Anschlag auf Olympia: Was 1972 in München wirklich geschah 3806244200, 9783806244205

Olympische Spiele 1972: Als der internationale Terrorismus nach Deutschland kam Ein »Fest des Friedens« begeistert die

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
04:20 bis 5:22 Uhr: Überfall
VORSPIEL
1965 bis 1970: Hoffnung
1970 bis 1972: Sicherheit
26. August bis 4. September: Freude
DRAMA
05:25 bis 08:15 Uhr: Forderung
08:35 bis 11:15 Uhr: Verhandlung
11:20 bis 17:21 Uhr: Zeitgewinn
17:23 bis 21:35 Uhr: Täuschung
21:36 bis 22:34 Uhr: Falle
22:35 bis 01:32 Uhr: Katastrophe
01:45 bis 03:45 Uhr: Schock
NACHSPIEL
6. bis 18. September: Trauer
1972 bis 1981: Vergeltung
1972 bis 2022: Gedenken
Bilanz
ANHANG
Zu diesem Buch
Dank
Pläne
Personenübersicht
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anmerkungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Rückcover
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Anschlag auf Olympia: Was 1972 in München wirklich geschah
 3806244200, 9783806244205

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Sven Felix Kellerhoff, geb. 1971, war als Journalist u.a. für die Berliner Zeitung, die Badische Zeitung und den Bayerischen Rundfunk tätig. Seit 1997 arbeitet er bei der WELT, seit 2003 dort als Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte, seit 2012 zusätzlich als Leiter des History Channel WELTGeschichte. Jüngste Veröffentlichungen: »Eine kurze Geschichte der RAF« (2020), »Ein ganz normales Pogrom. November 1938 in einem deutschen Dorf« (2018) und »Lob der Revolution. Die Geburt der deutschen Demokratie« (2018).

Umschlagabbildungen: Terrorist, picture alliance / AP Photo | Kurt Strumpf; Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1972, akg-images / IMAGNO/Votava; Klappkartenwecker: shutterstock / GLYPHstock Umschlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg

5. September 1972: Seit mehr als einer Woche begeistert München die Welt mit Olympischen Sommerspielen, wie es sie ähnlich weltoffen, bunt und modern nie zuvor gegeben hat. Doch dann kommt der internationale Terror nach Deutschland: Attentäter der palästinensischen Gruppe »Schwarzer September« nehmen die israelische Mannschaft als Geisel. 21 Stunden später sind 17 Menschen tot. Was damals im September 1972 in München tatsächlich geschah, rekonstruiert der Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff nun erstmals anhand von bisher nicht ausgewerteten Akten und kommt zu ganz neuen Einschätzungen der damaligen Ereignisse.

wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4420-5

Sven Felix Kellerhoff Anschlag auf Olympia

Foto: © WELT

Ein erschütternder Polit-Thriller

Sven Felix Kellerhoff

Anschlag auf Olympia Was 1972 in München wirklich geschah

Überfall Kurz nach der Morgendämmerung betreten acht junge Männer das Treppenhaus zum Haus Connollystraße 31 in München, in dem die Olympia-Delegation Israels untergebracht ist. Die Trainingsanzüge, in denen sie zuvor über den Zaun des Olympischen Dorfes geklettert sind, haben sie gegen mitgebrachte Straßenkleidung ausgetauscht; aus den Sporttaschen hat jeder ein Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow genommen. Am Apartment Nr. 1 links im Erdgeschoss lesen sie jüdisch klingende Namen. Die Tür ist nur zugezogen, nicht verriegelt …

Sven Felix Kellerhoff

Anschlag auf Olympia

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Die Rechtschreibung wurde durchgängig den aktuell gültigen Regeln des Duden angepasst, auch in wörtlichen Zitaten. Die angegebenen Webseiten wurden alle mit Stand 22. August 2021 überprüft.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Kristine Althöhn, Mainz Gestaltung und Satz: Arnold & Domnick, Leipzig Abb. auf S. 2: Gepanzerte Polizeifahrzeuge fahren am 5. September 1972 ins Olympische Dorf; picture-alliance/dpa Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4420-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4452-6 eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4453-3

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Inhalt 04:20 bis 5:22 Uhr: Überfall

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VORSPIEL 1965 bis 1970: Hoffnung 1970 bis 1972: Sicherheit 26. August bis 4. September: Freude

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DRAMA 05:25 bis 08:15 Uhr: Forderung 08:35 bis 11:15 Uhr: Verhandlung 11:20 bis 17:21 Uhr: Zeitgewinn 17:23 bis 21:35 Uhr: Täuschung 21:36 bis 22:34 Uhr: Falle 22:35 bis 01:32 Uhr: Katastrophe 01:45 bis 03:45 Uhr: Schock

45 58 74 105 117 123 136

NACHSPIEL 6. bis 18. September: Trauer 1972 bis 1981: Vergeltung 1972 bis 2022: Gedenken

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Bilanz

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ANHANG Zu diesem Buch 184 Dank 192 Pläne 194 Personenübersicht 196 Abbildungsverzeichnis 201 Abkürzungsverzeichnis 202 Anmerkungen 204 Quellen- und Literaturverzeichnis 234 5

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Überfall Die Morgendämmerung hat gerade erst begonnen – bis zum Sonnenaufgang in Oberbayern dauert es am 5. September 1972 noch etwas mehr als eine Stunde.1 Der Dienstag verspricht schön zu werden, es ist wolkenlos und windstill, die Temperatur hat nachts die 14 Grad nicht unterschritten und soll tagsüber auf angenehme 22 bis 24 Grad steigen. Neonlaternen erleuchten den Weg entlang des knapp zwei Meter hohen Maschendrahtzauns um das Olympische Dorf in Münchens Norden. Als kurz vor halb fünf Uhr einige Beamte des Olympia-Postamtes auf dem Weg zur Frühschicht hier entlang gehen, fallen ihnen junge Männer in Sportkleidung auf, die über den Zaun am verschlossenen Tor 25a klettern. Heinz-Peter Gottelt schätzt, dass es etwa zwölf Personen sind; seine Kollegen Arno Th. und Klaus-Dieter Sch. erinnern sich an sieben bis acht, Hans La. an zwei Gruppen von jeweils vier bis fünf Mann. Die Postbeamten denken sich dabei wenig – es handelt sich wohl wieder um Sportler, die nach einer langen Nacht zurück zu ihren Quartieren streben und nicht an einem der nachts geöffneten, aber kontrollierten Eingänge auffallen wollen.2 Ungefähr zur gleichen Zeit bereiten sich im Revier des Ordnerdienstes Gertrud Lau. und ihr Kollege Johannes Lu. auf ihre nächste Fußstreife vor. Die 36-jährige Kriminalobermeisterin und der wenig ältere Kriminaloberkommissar haben Nachtschicht. Sie tragen hellblaue Kleidung und weiße Baskenmützen; bewaffnet sind sie nicht. Beides ist Teil des Sicherheitskonzeptes für die XX. Sommerspiele, das jede Erinnerung an die martialischen Uniformparaden der Spiele von Berlin 1936 vermeiden soll. Fast alle Angehörigen des rund 2000 Personen starken Ordnerdienstes auf dem OlympiaGelände sind erfahrene Polizeibeamte und aktive Polizeisportler. Doch sie sollen nicht wirken wie Sicherheitskräfte und sind für die Dauer der Spiele formal auch nicht dem Münchner Polizeipräsidenten unterstellt, sondern 7

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dem Ordnungsbeauftragten des Organisationskomitees. Einen Unterschied bedeutet das nicht, denn beide Funktionen übt in Personalunion derselbe Mann aus, der Jurist Manfred Schreiber. Jede Fußstreife hat ein tragbares Funkgerät bei sich. Gegen halb fünf Uhr morgens machen sich Gertrud Lau. und Johannes Lu. auf den Weg durch das Olympische Dorf.3 Die beiden Beamten bekommen nicht mit, dass wenige Minuten später acht junge Männer das Treppenhaus zum Haus Connollystraße 31 betreten, in dem drei Viertel der Olympia-Delegation Israels untergebracht sind. Die Trainingsanzüge, in denen sie zuvor über den Zaun geklettert sind, haben sie gegen mitgebrachte Straßenkleidung ausgetauscht; aus den Sporttaschen hat jeder ein Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow genommen. Sie schleichen zuerst die Treppen hinauf bis in den zweiten Stock, stellen dort aber an den Namensschildern an einem Apartment fest, dass hier offensichtlich Asiaten wohnen (es handelt sich um Sportler aus Hongkong). Die Bewaffneten kehren um und lesen am Apartment Nr. 1 links im Erdgeschoss jüdisch klingende Namen. Die Tür ist nur zugezogen, nicht verriegelt.4 Was Tuvia Sokolsky aus dem Schlaf reißt, kann er nicht genau sagen. Jedenfalls sieht der Trainer der israelischen Gewichtheber gegen 4:45 Uhr noch aus seinem Bett, wie sich Josef Gutfreund, als Kampfrichter im Ringen ebenfalls Mitglied der Delegation, von innen gegen die Wohnungstür stemmt. Sokolsky springt auf, schlüpft in eine herumliegende Hose und flüchtet, als sich ein Gewehrlauf durch den Türspalt schiebt, über die rückseitige Terrasse aus der Wohnung. „Freunde, haut ab!“, hört er Gutfreund noch rufen, dann fallen Schüsse und jemand schreit.5 Der 30-jährige Trainer rennt in Richtung eines erleuchteten Fensters und eine Treppe hinab. Plötzlich stößt der kleine, kompakte Mann mit jemandem zusammen – es ist der Wehrpflichtige Raoul Lei., der schon seit etwa einer halben Stunde in der Connollystraße wartet. Er ist als Fahrer der Olympia-Mannschaft der Bahamas zugeordnet und soll an diesem Morgen zwei Sportler abholen, um sie zum Flughafen München-Riem bringen, wo sie die Frühmaschine nach London nehmen wollen; doch die beiden haben sich offensichtlich verspätet. Lei. strauchelt, hat aber keine Zeit für Ärger, denn schon hört er eine schreckerfüllte Stimme, die stammelt: „Schießen, schießen, mein Freund tot! Polizei rufen!“ Raoul Lei. eilt mit Tuvia ins nächstgelegene Haus und klingelt dort einen Bewohner aus dem Bett – hier wohnen südkoreanische Sportler. Einer lässt ihn ans Telefon, um den Notruf der Polizei zu wählen. Dann geht er die wenigen Meter zurück zum Haus Connollystraße 31 und 8

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Überfall

öffnet die Tür zum Treppenhaus. Sofort tritt ihm ein Mann mit Sturmgewehr entgegen und sagt in gebrochenem Englisch etwa: „Stehen bleiben, nicht hereinkommen, raus, raus!“6 Raoul Lei. sieht, dass er nichts tun kann, und zieht sich ins Nachbarhaus zurück, um noch einmal mit der Polizei zu telefonieren. Plötzlich knallt es wieder, und Tuvia Sokolsky schließt sich verängstigt in die Toilette der Koreaner ein. Im israelischen Quartier haben inzwischen mehrere Bewaffnete die Bewohner des Apartments Nr. 1, neben Gutfreund die Trainer Moshe Weinberg, Kehat Shorr, André Spitzer und Amitzur Shapira sowie den Gewichtheber-Richter Yaakow Springer, unter ihre Kontrolle gebracht. Sie zwingen den an der linken Wange angeschossenen Weinberg, sie zu weiteren israelischen Sportlern zu führen.7 Irgendwie schafft er es, die Angreifer zur Wohnung der Schwerathleten zu lenken, dem Apartment Nr. 3 – hier schlafen die Gewichtheber Josef Romano, David Mark Berger und Zeev Friedman sowie die Ringer Eliezer Halfin, Mark Slavin und Gad Tsabari.8 In der Wohnung Nr. 2 sind sechs weitere Athleten aus Israel untergebracht, je zwei Schützen und Fechter sowie ein Schwimmer und ein Geher; an ihrer Tür laufen die Terroristen vorbei, ebenso wie am Apartment der beiden Mannschaftsärzte. Tsabari schreckt auf, als er lautes Knallen hört sowie direkt danach ein Klingeln, und schaut auf seinen Wecker – es ist 4:56 Uhr. Er greift sich seine Kleidung und tritt auf den Flur der Wohnung, wo er einen Araber mit Gewehr in der Hand sieht. Zusammen mit seinen Mannschaftskameraden muss er sich der Gewalt beugen und wird ins Treppenhaus geführt. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Moshe Weinberg stürzt sich auf einen der Angreifer, der sofort das Feuer eröffnet und den Trainer tötet. Tsabari erkennt seine Chance zur Flucht: Er steht den abwärts führenden Stufen zum Ausgang am nächsten und hastet auf einmal mit gesenktem Kopf hinunter. Er schafft es im Untergeschoss auf den Fahrweg hinaus und rennt die Connollystraße nach links. Hinter sich hört er noch zwei Salven, doch kann er nicht sagen, ob sie in seine Richtung abgegeben werden. Etwa gleichzeitig wirft sich im rückwärtigen Schlafzimmer des Apartments Nr. 1 der Mittelgewichtler Josef Romano mit seiner ganzen Kraft auf einen der Bewaffneten und wird erschossen – vielleicht sind es diese Kugeln, die Tsabari hört.9 Seit er aufgewacht ist, sind drei, höchstens vier Minuten verstrichen. Die Schüsse lassen in Apartment Nr. 2 den Sportschützen Zelig Shtorch aus dem Schlaf fahren.10 Er zieht seinen Trainingsanzug an und öffnet die 9

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Tür der Unterkunft zur Connollystraße. Dort sieht er einen Mann in hellem Anzug und mit weißem Hut. Shtorch wundert sich, denn er weiß: „Der wohnt hier gar nicht. Was macht der um diese Zeit hier?“ Zwei Meter vor dem Israeli bleibt der Mann stehen und fragt auf Deutsch: „Wo ist Polizei?“ Shtorch antwortet: „Ich weiß es nicht.“ Dann sieht er sich sein Gegenüber genauer an – und ihm fällt auf, dass Handgranaten an seinem Gürtel baumeln. In diesem Moment wird dem Sportschützen klar: „Das ist ein Terroranschlag!“ Shtorch kann sich nicht umdrehen, solange ihm der Mann gegenübersteht, denn auf dem Rücken seines Trainingsanzugs steht in Großbuchstaben Israel.11 Um 4:52 Uhr ist der Notruf von Raoul  Lei. bei der Notzentrale der Münchner Polizei eingegangen, und drei Minuten später informiert der diensthabende Beamte nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten die Kriminalwache im Olympischen Dorf, die während der Spiele für alle Straftaten hier zuständig ist. Fast gleichzeitig verlässt die Kriminalbereitschaft mit drei Streifenwagen das Polizeipräsidium; bei sich haben die sechs Beamten zwei kugelsichere Westen und eine Maschinenpistole. Doch sie müssen sechs Kilometer teilweise durch die Innenstadt zurücklegen; selbst mit Blaulicht und an einem frühen Morgen ein Weg, der mehr als zehn Minuten dauert. Schneller vor Ort in der Connollystraße ist deshalb ein Kriminalobermeister der Olympia-Wache, der – was nur während der Nachtschicht ausnahmsweise zulässig ist – mit seiner Pistole ins Dorf eilt. Um 5:02 Uhr betritt der Beamte wie zuvor Raoul Lei. das Treppenhaus des Hauses und wird wie er von einem Bewaffneten angeschrien: „Weg da!“12 Gegenüber des Hauses 31 in der Unterkunft der DDR-Mannschaft kann der Gewichtheber Stefan Grützner kaum schlafen. Er hat am Abend zuvor im Schwergewicht die Bronzemedaille gewonnen – sein bisher größter Erfolg. Gegen fünf Uhr hört er „auf der Straße Geschrei, darunter Laute in gebrochenem Deutsch. Dann knallt es, als ob einer laut Türen zuwirft.“ Als das Geschrei nicht aufhört, sieht Grützner hinaus, wird jedoch „von drüben aufgefordert, sofort zu verschwinden“.13 In einem anderen Zimmer des DDR-Quartiers schreckt der Fußballer Frank Ganzera auf, schaut aus dem Fenster und sieht „einen der Attentäter mit vermummtem Kopf und einem Maschinengewehr in der Hand“ auf dem offenen Weg zu den Wohnungen im zweiten Stock des Hauses Connollystraße 31 stehen.14 Inzwischen treffen reihenweise weitere Notrufe aus dem Olympischen Dorf bei der Polizei ein; ins Einsatztagebuch wird unter anderem geschrie10

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Überfall

ben: „Es wird geschossen“ sowie „Drei Araber schießen auf Israelis in deren Unterkunft“, außerdem: „Mehrere Araber haben die Unterkunft der israelischen Sportler gestürmt, einen erschossen und einen weiteren schwer verletzt“ und schließlich: „Mehrere Geiseln befinden sich in der Hand der Terroristen.“ Damit ist klar: Es liegt ein Notstand vor. Der Schichtleiter schickt um 5:06 Uhr alle verfügbaren Streifenwagen zum Olympischen Dorf und informiert die Einsatzzentrale des Landeskriminalamtes. Anschließend gibt er die Weisung, Polizeipräsident Schreiber und dessen Stellvertreter Georg Wolf aus den Betten zu klingeln.15 Ungefähr um 5:08 Uhr erreichen Gertrud Lau. und Johannes Lu. zu Fuß das Haus Connollystraße 31; Raoul Lei. sieht sie, als er noch einmal einen Blick aus dem Nachbarhaus wagt.16 Dann geht die Haustür auf; ein Mann mit hellem Anzug, weißem Hut und seltsam verschmiertem Gesicht schaut heraus, sieht die in Hellblau gekleidete Frau und winkt sie zu sich. In der Hand hat er vier dicht mit Schreibmaschine auf Englisch beschriebene Seiten, die er Gertrud Lau. übergibt.17 Ihr ist sofort klar, dass es sich um ein Ultimatum handelt, über das die Einsatzzentrale so schnell wie möglich informiert werden muss. Da eine Frau weniger bedrohlich wirkt als ein Mann, verständigt sie sich mit ihrem Vorgesetzten Johannes  Lu. darauf, dass er sich darum kümmert und sie mit dem Handfunkgerät vor dem besetzten Haus bleibt. Tatsächlich fordert der Mann mit Hut nun, dass alle Männer aus der Umgebung verschwinden sollen: Er wolle keine Polizei. Überrascht stellt die Kriminalbeamtin fest, dass er gut Deutsch spricht, mit einem nur leichten Akzent. Schleppend kommt ein Gespräch mit dem Mann zustande, der sich selbst Issa nennt. Auf die Frage von Gertrud Lau., warum während der Olympischen Spiele so ein Angriff stattfinde, antwortet er: „Revolution muss dort gemacht werden, wo sie nötig ist.“18 Es ist 5:22 Uhr.

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VORSPIEL

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1965 bis 1970

Hoffnung Der Termin war ganz kurzfristig verabredet worden. Durchaus unüblich hatte Willi Daume, seit 1961 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Deutschlands, telefonisch um ein baldiges Treffen mit Hans-Jochen Vogel gebeten, dem sozialdemokratischen Oberbürgermeister von München. Am 28. Oktober 1965 kam der Besucher ins Münchner Rathaus, um das Stadtoberhaupt für seinen Plan zu gewinnen: Die bayerische Metropole solle sich um die Austragung der Sommerspiele 1972 bewerben. Vogel, der in den gut fünfeinhalb Jahren seiner bisherigen Amtszeit eine Modernisierung der Stadt wie nie zuvor eingeleitet hatte, „verschlug es zunächst einmal den Atem“. Dann fragte er Daume, ob dieser nicht wisse, „dass in München im Grunde keine einzige der Einrichtungen vorhanden sei, die man für Spiele brauche“? Dem IOC sei der Bau neuer Anlagen ohnehin lieber als die Modernisierung bestehender Stadien, lautete die entwaffnende Antwort.1 Doch die notwendigen Gebäude waren keineswegs das einzige Problem: Gerade erst drei Wochen zuvor hatte das IOC auf seiner Sitzung in Madrid beschlossen, dass es künftig zwei Nationale Olympische Komitees in Deutschland geben dürfe, das bisherige NOK und zusätzlich ein „Ostdeutsches NOK“. Der politische Druck des Ostblocks, die politische Realität zweier verschiedener Staaten auf deutschem Boden anzuerkennen, war zu groß geworden. Der gleichzeitige Beschluss, dass zwar zwei deutsche Teams an den nächsten Olympischen Spielen in Mexiko 1968 teilnehmen sollten, jedoch unter einer gemeinsamen Flagge in Schwarz-Rot-Gold mit den fünf olympischen Ringen und mit Beethovens „Ode an die Freude“ als Hymne, enttarnte den Kompromiss, der dahintersteckte.2 In der Bundesrepublik, die zu dieser Zeit noch den Anspruch erhob, international für ganz Deutschland zu sprechen, war diese Entscheidung als Niederlage empfunden worden; im Vorfeld war sogar für den Fall einer 15

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Anerkennung der DDR über einen Boykott der Spiele 1968 durch bundesdeutsche Sportler nachgedacht worden.3 Das konnte durch den Kompromiss immerhin vermieden werden. Daume hatte seine Niederlage offen eingestanden und den Blick gleich wieder nach vorne gerichtet: „Es gibt Wichtigeres als die gesamtdeutsche Olympia-Mannschaft, zum Beispiel den gesamtdeutschen Sportverkehr für alle“, hatte er noch in Madrid gesagt.4 Doch er hatte noch mehr vor: Der NOK-Präsident wollte den Ärger der Unterstützer seiner Position nutzen, um die Sommerspiele 1972 in die Bundesrepublik zu holen. Westdeutschland habe im IOC viele Freunde, gerade nach der Niederlage in Madrid. Sie wollten etwas für das Land tun. Und zudem läge auch sonst keine ernsthafte Bewerbung vor. Seinen Gesprächspartner Vogel überraschte Daumes Sicht; er bezweifelte, dass „auch nur die geringste Aussicht bestehe, die Spiele in die Bundesrepublik – und dazu noch in die ehemalige ,Hauptstadt der Bewegung‘ zu bekommen“.5 München vom Stigma zu befreien, Gründungsort und bis 1945 Sitz der Zentrale der NSDAP gewesen zu sein, gehörte zu den international herausforderndsten Aufgaben des mit gerade einmal 39  Jahren noch jungen Oberbürgermeisters. Schon 1962 hatte er deshalb mittels eines Bürgerwettbewerbs einen Image-Slogan suchen und finden lassen: „München – Weltstadt mit Herz“.6 Vogel glaubte auch nicht an einen Erfolg, weil die Entscheidung des IOC bereits bei der nächsten Sitzung in Rom Ende April 1966 anstand; die Frist für die Abgabe von Bewerbungen endete sogar schon am 30. Dezember 1965. Das hieß: Gerade einmal 63 Tage, um ein Konzept zu entwickeln und politische Unterstützung zu organisieren. Weil dem Juristen Vogel jedoch die für viele Absolventen seines Studienfachs typische Neigung zur Bedenkenträgerei völlig abging, machte er sich ans Werk. Mit Daume hatte er vereinbart, nur möglichst wenige Menschen von dem Vorhaben zu informieren, um ein vorzeitiges Zerreden des Planes durch Presse und Fernsehen zu vermeiden. Am folgenden Tag beriet er sich mit den wichtigsten Mitgliedern der Stadtregierung und erhielt das „Münchner Jawort“.7 Anschließend flog Vogel nach Berlin, um mit dem Regierenden Bürgermeister und SPD-Vorsitzenden Willy Brandt zu sprechen, denn gegen das Votum des Senates der geteilten Stadt würde es eine Bewerbung nicht geben können. Doch Brandt wusste, dass die in der Öffentlichkeit immer wieder diskutierten Pläne für eine gemeinsame Bewerbung von West- und Ost-Berlin politisch irreal waren; daher sagte er dem Besucher aus München volle Unterstützung zu. Zwei weitere Gespräche musste Vo16

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gel noch führen, bevor die Bewerbung öffentlich werden durfte: mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel und mit Bundeskanzler Ludwig Erhard. Den CSU-Politiker gewann der dynamische Oberbürgermeister schnell, und auch in Bonn zeigte man sich offen für die Idee. Am 29. November  1965, gerade einen Monat nach Daumes überraschendem Angebot, kam es zum Treffen im hochmodernen Kanzler-Bungalow. Vogel, Goppel und der NOK-Chef stellten den Plan vor, der inzwischen vertraulich im Münchner Rathaus erarbeitet worden war und Gesamtkosten von 550 Millionen Mark vorsah, die zwischen Stadt, Land und Bund gedrittelt werden sollten. Doch jetzt stieß das Vorhaben auf die Bedenken eines Juristen, denn der Kanzleramtschef wehrte sich entschieden gegen eine Olympia-Bewerbung: „Ludwig Westrick widersprach lebhaft, bezweifelte die Kostenschätzungen und erinnerte den Bundeskanzler daran, dass er in einer Stunde im Bundestag eine schwere Auseinandersetzung über die Reduzierung von Leistungen zu bestehen habe, die vor den Wahlen versprochen worden seien.“ Erhard schwankte zunächst, doch ein erneutes Plädoyer von Daume und Vogel beeindruckte ihn. Als Westrick ihn daraufhin am Ärmel zupfte und durch Gesten zu verstehen gab, der Regierungschef möge keinerlei Zusagen machen, reagierte der Kanzler unwillig auf dieses Zaudern und sagte sinngemäß, „man könne nicht immer nur Trübsal blasen und dem Volk Unerfreuliches ankündigen, es müsse auch einmal etwas Erfreuliches geschehen“.8 Deshalb sei er gerade jetzt für die Olympischen Spiele. Die Bundesregierung werde ihren Kostenanteil innerhalb von sechs Jahren wohl aufbringen können. Am selben Abend verkündete Vogel die Bewerbung Münchens auf einer Pressekonferenz  – und erntete vor allem Skepsis bis Ablehnung. Sieben Ruhrgebiets-Städte meldeten eine gemeinsame Kandidatur an, Hannover zeigte gleichfalls Interesse, und Gerhard Stöck, Leiter des Sportamtes der größten westdeutschen Stadt Hamburg, lehnte das Projekt rundheraus ab: „Die deutsche Bewerbung um die Spiele von 1972 überrascht mich sehr, mit Münchens Antrag hatte ich nie gerechnet. Für mich ist nur Berlin als einzige deutsche Stadt olympiareif.“ Dahinter steckte wohl die Sorge, dass die Hoffnung der Hansestadt auf eine eigene Bewerbung für die Sommerspiele 1976 oder 1980 unterminiert werden könnte. Ganz richtig erkannte Stöck, selbst Olympiasieger 1936 sowie bei den Spielen 1956 und 1960 Chef der gesamtdeutschen Teams, was Vogels längerfristiges Ziel war: „Ich habe allerdings auch den Verdacht, dass man sich in der bayerischen Metropole 17

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bei einer solchen Bewerbung endlich die Einrichtung repräsentativer Sportanlagen mit einem Schlag verspricht.“9 Immerhin endete diese Diskussion im Wesentlichen wenige Tage später, als Erhard seinen Sprecher klarstellen ließ, dass Bonn ausschließlich die Kandidatur der bayrischen Landeshauptstadt unterstützen werde: „Die Bundesregierung, das Land Bayern und die Stadt München sind der Auffassung, dass die Austragung der Olympischen Spiele auf deutschem Boden eine dem nationalen Prestige dienende Aktion ist, die die weite Unterstützung der Bevölkerung findet.“10 Damit war aber lediglich die erste Hürde genommen, denn nun galt es noch, das IOC von Münchens Bewerbung zu überzeugen. Die Chancen stiegen jedoch, als Wien im Januar 1966 seine in Aussicht gestellte Bewerbung zurückziehen musste – die österreichische Regierung hatte sich nicht in der Lage gesehen, das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen.11 Damit gab es nur noch drei ernsthafte Konkurrenten: Montreal, Madrid und Detroit. In der dritten April-Woche 1966 kam es in Rom zum Showdown – und München punktete mit Vogels Vision, die „Olympische Spiele der kurzen Wege, im Grünen und der Einheit von Körper und Geist“ verhieß.12 Während Montreal bei der Präsentation seiner Pläne am Nachmittag des 25. April überzog, hielten sich der Oberbürgermeister und Daume bei ihren anschließenden Ansprachen bewusst knapp; lieber zeigten sie den Kurzfilm „München. Eine Stadt bewirbt sich“. Danach gingen die Deutschen zum gemeinsamen Abendessen – und unterwegs gabelte die „Gruppe erregt diskutierender Männer, ein paar Damen waren auch dabei“, den bekannten Filmstar Joachim Fuchsberger auf, der gerade seinen Drehtag beendet hatte und in einem römischen Straßencafé einen Espresso genoss. Der ging gern mit und fragte Vogel gleich zur Begrüßung: „Darf ich gratulieren, Herr Oberbürgermeister?“ Vogel blieb jedoch vorsichtig: „Ja und Nein. Die Präsentation hätte nicht besser ankommen können, und trotzdem werden wir die Spiele nicht bekommen.“13 Das Stadtoberhaupt rechnete mit vehementer Ablehnung seitens des Ostblocks, denn die DDR-Presse hatte umgehend eine „aggressive Kampagne“ gegen Münchens Bewerbung gestartet.14 Am 26. April  1966 stimmte das 61-köpfige IOC ab. Die Bekanntgabe des Ergebnisses war für 18 Uhr angesetzt, und vorher überschlugen sich die Gerüchte. München sei im dritten Wahlgang geschlagen worden, hieß es, und als das kanadische IOC-Mitglied den Bürgermeister von Montreal umarmte, gab Vogel das Rennen schon verloren. Doch dann verkündete 18

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Hoffnung

IOC-Präsident Avery Brundage: „The games are awarded to Munich.“15 Tatsächlich war die Entscheidung deutlich ausgefallen: Schon im ersten Wahlgang führte München mit 21 Stimmen vor Montreal und Madrid mit je 16 und Detroit mit acht Stimmen. Im zweiten Wahlgang reichte es dann für Bayerns Landeshauptstadt mit 31 Stimmen zur absoluten Mehrheit. Die Freude war groß, doch das Hamburger Abendblatt, der deutschen Bewerbung gegenüber nach wie vor skeptisch, kommentierte: „München fehlt im Augenblick ja außer dem guten Willen und Plänen beinahe alles, was man für Olympische Spiele benötigt.“16 Das war übertrieben. Tatsächlich verfügte München mit dem früheren Exerzier- und späteren Flugplatz Oberwiesenfeld rund fünf Kilometer nordwestlich der Innenstadt über ein geeignetes Areal, das auch bereits als Stadtentwicklungsfläche ausgewiesen war. Auf dem südlichen Teil hatten Arbeiter seit 1946 einen der drei großen Trümmerschuttberge Münchens aufgeschichtet, aus rund zehn Millionen Kubikmetern nicht mehr verwertbarer Gebäudereste. Außerdem waren hier bereits ein Eissportzentrum sowie der Fernseh- und Fernmeldeturm im Bau, die beide völlig unabhängig von der Olympia-Bewerbung projektiert worden waren. Außerdem gab es Überlegungen für den Bau eines neuen Großstadions mit 75 000 Zuschauerplätzen, denn das Stadion an der Grünwalder Straße genügte als reines Fußballstadion den Erwartungen an eine moderne Sportstätte nicht mehr und war wegen umlaufender Verkehrsachsen auch nicht erweiterbar. Auf dem Oberwiesenfeld sollten ferner mehrere Tausend Wohnungen gebaut werden, ebenso auf westlich angrenzenden Grundstücken. Um die absehbar zunehmenden Verkehrsströme zu bewältigen und dem Irrweg der „autogerechten Stadt“ zu entkommen, der in den Jahren des Wiederaufbaus nach 1945 als Maßstab der Stadtentwicklung gegolten hatte, waren ein S-Bahn-Tunnel unter der Innenstadt in West-Ost-Richtung und eine U-Bahn in Nord-Süd-Richtung geplant. Das weitgehend zur Fußgängerzone umgestaltete Stadtzentrum sollte künftig ein Schnellstraßenring umschließen. All das folgte aus dem Entwicklungsplan, der bereits im Juli 1963 beschlossen worden war. Vogel stand nun vor der Aufgabe, die projektierte Bauzeit für diese Vorhaben von zwölf auf weniger als neun Jahre zu reduzieren – im Frühjahr 1972 musste alles fertig sein. Die wichtigste Herausforderung aber war eine andere: Wie k­onnte Münchens Versprechen wahr werden, „Olympische Spiele der kurzen ­ Wege, im Grünen und der Einheit von Körper und Geist“ zu realisieren? 19

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Das Olympisches Dorf kurz vor der Fertigstellung. Die ausgedehnten ­Grünanlagen im Süden hin zum Stadion fehlen noch.

Der wesentliche Schritt gelang im Oktober 1967: Das Organisationskomitee (Vorsitzender: Willi Daume, Stellvertreter: Hans-Jochen Vogel) entschied gegen ein klassisches Stadion und für offene, von zeltartigen Plexiglasdächern überspannte Wettkampfstätten auf dem Oberwiesenfeld. Nach der Kür gab es natürlich Widerstand von Bedenkenträgern: Der Entwurf sei zu teuer.17 Die Bundesregierung war München in dieser Phase keine besonders große Hilfe, denn sie verfolgte zwei einander ausschließende Ziele – einerseits „in der augenblicklichen Haushaltssituation von Bund, Ländern und Gemeinden die durch die Ausrichtung der XX. Olympischen Spiele 1972 her20

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Hoffnung

vorgerufenen Belastungen der öffentlichen Haushalte so gering wie möglich zu halten“ und andererseits die „günstigsten Bedingungen für einen reibungslosen Verlauf der Olympischen Spiele zu schaffen“. Denn „die Sportjugend der Welt soll das demokratische und friedliebende Deutschland kennenlernen“.18 Die 1965 geschätzten Gesamtkosten von 550 Millionen Mark, das war klar, würden nicht ausreichen. Anfang 1969 wurde schon mit 992 Millionen Mark gerechnet, von denen der Steuerzahler 436 Millionen Mark tragen sollte.19 Doch auch das reichte nicht, denn das IOC und seine Fachverbände verlängerten ihre Wunschzettel immer weiter: Eine 2,2 Kilometer lange künstliche Ruderstrecke kostete wegen der Sonderwünsche statt vorgesehener zehn schließlich 69 Millionen Mark. Das Reitstadion samt Stallungen verschlang mit 51 Millionen mehr als das Zehnfache des eingeplanten Betrages; die Halle für die Volleyballwettbewerbe musste nach Baubeginn wegen einer Regeländerung um zweieinhalb Meter tiefergelegt werden, damit genügend Luftraum für hoch gespielte Bälle vorhanden war. Das Olympische Dorf sollte statt 9000 Athleten, Trainern und Funktionären nun ein Drittel mehr Menschen beherbergen können, nämlich 12 000. Ganz neu hinzu kamen eine 23 Millionen Mark teure Halle für die Basketballspiele, eine Anlage für die Sportschützen für 24 Millionen Mark und eine für die Ringer, für 25 Millionen Mark.20 Schließlich wurden die Gesamtinvestitionen für die Spiele in und um München auf 1350 Millionen Mark geschätzt, einschließlich des Stadions, des Olympischen Dorfes und der separaten Pressestadt für rund 4000 Journalisten, großer Teile der U- und S-Bahn sowie zahlreicher neuer Straßen. Für die Segelwettbewerbe vor Kiel plante man weitere 95 Millionen Mark Investitionskosten ein, vor allem für das neue Olympiazentrum Schilksee mit fast 800 Wohnungen, Hotels und einem eigenen Yachthafen. Die reinen Veranstaltungskosten an beiden Orten taxierte das Organisationskomitee auf 527 Millionen Mark. Das war jedoch eine grobe Schätzung, die wenig mit konkreten Kalkulationen zu tun hatte, sondern dazu führte, dass die Gesamtkosten sich auf den symbolischen Betrag von 1972 Millionen Mark summierten.21 Ein gutes Drittel davon, 686 Millionen Mark, sollte die öffentliche Hand aus Steuermitteln bezahlen, davon der Bund 333,40 Millionen Mark, Bayern und München je knapp 170 Millionen, Schleswig-Holstein und Kiel je gut sieben Millionen Mark. Einen deutlich größeren Teil würden eine 21

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Olympia-Lotterie (Ertrag: 250 Millionen Mark) und Sammler weltweit durch die Ausgabe spezieller Olympia-Sammelmünzen aus Silber (Überschuss: 639 Millionen Mark) tragen. Den Rest sollte das Organisationskomitee beisteuern, das von Einnahmen von 350 Millionen Mark ausging, die vor allem durch Eintrittsgelder, Übertragungsrechte und Mieten erzielt werden sollten.22 Diese Schätzung erwies sich als zu optimistisch, sodass ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Spiele mit Bar- und Sachspenden in Höhe von rund 40 Millionen Mark einspringen musste; auch die Stadt München schoss dem Organisationskomitee noch 24 Millionen Mark zu.23 Da 93 Millionen Mark des Bundesanteils als Investitionen für reguläre Aufgaben der Bundesförderung verbucht werden konnten, nämlich den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln und von Studentenwohnheimen, betrug die echte Mehrbelastung des Bundeshaushaltes durch die Sommerspiele 1972 vergleichsweise geringe 240 Millionen Mark.24 Dem standen schon vor Beginn der Spiele Steuermehreinnahmen in Höhe von rund 200 Millionen Mark gegenüber; hinzukommen sollten vorab schwer zu kalkulierende direkte und indirekte Steuern durch die Besuchermassen. Den absehbaren Gewinn für seine Stadt fasste Hans-Jochen Vogel einige Monate vor der Eröffnung der Spiele zusammen: Außer den 16 festlichen Tagen, „in denen München im Mittelpunkt des Interesses der ganzen Welt stehen wird und sich eine Unzahl neuer Freunde erwerben kann“, blieben 4,2 Kilometer U-Bahn, 27,5 Hektar neue Straßen, mehr als tausend Sozialund rund 5000 frei finanzierte Wohnungen, Quartiere für 1800 Studenten, drei neue Schulgebäude, ein Stadion, vier moderne Hallen und vieles Weitere. Er bilanzierte: „Die Anstrengungen haben sich gelohnt; München hat seine Chance genutzt.“25

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Sicherheit Während die meisten Veranstaltungsorte der künftigen Spiele bereits im Rohbau waren, begannen sich die bayerischen Behörden Gedanken um die Sicherheit zu machen. Im Dezember 1969 erhielten die deutschen Botschaften in Rom, Tokio und Mexiko City den Auftrag, die Ausrichter der vergangenen drei Olympischen Sommerspiele um polizeiliche Erfahrungen zu bitten. Der Rücklauf war jedoch enttäuschend. Aus Rom meldete zunächst ein Diplomat eher allgemeine Erkenntnisse. Ihnen zufolge hatten Soldaten der italienischen Armee 1960 den Schutz der Olympia-Stätten übernommen, allerdings – damit es nicht zu martialisch wirkte – nicht in normalen Uniformen, sondern in spezieller Kleidung des Organisationskomitees. Das bestätigte ein nachgereichter Bericht der römischen Polizei.1 In Mexiko City hatte es 1968 derartige Zurückhaltung nicht gegeben, sondern im Gegenteil eine starke Militärpräsenz; nur zehn Tage vor Eröffnung der Spiele hatte das mexikanische Militär eine Demonstration linksgerichteter Studenten gewaltsam aufgelöst und dabei mindestens 25, nach anderen Angaben auch bis zu 300 Menschen getötet.2 Die umfangreichste Hilfe leistete die Polizei in Tokio, die der deutschen Botschaft einen Bericht übergab. Demnach waren die Sicherheitsmaßnahmen für die Spiele 1964 bereits vier Jahre vor Eröffnung geplant worden, sogar noch vor den Spielen in Rom. Es war eine eigene Behörde eingerichtet worden, die den Schutz organisiert hatte, freilich unter Leitung des Polizeipräsidenten, um Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Insgesamt hatten während der Spiele in Tokio täglich rund 11 000 Polizisten in einem festen Dreischichtsystem Dienst, zuzüglich einer nicht genau bezifferten Zahl von Soldaten, die für die Sicherheit im Olympischen Dorf sorgten; die reguläre Polizei hatte dort nur in Ausnahmefällen Zutritt.3 Die bayerischen Behörden zogen aus den Erfahrungen der drei vorangegangenen Austragungsorte mehrere Schlüsse: Erstens war nun für die 23

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Vorbereitung  – Polizeiangelegenheiten gehören laut Grundgesetz zu den Obliegenheiten der einzelnen Bundesländer  – ein Sicherheitsbeauftragter im bayerischen Staatsministerium des Inneren zuständig, während der eigentliche Verantwortliche für die Sicherheit der Olympia-Stätten der Münchner Polizeipräsident als assoziiertes Mitglied des Organisationskomitees sein sollte. Die reguläre Polizei sollte im Olympischen Dorf lediglich in Form einer Kriminalwache mit Zivilbeamten präsent sein und sich um die Aufklärung der zu erwartenden kleineren Delikte kümmern. Um Erinnerungen an die von Hitler-Deutschland martialisch inszenierten und propagandistisch genutzten Spiele in Berlin 1936 zu vermeiden, würden Soldaten der Bundeswehr als Sicherheitskräfte keine Rolle spielen – sie waren lediglich als klar gekennzeichnete Fahrer, Helfer und Streckenposten vorgesehen.4 Zweitens sollten auch für den Schutz der Veranstaltungsorte und des Dorfes nicht uniformierte Polizeibeamte zuständig sein, sondern ein eigens gegründeter Ordnungsdienst, der im Auftrag des Organisationskomitees das Hausrecht auf dem Olympia-Gelände wahrnehmen sollte. Der Dienst sollte aus erfahrenen Polizisten bestehen, vor allem Polizeisportlern, denen man am meisten Verständnis für die Bedürfnisse der Athleten zutraute. Die Freiwilligen aus allen Bundesländern sollten in einem überlappenden Dreischichtsystem organisiert werden: Die eine Hälfte der Tagschicht arbeitete von sieben Uhr morgens bis 19 Uhr abends, die andere von acht bis 20 Uhr. Die Nachtschicht war von 19 oder 20 Uhr bis sieben oder acht Uhr im Dienst; nach jeweils zwölf Stunden Einsatz folgten 24 Stunden Ruhe.5 Dieses Modell, das vier Tage vor der Eröffnungsfeier beginnen und drei Tage nach der Schlussfeier enden, also insgesamt gut drei Wochen dauern sollte, führte zwar zu einer großen Zahl an Überstunden, hielt aber dennoch die Belastung der Ordner in erträglichen Grenzen, zumal die Mitglieder des Ordnungsdienstes zum großen Teil am Rande des Olympischen Dorfes untergebracht werden würden. Da in München anders als in Tokio die meisten Anlagen nahe beieinander lagen, schienen knapp 2000 Mann und 40 Frauen für die Sicherheit der Athletinnen als Stärke des Ordnerdienstes ausreichend.6 Drittens setzte das Organisationskomitee auf maximale Deeskalation. Die Mitglieder des Ordnungsdienstes sollten grundsätzlich unbewaffnet sein und möglichst fröhlich wirken, weshalb sie eigens entworfene Uniformen in hellblau mit weißen Hemden und Mützen erhielten. Ferner übten 24

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sie polizeiuntypische Taktiken: potenzielle Störer durch Klamauk verunsichern, mit Süßigkeiten beschießen oder sie im Falle eines Falles umringen und sanft abdrängen.7 Während Bayerns Behörden dieses Konzept erarbeiteten, änderte sich die Sicherheitslage jedoch erheblich. 1968/69 hatte es erstmals zwei Flugzeug-Entführungen durch palästinensische Terroristen gegeben; beide waren vom Flughafen Rom ausgegangen. Am 10. Februar  1970 kam diese Form politischer Kriminalität in Deutschland an: Während der Zwischenlandung einer Linienmaschine der israelischen Gesellschaft El Al in München-Riem auf dem Flug nach London versuchten drei bewaffnete Palästinenser, im Transitraum und im Zubringerbus Passagiere in ihre Gewalt zu bringen. Doch der Pilot, ein Hüne von 1,98 Meter, wehrte sich, und auch andere Israelis verwickelten die Angreifer in einen Kampf. Bevor die Attentäter festgenommen wurden, warfen sie noch mehrere Handgranaten. Eine davon, die einer der Entführer in den gefüllten Flughafenbus schleuderte, tötete einen 32-jährigen Mann, der sich auf sie geworfen hatte, um seine Mitreisenden zu retten. Eine weitere verwundete den Flugkapitän sowie eine Passagierin schwer.8 Insgesamt gab es elf Verletzte; die drei Täter konnten von Beamten der bayerischen Grenzpolizei, die auf dem Flughafen zuständig waren, überwältigt werden. Die Presse schrieb von der „ersten Schlacht des Nahostkrieges auf deutschem Boden“ und dass „die Guerillas (…) ihren Krieg gegen Israel sogar bis nach Europa getragen“ hätten.9 Eine Woche später wurden ebenfalls in Riem drei Araber festgenommen, bevor sie bewaffnet in den Transitraum gelangen konnten; dort befanden sich abermals Passagiere der Linienmaschine von Tel Aviv nach London. Diese drei hatten einen Zettel mit dem Befehl bei sich: „Wir verlangen sofortige Startfreiheit, oder wir jagen das Flugzeug mit Handgranaten in die Luft.“10 Für beide Anschläge, den versuchten und den rechtzeitig verhinderten, übernahm eine Gruppe namens „Aktionsgemeinschaft zur Befreiung Palästinas“ die Verantwortung. Die Anschlagswelle ging weiter. Gleich 47  Tote forderte die Explosion einer Bombe im Laderaum eines Swissair-Jets am 21. Februar  1970; eine zweite, fast zeitgleiche Explosion an Bord einer Austrian-Airlines-Maschine ging glücklicherweise ohne Opfer ab. Die Bomben hatten sich in Luftpostpaketen nach Israel befunden und waren in Frankfurt und Zürich versehentlich nicht wie geplant in El-Al-Maschinen, sondern in Jets aus 25

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Österreich und der Schweiz geladen worden. Verantwortlich war abermals eine Zelle palästinensischer Terroristen in Deutschland; offiziell bekannte sich das „PFLP-Generalkommando“ zu den Anschlägen.11 Das Bundesamt für Verfassungsschutz schloss in seinem Bericht über das Jahr 1971: „Die radikalsten palästinensischen Widerstandsgruppen versuchen nach wie vor, sich durch Terroranschläge außerhalb des nahöstlichen Krisengebietes neue Publizität zu verschaffen und ihren zum Teil verloren gegangenen Einfluss bei den Palästinensern wieder zurückzugewinnen.“ Es gebe auch, nach einem zeitweiligen Rückgang, „Anzeichen für eine Reaktivierung des palästinensischen Widerstandes im Bundesgebiet“.12 Die intensive Aktivität antiisraelischer Gewalttäter in Mitteleuropa war nicht die einzige neue Entwicklung parallel zu der Vorbereitung der Münchner Sommerspiele. Mitte Mai 1970 wurde in West-Berlin der Linksextremist Andreas Baader gewaltsam aus der Haft befreit; wenige Wochen später setzte er sich zusammen mit Gesinnungsgenossen in den Nahen Osten ab, und Ende September 1970 zeigten drei gleichzeitige Banküberfälle wieder in der geteilten Stadt, dass nun auch mit einem potenziell mörderischen Terrorismus deutscher Provenienz zu rechnen war. Unter dem selbst gewählten Namen „Rote Armee Fraktion“ überzogen diese Aktivisten die Bundesrepublik fortan mit Straftaten. Nicht nur vermeintlich politisch motivierte Gewalt, sondern ebenso rein kriminelle Täter setzten die Polizei unter Druck. Am 4. August 1971 stürmten kurz vor 16 Uhr zwei maskierte Bewaffnete die Filiale der Deutschen Bank in der Prinzregentenstraße  70 im Münchner Stadtteil Steinhausen und nahmen Bankangestellte wie Kunden als Geiseln.13 Sie nannten sich „Rote Front“, was die Polizei aber nur verwirren sollte, forderten zwei Millionen Mark Lösegeld bis 22 Uhr und drohten, andernfalls die Bank mit den Geiseln zu sprengen. Die Polizei sperrte die direkte Umgebung ab, besorgte das verlangte Lösegeld und einen Fluchtwagen. Die Einsatzleitung vor Ort zog, obwohl Polizeipräsident Schreiber und sein Vize Georg Wolf anwesend waren, ein forscher Oberstaatsanwalt an sich; er setzte darauf, die Täter beim Verlassen der Bank ausschalten zu lassen. Doch die Münchner Polizei verfügte nicht über entsprechend ausgebildetes Personal. Also wurden mehrere als Jäger bekannte Beamte in eine Kiesgrube beordert und übten dort mit den im Präsidium vorhandenen Sturmgewehren des Bundeswehr-Typs G-3, für die sie immerhin Zielfernrohre hatten.14 Am späten Abend lagen sechs derartig fortgebildete 26

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­ eamte auf Positionen rund um die Bank bereit. Kurz vor Mitternacht B erschien einer der beiden Täter, prüfte das Lösegeld und ging auf den Fluchtwagen zu, in dem bereits eine junge Frau als Geisel saß. Der Plan hatte vorgesehen, ihn dabei kampfunfähig zu schießen und unmittelbar danach die Bank gleichzeitig von vorne und von hinten zu stürmen, um den zweiten Geiselnehmer zu überwältigen. Doch das Blitzlichtgewitter der anwesenden Fotografen (die Absperrung betraf nur die beiden nächstgelegenen Nebenstraßen; auch waren die Häuser gegenüber der Bank nicht evakuiert worden) blendete die Schützen, die zudem keinen Funkkontakt untereinander hatten und deshalb wenige Sekunden lang orientierungslos waren. Erst als der Täter an der Autotür stand, fiel ein Schuss, und er ließ sich getroffen auf den Sitz fallen. Daraufhin begann eine wilde Schießerei auf den Wagen, während der fast 200 Patronen abgefeuert wurden. Der Täter und die Geisel erlitten dabei so schwere Verletzungen, dass sie wenig später starben.15 Auch der Sturm auf die Bank geriet zu einem Fiasko: Das Kommando im Hof brauchte mehrere Minuten, um die Tür zur Bank aufzubrechen, und für die Männer auf der Prinzregentenstraße erwies sich die stabile Scheibe der Filiale als fast unüberwindlich. Glücklicherweise nutzte der zweite Täter in der Bank die Gelegenheit nicht, auf die noch in seiner Gewalt verbliebenen Geiseln zu schießen.16 Aus dem Desaster bei diesem ersten Banküberfall mit Geiselnahme in der Bundesrepublik zog das Polizeipräsidium München die Konsequenz, einigen als gute Schützen bekannten Beamten eine rudimentäre Ausbildung an den Sturmgewehren im Arsenal zu genehmigen; sie galten fortan intern als Präzisionsschützen. Weiteres folgte jedoch nicht, weder die Aufstellung einer speziellen Einheit für solche Situationen – Polizeipräsident Schreiber war gegen eine derartige Truppe, „denn die würde ja das ganze Jahr über Schafkopf spielen“ – noch die Anschaffung geeigneter Funktechnik für die Schützen.17 Allerdings bemühte sich auch kein anderes Land der Bundesrepublik als Schlussfolgerung aus den Münchner Ereignissen darum, Polizisten in Taktiken zur gewaltsamen Geiselbefreiung auszubilden, ebenso wenig der Bundesgrenzschutz.18 Als das Jahr der Spiele begann, veröffentlichten das Zeit-Magazin und der Spiegel, beide in Hamburg ansässig, sehr ähnlich gestimmte Polemiken gegen das Projekt Olympia. Der ehemalige Münchner Lokalreporter Peter Schille schrieb sich in der Ausgabe des Zeit-Magazins vom 7. Januar 1972 27

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offenbar enormen Frust über die Veränderungen in seiner früheren Heimat von der Seele: München sei „unheimlich“ geworden, die „Faszination der Stadt, der einst Thomas Mann bescheinigte, dass sie leuchte“, sei „erloschen“. Vielmehr handele es sich um „Deutschlands dreckigste Metropole, schmutziger als Bochum und lauter als Berlin. Mediziner, Statistiker und Beerdigungsunternehmer wissen: Wer in München lebt, stirbt früher.“ Für die Sommerspiele wolle sich die Stadt „noch einmal als Glamour-City zur Schau stellen“, jedoch werde „unter all dem Glanz und Glimmer sichtbar werden, dass München seinen Charme verkauft und seine Atmosphäre vergiftet“ habe: „Die Weltstadt mit Herz ist eine Allerweltsstadt geworden.“ In selben Stil ging es weiter, zehn Magazinseiten mit großformatigen und erschreckend scheußlichen Fotos lang. Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel habe ungefähr alles falsch gemacht, was falsch zu machen war: Die U-Bahn sei ein „Riesenspielzeug“, das Innenstadtquartier Maxvorstadt „entvölkert“ und der Boulevard Maximilianstraße „ruiniert, um den Autos Platz zu schaffen“. Über das Olympiagelände schrieb Schille: „Im Zeichen der Olympischen Ringe wurde ein monströser Bauboom entfesselt. Die meisten Apartments beim Oberwiesenfeld können sich nur Reiche leisten.“19 Nicht ganz so grotesk verzeichnet, aber immer noch ausschließlich negativ gestimmt schrieb der Spiegel in seiner zeitgleich mit der „Reportage“ des Zeit-Magazins entstandenen Titelgeschichte am 9. Januar 1972: „Die IsarMetropole erhoffte sich von diesem Milliarden-Schub einen kommunalen ,Investitionssprung von zwanzig Jahren‘ – doch schon jetzt wird sichtbar, dass der Vor-Sprung die Plagen von heute nicht beseitigt: Verkehrschaos, Luftverpestung, City-Verödung.“ Der Artikel, nach damaliger Praxis im Spiegel nicht namentlich gezeichnet, malte die Hoffnungen der Verantwortlichen aus: „Allzu verlockend schien die Chance, dass mit der aufwendigen Inszenierung der Spiele in wenigen Jahren für die Stadt bewerkstelligt werden könne, wozu man sonst Jahrzehnte benötigt haben würde: städtebauliche Sanierung alter City-Viertel, Finanzierung neuer städtischer Schnellstraßensysteme, beschleunigter Bau einer U- und S-Bahn, Errichtung längst notwendiger städtischer Sportstätten und einer citynahen Musterstadt mit Kirche und Kegelbahn, Facharzt-Zentrum und Fernsehturm.“ Allerdings seien diese Hoffnungen enttäuscht worden: „Längst ist erkennbar, dass der unmittelbare kommunale Zugewinn für München wesentlich bescheidener ist, als die Olympia-Funktionäre weismachen möchten.“ Stattdessen habe 28

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sich „der Verdacht verdichtet, dass der von Olympia-Optimisten verheißene Vor-Sprung ins nächste Jahrzehnt und die Milliarden-Reklame der Spiele München nur noch schaden können“. Die Metropole sei „verpestet“, habe die höchste Krebssterblichkeit in der Bundesrepublik und könnte dennoch bis 1990 zur „Megalopolis von fast drei Millionen Menschen“ werden. Der Widerspruch von vermeintlich besonders schlechten Lebensbedingungen und der gleichzeitig angeblich extremen Anziehungskraft störte die Spiegel-Autoren nicht.20 Oberbürgermeister Vogel schon; er nannte den Artikel in einem Leserbrief treffend und noch moderat ein „Zerrbild“, das den „Kampf um reale Reformen zumindest nicht erleichtert wird“.21 Ungeachtet solcher publizistischen Attacken gingen die Vorbereitungen weiter. Im Februar 1972 stellte der Polizeipsychologe Georg Sieber dem Ordnungsreferat des Organisationskomitees mehrere fiktive „Lagen“ vor, auf die sich der Ordnungsdienst während der Spiele vorbereiten solle. Sie orientierten sich an polizeilichen Problemen, die in den vergangenen Jahren tatsächlich aufgetreten waren, zum Beispiel Sitzblockaden, die den Verkehr aufhielten und zu Schlägereien von Autofahrern mit Demonstranten eskalierten, oder dem Absturz eines Passagierflugzeuges in der Innenstadt; beides war tatsächlich in den vorangegangenen Jahren in München geschehen.22 Späteren Aussagen Siebers zufolge zählte zu den geschilderten Szenarien auch die „Lage 21“, ein Überfall palästinensischer Terroristen auf das Olympische Dorf vor Tagesanbruch, die Geiseln nehmen würden, um Gefangene freizupressen. Mit Verhandlungen käme man da nicht weiter. Nach Darstellung des Psychologen kanzelte Schreiber dieses Szenario etwa mit den Worten ab: „Das steht jetzt hier nicht auf der Agenda. Das brauchen wir nicht.“23 Stadionsprecher Joachim Fuchsberger berichtete von drastischeren Worten; demnach habe der Polizeipräsident gesagt: „Polizeipsychologen sind dazu da, dass man sie erschlägt“ und Gelächter geerntet.24 Angeblich sei dieser „Plan 21“ nach dem 5. September 1972 von der Münchner Polizei beschlagnahmt worden und danach spurlos verschwunden.25 In Wirklichkeit wurde diese „Lage“ dem Ordnungsreferat offenbar gar nicht vorgestellt, sondern lediglich im Rahmen von Siebers eigener Runde, der „Poko-Studiengruppe“, als „Modell erwogen“. Es sei jedoch „nach Diskussion von allen Beteiligten in der Poko nicht weiter verfolgt“ worden.26 Offenbar hatte Sieber als Gegenmaßnahme vorgeschlagen, die Täter psychologisch zu verwirren: „Verfremdung der Tatortumgebung durch 29

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auffällig kostümierte Frauen, Vernebelung oder starke Berieselung des Tatorts, Abdecken des überfallenen Hauses durch Tarnnetze“. Den Terroristen müssten für jede Aktion rationale, plausible Erklärungen geliefert werden, etwa: „Ein großes Folklorefest im Dorf habe nicht mehr abgesagt werden können, im belagerten Haus bestehe Brandgefahr, oder: Die Israelis hätten eine Gegenaktion angekündigt.“27 Laut einer anderen Quelle habe Sieber vorgesehen, „den Attentätern zu erklären, dass aufgebrachte Menschenmassen versuchten, das Haus zu stürmen. Man hätte dann den Tätern erklären sollen, dass es zu ihrem eigenen Schutz eingenebelt werden müsse. In dieser Situation wäre die Befreiung möglich gewesen“.28 Was immer es genau mit Siebers angeblichem „Plan  21“ auf sich hatte: In die konkrete Vorbereitung des Ordnungsdienstes wurde ein möglicher Guerillaangriff auf ein Mannschaftsquartier im Olympischen Dorf nicht aufgenommen. Sehr wohl hingegen machte man sich Gedanken über Anschläge auf „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, die „aufgrund ihrer politischen oder gesellschaftlichen Stellung bzw. der Lage in ihrem Heimatland als Angriffsziele für Attentate oder Attentatsversuche infrage kommen könnten“. In einem solchen Falle sei es „oberste Aufgabe der Kräfte (…), Leben und Gesundheit der gefährdeten Personen zu schützen bzw. zu retten.“29 Nicht einmal, als die RAF im Mai 1972 sechs Bombenanschläge beging, die vier Menschen töteten, mehr als 50 teilweise lebensgefährlich verwundeten und die Bundesrepublik in helle Aufregung versetzten, wich die Münchner Polizei von der Erwartung ab, Attentate drohten vor allem bestimmten Zielpersonen.30 Dabei detonierte auch vor dem Landeskriminalamt in München so eine Ladung und verletzte sieben Menschen schwer, darunter einen zehnjährigen Jungen. Im Bekennerschreiben hieß es: „Die Taktik und die Mittel, die wir anwenden, sind die Taktik und die Mittel des Guerilla-Kampfes.“31 Möglicherweise hielt man diese Bedrohung für erledigt, denn im Juni 1972 konnte die Polizei die gesamte Führung der RAF festnehmen; gefahndet wurde danach lediglich noch nach Randfiguren. Doch der Schluss der Sonderkommission Baader-Meinhof des BKA war allzu optimistisch: „Es bleibt zu hoffen, dass bewaffnete Gewalt und Terror sich als Mittel der politischen Auseinandersetzung in unserem Lande nicht wiederholen.“32 Die RAF hatte nie direkt mit Anschlägen gegen die Sommerspiele gedroht, doch in linksradikalen Kreisen der Bundesrepublik galt Olympia 30

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1972 als Feindbild. Ein „Antiolympisches Komitee“ in Frankfurt kritisierte, es handele sich bei den Sommerspielen um eine Veranstaltung, „die das System erhält und die Menschen kaputt macht“.33 Die Splittergruppe Kommunistischer Bund agitierte: „Unter dem Vorwand, ein reibungsloses Ablaufen der Sommerspiele gewährleisten zu müssen, bietet sich den Bonner Machthabern sogleich die Gelegenheit, ein weiteres Mal den Notstand zu proben.“34 Der maoistische Kommunistische Jugendverband Deutschlands brachte ein Extrablatt heraus, in dem es hieß: „Der westdeutsche Kriegstreiberstaat ruft die Jugend der Welt und spielt sich als friedliebender Völkerfreund auf. Nach München kommt alles, was Rang und Namen hat in den Reihen der internationalen Konterrevolution.“35 Münchens Polizei rechnete angesichts solcher meist als Flugblätter verbreiteter Parolen mit Verstößen gegen das während der Spiele geltende Demonstrationsverbot, aber nicht mit bewaffneten Angriffen auf das Olympische Dorf oder auf Sportler. Zumal die Kritiker bemerkenswert schlecht informiert waren. So kritisierte drei Wochen vor der Eröffnung der Spiele die Rote Fahne, ein Blatt der ebenfalls maoistischen Kleinpartei KPD/ML-ZB aus Bochum, die Spiele würden außer von der Bundeswehr „von 5000  Mann Polizei aus allen Bundesländern, von tausend Mann Bundesgrenzschutz und weiteren Spezialeinheiten bewacht“.36 In Wirklichkeit gab es jedoch gerade keine „Spezialeinheiten“, sondern einen bewusst unbewaffneten Ordnungsdienst. Bei den Behörden gingen im Vorfeld der Spiele „eine Vielzahl von Mitteilungen ein, in denen die verschiedensten Störungen und Aktionen mit politischem Hintergrund in einem ausdrücklichen, zu vermutenden oder doch nicht auszuschließenden Zusammenhang mit den Olympischen Spielen, seinen Teilnehmern und Besuchern angekündigt waren“, berichtete das bayerische Innenministerium: „Die überwiegende Menge der Informationen kündigte Aktionen von links- und rechtsextremen deutschen Gruppen oder namentlich genannten Einzeltätern an, vereinzelt wurden auch Ausländerorganisationen als mögliche Störer genannt.“ Doch die allermeisten dieser Warnungen enthielten keine konkreten Angaben; lediglich bei 15 Hinweisen ließen sich die vorgesehene Tatzeit (z. B. während der Eröffnungsfeier) und bei fünf das mögliche Zielobjekt (z. B. das Stadion) einigermaßen eingrenzen: „Keine Information enthielt einen spezifischen Hinweis auf eine Gefährdung israelischer Sportler oder israelischer Einrichtungen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen.“ Die für die Mannschaft 31

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aus Israel vorgesehenen Quartiere in der Connollystraße waren einem „israelischen Sicherheitsattaché“ am 9. August  1972 gezeigt worden: „Die Gesprächspartner waren sich einig, dass keinerlei konkrete Hinweise auf Störungen oder Attentatsabsichten gegenüber israelischen Sportlern oder Besuchern vorlagen. Unzufriedenheit des israelischen Sicherheitsbeauftragten mit dem Umfang der vorgesehenen Sicherheitsvorkehrungen war nicht erkennbar.“37 Irgendwann im Frühjahr 1972 entstand im Nahen Osten, mutmaßlich in Beirut oder auch in Tunis, jedoch eine wirkliche Bedrohung für die Spiele. Die nach ihrer blutigen Vertreibung aus Jordanien im September 1970 hauptsächlich in diesen beiden Hauptstädten ansässige PLO verlangte in Briefen an das IOC angeblich, eine Mannschaft Palästinas zu den Sommerspielen in München einzuladen. Das jedenfalls berichteten zwei führende Funktionäre, der PLO-Geheimdienstchef Abu Iyad und Abu Daoud, ein ehemaliger Lehrer, der im Auftrag von PLO-Chef Jassir Arafat Terroranschläge organisierte.38 Da dieses Begehren schon wegen der Nichtexistenz eines palästinensischen Nationalen Olympischen Komitees irreal war, wurde es offenbar (falls es denn überhaupt wirklich gestellt wurde) nicht ernst genommen und hinterließ jedenfalls keine Spuren im IOC-Archiv in ­Lausanne und in der internationalen Presse.39 Abu Iyad und Abu Daoud holten sich Arafats Einverständnis für einen spektakulären Anschlag in München und begannen Ende Juni 1972 mit den Vorbereitungen. Den Leiter des Terrorkommandos und einen Stellvertreter hatten die beiden PLO-Funktionäre bereits ausgewählt: Beide sprachen Deutsch und hatten mehrere Jahre lang in der Bundesrepublik oder West-Berlin gelebt, als Studenten; beide waren Ende zwanzig.40 Hinzu kommen sollten sechs Kämpfer – fanatische junge Palästinenser aus den Flüchtlingslagern als reine Befehlsempfänger. Wahrscheinlich erhielten sie ihre Ausbildung in Terrorcamps in Libyen.41 Als Helfer in der Bundesrepublik gewannen die PLO-Funktionäre einen Deutschen aus dem Umfeld des Antisemiten und propalästinensischen Rechtsextremisten Udo Albrecht: Willi Pohl. Anfang Juli 1972 traf sich Abu Daoud in Dortmund das erste Mal mit Pohl; dieser Kontakt wurde deutschen Polizeibehörden spätestens am 12. Juli 1972 bekannt.42 Der 28-jährige Kriminelle reiste nach Beirut, verpflichtete sich der PLO und kehrte angeblich im Ehrenrang eines „Obersten“ nach Deutschland zurück. Hier stellte er den Kontakt zu einem geübten Passfälscher her und beschaffte drei 32

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Autos. Abu Daoud ließ sich von ihm nach Frankfurt und Köln chauffieren, wo der PLO-Mann andere Araber traf; Pohl saß dabei, verstand aber kein Wort. In Köln waren es „elegante Leute“, sodass er vermutete, es könnte sich um Diplomaten der libyschen Botschaft in Bonn gehandelt haben. Pohl begleitete aber nicht nur Abu Daoud, er erledigte auch selbstständig Botengänge, fuhr zum Beispiel nach Paris und überbrachte einem Palästinenser eine in arabischer Sprache verfasste Nachricht; wahrscheinlich handelte es sich um den späteren Anführer des Terrorkommandos.43 Vermutlich transportierte Pohl auch die Waffen für den Überfall, etwa ein Dutzend Kalaschnikow-Sturmgewehre und anderthalb Dutzend Handgranaten.44 Sie kamen wenige Tage vor der Eröffnung der XX. Sommerspiele in München an. Derweil war ein Hinweis beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz eingegangen: Palästinensische Terroristen könnten während der Spiele einen „Zwischenfall“ inszenieren. Das sei „im Ausland“ in Erfahrung gebracht worden, hieß es weiter. Bei der Quelle handelte es sich um einen Journalisten in Beirut. Ein deutscher Beamter, entweder beim Bayerischen oder beim Bundesamt für Verfassungsschutz, fügte hinzu, solche öffentlichkeitswirksamen Aktionen passten zum Profil palästinensischer Terrorgruppen.45 Allerdings wurde diese Mitteilung offenbar nicht an das Münchner Polizeipräsidium weitergegeben. Jedenfalls war Manfred Schreiber und Georg Wolf davon nichts bekannt, als es am 24. und 25. August  1972 noch einmal Erörterungen der Sicherheitslage mit Vertretern Israels gab – obwohl ein Vertreter des Verfassungsschutzes anwesend war. Zu den Besprechungen gehörte auch eine erneute Ortsbesichtigung in der Connollystraße; diskutiert wurden ferner der Schutz der Israelis im Jugendlager, die Sicherheit israelischer Journalisten und des ihnen zugewiesenen Studios 4 im DOZ sowie die Organisation des geplanten Gottesdienstes zum jüdischen Neujahrsfest am 8. September im religiösen Zentrum des Olympischen Dorfes.46 Unzufriedenheit mit den Vorbereitungen oder besondere Wünsche der Vertreter Israels wurden nicht protokolliert.

