich jetzt bestehe, und der Materie geben, aus der der Mann bestehen wird, der in Zukunft einmal ich sein soll. … Wenn ich sterbe, wird die Macht Gottes irgendwie einen Teil meines gegenwärtigen Seins bewahren.191

Lösung

15.1 Erster Arbeitsschritt: Vorverständnis Zunächst ergreifen Sie selbst Position und beschreiben Ihr Vorverständnis zu diesem Thema, ohne dabei auf van Inwagen Bezug zu nehmen. Bestimmt werden Sie eine andere Position haben als ich. Dennoch biete ich Ihnen einige Argumente in diesem ersten Arbeitsschritt an: Die christliche Auferstehungshoffnung bezieht sich darauf, dass „wir“ auferstehen werden, und zwar obwohl wir nicht in Fleisch und Blut auferstehen werden (vgl. 1.Kor. 15,51). Während daher die Auferstehung in ihrer objektiven Gegenständlichkeit im Dunklen bleibt, wird sie offenbar eine subjektive Erfahrung sein, und zwar eine Erfahrung derselben Subjekte, die „wir“ auch gegenwärtig sind. Nun kann man fragen, wie unsere Subjektivität gerettet oder wiedererweckt werden kann, wenn sie doch, wie die Neurowissenschaften wahrscheinlich machen, von unseren Gehirnen abhängig ist. Entweder muss dann die neurowissenschaftliche Position zurückgewiesen beziehungsweise erweitert werden. Oder Gott muss zumindest unsere Gehirne wiederherstellen.

15.2  Der zweite Arbeitsschritt: Interpretation Zunächst erstelle ich ein Exzerpt: – Szenario: am Auferstehungstag werde ich zurückgeholt (113) ▶▶ wie kann ich ich sein? (113) ▶▶ kein dualistisches Problem, aber ein materialistisches (113) – kann ich wiederzusammengesetzt werden? (113) – aber: aus welcher Zeit meines Lebens? (113) – Gott kann mich aus jeder Zeit meines Lebens wieder zusammensetzen (113) 191 P. v. Inwagen: Dualismus und Materialismus, 113 f., Herv. P.v.I.

15.3  Der dritte Arbeitsschritt: Kritik 

>> er kann gleichzeitig die Atome von zwei unterschiedlichen Zeiten meines Lebens wiederzusammensetzen (113) >> ich wäre beide oder keiner (114) >> da ich nicht beide bin, bin ich keiner von beiden (114) >> Konsequenz: zwischen letztem Zustand meines Lebens und dem wiederauferweckten Körper besteht eine materielle/kausale Kontinuität (114) >> ich werde bewahrt (114) Van Inwagen lässt die dualistische Lösung außer Acht – und zwar weil er sie aus anthropologischen Gründen für falsch hält!192 – und entscheidet sich für die Untersuchung der materialistischen Lösung. Er verteidigt seine Variante des Materialismus, dass nämlich mein jetziger Körper auch nach seinem Tod irgendwie verborgen in einer kausalen Kette zu meinem künftigen Auferstehungsleib stehen muss. Denn die Alternative einer Wiederzusammensetzung der Materie, aus der ich jetzt bestehe, führt in ein Dilemma. Untersuchen wir nun das Wort „ich“ im Exzerpt, so fällt auf, dass ich zwar an materielle Bedingungen eines Körpers gebunden bin, dass aber der materielle Zustand des Körpers nicht hinreichend für das Ich ist. Anders gesagt: Der Körper ist zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des Ich. Wenn ich keiner von beiden bin, weil ich nicht beide Zustände gleichzeitig haben kann (114), dann ist zwar ein körperlicher Zustand notwendige Bedingung für mein Ich, aber kein hinreichender. Vielmehr muss dieser körperliche Zustand zugleich geschichtlich sein: Er muss nämlich in einer zeitlichen Kontinuität des aktuellen zu jedem193 zukünftigen Ich stehen. Und das heißt: Es muss auch materiell eine zeitliche Kontinuität aller körperlichen Zustände bestehen, die mit meinem Ich korrelieren.

