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German Pages 250 Year 2002
EVA DEDY
Ansätze einer Reform des Ermittlungsverfahrens
Schriften zum Prozessrecht Band 169
Ansätze einer Reform des Ermittlungsverfahrens Von
EvaDedy
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Dedy,Eva: Ansätze einer Reform des Ermittlungsverfahrens I von Eva Dedy. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Prozeßrecht; Bd. 169) Zug!.: Bochum, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10751-9
D294 Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-10751-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2001 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Inaugural-Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Dezember 2000 abgeschlossen, Literatur konnte vor Drucklegung noch bis Juli 2001 berücksichtigt werden. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater, Professor Dr. Ulrich Berz, danken. Er hat mich bereits während meiner Studienzeit gefördert, mir später die Möglichkeit gegeben, an seinem Lehrstuhl zu arbeiten und mich ermutigt, dieses Vorhaben in Angriff zu nehmen. Bei der Anfertigung der Arbeit war er jederzeit bereit, sich engagiert mit meinen Überlegungen auseinanderzusetzen und so meinen Blickwinkel zu erweitern. Dank schulde ich ferner Professor Dr. Christoph Sowada für die rasche Anfertigung des Zweitgutachtens und seine feinen Anregungen, die ich gerne berücksichtigt habe. Weiter danke ich allen Mitarbeitern am Lehrstuhl für Straf- und Strafprozeßrecht an der Ruhr-Universität Bochum, von denen ich besonders Claudia Granich, Esther Nazarian und Jörg Becker nennen möchte. Mein Dank gilt weiter dem Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft e. V. in Bochum, der meine Arbeit mit einem sehr großzügigen Förderzuschuß zu den Druckkosten unterstützt hat, und Frau Rechtsanwältin Nicole Enke-Grönefeld für das Korrekturlesen. Besonders herzlich möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken, die mich in jeder Hinsicht unterstützt haben. Ohne sie wäre die Anfertigung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Bochum, im November 2001
EvaDedy
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . .... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . .. .. . ... . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . .. . . . . . . . . . . .. .
I. Geschichtliche Entwicklung der Strafprozeßordnung und ihrer Reformversuche .... .......................... . ...................... . ................... ...... ..... l. Die Entwicklung bis zum Beginn des ersten Weltkrieges ( 1914) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zeit von 1914-1924 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 3. Die Zeit von 1925-1932 . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . . 4. Die Zeit von 1933-1944 .. .. .. .. .. .. ...... .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. . 5. Die Zeit von 1945-1949 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 6. Die Zeit von 1950- 1959 . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Zeit von 1959-1969 . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. 8. Die Zeit von 1970-1974/1975 .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... ................ .... . 9. Die Zeit von 1974/1975-1978/1979 .. .. .. .... .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 10. Die Zeit von 1978/1979-1986 .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 11. Die Zeit von 1986-1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Die Zeit von 1990 bis 1994 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. . . .. 13. Die Zeit von 1995- 2000 .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
15
17 17 18 20 22 27 28 29 31 33 36 37 43 51
II. Schlußfolgerungen aus dem Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 l. Haupttendenzen der Novellengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Vereinfachung, Einsparung, Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Stärkung der Rechte des Beschuldigten .. . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. .. . .. . . .. . . .. . 66 c) Bekämpfung besonderer Erscheinungsformen der Kriminalität . . . . . . . . . . . . . 66 d) Stärkung der Rechte des Verbrechensopfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Ertrag der Novellengesetzgebung .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. . .. . .. . .. . .. .. .. .. . 68
111. Einfluß des materiellen Strafrechts . . . . . . . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . . . .. . .. . . .. .. . . .. . .. .
l. Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. 2. Das geltende Strafrecht .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. . 3. Konsequenzen für den Strafprozeß .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .
71 71 71 72
IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens............... . ... . .. . l. Die Reform der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . .. . .. . . . . a) Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimation der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Situationsanalyse . . . . . . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . .. . . . . . . .. . .. . .. . .. . .. . . . . . . . . .. . .. . d) Die Forderungen . .. . .. .. . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . . . . .. . .. .. . .. .. .. . .. . .. . . . . .. . .. . aa) Die Mitwirkung eines Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die automatische Haftprüfung . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . . .. . dd) Weitere Haftkontrollmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Vermeidung von Untersuchungshaft . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
74 80 80 82 85 87 87 91 93 94 94
10
Inhaltsverzeichnis ff) Sicherung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Die Haftdauer . . .. . . .. . . .. . . . .. . . . . .. . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . hh) Der Haftgrund der Schwere der Tat und der Wiederholungsgefahr . . . ii) Die Hauptverhandlungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fazit . . .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . .. . .. . . . . .. .. .. . . 2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Benachrichtigungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . .. . . b) Anwesenheitsrechte . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . aa) Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung . . . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . bb) Anwesenheitsrecht des Verteidigers und des Beschuldigten bei der richterlichen Vernehmung von Mitbeschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anwesenheitsrecht des Verteidigers und des Beschuldigten bei der Vernehmung von Mitbeschuldigten, Zeugen und Sachverständigen durch Polizei und Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Die Vernehmung von Sachverständigen .. ...... .. .. .. .... .. .. .. .. . (2) Die Vernehmung von Zeugen und Mitbeschuldigten . . . . . . . . . . . . . . dd) Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Verfahren zur Identitätsfeststellung .... ....... ..... ............. . .... ..... ... ................. . ... ... ... ee) Weitere Anwesenheitsrechte . . . . . .. . .. . . . . . . .. .. . . . . . . .. . . . .. .. . . . . . .. . c) Aus den Anwesenheitsrechten des Verteidigers resultierende Forderungen aa) Benachrichtigungspflicht .. . .. . .. . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . bb) Frage- und Beanstandungsrechte . .. . .. . . .. . . .. . . . .. . . . .. . . . .. . . . . .. . .. . cc) Recht auf Protokollierung wesentlicher Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verwertungsverbot in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stärkung des Rechts auf Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Akten und amtlich verwahrte Beweisstücke . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weitergabe der Informationen................ . ...................... . .. cc) Gefährdung des Untersuchungszwecks . . . . . . .. . . . .. . . .. . .. . . . . . .. . .. . . dd) Konkretisierung der Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ausnahmen von der Beschränkungsmöglichkeit... . ........... . . . . . ... ff) Rechtsschutz gegen verweigerte Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Bescheidungs- und Begründungspflicht . . . .. . . . . .. . .. .. .. .. . . . . . .. . .. . . hh) Das eigene Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Notwendigkeit von Verteidigung im Ermittlungsverfahren .. . .. . . . . . . .. aa) Eigenes Antragsrecht des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . .. .. . . . . .. .. . .. . . . . .. . .. . . bb) Aus dem Antragsrecht resultierende Forderungen . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . (1) Belehrungspflichten .. .. . .. . .. . .. .. .. . .. . .. . .. .. .. . .. . .. . .. .. .. .. . .. (2) Bezeichnung eines Verteidigers .. . . .. .. . .. . .. . .. . . .. . . .. . . . . . . .. . .. (3) Unterbrechung der Vernehmung . .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. . .. . .. . .. .. . .. (4) Gesteigerte Hilfspflichten . . . . . .. . . . . . .. . .. . . . . .. . . . .. .. . . . . .. . . . . .. (5) Verwertungsverbot in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Obligatorische Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . dd) Ausdehnung der notwendigen Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verteidigung unterhalb der Grenze des§ 140 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Beweisantragsrecht . . . . .. . .. . .. . .. . . . . . .. . . . . .. . .. . . .. . . . . . .. .. . .. . . .
97 100 103 107 111 111 114 115 115 120 126 126 128 130 132 135 135 140 142 143 148 148 152 156 161 162 162 169 170 174 176 179 179 180 181 182 187 189 191 192 194 194
Inhaltsverzeichnis
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(I) Beweiserhebungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
(2) Bescheidungs- und Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gerichtliche Überprüfbarkeil .. .. . . .. .. .. .. . ... . .. .... .. .. .. . . . .... (4) Einführung gesetzlich normierter Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . (5) Folgen unterbliebener Beweiserhebung. . . . ............... . ... . .. . . (6) Bisherige Bedenken gegen Beweisanträge im Ermittlungsverfahren .............. . .. . .............. .... ..... . ................. . . .. . . . bb) Eigene Ermittlungstätigkeit des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kooperation im Ermittlungsverfahren ....... . ... . . . . . . . ............... . ......... a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zu den sog. "Absprachen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung von Absprachen für das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt einer Absprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeil von Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grenzen von Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beachtung der gesetzlichen Grenzen . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beachtung der Zulässigkeitskriterien des Bundesgerichtshofs . . . . dd) Folgen gescheiterter Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelungsbedarf. . ...... . .... . ..... . ........... . . . . . ......... . ..... . .... . . . ...
197 198 201 201
202 203 205 206 208 209 210 211 211 213 219 227
Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . 231 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Sachwortverzeichnis.. . .... . ........ . . . ........ . ............... . . . ......... . ......... . .. . . 247
Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. Abschn. a.F. AnwBI. Art. BayObLG BayVBl BGBI. BGH BGHSt BGHZ BKAG BO-RA BRAGO BRAO BRD BT BtMG BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. DAV DDR d.h. Diss. DJZ DNA DNA-IFG DRiZ EGGVG EGMR EGStGB Ein!.
anderer Auffassung Absatz Abschnitt alte Fassung Anwaltsblatt (Jahr und Seite) Artikel Bayrisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter (Jahr und Seite) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Strafsachen (Band und Seite) Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen (Band und Seite) Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) Berufsordnung für Rechtsanwälte Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrepublik Deutschland Besonderer Teil Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band und Seite) bezüglich beziehungsweise Deutscher Anwaltsverein Deutsche Demokratische Republik das heißt Dissertation Deutsche Juristen-Zeitung (Jahr und Seite) desoxyribonucleic acid = DNS, Desoxyribonucleinsäure; Träger der genetischen Information DNA-ldentitätsfeststellungsgesetz Deutsche Richterzeitung (Jahr und Seite) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einleitung
Abkürzungsverzeichnis EMRK etc. f. ff. Fn. FS GA gern. GG ggf. GVG Hs i.d.R. insbes. i.R.d. i.S. i. S.v. i.V.m. JGG JR Jura JuS JW JZ KG KrimPäd KronzG
LG MDR m.j.w.N. MRK m.w.N. n.F. NJW Nr. NStZ o.ä. OLG OrgKG ÖTV Rdnr. RGBI.
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Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten et cetera folgende fortfolgende Fußnote Festschrift Goltdammer's Archiv für Strafrecht (Jahr und Seite) gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtsverfassungsgesetz Halbsatz in der Regel insbesondere im Rahmen des/der im Sinne im Sinne von in Verbindung mit Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau (Jahr und Seite) Juristische Ausbildung (Jahr und Seite) Juristische Schulung (Jahr und Seite) Juristische Wochenschrift (Jahr und Seite) Juristenzeitung (Jahr und Seite) Kammergericht Kriminalpädagogische Praxis (Jahr und Seite) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten Landgericht Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahr und Seite) mit jeweils weiteren Nachweisen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Jahr und Seite) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (Jahr und Seite) oder ähnlichem(s) Oberlandesgericht Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Randnummer Reichsgesetzblatt
14 RGSt RichtlRA RiStBV Rspr. S. sog. s.S. StGB StPÄG StPO StraFo StrÄndG StV StVÄG StVG TÜV u.a. u.ä. u.U. vgl. VRS WeimVerf. wistra ZAP z.B. ZPO ZRP ZStW z.T.
Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (Band und Seite) Richtlinien für die Ausübung der Anwaltsberufs Richtlinien über das Straf- und Bußgeldverfahren Rechtsprechung Seite/Satz sogenannte(r) siehe Seite Strafgesetzbuch Strafprozeßänderungsgesetz Strafpozeßordnung Strafverteidiger Forum (Jahr und Seite) Strafrechtsänderungsgesetz Strafverteidiger (Jahr und Seite) Strafverfahrensänderungsgesetz Straßenverkehrsgesetz Technischer Überwachungsverein unter anderem und ähnliche(s) unter Umständen vergleiche Verkehrsrechtssammlung (Jahr und Seite) Weimarer Verfassung, Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919 Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht (Jahr und Seite) Zeitschrift für die Anwaltspraxis (Fach und Seite) zum Beispiel Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahr und Seite) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Band und Seite) zum Teil
Einleitung Wenn ich mich in dieser Arbeit mit der Reformierung des Ermittlungsverfahrens als Teil des künftigen Strafprozesses befasse, habe ich ein altes Thema gewählt, das Gesetzgebung und Strafprozeßwissenschaft seit über 100 Jahren beschäftigt. "Daß von allen Stadien des Strafprozesses das Vorverfahren am meisten reformbedürftig erscheint, darüber kann kaum ein Zweifel aufkommen, wenn man sich in der Tagesliteratur umsieht. Staatsanwälte, Richter, Verteidiger, Theoretiker stimmen darin überein, und nur vereinzelt tritt die Meinung auf, daß es eigentlich beim alten bleiben könne ...".
Dieser Satz stammt von v. Lilienthai und zwar aus dem Jahre 1904 1• Aber auch der Ruf nach einer umfassenden Reform des Strafverfahrensrechts, der sogenannten großen Strafprozeßreform, gehört zu den Dauerthemen der Reformgeschichte. Die Begründung des Entwurfs 1908/1909, mit dem erstmals eine Neufassung der Strafprozeßordnung beabsichtigt wurde, beginnt bereits mit den Sätzen: "Unter den Reichs-Justizgesetzen des Jahres 1877 hat von Anfang an die Strafprozeßordnung am wenigsten befriedigt. Die zahlreichen Versuche, die von den verbündeten Regierungen unternommen worden sind, um eine Änderung der am meisten reformbedürftig erscheinenden Vorschriften zu erreichen, haben jedoch nicht zum Ziele geführt. Die infolge der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und im Anschluß an die Reform des Zivilprozesses im Jahre 1900 in Kraft getretenen Änderungen ... betreffen nur Einzelheiten; in der grundsätzlichen Gestaltung des Verfahrens ist die Strafprozeßordnung unverändert geblieben"2.
In diesem Sinn eröffnete Alsberg vor nunmehr 72 Jahren sein Gutachten auf dem 35. Deutschen Juristentag 1928 in Salzburg zu der Frage, mit welchen Hauptzielen die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sei: "Kein Gesetz ist so reformbedürftig wie die Strafprozeßordnung. Zu keinem Gesetz ist eine so umfangreiche Reformliteratur erschienen wie zur Strafprozeßordnung. Vor allem: bei keinem Gesetz ist das Verhältnis von dogmatischer Literatur und Reformliteratur ein ähnliches wie bei der Strafprozeßordnung. Wir besitzen mehr Abhandlungen und Monographien zur Reform des Strafprozesses als zur wissenschaftlichen Begründung der einzelnen Institutionen. Selbst das, was namhafte Rechtslehrer zum Strafprozeß beigesteuert haben berührt denn auch in der Hauptsache Fragen der Reform" 3• 1 v. Lilienthal, DJZ 1904, S.lOOO. 2 Verhandlungen des Reichstags, XII. Legislaturperiode, I. Session, 1907- 1909, Stenographische Berichte, Band 254, Begründung zu Nr. 1310, S. 2.
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Einleitung
Dieser Feststellung ist bis heute nur die weiterhin steigende Anzahl von Diskussionsbeiträgen zu Einzelfragen des Strafprozesses und die anhaltende Zahl der Veröffentlichungen zu Reformfragen hinzuzufügen. Das angestrebte Ziel, die große Strafprozeßreform, ist hingegen bislang nicht erreicht worden. Abgesehen von der Art der Durchführung einer Gesamtreform des Strafprozesses existierte bislang auch keine Vorstellung über die zeitliche Dimension eines solchen Vorhabens, wenn man die Einschätzung Wolters, der im Jahr 1991 das Jahr 2007 für möglich hielt4 , außer Betracht läßt. Nun scheint sich die Bundesregierung dem Projekt "Reform des Strafprozesses" angenommen zu haben und es wurden in einem Diskussionspapier die Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens festgehalten 5 • Die Arbeiten an einem Reformentwurf sollen innerhalb dieser Legislaturperiode zügig vorangebracht werden 6 • Ziel dieser Arbeit ist es jedoch nicht, eine Prognose über die Fortentwicklung des Prozeßrechts im Sinne einer möglichst zuverlässigen Vorhersage abzugeben oder ein mehr oder weniger ausgereiftes Reformkonzept anhand konkreter Gesetzesvorschläge zu entwickeln; vielmehr sollen hier die wichtigsten Themen, denen sich eine Reformierung des Ermittlungsverfahrens zuwenden müßte, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, gesichtet, die Lösungsansätze diskutiert und die Frage gestellt werden, wie heute das Grundkonzept eines reformierten Ermittlungsverfahrens aussehen müßte, durch das das inzwischen über 100 Jahre alte sog. Vorverfahren der veränderten verfassungsrechtlichen Situation und seiner womöglich mittlerweile veränderten Bedeutung angepaßt werden sollte.
3 Alsberg, Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages, Gutachten XII, S. 440. 4 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S.11 f. 5 Dokumentation: Eckpunkte einer Reform des Strafprozesses, Diskussionspapier der Regierungskoalitionen, abgedruckt in: StV 2001, S.314-317. 6 Dokumentation: Eckpunkte einer Reform des Strafprozesses, Diskussionspapier der Regierungskoalitionen, abgedruckt in: StV 2001, S.317.
I. Geschichtliche Entwicklung der Strafprozeßordnung und ihrer Reformversuche Zum Verständnis des heutigen Rechtszustandes bedarf es zunächst einer geschichtlichen Erörterung des geltenden Strafverfahrensrechts. 1. Die Entwicklung bis zum Beginn des ersten Weltkrieges (1914)
Die geltende, am 1. Februar 1877 1 verkündete und am 1. Oktober 1879 in Kraft getretene Strafprozeßordnung gehört wie das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung zu den sogenannten Reichsjustizgesetzen, die in der deutschen Rechtsentwicklung des 19. Jahrhunderts der wichtigste Schritt zur Rechtseinheit vor dem Bürgerlichen Gesetzbuch gewesen sind. Sie ist eine Schöpfung der liberalen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts, die sich nicht voll gegen konservative, obrigkeitsstaatliche Vorstellungen durchgesetzt hatte, sondern mit diesen Kompromisse eingegangen war. Bestimmend ist für die Strafprozeßordnung jedoch das Rechts- und Justizbild des bürgerlichen Liberalismus. Das Gesetz ist dementsprechend ausgerichtet auf eine Strafrechtspflege nach rechtsstaatliehen Grundsätzen im Zeichen richterlicher Unabhängigkeit und justizförmiger Urteilsgewinnung 2 • Nicht zu übersehen sind aber auch die autoritären und dem zur Zeit ihrer Entstehung im Strafrecht vorherrschenden Vergeltungsgedanken verhafteten Züge, die die Strafprozeßordnung trägt. Sie erklären sich soziologisch aus dem Fortbestand obrigkeitlicher Anschauungen und Strukturen im damaligen Kaiserreich 3• Obwohl die Strafprozeßordnung von ihrem lokrafttreten ab geraume Zeit hindurch einen unveränderten Bestand wahrte und bis zum Jahr 1913 nur von wenigen Änderungen betroffen wurde, setzten Bestrebungen nach Änderung der Strafprozeßordnung alsbald ein. Parlamentarische Bemühungen in diese Richtung begannen bereits 1883, sie führten bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nicht zum Erfolg. Zur Vorbereitung einer umfassenden Reform wurde vom Reichsjustizamt im Jahre 1903 eine Reformkommission von 21 Mitgliedern, die aus Richtern, Staatsanwälten und Rechtslehrern bestand, einberufen. Es wurden 86 Sitzungen benötigt, um mehr als 280 Änderungen vorzuschlagen 4 • RGBL I S. 253. Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspßege, S. 346. 3 AK/Schreiber, §§ 1-93, Ein!. 1 Rdnr. 1. I
2
2 Dedy
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Die Protokolle und eine Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse wurden im Jahre 1905 veröffentlicht und führten zu einer lebhaften Diskussion in der juristischen Öffentlichkeit5 . Auf der Grundlage der Kommissionsberatungen, teilweise jedoch abweichend von den Kommissionsbeschlüssen, veröffentlichte das Reichsjustizamt im September 1908 einen von ihm ausgearbeiteten "Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz" nebst Begründung. Er sah u. a. die Berufung in allen Strafsachen, eine Einschränkung des Legalitätsprinzips durch Regelungen, dieimAnsatzdenheutigen §§ 153, 153 c, 154 und 154d StPOentsprechen, die Neuregelung des Beweisantragsrechts und der Untersuchungshaft, Verbesserungen der Rechte des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und den Ausbau des beschleunigten Verfahrens vor. Damit erscheinen die Reformvorschläge rückblickend betrachtet richtungsweisend für die Zukunft des Strafverfahrensrechts. In der Begründung des Entwurfs hieß es, wie zuvor bereits erwähnt, unter den Reichsjustizgesetzen des Jahres 1877 habe die Strafprozeßordnung von Anfang an am wenigsten befriedigt6• Nachdem der Bundesrat dem Entwurf im wesentlichen zugestimmt hatte, wurde er am 26.11.1909 dem Reichstag vorgelegt7 , aber nicht mehr beraten und deshalb in der nächsten Periode neu eingebracht. Der Entwurf scheiterte dann im Reichstag während der 2. Lesung im Jahre 1911 bereits bei der Beratung des Gerichtsverfassungsgesetzes, da eine Einigung über den Streit um die Laienbeteiligung in der Berufungsinstanz nicht zu erreichen war8 • Die Weiterberatung der Vorlage wurde zunächst zurückgestellt, aber nicht wieder aufgenommen. Der erste und bisher einzige Versuch einer parlamentarischen Behandlung einer umfassenden Reform war damit gescheitert und der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 setzte den Reformplänen ein vorläufiges Ende.
2. Die Zeit von
191~1924
Während des Krieges von 1914- 1918 erfolgten nur geringfügige Änderungen, die dem Personalmangel in der Justiz Rechnung tragen sollten. Der politische Umbruch, den der Übergang zur Demokratie und die Errichtung der Weimarer Republik im Jahre 1919 bedeutete, sowie die wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegszeit führten dann aber zu einer Fülle von mehr oder weniger einschneidenden Änderungen des bisherigen Bestandes. LR/Rieß, §§ 1-71, 25. Auflage, Einl. Abschn. E Rdnr.19. Vgl. nur Aschrott, Reform des Strafprozesses ( 1906); v. Liszt, Die Reform des Strafverfahrens (1906); Heinemann, Die rechtliche Stellung des Angeklagten (1906). 6 Verhandlungen des Reichstags, XII. Legislaturperiode, I. Session, 1907-1909, Stenographische Berichte, Band 254, Begründung zu Nr. 1310, S. 2. 7 Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, II. Session, 1909- 1911, Stenographische Berichte, Band 270, Aktenstück Nr. 7. 8 AK/Schreiber Einl. I Rdnr. 3. 4
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2. Die Zeit von 1914-1924
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Aus der Vielzahl der Vorschriften sind besonders hervorzuheben: - Das Gesetz über beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken vom 9.4.19209 , das dem Rehabilitierungsgedanken insoweit gesetzlich Raum gab, als nach bestimmten Fristen über Eintragungen von Strafen nur eine bestimmte Auskunft erteilt wurde bzw. ihre Tilgung festgelegt wurde. - Das Jugendgerichtsgesetz von 1923 brachte eine erste umfassende selbständige Regelung des Jugendstrafverfahrens 10• Einen Anlauf zur Gesamtreform der Strafprozeßordnung unternahm die Reichsregierung nach 1908/1909 wieder 1919. - Der Entwurf Schiffer
Der damalige Reichsjustizminister Schiffer ließ den Entwurf eines Gerichtsverfassungsgesetzes veröffentlichen, dem bald darauf im Jahre 1920 der Entwurf über den Rechtsgang in Strafsachen folgte, dessen geistiger Vater weitgehend Goldschmidt war 11 • Dieser Entwurf griff in großen Zügen auf den Entwurf von 1909 und die ihm folgenden parlamentarischen Beratungen zurück, trug aber mit der Betonung der Schutzfunktion des Strafverfahrens und dem Gedanken der Waffengleichheit auch deutliche Spuren der Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. In seinen verfahrensrechtlichen Vorschlägen stellt er den bis heute konsequentesten Versuch einer Abkehr von den inquisitorischen Elementen der Strafprozeßordnung in der Fassung von 1877 dar 12• Er schlug u. a. die Beseitigung der gerichtlichen Voruntersuchung und des Eröffnungsbeschlusses sowie eine Verbesserung der Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren vor. Der Verfolgungszwang sollte eingeschränkt, das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers erweitert und der uneingeschränkte unüberwachte Verteidigerverkehr gewährleistet werden. Die Haftvoraussetzungen sollten verschärft und die Eidespflicht eingeschränkt werden. Für die Hauptverhandlung war vorgesehen, das Unmittelbarkeilsprinzip zu stärken und das Beweisantragsrecht gesetzlich zu normieren. Es sollte auch eine Erweiterung der Privatklage und ein Ausbau des Sühneverfahrens stattfinden 13 • Der Entwurf scheiterte jedoch ebenso im Gesetzgebungsgang wie der am 19.6.1921 vom Reichsjustizminister Radbruch vorgelegte und von seinem Nachfolger Heinze am 29.5.1923 mit einer Vielzahl wesentlicher Änderungen beim Reichstag eingebrachte Entwurf. RGBI.I S. 507. LR!Rieß, §§ 1-71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E. Rdnr. 29; AK!Schreiber Ein!. I Rdnr. 4. II AK!Schreiber Ein!. I Rdnr. 6. 12 LR/Rieß, §§ 1- 71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 30. 13 LR/Rieß, §§ 1-71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 32.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
- Die Emminger-Reform
Wesentliche Bestandteile der steckengebliebenen Reformentwürfe wurden dann jedoch von der sogenannten "Emminger-Reform" 1924 aufgenommen. Die die Zeit der Inflation beendende Währungsreform Ende 1923 zwang zu durchgreifenden Ersparnismaßnahmen auch auf dem Gebiet des Strafverfahrens. Diese Maßnahmen erfolgten durch die auf das Ermächtigungsgesetz vom 8.12.1923 gestützte Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4.1.1924 14 , die nach dem damaligen Reichsjustizminister benannte Emminger-Verordnung. Neben der Umwandelung der echten Schwurgerichte in ein großes Schöffengericht, der Erweiterung der Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Schaffung der Möglichkeit, auf Antrag der Staatsanwaltschaft beim Schöffengericht wegen der Bedeutung oder des Umfangs der Sache einen zweiten Richter hinzuzuziehen, brachte die Verordnung im Verfahren u. a. Durchbrechungen des Verfolgungszwanges durch die neuen §§ 153, 154 StPO und die Möglichkeit, Freiheitsstrafen bis zu 3 Monaten durch Strafbefehl auszusprechen 15 • Nicht nur die Methode der Emminger-Reform, unter Ausschaltung eines langwierigen parlamentarischen Gesetzgebungsganges Reformen durch Regierungsdekret einzuführen, wurde vielfach angegriffen 16, sondern auch ihre zum Teil tief einschneidenden Neuerungen, die weit über den Rahmen bloßer Not- und Vereinfachungsmaßnahmen hinausgingen. Die geschichtliche Entwicklung hat jedoch gezeigt, daß eine Reihe von Hauptpunkten, wozu im Ermittlungsverfahren die Lockerung des Verfolgungszwanges in Fällen von geringer Bedeutung zu fassen ist, wertvolle und unverzichtbare Neuerungen darstellten, die aus dem angesammelten Reformpotiental entnommen und verwirklicht wurden und die aus dem System des heutigen Strafverfahrensrechts nicht mehr hinwegzudenken sind. 3. Die Zeit von 1925-1932 Insgesamt wurde die Strafprozeßordnung in der Weimarer Republik fünfzehnmal geändert. Deutlich wurde zu dieser Zeit, daß der Einfluß verfassungsmäßiger Grundrechte die Gestaltung des Strafverfahrens prägte. - Die Lex Höfle
Hervorzuheben ist daher die aus Anlaß eines Einzelfalles - dem Tod des gesundheitlich stark angeschlagenen Reichspostministers Höfle in der UntersuchungsRGBI.I S.IS. Roxin, Strafverfahrensrecht § 71 Rdnr. 5. 16 Vgl. die Nachweise bei: Vormbaum, Die Lex Emminger vom 24. Januar 1924, S. 74-82. 14 15
3. Die Zeit von 1925-1932
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haft - im Hinblick auf die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person (Art. 114 WeimVerf.) erfolgte Änderung des Rechts der Untersuchungshaft mit der Einführung sowohl der mündlichen Verhandlung über den Haftbefehl als auch des obligatorischen Haftprüfungsverfahrens durch die sog. lex Höfle vom 27.12.1926 17• Die in den Jahren 1930 bis 1932 als Folge einer weltweiten Wirtschaftskrise immer stärker in Erscheinung tretende Finanznot von Reich und Ländern führte dazu, sich auch auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts nach weiteren Vereinfachungsund Ersparnismöglichkeiten umzusehen. Die teilweise tiefen Eingriffe in den Strafprozeß erfolgten durch Notverordnungen des Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48 Weim Verf., da bei der zunehmenden parteilichen Zerklüftung des Reichstages Maßnahmen im Wege der ordentlichen Gesetzgebung nicht mehr zu erreichen waren 18 • Die angestrebte Verbilligung der Justiz durch diese Notverordnungen sollte u. a. dadurch erreicht werden, daß das Gericht in allen Strafsachen vor dem Amtsrichter, dem Schöffengericht und dem Landgericht in der Berufungsinstanz ermächtigt wurde, den Umfang der Beweisaufnahme nach freiem Ermessen zu bestimmen, ohne Bindung an Anträge oder frühere Beschlüsse. Die Verfolgung von Straftaten wurde von dem Vorliegen des öffentlichen Interesses abhängig gemacht, das Recht der Staatsanwaltschaft zur Verfahrenseinstellung wurde erweitert,§ 154 d StPO mit dem heute noch gültigen Wortlaut eingeführt und das beschleunigte Verfahren neu geregelt. Neben vielen weiteren Änderungen wurde u. a. das zum Schutz des Beschuldigten gegen unberechtigte Untersuchungshaft gerade eingeführte Haftprüfungsverfahren, wie auch die Akteneinsicht und der unüberwachte Verteidigerverkehr im beschleunigten Verfahren, wieder eingespart. Damit entfernte sich die Notgesetzgebung beträchtlich von den Prinzipien des liberalen Strafprozesses und bildete so in vielen Punkten die Grundlage für die Schaffung des nationalsozialistischen Regimes. Beachtlich ist dabei jedoch, daß die Notverordnungen teilweise auch allgemeine Reformvorstellungen aufnahmen, wie sie u. a. der im Jahre 1930 dem Reichstag vorgelegte Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz enthielt 19• In der Entwurfsbegründung wird ausgeführt, daß neben die Notwendigkeit der Angleichungen an den neuen Sprachgebrauch des neuen Strafgesetzbuches und die Eingliederung vieler Vorschriften prozessualer Natur, die bislang im Strafgesetzbuch enthalten waren, Vorschläge sachlich wichtiger Neuerungen treten müßten, die nicht zwangsläufig aus der Strafrechtsreform folgten, aber ihrem Geist entsprächen und deshalb gleichzeitig mit ihr zur Einführung kommen sollten. Die zahlreichen Änderungen, die hierzu besonders in der Strafprozeßordnung vorzunehmen seien, legten im Zusammenhang mit der in der Öffentlichkeit seit langem erhobenen ForRGBI. I S. 529. LR/Rieß, §§ 1- 71,25. Auflage, Ein!. Absch. E Rdnr.42. 19 Verhandlungen des Reichstags, IV. Wahlperiode 1928, Drucksache 2070.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
derung nach einer grundsätzlichen Umgestaltung des Strafverfahrens den Gedanken nahe, einen völlig neuen Entwurf einer Strafprozeßordnung einzubringen und mit dem tiefgreifenden Umbau der Strafgerichtsverfassung zu verbinden. Allerdings hielt der Entwurf diesen Weg für nicht gangbar. Die Durchführung eines solchen Planes hätte voraussichtlich mehrere Jahre in Anspruch genommen und das Zustandekommen der Strafrechtsreform gefährdet, "ja vorläufig unmöglich gemacht" 20 • Das Ziel, die Strafrechtsreform möglichst bald in Kraft zu setzen, wurde als oberstes Gebot betrachtet und nur unter Beibehaltung der wesentlichen Grundzüge von Strafverfahren und Gerichtsverfassung als erreichbar angesehen. Das Einführungsgesetz sollte sich daher damit bescheiden, nur solche Verbesserungen und Vereinfachungen des bestehenden Zustandes herbeizuführen, die sich ohne große Schwierigkeiten und Zeitverlust organisch eingliedern ließen. Eine umfassende Reform oder die Regelung umstrittener Teilprobleme, die Begründung führt als Beispiel die Ersetzung des Offizialprinzips durch das Parteiprinzip nach englischem Muster und die Beseitigung der Voruntersuchung an, sollte einer späteren Zukunft vorbehalten bleiben 21 • 4. Die Zeit von 1933-1944 Die im Jahre 1933 mit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus einsetzende umfangreiche Gesetzgebungstätigkeit auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts ist von sehr unterschiedlichem Gehalt. Viele, wenn auch nicht alle Veränderungen des Strafverfahrensrechts waren nationalsozialistisch geprägt. - Das Ausführungsgesetz zum Gewohnheitsverbrechergesetz
Mit dem bedeutenden Ausführungsgesetz22 zum Gesetz gegen gefahrliehe Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung23 - wie es damals noch hieß- vom 24.11.1933 wurden weit zurückliegende Reformvorstellungen verwirklicht, die teils die Konsequenzen aus der Einführung der Maßregeln der Sicherung und Besserung zogen, teils aber auch davon unabhängig waren, wie etwa die neu geschaffenen§§ 80a, 81 a, 81 b StP0 24 • Grundsätzlich forderte und bewirkte das NS-Regime jedoch die Abkehr von den Prinzipien des rechtsstaatlich-liberalen Strafprozesses zugunsten der Umgestaltung Verhandlungen des Reichstags, IV. Wahlperiode 1928, Drucksache 2070. Materialien zur Strafrechtsreform, Band 7, Entwurf eines Gesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches und zum Strafvollzugsgesetz nebst Begründung und Anlagen, Begründung S. 34 f. 22 RGBI. I S. 1000. 23 RGBI. I S. 995. 24 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 71 Rdnr. 7; Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsoz. Staat, S. 259. 20
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4. Die Zeit von 1933-1944
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in ein an autoritär-staatlichen Zwecken ausgerichtetes Verfahren, in dem sich der Beschuldigte als Untersuchungsobjekt mit seinen Interessen dem Schutz- und Sühnebedürfnis der Volksgemeinschaft unterzuordnen hatte. Wohl auf keinem Gebiet traten so schwerwiegende Änderungen ein, wie im Bereich der ordentlichen Strafjustiz. Große Teile der Bevölkerung unterstanden nicht mehr ihr, sondern einer eigenen Gerichtsbarkeit. Davon betroffen waren vornehmlich die Angehörigen der Wehrmacht, der SS und Polizei, ferner die Täter, deren Handlungen von den Verwaltungsbehörden endgültig durch Ordnungsstrafen oder von der Polizei mit polizeilichen Mitteln geahndet wurden 25 • Besonders durch die Willkür von Polizei und SS, deren Machtzuwachs auf Kosten der Staatsanwaltschaften und Gerichte ging, erfolgten tiefe Einbrüche in die Zuständigkeit der Strafjustiz. Aber auch innerhalb der auf diese Weise eingeschränkten Zuständigkeit der ordentlichen Strafjustiz gab es kein einheitliches Verfahren, sondern eine erschreckende Mehrgleisigkeit 26 • - Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes
Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.6.1935 27 bildete den Beginn einer weiteren Umgestaltung des Strafverfahrens. Es stand in einem engen Zusammenhang mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28.6.1935, das das Analogieverbot beseitigte. Die Wahlfeststellung wurde gestattet, das Verbot der reformatio in peius beseitigt, die Notwendigkeit der Voruntersuchung eingeschränkt, die neuen Haftgründe der Wiederholungsgefahr und der Erregung der Öffentlichkeit geschaffen und die Hauptverhandlung gegen Flüchtige ermöglicht. Im Beweisantragsrecht wurden erstmals für Verfahren mit einer Tatsacheninstanz die Ablehnungsgründe präzisiert. Dies währte jedoch nur kurz, da 1939 das gesamte Beweisantragsrecht abgeschafft wurde 28· - Die Sondergerichte
Ein wesentliches Instrument des Regimes wurden die Sondergerichte, für die durch Verordnung vom 21.3.1933 29 ein rigoroses, summarisches Strafverfahren geschaffen wurde. 25 Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsoz. Staat, S. 246 f. 26 Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsoz. Staat, S. 256. 27 RGBI. I S. 844. 28 LR/Rieß, §§ 1- 71, 25. Auflage, Einl. Abschn. E Rdnr. 61. 29 RGBI. I S . 136.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Bis zum Kriegsbeginn wurden ihre Zuständigkeiten durch sieben verschiedene Gesetze und Verordnungen erweitert. Die Verordnung vom 20.11.1938 30 ermächtigte die Staatsanwaltschaft über Verstöße gegen bestimmte Strafvorschriften hinaus, stets Anklage vor dem Sondergericht zu erheben, wenn die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht wegen der Schwere oder Verwerflichkeit der Tat oder der in der Öffentlichkeit entstandenen Erregung geboten war. Damit war die Zuständigkeit der Sondergerichte bei entsprechender Anklage praktisch immer gegeben. Ihre Kompetenz wurde weiter durch die Vereinfachungsverordnung vom 1.9.193931ausgedehnt, wonach eine Anklage vor dem Sondergericht auch möglich war bei Verbrechen und Vergehen, die zur Zuständigkeit des Schwurgerichts oder eines niedrigeren Gerichts gehörten. Im Krieg wurde die Zuständigkeit der Sondergerichte auf das neu geschaffene Kriegsstrafrecht abermals erweitert. Das Verfahren vor den Sondergerichten war auf Beschleunigung und Vereinfachung angelegt. Es fand keine gerichtliche Voruntersuchung statt, und es erging kein Eröffnungsbeschluß. Die Ladungsfrist konnte auf 24 Stunden verkürzt, Beweiserhebungen abgelehnt werden. Ordentliche Rechtsmittel gab es nicht 32.
- Der Volksgerichtshof
Eine besondere Einrichtung zur Durchsetzung nationalsozialistischer Zwecke stellte der Volksgerichtshof dar. Bis zum Reichstagsbrandprozeß im Jahr 1933 lag die Zuständigkeit zur Aburteilung von Hof- und Landesverratssachen beim Reichsgericht, dessen 4. Strafsenat diesen Prozeß mit der Freisprechung von den Kommunisten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff am 23.12.1933 beendete 33. Daher wurde im Jahre 1934 dem Volksgerichtshof die Zuständigkeit für Hoch- und Landesverratssachen übertragen, und ihm mit Gesetz vom 18.4.193634 die Eigenschaft als ordentliches Gericht i. S. d. Gerichtsverfassungsgesetzes zuerkannt. Tatsächlich blieb er jedoch ein Sondergericht35, das erst- und letztinstanzlieh entschied. Er war mit fünf Richtern besetzt, von denen neben dem Vorsitzenden nur ein weiteres Mitglied die Befahigung zum Richteramt besitzen mußte und die unmittelbar von Hitler berufen wurden 36• Damit stellte der Volksgerichtshof ein von gesetzlichen Bindungen weitgehend gelöstes nationalsozialistisches Terrorinstrument zur Liquidierung von Regimegegnern RGBI. I S. 1632. RGBI. I S. 1658. 32 LR/Rieß, §§ 1-71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 58. 33 Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspßege, S. 447. 34 RGBI. I S. 369. 35 AK!Schreiber Ein!. I Rdnr. 7. 36 Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspßege, S. 447.
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4. Die Zeit von 1933-1944
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dar37 • Allein im Jahr 1944 wurden mehr als 2000 Todesurteile ausgesprochen, von denen einige noch am Tag der Verurteilung, der sogar mit dem Tag der Tat identisch sein konnte, vollstreckt wurden 38 • Zu bemerken ist dabei, daß sowohl die Sondergerichte als auch der Volksgerichtshof ihre Vorläufer bereits in der Weimarer Republik in Form von Wuchergerichten und des Staatsgerichtshofs zum Schutz der Republik bzw. der bayrischen Volksgerichte hatten und damit quasi eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ihrer Herkunft vorweisen konnten 39• Neben diesen Sofortmaßnahmen, die das Verfahren für einen Teil der Strafjustiz verschärften, begannen alsbald Untersuchungen, wie man das Verfahren und die Organisation auch für die übrigen - "ordentlichen"- Strafgerichte umgestalten könne. Die nationalsozialistischen Bemühungen zielten dabei im Gegensatz zu früheren Reformplänen, zunächst eine Strafrechtsreform und erst später eine Erneuerung der Strafgerichtsorganisation und des Verfahrensrechts herbeizuführen, auf eine gleichzeitig durchzuführende Gesamtreform auf den genannten Gebieten. Während die "Amtliche Strafrechtskommission" mit der Aufstellung eines Entwurfs des Strafgesetzbuchs beschäftigt war, begann noch im Jahre 1933 eine vom Reichsjustizminister eingesetzte amtliche Kommission mit der Aufstellung des Vorentwurfs einer Strafverfahrensordnung. Nach Beendigung dieser Arbeit berief der Reichsjustizminister im November 1936 eine größere Kommission, die aus Richtern, Staatsanwälten, Rechtslehrern, einem Vertreter der Rechtsanwaltschaft und den Kommissaren des Reichsjustizministeriums bestand und unter dem Vorsitz des damaligen Reichsjustizministers Gürtner tagte. Der anhand des Vorentwurfs erstellte Entwurf wurde in zwei Lesungen beraten. Die Arbeiten der "Amtlichen Strafprozeßkommission" wurden Ende 1938 abgeschlossen40 • - Der Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung
Auf dieser Grundlage entstand der im Reichsjustizministerium ausgearbeitete und am 1.5.1939 abgeschlossene Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung41 • Der Entwurf 1939 greift zwar in einer Reihe von Fällen auf frühere Reformvorschläge zurück, hebt sich von seinen Vorgängernjedoch entscheidend durch die geistig-weltanschauliche Grundhaltung ab42 • Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspfiege, S. 447. Roxin, Strafverfahrensrecht § 71 Rdnr. 10; Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsoz. Staat, S. 259. 39 Koch, Die Reform des Strafverfahrensrechts im Dritten Reich, Diss. S. 8 f. 40 Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, Ill. Abteilung, NS-Zeit (1933-1939), Band 1, Einleitung S.IX. 41 Entwurf abgedruckt bei: Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, 111. Abteilung, NS-Zeit (1933-1939), Band 1, S. 297-371. 37
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Die amtliche Begründung führt dazu aus: "Die bisher geltende Strafprozeßordnung von 1877 ist individualistisch ausgerichtet. Sie bildet eine Ergänzung verfassungsmäßiger ,Grundrechte', die die möglichste ,Freiheit' des Einzelnen gegenüber der Staatsgewalt zum Ausgangspunkt und zum Ziel haben. Die Voraussetzungen und Wege, unter denen sie Eingriffe in Ehre, Freiheit und Vermögen des Einzelnen zuläßt, sind wesentlich darauf abgestimmt, die Individualität zu schützen. Das Schutz- und Sühnebedürfnis der Volksgemeinschaft ist demgegenüber in der Strafprozeßordnung von 1877 stark vernachlässigt worden. Ein solches Verfahrensrecht, dessen Ausgangspunkte und Grundgedanken im Gegensatz zum nationalsozialistischen Rechtsdenken stehen, kann nicht durch Änderung einzelner Vorschriften derart umgestaltet werden, daß es den Anforderungen des neuen Rechtsgedankens entspricht. Eine vom nationalsozialistischem Geist getragene Rechtswendung kann nur gewährleistet werden, wenn die Grundsätze dieses neuen Rechtsdenkens alle Einzelheiten durchdringen und die Arbeitsordnung der Strafrechtspflege im ganzen neu gestalten. Eine neue Verfahrensordnung ist aus diesem Grunde unerläßlich ..." 43 •
Tatsächlich waren alle bisherigen Reformbemühungen davon ausgegangen, daß einerseits das Interesse des Staates, den Strafanspruch zur Sicherung der Allgemeinheit rasch und nachdrücklich durchzusetzen, und andererseits der Schutz des Beschuldigten, dessen Schuld ja erst noch festgestellt werden soll, vor nicht unumgänglich notwendigen Eingriffen in seine Persönlichkeitssphäre gleichrangige Anliegen seien und daß die staatlichen Zugriffsmöglichkeiten ihre Grenzen in der unverzichtbaren Achtung der Menschenwürde des Beschuldigten finden müssen. Obwohl der Entwurf 1939 zwar in weiten Bereichen die Grenze zwischen Staatsund Individualinteresse zu Lasten des letzteren verschob, ließ er die Verfahrensstruktur im Prinzip unberührt, er zielte auf "Modifikation des Bestehenden nicht auf Mutation der Verfahrensstruktur" 44 • Das Ziel der Reform war auf Vereinfachung, Auflockerung und Beschleunigung gerichtet. Das gilt besonders für den vorgesehenen Wegfall der Voruntersuchung und des Eröffnungsverfahrens, für die Umgestaltung der Revision durch die Urteilsrüge sowie für die Einschränkung des Legalitätsprinzips durch die Möglichkeit des Absehens von der Verfolgung in bestimmten Fällen der Geringfügigkeit. Dem Gedanken der Schlichtung und der informellen Erledigung von Bagatellfällen durch nichtstrafrechtliche Maßnahmen sollte das vorgeschlagene Friedensrichter- und Schiedsmannsystem dienen45 . Während des Krieges wurde die Strafprozeßordnung dann weitgehend im Sinn der Amtlichen Strafprozeßkommission geändert, wobei einige Änderungen noch über die Kommissionsvorschläge hinausgingen. Insgesamt änderte sich das Strafverfahren in den Koch, Die Reform des Strafverfahrensrechts im Dritten Reich, Diss. S. 210. Begründung des Entwurfs, abgedruckt bei: Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, III. Abteilung, NS-Zeit ( 1933-1939), Band I , S. 372-606, S. 372. 44 Koch, Die Reform des Strafverfahrensrechts im Dritten Reich, Diss. S. 222. 45 Begründung der Friedensrichter- und Schiedmannsordnung, abgedruckt bei: Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, 111. Abteilung, NS-Zeit (1933- 1939), Band I, S. 607-638, S. 607 f. 42
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5. Die Zeit von 1945-1949
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12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft völlig. Nach immer neuen gesetzlichen Änderungen bot es Ende 1944 folgendes Bild: Voruntersuchung, Eröffnungsbeschluß, notwendige Verteidigung und das Klageerzwingungsverfahren waren eingeschränkt oder beseitigt. Statt des Kollegiums konnte ein einziger Richter entscheiden. Eine Hauptverhandlung war in gewissen Fällen auch ohne Staatsanwalt oder Protokollführer möglich. Die Justiz war gelenkt durch Weisungen des Ministeriums an die Staatsanwaltschaft oder Besprechungen der Gerichtspräsidenten mit den Kammer- und Senatsvorsitzenden. Beweisanträge des Angeklagten konnte der Richter nach freiem Ermessen ablehnen. Er war zur reformatio in peius, Wahlfeststellung und Analogie ermächtigt. Weitgehend entschieden einzig instanzliehe Gerichte (die Sondergerichte, der Volksgerichtshof und die einzig instanzliehen Senate der Oberlandesgerichte). Soweit bei den anderen Gerichten Rechtsmittel des Angeklagten noch zulässig gewesen waren, fielen sie weg oder bedurften einer besonderen Zulassung. Rechtskräftige Urteile konnten durch außerordentlichen Einspruch des Führers, der im Ergebnis jede Sache über eine entsprechende Weisung an die Oberreichsanwälte neu verhandeln lassen konnte, oder Nichtigkeitsbeschwerde beseitigt werden. Todesurteile wurden alsbald vollstreckt46 •
5. Die Zeit von 1945-1949 Das Kriegsende im Mai 1945 hinterließ ein Rechtschaos. Durch die zahlreichen Änderungs- und Ergänzungsvorschriften war der Rechtsstand der Strafprozeßordnung schwer übersehbar geworden, wohingegen eine dringend gebotene Neutextierung wegen der im Gang befindlichen Reform unterblieben war. Erst recht war jede Übersichtlichkeit geschwunden, als die rasch aufeinanderfolgenden und sich übersteigemden und überlagemden Kriegsmaßnahmen nicht mehr erkennen ließen, was als zeitgebundenes Notrecht und was als Dauerrecht gedacht war. Die Gesetzgebung sah sich vor eine nunmehr doppelte Aufgabe gestellt: einmal die Kriegsmaßnahmen abzubauen, soweit dies überhaupt möglich war, zum anderen nach dem grundsätzlichen Wandel der politischen Verhältnisse und Anschauungen diejenigen aus der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus stammenden Änderungen, die als spezifisch nationalsozialistisch empfunden wurden, wieder zu beseitigen47 • Insgesamt lassen sich in den Änderungen des Strafverfahrensrechts seit 1949 dann mehrere Phasen erkennen, die trotz gewisser zeitlicher Überschneidungen jeweils einen bestimmten Zeitraum prägen. Jede dieser Phasen ist durch die Heraushebung bestimmter mehr formaler Änderungsziele und unterschiedlicher inhaltli46 Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationa1soz. Staat, S. 256. 47 LR/Schäfer, §§ 1-111 n, 24. Auflage, Ein!. Kap. 3 Rdnr. 45.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
eher Schwerpunkte gekennzeichnet, jede von ihnen gibt aber auch unterschiedliche Änderungsbedürfnisse wieder48 •
6. Die Zeit von 1950-1959 Die erste Phase steht unter dem Gedanken, Rechtseinheit und Rechtsklarheit, die bereits durch die bewußt auf Verunklarung hinarbeitende Normsetzungsmethode des Nationalsozialismus und vollends durch die Besatzungszeit verloren gegangen waren, wiederherzustellen und unter Beseitigung des nationalsozialistischen Gedankengutes die rechtsstaatliehen Grundlagen des Strafverfahrens zu erneuern und zu festigen 49 • - Das Vereinheitlichungsgesetz
In dem Mittelpunkt dieser ersten Phase steht das Vereinheitlichungsgesetz vom 12.9.1950 50• Wenn auch in einzelnen wichtigen Punkten neue rechtsstaatliche Garantien geschaffen wurden - so beispielsweise durch die Einfügung des neuen § 136a StPO, der menschenrechtswidrige Vernehmungsmethoden verbietet und in seiner Aufzählung deutlich die Erfahrungen während des Dritten Reiches widerspiegelt und die, über den früheren Rechtszustand weit hinausgehende Sicherung des Beweisanspruchs des Beschuldigten, Neufassung der §§ 244, 245 StPO -, so mußte bei der Dringlichkeit des Ziels der Gedanke an eine umfassende Reform oder auch nur an wesentliche Neuerungen in größerer Zahl ausscheiden und ein solches Verhalten späteren Zeiten vorbehalten bleiben 51 • Um zu einem baldigen Abschluß der Rechtsvereinheitlichung zu gelangen, sollte auf eine Regelung zurückgegriffen werden, die vor dem Jahr 1945 schon einmal in Deutschland als einheitliches Recht bestanden und sich bewährt hatte. Am Anfang der Rechtsentwicklung der Bundesrepublik stand daher ein Strafverfahrensrecht, das inhaltlich fast ausschließlich das Recht der Weimarer Zeit und in großem Umfang noch das der Entstehungszeit der Strafprozeßordnung darstellt, da bereits in der Weimarer Zeit die zahlreichen Reformansätze der damaligen Diskussion kaum aufgegriffen worden waren 52• Mit der Konsolidierung entstand daher ein Entwicklungsrückstand von vielen Jahrzehnten, aus dem nach verhältnismäßig kurzer Zeit ein erneutes Änderungsbedürfnis entsprang. Rieß, Gesamtreform des Strafverfahrensrechts-eine lösbare Aufgabe? ZRP 1977, S. 68. AK!Schreiber Einl. I Rdnr. II. 50 BGBI.I S.455. 5 1 Rieß, Gesamtreform des Strafverfahrensrechts-eine lösbare Aufgabe?, ZRP 1977 S. 68. 52 Rieß, Das StPÄG 1964 - Vergängliches und Bleibendes - , FS für Theodor Kleinknecht, S. 358; LR/Rieß, §§ 1-71,25. Auflage, Einl. Abschn. E Rdnr. 88; AK/Schreiber Einl. I Rdnr.ll. 48
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7. Die Zeit von 1959-1969
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Der Schwerpunkt der gesetzgeberischen Tätigkeit in den 15 Jahren nach dem Vereinheitlichungsgesetz lag dann allerdings außerhalb der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes. Zu erwähnen sind hier kurz der durch das Erste Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.8.1951 53 eingefügte § 74 a GVG, der die sog. Staatsschutzkammer schuf, sowie die Neugestaltung der Strafaussetzung zur Bewährung, die Wiedereinführung des erweiterten Schöffengerichts, die Verpflichtung zur Rechtsmittelbelehrung, die Erweiterung der beruflichen Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote, die Ausweitung der Haftverschonung, die Präzisierung der Regelungen über die Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft und das Klageerzwingungsverfahren durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4.8.1953 54•
7. Die Zeit von 1959-1969 Die zweite Phase umfaßt etwa die Zeit von 1959-1969. - Das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 Im Mittelpunkt steht das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 vom 19.12.196455 , das wegen seiner einschneidenden Änderungen üblicherweise als "kleine Strafprozeßreform" bezeichnet wird. Wie schon ausgeführt, hatte das Vereinheitlichungsgesetz im wesentlichen das Ziel, so rasch wie möglich der in der Zeit nach dem 8.5.1945 bis zum lokrafttreten des Grundgesetzes am 23.5.1949 eingetretenen Rechtszersplitterung ein Ende zu bereiten. Eine umfassende Reform mußte notgedrungen ruhigeren Zeiten überlassen werden. Mit ihr hatte man eigentlich warten wollen, bis die wesentlichen Ergebnisse der 1954 begonnenen Reform des materiellen Rechts vorlagen. Deren Abschluß verzögerte sich dann aber sogar bis zu den ersten Ergebnissen in den Strafrechtsreformgesetzen von 1969 und daher nahm der Gesetzgeber im Jahr 1964 einige besonders dringlich erscheinende Änderungen des Strafprozeßrechts vorweg. Dabei ging er jedoch davon aus, eine umfassende Reform des Strafverfahrensrechts könne nur durch die Aufstellung eines einheitlichen Gesamtentwurfes und seine einheitliche Beratung und Verabschiedung, also durch die Schaffung einer neuen Strafprozeßordnung verwirklicht werden 56• Auch der bei der Verabschiedung des Strafprozeßänderungsgesetzes 1964 am 26.6.1964 einstimmig gefaßte Entschluß des Deutschen Bundestages gibt diese Meinung wieder: BGBI. I S. 739. BGBI. I S. 735. 55 BGBI.I S. 1067. 56 Rieß, Gesamtreform des Strafverfahrensrechts -eine lösbare Aufgabe?, ZRP 1977, S. 68; Engelhard, Notwendigkeit einer großen Strafprozeßreforrn, in FS für Kurt Rebmann, S. 47. 53
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
"Die Bundesregierung beruft eine große Strafverfahrenskommission zur Vorbereitung der Reform des Strafverfahrens, die sich entsprechend der großen Strafrechtskommission zusammensetzt. Sie wird ersucht, ihre Vorschläge zur Neugestaltung des Strafverfahrens alsbald vorzulegen" 57 •
Dies war auch entscheidend für den Umfang der Reform und die thematische Auswahl. Die Änderungen sollten nur die dringlichsten Reformforderungen erfüllen und mußten quasi erfolgsneutral in bezug auf die umfassende Reform sein. Das Zentralthema des Strafprozeßänderungsgesetzes 1964 bildet - wiederum unter Rückgriff auf das in den Entwürfen 1909 und 1919 niedergelegte Gedankengut- die Verbesserung der Rechtsstellung des Beschuldigten. Das Gesetz unternimmt es in erster Linie, die verfassungsrechtlichen Postulate eines freiheitlichen, die Menschenwürde achtenden sozialen Rechtsstaates in konkrete verfahrensrechtliche Vorschriften umzusetzen 58• In groben Zügen brachte das Gesetz gerade im Hinblick auf diese Tendenz bedeutsame Änderungen: Das Recht der Untersuchungshaft wurde mit dem Ziel einer Beschränkung des Umfanges und der Dauer der Haft unter anderem durch präzisere Fassung der Haftgründe und durch Einführung einer gesetzlichen Regelung des Grundgedankens der Verhältnismäßigkeit neu geregelt. Obwohl die periodische Haftprüfung abgeschafft wurde, wurde die Sechsmonatsfrist des§ 121 StPO eingeführt. Die Rechtsstellung des Beschuldigten wurde durch eine erhebliche Erweiterung des rechtlichen Gehörs, namentlich durch Einführung der obligatorischen Vernehmung im Ermittlungsverfahren, und durch Einführung umfassender Belehrungspflichten gestärkt. Der weiteren Verbesserung der Rechtsposition des Beschuldigten diente die Ausweitung der notwendigen Verteidigung und der Ausbau der Verteidigerrechte u. a. durch eine Erweiterung des Rechts auf Akteneinsicht und Einführung des ungehinderten Verkehrs mit dem Beschuldigten. Einen weiteren Schwerpunkt des Gesetzes bildeten Maßnahmen, die das Vertrauen des Beschuldigten in die Unvoreingenommenheit des Richters sichern sollten, wie z. B. die zeitliche Erweiterung des Rechts zur Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit, sowie der Ausschluß der Richter im Wiederaufnahmeverfahren, die bei der angegriffenen Entscheidung mitgewirkt hatten und ferner die Rückverweisung der Sache nach Aufhebung durch die Revisionsinstanz an eine andere Abteilung, Kammer bzw. einen anderen Senat des Gerichts. Daneben sind aber auch schon im Strafprozeßänderungsgesetz 1964, wenn auch nicht von deutlichem Gewicht, Ansätze zur Rationalisierung und Straffung des Strafverfahrens erkennbar, etwa in der Erweiterung des§ 153 StPO und in dem neuen § 154a StPO, der den Verfolgungszwang dahin einschränkte, daß abtrennbare Teile einer Tat oder bei Tateinheit einzelne Gesetzesverletzungen von der Verfolgung ausgenommen werden können, soweit sie für die zu erwartende Strafe oder Maßregel nicht ins Gewicht fallen. 57 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode I 961, Band 55, Stenographische Berichte, I 21.-134. Sitzung, 1964, S. 6506. 58 Rieß, Gesamtreform des Strafverfahrensrechts-eine lösbare Aufgabe?, ZRP 1977, S.68.
8. Die Zeit von 1970-1974/1975
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Rückblickend betrachtet stellt das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 damit den ersten von weiteren Reformschritten einer großräumigen Novellengesetzgebung mit dem Schwerpunkt einer rechtsstaatliehen Liberalisierung des Strafverfahrens dar.
8. Die Zeit von 1970-1974/1975 Eine dritte Änderungsphase setzt 1970 ein.
1970 begann der Gesetzgeber mit den Vorarbeiten zum Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts. Die Fülle des Stoffes und die Vielzahl der problematischen Fragen ließen eine Neukodifikation in einem Schritt innerhalb einer vertretbaren Zeit unter Berücksichtigung der Legislaturperioden des Bundestages unmöglich erscheinen59. Die wichtigste formale Abweichung gegenüber der Vergangenheit war damit der Verzicht auf die zuvor geplante Gesamtreform durch ein einheitliches Gesetz. Die Begründung zum Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts entwirft eine Reihe von inhaltlich aufeinander abgestimmten Reformgesetzen, die über mehrere Legislaturperioden hinweg schrittweise das Strafverfahrensrecht erneuern sollen 60 • Der Verzicht auf Planung und Vorbereitung einer einheitlichen Gesamtreform ermöglichte ein weitergespanntes thematisches Konzept als beim Strafprozeßänderungsgesetz von 1964. Dennoch zwangen Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit einzelner Punkte und teilweise mangelnde Vorbereitung zu einer Reduktion des Programms. Außerdem blieben tiefergehende Eingriffe in das Hauptverfahren und das Rechtsmittelsystem ausgespart und späteren Reformabschnitten vorbehalten. - Die Haftrechtsnovelle Durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 7. 8.1972 61 wurde das Haftrecht, das durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 noch Beschränkungen erfahren hatte, wieder verschärft. Der Gesetzgeber reagierte damit auf bestimmte Formen der Kriminalität. Dies geschah hauptsächlich durch die Ausdehnung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr auf gefährliche Serientäter. - Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 Hauptanliegen des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2.3.197462 war es, die Strafrechtsreform zum Abschluß zu bringen. Es enthält neben der Bereinigung des Sprachgebrauchs und Änderungen des materiellen Strafrechts jedoch auch eine Vielzahl von Neuerungen auf dem Gebiet des Strafprozeßrechts. 59
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AK!Schreiber Einl. I Rdnr. 14. Bundestagsdrucksache 7/551 , S. 33 f., Begründung zum Regierungsentwurf.
BGBI.I S. 1361. BGBI. I S. 469.
32
I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Hinzuweisen ist besonders auf die Einführung des§ 153a StPO, der als Konsequenz aus dem Wegfall der Übertretungen und der damit verbundenen Beseitigung der Androhung bloßer Geldstrafen und geringfügiger Freiheitsstrafen entstanden ist. Die Vorschriften über das Abwesenheitsverfahren wurden ebenso beseitigt wie die Möglichkeit, Freiheitsstrafe durch Strafbefehl zu verhängen, die Sicherungsbeschlagnahme wurde selbständig neu geregelt, das Berufsverbot eingeführt, das Strafverfügungsverfahren abgeschafft, das Sicherungsverfahren neugestaltet und besondere Strafvollstreckungskammern eingerichtet. Weiter fand die Gerichtshilfe gesetzliche Anerkennung und die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit wurde erweitert. - Das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrens 1974
Zeitgleich mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch trat am 1.1.1975 das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrens vom 9.12.1974 63 in Kraft. Mit ihm schien die nach dem Strafprozeßänderungsgesetz 1964 ins Stocken geratene umfassende Reform des Strafverfahrens wieder in Gang zu kommen. Das Gesetz sollte einen ersten Schritt einer mehrere Legislaturperioden beanspruchenden Überprüfung des gesamten Strafverfahrensrechts darstellen, die in einer Reihe aufeinander abgestimmter Teilgesetze verwirklicht werden sollte 64 • Kurz, es handelte sich um das neue Konzept einer "Strafprozeßreform in Raten" 65 • Die Hoffnungen auf ein zügiges Fortschreiten der Gesamtreform konnten allerdings nicht erfüllt werden. Aus heutiger Sicht handelt es sich nicht um den Beginn einer Gesamtreform, sondern um eine bedeutende Einzelnovelle, deren Hauptziel- die Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens - bis heute von großer Aktualität ist 66 • Einer der Schwerpunkte der Novellierung liegt bei der Neuabgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Richter und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren. Die Stellung der Staatsanwaltschaft wurde deutlich verstärkt. So wurde die gerichtliche Voruntersuchung abgeschafft, erzwingbare Erscheinens- und Aussagepflichten vor der Staatsanwaltschaft begründet sowie weitere bisher dem Richter vorbehaltene Ermittlungstätigkeiten auf den Staatsanwalt übertragen. Das erst 1964 eingeführte Rechtsinstitut des Schlußgehörs wurde wieder beseitigt. Der Beschleunigung dienten daneben u.a. auch die Änderungen im Ladungs- und Zustellrecht, die Erweiterung der Zulässigkeit eines abgekürzten Urteils, die Einführung der Urteilsabsetzungsfrist als absolutem Revisionsgrund, Erleichterungen bei der Verwerfung einer Berufung, Präzisierungen bei der Nebenklage und die Umwandlung des Schwurgerichts in eine große Strafkammer. Allerdings wurde auch die Zielrichtung des StrafprozeßänderungsgeBGBI. I S. 3393. Bundestagsdrucksache 7/551, S.33 f. 65 Baumann, Strafprozeßreform in Raten, ZRP 1975, S. 38; v. Winterfeld, Entwicklungslinien des Strafrechts und des Strafprozeßrechts in den Jahren 1947-1987, NJW 1987,5.2633. 66 LR/Rieß, §§ 1-71 , 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 112. 63 64
9. Die Zeit von 1974/1975-1978/1979
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setzes durch einen weiteren Ausbau des Rechtsschutzes von Beschuldigtem und anderen Verlahrensbeteiligten fortgeführt. Beispiele hierlür sind die Erweiterung und Präzisierung der Zeugnisverweigerungsrechte, der weitere Ausbau der notwendigen Verteidigung, die Begrenzung des Vorlührrechtes und der Ausbau von Belehrungspflichten, die Erweiterung der Anwesenheitsrechte bei richterlichen Vernehmungen und die Vorwegmaßnahmen zur Reform des Wiederaufnahmerechts.
9. Die Zeit von 1974/1975-1978/1979 Eine vierte Phase der Änderungen beginnt Mitte 1974. Noch während sich das Erste Gesetz zur Reform des Strafverlahrensrechts im Stadium der Ausfertigung und Verkündung befand, durchlief ein Ergänzungsgesetz im Eiltempo die parlamentarischen Beratungen und trat ebenfalls am 1.1.1975 in Kraft. - Das Erste Gesetz zur Ergänzung des Strafverfahrensreformgesetzes
Das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverlahrensrechts vom 20.12.1974 67 stellt eine Reaktion des Gesetzgebers auf neue Realitäten der Verbrechens- und Verlahrenswirklichkeit dar. Obwohl es weitgehend auf dem Regierungsentwurl eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafverlahrenrechts 68 , mit dem die Reform durch Teilgesetze fortgesetzt werden sollte, und auf dem Entwurl eines Gesetzes zum Schutz der Rechtspflege 69 beruht, kann das Gesetz nur als eine "Maßnahme reaktiver Krisenbewältigung" 70 angesehen werden. Der in dieser Dimension bislang unbekannte organisierte Terrorismus (namentlich die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten v. Drenckmann am 10.11.1974 in Berlin), dessen Verhaltensweisen auch auf das Verlahrensrecht durchschlugen und den rechtsstaatliehen Verlahrensablauf in Frage stellten, veranlaßten den Gesetzgeber zu Maßnahmen zum Schutz der Rechtspflege vor dem Beschuldigten. Erhebliche Veränderungen brachte das Gesetz beim Recht der Verteidigung, denn es bestimmte Voraussetzungen und Folge der Ausschließung eines Verteidigers, beinhaltete das Verbot der Mehrlachverteidigung und regelte die Höchstzahl der Verteidiger. Es wurde zugelassen, die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten durchzuführen, soweit dieser seine Verhandlungsunfähigkeit selbst verschuldet hat oder sich ordnungswidrig benimmt, das Erklärungsrecht nach jeder Beweisaufnahme zu beschränken und den Beschluß über den Ausschluß der Öffentlichkeit nichtöffentlich zu verkünden. Mit der Gleichstellung der Bekräftigung der Wahrheit einer AusBGBI. I S. 3686. Bundestagsdrucksache 7/2526, S.4. 69 Bundestagsdrucksache 7/2536, S. 2. 70 Rieß, Gesamtreform des Strafverfahrensrechts - eine lösbare Aufgabe? ZRP 1977, S. 70.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
sage trug der Gesetzgeber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 7 1 Rechnung, nach der die Leistung des Zeugeneides auch ohne religiöse Beteuerungsformel aus Glaubensgründen verweigert werden darf. Weiterhin bestimmt das Gesetz zum Schutz kindlicher und jugendlicher Zeugen, daß diese allein vom Vorsitzenden zu vernehmen sind, und es verschärfte die Ordnungsstrafgewalt - Das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk Im Anschluß an zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 72, die die umfassenden Regelungen des Zeugnisverweigerungsrechts in den Landespressegesetzen von Hessen und Harnburg für nichtig erklärt hatten, erging das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.7.1975 73 • Es steht damit nicht mit dem Terrorismus in Zusammenhang, sondern gehört sachlich eher zu dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts und seinem Ergänzungsgesetz74 • - Das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten Interessanterweise wurde bereits 1976 ein erster außerstrafrechtlicher Ansatz zur Hilfe für die Opfer von Gewalttaten mit dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 11.5.1976 unternommen 75 . Nach dessen§ I I erhält jeder, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Das Gesetz wurde inzwischen neu gefaßt und 1993 durch Versorgungsansprüche auch für Ausländer ergänzt. - Das Anti-Terrorismusgesetz 1976 Ausschließlich der verbesserten Terrorismusbekämpfung diente das verbreitet als "Anti-Terrorismusgesetz" bezeichnete Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18.8.1976 (Änderungsgesetz 1976)76 • Im BVerfGE 33, 23 ff. BVerfGE36, 193ff.; 36, 314ff. n BGBI. I S. 1973. 74 LR/Rieß, §§ 1-71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 117. 75 BGBI.I S. 1181. 76 BGBI.I S. 2181. 71
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9. Die Zeit von 1974/1975-1978/1979
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Vordergrund der Änderungen des materiellen Rechts stand der neu eingefügte Tatbestand des § 129 a StGB. § 112 III StPO wurde auf die Fälle des § 129 a StGB ausgedehnt, die Möglichkeiten des Ausschlusses des Verteidigers erweitert und die von der Anwaltschaft hartnäckig bekämpfte Überwachung des schriftlichen Verkehrs des Verteidigers mit dem inhaftierten Beschuldigten bei Verfahren nach§ 129 a StGB durch einen mit der Sache sonst nicht befaßten Richter vorgeschrieben. Außerdem wurde, um den Einsatz der Strafverfolgungsbehörden zu optimieren, die Zuständigkeit für Straftaten nach§ 129a StGB im ersten Rechtszug dem Oberlandesgericht und deren Verfolgung damit dem Generalbundesanwalt zugewiesen. Eine im Regierungsentwurf noch vorgesehene spezielle Kronzeugenregelung wurde nicht übernommen.
- Das Kontaktsperregesetz 1977 Auslösender Anlaß für das dann folgende sog. "Kontaktsperregesetz" vom 30.9.1977 77, das in knappstem Zeitraum-aufgrund eines von allen drei Fraktionen im Bundestag eingebrachten Initiativentwurfs- den Gesetzgebungsweg durchlief, war die im September 1977 erfolgte Entführung von Arbeitgeberpräsident Schleyer und die Ermordung seiner vier Begleiter durch organisierte Terroristen, die die Freigabe Schleyers von der Freilassung einsitzender Terroristen abhängig machten, für den Fall der Nichterfüllung ihrer Forderungen seine Tötung androhten und später am 18.10.1977 auch wahr machten, sowie die Entführung der Lufthansamaschine "Landshut" am 13.10.1977 nach Mogadishu. Dabei trat die schon aus vorangegangenen ähnlichen Gewalttaten bekannte Tatsache in Erscheinung, daß zwischen noch in Freiheit befindlichen und bereits inhaftierten Terroristen ein Informationsfluß von hohem Entwicklungsstand bestanden und die Kommunikation auch- diesen bewußt oder unbewußt - über die Verteidiger stattgefunden haben mußte. Obwohl gerade erst eine Regelung diesbezüglich erfolgt war, sah sich der Gesetzgeber nun gezwungen, den Gefahren eines solchen Kommunikationsnetzes durch Zulassung einer vorübergehenden Kontaktsperre zwischen den Gefangenen untereinander und gegenüber der Außenwelt einschließlich des schriftlichen und mündlichen Verkehrs mit dem Verteidiger zu begegnen. Die rechtsstaatliche Rechtfertigung dieser Maßnahme sah er in dem Gedanken der Güterahwägung bei Gefahren für höchste Rechtsgüter in besonderen Gefahrenlagen. Die gesetzgebensehen Bemühungen waren dabei aus Gründen der Rechtsstaatlichkeil darauf gerichtet, möglichst klar abgegrenzte und festumrissene Voraussetzungen für die Anordnung der Kontaktsperre und deren Auswirkungen zu schaffen78 • Die §§ 31-38 EGGVG wurden zur gesetzlichen Absicherung der Kontaktsperre neu eingefügt. 77 78
3*
BGBl. I S. 1877.
LR!Schäfer, §§ 1- 111 n, 24. Auflage, Einl. Kap. 5 Rdnr. 93 f.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
- Das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung 1978
Nach den Anschlägen auf Buback, Ponto und der Ermordung Schleyers wurde mit dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14.4.1978 79 ein Dringlichkeitskatalog zur Bekämpfung des Terrorismus verwirklicht. Das Gesetz brachte eine abschließende bundeseinheitliche Regelung der Identitätsfeststellung zum Zwecke der Strafverfolgung durch die Einführung der§§ 163 b, 163 c StPO. Mit § 111 StPO wurde die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung von Kontrollstellen bei besonderer Kriminalität - nämlich bei dem auf Tatsachen begründeten Verdacht desVorliegenseiner Straftat nach§ 129a StGB, einer in dieser Vorschrift bezeichneten Straftat oder einer Straftat nach § 250 I Nr. 1 StGB a. F. - geschaffen. Mit der Neuregelung durfte nun jede an einer Kontrollstelle angetroffene Person überprüft und durchsucht werden. Außerdem wurden die Möglichkeiten des Verteidigerausschlusses in Verfahren nach§ 129 a StGB, wie auch die Durchsuchungsbefugnisse hinsichtlich eines Gebäudes, erweitert und mit § 148 II StPO Trennscheiben für das mündliche Verteidigergespräch mit dem inhaftierten Beschuldigten vorgeschrieben. 10. Die Zeit von 1978/1979-1986 - Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979
Die nächste Phase beginnt mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz vom 5. 10.1978 80, das am 1.1.1979 in Kraft getreten ist. Mit seiner rechtspolitischen Hauptzielsetzung folgt das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 tendenziell dem Anliegen des Ersten Strafverfahrensreformgesetzes von 1974, zusätzliche Möglichkeiten zur Straffung und Vereinfachung der Strafverfahren zu schaffen. Der vierjährige Zwischenraum zwischen den beiden Gesetzen hatte wegen der "Anti-Terrorismus-Gesetzgebung" jedoch nicht die erforderliche Konsolidierungsphase gebracht. Während das Erste Strafverfahrensreformgesetz seinen Schwerpunkt im Ermittlungsverfahren hatte, liegt der des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1979 auf Änderungen im erstinstanzliehen Hauptverfahren. Durch inhaltliche Modifizierung vorhandener Rechtsinstitute und die Schaffung neuer dogmatischer Institute, sollte in besonderem Maße den Bedürfnissen von Großverfahren Rechnung getragen werden (beipielsweise durch die Einführung einer Rügepräklusion bei Besetzungsrügen, die Einschränkung der Sonderstellung präsenter Beweismittel und die ebenfalls eingeschränkte Pflicht zur Urkundenverlesung durch das sog. Selbstleseverfahren des neuen § 249 II StPO sowie durch die 79
BGBI. I S. 497. S.l645.
so BGBI.I
II. Die Zeit von 1986-1989
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Möglichkeit, die Hauptverhandlung trotz eines Gesuchs, den Richter wegen Befangenheit abzulehnen, zeitlich begrenzt fortzusetzen) 81 • Insgesamt ist das Gesetz mit vierunddreißig Nummern von Änderungen allein der Strafprozeßordnung, die z. T. mehrere Paragraphen umfassen, äußerst umfangreich. Eine Vielzahl der Änderungen diente allerdings nur der schlichten Klärung von Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Strafkammern. Weiterhin wurde es ermöglicht, bei gefahrdeten Zeugen in der Hauptverhandlung auf die Wohnortangabe zu verzichten, und die Verhängung von Ordnungsmitteln gegen unentschuldigt ausbleibende Zeugen wurde ausgeweitet. Nach einer Neuregelung konnte ein Strafbefehl auch in Strafverfahren Anwendung finden, für die im Hauptverfahren nicht der Strafrichter zuständig war. Mit der Erweiterung der Zuständigkeit des Amtsrichters durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz ist diese Regelung später hinfallig geworden. Ganz deutlich im Zeichen der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung stand die Änderung der§§ 154, 154a StPO, die eine breitere Anwendung der Vorschriften ermöglichen sollte. Insgesamt nimmt das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 damit zwar teilweise Elemente der bislang liegengebliebenen Reformansätze auf, jedoch ist es trotz seiner erheblichen Bedeutung, wie schon der Verzicht auf den Namen "Reformgesetz" erkennen läßt, kein weiterer Schritt zu der mit dem Ersten Strafverfahrensreformgesetz eingeleiteten Gesamtreform des Strafverfahrensrechts 82 •
11. Die Zeit von 1986--1989 Die anschließende Zeit verlief für das Strafprozeßrecht eher ruhig. Es erfolgten, abgesehen von rein der sprachlichen Anpassung und Angleichung dienenden Änderungen, solche, die im Zusammenhang mit Reformen des materiellen Rechts standen 83 • Nach dieser legislatorischen Pause, die wiederum der Konsolidierung des neuen Rechts dienen sollte, wurde der Gesetzgeber dann in den Jahren 1986/1987 aktiv. - Das Strafprozeßänderungsgesetz 1986
Dabei ist zunächst das Strafprozeßänderungsgesetz 1986 vom 19.4.1986 84 zu nennen, das der umstrittenen sog. Schleppnetzfahndung im neuen § 163 d StPO eine rechtliche Grundlage gab. Rieß, Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978, S.2265. Rieß, Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978, S. 2272; Vogel, Strafverfahrensrecht und Terrorismus - Eine Bilanz, NJW 1978, S.l219 Fußnote 28; AK/Schreiber, Ein!. I Rdnr. l6. 83 LR/Rieß, §§ 1- 71,25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 123. 84 BGBI.I S.537. 81
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Diese Fahndungsmethode ermöglichte es, bei Personenkontrollen an der Grenze oder bei nach § 111 StPO anfallende Daten von Personen, die bestimmte Suchkriterien aufweisen, vorübergehend zu speichern. Dadurch konnten Daten, die sonst- besonders bei Massenkontrollen - in der Regel sofort wieder verlorengehen würden, im Computer verarbeitet und auf ihre Relevanz für die Strafverfolgung überprüft werden. Bei dieser computergestützten Maßnahme handelte es sich um einen Eingriff in das vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil 85 anerkannte und aus Art. 2 I 1 GG abgeleitete "Recht auf informelle Selbstbestimmung", d. h. um einen Eingriff in das Recht des Bürgers, "grundsätzlich selbst über die Preisgabe und die Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen"86• Damit gehört die Regelung des§ 163d StPO, die, obwohl sie anders als das später vorzustellende "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" nicht schon durch die Überschrift des Gesetzes, in dem sie enthalten ist, den sog. Anti-Terrorismus-Gesetzen zugeordnet wird, doch auch in diesen Sachzusammenhang87 • Die neue Vorschrift findet man in dem vom Titel her wenig aussagekräftigen "Paßgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung". - Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus
Im Anschluß an das Strafprozeßänderungsgesetz 1986 ist dann auf das am 1.1.1987 in Kraft getretene "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" vom 19.12.198688 einzugehen. Es geht auf den gleichlautenden Initiativentwurf der Fraktionen CDU/CSU und FDP vom 31.10.1986 zurück. Dieser Entwurf wollte neben den im jetzt geltenden Recht enthaltenen Neuregelungen auf dem Gebiet des Strafgesetzbuches (§§ 129a, 130a StGB) und des Gerichtsverfassungsgesetzes (§§ 120, 142a GVG) durch "eine zeitlich begrenzte Kronzeugenregelung- außerhalb des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung" die Möglichkeit schaffen, "Mitgliedern terroristischer Vereinigungen Straffreiheit oder eine besondere Strafmilderung zu gewähren, wenn sie durch geeignete Aussagen zur Aufklärung terroristischer Straftaten beitragen" 89• Doch gerade deshalb stieß der Gesetzentwurf, der in der ersten Beratung des Deutschen Bundestagesam 6.11.1986 kontrovers diskutiert wurde, in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 14.11.1986 überwiegend auf Ablehnung. Kritik kam vom Deutschen Richterbund, der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltsverein, Bedenken hatten auch Richter und Staatsanwälte, einschließlich der Fachgruppe der Richter und Staatsanwälte in der ÖTV, so daß als Befürworter im wesentlichen nur der GeBVerfGE65, 1 (43). Roxin, Strafverfahrensrecht, § 10 Rdnr. 18. 87 Kühl, Neue Gesetze gegen terroristische Straftaten, NJW 1987, S. 738. 88 BOB!. I S. 2566. 89 Bundestagsdrucksache 10/6286, S. l. 8s
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11. Die Zeit von 1986-1989
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neralbundesanwalt und der Präsident des Bundeskriminalamtes übrig blieben90• Die vom Entwurf vorgeschlagene zeitlich begrenzte Kronzeugenregelung ist in der Beschlußempfehlung und im Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags vom 3.12.1986 nicht mehr vorgeschlagen worden 91 • Die große Eile beim Gesetzgebungsverfahren führte dann auch dazu, daß sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages die fallengelassene Kronzeugenregelung so im Mittelpunkt stand, daß die anderen Neuregelungen nicht genügend Beachtung fanden. Art. 1 enthielt im wesentlichen Neuregelungen im materiellen Strafrecht, wie eine den Tatbestand erweiternde und den Strafrahmen erhöhende Neufassung des § 129a StGB, und Art. 2 brachte Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, durch die die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte und vor allem des Generalbundesanwaltes für die Verfolgung von terroristischen Gewalttaten erweitert wurden. Daneben sind aber auch die Veränderungen der Strafprozeßordnung durch das neue Gesetz zu beachten, denn durch die Umformulierung des§ 129a StGB wurde dessen Anwendungsbereich bei § 112 III StPO wieder verringert, im Hinblick auf andere Eingriffsmaßnahmen allerdings ausgedehnt92 • - Das Opferschutzgesetz
Mit dem Ziel der Herstellung "verfahrensrechtlicher Waffengleichheit zwischen Beschuldigtem und Verletztem" 93 leitete die Bundesregierung im Frühjahr 1986 eine weitere Gesetzgebungsinitiative ein, die noch im selben Jahr zur Verabschiedung eines Opferschutzgesetzes geführt hat. Dieses Erste Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.198694, das am 1.4.1987 in Kraft getreten ist, bildete den vorläufigen Endpunkt eilends vorangetriebener Bemühungen um eine Konsolidierung der Abwehr- und Mitwirkungsrechte des Verletzten im Strafverfahren. Nachdem die Stellung und Entschädigung des durch die Straftat Verletzten im Strafverfahren schon Thema des XI. Kongresses der Internationalen Strafrechtsvereinigung von Budapest 1974 war, wie Thema des 3. Internationalen Symposiums für Victimologie in Münster 1979 und der Strafrechtslehrertagung 1981 in Bielefeld, befaßte sich auch, einer verstärkten rechtspolitischen Diskussion Rechnung tragend, der 55. Deutsche Juristentag im September 1984 mit dem Problem der Verbesserung der Stellung des Tatopfers 95 • Kühl, Neue Gesetze gegen terroristische Straftaten, NJW 1987, S. 744. Bundestagsdrucksache 10/6635, S. l. 92 Dencker, Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, StV 1987, S.119. 93 Weigend, Das Opferschutzgesetz- kleine Schritte zu welchem Ziel? NJW 1987, S. 1170; Kempf, Opferschutzgesetz und StVÄG 1987, Gegenreform durch Teilgesetze, StV 1987, S. 2 16. 94 BGBI. I S. 2496. 95 LR!Schäfer, §§ 1-111 n, 24. Auflage, Ein!. Kap. 5 Rdnr. 119. 90 91
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Die Beschlüsse des Juristentages wurden im Bundesjustizministerium in den Diskussionsentwurf eines Opferschutzgesetzes umgesetzt96 , dem die Bundestagsfraktion der SPD im Juli 1985 einen eigenen, hauptsächlich auf die Stärkung der Rechte der Opfer von Sexualdelikten abzielenden Gesetzentwurf entgegenstellte 97 • Beide Entwürfe wurden gemeinsam vom Rechtsausschuß des Bundestages beraten, wobei einzelne Vorschläge aus dem SPD-Entwurf in den Regierungsentwurf übernommen wurden, den der Rechtsausschuß des Bundestages beschloß. Die für das Gesetz gewählte Bezeichnung als "Erstes Gesetz zur ..." wollte zum Ausdruck bringen, die Regelung solle "ein erster Schritt dazu sein, die schutzwürdigen Belange des Opfers im Strafrecht und im Strafverfahrensrecht stärker zu berücksichtigen" 98 • Dem vom Rechtsausschuß beschlossenen Entwurf entsprach das vom Bundestag verabschiedete Opferschutzgesetz. Diese überaus kurze Gesetzgebungsgeschichte zeigt wieder, daß sich zentrale rechtspolitische Anliegen durchaus in kurzer Zeit verwirklichen lassen, jedenfalls dann, wenn sie als populär angesehen werden99• Inhaltlich ordnete das Gesetz zunächst die formellen Beteiligungsbefugnisse des Verletzten im Strafverfahren neu. In dem dafür geschaffenen Abschnitt des 5. Buches wurde allen Verletzten ein Grundbestand an verfahrensrechtlichen Befugnissen und Informationsrechten eingeräumt ("Sonstige Befugnisse des Verletzten", §§406e-406h StPO), von denen das neu geschaffene Akteneinsichtsrecht des Verletzten nach § 406 e StPO besonders hervorgehoben werden sollte. Durch eine tiefgreifende Umgestaltung der Nebenklage(§§ 395-402 StPO) wurde einer besonderen, privilegierten Verletztengruppe eine gesteigerte prozessuale Teilhabe gewährt. Einen weiteren Regelungsschwerpunkt bildete der Schutz des Verletzten und anderer Prozeßbeteiligter vor Beeinträchtigungen durch das Verfahren selbst. Dieses Ziel sollte einmal durch die Gewährung der schon formalen Beteiligungsbefugnisse erreicht werden, ferner durch besondere Schutzvorschriften für die Beweisaufnahme, wie die Erweiterung der Möglichkeit, einzelne Teile der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ohne den Angeklagten durchzuführen(§ 247 li StPO) und eine Ausdehnung des § 68 a StPO auf Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich, sowie vor allem durch eine Erweiterung der Möglichkeiten des Öffentlichkeitsausschlusses bei der Erörterung von Umständen aus dem Lebensbereich eines Prozeßbeteiligten durch den neuen § 171 b GVG. Ferner bemühte sich das Gesetz, die Realisierung eines Schadensersatzanspruches des Verletzten durch Änderungen im Adhäsionsverfahren zu erleichtern 100• Schadenswiedergutmachungen sollten bei der Vollstreckung von Geldstrafen durch Gewährung eines Zahlungsaufschubs von nun an berücksichtigt werden und das "Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem 96 Diskussionsentwurf eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Rechte des Verletzten im Strafverfahren, StV 1985, S.436. 97 Bundestagsdrucksache 10/3636, S.3. 98 Bundestagsdrucksache 10/6124, S. l2. 99 Weigend, Das Opferschutzgesetz- kleine Schritte zu welchem Ziel? NJW 1987, S.ll70; AK!Schreiber, Ein!. I Rdnr. 18. 100 Rieß , Der Strafprozeß und der Verletzte - eine Zwischenbilanz, Jura 1987, S. 286.