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Freude Die ganze Welt schaute auf München. Am 26. August 1972, einem Sonnabend, strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, wie es sich für einen Sommertag gehört. Schon Stunden vor Beginn der Eröffnungsfeier wimmelte das Oberwiesenfeld vor Menschen. Den Hügel über dem Olympiasee überzog eine bunte Kappe wie ein Patchwork aus Stoffresten; in Wirklichkeit waren es Menschengirlanden, die auf den grünen Hängen standen, um einen Blick ins Stadion zu erhaschen. An dessen höchstem Punkt, der gläsernen Sprecherkabine, saß Joachim Fuchsberger und fieberte dem größten Auftritt seiner Karriere entgegen. 80 000 Zuschauer im weiten Oval unter dem Zeltdach würden ihm vor Ort zuhören, vor allem aber eine Milliarde rund um die Welt an den Fernsehschirmen. Das war selbst für den Filmstar ein überwältigendes Publikum.1 Für 15 Uhr war der offizielle Beginn angesetzt, doch schon lange vorher waren nahezu alle Plätze belegt. Nur nahezu alle, denn die Feier sollte laut Protokoll mit dem Erscheinen des höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik und Schirmherrn der Spiele beginnen, deren Startsignal in diesem Moment sieben Alphörner geben würden. Doch Bundespräsident Gustav Heinemann kam zehn Minuten zu früh zu seinem Platz, wodurch dieses Schmankerl der Zeremonie unterging.2 Den anschließenden Einmarsch der Mannschaften aus 122  Ländern begleitete eine der bekanntesten Big Bands Deutschland mit einem schmissigen Medley aus jeweils landestypischen Melodien. Anderthalb Stunden dauerte der Einzug, den die Nationen teils in ihrer offiziellen Mannschaftskleidung, teils in farbenfrohen Trachten absolvierten: die Äthiopier in wallenden silberweißen Gewändern und weißen Sandalen, die Fahnenträgerin Albaniens in skipetarischer Tracht, die Australier in traditionellem Gelb und Grün, die Mannschaft aus Bermuda mit den gleichnamigen Shorts. Die Bulgaren 34

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hielten Rosensträuße in den Händen, die Dänen hatten hellbeige Anzüge und Rollis in intensivem Rot angezogen. Die Franzosen kombinierten kirschrot und tiefblau, die Engländerinnen trugen zartes Lila und die Inder farbige Turbane. Alle Mannschaften wurden von den Stadionbesuchern mit Jubel empfangen: Immer, wenn Joachim Fuchsberger den Namen des Herkunftslandes verkündet hatte, brandete im weiten Oval Beifall auf. Unangenehm fielen allein die wenigen Hundert offenbar sorgsam instruierten Schlachtenbummler aus der DDR auf, die immer nur dann „frenetisch jubelten“, wenn ein Team aus dem Ostblock einmarschierte.3 Eine besondere Erfahrung war der begeisterte Empfang für die Mitglieder der israelischen Mannschaft, 15  Athleten sowie Trainer, Wettkampfrichter, Ärzte und den Teamchef. Viele von ihnen hatten Verwandte im Holocaust verloren, und so begleiteten die meisten gemischte Gefühle, als sie unter der Flagge des jüdischen Staates ins Olympiastadion einmarschierten. Doch sie wurden positiv überrascht; der Geher Shaul Ladany, der als Junge selbst monatelange Qualen im KZ Bergen-Belsen überlebt hatte, schilderte seine Eindrücke: „Überall waren Blumen, schöne Farben, Freiheit, es war eine tolle und angenehme Atmosphäre.“4 Mit Spannung erwartet worden war der Moment, in dem erstmals Sportler aus dem zweiten deutschen Staat als eigenes Team bei Olympischen Sommerspielen auftreten würden – mit Hammer und Sichel auf der schwarz-rot-goldenen Flagge. Anders als befürchtet gab es weder demonstrative Stille noch gar Proteste; die Zuschauer bejubelten die DDR-Sportler nicht weniger laut als die anderer Nationen. Als letzte Teams marschierten direkt nacheinander die besonders großen Mannschaften der Sowjetunion und der USA ein sowie abschließend die westdeutschen Sportler, die Frauen in gelbe Minirock-Kostüme mit schwarzen Blusen gekleidet, die Männer in hellblauen Blazern und schwarzen Hosen. Als auch sie auf dem Rasen Aufstellung genommen hatten, ­kamen etwa 3600 Mädchen und Jungen aus München, ebenfalls in hellblau und gelb, auf die Stadionbahn und brachten den Olympia-Teilnehmern den traditionellen Gruß der Jugend dar. Willi Daume, der die Spiele nach München geholt hatte, erhielt tosenden Beifall, als er seine Hoffnung verkündete, die kommenden zwei Wochen sollten dazu beitragen, „das Trennende zu überwinden und zur Gemeinsamkeit zu finden“.

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Israels Mannschaft marschiert unter frenetischem Jubel der Zuschauer bei der Eröffnungsfeier ein – wie alle anderen Teams.

Schirmherr Gustav Heinemann sprach die entscheidenden Worte: „Ich ­erkläre die Olympischen Spiele in München zur Feier der XX. Olympiade der Neuzeit für eröffnet!“ Die etwas steiferen Programmteile wie das Hissen der Olympischen Flagge und der Olympische Eid wurden mit Auftritten mexikanischer Folkloregruppen und oberbayerischer Schuhplattler aufgelockert, 5000 Tauben erhoben sich in die Lüfte, um die Friedensbotschaft zu verbreiten, und abschließend trug ein erst 18-jähriger Jungathlet aus Niederbayern in schneeweißer Sportkleidung die Fackel mit dem Olympischen Feuer ins Stadion, begleitet von vier Läufern aus Afrika, Asien, ­Amerika 36

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und Ozeanien – gemeinsam repräsentierten die fünf die Kontinente, also die Olympischen Ringe. Zu Big-Band-Musik zogen rund 8000  Olympiateilnehmer unter dem Jubel der Zuschauer aus dem Stadion ab.5 Stadionsprecher Joachim Fuchsberger fühlte sich euphorisch: „Wir lagen uns in den Armen, besoffen vor Glück. Es war geschafft. Wir tanzten auch ohne Sekt in der Glaskabine unter dem Dach. Es war nichts passiert! Die Spiele von München standen unter einem guten Stern. Wir waren sicher, dass wir schon mit der Eröffnungsfeier erreicht hatten, was alle IOC-Präsidenten den gastgebenden Städten und den Organisatoren bei der Schlussfeier zuriefen: ,Thank you all for the best Games ever.‘“6 Die Reaktionen auf die fröhlich-friedliche Eröffnungsfeier waren fast einhellig positiv – in der westdeutschen Presse sowieso, aber auch im Ausland. „Bravo, das wird wirklich eine Olympiade der Fröhlichkeit“, schrieb das Schweizer Sonntagsblatt.7 Ähnlich sah es La Suisse aus Genf: „Die Organisatoren haben ein Wunder vollbracht.“ Den Deutschen sei tatsächlich gelungen, alles zu vermeiden, was an 1936 hätte erinnern können.8 Der Corriere della Sera aus Mailand lobte: „Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass die Deutschen sich gewandelt haben, das Stadion in München hat ihn geliefert.“9 Der Londoner Sunday Telegraph stellte fest: „Die Deutschen inszenierten die Veranstaltung in fehlerloser Präzision.“10 Das Journal du Dimanche, die Sonntagsausgabe der Pariser Tageszeitung France Soir, freute sich: „Grandios, wunderbar. Vergessen Tokio, vergessen Mexiko  – wir wurden in ein anderes Jahrhundert projiziert.“11 Das Svenska Dagbladet aus Stockholm fasste zusammen: „Eine lächelnde und fröhliche Eröffnung der Olympischen Spiele. Alles war froh und farbensprühend, das Programm war wohltuend frei von Perfektionismus und politischer Propaganda.“12 Die New Yorker Daily News lobte die Kinder: „Sie sind der Geist der Münchener Spiele, der Geist eines neu erstandenen Deutschlands.“13 Die Tageszeitung Davar aus Tel Aviv befand: „Das Auftreten einer israelischen Mannschaft in München, der Geburtsstätte der Nazi-Bewegung, ist ein Symbol für die historische Wandlung.“14 Der South China Sunday Post-Herald aus Hongkong schrieb: „Die Olympischen Spiele beginnen mit einem Rausch an Farben.“15 Selbst der Bundesrepublik gegenüber gewöhnlich eher kritische ­Blätter konnten sich der Wirkung nicht entziehen. Die New York Times etwa kommentierte: „Als die zweieinhalbstündige Eröffnungsfeier zu Ende ging, herrschte allgemein das Gefühl, dass die nächsten zwei Wochen mit ihren 37

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Wettkämpfen vielleicht dazu beitragen werden, einige Wunden der Vergangenheit zu heilen. Diese zwei Wochen können die Erinnerungen an die Olympischen Spiele 1936 in Berlin verwischen, aus denen Hitlers Propagandisten einen Nazi-Karneval gemacht hatten.“16 Der Observer aus London gestand ein: „Wie gut haben die Bayern das gemacht! Kein bisschen Militarismus, kein bisschen Bombast, keine Spur von deutscher Herrlichkeit“ und freute sich: „Die Kinder haben die Show gestohlen.“17 Nicht einmal das Neue Deutschland konnte sich der „Farbenpracht der Eröffnungsveranstaltung“ entziehen. Eigenwillig verkürzt angesichts des bei allen Nationen einhelligen Jubels war hingegen die Bemerkung des SED-Zentralorgans: „Starken Applaus erhielten die Sportlerinnen und Sportler der sowjetischen Mannschaft sowie die Aktiven der anderen sozialistischen Staaten.“ Über den Einzug des bundesdeutschen Teams berichtete das Blatt: „Nachdem die Mannschaft des Gastgeberlandes den Einmarsch beendet hatte, begrüßten Münchner Schulkinder mit einem Blumenreigen auf der Aschenbahn die Gäste aus aller Welt.“18 Während die Freude über die gelungene Eröffnung noch fortwirkte, begannen eng getaktet die Wettkämpfe. Gleich am ersten Tag waren zwei Goldmedaillen zu vergeben, bei den Schützen und im Gewichtheben. Bei bestem Wetter, fröhlicher Stimmung an allen Veranstaltungsorten und weitgehend reibungslosem Ablauf wurde Willi Daumes Traum von den „heiteren Spielen“ Wirklichkeit. Ebenso klappte die neben der fröhlichen Stimmung zweite große Innovation der Münchner Spiele: die fast totale TV-Übertragung. 150 Farbkameras und 84 Aufzeichnungsgeräte in Sendequalität, 1972 noch jeweils so groß wie eine Kommode, standen im Deutschen Olympia-Zentrum zur Verfügung. Hier waren auch elf farbfernsehtaugliche Studios eingerichtet. Für die westdeutschen Zuschauer teilten sich die beiden öffentlich-rechtlichen Sender die Berichterstattung auf: An den geraden Tagen übertrug das ZDF, an den ungeraden die ARD – jeweils von 8:50 Uhr morgens bis 0:30 Uhr nachts; dieses Olympia-Programm wurde nur unterbrochen für die Nachrichten. Der jeweils andere Kanal unterhielt das TV-Publikum derweil betont sportfrei. 230 Stunden Olympia-Programm planten ARD und ZDF während der Sommerspiele ein, fast ebenso viel das DDR-Fernsehen: 225 Stunden. Die BBC in London rechnete mit 170 Stunden binnen 16 Tagen, zu 90 Prozent live, und das französische Fernsehen bereitete sich auf 120 Stunden aus München (und von den Segelwettbewerben in Kiel) vor. 38

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Diese Menge an Inhalten musste präsentiert werden: „Alles, was laufen und sprechen kann“, hatte „Sportschau“-Moderator Ernst Huberty vor der Eröffnungsfeier scherzhaft gedroht, werde während der Sommerspiele „vor dem Mikrofon stehen.“19 Der Aufwand war gewaltig: Hatten ARD und ZDF für die Übertragung der Sommerspiele 1964 noch 18 Redakteure nach Tokio geschickt und einen Etat von rund 750 000  Mark eingeplant, waren 1968 in Mexiko schon 46 Redakteure nötig, deren Einsatz 5,3 Millionen Mark kostete. In München 1972 ordneten die Sender mehr als 120 Redakteure ab und gaben 125 Millionen Mark aus – allerdings einschließlich der Kosten für die Bildlieferung an internationale Sender. Das DOZ konnte 16 verschiedene Bildsignale sowie 60 Tonspuren gleichzeitig bereitstellen; neben den elf Studios gab es Dutzende Sprecherkabinen zum Vertonen. Die Regisseure von ARD und ZDF waren für alle inhaltlichen Fragen verantwortlich, also für die Auswahl, welche Kameras live auf Sendung gingen und welche Bilder den internationalen Partnern für deren spätere Zusammenfassungen überspielt wurden. Ihre wichtigste Aufgabe war das „Weltprogramm“, das möglichst alle Entscheidungen live zeigen sollte. Die technische Abwicklung lag komplett in Händen von Beamten der Bundespost, die das Einspeisen der Kamerabilder in das DOZ ebenso überwachten wie die Verbreitung des „Weltprogramms“ und der übrigen Signale an andere Sender per Kabel, Richtfunk oder Satellit. Direkt aus München auf Sendung gingen nur die beiden westdeutschen Sender, andere Länder hatten die Zentralen ihrer eigenen Rundfunkanstalten zwischengeschaltet. Weil weltweit drei verschiedene Farbfernseh-Systeme verwendet wurden, mussten passend modulierte Signale geschickt werden. Dieser enorme Aufwand, das „Fernsehwunder von München“, setzte neue Maßstäbe für die Übertragung von Großereignissen.20 Es gab unter den 4250 akkreditierten Journalisten aus aller Welt einige, die keinen einzigen Wettbewerb im Stadion oder den verschiedenen Veranstaltungsorten live verfolgten, sondern alle ihre Kommentare aus dem DOZ sprachen. Während sich die Spiele scheinbar problemlos entwickelten, gingen die Vorbereitungen für den Anschlag weiter. In zwei Dreiergruppen reisten die Kämpfer des Terrorkommandos im Nahen Osten mit falschen Papieren ab; die beiden Befehlshaber waren schon seit mehreren Tagen vor Ort.21 Dass sich etwas zusammenbraute, erfuhren auch deutsche Behörden – zumindest gerüchteweise: Am 30. August und am 2. September 1972 teilte 39

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Am 4. September 1972 besucht das israelische Team das Gastspiel des ­Musicals „Anatevka“ mit Shmuel Rodensky (mit Vollbart).

abermals eine Quelle im Libanon mit, dass „palästinensische Terrorgruppen aus Beirut mit unbekanntem Ziel zur Durchführung unbekannter Operationen abgereist“ seien.22 Am 31. August 1972 landeten zumindest drei der jungen Palästinenser in Rom, um von hier aus mit dem Nachtzug nach München weiterzureisen.23 Quartier bezogen sie in einem einfachen Hotel in Bahnhofsnähe. Abu Daoud hatte Eintrittskarten besorgt; mindestens zwei der Terroristen gingen am 3. September zum Volleyball und sahen den klaren 3:0-Sieg der Japanerinnen über die Koreanerinnen.24 Inzwischen kannten sich alle acht Mitglieder des Kommandos, hatten mehrfach zusammen gegessen und Zeit miteinander verbracht. Was genau ihr Auftrag in München war, wussten aber bisher nur die beiden Anführer und Abu Daoud. Am Abend des 4. September 1972, des neunten Tages der Wettkämpfe, erreichten die heiteren Spiele ihren Höhepunkt; noch wusste niemand, dass es zugleich die letzten fröhlichen Stunden im Olympiapark sein sollten. Um 14:30 Uhr hatten 23 Hochspringerinnen ihr Kräftemessen bei einer Höhe von 1,66 Meter begonnen. Vier Stunden später lag die Latte auf 1,88 Meter, und nur noch drei Athletinnen waren im Wettbewerb. Unter ihnen die erst 40

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16-jährige Schülerin Ulrike Meyfarth, die erst 1969 mit dem Leistungssport begonnen hatte. Sie bewältigte diese Höhe gleich im ersten Versuch und hatte damit die Bronzemedaille sicher. Die Spannung im flutlichterleuchteten Stadion steigerte sich immer mehr. Als 1,90 Meter zu überspringen waren und alle drei im ersten Versuch scheiterten, ging jeweils ein Aufstöhnen durch die Ränge. Anschließend Jubel, als Ulrike Meyfarth der zweite Versuch gelang. Ihre beiden Konkurrentinnen scheiterten, und so stand die Deutsche als jüngste Leichtathletik-Goldmedaillengewinnerin aller Zeiten fest. Nun war sie nur noch mit sich selbst im Wettbewerb – und ließ die Latte auf Weltrekordhöhe legen: 1,92 Meter, acht Zentimeter mehr als ihre eigene Körpergröße. Sie schaffte es im ersten Versuch und wollte, zur Begeisterung des Publikums, noch einen draufsatteln: 1,94 Meter. Doch das war dann zu viel, an diesem Abend musste sie sich mit persönlicher Bestleistung und Olympia-Rekord begnügen; einen neuen Weltrekord schaffte sie nicht: „Da war die Suppe einfach weg“, antwortete Meyfarth einem der Journalisten, die sie nach der Siegerehrung am späten Abend befragten. Ein Dolmetscher sprach sie versehentlich als „Ulrike Meinhof “ an, was die Siegerin amüsiert lächeln ließ. Dann beendete sie den Tag für sich: „Ich bin ja so müde, ich möchte jetzt ins Bett.“25 Ungefähr zur gleichen Zeit trafen sich neun Palästinenser in einem Lokal in Hauptbahnhofsnähe. Abu Daoud gab seinem Kommando, das Trainingsanzüge trug, allerletzte Anweisungen. Außerdem nahm er ihnen die ohnehin falschen Pässe ab und alles andere, was auf ihre Identität hinwies. Jeder der sechs Kämpfer hatte bei der Ankunft in München 600 DM bekommen, die beiden Anführer fein unterschieden 1200 DM und 1100 DM – das Geld durften sie behalten. Bis tief in die Nacht saßen sie beieinander, aufgeregt über das, was sie in den kommenden Stunden tun würden. Dann, irgendwann gegen 3:30 Uhr morgens, gab Abu Daoud das Startsignal. Mit drei Taxis fuhren die neun Männer zum Oberwiesenfeld und gingen auf die westliche Seite des Olympischen Dorfes. Ihr Ziel: das nachts verschlossene Tor 25a vor der Fußgängerbrücke über die Connollystraße. Von hier aus waren es kaum 100 Meter bis zum Quartier der israelischen Olympia-Mannschaft. Acht von ihnen kletterten mit ihren schweren Taschen über den Zaun. Die Morgendämmerung über München begann gerade.

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Forderung Im Olympischen Dorf gibt es eine gute halbe Stunde nach den ersten Notrufen außer der Nachtschicht der Kriminalwache noch niemanden, der sich um die Koordination der Situation kümmern kann. Also übermittelt Schichtleiter Johannes Lu. die wesentlichen Punkte des mit Maschine getippten Schreibens in englischer Sprache zunächst per Funk ans Polizeipräsidium. Das Ultimatum beginnt mit Beschimpfungen Israels, doch den Großteil machen arabische Namen aus; mehr als zweihundert, überschlagen die Beamten (tatsächlich sind 236  Personen aufgeführt). Es handelt sich um Gefangene in israelischen Gefängnissen, vorwiegend um Kämpfer der PLO, der Fatah und anderer Organisationen sowie um einen Japaner. Außerdem stehen da zwei deutsche Namen: Andreas Baader und Ulrike Meinhof, die beiden bekanntesten Mitglieder der RAF, die seit Juni in deutschen Gefängnissen sitzen. Alle 236 Personen sollen bis neun Uhr freigelassen werden, sonst würden die Geiseln erschossen.1 Gerade erst sind diese Forderungen durchgegeben, als Issa einen Krankenwagen verlangt; man werde einen Verletzten vor die Tür bringen. Nur drei oder vier Minuten vergehen, bis zwei maskierte Männer den Körper von Moshe Weinberg aus der Tür des Hauses Connollystraße 31 zerren. Aus dem Apartment Nr. 2 sehen Zelig Shtorch und zwei Mitbewohner zu; dem Schützen Henry Hershkovitz wird klar: „Das ist kein Witz. Hier passiert etwas Schreckliches.“2 Aber sie sitzen in der Falle, denn wenn sie versuchen, ihr Quartier zu verlassen, geraten sie unweigerlich vor die Mündungen der Kalaschnikows, mit denen ihre Mannschaftskameraden bedroht werden. Zwei Polizeibeamte in Ordnerkleidung stellen fest, dass für Moshe Weinberg jede Hilfe zu spät kommt. Sie bergen den Leichnam zusammen mit Sanitätern und übergeben ihn außer Sichtweite des Tatortes an einen 45

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Rettungswagen des Bayerischen Roten Kreuzes.3 Der Tote wird umgehend zum Institut für Rechtsmedizin der Universität München gebracht. Die ranghöchsten Vertreter der Behörden im Olympiapark sind gegen 5:30 Uhr der Kriminaloberkommissar Johannes Lu., der Kriminalinspektor Walter Na. und Konrad Mü., Hauptmann im Bundesgrenzschutz – drei Beamte des gehobenen Dienstes also. Zwar ist Polizeipräsident Manfred Schreiber mit Blaulicht auf dem Weg und wird per Funk auf dem Laufenden gehalten, aber von den Verantwortlichen in Politik und Organisationskomitee ist noch niemand informiert: Die vorläufige Sicherung der Lage an der Connollystraße hat Vorrang gehabt. Jetzt versucht die Kriminalwache ungefähr zeitgleich, den Bürgermeister des Olympischen Dorfes Walter Tröger und Bayerns Innenminister Bruno Merk zu erreichen. An den Apparat geht zunächst die Ehefrau des Bürgermeisters, der für alle Belange der 12 000 Sportler, Trainer und anderen Olympia-Teilnehmer abseits der Wettkämpfe zuständig ist. Sie informiert ihren Mann, und Tröger macht sich sofort zu Fuß auf, denn er wohnt während der Spiele selbst in einer Wohnung auf dem Olympia-Gelände. Noch aber erfährt er nicht, warum er sofort zur Kriminalwache kommen soll, sondern nur, es sei „etwas passiert“.4 Auch bei Merk kommt, über einen Mitarbeiter, zunächst nichts Genaueres an. Es handele sich um eine „unklare Situation“. Merk notiert: „Rauferei zwischen Sportlern?“5 Derweil versuchen die Beamten vor Ort, alle Optionen offenzuhalten  – gegebenenfalls auch die einer gewaltsamen Befreiung. Also fordert die Kriminalwache beim Präsidium Sturmgewehre an, denn sie verfügt nur über normale Polizeipistolen, während die Geiselnehmer Kalaschnikows mit den typischen, nach vorne gekrümmten Magazinen tragen. Das ist die letzte Entscheidung, die der Schichtleiter der Kriminalwache selbst treffen muss, denn endlich trifft Manfred Schreiber ein, der sofort die Verantwortung übernimmt und einen Krisenstab bildet. Der 46-jährige Polizeipräsident, bekannt als gleichermaßen zupackend wie umsichtig, lässt sich eine Viertelstunde lang so umfassend wie möglich über die Lage informieren. Denn noch bestehen vor allem Unklarheiten. So klingelt das Polizeipräsidium zwei Arabisch-Dolmetscher aus den Betten und lässt sie zum Olympischen Dorf bringen, obwohl doch Gertrud Lau. schon seit mehr als einer halben Stunde auf Deutsch mit Issa spricht und mehrere andere Beamte das mitbekommen haben. Die erste interne Ad-hoc-Meldung spricht von mindestens einem Geiselnehmer, obwohl sich schon drei unterschiedlich 46

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gekleidete Bewaffnete gezeigt haben, und von mindestens 26 israelischen Geiseln, obwohl im ganzen Haus Connollystraße 31 nur 21 Olympia-Teilnehmer aus Israel untergebracht sind.6 Inzwischen sind erste Gerüchte über einen Zwischenfall im Olympischen Dorf durchgesickert. Gegen sechs Uhr morgens ruft jemand aus der DDR-Mannschaft, die zum großen Teil im Haus Connollystraße 24 untergebracht ist, in der Pressestadt auf der anderen Seite der S-Bahn an und teilt mit, „dass bewaffnete Kräfte nachts in das Olympische Dorf eingedrungen sind und das Haus der israelischen Mannschaft besetzt haben. Es gab Schießereien, und es soll Tote gegeben haben“.7 Sofort machen sich drei DDRSportjournalisten auf den Weg – als „Reisekader“ sind sie verpflichtet, der Staatssicherheit nach ihrer Rückkehr Bericht über außergewöhnliche Ereignisse zu erstatten. Auch außerhalb Münchens werden jetzt Behörden auf die Geschehnisse im Olympischen Dorf aufmerksam: Um 6:10 Uhr fordert der Lagedienst des Bundesinnenministeriums in Bonn einen Bericht an, der umgehend mündlich erteilt wird. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Sicherheitsbeauftragten ausländischer Botschaften über relevante Ereignisse der inneren Lage zu informieren, wenn ihre Staaten betroffen sein könnten. Eine Geiselnahme israelischer Olympia-Teilnehmer geht Israels Botschaft an, da besteht kein Zweifel. Gegen halb sieben Uhr morgens deutscher Zeit erreicht so die Nachricht vom Überfall die Regierung in Jerusalem; hier ist es 7:30 Uhr. Aus dem Überfall im Olympischen Dorf ist eine internationale Krise geworden. Um 6:25 Uhr erfährt Bruno Merk, dass es sich nicht um eine „Rauferei“ handelt, sondern um einen „Überfall auf das israelische Quartier“. Sofort fordert er einen Wagen an, um sich zum Dorf fahren zu lassen. Nach einer Viertelstunde wird der Minister abgeholt.8 Auch Hans-Dietrich Genscher, der als Bundesinnenminister auf nationaler Ebene für Sport zuständig ist und deshalb während der Münchner Spiele im Grand Continental Hotel wohnt, dem ersten Haus am Platze, ist sofort aus dem Lagezentrum seines Ministeriums angerufen worden. Der 44 Jahre junge Minister weckt rasch selbst seinen Fahrer und die Sicherheitsbeamten, dann geht es so schnell wie möglich los zum Ort des Geschehens.9 Inzwischen hat jedoch der morgendliche Berufsverkehr eingesetzt, und anders als Manfred Schreibers Dienstwagen hat Genschers Mercedes  280  SE kein Blaulicht; einen Streifenwagen als Geleit gibt es 47

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nicht, weil alle verfügbaren Beamten schon am Olympischen Dorf im Einsatz sind. Davon allerdings sieht der DDR-Journalist Martin Kramer nichts, als er mit dem Rad von der Pressestadt jenseits der S-Gleise zum Dorf fährt. Ihm fallen rechter Hand des Weges Athleten aus Nordkorea und der UdSSR beim morgendlichen Training auf; linker Hand sieht er nichts Ungewöhnliches: „Das Dorf liegt ruhig. Keine besonderen Absperrungen.“ Allerdings ist das normalerweise tagsüber geöffnete Tor zwischen dem Fernsehzentrum und dem Olympischen Dorf geschlossen und bewacht; als sich Kramer nach dem Grund erkundigt, wird er auf die geöffneten Haupteingänge auf der anderen Seite verwiesen. Dort sagt ihm ein bayerischer Bereitschaftspolizist wenig später: „Gehen Sie lieber nicht hinein, wenn Sie nicht als Leiche wieder herauskommen wollen.“10 Gegen halb sieben Uhr morgens schauen die im Apartment Nr. 2 festsitzenden sechs Israelis hinaus auf die Connollystraße. Unter ihnen sind zwei Sportschützen – und sie haben ihre Waffen bei sich im Quartier. Doch Henry Hershkovitz lehnt den Vorschlag eines Sportkameraden ab, selbst zu Gewalt zu greifen: „Du weißt nicht, wie viele es sind, wie viele Israelis sie haben. Es ist besser, dass andere etwas unternehmen.“11 Sie kommen überein zu flüchten und zu hoffen, dass gerade kein Terrorist auf sie feuern kann. Fünf von ihnen entkommen; zurück bleibt Zelig Shtorch. Etwa zur gleichen Zeit wird Gerd Bonk unsanft geweckt. Für den Gewichtheber im Superschwergewicht, einen Berg von einem Mann, ist es ein wichtiger Tag, denn am späten Nachmittag ist sein Wettkampf angesetzt; deshalb will er ausschlafen. Jetzt aber wird der 21-Jährige von seinem Mitbewohner im Quartier der DDR-Mannschaft in der Connollystraße 24 mit den Worten geweckt: „Geh’ nicht auf den Balkon, da kannst du erschossen werden.“12 Bonk, der seit 1971 als IM „Händel“ regelmäßig der DDRStaatssicherheit Spitzelberichte liefert, hält sich an den Rat, lugt aber dennoch aus dem Fenster seines Zimmers hinüber zum israelischen Quartier. Nach nur anderthalb Stunden Schlaf klingelt das Telefon Kriminalinspektor Heinz Hohensinn aus dem Bett. Er gehört zum Dezernat Organisierte Kriminalität und arbeitet dort als Sonderfahnder. Während der Sommerspiele ist es die Aufgabe seiner Gruppe aus jüngeren und durchsetzungsfähigen Beamten, Kriminalität in München so gut wie möglich zu unterdrücken. Hohe Polizeipräsenz mit häufigen Kontrollen soll die Halbwelt abschrecken. Obwohl Hohensinn bis tief in die Nacht unterwegs 48

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war, muss er jetzt schon wieder zum Dienst: Bewaffnet soll er ins Olympische Dorf kommen, wo eigentlich normale Polizisten unerwünscht sind.13 Jedenfalls bisher. Um 6:37 Uhr, vermerkt ein Beamter in der Kriminalwache Olympisches Dorf penibel im Einsatztagebuch, ruft ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks an und fragt, was denn geschehen sei? Man wolle in den SiebenUhr-Nachrichten berichten. Nach kurzer Rücksprache teilt der Diensthabende wortkarg mit, der Polizeipräsident habe eine Nachrichtensperre verhängt.14 Die erste von zahlreichen Pannen bei der Medienarbeit an diesem Tag. Denn so eine knappe Mitteilung hält den BR natürlich nicht davon ab, als Spitzenmeldung um Punkt sieben Uhr im Radio zu bringen, dass im Olympischen Dorf auf israelische Sportler geschossen werde. Bruno Merk hört es im Autoradio auf dem Weg zum Ort des Geschehens.15 Weil Karl-Otto Saur und seine Frau drei kleine Kinder haben, ist der junge Journalist schon um diese Zeit auf den Beinen und hört Radio, obwohl seine Arbeit in der Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung regulär erst um zehn Uhr beginnt. Am 1. August ist der 28-Jährige nach dem Ende seiner Ausbildung angestellt worden; die Olympischen Spiele sind sein erster „Großeinsatz“. Als Saur die knappe Nachricht im Bayerischen Rundfunk hört, ist ihm sofort klar, „dass dies eine unvorstellbare Katastrophe“ ist. Er fährt sofort los in die Redaktion, wo nach und nach seine Kollegen eintreffen. Beim wichtigsten Blatt der Landeshauptstadt herrscht „Ratlosigkeit“.16 Erst kurz nach der Radiomeldung bekommt der gerade gebildete Krisenstab Bayerns Ministerpräsidenten Alfons Goppel ans Telefon; damit sind endlich alle wesentlichen politischen Entscheidungsträger informiert. Im dritten Stock des Olympia-Verwaltungshauses an der Lerchenauer Straße haben sich inzwischen die Mitglieder des Krisenstabes versammelt: Bayerns Innenminister Bruno Merk, seit 7:10 Uhr vor Ort, übernimmt die Leitung, denn Polizeiangelegenheiten sind in der Bundesrepublik Sache des jeweiligen Landes. Genscher, der um 6:58 Uhr im Dorf eingetroffen ist, vertritt die Bundesregierung, da wegen der israelischen Geiseln zwangsläufig außenpolitischer Handlungsbedarf besteht. Vom Nationalen Olympischen Komitee ist schon seit 6:46 Uhr Willi Daume anwesend, formal der Gastgeber der Spiele in München. Um 7:10 Uhr kommt Avery Brundage hinzu, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees; der USAmerikaner repräsentiert den Veranstalter der Spiele. Schreiber ist als Ordnungsbeauftragter dabei und Tröger als Bürgermeister, später erscheinen 49

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der ehemalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, nun in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender des Organisationskomitees, und sein Nachfolger Georg Kronawitter; jeweils mehrere hohe Beamte aus dem bayerischen Innenministerium und aus dem Auswärtigen Amt komplettieren das ad hoc gebildete Gremium.17 Viele verschiedene Interessen sind zu berücksichtigen, trotzdem ist sich der Krisenstab sofort einig, auf Kompetenzgerangel und formale Abstimmungen zu verzichten.18 Merk notiert genervt: „Riesengedränge (alle Offiziellen …).“19 Nachdem Genscher sich so umfassend wie möglich informiert hat, lässt er eine Verbindung zu Bundeskanzler Willy Brandt in dessen Dienstwohnung auf dem Bonner Venusberg herstellen. Gegen 7:30 Uhr reden die beiden miteinander; Genscher teilt dem Regierungschef seine Einschätzung mit und empfiehlt eine Sondersitzung des Kabinetts. Dann ruft er Außenminister Walter Scheel an, der zugleich Vorsitzender des Koalitionspartners FDP ist, also ein Parteifreund des Innenministers. Viel tun kann die politische Spitze aber aktuell nicht.20 Auch den Bundespräsidenten Gustav Heinemann, den Schirmherrn der Spiele, informiert der Innenminister persönlich.21 Schließlich gibt Genscher noch seinem Verbindungsoffizier zum Bundesgrenzschutz, Oberstleutnant Ulrich Wegener, die Weisung, den israelischen Botschafter in Deutschland so schnell wie möglich ins Olympische Dorf zu bringen. Wegener organisiert eine Maschine der Bundeswehr auf dem Flughafen Köln-Bonn für Eliashiv Ben-Horin und den Transfer dorthin. Ziel des Fluges ist der Luftwaffen-Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, der während der Spiele als zusätzlicher Olympia-Flughafen dient.22 Ungefähr zur gleichen Zeit kommen die beiden DDR-Sportjournalisten Dieter Wales und Wolfgang Gitter am Tor zur unterirdischen Fahrbahn der Connollystraße an. Sie können ohne Schwierigkeiten passieren, obwohl sie normale Straßenkleidung tragen, keine Trainingsanzüge. Ihre „ID-Anhänger“, die sie als Reporter mit Zugang zum Olympischen Dorf ausweisen, müssen sie nicht zeigen – sie stellen sich nur vor und bitten darum, das Quartier der DDR-Athleten aufsuchen zu dürfen. „Sie wollen zu Ihrer Mannschaft“, antwortet ein Ordner: „Na, gehen Sie nur.“23 Die weiträumige Absperrung, die Manfred Schreiber bald nach seinem Eintreffen im Olympischen Dorf angeordnet hat, ist bis 7:45 Uhr nur auf der oberen, der Fußgänger-Ebene der Connollystraße umgesetzt; hier lassen eine innere Sperrkette aus hellblau gekleideten Ordnern und eine äußere, vom Tatort aus nicht sichtbare Reihe uniformierter Beamter niemanden durch. Die untere 50

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Ebene aber wird erst jetzt von Bereitschaftspolizei wirksam gesichert, und diese Männer sind unnachgiebig: Als wenige Minuten nach den zwei DDRSportjournalisten am selben Tor ein ZDF-Kamerateam mit dem bekannten Moderator Harry Valérien um Einlass ins Dorf bittet, wird ihnen der Zugang verwehrt – trotz ihrer Presseausweise. Derlei ist für Münchens Polizei-Vizepräsidenten Georg Wolf natürlich kein Problem. Der Stellvertreter von Schreiber hat an diesem Dienstag eigentlich frei und ist deshalb per Telefon nicht erreichbar gewesen, doch er hört die Nachrichten des Bayerischen Rundfunks und eilt los. Kurz vor acht Uhr trifft der studierte Jurist am Haupteingang ein und wird sofort weiter zum Krisenstab in den Büroräumen des Bürgermeisters des Olympischen Dorfes geführt. Als Chef der Schutzpolizei und bewährter Einsatzleiter ist er dort eine wichtige Verstärkung. In Tel Aviv erfährt Zwi Zamir, der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, von der Geiselnahme in München. Umgehend macht er sich auf den Weg nach Jerusalem, um Ministerpräsidentin Golda Meir zu treffen. Wie Israel auf diese Herausforderung reagieren wird, muss die Regierungschefin nach Absprache mit dem Kabinett entscheiden.24 Etwa zeitgleich wird auch Oberstleutnant Ehud Barak informiert, der Kommandeur der Eliteeinheit Sajeret Matkal der israelischen Armee. Er ruft sofort seinen direkten Vorgesetzen Aharon Yariv an, den Chef des Militärnachrichtendienstes Aman: „Wir sind abmarschbereit. Keine Chance, dass die Deutschen das hinbekommen, die nicht einmal wissen, was sie da haben.“ Nicht Geringschätzung bringt Barak dazu, obwohl er „die Deutschen“ nicht mag, sondern Verständnis: „Die Deutschen haben keinerlei Erfahrungen im Kampf gegen solche Terroristen, wo es um Geiselbefreiung geht und dann auch noch an einem Ort wie dem Olympischen Dorf.“ Der Offizier hat nicht nur im Sechstagekrieg, sondern auch bei verdeckten Einsätzen seiner Truppe Kampferfahrungen gesammelt und sagt darauf gestützt über die Aussichten der deutschen Polizei: „Keine Chance, dass sie das schaffen. Sie werden alle möglichen Anfängerfehler machen, die jeder macht, wenn er nicht gut genug ausgebildet ist. Und das könnte sehr teuer werden. Also, ich bitte Dich dringlich, denjenigen, der die Entscheidung zu treffen hat, zu überzeugen.“25 Inzwischen verbreitet sich die Nachricht von der Geiselnahme mit bereits einem toten Israeli im Olympischen Dorf um die Welt. Um neun Uhr Ortszeit (acht Uhr Münchner Zeit) berichtet der israelische Rundfunk; zur 51

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selben Zeit strahlt die BBC per Kurzwelle eine knappe Meldung aus, die in vielen Ländern der Erde empfangen werden kann. Vor allem im Nahen Osten sind die Reaktionen heftig: Über „unkontrollierbare Wut“ auf Israels Straßen berichten Beobachter, während in Beirut „militante Palästinenser“ über die Geiselnahme „jubeln“.26 Ungefähr gleichzeitig klingelt in Zimmer 1810 des Sheraton München das Telefon und reißt Jim McKay aus dem Schlaf. Der Sportreporter des US-Senders ABC vermutet einen Irrtum, denn er hat keinen Dienst – doch dann erfährt er, was geschehen ist. Sein Chef Roone Arledge bestellt ihn für mittags ins DOZ, er soll die Livemoderation aus München übernehmen. Doch wenig später erhält er den nächsten Anruf: Die Sendezentrale in New York will so bald wie möglich nach München schalten, und er soll sofort kommen, um sich vorzubereiten. McKay macht sich auf.27 Vor dem Eingang zum Haus 31 kommt es zu einer Wachablösung aus eigener Initiative: Die Kriminalhauptmeisterin Anneliese Graes, vom Polizeipräsidium Essen an das Organisationskomitee ausgeliehen, geht zu ihrer Kollegin Gertrud Lau., die seit fast drei Stunden als Verbindungsfrau den Kontakt mit Issa gehalten hat und schon seit 20 Uhr im Dienst ist. Die beiden Frauen gehören zu den nur gut drei Dutzend weiblichen Mitgliedern des Ordnungsdienstes, dessen übrige knapp 2000 Angehörige Männer sind. Graes’ Vorgesetzte sind gegen ihren Vorschlag, die Kommunikation mit Issa zu übernehmen, aber sie lässt sich nicht aufhalten.28 Einen deutlich besseren Überblick als die Polizistin in hellblau hat Wolfgang Gitter. Der ostdeutsche Journalist hat es von der Auto-Ebene der Connollystraße ins DDR-Quartier geschafft und schaut aus dem Zimmer eines Verbandstrainers hinaus; gegenüber liegt der erste Stock des besetzten Hauses. „Entfernung etwa 15 Meter“, hält Gitter fest und beschreibt detailliert, was er sieht: „Fünf bewaffnete Kräfte schauen lachend herüber. An der Eingangstür im Erdgeschoss der Anführer im grauen Leinenanzug mit weißem Hut, das Gesicht braun verschmiert; im ersten Stock am Fenster ein Posten mit dunkelgrauem, breitkrempigem Hut, großer Sonnenbrille, rot gemustertem Hemd weit geöffnet, goldenes Kettchen.“ Ihn nennt Gitter in seinen Notizen fortan den „Cowboy“; er bekommt nicht mit, dass Issa ihn als Tony anspricht. Auch mehrere weitere Männer des Kommandos beschreibt der DDR-Journalist genau: „Zeitweilig dort beziehungsweise im Treppenhaus ein junger Mann mit krausem schwarzem Haar, rotem Hemd. Eine ihm sehr ähnliche und gleichartig gekleidete Person mit MPi an der Tür zur Ba52

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lustrade im zweiten Stock; eine Person in dunkelblauem Hemd zeitweilig im Zimmer im ersten Stock, meist im Treppenhaus oder auf dem Weg in die Fahretage.“ Mehrere Mitglieder der DDR-Mannschaft greifen zu ihren Kameras und wollen Fotos machen. „Daraufhin winkt der ‚Cowboy‘ protestierend ab. ,I don’t like that‘ und greift zur MPi, ohne sie anzulegen“, registriert Gitter: „Er gibt uns zu verstehen, dass die DDR-Mannschaft nichts zu befürchten hätte.“29 Es ist 8:15 Uhr.

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Der zweite Anführer des Terrorkommandos, der sich selbst „Tony“ nennt, trägt stets Cowboyhut und Sonnenbrille.

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Einer der Kämpfer des Kommandos im zweiten Stock der Connollystraße 31. Alle wechseln oft die Kleidung und maskieren sich.

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Vielleicht derselbe Terrorist beobachtet etwas, das sich gerade auf der ­Fußgängerebene der Connnollystraße abspielt.

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Der Anführer des Kommandos, der sich „Issa“ nennt, im Gespräch mit ­Annelies Graes, die stets den richtigen Ton findet.