15.3 Der dritte Arbeitsschritt: Kritik Nicht alle methodischen Überprüfungen, die in diesem Buch vorgestellt worden sind, müssen angewendet werden. Ich orientiere mich an den Argumenten van Inwagens, die ich im zweiten Arbeitsschritt paraphrasiert habe und an denen 192 P. v. Inwagen: Dualismus und Materialismus: Athen und Jerusalem, 114. Diese Stelle ist im ausführlichen Textabschnitt nicht mitzitiert worden. 193 „in Zukunft einmal ich“ ist ein unbestimmter Ausdruck, der sich auf alle möglichen künftigen Ich-Momente bezieht.

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  15  Übung: Ein modellhafter Durchgang durch ein Thema

ich intuitiv hängen geblieben bin. Von dort aus betrachtet ergeben sich die Methoden mehr oder weniger instinktiv. Wenn Ihnen keine Methode einfällt, können Sie die Liste der methodischen Überprüfungen durchgehen, um sich an sie zu erinnern. Anschließend werden Sie bei der Beschäftigung mit dem dritten Arbeitsschritt instinktiv diejenigen Methoden herausgreifen, die Sie benötigen, um Ihrem Forschungsinteresse gerecht zu werden. 1) Wenn van Inwagen Recht hat, besteht zwischen den Atomen, aus denen ich einmal wiederzusammengesetzt werde, und den Atomen, aus denen ich zurzeit bestehe, immerhin eine kausale Kontinuität: Ich muss nicht aus denselben Atomen bestehen und nicht einmal eine „Überlappung“ von Atomen in mir haben, damit ich auch künftig ich bin. Aber zumindest muss eine materielle und kausale Kontinuität zwischen den Atomen jetzt und später bestehen. Nun besteht physikalisch gesehen immer eine materielle kausale Kontinuität zwischen aller Materie, denn ansonsten würde das Universum in verschiedene Universen zerfallen: Wenn ein bestimmtes Atom keine materielle kausale Beziehung zu einem anderen Atom hätte, dann würden beide Atome nicht in derselben Welt vorkommen. Insofern ist die erste Schlussfolgerung van Inwagens trivial: Atome müssen in einer Kontinuität zueinander stehen. Viel stärker ist dagegen die zweite Schlussfolgerung, dass Gottes Macht dadurch mich bewahrt (114). Ich müsste also nach meinem Tod bis zur Auferstehung irgendwie in der Welt wie „atmender Staub“194 existieren. Gott könnte mich also nicht wirklich neu erschaffen, sondern müsste dabei auf mein Ich zurückgreifen, dessen materielle Korrelate sich irgendwo verstreut im Universum befinden. Diese zweite Schlussfolgerung ergibt sich nicht aus der ersten. Beide Schlussfolgerungen werden aber von van Inwagen so behandelt, als bedeuteten sie Dasselbe. Hier liegt eine Indifferenz vor, die ich nun im dritten Arbeitsschritt durch eine Differenz ersetze: Zwar besteht eine materielle kausale Kontinuität zwischen meinen jetzigen und meinen künftigen Atomen, aber daraus folgt nicht, dass ich kontinuierlich existiere. Van Inwagen hat hier zudem die notwendige und die hinreichende Bedingung verwechselt. Richtig wäre die Anordnung der Bedingungen so (im Folgenden steht „K“ für „Konklusion):