II. Die Zeit von 1986-1989
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Verletzten zu finden", wurde mit § 46 II StGB als ausdrücklicher Strafzumessungsgesichtspunkt genannt. Im Interesse des Beschuldigten wurde bei entsprechender Vertretung des Verletzten die notwendige Verteidigung nach § 140 II StPO erweitert. Mit diesen Regelungsschwerpunkten hielt sich das Opferschutzgesetz im Bereich des Strafverfahrensrechts weitgehend an die herkömmliche Systematik. Es hat an der Gewichtsverteilung innerhalb des Strafverfahrens, trotzdes deutlichen Hinweises auf die Subjektstellung des Verletzten, nichts geändert 101 • - Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987
Das zeitgleich mit dem Opferschutzgesetz ebenfalls am 1.4.1987 in Kraft getretene Strafverfahrenänderungsgesetz 1987 vom 27.1.1987 102 kann auf einen mehr als fünf Jahre umfassenden Gesetzgebungsgang zurückblicken und steht damit in einem deutlichen Gegensatz zu dem zügigen Gesetzgebungsverfahren des Opferschutzgesetzes. Allein die parlamentarische Beratungszeit zog sich von Mitte 1984 bis Ende 1986. Inhaltlich ist das Strafverfahrensänderungsgesetz dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts 1974 und dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 zuzuordnen. Allerdings sollte es auch einen Ausgleich für die unvermeidliche Mehrbelastung der Justiz durch das Opferschutzgesetz schaffen, ohne die rechtsstaatliehen Garantien des Strafverfahrensrechts grundsätzlich zu beeinträchtigen. Die wichtigsten Änderungen der Strafprozeßordnung betreffen das Recht der Verteidigung, das Verfahren der Hauptverhandlung im ersten Rechtszug, das Berufungsverfahren und Änderungen im Bereich des Kostenrechts. Der Umfang der notwendigen Verteidigung wurde durch die Aufnahme des Falls eines blinden Beschuldigten erweitert und mit der Ergänzung des § 142 I StPO der Einfluß des Beschuldigten auf die Auswahl des Pflichtverteidigers dadurch ausgedehnt, daß er innerhalb einer bestimmten Frist einen Rechtsanwalt seines Vertrauens bestimmen kann, der dann auch zu bestellen ist, sofern keine wichtigen Gründe entgegenstehen. Das durch das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts eingeführte Verbot der Mehrfachverteidigung wurde präzisiert und mit dem neuen § l46a StPO die Folgen unzulässiger Mehrfachverteidigung und Überschreitung der Verteidigerhöchstzahl gesetzlich festgelegt. Im Ermittlungsverfahren wurde ferner die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Teilnahme an der Leichenöffnung in eine Anwesenheitsbefugnis umgewandelt. Für die Hauptverhandlung erfolgte u. a. eine weitere Abkehr von dem Unmittelbarkeitsprinzip des § 250 StPO durch den neu gefaßten § 251 StPO, eine Änderung des erst durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 geschaffenen § 249 II StPO und die Einführung von§ 234a StPO. 101 102
AK!Schreiber, Einl.I Rdnr. l8.
BGBI I 5.475.
I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
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In seinen Grundzügen- wieder einmal- unberührt blieb das Rechtsmittelsystem. Im Strafbefehlsverfahren wurden zwar recht umfangreiche Änderungen vorgenommen, die teilweise allerdings nur redaktioneller Natur waren. Es sollte eine häufigere Anwendung des Strafbefehlverfahrens erreicht werden, ohne die Voraussetzungen zum Erlaß zu erweitern. - Das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Versammlungsgesetzes und zur Einführung der Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten
Am 16.6.1989 ist das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9.6.1989 103 in Kraft getreten. Anlaß für das Verfahren, das zu dem Gesetz führte, waren die tödlichen Schüsse auf die Polizeibeamten Eichhöfer und Schwalm bei einer Demonstration an der Startbahn des Flughafens Frankfurt/Main am 2.11.1987. Aufgrund der Medienwirksamkeit dieses Verbrechens kam es bereits am 13.11.1987 im Bundesinnenministerium zu einer in der Öffentlichkeit wegen der Auswahl der Teilnehmer umstrittenen Anhörung von Polizeibeamten und Staatsanwälten 104 und schon am 2.12.1987 faßte das Bundeskabinett einen Grundsatzbeschluß zur inneren Sicherheit, in dem die wesentlichen Punkte des späteren Gesetzentwurfes festgeschrieben wurden. Strafprozeßrechtlich ist auf die Ausdehnung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr in§ ll2ai Nr. 2 StPO auf Fälle des schweren Landfriedensbruchs hinzuweisen. Dazu führte der Regierungsentwurf aus: "Im Zusammenhang mit gewalttätigen Auseinandersetzungen anläßlich besonderer Ereignisse (Brokdorf, Wackersdorf, Startbahn West etc.) hat sich gezeigt, daß gegen ,reisende Straftäter' häufig Untersuchungshaft trotz dringenden Tatverdachts einer schwerwiegenden Straftat nach § 125 a StGB nicht angeordnet werden kann, weil Flucht- oder Verdunkelungsgefahr verneint werden muß. Dies gilt selbst für die Fälle, in denen aufgrund eigener Aussagen oder Ermittlungen bereits feststeht, daß die Gewalttäter neue Gewalttaten planen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen in diesen Fällen tatenlos abwarten, ob schließlich nach wiederholter Tatbegehung aufgrundder dann erhöhten Straferwartung Fluchtgefahr zu bejahen ist" 105 • Hier findet man mit den "reisenden Straftätern" eine erst jüngst wiederverwandte Formulierung des Gesetzgebers zur Rechtfertigung einer Erweiterung des Rechts der Untersuchungshaft. Mit Art. 4 des Gesetzes wurde nach zahlreichen erfolglosen Anläufen die zunächst bis zum 31.12.1995 befristete Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten eingeführt, die mittlerweile mehrfach verlängert und im Anwendungsbereich ausgedehnt worden ist. Mit BGBI. I S. 1059. Achenbach, Die-Startbahn-West-Novelle, Kriminalistik 1989, S.633. 105 Bundesratsdrucksache 238/88 S.22.
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12. Die Zeit von 1990 bis 1994
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dieser Regelung steht das Gesetz in dem legislatorischen Zusammenhang der sog. "Anti-Terrorismus-Gesetze", insbesondere zu dem "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus 1986", bei dem die Kronzeugenregelung zwar geplant, aber wie bereits dargestellt 106, wieder fallengelassen wurde. 12. Die Zeit von 1990 bis 1994 Im Mittelpunkt der weiteren Darstellung stehen die Jahre 1992, 1993 und 1994, die mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität, dem Rechtspflegeentlastungsgesetz und dem Verbrechensbekämpfungsgesetz besonders einschneidende Änderungen der Strafprozeßordnung gebracht haben. - Das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität
Mit dem am 22.9.1992 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15.7.1992 107 reagierte der Gesetzgeber auf die veränderten, sehr besorgniserregenden, neuen Erscheinungsformen der Kriminalität in Deutschland. Die Entwurfsbegründung betont den alarmierenden Anstieg der Rauschgiftkriminalität und die wachsende Bedrohung durch sonstige Formen der Organisierten Kriminalität, wobei namentlich Straftaten im Zusammenhang mit dem "Nachtgewerbe" (Prostitution), Verschiebung von Kraftfahrzeugen ins Ausland, bandenmäßige Einbruchsdiebstähle vor dem Hintergrund organisierter Hehlerringe, Herstellung und Verbreitung von Falschgeld, illegaler Waffenhandel und Erpressung von Schutzgeld genannt werden 108 • Das Gesetz hatte zum Ziel, die strafprozessualen Ermittlungsmöglichkeiten gegen die Organisierte Kriminalität zu verbessern. Dies sollte einmal durch effektive Regelungen über den Schutz gefährdeter Zeugen geschehen, wozu es in der Entwurfsbegründung heißt: "Nur wenn die Sicherheit gefährdeter Auskunftspersonen gewährleistet werden kann, sind Aussagen von ihnen zu erwarten, mit denen Hintermänner und Drahtzieher krimineller Organisationen überführt werden können" 109, und zum anderen durch die Einführung bzw. Legalisierung neuartiger Ermittlungsmaßnahmen. Der Gesetzgeber stand damit wieder vor der schwierigen Aufgabe, Regelungen zu schaffen, die das Recht der Verteidigung möglichst wenig antasteten, um den "Standard" der Strafprozeßordnung zu erhalten, die den Maßstäben der s. I 11 (S. 39). BGBI.I S.1302. 108 Bundestagsdrucksache 12/989, S. 20. 109 Bundestagsdrucksache 12/989, S. 21. 106 107
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationeHe Selbstbestimmung 110 entsprachen und die wegen der Nahtstellen zum Polizeirecht eine "Vermischung" zwischen repressivem und präventivem Recht möglichst vermieden. Nicht Ziel des Gesetzes sollte es jedenfalls sein, die zahlreichen, weitgehend verfassungsrechtlich bedingten Probleme umfassend zu lösen, denn das sollte dem bereits in Planung befindlichen Strafverfahrensänderungsgesetz vorbehalten bleiben 111 ; es hatte vielmehr den Charakter eines "Vorschaltgesetzes" 112 • Dem verbesserten Zeugenschutz sollte die Neufassung des § 68 StPO dienen. Der nach§ 68 I S. I StPO neu eingefügte Satz 2 erlaubte es Zeugen, die ihre Wahrnehmungen in amtlicher Eigenschaft gemacht haben, statt des Wohnortes den Dienstort anzugeben. Gemäß § 68 II S. 1 StPO kann jeder selbst gefährdete oder einen anderen durch seine Wohnortangabe gefährdenden Zeuge, statt des Wohnortes den Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift angeben. Über Absatz 2 hinaus kann nach § 68 III StPO die Angabe des Wohn- oder Aufenrhaltortes gesamt verweigert werden, wenn der Zeuge oder eine andere Person dadurch an Leben, Leib oder Freiheit gefährdet werden würde. Im Hinblick auf Verdeckte Ermittler wurde § 68 III S. 2 StPO eingeführt, die danach diese Eigenschaft offenbaren müssen, falls die von ihnen getroffenen Feststellungen mit ihrem Einsatz als VerdeckteErmittler zusammenhängen 113 • Durch eine Ergänzung des§ 172 GVG wurde deutlich gemacht, daß die Besorgnis der Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person ein Grund zum Ausschluß der Öffentlichkeit sein kann. Mit den § § 98 a, 98 b StPO wurde eine spezielle gesetzliche Grundlage für die Rasterfahndung geschaffen, die bisher nur auf die allgemeinen Vorschriften der§§ 161, 163 IStPOgestützt wurde. Nach der Definition von§ 98al S.l StPO ist die Rasterfahndung ein maschinell-automatisierter Datenahgleich bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung zwischen bestimmten, auf den Täter vermutlich zutreffenden Prüfungsmerkmalen mit aus anderen Gründen an anderen Stellen gespeicherten Daten, um Nichtverdächtige auszuschließen oder Personen festzustellen, die weitere für die Ermittlung bedeutsame Prüfungsmerkmale erfüllen. Einen weiteren Regelungsschwerpunkt des Gesetzes sollte der Einsatz technischer Mittel darstellen 114• Durch die §§ 100 c, 100 d und Änderungen in § 101 StPO sind gesetzliche Grundlagen für den ermittlungsbedingten Einsatz derjenigen technischen Mittel geschaffen worden, die tiefer in die persönliche Sphäre Betroffener eindringen 115 • Gemäß § lOOc I Nr. 1 StPO dürfen ohne Wissen des Betroffenen Lichtbilder und Bildaufnahmen hergestellt werden, sonstige besondere für ObservaBVerfGE65, I ff. Hilger, Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG- I. Teil, NStZ 1992, S. 457. 112 LR!Rieß, §§ 1- 71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 141. 11 3 Kl!M, §68 Rdnr.l 6. 114 Bundestagsdrucksache 12/2720, S.40, 43, 46. 115 Hilger, Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG - I. Teil, NStZ 1992, S. 461.
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tionszwecke bestimmte technische Mittel zur Erforschung des Sachverhaltes oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters verwendet werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist, und die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre. Ferner darf ohne Wissen des Betroffenen das nichtöffentliche Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß jemand eine in§ lOOa StPO bezeichnete Tat begangen hat, und die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Mit § I 00 c StPO wurden nur Maßnahmen erlaubt, die sich nur ausnahmsweise gegn andere Personen als den Beschuldigten gern. § lOOc II S. 2 StPO richten dürfen und durch die das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nicht beeinträchtigt wird. Dies ergibt sich einmal schon aus Art. 13 II GG und überdies aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift 116• In § 101 StPO wurden bei der Benachrichtigungsptlicht Änderungen und Anpassungen im Hinblick auf den Einsatz technischer Mittel vorgenommen. Neu eingefügt wurden die§§ llOa bis llOe StPO, die den Einsatz Verdeckter Ermittler regeln, der für den Bereich der Organisierten Kriminalität als unverzichtbar angesehen wurde 117• Die Voraussetzungen für den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers enthält§ llOai StPO, nach dem sie zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß eine Straftat von erheblicher Bedeutung in den unter Nr. I bis 4 aufgezählten Fällen begangen worden ist. Nach § 110 I S. 2 StPO dürfen VerdeckteErmittler auch zur Aufklärung von Verbrechen eingesetzt werden, soweit auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr der Wiederholung besteht. Satz 3 regelt, daß der Einsatz nur zulässig ist, soweit die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. In Satz 4 wird die Subsidiaritätsklausel für die Aufklärung von Verbrechen dahingehend abgeändert, daß der Einsatz außerdem dann zulässig ist, wenn die besondere Bedeutung der Tat den Einsatz gebietet und andere Maßnahmen aussichtslos wären. In § 110 II StPO findet sich die Legaldefinition des Verdeckten Ermittlers. Absatz III erlaubt das Herstellen, Verändern und Gebrauchen von Urkunden, soweit es für den Aufbau der Legende unerläßlich ist. Fragen der Kompetenz, also des Zustimmungserfordemisses von Staatsanwaltschaft bzw. Richter zu dem Einsatz, sind in § 110 b StPO geregelt. Einzelheiten hinsichtlich der Geheimhaltung der Identität des Verdeckten Ermittlers enthält§ 110b III StPO. § 110c StPO trifft Regelungen über seine Befugnisse. In Anlehnung an§ 101 IStPOregelt § llOdi StPO die eingeschränkte Benachrichtigungsptlicht bei denjenigen Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung der Verdeckte Ermittler betreten hat. Die Verwertung der erlangten personenbezogenen Informationen regelt schließlich § llOd StPO. 116 Hi/ger, Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG- I. Teil, NStZ 1992, S. 462; Bundestagsdrucksache 12/2720, S.41 , 43, 46. 11 7 Bundestagsdrucksache 12/1255, S.4.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Mit dem neu eingefügten § 163 e StPO wurde eine gesetzliche Grundlage für die polizeiliche Beobachtung geschaffen, die bislang ebenfalls nur auf §§ 161, 163 StPO i. V. m. der polizeilichen Dienstanordnung gestützt wurde. Ziel der polizeilichen Beobachtung sollte es sein, sich ein "Bewegungsbild" von der betroffenen Person zu verschaffen 118 • Die Zulässigkeil dieser Maßnahme setzt das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte einer Straftat von erheblicher Bedeutung voraus, darf sich grundsätzlich nur gegen den Beschuldigten richten und unterliegt wiederum einer § 98 I S. 2 StPO entsprechenden Subsidiaritätsklausel. Gegen andere Personen darf sie sich nur unter eingeschränkten Voraussetzungen richten, die denjenigen des § 100 c li S. 2 StPO entsprechen. Absatz 2 ermöglicht die Ausschreibung des Kennzeichens eines Kraftfahrzeuges, das auf den Beschuldigten oder eine Kontaktperson zugelassen ist oder von diesen benutzt wird. Außerdem wurde der Straftatenkatalog für die Anordnung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach § lOOa StPO um für die Organisierte Kriminalität typische Delikte, nämlich Bandendiebstahl, schwerer Bandendiebstahl, gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei, gewerbsmäßige Bandenhehlerei und Betäubungsmittelstraftaten erweitert und mit § 100 b V StPO eine § 98 III S. 3 StPO entsprechende Verwertungsregel geschaffen. Die Vermögensbeschlagnahme wurde in § 443 StPO neu geregelt und ebenfalls um typische Delikte ergänzt. Der Durchsetzung der neu eingeführten Vermögensstrafe nach § 43 a StGB dienten die dafür geschaffenen §§ 111 o und 111 p StPO sowie Änderungen und Neuerungen bei §§459i und 460 StPO. § 457 I StPO diente der Klarstellung, daß die der Staatsanwaltschaft in§ 161 StPO eingeräumten Befugnisse, nämlich die Vornahme von Ermittlungen, auch der Vollstreckungsbehörde zustehen. Im Zusammenhang mit dem OrgKG ist weiterhin das Gesetz vom 23.7.1992 119 zu nennen, durch das in §53 I Nr. 3 b StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht für staatlich anerkannte Drogenberater geschaffen worden ist. - Das Rechtspflegeentlastungsgesetz
Am 1.3.1993 ist das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 120 in Kraft getreten. Den Ausgangspunkt für den Gesetzesentwurf, der, was für ein Gesetzesvorhaben dieses Umfangs eher ungewöhnlich ist, vom Bundesrat eingebracht wurde, bildete ein Beschluß der Justizminister und-senatorender Länder. Bemerkenswert war an dem Gesetzgebungsverfahren auch, daß der Bundestag der öffentlichen Kampagne widerstand, die unter maßgeblicher Beteiligung des Deutschen Anwaltvereins, des Deutschen Richterbundes und der Gewerkschaft ÖTV gegen das GesetzgebungsHilger, Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG- 2. Teil, NStZ 1992, S. 525. BGBI.I S. 1366. 120 BGBI. I S. 50. 118 119
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vorhaben veranstaltet wurde, denn der Deutsche Bundestag beriet den Entwurftrotz der Kritik zügig und beschloß ihn mit breiter Mehrheirl 21 • In dem Beschluß wird der Aufbau einer funktionierenden rechtsstaatliehen Justiz in den neuen Ländern als eine zentrale Aufgabe des Einigungsprozesses bezeichnerl22 • Der Entwurf sieht den Justizaufbau in höchster Gefahr. Die Justiz in den neuen Ländern sei bei einer Fülle von Aufgaben in dramatischer Weise überlastet. Zugleich stoße die personelle Unterstützung aus den alten Ländern an Grenzen, da die Justiz dort selbst am Rande ihrer Kapazität arbeite. So drohe der Justizaufbau zu scheitern oder "durch eine dauernde Hypothek unerledigter Verfahren" in unerträglicher Weise belastet zu werden. Das Vertrauen in die Rechtspflege und damit in den Rechtsstaat stehe auf dem Spiel. In dieser Situation müßten "alle Möglichkeiten einer Vereinfachung und Straffung der Gerichtsverfahren und zum sparsamen Einsatz des Justizpersonals" genutzt werden 123 • Der Intention, Ressourcen für den Aufbau der Justiz in den neuen Ländern freizusetzen, entsprach es, daß von vomherein eine Befristung der Regelungen erörtert wurde. Sogar der Gedanke, alle Regelungen zu befristen, stand zur Diskussion. Das Gesetz befristete jedoch nur eine Regelung, nämlich die zur Besetzung der erstinstanzliehen Strafkammer in der Hauptverhandlung (§ 76 II GVG, § 33 b II JGG), und zwar auf 5 Jahre. Darin wird ein Wandel deutlich, der während der Beratungen im Deutschen Bundestag eintrat. Neben den weiterhin an erster Stelle stehenden Zweck, einen Beitrag zur Vollendung der Wiedervereinigung auf dem Gebiet der Justiz zu leisten, schob sich das Anliegen, auf Dauer etwas für die Straffung des Verfahrensganges und die Beschleunigung der Verfahren zu tun, quasi "die Gelegenheit beim Schopfe zu packen" 124 • Mit dem Rechtspflegeentlastungsgesetz wurden teilweise bereits früher entwikkelte Vorschläge wieder aufgenommen (z. B. bei der Erweiterung der Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft in§§ 153, 153a StPO, die schon im Kontext des Strafverfahrenänderungsgesetzes 1984 diskutiert wurden), teilweise wurden aber auch echte Neuerungen eingeführt 125 • Durch die Neufassung des § 153 I S. 2 StPO wurde das Erfordernis der Zustimmung des Gerichts bei allen Vergehen beseitigt, die nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht sind und bei denen die durch die Tat verursachten Folgen gering sind. Damit wurde die bisherige Beschränkung auf Vergehen, die gegen fremdes Vermögen gerichtet sind, fallen gelassen. In § 153 a I S. 1 StPO wurde die Voraussetzung der geringen Schuld durch die der Schwere der Schuld, die nicht entgegenstehen darf, ersetzt. Die Begründung des Bundesratsentwurfs sieht darin eine behutsame Erweiterung des Anwendungsberei121 Böttcher!Mayer, Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das Entlastungsgesetz, NStZ 1993, S. 153. 122 Bundesratsdrucksache 314/91 S.48f., Entwurfsbegründung. 123 Bundesratsdrucksache 314/91 S.48f., 52, Entwurfsbegründung. 124 Böttcher!Mayer, Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das Entlastungsgesetz, NStZ 1993, S. 153. 125 Meyer-Großner, Änderungen der StPO durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz, NJW 1993, S. 499.
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ches, die der Praxis in vertretbarem Rahmen die Möglichkeit gebe, § 153 a StPO auch im Bereich der mittleren Kriminalität anzuwenden 126• Während der Gesetzesentwurf noch einschneidendere Änderungen im Rechtsmittelbereich vorsah 127 , beschränkte sich das Gesetz auf die Einführung der Annahmeberufung in Verfahren mit Verurteilungen zu Geldstrafe wegen Straftaten mit geringer Schwere. Mit der Annahmeberufung gern. § 313 StPO wurde insofern gesetzliches "Neuland beschritten" 128 • Weiterhin wurden die Belehrungs- und Hinweispflichten des Verletzten, die bisher in §§406diii und 406h StPO enthalten waren, in §406h StPO zusammengefaßt und dahingehend geändert, daß der Verletze auf seine Befugnisse nur noch hingewiesen werden soll und nicht mehr zwingend darüber zu unterrichten ist. Gravierende Änderungen wurden im Strafbefehlsverfahren vorgenommen. Mit der in § 407 II S. 2 StPO eingefügten Regelung wurde es ermöglicht, durch Strafbefehl eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu verhängen, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird und der Beschuldigte einen Verteidiger hat. Besonders der nicht neue Einwand, die Verhängung von Freiheitsstrafen sei nicht vertretbar, wenn der Richter nicht zuvor einen persönlichen Eindruck von dem Angeschuldigten gewonnen habe, machte es dem Gesetzgeber nicht leicht, sich für die Schaffung dieser Ausweitung zu entscheiden 129 • Der neue§ 408 b StPO, der erst im Deutschen Bundestag in das Gesetz eingefügt wurde 130, bestimmt, daß der Richter, der einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft stattgeben möchte, dem Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen hat, sofern dieser noch ohne Verteidiger ist.§ 408 b S. 2 verweist auf§ 141III StPO, nach dem auf Antrag der Staatsanwaltschaft bereits im Vorverfahren ein Verteidiger bestellt werden kann (aber nicht muß), wenn sich eine Erledigung durch einen auf Freiheitsstrafe lautenden Strafbefehl abzeichnet. § 409 I S. 2 StPO erhielt die Fassung, daß der Angeklagte nach § 268 a III StPO oder § 268 c S. 1 StPO zu belehren ist, wenn gegen ihn eine Freiheitsstrafe verhängt, er mit Strafvorbehalt verwarnt oder gegen ihn ein Fahrverbot angeordnet wird. Außerdem wurde in § 407 II StPO eine Nummer 3 angefügt, die das Absehen von Strafe, was bisher umstritten war, auch in einem Strafbefehl zulässig machte. Hinsichtlich der Möglichkeit, durch einen Strafbefehl Freiheitsstrafe zu verhängen, wurde der Rechtszustand bis vor 1974 wieder hergestellt.
Bundestagsdrucksache 12/1217, S. 34. Bundestagsdrucksache 12/1217, S. 39; Bundesratsdrucksache 314/91 S. ll8ff. 128 Meyer-Goßner, Änderungen der Strafprozeßordnung durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz, NJW 1993, S. 500. 129 Bundestagsdrucksache 12/3832, S. 42. 130 Böttcher!Mayer, Änderungen durch das Entlastungsgesetz, NStZ, 1993, S. 156. 126 127
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- Das Verbrechensbekämpfungsgesetz
Zahlreiche Neuerungen auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozeßrechts brachte das am 1.12.1994 in Kraft getretene Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 131 • Angesichts des sehr umfangreichen Regelwerks und den damit verbundenen tiefen Eingriffen in das Straf- und Strafprozeßrecht erstaunt, daß die parlamentarische Beratungszeit nur 7 Monate betrug. Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens war die Entwicklung der Kriminalität in den letzten Jahren, die wieder einmal Anlaß zu Besorgnis gab. Der Entwurf hebt die gewalttätigen Ausschreitungen gegen Ausländer, die extremistischen Straftaten und die Organisierte Kriminalität dabei besonders hervor 132• Das Verbrechensbekämpfungsgesetz ist nach dem "Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität" und dem "Geldwäschegesetz" vom 25.10.1993 133 das dritte Gesetzeswerk, das sich dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität widmet. Es enthält allerdings auch Regelungen, die ganz allgemein auf die bessere Verfolgung und Ahndung von Straftaten abzielen. Bei den Änderungen im materiellen Strafrecht ist besonders auf die Vorschriften zu Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung hinzuweisen, die sich augenscheinlich nicht leicht in ein Vorhaben einfügen, das eine effektivere Verbrechensbekämpfung gewährleisten soll 134 • Damit wurde jedoch der Gedanke der Stärkung der Opferbelange wieder aufgegriffen, was insgesamt auf breite Zustimmung stieß. Im Mittelpunkt steht dabei der neu eingeführte § 46 a StGB, der eine fakultative Strafmilderung bzw. ein Absehen von Strafe vorsieht, wenn der Täter "in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum Teil entschädigt...". Mit § 46 a StGB ist bei Absehen von Strafe wegen Wiedergutmachung oder Täter-Opfer-Ausgleichs über § 153 b StPO die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung schon im Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Materiell-rechtlich wurden im Hinblick auf die rechtsextreme Gewalt nach§§ 86, 86a StGB Herstellung und Vorrätighalten von Propagandamitteln bzw. Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen jetzt auch zur Verbreitung im Ausland sowie die Ausfuhr selbst unter Strafe gestellt und die Tatbestände der§§ 130, 131 StGB- Volksverhetzung und Gewaltdarstellung- neu gefaßt, um eine breitere Anwendungsmöglichkeit zu schaffen. Auslöser für § 130 III, BGBI.I 5.3186. Bundestagsdrucksache 12/6853, S. 18. 133 BGBI. I S. 1770. 134 König!Seitz, Die straf- und strafverfahrensrechtlichen Regelungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, NStZ 1995, S.l. 131
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
IV StGB, mit dem die sog. "Auschwitzlüge" als Volksverhetzung strafrechtlich erfaßt werden sollte, war das sog. Deckert-Urteil 135 • Aufgrund der Gewalttaten gegen Ausländer erfolgten Strafschärfungen bei den §§ 223-225 und 340 StGB, womit ein erster Schritt in Richtung einer Harmonisierung der Strafrahmen unternommen wurde 136 • Außerdem führt das Verbrechensbekämpfungsgesetz die mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität begonnenen Maßnahmen zum Entzug der finanziellen Ressourcen der Organisierten Kriminalität fort. Den Schwerpunkt bei den Änderungen der Strafprozeßordnung stellt die Neukonzeption des beschleunigten Verfahrens (§§ 417-420 StPO) dar, das sich bislang in den§§ 212-212 b StPO a. F. befand. Jetzt ist das beschleunigte Verfahren als besondere Verfahrensart zutreffend in dem 6. Buch der Strafprozeßordnung geregelt. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Neukonzeption das "Ziel, Staatsanwaltschaft und Amtsgerichte zu einer stärkeren Nutzung dieser Verfahrensart zu veranlassen und damit insbesondere in tatsächlich oder rechtlich einfach gelagerten Fällen eine Aburteilung zu ermöglichen, die der Tat möglichst auf dem Fuße folgt" 137 • Inhaltlich lehnen sich die neuen Regelungen bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen (§§ 417, 419 I S. 1 StPO), den Maßnahmen zur Verfahrensvereinfachung bzw. -beschleunigung (§ 418 StPO), der beschränkten Rechtsfolgenkompetenz (§ 418 I S. 2 StPO) und dem Übergang in das normale Strafverfahren (§ 41911, III StPO) an die Vorschriften der früheren§§ 212ff. StPO an. Neu eingeführt wurde §418 IV StPO, nach dem dem Beschuldigten ein Verteidiger zu bestellen ist, sobald im beschleunigten Verfahren eine Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten zu erwarten ist, und § 420 StPO, der gravierende Änderungen der Beweisaufnahme schuf. Bedeutsam ist vor allem die neu eingefügte Verweisungsnorm in § 411 II StPO, nach der § 420 StPO ebenfalls anzuwenden ist. Danach gelten die Vorgaben des § 420 StPO auch für die Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Strafbefehl. Zu den Modifikationen der bisherigen Rechtslage gehört ebenfalls, daß an die Stelle des "einfachen Sachverhaltes" und der Möglichkeit "sofortiger Aburteilung" die "Eignung zur sofortigen Verhandlung aufgrund des einfachen Sachverhaltes oder der klaren Beweislage" (§ 417 StPO) getreten ist. Der Gesetzgeber wollte die Eignung zur sofortigen Verhandlung als die zentrale Voraussetzung des beschleunigten Verfahrens verstanden wissen 138• Außerdem verpflichtet § 417 StPO die Staatsanwaltschaft nun, den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren bei Vorliegen der Voraussetzungen zu stellen, so daß ihr diesbezüglich kein Ermessensspielraum mehr 135
136
Abgedruckt: BGH NJW 1994, 1421.
König!Seitz, Die straf- und strafverfahrensrechtlichen Regelungen des Verbrechensbe-
kärnpfungsgesetzes, NStZ 1995, S. 3; Dahs, Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vorn 28.10.1994 - ein Produkt des Superwahljahres?, NJW 1995, S.554. 137 Bundestagsdrucksache 12/6853, S. 34. 138 Bundestagsdrucksache 12/6853, S. 35.
13. Die Zeit von 1995-2000
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zusteht. § 418 I StPO ersetzt die binnen kürzester Frist anzuberaumende Hauptverhandlung (§ 212 a StPO a. F.) durch die sofort oder binnen kurzer Frist durchzuführende Hauptverhandlung, wobei der Gesetzgeber von einem Zeitraum von 1 bis 2 Wochen zwischen Abschluß der Ermittlungen und Hauptverhandlung ausging 139• Das Verbrechensbekämpfungsgesetz enthält ferner zwei Neuerungen zum Recht der Untersuchungshaft. Die Vorschrift des § 112 III StPO wurde um die besonders schwere Brandstiftung und die besonders schwere Körperverletzung ergänzt. Des weiteren wurde § 112 a I S. 2 StPO gestrichen, so daß für den Haftgrund der Wiederholungsgefahrbei den in § 112 I S. 1 Nr. 2 StPO genannten Taten die Regelvoraussetzung einer rechtskräftigen Vorverurteilung entfallt. Durch Streichung der§§ 251, 256 StPO aus der bisherigen Fassung des § 249 II StPO erweiterte das Verbrechensbekämpfungsgesetz den Anwendungsbereich des sog. "Selbstleseverfahrens". Ebenfalls erweitert wurde der Anwendungsbereich der Fernmeldeüberwachung nach§ lOOa StPO durch Ausdehnung des Straftatenkataloges, was sich wegen der Bezugnahme in§ lOOc I Nr. 2 StPO auf diesen Deliktskatalog auf die Zulässigkeil der Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln auswirkte. Die Kronzeugenregelung wurde, befristet bis zum 31.12.1995, auch bei organisiert begangenen Straftaten eingeführt, und in einem neuenachten Buch (§§474 bis 477 StPO) wurden die Voraussetzungen und der Umfang eines umfassenden bundeseinheitlichen staatsanwaltschaftliehen Verfahrensregisters geregelt. Im Entwurf der Regierungsparteien war zunächst auch die Haft zur Sicherung der Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren ( 127 b StPO-Entwurt) vorgesehen. Diese Regelung wurde im Gesetzgebungsverfahren heftig kritisiert und erwies sich im Vermittlungsausschuß als (noch) nicht konsensfähig.
13. Die Zeit von 1995-2000 - Das Zweite Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz
Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 19.1.1996 140 wurde die Kronzeugenreglung bis 1999 verlängert. Eine weitere Verlängerung der Geltungsdauer bis zum 31.12.2002, wie sie in dem Entwurf eines Dritten Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetzes 141 vorgesehen war, ist vom Rechtsauschuß des Bundestages als nicht sinnvoll abgelehnt worden 142• 139 140 141 142
4*
Bundestagsdrucksache 12/6853, S. 36. BGBI. I S. 58. Bundestagsdrucksache 14/1107. Bundestagsdrucksache 14/2259, S. l.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
- Das Strafverfahrensänderungsgesetz- DNA-Analyse Zu nennen ist das Strafverfahrensänderungsgesetz - DNA-Analyse vom 17.3.1997 143, das am 22.3.1997 in Kraft getreten ist. Mit dieser gesetzlichen Neuregelung wurde eine spezielle Rechtsgrundlage für molekulargenetische Untersuchungen an Blutproben oder sonstigen menschlichen Körperzellen in der Strafprozeßordnung verankert, sowie verfahrenssichemde Rahmenbedingungen und Vorschriften über die zulässige Verwendung von dem nach§§ 81 a und 8lc StPO entnommenen Material und seine Vernichtung geschaffen, wenn es nicht mehr benötigt wird. Obwohl § 81 a StPO nach Ansicht der Rechtsprechung und des Gesetzgebers eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe beim Beschuldigten und ihrer Untersuchung im nichtcodierten Bereich bildete 144, wurde diese spezielle Rechtsgrundlage nach langwieriger parlamentarischer Diskussion verabschiedet. Der Handlungsbedarf des Gesetzgebers wurde darin gesehen, daß in weiten Teilen der Bevölkerung mit der Gentechnik ganz allgemein verbundene Ängste und Befürchtungen vor übermäßigen, den Kern der Persönlichkeit berührenden Eingriffen anzutreffen waren 145 • - Das Justizmitteilungsgesetz Mit dem Justizmitteilungsgesetz vom 18.6.1997 146 verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, das Justizmitteilungswesen auf eine verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage zu stellen und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Schutz vor Verletzungen des Persönlichkeitsrechts zu treffen 147 , denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Eingriffe in das Grundrecht auf informationeile Selbstbestimmung nur auf normenklarer gesetzlicher Grundlage zulässig 148 • Zu diesem Zweck wurde in das Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz mit den §§ 12-22 EGGVG ein neuer zweiter Abschnitt eingefügt, der Regelungen enthält, unter welchen Voraussetzungen, in welchem Umfang und unter Beachtung welcher Schutzvorschriften u. a. auch in Strafverfahren erhobene personenbezogene Daten von Amts wegen an andere öffentliche Stellen übermittelt werden dürfen. Diese Vorschriften ersetzen die bisherigen Verwaltungsanweisungen. Außerdem wurden mit dem Gesetz zahlreiche sog. "bereichsspezifische" Einzelregelungen geschaffen, die ebenfalls dem Datenschutz dienen sollten. BGBI. I S. 534. BVerfG, NJW 1996, 3071 (3072); BGHSt37, S. 157; Kl!M, § 81 e Rdnr. I; KK!Pelchen, § 81 a Rdnr. 5 a; Kimmich/Spyra/Steinke, DNA-Arnplifizierung in der forensischen Anwendung und der juristischen Diskussion, NStZ 1993, S. 25; Bundestagsdrucksache 13/667, S. 1. 145 Bundestagsdrucksache 13/667, S. 1. 146 BGBI. I S. 1430. 147 Bundestagsdrucksache 13/4709, S. 1, 16. 148 Seit BVerfGE 65, 1 ff. - Volkszählungsurtei1- ständige Rspr. 143
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- Das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 17.7.1997
Auf Empfehlung des Rechtsausschusses hat der Bundestag am 17.7.1997 149 mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen das Votum des Bundesrates den am 10.10.1995 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung verabschiedet. Mit diesem am 18.10.1997 in Kraft getretenem Gesetz ist die Hauptverhandlungshaft, wie sie schon im Verbrechensbekämpfungsgesetz ursprünglich vorgesehen war, mit§ 127 b StPO eingeführt worden. Damit erfolgte eine Erweiterung des bislang geltenden Haft- und Festnahmerechts in bezug auf das beschleunigte Verfahren. Nach§ 127b StPO sind die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer Tat Betroffenen oder Verfolgten auch dann berechtigt, wenn 1. eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich ist und 2. aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, daß der Festgenommene der Hauptverhandlung fernbleiben wird. § 127 b II StPO bestimmt, daß ein Haftbefehl aus den Gründen des Absatzes 1 nur ergehen darf, wenn die Durchführung der Hauptverhandlung binnen einer Woche nach der Festnahme zu erwarten ist. Der Haftbefehl ist auf eine Woche zu befristen. Über den Erlaß des Haftbefehls soll nach § 127 b III StPO der für die Durchführung des beschleunigten Verfahrens zuständige Richter entscheiden. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird angeführt, es bedürfe der Hauptverhandlungshaft, weil die Gerichte nach der bisherigen Rechtslage häufig an der Durchführung des beschleunigten Verfahrens innerhalb weniger Tage gehindert worden seien, da der zunächst vorläufig festgenommene mutmaßliche Täter wegen FehJens der Untersuchungshaftvoraussetzungen wieder freigelassen werden mußte und so die Gelegenheit erhielt, sich der Hauptverhandlung zu entziehen. Die von § 127b StPO bezweckte Sicherung des beschleunigten Verfahrens ermögliche nun eine Aburteilung des Täters in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat. Die unmittelbar auf die Tat folgende Konfrontation des Täters mit den strafrechtlichen Konsequenzen seiner Tat könne eine erhebliche erzieherische Wirkung haben und dadurch abschreckend wirken. Als abzuschreckende Tätergruppe wurde dabei vor allem an sog. "reisende Täter" gedacht, wie Diebesbanden oder Fußballhooligans. Zugleich werde das Vertrauen der rechtstreuen Bevölkerung in den Rechtsstaat gestärkt, wenn die Strafe unmittelbar auf die Tat folge. Die Hauptverhandlungshaft solle den Staatsanwaltschaften und Gerichten einen Anreiz zu einer möglichst zügigen Anberaumung der Hauptverhandlung bieten 150 •
149 150
BGBII S. l822. Bundestagsdrucksache 13/2576, S.3.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
- Das 33. Strafrechtsänderungsgesetz, das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption, das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten und das 6. Strafrechtsreformgesetz
Die Änderungen im Strafprozeßrecht, die durch das 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1. 7.1997 151 , das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997 152, das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefahrliehen Straftaten vom 26.1.1998 153 und das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26.1.1998 154 erfolgten, betreffen überwiegend Anpassungen an die zum Teil ganz erheblichen Veränderungen im materiellen Strafrecht. Einen Schwerpunkt bildete dabei die Neugestaltung des Sexualstrafrechts. Mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz hat der Gesetzgeber die §§ 177-179 StGB im Hinblick auf die Erfassung der Erzwingung sexueller Handlungen auch innerhalb der Ehe neu gefaßt, denn bis zu dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 5.7.1997 bezogen sich die §§ 177-179 StGB nur auf außereheliche sexuelle Handlungen. Die Vorschriften über Vergewaltigung(§ 177 StGB a. F.) und sexuelle Nötigung(§ 178 StGB a. F.) wurden zu einem einheitlichen, differenzierten Tatbestand zusammengefaßt, "um einen möglichst umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung zu erreichen" 155 • Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes wurde bereits an weiteren Änderungen gearbeitet 156• Diese wurden, mit zahlreichen anderen, durch das 6. Strafrechtsreformgesetz verwirklicht, das am 1.4.1998 - von der Öffentlichkeit fast unbemerkt - in Kraft trat. Das 6. Strafrechtsreformgesetz knüpft an die fünf Strafrechtsreformgesetze aus den Jahren 1969 bis 1974 an und hat eine recht umfassende Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches gebracht, deren hohe praktische Bedeutung im Widerspruch zu der geringen öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Das 6. Strafrechtsreformgesetz beinhaltet schwerpunktmäßig die Fortsetzung der mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz ansatzweise eingeleiteten Harmonisierung der Strafrahmen, die Streichung von nicht mehr als zeitgemäß empfundenen oder für entbehrlich gehaltenen Strafvorschriften und die Ergänzung und Neufassung einiger Straftatbestände. In dem Gesetzesentwurf wird hervorgehoben, daß es das aus heutiger Sicht bestehende Ungleichgewicht bei der Bestrafung von Straftaten gegen die höchstpersönlichen Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit einerseits, die Rechtsgüter Eigentum und Vermögen andererseits zu beseitigen gelte 157 • Ein weiteres Anliegen der Reform war eine geschlechtsneuBGBI I S. 1607. BGBI I S. 2038. 153 BGBI I S. 160. 154 BGBI I S.164. 155 Bundestagsdrucksache 13/323, S.5. 156 Bundestagsdrucksache 13/8267, S. 3 (vom 21.7.1997). 157 Bundestagsdrucksache 13/8587, S. 18f. 15 1
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13. Die Zeit von 1995-2000
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trale Fassung der Tatbestände. Zeitgleich mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz wurde das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten, das wegen Berichten über schreckliche Sexualstraftaten an Kindem auf eine viel breitere Beachtung in der Öffentlichkeit stieß, verabschiedet. Mit diesem, das Strafrechtsreformgesetz flankierenden, Gesetz wurden keine Änderungen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches vorgenommen, sondern die Vorschriften über die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung durch §57 I S. 1 Nr. 2 StGB n. F. eingeschränkt und mit §§ 66 III und 68 c II StGB n. F. die Möglichkeit ausgeweitet, Sicherungsverwahrung oder Führungsaufsicht zu verhängen. Außerdem erfolgten u. a. Änderungen im Bereich der Aussetzung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung und im Strafvollzugsgesetz, um insgesamt dem Sicherungsbedürfnis der Bevölkerung stärker Rechnung zu tragen. Einem ganz anderen Anliegen - nämlich der effektiveren Verfolgung von Korruptionstaten im nationalen Bereich- wandte sich der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption zu, das am 20.7.1997 in Kraft trat. Der strafrechtliche Teil dieses Gesetzes enthält mit der Erweiterung der Vorschriften gegen die Korruption im öffentlichen Bereich, einhergehend mit der Verschärfung ihrer Strafandrohungen, und der Schaffung eines neuen Abschnitts - Straftaten gegen den Wettbewerb - im Strafgesetzbuch, zwei Schwerpunkte. - Das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze
Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998 158 erfolgten Änderungen im Bereich der Entziehung der Fahrerlaubnis, die größtenteils rein terminologischer Art waren. Interessant ist jedoch, daß der Auflagenkatalog des § 153 a StPO um die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 2 b II S. 2 oder § 4 VIII S. 4 StVG (Nachschulung) ergänzt wurde. - Das Zeugenschutzgesetz und das Opferanspruchssicherungsgesetz
Mit dem Zeugenschutzgesetz vom 30.4.1998 159 wurden Regelungen zu Opferanwalt, Zeugenbeistand und Einsatz der Videotechnik im Strafverfahren getroffen. Das am 1.12.1998 in Kraft getretene Gesetz bildet den vorläufigen Schlußpunkt der strafprozessualen Änderungen zum Zeugenschutz. Vor ihm liegt eine überaus schwierige und langwierige Entstehungsgeschichte, und das, obwohl über das Grundanliegen breite politische Übereinstimmung bestand. Es beruht in seiner endgültigen Fassung in großen Teilen auf einem erst im Vermittlungsausschuß zustande gekommenen Kompromiß 160• BGBI I S. 747. BGBI I S. 820. 160 Caesar, Noch stärkerer Schutz für Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozeß?, NJW 1998, S. 2314f. 158
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Anlaß für das Gesetzgebungsverfahren war eine Reihe von spektakulären Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern. In zwei Strafverfahren hatte eine Strafkammer des Landgerichts Mainz im Einvernehmen mit allen Verfahrensbeteiligten die Kinder durch den Vorsitzenden in einem separaten Raum vernommen und dasperVideo zeitgleich auf eine Leinwand in den Sitzungssaal übertragen. Das Gericht wollte mit dieser Maßnahme eine unmittelbare Konfrontation der Kinder mit den Angeklagten verhindem und den Kindem die psychische und physische Belastung einer Vernehmung im Sitzungssaal mit mehr als vierzig anwesenden Personen und damit eine weitere Schädigung ersparen 161 • Dies geschah allerdings ohne eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates wollte dieses sog. Mainzer-Modell in der Strafprozeßordnung verankern und seine Anwendung auch gegen den Willen der Beteiligten absichem 162• Der Gesetzesentwurf der Koalitionsfraktionen wollte sich nicht auf die Vernehmung jugendlicher Zeugen beschränken und enthielt eine umfassendere, generelle Zeugenschutzregelung 163 • Diesem Entwurf folgte zunächst der Bundestag, so daß der Bundesrat den Vermittlungsausschuß anrief. Aufgrund des im Vermittlungsausschuß gefundenen Kompromisses wurde das Zeugenschutzgesetz auch als "apokryphes Kinderzeugenschutzgesetz" bezeichnet, da- dem Anliegen des Bundesrates entsprechend- eine Reihe von Sondervorschriften speziell für die Vernehmung jugendlicher Zeugen getroffen worden sind 164• Das Gesetz ermöglicht mit dem neu eingefügten §58 a StPO generell die Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen auf Bild- und Tonträger. Als Regelfall soll eine derartige Aufzeichnung bei Opfern von Straftaten, die unter sechzehn Jahren sind, oder, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann, erfolgen. Mit dem neuen § 255 a StPO wurde die Einführung einer solchen Aufzeichnung in die Hauptverhandlung geregelt. Nach dem ebenfalls neuen § 168e StPO soll eine richterliche Vernehmung getrennt von den Anwesenheitsberechtigten-Beschuldigter und Verteidiger- durchgeführt werden, wenn die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen besteht, sofern er in deren Gegenwart vernommen wird und die Gefahr nicht anders abwendbar ist. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton in den Raum übertragen, in dem sich die Anwesenheitsberechtigten aufhalten, um deren Mitwirkungsbefugnisse zu gewährleisten. Unter den Voraussetzungen des neuen § 247 a StPO kann das Gericht in der Hauptverhandlung anordnen, daß die Zeugenaussage zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen wird, der Zeuge in der Hauptverhandlung selbst also nicht erscheinen muß. Der Bundesgerichtshof hat jüngst in einem Urteil festgestellt, § 247 a StPO ermögliche es dem Tatrichter auch, einen sich im Ausland aufhaltenden Zeugen im Rahmen der Hauptverhandlung durch eine zeitgleiche Bild- und Tonübertragung zu vernehmen, wobei die 161 LG Mainz, NJW 1996, S. 208; Caesar, Noch stärkerer Schutz für Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozeß?, NJW1998, S.2314. 162 Bundestagsdrucksache 13/4983, S. 3. 163 Bundesratsdrucksache 933/97, S. 2. 164 Rieß, Zeugenschutz bei Vernehmungen im Strafverfahren, NJW 1998, S. 3240.
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Rechtshilfeleistung des ersuchten Staates im konkreten Fall die Einhaltung der für die Hauptverhandlung geltenden wesentlichen Verfahrensgarantien gewährleisten müsse 165 • Damit ist ein Zeuge nunmehr als erreichbar anzusehen, wenn er aus der Hauptverhandlung heraus mittels einer zeitgleichen Bild-Ton-Übertragung an einem anderen Ort vernommen werden kann. Dies gilt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs auch dann, wenn der Vernehmungsort im Ausland liegt, sofern eine solche Vernehmung im Wege der Rechtshilfe möglich ist und die Art ihrer Durchführung einer solchen nach § 247 a StPO entspricht 166 • Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus, daß zwar die Voraussetzungen des § 247 a S. 1 1. Hs StPO (Schutz des Zeugenwohls) nicht vorgelegen hätten, aber der 2. Hs ("auch unter den Voraussetzungen des§ 251 I Nr. 2, 3, oder 4 StPO zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist") in Betracht komme, bei dem es jedenfalls nicht nur um die Belange des Zeugenschutzes gehe. Die neue Vorschrift des§ 247 a StPO solle ausweislich der Materialien auch internationalen Tendenzen Rechnung tragen, auf neue Kommunikationsmittel zurückzugreifen und dabei auch die Videotechnologie einzusetzen, mit deren Hilfe Schwierigkeiten bei der Vernehmung von Auslandszeugen überwunden werden könnten 167• Dem Zeugenschutz dient natürlich die Einführung des § 68 b StPO, der die Voraussetzungen bestimmt, unter denen einem nicht anwaltlieh vertretenen Zeugen für die Dauer seiner Vernehmung ein Rechtsanwalt beizuordnen ist. Außerdem wurde die Nebenklageberechtigung für den Fall des sexuellen Mißbrauchs von Kindem erweitert und mit den erst vom Vermittlungsausschuß eingefügten Änderungen des § 397 a StPO die Möglichkeit geschaffen, dem nebenklageberechtigten Verletzten auf Kosten der Staatskasse einen Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen. Ein solcher Opferanwalt ist insbesondere für kindliche Opfer von Sexualstraftaten vorgesehen, um ihre Stellung als Nebenkläger im Strafverfahren zu stärken und ihnen die Möglichkeit einer aktiveren Beteiligung am Strafverfahren zu eröffnen. - Das Gesetz zur Sicherung der zivilrechtliehen Ansprüche des Opfers von Straftaten
Das Gesetz zur Sicherung der zivilrechtliehen Ansprüche des Opfers von Straftaten vom 8.5.1998 168, das, wie der Name es schon zum Ausdruck bringt, keine strafprozeß- oder strafrechtlichen Vorschriften enthält, ist trotzdem kurz in diesem Zusammenhang zu nennen. Hervorzuheben ist, daß das Gesetz in allen Abstimmungspunkten einstimmig verabschiedet worden ist und als Gesetzgebungsinitiative des Bundestages erfolgreich in den Abschluß eines Gesetzes eingemündet ist, was eher BGH, NJW 1999, 3788. BGH, NJW 1999, 3788 (3789). 167 BGH NJW 1999 3788 (3789); Bundestagsdrucksachen 13/9063, S.4 f. 168 BGBI. I S. 905. 165
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selten der Fall ist 169• Ziel des Gesetzes ist die Sicherung der Ansprüche eines Opfers einer Straftat auf Schadensersatz gegen einen Tatbeteiligten, die sich in der Praxis nur selten realisieren lassen, auch wenn der Straftäter seine Taten in den Medien gewinnbringend vermarktet. Die häufig beträchtlichen Verwertungserlöse sind in der Regel bereits abgetreten oder anderweitig verwertet, bevor sich dem Opfer die Möglichkeit bietet, auf die Gelder zuzugreifen 170• Dort soll das Opferanspruchssicherungsgesetz durch Schaffung eines gesetzlichen Pfandrechts an der Forderung des Tatbeteiligten, die dieser im Hinblick auf die öffentliche Darstellung der Tat gegen einen Dritten erhält, abhelfen 171 • Wenn die rechtswidrige Tat für die öffentliche Darstellung bestimmend ist, soll das Pfandrecht auch im Fall der Darstellung der Person des Täters oder Teilnehmers, insbesondere seiner Lebensgeschichte, bestehen. Dieses gesetzliche Forderungspfandrecht wird durch eine Auskunftspflicht und einer Bestimmung über Umgehungsgeschäfte abgesichert.
- Das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität
Am 9.5.1998 ist nach außerordentlich kontroversen politischen Auseinandersetzungen und zähem Ringen das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998 172 in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz ist nach einer dazu erforderlichen Änderung von Art. 13 GG durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26.3.1998 173 die akustische Wohnraumüberwachung für Zwecke der Strafverfolgung, der "große Lauschangrift'' 174 , eingeführt worden; ein Unterfangen, das mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität nicht durchgesetzt werden konnte. Allerdings waren die Zeiten aufgrund der bevorstehenden Bundestagswahl nun erheblich günstiger, da auch die Gegner des "Lauschangriffs" fürchteten, als Verhinderer einer wirksamen Verbrechensbekämpfung gebrandmarkt zu werden, was das erstaunliche Zustandekommen der für die Grundgesetzänderung erforderlichen Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erklärt. Inhaltlich wurde in§ 100c I StPO eine neue Nummer 3 eingefügt, nach der das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort des Beschuldigten mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden darf, wenn bestimmte Tatsachen Nowotsch, Das neue Opferanspruchssicherungsgesetz, NJW 1998, S.1832. Bundestagsdrucksache 13/6831, S.5. 171 Nowotsch, Das neue Opferanspruchssicherungsgesetz, NJW 1998, S.l832. m BGBI I S. 845. 173 BGBI I S.610. 174 Zu der Entstehung dieser Bezeichnung vgl. Kutscha, Der Lauschangriff im Polizeirecht der Länder, NJW 1994, S. 85 ff.; vgl. insgesamt auch: Müller, Der sogenannte "Große Lauschangriff'. 169
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den Verdacht begründen, daß er eine der in § 100 c I Nr. 3 a bis f StPO- neu- genannten Katalogtaten begangen hat und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. In dem Katalog sind, wie es die verfassungsrechtliche Vorgabe fordert, nur solche Straftaten enumerativ aufgezählt, die für die Organisierte Kriminalität typisch oder nach ihrer Ausführung besonders schwerwiegend sind. Grundsätzlich dürfen die Maßnahmen nur in Wohnungen des Beschuldigten durchgeführt werden. In Wohnungen anderer Personen sind sie nur zulässig, wenn aufgrundbestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß der Beschuldigte sich in diesen Wohnungen aufhält und die Maßnahme in Wohnungen des Beschuldigten allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Täters führen wird und dies auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre, § 100 c II S. 4 und 5 StPO n. F. Als im Vorfeld hochbrisant hatte sich die Frage erwiesen, ob die berufliche Begegnung von Zeugnisverweigerungsberechtigten mit ihren Klienten in Wohn- oder Praxisräumen vor heimlicher Überwachung schon durch Beweisverwertungsverbote oder nur durch Beweiserhebungsverbote angemessen geschützt werden könne. Der Vermittlungsausschuß gelangte zu der Auffassung, daß die Gespräche zwischen den in §53 StPO genannten Berufsgeheimnisträgem und ihren Klienten keiner Überwachung unterliegen sollten, seinem Vorschlag sind Bundestag und Bundesrat mehrheitlich gefolgt.§ 100diii StPO n. F. regelt daher, daß eine Maßnahme nach § 100 c I Nr. 3 StPO in den Fällen des § 53 I StPO unzulässig ist. Dies gilt auch, wenn zu erwarten ist, daß sämtliche aus der Maßnahme zu gewinnenden Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen. Betrifft die Wohnraumüberwachung andere Zeugnisverweigerungsberechtigte (§§ 52, 53 a StPO), dürfen die daraus gewonnenen Erkenntnisse nur verwertet werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhaltes oder der Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters steht. Eine Ausnahme von dem Überwachungsverbot von Gesprächen zwischen Beschuldigten und Zeugnisverweigerungsberechtigten gilt für die Fälle, in denen der Zeugnisvereigerungsberechtigte einer Teilnahme oder einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist. Nach dem neuen § 100 d IV StPO ist die Anordnung der Wohnraumüberwachung auf höchstens vier Wochen zu befristen, wobei eine Verlängerung von nicht mehr als vier Wochen zulässig ist. Nach§ lOOd VI StPO n. F. kann der Beschuldigte und der Inhaber der Wohnung auch nach Erledigung der Maßnahme die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung und der Art und Weise des Vollzuges beantragen. § lOOfl StPO regelt, in welchem Umfang personenbezogene Informationen, die durch eine Wohnraumüberwachung ermittelt worden sind, neben Zwecken eines Strafverfahrens auch für präventiv-polizeiliche Zwecke verwendet werden dürfen. Diese präventiv-polizeilichen Informationen dürfen nach§ lOOfll StPO nur zu Beweiszwecken verwendet werden, wenn die Maßnahme nach § 100 c I Nr. 3 StPO zulässig gewesen wäre und wenn die Informationen zur Aufklärung einer Katalogtat
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
nach§ 100cl Nr. 3 StPO benötigt werden 175 • Damit hat das Gesetz eine Streitfrage geklärt, die dadurch entstanden war, daß die Polizeigesetze der Länder vielfach schon die Wohnraumüberwachung erlaubten 176• Durch dieses Gesetz wurde darüber hinaus die Geldwäsche nach § 261 StGB, deren Tatbestand gleichzeitig erweitert wurde, in die Zulässigkeil der Fernmeldeüberwachung nach§ lOOa StPO einbezogen und die Verdachtsschwelle bei der Sicherungsbeschlagnahme durch eine Änderung des § 111 b StPO reduziert. Weiterhin erfolgten Novellierungen des Geldwäschegesetzes und des Finanzverwaltungsgesetzes, die durch Schaffung erweiterter Kontrollmöglichkeiten der Zollbehörden für den grenzüberschreitenden Transport von Bargeld oder von gleichgestellten Zahlungsmitteln ebenfalls der verbesserten Bekämpfung der Geldwäsche dienen sollten. - Das Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendtherapeuten und das Gesetz zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts
Mit dem Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16.6.1998 177 wurde das Berufsrecht der genannten Psychotherapeuten gesetzlich geregelt und ihnen konsequent ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §53 StPO zugestanden. Durch das Gesetz zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts vom 9.7.1998 178 wurde§ 359 StPO um den Wiederaufnahmegrund Nummer 6, "wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht", erweitert. - Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz
Mit dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7.9.1998 179, das am 11.9.1998 in Kraft getreten ist, wurde eine Lücke im Strafverfahrensänderungsgesetz - DNAAnalyse 1997 geschlossen, denn dieses Gesetz enthielt keine Regelung darüber, ob und in welchen Grenzen die Speicherung und Nutzung der durch eine DNA-Analyse gewonnenen Untersuchungsergebnisse in Datenbanken der Polizei zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung zulässig sein sollte. Trotz dieser Rechtslage wurde bereits am 17.4.1998 aufgrund einer Verwaltungsanordnung des damaligen Bundesinnenministers Kanther die zentrale DNA-Analy175
Meyer/Hetzer, Neue Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität, NJW 1998, S. 1028.
Kl/M, § 101 Rdnr. 2. m BGBI. I S.1311. 178 BGBI. I S. 1802. 179 BGBI. I S . 2646. 176
13. Die Zeit von 1995-2000
61
se-Datei als Verbunddatei beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden eingerichtet. Ein Auslöser, der zu der eiligen Einrichtung dieser zentralen Gendatei geführt hatte, war das laufende Ermittlungsverfahren wegen des Mordes an der elfjährigen Christina Nytsch in Niedersachsen. Die Sonderkommission "Nelly" hatte Anfang 1998 18.000 Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die im Umkreis wohnten, zur Abgabe einer freiwilligen Speichelprobe zum Zwecke der DNA-Analyse aufgerufen. Dabei handelte es sich um die weltweit größte genetische Vergleichsuntersuchung. Unter den 12.000 abgegebenen Proben befand sich auch die des Täters, der auch noch des Mordes an der dreizehnjährigen Ulrike Everts im Jahr 1996 überführt werden konnte 180• Mit dem Identitätsfeststellungsgestz wurde eine eindeutige gesetzliche Grundlage für die DNA-ldentifizierungsdatei geschaffen. Das Gesetz besteht insgesamt aus nur fünf Vorschriften, von denen die § § 1 und 2 DNA-ldentitätsfeststellungsgesetz (DNA-IFG) den Schwerpunkt bilden 181• § 1 DNA-IFG führt den neuen § 81 g dann in die Strafprozeßordnung ein, der die Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen eines Beschuldigten allein zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren regelt. Im Gegensatz zu den§§ 81 a, 81e und 81 f dann wirdeine DNA-Analyse auch fürsolche Fälle möglich, in denen zur Überführung des Taters im anhängigen Strafverfahren keine DNA-Analyse notwendig ist. § 2 DNA-IFG bestimmt, daß unter denselben Voraussetzungen Maßnahmen nach § 81 g dann auch an bereits rechtskräftig Verurteilten oder solchen, die nur wegen erwiesener oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit, auf Geisteskrankheit beruhender Verhandlungsunfähigkeit oder fehlender oder nicht ausschließbar fehlender Verantwortlichkeit(§ 3 JGG) nicht verurteilt worden sind und die entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister oder Erziehungsregister noch nicht getilgt ist, durchgeführt werden können. Die Speicherung der nach § 81 g dann bzw. § 2 DNA-IFG gewonnenen DNA-Muster erfolgt demnach in der beim Bundeskriminalamt errichteten DNA-Analyse-Datei. Dafür bietet § 8 VI BKAG, nach dem das Bundeskriminalamt personenbezogene Daten, die bei der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen erhoben worden sind, in Dateien speichern, verändern oder nutzen kann, wenn bei einem Beschuldigten und Personen, die einer Straftat verdächtig sind, wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß gegen ihn Strafverfahren zu führen sind, die gesetzliche Grundlage. - Das Gesetz zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes Kurz nach dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz trat bereits am 3.6.1999 das Gesetz zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes vom 2.6.1999 182 in Kraft. Hamm, Bürger im Fangnetz der Zentraldateien, NJW 1998, S. 2408. Senge, Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung (DNA-Identitätsfeststellungsgesetz), NJW 1999, S. 254. 182 BGBI I S. 1242. I80
181
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
Zur Ergänzung des DNA-IFG wurden die§§ 2a bis 2e neu eingefügt, um für die Registerbehörden eine Rechtsgrundlage zur Erteilung einer unbestimmten Anzahl von Auskünften aus dem Zentralregister an die Staatsanwaltschaft und an das Bundeskriminalamt zu schaffen, ohne daß im zugrundeliegenden Antrag die genauen Personaldaten eines Betroffenen angegeben werden müßten.
- Das Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs und zur Änderung des Gesetzes über Fernmeldeanlagen Eindeutiger Hintergrund des Gesetzes zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs und zur Änderung des Gesetzes über Fernmeldeanlagen vom 20.12.1999 183 war das Anliegen, dem Täter-Opfer-Ausgleich einen breiteren Anwendungsbereich zu verschaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in die Strafprozeßordnung- bisher befand sich die Regelung des Täter-Opfer-Ausgleichs ausschließlich im Strafgesetzbuch- ein Appell an Staatsanwaltschaft und Gerichte aufgenommen, in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen dem Beschuldigten und dem Opfer einer Straftat auszuloten. Nach dem neuen § 155a StPO sollen Gerichte und Staatsanwaltschaft in geeigneten Fällen aktiv auf einen solchen Ausgleich hinwirken, wobei eine Einigung gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten nicht angenommen werden darf. Darüber hinaus werden Richtern und Staatsanwälten durch eine Erweiterung des § 153 a StPO mehr Freiheiten im Hinblick auf die Verfahrenseinstellung bei Erfüllung bestimmter Auflagen und Weisungen eingeräumt, da der gesetzliche Maßnahmenkatalog nicht mehr abschließenden, sondern nur noch beispielhaften Charakter hat. In § 153 a I S. 1 Nr. 5 StPO ist das ernsthafte Bemühen des Beschuldigten, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutzumachen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben, in die beispielhafte Aufzählung der Auflagen und Weisungen aufgenommen worden. Neu ist§ 155 b StPO, nach dem die Staatsanwaltschaft und das Gericht zum Zweck des Täter-Opfer-Ausgleichs oder der Schadenswiedergutmachung einer von ihnen mit der Durchführung beauftragten Stelle von Amts wegen oder auf deren Antrag die hierfür erforderlichen personenbezogenen Informationen übermitteln können. Art. 4 des Gesetzes enthält Änderungen des Fernmeldeanlagengesetzes, die ursprünglich in einem gesonderten Gesetzgebungsvorhaben verwirklicht werden sollten, dann aber wegen des bevorstehenden Jahreswechsels zusammen mit dem TäterOpfer-Ausgleich in einem Gesetz auf den Weg gebracht wurden. 183
BGBI I S. 2491.
13. Die Zeit von 1995-2000
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- Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 Am 12.8. bzw. am 1.11.2000 ist das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts 184 vom 2.8.2000 in Kraft getreten. Das Gesetzgebungsverfahren hat seinen Ursprung, wie viele angesprochene Gesetze ebenfalls, im Jahre 1983, der Verkündung des Urteils zum Volkszählungsgesetz durch das Bundesverfassungsgesetz185. Seitdem ist bekannt, daß der Umgang mit personenbezogenen Daten und Informationen, die im Strafverfahren erhoben werden, in der Strafprozeßordnung nur unvollkommen geregelt ist. Das Hauptanliegen in diesem langwierigen Gesetzesvorhaben galt insofern der Verankerung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen in der Strafprozeßordnung, deren Umsetzung seit dem ersten Referentenentwurfvon 1990 stark umstritten war. Zu dem Gesetz wurde am 25.2.2000 vom Bundesrat der Vermittlungsausschuß aus insgesamt 22 Gründen angerufen 186, und erst durch eine Arbeitsgruppe wurde dann eine Kompromißlösung gefunden, die der heutigen Fassung des Gesetzes entspricht. Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 enthält eine Vielzahl von Einzeländerungen der Strafprozeßordnung, die Rechtsgrundlagen für die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit, die Verwendung personenbezogener Informationen und die Verarbeitung personenbezogener Daten in Dateien und ihre Nutzung schaffen. Soregeln die§§ 131-131 c StPO die Fahndung insbesondere in der Öffentlichkeit und durch Inanspruchnahme von Publikationsorganen. § 131 StPO normiert die Voraussetzungen für eine Ausschreibung zur Festnahme aufgrundeines Haft- oder Unterbringungsbefehls. § 131 a StPO enthält Regelungen zur Aufenthaltsermittlung eines Zeugen oder eines Beschuldigten, wenn sein Aufenthalt nicht bekannt ist. Nach § 131 b StPO ist die Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten/Zeugen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zulässig, wenn die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters/Zeugen auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend, bei einem Zeugen aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. § 131 c StPO regelt die Anordnungskompetenz für Fahndungsmaßnahmen. § 147 V und VII StPO enthalten Neuerungen auf dem Gebiet des Akteneinsichtsrechts in der Form, daß eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit bei Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft und ein eingeschränktes eigenes Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, eingeführt wird. § 160 StPO, der die Erforschungsptlicht des Sachverhalts bei Kenntniserlangung durch die Staatsanwaltschaft regelt, ist in einem Absatz 4 um das Erfordernis der Beachtung entgegenstehender Verwendungsregelungen ergänzt worden. § 161 StPO, der bisher als Aufgabenzuweisung und Organisationsregelung angesehen wurde 187 , wird zu einer Ermittlungsermächtigung ausgestaltet, nach der die Staatsanwaltschaft 184 BGBI.I 5.1253. 185 BVerfGE65, lff. 186 Bundestagsdrucksache 14/2886. 187 Hilger, Zum Strafverfahrensrechtsänderungsgesetz 199 - 1. Teil, NStZ 2000, S. 563.
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I. Geschichtliche Entwicklung und Reformversuche
zu dem in § 160 I bis III StPO bezeichneten Zweck befugt ist, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes, die verpflichtet sind, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen, vornehmen zu lassen. § 161 II StPO normiert einengend die Verwendung von in oder aus einer Wohnung erlangten personenbezogener Informationen aus einem Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung im Zuge nicht offener Ermittlungen auf polizeirechtlicher Grundlage. § 163 IStPOpaßt die Ermittlungsermächtigung der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Behörden und Beamten des Polizeidienstes an. Neu eingefügt worden ist § 163 f StPO, der festlegt, wann eine längerfristige Observation eines Beschuldigten oder anderer Personen, bei denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß sie mit dem Täter in Verbindung stehen, angeordnet werden darf. Der Schwerpunkt der gesetzlichen Neuregelung liegt auf der Einfügung der §§ 474-491 StPO. In den §§ 474-480 StPO wird die Erteilung von Aktenauskünften und Akteneinsicht für Gerichte, Staatsanwaltschaften, Behörden, Privatpersonen und die Übermittlung von Erkenntnissen für wissenschaftliche Zwecke geregelt. § 481 StPO bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Polizeibehörden personenbezogene Informationen, die zunächst nur zu Zwecken der Strafverfolgung erhoben worden sind, auch für präventiv-polizeiliche Zwecke verwenden dürfen. § 482 StPO enthält eine Unterrichtungspflicht der Polizei durch die Staatsanwaltschaft über den Ausgang des Strafverfahrens. Die§§ 483-491 StPO enthalten Dateiregelungen und legen fest, wann und in welchen Grenzen personenbezogene Daten, die in einem Strafverfahren erhoben worden sind, in Dateien verarbeitet und wie sie verwendet werden dürfen. § 491 StPO enthält einen Auskunftsanspruch des Betroffenen. Dazu kommen Folgeänderungen in der Strafprozeßordnung und anderen Gesetzen.
II. Schlußfolgerungen aus dem Rückblick Die Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Strafprozeßordnung und der Reformbemühungen macht zunächst zweierlei deutlich: Einmal ist die Forderung nach einer Totalerneuerung des Strafverfahrens fast so alt wie die Strafprozeßordnung selbst, und zweitens hat das bisherige Scheitern dieser Pläne zu einer kontinuierlichen und zunehmenden Novellengesetzgebung geführt. Bemerkenswert ist hierbei vor allem, daß die meisten Gesetze aus ganz aktuellen Bedürfnissen heraus entstanden und stark an Formalzielen ausgerichtet sind. Dies läßt sich in mehreren Haupttendenzen zusammenfassen.
1. Haupttendenzen der Novellengesetze a) Vereinfachung, Einsparung, Beschleunigung Eine unübersehbare Tendenz, die wesentliche Reformbemühungen getragen hat, ist das Bestreben nach Vereinfachung, Einsparung und Beschleunigung im Strafprozeß. Das gilt besonders für die Emminger-Verordnung 1924, die unter dem Zwang zu durchgreifenden Ersparnismaßnahmen am Ende der Inflationszeit zustande kam, und die Notverordnungen in den Jahren 1930-1932 1• Zu nennen sein wird vor allem die Schaffung des§ 153 a StP02 , der despektierlich auch als "gesetzgeberischer Zufallstreffer" 3 bezeichnet worden ist. § 153 a StPO diente besonders der Beschleunigung der Verfahren, denn er gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, mit Zustimmung des Beschuldigten entgegen dem Legalitätsprinzip von Erhebung der öffentlichen Klage gegen Erbringung von Auflagen abzusehen, so daß die Durchführung einer Hauptverhandlung eingespart werden kann. Ebenso müssen das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts 1974, das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 und 1987 sowie das Rechtspflegeentlastungsgesetz 1993 unter den Leitgedanken der Straffung, Beschleunigung und Vereinfachung gefaßt werden 4 • s. I 2, 3 (S. 20-22). s. I 8 (S. 32). 3 Rieß, 15 Jahre Strafprozeß in Raten- Rückblick und Bilanz - , FS für Gerd Pfeiffer, S. 172. 4 s.I9- 12 (S. 32, 36, 41, 46). I
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li. Schlußfolgerungen aus dem Rückblick
Gleiches gilt für die Neukonzeption des beschleunigten Verfahrens durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 und das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung von 1997, mit dem die sog. Hauptverhandlungshaft eingeführt wurde 5 • b) Stärkung der Rechte des Beschuldigten
Ein anderes Anliegen ist das aus den grausamen Erfahrungen während der nationsozialistischen Zeit hervorgegangene Bemühen, die Rechte des Beschuldigten gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsorganen zu stärken. Bis zum Strafprozeßänderungsgesetz 1964 dienten die Änderungen sogar hauptsächlich der rechtsstaatliehen Verbesserung des Strafprozeßrechts. Dabei denke man nur an die Konkretisierung des Grundsatzes der Menschenwürde in § 136 a StPO im Jahr 19506• Durch die kleine Strafprozeßreform 1964 wurden dann die Befugnisse und Positionen, die die Subjektqualität des Beschuldigten ausmachen, verstärkf. Diese Zielsetzung wurde durch das Erste Strafverfahrensreformgesetz 1974 zumindest neben dem Aspekt der Straffung und Beschleunigung des Strafverfahrens fortgeführt. Ebenso sollten die durch das Strafverfahrensänderungsgesetz- DNA-Analyse geschaffenen Neuerungen den von einer molekulargenetischen Untersuchung Betroffenen schützen, womit gleichzeitig dem Gedanken des Datenschutzes Rechnung getragen werden sollte8, was ebenso für das Strafverfahrensänderungsgesetz 19999 gilt, das dem Beschuldigten daneben noch beispielsweise durch die Neuregelung des Akteneinsichtsrechts eine verbesserte Rechtsposition einräumen wollte. c) Bekämpfung besonderer Erscheinungsformen der Kriminalität
Verschiedene Gesetze und eine Vielzahl von Änderungen haben das Ziel verfolgt, die Durchführung von Strafverfahren gegen Terroristen sicherzustellen. Die Gesetzgebungstätigkeit zur Bekämpfung des Terrorismus beginnt mit dem Ersten und Zweiten Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz 1975. Ebenso stehen das Anti-Terrorismusgesetz 1976, das Kontaktsperregesetz 1977, das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung 1978, das Strafprozeßänderungsgesetz 1986, das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und das Gesetz zur s s. I 12, 13 (S.49, 53). s. 16 (S. 28). 7 s. I 7 (S. 30). 8 s. I 13 (S. 52). 9 s. I 13 (S. 63).
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l. Haupttendenzen der Novellengesetze
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Änderung des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung 1989 ganz im Zeichen des Kampfes gegen den Terrorismus 10• Gerade in dieser Phase wird deutlich, daß der Gesetzgeber, wie der damalige Bundesjustizminister Vogel es ausdrückte, "jeweils aufgrund konkreter Ereignisse und Bedürfnisse punktuell und reaktiv tätig wurde" 11 • Als dann neue Erscheinungsformen der Kriminalität in den Mittelpunkt des Interesses der Öffentlichkeit rückten, reagierte der Gesetzgeber, wiederum recht prompt, mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität 1992, dem Geldwäschegesetz 1993, dem Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 und dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität 1998 12• Das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption 1997 ist auch in diesem Kontext zu sehen 13• Dadurch, daß die Sexualdelikte verstärkt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückten, zogen sie das 33. Strafrechtsänderungsgesetz 1997, das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts und auch das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz 1998 sowie dessen Änderungsgesetz 1999 14 nach sich.
d) Stärkung der Rechte des Verbrechensopfers Der außerstrafrechtlichen Hilfe für Opfer von Gewalttaten diente bereits das Gesetz zur Entschädigung für Opfer von Gewalttaten 1976, und weil sich das Augenmerk verstärkt auf das Schicksal des Verbrechensopfers richtete, wurde 1986 das Opferschutzgesetz geschaffen und durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz im materiellen Strafrecht der Täter-Opfer-Ausgleich verankert. 1998 folgten das Zeugenschutzgesetz, das speziell dem Schutz jugendlicher Zeugen dienen sollte und den sog. Opferanwalt einführte, sowie das Gesetz zur Sicherung der zivilrechtliehen Ansprüche des Opfers 15 • Obwohl das Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-OpferAusgleichs von 1999 16 die Rechte der Opfer nicht stärkt, wird doch deutlich, daß das Verbrechensopfer immer mehr in den Mittelpunkt der juristischen Sichtweise gerückt ist. 1o s. I 9-11
(S. 33, 34, 36, 37, 38, 42). Vogel, Strafverfahrensrecht und Terrorismus- eine Bilanz, NJW 1978 S. 1219. 12 s.I 12, 13 (S.43, 34, 58). 13 s.ll3 (S. 55). 14 s.I 13 (S.54, 54, 60, 61). 15 s.I7, 13 (S. 34, 39, 49, 55, 57). 16 s. I 13 (S. 62). 11
5*
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II. Schlußfolgerungen aus dem Rückblick
2. Ertrag der Novellengesetzgebung Bei der Betrachtung dieser verschiedenen Zielsetzungen und Schwerpunkte der Reformen wird schnell deutlich, daß sie nicht immer in dieselbe Richtung laufen, sondern sogar oft gegensätzliche Züge tragen. Während die Reform der Strafprozeßordnung bis Mitte der sechziger Jahre vielfach auf eine Stärkung der Verteidigerstellung und Beschuldigtenstellung hinauslief, was eine rasche Verurteilung des Angeklagten erschwert und häufig zu einer Verlängerung der Strafprozesse führt, ist in der nachfolgenden Zeit eine gegenläufige Entwicklung festzustellen. Diese wurde vor allem durch die terroristischen Gewalttaten und die dubiosen Verteidigerpraktiken eingeleitet, so daß die nachfolgenden Maßnahmen im Zeichen der Verfahrensbeschleunigung und des Abbaus rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien standen. Ähnliche Konsequenzen zog dann das Auftreten der Organisierten Kriminalität, der Korruption und von aufsehenerregenden Sexualdelikten nach sich. Aus diesen sich gegenüberstehenden Maximen ergibt sich, daß ein klares Konzept für eine Reform bisher gefehlt hat. Darin ist auch der tiefere Grund dafür zu sehen, daß der vom Deutschen Bundestag schon 1964 gefaßte und nahezu einstimmig begrüßte Entschluß zur Schaffung einer neuen Strafprozeßordnung bisher noch nicht verwirklicht worden ist 17 • Man darf den bisherigen Ertrag der Novellengesetzgebung aber sicher auch nicht unterschätzen. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, die Praktikabilität des Strafverfahrensrechts zu sichern und es sowohl den veränderten realen Verhältnissen als auch der veränderten Verfassungslage und dem dogmatischen Fortschritt anzupassen 18 • Damit wurde der aus praktischen Problemen herrührende Reformdruck immer wieder aufgefangen. Oder, anders ausgedrückt, auch das "flickenübersäte Gewand der Strafprozeßordnung" 19, kann noch nützen und mehr oder weniger gute Dienste leisten bzw. es ist dem Gesetzgeber eine (fast) "flächendeckende Geschäftigkeit" 20 zu attestieren. Besonders deutlich wird die Richtigkeit dieser Aussagen an dem Beispiel der Wiedervereinigung durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Von dem Tag des Beitritts an, also mit Ablauf des 2. Oktobers 1990, hörte die Geltung des Strafverfahrensrechts der DDR praktisch auf. Grundsätzlich bewirkte die Wiedervereini17 Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 188; vgl. aber nun: Dokumentation: Eckpunkte einer Reform des Strafprozesses, Diskussionspapier der Regierungskoalitionen, abgedruckt in: StV 2001, S.315-317. 18 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, s. 161 f . 19 Baumann, Forum: Wie reformbedürftig ist die StPO? JuS 1987, S. 682. 20 Rieß, 15 Jahre Strafprozeßreform in Raten - Rückblick und Bilanz - , FS für Gerd Pfeiffer, S. l71.
2. Ertrag der Novellengesetzgebung
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gung, von geringfügigen Ausnahmen und Übergangsregelungen abgesehen, die Erstreckung des Strafverfahrensrechts und des Gerichtsverfassungsrechts der Bundesrepublik auf das vereinigte Deutschland 21 • Selbst dieses unmöglich scheinende Unterfangen gelang ohne nennenswerte Zusammenbrüche oder Katastrophen im Bereich der Strafjustiz. Der Nachteil der Novellengesetzgebung ist jedoch, daß sie zu erheblichen Friktionen führt. Das aufeinander abgestimmte System der Strafprozeßordnung wird gestört, und Teilreformen, die vom Gesetzgeber für eingrenzbar und auf isolierte Bereiche des Verfahrensrechts beschränkbar gehalten werden, führen Änderungen an der gesamten Struktur und Substanz der Strafprozeßordnung herbei. Eine weitere grundlegende Schwachstelle besteht darin, daß jede Teilerneuerung sich an die vorhandenen dogmatischen und systematischen Strukturen angleichen muß. Sie kann die Begriffe nicht übergreifend neu bestimmen, ist vielmehr genötigt, auf den vorhandenen Regelungsbestand und seine vielfach nur in Rechtsprechungsergebnissen verfestigte, nicht aus dem Wortlaut ersichtliche, Bedeutung Rücksicht zu nehmen. Obwohl die tragenden Prozeßrechtsgrundsätze zwar vordergründig unangetastet bleiben, müssen Aufweichungen in Kauf genommen werden, um die Funktionsfähigkeit der Rechtspraxis aufrechterhalten zu können. Dabei denke man nur an den Grundsatz der Unmittelbarkeit und an die Zulässigkeit der Übertragung von Zeugenaussagen in Bild und Ton in das Sitzungszimmer, an den Grundsatz der Öffentlichkeit und Mündlichkeit und das Strafbefehlsverfahren und an die in der Strafprozeßordnung nicht ausdrücklich geregelte, aber mittlerweile wohl unerläßliche Absprachepraxis. Dies muß zu einem komplizierten Geflecht von Ausnahmen und Gegenausnahmen und damit zu einem hoch ausdifferenzierten, fachspezifischen und komplizierten Strafverfahrensrecht führen 22 • Wichtig ist es darüber hinaus, daß eine auch weiter ausgreifende Novellengesetzgebung viele inhaltliche Defizite nicht beseitigen kann. Es hat sich gezeigt, daß Verfahrensabschnitte in ihrer Gesamtheit, beispielsweise das Ermittlungsverfahren oder das Rechtsmittelsystem, isoliert weder erneuert noch auch nur tiefergreifend angepaßt werden können. Stärker als das materielle Recht ist eine Strafverfahrensordnung in so großem Maße ein integratives Ganzes, daß die engen Verknüpfungen, die zwischen den verschiedenen Teilen der Strafprozeßordnung bestehen, es kaum möglich machen, einzelne Teile neu zu regeln, ohne damit präjudizielle Entscheidungen auch über andere zugleich mittelbar zu treffen oder jedenfalls incidenter vorauszusetzen. 21 Einigungsvertrag vom 31.8.1990, BGBI. II S. 889; sowie Einigungsvertragsgesetz vom 23.9.1990, BGBI.II S. 885 und Zusatzvereinbarung vom 18.9.1990; LR!Rieß, §§ 1- 71 , 25. Auflage, Ein!. Abschn. E. Rdnr. 177. 22 Engelhard, Ist eine große Strafprozeßreform notwendig? FS für Kurt Rebmann, S. 53; LRI Rieß, §§ 1-71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 185.
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II. Schlußfolgerungen aus dem Rückblick
Diese Erkenntnis hat offenbar zum Abbruch der Reform in Teilgesetzen beigetragen23. Eine Gesamtreform hingegen könnte einen Beitrag zur Bekämpfung der Normenflut leisten. Denn die hohe Änderungsdichte und die Änderungsgeschwindigkeit neuerer strafprozessualer Novellengesetzgebung, die die rechtsanwendende Praxis vor erhebliche Probleme stellt, hat ihre Ursache auch in zu kurz greifenden, weil unter zu großem Realisierungsdruck stehenden, Anpassungsänderungen und der daraus folgenden Notwendigkeit nachträglicher Korrekturen 24. Ob sich eine kommissionsgestützte Gesamtreform des Strafverfahrensrechts heute tatsächlich auf eine so breite Materialbasis stützen könnte, wie bisher angenommen, ist zwar jüngst bezweifelt worden 25, jedoch ist der Fundus weit zurückreichender Reformvorschläge aus den eingangs dargestellten frühen Reformbemühungen ebenso zu beachten wie eine kaum übersehbare Fülle von Einzelüberlegungen aus den letzten Jahren. Abschließend betrachtet erscheint es als eine zutreffende Beschreibung, wenn man, angesichts des Scheiteros aller bisheriger Anläufe zur Gesamtreformierung, "die Geschichte der Strafprozeßreform als die Geschichte ihrer Fehlschläge bezeichnet"26
Schreiber/Wassermann, Gesamtreform des Strafverfahrens, S. 11. Engelhard, Ist eine große Strafprozeßreform notwendig? FS für Kurt Rebmann, S. 53 f. 25 So: LR/Rieß, §§ 1- 71, 25. Auflage, Ein!. Abschn. E Rdnr. 189. 26 Rieß , Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar[ Schäfer, S.l56. 23
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111. Einfluß des materiellen Strafrechts Strafrecht und Strafprozeßrecht stehen in einer unlösbaren Wechselwirkung. Das materielle Strafrecht umschreibt die Straftat, ihre Voraussetzungen und die Reaktionsmöglichkeiten. Nur kann ohne Strafprozeß keine Rechtsfolge ausgesprochen werden. Es ist daher richtig, wenn gesagt wird, daß erst der Strafprozeß das Strafrecht zur Geltung bringt 1• Das bedeutet dann aber auch, daß die Strafprozeßordnung auf das materielle Strafrecht ausgerichtet sein muß. Die tragenden Gesichtspunkte des Strafgesetzbuches müssen ebenso wie die der Strafprozeßordnung jeweils ihren Widerhall finden. Aufgrund des so bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses haben auch die Änderungen im materiellen Strafrecht Einfluß auf das Strafprozeßrecht.
1. Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871, das für seine Zeit ein modernes Strafgesetzbuch war und zudem die Forderungen des liberalen Rechtsstaates nach genauen Tatbestandsbeschreibungen erfüllte, sah den Strafzweck nur in Vergeltung und Sühne für begangenes UnrechrZ. Es handelte sich daher um ein reines Tatstrafrecht, wonach sich die Sanktion nur als Antwort auf die Einzeltat und nicht auf die gesamte Lebensführung des Täters oder die von ihm künftig zu erwartenden Gefahren verstand. Damit stand das Reichsstrafgesetzbuch völlig unter dem Einfluß der klassischen Schule. Bald nach Schaffung des Reichsstrafgesetzbuches setzten jedoch, gerade wegen dieser als Mangel empfundenen Beschränkung der Straffunktion auf die Vergeltung, auch hier Reformbestrebungen ein.
2. Das geltende Strafrecht Der Verfassungsgrundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege macht deutlich, daß die Entwicklung eines Tatstrafrechts eher begünstigt wird als die eines Täterstrafrechts, wo die Strafe an die Gefährlichkeit und Persönlichkeit des Täters geknüpft wird. 1 2
Peters, Der neue Strafprozeß, S. 17. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, §9, 1, a.
72
III. Einfluß des materiellen Strafrechts
Diese Aussage findet ihre Rechtfertigung darin, daß Handlungsbeschreibungen und Straftaten dem Bestimmtheilsgrundsatz eher gerecht werden als Strafbestimmungen, die auf "ein dauerndes kriminogenes Merkmal in der Person des Taters" 3 oder "das menschliche So-Sein der zu strafenden Persönlichkeit" 4 abstellen und Art und Ausmaß der Sanktion danach bemessen. Eine Rechtsordnung, die auf liberalrechtsstaatliehen Grundsätzen ruht, wird daher immer eher zum Tatstrafrecht neigen. Andererseits drängen die seit v. Liszts Zeiten im deutschen Strafrecht starken spezialpräventiven Strömungen der sog. modernen Schule in die Richtung des Täterstrafrechts. Dabei hängt es mehr von der Persönlichkeit des Delinquenten als von der konkreten Tat ab, welche Einwirkung auf ihn zur Verhütung künftiger Straftaten erforderlich ist 5 • So kommt es, daß das Tatstrafrecht unter der Geltung des Strafgesetzbuches zwar nie aus den Angeln gehoben worden ist, es sich aber stets mit täterstrafrechtlichen Einflüssen auseinanderzusetzen und sie zu integrieren hatte. Starke Einflüsse eines spezialpräventiven Täterstrafrechts finden sich in unserem heutigen Strafrecht bei der Strafaussetzung zur Bewährung(§§ 56-58 StGB), deren Zubilligung größtenteils von einer Prognose des künftigen Täterverhaltens abhängt, bei der nach dem Wortlaut des Gesetzes vor allem die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben und seine Lebensverhältnisse zu berücksichtigen sind. Ähnliches gilt für die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§59 StGB) und- wenn auch in geringem Maß- für das Absehen von Strafe(§ 60 StGB). Ebenso sind die Maßregeln zur Besserung und Sicherung(§§ 61 ff. StGB), die erstmals durch das Gewohnheitsverbrechergesetz 1933 in das Rechtsfolgensystem des Strafgesetzbuches eingefügt wurden, als rein präventive Maßnahme eine Frucht täterstrafrechtlichen Denkens.
3. Konsequenzen für den Strafprozeß Es bleibt damit insgesamt festzuhalten, daß im Prinzip das Schuldstrafrecht geblieben ist, aber wesentliche Gewichtsverschiebungen stattgefunden haben. Der Gedanke der reinen Schuldvergeltung ist jedenfalls zugunsten spezialpräventiver Zielsetzungen zurückgedrängt worden. Auf der Basis des Zweckgedankens ist ein System beweglicher Reaktionen geschaffen worden, das eingehende Feststellungen zur Person des Täters und zur Prognose erforderlich macht. Das zieht vom Ermittlungsverfahren bis zur Hauptverhandlung und dem System der nachträglichen Entscheidungen tiefgreifende Veränderungen im Prozeß nach sich. Das bisherige Strafverfahren ist überwiegend retroWelzel, Strafrecht § 17 I (1969). Bocke/mann, Wie würde sich konsequentes Täterstrafrecht auf ein neues Strafgesetzbuch auswirken? Materialien zur Strafrechtsreform, Band I, S. 29. 5 Roxin, Strafrecht AT Band I, § 6 Rdnr. 2. 3
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3. Konsequenzen für den Strafprozeß
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spektiv angelegt, auf eine sorgfaltige Rekonstruktion in der Vergangenheit liegender Taten ausgerichtet, für die ein gerechter Schuldausgleich gefunden werden muß. Die Verfahrensstruktur ist noch weitgehend vom Vergeltungsgedanken beherrscht. Das zeigt sich in Umfang und Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ebenso wie in dem Zeremoniell der Verhandlung, der baulichen Gestaltung der Sitzungssäle, der Sitzanordnung der Beteiligten und der Sprache während der Verhandlung 6 • Zu beachten ist jedoch, daß in einem mehr spezialpräventiv orientierten Prozeß die Gewichte vom Ermittlungsverfahren bis zur Hauptverhandlung anders gesetzt werden müssen als in einem vom Prinzip reiner Schuldvergeltung beherrschten. Da das materielle Strafrecht nur über das Verfahrensrecht verwirklicht werden kann, bleiben seine Akzentverschiebungen ohne entsprechende Verfahrensreform auf der Strecke. Es mangelt nicht an Vorschlägen in diesem Bereich der Anpassung an das Strafgesetzbuch. So hatte beispielsweise schon 1980 der Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrerarbeitsgruppe den Entwurf eines Verfahrens mit nichtöffentlicher Hauptverhandlung vorgelegt 7• Vorgeschlagen wurde hier für die kleine und mittlere Kriminalität bei geständigem Beschuldigten ein vereinfachtes Hauptverfahren, konzentriert auf die richtige Auswahl einer effektiven, also rückfallverhindernden Rechtsfolge. 1985 folgte ein weiterer Vorschlag, der ebenfalls dazu dienen sollte, im Prozeßrecht die Entwicklung des materiellen Strafrechts nachzuvollziehen und zu einer besseren Beurteilung der jeweils nützlichsten Rechtsfolge zu gelangen. Dabei wurde wieder ein Vorschlag zurReformierungder Hauptverhandlung unterbreitet 8 . Deutlich wird, daß auch die Veränderungen im materiellen Strafrecht Veränderungen im Strafprozeßrecht erforderlich machen9 • Allerdings wäre es mit einer Anpassung der Strafprozeßordnung an das Strafgesetzbuch allein nicht getan. Eine Gesamtreform müßte sich bemühen, auch die Probleme zu lösen, die schon seit längerer Zeit diskutiert werden und die die prozessuale Praxis belasten. Es bleibt daher eine Gesamtreformierung des Strafprozeßrechts zu fordern, über deren Notwendigkeit in der Wissenschaft im Prinzip Konsens besteht.
Schreiber, Strafprozeß und Reform, S. 23 f. Alternativ-Entwurf, Novelle zur Strafprozeßordnung, Strafverfahren mit nichtöffentlicher Hauptverhandlung, 1980. 8 Alternativ-Entwurf, Novelle zur Strafprozeßordnung, Reform der Hauptverhandlung, 1985. 9 So auch: Schreiber/Wassermann, Gesamtreform des Strafverfahrens, S. 12; Rieß, Pro1egma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 162; AK!Schreiber, Einl.I Rdnr.20; Baumann, Forum: Wie reformbedürftig ist die StPO? JuS 1987, S.682. 6 7
IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens Nun stellt sich die Frage, welchen Beitrag diese Arbeit im Hinblick auf die erforderliche Reformierung des Strafprozesses leisten kann und will. Über die Art, wie die Gesamtreform zu bewerkstelligen und wie sie aus der Sicht einer wissenschaftlich orientierten Rechtspolitik zu fördern ist, besteht keine Einigkeit. Da alle neueren Reformbemühungen am Anfang stehen und noch nicht zu endgültigen Ergebnissen geführt haben, kann es nicht, wie eingangs bereits erwähnt, Ziel dieser Arbeit sein, fertige Gesetzgebungsvorschläge zu unterbreiten. Wie stets bei Reformen kommt es auch bei der Neugestaltung des Strafprozesses darauf an, die Schlüsselprobleme zu benennen und gegebenenfalls neu zu formulieren. Allein deren Anzahl ist beträchtlich, und Darstellung und Diskussion eines jeden von ihnen würde den Umfang einer einzelnen Arbeit sprengen. Die Liste der Reformwünsche reicht von der Reform der Untersuchungshaft über Verbesserungen der Beschuldigtenposition im Ermittlungsverfahren und die Neubestimmung der Rollenverteilung im Hauptverfahren bis zu der wissenschaftlich fast unbestrittenen Zweiteilung der Hauptverhandlung durch ein Schuldinterlokut, zur Reform der Wiederaufnahme und der Beteiligung des Verletzten am Strafverfahren sowie einer Überprüfung des strafprozessualen Kostenrechts, ohne hierbei auch nur annähernd alle zur Diskussion stehenden Vorschläge angesprochen zu haben. Ein Grund dafür, daß keiner der zentralen Reformvorschläge in der gesetzgebensehen Praxis bislang Beachtung gefunden hat, ist dabei mit Sicherheit, daß sie sich nicht ohne weiteres unter eine der bereits dargestellten Haupttendenzen der bisherigen Novellengesetzgebung einordnen lassen 1• Von entscheidender Bedeutung ist aber vor allem die große Komplexität der meisten dieser Forderungen. Sie bringen sehr verwickelte Implikationen für das leicht aus dem Gefüge zu bringende System des Strafverfahrens mit sich, kaum eine von ihnen kann allein in einem Teilbereich verwirklicht werden 2• Interessant ist der Hinweis des Arbeitskreises Strafprozeßreform, daß weitere Verbesserungen im Recht der Verteidigung inhaltlich erst festgelegt werden können, wenn über die Reform der Verfahrensabschnitte, in denen sie wirksam sind, Klarheit besteht 3 • Der für den Fortgang und die Realisierung dieser Projekte 1 Rieß, Über die Beziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, ZStW 95 (1983), S.551. 2 Rieß, Über die Beziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, ZStW 95 (1983), S.551. 3 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, Gesetzentwurf mit Begründung, S. 87.
IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
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notwendige planensehe Gesamtrahmen und die Bereitschaft, die Ressourcen der Strafrechtspflege aufzustocken, ist bislang nicht vorhanden•. In jüngster Zeit scheint sich allerdings die Erkenntnis durchzusetzen, daß "der Justiz und ihrem Ansehen die Modemisierungsverweigerung in wichtigen Bereichen nicht gut getan" 5 hat. Wie sich aus den Schlußfolgerungen aus dem geschichtlichen Rückblick ergibt, hat sich die Strafprozeßnovellierung bislang stark an Augenblicksbedürfnissen und Formalzielen orientiert. Um aus der Ausrichtung an diesen Notwendigkeiten des Augenblicks herauszukommen, wäre es erforderlich, eine auch für den Gesetzgeber interessante Gesamtperspektive zu entwickeln. Sie nämlich könnte Maßstäbe für die Einordnung und Bewertung von Teilkonzeptionen bieten, und an ihr müßten sich Forderung und Kritik messen lassen. Obwohl hierfür der in Systemzusammenhängen denkenden, d. h. an der Entwicklung übergreifender Perspektiven und problemorientiert arbeitenden Wissenschaft, die nicht notwendig an Gesetz und Augenblicksbedürfnissen orientiert sein muß, eine Führungsrolle zukommt, ist von ihrer Seite noch kein fertiges Gesamtkonzept erstellt worden 6 • Ohne Ausarbeitung eines solchen Konzeptes wird man sich dem Vorwurf stellen müssen, sich derselben zweifelhaften Methode zu bedienen, die man dem Gesetzgeber bei seinen Reformversuchen gerade vorwirft, nämlich der Teilnovellierung ohne Rücksicht auf übergreifende Zusammenhänge und ohne hinreichende Gesamtkonzeption7. Aber nicht nur wegen der kaum zu bewältigenden Komplexität dieser Aufgabe, sondern auch aufgrund der Erkenntnis, daß Reform ein Prozeß ist, der von Stufe zu Stufe fortschreitet 8 und sich erst allmählich entwickelt, soll es hier ohne Rücksicht auf den Rahmen eines Gesamtkonzepts bei der Vorstellung der wichtigsten Reformanliegen im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren bleiben. Außerdem ist bei der Frage, ob ein Gesamtentwurf oder die Beleuchtung von Teilaspekten angebracht ist, die Gefahr nicht zu unterschätzen, daß jeder Teilvorschlag mit dem Hinweis auf die fehlende Abstimmung in einem Gesamtkonzept zurückgewiesen wird und jedem - dann notwendig relativ abstrakten - Gesamtkonzept die fehlende Detaillierung hinsichtlich der speziellen Abschnitte vorgehalten wird. Die Auffassung, wonach Reform darin besteht, einen möglichst perfekten Plan auszuarbeiten und diesen dann so, wie er ist, in Gesetzgebung umzusetzen, ist zu4 Rieß , Über die Beziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, ZStW 95 (1983), S.552. 5 Däubler-Gmelin, Überlegungen zur Reform des Strafprozesses, StV 2001, S. 359. 6 So: Rieß, Über die Beziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, ZStW 95 (1983), S. 558. 7 Rieß, Über die Beziehung zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, ZStW 95 (1983), S. 561 , Engelhard, Ist eine große Strafprozeßreform notwendig?, FS für Kurt Rebmann, S. 53; Schünemann, Reflexionen über die Zukunft des deutschen Strafverfahrens, FS für Gerd Pfei.ffer, S.46l ; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S.lOf.; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 180. 8 Schreiber/Wassermann, Gesamtreform des Strafverfahrens, S. XIII.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
dem nicht offen für den Reiz des Nicht-Perfekten, der durchaus Grundlage und Anstoß für weitere Diskussionen sein kann und dies auch sein soll 9. Daraus ergibt sich das Ziel dieser Arbeit. Sie soll trotz der durchaus berechtigten Feststellung, daß die Reform einzelner Abschnitte der Strafprozeßordnung nur im Kontext einer Gesamtreform sinnvoll ist, ausschließlich die Haupttendenzen der Reformbemühungen hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens aufzeigen und somit einen Beitrag zur Diskussion um die Reform des Strafprozeßrechts leisten. Bevor mit der Erörterung der einzelnen Reformvorschläge begonnen werden kann, stellt sich die Frage, warum hier gerade die Reform des Ermittlungsverfahrens behandelt werden soll. Es könnte durchaus naheliegender erscheinen, die Reform der Hauptverhandlung in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen, da die Hauptverhandlung herkömmlicherweise als "Kernstück und Höhepunkt des gesamten Strafprozesses" 10 bezeichnet wird. In ihr werden nach den Grundsätzen der Unmittelbarkeit, Mündlichkeil und Öffentlichkeit die Entscheidungen des Gerichts vorbereitet und die Beweismittel vorgeführt. Das Urteil fallt auf der Grundlage dieser Hauptverhandlung. Das Ermittlungsverfahren sah die Strafprozeßordnung ursprünglich, wie es heute noch in der Überschrift des zweiten Abschnittes des zweiten Buches "Vorbereitung der öffentlichen Anklage" zum Ausdruck kommt, allein auf die Entscheidung über die Anklage oder die Einstellung des Verfahrens ausgerichtet. Nach der Konzeption der Strafprozeßordnung aus dem Jahre 1877 sollte das Ermittlungsverfahren lediglich ein vorbereitendes Verfahren mit der Bedeutung einer Stoffsammlung sein. Grundsätzlich sollten die im Ermittlungsverfahren getroffenen Feststellungen nicht in das Hauptverfahren hineinwirken, sondern dort sollte ein selbständiges Beweisverfahren von vorne beginnen. Für diese Konzeption der Strafprozeßordnung ist es konsequent, die Abwehr- und Verteidigungsrechte in einem lediglich vorbereitenden Verfahren gering zu halten und sie in die Hauptverhandlung, dem eigentlichen Ort der Feststellung von Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu verweisen. Trotz des Ausbaus der Beschuldigtenrechte durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 hat der Gesetzgeber die Grundstruktur der Strafprozeßordnung 1877 weitgehend beibehalten 11 • Nachdem das frühere Institut der gerichtlichen Voruntersuchung durch das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9.12.1974 abgeschafft wurde, liegen nunmehr Tataufklärung, Ermittlung des Sachverhalts und Entscheidung über die Anklageerhebung allein in der Hand des Staatsanwalts. Dieser Ausbau der staatsanwaltschaftliehen Kompetenzen hat die ursprüngliche Struktur des Ermittlungsverfahrens verändert. Es wurde in zunehmendem Maße in die alleinige 9 Vgl. Salditt: "Wirkliche Reformen entstehen aus Streit- in einer offenen Gesellschaft werden sie weder gewährt noch entgegengenommen", Eckpunkte- Streitfragen des partizipatorischen Strafprozesses, StV 2001, S. 314. 10 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42 Rdnr. I . 11 Müller, Bemerkungen zu den Grundlagen der Reform des Ermittlungsverfahrens, AnwBI. 1986, s. 51.
IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
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normative Verantwortung der Staatsanwaltschaft übertragen, der dazu parallel zusätzliche Ermittlungskompetenzen eingeräumt wurden. Die Vorstellung, daß der eigentliche "richtige" Strafprozeß erst mit der Erhebung der öffentlichen Klage beginnt, ist jedoch die traditionelle Sichtweise der rechtswissenschaftliehen Reformdiskussion. Diese hat meist das gerichtliche Verfahren und hierbei besonders die Hauptverhandlung erster Instanz zum Thema gehabt, wie auch der erste breiter angelegte Alternativentwurf zum Strafverfahren, für den die Reform der Hauptverhandlung "das Zentrum aller Reformerörterungen" darstellt, und der meint, solange die in diesem Bereich anstehenden Probleme nicht gelöst seien, könnten die zahlreichen sonstigen, zweifellos notwendigen Reformen nicht angegangen werden 12• Dabei ist eine Betrachtung des Strafverfahrens mit der Hauptverhandlung als dem Höhepunkt des gesamten Strafprozesses heute keineswegs mehr selbstverständlich, denn die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens hat sich inzwischen wesentlich verändert. Dem Ermittlungsverfahren kommt nicht mehr nur die Funktion einer vorbereitenden Stoffsammlung zu, es entfaltet vielmehr eine prägende und bestimmende Wirkung für den Verfahrensablauf in der Form, daß die entscheidenden Weichen für das Ergebnis der Hauptverhandlung bereits im Ermittlungsverfahren gestellt werden. Es ist heute Allgemeingut der empirischen Strafprozeßlehre, daß Fehler im Ermittlungsverfahren häufig entscheidende Auswirkungen auf das Verfahrensergebnis haben und im Verlaufe der Hauptverhandlung nicht mehr korrigiert werden können13. Exemplarisch hat die Untersuchung von Peters über das Fehlurteil im Strafprozeß gezeigt, in welchem Umfang Ermittlungsfehler im Vorverfahren Fehlurteile hervorrufen können 14• Die Entscheidung über die Anklageerhebung am Ende des Ermittlungsverfahrens auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen bedeutet angesichts der relativ geringen Freispruchsquote im gerichtlichen Verfahren eine hohe Wahrscheinlichkeit, auch verurteilt zu werden. Andererseits entscheidet die Einstellung im Ermittlungsverfahren - die Einstellungsquote hat inzwischen einen Umfang von über 70% erreicht - in der überwiegenden Zahl auch über die Nichtdurchsetzung des materiellen Strafrechts 15 • In den letzten eineinhalb Jahrzehnten hat sich die Anklagerate halbiert. Derzeit wird nur noch in etwa jedem vierten anklagefähigen Ermittlungsverfahren auch Anklage erhoben. Der Anstieg der polizeilich registrierten und aufgeklärten Kriminalität der letzten Jahre wurde damit nicht an die Gerichte zur Aburteilung weitergegeben, sonAlternativ-Entwurf, Novelle zur StPO- Reform der Hauptverhandlung, 1985, S. 2. Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S.208. 14 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, 3 Bände 1970-1974, vgl. insbes. Band II, S.l94ff. 15 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S.208. 12
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
dem von der Staatsanwaltschaft aufgefangen. Im Jahr 1997 wurden von allen Einstellungsentscheidungennur 15% durch ein Gericht getroffen 16• Hinzu kommt die Annahme, daß angesichts dieser Reduktion des für die Hauptverhandlung und in der Hauptverhandlung für das Urteil verbleibenden Stoffes, Kommunikationsvorgänge im Sinne von Vereinbarungen eine große Rolle spielen. Angesichts des weitgehend bestimmenden Charakters des Vorverfahrens für das Ergebnis des gesamten Strafverfahrens wird man bei einer Reformperspektive nun nicht mehr vom traditionellen Verständnis der Hauptverhandlung als Höhepunkt des Strafprozesses auszugehen haben, sondern einen Reformansatz ins Auge fassen müssen, bei dem Erledigungen vor dem gerichtlichen Verfahren und außerhalb der Hauptverhandlung als selbständig und gleichgewichtig angesehen werden. Damit liegt dann der Schwerpunkt im vorbereitenden Verfahren und außerhalb der Hauptverhandlung, deren Reform bei dieser Sichtweise nicht der Ausgangspunkt, sondern die Folge ist, die schon bei der Reform des Ermittlungsverfahrens im Auge zu behalten ist 17• Andernfalls würden Bedeutung und Gewicht des Ermittlungsverfahrens, die diesem heute in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zukommen, falsch eingeschätzt. Würde man sich dennoch für eine Rückkehr zu der ursprünglichen Konzeption der Strafprozeßordnung entscheiden, so könnte es zwar bei der beinahen Rechtlosstellung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren bleiben, jedoch scheint dies eher eine theoretische Möglichkeit zu sein. Die Verfahrenswirklichkeit und die normativen Veränderungen, welche die Vorschriften über das Ermittlungsverfahren erfahren haben, erlauben es wohl nicht mehr, zu dem alten Bild der Strafprozeßordnung zurückzukehren 18• Aufgrund dieser Überlegungen wird hier die Reform des Ermittlungsverfahrens behandelt, bei der das Reformdefizit derzeit anerkanntermaßen am größten ist. Der Grundgedanke neuerer Reformvorschläge basiert dabei auf der bislang wenig berücksichtigten Erkenntnis, daß es zwei verschiedene Arten von Beschuldigten gibt 19: Die einen kämpfen um einen Freispruch, sei es, daß sie unschuldig sind oder sich dafür halten, sei es, daß sie aus anderen Gründen glauben, durch Ausnutzung aller prozessualen Möglichkeiten die Anklage erschüttern zu können. Die anderen sind von vomherein ganz oder doch im wesentlichen geständig, entweder aus eigenem Antrieb oder infolge der eindeutigen Beweislage. Diese zweite Gruppe ist nicht oder nicht mehr daran interessiert, sich gegen den Schuldvorwurf zu verteidigen, sondern sie möchte aus dem Verfahren trotz Anerkennung der Strafbarkeit so glimpflich wie 16 Heinz, Sank:tionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Rechtsptlegestatistiken, ZStW 111 ( 1999), S. 483. 17 Rieß, Hauptverhandlungsreform - Reform des Strafverfahrens? FS für Karl Lackner, S.989. 18 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar[ Schäfer, S. 184, 190; Taschke, Überlegungen zu einem künftigen Strafprozeß, Neue Justiz 1993, S.201. 19 Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 190.
IV. Ziel dieser Arbeit: Die Refonn des Ennittlungsverfahrens
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möglich herauskommen. Eine Möglichkeit, das zu erreichen, könnte darin bestehen, daß der Beschuldigte die Verantwortlichkeit für die Tat auf sich nimmt und sie nach Kräften wieder gutzumachen versucht. Das Ziel einer günstigen Verfahrensgestaltung verfolgen also beide, der leugnende wie der geständige Angeklagte, aber sie versuchen es auf verschiedenen Wegen zu erreichen, der eine durch Konfrontation, der andere durch Kooperation. Daraus läßt sich der Gedanke ableiten, daß auch die Rechtsordnung für das Ermittlungsverfahren zwei verschiedene Modelle anbieten sollte, ein kontradiktorisches und ein kooperatives 20 • Bei dem kooperativen Verfahren geht es bei vielfach mindergewichtiger Kriminalität vor allem um die sog. Absprachen, die informellen Erledigungsatten und die summarischen Verfahren. Bei einem kontradiktorischen Ermittlungsverfahren, das insbesondere bei gravierender Kriminalität mit Zwangsmaßnahmen verbunden ist, muß der Schwerpunkt bei der Stärkung der Teilhaberechte des Beschuldigten liegen, denn besonders hier ist zu berücksichtigen, daß der Beschuldigte, der um seinen Freispruch kämpfen will, möglicherweise unschuldig ist2 1• Das muß von der Rechtsordnung auf Grund der sog. Unschuldsvermutung auch angenommen werden, die in Art. 6 II der Menschenrechtskonvention enthalten und in der Bundesrepublik geltendes Recht ist. Darauf beruht der Anspruch an die Rechtsordnung auf ein Ermittlungsverfahren, das nicht nur einseitig die Überführung des Schuldigen, sondern ebenso auch die Entlastung des Unschuldigen ermöglicht. Selbst Schuldige sollten durch ein Ermittlungsverfahren nicht mehr belastet werden, als es der Bedeutung der Tat entspricht. Im Hinblick auf diese Gesichtspunkte ist es schon immer als eine Schwäche der deutschen Strafprozeßordnung empfunden worden, daß sie dem Beschuldigten zu wenige Möglichkeiten gibt, sich schon im Vorverfahren gegen die Ermittlungen gegen ihn zur Wehr zu setzen22, sofern er überhaupt von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn erfährt, da das geltende Recht keine Pflicht zur Information des Beschuldigten über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens enthält. Abschließend ist hier noch darauf hinzuweisen, daß das Begriffspaar kooperatives/kontradiktorisches Verfahren nicht als sich ausschließendes Gegensatzpaar verstanden werden soll. Ein kooperativ geführtes Ermittlungsverfahren ist eine taktische und strategische Möglichkeit unter vielen anderen, und wenn die Verteidigung sich auf ein kooperatives Verfahren eingelassen hat, so muß sie doch ohne zusätzliche Risiken zur kontradiktorischen Verhandlungsstrategie zurückkehren können, wenn es für nötig befunden wird. Andererseits kann ein als kontradiktorisch begonnenes Verfahren durchaus in ein kooperatives einmünden. Die beiden Möglichkei20 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßrefonn bis 2007, S. 39; Roxin, Über die Refonn des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 190. 21 Roxin, Über die Refonn des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 190. 22 Roxin, Über die Refonn des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 191; Däubler-Gmelin, Überlegungen zur Refonn des Strafprozesses, StV 2001, S. 360.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Refonn des Ennittlungsverfahrens
ten müssen daher als sich gegenseitig ergänzende Varianten betrachtet werden, die sich nicht gegensätzlich und ausschließlich gegenüberstehen. Aufgrund des eingangs erwähnten Grundsatzes der Unschuldvermutung, der oft als tragender Gedanke der Strafprozeßreform bezeichnet wird, soll hier mit der Darstellung der Hauptinhaltspunkte eines kontradiktorischen Ermittlungsverfahrens begonnen werden. 1. Die Reform der Untersuchungshaft "Die Schlüsselfunktion für das faire Verfahren im Strafprozeß hat die Frage der Untersuchungshaft. Sie prägt und präjudiziert das gesamte nachfolgende Strafverfahren. Die bisher vorherrschende Auffassung, daß ein Strafverfahren nur dann ernst genommen wird, wenn es mit Untersuchungshaft verbunden ist, ist mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens unvereinbar und unhaltbar" 23 •
Diese Worte stammen von Christian Broda und verdeutlichen, warum Überlegungen zur Reform der Untersuchungshaft an den Anfang der Betrachtung gestellt werden. a) Einführung in die Problematik Die Untersuchungshaft stellt als Entzug der persönlichen Freiheit die schärfste verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahme dar, die die Strafprozeßordnung neben den besonderen Haftarten wie der Hauptverhandlungshaft nach§ 127 b StPO, der Sicherungshaft nach § 453 c StPO, der Vollstreckungshaft nach § 457 II StPO und der Ungehorsamshaft nach§§ 230 Il, 236, 239 IV S. 1 StPO zuläßt. Prinzipiell ist der Vollzug der Untersuchungshaft an dem bis zu seiner Verurteilung als unschuldig zu behandelnden Tatverdächtigen als milderer Eingriff gegenüber dem Vollzug von Strafhaft angelegt. § 119 III StPO erlaubt nur solche Beschränkungen, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert. § 119 IV StPO räumt dem Untersuchungsgefangenen ausdrucklieh gewisse Vergünstigungen ein, die sich in der Vollzugswirklichkeit jedoch oft als Scheinprivilegien erweisen 24 • Beispielsweise bleiben die Freizeitangebote und die möglichen Außenkontakte hinter den im Strafvollzug gebotenen Ablenkungen zuriick, und es besteht zwar keine Arbeitspflicht aber auch keine Arbeitsmöglichkeit, so daß als Ergebnnis eine erzwungene Untätigkeit und größere Isolierung eintritt25• Auf der anderen Seite bringt die Sonderstellung des Untersuchungshäftlings mit sich, daß behandlungsorientierte MaßBroda, in: Schreiber/Wassermann, Gesamtrefonn des Strafverfahrens, S. 214 f. Seebade, Der Vollzug der Untersuchungshaft, S. 39. 25 Jehle, Untersuchungshaft zwischen Unschuldsvennutung und Wiedereingliederung, S.l80f. 23 24
1. Die Reform der Untersuchungshaft
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nahmen -jedenfalls bei Erwachsenen - unzulässig sind und daher eine auf aktive Resozialisierung angelegte Vollzugskonzeption weitgehend ausgeschlossen erscheint und die Untersuchungshaft mehr oder weniger zum bloßen Verwahrvollzug herabsinkt. Neben besonderen Nachteilen wie der psychischen Belastung insbesondere durch die Ungewißheit über den Verfahrensausgang und die Dauer der Haft, bringt die Untersuchungshaft aber auch die Gefahr schädlicher Beeinflussung durch erfahrene Mitgefangene mit sich. Dies erscheint kriminalpolitisch um so bedenklicher, als nur rund die Hälfte aller Untersuchungsgefangenen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird 26 , und die restlichen Untersuchungsgefangenen nur durch die Untersuchungshaft mit der Gefangniskultur in Berührung kommen. Angesichts dieser Situation ist es nicht erstaunlich, daß die strafprozessualen Vorschriften, die die Zulässigkeit der Untersuchungshaft regeln und daneben die Praxis der Haftanordnung, stets besonderer Aufmerksamkeit und Kritik unterlagen und auch heute noch unterliegen. Während der Vollzug erst in den letzten Jahren verstärkte Beachtung erfahren hat, ist die Kritik an den verfahrensrechtlichen Haftvoraussetzungen und ihrer Handhabung keineswegs neu. So fand sich der umfassende Vorwurf, in der Bundesrepublik werde zu viel und zu schnell verhaftet, der zu Beginn der 80er Jahre besonders durch Veranstaltungen und Veröffentlichungen der Anwaltschaft 27 in die Medien und in die öffentliche Diskussion gerückt wurde, schon viel früher. Alsberg publizierte im Jahre 1925 sein Referat "Die Untersuchungshaft" und befand sich mit seiner Kritik: "Die Klagen über eine zu häufige Anwendung der Untersuchungshaft kommen nicht nur aus Preußen, sie kommen aus dem ganzen Reich" in bester Gesellschaft von Rosenberg, Kohlrausch und v. Lilienthals, die ebenfalls durchgreifende Reformen in der Untersuchungshaft forderten 28 • Der mit dieser Behauptung verbundenen Forderung nach Einschränkung und strengerer Überprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Untersuchungshaft ist in jüngerer Zeit immer wieder vor allem seitens der Justiz und der Polizei die Ansicht entgegengesetzt worden, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege und der Schutz der Bevölkerung erforderten ein weitergehendes Haftrecht, wobei teilweise, ohne empirischen Nachweis eines Kausalzusammenhanges, erfolgte Liberalisierungen des Haftrechts für ansteigende Kriminalität verantwortlich gemacht wurden; diese Dichotomie ist prägend für die derzeitige rechtspo26 Heinz, Sanktionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Rechtspflegestatistiken, ZStW 111 (1999), S. 497. 27 Vgl.: Stab, Forum des Deutschen Anwaltvereins: Recht der Untersuchungshaft, NJW 1983, S.l039; Brüssow, Mitteilungen DAV-Forum zum Recht der Untersuchungshaft, AnwBI. 1983, S. 115; ders., Arbeitsgemainschaft "Deutsche Strafverteidiger e.V.", AnwBI. 1984, S. 34; Jung!Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, S. 193 f. ; Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981), S.452ff.; Hassemer, Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft, StV 1984, S. 38. 28 Alsberg, Die Untersuchungshaft, JW 1925, S.1436.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
litische Diskussion 29 • Bevor jedoch näher auf die gegenwärtige Reformdiskussion eingegangen wird, sollen zunächst die wichtigsten normativen Maßstäbe für das Recht der Untersuchungshaft dargestellt werden, um mögliche Kriterien für die Beurteilung der verschiedenen Vorschläge und Argumente zu gewinnen.
b) Legitimation der Untersuchungshaft Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verdeutlicht, daß an Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft aus rechtsstaatliehen Gründen hohe Anforderungen zu stellen sind. Von jeher hat das Bundesverfassungsgericht bereits die Anordnung von Untersuchungshaft als besonders einschneidenden Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit aus Art. 2 II S. 2 GG charakterisiert30. Der besonders hohe Rang dieses Grundrechts, der ihm von der Verfassung beigemessen wird, kommt dabei nicht nur durch seine Stellung am Anfang des Grundrechtskataloges, sondern auch durch die ausdrückliche Bezeichnung als "unverletzlich" zum Ausdruck. Danach stellt Freiheitsentziehung durch Einschließung in einer Haftanstalt ein Übel dar, das in einem Rechtsstaat grundsätzlich nur demjenigen zugefügt werden darf, der wegen einer gesetzlich mit Strafe bedrohten Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist. Dementsprechend hält es das Bundesverfassungsgericht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen für zulässig, diese Maßnahme gegen einen lediglich Verdächtigten zu ergreifen, nämlich dann, wenn "überwiegende Belange des Gemeinwohls dieses gebieten"31. Zu diesen rechnet es auch "die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung", weist aber auch darauf hin, daß dem verfolgten Zweck stets der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegenzuhalten ist, so daß im Einzelfall nur die zur Erreichung dieses Zwecks unerläßliche Freiheitsentziehung gerechtfertigt werden kann 32• Besondere Bedeutung erhält der bereits erwähnte Umstand, daß der verdächtige Beschuldigte nach der in Art. 6 II MRK kodifizierten und vom Bundesverfassungsgericht schon aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Unschuldsvermutung grundsätzlich als unschuldig behandelt werden muß. Daraus ergeben sich vor allem Konsequenzen für die Zwecke, die mit der Untersuchungshaft verfolgt werden dürfen. Eine Rechtfertigung der Untersuchungshaft kann danach jedenfalls nicht an eine vorweggenommene Schuldfeststellung anknüpfen, Ziele des materiellen Strafrechts dürfen grundsätzlich nicht verfolgt werden 33 • Den Ausgangspunkt bei der Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 4. Vgl. nur BVerfGE 19, 342 (347f.). 31BVerfGE35, 185 (190); 36, 264 (269). 32 BVerfGE 19,342 (347); 35, 185 (190); 20,45 (49); 20, 144 (147); 36,264 (269f.); 53, 152 (158f.). 33 BVerfGE 19,342 (348). 29
3°
l. Die Reform der Untersuchungshaft
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Frage nach den legitimen Haftzwecken bildet die Überlegung, daß der Staat, der das Gewalt- und Strafverfolgungsmonopol für sich beansprucht, auch die ordnungsgemäße Durchführung von Strafverfahren gewährleisten muß. Daher sieht das Bundesverfassungsgericht die Untersuchungshaft als zulässig an, wenn sie sich zur Sicherung des "legitimen Anspruchs der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters" als unerläßlich erweist34. Aus diesem allgemein anerkannten Zweck lassen sich so zur Sicherung der Anwesenheit des Beschuldigten die Haftgründe der Flucht und Fluchtgefahr rechtfertigen. Der genannte Zweck legitimiert aber auch den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, da dieser sich gegen die Störung oder Verhinderung einer ordnungsgemäßen Tatsachenermittlung durch rechtlich mißbilligte Einwirkungen auf Beweismittel richtet und damit gleichfalls die ordentliche Durchführung des Verfahrens gewährleistet 35 . Im Gegensatz dazu läßt der Haftgrund des § 112 III StPO keinen Bezug zur Verfahrens- und Vollstreckungssicherung erkennen. Die Kritik an dem Haftgrund der Schwere der Tat geht in neuerer Zeit so weit, daß die Streichung dieser Vorschrift gefordert wird 36• Einen weiteren Kritikpunkt bildet der Haftgrund der Wiederholungsgefahr, dessen Legitimität als Haftgrund ebenfalls nicht offensichtlich ist, denn auch er läßt sich nicht auf den vornehmliehen Zweck und eigentlichen Rechtfertigungsgrund der Untersuchungshaft zurückführen, sondern dient erkennbar einer präventiven Zielsetzung. Gerade an dieser Stelle setzen die Bedenken gegen diesen Haftgrund an. Er wird als Fremdkörper im System der Haftvoraussetzungen angesehen und als eine Art Sicherungshaft betrachtet, die gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstößt. Aus diesen Gründen wird ebenfalls seine Abschaffung gefordert 37 • Zusammen mit§ 112 III StPO wurde jedoch auch dieser- zunächst auf einige Sexualdelikte beschränkte - Haftgrund bald nach seinem Inkrafttreten geprüft und für verfassungsgemäß erklärt 38 . Herausragende Bedeutung für die Zulässigkeil auch der anerkannten und unbestrittenen Haftzwecke besitzt der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Im Hinblick auf die Unschuldsvermutung darf die Untersuchungshaft nur angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn sie im Fall eines BVerfGE 19, 342 (348); 20, 45 (49); 20, 144 (147). Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 12. 36 Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) S. 483 f.; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S. 33; Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S.l60; Schloth, Die Haftgründe der Wiederholungsgefahr und der Schwere der Tat, S. 208. 37 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 30 Rdnr. 14; Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) S.484; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S. 34. 38 BVerfGE 19, 342 (350); 35, 185 (190ff.). 34
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Freispruchs bei einer Betrachtung ex post als gerade noch zurnutbares "Sonderopfer angesehen werden kann" 39 • Das Gesetz trägt dem durch ein abgestuftes System von Regelungen Rechnung. § 112 I S. 2 StPO erklärt schon die Anordnung der Untersuchungshaft für unzulässig, wenn sie zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Rechtsfolge außer Verhältnis steht. Eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet sich in der Beschränkung der Haftzulässigkeil bei Bagatelldelikten durch § 113 StPO. In § 112 a I S. 1 StPO erfolgt eine zusätzliche Konkretisierung durch das Erfordernis von mehr als einem Jahr für die auf Wiederholungsgefahr nach § 112 a I Nr. 2 StPO gestützte Haft. Eine "namentliche" Aufzählung möglicher Ersatzmaßnahmen enthält§ 116 StPO, der zwar den Erlaß eines Haftbefehls gestattet, aber dessen Außervollzugsetzung gebietet, wenn dem angenommenen Haftgrund durch weniger einschneidende Maßnahmen entgegengetreten werden kann. Neben ihrer Begrenzungsfunktion bei der Anordnung der Untersuchungshaft stellt die Verhältnismäßigkeit schließlich das bedeutendste Kriterium für die zulässige Haftdauer dar40 • Gesetzliche Vorgaben finden sich insoweit in§ 121 StPO, der die Untersuchungshaft grundsätzlich auf eine Zeitspanne von sechs Monaten begrenzt, allerdings i.V. m. § 122 StPO eine Verlängerungsmöglichkeit für bestimmte Fälle einräumt, und in § 122 a StPO, der für die auf Wiederholungsgefahr gestützte Haft eine absolute Höchstgrenze von einem Jahr festsetzt. Daneben ist gern. § 120 I S. 1 StPO ständig zu überprüfen, ob die Haftfortdauer gegenüber der zu erwartenden Rechtsfolge noch verhältnismäßig ist. Weitere Maßstäbe hierfür liefert das Gesetz jedoch nicht. Neben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lassen sich dem Grundgesetz schließlich noch andere Anknüpfungspunkte für die Untersuchungshaft entnehmen. So verlangt etwa der gleichfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz des fairen Verfahrens, daß der Anordnung belastender Maßnahmen eine sorgfältige Prüfung ihrer Voraussetzungen und daher notwendigerweise gründliche Ermittlungen bezüglich der zugrundeliegenden Umstände vorauszugehen haben 41 • Als weitere Gesichtpunkte sind vor allem der Grundsatz der Menschenwürde und das Soziaistaatsprinzip zu nennen. Die in Grundzügen dargestellten normativen Maßstäbe können zwar nicht ohne weiteres für die Bewertung der verschiedenen Problembereiche herangezogen werden, teilweise liefern sie jedoch gerade selbst den Anlaß für Kritik am geltenden Recht.
39 BVerfGE53, 152 (162); dazu auch: Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S.32. 40 BVerfGE20, 45 (49); 20, 144 (148); 19, 342 (347, 349); 36, 264 (270); 53, 152 (158f.). 41 BVerfGE70, 297 (309ff.); 57, 250 (274f.).
1. Die Reform der Untersuchungshaft
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c) Situationsanalyse Obwohl sich die Situation der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Vergleich nach den Erkenntnissen von Gebauer erkennbar verbessert hat, was er zum einen Teil durch eine Zunahme der Untersuchungshaft in anderen Ländern erklärt und zum anderen auf intensive kritische Diskussion der letzten Jahre zurückführt42, gibt die gegenwärtige Lage noch breiten Raum für Kritik und daraus resultierende Reformbemühungen. Die heute vorliegenden Statistiken weisen eindeutig aus, daß in mehr als der Hälfte aller Fälle, in denen Untersuchungshaft angeordnet worden ist, später keine zu vollstreckende Freiheitsstrafe verhängt worden ist43 • Die Zahl der Fälle, in denen Bürger zu Unrecht Freiheitsentzug hinnehmen müssen, liegt zudem erheblich höher, als dies die amtlichen Statistiken ausweisen, denn jene erfassen nur die Fälle, in denen das Strafverfahren vor ein Gericht gelangt. Ermittlungsverfahren, in denen Untersuchungshaft verhängt wurde, die aber von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden, finden keinen Eingang in die Statistik44 • Das Bundesjustizministerium gibt die Zahl dieser Fälle mit etwa I 0 bis 20 % aller Untersuchungshaftfälle an 45 , die Untersuchung von Geiter, der die Untersuchungshaft exemplarisch am Beispiel von Nordrhein-Westfalen erforscht hat, kommt auf knapp 7% Einstellungsquote46• Der Vorwurf einer mitunter vorschnellen Verhaftungspraxis findet darin eine gewisse Stütze. Auch läßt sich anband der amtlichen Statistiken erkennen, daß das gegenwärtige Absinken der Haftzahlen, ohne daß man jedoch von einer konkreten Rückläufigkeit sprechen könnte, einhergeht mit einem Trend zu längerer Haftdauer, während die Verfahrensausgänge als auch die Haftdauer wiederum einen starken Zusammenhang mit den Anlaßdelikten für den Haftbefehl aufweisen47 • Dabei stellt sich die Schwerstkriminalität erwartungswidrig keineswegs als beherrschend für die Untersuchungshaftfälle dar. Die quantitativ wichtigste Gruppe findet sich vielmehr in den Eigentums- und Vermögensdelikten und darunter vor allem beim schweren Diebstahl 48 • Verbrechen lagen z. B. nur rund einem Fünftel der von Gebauer untersuchten Fälle zugrunde, wobei in mindestens 10% der Fälle die Anlaßdelikte sogar nur im Bagatellbereich angesiedelt waren. Gemessen am abstrakten Strafrahmen erreichten 18 % nicht einmal die Schwere des vollendeten einGebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 370. Strafverfolgung 1995, Arbeitsunterlage des Statistischen Bundesamtes, S. 318 f.; Heinz, Sanktionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Rechtspflegestatistiken, ZStW 111 (1999), S.497. 44 Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. 152. 45 Presseerklärung des DAV vom 23.6.1988 S. 1 f. 46 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfa1en, S. 222. 47 Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 371. 48 Strafverfolgung 1995, Arbeitsunterlage des Statistischen Bundesamtes, S. 318 f. 42
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
fachen Diebstahls. Bei der Studie von Gebauer zeigte sich ferner, daß in besonders geringfügigen Fällen, in denen schon die niedrige Tatschwere an sich eher gegen die Haftanordnung sprechen würde, gegenüber der ohnehin für Haftsachen typischen negativen persönlichen und sozialen Situation der Beschuldigten deutlich überhöhte Anteile von bindungslosen und Personen ohne festen Wohnsitz sowie von Arbeitslosen und Personen aus der untersten sozialen Schicht zu verzeichnen waren. Die darin liegende Häufung einer Fluchtgefahr indizierender Umstände erlaubt zum einen die Interpretation, im Bagatellbereich würden besonders strenge Anforderungen an das Vorliegen von Haftgründen gestellt. Zum anderen läßt sich jedoch nicht ausschließen, daß bei bestimmten Personengruppen diese äußeren Merkmale nur vorgeschoben werden, um die Haftanordnung auch bei Bagatelldelikten, etwa zur Verfahrenserleichterung, zu ermöglichen49 • Auch die Studie von Geiter kommt zu dem Ergebnis, daß die Fluchtgefahr den maßgeblichen Haftgrund ausmacht, während den besonders umstrittenen Haftgründen der Tatschwere und der Wiederholungsgefahr in der Praxis nur eine geringe Bedeutung zukommt 50• Für alle Haftgründe, sowie ähnlich für die übrigen Haftvoraussetzungen, läßt sich der Vorwurf formelhafter, pauschal auf äußere Merkmale gestützter Begründungen bestätigen. Als besonders problematisch erweist sich dabei der schematische Rückgriff auf die Höhe der zu erwartenden Strafe, die zur Begründung der Fluchtgefahr überproportional häufig herangezogen wird. In der Praxis scheint der Grundsatz "je größer die Straferwartung, desto höher der Fluchtanreiz"51 vorzuherrschen, obwohl es allgemein anerkannt ist, daß bestimmte Tatsachen vorliegen müssen, die den Schluß rechtfertigen, der Beschuldigte werde dem in der verhängten Strafe liegenden Fluchtanreiz nachgeben. Allein mit der Höhe der Strafe kann die Fluchtgefahr i. S. v. § 112 II Nr. 2 StPO grundsätzlich nicht begründet werden, es sei denn, der Beschuldigte hat mit einer besonders hohen Strafe zu rechnen, so daß im Einzelfall konkrete Umstände vorliegen müssen, die gegen die anzunehmende Fluchtgefahr sprechen 52• Die unzureichende Begründung eines Haftbefehls ist damit zu erklären, daß über den Erlaß eines Haftbefehls meist zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden ist. Dementsprechend liegen kaum für die Haftentscheidung zu berücksichtigende Informationen über den Beschuldigten vor. Es hat sich gezeigt, daß haftgrundbezogene Nachforschungen der Ermittlungsbehörden keinesfalls intensiv betrieben, sondern in den allermeisten Fällen nur schematisch-formale Abfragen von Familienstand, Wohn- und Beschäftigungssituation vorgenommen werden 53 • Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 374 f. so Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S.l83. SI KG, StV 1996, 383. 52 OLG Düsseldorf, StV 1982,585 (586); OLG Karlsruhe, StV 1999,36 (37); OLG Hamm, StV 1999,215 (216). 53 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S.l76, 178. 49
1. Die Reform der Untersuchungshaft
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Weiterhin darf für die Anwendung des Untersuchungshaftrechts in heutiger Zeit nicht übersehen werden, daß sich über die Instrumente der Haftverschonung, von der allerdings wohl nur in weniger als einem Viertel der Fälle und meist nur im Rahmen einer Haftprüfung auf Antrag Gebrauch gemacht wird, und der Strafaussetzung zur Bewährung die Zahl der unter Justizkontrolle geratenen Personen erheblich erhöht hat. Dieses Phänomen wird auch als "net-widening" bezeichnet5\ das für den Bereich der Strafaussetzung zur Bewährung zahlenmäßig belegt ist. Die Zahl der ambulant oder stationär kontrollierten Straffälligen hat sich seit 1970 verdoppelt, insgesamt erreicht die Bundesrepublik Deutschland im westeuropäischen Vergleich einen hohen Anteil an unter förmlicher Justizkontrolle stehenden Personen55 • Schließlich weist die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor hohe Untersuchungshaftzahlen auf. Die Zahl der Untersuchungshäftlinge wird Ende 1997 mit 19.900 angegeben 56• Damit wird deutlich, daß die Untersuchungshaft in ihrer praktischen Anwendung weder ausschließlich als ultima ratio gehandhabt, noch ausschließlich zur Verfahrens- und Vollstreckungssicherung eingesetzt wird, wobei vor allem an den sog. "automatischen Haftgrund der hohen Straferwartung" zu denken ist, noch konzentriert sie sich wesentlich auf den Bereich der schwerwiegenden Delikte. 57 d) Die Forderungen Nicht nur die Analyse der Situation der Untersuchungshaft gibt zu Sorge Anlaß, sondern auch der Umstand, daß der einmal in Untersuchungshaft Genommene kaum mehr Möglichkeiten hat, sich gegen die Beschuldigungen wirkungsvoll zu verteidigen, denn er verliert die Chance, durch das Aufsuchen von Entlastungszeugen und durch eigene Nachforschungen die Anschuldigungen zu entkräften. Ebenso ist es für ihn erschwert, das Nicht- oder Nichtmehrvorliegen eines Haftgrundes darzulegen. Eine Reform des Ermittlungsverfahrens könnte bei einigen dieser Punkte Abhilfe schaffen. aa) Die Mitwirkung eines Verteidigers In der Strafprozeßordnung ist vorgesehen, daß der Beschuldigte einen Pflichtverteidiger bekommt, wenn er sich mindestens drei Monate in Untersuchungshaft befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird, § 140 I Nr. 5 StPO. Lediglich Jugendlichen ist gern. § 68 Nr. 4 JGG Schwind, Kriminologie, § 18 Rdnr. 82. Heinz, Sanktionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Rechtspflegestatistiken, ZStW 111 (1999), S.491 f., 499; Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. 153. 56 Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 17.6.1998. 57 Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. 153 f. 54
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
stets unverzüglich nach Haftbeginn ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Beschuldigte, die nicht mehr unter diese Regelung fallen, können sich also mehrere Monate in Untersuchungshaft befinden, bevor ihnen ein Verteidiger zur Seite gestellt wird. Diese Praxis erscheint durchaus bedenklich, und es wird vielfach gefordert, daß in jedem Haftbefehlsverfahren ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist 58 • Diese Forderung läßt sich durch die Untersuchung von Gebauer zu der Verteidigermitwirkung bei der Anordnung von Untersuchungshaft stützen. In der untersuchten Stichprobe besaßen immerhin rund 30% der Beschuldigten keinen Verteidiger, der ihre Interessen wahrnahm. Dabei stellte Gebauer als Auswirkung der Verteidigermitwirkung unter den Aspekten der Haftverschonung, des Rechtsmittelerfolges und der vorzeitigen Haftbeendigung zwar vor allem einen positiven Einfluß der Wahlverteidigung fest, während die Relevanz der Pflichtverteidigung wegen zu vermutender Besonderheiten der betroffenen Fallgruppe nicht geklärt werden konnte. Bemerkenswert erscheint jedoch, daß immerhin zwei Drittel der Außervollzugsetzungen und sogar fast drei Viertel aller vorzeitigen Haftbeendigungen in den Verfahren mit Verteidiger erst nach dessen Eintritt erfolgten, was deutlich auf einen günstigen Einfluß der Verteidigermitwirkung insgesamt hinweist59• Den Schluß auf eine positive Entwicklung durch frühzeitige Einschaltung eines Verteidigers läßt auch das Frankfurter Projekt "Entschädigung von Anwälten für die Rechtsberatung von Untersuchungsgefangenen" vom 1.10.1991 bis 30.9.1994 zu: In dem oben genannten Zeitraum erhielten alle Untersuchungsgefangenen aus den Justizvollzugsanstalten Frankfurt I, II und III für die ersten drei Monate einen Wahlverteidiger auf Kosten des Landes Hessen, sofern sie noch keinen Verteidiger- sei es als Wahl- oder als Pflichtverteidiger- hatten. Aus der Begleitforschung zu diesem Projekt, die von Gebauer betrieben wurde 60, geht hervor, daß die Belegungszahlen in den Untersuchungshaftanstalten im alten Bundesgebiet von Ende 1991 bis Mitte 1993 um insgesamt 17% zugenommen haben, während sie zeitgleich in Hessen nur um 8% anstiegen 61 • Da die drei Frankfurter Untersuchungshaftanstal58 Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S.40l; Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 200 ff.; Jung/ Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, S.l9; Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. !58; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 192; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 45 f.; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S. 30f.; Herrmann, Überlegungen zur Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1996, S.402; Dokumentation: Ergebnisse der Arbeitsgruppen des 21. Strafverteidigertages vom 11. bis 13.4.1997 in Kassel, StV 1997, S.387. 59 Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 317. 60 Gebauer, Rechtsberatung von Untersuchungsgefangenen, unveröffentl. Bericht zu den Ergebnissen der wissenschaftl. Begleitung, April 1993. Veröffentl. Teilergebnisse bei Gebauer, Chancenausgleich und U-Haftverkürzung durch frühe Verteidigermitwirkung, StV 1994, 5.622-627. 61 Gebauer, Chancengleichheit und U-Haftverkürzung durch frühe Verteidigermitwirkung, StV 1994, S.624.
I. Die Reform der Untersuchungshaft
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ten etwa die Hälfte der hessischen Untersuchungsgefangenen aufnehmen, spricht dieser doch maßvolle Anstieg für haftzeitverkürzende Auswirkungen des Frankfurter Projekts 62 • Der Vergleich mit der Bundesstatistik hat allerdings auch ergeben, daß die besonders kurzen Haftzeiten bis zu einem Monat in den Projektanstalten deutlich unterrepräsentiert waren 63 • Gebauer hält es in diesem Zusammenhang durchaus für möglich, daß vornehmlich im Bereich der leichteren Kriminalität die Aktivitäten des beteiligten Verteidigers, wie Akteneinsichtnahme und das Stellen von Haftprüfungsanträgen, eine rasche Haftbeendigung auch verzögern könnten. Allerdings sei ebensowenig die Behauptung der Verteidiger, daß sie gerade in solchen Fällen eine zielgerichtete Strategie zur Verfahrensbeschleunigung entfalteten, widerlegbar, da es sich bei den kurzen Haftdauern häufig um Fälle handele, in denen wegen hoher Fluchtgefahr eine Haftaufhebung vor der Entscheidung in der Hauptsache ohnehin nicht erfolgt wäre. Letztlich würde das Eingreifen des Verteidigers doch einen Beitrag zur Haftverkürzung Ieisten 64 • Selbst wenn man der haftverkürzenden und verfahrensbeschleunigenden Wirkung dieses Modellversuchs skeptisch gegenüber steht, dürfen die darüber hinausgehenden positiven Folgen nicht übersehen und unterschätzt werden. So kann ein Verteidiger sich bemühen, das meist große Informationsdefizit der Untersuchungsgefangenen durch Aufklärung und Beratung auszugleichen. Als Konsequenz erscheint es dann möglich, Beschuldigte zu einem frühzeitigen Geständnis zu ermuntern, was wiederum ein kooperatives Zusammenwirken mit der Justiz und eine rasche Erledigung u. U. im beschleunigten Verfahren nach sich ziehen könnte. Besonders wichtig erscheint, daß ein Verteidiger auf das tatsächliche Nicht- bzw. Nichtmehrvorliegen eines Haftgrundes aufmerksam machen könnte, indem er die soziale Situation des Beschuldigten sorgsam erkundet und ihm gegebenenfalls durch Kontaktaufnahme zu Personen aus seinem sozialen Umfeld eine Wohnadresse oder eine Kaution beschafft. Ein Verteidiger ist in jedem Fall der kompetentere Gesprächspartner für Gericht und Staatsanwaltschaft, seinem Vortrag wird größeres Gewicht beigemessen als dem des Beschuldigten. Dadurch, daß der Beschuldigte weiß, daß sich jemand für seine Interessen einsetzt, kann als weiterer Nebeneffekt eine Verbesserung des Vollzugsklimas festgestellt werden 65• Auch die Schwere des Eingriffs in das Freiheitsrecht des unter Tatverdacht geratenen Bürgers und die zuvor bereits angedeuteten nachteiligen Folgen für den Betroffenen sprechen dafür, daß im Verfahren über eine solche Entscheidung dem Beschuldigten eine Chancengleichheit gegenüber den Verfolgungsbehörden gewährt Schöch, Kurze Untersuchungshaft durch frühe Strafverteidigung, StV 1997, S. 325. Gebauer, Chancengleichheit und U-Haftverkürzung durch frühe Verteidigennitwirkung, StV 1994, S.627. 64 Gebauer, Chancengleichheit und U-Haftverkürzung durch frühe Verteidigennitwirkung, StV 1994, S. 627. 65 Zu dieser Einschätzung gelangten auch befragte Projektteilnehmer, deren Antworten im Rahmen einer offenen Befragung auszugsweise bei: Schöch, Kurze Untersuchungshaft durch frühe Strafverteidigung?, StV 1997, S. 326, abgedruckt sind. 62
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
werden muß. Es reicht hier nicht aus, daß das Gesetz dem Beschuldigten die Möglichkeit gibt, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers zu bedienen, § 137 I S. 1 StPO. Nur über die Aufnahme in den Katalog der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) kann gewährleistet werden, daß bei Freiheitsentzug dem Beschuldigten stets ein Verteidiger zur Seite steht. Dieser Forderung müssen nicht einmal zwingend ökonomische Bedenken entgegenstehen66 : Rieß hat in der Begründung zu einem Strafverfahrensänderungsgesetz-Referentenentwurf 1983 Einsparungen hochgerechnet, die real erzielt werden könnten, würde dem Beschuldigten frühzeitig ein Pflichtverteidiger bestellt. Dem liegt die Prämisse zugrunde, daß das frühzeitige Eingreifen eines Verteidigers, wie oben bereits verdeutlicht, Haft verhindem kann. Es liegt auf der Hand, daß ein Untersuchungsgefangener, der nicht- anders als der Strafvollzugsgefangene - zur Arbeit verpflichtet ist, den Staat Geld kostet. Die Vollzugskosten belaufen sich beispielsweise in Nordrhein-Westfalen auf etwa 160 DM pro Gefangenem pro Tag 67 • Die frühzeitige Intervention eines Verteidigers, so sie geeignet ist, Haft zu verhindem oder zu verkürzen, kann entscheidend dazu beitragen, die sozialen und materiellen Bezüge des Beschuldigten zu erhalten und damit das eventuell entgegenstehende ökonomische Argument zu entkräften. Das Institut der notwendigen Verteidigung würde jedoch nur dann sinnvoll ausgestaltet, wenn es gleichzeitig die Notwendigkeit vorsehen würde, daß der Verteidiger sowohl an der ersten Vorführung vor dem Richter als auch an etwaigen darauf folgenden Haftprüfungsterminen teilnimmt68 • Dieses Problem ließe sich praktisch nur durch die flächendeckende Einrichtung von Notdiensten der Anwaltschaft in allen Gerichtsorten lösen 69 , wie es bereits teilweise angeboten wird70 • Die Aufgabe der im Rahmen eines solchen Notdienstes tätigen Verteidigers ist es, besonders im Bereich des ersten Zugriffs die nach der Verfassung und der Strafprozeßordnung garantierten Rechte des vom Ermittlungsverfahren Betroffenen zu wahren und zu verhindern, daß gerade zu Beginn der Ermittlungen und in besonders bedrängenden Situationen- speziell beim Freiheitsentzug- Maßnahmen und Entscheidungen erfolgen, die das spätere Verfahren irreparabel prägen. Der Verteidigernotdienst und der Notverteidiger müssen daher jederzeit, also auch in den Nachtstunden und an Sonn- und Feiertagen bereitstehen, um dem Betroffenen Rat zu erteilen. Zu der Frage, inwieweit dem Beschuldigten bei der Verteidigerkonsultation bei der ersten Vernehmung seitens der Strafverfolgungsbehörden Hilfe geleistet werden Vgl. Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S.157f. Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen, S.102. 68 Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. 158. 69 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S.48; Deckers, Reform der Untersuchungshaft, S. 158; Jung!Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, S. 19; Herrmann, Überlegungen zur Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1996, S.404. 70 Vgl. die Liste bestehender Notdienste bei: Köllner, Der anwaltliehe Notdienst in Strafsachen, StraFo 1998, S.ll8. 66
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1. Die Reform der Untersuchungshaft
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muß, wird später im Rahmen der Reform der erweiterten Teilnahmerechte im Ermittlungsverfahren Stellung genommen.
bb) Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen Die in der Situationsanalyse der Untersuchungshaft angesprochene dünne Informationsbasis, auf der die unter großem Zeitdruck leidende erste Haftentscheidung ergeht, könnte durch die zwingende Einschaltung von Informationen beschaffenden Stellen nochmals verbessert werden. Diese sog. Haftentscheidungshilfe, die auch eine Haftvermeidungshilfe darstellen kann, ist ein Verfahren der Strafverfolgungsbehörden, das darauf abzielt, mehr über das soziale Umfeld des Beschuldigten zu erfahren 71 • Die derzeitige gesetzliche Regelung ist unvollständig. In der Strafprozeßordnung wird die Gerichtshilfe als eine besondere Einrichtung erst seit 1975 in §§ 160 III S. 2 und 463 d StPO erwähnt, wobei nur geregelt ist, daß die Staatsanwaltschaft und die Strafvollstreckungskammern sich ihrer bedienen können, wenn es um die Ermittlung der Umstände geht, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat oder insbesondere den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung des Strafrestes von Bedeutung sind. Anders als bei der seit langem gesetzlich verankerten Jugendgerichtshilfe (vgl. § 72a JGG), enthält die Strafprozeßordnung weder nähere Vorschriften über den Aufgabenbereich und das Ziel der Tätigkeit der Gerichtshilfe noch solche über ihre Stellung im Verfahren und die Beteiligung an der Hauptverhandlung72. Eine detailliertere gesetzliche Regelung wurde zwar mehrmals in Aussicht gestellt, aber nie verwirklicht, so daß sich die Lage heute nicht von der von 1928 unterscheidet, als zum ersten Mal eine gesetzliche Manifestation der Gerichtshilfe anstand 73 • Erwähnung findet die Gerichtshilfe noch in den bundeseinheitlichen Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren bei der Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten nach Nr. 14 III RiStBV und der Aufklärung der für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat bedeutsamen Umstände nach Nr. 15 I RiStBV; nicht jedoch im 7. Abschnitt, der die Untersuchungshaft betrifft. Art. 294 EGStGB regelt die organisatorische Zuordnung der Gerichtshilfe zum Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltung; von der Möglichkeit nach Art. 294 S. 2 EGStGB, durch Rechtsverordnung eine Behörde der Sozialverwaltung mit den Aufgaben der Gerichtshilfe zu bestimmen, hat bislang kein Bundesland Gebrauch gemacht14. Die rein quantitative Bedeutung der Gerichtshilfe wird man eher als gering bezeichnen müssen. Entgegen der ursprünglichen gesetzgebensehen Intention liegt ihr Schwerpunkt nicht im Ermittlungsverfahren, sondern es überwiegen die Aufträge aus dem Strafvollstreckungsrecht und dem Gnadenbereich 75 • Damit besteht die LR/Hilger, §§ 112-136a, 25. Auflage, Vor§ 112 Rdnr. 65. LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 160 Rdnr. 70. 73 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 68. 74 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 69. 75 LR/Rieß , §§ 112-197, 24. Auflage,§ 160 Rdnr. 76. 71
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
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Gerichtshilfe, was ihren Einsatz im Ermittlungsverfahren betrifft, "in § 160 III S. 2 StPO weitgehend auf dem Papier" 76 • Dabei erscheint eine verstärkte Tätigkeit der Gerichtshilfe im Vorverfahren aus mehreren Gründen dringend geboten, auch wenn Geiter in seiner Studie, die den Untertitel "Eine empirische Bestandsaufnahme zur Beurteilung der Chancen einer Haftvermeidung durch Sozialarbeit" trägt, zu dem Ergebnis kommt, die Chancen, eine Reduktion der Untersuchungshaft auf breiterer Basis durch eine verstärkte Mitwirkung von Sozialarbeitern im Rahmen der Gerichtshilfe zu erreichen, müßten derzeit als gering eingestuft werden 77 • Aus den Befragungen vonGeiterläßt sich zwar deutlich erkennen, daß Staatsanwälte und Haftrichter der Gerichtshilfe als Haftentscheidungs- und Vermeidungshilfe eher ablehnend gegenüberstehen und diese daher zu solchen Zwecken so gut wie nie einsetzen, so daß es fast keinerlei praktische Erfahrungen gibt. Insgesamt läßt sich aber auch erkennen, daß Staatsanwälte und Richter keinen Grund sehen, die gegenwärtige Praxis der Anordnung und Dauer der Untersuchungshaft überhaupt in Frage zu stellen78 • Das läßt den Schluß zu, daß an dieser Stelle Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet werden muß, um eine Verbesserung der Grundeinstellung hinsichtlich der Bedeutung des vor der Anklage liegenden Verfahrensabschnitts- und damit des Ermittlungsverfahrens-, der Untersuchungshaftpraxis und der Verbesserung der Entscheidungsgrundlage durch Einschaltung der Gerichtshilfe zu erreichen. Der Beitrag der Gerichtshilfe könnte einmal darin liegen, Untersuchungshaft von vomherein durch Beschaffung von haftrelevanten Informationen zu vermeiden, und zum anderen darin, die Anordnung und Dauer der Untersuchungshaft durch Vermittlung einer Unterkunft, eines Arbeits- oder Therapieplatzes oder von Betreuungsprojekten einzuschränken. Dabei ist daran zu erinnern, daß es sich bei der Gerichtshilfe nicht um eine einseitige Beschuldigtenhilfe handeln darf, sondern um ein unselbständiges, zu Wahrheit und Objektivität verpflichtetes Ermittlungs- und Justizorgan 79, oder, anders ausgedrückt, um "in des Wortes wahrstem Sinne: Gerichtshilfe" 80• Die damit nun notwendige Beauftragung der Gerichtshilfe in Haftsachen sollte möglichst vor der Entscheidung über den Erlaß eines Haftbefehls erfolgen, jedenfalls aber unverzüglich. Als spätester Zeitpunkt zur Abfassung eines Berichts bzw. einer Stellungnahme hinsichtlich der haftrelevanten Umstände dürfte sich die im Anschluß zu behandelnde frühe Haftprüfung anbieten 81 •
Wolter, Strafverfahrensrecht und Strafprozeßreform, GA 1985, S. 88. Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 333. 78 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 329-331. 79 LR/Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 160 Rdnr. 79f. 80 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 358. 81 Für diesen Zeitpunkt auch: Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 379 f. 76
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1. Die Reform der Untersuchungshaft
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cc) Die automatische Haftprüfung Bei der ersten Haftentscheidung wird vielfach von einer "Haftbefehlsautomatik" gesprochen, bei der ein von der Polizei angeregter Haftbefehl regelmäßig von der Anklagebehörde beantragt und prompt vom Haftrichter erlassen wird. Erschreckend ist, daß die von der Staatsanwaltschaft schriftlich ausformulierten Anträge weitgehend mit den daraufhin erlassenen Haftbefehlen, wörtlich oder nahezu wörtlich, übereinstimmen. Als eindeutig vom Richter eigenständig verfaßt konnten in der Studie von Geiter lediglich 4,6% der Haftbefehle bewertet werden 82• Die mit der wörtlichen Übernahme verbundene Gefahr einer Perpetuierung von Fehlern verdeutlicht der wiederum von Geiter geschilderte Fall, in dem der Staatsanwalt den Erlaß eines Haftbefehls versehentlich gegen den falschen von mehreren Beschuldigten beantragt hatte. Er erhielt den Haftbefehl genau so, wie er ihn für das Gericht vorbereitet hatte 83 • Diesen Gefahren und auch dem Informationsdefizit könnte die vielfach geforderte84 Einführung einer automatischen Haftprüfung entgegenwirken. Diese würde es dem Verteidiger ermöglichen, die erforderlichen Erkundigungen einzuholen und dem Richter auch gegebenenfalls Vorschläge über alternative Maßnahmen zu unterbreiten. So ließe sich bei diesem ersten, automatischen und frühen Haftprüfungstermin eine sachgerechtere Entscheidung treffen als zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls. Dabei wird ein Zeitraum von fünf Tagen bis zu zwei Wochen nach Inhaftierung in Erwägung zu ziehen sein. Ein Zeitraum von zwei Wochen sollte jedoch als Obergrenze und als absolut ausreichend angesehen werden, um die erforderlichen Ermittlungen zum persönlichen und sozialen Bereich des Beschuldigten nachzuholen. Dem Einwand, diese Zeit nehme schon der Aktenlauf vom Haftrichter zum Staatsanwalt, von dort ggf. zur Polizei und dann zurück zum Haftrichter in Anspruch, so daß weitere Ermittlungen und eine sachliche Verfahrensbeteiligung blokkiert würden, kann die Möglichkeit entgegengehalten werden, bei Festnahmen stets schon Doppelakten anfertigen zu lassen 85 • Insoweit dürften grundsätzlich keine uDüberwindbaren organisatorischen Hindernisse im Wege stehen. Eine annehmbare, flexible Lösung ließe sich dadurch schaffen, daß fünf Tage als optimaler Zeitpunkt für die frühe Haftprüfung vorgesehen werden, jedoch die Möglichkeit eingeräumt wird, diesen Zeitraum auf Antrag des Beschuldigten oder seines Verteidigers auf eine Höchstfrist von zwei Wochen zu verlängern. Allerdings erscheint es sinnvoll, wenn Gebauer fordert, daß die Durchführung der ggf. notwenGeiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 235. Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 235. 84 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 51 ; Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 396f.; Jung/Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, S. 15. 85 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 48; Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 397. 82 83
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
digen Ermittlungen auch sichergestellt werden muß damit nicht durch eine bloß formale und dann eher überflüssige Haftprüfung nur ein bürokratisches Haftfortdauererfordernis geschaffen würde. Als Lösung dieses Problems soll dem Haftrichter, der ja selbst gewisse Zweifel hegen kann, aber aufgrundder Abwägung der zunächst bekannten Umstände zur Bejahung der ausreichenden Gefahr kommt, ausdrücklich schon bei Haftbefehlserlaß die Anordnungsbefugnis des § 117 III StPO zugestanden werden. Insoweit würde die Verantwortung des für die Haftfrage kompetenten Richters deutlich verstärkt. Andererseits gewännen dadurch dessen persönliche Einstellung und sein Einsatz in der Sache zusätzliche Relevanz. dd) Weitere Haftkontrollmittel Auch nach der vorgeschlagenen frühen Haftprüfung muß eine wirksame Haftkontrolle gewährleistet bleiben. In dem Verlauf eines Verfahrens können sich wesentliche Punkte ändern, die für die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes u. U. von Bedeutung sind. So kann sich der ursprüngliche Vorwurf verringern, oder die Dauer der bereits erlittenen Untersuchungshaft verschiebt die Gewichte. Außerdem erscheint es nicht ausgeschlossen, daß auch nach den gründlichen Ermittlungen für die frühe Haftprüfung noch neue haftgrundrelevante Umstände auftreten. Daher sollte das bisherige Haftprüfungssystem grundsätzlich beibehalten werden. Eine Möglichkeit seiner Verbesserung könnte in der Stärkung der als weitgehend bedeutungslos zu bezeichnenden Drei-Monats-Prüfung nach§ 117V StPO liegen 86• Die Drei-Monats-Prüfung nach § 117 V StPO sollte dabei grundsätzlich eine mündliche Verhandlung voraussetzen, um zu verhindern, daß sie etwa durch den formelhaften Haftfortdauerbeschluß bei der Eröffnung des Hauptverfahrens ersetzt wird und um eine materielle Prüfung sicherzustellen. Eine Ausnahme sollte nur für den Fall vorgesehen werden, daß die Hauptverhandlung unmittelbar bevorsteht.
ee) Die Vermeidung von Untersuchungshaft Wie oben bereits dargestellt 87 , erfolgen mindestens 10% aller Verhaftungen auf Grund geringfügiger Anschuldigungen und annähernd die Hälfte aller Verhafteten braucht später keine Freiheitsstrafe zu verbüßen, sondern kommt im Falle der Verurteilung mit geringen Sanktionen (Geldstrafe, Strafaussetzung, u. U. sogar Einstellung des Verfahrens) davon. Auf dem Umweg über die Untersuchungshaft verbüßt der Täter also dann eine Freiheitsstrafe, die er gar nicht verdient hat. 86
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So auch: Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 399. s. s. 85.
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Diese Umstände führen zu der Forderung nach der Einrichtung einer besonderen Zulässigkeitsschwelle für die Untersuchungshaft88 • Zwar hat sich der Gesetzgeber mit dem bereits erwähnten § 113 StPO bemüht, zu einer Nichtanordnung des Haftbefehls bei leichteren Taten zu gelangen und so den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz selbst zu konkretisieren, jedoch erscheint diese Vorschrift als viel zu eng gefaßt. Ihr Anwendungsbereich ist auf Taten beschränkt, die abstrakt mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bedroht sind. Nur sehr wenige Delikte, wie z. B. Bannkreisverletzung gern. § 106a StGB, Fälschung von Wahlunterlagen gern.§ 107b StGB, Verleitung zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage gern. § 160 I 2. Var. StGB, Ausübung der verbotenen Prostitution gern. § 184 a StGB oder oder Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel gern. § 285 StGB erfüllen diese Voraussetzung und sind demnach nicht oder nur vermindert untersuchungshaftfähig. § 113 StPO ist wegen dieser Beschränkung weitgehend zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Daher wird nun nahezu einhellig verlangt, daß der Erlaß eines Haftbefehls stets ausgeschlossen sein sollte, wenn von Anfang an nur Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu erwarten ist. Mit diesen Grenzen würde der Bereich der geringfügigen Kriminalität aus dem Einzugsbereich der Untersuchungshaft von vomherein herausgenommen. Dabei kann man wegen der erkennbaren Unsicherheit der erforderlichen Prognose bei Haftbefehlerlaß, der Manipulierbarkeit und der Gefahr der Präjudizwirkung die überwiegend vorgeschlagene Anknüpfung an die konkrete Straferwartung als durchaus problematisch ansehen. Vor diesem Hintergrund wird deshalb auch eine bloß abstrakte Orientierung am vorgegebenen Strafrahmen, also an der gesetzlichen Höchst- oder Mindeststrafe gefordert89 • Dies würde bei einer Anknüpfung an die Mindestfreiheitsstrafe, beispielsweise von drei oder sechs Monaten oder einem Jahr, wiederum dazu führen, daß zahlreiche Delikte betroffen wären, für die ein absoluter Ausschluß von Untersuchungshaft weder durchsetzbar noch wünschenswert erscheint. Deshalb verbliebe nur das Abstellen auf die gesetzliche Höchststrafe, wobei unter allgemeinen Verhältnismäßigkeitserwägungen die generelle Unzulässigkeit der Haftanordnung bei Delikten, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem oder zwei Jahren bedroht sind, befürwortet wird 90 • So würden zwar die Prognoseschwierigkeiten umgangen, im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung aber neue Bedenken hervorgerufen. Es sprechen insgesamt die besseren Argumente dafür, den Erlaß eines Haftbefehls trotz aller Prognoseschwierigkeiten immer dann als unzulässig anzusehen, 88 Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS fürGerdJauch, S. 191 ; Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S.393 f.; Jung/Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, S.14; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S.49; Müller-Dietz, Problematik und Reform des Vollzuges der Untersuchungshaft, StV 1984, S. 81. 89 Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 394. 90 Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 394.
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wenn nur eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu erwarten ist. Zusätzlich ließe sich auf diesem Wege eine gewisse Harmonie mit der Strafrechtsreformunter Einschluß der§§ 56, 57 StGB erreichen. Maßgebend ist dabei, daß Geldstrafen bis zu 360 Tagessätzen verhängt und Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr ohne besondere Umstände zur Bewährung ausgesetzt werden können. Waren nun diese "ambulanten Strafen" von Anfang an zu erwarten, so ist in diesen Fällen die Untersuchungshaft die einzige und bedrückende Art des Freiheitsentzuges 91 • Dies widerstreitet regelmäßig dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, und es werden gerade jene negativen Wirkungen des kurzfristigen Freiheitsentzuges ausgelöst, die nach dem materiellen Strafrecht durch die Verhängung von Geld- oder Bewährungsstrafen gerade vermieden werden sollten. Da der Untersuchungshaftvollzug im Heranwachsenden- und Erwachsenenstrafrecht zu alledem, wie eingangs bereits kurz angesprochen, grundsätzlich nicht erzieherisch gestaltet werden darf, ist der Widerspruch zur Resozialisierungsirlee vollkommen 92 • Von den denkbaren Auswegen aus diesem Dilemma sind zwei von Anfang an zum Scheitern verurteilt: Es ist nicht zulässig, die verfahrenssichernde Untersuchungshaft als stationären spezialpräventiven Einstieg in die spätere ambulante resozialisierende Bewährungsstrafe zu verwenden. Damit hätte man zwar den Widerspruch zur Resozialisierungsirlee aufgehoben, dies hätte man jedoch mit dem Widerspruch zur Unschuldsvermutung und zum Übermaßverbot erkauft. Man nähme den Strafzweck der Resozialisierung vorweg, ohne einen Schuldspruch als Grundlage zu besitzen, mehr noch, man griffe zur Erziehung in Unfreiheit, obwohl nur eine Sanktion in Freiheit droht93 . Der zweite Ausweg ist ebenso versperrt, denn es ist genauso unzulässig, der Untersuchungshaft eine Art "Denkzettelfunktion" als Einstimmung auf die spätere Bewährungsstrafe beizulegen. Damit würde die Untersuchungshaft zwar nicht dem unzulässigen Strafzweck der Resozialisierung dienen, aber den weiteren- für die Untersuchungshaft ebenfalls unzulässigen- Strafzwekken der Schuldvergeltung und der Abschreckungsgeneral- und Abschreckungsindividualprävention94. Auch dies wäre mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht zu vereinbaren 95 . Wirksame Abhilfe verspricht daher nur die Forderung, bei erwarteter Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einemJahrdie Anordnung von Untersuchungshaft für unzulässig zu erklären. 91 Wolter, S.468. 92 Wolter, S.468. 9J Wolter, S.468. 94 Wolter, S.469.
Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981)
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Als Argument für diese Grenze ließe sich ferner die Ankopplung der Untersuchungshaft an die Strafzumessungskonzeption des Strafgesetzbuchs anführen, nach der die Geldstrafe stets milder ist als die Freiheitsstrafe. Der Vorrang der Geldstrafe im Bereich der unteren und der mittleren Kriminalität ist durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25.6.196996 eindeutig durch eine sog. "Ultima-ratioKlausel" normiert worden 97, nach der eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur dann verhängt werden darf, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen. Mit diesem Bestreben, die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen zurückzudrängen, ist die Vorschrift des §56 I, III StOB eng verbunden. Danach muß bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten, sofern eine günstige Sozialprognose gestellt wird, die Vollstreckung ausgesetzt werden98 • Zudem würde man so im Regelfall eine Anhindung an die Unterscheidung von Vergehen und Verbrechen erreichen und dem Gebot maßvoller Sanktionen bei der Strafverfolgung Rechnung tragen, da die Untersuchungshaft als schwerste Prozeßsanktion nur eingesetzt werden darf, wenn es sich um eine hochgradig sozialschädliche Verdachtstat handelt 99 • Bei der konkret erwarteten Geldstrafe ergibt sich diese Einschränkung eigentlich schon aus einer Zusammenschau des § 127 a StPO und dem in § 112 I S. 2 StPO ausdrücklich niedergelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und insofern ginge auch der Einwand fehl, daß man im Frühstadium der Ermittlungen noch gar keine Prognose über die zu erwartende Strafe abgeben könne 100• Dies muß der Richter schon mit Rücksicht auf§ 112 I S. 2 StPO wissen. Der Vorwurf, Untersuchungshaft- dem gesetzlichen Zweck der Verfahrenssicherung zuwiderlaufend - als Einstieg in eine Strafaussetzung zur Bewährung durch eine kurzzeitige, schockartige Inhaftierung zu nutzen 101 , ließe sich auf diese Weise aus der Welt schaffen. ft) Sicherung des Verfahrens
Es liegt auf der Hand, daß die Verhängung von Untersuchungshaft die effektivste Maßnahme zur Sicherung der Durchführung eines Strafverfahrens ist. Damit stellt sich die Frage, was zu geschehen hat, wenn die Untersuchungshaft durch eine derWolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 50 f. BGBI. I S. 645; heutiger§ 47 I StGB. 97 LK!Tröndle, §§ 32- 60, 10. Auflage, Vor§ 40 Rdnr. 43. 98 LK!Gribbohm, §§ 56-60, 11. Auflage,§ 56 Rdnr. 27; TIF, §56 Rdnr. 7. 99 Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) S. 470. 100 Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) S.470. 101 Dünkel, Praxis der Untersuchungshaft in den 90er Jahren, StV 1994, S.613. 95
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
artigeReformierungeine drastische Einschränkung erfährt und gleichzeitig in zahlreichen Fällen ein nicht unerhebliches Verfahrenssicherungsinteresse bestehen bleibt. Zwar sollten Wahrheitsforschung und Verfahrenssicherung angesichts des überragenden Freiheitsinteresses des Beschuldigten gewisse Einbußen hinnehmen, aber auch die Tatsache, daß bei erwarteter Geld- oder Bewährungsstrafe die Fluchtgefahr wohl erheblich abnimmt, ändert nichts an der grundsätzlichen Problematik 102 • Der Gesetzentwurf des Arbeitskreises Strafprozeßreform von 1983 will der Frage, wie unterhalb einer Untersuchungshaftschwelle das Verfahren zu sichern ist, wie folgt begegnen: § 46 des Entwurfs sieht die Möglichkeit vor, bei Flucht oder Fluchtgefahr inländische Ausweispapiere zu beschlagnahmen. Weitere Sicherungsmaßnahmen sindvon der Sonderregelung des § 47 gegen Beschuldigte ohne festen inländischen Wohnsitz abgesehen - nicht normiert. Diese Beschränkung hat zwei Gründe. Einmal soll es in dem Bereich minderschwerer Delikte dem Staat verwehrt bleiben, die Freiheit des Beschuldigten in größerem Ausmaß zu disziplinieren. Lediglich einer Flucht ins Ausland will der Entwurf mit angemessenen Mitteln entgegentreten. Zum anderen verzichtet der Entwurf auf alle Maßnahmen, deren Einhaltung nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln erzwungen werden kann. Zur Abwendung einer an sich erforderlichen Ausweissperre bleibt nur das vom Beschuldigten ausgehende Angebot einer angemessenen Sicherheit, § 46 II des Entwurfs 103 . Wolter fordert ebenfalls, die Justizorgane in solchen Fällen auf Sicherheitsleistungen des Beschuldigten oder Einbehaltung seiner Ausweispapiere zu beschränken104. Das geltende Recht kennt echte Alternativen zur Untersuchungshaft nur im Jugendrecht, wo die §§ 71 und 72 III JGG vorläufige Anordnungen oder die einstweilige Unterbringung in einem Erziehungsheim erlauben. Im Erwachsenenrecht existieren nur subsidiäre mildere Mittel der Verfahrenssicherung, die Anweisungen und die Sicherheitsleistung, die jedoch erst nach Erlaß des Haftbefehls bei seiner Vollzugsaussetzung (§ ll6 StPO) möglich werden. Beachtenswert ist, daß der Richter den Haftbefehl schon nach geltendem Recht außer Vollzug setzen muß, wenn der Zweck der Untersuchungshaft bei Fluchtgefahr durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann. Die Regelungen bei Verdunkelungsgefahr und Wiederholungsgefahr sind hingegen nur als KannVorschriften ausgestaltet(§ 116 II StPO), wobei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 102 Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) S.470. 103 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S.l73. 104 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S.50.