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Verhandlung Seit etwa zehn Minuten steht Anneliese Graes in ihrer hellblauen Uniform vor dem Eingang der Connollystraße 31, Gertrud Lau. ist zum Hauptquartier des Ordnungsdienstes zurückgegangen. In der Hand hält Graes eines der mobilen Funkgeräte, das sie direkt mit der Kriminalwache verbindet. Noch hat sie nicht mit Issa gesprochen. Gegen 8:35 Uhr kommen zum ersten Mal Mitglieder des Krisenstabes zum Tatort, um mit den Terroristen zu verhandeln; es sind Manfred Schreiber und Walther Tröger.1 In ihrer Begleitung ist der Ägypter Ahmet D. Touny, ein Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees. Vielleicht, so das Kalkül, kann ein Araber besser auf den Palästinenser einwirken als Deutsche? Denn in 25 Minuten läuft das Ultimatum ab, das die Geiselnehmer gestellt haben, und die Politik in Bonn und Jerusalem hat gerade erst begonnen, sich mit der Lage zu befassen. Bis neun Uhr, so viel ist klar, wird es keine wie auch immer geartete Entscheidung geben – die Zeit ist einfach zu knapp. Also muss der Krisenstab eine Verlängerung der Frist erreichen. Einige Meter vor der Tür bleiben die drei Männer stehen und weisen Annelise Graes an, zur Tür zu gehen und Issa um ein Gespräch zu bitten. Auf ihr Handzeichen kommen die drei näher, dann tritt der Palästinenser im hellen Anzug heraus. Schreiber bietet ihm alles an, was er anbieten kann: freies Geleit, sich selbst als Ersatzgeisel und Geld, doch ohne Erfolg. Dann bittet der Polizeichef, dass wenigstens einige der Sportler freigelassen werden, als Zeichen guten Willens. Issa lehnt ab; er kommt Schreiber „sehr cool, ideologisch fast fanatisch“ vor.2 Während dieses ersten Gesprächs taxiert der 46-Jährige sein Gegenüber und überlegt, ob er den deutlich jüngeren Anführer der Terroristen vielleicht überwältigen und selbst als Geisel nehmen könne, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Doch Issa durchschaut ihn und zeigt demonstrativ die Handgranate, durch deren 58

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Sicherungsstift er seinen Daumen gesteckt hat. Falls er attackiert werden sollte, wird diese Granate ziemlich sicher explodieren. Schreiber beendet sein Gedankenspiel.3 Dann wendet sich Issa um und geht zurück ins Haus; er hat zugestanden, das Ultimatum um drei Stunden zu verlängern. Aufmerksam schaut Wolfgang Gitter aus dem Fenster des DDR-Quartiers zu; er kann zwar nichts verstehen, ist aber doch so nahe am Geschehen, dass ihm die „weiße Lackleder-Schultertasche“ auffällt, die Anneliese Graes trägt.4 Wenig später lässt einer der Palästinenser aus dem ersten Stock ein paar Blätter Papier auf die Connollystraße fallen – ein zweites Kommuniqué, in dem handschriftlich zwölf Uhr als Ende der Frist nachgetragen ist. Offenbar ist eine Verlängerung des Ultimatums von vorneherein eingeplant; ein echtes Zugeständnis hat Issa also gar nicht gemacht. „Die arrogante Haltung des israelischen Militärregimes und seine Weigerung, auf unsere Forderungen einzugehen, werden uns nicht dazu verführen, unsere menschliche Haltung aufzugeben und in unseren Bemühungen fortzufahren, einen Weg zu finden, um die israelischen Gefangenen unter folgenden Bedingungen zu retten“, heißt es in dem Kommuniqué: Die Bundesrepublik solle ihre Bereitschaft erklären, die Gefangenen an jeden beliebigen Ort zu bringen, der von „den revolutionären Kräften im Olympischen Dorf bestimmt“ werde. Dazu sollen drei Flugzeuge bereitgestellt werden, mit denen die Geiseln ausgeflogen werden; „jede Gruppe wird München verlassen, sobald die vorhergehende Gruppe ihr Ziel erreicht hat“. Die Drohung bleibt bestehen: „Jeder Versuch, unsere Operation zu stören, wird mit der Liquidierung aller israelischen Gefangenen enden, und die Bundesrepublik wird dafür verantwortlich gemacht werden.“ Sollten die Forderungen nicht bis zwölf Uhr erfüllt sein, werden „unsere revolutionären Kräfte Befehl“ erhalten, „revolutionäre und gerechte Gewalt anzuwenden, um den Kriegshäuptern der israelischen Militärmaschine und der Arroganz der Bundesrepublik eine sehr harte Lektion zu erteilen“.5 In Apartment Nr. 2 des besetzten Hauses hält sich immer noch Zelig Shtorch auf. Er hat eine Patrone in sein Kleinkalibergewehr geladen und könnte Issa, der nur wenige Meter entfernt vor dem Eingang zum besetzten Haus steht, problemlos treffen. Doch als Shtorch sieht, dass offensichtlich hochrangige Männer mit dem Anführer der Terroristen verhandeln, hofft er auf eine friedliche Lösung der Geiselnahme. Statt anzulegen und zu schießen, nimmt er die Patrone aus der Kammer, versteckt das Gewehr unter seinem Bett und flüchtet ebenfalls.6 59

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Georg Wolf hat, während vor dem Haus Connollystraße 31 das Gespräch mit Issa stattfindet, eine wichtige Umorganisation vorgenommen: Neben dem politischen Krisenstab gibt es im Verwaltungsgebäude des Olympischen Dorfes jetzt zusätzlich einen polizeilichen Einsatzstab. Zu dessen Aufgaben gehören „die genaue Erkundung der örtlichen Verhältnisse unter Zuhilfenahme von Objekt- und Stockwerksplänen; Überprüfung aller bisher durchgeführten polizeilichen Maßnahmen; Entwicklung einer Einsatzkonzeption; Befehlserteilung“; der Polizeivizepräsident selbst stellt die Verbindung her zwischen den beiden Gremien, dem politischen und dem polizeilichen.7 Damit wird Wolf gewissermaßen ein „Chef des Stabes“, wie es Schreiber ausdrückt: Er muss die „politischen Entscheidungen in die Polizeipraxis“ umsetzen und „umgekehrt die Erkenntnisse aus den polizeitaktischen Erwägungen an den Krisenstab“ herantragen.8 Auf dem 51-Jährigen lastet damit eine enorme Verantwortung. In Bonn spricht der knapp 24-jährige Doktorand Peter Brandt mit seinem Vater und bietet sich selbst als Ersatzgeisel an. Der Bundeskanzler bedankt sich, erwidert aber, dass sich die Geiselnehmer wohl nicht darauf einlassen werden  – sie haben ja bereits andere Ersatzgeiseln abgelehnt. Das Angebot wird vermutlich nicht nach München weitergeleitet. Peter Brandt macht seinen Vorschlag aus verschiedenen Motiven: Simples Mitleid mit den Sportlern und ihren Familien gehört dazu, aber ebenso sein Entsetzen über den politischen Schaden der Geiselnahme einerseits für die deutschisraelischen Beziehungen, andererseits für die Wahlchancen der SPD bei der im Spätherbst anstehenden Neuwahl des Bundestages und schließlich für das Ansehen der palästinensischen Sache; Peter Brandt lehnt Gewalt und Terror gegen Unbeteiligte und Zivilisten ab.9 Das Angebot seines Sohnes habe ihn bewegt, notiert Willy Brandt.10 Am Tatort ergibt sich ein weiteres unerwartetes Problem: In der Atelierwohnung auf dem Flachdach des an sich dreistöckigen Betonplatten-Hauses Connollystraße 31 befinden sich noch mehrere Bewohner; es sind Teilnehmer aus Hongkong. Offensichtlich verstehen sie die Brisanz der Lage nicht, sondern finden amüsant, was sie sehen. Einer der jungen Männer tut sogar so, als wolle er etwas auf den Terroristen werfen, der auf dem balkonartigen Weg vom Treppenhaus zu den Wohnungen im zweiten Stock steht. Wolfgang Gitter sieht aus der Wohnung der DDR-Mannschaft, dass der „Cowboy“ Anneliese Graes zu verstehen gibt, die Zuschauer sollten verschwinden – aber nicht über das Treppenhaus, das zu ihrer Wohnung 60

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führt.11 Daraufhin klettern mehrere Sportler und eine blonde Frau aus der Wohnung über die Balustrade zum benachbarten Haus an der Connollystraße und gehen erst einmal frühstücken. Die Kommunikation über Graes laufen zu lassen, erweist sich als Glücksgriff. Denn die 41-Jährige ist schlagfertig und findet instinktiv den richtigen Ton, sodass Issa sie ernst nimmt. Zum Beispiel fragt sie ihn: „Was soll dieser Unsinn?“ Der Anführer antwortet, dass es „ja nicht gegen Deutsche“ gehe, sondern darum, „Palästinenser aus einem israelischen Gefängnis zu befreien“. Dann erkundigt sie sich, wie er ins Dorf gekommen sei, und Issa erklärt, dass er hier „in einer Milchbar“ gearbeitet habe. Das nimmt ihm die erfahrene Beamtin nicht ab; sie vermutet, ihm gehe es darum, Verwirrung zu stiften. Graes kann Issas Akzent eingrenzen; möglicherweise hat er lange in einem französischsprachigen Umfeld gelebt, was für eine Herkunft aus dem Libanon spräche. Allerdings karikiert Issa seinen Akzent selbst, indem er auffällig oft „oh, là, là“ sagt. In „burschikoser Art“ bittet die Kontaktfrau, er möge „nicht immer vor mir mit den Waffen herumlaufen“. Lachend wiederholt Issa, sie habe nichts zu befürchten.12 Aber stimmt das? Wenige Minuten nach neun Uhr verbreitet sich im Dorf ein Gerücht: Drei bewaffnete Männer seien auf der Treppe hinunter zur Fahrebene gesehen worden. Planen die Palästinenser einen gewaltsamen Ausbruch mit ihren Geiseln? Bei den gar nicht oder nur mit Dienstpistolen bewaffneten Ordnern und Polizisten rund um die Connollystraße 31 bricht Nervosität aus.13 Wenn es zu einer Schießerei kommt, steht Anneliese Graes mitten im Feuer. Im Olympiapark und an anderen Sportstätten haben um neun Uhr planmäßig die Wettbewerbe begonnen – außer im Stadion, in dem an diesem Tag die Generalprobe für die Abschlussfeier stattfindet.14 In der Volleyballhalle zum Beispiel trifft Japan auf die deutschen Herren. Tausende Zuschauer klatschen und jubeln, als sei im kaum 200 Meter entfernten Dorf alles wie immer. Auch an anderen Veranstaltungsorten geht das Programm weiter; Entscheidungen stehen unter anderem im Dressurreiten, Ringen, Gewichtheben und Boxen an, Vorrundenspiele im Handball, Basketball und Fußball. Auf den Fußwegen und Freiflächen des Dorfes bewegen sich Sportler und andere Olympiateilnehmer ganz normal, denn nur die Connollystraße ist abgesperrt. Aber auch nur unvollkommen: Dieter Tasch, Reporter bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, steht seit etwa neun Uhr innerhalb des 61

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Sperrkreises in einer Telefonzelle und berichtet seiner Redaktion fortlaufend, was er sieht. Als sein Kleingeld zum Anrufen knapp wird, stellt er fest, dass der Apparat in der Zelle auch angerufen werden kann. Er gibt die Nummer durch und bleibt so mit den Kollegen in Hannover in Kontakt. Manchmal verlässt der 44-Jährige die Zelle auch, um Eindrücke in der Umgebung zu sammeln; den Hörer lässt Tasch dann einfach herunterbaumeln.15 Um die Geiselnehmer nicht zusätzlich zu verunsichern, erteilt Polizeipräsident Schreiber eine allgemeine Weisung: Martinshörner dürfen in der weiteren Umgebung des Olympiageländes bis auf Weiteres nicht mehr benutzt werden; das gilt auch für Rettungswagen.16 Der Einsatzstab bereitet sich auf verschiedene Lagen vor: Ein Ausbruchsversuch der Täter wird immer noch für möglich gehalten. Vor allem aber macht man sich Gedanken über eine gewaltsame Befreiung der Geiseln. Mehrere als gute Schützen bekannte Polizisten sind inzwischen im Dorf eingetroffen, darunter die Sonderfahnder und Heinz Hohensinn, ferner weitere Beamte der Einsatzhundertschaft. An einem Sturmangriff, daran lässt Georg Wolf keinen Zweifel, dürfen nur Freiwillige teilnehmen. Um 9:30 Uhr beginnt im Gerichtsmedizinischen Institut der Ludwigs-Maximilian-Universität München die Obduktion von Moshe Weinberg. Wolfgang Spann, Direktor und Dekan der medizinischen Fakultät, nimmt mit zwei Kollegen die Leichenöffnung vor; das Ergebnis wird in einem „vorläufigen Gutachten“ festgehalten. Der Tote ist „nach dem Obduktionsbefund an Verbluten in die Bauchhöhle auf gewaltsame Weise verstorben. Die zum Tode führende Verblutung in die Bauchhöhle erfolgte aus einer Aufreißung der Bauchschlagader“ durch einen Schuss in den Rumpf. Ferner stellt Spann einen Durchschuss der Wange „ohne Verletzung großer Gefäße“ fest: „Gegen die Freigabe der Leiche bestehen ärztlicherseits keine Bedenken.“17 In Jerusalem ist Mossad-Chef Zamir bei Premierministerin Golda Meir eingetroffen. In deren Büro warten bereits Verteidigungsminister Moshe Dayan und ein Vertreter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet. Zamir ist der Einzige in der Runde, der das Olympische Dorf selbst angesehen hat. Er erklärt, dass es sich um eine Art „Bienenstock“ handele und „schwierig für eine Befreiungsoperation“ sei. Zudem ist Zamir nicht klar, „ob die Deutschen uns zum Einsatz kommen lassen“. Denn aus Deutschland ist die Nachricht gekommen, dass man dort alles versuchen werde, die Sportler zu befreien; an sich eine Banalität, die jedoch offenbar missverstanden wird. Weil die Sondereinheit Sajeret Matkal zur Armee gehört und nicht zum 62

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Mossad, muss der Verteidigungsminister die Entscheidung, ein Rettungskommando auf den Weg zu schicken, befürworten. Dayan sagt aber: „Die deutsche Armee braucht uns nicht. Sie verfügt über eine auf solche Einsätze trainierte Sondereinheit. Wenn sie den Auftrag bekommt, die Sportler zu befreien, dann wird sie das tun.“ Zamir gibt sich mit dieser Erklärung zufrieden, und auch von den anderen Teilnehmern der Besprechung kommt kein Widerspruch. Meir beendet die Sitzung, und der Geheimdienstchef fährt zurück nach Tel Aviv. Der Mossad habe mit der Sache nichts mehr zu tun, sagt er sich.18 Vom Telefon in Connollystraße 31 ruft Issa vormittags die Nummer 276 277 in Tunis an; das Gespräch wird mitgeschnitten.19 „Wissen Sie, was in München geschehen ist?“, fragt der Anführer des Kommandos, nachdem er sich als Mitglied des „Schwarzen September“ vorgestellt hat: „Die israelische Mannschaft befindet sich als Geisel in unserer Hand. Wir brauchen die Stellungnahme unserer Leute.“ Doch der Gesprächspartner in Tunis antwortet nur: „Mit wem spreche ich?“ Daraufhin verlangt Issa: „Ich will mit dem Major sprechen. Wo ist Talal?“ Mit diesem Vornamen kann die Stimme in Tunis etwas anfangen, allerdings lautet die Auskunft lediglich: „Talal ist nicht da. Ich weiß nicht, wann er kommt.“ Issa ist offenbar enttäuscht, denn er braucht Anweisungen: „Bitte rufen Sie bis 13 Uhr an.“20 Das Lagezentrum des Auswärtigen Amtes sendet umgehend ein Telegramm an die deutsche Botschaft in Tunesien und ersucht, „auf höchster Ebene Kontakt zur tunesischen Regierung aufzunehmen und um Unterstützung bei der Klärung zu bitten, um wen es sich bei Talal handelt und wer eigentlicher Inhaber [des] Telefonanschlusses ist“. An der Dringlichkeit lässt das Ministerium keinen Zweifel: „Da Weisungen für weiteres Verhalten [der] Guerillas möglicherweise aus dieser Quelle stammen, könnte hier Einflussnahme tunesischer Regierung auf Talal und weitere Mitglieder von ausschlaggebender Bedeutung sein. Um sofortigen Drahtbericht wird gebeten.“21 Wenig später wird in Kairo eine Erklärung verbreitet, die mit „Schwarzer September“ unterschrieben ist. Demnach trage die „Aktion in München“ den Namen „Biraam und Ikrit“ nach zwei palästinensischen Dörfern, deren vorwiegend christliche Bewohner 1948 vertrieben worden waren. Weiter heißt es: „Unsere revolutionären Kräfte sind mit Gewalt in das israelische Haus im Olympischen Dorf in München eingedrungen, um zu erreichen, dass die israelischen Militärs gegenüber dem palästinensischen Volk, das 63

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entweder vom israelischen Joch erdrückt wird oder sich im erzwungenen Exil außerhalb Palästinas befindet, eine menschliche und humanere Haltung einnehmen.“ Der vorübergehende Sieg der Israelis könne „niemals die Ausübung der Rechte des palästinensischen Volkes in seinem eigenen Vaterland verhindern und wird niemals dem Eroberer Israel das Recht geben, das besetzte Palästina auf einer Versammlung der Welt, wie sie die Olympischen Spiele darstellen, zu vertreten.“22 Der Bezug auf die beiden Dörfer nahe der israelisch-libanesischen Grenze ist aktueller, als es auf den ersten Blick scheint. Denn Golda Meir hat erst im Sommer 1972 bekräftigt, den früheren Bewohnern eine Rückkehr zu verwehren, weil das ein „gefährlicher Präzedenzfall“ sein könne – obwohl der Oberste Gerichtshof Israels die Vertreibung schon 1951 für rechtswidrig erklärt hat.23 Auf dem Flughafen Köln-Bonn geht Israels Botschafter Ben-Horin um 9:40 Uhr an Bord einer Sondermaschine der Luftwaffe, um nach München zu fliegen. Noch unmittelbar vor dem Start hat er mit dem Amt der Premierministerin in Jerusalem telefoniert. Für elf Uhr Ortszeit, also zehn Uhr mitteleuropäischer Zeit, hat Golda Meir das Kabinett zu einer Sondersitzung einberufen. Wenn Ben-Horin beim Krisenstab im Olympischen Dorf eintrifft, soll er eine Entscheidung der israelischen Regierung über die Forderung der Terroristen mitteilen können – die jedoch bereits im Vorhinein so gut wie feststeht. Denn die wiederholt, wenngleich stets nur inoffiziell mitgeteilte Linie Meirs lautet, mit Terroristen weder zu verhandeln noch ihnen Konzessionen zu machen.24 Vermutlich führt die Information, dass Israels Botschafter im Anflug ist, beim Einsatzstab zu einem Missverständnis; jedenfalls hält ein Beamter um 9:55 Uhr ein kurzes Gespräch von Wolf und Schreiber fest: Der Polizeivizepräsident sieht in der Mitteilung, die Israelis wollten das Haus in der Connollystraße mit eigenen Kräften stürmen, ein Gerücht. Doch sein Chef erwidert, es sei „durchaus zu bedenken, dass es dazu kommen könnte“.25 Beide wissen natürlich, dass israelische Spezialkräfte vier Monate zuvor auf dem Flughafen Lod bei Tel Aviv die Entführung einer Boeing 707 der belgischen Fluglinie Sabena mit geringen Verlusten (einer toten und zwei verletzten, aber 87 unversehrt befreiten Geiseln) gewaltsam beendet haben.26 Die Annahme, dass ein ähnlicher Einsatz auch gegen die Geiselnehmer in München stattfinden könnte, liegt nahe. Tatsächlich versucht Ehud Barak, der den erfolgreichen Flugzeugsturm befehligt hat, genau einen solchen Einsatz durchzusetzen. Er hat seine Männer alarmiert und sie ange64

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wiesen, Nachrichten zu hören, um sich über die Lage zu informieren, und einen Einsatz in München vorzubereiten. Doch den entsprechenden Befehl seines Vorgesetzten Aharon Yariv gibt es noch immer nicht.27 In Bonn formuliert Willy Brandt einen Appell an die Staats- und Regierungschefs in den arabischen Staaten. Das Auswärtige Amt beauftragt um 10:23 Uhr die deutschen Botschafter in elf arabischen Staaten und den Konsul in Kuweit diesen Aufruf unverzüglich zu übermitteln; im Bagdad übernimmt dies ein französischer Diplomat, denn mit dem Irak unterhält die Bundesrepublik noch nicht wieder reguläre Beziehungen. Der Kanzler schreibt: „Die Bundesregierung hat mit tiefer Erschütterung davon Kenntnis nehmen müssen, dass der Olympische Friede durch einen Anschlag gebrochen worden ist, der Menschenleben gekostet hat und weitere bedroht. Ich appelliere in dieser Stunde an Sie, alles in Ihren Kräften Stehende zu tun, damit die in der Gewalt der Attentäter befindlichen Geiseln unversehrt ihre Freiheit zurückhalten.“ Ganz undiplomatisch direkt schließt der Appell: „Die ganze Welt erwartet von Ihnen, dass Sie Ihren Einfluss unverzüglich geltend machen.“28 Um den Druck zu erhöhen, lässt Brandt seinen Text per Pressemitteilung bekannt machen – auch das ist ein eher ungewöhnlicher Schritt, der für seine Verärgerung spricht. Denn zu Brandts erklärten Zielen gehört, die Beziehungen der Bundesrepublik zu den arabischen Staaten zu verbessern, und dem dient ein fast zugleich auf diplomatischen Kanälen wie öffentlich verbreiteter Aufruf sicher nicht.29 Noch bevor der Appell des Bundeskanzlers in Israel bekannt wird, bringt die Abendzeitung Maariv in Tel Aviv eine Sonderausgabe zum Anschlag in München heraus. Umgehend sendet der deutsche Botschafter Jesco von Puttkamer eine Rohübersetzung des Leitartikels nach Bonn, in der es heißt: „Die Terroristen  – sowohl die Täter als auch ihre Auftraggeber  – haben gewiss gehofft, dass ihre Verbrechenstat im Olympischen Dorf ein weites Echo wie auch Verständnis und Sympathie für den Kampf der arabischen Terrorverbände auslösen werde. Wir hoffen, dass sich das Gegenteil bewahrheiten wird.“ Der Kommentator, offensichtlich ein Kritiker der deutschen Nahost-Politik, fährt fort: „Es wird dies vor der ganzen Welt, vor Tausenden Sportlern und Begleitpersonen, vor den Tausenden Journalisten zu fragen sein: Wer eigentlich jene arabischen ,Kämpfer‘ sind, mit denen sich das die Olympiade veranstaltende Deutschland versöhnt, wer jene sind, denen Wirtschaftshilfe und Kredite in Hülle und Fülle zu gewähren Deutschland sich anschickt.“ Maariv fordert Konsequenzen: „Man darf 65

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in diesen Taten keine zufälligen, sporadischen Ausbrüche kleiner Gruppen sehen. Hinter diesem Erwachen steht eine lenkende Hand, und diese muss abgehackt werden.“30 Verglichen mit dieser Bewertung verstörend galant benimmt sich derweil der Anführer der Geiselnehmer: Als Anneliese Graes eine Zigarette herausholt, gibt er ihr höflich Feuer.31 Beim Polizeistab im Olympischen Dorf weiß niemand, wie viele Geiseln genau in der Connollystraße festgehalten werden, und auch nicht, um wie viele Terroristen es sich handelt. Angeblich seien es 21 Terroristen, die 26  Geiseln gefangen halten, wird ins Einsatztagebuch notiert; die Quelle soll Kriminalhauptmeisterin Graes sein. Sie hat in Wirklichkeit jedoch nur mitgeteilt, dass Issa von „20 Kameraden“ gesprochen hat, was sie ihm nicht glaubt. Issa behauptet nämlich auch, dass er selbst Olympiasieger sei – das bekommt Graes’ Vorgesetzter beim Ordnungsdienst Kriminalinspektor Walter Na. mit, der sich in der Nähe des Eingangs aufhält.32 Offenkundig will der Palästinenser mit solchen Äußerungen Verwirrung stiften. Besser informiert sind die DDR-Journalisten, die vom gegenüberliegenden Haus einen freien Blick auf den Tatort haben. Sie erkennen durch die Fenster des besetzten Hauses und im zweiten Stock einschließlich Issa am Eingang insgesamt sechs Täter, und als Dieter Wales mit dem Fahrstuhl auf die Straßenebene hinunterfährt, sieht er am gegenüberliegenden Eingang zum Treppenhaus eine weitere „bewaffnete Person“. Es muss sich also mindestens um sieben Terroristen handeln. An die westdeutschen Behörden geben Kramer, Wales und Gitter diese Information nicht weiter, obwohl reichlich hellblau gekleidete Ordner in der Nähe sind; auch bieten sie nicht an, dass Polizisten ihre Wohnung benutzen dürfen, obwohl die vorderen Zimmer hin zur Connollystraße auf Anweisung von DDR-Delegationschef Manfred Ewald geräumt werden, „damit bei einer eventuellen Schießerei kein DDR-Sportler gefährdet ist“.33 Etwas mehr Klarheit gibt es endlich, als der Einsatzstab um 10:26 Uhr an die beteiligten Stellen die Meldung weitergibt, in der Connollystraße 31 würden 26 Geiseln festgehalten. Denn binnen weniger Minuten korrigiert Israels Delegationsleiter Shmuel Lalkin: Vermisst werden zehn Sportler, Trainer und Wettkampfrichter; die übrigen halten sich unter Polizeischutz in einem Keller des Verwaltungshochhauses auf. Fast gleichzeitig meldet sich jedoch ein Mitarbeiter des deutschen Nationalen Olympischen Komitees per Telefon und gibt durch, es handele sich um vier Geiselnehmer; woher diese Falschinformation stammt, bleibt unklar.34 Ebenso wie beim 66

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Gerücht, der zweite Tote im besetzten Haus sei Munio Grinberg, ein Boxtrainer der israelischen Olympia-Delegation – doch zur Mannschaft gehören überhaupt keine Boxer und auch kein anderer Mann dieses oder eines ähnlichen Namens.35 Den positiven Nachrichten über die geringere Zahl der Geiseln und die vermeintlich wenigen Terroristen folgt gleich eine Hiobsbotschaft: Ab 10:30 Uhr berichten zwei Mitarbeiter der Bauleitung des Olympischen Dorfes dem Einsatzstab über das Haus Connollystraße 31. Es besteht aus vorproduzierten Stahlbetonplatten und ist daher einfach gegen Angriffe zu verteidigen: Die Außenwände und Decken der besetzten Wohnung sind alle massiv, lediglich die Fenster können eingeschlagen und die Türen zum Treppenhaus aufgesprengt werden. Außerdem gibt es Belüftungsschächte, die aber mit Gittern gesichert sind. Eine gewaltsame Befreiung erscheint aussichtslos. Ein Vertreter des Auswärtigen Amtes hält fest: „Eine Erstürmung dieses Hauses“ würde „voraussichtlich mit hohen Opfern erkauft“ werden. „Durch seine Lage in einer relativ engen Gasse“ ist das Haus „offensichtlich leicht zu verteidigen“. Es muss „damit gerechnet werden, dass die Israelis getötet“ werden, bevor „das Haus besetzt“ werden kann. Auch unter den stürmenden Polizeibeamten seien „schwere Opfer“ zu erwarten.36 Im Pressebüro der DDR-Mannschaft findet sich ein Trainer der Mannschaft aus Uruguay ein und berichtet, es habe schon vor dem Überfall auf die Israelis Zweifel an der Sicherheit im Dorf gegeben. „Hinter den Kulissen“ seien „durch Überorganisation einerseits wie durch Leichtfertigkeit der Polizei andererseits Übergriffe erleichtert worden“, hält ein DDR-Journalist seine Worte fest. Das Fazit des Besuchers: „Nun verrät die Polizei mehr Hysterie als Übersicht.“37 Eine ziemlich präzise Analyse der Situation. Immerhin ist nun Botschafter Ben-Horin im Dorf eingetroffen. Nach der Landung in Fürstenfeldbruck hat er sofort einen bereitstehenden Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes bestiegen. Um kurz vor elf Uhr kommt er beim Krisenstab an und bekommt sofort ein Zimmer mit einer Standleitung nach Jerusalem zugewiesen.38 Hans-Dietrich Genscher, als Mitglied der Bundesregierung die ranghöchste Person im Krisenstab, informiert ihn, obwohl er als Innenminister formal für außenpolitische Fragen nicht zuständig ist. Am Haus  31 erfährt davon niemand etwas. Maria  So., Schichtleiterin des Ordnerdienstes und Kriminaloberkommissarin, vertritt gegen elf Uhr kurz ihre Kollegin Anneliese Graes und nutzt die Gelegenheit, um Issa anzusprechen: „Warum muss sich diese Tat ausgerechnet bei der Olympiade 67

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ereignen?“ Auf Deutsch erklärt der Anführer der Geiselnehmer: „Es ist nur ein Akt der Rache, denn die Araber wurden im Jahr 1948 von den Israelis verjagt. Es ist schlimm für Menschen, keine Heimat zu haben.“ Die Polizistin fragt nach: „Warum gerade München?“ und bekommt als Antwort: „Hier, wo die Welt zusammengekommen ist, müssen wir aufmerksam machen auf das Leid der Araber.“ Er wolle weiteres Blutvergießen unbedingt vermeiden, sagt Issa noch: „Schon um Deutschlands Willen“.39 Ähnlich antwortet er Walther Tröger: „Ihr tut uns leid. Ihr habt eine gute Olympiade gemacht. Aber ihr habt uns eine Bühne geboten, und die müssen wir nutzen, um unsere Sache vor den vielen Millionen oder gar Milliarden Menschen in aller Welt publik zu machen, die eure Olympischen Spiele ansehen.“ Und er fügt hinzu: „Wir haben nichts gegen euch, wir haben nicht einmal was gegen unsere Geiseln, aber wir haben einen Auftrag.“40 Dem Einsatzstab fällt auf, dass mehrere Fernsehstationen Bilder aus dem Olympischen Dorf senden; um 11:09 Uhr ersuchen Polizeibeamte im Namen von Georg Wolf die Verantwortlichen mehrerer TV-Stationen, keine Liveübertragungen auszustrahlen. Doch es ist zu spät: Zu viele Kamerateams und Reporter sind bereits vor Ort, eine Nachrichtensperre ist nicht mehr durchzusetzen. Auf dem Balkon der puertoricanischen Mannschaft steht zum Beispiel der Brite Gerald Seymour vom Sender ITN, der sich durch die Absperrung geschlichen hat, indem er wichtigtuerisch in ein Handfunkgerät geredet hat; im Quartier der burmesischen Fußballmannschaft sitzt der ABC-Producer John Wilcox, der sich als US-Boxer getarnt ins Dorf eingeschmuggelt hat, und sein Reporter-Kollege Peter Jennings berichtet aus der Wohnung italienischer Sportler, die ihn sogar verstecken, als Polizisten das Haus nach Journalisten durchsuchen.41 Der Chef von ABCSport Roone Arledge unterlegt in den folgenden Stunden vor allem mit seinen Kommentaren die Bilder des besetzten Hauses, die unter anderem ein Superteleobjektiv auf dem 291 Meter hohen Olympiaturm liefert. Weitere Kamerateams sind auf das Flachdach des DOZ gekommen, von wo aus sie einen guten Blick in die Connollystraße haben. Es ist eine „bizarre, surreale Situation“, wie der Tatort von Journalisten „umzingelt“ wird, findet der israelische TV-Reporter Dan Shilon.42 Auf die an sich naheliegende Idee, alle Live-Übertragungen, die von Mitarbeitern der Bundespost aus diesem eigens errichteten Gebäude gesteuert werden, zu unterbrechen, kommt im Einsatzstab offenbar niemand – die gravierendste Panne der polizeilichen Pressearbeit an diesem Tag. 68

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Verhandlung

Manfred Schreiber ist zur selben Zeit ins Pressezentrum unterwegs, um die internationalen Journalisten über die Lage zu informieren  – für 11:15 Uhr ist die erste improvisierte Pressekonferenz angesetzt. Das Bundespresseamt aus Bonn versucht noch, den Polizeipräsidenten vorher zu erreichen, doch er ist schon unterwegs.43 Sichtlich angespannt berichtet Schreiber den Reportern über den bisherigen Ablauf der Ereignisse, den Tod von Moshe Weinberg und die Motive der Geiselnehmer: „Es geht um die zweihundert Gefangenen.“ Daher lehnten es die Terroristen ab, ihre Geiseln freizulassen; auch keine der angebotenen Alternativen hätten sie erwogen – weder den Austausch der israelischen Sportler gegen prominente deutsche Ersatzgeiseln noch die Zusage freien Geleits, weder die Zahlung von „Geldmitteln in einer ungenannten und auch nicht begrenzten Höhe“ noch politisches Asyl in der Bundesrepublik.44 Dieter Wales und Wolfgang Gitter sind weiter im Dorf unterwegs. Sie gehen in eine Wohnung im fünften Stock des Hauses, in dem die DDR-Mannschaft untergebracht ist; niemand fragt sie, wer sie sind, obwohl sie weder Delegationskleidung tragen noch ihre Ausweise. Auf dem Balkon sehen sie einen Ordner in hellblauer Hose und weißem Hemd liegen und sprechen ihn an. „Ich habe den Auftrag, mit der Kamera dokumentarisch zu sichern, aber von einigen Standorten haben sie uns schon weggeschickt“, erklärt der Mann und meint offensichtlich die Geiselnehmer. In der Wohnung ist auch ein Uniformierter, den Wales und Gitter sicher irrtümlich für einen Oberst der Bundeswehr halten. Sie werden Zeugen eines Wortwechsels, denn der Ordner weist nach rechts auf zahlreiche Schaulustige, die schon 100 Meter entfernt am Zaun des Dorfes stehen: „Das ist nicht gut, dass die da so dicht dran stehen.“ Der vermeintliche Oberst fragt: „Könnt ihr da nichts machen?“ und bekommt zur Antwort: „Nein, unsere Kompetenz reicht nur bis zum Zaun. Da draußen ist es die Angelegenheit der Stadtpolizei. Ich verstehe nicht, warum die nicht durchgreifen.“45 In Jerusalem ist nach gut einer Stunde die Kabinettssitzung beendet, und Botschafter Ben-Horin wird per Telefon über das Ergebnis informiert; er soll den Krisenstab in Kenntnis setzen. Die Entscheidung ist ausgefallen wie erwartet: Die israelische Regierung lehnt einen Austausch der Geiseln gegen palästinensische Gefangene kategorisch ab. Am wichtigsten sei es jetzt, Zeit zu gewinnen. Ben-Horin richtet aus, die Regierung Israels vertraue auf die Entscheidungen der deutschen Behörden; dabei handele es sich um einen Kabinettsbeschluss.46 Es ist 11:15 Uhr. 69

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Eine Geiselnahme als Echtzeitkrimi: Sportler blicken vom Balkon ihres ­Apartmenthauses in der Connollystraße auf den Tatort.

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Eine Geiselnahme als Medienereignis: Fotografen und eine Livekamera ­beobachten ebenso wie drei Polizisten die Connollystraße.

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Sportfotografen arbeiten oft mit extremen Brennweiten – die nutzen sie auch, um die Gespräche mit „Issa“ festzuhalten.

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Um 11:15 Uhr informiert Münchens Polizeipräsident Manfred Scheiber die Presse offiziell – die Anspannung ist ihm anzusehen.

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bis

 

Zeitgewinn Damit ist klar: Die Krise muss auf deutschem Boden gelöst werden. Aber wie? Alle Angebote, die ohne Mitwirkung Israels umgesetzt werden können, hat Issa bereits abgelehnt: Er will weder deutsche Ersatzgeiseln akzeptieren noch Geld, auch auf freien Abzug und Asyl für seine Mittäter legt der Anführer keinen Wert. Mit so einer Situation haben sich die deutschen Behörden bisher noch nicht auseinandersetzen müssen. Also werden im ständig mal in kleinerer, mal in größerer Runde zusammensitzenden Krisenstab Optionen erwogen. IOC-Präsident Avery Brundage schlägt vor, Täter und Geiseln durch ein schnell wirkendes Betäubungsgas außer Gefecht zu setzen. Georg Wolf ist skeptisch, lässt aber einen Chemiker und einen Belüftungstechniker kommen; beide erklären übereinstimmend, dass es solche Mittel nur im Film gebe, nicht aber in Wirklichkeit: Mit keinem existierenden Gas könne man Menschen so schnell betäuben, dass die Terroristen nicht vor der Ohnmacht noch ihre Geiseln erschießen könnten.1 Eine Option weniger. Es bleibt die Hoffnung, den Tätern immer neue Verlängerungen des Ultimatums abzuringen, sie auf diese Weise zu zermürben und ihnen parallel dazu in Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener arabischer Staaten im Laufe der Zeit eine Verhandlungslösung aufzuzwingen. Im Krisenstab gibt es keinen Zweifel, dass dieser Weg „in jedem Fall den Vorrang haben müsse“ und Gewalt „nur letztes Mittel sein“ könne.2 Aber wie realistisch ist es, dass die offenkundig entschlossenen Geiselnehmer aufgeben? Also wird selbstverständlich die gewaltsame Befreiung der Geiseln vorbereitet, die Georg Wolf seinen Einsatzstab jetzt konkret planen lässt. Um 11:20 Uhr hält ein Beamter im Einsatztagebuch fest, dass Präzisionsschützen mit Blick auf das Haus Connollystraße  31 verteilt werden sollen. Ihr Auftrag lautet, „Täter auszuschalten und Feuerschutz für vorgehende Kräf74

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te zu gewährleisten“. Auch die notwendigen Codewörter werden festgelegt: „Aktion der Scharfschützen beginnt nach Funkrufzeichen und dem Stichwort ,Sonnenstrahl‘, nachdem Vorwarnung ,Sonne blickt durch‘ erfolgt ist.“ In der direkten Weisung an die Schützen heißt es: „Täter, die sichtbar sind, sind auszuschalten  – auf ein besonderes Zeichen  – und zwar so, dass sie nicht mehr schießen können.“3 Den ausdrücklichen Befehl, Geiselnehmer zu töten, darf die Polizeiführung ihren Beamten jedoch nicht erteilen, denn dafür fehlt die rechtliche Grundlage.4 In der Connollystraße redet Anneliese Graes einmal mehr mit Issa. Der Anführer der Terroristen schildert ihr, wie er nach Ablauf des Ultimatums vorgehen will. Um genau zwölf Uhr werde er zwei Geiseln vor die Haustür führen und erschießen, um 13 Uhr dann alle übrigen.5 Die Kontaktfrau informiert den Krisenstab, woraufhin wieder mehrere Vertreter sowie der tunesische Botschafter in Deutschland und das IOC-Mitglied Ahmet Touny das Gespräch mit Issa suchen. Die beiden Araber wissen nichts von der Entscheidung der israelischen Regierung, keinesfalls wie gefordert Gefangene freizulassen; diese Information hält der Krisenstab strikt geheim. In Bonn kommt um 11:30 Uhr die Bundesregierung zu einer eilig einberufenen Sondersitzung im Palais Schaumburg zusammen. Anwesend sind außer dem Bundeskanzler nur Außenminister Walter Scheel, Arbeitsminister Walter Arendt, Verteidigungsminister Georg Leber und Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler; die übrigen Ministerien sind mit Staatssekretären, Abteilungsleitern oder gar nicht vertreten.6 Brandt informiert das Rumpfkabinett über die Lage und die bisher ergriffenen Maßnahmen. Sinnvoll ist diese Sitzung erst nach der Entscheidung der israelischen Regierung, wie mit den Forderungen der Geiselnehmer umgegangen werden soll. Beschließen können die versammelten Politiker und Spitzenbeamten wenig; so wird lediglich Innenminister Genscher bevollmächtigt, „in Zusammenarbeit mit den bayerischen Behörden die notwendigen Maßnahmen zu treffen“.7 Brandts Absicht, noch am gleichen Mittag nach München zu fliegen, nimmt das Kabinett zustimmend zur Kenntnis. In Münchens Innenstadt muss die Polizei eine zusätzliche Schwierigkeit in den Griff bekommen: Spontan haben sich Menschen versammelt, um mit einem Marsch gegen die Geiselnahme zu protestieren. Es steht gerade einmal ein Funkstreifenwagen zur Verfügung, um die Marschierer zu begleiten; die Besatzung bekommt den Auftrag, „die Teilnehmer der 75

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Demonstration in jedem Fall vom Olympia-Gelände fernzuhalten“.8 Wie die Beamten das anstellen sollen, teilt das Präsidium ihnen jedoch nicht mit. Immerhin: Das Olympische Dorf ist rund sechs Kilometer vom gegenwärtigen Ort des Protestmarsches entfernt; das lässt dem Einsatzstab für eventuelle Gegenmaßnahmen eine gute Stunde Zeit. Genau eine Minute später schreibt ein Beamter eine beunruhigende Information ins Einsatztagebuch: Der Beobachtungstrupp, der das Haus Connollystraße vom gegenüberliegenden Apartmenthochhaus im Blick behält, meldet, „dass die Täter dauernd die Hemden wechseln“.9 Immer danach kommen sie, so der Eindruck der Beobachter, zu den Fenstern. Wollen sie so den Eindruck erwecken, zahlreicher zu sein als vermutet? Der Einsatzstab rechnet immer noch mit vier bis fünf Geiselnehmern. Die Vorbereitungen für den Sturmangriff gehen weiter: Die Standorte für die Präzisionsschützen werden festgelegt. Im Fernsehen äußert sich um 11:40 Uhr Conrad Ahlers, der Sprecher der Bundesregierung. Mindestens einer der DDR-Sportjournalisten sieht das kurze Interview und fasst das Statement im Bericht für die Staatssicherheit stichwortartig vermeintlich zusammen: „Die BRD trifft keine Schuld. Es müsse noch geprüft werden, ob es bereits am Tag zuvor Hinweise gab, dass eine Terrorgruppe aus Skandinavien nach München abgeflogen sei. Die Verantwortung trage das Land Bayern und die Polizei in München.“10 In Wirklichkeit hat Ahlers lediglich klargestellt, wie die Zuständigkeiten in der Bundesrepublik verteilt sind. Noch einmal weist der Einsatzstab an, dass alle verfügbaren Maschinenpistolen und schusssicheren Westen zur Kriminalwache im Dorf gebracht werden sollen. Um 11:42 Uhr hat der Stab einen Überblick und legt fest, dass für die zwölf erkennbaren Zugänge zum besetzten Haus, nämlich durch Türen und Fenster, über den offenen Zugang zu den Wohnungen im zweiten Obergeschoss und die Luftschächte, zwölf Trupps mit je drei Mann gebildet werden sollen.11 Neun bestehen aus Freiwilligen der Schutzpolizei und drei aus Kriminalpolizisten, vor allem den Sonderfahndern, zu denen auch Heinz Hohensinn gehört.12 Jeder Trupp hat einen Schützen mit Maschinenpistole, einen Funker sowie einen Mann mit dem jeweils benötigten weiteren Gerät. Alle bekommen bunte Trainingsanzüge, um sich als Sportler zu „tarnen“. Neun Präzisionsschützen, an deren Sturmgewehren Zielfernrohre befestigt sind, stehen zur Verfügung. Ferner halten sich fünf Polizeihundertschaften aus 76

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verschiedenen Bundesländern sowie vom Bundesgrenzschutz für die Absperrung des Einsatzortes bereit, davon bleiben zwei vorerst in Reserve. Den eigentlichen Einsatz sollen bayerische Beamte ausführen, denn Polizeiangelegenheiten sind Ländersache. Jetzt ist Eile geboten, denn noch immer gilt die Frist zwölf Uhr. Eilig positionieren sich die Präzisionsschützen. Gegen 11:50 Uhr kommen mehrere Polizisten ins Quartier der DDR-Mannschaft in der Connollystraße 24. Dabei gibt es, halten Martin Kramer, Dieter Wales und Wolfgang Gitter fest, eine Beinahekonfrontation: „Auf dem Flur unmittelbar vor dem Büro der DDR-Mannschaftsleitung steht der Bataillonskommandeur und fragt jeden Zivilisten: ,Gehören Sie zur Mannschaft oder sind Sie Sicherheitsbeamter?‘ Da er keine Antwort erhält, wird er stutzig: ,Zu welcher Einheit gehören Sie?‘“13 Etwas anders erlebt der Hannoveraner Reporter Dieter Tasch die Situation. Als die Polizisten den DDR-Delegationsleiter Manfred Ewald bitten, die Zimmer des Quartiers zur Connollystraße hin zu räumen, lehnt der hohe SED-Funktionär ab: „Wir haben unsere eigenen Sicherungskräfte.“14 Vor der Tür des besetzten Hauses sprechen Manfred Schreiber und Walter Tröger abermals mit Issa, unterstützt von einem Vertreter der Arabischen Liga und dem Ägypter Ahmed Touny, und diesmal haben sie Erfolg: Die Frist des Ultimatums wird um eine Stunde bis 13 Uhr verlängert. Dann aber, sagt der Anführer der Geiselnehmer, würden „auf dem Vorplatz nach einem Gespräch mit der Presse und dem israelischen Botschafter, den man her zu zitieren gedenke, zwei Geiseln zur Probe erschossen“.15 Der geplante Zugriff wird erst einmal wieder abgesagt – ohnehin sind die Sturmtrupps noch gar nicht einsatzbereit.16 Issa hält den Druck hoch; er wolle „kein Risiko eines Überraschungsangriffs à la Flughafen Tel Aviv“ eingehen, fasst Bruno Merk zusammen.17 Der Handstreich der Sajeret Matkal gegen die Entführer der Sabena-Boeing hat offensichtlich Eindruck gemacht. Noch vor der Kabinettssitzung hat der Bundeskanzler eine erste offizielle Mitteilung an Golda Meir freigegeben; sie geht um 12:05 Uhr als offenes Fernschreiben an die deutsche Vertretung in Tel Aviv ab. Botschafter Puttkamer soll die Mitteilung umgehend persönlich übergeben; sie lautet: „Mit großer Bestürzung habe ich die Nachricht über den empörenden Anschlag in München erhalten. Mit meiner aufrichtigen Anteilnahme verbinde ich die Versicherung, dass die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um weiteres Unheil abzuwenden. Ihr Willy Brandt, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.“18 77

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Direkt nach dem Ende der Kabinettssitzung in Bonn ruft Günther Erkel, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, seinen Minister Gerhard Jahn an, der gerade bei den Olympischen Segelwettbewerben in Kiel weilt. Er bringt seinen Chef auf den neuesten Stand, und die Stasi hört mit. Offenbar befürchtet Erkel so etwas, denn die wichtigste Information spricht er nicht an: „Inzwischen hat das Kabinett getagt. Der Bundeskanzler hat die anwesenden Minister, das waren Herr Eppler, Herr Leber, Herr Arendt, Herr Scheel, über den Sachstand unterrichtet. Auch über die Haltung der israelischen Regierung, die ich jetzt im Einzelnen nicht diskutieren kann. Ergebnis: Gesetz des Handelns liegt im Augenblick bei Genscher, der zurzeit persönlich die Verhandlungen führt.“ Der Staatssekretär empfiehlt Jahn, den in Kiel laufenden Wettbewerb nicht länger zu verfolgen: „Ich meine, Sie müssten mal überlegen, Herr Minister, ob Sie weiter öffentlich teilnehmen können.“ Seine Anwesenheit in Bonn werde jedoch „voraussichtlich nicht notwendig“ sein, fügt Erkel hinzu: „Die Dinge in München entwickeln sich so, dass man sie von hier aus kaum noch beeinflussen kann.“ Pessimistisch schließt er: „Es ist natürlich damit zu rechnen, dass es nicht bei diesem einen Todesopfer bleibt. Es ist also der Schwarze September, und Verhandlungen mit diesen Leuten sind offenkundig wenig Erfolg versprechend.“19 Um 12:19 Uhr geht Polizeivizepräsident Wolf davon aus, dass er um 13 Uhr den Befehl zum Sturmangriff erteilen muss. Fünf Minuten später notiert ein Beamter seines Stabes, man müsse die Kontaktfrau Anneliese Graes rechtzeitig vor dem Zugriff informieren, damit sie sich zurückziehen könne.20 Zwar sind die sechs Radpanzerwagen der bayerischen Polizei auf dem Weg ins Olympische Dorf, aber wegen der praktisch unterirdischen Konstruktion der Fahrspur der Connollystraße werden sie bei einem Sturmangriff absehbar nutzlos sein – sie können einfach nicht vor das besetzte Haus rollen, sondern lediglich zum Ausgang des Treppenhauses im Untergeschoss. Von diesen Vorbereitungen bekommt Issa nichts mit, nervös ist er trotzdem. Denn gegen 12:30 Uhr hat er erneut in Tunis angerufen; das Gespräch ist wieder mitgeschnitten und sofort übersetzt worden. Doch auch dieses Mal kommt keine wirkliche Unterhaltung zustande, wird der Anrufer aus München abgewimmelt. Offenbar wollen die Hintermänner mit der Geiselnahme, die schon mindestens ein Todesopfer gefordert hat, nichts mehr zu tun haben – jedenfalls nicht, wenn der Kontakt dokumen78

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tiert wird, wovon sie bei einem Telefonat aus dem besetzten Haus natürlich ausgehen müssen. Gebannt schauen die DDR-Journalisten Martin Kramer, Dieter Wales und Wolfgang Gitter im Quartier der ostdeutschen Mannschaft auf einen Bildschirm und fassen ihre Eindrücke zusammen: „12:40 Uhr – das Westfernsehen sendet ununterbrochen und heizt die Atmosphäre weiter an. Zwar werden einige Wettkämpfe noch übertragen, aber die Kommentare stehen völlig unter dem Eindruck des Attentats. Es werden zum Teil unrichtige Fakten verbreitet, so heißt es einmal, die Terroristen und ihre Geiseln seien mit einem Polizeipanzerwagen auf der Fahrebene abtransportiert worden.“21 Nicht viel anders ist es bei den internationalen Sendern, die vom Tatort übertragen. Jim McKay soll um 13 Uhr, also sieben Uhr New Yorker Zeit, live auf Sendung gehen und so lange „on air“ bleiben, wie die Ereignisse das erfordern und die Technik es zulässt. Sein Chef hat ihn dafür ausgewählt, weil er seine Karriere einst als Polizeireporter begonnen hat. Um den Zuschauern auf der anderen Seite des Atlantiks genug berichten zu können, hat er den ganzen Vormittag alle Informationen gesammelt, an die er herankommt. Eine wichtige Quelle ist sein junger Kollege John Wilcox, der auf einem Balkon etwa 26 Meter vom besetzten Haus entfernt sitzt. Er kann dem Terroristen im zweiten Stock ins Gesicht sehen.22 Davon bekommen Bruno Merk, Hans-Dietrich Genscher und Manfred Schreiber nichts mit, denn sie haben andere Sorgen. Um 12:41 Uhr erfährt der Krisenstab von Issas erfolglosem Anruf in Tunis. Es ist zu befürchten, dass sich der Anführer des Terrorkommandos von seinen Auftraggebern verlassen fühlen könnte. Angesichts dessen wächst die Gefahr, dass um 13 Uhr mit dem Ablauf des verlängerten Ultimatums wieder gemordet werden könnte. Also entschließen sich die beiden Innenminister, fortan selbst mit Issa zu sprechen, auf höchster Ebene gewissermaßen – eine „psychologisch neue Situation schaffen“, nennt Merk es.23 Wortführer wird als einziger Vertreter der Bundesregierung natürlich Genscher, denn die Terroristen interessieren sich nicht für Länderzuständigkeiten nach deutschem Recht. Vorher vergewissern sich die beiden Minister bei Ben-Horin noch einmal, ob sie von „Erfolg versprechenden Verhandlungen“ mit Israel sprechen können, ohne dass die Regierung in Jerusalem dementiert, falls Issa das irgendwie weitergeben sollte. Der Botschafter hält Rücksprache und gibt dann dem Wunsch von Genscher und Merk nach, stellt aber zugleich klar, „dass eine Freilassung nicht infrage komme“.24 79

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Anneliese Graes signalisiert Issa, dass der Krisenstab um ein weiteres Gespräch bittet, und der Palästinenser geht darauf ein.25 Genscher und Merk erklären, dass man mit der israelischen Regierung in Kontakt stehe – was ja zutrifft. Im Gegensatz zu Genschers weiterer Aussage, die Liste der freizulassenden Gefangenen werde gegenwärtig geprüft: eine glatte Lüge, die aber immerhin abgesprochen ist. Ebenso wie die nächste Versicherung: „Wir hoffen auf Erfolg, haben aber noch keine Antwort.“26 Doch Issa durchschaut das Manöver: „Sie kennen die Antwort noch nicht? Ich kenne sie genau, sie lautet: Nein!“ Die beiden Minister widersprechen: Es sei mit einem Erfolg zu rechnen, das brauche nur etwas länger. Allein um Zeitgewinn geht es Genscher und Merk. Alles, was die angedrohte unmittelbar bevorstehende Ermordung der Geiseln hinauszögert, verbessert die Chancen, die Situation möglichst unblutig zu klären. Merk weist den Anführer vorsichtig darauf hin, dass die Terroristen, sobald sie ihre letzte Geisel ermordet haben werden, lebenslang hinter Gittern landen werden. Doch der Palästinenser antwortet nur, davor hätten seine Leute und er keine Angst. Die Todesstrafe gebe es in Deutschland nicht, und „ihre Leute würden dafür sorgen, dass sie bald wieder freikämen“.27 Auf Genscher macht Issa „einen außerordentlich entschlossenen, aber auch ruhigen Eindruck“. Der Bundesinnenminister redet auf den Mann ein. Es könne doch nicht „im Interesse der Inhaftierten“ in israelischen Gefängnissen sein, unschuldige und gänzlich unbeteiligte Menschen zu töten. Genscher appelliert an sein Gewissen und seine persönliche Verantwortung, wiederholt die Angebote, die schon Manfred Schreiber gemacht hat. Doch Issa schüttelt den Kopf. Darauf könne er sich nicht einlassen: „Ich bin Soldat, ich handele ausschließlich auf Befehl. Ich muss meine Befehle ausführen und ich werde es tun.“ Genscher schnürt sich bei diesen Worten die Kehle zu: Wieder schweben in Deutschland Juden in Todesangst und wieder soll es um einen Befehl gehen. Er gewinnt den Eindruck, dass kein Argument und kein Appell Issa von seinen Forderungen abbringen werden.28 Aber immerhin verlängert er die Frist bis 15 Uhr. Möglicherweise erliegt Genscher einem Irrtum. Denn bald nach dem Gespräch ruft Issa erneut in Tunis an und versucht, den „Major Talal“ zu erreichen. Will er möglicherweise das Einverständnis seiner Vorgesetzten einholen, um auf Genschers Angebot einzugehen? Doch Talal ist nicht erreichbar, sondern steckt angeblich mit Visumsproblemen am Flughafen fest. Vielleicht hätte er einen „ehrenvollen Ausweg aus der Sackgasse“ an80

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genommen?29 Immerhin hat die Geiselnahme im Olympischen Dorf dem „Schwarzen September“ bereits weltweite Aufmerksamkeit eingebracht: immer eines der wichtigsten Ziele von Terroristen. Während in München das Ultimatum um zwei Stunden verlängert worden ist, empfängt in Jerusalem Golda Meir den deutschen Botschafter, der ihr Brandts Nachricht vorträgt. Jesco von Puttkamer berichtet anschließend nach Bonn, dass die Premierministerin in einer „tief bewegten Stimmung“ gewesen sei und ihn sofort habe fühlen lassen, „wie schwer sie dieses Ereignis getroffen“ habe. Gleichwohl kommt in der Unterredung, meldet der Botschafter weiter, „nicht der geringste Vorwurf an die Adresse der Bundesregierung zum Ausdruck“. Ausdrücklich sagt Meir, dass sie sich „für die Botschaft des Bundeskanzlers bedanke und dass sie wisse, dass die Bundesregierung nicht der Verantwortliche für die Vorgänge bei den Spielen sei“. Sie macht aber ebenso deutlich, „dass die israelische Regierung außerordentlich verwundert darüber sei, dass die Spiele fortgesetzt werden, während die israelischen Geiseln festgehalten werden. In der jetzigen Situation käme es darauf an, dass die dort befindlichen Teams, auch die aus den arabischen Ländern, Druck auf die Terroristen ausübten. Alles, was wir jetzt tun könnten, sei zu hoffen.“ Die Premierministerin sagt dem Botschafter, sie sei sicher, „dass die zuständigen deutschen Stellen die richtigen Entscheidungen treffen“. Am allerwichtigsten sei es, Zeit zu gewinnen.30 In der Connollystraße verlangt Issa von Anneliese Graes gegen 13:25 Uhr die Lieferung von 20 Portionen Essen, weist aber gleich darauf hin, dass die Geiselnehmer davon nichts zu sich nehmen werden – was niemand glaubt.31 Der Krisenstab stimmt nach kurzer Diskussion zu. Natürlich erwägt man, sedierende Stoffe beizumengen; entsprechende Substanzen wären, anders als ein fiktives Betäubungsgas, problemlos verfügbar. Aber sie bergen dasselbe Risiko: Die Terroristen könnten merken, dass sie müde werden, und daraufhin die Geiseln noch ermorden, bevor sie das Bewusstsein verlieren. Soll man vielleicht Tränengas in die Wohnung schießen, während die Geiseln (und vermutlich die Täter) essen? Auch dieser Vorschlag wird verworfen: Selbst praktisch blinde und von brennenden Augen abgelenkte Täter würden noch Handgranaten zünden und mit Sturmgewehren auf die Geiseln schießen können.32 Jedoch will der Einsatzstab die Verpflegungslieferung dennoch nutzen: Zwei erfahrene Beamte, Lorenz Ni. und Georg Os., staffieren sich in einer 81

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Tausende Schaulustige drängen sich auf den Grünanlagen südlich des Olympischen Dorfes – Beamte müssen sie zurückhalten.

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Polizisten mit MPis beobachten die Connollystraße von Südwesten – doch ausgebildet für die Befreiung von Geiseln ist niemand.

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Demonstranten fordern mittags einen Abbruch der Spiele – und kommen nicht auf die Idee, dass der Krisenstab darüber längst berät.

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Journalisten und Sportler beobachten vom Dach der Connollystraße 12 das Geschehen – doch viel sehen können sie nicht.

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Kantine des Dorfes als Köche aus.33 Ni. ist der Leiter der Einsatzhundertschaft, aus der die meisten Männer der Sturmtrupps stammen, und soll ihren Einsatz insgesamt leiten, Os. das Sturmkommando selbst anführen. Das verlangte Essen wird in vier Körbe gepackt, hinzu kommt eine fünfte Kiste mit Trinkjoghurt und Milch. So will Manfred Schreiber Issa dazu bringen, dass er den beiden vermeintlichen Köchen Zugang zum besetzten Haus gibt, und auf diese Weise Ni. und Os. „eine genauere Ortskenntnis ermöglichen“.34 Damit während dieser Aktion nichts schiefläuft, erteilt Georg Wolf seinen Präzisionsschützen um 13:43 Uhr Schießverbot. Nur im Falle einer klaren Notwehrlage, etwa bei einem Ausbruchsversuch der Täter, darf gefeuert werden. Eine knappe Viertelstunde später meldet Anneliese Graes, dass Issa unruhig werde; immerhin ist seit der Essensbestellung schon eine halbe Stunde vergangen.35 Irgendwann am frühen Nachmittag teilt Eliashiv Ben-Horin im Krisenstab mit, „ein israelischer Spezialist für Sicherheitsfragen werde nach München kommen; es handele sich um einen hohen Sicherheitsexperten mit Begleitung“.36 Noch weiß Hans-Dietrich Genscher nicht, wer sich auf den Weg macht: Zwi Zamir und Victor Cohen vom Inlandsnachrichtendienst Shin Bet, ein Experte für Verhandlungen mit arabischen Terroristen. Der Mossad-Chef hat sich um die Aufgabe nicht gerissen. Eigentlich soll Verteidigungsminister Moshe Dayan als Vertreter der israelischen Regierung nach München fliegen, doch unerwartet hat sich ein bürokratisches Problem ergeben: Weil El-Al normalerweise dienstags nicht nach München fliegt, verweigert die Flugsicherung auf Anfrage die Landeerlaubnis. Zamir ruft einen Kollegen in Deutschland an und erhält die unbürokratische Auskunft: „Flieg’ los. Die El-Al kann landen.“ Als Dayan davon hört, sagt er: „Hör mal, wenn du so gute Kontakte hast, dann kommst du am besten mit.“ Doch als der Verteidigungsminister und der Mossad-Chef den Flughafen erreichen, wimmelt es dort von Journalisten. Dayan sorgt sich, dass es die Geiseln gefährden könnte, falls sich herumspricht, dass er nach München fliegt. Zamir schlägt vor, statt vom zivilen Airport Lod vom militärischen Stützpunkt zu fliegen. Aber weil das den Abflug weiter verzögert hätte, bittet Dayan ihn, allein zu fliegen. Zamir lässt sich noch kurz mit Golda Meir verbinden und schildert ihr seine Vorbehalte, denn seine Anwesenheit bringe Israel politisch keine Vorteile gegenüber dem ohnehin anwesenden Botschafter. Die Premierministerin antwortet: „Ich weiß, aber ich möchte, 86

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dass du hinfährst, damit wir einen Zeugen haben, wie die Deutschen die Sportler befreien.“37 Etwa zur gleichen Zeit versucht Oberstleutnant Ehud Barak immer noch, die Zustimmung für den Abmarsch seiner Antiterror-Einheit Richtung München zu bekommen. Als er hört, dass Zamir fliegen soll, ruft er wieder seinen Vorgesetzten Aharon Yariv an und schlägt vor, mitzufliegen. Doch diesmal holt er sich eine klare Abfuhr; man habe mit den Deutschen gesprochen und gehört: „Das ist vollkommen undenkbar, fremde Einheiten einzusetzen, deren Streitkraft einer anderen Staatshoheit unterliegen, und das auf deutschem Boden, um einen Einsatz durchzuführen, der auch noch gegen das Grundgesetz geht.“38 Ehud Barak insistiert, wenigstens allein nach München fliegen zu dürfen. Als Berater, was auf seiner Rangstufe als Oberstleutnant viel einfacher sei als auf Zamirs, dessen Funktion der eines Generals entspricht. Doch nicht einmal das kann sein Vorgesetzter durchsetzen. Als Barak das Gespräch beendet, ist Zwi Zamir an Bord einer Linienmaschine bereits Richtung Deutschland abgehoben. Vor ihm liegen gut vier Stunden Flug.39 Woher kommt die Auskunft, auf die Aman-Chef Aharon Yariv verweist? Weder im Krisenstab noch im Polizeieinsatzstab in München wird eine mögliche Unterstützung durch israelische Spezialisten diskutiert; auch das Auswärtige Amt verzeichnet keine derartige Anfrage aus Tel Aviv, und das Bundeskabinett hat sich damit laut Protokoll ebenfalls nicht befasst. Yarivs Antwort an Barak deutet darauf hin, dass die Absage von jemandem aus den Sicherheitsbehörden in Bonn stammt, vielleicht auch aus dem Verteidigungsministerium; dorthin pflegt der Leiter des israelischen Militärnachrichtendienstes natürlich Kontakte.40 Es ist jedenfalls die Argumentation eines Juristen, die rein formal betrachtet richtig ist: Die Bundesrepublik kann nicht zulassen, dass ein anderer Staat auf ihrem Grund Gewalt einsetzt. Noch dazu, wenn es absehbar darum geht, mehrere Personen, nämlich die Geiselnehmer, zu töten. Derlei sieht das Grundgesetz tatsächlich nicht vor; nach geltender Rechtslage ist es sogar der deutschen Polizei untersagt, Geiselnehmer gezielt zu töten, sofern nicht die ganz engen Kriterien der beiden Ausnahmen Notwehr oder Nothilfe erfüllt sind. Aber im Falle eines Notstandes kann das schon wieder anders aussehen. Und ist die Geiselnahme israelischer Sportler bei Olympischen Spielen auf deutschem Boden kein Notstand? Genaue Regeln für so einen Fall enthält das Grundgesetz naturgemäß nicht, denn sie lassen sich theoretisch nicht 87

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formulieren. Jedenfalls verbietet die Verfassung keineswegs zwangsläufig, ein israelisches Spezialkommando in die Bundesrepublik einzufliegen, sofern das mit Wissen der Bundesregierung geschieht; auch nicht, wenn es bewaffnet ist. Was dann vor Ort geschieht, muss ohnehin vor Ort entschieden werden. Die Absage, die Yariv an Barak weitergibt, ist das Ergebnis juristischer Bedenkenträgerei, nicht einer pragmatischen, also lösungsorientierten Beurteilung der Lage. Während Genscher und Merk im Krisenstab problemlos zusammenarbeiten und Kompetenzstreitigkeiten außen vor bleiben, wird Verantwortung im Übrigen munter hin und her geschoben. Weil auf dem OlympiaGelände, aber auch in der Münchner Innenstadt sowie in anderen Städten in und außerhalb Deutschlands immer mehr Menschen den Abbruch der Spiele fordern, äußert sich Regierungssprecher Conrad Ahlers erneut im Fernsehen. Er verweist darauf, dass nicht die Bundesregierung der Veranstalter der Spiele sei und daher keine Entscheidung über das Programm treffen könne. Das ist formal natürlich richtig, aber eben nur eine Seite der Medaille. Deshalb fügt Ahlers auch hinzu: „Aber da es um die Sicherheit von Tausenden geht, behält sich die Bundesregierung ein Mitspracherecht vor.“41 Das ist ein pragmatischer Umgang mit juristischen Vorgaben in einer Notstandssituation. Der allerdings jetzt erst einmal zu einem klaren, wenngleich schwer vermittelbaren Ergebnis führt: Die laufenden Wettbewerbe sollen zumindest noch beendet werden. Denn wenn sie jetzt abgebrochen würden, dürften Tausende zusätzlicher Schaulustiger zum Zaun des Olympischen Dorfes strömen, wo sich schon viel zu viele Menschen aufhalten. Auch mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei sind nicht in der Lage, eine solche Menge über das weitläufige Parkgelände geordnet abzudrängen. Wenn es wenige hundert Meter entfernt zum Zugriff kommt, also mutmaßlich zu heftigen Schießereien, sind die Risiken für die Schaulustigen und durch sie unkalkulierbar.42 Erst 50  Minuten nach der Essensbestellung, um 14:15 Uhr, tragen die beiden als Köche verkleideten Polizeibeamten Ni. und Os. die fünf Kisten mit Verpflegung und Getränken zum Haus Nr. 31, stellen sie vier Meter vor der Tür ab und warten.43 Als Schreiber und Tröger zur Übergabe erscheinen, tritt Issa heraus und fordert die beiden auf, je einen Joghurt zu trinken. Erst danach trägt er jeden Korb einzeln hinein ins Treppenhaus; die beiden angeblichen Köche stehen dabei und können nichts tun. Dann 88