194 P. v. Inwagen: Dualismus und Materialismus: Athen und Jerusalem, 115.

15.3  Der dritte Arbeitsschritt: Kritik 

K) Wenn ich kontinuierlich jetzt und in Zukunft existiere, dann besteht eine materielle kausale Kontinuität zwischen meinen jetzigen und meinen künftigen Atomen. Van Inwagen hat aber umgekehrt gefolgert: K’) Wenn eine materielle kausale Kontinuität zwischen meinen jetzigen und meinen künftigen Atomen besteht, dann existiere ich kontinuierlich jetzt und in Zukunft. K’ ist falsch, K unter materialistischen Bedingungen wahr. Das Principle of Charity fordert nun aber ein, dass van Inwagens Position von seinen Fehlern befreit wird: Um seine Variante des Materialismus zu retten, könnte van Inwagen einfach behaupten, dass die Kontinuität der Subjektivität dadurch sichergestellt ist, dass alle Atome der Welt überhaupt in einer materiellen kausalen Kontinuität stehen. Ich existiere zwar dann zwischen meinem Tod und meiner Auferstehung nicht. Dennoch besteht eine physikalische Kontinuität zwischen mir vor meinem Tod und mir am Auferstehungstag durch die physikalische Kontinuität des Universums. 2) Van Inwagens Variante des Materialismus verdankt sich aber seiner vorherigen Argumentation, dass Gott zwei Zwillinge aus verschiedenen Zuständen meines Lebens durch Wiederzusammensetzung herstellen könnte, dass ich aber nicht mit ihnen identisch bin. Den einzigen Grund, den er hierfür anführt, ist, dass ich nicht beide sein kann. Allerdings gibt er keinen Grund dafür an. Man könnte zwar sagen, dass ich in jedem Zeitpunkt meines Lebens nur aus einem Körper bestanden habe. Aber warum sollte das im neuen Zeitalter auch so sein müssen? Hierzu bringe ich hypothetische Äußerungen van Inwagens ins Gespräch, mit denen er seine Position verteidigen könnte: So könnte er einwenden, dass ein Mensch mit zwei Körpern auch zwei Gehirne und folglich verschiedene Subjektivitäten hätte. Daran kritisiere ich, dass dann wieder eine Indifferenz vorgenommen wird. Die Ausgangsbedingung, die van Inwagen für widerlegt hält, lautet ja: (1) „Gott hat mich zweimal erschaffen.“

Van Inwagen würde nämlich sagen: (2) „Gott hat zwei Menschen erschaffen.“

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  15  Übung: Ein modellhafter Durchgang durch ein Thema

Es besteht aber ein Unterschied zwischen beiden Sätzen: Satz (1) behauptet nämlich, dass das Ich sich nun in zwei Körpern befindet und dass die materialistische Eindeutigkeit zwischen Körper und Ich nun durch zwei Körper hergestellt ist. Beide Körper würden also dasselbe subjektive Erleben haben.195 Van Inwagen scheint hier einem logischen Zirkel zu erliegen: Er schließt von vornherein aus, was er sich nicht vorstellen kann, und kommt dann zum Ergebnis, dass nicht ist, was er von vornherein ausgeschlossen hat. Richtig ist: (1’) Wenn Gott mich zweimal erschaffen hat, bin ich zweimal dasselbe Subjekt.

Bei van Inwagen hieße es dagegen: (2’) Wenn Gott irgendwelche zwei Menschen erschafft, so erschafft er dabei nicht mich zweimal.

Würde van Inwagen die zu untersuchende These aber nicht von vornherein unterschlagen, so müsste er zunächst zulassen, dass Gott mich zweimal erschafft. Dann müsste aber (2’) umformuliert werden: (2’’) Wenn Gott irgendwelche zwei Menschen erschafft, so erschafft er dabei nicht mich zweimal außer wenn er mich zweimal erschafft.

Wende ich nun das Principle of Charity an, so kann ich van Inwagens (von mir abgeschwächte und dadurch leistungsfähigere) Variante des Materialismus sogar auf das Zwillingsbeispiel anwenden: Denn zwischen den beiden Zwillingen besteht eine materielle kausale Kontinuität. Beide Zwillinge gehören sowohl zum selben Universum als auch zur selben Lebensgeschichte eines Subjekts. Deshalb führt ihre Erschaffung nicht zu zwei verschiedenen Subjekten, sondern umgekehrt wohnt nun dasselbe Ich in zwei Körpern. Nicht ich existiere dann doppelt, sondern ich existiere gleichzeitig in zwei Körpern, und mein Erschaffenwordensein hat zweimal stattgefunden. Sogar die ursprüngliche Variante van Inwagens, die bereits ihrer Indifferenz überführt worden ist, passt auf das Zwillingsbeispiel: Wenn „ich bewahrt“ (114) werde, weil Gottes Macht meine Kontinuität trotz zwischenzeitlichen körperlichen Totalverfalls durchhält, dann kann seine Macht mich auch bewahren trotz räumlicher Aufspaltung des Körpers. Und wenn ich bewahrt werde, weil meine atomare Zusammensetzung jetzt und später eine gemeinsame materielle kausale Geschichte hat, dann gilt das erst recht auch von der Wiederzusammensetzung 195 L. Ohly: Anwesenheit und Anerkennung, 179.