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auch hier die Aussetzung des Vollzuges gebietet, wenn mildere Maßnahmen als die Freiheitsentziehung ausreichen 105 • Hierin eine echte Alternative zum Haftbefehl zu sehen, verhindert vor allem die mangelnde Eignung der Maßnahmen für den größten Teil der heute von Untersuchungshaft Betroffenen. Kaution und Meldeauflagen allein können nur bei einem bestimmten Grad von sozialer Integration und individueller Stabilität sowie finanzieller bzw. ökonomischer Ausstattung eingesetzt werden, über den viele Betroffene nicht verfügen. Dennoch wird hiermit ein Spielraum geschaffen, der von der Rechtsprechung allerdings kaum genutzt wird. Zwar werden die Aussetzungen von Haftbefehlen und die dabei verhängten Anordnungen statistisch nicht erlaßt, so daß ein Überblick hier kaum möglich ist, doch lassen einige Daten auf eine deutlich restriktive Aussetzungspraxis schließen. So kommt Gebauer bei seiner Untersuchung auf eine Aussetzungsquote von knapp 25 %, wenngleich er auf frühere Studien hinweist, denen zufolge diese Quote niedriger anzusiedeln ist 106• Die Aktenerhebung von Geiter führt zu dem Ergebnis, daß Haftbefehlsaussetzungen in rund 30% aller untersuchten Fälle anzunehmen waren, wovon nur 10,8 % auf Sofortaussetzungen entfielen. Soweit die Richter weniger einschneidende Maßnahmen anordneten, konzentrierten sich diese aufvorzunehmende Meldungen nach§ 116I S. 2 Nr. 1 StPO, die Anzeige des Wohnsitzwechsels, Aufenthaltsbeschränkungen nach§ 1161 S. 2 Nr. 2 StPO und Verpflichtungen, wie jeder Terminsladung pünktlich Folge zu leisten, einen festen Wohnsitz bei einer bestimmten Person zu nehmen, Alkoholkonsum und Gaststättenbesuche zu unterlassen u. ä. Eine Sicherheitsleistung nach § 116 I S. 2 Nr. 4 StPO, die zur Aussetzung des Haftbefehls führte, wurde in nur zwei Fällen auferlegt 107 • Um überhaupt Alternativen zur Untersuchungshaft zu schaffen, wird vereinzelt gefordert, ein eigenes ambulantes Institut der Verfahrenssicherung etwa nach dem Vorbild der französischen "controle judiciaire" einzuführen, bei dem ein Katalog exakt definierter Auflagen (z. B. das Verbot, den Gerichtsbezirk zu verlassen oder strenger Hausarrest) selbständig verhängt werden kann, wobei im Vordergrund die Meldepflicht und die Überwachung der Auflagen durch eine staatlich bestellte Aufsichtspersonaus dem sozialen Umfeld des Betroffenen stehen 108• Dies dürfte jedoch ähnlichen Bedenken wie der jetzige§ 116 StPO begegnen, was besonders auch für den Vorschlag gilt, § 116 StPO derart zu verselbständigen, daß die genannten Auflagen und Weisungen ohne vorherigen Erlaß eines Haftbefehls möglich sein sollen. Es bleibt damit festzuhalten, daß man auf die Verhängung von Untersuchungshaft im Bereich der unteren Kriminalität verzichten und die Verfahrensdurchführung durch Einbehaltung der Ausweispapiere, gegen Ausstellung von ErsatzbescheiniKIIM, § 116 Rdnr. 14. Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 250. 107 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 225-227. 108 Oberheim, Gefängnisüberfüllung, S. 232; Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981) S.473. 1os
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gungen, oder durch eine vom Beschuldigten angebotene Sicherheitsleistung gewährleisten sollte. Zwar verhindert die Einbehaltung der Ausweispapiere nicht die Flucht ins Ausland, die Aufnahme einer Beschäftigung dort wird allerdings erschwert. Auch bei dieser vergleichsweise milden Maßnahme dürfen nicht die Schwierigkeiten übersehen werden, die einem Betroffenen entstehen können, wenn er sich etwa bei Eingebung eines Arbeitsverhältnisses oder zur Aufnahme eines Kredits ausweisen muß 109• Vor dem Hintergrund der Anordnung von Untersuchungshaft erscheinen diese jedoch vergleichsweise geringfügig. Bei Beschuldigten, die einen festen Wohnsitz und einen Telefonanschluß besitzen, kommt ferner die von der Praxis weitgehend vernachlässigte Möglichkeit 110 des elektronischen Hausarrestes als Haftverschonungsauflage in Betracht. Es ist unbestritten, daß Hausarrest eine besonders geeignete Maßnahme ist, um dem Haftgrund der Fluchtgefahr, aber auch der Verdunkelungsgefahr, zu begegnen. Kritisiert wird jedoch die mangelnde und zu schwierige Überwachbarkeit 111 • Da die technischen Möglichkeiten gerade auf diesem Gebiet ständig ausgebaut werden, ist hier eine interessante Entwicklung, die zu der Vermeidung von Untersuchungshaft und damit zur Kosteneinsparung beitragen kann, zu erwarten. Bei der Anordnung der Haftverschonungsauflagen, die in § 116 I StPO nur beispielhaft aufgezählt sind, ist vor allem die Kreativität von Verteidiger und Richter gefragt, um dem Instrument der Haftverschonung in der Praxis zu einer effektiven und breiteren Anwendung zu verhelfen. gg) Die Haftdauer Ist es zur Verhängung von Untersuchungshaft gekommen, so wird nicht nur kritisiert, daß sie in keiner angemessenen Relation zu der anschließend verhängten Strafe steht, sondern auch ihre generelle Länge. Die Bundesrepublik Deutschland schneidet im internationalen Vergleich hinsichtlich der Dauer der Untersuchungshaft noch schlechter ab als bei der Anzahl der Haftfalle. Der Anteil der Fälle, in denen die Untersuchungshaft zwischen drei und sechs Monaten vollzogen wird, ist bemerkenswert hoch. So gelangte Geiter zu dem Ergebnis, daß in knapp 29% der von ihm untersuchten Fälle die Untersuchungshaft zwischen drei und sechs Monaten andauerte; eine Prozentangabe, die fast identisch mit der der nordrhein- westfälischen Strafverfolgungsstatistik ist 112 • Die Sechsmonatsfrist des § 121 StPO mag bei ihrer Einführung dazu beigetragen haben, noch längere Haftdauer zu vermeiden. Doch hat die Haftfortdauerprüfung durch die Oberlandesgerichte gern.§§ 121, 122 StPO, die mit der Reform aus dem LR/Hilger, §§ 112-136a, 25. Auflage, § 116 Rdnr. 24. Neuhaus, Haftverschonungsautlagen und ihre Kontrolle, StV 1999, S. 345. 111 Kl!M, § 116 Rdnr. 9. 112 Geiter, Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen, S. 220. 109
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Jahre 1964 eingeführt wurde, nicht die erhoffte Wirkung gezeigt 113• Die sozialen und beruflichen Bezüge der Beschuldigten haben in diesem Zeitraum in der Regel bereits entscheidenden Schaden genommen. Eine absolute Höchstgrenze für die Dauer von Untersuchungshaft sieht die Strafprozeßordnung nur in § 122a StPO für den Vollzug des auf Wiederholungsgefahr nach§ 112a StPO gestützten Haftbefehls vor. Weitere Beschränkungen kennen weder die Strafprozeßordnung noch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte, allerdings darf das aus der allgemeinen Fürsorgepflicht 114 und aus Art. 6 MRK und für Haftsachen verstärkt aus Art.5 Ill S. 2MRK und Art.2II S. 2GG 115 folgende Beschleunigungsgebot nicht außer acht gelassen werden. Während das Bundesverfasungsgericht die Frage nach einer aus dem Grundgesetz abzuleitenden Obergrenze für die Haftdauer ausdrücklich offengelassen hat 116, hat der Deutsche Anwaltverein in seiner Presseerklärung vom 23.6.1988 die von Rainer Hamm entwickelte Forderung nach absoluten Höchstfristen für die Dauer der Untersuchungshaft publiziert. Dabei werden als Höchstfristen sechs Monate bis zur Erhebung der Anklage, ein Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung, weiterhin Beendigung der Untersuchungshaft, wenn nicht mindestens zwei Jahre nach Beginn ein tatrichterliches Urteil vorliegt und Beendigung, wenn nicht drei Jahre nach Beginn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, gefordert. Zur Begründung heißt es dort, daß der Deutsche Anwaltverein in dieser Lösung einen der Disposition der Beteiligten entzogenen Zwang sehe, Verfahren zu beschleunigen. Auch im Umgangsverfahren müsse es der Rechtspflege möglich sein, innerhalb von sechs Monaten zu einem Ermittlungsabschluß zu kommen, wenn das Grundrecht der persönlichen Freiheit auf dem Spiel steht 117 • Ein differenziertes Fristensystem zur Begrenzung der Haftdauer schlägt demgegenüber der Arbeitskreis Strafprozeßreform vor: Absolute Höchstdauer von vier Wochen bzw. drei Monaten bei Verdunkelungsgefahr, im übrigen prinzipielle Begrenzung auf sechs Monate mit erschwerter Verlängerungsmöglichkeit, relative Begrenzung auf zwei Drittel der zu erwartenden Freiheitsstrafe und absolute Höchstfrist von zwei Jahren bis zum Beginn der Hauptverhandlung. Dieses Fristensystem soll von einer Verkürzung der ersten Haftprüfungsfrist auf vierzehn Tage und der Intervalle zwischen den obligatorischen Haftprüfungen auf höchstens zwei Monate begleitet werden 11 8• Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. 159. BGHSt26, 1 (4). 115 BVerfGE20, 45ff.; Kl/M, Ein!. Rdnr.160. 116 BVerfGE20, 45 (50). 117 Pressemitteilung des DAV vom 23.6.1988, S.4f.; Forderung nach gesetzlichen Höchstfristen ebenso bei: Gatzweiler, Unerträgliche Realität - Zwang zur Totalreform der Untersuchungshaft in der BRD, StraFo 1999, S. 327, 331; Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. 159. 118 Arbeitskreis Strafprozeßref orm, Die Untersuchungshaft, S. l07ff. 113 114
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Ähnlich fordert Wolter, eine Höchstfrist gesetzlich einzuführen, die trotz aller Prognoseschwierigkeiten an der konkreten Straferwartung festgemacht werden soll. Demnach sollte die Untersuchungshaft im Ermittlungs- wie im Hauptverfahren nicht die Hälfte der zu erwartenden Strafe übersteigen dürfen. Ebenso sollte nach der Ansicht Wolters der Haftbefehl wegen Verdunkelungsgefahr im Vorverfahren grundsätzlich nach drei Monaten sowie in jedem Fall nach Abschluß der Ermittlungen außer Kraft treten. Einschränkend verlangt Wolter weiterhin, daß Untersuchungshaft nicht aufrecht erhalten werden darf, wenn bis zum Beginn der Hauptverhandlung sechs Monate und nur bei besonders schwierigen und umfangreichen Ermittlungen im Höchstfall zwölf Monate überschritten werden. Außerdem sollte der Haftbefehl außer Kraft treten, wenn die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird oder wenn das Urteil nicht auf vollstreckbare Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten erkennt. Er sollte auch hinfällig werden, wenn eine Bewährungsstrafe von dreizehn bis vierundzwanzig Monaten ausgesprochen wird. Insgesamt spricht sich Wolter für eine absolute Höchstgrenze von drei Jahren aus, aber nur wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Jahren zur Debatte steht 119• Neben der Herabsetzung der Fristen finden sich noch zahlreiche weitere Vorschläge zur Verkürzung der Haftdauer, die von rein technischen Maßnahmen wie insbesondere der zuvor bereits angesprochenen 120 regelmäßigen Anlegung von Doppel- bzw. Mehrfachakten 121 bis zur Änderung der Verfahrensordnung, z. B. der Verzicht auf den Eröffnungsbeschluß 122 oder der Einrichtung eines "vorläufigen Strafvollzuges" gehen 123 • Bei der Idee des "vorläufigen Strafvollzuges" handelt es sich um einen vorzeitigen freiwilligen Strafantritt, geschaffen in etwa nach Schweizer Muster. Der Beschuldigte wird nach einem Geständnis in einen Freiheitsvollzug überführt, der alle Angebote moderner Spezialprävention bietet, demnach jedenfalls einige Nachteile der auf Isolierung bedachten Untersuchungshaft vermeidet und die staatlichen Untersuchungshaftanstalten entlastet. Problematisch dabei erscheint jedoch vor allem der erforderliche Verzicht des geständigen Betroffenen auf die aus der Unschuldsvermutung und Art. 5 I Ziff. a MRK fließenden Rechte. Selbst wenn man hier bereits den Gedanken der notwendigen Verteidigung berücksichtigt, scheint dieser Weg dem Grundsatz des fairen Ermittlungsverfahrens entgegenzulaufen. Zum einen könnte sich durch eine solche Einrichtung der Geständnisdruck bei dem Betroffenen verstärken und zum anderen könnten sich auf seiten des Staates, sofern es jedem Beschuldigten freigestellt ist, den Zwängen der Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S.49ff. s. s. 93. 121 Jung!Müller-Dietz, Reform der Untersuchungshaft, S. 16. 122 Prüllage, Zur Dauer der Untersuchungshaft, DRiZ 1979, S. 279. 123 Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981), S.498ff. 11 9
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Untersuchungshaft durch vorläufigen Strafantritt zu entgehen, Anreiz und Notwendigkeit verringern, in den Untersuchungshaftvollzug zu investieren. Außerdem widerspricht der vorläufige Strafantritt den Grundbedingungen der Untersuchungshaft. Er suspendiert die Mechanismen der Haftprüfung und übergeht damit die rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit, daß der Beschuldigte zu entlassen ist, wenn keine Haftgründe mehr vorliegen. Ein Freiheitsentzug als Strafe setzt eine richterliche Verurteilung voraus, eine freiwillige Strafe ist eine Widerspruch in sich. Ferner können gerade die spezialpräventiven Angebote, um die es im vorläufigen Strafantritt ja geht, nur auf der Grundlage eines rechtskräftigen Urteils sinnvoll bestimmt werden. Mit dieser Begründung lehnte auch der Arbeitskreis Strafprozeßreform die Einführung des "vorläufigen Strafvollzuges" ab 124• Es bleibt damit ein System von Hafthöchstfristen zu fordern, um übermäßig lange Untersuchungshaft zu verhindern. Dabei erscheint die Orientierung an der zu erwartenden Freiheitsstrafe- deren Hälfte die Untersuchungshaft nicht sollte übersteigen dürfen- wiederum als das geeignetste Kriterium. Den Besonderheiten des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr muß ebenfalls durch eine recht starre Fristsetzung Rechnung getragen werden, um die Strafverfolgungsorgane so zu einer zügigen Durchermittlung anzuhalten. Bedenken sollte man allerdings, daß auch die Obergrenzen noch über dem durchschnittlichen Normalfall der Untersuchungshaft liegen dürften, so daß eine haftzeitverkürzende Wirkung nur im Einzelfall zu erwarten sein wird 125 • hh) Der Haftgrund der Schwere der Tat und der Wiederholungsgefahr Bei der Darstellung der Legitimation der Untersuchungshaft wurde das Problem des Zwecks der Untersuchungshaft und der daraus resultierenden Folgen für die Haftgründe bereits kurz angeschnitten 126• Unstreitig war stets, daß Untersuchungshaft nur bei dringendem Tatverdacht und Vorliegen eines besonderen Haftgrundes zulässig sein soll. Die Strafprozeßordnung kannte in ihrer ursprünglichen Fassung von 1877 nur zwei Haftgründe: Fluchtverdacht und Verdunkelungsgefahr. Damit war deutlich, daß die Untersuchungshaft nur zur Sicherung des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung eingesetzt werden durfte. Sogar die "Emminger-Verordnung", die zu zahlreichen Veränderungen des Strafprozeßrechts führte, ließ das Haftrecht unberührt. Erst die nationalsozialistische Strafprozeßnovelle von 1935 fügte dann zwei weitere Haftgründe hinzu, die durch den Zweck der Untersuchungshaft nicht gedeckt waren: Fortdauernde GefährlichArbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S. 37 f. Dünkel, Praxis der Untersuchungshaft in den 90er Jahren, StV 1994, S. 621 . 126 s. s. 82.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
keit und Erregung in der Öffentlichkeit. Beide wurden wegen der damit verbundenen Mißbrauchsmöglichkeiten nach 1945 wieder abgeschafft, und das Vereinheitlichungsgesetz brachte den Rechtszustand von 1926 zurück. Einschneidende Veränderungen brachte das Strafprozeßänderungsgesetz von 1964 127 • Dieses Gesetz gilt als Höhepunkt des liberalen Haftrechts, obwohl auch hier zwei Haftgründe eingeführt wurden, die allein mit dem Zweck der Verfahrenssicherung nicht zu legitimieren sind: der Haftgrund der Tatschwere (§ 112IV StPO) und der Haftgrund der Wiederholungsgefahr, allerdings beschränkt auf schwere Sittlichkeitsverbrechen (§ 112 III StPO). Andererseits wurden die Voraussetzungen für die klassischen Haftgründe präzisiert und enger gefaßt. So wurden bestimmte Tatsachen für die Begründung von Flucht- oder Verdunkelungsgefahr verlangt(§ 11211 StPO), der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde ausdrücklich hervorgehoben und in einzelnen Bestimmungen konkretisiert. 1972 wurde der Haftgrund der Wiederholungsgefahr auf einige Gewalt-, Vermögens- und Betäubungsmitteldelikte sowie auf gemeingefährliche Straftaten ausgedehnt und die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr wieder weiter gefaßt. 1976 wurde in den Haftgrund der Tatschwere auch der Tatbestand der Bildung terroristischer Vereinigungen aufgenommen, weitere Verschärfungen des Haftrechts erfolgten durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungen der Organisierten Kriminalität und das Verbrechensbekämpfungsgesetz. Das Bundesverfassungsgericht prüfte die beiden "neuen" Haftgründe eingehend und hielt sie für verfassungsmäßig. Zum Haftgrund der Tatschwere hat es jedoch bereits im Jahre 1965 ausgeführt, daß dieser verfassungswidrig wäre, wenn man ihn dahin auslegte, daß bei dringendem Tatverdacht eines der genannten Verbrechen die Untersuchungshaft ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen verhängt werden dürfte128. Ungenannter Haftgrund wäre bei dieser Auslegung wieder- wie im Dritten Reich - die Erregung der Bevölkerung, und mit dieser Zwecksetzung entspräche § 112III StPO einer Verdachtsstrafe, die mit der Unschuldsvermutung nicht zu vereinbaren wäre. Derartige rechtsstaatliche Bedenken veranlaßten das Bundesverfassungsgericht, den Haftgrund im Wege verfassungskonformer Auslegung an den legitimen Zweck der Verfahrenssicherung oder, alternativ, an den der Verhinderung weiterer Straftaten zu binden, indem es auch bei den in § 112 III StPO aufgezählten Delikten das Vorliegen eines der anderen Haftgründe fordert 129• Allerdings hält es das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die besondere Schwere der Straftaten und die Gefahr, daß ein deshalb besonders gefährlicher Täter sich seiner Bestrafung entziehen könnte, für gerechtfertigt, die Anforderungen für die Annahme dieser Haftgründe herabzusetzen; ohne Belegbarkeil durch "bestimmte Tatsachen" könne u. U. ein nicht auszuschließender Flucht- oder Verdunkelungsverdacht oder die ernstliche 127 128 129
s. I 7 (S. 30). BVerfGE 19, 342 (350). BVerfGE 19, 342 (350f.).
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Befürchtung von Wiederholungstaten ausreichen. Mit dieser Auslegung wird § 112 III StPO von der wohl herrschenden Auffassung als verfassungskonform angesehen 130• Den Haftgrund der Wiederholungsgefahr hat das Bundesverfassungsgericht 1965 nur deshalb für verfassungsmäßig erklärt, weil "es um die Bewahrung eines besonders schutzbedürftigen Kreises der Bevölkerung vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schweren Straftaten" gehe und es "zweckmäßiger" erscheine, "diesen Schutz den bereits mit der Aufklärung der begangenen Straftat befaßten Strafverfolgungsbehörden, und damit dem Richter anzuvertrauen als der Polizei" 131 • 1973 wurde dann auch die Erweiterung des Kataloges der Anlaßdelikte unter gleichzeitiger Ausweitung des Gesichtspunktes des Schutzes der Allgemeinheit gebilligt. Dabei wurde betont, daß das im Haftrecht anerkannte Bedürfnis der Gewährleistung einer funktionsfahigen Strafrechtspflege Ausdruck des übergreifenden Interesses der Rechtsgemeinschaft an wirksamer Verbrechensbekämpfung sei und damit in engen Grenzen auch den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten rechtfertige, insbesondere auch wegen der vom Gesetzgeber eingebauten Sicherungen 132• In Fortsetzung seiner Rechtsprechung, daß Untersuchungshaft nur ausnahmsweise und als ultima ratio zulässig sein könne, forderte das Bundesverfassungsgericht dabei, daß an den Katalog strenge Maßstäbe anzulegen seien, insbesondere, daß nur Delikte mit erheblichem Unrechtsgehalt in Frage kämen, die die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigen würden. Berücksichtigt man die verfassungskonforme Interpretation des Haftgrundes der Tatschwere und die engen Voraussetzungen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr, so könnte man nach der Gesetzeslage auch heute noch durchaus von einem liberalen Haftrecht sprechen, jedenfalls im Vergleich mit vielen ausländischen Regelungen. Möglicherweise muß man diese eher verfahrensfremden Haftgründe als notwendigen rechtspolitischen Preis für ein liberales Haftrecht bezeichnen 133 • Allerdings wird auch die ersatzlose Streichung dieser Haftgründe gefordert 134 • Den Hauptkritikpunkt bildet die Vorschrift des§ 112III StPO, wobei der Versuch der verfassungskonformen Auslegung als mißglückt angesehen wird. Dabei wird vorgebracht, das Bundesverfassungsgericht habe eine im Hinblick auf die Unschuldsvermutung äußerst problematische und in ihren Voraussetzungen wenig konturierte Umkehr der Beweislast zugelassen 135• Es werde vielfach nach wie vor "automatisch" Untersuchungshaft angeordnet, wenn dringender Tatverdacht bezüg-
°KK!Boujong, § 112 Rdnr.40; KIIM. § 112 Rdnr. 26f. (mitjeweils weiteren Nachweisen).
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BVerfGE 19, 342 (350). BVerfGE35, 185 (190ff.). 133 Schöch, Das Recht der Untersuchungshaft und seine Anwendung in der Praxis, KrimPäd 1987, Heft 23/24, S. IO. 134 s. IV I b (S. 83, Fußnoten 36 und 37). 135 LR/Hilger, §§ 112- 136a, 25. Auflage, vor§ 112 Rdnr. 25; § 112Rdnr.53. 131
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
lieh einer Katalogtat vorliege, und diesen Interpretationsirrtum provoziere die Norm selbst, denn sie sei in sich unklar und widerspruchsvoll 136• Die Kritik an dem Haftgrund der Schwere der Tat erscheint angesichts der Unsicherheiten einer Abgrenzung bedingt vorsätzlicher Tötung gegenüber Körperverletzung mit Todesfolge oder fahrlässiger Tötung und der Tatsache, daß gerade bei Tötungsdelikten die Schwere der Straftat keineswegs notwendig eine besondere Gefährlichkeit des Täters indizieren muß, durchaus angemessen. Das Recht der Untersuchungshaft sollte sich auf präzise formulierte verfahrensbezogene Haftgründe beschränken. Wenn auch nicht gleich die gänzliche Streichung des § 112 III StPO verlangt werden soll, so ist doch durch den erkennbaren Automatismus bei den entsprechenden Tatvorwürfen die Notwendigkeit zu sehen, zumindest eine gesetzliche Anpassung an die verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht zu fordern. Dem vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Anliegen, bei schwersten Taten in besonderem Maße die Strafverfolgung sowie gegebenenfalls den Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten, könnte etwa nach der Ansicht Gebauers durch die Herabsetzung der regelmäßigen Anforderungen an die zulässigen Haftgründe Rechnung getragen werden. Dabei bliebe jedoch zu diskutieren, ob die§§ 129a und 308 StGB wegen ihres gegenüber den schweren Tötungsdelikten nach §§ 211, 212, 220 al Nr. 1 StGB eher untergeordneten Gewichts nicht aus dem Katalog der Anlaßtaten gestrichen werden sollten. Außerdem dürfte eine entsprechende Vorschrift, die sinnvollerweise erst nach dem neben Flucht- und Verdunkelungsgefahr in Bezug zu nehmenden § 112a StPO zu plazieren wäre, im Unterschied zum Wortlaut des § 112 III StPO die Unschuldsvermutung gerade nicht völlig außer acht lassen. So könnten z. B. statt der auf bestimmte Tatsachen gestützten Gefahr zumindest gewisse Anhaltspunkte verlangt werden 137 • Eine empirische Vorgabe existiert insoweit jedoch nicht. Die Kritik richtet sich ferner gegen den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a StPO. Es wird darauf hingewiesen, daß auch zur Abwendung einer Gefahr wiederholter oder fortgesetzter Straftaten eines Tatverdächtigen die Untersuchungshaft kein angemessenes Mittel sei. Dies soll weniger auf die rechtssystematischen Einsicht zurückzuführen sein, eine solche Haft sei nicht "Untersuchungshaft", aber Vorbeuge- oder Sicherungshaft und damit ein Fremdkörper im System der§§ 112 ff. StPO, sondern vor allem auf Tauglichkeits- und Gerechtigkeitserwägungen 138• Dabei ist einsichtig, daß man die Wiederholungsgefahr nicht als verfahrensbezogenen Haftgrund bezeichnen kann 139• Der Sinn der Vorschrift folgt vielmehr aus materiellrechtlichen Zwecken, er besteht in der Sicherung vor fortgesetzten oder vergleich136 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S. 33; Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FS für Ludwig Koch, S. 160. 137 Gebauer, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der BRD, S. 390. 138 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S. 44. 139 a. A.: Sch/oth, Die Haftgründe der Wiederholungsgefahr und der Schwere der Tat, S. 189.
1. Die Reform der Untersuchungshaft
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baren Straftaten eines Verdächtigen. Eine so begründete Haft ist vorbeugende Verwahrung im Interesse des Rechtsgüterschutzes. Sie dient nicht der Vorbereitung und Sicherung von Verfahren und Vollstreckung, sondern der Lückenlosigkeit des Schutzes aus dem materiellen Strafrecht durch dessen Vorverlagerung in die Zeit vor dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens. Ein solches Ziel nimmt den Strafzweck der Sicherungsindividualprävention ohne Schuldspruch vorweg. Obwohl die Menschenrechtskonvention den Haftgrund der Wiederholungsgefahr in Art 5 I S. 2 c ausdrücklich vorsieht, verletzt eine präventiv vollzogene Freiheitsstrafe die Unschuldsvermutung und verwischt den Unterschied zwischen Strafe und Maßregel. Die Durchsetzung von Strafzielen des materiellen Strafrechts setzt voraus, daß die Strafe rechtskräftig festgestellt worden ist. Das Prinzip des Tatstrafrechts verlangt es, Gefahren nur unter einschränkenden Voraussetzungen mit Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Die Gesellschaft lebt mit entlassenen Gefangenen, die möglicherweise gefährlich sind, und sie hat lange Zeit ohne den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gelebt. Eine zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorweg vollzogene Strafe an jemandem, der als unschuldig zu gelten hat, ist ein Preis, der einem rechtsstaatliehen Verfahrensrecht zu hoch sein sollte 140• Als letzte Alternative verbliebe nur- wenn man den Haftgrund trotz seiner geringen Relevanz in der Praxis für unverzichtbar halten sollte- die Möglichkeit, bei der Wiederholungsgefahr wenigstens klar "Farbe zu bekennen" und diese offen als Sicherungshaft zu bezeichnen und als solche ausdrücklich gesetzlich zu verankern. Diesen Überlegungen folgend, besteht auch bei den Haftgründen der Schwere der Tat und der Wiederholungsgefahr Handlungs- und damit Reformbedarf.
ii) Die Hauptverhandlungshaft
Die 1997 neu in die Strafprozeßordnung aufgenommene "Hauptverhandlungshaft" gern. § 127 b II StPO und das mit ihr verbundene erweiterte Festnahmerecht nach § 127 b I StPO waren bereits in den vorangegangenen Legislaturperioden Gegenstand überaus heftiger Kritik und sind es auch nach ihrem Inkrafttreten bis heute. § 127 b II StPO soll der Sicherung des beschleunigten Verfahrens dienen 141, womit das Haftrecht um einen neuen Haftgrund ergänzt worden ist 142 • Da im beschleunigten Verfahren schon nach dem Gesetz nur eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden darf, § 419 I S. 2 StPO, und der Anwendungsbereich faktisch ohnehin auf die Fälle beschränkt ist, in denen eine Geldstrafe zu erwarten Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft, S.46. s. I 13 (S. 53). 142 HK/Lemke, § 127b Rdnr. 3; Hellmann, Die Hauptverhandlungshaft gern.§ 127b StPO, NJW 1997, S.2147. 140 141
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
ist 143 , ist die Hauptverhandlungshaft nach der hier vertretenen Auffassung bereits deshalb abzulehnen 144• Es sprechen jedoch darüber hinaus weitere gewichtige Gründe gegen sie, die nicht durch Praktikabilitätserwägungen entkräftet werden können. Weder die mit der Hauptverhandlungshaft angestrebte häufigere Anwendung des beschleunigten Verfahrens noch die abschreckende oder gar erzieherische Wirkung einer schnellen Bestrafung sind mit den einzig zulässigen Zwecken der Untersuchungshaft- nämlich Gewährleistung der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung 145 - zu vereinbaren 146• Auch der als legitim anzusehende Zweck, die Aburteilung im beschleunigten Verfahren zu sichern, vermag die gesetzliche Regelung nicht zu rechtfertigen. Als Haftgrund genügt neben dem erforderlichen dringenden Tatverdacht nach § 127 b II StPO i. V. m. § 127 b I Nr. 2 StPO, daß "aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, daß der Festgenommene der Hauptverhandlung fernbleiben wird". Damit ist die bloße Befürchtung des Fernbleibens vom Termin ausreichend, so daß zu Recht von einem neuen Haftgrund des "vermuteten Ungehorsams" 147 gesprochen wird. Wenn damit gerade keine zusätzlichen Haftgründe erforderlich sind, kann ein Beschuldigter nach § 127 b StPO wegen eines vergleichsweise geringen Delikts, denn sonst käme das beschleunigte Verfahren ja gar nicht zur Anwendung, leichter festgenommen und inhaftiert werden als derjenige, der einer schwereren Straftat verdächtig ist oder als der Verdächtige, dessen Sache sich wegen der Schwierigkeit des Sachverhaltes erst gar nicht für das beschleunigte Verfahren eignet 148 • Diese Ungleichbehandlung wird um so deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, daß bei leichteren Straftaten (Taten, die nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bedroht sind, § 113 I StPO) wegen Verdunkelungsgefahr gar keine und wegen Fluchtgefahr Untersuchungshaft nur dann angeordnet werden darf, "wenn der Beschuldigte sich dem Ver143 HK/Lemke, § 127b Rdnr. 13; Hel/mann, Die Hauptverhandlungshaft gern.§ 127b StPO, NJW 1997, S. 2147; Asbrock, Hauptsache Haft! - Hauptverhandlungshaft als neuer Haftgrund, StV 1997, S.44. 144 s. IV 1 d ee (S. 95). 14s BVerfGE 19, 343 (349); 32, 87 (93). 146 So auch: Stintzing!Hecker, Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft?- Der neue Haftgrund des "vermuteten Ungehorsams", NStZ 1997, S. 572; Hel/mann, Die Hauptverhandlungshaft gern.§ 127b StPO, NJW 1997, S.2146; Hartenbach, Einführung der Hauptverhandlungshaft, ZRP 1997, S. 228; Asbrock, Hauptsache Haft! Hauptverhandlungshaft als neuer Haftgrund, StV 1997, S. 44; HK!Lemke, 127b Rdnr. 12; a. A.: LR/Hilger, 25. Auflage, §§ 122-136a, § 127b Rdnr.l; Grasberger, Verfassungsrechtliche Probleme der Hauptverhandlungshaft, GA 1998, S. 531. 147 Stintzing!Hecker, Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft?- Der neue Haftgrung des "vermuteten Ungehorsams", NStZ 1997, S.570. 148 Asbrock, Hauptsache Haft! - Hauptverhandlungshaft als neuer Haftgrund, StV 1997, S. 44; Stintzing/Hecker, Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft? - Der neue Haftgrund des "vermuteten Ungehorsams", NStZ 1997, S.573; HK/Lemke, § 127b StPO Rdnr.l4.
I. Die Reform der Untersuchungshaft
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fahren bereits einmal entzogen hatte oder Anstalten zur Flucht getroffen hat, im Geltungsbereich dieses Gesetzes keinen festen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat oder sich nicht ausweisen kann",§ 113 StPO. Hinzu kommt, daß die Haftanordnung nicht nur von einem einfachen Sachverhalt oder einer klaren Beweislage und dem zu befürchtenden Fernbleiben der Hauptverhandlung abhängt, sondern auch von der Erwartung, daß die Durchführung der Hauptverhandlung innerhalb von einer Woche zu erwarten ist(§§ 417, 127 b StPO) und damit faktisch von der Termindichte des jeweils zuständigen Gerichts 149 . Fällt der Beschuldigte in den Zuständigkeitsbereich eines Richters, dessen dichte Terminplanung die Einhaltung der Wochenfrist unwahrscheinlich macht, ist seine Inhaftierung nach§ 127b StPO unzulässig. Sollten noch Termine frei sein, könnte er in Haft genommen werden. Anlaß zu Kritik gibt ferner die Formulierung des § 127 b StPO. Die Eingriffsvoraussetzungen für eine Freiheitsentziehung werden mit den Worten "unverzüglich", "wahrscheinlich" und "zu befürchten ist" umschrieben. Dazu ist angemerkt worden, damit seien Begriffe in die Strafprozeßordnung eingeführt worden, die man sonst eher bei Wahrsagern suche 150• Obwohl der Strafprozeßordnung Prognoseentscheidungen durchaus nicht wesensfremd sind 151 , läßt es sich nicht leugnen, daß die Voraussetzungen des § 127 b StPO, wie die des Haftgrundes der Schwere der Tat, nicht den Anforderungen genügen, die an einen präzise formulierten Haftgrund zu stellen sind und den Grundsätzen der Gesetzesbestimmtheit und Rechtssicherheit abträglich sind. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Strafprozeßordnung bereits vor Einführung der Hauptverhandlungshaft ein taugliches Instrumentarium zur Sicherung eines Strafverfahrens zur Verfügung gestellt hat. Erscheint der Angeklagte zu der Hauptverhandlung nicht, so bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: Nach § 230 II StPO ist die Vorführung des Angeklagten anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, wenn das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist. Durch das unentschuldigte Ausbleiben hat der Angeklagte konkreten Anlaß zu der Prognose gegeben, er werde auch in Zukunft seiner Pflicht nicht nachkommen, während § 127 b StPO sich mit der bloßen Befürchtung begnügt. Die Anordnung der Hauptverhandlungshaft erscheint daher unverhältnismäßig und damit 149 Stintzing!Hecker, Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft?- Der neue Haftgrund des "vermuteten Ungehorsams", NStZ 1997, S. 573. 150 Hartenbach, Einführung der Hauptverhandlungshaft, ZRP 1997, S.227. 151 V gl. z. B.: § 81 g I StPO (Gefahr neuer, einschlägiger Straftaten); § III a I StPO (Vorhandensein von dringenden Gründen für die Annahme, daß die Fahrerlaubnis entzogen werden wird); § 112 II Nr. 2 StPO (Haftgrund besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde);§ 132a StPO (Vorhandensein von dringenden Gründen für die Annahme, daß ein Berufsverbot angeordnet werden wird); § 170 I StPO (Prognoseentscheidung des Staatsanwalts, ob er nach Sach- und Rechtslage wahrscheinlich am Ende einer Hauptverhandlung zum Antrag auf Verurteilung gelangen würde); § 244 II StPO (Beurteilung der Relevanz einer Tatsache).
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
unzulässig, wenn die zwangsweise Vorführung des Beschuldigten, die Vorrang vor dem Haftbefehl hat 152 , seine Anwesenheit sicherzustellen vermag 153 • Außerdem wird sich in vielen Fällen das Strafbefehlsverfahren anbieten 154 • Nach § 408 a StPO kann die Staatsanwaltschaft gegen den ausbleibenden oder abwesenden Angeklagten einen Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls stellen, der den Beschuldigten zum Einlegen eines Einspruchs und zum Erscheinen in der Verhandlung über den Einspruch zwingt. Andernfalls ist das Verfahren nach Ablauf der Einspruchsfrist (§ 410 III StPO) oder mit Verwerfung des Einspruchs (§§ 412, 329 I, III, IV StPO) rechtskräftig abgeschlossen. Die Verzögerungen, die das Strafbefehlsverfahren wegen der Einspruchsmöglichkeit mit sich bringt, sind im Interesse einer rechtsstaatlichen Strafrechtspflege und angesichts der schwerwiegenden Folgen von auch nur einer Woche Haft hinzunehmen. Wenn nur Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot, Verfall, Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung zu erwarten ist, kann gern. § 232 I StPO die Hauptverhandlung auch ohne den Angeklagten durchgeführt werden, wenn er ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, daß in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Das Gericht braucht daher bei Strafsachen von geringer Bedeutung die Anwesenheit des Angeklagten gar nicht erst festzustellen. Da§ 232I StPO aber dann nicht mehr anwendbar ist, wenn eine Strafe über einhundertachtzig Tagessätzen verhängt werden soll und sein Anwendungsbereich so hinter dem des beschleunigten Verfahrens zurückbleibt, stellt sich die Frage, ob dem Interesse an einer zügigen Durchführung von Strafverfahren nicht durch eine Erweiterung des § 232 StPO auf alle Fälle, die im beschleunigten Verfahren verfolgt werden sollen 155, Rechnung getragen werden könnte. Mit der Anwesenheitspflicht soll dem Angeklagten nicht nur das rechtliche Gehör gewährleistet werden, sondern ihm auch die Möglichkeit eröffnet werden, sich umfassend und uneingeschränkt zu verteidigen; außerdem soll dem Tatrichter im Interesse der Wahrheitsermittlung ein unmittelbarer Eindruck von der Person des Angeklagten, seinem Auftreten und seinen Erklärungen vermittelt werden 156 • Da dem Verzicht auf die Anwesenheit ein freier Entschluß des Beschuldigten zugrunde liegt- andernfalls wäre sein Ausbleiben nach § 230 II StPO entschuldigt- und er auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist, erscheint ein weitergehenBVerfGE32, 87 (93); Kl/M, §230, Rdnr.19; Pfeiffer!StPO, §230 Rdnr. 4. Hel/mann, Die Hauptverhandlungshaft gern. § 127 b StPO, NJW 1997, S. 2148. 154 Stintzing!Hecker, Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft? - Der neue Haftgrund des "vermuteten Ungehorsams", NJW 1997, S. 571; Im Ergebnis ablehnend: Grasberger, Verfassungsrechtliche Probleme der Hauptverhandlungshaft, GA 1998, S. 535. 155 Grasberger, Verfassungsrechtliche Probleme der Hauptverhandlungshaft, GA 1998, S.534. 156 BVerfGE57, 250 (274); BGHSt 3, 187 (190); 26, 84 (90); Kl/M, §230 Rdnr. 3; LR!Gollwitzer, 25. Auflage,§§ 213-237, § 230 Rdnr. I; KK!Tolksdorf , § 230 Rdnr. l. 152
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2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren
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der Eingriff in die Rechtsstellung des Beschuldigten an dieser Stelle vertretbar. Zumal ein beschleunigtes Verfahren nur in den Fällen eines einfachen Sachverhaltes oder klarer Beweislage zur Anwendung kommt, so daß gerade dann der Anwesenheit des Angeklagten im Hinblick auf die materielle Wahrheitstindung eine geringere Bedeutung zukommt, da schon ein höheres Maß der Annäherung an die materielle Wahrheit im Vergleich zu sonstigen Verfahren bestehen muß. Sonst wäre ein Vorgehen im beschleunigten Verfahren nicht möglich gewesen 157 • Wird eine Beschleunigung der Verfahren angestrebt, so empfiehlt es sich, keinesfalls den zu hohen Preis einer Ausweitung des Haftrechts zu zahlen, sondern allenfalls über eine Erweiterung des Anwendungsbereiches von § 232 StPO nachzudenken. e) Fazit
Würde man diese Erkenntnisse bei einer Reformierung des Ermittlungsverfahrens berücksichtigen, so müßte die Untersuchungshaft als die einschneidendste Maßnahme der Verfahrenssicherung vielleicht nicht mehr als "das trübste Kapitel der deutschen Strafrechtspflege" 158 bezeichnet werden.
2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens hat sich im Laufe der Zeit gewandelt159. Einerseits gibt es während des Fortgangs eines Ermittlungsverfahrens eine Vielzahl von Eingriffen in die Rechtssphäre des Beschuldigten, deren Rechtfertigung sich letztlich in der Existenz eines Ermittlungsverfahrens erschöpft. Beispielsweise sieht der Ermittlungsrichter in aller Regel den bei Durchsuchung und Beschlagnahme erforderlichen Anfangsverdacht schon durch die Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens als gegeben an, womit im Ergebnis die Definitionsmacht für Grundrechteingriffe gegenüber dem Beschuldigten bei der Staatsanwaltschaft liegt, die allgemein als "Herrin des Vorverfahrens" bezeichnet wird 160. Andererseits wurden mit dem Ersten Strafverfahrensreformgesetz 1974- neben der Abschaffung der Voruntersuchung - auch die erst durch die "kleine Strafprozeßreform" 1964 eingeführten Institute der Schlußanhörung und des Schlußgehörs beseitigt 161 . In der Begründung zu dem Gesetzesentwurf heißt es, daß sich die Erfahrun157 Grasberger, Verfasungsrechtliche Probleme der Hauptverhandlungshaft, GA 1998, S.534. 158 Heinemann, Die rechtliche Stellung des Angeklagten, S. 21; so heute noch: Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugungshaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 ( 1981) S. 452. 159 s. IV (S. 77 ff.). 160 Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens - Bestandsaufnahme und Reformtendenzen - , AnwBI. 1985, S. 438. 161 s. I 13 (S. 33, 29).
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
gen mit der Schlußanhörung und dem Schlußgehör wie folgt zusammenfassen lassen: "Die an die Einführung dieses Rechtsinstituts geknüpften Erwartungen haben sich in der Praxis nicht erfüllt. Die in wenigen Verfahren erreichbaren Vorteile stehen in keinem tragbaren Verhältnis zu den erheblichen Nachteilen in der Mehrzahl der Fälle" 162 , womit vor allem der Zeitverlust gemeint ist. Seitdem gibt es keinerlei formalisierte Teilhabe der Verteidigung beim Abschluß des Ermittlungsverfahrens mehr, so daß vor der Entscheidung für eine Anklageerhebung mit ihrer gegenüber der bloßen Existenz des Ermittlungsverfahrens noch weitaus größeren individuellen, sozialen und rechtlichen Bedeutung für den Beschuldigten keine Sperre mehr errichtet ist, die in diesem entscheidenden Stadium eine Beteiligung der Verteidigung sichert 163 • Alles in allem hat das Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten eine außerordentliche Bedeutung, und zwar außerhalb wie innerhalb des eigentlichen Strafprozesses, ohne daß dem die Verteidigerrechte und die Rechte des Beschuldigten in ihrer Effektivität entsprechen. Dazu sei kurz das Beispiel des nach herrschender Meinung fehlenden Rechts des Verteidigers, an der Vernehmung seines Mandanten durch die Polizei teilzunehmen, angeführt. In der Literatur wird hierzu teilweise der Standpunkt vertreten, der Beschuldigte könne die Anwesenheit des Verteidigers bei seiner polizeilichen Vernehmung doch dadurch "erzwingen", daß er andernfalls sein Erscheinen und seine Aussage verweigern werde 164• Diese Möglichkeit kann von der Strafverfolgungsbehörde jedoch mit einfachen Mitteln unterbunden werden. § 163 I S. 2 StPO verpflichtet die Polizei nur, von einer Vernehmung vorläufig abzusehen und einen neuen Vernehmungstermin zeitlich so geräumig anzusetzen, daß sich der Beschuldigte vorher mit einem Verteidiger beraten kann. Folgt der Beschuldigte dann einer erneuten Vorladung zur Vernehmung bei der Polizei nicht, hat er ausreichendes rechtliches Gehör im Sinne des§ 163 I StPO gehabt 165 . Sucht man nach einer Begründung für die Regelung, ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten nicht zu verankern, so findet man keinen einsichtigen rechtspolitischen Grund, es sei denn, man vermutete bessere Chancen, den Beschuldigten überhaupt zu einer Aussage und wenn, dann auch zu einer sich selbst belastenden zu bestimmen. Ein solches Motiv einer gesetzlichen Regelung würde aber der Subjektstellung des Beschuldigten widersprechen. Hierbei ist wichtig- und dies ist Ausfluß der prägenden Kraft des Ermittlungsverfahrens auf die Hauptverhandlung-, daß die Vernehmung des Beschuldigten durch die Polizei kein sich verflüchtigendes Durchgangsstadium ist, denn in Bundestagsdrucksache 7/551, S.42. Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens- Bestandsaufnahme und Reformtendenzen -, AnwBI. 1985, S.438. 164 Schlüchter, Das Strafverfahren, Rdnr. 75.3. 165 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 174; Benfer, Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren, S. 286. 162
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2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren
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aller Regel muß sich der Beschuldigte an seinem Aussageverhalten im Ermittlungsverfahren später festhalten lassen 166• Dadurch wird deutlich, daß das Minimum bislang gewährter Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren nicht ausreicht. Obwohl diese Ansicht in der Literatur durchaus so vertreten wird und auch von dem überwiegenden Teil eine Stärkung der Beschuldigtenposition gefordert wird 167 , ist gleichwohl ein kaum verständliches Desinteresse an der Entwicklung umfassender Reformkonzepte zu bemerken. Der Kontrast zu der lebhaften Erörterung anderer Themen ist auffällig. Es verwundert daher nicht, daß die Diskussion um die Reform des Ermittlungsverfahrens noch in den Anfängen steckt 168 • Es gibt allerdings auch die Auffassung, das Ermittlungsverfahren sei gänzlich unreformierbar im Sinne einer Erweiterung der Verteidigungsrechte, da dies der Eigenart und Struktur des Ermittlungsverfahrens widerstreite. In diese Richtung gehen beispielsweise die Äußerungen Emestis auf dem 41. Deutschen Anwaltstag: "Der Untersuchungszweck und sein Schutz sind zusammenfassend gesehen als Bedingung effektiver Strafverfolgung ein Angelpunkt des Ennittlungsverfahrens, um die unbeeinträchtigte Ennittlung der äußeren und inneren Tatseite und die Beweissicherung zu gewährleisten, ist es dem Gesetzgeber erforderlich und angemessen erschienen, Einschränkungen für Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungen zu ermöglichen, auch die Regel richterlicher Anordnung zu mildem, wo anders eben die Zwecke des Verfahrens gefährdet wären. Auf ein Wechselgespräch mit dem Verteidiger ist das Ermittlungsverfahren in dieser Anfangsphase nicht zugeschnitten. Es beteiligt den Verteidiger deswegen zu Anfang nur abgestuft. Die Zwecke des Verfahrens sind in der Gesamtschau der Gründe und Ziele, die sich aus den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts, auch der Strafprozeßordnung und des Standesrechts ergeben, eine Grenze, an der sich Teilhabe und Gestaltungsmöglichkeiten des Verteidigers im Ennittlungsverfahren und ebenso Änderungswünsche zu orientieren haben. Durchlässe in dieser Grenze würden Effizienz und Charakter des Ermittlungsverfahrens entscheidend verändem" 169•
Gegen diese Ansicht sprechen jedoch genau die Argumente, die bereits für den Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens ausschlaggebend waren. Ohne sie im einzelnen zu wiederholen, soll kurz noch einmal darauf hingewiesen werden, daß das Ermittlungsverfahren nicht nur vorbereitende Funktionen erfüllt, sondern ihm eine durchaus selbständige Bedeutung zukommt; 166 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 174; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 87 f.; Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 207 f. 167 Vgl.: Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen - Ein Überblick, ZAPFach 22, S. 86 m. w. N. 168 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtrefonn des Strafverfahrensrechts, FS für Kar[ Schäfer, S. 207 vgl. aber auch: Dokumentation: Eckpunkte einer Reform des Strafprozesses, Diskussionspapier der Regierungskoalitionen, abgedruckt in: St V 2001, S. 315. 169 Ernesti, Grenzen anwaltlicher Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, JR 1982, S.224.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
- diese Phase eine stark prägende Wirkung für den weiteren Verfahrensverlauf entfaltet; - gerade im Stadium des Anfangsverdachts die Weichen für die gesamten Ermittlungen gestellt werden; - Ermittlungsfehler im Vorverfahren sich wie auf einer "Rutschbahn" bis hin zur Wiederaufnahme erstrecken; - die Anklageerhebung angesichts der verhältnismäßig geringen Freispruchquote in der Hauptverhandlung die hohe Wahrscheinlichkeit bedeutet, daß der Angeklagte auch verurteilt wird. Demzufolge ist es mit einem rechtsstaatliehen Strafverfahren nicht mehr zu vereinbaren, dem Beschuldigten wirksame Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren vorzuenthalten. Vielmehr muß gelten, daß in dem Maße, in dem die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens wächst, auch seine Ergebnisse die Gewähr einer kontradiktorischen Bestandsaufnahme bieten sollten 170• Aufgrund der großen Defizite bei den Teilhaberechten sollen nun die Reformforderungen im einzelnen vorgestellt werden.
a) Benachrichtigungsrechte
Die Strafprozeßordnung sieht in § 163 a I StPO vor, daß der Beschuldigte "spätestens vor dem Abschluß der Ermittlungen" zu vernehmen ist und daß es in einfachen Sachen auch genügt, wenn ihm Gelegenheit zu einer schriftlichen Äußerung gegeben wird. Da eine anderweitige Informationspflicht nicht besteht, kann es vorkommen, daß die Hauptperson des Verfahrens, der Beschuldigte, von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erst unmittelbar vor deren Abschluß erfährt. Dann ist es in den meisten Fällen zu spät, eine Anklage noch zu verhindern, zu der es möglicherweise nie gekommen wäre, wenn der Beschuldigte vom Beginn der Ermittlungen an seinen Standpunkt hätte deutlich machen können. Deshalb wird gefordert, daß der Beschuldigte zum ehestmöglichen Zeitpunkt über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe benachrichtigt wird 171 • Nur dann läßt sich von Anfang an eine Entlastungslinie aufbauen. Sofern Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder Verhaftungen durchgeführt werden müssen, die durch eine vorherige Information vereitelt werden könnten, ist für diesen Fall eine Ausnahme anzuerkennen. An die Stelle der Benachrichtigungspflicht sollte dann ein Vermerk in der Akte no Müller, Bemerkungen zu den Grundlagen der Reform des Ermittlungsverfahrens, AnwBI. 1986, S. 52. 171 Vgl. auch: Däubler-Gmelin, Überlegungen zur Reform des Strafprozesses, StV 2001 ,
s. 361.
2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren
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treten und bei heimlichen Informationseingriffen sollte die nachträgliche Benachrichtigung in Betracht gezogen werden 172•
b) Anwesenheitsrechte Als eine der wichtigsten Informationsmöglichkeiten des Verteidigers wird man die Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren ansehen müssen. Nur durch sie kann der Verteidiger die Grundlagen des gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwurfs in Erfahrung bringen und unmittelbar zur Interessenwahrung seines Mandanten tätig werden. Die Bedeutung der Anwesenheitsrechte für eine effektive Strafverteidigung wird besonders dadurch deutlich, daß ihre Wurzeln größtenteils direkt in der Verfassung gesehen werden. Dabei wird einmal der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG genannt, wonach gerichtliche Entscheidungen nur aufgrundvon Tatsachen und Beweisergebnissen ergehen dürfen, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen konnten 173 • Zum anderen werden die Anwesenheitsrechte ganz allgemein als Ausfluß der Grundsätze der Waffengleichheit und der Gewährleistung eines fairen Verfahrens angesehen 174• Ein gesetzlich normiertes Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren besteht allerdings nur bei der staatsanwaltschaftliehen und richterlichen Vernehmung des Beschuldigten gern.§§ 163 all S.2 i.V. m. 168ci StPO, § 168cl StPO, bei der richterlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen gern. § 168 c II StPO, bei der richterlichen Augenscheinseinnahme gern. § 168 d I StPO sowie bei einem Haftprüfungstermin gern.§§ 117, 118a StPO. Dem Beschuldigten selbst kann die Anwesenheit bei der richterlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen gern. § 168c II StPO und gern. § 168d I StPO bei der richterlichen Augenscheinseinnahme gestattet werden. Darüber hinausgehende gesetzliche Regelungen bestehen nicht. aa) Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung Es hat stets Einigkeit darüber geherrscht, daß die Polizei befugt ist, dem Verteidiger die Anwesenheit bei der Vernehmung seines Mandanten zumindest zu gestatten, jedenfalls, wenn es der Aufklärung des Sachverhaltes förderlich erscheinen 172 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 84; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 192; Müller, Bemerkungen zu den Grundlagen der Reform des Ermittlungsverfahrens, AnwBI. 1986, S.52. 173 BGH NJW 1976, 1546 (1547); LR!Rieß, 24. Auflage, §§ 112-197, § 168c Rdnr.l. 174 Roxin, Strafverfahrensrecht, § II Rdnr. 10; LR!Schäfer, 24. Auflage Ein!. Kap. 6 Rdnr. 15; Müller, Grundsatz der Waffengleichheit im Strafverfahren, NJW 1976, S. I 063.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
sollte 175 • Obwohl sich der Beschuldigte nach § 137 StPO in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen kann, sagt diese Vorschrift nichts darüber aus, ob der Beschuldigte befugt ist, seinen Verteidiger zu der polizeilichen Vernehmung mitzunehmen. Auch dem Verteidiger selbst als Prozeßorgan ist in der Strafprozeßordnung an keiner Stelle das Recht eingeräumt, an einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung teilzunehmen. Daraus und aus der Neuregelung der§§ 168ci,IV, l68d, 163a1II S. 2 StPO durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrens von 1975, die dem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht nur bei richterlichen Untersuchungshandlungen und bei staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmungen gab, sowie aus der Tatsache, daß ein entsprechendes Anwesenheitsrecht des Verteidigers in die Bestimmung des § 163 a IV StPO gerade nicht aufgenommen worden ist, wird heute, wie zuvor bereits kurz angesprochen, überwiegend geschlossen, daß der Gesetzgeber dem Verteidiger bei der polizeilichen Vernehmung kein Anwesenheitsrecht geben wollte 176• Gegenüber dieser einleuchtenden Argumentation haben die vereinzelt vorgenommenen Versuche, ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers aus anderen Vorschriften abzuleiten, wenig Überzeugungskraft So wird beispielsweise auf die eben angesprochene Generalklausel des§ 137 I StP0 177 oder auf§ 136 I S. 2 StP0 178, der als Konkretisierung dieser Vorschrift angesehen wird, zurückgegriffen. Dabei wird jedoch verkannt, daß die Strafprozeßordnung mit den§§ 161 a, 163 a, 168c, 168 StPO über Spezialregelungen bezüglich der Anwesenheitsrechte des Verteidigers verfugt und so ein Rückgriff auf allgemeine Vorschriften nicht möglich ist 179• Es wird auch versucht, das Recht des Verteidigers auf Anwesenheit bei polizeilichen Vernehmungen mit dem Argument eines Erst-Recht-Schlusses zu begründen: Da die Polizei im Rahmen ihrer gesamten repressiven Tätigkeit im Auftrag der Staatsanwaltschaft, die das Ermittlungsverfahren allein leite, handele, sei es nicht einsichtig, warum das Hauptorgan, wie auch der Richter, durch die Anwesenheit eines Verteidigers beschränkt werde, während das Hilfsorgan solchen Beschränkungen nicht unterliege. Wenn bei der staatsanwaltschaftliehen und richterlichen Vernehmung ein Anwesenheitsrecht ausdrücklich normiert werde, müsse dies unter 175 Kleinknecht, Ermittlungen der Polizei nach der kleinen Strafprozeßreform, Kriminalistik 1965, S.454; Kl!M, § 163 Rdnr.16; KK!Wache, § 163a Rdnr.28. 176 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19 Rdnr. 62; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 173; Ne lies, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S. 75; LR!Rieß, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 163a Rdnr. 95; Kl!M, § 163 Rdnr.l6; KK!Wache, § 163a Rdnr. 28. 117 Gössel, Die Stellung des Verteidigers im rechtsstaatliehen Strafverfahren, ZStW 94 ( 1982), S. 35; Skuhr, Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NJW 1966, s. 1350. 178 Sieg, Zur Anwesenheit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NJW 1975, S. 1009. 179 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, s. 174.
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rechtsstaatliehen Gesichtspunkten erst recht für Vernehmungen der mehr vom Erfolgsdenken geprägten und zudem forensisch weniger ausgebildeten Polizeibeamten gelten 180• Obwohl diese Ansicht auf den ersten Blick einleuchtend erscheint, läßt sie doch außer acht, daß das "argumentum a maiore ad minus" nur zur Ausfüllung von Regelungslücken herangezogen werden darf und gerade nicht auf den hier vorliegenden Fall des sog. qualifizierten Schweigens anwendbar ist 181 • Von einem Teil der Literatur wird unter dem Stichwort der Waffengleichheit ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitet, wobei insbesondere darauf hingewiesen wird, daß das Bundesverfassungsgericht 182 sogar einem Zeugen das Recht zuerkannt habe, im Beistand eines Rechtsanwaltes zu erscheinen. Die angesprochene Entscheidung müsse daher für einen Beschuldigten erst recht gelten, der im Gegensatz zu einem Zeugen stärkere Gründe für einen derartigen Schutz habe 183• Diesem Argument muß jedoch entgegengehalten werden, daß die prozessuale Stellung und Funktion eines Zeugen prinzipiell eine andere ist als die eines Beschuldigten. Während der Beschuldigte jederzeit die Aussage verweigern darf, unterliegt der Zeuge grundsätzlich einer Aussage- und Wahrheitsptlicht, so daß eine vergleichbare Interessenlage nicht angenommen werden kann und ein Erst-RechtSchluß daher unzulässig ist 184• Obwohl es also für den Verteidiger nach geltendem Recht kein Anwesenheitsrecht bei polizeilichen Vernehmungen gibt, gehört der Gedanke, den Verteidiger vom Beginn der Ermittlungen an zu allen Vernehmungen des Beschuldigten- selbst zu den polizeilichen- zuzulassen, bereits zu den Reformbestrebungen in dem Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen von 1919, § 28 des Entwurfs. Dieselbe Forderung nach einem unbeschränkten Anwesenheitsrecht des Verteidigers wird auch heute wieder im Rahmen der Verstärkung der Teilhaberechte laut 185 • Dafür sprechen gewichtige Gründe: 180 Schäfer, Zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen des Beschuldigten, MDR 1977, S. 981. 181 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 174. 182 BVerfGE38, 105, (112). 183 Sieg, Zur Anwesenheit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NJW 1975, S. 1009; Riegel, Neuste Entwicklungstendenzen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, ZRP 1978, S. 20; Schäfer, Zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen des Beschuldigten, MDR 1977, S. 982. 184 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, s. 174. 185 Richter Il, Grenzen anwaltlicher Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, NJW 1981, S. 1822; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 192; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 85; Dahs, Zur Verteidigung im Ermittlungsverfahren, NJW 1985, S. 1118; Müller, Bemerkungen zu den Grundlagen der Reform
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Ohne ein Anwesenheitsrecht bei der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten ist der wesentliche Kernbereich der Ermittlungstätigkeit der Polizei dem Wirkungsbereich des Verteidigers entzogen. Die Aufgabe, den Beschuldigten bei der Wahrnehmung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zu unterstützen, kann der Verteidiger nur dann sinnvoll wahrnehmen, wenn er frühzeitig in das Verfahren eingeschaltet ist. Die Befürchtung, der Verteidiger könne, wenn er zuviel erfahre, die Wahrheitserforschung behindern, darf angesichts seiner Stellung als Rechtsp:fiegeorgan, das auch den Belangen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verpflichtet ist und gerade keinen einseitigen Interessenvertreter des Beschuldigten darstellt, nicht durchschlagen. Im Gegenteil, der Verteidiger könnte durch ergänzende und kritische Fragen Ermittlungsfehler vermeiden helfen, die sonst von einem Verfahrensabschnitt zum nächsten weitergetragen werden und manchmal nur noch schwer zu korrigieren sind 186• Selbst wenn man den Beschuldigten auf die einigermaßen unwürdige "Alternative" verweisen würde, die Anwesenheit seines Verteidigers bei der polizeilichen Vernehmung über den Weg der Einlassungsverweigerung zu erzwingen, so würde man einen informierten, rational handelnden und auch gegenüber geschulten Beamten berechnend reagierenden Beschuldigten- und damit unter Umständen einen erfahrenen Rückfalltäter- gegenüber demjenigen, der noch nie mit Strafprozessen in Konflikt geraten ist, bevorteilen 187 • Dieser Argumentation wird entgegengehalten, daß die Mitwirkung eines Verteidigers die Ermittlungsarbeit insoweit erschweren würde, als durch sie die Zahl der Geständnisse gemindert würde und die Belange der Strafverfolgung Schaden nehmen würden. Dazu wird vorgebracht, die Anwesenheit des Verteidigers habe sowohl auf den Beschuldigten als auch auf den Verhörsbeamten eine psychologische Auswirkung. Der Beschuldigte könne eher geneigt sein, einer eindringlichen Befragung inneren Widerstand entgegenzusetzen. Der polizeiliche Vernehmungsbeamte, der sich dem Verteidiger infolge des Gefühls, es mit einem voll ausgebildeten Juristen zu tun zu haben, unterlegen fühlen könnte, sei demnach in seinem Bemühen, richtige Angaben zu erhalten, gehemmt. Es müsse dem Vernehmungsbeamten aber entweder gelingen, das Vertrauen des Beschuldigten zu gewinnen oder an innere Spannungen bei dem Beschuldigten wie z. B. Schuldgefühle, Überraschung und Unsides Ermittlungsverfahrens, AnwBI. 1986, S. 52; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 88; Dokumentation: Ergebnisse der Arbeitsgruppen des 21. Strafverteidigertages vom 11. bis 13.4.1997 in Kassel, StV 1997, S. 387; Dokumentation: Eckpunkte einer Reform des Strafprozesses, Diskussionspapier der Regierungskoalitionen, abgedruckt in: StV 2001, S. 315. 186 Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 193; Nelles, Der Einfluß des Verteidigers auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S.74. 187 Nelles, Ansätze für eine Strukturreform des Ermittlungsverfahrens, S. 164; Krattinger, Die Strafverteidigung im Vorverfahren im deutschen, französischen und englischen Strafprozeß und ihre Reform, S.315.
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cherheit infolge der Entdeckung oder Angst anzuknüpfen. Es gehöre durchaus noch zu den erlaubten Mitteln polizeilicher Vernehmungstaktik, wenn der Polizeibeamte versuche, den Beschuldigten in Widersprüche zu verwickeln und in die Enge zu treiben. Bei einer so gestalteten Vernehmung könne die Anwesenheit eines Dritten nur stören, insbesondere, wenn dieser versuche, in die Gestaltung der Vernehmung einzugreifen. Das Bestreben der Vernehmungsbeamten, in der polizeilichen Phase möglichst rasch ein Geständnis zu erzielen, sei zur Aufklärung einer Straftat notwendig. Die erste Phase der Ermittlungen, die oft über den Ausgang des Verfahrens entscheide, müsse so gestaltet sein, daß den Strafverfolgungsorganen sozusagen "ein Vorsprung" eingeräumt werde 188 • Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß das Strafverfahrensrecht nicht nur als eine gegen den Straftäter gerichtete Rechtsordnung angesehen werden kann. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil das Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden bereits bei Vorliegen eines einfachen Tatverdachts vorgeschrieben ist (vgl. §§ 152 II, 160 I StPO) und das Verfahren erst der Erforschung des Sachverhaltes dient (vgl. § 163 I StPO). Der Gesetzgeber nimmt also bewußt in Kauf, daß sich das Verfahren gegen einen Beschuldigten richtet, der möglicherweise unschuldig ist. Trotz der Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden zu objektiver Ermittlung durch § 160 II StPO ist doch angesichts dieses Hintergrunds die Kontroll- und Entlastungsfunktion eines Verteidigers zum Schutz des Beschuldigten von erheblicher Bedeutung, wobei insbesondere zu bedenken ist, daß der Beschuldigte allein der häufig ungewohnten Situation 189 einer Vernehmung hilflos und damit auch weitgehend wehrlos gegenübersteht 190 • Da das Strafverfahrensrecht gerade dem Beschuldigten gerecht werden muß, der unschuldig ist 191 , müssen Beschuldigte grundsätzlich vor Überrumpelung geschützt werden, selbst wenn dies zu Lasten des sog. "Vorsprungs" der Strafverfolgungsorgane gehen sollte. Außerdem muß noch einmal an die dominierende Stellung des Ermittlungsverfahrens erinnert werden, in dessen Verlauf die polizeilichen Vernehmungsprotokolle angefertigt werden und denen urteilsprägende Bedeutung zukommen kann. Sie bilden die Grundlage für fast alle vorläufigen Maßnahmen, etwa die Anordnung der Haft oder die Entziehung der Fahrerlaubnis. Häufig werden die polizeilichen Protokolle von dem Haftrichter kurzerhand verlesen. In der Hauptverhandlung werden die Niederschriften mindestens dann vorgehalten, wenn sich Abweichungen gegenüber der früheren Einlassung ergeben. Widersprüche treten dabei sehr leicht auf, ohne daß sie in jedem Fall auf einer Lüge beruhen oder gar Schuld 188 Krattinger, Die Strafverteidigung im Vorverfahren im deutschen, französischen und englischen Recht und ihre Reform, S. 316 f. 189 Vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik 1999, S. 124: 1999 waren von allen ermittelten Tatverdächtigen 36,9 % bei der Polizei bereits als Tatverdächtige in Erscheinung getreten. 190 Burhoff, Handbuch des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, Rdnr. 655 a; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S.174. 191 BGH, NJW 1966, 210.
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beweisen, denn kaum ein Mensch ist in der Lage, den Inhalt einer Vernehmung auch nach kurzer Zeit noch in allen Einzelheiten im Kopf zu haben. Die Erfahrung zeigt zudem, daß es für einen Beschuldigten so gut wie unmöglich ist, von den polizeilichen Niederschriften seiner Vernehmung "wieder loszukommen"192. Formulierungen, die oft selbst der Vernehmungsbeamte in ihrer Tragweite nicht erkennt, können plötzlich prozeßentscheidend sein 193 . Protokolle der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten dürfen in der Hauptverhandlung zum Zweck der Beweisaufnahme über ihren Inhalt zwar nicht verlesen werden, bestreitet der Beschuldigte aber die Richtigkeit der Niederschrift oder äußert er sich nicht mehr zur Sache, kann der Vernehmungsbeamte über das Zustandekommen der Niederschrift als Zeuge vernommen werden. Das Protokoll darf ihm nach herrschender Meinung dann vorgehalten und zu diesem Zweck auch verlesen werden 194. Unter diesem Aspekt würde es einem liberalen Rechtsstaat gut anstehen, dem Verteidiger ein Recht auf Anwesenheit bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung einzuräumen und dieses auch gesetzlich zu verankern. bb) Anwesenheitsrecht des Verteidigers und des Beschuldigten bei der richterlichen Vernehmung von Mitbeschuldigten Die Bedeutung der Vernehmung eines Mitbeschuldigten wird vielfach unterschätzt, denn nicht selten besteht bei Mitbeschuldigten die Gefahr, andere Mitbeschuldigte zu Unrecht zu belasten, um sich selbst zu entlasten 195 . Aus diesem Grund ist es für die Verteidigung von größtem Interesse, an der Vernehmung eines Mitbeschuldigten teilzunehmen. Ob ein Recht auf Anwesenheit des Verteidigers bei der richterlichen Vernehmung von Mitbeschuldigten besteht, wird kontrovers beurteilt. Die Anwesenheitsrechte von Verfahrensbeteiligten bei der richterlichen Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen im Ermittlungsverfahren sind in § 168 c StPO geregelt. Nach § 168 c I StPO ist bei der Vernehmung des Beschuldigten der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. § 168 c II StPO sieht ein Anwesenheitsrecht der Staatsanwaltschaft, des Beschuldigten und des Verteidigers bei Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen vor. Der Mitbeschuldigte wird demgegenüber in § 168c StPO nicht erwähnt. Es fehlt also eine gesetzliche Regelung zu der Frage, ob ein Recht zur Anwesenheit für den 192
Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 225.
193 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV
1984, S.174. 19 4 Vgl. nur KIIM. §254 Rdnr.6 m. w.N. 195 Krause, Anwesenheitsrecht des Beschuldigten bei der Vernehmung von Mitbeschuldigten, NJW 1975, S. 2284, Fußnote 15; Sieg, Anwesenheit des Beschuldigten bei richterlichen Vernehmungen des Mitbeschuldigten, MDR 1986, S. 285; v. Dellingshausen, Zum Anwesenheitsrecht eines Mitbeschuldigten bei der richterlichen Vernehmung des anderen Mitbeschuldigten, FS für Stree und Wessels, S. 696.
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Mitbeschuldigten-und damit für dessen Verteidiger- bei der richterlichen Vernehmung des anderen Beschuldigten besteht 196• Anzumerken bleibt, daß sich das Problem des Anwesenheitsrechts bei Mitbeschuldigten nach geltendem Recht nur dann stellt, wenn gegen die Beschuldigten ein gemeinsames Verfahren geführt wird. Werden getrennte Verfahren geführt, ist der Beschuldigte nach dem geltenden formellen Beschuldigtenbegriff 197 im Verfahren gegen den anderen "Mitbeschuldigten" nur Zeuge und es gelten die allgemeinen Regeln, so daß für die richterliche Zeugenvernehmung gern. § 168 c II StPO ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers besteht. Der Bundesgerichtshof, der 1997 zu der Frage des Anwesenheitsrechts bei der Vernehmung eines Mitbeschuldigten in einem gemeinsamen Verfahren Stellung genommen hat, gelangt mit einem Teil der Literatur zu dem Ergebnis, es bestehe kein über den Wortlaut des § 168 c StPO hinausgehendes Anwesenheitsrecht des Beschuldigten und seines Verteidigers bei der Vernehmung von Mitbeschuldigten 198 • Eine in der Literatur mittlerweile wohl überwiegende Ansicht will und ein kleiner Teil der früheren obergerichtliehen Rechtsprechung wollte, da es sich um eine planwidrige Regelungslücke handele, die Vorschrift des § 168 c II StPO auf den Mitbeschuldigten und seinen Verteidiger analog anwenden 199• Dafür wird die Gesetzgebungsgeschichte des§ 168c StPO angeführt.§ 168c StPO ist durch das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9.12.1974 200 in die Strafprozeßordnung eingeführt worden. Bis dahin wurde hinsichtlich der Anwesenheitsrechte des Beschuldigten und seines Verteidigers bei der richterlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen im Ermittlungsverfahren auf die für die gerichtliche Voruntersuchung geltenden Vorschriften (§ 193 II StPO a. F.) verwiesen, wonach nur ein sehr eingeschränktes Anwesenheitsrecht zugestanden wurde. Da die gerichtliche Voruntersuchung mit dem Ersten Strafverfahrensreformgesetz abgeschafft wurde 201 , hätte sich der Gesetzgeber eigentlich mit einer redaktionellen Neufassung des Anwesenheits196 v. Dellingshausen, Zum Anwesenheitsrecht eines Mitbeschuldigten bei der richterlichen Vernehmung des anderen Mitbeschuldigten, FS für Stree und Wesse/s, S. 685. 197 Ganz herrschende Meinung, vgl. nur: BGHSt 10, 8 (10). 198 BGHSt42, 391(396); Theisen, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 20.2.1997, JR 1998, S.l69; KMR/Müller, § 168c Rdnr.2; Kl/M, § 168c Rdnr.l;HK!Krehl, § 168c Rdnr. 2; Gründ/er, Zur Frage der Anwesenheit des Beschuldigten bei richterlicher Vernehmung eines Mitbeschuldigten, MDR 1986, S. 903; Ranft, Strafprozeßrecht, Rdnr. 396; KK/Wache § 168c Rdnr. 11. 199 OLG Karlruhe, StV 1996, S. 302 (303); Rieß, Anmerkung zu Beschluß des OLG Karlsruhe v. 9.11 .1995, StV 1996, S. 306; Krause, Anwesenheitsrecht des Beschuldigten bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten, NJW 1975, S. 2284; v. Dellingshausen, Zum Anwesenheitsrecht eines Mitbeschuldigten bei der richterlichen Vernehmung des anderen Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren, FS für Stree und Wessels, S. 695; Sieg, Anwesenheit des Beschuldigten bei richterlichen Vernehmungen des Mitbeschuldigten, MDR 1986, S. 285; Burho.ff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 881 a; Dokumentation: Ergebnisse der Arbeitsgruppen des 21. Strafverteidigertages vom 11. bis 13.4.1997 in Kassel, StV 1997, S.387. 200 s. I 8 (S. 32). 201 s. I 8 (S. 32).
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rechts begnügen können 202 • Er hat die sich bietende Möglichkeit jedoch zum Anlaß genommen, die Anwesenheitsrechte des Beschuldigten und seines Verteidigers bei der richterlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen im Ermittlungsverfahren erheblich zu erweitern, alle nach dem bisherigen Rechtszustand bestehenden Einschränkungen zu beseitigen und dem Beschuldigten und seinem Verteidiger die Anwesenheit grundsätzlich zu gestatten203 • In der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es weiterhin: "Das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten erscheint schon deshalb angemessen, weil die Niederschrift über eine richterliche Vernehmung -anders als eine staatsanwaltschaftliehe Niederschrift- nach Maßgabe des § 251 I StPO in der Hauptverhandlung zum Zwecke des Beweises verlesen werden kann" 204 • Eine Beeinträchtigung der Ermittlungen durch eine Erweiterung des Anwesenheitsrechts wurde nicht befürchtet und insofern Bezug auf den ebenfalls neu eingeführten § 161 a StPO genommen, mit dem die Staatsanwaltschaft in die Lage versetzt wurde, eigenverantwortlich Vernehmungen auch zwangsweise durchzuführen und Sachverständigengutachten zu veranlassen, ohne daß ein Anwesenheitsrecht vorgesehen wurde. Außerdem wurde mit§ 168c III StPO die Möglichkeit geschaffen, den Beschuldigten von der Anwesenheit auszuschließen 205 • Da in diesem Sachzusammenhang ein Anwesenheitsrecht des Mitbeschuldigten und seines Verteidigers bei der richterlichen Vernehmung des anderen Mitbeschuldigten in den Gesetzesmaterialien keine Erwähnung findet und die richterliche Vernehmung eines Beschuldigten auch nach der Konzeption des Reformgesetzgebers auf Fälle von besonderer Bedeutung beschränkt sein sollte, liegt der Schluß auf ein Versehen des Gesetzgebers nahe. Aber auch die Gegner einer Analogie stützen ihre Auffassung auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, denn diese stärke keinesfalls die Annahme, die Einbeziehung des Mitbeschuldigten in die Regelung des § 168 c StPO sei nur versehentlich unterblieben. Dies könne insbesondere nicht aus § 251 IStPOund dem Hinweis auf die Verlesbarkeit in der Begründung des Gesetzesentwurfs geschlossen werden. Vielmehr spreche gerade diese Passage in den Gesetzesmaterialien dafür, daß der Gesetzgeber das Problem sehr wohl erkannt habe - denn in § 251 I StPO wird der Mitbeschuldigte ausdrücklich genannt - und den Mitbeschuldigten bewußt habe nicht einbeziehen wollen. Die§§ 169 II, 193 II StPO a. F., die den Mitbeschuldigten nicht nannten, aus denen § 168 c II StPO aber entwickelt worden sei, ließen die Vermutung ebenfalls nicht zu, der Gesetzgeber habe den Mitbeschuldigten bei der Schaffung der Neuregelung übersehen. Angesichts des Schweigens der zugängli202 v. Dellingshausen, Zum Anwesenheitsrecht eines Mitbeschuldigten bei der richterlichen Vernehmung des anderen Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren, FS für Stree und Wessels, S. 691. 203 Bundestagsdrucksache 7/551, S. 39, 76. 204 Bundestagsdrucksache 7/551, S. 76. 20 5 Bundestagsdrucksache 7/551, S. 76.
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chen Materialien, ob der Gesetzgeber den Mitbeschuldigten nun übersehen oder ihn bewußt aussparen wollte, muß man zugestehen, daß sich beide Ansichten mit gleichwertigen Argumentationsmöglichkeiten gegenüberstehen 206 . Eine weitere Argumentationslinie der Analogiegegner bezieht sich auf die strukturellen Unterschiede zwischen der Zeugen- und der Mitbeschuldigtenvernehmung. Die Gefahr einer gegenseitigen Beeinflussung durch die Anwesenheit sei bei der Mitbeschuldigtenvernehmung weitaus größer, so daß es gerechtfertigt sei, das grundsätzliche Anwesenheitsrecht des § 168c II StPO nicht darauf zu erstrecken. Dieser Gedanke erscheint auf den ersten Blick, zumal die Ermittlungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sind, nicht leicht von der Hand zu weisen. Es ist aber zu berücksichtigen, daß die Beschuldigten, die nicht in Haft sind, vielfältige Möglichkeiten haben, ihre Einlassungen abzusprechen. Darüber hinaus bewirkt ein solches Absprechen in der Praxis in vielen Fällen geradezu das Gegenteil von dem, was sich die Beschuldigten davon versprechen207 • Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß es zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung eines Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren durchaus noch offen sein kann, ob dieser Mitangeklagter oder Zeuge wird und die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit hat, durch Trennung oder Verbindung der Verfahren die Mitbeschuldigteneigenschaft zu schaffen oder zu verneinen. Daraus wird der Schluß gezogen, es sei geboten, den Zeugen und den Mitbeschuldigten im Verhältnis zum Beschuldigten unter dem hier zur Diskussion stehenden Aspekt gleichzubehandeln, damit nicht die formale Prozeßrolle darüber entscheiden könne, ob dem Beschuldigten und seinem Verteidiger eine oft wesentliche Verteidigungsmöglichkeit eröffnet werde oder nicht 208 • Über diese Begründung hinaus wird an anderer Stelle angemerkt, daß auch der Anspruch auf ein faires Verfahren für die Anwesenheitsrechte spreche, denn diese- insbesondere auch das des Verteidigers- seien als Ausfluß dieses allgemeinen Prozeßgrundrechts anzusehen 209 • Um einen Beschuldigten- und nur ihn, nicht seinen Verteidiger- im Einzelfall wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks von der Vernehmung eines Mitbeschuldigten fernzuhalten, werde dies durch die natürlich ebenfalls analog anzuwendende Vorschrift des § 168 c 111 StPO ermöglicht 210• Gerade hier wird deutlich, daß diese im 206 Rieß, 1. Roma locuta - causa finita? Anmerkung zu BGH, Urteil v. 20.2.1997, NStZ 1997's. 354. 207 Krause, Anwesenheitsrecht des Beschuldigten bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten, NJW 1975, S.2283. 208 OLG Karlsruhe, StV 1996, S. 303; LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr. 14; Krause, Anwesenheitsrecht des Beschuldigten bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten, NJW 1975, S. 2284; Sieg, Anwesenheit des Beschuldigten bei richterlichen Vernehmungen des Mitbeschuldigten? MDR 1986, S. 285. 209 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S.171.
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Einzelfall eventuell bestehende Gefahr es aber nicht rechtfertigen darf, generell den Beschuldigten von der Vernehmung eines Mitbeschuldigten auszuschließen. Dann stellt sich allerdings ein anderes, bislang eher wenig beachtetes Problem, nämlich die Frage, ob die Möglichkeit, das Anwesenheitsrecht auf die Person des Verteidigers zu begrenzen und den Beschuldigten selbst unter bestimmten Voraussetzungen auszuschließen, überhaupt aufrechterhalten werden sollte. Das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts hat mit§ 168c III StPO die bis heute gültige Variante über Ausschluß des Beschuldigten bei der richterlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen eingeführt. Der Verteidiger ist danach in jedem Fall zur Anwesenheit berechtigt, wenn auch nach § 168 c V S. 2 StPO bei einer mutmaßlichen Gefahrdung des Untersuchungserfolgs von der Pflicht seiner Benachrichtigung abgesehen werden kann. Die Benachrichtigung darf nicht schon dann unterbleiben, wenn sie zu einer Verzögerung des Verfahrens führen würde, sondern nur dann, wenn die Gefahr besteht, daß der Untersuchungserfolg vereitelt oder verschlechtert würde, wobei unter Untersuchungserfolg die Gewinnung einer Aussage, die in einem späteren Verfahrensabschnitt verwertet werden kann, zu verstehen ist 211 • Ob die Gefährdung nur die Folge einer zeitlichen Verzögerung sein darf oder sich auch aus anderen Umständen ergeben kann, wird von Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilt212 • Bei dem Beschuldigten selbst ist das Anwesenheitsrecht gern. § 168 c III StPO einschränkbar, wenn dessen Anwesenheit den Untersuchungszweck gefahrden würde, namentlich, wenn zu befürchten ist, ein Zeuge werde in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen. Dazu ist vorgebracht worden, das Anwesenheitsrecht des Verteidigers könne nicht weiter gezogen werden als das seines Mandanten. Erfahre er bei der Vernehmung von Umständen, deren Kenntnis den Beschuldigten zu Verdunkelungshandlungen veranlassen könnte, so stehe er vor dem Dilemma, entweder seinen Mandanten zu informieren und mit dem Verbot der Strafvereitelung in Konflikt zu geraten oder zu schweigen und damit das Vertrauen seines Mandanten einzubüßen, der sich von seinem Verteidiger im Stich gelassen fühle, wenn dieser ihm eine bevorstehende Verhaftung, eine Hausdurchsuchung etc. verheimliche. Die durch das Gesetz getroffene Regelung treibe einen Keil zwischen den Verteidiger und seinen Mandanten und setze den Verteidiger überdies bei einem Mißerfolg der beabsichtigten Untersuchungshandlungen naheliegenden Verdächtigungen aus 213 • Das Problem der Weitergabe von Informationen von dem Verteidiger an seinen Mandanten ist dem Strafprozeß immanent und auch bei der Gewährung von Akteneinsicht lebhaft umstritten. Dies gilt insbesonde210 LR/Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 168 c Rdnr.14; Sieg, Anwesenheit des Beschuldigten bei richterlichen Vernehmungen des Mitbeschuldigten? MDR 1986, S. 285; v. Dellingshausen, Zum Anwesenheitsrecht eines Mitbeschuldigten bei der richterlichen Vernehmung des anderen Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren, FS für Stree und Wessels, S. 699. 2 11 BGHSt29, 1 (3); KIIM, § 168c Rdnr.5; KK/Wache, § 168 c Rdnr.17. 2 12 Vgl. mitjeweils weiterenNachweisen: K//M, § 168c Rdnr.5; KK/Wache, § 168c Rdnr.17. 213 Welp, Zwangsbefugnisse für die Staatsanwaltschaft, Recht und Staat 1976, S.44.