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bleibt er länger weg als bisher, obwohl noch eine Verpflegungskiste herumsteht. Schon haben sich Schreiber und Tröger ein paar Meter entfernt, als Issa doch wieder herauskommt und zur letzten Kiste greift. Bereits aus einiger Entfernung ruft Schreiber ihm zu: „Sie bleiben bei drei Uhr?“ und der Terroristenanführer bestätigt: „Ja, ich bleibe dabei!“ Dieser Wortwechsel ist so laut, dass er im DDR-Quartier auf der gegenüberliegenden Seite klar zu verstehen ist, im Gegensatz zu allen bisherigen Gesprächen.44 Schreibers Frage hat einen klaren Grund: Als der Polizeipräsident wieder beim Krisenstab ist, gibt er seinem Vize den Befehl, den Zugriff für 15 Uhr vorzubereiten. Eine kleine, aber dennoch erfreuliche Unterstützung vermerkt das Einsatztagebuch für 14:25 Uhr: Die in München stationierte US-Militärpolizei hat aus ihren Beständen zwölf weitere „Panzerwesten“ vorbeigebracht. So können mehr Beamte der Sturmkommandos ausgestattet werden. Zehn Minuten später ergeht die Weisung an vier der sechs Radpanzer der Bereitschaftspolizei, in die unterirdische Connollystraße zu fahren und die Aufmerksamkeit der Terroristen auf sich zu lenken, falls einer oder mehrere von ihnen den unterirdischen Ausgang des Treppenhauses zum Fahrweg bewachen sollten.45 20 Minuten vor Ablauf des schon zum dritten Mal verlängerten Ultimatums herrscht in der Connollystraße eine fast grotesk friedliche Stimmung. Die DDR-Beobachter halten in ihrem Protokoll fest: „Die Freischärler bieten ein Bild der Ruhe und Selbstsicherheit. Im ersten Stock lehnt einer der Posten aus dem Fenster und beobachtet die Straße, als ob er sich sonnt.“ Doch auch die Ordner, die alle drei Fußwege zur Nr. 31 sperren, sind offenbar entspannt; sie bewegen sich völlig frei im Areal vor dem besetzten Haus.46 Beim Einsatzstab trifft um 14:46 Uhr die Mitteilung ein, aus dem Sendezentrum westlich der Connollystraße könne man die Vorgänge am besetzten Haus genau beobachten. Drei Minuten später wird die dringende Anweisung notiert, alle Sendungen sofort einzustellen.47 Offenbar hat man im Lagezentrum nicht mitbekommen, dass die um 11:09 Uhr ergangene Bitte von Georg Wolf, die Übertragung aus dem Olympischen Dorf einzustellen, nicht befolgt worden ist. Kein Mitglied des Einsatzstabes verfolgt, was das Fernsehen fortlaufend berichtet – ein weiterer gravierender Fehler der polizeilichen Pressearbeit. Etwa zeitgleich sprechen Manfred Schreiber und Walther Tröger wieder mit Issa, und abermals steht ihnen ein Araber zur Seite, der tunesische 89

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Botschafter. Auch Merk und Genscher kommen dazu. Als Issa fragt, wie weit die Freilassung der Häftlinge sei, lautet die – unzutreffende – Antwort, die Liste sei „noch nicht voll überprüft“. Dann macht einer der Deutschen einen gravierenden Fehler. Die „Austauschmodalitäten“ seien „noch zu klären“, der Ort noch nicht festgelegt. Sofort wird Issa misstrauisch: „Kairo sei im Ultimatum schon genannt“, hält Merk die Antwort des Anführers fest. Nun kann es nur darum gehen, ihn abzulenken und gleichzeitig zu beruhigen. Die israelische Regierung verlange Beweise, dass „die Geiseln noch am Leben“ seien, improvisieren die beiden Minister. Issa lässt sich ablenken und die kritische Situation ist umschifft. Es gelingt um 14:52 Uhr, Issa zu einer vierten Verlängerung des Ultimatums zu bewegen, bis 17 Uhr diesmal. Die Meldung erreicht die Männer der Sturmtrupps drei Minuten später per Funk: Ihr Einsatz ist erst einmal wieder verschoben.48 Bundeskanzler Willy Brandt, der um 13:30 in Köln-Bonn in eine Maschine der Flugbereitschaft gestiegen ist, kommt kurz vor 15 Uhr in der Villa Waldberta in Feldafing an, seiner offiziellen Residenz während der Sommerspiele. Für die Schönheit des Parks am Starnberger See hat er keinen Blick, erwarten ihn doch Bayerns Innenstaatssekretär Erich Kiesl und Nordrhein-Westfalens Innenminister Willi Weyer mit einem aktuellen Bericht aus dem Krisenstab.49 Weil Brandt damit rechnet, dass die Befreiungsaktion etwa zum Zeitpunkt seiner Ankunft stattfinden wird, hat er sich dagegen entschieden, sofort selbst ins Olympische Dorf zu kommen; dort soll weiter Genscher die Bundesregierung vertreten. Die Zurückhaltung erweist sich durch die Verlängerung des Ultimatums als unnötig, aber jetzt ist der deutsche Regierungschef erst einmal 30 Kilometer südlich des Tatortes. Mit dem Hubschrauber natürlich nur ein kurzer Weg, aber dennoch nicht optimal. Der Krisenstab erkundigt sich noch einmal bei Botschafter Ben-Horin, ob die israelische Regierung bei ihrer Haltung bleibe, einen Austausch der Geiseln gegen die palästinensischen Gefangenen abzulehnen. Um 15:22 Uhr wird im Einsatztagebuch vermerkt, dass der Diplomat das ausdrücklich bestätigt.50 Für den Einsatzstab bedeutet das: Die Vorbereitungen für eine gewaltsame Befreiung müssen weitergehen. Zugleich will Merk versuchen, einen „Aufschub bis zum nächsten Morgen“ zu erreichen.51 Niemand im Olympischen Dorf weiß, dass zweieinhalbtausend Kilometer weiter östlich, im Quartier der Sajeret Matkal bei Tel Aviv, Ehud Barack nach Zwi Zamirs Abflug vorsätzlich die Befehlskette verletzt, seinen Vorge90

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setzten umgeht und sich direkt an das Verteidigungsministerium wendet: „Ich verstehe nicht, warum wir nicht gerufen werden. Die Deutschen sind doch nicht betroffen. Es sind unsere Leute. Nur Israelis sind gefangen genommen worden.“ Fast flehentlich bittet der Antiterror-Experte: „Lassen Sie es uns tun, lassen Sie uns das Rechtliche später regeln. Lassen Sie uns zuerst unsere Leute retten.“ Doch sein Gesprächspartner antwortet ihm: „Ehud, es tut mir sehr leid, keine Chance. Bleib’ hier.“52 Ohnehin ist inzwischen zu viel Zeit verstrichen: Selbst bei umgehendem Start an Bord einer Boeing der El-Al hätte das Sajeret-Matkal-Team bei mehr als dreieinhalb Stunden reiner Flugzeit nach München, dem Weitertransport zum Einsatzort und wenigstens einer Stunde Vorbereitung dort (eigentlich deutlich zu wenig) frühestens um 21 Uhr Ortszeit einsatzbereit sein können – doch das aktuelle Ultimatum läuft um 17 Uhr aus und ist bisher stets um ein bis zwei, nur anfangs einmal um drei Stunden verlängert worden. Im Krisenstab rückt nach dem gelungenen Zeitgewinn von zwei Stunden ein anderes Thema in den Vordergrund: Sollen die Spiele weitergehen? Oder abgebrochen werden, zumindest aber unterbrochen? Golda Meir hat das am frühen Nachmittag in ihrer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem, vehement verlangt. Radio- und TV-Sender berichten weltweit über diese Forderung, und inzwischen gibt es an mehreren Stellen in München, in der Innenstadt, aber auch auf der Brücke über die Connollystraße etwas westlich des Olympischen Dorfes, sowie vielerorts weltweit spontane Demonstrationen, die einen Abbruch fordern.53 NOK-Chef Willi Daume ist „völlig fertig“ und für den Abbruch, Bürgermeister Walther Tröger hingegen nur für eine Unterbrechung.54 IOC-Präsident Avery Brundage sträubt sich gegen beide Möglichkeiten. Hans-Jochen Vogel ist bei den „schwierigen Erörterungen“ dabei. Gegen 15:30 fällt eine Entscheidung: Der knapp 85-jährige Brundage, der schon 1936 bei den Sommerspielen in Berlin als IOC-Mitglied gewesen ist, schlägt mit der Faust auf den Tisch und deklamiert: „The Games must go on!“55 Gemeint ist: nach einer Unterbrechung. Um den bisher einen bekannten Toten, Mo­ she Weinberg, soll am kommenden Vormittag getrauert werden. Um 15:38 Uhr verliest Hans Klein, der Pressesprecher der Spiele, eine gemeinsame Erklärung des IOC und des Organisationskomitees: „Der Olympische Friede ist durch einen Mordanschlag verbrecherischer Terroristen gebrochen worden. Die gesamte zivilisierte Welt verurteilt diese barbarische Untat mit Abscheu. In Ehrfurcht vor dem Opfer und als Zeichen 91

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der Anteilnahme am Schicksal der noch festgehaltenen Geiseln werden die Veranstaltungen des heutigen Nachmittags abgebrochen; die laufenden Kämpfe werden zu Ende geführt. Das Internationale Olympische Komitee und das Organisationskomitee werden gemeinsam mit den Olympia-Teilnehmern morgen, Mittwoch den 6. September, um zehn Uhr im Olympiastadion des Opfers in einer Trauerfeier gedenken. Diese Feier soll deutlich machen, dass die olympische Idee stärker ist als Terror und Gewalt.“56 Wenige Minuten später verbreiten die Sprecher an den verschiedenen Veranstaltungsorten diese Entscheidung, ebenso wie das Fernsehen.57 Wiederholt muss sich die Einsatzleitung der Polizei mit üblen Scherzen von Trittbrettfahrern herumschlagen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ernst gemeint sind, aber aus Sicherheitsgründen dennoch nicht völlig ignoriert werden können. So meldet sich ein anonymer Anrufer im DOZ und droht: „Wenn die Berichterstattung nicht sofort aufhört, fliegt ihr in die Luft!“ Ein anderer Anrufer fordert: „Wenn die Israelis nicht sofort befreit werden, stürmen wir das Olympische Dorf!“58 Nach kurzer Beratung befindet der Einsatzstab, beide Drohungen zu registrieren, aber mangels Personal im Augenblick nichts zu unternehmen. Inzwischen gibt es nur noch einen Weg in die Apartmenthochhäuser an der Connollystraße, über einen Nebeneingang. Auch die Fahrebene hat die Polizei jetzt besetzt und gesperrt. Die DDR-Handballer und mehrere Gewichtheber kommen so eine halbe Stunde nach der Unterbrechung der Wettbewerbe zurück in ihr Quartier. Einem der Ost-Berliner Journalisten, der immer noch das besetzte Haus gegenüber beobachtet, fällt gegen 16:15 Uhr auf, dass der Terrorist mit rotem Hemd und schwarzem Hut herüber schaut: „Der ,Cowboy‘ im 1. Stock lacht und hebt beide Fäuste. Er will offensichtlich zeigen, dass er sich auf der Siegerstraße befindet. Dann zeigt er mit beiden Händen zwei Finger, die ein ,V‘ bilden.“59 Das Zeichen für „Victory“. Glaubt der Terrorist nach fast zwölf Stunden noch an einen Erfolg? Oder versucht er lediglich, sich selbst Mut zu machen? Einsatz- und Krisenstab wissen, dass eine mit hoher Wahrscheinlichkeit tödliche Eskalation immer näher rückt. Israel bleibt bei seiner Haltung, und Chancen, die Terroristen zum Einlenken zu bringen, scheint es nicht mehr zu geben. Georg Wolf und seine Mitarbeiter arbeiten die Planung ab, die sie erstellt haben – und ihre Vorbereitungen werden umgehend per Fernsehen in die ganze Welt verbreitet. Jim McKay berichtet den Zuschauern von ABC um 16:31 Uhr, dass „um 17 Uhr, also in 29 Minuten“ ein „Polizeikomman92

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do aus Freiwilligen, die als Sportler verkleidet sind, das Quartier der israelischen Mannschaft mit Waffengewalt stürmen“ werden. Selbst die Größe des Einsatztrupps gibt ABC fast genau an – angeblich 38, in Wirklichkeit sind es 36. Dazu zeigt ABC Liveaufnahmen der Polizisten in Trainingsanzügen mit ihrer Bewaffnung.60 Tatsächlich ergeht um 16:32 Uhr die Weisung, den Kusoczinskidamm genannten Asphaltweg unmittelbar entlang am westlichen Zaun des Olympischen Dorfes von Schaulustigen zu räumen.61 Denn wenn es zum Einsatz kommt, dann stehen diese Menschen im Schussfeld – nur gut 120 bis 200 Meter weit weg vom Haus Connollystraße  31. Auf diese Entfernung sind Kugeln aus einer Kalaschnikow auf jeden Fall lebensgefährlich. Jedoch wird erstaunlicherweise nicht zugleich angeordnet, das Dach des Sendezentrums direkt westlich des Kusoczinskidamms ebenfalls frei zu machen; hier stehen Kamera-Teams, Fotografen und Reporter, die freien Blick auf das Dach des besetzten Hauses haben. Dort sind wieder die Freiwilligen der zwölf Sturmtrupps unterwegs, unter ihnen der Sonderfahnder Heinz Hohensinn. Der Auftrag seiner dreiköpfigen Gruppe ist es, das Gitter eines Belüftungsschachtes abzuschrauben, sich herabzulassen und so in die besetzte Wohnung einzudringen.62 Andere Trupps sollen sich hinten über die Balkone und vorne über den offenen Weg zu den Wohnungen im zweiten Stock in das besetzte Haus vorkämpfen. Polizeivizepräsident Wolf hat den Männern zu verstehen gegeben, sie seien im Falle des Angriffs in einer Nothilfesituation  – das ist indirekt die Aufforderung, die Geiselnehmer zu erschießen, auch wenn er das formal nicht anordnen darf.63 Um 16:35 Uhr ergeht die verabredete Vorwarnung der Sturmtrupps: „Sonne bricht langsam durch.“64 Die Sturmtrupps tragen verschiedenfarbige Trainingsanzüge, darunter die steifen und schweren Schutzwesten. Manche haben sich Stahlhelme aufgesetzt, was ein skurriles Bild ergibt  – das von TV-Stationen weltweit live verbreitet und von bis zu 700 Millionen Menschen verfolgt wird. Für ABC kommentiert Peter Jennings unmittelbar, was er sieht und was seine Zuschauer ebenso sehen.65 Oberstleutnant Ulrich Wegener kann nicht glauben: „Das widerspricht allen taktischen Grundregeln“, sagt er konsterniert zu seinem Chef Genscher. Der Bundesinnenminister antwortet: „Davon wissen allerdings viele von der Polizei nichts.“66 Fassungslos verfolgen auch die Beobachter im Quartier der ostdeutschen Mannschaft, was sich vor ihren Augen abspielt: 93

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„Auf dem Dach des Hauses 31 schleichen sich MPi-Schützen mit Kugelwesten heran“, notieren die DDR-Sportjournalisten in der Connollystraße 24: „Sie versuchen, möglichst leise über den Kies zu gehen, jedoch lässt der eine den unteren Teil seines Kugelschutzes, der andere ein MPi-Magazin klappernd fallen.“67 Hohensinn und seine Kollegen wissen, dass ihr Auftrag „einige Nummern zu groß“ für sie ist; mit ihrer mangelhaften Ausrüstung fühlen sie sich „wie Bergsteiger in Badelatschen am Himalaja“.68 Da ist es auch keine Erleichterung, dass auf der Fahrebene der Connollystraße Rettungswagen bereitstehen und die Polizei vorbereitet ist, die Strecke zum Schwabinger Krankenhaus jederzeit komplett frei zu machen.69 Während sich auf dem Dach die Sturmtrupps in Angriffsposition bringen, sind Genscher, Merk und Tröger einmal mehr zum Haus Connollystraße 31 unterwegs, um mit Issa zu verhandeln. Der Bundesinnenminister bietet jetzt sich selbst als Austauschgeisel an; er hat darüber vorher mit niemandem gesprochen, allerdings vom Krisenstab aus noch bei sich zu Hause in Bonn angerufen und kurz mit seiner elfjährigen Tochter Martina gesprochen. Issa lehnt ab, denn er habe „nicht die Befugnis, eine solche Entscheidung zu treffen“. Es gehe ihm nicht um deutsche Geiseln, sondern um Israelis.70 Allerdings stellt der Anführer nun eine neue Forderung: Zusammen mit den Geiseln wollen die Terroristen nach Ägypten ausgeflogen werden. In Kairo würden die Israelis am kommenden Morgen um acht Uhr erschossen, falls nicht bis dahin die Regierung in Jerusalem die palästinensischen Gefangenen ebenfalls dorthin gebracht habe.71 Bruno Merk notiert: „Überraschende Wendung.“72 Es handelt sich in der Tat um eine unerwartete Gelegenheit für die Bundesregierung  – nämlich das Problem selbst loszuwerden und die Geiselnahme israelischer Sportler durch Palästinenser aus Europa in den Nahen Osten zu verlagern. Doch keiner der Verantwortlichen hat vor, dieses vergiftete Angebot zu nutzen. Für Genscher steht sofort fest, dass „eine Ausreise der Geiseln unter den gegebenen Umständen nicht infrage“ kommt. Stimme die Bundesregierung nämlich zu, dann „würden wir unsere Obhutspflicht als Gastgeber der Olympischen Spiele verletzen“.73 Die Vertreter des Krisenstabes gehen und kommen bald darauf mit zwei Arabern zurück – es sind der Direktor des Büros der Arabischen Liga in Bonn und der Chef der ägyptischen Mannschaft.74 Sie erörtern mit Issa, ob Ägypten wohl bereit wäre, an so einer Lösung der Geiselnahme in Kairo 94

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mitzuwirken. Der Anführer gibt sich zuversichtlich: „Man werde selbstverständlich während des Fluges Kontakt mit verschiedenen arabischen Stellen aufnehmen.“75 Genscher ist nicht überzeugt, doch bietet die veränderte Situation zumindest Aussicht auf weiteren Zeitgewinn. Um 16:41 Uhr stoppt der Einsatzstab die Vorbereitungen für den Sturm, zwei Minuten später folgt per Funk die Anweisung „Keinerlei Aktionen unternehmen“, um 16:45 Uhr die Weisung „Zurück in Ausgangspositionen“ und sofort darauf das Schießverbot für alle außer den Präzisionsschützen.76 Es gibt zwar ein Codewort für den geplanten Zugriff, nämlich „Sonnenschein“, aber keines für den Abbruch – obwohl ein unmissverständlicher Befehl dafür mindestens genauso wichtig ist. Bei Heinz Hohensinn und seinen Kollegen auf dem Dach kommt die Weisung verstümmelt an. Aus dem Haltebefehl und dem Hinweis auf ein Flugzeug schließt er jedenfalls, dass die Israelis ein Befreiungsteam schicken würden. Erleichtert sagt er sich: „Die haben Erfahrung, für die ist doch jeden Tag Krieg.“77 Doch noch ist die Situation nicht ausgestanden; um 16:47 Uhr heißt es für die Sturmtrupps auf einmal wieder: „Positionen einnehmen“. Einer der Terroristen vor der Treppenhaustür im zweiten Stock des besetzten Hauses lehnt sich über die Brüstung und versucht erfolglos, auf das Dach zu spähen. Daraufhin ergeht um 16:51 Uhr die nächste Anweisung: „Alle Kräfte in Deckung gehen.“78 Währenddessen zählt Jim McKay in seiner Live-Moderation die Minuten bis zum Ende des Ultimatums wie einen Countdown herunter.79 Der ultimative Thrill für ein Millionenpublikum. In München trifft zur selben Zeit ein Fernschreiben aus Jerusalem ein, in dem es heißt: „Da wir es nicht für vertretbar halten, auf terroristische Forderungen und Erpressungen einzugehen, würden wir dankbar sein zu erfahren, was für operationelle Möglichkeiten Ihre Sicherheitsbehörden sehen, um die Sache zu behandeln. Ziehen Sie in Betracht, gegen die Terroristen im Sturm vorzugehen? Wir würden gern Einzelheiten erfahren. Wir schlagen vor, dass Wege gefunden werden, dauernd mit den Terroristen zu verhandeln mit dem Ziel, sie durch Zeitablauf zu ermüden.“80 Das allerdings sind Ratschläge, die beim Krisen- und beim Einsatzstab schon seit Stunden diskutiert werden. Vor der Haustür haben die Vertreter des Krisenstabes mit Issa weitergeredet. Genscher ist offenbar „verärgert und tritt etwas beiseite. Die anderen diskutieren heftig mit dem Anführer, besonders Merk“, halten Kramer, 95

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Wals und Gitter fest.81 Dann wendet sich Issa um und geht ins Haus. Wenige Minuten später kommt der Mann im hellen Anzug wieder heraus und spricht erneut mit Genscher und Merk. Anneliese Graes steht in der Nähe und hört mit: Es geht um die Modalitäten des Abfluges.82 Ungefähr zur gleichen Zeit sendet das deutsche Fernsehen ein Statement von Verteidigungsminister Georg Leber. Er betont, dass in München „keine Scharfschützen der Bundeswehr eingesetzt“ wären, wie die drei DDR-Journalisten in ihrer Chronologie für die Stasi festhalten.83 Das ist zutreffend – es hat seitens Bayern den ganzen Tag über keine Anfrage an die Streitkräfte gegeben, ob sie mit entsprechend ausgebildetem Personal aushelfen können; im Einsatz sind ausschließlich Polizeieinheiten verschiedener Länder sowie des Bundesgrenzschutzes, der zwar militärähnliche Uniformen trägt, aber dennoch kein Militär ist. Zwar erlaubt das Grundgesetz, „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen – allerdings nur, wenn weder die Kräfte des Landes noch des Bundesgrenzschutzes ausreichen und es um die „Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ geht. Reguläre Amtshilfe durch die Streitkräfte ist hingegen beschränkt auf Naturkatastrophen oder besonders schwere Unglücksfälle; sie darf nur unbewaffnet und ohne polizeiliche Befugnisse erfolgen.84 Für juristische Abwägungen haben die Vertreter des Krisenstabes keine Zeit. Sie verlangen, mit den Geiseln sprechen zu können, und Issa ruft etwas zu seinem Stellvertreter Tony hinauf, der sich aus dem offenen Fenster im ersten Stock beugt. Kurz führen die Terroristen zwei ihrer Geiseln ans Fenster, die Trainer André Spitzer und Kehat Shorr; beide sind gefesselt. Spitzer sagt, dass alles in Ordnung sei und die Geiseln gut behandelt würden. Genscher fragt, wie viele der Israelis noch leben, doch Spitzer bekommt einen Schlag und darf nur antworten, dass „alle Geiseln, die die Nacht überlebt“ haben, „noch am Leben“ seien.85 Der Israeli bestätigt, dass die Geiseln einverstanden seien, nach Ägypten ausgeflogen zu werden. Das reicht dem Krisenstab nicht. Genscher besteht darauf, dass man sich selbst ein Bild vom Zustand der Geiseln machen müsse, bevor weiter über die neue Forderung gesprochen werde; die Aussagen gefesselter Gefangener aus dem Fenster genügten nicht. Der Anführer der Geiselnehmer gesteht das zu, verweigert aber Polizeipräsident Schreiber, in die besetzte Wohnung zu gehen: Er misstraut ihm. 96

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So betreten Genscher und Tröger um 17:02 Uhr mit Issa das Haus. Sie gehen die Treppe hoch. Oben sehen sie mehrere Terroristen mit Maschinenpistolen, dann wird eine Tür am Ende des Flurs geöffnet. In einem Raum, in dem an der rechten und linken Wand je ein Bett stehen, sitzen neun Geiseln; außerdem liegt ein Toter mit blutigen Wunden am Boden, teilweise bedeckt mit einem Bettlaken. Die Fenster sind verhängt, das Licht ist gedämpft. Die Israelis sind so an Händen und Füßen gefesselt, dass sie die Hände etwas bewegen können. Genscher stellt sich vor; er spricht Deutsch, da auch Issa anwesend ist, Tröger übersetzt für die Geiseln ins Englische.86 Der Innenminister sagt, dass die Bundesregierung mit den arabischen Staaten und mit Israel verhandele, um eine Lösung zu erreichen: „Wir werden alles tun, um Ihre Freilassung zu erreichen.“ Einer der neun übergibt Genscher eine Liste mit ihren Namen; ein anderer wiederholt die Bitte, die Regierung in Jerusalem möge auf die Forderungen der Terroristen eingehen und die palästinensischen Gefangenen freilassen. Dann seien sie tatsächlich bereit, mit den Geiselnehmern nach Kairo zu fliegen. Schon nach wenigen Minuten bedeutet einer der Bewaffneten Genscher, die Unterredung sei jetzt beendet. Der Innenminister ist geschockt: Das Bild der Männer in Unterwäsche, die auf den Betten sitzen und ihn ansehen, verstört ihn zutiefst, denn er weiß, wie gering seine Möglichkeiten sind, ihnen zu helfen. Er geht die Treppe wieder hinunter und spricht noch einmal sein Angebot an, als Ersatzgeisel zu bleiben, doch abermals lehnt Issa ab.87 Nach acht Minuten ist der Besuch im besetzten Haus zu Ende. Vor der Tür diskutieren Genscher und Tröger noch einige Minuten mit Issa, dann gehen die Vertreter des Krisenstabes zurück.88 Issa hat das Ultimatum bis 18:30 Uhr verlängert, um den Abtransport zu organisieren.89 Das ist wenig Zeit. Schon auf dem Rückweg zum Verwaltungsgebäude schildern Genscher und Tröger deshalb ihre Eindrücke Schreiber: Sie hätten fünf Palästinenser gesehen; die Geiseln seien alle im selben Raum, es sei ein Leichtes für einen einzigen Terroristen, sie zu bedrohen. Ein Sturm auf das Haus Connollystraße sei „einfach ungünstig“. Dagegen bietet die neue Forderung der Geiselnehmer neben dem Zeitgewinn zwei neue Chancen, denn sowohl auf dem Weg zum verlangten Flugzeug wie in der Maschine selbst sollten sich bessere Möglichkeiten für einen Zugriff ergeben.90 In diesen Minuten kurz nach fünf Uhr nachmittags beobachtet einer der drei DDR-Sportreporter aus dem Fenster der Connollystraße 24, was vor dem besetzten Haus geschieht, und protokolliert minutengenau. Ein 97

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Hans-Dietrich Genscher, Walter Tröger und Bruno Merk verhandeln mit „Issa“. Ganz links ein nicht identifizierter Mann.

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Mit starken Teleobjektiven können Fotografen von Westen her das ­Geschehen in der Connollystraße problemlos dokumentieren.

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Zwei Polizeibeamte in Zivil auf dem Dach der Connollystraße – immer unter Beobachtung der Livekameras der Weltmedien.

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Ein Beamter des freiwilligen Sturmkommandos mit Panzerweste und MPi in Bereitschaftsposition auf dem Dach.

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Zwei Beamte des Sturmkommandos bei der Rückkehr vom Dach der ­Connollystraße 31 nach der Absage des Angriffs gegen 17:20 Uhr.

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Drei Zivilbeamte, teilweise in Anzügen und bewaffnet mit MPis, halten sich auf der Fahrebene der Connollystraße bereit.

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anderer behält die Lage auf der Fahrebene im Blick – als DDR-Journalist kann er sich auch in diesem gefährdeten Bereich frei bewegen. Er sieht, dass bewaffnete Polizisten in Zivil Position bezogen haben; sie gehen davon aus, dass ihr Einsatz unmittelbar bevorsteht: „Wir stürmen jetzt“, erklärt einer, was wohl eine Warnung sein soll. Ein anderer Beamter sagt zu dem Ostdeutschen: „So etwas ist nur bei uns möglich. Bei euch wäre das kaum denkbar.“91 Ist er verärgert, dass ein Unbeteiligter so nah an den mutmaßlichen Einsatzort kommt? Oder meint er die Gesamtsituation? Doch das Codewort „Sonnenschein“ kommt nicht. Um 17:20 Uhr lässt Polizeivizepräsident Wolf stattdessen per Funk an die Sturmtrupps die Weisung erteilen: „Aktion verzögert sich, wieder zurück in Ausgangssituation.“ Eine Minute später wird die riskante Befreiungsaktion endgültig abgesagt. „Grund: Terroristen verlangen, nach Ägypten ausgeflogen zu werden“, notiert ein Beamter ins Einsatztagebuch.92 Es ist 17:21 Uhr.

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Täuschung Die Lage hat sich zum ersten Mal seit gut zwölf Stunden substanziell geändert. „Lage wieder entspannt. Neue Verhandlungspause“, erfahren die Panzerwagen über Funk.1 Jetzt muss die neue Entwicklung mit dem israelischen Botschafter besprochen werden, damit er seine Regierung informieren kann. Eliashiv Ben-Horin nimmt sofort Kontakt mit Jerusalem auf und richtet danach drei Fragen an Genscher: Erstens will Golda Meir wissen, ob die Bundesregierung bereits mit Ägypten gesprochen und sichergestellt habe, dass die Geiseln aus Ägypten ausreisen dürften; zweitens ob der Transport in einer deutschen Maschine erfolgen solle; drittens ob ein hochrangiger Deutscher die Terroristen und die israelischen Olympia-Teilnehmer begleiten werden. Falls alles bejaht werde, werde der Botschafter mit seiner Regierung erneut Rücksprache halten.2 Ein Vertreter des Auswärtigen Amtes im Krisenstab versteht die Antwort aus Jerusalem jedoch anders: „Die israelische Regierung nahm diese Forderung unter der Bedingung an, dass die ägyptische Regierung zusicherte, die Israelis von Kairo aus ohne Festnahme und Verhör in einer deutschen Maschine nach Tel Aviv weiterfliegen zu lassen und dass die Palästinenser zusicherten, den Geiseln unterwegs kein Leid zuzufügen“, heißt es in seinem Bericht.3 Doch eigentlich macht eine weitere Information, die Ben-Horin dem Krisenstab mitteilt, jede weitere Erörterung hinfällig: „An ihrer Haltung, die in Israel inhaftierten Araber nicht freizugeben, hält die israelische Regierung fest.“4 Das aber ist die entscheidende Forderung der Geiselnehmer. Hinzu kommt, dass etwa zugleich Avery Brundage namens des IOC verlangt, „dass die Geiseln nicht in der Gewalt der Palästinenser bleiben dürften“.5 Damit ist klar: Die neue Forderung zu erfüllen, kann nicht ernsthaft erwogen werden; vielmehr geht der Krisenstab nur zum Schein darauf ein, 105

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um bessere Aussichten für eine gewaltsame Befreiung zu haben. Das vorrangige Ziel des Krisenstabes ist nun also die Täuschung der Geiselnehmer  – während einer laufenden Erpressung sicher ein legitimes Mittel. Doch natürlich muss das strikt vertraulich bleiben. Die immer noch Zehntausenden Schaulustigen entlang des Zauns zum Olympischen Dorf und Hunderte Journalisten auf dem Flachdach des Übertragungszentrums bekommen von der veränderten Lage nichts mit. Sie sehen allerdings, dass die Polizisten in Trainingsanzügen mit Stahlhelmen, Schutzwesten und Maschinenpistolen vom Dach verschwinden. Da es nichts anderes Aktuelles zu berichten gibt, wird erst recht spekuliert. Der ARD-Korrespondent Lothar Loewe zum Beispiel spricht live in die Kamera: „Wenn gewaltsame Maßnahmen eingeleitet werden sollten, also wenn der Versuch unternommen werden sollte, mit Gewalt die israelischen Sportler zu befreien, dann wird das vermutlich im Schutze der Dunkelheit und nicht mehr bei Tageslicht stattfinden.“6 Verantwortungsbewusster Journalismus in einer Krisensituation geht anders. Der Verleger Axel Springer, der sicher prominenteste Freund des Staates Israel in Deutschland, verfasst um diese Zeit ein Telegramm an Golda Meir. „Das grausame Verbrechen in München hat mich zutiefst erschüttert“, schreibt er: „Die Unfähigkeit sowohl der deutschen Behörden wie der olympischen Funktionäre, kraftvoll diese schreckliche Situation zu meistern, lässt mich verzweifeln. Ganz besonders bin ich entsetzt darüber, dass ein solcher Akt nackten Terrors auf dem Boden des freien Deutschlands geschehen konnte. In tiefem Schmerz – Axel Springer.“7 Ab 17:30 Uhr diskutiert Manfred Schreiber mit dem Einsatzstab die neuen Möglichkeiten: Man kann entweder auf dem Weg zum Flugplatz zuschlagen oder unmittelbar neben, vielleicht sogar in der Maschine, mit der Issa und seine Komplizen glauben, in Richtung Kairo starten zu sollen. Für die erste Möglichkeit bietet sich die Fahrebene der Connollystraße an, weil bei einem Feuergefecht dort kaum Unbeteiligte gefährdet sind. Für die zweite gibt es Alternativen: den zivilen Airport München-Riem acht Kilometer östlich der Innenstadt und den Fliegerhorst der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck 25 Kilometer westlich. Wolf plädiert für den Fliegerhorst, und Schreiber stimmt ihm zu. Fürstenfeldbruck biete sich „wegen der hermetischen Abschließbarkeit, der Nichtgefährdung Unbeteiligter sowie der Tatsache an, dass dort wir das Gesetz des Handelns in die Hand nehmen“ können.8 106

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Mehr Vorbereitung braucht man auf jeden Fall für einen Zugriff in der Nähe der Maschine, die Geiselnehmer und Geiseln angeblich ausfliegen soll; also wird diese Aufgabe zuerst angegangen. Gegen 17:38 Uhr werden beim Bundesgrenzschutz Hubschrauber angefordert; zwei Minuten später steht die Entscheidung des Krisenstabes: „Rettungsversuch im Basement primär, spätestens aber in Fürstenfeldbruck, Riem – nein!“9 Um 17:45 Uhr erteilt Schreiber seinem Stellvertreter in Anwesenheit von Hans-Dietrich Genscher und Bruno Merk die formale Weisung, eine gewaltsame Befreiung der Geiseln auf dem Fliegerhorst müsse ab 18:45 Uhr möglich sein. Wolf ordnet an, dass fünf Präzisionsschützen dorthin geflogen werden sollen; das scheint ihm ausreichend, denn Genscher hat beim Besuch der Geiseln fünf Terroristen gezählt. Mit Wolf zusammen steigt Polizeioberrat Alfred Baumann, der schon den abgesagten Sturmangriff auf die Connollystraße mitgeplant hat, in einen Hubschrauber; auch die Schützen mit ihren Waffen sind dabei. Sofort nach der Ankunft in Fürstenfeldbruck fordert Wolf über den Einsatzstab beim Technischen Hilfswerk Beleuchtungswagen an, sogenannte Lichtgiraffen. Drei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, bisher in Reserve, sind auf dem Eilmarsch zum Stützpunkt.10 Der Kommandeur, Oberst Heinz-Günter Kuring, wird offiziell über den Plan informiert und sagt jede Unterstützung zu; es ist die erste förmliche Bitte um Hilfe, die an diesem Tag bei der Bundeswehr eingeht. Nachdem die Vorbereitungen für Fürstenfeldbruck organisiert sind, wendet sich der Einsatzstab der anderen Möglichkeit für eine gewaltsame Befreiung zu: den 550 Metern zum Landeplatz der Hubschrauber am Helene-Mayer-Ring zwischen Olympischem Dorf und Lerchenauer Straße. Von Anfang an ist klar, dass Terroristen und ihre Gefangenen über die untere Ebene der Connollystraße gehen sollen. Denn beiderseits des überbauten Fahrweges gibt es Parkplätze, Treppenhäuser und Aufzugsschächte hinauf in die Apartmenthäuser: jede Menge Deckungen für Einsatzkräfte. Allerdings auch für die Täter. Um 18:20 Uhr erteilt Manfred Schreiber dem Leiter der 2. Einsatzhundertschaft Lorenz Ni. den Auftrag, mit seinen Männern die Befreiung im Basement vorzubereiten. Zuständig dafür sollen wieder die Beamten sein, die am Nachmittag auf dem Dach der Connollystraße den möglichen Sturm vorbereitet haben. Sie beziehen Positionen, in denen sie sich verstecken können, von denen aus sie aber auch auf Ziele auf der Fahrebene der Connollystraße schießen können. 107

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Issa weiß, dass zahlreiche Kameras auf die Eingangstür des besetzten Hauses gerichtet sind. Um 18:24 Uhr kommt er heraus, reicht Anneliese Graes eine Banane aus den Proviantkörben und isst selbst eine. Das ist eine Geste, die ihn wohl selbstsicher wirken lassen soll. Die drei DDR-Reporter im ostdeutschen Quartier sehen zu und notieren: „Als sie aufgegessen haben, werden die Schalen ins Treppenhaus geworfen. Aber der Anführer geht hinein und hebt sie wieder auf und bringt sie weg.“11 Nachdem der Sturm auf das besetzte Haus abgeblasen worden ist, hat sich Bundeskanzler Willy Brandt auf den Weg ins Olympische Dorf gemacht. Er mischt sich aber auch jetzt nicht in die Arbeit des Krisenstabes ein, sondern überlässt es Hans-Dietrich Genscher, die Bundesregierung zu repräsentieren. Stattdessen versucht der Kanzler seit 18:30 Uhr, mit der ägyptischen Regierung Kontakt aufzunehmen. Damit erfüllt er einerseits die entsprechende Bitte aus Israel, die Botschafter Ben-Horin übermittelt hat; andererseits will er die Haltung Ägyptens eruieren, falls – der klaren Ablehnung Genschers und des IOC zum Trotz – die Terroristen mit den Geiseln doch nach Kairo ausgeflogen werden müssen. Die deutsche Botschaft dort hat schon verschlüsselt und „citissime / mit Vorrang“ eine klare Anweisung bekommen: „Erbitte sofortige Rückantwort, wo Präsident Sadat für Gespräch Bundeskanzler zu erreichen ist. Gespräch soll möglichst noch bis 20 Uhr hiesiger Zeit zustande kommen.“12 Brandt hält sich im Verwaltungsgebäude des Olympischen Dorfes auf, im Büro von Robert Lembke, der für die Übertragungstechnik von ARD und ZDF verantwortlich ist. Denn es ist auch klar, dass sich der Regierungschef am Abend öffentlich äußern muss, per Erklärung in der Tagesschau um 20 Uhr – das organisiert am besten Lembke. In dessen Büro informiert Hans-Jochen Vogel, der ohnehin nach der anstehenden Neuwahl des Bundestages ins Kabinett wechseln soll, den Kanzler. Nachdem nun zwei alternative Möglichkeiten, die Geiseln gewaltsam zu befreien, vorbereitet werden, gehen Genscher, Merk, Tröger und Schreiber wieder zur Connollystraße. Die laufende Frist des Ultimatums ist eigentlich schon zu Ende, und um Punkt 18:30 Uhr hat Issa die Kontaktfrau Anneliese Graes darauf auch hingewiesen. Drei Minuten später kommen die vier Vertreter des Krisenstabes ins Sichtfeld der DDR-Journalisten; kurz darauf beginnt ein neues Gespräch.13 Die beiden Minister sagen, die verlangte Maschine stehe noch nicht zur Verfügung. Außerdem kämen „nur Freiwillige als Besatzung“ infrage; um sie zu finden, benötige man Zeit. Der Terro108

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rist zeigt „erkennbar zunehmendes Misstrauen, steigende Nervosität“, hält Bruno Merk fest: „Lässt Schlimmstes befürchten.“14 Andererseits ist Zeitgewinn positiv, weil die Täter müder werden – sie sind seit der Nacht auf den Beinen. Da der Einsatzstab immer noch von fünf Terroristen ausgeht, glauben die Planer, dass kein Täter sich zwischendurch längere Zeit ausgeruht haben kann. Ein Irrtum. Issa hat eigentlich verlangt, mit einem Bus zum Flugplatz gebracht werden. Doch das lehnen die Polizeiexperten ab: Sie setzen darauf, dass sich Geiselnehmer und Geiseln sowohl auf der Fahrebene der Connollystraße wie auch in Fürstenfeldbruck möglichst weit zu Fuß bewegen. Denn nur dann haben die Scharfschützen eine Chance, die Terroristen ins Visier zu nehmen und „auszuschalten“, also zu töten. Hubschrauber können naturgemäß nicht direkt vor dem besetzten Haus und ebensowenig dicht neben einem startbereit wartenden Flugzeug landen. Während es schon dämmert (die Sonne geht um 18:47 Uhr unter), reden die Vertreter des Krisenstabes auf Issa ein. Es stimmt zwar, dass noch keine Maschine zur Verfügung steht, jedoch ist noch gar nicht bei der Lufthansa nachgefragt worden. Das weiß der Anführer der Geiselnehmer aber natürlich nicht, und so zeigt er sich bereit, das Ultimatum noch einmal zu verlängern  – aber nur bis 21 Uhr, nicht mehr länger. Seine Leute hätten „über viele Stunden nicht geschlafen. Sie befürchteten ein Nachlassen ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit und damit die Gefahr einer Überwältigung durch die deutsche Polizei.“ Auf die angebotene Zusage, bei einer Verlängerung des Ultimatums bis zum nächsten Morgen um acht Uhr werde die Polizei bis dahin nichts gegen sie unternehmen, lässt sich Issa nicht ein.15 Dieser Vorschlag dient tatsächlich vor allem der Zermürbung der Täter; der Einsatzstab hat nicht ernsthaft damit gerechnet, dass er angenommen werden könnte. Schreiber fürchtet, dass Issa seine Drohung, um 21 Uhr würden die ersten beiden Geiseln exekutiert, wahrmacht. Immerhin hat der Krisenstab zwei weitere Stunden Zeit gewonnen. Der Moment der Entscheidung rückt näher.16 Nun müssen die vier Unterhändler dem Palästinenser noch den Transport zum Flugplatz nicht per Bus, sondern per Hubschraubern schmackhaft machen. Die Unterhändler behaupten, aufgrund der Empörung vieler Menschen in München die Sicherheit der Täter und ihrer Geiseln nicht garantieren zu können, wenn Issa auf der Nutzung öffentlicher Straße bestehe. Das akzeptiert der Anführer.17 Um 19:12 Uhr ist diese 109

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Verhandlungsrunde beendet, und Issa macht eine unerwartete Geste: Er nimmt Haltung an und erweist seinen Gesprächspartnern eine Art militärischen Gruß.18 Genscher, Merk und Schreiber haben es eilig  – sie wollen sich nach Fürstenfeldbruck fliegen lassen und dort den Stand der Vorbereitungen in Augenschein nehmen. Vorher gibt der Polizeipräsident aber noch einem leitenden Beamten des Landeskriminalamtes den Auftrag, ein geeignetes Flugzeug nach Fürstenfeldbruck zu dirigieren. Weil die Lufthansa weitgehend in Staatsbesitz ist und damit faktisch dem Bundesverkehrsministerium unterstellt, ruft der Polizeidirektor in Bonn an und erkundigt sich, wann ein für die 2640 Kilometer Luftlinie weite Strecke nach Kairo geeignetes Flugzeug in Fürstenfeldbruck sein kann. Die Auskunft ist allerdings enttäuschend: In München-Riem steht keine Maschine zur Verfügung; erst um 20:40 und 20:45 Uhr sollen zwei Boeings mit hinreichender Reichweite dort landen, die dann ihre Passagiere aussteigen lassen müssen.19 Dass ein Start in Fürstenfeldbruck gar nicht geplant ist, verschweigt man der Lufthansa. Inzwischen sind Mossad-Chef Zwi Zamir und sein Shin-Bet-Kollege Victor Cohen in München-Riem gelandet und auf schnellstem Weg zum Olympischen Dorf gefahren worden. Doch dort wird ihr Chauffeur erst einmal abgewiesen. Erst auf Intervention von Ulrich Wegener oder Elia­ shiv Ben-Horin, vielleicht auch von beiden, wird den beiden israelischen Geheimdienstlern Zugang gewährt: kein guter Anfang für die Zusammenarbeit. Der Botschafter informiert Zamir und Cohen, die daraufhin den Ort des Geschehens ansehen wollen. Doch obwohl es schon fast dunkel ist, verweigert ein Polizeibeamter den beiden den Zutritt in die gesperrte Zone. Ein weiterer Affront.20 Trotzdem fällt Zamir auf, dass es keine ausgebildeten Soldaten sind, die rund um das besetzte Haus in Bereitschaft stehen, sondern eine zusammengewürfelte Truppe. Offensichtlich hat Mo­ she Dayan sich geirrt, als er am Morgen Golda Meir in Jerusalem versichert hat, die Bundeswehr verfüge über eine auf solche Einsätze trainierte Sondereinheit.21 Genscher, Merk und Schreiber kommen kurz vor 20 Uhr per Hubschrauber zurück aus Fürstenfeldbruck. Dort haben sie die Vorbereitungen von Georg Wolf besichtigt, halten aber an der Präferenz für einen Zugriff auf der Fahrebene der Connollystraße fest; vor allem Genscher hat starke Bedenken gegen den Einsatz auf dem Fliegerhorst. Trotzdem müsse die Al110

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ternative für einen Befreiungsversuch weiter vorbereitet werden, „um nicht unter ungünstigen Umständen [die] ,Notbremse‘ ziehen zu müssen“, notiert Bruno Merk.22 In der Tagesschau um 20 Uhr wendet sich Willy Brandt an die Bevölkerung; DOZ-Chef Robert Lembke hat arrangiert, dass die Ansprache kurz vorher im Olympia-Sendezentrum aufgezeichnet werden kann und eingespielt wird. Man sieht dem Bundeskanzler seine Erschütterung an: „Liebe Gäste in München, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“, beginnt er: „Sie wissen, die Olympischen Spiele mussten heute wegen tragischer Umstände unterbrochen werden. Die Ereignisse dieses Tages sind ein böser Schlag gegen die Oympische Idee, die eine Idee des friedlichen Wettstreits der Jugend der Welt ist. Mit dem Anschlag auf die Mannschaft von Israel wurde nicht nur Frevel an der Idee des Olympischen Friedens begangen, auch der Bundesrepublik Deutschland, uns allen, wurde schwerer Schaden zugefügt. […] Mit mir trauern alle Menschen in unserem Land.“ Brandt gibt eine Zusammenfassung der Ereignisse und urteilt: „Dies sind verabscheuungswürdige Methoden. Es gibt kein politisches Ziel, welches solche Methoden rechtfertigen kann. Aus Verbrechen dieser Art kann nirgendwo, auch nicht im Nahen Osten, ein Friede entstehen.“ Er erwähnt die Gespräche mit der israelischen Regierung und deutet Weiteres an: „In dieser Stunde bemühe ich mich selbst noch um einen besonderen persönlichen Kontakt.“ Eine Anspielung auf die weiterlaufenden Bemühungen des Auswärtigen Amts, Ägyptens Präsident Anwar al Sadat ans Telefon zu bekommen. Einer Untersuchung wolle er nicht vorgreifen, sagt Brandt weiter, tut dann aber genau das: „Gegen Desperados, die ihr eigenes Leben nicht achten, gibt es, wie die Erfahrung zeigt, leider keinen totalen Schutz.“ Abschließend geht der Kanzler auf die Frage ein, ob die Spiele nicht nur unter-, sondern ganz abgebrochen werden sollten: „Ich darf dem dafür zuständigen IOC nicht vorgreifen, möchte aber mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg halten. Ich meine, es darf nicht Schule machen, dass eine Gruppe rücksichtsloser Extremisten darüber bestimmen kann, ob große internationale Veranstaltungen stattfinden können oder nicht.“ Nachdem er auf diese Weise gleich doppelt vorgegriffen hat, schließt er seine Ansprache: „Die heiteren Spiele sind zu Ende. Was das bedeutet, werden viele von uns noch gar nicht ermessen können. In diesen Stunden und Tagen haben wir uns nun neu zu bewähren.“23 111

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Während Brandts Rede ausgestrahlt wird, erfährt das Auswärtige Amt, das Sadat nicht in Kairo sei (und deshalb angeblich an diesem Abend nicht zu sprechen). Immerhin sei der Premierminister in „etwa einer Stunde“ zu erreichen. Der Kanzler, so hält ein Ministerialrat aus seinem Stab fest, verlangt, „ein verantwortliches Mitglied der ägyptischen Regierung sofort zu sprechen“. Der undiplomatische Ton spricht für Brandts Verärgerung.24 Um 20:08 Uhr muss Dorf-Bürgermeister Walter Tröger zu Issa gehen und ihm klarmachen, dass es zu Verzögerungen komme und der Abflug bis 21 Uhr nicht zu schaffen sei. Der Anführer der Terroristen nimmt es erstaunlich gleichmütig hin, beinahe fatalistisch. Im Einsatzstab kümmert man sich derweil weiter um das Flugzeug. Endlich kommt die Zusage, eine Boeing 727 aus London werde bald nach 21 Uhr den kurzen Sprung von Riem nach Fürstenfeldbruck machen können.25 Routinemäßig erkundigt sich die Flugplanung, ob die Maschine vorher noch aufgetankt werden solle; der Polizeidirektor verneint. Ihn stört auch nicht, dass die Lufthansa keine Besatzung zur Verfügung stellen kann.26 Zwischen Zwi Zamir und Hans-Dietrich Genscher kommt es ungefähr zur gleichen Zeit zu einem Gespräch, das beide später unterschiedlich schildern. Vielleicht handelt es sich aber einfach nur um Missverständnisse durch die Übersetzung, denn Zamir spricht Hebräisch, Genscher Deutsch, und Botschafter Ben-Horin muss dolmetschen. Der Mossad-Chef schlägt dem Bundesminister vor, weiter auf Zeitgewinn zu setzen und ein Entgegenkommen der Regierung in Jerusalem anzudeuten. Doch Genscher erwidert, dass der Krisenstab all das längst gemacht habe  – was zutrifft. Zamir regt dann an, auf die Weigerung Ägyptens zu Gesprächen zu verweisen und Issa ein Gespräch mit einem Vertreter der israelischen Regierung anzubieten. Das leuchtet Genscher ein, und er macht sich um kurz vor halb neun Uhr auf den Weg zu einer weiteren Verhandlung vor der Connollystraße 31.27 Vor allem aber bleibt dem Innenminister in Erinnerung, Zamir gefragt zu haben, „ob Israel eigene Kräfte zur Befreiung einsetzen wolle“. Das verneint der Mossad-Chef nach Genschers Erinnerung.28 Zamir jedoch erinnert sich an diese Frage gar nicht. Inzwischen fehlt für die Vorbereitung eines solchen Einsatzes die Zeit; das wäre anders gewesen, wenn die Sajeret Matkal schon am Morgen nach Deutschland gestartet wäre, wie Ehud Barak es vorgeschlagen hat, und nun auf Abruf bereitgestanden hätte. Die Bedenkenträgerei mutmaßlich eines 112

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Juristen in Bonn hat diese Option ausgebremst, ohne dass die politisch Verantwortlichen sich damit befasst hätten. Gegen 20:30 Uhr, es ist schon fast dunkel, kommen Genscher, Merk und Schreiber wieder zur Connollystraße – inzwischen die mindestens zehnte Verhandlungsrunde.29 Der Bundesinnenminister informiert Issa, dass ein Vertreter der israelischen Regierung eingetroffen sei, der mit ihm telefonieren wolle, doch der Terrorist lehnt ab: „Das sei nur ein neuer israelischer Versuch, die Sache hinauszuzögern“, hält Genscher Issas Worte fest: „Er habe nichts mehr zu sagen.“30 Merk übernimmt und erklärt, dass der Flug nach Kairo stattfinden werde, die Maschine aber erst im Anflug sei. Mit dem Hinweis, Fürstenfeldbruck sei ein ziviler Charterflughafen, schafft er es, Issas Einverständnis für die Ortswahl des Krisenstabes zu erlangen.31 Um 20:40 Uhr kommt endlich das Gespräch von Willy Brandt mit Ägyptens Premierminister zustande. Von Robert Lembkes Büro aus spricht der Kanzler mit Aziz Sidqi: „Ich versuche darzulegen, dass wir es mit einem Problem zu tun haben, das uns beide angeht. Ob, wenn ein deutsches Flugzeug in der Nacht nach Kairo käme, die Palästinenser dort bleiben und wir für den Weitertransport der Geiseln sorgen könnten? Der Premierminister: ‚Wir haben nichts mit der Angelegenheit zu tun, wir möchten nicht in sie verwickelt werden.‘“ Brandt insistiert, „hier werde der arabischen Sache schwerer Schaden zugefügt“. Doch das fruchtet nicht; Sidqi antwortet kurz und bündig, in Kairo wolle man mit „those people“ nichts zu tun haben.32 Ungefähr zur gleichen Zeit hört Anneliese Graes mit, was Issa am Ende der laufenden Verhandlungsrunde vor dem Eingang Connollystraße 31 zu Hans-Dietrich Genscher sagt: „Ich möchte mich recht herzlich bei Ihnen und Ihrer Regierung bedanken. Sie waren sehr fair und haben alles getan.“33 Kurz vor oder bald nach 21 Uhr machen Münchens Polizei und ihr Präsident Manfred Schreiber einen kapitalen Fehler.34 Noch immer präferieren der Krisen- und der Einsatzstab die Möglichkeit, die Geiselnahme auf dem Weg der Terroristen durch die Fahrebene der Connollystraße gewaltsam zu beenden. Dort sind inzwischen die meisten Männer in Position, die sich am Nachmittag auf dem Dach bereitgehalten haben. Sie haben gute Deckung, aber zugleich wenig Übersicht  – und keine stabile Funkverbindung zum Einsatzleiter Lorenz Ni. Befehl zum Zugriff ist nicht erteilt. Inzwischen haben die Vertreter des Krisenstabes Issa das Einverständnis abgerungen, Geiseln und Terroristen per Hubschrauber nach Fürstenfeldbruck fliegen zu lassen. Genscher bittet ihn noch um die Zusage, dass 113

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Auch nach Einbruch der Dunkelheit sind immer noch hunderte Schaulustige im näheren Umkreis des Tatortes unterwegs.

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Eine Bell Huey des Bundesgrenzschutzes beim Aufsetzen an der Lerchenauer Straße am Ostrand des Dorfes – 550 Meter vom Tatort.