15.4  Letzter Arbeitsschritt: Ergebnis 

zweier atomarer Stadien meines Lebens. Denn Gottes Wiederzusammensetzung beider Körper führt auf eine gemeinsame Lebensgeschichte zurück und stellt damit die gewünschte Kontinuität her.

15.4 Letzter Arbeitsschritt: Ergebnis Physikalische Kontinuität ist nur eine notwendige und keine hinreichende Bedingung für die Ich-Identität. Ansonsten hätten wir alle dasselbe Ich, weil wir zum selben Universum gehören. Damit ich nach meinem Tod wieder auferstehe und dasselbe Ich bin, muss also mehr geschehen – dieses Mehr füllt bei van Inwagen Gottes Macht aus. Seine materialistische Theorie erweist sich dabei als zu schwach, um die Auferstehung der Toten im Modell darzustellen. Denn Gott ist selbst kein materieller Gegenstand und fügt sich nicht der kausalen Kontinuität des Universums ein. Van Inwagens Modell ist daher kein materialistisches, sondern behandelt Gott doppeldeutig: wie eine Kausalität, ohne aber selbst materiell zu sein. Eine materialistische Theorie müsste daher von Gott Abschied nehmen. In einem indirekten Beweis möchte ich nun aber zeigen, dass unter den materialistischen Basisannahmen van Inwagens zwar eine Auferstehung der Toten bewiesen werden kann, aber dabei sein Materialismus aufgegeben werden muss. Wer also mit van Inwagens materialistischen Annahmen beginnt, wird aus ihnen herausgeführt. Nehmen wir dazu an, Auferstehung könnte auch physikalisch und ohne Gottes Macht verursacht werden. Physikalisch ist es ja prinzipiell möglich wenn auch extrem unwahrscheinlich, dass sich gleichzeitig Atome so zusammensetzen, dass dabei Zwillinge entstehen, die zufällig mit zwei Stadien meines Lebens, die weit auseinander liegen, jeweils atom-identisch sind. Jetzt folgt, dass allein die materiellen Zustände über die Ich-Identität entscheiden. Das Verhältnis zwischen Körper und Ich ist dabei nur eindeutig, nicht aber eineindeutig196. Denn es gibt – wie das Zwillingsbeispiel zeigt – mehrere atomare Zusammensetzungen, die dasselbe Ich erzeugen. Nun haben aber beide Zwillinge keine materielle kausale Verbindung zueinander außer durch eine schwache Kontinuität, wie sie zwischen allen Atomen des Universums besteht, aber eben noch nicht dazu führt, dass alle Menschen dasselbe Ich haben. Das Ich empfindet sich in zwei verschiedenen Körpern, obwohl beide Körper räumlich 196 Sektion 9.5.

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  15  Übung: Ein modellhafter Durchgang durch ein Thema

voneinander getrennt sind und sogar weit voneinander getrennt sein können. Die materielle Beschaffenheit führt dann zu einem Subjektivitätsmodell, das sich von materiellen Kontinuitäten im starken Sinn ablöst. Oder anders gesagt: Dieser Materialismus transformiert sich dann selbst in eine nicht-materialistische Theorie.197 Denn die subjektive Identität ist dann weder abhängig von einer starken kausalen Kontinuität der beiden Körper noch von der identischen körperlichen Beschaffenheit. Zusammengefasst, gibt es nach dieser Diskussion eine Auferstehung der Toten nur dann, wenn entweder Gott als nicht-materieller kausaler Faktor in die Schöpfung eingreift oder wenn sich Subjektivität von ihren materiellen Bedingungen teilweise unabhängig macht.

15.5 Angewendete Methoden 1. Im ersten Arbeitsschritt wurden Bedingungen für die Auferstehung genannt, die nach dem persönlichem Vorverständnis erfüllt sein müssen. Diese Bedingungen vertragen sich zunächst mit einer materialistischen Theorie der Auferstehung, gehen allerdings nicht darin auf. 2. Für die Interpretation sind folgende Werkzeuge eingesetzt worden: a. Ein Exzerpt wurde angelegt. b. Es wurde eine Suchwortanalyse zu „ich“ durchgeführt und damit ein Interpretations-Ergebnis präsentiert. 3. In der Kritik wurden folgende Methoden angewendet: a. Indifferenz entdecken und auflösen b. Überprüfung notwendiger und hinreichender Bedingungen c. Nachweis eines logischen Zirkelschlusses d. Revision e. Principle of Charity 4. Das Ergebnis bündelte die Zwischenergebnisse der ersten drei Schritte und zog daraus weiterführende Konsequenzen. Dabei wurde ein indirektes Beweisverfahren angewendet.