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re für den in der Praxis wichtigen Fall, daß durch die Unterrichtung eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks eintritt, wobei auch hier besonders an eine bevorstehende Durchsuchung oder die Beantragung eines Haftbefehls zu denken ist 214 • Verteidiger und Beschuldigten hinsichtlich der Gewährung von Informationen durch eine Gleichbehandlung grundsätzlich auf eine Stufe zu stellen hieße aber, schon an der Stellung des Verteidigers im Strafprozeß zu zweifeln. Der Verteidiger ist nach herrschender Meinung ein selbständiges, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht gleichgeordnetes Organ der Rechtspflege, §§ 1, 31 BRA0 215 • Er ist Teilhaber und nicht Gegner der Rechtspflege. Gerade für einen Strafverteidiger, der vor den Gerichten als Repräsentant der "dritten Säule" der Rechtspflege auftreten will, ist es von größter Wichtigkeit, jeden Anschein von Unkorrektheit und "Mitwisserschaft" mit seinem Mandanten zu vermeiden 216 • Die Gefahr des Mißbrauchs von Informationen ist schon von Berufs wegen und aufgrund der andersartigen Interessenlage bei dem Verteidiger ungleich geringer als bei dem Beschuldigten selbst. Auch ist darauf hinzuweisen, daß der Streit darüber, ob der Verteidiger nun Organ der Rechtspflege oder einseitiger Interessenvertreter des Beschuldigten ist, letztlich unfruchtbar ist und die Reform des Strafprozesses nicht weiter führt, denn die einseitige Ausrichtung an Prinzipien kann nicht die Grundlage für die sachgerechte Bestimmung der Verteidigerfunktion im künftigen Strafprozeß sein und beide Begriffe entbinden für die Zukunft nicht von der Aufgabe, aus den Funktionszusammenhängen des Strafverfahrens heraus die Neubestimmung einzelner Verteidigungsrechte vorzunehmen 217 • Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es durchaus gerechtfertigt, das Anwesenheitsrecht von Verteidiger und Beschuldigtem unterschiedlich zu gestalten218 • Die praktischen Schwierigkeiten, die sich bei einer Vielzahl von Mitbeschuldigten daraus ergeben können, daß bei der Vernehmung eines Beschuldigten zahlreiche andere Beschuldigte zu benachrichtigen sind und eine größere Zahl von Verteidigern anwesend sein kann, müssen im Interesse der Gewährleistung wichtiger prozessualer Rechte hingenommen werden 219 • 214 Vgl. nur BGHSt29, 99 (103); Kl/M, § 147 Rdnr. 21; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 8; mitjeweils weiteren Nachweisen; a. A.: Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 253; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 84; ebenfalls mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 2 15 BVerfGE38, 105 (119); 53,207 (214); BGHSt 9, 20 (22); 15, 326; Kl/M, vor§ 137 Rdnr. l mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 2 16 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 30. 217 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar! Schäfer, S.200. 218 Im Ergebnis ebenso: Dahs, Bewältigung großer Strafprozesse- um welchen Preis?, NJW 1974, S. 1540; Stock, Zur Frage der Übernahme anglo-amerikanischer Strafprozegrundsätze in das deutsche Strafprozeßrecht, FS für Ritt/er, S. 3 \1. 219 LR/Rieß, §§ 112- 197, 24. Auflage, § 168c Rdnr. 14; v. Dellingshausen, Zum Anwesenheitsrecht eines Mitbeschuldigten bei der richterlichen Vernehmung des anderen Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren, FS für Stree und Wessels, S. 699.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Insgesamt sind die Argumente, die für eine Anwesenheitsbefugnis des Beschuldigten und des Verteidigers in analoger Anwendung der Absätze 2 bis 5 des § 168 c StPO angeführt werden, überzeugender, und dies obwohl "Karlsruhe gesprochen hat und die Sache erledigt ist" 220, denn der Bundesgerichtshof hat in der Absicht entschieden, eine für die Praxis bindende Klarstellung der Rechtsanwendung zu erreichen. Bei einer Reformierung des Ermittlungsverfahrens könnte durch eine Aufnahme des Anwesenheitsrechts in den gesetzlichen Katalog jedoch auch zur Klärung der Rechtslage, nur in entgegengesetzter Richtung, beigetragen werden. cc) Anwesenheitsrecht des Verteidigers und des Beschuldigten bei der Vernehmung von Mitbeschuldigten, Zeugen und Sachverständigen durch Polizei und Staatsanwaltschaft Der Beschuldigte und sein Verteidiger haben bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft dem Gesetz nach kein Recht auf Anwesenheit. § 161 a StPO verweist im Gegensatz zu§ 163 aiii S. 2 StPO, der die für die richterliche Vernehmung des Beschuldigten maßgebende Bestimmung des § 168 c I und V StPO auf dessen Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft für entsprechend anwendbar erklärt, nicht auf§ 168 c StPO. Dies gilt zwangsläufig auch für entsprechende polizeiliche Vernehmungen. Um eine Umgehungsmöglichkeit der hier zu untersuchenden Anwesenheitsrechte durch eine Verlagerung der Vernehmung auf die Polizei von vomherein auszuschalten, werden die polizeiliche und staatsanwaltschaftliehe Vernehmung im folgenden gleich behandelt221 • Die scheinbar naheliegende Möglichkeit, eine Ausdehnung der analogen Anwendung von § 168 c StPO auf die Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen durch Polizei und Staatsanwaltschaft einzufordern, kann jetzt nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, denn der Gesetzgeber hat wegen der, gemessen an richterlichen Protokollen geringeren Beweiskraft der staatsanwaltschaftliehen Protokolle222, diesmal bewußt auf eine Verweisung auf § 168 c StPO verzichtet. (1) Die Vernehmung von Sachverständigen Die Vernehmung von Sachverständigen spielt im Ermittlungsverfahren eine im Gegensatz zur Hauptverhandlung tatsächlich eher untergeordnete Rolle. Die Sach-
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22 Freie Übersetzung der Überschrift von Rieß, I. Roma locuta- causa finita? Anmerkung zu BGH, Urteil v.20.2.1997, NStZ 1997, S.353. 221 Im Ergebnis so auch: Welp, Zwangsbefugnisse für die Staatsanwaltschaft, Recht und Staat 1976, S. 44f. 222 Bundestagsdrucksache 7/551, S. 73, 76, Entwurfsbegründung.
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verständigen werden in der Regel lediglich beauftragt, ihr Gutachten zu den Akten zu geben. Zu ihrer Vernehmung kommt es nur dann, wenn das abgegebene Gutachten Fehler aufweist oder sich Verständnisfragen ergeben. Diese werden dann häufig in einem Gespräch zwischen dem Sachverständigen und der Staatsanwaltschaft geklärt, dessen Ergebnis dann in einem Vermerk festgehalten wird 223 • Obwohl das Fehlen eines Anwesenheitsrechts für den Verteidiger bzw. der Möglichkeit, die Anwesenheit des Beschuldigten zu gestatten, stets Anlaß von Kritik war 224 , ist gerade wegen der verhältnismäßig geringen praktischen Bedeutung der Sachverständigenvernehmung im Ermittlungsverfahren das Augenmerk vielmehr auf die Auswahl des Sachverständigen zu richten. Zuständig für die Auswahl des Sachverständigen im Ermittlungsverfahren ist gern.§ 161 ai S. 2 StPO die Staatsanwaltschaft. Will die Polizei im Vorverfahren einen Sachverständigen gern.§§ 161 ai, 163 I StPO hinzuziehen, wird dies im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft erfolgen. Nach Nr. 70IRiStBV ist dem Verteidiger vor der Auswahl des Sachverständigen die Gelegenheit zu geben, sich hierzu zu äußern, es sei denn, der Gegenstand der Untersuchung ist ein häufig wiederkehrender Sachverhalt (z. B. Blutalkoholkonzentration) oder es ist eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks (vgl. § 147 II StPO) oder eine Verzögerung des Verfahrens zu besorgen. Die Verteidigung hat damit nur ein sehr schwach ausgebildetes Recht zur Stellungnahme bei der Auswahl des vorgeschlagenen Sachverständigen. Dies ist besonders deshalb bedenklich, weil das Gericht später in der Hauptverhandlung den von der Staatsanwaltschaft bestellten Sachverständigen hört, ohne von sich aus einen anderen Sachverständigen zu beauftragen 225 • Ein Mitwirkungsrecht könnte so gestaltet werden, daß eine Beauftragung durch die Staatsanwaltschaft nur dann erfolgen darf, wenn eine Einigung mit dem Verteidiger über die Person des Sachverständigen und die vorzulegende Frage erzielt worden ist. Anderenfalls müßte unter Anhörung der Verteidigung der Richter entscheiden 226 • Die Rückübertragung dieser Kompetenz auf den Richter entspräche auch der historischen Intention der §§ 73, 78 StPO. Außerdem würde durch die Gewährung Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 886. Dahs, Bewältigung großer Strafprozesse- um welchen Preis?, NJW 1974, S. 1539f.; Grünwald, Empfiehlt es sich, besondere strafprozessuale Vorschriften für Großverfahren einzuführen?, Verhandlungen des fünfzigsten Deutschen Juristentages, C 40f.; Rudolphi, Strafprozeß im Umbruch, ZRP 1976, S. 172; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 85; Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens- Bestandsaufnahme und Reformtendenzen-, AnwBI. 1985, S.438. 225 Weigend, Tagungsbericht, Diskussionsbeiträge der Strafrechtslehrertagung 1981 in Bielefeld, ZStW 93 ( 1981 ), S. 1278; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 710. 226 Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 64; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 92. 223
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
der verstärkten Einflußnahme auf die Auswahl des Sachverständigen die Objektivität und Vollständigkeit der Begutachtung nachhaltig gefördert. Dadurch, daß so der Gefahr der Einseitigkeit vorgebeugt würde, wird gleichzeitig die Notwendigkeit der Beauftragung eines eigenen Sachverständigen durch die Verteidigung verringert, was von der Verteidigung bislang immer dann in Betracht zu ziehen war, wenn Beweisfragen zu klären waren, die von der Staatsanwaltschaft nicht oder nicht ausreichend angesprochen worden waren. Eine weitere Gefahr stellt das Festhalten der meisten Sachverständigen an ihren Gutachten in der Hauptverhandlung dar, ohne die allein maßgeblichen Feststellungen der Hauptverhandlung in ausreichender Weise zu berücksichtigen. Ferner kann ein Gutachter über die bei seinem Tätigwerden angefallenen Zusatztatsachen als Zeuge vernommen werden, wodurch die Möglichkeit besteht, daß ohne Kontrolle der Prozeßbeteiligten vorgenommene Befragungen von Aussagepersonen mittelbar zum Gegenstand der Beweisaufnahme werden. Es gehört jedoch zu den Grundsätzen eines rechtsstaatliehen Verfahrens, daß Ergebnisse von Vernehmungen nur dann in die Überzeugungsbildung des Gerichts eingehen dürfen, wenn die Verteidigung die Möglichkeit hatte, die vernommene Person ergänzend zu befragen und sie mit Vorhalten zu konfrontieren. Nur dann ist den Gefahren für die Wahrheitstindung durch bewußt oder unbewußt falsche Aussagen und durch Mißverständnisse soweit wie möglich vorgebeugt und die Stellung des Beschuldigten als Subjekt des Verfahrens gewahrt 227 • Für den Verteidiger könnte man ohnehin trotz der Entstehungsgeschichte des § 161 a StPO und des naheliegenden Umkehrschlusses aus§ 163aiii S. 2 StPO versuchen, ein Anwesenheitsrecht aus § 147 III StPO herzuleiten. Diese Bestimmung gewährt dem Verteidiger ein uneingeschränktes Einsichtsrecht in die in den Akten befindlichen Sachverständigengutachten, so daß es nicht einsichtig ist, den Verteidiger von der Anwesenheit bei Vernehmungen fernzuhalten, die das Ziel haben, einen Aktenbestandteil herzustellen, den der Verteidiger einsehen kann 228 • Zu denken ist daher auch hier an eine Änderung in der Weise, daß dem Verteidiger uneingeschränkt die Teilnahme an Vernehmungen des Sachverständigen - soweit diese überhaupt erforderlich werden - durch Polizei und Staatsanwaltschaft gestattet werden sollte, und der Beschuldigte ein einschränkbares Recht auf Anwesenheit erhält.
(2) Die Vernehmung von Zeugen und Mitbeschuldigten Der Zeuge ist schon häufig als das "schlechteste und unzuverlässigste Beweismittel, das unser Strafrecht kennt" 229 bezeichnet worden, obwohl er im Mittelpunkt der Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 90. LR/Rieß, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 161 a Rdnr. 34. 229 Dahs, Bewältigung großer Strafprozsse - um welchen Preis? NJW 1974, S. 1539. 227
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Beweiserhebung im Strafverfahren steht. Da Nr. 45 II RiStBV nur für die Beschuldigtenvernehmung gilt, wird die Aussage eines Zeugen, abgesehen von wenigen Fällen, nicht in einem Wortlautprotokoll festgehalten 230 • Eine Zeugenaussage ist mannigfaltigen Fehlerquellen ausgesetzt, die hier nur angerissen werden können. Die möglichen Fehler beginnen schlicht bei der Funktionsfähigkeit der Wahrnehmungsorgane eines Zeugen, den äußeren Bedingungen und der Selektivität der Wahrnehmung. Unvollständige Wahrnehmungen können unbewußt ergänzt, verfälscht oder in andere Sinnzusammenhänge eingefügt werden. Eine Wahrnehmungsverfälschung durch das Einfügen von Sinnzusammenhängen geschieht häufig aufgrund eigener Erfahrung, aufgrund bestehender Vorurteile, aufgrund persönlicher besonderer Motivation oder aus Konformitätsdruck. Soweit der Vernehmende bereits bestimmte Vorstellungen über das Tatgeschehen hat und sich von der Zeugenaussage Bestätigung erhofft, kann er schon Auslöser eines die Aussage verfalschenden Konformitätsdrucks sein 231 • Außerdem besteht die allgemein stark ausgeprägte Neigung, einen in sich (scheinbar) schlüssigen Zeugenvortrag - zumal wenn er die an ihn gestellten Erwartungen stützt - ohne weiteres zu glauben trotz der bekannten und belegten Tatsache der fast regelmäßigen Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit menschlichen Erinnnerungsvermögens 232 • Eine weitere Fehlerquelle birgt die Übermittlung des Wahrgenommenen und Erinnerten. Aufseiten des Vernehmenden besteht die Gefahr, durch "falsches Fragen" den Zeugen in seiner Aussage zu beeinflussen, womit diese sog. Suggestivfragen die stärkste Form von Konformitätsdruck darstellen. Unterschiedliche Sprachkompetenz von Vernehmendem und Zeugen kann auch dazu führen, daß sich Fragender und Befragter nur unzureichend verstehen, wenn nicht versucht wird, eine Kommunikationsbasis auf dem Niveau des Zeugen zu begründen 233 • Ein weiteres starkes Verzerrungspotenzial bildet die Protokollierung der Zeugenaussage. Die Versuchung des Vernehmenden, die Aussage in seiner Sprache zu protokollieren und damit, wenn auch nur unbewußt, zu ändern, ist groß 234 • Nur durch eine kontradiktorische Befragung und kontradiktorische Vorhalte kann vermieden werden, daß die Ermittlungsbehörden ihre Anklage einseitig auf möglicherweise unrichtige oder mißverstandene Aussagen stützen. Hätte der Verteidiger ein Anwesenheitsrecht und bestünde bei dem Beschuldigten die Möglichkeit, seine Anwesenheit zu gestatten, so könnte sofort zu der Zeugenaussage Stellung genommen, sie ergänzt, klargestellt, gegebenenfalls korrigiert und so dazu beigetragen werden, viele Ermittlungsfehler zu vermeiden 235 • 230 Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen - Ein Überblick, ZAPFach 22, S. 87. 23! Kühne, Der Beweiswert von Zeugenaussagen, NStZ 1985, S. 254. 232 Kühne, Der Beweiswert von Zeugenaussagen, NStZ 1985, S.254. 233 Kühne, Der Beweiswert von Zeugenaussagen, NStZ 1985, S. 255. 234 Kühne, Der Beweiswert von Zeugenaussagen, NStZ 1985, S.255. 235 Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 193.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, für das Urteil sei nur die Vernehmung in der Hauptverhandlung ausschlaggebend. Denn auch hier gilt, daß ein Zeuge nur selten bereit oder in der Lage sein wird, von einer im Ermittlungsverfahren festgelegten "Marschrichtung" in der Hauptverhandlung wieder abzuweichen 236 • Zwar wurde, wie bereits erwähnt, in der Entwurfsbegründung zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz 1974 hervorgehoben, der Nachteil des fehlenden Anwesenheitsrechts bei der staatsanwaltschaftliehen Vernehmung werde durch die Unterschiede hinsichtlich der Verlesbarkeit von richterlichen und staatsanwaltschaftliehen Protokollen ausgeglichen 237 • In der Praxis besteht jedoch die Möglichkeit, Verlesungsverbote durch Vernehmung der Verhörsperson und im Wege des Vorhalts zu umgehen 238 • Auf die Bedeutung der Aussage von Mitbeschuldigten und darauf, daß es gerade zu Beginn der Ermittlungen oft noch gar nicht klar ist, ob der Beschuldigte nun als Mitbeschuldigter oder nur als (verdächtiger) Zeuge anzusehen ist, ist bereits hingewiesen worden 239 • Die Ausführungen machen deutlich, wie wichtig die Aufnahme des Verteidigers in den Katalog der Anwesenheitsberechtigten und die Möglichkeit der Gewährung der Anwesenheit des Beschuldigten bei der Vernehmung von Zeugen und Mitbeschuldigten durch Polizei und Staatsanwaltschaft ist240•
dd) Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Verfahren zur Identitätsfeststellung Vor dem Hintergrund der geltenden Strafprozeßordnung erscheint weiterhin fraglich, ob sich der von einer Identitätsfeststellung nach §§ 163 b, 163 c StPO Betroffene während der Dauer des Festhaltens des Beistands eines Verteidigers bedienen kann und ob diesem der Zutritt zu dem Betroffenen zu gestatten ist. Da eine gesetzliche Regelung fehlt und sich aus den Gesetzesmaterialien ebenfalls keine Hinweise ergeben, wird diese Frage nicht einheitlich beantwortet. 236 Dahs, Bewältigung großer Strafprozesse- um welchen Preis? NJW 1974, S. l539; Welp, Zwangsbefugnisse für die Staatsanwaltschaft, Recht und Staat 1976, S. 34. 237 s. IV 2 b bb (S. 122). 238 Dahs, Bewältigung großer Strafprozesse- um welchen Preis?, NJW 1974, S. 1539; Grünwald, Empfiehlt es sich, besondere strafprozessuale Vorschriften für Großverfahren einzuführen?, Verhandlungen des fünfzigsten Deutschen Juristentages, C 34. 239 s.IV2bbb (S.l23). 240 Vgl. auch: Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 85; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 193; Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens- Bestandsaufnahme und Reformtendenzen -, AnwBI. 1986, S. 437; Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 57; Dahs, Bewältigung großer Strafprozesse - um welchen Preis?, NJW 1974, S.l540; Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S. 75.
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Einer Ansicht zufo1ge sollen die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht241 zu der Befugnis eines Zeugen, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, entwikkelt hat, Anwendung finden 242. Dann ergibt sich diese Befugnis aus dem dem Rechtsstaat immanenten Recht auf ein faires Verfahren und findet ihre Grenze allein in den Bedürfnissen der Aufrechterhaltung einer wirksamen und funktionsfähigen Rechtspflege. Daraus wird geschlossen, daß das, was ohne gesetzliche Grundlage verfassungsrechtlich für den Zeugen gilt, erst recht für den von einer Festhaltung Betroffenen gelten muß, in dessen Rechte durch die Identitätsfeststellung und die mit ihr verbundenen Zwangsmaßnahmen weitaus stärker und unmittelbarer eingegriffen wird und bei dem daher das Rechtsstaatsprinzip verstärkt die Möglichkeit einer effektiven Abwehr erfordert. Die Gegenmeinung 243 argumentiert mit einem Vergleich von§ 163 c II StPO und § 168 c StPO, aus dem zu schließen sei, daß es im Rahmen der Identitätsfeststellung kein Anwesenheitsrecht eines Rechtsanwaltes geben könne, sondern nur ein Unterrichtungsrecht eines Anwaltes oder eines Angehörigen. Dies sei besonders deshalb gerechtfertigt, weil sich bei den faktischen Maßnahmen der Identitätsfststellung im Gegensatz zur Vernehmung kein entsprechendes Schutzbedürfnis für die Anwesenheit eines Rechtsanwaltes ergebe. Die reine Benachrichtigung sei mithin ausreichend. Gerade das Argument des fehlenden Schutzbedürfnisses erscheint jedoch problematisch, denn damit wird die faktische Situation des zum Zwecke einer ldentitätsfststellung Festgehaltenen nicht richtig eingeschätzt. Es ist durchaus einsichtig, daß in der Lage, in der sich der Festgehaltene befindet, die Wirksamkeit seines Rechtsschutzes durch die Beratung mit einem Rechtsanwalt über die verschiedenen Möglichkeiten seines weiteren Verhaltens verbessert, wenn nicht sogar erst ermöglicht wird 244 . Ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit ist, daß der Betroffene prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrnehmen und Übergriffe der rechtsausübenden staatlichen Stellen angemessen abwehren kann. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher "Waffengleichheit" von Ankläger und Beschuldigtem gekennzeichnet und dient damit in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet245 • 2
41 BVerfGE 38, 105 ff.
LR!Rieß, Ergänzungsband zur 23. Auflage, § 163 b Rdnr. 41; LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage, § 163 b Rdnr. 34; Krause, Einzelfragen zum Abwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 171; KK/Wache, § 163 b Rdnr. 17; Dahs, Zur Verteidigung im Ermittlungsverfahren, NJW 1985, S. 1118. 243 Riegel, Die neuen Grundlagen der polizeilichen Personenkontrolle und Durchsuchung von Wohnungen im Strafverfahrensrecht, BayVBl 1978, S. 593; Kurth, ldentitätsfeststellung, Einrichtung von Kontrollstellen und Gebäudedurchsuchung nach neuem Recht, NJW 1979, S. 1380, Fußnote 68. 244 LR/Rieß, Ergänzungsband zur 23. Auflage,§ 163 b Rdnr.41. 245 BVerfGE38, 105 (111). 242
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Daraus hat zu folgen, daß, wenn ein Betroffener zum Zwecke der Identitätsfststellung festgehalten wird, einem Rechtsanwalt als Rechtsbeistand der Zutritt zu ihm nur soweit und solange versagt werden darf, wie dies im Interesse einer ordnungsgemäßen Identitätsfeststellung unerläßlich ist, denn die zulässige Identitätsfeststellung gehört zur Aufrechterhaltung einer wirksamen und funktionstüchtigen Rechtspflege. Im Einzelfall kann diese Einschränkung allenfalls dazu führen, daß bei einer größeren Zahl von Festgehaltenen die Zutrittsmöglichkeiten für den Rechtsanwalt unter Berücksichtigung der organisatorischen und räumlichen Möglichkeiten zeitlich begrenzt werden. Eine gänzliche Versagung wird dagegen kaum gerechtfertigt werden können 246 • Auch im Hinblick auf das Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Verfahren zur Identitätsfststellung müßte eine Reform des Ermittlungsverfahrens durch die Schaffung einer eindeutigen gesetzlichen Regelung zur Stärkung der Teilhaberechte beitragen. ee) Weitere Anwesenheitsrechte Über die zuvor eingehend erläuterten Anwesenheitsrechte hinaus werden noch weitere Forderungen gestellt. Für Untersuchungen des Beschuldigten durch Sachverständige sollte ebenfalls ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers vorgesehen werden. Dies erscheint vor allem deshalb geboten, weil es auch Aufgabe des Verteidigers ist, bei solchen Untersuchungen besonders darauf zu achten, daß die Rechte und die Persönlichkeit des Beschuldigten respektiert werden und er nicht zur Selbstbelastung veranlaßt wird 247 • Ferner sollte die Frage, ob dem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht bei der Gegenüberstellung zur Identifizierung zusteht, behandelt werden. Dabei wird die zu identifizierende Person in Augenschein genommen und nur der andere Teil als Zeuge vernommen, wobei die Gegenüberstellung ein Teil dieser Vernehmung ist248 • Der Beschuldigte darfnach ganz herrschender Auffassung auch gegen seinen Willen gegenübergestellt werden 249 • Bereits die Rechtsgrundlage ist umstritten. Teilweise wird §58 II StPO für die Identifizierungsgegenüberstellung im Vorverfahren als Ermächtigungsgrundlage nicht nur gegenüber dem Zeugen als Teil seiner Vernehmung, sondern auch gegenüber dem Beschuldigten angesehen 250• Nach der Gegenansicht soll §58 II StPO mangels Eingriffsermächtigung nicht die zwangsweise Gegenüberstellung des Beschuldigten rechtfertigen können; nach ihrer Entstehungsgeschichte regele die Vorschrift allein die VernehmungsgegenüberLR/Rieß, Ergänzungsband zur 23. Auflage,§ 163 b Rdnr. 41. Arbeitskreis Strafprozeßrejorm, Die Verteidigung, S. 92. 24 s Kl!M, §58 Rdnr.9. 249 Vgl. nur: BGHSt34, 39 (49); BGH JR 1994, S. 36; KIIM, §58 Rdnr. 9; KK!Senge, §58 Rdnr. 8; a. A. wohl nur: Grünwald, Probleme der Gegenüberstellung zum Zwecke der Wiedererkennung, JZ 1981, S. 423 ff. 2so BGHSt 34, 39 (49); Kl!M, §58 Rdnr. 9. 246 247
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stellung 251 . Die wohl überwiegende Meinung hält die Identifizierungsgegenüberstellung für eine Maßnahme nach § 81 a StP0 252, eine weitere Mindermeinung sieht in ihr eine erkennungsdienstliche Maßnahme nach § 81 b StP0 253 und ganz vereinzelt wird sogar eine Gesetzeslücke angenommen 254 . Wegen der unterschiedlichen Anordnungskompetenz bei §§58 II, 81 a und 81 b StPO ist eine Klärung dieser Rechtsfrage durch den Gesetzgeber erforderlich, wobei die Anordnung wie in § 81 a StPO grundsätzlich dem Richter vorbehalten sein sollte. Auch das Problem des Anwesenheitsrechts des Verteidigers wird unterschiedlich beurteilt. Nach der Rechtsprechung des Kammergerichts soll der Verteidiger des Beschuldigten bei einer Gegenüberstellung zum Zwecke seiner Identifizierung durch Zeugen auch dann kein Anwesenheitsrecht haben, wenn die Gegenüberstellung vor der Staatsanwaltschaft oder dem Ermittlungsrichter erfolgt255 . Dabei wurde die vom Kammergericht ausgesprochene Unanwendbarkeit der§§ 168c I, 163a1II S. 2 StPO mit dem formalen Hinweis gerechtfertigt, diese Form der Gegenüberstellung sei für den Beschuldigten keine Vernehmung. Zwar scheint es durchaus folgerichtig, die Vorschriften über die Vernehmung auch nicht entsprechend anzuwenden, wenn der Beschuldigte nicht vernommen wird,- das Kammergericht betonte, es handele sich lediglich um eine Zeugenvernehmung- jedoch gibt diese Entscheidung im Hinblick auf die Anwesenheitsrechte des Verteidigers Anlaß zur Kritik. Zum einen wird der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren, der ein sachkundiges Eingreifen in das Verfahrensgeschehen beinhalte, als verletzt angesehen und so ein Recht auf Anwesenheit hergeleitet256 und zum anderen ein Anwesenheitsrecht auf die Konzeption der Strafprozeßordnung gestützt 257 • Nach der letzten Auffassung lassen sich die beschränkten Rechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren nur damit rechtfertigen, daß sämtliche Feststellungen in der Hauptverhandlung von Grund auf neu getroffen und die geringeren Befugnisse im Vorverfahren durch eine umfassende Mitwirkung an der Beweisaufnahme im Hauptverfahren kompensiert werden. Wenn aber, wie bei der Gegenüberstellung, der entscheidende Beweisakt vor der Hauptverhandlung liegt, so stellen dieser Ansicht zufolge die Mitwirkungsrechte in der Hauptverhandlung keinen Ausgleich dar. Dieser könne nur dadurch erfolgen, 251 LR/Dahs, §§ 1-71 , 25. Auflage, §58 Rdnr.l2 m. w. N.
252 LR/Dahs, §§ 1-71, 25. Auflage,§ 58 Rdnr. 12; Odenthal, Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, S.434; OLG Bremen, MDR 1970, S.165; OLG Düsseldorf, VRS 1991, S.458. 253 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 33 Rdnr. 17; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rdnr. 185. 254 Grünwald, Probleme der Gegenüberstellung zum Zwecke der Wiedererkennung, JZ 1981, S.426; Welp, Anmerkung zu BGH, Beschluß v.4.1.1993, JR 1994, S.39. 255 KG, NJW 1979, S.1668f. 256 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, s. 171. 257 Odenthal, Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, S.435.
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daß das Anwesenheitsrecht des Verteidigers vorverlagert werde. Bei richtigem Verständnis ergebe sich diese Forderung daher aus der Konzeption der Strafprozeßordnung, die dem Verteidiger die Teilnahme an kommissarischen Vernehmungen ermöglicht, die eine zur Beweissicherung erfolgende Vorwegnahme eines Teils der Hauptverhandlung sind und an richterlichen Untersuchungshandlungen im Vorverfahren, deren Ergebnisse in der Hauptverhandlung unter erleichterten Voraussetzungen reproduzierbar sind. Nichts anderes könne gelten, wenn die Vorwegnahme der Hauptverhandlung aus der Natur des Beweiserhebungsaktes folge, zumalkein legitimer Grund ersichtlich sei, den Verteidiger von einer Ermittlungshandlung auszuschließen, an der der Beschuldigte beteiligt ist. Diese Argumentation wird im Hinblick auf die oft ausschlaggebende Bedeutung des Wiedererkennens für den Fortgang des Verfahrens nur schwerlich widerlegbar sein. Ein Großteil der bekanntgewordenen Justizirrtümer ist nach den Untersuchungen zum Fehlurteil durch falsches Wiedererkennen enstanden; die unrichtige Identifizierung des Tatverdächtigen bei einer Gegenüberstellung ist eine Hauptfehlerquelle des Strafverfahrens 258 • Nach einer Gegenüberstellung im Vorverfahren hat die Wiederholung oder Bestätigung des Wiedererkennens in der Hauptverhandlung keinen Beweiswert, beweiserheblich ist nur das erste Wiedererkennen 259 • Der durch eine unsachgemäße Gegenüberstellung eingetretene Schaden kann also nicht durch nachfolgende einwandfreie Gegenüberstellungen korrigiert werden, so daß bei der ersten Gegenüberstellung kriminalistisch einwandfrei verfahren werden muß260• Leider bieten einige Sachverhalte, die bisher Gegenstand der Rechtsprechung waren, ein anderes Bild: Bei einer Wahlgegenüberstellung trug nur der Beschuldigte die Kleidung, die der Zeuge zuvor als Täterkleidung beschrieben hatte261 , sämtliche Vergleichspersonen, mit Ausnahme des Beschuldigten, waren wesentlich jünger als die in der Personenbeschreibung angegebene Person 262 oder der Beschuldigte wurde als einziger in Anstaltskleidung gegenübergestellt, während die Vergleichspersonen Freizeitkleidung trugen 263 • Zu der Verfahrensweise bei Wahlgegenüberstellungen, die der Einzelgegenüberstellung wegen der suggestiven Wirkung, die von dem Wissen ausgeht, daß der zu Identifizierende als Täter in Betracht kommt, vorzuziehen sind 264 , haben sich in der 258 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, 2. Band, S. 91 ff.; Odenthal, Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, S. 433. 259 BGHSt 16,204 (206); OLG Karlsruhe, NStZ 1983, S.377; OLG Köln, StV 1984, S.l47. 260 Odenthal, Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, S.433. 261 BGH, StV 1993, S.627f. 262 OLG Frankfurt, StV 1986, S.l3f. 263 OLG Frakfurt, NStZ 1988, S. 41. 264 Odenthal, Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, S. 433 m. w. N.; Artkämper, Gegenüberstellungen- Erkenntnisquelle mit Kautelen, Kriminalistik 1995, S. 646: spricht von einem erheblich geringeren Beweiswert.
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kriminalistischen Praxis allgemein anerkannte Grundsätze entwickelt265 • Die Anwesenheit eines Verteidigers könnte helfen, die Einhaltung dieser Grundsätze zu sichern, z. B. zu gewährleisten, daß alle Vergleichspersonen ein besonderes Kennzeichen, das dem Zeugen bei dem Täter aufgefallen ist, wegen der davon ausgehenden Signalwirkung tragen; daß der Beschuldigte in einer Reihe von mindestens fünf Vergleichspersonen, die ihm nach Größe, Statur und Alter ähnlich sind, seinen Platz einnimmt; daß die Gegenüberstellung in mindestens zwei Durchgängen erfolgt, der Beschuldigte sich aber nur einmal in der Gruppe befindet, um so dem Erwartungsdruck des Wiedererkennens bei dem Zeugen vorzubeugen; daß bei der Auswahl der Vergleichspersonen von der Gegenüberstellung mit Polizeibeamten abgesehen wird, um zu vermeiden, daß diese allein aufgrund ihres routinierteren Auftretens eine andere Ausstrahlung haben als ein verunsicherter Beschuldigter; daß eine intensive Nachbefragung stattfindet und der Hergang der Gegenüberstellung in Wort und Bild originalgetreu festgehalten wird. In einem reformierten Ermittlungsverfahren ist daher gerade bei einer so vorweggenommenen Beweisaufnahme ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers 266 zu fordern.
c) Aus den Anwesenheitsrechten des Verteidigers resultierende Forderungen
Allein die gesetzliche Verankerung von Anwesenheitsrechten bliebe eine leere Hülse, wenn nicht zur Realisierung der Teilnahmerechte, wobei Teilnahmerecht auch Mitwirkungsrecht bedeuten muß, weitere Forderungen gestellt würden. aa) Benachrichtigungspflicht Da ein Anwesenheitsrecht, von dem der Verteidiger ohne Benachrichtigung in aller Regel keine Kenntnis erlangen kann, praktisch wertlos ist, muß auch das reformierte Anwesenheitsrecht um eine Informations- bzw. Ladungspflicht gegenüber dem Verteidiger ergänzt werden, wobei es nicht darauf ankommen sollte, ob dies durch formelle Ladung zu erfolgen hat, oder ob die einfache Information und Benachrichtigung genügen. 265 Vgl. Odenthal, Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, S. 433ff.; Artkämper, Gegenüberstellungen- Erkenntnisquelle mit Kautelen, Kriminalistik 1995, s. 645 ff. 266 So auch: Odenthal, Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, S.435; Odenthal, Anmerkung zu OLG Karlsruhe, NStZ 1984, S. 137; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 171; Grünwald, Probleme der Gegenüberstellung zum Zwecke der Wiedererkennung, JZ 1981, S.423; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 426b; LR/Dahs, §§ 1-111 n, 24. Auflage, § 81 a Rdnr. 38; Kl/M, § 168 c Rdnr. I.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Entscheidend ist, daß die vernehmende Institution (Gericht, Staatsanwaltschaft, Polizei) dem Verteidiger mitteilt, daß eine Vernehmung beabsichtigt ist und wann und wo sie stattfinden soll 267 • Wünschenswert ist dann auch die Entscheidung der Frage, ob ein Verteidiger immer zu benachrichtigen ist, oder ob und unter welchen Voraussetzungen seine Benachrichtigung unterbleiben darf. Nach dem geltenden§ 168c V S. 2 StPO unterbleibt die Benachrichtigung, wenn sie den Untersuchungserfolg gefahrden würde. Wann der Untersuchungserfolg gefährdet wird, ist allerdings umstritten. Sowohl die Rechtsprechung als auch die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur nimmt an, daß die Benachrichtigung des Verteidigers nicht nur dann unterbleiben darf, wenn der Untersuchungserfolg durch die mit der Benachrichtigung verbundene zeitliche Verzögerung der Ermittlungen gefährdet ist, sondern auch dann, wenn andere Gefährdungen zu befürchten sind, wie etwa das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, daß der Beschuldigte, sein Verteidiger oder ein anderer zur Anwesenheit Berechtigter seine Anwesenheit oder das durch die Vernehmung erlangte Wissen dazu mißbrauchen würde, die Ermittlungen durch unerlaubte Einwirkungen, insbesondere durch Beeinflussung des Aussageverhaltens von Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten, durch Beseitigung oder Veränderung noch nicht sichergestellter Beweismittel oder durch sonstige Verdunkelungshandlungen zu stören 268 • Eine stärker werdende Mindermeinung in der Literatur legt§ 168c V S. 2 StPO dahingehend aus, daß ausschließlich eine zeitliche Verzögerung unter dem Begriff der Gefährdung des Untersuchungserfolgs zu verstehen sei und nur eine solche von der Pflicht zur Benachrichtigung entbinde 269 • Der Bundesgerichtshof geht in einer Grundsatzentscheidung zu diesem Problem davon aus, weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte des § 168 c V S. 2 StPO könne die Frage beantworten, wann eine Gefahrdung des Untersuchungserfolges vorliege. Er stellt fest, daß als Untersuchungserfolg allgemein die Gewinnung einer wahrheitsgemäßen Aussage angesehen werde, die in einem späteren Verfahren 267 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 88; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 85; Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 57. 268 BGHSt29, 1 (3); 32, 115 (129); BGH, StV 1983,490 (493); 314 (315, 317); BGH, JR 1980, 252 (253); BayObLG, JR 1978, 173 (174); Peters, Anmerkung zu Urteil des BayObLG v.27.7.1977, JR 1978, S.174; Kl/M , § 168c Rdnr.S; KK/Wache, § 168c Rdnr.l7; Meyer-Goßner, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 2.5.1979, JR 1980, S.255. 269 Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspflichten, JZ 1980, S. 136; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 172; Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986; S. 75; Zaczyk, Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1987, S. 538; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 37 Rdnr. 25; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen- Ein Überblick, ZAP Fach 22, S. 90.
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verwertet werden könne, und daß nicht nur eine solche Gefahrdung in Betracht komme, die sich als Folge einer zeitlichen Verzögerung herausstellen würde270 • Es ist jedoch schon zweifelhaft, ob die Entstehungsgeschichte von § 168 c StPO nicht doch Aufschluß über seine Bedeutung gibt. Auf diese Entstehungsgeschichte ist bereits bei der Vernehmung von Mitbeschuldigten hingewiesen worden, sie spielt aber auch an dieser Stelle eine entscheidende Rolle, denn die Tendenz des Reformgesetzgebers von 1974 war eindeutig auf eine Erweiterung der Anwesenheitsrechte gerichtet 271 • Ist nun die Bekanntgabe des Vernehmungstermins die faktische Bedingung für die Wahrnehmung des Anwesenheitsrechts, "würde der vom Gesetzgeber gewollte erhöhte Schutz des dem Beschuldigten gewährten Anwesenheitsrechts ins Gegenteil verkehrt" 272 , wenn man die rechtlichen Voraussetzungen der Benachrichtigungspflicht hinter den prozessualen Standard zurückführen wollte, der vor dem ersten Strafverfahrensreformgesetz bestanden hat 273 • Vorher brauchten die zur Anwesenheit berechtigten Personen nur dann benachrichtigt zu werden, "soweit dies ohne Aufenthalt für die Sache" geschehen konnte, §§ 167 II, 193 III StPO a. F., wobei unter Aufenthalt die unsachgemäße Verzögerung im Fortgang der Sache zu verstehen war; die Benachrichtigung durfte also nur unterbleiben, wenn sie ihren Zweck- die Anwesenheit zu ermöglichen - wegen der Kürze der Zeit nicht mehr erreichen konnte 274 • Diese, für das Ermittlungsverfahren geltenden Einschränkungen verschärften sich für das Stadium nach Anklageerhebung, wo die Benachrichtigung nur bei Gefahr im Verzug unterbleiben durfte, worunter eine Steigerung des Aufenthaltskriteriums verstanden wurde. Danach hat nicht in Zweifel gestanden, daß allein eine zeitliche Verzögerung zum Ausschluß der Benachrichtigung führen durfte und daß der Wille des Reformgesetzgebers lediglich darauf gerichtet war, die über die einfache Verzögerung hinausgehenden Anforderungen auch für das Ermittlungsverfahren einzuführen, obwohl sich das nicht im Wortlaut niedergeschlagen hat 275 • Besonders zu berücksichtigen ist ferner, daß es bereits nach geltendem Recht ganz herrschende Auffassung ist, daß ein Verteidiger, der bei einer richterlichen Untersuchungshandlung nach § 168 c StPO anwesend ist, nicht deshalb von der Anwesenheit ausgeschlossen werden darf, weil von seiner Benachrichtigung nach BGHSt29, I (3). BGHSt 26, 332 (334); Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspflichten, JZ 1980, S. 135; Krause, Anwesenheitsrecht des Beschuldigten bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten, NJW 1975, S. 2283. 2n BGHSt26, 332 (334). 273 Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungsptlichten, JZ 1980, S. 135. 274 Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspflichten, JZ 1980, S. 135, m. w. N. 275 Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspflichten, JZ 1980, S. 135; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 172; Zaczyk; Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren, NStZ 1987, S. 539. 270 271
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§ 168 c VS. 2 StPO hätte abgesehen werden können. Der Ausschließungstatbestand des § 168 c III StPO gilt nicht für den Verteidiger, sondern nur für den Beschuldigten276, so daß das Anwesenheitsrecht des Verteidigers, wenn es ihm gesetzlich eingeräumt ist, unbeschränkbar ist. Erfahrt der Verteidiger also zufallig, ohne benachrichtigt worden zu sein, von dem Termin, darf er in jedem Fall teilnehmen. Diese Regelung ist nur vor dem Hintergrund einer Gefahrdung durch zeitliche Verzögerung verständlich, denn mit der zufalligen Anwesenheit des Verteidigers wird eben diese Verzögerungsgefahr hinfallig. Würde man weitere, sog. materielle Gefahrdungen des Untersuchungserfolgs in den Anwendungsbereich der Gefahrdungsklausel mit einbeziehen, so würde "man zu dem sinnwidrigen Ergebnis gelangen, daß dieser Untersuchungserfolg nur durch die Geheimhaltung des Termins, nicht aber auch durch die verschlossenen Türen des Vernehmungszimmers vor VerdunkelungshandJungen des Verteidigers geschützt werden dürfte" 277 • Eine weitere Konsequenz dieses Verständnisses wäre, daß es bei einem nicht benachrichtigten, aber dennoch zum Vernehmungstermin erscheinenden Verteidiger für den Vernehmenden nur die Möglichkeit gäbe, die Vernehmung auf einen späteren, besser geheimzuhaltenden Termin zu verlegen, um die so verstandene Gefahrdung des Untersuchungserfolgs abzuwenden278 • Könnte man für den Verteidiger durch das Unterlassen der Benachrichtigung das gleiche Ergebnis herbeiführen wie für den Beschuldigten, nämlich den Ausschluß von der Anwesenheit, würde dies auf eine Umgehung des Gesetzes hinauslaufen, das in § 168 c 1-III StPO den Ausschluß wegen materieller Gefahrdung allein auf den Beschuldigten beschränkt hat279• Entgegen anderer Auffassung 280 ist dieses Verständnis auch mit dem Wortlaut des Gesetzes zu vereinbaren. Obwohl es naheliegend erscheint, Untersuchungserfolg nach § 168 c V StPO und Untersuchungszweck nach § 168 c III StPO gleichbedeutend zu verstehen und so dem Untersuchungserfolg eine zeitliche Einschränkung abzusprechen, muß berücksichtigt werden, daß der Gesetzgeber des Ersten Strafverfahrenreformgesetzes an mehreren Stellen erstmals den Ausdruck "Gefahr im Verzuge" durch die Wendung "Gefahrdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung" ersetzt hat. Daraus kann leicht geschlossen werden, daß er auch in§ 168c V 276 BGHSt29, 1 (5); 31,148 (153); 32, 115 (129); BGH, StV 1983,49 (50); 314 (315, 317); 490 (493); Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 173; Kl/M, § 168c Rdnr.5; KK!Wache, § 168c Rdnr. 6, 19; LR!Rieß, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr.15. 277 Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspßichten, IZ 1980, 5.136. 278 Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspßichten, IZ 1980, S. 136; Zaczyk, Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren, NStZ 1987, 5.539; trotz a.A. auch: Meyer-Goßner, Anmerkung zu Urteil des BGH v.2.5.1979, IR 1980, S. 256. 279 LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage, § 168c Rdnr. 44; Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspflichten, IZ 1980, S. 136; Zaczyk, Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren, NStZ 1987,5.539. 280 Meyer-Goßner, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 2.5.1979, IR 1980, S. 255.
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StPO und vor allem in § 224 I StPO, wo früher von "Gefahr im Verzuge" ausdrücklich die Rede war, lediglich in verkürzter Form mit "Gefährdung des Untersuchungserfolges" diese die Formulierung "Gefahr im Verzuge" ersetzende Bedeutung im Auge gehabt hat 281 • In Anbetracht dieser Argumente kann für die Auslegung des§ 168c V S. 2 StPO nur ein Verständnis in Betracht kommen, das das Anwesenheitsrecht des Verteidigers grundsätzlich uneingeschränkt gewährt. Einschränkungen können sich nur ausnahmsweise von der technischen Seite der Benachrichtigung ergeben, so daß eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs nur dann angenommen werden darf, wenn die mit der Benachrichtigung verbundene zeitliche Verzögerung die Gewinnung des Beweismittels gefährden würde 282 • Die uneingeschränkte Forderung, keinerlei Vernehmungen durchzuführen, ohne den Verteidiger vorab informiert zu haben, könnte hingegen erhebliche Bedenken hervorrufen. Dieses Verlangen würde mit dem grundsätzlich nicht in Frage zu stellenden, vorrangigen Zweck des Ermittlungsverfahrens, zunächst einmal den notwendigen Verfahrensstoff zu sammeln, nicht mehr zu vereinbaren sein. Wenn also der Verlust eines Beweismittels infolge zeitlicher Bedrängnis zu befürchten ist, ist es immer noch besser, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege sichert es, als daß es ganz verloren geht283 • Fraglich ist, ob die Benachrichtigung dann unterbleiben kann, wenn der Termin so kurzfristig durchgeführt werden muß, daß sie es dem Verteidiger auch nicht mehr ermöglichen würde, an der Vernehmung teilzunehmen 284 • Gegen diese Auffassung spricht, daß so die Spekulation des Vernehmenden darüber, wo sich der Verteidiger befinden und wie lange er brauchen könnte, um zu der Vernehmung zu gelangen, darüber entscheiden würde, ob eine Benachrichtigung erfolgt oder nicht285 • Allerdings kann nicht auf den bloßen Benachrichtigungsvorgang als zeitliche Verzögerung abgestellt werden, denn dieser dürfte für sich allein genommen keinen nennenswerten Zeitablauf erfordern 286 , vor allem in Anbetracht des heutigen modernen Kommunikationszeitalters und der ständigen Erreichbarkeit über ein Mobiltelefon. Ein solches Verständnis der zeitlichen Verzögerung würde auf eine nahezu LR!Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 168c Rdnr.45. So auch: Welp, Anwesenheitsrechte und Benacluichtigungspflichten, JZ 1980, S. 136; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 172; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 282; Nettes, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986; S. 75; Zaczyk, Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1987, S. 538; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 37 Rdnr. 25. 283 Zaczyk, Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1987, S.538. 284 So: LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr. 40. 285 Zaczyk, Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1987, S.538. 286 LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr. 40. 281
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lückenlose Benachrichtigungspflicht hinauslaufen, so daß nur der Zeitverlust für eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs entscheidend sein kann, der dadurch entsteht, daß die zur Anwesenheit Berechtigten und deshalb zu Benachrichtigenden auch tatsächlich anwesend sein können. Besteht jedoch die Möglichkeit, den zur Anwesenheit Berechtigten durch eine kurzfristige telefonische Benachrichtigung vielleicht doch noch in die Lage zu versetzen, an der Vernehmung teilzunehmen, so ist dieser "Benachrichtigungsversuch" in jedem Fall zu unternehmen 287 • An der Möglichkeit, die Benachrichtigung des Verteidigers bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs als Folge einer- ausschließlichen und als solchen auch ausdrücklich zu definierenden - zeitlichen Verzögerung zu unterlassen, sollte auch in einem reformierten Strafprozeßrecht festgehalten werden. Mit dieser Einschränkung kann auch der Forderung der Anwaltschaft zugestimmt werden, die darauf hinweist, daß dem Verteidiger die Möglichkeit verschafft werden sollte, unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen einen Vernehmungstermin wahrzunehmen, denn gemäß § 168 c V S. 3 StPO haben die zur Anwesenheit Berechtigten bei Verhinderung keinen Anspruch auf eine Verlegung des Termins. Die Auffassung, nach der einem Verlegungsantrag wegen der Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber dem Beschuldigten grundsätzlich zu entsprechen sej288 , hat bislang keine Anhänger gefunden, aber immerhin wird § 168 c V S. 3 StPO dahingehend ausgelegt, daß es nicht ausgeschlossen sein soll, einem begründeten Verlegungswunsch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes und der Bedeutung der Vernehmung für das Verfahren und für die Verteidigung im Einzelfall Rechnung zu tragen 289 • Zur Verbesserung dieses Rechtszustandes wird an Mindestfristen gedacht, die gewährleisten sollen, daß der Verteidiger selbst, ein Mitverteidiger oder im Fall der Verhinderung ein Vertreter in Untervollmacht den Termin wahrnehmen kann 290 , wenn nicht der Verlust des Beweismittels infolge der dadurch entstehenden zeitlichen Verzögerung zu befürchten ist. bb) Frage- und Beanstandungsrechte Ein Teilnahmerecht muß ein Mitwirkungsrecht beinhalten. Die Forderung nach einem mit dem Anwesenheitsrecht verbundenem Frage- und Beanstandungsrecht So auch: LR!Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 168c Rdnr.40. Hegmann, Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten, S. 235 f. 289 K/IM, § 168c Rdnr. 5; KK!Wache , § 168c Rdnr. 20; LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage, § 168c Rdnr.47; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 154; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 232. 290 Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S.57. 287 288
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des Verteidigers stellt daher nichts anderes als eine Konkretisierung und Ausfüllung des Begriffs Teilhaberecht dar291 • Dabei wird keineswegs verkannt, daß es durchaus Stimmen gibt, die sich gegen eine Übertragung von Maximen, Institutionen und Gewährleistungen des Hauptverfahrens auf das Ermittlungsverfahren aussprechen, da das Ermittlungsverfahren aufgrundsachlogischer Gegebenheiten anders strukturiert sei als das Hauptverfahren 292 • Allerdings ist wieder auf die gewandelte Bedeutung des Ermittlungsverfahrens hinzuweisen und damit darauf, daß der Prozeß heute regelmäßig im Ermittlungsverfahren entschieden wird und daher frühzeitige und weitreichende Teilhaberechte dringend notwendig sind. Das Fragerecht des Verteidigers ist ein unverzichtbarer Bestandteil wirksamer Teilhabe, denn das bloße Anwesenheitsrecht bei Vernehmungen läßt lediglich schweigende Kenntniserlangung zu, das Fragerecht gewährt aktive Mitwirkung. Während es früher streitig war, ob über die Anwesenheitsbefugnis hinaus Mitwirkungsrechte bestehen, ist ein Fragerecht schon nach geltendem Recht im Grundsatz allgemein anerkannrl93 , denn ein Anwesenheitsrecht ohne die Möglichkeit, auf die Beweisaufnahme einzuwirken, würde dem Zweck der Anwesenheitsrechte-die Gewährleistung effektiver Verteidigung bereits im Ermittlungsverfahren verknüpft mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör- zuwiderlaufen 294 • Darüber hinaus soll die Möglichkeit, Fragen an die Vernehmungsperson und auch an den Beschuldigten zu richten, die Einbringung des Wissens des Beschuldigten in das Ermittlungsverfahren sichern. Das Recht zur Beanstandung von Fragen des Vernehmenden ist Ausfluß des Anspruchs, Verletzungen der Justizförmigkeit des Verfahrens abzuwehren und fehlerhafte Vorprägungen des Hauptverfahrens zu vermeiden 295 • Dieses formelle Beanstandungsrecht wird auch nicht dadurch entbehrlich, daß das Frageverhalten bereits durch die bloße Anwesenheit des Verteidigers regelgerechter und disziplinierter gestaltet sein wird, denn gerade im Ermittlungsverfahren muß eine Kontrolle der Fragen des Vernehmenden durch die Verteidigung gewährleistet werden, weil sowohl mißverstandene oder suggestive Fragen als auch die anschließende Protokollierungspraxis 296 eine Gefahr für den Beschuldigten darstellen. 291 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 86; Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 57; Taschke, Überlegungen zu einem künftigen Strafprozeß, Neue Justiz 1993, S. 202. 292 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S.208. 293 Kl!M, § 168c Rdnr.l; KK/Wache, § 168c Rdnr.l5; Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S. 76; LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr. 51 m. w. N. 294 LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage, § 168c Rdnr. 51. 295 Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 58. 296 s. S. 119 f., 129 f.
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cc) Recht auf Protokollierung wesentlicher Vorgänge Um der besonderen Struktur der Vernehmungen im Ermittlungsverfahren gerecht werden zu können, sind weiterhin gesetzlich festgeschriebene Protokollierungsrechte zu fordem 297 , was der ohnehin gängigen Praxis, Vernehmungsprotokolle zu fertigen, entsprechen würde. Im Gegensatz zur Hauptverhandlung, in der die Zurückweisung und Beanstandung von Fragen nach § 238 II StPO einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden kann, entscheidet über die Nichtgestattung der Frage, beispielsweise des Verteidigers, und über die Beanstandung der Frage durch den Verteidiger allein der Vernehmende, wobei die §§ 240 II, 241 StPO entsprechend anzuwenden sind 298 • Dies hat zur Folge, daß die unmittelbare Befragung eines Beschuldigten durch einen Mitbeschuldigten unzulässig ist, was sinnvoll und verständlich ist, aber auch Fragen zurückgewiesen werden können. Soweit vertreten wird, der Vernehmende könne das Fragerecht im Ermittlungsverfahren nach seinem Ermessen einschränken oder gar ausschließen 299 , dürfte allerdings kein freies, sondern nur gebundenes Ermessen bestehen, das sich dann wiederum an den §§ 240, 241 StPO zu orientieren hätte 300• Besteht nun Streit um die Zulässigkeit einer Frage, wird bei geltender Rechtslage empfohlen, das Protokoll der richterlichen Vernehmung, das nach § 168 a III S. 1 StPO den bei der Vernehmung Beteiligten zur Genehmigung vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen ist, nicht, wie nach § 168 aiii S. 3 StPO erforderlich, zu unterschreiben, sondern an dieser Stelle die streitige Frage als Grund für die unterbliebene Unterschrift zu nennen 301 • Dieser umständliche Weg würde überflüssig, wenn die nicht genehmigte Frage des Verteidigers oder die von diesem beanstandete Frage des Vernehmenden grundsätzlich in die Vernehmungsniederschrift aufgenommen und die Beanstandung protokolliert würde, gleiches müßte für die Begründung gelten. Diese Vorgänge sind als wesentliche Förmlichkeiten zu betrachten, die der Fixierung bedürfen, damit in der Hauptverhandlung Transparenz über den Ablauf der Vernehmungen im Ermittlungsverfahren besteht 302•
297 Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1986, S.58. 298 LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr. 31. 299 Kl!M, § 168c Rdnr.2. 300 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 699; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen, ZAPFach 22, S. 92. 301 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 699. 302 Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1986, S.58.
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dd) Verwertungsverbot in der Hauptverhandlung Nun stellt sich die Frage, was mit Aussagen zu geschehen hat, die unter Nichtbeachtung der dargestellten Forderungen zustande gekommen sind. Nach heutigem Recht liegt ein die Verwertbarkeit der richterlichen Vernehmung beeinträchtigender Verstoß immer dann vor, wenn einem Anwesenheitsberechtigten zu Unrecht verwehrt wird, an der Vernehmung teilzunehmen. Das ist der Fall, wenn er von der Anwesenheit ausgeschlossen wird, obwohl kein Ausschlußgrund vorlag, wobei dem vernehmenden Richter bei Anwendung des § 168 c III StPO ein breiter Beurteilungsspielraum zugestanden wird, oder wenn versehentlich oder absichtlich gegen die Benachrichtigungspflicht nach § 168c V S. 1 StPO verstoßen wurde 303 • Der Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht ist dann unschädlich, wenn der Berechtigte, obwohl er nicht benachrichtigt wurde, zum Termin erschienen ist und an ihm teilnehmen konnte. Im übrigen führt ein Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht nach allgemeiner Meinung 304 wegen eines wesentlichen Formfehlers zu einem Verwertungsverbot Das Protokoll darf in der Hauptverhandlung also nicht verlesen und auch der vernehmende Richter darf über den Inhalt der Vernehmung nicht befragt werden, denn dies stünde der verbotenen Verlesung einer richterlichen Vernehmungsniederschrift gleich. Ob das Verwertungsverbot auch ausschließt, die protokollierte Aussage durch Vorhalt in die Hauptverhandlung einzuführen oder als nichtrichterliche Niederschrift nach § 251 II StPO zu verlesen, wird hingegen, auch innerhalb der Strafsenate des Bundesgerichtshofs, unterschiedlich beurteilt. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat es für unzulässig erklärt, den Inhalt einer unter Verstoß gegen § 168 c V StPO erzielten richterlichen Zeugenaussage dadurch in die Hauptverhandlung einzuführen, daß sie dem Zeugen, der anders als vor dem Ermittlungsrichter aussagt, vorgehalten wird, und der Zeuge daraufhin bestätigt, damals so, wie protokolliert, ausgesagt zu haben. Dieses Verwertungsverbot hat der Strafsenat damit begründet, es sei ein nicht verständlich zu machendes Ergebnis, wenn der Weg über die Vernehmung des Ermittlungsrichters versperrt wäre, der Weg über einen Vorhalt an die vernommene Person selbst jedoch offen bliebe 305 • Der 3. Strafsenat hat den Anwendungsbereich eines durch die Nichtbeachtung von § 168c V StPO ausgelösten Verwertungsverbotes dann allerdings erheblich eingeschränkt. Er stützt seine abweichende Auffassung darauf, daß die fehlerhafte richterliche Niederschrift einer Niederschrift über eine nichtrichterliche Vernehmung gleichstehe und daher nach Maßgabe des § 251 II StPO zum Zwecke des Urkundsbeweises sogar hätte verlesen LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage, § 168c Rdnr. 54. BGHSt26, 332 (335); 31, 140 (144); Kl/M, § 168c Rdnr. 6; KK/Wache, § 168c Rdnr. 22; HK/Krehl, § 168 c Rdnr.6; LR/Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 168c Rdnr. 54; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S . 172. 3os BGHSt31, 140 (144). 303
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werden dürfen, so daß nicht einzusehen sei, warum aus einer solchen früheren Aussage bei Fehlen der Voraussetzungen des § 251 li StPO nicht wenigstens Vorhalte gemacht werden dürften, wenn als Beweismittel nur die in der Hauptverhandlung daraufhin abgegebene Zeugenaussage in Betracht komme. Der vom Bundesgerichtshof nun zu entscheidende Fall unterscheide sich auch von dem vorherigen Fall dadurch, daß das landgerichtliche Urteil nicht auf dem Inhalt einer durch Vorhalt eingeführten früheren Zeugenaussage beruhe, sondern auf dem, was der Zeuge in der Hauptverhandlung gesagt habe. In einem solchen Fall bestünden gegen den Vorhalt, der kein Beweismittel, sondern ein Vernehmungsbehelf sei, keine Bedenken, da dabei nur die Richtigkeit und Vollständigkeit der als Beweisgrundlage in Betracht kommenden Sachverhaltsschilderung des Zeugen in der Hauptverhandlung durch Vorhalte aus seiner früheren fehlerhaft zustandegekommenen richterlichen Aussage überprüft werden sollten 306 . Diese Entscheidung ist sowohl auf Zustimmung 307 als auch vielfach auf Kritik 308 gestoßen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Bundesgerichtshof an dieser Stelle allein daraufhätte abstellen müssen, daß aus seiner Sicht ein so beschriebener Vorhalt grundsätzlich kein Verwertungsverbot zur Folge haben kann, wobei eine Differenzierung innerhalb des Instituts des Vorhalts nicht angemessen erscheint, da jeder Vorhalt einer früheren Aussage in der Hauptverhandlung eine Verwertung dieser Aussage bzw. des Vernehmungsprotokolls darstellt, auch wenn es nicht um dessen "Übernahme" in die während der Hauptverhandlung erfolgenden Aussage geht 309, außerdem wird so übersehen, daß durch den Vorhalt der mangelbehafteten Aussage im Ermittlungsverfahren der Inhalt der Bekundung in der Hauptverhandlung in jedem Fall beeinflußt sein kann 310• Aber auch die Verlesbarkeit eines unter Verstoß gegen§ 168c StPO zustande gekommenen Protokolls als nichtrichterliche Vernehmungsniederschrift, zu der es jetzt in einem Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs heißt, es spreche vieles dafür, "zuzulassen, daß das Protokoll einer unter Verletzung der Benachrichtigungspflicht erfolgten richterlichen Vernehmung als Protokoll einer anderen - nichtrichterlichen- Vernehmung verlesen wird" 3 11 , ruft große Bedenken hervor. Das Bayerische Oberste Landesgericht312 hat ähnlich argumentiert, die fehlerhaft zustande gekommene richterliche Vernehmung als nichtrichterliche behandelt und BGHSt34, 231 (234f.). Kl!M, § 168 c Rdnr. 6; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rdnr. 75.3. 308 LR/Rieß, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr. 57 f.; KK/Wache, § 168c Rdnr. 22; Fezer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26.11.1986, StV 1987, S. 234; Hanack, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26.11.1986, JR 1988, S. 82; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S.173. 309 Fezer, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 26.11.1986, StV 1987, S. 234. 310 LR/Rieß, §§ 112- 197,24. Auflage,§ 168c Rdnr.58. 3 11 BGH, NStZ 1998, S.313. 3 12 BayObLG, JR 1977, S.475f. 306 307
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so die unzulässige Vernehmung des Zeugen geheilt, wobei es sich in angreifbarer Weise auf ein Urteil des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs 313 bezieht, in dem eine richterliche Vernehmung mittels einer nichtvereidigten Dolmetscherin wegen des in der Nichtbenachrichtigung liegenden Formfehlers als nichtrichterliche Vernehmung für verlesbar gehalten wurde. Bei der Vereidigung eines Dolmetschers handelt es sich um eine reine Formfrage, die sich nicht auf den Inhalt einer Vernehmung auswirkt. Wenn der Verfahrensfehler darin liegt, daß der zur Anwesenheit Berechtigte nicht benachrichtigt wurde und deshalb an der Vernehmung nicht teilnehmen konnte, können Auswirkungen dieses Fehlers auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Zeugenaussage nicht ausgeschlossen werden. Die Übertragung dieser Entscheidung auf andere Verfahrensfehler scheint daher nicht möglich 314• Dem wird entgegengehalten, der Wert einer Zeugenaussage hänge nicht von den Äußerlichkeiten ihres Zustandekommens, sondern in erster Linie davon ab, wieweit sie sich an der Wahrheit orientiere. Eine vor dem Richter gemachte Zeugenaussage trüge auch dann, wenn die Anwesenheitsrechte der Beteiligten nicht gewahrt wurden, nicht generell eine größere Gefahr in sich, die Wahrheit zu verfehlen, als die Aussage vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, bei der es so ausgeprägte Anwesenheitsrechte von vomherein nicht gebe 315 , es handele sich trotzdem um eine normale Zeugenaussage, die lediglich nicht durch das Konfrontationsrecht des Beschuldigten gehärtet sei 316• Dabei wird allerdings verkannt, daß sich die richterliche Vernehmung wesensmäßig und den prozessualen Formen und Auswirkungen nach grundlegend von einer nichtrichterlichen Vernehmung unterscheidet. Die Situation der richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren wird u. a. dadurch geprägt, daß dem Beschuldigten besondere Verfahrensrechte eingeräumt werden. Wird nun ein solches besonderes Verfahrensrecht verletzt, dann ändert das nichts an dem Charakter der richterlichen Vemehmung 317 • Es handelt sich auch nicht "lediglich" um das Fehlen der Erhärtung durch das Konfrontationsrecht, sondern um die Verletzung eines wesentlichen Verfahrensrechts des Beschuldigten. Hinter dem Hinweis, eine Benachrichtigungspflicht gelte für nichtrichterliche Vernehmungen zumeist gerade nicht, scheint der Gedanke zu stehen, daß dem Beschuldigten insoweit kein Unrecht geschehe, wenn das unter einer Verletzung von § 168 c V StPO zustande gekommene richterliche Protokoll als nichtrichterliches behandelt werde 318• Hat das Gesetz Benachrichtigungsund Anwesenheitsrechte vorgesehen, um auf die Vernehmung Einfluß nehmen zu BGHSt22, 118 (120). Fezer, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 26.11.1986, StV 1987, S. 235; Temming, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 3.11.1982; StV 1983, S. 52; obwohl im Ergebnis a. A. auch: Wönne, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 9.7.1997, NStZ 1998, S.314. 315 BayObLG, JR 1977, S.475; BGHSt22, 118 (120). 316 Wönne, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 9.7.1997, NStZ 1998, S.314. 3 17 Fezer, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 26.11.1986, StV 1987, S. 235. 3 18 Fezer, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 26.11.1986, StV 1987, S. 235. m
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können, kann ein Verstoß dagegen nicht durch die schlichte Hypothese ausgeräumt werden, dem Beschuldigten habe im Fall einer nichtrichterlichen Vernehmung dieses Recht ohnehin nicht zugestanden 319• Eine richterliche Vernehmung- auch eine fehlerhafte- ist nun einmal keine andere Vernehmung i. S. d. § 251 II StP0 320 • Entgegen der obiter dicta des 3. und 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, die darauf hindeuten, daß das Verwertungsverbot aufgrund einer Verletzung von § 168 c V StPO förmlich aufgegeben werden soll und neben einer Protokollverlesung nach § 251 li StPO auch Vorhalte aus der damaligen Vernehmung zugelassen werden sollen, ist die Annahme eines umfassenden Verwertungsverbots nach geltendem Recht vorzugswürdig 321 • Ein solches Verwertungsverbot gilt nach heutigem Verständnis nur bei einem Verstoß gegen§ 168c StPO und nicht bei einem gegen§§ 168, 168a StPO, wo nur die Förmlichkeiten der Protokollierung betroffen werden und nicht die Einwirkungsmöglichkeit der Prozeßbeteiligten auf den Inhalt der Untersuchungshandlung verkürzt wird. In derartigen Fällen ist daher, soweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen, nach ganz herrschender Meinung die Verlesung als nichtrichterliches Protokoll nach §§ 251 li, 253 StPO, sowie die Vernehmung der Verhörsperson über den Hergang der Vernehmung und die Möglichkeit, die Niederschrift zum Gegenstand von Vorhalten zu machen, zulässig 322 • Für das reformierte Strafverfahren wird nahezu einhellig eine sog. "Hauptverhandlungsverwertungsverbotsklausel" vorgeschlagen 323 , die sich sowohl auf eine unmittelbare wie auch auf mittelbare Verwertbarkeit und auf alle Verstöße gegen die eingeräumten, erweiterten Anwesenheitsrechte erstrecken soll. Es handelt sich dabei um eine der Kernthesen der Reform der Anwesenheitsrechte im Ermittlungsverfahren, der die Erkenntnis zugrunde liegt, daß die "Gefährdung des Untersuchungszwecks" als begrenzendes Element der Teilhaberechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren auch in Zukunft unverzichtbar sein wird. Da jedoch der Begriff der "Gefährdung des Untersuchungszwecks" schwer definierbar sei und über ihn insgesamt keine Einigkeit herrsche, wird vorgeschlagen, ihn Temming, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 3.11.1982; StV 1983, S. 52. Peters, Anmerkung zu BayObLG, Beschluß v. 14.3.1977, JR 1977, S.476. 321 Peters, Anmerkung zu BayObLG, Beschluß v.14.3.1977, JR 1977, S.477; Temming, Anmerkung zu BGH, Urteil v.3.11.1982; StV 1983, S.52; Fezer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26.11.1986, StV 1987, S. 235; LR!Rieß, §§ 112- 197,24. Auflage, § 168c Rdnr.60; KK!Wache, § 168c Rdnr. 22; Hanack, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 26.11.1986, JR 1988, S. 83; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 173; AK!Achenbach, § 168c Rdnr.18. 322 LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 168c Rdnr. 60 m. w. N. 323 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 89; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 86; Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 203; Richter II, Grenzen anwa1tlicher Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, NJW 1981, S.1823; Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 58. 319
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hinsichtlich der Anwesenheitsrechte in die Disposition der Ermittlungsbehörde zu stellen. Die Ermittlungsbehörde müsse selbst entscheiden, ob sie Erkenntnisse aus einer Vernehmung in Abwesenheit des Verteidigers gewinne, die ihr unter Umständen weitere Ermittlungshandlungen ermögliche. Sie müsse dannjedoch wissen, daß das, was sie tue, als Beweisergebnis in der Hauptverhandlung nicht reproduzierbar sei, sondern daß man dort bei der Stunde Null beginnen müsse 324• Dabei sei unter nicht reproduzierbar zu verstehen, daß die Niederschrift über die Vernehmung weder nach§ 254 StPO noch nach §§ 251, 253 StPO verlesen werden darf, der Inhalt der Protokolle nicht durch Vernehmung der Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden darf und auch der freie Vorhalt solcher Vernehmungsniederschriften untersagt ist. Hält es die Ermittlungsbehörde für angemessen, den Verteidiger von der beabsichtigten Vernehmung zu unterrichten und ihm die Anwesenheit zu gestatten, so soll das Vernehmungsprotokoll mit den Einschränkungen verwertbar sein, denen es nach geltendem Recht unterworfen ist. Die Nichtbeachtung der Obliegenheiten ließe zwar die Verwertung der Aussage im Rahmen der Stoffsammlung des Ermittlungsverfahrens zu, führe aber zu ihrer Unverwertbarkeit in der Hauptverhandlung in dem oben geschilderten weitesten Sinne. Auf diesem Weg, mit der sog. "Hauptverhandlungsverwertungsverbotsklausel", würde man bestimmten Strukturen und Eigenheiten des Ermittlungsverfahrens gerecht, die eine vollständige Erfüllung der Forderung nach Anwesenheit und Teilhabe nicht möglich sein ließe, wobei jedoch vermieden würde, daß dieser Mangel an Teilhabe, der mit Rücksicht auf den zügigen Fortgang der Ermittlungen hingenommen werden muß, sich bis in die Hauptverhandlung hinein fortzieht. Dieses Problem stellt sich in nur viel geringerem Ausmaß, wenn wie hier vertreten wird, daß unter einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs nur eine zeitliche Verzögerung zu verstehen ist. Das rein zeitliche Gefährdungsverständnis führt nicht zu den Problemen, die das materielle Gefährdungsverständnis nach sich zieht, nämlich der Frage, welche Intensität die materielle Gefährdung erreichen muß, um von einer Benachrichtigung absehen zu können. Insoweit ist der Begriff besser zu definieren und hat "das Moment der Klarheit auf seiner Seite"325 • Eine so verstandene Gefährdung des Untersuchungserfolges müßte nicht in die Disposition der Ermittlungsbehörde gestellt werden. Für den Fall, daß die Ermittlungsbehörde zu Recht eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs annimmt, bleibt es bei der Aussage, daß bei drohendem Verlust eines Beweismittels dessen Sicherung durch ein unabhängiges Organ der Rechtspflege in jedem Fall besser ist als sein gänzlicher Verlust 326 • DieVerwertbarkeit in der Hauptverhandlung bleibt unbenommen. Falls die Ermittlungsbehörde die erweiterten An324 Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens- Bestandsaufnahme und Reformtendenzen - AnwBI. 1985, S. 438. 325 Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, S. 172. 326 s.IV2caa (S.139 f.).
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wesenheitsrechte mit den daraus resultierenden Rechten bewußt oderunbewußt verletzt, ergibt sich ein Mangel an Verteidigung, der der Kompensation bedarf. An dieser Stelle muß dann die umfassende "Hauptverhandlungsverwertungsklausel" mit den oben geschilderten Folgen eingreifen. Klarzustellen bleibt, daß es für die Frage der Verwertbarkeit nur auf die eingeräumte Möglichkeit der Anwesenheit, nicht auf die tatsächliche Ausübung des Anwesenheitsrechts ankommen darf327 • Da das Verbot der Reproduktion ausschließlich dem Schutz des Beschuldigten vor ihn belastenden Aussagen dient, müßte eine Einführung in die Hauptverhandlung auch dann zulässig sein, wenn Beschuldigter und Verteidiger ihr zustimmen 328• d) Stärkung des Rechts auf Akteneinsicht Neben dem Anwesenheitsrecht des Verteidigers kann man die Akteneinsicht, die auch als wichtigstes Privileg der Verteidigung im Ermittlungsverfahren angesehen wird 329, als den zweiten Stützpfeiler wirksamer Teilhabe im Ermittlungsverfahren bezeichnen. Ohne die Kenntnis der zur Last gelegten Umstände, des vorhandenen Belastungsmaterials und der nur dadurch eröffneten Möglichkeit zur Auftindung entlastender Tatsachen und Beweise, kann der Verteidiger keinen wirksamen Beistand leisten. Die Kenntnisse, die er für eine erfolgreiche Verteidigung benötigt, befinden sich in der Strafakte. Schon nach geltendem Recht steht dem Verteidiger grundsätzlich auch schon vor Abschluß der Ermittlungen ein uneingeschränktes Recht auf Akteneinsicht nach§ 147 I StPO zu, dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, können gem. § 147 VII StPO Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden. aa) Akten und amtlich verwahrte Beweisstücke Was allerdings unter dem Begriff "Akte" zu verstehen ist, beschreibt die Strafprozeßordnung weder an dieser noch an anderer Stelle. Allgemein werden zu den Akten, auf die sich das Einsichtsrecht des Verteidigers erstreckt, alle vom ersten Zugriff der Polizei an gesammelten be- und entlastenden Schriftstücke einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen, ferner die nach Anklageerhebung entstandenen Aktenteile und die vom Gericht herangezogenen oder von der Staatsanwaltschaft nachgereichten Beiakten oder sämtliche verkörperte Ermittlungs- und Verhandlungsergebnisse, die im Verlauf der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft oder 327 Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens- Bestandsaufnahme und Reformtendenzen- AnwBI. 1985, S. 438. 328 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 91. 329 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 233.
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ihre Hilfsbeamten sowie nach Anklageerhebung bei Gericht angefallen und in das Eigentum der Justiz übergegangen sind, gezählt330• Nahezu unbestritten ist, daß die Handakten der Staatsanwaltschaft nicht von der Akteneinsicht umfaßt werden, denn in diese gehören nur Schriftstücke, die den inneren Dienst der Staatsanwaltschaft betreffen 331 • Als besonders schwierig und umstritten gestaltet sich neben der Behandlung von Beiakten, Akten anderer Behörden, geheimhaltungsbedürftiger Akten und auch von Strafregisterauszügen die Behandlung von Spurenakten. Als Spurenakten werden die Akten angesehen, die tatbezogene Überprüfungen eines Sachverhalts oder einer Person enthalten, wie Fingerabdrücke, Autokennzeichen, Bevölkerungshinweise oder Nachweise über andere Ermittlungen332 • Hinsichtlich des Meinungsstandes kann nur, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, kurz darauf hingewiesen werden, daß sich das Schrifttum überwiegend für eine grundsätzliche Einbeziehung der polizeilichen Spurenakten in die Hauptakten ausspricht333 , wohingegen die Rechtsprechung dem eher ablehnend gegenübersteht 334 • Nach Auffassung der Rechtsprechung sind Spurenakten nur dann als Beiakte zu den Hauptakten zu nehmen, wenn ein Sachzusammenhang i. S. einer möglichen schuld- oder rechtsfolgenerheblichen Bedeutung des Akteninhalts besteht; nur dann unterlägen sie dem Einsichtsrecht des Verteidigers. Wann eine Spurenakte schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevant ist, sei selbständig von der Staatsanwaltschaft zu prüfen. Obwohl die Frage, ob Spurenakten dem Akteneinsichtsrecht nach§ 147 StPO unterfallen, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 335 , das der Verteidigung ein nach §§ 23 ff. EGGVG einklagbares Recht auf Einsicht auch in die Spurenakten zuerkannt hat, die Polizei und Staatsanwaltschaft dem Gericht nicht vorlegen, an praktischer Relevanz verloren hat, zeigen diese Probleme doch, daß es bislang keine präzise Fassung des Aktenbegriffs gibt336• Eine klare Definition erscheint angesichts der immensen Bedeutung des Rechts auf Akteneinsicht jedoch in Zukunft erstrebenswert. 330 Schäfer, Die Grenzen des Rechts auf Akteneinsicht durch den Verteidiger, NStZ 1984, S. 204; KIIM, § 147 Rdnr. 13 ff.; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 4; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 22. 331 KI/M, § 147 Rdnr. 13; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr.4; LR/Lüderssen, §§ 112-197,24. Auflage, § 147 Rdnr. 30; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 58; a. A. wohl: AK/Stern, § 147 Rdnr. 16. 332 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 72. 333 KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 4; AK/Stern, § 147 Rdnr. 20; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 45; HK!Julius, § 147 Rdnr. 7; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 59; Wasserburg, Einsichtsrecht des Verteidigers in kriminalpolizeiliche Spurenakten, NStZ 1981, S.211 ; KI/M, § 147 Rdnr.l8 m. w. N. 334 BGHSt30, 131 ff.; BVerfG, NJW 1983, 1043 (1045). 33s BVerfGE63, 45 (57). 336 LR/Lüderssen, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 23.
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Das Akteneinsichtsrecht soll eine lückenlose Information über die im Ermittlungsverfahren gesammelten schriftlichen Unterlagen ermöglichen. Entscheidend ist, daß die Verteidigung in die Lage versetzt wird, eigenverantwortlich zu prüfen, welche Unterlagen sie für verteidigungsrelevant hält, so daß eine Vorauswahl der von Polizei oder Staatsanwaltschaft vorzulegenden Akten nicht in Betracht kommen darf337 , ein Argument, das auch immer, zu Recht, für eine Einbeziehung aller Spurenakten ins Feld geführt wird. Zu den Akten, auf die sich das Einsichtsrecht der Verteidigung erstreckt, gehören nach richtigem Verständnis alle schriftlich erstellten Unterlagen, die in einem Ermittlungsverfahren je angefallen sind, sei es, daß sie von der Polizei, sei es daß sie von der Staatsanwaltschaft angefertigt worden sind, und auch alle nach dem Übergang in das gerichtliche Verfahren angefallenen Unterlagen338. Bestünde für die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder das Gericht die Möglichkeit, Vorgänge aus den Akten femzuhalten, indem zwar mündlich Informationen entgegengenommen, diese aber nicht schriftlich fixiert würden, so würde dies wiederum zu einem Defizit führen. Daher sollten nicht nur alle Unterlagen zu den Akten zu nehmen sein, sondern darüber hinaus über alle im Verfahren anfallenden Informationen oder sonstigen Vorgänge Vermerke angefertigt werden 339• Das Recht zur Einsicht in die Akten wird durch das Recht zur Besichtigung der amtlich verwahrten Beweisstücke nach § 147 I 2. Variante StPO ergänzt 340. Unter Beweisstücken versteht man alle als Beweismittel dienenden Sachen, wie etwa alle nach§§ 94 ff. StPO beschlagnahmten oder sichergestellten Gegenstände, die Grundlage für einen Sachverständigenbeweis sein oder für Vorhalte bei Zeugen- oder Beschuldigtenvemehmungen verwendet werden können, die nach§§ 111 bff. StPO sichergestellten Gegenstände, soweit sie als Beweismittel in Betracht kommen, auch wenn sie nicht in dieser Eigenschaft sichergestellt worden sind, und auch Urkunden, wenn sie wegen ihrer Beschaffenheit entscheidungserheblich sein können 341 . Beweismittel sind danach vorrangig alle Gegenstände, an denen Tatspuren haften oder die sonst zum Beweis der Tat oder zur Entlastung dienen können, wie auch Videooder Tonbandaufnahmen 342. Dem Wortlaut des§ 147 I StPO nach erstreckt sich das Besichtigungsrecht nur auf die amtlich verwahrten Beweisstücke. Obwohl aus der Entstehungsgeschichte des § 147 StPO nicht hervorgeht, ob es sich um ein Redaktionsversehen des Gesetzge337 Peters, Anmerkung zu BVerfG, Beschluß v. 12.1.198- BvR 864/81, NStZ 1983, S. 276; LR/Lüderssen, §§ 112-197,24. Auflage,§ 147 Rdnr.27; AK/Stern, § 147 Rdnr.20. 338 LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 27; AK!Stern, § 147 Rdnr. 13; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 98. 339 LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 29. 340 KIIM, § 147 Rdnr.19 m. w. N. 341 Vgl. Aufzählung bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr.41. 342 LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 107.
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bers handelt 343, darf daraus nicht geschlossen werden, daß dem Verteidiger die gemäß § 94 I 2. Variante StPO "in anderer Weise sicherzustellenden" Beweismittel verschlossen bleiben344• § 147 StPO kann, wenn das Informationsinteresse des Beschuldigten ausreichend berücksichtigt werden soll, nur so verstanden werden, daß Staatsanwaltschaft und Gericht dem Verteidiger die Möglichkeit verschaffen müssen, die in anderer Weise sichergestellten Beweisstücke zu besichtigen, notfalls durch Umwandlung der Sicherstellung in eine amtliche Verwahrung 345• Eine Klarstellung, daß sich das Akteneinsichtsrecht auf alle amtlich sichergestellten Beweisstücke bezieht, ist insofern erforderlich 346•
Im Gegensatz zur Akteneinsicht, die auch in den Geschäftsräumen des Verteidigers zu gewähren ist, erfolgt die Besichtigung der Beweisstücke an der Stelle, wo sich befinden, also etwa im Asservatenraum oder in den sonst zur Aufbewahrung bestimmten Räumlichkeiten 347• Nach § 147 IV StPO dürfen nur die Akten, nicht aber die Beweisstücke zur Einsichtnahme in die Geschäftsräume oder die Wohnung des Verteidigers mitgenommen werden. Während das Mitgabeverbot bei den klassischen Beweisstücken, wie den Tatwerkzeugen, angemessen erscheint, führt es bei umfangreichen Ermittlungsverfahren zu erheblichen Problemen, da sich der Inhalt einer z. B. aus mehren hundert Seiten bestehenden Urkundensammlung dem Verteidiger bei einer bloßen Besichtigung in den zur Aufbewahrung bestimmten Räumlichkeiten nicht erschließen lassen wird. Allerdings ist der Wortlaut des § 147 IV StPO eindeutig und deshalb wird allgemein ein ausnahmslos bestehendes Mitgabeverbot aus Gründen des Integritätsschutzes angenommen 348 , denn, "was, um die Unversehrtheil der Substanz zu sichern, amtlich sichergestellt ist, darf auch nicht vorübergehend aus der amtlichen Verwahrung entlassen werden" 349 • Der Verteidiger hat dann nur die Möglichkeit, die Staatsanwaltschaft um die Anfertigung von Kopien zu bitten. Auch wenn dieser Bitte in der Praxis wohl in aller Regel entsprochen werden dürfte, hat er nach ganz überwiegender Auffassung de lege lata keinen Anspruch darauf350 • 343 Rieß, Amtlich verwahrte Beweisstücke, Festgabe für Peters, S.123; a.A.: LR/Dünnebier, §§ 112-212b, 23. Auflage, § 147 Rdnr. 7. 344 LR/Lüderssen, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr.l 10. 345 Rieß, Amtlich verwahrte Beweisstücke, Festgabe für Peters, S. 123; Kl/M, § 147 Rdnr. 19; LR/Lüderssen, §§ 112- 197,24. Auflage,§ 147 Rdnr.110. 346 Arbeitskreis Strafprozeßref orm, Die Verteidigung, S. 99. 347 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 42. 348 BGH NStZ 1981, 95; 1985, 13; 1994, 227; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 5; Kl/M, § 147 Rdnr. 28; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 67; a. A.: Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, S. 47. 349 Rieß, Amtlich verwahrte Beweisstücke, Festgabe für Peters, S. 125. 350 BGH, MDR 1973, 371; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr.6; KIIM , § 147 Rdnr. 30, Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 244.