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er die Besatzungen nicht zusätzlich als Geiseln nimmt. Der Palästinenser stimmt zu: „An deutschen Geiseln bin ich nicht interessiert“, verlangt zugleich jedoch, dass in jedem Hubschrauber nur ein Pilot sitzt, natürlich unbewaffnet.35. Allerdings besteht die Crew der Bell-Huey-Helikopter des BGS stets aus Pilot und Bordtechniker, und für einen sicheren Flug werden beide gebraucht. Nun ist noch der Weg zum Landeplatz der beiden Helikopter auf der Ostseite des Dorfes zu klären. Scheinheilig hat Schreiber vorgeschlagen, die Täter könnten die wenigen hundert Meter zu Fuß gehen. Der Palästinenser ist jedoch misstrauisch – und besteht auf einer Besichtigung. Das kann angesichts des bisherigen Verhaltens Issas nicht wirklich überraschen, aber dennoch hat der Einsatzstab damit nicht gerechnet. Also begleiten Schreiber und Tröger den Anführer der Geiselnehmer die Treppe hinab auf die Fahrebene. Die dort positionierten Polizisten sind überrascht und ziehen sich weiter in ihre Deckungen zurück, doch Issa sieht oder hört irgendetwas; jedenfalls wird er misstrauisch. Plötzlich ruft Manfred Schreiber unüberlegt, es handele sich um einen „Probegang“.36 Dem Palästinenser wird klar, dass der Fußweg durch das Basement ein Hinterhalt sein soll. Er bricht die Inspektion ab und verlangt ultimativ, mit einem Bus zu den Hubschraubern gebracht zu werden; der Krisenstab muss einwilligen. Es ist 21:35 Uhr.37

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Falle Der Plan, die Geiseln auf der Fahrebene der Connollystraße zu befreien, ist geplatzt – durch schlechte Vorbereitung, mangelnde Information der Einsatzkräfte und Manfred Schreibers laute Warnung. Der Krisenstab sitzt damit in einer Falle, denn es bleibt nur noch eine Option: die gewaltsame Befreiung auf dem Flugfeld in Fürstenfeldbruck. Der Forderung der Terroristen nachzukommen und sie mit ihren Gefangenen ausfliegen zu lassen, ist ausgeschlossen: Weder will die Bundesregierung das noch würde die ägyptische Regierung die Maschine landen lassen, ferner hat das IOC diese Möglichkeit strikt abgelehnt, und schließlich gibt es ohnehin keine Besatzung für die Boeing, die einen solchen Flug ausführen könnte.1 Der Einsatzstab zieht daraus schnell Konsequenzen. Polizeivizepräsident Georg Wolf fliegt mit fünf Präzisionsschützen erneut nach Fürstenfeldbruck; sie sind zuvor nach dem Ortstermin der beiden Minister mit Schreiber ins Olympische Dorf zurückgekehrt, um hier beim geplanten, dann aber geplatzten Zugriff zu unterstützen. Außerdem werden zwei Polizeihundertschaften im Eilmarsch zum Luftwaffen-Stützpunkt geschickt, denn man braucht sie am Olympiapark nicht mehr: Nach Einbruch der Dunkelheit sind viele Schaulustige gegangen  – es ist einfach nicht mehr viel zu sehen. Wohl um Zeit zu schinden, schickt ein Beamter zunächst einen kleinen Bus mit nur 16 Sitzplätzen vor das Treppenhaus der Connollystraße 31.2 Inzwischen ist eine Boeing  727 der Lufthansa aus München-Riem in Fürstenfeldbruck gelandet. Polizeioberrat Alfred Baumann, der während Wolfs Abwesenheit die Leitung der Einsatzvorbereitung auf dem Fliegerhorst übernommen hat, lässt sie auf dem Vorfeld des Towers abstellen, gut 100 Meter südöstlich des vorgesehenen Landeplatzes für die beiden Hubschrauber mit Geiselnehmern und Geiseln. Sie hat nach dem Rückflug aus 117

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London noch knapp 8,5 Tonnen Kerosin an Bord – immerhin ein Drittel der gesamten Kapazität.3 In Fürstenfeldbruck gibt es anders als in München-Riem keine Möglichkeit, die Tanks auszupumpen, und die Piloten haben beim Anflug nicht geahnt, dass ihr Flugzeug im Mittelpunkt eines Schusswechsels stehen könnte und sie vor der Landung besser möglichst viel Treibstoff ablassen sollten. Wolf und Baumann haben einen Plan für den Zugriff entworfen: Die Hubschrauber sollen leicht nordöstlich des Hauptgebäudes landen; das gesamte Vorfeld ist von den drei Lichtgiraffen erleuchtet. Von drei Stellen aus, dem Tower, einer im Gras gelegenen betonierten Fläche mit niedriger Mauerumrandung, einem „Signalgarten“, und hinter einem eigens abgestellten Löschwagen der Stützpunktfeuerwehr, sollen die fünf Präzisionsschützen die Terroristen ausschalten, also erschießen oder zumindest schwer verletzen, wenn sie mit den Geiseln von den Helikoptern die etwa hundert Meter zur vorderen Treppe an der 727 gehen. Die Positionen sind so gewählt, dass die Schützen von beiden Seiten schießen können, ohne gegenseitig ins Kreuzfeuer zu geraten, und trotzdem lediglich auf eine Distanz von 50 bis 80 Meter treffen müssen. In der Boeing wartet zudem noch eine Gruppe Beamte der Einsatzhundertschaft, die sich am Nachmittag freiwillig gemeldet haben. Sie sollen Terroristen überwältigen, die zum Inspizieren an Bord der Maschine kommen. Es handelt sich um ein Dutzend Männer, die sich als Crew und Mitglieder des Bodenpersonals ausgeben werden. Leiter ist der 40-jährige Polizeioberinspektor Reinhold Rei., zu seinem Trupp gehören der 23-jährige Michael  Gö. und der 30-jährige Werner  Br. Der Plan geht davon aus, dass die Geiselnehmer und ihre Gefangenen direkt nach der Landung der Hubschrauber hinüber zur Boeing gehen. Da die bayerische Polizei in Fürstenfeldbruck nicht über genügend Waffen verfügt, hilft die Luftwaffe mit Pistolen aus.4 Es ist die einzige im engeren Sinne militärische Unterstützung, die die Bundeswehr an diesem Tag leistet. Gegen 21:45 Uhr unterläuft der Einsatzleitung ein weiterer Fehler: Die beiden Radpanzer der Bereitschaftspolizei, die nachmittags um Viertel nach drei Uhr nach Fürstenfeldbruck geschickt worden sind, werden dort irrtümlich entlassen. Wie es dazu kommt, wird nicht aufgeklärt; es muss sich um ein Missverständnis handeln, denn gerade ist ja ein Zugriff in Fürstenfeld zur letzten Option der Polizei geworden. Jedenfalls stehen auf dem Flugplatz keine Panzerwagen zur Verfügung, als Terroristen und Geiseln eine Dreiviertelstunde später ankommen.5 118

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Aus dem Quartier der DDR-Mannschaft verfolgen die Sportjournalisten Martin Kramer, Dieter Wales und Wolfgang Gitter immer noch, was vor dem Eingang zur Connollystraße 31 geschieht. Die Kontaktfrau Anneliese Graes hat sich nach mehr als zwölf Stunden in vorderster Stellung zurückgezogen, und jetzt zeigt sich, wie wichtig ihre fast ständige Präsenz gewesen ist. Gegen 21:53 Uhr kommt ein nicht identifizierbarer Mann in braunem Anzug und sagt aus einiger Entfernung laut etwas zu Issa; die DDR-Beobachter verstehen einige Satzfetzen: „Sie sind gerade abgefahren … sind unterwegs … Sie bekommen Bescheid, warten Sie da.“ Ein völlig falscher Tonfall. Der Anführer der Geiselnehmer hat zum ersten Mal an diesem Tag eine Kalaschnikow in der Hand statt einer Handgranate und ist erkennbar verärgert: „Nein, ich will keinen Bescheid!“, antwortet er.6 Dann geht er hinunter zur Fahrebene, um gegen 21:54 Uhr den Bus zu inspizieren. Wie erwartet, ist er ihm zu klein – er schickt ihn weg und verlangt ein größeres Fahrzeug „innerhalb von fünf Minuten“.7 Dann geht er wieder die Treppe hinauf zum Eingang und schaut dort unruhig auf seine Uhr. Das Manöver mit dem kleinen Bus hat den Einsatzkräften immerhin sechs Minuten Zeitgewinn beschert. Um 22:02 Uhr fährt der verlangte größere Bus vor; die Beobachter aus der DDR sehen jetzt, wie die Terroristen durch das Treppenhaus der Connollystraße 31 ihre Geiseln in drei Gruppen zu je drei Männern gefesselt hinunterführen, immer ein Terrorist vor und einer hinter jeder Gruppe. Ein maskierter Palästinenser bildet die Nachhut und rennt erst hinterher, als die Wache hinter der letzten Geiselgruppe verschwunden ist. Dann heult der Motor des Busses auf.8 Auf der Fahrebene schieben die Täter ab 22:04 Uhr die israelischen Sportler in den Bus, der sehr nah an den Ausgang des Treppenhauses herangefahren ist.9 Die immer noch hier postierten Polizisten sehen keine Chance, gezielt auf die Terroristen zu schießen; ohnehin haben die Beamten keinen Einsatzbefehl. Von der westlichen Einfahrt in die beleuchtete Fahrebene der Connollystraße haben Fernsehkameras und Pressefotografen einen nahezu freien Blick auf den Bus und die einsteigenden Männer. Da die Geiseln leicht von den Tätern zu unterscheiden sind, fällt mehreren Polizisten auf, dass es sich um acht bewaffnete Täter handelt. Um 22:06 Uhr fährt der Bus ab; zur selben Zeit notiert ein Beamter in das Einsatztagebuch: „Es werden erstmals neun Geiseln und acht schwerbewaffnete Täter gezählt.“10 Der Weg ist kurz: Die überbaute Connollystraße nach Osten, 119

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dann auf dem Helene-Mayer-Ring nach links abbiegen zum Grünstreifen vor dem Olympia-Parkhaus, wo schon seit dem Vormittag die Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes landen – gerade einmal 550 Meter. Zwei Helikopter des Modells Bell Huey stehen bereit mit jeweils zwei Mann Besatzung, Pilot und Bordtechniker. Einer von ihnen ist der 30-jährige Klaus Bechler. Er ist an diesem Abend schon mehrfach nach Fürstenfeldbruck geflogen und zurück, unter anderem mit dem Bundesinnenminister. Hans-Dietrich Genscher hat ihnen gesagt, dass sie die Terroristen und ihre Gefangenen nur dann fliegen sollen, wenn sie dazu bereit sind. Die vier BGS-Flieger sind freiwillig dabei.11 Verabredet ist mit Issa, dass die Hubschrauber-Besatzungen nach der Landung umgehend den Ort des Geschehens verlassen dürfen. Die vier BGS-Leute haben strikte Order, sofort nach der Landung wie abgesprochen von ihren Helikoptern wegzugehen; sie sollen dabei ihre weißen Fliegerhelme aufbehalten und nach Norden verschwinden, also im rechten Winkel weg von der bereitstehenden Boeing.12 Sie wissen nicht, dass dies die Richtung ist, die mutmaßlich am wenigsten im Schussfeld eines Feuergefechts liegen wird. Damit das Besteigen der Hubschrauber keinesfalls gestört wird, lässt der Einsatzstab um 22:07 Uhr die Lerchenauer Straße entlang des Olympischen Dorfes sperren. Auf deren östlicher Seite liegt, das ist ein Vorteil, das BMW-Werk. Nach kaum zwei Minuten Fahrt rollt der Bus bei den Hubschraubern vor; seine Scheinwerfer sind voll aufgeblendet. Nacheinander kontrollieren Issa und Tony die beiden BGS-Maschinen und die Besatzungen, dann lassen sie die Geiseln und je drei Bewacher einsteigen; zuletzt setzen sie sich selbst dazu. Nun sieht auch der Hamburger Polizeirat Hermann Wöhrle, der Chef des Ordnungsdienstes im Dorf und an diesem Tag seit 6:50 Uhr im Lagezentrum, dass es sich wahrscheinlich um acht Terroristen handelt, jedenfalls um mehr als fünf; er geht davon aus, dass die Einsatzleitung in Fürstenfeldbruck das inzwischen auch weiß.13 Ab 22:17 Uhr laufen die Turbinen der Hubschrauber an, fünf Minuten später sind beide in der Luft. Direkt nach deren Start folgen die wichtigsten Mitglieder des Krisenstabes: Ein dritter BGS-Hubschrauber wartet mit Genscher, Merk, Manfred Schreiber, den beiden israelischen Beobachtern Zwi Zamir und Victor Cohen sowie Ulrich Wegener an Bord. Plötzlich sieht Genscher, dass der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß vor dem Hubschrauber steht, und fragt ihn, ob er mitkommen wolle. Strauß, mindestens der zweitwichtigste 120

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Politiker der Opposition, steigt ein. Zumindest ist das eine freundliche Geste Genschers, vielleicht aber auch der taktisch kluge Versuch, den politischen Gegner in die Verantwortung für das Kommende einzubinden.14 Zamir, der Strauß 1963 bei dessen Israel-Besuch kennengelernt hat, erfährt vom CSU-Chef einige Details über den Befreiungsplan, allerdings nicht genug für ein „vollständiges Bild“. Trotzdem, berichtet der Mossad-Chef wenig später seiner Premierministerin, sei Strauß „eine große Hilfe für uns“.15 Der Hubschrauber startet. Die Besatzungen der beiden anderen Maschinen haben Anweisung bekommen, im großen Bogen nach Fürstenfeldbruck zu fliegen und so langsam wie möglich, ohne dass es auffällt, denn der dritte Hubschrauber mit den wichtigsten Mitgliedern des Krisenstabes soll unbedingt zuerst ankommen.16 Sein Pilot schaltet die Positionslichter aus und fliegt mit Höchstgeschwindigkeit auf kürzestem Weg nach Westen.17 Wie vorgesehen überholt die Huey des Krisenstabes die beiden anderen und landet etwa fünf Minuten eher, gegen halb elf.18 Genscher, Merk, Schreiber und Strauß eilen im Laufschritt zum Tower, Ulrich Wegener, Zwi Zamir und Victor Cohen folgen. Der Luftwaffen-Offizier Henning Remmers, der während der Olympische Spiele zum VIP-Büro im Kasino Fürstenfeldbruck abgeordnet ist, hat eine gute Beobachtungsposition gefunden: Er kann aus dem Gleisbett der Kohlenbahn zum Stützpunktkraftwerk das Vorfeld überblicken – vom Kontrollturm links bis zur Lufthansa-Boeing rechts. Er wundert sich über die taghelle Beleuchtung, denn er weiß, dass um den Tower gar keine Lichtmasten installiert sind.19 Sein Kamerad Dietrich Störmann hört in seiner Wohnung nicht weit von der Hauptwache des Fliegerhorstes entfernt die einschwebenden Helikopter. Er ist sich sicher, dass die ungewöhnliche nächtliche Aktivität mit dem Anschlag in München zu tun hat. Mit seinem Schwager springt er in seinen neuen Campingbus und fährt auf das Bundeswehrgelände – der Dienstausweis macht es möglich. Am Heizwerk stellt er den Wagen ab und geht in Deckung. Sehen kann er das Geschehen auf der anderen Seite des nahen Towergebäudes nicht, wohl aber hören.20 Derweil ist einmal mehr ein Teil des Befreiungsplanes geplatzt: Gegen 22:20 Uhr, jedenfalls etwa eine Viertelstunde vor der Landung der Hubschrauber mit den Geiseln, haben die Freiwilligen der Einsatzhundertschaft die bereitstehende Boeing betreten, deren Hilfstriebwerk läuft. Ein 121

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Besatzungsmitglied weist sie rasch in die Benutzung der Türen ein, dann bekommen zwei der Männer die Uniformjacketts und Dienstmützen der Cockpitbesatzung, darunter der junge Michael Gö. Er streift die Jacke über, aber ihm fällt auf, dass die Kombination mit seiner privaten dunkelbraunen Cordhose unglaubwürdig aussieht. Viel überzeugender ist auch der Aufzug der anderen Polizisten nicht, die graue Overalls des Bodenpersonals anziehen. Werner Br. geht durch die Maschine und spricht mit einem Lufthansa-Mitarbeiter, der ihm von den zu einem Drittel gefüllten Treibstofftanks berichtet. Die Beamten halten den Einsatz, zu dem sie beordert worden sind, nun für „gefährlich“ und sehen „nur geringe Überlebenschancen“. Als sie erfahren, dass ihre voraussichtlichen Gegner mit Sturmgewehren und Handgranaten bewaffnet sind, ist das zu viel: Es erhebt sich offener Widerspruch. Der Leiter des Trupps, Reinhold Rei., sieht keine andere Möglichkeit und lässt abstimmen, ob sie abbrechen. „Zwei oder drei Kollegen“ enthalten sich, registriert Gö., „alle anderen“ sind für einen Rückzug.21 Gegen 22:30 Uhr verlässt der Trupp die Boeing, Rei.  informiert Georg Wolf im Tower, der die Entscheidung der Männer akzeptiert – was soll er auch anderes tun, denn weitere Beamte stehen nicht zur Verfügung und ohnehin sind bereits die beiden Hubschrauber mit Terroristen und Geiseln an Bord zu hören.22 Sein Stellvertreter Alfred Baumann hat durchaus Verständnis, das „Himmelfahrtskommando“ abzubrechen, und hält „das Zurückziehen dieser Gruppe“ für „unschädlich, solange auf die Terroristen außerhalb der Maschine eingewirkt werden“ kann, denn der Trupp in der 727 ist ja nur „für den Fall vorgesehen, dass die Scharfschützen nicht zum Schuss kommen“.23 Der Einsatztrupp zieht sich in den Tower zurück, als die beiden Hubschrauber einschweben. Es ist 22:34 Uhr.

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Katastrophe Zwei in Overalls gekleidete Polizeibeamte weisen die beiden Helikopter mit Geiseln und Geiselnehmern ein. Dabei passiert der nächste Fehler: Beide Hubschrauber setzen weiter westlich auf als geplant  – ein paar Dutzend Meter nur, aber doch so, dass einer der beiden genau zwischen dem Tower und dem „Signalgarten“ zum Stehen kommt. Der Präzisionsschütze, der hinter dessen niedriger Umfassungsmauer liegt, befindet sich damit genau im Schussfeld zweier seiner drei Kollegen. Einigermaßen ungehindert schießen können damit nur zwei Schützen, einer auf dem Tower und der fünfte, der unter dem Löschfahrzeug östlich vom „Signalgarten“ Position bezogen hat.1 Die fünf Schützen haben keinen Funkkontakt miteinander, obwohl sie eigens um entsprechende Geräte gebeten haben.2 Daher können sie sich nicht abstimmen, was zu tun ist. Georg Wolf hat den beiden Männern im „Signalgarten“ und unter dem Feuerwehrwagen lediglich die Weisung gegeben, nach eigenem Ermessen auf erkannte Terroristen zu feuern, sobald vom Tower aus geschossen wird. Die drei Präzisionsschützen dort wissen, dass sie auf Befehl entweder von Wolf, von Manfred Schreiber oder notfalls auch von Alfred Baumann das Feuer eröffnen sollen.3 Noch immer rechnet die Einsatzleitung damit, dass es sich um fünf Geiselnehmer und neun Geiseln handele: Niemand aus dem Olympischen Dorf hat nach Fürstenfeldbruck gemeldet, dass es in Wirklichkeit acht bewaffnete Täter sind. Die auch nicht mehr nur neun israelische Olympia-Teilnehmer bedrohen, sondern zusätzlich die vier BGS-Leute der Besatzung. Denn direkt nach dem Aufsetzen wollen die Piloten und die Bordwarte wie besprochen weggehen, doch jeweils ein Terrorist verhindert das, indem er sein Gewehr auf die BGS-Männer richtet: Issa hat, was allerdings kaum überraschen kann, seine Zusage gebrochen. Gleich darauf steigen aus den Helikoptern 123

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vier weitere Palästinenser; je einer bleibt direkt bei der Maschine und beobachtet die Umgebung, der jeweils andere geht los in Richtung der abgestellten 727 – im grellen Licht der Scheinwerfer.4 Erst jetzt erkennen Wolf, Baumann und die Schützen, dass sie es mit acht Terroristen zu tun haben: zwei auf dem Weg zur Boeing, vier an den Helikoptern und zwei, die in den Maschinen die gefesselten Geiseln bedrohen.5 Damit stehen fünf Schützen acht Bewaffneten gegenüber – der Plan für die Befreiung ist damit Makulatur.6 Betont lässig gehen Issa und – im Abstand von 20 bis 30 Metern – Tony die gut hundert Meter zur Boeing hinüber. Da die anderen sechs Terroristen sich an oder in den Hubschraubern befinden, also verdeckt sind, und zudem die vier BGS-Leute zusätzlich zu den Geiseln bedroht werden, kann in diesem Moment noch nicht geschossen werden.7 Nacheinander betreten Issa und Tony deshalb ungehindert etwa um 22:36 Uhr über die Treppe das Flugzeug. Sofort erkennen sie, dass keine Besatzung an Bord ist, obwohl die Hilfsturbine läuft. Ob Issa versteht, dass er in eine Falle geraten ist, bleibt offen – jedenfalls gehen Tony und er gemeinsam zurück zu den beiden Helikoptern.8 Diesen Moment mutmaßlicher Verunsicherung verpassen die Vertreter des Krisenstabes im Tower, obwohl sie aus dem Büro des Stützpunktkommandanten zusehen. Jedenfalls greifen weder Genscher noch Merk noch Schreiber zum Megafon, um erneut mit den beiden Anführern des Terrorkommandos in Kontakt zu treten. Schon mehrfach hat sich an diesem Tag gezeigt, dass man Issa zumindest zeitweilig beeinflussen und auch täuschen kann – doch jetzt „erklärt“ ihm niemand, warum sich an Bord der Boeing keine Besatzung befinde.9 Als Issa und Tony ungefähr den halben Weg hinter sich haben, treten plötzlich zwei Bewacher der BGS-Besatzungen aus ihrer Deckung hervor. Vier Ziele für fünf Schützen – Georg Wolf gibt den drei Männern neben sich auf dem Tower den Befehl: „Feuer frei!“10 Das ist zugleich für die beiden Schützen auf der anderen Seite das Signal zu schießen. Bordwart Paul Bl. hört einen Knall und sieht im selben Moment den Palästinenser, der seinen Piloten Reinhard Pr. und ihn bewacht hat, zusammensinken; er ist direkt in den Kopf getroffen.11 Auch der Terrorist beim anderen Helikopter, der Klaus Bechtle und Gunnar  Eb. bedroht, bricht zusammen. Doch der dritte Schütze auf dem Tower, der zumindest entweder Issa oder Tony ausschalten soll, verändert gerade im Moment des Feuerbefehls seine Position, um ein besseres Schussfeld zu haben.12 124

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So trifft nur einer der anderen Schützen Tony im rechten Oberschenkel, der aber dennoch unter dem östlich stehenden Hubschrauber in Deckung gehen kann, ebenso wie Issa, der einen Streifschuss am Kopf abbekommt. Die beiden haben sofort nach den ersten Schüssen ihre Kalaschnikows hochgerissen und geben jetzt Dauerfeuer grob in Richtung des Towers. Der Bundeswehr-Offizier Remmers empfindet es als eine „ziemlich unkontrollierte Schießerei“, denn einige Geschosse, vielleicht auch Querschläger, fliegen über ihn hinweg und schlagen in der Metallverkleidung des Kraftwerks ein.13 Eine Kugel trifft den Polizeibeamten Anton Fliegenbauer, der zur Einsatzreserve gehört und im Erdgeschoss des Flughafengebäudes wartet, in die Stirn; er ist sofort tot. Weitere Geschosse lösen einen Kurzschluss aus, der das Gebäudelicht, den Funk und die elektrisch betriebenen Uhren ausfallen lässt. All das geschieht kurz vor oder kurz nach 22:38 Uhr.14 Innerhalb der nächsten Minute schießen die Präzisionsschützen auf Issa und Tony, die beide durch Körpertreffer getötet werden.15 Sie haben noch jeweils eines ihrer Magazine verfeuert, sind aber nicht mehr dazu gekommen, zu dem mit Heftpflaster daran festgeklebten Ersatzmagazin zu wechseln. Gleichzeitig schießen zwei andere der Terroristen auf die gefesselten Israelis in den beiden Hubschraubern. In der westlichen Maschine werden alle fünf Geiseln getötet, vier durch eine Garbe aus nächster Nähe, einer durch eine Kugel aus Richtung des anderen Hubschraubers. Von den vier Gefangenen dort sterben drei, der vierte wird verletzt.16 Die vier BGS-Leute nutzen die erste Verwirrung der Palästinenser: Klaus Bechler, dessen Hubschrauber näher an der Boeing steht, rollt sich unter seine Maschine und robbt langsam vom Tower weg. Sein Pilot Gunnar Eb. rennt los, wirft sich dann aber hin, weil er den Eindruck hat, beschossen zu werden. Reinhard Pr. und Paul Bl. aus dem zweiten Hubschrauber schaffen es ebenfalls, sich aus der unmittelbaren Nähe ihres Bell zu entfernen.17 Im Übrigen können sie nichts tun, denn natürlich sind sie unbewaffnet. Dass ein Scharfschütze auf dem Tower ihnen zuruft: „Hierher, wir geben Feuerschutz!“, nehmen sie nicht wahr.18 Etwa zwei Minuten nach dem ersten Schuss sind drei, vielleicht auch vier der Terroristen tot, doch mindestens vier weitere leben noch  – und zwei davon schießen noch vereinzelt in Richtung Tower. Dass mehrere Geiseln tot sind, ist zumindest wahrscheinlich, denn in beiden Hubschraubern hat Georg Wolf „eindeutig“ das Mündungsfeuer von Kalaschnikow-Garben 125

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gesehen, ebenso Alfred Baumann.19 Nahtreffer aus einer solchen Waffe töten oft schon allein durch den Schock, selbst wenn die Kugeln keine lebenswichtigen Organe verletzt haben sollten. Was kann die Einsatzleitung tun? Die Radpanzerwagen, die den Nachmittag über im Olympischen Dorf gewesen sind, stehen nicht zur Verfügung – der Einsatzstab hat zu spät die Weisung gegeben, sie nach Fürstenfeldbruck zu verlegen, weil man davon ausgegangen ist, dass zwei weitere Panzer dort in Bereitschaft seien, die jedoch um 21:45 Uhr irrtümlich weggeschickt worden sind. Zwar liegen zwölf weitere Bewaffnete nahe dem Tower in Deckung, doch um einzugreifen, müssten sie ungeschützt über das erleuchtete Vorfeld laufen, also direkt vor die Waffen der Terroristen. Es stehen keine Panzerwesten zur Verfügung, die alle noch bei dem für den geplatzten Zugriff auf der Fahrebene der Connollystraße vorgesehenen Trupp sind, der gerade erst wenigstens zum Teil als Verstärkung nach Fürstenfeldbruck geflogen wird. In der Nähe des Landeplatzes der beiden Hubschrauber hält sich keine Reserve bereit, es gibt freilich auch keine geeigneten Verstecke. Im „Signalgarten“ liegt, 40 bis 45 Meter von den beiden Hubschraubern entfernt, genau ein Präzisionsschütze. Der Schütze am Löschfahrzeug hat zwar einen zweiten Mann mit Maschinenpistole bei sich, aber die beiden sind 60 bis 70 Meter von den Helikoptern entfernt. Zu weit für einen schlagartigen Zugriff. Die Verantwortung liegt jetzt ganz bei Georg Wolf. Sein Vorgesetzter Manfred Schreiber, der erst wenige Minuten zuvor gelandet ist, vermag die Lage nicht einzuschätzen. Da er es sich „zur Regel gemacht“ hat, nur „dann einzugreifen“, wenn er wirklich einen Überblick hat, hält er sich zurück.20 Der Polizeivizepräsident sieht keine andere Möglichkeit, als auf ein freiwilliges Aufgeben der überlebenden Terroristen zu setzen. „So bleibt lediglich der Versuch, diese Phase durch Überredung und Aufforderungen zur Aufgabe auszunutzen.“21 Um 22:53 Uhr schießt wieder jemand von einem der Hubschrauber ziellos Richtung Tower. Wolf bespricht sich mit den Mitgliedern des Krisenstabes sowie den israelischen Beobachtern Zwi Zamir und Victor Cohen; er will die Täter auffordern, sich zu ergeben. Gegen 23 Uhr lässt er einen Beamten durch das Megafon rufen: „Werfen Sie die Waffen weg. Es hat keinen Sinn mehr!“ Cohen wiederholt die Botschaft auf Englisch und Arabisch. Eine Antwort bleibt aus.22 Zumindest für einige Minuten. Gegen 23:13 Uhr nämlich sieht Alfred Baumann, der inzwischen anstelle von Wolf bei den Präzisionsschützen auf 126

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dem Tower das Kommando übernommen hat, dass sich einer der bisher reglos daliegenden, vermeintlich toten Palästinenser erhebt und etwas in den Händen hält; er lässt sofort auf ihn schießen. Im nächsten Moment detoniert dem Terroristen die Handgranate, die er gerade offenbar in den Hubschrauber werfen will, vor dem Körper. Die Explosion reißt ihm beide Hände ab und den Rumpf auf; der Mann bricht tot zusammen.23 Jetzt leben wirklich noch vier Terroristen. Die folgende knappe Dreiviertelstunde passiert auf dem Vorfeld wenig. Drei Minuten nach der Granatenexplosion meldet die erste Einsatzhundertschaft der Landespolizei, dass ein Ring um Fürstenfeldbruck steht; flüchtige Terroristen können aufgehalten werden. Um 23:22 Uhr registriert ein Beamter die Behauptung, drei Terroristen seien geflohen – woher diese Fehlinformation stammt, bleibt unklar. Im nächsten Moment gibt wieder jemand bei den Hubschraubern mehrere kurze Feuerstöße ab; ob auf ein Ziel oder einfach in die Luft, bleibt offen. Um 23:34 Uhr landet endlich Verstärkung – 24 zusätzliche bewaffnete Beamte. Die Einsatzleitung wartet auf das Eintreffen der Panzerwagen. Doch die verspäten sich: Auf der Bundesstraße 471 nach Fürstenfeldbruck herrscht „ein großer Verkehrsstau, verursacht durch viele Presseleute, Taxis und Neugierige“.24 Der Bayerische Rundfunk berichtet im Radio über die unklaren Ereignisse; der Moderator wiederholt dabei mehrfach sinngemäß die Aufforderung: „Bitte bleiben Sie zu Hause! Gehen Sie nicht in Richtung Fliegerhorst!“ Das löst natürlich genau das Gegenteil aus: eine „Völkerwanderung“ Richtung Zaun. Monika Störmann, die mit ihren Kindern und der Schwiegermutter in der Wohnung der Familie nahe der Hauptwache sitzt, hört von der Schießerei nichts und macht sich daher auch keine Sorgen um ihren Mann, der sich immer noch in der Nähe des Towers befindet.25 Das nächste Desaster bahnt sich an: Auf den misslungenen Befreiungsversuch folgt eine versehentliche Irreführung der Weltöffentlichkeit. Im Gegensatz zum Olympischen Dorf ist es der Einsatzleitung zwar gelungen, Beobachter und Schaulustige vom Rollfeld Fürstenfeldbruck fernzuhalten. Tatsächlich lässt sich der Luftwaffen-Stützpunkt gut abschirmen  – allerdings nur bis zum Zaun. Niemand hat daran gedacht, die Zufahrtsstraßen weiträumig zu sperren und nur Polizeikräfte durchzulassen. So stehen am Zaun zahlreiche Journalisten, Fotografen und ganz normale Bürger, die wissen wollen, was die hier deutlich hörbaren Schüsse zu bedeuten haben. Im Pressezentrum jagen sich die widersprüchlichsten Meldungen; jedenfalls 127

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verbreitet die britische Nachrichtenagentur Reuters bald nach 23:30 Uhr die Meldung, alle Geiseln seien gerettet, und um 23:35 Uhr sendet das ZDF einen aktuellen Bericht, in dem es heißt: „Es scheint festzustehen, dass bei einem Schusswechsel alle Geiseln entkommen sind, und es scheint ferner festzustehen, dass nach dem Schusswechsel die fünf Banditen, wie man sie hier mittlerweile nennt, die Terroristen, auf dem Flugplatzgelände entkommen sind.“26 Zu diesem Zeitpunkt freilich gibt es nicht nur keine Information der Polizei an die Medien, sondern nicht einmal die Einsatzleitung hat einen Überblick darüber, was bei den beiden Hubschraubern vor sich geht. Abermals das ZDF meldet um 23:50 Uhr, es gebe jetzt die „amtliche Bestätigung der Polizei, dass drei Terroristen von der Polizei erschossen wurden, in Fürstenfeldbruck, dass einer Selbstmord beging und dass noch ein Terrorist flüchtig ist. Sicher ist jetzt auch, dass alle Geiseln leben“ – doch eine solche „amtliche Bestätigung“ wird nie herausgegeben. Trotzdem löst die vermeintliche Information weltweit, besonders aber in Israel, Erleichterung aus. Zeitungen mit spätem Andruck bringen die Erfolgsnachricht noch auf die Titelseite ihrer Ausgaben vom 6. September – voreilig, wie sich zeigen wird.27 Die Falschmeldung im ZDF soll zustande gekommen sein durch den Anruf eines leitenden Polizeibeamten bei Willy Brandt im Olympischen Dorf; der Bundeskanzler notiert sich jedenfalls über die Verbindung nach Fürstenfeldbruck: „Von dort erhalten wir widersprüchliche Nachrichten. Die bayerische Grenzpolizei meint, alle Geiseln seien gerettet.“28 Hans-Jochen Vogel ist dabei und erinnert sich, dass ZDF-Intendant Karl Holzamer den Kanzler bedrängt, „diese freudige Botschaft den Fernsehzuschauern persönlich mitzuteilen“. Holzamer hat deshalb den Sender noch nicht in die Nachtpause geschickt. Willy Brandt weigert sich, gesteht aber zu, dass sein Regierungssprecher Ahlers vor die Kameras tritt. Selbst äußern will er sich erst, wenn ihm eine Bestätigung aus dem Munde von Genscher vorliegt.29 Laut einer anderen Version soll „eine sich als Mitglied des Olympischen Komitees ausgebende Person den wartenden Reportern in Fürstenfeldbruck aus reinem Geltungsbedürfnis diese Falschmeldung als offizielle Stellungnahme“ mitgeteilt haben.30 Die Einsatzleitung bekommt von dem Informationschaos nichts mit. Um 23:55 Uhr sind endlich die Radpanzer am Tower eingetroffen. Georg Wolf steigt in einen und lässt sich zu den Hubschraubern fahren. Der Auftrag der Fahrzeuge: „Bergen von Verletzten und Ausschaltung von eventu128

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ell Widerstand leistenden Terroristen“.31 Wenige Minuten nach Mitternacht rollen mehrere der Panzer auf die beiden Hubschrauber zu, doch sie werden beschossen. Wolfs Fahrzeug bekommt einen Treffer im Reifen und der Motor beginnt zu qualmen. Ein anderer Panzer versucht, einen am Boden liegenden BGS-Piloten zu sichern – es ist Klaus Bechler.32 In diesem Moment gibt es Bewegung am östlichen Hubschrauber, in dem vier Geiseln auf der Sitzbank gefesselt sind, drei von ihnen tot und nur einer, der Gewichtheber David Mark Berger, noch am Leben. Ein Terrorist, der eben noch regungslos am Hubschrauber gelegen hat, springt auf, zieht eine Handgranate ab, wirft sie durch die Schiebetür in den Helikopter und verschwindet im Moment des Explosionsblitzes in die Dunkelheit, bekommt aber noch einige Metallsplitter seiner eigenen Sprengladung ab. Er wird unmittelbar danach von mehreren Kugeln getroffen, tödlich ist ein Schuss direkt in den Kopf.33 Klaus Bechler spürt brennendes Kerosin an seinen Füßen, springt auf und rennt los.34 Der Hubschrauber steht in Flammen. Die Flughafenfeuerwehr von Fürstenfeldbruck braust heran, um zu löschen: ein oft trainierter Reflex. Doch als sie sich nähern, werden sie plötzlich beschossen – und eine Kugel trifft den BGS-Piloten Gunnar Eb. im Rücken. Der knapp 33-Jährige hat Glück im Unglück: Er erleidet zwar einen Lungendurchschuss, aber ohne bleibende Schäden.35 Etwa zur gleichen Zeit gibt Conrad Ahlers als Sprecher der Bundesregierung mehrere Live-Interviews. Im ZDF sagt er: „Man kann wohl sagen, diese Operation ist glücklich und gut verlaufen.“ Ausdrücklich hebt er Genschers Rolle bei der Lösung der Krise hervor. Es habe sich um eine „genau geplante, wenn Sie so wollen, militärische Aktion und Operation“ gehandelt. „Deshalb muss man wohl alle Hochachtung und allen Respekt vor denjenigen haben, die diese Aktionen geplant haben, und vor denen, die sie durchgeführt und ihr eigenes Leben dabei eingesetzt haben.“36 Auf ABC erklärt Ahlers in englischer Sprache: „Ich bin sehr froh, dass – soweit wir es jetzt überblicken – die Polizeiaktion ein Erfolg war. Natürlich war das eine unglückliche Unterbrechung der Olympischen Spiele, aber ich denke, wenn alles so verläuft, wie wir hoffen, dass es verläuft oder verlaufen ist, dann wird man die Sache in ein paar Wochen vergessen haben.“37 Kurz nachdem Ahlers das ABC-Studio verlassen hat, erfährt Jim McKay, während er live auf Sendung ist, über seinen Ohrhörer beunruhigende Nachrichten aus Fürstenfeldbruck: Einer der beiden Helikopter soll explodiert sein.38 129

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Im Verwaltungsgebäude des Olympischen Dorfes sitzt Walther Tröger mit Botschafter Eliashiv Ben-Horin zusammen und verfolgt die Berichte im Fernsehen. Als die Erfolgsmeldung kommt, sehen sich die beiden an und sind sich spontan einig, dies nicht zu glauben. Wie er dazu kommt, kann Tröger rückblickend nicht sagen – er ahnt einfach die schlimme Wirklichkeit.39 Näher dran ist Franz Josef Strauß in Fürstenfeldbruck. Gerade hat der 6. September begonnen: sein 57. Geburtstag. Doch ans Feiern denkt der CSU-Politiker nicht.40 In Fürstenfeldbruck haben Henning Remmers und Dietrich Störmann unabhängig voneinander die Schießerei von ihren Positionen verfolgt. Als das Gewehrfeuer vorüber ist, steigt Remmers ins Auto und fährt zu seinem zeitweiligen Arbeitsplatz auf dem Stützpunkt, dem VIP-Zelt. Kollegen berichten ihm, dass die Befreiung laut Radio-Nachrichten erfolgreich verlaufen sei. Remmers mag es angesichts seiner eigenen Beobachtung nicht glauben, gibt sich aber mit der Mitteilung zufrieden und fährt nach Hause. Störmann muss seinen Campingbus noch stehen lassen, denn ein Posten beansprucht den Wagen als Deckung. Von einem Fliegerkameraden lässt sich Störmann mitnehmen. Vor der Hauptwache fallen ihm eine große Menschenmenge und ein wahres „Blitzlichtgewitter“ auf.41 Dann geht es zurück zu seiner Wohnung. Bayerns Innenminister Bruno Merk informiert gegen 0:36 Uhr Willy Brandt telefonisch, dass „vermutlich einige Geiseln umgekommen“ seien. Um 0:58 Uhr fordert der Bundeskanzler vom Einsatzstab weitere Informationen, weil er sich direkt mit Golda Meir in Verbindung setzen will. Brandt lässt sich dann zurück nach Feldafing bringen, wo er auf verlässliche Nachrichten aus Fürstenfeldbruck wartet, die aber nicht kommen; also geht er zu Bett und versucht, etwas zu schlafen. Zum Telefonat mit Israels Regierungschefin kommt es nicht mehr.42 In Fürstenfeldbruck haben derweil mehrere Feuerwehrleute trotz der Gefahr durch noch lebende Terroristen den brennenden Hubschrauber gelöscht. Der 35-jährige Josef  Fe. geht danach zum zweiten Helikopter hinüber und sieht darin vier aneinander gefesselte Tote (tatsächlich sind es fünf). Dass in der ausgebrannten Maschine niemand überlebt haben kann, weiß Fe., ohne sich vergewissern zu müssen.43 Unter dem Schutz der Panzerwagen durchkämmen jetzt bewaffnete Polizeibeamte die Umgebung. Um 1:20 Uhr meldet die Einsatzleitung in Fürstenfeldbruck dem bayerischen Innenministerium, dass zwei Terroris130

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ten sich ergeben hätten; jedoch auch: „Genaue Anzahl der Toten steht noch nicht fest“. Fünf Minuten später folgt die Information, ein weiterer Terrorist sei festgenommen worden. Dann ist auf dem Stützpunkt Fürstenfeldbruck ein letzter Schuss zu hören, aber wer ihn abgegeben hat, bleibt offen.44 Es ist 1:32 Uhr.

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Wenige Minuten nach Mitternacht signalisiert eine große Explosion den Beobachtern das katastrophale Ende der Geiselnahme.

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Der Morgen danach – Polizisten und Soldaten bewachen die beiden Grenzschutz-Hubschrauber auf Vorfeld von Fürstenfeldbruck.

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Die fünf Geiseln in diesem Hubschrauber sterben alle gegen 22:39 Uhr durch zwei Geschossgarben der Terroristen.

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Der zweite Hubschrauber wird durch eine Handgranate kurz nach Mitternacht zerstört. Zu dieser Zeit lebt noch eine der Geiseln.

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Schock Im Verwaltungshochhaus des Olympia-Parks warten die verbliebenen Mitglieder des Krisen- und des Einsatzstabes auf Nachrichten aus Fürstenfeldbruck. Dass die Erfolgsmeldungen im Fernsehen nicht stimmen, ist den versammelten Beamten und Funktionären längst klar; die Frage ist: Wie schlimm ist die Lage tatsächlich? Niemand will noch eine Falschinformation in Umlauf bringen, zumal der Bundeskanzler informiert werden will. Mutmaßlich aus demselben Grund gibt es auch kein Dementi zu Ahlers’ Statement, das so ungehindert weiter verbreitet wird. Um 1:45 Uhr registriert der Polizeieinsatzstab einen Anruf vom Fliegerhorst, mit dem Leichentransporter für zwölf bis vierzehn Menschen angefordert werden – Geiseln, Terroristen und einen Polizisten. Zwei Minuten später sind diese Wagen bestellt.1 Die Verletzten sind inzwischen alle im Krankenhaus Fürstenfeldbruck erstversorgt; zwei festgenommene Terroristen werden zum Gefängnis Stadelheim gefahren, wohin der dritte, unverletzt verhaftete Täter bereits unterwegs ist. Den schwer verwundeten Hubschrauber-Piloten Gunnar  Eb. fliegt ein Helikopter zur Klinik München-Harlachling, einem der modernsten Krankenhäuser Deutschlands. Immer noch suchen Polizisten und Bundeswehr-Posten in der Umgebung des Flugfeldes nach möglicherweise geflüchteten Terroristen. Anwohner werden aufgefordert, Türen und Fenster geschlossen zu halten und verdächtige Beobachtungen zu melden. Monika Störmann wird nervös, weil es hinter dem Zaun des Stützpunktes, den sie von ihrer Wohnung aus gut sehen kann, viel Bewegung gibt.2 Um zwei Uhr morgens erhält der Stab im bayerischen Innenministerium einen Anruf – es ist die befürchtete Bestätigung: Sämtliche Geiseln sind tot, ebenso fünf der acht Terroristen; die übrigen drei hat man festgenommen.3 Außerdem gibt es einen toten deutschen Beamten, einen Schwerstverletz136

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ten und mehrere weitere Verwundete. Die Befreiungsaktion ist misslungen. Diese Katastrophe muss nun der Weltöffentlichkeit mitgeteilt werden, die aufgrund der Falschmeldungen vor Mitternacht mit dem Gegenteil rechnet. Der richtige Rahmen dafür ist das Pressezentrum der Spiele, wo mehr als tausend Journalisten ausharren. Alle wollen eine offizielle Stellungnahme hören, denn inzwischen schwant den meisten, dass etwas mit den Erfolgsmeldungen nicht stimmen kann. Ein ABC-Kollege von Jim McKay, der sich in den Monaten der Vorbereitung mit Hans Klein angefreundet hat, bedrängt den Olympia-Sprecher, ihn zu informieren. Doch Klein schweigt wortreich: Im Augenblick tagten die Verantwortlichen, danach werde es eine Pressekonferenz geben. Eine Nicht-Information.4 In Feldafing wird gegen drei Uhr morgens Willy Brandt von seinem persönlichen Referenten aufgeweckt. So erfährt der Kanzler das „erschütternde Ergebnis“ und hält fest: „Alle neun Israelis umgekommen zusätzlich zu den beiden, die bereits im Olympischen Dorf umgebracht worden waren. Fünf der Terroristen getötet, drei gefangen genommen. Ein deutscher Polizist erschossen, einige Verletzte.“5 Ungefähr zur gleichen Zeit erscheinen Hans-Dietrich Genscher, Manfred Schreiber und Bruno Merk im Pressezentrum. Gemeinsam treten sie vor die Weltpresse, ihre Gesichter wirken wie versteinert. Es liegt an Bayerns Innenminister als dem formal in Bayern für Sicherheit zuständigen Mann, die wesentlichen Informationen mitzuteilen. Doch Merk fängt es genau falsch herum an: Er fasst zunächst den Ablauf der Geiselnahme seit dem Morgen zusammen. Das freilich sind Informationen, die wirklich jeder der Reporter längst kennt, denn sie sind seit Stunden immer wieder gewälzt und besprochen worden. Trotz des zunehmenden Gemurmels und Gebrummes fährt Merk fort, und als wohl ein US-Journalist ungehalten dazwischenruft, ob denn die Meldung stimme, dass alle Geiseln gerettet seien, unterläuft dem Politiker ein verbaler Ausrutscher: „Moment, ich komme sofort noch darauf “, sagt er gegen 3:15 Uhr morgens, atmet durch und fährt fort: „Es muss damit gerechnet werden, es muss damit gerechnet werden, dass alle Geiseln dabei ums Leben gekommen sind.“6 Ohne es zu wollen, hat Merk den Tod der neun nach Fürstenfeldbruck geflogenen Sportler zur Nebensache degradiert. Der Ärger der Journalisten schlägt in Wut um; ihre Fragen zielen auf das Versagen der Sicherheitsbehörden. Zumindest viele der Reporter sind wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass bei den Olympischen Spielen in München entsprechend ausgebildete Spezialkräfte 137

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bereitstehen, auch wenn es zu dieser Zeit außer in Großbritannien und Israel noch gar keine Anti-Terror-Einheiten gibt. Vermutlich als Reaktion auf die Nachfragen, die er als ungerechtfertigt empfindet, macht sich Bruno Merk Notizen über „Fakten, die bei jeder bewertenden Beurteilung zu berücksichtigen“ seien; er nutzt dafür denselben Papierblock, auf dem er auch in den Stunden zuvor eine „Zeittafel“ der Abläufe festgehalten hat. „Wir haben uns den Überfall nicht bestellt“, schreibt er; vielmehr handele es sich um einen „Teil der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern“. Dennoch sei Deutschland selbst „Gegenstand der Erpressung, konfrontiert mit Forderungen der Terroristen, die zu erfüllen nicht in unserer Macht gestanden“ habe. Doch er räumt auch ein, dass „Ausrüstung und Ausbildung unserer Polizei […] nur bedingt den Anforderungen der Lage“ entsprochen habe, die zudem „vor allem ab 17 Uhr sich völlig neu“ gestellt habe. „Herr des Geschehens“ seien zu keinem Zeitpunkt die bayerischen und deutschen Behörden gewesen, sondern stets die Terroristen. Der Krisenstab habe nur reagieren können. Schließlich sei Israel „ständig über das Geschehen und die Planungen informiert“ gewesen; es habe aber keine „alternativen Vorschläge“ gegeben und „auch keine Hilfsangebote, wohl in der richtigen Erkenntnis, dass sie in der knappen Zeit nicht realisierbar gewesen wären“.7 Das meiste, was Merk notiert, trifft zu – und ist doch als Stellungnahme des verantwortlichen Ministers viel zu wenig. ABC hat keine eigene Kamera zur Pressekonferenz bringen können; deshalb spricht Jim McKay weiter live im Studio mit seinem Kollegen Peter Jennings und mit Chris Schenkel, einem weiteren prominenten Sportmoderator des Senders, über die Ereignisse des Tages, während alle auf bestätigte Informationen warten. Dann kommt auch noch Lou Cioffi hinzu, der Büroleiter von ABC in Bonn. Zu viert reden sie über die Geiselnahme, ohne wirklich etwas Relevantes sagen zu können. Die ABC-Sendezentrale überlegt schon, die Übertragung aus München für die regulären Lokalnachrichten zu unterbrechen, als McKay über seinen Ohrhörer die Nachricht aus der Pressekonferenz erhält. Er unterbricht das Gespräch im Studio und sagt mit belegter Stimme: „Meine Herren, wir haben eine offizielle Auskunft vom Flughafen.“ Die drei Kollegen, allesamt mit langer TV-Erfahrung, sehen McKay an, dass die Neuigkeit nicht gut sein wird  – aber sie wissen noch nicht, wie schlimm tatsächlich. Der Moderator hebt an: „Als ich ein Junge war, sagte mein Vater mir, dass im Leben unsere größten Wünsche 138

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und unsere schlimmsten Befürchtungen selten Wirklichkeit werden. Heute Abend sind unsere schlimmsten Befürchtungen wahr geworden.“ McKay atmet durch. „Zwei der Geiseln sind in ihren Zimmern heute Morgen getötet worden, Entschuldigung, gestern Morgen. Neun weitere sind heute Abend auf dem Flughafen getötet worden.“ Wieder macht McKay eine kurze Atempause, Tränen schießen ihm in die Augen und er kann sie nur mit Mühe zurückhalten. Er hofft, dass seine Stimme nicht versagt bei den nächsten Worten, die er ausspricht: „Sie sind alle tot.“8 Während im Olympia-Pressezentrum der neueste Stand bekanntgegeben wird und ABC ihn in den USA verbreitet, ist der kleine Rest des Krisenstabes im Olympia-Verwaltungshochhaus auf einmal von aktuellen Informationen abgeschnitten – das ist geradezu peinlich, weil Israels Botschafter immer drängender verlangt, gesicherte Nachrichten zu bekommen, um sie an seine Regierung in Jerusalem weiterzuleiten. Nicht einmal der Versuch, Ben-Horin mit Mossad-Chef Zwi Zamir in Fürstenfeldbruck zu verbinden, gelingt. Erst gegen 3:30 Uhr erfahren die verbliebenen Vertreter des Auswärtigen Amtes „weitgehend verlässlich“ etwas über die Befreiungsaktion. Die Mitteilung beginnt mit dem Satz, „man werde jetzt die Toten und die noch Überlebenden zählen“. Dann folgt die Feststellung, „dass mindestens sieben von den neun nach Fürstenfeldbruck geflogenen Geiseln, wahrscheinlich aber alle neun getötet worden“ seien. Die Diplomaten informieren ihren Minister Walther Scheel und das Bundeskanzleramt in Bonn, bevor sie als Vorletzte das Krisenzentrum im dritten Stock verlassen. Zurück bleibt nur Eliashiv Ben-Horin mit einigen Mitarbeitern, um „die ersten Schritte für die Überführung der israelischen Opfer einzuleiten“.9 Es ist 3:45 Uhr.

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Der eine unverletzt festgenommene Terrorist wird abtransportiert. Ein Kriminalbeamter drückt im Fonds seinen Kopf herunter.

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Der verletzte BGS-Pilot Gunnar Eb. wird zum Rettungshubschrauber gebracht – er hat einen Lungendurchschuss erlitten.

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Hans-Dietrich Genscher, Bruno Merk und Manfred Schreiber bei der improvisierten Pressekonferenz gegen 3:15 Uhr morgens.

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In diesem Zimmer haben die Terroristen die neun israelische Olympia-Teilnehmer rund 17 Stunden lang gefangen gehalten.

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NACHSPIEL

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Trauer Hunderte Millionen Menschen rund um die Welt hatten am 5. September 1972 die Geschehnisse in München verfolgt – und die meisten von ihnen zumindest in Asien und Europa waren im Glauben schlafen gegangen, der Anschlag sei verhältnismäßig glimpflich ausgegangen. Umso brutaler traf sie am Morgen des 6. September 1972 die gegenteilige Meldung. Der Lokalreporter Karl-Otto Saur hatte seinen Wecker auf sechs Uhr gestellt und wachte mit der Nachricht vom Fehlschlag in Fürstenfeldbruck auf: „Um sieben Uhr fuhr ich in die Redaktion“, erinnerte sich der Redakteur der Süddeutschen Zeitung: „Es begann die Mühe der Aufarbeitung der Katastrophe, die uns noch lange beschäftigen sollte.“1 Hans-Dietrich Genscher war erst gegen 4:25 Uhr in sein Hotel zurückgekehrt, „kreidebleich“ und mit einem gemurmelten „Ein furchtbarer Tag, ein furchtbarer Tag“ als einzigem Kommentar für wartende Reporter.2 Wenige unruhige Stunden später, immer noch „früh am Morgen“, ließ er sich mit dem Bundeskanzler in Feldafing verbinden und bot seinen Rücktritt als Innenminister an; das könne „die Lage der Regierung erleichtern“. Doch Brandt riet „dringend ab“ – Genscher hielt die Worte des Kanzlers sinngemäß fest: „Ich werde Ihren Rücktritt auf keinen Fall annehmen. Keiner kann Ihnen auch nur den geringsten Vorwurf machen. Sie haben alles getan, was getan werden konnte.“ Der Innenminister wollte den Regierungschef nicht auf diese Entscheidung festlegen und bat, sein „Rücktrittsangebot in Erinnerung zu behalten und darauf zurückzukommen, falls sich im Lauf der nächsten Tage zeigen sollte, dass im Interesse des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung selbst ein politischer Befreiungsschritt angezeigt“ sei. Sein Angebot bestehe fort, es könnte jederzeit angenommen werden. Brandt wies auch dies zurück, versprach aber, seine Entscheidung gege146

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Trauer

Die Olympische Flagge auf Halbmast: Trauerfeier für die ermordeten elf Israelis im Olympiastadion am 6. September 1972.

benenfalls neu abzuwägen und mit Genscher darüber zu sprechen, falls sich eine Notwendigkeit ergebe.3 Ein ähnliches Gespräch führte Bruno Merk mit Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel: „Ich für meinen Teil war bereit, aus meiner politischen Verantwortung heraus zurückzutreten, was nichts mit persönlicher Schuld zu tun“ hatte, erinnerte sich Merk: „Der Ministerpräsident war auf mein Angebot hin jedoch der Meinung, dass zum Rücktritt angesichts aller Umstände keine Veranlassung bestehe.“4 Der SPD-Vorsitzende Brandt und der CSU-Spitzenpolitiker Goppel, sonst in fast jeder Frage unterschiedlicher Auffassung, reagierten also 147

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unabhängig voneinander  – sie hatten am Morgen des 6. September  1972 keinen Kontakt miteinander – auf die Rücktrittsangebote ihrer beiden Innenminister nahezu identisch. Und beide sorgten dafür, dass die Öffentlichkeit von den Überlegungen Genschers und Merks nichts erfuhr. Um zehn Uhr stand die Trauerfeier im Olympiastadion an. Das IOC hatte sie am Dienstagnachmittag angesetzt, als „nur“ der Tod eines Israeli gewiss gewesen war und der eines zweiten angenommen wurde. Doch jetzt ging es um elf tote Olympiateilnehmer und einen deutschen Polizisten. Bundespräsident Gustav Heinemann war frühmorgens in Bonn losgeflogen, denn als Schirmherr der Spiele musste er die zentrale Traueransprache halten. Schon um neun Uhr hatten rund 80 000  Menschen Platz genommen im Oval des Olympiastadions; mehrere Tausend Sportler versammelten sich auf dem Rasen des Fußballfelds. Die Flaggen waren auf Halbmast

Die VIP-Tribüne. Erkennbar in der ersten Reihe: Willy Brandt, Shmuel Laklin (mit Kippa) und neben ihm Eliashiv Ben Horin.

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Bundespräsident Gustav Heinemann bei seiner Traueransprache. Direkt neben ihm Avery Brundage, der scheidende IOC-Präsident.

gesetzt, genau gegenüber der Ehrentribüne wehten Israels Farben. Wie in den vergangenen Tagen strahlte die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel. Doch den Menschen war nicht mehr nach heiteren Spielen zumute, sie schwiegen die meiste Zeit. Im VIP-Bereich des Stadions begegnete Joachim Fuchsberger dem NOK-Chef Willi Daume, der völlig erschüttert herausbrachte: „Blacky, heute Nacht hat man uns die Seele aus dem Leib geschossen.“ Nie zuvor, erinnerte sich Fuchsberger an diesen Moment, habe er „einen so mächtigen Mann so traurig“ gesehen: „Sein Lebenswerk lag in Trümmern, er war vom Olymp ungebremst in den Orkus gestürzt.“5 Die Münchner Philharmoniker waren erschienen, um der Gedenkfeier einen würdigen musikalischen Rahmen zu geben, mit dem Trauermarsch aus Beethovens Symphonie „Eroica“. Dann trat Willi Daume ans Mikrofon: „Trauergemeinde! Für uns, die wir mit festem Vertrauen auf den guten Willen aller Menschen die Spiele der XX.  Olympiade vorbereitet haben, ist dieser Tag ein Tag unendlicher Trauer. Alles, was sich so schön 149

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zu erfüllen schien, ein Fest, das bis gestern so sichtbar die Sehnsucht der Menschen nach Verstehen, Freude und Frieden zum Ausdruck brachte, ist durch menschliche Schuld ohnegleichen infrage gestellt worden.“ Der NOK-Chef, sichtlich am Rande seiner Kräfte, rettete sich ins Metaphysische: „Es gibt nur den Trost, dass wir nicht selbst unser Schicksal formen. Sondern dass unsere Gegenwart und unsere Zukunft liegt in eines Höheren Hand.“6 Nach Daume ergriff Shmuel Lalkin, der Teamchef Israels, das Wort. Nach einigen Sätzen Einleitung nannte er in gesetzten Ton die Namen der elf ermordeten Olympia-Teilnehmer  – und wie auf einen Befehl hin erhoben sich die 80 000 Menschen im Stadion, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen. „Sie waren wahre und tapfere Sportkameraden und starben in der Blüte ihres Lebens. Solch ungeheuerliches Verbrechen steht in der Geschichte der Olympischen Spiele beispiellos da. Und wird von allen zivilisierten Menschen auf das Schärfste verurteilt. Wir betrauern zutiefst unsere Toten und drücken ihren Familien unser tiefstes Beileid aus.“ Lalkin beschränkte sich nicht darauf, die israelischen Toten zu ehren, sondern erinnerte auch an die Menschen, „die in Erfüllung ihres Dienstes beim Einsatz gegen die verbrecherischen Banditen ihr Leben geben mussten oder verwundet wurden“. Ausdrücklich dankte er dem Krisenstab, an dessen Besprechungen er zeitweise teilgenommen hatte, und dem IOC für die Unterbrechung der Spiele. Abschließend kündigte er an: „In tiefer Erschütterung verlässt die israelische Delegation diesen Ort. Wir danken allen für die uns erwiesene Solidarität.“ Nun war es an Israels Botschafter Eliashiv Ben-Horin, für sein Land die politische Lehre aus dem Geschehen zu ziehen: „Wir haben eine deutliche Demonstration der grausamen Geringschätzung erlebt, welche Terroristen und terroristische Organisationen für die Grundwerte der menschlichen Zivilisation zutage legen.“ Er rief „alle Völker der zivilisierten Welt und ihre Regierungen sowie internationale Organisationen auf, mit aller Kraft vorzugehen gegen eine Politik des Mordes, der Entführung und des Terrors, die seit Jahren von Feinden des Friedens und der Menschlichkeit geführt wird.“ Ben-Horin ging sogar noch einen Schritt weiter: „Lasst uns alle die Hand zum Zerschlagen dieser verbrecherischen Kette reichen. Denn nicht nur ein Volk, hier Israel, ist betroffen. Vielmehr ist das ganze Gewebe des internationalen Lebens in ständiger Gefahr zu zerreißen und zu zerfallen.“ 150

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Als vierter Redner war Gustav Heinemann an der Reihe. Der Bundespräsident wirkte „straff, ernst und sehr streng“.7 Große emotionale Ansprachen waren nicht seine besondere Stärke, doch nun traf er genau den richtigen Ton: „Vor elf Tagen habe ich hier in dieser Arena die Olympischen Spiele München 1972 eröffnet. Sie begannen als wahrhaft heitere Spiele im Sinne der Olympischen Idee. Ein großartiges Echo in der weiten Welt begleitete sie, bis sich gestern Morgen der Schatten einer Mordtat auf sie legte. In der vergangenen Nacht haben sich Schrecken und Entsetzen ausgeweitet.“ Ungewöhnlich für eine Traueransprache brandete Beifall auf. Heinemann fuhr fort: „Wo vor Kurzem noch frohe Gelöstheit herrschte, zeichnen jetzt Ohnmacht und Erschütterung die Gesichter der Menschen. Fassungslos stehen wir vor einem wahrhaft ruchlosen Verbrechen.“ Wieder applaudierten die Zuhörer. „Wer sind die Schuldigen dieser Untat? Im Vordergrund ist eine verbrecherische Organisation, die glaubt, dass Hass und Mord Mittel des politischen Kampfes sein können. Verantwortung tragen aber auch jene Länder, die diese Menschen nicht an ihrem Tun hindern.“ Jeder im Stadion wusste, auf wen der Bundespräsident anspielte: die arabischen Staaten, die mehr oder minder offen palästinensische Terroristen duldeten, oft sogar aktiv unterstützten. Auf solche Klarheit hatten die Menschen gewartet und zeigten ihre Zustimmung: Insgesamt zehnmal wurde die eher kurze Ansprache Heinemanns von Beifall unterbrochen, was ihn sichtlich irritierte. Das Schlusswort hatte der nach zwanzig Jahren im Amt scheidende IOC-Präsident Avery Brundage. Doch der fast 85-Jährige verfehlte gleich doppelt das Ziel, seinen letzten Auftritt als wichtigster Sportfunktionär der Welt würdig zu absolvieren: Erstens vermengte er den kurz vor den Spielen von den meisten afrikanischen Staaten durchgesetzten Ausschluss der rhodesischen Mannschaft mit dem Anschlag auf die israelische Mannschaft, indem er von „zwei grausamen Angriffen auf die Olympische Idee“ sprach. Andererseits gab er in geradezu trotzigem, eben nicht würdevollem Tonfall die Entscheidung des IOC bekannt, die Spiele am Nachmittag des 6. September 1972 fortzusetzen: „The Games must go on!“ Im Stadion applaudierten die meisten Zuhörer. Entsetzt hingegen war Red Smith, der Sportkolumnist der New York Times, den Münchner Spielen gegenüber ohnehin kritisch eingestellt: „Dieses Mal, dachten einige, werde man bestimmt die Sandgrube abdecken und die Startblöcke beiseitestellen. Aber nein: ‚Die Spiele müssen weitergehen‘, sagte Brundage, der 151

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Hohepriester des Sports, und 80 000  Zuschauer brachen in Applaus aus. Der Anlass war die gestrige Gedenkfeier für elf Mitglieder der israelischen Olympiadelegation, die von palästinensischen Terroristen ermordet wurden. Es war mehr wie eine Motivationsveranstaltung.“8 Brundage hatte schon am Nachmittag des 5. September 1972 im Krisenstab der Unterbrechung der Wettkämpfe nur unter der Bedingung zugestimmt, dass sie nach Klärung der Lage fortgesetzt würden. Das war nicht so eigennützig, wie es auf den ersten Blick wirken mochte. „Es war richtig“, urteilte etwa Hans-Jochen Vogel, „so zu verfahren. Anderenfalls wäre die Verfügungsgewalt über Beginn, Ende und Fortsetzung großer internationaler Veranstaltungen nicht nur in diesem Fall in die Hände potenzieller Terroristen übergegangen.“9 Ähnlicher Ansicht waren Vertreter des israelischen Teams, wie Walther Tröger sich erinnerte: „Die Israelis baten mich dann auch trotz ihrer Opfer, dass ich alles dafür tun solle, dass die Spiele weitergehen. Sie sagten: ,Wir wissen, was es bedeutet, wenn man den Brüdern nachgibt. Opfer hin und her, die Spiele müssen weitergehen, sonst erlauben sie sich immer noch mehr Dinge gegen uns.‘“10 Vermutlich hatte Tröger mit Shmuel Lalkin selbst gesprochen – jedenfalls bekannte Israels Teamchef noch Jahrzehnte später: „Ich persönlich war für eine Fortsetzung der Spiele, denn andernfalls hätte man sich den Terroristen ja gebeugt.“11 Unentschieden war hingegen das Meinungsbild der bundesdeutschen Öffentlichkeit: Nach einer repräsentativen Blitzumfrage sprachen sich je 40 Prozent für einen Abbruch und für die Fortsetzung aus, 20 Prozent zeigten sich unentschlossen.12 Vier Stunden nach der Trauerfeier gingen die Wettkämpfe weiter – genau entsprechend dem Terminplan, nur um 24 Stunden nach hinten verschoben. Zu dieser Zeit tagte im Bonner Palais Schaumburg bereits das Bundeskabinett. Im Gegensatz zur eilig einberufenen Sondersitzung am Vortag waren nun alle zwölf Minister anwesend.13 Brandt fasste die politische Entwicklung zusammen, Genscher schilderte die Ereignisse vor Ort. Als Erster ergriff nach ihm Helmut Schmidt das Wort, seit wenigen Wochen als Superminister für Finanzen wie Wirtschaft zugleich zuständig. Er stärkte dem Liberalen den Rücken – damit beugte der machttaktisch versierte Schmidt, der zweitmächtigste Mann der Bundesregierung, jedem Angriff auf Genscher vor und verpflichtete ihn sich.14 Das Kabinett diskutierte längere Zeit; nahezu alle Minister beteiligten sich, vermerkte der Protokollant. Schließlich fasste Brandt die Ergebnisse 152

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zusammen. Dazu gehörten Selbstverständlichkeiten wie Beileidsbekundungen an die Hinterbliebenen und den Staat Israel, die massive Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen in München und bei anderen potenziellen Zielen sowie die Festlegung, die Mitglieder der Bundesregierung sollten sich nicht öffentlich über polizeiliche Aspekte der Ereignisse äußern.15 Im Eiltempo begann das Gerichtsmedizinische Institut der LudwigsMaximilian-Universität München am Morgen des 6. September  1972 mit der Arbeit. Zehn Obduktionen standen auf dem Tagesplan, denn die sterblichen Überreste der ermordeten Geiseln würden, das war nicht verhandelbar, am 7. September 1972 nach Israel ausgeflogen werden. Da am 5. September nur der bereits frühmorgens geborgene Leichnam von Mo­ she Weinberg untersucht worden war, mussten Institutsdirektor Wolfgang Spann und seine Mitarbeiter gleichermaßen schnell wie gründlich arbeiten. Entscheidend war die Frage, durch wen genau die neun Opfer von Fürstenfeldbruck zu Tode gekommen waren. Spann bildete zwei je dreiköpfige Obduzententeams, die parallel arbeiteten. Zusätzlich anwesend waren jeweils sechs bis neun Zeugen, Institutsvertreter, Polizeibeamte und mindestens ein Ermittlungsrichter; sie verfolgten, wie für jeden Leichnam erst die genaue Todesursache festgestellt wurde und dann die Schusskanäle rekonstruiert wurden. Das Ergebnis der Leichenöffnungen war eindeutig: Acht der neun in den beiden Hubschrauber getöteten Geiseln waren von der Seite und leicht schräg von unten durch Garben aus Schnellfeuergewehren getötet worden. Die meisten Geschosse waren durch ihre Körper hindurchgeschlagen, nur vier Bruchstücke von Kugeln konnten in den Leichnamen sichergestellt und der Kriminaltechnik des LKA München zur weiteren Untersuchung übergeben werden. Die letzte Geisel, David Mark Berger, war durch Schüsse schwer verletzt worden, doch an einer Rauchvergiftung gestorben – er war als Einziger nach dem ersten Schusswechsel etwa zwischen 22:38 und 22:40 Uhr noch am Leben und hätte bei einem schnelleren Vorrücken der Polizeikräfte vielleicht gerettet werden können, denn er starb erst nach der Explosion des Hubschraubers wenige Minuten nach Mitternacht.16 Nach den Obduktionen gab Spann am Abend des 6. September 1972 alle Leichname der israelischen Opfer frei. Am folgenden Morgen, dem letzten Tag des Jahres 5732 im hebräischen Kalender, wurden zehn Särge in eine ohne Aufsehen in München gelandete El-Al-Maschine geladen, mit der auch die Überlebenden der Olympia-Mannschaft zurück nach Tel Aviv 153

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fliegen sollten. Denn sie wollten nicht mehr am Ort des Geschehens bleiben; Missionschef Shmuel Lalkin schilderte im einzigen Interview auf deutschem Boden nach dem Anschlag, wie er mit dem Erlebten umging: „Versuchen, nicht daran zu denken, versuchen zu vergessen, was geschah. Das Gefühl zu wissen, dass man nur durch unerhörtes Glück noch am Leben ist, kann auch dabei helfen.“17 Aus Hamburg schrieb an diesem Donnerstag Ernst Cramer, selbst als jüdischer Augsburger 1938/39 im KZ Buchenwald eingesperrt, als US-Soldat nach Deutschland zurückgekehrt und inzwischen engster Mitarbeiter des Verlegers Axel Springer, an seinen Freund Teddy Kollek, den Oberbürgermeister von Jerusalem: „Heute werden einmal mehr Särge mit Israelis zurück in ihre Heimat geflogen.“ Cramer erinnerte an die elf Ermordeten:

Die Särge der ermordeten Israelis in Münchens Hauptsynagoge in der Reichenbachstraße vor dem Transport zum Flughafen Riem. 154

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Die Überlebenden der israelischen Olympia-Delegation besteigen eine Maschine der El-AL, um nach Tel Aviv zurückzukehren.