197 L. Ohly: Anwesenheit und Anerkennung, 181.

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Stichwortverzeichnis für die behandelten theologischen Themen aus der Dogmatik Atheismus 142–145 Auferstehung der Toten  33 f., 94 f., 237–241, 243 f. Bibel  12, 15, 21 ff., 37, 40 f., 57, 84 ff., 153 f., 176, 179, 230 Christologie 193 Gebotsethik 154 Geist, Heiliger  46 f., 56, 62, 74, 85 ff., 89 f, 94, 178, 202, 207, 211, 219 Glaube/Gottesverhältnis  11, 13, 15 ff., 19, 23 ff., 27, 29 ff., 33, 35, 47, 63, 73, 76 f., 82 ff., 90, 93, 110, 112, 123, 126, 150, 155, 157 f., 161, 164, 190, 193, 206, 213, 223 Gott – Eigenschaften  23, 38 f., 178 – Existenz  25, 58, 60 f., 69, 78, 102, 107 f., 110, 143, 207, 223 ff. – Gottesbeweise  58 f., 61, 78, 220, 223 ff. – Liebe  71, 88, 96, 155, 158, 162, 195, 202, 207 f. – schlechthinnige Abhängigkeit von  50 f, 158, 162 f., 229 f. – Trinität  74, 175, 178, 207, 209 Gottesverhältnis 11 Heiliges  175, 178 f., 181 Israel/Judentum  94, 107, 168, 207 f. Jesus Christus/Christologie  12–15, 74, 89, 92, 94, 107, 168, 176, 194, 202, 207, 229 – Auferstehung Jesu  33, 94 f., 110 – Gott und Mensch  67 ff., 136, 175, 178, 183

– Kreuz  148 f., 207 f. – Sohn  55 f., 134, 183, 205 f., 208 f., 211 Judentum 94 Kirche  15 ff., 24 f., 29, 85 ff., 97, 112, 114 f., 150, 175, 177, 200 Kreationismus 142–145 Mythos  23 f., 74, 148 f., 193, 195 Offenbarung  51, 61, 73, 122, 126, 134, 136 f., 151, 189, 208, 229 ff., 236 Religion(en)  13, 17, 25 f., 30 f., 75, 85 f., 103 f., 135, 171 f., 175, 178, 197, 220 Schöpfung  40 f., 69 ff., 83, 102, 108, 133, 142 ff., 158, 175, 184, 189, 202, 209, 244 Theodizee  131 f., 144 Willensfreiheit  92, 98 ff., 157, 160 f. Wissenschaft Theologie als  11, 30, 37, 63, 209, 220 ff., 226, 228, 230, 236

aus der Ethik

Embryo  135, 140 f., 152 f., 176, 179 f., 184, 187, 235 Gebotsethik  31, 35, 153 f., 158, 164 Glückseligkeit 156 Klonen 159 Kultur  85 f., 113, 136, 140 f., 152, 175, 183, 201 f., 214 Sexualität  184, 186 Sterbehilfe  145 ff. Toleranz  196 f. Tötungsverbot  21, 34 Verantwortungsethik  118, 135, 146 Würde  176, 179, 181 f., 214, 234 f.

Das Arbeitsbuch stellt die Methoden der Systematischen Theologie vor und führt umfassend in ihre praktische Anwendung ein. Anhand zahlreicher Übungen mit ausführlichen Lösungen lernen Studierende gleichzeitig zentrale Themen des Faches ­kennen. Die Darstellung leitet Schritt für Schritt durch Problemstellungen und Lösungsansätze und vermittelt damit das methodische Rüstzeug, um selbst Meister­werke großer Denker einer kritischen Prüfung zu unterziehen. So weckt das Arbeitsbuch die Neugier auf die Themen der Systematischen Theologie und die Freude am selbständigen Denken.

Arbeitsbuch Systematische Theologie

Theologie

Lukas Ohly

Arbeitsbuch Systematische Theologie

ISBN 978-3-8252-5128-4

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Ohly

Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

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