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Dagegen spricht, daß der Verteidiger das Besichtigungsrecht nach § 147 I StPO so faktisch sachgerecht nicht ausüben kann 351 • Doch eine Ausnahme von dem Mitgabeverbot für Beweisstücke mit Urkundenqualität mit dem Hinweis auf den Grundsatz des fairen Verfahrens zu fordem 352, dürfte an dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift scheitern, den erhöhten Schutz der für die Beweisführung unersetzlichen Sachen durchgehend zu gewährleisten und der Gefahr auch nur zufälliger Substanzveränderung vorzubeugen 353 • Allerdings wird aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens vereinzelt doch ein Anspruch auf amtlich gefertigte Kopien abgeleitet 354 , so daß sich der Anspruch auf Besichtigung in diesen Fällen in einen Anspruch auf Herstellung und Überlassung von Ablichtungen wandelt 355 . Kann das Besichtigungsrecht also nur durch Kopien gewährt werden, dürften die Kopierkosten, zunächst jedenfalls, dem Verteidiger zur Last fallen, er hätte ja auch die Kosten einer selbst vorgenommenen Ablichtung zu tragen 356• Ein solcher Anspruch des Verteidigers sollte auch gesetzlich festgeschrieben werden. bb) Weitergabe der Informationen Nach§ 147 StPO in seiner bis zum Inkrafttreten des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 357 gültigen Fassung konnte die Akteneinsicht nur dem Verteidiger gewährt werden, der Beschuldigte hatte nach einhelliger Auffassung kein Recht, die Akten selbst einzusehen 358• Allerdings enthielt § 147 a. F. StPO auch nicht das zwingende Verbot, dem Beschuldigten die Akteneinsicht im Einzelfall doch zu gestatten, zumindest im Beisein seines Verteidigers, oder dem nichtverteidigten Beschuldigten Abschriften oder Ablichtungen der Akten auszuhändigen 359• Ein Rechtsanspruch auf Erteilung von FoBurhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 41 a. Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, S.47. 353 Rieß , Amtlich verwahrte Beweisstücke, Festgabe für Peters, S. 125. 354 Subsidiär auch so: Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, S. 47; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 67; LR!Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 110; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 41 a; Schäfer, Die Einsicht in Strafakten durch Verfahrensbeteiligte und Dritte, NStZ 1985, S. 199. 355 Rieß, Amtlich verwahrte Beweisstücke, Festgabe für Peters S. 127. 356 Rieß, Amtlich verwahrte Beweisstücke, Festgabe für Peters, S. 128; a. A.: LR!Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 110; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 41. 357 BGBI. I S. 1253. 358 RGSt72, 268 (275); BGH, NJW 1977, 2068 (2069); OLG Frankfurt, NJW 1965, 2312 (2313); KG, JR 1965,69 (70); OLG Zweibrücken, NJW 1977, 1699; BGHSt29, 99 (102); LG Mainz, NJW 1999, 1271; OLG Köln, StV 1999, 12; BVerfGE53, 207 (214); KK!Laujhütte, § 147 Rdnr. 2; Kl!M, § 147 Rdnr. 3; Pfeiffer!StPO, § 147 Rdnr. I; a.A.: Frohn, Strafverteidigung und rechtliches Gehör, GA I 984, S. 564. 359 LG Ravensburg, NStZ 1996, lOOf.; LG Hamburg, NJW 1993, 3152; OLG Zweibrücken, NJW 1977, 1699; OLG Köln, StV 1999, 12; Kl!M, § 147 Rdnr. 3; Pfeiffer!StPO, § 147 Rdnr.l; 351
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2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren
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tokopien stand dem Beschuldigten grundsätzlich nicht zu, jedoch ausnahmsweise dann, wenn er sich sonst nicht angemessen verteidigen konnte 360• Die Originalakten durften ihm niemals überlassen werden 361 • Daran ändert auch der neue § 147 VII StPO nichts, nach dem dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden können, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen. Wenn dem Beschuldigte das Recht auf Einsicht in die Akten nicht selbst gewährt wird - er hat ja gerade keinen Anspruch auf Akteneinsicht - oder er es nicht selbst wahrnehmen möchte, braucht er zur Vermittlung der Informationen einen Verteidiger, denn nur durch ihn kann er dann erfahren, worauf sich der gegen ihn erhobene Vorwurf stützt, und sich angemessen zur Wehr setzen. Deshalb ist der Verteidiger zur Weitergabe der durch die Akteneinsicht erlangten Kenntnisse an den Beschuldigten berechtigt und aus dem Mandatsverhältnis heraus sogar verpflichtet 362• In dem Umfang, in dem der Verteidiger dem Beschuldigten Mitteilungen aus dem Akteninhalt machen darf, ist er auch befugt, dem Beschuldigten Aktenabschriften zu überlassen und Auszüge sowie Ablichtungen, ggf. sogar der gesamten Akte, auszuhändigen 363 • Dieser Grundsatz ist weitgehend anerkannt, umstritten ist nur, ob und unter welchen Voraussetzungen es Ausnahmen davon gibt, daß der Verteidiger seinem Mandanten den Akteninhalt mitteilen darf bzw. muß. Einigkeit besteht insofern, daß eine Unterrichtung jedenfalls dann unzulässig sein soll, wenn es sich um Verschlußsachen 364 und um Angelegenheiten handelt, die nicht mehr im Rahmen des Verteidigungsverhältnisses liegen, wie etwa bei Einzelheiten, die nur Mitbeschuldigte oder persönliche Kontroversen zwischen Justizangehörigen betreffen 365 oder wenn zu befürchten ist, daß die Ablichtungen oder Abschriften zu verfahrensfremden Zwecken mißbraucht werden 366 • Zulässig soll hingegen die Bekanntgabe des Inhalts der bisherigen Einvernahmen dann sein, wenn KK!Laufhütte, § 147 Rdnr. 2; Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 313; LR!Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 12. 360 LG Ravensburg, NStZ 1996, 100 (101); EGMR, NStZ 1998,429. 361 BGHSt29, 99 (102); LG Frankfurt, NJW 1965, 2312; Kl!M, § 147 Rdnr.3; a.A.: LG Hamburg, NJW 1993, 3152, allerdings für den Fall eines sich in einer Ordnungswidrigkeit selbst verteidigenden Rechtsanwalts. 362 Ganz h. M.: BGHSt 29, 99 (102); KK!Laufhütte, § 147 Rdnr. 8; Kl!M, § 147 Rdnr. 20, m.w. N. 363 BGHSt 29, 99 (102); Kl!M, § 147 Rdnr. 20; Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 316; Vgl. auch§ 1911 BO-RA. 364 BGHSt 18, 369 (371 ff.); Kl!M, § 147 Rdnr. 20; Pfeiffer/StPO, § 147 Rdnr. 10; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 95; a. A.: LR!Lüderssen, §§ 112-197,24. Auflage,§ 147 Rdnr.126. 365 Kl!M, § 147 Rdnr. 22; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 95. 366 BGHSt29, 99 (103); Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 317; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 95; Kl!M, § 147 Rdnr. 21; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 253.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
der Beschuldigte durch die Kenntnis des bisherigen Ermittlungsstandes, insbesondere von Zeugenaussagen, die Möglichkeit erhält, den Sachverhalt zu verdunkeln und sich z. B. noch ein falsches Alibi aufzubauen 367 • Unterschiedlich wird jedoch die Frage beantwortet, ob der Verteidiger den Beschuldigten von bevorstehenden Zwangsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden unterrichten darf, wenn also eine Verhaftung, Durchsuchung oder eine Beschlagnahme vorgenommen werden soll. Von der Rechtsprechung und dem wohl noch überwiegenden Teil der Literatur wird das Informationsrecht des Verteidigers in diesen Fällen verneint 368 • Entnehme der Verteidiger der Akte, daß eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme, deren Erfolg von ihrem Überraschungsmoment abhänge, bevorstehe und damit eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs eintrete, werde das vom Bundesgerichtshof umfassend postulierte Recht auf Information wieder eingegrenzt369• Allerdings bleibt diese Auffassung eine überzeugende Begründung schuldig. Die Gefährdung des Untersuchungszwecks, die danach das Mitteilungsverbot auslösen soll, ist im Ermittlungsverfahren bereits restriktive Bedingung des Rechts auf Akteneinsicht selbst, denn nach§ 147 II StPO kann dem Verteidiger die Einsicht in die Akten unter der genannten Voraussetzung versagt werden, solange der Abschluß der Ermittlungen noch nicht in den Akten vermerkt ist 370 • Wenn die Strafverfolgungsbehörde im Ermittlungsverfahren geplante Zwangsmaßnahmen geheimhalten will, so steht ihr als geeignetes Mittel§ 147 II StPO zur Verfügung. Hat sie hiervon keinen Gebrauch gemacht, ist nicht einsichtig, warum der Strafverteidiger dann ihre Entscheidung korrigieren sollte 371 , warum "gerade der Verteidiger staatsanwaltlicher als der Staatsanwalt sein sollte" 312• Sinn von§ 147II StPO ist es, den Verteidiger der Notwendigkeit einer Prüfung zu entheben, was er aus den Akten an seinen Mandanten "ungestraft" weitergeben darf und was er besser für sich behalten sollte. Diese Prüfung hat nach dem eindeutigen 367 BGHSt29, 99 (103); KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 8; Kl!M, § 147 Rdnr. 21 ; Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, S.148. 368 BGHSt29, 99 (103); KG, NStZ 1983, 556; Kl/M, § 147 Rdnr. 21; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 8; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahrten, S. 90; Liemersdorf, Grenzziehung zwischen zulässigem und unzulässigem Verhalten eines Strafverteidigers im Umgang mit seinem Mandanten, MDR 1989, S.207f.; a.A. wohl: AG Köln, StV 1988, S.256. 369 BGHSt29, 99 (103). 370 Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar[ Peters, S. 319. 371 Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, S.149; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 96a; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 126; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 253; Mehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v. 5.7 .1982, NStZ 1983, S. 558; Tondorf, Begeht der Strafverteidiger eine Strafvereitelung und verletzt er seine Standespflichten, wenn er den Mandanten benachrichtigt, nachdem er von einem geplanten Haft- oder Durchsuchungsbefehl erfahren hat?, StV 1983, S.258. 372 Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar! Peters, S. 320.
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Wortlaut des Gesetzgebers ausschließlich und abschließend die Strafverfolgungsbehörde vorzunehmen 373 • Die Gefahrdungsklausel ist historisch überhaupt nur deshalb in das Gesetz aufgenommen worden, weil es als selbstverständlich angenommen worden ist, daß der Verteidiger seinen Mandanten über den Akteninhalt informieren werde; im Gegensatz dazu ist nicht in Betracht gezogen worden, daß der Verteidiger den Untersuchungszweck selbst gefahrden werde 374 • Ließe man es zu, mit Hilfe des Akteneinsichtsrechts aus Rechtsgründen einen unterschiedlichen Informationsstand zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger herbeizuführen, würde man dem Verteidiger eine "Filterfunktion" 375 aufbürden und ihn zum "Sachwalter staatlicher Interessen" 376 machen. Stellt man sich demnach auf den Standpunkt, daß für den Verteidiger ein nicht beschränkbares Recht auf Weiterleitung des Akteninhalts an seinen Mandanten besteht und dem Geheimhaltungsbedürfnis durch§ 147 II StPO Rechnung getragen werden muß, so sind noch nicht die Fälle der zufällig erlangten Kenntnis von beabsichtigten Zwangsmaßnahmen geklärt, deren Offenbarung den Untersuchungszweck gefahrden könnte. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß der Verteidiger seine Informationen nicht mit Wissen der Strafverfolgungsbehörden erlangt hat. Dann ist es folgerichtig auch nicht möglich, auf den Zweck von § 147 II StPO abzustellen, denn eine Prüfung, ob eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks durch eine Weitergabe der Kenntnisse eintreten könnte, hat durch die Strafverfolgungsbehördegerade noch nicht stattgefunden377 • Und nur dann wird es zu der Frage kommen, ob der Verteidiger unter Berufung auf die ihm auch zugewiesenen Funktion eines Organs der Rechtspflege in die Pflicht genommen und von ihm gefordert werden kann, die Weitergabe dieser Informationen zu unterlassen 378• Teilweise wird die generelle Weitergabe für zulässig erachtet, weil keine prozessualen Vorschriften oder Standesrichtlinien eine Geheimhaltung begründeten 379 • Allerdings wird bei einer solchen Sichtweise außer acht gelassen, daߧ 147 II StPO es zur Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden macht, über die Geheimhaltungsbedürftigkeit zu entscheiden. Daher wird man die Weitergabe der Informationen nur dann für zulässig erachten können, wenn die Umstände, die zu dem zufälligen Wissen geMehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v.5.7.1982, NStZ 1983, S.558. Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 321 f.; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 9; Walischewski, Probleme des Akteneinsichtsrechts der Verteidigung im Emittlungsverfahren im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR, S.189. 375 Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, S.47. 376 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 98. 377 Mehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v. 5.7.1982, NStZ 1983, S.558; Tondorf, Begeht der Strafverteidiger eine Strafvereitelung und verletzt er seine Standespflichten, wenn er den Mandanten benachrichtigt, nachdem er von einem geplanten Haft- oder Durchsuchungsbefehl erfahren hat?, StV 1983, S. 260. 378 Mehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v. 5.7.1982, NStZ 1983, S. 558. 379 Krekeler, Strafrechvtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, S.149; Tondorf, Begeht der Strafverteidiger eine Strafvereitelung und verletzt er seine Standespflichten, wenn er den Mandanten benachrichtigt, nachdem er von einem geplanten Haft- oder Durchsuchungsbefehl erfahren hat?, StV 1983, S.260. 373
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führt haben, in die "Risikosphäre der Justiz" fallen 380 . Im Hinblick auf§ 258 StGB wird der Verteidiger jedenfalls auch das nicht weitergeben dürfen, was er unzulässig in Erfahrung gebracht hat 381 • So wird der Beistandsfunktion des Verteidigers ausreichend Rechnung getragen, ohne seine Organstellung aus den Augen zu verlieren. Außerdem darf nicht übersehen werden, daß der Beschuldigte selbst diese Kenntnisse nie erlangt hätte, so daß er, anders als bei der Akteneinsicht, keinen Anspruch auf vollständige und lückenlose Irrformierung hat 382 • In einem reformierten Strafprozeß müßten diese Befugnisse und Grenzen des Verteidigerhandeins ausdrücklich festgelegt werden 383 • cc) Gefährdung des Untersuchungszwecks Nun stellt sich für das zukünftige Ermittlungsverfahren die Frage, ob an der Möglichkeit, die Akteneinsicht bei einer Gefährdung des Untersuchungszwecks zu untersagen, überhaupt festgehalten werden sollte, denn bei Aufrechterhaltung der Gefährdungsklausel könnte der Vorwurf erhoben werden, einen Widerspruch zu den reformierten Anwesenheitsrechten zu provozieren, wenn der Verteidiger durch die Ausschlußklausel hinsichtlich der Informationsgewährung nun doch mit dem Beschuldigten auf eine Stufe gestellt würde 384, wenn auch für den Beschuldigten jetzt ausdrücklich eine erweiterte Versagungsklausel vorgesehen ist. Als "sauberste" Lösung könnte sich ein auch schon vor Abschluß der Ermittlungen uneinschränkbares Recht auf Akteneinsicht für den Verteidiger anbieten, wie es vereinzelt gefordert wird 385 • Diese Forderung wird zum einen aus dem Verständnis der Funktion des Verteidigers im Strafverfahren abgeleitet, denn er dürfe von der Definition seiner Aufgabe her niemals eine Tätigkeit entfalten, die mit dem Strafzweck in Widerspruch stehe. Dies ergebe sich aus dem Korrespondenzverhältnis zwischen dem Straf- und dem Verteidigungszweck, den allein der Verteidiger anzustreben habe. Infolgedessen sei es von der theoretischen Betrachtung aus gesehen nicht möglich, daß der Verteidiger den Strafzweck beeinträchtige, denn er habe nur eine unzulässige Bestrafung abzuwenden. "Gefährdung des Strafzwecks" würde demzufolge Strafvereitelung bedeuten 386• Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 253. Mehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v. 5.7.1982, NStZ 1983, S. 558. 382 Ostendorf, Strafvereitelung durch Strafverteidigung, NJW 1978, S. 1349. 383 Vgl. Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 97, 99. 384 s.IV2bbb (S.l25 ff.). 385 Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 92; Mörsch, Die Rechtsstellung des Beschuldigten und seines Verteidigers im Vorverfahren unter Berücksichtigung der Aufgaben des gesamten Strafverfahrens, S. 83; Schmidt-Leichner, Das neue Recht im Strafverfahren, NJW 1965, S. 1310. 386 Mörsch, Zur Rechtsstellung des Beschuldigten und seines Verteidigers im Vorverfahren unter Berücksichtigung der Aufgaben des gesamten Strafverfahrens, S. 83. 380
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Zum anderen wird- abgesehen von der überragenden Bedeutung des Ermittlungsverfahrens - argumentiert, die Stellung des Verteidigers ermögliche nicht nur, sondern fordere ein unbeschränkbares Akteneinsichtsrecht Dabei wird nicht verkannt, daß am Anfang der Ermittlungen durchaus die Notwendigkeit bestehen kann, dem Beschuldigten Akteninhalte vorzuenthalten, wenn dessen Kenntnisnahme den Untersuchungszweck (z. B. eine geplante Durchsuchung oder Verhaftung) gefahrdet. Allerdings könne der Grund für die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf den Verteidiger nicht lediglich darin gesehen werden, der Verteidiger werde vorsichtiger mit den Akten umgehen und eine größere Gewähr dafür bieten, daß sie bei Einsicht nicht beschädigt, verfalscht oder vernichtet würden, denn diesen Gefahren könnte bereits durch die Herstellung von Abschriften oder Kopien begegnet werden. Eine solche Regelung werde nur verständlich, wenn man von dem Verteidiger erwarte, er werde sein Wissen nicht in vollem Umfang an den Beschuldigten weitergeben. Die Verpflichtung, den Untersuchungszweck in diesen Fällen zu schützen, ergebe sich dadurch, daß der Verteidiger auch öffentliche Interessen an der Effektivität der Rechtspflege berücksichtigen müsse 387 • Um den Schutz des Beschuldigten zu verbessern, werde dem Verteidiger eine Befugnis verliehen, die seinem Mandanten nicht- nach der Gesetzesänderung jedenfalls nicht in diesem Umfang- zustehe und sozusagen als Gegengeschäft müsse er dafür versprechen, von ihr keinen schrankenlosen Gebrauch zu machen 388 • Diese Sichtweise scheint auf den ersten Blick bestechend und schwer widerlegbar. Allerdings ist zu bedenken, daß es sich nach herrschender Auffassung bei der Akteneinsicht immer um ein Recht des Beschuldigten gehandelt hae89, das bis zu der Einführung des§ 147 VII StPO ausschließlich der Verteidiger für ihn wahrnehmen konnte. Ein Verzicht auf die Gefahrdungsklausel würde zu der oben beschriebenen Filterfunktion des Verteidigers in einem noch größerem Ausmaß und so zu einem Bruch des Vertrauensverhältnisses zu dem Mandanten führen, besonders da es sich bei der Akteneinsicht um Informationen handelt, die dem Beschuldigtenaufgrund eines eigenen Rechts zustehen. Dann kann man ihm diese nicht durch die Zwischenschaltung seines Verteidigers verwehren. Träger des Akteneinsichtsrechts ist also der Beschuldigte, Ausführender der Verteidiger, und insofern ist es konsequent, daß sich die Ausschlußklausel des § 147 Il StPO an den Verteidiger wendet. Beschnitten wird durch sie allerdings "nur" das Recht des Beschuldigten. Wenn hier also angenomBeulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 90f. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 92. 389 LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 9; OLG Zweibrücken, NJW 1977, S.l699; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. IOO; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 2; Wasserburg, Das Einsichtsrecht des Anwalts in die kriminalpolizeiliehen Spurenakten, NJW 1980, S. 2440; Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, S. 149; Mehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v. 5.7.1982, NStZ 1983, S. 558; a.A.: Frohn, Strafverteidigung und rechtliches Gehör, GA 1984, S.564. 387
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men wird, der Informationsstand des Verteidigers müsse dem des Beschuldigten entsprechen, werden diese nicht auf eine Stufe gestellt, vielmehr wird lediglich das Recht des Beschuldigten im Hinblick auf eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks für notwendig einschränkbar gehalten. Insofern erscheint die gesetzliche Neurgelung des § 147 VII StPO als wenig glücklich, denn sie schreibt eine Ausweitung der Gefahrdungsklausel für den Beschuldigten vor, dem Auskünfte und Abschriften erteilt werden können, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte. Nach dem hier zugrundegelegten Verständnis kann nicht zwischen der Akteneinsicht des Verteidigers und der des Beschuldigten getrennt werden, es handelt sich vielmehr um die Akteneinsicht des Beschuldigten, die entweder er selbst oder sein Verteidiger für ihn wahrnimmt, so daß sich erst recht eine unterschiedlich gefaßte Gefahrdungsklausel verbietet. Nur so gelangt die Konfliktsituation des Verteidigers zwischen seiner Organstellung und seiner Beistandsfunktion gar nicht erst zur Entstehung 390 , und kann der Vorwurf, dem Verteidiger werde von Amts wegen bescheinigt, daß seine Akteneinsicht den Untersuchungszweck gefährden könne 391, richtiggestellt werden. Nicht die Akteneinsicht des Verteidigers gefährdet den Untersuchungszweck, sondern die des Beschuldigten. Ebenso vermag nicht die Anwesenheit des Verteidigers bei Vernehmungen den Untersuchungszweck zu gefährden, sondern nur die des Beschuldigten. In der Reformgeschichte der Strafprozeßordnung wurde die Notwendigkeit einer Möglichkeit zur Beschränkung des Rechts auf Akteneinsicht während des Vorverfahrens immer anerkannt. Vom Inkrafttreten der Strafprozeßordnung im Jahre 1879 bis zum Jahr 1964 bestand ein unbeschränkbares Recht auf Akteneinsicht erst vom Zeitpunkt der Anklageerhebung oder des Schlusses der gerichtlichen Voruntersuchung an. Die Einsicht in die gerichtlichen Untersuchungsakten war dem Verteidiger insoweit zu gestatten, als dies ohne eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks geschehen konnte. Dieser späte Zeitpunkt der Einsichtsgewährung und die damit verbundene Durchführung des Vorverfahrens als "geheimes Verfahren" wurden schon damals mit dem Argument, nur so eine wirksame Strafverfolgung gewährleisten zu können, begründet392 • Das Recht auf Akteneinsicht des Verteidigers im staatsanwaltliehen Ermittlungsverfahren ist erst durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung (StPÄG) 1964 in die Strafprozeßordnung aufgenommen worden. Ebenfalls durch dieses Gesetz wurde der Zeitpunkt der Unbeschränkbarkeit dieses Rechts auf den Abschluß der Ermittlungen vorverlegt 393 • Nach der als Ausnahmevorschrift ausgestalteten heutigen Fassung des § 147 II StPO kann dem Verteidiger, soweit der Abschluß der Ermittlungen noch nicht in den So auch: Mehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v. 5.7 .1982, NStZ 1983, S. 558. Schmidt-Leichner, Das neue Recht im Strafverfahren, NJW 1965, S. 1310. 392 Aschrott, Reform des Strafprozesses, S. 334, 344. 393 s. I 7 (S. 29). 390 391
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Akten vermerkt ist, die Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenstücke sowie die Besichtigung der amtlich verwahrten Beweisstücke versagt werden, wenn sie den Untersuchungszweck gefahrden kann. Damit trägt das Gesetz dem allgemeinen Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege Rechnung, die durch die schrankenlose Offenlegung des Ermittlungsstandes und der geplanten Vorgehensweise Schaden nehmen könnte. Diesem Interesse steht das Informationsbedürfnis des Beschuldigten entgegen. Es soll ihm ermöglicht werden, die Nachteile auszugleichen, die ihm zwangsläufig dadurch entstehen, daß sich das Ermittlungsverfahren in weiten Teilen ohne eine Mitwirkungsmöglichkeit für ihn vollzieht und er daher nicht in der Lage ist, seine Verteidigung entsprechend auszurichten, zumal die Chancen effektiver Verteidigung zu Beginn des Verfahrens am größten sind. Vor diesem Hintergrund versucht§ 147 II StPO, einen Ausgleich zwischen den Positionen zu vermitteln. Problematisch ist jedoch, daß in Rechtsprechung und Literatur nicht geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen eine Gefährdung des Untersuchungszwecks angenommen werden muß, sondern diese Frage nur jeweils anhand des Einzelfalls geklärt werden soll 394• Eine Gefahrdung i. S. d. § 147 II StPO, die zur Versagung der Akteneinsicht führt, ist jedenfalls wohl dann anzunehmen, wenn bestimmte Untersuchungshandlungen nur durch die Ausnutzung eines Überraschungsmoments Erfolg versprechen (z. B. Durchsuchung, Beschlagnahme, Erlaß eines Haftbefehls) oder davon ausgegangen werden kann, daß der Beschuldigte die Informationen, die er durch seinen Verteidiger erhält, dazu benutzt, die weitere Sachaufklärung zu beeinträchtigen395 oder eine nachteilige Einwirkung auf das Ermittlungsverfahren durch den Beschuldigten zu befürchten ist 396• Ob dabei die Möglichkeit ausreicht, der Beschuldigte werde eine Unterrichtung über das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen zur Verdunkelung des Sachverhalts, etwa zum Aufbau eines falschen Alibis, benutzten, wird bereits nicht einheitlich beurteilt397 • Das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte, die objektiv geeignet erscheinen, den Untersuchungserfolg in der beschriebenen Art und Weise zu gefahrden 398 , wird von der herrschenden Auffassung nicht verlangt, wenn auch nicht jede nur vage und entfernte Möglichkeit der Gefährdung für die Beschränkung genügen soll 399 • Als ausBGHSt29, 99 (103). BGHSt29, 99 (103); KK!Laujhütte, § 147 Rdnr. 9; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 54. 396 LR/Lüderssen, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 134. 397 Ablehnend: BGHSt29, 99 (103); a. A. OLG Saarbrücken, NJW 1995, 1440f.; Burhoff Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 54. 398 So: LR!Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr.I 36; Keller, Zur gerichtlichen Kontrolle prozessualer Ermessensentscheidungen der Staatsanwaltschaft, GA 1983, S. 511 ; HK/Julius, § 147 Rdnr. 14. 399 KLIM, § 147 Rdnr.25. 394 395
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reichend betrachtet wird das Vorliegen von Umständen, die nach der Art des Delikts sowie dem Umfang und der Eigenart der Ermittlungen eine Gefährdung des Untersuchungszwecks nahelegen 400• Die Absicht der Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten mit neuen Ermittlungsergebnissen zu überraschen, reicht hingegen ebensowenig aus wie das Bestreben der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen ungestört führen zu wollen 401 , und die Erwägung, der Beschuldigte mache bislang von seinem Schweigerecht Gebrauch 402 . Auch die Besorgnis der Staatsanwaltschaft, der Verteidiger gerate durch die Aktenkenntnis in einen Ptlichtenwiderstreit, darf nicht als Versagungsgrund herangezogen werden 403 • Allgemein läßt sich festhalten, daß die Staatsanwaltschaft einen breiten Ermessensspielraum hat. Daraus wird deutlich, daß es sich bei der Gefährdungsklausel um einen im Gesetz unpräzise formulierten Begriff handelt, der zu einer erheblichen Behinderung der Verteidigungstätigkeit führen kann. Die Kritik an der heute geltenden Regelung richtet sich vor allem dagegen, daß die sachlich und zeitlich begrenzte Ausnahmevorschrift des § 147 li StPO in der Praxis keineswegs als nur eine im Ausnahmefall heranzuziehende Legitimation für ein geheimes Verfahren verwendet wird. Vielmehr ist die Verweigerung der Akteneinsicht in der Praxis fast schon zum Regelfall geworden, nicht zuletzt, weil sie nur selten begründet zu werden braucht und gerichtlich nur in geringem Umfang angegriffen werden kann, wobei die von § 147 I StPO bezweckte Transparenz des Verfahrens nicht nur bei einer möglichen Gefährdung des Untersuchungszwecks ausbleibt, sondern oftmals auch aus Gründen verwaltungsmäßigen Aufwands, unzureichender Verwaltungsorganisation, schlichter Bequemlichkeit oder aus dem einzigen Grund, die Ermittlungen doch ungestört durchführen zu können 404 • Für die Verteidigung wirkt sich dies oft so aus, daß auf den Antrag auf Akteneinsicht entweder gar nicht oder nur mit der Zusendung eines Formulars reagiert wird, 400 BVerfGE 18, 399 (405); KK!Laufhütte, § 147 Rdnr. 9; Wasserburg, Das Einsichtsrecht des Anwalts in die kriminalpolizeiliehen Spurenakten, NJW 1980, 8 .2443; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 54. 401 Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, S.47; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 62; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 54 a; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen - Ein Überblick, ZAP Fach 22, S. 82. 402 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 54 a; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 239; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 62; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen- Ein Überblick, ZAP Fach 22, S. 82. 403 Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 62; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 54a; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr.239. 404 Arbeitskreis Strafprvvozeßreform, Die Verteidigung, S. 99; Thomas, Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 59; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 193.
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auf dem der Gesetzestext abgedruckt und angekreuzt ist: "Akteneinsicht kann zur Zeit nicht gewährt werden wegen Gefahrdung des Untersuchungszwecks" 405 • dd) Konkretisierung der Gefährdungsklausel Will man die Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren ausbauen und somit auch das Recht auf Akteneinsicht stärken, ist der Ansatzpunkt die Konkretisierung und damit Einschränkung des ursprünglich als Ausnahmevorschrift konzipierten § 147 II StPO. Wie gerade dargestellt, wird eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks formelhaft und pauschal zur Versagung der Akteneinsicht herangezogen. In Anbetracht der großen Bedeutung des Akteneinsichtsrechts für eine sachgerechte Verteidigung im Ermittlungsverfahren muß einer solchen Praxis ebenso Einhalt geboten werden wie dem faktisch einer Verweigerung der Akteneinsicht gleichkommenden Schreiben der Staatsanwaltschaft mit dem Inhalt, die Akten seien versandt oder zur Zeit nicht entbehrlich. Um einen angemessenen Ausgleich zwischen tatsächlichen Strafverfolgungs- und Verteidigungsinteressen zu ermöglichen, wird daher gefordert, daß nur konkrete Anhaltspunkte eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks nahelegen dürfen 406 • Nach dem Konzept des Arbeitskreises Strafprozeßreform kann dem Verteidiger die Akteneinsicht nur versagt werden, "soweit auf Grund bestimmter Tatsachen die dringende Gefahr besteht, die Einsichtnahme werde die weiteren Ermittlungen in erheblicher Weise behindem" 407 • Diese Formulierung würde eine Rückführung der Beschränkungsmöglichkeit auf eine tatsächliche Ausnahmeregelung bedeuten, denn mit ihr wird klargestellt, daß nur der dringende Verdacht einer erheblichen Behinderung der weiteren Ermittlungen, der durch bestimmte Tatsachen belegbar sein muß, zu einer Versagung der Akteneinsicht führen darf. In die gleiche Richtung geht auch der Vorschlag, den Begriff "Gefährdung des Untersuchungszwecks" in Anlehnung an § 33 IV StPO nur dann zu bejahen, wenn Zwangsmaßnahmen (Haftbefehl, Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschluß) bevorstehen 408 • Deutlich wird jedenfalls, daß die Ermittlungsorgane durch eine Konkretisierung und Einschränkung des Versagungstatbestandes in§ 147 II StPO zu einer sorgfaltigeren Prüfung und Beurteilung der Gefahrdung des Untersuchungszwecks gezwungen würden. Dies kann 405 Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen- Ein Überblick, ZAP Fach 22, S. 82. 406 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 88; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 136; Keller, Zur gerichtlichen Kontrolle prozessualer Ermessensentscheidungen der Staatsanwaltschaft, GA 1983, S. 511 ; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 99; Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, S. 47; Walischewski, Probleme des Akteneinsichtsrechts der Verteidigung im Ermittlungsverfahren im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR, S. 154. 407 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 97, 99. 408 Thomas , Erweiterte Teilhaberechte der Verteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S.59.
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nicht als ein "Pyrrhussieg" des Beschuldigten mit dem Hinweis bezeichnet werden, die Strafverfolgungsbehörden würden bei einer engeren Auslegung der Ausnahmeregelung durch die Rechtsprechung in Extremfallen auf das (unerlaubte) Mittel der sog. schwarzen Akten zurückgreifen409 • Eine solche Behauptung würde der Staatsanwaltschaft unterstellen, sich nicht an geltendes Recht und an die Grundsätze eines rechtsstaatliehen Verfahrens zu halten. ee) Ausnahmen von der Beschränkungsmöglichkeit Schon de lege lata gilt für die in § 147 III StPO bezeichneten Schriftstücke eine Ausnahme von § 147 II StPO. Für diese besteht in jeder Lage des Verfahrens, und nicht erst bei Abschluß der Ermittlungen, ein uneinschränkbares Recht auf Akteneinsicht, so daß der Verteidiger immer Einsicht verlangen kann. Die einzige Ausnahme von diesem Grundsatz gilt für Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung terroristischer Straftaten, die eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person begründen, soweit unter den Voraussetzungen der §§ 31, 32 EGGVG eine Kontaktsperre angeordnet ist. Nach § 34 III Nr. 2 S. 3 EGGVG ist in diesen Fällen das Akteneinsichtsrecht nach § 147 III StPO allgemein ausgeschlossen, wenn der Zweck der Kontaktsperre gefährdet würde. Bei den von der Beschränkungsmöglichkeit ausgenommenen Unterlagen handelt es sich um Niederschriften über die Vernehmungen des Beschuldigten und solche richterlichen Untersuchungshandlungen, bei denen dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet worden ist oder hätte gestattet werden müssen, sowie in Gutachten von Sachverständigen. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmungen kommt es nicht darauf an, ob es sich um polizeiliche, staatsanwaltschaftliehe oder richterliche Vernehmungen handelt. Einsicht ist nach geltendem Recht auch in die Protokolle richterlicher Zeugenoder Sachverständigenvernehmung und in Niederschriften über die richterliche Inaugenscheinnahme zu gewähren. Aufgrund der Erweiterung der Anwesenheitsrechte des Verteidigers würden sich die Ausnahmen von der Beschränkungsmöglichkeit bei der Akteneinsicht in einem reformierten Strafprozeß jeweils um die neu zu fordernden Vernehmungen mit Anwesenheitsrecht ausdehnen. ff) Rechtsschutz gegen verweigerte Akteneinsicht
Einer der Gründe, warum die ursprünglich als Ausnahme konzipierte Verweigerung der Akteneinsicht in der Praxis zum Regelfall geworden ist, liegt darin, daß bisher eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Ablehnungsentscheidung der 409
So: Beu/ke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 91.
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Staatsanwaltschaft, der gemäߧ 147 V S. I StPO im Ermittlungsverfahren die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht obliegt, gefehlt hat. Ab dem Eingang der Anklage bei Gericht bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens ist der Vorsitzende des jeweils mit der Sache befaßten Gerichts zuständig410. Die richterlichen Entscheidungen können, im Gegensatz zu denen der Staatsanwaltschaft, nach ganz herrschender Auffassung mit der Beschwerde nach § 304 I, IV S. 2 Nr. 4 StPO angefochten werden 411 . Ein Rechtsbehelf, der in der Anrufung des Gerichts gegen Maßnahmen der Staatsanwaltschaft besteht, ist in der Strafprozeßordnung nur ausnahmsweise in den §§ 98 II S. 2, 161 a III S. I und 163aiii S. 3 StPO für die Beschlagnahme und für Eingriffe im Zusammenhang mit Vernehmungen vorgesehen. Mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 ist nun ein weiterer Rechtsbehelf mit§ 147 V S. 2 StPO hinzugefügt worden. Obwohl in die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Bewegung gekommen war, nahmen diese und die überwiegende Ansicht in der Literatur, bestätigt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts412 , nach bisheriger Rechtslage an, bei der Versagung der Akteneinsicht handele es sich um reine Prozeßhandlungen, die im Verfahren nach den§§ 23 ff. EGGVG nicht überprüfbar seien 413 • Begründet wurde die grundsätzliche Unanfechtbarkeit staatsanwaltliehen Handeins einmal damit, daß es sich bei diesen Verfahrenshandlungen nicht um Justizverwaltungsakte handele, sondern daß sie wegen ihrer funktionalen Bedeutung für das Strafverfahren, wegen ihres auf die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte ausgerichteten Ziels, materiell dem Bereich der nicht unter § 23 EGGVG fallenden Rechtsprechungstätigkeit zuzurechnen seien. Zum anderen wurde angeführt, es handele sich lediglich um unselbständige Einzelmaßnahmen, die noch nicht gestaltend auf die Rechtsverhältnisse des Beschuldigten einwirkten, sondern ausschließlich die Abschlußverfügung vorbereiteten. Sie könnten daher nicht isoliert betrachtet werden. Im Gegensatz zu bestimmten Zwangsmaßnahmen wie etwa der Anordnung und Durchführung von Eingriffen in die Freiheit des einzelnen, gegen die Rechtsbehelfe nach der Strafprozeßordnung gegeben seien, griffen sie nicht unmittelbar in den verfassungsrechtlich geschützten Lebenskreis des einem Ermittlungsverfahren unterworfenen Bürgers ein. In den Fällen, in denen die Strafprozeßordnung ein Rechtsmittel nicht vorsehe, könne keinesfalls der Antrag nach §§23ff.EGGVG herangezogen werden. Vgl. § 147V S.1 StPO; Nr.183a und bRiStBV; Kl!M, § 147 Rdnr.35. OLG Stuttgart, NJW 1996, 1908; OLG Hamm, NStZ-RR 1996, 11;Kl!M, § 147 Rdnr.41; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 20f.; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 165. 41 2 BVerfG, NJW 1985, 1019; BVerfG, NJW 1994, 573; BVerfG, NJW 1994, 3219 (3220). 41 3 OLG Hamburg, NJW 1972, 1586; OLG Koblenz, NJW 1985, 2038; OLG Hamm, NStZ 1994, 280f.; OLG Saarbrücken, NJW 1995, 1440; HansOLG Hamburg, StV 1986, 422 (423); OLG Kar1sruhe, NStZ 1997,49 (50); OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 179; Meyer-Goßner, Die Behandlung kriminalpolizeilicher Spurenakten im Strafverfahren, NStZ 1982, S. 5 37; KllM, § 147 Rdnr.39; KK!Laufhütte, § 147 Rdnr.18; Pfeiffer!StPO, § 147 Rdnr. 11;HK/Julius, § 147 Rdnr.25; LR!Böttcher, §§ 1- 38 EGGVG, §§ 1- 21 GVGVO, 25. Auflage, § 23 EGGVG Rdnr. 115. 410
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Bewegung war insofern in die Rechtsprechung gekommen, als die Oberlandesgerichte von ihrer konsequent ablehnenden Haltung abgewichen sind und der Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG in Ausnahmefallen doch bereits als zulässig angesehen wurde, wie z. B. bei einer willkürlichen Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft414, bei extrem langer Dauer des Ermittlungsverfahrens, so daß die Grenze des effektiven Rechtsschutzes des Beschuldigten erreicht wurde415 , bei Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Akteneinsicht von Dritten 416, bei einem in Untersuchungshaft befindlichem Beschuldigten, der ohne Akteneinsicht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht wahrnehmen kann417 , und von der mittlerweile insoweit herrschenden Auffassung auch bei der Versagung der Einsicht in die nach§ 147 III StPO privilegierten Unterlagen 418 , denn der Anspruch aus§ 147 StPO könnte andernfalls überhaupt nicht durchgesetzt werden und würde sonst zu einer bloßen Ordnungsvorschrift herabgestuft, sowie bei der Ablehnung der Einsicht in Spurenakten 419. Nach einer weiteren Auffassung hatte die Verweigerung der Akteneinsicht zwar eine andere rechtliche Qualität als Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft wie Vernehmung von Zeugen oder Beiziehung eines Strafregisterauszuges, da das Gesetz dem Verteidiger ausdrücklich ein Recht auf Akteneinsicht eingeräumt habe. Bestehe damit ein Anspruch auf Akteneinsicht, so sei deren Versagung auch grundsätzlich geeignet, zu einer Verletzung der Rechte des Beschuldigten zu führen, und daher könne man den Maßnahmencharakter der Verweigerung der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft nicht leugnen und ihr die rechtliche Qualität eines Justizverwaltungsaktes nicht absprechen420 • An dem Ergebnis, nämlich der Unüberprüfbarkeit der Versagung der Akteneinsicht, änderte sich allerdings auch nach dieser Ansicht wegen der Berufung auf die Subsidiaritätsklausel des § 23 III EGGVG nichts. Diese gelange zur Anwendung, da nach Abschluß der Ermittlungen der Richter über die Gewährung der Akteneinsicht entscheide und ge414 OLG Frankfurt a.M., StV 1993, 297f.; OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 1996, 40f.; OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 179. 415 OLG Hamm, StV 1993,299 (300); OLG Karlsruhe, NStZ 1997,49 (50). 416 OLG Koblenz, NJW 1988, 3275; OLG Celle, NJW 1990, 1802; OLG Karlsruhe, NStZ 1997,49 (50); OLG Hamm, NStZ-RR 1996, 10 (12); OLG Frankfurt a.M., NJW 1996, 1484f. 4 17 BVerfG, NJW 1994, 3219 (3220). 418 OLG Celle, NStZ 1983, 379; OLG Hamm, NStZ 1987, 572; OLG Karlsruhe, StV 1996, 302 (303); OLG Karlsruhe, NStZ 1997, 49 (50); Kl!M, § 147 Rdnr. 39; HK!Julius, § 147 Rdnr. 25; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 18; Eisenberg, Aspekte der Rechtsstellung des Verteidigers, NJW 1991, S.1260. 419 BVerfG, NJW 1983, 1043 (1045); OLG Hamm, NStZ 1984, 423; Kl/M, § 147 Rdnr. 39. 420 OLG Frankfurt a. M., StV 1989, 96 (97); OLG Frankfurt a. M., StV 1993, 292 (293); OLG Frankfurt a. M., StV 1993, 297 (298); OLG Frankfurt a. M., NStZ-RR 1996, 40; Bottke, Rechtsbehelfe der Verteidigung im Ermittlungsverfahren - eine Systematisierung StV 1986, S. 123; Welp, Rechtsschutz gegen verweigerte Akteneinsicht, StV 1986, S. 448; Wasserburg, Das Einsichtsrecht des Anwalts in die kriminalpolizeiliehen Spurenakten, NJW 1980, S. 2444; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr.l58.
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gen seine ablehnende Entscheidung die Möglichkeit der Beschwerde nach § 304 StPO gegeben sei und so bereits die Strafgerichte angerufen werden könnten. Damit sei der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 IV GG in ausreichendem Maße Genüge getan, und es habe gemäß § 23 III EGGVG mit dem nach der Strafprozeßordnung eröffneten Rechtsweg sein Bewenden. Art. 19 IV GG garantiere zwar einen möglichst umfassenden, wirksamen Rechtsschutz des einzelnen durch die öffentliche Gewalt. Dies könne aber nicht sofortigen Rechtsschutz bedeuten, sondern nur Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, der nach Möglichkeit unabänderliche Entscheidungen der öffentlichen Gewalt ausschließe, also noch zur rechten Zeit erlangt werden könne. Dem Beschuldigten sei ein Zuwarten bis zur Entschließung der Staatsanwaltschaft nach § 170 StPO in aller Regel zuzumuten. Daß während dieses Zeitraums nicht alle Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft umfassender gerichtlicher Kontrolle unterlägen, verstoße aufgrund der Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zu Wahrheitserforschung und Objektivität nicht gegen das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes 421 • Überträgt man diese Überlegungen auf die Position des Beschuldigten, so vertröstete man ihn mit seinem Rechtsschutz auf einen Zeitpunkt, zu dem er ihn eigentlich nicht mehr benötigt. Die Kompetenz über die Entscheidung hinsichtlich der Akteneinsicht geht genau dann auf den Richter über, wenn nach§§ 147 li, 169a StPO ein volles, uneinschränkbares Recht auf Akteneinsicht entsteht. Der Rechtsschutz, der mit der Eröffnung der Beschwerdemöglichkeit gewährt wird, kommt nur noch in aller Regel bei Meinungsverschiedenheiten über die Modalitäten der Einsichtsgewährung in Frage 422 • Für den Zeitpunkt, zu dem er die Einsicht wirklich benötigt, wurde ihm bei Ablehnung des Antrags auf Akteneinsicht Rechtsschutz versagt. Damit stellte die Versagung der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren keinen bloßen Aufschub rechtlicher Interessen auf einen noch angemessen späteren Zeitpunkt, sondern einen irreversiblen Eingriff in aktuelle Beschuldigtenrechte und Verteidigungsinteressen dar423 • Unter diesem Blickwinkel scheint es verfehlt, die Unzulässigkeil des Antrags auf gerichtliche Entscheidung mit dessen Subsidiarität gegenüber einem nach Abschluß der Ermittlungen, aber nicht bei Bestehen des eigentlichen Rechtsschutzbegehrens, vorhandenen Rechtsschutzes zu begründen. Das Leugnen jeder Rechtsschutzmöglichkeit im Ermittlungsverfahren hieße, das Akteneinsichtsrecht der unüberprüfbaren Disposition der Ermittlungsbehörden zu unterstellen. Es ist allerdings zu bedenken, daß das Vorverfahren grundsätzlich allein in der Hand der Staatsanwaltschaft, der "Herrin" des Ermittlungsverfahrens, liegt. Darauf stützt sich die Ansicht, die vertritt, eine gerichtliche Nachprüfbarkeil von staatsanwaltschaftliehen Verfügungen und der damit angestrebte "lückenlosere" Rechtsschutz im Vorverfahren stehe 421 422 423
u. a. OLG Frankfurt a. M., StV 1989, 96 (97). Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 327. Welp, Rechtsschutz gegen verweigerte Akteneinsicht, StV 1986, S. 449.
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dem notwendigen Informationsvorsprung der Staatsanwaltschaft im Wege, sei dogmatisch verfehlt und bilde mit dem Wesen des staatsanwaltliehen Ermittlungsverfahrens einen unlösbaren Widerspruch. Die Anerkennung eines Rechtsbehelfs beruhe letztlich auf der fehlerhaften Vorstellung, die Verteidigung sei zur Kontrolle der Staatsanwaltschaft berufen, obwohl es nur die Aufgabe der Verteidigung sei, die Rechte des Beschuldigten zu wahren und nicht die Arbeit der Staatsanwaltschaft wie eine vorgesetzte Behörde zu kontrollieren. Dem Verteidiger müsse die Möglichkeit gegeben werden, alle Feststellungen zu treffen, die für die Verteidigung von Bedeutung seien. Ein Recht auf Gegenkontrolle der Staatsanwaltschaft durch die Verteidigung sei der Strafprozeßordnung hingegen fremd 424 • Dem ist entgegenzuhalten, daß der Informationsvorsprung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe des§ 147 II StPO gerade nicht angetastet werden soll. Besteht allerdings keine Gefährdung des Untersuchungszwecks, so ist die Verweigerung der Akteneinsicht ein unzulässiger Eingriff in das gesetzlich verankerte Recht auf Akteneinsicht und versagt die Möglichkeit, alle Feststellungen zu treffen, die für die Verteidigung von Bedeutung sind. Damit wird deutlich, daß die oben dargestellten Argumente nicht gegen den geforderten Rechtsschutz herangezogen werden können, denn die Einhaltung der Regelung des§ 147 II StPO soll durch eine gerichtliche Überprüfung, und nicht durch eine des Verteidigers, sichergestellt werden 425 • Vielmehr muß gelten, daß die richterliche Kontrolle und die Korrektur, beschränkt auf rechtswidrige Geheimsphären der Staatsanwaltschaft, nicht nur mit deren Verantwortung für das Ermittlungsverfahren zu vereinbaren, sondern vom Rechtsstaat zu fordern ist426 • Durch die Einräumung von Rechtsmitteln gegen die Verweigerung der Akteneinsicht kommt dem Ermittlungsverfahren eine insgesamt stärkere Bedeutung zu, so daß auf diese Weise dem Bedeutungswandel des ehemals nur vorbereitenden Verfahrens Rechnung getragen wird. Ohne ein nachprüfbares Recht auf Akteneinsicht bleibt dem Verteidiger der gegenwärtige Stand der Ermittlungen oft verborgen, eine realistische Abschätzung der Chancen und Risiken des Verfahrens ist häufig nicht möglich. Ohne Aktenkenntnis kann der Verteidiger seinen Mandanten weder beraten noch bei der Vorbereitung einer Aussage unterstützen. Er kann nicht beurteilen, ob sich die Abgabe einer Stellungnahme zum Tatvorwurf empfiehlt, ob Beweisanträge gestellt werden sollen, Beweismittel vorzulegen sind, die Anstellung eigener Ermittlungen ratsam ist. 424 Meyer-Goßner, Die Behandlung kriminalpolizeilicher Spurenakten im Strafverfahren, NStZ 1982, S. 357. 42l Welp, Problerne des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 326 Fn. 72, S.330. 426 Bottke, Rechtsbehelfe der Verteidigung im Ermittlungsverfahren- eine Systernatisierung, StV 1986, S.123; Keller, Zur gerichtlichen Kontrolle prozessualer Ermessensentscheidungen der Staatsanwaltschaft, GA 1983, S. 504.
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Die ganze Strategie der Verteidigung hängt somit davon ab, daß volle Klarheit über den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht427, soweit dies ohne eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs möglich ist. Die Versagung eines der wichtigsten Rechte der Verteidigung muß daher justitiabei sein. Dies gilt um so mehr, als eine Regelung, die die Anrufung des Gerichts zuläßt, dem Grundsatz entspricht, daß alle Eingriffe in die Rechte des Beschuldigten richterlich nachprüfbar sein müssen. Letztlich wird als zunächst scheinbar schwerwiegendes Argument gegen eine gerichtliche Überprüfung der Akteneinsichtsversagung noch vorgebracht, daß ein derartiges Rechtsschutzbegehren zu einer Vielzahl von Nebenverfahren führen würde, die das eigentliche Ermittlungsverfahren verzögern, wenn nicht gar lähmen könnten und daher mit dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an einer zielstrebigen, raschen und erfolgreichen Verfolgung von Straftaten schlechthin unvereinbar seien428. Nach der Gewährung der Akteneinsicht zeigt sichjedoch zum einen recht häufig, daß ein bestreitender Beschuldigter seine Haltung in Anbetracht des Beweismaterials aufgibt oder aber durch entsprechende Hinweise zu einer Aufklärung des Sachverhaltes beitragen kann, die den Tatvorwurf entweder entfallen lassen oder das erkennbare Ausmaß des Verschuldens deutlich reduzieren 429 • Allein dies wäre geeignet, die Ermittlungen wesentlich abzukürzen und damit zu einer Beschleunigung des Verfahrens beizutragen. Zum anderen liegt es in der Natur der Rechtsbehelfe, daß sie eine Verfahrensverzögerung nach sich ziehen können, so daß mit Hilfe dieses Arguments die Einführung einer jeden neuen Rechtsschutzmöglichkeit verhindert werden könnte. Besonders die Einführung des § 406e IV StPO durch das Opferschutzgesetz430, nach dem der Verletzte gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des§ 161 aiii S. 2 bis 4 StPO beantragen kann, hat die Einführung einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Versagung der Akteneinsicht auch für den Beschuldigten unumgänglich gemacht431 , denn das Opferschutzgesetz wollte zwar die Rechte des Opfers verbessern, nicht aber dem Verletzten weitergehende Befugnisse einräumen als dem Beschuldigten: Stellt man die beiden Einsichtsrechte hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen gegenüber, wird sogar deutlich, daß die Rechtsstellung des Verletzten bewußt schwächer ausgestaltet wurde als die des Beschuldigten, denn die Versagungsgründe des § 406e II StPO überschreiten sachlich den Umfang des § 147 II StPO, gelten Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 310. OLG Karlsruhe, NJW 1976, 1417f.; OLG Frankfurt a.M., StV 1993,292 (294). 429 Taschke, Anmerkung zu OLG Frankfurt a.M., Beschl. v.24.4.1992, StV 1993, S.297. 430 s. I 11 (S. 39). 431 Bundestagdrucksache 14/1484, S. 22, Begründung des Entwurfs des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999; vgl. aber schon: Taschke, Überlegungen zu einem künftigen Strafprozeß, NJ 1993, S. 202; Hamm, Rechtsbehelfe im Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 68; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 89; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 100; Rieß, Gerichtliche Kontrolle des Ermittlungsverfahrens? Festschrift für Geerds, S.514f. 427 428
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über das Ermittlungsverfahren hinaus und sind zum Teil obligatorisch 432 • Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung des Opferschutzgesetzes, das Einsichtsrecht habe für den Verletzten nicht die gleiche zentrale Bedeutung wie für den Beschuldigten, für dessen effektive Verteidigungsmöglichkeit es unerläßlich sei 433 • Diese zutreffende Sichtweise würde in ihr Gegenteil verkehrt, würde dem Verletzten ein auch noch vorzugswürdiger Rechtsbehelf innerhalb des Strafverfahrens zur Verfügung gestellt, der Beschuldigte aber dagegen rechtsschutzlos belassen 434 • Rechtsschutz ist nun durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 mit § 147V S. 2 StPO eingeführt worden, indem nach Maßgabe des§ 161 aiiiSatz 2 bis 4 StPO gerichtliche Entscheidung beantragt werden kann, wenn die Staatsanwaltschaft die Einsicht in die Akten versagt, nachdem sie den Abschluß der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat, der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß ist oder es sich um die Einsicht in die von der Beschränkung ausgenommenen und in § 147 III StPO bezeichneten Gutachten und Niederschriften handelt. Dies scheint zwar ein Schritt in die richtige Richtung, leider bleibt es jedoch bei einer Klarstellung der schon bisher für diese Fälle geltenden Rechtsauffassung, wenn auch nicht mehr mit der Folge, daß der Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG als zulässig angesehen wird. Die Versagung der Akteneinsicht nach Abschluß der Ermittlungen, aber vor Übergang der Verfahrensherrschaft auf das Gericht wurde von der Rechtsprechung schon früher überwiegend als objektiv willkürlich und damit als gerichtlich überprüfbar angesehen435 • Gleiches gilt, mittlerweile wohl nahezu unbestritten, auch für die Einsicht in die nach§ 147 III StPO privilegierten Unterlagen 436 und für den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten437 • Es bleibt damit eine gerichtliche Überprüfung der Versagung der Akteneinsicht zu fordern, die nicht erst nach Abschluß der Ermittlungen, sondern bereits zu dem weitaus wichtigeren Zeitpunkt, nämlich vor Abschluß der Ermittlungen, möglich sein muß. Dies würde auch dem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts entgegenkommen, das gerügt hatte, die Rechtsbehelfe gegen Durchsuchungsanordnungen und Durchsuchungsmaßnahmen würden nach geltendem Recht in nur schwer zu durchschauender Weise mehrfach gespalten, von den Fachgerichten uneinheitlich gehandhabt und die Fachgerichte treffe eine besondere Verpflichtung zur Klärung einer unübersichtlichen Rechtslage438 • Hinsichtlich des Rechtsschutzes im Ermittlungsverfahren sind jüngst aufgrund einer weiteren Entscheidung des BundesverWelp, Anmerkung zu OLG Frankfurt a.M., Beschluß v.29.7.1987, StV 1989, S. 196. Bundestagsdrucksache 10/5305, S.l8. 434 LR!Lüderssen, §§ 112- 197, 24. Auflage, § 147 Rdnr. 160; Welp, Anmerkung zu OLG Frankfurt a. M., Beschluß v. 29.7.1987, StV 1989, S. 196. 435 OLG Frankfurt a. M., NStZ-RR 1996, 40; OLG Frankfurt a. M., StV 1993, 297 (298); OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 179; BGH, NStZ 1998, 97; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 84; Kl!M, § 147 Rdnr. 27. 436 s.IV2dff. (S.164). 437 s.IV2dff. (S.164). 43s BVerfGE96, 27 (44). 432 4 33
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fassungsgerichts, das, unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung 439 , dem von einer durch den Ermittlungsrichter angeordneten Zwangsmaßnahme Betroffenen trotzprozessualer Überholung die Beschwerde nach§ 304 StPO zugestanden hat440, ohnehin Veränderungen in Gang gesetzt worden. Im Hinblick auf diese Entscheidungen hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs seine frühere Auffassung 441 hinsichtlich der Überprüfung der Art und Weise des Vollzugs einer nach § 105 I S. 1 StPO nichtrichterlich angeordneten abgeschlossenen Durchsuchung aufgegeben und nun die richterliche Entscheidung entsprechend § 98II S. 2 StPO als zulässig angesehen442. In einer anderen Entscheidung 443 hat ebenfalls der 5. Senat festgestellt, daß auch für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung einer erledigten vorläufigen Festnahme nach § 127 li StPO in entsprechender Anwendung des § 98II S. 2 StPO die richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit beantragt werden könne und der Rechtsweg nach §§ 23ff. EGGVG wegen der Subsidiarität nach § 23 III EGGVG nicht gegeben sei.
gg) Bescheidungs- und Begründungspflicht Fordert man das Recht ein, bei Versagung der Akteneinsicht eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, so müssen sich daraus Konsequenzen für die Staatsanwaltschaft ergeben, wenn sie nun tatsächlich aufgrund bestimmter Tatsachen die dringende Gefahr annimmt, die Einsichtnahme könne die weiteren Ermittlungen in erheblicher Weise behindern. Es liegt auf der Hand, daß das zur Überprüfung angerufene Gericht seine Kontrollaufgabe nur dann ordnungsgemäß wahrnehmen kann, wenn ihm die Gründe bekannt sind, die die Staatsanwaltschaft zur Ablehnung des Antrags auf Akteneinsicht veranlaßten 444 • Durch eine Begründungspflicht wird nicht nur der rein formularmäßigen Ablehnung entgegengewirkt, sondern gerade das Überdenken der Annahme des Gefahrdungstatbestandes gefördert. Weiterhin sollte die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft eingeführt werden, den Verteidiger grundsätzlich über seinen Antrag auf Akteneinsicht zu bescheiden445 . Hier stellt sich das allerdings nur vordergründige Problem, daß die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger oftmals die genauen Versagungsgründe nicht wird mitteilen können, ohne dem Grund der Versagung, der in der Geheimhaltung bestimmter, unmittelbar bevorstehender Ermittlungshandlungen liegen kann, entgegenzuwirken. Daher müßte der Verteidiger die Überprüfung der Versagung der AkteneinBVerfGE49, 329 (339f.). BVerfG, NJW 1997, 2163 (2164). 441 BGHSt37, 79ff. 442 BGH, NJW 1999,730 (731). 443 BGH, NJW 1998, 3653 (3654). 444 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 89; Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 330. 445 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 97, 99f. 439
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
sieht beantragen, ohne die genauen Gründe hierfür zu kennen. So heißt es in § 147 V S. 3 StPO: "Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefahrdet werden könnte." Abgesehen davon, daß die vom Gesetzgeber verwandte unbestimmte Gefahrdungsklausel abgelehnt wird, hat die Verteidigung mit diesem Problem auch dann fertig zu werden, wenn sie andere Zwangsmaßnahmen des Ermittlungsverfahrens, die bereits nach geltendem Recht einer richterlichen Überprüfung unterzogen werden können, angreift446 • hh) Das eigene Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten Wie bereits festgestellt war das Akteneinsichtsrecht an die Person des Verteidigers gebunden 447 • Der Grund dafür, daß der Gesetzgeber die Akteneinsicht ausschließlich in die Hände des Verteidigers gelegt hatte, wurde von der ganz herrschenden Meinung darin gesehen, daß dieser die Gewähr dafür biete, daß die Akten bei der Einsichtnahme nicht vernichtet, beschädigt oder verfalscht würden, daß also die Aktenintegrität vor einem Zugriff des Beschuldigten geschützt werde448 • Dagegen wurde eingewandt, diese Sichtweise sei nur bis zu der Erfindung der Kopiertechnik vertretbar gewesen, denn der Gefahr der Beschädigung oder Zerstörung der Akten könnte durch die Herstellung von Abschriften oder Fotokopien wirksam begegnet werden 449 • Den Ausschluß des Beschuldigten vom Akteneinsichtsrecht damit zu erklären, daß er nicht ausnahmslos über alles informiert werden dürfe, denn gewähre man dem Verteidiger ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht, so werde diese Differenzierung nur verständlich, wenn man vom Verteidiger erwarte, er werde sein Wissen nicht in vollem Umfang dem Beschuldigten mitteilen 450 , verbietet sich, da der Verteidiger befugt und verpflichtet ist, seinen Mandanten über den gesamten Akteninhalt in Kenntnis zu setzen 451 • Der Grund für die frühere Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf die Person des Verteidigers hat vielmehr etwas mit der Wandlung von tatsächlichen Verhältnissen zu tun, die in die StrafprozeßordWelp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 330. s. IV 2 d bb (S. 152). 448 KG, JR 1965, 70; OLG Zweibrücken, NJW 1977, 1699; Mehle, Anmerkung zu KG, Beschluß v. 5.7.1982, NStZ 1983, S. 558; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 147 Rdnr. 6; Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 312; HK/Julius, § 147 Rdnr. 2; Klussmann, Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in eigener Sache, NJW 1965, S. 1965; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen - Ein Überblick, ZAP Fach 22, S. 78; Bosch, Akteneinsicht, Aussageverweigerung und U-Haft- ein in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehenes Theater? StV 1999, S. 336 Fn. 23; Walischewski, Probleme des Akteneinsichtsrechts der Verteidigung im Emittlungsverfahren im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR, S.l89. 449 Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 90; Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 315; LR/Lüderssen, §§ 112-197,24. Auflage,§ 147 Rdnr. 7. 450 Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 90. 45' s. IV 2 d bb (S. 153). 446 447
2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren
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nung bis zum Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 keinen Einzug gefunden hatten. Der Integritätsschutz der Akten kann heute in der Tat mühelos durch die Anfertigung von Kopien sichergestellt werden, so daß auch dem Beschuldigten insoweit gefahrlos ein Anspruch auf Akteneinsicht eingeräumt werden konnte, auch wenn dies bislang jenseits eines rechtspolitischen Horizonts gelegen hat, "der mit dem Begriff Abschrift die Vorstellung eines mit dem Federkiel bewaffneten Kanzleiangestellten assoziiert" 452 • Die Versagung eines selbst wahrnehmbaren Rechts auf Akteneinsicht für den Beschuldigten stößt im Hinblick auf die Chancengleichheit im Strafprozeß auf erhebliche Bedenken, wenn für die Wahrnehmung eines zentralen Verteidigungsrechts einerseits Anwaltszwang eingeführt wird und andererseits der Beschuldigte, der finanziell nicht dazu in der Lage ist, einen Verteidiger zu wählen, auf§ 140 StPO mit der Folge verwiesen wird, daß vor allem in Fällen geringerer Kriminalität dem unbemittelten Beschuldigten die Akten verschlossenen bleiben453 • Wenn nicht gewährleistet ist, daß jeder Beschuldigte ohne Rücksicht auf die Art des Tatvorwurfs und das Stadium des Verfahrens einen Verteidiger, notfalls auf Kosten der Staatskasse, erhält, kommt die Bindung des Akteneinsichtsrechts an die Person des Verteidigers einer partiellen Beseitigung des Rechts auf Akteneinsicht gleich454 • Als Ausweg bieten sich zwei Lösungsmöglichkeiten an, die sich allerdings auch nicht gegenseitig ausschließen müssen: Die erste besteht in der Einführung eines eigenen umfassenden Rechts des Beschuldigten auf Akteneinsicht, das vom Umfang und von den Grenzen her dem des Verteidigers entspricht455 • Die zweite Lösungsmöglichkeit liegt in dem Ausbau und der Erweiterung der notwendigen Verteidigung im Ermittlungsverfahren, die so gestaltet werden könnte, daß immer dann ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, wenn eine sachgerechte Verteidigung ohne Akteneinsicht nicht möglich ist456 • Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jüngst festgestellt, daß die Weigerung der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten bei seiner Verteidigung in eigener Person Akteneinsicht zu gewähren und Kopien aus der Akte zu erhalten, Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 315. Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 312f.; HK!Julius, § 147 Rdnr. 2; Frohn, Strafverteidigung und rechtliches Gehör, GA 1984, S. 564; Bosch, Akteneinsicht, Aussageverweigerung und U-Haft- ein in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehenes Theater? StV 1999, S. 336. 454 Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 313. 455 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 203; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 88; Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 314; Walischewski, Probleme des Akteneinsichtsrechis der Verteidigung im Emittlungsverfahren im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR, S. 220. 456 Ähnlich: Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 41 f.; OLG Koblenz, StV 1993, 461; LG Mainz, NJW 1999, 1271 (1272). 452 453
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Art. 6 III und I EMRK verletze 457 und damit entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts458 den Weg bezüglich eines Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten, das er selbst wahrnehmen kann, beschritten. Dem Urteil, dem ein Fall in Frankreich zugrunde liegt, ist zu entnehmen, daß ein eigener Anspruch des Beschuldigten auf Akteneinsicht nur dann aus Art. 6 III und I EGMR abgeleitet werden kann, wenn der Beschuldigte nach innerstaatlichem Recht zur Verteidigung in eigener Person berechtigt ist, also gerade kein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Obwohl die vom EGMR heraus gearbeiteten Grundsätze zur Bejahung eines Verstoßes gegen die Menschenrechtskonvention auch auf die deutsche Rechtslage zu übertragen sind459 , hat das Landgericht Mainz eine unmittelbare Bindung der nationalen deutschen Gerichte an die Entscheidung des EGMR verneint. Eine Bindungswirkung ergebe sich weder unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten noch aus nationalem Recht. Die EMRK selbst enthalte keine Bestimmungen hinsichtlich einer Bindungswirkung für nationale Gerichte, es würden lediglich Pflichten der Vertragsstaaten festgelegt, wobei die Umsetzung in nationales Recht der jeweiligen Rechtsordnung überlassen bleibe. Der EGMR sei kein höherrangiges Gericht, an das die Vertragsstaaten gebunden seien. Er stehe vielmehr außerhalb des Systems der staatlichen Gerichte. Zwar habe der Vertragsstaat Deutschland die EMRK mit Zustimmungsgesetz vom 7.8.1952 inkorporiert, die Normen der EMRK stünden jedoch unterhalb des Verfassungsrechts, und daraus ergebe sich keine Bindungsverpflichtung der nationalen Gerichte an Entscheidungen des EGMR. Auch das deutsche Verfassungsrecht enthalte keine Regelungen, die die deutschen Gerichte zur Bindung an Entscheidungen des EGMR verpflichteten. Insbesondere aus Art. 25 GG, derbestimmt, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, lasse sich keine Bindungswirkung herleiten, denn die nationalen Gerichte müßten die Urteile internationaler Gerichte nur beachten, soweit deren Rechtskraft wirke. Die Rechtskraftwirkung der internationalen Gerichte beziehe sich aber nur auf die konkret am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligten Vertragsstaaten 460. Konsequenz dieser Entscheidung sei, daß es bis zu einer Neuregelung des Akteneinsichtsrechts durch den deutschen Gesetzgeber bei der bisherigen, vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Rechtslage bleibe, daß nur dem Verteidiger die Ausübung der Akteneinsicht zustehe 461 • Diese gesetzliche Neuregelung ist durch durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 erfolgt, so daß die vielfach kritisierte 462 Entscheidung des Landgerichts EGMR, NStZ 1998, 429. BVerfGE53, 207 (214). 459 Deumeland, Anmerkung zu Urteil des EGMR v. 17.2.1997, NStZ 1998, S. 429 f.; LG Mainz, NJW 1999, 1271 (1272). 460 LG Mainz, NJW 1999, 1271 (1272). 461 LG Mainz, NJW 1999, 1271 (1272). 462 Böse, (K)ein Akteneinsichtsrecht für den Beschuldigten?, StraFo 1999, S. 293ff., m. w. N.; ähnlich: Haass, Zu den Auswirkungen der Entscheidung des EGMR zur Akteneinsicht von Beschuldigten am Beispiel der Entscheidung des LG Mainz, NStZ 1999, S.444. 457 458
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Mainz an Brisanz verloren hat. In § 147 VII StPO heißt es jetzt: Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, können Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte und nicht schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen. Weiterhin ist ein Verweis auf die oben dargestellte und als unzureichend kritisierte Rechtsschutzmöglichkeit nach § 147V StPO und auf die fürdie Strafprozeßordnung in einem 8. Buch neu geregelte Vorschrift über die sonstige Verwendung von Informationen für verfahrensübergreifende Zwecke nach§ 477 V StPO enthalten. Leider ist diese als Kann-Vorschrift ausgestaltete Norm wieder nichts weiter als eine Klarstellung der bereits vorher gültigen Rechtslage, denn es stand nicht in Zweifel, daß dem Beschuldigten Abschriften oder Ablichtungen der Akten ausgehändigt werden durften, daß ihm unter Umständen sogar ausnahmsweise ein Anspruch darauf zustand 463 . Zudem wird eine von§ 147 II StPO nicht vorgesehene Abwägung mit "überwiegenden schutzwürdigen Interessen Dritter" eingeführt. Plausibel dürfte es demgegenüber nur sein, das Recht des Beschuldigten auf denselben Umfang wie das des Verteidigers zu begrenzen, eine Versagung also nur dann zuzulassen, wenn eine näher konkretisierte Gefährdung des Untersuchungszwecks bis zum Abschluß der Ermittlungen zu besorgen ist 464 und nicht nur der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte. Die Einführung einer Ermessensvorschrift mit der zusätzlichen Abwägung mit dem unbestimmten Rechtsbegriff "überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter" führt nicht zu einer sicheren Verankerung des Rechts des Beschuldigten auf Akteneinsicht, sondern zu dessen Relativierung. Dem Beschuldigten muß in einem reformierten Strafprozeß, wenn er sich selbst verteidigt, ein Akteneinsichtsanspruch in dem Umfang gewährt werden, wie er dem Verteidiger zugestanden wird, wobei die Integrität der Akten durch die Überlassung von bzw. Einsichtnahme in Kopien oder durch die nur "überwachte" Einsichtnahme in die Akten auf der Geschäftsstelle des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft sichergestellt werden sollte. Bedauerlich ist auch, daß im Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 der Vorschlag des Arbeitskreises Strafprozeßreform Verteidigung keine Berücksichtigung findet, nach dem die Akteneinsicht nicht vollständig, im Gegensatz zu der aktuellen Fassung des§ 147 II StPO, sondern nur in Teilen versagt werden sollte 465 • Da regelmäßig nur die Kenntnis bestimmter Ermittlungsvorgänge den Untersuchungszweck gefährden kann, ist die vollständige Versagung der Akteneinsicht nicht erforderlich.
s. IV 2 d bb (S. 153). Ähnlich: Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, Festgabe für Kar/ Peters, S. 314; Bosch, Akteneinsicht, Aussageverweigerung und U-Haft - ein in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehenes Theater? StV 1999, S. 336. 465 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 99. 463
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
e) Die Notwendigkeit von Verteidigung im Ermittlungsverfahren Die bislang vorgestellten Reformforderungen setzen ein wesentlich früheres Tätigwerden der Verteidigung voraus, als es bis heute der Fall ist. Werden die Rechte des Verteidigers im Vorverfahren erweitert, so muß in einem stärkerem Maße berücksichtigt werden, daß die notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren nur unzureichend geregelt ist. Für das Ermittlungsverfahren sieht § 141 III StPO eine nur fakultative notwendige Verteidigung vor. Eine Verteidigerbestellung kommt dann in Frage, wenn nach Auffassung der Staatsanwaltschaft abzusehen ist, daß die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung nach§ 140I und II StPO notwendig sein wird und die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellt. Daher kann im Ermittlungsverfahren ein Verteidiger bestellt werden, wenn im künftigen gerichtlichen Verfahren ein Fall der notwendigen Verteidigung nach dem Katalog von§ 140 I Nm. 1-8 StPO vorliegt466 , oder wenn nach § 140 II StPO wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, daß der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann, namentlich, weil dem Verletzten nach den §§ 397 a und 406 g III und IV StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dem Antrag eines tauben oder stummen Beschuldigten ist nach § 140 li S. 2 StPO zu entsprechen. Diese Rechtslage ist aus mehreren Gründen unbefriedigend. Unbefriedigend einmal deshalb, weil das Gesetz nur in § 117 IV StPO nach dreimonatiger Untersuchungshaft zwingend die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Ermittlungsverfahren vorschreibt - auch dieser Zeitpunkt ist bereits als viel zu spät kritisiert worden467 - und weil§ 141 III StPO lediglich die Möglichkeit der Beiordnung eines Verteidigers vorsieht. Abgesehen von § 117 IV StPO gibt es also keinen Fall der zwingend notwendigen Verteidigung bereits im Ermittlungsverfahren. Zum anderen ist die Bestellung des Verteidigers nach herrschender Auffassung von einem Antrag der Staatsanwaltschaft an das voraussichtlich zuständige Gericht abhängig, wenn nach ihrer Auffassung die Verteidigung nach§ 140 StPO in der Hauptverhandlung notwendig sein wird, wobei dieser Umstand weder für einzelne Untersuchungshandlungen noch für das gesamte Vorverfahren zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers zwingen soll 468 • Der Antrag der Staatsanwaltschaft kann von dem für die Be466 Also die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder Landgericht stattfinden wird, dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird, das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann, der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird, wenn zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 StPO in Frage kommt oder der bisherige Verteidiger von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist. 467 s. IV l daa (S. 88 ff.). 468 BGHSt29, l (5); Kl/M, § 147 Rdnr. S.
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stellungzuständigen Vorsitzenden vor Abschluß der Ermittlungen (169a StPO) abgelehnt werden, wenn nach seiner Auffassung die Verteidigung nicht notwendig sein wird. Nach Abschluß der Ermittlungen ist der Vorsitzende an den Antrag der Staatsanwaltschaft nach§ 141 III S. 3 StPO gebunden, so daß ein Verteidiger selbst dann zu bestellen ist, wenn nach Ansicht des Vorsitzenden die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorliegen. Ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten ist im Vorverfahren nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, vorgesehen, sein Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers stellt nach noch überwiegender Auffassung lediglich eine Anregung an die Staatsanwaltschaft dar, ihrerseits einen eigenen Antrag zu stellen469 • Damit ist die Beiordnung eines Verteidigers nach§ 141 III StPO von der Überwindung einer "doppelten Hürde" 470 abhängig: Zunächst prüft die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit einer Beiordnung nach dieser Vorschrift und eben diese Prüfung wird dann nochmals von dem zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden wiederholt. In dem Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege 471 ist eine Änderung der Verteidigungsregelungen vorgesehen. Der neu gefaßte § 141 III S. 3 StPO schreibt eine Bindung des Gerichts an den Antrag der Staatsanwaltschaft fest und an Absatz 4 soll angefügt werden, daß der Staatsanwalt bis zur Erhebung der Öffentlichen Klage selbst einen vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger bestellen kann. Soweit Einigkeit mit dem Beschuldigten über die Person des Verteidigers besteht, soll also der Staatsanwaltschaft die Befugnis eingeräumt werden, einen Verteidiger zu bestellen, und das Gericht ist dann an die Auffassung der Staatsanwaltschaft gebunden, daß überhaupt ein Verteidiger zu bestellen ist472 • Mit Umsetzung dieses Gesetzesentwurfs würde zwar durch die Bindung des Gerichts an den Antrag der Staatsanwaltschaft auch schon vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens die oben geschilderte "doppelte Hürde" entfallen, an der grundsätzlichen Problematik des Antragsrechts auf Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren ändert jedoch auch dieses Gesetzesvorhaben nichts.
469 Kl!M, § 147 Rdnr. 5; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 6; HK/Julius, § 141 Rdnr. 7; Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1987, S. 318; Oellerich, Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, StV 1981, S. 441 ; OLG Oldenburg, StV 1993, 511; OLG Karlsruhe, NStZ 1998, 315 (316); Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr.651 a. 470 Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1987, S.318. 47 1 Bundestagsdrucksache 13/4541, S.4; Bundesratsdrucksache 916/98. 472 Bundestagsdrucksache 13/4541, S. 17, Entwurfsbegründung.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
aa) Eigenes Antragsrecht des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers Der erste entscheidende Schritt zu einer Verbesserung der Rechte des Beschuldigten liegt in der Zubilligung und Verankerung eines eigenen Antragsrechts, wie es entweder bereits nach geltendem Recht von einer im Vordringen befindlichen Auffassung angenommen 473 oder zumindest für den reformierten Strafprozeß gefordert wird 474 • Das Antragsmonopol der Staatsanwaltschaft wird vor allem aus dem Wortlaut des § 141 III S. 2 StPO abgeleitet: Der Gesetzgeber habe bewußt davon abgesehen, eine Antragstellung durch den Beschuldigten zu regeln und sich damit für ein alleiniges Antragsrecht der Staatsanwaltschaft ausgesprochen. Der Wortlaut sei so eindeutig, daß kein Raum für eine weite Auslegung verbliebe und ein Antragsrecht des Beschuldigten deshalb nach geltendem Recht ausgeschlossen sei 475 • Die Gegenauffassung beruft sich ebenfalls auf den Wortlaut der Vorschrift, der gerade nicht eindeutig sei. § 141 III S. 2 StPO regele lediglich die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung aufgrund einer Zukunftsprognose. Sei ein Beschuldigter im Ermittlungsverfahren zu einer Selbstverteidigung außerstande, werde er auch im gerichtlichen Verfahren des Beistands eines Verteidigers bedürfen und umgekehrt. Der Staatsanwalt sei bei Vorliegen der Voraussetzungen gehalten, bei Gericht die Verteidigerbestellung zu beantragen, womitjedoch kein Antragsmonopol der Staatsanwaltschaft anzuerkennen sei 476 • § 141 III S. 2 StPO dürfe daher nicht so verstanden werden, daß es ausschließlich eines Antrags der Staatsanwaltschaft bedürfe, ihr also die alleinige Entscheidungskompetenz über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers eingeräumt sei, sondern es sei auch der Antrag eines Beschuldigten zu beachten477 • 473 LG Bremen, StV 1999, 532; LR!Lüderssen, §§ 11 2-197, 24. Auflage, § 141 Rdnr. 24; Pfeiffer!StPO, § 141 Rdnr. 2; AK!Stern, §§ 94- 212b, § 141 Rdnr. II; Köster, Anmerkung zu OLG Oldenburg, Beschluß v. 12.11.1992, StV 1993, S. 513; Beckemper, Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1999, S. 226; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 651 a. 474 Herrmann, Überlegungen zur Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1996, S. 399; Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer S. 203; HK!Julius, § 141 Rdnr. 2; Oe/lerich, Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, StV 1981 , S.441. 475 Kl!M, § 141 Rdnr. 5; KK!Laufhütte, § 141 Rdnr. 6; Oellerich, Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, StV 1981 , S. 441. 476 AK!Stern, §§94-212b, § 141 Rdnr. 7; Köster, Anmerkung zu OLG Oldenburg, Beschluß v. 12.11 . 1992, StV 1993, S. 512; Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1987, S.319. 477 LR!Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, § 141 Rdnr. 24; Pfeiffer!StPO, § 141 Rdnr. 2; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 651 a; Beckemper, Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1999, S. 226.
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Gegen ein restriktives Verständnis von§ 141 III S. 2 StPO spricht vor allem, daß die im Einzelfall gebotene Pflichtverteidigung nach§§ 141 III, 140I und II StPO in einer ganz entscheidenden Phase des Strafverfahrens von einer Vorentscheidung der Staatsanwaltschaft abhängig gemacht wird, so daß das Gericht folglich einen auch noch so offensichtlich begründeten Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers mit dem formalen Hinweis auf das Fehlen eines entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft zurückweisen müßte 478 . In der Praxis erfolgt die Bestellung eines Pflichtverteidigers überwiegend erst nach Anklageerhebung, während die Anwendung von§ 141 III StPO im Ermittlungsverfahren eher die Ausnahme ist479• Die geringe Anzahl der von der Staatsanwaltschaft gestellten Anträge läßt wohl den Schluß zu, daß sie im Hinblick auf ihre laufenden Ermittlungen eher geneigt ist, die Bestellung eines Pflichtverteidigers für hinderlich zu halten 480, was eindeutig für ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten spricht. Nur der Beschuldigte, der über ausreichende Mittel verfügt, kann sich tatsächlich in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen, § 137 I StPO, und so korrigierend in das Ermittlungsverfahren eingreifen. Die sozialstaatlieh begründete Fürsorge für den mittellosen Beschuldigten481 , die neben der Wahrung der Rechtsstaatlichkeil des Verfahrens die Beiordnung eines Verteidigers gebietet, wenn ein Fall von notwendiger Verteidigung vorliegt und noch kein Wahlverteidiger beauftragt worden ist, darf nicht zur Disposition der Ermittlungsbehörden gestellt werden 482 • Zudem führt die Vemeinung eines Antragsrechts des Beschuldigten zu dem fragwürdigen Ergebnis, daß über die Beiordnung eines Verletztenbeistands im Ermittlungsverfahren ein Richter entscheidet, über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für den Beschuldigten zunächst ein Staatsanwalt, der die Beiordnung des Verteidigers durch Nichtstellung eines Antrags auch noch de facto verhindem kann 483 • Danach sollte ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten vorgesehen werden, so daß der Vorsitzende des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts verpflichtet wird, einen solchen Antrag auch gegen den erklärten Widerspruch der Staatsanwaltschaft entgegenzunehmen, zu prüfen und auch unter Angabe von Gründen zu bescheiden. Die Prüfungskompetenz des Richters reicht aus, um gänzlich unbegründete Anträge abzuweisen, der Vorschaltung der Staatsanwaltschaft als KonKöster, Anmerkung zu OLG Oldenburg, Beschluß v. 12.11.1992, StV 1993, S.512. Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1987, S. 319; HK/Julius, § 147 Rdnr. 2; Oellerich, Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, StV 1981, S. 441. 480 Beckemper, Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1999, S.226. 481 BVerfGE39, 238 (242f.); 46, 202 (210). 482 AK/Stern, §§94-212b, § 141 Rdnr.IO. 483 Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1987, S. 319; Beckemper, Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1999, S. 226. 478
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
trollinstanzbedarf es dazu nicht484 , dies wäre im Gegenteil dem Ziel der notwendigen Verbesserung der Rechte des Beschuldigten in einem reformierten Ermittlungsverfahren abträglich. Billigte man dem Beschuldigten ein eigenes Antragsrecht zu, entfiele darüber hinaus die heute umstrittene Frage, ob dem Beschuldigten eine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet ist, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht stellen will. Überwiegend wird angenommen, die Ablehnung der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft sei nicht anfechtbar485 • Dabei wird entweder darauf abgestellt, der Antrag sei eine nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht anfechtbare Prozeßhandlung oder darauf, daß dem Beschuldigten jedenfalls das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehle, denn dieser könne den von der Staatsanwaltschaft abgelehnten Antrag zu einem späteren Zeitpunkt selbst stellen486 • Außerdem wird vorgebracht, nicht jede Lücke im Rechtsschutzsystem der Strafprozeßordnung dürfe zwangsläufig zu einer Anwendung des subsidiären Rechtswegs nach §§ 23 ff. EGGVG führen. Einmal habe der Gesetzgeber mit der Strafprozeßordnung und den von ihr vorgesehenen Rechtsmitteln ein ausgewogenes System geschaffen, das den Interessen aller am Strafverfahren Beteiligten Rechnung trage, und zum anderen führten die Verfahren nach§§ 23 ff. EGGVG zu einer Zersplitterung und Mehrgleisigkeit 487 • Hätte der Beschuldigte ein eigenes Antragsrecht, könnte er nicht mehr geltend machen, durch die Verweigerung der Antragstellung in seinen Rechten verletzt zu sein. Für die Forderung nach Eröffnung des Rechtswegs nach § § 23 ff. EGGVG und auch nach einer gerichtlichen Überprüfung der Haltung der Staatsanwaltschaft analog§ 98 II S. 2 StPO, wie es vereinzelt gefordert wird 488 , bestünde dann kein Bedürfnis mehr489 , so daß sich die Schwierigkeiten hinsichtlich des Rechtsschutzes erledigt hätten. Der Beschuldigten kann bei einem eigenen Antragsrecht die Überprüfung der ablehnenden Entscheidung mit der Beschwerde erreichen.
484 Beckemper, Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1999, S.226. 485 OLG Karlsruhe, NStZ 1998, 315 (316); OLG Oldenburg, StV 1993, 511; Kl/M, § 141 Rdnr. 5; KK!Laufhütte, § 141 Rdnr. 6; a. A.: HK/Julius, § 141 Rdnr. 14; Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1987, S.319; Köster, Anmerkung zu OLG Oldenburg, Beschluß v.l2.11.1992, StV 1993, S.513, der entgegen der Vorgenannten statt Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG eine analoge Anwendung von § 98 II S. 2 StPO befürwortet. 486 OLG Karlsruhe, NStZ 1998, 315 (316); OLG Oldenburg, StV 1993, 511. 487 OLG Karlsruhe, NStZ 1998,315 (316). 488 Köster, Anmerkung zu OLG Oldenburg, Beschluß v.12.11.1992, StV 1993, S.513. 489 OLG Karlsruhe, NStZ 1998, 315 (316); Beckemper, Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1999, S. 226.
2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren
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bb) Aus dem Antragsrecht resultierende Forderungen
(1) Belehrungspjlichten Über die Möglichkeit, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei Gericht zu beantragen, müßte der Beschuldigte bereits vor seiner ersten polizeilichen Vernehmung belehrt werden, um auch hier eine Annäherung an die dem Verletzten eingeräumten Rechte zu erreichen, der nach § 406 h StPO auf die ihm zustehenden Rechte hingewiesen werden so11 490 • Der Hinweis auf die§§ 136I S. 2, 163aiV S. 2 StPO, wonach es dem Beschuldigten freisteht, auch schon vor seiner Vernehmung einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen und er über diese Möglichkeit zu belehren ist, vermag diese Forderung nicht zu entkräften, da einerseits viele Beschuldigte die Kosten für einen Verteidiger nicht aufbringen können und andererseits die Verteidigerwahl vor der ersten Vernehmung nicht die Regel ist, was besonders bei unerfahrenen Beschuldigten gilt, die eines Verteidigers vor der ersten Vernehmung dringend bedürfen 491. Außerdem ist dem Beschuldigten mitzuteilen, daß er Gelegenheit zur Benennung eines Rechtsanwalts hat. Nach§ 142 I S. 2 StPO soll dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen. Auch wenn diese Bestimmung als Sollvorschrift ausgestaltet ist und keine unabdingbare Verpflichtung enthalten soll 492, gebietet es nach ganz herrschender Auffassung die prozessuale Fürsorgeptlicht, den Beschuldigten aufzufordern, einen Verteidiger zu benennen493 . § 142 I S. 2 StPO dient dem Zweck, den verfassungsrechtlich begründeten Anspruch des Beschuldigten auf Beiordnung eines Anwalts seines Vertrauens sicherzustellen494 und enthält damit praktisch jetzt schon eine Anhörungspflicht, von der nur in seltenen Fällen abgesehen werden kann. Die Anhörung kann etwa dann ausnahmsweise unterbleiben, wenn der bisherige Wahlverteidiger seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger beantragt hat und der Vorsitzende diesem Antrag entsprechen will495, wenn der Beschuldigte schon früher den Wunsch nach einem bestimm490 Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1981 , S.441. 491 Oellerich, Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, StV 1981, S. 441. 492 BGH, NStZ 1992, 201. 493 OLG Hamm, StV 1987, 478; OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 1996, 271; KG, StV 1993, 628; KK!Laufhütte, § 142 Rdnr. 8; KIIM, § 142 Rdnr. 10; HK!Julius, § 142 Rdnr. 3; Barton, Anmerkung zu Beschluß des BGH v. 25.2.1992, StV 1992, S. 408. 494 Bundestagsdrucksache 10/1313, S. 20, Begründung des Entwurfs eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1984. 495 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 641 a.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
ten Verteidiger geäußert hat496 oder wenn offensichtlich erkennbar ist, daß der Beschuldigte selbst keinen Vorschlag machen will 497 • Wenn aufgrund der Verfahrenslage Eile geboten ist und der mit der Fristsetzung verbundene Aufschub unzweckmäßig erscheint, ist der Beschuldigte wenigstens telefonisch anzuhören498 • Auf dieser Grundlage spricht nichts gegen einen ausdrücklich festgelegten Anspruch auf Anhörung, um sicherzustellen, daß der Beschuldigte auf seine Möglichkeit, einen Rechtsanwalt zu benennen, auch verbindlich hingewiesen wird 499 •
(2) Bezeichnung eines Verteidigers In§ 142 I S. 3 StPO ist festgelegt, daß der Vorsitzende den vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger bestellt, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Obwohl es ein Recht des Beschuldigten auf Bestellung des gerade von ihm benannten Verteidigers nicht gibt 500, ist den Wünschen des Beschuldigten "möglichst" Rechnung zu tragen 501 • Diese Forderung des Bundesverfassungsgerichts 502 hat in den durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 503 neu eingefügten Sätzen 2 und 3 des § 142 I StPO ihren Niederschlag gefunden. Allerdings kann der Vorsitzende auch entgegen den Wünschen des Beschuldigten einen Verteidiger bestellen, wenn es nach seinem pflichtgemäßen Ermessen wichtige Gründe gegen die Beiordnung des gewünschten Verteidigers gibt 504• Übedegenswert erscheint im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem als wesentliche Voraussetzung für eine sachdienliche Verteidigung die Forderung, dem Vorschlag des Beschuldigten immer zu entsprechen. 496 BayObLG, StV 1988, 97 (98); Kl/M, § 142 Rdnr. 10; Barton, Anmerkung zu Beschluß des BGH v.25.2.1992, StV 1992, S.408. 497 OLG Frankfurt a. M., NStZ-RR 1996, 271; Barton, Anmerkung zu Beschluß des BGH V. 25.2.1992, StV 1992, S.408. 498 BayObLG, StV 1988,97. 499 Schlothauer, Die Auswahl des Pflichtverteidigers, StV 1981, S. 452. 500 BGH, NStZ 1987, 217; BVerfGE 9, 36 (38); 39, 238 (243); OLG Celle, StV 1982, 360; OLG Bamberg, StV 1983, 234; OLG Düsseldorf, NStZ 1986, 137 (138); OLG Düsseldorf, NStZ 1987, 41 ; OLG Köln, NStZ 1991,248 (249); Kl/M, § 142 Rdnr.9; KK/Laufhütte, § 142 Rdnr. 7. 501 BVerfGE 9, 36 (38); BGH, StV 1998, 414 (415); OLG Bremen, NJW 1979, 665; OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 35; LG Oldenburg, StV 1984, 506. 502 BVerfGE 9, 36 (38). 503 s. I 11 (S.41 ). 504 BGH, MDR 1979, 108; BGH, NStZ 1981, 231; OLG Bremen, NJW 1979, 665; OLG Düsseldorf, NStZ 1981, 35; OLG Bamberg, StV 1983, 234; OLG Schleswig, StV 1987, 478 (479); OLG Köln, NStZ 1991, 248.