„Sie kamen nach München, um Freundschaft zu suchen und zu geben. Nun kehren sie als die neuesten Opfer des Fanatismus zurück, der über die Jahrhunderte und allein in unserer Zeit Millionen ihrer Brüder, Väter und Vorfahren getötet hat. Meine Gedanken, wie die der meisten Menschen um mich herum, können nicht von der Münchner Tragödie weichen. Vergib mir bitte deshalb, dass meine guten Neujahrswünsche diese Vorrede haben.“18 Auf Bitte aus Israel verzichtete die Bundesregierung auf eine offizielle Begleitung der zehn Toten; an Bord gingen deshalb von deutscher Seite nur Hans-Jochen Vogel als Vertreter des Organisationskomitees sowie zwei Vertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland. Auf dem Flughafen Lod bei Tel Aviv erwarteten in der Mittagshitze Tausende Trauernde die Sondermaschine. Staatspräsident Salman Schasar und fast die gesamte Regierung waren erschienen; nur Premierministerin Golda Meir fehlte, denn in der Nacht zuvor war überraschend ihre ältere Schwester verstorben und sie musste Totenwache halten. So fiel es Vizepremier Yigal Allon zu, eine kurze Trauerrede zu halten. Die Täter nannte er „Monster unter den Masken von Menschen“. 155

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In Israel empfangen viele Menschen und die Regierung die zehn Särge. David Mark Bergers Leiche wird in die USA geflogen.

Die arabischen Staaten, „die diese wahnsinnigen Mörder unterstützten“, seien „genauso verantwortlich wie die Terroristen selbst“. Als Beleg berief er sich auf die Ansprache des Schirmherrn der Spiele bei der Trauerfeier im Stadion: „Bundespräsident Heinemann hat die Verbindung zwischen den arabischen Staaten und den Terroristen richtig hergestellt.“ Allon kritisierte die „mangelhaften Sicherheitsmaßnahmen“ in München, vermied es aber, die deutschen Behörden dafür verantwortlich zu machen. Zuletzt schwenkte er ein auf die oft wiederholte Linie der israelischen Regierung: „Die Mörder haben Angst vor dem Frieden. Doch wenn sie lernen würden, für den Frieden zu arbeiten, dann könnten auch die Probleme der Palästinenser gelöst werden.“19 Obwohl eine Woche Staatstrauer in Israel ausgerufen worden war, ruhte der Flugbetrieb auf dem Airport von Tel Aviv während der kurzen Trauerzeremonie keine einzige Minute lang. „Israel zeigte seinen Feinden und der ganzen Welt, wie es auf diesen schrecklichen Schlag reagieren wird: ,Wir machen weiter, wir geben nicht auf ‘“, fasste ein deutscher Nahost-Korrespondent die Botschaft zusammen: „Trauer und Wut haben das ganze israe156

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lische Volk in ihren Bann geschlagen. Es ist eine besondere Art von Wut – eiskalt und kontrolliert, keine Wut, die sich unbeherrscht und lauthals Bahn bricht, eine Wut wie eiskalte Lava. Eine Wut allerdings, die ohne Rache, gezielte Rache, nicht beschwichtigt werden kann.“20 Zehn Särge wurden, in israelische Flaggen gehüllt, auf offene Militärlaster geladen und abtransportiert; fünf von ihnen wurden wenig später nebeneinander auf dem Friedhof Kiryat Shaul im Nordosten Tel Avivs beigesetzt, die übrigen auf Wunsch der Hinterbliebenen in Familiengräbern. Der Sarg mit den sterblichen Überresten von David Mark Berger, des elften ermordeten Israeli, wurde auf Weisung von US-Präsident Richard Nixon an Bord einer USMilitärmaschine in München gebracht. Seine Eltern, die in Ohio lebten, hatten darum gebeten, um ihren Sohn in seiner Geburtsstadt Cincinnati beizusetzen. Am folgenden Vormittag, dem 8. September 1972, äußerte sich in München der Polizeipsychologe Georg Sieber gegenüber einem Journalisten des ASD, des Pressedienstes des Springer-Verlages. Die lange Agenturmeldung über das Gespräch trug die zugespitzte Überschrift: „Krisenstab warf den Psychologen hinaus“ und stellte fest, Sieber habe „harte Kritik am Polizeieinsatz beim Massaker von Fürstenfeldbruck und München“ geübt. Die Behauptung der Verantwortlichen des Krisenstabes, das Massaker sei „schicksalhaft“ gewesen, nannte Sieber demnach „Quatsch“. Seine Kollegen und ihn nur als „Schönwetterberater“ einzusetzen und in der tatsächlichen Krise nicht um Rat zu fragen, sei ein Fehler gewesen. Die Mitglieder des Krisenstabes hätten nicht „die fachliche Qualifikation“ gehabt, den Einsatz zu leiten; es handele sich um „selbst ernannte Leute, die nur aufgrund ihres politischen Status mitmischten“. In der Meldung wurde Sieber wörtlich zitiert: „Wenn bei mir im Keller ein Wasserrohr bricht, rufe ich einen Klempner, nicht den Stadtratsausschuss für Gas- und Wasserversorgung“. Der ASD-Journalist fasste weitere Aussagen des Polizeipsychologen zusammen: „Unter den möglichen Störaktionen, die Sieber für die Münchner Olympiade in Betracht zog, war auch ein Überfall arabischer Terroristen um fünf Uhr morgens im Olympischen Dorf, bei dem die Freischärler den Wohnblock der Israelis besetzten. Dieses ,Lagespiel‘ wurde wie viele andere Vorschläge als zu unwahrscheinlich abgelehnt und nicht geprobt.“21 Sieber distanzierte sich noch am selben Tag in zwei Erklärungen, einmal anderthalb Seiten lang und einmal fast drei, von dieser Darstellung. Er habe gar „keine Kritik“ geübt, „insbesondere nicht an den Personen des 157

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Krisenstabes“. Sein „Institut“, gemeint war die „Poko-Studiengruppe“, habe „zwar zu Einsätzen bei Geiselnahmen Modellvorstellungen entwickelt. Deren Anwendbarkeit kann ich jedoch erst nach ausführlicher Information über den Tathergang beurteilen. Zu einer solchen Beurteilung sehe ich mich bisher außerstande.“22 In der längeren Erklärung schob er noch nach, als „Schönwetterberater“ habe er sich seit Beginn der Spiele gegenüber verschiedenen Journalisten bezeichnet: „Dieser bedauerlicherweise doppelsinnige Begriff bezog sich auf das hervorragende Wetter.“ Im Übrigen habe er „einem Vertreter des ASD dessen detaillierte Fragen kurz beantwortet“, aber „schon deshalb zu dem Geschehen keine Stellungnahme“ abgegeben, weil er bereits am Tattag gegen 9:30 Uhr das Verwaltungshochhaus im Olympischen Dorf verlassen habe und lediglich aus dem Fernsehen und Zeitungen informiert sei.23 Angesichts der zahlreichen Sieber direkt zugeordneten Zitate war unwahrscheinlich, dass der ASD-Reporter seine Darstellung erfunden habe, wie die Erklärungen des Polizeipsychologen unterstellten –zumal er sich auch gegenüber dem Magazin Der Spiegel ähnlich äußerte.24 Angesichts dessen schrieb Manfred Schreiber später erbost an den verantwortlichen Redakteur des ASD in München: „Es stellt sich heraus, dass Sie tatsächlich einer Lüge des Herrn Sieber aufgesessen sind. Diese wird nicht dadurch wahr, dass er sie mündlich im Gegensatz zu seiner Erklärung vom 8. September 1972 wiederholt.“25 Offenbar handelte es sich bei Siebers Äußerungen gegenüber dem ASD drei Tage nach der Geiselnahme um den wirklichen Ursprung des ominösen „Plan  21“, in dem vermeintlich prophetisch Details des Angriffs der palästinensischen Terroristen wie das Eindringen über Zäune gegen fünf Uhr morgens oder die Größe der Gruppe mit etwa acht Personen „vorhergesagt“ gewesen sein sollen. Jedenfalls verselbstständigte sich diese Schilderung, von der vor dem 5. September  1972 keine Spur existiert und die Sieber am Tag des Gesprächs gleich doppelt dementiert hatte, und kondensierte zum zentralen Beleg für die Unfähigkeit der Münchner Polizei.

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Vergeltung Bereits am Tag der Trauerfeier im Olympiastadion hatte Israels Kabinett beschlossen, ein Zeichen der Wehrhaftigkeit zu setzen. Schon in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1972 überschritten Bodentruppen die Grenze zum Libanon, aus der Luft gedeckt von Jagdbombern der israelischen Luftwaffe, und griffen bekannte Stellungen der PLO an. Mindestens zwei palästinensische Guerillas wurden getötet.1 Das war jedoch nur der Anfang: Einen Tag später attackierten Israels Düsenjets insgesamt zehn Ziele tief auf libanesischem und syrischem Gebiet; mehrere Dutzend bis mehr als 200 Menschen kamen dabei ums Leben. Es ging darum, „Terrorbasen auszuradieren“, stellte Golda Meir fest.2 Ein Offizier in Tel Aviv erklärte prosaischer, es handele sich um „einen Schlag gegen Terroristen, die eine lange Serie von Anschlägen und Morden“ begangen hätten, die „ihren Höhepunkt im feigen Verbrechen von München fand“. Damit verwendete der Sprecher genau die Formulierung, die UN-Generalsekretär Kurt Waldheim selbst für den Überfall in der Connollystraße verwendet hatte. Diese Wortwahl war sicher kein Zufall, denn nur zwei Tage später kritisierte der Österreicher in mindestens derselben Schärfe die israelischen Luftangriffe.3 Der UN-Sicherheitsrat diskutierte sogar einen Resolutionsentwurf gegen die israelischen Angriffe, aus dem auf Drängen der Sowjetunion die Verurteilung von Terroranschlägen herausgestrichen worden war; daraufhin legten die USA ihr Veto ein. Verteidigungsminister Moshe Dayan hatte im Kabinett noch härtere Schläge gegen die arabischen Nachbarstaaten gefordert, vor allem gegen den Libanon. Denn es erschien dem israelischen Militär ziemlich wahrscheinlich, dass die Attacke vom PLO-Hauptquartier in Beirut aus geplant worden war, auch wenn zu dieser Zeit die Bestätigung dieser Annahme durch die beiden PLO-Terrorplaner Abu Iyad und Abu Daoud sowie durch ihren deutschen Helfer Willi Pohl natürlich noch nicht vorlag.4 159

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Doch Premierministerin Meir hatte nach der internationalen Kritik auf die Angriffe vom 8. September 1972 anderes im Sinn: Sie suchte eine „angemessene Reaktion“, die sich gegen die Verantwortlichen für den Anschlag von München richtete, nicht pauschal gegen die arabischen Staaten oder gegen Palästinenser, die zwar Israels Feinde waren, aber nichts mit dem 5. September zu tun hatten.5 Also einen Mittelweg zwischen Untätigkeit, die in der israelischen Öffentlichkeit kaum hingenommen worden wäre, und dem weiteren, möglicherweise bis hin zum Krieg ausgedehnten Einsatz des Militärs. Meir berief eine kleine Kommission aus Politikern, Geheimdienstleuten und Experten, die später als „Kommission  X“ bekannt wurde. Nach kurzer Beratung kam das Gremium zum Schluss, Israel müsse unmissverständlich klarmachen, dass der Olympia-Anschlag hart bestraft werde, aber möglichst so, dass jede Beteiligung öffentlich dementierbar bleibe. Das wirksamste Mittel sei, jene Mitglieder vor allem des „Schwarzen September“ zu töten, die direkt oder mittelbar an den Vorbereitungen des Olympia-Anschlages beteiligt gewesen waren. Verantwortlich für die Aktion wurde Mossad-Chef Zwi Zamir, der die praktische Umsetzung dem Leiter seiner Operationsabteilung übertrug. Bei Bedarf sollte die Spezialeinheit Sajeret Matkal den Mossad unterstützen. Die erste Liste möglicher Zielpersonen konnte der Mossad rasch vorlegen, denn führende PLO-Aktivisten mit Kontakten zum Terror wurden auch schon vor dem 5. September 1972 zumindest zeitweise beobachtet.6 Während in Israel gewaltsame Reaktionen erörtert wurden, griff die Bundesregierung überraschend robust durch. Schon in der Sondersitzung des Kabinetts am Tag nach dem Anschlag hatte sich Hans-Dietrich Genscher die Zustimmung der Minister geholt, in Westdeutschland studierende Araber ausweisen zu können. Offizieller Grund war, dass mit „weiteren Aktionen arabischer Terroristen auf deutschem Boden gerechnet werden“ müsse, deren „vorrangiges Ziel“ die Befreiung der drei in Fürstenfeldbruck festgenommenen Attentäter sei. Daher sollten potenzielle Tätergruppen, also junge Männer arabischer und speziell palästinensischer Herkunft, besonders überwacht werden. Über die Risiken einer solchen Politik war sich die Ministerrunde im Klaren: „Andererseits soll eine Welle von Ausländerfeindlichkeit vermieden werden.“7 Die neue, harte Linie der Bundesregierung sickerte kaum zufällig umgehend durch; schon ab dem 8. September 1972 berichteten verschiedene Zeitungen über die „neuen Sicherheitspläne“. Entscheidend war ein neuer 160

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Vergeltung

Grundsatz: Menschen aus Ländern, die terroristische Organisationen dulden und unterstützen, sollten künftig weder zur Arbeit noch zum Studium in die Bundesrepublik kommen dürfen. Das betraf vor allem Libanesen, Syrer, Ägypter, Libyer und Tunesier. Ferner hieß es: „Staatsangehörige dieser Länder werden an den Grenzen der Bundesrepublik besonders scharfen und zusätzlichen Kontrollen unterworfen“; das erklärte Ziel lautete: „Angehörige ausländischer Terror-Organisationen werden unverzüglich aus der Bundesrepublik ausgewiesen.“8 Die Maßnahmen waren vielfach durchaus berechtigt, denn etwa die auf Arabisch in Deutschland erscheinende PLO-Zeitschrift Palästinensische Revolution hatte auf dem Titelblatt der Ausgabe vom 13. September 1972 vier beschädigte Olympische Ringe gezeigt, unter denen ein gleichfalls beschädigter Davidstern lag; die Schlagzeile dazu lautete: „Auf der Olympiade vertrat der Schwarze September die Palästinenser auf seine Art“. Eine palästinensische Studentenorganisation warb mit einem Plakat um Mitglieder, auf denen ein Terrorist mit Kalaschnikow abgebildet war.9 Mehrere PLO-Vorfeldorganisationen wie die „Generalunion palästinensischer Arbeiter“ und die „Generalunion palästinensischer Studenten“ wurden verboten, ihre bekannten Mitglieder ausgewiesen, gegebenenfalls festgenommen und abgeschoben. Rund 330 Personen waren betroffen. Zu ihnen zählte der inoffizielle PLO-Repräsentant in Deutschland Abdallah Frangi. Er hatte nach Beginn der Ausweisungen zunächst noch den bekannten linken Anwalt Hans Heinz Heldmann eingeschaltet, einen späteren Wahlverteidiger von Andreas Baader, tauchte dann aber bei seinen Schwiegereltern nahe Frankfurt ab, wurde von der Polizei festgenommen und nach einer Nacht im Gewahrsam in ein Flugzeug nach Kairo gesetzt. Dort angekommen, reiste er weiter nach Beirut und traf sich mit der PLOFührung – angeblich ohne zu wissen, dass es sich bei der Geiselnahme um eine Aktion des palästinensischen Geheimdienstes gehandelt hatte.10 Während das Bonner Innenministerium in der ganzen Bundesrepublik verdächtige Palästinenser festnehmen ließ, saß die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in ihrer Zelle an einer „Analyse der Aktion des Schwarzen September“. Am 13. September  1972 schrieb sie ihrem Verteidiger Heinrich Hannover, er solle den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein fragen, „ob und unter welchen Bedingungen“ er bereit sei, einen etwa zehn Seiten langen Text im Namen von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und ihr abzudrucken: „Mitte nächster Woche Ablieferungstermin ist drin – eventuell.“ 161

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Ferner sandte die wortgewandte Ex-Journalisten ihrem Anwalt eine Presseerklärung, die er an die anderen RAF-Verteidiger schicken sollte und an die Anwälte der drei inhaftierten Täter von München. In der Erklärung hieß es: „Ulrike Meinhof ist heute in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf aus Solidarität mit den arabischen Genossen, die das Massaker der deutschen Polizei in München überlebt haben“, in Hungerstreik getreten. „Die Aktion des Schwarzen September in München war eine zutiefst proletarische Aktion, die in sich alle Momente des revolutionären Kampfes vereinigt hat, wie es das in Deutschland noch nie gegeben hat. Sie war gleichzeitig antiimperialistisch, antifaschistisch, internationalistisch. Sie hat eine Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge dokumentiert (in Westdeutschland, früher Nazideutschland, jetzt imperialistisches Zentrum), wie das niemals eine kleinbürgerliche Aktion vermag; einen Mut und eine Kraft, die die Revolutionäre nur aus ihrer vollkommenen Verbundenheit mit dem palästinensischen Volk haben können; ein Klassenbewusstsein, das sich seiner historischen Mission, Avantgarde zu sein, absolut bewusst ist, eine Menschlichkeit, die von dem Bewusstsein bestimmt ist, gegen dasjenige Herrschaftssystem zu kämpfen, dass das historisch letzte System von Klassenherrschaft, gleichzeitig das grausamste, blutrünstigste, abgefeimteste ist, was es je gab.“11 Das Massaker von München zeige „Sensibilität“ und sogar „Menschlichkeit“  – das ging sogar dem bekennenden Linken Heinrich Hannover zu weit, der Meinhof sehr zurückhaltend „eine schwierige Mandantin“ nannte.12 Er lehnte postwendend ab: „Liebe Ulrike, Dir ist klar, dass Dein Brief vom 13. September eine Erpressung ist, und trotzdem hältst Du Dich dazu berechtigt. Das finde ich nicht gut unter Genossen.“ Ganz zutreffend schrieb er weiter: „Du weißt genau, dass ich Deine politische Erklärung nicht an die Frankfurter Rundschau weiterleiten kann, ohne anschließend selbst die Robe ausziehen zu müssen.“ In der Tat hätte sich Hannover zwar wohl nicht strafbar gemacht, aber unmöglich. „Deine Einschätzung der Münchner Ereignisse teile ich nicht. Nicht alles, was für eine gute Sache getan wird, ist deswegen gut. Die Palästinenser haben Fehler gemacht, die man auch als solche bezeichnen sollte.“ Allerdings offenbarte der Anwalt, der selbst als „Organ der Rechtspflege“ die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ nicht bekämpfen durfte, ein durchaus eigenwilliges Verständnis seiner Pflichten: „Wenn sie Genscher als Geisel mitgenommen hätten, ließe sich darüber reden, aber israelische Sportler?“13 162

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Scheinbar lenkte Meinhof ein und brach ihren Hungerstreik ab. In Wirklichkeit aber schrieb sie weiter an einem Pamphlet, in dem sie ihre Sicht der Münchner Geiselnahme darlegen wollte – nun, ohne die äußere Beschränkung auf die maximale Länge eines Abdrucks im Spiegel, geriet ihr der Text rund dreimal so lang wie gegenüber Hannover angekündigt. Darin lobte sie die Aktion der „palästinensischen Genossen“, die „das Wesen imperialistischer Herrschaft und des antiimperialistischen Kampfes auf eine Weise durchschaubar und erkennbar gemacht [haben] wie noch keine revolutionäre Aktion in Westdeutschland und West-Berlin“. Das Massaker in München war für Meinhof also besser als alle Anschläge der RAF. Der Überfall auf die israelischen Sportler sei, griff sie ihre Formulierungen aus der nicht weitergeleiteten Presseerklärung auf, gleichzeitig „antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch“ gewesen und habe „eine Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge dokumentiert, die immer nur das Volk hat“.14 Irgendwann im Oktober 1972 gelang es Meinhof, ihren Text unabhängig von ihrem Verteidiger Heinrich Hannover aus dem Gefängnis zu schmuggeln; jedenfalls wurde er vervielfältigt und ab Anfang November 1972 bundesweit in Hochburgen des Linksextremismus verteilt. Namentlich gezeichnet war der Text nicht. Als das Pamphlet die RAF-Chefideologin Gudrun Ensslin im Gefängnis in Essen erreichte, hielt sie den RAF-Mitgründer Horst Mahler, der für seinen besonders scharfen Antisemitismus bekannt war, für den Autor. Das war durchaus begründet, denn Mahler hatte am 9. Oktober 1972 vor Gericht klare Worte gefunden. Die Geiselnahme bezeichnete er als eine „mutige Kommandoaktion des opferbereiten Schwarzen September“. Der Anschlag gegen die israelische Mannschaft im Besonderen und gegen die Olympischen Spiele als „imperialistischer KdF-Schau“ im Allgemeinen sei „vollendeter Ausdruck der richtigen strategischen Linie“. Weiter sagte er unter dem Beifall von Teilen des Publikums, das daraufhin von der Verhandlung ausgeschlossen wurde: „Wenn die Genossen einen Fehler gemacht haben, dann den, dass sie nicht Genscher als Geisel mitgenommen haben.“15 Das war weitgehend identisch mit den Ausführungen in dem ungezeichneten 24-seitigen Pamphlet. Erbost schrieb Ensslin Mahler einen Kassiber, was sie davon hielt: „Einfach Scheiße.“ Vor allem erregte sie, dass die Polemik im Namen der RAF verbreitet wurde: „Es wäre besser gewesen, wenn es vorher andere gelesen hätten.“ Schon im Herbst 1972 war es selbstverständlich für inhaftierte RAF-Mitglieder, sich auszutau163

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schen, obwohl laut Paragraf  119 der Strafprozessordnung mutmaßliche Komplizen in Untersuchungshaft keinen Kontakt miteinander haben sollen, um Absprachen zu verhindern: „Haben uns mal kurz gefragt, warum Du’s nicht vorher mal rüberreichst.“ Ensslins Kassiber erreichte als Kopie auch Ulrike Meinhof, die daraufhin ihr Pamphlet verteidigte. Sie habe die gemeinsamen Ziele von RAF und „Schwarzem September“ dargelegt: „Materielle Vernichtung von imperialistischer Herrschaft. Zerstörung des Mythos von der Allmacht des Systems. Im materiellen Angriff die propagandistische Aktion, der Akt der Befreiung im Akt der Vernichtung.“ Nun schwenkte Ensslin um und entschuldigte sich in einem weiteren Kassiber: „Für den Wortlaut meiner ,Kritik‘ könnte ich doch nur noch rot werden.“ Sie ärgerte sich, „Deinen Kopf und Deine Hand in dem Schwarzen September nicht sofort gesehen zu haben“. Düster schrieb Meinhof zurück: „Also wirklich – ich finde mein Zeug trostlos.“16 Inzwischen lag auch die amtliche Dokumentation über die Vorfälle in München vor, die Bundeskanzler Brandt und Ministerpräsident Goppel am 9. September 1972 versprochen hatten, nachdem die ersten Auskünfte von Hans-Dietrich Genscher, Bruno Merk und Manfred Schreiber auf einer internationalen Pressekonferenz zwei Tage zuvor natürlich noch viele Fragen offengelassen hatten. Nach nur elf Tagen wurde der 71 Schreibmaschinenseiten lange Text vom Innenausschuss des Bundestages akzeptiert und veröffentlicht.17 Schon der Titel war unglücklich gewählt, denn um „Vorfälle“ handelte es sich bei dem Terroranschlag gewiss nicht. Noch schlimmer war die Eile: So hatte die Sonderkommission des LKA Bayerns gerade erst die Ermittlungen aufgenommen, es lagen bisher nur wenige Zeugenaussagen vor und nicht einmal der zusammenfassende Bericht der Spurensicherung.18 Trotzdem formulierte die Dokumentation schon weitreichende Schlüsse; die „Prüfung“, die auf einer absehbar zu schmalen Faktengrundlage erfolgte, habe ergeben, dass „das nach Lage der Dinge Mögliche getan, angemessen gehandelt und richtig entschieden worden ist“. Der zuständige Ausschuss des Bundestages sprach „allen Verantwortlichen sein Vertrauen aus“ und dankte ihnen „für ihren besonnen Einsatz“.19 Die Reaktion der Öffentlichkeit auf diesen hastigen Freispruch war Befremden: „Worte der Selbstkritik der Behörden sind in der Dokumentation nicht enthalten.“20 Im Kabinettsprotokoll stand zu dem Bericht trotzdem: „Der Bundeskanzler empfiehlt, sie aufmerksam zu studieren.“21 164

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Zufällig nur einen Tag später, am 21. September 1971, präsentierte HansDietrich Genscher den Innenministern der Bundesländer seine wichtige Konsequenz aus den Münchner Ereignissen. Eine Spezialtruppe solle aufgestellt werden, aus 188 Polizisten, allesamt (wirkliche) Präzisionsschützen und ausgebildete Nahkämpfer, „jederzeit und überall unbedingt einsatzbereit gegen Geiselnehmer, Bombenleger und Stadtguerrilleros – und Situationen wie jener von München gewachsen“, fasste das Magazin Spiegel zusammen. Jedoch überschütteten die Hamburger Journalisten das Vorhaben mit Vorabkritik: „eine Geister-Truppe, die bei der Abwehr von Terroristen Wunder wirken soll – aber noch auf dem Papier steht“.22 Zunächst 6,3 Millionen Mark standen dem Gründungskommandeur Ulrich Wegener zur Verfügung, mit voller Unterstützung des Haushaltsausschusses des Bundestages, der Genschers Antrag glatt durchwinkte; weiteres Geld folgte nach Bedarf. Es war die Geburtsstunde der GSG 9, die im April 1973 ihre Einsatzbereitschaft meldete.23 Derweil trieb der Mossad die Vergeltungsaktion voran. Am Abend des 16. Oktober  1972 erschossen zwei Agenten den 38-jährigen Abdel Wael Zwaiter im Eingang seines Wohnhauses in Rom. Der Palästinenser arbeitete offiziell als Übersetzer in der Botschaft Libyens in Rom, war inoffiziell jedoch Repräsentant der PLO in Italien und arbeitete gerade an einer Übersetzung der Märchensammlung Aus tausendundeiner Nacht vom arabischen Original ins Italienische, als er getötet wurde. Im August 1972 war er von der Polizei befragt worden, weil der Verdacht bestand, er wäre in einen Bombenanschlag des „Schwarzen September“ verwickelt. Sein gewaltsamer Tod wurde international kaum registriert. Später hieß es, Zwaiter sei mit zwölf Kugeln getötet worden, weil es zwölf Opfer in München gegeben habe, elf Israelis und einen deutschen Polizisten, aber offenbar wurde mindestens 13-mal auf ihn geschossen – eine Kugel blieb in einem Band von Aus tausendundeiner Nacht stecken, den er bei sich trug.24 Die zweite Vergeltungsaktion traf den Repräsentanten der PLO in Paris, den 35-jährigen Mahmoud Hamshari. Im Hörer seines Telefons war eine kleine Bombe eingebaut worden. Ein Mossad-Agent rief ihn an, vergewisserte sich seiner Identität und löste dann per Funkzünder die Detonation aus. Hamshari wurde schwer verletzt, konnte aber noch die Umstände des Mordanschlages bezeugen und starb rund vier Wochen später. Diesen gewaltsamen Todesfall registrierten Medien von Hongkong bis Hamburg.25 Ein Muster erkannte aber zumindest in der westlichen Welt noch niemand. 165

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Das änderte sich jedoch  – durch den dritten Anschlag: Am 24. Januar 1973 starb der 34-jährige Hussein Al Bashir, der PLO-Repräsentant auf Zypern, durch eine ferngezündete Bombe in seinem Hotelzimmer in Nikosia. Binnen weniger Monate der dritte einflussreiche Palästinenser, der gewaltsam umgekommen waren. Am 28. Januar bekannte sich der „Schwarze September“ zum Mord an einem israelischen Touristen in Madrid zwei Tage zuvor und beschuldigte ihn, für die Morde an Zwaiter, Hamshari und Al Bashir mitverantwortlich gewesen zu sein.26 Nun war für jeden Beobachter klar, dass irgendwer offensichtlich systematisch Jagd auf Palästinenser in Europa machte. Zumal am 6. April 1973 abermals in Paris ein aus dem Irak stammender, in Beirut lehrender Jura-Professor erschossen wurde, mit mindestens acht Kugeln.27 Die israelische Regierung bezog dazu wie zu früheren Attentaten auf Palästinenser keine Stellung, sondern dementierte jede Beteiligung. Doch als zwei Tage später, in der Nacht vom 9. zum 10. April 1973, Kommandosoldaten in Beirut und der libanesischen Stadt Sidon Häuser angriffen, drei hohe PLO-Führer und weitere Bewaffnete töteten, konnte niemand mehr die Verantwortung Israels ernsthaft bestreiten. In PLO-Kreisen war die Botschaft angekommen: Wer mit dem Anschlag von München direkt oder indirekt zu tun hatte, stand auf der Todesliste des Mossad. Die Ende Oktober 1972 um drei Namen länger geworden war. Denn am frühen Morgen des 29. Oktober kaperten zwei Palästinenser, die mit Handgranaten bewaffnet waren, den Lufthansa-Flug LH 615 auf dem Weg von Beirut nach Ankara. Sie drohten, die Boeing 727 mit elf Passagieren und sieben Besatzungsmitgliedern an Bord zu sprengen, wenn nicht die drei in bayerischen Gefängnissen einsitzenden Überlebenden des misslungenen Zugriffs in Fürstenfeldbruck umgehend freigelassen und ausgeflogen würden.28 Bereits seit dem 9. September waren wiederholt derartige Drohungen eingegangen. Doch die Bundesregierung und das bayerische Kabinett hatten sich wieder nicht für einen solchen Fall vorbereitet. Um 12:45 Uhr traf eine Nachricht des deutschen Botschafters aus Tel Aviv in Bonn ein, der zufolge die israelische Regierung verlangte, den „Pressionen der Entführer nicht nachzugeben“. Denn „nach München würde es die israelische Regierung nicht verstehen, wenn die drei Inhaftierten freigegeben würden“.29 Trotzdem bereiteten Bayerns Behörden mit Einverständnis der Bundesregierung den Austausch vor: Die drei Terroristen wurden nach München-Riem gebracht, stiegen im Verlauf des Nachmittags zusammen 166

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mit dem Airline-Chef Herbert Culmann in eine Maschine der LufthansaTochtergesellschaft Condor und starteten. Die Piloten hatten Weisung, den Luftraum der Bundesrepublik nicht zu verlassen, bevor es zu einer Einigung mit den Entführern gekommen sei. Weil die Terroristen der entführten 727 jedoch drohten, die Maschine in der Luft zu sprengen, setzte sich Culmann über diese Weisung hinweg und befahl den Piloten, nach Zagreb zu fliegen und zu landen. Dort nahm die entführte Lufthansa-Boeing die freigepressten Palästinenser auf und startete mit unbekanntem Ziel, nachdem ein deutscher Diplomat entgegen seiner Weisung aus Bonn zugestimmt hatte, dass das entführte Flugzeug aufgetankt wurde. Um 21:03 Uhr landete die Lufthansa-Maschine in Tripolis, wo die Geiseln freigelassen wurden.30 Israel reagierte bereits während der Entführung mit Empörung auf die Bereitschaft zum Einlenken. Es handele sich um eine „unverständliche deutsche Kapitulation“, die eine „Ermunterung zu neuen Verbrechen“ sei und „vom jüdischen und vom israelischen Standpunkt aus unverzeihlich“, fasste Botschafter von Puttkamer die Stimmung in Tel Aviv zusammen.31 Am folgenden Tag wurde er offiziell ins israelische Außenministerium einbestellt und zurechtgewiesen: „Israelische Regierung versteht die Haltung der deutschen Regierung nicht und bittet um Aufklärung über einen offensichtlichen Gesinnungswechsel. Noch vorgestern habe man in Jerusalem geglaubt, aufgrund des deutschen Verhaltens in Fürstenfeldbruck und danach mit der deutschen Haltung konform gehen zu können. Die Kapitulation vor den Terroristen in der Nacht zum Montag sei mit der bisherigen deutschen Einstellung nicht zu vereinbaren.“32 Jetzt brach die nach dem Desaster von Fürstenfeldbruck nur mühsam zurückgehaltene Empörung über Deutschland durch. Bald kamen in Israel (und Deutschland) Spekulationen auf, es könnte sich bei der Entführung um ein abgekartetes Spiel gehandelt haben.33 Die führende israelische Tageszeitung Haaretz etwa schrieb unter der Überschrift „Bonns Schande“, die „übereilte Kapitulation der deutschen Regierung vor der Erpressung durch Terroristen“ zeuge vom „Wunsch, die drei Mörder, die ihnen vor allem zu einer Sicherheitslast geworden waren, loszuwerden“.34 Botschafter von Puttkamer berichtete am 1. November  1972: „Die Behauptung, die Bundesregierung sei in Wahrheit froh, die Terroristen los zu sein, und die noch weitergehende Behauptung, es lag ein abgekartetes Spiel entweder der Lufthansa oder offizieller deutscher Stellen mit den Terroristen vor, findet immer weitere Verbreitung.“35 167

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Das Protokoll des Funkverkehrs zwischen der entführten Maschine und dem Condor-Jet mit Culmann und den Terroristen an Bord, die Telegramme in den Akten des Auswärtigen Amtes und die wenig später festgehaltenen Aussagen des Lufthansa-Flugkapitäns bewiesen jedoch, dass auf deutscher Seite schlicht Chaos ausgebrochen war.36 Irgendeine Planung, eine lenkende Hand war nicht erkennbar; die entscheidenden Schritte zum Austausch trafen vielmehr jeweils entgegen klarer Anweisungen der Lufthansa-Chef und ein Diplomat vor Ort. Gegen Culmann wurde deswegen sogar ein Ermittlungsverfahren eröffnet, doch er verteidigte sich, aus seiner Sicht habe ein „übergesetzlicher Notstand“ vorgelegen, der seine Handlung gerechtfertigt habe.37 Golda Meir entschied sich, den Streit mit der Bundesregierung nicht eskalieren zu lassen. Jedoch stimmte sie zu, die Namen der drei freigepressten Terroristen mit auf die Zielliste des Mossad zu setzen. Zwei von ihnen starben, ohne dass verlässliche Details über ihren Tod bekannt geworden wären; der dritte lebte zumindest 1999 noch, hielt sich aber versteckt.38 Aufgrund von insgesamt 15  Strafanzeigen, die zwischen dem 6. und dem 20. September  1972 erstattet worden waren, ermittelte die Staatsanwaltschaft München  I gegen Manfred Schreiber und seinen Stellvertreter Georg Wolf wegen fahrlässiger Tötung. Gestützt auf ausgesprochen gründliche Ermittlungen der Sonderkommission des LKA, die unter anderem 165 Augenzeugen befragte und umfassende Sachbeweise erhob, stellten die Ankläger das Ermittlungsverfahren gegen beide Beschuldigte am 5. Februar 1973 ein. „Keine der an den Sicherungsmaßnahmen für die israelische Olympia-Mannschaft beteiligten Personen“, hieß es in der 21 Seiten langen Begründung, „ist für den Tod der elf Israelis, des Polizeibeamten und der fünf Terroristen in strafrechtlich vorwerfbarer Weise verantwortlich.“39 Im April und im Juni 1973 hatte der Mossad vier weitere Palästinenser in Athen, Rom und Paris getötet. Doch am 21. Juli 1973 irrten sich die israelischen Agenten – mit tödlichen Folgen: Im norwegischen Städtchen Lillehammer erschoss ein Kommando den marokkanischen Kellner Ahmed Bouchikhi vor den Augen seiner schwangeren norwegischen Frau. Sie hatten ihn fälschlich als den völlig anders aussehenden und auch körperlich viel größeren Ali Hassan Salimeh identifiziert, den Operationschef des „Schwarzen September“. Da die Ankunft des 15 Männer und Frauen starken Mossad-Teams in der Kleinstadt Mitte Juli schon vor dem Mord aufgefallen war, griff die Polizei erfolgreich zu: Sechs Mitglieder des Teams, vier 168

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Männer und zwei Frauen, wurden festgenommen, bevor sie Norwegen wie die übrigen neun verlassen konnten.40 Die „Lillehammer-Affäre“ war eine Katastrophe für den Mossad, denn mehrere der festgenommen Agenten sagten umfassend aus. Meir unterbrach die Vergeltungsaktion erst einmal. Erst der übernächste israelische Premier, Menachem Begin, genehmigte wieder Mordanschläge gegen mutmaßliche Mitverantwortliche für das Olympia-Attentat. Am 22. Januar 1979 starb Salimeh in Beirut bei der Explosion einer Autobombe, die außer ihm seine vier Leibwächter sowie mindestens vier weitere Personen tötete. Zeitungen weltweit gingen wie selbstverständlich davon aus, dass die Täter aus Israel stammten.41 Damit waren die meisten direkt nach dem Olympia-Attentat festgelegten Zielpersonen tot – bis allerdings auf die zwei wichtigsten: den direkten Auftraggeber Abu Iyad und Abu Daoud, den Organisator vor Ort. Während es dem PLO-Geheimdienstchef gelang, sich der Verfolgung zu entziehen, wurde Abu Daoud am 7. Januar 1977 in Paris wegen Nutzung eines falschen Passes festgenommen. Die Bundesrepublik und Israel beantragten beide seine umgehende Auslieferung, doch die französische Regierung berief sich auf Formfehler und schob den 39-Jährigen mit dem nächsten Flugzeug nach Algerien ab.42 Ab 1978 hielt er sich regelmäßig mit Wissen der Staatssicherheit in Ost-Berlin auf, doch der DDR-Geheimdienst konnte ihn nicht in Warschau schützen, wo er am 1. August 1981 aus nächster Nähe in einem Hotel mit fünf Schüssen niedergestreckt wurde, jedoch überlebte; ob der Mossad hinter dem Attentat steckte, blieb unklar.43 Ob es danach noch weitere Anschläge auf palästinensische Terroristen im Rahmen der Vergeltung für den Olympia-Anschlag gab, blieb umstritten.

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Gedenken Schon am Tag der Trauerfeier im Olympiastadion waren ein Kranz und Blumensträuße vor dem Eingang zum Haus Connollystraße 31 abgelegt worden; bis zum Abschluss der Sommerspiele bewachten rund um die Uhr zwei Mitglieder des Ordnungsdienstes den Eingang zum nun leeren Haus. Drei Monate später wurde eine dauerhafte Erinnerung an die Ermordeten aufgestellt – ein Stein mit deutscher und hebräischer Inschrift: „In diesem Gebäude wohnte während der XX. Olympischen Sommerspiele die Mannschaft des Staates Israel vom 21. August bis zum 5. September 1972. Am 5. September starben eines gewaltsamen Todes: David Berger, Seew Friedmann, Josef Gutfreund, Elieser Halfin, Josef Romano, Amizur Shapira, Kehat Shorr, Mark Slavin, André Spitzer, Jaakow Springer, Mosche Weinberger. Ehre ihrem Angedenken.“1 Zur Enthüllung erschienen neben zahlreichen Trauernden auch Eliashiv Ben-Horin und IOC-Mitglied Willi Daume. Israels Botschafter nannte in seiner kurzen Ansprache den Überfall im Olympischen Dorf eine Mahnung, dass sich das „Geschäft mit dem mörderischen Terror“ nicht lohnen dürfe. Er dankte „den Zehntausenden, die in Briefen und Unterschriften ihre Anteilnahme zum Ausdruck gebracht haben“.2 Zum ersten Jahrestag des Anschlages gab es am 5. September 1973 eine Feier am Gedenkstein. Ben-Horin hielt abermals die Ansprache und beklagte dabei die „Nachgiebigkeit mächtiger und hochzivilisierter Staaten“ gegenüber dem Terror.3 In den folgenden Jahren wurde bei abnehmendem Interesse der Öffentlichkeit die Feier regelmäßig wiederholt. So auch 1982, als zum zehnten Jahrestag eine Trauerfeier mit Münchens Oberbürgermeister und einem Vertreter der israelischen Botschaft stattfand, der mahnte: „Nur wenn wir alle begreifen, dass freie Menschen Erpressung durch Terrorismus mit aller Kraft bekämpfen müssen, wird das tragische Ende der Ermordeten von München letztlich nicht vergeblich gewesen sein.“4 170

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In alle der konkurrierenden deutschsprachigen Bildbände über die Olympischen Spiele 1972 waren zusätzliche Kapitel über die Geiselnahme aufgenommen worden, doch im Übrigen hielten sich Zeitungen und Fernsehen jenseits der aktuellen Berichterstattung weitgehend zurück. Lediglich der erste Spielfilm 21 Hours at Munich bot 1976 einen Anlass, über die Ereignisse des 5. September zu berichten, doch das öffentlich-rechtliche Fernsehen sendete erst 1982 eine „Rekonstruktion des Terroranschlags auf die israelische Olympia-Mannschaft“, für die auch Genscher und Merk interviewt wurden. In der Ankündigung hieß es: „Zu den Recherchen des ZDFTeams gehörte herauszufinden, welche Fehler die deutschen Sicherheitsbehörden damals begingen.“5 Zum 20. Jahrestag des Anschlages 1992, inzwischen war die jüngste Zeitgeschichte zu einem von vielen Lesern nachgefragten Thema geworden, blickten viele deutsche Zeitungen und Zeitschriften mit teilweise umfangreichen Artikeln zurück auf die Ereignisse 1972. Wirklich neue Aspekte waren jedoch selten, denn außer weiteren Erinnerungen von Zeitzeugen gab es nichts zu vermelden – die Akten der Münchner Polizei, der Freistaates Bayern und der Bundesregierung standen weiterhin unter Verschluss, da die Sperrfrist für Sachakten mindestens 30 Jahre beträgt.6 Allerdings beschäftigte nun ein neues Thema die Öffentlichkeit: Schadensersatzforderungen der Hinterbliebenen. Die Bundesregierung hatte in ihrer Sondersitzung am 6. September 1972 beraten, ob „ein Angebot an Israel, den Hinterbliebenen finanzielle Entschädigung zu leisten, geboten und politisch zweckmäßig“ sei – das müsse „noch geprüft werden“. Dabei sollten „die internationale Übung in vergleichbaren Fällen beachtet, andererseits aber nicht der Eindruck eines Schuldeingeständnisses erweckt werden“.7 Als Ergebnis dieser Überlegungen überwies die Bundesregierung dem Deutschen Roten Kreuz eine Summe von 3,2 Millionen Mark, die an die Schwesterorganisation nach Israel weitergeleitet wurde. Für jede Witwe eines Ermordeten sollten es 400 000 Mark sein und für jedes Kind 100 000 Mark, bei den unverheirateten Opfern an die Eltern.8 Jedoch war mit dieser Zahlung, zu der noch 10 000 Mark für jedes Opfer aus der Versicherung des Organisationskomitees kamen, ausdrücklich nicht verbunden, dass die Bundesrepublik formal eine (Mit-)Schuld einräumte. Genau das aber verlangten einige Hinterbliebene und lehnten die Entschädigung als „Blutgeld“ entrüstet ab.9 Im Frühjahr 1992 wurden den Witwen Ankie Spitzer und Ilana Romano Dokumente aus den Ermittlungsakten zugespielt, mehrere Obduktions­ 171

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Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel legt einen Kranz zum Gedenken vor dem Eingang zum Haus Connollystraße 31 nieder.

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Der erste Gedenkstein für die Ermordeten wird am 10. Dezember 1972 aufgestellt – mit teils falsch geschriebenen Namen.

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protokolle und der Bericht der Spurensicherung.10 Sie reichten die Unterlagen an israelische Experten weiter, die auf „einige Ungereimtheiten“ stießen, wie ihr Anwalt formulierte.11 So seien die sichergestellten Projektile nicht gewogen worden.12 Der Jurist forderte im Namen der Angehörigen der elf Opfer Schadensersatz in Höhe von fast 50 Millionen Mark. So viel koste es, die Hinterbliebenen materiell so zu stellen, als wären ihre Verwandten nicht getötet worden. Eigentlich aber ging es gar nicht um Geld. Die absurd hohe Forderung sollte die Bundesregierung unter Druck setzen und sie zwingen, eine Mitschuld am Massaker von München einzuräumen. Zwei Jahre später schrieb eine Münchner Kanzlei offiziell an das IOC und mehrere deutsche Spitzenpolitiker. Namens 27  Angehöriger von zehn Opfern verlangten die Anwälte eine Entschädigungssumme von nun 40 Millionen Dollar, zu dieser Zeit etwa 55 Millionen Mark, und drohten für den Fall, dass es bis zum 5. September 1994 keine Reaktion gebe, mit Klage.13 Bayern antwortete fristgerecht und lehnte die Forderung ab, weil kein schuldhaftes Handeln der damaligen Behörden vorläge: „Die Einsatzkräfte der beteiligten Polizei- und Sicherheitsorgane haben alles getan, die israelischen Geiseln zu retten.“14 So ging der Fall am 14. Oktober 1994 vor das Landgericht München I. Bayern und die Bundesregierung trügen die Verantwortung für das Desaster in Fürstenfeldbruck und seien wegen „unzureichender Sicherheitsvorkehrungen, des vorwerfbaren unzulänglichen Polizeieinsatzes und des Verhaltens der Verantwortlichen“ schadensersatzpflichtig, hieß es in der Klageschrift.15 Das war juristisch absehbar gewagt, und so sahen es auch die zuständigen Richter: Sie unterbrachen das Verfahren direkt nach Eröffnung, um den Parteien Gelegenheit zu einer gütlichen Einigung zu geben. Als es dazu nicht kam, lehnte das Gericht die Klagen als unbegründet und unzulässig ab: Einerseits käme jede Forderung viel zu spät, denn eine etwaige Amtshaftung wäre schon 1975 verjährt gewesen, nach drei Jahren. Andererseits trügen die Behörden nicht wie behauptet wesentliche Verantwortung für den Tod der elf Israelis, denn Verursacher waren eindeutig die palästinensischen Terroristen. Natürlich gingen die Kläger gegen dieses Urteil vor dem Oberlandesgericht München in Berufung und verlangten nun Entschädigung auch für den Fall, dass den Behörden kein „rechtswidrig schuldhaftes Verhalten“ nachgewiesen werden könne; das war noch aussichtsloser als die bisherigen Forderungen. Ferner warfen sie nun der Bundesrepublik vor, die wenige Tage nach der Tat erarbeitete Dokumentation 174

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über die Vorfälle in München habe in einer „die Wahrheit verfälschenden Weise deutsche Verantwortungsträger von jeder Schuld reinwaschen“ wollen.16 Inwieweit dieser Vorwurf einen Schadensersatzanspruch begründen könnte, prüfte das Oberlandesgericht ausführlich und mit mehreren Gutachten. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Die Klage wurde in allen Punkten abgewiesen. Die Kläger gingen zunächst beim Bundesgerichtshof in Revision, akzeptierten das Urteil dann aber, das damit rechtskräftig wurde. Im Frühjahr 2001 sagten die Bundesrepublik, Bayern und München trotzdem jeweils zwei Millionen Mark zu – und sogar das löste bei einigen der vorgesehenen Empfänger Empörung aus, weil sie sich durch die Summe von sechs Millionen Mark an die geschätzte Gesamtzahl der Holocaust-Opfer erinnert fühlten. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der das Angebot bei einer Israel-Reise überbrachte, war überrascht: „Ich habe die genannte Summe von 5,5 Millionen nur auf sechs aufgerundet, damit sie zwischen der Stadt München, dem Freistaat und dem Bund teilbar ist.“17 Das Geld wurde überwiesen, doch ein wesentlicher Anteil davon ging an Anwälte oder musste zur Deckung der Gerichtskosten verwendet werden. Trotz des jahrelangen juristischen Streits ging die Erinnerung an die zwölf Opfer des Terrors am 5. September 1972 weiter. Seit 1995 steht an der Fußgängerbrücke über dem Mittleren Ring zwischen Olympischem Dorf und Olympiastadion der „Klagebalken“. Der international renommierte deutsche Bildhauer Fritz Koenig hatte den zehn Meter breiten, schwebend wirkenden Granitmonolithen mit den Namen aller zwölf Opfer, der israelischen Sportler in hebräischen Buchstaben und des bayerischen Polizisten in lateinischen Lettern, entworfen. Am 5. September 1999 wurde neben der Einfahrt zum Luftwaffenstützpunkt Fürstenfeldbruck ein Mahnmal des Künstlers Hanns L. Götz eingeweiht, an dem seither am Jahrestag Gedenkfeiern stattfinden. Am Ort des gescheiterten Zugriffs selbst, den die Bundeswehr noch bis etwa 2026 nutzen wird, brachte man eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer am alten Tower an. Zum 40. Jahrestag des Anschlags 2012 fand die bis dahin höchstrangig besetzte Gedenkfeier für die Opfer des Terroranschlages statt, mit Vertretern der Bundesregierung, Israels, Bayern und des IOC. Doch „wohl ­selten gab es bei einer Erinnerungsfeier so viel harte Kritik und heftige Vorwürfe“, urteilte die Süddeutsche Zeitung.18 Es ging wieder um die Schuld der Behörden, um die Fortsetzung der Spiele nach der 24-stündigen Unterbrechung, um die mangelnde Aufklärung der Ereignisse, zusätzlich um die Weigerung 175

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des IOC, bei den Olympischen Spielen in London wenige Wochen zuvor eine Gedenkminute für die ermordeten Israelis ins Programm der Eröffnungsfeier aufzunehmen. Das sei ein „Schandfleck auf der olympischen Weste“, sagte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Münchens, Charlotte Knobloch. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, gewöhnlich ein bedachter Mann, polterte los: „Die Sicherheitsbehörden damals zeigten einen desaströsen Dilettantismus, wie wir ihn uns niemals hätten vorstellen können.“ Außerdem sei es „kalt und herzlos“ gewesen, die Wettkämpfe nach der Katastrophe von Fürstenfeldbruck fortzusetzen; „das bloße Spiel“ sei „nun einmal wichtiger“ gewesen „als das Leben von Juden“. In sanftem Ton erinnerte Christian Ude, Münchens Oberbürgermeister, dass mehrere Überlebende der israelischen Mannschaft, darunter der Chef de Mission Shmuel Lalkin, sich ausdrücklich für die Fortsetzung ausgesprochen hatten. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer kündigte an, einen Ort des Gedenkens an die Opfer des Olympia-Attentates schaffen zu wollen – in der Nähe des Haupttatortes im Olympischen Dorf: „Wir können die Wunden nicht heilen, aber wir können versuchen, den Schmerz zu lindern.“19 Für die Opferangehörigen verlangte Ankie Spitzer eine neue Untersuchung der Vorgänge und Zugang zu den Ermittlungsakten  – die freilich zu diesem Zeitpunkt längst auf Anfrage zum allergrößten Teil zugänglich waren.20 IOC-Vizepräsident Thomas Bach machte sich diese Forderung zu eigen: „Aufzuarbeiten sind die damaligen Vorgänge auf der Politik- und Sicherheitsebene. Welche Hintergründe gab es, wie waren die genauen Abläufe damals – da besteht erheblicher Aufklärungsbedarf. Diesen Ruf nach Aufklärung unterstütze ich voll.“ Viel zurückhaltender war er hingegen, was die Akten des IOC selbst anging: „Selbstverständlich würde ich auch ein solches Anliegen unterstützen.“21 Nach längeren Diskussionen über den Standort des Gedenkraumes wurde er als offene, 2,3 Millionen Euro teure Konstruktion im Olympiapark 2016 eröffnet. Der naheliegende Vorschlag, die Dokumentation im Haus Connollystraße  31 unterzubringen, kam nicht zustande, weil die Max-Planck-Gesellschaft in den ehemaligen Unterkünften der israelischen Mannschaft schon seit 1974 Gastwissenschaftler unterbringt.22 Der Zustand der Wohnungen ist jedoch schlecht, was sicher auch am häufigen Wechsel der Bewohner liegt. Ob sich daran bis zum 50. Jahrestag des 5. September 1972 etwas wird ändern lassen, bleibt offen. 176

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Gedenken

Bei den wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr auf Sommer 2021 verschobenen Olympischen Spielen in Tokio fand zum ersten Mal während der Eröffnungsfeier Olympischer Spiele eine Gedenkminute für die Opfer von München statt. Für einen Moment wurde das Dröhnen und Trommeln im mit nur wenigen Zuschauern besetzten Stadion heruntergedimmt; allerdings störte der Lärm von Demonstranten außerhalb, die gegen die Spiele an sich protestierten, die angestrebte Stille. „Besonders gedenken wir derjenigen, die bei den Olympischen Spielen ihr Leben verloren haben“, sagte der Stadionsprecher: „Eine Gruppe hat in all unseren Erinnerungen einen festen Platz und steht für all jene, die bei Spielen gestorben sind: die Mitglieder der israelischen Delegation bei den Olympischen Spielen 1972 in München.“ Nach kurzer Zeit ging die Eröffnungszeremonie dann weiter. Ankie Spitzer und Ilana Romano dankten für die Geste: „Dies ist der Moment, auf den wir gewartet haben.“23

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Bilanz Der Anschlag auf die Olympischen Sommerspiele in München war eine Katastrophe – für Israel, für Deutschland und für die ganze Welt. Auch wenn es sich nicht um den allerersten Akt des internationalen Terrorismus handelte, so wurde doch diese Geiselnahme für die kommenden Jahrzehnte so etwas wie der Maßstab politisch motivierter Gewalt. Wenig erstaunlich, dass seit einem halben Jahrhundert darüber gestritten wird, ob das Drama der 21 Stunden von München durch bessere Vorbereitung hätte verhindert werden können und ob die Verantwortlichen angemessen reagiert haben. Die Antworten sind verstörend eindeutig: Ja, der 5. September  1972 hätte verhindert werden können, und nein, die Verantwortlichen haben nicht angemessen reagiert; sie haben vielmehr durch Fehler und Vertuschungsversuche die Tragödie noch schlimmer gemacht. Jedoch sollte man es nicht bei so schlichten Schuldzuweisungen belassen. Denn die Wirklichkeit ist bedeutend differenzierter. Das Konzept für Olympischen Sommerspiele in München war ein großer Wurf, der überwiegend hervorragend umgesetzt wurde. Die Bundesrepublik als fröhliches, ziviles, gastfreundliches Land zu präsentieren, im gewollten Kontrast zu Berlin 1936, ging bis zum Vorabend des Anschlags voll auf. Wesentlich dazu beigetragen hatte das Sicherheitskonzept, das auf Zurückhaltung setzte. Dabei waren sich die zuständigen Behörden durchaus im Klaren, dass es Gefahren durch Terroristen gab. Jedoch konzentrierte man sich bei den entsprechenden Überlegungen vollständig auf mögliche Angriffe gegen prominente Zielpersonen. Allerdings hätte dem Münchner Polizeipräsidenten spätestens seit dem Anschlag auf die Passagiere und Besatzung einer El-Al-Maschine auf dem Flughafen Riem im Februar 1970 klar sein müssen, dass für palästinensische Terroristen jeder Israeli ein potenzielles Ziel war. Es entlastet Manfred Schreiber, Georg Wolf und ihre Mitarbeiter auch nicht, dass der Mossad keinen zusätzlichen Schutz für die israelische Mannschaft verlangt hatte, denn verantwortlich für die Sicherheit der Olympia-Teilnehmer war nun einmal die Münchner Polizei. Ferner hätte die völlige Überforderung der Einsatzkräfte beim ersten Banküberfall mit Geiselnahme in der deutschen Geschichte im August 1971 dazu führen müssen, für das bevorstehende Großereignis Konsequenzen zu ziehen und eine Eingreiftruppe aufzubauen. Dass dies nicht geschah, ist umso 179