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Anerkannter Zweck der Pflichtverteidigung ist aber, daß der Beschuldigte rechtskundigen Beistand erhält und daß der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gesichert ist505 . Erfüllt der von dem Beschuldigten vorgeschlagene Verteidiger diese Voraussetzungen, so ist die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts ermessensfehlerhaft506. Erfüllt der Verteidiger diese Voraussetzungen allerdings aufgrund mangelnder Bereitschaft oder fachlicher Fähigkeit507 nicht, ist dem Beschuldigten mit einem solchen Verteidiger nicht gedient, und es muß in seinem Interesse die Möglichkeit bestehen, diesen unter Angabe von Gründen abzulehnen. Ein weiterer Aspekt ist, daß durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers ein Beschuldigter, der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, grundsätzlich den gleichen Rechtsschutz erhalten soll wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen bestimmten Verteidiger hat wählen können 508. Nur werden für den Pflichtverteidiger öffentliche Mittel aufgewendet, die auf das Mindestmaß beschränkt bleiben sollten. Müßte jedem Wunsch des Beschuldigten entsprochen und auch der den Anforderungen offensichtlich nicht gerecht werdende Verteidiger bestellt werden, würden vermeidbare Mehrbelastungen entstehen. Die ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden kann auch mit der Beschwerde angefochten werden, so daß der Beschuldigte insofern eine Überprüfung der Ermessensentscheidung, die sich in vielen Fällen auf einen Anspruch auf Beiordnung des gewünschten Verteidigers verdichtet haben dürfte, erreichen kann.
(3) Unterbrechung der Vernehmung Eine ausdrückliche Regelung, wie zu verfahren ist, wenn der Beschuldigte während der Vernehmung, dies wird in der Regel die erste polizeiliche Vernehmung sein, die Konsultation eines Verteidigers verlangt, enthält die Strafprozeßordnung nicht. Insbesondere wird nicht vorgeschrieben, daß die Vernehmung solange zu unterbrechen ist, bis eine solche Kontaktaufnahme gelungen ist. Von der Rechtsprechung und der Literatur wird allerdings einheitlich die Notwendigkeit bejaht, die Vernehmung zum Zweck der Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger sogleich zu unterbrechen 509. Damit wird immerhin den Grundsätzen der§§ 137, 1361 S. 2 StPO Rechnung getragen, die dafür sprechen, daß der Verfahrensablauf anzuhalten ist, bis der Beschul505 BVerfGE 39,238 (242); OLG München, AnwBI. 1980, 467; KG, JR 1978, 346 (347); OLG Bamberg, StV 1984, 234; LG Oldenburg, StV 1984, 506; OLG Düsseldorf, NStZ 1986, 137; OLG Köln, NStZ 1991, 248; KK/Laufhütte, § 147 Rdnr. 7. 506 BGH, StV 1998, 414f.; OLG Bamberg, StV 1983, 234; BayObLG, StV 1988, 97; OLG Köln, NStZ 1991, 248; LG Oldenburg, StV 1984, 506; KK/Laufhütte, § 142 Rdnr. 7. 507 OLG Schleswig, StV 1987, 478; OLG Köln, NStZ 1991, 248 (249); OLG Koblenz, NJW 1980, 1058; Eisenberg, Aspekte der Rechtsstellung des Verteidigers, NJW 1991, S.1262. 5os OLG Karlsruhe, NJW 1978, 1064; OLG Bamberg, StV 1984, 234 (235). 509 BGHSt38, 372 (373); KK/Boujong, § 136 Rdnr. 14; HK/Lemke, § 136 Rdnr. 22; LR/Hanack, §§ 112-197, 24. Auflage, § 136 Rdnr.29;Kl/M, § 136Rdnr.l0; Pfeiffer/StPO, § 136Rdnr.9.
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digte sich beraten lassen konnte. Würde die Vernehmung nicht unterbrochen, würde dem Beschuldigten nicht die Möglichkeit eröffnet, sich jederzeit anwaltliehen Beistands zu versichern. Das Gesetz hat gerade nicht vorgesehen, der Beschuldigte könne lediglich beantragen oder versuchen, sich anwaltlieh vertreten zu lassen 510• Vielmehr ist ein neuer Termin anzuberaumen, der erst nach angemessener Frist, die in der Regel einige Tage zu betragen hat, stattfinden darf oder es ist das Eintreffen des Verteidigers, soweit dies in Kürze möglich ist, abzuwarten 511 • In jedem Fall muß es sich um eine "echte" Unterbrechung handeln, die sicherstellt, daß das Konsultationsrecht nicht durch eine informelle Unterhaltung unterlaufen wird 512 • (4) Gesteigerte Hilfspjlichten Schwierigkeiten bereitet die Beantwortung der Frage, inwieweit der Beschuldigte bei der Kontaktaufnahme zum Verteidiger durch die Ermittlungsbehörden unterstützt werden muß, um den Anforderungen der§§ 136, 163aiV StPO zu genügen. Im Normalfall können sich die vernehmenden Beamten auf die bloße Unterbrechung der Vernehmung beschränken, wenn der Beschuldigte seinen Wunsch nach Hinzuziehung eines Verteidigers zum Ausdruck gebracht hat. Um den Kontakt zu dem Verteidiger zu realisieren, müssen dann höchstens die technischen Möglichkeiten (z. B. Telefon) zur Verfügung gestellt werden, da bereits die Erfüllung dieser "Basispflichten" garantiert, daß der Beschuldigte die gewünschte Unterstützung auch erhält. Selbst wenn er inhaftiert ist, genügt zumeist die Vernehmungsunterbrechung und Rückführung in die Haftanstalt, wenn die notwendigen Kommunikationseinrichtungen dort genutzt werden können 513• Ob das jedoch auch ausreicht, wenn von den Vernehmungsbeamten im Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und der damit verbundenen zügigen Aufklärung einer Straftat oder vom Beschuldigten selbst eine alsbaldige Vernehmung angestrebt wird, erscheint im Hinblick auf die dann besonders große Gefahr des Unterlaufens des vom Beschuldigten geäußerten Verteidigerkonsultationswunsches fraglich. Im Januar 1996 wertete der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs514 das Recht des Beschuldigten, vor der polizeilichen Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, erheblich auf. Nach Auffassung des 5. Senats muß die Vernehmung sogleich unterbro510 Strate/Ventzke, Unbeachtlichkeit einer Verletzung des § 137 I S. I StPO im Ermittlungsverfahren?, StV 1986, S.31. 5 11 KK/Boujong, § 136 Rdnr. 14; LR/Hanack, §§ 112- 197, 24. Auflage, § 136 Rdnr. 29; Pfeiffer/StPO, § 136 Rdnr.5. 512 Beulke, Muß die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung "Erste Hilfe" bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, S. 259. 513 Beulke, Muß die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung "Erste Hilfe" bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, S. 259. 514 BGHSt42, l5ff.
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chen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung verlange, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen. Wolle der Vernehmungsbeamte in einem solchen Fall die Vernehmung fortsetzen, so sei dies ohne vorangegangene Verteidigerkonsultation nur zulässig, wenn sich der Beschuldigte nach erneutem Hinweis auf sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt habe. Dem müßten allerdings wiederum ernsthafte Bemühungen der Polizeibeamten vorausgegangen sein, dem Beschuldigten bei der Herstellung des Kontakts zu einem Verteidiger in effektiver Weise zu helfen. Dies sei deshalb geboten, weil der Beschuldigte insbesondere im Falle der vorläufigen Festnahme durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt und verängstigt sei. Unzulässig sei es, dem Beschuldigten die Bereitschaft zur Hilfe bei der Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger durch bloße Scheinaktivitäten vorzuspiegeln und die von vornherein erwartete Erfolglosigkeit sowie die damit verbundene Entmutigung des Beschuldigten zur Fortsetzung des Vernehmungsversuchs auszunutzen. Die bloße Überlassung des Branchentelefonbuchs mit einer großen Zahl von Eintragungen von Rechtsanwälten werde in der Regel keine Hilfe sein. Es könne u. U. geboten sein, dem Beschuldigten die Telefonnummer eines anwaltliehen Notdienstes mitzuteilen 515 • Diese Entscheidung ist ausnahmslos begrüßt516 und u. a. als "bahnbrechendes Judikat, das in die Geschichte der Strafrechtspflege eingehen wird", bezeichnet worden517 und das, obwohl es sich "nur" um ein obiter dieturn nach § 132 GVG handelte. An anderer Stelle wurde von einer Verpflichtung der Polizei zu einer "Ersten Hilfe" bei der Verteidigerkonsultation gesprochen 518 • Die in diese Entscheidung gesetzte Erwartung, daß nun nämlich die entscheidende Weichenstellung für die Zukunft stattgefunden habe, wurde nur wenige Monate später enttäuscht. Schon im Mai 1996 erging eine Entscheidung des 1. Strafsenats 519 , "die dem Beschuldigten wieder viel von dem nahm, was der 5. Senat ihm gegeben hatte" 520• Der 1. Senat hatte es mit einem Fall zu tun, in dem sich der Beschuldigte nach ordnungsgemäßer Belehrung über seine Rechte insgesamt dreimal auf sein Recht berief, Angaben ohne Hinzuziehung eines Verteidigers zu verweigern. Weil zur Nachtzeit kein Verteidiger erreichbar war, wurden die VernehmungsbemüBGHSt42, 15 (19f.). Ventzke, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 21.5.1996, StV 1996, S.524; Beulke, Muß die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung "Erste Hilfe" bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, S. 258; Hamm, Staatliche Hilfe bei der Suche nach Verteidigern- Verteidigerhilfe zur Begründung von Verwertungsverboten, NJW 1996, S. 2185; Müller, Anmerkung zu Urteil des BGH v.l2.l.l996, StV 1996, S. 358; Herrmann, Überlegungen zur Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1996, S.404; Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuen Rechtsprechung, JZ 1997, S. 345. 517 Müller, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 12.l.l996, StV 1996, S. 358. 518 Beulke, Muß die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung "Erste Hilfe" bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, S.260. 519 BGHSt42, 170ff. 520 Herrmann, Das Recht des Beschuldigten, vor der polizeilichen Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, NStZ 1997, S. 209. 515
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hungen, nach jeweils kurzer Unterbrechung der Vernehmung, fortgesetzt und der Beschuldigte erklärte sich schließlich zu einer vermeintlich entlastenden, in Wahrheit aber zu seiner Überführung beitragenden521 Aussage bereit. Im Gegensatz zu dem der Entscheidung des 5. Senats zugrundeliegenden Fall, in dem ein Verteidigernotdienst existierte und der Beschuldigtetrotz seines Verlangens nach einem Anwalt auf diesen nicht hingewiesen wurde, handelte es sich hier um eine Kleinstadt, in der kein Verteidigernotdienst eingerichtet war 522 und in der es deshalb "wenig Aussicht gab, am Vernehmungsort einen Anwalt zu erreichen". Für den 1. Senat ergab sich weder aus dem "klaren Wortlaut" der§§ 163 a IV, 136 StPO noch aus dem Verfassungsgrundsatz des fairen Verfahrens ein Verbot für die Polizeibeamten, die Vernehmung fortzusetzen, sobald der Beschuldigte nach einem Verteidiger verlangt hat. Ebensowenig hat der 1. Senat eine Pflicht der Polizei anerkannt, sich in einem solchen Fall ernsthaft um die Herstellung eines Kontakts zu einem Verteidiger zu bemühen, sondern er läßt "jenseits der von§ 136a StPO gezogenen Grenzen" jede Vernehmung zu, zu der "ein im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte befindlicher Beschuldigter" sich "in Kenntnis seiner Rechte" bereit findet. Auch eine nochmalige Belehrung bei Fortsetzung der Vernehmung und eine ausdrückliche Einverständniserklärung des Beschuldigten verlangt der I. Senat nicht 523 : Beide Entscheidungen gehen übereinstimmend davon aus, daß in den§§ 136, 137 StPO nicht nur die Belehrung über das Recht zur Verteidigerkonsultation enthalten ist, sondern auch die Möglichkeit seiner Durchsetzung verankert sein muß, denn eine Belehrung bliebe ohne Sinn, ließe sich das Recht, auf das sie sich bezieht, nicht realisieren. Uneinigkeit herrscht zwischen den Senaten allerdings in bezug auf die Frage, ob das Recht, einen Verteidiger zu konsultieren, auch schon dann in unzulässiger Weise beeinträchtigt wird, wenn die Polizei nicht alles Zurnutbare tut, um dem Beschuldigten, der einen Rechtsbeistand wünscht, vor der Vernehmung ein Gespräch mit einem Verteidiger zu ermöglichen und sogar ihre Bemühungen fortsetzt, den Beschuldigten "herumzukriegen" und zu einer Aussage zu bewegen, ohne mit dem Verteidiger gesprochen zu haben 524• Der entscheidende Ausgangspunkt für die unterschiedlichen Auffassungen der Senate liegt dabei offensichtlich in dem gegensätzlichen Verständnis von dem, was eine Vernehmung für einen Beschuldigten bedeutet. Der 1. Senat meint, ein Beschuldigter könne und müsse selbst und frei entscheiden, inwieweit er die in der Belehrung eröffneten Rechte für sich in Anspruch neh521 Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuen Rechtsprechung, JZ 1997, S. 344. m So: Herrmann, Das Recht des Beschuldigten, vor der polizeilichen Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, NStZ 1997, S. 210, der Einsicht in die Akten hatte. 523 BGHSt42, 170 (171 f.). 524 Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuen Rechtsprechung, JZ 1997, S. 344.
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men wolle. Im Unterschied zu der Entscheidung des BGH525 , in der der vernehmende Polizeibeamte dem Beschuldigten die Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt aktiv verweigerte und zugleich erklärte, die Vernehmung werde solange ohne Anwalt fortgesetzt, "bis Klarheit herrsche" und auf die sich der 5. Senat stütze, könne nicht die Rede davon sein, daß der Beschuldigte hier in irgendeiner Form genötigt worden wäre, seine Beschuldigtenrechte geltend zu machen. Vielmehr sei seine Entscheidung, ohne Anwalt keine Angaben zur Sache zu machen, von den Polizeibeamten zunächst akzeptiert worden. Danach sei dem Beschuldigten- unter erneuter Belehrung über seine Rechte - die vorläufige Festnahme eröffnet worden und er habe sodann in Kenntnis seiner Rechte versucht, ohne Hinzuziehung seines Verteidigers den gegen ihn bestehenden Tatverdacht durch- seiner Meinung nach- entlastende Angaben zu entkräften. Diese Angaben hätten die vernehmenden Beamten entgegennehmen müssen, hätten sie nicht sein Recht, sich zu verteidigen, verletzten wollen. Der ordnungsgemäß belehrte Beschuldigte hätte seine Rechte aus § 137 I StPO unschwer durchsetzen können, indem er bei seiner Vernehmung weitere Angaben verweigert hätte 526 • Der 5. Senat spricht von einem Beschuldigten, der der effektiven Hilfe bei der Herstellung des Kontakts zu dem Verteidiger, insbesondere im Falle einer Festnahme, bedürfe, weil er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt und verängstigt sei 527 • Diese Sichtweise wird der Praxis unzweifelhaft eher entsprechen als die des I. Senats, denn der Beschuldigte sieht sich Vernehmungsbeamten gegenüber, die in aller Regel offen oder verdeckt das Ziel verfolgen, ein Geständnis oder wenigstens Angaben zu erlangen, die Rückschlüsse auf die Tat zulassen, und darüber hinaus wird eine Trennung zwischen der einseitigen Entgegennahme von entlastenden Angaben des Beschuldigten, auf die der 1. Senat hingewiesen hat, und den der Aufklärung dienenden Fragen und Vorhalten der Vernehmungsbeamten nicht durchführbar sein, wie es gerade der Fall des I. Senats bestätigt. Die Angaben des Beschuldigten, die er in Entlastungsabsicht bei der Polizei gemacht hatte, wurden im anschließenden Urteil der Schwurgerichtskammer zu seinen Lasten verwertet, da sie teilweise in Widerspruch zu Äußerungen bei späteren Vernehmungen standen528• Die Erkenntnis, daß ein Beschuldigter allein regelmäßig nicht in der Lage ist, seine Rechte wirksam geltend zu machen, sich gegen Beschuldigungen erfolgreich zu wehren und sich so einzulassen, wie es seinen Verteidigungsinteressen entspricht, nämlich tatsächlich entlastend, hat doch gerade in den §§ 136, 137 und 140 StPO, der sogar "paternalistische Züge zum Schutz gegen die situationsbedingte Selbstüberschätzung eines Beschuldigten" 529 trägt, ihren Widerhall gefunden. 525 BGHSt 38, 372 ff. 526 ßGHSt42, 170(171, 173f.). 527 BGHSt42, 15 (19). 528 Herrmann, Das Recht des Beschuldigten, vor der polizeilichen Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, NStZ 1997, S.210f.
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Hinzu kommt, daß es nach der derzeitigen Rechtslage unmöglich ist, daß sich ein Beschuldigter selbst als Verteidiger wählt, sogar wenn er Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer Hochschule ist 530, weil eine Befangenheit in eigener Sache unterstellt wird. Wenn schon ein Rechtskundiger, der mit der Gerichtspraxis und der Atmosphäre vertraut ist, als nicht dazu in der Lage angesehen wird, sich selbst zu verteidigen, so muß dies erst recht für einen durchschnittlichen Beschuldigten gelten. Es stellt sich somit die berechtigte Frage, wie man dann davon sprechen kann, es sei Sache des Beschuldigten, in einer Vernehmungssituation zur Nachtzeit und unmittelbar nach seiner Festnahme, "selbst und frei zu entscheiden, inwieweit er die in der Belehrung eröffneten Rechte für sich in Anspruch nehmen will" 531 • Es ist doch vielmehr anzunehmen, daß ein gravierender Aussagedruck auf dem Beschuldigten lastete, nachdem er die für ihn entmutigende Erfahrung gemacht hatte, daß seine mehrfach geäußerte Bitte nach einem Verteidiger und seine Erklärungen, ohne diesen keine Angaben zu machen, von der Polizei mit der Fortsetzung der Vernehmung, Fragen und Vorhalten beantwortet wurde 532 • Es bleibt damit festzuhalten, daß die Ansicht des 1. Senats, der Beschuldigte könne sich jenseits der von § 136 a StPO gezogenen Grenzen selber helfen, nicht dem in den§§ 136, 137, 140 StPO zum Ausdruck kommenden gesetzgebensehen Leitbild entspricht533• Konsequenz daraus kann nur sein, daß die Polizei den Beschuldigten immer auf einen Verteidigernotdienst, soweit vorhanden, hinweisen und ihm bei der Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger behilflich sein muß, wobei eine flächendeckende Ausdehnung der Anwaltsnotdienste anzustreben ist. Sollte überhaupt kein Verteidiger mehr erreichbar sein, darf der Beschuldigte keinesfalls bedrängt werden, die Vernehmung fortzusetzen. Wird die Vernehmung nach einer gescheiterten Kontaktaufnahme ohne eine Form von Bedrängnis, etwa auf Wunsch des Beschuldigten, fortgesetzt, ist mit dem 5. Senat eine erneute Belehrung über das Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers zu fordern, denn diese erneute Belehrung ist nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, überflüssig, sondern enthält die wichtige zusätzliche Information, daß der Beschuldigte durch die Vergeblichkeit der Bemühungen, zu einem Verteidiger Kontakt aufzunehmen, sein Konsultationsrecht nicht etwa verwirkt hat534• Ferner muß sich der Beschuldigte ausdrücklich mit der Vernehmung ohne den Beistand eines Verteidigers einverstanden erklären. Ventzke, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 21.5.1996, StV 1996, S. 525. BVerfG, NJW 1998, 2205; Kl/M, § 138 Rdnr.6. 531 BGHSt42, 170 (171). 532 Herrmann, Das Recht des Beschuldigten, vor der polizeilichen Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, NStZ 1997, S. 211. 533 Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuen Rechtsprechung, JZ 1997, S.345. 534 Beulke, Muß die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung "Erste Hilfe" bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, S. 261 . 529 53o
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Will der Beschuldigte keine Angaben ohne einen Anwalt machen, bleibt es bei den bereits dargestellten Grundsätzen, daß die Vernehmung dann erst fortgesetzt werden darf, wenn ein Verteidiger gefunden wurde.
(5) Verwertungsverbot in der Hauptverhandlung Ein Verwertungsverbot wird nach geltendem Recht grundsätzlich angenommen, wenn der Vernehmung des Beschuldigten, auch der polizeilichen, nicht der Hinweis vorausgegangen ist, daß es ihm freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zu der Sache auszusagen 535, oder wenn ihm vor der ersten Vernehmung die von ihm gewünschte Befragung seines gewählten Verteidigers verwehrt worden ist 536• Keine Einhelligkeit herrscht hinsichtlich der Frage, ob ein Verwertungsverbot auch dann eingreift, wenn "nur" ein Mangel bezüglich der Belehrung über die Möglichkeit des Verteidigerbeistands vor oder während der Vernehmung vorliegt oder wenn nicht ernsthafte Bemühungen seitens der Polizei unternommen worden sind, dem Beschuldigten bei der Herstellung des Kontaktes zu seinem Verteidiger zu helfen. Ob ein Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 I S. 2 StPO, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, ein Verwertungsverbot nach sich zieht, ist vom Bundesgerichtshof bislang offen gelassen 537 , von der Literatur538 allerdings überwiegend angenommen worden. In Anbetracht der überragenden und schon häufig angeführten Bedeutung von anwaltlichem Beistand gerade zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens wird man ohne Einschränkungen ein Verwertungsverbot auch für die fehlende Belehrung über das Konsultationsrecht - trotz erfolgter Belehrung über das Schweigerecht - fordern müssen, denn mittelbar wird der Beschuldigte an der Befragung eines Verteidigers schon dadurch gehindert, daß er nicht über das ihm zustehende Recht, einen Verteidiger zu Rate zu ziehen, in Kenntnis gesetzt wird. Uneinigkeit herrscht innerhalb der Senate des Bundesgerichtshofs in bezug auf die Folgen einer zu geringen Hilfeleistung durch die Polizei, um einen Kontakt zu einem Verteidiger überhaupt herzustellen. Der 5. und der l. Senat kommen in den 535 BGHSt38, 214 (224) unter Aufgabe von BGHSt31, 396ff.; Pfeiffer!StPO, § 136 Rdnr. 9; Kl/M, § 136 Rdnr.20; KK/Boujong, § 136 Rdnr.27, m.j. w. N. 536 BGHSt 38, 372 (373); BGH, NStZ 1997, 609; Rieß, Anmerkung zu Urteil des BGH v.29.10.1992, JR 1993, S. 334; Roxin, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 29.10.1992, JZ 1993, S.427. 537 Vgl. BGH, NStZ 1997, 609 (610). 538 Roxin, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 29.10.1992, JZ 1993, S. 427; AK/Achenbach, § 163 a Rdnr.31; Strate/Ventzke, Unbeachtlichkeit einer Verletzung des§ 1371 S. I StPO im Ermittlungsverfahren?, StV 1986, S. 33; Kl/M, § 136 Rdnr. 20a; KK!Boujong, § 136 Rdnr. 28; Ransiek, Belehrung über die Aussagefreiheit der Verteidigerkonsultation: Folgerungen für die Beschuldigtenvemehmung, StV 1994, S.343; a.A.: LR/Hanack, §§ 112- 197,24. Auflage,§ 136 Rdnr.53.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
oben erwähnten Entscheidungen aus dem Jahr 1996 auch in diesem Punkt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nach Ansicht des 5. Senats liegt ein Verwertungsverbot dann nahe, wenn die verletzte Vorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlage der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern, wobei die Möglichkeit, sich eines Verteidigers zu bedienen, zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten gehört. Die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten werde immer schon dann beeinträchtigt, wenn sein Wunsch, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, wirksam unterlaufen werde. Aus Gründen der Rechtssicherheit und angesichts des hohen Ranges der Verteidigung für ein faires Verfahren sei es nicht möglich, bei der Verletzung des Rechts auf den Zugang zu einem Verteidiger nach den Umständen und dem Inhalt der Aussage zwischen Fällen unterschiedlichen Gewichtes zu unterscheiden 539• Der 1. Senat, der in seinem Fall keinen Verfahrensfehler feststellen konnte, führt trotzdem aus, selbst bei Annahme einer Verletzung der Beschuldigtenrechte wöge diese nicht so schwer, daß daraus ein Verwertungsverbot folgen müsse. Folge man der Auffassung des 5. Senats, nach der es die Rechtssicherheit verbietet, bei der Frage nach einem Verwertungsverbot zwischen Rechtsverstößen unterschiedlicher Schwere zu differenzieren, wenn- wie auch immer- der Wunsch eines Beschuldigten nach einem Verteidiger "unterlaufen" werde, unterbliebe im Ergebnis die nach Ansicht des 1. Senats unverzichtbare Abwägung 540• Konsequenz der Auffassung des 5. Senats ist tatsächlich, daß eine Verletzung der Beschuldigtenrechte in so gelagerten Fällen immer zu einem Beweisverwertungsverbot führt, so daß der Einwand des 1. Senats an dieser Stelle schwer zu widerlegen ist. Fraglich ist allerdings, ob dieses Ergebnis nicht durchaus wünschenswert erscheint. Unabhängig von der streitigen dogmatischen Herleitung der Beweisverwertungsverbote muß, wenn eine Beweiserhebung unter der Verletzung von Beschuldigtenrechten stattfindet, gelten, daß die auf diese Weise erlangten Beweismittel jedenfalls dann nicht verwertet werden dürfen, wenn die Verwertung die Verletzung der Position des Beschuldigten vertiefen würde 541 • Dürfte man Beweise gegen den Beschuldigten verwerten, die um seines Schutzes willen in der geschehenen Art und Weise nicht erhoben werden durften, erlaubte man das, was das Gesetz gerade verhindem sollte. Damit würde man "dem Gesetz ein venire contra factum propium und damit einen unerträglichen Wertungswiderspruch" 542 unterstellen. Richtig gesehen kann es nicht erlaubt sein, ein Geständnis, das unter Verstoß gegen das Verbot, BGHSt42, 15 (21 f.). 170 (174f.). 541 Strate/Ventzke, Unbeachtlichkeit einer Verletzung des § 137 I S. I StPO im Ermittlungsverfahren?, StV 1986, S.33. 542 Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuen Rechtsprechung, JZ 1997, S. 345. 539
54o BGHSt42,
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die Vernehmung ohne einen Verteidiger durchzuführen, erlangt worden ist, zu verwerten, ohne den Zweck des Verbots ein zweites Mal und dann noch tiefgreifender als bisher zu beeinträchtigen 543• Selbst wenn das Abwägungserfordernis zwischen den Belangen des Beschuldigten und dem öffentlichen Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege für unverzichtbar erachtet wird, müßte das Ergebnis ein Beweisverwertungsverbot sein, denn das Recht, sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, gehört zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten überhaupt. Seine Verletzung durch ein faktisches Unterlaufen dieses Rechts mittels einer zu geringen Hilfestellung berührt derartig grundlegende Schutzrechte des Beschuldigten, deren Einhaltung gerade auch der Legitimation des Strafverfahrens dient, daß ihre Verletzung nicht hingenommen werden darf544 • Wird der Wunsch des Beschuldigten, sich vor der Vernehmung mit einem Verteidiger zu beraten, von den Ermittlungsbehörden nicht tatkräftig unterstützt und die Vernehmung bei Mißlingen der Bemühungen nicht tatsächlich unterbrochen, so muß ein Beweisverwertungsverbot die Folge sein. Ob eine Unverwertbarkeit darüber hinaus an die weitere Voraussetzung gebunden werden sollte, daß der Verteidiger bis zu dem in§ 257 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht, wie es der BGH in verschiedenen Entscheidungen für erforderlich gehalten hat 545, ist eine andere heftig umstrittene Frage, die nicht im Rahmen der Probleme des Ermittlungsverfahrens behandelt werden kann. cc) Obligatorische Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft Das eigene Antragsrecht des Beschuldigten darf jedoch keinesfalls dazu führen, daß die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Antragstellung aus der Verantwortung genommen wird. Gerade für den Beschuldigten, deres-aus welchen Gründen auch immer - unterläßt, sich um eine eigene effektive Verteidigung zu bemühen, muß sichergestellt werden, daß die Staatsanwaltschaft dies für ihn tut. Auch der Staatsanwaltschaft die bloße Möglichkeit einzuräumen- wie es das Zweite Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vorsieht-, schon im Ermittlungsverfahren selbst einen von dem Beschuldigten zu benennenden Verteidiger zu bestellen, trägt den Interessen des Beschuldigten nicht ausreichend Rechnung. Das kann nur dann sinnvoll geschehen, wenn eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Stellung eines Antrags angenommen wird 546 , bzw. bei Umsetzung des Gesetzesvorhabens eine Verpflichtung, entweder den vom Beschuldigten be543 Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuen Rechtsprechung, JZ 1997, S.345. 544 Strate/Ventzke, Unbeachtlichkeit einer Verletzung des § 137 I S. I StPO im Ermittlungsverfahren?, StV 1986, S. 33; Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuen Rechtsprechung, JZ 1997, S. 345; vgl. auch BGHSt42, 15 (21); 38, 372 (374). 545 BGHSt38, 214 (225f.); 39, 349 (352); 42, (22ff.).
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
nannten oder überhaupt einen Verteidiger zu bestellen, und zwar immer dann, wenn ein Fall der Pflichtverteidigung nach §§ 140 I, II StPO vorliegt. Jede auch noch so geringe Ausweitung der Pflichtverteidigung wird sich mit der unter dem Schlagwort "Autonomieprinzip" erhobenen Kritik auseinandersetzen müssen, die sich allerdings bereits gegen das Institut der Pflichtverteidigung als solches richtet. Nach diesem sog. Autonomieprinzip liegt die Entscheidung darüber, ob in dem Verfahren ein Verteidiger mitwirkt oder nicht, allein beim Beschuldigten selbst, wobei es auf den Unrechtsgehalt der zur Last gelegten Tat nicht ankommen soll. Um seine Subjektqualität zu gewährleisten, muß ihm ein prozessualer Handlungsspielraum eingeräumt werden, den er eigenverantwortlich und ohne staatliche Bevormundung ausfüllen kann. Der Zwang zur Verteidigung beeinträchtigt diesen Autonomiebereich in seinem Kern. Grundsätzlich ist die Verteidigung keine notwendige Bedingung eines gerechten Urteils, sondern nur eine zusätzliche, verzichtbare Sicherung. Eine Ausnahme soll für den Fall der "defekten Autonomie" eines Beschuldigten gelten 547 • Abgesehen davon, daß die Zulässigkeit dieser Ausnahme bereits das ganze System in Frage stellt, läßt sich allgemein nicht festlegen, wann eine Autonomie defekt sein soll. Der autonome Handlungsspielraum des Beschuldigten, der ihm nach dem Autonomieprinzip zugestanden wird, kann in der Verfahrenswirklichkeit von einem nichtverteidigten Beschuldigten ohnehin nicht alleine wahrgenommen werden. Die vermeintliche Autonomie kann nur durch die Hilfe eines nicht persönlich betroffenen Fachmannes erreicht werden. Auf den Wert des Beistands eines Verteidigers ist bereits an zahlreichen Stellen hingewiesen worden. Konkret heißt das, daß der Zwang zur Beiordnung eines Verteidigers keinen Eingriff in den Handlungsspielraum des Beschuldigten darstellt, sondern im Gegenteil hilft, diesen überhaupt erst zu begründen 548• Zwar setzt sich die notwendige Verteidigung über den Wunsch des Beschuldigten, unverteidigt zu bleiben, hinweg, aber es darf nicht außer acht gelassen werden, daß in einem Strafverfahren nicht nur die individuellen Rechte des einzelnen auf dem Spiel stehen, sondern auch das Interesse der Gesamtheit aller Bürger an Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit Die Gemeinschaft hat ein unverzichtbares Recht darauf, daß Urteile, die "Im Namen des Volkes" verkündet werden, auch aufgrund eines gerechten und fairen Verfahrens zustande kommen. Genau damit wäre es aber unvereinbar, dem Beschuldigten selbst in Fällen, in denen ihm ein schweres Delikt zur Last gelegt wird, schon von vomherein die Möglichkeit einzuräumen, auf 546 AK/Stern, §§ 94-212b, § 141 Rdnr.11; Weider, Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und Opferschutzgesetz, StV 1987, S.319; LR/Lüderssen, §§ 112-197,24. Auflage,§ 141 Rdnr.23. 547 Welp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90 (1978), S.117; im Ansatz ähnlich: Herrmann, Überlegungen zur Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1996, S. 398. 548 Rieß, Pflichtverteidigung - Zwangsverteidigung - Ersatzverteidigung, Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1981, S.462.
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den Beistand eines Verteidigers zu verzichten und sich der Justiz so nahezu schutzlos auszuliefern 549• Das sog. "Autonomieprinzip" ist daher abzulehnen, die Pflichtverteidigung als sinnvolles Institut beizubehalten und vorsichtig auszudehnen. dd) Ausdehnung der notwendigen Verteidigung Einen krassen Gegensatz zu dem Autonomieprinzip bildet der Vorschlag, dem Beschuldigten immer, ungeachtet welcher Tat er beschuldigt wird, einen Verteidiger beizuordnen, wenn er von sich aus keinen wählt 550• Diese Forderung basiert im Ansatz auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der das Recht des Beschuldigten, seine prozessualen Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig und unabhängig gegenüber den übrigen Verfahrensbeteiligten wahrzunehmen, als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeil des Strafverfahrens anzusehen ist551 • Das Modell der obligatorischen Verteidigung scheint insgesamt dem Interesse des Beschuldigten und auch dem der Allgemeinheit am besten zu entsprechen. Eine Umsetzung dieses Vorhabens hätte jedoch die Konsequenz, die Mitwirkung eines Verteidigers auch dann für erforderlich zu erklären, wenn dem Beschuldigten eine strafbare Handlung vorgeworfen wird, die aufgrund ihrer geringen kriminellen Intensität in einem modernen Strafrecht staatlicher Sanktionen nicht mehr bedarf, sondern lediglich Gegenstand privater Schadensersatzansprüche sein sollte. Konsequenz dieser Überlegungen kann nur sein, die notwendige Verteidigung an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen. Einerseits soll die notwendige Verteidigung die Unfähigkeit des Beschuldigten zur Selbstverteidigung ausgleichen, die sich aus der Kompliziertheit des materiellen und des prozessualen Rechts ergibt, so daß sich der Anknüpfungspunkt für die Anordnung der notwendigen Verteidigung aus bestimmten, objektiven Verfahrenslagen und Verfahrensmerkmalen ergibt. Andererseits wird die subjektive Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Selbstverteidigung zu berücksichtigen sein, die individuell unterschiedlich ist, so daß auch subjektive Anknüpfungspunkte zu berücksichtigen sind 552• Einen weiteren Anknüpfungspunkt bildet die Schwere der Tat und der zu erwartenden Sanktion. 553 Hahn, Die notwendige Verteidigung im Strafprozeß, S. 113 f. Dohna, Das Strafprozeßrecht, S. 68; Schmidt-Leichner, Das neue Recht im Strafverfahren, NJW 1965, S.1310; Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, S. 90; Dahs, Verteidigung im Strafverfahren- heute und morgen- ZRP 1968, S. 18; Ger/ach, Der Verteidiger im Bagatellverfahren-ein überflüssiges Organ der Rechtspflege?, FG für Kar[ Peters, S. 167. 55 1 BVerfGE38, 105 (111). 552 Rieß, Pflichtverteidigung - Zwangsverteidigung- Ersatzverteidigung, Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1981, S.462. 549
550
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Um alle diese Aspekte berücksichtigen zu können, bietet sich eine Generalklausel genau nach dem Vorbild des geltenden§ 140 StPO an. Das Institut der notwendigen Verteidigung und der geltende Katalog sollte allerdings mit den daraus resultierenden Forderungen 554 in das Ermittlungsverfahren unter Abänderung des § 141 III StPO vorverlagert werden. Abgesehen von der Ausdehnung der notwendigen Verteidigung auf die Fälle, in denen sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet555 , sollteangesichtsder bereits angesprochenen Problematik bei der Auswahl eines Sachverständigen 556 der Katalog auch auf den Fall erweitert werden, daß ein Sachverständiger eingeschaltet wird, es sei denn, Gegenstand des Sachverständigengutachtens ist ein häufig wiederkehrender tatsächlich gleichartiger Sachverhalt i. S. d. Nr. 70 I RiStBV 557 • In der Praxis wird man ohnehin in aller Regel davon ausgehen müssen, daß, wenn es erforderlich ist, einen Sachverständigen zu beauftragen, ein Verfahren vorliegt, bei dem die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sachlage die Einschaltung eines Verteidigers nach § 140 II StPO notwendig macht. Eine Erweiterung in diese Richtung würde insofern lediglich der Klarstellung dienen. Gleiches gilt für die Forderung, den Katalog der notwendigen Verteidigung auf alle Verfahren auszudehnen, die vor dem Schöffengericht stattfinden 558• ee) Verteidigung unterhalb der Grenze des§ 140 StPO Festzuhalten bleibt, daß auch nach den bisherigen Ausführungen der Beschuldigte, der nicht unter§ 140 StPO fallt und das Geld für einen Verteidiger nicht aufbringen kann, ohne Beistand bleibt. Das System der notwendigen Verteidigung stellt, im Gegensatz zu der Prozeßkostenhilfe des Zivilprozesses, gerade nicht auf die Bedürftigkeit sondern auf die Tatschwere und die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ab, soweit es nicht um Verfahren vor dem Landgericht in erster Instanz geht. Daß es dadurch zu gravierenden Ungleichheiten zwischen verteidigten und unverteidigten Beschuldigten kommen kann, liegt auf der Hand. Um die Chancengleichheit aller Beschuldigter im Strafprozeß zu wahren, hat der Arbeitskreis Strafprozeßreform den Vorschlag unterbreitet, jeder Beschuldigte müsse als berechtigt angesehen werden, eine als Verteidiger Hahn, Die notwendige Verteidigung im Strafprozeß, S. 114. s.IV2ebb (1)-(4), S.179ff. 555 s. IV 1 d aa (S. 87 ff.). 556 s.IV2bcc (1), S.126ff. 551 Ebenso: Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 64. 558 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 203; Hammerstein, Verteidigung ohne Verteidiger, JR 1985, S. 143; Roxin, Gegenwart und Zukunft der Verteidigung im rechtsstaatliehen Strafverfahren, FS für Hanack, S.l8f. 553 554
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wählbare Person auf Kosten der Staatskasse mit seiner Verteidigung zu beauftragen559. Dies hätte die volle Kostenübernahme durch den Staat in allen Fällen, in denen die Mitwirkung eines Verteidigers gewünscht wird, zur Folge. Im Hinblick auf diese Kostentragungspflicht wird daher alternativ die Übernahme der Prozeßkostenhilfe in den Strafprozeß gefordert 560. Dabei darf jedoch nicht verkannt werden, daß die Grundsätze der Prozeßkostenhilfe nicht ohne weiteres auf den Strafprozeß übertragen werden können. Nach§ 114ZPQ erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe unter der Voraussetzung, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das Element der hinreichenden Erfolgsaussicht ist auf den Strafprozeß allerdings in keiner Hinsicht übertragbar. Nutzbar machen ließe sich für die Verteidigung von finanziell Minderbemittelten der Gedanke, daß derjenige, der nach seinem persönlichen Einkommen und seinen Belastungen die Voraussetzungen der Prozeßkostenhilfe erfüllt, im Strafverfahren berechtigt sein könnte, in jeder Lage des Verfahrens und ohne Rücksicht auf die Grenzen des § 140 StPO einen von ihm zu wählenden Verteidiger auf Kosten der Staatskasse zu beauftragen. Gegebenenfalls müßte er zu diesen Kosten im seiner Rahmen finanziellen Möglichkeiten durch Ratenzahlung beitragen 561• Die Einführung der Prozeßkostenhilfe in das Strafverfahren erscheint theoretisch betrachtet durchaus wünschenswert, in der praktischen Durchführbarkeit aber mehr als fraglich 562 , zumal auch die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach geltendem Recht nicht bedeutet, daß der Beschuldigte von den Kosten der Verteidigung befreit ist, vgl. § 465 I StPO. Außerdem stellt sich die Frage, ob für das Ermittlungsverfahren insofern überhaupt dringender Handlungsbedarf besteht, denn eine ernstzunehmende Forderung kann allenfalls dahin gehen, keine Hauptverhandlung ohne Verteidiger und nicht dahin, kein Ermittlungsverfahren ohne Verteidiger durchzuführen. Für die Beschuldigten, denen § 140 StPO zugute kommt, dürfte sich unter Berücksichtigung der zuvor dargestellten Änderungen und wenn in der Praxis bei § 14011 StPO eine großzügigere Handhabung durchgesetzt werden könnte, eine befriedigende Rechtslage ergeben. Für diejenigen, die nicht unter den AnwendungsArbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S.49. Rieß, Pflichtverteidigung-Zwangsverteidigung- Ersatzverteidigung, Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1981 , S.461 ; Ahrens, Auswahl und Bestellung des Pflichtverteidigers, S. 266; Ger/ach, Der Verteidiger im Bagatellverfahren - ein überflüssiges Organ der Rechtspflege?, FG für Kar/ Peters, S. 167; Haffke, Zwangsverteidigung- notwendige Verteidigung- Pflichtverteidigung- Ersatzverteidigung, StV 1981, S. 478. 561 Rieß, Pflichtverteidigung-Zwangsverteidigung- Ersatzverteidigung, Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1981, S.461. 562 Vgl. dazu die Bedenken von Rieß, Pflichtverteidigung - Zwangsverteidigung- Ersatzverteidigung, Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1981, S. 461. 559
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
hereich der notwendigen Verteidigung fallen, scheint das relativ unbekannte Beratungshilfegesetz vom 18.6.1980563 in einem frühen Verfahrensstadium ausreichend, das in Angelegenheiten des Strafrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts Beratung gewährt. Jeder Beschuldigte kann, unabhängig von der Schwere des Delikts und den Kosten, schon im Vorverfahren einen Verteidiger befragen und danach seine Verteidigungsmöglichkeiten einschätzen. Allerdings müßten mehr Beschuldigte von dieser Möglichkeit Kenntnis erlangen. Zusammen mit dem eigenen Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht sollte dies im Ermittlungsverfahren unterhalb der Grenze des § 140 StPO den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips genügen. f) Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren aa) Das Beweisantragsrecht Im Ermittlungsverfahren gibt es verschiedenen Vorschriften, die ein Beweisantragsrecht des Beschuldigten vorsehen. Allerdings beschränken sich die §§ 168 d II und 166 I StPO auf Anträge des Beschuldigten vor einer richterlichen Augenscheinsnahme sowie anläßtich richterlicher Vernehmungen und damit nur auf Teilbereiche. Kernstück des Beweisantragsrechts im Ermittlungsverfahren ist die Vorschrift des § 163 all StPO, nach der, wenn der Beschuldigte zu seiner Entlastung die Aufnahme von Beweisen beantragt, diese zu erheben sind, wenn sie von Bedeutung sind. Der Beschuldigte muß über sein Recht, zur Entlastung einzelne Beweiserhebungen zu beantragen, bei seiner ersten Vernehmung sowohl vor dem Richter nach § 136 I S. 3 StPO und vor der Staatsanwaltschaft nach § 163 a III S. 2 StPO als auch vor der Polizei nach § 163 a IV StPO belehrt werden. (1) Beweiserhebungsanspruch Trotz des scheinbar eindeutigen Wortlauts von § 163 a II StPO besteht über die Auslegung der Norm an verschiedenen Stellen Streit. Nahezu unumstritten ist allerdings, daß mit § 163 a II StPO jedenfalls kein Beweisantrag im technischen Sinn gemeint ist, sondern auch das Stellen eines Beweisermittlungsantrags gestattet wird 564, so daß keine Formvorschriften zu beachten sind. Eindeutig ist auch der Adressat eines Beweisbegehrens, obwohl- oder gerade weil- das Gesetz keine Regelung darüber trifft. Aufgrund der generellen ZuständigBGBl I S. 689. Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch im Ermittlungsverfahren de lege lata und de lege ferenda, S. 82f. 563
564
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keitsverteilung im Ermittlungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft für die Erhebung der Beweise zuständig 565 . Nur unter den Voraussetzungen des§ 1661 StPO darfund muß der Richter Beweiserhebungen vornehmen, soweit er sie für erheblich erachtet, wenn der Verlust der Beweise zu besorgen ist oder die Beweiserhebung die Freilassung des Beschuldigten begründen kann. Umstritten ist jedoch, ob die Ermittlungsbehörden tatsächlich verpflichtet sind, von dem Beschuldigten oder auch seinem Verteidiger beantragte Entlastungsbeweise zu erheben, wenn sie von Bedeutung sind. Bereits das Vorliegen eines eigenen Regelungsgehalts dieser Vorschrift wird angezweifelt566. Sie spreche nur eine Selbstverständlichkeit aus. Nach § 160 II StPO seien die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten ohnehin verpflichtet, die Ermittlungen zur Aufklärung von Straftaten nicht einseitig und mit dem Ziel der Überführung des Beschuldigten zu führen, sondern auch die seiner Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und insoweit die notwendigen Beweise zu erheben. Ordne § 163 a II StPO also an, daß beantragte Beweise zu erheben seien, so stelle die Vorschrift im Grunde nur eine Konkretisierung der schon durch§ 160 II StPO für die Strafverfolgungsbehörden festgelegten Pflicht dar. Ein so reduziertes Verständnis von § 163 a II StPO wird jedoch der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht, der nach dem Regierungsentwurf des Strafprozeßänderungsgesetzes 1964 mit § 163 a II StPO dem Beschuldigten ausdrücklich das Recht zugestehen wollte, im staatsanwaltschaftliehen Ermittlungsverfahren Beweisanträge zu stellen, was ihm bis dahin nicht zustand. Mit der Bestimmung des § 163 a II StPO sollte bezweckt werden, den Beschuldigten gerade im Ermittlungsverfahren stärker als bisher als Prozeßsubjekt zu behandeln und ihm die Möglichkeit zu vermitteln, selbständig gegenüber dem Staat aufzutreten 567 . Erkennt man also einen eigenständigen Regelungsinhalt von § 163 a II StPO an, so bleibt dennoch die Frage, wie weit sein Anwendungsbereich zu fassen ist. Die hierzu vertretenen Auffassungen reichen von der Annahme eines weiten Ermessenspielraumes der Staatsanwaltschaft und damit lediglich eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung 568 bis hin zu der Anerkennung eines strikt gebunde565 Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S. 76; LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 163a Rdnr. 109; KIIM, § 163 a Rdnr. 16; KK/Wache § 163a Rdnr. 8; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen- Ein Überblick, ZAPFach 22, S. 93. 566 Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 149; Quedenfeld, Beweisantrag und Verteidigung in den Abschnitten des Strafverfahrens bis zum erstinstanzliehen Urteil, FG für Kar/ Peters, S. 218; Alsberg!Nüse!Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S.335f. 567 Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, NStZ 1991, S.369. 568 Kl!M, § 163a Rdnr. 15; KK/Wache, § 163a Rdnr. 8; Quedenfeld, Beweisantrag und Verteidigung in den Abschnitten des Strafverfahrens bis zum erstinstanzliehen Urteil, FG für Kar/ Peters, S. 220. 13t
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nen Beweiserhebungsanspruchs des Beschuldigten 569 , wobei die tatbestandliehe Voraussetzung der Beweisbedeutung als unbestimmter Rechtsbegriff angesehen wird, der zwar der Beurteilung der Staatsanwaltschaft unterliege, ihr aber kein Ermessen einräume. Ausgehend von dem Wortlaut des§ 163all StPO, nach dem die Beweise zu erheben sind, der im gesetzlichen Kontext normierten Belehrungspflicht über das Beweisantragsrecht nach § 136 I S. 3 StPO und dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf ein faires Verfahren 570 sprechen die besseren Argumente für die Einräumung eines Beweiserhebungsanspruchs mit dem Versagungsgrund der Bedeutungslosigkeit. Aber selbst die Zubilligung eines Beweiserhebungsanspruchs hilft dem Beschuldigten nach geltendem Recht nicht weiter, denn gegen die Nichterhebung der beantragten Beweise stehen ihm, abgesehen von der Dienstaufsichtsbeschwerde an die vorgesetzte Staatsanwaltschaft, im Ermittlungsverfahren keine Rechtsbehelfe zur Verfügung 571 • Auch besteht keine gesetzliche Verpflichtung, dem Beschuldigten oder dem Verteidiger die Ablehnung eines Beweisantrags unter Darlegung von Gründen mitzuteilen, wobei jedoch überwiegend eine wenigstens formlose Bescheidung für erforderlich gehalten wird 572 • Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten hat demnach in der Praxis im Ermittlungsverfahren keinen allzu großen Stellenwert573, und das, obwohl der Beschuldigte oft nur mit Hilfe des Beweiserhebungsanspruchs erreichen kann, daß Fehler in der Sachverhaltsaufklärung möglichst gering gehalten werden. Dabei ist vor allem an den Verlust eines Beweismittels durch Untergang des Augenscheinsobjekts, den Wertverlust eines Beweismittels durch Zeitablauf oder daran zu denken, daß ein Beweismittel nicht mehr greifbar ist. 569 HK/Krehl, § 163 a Rdnr. 13; LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 163 a Rdnr. 107; Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ennittlungsverfahren, StV 1986, S. 77; Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch des Beschuldigten im Ennittlungsverfahren, NStZ 1991, S. 371; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ennittlungshandlungen- Ein Überblick, ZAP Fach 22, S. 93 f. 57 Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch des Beschuldigten im Ennittlungsverfahren, NStZ 1991, S. 370f. 571 Ganz h. M., vgl. nur: LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 163 a Rdnr. 117; Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ennittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 62. 572 KK/Wache, § 163a Rdnr. 9; HK/Krehl, § 163 a Rdnr. 14; LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage, § 163a Rdnr. 116; Schreiber, Zum Beweisantragsrecht im Ennittlungsverfahren, FS für Baumann, S. 387; Quedenfe/d, Beweisantrag und Verteidigung in den Abschnitten des Strafverfahrens bis zum erstinstanzliehen Urteil, FG für Kar/ Peters, S. 218; a. A.: Alsberg/Nüse/ Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 337, der sogar einen fonnlosen Bescheid für entbehrlich hält. 573 Weihrauch, Verteidigung im Ennittlungsverfahren, Rdnr. 149.
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(2) Bescheidungs- und Begründungspflicht Im Hinblick auf die verfahrensprägende Rolle des Ermittlungsverfahrens sind daher vielfach Reformwünsche geäußert worden. Um dem Beschuldigten einen gesicherten Rechtsanspruch, der auch als solcher verstanden werden muß, zu gewährleisten, wird fast einhellig gefordert, daß jeder Antrag auf Beweiserhebung zu bescheiden und im Falle der Ablehnung mit Gründen zu versehen ist 574 • Dies würde dem Entwurf einer Strafprozeßordnung von 1919/1920 entsprechen, in dem schon vorgesehen war, daß die Staatsanwaltschaft, sofern sie Beweisanträgen des Beschuldigten nicht stattgibt, ihn spätestens bei Abschluß der Ermittlungen unter Angabe von Gründen zu bescheiden hat. Die Einführung einer Begründungspflicht würde allerdings die Konsequenz nach sich ziehen, daß die Staatsanwaltschaft bei der Darlegung der Bedeutungslosigkeit eines Beweismittels auf das bisherige Ermittlungsergebnis einzugehen hätte. Dadurch könnte die Effektivität der Ermittlungsarbeit in einem nicht mehr hinzunehmendem Maß leiden, denn gerade wo die Einflußnahme des Beschuldigten am fruchtbarsten sein könnte, ist auch das Geheimhaltungsbedürfnis der Strafverfolgungsorgane am größten 575 • Es drängt sich daher der Gedanke an eine an § 147 II StPO angelehnte Gefahrdungsklausel576 auf, nach der eine Begründung der ablehnenden Entscheidung dann unterbleiben darf, wenn der Untersuchungszweck in einem dem§ 147 II StPO entsprechenden und damit konkretisiertem und eingeschränktem Verständnis 577gefährdetist Nur so kann verhindert werden, daß der Beschuldigte das Beweisantragsrecht dazu ausnutzt, von der Staatsanwaltschaft Informationen über die noch ungesicherte Beweislage zu erhalten. Eine Beschränkung der Wirksamkeit des Beweisantragsrechts müßte in Kauf genommen werden 578 • Allerdings sollten die Gründe für die 574 Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 62; Müller, Grundsatz der Waffengleichheit im Strafverfahren, NJW 1976, S.1067; Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, Gesetzentwurf mit Begründung, S. 92 f.; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 194; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 90; Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 209 f.; Schreiber, Zum Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren, FS für Baumann, S. 392. 575 Fez er, Richterliche Kontrolle der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung?, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 417. 576 Schreiber, Zum Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren, FS für Baumann, S. 391. m s. IV2ddd (S.l61 ff.). 578 Fezer, Richterliche Kontrolle der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung?, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 417; a. A.: Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 63.
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Ablehnung in den Akten vermerkt werden. Durch die Gleichschaltung der Gefahrdungsklausel würde sich dadurch kein Nachteil für die Gewährung von Akteneinsicht ergeben, aber ein Vorteil hinsichtlich der ÜberprüfbarkeiL (3) Gerichtliche Überprüfbarkeil Der Entwurf von 1919/1920 berücksichtigte einen weiteren rückblickend betrachtet sehr fortschrittlichen Aspekt, denn es war vorgesehen, dem Beschuldigten, solange die Anklage noch nicht erhoben ist, eine Antragsmöglichkeit bei der Staatsanwaltschaft einzuräumen, so daß über die abgelehnten Beweisanträge der Amtsrichter entscheidet, wobei die Entscheidung des Amtsrichters unanfechtbar sein sollte. Seit der Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9.12.1974 579 kann vor Anklageerhebung durch einen Richter nicht mehr überprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft im einzelnen ihrer Pflicht nachgekommen ist, auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln. Soweit es um Beweiserhebungen geht, die der Beschuldigte zu seiner Entlastung beantragt hat, gewährt die Strafprozeßordnung keine Überprüfungsmöglichkeit durch den Richter, wenn der Staatsanwalt die beantragten Beweise nicht erhebt. Erst im Zwischenverfahren prüft das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständige Gericht nach §§ 199, 203 StPO, ob die Staatsanwaltschaft zu Recht den dringenden Tatverdacht bejaht hat, und kann im Rahmen dieser Prüfung gemäß § 202 StPO "zur besseren Aufklärung der Sache" einzelne Beweiserhebungen anordnen. Im Zwischenverfahren wird daher vereinzelt eine Möglichkeit zur Durchsetzbarkeil des Beweiserhebungsanspruchs gesehen, denn dem Ermessen des Gerichts seien Grenzen gesetzt und aus den §§ 202, 203 und 170 I StPO lasse sich eine weitgehende Pflicht zur ergänzenden Beweisaufnahme herleiten 580• Da nach ganz herrschender Auffassung der "hinreichende Tatverdacht" in § 203 StPO mit dem "genügenden Anlaß zur Klageerhebung" in § 170 I StPO inhaltlich gleichzusetzen ist, habe die Staatsanwaltschaft die Erhebung von Beweisen unterlassen, die "von Bedeutung" waren, die also die Entscheidung über die Erhebung der öffentlichen Klage zugunsten des Beschuldigten irgendwie hätten beeinflussen können. Wären die beantragten Beweise erhoben worden, wäre die Entscheidung über die Anklageerhebung möglicherweise anders ausgefallen und dieser Fehler des Verfahrens würde sich in der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens weiter fortsetzen, wenn das Gericht nicht im Hinblick auf den nunmehr von ihm zu prüfenden, identischen Verfahrensgegenstand des Zwischenverfahrens den Beweis nachholen würde. Daraus ergebe sich eine Verpflichtung des Gerichts, anhand der Akten zu überprüfen, ob der Beschuldigte Entlastungsbeweise beantragt hat und ob diesen s. I 9 (S. 32). Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S. 79. 579
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entsprochen wurde. Wenn nicht, habe das Gericht zu prüfen, ob der beantragte Beweis von Bedeutung und die Staatsanwaltschaft deshalb verpflichtet gewesen sei, diesen zu erheben 581 • Erfolge insofern eine gesetzliche Klarstellung, daß nämlich dann tatsächlich eine Verpflichtung des Gerichts besteht, wäre schon etwas für den Beschuldigten gewonnen, die Frage, die sich stellt, ist aber, warum der Beschuldigte mit diesem Begehren bis in das Zwischenverfahren verwiesen werden soll, wenn auch die Möglichkeit besteht, ihm schon im Ermittlungsverfahren Rechtsschutz zu gewähren. Der Beschuldigte wird jedenfalls nach geltendem Recht, der Grundstruktur der Strafprozeßordnung entsprechend, mit seinem Beweisantrag de facto in die Hauptverhandlung verwiesen. Erst dort sollen die staatsanwaltliehen Ermittlungen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit hin überprüft werden, soll die endgültige Wahrheitstindung stattfinden und der Schwerpunkt des Verfahrens liegen 582• Angesichts der Tatsache, daß einerseits die Beweiserhebung heute tatsächlich weitgehend im Ermittlungsverfahren erfolgt und in der Hauptverhandlung schlicht nur reproduziert wird und andererseits die Eingriffsbefugnisse der Staatsanwaltschaft gerade im Vorverfahren zunehmend erweitert wurden, wird heute vielfach eine Beschwerdemöglichkeit des Beschuldigten gegen abgelehnte Beweisanträge gefordert583• Erst mit der Schaffung einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit würde die Rechtsposition des Beschuldigten gesichert durchsetzbar werden und er so letztlich die Möglichkeit erhalten, frühzeitig Fehlentwicklungen im Ermittlungsverfahren entgegenzuwirken. Ein weiterer Vorteil einer solchen Kontrollmöglichkeit läge darin, daß der eingeschaltete Ermittlungsrichter an den Ermittlungen natürlich selbst nicht beteiligt ist und er so unbefangener Mängel in der Ermittlungsarbeit als "neutraler Dritter" aufdecken könnte, ohne auch nur unbewußt von bestimmten Erwartungen hinsichtlich des Ermittlungsergebnisses geleitet worden zu sein 584• Allerdings werden auch gravierende Bedenken gegen eine Überprüfungsmöglichkeit geäußert. Es wird die Gefahr gesehen, daß der Ermittlungsrichter sich so auch zu der Beurteilung bloßer Einzelfragen bei umfangreichen Fällen erst aufwen581 Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S. 79. 582 Fezer, Richterliche Kontrolle der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung?, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 408. 583 Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 63; Müller, Grundsatz der Waffengleichheit im Strafverfahren, NJW 1976, S.1067; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 90; Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Karl Schäfer, S. 209f.; Schreiber, Zum Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren, FS für Baumann, S. 392; Taschke, Überlegungen zu einem künftigen Strafprozeß, NJ 1993, S. 202; Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens- Bestandsaufnahme und Reformtendenzen-, AnwBI. 1985, S.438. 584 Fez er, Richterliche Kontrolle der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft vor Ank1ageerhebung?, Gedächtnisschrift für Schröder, S.418.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
dig in die ganze Sache einarbeiten muß und daher in die Versuchung geraten könnte, eine nur oberflächliche Entscheidung zu treffen oder bei einer Spezialmaterie dem zu überprüfenden Organ am Ende sogar an Sachkenntnis zu unterliegen. Die Folge könnte ein zu langes Andauern des Ermittlungsverfahrens sein, ohne daß seitens der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit bestünde, das Ermittlungsverfahren durch Anklage zu beenden585 • Dem ist entgegenzuhalten, daß eine doppelte Aktenführung die Gefahr einer Verfahrensverzögerung immerhin vermindern könnte, wenn auch die Anklageerhebung in der Tat bis zur Entscheidung über das Beweisbegehren warten müßte. Ferner ist es der Strafprozeßordnung nicht grundsätzlich fremd, die bisherigen Beweisergebnisse der Staatsanwaltschaft einem Richter zur Beurteilung zu stellen, wie etwa bei prozessualen Zwangsmitteln, bei denen der dringende Tatverdacht zu prüfen ist586• Wenn die Gefahr einer Entwertung der Hauptverhandlung oder das Interesse an einer wirksamen Verbrechensbekämpfung als Argumente gegen eine Überprüfung herangezogen werden 587, so stehen dem die umfangreichen Einführungsmöglichkeiten von Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung und die geringen Möglichkeiten der Einflußnahme des Beschuldigten auf den Gang der Ermittlungen gegenüber. Angesichts der erheblichen Schwerpunktverschiebung innerhalb des Strafverfahrens erscheint die Versagung einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit im Rahmen des Beweisantragsrechts nicht mehr haltbar 588• Im Hinblick auf die geforderte Vereinheitlichung des Rechtsschutzes im Ermittlungsverfahren sollte sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft an § 98 li S. 2 StPO orientieren.
585 Schreiber, Zum Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren, FS für Baumann, S. 391 ; Fezer, Richterliche Kontrolle der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung?, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 418. 586 Schreiber, Zum Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren, PS für Baumann, S. 391; Fezer, Richterliche Kontrolle der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung?, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 418. 587 Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S.208f. 588 Schreiber, Zum Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren, FS für Baumann, S. 388; Müller, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Strafverfahren, NJW 1976, S. 1067; Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S.90; Hamm, Rechtsbehelfe im Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 68; Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 63; Müller, Bemerkungen zu den Grundlagen der Reform des Emittlungsverfahrens, AnwBI. 1986, S.52.
2. Die erweiterten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren
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(4) Eiriführung gesetzlich normierter Ablehnungsgründe Vereinzelt wird es für erforderlich gehalten, die Gründe, die zur Ablehnung von Beweiserhebungsbegehren des Beschuldigten berechtigen, wegen der einzuführenden Begründungsverpflichtung der Staatsanwaltschaft gesetzlich festzulegen 589• Sofern das Begehren des Beschuldigten einen Beweisantrag darstellt, wird dabei an eine Anlehnung an den Katalog der Ablehnungsgründe der §§ 244 III-VI, 245 II StPO gedacht. Hinsichtlich der bloßen Beweisermittlungsanträge und Beweisanregungen soll eine Generalklausel ausreichend, aber auch notwendig sein590 • Es erscheint allerdings fraglich, ob sich die Einführung konkreter Ablehnungsgründe im Ermittlungsverfahren tatsächlich empfiehlt. Ziel des Ermittlungsverfahrens kann nur die Klärung der Frage sein, ob hinreichender Tatverdacht besteht oder nicht, wobei der eigentliche Verfahrensgegenstand während des Vorverfahrens oft noch nicht hinreichend bestimmt ist. Eine für die unvermeidlichen Beweisermittlungsanträge und Beweisanregungen insoweit notwendigerweise weit gefaßte Generalklausel würde den Rechtszustand bei Einführung einer Begründungspflicht, von der nur ausnahmsweise abgesehen werden dürfte, für den Beschuldigten nicht weiter verbessern. Ferner läßt sich anhand des Katalogs der §§ 244 III-VI und 245 II StPO leicht erkennen, daß einzelne Ablehnungsgründe auch bei den konkret gestellten Beweisanträgen wegen der strukturellen Verschiedenheit von Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung nicht von einem Verfahrensabschnitt in den anderen übertragen werden können. Von der Normierung konkreter Ablehnungsgründe sollte im Ermittlungsverfahren abgesehen werden.
(5) Folgen unterbliebener Beweiserhebung Durch die Schaffung einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft, einen beantragten Beweis zu erheben, stellt sich die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot in der Form, daß die Verwertung eines Beweismittels, das pflichtwidrig nicht erhoben wurde, in der Hauptverhandlung einem Verbot unterworfen werden sollte, eigentlich nicht mehr. Das Problem eines in Betracht zu ziehenden Hauptverhandlungsverwertungsverbots kann allenfalls dann noch auftreten, wenn die Erhebung des Beweises zwar richterlich angeordnet 589 Kreke/er, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 63; Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 194; Müller, Bemerkungen zu den Grundlagen der Reform des Emittlungsverfahrens, AnwBI. 1986, S. 53. 59° Krekeler, Der Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung im Ermittlungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Sachverständigenbeweises, AnwBI. 1986, S. 63 f.
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wurde, das Beweismittel aber zwischenzeitlich untergegangen oder aus anderen Gründen nicht mehr verwertbar ist. Fraglich ist jedoch, ob ein Beweisverwertungsverbot bei einer solchen Konstellation überhaupt den richtigen Ausgangspunkt zu liefern vermag, denn es gilt der Grundsatz, daß die Nichterweislichkeit belastender Umstände ebenso zugunsten des Beschuldigten wirkt wie das bei entlastenden Umständen der Fall ist, die vernünftige Zweifel an der Schuld begründen, solange der Gegenbeweis nicht erbracht ist. Kann die Strafverfolgungsbehörde den für Entlastungstatsachen beantragten Beweis erheben und unterläßt sie dies zunächst, so hat sie damit zugleich den ihr obliegenden Beweis nicht erbracht mit der Folge, daß die Entlastungstatsachen unwiderlegt und deshalb zu unterstellen sind591 • Steht das Beweismittel noch zur Verfügung und ist trotz richterlicher Anordnung im Ermittlungsverfahren nicht oder noch nicht vollständig Beweis erhoben worden, so kann und darf es dem Gericht wegen der umfassenden gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO weder in Form eines Beweisverwertungsverbots versagt werden, den beantragten Beweis in der Hauptverhandlung nachzuholen noch die als richtig zu unterstellenden Entlastungsbeweise aufgrund neu auftauchender Beweismittel zu widerlegen. (6) Bisherige Bedenken gegen Beweisanträge im Ermittlungsverfahren Nach geltendem Recht sind es neben den oben erwähnten Schwierigkeiten der Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft und der fehlenden richterlichen Kontrolle vor allem auch andere faktische Gegebenheiten des Ermittlungsverfahrens, die den Umgang mit dem Beweisantragsrecht zu diesem frühen Zeitpunkt für die Verteidigung so erschweren, daß von ihm nur in Ausnahmefallen Gebrauch gemacht wird. Das größte Problem ergibt sich daraus, daß der Verteidiger den Verfahrensgegenstand und auch die Beweissituation erst nach Akteneinsicht hinreichend überblicken kann. Intern verfügt er aber oftmals über einen Informationsvorsprung gegenüber den Ermittlungsbehörden, da sein Mandant ihm entlastende Umstände mitgeteilt hat. Ist der Verteidiger der Auffassung, mit den Angaben seines Mandanten tatsächlich eine Entlastung erreichen zu können, geht sein in diese Richtung gestellter Beweisantrag ohne Aktenkenntnis "ins Blaue hinein" 592 • Ein solches Vorgehen wird allgemein als so riskant bezeichnet, daß es sich ohne Akteneinsicht verbiete, Beweisanträge zu stellen593 • Als problematisch wird ferner angesehen, daß der Verteidiger, sollte er in der Überzeugung, die Unschuld seines Mandanten lasse sich leicht beweisen, einen 591 Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, S. 78. 592 Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 148. 593 Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 148; Quedenfeld, Beweisantrag und Verteidigung in den Abschnitten des Strafverfahrens bis zum erstinstanzliehen Urteil, FG für Kar/ Peters, S. 219.
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Zeugen benennen und dessen Vernehmung beantragen, auf die Vernehmung selbst, sofern sie von der Polizei oder Staatsanwaltschaft durchgeführt wird, in Ermangelung eines Anwesenheitsrechts keinen Einfluß mehr nehmen kann 594• Insbesondere fehle dem Verteidiger daher in Anbetracht der Tatsache, daß gerade eine nicht kontrollierte polizeiliche oder staatsanwaltliehe Vernehmung von einer Überbetonung der Ermittlung belastender Momente beeinflußt werde, die Möglichkeit, durch entsprechende Befragung den entlastenden Inhalt herauszuarbeiten. Er müsse vielmehr befürchten, daß die Vernehmung eines Zeugen eine ganz andere Richtung nehme und das in dem Wissen, daß die regelmäßig mit den Worten des Vernehmenden wiedergegebene Aussage sich in einer Hauptverhandlung nur schwer berichtigen oder ergänzen lasse 595 • Durch die hier vorgestellten Verbesserungen des Akteneinsichtsrechts und der Anwesenheitsrechte im im Zuge einer Reform596 könnten die praktischen Bedenken gegen das Stellen von Beweisanträgen im Ermittlungsverfahren weitgehend ausgeräumt werden, so daß auch hier in Zukunft weichenstellende Fehler vermieden werden könnten. bb) Eigene Ermittlungstätigkeit des Verteidigers Obwohl das Gesetz keine ausdrückliche Regelung über eine Befugnis des Verteidigers zur Führung eigener Ermittlungen enthält, ist unbestritten, daß er grundsätzlich dazu berechtigt, in Ausnahmefemen wohl auch dazu verpflichtet ist 597 . Dies ergibt sich bereits daraus, daß das Gesetz an einigen Stellen eine eigene Ermittlungstätigkeit selbstverständlich voraussetzt, wie etwa in den §§ 222 I, 246 II StPO, die dem Angeklagten Gelegenheit geben, Erkundigungen über die Beweismittel einzuziehen und in den §§ 364 a und 364 b StPO, die von einer Unterstützung des Angeklagten durch den Verteidiger bei Nachforschungen ausgehen598 • Auch ist 594 Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 148; Quedenfeld, Beweisantrag und Verteidigung in den Abschnitten des Strafverfahrens bis zum erstinstanzliehen Urteil, FG für Kar/ Peters, S. 219. 595 Quedenfeld, Beweisantrag und Verteidigung in den Abschnitten des Strafverfahrens bis zum erstinstanzliehen Urteil, FG für Kar/ Peters, S. 219; Neuhaus, Teilhaberechte der Verteidigung an Ermittlungshandlungen - Ein Überblick, ZAP Fach 22, S. 94. 596 s. IV 2 b und d. 597 BGH, AnwBI. 1981, S. 115 f.; OLG Frankfurt, NJW 1981, S. 882; KI!M, Vor § 137, Rdnr. 2; KK/Laufhütte, Vor§ 137, Rdnr. 3; LR/Lüderssen, §§ 112-197, 24. Auflage, Vor§ 137, Rdnr. 115; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 93; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rdnr. 285; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 309; König, Wege und Grenzen eigener Ermittlungstätigkeit des Strafverteidigers, StraFo 1996, S. 98; Rücket, Die Notwendigkeit eigener Ermittlungen des Strafverteidigers, FG für Peters, S. 265 ff. 598 Jungfer, Eigene Ermittlungstätigkeit des Strafverteidigers - Strafprozessuale und standesrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, StV 1981, S. 101 ; Richter II, Grenzen anwaltlicher
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
in § 97 II BRAGO der Ersatz der dem Pflichtverteidiger durch Nachforschungen zur Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens entstandenen Auslagen geregelt, und § 6 RichtlRA enthält Ausführungen über die Befragung und Beratung von Zeugen. Trotz der klaren Rechtslage ist die Bedeutung eigener Ermittlungstätigkeit des Verteidigers in der Praxis nicht besonders groß. Nach Untersuchungen sollen 15% der Verteidiger nie ermitteln und 64% nur in einem sehr geringem Umfang 599 • Der Grund für diese Zurückhaltung wird vor allem in der hohen finanziellen Belastung des Mandanten und in der Zeitaufwendigkeit für den Verteidiger selbst gesehen 600 • Aber auch das Mißtrauen, mit dem der Ermittlungstätigkeit des Verteidigers seitens der Strafverfolgungsbehörden begegnet wird, dürfte zu einer großen Zurückhaltung führen 601 • Um eigenen Ermittlungen des Verteidigers zu einer größeren Akzeptanz zu verhelfen, wird vereinzelt gefordert, das Recht des Verteidigers zu eigenen Ermittlungen gesetzlich zu normieren602 • Dementsprechend heißt es in § 10 des Gesetzentwurfs des Arbeitskreises Strafprozeßreform: "Der Verteidiger ist berechtigt, eigene Ermittlungen anzustellen". So wünschenswert eine gesetzliche Legitimation im Interesse der Rechtssicherheit und Klarheit zunächst erscheint, so bestehen doch Bedenken gegen die Einführung einer solchen Regelung. In der früheren Reformgeschichte des Strafprozeßrechts ist eine in diese Richtung gehende Forderung niemals erhoben worden, denn das Recht des Verteidigers auf eine eigene Ermittlungstätigkeit wurde und wird auch heute nicht in Zweifel gezogen 603 • Denn es darf nicht verkannt werden, daß jedermann private Ermittlungen im Rahmen der geltenden Gesetze führen darf, was natürlich auch für den Verteidiger gilt. Es bedarf auch keines hervorgehobenen Ermittlungsauftrags durch den Gesetzgeber an den Verteidiger, da ihm keine besonderen Ermittlungsbefugnisse in Form von Zwangsmaßnahmen an die Hand gegeben wurden 604 • Solche einzufordern kann nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, so daß der Verteidiger keine rechtlichen Vorteile durch eine gesetzliche Klarstellung erhalten würde. Im Gegenteil, die Grenze zwischen zulässiger Verteidigung und Verteidigung am Rande der Strafvereitelung würde durch eine so offene Formulierung nicht konkreter ausfallen und dem Verteidiger keine Orientierungshilfe bieten. Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, NJW 1981, S. 1823; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 93. 599 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 308 b. 600 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 308 b; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 97. 601 Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rdnr. 92. 602 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung, S. 95; Rieß, Prolegma zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS für Kar/ Schäfer, S. 203; Bandisch, Die zukünftige Praxis der Strafverteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1986, S. 71. 603 s. IV 2 fbb (S. 203). 604 Richter II, Grenzen anwaltlicher Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, NJW 1981,5. 1823.
3. Kooperation im Ermittlungsverfahren
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Außerdem könnte der Verteidiger in Konflikt geraten zwischen seiner Schweigepflicht im Interesse des Mandanten, da er nichts seinen Mandanten Belastendes vortragen darf, und seiner Wahrheitspflicht gegenüber dem Gericht, die nicht nur für Erklärungen in der Hauptverhandlung gilt, sondern auch für Erklärungen, die im Ermittlungsverfahren abgegeben werden, da diese die Hauptverhandlung vorbereiten605. Sollten durch eine Ermittlung des Verteidigers nun belastende Umstände ans Tageslicht treten, so zeigt sich, daß sich in bezug auf die eigene Ermittlungstätigkeit Zurückhaltung empfiehlt, um nicht in den Zwiespalt zwischen Wahrheitspflicht und Schutzaufgabe zu geraten. Vor dem Hintergrund der bisher vorgeschlagenen Erweiterungen der Rechte des Beschuldigten und der Verteidigung scheint der Verteidiger, jedenfalls bei deren Umsetzung, besser beraten, die Erhebung der Beweise bei den Strafverfolgungsorganen zu beantragen, sein Anwesenheitsrecht bei den Vernehmungen wahrzunehmen und die sich ihm bietenden Kontrollmöglichkeiten auszuschöpfen. Anders ausgedrückt, kann der Verteidiger in Grenzen "sozusagen Auftragsarbeit an die staatlichen Organe vergeben, die die gesetzliche Aufklärungspflicht zu erfüllen haben" 606 • Er selbst sollte nur die "Ermittlungen" vornehmen, die unproblematisch, ohne auch nur den Anschein eines Verstoßes gegen das Standesrecht zu erwecken, ausgeführt werden können. Dazu gehört u. a. die intensive Befragung des Mandanten, um Informationen über in Betracht kommende Entlastungsbeweise überhaupt zu erhalten und um Umstände aus dem persönlichen Lebenskreis des Mandanten im Hinblick auf die Schuldfähigkeit oder zur Vermeidung von Untersuchungshaft zu klären, wie auch die Besichtigung möglicher Tatorte, der Beweismittel und die frühzeitige Einholung von Auskünften von z. B. Behörden, Ämtern, Ärzten, dem TÜV, Rundfunk, Zeitungen oder meteorologischen Instituten. Einer gesetzlichen Klarstellung, daß der Verteidiger zu diesen Maßnahmen berechtigt ist, bedarf es nicht. 3. Kooperation im Ermittlungsverfahren Neben den kontradiktorischen Elementen ist das Augenmerk auf die Hauptinhaltspunkte eines kooperativen Ermittlungsverfahrens zu richten 607 , wobei der Begriff der Kooperation wegen des grundsätzlich streitigen Charakters des Ermittlungsverfahrens gerade dort nicht geläufig und anerkannt ist. Trotz der in der wissenschaftlichen Diskussion sicherlich immer im Vordergrund stehenden notwendigen Erweiterung der Teilhaberechte, darf die Bedeutung von Kooperation jedoch auch in diesem Verfahrensabschnitt nicht unterschätzt werden. 605 Ernesti, Grenzen anwaltlicher Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, JR 1982, S.228. 606 Ernesti, Grenzen anwaltlieber Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, JR 1982, S.228. 607 s. IV (S. 78 ff.).
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Fällt der Begriff der Kooperation nun doch einmal, so wird er vielfach mit einem faden Beigeschmack, dem Geruch von etwas Unerlaubtem, zumindest nicht ganz so Seriösem verbunden. Dabei heißt Kooperation doch zunächst nichts anderes als Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten, ohne daß sich daraus bereits zwingend eine konkrete Vereinbarung über den Prozeßgegenstand ergeben müßte608. Kommunikativer Umgang der Verfahrensbeteiligten wird von der Strafprozeßordnung an keiner Stelle ausdrücklich verboten, sondern gerade im Ermittlungsverfahren verschiedentlich sogar vorausgesetzt. Dabei ist vor allem an den weiten Bereich der§§ 153ff. StPO, die auch als "verfahrensbeendende Absprachen" bezeichnet werden, und auch an das ebenso immer wieder erweiterte Strafbefehlsverfahren zu denken 609 • a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zu den sog. "Absprachen" Hauptsächlich unter dem Stichwort Absprachen ist der Themenkreis zumindest für die Hauptverhandlung ausführlich und kontrovers diskutiert worden 610. Inzwischen hat sich mit der verfahrensrechtlichen Zulässigkeil von Absprachen im Hauptverfahren sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie auch des Bundesgerichtshofs befaßt und mit diesen Entscheidungen einen sachgerechten Beitrag zur tatsächlichen Rechtsfortbildung geleistet. Das Bundesverfassungsgericht611 hatte über eine vom Beschwerdeführer gerügte, auf seine Initiative hin vor Schluß der Beweisaufnahme und außerhalb der Hauptverhandlung erfolgte Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu entscheiden. Der Beschwerdeführer hatte auf der Grundlage der Verständigung ein Geständnis abgelegt und Rechtsmittelverzicht erklärt, nachdem ihm ein bestimmtes Strafmaß und das Absehen von Strafverfolgung hinsichtlich des Verdachts weitererTaten durch die Staatsanwaltschaft in Aussicht gestellt worden waren. Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem Ergebnis, daß "bei der gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung" die geschilderte Verständigung keinen "durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken" begegne. Faimeßgebot und WillkürSchaefer, Kooperation im Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1998, S.67. Landau, Verfahrensabsprachen im Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 133. 610 Kl/M, Ein! Rdnr. 119 ff.; KKIPfeiffer, Einleitung Rdnr. 29 aff.; Rönnau, Die neue Verbindlichkeit bei den strafprozessualen Absprachen, wistra 1998, S. 49 ff.; Kintzi, Verständigungen im Strafrecht, JR 1990, S. 309 ff.; Weigend, Abgesprochene Gerechtigkeit, JZ 1990, S. 774 ff.; Zschokelt, Die Urteilsabsprache in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, NStZ 1991, S. 305 ff.; Hassemer!Hippler, Informelle Absprachen in der Praxis des deutschen Strafverfahrens, StV 1986, S 360ff.; Weigend, Eine Prozeßordnung für abgesprochene Urteile?, NStZ 1999, S. 57 ff.; Landau/Eschelbach, Absprachen zur strafrechtlichen Hauptverhandlung, NJW 1999, S. 321 ff. ; alle mit jeweils weiteren Nachweisen. 611 BVerfG, NJW 1987, S.2662 (2663). 608 609
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verbot seien beachtet worden und der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verbiete es nicht, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen. Ausgeschlossen sei es allerdings, die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafbemessung in einer Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil abschließen soll, ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei es deshalb untersagt, sich auf einen "Vergleich" im Gewande eines Urteils, auf einen "Handel mit der Gerechtigkeit" einzulassen. Das Gericht dürfe seine sich aus § 244 li StPO ergebende Amtsaufklärungspflicht nicht wegen eines aus prozeßtaktischen Überlegungen abgelegten Geständnisses verletzten und eine gegebenenfalls festzusetzende Strafe nicht unangemessen niedrig bemessen. Ferner dürfe die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten nicht unter Verstoß gegen § 136a StPO beeinträchtigt werden, der Beschuldigte dürfe also nicht durch Versprechungen gesetzlich nicht vorgesehener Vorteile oder durch Täuschung zu einem Geständnis gedrängt werden. Die verschiedenen Senate des Bundesgerichtshofs612 hatten in den letzten Jahren gleich mehrmals die Gelegenheit, auf die einzelnen Probleme der auf einvernehmlichen Verfahrensabschluß gerichteten Absprachen einzugehen, wobei es aus verständlichen Gründen meist um prozessual fehlgeschlagene Absprachen ging. Allerdings war der Bundesgerichtshof bei diesen Entscheidungen nie gezwungen, zu der Frage der grundsätzlichen Zulässigkeil von Absprachen Stellung zu nehmen, da diese Fälle unter Rückgriff auf allgemeine Regeln des fairen Verfahrens entschieden werden konnten. Trotzdem wurde bei den meisten Senaten eine positive Grundhaltung gegenüber urteilsbezogenen Absprachen erkennbar. Sofern bestimmte Grundregeln eingehalten würden, so konnte man zumindest zwischen den Zeilen lesen, sei gegen eine Verständigung über den Verfahrensausgang auch dann nichts einzuwenden, wenn die Absprachen zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft im wesentlichen außerhalb der Hauptverhandlung getroffen werden 613 • Diese Entwicklung hat der Bundesgerichtshof mit seinem Grundsatzurteil vom 28.8.1997 614 zu einem gewissen Abschluß gebracht, indem er folgende Zulässigkeitskriterien für eine Verständigung im Hauptverfahren aufgestellt hat: 1. Eine Verständigung im Strafverfahren, die ein Geständnis des Angeklagten und die zu verhängende Strafe zum Gegenstand hat, ist nicht generell unzulässig. Sie muß aber unter Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten, insbesondere auch der Laienrichter sowie des Angeklagten selbst, in öffentlicher Hauptverhandlung 612 Vgl. nur: BGHSt36, 210ff.; 37, lOff., 99ff., 298ff.; 38, l02ff.; 40, 287ff.; 42, 46ff., 191 ff.; BGH, NStZ 1997,561, 611; BGH, NJW 1994, 1293. 6 13 Weigend, Eine Prozeßordnung für abgesprochene Urteile?, NStZ 1999, S.58. 6 14 BGHSt43, 195 ff.