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unverständlicher, weil es im Frühjahr 1972 eine Terrorwelle der RAF gab, während der auch in den beiden bayerischen Olympia-Städten München und Augsburg Bomben explodierten und viele Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzten. Übertrieben ist hingegen, den zuständigen Beamten grundsätzliche Inkompetenz oder gar Böswilligkeit zu unterstellen. Bei dem oft in diesem Sinne angeführten angeblich prophetischen „Plan 21“ des Polizeipsychologen Georg Sieber, der vermeintlich bis ins Detail die tatsächlichen Vorgänge vorhergesagt habe, dürfte es sich um eine nachträglich stark der Realität angepasste, vor dem 5. September 1972 unbedeutende Überlegung handeln. Obwohl Sieber das sogar selbst drei Tage nach dem Anschlag schriftlich einräumte, sagte er später in zahlreichen Interviews das Gegenteil, ohne Belege präsentieren zu können; ein gelegentlich gezeigtes angebliches Dokument entstand mit Sicherheit erst Jahrzehnte nach dem Anschlag, beweist also gar nichts. Hatten die Behörden und besonders der verantwortliche Polizeipräsident Schreiber also schon im Vorfeld zahlreiche Versäumnisse gemacht, so bemühten sie sich am 5. September  1972 selbst zwar mit aller Kraft und großem persönlichem Einsatz, die Lage in den Griff zu bekommen. Doch die bereits begangenen Fehler waren nicht zu revidieren. Ferner unterliefen Schreiber und Wolf mehrere folgenreiche Missgeschicke. Wohl am schlimmsten war, dass Fernsehen und Hörfunk mit Livebildern aus dem Olympischen Dorf berichten konnten, die formal verhängte Nachrichtensperre also überhaupt nicht funktionierte. Bei Schreibers Warnruf an die Schützen auf der Fahrebene der Connollystraße handelte es sich um einen weiteren groben Fehler. Die lange Ungewissheit über die Zahl der Terroristen war ein dritter, zumal deren tatsächliche Zahl auch dann nicht nach Fürstenfeldbruck gemeldet wurde, als sie endlich feststand. All diese Versäumnisse ändern freilich nichts an der Schuld der skrupellosen Täter und ihrer Hintermänner wie Abu Daoud und Abu Iyad. Aber nicht für jede Fehlentscheidung waren die Mitglieder des Krisenstabes verantwortlich. Das informell gemachte Angebot aus Israel, die erfahrene Anti-Terror-Einheit Sajeret Matkal nach München einzufliegen, wurde offenbar von Bedenkenträgern in Bonn, vermutlich einem formalistisch gesinnten Juristen, abgewiesen. Den Krisenstab erreichte dieses Angebot zumindest so lange, wie es noch umsetzbar gewesen wäre, nicht. Staatsrechtlich wäre ein Einsatz der israelischen Spezialisten angesichts 180

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der Tatsache, dass ausschließlich Israelis Geiseln waren und der ganze Anschlag im Rahmen einer internationalen Großveranstaltung stattgefunden hatte, sicher begründbar gewesen. Allerdings hätte auch die polizeilich wie politisch sinnvolle Entscheidung, Sajeret Matkal übernehmen zu lassen, keineswegs einen besseren Ausgang garantiert: Anderthalb Jahre später, am 15. Mai 1974, scheiterte die Elitetruppe bei einer Geiselnahme in Nordisrael, die nur drei palästinensische Terroristen verübt hatten; 28 Tote, vorwiegend Schüler, und rund 70 Verletzte waren der schreckliche Blutzoll. Besonders unglücklich war der Druck, hastig und daher zwangsläufig auf fragwürdiger Grundlage eine Dokumentation vorzulegen, die zudem noch einen voreiligen und weitreichenden Freispruch für die Verantwortlichen enthielt. Das behinderte die Aufklärung tatsächlich erheblich. Außerdem hätte die Katastrophe von Fürstenfeldbruck zwingend zum Rücktritt zumindest des Polizeipräsidenten Schreiber, des bayerischen Innenministers Merk und seines Bonner Kollegen Genscher führen müssen – selbst wenn zumindest den beiden Politikern keine konkreten Versäumnisse vorzuwerfen waren. Denn es ist das Wesen politischer Verantwortung, dass sie auch ohne individuelles Fehlverhalten greift. Beide Innenminister hatten ihren Regierungschefs den Rückzug angeboten, was Brandt und Goppel ablehnten: klare Fehlentscheidungen, denn wichtig wäre gewesen, dass jemand erkennbar persönliche Konsequenzen gezogen hätte. Über die Gründe kann man nur spekulieren, doch es liegt nahe, dass der bevorstehende Wahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl im November 1972 mindestens eine Rolle spielte. Beigetragen haben dürfte auch die Sorge, im Falle einer gewissermaßen offiziellen Anerkennung von Schuld mit exorbitanten Schadensersatzforderungen konfrontiert zu werden. Deshalb das unglücklich formulierte und über Hilfsorganisationen abgewickelte Angebot für Soforthilfe an die Hinterbliebenen, das einer Abfindung gleichkam. Den Angehörigen jedoch ging es erst in zweiter Linie um finanzielle Unterstützung, vor allem aber um ein Bekenntnis Deutschlands zur Mitverantwortung. Aus ihrer Perspektive war das nachvollziehbar, zumal auch die drei überlebenden Terroristen niemals bestraft wurden. Um eine solche Feststellung zu erzwingen, gingen einige Hinterbliebene den absehbar aussichtslosen Weg, exorbitanten Schadensersatz einzuklagen. Die deutschen Behörden hatten jedoch gerade aus Sorge vor Schadensersatzforderungen ein solches Bekenntnis vermieden – eine Sackgasse, aus der nur mit Pragmatismus auf beiden Seiten ein Ausweg zu finden war. 181

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Zu diesem Buch Der Überfall auf die israelischen Olympiateilnehmer am 5. September 1972 war der erste Terroranschlag, der direkt vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattfand. Bis zum 11. September  2001 gab es trotz der wellenweise schwankenden, insgesamt aber zunehmenden Zahl im weiteren Sinne politisch motivierter Gewalttaten kein Attentat, das von mehr Kameras und mehr Augenzeugen beobachtet worden wäre. Rund 4000 Journalisten von allen fünf Kontinenten hielten sich rund um den Ort des Geschehens auf. Entsprechend ist die Zahl der Beiträge über „München 72“ unüberschaubar. Sämtliche relevanten Zeitungen der Welt berichteten teilweise (wegen ihres damals späteren Erscheinens, durch Zeitverschiebung oder mit Extrablättern) noch am 5. September, in jedem Fall aber in den folgenden Tagen ausführlich, Fernseh- und Radiosender brachten live und oft fortlaufend jede echte oder angebliche Entwicklung. Wie es bei derlei Ad-hoc-Berichterstattung unvermeidlich ist, mischten sich zutreffende Informationssplitter mit Irrtümern, Gerüchten und schlicht freien Erfindungen. Nach dem tragischen Ausgang der Geiselnahme kamen bewusst oder unbewusst unzutreffende Äußerungen von Beteiligten hinzu, die dem menschlichen Impuls der Schuldabwehr und des Schönredens eigener Fehler geschuldet waren oder schlicht der Überforderung. Das Problem bei der Rekonstruktion des Olympia-Attentats ist nicht ein Mangel an Quellen, sondern die Überfülle oft widersprüchlicher Angaben. Angesichts dessen halte ich es für notwendig, einiges über die Quellengrundlage dieses Buches zu sagen. Grundsätzlich gilt: Das menschliche Gedächtnis ist volatil und eben kein zuverlässiges Instrument, auch nicht bei Augenzeugen: Ihre „Wahrnehmungen“ lassen sich leicht beeinflussen. Das sieht man beispielhaft am ersten großen Buch, das zu diesem Thema erschien: Im Herbst 1973 brachte der französische Journalist Serge Groussard zunächst in seiner Muttersprache den Band La Médaille de sang heraus, der anderthalb Jahre später unter dem Titel The Blood of Israel auch in englischer Übersetzung erschien, allerdings nie auf Deutsch. Groussard, der als Reporter für Le Figaro die Sommerspiele in München verfolgt und auch den Tatort in der Connollystraße selbst besichtigt hatte, stützte sich auf zahlreiche Gespräche mit Überlebenden, Polizisten und anderen Augenzeugen. Erstaunlich ist, wie viele zutreffende Details er dabei aufschnappte – bis hin zu den korrekten 184

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Vornamen von nie in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Mitgliedern des Ordnerdienstes. Jedoch beließ es Groussard (1921 – 2016) nicht dabei, seine journalistischen Recherchen aufzuschreiben. Sein im Original 566, in englischer Übersetzung immer noch 464 Seiten starkes Buch ist stark fiktionalisiert, eher ein Tatsachenroman als ein Sachbuch. Vieles beruhte sicher auf Recherchen, allerdings gibt es dafür keine Nachweise. Nahezu alle Dialoge hingegen dürften frei erfunden sein, ebenso sind viele Zeitangaben bestenfalls geschätzt, wie ein Vergleich mit internen Aufzeichnungen der Polizei ergibt. Allerdings kann beides nicht wirklich überraschen, denn 20 der insgesamt 25 Bücher Groussards waren Romane. Schon deshalb ist La Médaille de sang für eine seriöse Rekonstruktion der Ereignisse praktisch wertlos. Hinzu kommt: Den Franzosen, der als Resistance-Kämpfer während der Besetzung Frankreichs 1943 der Gestapo in die Hände gefallen und deportiert worden war, trieb offensichtlich Wut auf Deutschland – Peter Jennings, als ABC-Reporter am 5. September 1972 ganz nah an den Ereignissen im Olympischen Dorf, wünschte sich in seiner Rezension für die Washington Post, „dass jemand objektiverer als Groussard“ den Überfall beschrieben hätte. Er fragte sich, „ob die Kritik am deutschen Scheitern bei der Befreiung der israelischen Geiseln nicht auf seiner Antipathie gegenüber den Nazis beruhte“.1 Groussard stellte auch nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen auf, die später zu vermeintlichen Gewissheiten über die Geiselnahme geronnen. Zum Beispiel, die Attentäter hätten über Nachschlüssel für die Connollystraße verfügt, oder sie hätten zusätzlich zu Kalaschnikow-Sturmgewehren auch noch besonders kleine tschechische Maschinenkarabiner bei sich gehabt sowie jeweils eine Pistole.2 Die angeblichen Nachschlüssel gab es jedoch offenbar nicht, und sichergestellt wurden bei den Tätern genau acht Kalaschnikows, aber keine einzige tschechische Waffe und auch keine Pistolen.3 Trotzdem tauchen diese beiden Angaben immer wieder in Dokumentationen und Zeitungsberichten auf. Noch interessanter ist das angebliche Telefonat von Willy Brandt mit Golda Meir am Morgen des 5. September 1972. Groussard schrieb, es habe zehn Minuten gedauert, und gab Teile davon sogar in wörtlicher Rede wieder.4 Das ist zumindest erstaunlich bei einem Gespräch, dass es nach Aussage des einen der beiden angeblichen Teilnehmer, nämlich Brandt, nie gegeben hat und das die andere Teilnehmerin, Meir, nicht erwähnte.5 185

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Trotzdem verselbstständigte sich die Behauptung vom Telefonat Brandt– Meir. Der israelische Journalist Aaron J. Klein behauptete noch drei Jahrzehnte nach dem Dementi in seinem ebenfalls sehr frei fabulierten Buch Die Rächer, Meir habe am 5. September 1972 nicht nur mit Brandt, sondern auch mit Hans-Dietrich Genscher „ausgedehnte und unproduktive Telefongespräche“ geführt.6 Unnötig zu sagen, dass sich in Genschers Erinnerungen zwar eine ausführliche Darstellung des Geiseldramas findet, dort aber kein Gespräch mit Meir dokumentiert ist.7 Trotzdem erwähnte auch der Mossad-Chef Zwi Zamir in Interviews mehrfach dieses angebliche Telefonat.8 Dieses Beispiel führt direkt zum neben der Überfülle an richtigen oder falschen Informationen zweiten großen Problem bei der Rekonstruktion des Dramas von München: Das Bild der Ereignisse wird stark durch Zeitzeugen-Interviews aus jahrzehntelanger Distanz geprägt. Zeitzeugen aber sind, wenn auch nicht die „natürlichen Feinde“ der Historiker, wie in geschichtswissenschaftlichen Instituten gern geflachst wird, so doch Quellen, deren Aussagen man stets mit Vorsicht benutzen muss, manchmal mit Skepsis. Trotzdem sind sie selbstverständlich unverzichtbar, denn viele Details werden eben gar nicht schriftlich festgehalten, sondern allein in den Erinnerungen von Beteiligten überliefert. Für dieses Buch habe ich alle Arten verfügbarer Quellen ausgewertet: erstens staatliche Akten, zweitens zeitgenössische Medienberichte und drittens spätere Zeitzeugen-Schilderungen aus TV- oder Kino-Dokumentationen, Zeitungsinterviews, Memoiren sowie Antworten auf meine direkten Fragen. Keine dieser Gattungen genießt an sich einen Vorzug; stets hat erst eine sorgfältige Plausibilitätsprüfung der abweichenden Darstellungen zur Entscheidung geführt, welche Version als die wahrscheinlichste gelten darf. Innerhalb der Quellenkategorien gibt es sehr disparates Material. So hat der von der Sonderkommission des Bayerischen Landeskriminalamtes aus verschiedenen, bereits während der Tragödie geführten Einsatztagebüchern der Kriminalwache im Olympischen Dorf und des Polizeipräsidiums München, ferner des Krisen- sowie des Einsatzstabes zusammengestellte Ablaufkalender eine sehr hohe Verlässlichkeit – was aber Missverständnisse, Informationsdefizite und Widersprüche nicht ausschließt.9 Das Gleiche gilt für das Ermittlungsergebnis der Sonderkommission sowie die Berichte der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin.10 186

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Die im September und Oktober 1972 von der Sonderkommision geführten Vernehmungen von 165 Augenzeugen der Ereignisse im Olympischen Dorf und auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck, die einen Großteil der staatsanwaltlichen Akten ausmachen, sind durch ihre Vielfalt und die zahlreichen unterschiedlichen Perspektiven ungeheuer wichtiges Material für die Rekonstruktion.11 Da in diesen Unterlagen mit ganz wenigen Ausnahmen (nämlich der in Fürstenfeldbruck eingesetzten Schützen) Klarnamen genannt sind, die nach Archivrecht geschützt sind, habe ich viele Namen in diesem Buch gekürzelt; nicht nötig ist dies bei höheren Funktionsträgern und bei Personen, die sich gegenüber Medien selbst aus ihrer Anonymität begeben haben oder deren Namen allgemein bekannt sind wie bei Anneliese Graes, die stundenlang den Kontakt zu Issa hielt. Dagegen tragen die Vernehmungen der drei überlebenden Terroristen wenig zur Aufklärung bei; sie sind vermutlich bewusst ungenau und fantasievoll.12 Auch zeitnahe Aufzeichnungen verantwortlicher Beteiligter können sehr unterschiedliche Qualität haben. So zeigen die handschriftlichen Notizen, die Bayerns Innenminister Bruno Merk ohne Datum, jedoch offensichtlich sehr dicht am jeweiligen Geschehen im Olympischen Dorf und in Fürstenfeldbruck verfasste, seine persönliche Einschätzung unmittelbar, während sich der Bericht, den der Mossad-Chef Zwi Zamir laut Datum am 7. September 1972 niederschrieb, gerade für einen erfahrenen Geheimdienstoffizier als erstaunlich ungenau erweist. Hans-Dietrich Genscher stellte dieser Darstellung einen Monat später „wichtige Korrekturen von Unrichtigkeiten“ gegenüber.13 Ungenauigkeiten bis über den Rand zur Desinformation hinaus enthalten freilich auch Berichte der deutschen Seite, passagenweise etwa die Dokumentation der Vorfälle in München, die das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und der Freistaat Bayern am 20. September 1972 veröffentlichten: Sie ist gerade in den Schlussfolgerungen sehr deutlich von politischen Interessen beeinflusst.14 Detaillierte Einblicke in die Abläufe in Bonn sowie in den Wissensstand des Krisenstabes während des Geschehens bieten Akten des Auswärtigen Amtes. Ein Diplomat fasste für die Leitung seines Ministeriums in zwei ausführlichen Berichten die Geschehnisse im Krisenstab zusammen, dem auch Staatssekretär Sigismund von Braun angehörte.15 Ferner sind im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes die diplomatischen Reaktionen der Bundesregierung genau dokumentiert, denn dies war die zentrale Aufgabe des Außenministeriums in so einem Fall.16 187

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Eine wichtige Ergänzung der Akten bundesdeutscher Behörden über den 5. September 1972 sind Berichte, die im Stasiunterlagen-Archiv überliefert sind. Es handelt sich unter anderem um eine Chronologie der Ereignisse, die drei Sportreporter der DDR gemeinsam verfassten, nämlich Martin Kramer, Dieter Wals und Wolfgang Gitter. Nur Gitter war Inoffizieller Mitarbeiter, die beiden anderen berichteten soweit bekannt im Zuge der Verpflichtung, die ihnen mit der Reisegenehmigung auferlegt worden war.17 Unabhängig von dieser detaillierten, aber gleichwohl teilweise ungenauen und fehlinformierten Auflistung fassten zwei Spitzel des MfS, die als Aktive zur DDR-Mannschaft zählten, ein Gewichtheber und ein Ringer, ihre Wahrnehmung der Geiselnahme zusammen.18 Die Abteilung Funkaufklärung des MfS, die den Polizeifunk und zahlreiche Telefongespräche in Westdeutschland abhören konnte, lieferte Details zur Polizeiarbeit und Zitate westdeutscher Politiker.19 Das Gesamtergebnis der MfS-Ermittlungen führte zu einem 203 Blatt starken Abschlussbericht.20 Ferner sammelte die Stasi vor allem westdeutsche Presseausschnitte zum Anschlag und verfasste darauf gestützt eine Zusammenfassung der Ereignisse.21 Die Bewertungen der Arbeit der Münchner Polizei und der Politik sind dabei, weil ideologisch verzerrt (westdeutsche Sicherheitsbehörden werden zum Beispiel als „Zwangsorgane“ bezeichnet), weniger interessant als die Einzelinformationen, die teilweise komplementär andere Quellen ergänzen.22 Neben den staatlichen Akten west- und ostdeutscher Provenienz floss in dieses Buch die zeitgenössische Berichterstattung westdeutscher, amerikanischer und anderer englischsprachiger Zeitungen ein, darunter auch einige Extrablätter, die am 5. oder 6. September 1972 erschienen. Sie stellen wichtige Quellen für den Wissensstand der Medien (und damit der Öffentlichkeit) zu recht genau eingrenzbaren Zeitpunkten dar. Allerdings sind sie naturgemäß mit Ungenauigkeiten belastet; das zeigt deutlich beispielsweise ein Vergleich zwischen den in Bild, dem Berliner Tagesspiegel und der Münchner Abendzeitung jeweils am 6. September 1972 veröffentlichten ausführlichen Chronologien mit den tatsächlichen Zeitabläufen.23 Als fraglos einschneidendes Ereignis fand das Olympia-Attentat Eingang in viele publizierte Memoiren seinerzeit aktiver Politiker, zum Beispiel bereits in die 1975 erschienenen Erinnerungsbände von Willy Brandt und Golda Meir, aber ebenso in die später herausgekommenen Bücher von Horst Ehmke, Hans-Dietrich Genscher und Hans-Jochen Vogel. Bruno Merk verfasste 1992 gestützt unter anderem auf seine eigenen, 20 Jahre al188

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ten Notizen eine detaillierte „Klarstellung“. Aber auch Prominente jenseits der Politik berichteten über ihre Wahrnehmung der Geiselnahme, etwa Joachim Fuchsberger, der Stadionsprecher der Sommerspiele, oder der Sportmoderator des US-Fernsehsenders ABC, Jim McKay. Wie alle Memoiren sind diese Bände mit quellenkritischer Skepsis zu benutzen. Noch problematischer sind die Bücher dreier hochrangiger Palästinenser: Der schon 1979 erschienene Band des PLO-Geheimdienstchefs Salah Khalaf alias Abu Iyad Heimat oder Tod. Der Freiheitskampf der Palästinenser ist über weite Strecken antisemitische Propaganda eines Terror-Verantwortlichen, gespickt mit zahlreichen freien Erfindungen. Jedoch enthält selbst dieses Buch einige interessante Details, die zumindest dann mit aller Vorsicht berücksichtigt werden können, wenn sie durch Parallelüberlieferungen aus seriöseren Quellen gestützt werden. Der mutmaßliche Chefplaner Abu Daoud, ursprünglich ein Lehrer aus Jerusalem, schilderte 1999 in seinen Memoiren Palestine. De Jerusalem a Munich auf mehreren hundert Seiten die Vorgeschichte des Anschlages und seinen Verlauf. Dabei mischen sich Realität und Verklärung so sehr, dass der Quellenwert des Bandes (wie auch mehrerer Interviews Daouds) stark eingeschränkt ist. In den Erinnerungen des 1972 noch inoffiziellen, später offiziellen Repräsentanten der PLO in Deutschland Abdallah Frangi mit dem Titel Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahost-Politik ging es schließlich 2011 mehr darum, sich selbst und andere Araber als Opfer der deutschen Reaktion auf den Anschlag darzustellen, als um die Geiselnahme. Sehr interessant ist die Autobiografie des späteren GSG 9-Gründers Ulrich Wegener, die seine Äußerungen in vielen Interviews und Hintergrundgesprächen ergänzen. Neben eigenen Erinnerungen an den Tag der Geiselnahme enthält der Band wichtiges zusätzliches Material, etwa ein ausführliches Interview mit dem damaligen Chef der israelischen Antiterror-Einheit Sajeret Matkal, Ehud Barak. Einige Zeitzeugen haben mir ihre Erinnerungen geschildert, die bisher nur wenig oder gar nicht bekannte Facetten der Ereignisse beleuchten. Ein Beispiel dafür ist das von Willy Brandt in seinem ersten Memoirenband 1975 erwähnte Angebot seines Sohnes, sich selbst als Austausch-Geisel zur Verfügung zu stellen. Peter Brandt hat mir freundlicherweise die Hintergründe dieses Angebotes geschildert. Mit Ulrich Wegener konnte ich schon anlässlich des 40. Jahrestages einige Aspekte diskutieren; seine Auskünfte sind postum in das vorliegende Buch eingeflossen. Ein als junger 189

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Beamter einer Einsatzhundertschaft am geplatzten Zugriff auf der Fahrebene der Connollystraße beteiligter ehemaliger bayerischer Polizist, der nicht namentlich genannt werden möchte, schilderte mir seine Eindrücke von den chaotischen Ereignissen am Abend des 5. September1972. Die damaligen Bundeswehr-Offiziere Henning Remmers und Dietrich Störmann waren Augenzeugen der Ereignisse in Fürstenfeldbruck, ebenso Monika Störmann. Solche Berichte sind dann eine wertvolle Ergänzung, wenn man durch solide Arbeit mit den Akten und zeitgenössischen Berichten ein Fundament geschaffen hat, um die Erinnerungen einordnen zu können. Formatbedingt setzen die zahlreichen Dokumentarfilme über die Geiselnahme, voran natürlich der Oscar-gekrönte Film Ein Tag im September (1999), aber auch die ZDF-Produktion Der Olympia-Mord (2006), die Adaption 1972 der Filmkünstlerin Sarah Morris (2008), das Doku-Drama Vom Traum zum Terror. München 72 von Marc Brasse und Florian Huber für Spiegel-TV, die Dokumentationen München 72 abermals vom ZDF und Der elfte Tag – Die Überlebenden von München (alle von 2012), sowie zuletzt Munich  ’72 and Beyond (2016) stark auf Interviews mit Zeitzeugen. Dabei kommt die klassische Kärrnerarbeit des Historikers im Archiv oft zu kurz, sodass manche dieser Produktionen mehr zur Verwirrung beitragen als zur Aufklärung. So wird in Ein Tag im September zum Beispiel ohne jeden Beleg behauptet, Mitglieder der DDR-Mannschaft hätten den Geiselnehmern ermöglicht, das Dorf auszuspionieren – vermutlich ein Missverständnis der Verbindung zwischen der Staatssicherheit und Abu Daoud, die erst Jahre nach dem Anschlag geknüpft wurde. Ferner ordneten Produzent Arthur Cohn und Regisseur Kevin MacDonald die Chronologie der Ereignisse der Dramaturgie ihres Filmes unter.24 In Munich ’72 and Beyond stellte die Witwe eines ermordeten Sportlers die These auf, die Geiseln seien von den Terroristen zusätzlich grausam gefoltert worden. Doch diese Behauptung beruht auf der fehlerhaften Interpretation eines Obduktionsfotos und war schon vor der Veröffentlichung dieses Filmes widerlegt.25 Noch stärker das Bild des 5. September 1972 im öffentlichen Gedächtnis geprägt haben Spielfilme. Es gibt eine Reihe von Adaptionen des Attentats sowie seiner Folgen für Fernsehen und Kino, darunter 21  Hours at Munich (1976), Sword of Gideon (1985), natürlich Steven Spielbergs für fünf Oscars nominierter Film Munich (2005) und die Teamworx-ZDF-Produktion München  ’72 (2012). All diese Filme greifen mehr oder minder frei die tatsächlichen Ereignisse auf, stilisieren und verdichten sie allerdings 190

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stark. Vor allem die Eindringlichkeit der fraglos beeindruckenden Inszenierung Spielbergs ist so groß, dass die realen Ereignisse demgegenüber verblassen – ­ärgerlich, weil gerade er sich auf eine freie Erfindung stützt, den „Tatsachenthriller“ des kanadischen Journalisten George Jonas mit dem Originaltitel „Vengeance“. Doch dessen Gewährsmann, angeblich ein Mossad-Insider, hat offenbar niemals für einen israelischen Geheimdienst gearbeitet.26 In der wissenschaftlichen Literatur ist das Geiseldrama von München natürlich auch bisher schon behandelt worden. Ausführlich haben sich der US-Historiker David Clay Large und der Terrorismus-Experte Wolfgang Kraushaar in ihren Büchern über die Olympischen Spiele in München und über den Antisemitismus der deutschen Linksextremisten damit befasst.27 Eher knapp, aber auf Archivstudien gestützt, griffen die jüngeren Historiker Kay Schiller und Christopher Young in ihrem Band München 1972 sowie Matthias Dahlke und Eva Oberloskamp in ihren Dissertationen über den Umgang mit Terrorismus in den 1970er-Jahren die Geiselnahme auf.28 Doch auf eine präzise Rekonstruktion verzichteten alle diese Arbeiten, so interessant sie auch in anderen Aspekten sind. Aus diesem Grund habe ich für das vorliegende Buch die Form der möglichst detaillierten historischen Reportage gewählt. Vor- und Nachgeschichte werden natürlich auch behandelt, im Mittelpunkt stehen aber eindeutig die gut 21 Stunden des Dramas. Durch den Abgleich der genannten komplementären Quellen war es möglich, eine sehr detaillierte Chronologie zu erstellen, die das Gerüst der Darstellung bildet. Eingewebt habe ich die Analyse besonders umstrittener Punkte, etwa der Frage, warum der aus israelischer Sicht naheliegende Einsatz eigener Spezialkräfte nie ernsthaft erwogen wurde. Erfundene Dialoge oder ähnliche Fiktionalisierungen enthält dieses Buch, im Gegensatz zu Serge Groussards Tatsachenroman, an keiner Stelle. Alle Zitate und Paraphrasen sind mit Anmerkungen nachgewiesen; auf die Auseinandersetzung mit den oft sehr freien Darstellungen anderer Autoren dagegen habe ich verzichtet, denn sie bringt dem Leser wenig faktischen Erkenntnisgewinn.29 Für mich entscheidend ist: Jedes in diesem Buch genannte Faktum ist mit geschichtswissenschaftlichen Methoden nachprüfbar. Berlin, 5. September 2021 

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Dank Im tagesaktuellen Geschäft des Journalismus fehlt vor allem zwei Dinge: Raum und Zeit. Das gilt sogar für einen Geschichtsredakteur wie mich. Im Frühjahr 2012 wertete ich im Staatsarchiv München ein halbes Dutzend Archivkartons mit 14 dicken Akten der Staatsanwaltschaft München I zum Attentat auf die israelische Delegation bei den Olympischen Sommerspielen in München 1972 aus. Das Ergebnis war anlässlich des 40. Jahrestages ein Titelthema in der WELT am Sonntag, eines der längsten überhaupt existierenden Formate im deutschen Zeitungsgeschäft – und dennoch viel zu wenig Raum, um all die bis dahin unbekannten Facetten einigermaßen angemessen wiederzugeben. Für Augenzeugen, die sich aufgrund des großen Artikels bei mir meldeten, fehlte mir im hektischen Redaktionsalltag leider meist die Zeit. Acht Jahre später brachte mich mein Agent Ernst Piper auf die Idee, das Thema zum bevorstehenden 50. Jahrestag erneut aufzugreifen  – nun aber mit angemessen viel Raum und Zeit, nämlich in Form eines ­Buches. Ich bin Daniel Zimmermann und dem Team der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt sehr dankbar, dass sie sich für diese Idee begeisterten. In München halfen mir wie stets Andrea und Claudia Wieshuber sowie Tobias Schulte, in Fürstenfeldbruck Henning Remmers sowie Dietrich und Monika Störmann. Thomas Paringer vom Haupstaatsarchiv sowie Christoph Bachmann vom Staatsarchiv München danke ich stellvertretend für alle Mitarbeiter der bayerischen Archive, die mir unkompliziert selbst in Corona-Zeiten den Rohstoff zur Verfügung stellten, den jeder seriöse Historiker braucht. Das Gleiche gilt für Johannes von Boeselager und Herbert Karbach vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Uli Weidenbach teilte Rechercheergebnisse mit mir. Einige meiner Gesprächspartner, die 1972 als Polizisten vor Ort gewesen waren, wollten ihre Namen vertraulich behandelt wissen; ihnen kann ich daher nur pauschal für offene Worte danken. Gerda Wüst, die 1972 als Besucherin im Olympiastadion war, und Jill Graw danke ich für ihre kritische und präzise Durchsicht des Textes, um dessen Finalisierung sich Kristine Althöhn und Anne-Marie Stöhr von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft verdient gemacht haben. Die 192

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Dank

­ estaltung und Herstellung lagen in den bewährten Händen von Nadine G Neubauer und Elisa Weidel von Arnold & Domnick Verlagsproduktion. Wenn Geschichte, also die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, einen Sinn haben kann, dann nur den, aus Fehlern zu lernen, um künftig Herausforderungen besser bewältigen zu können. Das Problem des Terrorismus ist seit 1972 leider nicht kleiner, sondern größer geworden.

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Pläne

1 Olympia-Stadion 2 Mehrzweckhalle 3 Schwimmhalle 4 Kleine Sporthalle 5 Radrennbahn 6 Volleyballhalle 7 Hockeyplätze 8 Trainings- und Aufwärmplätze 9 Pressestadt 10 Olympisches Dorf Männer 11 Olympisches Dorf Frauen 12 Rundfunk- und Fernsehturm

13 S-Bahn-Station 14 U-Bahn-Station 15 Fernsehturm 16 Künstlicher See 17 Freilichtbühne 18 Aussichtsberg 19 Parkplätze 20 Olympia-Baugesellschaft

Olympia Park

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Pläne

Olympisches Dorf

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Personenübersicht Da dieses Buch wesentlich auf polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen beruht, werden zahlreiche Personen genannt, viele davon aus archivrechtlichen Gründen mit abgekürzten Namen. In die folgende Übersicht aufgenommen sind für das Verständnis der Vorgänge wesentliche Personen sowie alle mit gekürzelten Nachnamen. Auf allgemein bekannte Personen der Zeitgeschichte wird verzichtet. Abu Daoud

PLO-Terrorist, Organisator des Anschlages auf das Olympische Dorf

Abu Iyad

PLO-Geheimdienstchef, Auftraggeber des Anschlages auf das Olympische Dorf

Ahlers, Conrad

Sprecher der Bundesregierung

Albrecht, Udo

Rechtsterrorist, Kontaktmann zur PLO

Ardledge, Roone

Sportchef des US-Senders ABC

Baader, Andreas

Linksterrorist, sollte freigepresst werden

Barak, Ehud

Kommandeur der israelischen Eliteeinheit Sajeret Matkal

Bau., Jürgen

Oberleutnant der Luftwaffe, Flugsicherungsoffizier in Fürstenfeldbruck

Baumann, Alfred

Polizeioberrat, zeitweilig Einsatzleiter in Fürstenfeldbruck

Bechler, Klaus

Bundesgrenzschutz, Bordwart einer Bell Huey

Ben-Horin, Eliashiv

Botschafter Israels in Bonn

Berger, David Mark

Mitglied der Mannschaft Israels, Gewichtheber

Bl., Paul

Bundesgrenzschutz, Bordwart einer Bell Huey

Bonk, Gerd

Mitglied der DDR-Mannschaft, Gewichtheber

Br., Werner

Polizeiobermeister, Mitglied des Sturmkommandos in Fürstenfeldbruck

Brundage, Avery

Sportfunktionär, Präsident des IOC

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Personenübersicht Cohen, Victor

Verhandlungsexperte des israelischen Inlandsnachrichtendienstes Shin Bet.

Daume, Willi

Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, Vorsitzender des Organisationskomitees

Dayan, Moshe

Verteidigungsminister Israels

Eb., Gunnar

Bundesgrenzschutz, Pilot einer Bell Huey

Ewald, Manfred

Leiter der DDR-Mannschaft

Fe., Josef

Feuerwehrmann in Fürstenfeldbruck

Friedman, Zeev

Mitglied der Mannschaft Israels, Gewichtheber

Fuchsberger, Joachim

Schauspieler, Stadionsprecher

Ganzera, Frank

Mitglied der Mannschaft der DDR, Fußballer

Gitter, Wolfgang

DDR-Journalist

Gö., Michael

Polizeihauptwachtmeister, Mitglied des Sturmkommandos in Fürstenfeldbruck

Goppel, Alfons

Ministerpräsident des Freistaates Bayern

Gottelt, Heinz-Peter

Beamter der Bundespost, abgeordnet zum Sonderpostamt im Olympischen Dorf

Graes, Anneliese

Kriminalhauptmeisterin, Mitglied des Ordnerdienstes im Olympischen Dorf

Grützner, Stefan

Mitglied der Mannschaft der DDR, Gewichtheber

Gutfreund, Josef

Mitglied der Mannschaft Israels, Kampfrichter im Ringen

Halfin, Eliezer

Mitglied der Mannschaft Israels, Ringer

Hershkovitz, Henry

Mitglied der Mannschaft Israels, Sportschütze

Hohensinn, Heinz

Kriminalinspektor, Sonderfahnder des Polizeipräsidiums München

„Issa“

Anführer des Terrorkommandos, Deckname Lutif Afif, echter Name möglicherweise Nahib El Ceyyusi oder Mohammed Massalah

Jennings, Peter

Reporter des US-Senders ABC

Klein, Hans

Pressesprecher des Organisationskomitees 197

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ANHANG Kramer, Martin

DDR-Journalist

Kronawitter, Georg

Oberbürgermeister von München

Kuring, Heinz-Günter

Oberst der Luftwaffe, Kommandeur des Fliegerhorstes Fürstenfeldbruck

La., Hans

Beamter der Bundespost, abgeordnet zum Sonderpostamt im Olympischen Dorf

Ladany, Shaul

Mitglied der Mannschaft Israels, Geher

Lalkin, Shmuel

Delegationsleiter der Mannschaft Israels

Lau., Gertrud

Kriminalobermeisterin, Mitglied des Ordnerdienstes im Olympischen Dorf

Lei., Raoul

Wehrpflichtiger, abgeordnet zum Fahrdienst

Lembke, Robert

TV-Moderator, Chef des DOZ

Lu., Johannes

Kriminaloberkommissar, Schichtleiter des Ordnerdienstes im Olympischen Dorf

McKay, Jim

Sportreporter des US-Senders ABC

Meinhof, Ulrike

Linksterroristin, sollte freigepresst werden

Merk, Bruno

Innenminister des Freistaates Bayern

Meyfarth, Ulrike

Mitglied der deutschen Mannschaft, Hochspringerin

Mü., Konrad

Hauptmann im BGS, Schichtleiter des Ordnerdienstes im Olympischen Dorf

Na., Walter

Kriminalinspektor, Schichtleiter der Kriminalwache im Olympischen Dorf

Ni., Lorenz

Polizeiamtmann, Leiter der 2. Einsatzhundertschaft der bayerischen Bereitschaftspolizei

Os., Georg

Polizeioberinspektor, Leiter des Sturmkommandos im Olympischen Dorf

Pohl, Willi

Rechtsterrorist, Helfer von Abu Daoud

Pr., Reinhard

Bundesgrenzschutz, Pilot einer Bell Huey

Puttkamer, Jesco von

Botschafter Deutschlands in Israel

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Personenübersicht Rei., Reinhold

Polizeioberinspektor, Leiter des Sturmkommandos in Fürstenfeldbruck

Remmers, Hennig

Offizier der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck

Romano, Josef

Mitglied der Mannschaft Israels, Gewichtheber

Saur, Karl-Otto

Lokaljournalist

Sch., Klaus-Dieter

Beamter der Bundespost, abgeordnet zum Sonderpostamt im Olympischen Dorf

Schreiber, Manfred

Polizeipräsident von München, Ordnungsbeauftrager des Organisationskomitees

Shilon, Dan

israelischer Reporter

Seymour, Gerald

Reporter des britischen Senders ITN

Shapira, Amitzur

Mitglied der Mannschaft Israels, Trainer der Leichtathleten

Shorr, Kehat

Mitglied der Mannschaft Israels, Trainer der Sportschützen

Shtorch, Zelig

Mitglied der Mannschaft Israels, Sportschütze

Sieber, Georg

Psychologe, Berater des Polizeipräsidiums München

Slavin, Mark

Mitglied der Mannschaft Israels, Ringer

So., Maria

Kriminaloberkommissarin, Schichtleiterin des Ordnerdienstes im Olympischen Dorf

Sokolsky, Tuvia

Mitglied der Mannschaft Israels, Trainer der Gewichtheber

Spann, Wolfgang

Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts der Ludwigs-Maximilian-Universität München

Spitzer, André

Mitglied der Mannschaft Israels, Trainer der Fechter

Springer, Yaakow

Mitglied der Mannschaft Israels, Kampfrichter im Gewichtheben

Stöck, Gerhard

Leiter des Sportamtes der Hansestadt Hamburg

Störmann, Dietrich

Offizier der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck

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ANHANG Tasch, Dieter

Reporter der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung

„Tony“

stellvertretender Anführer des Terrorkommandos, Deckname Yussuf Nazzal, echter Name möglicherweise Hamid Kartout, auch „Cowboy“ genannt.

Touny, Ahmet D.

Sportfunktionär, für Ägypten Mitglied des IOC

Tröger, Walter

Sportfunktionär, Bürgermeister des Olympischen Dorfes

Tsabari Gad

Mitglied der Mannschaft Israels, Ringer

Th., Arno

Beamter der Bundespost, abgeordnet zum Sonderpostamt im Olympischen Dorf

Vogel, Hans-Jochen

Oberbürgermeister von München (1960–1972), stv. Vorsitzender des Organisationskomitees

Wales, Dieter

DDR-Journalist

Wegener, Ulrich

Oberstleutnant im BGS, Adjutant von Hans-Dietrich Genscher

Weinberg, Moshe

Mitglied der Mannschaft Israels, Trainer der Ringer

Wilcox, John

Mitarbeiter des US-Senders ABC

Wolf, Georg

Polizeivizepräsident von München, stellvertretender Ordnungsbeauftragter des Organisationskomitees

Yariv, Aharon

Chef des israelischen Militärnachrichtendienstes Aman

Zamir, Zwi

Chef des israelischen Auslandsnachrichtendienstes Mossad

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Abbildungsverzeichnis S. 2 picture-alliance/dpa; S. 12/13 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 20 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 36 picture alliance / dpa | Karl Schnoerre; S. 40 Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 42/43 ullstein bild - dpa; S. 54 picture-alliance / dpa | dpa; S. 55 picture-alliance / dpa | EPU; S. 56 ullstein bild - Sven Simon; S. 57 UPI/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 70 Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 71 IMAGNO/ Votava/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 72 akg-images / picture-alliance / Karl Schnörre; S. 73 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 82 Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 83 Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 84 Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 85 Fotoarchiv Otfried Schmidt/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 98 dpa/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 99 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 100 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 101 ullstein bild - Minkoff; S. 102 Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 103 IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 114 picture-alliance / dpa | dpa; S. 115 picture-alliance / dpa | dpa; S. 132 Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 133 picture-alliance / dpa | dpa; S. 134 picture-alliance / dpa | - ; S. 135 picture-alliance / dpa | dpa; S. 140 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 141 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 142 ullstein bild - BPA; S. 143 ullstein bild - AP; S. 144/145 picture-alliance / dpa | epu/dpa; S. 147 picture-alliance / dpa | dpa; S. 148 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 149 akg-images / picture-alliance / dpa; S. 154 picture-alliance/ dpa | dpa; S. 155 picture-alliance / dpa | dpa; S. 156 picture-alliance / dpa | dpa; S. 172 akg-images / IMAGNO/Votava; S. 173 Georg Aczel/Süddeutsche Zeitung Photo; S. 194 Sammlung Kellerhoff; S. 195 Sammlung Kellerhoff; Klappkartenwecker shutterstock / GLYPHstock

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Abkürzungsverzeichnis ABC

American Broadcast Company

AAPD

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland

AP

Associated Press

ARD

Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland

ASD

Axel-Springer-Dienst (Agenturdienst des Axel-Springer-Verlages)

BArchB

Bundesarchiv Berlin

BArchK

Bundesarchiv Koblenz

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BLfV

Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz

BND Bundesnachrichtendienst BR

Bayerischer Rundfunk

BStU

ehemaliges Stasiunterlagen-Archiv

BV

Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DOZ

Deutsches Olympia-Zentrum (zentrale Radio- und TV-Sendezentrale)

El-Al

israelische Fluggesellschaft

FS Fernschreiben GSG 9

Grenzschutzgruppe 9

HA

Hauptabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit

HStAM

Hauptstaatsarchiv München

IOC

Internationales Olympisches Komitee

KdF

Kraft durch Freude (NS-Organisation)

LKA Landeskriminalamt LH Lufthansa MfS

Ministerium für Staatssicherheit

MInn

Staatsministerium für Inneres des Freistaates Bayern

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Abkürzungsverzeichnis Mossad

Allgemeiner Nachrichten- und Sicherheitsdienst Israels

MPi Maschinenpistole NL Nachlass NOK

Nationales Olympisches Komite

PAAA

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes

PFLP

Volksfront für die Befreiung Palästinas

PLO

Palästinensische Befreiungsorganisation

PP Polizeipräsidium RAF

Rote Armee Fraktion

SBO Stay-behind-Organisation Soko Sonderkommission StAM

Staatsarchiv München

StAnw Staatsanwaltschaft UA AS

Unternehmensarchiv Axel Springer SE

VZG

Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte

ZDF

Zweites Deutsches Fernsehen

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Anmerkungen 04:20 bis 5:22 Uhr: Überfall 1 Über München ging die Sonne am 5. September 1972 gegen 5:38 Uhr auf, die Morgendämmerung begann gegen 4:15 Uhr am Horizont sichtbar zu werden. 2 Vernehmungen der Postbeamten Heinz-Peter Gottelt, Arno Th., Klaus-Dieter Sch. u. Hans La., alle in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2; vgl. Interview Gottelt, in: Dehnhardt / Oldenburg / Weidenbach: Der Olympia-Mord (Film), 14:22–15:50 sowie BArchB BStU MfS HA VII/3005, Bl. 32 u. Valérien (Hrsg.): Olympia 1972, S. 20. Vgl. Beschuldigtenvernehmung des angeblichen Samer Mohammed Abdullah, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7 sowie Interview Jamal al-Gashey, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 18:47–19:17, dem zufolge mehrere US-Sportler auf dem Rückweg von einer Zechtour den Palästinensern sogar über den Zaun halfen. 3 Vernehmung Gertrud Lau. u. Johannes Lu., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 4 Beschuldigtenvernehmung des angeblichen Ibrahim Badran, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7. Dass die Täter Nachschlüssel gehabt hätten, wird im Anschluss an Groussard: The Blood of Israel, S. 11 oft behauptet, lässt sich aber nicht belegen. 5 Vernehmung Sokolsky am 5. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. Laut Jamal al-Gashey gelang es Moshe Weinberg, Issa die Waffe zu entreißen, woraufhin ein Terrorist ihn anschoss; vgl. Cohn: Ein Tag im September (Film), 20:31–20:43. 6 Vernehmung Raoul Lei., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 7 Weinberg begegnet auch als Winberg (z. B. in Obduktionsbefund Moshe Weinberg v. 5. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 6, Bl. 10) oder Weinberger (auf der Gedenktafel am Haus Connollystraße 31). Hier wird die offizielle Schreibweise verwendet. 8 Der Geher Shaul Ladany, der in Apartment 2 wohnte, sagte noch am 5. September 1972 zu Journalisten: „Ich bin sicher, dass wir Weinberg unser Leben verdanken. Er hat die Araber zum Eingang von Wohnung 3 gebracht, wo die Ringer schlafen. Er muss sich gedacht haben, dass die Ringer vielleicht in der Lage sind, die Araber zu überwältigen.“ Zit. n. Stern v. 17. September 1972.

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Anmerkungen 9 Vernehmung Tsabari am 5. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3; vgl. seine abweichenden Schilderungen bei Cohn: Ein Tag im September (Film), 21:47–22:42 sowie bei Rotstein: Der elfte Tag (Film), 17:10–18:40. 10 In englischer Sprache wird sein Name meist „Shtroch“ geschrieben, ähnlich in der israelischen Presse der 1960er- und 1970er-Jahre. Hier wird die im Deutschen gängige Schreibweise „Shtorch“ verwendet. 11 Interview Shtorch, in: Rotstein: Der elfte Tag (Film), 18:57–21:20. 12 Soko-Ablaufkalender, 4:59 u. 5:02 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 13 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 69. 14 Erinnerung Frank Ganzera, zit. n. https://www.denktag.de/2020olympia1972/ interviews/ 15 Soko-Ablaufkalender, 5:12 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; vgl. Einsatztagebuch Schicht III, 5:07 Uhr, in StAM PP München 1343. 16 Vernehmung von Raoul Lei., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 17 Vgl. Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München  I 37430, Bd.  9; vgl. BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 32. 18 Vernehmung Gertrud Lau., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2.

VORSPIEL 1965 bis 1970: Hoffnung 1 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 122 u. Vogel: Amtskette, S. 95f. 2 Vgl. Hamburger Abendblatt v. 2. Oktober 1965. 3 AAPD 1965, S. 1260–1268. 4 Welt v. 11. Oktober 1965. 5 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 122. 6 Vgl. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Weltstadt_mit_ Herz u. Kurzhals: „Millionendorf“ und „Weltstadt mit Herz“, S. 135–151. 7 Vogel: Amtskette, S. 97. 8 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 125. 9 Welt v. 30. November 1965. 10 Welt v. 4. Dezember 1965. 11 Welt v. 22. Dezember 1965.

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ANHANG 12 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 127. 13 Fuchsberger: Denn erstens kommt es anders …, S. 231. 14 Vogel: Amtskette, S. 102. 15 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 128. 16 Hamburger Abendblatt v. 27. April 1966. 17 Hamburger Abendblatt v. 2. April 1968. 18 Deutscher Bundestag, Drucksache V/1733, S. 2. 19 Deutscher Bundestag, Drucksache V/3789, S. 12. 20 Spiegel v. 24. Juli 1972. 21 In der Endabrechnung wurde dieser symbolisch festgesetzte Betrag mit tatsächlich ausgegebenen 1967 Millionen Mark sogar leicht unterschritten. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache VII/3066, S. 5. 22 Deutscher Bundestag, Drucksache VI/3655, S. 22. 23 Vogel: Amtskette, S. 111. 24 Deutscher Bundestag, Drucksache VI/3655, S. 23. 25 Vogel: Amtskette, S. 130.

1970 bis 1972: Sicherheit 1 Schreiben der Botschaft in Rom v. 20. Januar 1970 und Bericht der Quästur Rom, beide in: HStAM MInn 88537. 2 Vgl. https://www.welt.de/geschichte/article181737152/Vor-Olympia-Massaker-1968-Sie-wurden-nackt-ausgezogen-und-auf-das-Dach-getrieben.html. 3 Übersetzung eines Teils des Berichts aus Tokio v. 20. Juli 1970, in: HStAM MInn 88537. 4 Konzept für den Ordnungsdienst v. 12. Juni 1970, in: HStAM MInn 88559 u. Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 4–9. 5 Vgl. Fischer: Die Olympischen Spiele, S. 23f. 6 Aufgaben, Ausbildung, Organisation und Arbeitsweise des Ordnungsdienstes und seine Abgrenzung zur Polizei v. November 1971, in: HStAM MInn 88620. 7 Tätigkeitsbericht Schreiber, in: BArchK B185/3230. 8 Welt v. 11. Februar 1970. 9 Hamburger Abendblatt v. 11. u. Spiegel v. 16. Februar 1970. 10 Hamburger Abendblatt v. 18. u. Bild v. 19. Februar 1970. 11 https://www.welt.de/geschichte/article158170185/Deutsche-Terroristen-­ sprengten-Swissair-Maschine.html u. Genscher (Hrsg.): Verfassungsschutz ’69/’70, S. 57f. 206

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Anmerkungen 12 Genscher (Hrsg.): Verfassungsschutz ’71, S. 93 u. S. 100. 13 Vgl. Hamburger Abendblatt v. 5., ferner Süddeutsche Zeitung, Hamburger Abendblatt, Welt v. 6. u. Spiegel v. 8. August 1971 sowie die verharmlosende Darstellung des überlebenden Täters bei Todorov: 22 Jahre Knast, S. 65–115. 14 Vgl. BR-Interview Schreiber v. 19. Juni 2001, Abschrift (Sammlung Kellerhoff). 15 Der Obduktionsbefund ergab, dass die Geisel durch eine Kugel aus der Waffe des Täters tödlich verletzt wurde; vgl. Spiegel v. 17. Januar 1972. 16 Spiegel v. 22. August 1971. 17 Spiegel v. 11. September 1972. 18 Behauptungen, der BND habe im Rahmen der geheimen „Stay-behind-Organisation“ der Nato 1972 über einen solchen Verband verfügt, sind falsch. Wie die sogenannten Geheimdienstexperten Norbert Juretzko und Wilfried Huismann (vgl. Weidenbach: München 72 (Film), 18:52–20:05, 20:10–20:37, 28:16–28:32 u. 28:36–28:45) zu solchen Aussagen kommen, bleibt rätselhaft; Ulrich Wegener bestritt die Existenz irgendwelcher ähnlicher Verbände in Deutschland vor Aufbau der GSG 9 entschieden; vgl. Mitteilung Wegener (Sammlung Kellerhoff). Es gibt auch keinerlei Hinweise, dass eine solche Einheit aufgebaut worden wäre. Der BND teilte auf Anfrage zu der geheimen „Stay-behind-Organisation“ mit: „Eine offensiv-militärische oder polizeiliche ‚Anti-Terror-Truppe‘ im Sinne heutiger Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung war diese SBO nicht, ihr Schwerpunkt lag bereits von Anfang an und im Laufe der Zeit stark zunehmend im Bereich der konspirativen Informationsbeschaffung und -weitergabe. In der Frühzeit noch vorhandene Überlegungen in Richtung ‚Widerstandszellen / Partisanenkampf‘ wurden hinsichtlich Effektivität wie Nutzen-Risiken-Verhältnis spätestens Anfang der 1970er-Jahre verworfen. (…) Die SBO war von vornherein auf nachrichtendienstliche, nicht militärische Zwecke ausgelegt; der zuverlässigen Informationsbeschaffung durch ein möglichst breites und geschultes Agentennetz waren alle weiteren Aspekte nachgeordnet. Vergleiche mit militärischen oder polizeilichen Spezialeinheiten sind daher nicht treffend.“ Mitteilung des BND (Sammlung Kellerhoff). 19 Zeit-Magazin v. 7. Januar 1972. 20 Spiegel v. 9. Januar 1972. 21 Spiegel v. 23. Januar 1972. 22 Vgl. Siebers drei Trainingsszenarien, in: HStAM MInn 88620. Kleine Gruppen linksgerichteter Studenten hatten 1967/68 wiederholt und mit Vorliebe an verkaufsoffenen Samstagen wichtige Münchner Straßenkreuzungen blockiert, etwa in der ohnehin von Tiefbauarbeiten belasteten Innenstadt und am Haupt207

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ANHANG bahnhof; dabei war es mehrfach zu Rangeleien gekommen. Ein Flugzeugabsturz in die Innenstadt hatte München am 17. Dezember 1960 getroffen; es gab dabei mehr als 50 Tote. 23 Spiegel v. 22. Juli 2012. 24 Dehnhardt / Oldenburg / Weidenbach: Der Olympia-Mord (Film), 7:47–7:57. In Fuchsbergers Erinnerungen findet sich diese drastische Formulierung nicht; vielmehr spricht er den Vorgang lediglich in einem knappen Satz ohne jedes angebliche Schreiber-Zitat an, vgl. Fuchsberger: Denn erstens kommt es anders …, S. 232f. Der Wortlaut legt zumindest nahe, dass es sich nicht um eine eigene Erinnerung handelt, sondern um eine spätere Reflexion. 25 Spiegel v. 22. Juli 2012. Ein in Dehnhardt / Oldenburg / Weidenbach: Der Olympia-Mord (Film), 7:14–7:31 im Zusammenhang mit einem Sieber-Interview ausschnittsweise gezeigtes Schriftstück, das „Szenario / Lage“ überschrieben ist und die wesentlichen Punkte aus Siebers Darstellung enthält, kann ausweislich des Schriftbildes keinesfalls 1972, sondern frühestens in den späten 1980er-, eher in den 1990er-Jahren entstanden sein. Es handelt sich also bestenfalls um die nach Jahrzehnten angefertigte Rekonstruktion eines verlorenen Originals, nicht aber um ein authentisches Dokument mit Beweiskraft. 26 Psychologischer Dienst im Polizeipräsidium München, Presseerklärung zum ASD-FS vom 8. September 1972, in: StAM PP München 1337sowie ebd., PP München 1363. 27 Spiegel v. 18. September 1972. 28 ASD-FS v. 8. September 1972 mit Paraphrasen „aus der Umgebung Siebers“, in: StAM PP München 1337. Sieber selbst distanzierte sich von dieser Darstellung und nannte sie eine „offensichtlich tendenziöse Interpretation“. Vgl. Erklärung Sieber v. 8. September 1972, in: StAM PP München 1337. 29 StAM PP München 1293, Bl. 17. 30 Vgl. Kellerhoff: Eine kurze Geschichte der RAF, S. 7–10 u. 35–59. 31 RAF-Bekennerschreiben v. 16. Mai 1972 (Sammlung Kellerhoff). 32 Zit. n. Kellerhoff: Eine kurze Geschichte der RAF, S. 62. 33 Spiegel v. 9. Januar 1972. 34 Arbeiterjugendpresse v. Juli 1972, S. 9 (Sammlung Kellerhoff). 35 Extrablatt des KJVD-Zentralorgans Der Kampf der Arbeiterjugend v. Juli 1972 (Sammlung Kellerhoff). 36 Rote Fahne v. 7. August 1972. 37 Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 9f. u. S. 12; vgl. BR-Interview Schreiber v. 19. Juni 2001, Abschrift (Sammlung Kellerhoff). 208

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Anmerkungen 38 Abu Iyad: Heimat oder Tod, S. 155 u. Interview Abu Daoud, in: Weidenbach: München 72 (Film), 4:40–4:53: „Ich fuhr nach München, um zu prüfen, wie wir auf unsere Weise teilnehmen können.“ 39 Vgl. Schiller / Young: München 1972, S. 292. 40 Ihre wirklichen Identitäten sind unklar. Der Anführer, der sich am 5. September 1972 „Issa“ nannte, trat zeitweise unter den Namen Lutif Afif auf, hieß in Wirklichkeit aber möglicherweise Nahib El Ceyyusi oder Mohammed Massalah. Unter diesem Namen bekannte sich sein tatsächlicher oder angeblicher Vater zu ihm. Vgl. Weidenbach: München 72 (Film), 14:28–15:03 u. Abu Iyad: Heimat oder Tod, S. 156. Der Stellvertreter, Kampfname „Tony“, den Abu Iyad in seinen Erinnerungen „Che“ nannte, nutzte die falsche Identität Yussuf Nazzal, hieß in Wirklichkeit aber möglicherweise Hamid Kartout. 41 Interview Jamal al-Gashey, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 6:10–6:58. 42 Haftbefehl gegen Willi Pohl v. 27. Juli 1973 (Sammlung Kellerhoff) u. Bayerischer Landtag Drucksache XVI/13664, S. 4. Vgl. Spiegel v. 7. September 1981. 43 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 22. Juli 2012; vgl. Koch: Arafats Söldner (Film), 5:14–8:44. 44 Die genaue Herkunft der Waffen und ihr Weg nach München sind unklar. Laut dem PLO-Geheimdienstchef kamen sie am Flughafen Köln-Bonn an; vgl. Abu Iyad: Heimat oder Tod, S. 158. Das ist aber unwahrscheinlich, weil es mit einem zusätzlichen Risiko verbunden gewesen wäre. Pohl vermutete, dass sie über Mallorca und Köln aus Libyen kamen, wohl mit einem Kurier per Fähre und Auto. Vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 22. Juli 2012. Nach dem Anschlag wurden acht Kalaschnikows und acht Handgranaten sichergestellt; zwei weitere waren bei der misslungenen Befreiungsaktion in Fürstenfeldbruck gezündet worden. Pohl wurde am 27. Oktober 1972 mit drei Kalaschnikows und sechs Handgranaten im Gepäck festgenommen, die alle aus derselben Produktionsmarge stammten wie die Waffen des Terrorkommandos. 45 Brief des BLfV v. 9. Oktober 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7. Der Hinweis ging auf einen Bericht der Botschaft in Beirut vom 14. August 1972 zurück und wurde vier Tage später an das BLfV in München weitergeleitet; vgl. FS des BfV v. 7. September 1972 (Sammlung Kellerhoff). 46 Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 12f.

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ANHANG

26. August bis 4. September: Freude 1 Fuchsberger: Denn erstens kommt es anders …, S. 238–240. 2 Welt am Sonntag u. Bild am Sonntag v. 27. sowie Hamburger Abendblatt, Süddeutsche Zeitung u. Welt v. 28. August 1972. 3 Dagens Nyheter v. 27. August 1972. 4 Maaßen: Sportclub-Story (Film), 31:22–31:30. 5 Vgl. Umminger u. a.: Olympia 72, S. 66f.; Schneider: Die Olympischen Spiele 1972, S. 25–27; Valérien (Hrsg.): Olympia 1972, S. 10f., S. 14f., S. 18f., Saur / Palme: 5.9.1972, S. 52f. 6 Fuchsberger: Denn erstens kommt es anders …, S. 239. 7 Schweizer Sonntagsblatt v. 27. August 1972. 8 La Suisse v. 27. August 1972. 9 Zit. n. Balbier: Der Welt, S. 118. 10 Sunday Telegraph v. 27. August 1972. 11 Journal du Dimanche v. 27. August 1972. 12 Svenska Dagbladet v. 27. August 1972. 13 Daily News v. 27. August 1972. 14 Zit. n. Bild v. 28. August 1972. 15 South China Sunday Post-Herald v. 27. August 1972. 16 New York Times v. 27. August 1972. 17 The Observer v. 27. August 1972. 18 Neues Deutschland v. 27. August 1972. 19 Spiegel v. 21. August 1972. 20 Schneider: Die Olympischen Spiele 1972, S. 109. 21 Dass Tony tatsächlich vor dem Anschlag als Hilfskoch in einem Restaurant des Dorfes gearbeitet habe, ist unwahrscheinlich. Dabei dürfte es sich ebenso wie bei Issas Behauptung, er habe in einer „Milchbar“ bedient, um bewusst gestreute Fehlinformationen gehandelt haben. Das Gleiche trifft für Abu Daouds rückblickende Behauptung zu, eine Palästinenserin aus München habe beim Ausspionieren der israelischen Unterkunft geholfen. Vgl. Interview Abu Daoud, in: Weidenbach: München 72 (Film), 6:10–6:31. Nach einer anderen Version nämlich ließ ihn eine junge Israelin in die Apartments der israelischen Mannschaft, nachdem sich Abu Daoud als Freund Israels ausgegeben habe. 22 Brief des BLfV v. 9. Oktober 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7. 23 Beschuldigtenvernehmung des angeblichen Samer Mohammed Abdullah, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7 sowie Interview Jamal al-Gashey, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 13:59–14:03. 210

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Anmerkungen 24 Vgl. Beschuldigtenvernehmung des angeblichen Samer Mohammed Abdullah, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7 sowie Ergebnisliste in: Bild v. 4. September 1972. 25 Hamburger Abendblatt v. 5. September 1972; vgl. Valérien (Hrsg.): Olympia 1972, S. 112–114.