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stattfinden, was Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung nicht ausschließt. Das Ergebnis einer Verständigung ist ins Protokoll aufzunehmen 615 • 2. Das Gericht darf vor der Urteilsberatung keine bestimmte Strafe zusagen, allerdings kann es für den Fall der Ablegung eines Geständnisses durch den Angeklagten eine Strafobergrenze angeben, die es nicht überschreiten werde. Daran ist das Gericht nur dann nicht gebunden, wenn sich in der Hauptverhandlung neue, dem Gericht bisher nicht bekannte, schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergeben haben. Eine solche beabsichtigte Abweichung ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen 616• 3. Das Gericht hat ebenso wie bei der später im Urteil erfolgenden Strafbemessung auch bei der Zusage des Nichtüberschreitens einer Strafrahmenobergrenze die allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte zu beachten. Es muß also immer eine schuldangemessene Strafe gefunden werden 617 • 4. Der strafmildernden Berücksichtigung eines Geständnisses, dessen Glaubwürdigkeit das Gericht überprüfen muß, steht es nicht entgegen, daß es "nur" im Rahmen einer Absprache abgelegt worden ist 618 • 5. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts mit dem Angeklagten vor der Urteilsverkündung ist unzulässig619 •
b) Bedeutung von Absprachenfür das Ermittlungsverfahren Fraglich ist, inwiefern diese Grundsätze bereits im Ermittlungsverfahren Berücksichtigung finden können. Im Gegensatz zu der ausführlichen Diskussion in Rechtsprechung und Literatur zu der Frage von Absprachen in der Hauptverhandlung haben Absprachen im Ermittlungsverfahren bislang eher wenig Beachtung gefunden 620 •
BGHSt43, 195 ~05f.). BGHSt43, 195 (206f., 210). 6 17 BGHSt43, 195 (208f.). 6 18 BGHSt43, 195 (204, 209f.). 61 9 BGHSt43, 195 (204f.). 620 Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 132; Rönnau, Die Absprache im Strafprozeß, S. 108ff.; Schaefer, Kooperation im Ermittlungsverfahren, AnwBI. 1998, S. 67 f.; Dahs, Zur Verteidigung im Ermittlungsverfahren, NJW 1985, S. 1117 f.; Rücke/, Verteidigertaktik bei Verständigungen und Vereinbarungen im Strafverfahren, NStZ 1987, 299ff.; SK!StPO!Wolter, Vor§ 151 Rdnr. 78ff.; BGH, NStZ 1990, 399; OLG Frankfurt, StV 1987, 289; LG Kassel, StV 1987, 288; LG Koblenz, NStZ 1988, 311. 61 5
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aa) Inhalt einer Absprache Zunächst stellt sich die Frage, welchen Inhalt eine im Ermittlungsverfahren getroffene Absprache haben kann. Um dies beurteilen zu können, muß man sich die Reformanliegen bei den Erweiterungen der Beschuldigtenrechte und die von der Staatsanwaltschaft zu treffende Abschlußentscheidung über das Ermittlungsverfahren vor Augen halten. Die Möglichkeiten der Beendigung eines Ermittlungsverfahrens bestehen in der Einstellung mangels Tatverdacht gemäß § 170 li StPO, der Einstellung gemäß §§ 153 ff. StPO und der Erhebung der öffentlichen Klage durch Einreichung einer Anklageschrift bei Gericht gemäß § 170 I StPO, wobei ein Strafbefehlsantrag gemäß § 407 I S. 4 StPO eine besondere Form der Erhebung der öffentlichen Klage darstellt. Damit kann sich der Inhalt von Absprachen nur auf verfahrensbeendende Absprachen, insbesondere auf die Anwendung der Opportunitätsvorschriften, §§ 153, 153 a, 154, 154a StPO und das Strafbefehlsverfahren, sowie auf verfahrensfördernde oder verfahrensverkürzende Absprachen, die sich dann auch auf die Durchführung der Hauptverhandlung beziehen, erstrecken. Vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Reformanliegen kann Inhalt einer Absprache nicht sein, eine Verständigung über den Nichterlaß eines Haftbefehls im Bereich der unteren Kriminalität, Anwesenheits- und Benachrichtigungsrechte, den Zeitpunkt der Gewährung von Akteneinsicht oder Beweiserhebungen herbeizuführen, denn diese Rechte würden sich bei ihrer Ausdehnung und gesetzlichen Verankerung einer Verhandlung über ihre Anwendung und den Umfang ihrer Gewährung entziehen. Neben den verfahrensbeendenden Absprachen im Bereich kleinerer und mittlerer Kriminalität nach§§ 153 ff. StPO, öffnet auch gerade das Strafbefehlsverfahren eine von den Verfahrensbeteiligten häufig gewünschte und akzeptierte Möglichkeit, einen schnellen Verfahrensabschluß ohne 'eine öffentliche Hauptverhandlung herbeizuführen, wobei sich durchaus ähnliche Konstellationen wie bei den Urteilsabsprachen hinsichtlich der Fragen der Geständnisbereitschaft und der Strafzumessung ergeben können 621 • Verfahrensfördernde Absprachen beziehen sich meist auf eine Beschränkung des Anklagevorwurfs nach§ 154 StPO bei einem zugesagten Geständnis 622 oder jedenfalls der erklärten Bereitschaft des Beschuldigten, frühzeitig und umfassend zum Tatvorwurf Stellung zu nehmen, um beispielsweise die Ermittlungen gegen andere Beteiligte abschließen oder Erleichterungen für die Opfer der Taten schaffen zu können.
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Landau, Verfahrensabsprachen im Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. I33. KIIM, Ein!. Rdnr. I 19a, I I9h.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
bb) Zulässigkeit von Absprachen Betrachtet man heute kooperatives Verhalten im Ermittlungsverfahren unter dem Aspekt der Opportunität, wird die Zulässigkeit von auf diesem Weg getroffenen Absprachen grundsätzlich nicht (mehr) in Zweifel gezogen623 . Daß auch der Gesetzgeber Kooperation in diesem Bereich befürwortet, zeigt sich in der kontinuierlichen Ausdehnung und Erweiterung der Regeln über das Opportunitätsprinzip, womit den Bedürfnissen der Praxis trotz der Kritik der "Aufweichung des Legalitätsprinzips"624 Rechnung getragen werden soll. Besonders in dem Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des TäterOpfer-Ausgleichs vom 20.12.1999 625 zeigt sich, daß der Ausgleich zwischen dem Beschuldigten, der sich bemüht, seine Tat ganz oder zum Teil wiedergutzumachen und dem Verletzten als anerkennenswertes und anzustrebendes Ziel einer Verständigung i. R. d. § 153 a StPO angesehen wird. Insoweit ist der Grundgedanke eines Reformvorschlags verwirklicht worden, nach dem ein kooperatives Verfahren für geständige und wiedergutmachungsbereite Täter in Form eines "Restitutionsverfahrens" geschaffen werden soll626. Danach sollen der Täter, das Opfer und auch die Staatsanwaltschaft in Fällen leichter und mittlerer Kriminalität berechtigt werden, eine Verhandlung vor einem Restitutionsrichter zu beantragen, der dann versuchen muß, eine Wiedergutmachung des materiellen Schadens durch den Tater und darüber hinaus eine Versöhnung zwischen Tater und Opfer herbeizuführen, um bei Gelingen das Verfahren mit einer Ausgleichsvereinbarung abzuschließen. In dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspfiege 627 ist vorgesehen, den Kreis der Bezugssanktionen bei einer Einstellung des Verfahrens nach den§§ 154, 154a StPO auf alle Rechtsfolgen der Tat sowie auf ausländische Sanktionen zu erweitern. Auch die Erfüllung von der Staatsanwaltschaft oder von dem Gericht erteilten Auflagen nach § 153 ai S. 2 Nr. 2 und 3 (Geldzahlungen oder gemeinnützige Leistungen) StPO soll zum Absehen von Verfolgung führen können. Weiterhin wird eine allgemeine Erweiterung des Anwendungsbereichs der "Verwarnung mit Strafvorbehalt" durch das Gesetz zur Verbesserung des strafrechtlichen Sanktionssystems 628 angestrebt, in dessen Entwurfsbegründung es heißt, es bestehe das Bedürfnis für ein Institut, das Gerichten in den Fallen, in denen eine Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO nicht in Betracht komme und die Vollstreckung einer Geldstrafe nicht zwingend geboten erscheine, ein größeres Spektrum an Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stelle. Dies ermögliche die Verwarnung mit Strafvorbehalt durch die Erteilung von Auflagen und Weisungen. Es erfolge eine Verwarnung des 623 624
Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 24 a. Rieß, Die Zukunft des Legalitätsprinzips, NStZ 1981, S. 3.
s. I 13 (S. 62). Roxin, Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS für Gerd Jauch, S. 195 f. 627 Bundestagsdrucksache 13/4541, S.4; Bundesratsdrucksache 916/98, S.l. 628 Bundesratsdrucksache 594/97, S.4, Entwurfsbegründung 98/99. 625
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Angeklagten neben dem Schuldspruch und die Bestimmung einer Strafe, zu der der Täter für den Fall der Nichtbewährung verurteilt werde. Dadurch werde dem so Verwarnten die Möglichkeit geboten, eine Bestrafung durch Wohlverhalten, insbesondere durch Erfüllung der Auflagen und Weisungen, gänzlich zu vermeiden. Selbst Gegner von Verständigungen, die die Zulässigkeil von Verfahrensabsprachen anhand ihrer Vereinbarkeil mit allgemeinen Prozeßrechtsgrundsätzen, an die ein hoher Maßstab angelegt wird, überprüfen, gelangen zu dem Ergebnis, daß für Absprachen wegen des formal auf dem Anklageprinzip beruhenden gerichtlichen Verfahrens, der durchgehenden Verpflichtung zur Amtsaufklärung, der Orientierung an der materiellen Wahrheit und der zur Objektivität verpflichteten und dem Legallitätsprinzip unterliegenden Staatsanwaltschaft, ein - wenn auch nur äußerst geringer - Raum eröffnet sei 629 • Abschließend sei dazu angemerkt, daß die normative Kraft des Faktischen die Frage nach der Zulässigkeil vieler Absprachen hat obsolet werden lassen und sich allenfalls noch die Frage nach der praktischen Handhabung und Einpassung in ein Regelungskonzept stellt630 • Kürzer gesagt, es geht nicht mehr darum, "ob Absprachen in Strafprozessen zulässig sind, sondern wie und mit welchem Inhalt sie ohne Verstöße gegen das geltende Recht getroffen werden können" 631 •
cc) Grenzen von Absprachen Geht man also von der grundsätzlichen Zulässigkeil von Absprachen aus, stellt sich die Frage, wo die Grenze einer zulässigen Absprache im Ermittlungsverfahren verläuft. Zur Bestimmung dieser Grenze muß man neben den Grundsätzen des Bundesgerichtshofs, Absprachen in der Hauptverhandlung betreffend, allgemeine Prozeßrechtsgrundsätze und die geltenden strafprozessualen Bestimmungen im Auge behalten.
(1) Beachtung der gesetzlichen Grenzen Zunächst ist eine banal klingende Feststellung zu treffen, nämlich, daß für eine Verständigung über eine Einstellung des Verfahrens alle Voraussetzungen der §§ 153ff. StPO tatsächlich unabhängig von der Vereinbarung selbst vorliegen müssen. Das "Nichtentgegenstehen der Schwere der Schuld" und dann auch die Möglichkeit der Kompensation des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses nach§ 153 al StPO müssen einwandfrei festgestellt sein, wobei natürlich zu berücksichtigen ist, Rönnau, Die Absprache im Strafprozeß, S. 217. Landau, Verfahrensabsprachen im Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 133. 631 Koch, Absprachen im Strafprozeß, ZRP 1990, S. 251; ähnlich auch: Meyer-Goßner, Die Rechtsprechung zur Verständigung im Strafprozeß, StraFo 2001, S. 73. 629 630
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daß der Beschuldigte gerade durch die Vereinbarung das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nach§ 153al StPO zu beseitigen vermag. Weiterhin ist zu beachten, daß im Hinblick auf§ 170 II StPO jedenfalls bei § 153 a StPO eine Durchermittlung des Sachverhalts zu erfolgen hat 632und daß eine Einstellung nach§§ 153ff. StPO dann nicht vorgenommen werden darf, wenn sie mangels hinreichenden Tatverdachts nach§ 170 II StPO erfolgen müßte 633 . Andernfalls würde man den Anforderungen tragender Grundsätze des Strafverfahrens schon im Bereich der als unproblematisch angesehenen Absprachen nicht gerecht werden. Zu denken ist dabei vor allem an das Legalitätsprinzip, das die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten (vgl. §§ 152 II, 170 II StPO), und es verbietet, aufgrund einer Absprache auch wesentliche Tatvorwürfe nach§§ 154 ff. StPO aus einem Gesamtkomplex auszuscheiden, an den Amtsaufklärungsgrundsatz (vgl. §§ 15511 S.1 , 202,24411, 15211, 16011, 1631, 163al StPO), nach dem alle be- und entlastenden Beweismöglichkeiten von Amts wegen auszuschöpfen sind, um die materielle Wahrheit und so die persönliche Schuld des Täters ermitteln und damit eine tat- und schuldangemessene Strafe festsetzen zu können, an die Bestimmung des§ 136a StPO, besonders das "Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils" nach§ 136al S. 3 2. Variante StPO und an den Grundsatz der Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6 II MRK), der jedenfalls dann berührt sein kann, wenn dem Beschuldigten eine - wenn auch nur geringe Sanktion - in Aussicht gestellt wird, bevor die Schuld überhaupt festgestellt wurde. Die Praxis steht zu diesen Grundsätzen jedoch im Widerspruch, wobei besonders die Unschuldsvermutung in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist auch kraft Art 6 II MRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes634. Aus dem Prinzip, daß keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, folgt die Aufgabe des Strafprozesses, den Strafanspruch des Staates in einem justizförmig geordneten Verfahren durchzusetzen, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet635 . Dem Täter müssen daher Tat und Schuld nachgewiesen werden, wobei bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld seine Unschuld vermutet wird. Insofern schützt die Unschuldsvermutung den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein prozeßordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist 636. 632
633 634
SK/StPO/Wolter, Vor§ 151 Rdnr. 78. BVerfG, NJW 1990, 2741 (2742); Kühne, Strafprozeßrecht, Rdnr. 586. BVerfGE 19, 342 (347); 74, 358 (370); BVerfG, NJW 1990, 2741, ständige Rechtspre-
chung. 635 BVerfGE57, 250 (275); 74, 358 (370f.); BVerfG, NJW 1990, 2741 (2742). 636 BVerfGE35, 311(320); 74, 358 (371); BVerfG, NJW 1990, 2741 (2742).
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§ 153 a StPO und auch § 153 StPO werden entgegen den gesetzlichen Erfordernissen regelmäßig dann zum Einsatz gebracht, wenn das Beweisergebnis eine Anklage nicht tragen würde, für eine Einstellung nach § 170 II StPO aber noch zu belastend scheint, so daß diese Verfahrensweise auf eine Legalisierung einer Verdachtsstrafe hinausläuft637 • In diesem Zusammenhang wird dann von einem "Rettungsanker" gesprochen, der in Strafverfahren eingesetzt wird, die aus irgendwelchen Gründen "auf die Klippe gelaufen" sind und an deren ordnungsgemäßen Fortgang oder Erledigung alle Beteiligten Zweifel haben638 • Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß Staatsanwaltschaft und Beschuldigter sich immerhin geeinigt haben, indem der Beschuldigte auf die Chance eines Freispruchs und die Staatsanwaltschaft auf die einer formellen Verurteilung verzichtet. Allerdings sieht sich der Beschuldigte vor die Frage gestellt, ob er sich trotz seiner Unschuld durch Leistung einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten Auflage freikaufen oder aber den langen und nicht risikolosen Weg bis zum rechtskräftigen Urteil gehen soll 639 • Werden die gesetzlichen Vorgaben insgesamt eingehalten, kann nach Opportunitätsgesichtspunkten von dem generellen Verfolgungszwang abgewichen werden. Die gegenwärtige Bewertung des Verhältnisses von Strafverfolgungspflicht und Strafverzicht geht damit von einem "Ja-aber-Zustand" aus: Strafverfolgungspflicht und Anklagezwang ja, aber nicht ohne Ausnahmen 640 • Genau diese Abhängigkeit kommt in der Formulierung des§ l52II StPO "soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist" zum Ausdruck. (2) Beachtung der Zulässigkeilskriterien des Bundesgerichtshofs Neben den gesetzlichen Vorgaben müssen auch im Ermittlungsverfahren die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Zulässigkeilskriterien für Absprachen berücksichtigt werden 641 • Danach ergibt sich parallel zu dem Verbot, vor der Urteilsberatung eine bestimmte Strafe zuzusagen 642 , für das Ermittlungsverfahren das Verbot, Zusicherungen über Strafanträge in genau bestimmter Höhe für die Hauptverhandlung abzugeben. Dies würde einen Verstoß gegen das aus §§ 258, 261 StPO, Nr. 138 RiStBV folgende Gebot darstellen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung unter Abwägung aller rechtlichen und tatsächlichen Aspekte im Rahmen anerkannter Strafzumessungsüberlegungen einen abschließenden Willen zu bilden 643 • Kühne, Strafprozeßrecht, Rdnr. 590. Dahs, § 153 a StPO- ein "Allheilmittel" der Strafrechtspflege, NJW 1996, S.1192. 639 Kühne, Strafprozeßrecht, Rdnr. 584. 64 KKI Pfeiffe r, Eint. Rdnr. 6. 641 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 24a. 642 BGHSt 43, 195 (206). 643 Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 136. 637
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Zulässig ist hingegen die Angabe einer Strafrahmenobergrenze, denn im Ermittlungsverfahren muß ebenfalls berücksichtigt werden, daß der Beschuldigte, der ein Geständnis ablegt, seine Verteidigungsmöglichkeiten stark einschränkt und es daher nicht als unbillig angesehen werden kann, wenn er vor Ablegung eines Geständnisses erfahren möchte, wie dies bewertet werden würde 644 • Bei der Zusage des Nichtüberschreitens einer Strafrahmenobergrenze müssen die allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte beachtet werden. Besonders im Hinblick auf eine Erledigung des Verfahrens im Wege des Strafbefehls ist zu beachten, daß eine schuldangemessene Strafe gefunden werden muß. "Der Boden schuldangemessenen Strafens" darf nie verlassen werden645 • Auch im Ermittlungsverfahren darf es nicht verwehrt sein, einem Geständnis des Beschuldigten strafmildemde Bedeutung zukommen zu lassen, selbst wenn es offensichtlich nicht in erster Linie aus Schuldeinsicht und Reue, sondern aus verfahrenstaktischen Gründen im Rahmen einer Verständigung abgegeben wird, denn im Fall einer Absprache bekennt sich der Beschuldigte gleichwohl zu seinerTat und fördert immerhin das Prozeßziel des Rechtsfriedens 646• Eine Absprache darf allerdings nicht dazu führen, daß ein aufgrund einer Vereinbarung dann abgelegtes Geständnis ohne weiteres, also ohne es auf seine Glaubwürdigkeit hin geprüft zu haben, akzeptiert wird. Sich hierzu aufdrängende Beweiserhebungen dürfen nicht unterbleiben 647 • Leider hat sich eine Entscheidung des 2. Senats des Bundesgerichtshofs vom 10.6.1998 648 bereits nicht an diese Maßgaben gehalten, denn danach hätte der Senat das Urteil der Vorinstanz schon deshalb aufheben müssen, weil die Strafkammer dem Angeklagten "für den Fall eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren in Aussicht gestellt" und sich so auf ein bestimmtes Strafmaß festgelegt hatte 649 • Bedenklich erscheint weiterhin die Stellungnahme des Senats zu den Anforderungen, die an die gerichtliche Aufklärungspflicht im Rahmen eines "Abspracheverfahrens" zu stellen seien, da sich die Beweisaufnahme zur Sache in der Bejahung des Anklagevorwurfs durch den Angeklagten erschöpfte. Der Senat weist zwar ausdrücklich darauf hin, daß eine Absprache nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht dazu führen dürfe, daß ein so zustande gekommenes Geständnis dem Schuldspruch zugrunde gelegt werde, ohne daß sich das Gericht von dessen Richtigkeit überzeugt habe, gleichzeitig stellt er jedoch fest, daß es einer Erörterung der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit maßgeblichen Gesichtspunkte nicht stets bedürfe, sondern nur dann, wenn Umstände vorlägen, die geeignet seien, Zweifel an der Richtigkeit des Geständnisses zu begründen. Derartige UmVgl. BGHSt43, 195 (207). BGHSt43, 195 (208). 646 Vgl. BGHSt43, 195 (209). 647 BGHSt43, 195 (204). 64s BGH, NStZ 1999,92 (93). 649 ebenso: Weigend, Eine Strafprozeßordnung für abgesprochene Urteile?, NStZ 1999, S.61. 644
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stände hätten nicht vorgelegen 650• In der Kritik an diesem Urteil heißt es, die danach gestattete ungeprüfte Übernahme eines Geständnisses, wenn seine Glaubwürdigkeit nicht zweifelhaft erscheine, führe zu einem guilty-plea-Verfahren, bei dem die Garantien für die sachliche Richtigkeit des Schuldspruchs noch geringer seien als bei dem amerikanischen Vorbild 651 • Ob das Urteil des 2. Senats diesen Rückschluß zuläßt, istjedoch fraglich. Der Senat geht "lediglich" davon aus, daß aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Erörterung der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Geständnisses maßgeblichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen nicht geschlossen werden dürfe, daß die gebotene Überprüfung des Geständnisses nicht stattgefunden habe 652 • Insofern hält auch der 2. Senat an dem Erfordernis der Überprüfung eines im Rahmen einer Absprache abgegebenen Geständnisses fest. Der Bundesgerichtshof betont in seiner Grundsatzentscheidung weiter, daß bei dem Bemühen der Beteiligten um das Zustandekommen einer Absprache die freie Willensbildung des Angeklagten gewahrt bleiben müsse und er nicht durch Orohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden dürfe. § 136 a StPO sei daher bei einem Verständigungsgespräch genauso zu beachten wie der Grundsatz, daß niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten653 • Dies gilt, wie oben bereits angesprochen, selbstverständlich auch für das Ermittlungsverfahren. Das Versprechen an den Beschuldigten, das Verfahren hinsichtlich weiterer von ihm noch zu offenbarender Taten nach§ 154 StPO einzustellen, ist, wenn die Voraussetzungen für eine Einstellung vorliegen, keine unzulässige Verfahrensabsprache, weil gerade kein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil vorliegt 654 • Gleiches muß für "Versprechen" gelten, die sich im Rahmen von § 31 BtMG, Art. 4, §§ I KronzG und Art. 5 KronzG bewegen, der durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 mit dem Ziel neu eingeführt wurde, den Fortbestand einer kriminellen Organisation oder zumindest die Begehung der von ihr drohenden Straftaten zu verhindern, dessen Geltungsdauer jedoch am 31.12.1999 abgelaufen ist. Allerdings darf die Staatsanwaltschaft natürlich keine Zusagen über Vorteile in Aussicht stellen, die zwar gesetzlich vorgesehen sind, aber nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen, wie etwa bei Zusagen hinsichtlich Vollzugserleichterungen o. ä., die entweder in die Kompetenz der Strafvollstreckungskammern oder der Justizvollzugsanstalt fallen. Nicht zulässig ist es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs, vorab einen Rechtsmittelverzicht zu vereinbaren 655 , etwa gegen die Zusage des Absehens von BGH, NStZ 1999,92 (93). Weigend, Eine Strafprozeßordnung für abgesprochene Urteile?, NStZ 1999, S.61. 652 BGH, NStZ 1999, 92 (93). 653 BGHSt43, 195 (204). 654 Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 136; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 25 f. 655 BGHSt43, 195 (204f.). 65o 651
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Strafe, sofortiger Haftentlassung und Aufhebung eines bestehenden Haftbefehls 656 • Da von einem unzulässigen Rechtsmittelverzicht nur die Rechtsmittel "im klassischen Sinn", also solche mit Suspensiv- und Devolutiveffekt, erfaßt werden, darf der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren also gleichwohl eine Erklärung abgeben, bei einer bestimmten im Strafbefehl festgesetzten Strafe keinen Einspruch einlegen zu wollen. Der Einspruch wird nach §§410, 411 StPO von dem Gericht, das den Strafbefehl erlassen hat, behandelt, so daß kein Devolutiveffekt eintritt und damit nur ein sonstiger förmlicher Rechtsbehelf vorliegt. Der Bundesgerichtshof betont in seiner Entscheidung, wesentliche Bedenken gegen die Zulässigkeit von Absprachen resultierten daraus, daß diese vielfach außerhalb der Hauptverhandlung getroffen würden und so gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz(§ 169 GVG) verstoßen werde 657 • Dies findet im Ermittlungsverfahren keine direkte Entsprechung, da das Ermittlungsverfahren gerade nicht von dem Prinzip der Öffentlichkeit geprägt wird. Interessant ist dann aber, daß der Bundesgerichtshof weiter hervorhebt, Absprachen über Verfahrensinhalt und -ergebnis dürften nicht unter dem Deckmantel der Heimlichkeit und Unkontollierbarkeit stattfinden, sondern müßten offengelegt und das Ergebnis der Absprache müsse, da es sich um einen wesentlichen Verfahrensvorgang handele, im Protokoll über die Hauptverhandlung festgehalten werden, um dadurch spätere Streitigkeiten über angeblich erfolgte Absprachen zu vermeiden 658 . Obwohl Ermittlungsverfahren nicht öffentlich sind, müssen Verfahrensabsprachen als nicht normierte Ermittlungsschritte dem Gebot der Transparenz staatlichen Handeins genügen 659 • Insofern muß eine im Ermittlungsverfahren getroffene Vereinbarung offengelegt und aktenkundig gemacht werden 660 • Nur wenn die Erklärung der Staatsanwaltschaft, z. B. einen Strafantrag innerhalb eines vorher abgesprochenen Strafrahmens in der Hauptverhandlung stellen oder einen Strafbefehl bei einem Einspruchsverzicht des Beschuldigten beantragen zu wollen, in den Hauptakten vermerkt wird, ist eine Rechtskontrolle gewährleistet und dem Grundsatz der Transparenz staatsanwaltliehen Handeins Genüge getan. Das Festhalten eines Abspracheergebnisses auch in den Handakten der Staatsanwaltschaft mit dem Vermerk, welche Vorteile dem Beschuldigten in Aussicht gestellt wurden, dient weiterhin dazu, daß bei einem Dezernatwechsel oder einer Urlaubsvertretung ein anderer Dezernent von der Vereinbarung Kenntnis erhält und in OLG Stuttgart, NJW 1999, 375 (376). BGHSt43, 195 (205). 6ss BGHSt43, 195 (206). 659 Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 139. 660 SK!StPO!Wolter, Vor§ 151 Rdnr. 79; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 27 a; Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S.l37. 656
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bedeutsamen Fällen der vorgesetzte Beamte der Staatsanwaltschaft unterrichtet werden kann 661 • Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs führt eine unter Beachtung der aufgestellten Kriterien in öffentlicher Hauptverhandlung unter Einbeziehung aller Beteiligter zustandegekommene Verständigung zu einer Bindung des Gerichts. Dies folge aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens, zu denen gehöre, daß sich das Gericht nicht in Widerspruch zu eigenen früheren Erklärungen, auf die ein Verfahrensbeteiligter vertraut habe, setzen dürfe. Die Vertrauenslage, die das Gericht dadurch geschaffen habe, verbiete ihm, von seiner früheren Erklärung abzuweichen. Ergäben sich nach der Absprache allerdings schwerwiegende neue Umstände, die dem Gericht bisher unbekannt waren und die Einfluß auf das Urteil haben könnten, so könne das Gericht von der getroffenen Absprache abweichen. Solche Umstände könnten darin zu sehen sein, daß sich die Tat aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel statt wie bisher als Vergehen nunmehr als Verbrechen darstelle oder daß erhebliche Vorstrafen des Angeklagten nicht bekannt gewesen seien. Sollte ein solcher Fall eintreten, treffe das Gericht unter Darlegung der Umstände eine Hinweisptlicht662 . Für das Ermittlungsverfahren ergibt sich daraus in etwa die schon durch die §§ 153, 153 a StPO vorgegebene Linie. Wird eine Einstellung von der Staatsanwaltschaft aus eigenem nicht zustimmungsbedürftigem Recht nach§ 153 I S. 2 StPO im Emittlungsverfahren angeordnet, so kann die Strafverfolgung jederzeit auch ohne das Hinzutreten neuer Erkenntnisse wieder aufgenommen werden 663 • Bedarf die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft richterlicher Zustimmung (§§ 153 I S. 1, 153 ai, 153 b I StPO), bleibt es zwar bei der grundsätzlichen Möglichkeit, Untersuchungen beliebig neu in Gang zu setzen, beachtet werden muß allerdings § 153 a I S. 4 StPO, nach dem die Erfüllung von Auflagen oder Weisungen durch den Beschuldigten den Verbrauch der Strafklage zur Folge hat, sofern eine Verfolgung der Tat als Vergehen in Frage steht. Unumstritten ist, daß eine erneute Strafverfolgung möglich ist, falls sich die Tat als Teil einer (fortgesetzten) umfangreicheren Tat erweist 664 oder wenn Teilakte einer- soweit noch möglich- fortgesetzten Handlung verfolgt werden sollen, falls sie noch nicht bei der Einstellung der übrigen fortgesetzten Handlung bekannt waren 665 • 661 Dahs, Absprachen im Strafprozeß, NStZ 1988, S.158; Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 137; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 27 a. 662 BGHSt43, 195 (210). 663 Vgl. nur: LR!Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 153 Rdnr. 54; KK!Schoreit, § 153 Rdnr.62; Kl!M, § 153 Rdnr. 37; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr.334b. 664 BGH, NJW 1963, 549; KK/Schoreit, § 153 a Rdnr. 63 f.; LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage, § 153 Rdnr. 85; Pfeiffer!StPO, § 153 a Rdnr. 9. 665 LR/Rieß , §§ 112-197, 24. Auflage, § 153 Rdnr. 85; KK/Schoreit, § 153a Rdnr. 63; Pfeiffer!StPO, § 153 a Rdnr. 9.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Ordnet das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Einstellung an, handelt es sich um eine das Verfahren abschließende gerichtliche Sachentscheidung, die auch die Staatsanwaltschaft bindet. Es tritt dann eine beschränkte Rechtskraftwirkung ein, die aber entfallt, wenn sich nachträglich herausstellt, daß die Tat nicht wie angenommen ein Vergehen, sondern ein Verbrechen darstellt666 • Fraglich ist jedoch, ob die Sperrwirkung nur dann entfallt, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel diese Qualifikation ergeben oder ob auch der bloße Subsumtionsirrtum bei der Einstellung ausreicht 667 • Umstritten ist ferner, ob bei Fortbestehen des Vergehenscharakters einer Tat eine erneute Strafverfolgung zulässig ist668 und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Wird eine Weiterverfolgung grundsätzlich für zulässig erachtet669 , wird einheitlich das Bekanntwerden neuer Tatsachen oder Beweismittel gefordert. Ob diese darüber hinaus eine andere rechtliche Qualifikation bewirken müssen 670 oder ob ein höherer Unrechts- oder Schuldgehalt genügt, wird hingegen unterschiedlich beurteilt. Größtenteils wird der Rechtskraftumfang von Einstellungsverfügungen aus den Rechtsgedanken der§§ 174, 211 StPO, 47 II JGG abgeleitet 671 • Für diese Auffassung spricht, daß der Gesetzgeber den Umfang der Rechtskraftwirkung eines Einstellungsbeschlusses nach § 135 II StPO bislang nicht geregelt hat, so daß er sich nur aus vergleichbaren Vorschriften ableiten läßt. Neue Tatsachen oder Beweismittel i. S. d. §§ 174, 211 StPO gestatten die Weiterverfolgung dann, wenn sie gegenüber der Einstellungsentscheidung erheblich sind672 • Das ist dann der Fall, wenn die neuen Tatsachen oder Beweismittel der Entscheidung von dem Rechtsstandpunkt aus, der ihr zugrunde lag, den Boden entziehen673 • Sieht die Staatsanwaltschaft nach § 154 I StPO von der Verfolgung einer Tat ab, so kann sie grundsätzlich, jedenfalls bei Vorliegen eines "sachlich einleuchtenden Grundes", die Ermittlungen jederzeit wieder aufnehmen674 • Die Beschränkungen 666 LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 153 Rdnr. 85; KK/Schoreit, § 153a Rdnr. 63; Kl/M, § 153 Rdnr. 37; HK!Krehl, § 153 Rdnr. 28; Pfeiffer!StPO, § 153 a Rdnr. 9. 667 Dazu: LR/Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 153 Rdnr. 85. 668 Dies ablehnend: KK!Schoreit, § 153 a Rdnr. 65; HK/Krehl, § 153 Rdnr. 28. 669 Kl/M, § 153 a Rdnr. 38; LR!Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 153 Rdnr. 85; Pfeiffer/StPO, § 153 a Rdnr. 9. 670 So: BayObLG, NJW 1965, 828 (829); LR!Meyer-Goßner, §§ 112-212b, 23. Auflage, § 153 Rdnr. 87. 671 LR/Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 153 Rdnr. 87; Kl!M, § 153 Rdnr. 38; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rdnr. 602; Roxin, Strafverfahrensrecht §50 Rdnr. 21; Kühne, Strafprozeßrecht, Rdnr.607. 612 LR!Rieß, §§ 112-197,24. Auflage,§ 153 Rdnr.88; Kl/M, § 174 Rdnr.6, §211 Rdnr.3; HK/ Julius, § 211 Rdnr. 5. 673 BGH, StV 1990,7. 674 BGHSt 30, 165; 37, 10 (13); Kl/M, § 154 Rdnr. 21 a; Rieß, Die Zukunft des Legalitätsprinzips, NStZ 1981, S.9.
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der Absätze 3 bis 5 des § 154 StPO gelten insofern nach der Fassung des Gesetzes nur für den Fall der vorläufigen Einstellung des Verfahrens durch das Gericht 675 • Damit läßt sich unter Beachtung der Maßstäbe des Bundesgerichtshofs für Absprachen festhalten, daß eine Abweichung von einer im Ermittlungsverfahren getroffenen Absprache nur dann zulässig ist, wenn eine Tat sich statt eines Vergehens als Verbrechen darstellt oder sich neue, also bis dahin unbekannte Umstände in Form von Tatsachen oder Beweismitteln zu Lasten des Beschuldigten herausstellen, deren Unkenntnis für die Entscheidung, eine Vereinbarung zu schließen, erheblich waren. Dieses Verständnis muß folgerichtig auch zur Konkretisierung des "sachlich einleuchtenden Grundes" bei dem Handeln der Staatsanwaltschaft entgegen einer versprochenen Einstellung nach § 154 I StPO gelten. Sollte ein solcher Fall eintreten, müssen die anderen Verfahrensbeteiligten davon unterrichtet und die Gründe für das Abweichen von der Vereinbarung dargelegt werden. Insofern ist der Hinweis besonders wertvoll, daß Zusagen, ein Ermittlungsverfahren in bestimmter Weise abschließen oder in der Hauptverhandlung Anträge innerhalb eines vertretbaren Strafrahmens stellen zu wollen, mit dem Vorbehalt versehen werden sollten, der weitere Verlauf des Verfahrens insbesondere der Durchführung der Beweisaufnahme müsse dies noch zulassen676 • dd) Folgen gescheiterter Absprachen Wendet man sich den Folgen gescheiterter Absprachen zu, muß eine Differenzierung zwischen fehlgeschlagenen Verständigungsanbahnungen einerseits und nichteingehaltenen Absprachen andererseits vorgenommen werden. Anerkannt ist, daß der Grundsatz des fairen Verfahrens das Verbot enthält, bei gescheiterten Verständigungsanbahnungen aus der bloßen Verständigungsbereitschaft des Beschuldigten unzulässige Folgerungen wie z. B. eine Indizwirkung für die Berechtigung des Schuldvorwurfs herzuleiten 677 • Für den Beschuldigten muß ein Wechsel von Kooperation zu Konfrontation gefahrlos möglich sein 678 • Auch der Fall, daß dem Beschuldigten ein Angebot zur Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldauflage nur durch eine Formularverwechselung der Geschäftsstelle unterbreitet wird, nachdem die Staatsanwaltschaft mit dem Beschuldigten und dessen Verteidiger nach einem Geständnis des Beschuldigten einen BGH, NStZ 1986, 469; BGHSt37, 10 (13). Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 140; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 28. 677 Kintzi, Verständigungen im Strafrecht, JR 1990, S. 310; Landau, Verfahrensabsprachen in Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 138; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rdnr. 28; Schmidt-Hieber, Die gescheiterte Verständigung, NStZ 1988, S. 303. 678 s. IV (S. 78 ff.). 673
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Strafbefehlsantrag vereinbart hatten 679 , fällt unter eine fehlgeschlagene Verständigungsanbahnung. Der Beschuldigte hatte seine Zustimmung zu der Verfahrenseinstellung erklärt, die Auflage erfüllt und sich in dem- nach Entdecken des Irrtums bei der Staatsanwaltschaft- anschließenden Verfahren auf das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses berufen. Eine Vereinbarung zwischen dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft ist nicht zustande gekommen, und es ist kein Verfahrenshindernis entstanden, weil es sich bei dem "Angebot" der Staatsanwaltschaft, das Verfahren einzustellen, nicht um einen auf gezielte Verfahrensgestaltung gerichteten Willensakt, sondern um ein Versehen gehandelt hat. Dieses Versehen war für den Beschuldigten auch ersichtlich, da er aufgrund seiner einschlägigen Vorverurteilung um das Strafmaß seiner Tat wußte und ihm und seinem Verteidiger ausdrücklich ein Strafbefehlsantrag in Aussicht gestellt worden war, so daß für Vertrauensschutz zu seinen Gunsten kein Raum war 680 • Beruht das "Angebot" der Staatsanwaltschaft auf einem derartigen Versehen, ist es verfahrensrechtlich unbeachtlich, und diese Unbeachtlichkeit kann gegenüber dem Beschuldigten jederzeit geltend gemacht werden. Das Abrücken von einer bereits getroffenen Absprache seitens der Staatsanwaltschaft (natürlich auch des Gerichts und des Beschuldigten) ist unter den oben genannten Voraussetzungen, also wenn sich die Tat plötzlich als Verbrechen darstellt oder sich neue Umstände ergeben, die für den Abschluß der Vereinbarung erheblich waren, möglich. Fraglich ist allerdings, welche Folgen ein zulässiges Abstandnehmen von der Absprache für ein von dem Beschuldigten zur Erfüllung der Absprache bereits abgegebenes Geständnis hat. Ein Verwertungsverbot für dieses als Vorleistung erbrachte Geständnis zu fordern, läßt sich mit den herausgearbeiteten Grenzen von Absprachen und dem geltenden Recht nicht in Einklang bringen. Eine Absprache kann Verbindlichkeit nur für den aktuellen Erkenntnisstand haben und wegen des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung - jedenfalls für erhebliche Veränderungen - keine Verbindlichkeit für die Zukunft beanspruchen. Die Verwertbarkeit des Geständnisses verstößt nach Aufassung der Rechtsprechung auch nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, da sich das Gericht nicht der Freiheit begeben dürfe, auf Grund besserer Einsicht die maßgeblichen Umstände anders zu gewichten und zu einer von der mitgeteilten Vorstellung abweichenden Entscheidung zu gelangen 681 • Damit trägt der Beschuldigte im Haupt- wie im Ermittlungsverfahren gleichermaßen das Risiko, daß sich nachträglich zu seinen Ungunsten Erkenntnisse herausstellen, die es der Staatsanwaltschaft erlauben, sich nicht mehr an die getroffene Vereinbarung zu halten und ihre "Gegenleistung" nicht mehr zu erbringen. Dem Beschuldigten bleibt dann nur noch die Möglichkeit, sein im Vertrauen auf die Absprache erbrachtes Geständnis zu widerrufen, womit er jedoch ebenfalls keine UnverBayObLG, NJW 2000, 968. BayObLG, NJW 2000, 968 (969). 68 1 BGHSt38, 102 (105). 679 68o
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wertbarkeit herbeiführen kann. Obwohl die vorgetragenen Gründe für den Widerruf in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind, ist es dem Gericht in einem späteren Verfahren nicht verwehrt, das Geständnis trotz des Widerrufs nach Überprüfung für glaubhaft zu halten und auch einer Verurteilung zugrunde zu legen 682. Eine andere Frage ist, welche Folgen ein nicht den Regeln entsprechendes Abweichen von einer Absprache hat. Zu denken ist dabei daran, daß die Staatsanwaltschaft entgegen ihrer Zusage bei unveränderten Umständen ein Verfahren nicht einstellt und weiterverfolgt, ihre erforderliche Zustimmung zu der versprochenen Einstellung plötzlich verweigert oder nicht, wie versprochen, von der Verfolgung der Tat nach §§ 154 ff. StPO absieht bzw. entsprechende Anträge nicht stellt. Als gravierendste Folge könnte ein Wortbruch der Staatsanwaltschaft ein Prozeßhindernis aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens begründen 683 . Prozeßhindernisse sind Umstände, die es ausschließen, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an über einen bestimmten Prozeßgegenstand mit bestimmten Prozeßbeteiligten mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. Sie wiegen so schwer, daß von ihrem Vorhanden- oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht wird 684. Prozeßhindernisse sind von Amts wegen und in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen685. Liegt ein solches vor, welches sich auf das ganze Strafverfahren bezieht, ist das Strafverfahren, jedenfalls wenn es sich um ein nicht behebbares Prozeßhindemis handelt, einzustellen. Soweit das Prozeßhindemis behebbar ist, ist die Einstellung nur vorläufig, und das Verfahren kann nach Schaffung der Prozeßvoraussetzungen fortgeführt werden 686. Neben den gesetzlich bestimmten Prozeßhindernissen können auch gravierende Verfahrensmängel ein Prozeßhindernis begründen, wenn sie nach dem aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzgebers so schwer wiegen, daß von ihrem Vorliegen die Zulässigkeit des Verfahrens im ganzen abhängig gemacht werden muß687. Es wird aber nahezu einhellig die Auffassung vertreten, daß Verstöße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens wegen der Weite und Unbestimmtheit des ihm zu682 BGHSt21, 285 (287); LR!Go/lwitzer, §§ 198-295, 24. Auflage,§ 261 Rdnr. 73; HK!Julius, § 261, Rdnr. 23; Beulke!Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen- BGHSt42, 191, JuS 1997, S. 1076. 683 Weiler, Irreparable Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren als Verfahrenshindemis, GA 1994, S. 573; Beulke/Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen- BGHSt42, 191 , JuS 1997, S. 1076; Ger/ach, Absprachen im Strafverfahren, S. 143. 684 BGHSt32, 345 (350); 36, 294(295);K//M,Einl. Rdnr. l43;HK/Kreh/,Einleitung, Rdnr.30. 685 BGHSt 6, 304 (306); 20, 292 (293); 22, 1 (2); 29, 94; Kl!M, Ein!. Rdnr. 150. 686 Kl!M, Ein!. Rdnr. 154. 687 BGHSt 15; 287 (290); 19, 273 (278); 24,239 (240); 26, 84 (91); 32, 345 (350); 35, 137 (140), 41,72 (75); Kl!M, Ein!. Rdnr. 146; KK/Pfeiffer, Einleitung Rdnr.l 3; bzgl. des Bruchs einer Zusage ebenso: Weiler, Irreparable Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren als Verfahrenshindemis, GA 1994, S. 573.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
grundeliegenden Rechtsstaatsprinzips aus Gründen der Rechtssicherheit keine Prozeßhindernisse zu begründen vermögen. Wollte man die Einleitung oder Weiterführung eines Strafverfahrens davon abhängig machen, daß bestimmte Umstände als Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bewertet würden, gingen die Konturen der Rechtsfigur des Prozeßhindernisses verloren688 • Dem ist zuzustimmen, da die Rechtswidrigkeit eines Verfahrens oder ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens von unterschiedlicher Qualität sind. Selbst der schwerste Verstoß gegen § 136 a StPO zieht nach allgemeiner Ansicht kein Verfahrenshindernis, sondern "nur" ein Beweisverwertungsverbot nach sich 689 . Nun wird aber vorgebracht, daß sich die Abwicklung einer rechtswidrig gebrochenen Zusage am "Erfüllungsschaden" zu orientieren habe. Das bedeute, der Beschuldigte sei so zu stellen, als hätte die Staatsanwaltschaft ihre Zusage eingehalten, was nicht durch Strafmilderung, sondern nur durch Nichtverurteilung wegen der Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs geschehen könne 690. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß der Staat in einem Strafverfahren keinen quasi-zivilrechtliehen Anspruch geltend macht, den er durch sein Verhalten verwirken kann 691 • Vielmehr besteht das Ziel eines Strafverfahrens nicht allein einseitig in der Durchsetzung des materiellen Strafrechts, sondern auch in der möglichst überzeugenden Klärung einer Verdachtssituation, und dieses Ziel würde durch die Einstellung eines Verfahrens wegen gravierender Verletzung der Verfahrensregeln obsolet. Es kann sogar gerade dann, wenn es zu Unregelmäßigkeiten im Verfahren gekommen ist, das besondere Bedürfnis bestehen, die relevanten Vorgänge im Zusammenhang mit einem angeblich unfairen Verhalten aufzuklären, womit also der Fairneßgrundsatz nicht vor einem Verfahren, sondern lediglich in einem Verfahren schützt692 • Vom Ergebnis her betrachtet, setzt gerade eine unter Umständen gebotene erhebliche Reduktion der Strafe die Durchführung eines Prozesses und nicht dessen sang- und klanglose Einstellung voraus 693 • Geht man nun davon aus, daß kein Verfahrenshindernis entsteht, ist zu überlegen, wie sich die Nichteinhaltung der Zusage dann überhaupt noch im Ermittlungsverfahren zugunsten des Beschuldigten niederschlagen könnte. Die Frage, ob das regelwidrige Abweichen von einer getroffenen Absprache ein Beweisverwertungsver688 BGHSt32, 345 (352); 37, 10 (13); 42, 191 (193); BGH, StV 1990, 295 (296); BVerfG, NJW 1984, 967; NStZ 1986, 178 (179); StV 1993, 352 (353f.); OLG Karlsruhe, StV 1986, 10 (II); LR!Rieß, §§ 1-71,25. Auflage, Ein!. Abschn. J Rdnr.55; Kl!M, Ein!. Rdnr. l48; KK!Pfeiffer, Einleitung Rdnr. 131; HK!Krehl, Einleitung Rdnr. 30. 689 Rieß, Verfahrenshindernisse von Verfasssungs wegen? JR 1985, S.47f. 690 Rieß, Verfahrenshindernisse von Verfasssungs wegen? JR 1985, S.48; Scheftler, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 18.4.1990, wistra 1990, S. 321. 691 BGHSt 32, 345 (350); 33, 283 (284); Weigend, Anmerkung zu Urteil des BGH v.18.4.1990, JR 1991 , S.258. 692 Beulke/Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen- BGHSt42, 191, JuS 1997, S. 1074. 693 Weigend, Anmerkung zu Urteil des BGH v. 18.4.1990, JR 1991, S. 258.
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bot 694 auslöst oder bloß einen, wenn auch wesentlichen, Strafmilderungsgrund695 zur Folge hat, stellt sich erst, wenn für den Beschuldigten keine Möglichkeit besteht, die Staatsanwaltschaft an ihr Versprechen zu binden. Die Strafprozeßordnung selbst sieht keinen Weg für den Beschuldigten vor, die Einhaltung eines zulässigen Einstellungsversprechens zu erzwingen. Da das Bedürfnis einer tatsächlich bindenden Zusage wegen des Ermessens der Staatsanwaltschaft, die bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen zwar das Recht, aber keineswegs die Pflicht zur Einstellung hat, nicht von der Hand zu weisen ist, wird vertreten, die Einstellungsverfügung sei jedenfalls in den Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft ohne Mitwirkung des Gerichts einstellen darf, als Justizverwaltungsakt anzusehen und ihr Erlaß daher nach §§ 23 II EGGVG vor dem Oberlandesgericht erzwingbar. Um einen Justizverwaltungsakt handele es sich beim Unterlassen der Einstellungsverfügung insofern, als daß dadurch die Pflicht konkretisiert werde, in einem Einzelfall eine Rechtsbeschränkung zu dulden. Das zulässige Versprechen, das Verfahren einzustellen, begründe aus der Zusage ein subjektiv-öffentliches Recht des Beschuldigten auf Einstellung. Dieses Recht werde durch das Unterlassen der Einstellung verletzt, so daß § 23 EGGVG greife und es ermögliche, die versprechensgemäße Einstellung vor dem Oberlandesgericht einzuklagen696 • Auf den ersten Blick scheint diese Lösung die dogmatisch sauberste zu sein. Gerade wegen der Forderung, die Versagung der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren gerichtlicher Überprüfung zu unterstellen 697 , scheint es nicht möglich, sich bei den unterlassenen Einstellungsversprechen mit der ganz vorherrschenden Auffassung entweder für eine unüberprüfbare Prozeßhandlung 698 oder zwar für einen Justizverwaltungsakt, aber für das Eingreifen der Subsidiaritätsklausel wegen der ausdrücklichen Regelung in§ 172 II S. 3 StPO für den Verletzten nach§ 23 IIIEGGVG 699 , jedenfalls im Ergebnis gegen eine gerichtliche Einklagbarkeil auszusprechen. 694 Für den Fall eines dissensbedingt fehlgeschlagenen Deals offengelassen: BGHSt42, 191 (193); bejahend: Beulke/Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen - BGHSt42, 191, JuS 1997, S.1076. 695 BGHSt32, 345 (355); 37, 10 (14); 42, 191 (194); BGH, StV 1990,295 (296);Nack, Verwertung rechtswidriger Ermittlungen nur zugunsten des Beschuldigten?, StraFo 1998, S. 369; Wesemannl Müller, Das gern. § 136 a Abs. 3 StPO unverwertbare Geständnis und seine Bedeutung bei der Strafzumessung, StraFo 1998, S. 114. 696 Kühne, Strafprozeßrecht, Rdnr. 603; ähnlich: Terbach, Rechtsschutz gegen die staatsanwaltliehe Zustimmungsverweigerung zur Verfahrenseinstellung nach§§ 153 II, 153a II StPO, NStZ 1998, S. 174; Heinrich, Die gerichtliche Nachprüfbarkeil von Entscheidungen der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Anklageerhebung, NStZ 1996, S.113. 697 s.IV2dff. (S.I62 ff.). 698 Speziell für den Fall der Verfahrenseinstellung: OLG Hamm, NStZ 1985, 472; OLG Karlsruhe, NStZ 1982, 434f.; KIIM, § 23 EGGVG Rdnr. 15; zur Unangreifbarkeil von Prozeßhandlungen allgemein vgl. die Nachweise auf S.l63. 699 LR/Schäfer, GVG, EGGVG, Anhang, 23. Auflage, § 23 EGGVG Rdnr. 51 a; KK/Kissel, § 23 EGGVG Rdnr. 32; Ger/ach, Absprachen im Strafverfahren, S. 136f.; allgemein dazu vgl. die Nachweise auf S.164 f.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Richtig ist sicherlich, daß allein aus der Qualifizierung als Prozeßhandlung kein Argument gewonnen werden kann, da sich hinter diesem Begriff eine Vielzahl von aus Einzelentscheidungen gewonnenen Merkmalen verbirgt, aus denen kein allgemeingültiger Rechtsgedanke entwickelt werden kann 700 • Allerdings ergeben sich, und das besonders im Vergleich mit dem Recht auf Akteneinsicht, ganz andere Bedenken gegen eine gerichtliche Einklagbarkeit des Einstellungsversprechens der Staatsanwaltschaft. Das Akteneinsichtsrecht ist ein gesetzlich eingeräumtes Recht, wohingegen der Beschuldigte ein solches Recht auf Einstellung des Verfahrens nicht hat. Seine Erwartung, das Verfahren gegen ihn werde eingestellt, beruht vielmehr "nur" auf einer Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft, die zwar, wie erwähnt, das Recht, aber nicht die Pflicht zur Einstellung hat. Es ist ein konstitutives Element von Absprachen, daß ihnen gerade keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, denn es liegt in ihrer, den Verfahrensbeteiligten wohl bekannten Natur, daß sie normativ nicht strukturiert sind und keine Rechtspositionen begründen 70 1• Unterläßt die Staatsanwaltschaft die Verfahrenseinstellung nach§§ 153 I, 153 al, 154 I, 154a I StPO, so besteht unbeschadet dieser Ausgangslage im Ermittlungsverfahren für das Gericht die Möglichkeit, das Verfahren auch nach Erhebung der Klage noch einzustellen bzw. eine Beschränkung der Strafverfolgung vorzunehmen. Diese Möglichkeit der Einstellung bedeutet für das Gericht die von der Initiative der Verfahrensbeteiligten unabhängige Pflicht darauf zu achten, ob sich eben diese Möglichkeit im Lauf des Verfahrens abzeichnet 702 • Bis dahin ist für den Beschuldigten eine insoweit getroffene und nicht eingehaltene Absprache noch nicht "unrettbar" verloren. Dann ist allerdings die Zustimmung, bzw. ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich, was dem Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft Rechnung tragen soW03 • Verweigert die Staatsanwaltschaft dann (endgültig) ihre Zustimmung, müßte, um diese zu ersetzen, eine Befugnis des Gerichts, ggf. aus Art. 19 IV GG, konstruiert werden, bei rechtswidriger Verweigerung der Zustimmung diese zu substituieren und das Verfahren gleichwohl einzustellen704 • So unerfreulich ein wortbrüchiges Verhalten seitens der Staatsanwaltschaft auch ist, so dürfen als Konsequenz doch trotzdem nicht ihre Entscheidungskompetenzen und ihre Verfahrensherrschaft im Ermittlungsverfahren beschnitten werden. Der Staatsanwaltschaft kann die sich aus ihrem Anklagemonopol ergebende Verantwortung nicht vom Gericht abgenommen werden. Darauf würde aber die gerichtliche 700 Terbach, Rechtsschutz gegen die staatsanwaltliehe Zustimmungsverweigerung zur Verfahrenseinstellungnach §§ 153 II, 153 a II StPO, NStZ 1998, S. 174. 701 Kintzi, Verständigungen im Strafverfahren- steht die Diskussion vor dem Abschluß?, FS für Hanack, S. 188. 1o2 Kl!M, § 153 Rdnr. 22. 703 BGHZ 64, 347 (350); KK/Schoreit, § 153 Rdnr. 50; Kl/M, § 153 Rdnr. 26. 704 So: Terbach, Rechtsschutz gegen die staatsanwaltliehe Zustimmungsverweigerung zur Verfahrenseinstellung nach §§ 153 II, 153 a II StPO, NStZ 1998, S. 176.
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Durchsetzbarkeil einer abgegebenen Einstellungszusage hinauslaufen. Auch wenn nach der hier vertretenen Ansicht die Rechte des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren in Anbetracht seiner gewandelten Bedeutung gestärkt werden müssen, soll an der grundsätzlichen Rollenverteilung im Vorverfahren nicht gerüttelt werden. Zu berücksichtigen ist ferner, daß die Befugnis der §§ 153 ff. StPO den Strafverfolgungsorgauen anerkanntermaßen nicht im Interesse des Beschuldigten gegeben worden ist, "sondern damit Staatsanwaltschaft und Gericht nicht gezwungen sind, Zeit und öffentliche Mittel zu vergeuden, die wegen der Geringfügigkeit des Gegenstandes diesen Aufwand nicht rechtfertigen" 705 , wenn auch die kriminalpolitische Funktion in zunehmendem Maße außerdem darin gesehen wird, daß sie als prozessuales Mittel der Entkriminalisierung dienen und den Gedanken der Diversion aufnehmen706. Die Folge einer Absprache, die durch regelwidriges Nichteinhalten seitens der Staatsanwaltschaft gescheitert ist, darf ebensowenig deren Einklagbarkeil sein, wie es einen gerichtlich überprüfbaren Anspruch des Beschuldigten auf Einstellung seines Verfahrens geben kann. Interessant ist jedoch, daß die mangelnde Justitiabilität der Nichtverfolgung grundsätzlich durch die übereinstimmende Beurteilung der Sache durch Staatsanwaltschaft und Gericht ausgeglichen wird. Dadurch wird zugleich den Gefahren einer ungleichmäßigen Rechtsanwendung und der Gewährleistung des Sanktionsanspruchs der Rechtsgemeinschaft Rechnung getragen sowie der eigentliche Sondercharakter der Vorschrift gegenüber dem Grundsatz der Verfolgungspflicht betont707. Bei einer Reform des Ermittlungsverfahren sollten diese Überlegungen zu einer auf alle Einstellungsmöglichkeiten ausgedehnten Mitwirkungspflicht des Gerichts führen. Es bleibt jedoch zu klären, welche Auswirkungen eine regelwidrig gebrochene Absprache, wenn sie kein Prozeßhindernis hervorruft und auch nicht einklagbar ist, noch haben kann. Nähme man ein Beweisverwertungsverbot an, würde man an das "nur" regelwidrige Verhalten der Staatsanwaltschaft die Rechtsfolge knüpfen, die im Falle des Vorliegens von § 136 a StPO entsteht. Denn es kann nicht in Frage stehen, daß einem Beschuldigten, der durch eine bewußte Täuschung über den Willen zur Einhaltung der Absprache, durch Drohung oder Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils ein Geständnis erbracht hat, dann § 136 a III S. 2 StPO zugute kommen muß. Für den Fall, daß eine Absprache unter Nichtbeachtung des§ 136a StPO geschlossen wurde, darf das durch die Absprache provozierte Aussageverhalten für den Beschuldigten keine prozeßrechtlich nachteiligen Folgen haben. BGHSt 16,225 (229); BVerfGE51, 176 (183); BayObLG, NJW 1991, 1765 (1766). LR/Rieß, §§ 112-197, 24. Auflage,§ 153 Rdnr.l. 101 LR/Rieß, §§ 112- 197, 24. Auflage,§ 153 Rdnr. 2, 5, 36. 705
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Es bleibt dann für den Fall des regelwidrigen Abstandnehmens von einer Vereinbarung nur die Forderung, daß die gescheiterte Absprache bei der Strafzumessung erheblich strafmildernd berücksichtigt werden muß. Scheitern kann eine Absprache allerdings auch aufgrundeines bei deren Abschluß nicht entdeckten und sich erst später offenbarenden Mißverständnisses, ohne daß Anhaltspunkte für eine Täuschung oder Irreführung des Beschuldigten vorliegen 708 • Im Hinblick auf ein bereits abgegebenes Geständnis des Beschuldigten stellt sich die Frage nach dessen Verwertbarkeit. Der Bundesgerichtshof hat dazu in einem Fall eines versteckten Dissenses bei Abschluß einer Vereinbarung noch nicht eindeutig Stellung genommen, ist aber davon ausgegangen, daß der vom Landgericht gefaßte Beschluß, die Geständnisse nicht zu verwerten, "den Grundsätzen eines fairen Verfahrens entsprochen haben mag", ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten liege darin jedenfalls nicht109 • Um zu der Annahme eines unselbständigen Beweisverwertungsverbots zu gelangen, hätte ein Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften festgestellt werden müssen, was wegen des Fehlens jeglicher Anhaltspunkte für eine Täuschung oder Irreführung oder das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils gerade nicht der Fall war7 10• Als Grundlage für ein selbständiges Beweisverwertungsverbot kommt dann nur noch ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens in Betracht711 , den der Bundesgerichtshof in bezug auf Absprachen insofern inhaltlich konkretisiert hat, als der Schutz des Vertrauens des Angeklagten es gebiete, daß er nicht in seinen Erwartungen enttäuscht wird, die das Gericht selbst erst geweckt hat 712• Im Hinblick auf die ungleiche Risikoverteilung beim Scheitern einer Absprache wird daher die Annahme eines Verwertungsverbots gefordert, solange der Dissens, auf dem das Mißverständnis zwischen den Abspracheteilnehmern beruht, und die Verantwortung dafür zumindest auch bei der Staatsanwaltschaft und dem Gericht zu suchen sei. Es bestehe kein sachlicher Grund, dem Beschuldigten das alleinige Risiko des Scheiteros der Absprache aufzubürden. Eine andere Entscheidung widerspräche dem aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ableitbaren Prinzip der "Waffengleichheit", und das Gebot der Faimeß gebiete es, mit Hilfe eines Beweisverwertungsverbots den Zustand wiederherzustellen, der vor der Absprache bestanden habe 713 • Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß bei dem Beschuldigten zwar Vgl. zur Fallkonstellation: BGHSt42, 191 ff. BGHSt42, 191 (193). 710 Beulke/Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen- BGHSt42, 191, JuS 1997, S. 1075; Kintzi, Verständigungen im Strafverfahren- steht die Diskussion vor dem Abschluß?, FS für Hanack, S. 186. 711 Beulke!Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen- BGHSt42, 191, JuS 1997, S.1075. 7 12 BGHSt36, 210 (216). 7 13 Beulke/Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen - BGHSt42, 191, JuS 1997, S.1076. 708
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tatsächlich die konkrete Erwartung hervorgerufen wurde, die getroffene Vereinbarung werde wortgetreu umgesetzt, ein erkennbares Verschulden aufseitender Justizorgane lag jedoch nicht vor. Sie sahen sich nach Aufdeckung des Mißverständnisses an der Einhaltung des Versprechens aus sachlichen Gründen gehindert, so daß ihr Reaktionspotential auf die Aufklärung des Mißverständnisses begrenzt war714 • Die Argumente, die bereits gegen eine Einklagbarkeil (sogar) regelwidrig gebrochener Absprachen, gegen ein dann anzunehmendes Beweisverwertungsverbot und für eine Strafmilderung herangezogen wurden, greifen auch Platz, wenn die Absprache ohne vorwerfbares Verschulden seitens der Justizorgane scheitert. Die Folge einer wegen eines versteckten Dissenses gescheiterten Absprache ist also auch, daß ein bereits abgegebenes Geständnis verwertbar bleibt, es aber erheblich strafmildemde Berücksichtigung finden muß. Anzumerken ist, daß sich ein derartiger Dissens bei Beachtung der oben genannten Zulässigkeitskriterien, nämlich durch ein schriftliches Festhalten des Ergebnisses der Absprache in den Akten, relativ zuverlässig vermeiden ließe.
c) Regelungsbedarf Es bleibt die Frage zu klären, ob die aufgestellten Regeln für Absprachen im Ermittlungsverfahren überhaupt, und wenn wie, normiert werden sollten. Angesichts der großen Verbreitung von Verfahrensabsprachen und zur Gewährleistung einer weitgehenden Gleichmäßigkeit staatsanwaltliehen Handeins wird teilweise eine normative Regelung gefordert. Absprachen ohne feste Regeln seien vergleichbar einem Spiel ohne Regeln, das unkalkulierbare Risiken für alle Beteiligten berge und der Rechtsordnung zumindest im Strafrecht fremd sei715 • Der Gesetzgeber dürfe sich angesichts der möglichen prozessualen Verwicklungen und Verwirrungen, die durch Absprachen entstehen könnten, seiner Regelungsverantwortung nicht entziehen und sei daher aufgerufen, die für die Praxis offenbar unverzichtbar gewordenen Absprachen in dem von der Rechtsprechung vorgezeichneten verfassungsrechtlich noch akzeptablen Rahmen in der Strafprozeßordnung festzuschreiben und so eine verläßliche Grundlage für das zukünftige Strafverfahren zu schaffen 716• Fraglich ist allerdings, was der Gesetzgeber in diesem Bereich, der sich naturgemäß einer bis in Detail gehenden Normierung entzieht, leisten kann, da die tragenden Grundstrukturen des Strafprozesses und des Schuldstrafrechts den äußeren 714 Kintzi, Verständigungen im Strafverfahren - steht die Diskussion vor dem Abschluß?, FS für Hanack, S.l87. 71 S Koch, Absprachen im Strafprozeß, ZRP 1990, S. 251. 716 Wo/ter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 78; Beu/ke/Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen- BGHSt42, 191 , JuS 1997, S. 1080; Koch, Absprachen im Strafprozeß, ZRP 1990, S. 251; Schmidt-Hieber, Absprachen im Strafprozeß- Privileg des Wohlstandskriminellen?, NJW 1990, S. 1884.
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
Rahmen, in dem sich Verfahrensabsprachen abspielen können, bereits abgesteckt haben 717 • Zudem wird vermutet, daß jede Normierung von konsensualem Verhalten die Gefahr der Zweiteilung des deutschen Strafverfahrens in der Form nach sich ziehe, daß Wahrheitstindung einerseits nach einem förmlichen Programm und andererseits nach vereinfachten kooperativen Verfahren, bei denen die Beteiligten zur besseren Ausnutzung ihrer Ressourcen auf die Austragung eines Konflikts verzichten, stattfinden würde. Damit wäre ein Konfliktlösungsmodell zur Erzielung einer effizienten "Gerechtigkeit" geschaffen 718 • Zuzustimmen ist dem Argument, daß es einen gravierenden Unterschied macht, ob Verständigungen in der Praxis ohne gesetzliche Regelung stattfinden und sich damit zweifelsfrei an den allgemeinen Prozeßrechtsgrundsätzen messen lassen müssen, oder ob die Strafprozeßordnung eine echte Zweiteilung erfahrt. Eine detaillierte und umfangreiche Ausgestaltung eines damit gänzlich neuen Verfahrenstypus hätte den systemimmanten Zwang zur Folge, daß aus der bloßen Möglichkeit, ein Verständigungsverfahren anzustreben, aufgrund gesetzlicher Regelung sogar eine rechtlich überprüfbare Notwendigkeit werden könnte, diesen Verfahrensweg zu beschreiten. Was als Chance gedacht ist, würde zu einem Druckmittel werden, das von der ständigen Forderung nach möglichst verfahrensökonomischer Erledigung noch verstärkt würde 719 • Die zwanglose Beschreitung eines kontradiktorischen Verfahrens oder die Rückkehr zu einem solchen wird nur gewährleistet, wenn gerade keine gesetzliche Detailregelung erfolgt. In Betracht kommt allerdings die Regelung der Rahmenanforderungen, die an zulässige Absprachen zu stellen sind, innerhalb der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, die sich vornehmlich an den Staatsanwalt wenden. Eindeutiger Adressat der für Absprachen erarbeiteten Leitlinien ist der Staatsanwalt, der damit die Person ist, über die eine Strukturierung der Absprachen im Strafprozeß und besonders im Ermittlungsverfahren am ehesten erfolgen könnte 720 • Ihm obliegt schon aufgrund seiner rechtsgeschichtlichen Tradition eine Art Gesetzeswächterfunktion, die auch in Nr. 127 RiStBV, in der es heißt, daß der Staatsanwalt darauf hinzuwirken hat, daß das Gesetz beachtet wird, zum Ausdruck kommt. Damit ist die Verpflichtung impliziert, über eine rechtsförmige Gestaltung auch von Vereinbarungen zu wachen 721 • Als Argument gegen die alleinige Änderung der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren ist im Jahr 1992 vorgebracht worden, es liege keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so daß Verwaltungsvorschriften keine gesicherte Basis bieten könnten, um der Praxis eine klare Orientierung zu vermitteln. Die Landesjustizverwaltungen könnten sich wegen der beschränkten VerLandau, Verfahrensabsprachen im Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995, S. 140. Kintzi, Verständigungen im Strafrecht, JR 1990, S. 316. 7 19 Kintzi, Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 1992, S. 248. 72 Koch, Absprachen im Strafprozeß, ZRP 1990, S. 252. 721 Kintzi, Verständigungen im Strafrecht, JR 1990, S. 316. 717 71 8
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3. Kooperation im Ermittlungsverfahren
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bindlichkeit der Verwaltungsvorschriften dem Risiko aussetzen, von der Rechtsprechung korrigiert zu werden 722 • Diese Lage hat sich geändert. Durch das grundlegende Urteil des Bundesgerichtshofs 723 ist eine so klare Linie vorgezeichnet, daß eine Schaffung von Richtlinien durchaus möglich und wünschenswert erscheint. Mit der Aufnahme der Zulässigkeitskriterien von Absprachen und dem Hinweis auf die Folgen deren Nichtbeachtung in die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren würde eine gleichmäßige und verläßliche Handhabung staatsanwaltlicher Vorgehensweise sowie die Sicherung von Transparenz und der Einhaltung tragender Grundprinzipien des Strafprozesses erreicht, aber gerade kein Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf konsensorientierte Erledigung begründet. Übedegenswert erscheint in diesem Zusammenhang der Vorschlag, zumindest auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten ein Rechtsgespräch über die Sach- und Rechtslage vor Abschluß der Ermittlungen in der Strafprozeßordnung zu etablieren 724, wobei von einer Art "informellem Verdachtsinterlokut" oder "Vorschlußgehör" gesprochen wird725 • Richtig ist sicherlich, daß Institute wie ein wieder einzuführendes Schlußgehör oder ein Zwischenverfahren mit verstärkten Teilhaberechten jedenfalls zu spät kämen, da es darauf ankommen muß, eine Anklage zu vermeiden und eine Weichenstellung in Richtung einer, soweit möglichen, Einstellung des Verfahrens vorzunehmen 726 • Zur Begründung der Einführung eines Rechtsgesprächs wird angeführt, daß ein solches in sämtlichen Verfahrensordnungen verankert sei und zwar unabhängig davon, ob deren Gegenstand der Parteidisposition unterliege oder nicht 727 • In Anlehnung an die zivilprozessualen Vorschriften§§ 139, 278ZPO wird für das Hauptverfahren vorgeschlagen, in § 265 StPO ein Rechtsgespräch über den "Sach- und Streitstand" sowie über die "tatsächliche und rechtliche Seite" vorzuschreiben, das sich dann gegebenenfalls auf das Vor- und Zwischenverfahren auswirken könnte 728 • Die zwingende Anordnung eines Rechtsgesprächs würde sich jedoch als Schritt in die falsche Richtung erweisen, denn ob überhaupt die Möglichkeit zu Kooperation besteht, hängt neben den Besonderheiten eines jeden Verfahrensgegenstandes in demselben Maß von dem persönlichen Verhältnis der Prozeßbeteiligten zueinander Kintzi, Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 1992, S. 248. BGHSt43, 195ff. 724 Vgl. auch: Dokumentation: Eckpunkte einer Reform des Strafprozesses, Diskussionspapier der Regierungskoalitionen, abgedruckt in: StV 200 I, S. 315. 725 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 90. 726 Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007, S. 90 f. 727 Schmidt·Hieber, Absprachen im Strafprozeß- Privileg des Wohlstandskriminellen?, NJW 1990, S.1887. 728 Baumann, Von der Grauzone zur rechtlichen Regelung, NStZ 1987, S. 161 f.; ähnlich: Braun, Vorschlag für eine Abspracheregelung im Strafverfahren, StraFo 2001, S. 78, der ein Abspracheverfahren als zwingend zu durchlaufendes Verfahrensstadium verankern möchte. 722
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IV. Ziel dieser Arbeit: Die Reform des Ermittlungsverfahrens
ab. Stehen sich diese unversöhnlich und schweigend gegenüber, wäre ein ihnen aufgezwungenes "Rechtsgespräch nicht mehr als eine verfahrensverzögernde Farce" 729 • In die Richtung der Verankerung eines Rechtsgesprächs geht ebenfalls der Gesetzesvorschlag der Strafrechtskommission des 58. Deutschen Juristentages. Dieser wurde nur hilfsweise unterbreitet, weil eine gesetzliche Regelung grundsätzlich nicht befürwortet wurde, und sah vor, daß das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten die Sach- oder Rechtslage bereits vor der Hauptverhandlung erörtern kann730• Auch wenn ein so in die Strafprozeßordnung aufgenommenes Rechtsgespräch dem Ansehen von Verständigungen durchaus zugute kommen könnte, da ein "offizieller" Gesprächstermin nicht mehr den Anschein von Mausehelei hätte, sprechen doch gute Gründe gegen die Einrichtung eines solchen Instituts. Zum einen könnte bereits die Normierung eines Rechtsgesprächs als konkreter Einstieg in einen anderen, zweigeteilten Strafprozeß (miß-)verstanden werden 731 ; und zum anderen: welchen Nutzen würde eine fakultative Festschreibung haben? Den an einer kooperativen Verfahrenserledigung Interessierten steht auch ohne gesetzliche Einräumung jederzeit die Möglichkeit offen, das Gespräch miteinander zu suchen. Für diejenigen, die keine Veranlassung zu Kooperation sehen, ändert das fakultativ gesetzlich vorgesehene Rechtsgespräch nichts. Im Gegenteil, ihre Position würde eher verschlechtert, da sie sich einem Begründungszwang und dem Anschein der Voreingenommenheit aussetzen würden, wenn sie den an sie herangetragegenen Kooperationswunsch ablehnen würden. Wegen des grundsätzlich streitigen Charakters des Ermittlungsverfahrens muß die Ablehnung von Kooperation und die damit verbundene Wahrnehmung der jedem zustehenden Rechte jedoch nie begründet werden. Die gesetzliche Verankerung eines Kooperationsgesprächs in der Strafprozeßordnung empfiehlt sich daher nicht. Diejenigen, die den Weg der Kooperation beschreiten möchten, finden auch ohne gesetzliche Regelung den Weg zueinander.
729 Schmidt-Hieber, Absprachen im Strafprozeß - Privileg des Wohlstandskriminellen?, NJW 1990, S. 1887. 730 58. Deutscher Juristentag: Die Beschlüsse, NJW 1990, S. 2994; ebenso: Schmidt-Hieber, Absprachen im Strafprozeß- Privileg des Wohlstandskriminellen?, NJW 1990, S. 1887. 731 Kintzi, Verständigungen im Strafverfahren- steht die Diskussion vor dem Abschluß?, FS für Hanack, S. 189f.
Schlußbetrachtung Am Ende dieser Überlegungen steht die Erkenntnis, daß sich ein kooperatives und kontradiktorisches Ermittlungsverfahren gegenseitig bedingen. Wenn das Ermittlungsverfahren, wie festgestellt, den Verfahrensgegenstand weitgehend bestimmt und prägt, schlagen die gegenwärtigen Defizite der Beschuldigten- und Verteidigerrechte direkt auf das Ergebnis des Verfahrens durch. Damit kann es nicht zu jener Garantie der Wahrheitsfindung kommen, die nach der Konzeption der Strafprozeßordnung in einer kontradiktorischen Hauptverhandlung mit weitaus stärker ausgeprägten Verteidigungsrechten zu finden ist'. Nur die Vorverlagerung bestimmter Sachaufklärungen in das Ermittlungsverfahren und die Einräumung einer stärkeren Rechtsposition durch die aufgestellten Reformforderungen, trägt der verfahrensprägenden Kraft des Ermittlungsverfahrens Rechnung. Ein Ermittlungsverfahren, das von einer Verstärkung der Teilhaberechte und damit von einer größeren Einflußnahme der Verteidigung geprägt ist, führt im Ergebnis eher zu einer Entlastung als zu einer weiteren Belastung der Justiz: Fehler im Ermittlungsverfahren vermeiden und ggf. Kooperation in die Wege leiten heißt Abkürzung oder Vermeidung von Hauptverhandlungen. Durch die Schaffung von ansatzweise ausgeglichenen Machtverhältnissen werden auch erst die Chancen auf eine faire Kooperation eröffnet. Werden Absprachen durch die Regelung der Zulässigkeitsvoraussetzungen, wenn auch "nur" in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, so doch offiziell geregelt, müssen die Verteidigungsrechte des Beschuldigten erweitert werden. Denn allein auf der Grundlage dieser gesetzlich fest verankerten kontradiktorisehen Rechte lassen sich die Elemente des Konsenses und der Kooperation sinnvoll verwirklichen. Daher erscheint die hier vorgeschlagene Reform der Untersuchungshaft, die Erweiterung der Teilhaberechte neben einer vorsichtigen Regelung der Kooperation durch Richtlinien als der aussichtsreichste Ansatz zu einer Reform des Ermittlungsverfahrens. Damit ist keine revolutionäre Umgestaltung oder Schaffung eines völlig neuen Prozeßmodells verbunden, was einen ,,konservativen Ruck" und den - in einer für 1 Schünemann, Die Verständigung im Strafprozeß- Wunderwaffe oder Bankrotterklärung der Verteidigung, NJW 1989, S.1902.
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Schlußbetrachtung
Reformvorhaben ohnehin schlechten Zeit2 - Entschluß auslösen könnte, "sich nicht auf ungewisse Experimente einzulassen und statt dessen an einem vielleicht unzulänglichen, aber über hundert Jahre hinweg wenigstens in seiner praktischen Funktionsfähigkeit bewährten Prozeßmodell festzuhalten" 3 • Zum einen wird gerade ein nicht streng zweigeteiltes Verfahrensmodell vorgeschlagen, und zum anderen sind nahezu alle hier vorgestellten Reformforderungen keine neuartigen Experimente. Sie finden sich fast ausnahmslos -von der Integration der Verfahrensabsprachen abgesehen- schon in den frühesten Überlegungen zu einer Reform des Strafprozesses wieder4 • Diese Quellen erweisen sich als wahrer Fundus und rückblickend betrachtet als zukunftsweisend für die Ansätze einer heutigen Reform des Ermittlungsverfahrens. Der moderne Gesetzgeber wäre gut beraten, sich diese wohldurchdachten und ausgiebig beratenen Entwürfe zum Vorbild zu nehmen, sollte er die notwendige Reform des Strafverfahrens wirklich in Angriff nehmen. Unter Beachtung der dargestellten Forderungen müßte Strafprozeßreform sicher nicht als "Begriff, der großes Unheil ankündigt" 5 verstanden werden.
2 Auch wenn sich die derzeitige Bundesregierung zum Ziel gesetzt hat, "den in den letzten Jahren mit Recht zunehmend beklagten Reformstau im Bereich der Rechtspolitik durch umfassende Reforminitiativen aufzulösen": Däubler-Gmelin, Überlegungen zur Reform des Strafprozesses, StV 2001, S. 359. l Schünemann, Reflexionen über die Zukunft des deutschen Strafverfahrens, FS für Gerd Pfeiffer, S. 482. 4 Vgl. besonders bei: Aschrott, Reform des Strafprozesses (1906). 5 So: Albrecht, Vom Unheil der Reformbemühungen im Strafverfahren, StV 2001, S.416.
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Sachwortverzeichnis 6. Strafrechtsreformgesetz 54 33. Strafrechtsänderungsgesetz 54, 67 Abschaffung Beweisantragsrecht 23 Abschluß der Ermittlungen 51, 114, 148, 154,158,162, 164f., 168,173,175,197, 229 Absprachen 206ff., 231 Akteneinsichtsrecht 21, 30, 63, 66, 148 ff., 155, 157, 161 f., 167f., 169f., 202,209, 223f. Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten 63, 170ff., 194 Akteneinsichtsrecht des Verletzten 40 Anlaßdelikte der Untersuchungshaft 85, 105 Anwesenheitsrecht des Verteidigers 115 ff. Aussageverweigerung 112, 117 f. Ausschließung des Verteidigers 33 Autonomieprinzip 190 Belehrungspflichten 1179 f. Benachrichtigungspflicht 45, 114, 135 ff., 140, 143ff., 149f. Benachrichtigungsversuch 140 Bescheidungs- und Begründungspflicht 169f. Beschleunigtes Verfahren 18, 50, 51, 53, 66, 107f., 111 Beweiserhebungsanspruch 192, 194 ff., 198 Beweisstücke 150f., 159 Datenschutz 52, 63, 66 Dauer der Untersuchungshaft 30, 81 , 84 f., 92, 94, 100ff. Deckert-Urteil 50 DNA-Analyse 52, 60f., 66
DNA-Identitätsfeststellungsgesetz 60 f., 67 Doppelakten 93, 102, 200 Eigene Ermittlungen des Verteidigers 203ff. Einführung des§ 136a StPO 28, 66 Einführung des § 153 a StPO 32 Einführung des§ 154d StPO 21 Einführung des § 153 a StPO 32, 65 Einsatz technischer Mittel 44 f., 64 Einstellungsquote 77, 85 Einstellungsversprechen 223 ff. Elektronischer Hausarrest 100 Emminger-Reform 20, 65 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege 175, 189, 210 Entwurf Schiffer 19 Ermittlungsfehler 77, 114, 118, 129, 231 Erste Gesetz zur Ergänzung des Strafverfahrensreformgesetzes 1974 33 Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrens 1974 32, 66, 76, 198 Erteilung von Aktenauskünften 64 Fahndung in der Öffentlichkeit 63 Fluchtgefahr 42, 83, 86, 89, 98, 100, 103 f., I 06,108 Formeller Beschuldigtenbegriff 121 Frage- und Beanstandungsrecht 140 ff. Freispruchsquote 77, 114 Friedensrichter- und Schiedmannsordnung 25 Gefährdung durch zeitliche Verzögerung 124, 136ff., 147 Gegenüberstellung 132 ff. Geldwäschegesetz 49, 67 Gerichtshilfe 32, 91 f. Gesetz gegen Gewohnheitsverbrecher 22
248
Sachwortverzeichnis
Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung 1997 53, 67 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption 54f., 67 Großer Lauschangriff 58 f. Grundsatz der Unmittelbarkeit 69 Guilty-plea-Verfahren 215 Haftgrund der Tatschwere 86, I 03 ff., 109 Haftprüfung 21, 30, 87, 89ff., 93f., 101, 103, 115 Haftrechtsnovelle 321 Haftverschonung 29, 87f., 100 Hauptverhandlungshaft 51, 51, 53, 80, 107ff. Hinreichender Tatverdacht 198, 201 Höchstgrenze Untersuchungshaft I 01 ff. Identitätsfeststellung 36, 130f., 132
Polizeiliche Beschuldigtenvernehmung 112, 115ff., 181 Prozeßhindemis 221 f., 225 Prozeßkostenhilfe 192 f. Rasterfahndung 44 Rauschgifthandel 43, 49f., 58, 67, 104 Recht auf informelle Selbstbestimmung 37,52 Rechtsgespräch 229 f. Rechtspflegeentlastungsgesetz 37, 43, 46f., 65 Reform der Hauptverhandlung 76f. Reichsjustizgesetz 17 Reichstagsbrandprozeß 24 Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren 228, 231 Rügepräklusion 36,
Obligatorische Verteidigung 191 Opferanspruchsicherungsgesetz 57 f. Opferanwalt 57, 67 Opferentschädigung 34, 67 Opferschutzgesetz 39f., 41, 44, 67, 167f. Organisierte Kriminalität 43, 46, 49, 59, 67, 104
Sachverständiger 115,120ff.,l24,126ff., 136, 150, 162, 192 Schleppnetzfahndung 37 Schlußgehör 32, 112, 229 Schuldstrafrecht 72 Selbstleseverfahren 36, 51 Sicherung des Strafverfahrens 97 ff. Sicherungshaft 83, 106f. Sondergerichte 23 Sonderopfer 84 Spurenakten 149f. Strafbefehlsverfahren 42, 48, 69, 110, 206,209,216,220 Strafprozeßänderungsgesetz 1964 29, 66, 76 Strafprozeßänderungsgesetz 1986 37 f. Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 36f., 41 ,65 Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 41, 180 Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 63f., 66,163,168,17lff. Strafzweck 71, 96, 107 f. Suggestivfragen 129, 141
Pflichtverteidiger 41, 88, 90, 174ff. Polizeiliche Beobachtung 46
Täter-Opfer-Ausgleich 49, 62, 67,210 Täterstrafrecht 71 f.
Justizmitteilungsgesetz 52 Kaution 89,99 Konfrontation 79,219 Kontaktsperre 35, 66, 162 Kontrollstellen 36 Kooperation 79, 205f., 210,219, 229ff. Kronzeugenregelung 35, 38 f., 42 f., 51 Legalitätsprinzip 18, 212 Lex Höfle 20 Mainzer-Modell 56 Nationalsozialismus 22, 27 Notwendige Verteidigung 27, 41, 174, 190f. Novellengesetzgebung 31, 65, 68 f., 74
Sachwortverzeichnis Tatstrafrecht 71 f., 107 Terrorismus 33 f., 36, 38, 43, 66 f. Unschuldsvermutung 79, 82f., 96, 104, 106f., 212 Unterbrechung der Vernehmung 181 ff. Untersuchungshaftzweck 53, 80, 82f., 97f., 103f., 108, 113 Verbot der Mehrfachverteidigung 33, 41 Verbrechensbekämpfungsgesetz 43, 49ff., 66f., 104, 215 Verdeckte Ermitt1er 44 f. Verdunkelungsgefahr 42, 98, 100ff. Vereinfachtes Hauptverfahren 73 Vereinheitlichungsgesetz 28 Verfahrenseinstellung 21, 29, 47, 49, 62, 76f., 85, 209ff., 213,215, 217ff., 22ff., 229 Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft 30, 83 f., 94 ff., 104 Vernehmung eines Mitbeschuldigten 120ff. Vernehmungsprotokolle 119 f., 126, 129f., 141 ff., 162 Vernehmungstaktik 119 Verschlußsachen 153 Verteidigermitwirkung bei Untersuchungshaft 87ff. Verteidigernotdienst 90, 183 f., 186 Verwarnung mit Strafvorbehalt 72, 110, 210
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Verwertungsverbot in der Hauptverhandlung 143ff., l87ff., 201 ff., 220, 222, 225f. Videotechnik SSff., 150 Volksgerichtshof 24 Vollzugsaussetzung 98 f. Vorläufiger Strafantritt 102 f. Vorsprung der Strafverfolgungsorgane 119, l65f. Voruntersuchung 19, 22f., 26f., 76, 111, 121, 158, 198 Waffengleichheit 19,39,115,117, 131, 226 Wahrnehmungsverfälschungen 129 Weimarer Republik 18, 20 Widerruf eines Geständnisses 220 f. Wiedergutmachung 40, 49, 62, 210 Wiederholungsgefahr 23, 31, 83 f., 86, 98, 101, 103, 105ff. Wiedervereinigung 47,68 Zentrale Reformvorschläge 74 Zeugenschutz 44, 55 f., 57 Zeugenschutzgesetz 55 Zeugenvernehmung 127 ff. Zeugnisverweigerungsrecht 33 f., 46, 60 Zulässigkeilsschwelle für Untersuchungshaft 95, 98 Zweiteilung der Hauptverhandlung 74 Zwischenverfahren 198, 229