DRAMA 05:25 bis 08:15 Uhr: Forderung 1 Vernehmung Gertrud Lau., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2; schlecht lesbare Kopie des ersten Ultimatums, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7. 2 Interviews Shtorch u. Hershkovitz, in: Rotstein: Der elfte Tag (Film), 22:58–21:20. 3 Bericht Kriminalinspektor Walter Na., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 8. 4 Interview Tröger, in: Brasse / Huber: Vom Traum zum Terror (Film), 27:08–27:22. 5 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 1. 6 Soko-Ablaufkalender, 5:57 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; vgl. BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 68. 7 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 68. 8 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 1. 9 Vgl. Genscher: Erinnerungen, S. 150. 10 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 68. 11 Interview Hershkovitz, in: Rotstein: Der elfte Tag (Film), 24:55–25:08. 12 BArchB BStU MfS BV Karl-Marx-Stadt XIV/871/71, Bl. 40. 13 Zit. n. https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Als-Kripo-Heinz-inMuenchen-Terroristen-jagen-sollte-id21755921.html. 14 Soko-Ablaufkalender, 6:37 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 15 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 1. 16 Saur / Palme: 5.9.1972, S. 30f. 17 Es gab zwar Überlegungen, im Falle einer Notlage während der Spiele einen Krisenstab einzurichten, doch der tatsächliche Krisenstab wurde am 5. September 1972 spontan gebildet. Vgl. Brief Schreiber v. 11. August 1972, in: HStAM MInn 88569. 18 Vgl. Merk: Klarstellungen, S. 22. 19 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 1. 211

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ANHANG 20 Vgl. Genscher: Erinnerungen, S. 150f.; Brandt: Begegnungen und Einsichten, S. 574; ders.: Mehr Demokratie wagen, S. 350. 21 Vgl. Bild v. 6. September 1972. 22 Vernehmung Wegener, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3; vgl. Mitteilung Wegener (Sammlung Kellerhoff). Die Luftwaffe hatte ihre Maschinen aus Fürstenfeldbruck verlegt, vor allem nach Erding. Mitteilung Störmann (Sammlung Kellerhoff). 23 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 68. 24 Tageszeitung v. 4. August 2012. 25 Zit. n. Wegener: GSG 9, S. 246f. 26 New York Times u. Times of India v. 6. September 1972. 27 McKay: The Real McKay, S. 5f. 28 Vernehmungen Graes u. Gertrud Lau., in: StAM StAnw München I 37430, Bde. 1–2. 29 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 69. Tatsächlich betrug die Entfernung vom Haus der DDR-Mannschaft bis zum Haus Connollystraße 31 nicht 15, sondern je nach Stockwerk der treppenartig zurückspringenden Balkons mindestens 30 Meter in direkter Linie.

08:35 bis 11:15 Uhr: Verhandlung 1 Vgl. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 2. 2 Interview Schreiber, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 26:01–26:12. 3 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 4 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 70. Allerdings hielt Gitter Touny irrtümlich für Bayerns Innenminister Merk. 5 Kommuniqué (schwer lesbare Kopie), in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7; vgl. Flugblatt „Die Olympiade ist bankrott“ (Sammlung Kellerhoff). 6 Interview Shtorch, in: Rotstein: Der elfte Tag (Film), 27:25–28:15. 7 Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 40; vgl. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 2. 8 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 9 Mitteilung Peter Brandt (Sammlung Kellerhoff). 10 Brandt: Begegnungen und Einsichten, S. 575. 11 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 70. 212

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Anmerkungen 12 Vernehmung Graes, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 13 Soko-Ablaufkalender, 9:15 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; vgl. Bild v. 6. September 1972 (dort mit der Zeitangabe 9:08 Uhr). 14 Cohn: Ein Tag im September (Film), schneidet 39:11–40:57 Bilder von Leichtathletik-Wettkämpfen mit Bildern des besetzten Hauses zusammen, was den Eindruck erweckt, auch im Stadion hätten an diesem Tag Wettkämpfe stattgefunden; das war jedoch nicht der Fall. Vgl. Fuchsberger: Denn erstens kommt es anders …, S. 239f. u. Olympia-Kalender (Sammlung Kellerhoff). 15 Vgl. https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/ Was-haetten-wir-denn-machen-sollen. 16 Soko-Ablaufkalender, 9:28 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; vgl. BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 68. 17 Obduktionsbefund Moshe Weinberg v. 5. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 6, Bl. 10. 18 Tageszeitung v. 4. August 2012. Zamir berichtet in dem Interview irrtümlich, Golda Meir habe über ein Telefonat mit Willy Brandt gesprochen, ebenso in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 44:30–45:09. So ein Telefonat hat es aber nicht gegeben. Vgl. Brandt: Begegnungen und Einsichten, S. 574; auch die Akten des Auswärtigen Amtes und des Bundeskanzleramtes enthalten darauf keinen Hinweis. Vielmehr schickte Brandt am späten Vormittag ein Fernschreiben an den deutschen Botschafter in Tel Aviv, der die Nachricht um 14 Uhr in der Knesset in Jerusalem Meir persönlich überbrachte. Vgl. PAAA B36/506, Bl. 17 u. Bl. 22f. 19 PAAA B 36/506, Bl. 15. 20 Zit. n. Spiegel v. 22. Juli 2012 u. Bild v. 4. September 2017. 21 PAAA B 36/506, Bl. 15. 22 Presseerklärung des „Schwarzen September“ v. 5. September 1972, zit. n. Flugblatt der Gruppe „Arbeitersache München“; vgl. in geringfügig abweichender Übersetzung. Auszüge aus derselben Erklärung auf dem Flugblatt „Die Olympiade ist bankrott“ (beides Sammlung Kellerhoff) u. in New York Times v. 6. September 1972. Vgl. Fink: West Germany and Israel, S. 202, Anm. 82. 23 Zit. n. Benvenisti: Sacred landscape, S. 325f. Vgl. Guardian v. 14. Mai 1976, wo ein Haaretz-Kommentar v. 28. Juli 1972 über Meirs Äußerung paraphrasiert wird. 24 Vgl. New York Times u. Washington Post v. 6. September 1972. 25 Soko-Ablaufkalender, 9:55 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 26 Vgl. New York Times, Washington Post, Welt, Hamburger Abendblatt u. Bild v. 9. u. 10. Mai 1972.

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ANHANG 27 Zit. n. Wegener: GSG 9, S. 246; vgl. Interviews Betser u. Barack, in: Weidenbach: Mythos GSG 9 (Film), 3:36–4:13. 28 PAAA B36/506, Bl. 4 u. Bl. 6. 29 Pressemitteilung des Presse- und Informationsamtes 995/72 (Sammlung Kellerhoff); vgl. Schmidt: Aus historischer Verantwortung, S. 10–12. 30 Zit. n. PAAA B36/506, Bl. 20f. 31 BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 33. 32 Soko-Ablaufkalender, 10:16 u. 10:26 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; Vernehmung Walter Na., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 33 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 71. 34 Soko-Ablaufkalender, 10:26, 10:30 u. 10:27 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 35 Vgl. BILD-Sonderdruck v. 5. September 1972 (Sammlung Kellerhoff). 36 PAAA B-2/191, Bl. 104. 37 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 71. 38 Vgl. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 2. 39 Vernehmung Maria So., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 40 Interview Tröger, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 37:50–38:08 sowie https://www.welt.de/sport/plus188032873/Olympia-Attentat-1972-Der-Terroristenfuehrer-sagte-mir-Wir-haben-nichts-gegen-euch.html. 41 Vgl. Interview Seymour, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 27:50–28:03 u. https://www.standard.co.uk/sport/sport-olympics/the-horrific-legacy-of-munich-72-i-was-there-the-day-palestinian-terrorists-kidnapped-and-killed-11-israeli-athletes-7924074.html; zu Wilcox u. Jennings vgl. McKay: The real McKay, S. 7f., New York Times v. 2. September 2002 sowie Reeve: Ein Tag im September, S. 108f. u. S. 384. 42 Zit. n. Cohn: Ein Tag im September (Film), 47:10–47: 31. 43 Soko-Ablaufkalender, 11:05 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 44 Originalaufnahmen von Schreiber bei der Pressekonferenz, in: Brasse / Huber: Vom Traum zum Terror (Film), 54:10–54:33 u. Cohn: Ein Tag im September (Film), 31:15–31:34; vgl. Vernehmung Oberpolizeirat Sch., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 45 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 72. Es ist unklar, um wen es sich handelte. Ein Oberst der Bundeswehr in Uniform war, soweit bekannt, am 5. September 1972 nicht vor Ort. Ulrich Wegener, der in der Uniform eines BGS-Oberstleutnants im Olympischen Dorf war, konnte sich auf Nachfrage nicht daran erinnern, dieser Offizier gewesen zu sein. Mitteilung Wegener (Sammlung Kellerhoff). 214

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Anmerkungen 46 Soko-Ablaufkalender, 11:15 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; vgl. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 2.

11:20 bis 17:21 Uhr: Zeitgewinn 1 Vgl. Fischer: Die Olympischen Spiele, S. 61f. 2 Merk: Klarstellungen, S. 25 u. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 2. 3 Soko-Ablaufkalender, 11:20 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 4 Vgl. Krey / Meyer: Zum Verhalten, S. 3. Gezielte Todesschüsse als zulässige Maßnahme werden von der Innenministerkonferenz erstmals am 21. September 1972 diskutiert und 1974 im Rahmen des Entwurfes für ein einheitliches Polizeigesetz von Bund und Ländern vorgeschlagen, doch nur drei Länder führen diese Regelung bis 1988 tatsächlich ein. Vgl. Hamburger Abendblatt v. 22. September 1972 u. Spiegel v. 16. September 1974. Der euphemistische Begriff „finaler Rettungsschuss“ kommt 1977 auf; vgl. Spiegel v. 21. November 1977. 5 Vernehmung Graes, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 6 Vgl. https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1972k/kap1_2/ kap2_34/index.html; vgl. BArchB BStU MfS HA VII/3005, Bl. 30. 7 Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 20 u. https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1972k/kap1_2/kap2_34/para3_1.html. 8 Soko-Ablaufkalender, 11:30 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 9 Soko-Ablaufkalender, 11:31 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 10 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 74. 11 Vgl. Merk: Klarstellungen, S. 25. 12 Bericht Polizeiamt West vom 14. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 13 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 74. 1 4   h t t p s : //w w w. h a z . d e/ H a n n o v e r /A u s - d e r- S t a d t / U e b e r s i c h t / Was-haetten-wir-denn-machen-sollen. 15 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3; vgl. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 3 u. Merk: Klarstellungen, S. 26. 16 Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9. 17 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 3. 18 PAAA B36/506, Bl. 17. 19 Zit. n. BArchB BStU MfS HA VII/3005, Bl. 30.

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ANHANG 20 Soko-Ablaufkalender, 12:19 u. 12:24 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 21 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 74. 22 McKay: The Real McKay, S. 7f. Die kürzeste Entfernung vom Haus Connollystraße Nr. 22 zum genau gegenüber gelegenen Haus Nr. 31 beträgt etwas mehr als 20 Meter, die darüberliegenden Balkone des Hauses Connollystraße springen treppenartig zurück, sodass im zweiten Stock die Entfernung in kürzester Linie etwa 26 Meter beträgt. 23 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 3. 24 Merk: Klarstellungen, S. 26. 25 BArchB BStU MfS HA VII/3005, Bl. 33 u. HA XX/505, Bl. 74f. 26 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 3. 27 Merk: Klarstellungen, S. 27. 28 Genscher: Erinnerungen, S. 152. 29 Spiegel v. 22. Juli 2012. Diese Darstellung geht auf das Buch des PLO-Geheimdienst-Chefs Abu Iyad zurück, dem zufolge das Telefonat jedoch einen anderen Hintergrund gehabt haben soll: Ein „arabisches Land“ habe den Vorschlag gemacht, dass die Geiselnehmer die gefangenen Sportler in München freigeben und mit deutschen Ersatzgeiseln dorthin ausfliegen sollten, sofern sich Israel in einem geheimen Abkommen verpflichte, „zwei oder drei Monate später […] in aller Stille 50 palästinensische Gefangene“ freizulassen. Mehrere Regierungen sollten dafür einstehen, dass Israel diese Vereinbarung einhalte. Neben dieser Darstellung des Arafat-Vertrauten und aktiven Terroristen gibt es keine Indizien für so einen angeblich vorgeschlagenen „Deal“. Abu Iyad: Heimat oder Tod, S. 160f. Bei diesem Buch handelt es sich freilich weitgehend um vorsätzliche Desinformation und antisemitische Propaganda. 30 PAAA B36/506, Bl. 22. 31 Vernehmung Graes, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1; vgl. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 3. 32 Soko-Ablaufkalender, 13:30–13:50 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. Blendgranaten, wie sie 1977 bei der Befreiung der Lufthansa-Boeing Landshut in Mogadischu eingesetzt wurden, gab es 1972 noch nicht; sie wurden erst Mitte der 1970er-Jahre für den britischen Special Air Service entwickelt. 33 Vernehmungen Lorenz Ni. u. Georg Os., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 34 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3; vgl. Merk: Klarstellungen, S. 27. 216

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Anmerkungen 35 Soko-Ablaufkalender, 13:43 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 36 Genscher: Erinnerungen, S. 151. 37 Tageszeitung v. 4. August 2012; vgl. Zamirs abweichende Darstellung in Cohn: Ein Tag im September (Film), 45:12–45:23. 38 Zit. n. Wegener: GSG 9, S. 246. 39 Offenbar nahmen Zamir und Cohen Flug LH-637 der Lufthansa, nicht eine Maschine der El-Al mit außerplanmäßiger Zwischenlandung in München. Vgl. Quick v. 20. September 1972. 40 Ähnlich sah es Ulrich Wegener, der von einer „Anfrage auf ministerieller Ebene“ sprach. Mitteilung Wegener (Sammlung Kellerhoff). 41 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 75. 42 Vgl. Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 21. 43 Originalaufnahmen bei Weidenbach: Olympia 72 (Film), 17:55–18:10. 44 Vernehmungen Lorenz Ni. u. Georg Os., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2 sowie BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 75 u. HA VII 3005, Bl. 33. 45 Soko-Ablaufkalender, 14:25, 14:26 u. 14:35 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 46 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 76. 47 Soko-Ablaufkalender, 14:46 u. 14:49 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 48 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3 u. Soko-Ablaufkalender, 14:52 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; vgl. BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 76. 49 Brandt: Mehr Demokratie wagen, S. 350f. 50 Soko-Ablaufkalender, 15:22 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 51 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 4. 52 Zit. n. Wegener: GSG 9, S. 246f. 53 Vgl. Cohn: Ein Tag im September (Film), 38:28–38:54, ferner Washington Post v. 6. September 1972 u. Soko-Ablaufkalender, 13:58 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. Da Golda Meir die Mitteilung Willy Brandts erwähnt, muss die Rede nach 14:15 Uhr Ortszeit Jerusalem stattgefunden haben. 54 Zit.  n. https://www.welt.de/sport/plus188032873/Olympia-Attentat1972-Der-Terroristenfuehrer-sagte-mir-Wir-haben-nichts-gegen-euch.html. 55 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 131. 56 Pressemitteilung des IOC und des OK v. 5. September 1972 (Sammlung Kellerhoff).

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ANHANG 57 Vgl. Bild v. 6. September 1972 sowie BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 33 u. HA XX/505, Bl. 76. 58 Soko-Ablaufkalender, 15:35 u. 16:17 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 59 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 77. 60 Vgl. McKay: The Real McKay, S. 10f. Originalaufnahmen bei Cohn: Ein Tag im September (Film), 50:44–51:16. 61 Soko-Ablaufkalender, 16:32 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 62 Vgl. https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Als-Kripo-Heinz-in-Muenchen-Terroristen-jagen-sollte-id21755921.html. 63 Beschuldigtenvernehmung Georg Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 64 Soko-Ablaufkalender, 16:35 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 65 Originalaufnahmen bei Cohn: Ein Tag im September (Film), 51:31–52:10 u. 52:22–54:08. 66 Wegener: GSG 9, S. 38. 67 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 77. 68 Hohensinn zit. n. https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Als-KripoHeinz-in-Muenchen-Terroristen-jagen-sollte-id21755921.html. 69 Soko-Ablaufkalender, 16:40 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 70 Genscher: Erinnerungen, S. 155 u. Interview Genscher, in: Brasse / Huber: Vom Traum zum Terror (Film), 51:55–53:03. Seinen Hinweis auf den Holocaust, der die Deutschen besonders sensibel gegenüber Angriffen auf Juden mache, ignorierte Issa. Vgl. Interview Genscher, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 30:34–31:08. 71 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 31. 72 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 4. 73 Genscher: Erinnerungen, S. 153. 74 Vernehmung Graes, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1; vgl. BArchB BStU MfS HA VII/3005, Bl. 33. 75 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 31. 76 Soko-Ablaufkalender, 16:41–16:46 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 77 Hohensinn zit. n. https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Als-Kripo-Heinz-in-Muenchen-Terroristen-jagen-sollte-id21755921.html; vgl. Interview Hohensinn, in: Brasse / Huber: Vom Traum zum Terror (Film), 49:34–49:50.

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Anmerkungen 78 Soko-Ablaufkalender, 16:47–16:51 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 79 McKay: The Real McKay, S. 11. 80 Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9. 81 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 77. 82 Vernehmung Graes, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 83 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 77. 84 Grundgesetz, Artikel 87a (4) u. Artikel 91 (2) sowie Artikel 35 (2); vgl. Fischer: Die Olympischen Spiele, S. 25. 85 Originalbilder in Cohn: Ein Tag im September (Film), 48:05–48:50; vgl. Vernehmung Graes, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1 u. Genscher: Erinnerungen, S. 153. 86 Vernehmung Tröger, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 87 Genscher: Erinnerungen, S. 155f. 88 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 78. Vgl. Interviews Tröger u. Genscher, in: Cohn: Ein Tag im September (Film), 48.57–50:40. 89 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 5. 90 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 91 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 78. 92 Soko-Ablaufkalender, 17:20–17:21 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4.

17:23 bis 21:35 Uhr: Täuschung 1 Soko-Ablaufkalender, 17:23 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 2 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 22f. 3 PAAA B-2/191, Bl. 105. 4 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 23. 5 PAAA B-2/191, Bl. 105; vgl. Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 21: „Brundage lässt später (nach 17 Uhr) noch einmal durch Daume erklären, dass das IOC kein Verständnis dafür hätte, wenn Sportler, die sich als Gäste im Olympischen Dorf aufhalten, von den Terroristen ins Ausland verschleppt werden könnten.“ Vgl. auch Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 5: „Daume erklärt namens des IOC: ,Deutschland kann es nicht zulassen, dass Sportler aus dem Olympischen Dorf entführt werden.‘“

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ANHANG 6 Zit. n. Rotstein: Der elfte Tag (Film), 33:19–33:36. 7 UA AS NL Axel Springer 178. Dieses Telegramm ging nach der Übersetzung um 18:49 Uhr vom Berliner Verlagshaus nach Tel Aviv ab. Es erschien auch in den Tageszeitungen des Springer-Verlages, Welt, Bild, Hamburger Abendblatt und B.Z. v. 6. September 1972. Weil in den beiden Letzteren der Satz „Die Unfähigkeit sowohl der deutschen Behörden wie der olympischen Funktionäre, kraftvoll diese schreckliche Situation zu meistern, lässt mich verzweifeln“ weggelassen worden war, behauptete der mit Springer persönlich verfeindete Herausgeber der Illustrierten „Stern“ Henri Nannen zwölf Tage später, Springer habe diesen Satz „tilgen“ lassen, nachdem er von Bruno Merks und Franz Josef Strauß’ Rolle im Krisenstab erfahren habe. Das war nachweislich falsch, denn auch in den Spätausgaben von Welt und Bild wurde dieser Satz abgedruckt. Es handelte sich schlicht um die redaktionelle Entscheidung der B.Z., diesen Satz nicht zu zitieren. Das Hamburger Abendblatt, das zu dieser Zeit nicht in der Nacht, sondern um die Mittagszeit des Erscheinungstages gedruckt wurde, baute nur ein Zitat aus dem Telegramm in seine Zusammenfassung von Reaktionen ein. 8 Beschuldigtenvernehmungen Schreiber und Wolf, beide in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 9 Zeittafel Bruno Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 5. 10 Soko-Ablaufkalender, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4, Einträge 17:38 bis 18:05 Uhr; vgl. Vernehmung Alfred Baumann, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1 u. Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 45. 11 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 78. 12 PAAA B-36/506, Bl. 28; vgl. AAPD 1972, S. 1187. 13 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 79; vgl. Beschuldigtenvernehmung Manfred Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 14 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 5. 15 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 33. 16 Vgl. Soko-Ablaufkalender, 18:36 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4 u. Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 17 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 47. 18 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 79. 19 Vernehmung Mechler, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 20 Vgl. Tageszeitung v. 4. August 2012; vgl. Mitteilung Wegener (Sammlung Kellerhoff). 21 Vgl. Tageszeitung v. 4. August 2012. 22 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 6. 220

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Anmerkungen 23 Brandt: Mehr Demokratie wagen, S. 348–350. 24 AAPD 1972, S. 1187. 25 Vgl. Soko-Ablaufkalender, 20:08 u. 20:20 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 26 Vernehmung Mechler, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 27 Report o. Verf. [=Zwi Zamir] v. 7. September 1972 (Sammlung Kellerhoff), S. 2 u. Genscher: Erinnerungen, S. 156. 28 Genscher: Erinnerungen, S. 151; vgl. Interview Genscher, in: Brasse / Huber: Vom Traum zum Terror (Film), 50:40–50:59. Zu Genschers Darstellung passt die Erinnerung von Merk: „Im Übrigen gab es, um das noch einmal klarzustellen, nie ein israelisches Hilfsangebot. Die verfassungsrechtlich sicher sehr schwierige Frage der deutschen Souveränität, die mit einem Einsatz ausländischer Polizeioder Streitkräfte zwangsläufig verbunden gewesen wäre, hat sich zumindest für den Krisenstab nicht gestellt.“ Vgl. Merk: Klarstellungen, S. 34. Tatsächlich gibt es keinerlei Hinweise auf einen konkreten Vorschlag aus Jerusalem an die Bundesregierung oder den Krisenstab in München, mit eigenen Kräften einzugreifen. Ulrich Wegener, der gelegentlich in Interviews (z. B. in Cohn: Ein Tag im September (Film), 44:19–44:28) selbst von der Ablehnung eines israelischen Angebots durch die Bundesregierung sprach, korrigierte diese Darstellung auf Nachfrage: Mitteilung Wegener (Sammlung Kellerhoff). 29 Bei mehreren Gesprächen gab es Unterbrechungen, sodass es zu unterschiedlichen Zählungen kommt. Walther Tröger zum Beispiel erinnerte sich an zwölf Gespräche seit dem Morgen: https://www.welt.de/sport/plus188032873/ Olympia-Attentat-1972-Der-Terroristenfuehrer-sagte-mir-Wir-haben-nichtsgegen-euch.html; Merk kam auf sieben Verhandlungen, an denen er seit dem Mittag teilgenommen hatte: Merk: Klarstellungen, S. 25–32; Martin Kramer, Dieter Wales und Wolfgang Gitter zählten insgesamt acht Verhandlungen und mehrere weitere Treffen: BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 70–81. 30 Genscher: Erinnerungen, S. 156. 31 Vgl. Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 6 u. Merk: Klarstellungen, S. 32. Tatsächlich landeten und starteten während der Sommerspiele auf dem Ausweichflugplatz Fürstenfeldbruck von Mitte August bis Mitte September rund 300 zivile Flugzeuge mit insgesamt rund 50 000 Passagieren. Zum Vergleich: In München-Riem wurden im gleichen Zeitraum etwa eine Dreiviertelmillion Fluggäste abgefertigt. 32 Brandt: Mehr Demokratie wagen, S. 351 u. Brandt: Begegnungen und Einsichten. S. 574; vgl. AAPD 1972, S. 1187f. 221

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ANHANG 33 Vernehmung Graes, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 34 Die Zeitangaben schwanken stark. Vgl. BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 80f. (20:53 Uhr); Vernehmung Erwin Kl., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1 (bald nach 21 Uhr); Soko-Ablaufkalender, 21:15–21:30 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4 (ab 21:15 Uhr). Für den späteren Zeitpunkt spricht, dass um 21:35 Uhr im Ablaufkalender vermerkt wurde, ein Bus für die Geiselnehmer sei bestellt worden. 35 Zit. n. Stern v. 17. September 1972. 36 Vernehmung Erwin Kl., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1 u. Ermittlungsbericht, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9; vgl. Spiegel v. 11. u. Stern v. 17. September 1972 sowie Interview Tröger, in: Weidenbach: München 72 (Film), 25:53–26:00. Die offizielle Dokumentation erwähnt Schreibers von verschiedenen Augenzeugen unabhängig geschilderten Ruf nicht; vgl. Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 48. 37 Soko-Ablaufkalender, 21:35 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4.

21:36 bis 22:34 Uhr: Falle 1 Eine Alternative zur 727 der Lufthansa gab es auch nicht: Die Luftwaffe hätte erst gegen 0:30 Uhr eine für den Flug nach Kairo geeignete Maschine in Fürstenfeldbruck landen lassen können, also viel zu spät. Vgl. Vernehmung Mechler, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. 2 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 49 u. Soko-Ablaufkalender, 21:43–21:56 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. Laut Stern v. 17. September 1972 sollten zwei kleine Busse kommen. 3 Vgl. Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9. 4 Beschuldigtenvernehmung Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 5 Soko-Ablaufkalender, 21:45 u. 15:15 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 6 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 81. 7 Soko-Ablaufkalender, 21:56–21:59 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 8 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 81. 9 Originalaufnahmen bei Cohn: Ein Tag im September (Film), 62:02–63:35. 10 Soko-Ablaufkalender, 22:04–22:06 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4.

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Anmerkungen 11 Vernehmungen Bechler, Paul Bl., Gunnar Eb. u. Reinhard Pr., alle in: StAM StAnw München I 37430, Bde. 1–2. 12 Vernehmung Bechler, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 13 Vernehmung Wöhrle, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 14 Genscher: Erinnerungen, S. 157f. Vgl. Strauß’ Schilderung in Bild am Sonntag v. 10. September 1972. 15 Report o. Verf. [=Zwi Zamir] v. 7. September 1972 (Sammlung Kellerhoff), S. 3. 16 Vernehmung Reinhard Pr., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 2. Der BGS-Pilot Pr. schätzte die reine Flugzeit der beiden Hubschrauber mit Terroristen und Geiseln an Bord auf etwa 15 Minuten – bei einer Reisegeschwindigkeit von etwa 150 Stundenkilometern und einer Entfernung von Luftlinie 25 Kilometern vom Olympischen Dorf nach Fürstenfeldbruck flog er also einen Umweg von mindestens zehn Kilometern. Schon beim Start drehten die beiden Helikopter offenbar eine Runde über das Olympiastadion, angeblich, um den OlympiaTurm zu umfliegen; vgl. Fuchsberger: Denn erstens kommt es anders …, S. 241. 17 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 18 Soko-Ablaufkalender, 22:31–22:35 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 19 Mitteilung Remmers (Sammlung Kellerhoff). 20 Mitteilung Dietrich Störmann (Sammlung Kellerhoff). 21 Vernehmungen Werner Br., Michael Gö. u. Reinhold Rei., alle in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1–2; vgl. die Schilderung eines anonymen Beamten des Kommandos in Bild am Sonntag v. 10. September 1972. 22 Beschuldigtenvernehmung Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 23 Vernehmung Baumann, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1.

22:35 bis 01:32 Uhr: Katastrophe 1 Vernehmungen der Schützen 1–5, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 2 Vernehmungen der Schützen 2 u. 3, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. Einsatzleiter Wolf hielt das Sicherstellen der Funkverbindung nicht für seine Aufgabe: „Ich hatte mich um diese Einzelheiten nicht zu kümmern.“ Zudem hätten Funkgeräte möglicherweise die Position der Scharfschützen verraten – doch die Hilfsturbine der 727 lief. Vgl. Beschuldigtenvernehmung Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3.

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ANHANG 3 Vernehmung Baumann, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1 u. Beschuldigtenvernehmung Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 4 Beschuldigtenvernehmung der drei Festgenommenen, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 7. Anders als Jamay al-Gashey behauptet, waren die Lichtgiraffen schon bei der Landung der Helikopter angeschaltet. Vgl. Mitteilungen Störmann u. Remmers (Sammlung Kellerhoff) u. Cohn: Ein Tag im September (Film), 70:20–70:30. 5 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 50. 6 Die New York Times titelte fassungslos: „Munich Police Ordered 5 To Ambush 8 Terrorists“; vgl. New York Times v. 8. September 1972. 7 Vernehmung Baumann, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 8 Mitteilung Remmers (Sammlung Kellerhoff). 9 Vgl. Stern v. 17. September 1972. Bruno Merk wies rückblickend jede Kritik an der Untätigkeit des Krisenstabes in diesem Moment zurück: „Ich weiß nicht, ob diese nachträglichen Ratschläge wirklich ernst gemeint waren und, wenn ja, wie man sich ihre Umsetzung vorgestellt hätte. Den Terroristen mit freundlicher Miene sagen, dass die Crew leider ausgestiegen sei und sich zu fliegen weigere? Selbst wenn uns die Terroristen das auch noch abgenommen hätten, hätten sie sich wohl des Jets bemächtigt, die Geiseln in der schon bekannten vorsichtigen Form umgesetzt und mit den gewohnten Drohungen eine neue Crew und den Abflug erpresst. Denkbar auch, dass sie die in ihrer Gewalt befindlichen Piloten gezwungen hätten, [gemeint: mit den Hubschraubern] nach Riem zu fliegen, um sich dort dann selbst eines Flugzeuges zu bemächtigen.“ Merk: Klarstellungen, S. 33f. 10 Beschuldigtenvernehmung Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 11 Vernehmung Paul Bl., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 12 Vernehmung des Schützen 3, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 13 Mitteilung Remmers (Sammlung Kellerhoff). 14 Die Zeitangaben widersprechen sich. Laut Oberleutnant Jürgen Bau., einem Flugsicherungsoffizier in Fürstenfeldbruck, blieben die präzisen elektrischen Uhren im Tower um 22:37 Uhr durch den Kurzschluss stehen. Die Sonderkommission dagegen rechnete aus, der Feuerbefehl sei um 22:38 Uhr und 30 Sekunden erfolgt. Vgl. Vernehmung Jürgen Bau., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1 sowie Soko-Ablaufkalender, 22:38–22:39 Uhr in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4, Einträge, ferner Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9.

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Anmerkungen 15 Obduktionsbefunde Erkennungsdienst-Nr. 5 (Tony) und ErkennungsdienstNr. 6 (Issa) v. 7. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 6. 16 Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9 u. WestfalenPost v. 7. September 1972. Der Verletzte war David Berger, vgl. Obduktionsbefund David Berger v. 6. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 6. 17 Vernehmungen Bechler, Gunnar Eb., Reinhard Pr. u. Paul Bl., alle in: StAM StAnw München I 37430, Bde. 1–2. 18 Vernehmung des Schützen 4, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 19 Beschuldigtenvernehmung Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3 u. Vernehmung Baumann, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 20 Beschuldigtenvernehmung Schreiber, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3. 21 Dokumentation über die Vorfälle in München, Bl. 51; vgl. Beschuldigtenvernehmung Wolf, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 3 u. Vernehmung Baumann, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 22 Soko-Ablaufkalender, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4, Eintrag 23 Uhr u. Report o. Verf. [=Zwi Zamir] v. 7. September 1972 (Sammlung Kellerhoff). 23 Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9 u. Obduktionsbefund Erkennungsdienst-Nr. 1 v. 7. September 1972, Bl. 3f. 24 Soko-Ablaufkalender, 23:16 bis 23:45 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 25 Mitteilung Monika Störmann (Sammlung Kellerhoff). 26 Zit. n. Bild v. 7. September 1972. 27 Vgl. z. B. Sun, Jerusalem Post u. B.Z. v. 6. September 1972. 28 Brandt: Mehr Demokratie wagen, S. 351. 29 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 131f. 30 Vgl. Fischer: Die Olympischen Spiele, S. 103; einen Beleg dafür gibt es nicht. 31 Soko-Ablaufkalender, 23:55 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 32 Vernehmung Bechler, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 33 Obduktionsbefund Erkennungsdienst-Nr. 4 v. 7. September 1972, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 6. 34 Vernehmung Bechler, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 35 Vernehmungen der Feuerwehrleute Burkhardt Ad., Erich Ba., Willi De., Anton Eb. u. Josef Fe. sowie des BGS-Piloten Gunnar Eb., alle in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 36 Westfalen-Post, Bild u. Hamburger Abendblatt v. 7., Stern v. 17. u. Spiegel v. 18. September 1972; ferner Fischer: Die Olympischen Spiele, S. 103. 225

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ANHANG 37 Originalaufnahmen in Cohn: Ein Tag im September (Film): 76:23–76:42. 38 McKay: The Real McKay, S. 14. 39 Interview Tröger, in: Brasse / Huber: Vom Traum zum Terror (Film), 79:25–79:33. 40 Auf das erst am späten Nachmittag „dieses schrecklichen Tages“ abgesandte Glückwunsch-Telegramm des Verlegers Axel Springer hin dankt Strauß für „Deine guten Wünsche, die mir helfen werden, die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen“. UA AS NL Axel Springer 179. 41 Mitteilungen Remmers und Störmann (Sammlung Kellerhoff). 42 Soko-Ablaufkalender, 0:36 u. 0:58 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4 sowie Brandt: Mehr Demokratie wagen, S. 351. Die Darstellung im Stern, bereits um 23:40 Uhr seien Brandt und Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel vom Tod von mindestens drei Geiseln informiert worden, trifft nicht zu. Vgl. Stern v. 17. September 1972. Andererseits traf auch Brandts Darstellung in seinen Memoiren von 1974, er sei „festen Glaubens, die Geiseln seien auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck befreit worden“, nach Feldafing zurückgefahren, offenbar nicht zu; vgl. Brandt: Begegnungen und Einsichten, S. 575. 43 Vernehmung Josef Fe., in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 1. 44 Bild v. 7. u. Stern v. 17. September 1972.

01:45 bis 03:45 Uhr: Schock 1 Soko-Ablaufkalender, 1:45 u. 1:47 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 2 Mitteilung Monika Störmann (Sammlung Kellerhoff). 3 Soko-Ablaufkalender, 2:00 Uhr, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 4 McKay: The Real McKay, S. 14f. 5 Brandt: Mehr Demokratie wagen, S. 351. 6 Originalaufnahmen bei Weidenbach: München 72 (Film), 38:29–38:41. Zum Zeitpunkt vgl. Westfalen-Post u. Hamburger Abendblatt v. 7. September 1972. 7 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14, Bl. 7. 8 Originalaufnahmen in Cohn: Ein Tag im September (Film), 79:17–79:40; vgl. McKay: The Real McKay, S. 16. 9 PAAA B2/191, Bl. 112.

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Anmerkungen

NACHSPIEL 6. bis 18. September: Trauer 1 Saur / Palme: 5.9.1972, S. 31. 2 Bild v. 7. September 1972. 3 Brandt: Mehr Demokratie wagen, S. 352 u. Genscher: Erinnerungen, S. 159f.; vgl. Brandt: Begegnungen und Einsichten, S. 575. 4 Merk: Klarstellungen, S. 23. 5 Fuchsberger: Denn erstens kommt es anders …, S. 243. 6 Alle Ansprachen nach Umminger u. a.: Olympia 72, Bd. 2, S. 63 sowie Valérien (Hrsg.): Olympia 1972, S. 34f. 7 Bild v. 7. September 1972. 8 New York Times v. 8. September 1972. 9 Vogel / Vogel: Deutschland aus der Vogelperspektive, S. 131. 10 https://www.welt.de/sport/plus188032873/Olympia-Attentat-1972-DerTerroristenfuehrer-sagte-mir-Wir-haben-nichts-gegen-euch.html. 11 Zit. n. Reeve: Ein Tag im September, S. 219. 12 Hamburger Abendblatt v. 7. September 1972. 13 Vgl. https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1972k/kap1_2/ kap2_35/para3_1.html. 14 Genscher: Erinnerungen, S. 159. 15 https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1972k/kap1_2/ kap2_35/para3_1.html. 16 Obduktionsbefunde der israelischen Opfer, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 6. 17 Bild v. 8. September 1972. 18 UA AS NL Axel Springer 177. 19 New York Times, Washington Post u. Times of India v. 8. September 1972. 20 Hamburger Abendblatt v. 8. September 1972. 21 ASD-Fernschreiben v. 8. September 1972, in: StAM PP München, 1337. 22 Psychologischer Dienst im Polizeipräsidium München, Presseerklärung zu ASD-FS vom 8. September 1972, in: StAM PP München 1363. 23 Sieber: Auskünfte an Journalisten im Zusammenhang mit der Geiselnahme im Olympischen Dorf v. 8. September 1972, in: StAM PP München 1337. 24 Vgl. Spiegel v. 18. September 1972. 25 Schreiber: Brief an Werner Zwick v. 28. Februar 1973, in: StAM PP München 1363. 227

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ANHANG

1972 bis 1981: Vergeltung 1 Washington Post v. 8. September 1972. 2 Meir: My Life, S. 399f. 3 Guardian u. Washington Post v. 9. September 1972. 4 Vgl. Abu Iyad: Heimat oder Tod, S. 155f.; Abu Daoud: Palestine, S. 569–571 sowie Koch: Arafats Söldner (Film), 5:14–8:44. 5 Dieses Unternehmen ist vielleicht die am häufigsten beschriebene und gedeutete Geheimdienstoperation nach 1945. Entsprechend vielfältig, wenn auch alles andere als konsistent sind die Darstellungen. Unklar ist schon der tatsächliche Deckname; genannt werden „Zorn Gottes“ ebenso wie „Operation Caesarea“. Sensationsheischende Bücher, etwa von George Jonas (1984), Simon Reeve (2000) oder Aaron Klein (2005), und die beiden frei nach Jonas’ weitgehend erfundener Story zusammenfantasierten Spielfilme „Gideons Schwert“ (1986) und „München“ von Steven Spielberg (2005), haben so viele Gerüchte und Desinformationen verbreitet, dass die mutmaßlich wirklichen Vorgänge kaum mehr rekonstruiert werden können. Die Ausführungen in diesem Buch beschränken sich daher auf die vergleichsweise wenigen wirklich dokumentierten Fakten. 6 Nach Zamirs Darstellung in einem Interview 2012 traf die Regierungschefin nur die Grundsatzentscheidung, wurde aber fortan aus weiteren Erörterungen herausgehalten: „Golda Meir war nicht glücklich darüber, dass wir zu Dingen gezwungen wurden, die Kulturstaaten nicht tun. Ihr gefiel das überhaupt nicht. Ich habe sie nicht mehr einbezogen. Mir war klar, dass sich die Terroristen frei in Europa bewegen und dass keine Regierung etwas dagegen unternimmt. Die europäischen Behörden wollten bei diesem Krieg zwischen Israel und den Arabern nicht mitmachen. Ich wusste, was ich zu tun hatte.“ Tageszeitung v. 4. August 2012. 7 Vgl. https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1972k/kap1_2/ kap2_35/para3_1.html. 8 Hamburger Abendblatt v. 8. September 1972. 9 Abgedruckt in: Genscher (Hrsg.): Verfassungsschutz ’72, S. 156f. 10 Vgl. Frangi: Der Gesandte, S. 163–165. 11 Zit. n. Röhl: „Die RAF hat Euch lieb“, S. 533. 12 Hannover: Die Republik vor Gericht, Bd. 1, S. 368. 13 Zit. n. Röhl: „Die RAF hat Euch lieb“, S. 533. 14 o. Verf.: Die Aktion des Schwarzen September in München, S. 3. 15 Hamburger Abendblatt v. 10. Oktober 1972. 16 Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex, S. 420–422. 228

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Anmerkungen 17 Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 70f. Vgl. Hamburger Abendblatt v. 20. u. Bild v. 21. September 1972. 18 Der Ermittlungsbericht der Soko des LKA datiert v. 28. Dezember 1972, der Generalspurenbericht des Erkennungsdienstes München v. 20. September 1972, dem Tag der Vorlage der Dokumentation. 19 Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 70. 20 Hamburger Abendblatt v. 21. September 1972. 21 https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1972k/kap1_2/ kap2_38/para3_7.html#d8e43. 22 Spiegel v. 25. September 1972. 23 Vgl. www.bundespolizei.de/Web/DE/05Die-Bundespolizei/04Einsatzkraefte/GSG9-neu/01-Die-GSG9/gsg9_node.html. 24 Vgl. https://electronicintifada.net/content/material-film-performance -part-2/7053. 25 Vgl. South China Morning Post u. Hamburger Abendblatt v. 11. Dezember 1972. 26 The Guardian, Die Tat u. Neue Zürcher Nachrichten v. 29. Januar 1973. 27 Washington Post v. 7. April 1973. 28 Vgl. Bild, Hamburger Abendblatt, Welt v. 30. u. 31. Oktober 1972, ferner Spiegel v. 6. November 1972 u. 6. Oktober 1975 sowie Dehnhardt / Oldenbourg / Weidenbach: Der Olympia-Mord (Film), 66:10–74:15. 29 PAAA B36/501, Bl. 9. 30 Hamburger Abendblatt v. 30. u. Welt v. 31. Oktober 1972. 31 PAAA B36/501, Bl. 23. 32 AAPD 1972, S. 1615. 33 Vgl. Abu Iyad: Heimat oder Tod, S. 163f.; Abu Daoud: Palestine, S. 652f.; Cohn: Ein Tag im September (Film), 84:29–85:25; Reeve: Ein Tag im September, S. 226–231; Wolffsohn: Friedenskanzler?, S. 84–96. 34 Zit. n. https://www.haaretz.com/1.5134761. 35 AAPD 1972, S. 1686. 36 Bild v. 31. Oktober 1972; PAAA B 36/501, Bl. 10, Bl. 13, Bl. 15, Bl. 17, Bl. 55–57 u. Bl. 59–61; Spiegel v. 5. Oktober 1975. Noch 2013 gab es eine entsprechende Anfrage im Bundestag, die das Bundesinnenministerium klar beantwortet: „Den hier vorliegenden Akten, die noch nicht an das Bundesarchiv abgegeben worden sind, ist ein Hinweis, dass deutsche Stellen von der bevorstehenden Entführung des Lufthansafluges LH 615 im Oktober 1972 gewusst haben, nicht zu entnehmen.“ Stenografische Berichte des Bundestages, S. 31873 C. 37 Spiegel v. 6. November 1972. 229

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ANHANG 38 Cohn: Ein Tag im September (Film), 4:35–4:41 u. Reeve: Ein Tag im September, S. 271–273 geben nur Hörensagen wieder, ebenso wie Klein: Die Rächer, S. 248f., dem zufolge einer der drei eines natürlichen Todes gestorben sein soll und der andere im Libanon ohne Mitwirkung des Mossad getötet worden sei. 39 Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft München I v. 5. Februar 1973, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 8. 40 Vgl. Spiegel v. 6. August 1973. 41 Vgl. Bild, Hamburger Abendblatt, New York Times, South China Morning Post, The Globe and Mail, Washington Post, Welt u. a. v. 23.–25. Januar 1979. 42 Bild, Hamburger Abendblatt u. Welt v. 10.–15. sowie Spiegel v. 17. Januar 1977. 43 Vgl. Tageszeitung v. 3. Februar 2006.

1972 bis 2022: Gedenken 1 Der Stein steht auch fast ein halbes Jahrhundert später unverändert und mit teilweise falscher Schreibweise der Namen der Opfer vor dem Haus. 2 Bild v. 11. Dezember 1972. 3 Hamburger Abendblatt v. 6. September 1973. 4 Hamburger Abendblatt v. 6. September 1982. 5 Hamburger Abendblatt v. 4. September 1982. 6 Vgl. z.  B. Spiegel v. 31. August  1992 u. Hamburger Abendblatt v. 5. September 1992. 7 https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1972k/kap1_2/ kap2_35/para3_1.html. 8 Vgl. Schiller / Young: München 1972, S. 330. Laut Spiegel v. 31. August 1992 bekam jede der sieben Witwen jedoch nur umgerechnet 200 000 Mark, jedes Kind 70 000 Mark. Die Diskrepanz ist nicht aufzuklären. Die Angabe bei Schuster-Fox: 5. September 1972, S. 79, es habe sich um insgesamt vier Millionen Mark Soforthilfe gehandelt, lässt sich nicht belegen. 9 Spiegel v. 31. August 1992. 10 Es handelte sich um offenbar um einige der in StAM StAnw München I 37430, Bd. 4 u. Bd. 6 enthaltenen Unterlagen, von denen jedoch in weiteren Beständen bayerischer und nationaler Behörden Kopien existierten. Aus welcher Quelle die Dokumente weitergereicht wurden, blieb offen. 11 Spiegel v. 31. August 1992. 12 Es ist unklar, welche Bedeutung das Gewicht der Geschosse gehabt hätte. Denn zweifelsfrei konnten die Kugeln aus den Kalaschnikows von denen aus 230

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Anmerkungen den G3 der Polizei unterschieden werden – bei der Munition für die sowjetischen Waffen handelte es sich um Eisenkerngeschosse, während Polizei und Nato ausschließlich Bleikerne verwendeten. Vgl. Ermittlungsergebnis, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9. 13 Vgl. Berliner Zeitung v. 31. August 1994. 14 Presseerklärung des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren v. 5. September 1994 (Sammlung Kellerhoff). 15 Spiegel v. 5. September 1994 16 Schuster-Fox: 5. September 1972, S. 77. 17 Frankfurter Allgemeine v. 3. Mai 2001. 18 Süddeutsche Zeitung v. 6. September 2012. 19 Berliner Morgenpost, Bild, Hamburger Abendblatt, Süddeutsche Zeitung u. Welt v. 6. September 2012. 20 Vom 29. Mai bis 1. Juni 2012 konnte ich ohne jede Einschränkung die vollständigen Akten der Staatsanwaltschaft München I zum Anschlag im Original durchsehen, immerhin 14 Bände mit allen Gutachten, sämtlichen Obduktionsbefunden, zahlreichen Fotos, Aussagen von 165 Augenzeugen und umfassendem weiterem Material. Seinerzeit noch nicht zugänglich waren rund 50 Akten des Polizeipräsidiums München zum Attentat, die wohl schlicht vergessen worden waren; vgl. Münchner Merkur v. 16. September 2015. Diese Akten wurden jedoch bis 2015 ebenfalls ans Staatsarchiv abgegeben, sind inzwischen erschlossen und konnten für das vorliegende Buch ausgewertet werden. 21 Süddeutsche Zeitung v. 7. September 2012. Soweit bekannt, sind die Akten des IOC über die Olympischen Spiele 1972 jedoch schon seit vielen Jahren zugänglich; die Historiker Kay Schiller und Christopher Young haben sie vor 2010 ausgewertet; vgl. Schiller / Young: München 1972, passim. Außerdem ist unklar, was in den Akten des IOC genau zu dem Anschlag stehen soll. 22 Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 5. September 2017. 23 https://www.timesofisrael.com/after-49-years-israeli-victims-of-1972-olympic-massacre-honored-at-tokyo-opener/

ANHANG Zu diesem Buch 1 Washington Post v. 19. Juli 1975. 2 Groussard: The Blood of Israel, S. 11, S. 20. 231

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ANHANG 3 Kriminaltechnisches Gutachten, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 4 Groussard: The Blood of Israel, S. 87. 5 Vgl. Brandt: Begegnungen und Einsichten, S. 574 u. Meir: My Life, S. 398. Dabei erwähnte Meir in anderen Zusammenhängen durchaus Telefonate mit Brandt, vgl. ebd. S. 373. 6 Klein: Die Rächer, S. 67f. 7 Genscher: Erinnerungen, S. 150–160. 8 Cohn: Ein Tag im September (Film), 44:30–45:09 u. Tageszeitung v. 4. August 2012. 9 Soko-Ablaufkalender, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 10 Ermittlungsbericht, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 9; Kriminaltechnisches Gutachten, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4; Tatortbefunde Olympisches Dorf und Fürstenfeldbruck, in: ebd., Bd. 5; Obduktionsbefunde, in: ebd., Bd. 6. 11 Vernehmungen von Zeugen, in: StAM StAnw München I 37430, Bde. 1–3. 12 StAM StAnw München I 37430, Bd. 7. 13 Zeittafel Merk, in: HStAM NL Merk 14 u. Report o. Verf. [=Zwi Zamir] v. 7. September 1972 (Sammlung Kellerhoff) sowie Bemerkungen des Bundesministers des Inneren zu dem Bericht General Zamirs v. 5. Oktober 1972 (Sammlung Kellerhoff). 14 Dokumentation über die Vorfälle in München, S. 64–67. 15 PAAA B2/191, Bl. 102–108 u. 109–113. 16 PAAA B36/505–508. 17 BArchB BStU MfS HA XX/505, Bl. 68–81. 18 BArchB BStU MfS BV Karl-Marx-Stadt Abt. XIV/871/71, Bl. 40–42 sowie BV Suhl Abt. XX/1176, Bl. 36–38. 19 BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 4–94. 20 BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 1–203. 21 BArchB BStU MfS ZAIG 10413, Bl. 3–301 u. HA XXII/433-4, Bl. 10–18; vgl. HA XII/598, Bl. 3–29. 22 BArchB BStU MfS HA VII 3005, Bl. 10. 23 Bild, Tagesspiegel u. Abendzeitung v. 6. September 1972 sowie Soko-Ablaufkalender, in: StAM StAnw München I 37430, Bd. 4. 24 Vgl. Cohn: Ein Tag im September (Film), 19:23–19:34. Die Produktion erweckt den Eindruck, Genscher habe bereits vormittags mit Issa verhandelt, was nicht der Fall war; Merk und er schalteten sich in Wirklichkeit erst kurz vor 13 Uhr ein (vgl. ebd., 29:45–34:21). Außerdem wurde die Forderung nach einem Flugzeug 232

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Anmerkungen gegen 16:35 gestellt, nicht um 18 Uhr; auch blieb das Ziel – Kairo – keineswegs „nicht genannt“, wie der Film behauptet, sondern wurde explizit mitgeteilt. Vgl. ebd., 56:28–56:38. 25 Vgl. Spiegel v. 5. Dezember 2015. 26 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kino-spielbergs-truebe-quellen-1100909.html. 27 Vgl. Large: Munich 1972, S. 193–248 u. Kraushaar: „Wann endlich“, S. 496–573. 28 Schiller / Young: München 1972, S. 280–321; Dahlke: Demokratischer Staat, S. 62–70; Oberloskamp: Codename Trevi, S. 29–49. 29 Ausnahmen sind einige Behauptungen in TV-Dokumentationen, die sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben, obwohl sie falsch sind.

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Berlin (vormals BStU) Bestand MfS – Ministerium für Staatssicherheit: BdL / Dok. 1466; BV KarlMarx-Stadt AKG 8822; BV Karl-Marx-Stadt XIV/871/71; BV Karl-Marx-Stadt AIM 872/82; BV Suhl Abt. XX / 1176; HA II / 27075; HA II / 27077: HA III / 13675; HA III / 13676; HA VI / 12598; HA VII / 3005; HA IX / 2486; HA XII / 598; HA XVIII / 12758; HA XX / 505; HA XX/4-1225; HA XX ZMA / 1343; HA XXII / 433-4;HA XII / 1081; HA XXII / 5487; HA XXII / 17508; HA XXII / 18613; HA XXII / 21596; HA XXII / 27355; HA XXII / 27077; Z 3021; ZAIG 2067; ZAIG 10413. Bundesarchiv Koblenz Bestand B 141 – Bundesministerium der Justiz: 30899; 37488. Bestand B 185 – Organisationskomitee der XX. Olympiade München 1972 e. V.: 3230. Hauptstaatsarchiv München Bestand MInn: 88537; 88559; 88569; 88620. Bestand NL Merk: 14. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin Bestand B-2 – Büro Staatssekretäre: 191. Bestand B-36 – Länderreferate Naher und Mittlerer Osten: 501; 505; 506; 507; 508. Bestand B-150 – Dokumente AAPD: 262. Sammlung Sven Felix Kellerhoff Berlin Artikel und Extrablätter zu den Olympischen Spielen 1972; Auszüge aus Akten der CIA; Auszüge aus Akten des FBI; Auszüge aus Akten des State Department; Bericht von Zwi Zamir; Flugblätter von Olympia-Gegnern; Korrespondenz Willy Brandt mit Golda Meir; Mitteilungen von Zeitzeugen (Peter Brandt, Wieland Giebel, Ernst Piper, Henning Remmers, Dietrich Störmann, Monika Störmann, Ulrich Wegener u.a.); Pläne des Olympia-Geländes; Varia. Sammlung Uli Weidenbach Bad Neuenahr-Ahrweiler Bekennerschreiben der IBSO; Communiqué der Geiselnehmer; Dokument „Szenario / Lage“; Varia.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Staatsarchiv München Bestand Staatsanwaltschaft München I: 37430 (Bde. 1–14). Bestand Polizeipräsidium München: 1183; 1293; 1337; 1343; 1363. Unternehmensarchiv Axel Springer SE Berlin Bestand NL Axel Springer, Korrespondenz: 177; 178;179.

2. Gedruckte Quellen Abu Daoud: Palestine. De Jerusalem a Munich. Paris 1999. Abu Iyad: Heimat oder Tod. Der Freiheitskampf der Palästinenser. Düsseldorf 1979. Betser, Muki / Rosenberg, Robert: Soldat im geheimen Auftrag. Israels führender Antiterror Spezialist berichtet über seine spektakulärsten Einsätze. Hamburg 1996. Brandt, Willy: Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960 bis 1975. Hamburg 1976. Ders.: Mehr Demokratie wagen. Innen- und Gesellschaftspolitik 1966–1974. Berliner Ausgabe, Bd. 7. Bonn 2001. Dokumentation über die Vorfälle in München. Hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn 1972. Ehmke, Horst: Mittendrin. Von der Großen Koalition zur Deutschen Einheit. Berlin 1994. Fleischmann, Heinz (Hrsg.): Olympiaplan München ’72 mit Kiel und Augsburg. München 1972. Frangi, Abdallah: Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahost-Politik. München 2011. Fuchsberger, Joachim: Denn erstens kommt es anders … Geschichten aus meinem Leben. Köln 2007. Genscher, Hans-Dietrich (Hrsg.): Betrifft – Verfassungsschutz ’69/’70. Bonn 1971. Ders. (Hrsg.): Betrifft – Verfassungsschutz ’71. Bonn 1972. Ders. (Hrsg.): Betrifft – Verfassungsschutz ’72. Bonn 1973. Ders.: Erinnerungen. Berlin 1995. Hannover, Heinrich: Die Republik vor Gericht 1954 – 1995. 2 Bde. Berlin 1998–1999. Lembke, Robert (Hrsg.): Das große Handbuch der Olympischen Sommerspiele. München 1971. McKay, Jim: The Real McKay. My Wide World of Sports. New York 1998. Meir, Golda: My Life. London 1975. Merk, Bruno: Klarstellungen. Günzburg o. J. [=1996]. 235

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4. Dokumentar- und Spielfilme Anderson, Michael: Sword of Gideon. Toronto – New York 1985. Brasse, Marc / Huber, Florian: Vom Traum zum Terror. München 72. Hamburg 2012. Cohn, Arthur: Ein Tag im September. Das Geiseldrama München 1972. München 2000. Crisman, Stephen: Munich ’72 and Beyond. Calabasas 2016. Dehnhardt, Sebastian / Oldenburg, Manfred / Weidenbach, Uli: Der OlympiaMord – München ’72. Köln 2006. Graham, William A.: 21 Hours at Munich. Bryan 1976. Koch, Egmont R.: Arafats Söldner – Die drei Leben des Willi Pohl. Mainz 2020. Kruske, Helga / Morr, Jost von: München ’72 – Die Spiele der XX. Olympiade. Berlin 1972. Maaßen, Hendrik: Sportclub-Story – Lauf seines Lebens. Hamburg 2021. Morris, Sarah: 1972. New York 2008. Rotstein, Emanuel: Der elfte Tag – Die Überlebenden von München. München 2012. Spielberg, Steven: Munich. Los Angeles 2005. Weidenbach, Uli: München 72 – Die Dokumentation. Köln 2012. Ders.: Mythos GSG 9 – 40 Jahre Kampf dem Terror. Köln 2012. Zahavi, Dror: München ’72. Potsdam 2012.

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Sven Felix Kellerhoff, geb. 1971, war als Journalist u.a. für die Berliner Zeitung, die Badische Zeitung und den Bayerischen Rundfunk tätig. Seit 1997 arbeitet er bei der WELT, seit 2003 dort als Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte, seit 2012 zusätzlich als Leiter des History Channel WELTGeschichte. Jüngste Veröffentlichungen: »Eine kurze Geschichte der RAF« (2020), »Ein ganz normales Pogrom. November 1938 in einem deutschen Dorf« (2018) und »Lob der Revolution. Die Geburt der deutschen Demokratie« (2018).

Umschlagabbildungen: Terrorist, picture alliance / AP Photo | Kurt Strumpf; Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1972, akg-images / IMAGNO/Votava; Klappkartenwecker: shutterstock / GLYPHstock Umschlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg

5. September 1972: Seit mehr als einer Woche begeistert München die Welt mit Olympischen Sommerspielen, wie es sie ähnlich weltoffen, bunt und modern nie zuvor gegeben hat. Doch dann kommt der internationale Terror nach Deutschland: Attentäter der palästinensischen Gruppe »Schwarzer September« nehmen die israelische Mannschaft als Geisel. 21 Stunden später sind 17 Menschen tot. Was damals im September 1972 in München tatsächlich geschah, rekonstruiert der Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff nun erstmals anhand von bisher nicht ausgewerteten Akten und kommt zu ganz neuen Einschätzungen der damaligen Ereignisse.

wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4420-5

Sven Felix Kellerhoff Anschlag auf Olympia

Foto: © WELT

Ein erschütternder Polit-Thriller

Sven Felix Kellerhoff

Anschlag auf Olympia Was 1972 in München wirklich geschah

Überfall Kurz nach der Morgendämmerung betreten acht junge Männer das Treppenhaus zum Haus Connollystraße 31 in München, in dem die Olympia-Delegation Israels untergebracht ist. Die Trainingsanzüge, in denen sie zuvor über den Zaun des Olympischen Dorfes geklettert sind, haben sie gegen mitgebrachte Straßenkleidung ausgetauscht; aus den Sporttaschen hat jeder ein Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow genommen. Am Apartment Nr. 1 links im Erdgeschoss lesen sie jüdisch klingende Namen. Die Tür ist nur zugezogen, nicht verriegelt …